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German Pages 418 [420] Year 1993
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SSM·*
Hans Henning
Faust-Variationen Beiträge zur Editionsgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert
K G · Saur München · London · New York · Paris 1993
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Henning, Hans: Faust-Variationen : Beiträge zur Editionsgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert / Hans Henning. - München ; London ; ISBN 3-598-11108-8
© Gedruckt auf säurefreiem Papier Alle Rechte vorbehalten/All Rights Strictly Reserved K.G. Saur Verlag GmbH & Co. KG, München 1993 A Reed Reference Publishing Company Printed in the Federal Republic of Germany Jede Art der Vervielfältigung ohne Erlaubnis des Verlags ist unzulässig Druck: WS-Druckerei Werner Schaubruch, Mainz Binden: Buchbinderei Schaumann, 6100 Darmstadt ISBN 3-598-11108-8
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Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Faust als historische Gestalt
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1980, nach 500 Jahren: unsere Kenntnisse v o m historischen Faust
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Das Faust-Buch von 1587: seine Entstehung, seine Quellen, seine Wirkung . . . .
51
Gesellschaftliche Gruppen im Faust-Buch: zu einem sozialen Aspekt der „Historia" von 1587
83
Faust im 16. Jahrhundert
93
Das Wagner-Buch von 1593
111
Johann Faustens Gaukeltasche
113
Von Faust zu Marlowe
135
Noch einmal: Von Faust zu Marlowe: zur Geschichte eines Faust-Motivs im 16. Jahrhundert
143
Die Faust-Tradition im 17. und 18. Jahrhundert
153
Faust-Dichtungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
193
Lessings Faust-Pläne u n d - F r a g m e n t e
207
Ein Faust-Höllenzwang in London und in Weimar
219
Die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust-Dichtung
229
Goethes Faust als Epochendichtung: zeitgenössische Aspekte in der Faust-Dichtung
241
Mephistos Vorausschau
259
Poetische Mittel in Goethes Faust-Dichtung
263
Das Regiebuch zur Frankfurter Faust-Inszenierung von 1829
277
„Faust" in der Malerei
283
Grabbes „Don Juan und Faust": zur Grundidee der Dichtung
297
Lenaus „Faust"
325
Heines Tanzpoem „Der Doktor Faust"
341
Phasen der Faust-Dichtung in der deutschen Klassik
355
Faust-Dichtungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
373
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
381
6
Die Faust-Sammlung in Weimar
407
Die „Faust-Bibliographie"
411
Nachweis des Erstabdrucks der Beiträge
417
7
Vorwort
Goethe hat einmal den Handlungsverlauf seiner Faust-Dichtung umschrieben mit „Vom Himmel durch die Welt zur Hölle" (Gespräch mit Eckermann, 6. Mai 1827). Damit sei f ü r seine Intentionen keine „Idee" gegeben, exemplifiziert an Faust. Dennoch kann von Spuren der Menschheit seit dem Beginn der Neuzeit gesprochen werden, wenn Goethe eine „Welt- und Menschengeschichte" im Zeichen Fausts meint, die kaum Lösungen, doch immer neue „Rätsel" kennt (Brief an K.F. von Reinhard, 7. September 1831). So liegen religionshistorisch-mythische Vergleiche nahe mit der Erwähnung Hiobs (Gespräch mit Eckermann, 18. Januar 1825). In anderem Z u s a m m e n h a n g ist von den möglichen „Fibeln" der Menschheit, der „Bibel" und der „Ilias", die Rede, w o m i t auf Äußerungen des Menschengeschlechts, wiederum bezogen auf Faust-Vergleiche, gezielt wird. Heine faßt die Vorstellung v o m inneren Z u s a m m e n h a n g der Generationen wie der unendlichen Kette der großen Dichtungen, auch zu Faust, in die Worte: „Abraham zeugte den Isaak, Isaak zeugte den Jakob, J a k o b a b e r z e u g t e den Juda, in dessen Händen das Szepter ewig bleiben wird. In der Literatur w i e im Leben hat jeder Sohn einen Vater, den er aber freundlich nicht immer kennt, oder den er gar verleugnen möchte" („Einleitende B e m e r k u n g " zum Faust-Tanzpoem). Von diesen Äußerungen Goethes und Heines gehe ich aus, um die Behandlung der „Faust-Variationen" im Überblick zu bieten. Die Vereinigung einer Reihe eigener Untersuchungen zu Faust aus drei Jahrzehnten basiert auf Forschungsergebnissen seit ungefähr 200 Jahren. Die Sichtung der Weimarer Faust-Sammlung ließ den Plan einer Faust-Bibliographie (erschienen in fünf Bänden, 1966-76) reifen und den Wunsch entstehen, der Stoffgeschichte nachzuspüren. Meine Arbeiten zu Faust setzen in den fünfziger Jahren ein. A m A n f a n g dieses Bandes steht als frühester Beitrag der Versuch von 1959, die Kenntnisse über den historischen Faust auf einen neuen Stand zu bringen. Damit ging ich vom Ursprung des Faust-Stoffes aus, um mich dann der ersten literarischen Manifestation in Gestalt des Faust-Buches von 1587 zuzuwenden. Weitere Arbeiten folgten keineswegs der Chronologie der „Faust-Variationen", vielmehr w u r d e dann Mosaikstein um Mosaikstein zusammengetragen. Sehr bald bin ich auf das Ansinnen eingegangen, die Geschichte des Stoffes in einer Art Grundriß darzustellen; 1963 erschien die kleine Publikation „Faust in fünf Jahrhunderten", die als f r ü h e Vorstufe gelten darf. Es ergab sich dann der Gedanke, die Geschichte des Faust-Stoffes gründlicher zu verfolgen. Im Laufe der Zeit entstand eine Vielzahl von Einzelstudien; die wesentlichen Ergebnisse werden nun vereint, wobei wiederum eine S a m m l u n g von Beiträgen zur Stoffgeschichte im Sinne eines Uberblicks über Dichtungen des 16. bis 20. Jahrhunderts geliefert wird. Die Auswahl erfolgte unter dem Gesichtspunkt, Arbeiten, die der Kritik Stand halten können, zu sammeln, sofern sich ein Ganzes ergibt. Die „ S u m m a " soll - so h o f f e ich - mehr sein als die chronologische Anordnung der Teile. Verstreut publizierte Veröffentlichungen, nicht selten an abgelegener Stelle publiziert, werden zusammengefaßt; dennoch sollen Wiederholungen vermieden werden. Die hier erneut gedruckten Untersuchungen haben sich manchmal als Wendepunkt in der Forschung erwiesen, manchmal auch als Anstoß zum Weiterdenken, w a s selbstverständlich vermerkt sein soll. Vielleicht wird auch erkennbar, daß ich einen eigenen W e g gegangen bin und daß sich kaum Einflüsse von herrschenden literaturwissenschaftlichen Richtungen feststellen lassen. Im einzelnen sind weitere Arbeiten in der „Faust-Bibliographie" aufzusuchen und in einem eventuell künftig herauszugebenden Ergänzungsband. Ich verweise zudem auf den Band „Beiträge zur Druckgeschichte der Faust- und Wagner-Bücher des 16. und 18. Jahrhunderts" (1963). Auf bibliographischem W e g e sind Übersetzungen mehrerer Faust-Studien in sechs Sprachen zu ermitteln.
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Meine eigenen Forschungsergebnisse zu „Faust-Variationen" sollen mit Hinweisen zum heutigen Stand - soweit nötig - verbunden werden. Die Prüfung der Quellen zum historischen Faust hat kaum zu weiteren Ergebnissen geführt; selbstverständlich gibt es andere Bewertungen und Akzentsetzungen (so von Frank Baron u.a.), doch keine wirklich neuen Fakten. Dagegen hat die Faust-„Historia" von 1587 - fast vergleichbar mit Goethes und Thomas Manns Dichtungen - die Forschung angezogen. Ich habe einen eigenen Beitrag von 1960 seiner Frische wegen ausgewählt; ich darf vor allem auf die nachfolgende E d i t i o n - i n Fraktur als Annäherungen das Original - von 1963 (weitere Auflagen 1979, 1982 und 1984; auch Ausgabe bei Reclam/Leipzig in einfacherer Gestalt und sprachlicher Neufassung) hinweisen. Die Einleitung wurde jeweils ergänzt, erweitert und mit ausholenden Exkursen versehen. Bisher wurde übrigens nur ein weiterer Druck der „Historie", und zwar der B-Reihe, entdeckt. Ich nenne als neue Arbeitsergebnisse die Edition von Stephan Füssel und Hans Joachim Kreutzer (Reclam/Stuttgart) und anderer Versionen des Faust-Buches durch Günther Mahal sowie die Untersuchungen von Günther Mahal und Eva M. Müller. Den Inhalt des Wagner-Buches von 1593 habe ich kurz skizziert; ein weiterführender Beitrag, der 1992 erscheint, berührt die Amerika-Schilderungen des Wagner-Buches und stellt die Beziehung zum Entdeckungsjubiläum her (s. „Pirckheimer-Jahrbuch" 1992). Mit der Auffindung der „Gaukeltasche" hat sich die Feststellung ergeben, daß mit dem Faust- und Wagner-Buch schließlich eineTrilogie des 16. Jahrhunderts vorliegt, markiert mit den Daten 1587, 1593 und 1607/08. Die beiden im „Shakespeare-Jahrbuch" veröffentlichten Beiträge stellen einerseits eine Ubersicht und Erweiterung der Entwicklung im 16. Jahrhundert dar, andererseits das Verfolgen eines FaustMotivs auf der Basis einer früheren Studie von 1957. Vor allem ging es um die erste Rezeption des Stoffes in England Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre des 16. Jahrhunderts. Die folgenden Arbeiten sind der Faust-Tradition des 17./18. Jahrhunderts als Brücke vom 16. Jahrhundert bis in die Zeit Goethes gewidmet. Weitergabe und -führung des Stoffes gestattete ein Neuansetzen der Faust-Dichtung in der Aufklärung, im Sturm und Drang und in der Klassik. Die Fragmente Lessings haben dabei das betonte Interesse. Der Faust-Höllenzwang erweist sich als Sonderfall; die Entdeckung unbekannter Exemplare veranlaßte zwei - nun zusammengefaßte Beschreibungen. Die Annäherung an Goethe und dessen Faust-Dichtung erfolgte zuerst mit einer Mephisto-Abhandlung 1969. Neben einer Entstehungsgeschichte hat sich die Bestimmung des „Faust" aus einem Punkte ergeben; eine gewiß erlaubte, jedoch vereinfachende Darstell ung ziel t auf das zeitgenössische Verflochtensein mit der Epoche ab. Außerdem geraten die poetischen Mittel der Faust-Dichtung in den Blickpunkt, ein Thema, das nicht selten im Vorlesungsbetrieb an den Universitäten und Hochschulen gegenüber der Inhaltsanalyse vernachlässigt wird. Zur Bühnengeschichte des „Faust" gehört die Frankfurter Inszenierung von 1829; die Entdeckung des Regiebuches hat die Aufklärung der Zusammenhänge veranlaßt. Zur Wirkung von Goethes Dichtungen zählt die Faust-Illustration; die von mir gestaltete Ausstellung, die zur Goethe-Tagung 1969 im Römischen Haus in Weimar gezeigt wurde, konnte von einem Katalog begleitet werden mit dem Titel „Faust in der Malerei"; leider fehlen hier die Abbildungstafeln, so daß nur auf den Katalog selbst verwiesen werden kann und des weiteren auf den bibliophilen Band zu „Faust Γ mit 113 Abbildungen (erschienen bei Rütten u. Loening/Berlin, 1969 und 1982). Ein neues Kapitel wird mit den Faust-Dichtungen des 19. Jahrhunderts aufgeschlagen, die in spannungsreicher Beziehung zu Goethes Dichtung stehen. Meine Lehrer und Doktorväter Hans Mayer und Joachim Müller, die ich mit tiefer Verehrung erwähne, haben mich auf diesen Themenkomplex hingewiesen. Studien, die die Grundpositionen der Dichtung Grabbes, Lenaus und Heines darstellen, sind hier ausgewählt worden. Eine gewisse Zusammenfassung der Faust-Dichtungen von
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der A u f k l ä r u n g bis zu H e i n e geht den E n t w i c k l u n g s - „ P h a s e n " im 18./19. J a h r h u n d e r t n a c h und steht m i t der d a m a l i g e n D i s k u s s i o n in loser V e r b i n d u n g . U n d gar d a s 2 0 . J a h r h u n d e r t mit unendlich z a h l r e i c h e n poetischen V e r s u c h e n ; es ist nicht zu l e u g n e n , d a ß der U b e r b l i c k nur bis 1 9 6 4 reicht, die D i n g e a l s o um ein V i e r t e l j a h r h u n d e r t w e i t e r g e d i e h e n sind. D i e „ S u m m a " der F a u s t - D i c h t u n g des 2 0 . J a h r h u n d e r t s ist mit T h o m a s M a n n s R o m a n als e i n e s u n g e w ö h n l i c h e n H ö h e p u n k t e s v e r k n ü p f t . E r g ä n z e n d sei a u f A n d r e D a b e z i e s P r o m o t i o n über d i e F a u s t - D i c h t u n g des 2 0 . J a h r h u n d e r t s ( 1 9 6 7 ) h i n g e w i e s e n und a u f die Fülle der Literatur zu Thomas Mann. S c h l i e ß l i c h w i r d an die W e i m a r e r F a u s t - S a m m l u n g erinnert ( G e r h a r d S t u m m e s g r o ß e S a m m l u n g v e r e i n i g t mit W e i m a r e r B e s t ä n d e n und der T e i l s a m m l u n g v o n A l e x a n d e r T i l l e ) und an d i e darauf f u ß e n d e F a u s t - B i b l i o g r a p h i e als e i n e s der bleibenden A r b e i t s e r g e b n i s s e . D e n S a m m e l b a n d „ F a u s t - V a r i a t i o n e n " m ö c h t e ich h i n a u s s c h i c k e n als Z e u g n i s e i g e n e r F a u s t - B e m ü h u n g e n in d e m A u g e n b l i c k e i n e r mit den „ s i x t i e s " v e r b u n d e n e n Zäsur. D i e s e r B a n d d o k u m e n t i e r t : F a u s t , d a s ist W e i m a r , das ist G o e t h e - u n d m e i n L e b e n s m i t t e l p u n k t gestern, heute und m o r g e n . Weimar, Oktober 1992
Hans H . F . H e n n i n g
Faust als historische
Gestalt
HANS H E N N I N G
Faust als historische Gestalt* Die Gestalt des historischen Faust aus dem Dunkel des 16. Jahrhunderts zu heben, ist ein problematisches Unterfangen, zeigen doch die bisherigen Forschungsergebnisse die Schwierigkeiten in bezug auf Datierungsversuche verschiedener Episoden und einzelner Abschnitte in Fausts Leben und im Hinblick auf die Auslegung der Quellen. Und doch scheint es richtig, das Bild des Mannes, der zu einer der bestimmendsten Gestalten der Literatur geworden ist und der als Symbol immer wieder der Dichtung diente — ich erwähne nur Marlowe und Lessing, Goethe, Lenau und Heine, Val£ry und Thomas Mann — in einer neuen Deutung erstehen zu lassen, um so mehr, da seit den wichtigsten Untersuchungen der Zeugnisse zu Fausts Leben rund 50 Jahre vergangen sind. Vor allem aber berechtigt Goethes Dichtung dazu, dem Ursprung des Faust-Themas nachzugehen und die Spuren des historischen Faust zu verfolgen. Anlaß für meine Untersuchungen sind die nach Publizierung der Studien von Witkowski 1 und Petsch 2 neu entdeckten Quellen, die bisher nicht in Verbindung mit den bekannten Zeugnissen analysiert wurden. Dabei ergaben sich Ergänzungen und schließlich die Notwendigkeit, die Ergebnisse der Faust-Forschung kritisch zu überprüfen. Ich halte midi in erster Linie an die Quellen, die vor Fausts Tod entstanden, bzw. die in die Zeit vor 1540 zurückreichen, wobei urkundliche Belege und Erwähnungen in der gedruckten Literatur herangezogen werden. Spätere Zeugnisse müssen als weniger zuverlässig und bereits von der Anekdotenbildung beeinflußt angesehen werden. Ich gehe zunächst auf die urkundlichen Quellen ein: auf die Jahresrechnung Hansen Müllers in Bamberg, auf die Erwähnungen in den Ratsprotokollen Ingolstadts und auf die Eintragungen in den Nürnberger Ratsverlässen. I. Das früheste urkundliche Zeugnis über den historischen Faust fand Mayerhofer 1890 bei archivalischen Forschungen. Es handelt sich um • Überarbeitetes Manuskript eines Vortrags, der am 20. Februar 1958 im GoetheNationalmuseum zu Weimar gehalten wurde. 1 Der historische Faust. In: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft. N. F. Jg. 1. Freiburg u. Leipzig 1896-97. S. 298-350. 2 Der historische Doctor Faust. In: Germanisch-romanische Monatsschrift. Jg. 2. Heidelberg 1910. S. 99-115. 107
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Faust als historische Gestalt
„Hansen Mullers Cammermeysters Jahrrechnung von walburgis fonffzehenhundert vnd im Neunzehetten biss widerumb auff walburgis fonffzehenhundert vnd im zweintzigisten Jarn". Der Kammermeister Muller des Bamberger Bischofs Georg III. hat in der „Rechnung vom Sontag nach purificacionis marie biss vff Sontag Reminiscere Anno XX" unter dem Titel „Pro diuversis" notiert, daß Faust für die Anfertigung eines Horoskops für den bischöflichen Herrn 10 Gulden erhalten hat. Die Eintragung vom 12. Februar 1520 lautet: „Item X gulden geben vnd geschenckt Doctor Faustus ph[ilosoph]o zuvererung hat m[einem] g[nedigen] herren ein natiuitet oder Indicium gemacht, zalt am Sontag nach scolastice. Jussit R[everendissi]mus." Wir erfahren aus diesen Angaben, daß Faust sich im Februar 1520 in Bamberg aufgehalten und ein auf der „Nativität", der Geburtsstunde beruhendes Horoskop gestellt hat. Faust betätigte sich demnach als Astrologe und muß auf diesem Gebiet um 1520 einen beachtlichen Ruf besessen haben, wenn ihm ein Fürstbischof einen derartigen Auftrag erteilt. Die Voraussage der Zukunft (Indicium) wurde zu jener Zeit als Hauptaufgabe der Astrologie angesehen, die damals als Wissenschaft allgemein anerkannt war. Besonders soll auf die Erwähnung des Doktor- und des Philosophentitels aufmerksam gemacht werden, den Faust für sich hier in Anspruch nimmt. Unsere Quelle wird heute im Bamberger Ratsarchiv aufbewahrt 3 . Irrtümlicherweise wurde sie im Katalog der Frankfurter Faust-Ausstellung von 1893 als das einzige bekannte urkundliche Zeugnis bezeichnet4. Fausts Aufenthalt in Ingolstadt und seine Ausweisung durch den Rat im Jahre 1528 bezeugen die Ingolstädter Urkunden, die Ostermair bekannt gemacht hat 5 . Im Ratsprotokoll vom 17. Juni 1528 heißt es: „Anheut mitwoch nach Viti anno 1528 dem warsager soll befolchen werden, dz er zu der stat ausziech und seinen pfennig anderswo verzer." Und im Register der Verwiesenen: „Am mitwoch nach Viti Anno 1528. Ist ainem der sich genant Doctor Jörg faustus von Haidlberg gesagt, dz er seinen pfennig anderswo verzer, und hat angelobt, solche eruorderung f ü r die obrigkeiht nit zu anthen noch zu äffern." Gründe f ü r die Ausweisung Fausts f ü h r t der Rat leider nicht an. Daß Faust wegen Wahrsagerei verbannt wurde, ist nicht zu vermuten. Das Wahrsagen wurde, wie das Stellen eines Horo3
Abgedruckt in: Vierteljahresschrift für Literaturgeschichte. Bd 3. Weimar 1890. S. 177-178. * (Heuer, O.:) Faust-Ausstellung im Goethehause zu Frankfurt am Main. Frankfurt 1893. Nr 3 bzw. Taf. 2. 3 In: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte. Bd 32. MUnchen 1872-73. S. 336. 108
Faust als historische Gestalt
skops, nicht als Verbrechen angesehen. Faust muß sich aus anderen Ursachen mißliebig gemacht haben. Ob besonders Faust vermahnt wurde, die Anordnungen des Rates nicht zu äffen, oder ob die Vermahnung allgemeine Regel bei Ausweisungen war, wird in der Anmerkung zu der Mitteilung Ostermairs dahingehend erläutert, daß in allen Urfehde-Briefen „äffen" in Verbindung mit „ahnden" eine feststehende Formel bildete. Wie mir das Ingolstädter Ratsarchiv mitteilte, findet sich bereits nach einem Jahre um Viti eine ähnliche Notiz in den Aufzeichnungen des Rates. Ob es sich bei dem Ungenannten auch um Faust handelt, ist nicht bekannt. Er müßte dann dem Ratsbeschluß von 1528 nicht gefolgt sein. Das Wesentliche der Ingolstädter Urkunden ist die Benennung Fausts „Doctor Jörg faustus von Haidlberg". Der Doktortitel begegnete uns bereits in dem Bamberger Rechnungsbuche. Das Register der Verwiesenen nennt aber als einzige urkundliche Quelle den Vornamen „Jörg" und die Herkunft (aus Heidelberg). In der gedruckten zeitgenössischen Literatur ist der Vorname Georg ( = Jörg) immer zu finden, außer bei Melanchthon und Wierus. Ob wir es hier mit dem wahren Vornamen Fausts zu tun haben, wird sich mit der Erörterung anderer Zeugnisse ergeben. Besondere Beachtung verdient die Herkunftsbezeichnung „von Haidlberg". Sie kann auf ein Studium Fausts an der Universität Heidelberg hinweisen; es ist aber mit der gleichen Wahrscheinlichkeit möglich, daß Faust lediglich längere Zeit in Heidelberg seßhaft gewesen ist und sich deshalb als von Heidelberg stammend ausgibt. Die Quellen, die sich heute noch im Ingolstädter Stadtarchiv befinden, wurden von Ostermair seinerzeit in neuhochdeutscher Fassung mitgeteilt. Nicht minder wertvoll für den Nachweis der Existenz Fausts als die Bamberger und Ingolstädter Quellen ist die Eintragung in den Nürnberger Ratsverläßen vom 10. Mai 1532. Sie gibt Bescheid auf einen Antrag Fausts, den er an den Nürnberger Rat gestellt hat. Hier zunächst die textlichen Angaben6: „Doctor Fausto, dem großen Sodomiten und Nigromantico zu furr glait ablainen. Bürgermeister junior." Die Deutung der Nürnberger Quelle bietet Schwierigkeiten, da das Wörtchen „furr" schwer zu erklären ist. Selbst das Grimmsche Wörterbuch läßt uns hier im Stich. Neubert legt „furr" als „furt", d. h. als die Stadt Fürth bei Nürnberg aus. Demnach gäbe es zwei Möglichkeiten: 1. Faust hat sich i n N ü r n b e r g aufgehalten und bittet um Geleit n a c h Fürth (zu furr). * Vgl. Neubert, Fr.: Vom Doctor Faustus zu Goethes Faust. Leipzig (1932). S. 16. — Knapp, H.: Das alte Nürnberger Kriminalrecht. Berlin 1896. S. 233. — Urkunde: Staatsarchiv Nürnberg. 109
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Faust als historische
Gestalt
2. Faust hielt sich i n F ü r t h auf und bat um freies Geleit n a c h Nürnberg (und damit um die Aufenthaltserlaubnis in Nürnberg). Diese Ansicht äußert auch Neubert. Die Eintragung wäre dann folgendermaßen anzusehen: „Doctor Fausto . . . zu furr" ( = zu Fürth). Ein Aufenthalt Fausts in Nürnberg wird damit fraglich, ein Aufenthalt in Fürth dagegen wahrscheinlich. Bei meinen Nachforschungen konnte ich jedoch nicht feststellen, daß Fürth in Urkunden jemals als „furr" bezeichnet wird. Alle Abwandlungen des Namens Fürth weisen immer die Buchstabenfolge rt auf, niemals rr. Ich kann deshalb der Ansicht Neuberts nicht zustimmen und nehme vielmehr an, daß das Wort „zu furr" als „Zufuhr" = Zuzug zu lesen ist. Faust hätte demnach den Rat um Zuzug und freies Geleit, d. h. um ungehinderten Aufenthalt gebeten. Von welchem Ort aus dieser Antrag gestellt wurde, ist dabei völlig offen. Wahrscheinlich geschah es von Nürnberg aus, deuten doch Melanchthons Aussage, die Nürnberger Faust-Tradition u. a. auf einen Aufenthalt Fausts in Nürnberg hin. Das Gesuch Fausts ist von den Nürnberger Stadtvätern abgelehnt („ablainen") worden, wohl deshalb, weil Faust bei ihnen einen zweifelhaften Ruf besessen hat, wie wir nach der Bezeichnung „der große Sodomit" annehmen müssen. Wichtig ist an der Nürnberger Urkunde die Wiederkehr des DoktorTitels und die Benennung „Nigromant", die auf die magischen Künste Fausts anspielt. Die bisher genannten Quellen erbringen den Beweis für die Existenz des historischen Faust. Zweifel an der Kongruenz aller drei Zeugnisse sind nicht berechtigt. Sie charakterisieren Faust als einen Astrologen und als einen in magischen Künsten Bewanderten, der bei seinen Mitmenschen besonderen Eindruck zu erzeugen vermochte, aber auch mit der Obrigkeit in Widerspruch steht. Mit den zitierten Eintragungen in den Akten von Bamberg, Ingolstadt und Nürnberg haben wir drei Zeugnisse für eine Spanne von zwölf Jahren gewonnen. Wir können damit Fausts Aufenthalt 1520 in Bamberg, 1528 in Ingolstadt und 1532 in der Nürnberger Gegend als gesichert ansehen. Nach den urkundlichen Quellen sind zur Erweiterung unserer Kenntnisse über den historischen Faust die gedruckten Berichte heranzuziehen. Es soll dabei der mutmaßliche Lebenslauf Fausts, soweit es uns möglich ist, verfolgt werden. Ich gehe jedoch zuerst auf das Werk von Manlius „Locorum Communium Collectanea" ein7, in welchem der Herausgeber 7
Basileae (1563). Bl. 42—44. Auf die Wiedergabe der lateinischen Texte wird hier und im folgenden aus Raumgründen verzichtet. Die entsprechenden Stel-
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Faust als historische Gestalt
die Gespräche Melanchthons und seiner Freunde wiedergibt. In dem genannten Werk spricht Melanchthon von Knittlingen als dem Geburtsort Fausts. Im Zusammenhang mit Melanchthons Bericht ist der Wert der Heidelberger Matrikel für die Faust-Forschung zu prüfen. II. Die Zusammenstellung der Gespräche muß nach einer Widmung des Manlius an den König von Böhmen um Michaelis 1562 in Basel vollendet worden sein. Damit haben wir freilich keine Fixierung, die in die mutmaßliche Lebenszeit Fausts fällt, und keine unmittelbare Quelle, da Manlius lediglich eine Äußerung Melanchthons wiedergibt. Es ist aber kaum daran zu zweifeln, daß die Mitteilung tatsächlich von Melanchthon stammt. Man wird schwerlich annehmen können, daß Manlius zwei große Persönlichkeiten der Zeit in Verbindimg bringen wollte, indem er Melanchthon lind Faust eine gemeinsame engere Heimat gab. Melanchthon bezeugt in dem für uns wichtigen Gespräch, daß Faust in einem Ort Rundling (dem heutigen Knittlingen) nahe seiner Heimatstadt Bretten (zwischen Pforzheim und Bruchsal gelegen) geboren sei8. Der vollständige Ausspruch Melanchthons über Faust, wie ihn Manlius wiedergibt, wird nach der ersten deutschen Ausgabe zitiert 9 : „Ich habe einen gekennt, mit namen Faust von Kundling, (ist ein kleines Stättlein, nicht weit von meinem Vatterland) derselbige da er zu Crockaw in die schul gieng, da hatte er die zauberey gelernet, wie man sie dann vor Zeiten an dem orth sehr gebraucht, auch öffentlich solche kunst geleeret hat. Er gieng hin vnnd wider allenthalben — vnd sagte viel verborgene ding . . . Vor wenig jaren ist derselbige Johannes Faust, den tag vor seinem letzten ende, in einem Dorff im Wirtemberger land gantz traurig gesessen. Der Würt fragt jn, wie es keme daß er so traurig were, daß er doch sonsten nicht pflegte, (dann er war sonsten gar ein vnuerschämbter vnflat, vnd fürete gar vber auß ein bübisch leben, also daß er etliche mahl schier
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len können in dem von Alexander Tille hrsg. Sammelwerk „Die Faustsplitter in der Literatur des sechszehnten bis achtzehnten Jahrhunderts" (Berlin 1900) nachgeschlagen werden. Knittlingen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft von Bretten und ist nur eine halbe Wegstunde davon entfernt. Locorvm Commvnivm. Der Erste Theil. Schöne ordentliche gattirung allerley alten vnd newen exempel . . . vorhin im Latin vnd jetzt zum ersten in Teutscher Sprach an tag geben. Durch Johannem Manlium. Franckfurt 1565. Bl. 46—47: Von dem Fausten. 111
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Faust als historische
Gestalt
vmbkommen were von wegen seiner grossen hurerey) da hat er zum Würte gesagt: So er etwas in der nacht hören würde, solte er nicht erschrecken. Vmb mitternacht ist im hause ein grosses getümmel worden. Des morgens wolte der Faust nicht auffstehen, Vnd als es schier auff den Mittag kam, hat der Würt etliche menner zu jme genommen, vnd ist in die schlaffkammer gangen, darinn er gelegen ist, da ist er neben d e m bette tod gelegen gefunden, vnd hatte jm der Teuffei das angesicht auff den rucken gedrehet. Bey seinem leben hatte er zwen hund mit jm lauffen, die waren Teuffeien, Gleich wie der vnflat, der das büchlein geschrieben hat von vergeblichkeit der künste, der hette auch alle wege einen hund mit jhme lauffend, der war der Teuffei. Derselbige Faust ist zu Wittenberg entrunnen, als der fromme vnd löbliche Fürst Hertzog Johannes hette befelch gethon, daß man jhn fangen solte. Deßgleichen ist er zu Nürnberg auch entrunnen, als er vbers Mittagmal saß, ist jm heiß worden, vnd ist von stundan auffgestanden, vnd hat den Würt bezalt was er jme schuldig war, vnd ist daruon gangen. Vnd als er kaum ist fürs thor kommen, waren die Stattknecht kommen, vnd hatten nach jm gefragt . . . " In diesem Bericht spricht Melanchthon von J o h a n n Faustus im Gegensatz zu der urkundlichen Quelle, die den Vornamen Georg nennt. Zur Erklärung der verschiedenen Vornamen müssen an dieser Stelle die Heidelberger Matrikel herangezogen werden. Unter dem 255. Rektor der Universität Heidelberg, Melchior Brop ex Odernheym, wurde folgende Immatrikulation am 3. Dezember 1505 vorgenommen: „Johannes Fust de Symmern moguntinens. dyo. tercia Decembris 1505." Während wir diese Eintragungen in den Matrikeln der Universität Heidelberg finden 10 , ist die Promovierung zum Bakkalaureus in den Akten der Artistenfakultät enthalten". Die Eintragung, die unter dem Rektor Laurentius Wolff aus Speier am „15. Januaris anno quo" ( = dieses Jahres, d. h. 1509) vorgenommen wurde, lautet 12 : „Ad baccalaureatus gradum de via moderna ordine, quo supra notatum, admissi sunt: Johannes Faust ex Symmern" (und zwar als erster unter 16 Kandidaten). Dieser Faust hat das Bakkalaureat „de via moderna" erworben, d. h. nach der nominalistischen Richtung, die damals als reformerische beliebt war. 10
Bd 2, fol. 153 ν (Universitätsarchiv Heidelberg: I, 2, Nr. 2). Abgedruckt in: Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386—1662. Hrsg.: Toepke. Th. 1. Heidelberg 1884. S. 457. " Bd 3, fol. 36 r (Universitätsarchiv Heidelberg: I, 3, Nr. 50). " Nach Reichlin-Meldegg, K. A. v.: Die deutschen Volksbücher von Faust und Wagner. In: Das Kloster. Bd 11. Stuttgart 1849. S. 330-331. 112
Faust als historische Gestalt
Melandithon wurde wenige Tage vorher, am 1. Januar 1509, in Heidelberg immatrikuliert. Der junge Student könnte also die Bakkalaureatsfeier zu Ehren des „Johannes Faust ex Symmern" und seiner Mitkandidaten erlebt und sich das vermutlich erste größere Ereignis seiner Studienzeit als Erinnerung bewahrt haben. Demnach wird die Nennung des Vornamens Johann bei Melandithon auf eine spätere Namensverwechslung zurückgehen. Diese Mutmaßung äußert auch Petsch13, entgegen den Auslegungen von Reichlin-Meldegg, dem ersten, der die Eintragung in den Heidelberger Matrikeln erwähnt und den Bakkalaureus mit dem Magier Faust identifiziert. Selbst die Wiederkehr des Vornamens Johann bei Wierus vermag die Ansicht Reichlin-Meldeggs kaum zu unterstützen, wie wir im folgenden sehen werden. Mit der zweimaligen Herkunftsbezeichnung „Symmern" kann nicht das Fürstentum Pfalz-Simmern, zu dem Knittlingen zwar bis 1504 gehört hat, gemeint sein. Durch den Vertrag vom 2. Juli desselben Jahres zwischen dem Kurpfälzer und dem Württemberger wurde Knittlingen mit dem Oberamt Maulbronn württembergisch. Symmern ist deshalb vielmehr die auf dem Hunsrück gelegene Stadt gleichen Namens14. Ich möchte schließlich weitere Gründe gegen die Identifizierungstheorie Reichlin-Meldeggs und seiner Anhänger anführen, da selbst in den letzten Jahren von einigen Forschern der Wert der Heidelberger Matrikel vertreten wurde. Emil Lind, ein pfälzischer Heimatkundler, hält beispielsweise in seinem 1951 veröffentlichten Aufsatz „Der geschichtliche Doctor Faust des 16. Jahrhunderts" an dieser Version fest15. Meine Gegenargumente stützen sich auf das Zeugnis von Trithemius, auf das später noch genauer eingegangen werden soll. Trithemius hielt sich im Jahre 1506 etwa zur gleichen Zeit mit Faust in Gelnhausen auf. Damals aber hatte Faust offensichtlich schon sein unstetes Wanderleben begonnen. Gerade der Altersunterschied von rund 10 Jahren, der wahrscheinlich beide Fauste trennt, spricht gegen die Identifizierungstheorie. Im allgemeinen erfolgte um 1500 der Eintritt in die Universität etwa mit 16 Jahren, im Falle Melanchthons sogar im 13. Lebensjahre. Die 1506 schon recht bekannte Persönlichkeit, von der Trithemius berichtet, muß aber wenigstens Mitte der Zwanzig gewesen sein. Damit erhalten wir audi die un13
Petsch, a. a. O., S. 110. Petsch glaubt allerdings an einen Vorgänger Fausts, der aus Melanchthons Heimat stammt. — Diese These wird auch von WillErich Peudcert vertreten (Dr. Johannes Faust. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Bd 70. Stuttgart 1948-49. S. 55-74). " Vgl. Witkowski, a. a. O., S. 306. 15 In: Pfalz und Pfälzer. Jg. 2. H. 12. Neustadt/Weinstr. 1951. S. 2-4.
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gefähre Angabe für Fausts Geburtsjahr, das allgemein mit oder um 1480 angenommen wird. Die Ablehnung der Heidelberger Matrikel als urkundliches Zeugnis für den historischen Faust hat jedoch zur Folge, daß ein akademischer Titel Fausts als angemaßt betrachtet werden muß, denn an keiner anderen Universität lassen sich Eintragungen in den Matrikeln auffinden, die auf Faust zutreffen. Wenden wir uns nun wieder den Mitteilungen Melanchthons zu. Die Kenntnis vom Geburtsort Fausts, den Melanchthon mit dem heutigen Knittlingen bezeichnet, hat er wahrscheinlich in Wittenberg erhalten. Dort begegnete er wohl Faust, und es besteht die Möglichkeit, daß Melanchthon mittelbar oder sogar unmittelbar, d. h. von Faust selbst, auf die gemeinsame engere Heimat aufmerksam gemacht wurde. Faust hat Melanchthons Annahme bezüglich der Bakkalaureatserhebung 1509 in Heidelberg bei dieser vermuteten Begegnung wohl unwidersprochen gelassen, um die fehlende Universitätsbildung nicht eingestehen zu müssen. Diese Erklärung läßt es zu, Knittlingen als den Geburtsort Fausts anzusehen. Die Berechtigung der Faust-Gedenkstätte im dortigen Rathaus kann somit anerkannt werden16. Uber die Geburt Fausts in Knittlingen sind keine Beweise aus Pfarrbzw. Taufregistern u. ä. beizubringen. In dieser Hinsicht sind Hoffnungen auf zukünftige Forschungen zwecklos, da verschiedene Brände, durch die Knittlingen mehrfach völlig zerstört wurde, alle derartigen Unterlagen vernichtet haben dürften. Die Ermittlung von Personen, die den Namen Faust um diese Zeit im Umkreise von Knittlingen tragen, kann nicht als Bestätigung angesehen werden, da der Name Faust im 15. und 16. Jahrhundert gar nicht so selten war17. In Knittlingen glaubt man noch heute, ein Häuschen als die Geburtsstätte Fausts bezeichnen zu können, und stützt sich dabei auf mündliche Überlieferungen. Irgendwelche genaueren Anhaltspunkte gibt es dafür 16
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Ein anderes Zeugnis wird oft für die Festlegung Knittlingens als Geburtsort Fausts angeführt: Lercheimer von Steinfelden. Der Verfasser erwähnt in seinem Buch „Christlich bedendcen und erjnnerung von Zauberey" (3. Ausg. Frandcfurt 1S97) auf den Seiten 29 und 42 Knittlingen als Herkunfts- bzw. Geburtsort Fausts. Diese Angaben gehen aller Wahrscheinlichkeit nach auf Melanchthon zurück. Lercheimer befand sich unter den Hörern Melanchthons und hat vermutlich dessen mündliche Berichte übernommen. Der Knittlinger Lehrer Karl Weisert zieht solche Beweise heran (s. Weisert, K.: Knittlingen, die Geburtsstadt des Dr. Faust. In: Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte und des Faust-Museums. [Nr] 4. Knittlingen 1957. S. 62 bis 65).
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nicht. Außerdem steht an der Stelle des fraglichen Geburtshauses seit dem Anfang des vorigen Jahrhunderts ein neuer Bau. Die Mitteilungen Melanchthons sind eventuell noch in anderer Hinsicht aufschlußreich. Melanchthon spricht von Fausts Flucht aus Wittenberg, der allem Anschein nach nur ein kurzer Aufenthalt vorausgegangen sein kann. Faust sollte auf Anweisung des sächsischen Kurfürsten Johann (Regierungszeit 1525—32) ergriffen werden. Innerhalb der genannten sieben Jahre müßte sich Faust also vorübergehend in Wittenberg betätigt haben18. Melanchthon weist dabei auch auf die Flucht aus Nürnberg hin, womit die bei der Auslegung der Nürnberger Ratsverläße ausgesprochene Vermutung, Faust habe sich i η Nürnberg aufgehalten, bestätigt würde. Außerdem erfahren wir von Melanchthon an anderer Stelle1®, daß Faust neben Krakau auch Venedig und Wien besucht haben soll. Ob diese Angaben zutreffen, ist zweifelhaft. Überhaupt sind Melanchthons Mitteilungen über Faust, ausgenommen die Nennung des Geburtsortes, mit Vorsicht aufzunehmen, da seine Erzählung vom Anekdotischen überschattet ist. III. Einen schon vor 1500 bekannten Gelehrten haben wir mehrfach erwähnt: Trithemius. Sein Werk „Epistolae familiares" enthält die sicher wichtigste Mitteilung über Faust in der Literatur20. Es handelt sich dabei nicht nur um das erste gedruckte Zeugnis, sondern um eine ausführliche Charakterisierung des Zauberers und Magiers. Wir finden diese früheste Nachricht über Faust in dem Brief vom 20. August 1507 an den Mathematiker Johann Wirdung auf den Seiten 312—314 der höchst seltenen lateinischen Briefsammlung. Zunächst einige Angaben über Trithemius, zitiert nach Widder21. In dem Abschnitt über die Abtei Sponheim (bei Widder Spanheim) heißt es über den Verfasser der „Epistolae familiares": „Johann IV., aus dem Dorfe Trittenheim an der Mosel, woher derselbe gemeiniglich Trithemius genennet wird, hat 23 Jahre lang regieret und endlich die Spanheimer 18
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Um 1527 nach Theens, Karl: Doktor Johann Faust. Meisenheim/Glan 1948. S. 23. Explicationes. P. 2 bzw. 4. Hanoviae 1594—95. Bl. 76 bzw. 442. Diese Aussprüche werden in die Jahre 1549—60 verlegt. Haganoae 1536. Liber 2, Ep. 47. Versuch einer vollständigen geographisch-historischen Beschreibung der Kurfürstl. Pfalz am Rheine. Th. 1. Frankfurt u. Leipzig 1786. Abschnitt Sponheim. — Näheres über Trithemius s. Silbernagl: Johannes Trithemius. 2. Aufl. Regensburg 1885. Wichtig in unserem Zusammenhang S. 109—110. 115
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Abtei mit der zu St. Jakob in Würzburg verwechselt." Trithemius unternahm „auf Verlangen des Kurfürsten Joachim von Brandenburg mit ihm eine Reise". Auf dem Rückwege von Brandenburg hielt er sich im Jahre 1506 gleichzeitig mit Faust in Gelnhausen auf und „es glückte ihm auch, daß er im Jahre 1506 zum Abte bei St. Jakob in Würzburg berufen wurde". Der Empfänger des Briefes, Wirdung, mit latinisiertem Namen Virdungus, lebte in Haßfurt, einem Main-Städtchen im Erzbistum Bamberg. Der Brief Wirdungs, der dem Antwortsdireiben von Trithemius vorausgegangen sein muß, ließ sich bisher leider nicht ermitteln. Führen wir nun die deutsche Ubersetzung des für die Faust-Forschung so wichtigen Briefes an22: „Jener Mensch, über welchen du mir schreibst, G e o r g S a b e l l i c u s , welcher sich den Fürsten der Nekromanten zu nennen wagte, ist ein Landstreicher, leerer Schwätzer und betrügerischer Strolch, würdig ausgepeitscht zu werden, damit er nicht ferner mehr öffentlich verabscheuungswürdige und der heiligen Kirche feindliche Dinge zu lehren wage. Denn was sind die Titel, welche er sich anmaßt, anders als Anzeichen des dümmsten und unsinnigsten Geistes, welcher zeigt, daß er ein Narr und kein Philosoph ist? So machte er sich folgenden ihm konvenierenden Titel zurecht: M a g i s t e r G e o r g S a b e l l i c u s , F a u s t d e r J ü n g e r e , Quellbrunn der Nekromanten, Astrolog, Zweiter der Magier, Chiromant, Aeromant, Pyromant, Zweiter in der Hydromantie. — Siehe die törichte Verwegenheit des Menschen; welcher Wahnsinn gehört dazu, sich die Quelle der Nekromantie zu nennen! Wer in Wahrheit in allen guten Wissenschaften unwissend ist, hätte sich lieber einen Narren, denn einen Magister nennen sollen. Aber mir ist seine Nichtswürdigkeit nicht unbekannt. Als ich im vorigen Jahre 23 aus der Mark Brandenburg zurückkehrte, traf ich diesen Menschen in der Nähe der Stadt Gelnhausen an, woselbst man mir in der Herberge viele von ihm mit großer Frechheit ausgeführte Nichtsnutzigkeiten erzählte. Als er von meiner Anwesenheit hörte, floh er alsbald aus der Herberge und konnte von Niemand überredet werden, sich mir vorzustellen. Wir erinnern uns auch, daß er uns durch einen Bürger die schriftliche a 33
Nach Kiesewetter, C.: Faust in der Geschichte und Tradition. Leipzig 1893. S. 4—β. Kiesewetter nimmt fälschlicherweise an, „anno priore" müsse mit „vor einigen Jahren" übersetzt und der Aufenthalt in Gelnhausen ins Jahr 1505 verlegt werden. Dieses Versehen ist von mir in der Übersetzung berichtigt worden. (Vgl. Kiesewetter, S. 5.) Die eindeutige Datierung läßt sich mit Trithemius' Brief vom 18. Juni 1506 aus Heidelberg vornehmen. (Epistolae familiares. Liber 1, Ep. 62. S. 136-137).
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Aufzeichnung seiner Torheit, welche er dir gab, überschickte. In jener Stadt erzählten mir Geistliche, er habe in Gegenwart Vieler gesagt, daß er ein so großes Wissen und Gedächtnis aller Weisheit erreicht habe, daß, wenn alle Werke von Plato und Aristoteles samt all' ihrer Philosophie durchaus aus der Menschen Gedächtnis verloren gegangen wären, er sie wie ein zweiter Hebräer Esra durch sein Genie sämtlich und vorzüglicher als vorher wieder herstellen wolle. Als ich mich später in Speier befand, kam er nach Würzburg und soll sich in Gegenwart vieler Leute mit gleicher Eitelkeit gerühmt haben, daß die Wunder unseres Erlösers Christi nicht anstaunenswert seien; er könne Alles tun, was Christus getan habe, so oft und wann er wolle. In den Fasten dieses Jahres kam er nach Kreuznach, wo er sich in gleicher großsprecherischer Weise ganz gewaltiger Dinge rühmte und sagte, daß er in der Alchemie von Allen, die je gewesen, der Vollkommenste sei und wisse und könne, was nur die Leute wünschten. Während dieser Zeit war die Schulmeisterstelle in gedachter Stadt unbesetzt, welche ihm auf Verwendung von Franz von Sickingen, dem Amtmann deines Fürsten, einem nach mystischen Dingen überaus gierigen Manne, übertragen wurde. Aber bald darauf begann er mit Knaben die schändlichste Unzucht zu treiben und entfloh, als die Sache ans Licht kam, der ihm drohenden Strafe. Das ist es, was mir nach dem sichersten Zeugnis von jenem Menschen feststeht, dessen Ankunft du mit so großem Verlangen erwartest." Betrachten wir zunächst die Namensangaben. Trithemius spricht von „Georgius Sabellicus Faustus iunior". Auch er erwähnt, wie das Ingolstädter Ratsprotokoll, den Vornamen Georg. Das Nebeneinanderstehen der beiden Namen „Sabellicus" und „Faustus" ist nicht leicht zu erklären. Düntzer hat vermutet, daß Sabellicus als Zabel zu deuten sei und als der eigentliche Nachname angesehen werden müßte. Faustus wurde demnach als „der Glückliche" übersetzt. Dagegen spricht, daß der Name Faust nicht so selten war, daß Sabellicus sonst nie angeführt wird und daß eine Randbemerkung in den „Epistolae" „Fausti vanitas insignis" lautet. Für „Sabellicus" gibt es weiterhin folgende Auslegungen: 1. Sabellicus sei das von „Sabiner" abgeleitete Eigenschaftswort, da die Sabiner für den Besitz zauberischer Kenntnisse bekannt gewesen seien. 2. Faust habe sich nach dem Beinamen Sabellicus des italienischen Gelehrten Marcus Antonius Coccius5'1 genannt. Dessen Beiname dürfte sicherlich auf die erste Version zurückgehen und besagen, daß der italienische Gelehrte in den magischen Künsten bewandert war. K
Lebte in Venedig. Starb 1506. 117
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Die häufige Feststellung, Faust habe sich in Venedig aufgehalten, könnte für die zweite Version eine Erklärung bieten. Faust hätte demnach den Zunamen des Coccius gekannt und auch für sich in Anspruch genommen. Nach meiner Auffassung ist kaum daran zu zweifeln, daß „Sabellicus" eine ruhmredige Beifügung und „Faust" der wirkliche Name gewesen ist. Aufzuklären wäre schließlich das „Faustus iunior". Allzu leicht macht man es sich, wenn man meint, es müsse einfach „der Sohn 'vom alten Faust" heißen. Vielleicht sollte das „iunior" eine magische Fähigkeit Fausts, sich ewig zu verjüngen, andeuten. Andere wieder schließen auf einen älteren Magier, der bereits den Namen Faust getragen habe. Als Vorfahren Fausts auf dem Gebiete der Magie im Sinne „des älteren" kämen in Betracht: der mit Erasmus von Rotterdam befreundete Humanist Publius Faustus Andrelinus25, eine zu ihrer Zeit bekannte Persönlichkeit, die sich zumeist Faustus nannte und auch von ihrer Umgebung mit diesem Namen bezeichnet wurde (so nach Herman Grimm56), auch der Manichäer Faust (nach Erich Schmidt27 und Herman Grimm28), weniger Lucius Victor Faustus, Editor einer 1522 in Straßburg erschienenen Terenz-Ausgabe. Näher eingegangen werden muß auf den Vergleich zwischen dem historischen Faust und dem Manichäer Faust, da Dedeyan in seinem Buch „Le Theme de Faust dans la Litt6rature europeenne"29, einer Angabe von Fausts Zeitgenossen Sebastian Franck folgend, den Faust des 16. Jahrhunderts „eine Art Manichäer" nennt. Mir hat Francks „Chronica" (1531) vorgelegen. Dabei ließ sich feststellen, daß Dideyan einem Irrtum zum Opfer gefallen ist, da Franck" von dem Manichäer Faust spricht, der um 400 gelebt hat und ein Anhänger der von Mani gestifteten, dualistischen Weltreligion war. Die Auseinandersetzungen mit dem Manichäer Faust und dem Manichäismus stellen im 16. Jahrhundert, zur Zeit der Reformationsstreitigkeiten, nichts Ungewöhnliches dar. Da der Manichäer Faust mit seiner theosophisch-gnostisch-mystischen Weltanschauung audi zur Magie hinneigt — diese Tendenz wurde nach 1500 immer hervorgehoben —, ist es durchaus möglich, daß sich der histo1517 in Paris gestorben. * Die Entstehung des Volksbuches vom Dr. Faust. In: Preußische Jahrbücher. Bd 47. Berlin 1881. S. 454-457. 27 Faust und das sechzehnte Jahrhundert. In: Schmidt, E.: Charakteristiken. Berlin 188β. S. 15. 28 Grimm, a. a. O., S. 449—454. 29 Tome 1. Paris 1954. S. 9. 30 Chronica, Zeytbuch vnd geschychtbibel. Straßburg 1531. Bl. 399. 25
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rische Faust des 16. Jahrhunderts als ein „Nachfolger" des manichäischen ausgab, allerdings nicht in dem von Ded^yan geäußerten Sinne, daß Faust damit bewußt den manichäischen Glauben vertreten hätte. Vielleicht ist dies die richtige Erklärung von „Faustus iunior", die auch Erich Schmidt und Herman Grimm annehmen, ohne jedoch einen bündigen Beweis für diese These zu erbringen. Mit einem allgemeinen Hinweis auf die großartigen Bezeichnungen, die Faust für sich gefunden hat (fons necromanticorum, astrologus, magus secundus, chiromanticus, aeromanticus, pyromanticus, in hydro arte secundus) soll die Untersuchung von Namen und Titeln ihr Ende finden. Lediglich „magus secundus" bedarf der Erläuterung. Hier kann es sich nur um eine überall anerkannte Autorität handeln, die vor Faust das „magus primus" für sich in Anspruch nehmen darf, wenn Faust im übrigen von sich selbst als von der „Quelle der Nekromantie" spricht. Es kommen etwa für den „magus primus" in Frage der Simon Magus oder der Pythagoras, denen im Mittelalter allgemein magische Fähigkeiten zugesprochen worden sind. Wie schon gesagt, war Trithemius an den Hof des Kurfürsten Joachim von Brandenburg gerufen worden. Vom 11. September 1505 bis zum Mai 1506 blieb er in Berlin. Am 14. Mai trat Trithemius die Rückreise an31, auf der er im Mai Gelnhausen berührte und hier von Fausts Anwesenheit erfuhr. Faust zog es vor, nicht mit dem großen Konkurrenten — ein soldier war Trithemius auf dem Gebiete der Magie — zusammenzutreffen, und hinterließ ihm nur eine Karte. Damit bezeugt Trithemius als einziger außer der Zimmerischen Chronik eine schriftliche Äußerung Fausts. Wir erfahren weiter, daß sich Faust den Magister-Titel zugelegt hat, sich 1506 in Würzburg aufhielt 32 und in der Fastenzeit 1507 eine Schulmeisterstelle in Kreuznach durch Franz von Sickingen zugesprochen bekam. Sickingens Ebernburg lag nahe der Stadt Kreuznach. Ihm wie seinem Vater wird allgemein Interesse an magischen Dingen nachgesagt. Nach Trithemius wurde Faust wegen sittlicher Vergehen wieder entlassen. Diese Bemerkung verstärkt den Eindruck, daß Trithemius Faust in den Augen seines Freundes Wirdung möglichst herabsetzen wollte. IV. Eine ähnliche, wenn auch nicht so ausführliche Nachricht wie die des Trithemius gibt uns Conradus Mutianus, der bekannte Humanist, der seit :i1 32
Laut Brief vom 18. Juni 1506 aus Heidelberg an den Kurfürsten. — Vgl. Anm. 24. Trithemius befand sich zu dieser Zeit in Speyer. 119
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1503 in Gotha lebte und dort im Jahre 1526 starb. In seinem Brief vom 3. Oktober 1513 an Heinrich Uranus, einen früheren Schüler, seit 1510 Meister des Erfurter Hofes vom Georgenthaler Kloster, schreibt Mutian33: „Vor acht Tagen kam ein Chiromant nach Erfurt, namens Georgius Faustus Helmitheus Hedelbergensis [ = Hemitheus Hedelbergensis = Heidelberger Halbgott], ein bloßer Prahler und Narr. Seine Kunst, wie die aller Wahrsager, ist eitel und eine solche Physiognomie leichter als eine Wasserspinne. Die Unkundigen staunen es an. Gegen ihn sollten sich die Theologen erheben, statt daß sie den Philosophen Reuchlin wegen seines ,Augenspiegels' zu vernichten suchen. Ich hörte ihn im Wirtshause schwatzen; ich habe seine Anmaßung nicht gestraft; denn was kümmert mich fremde Torheit?" Das Schreiben Mutians bestätigt einen Aufenthalt Fausts in Erfurt für Ende September 1513. Der Vorname Georg findet wieder Erwähnung. Auch bei Mutianus können wir die Ablehnung des als halbgebildet angesehenen Faust durch die Kreise der Humanisten feststellen. Beachtung verdient die Bezeichnung „Helmitheus Hedelbergensis", die wiederum, wie das Ingolstädter Dokument, auf Heidelberg verweist. Das Wort „Helmitheus", wie es in der Handschrift steht, wird als Schreibfehler bezeichnet34. Richtig soll es wohl heißen: „Hemitheus Hedelbergensis". Die Bildung des Wortes für „Gott" = theus ist aber auch nicht einwandfrei. Es müßte hier das griechische „deos" oder „theos" stehen. Um die lateinische Ubersetzung kann es sich nicht handeln, da sonst „heros" angewandt worden sein müßte. Wahrscheinlich gibt Mutian Fausts Selbstbezeichnung genau wieder, obwohl er wußte, daß die Ubersetzung nicht fehlerfrei ist. Mutian dürfte sich damit über Faust belustigt und dessen unzureichende Sprachkenntnisse bespöttelt haben. Mit „Hemitheus Hedelbergensis" oder „Heidelberger Halbgott" erfahren wir von einem neuen, phantastischen Namen, den sich Faust angeeignet hat, und von der von ihm ausgeübten Handlesekunst, wenn Mutianus von einem „chiromanticus" spricht. Das Maulbronner Äbteverzeichnis und einen Brief des Agrippa von Nettesheim möchte ich nur kurz streifen. Angeblich hat sich Faust bei dem Abt Johannes Entenfuß in Maulbronn aufgehalten, der sein Klosteramt seit 1512 versah und 1518 „wegen üblen Hausens" abdanken mußte. Die 33
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Mutianus, Conradus: Der Briefwechsel. Gesammelt u. hrsg. von Karl Gillert. Hälfte 1. Halle 1890. S. 413. — Ich übernehme die Übersetzung von H. Düntzer (Die Sage von Doctor Johannes Faust. Stuttgart, Leipzig 1846. S. 36). Zum ersten Male wurde dieser Brief von W. E. Tentzelius gedruckt in: Supplementum Historae Gothanae Primum. Jenae 1701. S. 93-05. Bei Tentzelius steht „Helmitheus Hedebergensis", von der Handschrift abweichend.
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Nachricht über diesen Aufenthalt im Kloster Maulbronn geht zurück auf ein im Stuttgarter Landesarchiv befindliches Äbteverzeichnis von Maulbronn, das allerdings erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts angelegt wurde33. Für einen Besuch Fausts in Paris gibt es ebenfalls keine volle Bestätigung, doch wird er sogar von dem sonst so kritischen Witkowski3® angenommen. Die Vermutungen stützen sich auf einen Brief Agrippas vom 13. Februar 1528 aus Paris37, der von der Ankunft eines bekannten und berühmten Zauberers berichtet, jedoch ohne einmal den Namen Fausts anzuführen. Eine weitere Erwähnung Fausts bietet das Wettertagebuch des Rebdorfer Priors Kilian Leib. In diesen Aufzeichnungen wird Fausts Name 1528 genannt. Sie wurden 1913 veröffentlicht in der Riezler-Festschrift38 mit dem Beitrag von Schottenloher „Der Rebdorfer Prior Kilian Leib". Auf der Seite vom Juli 1528 (Blatt 257 des Wettertagebuches) hat Leib folgende Bemerkung niedergeschrieben, die ich in der Ubersetzung so wiedergebe: „Georgius Faustus von Helmstedt [bei Heidelberg] hat am 5. Juni [1528] gesagt, „wann Sonne und Jupiter in ein und demselben Sternzeichen stehen, dann werden Propheten geboren" (nämlich [solche] seinesgleichen). Er hat sich als Komtur [wörtl.: Gönner] oder als Lehrer eines kleineren Ordenshauses der Johanniter ausgegeben, an der Grenze Kärntens gelegen, das Hallestein genannt wird." Danach berichtet Leib von „Georgius faustus helmstetensis". Somit werden wir erneut auf Heidelberg aufmerksam, denn Helmstedt oder Helmstatt (Helmstetensis im Originaltext) befindet sich in unmittelbarer Nachbarschaft Heidelbergs. Es ist möglich, daß Faust hier eine Zeitlang seinen Wohnsitz gehabt hat. Südöstlich von Heidelberg liegt dieses heutige Helmstatt in 20-25 km Entfernung39. Leib übermittelt uns also eine Prophezeiung Fausts vom 5. Juni 1528. Er spricht weiter davon, daß Faust um diese Zeit eine Stellung als Komtur oder Lehrer des Johanniterordens eingenommen hat, und zwar in der Priesterkommende Hallestein, dem späteren Schloß Heilenstein in der Steiermark. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß Faust Mitglied des 35 36 37
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Tille, Nr. 205. Witkowski, a. a. O., S. 328-329. Opera (Uber 5, Ep. 26). Lugduni o. J. S. 913-917. — Dt. Ubersetzung: Kiesewetter, a. a. O., S. 25. Hrsg. ν. Κ. A. v. Müller. Gotha 1913. S. 81-114. Ernst Beutler schließt von dieser Bezeichnung auf die Herkunft Fausts. Er gibt deshalb den Geburtsort mit Helmstatt an. Dieser Auffassung kann ich midi nicht anschließen, da die für Knittlingen angeführten Fakten meines Erachtens größere Wahrscheinlichkeit besitzen (vgl. Beutler, E.: Georg Faust aus Helmstadt. In: Goethe-Kalender 1936. Leipzig 1936. S. 170-210). 121
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ritterlichen Ordens gewesen ist, da die Aufnahmeregeln der Johanniter einen adligen Ahnennachweis verlangten, der von dem Magier kaum gegeben werden konnte. Auch findet sich kein weiteres Zeugnis, das Fausts Aufenthalt in der Steiermark bestätigt. Wie Leib zu der Kenntnis des Ausspruchs von Faust gekommen ist, gibt er leider nicht an. Es ist möglich, daß Faust von Ingolstadt (Aufenthalt im Jahre 1528) nach Eichstätt oder sogar nach Rebdorf gekommen ist, wie Schottenloher glaubt40, oder Gerüchte von Fausts Treiben dahin gelangten. Ich nehme an, daß Leib Fausts Ausspruch nicht selbst gehört hat, er hätte sonst die Eintragungen nicht erst auf dem Monatsblatt vom Juli 1528 vorgenommen und wüßte wohl genauer anzugeben, ob Faust sich als Komtur oder Lehrer bezeichnete. Für das Auftauchen Fausts in der Kölner Gegend Anfang der dreißiger Jahre des 16. Jahrhunderts, also nach seinem Verweilen in Ingolstadt (1528) und Nürnberg (1532), gibt es zwei Anhaltspunkte: einen Brief des päpstlichen Legaten Minucci an Herzog Wilhelm von Bayern und den Bericht des Wierus in seinem Werk „De Praestigiis Daemonum". Minucci erwähnt einen Aufenthalt Fausts und Agrippa von Nettesheims bei dem Kölner Erzbischof Hermann von Wied, bekannt wegen seiner Reformationsunternehmungen und des Entwurfs einer eigenen Kirchenordnung vom Jahre 1545''1. Unterstützt von dem Erzbischof, lebte Agrippa 1532—35 in Bonn. Diese Jahre kommen wahrscheinlich auch für Fausts Aufenthalt in der Kölner Gegend in Betracht. Nehmen wir zunächst die Relation des päpstlichen Legaten vom 4. April 1583 zur Kenntnis42. Minucci stellt in dem Schreiben einen Vergleich zwischen dem späteren Erzbischof Gerhard Truchseß und Greif Hermann von Wied an. Die deutsche Ubersetzung der Briefstelle lautet: Graf Hermann von Wied, der audi zu der Zeit, als er abtrünnig war, stets den Faust und den Agrippa bei sich hatte, die in dieser [magischen] Kunst großen Ruhm genießen und deren Schüler er [Hermann von Wied] sein wollte . . . " Demnach waren Faust und Agrippa vom Kölner Erzbischof Hermann von Wied aufgenommen worden, ihn die Magie zu lehren. Obwohl der Bericht des päpstlichen Legaten erst aus dem Jahre 1583, 40 41
Schottenloher, a. a. O., S. 92. 1540 durch Papst Paul III. reiormatorischer Bestrebungen wegen in Bann getan. Nuntiaturberichte aus Deutschland 1572—85. Hrsg. von Hansen. Bd 2. Berlin 1894. S. 617: Relation Minuccis über den Stand der Kölner Dinge infolge des Abfalls des Eb. Gebhard Truchsess, gerichtet an Hz. Wilhelm von Bayern. Köln 1583. März 25/April 4.
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also aus wesentlich späterer Zeit stammt, habe ich ihn herangezogen, weil die historische Genauigkeit des Minucci als erwiesen gilt und die Angaben Minuccis durch den Arzt Johannes Wieras43 ergänzt werden. Der Beridit des Wierus wurde abgedruckt in der 4. Auflage seines Buches „De Praestigiis Daemonum"4''. Er ist nicht enthalten in den Ausgaben von 1563, 1564 und 1566. Vielleicht wurde Wierus erst durch die umlaufenden Erzählungen über Faust angeregt, seine Kenntnisse von dem Magier wiederzugeben. Wierus schreibt45: „Als vff ein zeit dieser schwartzkünstler Faustus seiner bösen stück halben zu Battoburg, welches an der Mose ligt, vnd mit dem Hertzogthumb Geldern grentzet, in abwesen Graff Hermanns46 inn hallten kommen, hat jhme der Capellan deß orts, Herr Johan Dorstenius, ein frommer einfältiger manne, viel liebs vnnd guts erzeiget, allein der vrsach halben, die weil er jme bey trewen vnd glauben zugesagt, er wölte jhn viel guter Künste lehren, vnd zu einem außbündigen erfahrnen manne machen. Derohalben, dieweil er sähe, daß Faustus dem Trunck sehr geneigt war, schickte er jme von hauß auß so lang Wein zu, biß das fäßlein nachließ vnd gar leer wurd. Da aber der Zauberer Faustus das mercket, vnd der Capellan auch sich annahm, er wolte gen Grauen gehen vnd sich daselbst barbieren lassen, liesse er sich hören, wann er jm mehr weins geben wolte, so wölt er jhn ein kunst lehren, dz er on schermesser vnd alles des barts abkommen sollte. Da nun der Caplan dz gleich eingienge, hieß er jn schlecht auß d' Apotecken hinnemen Arsenicum, vnd damit den bart vnd kinne wol reiben, vnd gedachte mit keinem wörtlein nit, dz ers zuuor bereiten, vnd mit andern zusetzen brechen solte lassen. So bald er aber das gethan, hat jme gleich das kinne dermassen angefangen zu hitzen vnd brennen, daß nit allein die haar jm außgefallen, sondern auch die haut mit sampt dem fleisch gar abgangen ist. Diß Bubenstücklein hat mir der Caplan mehr dann ein mal, aber allweg mit bewegtem mut selbst erzehlet." Diese Begebenheit hat sich in Battoburg bzw. Batenburg an der Maas, dem heutigen Babenberg, zugetragen. Faust kann erst Ende 1532 von Nürnberg aus nach Bonn bzw. Köln gekommen sein. Wie wir noch sehen 43
1515—88. Seit 1550 Leibmedicus des freisinnigen Herzogs Wilhelm IV. von Jülich, Cleve und Berg. " Basileae 1568. Bl. 143—144. Dieses Werk stellt eine Kampfschrift gegen den berüchtigten „Hexenhammer" dar, in der die Hexengerichtsbarkeit angeprangert wird. Das Buch wurde an den Kaiser und die Fürsten versandt. '·'' Zitat nach der deutschen Ausgabe: Von Teuffelsgespenst. Franckfurt 1586. S. 93: Faustus ein berümmter Zauberer odder Schwartzkünstler. 46 Es ist hiermit nicht der Kölner Erzbisdiof, sondern Graf Hermann von Bromhorst gemeint, der zu dieser Zeit Battoburg in Besitz hatte. In dessen Abwesenheit gerät Faust in Haft. — Vgl. Witkowski, a. a. O., S. 331. 123
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werden, begegnen wir ihm aber um 1534/1536 erneut in Nürnberg und Würzburg. Daraus ist zu schließen, daß Faust 1532/1533, zur Zeit seines gemeinsamen Aufenthalts mit Agrippa am Hofe des Kölner Erzbischofs, auch in Babenberg gewesen sein wird. Haarentfernen galt zu jener Zeit durchaus als magische Kunst, wie andere Angaben bezeugen. Sicherlich handelte Faust nicht absichtlich, indem er dem guten Kaplan eine Arsenikverbrennung im Gesicht zufügte. Möglich, daß Wierus dann eingegriffen hat, um den Betroffenen zu heilen. Dies würde die unmittelbar wirkende Erzählung der Begebenheit erklären, die Wierus außerdem durch die häufigen Wiederholungen des Kaplans Dorsten in Erinnerung geblieben sein dürfte. Da sich Wierus 1533 ebenfalls in der Umgebung Agrippas in Bonn aufhielt 47 , ist er hier wahrscheinlich Faust selbst begegnet. An der Darstellung von Wierus ist ferner bemerkenswert, daß er von Johann Faust spricht, der in Krakau Magie studiert habe und dessen Tod kurz vor 1540 in einem württembergischen Dorf erfolgt sei. Wir weisen hier auf die Vermutung hin, daß Wierus durch die Kenntnis von Manlius' Werk, erschienen 1563, zu seiner Mitteilung über Faust veranlaßt wurde. Für 1536 läßt sich Fausts neuerlicher Aufenthalt in Würzburg bestimmen. Unsere Quelle ist in diesem Falle ein Brief des mit Melanchthon befreundeten Joachim Camerarius an den Würzburger Ratsherrn Daniel Stibarius vom 13. August dieses Jahres. Mit dem Brief, den der damalige Tübinger Professor (von 1535—41) schreibt, sollen Fausts astrologische Ansichten über den Ausgang des Kampfes zwischen Karl V. und Franz I. von Frankreich in Erfahrung gebracht werden. Abgedruckt wurde das Schreiben von Joachim Camerarius in dessen Briefsammlung „Libellus Novus, Epistolas" 48 . Joachim Camerarius, der vor einigen Tagen eine böse Nacht gehabt hat, die er auf die ungünstige Konstellation der Gestirne schiebt, erkundigt sich nach Faust, den er ausdrücklich als Stibars Freund bezeichnet, und nach Fausts Ansichten über die Zeitlage und den Ausgang des Krieges zwischen Kaiser Karl V. und dem französischen König. Camerarius, der so tut, als hielte er von den Prophezeiungen Fausts nicht viel — er spricht von Aberglauben und Gaukelei —, hat ihm aber offenbar auf dem Gebiet der Astrologie doch einige Fähigkeiten zugetraut. Aus dem lateinischen Text geht hervor, daß der Adressat, nämlich Stibar, Faust sehr geschätzt 47
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Vgl. Witkowski, a. a. O., S. 330. Witkowski vermutet übrigens Fausts Aufenthalt in Babenberg für 1530 bis 1532, da Wierus dann längere Zeit seiner Heimatstadt Grave fernblieb. Witkowski übersieht dabei, daB Faust Im Mai 1532 die Nürnberger Gegend noch nicht verlassen hatte. Lipsiae 1568. Bl. 181-162.
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hat. Darauf spielt der Briefschreiber, der eine baldige Antwort zu erhalten hofft, an, wenn er sagt: „Ich weiß nämlich, daß du dich sorgfältig nach allem erkundigt hast"! Leider sind meine Bemühungen, das Antwortsdireiben Stibars zu ermitteln, erfolglos geblieben. Weder in Tübingen noch in Leipzig, wo Camerarius als Professor tätig war, haben die Universitätsarchive irgendwelche Materialien feststellen können. Das Schreiben Stibars scheint untergegangen zu sein, so daß uns ein weiterer persönlicher Ausspruch Fausts unbekannt bleiben muß. Ellinger hat auf den eben besprochenen Brief hingewiesen49. Er verdient nicht nur deshalb Beachtung, weil Fausts Aufenthalt im Jahre 1536 in Würzburg bezeugt wird, sondern audi, weil Stibar als Freund Fausts bezeichnet wird. Joachim Camerarius beschäftigte sich ebenfalls mit Astrologie und dürfte eine eigene Prognose gestellt haben. Sicherlich wollte er sie mit den Voraussagen Fausts vergleichen. Der Aufenthalt Fausts ift Oberfranken kann etwa für die Jahre 1534—36 angenommen werden. Beweis dafür ist ein zweiter Brief, der von Philipp von Hutten stammt50. Demnach hat Faust, offensichtlich mit der Familie Hutten befreundet, eine Prophezeiung für Philipps Reise nach Amerika, die dieser 1534 antrat, gemacht. Faust sah ungünstige Konstellationen voraus. Joachim Camerarius' gleichzeitige Prognose dagegen ließ eine glückliche Fahrt erwarten. Philipp, der aus der fränkischen Linie stammende Vetter Ulrichs von Hutten, bemerkt in einem Brief an seinen Bruder Moritz in Würzburg vom 15. Januar 1540 aus Coro (Venezuela), daß die Prophezeiungen Fausts, des Philosophen, eingetroffen seien. Das Jahr 1534 sei ein „bösses Jahr" gewesen. Das Schreiben Philipps stellt die Antwort auf die Mahnung der Brüder dar, in die Heimat zurückzukehren. Philipp begründet sein weiteres Verbleiben u. a. mit der Wahrsagung Fausts. V. Ich komme nun zu einigen Quellen, die zwar Fausts Existenz beweisen, aber keine genauen Fixierungen für den Lebenslauf Fausts zulassen. Dazu gehören Begardis Bericht und die Erwähnungen in Luthers Tischgesprächen. An ihnen ist bereits die fortschreitende Anekdotenbildung ablesbar. Zunächst betrachten wir den „Index sanitatis" von Begardi. Das Buch erschien 1539 in Worms und enthält eine ausführliche Nachricht über Faust und seine Betätigung als Wundarzt. Die Stelle über Faust lautet51: 49 50
51
Goethe-Jahrbuch. Bd 10. Weimar 1889. S. 256-257. Erster Abdruck des Briefes in: Historisch-literarisches Magazin. Hrsg. von Meusel. Th. 1. Leipzig 1785. S. 93. Bl. 17 a. 125
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„Es wirt noch eyn namhafftiger dapfferer mann erfunden: ich wolt aber doch seinen namen nit genent haben, so wil er auch nit verborgen sein, noch vnbekannt. Dann er ist vor etlichen jaren vast durch alle landtschafft, Fürstenthuomb vnnd Königreich gezogen, seinen namen jederman selbs bekant gemacht, vnd seine grosse kunst, nit alleyn der artznei, sonder auch Chiromancei, Nigramancei, Visionomei, Visiones imm Christal, vnd dergleichen mer künst, sich höchlich berümpt. Vnd audi nit alleyn berümpt, sondern sich auch eynen berümpten vnd erfarnen meyster bekant vnnd geschriben. Hat auch selbs bekant, vnd nit geleugknet, daß er sei, vnnd heyß Faustus, domit sich geschriben Philosophum Philosophorum etc. Wie vil aber mir geklagt haben, daß sie von jm seind betrogen worden, deren ist eyn grosse zal gewesen. Nuon sein verheyssen ware auch groß, wie des Tessali: dergleichen sein rhuom, wie auch des Theophrasti: aber die that, wie ich noch vernimm, vast kleyn vnd betrüglich erfunden: doch hat er sich imm gelt nemen, oder empfaheit (das ich auch recht red) nit gesaumpt, vnd nachmals auch imm abzugk, er hat, wie ich beracht, vil mit den ferßen gesegnet. Aber was soll man nuon darzuothuon, hin ist hin, ich wil es jetzt auch do bei lassen, luog du weiter, was du zuschicken hast". Begardi, der Wormser Stadtarzt, gibt eine lebendige Charakteristik eines Abenteurers und schildert Fausts Wirken als das eines Scharlatans. Anders aber wird Faust von dem einfachen, am Ausgang des Mittelalters wundergläubig gebliebenen Volk angesehen worden sein. Begardi bietet dagegen ein typisches Urteil der Gelehrten der Zeit über Faust, wenn auch eine gewisse Bewunderung mitschwingt. Nach der Widmung des Verfassers wurde das Buch im Januar 1539 abgeschlossen. Es scheint, daß Faust um diese Zeit den Blicken der Öffentlichkeit entschwunden ist. So ist es wohl wahrscheinlich, daß Faust um 1538/39 einen abgelegenen Ort aufgesucht hat, wo er seinem Ende entgegenleben konnte. Als einen weiteren Zeugen f ü r Fausts Existenz können wir Martin Luther anführen. Zitieren müssen wir hier die „Tischreden" Luthers, die als erster Aurifaber 52 gesammelt und 1566 veröffentlicht hat 53 . In dem ersten Abschnitt („Von Gottes Wort") ist die — allerdings einzige — Erwähnung Fausts bei Aurifaber zu finden. Die historisch-kritische Ausgabe der Werke Luthers 54 folgt in diesem Falle der Handschrift Rörers in der UB Jena, und zwar den Abschriften, 52
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Lebte 1519—75. Hofprediger in Weimar 1551—62. Pfarrer in Erfurt an der Predigerkirche 1566—75. Eisleben 1566. Bl. 16 b. (Abt.) Tischreden. Bd 1: Tischreden aus der ersten Hälfte der dreißiger Jahre. Weimar 1912. Nr 1059.
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die Rörer, Luthers Famulus, aus den von Veit Dietrich und Nikolaus Medier aufgezeichneten Tischgesprächen genommen hat. Aurifaber, den ich an Stelle der Luther-Ausgabe zitiere, hat diesen Passus so wiedergegeben: „Da vber Tisch zu abends eines Schwartzkünstlers Faustus genant gedacht ward, saget Doctor Martinus ernstlich, der Teufel gebraucht der, zeuberer dienst wider mich nicht, hette er mir gekont vnd vermocht schaden zu thun, er hette es lange gethan. Er hat midi wol offtmals schon bey dem kopff gehabt, aber er hat mich dennoch müssen gehen lassen." Wir haben es auch hier nur mit einem allgemeinen Zeugnis zu tun, das keine zeitliche Festlegung einer Lebensstation Fausts gestattet und das aus zweiter Hand stammt. Trotzdem können wir der Angabe vertrauen, denn sie stützt sich auf die unmittelbaren Aufzeichnungen Dietrichs und Mediers, die Äußerungen Luthers niedergeschrieben haben, und zwar noch zu Lebzeiten Fausts. In dem dritten Bande der Abteilung „Tischgespräche" der kritischen Ausgabe von Luthers Werken·" wird eine weitere, bisher von der FaustForschung nicht beachtete Erwähnung Fausts in einem Gespräch Luthers angegeben, und zwar unter der Nr 3601. Aurifaber hat dieses Gespräch nicht vollständig verwendet, so daß Faust bei ihm nur einmal vorkommt. Der Band 3 enthält Nachschriften aus den Jahren 1536 und 1537 von Anton Lauterbach und Hieronymus Weller. In unserem Falle folgt die kritische Luther-Ausgabe einer Handschrift der Landesbibliothek Gotha··1'. Datiert wird Luthers Gespräch auf die Zeit zwischen dem 18. Juni und 28. Juli 1537. Hier die betreffende Stelle: „Multa dicebant de Fausto, welcher den Teufel seynen schwoger hies, und hat sich laßen hören, wen ich, Martin Luther, ihm nur die handt gereycht hette, wolt er mich vorterbet haben; aber ich wolde in nicht geschawet haben." In den Abschnitten 25 und 26 der „Tischgespräche", denen Aurifaber die Überschriften „Vom Teuffei und seinen Werken" und „Von Zauberey" gibt, wird der Name Fausts nicht genannt. Sie stehen ihrer mittelalterlichen Vorstellung wegen von der mit Teufeln bevölkerten Welt in engem Zusammenhang mit der späteren Kompilation des Faust-Buches und haben darauf eingewirkt. VI. Zwischen den zeitgenössischen Berichten und dem Faust-Buch stehen literarische Aufzeichnungen über Fausts Leben, die zwischen 1530 und 1570 5V
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(Abt.) Tischreden. Bd 3: Tischreden aus den dreißiger Jahren. Weimar 1914. Nr 3601. In der Sammlung „Colloquia Serotina Doctoris Martini Lutheri". 127
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entstanden sind. Sie sind für den historischen Faust insofern von Interesse, als sie auf tatsächliche Begebenheiten zurückgehen dürften und damit, bei aller Vorsicht, als allgemeine Zeugnisse für Fausts Existenz betrachtet werden können. Ungleich wichtiger sind sie aber für den beginnenden Prozeß der Anekdotenbildung und schließlich für die Entstehung der „Historia von D. Johann Fausten". Nach Ehlen57 soll 1530 ein handschriftliches Buch in Metz unter dem Titel „De maistre Faust" entstanden sein, das Fausts Leben behandelt. Über dieses Werk ist so gut wie nichts bekannt, ja, man muß sogar die Befürchtung äußern, daß es womöglich gar nichts mit unserem Faust zu tun hat. Ähnlich verhält es sich mit einem um 1570 niedergeschriebenen Bericht in lateinischer Sprache58. Anekdotische Darstellungen von Fausts zauberischem und magischem Treiben gibt uns der Nürnberger Christoph Roßhirt, aufgezeichnet um 1570 unter dem Titel „Zauberer Faust"59 Wir erfahren durch sie von einem Aufenthalt Fausts in Nürnberg (siehe Nürnberger Rastverläße!). Hier führt Faust auch den Vornamen Georg. Im übrigen sind bei Roßhirt Manlius' Einflüsse spürbar. Einen ähnlichen Bericht besitzen wir in der von Zacharias Hogel verfaßten „Chronica von Thüringen und der Stadt Erffurth". Von Szamatolski wurde der Versuch unternommen, den besonderen Wert dieser Geschichten für die Faust-Forschung nachzuweisen60. Nur so viel sei an dieser Stelle gesagt, daß sie immerhin einen zweiten Aufenthalt Fausts in Erfurt nach 1520 möglich erscheinen lassen. VII. Mit Gasts „Sermones Convivales"61 und der Zimmerischen Chronik kommen wir zu den beiden einzigen mit Sicherheit voneinander unabhängigen Zeugnissen über Fausts Tod. Der aus Breisach stammende, als protestantischer Pfarrer in Beisel tätige Johannes Gast bietet uns die erste gedruckte Mitteilung über Fausts „schreckliches Ende". Er kann seine Kenntnisse der :'7 58
M
60 61
Ein Faustbuch von ca. 1530. In: Euphorion. Bd 16. Leipzig, Wien 1909. S. 1-β. Vgl. Theens, a. a. O., S. 109. Theens nennt ferner eine Handschrift „Leben Faustens" (deutsch, um 1560) und eine Lebensbeschreibung (um 1575). — Vgl. ebenso Petschs Einleitung zu seiner Neuausgabe des „Volksbuches vom Doctor Faust" (Halle 1911. S. XV-XXIII). Veröffentlicht von Wilhelm Meyer unter dem Titel „Nürnberger Faustgeschichten". In: Abhandlungen der k. bayer. Akademie der Wissenschaften. Classe 1. Bd 20. Abth. 2. München 1895. S. 62-80. Faust in Erfurt. In: Euphorion. Bd 2. Bamberg 1895. S. 39—57. Tomus 2. Basileae 1548. S. 280—281: De Fausto Necromantico.
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Zimmerischen Chronik nicht entnommen haben, denn sie entstand wesentlich sp&ter. Erinnern wir uns zunächst daran, daß unsere letzten sicheren Nachrichten aus dem Jahre 1536 stammen (Camerarius / Stibar) und lassen wir nun Gast sprechen63: „Einst kehrte er [d. h. Faust] in ein sehr reiches Kloster ein, um dort zu übernachten. Ein Bruder setzte ihm gewöhnlichen, schwachen, nicht wohlschmeckenden Wein vor. Faust bittet ihn, ihm aus einem anderen Fasse besser schmeckenden Wein zu geben, den er den Vornehmen zu reichen pflegte. Der Bruder sagte darauf: „Ich habe die Schlüssel nicht. Der Prior schläft, und ich darf ihn nicht wecken." Faust erwiderte: „Die Schlüssel liegen in jenem Winkel; nimm sie und öffne jenes Faß auf der linken Seite und bringe mir den Trunk." Der Bruder weigerte sich; er habe keine Erlaubnis vom Prior, den Gästen anderen Wein zu geben. Als Faust dies hörte, spradi er: „Binnen kurzem wirst du Wunderdinge erleben, du ungastfreundlicher Bruder!" Am frühesten Morgen ging er voll Erbitterung weg, ohne zu grüßen, und sandte in das Kloster einen wütenden Teufel, der Tag und Nacht lärmte und in der Kirche wie in den Zellen der Mönche alles in Bewegung setzte, so daß sie keine Ruhe hatten, was sie auch anfingen." Und „Ein anderes Beispiel von Faust": „Als ich zu Basel mit ihm im großen Collegium speiste, gab er dem Koch Vögel verschiedener Art, von denen ich nicht wußte, wo er sie gekauft oder wer sie ihm gegeben hatte, da in Basel damals keine verkauft wurden, und zwar waren es Vögel, wie ich keine in unserer Gegend gesehen habe. Er hatte einen Hund und ein Pferd bei sich, die, wie ich glaube, Teufel waren, da sie alles verrichten konnten. Einige sagten mir, der Hund habe zuweilen die Gestalt eines Dieners angenommen und ihm Speise gebracht. Der Elende endete auf schreckliche Weise, denn der Teufel erwürgte ihn; seine Leiche lag auf der Bahre immer auf dem Gesicht, obgleich man sie fünfmal umdrehte". Trotz des anekdotischen Charakters der in den „Sermones Convivales" wiedergegebenen Erzählungen — diejenige über die unfreundliche Aufnahme Fausts in einem Kloster mit ihren bösen Folgen für die Mönche bringt die Zimmerische Chronik mit genauer Lokalisierung für Lüxheim — sind für uns zwei Angaben bemerkenswert: Fausts Aufenthalt in Basel und Fausts Ende. Wir wollen zunächst auf den Aufenthalt Fausts in Basel eingehen. Über Fausts Tod erfahren wir Genaueres in der Zimmerischen Chronik, da Gast nur allgemein die schrecklichen Umstände von Fausts Tod erwähnt und seine Bemerkung auch keine genauere Datierung als bis zum Jahre 1548 zuläßt. ® Nach der Übersetzung von Kiesewetter, a. a. O., S. 23—24. 9
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Gast erzählt, er habe mit Faust im großen Colleg in Basel gespeist. Kiesewetter63 setzt diese Begegnung für die Jahre 1524/25 an und stützt sich dabei auf die Dedikation an Conrad Humprecht im Tomus secundus der „Sermones", in der Gast erwähnt, zur Zeit des Bauernkrieges sei er bei dem Baseler Buchdrucker Adam Petri in einem guten Logis gewesen. Paul Burckhardt verweist in den Anmerkungen zu dem von ihm herausgegebenen, nicht vollständig erhalten gebliebenen „Tagebuch des Johannes Gast" darauf64, daß Gast im Februar und im Frühling 1525 in Basel war und daß er sich audi schon früher einmal in Basel aufgehellten zu haben scheint. 1528 wäre Gast wieder in Basel gewesen, ehe er im Mai 1529 das protestantische Pfarramt übernahm (—1552). Damit wird der Datierungsversuch zu Fausts Aufenthalt in Basel hinfällig. Geist bietet uns demzufolge nur allgemeine Angaben über Fausts Baseler Tage, die in das Jahr 1525 oder 1528, aber auch in die Zeit nach 1529 fallen können. In der „Baseler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde" führt der ebengenannte Paul Burckhardt den Nachweis6·', daß Gast die Erzählung über das verhexte Kloster Lüxheim66 von dem 1548 nach Basel gekommenen, ehemaligen Prior des Klosters, Wolfgang Musculus, erhalten habe. Da der Lüxheimer Mönch 1527 aus dem Kloster floh, kämen unter Umständen die davor liegenden Jahre für den Besuch Fausts bei den Mönchen in Betracht. Ob Gast die Angaben über den Tod Fausts ebenfalls von Musculus erhalten hat, ist nicht feststellbar. Interessant an der Erzählung Gasts ist ferner, daß bei ihm, zum ersten Mal in der Faust-Literatur, der Zauberhund und das Zauberpferd als ständige Begleiter auftauchen. Die im allgemeinen zuverlässige Chronik der Freiherren von Zimmern enthält zwei Stellen über Faust. Sie entstand zwischen 1564 und 1566 und geht zurück auf die Grafen Froben Christian und Wilhelm Werner von Zimmern. Der Schreiber ist Johannes Müller, der wohl selbst manchen Beitrag geliefert hat. Die Handschrift ist in zwei Exemplaren erhalten geblieben, die heute in Donaueschingen aufbewahrt werden. Nur eine der beiden Handschriften bringt die Angaben über Faust. Der Inhalt gelangte bis ins 18. Jahrhundert nicht zur allgemeinen Kenntnis. Frühestens Ende des 17. Jahrhunderts wurden die Manuskripte teilweise und in beschränktem Umfange bekannt. Erst nach 1800 wurde die Chronik stärker benutzt und schließlich 1869 gedruckt. Die Mitteilungen über Faust können demβ 61 65 66
Kiesewetter, a. a. O., S. 22. Basler Chroniken. Bd 8. Basel 1945. Bd 42. Basel 1943. S. 190. Heute Lixheim bei Pfalzburg im Wasgau, etwa 60 km westlich von Strasburg gelegen.
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zufolge nicht auf die Berichte des 16. Jahrhunderts bis zum Erscheinen des Faust-Buches eingewirkt haben. Und nun zu dem für uns wichtigen Text der Zimmerischen Chronik67: „Das aber die pratik solcher kunst nit allain gottlos, sonder zum höchsten sorgclich, das ist unlaugenbar, dann sich das in der erfarnus beweist, und wissen, wie es dem weitberüempten Schwarzkünstler, dem Fausto, ergangen. Derselbig ist nach vilen wunderbarlichen Sachen, die er bei seinem leben geiebt, darvon auch ain besonderer tractat wer zu machen, letzstlich in der herrschaft Staufen im Preisgew in großem alter vom bösen gaist umbgebracht worden". Dazu die zweite Erwähnung Fausts: „Es ist auch umb die zeit [d. h. um 1541] der Faustus zu oder doch nit weit von Staufen, dem stetlin im Breisgew, gestorben. Der ist bei seiner zeit ein wunderbarlicher nigromanta gewest, als er bei unsern zeiten hat mögen in deutschen Landen erfunden werden, der auch sovil seltzamer hendel gehapt hin und wider, das sein in vil jaren nit leuchtlichen wurt vergessen werden. Ist ain alter mann worden und, wie man sagt, ellengclichen gestorben. Vil haben allerhandt anzeigungen und vermuetungen noch vermaint, der bös gaist, den er in seinen lebzeiten nur sein Schwager genannt, hab ine umbbracht. Die büecher, die er verlasen, sein dem herren von Staufen, in dessen herrschaft er abgangen, zu handen worden, darumb doch hernach vil leut haben geworben und daran meins erachtens ein sorgclidien und unglückhaftigen schätz und gäbe begert. Den münchen zu Lüxhaim im Wassichin hat er ain gespenst in das closter verbannet, desen sie in vil jaren nit haben künden abkommen". Wenn die Zimmerische Chronik von „Staufen im Breisgew" spricht, so ist damit das heutige Staufen bei Freiburg (Breisgau) gemeint. Hier haben wir uns „Fausts schreckliches Ende" vorzustellen, denn die Zimmerische Chronik nennt als einzige Quelle Staufen als den Ort von Fausts Tod. Sie betont zweimal das hohe Alter des Magiers. In Übereinstimmung mit der Annahme von Fausts Geburtsjahr für 1480 ergäbe sich ein Alter von etwa 60 Jahren für Faust bei seinem Tod. Mit der Datierung „umb die Zeit" ist die Abhaltung des Reichstages zu Regensburg gemeint, der 1541 stattfand. 1540 frühestens, 1541 spätestens ist Fausts Tod erfolgt. Wir haben damit einen genaueren Anhaltspunkt als für Fausts Geburtsjahr und eine Angabe, die wir als sicher betrachten können. Nach 1540 gibt es keine Zeugnisse mehr, die von Faust als einem Lebenden sprechen. Auffällig ist an der Nachricht von Fausts Tod, daß er „ellengclichen ge57
Nach der 2. Ausg. von Barack neu hrsg. von Herrmann. Meersburg u. Leipzig 1932. Bd 1, S. 577 und Bd 3, S. 529-530. 131
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storben" sei und daß „der bös gaist . . . hab ine umbbracht." Die ausgesprochenen Vermutungen, die bei Gast allerdings noch eine anekdotische Steigerung erfuhren, lassen auf einen unnatürlichen Tod schließen. Heute wird zumeist angenommen, chemische Experimente, Explosionen vielleicht, seien die Ursache gewesen. Die Nachrichten über Fausts Tod konnten damals fabelhaft geheimnisvoll ausgestaltet werden. Kirchenkreise gaben sie als Beweise dafür aus, daß Faust ein Teufelsbündnis gehabt habe und vom Teufel geholt wurde. Die Theologen hatten damit einen Anlaß, das Volk vor dem sogenannten bösen Beispiel zu warnen. Doch hat dies dem Ruhm Fausts im Volke keinen Abbruch getan. Der Schreiber der Zimmerischen Chronik sagt es uns mit den Worten: „das sein in vil jaren nit leuchtlichen wurt vergessen werden". Gehen wir zunächst auf die andere Mitteilung über Fausts Tod, die oft herangezogen wird, ein, und zwar nochmals auf die Berichte Melanchthons — Manlius'. Diese Darstellung kann noch unbeeinflußt von Gast sein. Deshalb müssen wir ihr möglicherweise den Charakter der Selbständigkeit beimessen. Nach Melanchthon-Manlius ist Faust in einem Dorf in Württemberg umgekommen. Da Melanchthon das unbedeutende Staufen vielleicht gar nicht kannte, ist es möglich, daß er es mit dem ihm sicherlich geläufigeren Hohenstaufen in Südwürttemberg verwechselte. Beachten müssen wir, daß er die Orte Staufen oder Hohenstaufen nicht nennt, sondern nur von seinem Heimatland spricht. Staufen dagegen lag in dem zu jener Zeit habsburgischen Breisgau, der erst 1805 badisch wurde. Alle späteren Berichte, die auf Melanchthon fußen, geben den Irrtum, Faust sei in einem Dorf Württembergs gestorben, weiter. Dabei wird Württemberg sogar zu Wittenberg, dem Wirkungskreis Melanchthons. Kehren wir nach dieser Zwischenbemerkung noch einmal zur Zimmerischen Chronik zurück, nämlich zu der Nachricht von aufgefundenen Büchern, „die er (Faust) verlasen". Diese Werke spielen bekanntlich in der Taust- und Zauberliteratur eine große Rolle. Es ist anzunehmen, daß Faust als eine mit wissenschaftlichen Kenntnissen ausgerüstete Persönlichkeit selbst Bücher besaß. Die Sätze der Zimmerischen Chronik „Die büecher... sein dem herren von Staufen . . . zu handen worden, darumb doch hernach vil leut haben geworben und daran meins erachtens ein sorgdichen und unglückhaftigen schätz und gäbe begert", lassen darauf schließen, daß es sich u. a. um persönliche Aufzeichnungen Fausts gehandelt hat. Die Bücher sind nie aufgefunden worden. Vielleicht wurden sie vernichtet, vielleicht sind sie später verloren gegangen. Die in Fausts Fußstapfen wandelnden „Magier" haben sich jedenfalls bis ins 18. Jahrhundert auf Fausts Schriften berufen, ja, man hat später Bücher nur zu gern als 132
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von Faust herrührend ausgewiesen. Fausts Autorität bürgte lange Zeit für die erwartete Wirkung. VIII. Überblicken wir die Reihe der genannten Zeugnisse, so können wir mit Sicherheit die Existenz Fausts als nachgewiesen betrachten, ohne den unterschiedlichen Wert der einzelnen Quellen zu übersehen. Weitere Berichte über Georg Faust, die bis zum Erscheinen des Faust-Buches von 1587 entstanden und gedruckt worden sind, müssen wir hier außer acht lassen. In den Werken von Andreas Hondorff („Promptuarium Exemplorum", 1568), Ludwig Lavater („Von Gespänsten", 1569), Wolffgangus Bütner („Epitome Historiarum", 1576), Conrad Gessner („Epistolae Medicinales", 1577), Leonhard Thurneisser zum Thum („Onomasticum", 1583) sowie in anderen Schriften finden wir uns bereits bekannte oder auch neue Angaben. Es ist jedoch nicht zu entscheiden, ob von diesen Verfassern eigene Kenntnisse wiedergegeben werden, ob sie aus den bisher genannten Quellen schöpfen, ob sie mündliche Überlieferung anführen, oder ob sie im Zusammenhang mit der allgemeinen Sagenbildung Anekdoten erzählen. Dazu ist die Zeit bereits zu weit fortgeschritten. Am Rande sei vermerkt, daß bisher keinerlei Anhaltspunkte für einen historischen Wagner, der zur Titelfigur der Fortsetzung vom Faust-Buch wurde, gefunden werden konnten. Fest stehen für uns nunmehr folgende Lebensstationen Fausts: Aufenthalt 1506 in Gelnhausen, 1507 in Kreuznach, 1513 Besuch in Erfurt, 1520 Betätigimg in Bamberg, 1528 Ausweisung aus Ingolstadt, 1532 Aufenthalt in Nürnberg. Des weiteren können wir mit ziemlicher Sicherheit annehmen: Geburt etwa 1480 in Knittlingen und erster Aufenthalt in Würzburg um 1506. Für die Jahre 1525—32 können wir die Flucht aus Wittenberg bestimmen, für den Anfang der dreißiger Jahre (1532—33) das Wirken in der Kölner Gegend und für die Jahre 1534—36 das erneute Auftauchen in Nürnberg und Würzburg. Nach 1536 scheint sich Faust zurückzuziehen, während ihn in den Jahren 1540 oder 1541 — als sichere Angabe für uns — in Staufen im Breisgau der Tod ereilt hat. Weitere Orte, in denen Faust gewesen sein kann, sind Maulbronn, Basel, Paris, vielleicht auch Prag, Krakau, Wien und Venedig, doch lassen sich bündige Beweise dafür nicht erbringen. Trotzdem darf damit geredinet werden, daß sich Faust in den Metropolen Europas, in den Zentren der Wissenschaft und der frühbürgerlichen Kultur, aufgehalten hat. Das Frankfurter Faust-Buch in dem einen oder anderen Falle für einen Beweis heranzuziehen, wie es mancherorts geschieht, erscheint nicht angebracht, da hier Wahrheit und Dichtung, Tatsachenbericht, anekdotische Erzählung und absichtliche Entstellung nicht zu trennen sind. Dagegen 133
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wird vielleicht mancher Bericht über Faust von uns nicht erkannt, wenn Faust darin nicht namentlich erwähnt ist. Furcht vor dem Magier oder auch vor kirchlich-behördlichen Instanzen dürfte nicht selten der Anlaß für die Unterdrückung des Namens gewesen sein. Hier bleibt jede Hoffnung auf eine zukünftige Klärung versagt, während die Möglichkeit besteht, daß das eine oder andere noch unbekannte Zeugnis über Fausts Leben entdeckt, uns bekannte ergänzt werden oder in anderem Lichte erscheinen können. Doch ist kaum mit einem grundsätzlichen Wandel unserer Kenntnisse zu rechnen. Auffällig ist übrigens, daß es kein zeitgenössisches Bild Fausts gibt und daß er nicht in den Selbstbiographien des 16. Jahrhunderts68 genannt wird. In dem ausgedehnten Briefwechsel Melanchthons und Luthers wird Faust ebenfalls nie erwähnt. Das von mir herangezogene Material ist die Grundlage der Sagen- und Anekdotenbildung und zugleich mit der bis 1587 entstandenen Literatur der Rohstoff für den Verfasser des Faust-Buches. Von der Anekdotenbildung beeinflußte Literatur habe ich nur dann erwähnt, wenn durch Herausschälung des geschichtlichen Kerns Angaben über Fausts Leben zu gewinnen waren. Es erhebt sich nunmehr die Frage, welches Bild wir von dem historischen Faust erhalten haben und welche Gestalt uns aus den herangezogenen Zeugnissen entgegentritt. Dazu ist es vorerst notwendig, sich die Umwelt, in der Faust gelebt hat, in groben Umrissen zu vergegenwärtigen. Das 16. Jahrhundert ist das Säkulum des großen gesellschaftlichen Umbruchs. Vor allem die ersten Jahrzehnte sind gekennzeichnet durch gewaltige Veränderungen. In dieser Zeit ist ganz Deutschland in Bewegung und Aufruhr. Der Feudalismus verfällt. Mit aller Rücksichtslosigkeit sucht er seine Positionen durch Unterdrückung namentlich der bäuerlichen Bevölkerung zu halten. Dem niederen Adel werden die ökonomischen Grundlagen seiner politischen Unabhängigkeit mit der Herausbildung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse entzogen, und er versucht, durch verschiedene Aufstände (Franz v. Sickingen u. a.) zu verhindern, was nicht mehr aufzuhalten ist. Die Bauern stehen auf gegen ihre Fronherren. Soziale Gegensätze werden in blutigen Kämpfen ausgetragen. Neue gesellschaftliche Kräfte betreten das Forum: die bürgerliche Gesellschaft bildet sich in den ersten Anfängen mit dem beginnenden Frühkapitalismus heraus. ® Platter, etwa zu derselben Zeit wie Gast in Basel. — Götz von Berlichingen, eng mit Franz von Sickingen befreundet. — Sastrow, zur Zeit der Tätigkeit Wilhelm Werner von Zimmerns am Reichskammergericht (1529—55) ebenfalls in Speyer. 134
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Mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen gehen ebenso weitreichende geistige Umwälzungen einher. Nach Luthers Thesenanschlag setzt die Reformation ein. Der Kampf gegen die katholische Kirche als Stütze des alten Feudalsystems beginnt, und der Protestantismus wird zum Träger der Bestrebungen des aufkommenden Bürgertums. Damit ist das System der dogmatisch-scholastischen katholischen Lehre zerstört. Ungefähr gleichzeitig erschließt das Wirken der Humanisten dem menschlichen Denken neue Bereiche; mit dem Zugang zum Altertum tut sich eine neue Welt auf. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hat mit der Erfindung der Buchdruckerkunst eine Kulturbewegung allergrößten Ausmaßes eingesetzt. Der Mensch löst sich aus der Gebundenheit mittelalterlicher Vorstellungen. Ein Umsturz des bisherigen Weltbildes wird durch die Entdeckung Amerikas (1492) und die Forschungen eines Kopernikus hervorgerufen. Mit dem Schwinden mittelalterlicher Beschränktheit wird auch der Weg für einen Aufschwung der Naturforschung frei. Naturwissenschaftliche Kenntnisse erfahren ihre erste Ausbreitung. In dieser Situation der Übergangszeit ist es verständlich, daß sich Reste des mittelalterlichen Weltbildes zunächst erhellten. Viele Vorgänge in der Natur können noch nicht erklärt werden. Manche neuen Erkenntnisse werden vom mittelalterlichen Glauben überschattet. Das Streben „nach Allwissenheit, nach unbeschränkter Aktivität, nach unbegrenztem Genuß des Lebens"69, mündet vielfach wieder in mittelalterliche Vorstellungen ein. Nur daraus ist es zu erklären, daß der nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen strebende Mensch, der die Natur seiner Herrschaft unterwerfen will, sich in die Arme der Magie wirft und mit ihrer Hilfe Wissen, Macht und Ruhm zu erlangen hofft. Zitieren wir hier Jean Bodin, den französischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts, der gegen die „Zauberer, Hexen vnnd Hexenmeister" zu Felde zog. Bodin sagt: „so vnterscheidet er (es ist von dem Zauberer Philo die Rede) zwischen der Natürlichen Magy, welche er Physicisch nennet, vnd [der anderen] deren sich die Beschwerer, Teuffelsaußtreiber, Schwartzkünstler vnnd sonst Zaubergesind" bedienen70. Auf der einen Seite also Anerkennung des Strebens nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen — im 16. Jahrhundert zumeist als „weiße (oder natürliche) Magie" bezeichnet — auf der anderen Hinweis auf ihre mißbräuchliche Anwendung als, von Bodin ernst genommene und verpönte, sogenannte „schwarze Magie"71. 60 70
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Zitiert nach Lukäcs, G.: Goethe und seine Zeit. Bern 1947. S. 134. Nach „De Magorum Daemonomania". Deutsch von Fischart unter dem Titel „Vom Außgelasenen Wütigen Teufelsheer" (Straßburg 1591. S. 263). Daher rührt bekanntlich audi der Begriff Schwarzkünstler. 135
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Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, zu welcher Blüte der Glaube an Zauberei, Hexenunwesen und Teufelskünste es, nicht zuletzt durch Luthers Vorstellungen von der mit Teufeln bevölkerten Welt, im 16. Jahrhundert kam. Auf die häufige Erwähnung von Hexenverbrennungen, Teufelsaustreibungen und Bekehrungsversuchen, die allein Erfurter Chroniken berichten, sei hingewiesen. In der von sozialen und religiösen Kämpfen erfüllten Zeit, in dieser von den Auseinandersetzungen zwischen mittelalterlich-mystischen und modern-naturwissenschaftlichen Vorstellungen gekennzeichneten Umwelt hat Faust gelebt. In seiner Gestalt treffen sich die genannten Strebungen, Kämpfe und Auseinandersetzungen. Durch diese Umstände wird uns Fausts Leben und Treiben erst recht verständlich. Uber die soziale Herkunft Fausts bieten die Quellen keine genauen Anhaltspunkte, doch können wir von dem Geburtsort Fausts auf seine Abkunft schließen. Knittlingen ist heute ein kleines Landstädtchen. Im 16. Jahrhundert war sein bäuerlicher Charakter noch wesentlich stärker. So stammt Faust wahrscheinlich nicht aus der schwachen bürgerlichen Schicht dieses Ortes, sondern eher aus der bäuerlichen. Vermutlich hat Faust in Knittlingen die damals bestehende Lateinschule besucht. Später gehört Faust zweifelsohne zu den fahrenden Gesellen, die, wie BeyerBiereye ausführen, „stets einen großen Zulauf hatten und reichlichen Lohn ernteten. Sie ergötzten nicht nur durch ihre Künste, sondern auch durch Erzählungen von wunderbaren Ereignissen in der Welt"72. Die unerträgliche Lage des Bauerntums im 16. Jahrhundert ist nicht zuletzt die Ursache für die Herausbildung einer Schicht der Fahrenden. Zu ihnen stieß Faust vielleicht, weil ihm die sozialen Verhältnisse keine andere Wahl ließen. Faust erhielt aber auch Zugang zu den Mächtigen der Zeit73, die den nun Weltgewandten offensichtlich für Wahrsagen, Horoskopbestimmungen und dergleichen benutzen wollten. Ebenso wie für die Herkunft Fausts gibt es kein eindeutiges Zeugnis für seine Stellung zu den religiösen Kämpfen der Zeit. Faust wird in dem Geist der vor 1500 allein herrschenden katholischen Lehre erzogen worden sein. Bis in die Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts ist ein Hinneigen zu der protestantischen Seite nicht feststellbar. Erst ein zweiter Aufenthalt in Erfurt nach 1520 und seine Begegnung mit protestantischen Kreisen in Wittenberg und Nürnberg lassen die Vermutung aufkommen, daß er sich der neuen Lehre gegenüber nicht ablehnend verhielt Jeden72 73
Geschichte der Stadt Erfurt. Bd 1. Erfurt 1935. S. 229. Man beachte seinen Aufenthalt beim Bischof von Bamberg und beim Erzbischof in Köln.
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falls ist Faust nicht streng katholisch geblieben. Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Bericht von Trithemius, der geradezu von kirchenfeindlichen Aussprüchen Fausts erzählt. Dadurch wird die Vermutung bestärkt, Faust sei Rationalist, d. h. Atheist oder Freidenker gewesen und habe sich kirchlichen Bindungen nach Möglichkeit entzogen74. Wir dürfen annehmen, daß das Aussprechen „ketzerischer Dinge" in der Öffentlichkeit75 das eigentliche Motiv für des Trithemius' Ereiferungen gewesen ist71. Daher ist die feindliche Einstellung der Kirchenkreise Faust gegenüber zu erklären. In der gleichen Weise stand Faust bei den Lutherischen in keinem guten Ruf. Luther lehnte ihn ab, sicherlich wegen des von ihm vermuteten Teufelsbündnisses. Und Melanchthon freut sich förmlich über die Ausweisung Fausts aus Wittenberg und Nürnberg. Fausts Beziehungen zur Naturwissenschaft sollen noch der Betrachtung unterzogen werden, ebenso sein Verhältnis zu den Gelehrten der Zeit. Obwohl ein akademischer Grad für Faust nicht nachweisbar ist und der Doktortitel als angemaßt angesehen werden muß, ist Faust doch mit einem größeren Wissen, als damals allgemein üblich, ausgestattet gewesen. Aus verschiedenen Zeugnissen ist zu entnehmen, daß Faust besonders naturwissenschaftliche und medizinische Kenntnisse besessen hat. Sicherlich hat er sich dieses Wissen selbständig, vielleicht durch Berührung mit Universitätskreisen angeeignet. Darüber hinaus wußte Faust die Menschen gut einzuschätzen und muß über suggestiv-hypnotische Fähigkeiten verfügt haben. Sein Auftreten in Lüxheim usw. deutet darauf hin. Seine Kenntnisse von Vorgängen in der Natur, die zu seiner Zeit nicht durchweg erklärbar waren, verstand er auszunutzen und mittels bombastischer Titulaturen, die er sich zulegte, anzupreisen. Dies dürfte ihm nicht zuletzt den Haß der humanistischen Gelehrten, deren Idealbild der ernsthaft Studierende und Lernende war, zugezogen haben. Die Anwendung noch nicht allgemein erklärter Naturvorgänge hat ihm, wie Agrippa und Paracelsus, schließlich den Ruf eines Magiers und Schwarzkünstlers eingetragen. Sicherlich wurden ihm auch seine Erfolge von den Gelehrten seiner Zeit geneidet. Deshalb sprechen sie immer wieder von Scharlatanerie, Geltungsbedürfnis und Ruhmredigkeit. So ist zu beachten, daß wir aus den Berichten der gelehrten Humanisten und Theologen kaum ein objektives 74
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Vgl. Castle, E.: Faust im Wandel der Jahrhunderte. In: Chronik des Wiener Goethe-Vereins. Bd 55. Wien 1951. S. 1. Parallelen hierzu gibt es übrigens bei Paracelsus (vgl. Paracelsus: Sämtliche Werke. Hrsg. von Aschner. Bd 4. Jena 1932. S. 329 usf.). Vgl. Reimann, P.: Hauptströmungen der deutschen Literatur 1750—1848. Berlin 1956. S. 612. 137
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Bild gewinnen. Wenn Faust auch nicht die philosophisch-naturwissenschaftliche Bedeutung eines Agrippa und eines Paracelsus erreichte, können wir heute sagen, daß er nicht der gewöhnliche Scharlatan war, wie bisher immer behauptet wurde. Faust nimmt eine Zwischenstellung zwischen den Gauklern und fahrenden Gesellen und den Naturphilosophen seiner Zeit ein. In welchem Maße Faust sich selbst aus mittelalterlichen Fesseln gelöst hatte, indem er sich naturwissenschaftliche Kenntnisse aneignete und für sich ausnutzte, ist schwer zu entscheiden. Gewiß aber war er vom Teufelsglauben und von magischen Vorstellungen des 16. Jahrhunderts nicht ganz frei. Das enge Verhältnis zum Volk, das selbst Trithemius zugibt, und seine besondere Wirkung auf die Volksmassen bedarf ferner einer kurzen Untersuchung. Breite Schichten des Volkes bewundern ihn, nicht nur seiner geheimnisvollen Gaben wegen, sondern weil sie in ihm das Bild eines besseren Daseins des Menschen sehen, der, ohne standesmäßige Vorurteile und Reichtümer zu besitzen, aus der Enge und Gebundenheit des mittelalterlichen Daseins herauswächst. Dies wird letzten Endes der Grund dafür sein, daß sein Leben und Treiben im Volke lebendig blieb, daß sich an seine Gestalt zahlreiche Anekdoten und Erzählungen anschlossen und sogar von Paracelsus, Trithemius und Agrippa von Nettesheim auf ihn übertragen wurden. Ich kann deshalb auch nicht der von Eliza Marian Butler in ihrem Werk „The Myth of the Magus" ausgesprochenen Ansicht zustimmen", wenn sie feststellt, daß Trithemius, Agrippa, Paracelsus und Nostradamus im 16. Jahrhundert weitaus berühmter als Faust waren und sie deshalb niemals vollständig mythologisiert worden wären. Eliza Butler meint schließlich, „Magier müßten entweder von Dunkelheit und Geheimnis umgeben sein zu ihrer eigenen Zeit oder zu bereits zurückliegenden Tagen gehören, ehe sie im Mythos wiedergeboren werden können." Diese Einschätzung gilt jedenfalls nicht für Faust. Der historische Faust bleibt in der mündlichen Überlieferung lebendig. Die wiederholten Erwähnungen in der Literatur tragen das Ihrige dazu bei. Allerdings konzentriert sich jetzt die Uberlieferung auf seine geheimnisvollen und magischen Kräfte, die, allmählich vergrößert und übertrieben, das Wunschbild eines Zauberers, der sich über die Misere der Zeit erheben kann, entstehen lassen, wie wir es kurz vor Abfassung des Faust-Buches finden. Es wandelt sich jetzt die Gestalt des historischen Faust in die des Magiers und Zauberers, wobei das Ringen um naturwissenschaftliche Kenntnisse und philosophische 77
Cambridge 1948. S. 143-144.
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Erkenntnisse der Menschen im 16. Jahrhundert mitschwingt, auch bei der Herausbildung der Faust-Historie. Mit der Abfassung des Faust-Buches von 1587 tritt eine erneute Verwandlung der Gestalt Fausts ein. Durch reformatorische Einflüsse wird aus dem so überaus lebendig gebliebenen Faust ein abschreckendes Bild des dem Teufel verfallenen Menschen. Zitieren wir die „Historie von D. Johann Fausten", die vom Herausgeber „als erschrecklich Exempel, dem Teufel abzusagen und mit Christo selig zu werden", vorgeführt wird. Das Faust-Buch stellt, indem es als protestantisches Schulbeispiel entsteht, nach meiner Ansicht eine Abbiegung der Volkstradition dar; aber bereits Marlowe rückt von dieser betont reformatorischen Tendenz in „The Tragicall History of Doctor Faustus" ab. Auf die zahlreichen anderen Probleme, die die Entstehung des FaustBuches aufwirft, können wir hier nicht eingehen. Diese Momente bedürfen einer speziellen Untersuchung.
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Hans Henning Nach 500 Jahren - unsere Kenntnisse vom historischen Faust Vor zwei Jahren hätte ich, nach Fausts mutmaßlichem Geburtsjahr befragt, ohne Zögern und mit sicherer Stimme wohl 1480 genannt Heute glaube ich, daß wir 1980 die „Natalis Fausti" dieses merkwürdigen Menschen zwei Jahre zu spät feiern. Da ist nämlich inzwischen eine „Hypothese" mit dem Titel „Fausts Geburtstag" in die Welt gegangen, die von einem in Faustids bewanderten Autor verfaßt wurde; ich meine Günther Mahal, der das Geburtsjahr 1478 aus dem Bericht des Rebdorfer Priors Kilian Leib erweislich gemacht. Die Prüfung und Interpretation der kurzen Angaben über unseren Faust mit der Einbeziehung der Planetenstellung, also von astronomischem Wissen und auch ein wenig „astrologischem Gespür", hat soviel Wahrheitsgehalt für sich, daß wir mit einer 500-Jahr-Feier des historischen Faust wohl etwas zu spät kommen. Doch sei es wie es sei. Es geht um eine historische Figur, die einen unermeßlichen Strom geistiger, literarischer und künstlerischer Entwicklung ausgelöst hat. Und wenn kaum jemals eine lückenlose Biographie des historischen Faust geschrieben werden wird, da die Anhaltspunkte dafür zu gering sind, so können wir doch eine Vorstellung von jenem seltsamen Manne in einigermaßen festen Umrissen gewinnen. Versuchen wir aufs neue, die Gestalt „aus dem Dunkel des 16. Jahrhunderts zu heben". Fragen wir weiter und auf anderem Wege nach dem Geburtsjahr Fausts, wie wir es bis in die letzte Zeit gewöhnt waren. Der Text mit Schlüsselcharakter lag und liegt mit des Trithemius Brief vom 20. August 1507 an den Mathematiker Johann Virdung vor. Wie wir wissen, beschreibt die Epistel eine Beinahe-Begegnung im Jahre 1506 in der Nähe von Gelnhausen, einen Magister mit magischen Fähigkeiten und einem unüblichen Verhältnis zu Kirche und Kirchenlehre, einen Aufenthalt im gleichen Jahre (1506) in Würzburg und eine Anstellung Fausts als Schulmeister 1507 in Kreuznach. Wenn wir davon ausgehen, daß eine Lateinschule etwa mit 16 Jahren beendet sein konnte, sich vielleicht eine weitere Ausbildung bis zu einem Lehrer möglicherweise an einer Universität - anschloß, so ist dieser Faust, von dem Trithemius berichtet - ein selbstbewußter Scholast von einigermaßen Einfluß auf die Zeitgenossen - wenigstens um die 25 Jahre alt gewesen. Durch Rückrechnung erhielten wir eben jenes Jahr 1480. Wenn dann die Ergebnisse von Günther Mahal stimmen, so war das gar nicht so falsch angesetzt. Genauer: einem 28jährigen Faust ist Trithemius mit Konkurrenzgefühlen
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begegnet oder - umgekehrt - Faust wich ihm aus, denn er „konnte von Niemand überredet werden, sich mir (Trithemius) vorzustellen". Dies also war es, von dem wir im allgemeinen ausgegangen sind. Nicht weniger einfach verhält es sich mit dem Geburtsort Nehmen wir Melanchthon als Kronzeugen: „Ich habe einen gekennt, mit namen Faust von Kundling, (ist ein kleines Stättlein, nicht weit von meinem Vatterland)...". Wie aus der Vergleichung mit Knittlinger und Maulbronner Überlieferungen hervorgeht, spricht viel für Knittlingen, wenngleich bei Melanchthon gewiß Fragen offenbleiben. Auf der anderen Seite gibt es keine größere Glaubwürdigkeit für eine andere Stadt oder für eine andere, kleinere Ortschaft Ich muß natürlich einschalten, daß Leibs Nachricht von einem „Georgius faustus helmstetensis" und Aussagen von Zeitgenossen die Situation verwirren - doch müssen er und andere unzweifelhaft von dem Geburtsort berichtet haben? Kann nicht einfach die damalige Wohnstatt angenommen werden? Ich komme später auf diesen Punkt und damit auf Frank Barons Auslegungen zurück. Verfolgen wir Fausts Lebensfaden bis zum Tode, damit sich Anfang und Ende als unauflösliche Extreme berühren; „les extrimes se touchent" mag das Motto hierfür sein. Unter Berufung auf des Arztes Begardi „Index sanitatis" (1539), die Zimmerische Chronik mit den Angaben aus dem Jahre 1540/41 und auf des Pfarrers Gast „Sermones convivales" (1548) legen wir das Todesjahr auf 1540. Diese Berichte reden in der Vergangenheitsform wie „hin ist hin", „Einst kehrte ...", „Als ich . . . mit ihm . . . speiste, und „dem Fausto, ergangen". Entscheidend ist gerade Begardi mit dem Satz: „Aber was soll man nuon darzuthuon, hin ist hin, ich will es jetzt auch do bei lassen . . U n d noch eindeutiger ist die Aussage der Zimmerischen Chronik in der zweiten Faust-Erwähnung: „Es ist auch umb die zeit der Faustus zu oder doch nit weit von Staufen, dem stetlin im Breisgew, gestorben . . Das „umb die zeit" bezieht sich auf die Abhaltung des Reichstages zu Regensburg von 1541. Danach haben wir als Todesjahr 1540 oder 1541 anzunehmen. Ich spreche, wie dies oft in Shakespeare-Stücken geschieht, „aside": das 450. Todesjahr wäre also 1990 oder 1991 wiederum würdig zu begehen... Es ist gut, vor weiteren Auslegungen, Thesen und Hypothesen an die im Falle Fausts vorhandenen Quellen zu erinnern. Auf den Grund gehende Analysen halten sich zunächst an archivalische Dokumente. Die Rechnungsführung vom Bamberger Bischof ist überliefert und damit Fausts Bezahlung für astrologische Dienste in Bamberg 1520. Den nächsten Beleg stellt das Ingolstädter Ratsprotokoll dar, wonach Faust 1528 aus dieser schönen Stadt an der Donau ausgewiesen wurde. Von ähnlichen Umständen mit Faust sprechen die Nürnberger Ratsverlässe. O b Faust 1532 die Erlaubnis zum Betreten der alten Reichsstadt oder ob ihm freies Geleit, also Schutz, versagt wurde, wissen wir nicht sicher. Auf jeden Fall wurde ihm ein Ansinnen
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mit diesem oder jenem Zweck „ablainen", abgelehnt. Mit 1520,1528,1532 wird eine Spanne von zwölf Jahren im Leben Fausts sichtbar. Ich sehe keinen Grund, und das möchte ich hervorheben, an der Übereinstimmung der urkundlichen Quellen zu zweifeln. Mit großer Sicherheit können wir bestimmen, daß damit von ein und demselben Faust die Rede ist, unabhängig davon, ob die Überlieferungen von einem Doktor, einem Philosophen, einem Wahrsager, Sodomiten oder Nigromanten zeugen. Problematischer sind die Briefe von Zeitgenossen wie Trithemius und Mutianus, die Äußerungen Luthers und Melanchthons in Gesprächen mit Freunden und die indirekten Berichte über Faust von Philipp von Hutten,Joachim Camerarius und Minucci. Wie wir wissen, erhalten wir dennoch einige Gewißheit vom Treiben in Gelnhausen, Nürnberg, Kreuznach, Erfurt, Köln und Wittenberg, wenngleich übertriebene Urteile, gefärbte Ansichten und bewußte Verdrehungen ausgesprochen werden. Einzig Leibs Eintragung in sein Tagebuch über den Witterungsablauf müssen wir emster nehmen, da die Niederschrift aus den von Mahal genannten Gründen für das Geburtsjahr wichtig sein kann. Anders und schwieriger verhält es sich mit anekdotenhaften Erzählungen in der gedruckten Literatur. Begardi (1539), Gast (1548) und Wieras (1568) stehen zwar der erwiesenen Lebenszeit nahe, belegen auch manche deutbare Einzelheit, aber im allgemeinen geht daraus nur eine vage Vorstellung von biographischen Daten, Umständen und Verhaltensweisen hervor. Leider ist manche Quelle als verloren zu bezeichnen. Als Beispiel erwähne ich den Antwortbrief des Würzburger Ratsherrn Daniel Stibar an Joachim Camerarius, vorausgesetzt, er ist jemals geschrieben worden. Camerarius hatte 1536 etwas über die politischen Aussichten wissen wollen und sich deshalb an Stibar gewandt, der sich ja „sorgfältig nach allem erkundigt" hatte. Eine solche Auskunft wäre uns ein wichtiges Zeugnis zu Faust geworden. So müssen wir uns mit dem begnügen, was Urkunden, Briefe, Niederschriften, Gespräche und Erzählungen aussagen. Es ist nicht wenig, was uns hilft, ein Bild des historischen Faust zu entwerfen, dessen Existenz vielfach bezeugt und dessen Vorname Georg überliefert ist. Vergegenwärtigen wir uns vorerst die sozialen und geistigen Bedingungen und Verhältnisse an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert Diese Jahrzehnte sind gekennzeichnet durch gewaltige Veränderungen. In dieser Zeit ist ganz Deutschland in Bewegung und Aufruhr. Der Feudalismus verfallt Mit aller Rücksichtslosigkeit sucht er seine Positionen durch Unterdrückung namentlich der bäuerlichen Bevölkerung zu halten. Dem niederen Adel werden die ökonomischen Grundlagen seiner politischen Unabhängigkeit mit der Herausbildung neuer gesellschaftlicher Verhältnisse entzogen, und er
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versucht, durch verschiedene Aufstände (Franz v. Sickingen u. a.) zu verhindern, was nicht mehr aufzuhalten ist. Die Bauern stehen auf gegen ihre' Fronherren. Soziale Gegensätze werden in blutigen Kämpfen ausgetragen. Neue gesellschaftliche Kräfte betreten das Forum: die bürgerliche Gesellschaft bildet sich in den ersten Anfängen mit dem beginnenden Frühkapitalismus heraus. Mit diesen gesellschaftlichen Veränderungen gehen ebenso weitreichende geistige Umwälzungen einher. Nach Luthers Thesenanschlag setzt die Reformation ein. Der Kampf gegen die katholische Kirche als Stütze des alten Feudalsystems beginnt, und der Protestantismus wird zum Träger der Bestrebungen des aufkommenden Bürgertums. Damit ist das System der dogmarisch-scholastischen katholischen Lehre zerstört Ungefähr gleichzeitig erschließt das Wirken der Humanisten dem menschlichen Denken neue Bereiche; mit dem Zugang zum Altertum tut sich eine neue Welt auf. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts hat mit der Erfindung der Buchdruckerkunst eine Kulturbewegung allergrößten Ausmaßes eingesetzt. Der Mensch löst sich aus der Gebundenheit mittelalterlicher Vorstellungen. Ein Umsturz des bisherigen Weltbildes wird durch die Entdeckung Amerikas (1492) und die Forschungen eines Kopernikus hervorgerufen. Mit dem Schwinden mittelalterlicher Beschränktheit wird auch der Weg für einen Aufschwung der Naturforschung frei. Naturwissenschafdiche Kenntnisse erfahren ihre erste Ausbreitung. In dieser Situation der Übergangszeit ist es verständlich, daß sich Reste des mittelalterlichen Weltbildes zunächst erhalten. Viele Vorgänge in der Natur können noch nicht geklärt werden. Manche neuen Erkenntnisse werden vom mittelalterlichen Glauben überschattet Das Streben „nach Allwissenheit, nach unbeschränkter Aktivität, nach unbegrenztem Genuß des Lebens", mündet vielfach wieder in mittelalterliche Vorstellungen ein. Nur daraus ist es zu erklären, daß der nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen strebende Mensch, der die Natur seiner Herrschaft unterwerfen will, sich in die Arme der Magie wirft und mit ihrer Hilfe Wissen, Macht und Ruhm zu erlangen hofft. Zitieren wir hier Jean Bodin, den französischen Gelehrten des 16. Jahrhunderts, der gegen die „Zauberer, Hexen vnnd Hexenmeister" zu Felde zog. Bodin sagt: „so vnterscheidet er (es ist von dem Zauberer Philo die Rede) zwischen der Natürlichen Magy, welche er Physicisch nennet, vnd [der anderen] deren sich die Beschwerer, Teufelsaußtreiber, Schwartzkünstler vnnd sonst Zaubergesind" bedienen. Auf der einen Seite also Anerkennung des Strebens nach naturwissenschaftlichen Kenntnissen - im 16. Jahrhundert zumeist als „weiße (oder natürliche) Magie" bezeichnet - auf der anderen Hinweis auf ihre mißbräuchliche An-
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wendung als, von Bodin ernst genommene und verpönte, sogenannte „schwarze Magie". Wir können uns heute nicht mehr vorstellen, zu welcher Blüte der Glaube an Zauberei, Hexenunwesen und Teufelskünste, nicht zuletzt durch Luthers Vorstellungen von der mit Teufeln bevölkerten Welt, im 16. Jahrhundert kam. Auf die häufige Erwähnung von Hexenverbrennungen, Teufelsaustreibungen und Bekehrungsversuchen, die allein Erfurter Chroniken berichten, sei hingewiesen. In der von sozialen und religiösen Kämpfen erfüllten Zeit, in dieser von den Auseinandersetzungen zwischen mittelalterlich-mystischen und modernnaturwissenschaftlichen Vorstellungen gekennzeichneten Umwelt hat Faust gelebt In seiner Gestalt treffen sich die genannten Bestrebungen, Kämpfe und Auseinandersetzungen. Durch diese Umstände wird uns Fausts Leben und Treiben erst recht verständlich. Auffallig sind die ketzerischen Äußerungen, von denen Trithemius berichtet, die Hinweise auf Zauberei oder Gaukelei, auf Wahrsagen und astrologische Hilfsmittel, die mehrere andere Zeitgenossen anführen. Wieviel Neid oder wirkliche Kritik mitschwingt, wissen wir nicht Besonders deudich tritt jedoch eine Eigenschaft hervor, die nicht unterschätzt werden darf: das ist der Eindruck auf die Mitmenschen, wenn Faust sich in seinem Element beweist. Und da sind es naturwissenschaftliche Kenntnisse, die er dem noch weitgehend unwissenden Volk vorfuhrt. Oder sollen wir sagen, er bewegt sich auf der Grenze von objektiver Wissenschaft mit noch unerklärbaren Phänomenen und skrupelloser Anwendung se'ner Kenntnisse? Im Gewände des mittelalterlichen Magiers verfahrt er eigenwillig mit dem neuzeidichen Wissen. Zweifelsohne ist unter diesen Verhüllungen auch die große Renaissancegestalt und der bürgerliche Gelehrte erkennbar, den die Menschen in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts bewunderten, gewiß auch seiner besonderen Fähigkeiten wegen, die eine andere als die gewöhnlich aussichtslose Daseinsform der Menschen erkennen ließ. Also eine Hoffnung, ein Ausweg, eine Ausweggestalt wird erahnt stilisiert ausgebildet von der neue Wirkungen ausgehen. Andere, weniger eindeutig zu klärende Fragen benenne ich, auch wenn es dafür diesen oder jenen Anhaltspunkt gibt. Ich zähle auf: die Herkunft aus den vorhandenen sozialen Schichten, die Zugehörigkeit zum Stand des Gelehrten, die Zulässigkeit des Doktor- oder Magistertitels, das Verhältnis zur katholischen Lehre bzw. zu der damals fortgeschritteneren Glaubensform des Luthertums. Wesendich eindeutiger ist der Umgang mit den damals Mächtigen, wovon Trithemius berichtet. Vor allem ist eine Zuordnung zu den Zentren der frühbürgerlichen Kultur naheliegend, was aus dem Aufenthalt in den großen Städten mit beginnender kapitalistischer Produktion und gewinnträchtiger Handelstätigkeit hervorgeht.
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Ich komme nun zu einem Dreh- und Angelpunkt in der Analyse und Interpretation der Quellen, wobei ich auf die Arbeit von Frank Baron eingehe. Indem die Bezeichnungen „Helmstetensis" und „Hedelbergensis" angeführt werden, wird die These, Faust stamme aus „Helmstadt bei Heidelberg", entwickelt. Entscheidet man sich mit Schottenloher und Beutler für den in den Heidelberger Matrikeln auftauchenden Georg Helmstetter, dann wird davon natürlich die Deutung sämdicher Quellen beeinflußt Die kühne Identifizierung zwischen Georg Helmstetter - hier wird der Name Fausts eben nicht genannt, was höchst wichtig ist! - und dem Faust aus Heidelberg oder aus Helmstedt bzw. Helmstadt bei Heidelberg kann ich nun einmal nicht nachvollziehen, weil dieser These die letzte Beweiskraft fehlt. Nach Baron gehört dann auch die historische Persönlichkeit der Gelehrtenwelt an; Name, Titel und ruhmselige Übernamen, die eben die Leute faszinieren sollten, werden nun für bare Münze genommen. Ich gehe deshalb auf diese Annahmen ein, weil hiermit die beiden sich gegenüberstehenden Auffassungen - hier jene von Baron entworfene Faust-Gestalt, dort die u. a. von mir vertretene Auslegung der Quellen - am deudichsten hervortreten. Ich komme zum Schluß meiner Darlegungen. Es bestehen nur gennge Aussichten, neue Urkunden und Quellen für Fausts Existenz zu entdecken. Verhältnismäßig selten dürften bekannten Quellen gänzlich neue Gesichtspunkte abzugewinnen sein. Ein überzeugendes Beispiel liegt mit Günther Mahals Schrift „Fausts Geburtstag" vor. Die Faust-Forschung konnte und kann demnach gewisse Konturen für ein Bild des historischen Faust herausarbeiten, feststellen, was sich als einigermaßen sicher erweist. Dennoch tun wir gut daran, mit etwas Distanz die Fakten zu betrachten, die Quellen mit Vorsicht und Understatement zu mustern bzw. nicht zu weitgehend auszulegen. Trotz aller Bemühungen blieb und bleibt manches durchaus im vagen. Möglicherweise erlaubte gerade dieser Umstand die ersten literarischen Ausprägungen des Stoffes über Roßhirt, Hogel und die „Historia". Und war dies nicht auch die Voraussetzung einer gänzlich neu konzipierten Menschheitsdichtung, eben für Goethes „Faust"?
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HANS H E N N I N G
DAS F A U S T - B U C H V O N 1 5 8 7 SEINE ENTSTEHUNG, SEINE QUELLEN, SEINE WIRKUNG*
I. Einleitung Nachdem 1892, 1911 und 1914 von Gustav Milchsack1, Robert Petsch3 und Josef Fritz3 die wichtigsten Fassungen der „Historia Von D. Johann Fausten" in guten Editionen vorgelegt worden waren, ist die Forschung über das vielleicht wichtigste Literaturerzeugnis des 16. Jahrhunderts nicht recht weiter gekommen. Der Grund scheint mir in den zuerst von Witkowski vorgebrachten, später von Petsch ausführlicher dargelegten Hypothesen über die Vorgeschichte der „Historia" zu suchen zu sein. Die komplizierte Beweisführung mußte vor einer erneuten Beschäftigung mit der Materie geradezu abschrecken. Lediglich Herbert Müller4 hat 1923, allerdings von Witkowski und Petsch ausgehend, den ernsthaften Versuch unternommen, mit Hilfe von Sprachstudien Neues über den unbekannten Verfasser beizubringen. Seit seiner Dissertation ruhten alle Bemühungen um das Faust-Buch von 1587, und erst in jüngster Zeit gibt es erneute Ansätze zu Forschungen über die „Historia". Wenn ich das Thema „Faust-Buch" aufgreife, so geschieht es in der Absicht, auf das in den letzten Jahrzehnten von der Forschung vernachlässigte Kapitel der deutschen Literaturgeschichte hinzuweisen. Dabei möchte ich unsere Kenntnisse hinsichtlich der Entstehung des Faust-Buches einer Kritik unterziehen und die bisher nicht geklärte Frage, warum es zu seiner Abfassung kam, behandeln. Einleitend wird es nötig sein, einen kurzen Eindruck vom Inhalt und Charakter des Werkes zu geben. In den weiteren Ausführungen soll die Aufnahme durch die Zeitgenossen gestreift werden. In diesem Zusammenhang ist es aus Raumgründen jedoch nicht möglich, die Druckgeschichte bis 1598 darzustellen und neue Ergebnisse hinsichtlich der Genealogie und Bibliographie vorzutragen. • Oberarbeitete· Manuskript eines Vortrags, der am 9. März 1959 im Goethe-Nationalmuseum zu Weimar gehalten wurde. 1 Historia D. Johannis Faustl des Zauberers nach der Wolfenbüttel er handschrlft nebst dem nachweis eines teils ihrer quellen hrsg. von Gustav Mildisack. Wollenbüttel ltti. CCCXCZV, 134 s. [Zitierung: MUchiack]. I Das Volksbuch vom Doctor raust (Nach der ersten Ausgabe, 1517.) 1. Aufl. hrsg. von Robert Petsdi. Halle 1111. LVI, Mt s. [Zitierung: Petsch). 3 Das Volksbuch vom Doktor Faust. Nach der um die Erfurter Geschichten vermehrten Fasaung hrsg. u. elngel. von Josef Fritz. Balle Iii«. XLIV, 134 S. (Zitierung: Fritz). 4 Historie Doctor Johannis Fausti. Diss. Rostock IMS. IV, 41 S. — Zu erwähnen 1st femer die das Faust-Buch in einen größeren Zusammenhang stellende Grelfswalder Habilitationsschrift von Lutz Mackensen: Die deutschen Volksbücher. Leipzig im. X, IM S.
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Dat Fou*t-B«ich von 1587
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Bevor ich auf das Faust-Buch eingehe, sei es mir gestattet, an meine Studien über den historischen Faust zu erinnern5. Als Ergebnis hielt ich damals fest, daß Faust tats&chlich gelebt hat und daß es eine ganze Reihe von Zeugnissen aus der ersten Hälfte dee 16. Jahrhunderts für seine Existenz gibt. Wir wissen, Faust hat sich 1506 in Gelnhausen, 1507 in Kreuznach, 1513 in Erfurt, 1520 in Bamberg, 1528 in Ingolstadt, 1532 in Nürnberg, kurze Zeit darauf in der Kölner Gegend und in den Jahren 1534—1536 in Nürnberg und Würzburg aufgehalten. Um 1540 oder 1541 starb er in Staufen im Breisgau. Als Quellen galten uns die urkundlichen Zeugnisse Bambergs, Ingolstadts und Nürnbergs sowie die Mitteilungen bekannter Zeitgenossen und die Nachrichten der Zimmerischen Chronik. Zur Person Fausts ließ sich feststellen, daß er über bestimmte naturwissenschaftliche und medizinische Kenntnisse verfügte, obwohl er nicht die Bedeutung eines Paracelsus oder Agrippa von Nettesheim erreichte. Für sein Lebendigbleiben im Volke führten wir eine Reihe von Fakten an. Mit der Charakterisierung von Inhalt und Gestaltung seines Lebens und Treibens im Faust-Buch wird sogleich deutlich werden, welche Entwicklung von der historischen Gestalt zur literarischen Manifestation erfolgt ist. Nicht der Lebensweg des historischen Faust wird im Faust-Buch gestaltet, sondern eine Abstraktion des am Glauben Zweifelnden und nach gewagten Erkenntnissen Strebenden. II. Inhalt und Gestaltung Wenn wir uns nunmehr dem Faust-Buch zuwenden wollen, ist festzustellen, daß es uns in erster Linie um die Editio princeps von 1587 zu tun ist. Die nachfolgenden erweiterten Fassungen und die 1599 erschienene, völlig neue Bearbeitung Widmans* werfen ebenso wie die vorausgehende Wolfenbütteler Handschrift Probleme auf, die in diesem Rahmen nicht erschöpfend behandelt werden können. Wir werden die besonderen Fassungen jedoch an den Stellen heranziehen, wo es geboten erscheint. Betrachten wir die äußere Gestaltung des Buches. Der Titel lautet: „Historie Von D. Johann Fausten, dem weitbeschreyten Zauberer vnnd Sdiwartzkünstler, Wie er sich gegen dem Teuffei auff eine benandte zeit verschrieben, Was er hierzwischen für seltzame Abentheuwer gesehen, selbs angerichtet vnd getrieben, biß er endtlich seinen wol verdienten Lohn empfangen." Als Erscheinungsvermerk finden wir: „Gedruckt zu Franckfurt am Mayn, durch Johann Spies. M.D.LXXXVII." Auf das Titelblatt folgt die Vorrede des Buchdruckers an „Den ehrnhafften, Wolachtbaren vnnd Fürnemmen Caspar Kolin, Churfürstlichem Meyntzischen Amptschreibem, Vnd Hieronymo Hoff, Renthmeistern in der Graffschafft Königstem", ferner die „Vorred an den Christlichen Leser". Die „Historie Von D. Johann Fausten" selbst macht 227 Seiten Oktav aus, eingeteilt in 68 (genauer 69) Kapitel, die übrigens nur im angehängten Register gezählt 5 Faust als hlstorlsdie Gestalt. In: Goethe-Jahrbuch. Bd 21. Weimar 1»S9. S. 107-139. t Zitierung des Titels Im letzten Abschnitt der vorliegenden Studie.
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werden. Abgesehen von der Kapiteleinteilung ist die gesamte „Historie" zu drei Abschnitten zusammengefaßt. Zum ersten Teil, der nicht besonders überschrieben und bezeichnet ist, gehören die Kapitel 1—17. In ihnen wird von Fausts Geburt in einem Dorf Rod bei Weimar, seinem Studium in Wittenberg, seiner ärztlichen Tätigkeit, der ersten Beschwörung des Teufels, seinen drei Disputationen mit dem Geist Mephostophiles, die Verschreibung auf 24 Jahre, der Dienstbarkeit von Fausts Geist und verschiedenen Unterhaltungen mit dem Teufel über die Hölle und ihre Hierarchie berichtet Im zweiten Abschnitt, überschrieben „Folget nun der ander Theil dieser Historien, von Fausti Abenthewren vnd andern Fragen", wird Faust als ein Astrologe und Kalendermadier vorgestellt. Astronomische und astrologische Fragen richtet Faust an den Teufel. Hinzu treten Ausführungen über die Teufelswelt, und schließlich erleben wir Fausts erste Höllenfahrt und Himmelfahrt. Im Kapitel 26 tritt Faust die Reise an, die ihn in die Welt führt, durch Deutschland und die Türkei, nach Kreta, Ägypten, Britannien, Indien usw. Fragen, die Faust über die Sterne, die Geister, die Meteore und den Donner stellt, werden in weiteren Kapiteln beantwortet. In dem „dritt vnnd letzte Theil von D. Fausti Abenthewer, was er mit seiner Nigromantia an Potentaten Höfen gethan vnd gewircket", erleben wir Fausts Treiben als Schwarzkünstler und Zauberer an Fürstenhöfen und sein „jämmerliches und erschreckliches End vnnd Ahschiedt". In den Kapiteln 33 &. erfahren wir von den Beschwörungen am Hofe des Kaisers, von den böswilligen Scherzen, die Faust mit Rittern und Bauern geübt, seinen Betrügereien an Roßtäuschern und von seinen Zauberkunststücken. Im 52. Kapitel wird Fausts Bekehrung durch einen alten Arzt versucht, aber sogleich verschreibt er sich erneut d a n Teufel. Audi von Fausts „Bullschafften" wird berichtet. In dem letzten Teil begegnen wir einem besonderen Abschnitt, der die Kapitel 60 bis Schluß umfaßt. Für ihn lautet die Überschrift: „Folget nu was Doctor Faustus in seiner letzten Jarsfrist mit seinem Geist vnd andern gehandelt". Zur Darstellung kommt das 24. und letzte Jahr seiner Verschreibung. Dieser Abschnitt beginnt mit der Anfertigung des Testaments und der Einsetzung seines Dieners Wagner als Erben, um mit Fausts Jammern und Klagen (so Kapitel 63: „Doctor Fausti Weheklag") über das herannahende böse Ende fortzufahren. Dem Klagen und Jammern Fausts sind allein vier Kapitel eingeräumt Dazwischengeschoben wurde eine Erzählung, in welcher „der böse Geist" Faust in hämischer Weise zusetzt Die beiden letzten Kapitel berichten von Fausts „greuwlichem vnd erschrecklichem Ende" und von Fausts Vermahnung „an die Studenten". Soweit die „Historia". Wie aus der stichwortartigen Schilderung des Handlungsverlaufs hervorgeht, erzählt uns das Faust-Buch die Vorbereitung auf das Teufelsbündnis und die eigentliche Verschreibung (im 6. Kapitel). Die Unterzeichnung des Paktes mit Fausts eigenem Blut bildet einen Höhepunkt. Der f ü r 24 Jahre gültige Kontrakt
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wird abgedruckt. Fausts Leben und Treiben nach dem Verbündnis mit ^ dem Teufel und sein Drang nach Erforschung des Himmels und der Erde sowie Fausts Tod nach Ablauf der 24 Jahre machen den weiteren Inhalt aus. Erkennbar ist eine deutliche Dreiteilung des Buches in Disputation, phantastische Rasebeschreibung und Schwankform (vor allem in den Kapiteln 45—48 der „Faßnachtsgeschichrten") mit rhetorischem Abschluß7. Formal kann das Faust-Buch weder als Roman noch als Erzählung gelten. Die Handlung schreitet nicht stetig von Kapitel zu Kapitel fort. Einzelne Geschichten, oftmals anekdotisch pointiert, werden erzählt. Wir haben es also mit einer Frühform der romanhaften Gestaltung zu tun. Die Art der Komposition, das lose Aneinanderreihen von Begebenheiten aus Fausts Leben und Treiben, bietet ein getreues Spiegelbild der gesellschaftlichen Situation. Das Bürgertum stellt im 16. Jahrhundert noch keine deutlich herausgebildete Klasse dar. Man muB in dieser Hinsicht an die Entstehung einzelner städtischer Zentren denken. Erste Ansätze zu einer klaren Frontbildung des städtischen und bürgerlichen Seins sind zwar bekannt, etwa die Hanse und der Schwäbische Städtebund, aber es gibt noch keine fest umrissene Vorstellung von der Gemeinsamkeit in dieser Vorform der bürgerlichen Gesellschaft, aus der das Faust-Buch erwachsen ist. Ein Roman als Spiegelbild der bürgerlichen Klasse kann deshalb noch gar nicht geschrieben werden. Parallelen bieten etwa Rabelais oder Fischart, Dedekinds „Grobianus", Wickrams „Rollwagenbüchlein" oder Krügers „Hans Clauert". So besitzen wir auch im Faust-Buch keinen Roman, sondern eine Aneinanderreihung von Geschichten. Zu den einzelnen Erzählungen treten Betrachtungen über theologische Gegenstände und über naturwissenschaftliche Themen, die Faust oft völlig aus dem Spiele lassen. Gerade das philosophische Moment hat dazu geführt, das Faust-Buch statt als erzählendes Werk als ein weltanschauliches zu werten8. Zuweilen erinnert die Ausführung an dramatische Elemente, so in den Zwiegesprächen der Disputationsszenen. Dies hat Herman Grimm veranlaßt, unbegründeterweise an eine dramatische Vorlage zu denken·. Im übrigen ist festzustellen, daß die Gestaltung eine sehr einfache, anspruchslose, manchmal sogar kunstlose oder ungekonnte ist. Vergleicht man das Faust-Buch jedoch mit anderen zeitgenössischen Werken ähnlicher Art, etwa dem „Claus Narr" (1572), so schneidet es nicht schlechter ab. Der Vorwurf, es sei ein elendes Machwerk, ist nicht berechtigt, auch dann nicht, wenn man es unzulässigerweise an der Kunstform des modernen Romans oder auch nur an dem epischen Gestaltungsvermögen des 18. Jahrhunderts mißt. Sieht man es im Zusammenhang mit der literarischen Entwicklung im 16. Jahrhundert und vergleicht man es mit der erreichten 1 Vgl. Petsch, s. x x v . > Inge Gaertner: Volksbücher and Faustbücher. Eine Abgrenzung. Diss. Göttingen lMl. VHI, 221 S. — Die Verfasserin konstruiert einen Unterschied zwischen „Volksbüchern" und .Faustbüchern". 9 Die Entstehung des Volksbuches vom Dr. Faust. In: Preußische Jahrbücher. Berlin IUI. Bd 47. S. «»-462. - Der Aufsatz 1st audi enthalten In K. G.: Fünfzehn Essays. F. 3. Berlin 1U2. S. 1*2—21·.
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Höhe der Gestaltungskunst in dieser Zeit, kommt man zu folgendem Schluß: Das Faust-Buch kann sich durchaus, was die künstlerische Meisterschaft anbelangt, unter d e n Schwankbüchern, Anekdotensammlungen, Erzählungen und Geschichten-Büchem (Volksbüchern) zwischen 1500 und 1600 behaupten 1 0 . III. Tendenzen
des Faust-Buches
und Gründe für seine
Abfassung
Hinsichtlich der Tendenz stellt das Faust-Buch eine kirchliche Warnung an den Leser dar, dem bösen Beispiele Fausts zu folgen. Der Leser soll von allen heimlichen und offenen Wünschen, sich mit Hilfe des Teufels aus den gegebenen Konventionen zu lösen, abgehalten werden. Bereits im Titel heißt es: „allen hochtragenden, fürwitzigen vnd Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel, abscheuwlichen Exempel, vnd treuwhertziger Warnung zusammen gezogen, vnd in den Druck verfertiget." Das ist das Anliegen des Schreibers und Herausgebers. Es wird unterstrichen durch· Bemerkungen in der Dedikation an Caspar Kölln und Hieronymus Hoff, wo wir lesen „der gantzen Christenheit zur w a r n u n g " bzw. „als ein schrecklich Exempel deß Teuffeiischen Betrugs, Leibs vnd Seelen Mords." 11 Das ist der Tenor der ganzen „Vorred an den Christlichen Leser". In deren letzten Absatz finden wir beispielsweise 12 : „Damit auch niemandt durch diese Historien zu Fürwitz vnd Nachfolge möcht gereitzt werden, sind mit fleiß vmbgangen vnnd was sonst darin ärgerlich seyn möchte, vnnd allein das gesetzt, was jederman zur Warnung vnnd Besserung dienen mag. Das wollest d u Christlicher Leser zum besten verstehen, vnd Christlich gebrauchen." Ja, der Autor war sich bewußt, daß selbst diese massive Warnung noch nicht ausreichen möchte. Er hat deshalb gefährliche Beschwörungsformeln im Text ausgelassen. Zusammengefaßt werden diese Gedanken noch einmal im letzten Absatz der „Historie". Ich zitiere 13 : „Also endet sich die gantze warhafftige Historia vnd Zäuberey Doctor Fausti, darauU jeder Christ zu lernen, sonderlich aber die eines hoffertigen, stoltzen, fürwitzigen vnd trotzigen Sinnes vnnd Kopffs sind, GOtt zu förchten, Zäuberey, Beschwerung vnnd andere Teuffelswercks zu fliehen, so Gott ernstlich verbotten hat, vnd den Teuffei nit zu Gast zu laden, noch jm räum zu geben, wie Faustus gethan hat. Dann vns hie ein erschrecklich Exempel seiner Verschreibung vnnd Ends fürgebildet ist, desselben müssig zu gehen, vnnd Gott allein zu lieben, vnnd für Augen zu haben, alleine anzubeten, zu dienen vnd zu lieben, von gantzem Hertzen vnd gantzer Seelen, vnd von allen Kräfften, vnd dagegen dem Teuffei vnnd allem seinem Anhang abzusagen, vnnd mit Christo endtlich ewig selig zu werden." 10 Nach Lutz Mackensen weist das Faust-Buch alle charakteristischen stllelgentilrr.llchkelten der ErzAhlliteratur des 16. Jahrhundert auf: Freude am Reden, direkte Rede, Nebenelnanderstellen von Synonyma, Gebrauch von Fremdwörtern, Ihre Erklärung und das Gegenüberstellen des deutschen Begriffs, Anführung eines allgemein bekannten Wortes neben Provinzialismen, häufiger Gebrauch von Sprichwörtern, Redensarten und Relmprosa usw. (In: L. M., Die deutschen Volksbücher. S. >»—100). 11 Dedikation der .Historia", Bl. 2b bzw. 3a. — Petsch, S. 3 bzw. 4. U Vorrede der .Historia", Bl. lOb/na. — Petsch, s. 10. II .Historia", S. 136—137. — Petsch. S. 133.
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Wenn uns die religiöse Bindung des Verlegers Spies, wenn uns die Richtung seiner Verlagswerke nicht bekannt wären — Spies druckte streng lutherische Kampfschriften" —, müßten wir uns um die Frage, ob Spies die Warnung an den christlichen Leser im lutherischen oder katholischen Geiste druckte, ernsthafter bemühen. Das Buch ist aus lutherischer Sicht geschrieben. Nicht nur seine Herkunft aus der Gegend des Oberrheins und der Druck in Frankfurt, sondern auch die auffällige Übernahme von Zitaten aus Luthers Schriften und die Kenntnis von Aussprüchen Melanchthons lassen uns ohne Schwierigkeiten die lutherische Zugehörigkeit des Verfassers als sicher erscheinen. Eine Klärung brachte bereits Friedrich Zarnckes Abhandlung „Johann Spieß, der Herausgeber des FaustBuches, und sein V e r l a g " H i n und wieder wurde versucht, von Lercheimers Urteil, das wir später heranziehen werden, ausgehend, dem Buche eine antilutherische Tendenz unterzuschieben. Eine kurze Begründung für den lutherischen Geist sei deshalb gegeben. Die Zitierung der „wahren Religion" und des „Christlichen Bekenntnisses"1* statt des „alten Glaubens" beseitigt alle Zweifel. Auch siedelt der Autor seine Geschichte vermutlich in Wittenberg an, um das Sieghafte der lutherischen Theologie zu beweisen17. Sie spielt in vorreformatorischer Zeit, in der ein Faust sein Wesen treiben konnte. Indirekt soll damit ausgedrückt werden, daß mit Luther der Teufelsspuk verschwand. Außerdem sollte der Handlungsort wohl eine allgemein bekannte Stadt sein, oder noch lebende Personen, wie die Grafen von Zimmern, in deren Herrschaft Fausts Tod nachweisbar erfolgte, sollten durch Veränderung der Tatsachen aus dem Spiele ferngehalten werden. Abwegig ist Kiesewetters Ansicht18, Rücksichtnahme auf Fausts Verwandte hätte Änderungen zur Folge gehabt. Ich könnte midi nur dazu verstehen, an eine in Frankfurt bekannte und tatsächlich auch feststellbare Familie, die vor möglichen Verwechslungen geschützt werden wollte, zu denken. Auf eine lutherische Grundhaltung weisen auch die Brandmarkungen katholischer Anschauungen Fausts hin. Faust hofft zeitweilig durch eine einfache Abkehr vom Teufel und durch Reue und Bußfertigkeit seine Rechtfertigung vor Gott wiederzuerhalten. Die reformatorische Auffassung verneint aber die Mitwirkung des Menschen bei der Rechtfertigung, die allein durch die Gnade Gottes geschehen kann. Daher darf es auch für den Verfasser des Faust-Buches keine Erlösung Fausts durch gute Taten geben. Von diesem Punkt streng reformatorischer Glaubenshaltung aus entwickelt Milcbsack in einem Aufsatz1* seine These, 1« Vgl. Pencil, S. XL 13 In: Fr. Z., Kleine Schriften. Bd 1: GoethescJiriften. Leipzig 1M7. S. 2M-2M. 1· Dedication der .Hlatorla-, Bl. 4a. — Petsch, S. 4. 17 Goethes Begründung ftlr die Verlegung nach Wittenberg s. Brief an Zelter vom M. Nov. 1829. Beilage. (Goethe: Werke, w . Α. rv. Bd 46. s . 15»). II Vgl. Carl Kloewetter: F a u n In der Geschichte und Tradition. Leipzig l t u . S. 10—11. 1» Faustbuch und Faustsage. In: C. U., Gesammelte Aufsitze. Wolfenbuttel i n . Sp. 1U-1U. — Nach Milchsack m i t Faust nicht vom christlichen Glauben ab, sondern vom lutherlscben, genauer von Luthers Rechtfertigungslehre, und zurück in die katholische BuUlehre. Gleiches gtlte für Melanchthon, als er 1SM die guten Werke als für eine Hechtfertigung nötig erklärt. Damit schließe Melanchthon den .Bund mit dem Teufel". 24 Jahre sind Ihm, wie der Titelgestalt Im Faust-Buch,
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wonach Faust vom Verfasser der „Historia" mit Melanchthon gleichgesetzt worden sein soll. Melanchthons von Luther abweichende Rechtfertigungslehre setzt gute Taten zur Rechtfertigung voraus und neigt damit zur katholischen Bußlehre hin. Ich kann dieser Theorie nicht zustimmen, da Milchsack den Auseinandersetzungen innerhalb der lutherischen Kirche wohl eine zu große Bedeutung im Zusammenhang mit dem Faust-Buch beimißt. Neben theologischen Betrachtungen stehen naturwissenschaftliche. Dem Hauptthema entsprechend interessieren vor allem Himmel und Erde, die Welt der Gestirne, der Lauf der Erde um die Sonne, die Entstehung des Planetensystems und des Erdballs. Allerdings herrschen mittelalterliche Vorstellungen noch vor. Die Erklärungen für Kometen und Meteore im Kapitel 28 und 31 sind typisch für das Faust-Buch, das in dieser Hinsicht auf veraltete Quellen zurückgegriffen hat. Trotzdem zeigt das Faust-Buch- den tiefen Drang der Menschen des Reformationsjahrhunderts nach Wissen, nach Erklärung der „Weltumstände" (so im Kapitel 20 „Vom Winter vnd Sommer"), nach Begreifen der naturwissenschaftlichen Zusammenhänge. Faust gilt uns .geradezu als ein Prototyp des nach Wissen und Erkenntnissen strebenden Menschen. Für die Gestalt des Faust-Buches ist dies oftmals geleugnet worden. Die theologische Seite, die Warnung vor dem Teufel und seinen bösen Künsten, wurde hervorgehoben. Doch Faust ist auch der „Speculierer" 30 , der sich nicht mit den vordergründigen Erklärungen der Theologie und der Kirche zufriedengibt, der Fragende, der mit der Ratio begabte und sie handhaben wollende „Geschwinde Kopff" 21 , der in der Titelgestalt manifestiert ist, zwar als eine exemplarische Verkörperung des Gefährlichen, des dem Bösen Ausgesetzten, aber als faustischer Mensch, wie ihn letztlich Goethe geprägt hat. Fausts maßloser Erkenntnisdrang treibt ihn, für das 16. Jahrhundert nicht anders denkbar, in die Arme des Teufels, denn er „name an sich Adlers Flügel, wolte alle Gründ am Himmel vnd Erden erforschen"". Wir müssen demnach unsere Einschätzung des Faust-Buches erweitern. Das warnende Beispiel, die Mahnung, sich vom Höllischen und Bösen fernzuhalten, ist nur eine Absicht. Hinzu tritt die typische Ausprägung des Gelehrten aus dem ersten naturwissenschaftlichen Jahrhundert der Neuzeit, der Forschende, der Faust, der die Geheimnisse der Natur ergründen wilL Das Eindringenwollen in die natürlichen Zusammenhänge der Welt-Erde wird vom Schreiber der Geschichten zwar als gefährlich, als unnötig dargestellt, aber es ist vorhanden. Das naturwissenschaftliche Forschen hat gerade im 16. Jahrhundert zu den harten gegeben. 19(0 starb Melanchthon, nach Ablauf dieser "Frist. Nach Melanchthons Tod werden die Auseinandersetzungen um Melanchthons Anschauungen ausgetragen. In dieser Zelt und unter diesen Umstünden schreibe der Autor als ein Melanchthon-Gegner sein Faust-Buch als antlphlllpplstlsch· Warnungsschritt. — VgL auch O. Kawerau: Hlstoria D. Johannis Faustl des Zauberers [Rezension von Mllchsacks Ausgabe], In: Theologische Uteraturzeltung. Jg. 23. Leipzig imt. sp. tu—ui. » .Hlstoria", S. 4. — Petsch, 8.11. Π „Hlstoria'. S. 3. — Petsch, S. U. U .Hlstoria', S. · . — Petsch, S. II.
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Auseinandersetzungen mit der Kirche geführt. Ich erinnere nur an Kopemikus und Servet. Die Möglichkeiten des um naturwissenschaftliche Erkenntnisse ringenden Menschen wurden von der Kirche erkannt. Ihre Warnung wurde nicht nur für den Teufelsbündler ausgesprochen, sondern auch für den Naturforscher, der, so wird angenommen, notwendigerweise auf einen gefährlichen Pfad gelangen und in einen Gegensatz zur Theologie und endlich zu Gott geraten muß. Zitieren wir zur Untermauerung dieser Ansicht folgende Stelle aus dem ersten Kapitel 23 : „Das gefiel D. Fausto wol, speculiert vnd studiert Nacht vnd Tag darinnen, wolte sich hernacher keinen Theologum mehr nennen lassen, ward ein Weltmensch, nandte sich ein D. Medicinae, ward ein Astrologus vnnd Mathematicus, vnd zum Glimpff ward er ein Artzt, halft erstlich vielen Leuten mit der Artzeney, mit Kräutern, Wurtzeln, Wassern, Träncken, Recepten vnd Clistiern, darneben ohne Ruhm war er Kedsprechig, in der Gottlichen Schrifft wol erfahren, Er wüste die Regel Christi gar wol: Wer den Willen des HERRN weiß, vnd thut jn nicht, der wirdt zwyfach geschlagen." Zu der Warnung vor dem Bösen tritt somit die Warnung vor der naturwissenschaftlichen Forschung und ihren Konsequenzen. Selbstverständlich sind derartige Themen, solche theologischen Probleme erst seit der Reformation denkbar. Beachten wir, daß manche Kirchenvertreter des Reformationsjahrhunderts die Reformation als äußerst gefahrvoll bezeichneten hinsichtlich ihrer denkbaren Auswirkungen. Die weit verbreitete Ansicht war: Werden einmal die streng kirchlichen Bindungen gelockert, gibt es kein Halten mehr. Die Konsequenz könnte immer Gottlosigkeit, zumindest aber eine Abkehr von Gott sein. Gegen die angedeuteten Folgerungen haben sich Luther und Melanchthon stets gewehrt. Ein Vertreter ihrer Anschauungen ist zum Bearbeiter des Faust-Buches und damit zur warnenden Stimme der lutherischen Kirche vor derartigen Weiterungen geworden. Die Gestalt Fausts bot dafür das geeignete Beispiel. Fausts Schuld besteht nicht in der Abkehr vom katholischen Glauben, sondern in der Losung von allen kirchlichen Bindungen, um dafür naturwissenschaftliche Kenntnisse einzutauschen. Damit erhalten wir eine Antwort auf die Frage: „Warum entstand das Fausti s c h ? " Sie erklärt jedoch die Abfassung der „Historia" noch· nicht völüg. An dieser Stelle müssen wir uns auf den historischen Faust besinnen. Er, der durch die Lande zog, seinen Namen selbst bekanntgemacht hat, er, der von den Gelehrten der Zeit in ihren Werken immer wieder erwähnt wurde, blieb im Volk lebendig. An sein wirkliches Auftreten knüpften sich vielerorts Anekdoten, ja ganze Geschichten und Erzählungen. Faust galt als ein besonderer Mensch, der geheimnisvolle Kunststücke vollbrachte und seltsame, nicht allgemein erklärbare Kenntnisse und Fertigkeiten besaß. Die mündliche Uberlieferung vergröbert die Vorstellungen von ihm, bildet seine Gestalt um, übertreibt sie. Dazu sagt Wid23 .Historia", S. 5. — Petsch, S. 13.
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man in der Vorrede zu seiner späteren Bearbeitung des Faust-Buches 24 : „davon auch viel sagens bey den Leuten gewest". Schon Spies deutet Ähnliches mit den Worten „Nachdem nun viel J a r her ein gemeine vnd grosse Sag in Teutschlandt von Doct. Johannis F a u s t i . . . Abenthewren gewesen" an25. In Faust sehen die Zeitgenossen einen Ausweg aus ihrer Lage, in die sie gesellschaftlich-geschichtliche Ereignisse wie der Bauernkrieg usw. gebracht haben. Bedenken wir, daß die Erhebungen des unteren Adels niedergeschlagen, die Befreiungsversuche einzelner Städte zumeist zurückgewiesen, die Aufstände der Bauern blutig unterdrückt werden, so haben wir für die Mitte des 16. Jahrhunderts eine beinahe aussichtslose Situation. Eine Stimmung des Gedrücktseins, Ergebnis der erfolglos gebliebenen Erhebungen, macht sich breit. Zu diesen Enttäuschungen kommt vor allem das Unbefriedigtsein namentlich der bäuerlichen Schichten über das Versagen der lutherischen Führung und über ihren mit der Obrigkeit geschlossenen Frieden seit Luthers Schrift „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern" (1525). Was wundert es uns da, wenn das Volk nach einem Ausweg sucht, wenn es sich eine Ausweggestalt schafft, wenn es von einem Ausnahmemenschen träumt, dem es gelingt, sich aus dieser Situation zu befreien, und sei es durch eine Verbindung mit dem TeufeL Diese Ausweggestalt ist Faust. Sein Teufelsbündnis, das ihm schon um 1540/1550 nachgesagt wurde (Melanchthon, Gast, Luther), ist nur so völlig zu verstehen und zu erklären. Das Lebendigsein im Volke als Ausweggestalt, die Möglichkeiten und Konsequenzen seines Treibens mußten zwangsläufig zur Verurteilung durch die Kirche führen. Das Aufgreifen des Themas und die Darstellung des bösen Beispiels lagen auf der Hand. So verbindet sich die Warnung an den Gläubigen mit der allenthalben bekannten und bewunderten Faust-Gestalt. Das Ergebnis ist die „Historia Von D. Johann Fausten", der Bericht vom „ausbündigen Zauberer" und seiner „Teuffeiischen Verschreibung"*. Die Folge ist, nach Aufgreifen der Volkstradition, eine Umwandlung der Faust-Gestalt im Sinne der Kirche, eine Abbiegung der Volksüberlieferung und die Vorführung des „abscheuwlichen Exempels" 17 , zur Beherzigung und Warnung vorgestellt. Trotz dieser Veränderungen ist der nach Erkenntnissen strebende, über die Schranken der Theologie hinausgreifende und vom Volke bewunderte Faust — ein später Nachkömmling der Renaissance — überall in der „Historia" hinter der theologischen Warnung sichtbar. Damit läßt sich der historische Ort des Faust-Buches bestimmen: Es hat seinen Ursprung in der revolutionären Entwicklung des beginnenden 16. Jahrhunderts, denn es erwächst aus der frühkapitalistischen Epoche des Reformationszeitalters. Abgefaßt aber wird es zu einer Zeit der gesellschaftlich-wirtschaftlichen StagM Zitierung nach Petsch, 3. XV. 21 Dedication der .Historia", Bl. la/2b. - Petsch, S. 3. Μ Au« dem Titel eine« 19M erschienenen Faust-Buches (Nachdruck der Erstausgabe der CReihe). 17 Au« dem Titel der Erstausgabe.
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Das Faust-Buch von 1587 Dat Faust-Budi von 1587 nation, in einer nadi-revolutionären Periode, als das Luthertum schon nicht mehr als Triger des gesellschaftlichen Fortschritts bezeichnet werden kann. Regressive Tendenzen überdecken deshalb die progressiven Züge dee Faust-Buches.
IV. Quellen, Entrtehungsgetchichte, Verfatserfrage Um die eigentliche Entstehungsgeschichte der „Historie" zu verfolgen — es interessiert uns nunmehr die literarische Konzipierung — wird auf die Quellen und die Verfasserschaft des Buches einzugehen sein. Die Quellen für das Faust-Buch sind sehr zahlreich und verschiedenartig. Der Bearbeiter hat mündlich umlaufende Erzählungen und Anekdoten, soweit sie ihm bekannt wurden, berücksichtigt Diese Vermutung ist allerdings nur insofern nachweisbar, als uns auch durch andere Werke überlieferte Motive und Begebenheiten von ihm offensichtlich aufgegriffen und selbständig ausgeschmückt wurden*. Das Faust-Buch hat ferner aus einer ganzen Reihe von Büchern, die ungefähr seit 1490 erschienen sind, geschöpft". Ein großer Teil der benutzten Werke ist durch die Forschungen von Milchsack, Kl linger, Szamatolski u. a. bekannt geworden30. Manche werden sich in Zukunft noch bestimmen lassen. Die Literatur, die zur Abfassung des Faust-Buches herangezogen wurde, ist zudem so umfangreich, daß sofort gesagt werden kann, der Autor hat eine für seine Zeit beträchtliche Bildung besessen. Theologische und geographische, naturwissenschaftliche und literarische Werke haben ihm zur Verfügung gestanden. Von den eingesehenen Werken gehören die wenigsten zur Faust-Literatur des 16. Jahrhunderts. Manche Quellen nennen Faust überhaupt nicht, ζ. B. Hartmann Schedels „Weltchronik", ja, die Bücher, die Faust erwähnen und vom Verfasser benutzt wurden, sind sogar in der Minderzahl. Bei weitem nicht alle Drucke, die Faust-Nachrichten enthalten und die bis 1587 erschienen sind, wurden herangezogen. Für die benutzten Werke läßt sich außerdem nirgends eine deutliche Übernahme von Faust-Mitteilungen feststellen. Die Quellen zum historischen Faust haben demzufolge nur indirekten Einfluß über eine mündliche Tradition ausgeübt. 21 Wilhelm Sdberer n a h m an, daß sieb die . F a a s t - S a g e " an drei s t e l l e n entwickelte: In Erfurt, In Wittenberg und a m Oberrhein (s. Einleitung t u : Das älteste Faust-Buch. Faks.-Ausg. B e r l i n 1M4. S . X V ) . S Das Anfertigen von Auszügen und die Übernahme von Textstellen bedeutet Im Mittelalter und In der Frühzelt des Buchdrucks nichts Außergewöhnliches, Im Gegenteil, es galt als ein Zeichen von Beledenheit. Ein weiteres Beispiel soll genügen. Fischart übernimmt In seine .OesdUcbt-Klltterung" ( s . ta, Zelle β—26 und S. 101, Zelle 4—7 u. 10—2» Anregungen aus mehreren Kapiteln von Andreas Hondorffs „promptuarlum E x e m p l o r u m " ( F r a n k f u r t 1572. B l . 2t2b—2Mb bzw. 2Mb/170 und 2S9a—261b). Vgl. Adolf Hauflen: Neue Fischart-Studlen. Leipzig u. Wien IM«. S . 3»S (Euphorlon. Erg.-H. 7). Μ Milchsack, S . X V m — C C X C V I . — Georg Ellinger: Zu den Quellen des Faustbuchs von 1587. I n : Zeitschrift für vergleichende L i t e r a t u r g e s c h i c h t e . N. F. Bd 1. Berlin 1887-88. S. 156-181. Siegfried Szamatolski: Zu den q u e l l e n des ältesten Faustbuches. 1.: Kosmographlsches aus dem Eluddarlus. I n : Viertel)ahresschrlft f ü r Lltteraturgeschlchte B d 1. Weimar 1888. S. 161-183. - Petsch druckt Im Anhang zu seiner Ausgabe des Faust-Buches alle wichtigen Quellen a b (S. 158—235).
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Von den bis 1587 erschienenen Werken, die Faust erwähnen, hat der Autor der Faust-Historie gekannt: Wieras' „De Praestigiis Daemonum" (1568), Hondorffs „Promptuarium Exemplorum" (erstmalig 1568, benutzte Ausgabe 1572)31, Bütners „Epitome Historiarum - ' (1576), Weckers „De Secretis'1 (1582) und vermutlich Lercheimers „Christlich bedencken vnd erjnnerung von Zauberey" in der ersten Auflage von 1585 sowie andere Schriften. Berücksichtigung finden ebenso die 1566 erstmalig erschienenen „Tischgespräche" Luthers33 und Melanchthons „Locorum Communium Collectanea", 1563 von Manlius in lateinischer, 1565 in deutscher Sprache herausgegeben. Beide Werke werden in größerem Umfange für die Zwecke der Faust-Historie ausgebeutet, zum Teil jedoch nicht direkt, sondern indirekt über andere Schriften (beispielsweise Hondorff) und wiederum über mündliche Überlieferung. Weitere benutzte Werke, die Fausts nicht gedenken, sind neben Hartmann Schedels „Buch der Cronicken" (1493) Brants „Narrenschiff" (1494), Egenolfs „Sprichwörter" (1570), der „ELucidarius" (1572), Leeuwens „Tractatus quatuar noussimorum" (1473, bzw. deutscher Auszug „Der sündigen Seele Spiegel", 1487), Lindners „Katzipori" (1558), Mathesius' „Predigten über Luther" (1566), Milichius' „Zauber Teuffel" (1563), Hans Sachs' „Historia von einem Nigromanten" (1564) und sein „Lobspruch auf die statt Nürnberg", Theramos „Belial teutsch" (1508) usw. Auf Grund der Erscheinungsjahre der Quellen — die zeitlich späteste stammt von 1585 — läßt sich auf die Entstehungszeit schließen. Nicht vor 1582, ich erinnere an Wecker, kann mit der Fertigstellung der Faust-Historie gerechnet werden. Vermutlich kam sie aber erst um 1585 zur Vollendung, es sei denn, Lercheimer wäre tatsächlich nicht benutzt worden, wie Milchsack und Wolff festgestellt zu haben glauben33. Als literarische Vorbilder, das sei eingeschaltet, lassen sich schließlich der „Eulenspiegel", „Fortunat", Brants „Narrenschiff" und Paulis „Schimpf und Ernst" denken. Solche Einflüsse sind ohne weiteres feststellbar. η Β . W e n d r o t h h a t In d e m A u f s a t z . H o n d o r f f a l s e i n e Q u e l l e d e s [ W o l f e n b ü t t e l e r ] F a u s t b u c h e s " (In: E u p h o r l o n . B d 11. Leipzig u n d Wien 1D04. S. 701-705) v i e r z e h n E n t n a h m e n f e s t g e s t e l l t . S i e k ö n n e n n i c h t d e r A u s g a b e v o n ISIS, d i e d i e s e S t e l l e n n i c h t alle e n t h a l t , e n t n o m m e n sein, v e r m u t lich Jedoch d e r j e n i g e n v o n 1572. Die ErzJlhlung „ A l e x a n d e r S e x t u s , pestls M a x i m a " w u r d e In d i e V o r r e d e des W o l f e n b U t t e l e r M a n u s k r i p t s a u f g e n o m m e n . H i e r e r s c h e i n t d i e Ü b e r s c h r i f t d e s H o n d o r t t - K a p l t e l s (Bl. (5b) s o g a r In g r ö ß e r e n B u c h s t a b e n — ein B e w e i s f ü r d i e g e n a u e A n l e h n u n g a n dl^ V o r l a g e . 3t Vgl. H. S t u c k e n b e r g e r : Z u d e n Q u e l l e n d e s ä l t e s t e n F a u s t b u c h s . 3: V e r s e a u s L u t h e r . I n : V i e r t e l ) a h r s s c h r i f t fUr L i t e r a t u r g e s c h i c h t e . B d 1. W e i m a r 1888. S. 189-100. 33 N a c h Milchsacks D a r s t e l l u n g Uber . D a s F a u s t - B u c h u n d L e r c h e i m e r " (Milchsack, s . C C L X v n CCXCVI) u n d E u g e n Wolfis A b h a n d l u n g . F a u s t u n d L u t h e r " (Halle 1IU. S. 155) 1st es f r a g l i c h , o b Lerch e l m e r t a t s ä c h l i c h a l s Quelle d e s F a u s t - B u c h e s b e z e i c h n e t w e r d e n k a n n o d e r o b e h e r d a s u m g e k e h r t e V e r h ä l t n i s a n g e n o m m e n w e r d e n m u 0 . Milchsack u n d Wolff m e i n e n , e i n e d e m D r u c k d e r . H i s t o r i e " v o r a u s g e h e n d e F a s s u n g w i r e L e r c h e i m e r s c h o n 1585 b e k a n n t g e w e s e n . P e t s c h d a g e g e n glaubt (Lerchelmer u n d d a s Faustbuch. I n : Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache u n d L i t e r a t u r . Bd 3». Halle 1914. S. 192-188), d a ß L e r c h e i m e r . s t e l l e n w e i s e gleiche Q u e l l e n b e n u t z t e " «rle d e r V e r f a s s e r d e r „ H i s t o r i a " . D i e s e r A u f f a s s u n g k a n n Ich m i c h e h e r a n s c h l i e ß e n , doch s c h e i n t m i r d i e G e s c h i c h t e e i n e s T r i t h e m l u s - M o t l v s f ü r d e n Elnflufl L e r c h e l m e r s auf d a s F a u s t - B u c h zu s p r e c h e n . — Vgl. A n m . 40. — S. a . P e t s c h , S. X X X I V — A n m . 3).
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An dieser Stelle möchte ich zwei Proben der Übernahme bzw. Abschrift aus den genannten Büchern bieten. Im ersten Falle wähle ich Werke, die Faust erwähnen, im zweiten ein solches, das zu ihm keine Beziehung hat. In Butners „Epitome" und in Hondorffs „Promptuarium Exemplorum" sowie in Luthers „Tischgesprächen" findet sich die nachfolgende Stelle, zitiert nach dem dem Faust-Buch am nächsten stehenden Text, den Bütner bietet 34 : „Vnd in der Stadt Northausen gieng ein Abentewrer aus vnd ein, dem begegnet ein Bawer mit seinem Wagen, der Zauberer mit Namen Wildfewer, sprach zum Fuhrmann: Weich oder ich fresse dich hinab in meinen Wanst, mit Pferden vnd Wagen. Darzu muste der Bawer lachen, vnd achtet solche rede vor einen schimpff, Aber der sperret sein maul aus einander, vnd verschlang den Bawren mit Wagen vnd allem, wie er gesagt hatte, redlich, hernach eine halbe meil vor der Stad, lag der Bawer mit «einem Geschirr in einer Pfützen, dahin jn der Zauberer wider abgeleichet vnd ausgespeyet hatte." Im Faust-Buch erscheint die Anekdote als Kapitel 36: „ER kam einmal gen Gotha in ein Stättlein, da er zu thun hatte, als nun die zeit im Junio war, vnd man allenthalben das Haw einführte, ist er mit etlichen seinen Bekandten spatzieren gangen, am Abend wol bezecht. Als nun D. Faustus, vnd die jm Gesellschaft geleistet, für das Thor kamen, vmb den Graben spatzierten, begegnet jm ein Wagen mit Häw. D. Faustus aber gieng in den Fahrweg, daß jn also der Bauwer nothhalben ansprechen muste, er solte jm entweichen, vnnd sich neben dem Fuhrweg enthalten. D. Faustus, der bezecht war, antwort jm: Nun will ich sehen, ob Ich dir oder du mir weichen müssest. Hörstu Bruder, hastu nicht gehört, daß einem vollen Mann, ein Häuw Wagen außweichen sol. Der Bawer ward darüber erzürnet, gab dem Fausto viel trotziger wort. Dem D. Faustus widervmb antwortet: Wie Bawer, woltestu mich erst darzu bochen? mach nicht viel Vmbstendt, oder ich friß dir den Wagen, das Häw. vnd die Pferd. Der Bauwer sagt darauff. Ev. so frifi mein Dreck auch. D. Faustus verblendet jn hierauff nicht änderst, denn daß der Bauwer meynete, er hette ein Maul so groß als ein Zuber, vnnd fraß vnnd verschlang am ersten die Pferdt, darnach das Häw vnd den Wagen. Der Bawer erschracke, vnd war jm angst, eylet bald zum Bürgermeister berichtet jn mit der warheit, wie alles ergangen were. Der Bürgermeister gieng mit jme, lächelte, dieses Geschieht zubesehen. Als sie nun für das Thor kamen, fanden sie deß Bauren Roß vnd Wagen im Geschirr stehen, wie zuvor." Im Grunde handelt es sich bei den genannten Vorlagen, die beträchtlich erweitert werden, gar nicht um Faust-Geschichten, sondern um eine Erzählung über den Nordhäuser Zauberer Wildfeuer, ein typisches Beispiel f ü r die Übertragung von Erzählungen, die sich auf Zeitgenossen beziehen, auf Fausts Gestalt. Aus Schedels „Buch der Cronicken" wurde die Beschreibung Prags übernommen 35 . Ich zitiere: „PRag ein hawbtstatt des Behmischen königreichs . . . vnd in drey tayl. nemlich in klein präg, alt präg vnd new präg getail;. Klein präg begreift die lingken seytten der Mulda vnd berürt den berg auff dem dann der königclich hoff vnnd sant Veits 34 Petscb, S. IM—195. (Hier die Texte von Luther und Bütner). SS Seil edel (1493). Bl. 229b. — Petsch. S. 161. 4 Weimarer Beitrage VL 1
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bischöfliche thumkirch ligt. Alt präg ligt gantz in einer ebne, mit großtatigen hohlöblichen ,gepewen gezieret. Auß derselben alten statt kombt man in die klainen vber ein staynine prugken. die hat .xxiiij. schwingbogen. So ist die new statt von der alten mit eim tieften graben gesündert. vnd vmb vnd vmb mit mawrn bewaret. Dise statt ist fast weyt vnd streckt sich bis an Sant Karls vnd sant Katherinen berg vnd bis an den vischerat. der dann in gestalt eins schloss gepawt ist. Daselbst 1st das collegium der schül."
Im Faust-Buch heißt es*: ..Prag, die Hauptstatt in Behem, diese Statt ist groß, vnd in drey Theil gethellt, nemlich alt Prag, new Prag vnd klein Präge, klein Prag aber begreifet in sich die lincke seyten, vnd der Berg, da der königliche Hoff ist, auch S. Veit, die Bischoffliche Tumbkirchen. Alt Prag ligt auff der ebne, mit grossen gewaltigen Gräben geziert, Auß dieser Statt kompt man zur kleinen Statt Prag vber ein Brücken, dise Brück hat 24. Schwibbogen. So ist die new Statt von der alten Statt mit eim tieften graben abgesondert, auch rings vmb mit Mawren verwart, daselbst ist das Collegium der hohen Schule."
Aus Schedels „Weltchronik" wurde überhaupt in reichlichem Maße abgeschrieben, im allgemeinen mit einer Kürzung des Textes verbunden. Die Angaben über die besuchten Städte im Kapitel 26 stammen sämtlich aus der „Weltchronik". Die Reihenfolge der Reise bzw. die Auswahl der Städte-Beschreibungen ergibt sich, wie Milchsack3' feststellte, durch Wohlgemuts Holzschnitte, die sich mit dem dazugehörigen Text dem Abschreiber geradezu anboten. Die angeführten Textproben beweisen hinlänglich die enge Anlehnung des Faust-Buches an seine Vorlagen. Trotzdem ist die Faust-Historie nicht einfach als Auszug aus den verschiedensten Schriften aufzufassen. Beispielsweise werden Angaben über Faust nicht getreu übernommen. Melanchthons Tischgespräche haben zwar als Vorlage gedient, aber dessen Aussprüche und Mitteilungen über Faust finden nur indirekt Beachtung. Nach dem Reformator ist Faust in Knittlingen nahe Melanchthons Heimatstadt Bretten geboren. Im Faust-Buch dagegen finden wir": „Doctor Faustus ist eines Bauwern Sohn gewest, zu Rod, bey Weinmar bürtig, der zu Wittenberg ein grosse Freundschaftt gehabt." Nach dem FaustBuch zu urteilen, müßte Faust in Roda bei Weimar geboren — es wird dabei auf Stadtroda verwiesen — und in Wittenberg zur Schule gegangen und dort aufgewachsen sein. Hier handelt es sich um reine Fabel, da sich dafür in den bekannten Zeugnissen über Faust keine Anhaltspunkte ergeben. Für den Ort von Fausts Tod, den das Faust-Buch mit dem Dorf „Rimlich, eine halb Meil wegs von Wittenberg" angibt3*, gilt Ähnliches. Die Nachricht Melanchthons, Faust sei in einem Orte Württembergs umgekommen, erscheint nun als verwandelte Mit-
M „Hlstorla*, S. 114—119. — PCtSCb, S. M. 17 Mlldisick, S. XXIV. Μ „Hlstorla", S. 1. — Petsch. S. 11. 99 .Hlstorla", S. 217. — Petsch, s. 117.
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Da* Fauit-Buch
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teilung, wenn es im Faust-Buch Wittenberg heißt. So gehen dem Verfasser des Faust-Buches Tatsache und Verdrehung, Wahrheit u n d Dichtung durcheinander. Komplizierter als der Nachweis einer bestimmten Vorlage ist die Aufdeckung von Motiven, die von Zeitgenossen auf Faust ü b e r t r a g e n w u r d e n . In einer bereits veröffentlichten S t u d i e " h a b e ich zu e r l ä u t e r n versucht, wie, von Trithemius ausgehend, eine Beschwörungsszene vor dem Kaiser Maximilian ü b e r Hans Sachs' „Historie von einem N i g r o m a n t e n " u n t e r Einfluß Lercheimers schließlich zu einer Zitation vor Kaiser Karl V. wird. Tatsächliche Begebenheit ist die Unterhaltung des Abtes Trithemius mit Kaiser Maximilian. Zu den acht Fragen Maximilians, d a r u n t e r ü b e r Magie, läBt T r i t h e m i u s sogar ein B u d i e r scheinen. Nachdem die mündliche Überlieferung vorgearbeitet hat, gestaltet Hans Sachs den Stoff in seinem Gedicht. F ü r ihn stand fest, d a ß Trithemius die Beschwörung wirklich a u s f ü h r t e . Er n e n n t jedoch nicht dessen Namen, so d a ß die Beschwörung von Hörern u n d Lesern als von F a u s t vorgenommen gedacht werden konnte. Lercheimer" erzählt die Begebenheit weiter, nachdem sie B ü t n e r " mit Fausts Gestalt v e r b u n d e n hat. In dieser F o r m h a t das Motiv nach einer etwa achtzigjährigen Geschichte als Kapitel 33 in das Faust-Buch Eingang gefunden. Wie bereits gesagt, sind andererseits die meisten Werke, in denen Faust zitiert wird, dem Verfasser unseres Buches u n b e k a n n t geblieben. So h a t u n t e r anderem des Trithemius Zeugnis*® keinen Einfluß ausgeübt, obwohl w i r es als das wichtigste über Fausts Leben bezeichnen müssen. Ebenso h a b e n Begebenheiten, die im Z u s a m m e n h a n g m i t Paracelsus und Agrippa von Nettesheim erzählt wurden, k a u m auf die Gestaltung der „Historia" eingewirkt, w e n n sie auch den Boden bereiten halfen wie m a n c h e a n d e r e n Voraussetzungen und Fakten, deren Einf l u ß im einzelnen g a r nicht abzustecken ist. Ich d e n k e an die Nachwirkung mythologischer Vorstellungen sowie antiker u n d altchristlicher Symbole und Motive. Ich erinnere in diesem Z u s a m m e n h a n g an die Windsbraut der g e r m a n i schen Mythologie oder den wilden Jäger (s. Fausts Luftflug), f e r n e r an die Theophilus-Legende hinsichtlich des Teufelsbündnisses, an die Militarius- und SimonMagus-Sagen, an die Helena-Erzählung des alten Griechenland, die schon Hans Sachs einführt* 4 usw. Fassen w i r zusammen: W e r k e der verschiedensten Literaturgattungen h a t der Autor des Spiesschen Faust-Buches neben mündlichen Erzählungen benutzt. Er hat seine Quellen zum Teil sehr f r e i gehandhabt, umgedichtet und ausgeschmückt. Jedoch wissen w i r seit Milchsack, daß das Faust-Buch „nicht eine bloße S a m m l u n g zauberischer Anekdoten und Sagen" ist 45 , sondern ein nach ein41 — Anm. I) fälschlicherweise Gedeon Heiding. •1 S. 41—43. — Petsch, S. 144—14«.
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Er ist bürtig gewesen auß elm (lecken, genant Knütllng, llgt Im Wirtemberger lande an der Pffiltzlsdien grentze. War ein weile schulmeister vnder Frantz von Sickinge bey Creutzenach: von dannen muste er verlaufen von wegen begangener sodomiaM. Fuh- darnach mit seinem teufel in landen vmmher, studierte die schwartze kunst aufl der hohen schule zu Craco: Kam gen Wittenberg, ward ein zeitlang alda gelitten, biß ers zu grob machete daß man jn gefenglich wolte eynziehen, da macht er sich dauon·5. Hatte weder Hauß noch Hof zu Wittenberg oder anderswo, war nirgent daheim lebete wie ein lotterbube, war ein schmorotzer, fraß sauff vnd ernehrete sich von seiner gauckeley. Wie konte er hauß vnd hof da haben beym eussern thor in der scheer gassen, da nie keine vorstatt gewesen vnd derhalben auch kein eusser thor? auch ist nie kein scheergasse da gewesen. Daß man in solcher Vniuersitet einen solchen, den Melanthon ein scheißhauß vieler teufel pflag zu nennen, solte zum Magister, ich geschweige zum Doctor Theologiae gemacht haben, welches dem grad vnd ehren titul ein ewige schmach vnd schand flecke were, wer glaubet das? Er ist vom teufel erwürget in eim dorffe im land zu Wirtemberg nicht bey Wittenberg zu Kimlich, da kein dorff des namens nirgent ist. Denn nach dem er außgerissen. daß er nicht gefangen wurde, hat er nie dürften gen Wittenberg wider kommen." Nachdem Lercheimer die Erzählung Melanchthons von Fausts Tod wiederholt hat, fährt er fort: „Andere eitelkeit lügen vnd teufelsdreck des buchs lasse ich vngereget: diese habe ich darumm angezeigt das michs sehr verdreußt vnd betrübet, wie viele andere ehrliche leute, die wolverdiente hochrhümüche schule, die selige Männer Lutherum Philippum vnd andere dermassen zu sdienden: darumm daß ich auch etwan da studiert habe. Welche zeit noch bey vielen da dieses zauberes thun in gedechtnuß war. Es ist zwar nicht newe vnd kein wunder das solche schmeheschrifften von bösen leuten vnser religion feinden außgegeben werden: das aber ist ein vngebürlich ding vnd zubeklagen, daß auch vnsere buchtrücker dörffen ohne schew vnd schäm solche bücher ausprengen vnd gemein machen, dadurch ehrliche leute verleumdet, die fürwitzige jugent, die sie zuhanden bekommt, geärgert vnd angeführt wird, wie die äffen, zu wünschen (dabey sich dann der teufel bald leßt finden) vnd zu versuchen ob sie dergleichen wunderwerck könne nachthun, vnbedacht vnd ongeachtet was für ein ende es mit Fausten vnd seines gleichen genommen habe: daß ich geschweige daß die schöne edle kunst die truckerey die vns von Gott zu gutem gegeben, dermassen zum bösen mißbrauchet wird. Daß sey genug von dem." Einerseits stellt Lercheimer das Faust-Buch richtig, andererseits sieht er die von ihm selbst besuchte Universität beschimpft, Luther und Melanchthon verunglimpft und ferner das Buch als eine Verführung der Jugend an. Er steht mit seiner Ansicht nicht allein. In Tübingen werden Studenten in Haft getan, weil sie die Faust-Historie „reimenweis" bearbeiteten 96 . Der Drucker Hock wird „incarcerieret" und „geviltzt". Die Senatsprotokolle vom 15. April 1588 lauten hierüber 87 : 94 Nach Trlthemlus. 95 Nach Melanchthon. 96 Ein wahrhaSte vnd erechröckllche Geschieht: Von D. Johann Fausten. Tübingen 1587Λ588. — Beschreibung des Drucks bei Petsch, s. LIV—LV. >7 Von Adalbert von Keller erstmalig mitgeteilt unter dem Titel „Zur Geschichte der Fausttage" (In: Serapeum. Jg. 7. Leipzig 1846. S. 333—334). — Petsch. S. LV. 5 W e i m a r e r B e i t r a g e VI l
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Ham Henning „p. p. historiam Fausti. Hock Buchdrucker hab auch mißhandelt, soll gebürlich Einsehens mit gebürender straff vollnfaren. Inngegen den Authoribus, vnd dasselbig on vmgestell vnd onachlessig; vnd die weil er arm, vnd der seckel nit leiden mag, sol Ime nit schaden, daß er 2 tag incarcerieret werde, vnd mochte er mer strefflich gerickt werden." Und der Beschluß: „Hockium wolle man sambt denen authores so historiam Fauati [abfaßten] einsetzen vnd darnach einen guten Viltz geben."
Als Vorwand gilt zwar, die nötige Druckerlaubnis seitens des akademischen Senats habe nicht vorgelegen. Der eigentliche Grund ist aber in der Mißbilligung zu suchen, die die Verbreitung des Buches durch die Authores, d. h. durch die Versbearbeiter, seitens des akademischen Senats fand. Die Namen der Reimschmiede, die sich am Ende der „Historie" mit ihren Anfangsbuchstaben „M. J. M. G. F. S. G. S." nennen, glaube ich wie folgt auf Grund der Tübinger Matrikel ermittelt zu haben: 1. M. J.: Michael Jaccerus Nördlingensis, immatrikuliert am 31. August 1584 2. M.G.: Martinus Gruel Wanckensis, immatrikuliert am 4. Februar 1585 3. F. S.: Fridericus Schmotzer Neapolitanus prope Norinbergam, immatrikuliert am 7. Mal 1585 4. G.S.: Georgius Spitzer Widernensis, immatrikuliert am 17. März 1585
(Nr. 201/103) (Nr. 202/ 53) (Nr. 203/ 8) (Nr. 202/ 68)
M. J. taucht zwischen Oktober 1582 und April 1588 nur einmal auf. Die anderen Immatrikulationen müssen in dessen Nähe liegen. F ü r M. G. kommt deshalb am ehesten Martinus Gruel in Frage, der zudem am 11. Mai 1588 erneut in die Matrikel aufgenommen wird (laut Matrikel-Nr. 209/10). F. S. kann wiederum nur mit Fridericus Schmotzer aufgelöst werden. Dagegen ist G. S. nicht so eindeutig zu bestimmen. Sicherlich aber handelt es sich u m Georgius Spitzer, da auch er, wie Martinus Gruel, nach der Affaire vom April 1588 am 7. September des gleichen Jahres wieder zugelassen wird (Nr. 209/80)." Die Untersuchung gegen die Studenten und den Drucker erfolgte auf Anweisung des herzoglich-württembergischen Hofes. Selbst Spies fürchtete derartige 9« Für M. G. käme vielleicht noch In Betracht Matthias Grleneslus Francobergenala, immatrikuliert am 30. September 13U (MVU0) und für G. S. eventuell Gebhardus Scherpftlnus Memmlngensls, Immatrikuliert am U. Oktober 15M (MV T) oder Gullelmus Schnoed Vlmensla, Immatrikuliert am 10. Februar 1315 (tut M). Größere Wahrscheinlichkeit haben allerdings die anderen von mir bexel ebneten Namen für Hdk. Die Angaben wurden entnommen: Die Matrikeln der Unlveraltft Tübingen. Hrsg, von Heinrich Hermelink. Bd 1. Stuttgart 1906.
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Angriffe Nicht umsonst betont er im Dedikationsschreiben, daß man „Gott lob" wegen des „sonderlichen ernst vnd Eäffer zu Gott, der waren Religion, Christlicher Bekändtnuß, vnd gehorsam" keiner solchen Warnung b e d ü r f e * Und es wird nicht versäumt, in der Vorrede ausführlich auf die Absicht des Buches hinzuweisen:100 „Damit aber alle Christen, ja alle vernilnfftige Menschen den Teuffei vnd sein Fürnemmen desto besser kennen, vnnd sich darfür hüten lernen, so hab ich mit Raht etlicher gelehrter vnd verstendiger Leut das schrecklich Exempel D. Johann Fausti, was sein Zauberwerck für ein abscheuwlich End genommen, für die Augen stellen wollen." Der unvoreingenommene und sich an der „Historia" weniger ängstlich ereifernde Leser dürfte allerdings Stoff und Fabel anders betrachtet haben. Spies hat in seiner Dedikation die „große nachfrage nach gedachtes Fausti Historia" angeführt."" Lercheimers Urteil ist deshalb nur von relativer Bedeutung. Das tatsächlich vorhandene Interesse am Stoff läßt sich ferner an den Weisen des Nürnberger Meistersingers Friedrich Beer, der f ü r zwei seiner 1588 entstandenen Lieder die Anregung vom Faust-Buch erhalten haben dürfte, ablesen.102 Für das Interesse am Stoff zeugt ferner, daß das Faust-Buch mit seinen 22 Drucken103 eine Fortsetzung erhielt in Gestalt des „Ander theil D. Johann Fausti Historien, darinn beschriben ist. Christophori Wageners Fausti gewesenen Discipels auffgerichter Pact mit dem Teuffei". 1593 erschien die Editio princeps des Wagner-Buches, das in ähnlicher Art abgefaßt ist wie das F a u s t - B u c h . A l s Autor gilt Fridericus Schotus Tolet. Auch dieses Buch erlebte mehrere Auflagen und Ubersetzungen. Der Ansatz zu ihm ist durch das Vermächtnis Fausts gegeben, da Wagner als Erbe und danach als legitimer Nachfolger im Faust-Buch vorgeführt wird.105 Diese Schrift sollte nicht unerwähnt bleiben, obwohl wir auf sie nicht näher eingehen können.106 VI. Wirkungsgeschichte
im 16., 17. und 18.
Jahrhundert
Die Wirkung des Faust-Buches blieb nicht auf Deutschland beschränkt. 1592 wurde eine flämische und eine holländische Ubersetzung veröffentlicht, 1598 eine französische, 1611 eine tschechische und, vermutlich schon 1588, eine englische als Voraussetzung einer Ballade und eines Dramas. Der älteste Druck der englischen Μ Dedikation der .Historia-, Bl. 3b/4a. — PetsU bis 10G3 quält sich der V e r f a s s e r damit, ein dramatisches Gedieht Faust zu schreiben ( B r e m e n 1050 01
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und Leipzig 1860 erster Teil, Hamburg 1869 erster bis vierter Teil), doch der Stoff wuchs I h m „unter der Feder immer mächtiger an", bis ein Monstrum von rund 1100 Seiten vorlag, das heute fast ungenießbar ist. Das Formvermögen Stoltes ließ es nicht zu, einen Stoff wie das Faust-Thema zu bilden. Er, der an Goethe angeknüpft hat und sich von Schiller inspiriert glaubt, erstrebt eine „Weiterführung und Abschließung in durchaus anderer Weise" des — von ihm anfangs wiederholten — ersten Teils von Goethes Werk. Ihm genügt e i η strebender Faust nicht. Daneben stehen Ahasverus, Mephisto, der Drucker Guttenberg und der Königssohn Richard. Diese gehen ins Nichts (und zwar Mephisto, der von Faust verstoßen wird), zum christlichen Gott (Richard, Guttenberg) und in die Erlösung (der ehemals zum ewigen Leben verdammte Ahasverus). Faust endlich „Erwacht zum ew'gen Sein" im Tode. Nicht genug damit, daß der Verfasser ein weiteres großes Thema der Weltliteratur — Ahasverus — einbezieht, er läßt zum Schluß — als aktuell gemeinten Auftrag Fausts! — Richard zum Vorkämpfer eines christlichen deutschen Reiches werden. Ein weiteres Abfallen der deutschen Faust-Dichtung ist mit „Fortsetzungen" der Goetheschen Dichtung gegeben. Denken wir an Friedrich Theodor V i s c h e r s Faust. Der Tragödie dritter Theil, der 1862 unter dem Decknamen Deutobold Symbolizetti Alegoriowitsch Mystifizinsky in Tübingen und 1886 erweitert und verändert erschien bzw. seit 1889 neu aufgelegt wurde. Auch ist in diesem Zusammenhang Karl August L i n d e s Faust. Eine Tragödie. 3. Theil zu Goethe's Faust (Darmstadt 1887) zu erwähnen. Während Vischer (1807—87) immerhin eine in gewissen Punkten berechtigte und zum Teil auch witzige Literatursatire schrieb, die nicht selten kritische Schlaglichter auf die Zeit und ihren Literaturbetrieb wirft, muß Lindes dramatisches W6rk als völlig verfehlt bezeichnet werden. Es entsteht allerdings die Frage, ob Vischer unbedingt auf Goethes Faust-Dichtung zurückgreifen mußte. Daß er sie parodierte, zeigt das sich ausbreitende Unverständnis, auf das Goethe stieß, insbesondere mit dem zweiten Teil seines 92
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Faust. Ob Goethe, so wie es bei Vischer gezeigt wird, wirklich so herzlich gelacht haben würde, hätte er diesen „dritten Teil·' gesehen, möchten wir ernstlich bezweifeln. In einer von „Anarchisten" vorbereiteten „Explosion" vollzieht sich gar bei Linde die Himmelfahrt Fausts, des Fürsten, und seiner Gemahlin Margarethe, nachdem sie zur Wiederholung des Spiels auf die Erde zurückkehren mußten. Immermann Ehe wir zu ausländischen Faust-Dichtungen übergehen, soll als Beispiel f ü r die Gestaltung von Themen, die mit dem Faust-Stoff verwandt sind, Merlin (Düsseldorf 1832) von Karl I m m e r m a n n (1796-1840) genannt werden. Die mythische Gestalt Merlins entstammt dem altengüschen Sagenkreis. In christlicher Zeit wird Merlin zum Teufelssohn, den Satan mit einem Menschenkind gezeugt hat. Satan will damit der Geburt des Gottessohnes Jesus eine gleiche Tat gegenüberstellen. Als Teufelsgabe erhält Merlin Zaubermacht. In diesem Sinne faßt Immermann die Gestalt ebenfalls auf, die der Sage nach zu König Artus' Tafelrunde gehört. Immermann aber läßt Merlin zum Gralsucher, zum Gottsucher werden. Als ihm Satan seine Herkunft offenbart und ihn auffordert „Werde mein!", antwortet er „Nein!". Merlin stirbt, vernichtet von Satan, mit dem „Vater unser" auf den Lippen. Im Suchen nach der Wahrheit, hier als Streben nach Gott, berührt sich Immermanns Merlin, ein lyrisch-dramatisches Gedicht mit dichterischen Passagen, mit dem Faust-Thema.
Ausländische
Dichtungen
Wenden wir uns nunmehr einigen ausländischen FaustDichtungen zu, die, jede f ü r sich, verschiedene Formen der Behandlung des Themas veranschaulichen und f ü r eine Raihe ähnlicher Versuche stehen. 93
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Der D ä n e J e n s B a g g e s e n (1764—1826) ü b e r g a b d e m Karfunkel oder Klingklingel-Almanach (Tübingen 1802) das d r a m a t i s c h e Gedicht in drei Teilen Der vollendete Faust. E? w a r als Spottgedicht gegen G o e t h e und a n d e r e Dichter d e r Zeit gedacht. Die genialische, die romantische u n d die mystische (gemeint ist die klassische) L i t e r a t u r periode w e r d e n satirisch u n d ironisch in 100 Sonetten aufs Korn genommen. In L o r d B y r o n s Manfred (London 1817), e i n e m Versund L e s e d r a m a , finden, w i e G o e t h e sagt, Motive seiner Faust-Dichtung V e r w e n d u n g , a b e r d u r c h a u s in eigener Weise. Das W e r k k a n n als B y r o n s (1738—1324) Beitrag zur F a u s t - L i t e r a t u r gelten. Der Held strebt danach, die von i h m erreichten G r e n z e n des Daseins mit H ü f e ü b e r n a t ü r licher K r ä f t e zu ü b e r w i n d e n . Die Last des Lebens w i r d ihm unerträglich. Mit „ i n n e r n Q u a l e n d e r Verzweiflung'' und „gebrochnem H e r z e n " e r w a r t e t M a n f r e d a ' s ..Se'ibstzerstör e r " den Tod. Als Ü b e r b r i n g e r des „Vergessens" soll dieser ihn v o n allen Z w e i f e l n b e f r e i e n . Den R a h m e n des Geschehens bildet die w i l d e A l p e n w e l t , die die seelischen K ä m p f e des Helden widerspiegelt. Der russisch^ Dichter I w a n T u r g e n j e w (1818—83) w a r durch seinen l a n g j ä h r i g e n E m i g r a n t e n a u f e n t h a l t in Deutschland m i t d e m Stoff b e k a n n t geworden. Seine FaustNovelle in B r i e f f o r m (1856) ist reich an lyrischen Zügen. T u r g e n j e w e r z ä h l t von d e r s e l t s a m e n W i r k u n g , die die Bek a n n t s c h a f t m i t G o e t h e s Faust a u s ü b t . P a w e l B.. d e r Briefschreiber u n d V o r l e s e r des Faust, verliebt sich in die verh e i r a t e t e W e r a , die s e i n e m Fausi-Vortrag zuhörte. Auch in i h r k ü n d i g t sich ein Liebesbegehren an. Dem Schuldigw e r d e n e n t g e h t sie durch den Tod. Das Schicksal G r e t cnens u n d F a u s t s w i e d e r h o l t sich äußerlich nicht. F ü r W e r a und d e n Beichtenden ist das eigene E r l e b e n jedoch identisch m i t Goethes T r a g ö d i e . Einen bedeutsamen Beitrag zur Faust-Literatur lieferte Ungarn. Imre Μ a d ä c h (1823—64) schuf ein großangelegtes Menschheitsdrama, das den Titel Az ember tragidiäjc (Budapest 1861) trägt. Unter dem Namen Die Tragödie des 94
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Menschen wurde das dramatische, später f ü r die Bühne eingerichtete Gedicht auch in Deutschland bekannt. Es gehört in Ungarn zum ständigen Repertoire der Theater. In dem in der Form des Mysterienspiels angelegten Ringen des Himmels und der Hölle um den Menschen steht Adam als Zentralgestalt. In ihm vollzieht sich der Kampf zwischen dem Edlen und dem Nichtigen. Luzifer, der vom Herrn seinen Anteil an der Welt verlangt, führt Adam una Eva in Versuchung. Zum menschlichen Dasein verurteilt, durchlebt Adam alle Epochen der Weltgeschichte. Als ägyptischer Pharao, als Miltiades, als reicher Römer, als Tankred, Kepler und Revolutionär Danton sucht er die größten Ideen zu verwirklichen. In der Hand der Menschen verwandelt sich vor seinen Augen alles Hohe in das Gegenteil. Enttäuscht, ohne Glauben an die Zukunft der Menschheit, ist Adam bereit, jegliches Hoffen und Stieben aufzugeben. Doch da wird ihm der Auftrag zuteil: „Kämpfe stets vertrauend". Nicht Luzifer, sondern der Herr als Prinzip des Guten und Zukunftsträchtigen triumphiert. In einer Vielfalt der Szenen unternimmt Madäch eine Musterung der Geschichte mit dem Resultat, der Mensch müsse sich in Gegenwart und Zukunft bewähren. Das Leben gilt als ein fortwährender Kampf. Er ist der Inhalt menschlichen Daseins. Adam, der Mensch, muß sich immer erneut behaupten. Ihn begleitet Eva, die in ihrer wechselnden Gestalt die Frau der verschiedenen Zeiten und die gleichbleibende Idee des Guten verkörpert. Madächs Werk ist voller Anspielungen auf die Zeit und die ungarischen Verhältnisse. Das Hinübergreifen Adams über die Gegenwart hinaus, die ihm keine Gewähr f ü r die Zukunft bietet, zeugt f ü r den Fortschrittsglauben des ungarischen Dichters. Wenn Madäch auch nur wenige Motive der damaligen Faust-Tradition aufgreift, so hat er doch mit der Vorführung des menschlichen Schicksals, mit der Gestaltung eines Menschheitsdramas den Kern des Faust-Stoffes berührt und erfaßt. Auf dem Umweg über Gounods Oper f a n d Goethes Faust sogar den Weg nach Südamerika. In dem Versepos Fausto 95
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Faust-Dichtungen in der 2. Hälfte des 19. Jh.
(Buenos Aires 1870) behandelt Estanisiao del C a m ρ ο (1834-81) den Stoff, der jetzt in die Welt der Gauchos verlegt ist, und, unter Einbeziehung historischer Elemente, in der argentinischen Pampa spielt. Angeregt w u r d e del Campo zu seiner Dichtung durch eine Aufführung von Gounods Margarete, die in Buenos Aires stattfand. Faust wird bei del Campo zum Symbol der freiheitlichen, ungebundenen Lebensform der Gauchos. Der Beitrag des 19. J a h r h u n d e r t s zur Faust-Literatur ist zahlenmäßig nicht gering; aber nur Grabbe, Lenau, Heine und Madäch sind als wirklicher Gewinn anzusehen. Das 20. J a h r h u n d e r t wird ein geringes Plus gegenüber dem 19. aufzuweisen haben, jedoch nur in der Fülle der Gestaltungen, nicht in jedem Falle hinsichtlich der Bedeutung des einzelnen Werkes. Auffällig ist an den wichtigsten Dichtungen des 19. J a h r hunderts die bewußte Opposition gegen Goethe und dessen optimistischen Humanismus der klassischen Periode. Grabbes Faust ist von sich aus zur Höllenfahrt bereit. Heines Gestalt bejammert, in Anlehnung an die alte Überlieferung, ihr Geschick, das sie der Hölle verfallen läßt. Lenaus Held endet im Selbstmord. Stolte rettet zwar seinen Faust, faßt aber die Erlösungsmöglichkeit völlig religiös auf. Nirgends zeigt sich, im Hinblick auf Erfüllung und Errettung, eine Goethe gleichkommende Leistung. Es gibt noch andere Momente, die f ü r das 19. J a h r h u n dert charakteristisch sind. Seit 1840 nimmt die w i s s e n s c h a f t l i c h e B e s c h ä f t i g u n g mit der Geschichte des Faust-Stoffes zu, vermutlich unter dem Eindruck der Veröffentlichungen des Faust II. Scheib'e, Simrock und später Zarncke u. a. bemühen sich um die Ausgabe der Texte des Puppenspiels, des Faust-Buchs, der Faust-Lieder und der magischen Schriften. Man beginnt die Quellen zum historischen Faust zu erschließen (Reichlin-Meldegg, Tille), und die erste FaustBibliographie wird zusammengetragen (Engel). Diese Entwicklung wird beflügelt durch die Auffindung des Urfaust im Nachlaß des Fräuleins von Göchhausen (1886, 1887 ge96
Faust-Dichtungen in der IHälfte des 19. Jh.
druckt) und durch die Herausgabe der großen „Weimarer Ausgabe" (seit 1887), die Goethes Schriften erstmalig vollständig erfaßt. Beide Ereignisse sind Veran'assung, den Quellen Gcethes und der Entwicklung des Faust-Stoffes überhaupt nachzugehen. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Geschichte des Themas wird auch nach 1900 fortgesetzt, vielleicht sogar in stärkerem Maße. Namen wie Petsch, Witkowski usw. wären in diesem Zusammenhange zu nennen. Schließlich soll auf die mehrfachen B ü h n e n bearbeitungen Goethes hingewiesen werden, die die bedeutendste deutsche Dichtung unseren T h e a t e r n als unverlierbaren Besitz erhalten. Seit den Aufführungen des J a h res 1829 gehört es zu den vornehmlichsten und mit Ernst wahrgenommenen Aufgaben unserer Bühnen, dem Goetheschen Faust zur Verlebendigung zu verhelfen.
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
HANS HENNING
FAUST IM Z W A N Z I G S T E N J A H R H U N D E R T Ein Versuch
Das Faust-Thema durchzieht wie kaum ein anderes die Geschichte der Weltliteratur. Die Ursprünge, die weit vor der historisch belegten Gestalt des 16. Jahrhunderts liegen und m die Antike zurückreichcn, sind mit Theophilus, Militarius und Simon Magus verknüpft. Seit dem 16. Jahrhundert läßt sich eine ununterbrochene Tradition feststellen. Die wichtigsten Stationen sind die Nachrichtcn über den historischen Georg Faust, die Frankfurter »Historia« von 1587, M a r lowe, die Faust-Bücher und-Spiele des 17. und 1 S . J a h r h u n d e r t s , Lessing, Goethe, Lenau, Heine, Madach, Avenarius, Valery und Thomas Mann, um nur einige zu nennen. Unverändert hat die Faust-Gestalt auch in der Weltliteratur unserer Zeit als Vorwurf gedient. Im Folgenden soll ein Überblick über diese Dichtungen des gegenwärtigen Jahrhunderts gegeben werden. Es kommt dem Verfasser nicht darauf an, eine vollständige Aufzählung aller Faust als Symbol benutzenden Gestaltungsvcrsuche zu bringen, sondern vielmehr eine Gruppierung der vorliegenden lvrischen, epischen und dramatischen Bearbeitungen zu bieten und die Grundlinien darzulegen 1 . Die Faust-Dichtungen der Gegenwart sind, von vereinzelten Ausnahmen abgesehen, im wesentlichen von den vorausgehenden Leistungen abhängig. W i r dürfen deshalb eingangs festhalten, daß die Faust-Arbeiten in erster Linie in Goethes Nachfolge stehen. Weitere Schöpfungen folgen dem Faust-Buch bzw. dem Volksschauspiel und Puppenspiel. Nur wenige der neueren Versuche ergeben eine wirkliche Fortführung der Faust-Tradition. Auch auf diese Werke werden w i r eingehen, um die realen Möglichkeiten der Faust-Literatur des 20. Jahrhunderts zu erwägen. I. V o m Faust-Buch beziehungsweise von der darin geschilderten historischen Gestalt zeigen sich nur wenige W e r k e inspiriert. Der kulturgeschichtliche Roman »Faust. Ein Buch von deutschem Geist« 2 des in Budapest geborenen Wiener Schriftstellers ERNST KRATZMANN (1889-1950) kann nur mit Einschränkungen
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
genannt werden. Faust gilt dem Verfasser als Sprechcr der vielleicht erregendsten Epoche deutscher Vergangenheit. Es ist damit nicht etwa das Reformationsjahrliundert, in dem der historische Faust gelebt hat, gemeint, sondern die Zeit zwischen 1290 und 1350. »Faust« soll also vielmehr die geistige Unruhe eines Abschnitts der Gcistcsgeschichtc bedeuten, der durch die Namen Eckehart, Tauler, Merswin und Seuse charakterisiert ist. Mitten in den Wirrnissen und in den Kämpfen um eine Reinigung der Kirche steht Faust. Er begegnet den großen Gestalten der Zeit, womit Fausts Existenz um 200 Jahre vorverlegt wird. Die Ideen des 14. Jahrhunderts sind sichtbar gemacht, ebenso der Ablauf der Geschichte in ihren wichtigsten Momenten. Neben Kratzmanns Roman können wenige weitere Faust-Impressionen und -Geschichten bezeichnet werden, die den Faust des 16. Jahrhunderts zu schildern beabsichtigen. Es ist beispielsweise AUGUST VETTERS (geb.1887) »Dr. Faust in Augsburg«^ zu erwähnen, eine Skizze, die von dem Auftauchen des Magiers im Rittersaal zu den »Drei Mohren« erzählt, und HERMANN HESSES (1877-1962) »Ein Abend bei Doktor Faust«, eine 1927 entstandene kleine Geschichte4, die Faust die für ihn ungeheuerliche Erfindung des Radios erleben läßt. Neuerdings veröffentlicht KLAUS MAMPELL Episoden aus dem Leben des historischen Faust, die er angeblich »alten Chroniken« nachbildet und die er in einem Buch zusammengefaßt hat 5 . Christoph Wagner stellt den Erzähler der Begebenheiten dar. Nach Betrachtung der wenigen, vom historischen Faust ausgehenden Arbeiten wollen wir uns verschiedenen lyrischen Schöpfungen zuwenden, die von einem allgemeineren Standpunkt aus den Inhalt des Faust-Themas zu umschreiben versuchen. Beachtung
verdienen
in diesem Zusammenhang MAX SEGONNES
»Faustus «-Poeme, die zum Teil in Sonettenform abgefaßt sind6. Faust wird als Symbol für den Menschen und sein Schicksal aufgefaßt. Große Gestalten der Literatur- und Geistesgeschichte werden deshalb in dem Zyklus beschworen, so Baudelaire, Ahriman u. a. Die ewigen Leitbilder wie »La Beaute« werden herangezogen. »La fin de Faustus« berührt vor allem die eigentliche Faust-Gestalt. Diesen Gedichten stehen einige von rumänischen Autoren nahe, so M. C o DREANUS »Faust« 7 , MARIA HINNAS gleichnamiges Gedicht 8 und M . SAULESCUS
»Durerea lui Faust«9, denen zahlreiche aus anderen Nationalliteraturen an die Seite gestellt werden könnten. II. An das Faust-Spiel in Gestalt des alten Volksdramas, das von Marlowe ausgeht und das seine Fortsetzung und zum Teil verflachende Zerspielung als Puppenspiel erlebte, schließen sich die dramatischen Arbeiten von LORENZ SCHMITT, KUHT 8
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 383
RIEMANN, HUGO SCHMIDTVERBEEK, KAMIL BEDNAR und VICTOR EFTIMIU an. LORENZ SCHMITTS Volksschauspiel » D o k t o r Johannes Faust« 1 " ist uneingeschränkt d e m Puppenspiel in Karl Simrocks Fassung 1 1 verpflichtet. D e r Bearbeiter wollte die Handlung in einer »leicht aufführbaren und der heutigen Sprache angemessenen F o r m darbieten«, und zwar so, w i e Goethe etwa den Stoff kennenlerntc. Dieses Vorhaben ist nur eines unter vielen, den T e x t zu modernisieren, geblichen. In KURT RIEMANNS Bearbeitung »Leben, T o d und Erlösung des Dr. Johannes Faust« gibt es, in Angleichung an Goethe, eine Rettung v o r Mephisto 1 2 . Faust w i r d erlöst. Nachdem sich auch HUGO SCHMIDTVERBEEK am Puppenspiel v e r sucht und mit »Doktor Faust. Das Leben und die Höllenfahrt des weltberühmten Zauberers und Schwarzkünstlers« eine vereinfachte Gestaltung f ü r ein bis zwei Spieler gegeben h a t t e t , aktualisierte er den Stoff in einer weiteren Arbeit. W e n n SCHMIDTVERBEEK im »Doktor Faust« im wesentlichen dem ursprünglichen T e x t f o l g t , so stammen doch einige Szenen von ihm, während andererseits die Handlung am H o f e von Parma fehlt. Durch Einfügen mundartlicher Stellen und Redensarten entstand eine Art »sächsischer Faust«. Die Titelgestalt verfällt, wie sonst üblich, dem Teufel, aber Kaspar weiß ihn in die Flucht zu schlagen und sich selbst v o r ihm zu retten. In dem zweiten, recht lustigen Stück »Der Tragödie v o n D o k t o r Faust unwiderruflich dritter und letzter Teil oder Faust bekommt endlich eine W o h n u n g « 1 4 w i r d die Handpuppenbühne benutzt, um die W o h nungsfrage in der Zeit nach dem ersten Weltkrieg zu behandeln. Faust lebt, seit 1 5 0 J a h r e n mit Gretchen verlobt, in Wittenberg, ohne eine W o h n u n g erhalten zu haben. Mephisto will Faust v o n Gott abtrünnig machen, indem er ihm eine Behausung verschafft. Als aber das Wohnungsamt endlich hilft, ist Mephisto der Geprellte, der schließlich auch noch v o m Kaspar erschlagen wird. BEDNAR versucht, den T e x t des alten Faust-Spiels durch eine Neufassung für die noch immer lebendige Puppenbühne zu erhalten. Sein »Johannes Doktor Faust« darf als gelungen bezeichnet w e r d e n 1 5 . Es ist zu wünschen, daß die Neugestaltung nicht nur in tschechischer Sprache in das Repertoire der Puppenspieler Aufnahme findet. Eine moderne Übertragung des alten Puppenspielertextcs nach der U l m e r Fassung in die französische Sprache gab MARTHE ROBERT16. Diese Ubersetzung sollte als eine der weiteren Bemühungen um das alte Faust-Spiel genannt werden. Weniger streng an die alte Vorlage hielt sich der rumänische Dichter und Schauspieler EFTIMIU (geb.1889) mit »Doctor Faust, Vräjitor« 1 7 , w e n n auch die inhaltlichen Änderungen gegenüber dem Volksschauspiel hauptsäclilich in Äußerlichkeiten zu finden sind. So wird die Handlung, w i e bei Kratzmann, in der Zeit um 1300, d.h. also vor der eigentlichen Faust-Epoche, angesiedelt. Faust erscheint zusammen mit Dante auf der Bühne. Die Fortsetzung des Stücks bringt eine V c r -
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legung ins 16. Jahrhundert. Faust wird als ein nach dem Unendlichen strebender Mensch, der sich in Sehnsucht nach vollkommenem Wissen verzehrt, charakterisiert. Der Autor beabsichtigt, indem er das Geschehen in zwei Epochen ablaufen läßt, den unaufhörlichen Prozcß geistigen Ringens in der Welt und den fortwährenden Widerspruch zwischen Gut und Böse zum Ausdruck zu bringen.
III. Den unbestreitbar tiefsten Einfluß übte Goethes »Faust« auf die Dichtungen des 20. Jahrhunderts aus. Selbst die nicht unmittelbar Goethe folgenden Werke - im objektiven Sinne gemeint - können an der bedeutendsten Dichtung deutscher Sprache kaum vorbeigehen. An allen Faust-Gestaltungen des 20. Jahrhunderts lassen sich die Nachwirkungen des Goetheschcn Werkes nachweisen 1 ', sei es in einzelnen Zügen und Motiven oder in der Gesamtkonzeption, Faust als den sich immer strebend Bemühenden vorzustellen, der als crlösungsfähig gilt. Zunächst ist eine Gruppe von Faust-Dichtungen zu behandeln, die als Fortsetzungen oder Neugestaltungen von Goethes Lebenswerk zu bezeichnen sind. Hierher g e h ö r e n d i e V e r s u c h e v o n TORBRECH, FELLNER, GSTÖTTNER, LUNA0ARSKIJ, STAHN,
GROSSMANN und ZAPFE sowie »Das Faustbüchl« v o n GRASMAYR.
CARL PETER TORBRECH (d.i. Carl Borchert, 1850 in Estland geboren), möchte mit seiner 1920 gedruckten dramatischen Dichtung »Eine Faust-Phantasie«!' eine folgerichtige Weiterentwicklung der Ereignisse des ersten Teils von Goethes »Faust« auf der Basis des Natürlichen geben. Er glaubt, daß der zweite Teil des Goetheschen Werkes über das Begriffsvermögen und den Bildungsgrad des Volkes hinausgeht. Nach dem Vorhergegangenen empfindet Faust Gewissensbisse. Mit guten Taten will er sich davon erlösen. Mephisto beschwichtigt ihn durch einen Trank. Neue Liebe - Lenchen - wird Faust zuteil. Aber Faust bleibt ohne Ruhe; der Priester versagt ihm jegliche Hoffnung. Die Tat - Nutzbarmachung des Meeres - soll Faust befreien. Als das Werk vollendet ist, stirbt Faust mit dem Segen der Kirche. Mephisto bekommt die verpfändete Seele nicht in seine Gewalt. In Anknüpfung an den ersten Teil von Goethes »Faust« entstand 1902 »Der neue Faust«20 des österreichischen Philosophen FERDINAND FELLNER, Ritter von Feldegg (1855-1936). Im Vorspiel wird Faust von Mephisto zu neuen Erkenntnisgelüsten verführt. Als Dr. Heinrich erscheint er im eigentlichen Stück, das als Gelehrtentragödie bezeichnet ist. Die Hauptgestalt verkörpert den Wissenschaftler und den Arzt der Jahrhundertwende, der sich um die Entschleierung der Geheimnisse des menschlichen Lebens wie Somnambulismus und Serumbehand10
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lung bemüht. Faust als Dr. Heinrich schreitet von der reinen Erkenntnis zur Tat. Er wird dabei schuldig, da während eines Versuchs Klara, sein Weib, aus dem Schlaf in den Tod hinübergleitet. Von Dr. Viereck, der für Mephisto figuriert, wurde er zu der gewagten Unternehmung verleitet. Im Nachspiel behauptet Mephisto seinen Anteil an der »neuen Zeit«, doch »Der Herr« weist ihn zurück mit den Worten »Auch diese Zeit, sie ist von meinem Licht erhellt«. Zur Charakterisierung der geistigen Situation läßt Fellner in einer Akademiesitzung den Physiologen, den Materialisten, den Darwinianer, den Agnostiker usw. auftreten. Auch diesem Bühnenwerk war die bleibende Wirkung versagt. Als »neuen Faust« läßt sich ebenfalls die dramatische Dichtung »Der Wanderer« 21 ARTUR GSTÖTTNERS, eines Österreichers, auffassen. Das 1933 gedruckte Spiel ist im Aufbau nach Goethes Vorbild gestaltet. In der der eigentlichen Handlung vorausgehenden Szene »BeimTheaterdirektor« wird die »Grund-Idee« genannt: »Was würden heut nach hundert Jahren Ein Faust und ein Mephisto sagen« (S.7). Im »Prolog« werden diese beiden Gestalten als »Der Wanderer« und »Der Verneiner« vorgestellt. In den vier Szenen des »Vorspiel« wiederholt der Autor Passagen aus Goethes Dichtung in modernisierter Form (Faust und der Tod, Mephisto und der Schüler diskutieren über den Sinn des Lebens, Mephisto und Martha sowie Faust und Gretchen zeigen das Bild der Liebe, Mephisto offenbart sein teuflisches Wesen). An Stelle der Walpurgisnacht steht die »Romfahrt«. Jetzt erscheinen vor Faust Heilige und Sünder mit dem Ergebnis, daß Faust dem Treiben der Welt überdrüssig wird. »Vorspiel« und »Romfahrt« bilden den ersten Teil der dramatischen Dichtung. Im zweiten mit den Szenen »Das Freudenhaus«, »Inferno«, »Justitia«, »Im Spätsommer« und »Die Schlucht« betrachtet Faust noch einmal die verschiedenen Seiten des menschlichen Daseins. Die Motive sind das Verhältnis zwischen Mann und Frau, Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld, Sicherheit und Zerstörung, Niedergang und Mut zum Neuanfang. Im Schlußbild (»Die Schlucht«) wird ein Sinnbild des menschlichen Seins geboten; umtost von den Naturkräften, läutert sich Faust, der nun den Tod als Freund begrüßt. Mit den Worten »Die Seele, die nach vielem Ringen Heimkehrend wir zum Lichtc bringen« (S.242) schließt das Drama, das trotz des gewagten Versuchs, Goethe zu wiederholen, manche eindrucksvollen (Abschiedsstunde des unschuldig Verurteilten) und literarisch bedeutsamen (»Die Schlucht«) Passagen enthält.
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
Nicht als Fortführung des ersten oder zweiten Teiles von Goethes Faust, sondern als Konkretisierung eines einzelnen Motivs aus Faust II ist das Lesedrama
Vasil'evk; LunaCarskijs (1876-1933)
Anatolij
gedacht. Das W e r k des ersten Volks-
kommissars für Erziehung und Volksaufklärung der Sowjetregierung, 1906 bis 1908 ausgearbeitet, erhielt 1916 seine endgültige Fassung. Uber »Faust i gorod« (Faust und die Stadt) 22 äußerte sich der Verfasser: »Der Leser, der Goethes großen Faust kennt, geht nicht fehl in der Annahme, daß mein »Faust und die Stadt« angeregt wurde von den Szenen im zweiten Teil v o m Faust, da Goethes Held eine Freie Stadt gründet. Die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesem Geisteskind und seinem Begründer, die Lösung des Problems, in dramatischer Form, bezüglich des geistigen Gehalts und seiner Tendenzen zu einem aufgeklärten Despotismus auf der einen Seite und zu einer demokratischen Lebensform auf der anderen - das sind die Ideen, die mich bewegten und die mein W e r k vcranlaßten.«2^ Faust als Herzog, seine Tochter Faustina und sein Sohn Faustulus stehen in der Entscheidung
zwischen
feudalistischer
und
fortschrittlich-freier
Haltung.
Faustulus wird dabei zum Verbrecher. Faustina findet in der Liebe zu Gabriel, der die Sache der Demokraten vertritt, Anschluß an das Volk. In dem Enkelkind Heinrich, das Faust durch die Verbindung von Faustina und Gabriel geschenkt wird, erkennt er sein ursprüngliches Ich wieder. Dies und die Lage in der Stadt und in seiner Umgebung sowie die Stärke der neuen gesellschaftlichen Kraft bewirken eine Veränderung in Fausts Gedanken: er wird wieder eins mit dem Volk. In der zehnten Szene heißt es nun: »Bin der Herzog! Ich bin der Doktor Faust, B ü r g e r . . . « Die Rückkehr in das Volk wird zum »Augenblick des Glücks«. Damit ist Fausts Leben erfüllt. D e m Arzt, der Fausts Tod feststellt, antwortet Gabriel vor allem Volk in der Schlußszene: »Faust ist lebendig in allem! Er lebt in uns! Er lebt für immer!« Z u den Personen der dramatischen Dichtung gehört auch Mephisto. Er vertritt das lebensfeindliche Element in seiner Funktion als Anwalt des feudalen Systems. Der Verwirrung stiftende Intrigant hat sich zwischen Faust und das Volk gestellt. Die Aktualisierung des Stoffes ist in einer solchen Form dargeboten, die es bedauerlich erscheinen läßt, daß die Faust-Dichtung Lunaiarskijs heute fast unbekannt ist. Als dritter Teil zum Goetheschen Faust erweist sich »Faustus redivivus« (1921) 24 von
Hannah Stahn (geb. 1886). Der universelle Kampf 12
zwischen Gut und Böse,
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
Gott und dem Teufel endet im Sieg der Liebe. In der philosophischen Dichtung mit lyrischen und dramatischen Zügen hat sich Mephisto noch einmal das Ringen um Faust von Gott abgetrotzt. Der Wiederkehrende erscheint als Dr. Antonio, dessen Herausforderung an Mephisto lautet: »Ich will die Höhen wie die Tiefen messen! Kraft meines Willens wähl ich im Beschreiten Den Pfad - der mich zu deinen Reichen führt, Als Wissender dir Trotz zu bieten!« (S. 29) Vergebens die Verführungen der Liebeshölle, vergebens das erneute Spiel mit Helena, die sich in der Macht Mephistos befindet, und erfolglos die anderen Ränke des Bösen. Die Geistesschlacht um die Welt zwischen Faust-Antonio und Mephisto führt im Herzen der Erde zur Meisterung Satans. Als sich Antonio in den Höllenschlund stürzt, wird er gerettet durch den Erzengel, denn er wurde »für treu befunden« und ist »Eins« mit dem Herrn (S.107). Auf die Nähe des Expressionismus deuten eine verkürzte Sprache und die Lichteffekte einbeziehenden Regieanweisungen. Von der Reinkamationslehre geht ALBERT GROSSMANN mit dem 1934 veröffentlichten Bühnenstück »Faust« aus, denn es muß »jedes Menschen Ich um der Gerechtigkeit Erfüllung" wieder zur Erde zurück, um gutzumachen, was der Mensch in seiner Lebensmission bewußt oder unbewußt versäumt hat« (S. 5). So soll »der wieder Mensch gewordene Faust, durch die Urschöpfung gezwungen, in der Erlösung des Bösen sein einstmals durch den Pakt mit Mephisto verlorenes Ich der Seele« zurückgewinnen (S. 5). In der Weiterführung Goethes muß Faust erneut auf der Erde ein Bündnis mit dem Teufel eingehen. Die Wandlung beginnt mit der Liebe zu Roselieb, die Gretchens Stelle einnimmt. Faust wird zu einem freien Christentum gerufen, dessen Hauptinhalt die Liebe ist. Bild 8 und 9 leiten die Berufung Fausts ein. Die Geister reden zu ihm mit den Worten: »Rüste Faust! Die Welten beben, mach des Glaubens Fackel frei« ( S . i n ) . Der Abrechnung mit den teuflischen Attributen Geldgier, Lüge, Neid usw. folgt die Bekehrung Mephistos durch Faust zum Kreuz, denn »Zu des Meisters heilig* Füßen Ruht die Kreatur des Seins« (S.247). Die Handlung spielt im 18., später im 19. Jahrhundert. Es fehlt ihr der klare Aufbau. Manch treffender und tiefer Gedanke kommt infolge der verschwommenen Komposition nicht zur Geltung. 13
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
Eine komplizierte sprachliche Diktion, die auf grammatikalische Regeln keine Rücksicht nimmt, sowie dunkle, unverständliche Gedanken verwehren den Zugang zu »Faust. Der Tragödie 3.Teil« von KARL ZAPFE. Wir haben es hier mit einer Folge von Visionen zu tun. Die 1929 herausgegebene lyrisch-philosophische Dichtung 2 « lehnt sich nur äußerlich an die dramatische Gestaltung an. In endlosen Diskussionen um »die Ewige«, um Wahrheit, Glauben und Wissen muß sich Faust als Anwalt des reinen, suchenden Menschen gegen den Gaukler und Geistvemeiner Mephisto behaupten. Bereits im Vorspiel begegnet der auferstehende Faust seinem Widersacher. Geister, Seelen und Schemen (»Unrast«, »Narr«) kreuzen Fausts Weg, der als ein Verbitterter sagen kann, es »Empfänget keiner die Erlösung« yS. 171). Im Gegensatz zu den eben behandelten Faust-Gestaltungen, die eine Ergänzung zu Goethe darstellen und die Handlung über den Schluß des zweiten Teils hinausführen sollen, verfaßte 1948 ALOIS GRASMAYR (1876-1955) sein »Faustbüchl«. Er beschränkt sich darauf, »Goethes Faust I. und II.Teil für den Alltag und in österreichischer Mundart« zu erzählen27. Die Prosa-»Übertragung« in das Mundartliche ist mit einer Auslegung und Erklärung Goethes verbunden. Das »Büchl« weist manche humorvollen Stellen auf, kann aber sonst als seltsame Vermischung von Nachdichtung und eigenwilligem Kommentar nur als Kuriosität gewertet werden. Wir kommen nun zu den Faust-Versuchen, die weniger durch die unmittelbare Anlehnung als durch die Gestaltungsabsicht in Goethes Nachfolge stehen. Im geistigen Gehalt sollte sich FERDINAND AVENARIUS' (1856-1923) »Faust«-Spiel nach der Absicht des Autors der Weltdichtung Goethes verwandt erweisen. 1914 entstanden2', ist es fast vergessen. Im Stil und in der Diktion gehört es ganz dem 19. Jahrhundert an. Auf religiöser Grundlage entstanden, bezieht das Stück personifizierte Begriffe wie »Der Denker«, »Der Sucher«, »Der Helfer« usw. ein. Nach Gretchens Tod wird Faust durch ganz Europa und die Zeit nach 1900 getrieben, immer auf der Suche nach der Gnade, der Wahrheit und endlich nach nützlicher Tätigkeit. Die Nachformung des Stoffes auf der Basis von Goethes Grundkonzeption ist nicht zu leugnen, doch fehlt trotzdem der lebendige Geist großer Dichtung. In der Einführung zu »Khäli oder Der Ausgleich«, 1900/1901 geschrieben29, sagt der sich unter dem Pseudonym »Walther von der Elbe« verbergende WALTER EVERT über seine Auffassung der unverändert lebendigen Gestalt: »Faust ist das heutige Volk - der frei denkende Mensch, der aber noch am Boden des Christentums haftet und haften möchte - im heutigen scharfen Leben, [das] dargestellt [wird] durch London« (S. 1). Faust »sieht die Gegensätze von Armuth und Reich-
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thum, von Glaube und Wissenschaft, den Pessimismus und dessen Folgen, Elend und Atheismus... Vergeblich sucht er, trotz aller Erfahrung, die Gegensätze zu vereinigen, befriedigend zu erklären. Ein Etwas fehlt, der Schlüssel. W o findet er den;« (S.i). Nach Evert nicht bei der Poesie, nicht bei der Philosophie, auch nicht im Lebensgenuß beim »groben Wirth«, sondern bei der indischen Satva, der großen Wahrheit. »Das Ideal, das er [Faust] ahnt und wünscht, ist ein reiner Glaube, ein ideales reines Christenthum, im Bunde mit geklärtem Wissen und auf Basis von heiter-antiker Lebensanschauung, Kunstsinn und unschuldigem Lebensgenuß« (S. 2). Dieses Suchen führt zum Kampf gegen Pessimismus und Orthodoxie, bis sich der Weg öffnet zu Khali, d.h. »zur Hölle, die den Schlüssel hält« (S. 2). Da wird Faust Antwort auf seine Fragen über das Sterben und über die Berechtigung des Bösen mit den Gedanken: »alles Böse in sich selbst zerfällt« (S. 132) und »Die Welt ist gut, der wahre Mensch sei gut« (S. 133). Das dramatische Werk Everts schwankt zwischen hohem und banalem Stil. Manche Gedanken sind nicht uninteressant, jedoch lassen sich viele Anleihen bei der indischen Geisteswelt, beim Spiritismus usw. nachweisen. Erfreulich ist die zum Teil offene Kritik an der Gesellschaft und Kultur der Jahrhundertwende. Die zwischen 1910 und 1916 entstandene epische Dichtung »Faust. Ein deutscher Mythos« von EWALD LUDWIG ENGELHARDT (1879-1953;) kann lediglich als »entfernter Vetter des Großen« bezeichnet werdende. Im Vor- und Nachsang erweist sich der Verfasser allzusehr dem Zeitgeist verhaftet, wenn er den Krieg als Bewährung bejaht und als Heldenzeit feiert. Faust wird als Symbol benutzt, um ein individuelles Erleben zu gestalten und gleichzeitig die faustische Gestalt in ihrer Zeitlosigkeit zu beschreiben. Faust gilt Engelhardt nicht als Teufelsbündler, sondern als Gottsucher. Als hilfreicher Führer steht ihm der Vogel Phönix zur Seite. Im ersten Gesang reist Faust in die Weite des Weltenraums, um dann als Beherrscher der Welt in die Höhen und Tiefen des Menschenlebens einzudringen. Im dritten Gesang findet Faust die »innere Wahrheit« (S. 203). Die rechte Einsicht in die Lebensfragen läßt ihn reif erscheinen zur Gottschau. Mit der Erkenntnis »Das All ist Gottes Leib, und meine Seele bleibt Der seinen Teil, ihr ewig einverleibt!« (S. 355/356) läßt Engelhardt die höchste und letzte Stufe der Entwicklung Fausts erreicht sein.
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Einen ähnlichen Gehalt weist WILHELM M[ATTHIAS] KRUEGERS (geb. 1876) »Faust« auf. Der Einakter mit einem Vorspiel erhielt seine gedruckte Fassung 1925 3 1 . Ort (Ingolstadt) und Zeit (1540") lassen darauf schließen, daß der Münchener Autor eher an den historischen Faust als an Goethes Dichtung anknüpfen wollte. In der »dramatischen Legende« wird schlaglichtartig die Entwicklung der Gestalt, deren Herz »verkreidet und versteint« (S.12) ist, zum großen Sünder, der die Schwarzkunst benutzt, um sich einen Ausweg zu verschaffen, und endlich zum Büßer, der auf Fürbitte der Mutter Maria von Christus aller Schuld freigesprochen wird, dargestellt. Mit dem »Ich beuge mich meinem Herrn« (S. 41) wird die Rettung und Entsühnung Fausts eingeleitet, der als Geläuterter die Liebe von Blondine (hier für Gretchen) verdient. Krueger versucht das Legendenhafte durch die Anwendung einer altertümelnden Sprache zu unterstreichen, doch muß gesagt werden, daß die allzu einfache Auffassung des Faust-Themas keine überzeugende Leistung ergeben hat. Von der engen Bindung an das Religiöse ist auch PAUL DEGENS (d.i. Margarete Paul, 1867-;) »Doktor Faust« (1924) bestimmt 32 . Das Erleben des ersten Weltkrieges führt zu der Absicht, den Weg zum Glauben zu weisen. Fausts Auffassung ist zunächst, daß der Weg zum Leben den Weg zum Wissen darstellt, der Glaube aber als das Ende des Wissens zu gelten hat. Luther, der Faust retten will, wird zurückgewiesen. Dafür wird der Pakt mit Lucifer geschlossen. Nach vielen, mit des Teufels Hilfe gewonnenen Einsichten erfährt Faust, daß Liebe und Glaube als letzte Wahrheit gerechtfertigt ist. Faust wird von Gott erlöst und gerettet. Auffällig ist an Degens Darstellung eine gewisse, gegen die Zeichen der Zeit (Revolution 1918) gerichtete Tendenz. Eine reaktionäre Haltung drückt ERICH WIEPRECHT (geb. 1888) mit »Jung-Faust« viel unverhüllter aus3·5. Im Gewände einer »emsthaften Faust-Parodie«, 1923 geschrieben, wendet sich Wieprecht gegen den Völkerbund, gegen die ehemaligen Feinde, gegen die »deutsche Schmach«. Die »deutsche Jugend« will er mit seinem dramatischen Machwerk vor »gefährlichen Versuchungen« bewahren. Faust wird schließlich zum Vorkämpfer der Rache gegenüber den Siegern von 1918! Uber diesen Mißbrauch des Faust-Stoffes brauchen wir nichts weiter zu sagen. Das gleiche gilt für das »Lebensspiel zwischen Teufel und Gott« von BERNHARD KUMMER (geb. 1897) mit dem Haupttitel »Heimkehr im Schatten«. Es erweist sich als mit dem Erscheinungsjahr 1933 3 4 in Übereinstimmung befindlich, was Inhalt und Gedanken angeht. Die Richtung deutet bereits das Vorwort »Von Siegfried zu Faust« zur Genüge an. Faust wird der nordische Heldenmensch, auftretend in Gestalt des Gunnar. Y g g figuriert als Teufel und Gott. Könige, Skalden 16
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 391
und »Getreue« bilden den Gegensatz zum »Priester der römischen Mission«. In gleicher Weise wie die zuletzt genannten W e r k e stehen die Versuche Ζ ERZERS und GAULKES Goethe schon recht fern, jedoch aus anderem Grunde. ZERZER verbindet das Faust-Thema mit der Gestalt Johannes des Täufers. Und GAULKE schreibt einen Faust, der Dante neben Goethe zum Vorbild hat. JULIUS ZERZERS ( g e b . 1889) F a u s t - L e g e n d e »Johannes« (1927)^5 erzählt v o n den
Begegnungen des Kunsthistorikers Doktor Johannes Faust in der österreichischen Bergwelt mit Mephisto (als fremder Tourist verkleidet), mit Wagner (einem Philologie-Studenten) und natürlich Gretchen (Marie, Besitzerin eines Berghofs). Dadurch ist Gelegenheit zu mannigfachen Faust- und Goethe-Reminiszenzen gegeben (Diskussion mit dem rationalistischen Weltverbesserer, dem verknöcherten Wissenschaftler, der liebenswerten Frau). In der Einsamkeit auf dem Berggipfel tritt bei der Titelgestalt die Wandlung von der jenseitigen JohannesEinstellung zur faustischen Diesseitigkeit ein. Mit dem Hinweis auf den geschwollenen Stil und die nicht ausgeschöpfte Symbolhaltigkeit der dichtcrischen Figuren sei die an das Kitschige grenzende Erzählung charakterisiert. Hinsichtlich
der
schriftstellerischen
Leistung
überragt JOHANNES GAULKES
(1869-») 1910 publiziertes Prosawerk »Der gefesselte Faust. Der Menschheitskomödie letzter Schluß«36 fast alle der bisher genannten Erzeugnisse, Lunacarskijs Werk ausgenommen. In der Ich-Form erzählt, berichtet Gaulke von der Begegnung mit dem Teufel, von der Durchwanderung der Zeiten und Länder. In der Art von Dantes Höllenfahrt wird ein Szenarium der Welt- und Menschheitsgeschichte, ein Kaleidoskop aller Philosophien und menschlichen Lebensvorstellungen geboten. Die geistige Situation nach 1900 wird geschildert. Bitterböse Erkenntnisse von der Unzulänglichkeit des menschlichen Daseins werden gewonnen. Das Leben auf der Erde faßt Gaulke als Komödie auf, trotzdem aber sei das Leben eine Lust. Gaulke ist ein scharfer Kritiker, der die Menschheit in ihrer vergangenen und gegenwärtigen Existenz ehrlich, zuweilen pessimistisch beleuchtet. Die Wirkung des kompendiösen Werkes war allerdings nicht von Dauer. Die Äußerung theoretischer Erkenntnisse in der vorhegenden Form, ohne sie völlig in Dichtung zu verwandeln, muß nun einmal als verfehlt bezeichnet werden. In der neueren deutschen Literatur gibt es zwei Beispiele für die Beschäftigung mit dem Faust-Stoff, die nach ihrem geistigen Gehalt in der Goethe-Nachfolge stehen und Beachtung verdienen. »Faustens Ende« lautet der Versuch des in Westdeutschland lebenden Autors HANS DIETER SCHWARZE (geb. 1926). Aus christlicher Sicht geschrieben 37 , wird das Spiel zur Erlösung Fausts geführt. Faust, der zu Gott zurückfinden will, kann gerettet werden. Im Warten auf Mephisto überbrückt Faust die Zeit. Das Erwarten des Teufels, der ihm zur Über-
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
windung der Sünden und zur göttlichen Gnade verhelfen soll, ist als die eigentliche Höllenpein zu deuten. Ein junger Puppenspieler erscheint in der Rolle Satans, u m Faust von seinem W a h n zu heilen. In dem Glauben, dem echten Mephisto begegnet zu sein, gibt Faust seinen Auftrag weiter 3 * und stirbt befreit. In der Begegnung zwischen Faust und dem vermeintlichen Teufel wechselt das Spiel zwischen Wirklichkeit und Uberwirklichkeit. Faust w i r d die Gnade Gottes zuteil. W i r d sie auch dem jungen Spieler, der fast frevelhaft den selbst gewählten Auftrag ausführt, gewährt? M i t dieser Frage läßt Schwarze das Drama ausklingen, dessen Kristallisationspunkte Schuld und Sühne, Gnade und Erlösimg, Glaube und Liebe sind. Bezüglich der tiefreligiösen Aussage läßt sich das schon 1951 gedruckte W e r k »Ein Spiel v o m D o k t o r Faust« 39 des westdeutschen Autors WILHELM WEBELS (geb. 1889) mit Schwarzes Bearbeitung des Themas vergleichen. Faust sucht auch in diesen Szenen und Versen nach dem Sinn des Lebens. Raum und Zeit ist das Heute. Faust erscheint als der Mensch an sich und als der Mensch des 20. Jahrhunderts. In sieben Tagen durchlebt die Titelgestalt in der Verwandlung v o m gefallenen A d a m z u m suchenden Faust die Leidensstationen dieser Tage, unter der B e drohung und dem Menetekel unseres Seins, in der Furcht v o r der A t o m b o m b e usw. Faust kann bei Webels diesen Zustand überwinden. Gott schenkt ihm die Gnade, sich als entsühnter A d a m nach der Prüfung wiederzufinden. Mit A d a m darf Eva (im eigentlichen Stück Magdalena an Stelle v o n Fausts Gretchen) in den Himmel eintreten. Anders versucht PAUL VALERY
(1871-1945) mit
und nach
Goethe in » M o n Faust« die Lösung 4 0 . D e r französische Dichter schafft einen »eigenen« Faust, aber nur in Umkehrung des Goetheschen Werkes. Die esoterische, der Rezeption Goethes gewidmete Gestaltung f ü g t der Faust-Tradition keine neuen Momente hinzu. D i e sprachlich-stilistische Höhe kann darüber nicht hinwegtäuschen. D i e Abstraktion der Fabel darf nicht als ein besonderes Verdienst angesehen werden, w e n n auch gerade in ihr die momentane - recht fragwürdige - W i r k u n g zu erkennen ist. Valery verpflanzt Faust und Mephisto in die W e l t des 20. Jahrhunderts. D a der neue Zeitgeist, d e m das Böse immanent ist, auf den Versucher z u m Bösen verzichten kann, wird Mephisto als überholt und »veraltet« abgetan. D e r Teufel ist ein armer Spießer, der in Abwandlung der alten Fabel z u m Verführten w i r d und es sich gefallen lassen muß, mit den Errungenschaften der neuen W e l t konfrontiert zu werden. Soweit der erste Teil des 1946, d.h. nach Valerys T o d , veröffentlichten Faust-Fragments, der den Titel »Lust 4 1 , das Fräulein v o n Kristall« trägt. Diese komödiantische Parodie w i r d durch die allegorische Zauberposse »Der Einsame oder die Verfluchung des U n i versums« fortgesetzt. Faust will in der abgeschlossenen Bergwelt das erfüllte
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 393
Schweigen finden, begegnet aber dem »Einsamen«, der den Geist als nichtig und f r a g w ü r d i g verachtet, die W e l t verflucht und sich als verneinendes Prinzip entpuppt. V o n dieser Gestalt her beginnt sich das Entsagen Fausts zu entwickeln, das i m Verzicht auf die Überschreitung geistiger Schranken endet. Faust als der Wissende gibt eine weitere Entschleierung der Weltgeheimnisse auf. Die improvisierten Szenen des französischen Dichters beinhalten ein Spiel mit Begriffen des denkenden Geistes. W i r haben ein DewJtspiel v o r uns, das i m Raum absoluter Vorstellungen abläuft. In der Schaffung v o n Schemen statt realer Bühnengestalten berührt sich Valery m i t dem jüngeren MICHEL DE GHELDERODE (geb. 1898), der allerdings nicht w i e Valery eine Prägnanz der Aussage erreicht. Seine 1926 entstandene Tragikomödie »La M o r t du Docteur Faust« ist aus dem Milieu des Surrealismus hervorgegangen 4 2 . Sie ist teils i m 16., teils i m 20. Jahrhundert angesiedelt. Die Verwendung zweier Zeiten w i r d ergänzt durch die Profilierung zweier Gestalten, beispielsweise dem eigentlichen Faust und dem »Schauspieler, der Faust spielt«, und durch die Aufteilung der Bühne, indem bestimmte Szenen parallel vorgetragen werden. D a m i t wird die Absicht der Hintergründigkeit verstärkt. So stehen sich der w i r k lich faustische Mensch und der sich für Faust haltende gegenüber. M i t diesem MißVerständnis und in der Konfrontation soll die tragikomische Situation erhellt werden. I m Vergleich zu Valery und Ghelderode hat der jüngste englische Faust-Dichter, ANTONY BORROW, das dramatische Spiel echter Bühnengestalten nicht aufgegeben. Der »John F a u s t i s t zwar von tiefem Skeptizismus durchdrungen, aber es wird auf ein echt menschliches Problem eingegangen. Es berührt die Stellung des Einzelnen in der W e l t und die eine allgemeine Verpflichtung bedeutenden menschlichen Beziehungen. Insofern erweist sich B o r r o w s Dreiakter als typisch spätbürgerliches Produkt, da das Verhältnis des Gelehrten oder Künsders zur Gesellschaft als nicht in Ubereinstimmung zu bringen geschildert wird. Fausts Leben ist bestimmt durch sein W e i b Helena, seinen Vater »John Faustus Senior«, die Kinder und Freunde. In diesem engen menschlichen Bezirk ist Faust gefangen, ohne der Gegenwart entfliehen zu können. Er, der jede Maske durchschaut hat, steht mitten in seiner nächsten U m g e b u n g allein v o r der Unendlichkeit. Seine Sehnsucht erschöpft sich darin, wieder w i e ein Kind die Dinge betrachten zu können. Diese pessimistische Grundstimmung weist auch ein amerikanischer Beitrag zur Faust-Literatur auf. Thematisch steht die nun zu behandelnde, 1958 erstmalig publizierte Dichtung der Gelehrtentragödie Fellners nahe. EDWAHDJ.BYNG (geb. 1894) nennt »Die Wiederkehr des D r . Faust« mit Recht eine »dramatische
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
Novelle« 44 , da der Handlungsablauf unruhig und gehetzt erscheint. Der amerikanische Kulturphilosoph beschäftigt sich mit dem auf die Erde zurückgekehrten Faust, der in seiner Wißbegierde das »Geheimnis der Lethe« (S. 5) entdeckt hat. Eine Pille kann dem Menschen das Gedächtnis nehmen, es aber auch wieder zurückgeben. Das Unheil, das die Entdeckung für die Menschheit bedeutet, führt zu der ethischen Forderung an Faust, seine Erkenntnisse mit in den Tod zu nehmen. Im Angesicht von Gretchen-Helcna stirbt Faust. Ihr »Ist gerettet!« triumphiert jedoch über Mephistos »Er ist gerichtet!« (S. 66/67). Im Mittelpunkt der Dichtung steht der Satz, es habe »jeder Gelehrte aber auch nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, die Ergebnisse seiner Forschung mit sich ins Grab zu nehmen, wenn sein Gewissen es ihm vorschreibt« (S. 47). Diesen Gedanken, der Wissenschaftler habe seine Entdeckungen der Menschheit vorzuenthalten, wenn sie mehr Böses als Gutes bewirken können, führt Byng aus. Er kann sich deshalb mit folgenden Worten über seinen Versuch äußern: »Dieser Novelle habe ich das Kernproblem unserer Zeit: hie Wissenschaft, hie Ethik, zugrunde gelegt. In diesem Zusammenhang bediene ich mich der zeitlosen Gestalt des Faust, weil Faust ewig wiederkehren, immer wieder seine Wahl treffen muß; denn was er und sein Dilemma symbolisieren, wird aktuell bleiben, so lange es Menschen gibt.« 45 Die idealistische Lösung, die schließlich auf einer negativen Einstellung zu dem V o r wärtsdrängen von Wissenschaft und Technik beruht, wird in einer literarischen Form geboten, die nicht völlig überzeugt. Sensation und billiger Modernismus kennzeichnen an vielen Stellen das Werk. Es bleibt nur zu sagen, daß außer Wagner, Mephisto und Helena noch andere Gestalten aus dem »Faust« Goethes auftauchen. Eine weitere Faust-Dichtung der modernen amerikanischen Literatur steht schon kaum noch in der Goethe-Nachfolge oder auch in der Faust-Tradition. Der 1952 geschriebene und 1959 veröffentlichte Roman »Doctor Sax, Faust Part Three« 4 6 des umstrittenen amerikanischen Schriftstellers JACK KEROUAC (geb. 1922, FrancoKanadier) gehört zunächst des Titels wegen in unseren Themenkreis. Faustische Züge besitzt das W e r k lediglich in einem Punkt: die beiden Helden - Doctor Sax und Jack Duluoz - durchleiden und durchkämpfen alle auf sie zukommenden Bedrohungen. In ihrem Sieg liegt etwas v o m menschlichen Leben, das Faust verwandt ist. Die Geschichte erwachender Jugend wird erzählt. Milieu ist die graue W e l t einer amerikanischen Kleinstadt. Jack Duluoz weist zweifelsohne Züge des Autors auf. Seine Umgebung ist angefüllt mit Mysterien, Schrecken und Ä n g sten. Kerouac umschreibt den Lebensbereich des jungen Menschen mit den Worten: »Memory and dream are intermixed in this mad universe« (S. 5). Z u der Welt des Jungen gehört Doctor Sax, eine unfaßbare geisterhaft-dämonische 20
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 395
Gestalt, halb Freund, halb beängstigendes Wesen. Von ihm heißt es: »Doctor Sax had knowledge of death . . . but he was a mad fool of power, a Faustian man, no true Faustian's afraid of the dark - only Fellaheen - and Gothic Stone Cathedral Catholic of Bats and Bach Organs in the Blue Mid Night Mists of Skull, Blood, Dust, Iron, Rain burrowing into earth to snake antique« (S. 43). Damit konnte zugleich eine Stilprobe des schwcr zugänglichen, häufig verworrenen, infolge unzähliger Einschübsel schwer lesbaren Buchcs gegeben werden 47 . Nach Angstträumen und apokalyptischen Visionen von Jack Duluoz und Doctor Sax wird der Alpdruck, der auf beiden Helden liegt, aufgelöst: eine lichtere Zukunft gilt als Lohn und Preis aller Ängste und Nöte. Leitgedanke ist dabei der Satz »listen to your own seif« (S. 211), sei-wie Faust .'-mutig und zuversichtlich und vertraue auf Dich selbst. IV. Unser besonderes Interesse verdienen diejenigen Faust-Dichtungen, die einerseits die Faust-Tradition fortführen und andererseits durch Anknüpfen an die gesellschaftlichen Bedingungen unserer Epoche die Forderungen der Gegenwart widerspiegeln und erfüllen. Hier sind der Roman und das Opemtextbuch
H A N N S EISLERS
THOMAS MANNS
(1875-1955)
zu nennen. Diese Werke wurzeln zwar in
der Geschichte der deutschen Faust-Literatur, versuchen aber gleichzeitig, wenn auch auf verschiedene Weise, eine Aufhebung der bisherigen Entwicklung für unsere Zeit. Problematischer hinsichtlich der Traditionsverbundenheit erweist sich MANNS
THOMAS
»Doktor Faustus«.48 Die Veränderung der Hauptgestalt zum Tonsetzer
Adrian Leverkühn und die Verknüpfung mit dem Lebensschicksal Friedrich Nietzsches hat verschiedentlich dazu geführt, Thomas Manns Romanwerk nur auf Grund des Titels eine Zugehörigkeit zur Faust-Literatur zuzubilligeu. Nichts ist jedoch falscher als das. Der große Romancier hat vielmehr die bisherige Tradition in echter Weise verarbeitet und - ähnlich Goethe - die mannigfachen Strömungen zusammengefaßt. Sein »Doktor Faustus« ist dem Faust-Buch verpflichtet (s. Oratorium »Dr. Fausti Weheklag« 49 ), vor allem aber dem Goetheschen Faust im Sinne des angedeuteten Vcrbündnisses mit dem Bösen usw. Das Novum des »Doktor Faustus« besteht darin, daß das Thema durch die Verknüpfung mit dem Schicksal der Nation überhöht wurde. Die Bedeutung von Thomas Manns Romandichtung, die in den Entscheidungsjahren des letzten Krieges entstand, beruht in der literarischen Verarbeitung eines Stücks deutscher Geschichte, dem letzten Abschnitt der bürgerlichen Gesellschaft schlechthin. Die Maßlosigkeit, die in der gewollten Zerstörung bürgerlicher Vollendung hegt, 21
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
beispielsweise in der beabsichtigten Zurücknahme Beethovenscher Musik, kann als Ausdruck der Ausweglosigkeit einer Gesellschaftsordnung, die zum Absterben bestimmt ist, gedeutet werden. Thomas Mann hat damit nicht nur seiner Nation unter dem Symbol »Faust« eine Anschauung und Deutung jüngster Vergangenheit gegeben, sondern auch im Rahmen der Weltliteratur den geistigen Zustand einer »Endzeit« künstlerisch widergespiegelt. In dieser Hinsicht überragt Thomas Manns Roman andere Faust-Dichtungen des gegenwärtigen Säkulums. Thomas Mann faßt Faust als Urtyp des Deutschen auf. Ein Befangensein im Antirationalismus ist dessen Gefahr. Im »Doktor Faustus« wird die zwangsläufige Selbstauflösung unter solchen Aspekten gestaltet. Darüber hinaus charakterisiert Thomas Mann die Verwilderung und Barbarisierung der Kunst durch den Modemismus. Der im Wahnsinn endende Künstler ist dafür sichtbarer Ausdruck. Als bemerkenswert muß schließlich die Glaubhaftmachung des Teufelspaktes erwähnt werden. Für das technische Zeitalter ist wohl das Verbündnis mit dem Teufel im Fieberwahn als einzig mögliche Lösung anzusehen, zumal die Handlung in eine sehr reale Umgebung - mit dreifacher zeitlicher Stufung - eingepaßt wird. Von den anzuführenden Motiven konnten nur die wichtigsten erwähnt werden. Auf die Aufgabe der Erlösungsmöglichkeit muß aber noch besonders hingewiesen werden, da Thomas Mann in diesem Punkt von Goethe abrückt. Mit anderen Mitteln wollte
H A N N S EISLER
(1898-1962) in seiner Oper »Johann
Faust« die Uterarische Tradition beleben. Er geht dabei von dem richtigen Gedanken aus, daß der Faust-Stoff als das nationale deutsche Thema bezeichnet werden kann. Es wurde bekanntlich in keiner literarischen Epoche Deutschlands übergangen. Diesen Vorwurf zur Nationaloper zu gestalten ist deshalb folgerichtig. Wenn auch nur das Textbuch 50 beurteilt werden kann - und nur dieses dürfte uns in unserem Zusammenhang interessieren - , so bleibt uns doch die Aufgabe gestellt, die Traditionsverbundenheit einzuschätzen und die neuen Momente aufzudecken. Hanns Eislers Versuch, das sei zunächst festgehalten, stellt eine Verschmelzung aller Entwicklungslinien der deutschen Faust-Tradition dar, wenn er sich auch in erster Linie an das alte Volksspiel anlehnt und Motive aus der Spiesschen »Historia«, dem Goetheschen »Faust« und Faust-Dichtungen des 19. Jahrhunderts einbezieht. Außerdem hat Eisler das Thema mit der konkreten historischen Umwelt des 16. Jahrhunderts verbunden und damit eine Forderung unserer Zeit erfüllt. Wesentlich ist das Auftreten Luthers in Eislers Faust-Szenen und die Aufnahme der gesellschaftlichen Kämpfe des Bauernkrieges und des Münzertums. So bietet sich die Gelegenheit, Gestalten aus dem Volke einzuführen. Das Streben des Menschen nach freier Betätigung und nach voller Entfaltung der Persönlichkeit, nach 1500 vorherrschend, hat den adäquaten Ausdruck
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 397
gefunden. Die Sehnsucht Fausts nach Gestaltung glücklicher gesellschaftlicher Zustände im 16. Jahrhundert fällt mit den Bestrebungen der Gegenwart zusammen. Auch hier ist der Ansatzpunkt einer neuen Faust-Dichtung, die in die Zukunft weist, gegeben. Die Vollendung der Oper blieb dem kürzlich verstorbenen Komponisten jedoch versagt. V. Auf einige Fragmente und unveröffentlichte Arbeiten können wir nicht näher eingehen. Mit allgemeinen Hinweisen müssen wir uns deshalb begnügen. SELMA LAGERLÖF (1858-1940) schuf eine Komödie, in deren Mittelpunkt eine weibliche Faust-Gestalt steht. Diese wünscht sich beim Paktschluß u.a., eine berühmte Schriftstellerin (!) zu werden. Den dritten Wunsch hält sie sich frei, um sich damit vom Teufel lossagen zu können. Satan wird zum Geprellten' 1 . Ungedruckt blieb bisher das 1934 vom Leipziger Sender zum Vortrag gekommene Hörspiel »Dr. Johannes Faust« WAITER GILBRICHTS (geb.1891), das in mancherlei Hinsicht in Goethes Nachfolge steht, aber auch neben völlig eigenen Gedanken solche Valerys und Byngs vorwegnimmt. Im Nachlaß GEORG KAISERS (1878-1945) fand man dramatische Entwürfe, die um 1944 entstanden und »eine Art Faust« darstellen'2. Aus der Hinterlassenschaft des Portugiesen FERNANDO PESSOA (1888-1935) wurden ferner die »Notas para um poema dramitico sobre ο Fausto« gedruckt 53 , die T. S. Eliot bzw. Paul Val£ry geistig nahestehen. In dem Aufsatz »Uber die Bruchstücke zu einem Faust des portugiesischen Dichters Fernando Pessoa« von Albin Eduard Beau heißt es dazu 54 : »Nach diesen Notizen sollte das Werk als ganzes und durchgehend das Thema vom Weltgeheimnis behandeln, den Kampf zwischen dem erkennenden Geist und dem Leben darstellen, in welchem der Geist stets unterhegt. Der erkennende Geist wird dargestellt durch Faust und das Leben auf verschiedene Art, je nach den Umständen des Dramas.«
VI. Zwei Dichtungen, die das Faust-Thema berühren, wenn sie auch nicht Faust namentlich zitieren, sollen stellvertretend für die große Zahl der stoffverwandten Gestaltungen angeführt werden: GERHART HAUPTMANNS »Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume« und FRITZ HOCHWÄLDERS »Donnerstag«. Aus den zwanziger Jahren und der Nachkriegsstimmung Gerhart Hauptmanns (1862-1946) geboren 55 , spricht die »Komödie des Menschengeschlechts« auch
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
heute noch zu uns. Hauptmann verschmilzt Eulenspiegel und Faust, diese beiden Gestalten des aufbegehrenden Volksgeistes vom Beginn des 16. Jahrhunderts. Ihre historische Nähe hat Hauptmann die Aufgabe erleichtert, unter Tills Namen den Gottsucher und Narr zu vereinen. Vielleicht gehört die Versdichtung zu den Werken des Dichters, die am unmittelbarsten das Suchen Hauptmanns, sein Ringen um Weltbild und Weltverständnis, zum Ausdruck bringen. Dabei hat die Unruhe der Zeit, das rastlose Streben der durch das Völkermorden aufgeschreckten und aller sicheren Grundlagen beraubten Menschheit Eingang gefunden. Ähnliche Erfahrungen versucht FIUTZ HOCHWÄLDER (geb. 1 9 1 1 ) in seinen Dramen zu verarbeiten. Der zweite Weltkrieg entzog den Menschen unserer Zeit wiederum ein ungefährdetes Dasein. Das 1959 in Salzburg erstmalig aufgeführte Werk »Donnerstag« 56 stellt den von der Ruhelosigkeit gezeichneten Menschen in den Mittelpunkt. Das »moderne Mysterienspiel«, wie es der Autor mit Recht nennt, weist eine verhaltene Spannung auf, die aus Versuchung und Bewahrung, aus dem Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Teufel resultiert. Von hier aus ergibt sich die Berührung mit dem Faust-Thema. Maskeron und sein Helfer Wondrak, die Pomfrit der Belial-Maschine einverleiben wollen, unterliegen. Sie »bieten ihm alles: Befreiung von Angst, Unruhe, Schwermut, Unzufriedenheit, Verzweiflung, Selbstzerfleischung; Entproblematisierung seiner Existenz; Erlösung vom Erbübel der Seele« (S. 273). A m Montag wird der Pakt mit dem lebensüberdrüssigen Pomfrit geschlossen. Am Dienstag und Mittwoch bedrängen ihn die Verführungen eines bequemen Daseins, die Möglichkeiten der Erforschung des Weltraumes und die wollüstige Liebe, doch am Donnerstag entscheidet sich Pomfrit für das menschliche Leben mit all seiner Wirrsal und Qual. Es triumphiert der Wille zur tragischen Existenz. Die Wandlung in Pomfrit bewirkt die Begegnung mit der Idee der menschlichen Gestalt (Karpora), mit der armseligen und doch hoffiiungsfreudigen Estrella und dem ungläubigen Mönch Thomas. Der Moderne zeigt sich Hochwälder verpflichtet durch die Anwendung von Lichtprojektionen, elektronischer Musik und der Einführung eines Kommentators. Als solcher fungiert Birnstrudl, der dem Diesseits eng verbundene Diener der Hauptgestalt. VII. Es kann nicht unsere Aufgabe sein, weitere Dichtungen, die dem Faust-Thema nahestchen (JEAN-PAUL SARTRES » L e Diable et le B o n D i e u « " , WILLIAM SOMERSET MAUGHAMS »The
M a g i c i a n « 5 8 , JOSEPH GREGORS » C e n o d o x u s « 5 » , ERNST
JÜNGERS Zukunftsroman »Heliopolis« 60 u.a.EI), in unsere Betrachtungen einzubeziehen. Gleichfalls müssen wir es uns versagen, einen Blick auf die in anderen
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
künstlerischen Bereichen entstandenen Faust-Gestaltungen zu werfen (etwa (FRANTISEK SKVORS Ballett » D o k t o r Faust« 6 2 u n d WERNER EGKS » A b r a x a s « "
nach Heine; RICHARD ADLERS und JERRY ROSS' Musical »Damm Yankees« 64 nach der Erzählung von DOUGLASS WALLOP »The Year the Yankees lost the Pennant« 65 ; HERMANN REUTTERS Oper »Dr. Johannes Faust« nach Simrocks Text 6 6 ; EMMANUEL BONDEVILLES »Illustration pour Faust« 67 ; die Faust-Filme von FRIEDRICH WILHELM M U R N A U 6 8 u n d RENE C L A I R 6 ' s o w i e C L A U D E A U T A N T - L A R A S » M a r g u e -
rite de la Nuit« 70 usw. 7 1 ). Legen wir uns dafür die Frage vor, ob das Faust-Thema auch in der Gegenwart und Zukunft lebendig geblieben ist und bleiben wird. Zunächst dürften die unzähligen Interpretationen von Goethes »Faust« auf dci Bühne das unverminderte Anteilnehmen unserer Zeit an dem faustischen Gedanken, an dem Streben nach Vollendung und Selbstentfaltung des Menschen hinlänglich beweisen. Deshalb könnten die Faust-Dichtungen der Gegenwart sicher auf fruchtbaren Boden fallen. Jedoch zeigen das Felden gesellschaftlicher Bezüge, so b e i H A N N A H STAHN, K A R L ZAPFE u n d
GHELDERODE, d a s V o r h e r r s c h e n
von
Abstraktionen bei AVENARIUS, VALERY USW. oder die Beschränkung auf Probleme der spätbürgerlichen W e l t bei BORROW und anderen die Ausweglosigleit und zum Teil auch Lebensfremdheit dieser Versuche, die zudem des glutvollen Hauchs des Theaters entbehren und eigentlich eher als Lesedramen aufzufassen sind und zu gelten haben. A n die Größe des Goetheschen »Faust«, an seine Erlösungsidee mit der Bewahrung des Tätigen und Lebensbejahenden reichen die genannten Denkspiele nicht heran. Dieser Vergleich mag ungerecht erscheinen, aber wir müssen die Faust-Dichtungen nun einmal an der vollendetsten Ausprägung, die die Zeiten überdauern wird, messen. Der oftmals geringe Literarische Wert fällt dann allerdings auch sehr ins Auge. Zugleich kann uns der Skeptizismus und Unglauben, die Verzweiflung an der Größe des Menschen nicht befriedigen. Als Grundhaltung erweist sich häufig das Leiden am Sein, seltener das Vorwärtsdrängende und -stürmende der zukunftsträchtigen Tat. Die Positionen Goethes werden damit aufgegeben. Auffällig erscheint, daß viele der neueren Faust-Dichtungen nach 1914 bzw. 1940 geschaffen wurden. Die Tragödien des ersten und zweiten Weltkrieges haben Mensch und Menschheit erneut vor die Frage der Existenz überhaupt gestellt und damit die Beantwortung der faustischen Probleme in gesteigertem Maße herausgefordert. Die Hilflosigkeit vor dem Krieg, der als schicksalhafte Erscheinung aufgefaßt wird, kommt dabei zum Ausdruck. Typisch ist es auch, daß die neuerdings entstandenen Faust-Gestaltungen oftmals in Geistvcrncinung oder im Suchen nach einem religiösen Halt enden, den Boden der Realitäten verlassen u n d s o g a r i m M y s t i z i s m u s a u f g e h e n . N u r H A N N S EISLER u n d V I C T O R EFTIMIU, d i e
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399
400
Faust im rvanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
fest in der T r a d i t i o n des Faust-Spiels w u r z e l n , u n d THOMAS MANN, der die bisherige E n t w i c k l u n g aufhebt, haben g ü l t i g e A u s s a g e n f ü r unsere Z e i t i m B e r e i c h der F a u s t - D i c h t u n g e n z u erzielen v e r m o c h t . W i r dürfen deshalb die H o f f n u n g aussprechen, daß es den i m Ü b e r g a n g v o n einer alten z u r neuen Gesellschaftsordn u n g stehenden D i c h t e r n g e l i n g e n w i r d , Faust in diese - unsere - Z e i t z u transponieren u n d ihn als S y m b o l einer z u k ü n f t i g e n Menschheitsepoche z u gestalten. Ansätze d a z u finden sich z w e i f e l s o h n e bei LUNACAHSKIJ. Jede Generation hat in ihren F a u s t - D i c h t u n g e n die ungestillten T r ä u m e u n d W ü n s c h e v e r k ö r p e r t . W i r glauben, daß die n ä m l i c h e n Voraussetzungen f ü r den k ü n f t i g e n »Faust« g e g e b e n sind. D i e v o n den g r o ß e n Menschheitsideen erfüllte Gestalt w i r d als Leitbild, S y m b o l u n d künstlerische Idee in k o m m e n d e n Jahrhunderten lebendig bleiben, solange der M e n s c h i m m e r erneut und m i t faustischem Sinn nach V o l l e n d u n g u n d G r ö ß e strebt.
CHRONOLOGISCHE DER ERWÄHNTEN SECHZIG DES Z W A N Z I G S T E N
ÜBERSICHT FAUST-DICHTUNGEN
JAHRHUNDERTS
(nach dem ersten Druck bzw. nach der Uraufführung)
1901
v. d. Elbe:
Khäli. D r a m a .
1902
Fellner:
D e r neue Faust. D r a m a . T h e Magician. R o m a n .
1908
Maugham:
1910
Gaulke:
D e r gefesselte Faust. R o m a n .
1910
Saulescu:
Durerea lui Faust. Gedicht.
1912
Wedekind:
Franziska. D r a m a .
1916
Engelhardt:
Faust. Epos.
1917
Vetter:
D r . Faust in A u g s b u r g . Erzählung.
1918
Avenarius:
Faust. Drama.
1918
Lunatarskij:
Faust i g o r o d . D r a m a .
1920
Torbrech:
Eine Faust-Phantasie. D r a m a .
1920
Werfel:
Spiegelmensch. D r a m a (Trilogie).
1921
Stahn:
Faustus redivivus. D r a m a .
1922
Schmidtverbeek: D o k t o r Faust. Puppenspiel.
1924
Codreanu:
Faust. Gedicht.
1924
Degen:
D o k t o r Faust. D r a m a .
1925
Hinna:
Faust. Gedicht.
1925
Krueger:
Faust. D r a m a .
1925 1926
Wieprecht:
Jung-Faust. D r a m a [nationalistisch].
Ghelderode:
La M o r t du D o c t e u r Faust. D r a m a .
1926
Schmitt:
D o k t o r Johannes Faust. Puppenspiel. 26
Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch 401
1927
Schmidtverbeek: Der Tragödie von Doktor Faust unwiderruflich dritter und letzter Teil. Puppenspiel. 1927 Zerzer: Johannes. Erzählung. 1928 Hauptmann: Des großen Kampffliegers, Landfahrers, Gauklers und Magiers Till Eulenspiegel Abenteuer, Streiche, Gaukeleien, Gesichte und Träume. Epos. 1929 Zapfe: Faust. Drama. 1930 Riemann: Leben, Tod und Erlösung des Dr. Johannes Faust. Puppenspiel. 1931 Hesse: Faust und sein Freund Eisenbart hören die Zukunft (1935: Ein Abend bei Doktor Faust). Erzählung. 1932 Kratzmann: Faust. Roman. 1933 Gstöttner: Der Wanderer. Drama. 1933 Kummer: Heimkehr im Schatten. Drama [nazistisch]. (1934) Gilbricht: Dr.Johannes Faust (Hörspiel-Sendung). 1934 Großmann: Faust. Drama. (193$) Pessoa: Fausto. Drama (Fragment). (1940) Lagerlöf: Faust-Komödie (Fragment). (1944) Kaiser: Faust-Drama (Fragment). 1946 Valiry: Mon Faust. Drama. 1946 (?) Welles: Time runs. Drama. 1947 Th. Mann: Doktor Faustus. Roman. 1949 Grasmayr: Das Faustbüchl. 1949 Jünger: Heliopolis. Roman. 19JI Sartre: Le Diable et le Bon Dieu. Drama. 19ji Webels: Ein Spiel vom Doktor Faust. Drama. 1952 Eisler: Johann Faust. Opern-Textbuch. 1953 Thomas: The Doctor and the Devils. Drama. 19$4 Müller: Fran?ois Cenodoxus, der Doktor von Paris. Drama. 19 ss Robert: Le Jeu du Docteur Faust. Puppenspiel. 1956 Gregor: Cenodoxus. Drama. 1956 Segonne: Faustus. Gedichte. (1957) Axelrood: Will Success Spoil Rock Hunter? Drama (Uraufführung). 1957 Efdmiu: Doctor Faust, Vräjitor. Drama. (1957) Schwarze: Faustens Ende. Drama (Uraufführung). 1958 Bednar: Johannes Doktor Faust. Puppenspiel. 1958 Borrow: John Faust. Drama. 1958 Byng: Die Wiederkehr des Dr. Faust. Novelle. I9S 8 Tardieu: Faust und Yorick. Drama. 1959 Kerouac: Doctor Sax. Faust Part Three. Roman. 1960 Ehbauer: Der Faust in der Krachledern. Drama. i960 Hochwälder: Donnerstag. Drama. i960 Mampell: [Episoden aus dem Leben des historischen Faust]. Erzählungen. i960 Potet: Doctor Faust. Puppenspiel (Uraufführung). 27
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Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch
ANMERKUNGEN zu FAUST IM Z W A N Z I G S T E N J A H R H U N D E R T ι
Unsere Untersuchung reicht nur bis zum Jahre i960. Sie erfaßt rund sechzig Faust-Dichtungen. Weder die Zeit noch die weitere Entwicklung des FaustThemas bleiben stehen. So sind in den letzten Jahren neue Schöpfungen entstanden. Dem Verfasser sind damit rund siebzig Dichtungen bekannt. Aus äußeren Gründen wird darauf verzichtet, die neuesten Versuche zu berücksichtigen. Der Verfasser beabsichtigt, von Zeit zu Zeit Ergänzungen zu der vorliegenden Darstellung vorzulegen. - Manche Arbeiten verdienen ihrer völligen Bedeutungslosigkeit wegen kaum eine Erwähnung. Es dürfte genügen, sie in einer zukünftigen Bibliographie nachzuweisen. Einen ersten Ansatz dazu soll die als Anhang beigegebene »Chronologische Ubersicht« darstellen. - Für Auskünfte und Hinweise ist der Verfasser dem Kurator der Faust-Gedenkstätte in Knittlingen, Karl Theens, zu Dank verpflichtet. - Unberücksichtigt blieb »Faust Foutu« von Duncan (San Francisco 1958). Das Werk lag dem Verfasser bisher nicht vor. Es kann deshalb auch nicht gesagt werden, ob es der Faust-Literatur zugerechnet werden kann. - Ferner ist ein Bühnenwerk »Fausts Wiederkehr und Verdammung« von Kurt Lindemann (geb.1915), das 1956 entstand, im Hamburger Chronos-Verlag zu erwarten. - Nachträglich bekannt wurde dem Verfasser Jean Tardieus Einakter »Faust und Yorick« (Uraufführung 1958 in U l m ; ein weltferner Gelehrter sucht den Schädel des zukünftigen Menschen, der in der Lage ist, alles menschliche Wissen in sich zu tragen; nach seinem Tode wird festgestellt, daß der Schädel des Gelehrten dazu imstande war, die Summe des menschlichen Denkens aufzunehmen; charakteristisch für das Stück sind Monologe mit faustischen und yorickschen Elementen) und Orson Welles »Time runs« (1958 in Frankfurt aufgeführt, Uraufführung im Original unbekannt, Entstehungszeit aber vermutlich um 1945/46) sowie Jacinto Benaventes »Mefistofela « (1904) und Alberto Gerschunoffs »La Clinica del doctor Mefistofeles« (Santiago 1937). - Hierüber Udo Rukser: »Von Jacinto Benavente gibt es die Comedia-Opereta >Mefistofela< (1904). Da bekommt Mephisto eine ebenbürtige Gattin. Diese soll Faust, der inzwischen ein Serum gegen Liebe erfunden hat, verführen und seine Erfindung zerstören. Das mißlingt, weil ihr Gatte Mephisto entgegenarbeitet. Das teuflische Paar kann also nicht zusammenarbeiten, und nachdem der Spaß weit genug getrieben ist, muß Luzifer schließlich alles in Ordnung bringen. Eine amüsante Burleske, die u.a. Faust und Gretchen als Professoren-Ehepaar vorführt. Dagegen ist die Faust-Persiflage, halb Novelle, halb Sketsch, von Alberto Gerschunoff gar nicht gelungen. Mephisto als mondäner Arzt in Buenos Aires, Helena als Pflegerin, Faust, ein zerstreuter, rheumatischer Kahlkopf, als Druckerei-Besitzer, sonst ältere Leute, die an Verjüngung interessiert sind und von Sex-Appeal, Freudianismus und ästhetischer Chirurgie reden, banale Puppen« = Goethe in der hispanischen Welt. Stuttgart 1958. Seiten 108-109). - Z u den neuesten Schöpfungen, die nicht mehr berücksichtigt werden konnten, gehört beispielsweise Alexander Lewadas »Faust i
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smert« (Faust und der Tod. Kiew i960.133 Seiten). Das Drama des ukrainischen Dichters kann als moderne Gelehrten- bzw. Forschertragödie aufgefaßt werden, da es Probleme des Weltraumflugs einbezieht. Es wurde auch in russischer Sprache veröffentlicht (in: Teatr. [Jg.] i960. Moskva i960. [Η.] 12, Seiten 3 - 3 2 ) und 1962 in Moskau aufgeführt. 2 W i e n 1932. 420 Seiten. 3 Augsburg 1917. 59 Seiten. 4 Ursprünglich unter dem Titel »Faust und sein Freund Eisenbart hören die Z u kunft «in: Neue Badische Landeszeitung. Mannheim, 16. Oktober 1931. - Ferner in: Fabulierbuch. Berlin 1935. Seiten 179-185. 5 Bisher in verschiedenen Zeitungen gedruckt, beispielsweise »Die letzte Reise des Dr. Johann Faust« in: Stuttgarter Zeitung. Stuttgart, 13. April i960. Inzwischen als »Die Geschichte des berüchtigten Zauberers Doktor Faust« vollständig erschienen (Frankfurt 1962. 304 Seiten). - Nacherzählungen von Faust-Anekdoten boten Meno Spann und Werner F. Leopold unter dem Titel »Doktor Faust« (Boston 1952 usw., Seiten 1-26), und zwar als Lesestück für den Deutschunterricht. 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
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Vaucluse 1956. 37 Seiten. In: Viata Romineascä. Vol. 57. Bucuresti 1924. Seite 239. In: Adevarul literar 51 artistic. Vol. 6 = N r 222. Bucuresti 1925. Seite 5. In: Convorbiri critice. Vol.4. Bucuresti 1910. Seiten 169-170. Limburg (1926). 61 Seiten. Doctor Johannes Faust. Puppenspiel in vier Aufzügen. Frankfurt 1846. VIII, 1 1 8 Seiten. Leipzig [1930]. 45 Seiten. Leipzig (1922). 40 Seiten. Leipzig (1927). 32 Seiten. Praha 1958. 143 Seiten (Text: Seiten 5-90); - dass. 111.: Miloslav Troup. Praha 1959. 100 Seiten. - Danach wurde ein Puppenspielfilm gedreht, der 1959 zur Uraufführung kam. L e j e u du Docteur Faust. In: Theatre populaire. N o 12. Paris 1955. Seiten 31-63. Eine neuerliche Bearbeitung für die Marionettenbühne unter dem Titel »Doctor Faust« nach deutschen und englischen Faust-Anekdoten stammt von Maryse Potet; Musik nach Motiven von Berlioz, Messiaen und Schubert von Andre Ameller; Einstudierung unter Paul Vasil durch die »Compagnie des Marionettes Poetiques« in Bayreuth (i960).
17 Bucuresti 1957. 120 Seiten. - Uraufführung 1957 im Caragiale-Nationaltheater, Bukarest. 18 Dies gilt ebenso für Lorenz Schmitt, Bednar und Eftimiu. 19 Nürnberg 1920. X V , 192 Seiten. 20 Linz, Wien, Leipzig 1902. 157 Seiten. - Aufschlußreich die Nachbemerkung des Autors »Reflexion«. 21 Salzburg 1933. 242 Seiten. 22 Petrograd 1918. 100 Seiten - dass, in: A.V.L.: Dramatiieskie proizvedenija. T . i . Moskva 1923. Seiten 114-230.-Eingehender hierüber Roy Pascal: Lunatscharski »Faust und die Stadt.« Zur Deutung des »Faust«. In: Gestaltung - Umgestal29
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tung. Festschrift H.A.Korff. Herausgegeben von Joachim Müller. Leipzig 1957. Seiten 129-138. Zitiert nach Lunatscharski, Α. V.: Three Plays. Faust and the City. Vasilisa the Wise. The Magi. Transl. by L.A.Magnus and K.Walter. With an Introduction, and Author's Preface. London: Routledge; New York: Dutton (1923). ΧΙΠ, 209 Seiten (siehe Seite X I ; »Faust« = Seiten 1-134). - Dem Verfasser stand nur die englische Ausgabe zur Verfügung. Dresden und Leipzig (1921). 108 Seiten. - 2. Auflage 1922. »Erfüllung « ist der zweite Titel des Werkes. - Berlin 1934. 247 Seiten. Leipzig [1929]. 180 Seiten. Salzburg (1949). 203 Seiten. - Eine Parallele zu Grasmayr bietet neuerdings Michl Ehbauer mit »Der Faust in der Krachledern « (München i960.235 Seiten). In dem tragikomischen Volksstück heiratet Faust sein Gretchen, der Teufel hat das Nachsehen, Goethe wird persifliert. München 1918. 126 Seiten bzw. München 1919. 133 Seiten. London bzw. Elberfeld 1901. 138 Seiten. Vorsang und Anfang vom ersten Gesang in: Draupnir. H.i. Artern 1 9 1 1 . Seiten 1-16. - Bruchstück ferner Aitern 1912. ιό Seiten. - Vollständige Ausgabe. Artem, Leipzig 1916. 373 Seiten. München (1925). 48 Seiten. Greifswald 1924. 74 Seiten. Großenhain [1925]. 59 Seiten. Leipzig 1933. 120 Seiten (davon 32 Seiten Vorwort) = Nordische Bühne. Bd. 2·. München (1927). 168 Seiten. Berlin 1910. 395 Seiten. Uraufführung am 2. Mai 1957 im Kleinen Theater; Düsseldorf. Geist, Mut und Sinnlichkeit geht an einen hölzernen Kasper. Essen 1951. 230 Seiten. Paris 1946. 248 Seiten. - Deutsch: Mein Faust. Übertragen von Friedhelm Kemp. Wiesbaden 1957. 180 Seiten. Fräulein Lust ist Fausts Sekretärin, ein »Neutrum « zwischen Tugend und Laster, Liebe und Kälte. Paris 1926. - Uraufführung am 27. Januar 1928 im Theatre »Art et Action«, Paris. - Text auch in: M.d.G.: Theatre. Vol. 5. Paris 1957. Seiten 207-285. With an introduction by Ε. Μ. Butler. London 1958. 62 Seiten. - Uraufführung 1957 im Hovenden Theatre Club, London. München 1958. 71 Seiten. - Eine amerikanische Ausgabe ging nicht voraus. Vgl. zweite Innenseite des Schutzumschlages von der unter Anmerkung 44 genannten Ausgabe. New York 1959. 245 Seiten. Der Stil erinnert in seiner Undurchsichtigkeit und »Seltsamkeit« an Gaston Baissette (L'Etange de l'Or) und Alain-Fournier (Le Grand Meaulnes). Gleiches gilt vom Thema der Kindeswelt bzw. der erwachenden Jugend. Stockholm 1947. 772 Seiten - dass. Berlin, Frankfurt 1948. 806 Seiten. - Dazu: Die Entstehung des Doktor Faustus. Roman eines Romans. Amsterdam: Bermann-Fischer; Querido-Verlag 1949 bzw. Frankfurt 1949. 204 Seiten.
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49 In »Die Entstehung des Doktor Faustus « wird wiederholt die Lektüre des alten Faust-Buches angeführt. Zahlreiche sprachliche Wendungen wurden nach Henri Birven übernommen (Thomas Manns Roman »Doktor Faustus « und das Faustbuch von 1587. In: Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte. 2. Knittlingen 1956. Seiten 36-39). 50 51 52 53 54 JJ
Berlin 1952. 82 Seiten. Vgl. Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte. 9. Knittlingen 1959. Seite 322. Vgl. Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte. 8. Knittlingen 1959. Seite 269. In: Obras completas. Vol. 6. Poemas dramiticos. Lisboa 1952. In: Goethe-Jahrbuch. Bd. 17. Weimar 19J5. Seiten 169-184. 1.-20. Aufl. Berlin 1928. 302 Seiten. - Im 12. und 13. Abenteuer finden sich Anklänge an das alte Faust-Buch. 56 In: Dramen. Bd. 1. München [i960]. Seiten 192-292. 57 Paris 1951. 282 Seiten. - Deutsch: Der Teufel und der liebe Gott. Übersetzt von Eva Rechel-Mertens. Hamburg 1951. 138 Seiten. j8 London 1908. - Deutsch: Der Magier. Übertragung von Melanie Steinmetz. Bern 1958. 276 Seiten.
59 Nach Jakob Bidermann. München [1956]. 104 Seiten. - Neuformung des Stoffes bereits durch Artur Müller: Francois Cenodoxus, der Doktor von Paris. Ein Schauspiel. Emsdetten (1954). 128 Seiten. 60 Rückblick auf eine Stadt. Tübingen 1949.439 Seiten - dass. Salzburg, Wien 1950. 61 Erwähnenswert sind femer: Frank Wedekind »Franziska « (1912), Franz Werfel »Spiegelmensch« (1920), Dylan Thomas (1914-1953) »Der Doktor und die Teufel«, als Szenarium für einen englischen Film gedacht, im April 1959 vom westdeutschen Rundfunk als Hörspiel gesendet (The Doctor and the Devils. London 1953. - Deutsch von Erich Fried. Frankfurt 1959. 114 Seiten), und George Axelroods »Will Success Spoil Rock Hunter?«, eine Parodie auf den amerikanischen Filmbetrieb, unter dem Titel »Mephisto und Fäustchen« 1957 in Bremen uraufgeführt. 62 Uraufführung 1958 im Smetana-Theater, Prag. 63 Mainz o.J. 15 Seiten. - Uraufführung 1948 München. 64 Textbuch von George Abbott und Douglass Wallop. Uraufführung New York 1956. 65 N e w York 1954. 66 Uraufführung 1936 an den Städtischen Bühnen, Frankfurt. - Uraufführung der Neufassung 1954 in der Stuttgarter Staatsoper. - Neufassung des Textes von Ludwig Andersen. 67 Musik zum ersten Teil von Goethes »Faust«. Paris 1955. 103 Seiten. 68 Faust. Eine deutsche Volkssage. Stummfilm, 1925 unter Mitwirkung Gerhart Hauptmanns entstanden, mit Emil Jannings (Mephisto), Gösta Ekman (Faust) und Camilla Horn (Gretchen). 69 La Beaute de la Diable. Text Armand Salacrou. Uraufführung 1950, mit Gerard Philipe (junger Faust). In Deutschland unter dem Titel »Pakt mit dem Teufel«. 70 Farbfilm. Uraufführung Paris 1956. 71 Zur filmischen Behandlung des Stoffes vgl. Karl Theens: Geschichte des Faust-
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Motivs im Film. In: Blätter der Knittlinger Faust-Gedenkstätte, n . Knittlingen i960. Seiten 425-447. - Neuerdings entstand in Prag ein Farbfilm, dessen Titel in deutscher Übersetzung »Wo der Teufel nicht hin kann « lautet und der von seinen Autoren als komische Paraphrase zum Faust-Motiv der ewigen Jugend bezeichnet wird (Faust: Miroslav Hornicek, Mephistophela: Jana Hlaväiova). Außerdem wurde im Oktober i960 ein Farbfilm nach der Hamburger Inszenierung uraufgeführt (Regie: Gründgens und Gorski; Faust: Will Quadflieg, Ella Büchi: Gretchen, Mephisto: Gründgens, Elisabeth Flickenschiidt: Marthe). Die überzeugende filmische Gestaltung steht danach noch immer aus.
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Die Faust-Sammlung in Weimar
Die Zeugen der Weltliteratur, die sich mit der historischen Gestalt des ewig nach Erkenntnis suchenden Dr. Faustus beschäftigen, reichen bis in das 16. Jahrhundert zurück. Ein Osterspaziergang der Gegenwart führt in die Goethestadt Weimar zum Schloß Wilhelmsburg, dessen das Stadtbild beherrschender Turm uns dorthin leitet, wo wir all diese Zeugen der Weltliteratur finden: in das Gebäude der Direktion der Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur, zur Zentralbibliothek der deutschen Klassik. Und so mancher der Touristen, die zu Tausenden alljährlich Weimar besuchen, möchte wohl nur allzugern einen Blick in diese Bibliothek geworfen haben, so wie ihn uns Herr Dr. Henning, der Autor unseres Beitrages, Leiter der Faust-Sammlungen in Weimar, heute gewährt. Die Weimarer Institute verfügen über eine einmalige SpezialSammlung zur klassischen deutschen Literatur. Unter ihren Beständen nimmt die Faust-Literatur einen besonderen Rang ein. So finden wir in einer eigenen Abteilung die Faust-Sammlungen Alexander Tilles und Gerhard Stummes - eines vor wenigen Jahren verstorbenen Leipziger Arztes - vereinigt. Allein diese Faust-Bibliothek umfaßt heute etwa 11 500 Bände. Aber auch in den übrigen Abteilungen sind Schriften zur Geschichte des FAUST-Themas - vor allem zu Goethes .Faust" - enthalten. Mit Recht kann davon gesprochen werden, daß die Zentralbibliothek der deutschen Klassik rund 20 000 Bände Faust-Literatur besitzt. Damit nimmt sie die erste Stelle in der Welt ein. Die zweitgrößte Sammlung befindet sich in den USA, in New Haven. Sie verfügt über etwa 6000 Werke. Anhand der Weimarer Faust-Sammlung lägt sich die Gesdiichte des für die Welt-
literatur so außerordentlich bedeutsamen Themas gut verfolgen. Da gibt es zunächst Zeugnisse über die historische Gestalt des Doctor Faustus. In den Schriften von Trithemius, Melanchthon, Luther, Joachim Camerarius, Johannes Wierus, Begardi, Lerchheimer und Philipp Camerarius, der Persönlichkeiten des geistigen Lebens dieser Zeit, besitzt Weimar zeitgenössische Zeugnisse und Urteile aus dem 16. Jahrhundert über den Magier und unruhigen Wanderer, den ständig nach Erkenntnis suchenden Georg Faust. Ebenso wie die Literatur befaßte sich die Wissenschaft mit dieser historischen Gestalt. Audi ein Großteil der mehr als 400 Faust-Erwähnungen in der gedruckten Literatur bis 1790 ist in der Weimarer Sammlung vertreten. Unter ihnen ragen die von Neumann und Kirchner verfaßte Wittenberger Dissertation »Disquisitio historica de Fausto praestigiatore" aus dem Jahre 1683 und die von Johann Friedrich Köhler verfaßte .Historisch-kritische Untersuchung über das Leben und die Theten des als Schwarzkünstler verschrieenen Landfahrers Doctor Johann Fausts" aus dem Jahre 1791 hervor. Schon zu dieser Zeit konnte von einer zweihundertjährigen Tradition des FaustThemas gesprochen werden, war doch bereits 1587 in Frankfurt am Main die »Historie Von Doctor Johann Fausten" im Verlage von Johann Spieß erschienen. Verständlich, daß die Besucher der Zentralbibliothek dieser ersten literarischen Manifestation des Faust-Stoffes ebenso wie einem einmaligen Druck aus dem Jahre 1593 und dem Fortsetzungsexemplar der .Historie" in Gestalt des Wagner-Buches von 1594 große Aufmerksamkeit widmen. Eine weitere Kostbarkeit der Sammlung ist die seltene Erstausgabe des holländischen Faust-Buches, die 1592 erschienen ist.
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Die Faust-Sammlung in Weimar
Der verständnisvolle Liebhaber findet in Weimar nahezu lückenlos alle dem Frankfurter Faust-Buch folgenden Bearbeitungen, wie Widmans dreibändige Fassung aus dem Jahre 1599, die Ausgaben der Pfitzerschen Bearbeitung von 1674-1726 und audi die des sogenannten Christlich Meynenden. Unter diesem Namen verbirgt sich der Bearbeiter des Faust-Buches aus dem 18. Jahrhundert, von dessen erstmalig 1725 gedruckter Schrift Lessing und Goethe zweifellos Kenntnis hatten. Neben all diesen Zeugnissen über den historischen Faust und dem häufigen Druck des Faust-Buches in immer wieder neuen Bearbeitungen wurden audi Volksschauspiele, Puppenspiele sowie Faust-Lieder und magische Schriften für die Faust-Tradition des 16., 17. und 18. Jahrhunderts von Bedeutung. Editionen des .Doktor Faustus" in englischer, deutscher und in anderen Sprachen sind ebenso wie Sekundärliteratur reichlich vertreten. Allein rund 40 verschiedene handschriftliche Texte legen Zeugnis von der weiten Verbreitung - hinein bis in das 19. Jahrhundert - der Faust-Problematik ab. So ist es nur allzu verständlich, daβ das besondere Interesse der heutigen Besucher der Zentralbibliothek den Faust zugeschriebenen Zauberbüchern, wie »Höllenzwang", .Praxis magica" und anderen, gilt. Diese Werke des Aberglaubens, die vorwiegend als handgeschriebene Bücher verbreitet waren, fesseln durch die ihnen beigegebenen seltsamen Figuren, magischen Zeidien und Geheimschriften. Keineswegs fehlen die Faust-Dichtungen des 18. Jahrhunderts, angefangen von Hamilton und Lessing über alle bedeutenden Männer dieser Zeit bis zu Paul Weidmann, dessen höchst seltene Prager Ausgabe des allegorischen Dramas .Johann Faust" von 1775 nicht unerwähnt bleiben darf. Den Kern der Sammlung jedoch bildet selbstverständlich die Literatur zu Goethes Schöpfung. Von den ersten Ausgaben des .Fragments" (1790) und des ersten Teils (1808) bis zu den neuesten Editionen sind nahezu sämtliche Drucke des Goetheschen .Faust" und seiner Vorstufen vorhanden.
Hinzu kommt die fast unübersehbar gewordene Literatur zu Goethes Dichtung, die in einmaliger Vollständigkeit in Weimar vorzufinden ist. Die Bibliothek sammelt alle Übersetzungen in andere Sprachen, von denen Goethes Dichtung gegenwärtig in etwa 60 Sprachen nachweisbar ist. Zu ihnen zählen auch Übertragungen ins Jiddische, in Esperanto, Urdu und Telegu, ins Armenische und Kasachische. Goethes .Faust" hat auf alle Bereiche der Kunst eine außerordentliche Wirkung ausgeübt. Es ist dabei nicht allein an das Theater zu denken, das eine Vielzahl von Bühnenbearbeitungen hervorbrachte, sondern auch an die Bildende Kunst und die Musik. Weit über 1000 Kompositionen zu Goethes Dichtung sind entstanden und in Weimar vereinigt. Zahllose Kunstblätter und Illustrationen schließen sich an, darunter Originalzeichnungen der Maler Spitzweg, Cornelius und Retzsch, wobei die Blätter der Maler und Bildhauer Wildermann, Barlach, Cremer und Hegenbarth unsere besondere Beachtung verdienen. Mit dem Ankauf einer Anzahl handsignierter Blätter Slevogts zu .Faust II" wurde diese Sammlung wertvoll ergänzt. Obwohl mit Goethes Faust-Werk der Höhepunkt in der Geschichte des FaustStoffes ereicht wurde, ist auch die weitere Entwicklung dieses Themas beachtlich. Das 19. Jahrhundert hat etwa 70 bekanntere, das 20. Jahrhundert bisher rund 60 weitere Faust-Dichtungen hervorgebracht. Zu ihnen zählen auch Heinrich Heine und Thomas Mann. So sind in Weimar alle bedeutenden Leistungen des Faust-Stoffes zusammengetragen. Neben den vollständigen deutschsprachigen Dichtungen fanden wir Turgenjew, Marlowe und Baggesen, Byron und Madäch, Estanisiao del Campo und Valery, Kerouac, Eftimiu und Lewada ebenso wie den ungarischen Hatvani, den polnischen Twardowski, den französischen Cenedoxus und Robert den Teufel. Pflege und Erschließung, Ergänzung und Fortführung der hochinteressanten Sammlung zählen zu den schönsten Verpflichtungen aller Mitarbeiter der Bibliothek. Aus ihrer ständigen Erfüllung resultiert schon
Die Faust-Sammlung in Weimar
heute eine weltweite Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern, Schriftstellern, FaustSammlern und Freunden, die auch für die Weimarer Zentralbibliothek der deutschen Klassik von wertvoller Bedeutung ist, bietet doch die weitgehende Vollständigkeit der Faust-Literatur Gelegenheit zu mannigfaltigen wissenschaftlichen Arbeiten. So wurde mit der Zusammenstellung einer FaustBibliographie begonnen, die die gesamte Literatur zu diesem Thema registrieren wird und die der Aufbau-Verlag Berlin und Weimar verlegerisch betreut. Schon 1966 erschien der erste Band, und in wenigen Wochen wird der Teil II/l mit dem vollständigen Nachweis der Ausgaben und
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Übersetzungen von Goethes .Faust" den Büchermarkt bereichern. Ferner wurden Untersuchungen zu Spezialfragen der Geschichte des Faust-Themas angestellt, als deren wichtigste Ergebnisse sowohl ein Oberblick über die Entwicklung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart als auch eine Neuausgabe der .Historia Von Doktor Johann Fausten" vorliegen. Auf diese Weise werden die in der Faust-Sammlung zu Weimar vereinigten Schätze nutzbar gemacht, denn die Weimarer .Bibliotheca Faustiana* führt kein abseitiges und stilles Dasein, sondern ist auf vielfältige Weise mit der lebendigen Wissenschaft und Forschung unserer Zeit verknüpft.
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Die „Faust-Bibliographie" D a s System der literaturwissenschaftlichen Nachschlagewerke ist in der letzten Zeit erweitert und ergänzt worden. Zu Wörterbüchern und biographischen Lexika sind Handbücher bzw. Nachschlagewerke zu Stoffen, Motiven und zu literarischen Gestalten getreten. Auf bibliographischem Gebiet steht die grundlegende und fortlaufende Bibliographie zur Literaturwissenschaft und -geschichte im Vordergrund, ergänzt und komplettiert durch Personalbibliographien, Zeitschriften- und Zeitschrifteninhaltsbibliographien, um die wichtigsten Formen zu nennen. In Parallele zu Stoffen, Motiven und Figuren gibt es bisher wenig oder gar keine bibliographischen Verzeichnisse, sondern eher zu Spezialfragen der Literaturwissenschaft und -geschieh te wie etwa zu Gattungen und Genres. Eine stoffgeschichtliche Bibliographie ähnelt vor allem systematisch-wissenschaftsgeschichtlichen bibliographischen Arbeiten. Das Besondere einer stoffgeschichtlichen Bibliographie innerhalb der Literaturwissenschaft ist in einer die Geschichte des Stoffes von seinen Anfängen bis zur Gegenwart begleitenden Dokumentation zu sehen. Die Herausbildung des Stoffes, seine in geschichtlicher Entwicklung erfolgende Ausprägung mit allen Verästelungen und der aktuell zu fixierende Stand sind zu erfassen, und dies natürlich möglichst vollständig. Stoffgeschichtliche Elemente stehen im Vordergrund, also A b l ä u f e und chronologische, manchmal auch von Zäsuren und Stufenfolgen begleitete literaturgeschichtliche Prozesse. Dabei muß von einer relativen Selbständigkeit einer stoffgeschichtlichen Betrachtungsweise ausgegangen werden, die kaum einmal mit literaturgeschichtlichen Epochen, Gattungen, Personen oder ähnlichen Gegenständen übereinstimmt. Voraussetzung für e i n e s t o f f g e s c h i c h t l i c h e - o d e r t h e m a t i s c h e - B i b l i o g r a p h i e i s t die Bestimmtheit des Inhalts, der sich bei der Entwicklung des Stoffes (oder Themas) herausgebildet haben muB. Zugleich darf eine literarische Repräsentanz mit gewichtigen Einzelleistungen unterstellt werden. Dazu sollte auch eine internationale Verknüpfung der Stoffgeschi chte gegeben sein, um den Gegenstand entsprechend zu profilieren. In diesem Sinne stellen sich komparatistische Elemente mit ziemlicher Sicherheit ein, die ein solches stoffgeschichtliches Unternehmen rechtfertigen. Eine zu schmale Basis dürfte ein solches Unternehmen problematisch werden lassen, wenn es um Druck und Verlag geht. Bereits an dieser Stelle muß gesagt werden, ohne Stützung und Förderung geht es nicht (wie bei den meisten bibliographischen Publikationen). Ein Stoff w i e Faust kann die Spezifika und Charakteristika, die beschrieben wurden, für sich in Anspruch nehmen. Der Gegenstand läßt sich ziemlich genau bestimmen mit einer Gestalt, die nicht selten repräsentativ für eine menschheitsgeschichtliche Formierung sein dürfte. Der strebende, über Begrenzungen des Daseins hinausgreifende Faust hat sich in fünf Jahrhunderten in die Geschichte der Literatur als eigener Komplex eingeschrieben. Hier trifft sowohl die literarische Repräsentanz als auch die internationale Bedeutung zu, so daß auch komparatistische Elemente in der Stoffgeschichte enthalten sind. In der Entwicklung des Stoffes vom 16. Jahrhundert an existieren A b l ä u f e mit einer häufig geschlossenen Entwicklung v o m einen zum anderen. Als Beispiel seien die A n f a n g e skizziert: historische Gestalt - Faust-Anekdoten - Historia - englische Übersetzung der Historia Dramatisierung der Übersetzung durch Marlowe. Es kann also von Entwicklungsschritten gesprochen werden, die einander folgen, die aufeinander aufbauen. Und dies setzt sich im 17., 18., 19. und 20. Jahrhundert fort bei häufigen Verästelungen und Seitentrieben, die unter Umständen von der Sache w e g f ü h r e n oder auch einmal recht isoliert dastehen können.
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Die "Faust-Bibliographie"
Ein Warnungszeichen muß aufgestellt werden: nicht j e d e Faust im Titel führende literarische Erscheinung m u ß im strengen Sinne eine Faust-Dichtung sein; umgekehrt gehört manche Dichtung dazu, die womöglich auf Faust im Titel und - im Bereich der v o r k o m m e n d e n Personen - auf eine „Faust" benannte Gestalt verzichtet. Eine Abgrenzung ist weiter mit faustähnlichen Gestalten der Geschichte und der Literaturgeschichte nötig, um nicht ins Unendliche zu gelangen; ich nenne Don Juan, der Z ü g e des über das Dasein hinausstrebenden Faust aufweist, wobei sich die gesteigerte W e l t e r f a s s u n g auf G e n u ß und Liebe bezieht. Eine weitere B e m e r k u n g möchte ich anschließen; bei Entstehung der Bibliographie w u r d e noch von einer thematisch bestimmten Dokumentation gesprochen, w a s mir persönlich noch immer gefällt. Die Literaturwissenschaft hat sich seit den 60er Jahren mehr und mehr für „Stoffgeschichte" entschieden, so daß der Bibliograph wohl über übel folgen muß. Zudem w u r d e inzwischen „Thema" sehr an „Motiv" herangerückt; unsichere Einteilungen scheinen damit überwunden (genauer: „Them a " w u r d e ausgeschieden zugunsten des Begriffs „Motiv", inzwischen in einem Kröner-Band expressis verbis behandelt). J e d e s a c h - o d e r fachbezogene Bibliographie,soll sie nicht rein formalen Strukturprinzipien folgen, verlangt eine gründliche Kenntnis des Gegenstandes, ja eine enge Verflechtung in der Bearbeitung mit dem jeweiligen Fach, hier der Literaturwissenschaft und -geschi chte. Die Übereinstimmung mit der Geschichte des Faust-Stoffes muß - wie bei jeder stoffgeschichtlichen oder speziellen literaturwissenschaftlichen Bibliographie - bei dem Bearbeiter sehr groß sein und identisch sein mit dem wissenschaftlichen Anliegen des Bibliographen. Eigentlich müßte v o m Ideal fall gesprochen werden, w o n a c h ein Fachmann auch die bibliographische Bearbeitung des Materials übernimmt. In meinem Falle war das nicht völlig von A n f a n g an gegeben; es stellte sich im Verlaufe der Bearbeitung mehr und mehr ein, was dem Ideal vielleicht nahe kommt. W e l c h e Anregungen stehen am A n f a n g eines stoffgeschichtlichen Unternehmens w i e der FaustBibliographie? Die Dinge waren in W e i m a r Ende der 50er Jahre recht günstig. Die große FaustS a m m l u n g des Leipziger Arztes Dr. Gerhard S t u m m e war nach W e i m a r g e k o m m e n und mit einer älteren Faust-Sammlung von Alexander Tille vereinigt worden. Die Bearbeitung w u r d e angeschlossen bei gleichzeitig fortgesetzter Sammeltätigkeit. Eine weitere versteckte S a m m l u n g zu Faust fand sich vor allem in der Goethe-Sammlung, so die eigentliche Weimarer Faust-Sammlung auf rund 20 000 Bände ergänzend, und zwar auf sonst lückenhaft vertretenen Abschnitten wie etwa Übersetzungen von Goethes „Faust". Eine weitere wichtige Anregung war die Tatsache, daß eine vorausgehende Faust-Bibliographie von 1885 gänzlich überholt war. Es fehlte Mitte der 60er Jahre nicht nur ein Zeitraum von achtzig Jahren mit der vielfach erst wirklich intensiven Erforschung der Stoffgeschichte vor, zu und nach Goethe. Viele Bereiche waren zudem zusammenfassend betrachtet worden; so rangierten sämtliche Beiträge in Periodica unter einem Sachbegriff und sie waren nicht aufgegliedert nach Abschnitten der Stoffgeschichte. A m A n f a n g des Projektes „Faust-Bibliographie" standen weiter eine Reihe von methodischen Fragen: 1.
Ist die Material-Basis ausreichend und können fehlende Gebiete in der eigenen Bibliothek aufgefüllt werden?
2. 3.
Kann das Unternehmen in einem überschaubaren Zeitraum abgeschlossen werden? M u ß und kann die stoffgeschichtliche Darstellung durch Spezialuntersuchungen begleitet werden?
4.
Gibt es ausreichende technische Unterstützung vor allem bei der Herausnahme/Rückstellung aus/in die Magazine? Existieren Gesprächspartner und andere Sammlungen, auf die eventuell zurückgegriffen werden kann?
5.
Die "Faust-Bibliographie"
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Gibt es Chancen f ü r Druck und Verlag?
O h n e auf j e d e dieser Fragen mit dem damals gefundenen „Ja" zu antworten, möchte ich doch einige Zusätze anbringen. Für die Faust-Bibliographie wurden 10 Jahre veranschlagt; gebraucht wurden nur vier mehr v o m Beginn der Arbeiten bis zum Druck des letzten Bandes. Spezialuntersuchungen mußten in der Tat angestellt werden. Für die Drucke der Faust- und Wagner-Bücher des 16. und der D r u c k e des Faust-Büchleins des 18. Jahrhunderts wurden die Arbeiten zuerst begonnen und in einem eigenen Buch vorab dargestellt (schon Ende 1963 erschienen); in diesem Punkte wurden alle bekannten Details neu ausgearbeitet bei wesentlicher Erweiterung unserer Kenntnisse der Filiation. Eine G r u n d f r a g e mußte f ü r die Einteilung der Faust-Bibliographie gleich anfangs entschieden werden: w i e sollen die über fünf Jahrhunderte gehenden Stoffmassen gegliedert werden. D a s Jahr 1790 w u r d e als Trenn- und Scheidelinie ermittelt: mit Goethes Faust-Fragment von 1790 ergibt sich eine Zäsur, die Faust-Tradition seit 1480 (oder 1478 nach neueren Forschungen als Geburtsjahr des historischen Faust) bis zum Jahre 1790 ist verhältnismäßig geschlossen, einheitlich und von Grundvoraussetzungen abhängig. Mit Goethes Faust-Fragment in einer zeitgemäßen Konzeption beginnt eine neue, von Goethe eben beeinflußte Phase der Faust-Dichtung; von 1790 an stehen alle neuen Produktionen in einem Verhältnis zu Goethe: bejahend, ablehnend, ausweichend, neue Konzeptionen anstrebend etwa in unserer Zeit. Damit stand die Untergliederung in drei Teile fest: Teil I: Faust-Dichtungen vor Goethe Teil II: Goethes Faust-Dichtung Teil III: Faust-Dichtungen neben und nach Goethe In dieser Haupteinteilung erschien das fünfbändige Werk von 1966 bis 1976. Allerdings mußte die Titelmasse zu Goethe schließlich auf drei Bände verteilt werden. Um einen Begriff vom Ganzen zu geben, nenne ich die Zahl der Titel: Teil I Teil II Teil III
(1966) 3 338 (1968-70) 7 759 (1976) 4 741 insgesamt = 15 838 Da bei allen Bänden noch Titel während der Bearbeitung und Drucklegung ergänzend eingeschoben wurden, kann mit vollem Recht von rund 16 000 Titeln gesprochen werden. Nicht gezählt wurden abweichende Ausgaben, mehrfache Auflagen des gleichen Titels. W ü r d e man dies registrieren, wären mindestens 30 000 bibliographische Einheiten anzunehmen. Einer stoffgeschichtlichen Darstellung vom 16. Jahrhundert an waren Abschnitte voranzustellen, die dem ganzen Bearbeitungszeitraum und einer chronologisch-systematischen Gliederung vorgeschaltet werden mußten im Sinne einer methodischen Überlegung, und zwar als I. Allgemeines. Grundlagen. Gesamtdarstellungen Hierunter sind zu verstehen: A. Bibliographien B. Textsammlungen C. Gesamtdarstellungen zum Faust-Thema U m f a s s e n d e Darstellungen und allgemeinste Bewertungen sind unter C. in zwei Gruppen zusammengefaßt. Einen eigenen Abschnitt stellt die „Berührung des Faust-Themas mit anderen Stoffen und Gestalten der Weltliteratur" dar; dies beginnt mit Agrippa von Nettesheim und Ahasver, reicht über Don Juan, Eulenspiegel, Gutenberg/Fust über Merlin, S a w a Grucyn bis zu Theophilus, Twardowski und Zyto, um nur einige Gegenstände zu nennen, die bereits die internationalen Aspekte erkennen lassen. Ein eigener, vorgeschobener und nun folgender Abschnitt ist Mephistopheles gewidmet, dem unablässigen Begleiter Fausts, der aber auf ältere - und ursprünglich von Faust getrennte - Z u s a m m e n h ä n g e verweist.
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Die "Faust-Bibliographie"
Der erste Teil blättert dann die Stoffgeschichte v o m 16. Jahrhundert bis 1790auf in der Reihenfolge Historischer Faust - Anekdoten - Faust-Buch 1567 - Wagner-Buch 1593 - Faust-Erwähnung 1587-1599 - Marlowes Faust - W i d m a n n s Faust-Buch 1599 - Faust-Erwähnung 1600-1790 Faust-Dichtungen von 1600-1790 (mit einer bereits aufgefächerten Faust-Tradition in: Faust-Bücher von Pfitzer, 1674 und von Christlich Meynenden, 1725, Volksschauspiel und Puppenspiel, Volkslied, Magische Schriften und Faust-Dichtungen von Lessing, W e i d m a n n , Maler Müller, Schink usw. bis zu ersten illustrativen Darstellungen). Dieser Teil wird erschlossen durch drei Register: Inhalt der sogenannten Faust-Splitter (also frühe Faust-Erwähnungen in der Literatur), a n o n y m e oder pseudonyme Titel, Verfasser/Herausgeber usw. A u s dem Band auszuschließen waren Schriften und Beiträge, die eigentlich nicht zum Thema gehörten, vollkommen sekundäre Dinge oder Publikationen mit unwichtigen, weil sehr kurzen Darstellungen (weniger als eine Seite, o h n e Relevanz). Der Band oder Teil I ist bisher nur in zwei Punkten ergänzungsbedürftig: a. eine Schrift, die zum Faust- und Wagner-Buch als dritter Teil gehört als „Fausts Gaukeltasche" und die erst nach Drucklegung von mir richtig bewertet w u r d e (danach gibt es eine Faust-Trilogie des 16. Jahrhunderts), b. ein isolierter Druck des Faust-Buches von 1587, von einem Stuttgarter Kollegen vor zwei Jahren entdeckt. Für Goethe mit Urfaust, Fragment, 1. Teil, 2. Teil, mit Übersetzungen, Sekundärliteratur, Kompositionen/Illustrationen war eine andere, zugleich der Sache gemäße Einteilung zu finden, die der Bibliographie zu einem Autor, zu einem W e r k nahekommt; mit rund 7 8 0 0 bibliographischen Einheiten wird die überragende Bedeutung von Goethes Faust-Dichtung erklärt und die besondere Stellung innerhalb einer Faust-Bibliographie sichtbar. Ich stelle die Einteilung vor: Teil II, Band 1: Ausgaben und Übersetzungen (in rund 60 Sprachen) Teil II, Band 2: Sekundärliteratur - 1.
Zeitgenössische Äußerungen zur Faust-Dichtung. - Quel len, Entstehung, Druckgeschichte, Handschriften. - Bedeutung/Stellung der Faust-Dichtung. - Einzeluntersuchungen zu Inhalt und Form (darunter zu einzelnen Gestalten und Szenen des 1./2. Teiles) - 2. Illustrationen. - Kompositionen. - Verhältnis zu anderen Werken der Weltliter a t u r . - W i r k u n g s g e s c h i chte(mit Forschungs-, Bühnen-, Übersetzungs-, Illustrations- und Kompositionsgeschichte) Für II/l existiert nur ein Register der Verfasser, Herausgeber, Übersetzer usw. f ü r II/2 w u r d e ein gemeinsamer Registerteil für die beiden verlegerisch unterteilten Bände entwickelt. Das Register A umfaßt ein Sachregister nach Begriffen, Themen, Personen; Β erschließt anonyme bzw. pseudonyme Schriften, C Verfasser, Herausgeber, Übersetzer, Illustratoren, Komponisten usw. Die internationale Rezeption in einem Lande (so die Überschrift für IV. I. 4: Goethes „Faust" im Ausland. Wirkungsgeschichte und Geschichte der Übersetzungen) wurde eigens herausgearbeitet; dennoch m u ß man in diesem Z u s a m m e n h a n g auf A u f f ü h r u n g e n in Paris, London und M o s k a u - u m nur einige zu nennen - a u f m e r k s a m machen, aber ebenso auf Illustratoren wie Gontscharow und Kalinauskas, auf Komponisten w i e Beethoven,Berlioz, Glinka, Kreutzer, Liszt,Schubert, Schumann usf. Damit ergibt sich, daß nicht nur das gedruckte Buch zu bearbeiten war, sondern auch Graphik und Noten und vor allem Übertragungen v o m Albanischen bis zum Walisischen, w a s besondere Sprachprobleme bei nicht-europäischen Übersetzungen aufgeworfen hat (etwa beim Chinesischen, Japanischen, Tamil, Telugu, Urdu). Die Vielfältigkeit der Faust-Bibliographie wird nicht zuletzt an solchen Details erkennbar. Der dritte (und letzte) Teil ist mit einem Abstand von sechs Jahren erschienen, w a s mit den U m f a n g , der Differenziertheit und den beginnenden Druckereiproblemen zusammenhängt. Teil III
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enthält die Faust-Dichtungen von 1790 an, neben und nach Goethe bis zur Gegenwart. Ich nenne solche W e r k e w i e Grabbe, Lenau, Heine, T h o m a s Mann, Byron, Madach, T u r g e n j e w , Gorki, Eisler. Nun zur übergeordneten Gliederung des Teiles III, die nicht immer die zahllosen Faust-Dichtungen vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts in den Blick nehmen heißt (abgesehen von einer vorgeschalteten Abteilung über allgemeine Arbeiten zur Stoffgeschichte 1790-1976): B. Deutsche Faust-Dichtungen bis 1832 (die wichtigsten gesondert, die weniger wichtigen chronologisch) C. dito 1832-1918 D. Neuere deutsche Faust-Dichtungen 1919-1976 E. Faust-Dichtungen in anderen Sprachen - 19./20. Jahrhundert F. Kompositionen (mit Opern, Balletten, Pantomimen, Film) - hier ist Gounod mit allein weit über 200 Titeln zu erwähnen G. Illustrationen zu Faust-Dichtungen des 19./20. Jahrhunderts und selbständige Arbeiten H. Neubearbeitung von Faust-Buch und -Spiel (besonders Puppenspiel texte) Dem dritten und letzten Teil fiel die A u f g a b e zu, zusammenfassende Themen über die Gesamtgeschichte des Faust-Stoffes zu liefern. Indem ich die Themen anführe, wird das spezielle Anliegen deutlich: I. Faust-Stätten (von Erfurt über Knittlingen und Prag bis Staufen) K. Faust-Ausstellungen (von 1893-1975) L. Faust-Gesellschaften, -Sammlungen und -Sammler (von Bode bis zu den Weimarer Sammlungen). Ich hoffe mit dieser Darstellung eine Übersicht zu dem ausgedehnten Gesamtunternehmen gegeben zu haben, das über Jahre Kräfte gebunden hat, aber zugleich zunehmender internationaler A u f m e r k samkeit sicher sein konnte. Inzwischen ist zu den einzelnen Bänden ein Abstand von 2 3 bis 13 Jahren zu verzeichnen. So stellt sich die Frage nach einem oder mehreren Ergänzungsband/-bänden. Angesichts der langen Stoffgeschichte ist der zeitliche Abstand für Teil I und III noch nicht sehr groß; hier liegen auch noch nicht so erhebliche Titelergänzungen vor (Thomas Mann vielleicht ausgenommen); nur für Goethe sind die Dinge anders; hier wären schon erhebliche Zusätze fällig. Im System unserer Bibliographien springen die „Internationale Bibliographiezur deutschen Klassik" und die „Goethe-Bibliographie" vorläufig ein; das Titelmaterial wächst mit der Bearbeitung der genannten Bibliographien an und steht eines Tages zur Verfügung. Möglicherweise kann für Mitte der 90er Jahre ein Ergänzungsband geplant werden. Es ist hervorzuheben: das Grundsystem der Faust-Bibliographie braucht nicht geändert zu werden; es wird für eine Fortsetzung unverändert gelten. Die Systematik der Faust-Bibliographie mußte nach den stoffgeschichtlichen Entwicklungsphasen angelegt werden. Innerhalb der Systematikgruppen war in der Regel chronologisch zu verfahren; die Titel wurden vom frühesten zum jüngsten angeordnet. Nur in wenigen Fällen - so bei der Druckgeschichte der Faust-und W a g n e r - B ü c h e r z u m B e i s p i e l - w a r e n andere,einer inneren Struktur folgende Anordnungsprinzipien gültig. Weitere Ordnungskategorien konnten Marginalien - meist in einer alphabetischen oder auch chronologischen Folge - sein. Nicht selten bedurfte es Annotationen, um A u f n a h m e und Reihenfolge von Titeln oder inhaltliche Fragen zu erläutern. Auf jeden Fall müssen vor der Manuskriptherstellung und vor dem Druck möglichst gründliche Überlegungen zur M a n u skript-Gestaltung, zu Marginalien und Sonderzeichen angestellt werden. Die Funktion der Faust-Bibliographie, die von vornherein beabsichtigt war und sich inzwischen bestätigt hat, besteht in der profilierten Vorstellung eines weltliterarischen Stoffes, zugegeben mit einer ausgeprägt nationalliterarischen Note im deutschsprachigen Bereich. Mit der anvisierten Funktion ist ein zweiter Gesichtspunkt sehr eng verbunden, der sich auf die Erschließung der
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Die "Faust-Bibliographie"
W e i m a r e r Sammlungen bezieht. Diese ohnehin gegebene A u f g a b e eines Kataloges ist durch das Ansteuern einer Bibliographie grundsätzlicher zu lösen gewesen. Mi t der Bibliographie wurde ein großes Panorama der internationalen Faust-Dichtung vom 16. bis zum 20. Jahrhundert vorgestellt. Es versteht sich, daß darin Detail-Bibliographien zur Faust-Historia von 1587, zu Marlowes Faust-Drama, zu Lessing, Goethe und Heine, zu Byron, Turgenjew und Madäch, zu Valery und zu Thomas Mann enthalten sind. Je nach den einzelnen Teilen (und fünf Bänden) reicht die Berichterstattung bis 1966, bis 1968-70 und bis zu 1976. Alle Tei le und Abschnitte der Bibliographie hatten den Entwickl ungsgesetzen der Stoffgeschichte zu folgen. Die sinnvolle Aneinanderreihung des einen oder anderen Faust-Komplexes mußte geklärt werden. Mit rein formalen Prinzipien war das unerhört reiche Material nicht zu gliedern. Vielmehr standen am A n f a n g Ermittlungsarbeiten zu übergeordneten Kategorien und Abschnitten in der fünfhundertjährigen Geschichte des Faust-Stoffes. Als methodischer Ansatz muß dies nochmals hervorgehoben werden. Nur mit einem geradezu intimen U m g a n g mit der Stoffgeschichte oder/und mit engstem Kontakt zur Wissenschaftsentwicklung kann eine solche A u f g a b e gelöst werden. Es m u ß aber auch darauf verwiesen werden, daß ein solches Unternehmen mit Forschungsarbeiten in den in Frage kommenden Bibliotheken zu Einzelproblemen verknüpft ist. Auskunfts- und Fernleiheersuchen sind weiter in großer Zahl nötig; der genossenen Hilfe einer langen Reihe von Fachkollegen und Bibliographen, von kundigen Bibliothekaren und führenden Bibliotheken in vielen Ländern möchte ich auch von hier aus dankbar gedenken.
Nachweis des Erstabdrucks der Beiträge
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Nachweis des Erstabdrucks der Beiträge
Faust als historische Gestalt. - In: Goethe-Jahrbuch. Bd. 21. Weimar 1959. S. 107-139. 1980, nach 500 Jahren: unsere Kenntnisse vom historischen Faust. - In: Der historische Faust: ein wissenschaftliches Symposium (1980). Hrsg. von Günther Mahal. Knittlingen 1982. S. 37-42. (Publikationen des Faust-Archivs. Bd. 1). Das Faust-Buch von 1587: seine Entstehung, seine Quellen, seine Wirkung. - In: Weimarer Beiträge. Jg. 6. Weimar 1960. Η. 1, S. 26-57. Gesellschaftliche Gruppen im Faust-Buch: zu einem sozialen Aspekt der „Historia" von 1587. - In: Die „Historia von D. Johann Fausten": ein wissenschaftliches Symposium (1987). Hrsg. von Günther Mahal. Vaihingen a.d. Enz 1988. S. 7-17. (Publikationen des Faust-Archivs. Bd. 2). Faust Im 16. Jahrhundert. - In: Der historische Faust: ein wissenschaftliches Symposium (1980). Hrsg. von Günther Mahal. Knittlingen 1982. S. 83-100. (Publikationen des Faust-Archivs. Bd. 1). Das Wagner-Buch von 1593 (bisher nicht veröffentlicht). Johann Faustens Gaukeltasche.-In: Studien zur Goethezeit. Festschrift für Lieselotte Blumenthal. Hrsg. von Helmut Holtzhauer und Bernhard Zeller. Weimar 1968. S. 143-164. Von Faust zu Marlowe. - In: Shakespeare-Jahrbuch. Bd. 114. Weimar 1978. S. 57-64. Noch einmal: Von Faust zu Marlowe: zur Geschichte eines Faust-Motivs im 16. Jahrhundert. - In: Shakespeare-Jahrbuch. Bd. 120. Weimar 1984. S. 119-127. Die Faust-Tradition im 17. und 18. Jahrhundert. - In: Goethe-Almanach. Jg. 1967. Berlin und Weimar (1966). S. 164-202. Faust-Dichtungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts [neue Überschrift]. - In: Hans Henning: Faust in fünf Jahrhunderten. Halle (Saale) 1963. S. 45-58. Lessings Faust-Pläne und -Fragmente. - In: Faust through Four Centuries = Vierhundert Jahre Faust. Ed. by Peter Boerner and Sidney Johnson. Tübingen 1989. S. 79-90. Ein Faust-Höllcnzwang in London und in Weimar [neue Überschrift], - In: D. Fausts Original Geister Commando der Höllen ... Leipzig 1979. S. [1-6 = Nachwort] und In: Marginalien. H. 13. Berlin 1963. S. 58-60 und 62. Die Entstehungsgeschichte von Goethes Faust-Dichtung. - In: Faust in Weimar. [Τ.] 1. Weimar 1982. S. 3-8. Goethes Faust als Epochendichtung: Zeitgenössische Aspekte in der Faust-Dichtung. In: Grenzerfahrung- Grenzüberschreitung: Studien zu den Literaturen Skandinaviens und Deutschlands. Festschrift für P.M. Mitchell. Hrsg. von Leonie Marx, Herbert Knust. Heidelberg 1989. S. 102-118. Mephistos Vorausschau. - In: Faust-Blätter. N.F. H. 6. Knittlingen 1969. S. 232-234. Poetische Mittel in Goethes Faust-Dichtung (bisher nicht veröffentlicht). Das Regiebuch zur Frankfurter Faust-Inszenierung von 1829. - In: Marginalien. H. 17. Berlin 1964. S. 36-41. „Faust" in der Malerei. - In: Hans Henning: „Faust" in der Malerei. Ausstellung 1969. Katalog. Weimar 1969. S. 5-17. Grabbes „Don Juan und Faust": zur Grundidee der Dichtung.-In: Goethe-Almanach. Jg. 1968. Berlin und Weimar (1967). S. 155-181. Lenaus „Faust". - In: Lenau-Forum. Jg. 1986/87. Stockerau 1988. S. 9-23. Heines Tanzpoem „Der Doktor Faust".-In: Faust-Blätter. H. 29. Knittlingen 1975. S. 1011-1024.
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Nachweis des Erstabdrucks der Beiträge
Phasen der Faust-Dichtung in der deutschen Klassik. - In: Ansichten zu Faust. Karl Theens zum 70. Geburtstag. Hrsg. von Günther Mahal. Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1973. S. 99-116. Faust-Dichtungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts [neue Überschrift], - In: Hans Henning: Faust in fünf Jahrhunderten. Halle (Saale) 1963. S. 91-97. Faust im zwanzigsten Jahrhundert: ein Versuch. - In: Faust im zwanzigsten Jahrhundert. Festschrift für Karl Theens zum 60. Geburtstag. Knittlingen 1964. S. 7-32. Die F a u s t - S a m m l u n g in W e i m a r . - In: DDR-Revue. Jg. 13. Dresden 1968. Nr. 4, S. 9-13. Die „Faust-Bibliographie" (bisher nicht veröffentlicht).