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German Pages [320] Year 2013
Das Geschlecht der Diplomatie
EXTERNA Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven Herausgegeben von André Krischer, Barbara Stollberg-Rilinger, Hillard von Thiessen und Christian Windler
Band 5
Corina Bastian · Eva Kathrin Dade Hillard von Thiessen · Christian Windler (Hg.)
Das Geschlecht der Diplomatie Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert
2014 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildungen: Ausschnitte aus Portraits (von links nach rechts, mit oberer Zeile beginnend) von Maria de Austria (Gemälde von Giuseppe Arcimboldo, Schloss Ambras, Innsbruck; © Erich Lessing/Erich Lessing Culture and Fine Arts Archive, Vienna), Elisabetta Farnese (Gemälde von Louis Michel van Loo, Schloss Versailles; © bpk / RMN – Grand Palais/Versailles, Châteaux de Versailles et de Trianon/ Daniel Arnaudet), Philipp zu Eulenburg und Hertefeld (Photographie; © bpk) und Alexandra Kollontaj (Photographie von Alfred Eisenstaedt; © SKFM).
© 2014 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Patricia Simon Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-22198-0
Inhaltsverzeichnis Einleitung ...................................................................................................... 7 Von Corina Bastian, Eva Dade, Hillard von Thiessen und Christian Windler Das Arbeitspaar als Regelfall: Hochadlige Frauen in den Außenbeziehungen iberischer Frontier-Gesellschaften des Spätmittelalters .............................................................................................. 15 Von Raphaela Averkorn Frauen – Hof – Diplomatie: Die höfische Gesellschaft als Handlungsraum von Frauen in Außenbeziehungen ...................................... 33 Von Katrin Keller Adlige Hugenottinnen, Korrespondenznetzwerke und Diplomatie: Éléonore de Roye (1535–1564) und Louise de Coligny (1555–1620)........... 51 Von Jane Couchman Weibliche Handlungsräume in transdynastischen Beziehungen: Kurfürstin Henriette Adelaïde von Savoyen und die bayerischen Außenbeziehungen ........................................................................................ 69 Von Julia Schwarz Im Dienste der Dynastie: Frauen als Mittlerinnen bei Heiratsverhandlungen im Schweden der 1690er-Jahre ................................. 87 Von Svante Norrhem Weibliche Diplomatie? Frauen als außenpolitische Akteurinnen im 18. Jahrhundert .............................................................................................. 103 Von Corina Bastian, Eva Dade und Eva Ott Marie-Antoinettes Remise und das Geschlecht der Diplomatie im späten 18. Jahrhundert ................................................................................... 115 Von Joan Landes Von der politischen Einflussnahme der Frauen am Hof zur bürgerlichen Häuslichkeit? Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen um 1800......................................................................................................... 131 Von Claudia Opitz-Belakhal
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Inhaltsverzeichnis
Die »reine Frau« gegen den »korsischen Dämon«: Mediale Darstellungen von Außenbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert...................................... 145 Von Birte Förster Kategorien der Weiblichkeit: Diplomatengattinnen und Bürgerinnen in Frankfurt am Main zur Zeit des Deutschen Bundes ................................. 163 Von Ellinor Schweighöfer Das dritte Geschlecht der Diplomatie: Die Außenpolitik des wilhelminischen Deutschland unter dem Verdacht der Homosexualität ....... 181 Von Norman Domeier Der Aufstieg der Subalternen: Diplomatie und genderbezogene Professionalisierung, 1919–1945.................................................................... 201 Von Madeleine Herren Ein Diplomat im Kleid: Aleksandra Kollontaj und die sowjetische Diplomatie..................................................................................................... 215 Von Susanne Schattenberg Von Ehefrauen, Sekretärinnen und Diplomatinnen: Diskurse, Biographien und Verwaltungspraktiken im schweizerischen diplomatischen Corps, 1945–1975 ..................................................................................................... 237 Von Sacha Zala und Ursina Bentele Schlussbetrachtung: Frauen in Verhandlungen ............................................. 257 Von Jean-Claude Waquet Abkürzungsverzeichnis .................................................................................. 275 Bibliographie ................................................................................................. 277 Personenregister............................................................................................. 299
Einleitung Von Corina Bastian, Eva Dade, Hillard von Thiessen und Christian Windler Was Frauen von Männern bei Verhandlungen unterscheide, wurde der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im Januar 2009 gefragt, als nach Condoleezza Rice mit Hillary Clinton erneut eine weibliche Kollegin die Leitung des amerikanischen Außenministeriums übernahm1. Die Frage des Journalisten provoziert eine Gegenfrage: Warum soll das Geschlecht bei der Amtsausübung einen Unterschied machen? Diplomatische Tätigkeit war und ist mit Rollenvorstellungen verbunden, die stark durch die epochenspezifischen Konstruktionen von »männlich« und »weiblich« geprägt sind. Die im vorliegenden Sammelband veröffentlichten Beiträge zeigen, dass Frauen in Außenbeziehungen tatsächlich bis in die jüngste Vergangenheit als Ausnahmen gesehen oder inszeniert wurden. Zugleich verdeutlichen die Beiträge, dass die Handlungsspielräume und der Einfluss von Frauen als außenpolitische Akteurinnen in vielen Fällen weit größer waren, als es die Diskurse, mit denen die (angebliche) Notwendigkeit des Ausschlusses von Frauen aus ebendiesen Sphären begründet wurde, vermuten ließen. Frauen als außenpolitische Akteurinnen sind bislang von der historischen Forschung erst ansatzweise untersucht worden. Dementsprechend kann und will auch der vorliegende Band nicht den Anspruch einer Synthese erheben. Sein Ziel ist es vielmehr, mit einer Reihe von Beiträgen, die eine Zeitspanne vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert abdecken, ein erst wenig bearbeitetes Forschungsfeld abzustecken und auf diese Weise eine Geschlechtergeschichte der Diplomatie anzustoßen. Die Beiträge gehen auf eine Tagung zurück, welche die Abteilung für Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern im November 2011 durchgeführt hat. Mit dieser Tagung sollten das durch den Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Berner Forschungsprojekt »Weibliche Diplomatie? Frauen als außenpolitische Akteurinnen (18. Jahrhundert)« abgeschlossen und zugleich die Diskussion über die in diesem Rahmen untersuchten Fallbeispiele und über die Frühe Neuzeit hinaus geöffnet werden. Das Forschungsprojekt baute auf einer neuen, akteurszentrierten Geschichte frühneuzeitlicher Außenbeziehungen auf, die nicht im Sinne eines »Staatenwelt1 Interview mit Außenminister Steinmeier in der Augsburger Allgemeinen, 23.01.2009, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Infoservice/Presse/Interviews/2009/090123BM-Augsburger.html, Zugriff 28.11.2012. – Die Autorinnen und Autoren danken Nadine Amsler (Bern) für wertvolle kritische Anmerkungen.
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modells« Staaten als geschlossene Entitäten betrachtet, sondern vielmehr die an den Außenbeziehungen beteiligten Personen und Gruppen in ihren sozialen Bindungen und Beziehungen und den daraus resultierenden Handlungsspielräumen und -weisen untersuchen will2. Die drei Teilprojekte fragten am Beispiel von Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins3, von Elisabetta Farnese, der zweiten Gattin Philipps V. von Spanien, und der Madame de Pompadour4 nach dem Einfluss von Frauen auf die höfische Außenpolitik und deren Spielräumen für autonomes Handeln, nach den Auswirkungen der frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesse sowie nach den rhetorischen und performativen Strategien, mit denen die untersuchten Frauen außenpolitischen Einfluss zu legitimieren bzw. gegen Kritik zu verteidigen oder zu verschleiern versuchten5. Methodisch inspiriert wurden die Projekte insbesondere durch die Kopplung der akteurszentrierten Perspektive mit einer Kulturgeschichte des Politischen, die frühneuzeitliche Außenbeziehungen vor dem Hintergrund der spezifischen politischen Kulturen untersucht, in deren Rahmen die Akteure sich bewegten6. Gegenüber dem Berner Forschungsprojekt, das auf die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts ausgerichtet war, sollte mit der Tagung der Blick auf langfristige Entwicklungen und die dabei wirksamen Faktoren der Veränderung geöffnet werden. Das Resultat liegt in diesem Sammelband vor, der Fallbeispiele aus acht Jahrhunderten zusammen führt. Die Beiträge lassen sich dabei mit Blick auf ihre zeitliche Verortung und Fragestellung grob in zwei Teile gliedern: Während 2 Vgl. Hillard von Thiessen / Christian Windler, Einleitung. Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. dens. (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien, 2010, 1–12; Hillard von Thiessen, Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605–1621 in akteurszentrierter Perspektive (Frühneuzeit-Forschungen, 16), Epfendorf / Neckar, 2010. 3 Corina Bastian, Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 4), Köln / Weimar / Wien 2013. 4 Eva Kathrin Dade, Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 2), Köln / Weimar / Wien 2010. 5 Siehe den Beitrag der drei Projektmitarbeiterinnen Corina Bastian, Eva Kathrin Dade und Eva Ott in diesem Band (103–114). 6 Diesbezüglich sind die jüngst abgeschlossenen Studien von Matthias Köhler und Tilman Haug wegweisend, allerdings nicht in einer Gender-Perspektive: Matthias Köhler, Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 3), Köln / Weimar / Wien, 2011; Tilman Haug, ›Amis et serviteurs du Roi‹. Asymmetrische Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage zwischen der französischen Krone und den geistlichen Kurfürsten des Heiligen Römischen Reiches 1648–1679, unveröffentlichte Dissertation, Universität Bern, 2012.
Einleitung
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die Beiträge des ersten Teils insbesondere nach den Spezifika weiblicher Beteiligung an spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Außenbeziehungen fragen, beschäftigen sich die Beiträge des zweiten Teils vor allem mit der Frage, wie sich der Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung des Beamtenwesens seit dem 18. Jahrhundert und dann insbesondere im 19. und 20. Jahrhundert auf das »Geschlecht der Diplomatie« auswirkte. Die Fragen nach Handlungsspielräumen und Darstellungsformen werden dabei in vielen Beiträgen verschränkt betrachtet. In der Frühen Neuzeit wurden Frauen zwar mit dem Hinweis auf ihre angebliche geistige Unterlegenheit aus dem Bereich des Politischen ausgegrenzt und zugleich die Geschlechterhierarchie mit der natürlichen, gottgegebenen Ordnung gleichgesetzt und damit legitimiert7. Inwiefern allerdings die auf diese Weise begründete Diskriminierung in der höfischen Gesellschaft durch den adligen Stand und durch die Zugehörigkeit zu einflussreichen Verwandtschaftsverbänden zumindest teilweise ausgeglichen wurde, gehört zu den zentralen Fragen einer Geschlechtergeschichte frühneuzeitlicher Diplomatie, auf welche der vorliegende Sammelband Antworten zu geben sucht. Diese Fragestellung knüpft bei der neueren Hofforschung im Gefolge von Norbert Elias an und führt zugleich über diese hinaus. In seiner Höfischen Gesellschaft widmet sich Elias auch geschlechtergeschichtlichen Fragestellungen. So stellt er etwa mit Blick auf die Wohnverhältnisse bei Hof eine Gleichrangigkeit der baulichen Einrichtung und damit der sozialen Verortung von Mann und Frau fest8 und konstatiert einen deutlichen Prestigegewinn von hochadligen Frauen in der höfischen Gesellschaft, ganz im Gegensatz zum weitgehenden Ausschluss von Frauen aus dem politischen Bereich in den zumeist oligarchisch strukturierten »Republiken« der Frühen Neuzeit. Diese Fragestellungen werden jedoch in der Höfischen Gesellschaft ebenso wenig vertieft wie im Prozess der Zivilisation, der praktisch ausschließlich aus männlicher Perspektive geschrieben ist9. Dennoch hat Norbert Elias mit der Figurationsanalyse eine wichtige methodische Grundlage für die Auslotung des Handlungsrahmens von Frauen in den höfischen Gesell7 Siehe zur zeitgenössischen Diskussion über ein als widernatürlich geltendes ›Weiberregiment‹ grundlegend Sharon L. Jansen, The Monstrous Regiment of Women. Female Rulers in Early Modern Europe, New York 2002. Siehe auch Heide Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond.‹ Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, 204–215 (zum Weiberregiment). Zu Jean Bodins Sichtweise auf herrschende Frauen siehe Claudia Opitz, Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2006. 8 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung. Soziologie und Geschichtswissenschaft (Gesammelte Schriften Norbert Elias, 2), Frankfurt a. M. 2002, 75–114. 9 Norbert Elias, Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1997.
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schaften der Frühen Neuzeit geschaffen. Indem Elias die Sicht auf die vielfältigen, in mehr oder weniger stabilen Faktionen organisierten Interdependenzgeflechte am Hof freilegte und Macht auch außerhalb formaler Herrschaftsstrukturen als Ergebnis von Interaktion beschrieb, trug er dazu bei, den Blick auf die weiblichen Einflusspotenziale zu öffnen, welche die Kulturform der höfischen Gesellschaft bot. Mit dem Idealtypus der Diplomatie vom type ancien liegt heute ein Ansatz vor, der in diesem Kontext personale Akteure statt Staaten in den Blick nimmt und neben den männlichen Inhabern von Ämtern auch die gleichermaßen männlichen und weiblichen Akteure von Außenbeziehungen, die kein diplomatisches Amt ausübten, betrachtet10. Wiewohl keinesfalls von einem goldenen Zeitalter weiblichen Einflusses in der höfischen Gesellschaft die Rede sein kann11, lassen sich doch einige Merkmale festhalten, die weibliche Einflussnahme an Fürstenhöfen begünstigten. Der hohe Stellenwert informeller Macht- und Herrschaftsstrukturen und der vergleichsweise geringe Institutionalisierungsgrad der Hofgesellschaft, die Alternativen zur Amtsinhabe boten, sind hier an erster Stelle zu nennen. Zunehmend nimmt die Hofforschung den Hof als Konkurrenzfeld von Familienverbänden um symbolische und materielle Ressourcen wahr. Dieser Befund koinzidiert mit einer noch sehr unscharfen Trennung zwischen den Sphären des Öffentlichen und des Privaten. Die Bedeutung des Einflusses von Familienverbänden am Hof gibt den Blick frei auf genuin weibliche Einflusssphären. Das prononciert patriarchalische Konzept des »Ganzen Hauses«, wie es von Otto Brunner vertreten worden ist12, gilt mittlerweile im Bezug auf die Geschlechterverhältnisse als ideologisches Konstrukt des 19. Jahrhunderts. An seine Stelle ist die Vorstellung vom »Hausvater« und der »Hausmutter« als »Arbeitspaar« getreten, das hierarchisch geordnet war, aber doch eine untrennbare, auf Kooperation angewiesene Einheit bildete13. Wenn 10 Vgl. Hillard von Thiessen, Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtenwesens, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. dems. / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien, 2010, 471–503. 11 Vgl. dazu Irmtraud Götz von Olenhusen, Das Ende männlicher Zeugungsmythen im Zeitalter der Aufklärung. Zur Wissenschafts- und Geschlechtergeschichte des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Ordnung, Politik und Geselligkeit der Geschlechter im 18. Jahrhundert, hrsg. v. Ulrike Weckel / Claudia Opitz / Olivia Hochstrasser / Brigitte Tolkemitt, Göttingen 1998, 259–283; Gisela Engel / Friederike Hassauer / Brita Rang / Heide Wunder (Hrsg.), Geschlechterstreit am Beginn der europäischen Moderne. Die Querelle des Femmes. Königstein / Taunus 2004. 12 Otto Brunner, Das ›ganze Haus‹ und die alteuropäische ›Ökonomik‹, in: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, hrsg. v. dems., 3. Aufl., Göttingen 1980, 103–127. 13 Claudia Opitz, Neue Wege der Sozialgeschichte? Ein kritischer Blick auf Otto Brunners Konzept des ›ganzen Hauses‹, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), 88–98.
Einleitung
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Herrschaft an dynastische Verwandtschaftsverbände gebunden war, folgte das Verhältnis des Fürsten und seiner Gattin auch mit Blick auf die Ausübung von Herrschaft der Vorstellung vom Hausvater und von der Hausmutter als einem hierarchischen »Zweigestirn« von »Sonne« und »Mond«14. Dieser Vorstellung entsprach die Zweiteilung der Herrscherhöfe, an denen die Herrschergattinnen über einen eigenen Hofstaat verfügten. An diesem besetzten auch Frauen Hofämter, die ihnen den unmittelbaren Zugang zur Herrschergattin (und auf diesem Wege mitunter auch zum Herrscher) ermöglichten15. Obwohl die politischen und familiären Handlungsspielräume für Männer und Frauen asymmetrisch waren, lassen sich also Felder weiblicher Einflussnahme ausmachen. Die historische Frauenforschung hat daher seit den 1990er-Jahren eine Wende weg von der Annahme einer generellen »Opferrolle« von Frauen unternommen und zunehmend die »machtvolle Teilhabe der Frauen an den patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen« untersucht16. Unter diesem Gesichtspunkt befasst sich in diesem Band eine Reihe von Beiträgen mit Handlungsspielräumen von Frauen in den Außenbeziehungen spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Höfe. Auf lange Sicht stellt sich die Frage, inwiefern mit dem Prozess der funktionalen Ausdifferenzierung von Fürstenhaushalten und Behördenwesen, der bereits im Spätmittelalter einsetzte, sich im 18. Jahrhundert aber immer deutlicher bemerkbar machte17, die Einflussmöglichkeiten von Frauen kleiner wurden. Mit der 14 Vgl. H. Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹ (Anm. 7). 15 Vgl. zum Wiener Hof: Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien 2005. 16 Sylvia Schraut, Frauen und Macht. Auf der Suche nach dem Verhältnis des ›schwachen Geschlechts‹ zum Bewegungsfaktor ›Macht‹ in Geschichte und Gegenwart, in: Geschlecht. Macht. Arbeit. Kategorien in der historischen Frauenforschung, hrsg. v. Frauen & Geschichte Baden-Württemberg, Tübingen 1995, 23–39, 30. Ausgehend von Elisabeth I. und der querelle des femmes hat Claudia Opitz eine ›Geschlechtergeschichte der Staatsräson‹ gefordert: Claudia Opitz, Staatsräson kennt kein Geschlecht. Zur Debatte um die weibliche Regierungsgewalt im 16. Jahrhundert und ihrer Bedeutung für die Konzipierung frühneuzeitlicher Staatlichkeit, in: Feministische Studien 23 (2005), 228–241. 17 Zum Prozess des going out of court des Behördenwesens, wie er seit dem Spätmittelalter einsetzte, siehe etwa Werner Paravicini, Einleitung, in: Alltag bei Hofe, hrsg. v. dems. (Residenzenforschung, 5), Sigmaringen 1995, 9–30, 27: »Der Hof ist dem Wesen nach keine Behörde, sondern er scheidet Behörden aus. Hof- und Landesverwaltung sind zunächst und lange noch ungeschieden. […] Aber auch der Hof bürokratisiert sich, wie an täglichen Gagenabrechnungen und dergleichen gezeigt werden kann.« Vgl. den Überblick in Ronald G. Asch, The Court and Household from the Fifteenth to the Seventeenth Century, in: Princes, Patronage, and the Nobility. The Court at the Beginning of the Modern Age, c. 1450–1650, hrsg. v. dems. / Adolf M. Birke, Oxford 1991, 1–38.
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zunehmend schärferen Trennung der Sphären des Öffentlichen und des Privaten fand, wie die Geschlechterforschung schon seit Längerem betont, eine Zuordnung des weiblichen Geschlechts zum privaten Raum und damit seine Zurückdrängung aus vielen öffentlichen Bereichen statt18. Für die Außenbeziehungen bedeutete diese Entwicklung, dass sie bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts stärker als fast jeder andere Bereich der Politik männlich konnotiert waren. Diese männliche Prägung, die nur im militärischen Bereich noch auffälliger war, manifestierte sich seit dem 18. Jahrhundert insbesondere im Zusammenhang mit der Ausdifferenzierung von Diplomatie als einem spezifischen, zunehmend professionalisierten Tätigkeitsfeld. Die Diplomatiegeschichtsschreibung, die in enger Verbindung mit den staatlichen diplomatischen Corps entstand und den Ausschluss nichtprofessioneller Akteure von der Praxis der Außenbeziehungen legitimierte19, trug entscheidend dazu bei, eine Sichtweise zu verfestigen, die auf die Interaktion von Staaten und männlich besetzten staatlichen Behörden ausgerichtet war20. Zugleich entstanden in der Sattelzeit um 1800 allerdings auch die Grundlagen dafür, dass die »natürlichen« Geschlechterrollen schließlich – allerdings erst im Laufe des 20. Jahrhunderts – unter Berufung auf ein naturrechtliches Gleichheitsgebot in Frage gestellt werden konnten. Unter diesem Gesichtspunkt kann es nicht überraschen, dass die ersten Diplomatinnen, die seit den 1920er-Jahren in Erscheinung traten, Außenseiterinnen waren. Bezeichnenderweise waren sie Gesandte eines revolutionären, die bürgerliche Ordnung ebenso wie die klassische Diplomatie herausfordernden Staatswesens, der Sowjetunion21. Die Frage nach der Rolle von Frauen im diplomatischen Dienst verschränkt sich seit dem späten 19. Jahrhundert auch mit jener nach der strukturellen Neugestaltung der internationalen Beziehungen. Mit der Vervielfältigung der Ebe18 Ausgehend von Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1962 (Neuaufl. 1990), hat Joan B. Landes die These vertreten, dass im Laufe des 18. Jahrhunderts und dann vor allem mit der Französischen Revolution eine schärfere Trennung der Privatsphäre von der öffentlichen Sphäre der Politik zu verzeichnen ist, welche die Einflussnahme von Frauen im Vergleich zur höfischen Gesellschaft begrenzte: Joan B. Landes, Women and the Public Sphere in the Age of the French Revolution, Ithaca 1988. Vgl. auch Ulla Wischermann, Feministische Theorien zur Trennung von privat und öffentlich – ein Blick zurück nach vorn, in: Feministische Studien 21 (2003), 23–34. 19 Besonders ausgeprägt und explizit bei: Heinrich Triepel, Die auswärtige Politik der Privatpersonen, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht 9 (1939/40), 1–30. 20 Gerhard Th. Mollin, Internationale Beziehungen als Gegenstand der deutschen NeuzeitHistoriographie seit dem 18. Jahrhundert. Eine Traditionskritik in Grundzügen und Beispielen, in: Internationale Geschichte. Themen - Ergebnisse – Aussichten, hrsg. v. Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel, München 2000, 3-30. 21 Siehe dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Susanne Schattenberg (215–235).
Einleitung
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nen, Formen und Bereiche internationaler Kooperation fand eine Verschiebung der Diplomatie von einer exklusiv staatlichen Verwaltung zu transnational aktiven Organisationen statt, in denen auch Frauen neue Handlungsräume fanden22. Obwohl Männer und Frauen heute im europäisch-nordatlantischen Raum zumindest formal den gleichen Zugang zu außenpolitischen Ämtern haben und es mittlerweile eine ganze Reihe prominenter Diplomatinnen gibt, scheint das weibliche Geschlecht nach wie vor als Ausnahme gehandelt zu werden, wie die eingangs erwähnte Interviewfrage von 2009 exemplarisch zeigt. Herr Steinmeier antwortete damals, dass Außenministerinnen die Interessen ihrer Länder genauso hart verträten wie ihre männlichen Kollegen23. Der Vergleich des Ministers zeigt, dass unterschwellig geschlechterspezifische Grenzen weiter existieren, die sich auf der sprachlichen Ebene zeigen. Den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bandes stellte sich daher auch die Frage, inwiefern die Darstellung diplomatischer Akteure und Akteurinnen in verschiedenen Handlungszusammenhängen seit dem Spätmittelalter durch das Geschlecht und die damit verbundenen Eigenschaften bestimmt wurde. Die dabei formulierten geschlechterspezifischen Stereotype weisen über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg zum Teil erstaunliche Konstanten auf. Wenn Frauen zu Ausnahmen stilisiert werden, geschieht dies, weil sie in der Wahrnehmung ihrer Zeitgenossen die für die jeweiligen Epochen spezifischen Geschlechtergrenzen überschreiten. Das Ergebnis ist, dass die Eignung von Frauen für das diplomatische Geschäft meist entweder trotz ihres Geschlechts – wie im obigen Beispiel – oder gerade aufgrund ihres Geschlechts hervorgehoben wird. Solche Argumentationsmuster lassen sich bei der Beschreibung männlicher diplomatischer Tätigkeit nicht beobachten. Die Frage, inwiefern das Geschlecht der Akteure ihren Handlungsspielraum begrenzte oder erweiterte, steht in einem engen Zusammenhang mit solchen Rollenzuschreibungen. Statt auf der Darstellungsebene zu verharren und die Dichotomie männlich / weiblich immer wieder zu bekräftigen, scheint es allerdings zielführender, im Anschluss an die jüngere Geschlechtergeschichte danach zu fragen, in welchen Handlungskontexten die Kategorie Geschlecht überhaupt relevant wurde und wie sie sich jeweils zu anderen Identitäts- und Differenzkategorien verhielt. Auf diese Fragen geben die Beiträge dieses Sammelbandes mit ganz unterschiedlichen zeitlichen und thematischen Schwerpunktsetzungen erste Antworten. Die Herausgeberinnen und Herausgeber danken den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Abteilung für Neuere Geschichte des Historischen Instituts der Universität Bern, die entscheidend zum Gelingen der Tagung im Dezember 2011 beigetragen haben. In ihren Händen lagen auch die redaktionelle Bearbeitung der 22 Siehe dazu im vorliegenden Band den Beitrag von Madeleine Herren (201–213). 23 Interview mit Außenminister Steinmeier (Anm. 1).
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Beiträge24, die Übersetzung der fremdsprachigen Texte25, die Erstellung der Bibliographie26 und die Anfertigung des Personenregisters27. Der Fondation Johanna Dürmüller-Bol, der Gerda Henkel Stiftung, der Hochschulstiftung der Burgergemeinde Bern und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung sei für die Finanzierung der Tagung und Letzterem auch für die großzügige Unterstützung der Drucklegung gedankt.
24 Nadja Ackermann, Nadine Amsler, Melanie Burkhard, Tilman Haug, Daniel Sidler, Nadir Weber, Tamara Widmer, Philipp Zwyssig. 25 Nadine Amsler, Corina Bastian, Tilman Haug, Nadir Weber, Tamara Widmer. 26 Melanie Burkhard. 27 Claudia Ravazzolo.
Das Arbeitspaar als Regelfall: Hochadlige Frauen in den Außenbeziehungen iberischer Frontier-Gesellschaften des Spätmittelalters
Von Raphaela Averkorn Dieser Beitrag untersucht hochadlige Frauen in den Königreichen Kastilien, Aragón und Portugal als aktiven Part eines Arbeitspaares sowie als Akteurinnen geschlechtsspezifischer sozialer und politischer Netzwerke in auswärtigen Beziehungen vom Ende des 12. bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts. Gefragt wird nach den Handlungsspielräumen dieser Frauen in jeweils unterschiedlichen Rollen – als Ehefrau, Witwe, Tochter oder Königin aus eigenem Recht – in den komplexen Außenbeziehungen der iberischen Frontier-Gesellschaften. Diese Gesellschaften waren durch Diversität, hohe soziale und geographische Mobilität, Krisen und kriegerische Auseinandersetzungen gekennzeichnet, die Frauen weitreichende Handlungsspielräume eröffneten. Hochadlige Akteurinnen übernahmen keineswegs nur informelle Tätigkeiten, sondern waren ebenso wie adlige Erzieherinnen und Hofdamen offiziell in das Handlungsgefüge der auswärtigen Beziehungen eingebunden1. Im Folgenden soll untersucht werden, ob sich dabei geschlechtsspezifische Unterschiede und Grenzen im Vergleich zu den Aktionsfeldern der männlichen Partner feststellen lassen und welche Konsequenzen bei der Überschreitung dieser Beschränkungen gegebenenfalls zu gegenwärtigen waren. Ebenso wird nach den Voraussetzungen für den Aufbau erfolgreicher Arbeitsbeziehungen und Netzwerke sowie den jeweiligen Entscheidungskompetenzen
1 Aus der umfangreichen Literatur zu den iberischen Reichen des Spätmittelalters seien genannt Klaus Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter, Stuttgart 2006; Vicente Ángel Álvarez Palenzuela (Hrsg.), Historia de España de la Edad Media, Madrid 2002; Adeline Rucquoi, Histoire médiévale de la Péninsule Ibérique, Paris 1993; Ludwig Vones, Geschichte der Iberischen Halbinsel im Mittelalter (711–1480), Sigmaringen 1993. Zu den auswärtigen Beziehungen, jedoch ohne gender-spezifischen Fokus, u.a. Miguel Angel Ochoa Brun, Historia de la diplomacia española, 6 Bde., 3. Aufl., Madrid 2003 ff., zum Mittelalter: Bd. 1–3; Pedro Soares Martínez, História diplomática de Portugal, 2. Aufl., Lisboa 1992; Manuel García Fernández, Portugal – Aragón – Castilla. Alianzas dinásticas y relaciones diplomáticas (1297–1357), Sevilla 2008; Raphaela Averkorn, Kastilien als europäische Großmacht im Spätmittelalter. Grundprobleme der auswärtigen Beziehungen der kastilischen Könige vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, in: Auswärtige Politik und internationale Beziehungen im Mittelalter (13.–16. Jahrhundert), hrsg. v. Dieter Berg/ Martin Kintzinger / Pierre Monnet (Europa in der Geschichte, 6), Bochum 2002, 315–346.
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Raphaela Averkorn
dieser Frauen als Handelnde in den unterschiedlichen Typen von Arbeitspaaren und Netzwerken gefragt2.
I. Ehegatten und Blutsverwandte als Arbeitspaare Berenguela von Kastilien (1180–1246) wurde als Tochter eines politisch und emotional eng verbundenen Arbeitspaares, König Alfonso VIII. und Leonor von England, geboren. Sie wurde von Kindheit an auf ihre Rolle als politisch aktive Gattin eines Herrschers vorbereitet. Neben ihrer Mutter war das Vorbild ihrer herausragenden Großmutter, Eleanor von Aquitanien, der Gattin von König Heinrich II. von England, zu der ein enger Kontakt bestand, prägend3. Von 1181 bis zur Geburt ihres Bruders Fernando im Jahr 1189 wurde Berenguela von ihrem Vater als Erbin des Königreichs bezeichnet. 1187 wurde sie mit Conrad, einem Sohn 2 Vgl. Ana Rodrigues Oliveira, Rainhas medievais de Portugal, Lisboa 2010; María Jesús Fuente, Reinas medievales en los reinos hispánicos, Madrid 2004; Vicente Márquez de la Plata / Luis Valero de Bernabé, Reinas medievales españolas, Madrid 2000; sowie Raphaela Averkorn, La participation des femmes au pouvoir au Bas Moyen Âge. L’exemple des reines et princesses de Castille et d’Aragon, in: Reines et princesses au Moyen Âge. Actes du cinquième colloque international de Montpellier. Université Paul Valéry (24–27 novembre 1999), hrsg. v. Marcel Faure, 2 Bde., Montpellier 2001, Bd. 1, 215–232; dies., Women and Power in the Middle Ages. The Political Aspect of Medieval Queenship, in: Political systems and definitions of gender roles, hrsg. v. Ann Katherine Isaacs, Pisa 2001, 11–30; Theresa M. Vann, The Theory and Practice of Medieval Castilian Queenship, in: Queens, Regents and Potentates, hrsg. v. ders., Cambridge 1993, 125–148. Vgl. Raphaela Averkorn, Herrscherinnen und Außenpolitik. Hochadlige Frauen als Handlungsträgerinnen der auswärtigen Beziehungen auf der Iberischen Halbinsel (13.–15. Jahrhundert), in: Geschlechterrollen in der Geschichte aus polnischer und deutscher Sicht, hrsg. v. Karl H. Schneider (Politik und Geschichte, 5), Münster 2004, 91–138. Weitere Studien der Autorin dieses Beitrages zur Beteiligung hochadliger Frauen an den auswärtigen Beziehungen der iberischen Königreiche sind in Vorbereitung. 3 Vgl. zu Berenguela Miriam Shadis, Berenguela of Castile (1180–1246) and Political Women in the High Middle Ages, New York 2009; dies., Berenguela of Castile’s Political Motherhood. The Management of Sexuality, Marriage and Succession, in: Medieval Mothering, hrsg. v. John Carmi Parsons / Bonnie Wheeler, New York / London 1996, 335–358, sowie H. Salvador Martínez, Berenguela la Grande y su época (1180–1246), Madrid, 2012; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 209–226; V. Marquéz de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 163–181; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 100– 108. Vgl. auch Rose Walker, Leonor of England and Eleanor of Castile. Anglo-Iberian Marriage and Cultural Exchange in the Twelfth and Thirteenth Centuries, in: England and Iberia in the Middle Ages, 12th–15th Centuries. Cultural, Literary, and Political Exchanges, hrsg. v. María Bullón-Fernández, New York / Houndsmills, Basingstoke 2007, 67–87; zu Königin Leonor V. Marquéz de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 149–161; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 100–104.
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von Kaiser Friedrich Barbarossa, verlobt, um durch diese Verbindung die Stellung Kastiliens auf der Iberischen Halbinsel und im europäischen Mächtegefüge zu unterstreichen und der potentiellen Erbin politischen Rückhalt zu geben. Im Herbst 1191 war diese Verbindung bereits gelöst worden4. 1197 wurde Berenguela zur Stabilisierung der Beziehung zum Nachbarkönigreich mit ihrem Cousin König Alfonso IX. von León († 1230) vermählt. Diese Ehe wurde 1204 gegen den Willen des Ehepaares aufgrund zu naher Verwandtschaft durch Papst Innozenz III. aufgelöst. Berenguela kehrte mit ihren fünf Kindern in ihre Heimat zurück. Sie war in den folgenden Jahren an der Seite ihres Vaters in dessen politische Tätigkeiten involviert und unterhielt dazu von Kastilien aus enge Kontakte zu Alfonso IX. von León sowie zu ihrer Schwester Blanca, der französischen Königin. Nach dem 1215 erfolgten Tod ihrer Eltern sorgte Berenguela als Regentin für ihren minderjährigen Bruder Enrique I. (* 1204) für Stabilität im Inneren und Äußeren und erbte nach dessen Unfalltod 1217 den kastilischen Thron. Aus politischen Überlegungen dankte sie wenig später zugunsten ihres Sohnes Fernando III. (1201–1252) ab. Sie bereitete damit die 1230 erfolgte Vereinigung Kastiliens mit León vor, ohne selbst von der politischen Bühne abzutreten5. Berenguela wurde als Königinmutter von ihren Zeitgenossen und den mit ihr in Verbindung stehenden Chronisten als »Mitkönigin« positiv wahrgenommen und akzeptiert. Erst nach ihrem Tod wurde Fernando als Hauptakteur der kastilischen Politik dargestellt. Als einheimische, mit Sprache und Kultur der beiden Reiche vertraute Fürstin hatte Berenguela soziale und politische Netzwerke aus männlichen und weiblichen Verwandten sowie Vertrauten aufbauen können, die sie nutzen konnte, um die Stellung Kastiliens durch enge diplomatische Beziehungen zu Portugal, Aragón, Navarra, England, Frankreich, zum Heiligen Römischen Reich und zum Papst zu festigen. Im Bereich der Außenpolitik waren ihre Schwestern als Ratgeberinnen von besonderer Bedeutung: Blanca († 1252) als Regentin für ihren Sohn Ludwig IX. von Frankreich, Urraca († 1220) als Gattin von König Afonso II. von Portugal, Constanza († 1243) als Nonne und königliche Feudalherrin der Abtei Las Huelgas bei Burgos sowie Leonor († 1246), die bis 1228 mit König Jaime I. von Aragón verheiratet gewesen war und später in Las Huelgas lebte. In diese auf Initiative ihrer Mutter gegründete Abtei zog sich auch Berenguela von Zeit zu Zeit zurück. Las Huelgas war somit ein wichtiges Machtzentrum der politisch aktiven weiblichen Mitglieder des Königshauses, in 4 Vgl. M. Shadis, Berenguela (Anm. 3), 32–39, 52–61; Bruno Meyer, El desarrollo de las relaciones políticas entre Castilla y el Imperio en los tiempos de los Staufen, in: En la España medieval 21 (1998), 29–48; ders., Dynastische Verbindungen zwischen Kastilien und dem Reich zur Zeit der Staufer, in: España y el Sacro Imperio. Proceso de cambio, influencias y acciones reciprócas en la época de la ›europeización‹, siglos XI–XIII, hrsg. v. Klaus Herbers / Karl Rudolf / Julio Valdeón Baruque, Valladolid 2002, 63–85. 5 M. Shadis, Berenguela (Anm. 3), 61–104.
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dem in späteren Jahren Berenguelas Tochter Constanza sowie ihre Enkelin Berenguela und weitere weibliche Verwandte aus Aragón und Portugal leben sollten6. Die engste Beziehung unterhielt Berenguela zu ihrem Sohn Fernando. Es kann nicht nur von einer sehr engen Mutter-Sohn-Beziehung, in der sie über alle Lebensbelange ihres Sohnes sowie sein Privat- und Intimleben die Kontrolle behielt, sondern auch von einer äußerst effizienten Arbeitspaar-Beziehung gesprochen werden, ein Modell, das auch ihre Schwester Blanca in Frankreich erfolgreich praktizierte. Berenguela und Fernando III. arbeiteten während mehr als zwei Jahrzehnten Hand in Hand, und erst wenige Jahre vor dem Tod der Mutter kam es zu Spannungen zwischen den beiden, da der König versuchte, mehr Eigenständigkeit zu erlangen. Die Ehefrauen Fernandos III., Beatriz von Schwaben († 1235) und Jeanne von Ponthieu († 1278), nahmen politische Aufgaben im Inneren und Äußeren nur in Abstimmung mit ihrer Schwiegermutter und ihrem Gatten wahr7. Beide Ehen hatte Berenguela über ihre diplomatischen Netzwerke arrangiert. 1219 wurde Fernando mit Beatriz, der Enkelin von Kaiser Friedrich I. Barbarossa, deren Mutter Irene aus dem byzantinischen Kaiserhaus stammte, vermählt. Diese Verbindung zum Kaiserhaus, die Berenguela selbst nicht geglückt war, steigerte das Ansehen Kastiliens und begründete die späteren Erbansprüche Alfonsos X. 1237 verheiratete die Königinmutter den verwitweten Fernando mit der reichen Erbin der Grafschaft Ponthieu, Jeanne. Bereits 1224 hatte sie eine wichtige Eheschließung initiiert, als ihre Tochter Berenguela vom König von Jerusalem, Jean de Brienne (ca. 1169/74–1237), geehelicht wurde, der sich anlässlich einer Pilgerreise in Kastilien aufhielt. Nach dem Tod von Alfonso IX. von Léon im Jahr 1230 gelang es Berenguela in komplexen Verhandlungen mit dessen erster Gattin, Teresa von Portugal, ihrem Sohn Fernando zuungunsten seiner beiden Stiefschwestern den Thron von León zu sichern, sodass die Vereinigung der Königreiche Kastilien und León maßgeblich durch geschickte weibliche Diplomatie realisiert wurde8. Am Beispiel ihres Enkels Alfonso X. von Kastilien († 1284), der 1248 Violante von Aragón († ca. 1300) ehelichte, zeigt sich, dass zunächst gut funktionierende Arbeitspaare aus politischen Gründen und aufgrund unlösbarer Differenzen 6 Vgl. zum gemeinsamen Begräbnisort Las Huelgas (mit Ausnahme von Urraca und Blanca) M. Shadis, Berenguela (Anm. 3), 167–170; Raphaela Averkorn, Adlige Frauen und Mendikanten im Spannungsverhältnis zwischen Macht und Religion. Studien zur Iberischen Halbinsel im Spätmittelalter, in: Imperios sacros, monarquías divinas, hrsg. v. Carles Rabassa / Ruth Stepper, Castellón de la Plana 2002, 219–268, 246–249, besonders zum Engagement für die Bettelorden. 7 Vgl. zu Beatriz und Juana besonders M. Shadis, Berenguela (Anm. 3), 107–110, und ausführlich dies., Motherhood (Anm. 3) 337–341. Vgl. George Martin, Berenguela de Castilla (1214–1246). En el espejo de la historiografía de su época, in: Historia de las mujeres en España y América Látina, hrsg. v. Isabel Morant, Bd. 1, Madrid 2005, 569– 594, 592, zu den Differenzen zwischen Mutter und Sohn. 8 M. Shadis, Berenguela (Anm. 3), 341–348; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 105.
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nicht vor dem Scheitern gefeit waren. Violante war die Tochter von König Jaime I. und Violante von Ungarn, die ihrerseits im Einvernehmen mit ihrem Gatten zahlreiche politische Aufgaben übernahm9. Die kastilische Königin gebar nicht nur zahlreiche Kinder, sondern engagierte sich beispielsweise im Rahmen von diplomatischen Missionen nach Aragón intensiv zugunsten der Interessen ihrer Herkunftsfamilie und ihrer neuen Heimat. 1269 vermählte das Königspaar seinen ältesten Sohn Fernando de la Cerda mit Blanca († 1323), einer Tochter von König Ludwig IX. von Frankreich. Der Entscheid, deren Söhne nach dem 1275 erfolgten Tod des Thronfolgers von Alfonso X. in der Erbfolge nicht zu berücksichtigen, führte allerdings zum Auseinanderbrechen der Familie sowie zu einem Bürgerkrieg in Kastilien. Violante stand in diesem Konflikt auf Seiten ihrer Enkel gegen ihren Gatten und ihren jüngeren Sohn Sancho und führte mithilfe ihrer eigenen Netzwerke eine selbstständige Außenpolitik. Ihr Beziehungsnetz umfasste ihren Bruder Pedro III., dessen Gattin Constanza, ihre Schwiegertochter Blanca, deren Bruder Philippe III. von Frankreich († 1285), deren Mutter Marguerite von Provence, Königin Isabel von Portugal, eine Nichte Violantes, sowie Königin Leonor von England, eine Halbschwester von König Alfonso X. Auf dem Höhepunkt der politischen und familiären Krise flüchteten Violante und Blanca 1277/78 mit den Kindern nach Aragón. Obwohl die Königin 1279 nach Kastilien zurückkehrte, konnte sie ihr Verhältnis zu ihrem Gatten nicht mehr konsolidieren und trat von der politischen Bühne ab. Blanca reiste nach Frankreich und setzte ihre letztendlich vergeblichen Anstrengungen noch Jahre unter Einbezug ihres diplomatischen Netzwerks und ihrer Herkunftsfamilie fort10. 9 Vgl. Ferenc Makk u. a. (Hrsg.), Princeses de terres llunyanes. Catalunya i Hongria a l’edat mitjana, Barcelona 2009, 20–22, 37; T. Vann, Theory (Anm. 2); V. Márquez de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 203–219; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 111–114; dies., Adlige Frauen (Anm. 6), 259–267. Zu Alfonso X. H. Salvador Martínez, Alfonso X, El Sabio, Madrid 2003; Julio Valdeón Baruque, Alfonso el Sabio. La forja de la España moderna, Madrid 2003; Antonio Ballesteros Beretta, Alfonso X, el Sabio, Barcelona 1963 (Neuaufl. 1984). Zu Constanza von Sizilien vgl. Marta VanLandingham, Transforming the State. King, Court and Political Culture in the Realms of Aragon (1213–1387), Leiden 2002; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 124 f. 10 Vgl. R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 111–114; dies., Gewaltanwendung und Konfliktlösung. Studien zu politischen und familiären Auseinandersetzungen in den iberischen Königshäusern im Hohen und Späten Mittelalter, in: Europa und die Welt in der Geschichte. Festschrift zum 60. Geburtstag von Dieter Berg, hrsg. v. Raphaela Averkorn / Winfried Eberhard / Raimund Haas / Bernd Schmies, Bochum 2004, 1122–1186, 1130–1133. Zu Leonor von Kastilien vgl. John C. Parsons, Eleanor of Castile. Queen and Society in Thirteenth-Century England, New York 1995. Zu Isabel von Portugal besonders José Augusto de Sotto Mayor Pizarro, D. Dinis, Lisboa 2008; José Carlos Gimenez, A Rainha Isabel nas estratégias políticas da Península Ibérica: 1280–1336, Tese (doutorado), Universidade Federal do Paraná. Setor de Ciências Humanas, Letras e Artes, Curitiba 2005; Fernando Barros Leite, O rei D. Dinis e a rainha santa Isabel, Coimbra
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Nicht alle weiblichen Verwandten wandten sich indessen gegen Alfonso X. Bis zu seinem Tod konnte dieser auf die bedingungslose Unterstützung seiner illegitimen Tochter Beatriz (1244–1300/03) zählen. 1253 wurde letztere anlässlich ihrer Verlobung zur Absicherung des Friedens mit Portugal im Konflikt um die Algarve dem bei seiner Tante Blanca in Frankreich erzogenen Afonso III. (1212/17–1279) von Portugal übergeben. Dieser war allerdings noch mit Mahaut von Boulogne (1202–1258/59) vermählt, die sich bis zu ihrem Tod mit päpstlicher Unterstützung gegen eine Trennung zur Wehr setzte. Königin Beatriz spielte nicht nur eine herausragende Rolle in den auswärtigen Beziehungen Portugals, sondern erfüllte auch ihre dynastischen Verpflichtungen durch die Geburt von acht Kindern. Erst 1263 erfolgte die Legitimierung ihrer Kinder, die aus der 1258 vollzogenen Ehe bereits hervorgegangen waren. Das vertrauensvolle Verhältnis zu ihrem Gatten, der die junge Fürstin auf ihre Rolle als Königin vorbereitet hatte, ermöglichte ihr einen großen politischen Spielraum11. Die engen Beziehungen zu Alfonso X. wurden durch diverse Reisen nach Kastilien sowie eine umfangreiche Korrespondenz aufrechterhalten. Es gelang Beatriz 1265, die Algarve durch einen Abzug der kastilischen Truppen endgültig unter portugiesische Kontrolle zu bringen. Mit dem 1279 erfolgten Tod ihres Gatten, der sie mit weiteren Adligen als Testamentsvollstreckerin und Ratgeberin für seinen bereits volljährigen Erben Dinis I. (1261–1325) eingesetzt hatte, verlor sie allerdings an Einfluss. 1282 ging sie mit ihren beiden Töchtern an den Hof ihres Vaters in Sevilla, um diesen bis zu seinem Tod 1284 zu unterstützen. Sie verhandelte mit María de Molina († 1321), der Gattin ihres Halbbruders Sancho IV. († 1295), um die internen Spannungen im kastilischen Königshaus abzubauen, und versuchte vergeblich, ihren Sohn Dinis zur Unterstützung des Großvaters zu bewegen. Der portugiesische König war bestrebt, sein eigenes Netzwerk auswärtiger Kontakte aufzubauen und paktierte mit dem aragonesischen König Pedro III., dessen Tochter Isabel († 1336) er 1282 in Abwesenheit seiner Mutter ehelichte. Dinis und Isabel führten eine auf Neutralität bedachte Außenpolitik im Spannungsfeld zwischen Aragón und Kastilien. Isabel übernahm vielfältige Aufgaben im Inneren und Äußeren und baute eigene außenpolitische Netzwerke in enger Zusammenarbeit mit ihren eigenen Kindern, ihrem Bruder Jaime II. von Aragón († 1327), dessen zweiter Gattin Blanca von Anjou († 1310) sowie dessen Kindern auf12. Im Rahmen eines doppelten Ehebündnisses wurden ihr Sohn Afonso IV. 1993; Sheila R. Ackerlind, King Dinis of Portugal and the Alfonsine Heritage, New York 1990. 11 Vgl. A. Rodrigues Oliveira, Rainhas (Anm. 2), 131–150; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 113 f. Lesefähigkeit, Frömmigkeit und ein gutes Benehmen gehörten zu den Grundlagen einer höfischen Erziehung. 12 Vgl. P. Soares Martínez, História (Anm. 1), 41–45; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 113–117, 126–129. Zu María de Molina das Standardwerk von Mercedes Gaibrois de Ballesteros, María de Molina. Tres veces reina, Madrid 1937 (Neuaufl. 1967), sowie Rafael
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von Portugal (†1357) mit Beatriz von Kastilien (†1359), ihre Tochter Constanza († 1313) mit Fernando IV. von Kastilien († 1312), den Kindern von Königin María de Molina, vermählt. Eine wichtige Rolle in diesem Netzwerk spielte die Adlige Doña Vataza, die mit dem byzantinischen Kaiserhaus verwandt war, als aya (Erzieherin) Isabel von Aragón nach Portugal begleitet hatte und später in dieser Funktion Constanza nach Kastilien folgte. Sie war eine hoch geschätzte Vertrauensperson im Dienste beider Königshäuser und kehrte nach dem Tod der jungen Königinwitwe nach Portugal zurück13. Blanca von Portugal († 1321), eine Tochter Del Valle Curieses, María de Molina. El soberano ejercicio de la concordia, Madrid 2001; V. Márquez de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 221–242; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 263–267; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 114–117. 13 Weitere Mitglieder dieses Netzwerks waren König Jaimes II. Töchter, die in Kastilien die Interessen ihres Vaters vertraten. María (1297/98–ca. 1347) ehelichte 1312 den Infante Pedro († 1319), einen jüngeren Sohn von María de Molina und Tutor des minderjährigen Alfonso XI., des Sohns ihrer Cousine Constanza von Portugal. Constanza von Aragón (1300–1327) wurde 1306 mit dem Anführer der Adelsopposition, Don Juan Manuel († 1348), einem Neffen von König Alfonso X., verlobt und ihm zur Erziehung übergeben. Beide Töchter wurden von Vertrauenspersonen ihres Vaters begleitet, die neben Kontroll- und Erziehungsfunktionen wichtige diplomatische Aufgaben im Dienste Jaimes II. übernahmen. Marías Haushalt wurde von ihrer katalanischen Oberhofmeisterin Guillerma Desprats geleitet. Constanza wurde von ihrer adligen aya Saurina de Beziers erzogen, die in engem Kontakt zu Jaime II. und Don Juan Manuel stand. Vgl. zu Jaime II. und seiner Familie J.-Ernesto Martínez Ferrando, Jaime II de Aragón. Su vida familiar, 2 Bde., Barcelona 1948; José Hinojosa Montalvo, Jaime II y el esplendor de la Corona de Aragón (Serie media, 20), San Sebastián 2006; Àngels Masià i de Ros, Relación castellano-aragonesa desde Jaime II a Pedro el Ceremonioso, 2 Bde., Barcelona 1994; Nikolas Jaspert, Interreligiöse Diplomatie im Mittelmeerraum. Die Krone Aragón und die islamische Welt im 13. und 14. Jahrhundert, in: Aus der Frühzeit europäischer Diplomatie. Zum geistlichen und weltlichen Gesandtschaftswesen vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, hrsg. v. Claudia Zey / Claudia Märtl, Zürich 2008, 151–189; Raphaela Averkorn, König Jaime II. († 1327) von Aragón und seine Töchter im Briefwechsel. Anmerkungen zu Vater-Tochter-Beziehungen im Kontext weiblicher Lebenswelten im Spätmittelalter, in: Das literarische Paar. Le couple littéraire, hrsg. v. Gislinde Seybert, Bielefeld 2003, 29–77; Manuel García Fernández, La infanta aragonesa doña María, monja de Sijena y su política castellana durante la minoría de Alfonso XI, 1312–1326, in: Manuel García Fernández, Portugal – Aragón – Castilla. Alianzas dinásticas y relaciones diplomáticas (1297–1357), Sevilla 2008, 255–275; Josep Baucells i Reig, L‘expansió peninsular en la política de Jaume II. El matrimoni de la seva filla gran Maria amb l‘infant Pere de Castella, in: Anuario de estudios medievales 12 (1982), 491–536. Zu Saurina vgl. auch R. Averkorn, König Jaime II. (Anm. 13), 45–54; Agusti Ventura Conejero, Les cartes de Na Saurina de Béziers des de Villena al rei Jaume II entre març de 1306 i 27 de d’agost de 1312, in: La Mediterrània de la Corona d’Aragó, segles XIII–XVI, hrsg. v. Rafael Narbona Vizcaíno, 2 Bde., Valencia 2005, Bd. 2, 2215–2254; zu Vataza, ihrer politischen Bedeutung und ihrem Grabmal in der Alten Kathedrale von Coimbra vgl. J. C. Gimenez,
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von Königin Beatriz, die mit dem von Alfonso X. geerbten Vermögen das Seniorat der Abtei Las Huelgas erwarb, war als Mitglied dieses Netzwerks in eine auf Ausgleich bedachte Innen- und Außenpolitik der iberischen Königreiche involviert14. Königin María de Molina, seit 1281 Gattin Sanchos IV. von Kastilien, Mutter von Fernando IV. (1295–1312) und Großmutter von Alfonso XI. (1312–1350), war bis zu ihrem Tod die zentrale und entscheidende Gestalterin der kastilischen Außenpolitik, sodass jeweils von Arbeitspaaren in unterschiedlicher Konstellation gesprochen werden kann, in denen sie phasenweise die Hauptakteurin war15. Für das Wirken Marías in Kastilien war es von Vorteil, dass sie als Tochter von Don Alfonso de Molina, einem jüngeren Sohn von Königin Berenguela, in Netzwerke des kastilischen Adels eingebunden war. Auf dem Feld der Außenbeziehungen griff sie auf etablierte Kontakte aus Netzwerken ihrer Großmutter zurück und baute zusätzlich neue Beziehungen auf. María favorisierte eine enge Bindung an Frankreich sowie eine auf Ausgleich bedachte und durch Verträge und Heiratspakte untermauerte Politik zu Portugal und Aragón, die erheblich zur inneren und äußeren Stabilisierung Kastiliens beitrug16. Rainha (Anm. 10), 123–127; Maria Helena da Cruz Coelho / Leontina Ventura, Vataça, uma Doma na vida e na morte, in: Actas das II Jornadas Luso-Espanholas de Historia Medieval, hrsg. v. Universidade do Porto. Centro de História, 2 Bde., Porto 1987, Bd. 1, 159–193. 14 Vgl. A. Rodrigues Oliveira, Rainhas (Anm. 2), 147 f.; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 114. 15 M. Gaibrois de Ballesteros, María (Anm. 12), 24 f.; V. Márquez de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 221–241; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 257–283. Zu Sancho IV. José Manuel Nieto Soria, Sancho IV, 1284–1295, Palencia 1994. Zur schwierigen politischen Konstellation in Kastilien vgl. Manuel García Fernández, Jaime II y la minoría de Alfonso XI (1312–1325). Sus relaciones con la sociedad política castellana, in: Portugal – Aragón – Castilla. Alianzas dinásticas y relaciones diplomáticas (1297–1357), hrsg. v. Manuel García Fernández, Sevilla 2008, 195–253; ders., Don Dinis de Portugal y la minoría de Alfonso XI de Castilla (1312–1325), in: ebd., 139–173; ders., La política internacional de Portugal y Castilla en el contexto peninsular del Tratado de Alcañices. 1267–1297. Relaciones diplomáticas y dinásticas, in: ebd., 21–74; ders., Los hombres del Tratado de Alcañices, 12 de septiembre de 1297, in: ebd., 75–107. 16 M. Gaibrois de Ballesteros, María (Anm. 12), 20–26, sowie passim; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 114–117. Zu Jaime II., der durch sein eigenes Netzwerk in Konkurrenz zu María agierte, vgl. unten Kap. 3 sowie speziell zu Fernando IV. Cesar González Minguez, Fernando IV, 1295–1312 (Corona de España, Reyes de Castilla y León, 4), Palencia 1995. Zu María de Molina auch Raphaela Averkorn, Macht und Expansion auf der Iberischen Halbinsel. Aragón, Kastilien und Portugal im Spiegel ihrer auswärtigen Beziehungen um 1308, in: 1308. Eine Topographie historischer Gleichzeitigkeit, hrsg. v. Andreas Speer / David Wirmer (Miscellanea Medieavalia 35), Berlin / New York 2010, 41–92. Marías Tochter Beatriz ehelichte den portugiesischen Thronfolger, den späteren Afonso IV.
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Sie setzte auf Kontinuität und Erfahrung und umgab sich mit zahlreichen Personen, die bereits unter Alfonso X. am königlichen Hof tätig gewesen waren. Aus ihrem Netzwerk waren besonders zwei Frauen von Bedeutung, die sie seit ihrer Kindheit begleiteten: ihre ama (Amme) María Domínguez und ihre aya María Fernández Coronel. Die herausragende politische Bedeutung der Letzteren zeigte sich, als der Günstling Sanchos IV., Graf Lope de Haro, eine Intrige gegen die aya anzettelte, die 1287 deren Verbannung durch den König und den Einzug ihres Besitzes zur Folge hatte. Mithilfe von König Dinis I. von Portugal, dessen Gattin Isabel sowie von Fernán Pérez Ponce, dem ayo ihres Sohnes Fernando, gelang es María de Molina, ihren Gatten dem Einfluss des Grafen zu entziehen und ihre eigenen politischen Vorstellungen voranzubringen, die eine Annäherung an Frankreich zur Folge hatten17. Nach der Ermordung von Lope de Haro durch Sancho IV. und sein Gefolge kehrte María Fernández Coronel 1288 an den Hof zurück und begleitete 1291 als aya die zehnjährige Infanta Isabel, die mit König Jaime II. vermählt wurde, nach Aragón. Sie übernahm wie zahlreiche adlige Erzieherinnen eine wichtige Rolle als Vermittlerin und Reisende zwischen beiden Reichen im Auftrag Jaimes II., bis sie 1296 nach der Auflösung der Ehe mit Isabel nach Kastilien zurückkehrte18. Im Königreich Aragón lassen sich gleichfalls Beispiele für sehr erfolgreiche Arbeitspaare finden. König Pedro IV. (1336–1387) ehelichte 1349 in dritter Ehe Leonor von Sizilien († 1375). König und Königin bildeten ein eng verbundenes Arbeitspaar mit gemeinsam übernommenen, aber auch separat zu verantwortenden Aufgaben. Beispielsweise kümmerten sie sich in den auswärtigen Beziehungen um unterschiedliche geographische Regionen. Leonor war besonders mit den auswärtigen Kontakten zu ihrer Heimat Sizilien, aber auch zu den muslimischen Nachbarn in Nordafrika sowie zum Kaiserreich befasst, da sie über ihre Mutter Elisabeth von Kärnten und ihre mit Pfalzgraf Ruprecht II. vermählte Schwester Beatriz enge verwandtschaftliche Kontakte zu Fürsten im Reich unterhielt und Erbansprüche auf Kärnten und Tirol besaß. In diesem Zusammenhang führte sie nicht nur eine umfangreiche Korrespondenz mit Kaiser Karl IV., sondern sandte auch mehrfach Delegationen an den Kaiserhof. Leonor verfügte über einen ei-
17 Vgl. zu ihrem Hof und ihren Vertrauten M. Gaibrois de Ballesteros, María (Anm. 12), 20, 22, 28–31, 38–49. 18 M. Gaibrois de Ballesteros, María (Anm. 12), 64 f., 75, 77, 84, 102. Diese Ehe sollte laut Vertrag erst mit der Vollendung des zwölften Lebensjahres der Braut vollzogen werden. Bei einem weiteren Treffen der Monarchen im Jahr 1293 lieh die sehr wohlhabende María Coronel Fernández, die mit Isabel anwesend war, Sancho IV. eine beträchtliche Summe Geld zur Begleichung von Unkosten für das Herrschertreffen.
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genen Palast, Hofhaltung und einen Stab an Diplomaten, die sie regelmäßig mit Aufgaben und Reisen an auswärtige Höfe betraute19. Leonor, die Pedro gegen den Wunsch ihrer Familie geehelicht hatte, war bei der Eheschließung vierundzwanzig Jahre alt und auf ihre Rolle als Königin vorbereitet. Sie konnte auf ein starkes soziales und politisches Netzwerk rekurrieren, zu dem neben zahlreichen Mitgliedern ihres Hofstaats ebenso ihre Schwestern Constanza, Eufemia, Blanca und Beatriz zählten. Constanza und Eufemia lebten als Klarissen in Sizilien und wirkten jeweils als Regentin für ihre minderjährigen Brüder. Durch Heiratspolitik wurde Blanca an das aragonesische Königshaus gebunden. Constanza, Pedros Tochter aus erster Ehe, heiratete Leonors Bruder, wodurch die später erhobenen Erbansprüche der Aragonesen auf das Königreich Sizilien gestärkt wurden. Leonor, die ihren Gatten als Generalstatthalterin (lugarteniente general) mehrfach vertrat, gelang es 1364 während seines Kriegs gegen Kastilien, durch geschickte Manöver seinen langjährigen Günstling, den verdienten Politiker und Adligen Bernat de Cabrera, anzuklagen und dessen Hinrichtung herbeizuführen, um einen wichtigen Rivalen auszuschalten. Bis zu ihrem Tod blieb Leonor die wichtigste und einflussreichste Arbeitspartnerin ihres Gatten20. Einen nachhaltigen und prägenden Einfluss übte Königin Leonor auf ihre Schwiegertochter María de Luna aus. María, die reiche Erbin des aragonesischen Grafen Lope de Luna, wurde im Alter von ungefähr drei Jahren 1361 mit dem zweitgeborenen Sohn Pedros IV. von Aragón, Martín, verlobt. Sie lebte seit 1362 im Haushalt von Königin Leonor und wurde dort auf ihre Rolle als Mitglied der königlichen Familie vorbereitet. Aus der 1372 geschlossenen Ehe gingen vier Kinder hervor, von denen nur Martín überlebte. In den Jahren bis zur unverhofften Übernahme der Krone im Jahre 1396 kümmerte sie sich intensiv um die Verwaltung sowohl ihres eigenen Besitzes als auch desjenigen ihres Gatten. Martín entwickelte nie ein gesteigertes Interesse an politischen Belangen, sondern vertraute auf den Rat seiner Gattin, die er regelmäßig als seine offizielle Stellvertreterin einsetzte21. 19 Vgl. hierzu Ulla Deibel, La Reyna Elionor de Sicilia, Barcelona 1927, 7–47, 95–101; Salvador Claramunt Rodríguez / María Teresa Ferrer Mallol (Hrsg.), Pere il Ceremoniòs e la seva època, Anuario de Estudios Medievales, Anex 24, Barcelona 1989; Rafael Tasis i Marca, Pere el Cerimoniós i els seus fills, Barcelona 1957 (Neuaufl. 1991); Ramon d’Abadal, Pere el Ceremoniós i els inicis de la decadencia politica de Catalunya, Barcelona 1987; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 131–133. 20 U. Deibel, Reyna (Anm. 19), 10–21; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 132 f. Zu ihrem Hofstaat vgl. Margarida Anglada Cantarell / M. Angels Fernández Tortadés / Concepció Petit Cibiriain (Hrsg), Els quatre llibres de la reina Elionor de Sicília a l›arxiu de la catedral de Barcelona, Barcelona 1992. 21 Núria Silleras-Fernández, Power, Piety and Patronage in Late Medieval Queenship. Maria de Luna, New York 2008, 13–15, 19, 21–27; Aurea Javierre Mur, María de Luna,
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Da beide gemeinsam aufgewachsen waren, stellte sich eine große Vertrautheit ein, die eine ideale Voraussetzung für das gemeinsame Handeln als eng verbundenes Arbeitspaar bot. Während María ihren Gatten manchmal kritisierte, um eine entsprechende politische Reaktion zu erzielen, verwies Martín oft ausdrücklich auf gemeinsam getroffene Entscheidungen. Ihre Herkunft als im lokalen Adel vernetzte Erbin war vorteilhaft für Marías spätere Beliebtheit als Königin. Mit außenpolitischen Fragen war das Ehepaar seit 1378 befasst, da König Pedro IV. nach dem Tod des Königs von Sizilien versuchte, dessen Reich unter seinen Einfluss zu bringen. Da sein verwitweter und frankophiler Thronerbe Juan eine Eheschließung mit María, der Erbin Siziliens, verweigerte, um Violante de Bar zu heiraten, ernannte er seinen Sohn Martín, der bereits 1375 die Ansprüche seiner Mutter auf Sizilien geerbt hatte, zum Kommandanten einer militärischen Expedition. Er übertrug ihm 1380 seine eigenen Rechtsansprüche und verlobte seinen Enkel Martín mit Königin María von Sizilien. Unter der Regierung Juans I. fand 1391 in Barcelona die Heirat zwischen dem vierzehnjährigen Martín und der dreißigjährigen María statt. María de Lunas Gatte Martín begleitete das Paar mit einem großen Gefolge aus Soldaten und Beamten nach Sizilien, um die faktische Machtübernahme gegen starken Widerstand durchzuführen. Die folgenden Jahre verbrachte María de Luna getrennt von ihrem Sohn und ihrem Gatten, verwaltete den Familienbesitz auf dem Festland und war mit der Beschaffung von Geldern zur Sicherung der aragonesischen Herrschaft in Sizilien befasst. Als María und Martín im Mai 1396 nach dem Unfalltod Juans I. gemäß dessen Willen den Thron erbten, lebten sie unter schwierigen finanziellen Bedingungen, da ihr gemeinsames Vermögen zu einem großen Teil in die Sizilien-Expedition geflossen war, die als ein gemeinsam geplantes und durchgeführtes Projekt stattgefunden hatte. Die Übernahme der aragonesischen Krone rettete das Paar aus diesen Schwierigkeiten22. Da sich Martin I. 1396 in Sizilien aufhielt, mehrfach auf dortige dringliche Aufgaben verwies und ihr im Juli abermals auftrug, bis auf Weiteres die Herrschaft auszuüben, führte María in Aragón als Generalstatthalterin die Regierung. Sie konnte sich gegen die Erbansprüche ihrer im Reich äußerst unbeliebten, verwitweten Schwägerin Violante de Bar († 1431) und ihrer mit dem Grafen von Foix vermählten Nichte Juana, Tochter Juans I. aus dessen ersten Ehe, durchsetzen, obwohl sie kaum noch über Vermögen verfügte und auf kein mächtiges politisches Netzwerk zurückgreifen konnte. Violante de Bar zog als Verwandte des Königs von Frankreich und Tochter des Herzogs von Bar mit ihr verwandtschaftlich verbundene Herrscher zur Unterstützung heran. Die pragmatisch und schnell reagierende María wusste um ihre eigene Beliebtheit als einheimische reina de Aragón, Madrid 1942; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 315–341; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 135 f. 22 N. Silleras-Fernández, Power (Anm. 21), 29–31, 33 f.
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Fürstin, setzte ihre Schwägerin fest und ging gegen deren Vertraute vor. Sie paktierte mit katalanischen und aragonesischen Großen und beriet sich täglich mit einem von ihr eingesetzten königlichen Rat. María kümmerte sich unverzüglich um eine Neuausrichtung der Außenpolitik, indem sie bereits im August 1396 dem englischen König Richard II. offenbar ohne Absprache mit ihrem abwesenden Gatten versicherte, eine Abkehr von der pro-französischen Politik ihres Schwagers und eine Rückkehr zur pro-englischen Politik ihres Schwiegervaters vornehmen zu wollen. Angesichts der unmittelbar bevorstehenden Invasion durch Truppen des französischen Grafen von Foix war sie im Sommer 1396 gezwungen, ihr außenpolitisches Netzwerk (bestehend aus ihrem entfernten Verwandten Papst Benedikt XIII., den Königen von England, Frankreich, Kastilien und Navarra, den Herzögen von Burgund und Berry, den Grafen von Armagnac und weiteren Adligen) zu aktivieren. Es gelang ihr in der Folgezeit, zwei Invasionen durch den Grafen von Foix und dessen Verbündete zurückzuschlagen. Im Mai 1397 kehrte Martín I. nach Barcelona zurück und regierte in den folgenden Jahren gemeinsam mit seiner Gattin23. Trotz ihrer Exponiertheit in der Politik und in kriegerischen Auseinandersetzungen wurde Königin María von ihren Zeitgenossen nicht als »unweiblich« angegriffen. Ihr geschicktes Verhalten, der stete Verweis auf ihre Aufgaben als Generalstatthalterin in Vertretung ihres abwesenden Gatten, ein Amt, das beispielsweise in dieser Form in Kastilien nicht existierte, sowie ihre Popularität als einheimische, fromme Fürstin, gute Ehefrau und Mutter trugen maßgeblich dazu bei, dass Marías Reputation und Autorität bis zu ihrem Tod 1406 nie infrage gestellt wurden24.
II. Geliebte und Günstlinge Neben dem Arbeitspaar aus Ehegatten und Blutsverwandten existierten andere Formen der Zusammenarbeit, bei denen Frauen ebenfalls eine wichtige Rolle spielten. König Alfonso XI. von Kastilien († 1350), ein Enkel von María de Molina, heiratete aus politischen Gründen 1328 seine Cousine María von Portugal († 1357), die Tochter seiner Tante Beatriz von Kastilien aus ihrer Ehe mit Afonso IV. María gebar seinen Nachfolger Pedro I. († 1369). Eine enge emotionale Beziehung unterhielt Alfonso jedoch über zwanzig Jahre zu seiner Geliebten Leonor de Guzmán († 1351), einer adligen Witwe, die mindestens zehn Kinder zur Welt brachte und einen starken Einfluss auf den König ausübte. Sie begleitete ihn auf zahlreichen Reisen und Feldzügen, lebte öffentlich mit ihm zusammen und nahm Repräsentationsaufgaben wahr. Auf diese Weise konnte sie Privilegien, Besitzun23 Ebd., 39–60. 24 Ebd., 54, 83–85.
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gen und Ämter für ihre Kinder, Verwandten und Gefolgsleute erlangen sowie den sozialen Aufstieg der künftigen Dynastie Trastámara in den kastilischen Hochadel vorbereiten. Königin María hingegen musste ein zurückgezogenes Leben abseits des eigentlichen königlichen Hofes führen25. Im Bereich der Außenpolitik waren María von Portugal und Leonor de Guzmán in unterschiedlichen Rollen und Funktionen aktiv, sodass Alfonso je nach Situation mit seiner Gattin oder seiner Geliebten ein Arbeitspaar bildete. María, die Mitte der 1330er-Jahre zu ihrer Herkunftsfamilie zurückgekehrt war und erst gegen das Versprechen Alfonsos, sich von Leonor zu trennen, zur Rückkehr zu bewegen war, wurde vom Kastilier, der sich nicht an die Abmachung hielt, weiterhin zur Sicherung der guten Kontakte zum Königreich Portugal wie bei der Vorbereitung eines Feldzuges gegen die Muslime im Jahr 1340 eingesetzt, was jedoch das Verhältnis zwischen den Ehegatten nicht verbesserte. Leonor wurde sogar von fremden Bündnispartnern offiziell in ihrer Rolle als engste Beraterin und Geliebte des Königs akzeptiert, was sich beispielsweise anlässlich der Vorbereitungen einer Eheschließung des Thronerben Pedro mit einer englischen Prinzessin zeigte. Der pragmatisch agierende König Edward III. von England († 1377) bezog neben Alfonso XI. auch dessen Gattin María und dessen Geliebte Leonor in die Verhandlungen ein, als er 1345 in getrennten, ähnlich formulierten Schreiben beide Frauen um eine Vermittlertätigkeit bat. Zu Leonor bestand schon seit längerer Zeit ein brieflicher Kontakt, was etwa aus der Tatsache hervorgeht, dass Edward III. ihr als Dank für bereits erfolgte Unterstützung anbot, einen ihrer Söhne zur gemeinsamen Erziehung mit seinem eigenen Erben an seinen Hof nach England zu senden. 1346 verhandelte ein englischer Gesandter mit María und Leonor persönlich, aber separat. 1348 sandte Edward III. fast gleichlautende Schreiben an Alfonso, María und Leonor, um ihnen die Abreise der Braut des kastilischen Thronerben anzukündigen, die jedoch auf der Reise nach Kastilien an der Pest verstarb26. Nach Alfonsos Tod im Jahr 1350 kehrten sich die Machtverhältnisse um. Die verwitwete Königinmutter konnte im Einvernehmen mit ihrem Sohn Pedro I. Rache an der Geliebten ihres Gatten nehmen, die sie zunächst in lockerer Haft hielt, schließlich aber, da Leonor im Rahmen ihrer eingeschränkten Möglichkeiten weiterhin politisch aktiv blieb, 1351 ermorden ließ. María, die während ihrer Ehe keine Möglichkeiten erhalten hatte, unabhängig von ihrem Gatten und ihrem Vater selbständig politisch aktiv zu werden, nutzte ihre Chance und agierte für ihren Sohn Pedro I. zunächst erfolgreich auf der politischen Bühne. Sie arrangierte 25 Zu Alfonso XI., María und Leonor vgl. José Sánchez Arcilla, Alfonso XI, 1312–1350, Burgos 1995; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 285–296; Arturo Firpo, Las concubinas reales en la Baja Edad Media, in: La condición de la mujer en la edad media, hrsg. v. Yves-René Fonquerne / Alfonso Esteban, Madrid 1986, 333–342. 26 A. Rodrigues Oliveira, Rainhas (Anm. 2), 217–221; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 117–121.
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für ihn, der bereits eine enge Beziehung zu seiner Geliebten María de Padilla, einer kastilischen Adligen, unterhielt, 1353 eine politische Ehe mit Blanca von Bourbon, die von Pedro I. kurz nach der Eheschließung verstoßen wurde. Alle Versuche der jungen Königin, mithilfe ihrer Schwiegermutter María, die sich an ihr eigenes Schicksal erinnert sah, und des Papstes eine Rückkehr auf den Thron zu erreichen, scheiterten. Sie wurde gefangen gesetzt und 1361 wohl auf Veranlassung ihres Gatten ermordet. Das andauernde Zerwürfnis Marías mit ihrem Sohn Pedro hatte zu deren Rückzug ins Exil nach Portugal geführt, wo sie noch vor der Ermordung ihrer Schwiegertochter Blanca verstarb27. Eine ähnlich komplizierte Situation wie bei der Formierung eines wechselnden oder parallel agierenden Arbeitspaares in der Konstellation König, Ehefrau und Geliebte konnte im Falle von Günstlingen auftreten. Als Fallbeispiele seien lediglich zwei Königinnen, eine kastilische und eine aragonesische, erwähnt, die in den zeitgenössischen Quellen nicht nur wegen ihrer fremden Herkunft massiv angegriffen, sondern auch der Günstlingswirtschaft beschuldigt wurden. Catalina von Lancaster († 1418), Enkelin Pedros I. von Kastilien und Tochter von John of Gaunt, dem Herzog von Lancaster und Sohn von König Edward III. von England, ehelichte 1388 Enrique III. von Kastilien († 1406), den Enkel von Enrique II., dem ersten Herrscher aus dem Haus Trastámara. Bereits die Eheschließung, mit der die Bürgerkriegsparteien befriedet werden sollten, war ein wichtiges außen- und innenpolitisches Ereignis. Engen Kontakt unterhielt Catalina zu ihrer Halbschwester Felipa von Lancaster, seit 1387 Gattin von König João I. von Portugal, sowie zu weiteren Verwandten in England, die ihr außenpolitisches Netzwerk bildeten. Als Mitregentin für ihren Sohn Juan II. († 1454) umgab sich Catalina am kastilischen Hof mit einem lokalen Netzwerk aus Verwandten und Anhängern ihres kastilischen Großvaters, zu denen adlige Frauen wie Leonor López de Córdoba, Inés de Torres sowie Inés, María und Teresa de Ayala gehörten. Führende Frauen dieses Netzwerks wie Leonor López de Córdoba und Inés de Torres wurden von den kastilischen Zeitgenossen als weibliche Günstlinge, als sogenannte privadas angesehen, ein noch neues Phänomen in Bezug auf Königinnen und ihr soziales Umfeld. Der angeblich negative Einfluss auf Catalina durch Leonor und ihre Nachfolgerin Inés, die beide ein unkonventionelles Familienbzw. Privatleben führten und genderspezifische Grenzen durch ihr Verhalten und 27 Vgl. zu diesen Aspekten Clara Estow, Widows in the Chronicles of Late Medieval Castile, in: Upon my Husband’s Death, hrsg. v. Louise Mirrer, Ann Arbor 1992, 153–168, 155–160; R. Averkorn, Gewaltanwendung (Anm. 10), 1164–1170; V. Marquéz de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 243–268; M. J. Fuente, Reinas (Anm. 2), 285–314; A. Rodrigues Oliveira, Rainhas (Anm. 2), 220–222. Pedro I. wurde 1369 von dem späteren Enrique II. von Kastilien, dem ältesten Sohn von Leonor und Alfonso XI. ermordet, vgl. Julio Valdeón Baruque, Pedro I el Cruel y Enrique de Trastámara: La primera guerra civil española, Madrid 2002.
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politische Tätigkeiten überschritten, wurde von den männlichen Chronisten und einflussreichen Politikern, unter ihnen der Mitregent und Schwager der Königinmutter, Fernando de Antequera, heftig kritisiert. Sie zettelten zwischen 1408 und 1417 erfolgreich Intrigen gegen die privadas an, um deren Sturz herbeizuführen und die Position Catalinas zu destabilisieren. Durch die tatkräftige Unterstützung ihrer Netzwerke, in die die Mitglieder der jeweiligen Adelsfamilien einbezogen wurden, konnte Catalina jedoch über Jahre ihre politischen Aktivitäten im Inneren und Äußeren, darunter ihre englandfreundliche Außenpolitik, erfolgreich umsetzen28. Die Schwägerin der aragonesischen Königin María de Luna, Violante de Bar (1365–1431), war über ihre Mutter Marie eine Nichte des französischen Königs Karls V. Sie heiratete 1380 den verwitweten Herzog von Girona, den späteren Juan I. von Aragón († 1396), gegen den erklärten Willen von Pedro IV., sodass sie zum Zeitpunkt ihrer Ankunft am aragonesischen Hof zahlreiche politische Gegner vorfand. Sie erfüllte ihre Aufgabe als Ehefrau, indem sie sieben Kinder gebar, von denen jedoch nur Violante (1381–1442) überlebte, und übernahm als hoch gebildete, kulturell und politisch sehr ambitionierte und ehrgeizige Königin politische Aufgaben, zu denen besonders außenpolitische Aktivitäten zählten29. Da Violante in einer sehr harmonischen ehelichen Verbindung zu ihrem frankophilen Gatten stand, formten die beiden ein effizientes Arbeitspaar, ohne jedoch eine spezifische Arbeitsteilung vorzunehmen. Der gesundheitlich angeschlagene Juan war generell eher an der Umsetzung seiner persönlichen Leidenschaften, beispielsweise im musischen und künstlerischen Bereich, als an politischen Aufgaben interessiert, die er ohne besondere Hingabe ausführte. Somit sah sich Violante nach der Thronübernahme 1387 gezwungen, in allen Bereichen der Politik selbst 28 Ana Echeverría, Catalina de Lancaster. Reina regente de Castilla (1372–1418), Hondarribia 2002; Fernando Suárez Bilbao, Enrique III (1390–1406), Burgos 1994; V. Marquéz de la Plata / L. V. de Bernabé, Reinas (Anm. 2), 269–287; R. Averkorn, Herrscherinnen (Anm. 2), 121–123, zu den auswärtigen Beziehungen. Zu ihrem Netzwerk vgl. Raphaela Averkorn, Krise als Herausforderung und Chance im 14. Jahrhundert. Dekonstruktion und Rekonstruktion von Lebensentwürfen im Königreich Kastilien, in: Die Krise als Erzählung. Transdisziplinäre Perspektiven auf ein Narrativ der Moderne, hrsg. v. Uta Fenske / Walburga Hülk / Gregor Schuhen, Bielefeld 2013, 71–100; dies., Schreiben als Methode der Krisen- und Problembewältigung. Untersuchungen zu kastilischen EgoDokumenten des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Kommunikation mit dem Ich. Signaturen der Selbstzeugnisforschung an europäischen Beispielen des 12. bis 16. Jahrhunderts, hrsg. v. Heinz-Dieter Heimann / Pierre Monnet, Bochum 2004, 53–98. 29 Vgl. Dawn Bratsch-Prince, Violante de Bar, Madrid 2002; Claire Ponsich, Violant de Bar (1365–1431). Ses liens et réseaux de relations par le sang et l’alliance, in: Reines et princesses au Moyen Age. Actes du cinquième colloque international de Montpellier. Université Paul Valéry (24–27 novembre 1999), hrsg. v. Marcel Faure, 2 Bde., Montpellier 2001, Bd. 1, 233–276.
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unterstützend aktiv zu werden, um eine stabile Herrschaft im Inneren und Äußeren zu garantieren. Aufgrund des zunehmenden Widerstands ihrer politischen Gegner war dieses Vorhaben wenig erfolgreich, sodass das Königspaar gegen Ende seiner Regierung wegen seiner aufwändigen Hofhaltung und der Einführung französischer Sitten, die fast zum finanziellen Ruin führten, kritisiert wurde. Violante wurde nicht für ihr politisches Engagement gelobt, sondern ohne Unterlass von zahlreichen Gegnern heftig angegriffen, die ihr »männliche« Verhaltensweisen unterstellten. Sie wurde als Fremde, als Französin, wahrgenommen. Violante konnte allerdings auf verschiedene politische und soziale Netzwerke zurückgreifen und unterhielt bis zu ihrem Tod enge Bindungen zu ihrer Herkunftsfamilie, zum französischen Königshaus und dessen Verwandten und Verbündeten wie den Herzogspaaren von Berry, Burgund, Bourbon und Brabant30. Im Königreich Aragón umgab sie sich mit einem neu etablierten Netzwerk aus weiblichen und männlichen Vertrauten aus dem lokalen Adel, die durch zahlreiche Privilegien an den Hof gebunden wurden, was wiederum für Unmut und Anfeindung sorgte, da ihr Günstlingswirtschaft angelastet wurde. Schon kurz nach ihrer Heirat wurde dieser Vorwurf erhoben, sodass Pedro IV. gegen den heftigen Widerstand Violantes ihre privada Constanza de Perellós und deren zweiten Gatten Francesc de Perellós, Vizegraf von Roda, der als ayo ihrer Kinder fungierte, aufgrund zahlreicher Beschuldigungen, u. a. durch die Cortes, 1384 und erneut 1385 vom Hof verbannte. Nach Pedros IV. Tod kehrte die privada allerdings an den Hof zurück. Gemeinsam mit ihrem dritten Gatten Pere de Fenollet, Vizegraf von Illet und Canet, der für das Königshaus diplomatische Missionen übernommen hatte, blieb sie der Königin eng verbunden. Eine weitere privada, die aus dem Reino de Valencia stammende gebildete Adlige Carroza de Vilaragut, war seit circa 1382 an Violantes Hof besonders in die diplomatisch-kulturellen Kontakte zu Frankreich einbezogen. Ihr wurden verschiedene Vergehen, darunter sexuelles Fehlverhalten, vorgeworfen. Da Violante die Besetzung des Amtes einer Hofdame als persönliche Angelegenheit betrachtete, die nicht in die Kompetenzen der Cortes fiel, setzte sie sich zur Wehr. Sie musste sich jedoch dem öffentlichen Druck beugen, sodass 1389 Carroza das Amt aufgab, jedoch bis zu ihrem Lebensende engen Kontakt zur Königin unterhielt. Beide privadas wiesen einen starken Charakter auf. Sie überschritten wie die Königin genderspezifische Grenzen und führten im Gegensatz zu dieser außerdem ein unkonventionelles Familien- und Privatleben, sodass sie eine ideale Angriffsfläche boten31. Nach dem Tod Juans I. versuchte Violante seit 1396 mithilfe ihrer in- und ausländischen Netzwerke vergeblich, die Thronübernahme durch Martín I. und 30 C. Ponsich, Violant (Anm. 29), 238, 248–252, 262 f.; Dawn Bratsch-Prince, Dones que feyan d’homes. Construction of Gender in the Writing of Medieval Catalan History, in: La Corónica 32/3 (2004), 35–47, 37–44. 31 D. Bratsch-Prince, Violante (Anm. 29), 26 f., 31 f., sowie dies., Dones (Anm. 30), 38 f.
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María zu verhindern und ihren politischen Einfluss zu wahren. Sie setzte dennoch gemeinsam mit ihrer Tochter Violante, die 1400 Louis II., Herzog von Anjou, Graf der Provence und Titularkönig von Neapel, heiratete, ihre außenpolitischen Aktivitäten fort. Mutter und Tochter bildeten ein effizientes Arbeitspaar, das gemeinsam im Interesse der Familie Höhen und Tiefen durchlebte32. Nach dem kinderlosen Tod Martíns I. versuchte Violante 1410 erneut über ihre außenpolitischen Kontakte besonders zu französischen Fürsten, die Krone für die Nachkommen ihrer Tochter zu sichern, unterlag jedoch 1412 im Compromiso de Caspe, der Fernando de Antequera den Thron einbrachte. Noch zu Lebzeiten ihres Gatten hatte Violante als Großnichte von Kaiser Karl IV. ihre verwandtschaftlichen Kontakte zu den Luxemburgern unter König Wenzel gepflegt. Mit seinem Bruder Kaiser Sigismund stand sie noch nach 1417 in brieflichem Kontakt. In den folgenden Jahren unterstützte sie ihre inzwischen verwitwete Tochter, die als Erzieherin, Beraterin und letztlich Schwiegermutter des französischen Thronfolgers und späteren Königs Karls VII. eine herausragende Rolle im vom Hundertjährigen Krieg zerrissenen Frankreich spielte. 1420 verbrachte Violante ein Jahr bei der Familie ihrer Tochter in der Provence und war als Diplomatin in den Kampf um die Krone Neapels zwischen ihrem Enkel Louis III. von Anjou und König Alfonso V. von Aragón involviert. Bis zu ihrem Tod 1431 blieb Königin Violante politisch aktiv33.
III. Schlussfolgerungen Hochadlige Frauen der Iberischen Halbinsel waren sehr erfolgreich in verschiedenen Bereichen der Außenbeziehungen tätig. Ihre Aufgaben und Verantwortlichkeiten unterschieden sich je nach Konstellation der Arbeitspaare, der sozialen und politischen Netzwerke und der rechtlichen Situation nicht grundsätzlich von denjenigen der in diesem Bereich tätigen Männer. In den iberischen Frontier-Gesellschaften war die aktive Mitwirkung von gebildeten Frauen, denen je nach familiären und politischen Gegebenheiten große Handlungsspielräume offen standen, unabdingbar. Sie verfügten aufgrund der komplexen politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die durch die krisenhaften Umbrüche in den Zeiten der Reconquista geprägt waren, über verstärkte Möglichkeiten, eigene Rollenvorstellungen, spezifische Aktionsfelder und Kommunikationsformen zu entwickeln sowie geschlechtsspezifische Grenzen zu überschreiten. Jedoch waren sie oftmals in ihren Handlungen von einem Einvernehmen mit den entsprechenden männlichen Partnern abhängig. Somit war eine persönliche Bindung oder eine entspre32 D. Bratsch-Prince, Violante (Anm. 29), 35–45. 33 Ebd., 37–39, C. Ponsich, Violant (Anm. 29), 244–252.
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chende arbeitstechnische Absprache zwischen den Partnern eine wichtige Basis für das erfolgreiche Funktionieren der Arbeitspaare und Netzwerke. Zu konstatieren ist, dass sich in den Königshäusern Kastiliens, Aragóns und Portugals in funktionierenden Ehen und familiären Beziehungen kaum politisch inaktive Königinnen oder Infantas nachweisen lassen, da die Mehrzahl dieser Frauen, die eigenen Besitz zu verwalten hatten, zumindest in innenpolitische Aktivitäten involviert waren. Auch im Bereich der Außenbeziehungen, der bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts durch optimierte Verwaltungsabläufe und den Einsatz von Spezialisten immer stärker professionalisiert wurde, nutzten Königinnen und Infantas weiterhin ihre Möglichkeiten und übernahmen wichtige Aufgaben und Schlüsselfunktionen. In ihren Handlungsweisen und Aktionsfeldern waren sie keineswegs auf Bereiche wie Eheanbahnung und Friedensstiftung beschränkt, sondern führten Kriege, schmiedeten politische Intrigen, planten territoriale Expansionen und schlossen Verträge. Die meisten Fürstinnen hatten eine adäquate Erziehung genossen, die sie dazu befähigte, Regierungsgeschäfte wahrzunehmen. Ein Engagement im Bereich der auswärtigen Beziehungen war allerdings oftmals nicht unproblematisch, da von den Frauen einerseits erwartet wurde, dass sie sich nach ihrer Heirat weiterhin für die Interessen ihrer Herkunftsfamilie einsetzten, sie sich aber andererseits dem Wohl der neuen Heimat widmen und politische Aufgaben in Abstimmung mit ihrem Ehegatten übernehmen mussten. In der Regel verfügten die Fürstinnen über umfangreiche Netzwerke, in denen persönliche Vertraute beiderlei Geschlechts wirkten. Es zeigt sich, dass sich neben den Königinnen aus eigenem Recht auch Gattinnen, Witwen, Mütter und Töchter von Königen je nach persönlicher Durchsetzungskraft und diplomatischem Geschick sehr wirkungsmächtig im Bereich der Außenbeziehungen profilieren konnten. Effizient meisterten sie Krisensituationen und übernahmen vielfach eigentlich dem Monarchen zugedachte Aufgaben. Hochadlige Frauen der Iberischen Halbinsel standen als Akteurinnen der Außenbeziehungen im Licht der Öffentlichkeit und wurden als solche von der zeitgenössischen Historiographie und der Nachwelt oftmals kontrovers beurteilt, sodass dieses Forschungsfeld immer noch reizvolle Perspektiven bietet.
Frauen – Hof – Diplomatie: Die höfische Gesellschaft als Handlungsraum von Frauen in Außenbeziehungen
Von Katrin Keller Forschungen zum frühneuzeitlichen fürstlichen Hof haben in den letzten dreißig Jahren eine Blütezeit erlebt und unser Bild von der höfischen Gesellschaft nachhaltig verändert. Insbesondere hat dabei die den Zeitgenossen1 noch selbstverständliche Funktionalität des Hofes in ihren verschiedenen Dimensionen Eingang gefunden2, indem der Hof als Ort des täglichen Lebensvollzugs eines Herrschers und seiner Familie, als Ort der Landesadministration und als Ort der Repräsentation von Herrschaft thematisiert wurde. Diese funktionale Sicht auf den frühneuzeitlichen Hof wird ergänzt und erweitert durch seine Betrachtung als soziale Konfiguration, die sich im Gefolge der grundlegenden Arbeiten von Norbert Elias, Pierre Bourdieu und Niklas Luhmann in der europäischen Geschichtswissenschaft durchgesetzt hat3. In den Debatten um Stellenwert, Funktion und Funktionalität des frühneuzeitlichen Hofes haben Frauen als Bestandteil der höfischen Gesellschaft jedoch kaum eine Rolle gespielt. Eine Ausnahme stellen auf den ersten Blick die Fürstinnen dar, von denen viele in biographischen Studien oder auch in ihrer Rolle als Mäzeninnen behandelt worden sind. Meist freilich handelte es sich hierbei um Regentinnen, die in dynastischen Ausnahmesituationen in Erscheinung traten, um Erbtöchter oder Witwen; schon der »Normalfall« der in einer Ehe lebenden Fürstin wurde sehr viel seltener zum Gegenstand gemacht4, ganz zu schweigen 1 Z. B. Johann Heinrich Zedler, Großes vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 13, Halle / Leipzig 1736, Sp. 216. 2 Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der Frühen Neuzeit (Enzyklopädie Deutsche Geschichte, 33), München 1995, 3; Ronald G. Asch, Hof, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. v. Friedrich Jaeger, Bd. 5, Stuttgart / Darmstadt 2007, 566; Andreas Pečar, Hofstaat, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. v. Friedrich Jaeger, Bd. 5, Stuttgart / Darmstadt 2007, 593. 3 Wolfgang Schmale, Höfische Gesellschaft, in: Enzyklopädie der Neuzeit, hrsg. v. Friedrich Jaeger, Bd. 5, Stuttgart / Darmstadt 2007, 596; Claudia Opitz (Hrsg.), Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias‘ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln / Weimar / Wien 2005; Jeroen Duindam, Norbert Elias and the Early Modern European Court, Amsterdam 1995. 4 Anne J. Cruz / Mihiko Suzuki (Hrsg.), The Rule of Women in Early Modern Europe, Urbana / Chicago 2009; Thierry Wanegffelen, Le pouvoir contesté. Souveraines d’Europe à la Renaissance, Paris 2008; Sharon L. Jansen, The Monstrous Regiment of Women. Female Rulers in Early Modern Europe, New York 2002; Übersicht in Isabelle Poutrin / Marie-Karine Schaub (Hrsg.), Femmes et pouvoir politique. Les princesses
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von Frauen der adligen Hofgesellschaft. Beides gilt im Übrigen nicht nur für die Forschung zum Fürstenhof, sondern in gleichem Maße für die Politikgeschichte der Frühen Neuzeit5. Dieses Defizit ist umso verwunderlicher, als einige Charakteristika der höfischen Gesellschaft, die in den zurückliegenden Jahren herausgearbeitet wurden, sowohl Frauen adligen bzw. fürstlichen Standes wie solchen niederer Herkunft, wie wir sie unter dem Dienstpersonal finden, Handlungsmöglichkeiten eröffneten, und zwar nicht vorrangig von Zufällen abhängig wie dem persönlichen Ehrgeiz, innerfamiliären Beziehungen oder politischen Notlagen, wie die ältere Forschung gern »entschuldigend« für das politische Handeln von Frauen anführte6. Vielmehr eröffneten sich für Frauen der höfischen Gesellschaft strukturell Gestaltungsmöglichkeiten, die sie wahrnehmen konnten, freilich nicht notwendigerweise wahrnehmen mussten. Ich sehe vor allem vier Merkmale der höfischen Gesellschaft, aus denen solche Handlungsmöglichkeiten resultierten, wobei der Fürstin naheliegenderweise gewöhnlich die umfassendsten Spielräume zur Verfügung standen. Als eine grundlegende Eigenart der höfischen Gesellschaft ist erstens auf die fehlende, im zeitgenössischen Verständnis geradezu unvorstellbare Trennung von »öffentlichen« und »privaten« Dimensionen hinzuweisen. Die Herausbildung dieses Dualismus, der den Blick auf das politische Wirken von Frauen lange verstellt hat und deshalb von der feministischen bzw. geschlechtergeschichtlichen Forschung seit Jahren kritisiert und hinterfragt wird7, ist hier nicht weiter nachzuvollziehen. Sicher ist, d’Europe XVe–XVIIIe siècle, Rosny-sous-Bois 2007, 58-63; Heide Wunder, Regierende Fürstinnen des 16. Jahrhunderts im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation. Teilhabe an Herrschaft, Konfessionsbildung und Wissenschaften, in: Herzogin Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg (1510–1558). Herrschaft – Konfession – Kultur, hrsg. v. Eva Schlotheuber (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, 132), Hannover 2011, 34–55. 5 Zum Politikbegriff und Hof Jeroen Duindam, Norbert Elias und der frühneuzeitliche Hof. Versuch einer Kritik und Weiterführung, in: Historische Anthropologie 6 (1998), 370–387. Zum Verhältnis von Politikgeschichte und Geschlechtergeschichte für die Frühe Neuzeit siehe die Beiträge in Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010. 6 Zu dieser Diskussion Pauline Puppel, ›Virilibus curis, fæminarum vitia exuerant‹. Zur Konstruktion der Ausnahme, in: Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder, hrsg. v. Jens Flemming Pauline Puppel / Werner Troßbach / Christina Vanja / Ortrud Wörner-Heil (Kasseler Semesterbücher. Studia Cassellana, 14), Kassel 2004, 356–376. 7 Magdalena S. Sánchez, The Empress, the Queen and the Nun. Women and Power at the Court of Philip III. of Spain (The Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science, 116/2), Baltimore 1998, 114 f., 117; Gisela Riescher, ›Das Private ist
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dass in der frühneuzeitlichen höfischen Gesellschaft insbesondere in Bezug auf die fürstliche Familie zwar private Räume denkbar waren, aber keine Privatheit als Person. Die Person und das Amt des Fürsten vereinigten Öffentliches und Privates, und Gleiches gilt für die Fürstin, die Kinder sowie enge Verwandte wie Brüder und Schwestern des Regenten. Die politische Dimension »privater« Entscheidungen wie etwa bei Eheschließungen oder Patenschaften muss hier nicht weiter ausgeführt werden, denn die Relevanz von Ehen bei der europäischen Vernetzung der Fürstengesellschaft liegt auf der Hand. Ähnliches gilt natürlich auch für den nichtregierenden Hochadel, auf dessen europäische Heiratsverbindungen bereits wiederholt hingewiesen worden ist8. Zudem und damit zweitens bildeten Fürst und Fürstin – ähnlich wie Amtsinhaber im bürgerlichen Milieu, aber auch ähnlich wie Diplomaten und viele höfische Amtsträger – ein Arbeitspaar. Der Begriff wurde von Heide Wunder zwar ursprünglich mit Blick auf die Sicherung familiären Überlebens in der breiten Masse der frühneuzeitlichen Bevölkerung geprägt9; er lässt sich jedoch ebenso auf normative Vorstellungen über das Zusammenwirken von Fürst und Fürstin anwenden. Dabei ging es sowohl um die Pflicht beider zur Sicherung der Dynastie wie um Aufgaben der Fürstin in Hinsicht auf die Untertanen und das öffentliche Wohl. Besonders deutlich scheint dies im protestantischen Bereich formuliert worden zu sein, sodass wir vermutlich von einer Stärkung der Position der Frau im fürstlichen Arbeitspaar im 16. Jahrhundert ausgehen können. Illustrieren können dies etwa die Ausführungen von Johannes Bugenhagen, der 1537 in Kopenhagen die erste protestantische Königskrönung vornahm und in diesem Zusammenhang in seiner Predigt auch die Pflichten der Königin, Dorothea von Sachsen-Lauenburg, beschrieb10. Zwar könnten Fürst und Fürstin im Amte nicht gleich sein, aber beiden stünden Amtsbefugnisse zu; der Fürstin in ersPolitisch‹. Die politische Theorie und das Öffentliche und das Private, in: Gender Studies. Denkachsen und Perspektiven der Geschlechterforschung, hrsg. v. Ingrid Bauer / Julia Neissl, Innsbruck / Wien 2002, 53–66. Zur Diskussion allg. Claudia Opitz, Umordnungen der Geschlechter. Einführung in die Geschlechtergeschichte (Historische Einführungen, 8), Frankfurt a. M. 2005, 156–170. 8 Z. B. Walter Demel, ›European nobility‹ oder ›European nobilities‹? Betrachtungen anhand genealogischer Verflechtungen innerhalb des europäischen Hochadels (ca. 1650– 1800), in: Region – Territorium – Nationalstaat – Europa. Beiträge zu einer europäischen Geschichtslandschaft. Festschrift für Ludwig Hammermayer, hrsg. v. Wolf Dieter Gruner / Markus Völkel, Rostock 1998, 81–104. 9 Heide Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, 94–117. 10 Pernille Arenfeldt, The Political Role of the Female Consort in Protestant Germany, 1550–1585. Anna of Saxony as ›Mater Patriae‹, unveröffentlichte Diss., Europäisches Hochschulinstitut, Florenz 2006, 103–106.
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ter Linie das »Gnadenregiment«11 der Fürbitte, aber auch der Schutz der Kirche12 und natürlich die Sorge um Mann und Familie. In Anknüpfung an Luthers Abgrenzung der drei Lebensbereiche ecclesia, oeconomia und politia wiesen Bugenhagen und andere lutherische Theologen der Fürstin Aufgaben als Hausmutter, Kirchenmutter und Landesmutter zu13, die sie im Einvernehmen mit ihrem Gemahl auszufüllen hatte. Als Elemente eines Arbeitspaares, das sowohl Amt wie Interessen der Familie zu vertreten hatte, standen fürstliche und adlige Frauen also stets im Spannungsfeld zwischen Geschlecht und Herrschaft, zwischen Geschlechtszugehörigkeit und den damit verbundenen rechtlichen Grenzen einerseits und Familienzugehörigkeit und den damit verbundenen Verpflichtungen andererseits. Ein weiteres Kennzeichen der höfischen Gesellschaft war drittens der große Stellenwert von Patronage und Klientelbeziehungen, von Vernetzungen, über die Aufstieg oder Positionsverlust, finanzieller Gewinn und Ehre als symbolisches Kapital vermittelt wurden14. Dass Frauen in diesen Vernetzungen nicht nur als Tauschobjekte im Rahmen von Eheschließungen, sondern als Akteurinnen in mehr oder weniger ausgedehnten Netzwerken eine Rolle spielten, darauf habe ich zuletzt schon hingewiesen15. Ein zentrales Gut der höfischen Gesellschaft, welches 11 12 13 14
Ebd., 103. Ebd., 331–336. Ebd., 106–116. Die Literatur zu den verschiedenen Ansätzen in Theorie und praktischen Untersuchungen zum Hof kann hier nicht im Einzelnen nachgewiesen werden, siehe aber etwa die Arbeiten von Wolfgang Reinhard und seinen Schülern und Schülerinnen zum päpstlichen Hof, z. B. Nicole Reinhardt, Macht und Ohnmacht der Verflechtung. Rom und Bologna unter Paul V. Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik im Kirchenstaat (Frühneuzeit-Forschungen, 8), Tübingen 2000; Wolfgang Reinhard (Hrsg.), Römische Mikropolitik unter Papst Paul V. Borghese (1605–1621) zwischen Spanien, Neapel, Mailand und Genua (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts Rom, 107), Tübingen 2004; Hillard von Thiessen / Christian Windler (Hrsg.), Nähe in der Ferne. Personale Verflechtung in den Außenbeziehungen der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft, 36), Berlin 2005. Zudem Karin J. MacHardy, War, Religion and Court Patronage in Habsburg Austria. The Social and Cultural Dimensions of Political Interaction 1521–1622, Basingstoke 2003; Andreas Pečar, Die Ökonomie der Ehre. Der höfische Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740) (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne, 5), Darmstadt 2003, bes. 92–102; Sharon Kettering, Patronage in Sixteenth- and Seventeenth-Century France, Aldershot 2002. 15 Katrin Keller, Mit den Mitteln einer Frau. Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 219–244. Siehe auch Britta Kägler, Frauen am Münchener Hof (1651–1756) (Münchener Historische Studien, Abt. Bayerische Geschichte, 18), Kallmünz 2011, 223–236.
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durch Netzwerke vermittelt werden konnte und dem Amts-, Ehr- und Gelderwerb zugrunde lag, war die fürstliche Gnade16, die ich hier als vierten Aspekt nennen möchte. Dargestellt wurde sie nicht nur durch Aufstieg in höfischen und/oder staatlichen Hierarchien, sondern insbesondere durch räumliche Nähe zum Fürsten und durch Zutrittsmöglichkeiten17. In abgeschwächter Form gilt dies auch für die Fürstin und ihren – idealerweise – ungehinderten Zugang zum Fürsten; ihre traditionelle Rolle als Fürbitterin18 verlieh ihr hier eine herausragende Funktion als Vermittlerin dieser Gnade. Ähnliches gilt im Übrigen auch für Mätressen, die ja gewöhnlich in vergleichbarer Weise, wenn auch ohne rechtliche Grundlage durch Herkunft und Eheschließung19, als Vermittlerinnen aktiv wurden. In abgestufter Form konnten aber auch Frauen höfischer Amtsträger und Amtsträgerinnen wie Hofmeisterinnen und Hofdamen an diesem Vermittlungssystem partizipieren. Es sind also meines Erachtens vier Aspekte, die weiblichen Aktivitäten in der höfischen Gesellschaft erhebliche Spielräume eröffneten, indem sie die Relativierung sozialer und juristischer Normen für diesen sozialen Bereich erlaubten: Untrennbarkeit von öffentlichen und privaten Aspekten in Bezug auf die fürstliche Familie, die Funktionalität des fürstlichen Arbeitspaares, die Relevanz von Netzwerken und der Stellenwert von Herrschernähe und fürstlicher Gnade. Die folgenden Beispiele aus der Zeit um 1600 sollen exemplarisch praktische Konsequenzen aus diesen strukturellen Merkmalen für die Handlungsmöglichkeiten von Frauen vor Augen führen.
I. Marie de Mercœur – Die Herzogin schließt einen Vertrag »[…] damit er [Heinrich IV. von Frankreich] den firgenommen krieg in Britagnia, gegen dem Hertzogen di Mercurio, destomehr bey wohnen möge, wellichen ire Mayt. mit eüsserstem eyffer fiehren wellen, solle gleichwol gemelts Duca di Mercurio gemahell, beraidt unnderwegen nach hofe, gewest sein, solliches zuverhindern, also das man guetter hoffnung, noch zue ainem accordo kommen mechte […].«20 16 R. Asch, Hof (Anm. 2), 565; A. Pečar, Hofstaat (Anm. 2), 595. 17 Siehe etwa A. Pečar, Ökonomie der Ehre (Anm. 14), 22–91, 161–168; Irmgard Pangerl, ›Höfische Öffentlichkeit‹. Fragen des Kammerzutritts und der räumlichen Repräsentation am Wiener Hof, in: Der Wiener Hof im Spiegel der Zeremonialprotokolle (1652–1800). Eine Annäherung, hrsg. v. Irmgard Pangerl / Martin Scheutz / Thomas Winkelbauer (Forschungen und Beiträge zur Wiener Stadtgeschichte, 47), Innsbruck 2007, 255–285. 18 Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Darmstadt 2000, 123–126, 133 f., 138, 145. 19 K. Keller, Mittel einer Frau (Anm. 15), 227 f. 20 ÖNB HAD, Cod. 8970, fol. 28r.
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Mit diesen knappen Worten meldet eine Zeitung aus Lyon vom 18. Dezember 1597 ein auf den ersten Blick ungewöhnliches Ereignis. Ungewöhnlich freilich nicht, wenn man weiß, dass allein für die Jahre 1597 und 1598 die Zeitungen einer in Wien überlieferten Sammlung mindestens fünf Fälle erwähnen, in denen adlige bzw. fürstliche Frauen als politische Vermittlerinnen in Erscheinung traten21 – sowohl Zahl wie Medium legen nahe, dass wir es hier mit einem zumindest im ausgehenden 16. Jahrhundert zwar vielleicht nicht alltäglichen, aber mit einem die normativen Grenzen weiblichen Handelns nicht sprengenden Phänomen zu tun haben. Der Fall der Herzogin von Mercœur, einer von vielen politisch aktiven Frauen in der Zeit der französischen Religionskriege22, kann dies beispielhaft illustrieren. Marie de Penthièvre war seit 1575 mit Philippe Emanuel de Lorraine, Duc de Mercœur, verheiratet, eine Eheschließung, die König Heinrich III. von Frankreich für den Halbbruder seiner Gemahlin Louise in die Wege geleitet hatte, denn Marie war die einzige Erbin umfangreicher Besitzungen in der Bretagne23. Das Verhältnis der Eheleute scheint stets sehr einvernehmlich gewesen zu sein, wobei die Herzogin schon vor 1598 auf politischem Gebiet in Erscheinung getreten war: Sie hatte 1589 die Möglichkeit beim Schopfe gepackt, im Kontext der Auseinandersetzungen zwischen der Liga und König Heinrich III. die Bretagne für sich zu reklamieren, weil sie über ihren Vater mit dem früheren Herzogshaus verwandt war. Das Paar – Philippe Emanuel war seit 1582 Gouverneur der Provinz – installierte in Nantes eine regelrechte Residenz, und dem Herzog gelang es im Bündnis mit Spanien und gegenüber der Liga lavierend, über Jahre seine weitgehend souveräne Herrschaft dort zu sichern24. Heinrich IV. von Frankreich versuchte zunächst vergeblich, die Position des Herzogs zu schwächen. Ihm gelang es lediglich 1594, kurz nach seiner Konver21 Ebd., fol. 428v, 722v–723r, 771r, 741r, 753r, 779r; Cod. 8971, fol. 16r, 29v, 32v, 46v, 88r, 151. 22 Éliane Viennot, Des ›femmes d’État‹ au XVIe siècle. Les princesses de la ligue et l’écriture de l’histoire, in: Femmes et pouvoirs sous l’ancien régime, hrsg. v. Danielle Haase-Dubosc / ders., Paris 1991, 77–97; dies., La France, les femmes et le pouvoir, Bd. 1: L’invention de la loi salique (Ve–XVIe siècle), Paris 2006, 634–647; Christiane Coester, Schön wie Venus, mutig wie Mars. Anna d’Este, Herzogin von Guise und von Nemours (1531– 1607) (Pariser historische Studien, 77), München 2006, bes. 267–278. 23 Jacqueline Boucher, Philippe Emanuel de Lorraine, duc de Mercœur, in: Histoire et dictionnaire des guerres de Religion, hrsg. v. Arlette Jouanna / ders. / Dominique Biloghi / Guy Le Thiec, Paris 1998, 1095–1097; Nicole Dufournaud, Rôles et pouvoirs des femmes au XVIe siècle dans la France de l’Ouest, thèse inédite pour le doctorat, EHESS Paris 2007, http://www.nicole.dufournaud.net/these/, 329 f., 332 f. 24 J. Boucher, Philippe Emanuel de Lorraine (Anm. 23), 1096; Éliane Viennot, La France, les femmes et le pouvoir, Bd. 2: Les résistances de la société (XVIIe–XVIIIe siècle), Paris 2010, 24; N. Dufournaud, Rôles et pouvoirs (Anm. 23), 334–339.
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sion, die verwitwete Königin Louise, die Schwester des Herzogs, zu bewegen, Verhandlungen mit ihrem Bruder über eine Unterwerfung unter das königliche Regiment zu beginnen25. Über Monate verhandelte die Fürstin immer wieder mit Gesandten ihres Bruders, jedoch ohne Erfolg. Erst nach den kriegerischen Erfolgen Heinrichs IV. und der Unterwerfung wichtiger Repräsentanten der Liga 159726 begann sich das Blatt für das herzogliche Paar zu wenden. Ein Attentat royalistischer Kreise auf den Herzog, die ausbleibende Unterstützung des langjährigen Verbündeten Spanien und schließlich Anfang 1598 die im Eingangszitat angesprochene militärische Aktion Heinrichs IV., der gleichzeitig mit Spanien über einen Friedensschluss verhandeln ließ, zeigten, dass der Widerstand gegen den König nicht mehr lange aufrechterhalten werden konnte. In dieser Situation trat nun auch die Herzogin selbst auf den Plan. Zwar waren Vermittlungsversuche ihrerseits zwischen Mercœur und dem König Ende 1597 offenbar ebenso gescheitert wie die von Louise von Frankreich27. Aber im Frühjahr 1598 ergriff die Herzogin in Absprache mit ihrem Gemahl erneut die Initiative und nahm direkte Verhandlungen zur Beilegung des Konfliktes in Angriff. Sie traf sich in Ancenis zunächst mit Gabrielle d’Estrées, der königlichen Mätresse, die ihr vermutlich die Bedingungen des Königs übermittelte28. Anfang März 1598 erschien Marie de Mercœur dann in Angers bei Heinrich IV., um den Submissionsvertrag des Herzogs zu unterzeichnen, wobei sie sich selbst als mandataire ihres Gemahls29 bezeichnete. Der Abschluss erfolgte am 18. März 1598, fünf Tage später gab der Herzog seine Zustimmung. Gleichzeitig betonte er freilich gegenüber Erzherzog Albrecht von Österreich, der als Statthalter der Niederlande die Kontakte nach Spanien herstellte, dass er sich nur aufgrund der ausbleibenden spanischen Unterstützung gezwungen gesehen habe, seine Gemahlin zu diesen Verhandlungen zu senden30. Nicht zuletzt diese Äußerung kann als Anhaltspunkt dafür dienen, dass der Herzog wohl bis zum letzten Moment auf diese spanische Unterstützung gehofft und eben deshalb seine Gemahlin als Verhandlerin beauftragt hatte, konnte er selbst damit doch im Hintergrund bleiben und zudem ein direktes Zusammentreffen mit dem König vermeiden. 25 J. Boucher, Philippe Emanuel de Lorraine (Anm. 23), 1096; N. Dufournaud, Rôles et pouvoirs (Anm. 23), 327. 26 Arlette Jouanna, Le temps des guerres de religion en France, in: Histoire et dictionnaire des guerres de Religion, hrsg. v. ders. / Jacqueline Boucher / Dominique Biloghi / Guy Le Thiec, Paris 1998, 3–445, hier: 405 f., 411. 27 ÖNB HAD, Cod. 8970, fol. 28r; Cod. 8971, fol. 32r. 28 J. Boucher, Philippe Emanuel de Lorraine (Anm. 23), 1097; Arthur Erwin Imhof, Der Friede von Vervins 1598, Aarau 1966, 197. 29 A. Imhof, Friede von Vervins (Anm. 28), 197 f.; N. Dufournaud, Rôles et pouvoirs (Anm. 23), 333. 30 A. Imhof, Friede von Vervins (Anm. 28), 199.
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II. Maria de Austria – Zwischen den Familien Die Tatsache, dass Eheschließungen in adligen und fürstlichen Familien als Element von Bündnispolitik und Netzwerkpflege bzw. als Aspekt gesellschaftlichen Aufstiegs gezielt eingesetzt wurden, darf man wohl als Binsenweisheit bezeichnen. Die Übergabe von jungen Frauen adliger Herkunft von ihrer Herkunftsfamilie an die Familie, in die sie einheirateten, ist noch in jüngerer Zeit mit dem Begriff der »verkauften Braut« bezeichnet oder auch als Element sozialen Gabentauschs thematisiert worden31. Die dadurch zugleich entstehenden Spielräume für Frauen, die als Bindeglied zwischen Familien fungieren und sowohl in die eine wie die andere Richtung Einfluss nehmen konnten, waren für die Zeitgenossen selbstverständlich. Welche politischen Dimensionen diese Spielräume annehmen konnten, lässt sich beispielhaft am Fall von Kaiserin Maria darstellen. Sie war die ältere Tochter Kaiser Karls V., nur ein Jahr jünger als ihr Bruder Philipp II. von Spanien. Dass sie im Jahr 1548 mit Maximilian von Österreich ihren Cousin heiratete, stand nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem Bemühen Karls V., den Zusammenhalt zwischen den beiden Linien des Hauses Habsburg und damit langfristig auch die Kaiserwürde zu sichern32. Die Ehe von Maria und Maximilian dauerte 28 Jahre und war mit 15 Kindern gesegnet; das Verhältnis zwischen den Ehegatten scheint von Zuneigung und Vertrauen geprägt gewesen zu sein33. Dabei lässt sich schon in Wien erkennen, dass Maria ganz im Sinne ihres Vaters wirkte, nicht zuletzt, indem sie den religiös schwankenden Maximilian II. in seinem katholischen Bekenntnis stärkte. Vor allem aber blieb sie stets in enger brieflicher Verbindung zu ihrem Bruder Philipp II. in Spanien, dessen Botschafter in Wien sie unterstützte und ihnen den Zugang zum oft kränkelnden Kaiser erleichterte. Andererseits nutzte sie ihre Verbindungen nach Spanien, um die In31 Katherine Walsh, Verkaufte Töchter? Überlegungen zu Aufgabenstellung und Selbstwertgefühl von in die Ferne verheirateten Frauen anhand ihrer Korrespondenz, in: Jahrbuch Vorarlberger Landesmuseumsverein 135 (1991), 129–144; Bartolomé Bennassar, Le Lit, le Pouvoir et la Mort. Reines et Princesses d’Europe de la Renaissance aux Lumières, Paris 2006, 39–70; Beatrix Bastl, Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit, Köln / Weimar / Wien 2000, 36 f., 50 f., 65 f. Siehe dagegen zuletzt B. Kägler, Münchener Hof (Anm. 15), 271. 32 Zu Maria Friedrich Edelmayer, Maria (de Austria), in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 16, Berlin 1990, 174 f.; Helga Widorn, Die spanischen Gemahlinnen der Kaiser Maximilian II., Ferdinand II. und Leopold I., unveröffentlichte Diss., Wien 1959, 1–51; Volker Press, Maria, in: Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon, hrsg. v. Brigitte Hamann, Wien / München 2001, 287 f. Keine neuen Informationen beinhaltet Joseph F. Patrouch, Queen’s Apprentice. Archduchess Elizabeth, Empress María, the Habsburgs, and the Holy Roman Empire, 1554–1569 (Studies in Medieval and Reformation Traditions, 148), Leiden / Boston 2010. 33 H. Widorn, Gemahlinnen (Anm. 32), 31 f.; M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 120; Paula Sutter Fichtner, Emperor Maximilian II., New Haven / London 2001, 19 f., 116 f.
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teressen der deutschen Linie des Hauses gegenüber ihrem Bruder zu verfechten34. Diese Rolle als Bindeglied und Vermittlerin spielte sie auch nach dem Tod ihres Gemahls 1576 weiter, und zwar umso mehr, nachdem sie 1581 von Prag, das ihr ältester Sohn Rudolf II. zu seiner Hauptresidenz machte, nach Madrid übergesiedelt war35. Mit ihrer Rolle in Madrid, wo Maria bis zu ihrem Tod 1603 im Kloster Descalzas Reales lebte, hat sich vor Jahren Magdalena Sánchez befasst36. Ihre Studie macht deutlich, wie Maria, ihre jüngste Tochter Margarethe, die als Nonne in das Kloster eintrat, und seit 1599 auch die junge Königin Margarethe aus der steirischen Linie der Habsburger zusammenwirkten und welche Möglichkeiten sie nutzten, um politische Wirksamkeit erlangen zu können. Hier soll nur Marias Wirken als Mittlerin zwischen spanischen und österreichischen Habsburgern kurz thematisiert werden, und zwar vor allem deshalb, weil die Quellenlage es für ihre Witwenzeit in Madrid erlaubt, ihre Aktivitäten relativ umfassend nachzuzeichnen. Basis dafür sind vor allem die Briefe und das Tagebuch des kaiserlichen Botschafters Hans Khevenhüller, der seit 1571 zuerst die Interessen Kaiser Maximilians II., dann diejenigen Rudolfs II. am spanischen Hof vertrat37. Eine Durchsicht dieser Quellen zeigt, dass Kaiserin Maria – sie führte diesen Titel bis zu ihrem Tod, da ihr Sohn ja trotz vieler Eheprojekte unverheiratet blieb – nach den Kaisern und den Königen Philipp II. und Philipp III. von Spanien die meisterwähnte Person in diesen Texten ist, was ihren Stellenwert im diplomatischen Netzwerk 34 M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 94, 118 f.; F. Edelmayer, Maria (de Austria) (Anm. 32), 174; H. Widorn, Gemahlinnen (Anm. 32), 34 f. 35 Zur Reise siehe Elisabeth Schoder, Die Reise der Kaiserin Maria nach Spanien, in: Hispania – Austria II. Die Epoche Philipps II., hrsg. v. Friedrich Edelmayer (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder, 5), Wien / München 1999, 151–179; M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 6; Hans Khevenhüller, Kaiserlicher Botschafter bei Philipp II. Geheimes Tagebuch 1548–1605, hrsg. v. Georg Khevenhüller-Metsch / Günther Probszt-Ohstorff, Graz 1971, 119. Khevenhüller gibt auch noch eine andere Argumentationsschiene wieder (H. Khevenhüller, Tagebuch, 111), indem er mutmaßt, dass Philipp II. Maria die Reise nach Spanien nur wegen des Todes seiner Gemahlin erlaubt habe »also aber und dieweil die kaiserin fürgeben, das si sich in vorigen landen nicht wol empfindt, ists I.Mt vergunt worden. Es pflegt aber zue zeiten wol zubeschehen, das dergleichen resolutiones gereuen und nicht remidiert kinn werden, das die zeit gebe.« 36 M. Sánchez, Empress (Anm. 7). 37 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35); Karin Hofer, Die Berichte von Johann Khevenhüller, kaiserlicher Gesandter in Spanien, an Rudolf II. (1589/90), unveröffentlichte Dipl. Arbeit, Wien 1997; Tatjana Lehner, Johann Khevenhüller – Ein Diplomat am Ende des 16. Jahrhunderts. Seine Briefe an Rudolf II. 1591–1594, unveröffentlichte Diss., Wien 2007; Arthur Strohmenger, Die Berichte Johann Khevenhüllers, des kaiserlichen Gesandten in Spanien, an Rudolf II. 1598–1600, unveröffentlichte Diss., Wien 2001.
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immerhin andeutet. Maria kannte Khevenhüller natürlich bereits aus Wien persönlich; der Botschafter hatte seit seiner Ankunft in Madrid mit ihr wie mit ihrem Gemahl in direkter Korrespondenz gestanden und war an der Organisation ihrer Übersiedlung beteiligt38. Nach der Ankunft der Kaiserin stieg er schnell zu einem ihrer engsten Vertrauten auf, den sie zumindest in ihren letzten Lebensjahren praktisch täglich sah und mit dem sie politische wie persönliche Angelegenheiten ebenso erörterte wie Fragen ihres Hofstaats und der immer prekären Finanzierung ihrer Hofhaltung39. Hans Khevenhüller war zugleich eine der Personen, über die Maria ihre Kontakte sowohl in Madrid selbst wie nach Wien und Prag realisierte: Sie sah nicht nur selbst regelmäßig ihren Bruder Philipp II. sowie dessen Kinder Isabel Clara und den Thronfolger Philipp III.40, der als Sohn ihrer Tochter Anna ja zugleich ihr Enkel war. Sie wurde von Khevenhüller auch über seine Gespräche mit dem König informiert, und Philipp II. nutzte den Botschafter als Nachrichtenübermittler. Dies tat auch Rudolf II., der seiner Mutter nur selten direkt schrieb, der aber Khevenhüller regelmäßig beauftragte, sie über Vorgänge zu informieren und oft auch, den Rat Marias in bestimmten Fragen einzuholen41. Dabei ist festzuhalten, dass es Maria trotz ihrer familiären Verbindungen in der ersten Zeit in Madrid nicht leicht gefallen zu sein scheint, ihre Rolle zu finden42. Spätestens seit Mitte der achtziger Jahre wurde sie jedoch in verschiedenen politischen Fragen aktiv, die das Wohl des Hauses Habsburg betrafen. An erster Stelle sind dabei verschiedene Heiratsprojekte zu nennen. Sie betrafen zuerst ihren Bruder Philipp II., der nach dem Tod von Marias Tochter Anna, seiner vierten Frau, wieder zu heiraten gedachte. Zunächst wünschte er die verwitwete Tochter Marias, Elisabeth, zu ehelichen, dann die jüngste Tochter Margarethe. Über Jahrzehnte bemühte sich Maria um die Verehelichung ihres Sohnes Rudolf II., zuerst mit Infantin Isabel Clara, dann mit Maria de’ Medici, mütterlicherseits ebenfalls eine Habsburgerin, schließlich mit einer Erzherzogin aus der steirischen Linie der Habsburger. Auch an den schließlich erfolgreichen Eheverhandlungen zwischen Erzherzog Albrecht, ihrem jüngsten Sohn, und Infantin Isabel Clara sowie zwischen Philipp III. und Margarethe von Innerösterreich war sie aktiv beteiligt43. 38 39 40 41
H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 30 f., 106 f., 111, 114. M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 92 f. Ebd., 91–93. Z. B. H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 97, 151, 172, 225, 252, 275 und weitere; zum König siehe ebd., 174, 211 f., 217, 237, 273 und weitere; Konsultation der Kaiserin ebd., 150, 183, 237, 265. Siehe auch A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 129, 420–423. 42 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 117, 126. 43 Ebd., 111, 114, 119, 125, 129, 132, 173, 180, 184, 190, 200, 237, 241 f., 243; T. Lehner, Khevenhüller (Anm. 37), 96; A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 121–127, 211, 255, 366–368, 388–390; M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 118 f.
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Die Kaiserin war aber auch in Überlegungen involviert, die die Thronfolge in Spanien im Falle des vorzeitigen Todes Philipps III. sowie die Transferierung der Kaiserwürde auf einen ihrer jüngeren Söhne betrafen44. Sie war informiert über die Bemühungen der österreichischen Linie um den Königsthron in Polen, die 1587 in eine weitere Runde gingen. Maria unterstützte die Kandidatur ihres Sohnes Maximilian nicht zuletzt dadurch, dass sie sich energisch für finanzielle Zuschüsse aus Spanien einsetzte, die der – am Ende freilich ebenfalls erfolglose – Kandidat auch erhielt45. Als sich mit dem Tod von Marias zweitältestem Sohn Ernst 1595 die Frage stellte, wer nun an seiner Statt die Niederlande verwalten sollte, war die Kaiserin in die Gespräche darüber in Madrid direkt einbezogen und beförderte offenbar die Kandidatur ihres Sohnes Albrecht. Auch nach dessen Amtsantritt stand sie in regelmäßigem Kontakt zu ihm und unterstützte wohl seine Bemühungen um regelmäßigere finanzielle Unterstützung aus Spanien46. Ihrem Sohn Rudolf stand Maria von Spanien aus nicht nur als Beraterin zur Seite, sondern schaltete sich auch in verschiedenen Fragen direkt ein, so beispielsweise in Rudolfs anhaltende Bemühungen um spanische Unterstützung im »Langen Türkenkrieg« ab 159347. Die Beispiele machen deutlich, dass Maria aus Madrid ständig bemüht war, zum Vorteil ihrer Söhne aktiv zu werden und dass sie dadurch direkt in verschiedene Fragen der europäischen Politik involviert war. Dabei handelte sie jedoch nicht nur als loyale Mutter im Sinne der einen Linie des Hauses, sondern sah sich auch berufen, die Interessen der spanischen Casa de Austria wahrzunehmen. Dies zeigt sich etwa darin, dass sie als Fürbitterin für Angehörige beider Höfe diente48. Auch ihre Opposition gegen den Duque de Lerma, den immer mächtiger werdenden Privado des jungen Philipp III., ist in diesem Kontext zu sehen. Sie nutzte das Vertrauen, das ihr ihr Enkel offenbar entgegenbrachte49, um ihm die negativen Konsequenzen von Lermas Stellung vor Augen zu führen. Khevenhüller hielt dazu für den 5. Dezember 1599 fest, die Kaiserin habe »ain lange muetterlich practiken mit dem könig gehabt, darauf der könig den 6. hernach unversehens zue 44 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 125, 173. 45 Ebd., 156, 160, 165, 167–171, 179, 182; K. Hofer, Berichte (Anm. 37), 195. 46 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 222, 232, 235 f., 255, 261, 263, 266, 271; A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 117 f. Zeitweise diente ihre Korrespondenz dazu, Kontakte zwischen dem Erzherzog und dem kaiserlichen Botschafter zu verbergen, H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 252. 47 A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 318; Jan Paul Niederkorn, Die europäischen Mächte und der ›Lange Türkenkrieg‹ Kaiser Rudolfs II. (1593–1606) (Archiv für österreichische Geschichte, 135), Wien 1993, 226–255. 48 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 135; M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 90. 49 M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 92; A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 117 f., 255. Zur Person und Bedeutung Lermas siehe zuletzt Antonio Feros, Kingship and Favoritism in the Spain of Philip III, 1598–1621, Cambridge 2000.
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morgens al Pardo verruckt, die königin zue Madrid gelassen, vermueten nach aus empfindlichkait obvermeldter practiken. Nun hats die frumb heilig kaiserin der obligation und lieb nach, so si in tragt, in erwegung allerlai ursachen nit umgeen kinn.«50 Mit den »muetterlich practiken« benannte der kaiserliche Botschafter zugleich eine, wenn nicht die wichtigste Legitimation für Marias politisches Handeln zwischen Madrid, Prag, Krakau und Brüssel: Sie setzte sich als Mutter, Großmutter, Tante oder Cousine für Familienangehörige ein und nahm damit eine wichtige und unstrittige Rolle von verheirateten Frauen und Witwen wahr. Dass sowohl Gedächtnisschriften auf Kaiserin Maria51 wie Hans Khevenhüller diese Aktivitäten positiv werten und hervorheben, zeigt, wie akzeptiert die Familie als Fokus und Rechtfertigung auch politischen Handelns52 war.
III. Ursula Meyerin – Die Kammerdienerin als Brokerin Als im Frühjahr 1635 in Krakau die ehemalige königliche Kammerfrau Ursula Meyer verstarb, löste das ein zwiespältiges Echo aus: Etliche Zeitgenossen, denen später die polnische Historiographie weitgehend folgen sollte, atmeten auf, weil nun die Weiberherrschaft am polnischen Hof53, das Weiberregiment über den König, ein Ende habe. Andere wie etwa der kaiserliche Botschafter Arnoldin von Clarstein bezeichneten die Verstorbene dagegen als »beeder kayser- und koniglicher häuser treueste alte und hoh meritierte dienerin«, die über Jahre in Polen praktisch die Funktion einer kaiserlichen Residentin wahrgenommen habe54. Besonders interessant ist die Person der Ursula Meyerin in unserem Kontext deshalb, weil es sich bei ihr nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, um eine Mätresse des Königs handelte. Vielmehr war die aus München stammende Meyerin55 1592 mit der ersten Gemahlin König Sigismunds, Erzherzogin Anna von Innerösterreich, als deren Kammerdienerin nach Krakau gekommen. Nach dem frühen Tod der Königin, die ihr Gemahl innigst betrauerte, übernahm die Meyerin die Erziehung des Kronprinzen Wladyslaw Wasa. Nach der zweiten Heirat 50 H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 253, siehe auch 247. 51 M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 62–71, 85–95; H. Khevenhüller, Tagebuch (Anm. 35), 278 f. 52 M. Sánchez, Empress (Anm. 7), 113, 115, 119; Jennifer Richards / Alison Thorne, Introduction, in: Rhetoric, Women and Politics in Early Modern England, hrsg. v. dens., London / New York 2007, 1–24, 16; K. Keller, Mittel einer Frau (Anm. 15), 230, 242. 53 Walter Leitsch, Das Leben am Hof König Sigismunds III. von Polen, Bd. 3, Wien 2010, 1848–1851, 1853, 1888 f. 54 Zit. nach: W. Leitsch, Leben am Hof (Anm. 53), Bd. 3, 1851. Über ihre Berichte nach Wien seit 1621 siehe ebd., 1912–1916. 55 Zu ihrer Herkunft siehe W. Leitsch, Leben am Hof (Anm. 53), Bd. 3, 1859–1868.
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Sigismunds 1605 mit der jüngeren Schwester seiner verstorbenen Frau gehörte Ursula Meyerin als erste Kammerfrau erneut dem Hofstaat von Königin Konstanze an, mit der sie offenbar ebenfalls in gutem Einvernehmen stand – der päpstliche Nuntius bezeichnete sie 1615 als dama favorita dal re et regina56. Etwa seit diesem Zeitpunkt kann man davon ausgehen, dass die Meyerin ungeachtet ihres untergeordneten Amtes de facto für alle Abläufe im Hofstaat verantwortlich war, soweit sie die Versorgung der königlichen Familie betrafen. Sie verwaltete zudem die Finanzen der beiden Königinnen und des Kronprinzen und hatte die Schlüssel zu den königlichen Schatzgewölben57. Basis von Ursula Meyers weitreichender Handlungsfähigkeit war dabei wohl vorrangig ihre Loyalität und das Vertrauen, das sie sich in jahrzehntelangem Dienst für die königliche Familie erworben hatte. Seit etwa 1610 lässt sich auch eine herausragende politische Rolle der Kammerfrau in den Quellen nachweisen, in denen sie gewöhnlich in einem Atemzug mit dem Königspaar, de facto also als Familienmitglied, erschien58. Zeitgenossen sprachen davon, sie befinde sich in der Nähe der Ohren des Königs, der ihren Ratschlägen gegenüber offen sei59. Sie konnte Audienzen vermitteln und war auf vielen Gebieten erfolgreich als Brokerin königlicher Gnade tätig und das auch noch unter Sigismunds Nachfolger Wladyslaw, den sie, wie bereits erwähnt, jahrelang als Hofmeisterin betreut hatte60. Zu den Kennzeichen ihrer Position gehörte zudem, dass sie Korrespondenzbeziehungen zu fürstlichen Häusern unterhielt. Schon seit 1592 hatte sie regelmäßig an Erzherzogin Maria von Innerösterreich, die Schwiegermutter des Königs, berichtet; später kamen mit den Herzögen Wilhelm V. und Maximilian I. von Bayern Onkel bzw. Cousin und mit Kaiser Ferdinand II. der Bruder der beiden habsburgischen Königinnen hinzu61. Teilweise schrieb die Meyerin dabei in Vertretung der Königin oder auch des Königs selbst; zumindest zeitweise scheint sie direkten Zugang zur Korrespondenz Sigismunds und Wladyslaws von Polen gehabt zu haben, die sich Briefe von ihr vorlesen und sie dann Antworten verfassen ließen62. Hinsichtlich der politischen Außenbeziehungen des Königreichs Polen spielte sie vor allem für die Verbindungen zum Kaiserhaus eine wichtige Rolle63: 1621 forderte König Sigismund Ursula Meyerin auf, in seinem Namen den Kaiser vor weiteren Zugeständnissen an die böhmischen Stände und der Bestätigung des Majestätsbriefes zu warnen. Im Jahr 1628 sondierte sie die Heiratschancen des 56 57 58 59 60 61 62 63
Zit. nach: Ebd., 1885, siehe auch 1856, 1890 f. Ebd., 1888. Ebd., 1851 f., 1868. Ebd., 1894 f., 1896 f.: tiene suma mano con el Rey. Ebd., 1900–1902, 1920 f. Ebd., 1905–1916. Ebd., 1896 f., 1914 f. Zur Positionierung von Königin Konstanze und der Meyerin gegen Brandenburg siehe ebd., 1898.
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Kronprinzen mit einer Erzherzogin. 1630 ersuchte der König von Polen über die Meyerin den Kaiser, eine Gesandtschaft nach Moskau zu schicken, um einen Krieg mit Polen vermeiden zu helfen, und 1632 vermittelte sie einen erheblichen Kredit aus Polen für den Kaiser64. Wenn der kaiserliche Gesandte Arnoldin von Clarstein 1630 mit eigenen Credentialbriefen an Ursula Meyerin erschien und neben den Antrittsaudienzen bei König und Königin auch eine bei der Obersten Kammerdienerin hatte65, zeigt das den Stellenwert, den man in Wien ihrem Wirken beimaß. In ähnlicher Weise trat sie auch in den polnisch-bayerischen Kontakten in Erscheinung; so beauftragte Maximilian von Bayern sie im Herbst 1629 gar mit der Übermittlung des bayerischen Einverständnisses zu einem Vertrag zwischen Polen und Schweden, in den Bayern eingeschlossen wurde66. Als man eine schriftliche Zustimmung von ihm verlangte, ließ er mitteilen, diese liege vor – in einem Brief an Ursula Meyerin.
IV. Maria von Innerösterreich – Die Erzherzogin in diplomatischer Mission Erzherzogin Maria von Innerösterreich war eine Tochter Herzog Albrechts V. von Bayern. Seit 1571 mit Erzherzog Karl II. von Innerösterreich, dem jüngsten Bruder ihrer Mutter Anna verheiratet, lebte sie mit diesem bis zu seinem Tod 1590 in einvernehmlicher Ehe67. Als Karl starb, war sein ältester Sohn Ferdinand, der spätere Kaiser Ferdinand II., erst zwölf Jahre alt. Zwar gelang es der Erzherzogin nicht, als Regentin in Innerösterreich eingesetzt zu werden, aber während der vormundschaftlichen Regentschaft bis 1596 und auch später konnte sie erheblichen politischen Einfluss geltend machen und vertrat erfolgreich die Interessen ihrer zahlreichen Kinder, auch gegenüber Kaiser Rudolf II. als Oberhaupt der österreichischen Linie des Hauses. Unter anderem war sie in die Aushandlung der Eheschließungen für fünf ihrer Töchter involviert, von denen zwei Königinnen von Polen, eine Fürstin von Siebenbürgen, eine Königin von Spanien und eine Großherzogin der Toskana wurden. Sie ließ es sich zudem nicht nehmen, alle Töchter zu ihren Ehemännern zu begleiten, sodass Maria von Innerösterreich viermal nach Krakau, einmal nach Alba Julia und einmal nach Madrid reiste. Ihre Beweggründe dafür waren vielfältig, nicht zuletzt sah sie es als wichtig an, weil, wie sie betonte, dies den Kindern
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Ebd., 1916 f. Ebd., 1897 f. Ebd., 1918 f. Zur Person siehe Katrin Keller, Maria von Innerösterreich (1551–1608). Zwischen Habsburg und Wittelsbach, Köln / Weimar / Wien 2012.
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»ir Lebenlang in vill Sachen [helfe], wan ich den Kinig selbs seh und kennenlernet, und er mich auch, auch ire Leit, die huelfs in vill Sachen.« 68 Zu den »Sachen«, von denen da die Rede ist, gehörte ganz offenbar auch die Politik. Als die Erzherzogin im Herbst 1598 – im Übrigen gegen heftigen Widerstand aus Madrid – mit ihrer Tochter Margarethe nach Spanien aufbrach, gedachte sie diese Reise auch in politischer Hinsicht zu nutzen69. Sie wollte durch Gespräche mit dem König von Spanien und dessen Hofleuten ihrem Sohn Ferdinand und ihren anderen Kindern Unterstützung verschaffen, ebenso wie durch ein Treffen mit Kaiserin Maria, von deren Rolle in Madrid bereits die Rede war. Insbesondere an Unterstützung im Konflikt zwischen Innerösterreich und Venedig wegen der Uskoken scheint Erzherzogin Maria bei ihren Gesprächen gedacht zu haben, denn sie verlangte von ihrem Sohn, genau über die Situation dort informiert zu werden, damit sie alles dem spanischen König vortragen könne. Dazu müsse sie eine umfassende schriftliche Darstellung haben, mahnte sie von ihrer Reise, »dermit ich nit das Hinter für das Erst fürbrächt, denn es ist mir zu witzig.«70 Nach ihrem Zusammentreffen mit dem König von Spanien vermeldete sie zufrieden, sie habe den Venezianern »das Brandel dermaßen geschürt, dass sie vielleicht nit wollten, dass ich herein [nach Spanien] wär kommen.«71 Zwar bewerteten die Venezianer selbst den Schaden von Marias Fürbitte eher gering, aber es ist damit eindeutig nachweisbar, dass die Erzherzogin mit ihrem Schwiegersohn, Philipp III. von Spanien, über die verschiedenen Probleme ihres Sohnes Ferdinand als Landesherr von Innerösterreich sprach, ebenso wie mit dessen nahezu allmächtigem Günstling, dem Marques de Denia, dem späteren Duque de Lerma72. Maria hatte wohl schnell erkannt, dass Philipp III. von Spanien in allem auf Lerma vertraute und politisch wenig interessiert war, weshalb sie sich um ein gutes Verhältnis zum Herzog73 und selbst zu dessen Favoritin, der Marquesa del Valle, bemühte. Bald konnte die Erzherzogin ihrem Sohn mitteilen, man habe in 68 Zit. nach: W. Leitsch, Leben am Hof (Anm. 53), Bd. 2, 1582. 69 Ferdinand Khull, Sechsundvierzig Briefe der Erzherzogin Maria an ihren Sohn Ferdinand, Graz 1898, 17 f., 38, 56, 103. Zum Widerstand aus Madrid siehe auch A. Strohmenger, Berichte (Anm. 37), 249, 245: Khevenhüller berichtete dem Kaiser anerkennend, Maria habe sich »so wol in die sachen schickhen und accomodiren khin, daß sy wider der privados willen (den sy aber zu gewin gewisst) mit ihren disignos fortkhumen.« 70 F. Khull, Briefe (Anm. 69), 76, 61, 84. 71 Ebd., 109, 129. Zu diesen Verhandlungen siehe J. P. Niederkorn, Die europäischen Mächte (Anm. 47), 354. 72 Magdalena S. Sánchez, A Woman’s Influence. Archduchess Maria of Bavaria and the Spanish Habsburgs, in: The Lion and the Eagle. Interdisciplinary Essays on German-Spanish Relations over the Centuries, hrsg. v. Conrad Kent, New York / Oxford 2000, 91–107, 101; F. Khull, Briefe (Anm. 69), 104, 117. 73 F. Khull, Briefe (Anm. 69), 104.
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Spanien erkannt, welch schwierige Position er angesichts seiner Auseinandersetzungen mit den Osmanen, den Venezianern und den innerösterreichischen Protestanten habe74. Auch dass der kaiserliche Botschafter Khevenhüller nach Marias Abreise festhielt, » […] und ob gleichwol die Spanier vil khönnen, so lasst man sie doch bedunckhen, I.Dt. [Maria] khönnen nit weniger, umbwillen sie mit allem dem, darin sie nie bewilligen wollen […] forthkhommen ist […]«75, lässt vermuten, dass Marias Verhandlungen in Spanien nicht ohne Erfolg geblieben waren. Nach ihrer Abreise versuchte die Erzherzogin, die neu geknüpften Verbindungen aufrechtzuerhalten, indem sie nicht nur mit ihrer Tochter korrespondierte, sondern auch mit deren Vertrauten am Madrider Hof sowie mit dem König selbst und mit dem Duque de Lerma76. Gegenüber beiden sprach sie immer wieder die notwendige finanzielle und militärische Unterstützung Spaniens für Erzherzog Ferdinand an, offerierte aber im Gegenzug auch ihre Einflussnahme zugunsten Spaniens beim Kaiser77.
V. Schlussfolgerungen Die angeführten Beispiele, deren Liste sich natürlich erheblich erweitern ließe, illustrieren, dass ihre Geschlechtszugehörigkeit Frauen keineswegs per se von politisch-diplomatischer Aktivität ausschloss. Wir haben gesehen, wie Fürstin und Kammerfrau Netzwerke gestalteten und wie Fürstinnen diplomatische Missionen mit dem Wohl der Familie begründeten. Wir kennen Frauen als Ehestifterinnen und wir sehen sie aktiv in verschiedenen Phasen diplomatischer Verhandlungen von der Anbahnung von Gesprächen über Vermittlung bis zur regelrechten Aushandlung von Verträgen und diplomatischen Missionen. Der Umstand, dass sich weibliche Brokerage im weiten Sinne gut mit zeitgenössischen Normen vereinbaren ließ, war dabei sicher von Bedeutung. Die Sorge um das Wohl der Familie war als weibliches Handlungsfeld mehr als akzeptiert; die Zugehörigkeit zum Herrschaftsstand – die wie im Fall von Ursula Meyerin de facto auch aus Dienstjahren und Loyalität resultieren konnte – kam für viele der Frauen erleichternd hinzu. Selbst der bekannte Lehrsatz Major dignitas est in sexu virili konnte nicht nur im Sinne der Unterordnung von Frauen wirken, sondern vielmehr auch Spielräume bieten. Gerade in Notsituationen78, wenn der Ehemann aus irgendeinem Grund nicht handlungsfähig war bzw. seine Involvierung zu politisch-diplomatischen 74 Ebd., 107. 75 A. Stromenger, Berichte (Anm. 37), 249. 76 K. Keller, Maria von Innerösterreich (Anm. 67), 161–185. Die Reste der Korrespondenz Marias befinden sich im HHStA, Familienkorrespondenz A 40 bis 47. 77 M. Sánchez, Woman’s Influence (Anm. 72), 100. 78 B. Kägler, Münchener Hof (Anm. 15), 474 f.; Regina Schäfer, Handlungsspielräume hochadeliger Regentinnen im Spätmittelalter, in: Fürstin und Fürst. Familienbeziehun-
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Problemen geführt hätte, wie im Falle Mercœur, konnte die Frau im Sinne des Wohls der Familie und im Einverständnis mit dem Gemahl agieren und auch bei rechtserheblichen Akten in Erscheinung treten. Auf dieser Konstruktion beruhte ja nicht zuletzt auch die Regentschaft von Frauen und Erbtöchtern79. Setzten juristische Verbindlichkeit und die notwendige Zustimmung des Herrschaftsträgers, also des Mannes, auch Grenzen, so blieb im Vorfeld solcher Entscheidungen eine weite Grauzone, innerhalb derer adlige Damen und Fürstinnen Handlungsspielräume hatten. Ein Kennzeichen weiblicher Aktivitäten im politisch-diplomatischen Bereich war also das der Substitution – Frauen kamen nicht nur, aber oft genau dann zum Zug, wenn die Möglichkeiten »offizieller« Diplomatie erschöpft waren oder etwa zum Ehrverlust bei einer der beteiligten Seiten geführt hätten. Der sogenannte Damenfriede von Cambrai ist dafür ebenso ein Beispiel wie das Erscheinen der Herzogin von Mercœur. Frauen konnten zudem fallweise deshalb als Vermittlerinnen erfolgreich sein, weil ihrem Handeln gewöhnlich weniger politische und juristische Verbindlichkeit zukam, was gerade in der Anbahnungsphase diplomatischer Kontakte bedeutsam sein konnte. Ein anderer Aspekt, aufgrund dessen Frauen als Vermittlerinnen bessere, zumindest aber andere Voraussetzungen haben konnten als Männer, ist der oben bereits angesprochene Umstand, dass sie zwischen zwei Familien, manchmal sogar zwischen zwei Interessensphären standen. Männer – Väter und Brüder, Ehemänner, Söhne etc. – konnten dies nutzen, um Verhandlungen anzubahnen oder politische Vorteile zu erlangen. Ihre Rolle als Mutter oder Großmutter erlaubte es Frauen wie Kaiserin Maria oder Erzherzogin Maria, im Sinne des Wohls ihrer Kinder in diesen Kontexten durchaus als Beraterin wie Akteurin Akzente zu setzen. Die angezeigten Spielräume, die aus juristischen Normen im Allgemeinen und Normen der höfischen Gesellschaft im Besonderen resultierten, nutzten wohl die meisten Damen dieser Gesellschaft, weil ihre Teilhabe an Netzwerken und das Zusammenwirken von Mann und Frau zum Wohle der Familie zu den Funktionsmechanismen der sozialen Konfiguration Hof ebenso wie zum Bild vom adligen Arbeitspaar gehörten. Ausmaß und Erfolg dieses Handelns hingen jedoch von vielen Faktoren ab, nicht nur von Geschlechterrollen und juristischen Qualitäten. Von den Männern der höfischen Gesellschaft unterschieden sich Frauen in Bezug auf ihr Handeln – nicht nur, aber auch im politisch-diplomatischen Bereich – meines Erachtens zum einen durch die viel größere Relevanz von Begleitumständen, gen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, hrsg. v. Jörg Rogge (Mittelalter-Forschungen, 15), Ostfildern 2004, 203–224. 79 Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700 (Geschichte und Geschlechter, 43), Frankfurt a. M. / New York 2004.
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also individuellen Faktoren oder politischen Konstellationen80. »Harte« Faktoren der Karriereplanung, auf die Männer Zugriff hatten, wie institutionalisierte Ausbildung und Ämterlaufbahn, entfielen für Frauen weitgehend; für die Legitimierung politischen Handelns waren Rollenbilder und das Einverständnis mit männlichen Familienmitgliedern bedeutsam. Nicht zuletzt lässt sich auch beobachten, dass sich Möglichkeiten politischen Handelns für adlige Frauen in weit größerem Maße als bei Männern aus der Nutzung eben solcher Möglichkeiten ergaben. Politisch aktive und interessierte Fürstinnen konnten sich so individuell deutlich größere Handlungsfelder erschließen, als zeitgenössische Normen zunächst nahelegten. Zum anderen sehe ich eine Differenz hinsichtlich des »öffentlichen«, verstanden im Sinne eines sichtbaren, dokumentierten Engagements von Frauen. Mit der allmählichen Bürokratisierung und Professionalisierung von Politik und Verwaltung schrumpften demzufolge die Handlungsmöglichkeiten von Frauen. Zumindest wurden sie aber immer deutlicher in einen informellen Bereich jenseits guter Amtsführung gedrängt81, was den »Mitteln einer Frau« eine immer stärker pejorative Bedeutung verlieh.
80 K. Keller, Mittel einer Frau (Anm. 15), 242 f.; Jörg Rogge, Einleitung, in: Fürstin und Fürst. Familienbeziehungen und Handlungsmöglichkeiten von hochadeligen Frauen im Mittelalter, hrsg. v. Jörg Rogge (Mittelalter-Forschungen, 15), Ostfildern 2004, 9–20, hier: 14. 81 Anuschka Tischer, Eine französische Botschafterin in Polen 1645–1646. Die Gesandtschaftsreise Renée de Guébriants zum Hofe Wladislaws IV., in: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft 12 (2001), 305–321, hier: 321.
Adlige Hugenottinnen, Korrespondenznetzwerke und Diplomatie: Éléonore de Roye (1535–1564) und Louise de Coligny (1555–1620)
Von Jane Couchman Im Dezember 1594 besuchte Louise de Coligny, Witwe Wilhelms »des Schweigers« von Oranien, des Statthalters der Vereinigten Provinzen der Niederlande, den Hof von König Heinrich IV. von Frankreich. In einem Brief an ihren Neffen Wilhelm Ludwig von Nassau, der bei Louises Stiefsohn Moritz von Nassau – seit dem Tod seines Vaters Statthalter der Niederlande – in der Armee der Vereinigten Provinzen der Niederlande diente, schrieb sie damals Folgendes: »Monsieur mein Neffe, […] es ist nötig, dass ich Sie bitte, Monsieur den Fürsten, meinen Stiefsohn [Moritz] […] zu tadeln […], dass er nicht an den König schreibt. […] Sie werden nicht glauben, wie viel es ihm nützen würde, wenn er über Briefe mit dem König in Verbindung stünde. Denn […] Seine Majestät hat mir mehrere Male gesagt: ›Wenn Euer Stiefsohn mir schreiben würde und mich bäte um das, für was er meine Unterstützung braucht, würde ich mehr für ihn tun und dem, was er mir schriebe, mehr Glauben schenken als allem, was ich aus anderen Quellen erfahre.‹«1
Dies ist ein hervorragendes Beispiel für die Rolle von Briefen bei der Aufrechterhaltung von familiären und politischen Netzwerken in der Frühen Neuzeit. Zugleich zeigt es, wie eine Frau sich aktiv an diesen Netzwerken beteiligte. Es lag in Heinrichs Interesse, dass Moritz von Nassau die Spanier aus den Vereinigten Provinzen vertrieb, und es war in Moritz‘ Interesse, dass Heinrich seine Herrschaft in Frankreich konsolidierte. Trotzdem verdankte Moritz seinen bevorzugten Zugang zu Heinrich IV. dem Umstand, dass er Louise de Colignys Stiefsohn war und sie eine Cousine und enge Vertraute des Königs. Um von dieser Beziehung zu profitieren, musste Moritz indessen regelmäßigen und direkten brieflichen Kontakt mit 1 Monsieur Mon Neveu, [...] y faut que je vous prye […] de tancer […] Monsr le prince mon beau fils de ce quil nescrit point au Roy […] vous ne saries croyr combien cela luy serviroit sy par l[et]tres il communiquoit avec le Roy. car […] Sa M[ajes]té ma dit plusieurs foys sy v[o] tre beau fils mescrivoit et me mandoit en quoy il a besoing de mon assistance je ferois plus pour luy et ajouterois plus de foy a ce qui mescriroit qua tout ce que japrens dailleurs […]. Louise de Coligny an Wilhelm Ludwig von Nassau, Paris, 10.12.1594, Louise de Coligny, Lettres de Louise de Coligny, princesse d’Orange, hrsg. v. Jane Couchman, in: Lettres de femmes. Textes inédits et oubliés du XVIe au XVIIIe siècle, hrsg. v. Elizabeth C. Goldsmith / Colette H. Winn, Paris 2005, 89–133, 115 f.; Louise de Coligny, Correspondance, hrsg. v. Paul Marchegay / Léon Marlet, Genf 1970 (zuerst Paris 1887), 118 f.
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dem König unterhalten. Louise de Coligny wusste sehr genau um die Bedeutung von Briefen für die Pflege von Netzwerken zwischen Familien, Freunden und Verbündeten, denn sie hatte selbst sorgfältig ihr eigenes Korrespondenznetzwerk aufgebaut. Die von ihr überlieferten Briefe und jene von Éléonore de Roye, Princesse de Condé, zeigen, wie beide Frauen ihre familiären und brieflichen Netzwerke gebrauchten, um erfolgreich Verhandlungen zu führen, die Frankreich, England, die Vereinigten Provinzen und die deutschen Reichsstände einschlossen. Wie Susan Broomhall festgestellt hat, operierten die Netzwerke von Frauen in dieser Epoche über ganz Europa: »Eine Reihe neuerer Studien, welche die sozialen Aspekte der Politik beleuchten, haben die Wichtigkeit dieser Kulturen von Netzwerken, Geschwätz und Intimität hervorgehoben, sowohl als spezielle Form politischen Handelns von Frauen wie auch als Mittel ihres Zugangs zu den institutionellen Strukturen der politischen Sphäre. […] Familie als Prinzip und Korrespondenz als Praxis waren funktionaler Bestandteil der politischen Strukturen des frühneuzeitlichen Europa sowie wichtige Vehikel, über die Frauen politisch agieren konnten.«2
Im 16. Jahrhundert hätten »die Vielzahl von Typen und Formen der Diplomatie, die Umstände [und] die freundschaftlichen Netzwerke«, die bei Verhandlungen beteiligt waren, für Frauen genügend Raum eröffnet, daran teilzunehmen3. Der Einfluss von Frauen wurde dabei nicht nur »informell« ausgeübt, sondern war in die offiziellen Außenbeziehungen eingebunden; er entsprach den Strategien, die auch männliche Zeitgenossen anwandten. Die Position von Frauen in ihren weitläufigen Netzwerken sowie ihr Auffassungsvermögen und ihre Gewandtheit
2 A series of new studies focussing on social aspects of politics have emphasized the importance of these cultures of networks, gossip and intimacy as both women’s particular form of political action and as a means of access to the institutional structures of the political realm. […] Family as a principle and correspondence as a practice were instrumental to the political structures of early modern Europe, as well as important vehicles through which women could operate politically. Susan Broomhall / Jacqueline von Gent, Letters Make the Family. Nassau Family Correspondence, in: Early Modern Women and Transnational Communities of Letters, hrsg. v. Julie Campbell / Anne Larsen, Aldershot 2009, 25–44, 26 f. 3 […] the myriad types and forms of diplomacy, the circumstances, the friendship networks […] involved […]. Robyn Adams / Rosanna Cox, Diplomacy and Early Modern Culture, Basingstoke 2011, 7. Adams und Cox machen sich auch stark for integrating women into ›high politics‹ diplomatic history aufgrund ihrer Rollen als informal and familial channels of information (ebd., 10). Siehe dazu auch: Sharon Kettering, The Patronage Power of Early Modern French Noblewomen, in: The Historical Journal 32 (1989), 817–841, 818 f., 839, und Geoff Berridge, Diplomacy. Theory and Practice, 2. Aufl., Basingstoke 2002, 1.
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erlaubten es ihnen, aktiv und effektiv sowohl mit weiblichen wie auch mit männlichen Verhandlungspartnern zu kommunizieren4. In unserem Untersuchungszeitraum waren das »Personale« und das »Politische« immer noch unauflöslich miteinander verbunden. Dementsprechend hatten Familienangelegenheiten immer auch politische Auswirkungen. Die Briefe von Frauen dokumentieren die Untrennbarkeit von dem, was später getrennten Sphären zugeordnet werden sollte5. Moderne Unterscheidungen zwischen Außen- und Innenpolitik sind ebenfalls irreführend für diese Epoche6. Dynastische und familiäre Interessen und Netzwerke griffen über »nationale« Grenzen hinaus, deren Bedeutung ohnehin noch relativ gering war. Halbunabhängige Territorien verfolgten ihre eigenen Interessen. Mitglieder der Familie der Bourbonen widersetzten sich den Guise teilweise auch mit der Begründung, dass sie »fremde« Fürsten seien – von Lothringen. Und der Duc de Bouillon konnte sich selbst sowohl als französischer Untertan (aufgrund seiner Besitztümer in Frankreich) wie auch als souveräner Fürst (in Bezug auf das Territorium von Sedan) bezeichnen. Als »Gespräche zwischen abwesenden Freunden« waren Briefe materielle und symbolische Bindeglieder, welche Kontakte mit der Familie und mit Verbündeten schufen und aufrechterhielten, während zwischen persönlichen Treffen Jahre vergehen konnten, ja einige Teilnehmer sich nie zu Gesicht bekamen7. Diese Briefe gewähren mitunter Einblicke in die tatsächliche Verhandlungspraxis, welche Worte ausgetauscht wurden und welche Strategien Anwendung fanden. Wir kennen Éléonore de Royes und Louise de Colignys eigene Worte, denn sie schrieben ihre Briefe fast immer selbst und nahmen nur selten die Dienste ihrer Sekretäre in Anspruch. Wir können ihren gewandten Gebrauch von Formen und Strategien der brieflichen Rhetorik beobachten, wenn sie überzeugen wollten und zugleich bemüht waren, die Würde aller Beteiligten zu wahren8. 4 S. Kettering, Patronage Power (Anm. 3), 839; Simon Hodson, The Power of Female Dynastic Networks. A Brief Study of Louise de Coligny, Princess of Orange, and her Stepdaughters, in: Women’s History Review (Special Issue: Women, Wealth and Power) 16/3 (2007), 335–351. 5 Jane Couchman, ›Give birth quickly and then send us your good husband‹. Informal Political Influence in the Letters of Louise de Coligny, in: Women’s Letters Across Europe. Form and Persuasion, hrsg. v. dens., Aldershot 2005, 163–184. 6 Vgl. R. Adams / R. Cox, Diplomacy and Early Modern Culture (Anm. 3), 7. 7 Jane Couchman / Ann Crabb, Introduction, in: Women’s Letters Across Europe. Form and Persuasion, hrsg. v. dens., Aldershot 2005, 3–18; S. Broomhall / J. Gent, Letters Make the Family (Anm. 2), 27, Anm. 6, 7, 8. 8 Obwohl der hoch formalisierte Stil des mittelalterlichen ars dictaminis in der humanistischen Korrespondenz einem familiäreren Ton Platz machte, folgte die von den Adligen und deren Sekretären gepflegte Briefrhetorik weiterhin sozialen Konventionen, die erst den heutigen Leserinnen und Lesern als sinnleer erscheinen. Für die Zeitgenossen waren solche Briefe ein wesentliches Mittel zur Pflege von Beziehungen. Vgl. dazu Kristen Neuschel, Word of Honor. Noble Culture in Sixteenth-Century France, Ithaca / London
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Obwohl ihr Geschlecht hier im Fokus steht, waren der Stand der beiden Frauen, ihr Zugang zu mächtigen Personen und ihre Konfession ebenfalls entscheidend für den Einfluss, den sie ausüben konnten9. Adlige Frauen spielten insbesondere dann eine Rolle bei Verhandlungen, wenn die Ehre adliger Männer auf dem Spiel stand. In den Situationen, die hier genauer betrachtet werden, glaubten sich der Prince de Condé und der Duc de Bouillon gezwungen, ihre Ehre durch das Streuen kompromissloser Pamphlete, die Pflege von Allianzen und gegebenenfalls auch durch den Griff nach den Waffen zu verteidigen; ihre Furcht vor Ehrverlust machte es ihnen unmöglich, Kompromisse auszuhandeln. Demgegenüber konnte eine vertrauenswürdige Frau im Namen eines solchen Mannes verhandeln, ohne dass dies einen Ehrverlust für sie oder ihn bedeutet hätte. Zeitgenössische Berichte über Éléonore de Royes Verhandlungen mit Katharina von Medici und Louise de Colignys Verhandlungen mit König Heinrich IV. und dem Duc de Bouillon fallen dementsprechend einhellig positiv aus. Wenn ihr Geschlecht erwähnt wird, dann als begünstigender Faktor bei ihrem Erfolg. In ihrer und der vorangegangenen Generation finden sich zahlreiche Beispiele von bewunderten, einflussreichen Frauen, darunter Éléonores Mutter Madeleine de Mailly und ihre Schwägerin Jeanne d’Albert sowie Louises Mutter Charlotte de Laval und ihre Cousine und Freundin Catherine de Bourbon10. Erst viel später verschwanden Éléonores und Louises Beteiligung aus den Darstellungen, und alles, was die beiden Frauen erreicht hatten, wurde männlichen Akteuren zugeschrieben. Diese Verdrängung aus dem historischen Gedächtnis erfolgte, als moderne Forscher anachronistische Maßstäbe an das 16. Jahrhundert anzulegen begannen, indem sie Frauen auf eine private Sphäre reduzierten, der sie die öffentliche Sphäre einer professionalisierten Diplomatie gegenüberstellten11. 1989; Étienne Du Tronchet, Lettres missives et familières, Paris 1580. – Briefe waren anfällig, Gegenstand von Verlust oder Raub zu werden. Die Nachricht konnte zu komplex oder zu vertraulich sein, um dem Papier anvertraut zu werden, und daher nicht detailliert im Brief ausgeführt werden, sondern durch mündliche Kommunikation des Trägers. Überlieferte Briefe, die Details enthalten, sind besonders wertvoll, wie auch Bezüge in Antworten auf mündlich mitgeteilte Nachrichten und Kommentare durch Dritte über die Beteiligung des Briefeschreibers. 9 Corina Bastian, Kammerdame und diplomatische Akteurin. Die Princesse des Ursins am Hof Philipps V. von Spanien (1701–1714), in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität in historischen Wandel, hrsg. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 261–276. 10 Nancy Roelker, The Appeal of Calvinism to French Noblewomen in the Sixteenth Century, in: Journal of Interdisciplinary History 2 (1972), 391–419; dies., The Role of Noblewomen in the French Reformation, in: Archiv für Reformationsgeschichte 63 (1972), 168–195. 11 Keith Hamilton / Richard Langhorne, The Practice of Diplomacy: Its Evolution, Theory and Administration, 2. Aufl., London / New York 2011, 1 f. und passim.
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Anders als im Fall von Éléonore de Roye und Louise de Coligny rief im Fall von Katharina von Medici die Geschlechtszugehörigkeit bereits bei den Zeitgenossen einen grundlegenden Verdacht hervor, besonders natürlich unter ihren Feinden. Für Agrippa d’Aubigné war sie die neue Isebel12. Für Jean Bodin stellte ihre Regentschaft die schlimmste Form von Gynokratie dar: »Man hat vor einigen Jahren aufgrund eines ähnlichen Falls [der Herrschaft durch eine Frau] Tragödien und ein ganzes Königreich in Flammen gesehen.«13 Man misstraute Katharina gleichermaßen aufgrund ihrer Herkunft wie auch wegen der Verquickung der Interessen ihres Sohnes mit jenen des Landes14. Denis Crouzet hingegen, der sich mit denjenigen, die günstiger über sie urteilten, beschäftigt hat, verweist auf eine Äußerung des Humanisten Etienne Pasquier, der Katharina bescheinigte, sie habe »ein großes Herz« (un haut cœur). Crouzet kommt zum Schluss, dass Katharina sich selbst als eine »humanistische Figur« sah, »genährt von einem hellen Traum, der sie dazu führte, zu denken, es sei ihre Mission, dem Königreich von Frankreich Frieden und Ruhe zu bringen, […] von der Vorstellung einer weiblichen Berufung, die eine männliche Welt befrieden könne, die stets durch kriegerischste Brutalität und unmenschlichste Gewalt getrieben werde«15. Es wird zu zeigen sein, dass Éléonore de Roye in ihren Verhandlungen mit der Regentin dieses Ziel und das Selbstgefühl Katharinas in umsichtiger Weise berücksichtigte. In der Tat fanden in unserem Untersuchungszeitraum in Frankreich Veränderungen in der Praxis der Diplomatie statt, doch diese Entwicklungen schlossen die Frauen nicht aus16. In den Jahren 1562 und 1563, als Éléonore de Roye mit Katharina von Medici verhandelte, hatten die dynastischen und religiösen Wirren, die auf den Tod von Heinrich II. und Katharinas Übernahme der Regentschaft für ihren jungen Sohn Karl IX. folgten, die Strukturen von Regierung und Diplomatie stark beeinträchtigt. Dies schuf Raum für das Bestreben Éléonores und Katharinas, direkt zu verhandeln. Im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts, als Lou12 Robert J. Knecht, The Rise and Fall of France, Oxford 2001, 384. 13 On a veu depuis peu d’années des tragédies […] & tout un Royaume en combustion pour cas semblable. Jean Bodin, Les six livres de la république, Genève 1629 (1. Aufl. 1576), Tome VI, Livre V, Ch. V, 1002 f. Das Salische Gesetz schloss Frauen von direkter Herrschaft aus, jedoch nicht von der Regentschaft. 14 Siehe Nicola Mary Sutherland, Princes, Politics and Religion 1547–1589, London, 1984, 237–250 (Kap. Catherine de Médicis the wicked Italian Queen) und John Ernest Neale, The Age of Catherine de Medici, London 1943. 15 […] une figure humaniste nourrie d’un rêve lumineux la portant à croire qu’elle avait pour mission de donner la paix et la sérénité au royaume de France […] l’imaginaire d’une vocation féminine propre à apaiser un monde masculin toujours tenté par la brutalité la plus martiale et par la violence la plus inhumaine. Denis Crouzet, Le Haut Cœur de Catherine de Médicis, Paris 2005, 9. Crouzet ist einer von mehreren Historikern, die Katharinas Herrschaft neu bewertet haben. 16 Garret Mattingly, Renaissance Diplomacy, London 1962 , 177–180, 195, 227.
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ise de Coligny als Vermittlerin zwischen Henrich IV. und dem Duc de Bouillon diente, hatte Heinrich damit begonnen, formalere Strukturen wieder aufzubauen, und Louise arbeitete mit mehreren von Heinrichs Beratern, insbesondere seinem wichtigsten Minister, dem Duc de Sully, zusammen.
I. Éléonore de Royes Verhandlungen mit Katharina von Medici (Frühjahr 1562–Frühjahr 1563) Als Gattin von Louis de Bourbon, Prince de Condé, einem Fürsten von Geblüt, hatte Éléonore de Roye einen prominenten Platz am Hof von Karl IX. und Katharina von Medici inne. Sie verbrachte viel Zeit in Katharinas Gesellschaft und hatte bereits mit der Königin verhandelt, als Condé in die Verschwörung von Amboise verwickelt gewesen war (1560). Im Frühjahr 1562 nahmen die religiösen Spannungen zu, und Katharina de Medici versuchte, das Gleichgewicht zwischen den verfeindeten Gruppen aufrechtzuerhalten, um Krieg zu verhindern und die Interessen ihres Sohnes zu schützen. Aber sowohl die Katholiken unter François de Guise wie auch die Hugenotten unter Louis de Condé versammelten Truppen in Paris, beide Seiten mit der Begründung, sie würden aufrüsten, um Sohn und Mutter vor der jeweils anderen Seite zu schützen. Katharina schrieb an Condé und dankte ihm für die Unterstützung für sie und den König, deutete aber zugleich an, er könne ihnen am besten helfen, wenn er mit seinen Truppen Paris verlasse17. Katharina war sich durchaus bewusst, dass damit Condés Ehre auf dem Spiel stand, wie sie später in einem Brief an die Herzoginwitwe von Lothringen erklärte: »Und als er antwortete, dass seine Ehre leiden würde, wenn er als erster wegginge, schrieb ich mit meiner eigenen Hand zurück […], dass der, welcher zuerst gehorche, jener sein würde, der mehr Ehre hätte.«18 17 Katharina von Medici an den Duc de Condé, März 1562: Mon cousin, […] si ce n’estoit [...] l’asseurance en vous que m’ayderez à conserver ce royauame et le service du Roy mon filz, […] je seroys encores plus faschée mais j’espère que nous remédirons bien à tout avec vostre bon conseil et ayde [...]. Siehe auch die »Erklärungen«, die den Abschriften dieser Briefe in den Papieren von Katharina hinzugefügt wurden: [Explication:] Ceste lestre fut escripte pour ce que la Royne estoyt advertye que le roy de Navarre et ces seigneurs faisoient ung grand amas de gens [...]; et pour ceste cause, elle le pryoit de sortir de Paris […]; tout ce qu’elle faisoyt n’estoyt que pour le faire sortir de Paris. Catherine de Médicis, Lettres de Catherine de Médicis, hrsg. v. Hector de La Ferrière, 11 Bde., Paris, 1880–1943, Bd. 1, 283–284. Sie schrieb auch an Éléonore und drängte diese, ihren Mann zum Rückzug zu bewegen. Vgl. Jane Couchman / Colette H. Winn, Autour d’Éléonore de Roye, princesse de Condé, Paris 2012, 69–71. 18 Je luy [à Condé] escripviz des lettres, où je le mercioys et mectoys peine de le contanter […] néanmoings [...] c’estoit tousjours en luy mandant qu’il sortist de Paris [...] Et me respondant qu’il y iroit de son honneur s’il sortoyt le premier, je luy escripviz de ma main [...] que celluy qui obéyroit le premier seroyt celluy qui auroit plus d’honneur. Katharina von Medici an Chris-
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Condé ging tatsächlich, protestierte aber vor dem Parlement von Paris, dass er verletzt worden sei »in dem Ding dieser Welt, das mir das teuerste und wertvollste ist: meine Ehre«19. Er erließ einen Waffenaufruf an seine hugenottischen Verbündeten und schlug in Orléans sein Lager auf. Im Dezember 1562 standen sich die hugenottischen und katholischen Heere in der Schlacht von Dreux gegenüber. Keine Seite konnte einen entscheidenden Sieg verbuchen. Condé wurde vom Duc de Guise gefangen genommen und der Königin-Regentin ausgehändigt; Anne de Montmorency, einer der Anführer der Katholiken, wurde von den Hugenotten gefangen genommen und unter die Obhut von Éléonore de Roye gestellt, die seine Großnichte war. Éléonore de Roye begann unverzüglich, ihr Netzwerk zu mobilisieren. Sie setzte sich mit Condés wichtigsten Verbündeten, ihren Onkeln Coligny und d’Andelot, in Verbindung. Ihre Mutter Madeleine de Mailly war bereits von den Anführern der Hugenotten nach Straßburg geschickt worden, um mit Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Herzog Christoph von Württemberg und Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz, über Truppenhilfe für die hugenottische Sache zu verhandeln20. Éléonore schrieb an Louise de Montmorency, ihre Großtante und Ehefrau von Anne de Montmorency. Sie versicherte dieser, dass Montmorency hingebungsvolle Pflege erhalte, und bat sie, bei Katharina von Medici zugunsten Condés zu intervenieren21. Anne de Montmorency selbst schickte gleichzeitig einen Unterstützungsbrief an die Regentin22. Éléonore sandte zudem mindestens zwei Briefe an Elisabeth von England, zusammen mit Briefen von Condés Verbündeten, in denen Elisabeth um Inter-
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tina von Dänemark, Herzoginwitwe von Lothringen, 5.12.1562, Catherine de Médicis, Lettres (Anm. 17), 441–442. […] la chose de ce monde que je tien la plus chere et precieuse, qui est mon honneur [...]. Condé an das Parlement von Paris, 20.5.1562, abgedr. in: Louis de Bourbon, prince de Condé, Mémoires de Louis de Bourbon, prince de Condé. Contenant ce qui s’est passé de plus mémorable en France pendant les années 1559 à 1564, hrsg.v. Joseph-François Michaud / Baptistin Poujoulat (Nouvelle collection de mémoires pour servir à l’histoire de France, Première série, 6), Paris 1839, 680 f. Condé fügte bei, dass er trotz seiner profession soit en tels actes, [de] respondre plustost par les armes que par langage […] eine Antwort auf die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen geschrieben habe. Zu Condés Pamphleten siehe: Donald Kelly, The Beginning of Ideology. Consciousness and Society in the French Reformation, Cambridge 1981, 255–297. Zum Konzept der Ehre im Frankreich der Renaissance siehe: William Leon Wiley, The Gentleman of Renaissance France, Westport Conn. 1954, und K. Neuschel, Word of Honor (Anm. 8). Insbesondere mit dem Landgrafen von Hessen, Christoph von Württemberg und Friedrich III. von der Pfalz. Vgl. Éléonore de Roye an Madeleine de Savoie, la Connétable de Montmorency, Orléans, 24.12.1562; J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 73; Jules Delaborde, Éléonore de Roye, princesse de Condé, Paris 1876, 152 f. Vgl. J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 94 f.
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vention zugunsten Condés gebeten wurde, und sie erhielt mindestens einen Brief von der Königin. Éléonores Briefe an Elisabeth lassen eine feine Balance erkennen zwischen der formalen Briefrhetorik, die bei der Kommunikation mit einem regierenden Monarchen anzuwenden war, und einer vertrauteren Rhetorik, die zwischen weiblichen »Cousinen« und speziell zwischen zwei Verteidigerinnen der reformierten Sache angebracht schien. Sie bat zunächst Elisabeth um Unterstützung im gemeinsamen Kampf gegen die »Feinde Gottes und seines Evangeliums«. Sie wechselte dann das Register und bat voller Pathos um Mitgefühl für ihren eigenen »Kummer« angesichts der Gefangenschaft ihres Mannes. Sie wusste, dass Elisabeth ihre Überzeugung teilen würde, dass Condés Gefangennahme dem Willen Gottes entsprach und sein Leiden das Kennzeichen eines Gläubigen war, den Gott zur Prüfung auserwählt hatte. Aber sie erinnerte Elisabeth auch daran, dass Gott es »uns nicht verbietet, auf menschliche Mittel zurückzugreifen, sofern sie auf seiner Gnade gründen«. Folglich drängte sie Elisabeth, dem Gefangenen »sogleich zu Hilfe zu kommen«23. Elisabeths Antwort zeigt wiederum exemplarisch ihre Briefrhetorik wie auch ihre scharfsinnige Außenpolitik. Der Brief scheint vorwiegend aus konventionellen Formeln zu bestehen, war aber nichtsdestotrotz wichtig, um ihre Beziehungen mit den französischen protestantischen Verbündeten aufrechtzuerhalten, ohne sich zu sehr in die Kämpfe auf dem Kontinent hineinziehen zu lassen24. Elisabeth gewährte den Hugenotten finanzielle und moralische Unterstützung. Éléonore schrieb darauf noch einige Briefe an Elisabeths Räte, um eine englische Finan23 Madame, [...] vous verrez [...] le besoin que nous avons de vostre prompte faveur et bon secours, affin d’empescher le cours des desseings des ennemys de Dieu et de son évangile [...]; si ne me puis-je contenir [de (…)] très humblement supplier Vostre Majesté, madame, considérer l’afflicton en laquelle si tristement je me retrouve: voïant aujourdhuy [...] monsieur mon mary, détenu captif, [...] sans la grâce que Dieu me faict de représenter devant mes yeulx que telles visitations viennent de sa main et que c’est le signe dont il remarque les siens, je ne sçay que je ferois. [...] si ne nous a-il pas deffendu que nous n’ayons quelque recours aux moïens humains, pourveu qu’ils soient fondez sur sa grâce. Et pour ceste cause, Madame, prenant pitié d’une princesse tant esplorée [...] promptement secourir celuy qui pour la gloire de nostre Dieu et pour fidèlement conserver l’Estat de son roy, est à présent captif. Éléonore de Roye an Elisabeth von England, 5.1.1563, J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 75 f.; Patrick Forbes, A Full View of the Public Transactions in the Reign of Queen Elisabeth, Bd. 2, London 1740–1741, 265 f.; J. Delaborde, Éléonore de Roye (Anm. 21), 157–159. 24 Elisabeth von England an Éléonore de Roye, 26.1.1563: Madame, comme ne peux que grandement avec vous condouloir l’infortune qui est tombée sur mon cousin le prince de Condé vostre mari [...] je ne doubte rien que Dieu, à la fin, de sa bonté infinie, ne y mectra telle fin que desirez: estant la cause vrayment sienne [...] en vous assurant [...] que je me y tiens tant plus ferme et délibérée à luy donner secours et à ses associez par tous les moyens que je le pourray faire [...]. P. Forbes, Public Transactions (Anm. 23), 315; J. Delaborde, Éléonore de Roye (Anm. 21), 294 f.; J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 95 f.
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zierung der deutschen Söldner zu vereinbaren, welche die hugenottischen Kräfte verstärken sollten25. Sodann verfügen wir über zwölf Briefe von Éléonore de Roye an Katharina von Medici, die im Zeitraum zwischen Condés Gefangenschaft im Dezember 1562 und der Unterzeichnung des Vertrags von Amboise im März 1563 geschrieben wurden26. Sie zeigen Éléonore als glaubwürdige und verlässliche Unterhändlerin. Ihr erster Brief an Katharina ist eine Antwort auf einen früheren von Katharina, der nicht mehr existiert. In diesem hatte die Regentin vorgeschlagen, dass sie und Éléonore versuchen könnten, einen Weg zur Wiederherstellung des Friedens zu finden. Éléonore bezieht sich auch auf eine mündliche Nachricht Katharinas, die ihr der Überbringer des Briefes mitgeteilt hatte. In dieser ging es um Formulierungsvorschläge für den auszuhandelnden Friedensvertrag. Éléonore nahm Katharinas Einladung zu verhandeln mit Worten an, welche das Selbstbild der Königin-Regentin reflektierten: »[…] mein Beruf ist nicht den Waffen gewidmet, meine Konstitution ist so dem Frieden zugeneigt, dass ich mein Leben glücklich nennen würde, wenn ich es erleben könnte, dass mit meiner Hilfe in Frankreich das herbeigeführt würde, was am nötigsten und wichtigsten und zugleich derzeit am wenigsten erkennbar ist […].«27 Éléonore wusste zweifellos, dass Katharina als Reaktion auf Attacken, die ihr Geschlecht in den Mittelpunkt rückten, ihrerseits Vertrauen in die politische Kompetenz von Frauen ausgedrückt hatte. Wie Katharina einem Rat, dem sie vertraute, im April 1563 schrieb, sollten die Leute nicht »dem Regiment einer Frau die Schuld geben« für den Konflikt in Frankreich, sondern »jenem der Männer, wenn sie sich zu Königen machen wollen«. Sie bezog sich damit unter anderem auf die Ambitionen von François de Guise und Louis de Condé. Sie meinte, dass 25 Im britischen PRO finden sich zahlreiche Hinweise auf Briefe von Éléonore, die heute verloren sind. Vgl. CalSPF, Elizabeth, Vol. 6, January–February 1563, London 1869, 102, 126, 148, 176, 317, 379. Zur englischen Finanzierung der deutschen Söldner siehe Anne Marsh-Caldwell, History of the Protestant Reformation in France, Bd. 1, London 1847, 376; J. Delaborde, Éléonore de Roye (Anm. 21), 163 f. 26 Briefe von Éléonore de Roye an Katharina von Medici, 30.12.1562–7.3.1563, BNF, mss. fr., vol. 6607, f. 46, 47, 48, 51, 54, 55, 63, 67, 69, 74, 77, 78, abgedr. in: J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 73–87. Katharinas Briefe an Éléonore sind nicht erhalten. 27 Madame, [...] ne sçaurois assez très humblement vous remercier [...] de la favorable consolation contenue en vostre lettre [...]. Et quant aux moyens de paix par luy [Larivière, der Bote von Katharina von Medici] recentement mis en avant [...] oultre que ma profession n’est point dévouée aux armes, ma complexion est tellement procline à la paix, que j’estimerois le but de ma vie heureuse, si, en mes jours, mon moïen avoit esté capable de faire veoir en France ce qui y est plus requis et nécessaire et aussi peu apparent. Éléonore de Roye an Katharina von Medici, 30.12.1562, J. Couchman / C. Winn, Autour d’Éléonore de Roye (Anm. 17), 73 f.; J. Delaborde, Éléonore de Roye (Anm. 21), 154 f.
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»Frauen einen besseren Willen haben, das Königreich zu erhalten als jene, die es in den Zustand gebracht haben, in dem es sich jetzt befindet«28. Éléonores Briefe lassen deutlich werden, dass sie während der Ausarbeitung der Bedingungen für den Frieden sowohl als Mittelsperson zwischen Katharina und Condé agierte als auch zwischen Condé und den anderen hugenottischen Anführern, was eine heikle Aufgabe darstellte, da diese untereinander nicht immer einig waren29. Sobald man sich auf die Inhalte des Vertrags geeinigt hatte, trafen sich Éléonore und Katharina persönlich, um die letzten Details zu diskutieren und das Treffen der beiden Gefangenen vorzubereiten. Als Condé und Montmorency sich schließlich trafen, waren alle wichtigen Details bereits ausgearbeitet, und sie waren ohne Ehrverlust in der Lage, den Frieden von Amboise zu unterzeichnen. Condé wurde am Hof wieder willkommen geheißen und bekam Privilegien zugesprochen, die einem Prinzen von Geblüt gebührten30. Über die erfolgreiche Zusammenarbeit der Frauen berichtete der zeitgenössische französische Historiker Castelnau Folgendes: »Der Frieden wurde durch eine Unterredung von Éléonore de Roye mit Katharina von Medici in Saint-Mesmin vorbereitet und nach dem Gespräch, das die beiden Gefangenen Louis de Bourbon und der Connétable von Montmorency auf der Île aux Bœufs in der Nähe der Stadt Orléans geführt hatten, definitiv geschlossen.«31 Die komplexen Verhandlungen, die durch die beiden Frauen geführt wurden, verschwanden dann aber in den meisten Darstellungen des 20. Jahrhunderts. Zum Beispiel schrieb John Ernest Neale: »Alles, was sie [Katharina] am Ende zu tun hatte, war, die beiden 28 Si ceux qui on commencé la guerre eussent eu patience de nous laisser achever ce que avions si bien commencé à Saint-Germain [l’Édit de Janvier] [...] si les choses eussent été plus mal qu’elles ne sont après cette guerre, l’on eut pu blâmer le gouvernement d’une femme; mais honnêtement l’on ne doit blâmer ni calomnier que celui des hommes, quand ils veulent faire des rois; et dorénavant, si l’on ne m’empêche encore, j’espère que l’on connaîtra que les femmes ont meilleure volonté de conserver le royaume que ceux qui l’ont mis en l’état en quoi il est. Katharina von Medici an Artus de Cossé, Seigneur de Gonnor, 19.4.1563, Catherine de Médicis, Lettres (Anm. 17), Bd. 2, 17. Siehe Arlette Jouanna, La France au XVIe siècle 1483–1598, Paris 1996, 416 f. 29 Robert J. Knecht, The French Civil Wars, Harlow 2000, 111. 30 Wie alle Friedensverträge während der französischen Religionskriege stellte dieser keine der beiden Seiten besonders zufrieden, doch der Frieden dauerte immerhin bis 1567. Vgl. dazu die nützliche Chronologie in Mack P. Holt, The French Wars of Religion 1562– 1629, Cambridge, 2. Aufl. 2005, xi–xiii. 31 La paix fut préparée par une entrevue d’Éléonore de Roye avec Catherine de Médicis à Saint-Mesmin, et définitivement conclue après l’entretien que les deux prisonniers Louis de Bourbon et le connétable de Montmorency eurent dans l’Ile aux Boeufs, près la ville d’Orléans. Michel de Castelnau, Les Mémoires […]: augmentez de plusieurs commentaires […] par J. Le Laboureur, 3 Bde., Bruxelles 1731, hier: Bd. 1, 148. Zur Englischen Reaktion siehe CalSPF (Anm. 25), vol. 6, 1563: #385: Smith an die Königin, 2.3.; #392: Warwick an die Königin, 3.3; #395: Smith an Warwick, 3.3; #424: Report on Occurrences in France, 8.3.
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Gefangenen, Montmorency und Condé, die Bedingungen verhandeln zu lassen, und als Gefangene waren sie gute Unterhändler.«32
II. Louise de Colignys Verhandlungen (1590–1620) Das Korrespondenznetzwerk von Louise de Coligny, Fürstin von Oranien und Witwe Wilhelms des Schweigers, war umfangreicher als jenes von Éléonore de Roye, vor allem, weil Louise ein viel höheres Alter erreichte und deshalb mehr Erfahrung sammeln und Beziehungen knüpfen konnte. Zudem war ihr Familienverband weiter verstreut und umfasste mehr Personen33. Vom Zeitpunkt der Ermordung ihres Ehemanns im Juli 1584 bis zu ihrem Tod 1620 nahm sie aktiv an diplomatischen Verhandlungen zwischen den Vereinigten Provinzen, Frankreich und England sowie der Pfalz und anderen deutschen Reichsständen teil. Sie war die Tochter von Gaspard II. de Coligny und Charlotte de Laval, wodurch sie viele prominente französische Adlige zu ihren Verwandten zählen konnte, einschließlich Heinrich IV. Sie war die Stiefmutter von Wilhelms elf Kindern aus erster, zweiter und dritter Ehe und Mutter von Wilhelms zwölftem Kind, FriedrichHeinrich. Louise erfuhr von ihren Stiefkindern Respekt und Zuneigung und arrangierte für viele von ihnen vorteilhafte Ehen mit mächtigen Akteuren in den deutschen protestantischen Ständen, in den Niederlanden und in Frankreich. Aus ihren erhaltenen Briefen können wir ersehen, wie gewissenhaft sie den Kontakt mit ihrer Familie und ihren Freunden aufrechterhielt34. Um den Einfluss von Lou32 All she [Catherine] had to do to end the war was to let the two captives, Montmorency and Condé, negotiate the terms, and being captives, they were good negotiators. J. E. Neale, Age of Catherine de Médicis (Anm. 14), 65 f. 33 Für eine breitere Untersuchung zur Frage, wie das Geschlecht die Briefdiskurse der Mitglieder dieses Netzwerkes beeinflusste, siehe S. Broomhall / J. Gent, Letters make the Family (Anm. 2), 25–44, und Louise Julienne / Élisabeth de Nassau / Amélie de Nassau, Lettres, hrsg. v. Susan Broomhall, in: Lettres de femmes. Textes inédits et oubliés du XVIe au XVIIIe siècle, hrsg. v. Elizabeth C. Goldsmith / Colette H. Winn, Paris 2005, 135–177. 34 Während der 1580er-Jahre, als die englische Intervention in den Vereinigten Provinzen auf ihrem Höhepunkt war, baute Louise Beziehungen zu den Vertretern von Elisabeth I. in den Niederlanden auf und tauschte Briefe mit Leicester, Sidney und Davidson sowie der Königin selbst aus. Während Louises Biograph des 19. Jahrhunderts, Jules Delaborde, sie als brennende Unterstützerin Heinrichs IV. und Frankreichs zeichnet, hat Simon Hodson darauf hingewiesen, dass ihre Sicht internationaler war und sie, oft erfolgreich, versuchte, die verschiedenen Interessen von Frankreich, den Vereinigten Provinzen und den protestantischen deutschen Reichsständen zusammenzubringen. Jules Delaborde, Louise de Coligny, princesse d’Orange. 2 Bde. in einem, 2. Aufl., Genève 1970; S. Hodson, The Power of Female Dynastic Networks (Anm. 4), insbes. 335–337, 341.
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ise de Colignys Korrespondenznetzwerk abzuschätzen, werden wir ihre Korrespondenz mit Henri de la Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne und später Duc de Bouillon, zwischen 1590 und 1606 genauer in den Blick nehmen. Louise de Colignys früheste Briefe an ihren Cousin, den Vicomte de Turenne, stammen aus der Zeit einer Reise, die er 1590 als Gesandter Heinrichs IV. nach England und zu den deutschen protestantischen Fürsten machte, um Unterstützung für Heinrichs Feldzug zur Konsolidierung seiner Herrschaft in Frankreich zu gewinnen. Louise war in den Niederlanden nach der Ermordung Wilhelms von Oranien isoliert und deshalb daran interessiert, durch einen Besuch Turennes in den Vereinigten Provinzen ihre Verbindungen zum französischen Hof wiederherzustellen. In ihrem ersten überlieferten Brief an Turenne war es Louises Strategie, ihn davon zu überzeugen, wie wertvoll ein Besuch in den Vereinigten Provinzen und bei Moritz von Nassau wäre, um die holländische Unterstützung für Henrich IV. zu stärken35. Turenne stattete ihr den Besuch ab. Von da an diente ihm Louise während seiner Reisen als zentrale Mittelsperson bei der Korrespondenz mit dem französischen Hof, Moritz von Nassau und anderen Schlüsselfiguren. Sie empfing die Korrespondenz, las und interpretierte sie und leitete die Briefe und weitere ihr vorliegende Informationen an die Beteiligten weiter. Unter anderem erreichte Louise dadurch, dass Moritz und die Generalstaaten der Vereinigten Provinzen Heinrich an einem entscheidenden Punkt seiner Kampagne mit sechs Schiffen unterstützten. Als Louise de Coligny 1594 Frankreich besuchte, war es Moritz von Nassau, der die Unterstützung Heinrichs IV. brauchte. Die Heirat, die Louise zwischen Turenne, nun Duc de Bouillon, und ihrer Stieftochter Elisabeth arrangierte, war ein wichtiger Aspekt dieser Allianz. Louise schrieb Moritz in Bouillons Auftrag, um ihn dazu zu bewegen, der Heirat zuzustimmen: »Monsieur de Bouillon ist sehr erpicht darauf, am Feldzug teilzunehmen, und […] er wünscht sehnlichst, mit Euch und den Herren der Generalstaaten so gute Beziehungen zu pflegen, dass Ihr unzertrennlich werdet, und um Euch einen sicheren Beweis dafür zu geben, hat er mir seinen Wunsch mitgeteilt, mit Euch in Allianz zu treten, indem er Eure Schwester [Elisabeth] heiratet.«36 35 Vgl. Louise de Coligny an den Vicomte de Turenne, Middleburg, 12.11.1590: [...] je viens a ceste heure a lutilité que v[o]tre passage par icy ajoutera au service du roy cest sans doute quil sera très grand car sy sa M[ajes]té a envye dentretenir ces gens icy et den tirer du cecours il ne peult le fayre si bien par personne du monde que par vous v[o]tre reputation estant telle icy que je scay quils feront pour vous ce quils ne feront pour nul autre. L. de Coligny, Lettres de Louise de Coligny (Anm. 1), 106–109; L. de Coligny, Correspondance (Anm. 1), 59–61. 36 Croyes que Monsr de buillon a bien envye destre en campagne et quil desire infiniment de servir sy bien avec vous et Messrs les etas qua jamais vous soyes inseparables et pour vous randre certayne preuve de cela il ma fait entendre le desir quil a de prendre alyance avec vous espousant v[o]tre soeur Ysabelle [pour ›Elizabeth‹] [...].Louise de Coligny an Moritz von Nas-
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Briefe an Moritz von Elisabeth von Nassau und dem Duc de Bouillon selbst folgten, und Elisabeths Schwester, die pfälzische Kurfürstin, schrieb ebenfalls, um die Bedeutung der Ehe für die Pfalz herauszustreichen37. Die Heirat fand am 16. April 1595 auf Bouillons unabhängigem Territorium von Sedan statt, und Moritz gewann einen starken militärischen Verbündeten. Louise de Coligny und ihr Korrespondenznetzwerk trugen auch entscheidend zur Lösung der Krise bei, zu der es zwischen Heinrich IV. und dem Duc de Bouillon in den Jahren 1602 bis 1606 kam38. Bouillon war der stärkste und widerständigste jener hugenottischen Adligen, die Heinrich wegen dessen Konversion zum Katholizismus ihre Unterstützung entzogen39. Bouillons Revolte war eine reale Bedrohung aufgrund seines Einflusses und seines großen Territorialbesitzes, insbesondere des Fürstentums Sedan, über welches Bouillon souveräne Herrschaft beanspruchte. 1601, als Bouillon in eine durch den Duc de Biron angezettelte Verschwörung verwickelt war, schrieb ihm Heinrich IV. einen Brief, in dem er zwar betonte, dass er Bouillon nicht der Komplizenschaft verdächtige, mit dem er ihn aber dennoch an den Hof zitierte: »Ich will und ich befehle Euch mit diesem Brief, zu mir an diesen Ort zu kommen, sobald Ihr ihn erhalten habt, um Euch zu erklären.«40 Bouillon erschien nicht bei Hof. Er erklärte, dass er dem König gegenüber loyal bleibe, ging aber zuerst nach Heidelberg zu seinem Schwager, dem Pfälzischen Kurfürsten, und dann nach Sedan. Auch wenn dieses Verhalten nicht allein als Ausdruck einer Politik der Verteidigung der männlichen Ehre zu begreifen ist, war Ehre dabei doch ein wichtiger Faktor41. Heinrichs Brief und Bouillons Flucht
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sau, Paris, 10.9.1594; L. de Coligny, Correspondance (Anm. 1) 112 f. Bouillons Verbindung mit Moritz von Nassau blieb eng; mehrere von Louises männlichen französischen Verwandten nahmen an Moritz’ Kampf gegen die Spanier in den Vereinigten Provinzen teil. S. Broomhall / J. Gent, Letters make the family (Anm. 2), 39 f. Simon Hodson, Politics of the Frontier. Henri IV, the Maréchal-Duc De Bouillon and the Sovereignty of Sedan, French History 19/4 (2005), 413–439. Sein Schwager, der Duc de la Trémoille, der Elisabeths Schwester Charlotte-Brabantine von Nassau heiratete, war ein anderer. Bouillon missbilligte besonders, dass Heinrich seine früheren katholischen Feinde in seine Entourage aufnahm. Vgl. die Einträge: Pierre de l’Estoile, Journal de l’Estoile pour le Règne de Henri IV, hrsg. v. Louis-Raymond Lefèvre, Bd. 1 und Bd. 2, Paris 1948, Bd. 1, 427 (1594), 431 (1594), Bd. 2, 88–9 (1602), die aufschlussreiche Details über Bouillons erfolglose Versuche, zum Maréchal de France erhoben zu werden, geben. Er wurde aufgrund seiner Religion abgelehnt, was eine bittere Enttäuschung war für einen langjährigen protestantischen Gefolgsmann. Je veulx et vous ordonne par la présente, que vous me veniés trouver en ce lieu, soudain que vous l’aurez reçeu, pour vous justifier. J. Delaborde, Louise de Coligny (Anm. 34), Bd. 2, 46. S. Hodson, The Power of Female Dynastic Networks (Anm. 4), 341 f.; Edmund H. Dickerman / Anita M. Walker, The Politics of Honour. Henri IV and the Duke of Bouillon, 1602–1606, in: French History 14 (2000), 383–407.
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schädigten die Ehre beider Männer schwer, jene Bouillons durch den kurz gefassten Befehl, am Hof zu erscheinen, jene Heinrichs durch Bouillons Weigerung, dies zu tun. Nur zwei Briefe, in denen Louise Bouillon gegenüber auf diese Situation Bezug nimmt, existieren noch, mehrere andere werden aber in Berichten über die Verhandlungen erwähnt42. Die beiden überlieferten Schreiben stammen aus der Frühzeit des Konflikts. Der erste Brief nimmt indirekt auf die für Bouillon verfügbare Unterstützung Bezug43. Mittels eines subtilen Spiels mit dem Wort »Trost« verbindet Louise ihre Hilfezusage mit der Präsenz ihrer Stieftochter Elisabeth an der Seite Bouillons als dessen Gattin: »Es wäre ein großer Trost für mich, Monsieur, wenn ich Ihnen auf irgendeine Weise dienlich sein könnte; aber da ich nichts Besseres vermag, verlege ich mich auf das Hoffen und Beten, damit Sie vom Himmel empfangen, was vorteilhaft für Sie ist.«44 Im zweiten Brief reagiert sie offenbar auf ein Missverständnis; Louise versicherte Bouillon, dass seine Nassauer Verbündeten und der Botschafter der Vereinigten Provinzen am französischen Hof fortfahren würden, ihn zu unterstützen45. Diese Briefe dokumentieren Louises Unterstützung für Bouillon und lassen Verständnis für seine manchmal impulsive Persönlichkeit erkennen. Eine Reihe von Briefen aus den Jahren 1602 bis 1606 bezeugt zudem ihre Beteiligung und die ihrer Familie an diesen Verhandlungen. Louises Stieftöchter, die Kurfürstin von der Pfalz und die Gräfin von Hainau, besuchten Sedan, um die Solidarität ihrer Familien und das Interesse der Vereinigten Provinzen und des Heiligen Römischen Reiches am Ausgang des Konflikts anzuzeigen. Im Dezember 1605 berichtete Élisabeth de Bouillon in einem Brief an ihre Schwester Charlotte-Brabantine, 42 Zum Beispiel in Sullys Memoiren. Siehe Anm. 49. 43 Louise bezog sich auf einen an Justin von Nassau abzusendenden Plan, sich Bouillon anzuschließen, und berichtete über die militärische Lage in den Vereinigten Provinzen und die Aktivitäten von Moritz von Nassau dort. 44 Par ce que l’on m’écrit de Paris je tiens que ma fille Madame de Bouillon est à cette heure ou à Sedan ou près de vous; de quoi je me réjouis bien fort; car je sais quelle consolation ce vous sera à l’un et l’autre d’être ensemble. Ce m’en seroit une [consolation] infinie, Monsieur, si je pouvois en quelque chose être utile à votre service; mais ne pouvant mieux j’ai recours aux voeux et aux prières pour impétrer du ciel ce qui vous est expédient [...].Louise de Coligny an den Duc de Bouillon, Den Haag, 27.7.1603, L. de Coligny, Correspondance (Anm. 1), 211, siehe auch 214 f.; J. Delaborde, Louise de Coligny (Anm. 34), Bd. 2, 64. 45 Louise de Coligny an den Duc de Bouillon, Den Haag, 1.9.1603: […] le sieur d’Aersens [...] n’a jamais tenu autre langage au roy [Heinrich IV], lorsque sa Majesté luy a parlé de vos affaires, que celuy de tous vos amis, et mesme M. l’electeur a fait tenir au roy par ses ambassadeurs, qui est que, si les accusations dont on vous charge estoient bien vérifiés, […] ces messieurs seroient les premiers à vous condamner; mais qu’il seroit bien difficile de leur persuader que vous, en qui ils avoient reconnu tant de zèle, tant d’affection, tant de fidélité au service de sa Majesté, puissiés estre coupable de tels crimes. […] Croyez, Monsieur, que voila la vérité pure.: L. de Coligny, Correspondance (Anm. 1), 214 f.
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Duchesse de La Trémoille, dass die Abbitte des Duc und der Pardon des Königs von ihrer Stiefmutter, die »all dies gelenkt« habe46, ausgehandelt worden sei. Louises Rolle wird bestätigt in einem Brief an Heinrichs Ratgeber Philippe DuplessisMornay von Odet de la Noue: »Über drei Monate haben wir mit ihm unter Vermittlung der Fürstin von Oranien verhandelt, und wir waren soweit gekommen, dass der König gegen das Reuebekenntnis des Herzogs alles vergeben und ihn wieder in seine Güter und Ehren einsetzen würde.«47 Als die Verhandlungen im Februar 1606 erneut zusammenbrachen, schrieb Bouillon an Louise: »Ich zähle auf Sie, Madame, dass Sie eine Klärung herbeizuführen suchen und dass Sie dem König zu verstehen geben, welche Vor- und Nachteile mein Ruin ihm bringen würde.«48 Heinrich IV. und sein Erster Minister, der Duc de Sully, hatten das gleiche Vertrauen in Louise. In seinen Mémoires schreibt Sully, dass Heinrich bereit war, Sedan anzugreifen, dann aber einwilligte, ein letztes Angebot zu machen, welches mit Louises Hilfe übermittelt werden sollte: »Ich ging am nächsten Tag zur Fürstin von Oranien und sprach mit ihr die Art und Weise ab, in der wir beide dem Duc de Bouillon schreiben würden. Wir kamen überein, Du Maurier zu ihm zu schicken, und wir verständigten uns über die Form der Instruktionen, die ihm mitgegeben werden sollten.«49 Weitere Komplikationen folgten, und Ende März 1606 führte Heinrich seine Armee nach Sedan, doch fand dort keine Schlacht statt. Die Details von Bouillons Kapitulation und Heinrichs Antwort waren im Voraus festgelegt worden, zu großen Teilen durch Louise de Colignys Vermittlung. Heinrich schrieb an Louise unmittelbar nach Bouillons Unterwerfung: »Meine Cousine, ich werde sagen, wie es Caesar tat: ›Veni, vidi, vici.‹ […] Monseigneur de Bouillon hat versprochen, 46 Madame ma belle-mere, qui a conduit tout cecy. J. Delaborde, Louise de Coligny (Anm. 34), Bd. 2, 94. 47 Depuis trois mois on en a traité par l’entremise de Madame la Princesse d’Orange, et en estoiton venu à tel point que, moyennant la confession du duc, le roy pardonnait tout et le remettait en ses biens et honneurs. Odet de la Noue an Philippe Duplessis Mornay, 11.2.1606, J. Delaborde, Louise de Coligny, (Anm. 34), Bd. 2, 95 f. 48 […] a vous, Madame, s’il vous plaist de y cercher ces éclaircissements, et à faire balancer au roy le bien et le mal, que la survenance de ma ruyne luy peut aporter […]. Duc de Bouillon an Louise de Coligny, bei Sedan, 27.2.1606. BNF mss. Collection Dupuy, vol. 194, f. 63. J. Delaborde, Louise de Coligny (Anm. 34), Bd. 2, 99 f. Heinrich hatte sich widersetzt, Bouillons Souveränität in Sedan anzuerkennen, was zentral war für Bouillons Position. Am selben Tag schrieb auch Élisabeth de Bouillon an Louise und an ihre Schwester Charlotte-Brabantine von Nassau, um sie um Unterstützung zu bitten. 49 J’allai le lendemain [le premier mars] trouver la Princesse d’Orange, avec laquelle je concertai la maniere dont elle et moi nous écririons au Duc de Bouillon; la députation que nous lui ferions de Du Maurier, et la forme de l’instruction, dont nous chargerions celui-ci. Maximilien de Béthune, duc de Sully, Mémoires, Bd. 6, Paris (Bastien), 1788, 253.
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mir gut und treu zu dienen, und ich, alles Vergangene zu vergessen. Nachdem dies getan ist, hoffe ich, Sie bald zu sehen.«50 Die Kapitulation des Duc de Bouillon wird als Höhepunkt von Heinrichs Befriedung Frankreichs nach den Religionskriegen gesehen51. Heinrichs Triumph war über ein Netzwerk von Familienmitgliedern und Amtsträgern in Frankreich, den Niederlanden und der Pfalz ausgehandelt worden, in dessen Zentrum Louise de Coligny stand. Wie im Fall von Éléonore de Roye wurde auch Louises Beteiligung und jene ihrer Stieftöchter und ihres Netzwerks von späteren Historikern getilgt. So schrieb zum Beispiel Robert J. Knecht: »Im März 1606 marschierte Heinrich mit einem Artilleriezug nach Sedan. Er erwartete eine Belagerung, doch Bouillon ergab sich ohne Kampf […] gegen ein Pardon und die Bestätigung seiner Ämter.«52 Simon Hodson hat dagegen überzeugend die Rolle von Louise und ihrem Netzwerk wieder bestätigt: »Louise de Coligny, Prinzessin von Oranien, spielte eine entscheidende Rolle in der Beilegung des Konflikts, und das Netzwerk, das sie durch die Heiraten ihrer zahlreichen Stieftöchter zu erschaffen half, war einer der wichtigsten Faktoren von Bouillons Status und politischer Identität.«53
III. Schlussfolgerungen Aufgrund der ausgeprägten Mobilität der Akteure kam in der Frühen Neuzeit Mittelspersonen wie Éléonore de Roye und Louise de Coligny in Korrespondenznetzwerken eine Schlüsselrolle zu. Sie beschränkten sich nicht darauf, als »Poststellen« Briefe weiterzuleiten, sondern beteiligten sich aktiv an der Aufbereitung und Interpretation von Informationen, vermittelten neue Beziehungen und be50 Ma cousine, je dirai comme fit César: ›Veni, vidi, vici‹ [...] M. de Bouillon m’a promis de me bien et fidèlement servir, et moi d’oublier tout le passé Cela fait, j’espère vous voir bientôt. Heinrich IV. an Louise de Coligny, bei Sedan, 2.4.1606, Henri IV roi de France, Recueil des lettres missives, hrsg. v. M. Berger de Xivrey, Bd.6, Paris 1843–1876, 596 f. Xivrey erklärt in einer kurzen Anmerkung: Cette princesse […] avait contribué à la réconciliation du duc de Bouillon. 51 David Buisseret, Henri IV, London, 1944, 94 ff. und 141 ff.; Mark Greengrass, France in the Age of Henri IV, London / New York 1995, 96, 101, 231. 52 In March 1606, Henri marched on Sedan with an artillery train. He anticipated a siege, but Bouillon surrendered without a fight […] in return for a pardon and confirmation of his offices. R. Knecht, The Rise and Fall of France (Anm. 12), 487; E. H. Dickerman / A. M. Walker, Politics of Honour (Anm. 41), erwähnen zwar in Anm. 148 und 152, dass Louise sich im März 1506 beim König zugunsten von Bouillon verwandte und zitieren Heinrichs Brief an sie, geben aber ansonsten keine anderen Informationen über ihre Beteiligung. 53 Louise de Coligny, Princess of Orange played a crucial role in resolving the confrontation, and the network she helped create through the marriages of her many stepdaughters was one of the most important factors in Bouillon’s status and political identity. S. Hodson, The Politics of the Frontier (Anm. 38), 415.
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einflussten Entscheide, indem sie ihr eigenes Ansehen und das daraus resultierende Vertrauenskapital in die Waagschale warfen. Dementsprechend waren die Korrespondenznetzwerke von Éléonore de Roye und Louise de Coligny zentral für die in diesem Beitrag untersuchten und für weitere Verhandlungen mit Bezug auf die inneren Herrschaftsverhältnisse in Frankreich und die Beziehungen zwischen Frankreich, den Vereinigten Provinzen und den protestantischen deutschen Reichsständen. Frauen und Männer bildeten solche Netzwerke; die genannten Frauen taten es mit besonderem Geschick und verfügten über großen Einfluss. Das Geschlecht war in beiden Fällen ein wichtiger, aber nicht der einzige Faktor. Katharina von Medici zeigte sich besonders zufrieden darüber, mit Éléonore zu verhandeln, weil sie, verärgert über Attacken gegen ihre Herrschaft als Frau, beanspruchte, dass Frauen eher als Männer dazu in der Lage seien, in Frankreich den Frieden wiederherzustellen. Éléonore war bestrebt, diese Überzeugung zu bestätigen. Sie war in einer starken Position, mit der Königin-Regentin zu verhandeln, nicht nur, weil Condé Gefangener war, sondern auch, weil er seine Ehre durch die Handlungen der Königin angegriffen sah und deshalb keinen Kompromiss aushandeln konnte, während sie als Frau dies tun konnte. Éléonore de Royes hoher Rang, ihr Zugang zur Königin-Regentin, die Tatsache, dass sie Condés Frau war, und ihre engen familiären Beziehungen mit den Anführern der Hugenotten und mit Anne de Montmorency waren weitere wichtige Faktoren für ihre Glaubwürdigkeit als Unterhändlerin. Ihre eigene Intelligenz war ebenfalls entscheidend, wie ihr virtuoser Gebrauch der Briefrhetorik zeigt, und ebenso ihre Reputation als tugendhafte Frau, die ihren Widerhall in den Anerkennungen durch ihre Zeitgenossen findet. Auch Louise de Coligny agierte als Frau, genauer gesagt als Witwe, was ihr eine größere Handlungsfreiheit ermöglichte als sie sie als Ehefrau gehabt hätte. Ihr Rang und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen waren ebenfalls wichtig: Sie war die Witwe von Wilhelm von Oranien und Tochter von Gaspard II. de Coligny. Als Stiefmutter von Wilhelms Kindern arrangierte Louise Heiraten für ihre Stieftöchter und schuf damit breit gespannte Netzwerke, auf die sie später zählen konnte. Louise hielt ihre in der Kindheit geknüpfte Freundschaft mit ihrem Cousin Heinrich von Navarra, dem späteren Heinrich IV., aufrecht. In ihrem Fall wie in jenem von Éléonore war männliche Ehre ein Schlüsselfaktor. Louise erleichterte Verhandlungen zwischen zwei Männern, Heinrich IV. und dem Duc de Bouillon, von denen beide der Ansicht waren, dass ihre Ehre durch die Haltung und die Handlungen des Anderen gemindert worden sei. Auch Louise wurde von ihren Zeitgenossen bewundert und von ihnen aufgrund ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeit in Verhandlungen aufgesucht. Die zwei Situationen unterscheiden sich dennoch in Bezug auf die Strukturen von Regierung und Diplomatie, vor deren Hintergrund sie sich abspielten. Die Unordnung der ersten Jahre der französischen Religionskriege wie auch Katha-
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rina von Medicis Optimismus über Frauen als Friedensstifterinnen ließen Raum für Éléonore de Roye, direkt mit ihr zu verhandeln. In der Zeit, als Louise de Coligny als Vermittlerin zwischen Heinrich IV. und dem Duc de Bouillon agierte, hatte Heinrich damit begonnen, stärker formalisierte politische und diplomatische Strukturen wiederaufzubauen. Louises Rolle war immer noch entscheidend, aber sie arbeitete in stärkerem Maße mit hohen königlichen Amtsträgern und dem König selbst zusammen und bediente sich ihres eigenen ausgedehnten Netzwerks. Übersetzung aus dem Englischen: Nadir Weber
Weibliche Handlungsräume in transdynastischen Beziehungen: Kurfürstin Henriette Adelaïde von Savoyen und die bayerischen Außenbeziehungen
Von Julia Schwarz Die bayerische Kurfürstin Henriette Adelaïde von Savoyen (1636–1676) spielte eine besondere Rolle in den Außenbeziehungen Bayerns. Sie war die Tochter von Viktor Amadeus I. (1587–1637), Herzog von Savoyen, und Christine von Frankreich (1606–1663), Tochter Heinrichs IV. Die nahe Blutsverwandtschaft zum französischen Königshaus und der illustre Stammbaum des Hauses Savoyen-Piemont, welches mit den vornehmsten Fürstenhäusern Europas verwandt war, prägten ihr Selbstverständnis. Auf ihre weiblichen Vorfahren, darunter Königinnen und bedeutende Prinzessinnen, war sie äußerst stolz. Ihre Mutter hatte sie ursprünglich mit Ludwig XIV. vermählen wollen, sodass Henriette Adelaïde mit diesem Anspruch erzogen worden war und der französischen Krone gegenüber zeitlebens eine besondere Verbundenheit fühlte. Für Henriette Adelaïde, die am savoyischen Hof die Regentschaft ihrer Mutter miterlebt hatte, war es eine Selbstverständlichkeit, dass Frauen in den verschiedenen Bereichen höfischer Politik selbständig agierten. Mit ihrer französisch-italienischen Prägung und einem starken Selbstbewusstsein wurde sie mit sechzehn Jahren an den bayerischen Hof geschickt1. Vor der Abreise nach München erhielt Henriette Adelaïde von ihrer Mutter eine Instruktion, in welcher diese ihre eigenen Erfahrungen als Regentin einfließen ließ2. Christine war 1620 mit einem französischen Gefolge an den Turiner 1 Vgl. Roswitha von Bary, Henriette Adelaide. Kurfürstin von Bayern, München 1980. 2 Gleichzeitig hatte der bayerische Obersthofmeister Graf Maximilian Kurtz, welcher Henriette Adelaïde in Turin abholte und für die Brautreise verantwortlich war, von der bayerischen Kurfürstinwitwe Maria Anna den Auftrag erhalten, Herzogin Christine in einer geheimen Audienz um eine Instruktion für ihre Tochter zu bitten. Ihre eigenen Vorstellungen über deren Inhalt ließ sie Madama Reale mitteilen. Da die Instruktion für Henriette Adelaïde nicht datiert ist, lässt sich leider nicht rekonstruieren, ob die Wünsche Maria Annas Einfluss auf deren Inhalt hatten bzw. ob sie sogar für die Entstehung derselben verantwortlich waren. Merkel datiert die Instruktion auf Ende März 1651 und betont, dass sie nicht nur für Henriette Adelaïde gedacht war, sondern auch für deren Gefolge und vor allem ihren Beichtvater Montonaro, vgl. Carlo Merkel, Adelaide di Savoia. Elletrice di Baviera. Contributo alla storia civile e politica del Milleseicento, Florenz 1892, 7. Graf Kurtz sollte gemäß seiner Instruktion darum bitten »daß Sie(,) Vnser Fraw Tochter(,) vor Jrer abreiß nicht allein den Mütterlichen Seegen, empfange, sondern (man Sie)
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Hof gekommen und hatte 1637 die Regentschaft für ihren minderjährigen Sohn übernommen. Sie versuchte stets die Balance zwischen Unabhängigkeit von und Zusammenarbeit mit ihrem französischen Heimathof zu halten, wobei ihre Loyalität in erster Linie dem Haus Savoyen-Piemont galt. Es gelang ihr, ihre Position am Hof über die Volljährigkeit ihres Sohnes hinaus zu halten. Aufgrund ihrer guten Integration in die höfischen Strukturen und einem Netzwerk aus französischen, piemontesischen und savoyischen Adligen konnte sie den Turiner Hof über Jahrzehnte dominieren3. auch mit solcher Instruction vnd anweisung abfertige, die zu Irem aignen, der Herzogin Adelheid: Vnsern vnd der Vnserigen bestendigen contento gedeyen möge, vnd bestunde solche absonderlich auf einer kindlichen affection gegen Vnß, vnd bestendiger Lieb gegen Vnsern Sohn, auch einem gebürenden respect vnd gehorsamb, welchen Sie Vnß in allem tragen vnd erweisen solle, daß Sie die Jenige delicatezze vnd manier, deren Sie an dem Savoyschen Hof gewohnt, dismittiren, vnd sich in allen nach hiesigem form vnd manier zuleben, richten vnd bequemmen werde müssen, mit dem fernern beysaz, daß wann Sie sich dergestalt accomodiren werde, Sie gar gewiß sich eines bestendigen contento von aller orthen werde zuuersichern haben, vnd hoffentlich mehrere gesundtheit pflegen, alß bei der Vnordnung, zu welcher die verwittibte Herzogin die vilfeltige vnd schwere negotia obligirn. Es seye aber zu solchen ende vonnöhten, daß auch Irer Ld~ mitgegebene, beuorab zu dero Camer gehörende Mannß: vnd WeibsPersohnen sich hierinnen dem hiesigen gebrauch in allem accommodiren, Jrer Frawen nicht vil klagten den wenigen satsifaction, oder andern vorkhommen, stetige praetensiones oder disgusti an Jre Ld. bringen, vnd dadurch diselbige in Jrem ruhe: vndt wolstandt perturbiren vnd betrieben, sondern vilmehr, da Inen waß ermanglet, oder sie mit billigkheit zu praetendiren haben, solches immediate bei Vnß anbringen lassen, vnd sich versichert halten khönden, daß Wir auf solchen fall, vnd da Sie sich des rechten wegs bediennen werden, Jnen an Vnserer protection nichts werden ermanglen lassen, da hingegen, wann sie solten vermeinen, Vnß durch Vnserer Fraw Tochter L. vndt dero recommendation zu obligiren Wir Jnen gewiß nichts werden zu Willen sein. Gleiche mainung hat es auch mit dem Beichtvater vnd dem Medico, deren kheinem Wir alhier gestatten, daß Er sich mehrers als der Sorg Vnsers gewissens, vnd gesundtheit annemme, im übrigen aber, so wol in Hof: alß Regierungs sachen khein access oder gehör haben: In effectu verlangen Wir, daß Vnserer Fraw Tochter Ld. ein bestendige affection verthrawen vnd Zuversicht zu Vnß habe, alles waß Jr anligt, Vnß klage, waß Sie verlangt, an Vnß bringe, vnd was Sie bedarff bei Vnß suche, weiln Sie dergestalt den rechten Trost, vnd beyschaffung aller notturfft, waß Sie verlangt, bei Vnß fünden wirdt, auf ereignetes mißthrawen aber Jr selbsten die größte vngelegenheit verursachen«. Instruktion für Graf Maximilian Kurtz, o. O., 9.4.1652, BHStA K.schw 6678, o. f. zit. nach Erwin Riedenauer, Die Turiner Mission des Grafen Kurz 1652. Instruktion und Reisebericht als Beitrag zur Verkehrsgeschichte und Landeskunde, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 52 (1989), 291–352, 302 f. 3 Sven Externbrink, Christine von Frankreich und der savoyische Hof. Regentschaft und höfische Klientel im Dreißigjährigen Krieg, in: Hofgesellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jahrhundert), hrsg. v. Klaus
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Herzogin Christine verfasste die Instruktion mit der Absicht, ihrer Tochter die Integration am bayerischen Hof und den Start in das neue Leben als bayerische Kurfürstin zu erleichtern. Die Anweisungen beziehen sich auf alle Bereiche des höfischen Lebens, doch sollen sie hier mit dem Blick auf die Außenbeziehungen untersucht werden. Christine betonte, dass es für ein glückliches Leben entscheidend sei, die Zuneigung und Liebe des Ehemannes zu gewinnen. Diese Liebe würde der Tochter helfen, sich mit den Gewohnheiten und Sitten ihres neuen Heimatlandes anzufreunden. Wesen und Temperament des Gatten solle sie genau kennen und ihre Verhaltensweisen seinen Vorstellungen anpassen. Zudem sei es von grundlegender Bedeutung, die Zuneigung ihrer Schwiegermutter zu erlangen. Sie dürfe ihr auf keinen Fall das Gefühl vermitteln, um ihre Autorität und Regierungsgewalt fürchten zu müssen. Das Gleiche gelte für die wichtigsten Minister. Vor allem dem Grafen Maximilian Kurtz, erster Minister und Bruder des Reichsvizekanzlers, müsse sie Zuneigung entgegenbringen, da jener für die meisten innen- und außenpolitischen Angelegenheiten zuständig sei und das Vertrauen der Kurfürstinwitwe genieße. Für eine Kurfürstin sei es schließlich unerlässlich, über die Angelegenheiten des Fürstentums Bescheid zu wissen. Dies beinhalte unter anderem Kenntnisse über die Größe des Staates, dessen Vermögen, Einkünfte und Ausgaben, Beziehungs-, Freundschafts- und Verwandtschaftsverhältnisse und Bündnisverpflichtungen. Gegenüber Frankreich und Spanien solle sich Henriette Adelaïde gleichgültig zeigen, mit ihrer Herkunftsfamilie jedoch sollten sie und ihr Ehemann stets in gutem Kontakt bleiben und die verwandtschaftlichen Bindungen pflegen. »Vor allem muss sie sich bemühen die Sprache zu lernen, damit sie Konversation betreiben und ohne Dolmetscher verhandeln kann.«4 Denn Dolmetscher seien nicht immer zuverlässig, und zudem verhindere die Anwesenheit von Dritten, dass man ihr Geheimnisse anvertraue. Außerdem sei es ratsam, bei delikaten Verhandlungen keine Zeugen zu haben. Die Zuneigung der in ihren Diensten stehenden Damen müsse sie gewinnen, um das Wohlwollen der Schwiegermutter zu erhalten. Schwierigkeiten zwischen den piemontesischen und den deutschen Bediensteten seien unbedingt zu vermeiden, da diese leicht den gesamten Hofstaat in Mitleidenschaft ziehen könnten5. Diese Anweisungen sollten Henriette Adelaïde also schon vor der Ankunft am bayerischen Hof aufzeigen, worauf es in ihrer neuen Heimat ankommen würde. Die Instruktion spiegelt aber auch Grundstrukturen frühneuzeitlicher Höfe als erweiterte Fürstenhaushalte wider, an denen erst ansatzweise zwischen einer als Malettke (Forschungen zur Geschichte der Neuzeit, Marburger Beiträge, 1) Münster 2001, 231–243, 235 ff. 4 Deve sopra tutto metter studio ad’imparar la lingua per puoter conversar e trattar senza interpreti. Instruttione data alla Serenissima Duchessa di Baviera Adelaide di Savoia nella partenza che fece da Torino verso Monaco, o. O., nicht datiert [1651/1652?], AStT Matrimonii, 29/2, Nr. 9, o. f. 5 Ebd., o. f.
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öffentlich verstandenen Sphäre der Politik und der Familie des Fürsten unterschieden wurde6. Dementsprechend wurde der Kurfürstengattin ganz selbstverständlich eine Rolle in allen Angelegenheiten zugesprochen, welche die Interessen ihrer neuen und ihrer Herkunftsfamilie betrafen. Der Instruktion zufolge standen dabei die Informationspflicht gegenüber der Herkunftsfamilie, das Beziehungsgefüge am Hof und der Aufbau eines Netzwerks im Vordergrund. Der folgende Beitrag soll klären, in welcher Weise Henriette Adelaïde dem Auftrag, den ihr ihre Mutter nach München mitgab, nachkam und wie sie entsprechend ihre Rolle als Akteurin in den Außenbeziehungen des Münchner Hofes ausfüllte. Im ersten Teil wird die Kurfürstin anhand zentraler Momente in ihrer Biographie als Akteurin in den Außenbeziehungen des Münchner Hofes vorgestellt. Der zweite systematische Teil fragt nach den Voraussetzungen, welche die mehr oder weniger großen Handlungsspielräume der Kurfürstin bestimmten. Abschließend wird das Beispiel Henriette Adelaïdes auf den spezifisch frühneuzeitlichen Typus der »Diplomatie vom type ancien« bezogen7.
I. Die Kurfürstin als Akteurin in den Außenbeziehungen des bayerischen Hofes Die erste Gelegenheit zu diplomatischer Betätigung eröffnete sich der jungen Kurfürstin 1656–58 in Zusammenhang mit der Nachfolge des deutschen Kaisers. Frankreich favorisierte eine Kandidatur des bayerischen Kurfürsten und fand in Henriette Adelaïde am bayerischen Hof eine Verbündete. Die Kurfürstinmutter Maria Anna, Tochter Kaiser Ferdinands II., und der erste Minister Graf Maximilian Kurtz befürworteten dagegen eine österreichische Nachfolge, weshalb sich die junge Kurfürstin im Gegensatz zu den zwei einflussreichsten Personen am Hof befand. Über die verwandte Herzogin von Neuburg unterhielt sie einen geheimen Briefwechsel mit dem französischen Hof, wobei sie in der Zusammenarbeit mit Frankreich ihre eigenen Interessen verfolgte, ohne dass die Entscheidungsträger am bayerischen Hof davon wussten. Henriette Adelaïde machte der französischen Seite konkrete Vorschläge für eine geeignete Vorgehensweise zum Erreichen des 6 Katrin Keller, Mit den Mitteln einer Frau. Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 219–244, 219 ff. 7 Hillard von Thiessen, Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Diplomaten, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. dems. / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 471–503, 483 ff.
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gemeinsamen Ziels. So informierte sie zum Beispiel über eine längere Abwesenheit der Kurfürstinwitwe und empfahl einen Besuch des französischen Gesandten in dieser Zeit, da er weniger Hindernisse vorfinden würde. Unablässig versuchte sie ihren Ehemann von der Kandidatur zu überzeugen und informierte den französischen Hof über Meinungen und Geschehnisse in München. Zugleich fungierte sie als Vermittlerin der Interessen und Absichten Frankreichs an den Kurfürsten und war für die französischen Gesandten die erste Anlaufstelle am bayerischen Hof. 1657 schickte Kardinal Mazarin den Sänger Atto Melani inkognito nach München mit dem Auftrag, »die Kurfürstin zu verpflichten, täglich darüber Bericht zu erstatten, was ihr Ehemann ihr nachts über die Geschehnisse des Tages erzähle«8. Henriette Adelaïde galt die Erhöhung des Hauses Bayern zeitlebens als oberstes politisches Ziel. Gleichzeitig hatte sie die Interessen ihrer Herkunftsfamilie im Hinterkopf. Als Kaiserin hätte sie dem Haus Savoyen endlich zur Investitur von Montferrat verhelfen können. Entsprechend ihrer Abstammung empfand sie die Erlangung der Kaiserwürde als mehr als gerechtfertigt und einer einstmals potentiellen französischen Königin angemessen. Aufgrund ihres Einflusses erwog Ferdinand Maria die Möglichkeit einer Kandidatur sorgfältig, was ein deutliches Zeichen dafür war, dass Bayern nicht mehr bedingungslos auf der Seite des Kaisers stand9. Doch zuletzt hatte Henriette Adelaïde gegenüber dem Einfluss der österreichisch gesinnten Partei am Hof das Nachsehen. Sobald sie Ferdinand Maria von einer Kandidatur überzeugt zu haben schien, änderte dieser nach einem Gespräch mit ihren Kontrahenten wieder seine Meinung. Von der Zusage ihres Ehemanns, den habsburgischen Kandidaten zu unterstützen, erfuhr sie erst ein halbes Jahr später. Dennoch ließ die Zusammenarbeit bei Mazarin den Eindruck zurück, dass es Henriette Adelaïde eines Tages gelingen könnte, »eine Veränderung im Geist ihres Ehemannes zu bewirken«10. Weil Graf Kurtz den französischen Gesandten brüskiert hatte, waren die Beziehungen zwischen den beiden Höfen 1658 abgebrochen. Erst die Geburt des ersehnten Thronfolgers 1662 gab Anlass für eine erneute Kontaktaufnahme. Im Auftrag des Königs schrieb der französische Minister Hugues de Lionne an die bayerische Kurfürstin. Wieder sollte sie sich für französische Interessen einsetzen und bei ihrem Ehemann den Wunsch nach einer freundschaftlichen Zusammen8 […] d’obliger l’Electrice a rendre compte tous les jours par le menu de ce que son mary luy dira la nuit sur les choses qui se seroient passées la jour. Mémoire von Jules Mazarin an Antoine Maréchal de Gramont, o. O., 1657, MAE CP Bavière 2, f. 602 r/v. 9 Andreas Kraus, Bayern im Zeitalter des Absolutismus (1651–1679). Die Kurfürsten Ferdinand Maria, Max II. Emanuel und Karl Albrecht, in: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, hrsg. v. dems. (Handbuch der bayerischen Geschichte, 2), 2. Aufl., München 1988, 459–535, 464. 10 […] de causer quelque changement dans l’esprit de son mary. Mazarin an Gramont, Paris, 6.2.1658, MAE CP Allemagne 140, f. 336 r.
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arbeit wecken. Es entstand ein regelmäßiger Briefwechsel zwischen Henriette Adelaïde und dem französischen Hof, in dem sie unter anderem als bayerischfranzösischer »Freundschaftsknoten«11 (nœud de l’amitié) bezeichnet wurde. Der Kommunikationsweg über die Kurfürstengattin eröffnete dem französischen Hof zusätzliche Handlungsoptionen. Auf dem direkten diplomatischen Weg zwischen Ludwig XIV. und Ferdinand Maria hätte eine Ablehnung des französischen Ansinnens einen Affront bedeutet, wohingegen der gewählte Kommunikationskanal einen würdevollen Rückzug ermöglichte. Der Briefwechsel der Fürstin war prädestiniert für Sondierungen, da ihm in der Regel weniger offizielles Gewicht zugeschrieben wurde12. Im Auftrag ihres Ehemannes versicherte sie dem französischen Hof die natürliche Zuneigung, die man aufgrund der nahen Blutsverwandtschaft empfinde. Sie betrachte es als »Ehre dem König zu gehören und von einer Mutter abzustammen, in deren Adern das königliche Blut der Bourbonen fließe«. Aufgrund dieser Abstammung sei sie »nicht anders als die aus dem Hause Savoyen, und es sei nicht fehlender Wille, wenn sie nicht der Krone diene, sondern Folge ihres Unvermögens«13. Um dem König ihre Zuneigung und ihren Wunsch nach Zusammenarbeit zu verdeutlichen, argumentierte sie mit ihrer Verwandtschaft und führte zudem die guten Beziehungen zwischen dem König und ihrer Mutter als Beweis an. Herzogin Christine hatte sich schon mehrmals auf Wunsch Ludwigs XIV. als Vermittlerin französischer Anliegen an ihre Tochter eingeschaltet. Henriette Adelaïde versicherte zudem, dass dies selbstverständlich auch für ihren Ehemann gelte, denn »er habe dieselben Gefühle wie sie«14. Man beschloss, einen regelmäßigen Briefwechsel zwischen den beiden Höfen einzurichten, wobei es Ferdinand Marias Wunsch war, diesen von zwei Gesandten führen zu lassen. Auf französischer Seite hätte man gerne Henriette Adelaïde als Hauptverantwortliche der Korrespondenz gesehen, denn man hoffte weiterhin auf ihre Einflussnahme. Lionne bat sie, »diese Angelegenheit nie aus ihren Händen zu geben und die Herren Gravel und Meyer als Vollstrecker ihrer Befehle und Wünsche zu betrachten«15. 11 Hugues de Lionne an Henriette Adelaïde, Vincennes, 28.9.1663, MAE CP Bavière 3, f. 76 v. 12 K. Keller, Mit den Mitteln einer Frau (Anm. 6), 234. 13 Ayant l’honneur d’appartenir au Roy, et d’etre issue d’une Mere du Sang Royal de Bourbon […] je ne suis pas differente de ceux de la Maison de Savoye, et que si je ne sers pas la Couronne c’est effect de mon impuissance, mais non pas manquement de bonne volonté. Henriette Adelaïde an Lionne, München, 16.1.1663, MAE CP Bavière 3, f. 49 v. 14 S. A. E. [Son Altesse Electorale, J. S.] n’a pas des sentimens differants aux miens. Ebd., f. 49 r. 15 […] que cette affaire ne sorte iamais de ses mains et que les Sieurs de Gravel et Meyer ne soyent qu’executeurs de ses ordres et de ses volontes. Lionne an Henriette Adelaïde, Vincennes, 28.09.1663, MAE CP Bavière 3, f. 77 r.
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Nach dem Tod Maria Annas 1665 beanspruchte Henriette Adelaïde deren Sitz im Geheimen Rat als ein Recht, das ihr aufgrund ihrer Stellung zustand. An ihren Bruder schrieb sie am 16. April 1666: »Ich empfinde es als meine Verpflichtung Ihnen mitzuteilen, dass seine Durchlaucht der Kurfürst, nachdem er es mir seit Jahren versprochen hatte, mich gestern zum ersten Mal an der Geheimen Ratssitzung hat teilnehmen lassen, weshalb ich zufrieden sein muss, nach 14 Jahren endlich erreicht zu haben, was mir vom ersten Tag an zugestanden hätte.«16 Der Geheime Rat war das oberste Kollegium des bayerischen Hofes. Unter dem Direktorium des Obersthofmeisters berieten die Ratsmitglieder den Kurfürsten bei besonders wichtigen Angelegenheiten, so auch in der auswärtigen Politik17. Bei den Sitzungen des Rats war Henriette Adelaïde fortan regelmäßig anwesend und beteiligte sich an den Diskussionen. Meinung und Vorschläge der Kurfürstin wurden ebenfalls diskutiert und berücksichtigt, allerdings hatte sie kein Stimmrecht. Durch die Teilnahme an den Ratssitzungen erhielt sie alle wichtigen das Kurfürstentum betreffenden Informationen aus erster Hand und konnte sich deshalb gegenüber Gesandten als verlässliche Quelle für aktuelle Informationen inszenieren. In der Folgezeit nahm die Macht des Geheimen Rats stetig zu, da Ferdinand Maria seinen Ministern großes Vertrauen schenkte und sich auf deren Ratschläge verließ. Dem höchsten Landeskollegium waren an Einflussnahme nur noch dort Schranken gesetzt, wo es nicht einheitlicher Auffassung war oder Ferdinand Maria von sich aus Weisung gab, was relativ selten der Fall war. Der Geheime Rat hatte während der Regierungszeit Ferdinand Marias zwar keine ausschließliche Entscheidungsbefugnis, entwickelte sich aber zu einer Institution, die die Entscheidung normalerweise gemäß ihren eigenen Vorstellungen herbeiführte18. Mit dem Tod ihrer Gegner, Graf Maximilian Kurtz 1662 bzw. Maria Anna 1665, der Geburt des Thronfolgers und den nunmehr profranzösischen Ministern stieg der Einfluss Henriette Adelaïdes auf die bayerische Politik. In den 1660erJahren näherten sich der bayerische und der französische Hof immer weiter an, wobei die Kurfürstin weiterhin als Vermittlerin französischer Interessen an den Kurfürsten fungierte. Die Annäherung an Frankreich gipfelte im Allianzvertrag von 1670. Henriette Adelaïde war zwar an der konkreten Aushandlung nicht un16 Je croy mon obligation de vous participer que SAE [Son Altesse Electorale, J.S.] apres me l’avoir promis plusieurs Année ma fait aller hier la premiere fois au Conseil destat et ie doibs estre contente d’avoir obtenu apres 14 anns ce que ie deves avoir des le premier iour. Henriette Adelaïde an Karl Emanuel II., München, 16.4.1666, AStT Lettere Principi Diversi 24, o. f. 17 Dieter Albrecht, Staat und Gesellschaft. Zweiter Teil: 1500–1745, in: Das alte Bayern. Der Territorialstaat vom Ausgang des 12. Jahrhunderts bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts, hrsg. v. Andreas Kraus (Handbuch der bayerischen Geschichte, 2), 2. Aufl., München 1988, 625–665, 653 f. 18 Harro Georg Raster, Der kurbayerische Hofrat unter Kurfürst Ferdinand Maria 1651– 1679, Starnberg 1995, 361 ff.
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mittelbar beteiligt, setzte aber ihren Wunsch durch, die von ihr angeregte Heirat ihrer Tochter mit dem Dauphin in den Vertrag aufzunehmen. Dieser außenpolitische Systemwechsel des bayerischen Hofes wird zum großen Teil dem Einfluss der Kurfürstin zugeschrieben19. Als 1672 François-Marie de l’Hospital, Duc de Vitry als außerordentlicher Gesandter an den bayerischen Hof kam, hatte sich indessen ihr Verhältnis zum Obersthofmeister Hermann von Fürstenberg verschlechtert, weshalb sie sich wieder einer gegnerischen Partei gegenübersah. Für den französischen Gesandten blieb sie dennoch die beste Anlaufstelle und selbstverständliche Verbündete. Sie informierte ihn regelmäßig über Ablauf und Inhalt der Ratssitzungen, unterbreitete ihm eigene Vorschläge und gab ihm konkrete Handlungsanweisungen. So empfahl sie ihm, sich nicht auf die Minister zu verlassen, sondern mit Ferdinand Maria selbst zu sprechen, am besten direkt vor den Ratssitzungen. Die Minister würden nämlich in der Ratssitzung bewusst Dinge weglassen oder anders erzählen. Außerdem informierte Henriette Adelaïde den französischen Gesandten über den Inhalt ihrer Audienzen mit den Vertretern anderer Mächte. Sowohl der Duc de Vitry als auch der auf ihn folgende Denis de la Haye, Sieur de Vantelay fanden in der Kurfürstengattin ihre Hauptinformationsquelle am bayerischen Hof. In der Instruktion für de la Haye betonte Ludwig XIV. das außerordentliche Vertrauen, welches er in die Kurfürstin habe. Ausschließlich ihre Ratschläge und ihr Wissen sollten für die Vorgehensweise seines Gesandten maßgeblich sein20. Entsprechend informierten sich Henriette Adelaïde und der französische Gesandte gegenseitig und stimmten sich in der Regel ab, wie sie vorgehen und welche Argumente sie anbringen wollten. Im Appartement der Kurfürstin bot sich dem Gesandten zudem die Möglichkeit, in einem informellen Rahmen mit Ferdinand Maria zu sprechen, was die Unterhaltung einfacher, direkter und risikoarmer machte. Diese Vorgehensweise zeigt die selbstverständliche Integration der Kurfürstin in die Außenbeziehungen. Aufgrund ihrer Passion für Frankreich und ihres besonderen Zugangs zum Kurfürsten garantierte Henriette Adelaïde als Hauptinformantin und Hauptakteurin am bayerischen Hof eine kontinuierliche französische Einflussnahme. Sie wurde in den meisten Schreiben zwischen dem französischen Hof und den französischen Gesandten erwähnt. Beide Seiten drückten in regelmäßiger Wieder19 Vgl. z. B. R. Bary, Henriette Adelheid (Anm. 1); Michael Doeberl, Bayern und Frankreich. Vornehmlich unter Kurfürst Ferdinand Maria, 2 Bde., München 1900–1903; Gustav Heide, Kurfürstin Adelheid von Bayern, in: Zeitschrift für allgemeine Geschichte, Kultur-, Literatur- und Kunstgeschichte 5 (1886), 313–334; Michael Strich, Das Kurhaus Bayern im Zeitalter Ludwigs XIV. und die europäischen Mächte, 2 Bde., München 1933. 20 Recueil des instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, Bd. 7: Bavière, Palatinat, DeuxPonts, hrsg. v. André Lebon, Paris 1889, 43 ff.
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holung ihre Zuversicht bezüglich des Engagements und des Einflusses der Kurfürstin auf ihren Ehemann aus. Entsprechend schrieb Ludwig XIV. im Dezember 1674 an Vitry: »Stets verspreche ich mir von der Zuneigung dieser Fürstin, dass sie all die ihr zur Verfügung stehende Macht, die sie über den Kurfürsten, ihren Ehemann, besitzt, dazu einsetzen wird, ihn in dem Verhalten zu bestätigen, welches zu meinem Vorteil ist.«21 Auch de la Haye berichtete in einem Brief an Simon Arnauld de Pomponne vom Juli 1675 davon, wie er der Kurfürstin versichert habe, »dass nur sie in ganz Bayern für den König Partei ergreifen würde, dass er sich mit allem, was den Dienst und die Interessen seiner Majestät betreffe, ausschließlich an sie wende und dass er ohne ihr Ansehen und ihre Protektion genauso gut sofort nach Frankreich zurückkehren könnte«22. Während einer längeren Krankheitsphase Henriette Adelaïdes beschwerte sich der Gesandte darüber, kaum mehr Informationen zu erhalten und eigentlich nur Dinge zu erfahren, die sowieso öffentlich bekannt seien. Nach dem Tod Henriette Adelaïdes vermutete man, dass sich die Situation am bayerischen Hof für die französischen Interessen verschlechtern würde. Doch die erwarteten Veränderungen blieben aus. Nach der Einschätzung des französischen Gesandten gab sich Ferdinand Maria große Mühe, »nicht den Eindruck zu erwecken, er werde regiert und er habe zu Lebzeiten seiner Ehefrau nicht regiert«23. Denn der Ruf eines Fürsten konnte Schaden nehmen, wenn nach außen der Eindruck entstand, dass seine Ehefrau entscheidende Macht über ihn ausübte24. Auch die österreichischen Gesandten der 1670er-Jahre versuchten Henriette Adelaïdes Einfluss für sich zu nutzen. Graf Leopold Wilhelm von Königsegg beschrieb in seinen Berichten an den Kaiserhof 1672/73 ausführlich die Situation am bayerischen Hof. Als einflussreichste Personen betrachtete er den Obersthofmeister Hermann von Fürstenberg, den Vizekanzler Kaspar Schmid und die Kurfürstin. Der österreichische Gesandte versuchte gezielt, die Eifersucht zwischen den tonangebenden Personen am Hof, von ihm als Trinität tituliert, auszunutzen, da 21 Je me promets toujours de l’affection de cette Princesse qu’elle employera tous le pouvoir qu’elle a sur l’electeur son mary pour le confirmer dans ceux ce qui peut estre de mes avantages. Ludwig XIV. an François-Marie de l’HÔpital, Duc de Vitry, Saint-Germain-en-Laye, 1.12.1674, MAE CP Bavière 13, f. 189 r/v. 22 Le Roy n’avoit qu’elle en toute la Baviere qui prit son parti, que je ne m’adressois qu’a Elle pour tout ce qui regardoit les services et les Interests de Sa Majesté, que sans son credit et sa protection je n’aurois qu’a m’en retourner en France. Denis de la Haye an Arnauld de Pomponne, Mauerkirchen, 20.8.1675, MAE CP Bavière 21, fol. 96 v–97 r. 23 […] a ne point donner a croire qu’il est gouverné et qu’il ne gouvernoit pas du temps de la defeunte. De la Haye, München, 13.5.1676, MAE CP Bavière 22, f. 239 r. 24 Katrin Keller, Kurfürstin Anna von Sachsen (1532–1585). Von Möglichkeiten und Grenzen einer ›Landesmutter‹, in: Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit, hrsg. v. Werner Paravicini / Jan Hirschbiegel (Residenzenforschung, 11), Stuttgart 2000, 263–285, 280.
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diese »omnes in omnibus seindt, dannenhero der guette ehrliche C[hur]fürst nit wüssen kann, wem Er zumb maisten zu trauhen hat«25. Um sich diese gewogen zu machen, setzte er unterschiedliche Mittel ein. Fürstenberg und Schmid waren seiner Meinung nach entweder mit Geld oder einer Standeserhöhung zu locken. Allerdings sah er in Henriette Adelaïde den Schlüssel zum Zugang zu Ferdinand Maria, weshalb er alles daran setzte, das Vertrauen der Kurfürstin zu gewinnen. Sich auf die Meinung des kurfürstlichen Beichtvaters berufend, dass man die Kurfürstin nur verpflichten könne, wenn man ihr Zuneigung, Vertrauen und in erster Linie Wertschätzung entgegenbringe, schlug Königsegg dem Kaiser mehrere Möglichkeiten vor, wie man sich Henriette Adelaïde gewogen machen könnte. So hielt er dafür zum Beispiel einen vom Kaiser eigenhändig geschriebenen und auf Italienisch verfassten Brief an die Kurfürstin oder ein Porträt der Kaiserin geeignet. Mit diesem Porträt schien Königsegg genau richtig gelegen zu haben, denn Henriette Adelaïde präsentierte ihr kaiserliches Geschenk voller Stolz am Hof und trug es ostentativ mehrere Tage hintereinander an ihrer Kleidung. Der österreichische Gesandte betonte gegenüber dem Kaiser, dass »diese Fürstin bestendig zu cultivirn«26 sei, wobei man dies nicht auf materielle Weise tun solle, sondern mit regelmäßiger Korrespondenz und Wertschätzung, da sie »estimiert zu sein ser begüerig ist«27. Doch nach Meinung Königseggs lohnte sich diese Mühe und es sei »solche g[na]d[e]n bey dieser f[ür]stin wohl angeleget, und der einige wehg sie völlig zucaptiviern, et per consequens auch den C[hur]f[ür]sten«28. Diese Einschätzung Henriette Adelaïdes stimmt mit dem Bild überein, welches man aus den französischen Korrespondenzen von ihr gewinnt. Sie wurde als Fürstin dargestellt, die besonders empfänglich für Ehre und Ruhm und äußerst ambitioniert sei. Außerdem lobte man häufig ihr diplomatisches Geschick, denn »um den Absichten seiner Majestät zum Erfolg zu verhelfen, könne man nicht besser verfahren als die Kurfürstin von Bayern«29. Da Henriette Adelaïde in erster Linie dynastische Interessen verfolgte und zeitlebens für eine Vermehrung des Ruhms der Dynastien agierte, denen sie als Tochter und Ehefrau bzw. Mutter angehörte, erscheint die Charakterisierung durch die auswärtigen Gesandten zutreffend. In diesem Sinne unterhielt sie sowohl Kontakte zu Frankreich als auch zu Österreich und konnte sich aufgrund der 25 Leopold Graf von Königsegg an den Kaiser, München, 29.11.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 238 r. 26 Ders. an dens., München., 23.12.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 363 r. 27 Ders. an dens., München, 11.1.1673, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 381 v. 28 Ders. an dens., München, 2.12.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 258 v. 29 […] pour faire reussir les intentions de Sa Majesté on ne peut pas mieux agir a cet esgard que fait Madame l‘Electrice de Baviere. Duc de Vitry an Pomponne, München, 23.11.1672, MAE CP Bavière 5, f. 155 v.
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Konkurrenz zwischen den beiden Großmächten Handlungsspielräume für ihre eigene Position als Fürstin einer Mittelmacht erschließen. Sie hatte Interesse daran, die Kommunikationskanäle in beide Richtungen offen zu halten und begünstigte deshalb je nach Situation die eine oder die andere Seite, wobei ihre Präferenz insgesamt jedoch eindeutig Frankreich galt30. Nachdem die Heirat ihrer Tochter mit dem Dauphin vereinbart war, fasste sie für den bayerischen Kronprinzen eine Heirat mit der österreichischen Erzherzogin ins Auge. Sobald der österreichische Gesandte Königsegg die Möglichkeit einer solchen Allianz ins Spiel gebracht hatte, setzte die Kurfürstin ihren Einfluss am Hof auch zugunsten österreichischer Interessen ein. Sie versorgte ihn zum Beispiel mit aktuellen Informationen aus dem Geheimen Rat und ermöglichte ihm ein Zusammentreffen mit Ferdinand Maria in ihren Appartements. Diese Vorgehensweise und die bewusste Aufrechterhaltung einer Doppelbeziehung verdeutlichen die Möglichkeiten eigenständigen Handelns einer Fürstin, die es verstand, sich Handlungsspielräume zu erschließen.
II. Die Handlungsspielräume einer Kurfürstin Die im vorangehenden Kapitel beschriebenen Beispiele zeigen, welche Handlungsspielräume sich die bayerische Kurfürstin erschließen konnte und wie sie auf diese Weise den in der Instruktion festgehaltenen Ratschlägen entsprach. Am bedeutendsten war ihr besonderer Zugang zu Ferdinand Maria, der sich unter anderem durch intime Gespräche im Ehebett oder den ungezwungen Austausch in ihren Appartements äußerte. Außerdem konnte sie ihr persönliches Netzwerk nutzen und zum Beispiel ihre Korrespondenz als sicheren Verhandlungsort instrumentalisieren. Auch die Weitergabe von verlässlichen und aktuellen Informationen an ihre Familie oder auswärtige Gesandte eröffnete Henriette Adelaïde Handlungsspielräume, die sie zu ihrem Vorteil nutzen konnte. Julia Frindte, die in ihrer Dissertation Handlungsspielräume von Frauen in Weimar-Jena um 1800 untersucht hat, versteht unter dem Begriff Handlungsspielraum »die unterschiedlichen Möglichkeiten des Einzelnen […], entsprechend den eigenen Lebensentwürfen, aber auch der Bedingungen seines Lebensumfeldes, zwischen verschiedenen Handlungsmöglichkeiten zu wählen und Gestaltungs30 »[…] traget sie, frau churfürstin, ein grosse affection dahin und hat die consilia fir Frankchreich eiferig zu befirdern gesuecht, zwar vor disem merer als iezt. Warumben die frau churfirstin in etwas von dem eifer für Frankchreich nachgelassen, wais man nit aigentlich, allain vermuetet man, es möchte auch daher ervolgen, das selbe verhofft, der churprinz solle die kaiserische princessin yberkomen, wie sie es dan zu ihren vertrauten zum öfteren vermeldet«. Beschreibung des churbayerischen Hofes von Leopold Graf von Königsegg, o. O., nicht datiert [1673?], HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 30, Fasz. 26, N° 25, f. 35 v, zit. nach Michael Doeberl, Bayern und Frankreich. Vornehmlich unter Kurfürst Ferdinand Maria. Archivalische Beiträge, Bd. 2, München 1903, 5.
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möglichkeiten für das eigene Leben in Anspruch zu nehmen. Verfügten Personen über Alternativen des Handelns, so wird dies als ein Indiz für eine Vielfalt von Teilhabe- und Gestaltungsmöglichkeiten innerhalb verschiedener Ebenen einer Gesellschaft verstanden«31. Frindte stellt fest, dass man für die von ihr untersuchte Gesellschaft keine Trennung spezifisch weiblicher bzw. männlicher Handlungsspielräume vornehmen könne, da Frauen wie Männer in den gleichen künstlerischen, politischen und wirtschaftlichen Sphären agierten32. Auch Britta Kägler bemerkt in ihrer Dissertation über die Frauen des Münchener Hofes im 17. und 18. Jahrhundert, dass keine Trennung spezifisch männlicher bzw. weiblicher Handlungsspielräume erkennbar sei. Kägler hat die Handlungsspielräume von Frauen unterschiedlichen Ranges, von Bediensteten und Hofdamen bis zu den weiblichen Mitgliedern der Fürstenfamilie, untersucht und konstatiert, dass ihre Handlungsspielräume einerseits von personenbezogenen Faktoren wie dem Verwandtschaftsverhältnis, andererseits von der Beziehung zum Fürsten abhängig seien. Die Autorin beantwortet die Frage nach den Handlungsspielräumen, indem sie Faktoren wie Politiknähe bzw. -ferne und Einflussnahme in so unterschiedlichen Bereichen wie Politik, Kultur, Religion oder Patronage berücksichtigt. Handlungsspielräume entstünden aus dem Zusammenspiel individueller Faktoren der einzelnen Akteure sowie gesellschaftlicher Strukturen und Normen, wobei es keine geschlechtsspezifischen Handlungsspielräume gäbe. Am frühneuzeitlichen Hof sei das Geschlecht weniger relevant gewesen als Faktoren wie Konfession, Stand oder Abstammung. Kägler bezeichnet den Hofstaat der bayerischen Kurfürstinnen als unabhängigen politischen Faktor und diplomatische Anlaufstelle. In ihrem Kapitel zu den Kurfürstinnen kommt sie zu dem Ergebnis, dass Verallgemeinerungen kaum möglich seien und man jede Kurfürstin individuell betrachten müsse33. Deshalb ist es lohnenswert, die außenpolitischen Handlungsspielräume Henriette Adelaïdes genauer zu untersuchen. Die Quellen, welche dem vorliegenden Beitrag zugrunde liegen, vermitteln ebenfalls ein Bild der Kurfürstin als eigenständige diplomatische Akteurin. Aufgrund ihrer Position als Kurfürstengattin hatte Henriette Adelaïde in bestimmten Bereichen Handlungsfreiheiten, wobei deren Erschließung zum großen Teil von ihrem persönlichen Interesse abhing. Ihr Handlungsspielraum war allerdings beschränkt und von mehreren Faktoren abhängig. Entscheidend war die Personenkonstellation am Hof und ihr Verhältnis zum und damit Einfluss auf den Kurfürsten. Die Kurfürstin konkurrierte mit ihrer 31 Julia Frindte, Handlungsspielräume von Frauen in Weimar-Jena um 1800. Sophie Mereau, Johanna Schopenhauer, Henriette von Egloffstein, Jena 2005, http://www.db-thueringen.de/servlets/DocumentServlet?id=7074 (3.2.2012), 42. 32 Ebd., 28. 33 Britta Kägler, Frauen am Münchener Hof (1651–1756) (Münchener historische Studien, Abt. Bayerische Geschichte, 18), Kallmünz 2011, 7 f., 26, 36 und 271 f.
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Schwiegermutter und den Ministern um die Gunst und das Vertrauen des Herrschers. Mit dem Tod der bis dahin tonangebenden Persönlichkeiten Maria Anna und Graf Kurtz wuchs der Einfluss, den Henriette Adelaïde auf ihren Ehemann auszuüben vermochte. Mit Hermann von Fürstenberg, dem neuen Obersthofmeister, verstand sie sich zunächst gut und betrachtete ihn als einen treuen Gefolgsmann. Doch auch in diesem Fall entwickelte sich im Laufe der Jahre ein Konkurrenzverhältnis. Ferdinand Maria brachte Fürstenberg immer mehr Vertrauen entgegen, während sich Henriette Adelaïde in ihrem Einfluss zunehmend beschränkt sah. Die Kurfürstin befand sich demnach mit den wichtigen Personen am Hof in einem dauerhaften Kampf um Einfluss und Macht. Die im zeitgenössischen Werk Mundus Christiano-Bavaro-Politicus34 erkennbare Angst vor einflussreichen Frauen bzw. weiblicher Machtzunahme bestätigt diesen Befund, der als Ausdruck der Variabilität des höfischen Machtgefüges zu verstehen ist35. Henriette Adelaïde agierte im Rahmen einer Diplomatie vom type ancien, deren wichtigste Strukturmerkmale das Prinzip personaler Herrschaft und die fehlende Trennung von öffentlicher und privater Sphäre waren36. Aufgrund der Überlappung dieser beiden Bereiche eröffneten sich für adlige Frauen und dabei besonders für die erste Frau am Hof Handlungsspielräume37. Als Kurfürstin war Henriette Adelaïde zur Teilhabe an Herrschaftsausübung legitimiert. Ihr Handlungsspielraum in der Hofgesellschaft war nicht von den Kompetenzen eines Amtes abhängig, sondern von ihrer Beziehung zu Ferdinand Maria38. Als seine Vertraute verfügte sie über einen direkten Informations- und Machtzugang. Im höfischen Wertesystem galt die größtmögliche Nähe zum Herrscher als wichtigster politischer Machtfaktor39. Dementsprechend unterstrich sie ihre eigene Bedeutung, indem sie immer wieder die vollkommene Übereinstimmung der Gefühle und Ansichten Ferdinand Marias mit den ihrigen betonte. Die Rolle, die sie in den Außenbeziehungen spielen konnte, war an ihre Stellung als Kurfürstengat34 Es handelt sich um eine vierbändige Handschrift, die zwischen 1709 und 1711 im Kurfürstentum Bayern entstanden ist. In der Regel wird Freiherr Franz Kaspar von Schmid als Autor genannt, der Sohn des bayerischen Kanzlers Kaspar von Schmid, der zu Zeiten Kurfürst Ferdinand Marias im Amt war. 35 Veronika Hain, Die Querelles des femmes im Mundus Christiano-Bavaro-Politicus (1709–1722). Ein Mittel zur Zurückdrängung der Frau aus der Machtsphäre, Workshop ›Eine andere Dialektik der Aufklärung. Zur Rezeption weiblicher Herrschaft in der Frühmoderne‹, Bielefeld 11./12. Januar 2008, http://biecoll.ub.uni-bielefeld.de/volltexte/2012/5205/index_en.html (27.1.2012), 13. 36 H. von Thiessen, Diplomatie vom type ancien (Anm. 7), 483 ff. 37 B. Kägler, Frauen am Münchener Hof (Anm. 33), 32. 38 K. Keller, Mit den Mitteln einer Frau (Anm. 6), 229. 39 Corina Bastian, Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 4), Köln / Weimar / Wien 2013, 55.
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tin gebunden. Im Rahmen einer höfischen Diplomatie, in der private und öffentliche Interessen erst ansatzweise unterschieden wurden, konnte sie aufgrund ihrer dynastischen Stellung Korrespondenzen pflegen und mit den Vertretern fremder Höfe Gespräche führen. Unumstritten waren solche Vorgehensweisen von Frauen bereits im 17. Jahrhundert nicht. Sie konnten den Verdacht unerwünschter weiblicher Beeinflussung wecken, da sie zwar teilweise rechtlich legitimiert, aber häufig von informellem Charakter waren40. Allerdings waren solche informellen Wege funktionale Bestandteile frühneuzeitlicher Außenbeziehungen. Es handelt sich um systemimmanente Kommunikationswege, die den diplomatischen Kontakt direkter, unverbindlicher und deshalb risikoärmer gestalteten41. Das persönliche Netzwerk von Verbündeten, das der Erschließung von Handlungsspielräumen diente, sollte idealerweise sowohl Personen am eigenen Hof als auch an fremden Höfen umfassen. Im Bedarfsfall konnte die Fürstin diese Kontakte aktivieren und sich von Ehemann und Familie unabhängige Handlungsspielräume erschließen. Da sie nicht Inhaberin eines Amtes war, musste sie die ihr damit fehlende Machtbasis durch informelle Kontakte ausgleichen. Für Außenstehende war die Kurfürstin als Vermittlerin von Interesse, weil sie als Tochter und Ehefrau zwei verschiedenen familiären Netzwerken angehörte. Im Idealfall ergänzten ihre Kontakte das Kommunikationsnetzwerk des Kurfürsten, da sie zu anderen Höfen und Personen in Beziehung stand bzw. für die Pflege des Briefwechsels mit diesen verantwortlich war42. Henriette Adelaïde baute ihr persönliches Netzwerk kontinuierlich aus. Den Ermahnungen ihrer Mutter, vor allem das Vertrauen ihrer Schwiegermutter und der wichtigsten Minister zu gewinnen, leistete sie allerdings nicht wirklich Folge. Mit Maria Anna und Graf Kurtz konnte sie weder in persönlichen noch in politischen Angelegenheiten einen gemeinsamen Nenner finden. Auch den auf Kurtz folgenden Obersthofmeister Hermann von Fürstenberg betrachtete sie nach einigen Jahren als Rivalen um die Gunst Ferdinand Marias. Zwischen ihren piemontesischen und bayerischen Bediensteten gab es in den Anfangsjahren häufig Zwistigkeiten, die sich, wie ihre Mutter es in der Instruktion vorhergesagt hatte, negativ auf die allgemeine Stimmung am Hof übertrugen. Die engsten Vertrauten der Kurfürstin stammten aus ihrer alten Heimat und waren zum größten Teil schon bei ihrer Heirat 1652 nach München gekommen. Ein besonders vertrautes Verhältnis pflegte Henriette Adelaïde zu ihren vier piemontesischen Hofdamen, ihrer ehemaligen Kinderfrau Angela Vernoni ihrem Arzt Simeoni und ihrem Beichtvater Antonio Spinelli. Auswärtige Gesandte pflegten zu einigen ihrer Vertrauten Kontakte, um an Informationen zu gelangen oder Einfluss auf die Kurfürstin und damit auch den Kurfürsten zu nehmen. Hierbei standen nicht höfischer Rang und 40 K. Keller, Mit den Mitteln einer Frau (Anm. 6), 226 ff. 41 C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 39), 413 f. 42 K. Keller, Mit den Mitteln einer Frau (Anm. 6), 230 ff.
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Status im Vordergrund, sondern die Nähe zu Henriette Adelaïde und die Zuverlässigkeit der Informationen43. So nutzte der österreichische Gesandte Graf Königsegg bei seinem Aufenthalt in München 1672/73 neben dem direkten Kontakt mit Henriette Adelaïde den Kanal über den Beichtvater, um von einer weiteren Seite her Einfluss gewinnen zu können, stand der Theatinerpater Spinelli doch im Ruf, dass er »bey der Churfürstin viel vermag«44. Durch den Beichtvater war der österreichische Gesandte über Ansichten, Hoffnungen und Wünsche der Kurfürstin aus erster Hand informiert; über ihn konnte er sich auf unauffällige Art mit Henriette Adelaïde mündlich und schriftlich austauschen. Außerdem unterhielt Königsegg Kontakte zur »Donna Vernona [Angela Vernoni] der C[hur]f[ür]stin favorittin«45; er stellte dieser eine finanzielle Entschädigung in Aussicht, falls die Kurfürstin sich seinen Erwartungen entsprechend verhalten würde. Das Netzwerk Henriette Adelaïdes schloss auch Personen außerhalb des bayerischen Hofes ein. Neben regen Briefwechseln mit ihrer Turiner Familie unterhielt die Kurfürstin unter anderem Kontakte mit Lionne und Robert de Gravel, der als französischer Gesandter am Reichstag weilte. Als sie sich 1664 für mehrere Monate in Regensburg aufhielt, führte sie mit ihm zahlreiche vertrauliche Gespräche. Gravel versorgte sie häufig mit Informationen und bat sie im Gegenzug um Einflussnahme bei Ferdinand Maria. Beide Verbindungen nutzte sie, um ihre persönlichen Anliegen bei Ludwig XIV. vertreten zu lassen. So schickte sie zum Beispiel einen bayerischen Residenten an den französischen Hof, für den Lionne sich einsetzen sollte. Später versuchte sie für diesen vom König eine Abtei zu erhalten. Dieses Netzwerk ermöglichte es Henriette Adelaïde, sich auch unabhängig von ihrem Ehemann Freiräume zu erschließen. Sie nutzte ihre Beziehungen beispielsweise, um die Vertreter der von ihr bevorzugten Ordensgemeinschaft zu fördern oder sich für die Interessen ihrer Herkunftsfamilie einzusetzen. Henriette Adelaïde war für ihre Herkunftsdynastie in verschiedener Hinsicht eine äußerst wichtige Stütze. Sie informierte zunächst ihre Mutter und nach deren Tod ihren Bruder über die aktuellen politischen Geschehnisse im Reich, über Besuche fremder Fürsten, über Schwangerschaften und Geburten, Truppenbewegungen und Bündnisverhandlungen – kurz über alles, was für das Haus Savoyen von Interesse sein konnte. Ganz im Sinne der Instruktion ihrer Mutter betrachtete die Kurfürstin die regelmäßige Berichterstattung nach Turin als selbstverständliche Pflicht. Diese Informationen waren für das savoyische Herzogshaus von unschätzbarem Wert, weil verlässliche Kenntnisse über aktuelle Vorgänge im Reich Entscheidungen und Verhaltensweisen maßgeblich beeinflussten. Zudem versuchte Henriette 43 B. Kägler, Frauen am Münchener Hof (Anm. 33), 297. 44 Königsegg an den Kaiser, München, 8.11.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 72 v–73 v und 83 r/v. 45 Ders. an dens., München, 5.12.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 273 v.
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Adelaïde als bayerische Kurfürstin, das heißt als erste Frau an einem der bedeutendsten Höfe im Reich, in politischer, wirtschaftlicher und militärischer Hinsicht zum Vorteil ihrer Herkunftsfamilie zu handeln. In Anlehnung an Sophie Ruppel könnte man sie deshalb auch als »ständige Gesandte« des savoyischen Herzogs am bayerischen Hof betrachten46.
III. Schlussfolgerungen Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Verhalten Henriette Adelaïdes weitgehend der Instruktion ihrer Mutter entsprach, woraus man den Schluss ziehen könnte, dass Herzogin Christine eine Vorbild- und Orientierungsfunktion für sie hatte. Auf jeden Fall war ihre Mutter die wichtigste Beraterin in allen politischen Angelegenheiten. Im Sinne der mütterlichen Anweisungen, Beziehungen in alle Richtungen zu pflegen, baute sie als Kurfürstin ein solides Netzwerk auf und unterhielt Beziehungen nach Frankreich, Österreich und Savoyen. Außerdem erlernte sie die deutsche Sprache, war stets gut informiert und ihrer Turiner Familie treu ergeben. Zu Ferdinand Maria pflegte sie nach Anlaufschwierigkeiten eine enge und vertraute Beziehung. Als Kurfürstin handelte sie selbständig und verfolgte gezielt ihre eigenen Interessen. Sie verband dabei die Erhöhung der wittelsbachischen Dynastie mit der Vertretung der Interessen ihrer Herkunftsfamilie. Deshalb bat sie zum Beispiel der österreichische Resident Königsegg in einer Audienz im Winter 1672 darum, ihrem Bruder die österreichische Haltung bezüglich des Kriegs zwischen Savoyen und Genua zu erläutern47. Andererseits richtete die Kurfürstin nach dem Tod ihres Bruders 1675 die Bitte an den Kaiser, ihrem Neffen, dem neuen Herzog von Savoyen, die kaiserliche Gunst zu erhalten. Zur Erhöhung der wittelsbachischen Dynastie sollten unter anderem die vorteilhaften Eheschließungen ihrer Kinder beitragen. Sowohl die Heirat ihrer Tochter mit dem Dauphin als auch die Heirat des Kurprinzen mit der österreichischen Erzherzogin gingen auf ihr Bestreben zurück. Henriette Adelaïde erfüllte ihre Aufgabe als Teil des »fürstlichen Arbeitspaars«48, indem sie ein weit reichendes Korrespondenznetzwerk pflegte und damit in Ergänzung 46 Sophie Ruppel, Verbündete Rivalen. Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts, Köln 2006, 180 ff. 47 »Von negocien habe nichts beygesezt, dan allein was in meiner proposition wegen des Savoyardischen Kriegs angerührt worden, Ihre Durchlaucht haben Eurer kayserlichen Maiestät dessentwegen tragende Sorgfalt wohl auffgenohmen mit Vermehlen, Sie wolten es ihrem Herrn bruder anrühmen, Er würde grosse reflexion darauff mach«. Königsegg an den Kaiser, München, 8.11.1672, HHStA Österr. Staatsregistratur, Rep. N, K. 26, Fasz. 23, P. 10, f. 55 v. 48 Im Sinne von Heide Wunder, vgl. Heide Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹. Frauen in der Frühen Neuzeit, München 1992, 144.
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zum Kurfürsten familiäre und freundschaftliche Kontakte aufrechterhielt. Diese Briefwechsel können als Mittel zur Stabilisierung politischer Beziehungssysteme betrachtet werden49. Ihr Geschlecht spielte für Henriette Adelaïde auf dem politischen und diplomatischen Parkett höchstens eine untergeordnete Rolle, denn sie begriff sich selbst als eine den Männern ebenbürtige Akteurin. Sie inszenierte sich als Vertraute und Beraterin Ferdinand Marias, auch wenn sie dabei immer wieder an Grenzen ihrer Macht stieß. Die Vorgehensweise entsprach dem Selbstverständnis Henriette Adelaïdes als Fürstin, die aufgrund ihrer Abstammung über eine natürliche Begabung für die Teilhabe an der Herrschaftsausübung und den Außenbeziehungen ihres Hofes verfügte.
49 K. Keller, Kurfürstin Anna von Sachsen (Anm. 24), 275.
Im Dienste der Dynastie: Frauen als Mittlerinnen bei Heiratsverhandlungen im Schweden der 1690er-Jahre
Von Svante Norrhem Während der Frühen Neuzeit waren Frauen der schwedischen Elite als Mitglieder adliger Haushalte Teil einer politischen Kultur, in der informelle Machtstrukturen eine bedeutende Rolle für die Entscheidungsfindung spielten1. Zum Einflussbereich der Frauen gehörten alle Angelegenheiten, die den Haushalt betrafen, u. a. die Hauswirtschaft, das Aushandeln von Heiratsallianzen, allgemein die Pflege von Beziehungsnetzen und die Sorge um den Cursus honorum der Familienmitglieder. Dabei konnten weder die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik noch jene zwischen den Angelegenheiten des Haushalts oder des Staats- und Königsdienstes immer klar gezogen werden. Vieles, was als Angelegenheit eines Haushaltes angesehen werden konnte, reichte über die Grenzen des schwedischen Reiches hinaus: Adlige handelten über die Territorialgrenzen hinweg und besaßen zum Teil auch außerhalb Schwedens Eigentum; Laufbahnen und Heiratsallianzen wurden international geformt. Dementsprechend pflegten adlige Familien Verwandtschafts-, Freundschafts- und Patron-Klient-Beziehungen, die über die Grenzen des Reiches hinausgingen2. Adlige Frauen hatten auf diese Weise auch an den grenzüberspannenden Beziehungen ihrer Haushalte teil. Dadurch war es ihnen manchmal möglich, die Außenbeziehungen der schwedischen Krone zu beeinflussen. Exemplarisch für derartigen Einfluss von Frauen ist das Aushandeln königlicher Heiratsallianzen. Erstaunlicherweise sind diese Allianzen, die zwar oft als wichtige Staatshandlungen dargestellt wurden, von der Diplomatie- und der Geschlechtergeschichte als eigenständige Forschungsobjekte bisher stark vernachlässigt worden. Der vorliegende Aufsatz beschäftigt sich deshalb mit der Frage, wie die schwedische politische Elite über die weiblichen Angehörigen ihrer Haushalte in das zeitgenössische System der Außenbeziehungen eingebunden war. Am Beispiel königlicher Heiratsverhandlungen soll nach der Rolle gefragt werden, die adlige Frauen im Spannungsfeld von Politik, Diplomatie, Patronage, Freundschaftsbeziehungen und persönlicher Rivalität spielen konnten. Wann und in wel1 Siehe dazu die neueren Studien von Historikerinnen und Historikern aus Dänemark, Finnland und Schweden: Nina Koefoed, Kvinder, supplikker og sociale netværk i 1700-tallet, in: Den jyske historiker 125 (2010), 113–138; Anu Lahtinen, Anpassning, förhandling, motstånd. Kvinnliga aktörer i släkten Fleming 1470–1620, Stockholm 2009; Svante Norrhem, Kvinnor vid maktens sida 1632–1772, Lund 2007; Charlotta Wolff, Vänskap och makt. Den svenska politiska eliten och upplysningstidens Frankrike, Helsingfors 2004. 2 Dazu das laufende Projekt der Universität Umeå, »Europa i Norden 1648–1735« (»Europe in Scandinavia 1648–1735«).
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chem Ausmaß hatten Frauen die Möglichkeit, in Bezug auf die Außenbeziehungen Schwedens tätig zu werden? Antworten auf diese Fragen werden am Beispiel dreier Frauen skizziert: der Königinwitwe Hedwig Eleonora (1636–1715), der Gräfin Magdalena Stenbock (1649–1727) und der Gräfin Beata Elisabeth von Königsmarck (1637–1723).
I. Schweden und Europa in den 1690er-Jahren Im Laufe der 1690er-Jahre interessierten sich die europäischen Großmächte zunehmend für die beiden skandinavischen Königreiche Schweden und Dänemark. Frankreichs Streben nach Hegemonie in Europa und die Widerstände seiner Gegner führten dazu, dass beide nach Verbündeten suchten. Gegen die Bestrebungen Frankreichs, die skandinavischen Königreiche zu starken Verbündeten im Norden zu machen, wandten sich die österreichischen und spanischen Habsburger zusammen mit den protestantischen Seemächten England und den Niederlanden. Letztere hatten ihrerseits Handelsinteressen im Ostseeraum und waren deshalb auf gute Beziehungen zu Dänemark und Schweden angewiesen. Schweden und Dänemark hatten wiederum im Laufe des 17. Jahrhunderts mehrere Kriege gegeneinander geführt und waren daher auf der Suche nach Verbündeten, die ihre jeweilige Position stärken würden. In der Frage der Unterstützung Frankreichs war der schwedische Hof lange Zeit in zwei Lager gespalten: Während die einen die Interessen Frankreichs beförderten, neigten andere dazu, die Gegner Frankreichs zu stärken. Unter der Führung des Kanzlers Graf Bengt Oxenstierna, der abgesehen vom König das höchste Amt im Bereich der Außenpolitik innehatte, unterstützte in den 1690er-Jahren eine Gruppe von Politikern offen Österreich und die Seemächte3. Zu den Gegnern Oxenstiernas und Parteigängern Frankreichs zählten wichtige Mitglieder des Rates wie zum Beispiel Fabian Wrede und Nils Bielke. Diese Männer waren Oberhäupter von Haushalten, die neben ihren Frauen und Kindern Bedienstete und Klienten umfassten, die ihrerseits zum Teil selbst im Staatsdienst standen und dabei in den gleichen Departements wie ihr Patron arbeiteten. Diese Haushalte werden im Folgenden als »politische Haushalte« bezeichnet. Ihre Angelegenheiten waren mit jenen der Krone und des Staates verflochten, wobei die Grenzen zwischen beiden Sphären nicht genau definiert waren.
3 Neben Bengt Oxenstierna waren die Königinmutter Hedwig Eleonora und die Gebrüder Hans und Axel Wachtmeister besonders entschieden gegen die Verbindung mit Frankreich.
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II. Haushalt, Heirat und Außenbeziehungen Die nach Stockholm und Kopenhagen entsandten Diplomaten befassten sich in den 1690er-Jahren hauptsächlich mit zwei Angelegenheiten. Zum einen versuchten sie, eine Allianz mit Schweden oder Dänemark – oder gar mit beiden – zu bilden. Zum anderen bemühten sie sich, die Eheverbindungen der Prinzen und Prinzessinnen der skandinavischen Königsfamilien zu beeinflussen. Beide Aspekte schlossen sich gegenseitig nicht aus, sondern waren lediglich zwei Seiten der gleichen Medaille. Hauptgegenstand dieses Aufsatzes sind solche Heiratsverhandlungen. Diplomatische Berichte aus Schweden und Dänemark zitierten oft Frauen oder enthielten Gerüchte über Frauen, denen politischer Einfluss zugeschrieben wurde. Frauen wurden in diesen Berichten viel öfter als politische Akteure erwähnt als in den meisten anderen offiziellen Quellen. Ein Beispiel hierfür liefern die Verhandlungen zwischen dem dänischen und dem österreichischen Hof über eine mögliche Heirat zwischen einer jungen dänischen Prinzessin und dem römisch-deutschen König. Der französische Chargé d’affaires in Kopenhagen behauptete, diese Verhandlungen seien von der Gräfin von Königsegg, der Ehefrau des österreichischen Botschafters, in die Wege geleitet worden4. Es ist durchaus möglich, dass sich der Botschafter darin gänzlich täuschte. Selbst wenn Letzteres nicht zutraf, dürfte die Botschaftergattin kaum die eigentliche Anstifterin dieser Verhandlungen gewesen sein. Die Tatsache, dass der französische Botschafter die Gräfin als zentrale Akteurin darstellte, zeigt jedoch, dass er es für möglich hielt, dass Frauen solch wichtige Rollen beim Arrangieren von Heiratsallianzen übernahmen. Als Karl XI. von Schweden (1654–1697) im Jahr 1692 Besuche zwischen Mitgliedern des königlichen Rates und auswärtigen Diplomaten außerhalb der formellen Treffen am Hof in Stockholm verbot, um so in den Hinterzimmern geschmiedete Intrigen zu verhindern, umging der französische Diplomat Jean Antoine d’Avaux diese Entscheidung, indem er die Ehefrauen der Ratsmitglieder besuchte5. Vor dem Hintergrund dessen, was über die Stellung der Ehefrauen schwedischer königlicher Räte innerhalb der politischen Haushalte bekannt ist, können diese Besuche keineswegs als politisch belanglos betrachtet werden. Eine der Frauen, die in den diplomatischen Berichten aus allen Lagern am häufigsten erwähnt wurde, war Gräfin Magdalena Stenbock (1649–1727), die Ehefrau des Kanzlers und Leiters der Außenpolitik, Graf Bengt Oxenstierna, der wiederum ein Verwandter des bekannteren Kanzlers Axel Oxenstierna war. Graf Oxenstierna unterstützte leidenschaftlich Österreich, da in seinen Augen die damalige französische Politik auf eine Verletzung der Friedensschlüsse von Osnabrück und Münster 4 Bort nach Versailles, Kopenhagen, 7.2.1696 und 17.10.1696, MAE, CP Danemarck, Bd. 59. 5 Handlingar rörande Sverges historia ur utrikes arkiver samlade och utgifna, hrsg. v. Anders Fryxell, Bd. 3, Stockholm 1839, 247 f.
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hinauslief, welche Oxenstierna als Garanten der Stabilität in Europa sah. Während der Amtszeit Oxenstiernas von 1680 bis 1702 erlebte Schweden die längste Friedensperiode im 17. Jahrhundert. Ein dänischer Botschafter beschrieb die Spieltische seiner Ehefrau als wichtige Treffpunkte, an denen politische Fragen, insbesondere künftige Allianzen, diskutiert wurden. Der französische Botschafter Graf Jean Antoine d’Avaux bezeichnete die Gräfin in seinen Berichten wiederholt als Person, die gerne über Politik diskutiere und eingehende Kenntnisse über die Angelegenheiten ihres Mannes besitze, die sie unter Umständen auch zu teilen bereit sei. Der österreichische Botschafter in Stockholm schrieb in den 1680er-Jahren nach Wien, die Gräfin sei zugleich weiser als ihr Ehemann und weiser als ihr Geschlecht6. Graf Franz Ottokar von Starhemberg, der Botschafter des Kaisers in Schweden, gehörte zu einer neuen Generation von Diplomaten, die nicht nur für eine bestimmte Verhandlung nach Stockholm kamen, sondern sich dort für längere Zeit niederließen und deshalb ihre Ehefrauen und Familien mitbrachten. Obwohl sein Gegenüber aus Frankreich, Jean Antoine d’Avaux, seine Familie nicht mitbrachte, sollte auch er längere Zeit in Stockholm bleiben. Die meisten früheren Diplomaten, die als Botschafter einen höheren Rang innehatten, waren nur einige Monate oder wenige Jahre geblieben. Indem sich der französische und der kaiserliche Hof nun durch Botschafter vertreten ließen, die länger im Land blieben, konnten sie wirksamer Beziehungsnetze in der schwedischen Elite aufbauen und pflegen. Sowohl Starhemberg als auch d’Avaux nutzten die Möglichkeit, Freundschaften zu pflegen und langfristige Verflechtungsbeziehungen aufzubauen, was bisher nicht möglich gewesen war. Während seiner Zeit in Stockholm von 1691 bis 1699 schlossen Botschafter von Starhemberg, seine Frau und seine Familie eine enge Freundschaft mit Bengt Oxenstierna, in dessen Palast im Herzen Stockholms oder dessen Landsitz nördlich der Hauptstadt sie oft empfangen wurden. Der kaiserliche Botschafter war jedoch nicht der einzige, der im Palast der Oxenstiernas willkommen war. Als der dänische Botschafter eines Abends im Mai 1693 den Palast nach einem formalen Treffen verließ, traf er vier angesehene Männer, die alle bei der Gräfin zum Spiel geladen waren. Es handelte sich um Diplomaten aus den Niederlanden, Sachsen und Lüneburg, deren Dienstherren der schwedischen Krone und der Familie Oxenstierna besonders geneigt waren7. In Stockholm zirkulierten viele Gerüchte, wonach Magdalena Stenbock neben der Unterhaltung von Diplomaten, welche die Sache ihres Ehemannes unterstützten, auch Geschenke und Pensionen von fremden Höfen empfing. Sowohl 6 Ur svenska herrgårdsarkiv. Bilder från karolinska tiden och frihetstiden, hrsg. v. Sigrid Leijonhufvud, Stockholm 1902, 5; A. Fryxell, Handlingar rörande Sverges historia 3 (Anm. 5), 90 f. 7 Dies waren: von Starhemberg aus Österreich, von Görtz aus Holstein, Walraven van Heeckeren aus den Niederlanden und Senfft von Pilsach aus Lüneburg.
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vom Kaiser als auch von Holstein habe sie Pensionen erhalten; es wurde vermutet, dass sie durch Geldgeschenke dazu bewogen worden war, die Seiten zu wechseln und bei der Wahl des neuen polnischen Königs den Kurfürsten Friedrich August von Sachsen zu unterstützen. Ob diese Gerüchte nun wahr oder falsch waren, kann nicht abschließend geklärt werden; fest steht jedoch, dass die Gräfin als eine Schlüsselfigur wahrgenommen wurde und ihr von Wilhelm III. im Jahr 1691 ein Geschenk von 1000 Pfund angeboten wurde, um sicherzustellen, dass Bengt Oxenstierna nicht Frankreich unterstützen würde8. Zu den Gesprächsthemen, an denen Magdalena Stenbock interessiert war, gehörten auch königliche Heiratsallianzen. So sprach sie beispielsweise in den 1680er-Jahren mit dem Botschafter des Kaisers über die Bemühungen des polnischen Königs, sich mit einer habsburgischen Prinzessin zu vermählen, die in ihren Augen außenpolitische Interessen Schwedens gefährdeten. Sie sondierte auch die Möglichkeiten einer Heiratsverbindung zwischen Schweden und dem Kaiserhaus, obwohl zu dieser Zeit einzig ein kürzlich geborener schwedischer Prinz noch unverheiratet war und die Frage damit eher verfrüht erschien9. Leider lassen sich keine Aussagen darüber treffen, inwiefern die Gräfin aus eigener Initiative oder vielmehr auf Veranlassung ihres Ehemannes oder eines Mitglieds der königlichen Familie handelte. In den Berichten wird sie jedoch meist eher als selbständige Akteurin denn als bloße Botin dargestellt. Die Königinmutter Hedwig Eleonora und Gräfin Beata Elisabeth von Königsmarck waren zwei weitere Frauen, die in dieser Zeit mit der Vermittlung von Heiratsallianzen beschäftigt waren. In der zweiten Hälfte der 1690er-Jahre bestand die schwedische Königsfamilie aus Karl XI., der von 1672 bis zu seinem Tod 1697 regierte, seinen zwei Töchtern und seinem Sohn, dem künftigen Karl XII., der 1697 bereits im Alter von 15 Jahren König wurde. Nebst dem König und seinen Kindern lebte nur noch die verwitwete Mutter des Königs, Hedwig Eleonora. In den letzten Lebensjahren Karls XI. kamen zwar einige Gerüchte über eine bevorstehende zweite Ehe des Königs auf, diese bewahrheiteten sich jedoch nicht. Nach dem Tod Karls XI. im April 1697 konzentrierten sich die Bemühungen um königliche Heiratsverbindungen auf seine älteste Tochter Hedwig Sophia und seinen Sohn Karl, der nun als Karl XII. herrschte. Die bisherigen königlichen Ehestifter hatten dafür gesorgt, dass sich das skandinavische Kräftegleichgewicht in der schwedischen Königsfamilie angemessen 8 Négociations de Monsieur le Comte d’Avaux, ambassadeur extraordinaire à la cour de Suède, pendant les années 1693, 1697, 1698, publiées pour la première fois d’après le manuscrit conservé à la Bibliothèque de l’Arsenal à Paris, hrsg. v. Johan A. Wijnne, Bd. 2, Utrecht 1882, 335 ff.; William James Roosen, The Age of Louis XIV. The Rise of Modern Diplomacy, Cambridge MA 1976, 166 f. 9 A. Fryxell, Handlingar rörande Sverges historia 3 (Anm. 5), 90 f.
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widerspiegelte. Während Karl X. (1622–1660) eine Tochter aus dem traditionell mit Schweden verbündeten Hause Holstein-Gottorp geehelicht hatte, heiratete sein Sohn Karl XI. auf französische Zusprache hin in die dänische Königsfamilie ein. Da Dänemark mit Holstein-Gottorp und Schweden mit Dänemark verfeindet war, lag hinter diesen Verbindungen jeweils die Absicht, eine bestimmte Ordnung im Norden Europas aufzubauen. In den späten 1690er-Jahren bevorzugten die Parteigänger Frankreichs eine Verbindung mit Dänemark, die Gegner hingegen eine solche mit Holstein-Gottorp oder, falls dies nicht möglich sein sollte, mit einem anderen deutschen Fürstenhaus. Magdalena Stenbock und ihr Ehemann unterstützten in dieser Sache eine Stärkung der Allianz mit den norddeutschen Fürstenhäusern und schlossen sich der Haltung der Königinmutter Hedwig Eleonora an. Diese wollte sowohl ihre Enkelin Hedwig Sophia als auch ihren Enkel mit deutschen Fürstenfamilien verheiraten, vorzugsweise mit Holstein-Gottorp, da in dieser Familie der Herzog und dessen Schwester noch unverheiratet waren. Daneben gab es aber auch eine Gruppe von Frauen, die von der Gräfin von Königsmarck und ihrer Tochter Johanna Eleonora De la Gardie angeführt wurde und in Anlehnung an die französischen Interessen auf eine Verbindung mit Dänemark hinarbeitete. Beide Gruppen waren darauf aus, eine erfolgreiche Heirat zu vermitteln und auf diese Weise andere Verbindungen zu verhindern. Die Verhandlungen wurden von Diplomaten in Stockholm und Kopenhagen sehr aufmerksam verfolgt und beeinflusst. Als im November 1697 in Kopenhagen bekannt wurde, dass die Herzogin von Holstein-Gottorp Kiel verlassen habe, um zusammen mit ihrem Sohn nach Stockholm zu reisen, wurde eiligst eine Gesandtschaft nach Stockholm entsandt. Die Botschaft war deutlich: Es sollte alles unternommen werden, um eine Heirat zwischen Holstein-Gottorp und Schweden zu verhindern10. Kurz darauf traf Jens Juel als neuer dänischer Botschafter mit dem Auftrag in Stockholm ein, eine Verbindung zwischen Dänemark und Schweden voranzutreiben. Nachrichten mit den neuesten Informationen über diese Vorgänge wurden zwischen den beiden Höfen und weiteren europäischen Hauptstädten ausgetauscht. Einigen Diplomaten gelang es, die politischen Haushalte oder gar den Königshof in Stockholm beziehungsweise Kopenhagen zu »infiltrieren«, indem sie Bedienstete dieser Höfe als bezahlte Informanten gewannen11. Offenbar war Botschafter d’Avaux in Stockholm durch verschiedene Quellen besonders gut über die Vorgänge am Hofe informiert12. 10 Anders Leijonclou an Karl XII., Kopenhagen, 22.11.1697, Riksarkivet Stockholm Danica 108. 11 Z. B. Handlingar rörande Sverges historia ur utrikes arkiver samlade och utgifna, hrsg. v. Anders Fryxell, Bd. 4, Stockholm 1843, 219 f., 237 f., 244 f.; Bart nach Versailles, Kopenhagen, 7.2.1696, MAE, CP Danemarck, Bd. 59. 12 Jean Antoine d’Avaux nach Versailles, Stockholm, 15.1.1698, MAE, CP Suède, Bd. 85.
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Die schwedische Königinmutter trat bei den Bemühungen um eine norddeutsche Heiratsverbindung besonders offen in Erscheinung, während die Gräfin von Königsmarck eher als Vermittlerin für das französisch-dänische Lager agierte und Gräfin Stenbock vor allem als Informantin über die Vorgänge auf höchster Ebene beschrieben wurde. Einer der sogenannten »neuen Männer« in den inneren Kreisen des schwedischen Hofes war Carl Piper, den viele Beobachter für einen einflussreichen Berater des neuen Königs Karl XII. hielten. Es war daher nicht erstaunlich, dass er besonders von Leuten umworben wurde, die den König in eine bestimmte Richtung lenken und herausfinden wollten, welchen Lauf die Verhandlungen nahmen. Dazu setzte der dänische Botschafter Jens Juel auf die eifrige Mithilfe der Gräfin von Königsmarck und ihrer Tochter. Die Gräfin traf sich in der Folge mehrmals mit zwei Schwägern von Carl Piper, um deren Wissen zu sondieren. Der eine, den die Gräfin unter dem Vorwand traf, juristischen Rat zu benötigen, wusste zwar nicht, was Piper dem König raten würde, versprach aber, es herauszufinden und an sie weiterzuleiten13. Auch der französische Botschafter glaubte, über Piper Einfluss auf den König nehmen zu können. Allerdings hatte Piper den Ruf, Geschenke und Geld fremder Höfe abzulehnen. Den Gerüchten zufolge sei aber Pipers Frau solchen Geschenken nicht abgeneigt gewesen. Während Juel mit Hilfe der Gräfin von Königsmarck vorging, versuchte d’Avaux, mit Pipers Ehefrau und ihrem Vater ins Geschäft zu kommen14. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass er von der Ehefrau tatsächlich Informationen erhielt, die Piper nicht selbst mit ihm geteilt hätte. Gleichwohl zeigte sich Piper später dankbar dafür, dass d’Avaux seinem Schwiegervater geholfen hatte, eines von dessen Schiffen, das die Franzosen aufgebracht hatten, frei zu bekommen. Im Jahr 1697 unternahm die Königinmutter Hedwig Eleonora mehrere Versuche, das Interesse ihres Enkels auf Prinzessinnen aus der nahen Verwandtschaft ihrer Familie zu lenken. Als die Prinzessin von Holstein-Gottorp, die erste Wahl seiner Großmutter, mit ihrer Mutter am Hof in Stockholm eintraf, lehnte Karl XII. allerdings eine Ehe mit der Begründung ab, seine Base sei »hässlich wie der Teufel«15. Als eine weitere enge Verwandte seiner Großmutter zusammen mit ihrer Mutter den Hof in Stockholm besuchte, wurde sie ebenfalls abgelehnt. Obwohl Hedwig Eleonora bis dahin die Oberhand behalten hatte, spekulierten der dänische und französische Botschafter, dass ihr bis zum Ende des Jahres die Kandidatinnen ausgehen würden und sich der König dann dazu entschließen könnte, seine dänische Base zu heiraten. Die Befürworter einer Verbindung mit Dänemark mussten jedoch zwei erhebliche Rückschläge einstecken. Der französische Botschafter war weit davon 13 S. Norrhem, Kvinnor vid maktens sida (Anm. 1), 70 f. 14 D’Avaux nach Versailles, Stockholm, 22.1.1698, MAE, CP Suède, Bd. 85. 15 Bengt Liljegren, Karl XII. En biografi, Lund 2003, 57.
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entfernt, sein Ziel, ein Übereinkommen und eine Allianz mit Schweden, zu erreichen. Er berichtete nach Paris, dass Bengt Oxenstierna alles tue, um die Gespräche hinauszuzögern, und dass seine Frau und Leute in deren Umfeld offen über das Unglück sprächen, das eine Allianz Schwedens mit Frankreich angeblich nach sich ziehen würde16. D’Avaux wies einen seiner Mitarbeiter an, das Verhalten der Gräfin gegenüber Carl Piper zu besprechen, der eine persönliche Abneigung gegen diese hegte. Piper erwähnte dabei, die Gräfin habe nicht nur vom König von England, sondern auch vom Herzog von Holstein-Gottorp Geld erhalten17. Dank seiner Spione erfuhr d’Avaux auch von einem weiteren bevorstehenden Rückschlag: Eine Heirat zwischen der schwedischen Prinzessin Hedwig Sophia und Herzog Friedrich von Holstein-Gottorp war erfolgreich vermittelt worden. Die schwedische Königinmutter und die Herzogin von Holstein-Gottorp waren durch geschickte Verhandlungen zu diesem Ziel gelangt. Verzweifelt wirkende Störungsversuche zu Gunsten Frankreichs vermochten die Verhandlungen nicht mehr aufzuhalten. So schlug man vor, Hedwig Sophia solle Prinz Karl von Dänemark heiraten, das heißt den Zweiten in der Thronfolge. Da ein solcher Kandidat als unter der Würde einer Königstochter angesehen werden konnte, versuchten die französischen Vertreter die Dänen zu überreden, das Angebot durch eine hohe Mitgift attraktiver zu machen Der eher zynische französische Chargé d’affaires in Kopenhagen hob zudem vergeblich hervor: Karl sei zwar nur der Zweite in der Thronfolge, aber eben doch der Zweite18. Als die Verbindung mit HolsteinGottorp bekannt wurde, löste diese Nachricht Besorgnis und Enttäuschung unter den dänischen Ministern aus, da auf diese Weise die traditionelle anti-dänische Allianz zwischen Schweden und Holstein-Gottorp gestärkt wurde. Die Heirat der jungen schwedischen Prinzessin mit dem Herzog von Holstein-Gottorp gab den Anstrengungen, eine Heirat des Königs mit seiner dänischen Base in die Wege zu leiten, neuen Auftrieb. Diese Verbindung schien notwendig, um die Kräfte innerhalb der Dynastie und im nordeuropäischen Raum auszutarieren. Neuigkeiten seitens der Gräfin von Königsmarck gaben im Herbst 1698 jenen, die eine Verbindung mit Dänemark bevorzugten, neuen Mut. Die Gräfin hatte sich mit Hofmarschall Johan Gabriel Stenbock ausgetauscht, der wiederum Informationen direkt vom König erhielt. Der König hatte anscheinend offen mit ihm gesprochen und dabei die Meinung geäußert, dass er sich zwar mit 16 Jahren noch für zu jung zum Heiraten halte, er aber, wenn es einmal soweit sein würde, keine andere als seine dänische Base heiraten wolle19. Ein Porträt der dänischen Prinzessin, das dem König gezeigt werden sollte, war auf dem Weg von Kopenhagen nach Stockholm. Diese Neuigkeiten und weitere Hinweise bewogen 16 17 18 19
D’Avaux nach Versailles, Stockholm, 9.4.1698, MAE, CP Suède, Bd. 85. D’Avaux nach Versailles, Stockholm, 23.4.1698, MAE, CP Suède, Bd. 85. Bort nach Versailles, Kopenhagen, 7.1.1698, MAE, CP Danemarck, Bd. 59. A. Fryxell, Handlingar rörande Sverges historia 4 (Anm. 11), 215.
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Johanna Eleonora De la Gardie dazu, die Ehefrau des Botschafters Juel aufzusuchen, um mit ihr die Zusammensetzung des Hofes der zukünftigen Königin zu besprechen. Dabei schlug Johanna Eleonora De la Gardie auch vor, dass ihr Ehemann Marschall am Hofe der Königin werden sollte20. Sie dürfte sich vorgestellt haben, die Ehefrau des Botschafters würde den Weg dazu ebnen. Baronin Juel, geborene Dorte Mogensdotter Krage, hatte sehr aktiv Freundschaftsbeziehungen am Hofe aufgebaut und sich ihrem Gatten zufolge auch mit den Ehefrauen einiger einflussreicher Männer angefreundet. Sie verfolgte das gleiche Ziel wie ihr Ehemann: eine Verbindung zwischen dem König von Schweden und der dänischen Prinzessin. In einem Brief an einen Minister in Kopenhagen schrieb der dänische Botschafter, seine Gattin sei mindestens ebenso eifrig um dieses Ziel bemüht wie er selbst21. Während des ganzen Jahres 1698 beschrieb er in seinen Depeschen an den dänischen Hof die Handlungen seiner Frau. Als Botschaftergattin hatte Baronin Juel das Recht, den Hof zu besuchen. Dort führte sie nicht nur Gespräche mit der Königinmutter, sondern machte auch mithilfe von Geschenken Bekanntschaft mit verschiedenen Hofdamen. Zu ihren Kontaktpersonen gehörten unter anderem die Ehefrau des Beichtvaters des Königs und auch mindestens ein Diener des Königs. Jens Juel befand diese Kontakte für nützlich und erwähnte manchmal, dass sie für die Erfüllung seiner Mission wichtig seien. Durch die Kontakte seiner Frau war es ihm möglich, Informationen aus anderen Quellen mit denen, die er durch seine Gattin erhielt, zu vergleichen und so auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen22. Eine der besonders hoch gestellten Frauen, mit denen sich die Baronin Juel unterhielt, war die Gräfin von Königsmarck. Vom dänischen Hof kam der Vorschlag, mit einem Porträt der dänischen Prinzessin das Interesse des Königs an ihr zu verstärken. Um dem König ihr Bildnis präsentieren zu können, suchten Gräfin von Königsmarck, Baronin Juel und Hofmarschall Stenbock den Hofmaler Ehrenstrahl in seinem Haus auf. Sie beauftragten den Maler, eine Kopie des Porträts der dänischen Prinzessin anzufertigen und sie dem König zu zeigen, wenn dieser sein eigenes Bildnis anfertigen ließe23. Jens Juel beschrieb das Vorhaben im Detail; später erwähnte er, dass der König das Porträt gesehen habe. Ehrenstrahl war nicht der einzige Maler, dessen Atelier für informelle Diplomatie genutzt wurde. So traf Baronin Juel bei einem Besuch bei Andreas von Behn im Mai 1698 auf einen Diener des Königs namens Dufva. Die beiden kamen ins Gespräch und Dufva lud die Baronin Juel ein, bei ihm Musik zu hören, da er ebenfalls Dirigent war. Nachdem Dufva gegangen war, informierte von Behn die Baronin, dass Dufva Carl Piper ziemlich gut kenne. Er ließ durchblicken, dass er 20 21 22 23
Ebd., 248. Ebd., 218, 237 f., 244 f. Ebd., 218. Ebd., 163.
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für Geld bereit wäre, die dänische Sache zu unterstützen. Die Baronin verwies daraufhin auf die Mittel, über die ihr Mann verfüge, um sich großzügig zu zeigen. Allerdings müsse er wissen, was genau er dafür erhalten würde. Von Behn vereinbarte mit der Baronin, dass er Dufva diskret wissen lassen würde, dass die Dänen bereit seien, für seine Hilfe Geld fließen zu lassen24. Obwohl Jens Juel argwöhnisch blieb, wurde Dufva in Juels folgenden Berichten nach Kopenhagen mehrmals als Informant erwähnt25. Es ist deutlich geworden, dass etliche Frauen von unterschiedlicher geographischer Herkunft und sozialem Status in den späten 1690er-Jahren an den Verhandlungen in Stockholm teilnahmen. Dazu gehörten weibliche Mitglieder königlicher und fürstlicher Familien, wie die schwedische Königinmutter und die Herzogin von Holstein-Gottorp und Braunschweig, Damen aus den führenden politischen Haushalten wie Gräfin Stenbock, Hofdamen wie Johanna Eleonora De la Gardie oder Ehefrauen von Diplomaten wie Baronin Dorte Juel. Dies war nichts Neues, denn bereits im Vorfeld der Heirat von König Gustav II. Adolf (1596–1632) hatte dessen Mutter im Zentrum der Verhandlungen gestanden. Die Verhandlungen zwischen der schwedischen Königinmutter und der Mutter der Braut führten dazu, dass Eleonora von Brandenburg Königin von Schweden wurde, und stellten auf diese Weise sicher, dass man nach einigen Enttäuschungen doch eine angemessene Braut gefunden hatte. Die verwitwete Königin hatte den König von seiner Idee, eine schwedische Adlige zu heiraten, abbringen müssen. Die Heirat zwischen Karl XI. und der dänischen Prinzessin Ulrika Eleonora im Jahr 1680 war auf dänischer Seite vor allem von der Mutter der Braut vorangetrieben worden, während der König zurückhaltender agierte. Auch dieses Beispiel zeigt, dass Frauen eine maßgebliche Rolle bei königlichen und adligen Heiratsverhandlungen spielten, selbst wenn ihre Kinder bereits mündig waren. Königliche Hochzeiten werden oft als wichtige Staatshandlungen beschrieben, die Bündnisse und Friedensregelungen sichern und die Würde der Dynastie mehren sollten. Waren Frauen in der Frühen Neuzeit vor allem durch informelle Handlungen an den verschiedensten Entscheidungen beteiligt, so scheinen sie bei Heiratsvermittlungen eine besonders herausgehobene Rolle gespielt zu haben. Angesichts der Bedeutung königlicher Eheschließungen im Verständnis der Zeit erstaunt die geringe Aufmerksamkeit, die der Rolle der Frauen bei der Eheanbahnung bisher geschenkt wurde. Selbst zeitgenössische Schriftsteller schrieben wenig über die Rolle der Frauen bei Fürstenhochzeiten. Jean Bodin (Les six livres de la République, 1577) behandelte die Probleme, welche die Vermählung von Monarchinnen mit sich brächte. Darüber hinaus bemerkte er nur, dass ein Bündnis zwischen zwei Staaten im Allgemeinen stärker sei, wenn es 24 Ebd., 207. 25 Z. B. A. Fryxell, Handlingar rörande Sverges historia 4 (Anm. 11), 218.
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durch eine Heirat besiegelt würde. Er sprach jedoch nicht über die Verhandlungen, welche zur Heirat führten, oder über jene, die daran beteiligt sein könnten. Niccolo Machiavelli (Il Principe, 1513), der in den meisten seiner Ratschläge sehr ausführlich war, schrieb nur, dass ein Fürst aus einer alten Familie, die schon lange an der Macht war, normalerweise besser da stünde als ein anderer. Implizit empfahl er dem Fürsten, Kinder zu zeugen. Weder Thomas Hobbes (Leviathan, 1651) noch John Locke (Two treatises on government, 1690) gingen auf fürstliche Heiratsallianzen ein, obwohl beide die Beziehungen zwischen Mann und Frau in der Ehe behandelten und dabei die Bedeutung der Gegenseitigkeit herausstrichen. Hobbes und Machiavelli thematisierten auch das Erbe und die Bedeutung der Dynastie. Ungeachtet der übrigen inhaltlichen Unterschiede hatten Machiavelli, Hobbes und Locke gemein, dass sie sich weder zur Strategie hinter Heiratsverhandlungen noch zu den Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch zu den politischen Auswirkungen äußerten. Dieses Schweigen spricht nicht gegen die Bedeutung fürstlicher Eheschließungen; es lässt sich vielmehr damit erklären, dass diese weniger als Staatshandlungen denn als Handlungen der Dynastie angesehen wurden. Um die tragende Rolle von Frauen in den Heiratsverhandlungen zu verstehen, sollte also zwischen Staatshandlungen und solchen der Dynastie unterschieden werden. Frauen konnten als Mitglieder oder Oberhäupter einer Dynastie oder eines politischen Haushaltes an Verhandlungen mitwirken, die Staatsangelegenheiten und die Beziehungen zwischen Staaten berührten. Dies bedeutet nicht, dass sie von anderen diplomatischen Vorgängen ausgeschlossen waren; wenn sie als Mitglieder einer Dynastie handelten, nahmen sie jedoch eine sichtbarere Rolle ein und beschränkten sich nicht darauf, informell oder im Hintergrund zu wirken. Ein weiterer Grund für die Beteiligung von Frauen liegt darin, dass Diplomaten aktiv den Kontakt mit Frauen suchten und diese in ihre Arbeit verwickelten26. Da den Diplomaten bewusst war, dass Frauen, vor allem Ehefrauen oder Witwen politisch einflussreicher Männer, für das Wohl ihres Haushalts zuständig waren, hielten die Diplomaten diese Frauen für hilfreiche Verbündete, mit denen für beide Seiten vorteilhafte Geschäfte gemacht werden konnten. Auf diese Weise boten sie Frauen Handlungsspielräume, innerhalb derer sie Einfluss auf die Politik nehmen konnten. Wenn die Diplomaten dies nicht getan hätten, hätten Frauen, die von der formellen Entscheidungsfindung ausgeschlossen waren, keine derart bedeutende Rolle bei den Verhandlungen spielen können. Solche Beziehungen zwischen Diplomaten und den Ehefrauen politisch einflussreicher Männer konnten umso leichter aufrechterhalten werden, wenn sich die Diplomaten für längere 26 Als Beispiel für Schweden und die 1690er-Jahre: Gräfin Stenbock, Gräfin Gyldenstolpe, Gräfin Piper, Gräfin Bielke.
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Zeit im Land niederließen und ihre eigenen Familien mitbrachten27. Die Königinmutter, Magdalena Stenbock und Beata Elisabeth von Königsmarck handelten in ihrer Rolle als Hüterinnen ihres Familienverbandes und nicht im Auftrag der Königsfamilie. Allesamt wollten sie den politischen Einfluss ihrer jeweiligen Familienverbände erhalten und stärken. Magdalena Stenbocks Ehemann, Graf Bengt Oxenstierna, gehörte zu einer Generation hochrangiger Adliger, die viel Erfahrung in der Praxis politischer Einflussnahme an europäischen Höfen besaßen. 20 Jahre hatte er auf Missionen außerhalb Schwedens verbracht, wo er als Diplomat, Mitarbeiter oder Leiter einer Behörde in Gebieten eingesetzt wurde, die von schwedischen Truppen besetzt waren. Seine erste und seine zweite Ehefrau pflegten enge Beziehungen ins Heilige Römische Reich; drei seiner Geschwister heirateten in deutsche Adelsfamilien ein. Als junger Mann nahm Oxenstierna an den Friedensverhandlungen in Westfalen teil und machte dort Bekanntschaft mit einem der aufstrebenden Männer in den Diensten des Kaisers, François de Lisola. De Lisola zufolge verbrachten beide viel Zeit miteinander; als De Lisola zehn Jahre später an den Hof König Karls X. entsandt wurde, behauptete er, diese Freundschaft nutzen zu können, um über Oxenstierna Kenntnis von den Plänen des Königs zu erhalten28. Bis in die 1690er-Jahre sah das Haus Oxenstierna in den österreichischen Habsburgern einen wichtigen Gegenpol zu Frankreich; Bengt Oxenstierna übte entscheidenden Einfluss auf den raschen Wechsel von einer an Frankreich zu einer an Österreich angelehnten Politik aus. Magdalena Stenbock und Bengt Oxenstierna waren also beide stark in europäische Netzwerke eingebunden; nach ihrer Rückkehr nach Stockholm empfingen sie weiterhin Ausländer, vor allem Vertreter der antifranzösischen Koalition. Sie handelten dabei im Namen und als Oberhäupter des neben der Königsfamilie wichtigsten politischen Haushalts. Die Beziehungen zum Kaiserhof und zu dessen Verbündeten, von denen die Freundschaft mit den von Starhemberg die bemerkenswerteste war, sicherten die Stellung der Oxenstiernas in der schwedischen Politik, verhalfen ihren Söhnen zu Karrieren in fremden Armeen und ermöglichten nicht zuletzt die Finanzierung eines aufwändigen Lebensstils, zu dem Geschenke und Pensionen fremder Höfe beitrugen29. 27 Der englische Botschafter in Schweden von 1653–1654, Bulstrode Whitelocke, erwähnt einmal, wie er einigen Frauen schwedischer Politiker vorgestellt wurde. In seinem Tagebuch kommentiert er dieses Ereignis als Seltenheit. Bulstrode Whitelocke, A Journal of the Swedish Embassy in the Years 1653 and 1654, hrsg. v. Charles Morton / Henry Reeve, London 1855, 251. 28 Alfred Francis Pribram, Franz Paul, Freiherr von Lisola 1613–74 und die Politik seiner Zeit, Leipzig 1894, 83. 29 Oxenstierna erhielt Geld von Österreich, England, den Niederlanden und eventuell auch von Holstein. Siehe Ragnhild Hatton, Gratifications and Foreign Policy: Anglo-French Rivalry in Sweden during the Nine Years War, in: William III and Louis XIV. Essays
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Einer der Söhne Oxenstiernas wurde Offizier in kaiserlichen Diensten und starb in Wien. Ein anderer Sohn diente als Offizier in einem schwedischen Regiment in den Niederlanden und starb 1706 in der Schlacht bei Ramillies. Die Umstände dieser Ernennungen sind unklar, aber sie spiegeln ein Karrieremuster wider, welches typisch war für Mitglieder schwedischer Adelsfamilien, die enge Beziehungen zu fremden Ländern pflegten. Offenkundig ist die Abhängigkeit der Karriere von den Beziehungen des Haushalts mit Österreich im Falle des Schwiegersohnes Magnus Stenbock. Aus den Briefen zwischen ihm und seiner Frau wird seine Beziehungsstrategie klar ersichtlich: Während Magdalena Stenbock und ihre Tochter dazu angehalten wurden, der Ehefrau des Ersten Ministers in Hannover, zugleich Mätresse des Kurfürsten, zu schreiben, die sie in Nimwegen auf einer diplomatischen Mission kennengelernt hatten, sollte Bengt Oxenstierna seine eigenen Beziehungen spielen lassen. Zwar führten diese Anstrengungen zu keinem Ergebnis, als sich Magnus Stenbock später aber einen Posten als Oberst im Dienste des Kaisers sichern konnte, bedankte er sich geflissentlich bei seinem Schwiegervater und seiner Schwiegermutter, wohl wissend, dass beide eifrig daran beteiligt gewesen waren, ihm dies zu ermöglichen. Er bedankte sich auch bei den Freunden seiner Schwiegereltern, den von Starhemberg, die sich ebenfalls für ihn eingesetzt hatten30. Die Patronage des Kaisers ermöglichte es nicht nur, Karrieren für Mitglieder des Haushaltes zu sichern, sondern half auch, den pompösen Lebensstil aufrechtzuerhalten, der für einen politischen Haushalt an der Spitze des Königreiches als unerlässlich angesehen wurde. Obwohl die Gerüchte darüber, wie die Oxenstiernas von den verschiedenen Parteien Unterstützung erhielten, zum Teil falsch oder übertrieben waren, gibt es doch Beweise dafür, dass den Oxenstiernas nicht nur erhebliche Geschenke angeboten wurden, sondern dass sie diese tatsächlich auch annahmen31. Materieller Reichtum war im 17. Jahrhundert ein wesentlicher Faktor, wenn es darum ging, sich gegen Konkurrenten um Einfluss und Macht durchzusetzen. Sein Lebensstil und seine Art, Gäste zu empfangen, bildeten Status und Einfluss des Hauses Oxenstierna ab. Beata Elisabeth von Königsmarck gehörte zu einem Familienverband, der seit Jahrzehnten von französischen Patronageleistungen profitierte. Ihr Bruder, Graf Magnus Gabriel De la Gardie, war einst der Günstling Königin Christinas gewesen und wurde in den 1660er- und frühen 1670er-Jahren der führende Ver1680–1720 by and for Mark A. Thomson, hrsg. v. Ragnhild Hatton / J. S. Bromley, Liverpool / Toronto 1968, 68–94, 76 ff.; Onno Klopp, Der Fall des Hauses Stuart, Bd. 5, Wien 1877, 201 f.; W. J. Roosen, The Age of Louis XIV (Anm. 8), 166 f. 30 S. Norrhem, Kvinnor vid maktens sida (Anm. 1), 121 f. 31 Dies wird in einer in Kürze erscheinenden Publikation gründlich besprochen. Als Beispiel: J. A. Wijnne, Négociations de Monsieur le Comte d´Avaux (Anm. 8), 221 f.
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treter einer auf Frankreich ausgerichteten Politik. Als Enkel eines französischen Immigranten, der eine der unehelichen Töchter König Johanns III. geheiratet hatte, machte Magnus Gabriel sowohl militärisch wie auch gesellschaftlich eine außergewöhnliche Karriere. Die Mitglieder des Hauses De la Gardie waren während des ganzen 17. Jahrhunderts leidenschaftliche Vertreter eines Bündnisses mit Frankreich. Einige der männlichen Familienmitglieder machten Karriere in Frankreich, und eine Schwester Magnus Gabriels heiratete einen schwedischen Adligen, der schließlich französischer Graf wurde. Dieser Zweig der Familie erwarb sich das Recht, in Frankreich Land zu kaufen, und ließ sich dort nieder. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Gräfin von Königsmarck, die in diese Familie einheiratete, vom französischen Botschafter d’Avaux als wichtige Verbündete am schwedischen Hofe angesehen wurde. Die Verbindungen zwischen den von Königsmarck, den De la Gardie und Frankreich gingen noch weiter: Der Bruder der Gräfin von Königsmarck, der in der französischen Armee gedient hatte und zweimal als Botschafter in Frankreich wirkte, war mit der Tochter von Magnus Gabriel verheiratet; zudem war die Tochter der Gräfin mit einem Mann verheiratet, dessen Mutter eine De la Gardie war. Neben den zahlreichen Verbindungen mit Frankreich könnten weitere Überlegungen dazu geführt haben, dass Gräfin von Königsmarck eine Verbindung mit Dänemark bevorzugte. Seit der Besetzung der östlichen dänischen Provinzen Skane, Halland und Blekinge durch Schweden hatte die Familie De la Gardie von der Möglichkeit profitiert, Ländereien der geflohenen dänischen Adelsfamilien in den neuen schwedischen Provinzen relativ günstig aufzukaufen. Die Gräfin und ihr Ehemann, der mehrere Posten in den neuen Provinzen innehatte, bevor er schließlich stellvertretender Generalgouverneur aller drei Provinzen wurde, investierten vor allem in das Skarhult-Gut in der Provinz Skane. Die Kriege zwischen Dänemark und Schweden in den späten 1670er-Jahren hatten verheerende Folgen für die Landbesitzer dieser Gegend. Jene, die neu in die Gegend investiert hatten, fürchteten sich vor einem erfolgreichen Rachefeldzug Dänemarks, der sie um ihre neuen Besitztümer bringen könnte. Eine engere Beziehung zwischen den beiden Ländern sollte künftige Auseinandersetzungen verhindern und den Besitz sichern. Ein weiterer Anlass, sich mit den Dänen gut zu stellen, könnte eine Erbstreitigkeit um das Perdoel-Gut in Holstein gewesen sein. Dieses lag in dem Teil des Herzogtums, den der König von Dänemark und der Herzog von Holstein-Gottorp gemeinsam regierten. Die Gräfin wie auch ihre Widersacher versuchten, die Unterstützung des dänischen Hofes zu erlangen, um diesen Streit zu ihren Gunsten zu entscheiden32. Neben solchen finanziellen Interessen bestimmten wohl auch Karriereüberlegungen die Entscheidung, Dänemark zu unterstützen: So war die Tochter der Gräfin von Königsmarck Kammerfrau der verstorbenen Königin Ul32 Anders Leijonclou an Karl XII., Kopenhagen, 15.11.1697 und 29.11.1697, Riksarkivet Stockholm, Danica, Bd. 108.
Frauen als Mittlerinnen bei Heiratsverhandlungen
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rika Eleonora, die eine dänische Prinzessin war. Als sie versuchte, für sich und ihren Ehemann eine Stellung am Hofe zu erhalten, war es daher nicht weiter verwunderlich, dass sie sich an den dänischen Botschafter wandte. Solange noch nichts entschieden war, war es zwar ein Risiko, die dänische Seite zu unterstützen, aber der mögliche Nutzen war erheblich.
III. Schlussfolgerungen Die in diesem Aufsatz ausgewerteten Quellen zeigen, dass sich die Beteiligung von Frauen an diplomatischen Angelegenheiten nicht auf Schweden begrenzte. Französische, österreichische, dänische und englische Diplomaten betrachteten Frauen als Akteure, die für ihren Auftrag wichtig sein konnten. Dieser Umstand entsprach der zeitgenössischen politischen Kultur. Dennoch kommt diese Studie zu Frauen als politischen Akteurinnen zu der Schlussfolgerung, dass die diplomatischen und allgemein die politischen Handlungen schwedischer Frauen, wenngleich sie einen festen Bestandteil der zeitgenössischen politischen Kultur bildeten, vor allem das Resultat familienpolitischer bzw. dynastischer Erwägungen waren. Dies bedeutet weder, dass Frauen nicht an diplomatischem oder politischem Handeln teilhaben konnten oder wollten, noch dass Männer nicht auch im Interesse ihres Hauses handelten. Im Gegensatz zu den Frauen wurde von ihnen jedoch erwartet, dass sie vorwiegend als Staatsdiener und aus Treue zum König handelten. Von den drei herausragenden Frauen, die an den diplomatischen Verhandlungen in den späten 1690er-Jahren teilnahmen, war die verwitwete Königinmutter hinsichtlich ihres sozialen Ranges die prominenteste. Sie handelte im Interesse des Herrscherhauses. Als einziges überlebendes männliches Mitglied der Familie musste der König verheiratet werden, um den Fortbestand der Dynastie und ihren Anspruch auf den Thron zu gewährleisten. Mit Blick auf diese Tatsache interagierte die Königinmutter mit Amtsträgern, die mit der königlichen Heirat nützliche Allianzen schaffen oder stärken wollten. Niemand stellte das Recht der Königinmutter so zu handeln in Frage. Die Gräfinnen Stenbock und von Königsmarck setzten sich ebenfalls für das Wohl ihres eigenen Haushalts ein und nahmen Rücksicht auf dynastische Interessen. Sie versuchten, ihre eigene Stellung und jene ihres Hauses im Zentrum der schwedischen Politik zu sichern. Diese Rolle wurde grundsätzlich auch von ihren Gegnern akzeptiert. Als Vertreterinnen ihres Hauses konnten sie von fremden Höfen Geschenke oder Pensionen empfangen, während dies ihren Ehemännern als Staatsdienern verwehrt blieb. Die dynastisch motivierten Handlungen der Frauen waren mit der schwedischen Außenpolitik und damit auch mit den diplomatischen Aktivitäten verflochten. Manches spricht dafür, dass die Tendenzen zur Professionalisierung der Diplomatie in Europa gegen Ende des 17. Jahrhunderts dazu führten, dass schwedische Adelsfrauen viel stärker in die diplomatischen
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Aktivitäten eingebunden wurden. Dies hing damit zusammen, dass sich fremde Diplomaten länger in Stockholm aufhielten und deshalb auch ihre Ehefrauen mitbrachten. Im Zuge dieser Veränderungen wurden die Kontakte zwischen den Haushalten der Diplomaten und jenen der Amtsträger am schwedischen Hof häufiger. Die in diesem Aufsatz geschilderten Beziehungen zwischen Botschaftergattinnen und Frauen der schwedischen Elite stützen diese These, die allerdings noch weitere Forschungen verdienen würde. In der historischen Forschung zu Skandinavien ist die Frage nach dem außenpolitischen Einflusspotential von Frauen als Angehörige einer fürstlichen Dynastie bisher weitgehend vernachlässigt worden. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, dass zu Frauen, die in diplomatischen Angelegenheiten handelten, noch viel stärker geforscht werden muss. Sie waren Teil einer politischen Kultur, in der die Grenzen zwischen Staaten, privat und öffentlich, wie auch zwischen den Geschlechterrollen manchmal verschwammen. In ihren Bemühungen, Beförderungen für ihre Ehemänner, Söhne, Schwiegersöhne oder Mandanten und dadurch auch für sich selbst oder andere weibliche Familienmitglieder Statuserhöhungen zu erhalten, überschritten die in diesem Beitrag untersuchten Frauen Grenzen, die aus zeitgenössischer Perspektive nur scheinbar klar gezogen waren. Wenn man die dynastischen Handlungen von den Staatshandlungen trennt, wird offensichtlich, wann eine Frau selbständig handeln und in welchen Fällen sie nur indirekt durch Männer agieren konnte. Frauen hatten als Vertreterinnen ihrer Dynastie das Recht und die Pflicht, in deren Namen zu handeln. Als Karl X. 1649 zum Erben des Throns bestimmt wurde, argumentierte man, seine Mutter sei eine schwedische Prinzessin. Die Dynastie konnte also über die weibliche Linie weitergeführt werden. Der Staat hingegen war eine reine Männerdomäne: Nur Männer hatten das Recht und die Pflicht, im Dienst des Staates zu handeln; nur Männer konnten Ämter »erben«33. Da Staatsangelegenheiten mit Angelegenheiten der Dynastie verbunden waren, konnten Frauen, wenn sie für das Wohl der Dynastie handelten, allerdings oft auch eine Schlüsselrolle in diplomatischen oder anderen politischen Angelegenheiten einnehmen. Übersetzung: Tamara Widmer (Bern)
33 In Schweden existierte die Praxis des Ämterkaufs nicht. Es war jedoch manchmal möglich, sich einen Posten zu sichern, indem man einem gut situierten Beamten Geld anbot. Es scheint auch, dass die Berufung auf alte Loyalitätsbindungen in Verbindung mit dem Versprechen eines Geschenkes als Argument greifen konnte, wenn jemand einen Posten für einen Sohn oder Schwiegersohn zu sichern wünschte. Siehe Svante Norrhem, Uppkomlingarna. Kanslitjänstemännen i 1600-talets Sverige och Europa, Umeå 1994; Svante Norrhem, En tjänstetillsättning under 1670-talet. Exemplet Axel Behmer, in: Personhistorisk Tidskrift 87 (1991), 81–84.
Weibliche Diplomatie? Frauen als außenpolitische Akteurinnen im 18. Jahrhundert
Von Corina Bastian, Eva Dade und Eva Ott In der Frühen Neuzeit basierten Aussenbeziehungen auf persönlichen Kontakten und Verflechtungen von männlichen wie weiblichen Akteuren. Das zwischen 2007 und 2010 vom Schweizerischen Nationalfonds geförderte Forschungsprojekt »Weibliche Diplomatie? Frauen als außenpolitische Akteurinnen (18. Jahrhundert)« hat sich mit den offenen Fragen auseinandergesetzt, die sich aus der Teilhabe von Frauen an den Außenbeziehungen ergeben. Im Rahmen dreier Dissertationen wurden exemplarisch die Verhandlungstätigkeiten Madame de Maintenons und der Princesse des Ursins während des Spanischen Erbfolgekrieges (Corina Bastian)1, das außenpolitische Handeln Elisabetta Farneses (Eva Ott)2, sowie die Rolle der Marquise de Pompadour in den Außenbeziehungen der französischen Krone untersucht (Eva Dade)3. Der vorliegende Aufsatz stellt eine Synthese der Ergebnisse dieser Untersuchungen vor. Am Ausgangspunkt des Forschungsprojekts standen folgende Leitfragen: Welche Rolle spielte die Geschlechtszugehörigkeit für Funktionen und Handlungsspielräume von (diplomatischen) Akteurinnen und Akteuren in den Außenbeziehungen? Welche Bedeutung kam der Kategorie Geschlecht einerseits auf der Handlungsebene, andererseits im Bereich der Selbstdarstellung der Frauen zu? Neben möglichen geschlechtsspezifischen Besonderheiten in Verhandlungen sollten demnach auch die rhetorischen und performativen Strategien untersucht werden, mittels derer die Akteurinnen und Akteure ihren außenpolitischen Einfluss deutlich zu machen, zu legitimieren, zu verschleiern oder gegen Kritik zu verteidigen suchten. Zunächst einmal gilt festzuhalten, in welchen Rollen Frauen überhaupt Einfluss auf die Außenbeziehungen nehmen konnten. Neben Königinnen und Fürstinnen, die auch formal politischen Einfluss nehmen konnten, lassen sich vier unterschiedliche Gruppen politischer Akteurinnen ausmachen: Begleiterinnen oder Hofdamen von Herrscherinnen, Ehegattinnen von Botschaftern (ambassadrices), Agentinnen mit unterschiedlichem formalem Status und einem spezifischen Auf1 Corina Bastian, Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie im frühen 18. Jahrhundert (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 4), Köln / Weimar / Wien 2013. 2 In Arbeit. 3 Eva Dade, Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 2), Köln / Weimar / Wien 2010.
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trag sowie Frauen, die in einem persönlichen oder verwandtschaftlichen Verhältnis mit einem Akteur der Außenbeziehungen standen, wie etwa Mätressen oder Ehrendamen. Die Frauen, die im Zentrum der drei Projekte standen, waren Angehörige des französischen beziehungsweise spanischen Hofes des 18. Jahrhunderts. Sie nahmen bei Hofe unterschiedliche Positionen ein: Madame de Maintenon war zunächst viele Jahre lang maîtresse en titre4 Ludwigs XIV., bevor sie 1683 – nach dem Tod der Königin – in einer morganatischen Eheschließung zu seiner zweiten Ehefrau wurde. Die Princesse des Ursins wurde 1701 von Ludwig XIV. als camarera mayor5 mit dem jungen spanischen Königspaar Philipp V. und Maria Luisa von Savoyen nach Spanien entsandt. Elisabetta Farnese war die zweite Frau Philipps V. und kam 1714 aus Parma an den Hof in Madrid, wo sie als Vertreterin ihrer italienischen Herkunftsfamilie, als Mutter und Stiefmutter und nicht zuletzt als Königin und Ehefrau Philipps V. durchaus unterschiedliche Interessen zu vertreten hatte. Die Marquise de Pompadour schließlich war die maîtresse en titre des französischen Königs Ludwigs XV. und konnte sich in dieser Stellung fast zwanzig Jahre lang – bis zu ihrem Tod – halten. Königin, königliche Ehefrau, Mutter, Kammerdame, Mätresse – die Ausgangspositionen unterschieden sich voneinander. Bei allen Frauen handelte es sich jedoch um langjährige enge Vertraute des jeweiligen Herrschers beziehungsweise Herrscherpaares. Sie hatten exklusiven Zugang zu Informationen und waren bei den meisten wichtigen Entscheidungsfindungen und Beratungen dabei. So nahm Elisabetta Farnese an allen Audienzen des Königs teil – sei es bei der täglichen Arbeitsbesprechung mit dem Staatssekretär oder bei Treffen mit ausländischen Gesandten6. Als Königin7 war ihre Stellung am Hof klar definiert. 4 Zur Stellung der maîtresse en titre im Allgemeinen siehe E. Dade, Pompadour (Anm. 3), 75–83. 5 Die Hauptverantwortung und zugleich die Verfügungsgewalt über sämtliche Ehren und Ämter des Hofstaats der Königin lagen bei der camarera mayor (Erste Kammerdame), welche die Königin ständig begleitete. Ihr oblagen die Kontrolle der Türen und die Verwaltung der Schlüssel für den Palastbereich der Königin. Die Kontrolle des Zugangs zur Königin kann auch im übertragenen Sinne gelten: Sie organisierte die Audienzen und filterte die Patronageanfragen. Siehe María Victoria López-Cordón Cortezo, Entre damas anda el juego. Las camareras mayores de Palacio en la edad moderna, in: Monarquía y Corte en la España Moderna, hrsg. v. Carlos Gómez-Centurión Jiménez, Madrid 2003, 123–152. 6 Siehe René de Mornay-Montchevreuil an Guillaume Dubois, Madrid, 21.10.1720, MAE CP Espagne 296, f. 169–170. 7 Wir sprechen hier ausschließlich von der Königin als Gemahlin des Königs und nicht von aus eigenem Recht regierenden Königinnen, welche gesondert betrachtet werden müssten. Zuletzt allg. zur Figur der Königin in der spanischen Monarchie Margarita García Barranco, Antropología histórica de una élite de poder. Las reinas de España, Diss. Universidad de Granada 2007.
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Sie war dadurch aber auch in ihrem Handlungsspielraum eingeschränkter als dies etwa bei einer Hofdame oder Mätresse der Fall war8. Ihre Situation war daher durchaus ambivalent: Durch ihr Geschlecht war sie von der Herrschaftsausübung ausgeschlossen, gleichzeitig wurde sie durch ihren Stand zur Herrschaftsteilhabe befähigt9. Es war also gerade ihr Status als Herrschergattin, welcher sie zu politischem Handeln insbesondere in den Außenbeziehungen prädestinierte10. Ein weiterer Faktor, der die Königin von einer Hofdame oder Mätresse unterschied, ergab sich aus ihrer Doppelrolle als Ehefrau des Königs und Vertreterin ihrer Herkunftsfamilie. Als Ehefrau hatte sie sich dem König und den Interessen ihrer »neuen« Dynastie unterzuordnen und ihre Verbindungen zur Herkunftsfamilie dahingehend zu nutzen, um diese im Sinne der Ankunftsfamilie zu beeinflussen. Als Tochter wurde gleichzeitig von ihr erwartet, dass sie ihre privilegierte Position am Ankunftshof zugunsten ihrer Herkunftsfamilie ausnützte, sei es um der Familie direkten politischen Einfluss zu ermöglichen oder sie an den Patronageressourcen des Ankunftshofes zu beteiligen. Die Königin war also nicht nur als Partnerin und Teil des »politischen Körpers« des Königs politische Akteurin, sondern gleichzeitig auch politisches Instrument sowohl ihrer Herkunfts- als auch Ankunftsfamilie11. Um diesen Erwartungen gerecht werden zu können, musste sich die Königin Einflussmöglichkeiten erarbeiten. Diese hingen aber genauso wie bei allen anderen höfischen Akteuren von der Nähe und vom Zugang zum König und von einem gut funktionierenden Netzwerk ab12. 8 Zum spanischen Hofzeremoniell siehe etwa Dalmiro de la Válgoma Díaz-Varela, Norma y ceremonia de las reinas de la casa de Austria, Madrid 1958; Christina Hofmann, Das spanische Hofzeremoniell von 1500 bis 1700 (Erlanger historische Studien, 8), Frankfurt a. M. 1985. 9 Heide Wunder, ›Er ist die Sonn’, sie ist der Mond‹. Frauen in der frühen Neuzeit, München 1992, 212, 215; María Victoria López-Cordón Cortezo, L’immagine della regina nella Monarquía hispánica. Modelli e simboli, in: I linguaggi del potere nell’età barocca, Bd. 2: Donne e sfera pubblica, hrsg. v. Francesca Cantù (I libri di Viella, 90), Roma 2009, 13– 44, hier 24. 10 Siehe hierzu Theresa Earenfight, Partners in Politics, in: Queenship and Political Power in Medieval and Early Modern Spain, hrsg. v. ders. (Women and Gender in the Early Modern World), Aldershot 2005, xiii–xxviii. 11 Fanny Cosandey, La reine de France. Symbole et pouvoir XVe–XVIIIe siècle, Paris 2000, 84 f. Zum Konzept der zwei Körper des Königs siehe Ernst Hartwig Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, München 1990. 12 Siehe u. a. Magdalena S. Sánchez, The Empress, the Queen, and the Nun. Women and Power at the Court of Philip III of Spain (The Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science, 116, 2), Baltimore 1998, passim; Katrin Keller, Mit den Mitteln einer Frau. Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wan-
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Verglichen mit der Königin verfügten die übrigen Akteurinnen unseres Projekts über weiter reichende zeremonielle Freiräume. Die Freiräume ergaben sich aus der besonderen Situation dieser Frauen: Die Position der Mätresse etwa war im Protokoll nicht definiert, sie hatte weder genaue Zuständigkeitsbereiche noch verfügte sie über ein klar umgrenztes Aufgabengebiet. Bei der camarera mayor war die Situation ähnlich: Auch wenn Abhandlungen über ihre Aufgaben und das Zeremoniell existierten, blieb offenbar ein großer Gestaltungsspielraum, den jede Amtsinhaberin in unterschiedlichem Maße nutzte13. Für die Princesse des Ursins wurden darüber hinaus einige Regeln auf Befehl Ludwigs XIV. geändert: So sollte sie beispielsweise von Beginn ihres Aufenthalts in Madrid an bei allen Audienzen, die die Königin gab, anwesend sein14. Somit ergaben sich für die weiblichen Akteurinnen Handlungsspielräume, die sie nutzen und individuell ausgestalten konnten, um an der Festigung ihrer Stellung bei Hofe zu arbeiten. Eine zentrale Frage aller drei Projekte war jene nach der Bedeutung der Kategorie Geschlecht auf der Verhandlungsebene: Wann und wie wurde »Geschlecht« nicht nur von den untersuchten Frauen selbst, sondern auch von ihrem jeweiligen Gegenüber thematisiert? Wann und wie wurde »Geschlecht« inszeniert und instrumentalisiert? Frauen war grundsätzlich der formale Zugang zu Macht – und ganz konkret: zu Ämtern im diplomatischen Apparat – verwehrt. Im zeitgenössischen Verständnis wurde dies mit der angeblichen weiblichen Unfähigkeit und der Unterlegenheit der Frau gegenüber dem Mann begründet15. Doch auch ohne Amt konnten Frauen Einfluss auf die Außenbeziehungen nehmen. Sie taten dies jedoch auf anderen Wegen als männliche Akteure, die zumeist auch ein Amt bekleideten. Hier ergibt sich eine Schwierigkeit: Vergleicht man die weiblichen Akteurinnen mit männlichen Akteuren, so bezieht sich dieser Vergleich zumeist auf männliche Amtsträger am Hof oder in den Außenbeziehungen. Stellt man jedoch informell agierende Akteurinnen ohne Amt in den Außenbeziehungen männlichen Akteuren gegenüber, die als Amtsträger (Minister, Staatssekretäre, diplomatische Vertreter) auf formalen Wegen agierten, kann man die Bedeutung der Geschlechtszugehörigkeit nur schwer herausfiltern. Wir wollen uns daher auf zwei anderen Wegen der Frage annähern: Einerseits soll die parallel und in Ergänzung zum Botschafter agierende Princesse des Ursins mit dem regulären, formal ernannten männlichen Botschafter verglichen werden. Andererseits werden wir zwei informell agierende Akteure unterschiedlichen Gedel, hrsg. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 219–244, 222. 13 Siehe M. V. López-Cordón Cortezo, Entre damas (Anm. 5), 123–152. 14 Siehe Jean-Baptiste Colbert, Marquis de Torcy an Marie-Anne de La Trémoille, Princesse des Ursins, Fontainebleau, 13.11.1701, MAE MD Espagne 105, f. 145–146. 15 Siehe z. B. Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Beck’sche Reihe, 1625), München 2005, bes. Kap. I Querelle des femmes, 13–52.
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schlechts einander gegenüberstellen: die Mätresse Madame de Pompadour und einen männlichen Vertrauten Ludwigs XV. Im ersten Fall hat sich gezeigt, dass die Princesse aufgrund ihres Hofamtes als Erste Kammerdame den direkteren Zugang zum Herrscherpaar als der Botschafter hatte. Aufgrund ihrer Doppelrolle als Hofdame der spanischen Königin und Agentin Ludwigs XIV. vermochte sie zwei politische Handlungsfelder zu verbinden: die spanische Hofpolitik und die Außenbeziehungen beider Kronen, in denen sie in ihrem eigenen Verständnis »im Dienst des Königs« (pour le service du roi)16 wirkte. Ihre Zugehörigkeit zum französischen und zum spanischen Hochadel, ihre Sprachkenntnisse und ihre reichen Verhandlungserfahrungen, die sie an verschiedenen europäischen Höfen hatte sammeln können17, machten sie zu einer besonders geeigneten Person für diese politische Schnittstelle. Aber auch die Vorteile ihres fehlenden diplomatischen Amtes liegen auf der Hand: Die Princesse konnte das Königspaar aufsuchen, ohne sich eine formale Audienz verschaffen zu müssen18. Ihre Aufgaben waren an keiner Stelle schriftlich festgehalten, konnten also immer wieder aufs Neue flexibel ausgehandelt werden. Außerdem konnte sie sich in Verhandlungen gegebenenfalls auch auf die Seite des spanischen Königspaares stellen und sich so dessen Vertrauen bewahren19. Im Jahr 1709 schließlich, als der formale Vertreter Ludwigs XIV. der Außenwirkung wegen den spanischen Hof verlassen musste, konnte sie in Madrid bleiben20. Sie war es, die die Kontinuität der französischen Einflussnahme garantierte, sodass »ein Botschafter, der nicht nach dem Geschmack der Madame des Ursins ist, in diesem Land hier niemals Erfolg haben und dem König nützlich sein kann […]«21 – so formulierte es zumindest der französische Staatssekretär für Auswärtiges, Colbert de Torcy. Der Blick auf die drei Kernaufgaben eines Botschafters – Informieren, Repräsentieren, Verhandeln – zeigt die synergetischen Effekte der Zusammenarbeit zwischen Botschafter und Kammerdame. Umfassend informieren sollten sie beide; mit den meisten Botschaftern arbeitete die Princesse des Ursins effizient zusammen. Ebenso repräsentierten beide die französische Krone, wenn auch in unterschiedlicher Weise: Wurde der Princesse eine besondere Ehre erwiesen – etwa wenn ihr als camarera mayor in festlichen Zeremonien wie der Taufe des 16 Siehe Ursins an Ludwig XIV., Rom, 21.6.1701, MAE CP Rome 421, f. 433. 17 Siehe Recueil des Instructions données aux ambassadeurs et ministres de France depuis les Traités de Westphalie jusqu’à la Révolution Française, Bd. 12: Espagne, 2: 1701–1722, hrsg. v. Alfred Morel-Fatio, Paris 1898, 19. 18 Ferdinand de Marsin an Ludwig XIV., Barcelona, 19.11.1701, MAE MD Espagne 105, f. 165. 19 Siehe C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), 355 f. und 428. 20 Ebd., 380 f. 21 […] qu’un ambassadeur qui ne sera pas du goût de Madame des Ursins ne réussira jamais en ce pays-ci et n’y pourra pas servir le Roi utilement […]. Louis de Cerest, Marquis de Brancas an Colbert de Torcy, Madrid, 30.11.1713, MAE CP Espagne 224, f. 59.
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Thronfolgers eine besondere Rolle zukam, so bedeutete dies zugleich eine Ehrerweisung für den französischen König. Repräsentation im engeren Sinne, das heißt die Stellvertretung des Königs in personam, blieb allein dem Botschafter vorbehalten. Was die Verhandlungen betraf, so hatte die Princesse mitunter die größeren Spielräume. Im Idealfall ergänzten sich die beiden mit ihren unterschiedlichen Kompetenzen, Handlungsspielräumen und Einflussmöglichkeiten, was von Versailles auch von Beginn an explizit gewünscht wurde22. Der Vergleich zwischen der Princesse des Ursins und dem formal entsandten Botschafter Ludwigs XIV. zeigt demnach, dass die Princesse aufgrund ihrer weniger klar definierten Aufgaben über größere Spielräume verfügte und es nicht zuletzt auch aus diesem Grund zu einer machtvolleren Position am spanischen Hof gebracht hatte. Dank ihres Zugangs zu den Entscheidungsträgern vermochte sie diese Spielräume optimal zu nutzen. Schließen wir hier die Gegenüberstellung der ohne jede Amtsbefugnisse agierenden Mätresse Pompadour und eines anderen, informell agierenden männlichen Vertrauten Ludwigs XV. an. Zum direkten Vergleich bietet sich dessen Cousin Prince de Conti an, der ebenfalls kein Hofamt bekleidete, sich aber rege in den Außenbeziehungen zu profilieren suchte23. Dem Prince de Conti war es gelungen, zu einer zentralen Gestalt bei Hofe zu werden, dem man Einfluss auf die wichtigsten Entscheidungen des Königs zusprach. Verglichen mit der Zusammenarbeit mit einem Amtsinhaber, einem Minister oder Staatssekretär hatte die Zusammenarbeit mit Conti für den König bedeutende funktionale Vorteile – dieselben Vorteile, die er sich auch von der Zusammenarbeit mit der Marquise versprechen konnte: Beide Vertraute waren gut informiert, verfügten über jahrelange Erfahrung, und dennoch haftete ihnen nicht das Etikett eines Ministers an. Sie konnten daher bestimmte Regeln des Zeremoniells umgehen. Dies bezog sich vor allem auf die Treffen mit dem König, die vergleichsweise formlos und spontan stattfinden konnten. So wurden die Arbeitsgespräche des Königs mit Conti oder Pompadour von der Hofgesellschaft nicht immer als solche wahrgenommen und konnten häufig unerkannt bleiben. Zudem riskierte Ludwig XV. nicht zwangsläufig einen Gesichtsverlust, wenn Vorstöße, die im Namen des Prince de Conti oder von Madame de Pompadour getätigt wurden, nicht von Erfolg gekrönt wurden: Der König musste sie gar nicht unbedingt als Misserfolg eingestehen. Es war ebenso gut möglich, sie unter den Tisch fallen zu lassen oder sich von ihnen zu distanzieren, denn sie hatten jenseits des Protokolls, mit einer sehr kleinen Zahl von Mitwissern und ohne schriftliche Zeugnisse stattgefunden. In dieser Hinsicht unterschieden sich demnach Madame de Pompadour und Prince de Conti nicht grundlegend voneinander. Beide konnten ohne Amt, aber auf Grundlage ihrer persönlichen Nähe zum Herrscher Einfluss auf Entscheidungen mit außenpoli22 Siehe A. Morel-Fatio (Hrsg.), Recueil des Instructions (Anm. 17), 20. 23 Siehe das entsprechende Kapitel in E. Dade, Pompadour (Anm. 3), 214–227.
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tischer Tragweite nehmen; für die Hofgesellschaft und Auswärtige waren sie als Berater des Königs erkennbar, sie wurden als machtvoll eingestuft und anerkannt. Für den Herrscher bedeutete informelles Agieren – sei es durch die Zuhilfenahme der weiblichen oder des männlichen Vertrauten – in jedem Fall größere Effizienz: kürzere Wege, direkteres Vorgehen, schnelleres Entscheiden, aber auch die Vermeidung von Risiken. Worin liegen aber nun die geschlechtsspezifischen Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Vertrauten, die dem König beide ähnliche Vorteile verschaffen konnten? Unsere Arbeit hat gezeigt, dass sich Conti mehr als Pompadour der Kritik von Seiten der Amtsträger ausgesetzt sah, und auch die auswärtigen Diplomaten am Hof in Versailles hielten seine Position für weniger stabil als die der Mätresse24. Tatsächlich verließ er bereits 1756, nachdem er das Vertrauen des Königs verloren hatte, den Hof, während die Marquise de Pompadour noch bis zu ihrem Tod 1764 an der Seite des Monarchen blieb25. Möglicherweise konnte sie ihre Rolle als informelle Akteurin in den Außenbeziehungen deshalb länger beibehalten, weil sie als Frau keine Möglichkeit zur formalen Amtsinhabe hatte: Die Vertreter der wachsenden Bürokratie, die immer mehr auf die Wahrung zugesicherter Kompetenzen und die Abgrenzung von Ressorts pochten, nahmen sie in geringerem Maße als Rivalin wahr – in geringerem Maße als den Prince de Conti, dem man stets Ambitionen auf die höchsten Ämter unterstellt hatte. So betrachtet muss die Frage nach der Bedeutung des Geschlechts differenziert beantwortet werden. Was die effektive Machtfülle und den konkreten Einfluss auf politische Entscheidungen betrifft, so wirkte sich die weibliche Geschlechtszugehörigkeit nicht hinderlich aus – im Gegenteil: Das Beispiel der Pompadour zeigt, dass vor dem Hintergrund und gegen den Widerstand eines beständig wachsenden und auf Kompetenzen drängenden Verwaltungsapparats informell agierende Frauen zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts offensichtlich noch größere Freiräume genossen als Männer. Zugleich wird jedoch auch deutlich, dass bezüglich Macht und Einfluss die Kategorie »Nähe zum Herrscher« eine viel ausschlaggebendere Rolle spielte. Dabei waren die Wege, auf denen die Frauen agierten, keineswegs zweitrangige und ebenso wenig »rein weibliche« Kanäle. Im politischen Alltagsgeschäft konnten in der Frühen Neuzeit die verschiedensten Kommunikationsstränge Bedeutung erlangen26. Themen mit besonderer politischer Brisanz wie Bündnisverhandlungen oder Fragen zu Thronfolgeregelungen wurden eher auf informellem 24 Ebd., 226. 25 Ebd., 221. 26 Siehe in diesem Sinn auch Michel Antoine / Didier Ozanam, Introduction, in: Correspondance secrète du Comte de Broglie avec Louis XV (1756–1774), hrsg. v. dens., Bd. 1, Paris 1956, XII, die die Vervielfachung der Kommunikationsstränge als besonderes Charakteristikum der Herrschaft Ludwigs XV. herausstellen.
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Wege angegangen, erstens aus Gründen der Effizienz und zweitens um das Risiko des Gesichtsverlustes zu minimieren. Die weiblichen Akteure waren dementsprechend Teil eines komplexen, häufig auf Parallelitäten und Redundanzen angelegten Systems, von dessen Nutzung sich die Beteiligten – häufig zu Recht – Vorteile versprachen. Neben ihrem Kontakt zum zuständigen Staatssekretär pflegten die auswärtigen Gesandten beispielsweise denjenigen zu Madame de Pompadour, zu Madame de Maintenon oder zur Princesse des Ursins27 sowie zu Königin Elisabetta Farnese sehr bewusst28. Den Entscheidungen der diplomatischen Akteure lag offensichtlich vor allem die pragmatische Überlegung zugrunde, über welche Person bei Hofe man den besten Zugang zu den formal befugten Entscheidungsträgern erhalten könne. Informalität war ein Kriterium, das bei der Wahl der Vermittlerperson am Hof Vorteile versprach. Die weibliche Geschlechtszugehörigkeit konnte ein weiteres positives Kriterium sein, das möglicherweise manches Mal den Ausschlag gab. Die Kanäle der weiblichen Akteurinnen ergänzten auf diese Weise die formal bestehenden Verbindungen. Elisabetta Farnese muss man in dieser Hinsicht dennoch gesondert betrachten. Sie bewegte sich dank ihres Status als Königin auf einer anderen legitimatorischen Ebene als die drei anderen untersuchten Frauenfiguren. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass ihr Einfluss auf den König beispielsweise von der französischen Seite her zwar als möglicher Unsicherheitsfaktor29, aber trotzdem stets als legitim und grundsätzlich erwünscht angesehen wurde30. Ebenfalls wurde das Verfolgen ihrer sogenannten »Partikularinteressen«, das heißt ihrer italienischen Erbrechte, nicht in Frage gestellt – solange diese nicht den Interessen der beiden Kronen oder der »Öffentlichen Ordnung« (tranquilité publique) zuwiderliefen31. Gleichzeitig war sie aber in ihrer Bewegungsfreiheit durch das Zeremoniell stärker eingeschränkt und verfügte so über weniger Handlungsspielraum als beispielsweise eine Mätresse oder eine camarera mayor. Gerade für Elisabetta Farnese konnte sich ihre ständige Nähe zum König – Philipp V. trennte sich spätestens ab 1724 nur noch für die Zeit der Beichte von ihr – zusätzlich einschränkend auswirken, sodass sie sich nur noch selten ohne das Beisein des Königs mit Dritten treffen konnte32. 27 Siehe C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), 50 f. und 74 f. sowie Bryant, Marc, Françoise d’Aubigné, Marquise de Maintenon: Religion, Power and Politics: A Study in Circles of Influence during the later Reign of Louis XIV, 1684–1715, Diss. [London 2001], 216. 28 Siehe z. B. die Instruktionen an Jean-Baptiste Louis Andrault, Marquis de Maulevrier, o. O., 9.7.1720, MAE CP Espagne 295, f. 217 ff. 29 Siehe: Pour former l’instruction pour Mr. de Maulevrier, Paris, 9.7.1720, MAE CP Espagne 295, f. 224. 30 Siehe Instruction pour M. le Comte de Rottembourg allant en Espagne de la part de Sa Majesté, Fontainebleau, 18.9.1727, MAE CP Espagne 350, f. 197–198. 31 Siehe z. B. Dubois an Mornay, Paris, 26.11.1720, MAE CP Espagne 296, f. 266. 32 Siehe Mornay an Dubois, Madrid, 21.10.1720, MAE CP Espagne 296, f. 169–170.
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Von wesentlicher Bedeutung war das Geschlecht für die Art und Weise, in der die Frauen sich selbst und ihr Handeln darstellten. Ihre Selbstdarstellungen waren flexibel, aber nicht willkürlich: flexibel, da sie sich je nach Situation auf unterschiedliche, ja gegensätzliche Weise inszenieren konnten, nicht willkürlich, da sie auf Norm- und Wertvorstellungen der höfischen Gesellschaft referierten, um überzeugend zu sein. In diesem höfischen Wertesystem stellte die Nähe zum Thron den wichtigsten politischen Machtfaktor dar. Besonders gut lässt sich dies in den Briefen von Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins beobachten: Die Selbstdarstellung der beiden Frauen erfolgte in erster Linie über ihre Nähe zum Herrscher. Indem sie beispielsweise wie beiläufig erwähnten, dass sie den ganzen Tag mit dem König zusammen gewesen seien, suggerierten sie ihrem jeweiligen Gegenüber die eigene Bedeutung33. Die eigene Bedeutungslosigkeit hingegen wurde, wenn es die Verhandlungssituation erforderte, anhand der Kategorie Geschlecht inszeniert: »Ich spreche als Frau.« (Je parle en femme.)34 Rhetorische Selbstbeschränkung war ein höfisches Element, das zum Persönlichkeitsideal des honnête homme beziehungsweise der honnête femme gehörte und über verschiedene Kategorien wie Herkunft oder Stand erfolgen konnte. Bei Frauen wie Männern ist diese rhetorische Selbstbeschränkung gleichermaßen zu finden. Bei Letzteren funktionierte sie jedoch nicht über Geschlecht, sondern über andere Faktoren wie Rang, Alter, Stand oder Herkunft. Weibliche wie männliche Akteure mussten ständig darauf bedacht sein, ihre Position in gesellschaftlich akzeptierte, konventionelle Formen zu bringen – nur spielte bei den weiblichen Akteuren der Faktor Geschlecht eine erhebliche Rolle für das Selbstbild, das sie von sich zeichneten. Sie hatten also ihre Selbstdarstellung nicht nur dem Ideal des höfischen Verhaltens, sondern auch dem Diskurs über die Geschlechterrollen anzupassen. Eine Königin wie Elisabetta Farnese konnte offenbar dank ihres Status eher auf rhetorische Selbstbeschränkung verzichten35. Nicht verzichten konnte aber auch
33 Siehe C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), 47, 264 f. (für Maintenon) und 281– 291 (für Ursins). 34 Ursins an Colbert de Torcy, Madrid, 6.11.1705, BL Add. Ms. 20918, f. 60; siehe hierzu C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), 286 f. und 274 ff. (für Maintenon). Zur Verwendung des Selbstverkleinerungstopos bei Madame de Pompadour E. Dade, Pompadour (Anm. 3), 231 ff. 35 So findet sich zum Beispiel in der Geheimkorrespondenz Elisabetta Farneses mit Kardinal André-Hercule de Fleury nur eine einzige Stelle in den gut zehn Briefen, die sie im Jahr 1727 an den Kardinal geschrieben hat, in welcher sie indirekt auf ihr weibliches Unvermögen, große politische Zusammenhänge zu verstehen, verweist: Je sais bien qu’il ne m’apartient pas de donner des con[seils à] une personne aussi éclairée que vous mais quelque fois aussi on peut retr[ouver] quelqu’être de raison dans les moins raisonnables. Elisabetta Farnese an Kardinal Fleury, Madrid, 25.2.1727, MAE CP Espagne 350, f. 29.
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sie auf die Inszenierung und das Betonen ihrer Nähe zum König, wollte sie ihrem Handeln Legitimität verleihen36. Es kann also festgehalten werden, dass Frauen aufgrund ihres Geschlechts zwar von der Bekleidung diplomatischer Ämter ausgeschlossen waren. Da aber der amtliche Kanal nur einer von mehreren war und man auf parallele, höfische Kanäle angewiesen blieb, bedeutet dies nicht, dass Frauen generell von diesem politischen Handlungsraum ausgeschlossen waren. Im Gegenteil: Das Informelle gehörte zum System. Auf informellen Wegen agierende Frauen und Männer waren ein funktionaler Bestandteil der frühneuzeitlichen Außenbeziehungen. Ihre Mitarbeit ermöglichte im Vergleich zum formal bestehenden Austausch vielfach ein direkteres und weniger risikoträchtiges Verhandeln. Weibliche Akteurinnen waren in dieses System von parallelen, sich ergänzenden und miteinander konkurrierenden Kanälen integriert, und zwar nicht verborgen oder heimlich. Vielmehr wurden sie von den beteiligten Akteuren der Außenbeziehungen, von Fürsten ebenso wie von deren Diplomaten, häufig ganz selbstverständlich als ein besonders effizienter Kanal genutzt. Gerade weil Frauen anders als Männern die formale Amtsinhabe in den Außenbeziehungen verwehrt war, erwiesen sie sich mitunter als die besseren informellen Akteure. Die Fremddarstellungen der Frauen hingegen weisen starke Kontraste auf, die zeigen, wie sehr die Beschreibungen durch den jeweiligen Standort des Verfassers und den Moment der Niederschrift geprägt wurden. So vermittelt der Blick in die Korrespondenzen der Botschafter, Minister und Herrscher häufig den Eindruck, als hätten die einflussreichen Positionen der Frauen kaum Erstaunen hervorgerufen37. Andererseits finden wir in zeitgenössischen Darstellungen wie etwa der Memoirenliteratur die stereotypen Bilder, mit denen üblicherweise weibliche Einflussnahme kritisiert wurde: Allmacht und Herrschsucht, Heimlichkeit und Intrige, illegitime Einmischung, politisches Unverständnis und Korruption des Systems38. Diese Bilder wurden sowohl zur Anklage als auch zur Verteidigung der Frauen herangezogen. Die Verfasser passten offensichtlich ihren Umgang mit Geschlechternormen dem jeweiligen Kontext an. Dieser Befund kann nicht auf einen Gegensatz zwischen Norm und Praxis reduziert werden. Er zeigt vielmehr, dass unterschiedliche Normensysteme trotz offensichtlicher Widersprüche nebeneinander bestehen konnten. Dieses Nebeneinander sich widersprechender Normen ist unter dem Begriff der Normenvielfalt
36 Siehe z. B. Elisabetta Farnese an Kardinal Fleury, Madrid, 25.2.1727, MAE CP Espagne 350, f. 28. 37 Siehe etwa C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), 324–330. 38 Ebd., 306–324.
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als charakteristisch für die vormoderne politische Kultur beschrieben worden39. Innerhalb der Zeitspanne unseres Projekts ist jedoch eine Entwicklung zu beobachten: Scheint es für den Anfang des 18. Jahrhunderts noch so zu sein, dass zwei Normensysteme im Bereich der Diplomatie – nennen wir sie »höfisch« und »bürokratisch« – relativ gleichberechtigt nebeneinander standen, so verweisen die Ergebnisse der Mitte des 18. Jahrhunderts auf eine klare Hierarchie. Die Normenvielfalt entwickelte sich in Richtung einer Normenhierarchie. So zeigt sich in der diplomatischen Korrespondenz aus der Zeit Madame de Pompadours, dass Formen informeller Einflussnahme von Seiten der Amtsträger zunehmend kritisch betrachtet und vermehrt als »irregulär« bezeichnet wurden, ein Begriff, der nach zeitgenössischem Sprachverständnis eindeutig negativ konnotiert war40. Als irregulär wurde nicht nur die Zuhilfenahme der Mätresse als solche bezeichnet – in Abgrenzung zum regulären Weg, der über die Zusammenarbeit mit den formal ernannten Vertretern des Königs verlief. Als irregulär wurden auch die geheimen Parallelkorrespondenzen gekennzeichnet, in denen von ebenjener alternativen Route über die Mätresse die Rede war. Die Zeitgenossen gliederten nicht nur sorgsam die Korrespondenz, sondern auch die Handlungen, die sie beschrieben, und kennzeichneten alles, was nicht in die Korrespondenz im Kanzleistil aufgenommen werden durfte, als außerhalb der Norm stehend41. Auf diese Weise machten die formal legitimierten Akteure deutlich, dass sie alle anderen Handlungsoptionen und Verhandlungswege wie etwa jenen über die Mätresse als mit der bürokratischen Vorgehensweise nicht gleichwertig wahrnahmen. Personale politische Praktiken wurden nicht mehr als korrekt wahrgenommen und deshalb aus der offiziellen Korrespondenz verbannt. Es bietet sich hier an, das von Hillard von Thiessen vorgeschlagene Konzept der »Diplomatie vom type ancien«42 aufzugreifen. Der »Diplomat vom type ancien«, ein Modell, das vor allem auf den ambassadeur, zum Teil aber auch auf Gesandte und Agenten passt43, zeichnete sich unter anderem durch seinen höfischen Ver-
39 Siehe etwa Hillard von Thiessen / Arne Karsten, Einleitung, in: Nützliche Netzwerke und korrupte Seilschaften, hrsg. v. dens., Göttingen 2006, 7–17, hier 12. 40 Antoine Furetière, Dictionnaire Universel contenant généralement tous les mots François tant vieux que modernes, et les termes de toutes les Sciences et des Arts, 3 Bde., Paris 1978 (Nachdruck der Ausgabe Rotterdam 1690), Bd. 2, Stichwort irrégularité. Irrégularité […]. Défaut, qualité de ce qui est fait contre les règles. […]. 41 Siehe dazu das entsprechende Kapitel in E. Dade, Pompadour (Anm. 3), 258–274. 42 Hillard von Thiessen, Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel, hrsg. v. dems. / Christian Windler, Köln 2010, 471–503, hier 484 f. 43 Ebd., 487.
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haltensstil aus44. Wir schlagen vor, dieses Konzept – gerade weil es sich stark am höfischen Ideal orientiert – auch auf weibliche Akteure zu beziehen. Die »Arbeitsteilung« zwischen Botschaftern, niederrangigen Funktionsträgern und weiteren Akteuren, die von Thiessen beschreibt, fand genauso zwischen Botschaftern und höfischen Akteuren weiblichen Geschlechts statt. Auf diese Weise können auch Akteure wie Madame de Pompadour und die Princesse des Ursins dieser engeren Sphäre der Diplomatie zugeordnet werden. Sie standen für eine höfische Form der Diplomatie, die lange Zeit nicht in Konkurrenz, sondern in Synergie mit bürokratischen Elementen funktionierte. Ihre Machtteilhabe war demnach ein funktionaler Bestandteil der »höfischen Kultur der Außenbeziehungen«45.
44 Dieses System weise Kontinuitäten auf, die erst mit der Entstehung der modernen Fachdiplomatie mit professionellen Verwaltungen grundlegende Änderungen erfuhren. Siehe ebd., 485 f. und 488 f. 45 Siehe hierzu die Schlussfolgerungen von C. Bastian, Verhandeln in Briefen (Anm. 1), insbesondere 430 f. und 435 f.
Marie-Antoinettes Remise und das Geschlecht der Diplomatie im späten 18. Jahrhundert
Von Joan Landes »Marie-Antoinette-Josèphe-Jeanne de Lorraine, Erzherzogin von Österreich, Tochter von Franz von Lothringen und von Maria-Theresia, wurde am 2. November 1755, dem Tag des Erdbebens von Lissabon geboren; und diese Katastrophe, die der Epoche ein schicksalhaftes Siegel aufzudrücken schien, machte, ohne der Prinzessin ein Grund für abergläubische Furcht gewesen zu sein, dennoch Eindruck auf ihren Geist.«1
So beginnt der Bericht der ersten Kammerfrau Marie-Antoinettes, Jeanne Louise Henriette Campan. Die Geburt unter einem ungünstigen Stern wurde durch ein weiteres Unglück ergänzt, das den Weg der unglückseligen Königin »vom Thron auf das Schafott«2 vorausahnen ließ – der plötzliche Verlust ihres Vaters, des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches, Franz (von Lothringen), als sie gerade erst zehn Jahre alt war. Besonders reizvoll für den Leser ist freilich Madame Campans Bericht von der remise, der Zeremonie, im Rahmen derer die 14-jährige MarieAntoinette von österreichischen in französische Hände gegeben wurde, um ihre neue Position als Gattin des Dauphins und zukünftigen Königs Ludwig XVI. einzunehmen. Sowohl ihrer österreichischen Begleiter als auch ihrer prachtvollen österreichischen Hochzeitskleider entledigt, wurde Marie-Antoinette von ihren neuen französischen Bediensteten in die Gewänder Frankreichs gehüllt, damit, 1 Jeanne Louise Henriette Campan, Mémoires sur la vie privée de Marie-Antoinette, suivis de souvenirs et anecdotes historiques sur les règnes de Louis XIV et de Louis XV, hrsg. v. François Barrière (Bibliothèque des mémoires relatifs à l’histoire de France, pendant le 18e et le 19e siècle, avec avant-propos et notes, 10), Paris 1886, 61: Marie-Antoinette-Josèphe-Jeanne de Lorraine, archiduchesse d’Autriche, fille de François de Lorraine et de Marie-Thérèse, naquit le 2 novembre 1755, jour du tremblement de terre de Lisbonne; et cette catastrophe qui semblait marquer d’un sceau fatal l’époque de sa naissance, sans être pour la princesse un motif de crainte superstitieuse, avait pourtant fait impression sur son esprit. Mme. Campan fährt fort: Comme l’impératrice avait déja un grand nombre de filles, elle désirait vivement avoir encore un fils, et parla, contre son vœu, une discretion avec le duc de Tarouka, qui avait soutenu qu’elle donnerait le jour à un archiduc. Il perdit par la naissance de la princesse, et fit executer en porcelain une figure qui avait un genou en terre, et présentait des tablettes sur lesquelles le célèbre Métastase fit graver les vers suivants: ›Io perdei: l’augusta figlia/ A pagare m’ha condannato;/ Ma s’è ver che a voi somiglia,/ Tutto il mondo ha guadagnato‹. Ebd., 61–62. 2 Évelyne Lever, Introduction, in: Correspondance de Marie-Antoinette (1770–1793), hrsg. v. Évelyne Lever, Paris 2005, 9–33, 10.
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so Madame Campan, sie nichts mitnehme, was einem fremden Hof gehörte – da diese »Etikette stets beachtet wird unter diesen Umständen«3. Die remise – in den Worten einer jüngeren Biographin »ein Akt spiritueller Besitznahme« (an act of spiritual possession)4 – wurde auch in Unterhaltungsfilmen ins Bild gesetzt, zuletzt und recht brillant in dem ansonsten in historischer Hinsicht problematischen Film Marie Antoinette aus dem Jahre 2006 unter der Regie von Sophia Coppola5. Obwohl dieser Austausch des fremden Körpers einer künftigen Herrschergattin einen zeremoniellen Höhepunkt in der Diplomatie des 18. Jahrhunderts darstellte, sollte genau diese Eigenschaft Marie-Antoinettes – ihre Fremdheit – später ihr Schicksal als vermeintliche Feindin der französischen Nation, die nicht ihrem neuen Land, sondern dem heimatlichen Österreich treu geblieben sei, besiegeln. Viel wurde bereits über die negative Darstellung der Königin geschrieben, wie sie ursprünglich von Höflingen, die oftmals Mitglieder der anti-österreichischen Faktion der dévots waren, ausging und später in noch feindseligerer Form von den Revolutionären fortgeführt wurde. Ihre vielen Körper waren, wie die Historikerin Lynn Hunt gezeigt hat, ein Ort potentieller Bedrohung und Zerrüttung des politischen Körpers. Allerdings hat sich die Analyse von Marie-Antoinettes Unpopularität auf ihre Jahre als reine scélérate, wie es Chantal Thomas ausgedrückt hat, beschränkt6. Indem ich stattdessen den Schwellenmoment von Marie-Antoinettes Übertritt und ihre Einführung an den französischen Hof betrachte, hoffe ich, Aspekte der Rolle der Frau als Objekt und, weniger typisch, als Subjekt der Diplomatie des 18. Jahrhunderts ausmachen zu können. Dies schließt einen bemerkenswerten Aspekt ein: Die junge Braut wurde von ihrer Mutter Maria Theresia dem König von Frankreich, Ludwig XV. angeboten. Des Weiteren machten es die heiklen Verhandlungen und Arrangements, die die Verbindung absichern sollten, erforderlich, dass die 14-jährige Marie-Antoinette auf ihre Erbfolgerechte an den habsburgischen Titeln und Ländern verzichtete. 3 étiquette toujours observée dans cette circonstance, J. Campan, Mémoires (Anm. 1), 70. 4 Antonia Fraser, Marie Antoinette. The Journey, New York 2011, 60. 5 Eine andere Darstellung dieser Szene findet sich in dem Fernsehfilm Les jupons de la Révolution. Marie Antoinette, reine d’un seul amour (1989) unter der Regie von Caroline Huppert. 6 Vgl. Lynn Hunt, The Many Bodies of Marie Antoinette. Political Pornography and the Problem of the Feminine in the French Revolution, in: Marie Antoinette. Writings on the Body of the Queen, hrsg. v. Dena Goodman, New York / London 2003, 117–138, sowie die weiteren Beiträge in diesem Band; Chantal Thomas, La Reine scélérate. Marie Antoinette dans les pamphlets, Paris 2003. In seinem gleichnamigen Film aus dem Jahre 2012, der den Beginn der Revolution aus der Perspektive von Dienern des königlichen Haushaltes zeigt, hat Benoît den Roman von Chantal Thomas, Les adieux à la reine, Paris 2002, adaptiert.
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Für Marie-Antoinette beinhaltete die Erhebung zur Frau des Dauphins eine doppelt verstärkte Position der Machtlosigkeit: Ihre Position als Königin hatte sie nicht von ihren Eltern ererbt, sondern vielmehr durch Heirat erlangt. Gemäß den rechtlichen Normen des Königreiches nahm sie eine paradoxe Stellung als Herrscherin und Untertanin zugleich ein. Ihre Teilhabe an der Herrschaftsausübung war Teil der Besonderheiten weiblichen Königtums, die durch Geschlecht und Heirat bestimmt wurden. Die Lex salica schloss eine weibliche Teilhabe an der königlichen Nachfolge aus. Eine französische Königin besaß »keine Autorität oder Recht zu regieren« (no authority or right to govern). Ihr Verhältnis zum Königreich oder zum Staat war ganz von ihrem Verhältnis zum König abhängig7. Auch wenn »die Eheverbindung die conditio sine qua non dafür war, dass eine Frau in Frankreich zu königlichem Rang aufsteigen konnte« 8, wurde nicht allen Gattinnen des Königs der Titel der Königin zuerkannt. Ausgeschlossen davon blieb Madame de Maintenon als morganatische Ehefrau Ludwigs XIV. Im Unterschied zu einer morganatischen Ehefrau oder einer Mätresse war die Königin als Ehefrau und Mutter des zukünftigen Königs verpflichtet, die höchsten Aufgaben der Regierung für den entweder durch Abwesenheit, Krankheit oder Minderjährigkeit verhinderten Souverän auszuüben. In dieser Hinsicht ist es irreführend, weibliche Souveränität ausschließlich ihrer familiären und mütterlichen Rolle zuzuschreiben9. Dennoch definierte und begrenzte Letztere ihre souveräne Macht. Scheinbar widersprüchliche Züge langfristiger Entwicklungen im frühneuzeitlichen Frankreich beeinflussten ebenfalls die Umstände, unter denen MarieAntoinette ihre Rolle ausfüllte. Trotz des eindeutigen, im Rahmen des Salischen Gesetzes formulierten Ausschlusses von einer Beteiligung an der Erbfolge wurden Frauen Regentschaften übertragen. Fanny Cosandey zufolge trat das paradoxe Verhältnis zwischen dem Ausschluss der Frauen von der Thronfolge und der Regentschaft durch Königinnen im 17. Jahrhundert besonders deutlich zutage, als die Theoretiker der absoluten Monarchie die Fürstinnen aus der Sphäre des Staates entfernt sehen wollten10. Trotz der Regentschaften von Maria de’ Medici 7 Mary Sheriff, The Exceptional Woman. Elisabeth Vigée-Lebrun and the Cultural Politics of Art, Chicago 1996, 154: the queen held no relation to the kingdom or to the state independent of her relation to the king. 8 Fanny Cosandey, La reine de France. Symbole et pouvoir, XVe–XVIIIe siècle, Paris 2000, 361: l’union matrimoniale est bien la condition sine qua non pour qu’une femme accède au rang royal en France. 9 Fanny Cosandey gibt zu bedenken, Letzteres impliziere d’analyser la régence comme un dérapage du rouage étatique, une désorganisation du système permettant à celle qui est exclue du pouvoir de s’en emparer en toute impunité. Fanny Cosandey, ›La blancheur de nos lys‹. La reine de France au coeur de l’État royal, in: Revue d’histoire moderne et contemporaine 44/3 (1997), 387–403, 387. 10 Avec la montée de l’absolutisme, le roi tend à occuper toute la scène politique, reléguant de ce fait l’épouse royale à l’arrière-plan. Dés lors les reines régnantes s’écartent progressivement du
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(1610–1617) und Anna von Österreich (1643–1651) wurde die strukturelle Position der Königin damals entscheidend geschwächt. Sie wurde weiter beschränkt durch das Fehlen einer Königin über einen Zeitraum von 42 Jahren, der sich vom Tod von Marie-Thérèse (der Gattin Ludwigs XIV.) bis zur Ankunft von Maria Leszczyńska (der Gattin Ludwigs XV.) erstreckte11. Im 18. Jahrhundert blieb die Königin zwar unverzichtbar für die Aufrechterhaltung dynastischer Kontinuität, sie erschien aber weniger notwendig für das Funktionieren der Monarchie. Während ihr noch eine Bedeutung bei königlichen Geburts- und Totenritualen zugestanden wurde, verflüchtigte sich ihre Rolle bei anderen Zeremonien und bei der Regierung des Königreiches. Im späten 17. und 18. Jahrhundert, so Cosandey, beschränkte sich die Rolle der Königin immer mehr auf das Gebären von Kindern; ihr Leben wurde zunehmend auf eine Art königliche Privatsphäre, die von der Sphäre des Staates abgetrennt war, eingeschränkt. Obwohl Cosandeys Terminologie nicht mit der Entwicklung dessen verwechselt werden sollte, was Jürgen Habermas als eine von der staatlichen Sphäre abgetrennte Privatsphäre beschrieben hat12, kam Maria Leszczyńska doch eher eine mütterliche und familiäre Rolle zu. Diese war in weiten Teilen der dringenden Notwendigkeit geschuldet, einen Erben für Ludwig XV. zu zeugen. Das Königspaar bewohnte getrennte Privatappartements, die ihm allein oder einer kleinen Anzahl enger Vertrauter vorbehalten waren. Dies sollte auch MarieAntoinette mit weit besorgniserregenderen Konsequenzen fortführen. Dennoch lebte, wie auch Cosandey hervorhebt, Maria Leszczyńska niemals ein wirkliches Privatleben. Die Türen zu ihren Privatgemächern blieben stets offen13. pouvoir, et les cérémonies monarchiques qui glorifiaient leur souveraineté ne sont plus de mise: dès Anne d’Autriche, les reines ne sont plus sacrées (et Marie de Médicis elle-même a bien failli ne pas l’être), les entrées royales ne se font plus que dans l’ombre du souverain, et les funérailles apparaissent beaucoup plus chrétiennes que royales. Mais si le XVIIe siècle est marquée par un effacement de la reine régnante sur le plan politique, il est aussi caractérisé par l’éclatant pouvoir des reines mères lors des régences. F. Cosandey, ›La blancheur de nos lys‹ (Anm. 9), 388. 11 Siehe F. Cosandey, La reine de France (Anm. 8). Zu Maria Leszczyńskas privaten Appartements vgl. Jennifer-Grant Germann, Figuring Marie Leszczinska. Representing Queenship in Eighteenth Century France, Diss. Chapel Hill 2002, v. a. 112–121; dies., Fecund Fathers and Missing Mothers. Louis XV., Marie Leszczinska, and the Politics of Royal Parentage in the 1720s, in: Studies in Eighteenth Century Culture 36 (2007), 105–126. 12 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1962 (Neuaufl. 1990). 13 Vgl. F. Cosandey, La reine de France (Anm. 8), v. a. 372–374; J. Germann, Fecund Fathers and Missing Mothers (Anm. 11), 110–111. Germann bestreitet Cosandeys These, dass Königinnen zu »privaten« Akteurinnen wurden und dass eines ihrer Hauptcharakteristika ihre Mutterrolle war. Sie führt aus, dass the definition of ›domestic duties‹ for a queen differed markedly from that of most, if not all, other women. Marie Leszczinska had little to do with her children’s upbringing and she still had a very public, if diminished role. Ebd., 112.
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I. Österreichische Vorgängerinnen: Kaiserin Maria Theresia Kaiserin Maria Theresia war in verschiedener Hinsicht, insbesondere im Vergleich zu ihrem französischen Konterpart Maria Leszczyńska, eine Ausnahmeerscheinung. Im Gegensatz zu der Position, die Marie-Antoinette bald einnehmen sollte, und der Rolle, die die meisten Frauen aus königlichen Familien an höchster Stelle spielten, nahm Maria Theresia nicht bloß die Position einer Frau eines regierenden Herrschers ein; ebenso wenig war sie lediglich eine Regentin – etwa als Witwe, die auf den Herrschaftsantritt ihres erstgeborenen Sohnes wartete, wie Anne d’Autriche, die Witwe Ludwigs XIII. und Mutter Ludwigs XIV. Maria Theresia verfügte vielmehr über die auch in der Geschichte des Hauses Habsburg einzigartige Stellung als Erbmonarchin. Als ihr Mann 1745 zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gekrönt wurde, hatte sie bereits 1741 die ungarische Krone erlangt und bei ihrer Krönungszeremonie traditionell männliche Symbole militärischer Macht übernommen. Sie hatte eine ernsthafte Revolte gegen ihre Herrschaft überstanden, während der sie ihre Fähigkeit unter Beweis gestellt hatte, Heere auszuheben, Bündnisse auszuhandeln und Zwietracht unter ihren Feinden zu säen. Nichts davon war ihr leicht gefallen. Im Rückblick bemerkte sie 1750–51, sie habe »damahlen die zu Beherrschung so weitschichtiger und verteilter Länder erforderliche Erfahr- und Kenntnüs umb so weniger besitzen können, als meinem Herrn Vattern niemals gefällig waren mich zur Erledigung weder der auswärtigen noch inneren Geschäften beizuziehen noch zu informieren: so sahe mich auf einmal zusammen von Geld, Truppen und Rat entblößet«14. Bemerkenswerterweise lebten sie und Franz selbst während des anschließenden Österreichischen Erbfolgekrieges ein glückliches Familienleben. In dieser Zeit gebar die politisch sehr tatkräftige Kaiserin die ersten sechs ihrer 16 Kinder, darunter die späteren Kaiser Joseph II. und Leopold II. Tatsächlich trug, wie der Kunsthistoriker Michael Yonan überzeugend gezeigt hat, die Fähigkeit Maria Theresias, ihren natürlichen weiblichen Körper als Gemahlin und Mutter mit ihrem politischen Körper als habsburgische Herrscherin zu vereinen, wesentlich zur erfolgreichen Ausfüllung der monarchischen Rolle bei. Maria Theresias Heirat und die Fruchtbarkeit dieser Ehe bildeten wesentliche Bestandteile ihrer Identität als Herrscherin, die sie nach dem Tod ihres Mannes auch erfolgreich in ihre Rolle als trauernde Witwe integrierte15. 14 Maria Theresia, Briefe und Aktenstücke in Auswahl, hrsg. v. Friedrich Walter (Freiherrvom-Stein-Gedächtnis-Ausgabe. Ausgewählte Quellen zur Deutschen Geschichte der Neuzeit, 12), Darmstadt 1968, 64. 15 Wie Yonan bemerkt, part of the empress’s brilliance as a monarch derived from her ability to recognize the strategic value of traditional femininity, the ways in which widespread conceptions of womanhood could feed into and support her exceptional monarchical situation. Female power required a new vocabulary to make its presence palpable, to diffuse its threatening difference, and the visual arts became a way for Maria Theresa to blend sovereignty and femi-
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Von ihrer Fruchtbarkeit und Machtfülle abgesehen, zeigte Maria Theresia dennoch typische Züge anderer regierender Monarchen. Vorrangig waren für sie als eine ihrer höchsten Pflichten die Bemühungen um die Heiraten ihrer Kinder – des Thronerben Joseph, der 1765 seinem Vater als römisch-deutscher Kaiser folgte und bis zu ihrem Tod 1780 Mitregent seiner Mutter Maria Theresia war, ebenso wie zwölf von Josephs 15 Geschwistern, die das heiratsfähige Alter erreichten. Gewichtige politische, militärische und diplomatische Überlegungen dominierten solche Heiratsabsprachen. Die Historikerin Évelyne Lever hat diesbezüglich festgestellt, dass die Kaiserin ebenso der Zukunft ihrer Besitztümer verpflichtet war, wie ihre Kinder »für den Dienst an der Dynastie vorgesehen waren« (voués au service de la dynastie)16. Wie auch anderswo in Europa wurde die Wahl der Gattinnen und Gatten der kaiserlichen Söhne und Töchter von der Staatsräson bestimmt; es »war die Pflicht einer Prinzessin, Verbindungen zu ausländischen Staaten durch ihre Heirat abzusichern«17. Man könnte Maria Theresia allerdings zuschreiben, die Eheabsprachen aufgrund des systematischen Charakters ihrer Heiratspolitik auf eine andere Ebene gehoben zu haben. Als sie sich um eine habsburgische Präsenz in Neapel bemühte, bot sie eine ihrer Töchter einem Monarchen an, »den man für schwachsinnig hielt«. »So lange sie ihre Pflicht gegenüber Gott und ihrem Ehemann tut und sie seinem Wohlergehen dient, wäre ich, mag sie auch unglücklich sein, zufrieden«, schrieb Maria Theresia über die junge Frau. Um die Präsenz der Habsburger in Italien zu festigen, verheiratete sie Maria Amalia mit Ferdinand, dem Herzog von Parma, »einem dümmlichen Fürsten und Spieler«. Als sie 1768 von der plötzlichen Verwitwung Ludwigs XV. erfuhr, entwarf die Kaiserin gar den Plan einer Doppelhochzeit: Sie wollte ihre Tochter Elisabeth dem bald sechzigjährigen Monarchen und Maria Antonia (Marie-Antoinette) dessen Sohn zur Frau geben. »Diese Verbindung war kaum Anlass zur Beunruhigung für die
ninity into a convincing whole. Michael Yonan, Empress Maria Theresa and the Politics of Habsburg Imperial Art, University Park 2011, 4. 16 Évelyne Lever, C’était Marie Antoinette, Paris 2010, 21. 17 Jennifer Milam, Matronage and the direction of motherhood: portraits of Madame Adélaïde, in: Women, Art and the Politics of Identity in Eighteenth-Century Europe, hrsg. v. Melissa Hyde / Jennifer Milam, Aldershot / Burlington 2003, 115–138, 115–116. Im Gegensatz zu Maria Theresia, bemerkt Milam: Louis XV. did not actively pursue marriages for his daughters (with the possible exception of the duchess of Parma), either due to [prejudices concerning] Bourbon superiority [to other royals] ... or for reasons of economic necessity (the cost of providing dowries for his numerous daughters was always a concern). […] it was the duty of a princess to secure ties with foreign states through marriage. Über die Indifferenz gegenüber politischem Kalkül bei der Verheiratung königlicher Prinzessinnen, vgl. C. Thomas, La Reine scélérate (Anm. 6).
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fromme Herrscherin, die nicht zögerte, eine ihrer Töchter einem alternden König, dessen freizügige Sitten in aller Munde waren, zur Frau zu geben.«18 Da er aber selbst mit einer gewissen Comtesse Du Barry beschäftigt war, zeigte Ludwig XV. seinerseits kein Interesse daran, erneut zu heiraten, und schon gar nicht Elisabeth, deren Gesicht durch die Pocken entstellt war. Unbeeindruckt vom Desinteresse des Königs an ihrem Plan einer Doppelhochzeit intensivierte Maria Theresia ihre Anstrengungen, Österreichs jüngsten diplomatischen Erfolg mit einem dynastischen Heiratsabkommen abzusichern.
II. Heiratsdiplomatie Die Krönung ihrer Heiratspolitik umfasste schwierige Verhandlungen19, die 1764 begannen und zu Marie-Antoinettes Heirat mit dem späteren Ludwig XVI. führten. Dieses Abkommen wurde durch den Vertrag zwischen den einstigen Gegnern Österreich und Frankreich im Jahre 1756 ermöglicht, den Thomas Kaiser »nichts weniger als einen Paukenschlag« (nothing less than a bombshell) nannte20. Tatsächlich war Marie-Antoinettes Heirat mit dem Dauphin das »Ergebnis sich viele Jahre hinziehender Verhandlungen, die durch die schwankenden diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und Österreich geprägt wurden. Sie wurde Gegenstand politischer Auseinandersetzungen, bevor sie überhaupt stattgefunden hatte.«21 Marie-Antoinette wurde ausgewählt, weil sie ungefähr im selben Alter war wie der Enkel Ludwigs XV. Mit ihrer Ehe wollte Maria Theresia die große Neuordnung konsolidieren, die als Folge des renversement des alliances an die Stelle der früheren Verbindungen zwischen Österreich und England einerseits, Frankreich und Preußen andererseits getreten war22. Die Ankunft einer unschuldigen, sehr jungen Braut weckte an einem Hof, der häusliche und familiäre Werte hochhielt, Hoffnungen auf eine glückliche Verbindung des Fürstenpaares. Mit einer Verpflanzungsmetapher gab Pierre Fulcrand de Rosset seiner Freude über die Heirat des Sohnes des französischen Thronfolgers mit einer ausländischen Braut Ausdruck: 18 É. Lever, C’était Marie Antoinette (Anm. 16), 21–23: un prince niais et jouisseur […] Cette combinaison ne trouble guère la pieuse souveraine qui n’hésiterait pas à marier l’une de ses filles à un souverain vieillissant dont les moeurs libertine défraient la chronique. 19 É. Lever, C’était Marie Antoinette (Anm. 16), 22. 20 Thomas Kaiser, Who’s Afraid of Marie-Antoinette. Diplomacy, Austrophobia and the Queen, in: French History 14/3 (2000), 241–271, 244. 21 Ebd., 248: many years of intermittent negotiations conditioned by the fluctuating state of relations between France and Austria, Marie-Antoinette’s marriage to the Dauphin was a matter of political controversy well before it took place. 22 Vgl. A. Fraser, Marie Antoinette (Anm. 4), 42–43 und 50.
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»Der Baum übernimmt einen anderen Baum, nobel seine Natur Er bewundert, veredelt durch neue Bindungen Blattwerk und Früchte, die seine nicht sind.«23
Desgleichen wird in Jacques Delilles Lobhymnus, der die Heirat des Paares und die Geburt ihres ersten Sohnes 1781 feierte, Marie-Antoinette einer Girlande gleichgesetzt, die das »germanische Volk« mit dem französischen verbinde24. Die begeisterten Unterstützer der Heiratsverbindung in Frankreich machten sogar aus dem, was andere aufgrund Maria Theresias enger Verbindung zu ihrer Tochter beargwöhnten, einen Vorteil. Kardinal de Rohan, ein Anhänger der französisch-österreichischen Allianz und berüchtigt für seine spätere Rolle während der Halsbandaffäre, die die Königin in eine Intrige verstrickte, begrüßte die Ankunft der Erzherzogin in Frankreich im Mai 1770 mit einem im Mercure de France publizierten Reisebericht. Er überschlug sich in der Lobpreisung von Maria Theresias Ruhm: »Sie werden bei uns das lebendige Bild jener verehrten Kaiserin sein, die seit langem das Staunen Europas ist, wie sie es auch für die Nachwelt sein wird. […] Es ist die Seele Maria Theresias, die sich mit der Seele der Bourbonen vereinen wird.«25 Von Anfang an allerdings war die Unterstützung für die Verbindung alles andere als einhellig. Die Gegner der neuen Allianz glaubten, dass Frankreich österreichischen Interessen nachgebe und die Macht seines früheren Feindes weiter ausbaute. Als Folge des breiten Widerspruches gegen die Entscheidung Ludwigs XV., ein neues Bündnis mit Österreich einzugehen, betrat die junge MarieAntoinette mit ihrem Eintritt in den königlichen Haushalt ein Minenfeld. Bevor sie überhaupt irgendeine Indiskretion begangen oder Anlass zu Anklagen wegen Illoyalität gegeben hatte, symbolisierte Marie-Antoinette für viele Höflinge und Beobachter außerhalb des Hofes mit ähnlichen Ansichten schon alles, was mit der französischen Außenpolitik nicht stimmte. Von Anfang an beförderte ihre Position im Herzen der Macht Ängste über eine »Unterwanderung von innen« 23 L’arbre adopte un autre arbre, illustre sa naissance;/ Il admire, ennobli par de nouveaux liens,/ Un feuillage et des fruits qui ne sont pas les siens. Pierre Fulcrand de Rosset, L’Agriculture, ou les géorgiques françaises, Paris 1774, 99. 24 Jacques Delille, Les Jardins ou l’art d’embellir les paysages, Neuchâtel 1782, 34–35: Et toi par qui le ciel nous fis cet heureux don,/ Toi qui, le plus beau noeud, la chaîne la plus chère/ Des Germains, des Français, d’un époux et d’un frère,/ Les unis, comme on voit de deux pompeux ormeaux/ Une guirlande en fleurs enchaîner les rameaux […]. Dans vos champs enrichis par des hymens nouveaux,/ Des sucs vierges encore essayez le mélange;/ De leurs dons mutuels favorisez l’échange. 25 Mercure de France, 98 ( Juni 1770), 160: Vous allez être parmi nous la vivante image de cette Impératrice chérie, depuis longtemps l’admiration de l’Europe, comme elle le sera de la postérité […] .C’est l’âme de Marie-Thérèse qui va s’unir à l’âme des Bourbons.
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(subversion from within)26. Solche Ängste verbanden sich später mit der revolutionären Bewegung. Verleumdungen der Königin in Wort und Bild beinhalteten Wortspiele, die sich der Nähe des französischen Wortes für den Vogel Strauß, dessen Federn in ihren extravaganten Kopfbedeckungen Verwendung fanden, und ihres Heimatlandes bediente: autruche / Autriche. Ebenso konnten republikanische Darstellungen des Königs als gehörntem Ehemann, Schwachkopf und Spielball des Willens der Königin noch drastischer gemacht werden, indem man auf ihre Wurzeln und ihre vermeintlichen ausländischen Verbindungen hinwies27. Nach allem, was bekannt ist, war die Tochter der Kaiserin kaum dazu geeignet, als Vermittlerin den Hoffnungen zu entsprechen, welche die Kaiserlichen in sie setzten. Sie war nicht dazu erzogen worden, die Finessen der Diplomatie und der Staatsangelegenheiten zu verstehen, geschweige denn politische Macht auszuüben. Abgesehen von der Vorbereitung auf die höfischen Unterhaltungen (divertissements), die eine gute musikalische Ausbildung einschloss, hatte Maria Theresia der Erziehung der jungen Maria Antonia, wie sie vor ihrer Heirat genannt wurde, wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Das wenige, was sie sonst noch gelernt hatte, musste nach Bedarf ergänzt werden. In einer äußerst willkommenen Geste der Zustimmung zu der noch nicht endgültig beschlossenen Verbindung sandte Ludwig XV. den Abbé de Vermond als Abgesandten nach Wien, wo er der jungen Prinzessin Nachhilfeunterricht in Geschichte, Religion, Sprachen, Literatur und den Gepflogenheiten des französischen Hofes geben sollte. Die Kaiserin sorgte sich weniger um solche Kenntnisse als um die Manieren und die religiösen Verpflichtungen ihrer Tochter. Am Tag ihrer Abreise nach Frankreich stattete sie Marie-Antoinette mit einer schriftlichen Instruktion für ihre Lebensführung aus. Sie unterstrich die religiösen Pflichten der jungen Frau und ihre untergeordnete Stellung in einer höheren Ordnung. Die Kaiserin forderte von ihrer Tochter in der Instruktion, die sie jeden Monat erneut gründlich lesen sollte, das Morgengebet auf Knien zu verrichten und sich nach dem Aufstehen zuerst einer kleinen geistlichen Lektüre zu widmen, bevor sie sich mit etwas anderem beschäftigte oder mit irgendjemandem sprach. Ebenso wies sie MarieAntoinette an, kein auch noch so unbedeutendes Buch zu lesen, ohne vorher die Zustimmung ihres Beichtvaters eingeholt zu haben. Sie warnte ihre Tochter: »Vergessen Sie nicht eine Mutter, die trotz der weiten Entfernung bis zu ihrem
26 Th. Kaiser, Who’s Afraid of Marie-Antoinette (Anm. 20), 3. 27 Vgl. Chantal Thomas, L’héroïne du crime. Marie Antoinette dans les pamphlets, in: La Carmagnole des muses. L’homme de lettres dans la Révolution, hrsg. v. Jean-Claude Bonnet, Paris 1988, 245–260; C. Thomas, La reine scélérate (Anm. 6); Antoine de Baecque, Le Corps de l’Histoire. Métaphores et politique (1770–1800), Paris 1993; Joan B. Landes, Visualizing the Nation. Gender, Representation, and Revolution in Eighteenth-Century France, Ithaca 2001, v. a. 113–128.
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letzten Atemzug nicht aufhören wird, sich mit Ihnen zu befassen.«28 Als in der Rückschau noch schicksalhafter erwies sich der Rat der Kaiserin, ihre deutsche Herkunft zur Schau zu stellen, um den Respekt der Franzosen vor ihrer neuen Königin zu steigern29. Zunächst erwartete der österreichische Hof von der jungen und unerfahrenen Dauphine gar nicht, dass sie sich direkt für seine Interessen einsetzen würde. Man legte ihr offensichtlich nahe, sich aus politischen Angelegenheiten herauszuhalten und es dem österreichischen Botschafter zu überlassen, die Geschäfte der Kaiserin zu erledigen. Nachdem Joseph II. 1775 von ihrer Verwicklung in Streitigkeiten zwischen den Ministern gehört hatte, fragte er sogar: »Mit welchem Recht mischen Sie sich in die Angelegenheiten der Regierung und der französischen Monarchie ein?«30 Mit der Zeit kamen allerdings deutlichere Aufforderungen aus Wien, im Sinne Österreichs zu handeln.
III. Diplomatisches Zeremoniell: la remise Der Übergang der Erzherzogin in ihre neue Identität als Gattin des französischen Thronfolgers erfolgte 1770 im Rahmen einer durch das diplomatische Zeremoniell geregelten Feier: Zu Ehren der Kindsfrau wurden Feste, Feuerwerke und Konzerte abgehalten, deren Symbolik unmittelbar an ihre Fähigkeit, einen Erben für den französischen Thron zu gebären, gebunden war. Im Prozess des Übergangs wurde ihre Identität als österreichische Prinzessin und potentielles monarchisches Subjekt (nach dem Vorbild ihrer Mutter, der Kaiserin) abgelöst durch eine neue Identität, der zufolge sie am französischen Hof und innerhalb des Königreiches als Objekt monarchischer Macht und Mutter eines Thronfolgers, aber nur noch eingeschränkt als autonomes Subjekt eigenen Rechtes verstanden wurde. Betrachten wir zunächst den österreichischen Schauplatz: Am 15. April 1770, dem Ostersonntag, begannen die offiziellen Feiern. Mit dem Auftrag, Ludwig XV. zu vertreten, hielt der französische Botschafter einen öffentlichen Einzug in der Hauptstadt ab, um ein zweites Mal um die Hand der Erzherzogin anzuhalten. Von Anfang an waren die Festivitäten darauf angelegt, die Macht der französischen 28 Marie-Theresia an Marie-Antoinette, o. O., 21. 4. 1770, in: Marie-Antoinette, Correspondance (Anm. 2), 41–42, 44: N’oubliez pas une mère qui, quoi qu’éloignée, ne cessera d’être occupée de vous jusqu’à son dernier soupir. 29 Correspondance secrète entre Marie Thérèse et le comte de Mercy Argenteau avec les lettres de Marie Thérèse et Marie Antoinette, hrsg. v. Alfred von Arneth / Auguste Geffroy, Bd, 1, Paris 1874, 159, zitiert nach Th. Kaiser, Who’s Afraid of Marie-Antoinette (Anm. 20), 252. 30 Marie Antoinette, Joseph II. und Leopold II. Ihr Briefwechsel, hrsg. v. Alfred von Arneth, Leipzig, 1866, 2. zitiert nach Th. Kaiser, Who’s Afraid of Marie-Antoinette (Anm. 20), 253: Par quel droit vous vous mêlez des affaires du gouvernement et de la monarchie française?
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Monarchie zu unterstreichen. Eine Parade mit 48 sechsspännigen Kutschen, die von 117 Mann zu Fuß begleitet wurden, füllte die Straßen bis zur kaiserlichen Residenz, von deren Balkon aus Marie-Antoinette die Parade betrachtete. Am gleichen Abend trat sie bei einem von der Kaiserin zu ihren Ehren veranstalteten Empfang auf, wobei sie eine Miniatur des Dauphins an ihrer Brust trug. Wenig später versammelte Maria Theresia die Gäste zu einer Vorstellung von Marivaux‘ Mère confidente, an die sich ein Ballett von Noverre, der jüngst Marie-Antoinette in die Feinheiten französischer Tanzkultur eingeführt hatte, anschloss. Am 17. April verzichtete die Erzherzogin formell auf ihr Recht auf die mütterliche Erbfolge. Zwei Stunden später, um sechs Uhr abends, folgte die Erzherzogin der Kaiserin und ihrem Bruder Joseph in einem Kleid aus Silberbrokat mit langer Schleppe in die Augustinerkirche. Als sie an der Seite ihres Bruders Ferdinand niederkniete, der bei dieser Gelegenheit die Rolle des Dauphins einnahm, begann in Wien die »Stellvertreterhochzeit«. Nach der Messe saß die junge Ehefrau, die durch die Hochzeitszeremonie per procurationem bereits französische Kronprinzessin war, bei dem prachtvollen Bankett an der Seite ihres Bruders, des Kaisers. Das Ausmaß dieser Feierlichkeiten war überwältigend: 3000 Personen besuchten den Empfang und den Ball im Belvedere. 1500 Gäste waren beim Diner im Palais Liechtenstein anwesend. In den folgenden Stunden unterschrieb sie ihre letzten Briefe als »Antonia«, von da an wurde sie nach französischer Diktion Marie-Antoinette. Maria Theresia schrieb einen Brief, in dem sie den französischen König beschwor, für die jugendlichen Ungeschicklichkeiten ihrer Tochter Verständnis zu zeigen. Am Montag den 21. April begab sich Marie-Antoinette auf ihre lange Reise, die sie an den französischen Hof führen sollte. Von zentraler Bedeutung war es, dass die endgültige Übergabe (remise) der Prinzessin in französische Hände auf einem Grenzgebiet stattfand. Dafür ausersehen wurde die Île des Épis, eine Insel inmitten des Rheins zwischen Kehl und Straßburg, auf der 23 Jahre zuvor bereits Maria Josepha von Sachsen, die vorherige Dauphine, übergeben worden war. Damals war eine Kutsche so über eine Bogenbrücke an einer Steilböschung manövriert worden, dass ihre rückwärtige Achse auf badischem Gebiet, die vordere Achse bereits in Frankreich gestanden hatte; die Türen hatten sich auf neutralem Gebiet genau auf der Mitte der Brücke geöffnet. Für Marie-Antoinette wurde nun eiligst ein Holzgebäude zusammengezimmert, um die Zeremonie durchzuführen. Reiche Straßburger Bürger liehen Möbel und Tapisserien. Das Gebäude bestand aus fünf Räumen: zwei Antichambres auf der österreichischen und zwei weitere auf der französischen Seite, mit einem Salon in der Mitte. Der Fürst Starhemberg führte Marie-Antoinette vom österreichischen Raum in den zentralen Übergabesalon. Ein mit rotem Samt bedeckter Tisch versinnbildlichte die Grenze zwischen beiden Ländern. Begleitet von zwei Helfern erwartete der Comte de Noailles die Prinzessin auf der französischen Seite. Die Franzosen scheuten, wie bereits angedeutet, keine Kosten, um ihrer neuen Prinzessin (und mit ihr auch dem habsburgischen Hof und dessen Untertanen)
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die grandeur und Macht des Königs von Frankreich vor Augen zu führen. Dies schloss unter anderem die Eröffnung des neuen Opernhauses in Versailles zu Ehren ihrer Ankunft in Frankreich und ihrer Hochzeit ein. Die Kutschen, die benutzt wurden, die Erzherzogin aus Wien abzuholen, wurden von Ludwig XV. beim Kutschenmacher Francien in Auftrag gegeben. Sie bestanden aus zwei Reisekutschen von beispielloser Pracht, die aus seltenen Edelhölzern gefertigt, verglast und mit Seide überzogen, an der Außenseite üppig mit Gemälden verziert und überall mit Kronen bedeckt waren. Auf diese Art und Weise machte der Sondergesandte des Königs seine Aufwartung in Wien. Er fuhr langsam in einer der Kutschen durch die von Blumen bedeckten Straßen der Hauptstadt. »[…] hundertsiebentausend Dukaten haben«, einer Schätzung zufolge, »allein die neuen Livreen der hundertsiebzehn Leibgarden und Lakaien gekostet, […] der ganze Einzug nicht weniger als dreihundertfünfzigtausend«31. Die prunkvolle zeremonielle Überführung Marie-Antoinettes sollte die Öffentlichkeit und den französischen Hof davon überzeugen, dass die Allianz der Maßgabe politischer Klugheit folgte. In den habsburgischen Territorien und jenen anderer Reichsfürsten entlang ihrer Reiseroute wurde Marie-Antoinette mit öffentlichen Freudenbekundungen, aber auch stärker formalisierten Feiern begrüßt. In Erwartung der Hochzeitszeremonie in Versailles wurden Theateraufführungen und Konzerte dargeboten. Zum ersten Mal dem König, dem Dauphin und den Hofangehörigen vorgestellt wurde die Prinzessin in den Wäldern nahe des Schlosses Compiègne, der Sommerresidenz des Hofes. Tags darauf zog sie in Paris ein, von wo aus sie sich am Abend zu einem Dîner mit der königlichen Familie in das Château de la Muette im Bois de Boulogne begab. Am folgenden Tag, dem 16. Mai 1770, reiste die Prinzessin unter dem Jubel der an der Straße stehenden Menge nach Versailles. Ohne Ausgaben zu scheuen, wurden auf Straßen und Plätzen Weine und Speisen verteilt und auch (gut gekleidete) Angehörige des Dritten Standes auf das Schlossgelände von Versailles gelassen. Nachdem sie im Schloss eingezogen war, dauerte ihre Toilette drei Stunden. Das Paar – Marie-Antoinette in weißen Brokat gekleidet und der Dauphin in einem Goldgewebe verziert mit Diamanten – schritt an den versammelten Höflingen vorbei durch den Spiegelsaal zur Kapelle, wo der Erzbischof von Reims den Gottesdienst abhielt. Die Feiern im Schlosspark mit Feuerwerken und Triumphbögen über dem Grand Canal, denen eine große Zahl gewöhnlicher Leute beiwohnen sollte, fielen Unheil kündend wegen eines gewaltigen Gewittersturms ins Wasser. Drinnen jedoch besuchte die hochwohlgeborene Gesellschaft ein elaboriertes Hochzeitsfest im neuen königlichen Opernhaus, das in einen gigantischen Salon verwandelt wurde. Die letzte Zeremonie des Tages war das coucher, bei dem das junge Paar mit dem Segen des Erzbischofs und des Königs vor einer Menge von Höflingen ins Bett stieg. 31 Stefan Zweig, Marie-Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters, Leipzig 1932, 20.
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IV. Das Geschlecht der Diplomatie im späten 18. Jahrhundert Im dramatischen Kontext der diplomatischen Neuordnung französischer und österreichischer Macht bietet Marie-Antoinettes remise privilegierte Einblicke in die Art und Weise, wie die beiden Dynastien ihre jüngst vereinbarte, aber noch fragile Allianz ausgestalteten. Die remise kündet aber auch vom Ort der Frau – insbesondere der Frau von königlichem Rang, deren Schicksal es war, ihrer Familie, ihrer Heimat und ihrer Muttersprache beraubt zu werden. In diesem Sinne zeugte Marie-Antoinettes remise von jenem »Frauenhandel«, der anlässlich der höchsten Staatsangelegenheiten durchgeführt wurde und die Unterordnung der betroffenen Frauen unter die diplomatischen Ambitionen ihrer Höfe bestätigte. Als Ergebnis der remise wurde Marie-Antoinette selbständiger Handlungsspielräume beraubt: Allen voran wurde ihr verboten, jemals die Rolle ihrer Mutter in den Erblanden zu übernehmen, ebenso wenig sollte sie je eine Macht ausüben, die mit jener ihrer Mutter vergleichbar gewesen wäre. Seit langem eingespielte Regeln bestimmten den Tausch (und die anschließende Übergabe) hochwohlgeborener Frauen entlang der politischen Grenzlinien im Europa des Ancien Régime. In Frankreich zielte die zeremonielle Symbolik darauf, die in einer fremden Prinzessin verkörperte Alterität zu beseitigen. Mit der Heirat sollten ihre Kleidung und ihr Besitz französische Hegemonie und die absolute Macht des Königs versinnbildlichen. Abby Zanger beschreibt in diesem Sinne jenes Zeremoniell, durch welches der Körper von Maria Teresa, der Gattin Ludwigs XIV., im Übergang nach Frankreich vom symbolischen System des spanischen in jenes des französischen Hofes überführt wurde. Die künftige Marie-Thérèse musste gleichfalls Namen, Kleidung und Besitz ablegen, um buchstäblich und im übertragenen Sinn für ein Ritual nackt dazustehen, in welchem sie symbolisch in Gewänder gehüllt wurde, die ihren neuen französischen Körper hervorhoben. In diesem Fall assoziiert Zanger das Begräbnisritual der Renaissance mit dem Zeremoniell anlässlich des Einzuges zu ihrer Hochzeit: »Der triumphale Einzug Maria Theresas war ein Begräbnis ihrer machtförmigen symbolischen Präsenz.« Es stand in deutlichem Gegensatz zum königlichen Begräbnis, das die Aufmerksamkeit vom Tod des Königs auf die Aktivitäten des lebendigen Herrschers lenkte, da es den toten durch den lebendigen ersetzen sollte. »Während die Ängste angesichts des Todes des Königs bewältigt wurden, indem man die Begräbnisprozession seiner Einsetzung nachbildete, wurden die Ängste hinsichtlich der Funktion der Königin im absolutistischen Regime bewältigt, indem man ihre Übergabe in eine Totenprozession für ihre symbolische Macht verwandelte, wobei man auf Übergangs- und Ablösungsrituale zurückgriff.« Es ist bezeichnend, dass der tatsächliche Tod von Marie-Thérèse genauso wenig wie jener anderer französischer Königinnen von jenen Unsterblichkeitsfiktionen begleitet wurde, mit denen ein neuer König empfangen wurde. Es gab also keine »Die Königin ist tot – lang lebe die Königin«-Rufe. »Der tote Körper der Königin war keine Belastung für
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den Staat. Ihr Wert für den Staat war bereits dadurch erfüllt worden, dass sie einen Thronerben geboren hatte.«32 Während die neuere Forschung bezweifelt, dass Marie-Antoinette bei ihrer remise tatsächlich gezwungen wurde, sich nackt auszuziehen, bevor sie neu eingekleidet wurde, behielt der symbolische Transfer im Jahre 1770 die übrigen zentralen Elemente der Renaissance-Heiratszeremonie bei. Besonderer Wert wurde in diesem Fall auf den Verzicht der Tochter Maria Theresias auf den Habsburgerthron gelegt. Dies war umso dringlicher, als die Pragmatische Sanktion aus dem Jahre 1713, mit der Maria Theresias kaiserliche Herrschaft möglich geworden war, den Töchtern die Chance gegeben hatte, den Habsburgerthron zu besteigen, und zwar aus eigenem Recht und nicht lediglich als Königingemahlin.
V. Das Sichtbarmachen des Internationalen Obwohl französische und österreichische Künstler, die im Dienste ihrer Monarchie standen, Teile von Marie-Antoinettes berühmter Reise nach Frankreich darstellten, gibt es doch eine bemerkenswerte Lücke in den historischen Aufzeichnungen. Was fehlt, sind Darstellungen der Feier auf der Île des Épis, jenem neutralen Stück Land in der Mitte des Rheines, auf dem die Übergabe der zukünftigen Königin stattfand. Stattdessen werden wir auf das »Bild« verwiesen, das Filmemacher des 20. und frühen 21. Jahrhunderts gestützt auf Madame Campans Bericht aus zweiter Hand in phantasievollen Rekonstruktionen von der Szene zeichnen. Beim Betrachten von Marie-Antoinettes erzwungenem Akt der Neueinkleidung in französische Gewänder erschaudert ein modernes Publikum sicher weniger angesichts der Darstellung der nackten Prinzessin als vielmehr wegen der Verletzung der Privatsphäre einer derart hochgestellten Persönlichkeit. Das Fehlen zeitgenössischer Dokumente verdeutlicht die Herausforderung, ein Ereignis darzustellen, dessen zentrale Bedeutung gerade in der Beiläufigkeit des körperlichen Überganges von einer Identität in eine andere lag: ein mysteriöser Übergang, der darauf angelegt war, die Ängste der Zeitgenossen zu beschwichtigen, indem man den metaphorischen Tod des früheren Selbst der Erzherzogin sicherstellte; ein Übergang, in der ihr ansonsten »privater« Körper ein gänzlich öffentliches Objekt politischen und diplomatischen Tausches wurde. Schließlich 32 Abby Zanger, Scenes from the Marriage of Louis XIV. Nuptial Fictions and the Making of Absolutist Power, Stanford 1997, 158–159: The triumphal entry of Maria Teresa was a kind of funeral for her powerful symbolic presence. […] While anxieties about the king’s death in the Renaissance were managed by patterning the funeral procession after the entry, anxieties about a queen’s function in the absolutist regime were managed by transforming an entry into a parade of the death of symbolic power by returning to rituals of substitution. […] The queen’s dead body posed no liability for the state. Indeed her value to the state had already been fulfilled in providing heirs.
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beinhaltete die remise den Übergang einer königlichen Person, die aufgrund ihres Geschlechtes (und ihrer Fremdheit), mehr Objekt als Subjekt, mehr säkular als sakral war. Marie-Antoinettes Verwandlung von einer österreichischen Erzherzogin zu einer französischen Königin stellt zugleich die größte Leistung und den größten Misserfolg von Maria Theresias Heiratspolitik dar, im Rahmen derer die Übergabe der Kindfrau das untragbare Gewicht großspuriger politischer Ziele stützen sollte. Bald sollte ihre Privatsphäre weiter durch die pornographischen und anderweitig anrüchigen Angriffe auf ihren königlichen Körper verletzt werden. Diese kamen zunächst von ihren Gegnern bei Hofe und schließlich, noch konsequenter, von republikanischen Pamphletisten und Druckgraphikern. Übersetzung: Tilman Haug
Von der politischen Einflussnahme der Frauen am Hof zur bürgerlichen Häuslichkeit? Überlegungen zum Wandel der Geschlechterbeziehungen um 1800
Von Claudia Opitz-Belakhal Es ist kaum möglich, in einem kurzen Beitrag zu einem Sammelband den Strukturwandel der Geschlechterbeziehungen um 1800 angemessen zu beschreiben. Schon früher haben dies Historikerinnen und Historiker versucht und die Ergebnisse waren nicht immer überzeugend. Die wohl wichtigsten und nachhaltigsten Beiträge zu diesem Thema haben neben Jürgen Habermas mit seinem Buch über den »Strukturwandel der Öffentlichkeit« ohne Zweifel Historikerinnen wie Joan B. Landes, Geneviève Fraisse, Carol Pateman, Joan Scott und Lynn Hunt geliefert, jedenfalls soweit es den Strukturwandel in Frankreich während der Französischen Revolution betrifft, auf den ich mich hier beschränken möchte. Habermas hat in seiner wegweisenden Studie zwar insgesamt recht wenig zum Verhältnis der Geschlechter ausgeführt, seine Überlegungen zum Verhältnis von bürgerlicher Öffentlichkeit und Privatheit bildeten jedoch eine wichtige Grundlage auch für die geschlechtergeschichtliche Erforschung von Öffentlichkeit und Privatsphäre in den vergangenen drei Jahrzehnten. In seinem Vorwort zur Neuauflage 1990 beschreibt und diskutiert Habermas deshalb auch die fundamentale Kritik feministischer Forscherinnen an seinem Buch und resümiert dabei auch die Forschungsdebatten und -ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung der 1970er- und 1980er-Jahre. Er betont dabei, dass es keinen Zweifel am patriarchalischen Charakter der Kleinfamilie geben kann, »die zugleich den Kern der Privatsphäre der bürgerlichen Gesellschaft wie auch den Ursprungsort der neuen psychologischen Erfahrungen einer auf sich gerichteten Subjektivität gebildet hat«1. Dass aber auch die neu entstehende bürgerliche Öffentlichkeit – etwa durch den Ausschluss von Frauen aus dem Souverän, durch Vorbehalt der Bürgerrechte und des Status eines citoyen – in ähnlicher Weise patriarchalisch geprägt war, war eine Erkenntnis, die erst durch die feministische Forschung hervorgebracht wurde. Während jedoch Habermas weiterhin der Meinung ist, dass Frauen auf andere Weise aus der Öffentlichkeit ausgeschlossen waren als etwa der »Pöbel«, d. h. die nicht- und unterbürgerlichen Schichten, und sich deshalb auch sukzessive der bürgerlichen Rechte bemächtigen konnten, sieht dies die feministische Forschung nach wie vor anders. Insbesondere jene Forscherinnen, die sich an politischen Theorieentwürfen und an Fragen des Strukturwandels abarbeiten, unterstreichen 1 Jürgen Habermas, Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1962 (Neuaufl. 1990), 11–50, 18.
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den strukturellen und systematischen Ausschluss von Frauen aus der modernen politischen Öffentlichkeit und weisen auf die männliche Vergeschlechtlichung (das male gendering) des modernen politischen Subjekts hin, die Frauen nur eine paradoxe Position lässt: nämlich sich weder gänzlich an die vermännlichte Norm anpassen, noch eine politische Sprecher(innen)position aus der Differenz heraus einnehmen zu können2. Allerdings kranken diese stark theoretisch-philosophisch orientierten Arbeiten an einem Mangel an empirischer Sättigung. Sie berücksichtigen allesamt die vielfältigen politischen Aktivitäten von Frauen vor, während und nach der Französischen Revolution nur wenig. Nicht zufällig zeigt sich denn auch ein etwas weniger eindeutiges Bild, wenn man den Blick stärker auf die politische Kultur der Revolutionszeit richtet. Hier treten uns Frauen an den verschiedensten Orten und in unterschiedlichsten Funktionen als politische Akteurinnen entgegen – wenn auch nicht immer als erfolgreiche Fürsprecherinnen ihrer eigenen politischen Rechte und Ansprüche3. Und doch wurden während der Revolution viele Institutionen auch im Sinne oder zum Wohle der weiblichen Bevölkerung verändert, reformiert oder gar revolutioniert. Dies reichte von der Einführung eines sehr liberalen Scheidungsrechtes über die Gleichstellung im Erbrecht bis hin zum abgesenkten Mündigkeitsalter auch für Frauen. Gleichzeitig jedoch mussten gerade Frauen der Unterschichten erhebliche materielle Einbußen verkraften und sich auf einem deregulierten Arbeits- und Lebensmittelmarkt behaupten, was eine Herausforderung darstellte, die die meisten von ihnen überforderte4. Eine generelle rechtlichpolitische Gleichstellung von Frauen wurde nicht erreicht. Es dauerte noch fast zwei Jahrhunderte, bis diese in der Verfassung explizit festgeschrieben wurde. Die Revolutions- und Kulturhistorikerin Lynn Hunt geht deshalb auch eher von höchst subtilen Verschiebungen im komplexen Geflecht der politischen Kultur Frankreichs um 1800 aus, die sie mehr als »Familienroman« analysiert und präsentiert, denn als revolutionären Bruch5. Ihren Überlegungen folgend möchte ich hier deshalb der Frage nachgehen, wie die Zeitgenossinnen und Zeitgenossen selbst diesen subtilen Wandel der Geschlechterverhältnisse beschrieben und wel2 Dies zeigt Joan W. Scott, Only Paradoxes to Offer. French Feminists and the Rights of Man, Cambridge MA 1994. Ähnlich auch Genevieve Fraisse, Muse de la Raison. La démocratie exclusive et la différence des sexes, Paris 1989, sowie Carole Pateman, The Sexual Contract, Cambridge 1988. 3 Vgl. dazu etwa Susanne Petersen, Marktweiber und Amazonen. Frauen in der Französischen Revolution, Köln 1987; Dominique Godineau, Citoyennes tricoteuses, Aix en Provence 1988; Gisela Bock, Frauen in der europäischen Geschichte, München 2000, bes. 53–92, sowie Claudia Opitz, Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts, Münster 2002. 4 Vgl. dazu Olwen Hufton, Women and the Limits of Citizenship in the French Revolution, Toronto 1992. 5 Lynn Hunt, The Family Romance of the French Revolution, Ithaca / London 1991.
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che fundamentalen Umwälzungen sie zu sehen vermeinten – oder auch nicht. In einem zweiten Schritt werde ich versuchen, diese Überlegungen mit den Thesen von der »Verdrängung der Frauen aus der neu entstehenden bürgerlichen Öffentlichkeit« ins Verhältnis zu setzen. Daraus werde ich abschließend einige Überlegungen zum weiteren Nachdenken über den Wandel der Geschlechterordnung um 1800 entwickeln.
I. Montesquieu über die lasterhafte Tugend der Frauen am Hof »Die Frauen besitzen in den Monarchien wenig Zurückhaltung, da sie sich bei Hofe, wohin sie das Vorrecht des Standes ruft, jenes freie Benehmen aneignen, das man dort fast als einziges duldet. Jede sucht dort mit Hilfe ihrer Reize und Leidenschaften ihr Glück zu machen; und da sie infolge ihrer Schwäche zwar nicht stolz, aber eitel sind, so herrscht dort immer der Luxus mit ihnen. [...] In den Republiken [dagegen] sind die Frauen frei durch die Gesetze und gefesselt durch die Sitten. Der Luxus ist hier in Bann getan – und Korruption und Laster mit ihm.«6
So beschrieb der um die Mitte des 18. Jahrhunderts wohl prominenteste französische homme de lettres, Charles de Secondat, Baron de Montesquieu (1689–1755), in seinem Hauptwerk De l’esprit des lois von 1748 die höchst unterschiedlichen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten von Frauen in unterschiedlich verfassten politischen Gemeinwesen. In seinem ebenso vielschichtigen wie heterogenen Werk hatte es sich Montesquieu zur Aufgabe gemacht, »den Bezug, den die Gesetze zum Aufbau jeder Regierung, zu den Sitten, dem Klima, der Religion, dem Handel etc. haben müssen«, deutlich zu machen. Er ging damit über die traditionellen politischen Theorien deutlich hinaus, auch wenn das seinen Ausführungen zugrunde liegende DreierSystem indirekt auf Aristoteles’ Politik verweist. Auch Montesquieu unterscheidet Monarchie, Despotie und Republik als die drei wesentlichen politischen Ordnungen, die je nach klimatischer und ökonomischer Lage, aber auch entsprechend den Tugenden und Lastern der Bevölkerung entstünden, Bestand hätten oder sich 6 Les femmes ont peu de retenüe dans les monarchies, parce que la distinction des rangs les appellant a la cour elles y vont prendre cet esprit de liberté qui est le seul qu’on y tolere, chacun se sert de leurs agreemens et de leurs passion pour avancer […] sa fortune et comme leur foiblesse ne leur permet pas l’orgueil, mais la vanité le luxe y regne toujours avec elles. […] Dans les republiques les femmes sont libres par les loix, et esclaves par les moeurs le luxe en est banni et avec luy la corruption et les vices. Charles de Secondat, baron de Montesquieu, De l’esprit des loix. Manuscrits, textes établis, présentés et annotés par Catherine Volpilhac-Auger, 2 Bde., Oxford 2008, Bd. 1, 139 (deutsche Übersetzung nach: ders., Vom Geist der Gesetze. Eingeleitet, ausgewählt und übersetzt von Kurt Weigand, Stuttgart 1965, 179).
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wandelten. Gesetze und Sitten, Bevölkerungszahl und wirtschaftliche Grundlagen, Religion und »Mentalität« der Bevölkerung, all dies wird von Montesquieu zueinander und mit den verschiedenen Faktoren ins Verhältnis gesetzt und in seiner Funktion erläutert. Auch Montesquieus Betrachtung der Lage der Frauen und Männer und ihrer Beziehungen zueinander folgt dieser Methode. Dabei kommt Montesquieu zu dem Schluss, dass Frauen in despotisch regierten Ländern das unglücklichste Los ertragen müssten, denn hier hätte nicht nur die (von Montesquieu als widernatürlich abgelehnte) Sklaverei ihren legitimen Ort, sondern auch die Frauen lebten in sklavischer Abhängigkeit und Unfreiheit7. Deutlich besser gestellt findet Montesquieu die Frauen in der Republik (die er im klimatisch gemäßigten Norden ansiedelt), wo die Einehe die Regel sei und die Eheschließung auch erst in einem höheren Alter (der Frau) erfolge. Verstandesbildung, physische Reifung und Eheschließung gingen hier Hand in Hand und sicherten den Frauen eine ausgesprochen starke Stellung in der Ehe. Diese Stellung werde bisweilen noch verstärkt durch die in jenen Klimazonen, laut Montesquieu, weit verbreitete Trunksucht der Männer, die diesen nicht selten den Verstand raube und die Frauen so zum eigentlich vernünftigen und damit auch dominierenden Geschlecht mache. Eine solche Machtstellung der Frauen in der Ehe erscheint Montesquieu allerdings nicht nur unvernünftig und widernatürlich, sondern sie bildet in seinen Augen auch eine Quelle ständiger Bedrohung des politischen Systems, das ebenso auf den Verstand der (Ehe-)Männer wie auf ihre häusliche Dominanz und ihre politische Tugend gegründet sein sollte8. Insofern erscheint die Republik bei Montesquieu nicht nur als politisches System, das die männlichen Bürger tendenziell überfordert; auch und vor allem den Frauen verlangt sie ein hohes Maß an Selbstkontrolle ab und kann ihnen, nach Montesquieus Auffassung, nur wenig Freiheit und d. h. auch wenig politische Einflussnahme bieten, soll nicht das ganze Gemeinwesen darunter leiden oder gar daran scheitern. Hieraus folgt nach Montesquieu, dass die Frauen allein in der Monarchie das richtige Mischungsverhältnis von Freiheit und Zwängen, von Luxus und Eitelkeit vorfinden, welches ihnen darüber hinaus auch noch eine gewisse Macht oder doch wenigstens einen spürbaren politischen Einfluss – insbesondere bei Hof – sichert9. 7 Dans les etats despotiques […] elles doivent etre extremement esclaves […] Comme les loix y sont severes et executées sur le champ, on a peur que la liberté des femmes n’y fasse des affaires. Montesquieu, De l’esprit des loix (Anm. 6), Bd. 1, 139 (deutsche Übersetzung, 179). 8 So heißt es im VII. Buch, Kap. 17, Il est contre la raison et contre la nature, que les femmes soient maitresses dans la maison. Ebd., Bd. 1, 146. 9 Les femmes ont peu de retenüe dans les monarchies, parce que la distinction des rangs les appellant a la cour elles y vont prendre cet esprit de liberté qui est le seul qu’on y tolere, chacun se sert de leurs agreemens et de leurs passion pour avancer […] sa fortune et comme leur foiblesse ne leur permet pas l’orgueil, mais la vanité le luxe y regne toujours avec elles. Ebd., Bd. 1, 139
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Mit der vergleichsweise positiven Darstellung der Geschlechterordnung der Monarchie ist Montesquieu gleichsam zum »Gründervater« der Vorstellung avanciert, das Ancien Régime sei ein »goldenes Zeitalter« weiblicher Einflussnahme und Macht gewesen. Hof- und Salonkultur hätten ihnen glänzende Einflussmöglichkeiten geboten – allerdings keine systematischen politischen Rechte, sondern vielmehr moralisch anrüchige Einflussnahmen durch Intrigen, weibliche Listen sowie durch den Einsatz sexueller Reize und politischer Skrupellosigkeit. Inbegriff all dieser Negativeigenschaften ist die Mätresse, die ja in der französischen Hofkultur der frühen Neuzeit eine einzigartige Sichtbarkeit erlangte10. Allerdings hatte Montesquieu in seiner Abhandlung die politischen Systeme der Monarchie und der Republik (wie auch der Despotie) vergleichend nebeneinander gestellt. Übergänge vom einen zum anderen System sind bei ihm lediglich hypothetisch angelegt: Im Sinne einer »Degeneration« können sich Monarchien in Despotien verwandeln und Republiken in Monarchien, je nachdem, wie sich der Freiheitswille der Beherrschten entwickelt oder die Gleichheit unter den Bürgern durch innere und äußere Einflüsse abgelöst wird durch Ungleichheit und Abhängigkeiten verschiedener Art. Frauen kommt dabei jeweils eine wichtige Rolle zu, sind sie es doch, die in der Republik durch ihr häusliches, tugendhaftes Verhalten die politische Ordnung stützen – oder eben auch, bei Verstößen gegen diese Tugendregel, gefährden könnten. In der Monarchie bilden sie ebenfalls – durch ihre Leichtfertigkeit, ihr Interesse an Mode und Geschmack sowie ihre geselligen Neigungen – eine wichtige Bastion gegen den tyrannischen Allmachtswillen des Monarchen. Tatsächlich bezeichnet Montesquieu den Einfluss der Frauen zwar auch in der Monarchie in gewisser Weise als »verderblich« (corruption)11. Dies ist aber in seinen Augen letztlich nicht so problematisch, dass man es ändern sollte; vielmehr garantiert gerade diese Ambivalenz den freiheitlichen Charakter der
(deutsche Übersetzung, 179). Andererseits folgt aus Montesquieus Argumentation, dass die Frauen innerhalb der Ehe in der Monarchie den Männern stärker unterworfen sein müssen als in der Republik. Dies würde in der Tat der Entwicklung des Familienrechts während der I. Republik entsprechen. 10 Vgl. zum Mätressenwesen in der französischen Monarchie der Neuzeit Caroline Hanken, Vom König geküsst. Das Leben der großen Mätressen, Berlin 1996, sowie Sylvia Jurewitz-Freischmidt, Galantes Versailles. Die Mätressen am Hof der Bourbonen, Gensbach 2004. 11 Z. B. Montesquieu, De l’esprit des loix (Anm. 6), Bd. 2, 465: La société des femmes gâte les moeurs, et forme le goût, oder weiter unten, im Kapitel 12: Dans les […] pays ou [les femmes] vivent avec les hommes, l’envie qu’elles ont de plaire, et le désir que l’on a de leur plaire aussi, font que l’on change continuellement de manières. Les deux sexes se gâtent, ils perdent l’un et l’autre leur qualité distinctive et essentielle; il se met un arbitraire dans ce qui était absolu, et les manières changent tous les jours. Ebd., Bd. 2, 470.
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monarchischen Regierungsform12. Wie die politische Macht, so braucht seiner Meinung nach auch die Tugend einen »mäßigenden« Einfluss – la vertu même a besoin de limites13. Diese Grenze der Tugend stellen die Leidenschaften – und hier insbesondere die weiblichen – dar.
II. Ausschluss von Frauen aus der Politik der Revolutionszeit? Dass eine Monarchie allerdings in eine Republik transformiert werden könnte, dafür hatte Montesquieu keine historischen Beispiele vor Augen. Dieser Fall war also auch in seinem Modell nicht vorgesehen. Die Ereignisse rund um die Französische Revolution änderten hier die Wahrnehmung radikal. Von nun an wurden Montesquieus Ausführungen zum Systemvergleich eher »historisch« gelesen. Aus der Gegenüberstellung von unterschiedlichen Systemen und den mit ihnen (vermeintlich) einhergehenden Geschlechterbeziehungen wurde nun ein Wandel der Geschlechterordnung konstruiert. Das Ancien Régime geriet zum Hort des Überwundenen, Dekadenten und Kritikwürdigen, während die revolutionäre Gegenwart idealisiert und überhöht wurde. Dies geschah auch und gerade mit Bezug auf die Position von Frauen im neu entstehenden Staatswesen nach 1789, die aber höchst umstritten war. Symptomatisch hierfür lässt sich eine Folge von Artikeln in der radikalen Presse, z. B. in der Wochenzeitschrift Révolutions de Paris anführen, die sich zwischen 1789 und 1795 mehrfach auch über politische Akteurinnen und politische Aktionen von Frauen äußerte. Schon 1789 wurde hier in einer ersten »Rede an die Königin« ein neues, auch für die Königin als erste Frau im Staat verbindliches rousseauistisches Frauenideal propagiert: Eine Ehefrau sollte »das Herz ihrer Kinder formen, ihren Gatten glücklich machen, das Volk entlasten und die verfolgte Unschuld und die tugendhafte Armut schützen.« Der Königin selbst wurde immerhin zugestanden, ein »Ministerium der Wohlfahrt« (ministère de bienfaisance) zu führen und so den König eifersüchtig zu machen durch die Anerkennung und Liebe ihrer Untertanen, welche sie sich mit ihrer Fürsorge verschaffen würde14. In den etwa im Jahresabstand folgenden »Reden an die Königin« verstärkte sich in den Révolutions de Paris die Tendenz, der Königin jegliche »öffentliche« Eigenschaft zu nehmen; bereits im Oktober 1790 sprach der Verfasser nur mehr 12 On y pourroit […] arrêter les femmes faire des loix pour corriger leurs moeurs et borner leur luxe, mais […] qui sait […] si on n’y perdroit pas un certain gout qui […] seroit la source des […] richesses […] de la nation […] et une […] politesse qui […] attireroit […] chez elles les etrangers. Ebd., Bd. 2, 464 (deutsche Übersetzung, 288). 13 Ebd., Bd. 1, 226. 14 […] former le cœur de ses enfants, rendre heureux son époux, soulager le peuple, protéger l’innocence persécutée et la pauvreté vertueuse. Révolutions de Paris, dédiées à la Nation, Nr. 13 (1789), 27–29, 29.
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zur »Gattin des Königs« – und er betonte, dass nur noch verschrobene Höflinge, die den Zug der Zeit nicht erkannten, am veralteten Titel »Königin« festhielten15. In der letzten »Rede an Marie-Antoinette« vom Herbst 1792, nunmehr »Witwe Capet« tituliert, wird die Demontage der früheren »ersten Dame« vollständig. Sie wird als »wilde Bestie« tituliert, die »zwischen einem geistesschwachen Ehemann und einem despotischen Bruder agierte und die allein dadurch die 25 Millionen [Franzosen] daran hinderte, frei zu sein«16. Schon im Februar 1791 hatte derselbe Autor, der kein geringerer war als der Herausgeber der Révolutions de Paris selbst, Louis Marie Prudhomme, die Problematik der weiblichen Politikfähigkeit breit diskutiert und höchst negativ kommentiert, und zwar genau mit Blick auf die durch den revolutionären Umsturz zerstörte Hofkultur des Ancien Régime. In seinem Artikel De la régence präsentierte er knapp die Geschichte und die Untaten der französischen Herrscherinnen der Vergangenheit, um deutlich zu machen, dass und warum es für das neue Frankreich so viel besser sei, keine Königin(nen) mehr zu haben: Die politische Macht der Königinnen und Regentinnen habe von alters her nur dazu gedient, Frankreich in Krieg, Not und Elend zu stürzen, was er mit historischen Beispielen – allen voran mit der Schreckensherrschaft der Katharina von Medici – belegte. Der Artikel geht noch weiter und fordert, dass auch alle anderen Angehörigen des weiblichen Geschlechts von politischer Verantwortung fern zu halten seien: »Unserer Verfassung gemäß sind Frauen keine Bürgerinnen, d. h. sie haben keinerlei politischen Charakter, nicht einmal das Recht, sich als Eigentümerinnen politisch vertreten zu lassen. Warum sollten die Frauen königlichen Geblüts besser geeignet sein, ein Amt auszuüben als die Frauen des Volkes? Hier gibt es keinen Mittelweg: Entweder sind alle Frauen unfähig zu regieren, oder auch unsere Mütter, Töchter, Gattinnen und Schwestern können mit uns zur Wahlurne schreiten. [...] Doch dem Wunsch der Natur gehorchend werden sie alle ihres politischen Charakters enthoben, da die Natur die Frauen nicht für die Funktionen des politischen Körpers geschaffen hat; denn diese Funktionen verlangen mühevolle Arbeit, breite Erfahrung und eine Kraft des Geistes und des vernünftigen Denkens, welche man bei einem Geschlecht mit so schwacher und delikater Konstitution kaum findet.«17 15 Vos courtisans [...] continuent sans doute à vous saluer du titre de reine; un citoyen français n’est pas flatteur, il exige de vous et n’aime à trouver dans votre personne que les vertus domestiques d’une femme […]. Révolutions de Paris, dédiées à la Nation, Nr. 65 (1790), 661–664, 661. 16 Révolutions de Paris, dédiées à la Nation, Nr. 131 (1792), 49–52. Prudhomme publizierte wenig später dann auch noch eine über 300 Seiten starke Abhandlung zum selben Thema, das ihn offenbar ebenso faszinierte wie umtrieb. Louis Marie Prudhomme, Les Crimes des Reines de France depuis le commencement de la Monarchie jusqu‘à MarieAntoinette, London 1792. 17 Les femmes ne sont pas, dans notre constitution reconnues citoyennes; c’est à dire elles n’ont aucun caractère politique, pas même le droit d’être représentées personnellement, quoique propriétaires.
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Mit einem Appell an seine Mitbürgerinnen, sich jeglicher politischer Aktivitäten zu enthalten, wird der tagespolitische Kontext von Prudhommes Ausführungen deutlich. Es ist eine direkte Reaktion auf das Erstarken einer Frauenbewegung, die ihm für das auf den Grundsätzen von Vernunft und Natur gegründete neue Gemeinwesen höchst gefährlich erscheint: »Unglück über uns alle, wenn ihr durch eine fatale Rivalität zwischen den Geschlechtern Eure Aufgaben nicht mehr freudig erfüllen wollt! Die Natur hat, wie wir Euch schon früher sagten, die Aufgaben gerecht und weise zugeteilt. Überlasst uns die Herausforderungen und die Mühen des Draußen; regiert sanft im Inneren Eurer Häuser, lehrt Eure plappernden Kinder die Menschenrechte [...], aber rivalisiert nicht mit uns, damit nicht eine fehlgeleitete Eifersucht Euch von uns entfremde.«18
Während also die Frage nach der Fähigkeit von Frauen, als Bürgerinnen im neu entstehenden Staatswesen zu fungieren, 1791 höchst umstritten war, galt dies nicht für den Blick auf die politischen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten von Frauen im Ancien Régime. Auch die engagierte Feministin Olympe de Gouges z. B. zeichnete im Nachwort ihrer »Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin« 1791 ein zwar negatives, aber eindeutiges Bild von der korrupten französischen Hofkultur und der dortigen »Weiberherrschaft«: Pourquoi les femmes du sang royal seroient-elles plus aptes que les femmes de la nation à exercer une magistrature? Il n’y a point de milieu: ou les femmes sont inhabiles à occuper une régence, ou il faut que nos mères, nos filles, nos épouses et nos sœurs viennent voter dans nos assemblées primaires, et puissent prétendre à l’écharpe municipale etc. Or, en vertu de quel principe nos femmes sont-elles privées du caractère politique? C’est en vertu du vœu de la nature, qui n’a pas crée les femmes pour les fonctions du corps politique. Ces fonctions exigent des travaux pénibles, une expérience acquise, une force d’esprit et de raisonnement qui n’appartient point à un sexe d’une constitution faible et delicate. Révolutions de Paris, dédiées à la Nation, Nr. 65 (1791), 380–383, 382. 18 Malheur à vous, malheur à nous tous, si, par une rivalité funeste aux deux sexes, vous veniez à prendre vos devoirs en dégout! La nature comme nous vous l’avons déjà dit, a fait les parts avec égalité et sagesse. Abandonnez-nous les inquiétudes et les fatigues du dehors; regnez doucement dans l’intérieur des ménages; apprenez les droits de l’homme à l’enfant qui bégaye […] mais ne nous rivalisez pas; qu’une jalousie mal placée ne vous aliène pas de nous. Révolutions de Paris, dédiées à la Nation, Nr. 83 (1791), 226–235, 235. In gleicher Weise fordert Prudhomme revolutionär engagierte Frauen auf, die Armee zu verlassen und sich in die Obhut von Eltern, Geschwistern und Ehemännern zu begeben. Solche Aufforderungen blieben indes von den revolutionär gesinnten Leserinnen nicht unwidersprochen. In der Februar-Ausgabe 1791 protestierten etwa die Dames patriotes de Dornecy gegen einen Artikel, der die Petitionärinnen negativ darstellte (Nr. 127 (1791), 497 f.), einige Monate später widersprachen die Leiterinnen der Frauenclubs von Lyon und Dijon auf heftigste den antifeministischen Ausführungen Prudhommes.
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»Die Frauen haben [im Ancien Régime, C. O.] mehr Schaden angerichtet als Gutes getan. Auferlegte Zwänge und Heimlichkeiten waren ihnen eigen. Was ihnen durch Gewalt entrissen worden ist, haben sie durch Hinterlist zurück gewonnen. Sie haben alle Möglichkeiten ihres Charmes ausgeschöpft, und der ehrenhafteste Mann konnte ihnen nicht widerstehen. Das Gift, die Waffe, alles stand ihnen zu Diensten. Das Verbrechen wie die Tugend waren in ihrer Gewalt. Jahrhunderte lang stand besonders die französische Regierung in der Abhängigkeit von Frauen, die nachts Politik betrieben. Das Kabinett war vor ihren Indiskretionen nicht sicher. Ebenso wenig die Botschaft, die Heerführung, das Ministerium, die Präsidentschaft, das Bischofs- und das Kardinalamt. Ja, alles was die Dummheit der Männer ausmacht, ob im säkularen oder im religiösen Bereich, alles war der Habgier und der Ambition dieses Geschlechts unterworfen, ein Geschlecht, das früher verachtenswert war, doch geehrt wurde, und das seit der Revolution ehrenwert ist, doch verachtet wird.«19
Sie zog daraus aber ein völlig anderes Fazit für die Gegenwart als der Publizist Prudhomme: Nicht weniger, sondern mehr politische Beteiligung von Frauen sei vonnöten, so Olympe de Gouges, um der Herrschaft von Vernunft und Natur zum Durchbruch zu verhelfen. Dies ist die eigentliche Botschaft ihrer »Erklärung«, die in insgesamt 17 Artikeln immer wieder zu verdeutlichen sucht, wie eine »inklusive Demokratie«, eine wirklich revolutionäre Geschlechterordnung verfasst sein sollte und könnte – einschließlich eines neuen Eherechts, das ausschließlich auf dem Willen der Ehegatten und nicht länger auf überkommenen patriarchalischen Ehe- und Familienrechtstraditionen begründet sein sollte, die Frauen rechtlich und sozial benachteiligten.
19 Les femmes ont fait plus de mal que de bien. La contrainte et la dissimulation ont été leur partage. Ce que la force leur avait ravi, la ruse leur a rendu; elles ont eu recours à toutes les ressources de leurs charmes, et le plus irréprochable ne leur résistait pas. Le poison, le fer, tout leur était soumis; elles commandaient au crime comme à la vertu. Le gouvernement français, surtout, a dépendu, pendant des siècles, de l’administration nocturne des femmes; le cabinet n’avait point de secret pour leur indiscrétion; ambassade, commendement, ministère, présidence, pontificat, cardinalat; enfin tout ce qui caractérise la sottise des hommes, profane et sacré, tout a été soumis à la cupidité et à l’ambition des ce sexe autrefois méprisable et respecté, et depuis la Révolution, réspectable et méprisé. Olympe de Gouges, Déclaration des droits de la femme et de la citoyenne, in: dies., Écrits politiques, préface d’Olivier Blanc, 2 Bde., Paris 1993, Bd. 1, 210 (deutsche Übersetzung nach: dies., Die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin 1791, hrsg. u. kommentiert v. Hannelore Schröder, München 1979, 31–54, 41).
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III. Ein »goldenes Zeitalter« weiblicher Macht? Die Vorstellung von der schädlichen weiblichen Einflussnahme im Ancien Régime dominierte sicht- und spürbar die revolutionäre Propaganda gegen Frauen in der politischen Öffentlichkeit, wie aber auch das Selbstbild führender Feministinnen der ersten Stunde, etwa das der Olympe de Gouges, die die neue Geschlechterordnung gerade nicht auf die Privilegienwirtschaft der »alten Ordnung« gründen wollte, sondern auf explizit formulierten Rechten und Pflichten. Denn interessanter- wie bezeichnenderweise basierte gerade die französische Monarchie auf einem expliziten Ausschluss weiblicher Familienmitglieder der Königsfamilie von allen politischen Ämtern, der loi salique. Dass sich hieraus dennoch eine exponierte politische Stellung vor allem der Königsmütter als Regentinnen entwickeln konnte, belegt m. E. weniger die besondere Offenheit des französischen Ancien Régime für die politische Einflussnahme von Frauen als vielmehr die grundsätzlich familienbasierte Struktur der vormodernen Monarchien, die sich in Frankreich allerdings deutlicher zeigte als in manchen europäischen Nachbarländern. Der Ausschluss der Frauen von den politischen Rechten der neu entstehenden Republik nach 1792 war aus meiner Sicht deshalb auch weniger innovativ und konstitutiv für die Moderne, als vielmehr eine Fortführung überkommener diskriminierender Rechtsvorstellungen unter Hinweis auf die Verbrechen der Regentinnen der Vergangenheit20. Problematisch an der These vom Ausschluss der Frauen aus der sich formierenden bürgerlichen Öffentlichkeit ist deshalb nicht nur die oben bereits bemängelte empirische Unschärfe, die aus der Verkürzung der komplexen historischen Gemengelage auf die »Meistertexte« einiger zentraler Akteure wie Rousseau oder die Menschenrechtserklärung von 1791 resultiert. Problematisch erscheint mir daran vor allem auch die daraus – direkt oder indirekt – folgende Aufwertung des Ancien Régime als »goldenes Zeitalter« der weiblichen Politikbeteiligung, insbesondere in Frankreich. Zu Recht weist Dena Goodman, Spezialistin für Salonkultur und die République des lettres der Aufklärungszeit, auf den fundamentalen Denkfehler hin, der in dieser Idealisierung des aristokratischen Salons und der Hofkultur der frühen Neuzeit steckt. Sie kritisiert u. a. mit Blick auf die philosophischen Debatten des ausgehenden 18. Jahrhunderts die These vom Triumph der weiblichen civilité. Diese leite sich letztlich von einer nicht hinterfragten Geschlechterordnung auf der Basis höfischer Galanterie ab, die alle Formen des Konflikts oder der Konkurrenz überspiele oder übersehe. Der Sieg des Weiblichen sei nicht der Sieg von Frauen über Männer, sondern der des Geselligen über das Politische, so Goodman. Letztlich sei die Überhöhung des Ancien Régime und der Salonkultur nur möglich, wenn gleichzeitig an einer geschlechtersegregierten Vorstellung von politischer 20 Vgl. Claudia Opitz-Belakhal, Das Universum des Jean Bodin. Staatsbildung, Macht und Geschlecht im 16. Jahrhundert, bes. Kap.4: Gynäkokratie und Geschlechterkonflikte, Frankfurt a. M. 2006, 107–130.
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Kultur festgehalten würde, die sich ganz an Rousseaus Vorstellung vom Souverän als Versammlung politisch aktiver Männer anlehne: Despite the great nostalgia for the Old Regime and for the salon culture central to it evinced by Ozouf and Badinter, they are in fact inscribing nostalgia within a Rousseauian vision of a masculine polity based on equality of sameness and feminine society in which civility harmonizes difference. Not only is feminism depoliticized, as Michèle Perrot has pointed out, but the association of women with society and men with politics remains unchallenged.21
Dieser »Denkfehler« ist bereits in Montesquieus oben ausgeführter Argumentation angelegt. Auch im »Geist der Gesetze« nämlich ist die Politik im engeren Sinn ein rein männliches Geschäft. Sein gewissermaßen soziologisch erweitertes Konzept von der Entstehung und Erhaltung politischer Systeme jedoch entkräftet diesen ersten Befund in signifikanter Weise: Wo nicht allein formale Rechte und Verfassungen, sondern auch Klima, Fruchtbarkeit und die Größe des Landes sowie vor allem Sitten und Traditionen wesentlichen Einfluss auf die politischen Systeme haben, darf auch der Einfluss des weiblichen Geschlechts nicht zu gering veranschlagt werden. Dies gilt allerdings für alle politischen Systeme – und insofern also auch für dasjenige des nach-revolutionären Frankreich. Auch hier finden sich ja bereits unter Napoleon erneut Salons und Hofgesellschaften. Familienbeziehungen und geschlechtergemischte Soziabilität prägen auch hier wiederum die politische Kultur, während sich der politische Protest auf den Straßen durchaus wie im Ancien Régime und während der Revolutionsjahre auch unter massiver weiblicher Beteiligung formiert und zu Wort meldet. In der Rezeption von Montesquieus Schrift während der Revolutionszeit (und auch danach) wurde wohl gerade deshalb seine liberale Haltung gegenüber dem weiblich-korrumpierenden Einfluss nur noch ungern akzeptiert. In vieler Hinsicht lässt sich der in der französischen Öffentlichkeit der Revolutionszeit so heftig eingeforderte Ausschluss der Frauen aus der neu entstehenden politischen Öffentlichkeit Frankreichs zumindest indirekt auf die Darlegungen Montesquieus zurückführen. Schon J. J. Rousseau etwa richtete sein maskulinistisches Welt- und Politikverständnis stark an Montesquieus Systematik aus, versah es aber mit anderen Vorzeichen: Nur im Ausschluss des verderblichen weiblichen Einflusses könnte die »Republik der Brüder« Wirklichkeit werden. Seine revolutionären Nacheiferer, die radikalen Republikaner der Jahre 1792–94, vermeinten wie er, die
21 Dena Goodman, Policing Society: Women as Political Actors in the Enlightenment Discourse, in: Conceptualising Woman in Enlightenment Thought, hrsg. v. Hans Erich Bödeker / Liselotte Steinbrügge, Berlin 2001, 129–142, 140.
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Erneuerung der Gesellschaft könne nur durch eine Domestizierung der (Ehe-) Frauen und Mütter erfolgreich in die Tat umgesetzt werden22. Interessanterweise haben sich aber auch die Kämpferinnen für die Rechte der Frauen während der Französischen Revolution eher auf die politischen Vorstellungen Rousseaus vom Gesellschaftsvertrag oder auf die Menschenrechtserklärung und gerade nicht auf Montesquieu gestützt. Dies war nicht zuletzt deshalb so, weil das auf den ersten Blick so systematisch-nüchtern wirkende Werk Montesquieus bei näherem Hinsehen seine aristokratische Parteilichkeit nicht verbergen kann und will: Montesquieus Grundthese von der relativen Freiheit der Frauen in der Monarchie folgt seinen politischen Überzeugungen und Sympathien für eine (konstitutionelle) Monarchie, nicht einer soliden empirischen Analyse der politischen Verhältnisse seiner Zeit. Die Revolutionärinnen des 18. Jahrhunderts sahen jedenfalls klarer als manche Feministin der Gegenwart, dass Montesquieus Konzept der geschlechterintegrierenden Hofkultur eng verbunden war mit einer grundsätzlichen Privilegierung aristokratischer Wertvorstellungen und Politik – ebenso wie mit einer geschlechtsspezifischen Aufteilung der Kompetenzen, die den Frauen Praktiken gesellschaftlicher Einflussnahme überließ, die politische Entscheidungsgewalt aber allein den Männern zuteilte. Um es nochmals mit den Worten von Dena Goodman auszudrücken: By ascribing to women the responsibility of policing the model society of the salon, the philosophers allotted them a dignity and a legitimate authority. At the same time, however, they defined in gendered terms different and complementary roles for men and women within that society and thus limited the ambitions of women to a role defined for them by men. They also reinforced the association of women with both civility and policing that had become a commonplace by the end of the seventeenth century. They inscribed gender difference in the conception of society and its governors.23
Eine weitsichtige geschlechtergeschichtliche Analyse des Politischen kann und darf deshalb meiner Meinung nach nicht bei der Instrumentalisierung des Ancien Régime als Positiv- oder Negativfolie für die eigenen politischen Parteinahmen und Forderungen stehen bleiben. Vielmehr muss sie sorgfältig alle Diskurse und Institutionen auf ihre geschlechtlichen »Markierungen«, auf ihre Aussagen über die Gleichheit oder Differenz zwischen Frauen und Männern, zwischen weiblich oder männlich codierten Räumen, Handlungsweisen, Symbolisierungen usw. hin prüfen. Dann erst lassen sich zuverlässigere Aussagen über die Rollen, Räume und 22 Vgl. dazu Inge Baxmann, Die Feste der Revolution. Inszenierung von Gesellschaft als Natur, Weinheim / Basel 1989. 23 Goodman, Policing Society (Anm. 20), 134.
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Handlungsmöglichkeiten von Frauen im Ancien Régime und den Wandel der Geschlechterordnung in der und durch die Revolution treffen. Dass die Bilanz dann eher ausgeglichen sein wird, Gewinne und Verluste von Frauen im politischen Tagesgeschäft wie auf der strukturellen Ebene sich auch hier, wie in anderen Epochen, die Waage halten werden, ist eine Erkenntnis, die sich schon heute abzeichnet: Mehr als ein völliger Bruch wird sich für diesen wichtigen Ereigniszusammenhang der europäischen Geschichte vor allem eine Um-Ordnung der Geschlechter konstatieren lassen, auch und gerade im politischen »Tagesgeschäft«: Entpersonalisierung von Herrschaft, Bürokratisierung und Professionalisierung wären hier als längerfristige Wandlungsprozesse zu nennen, die einhergingen mit einer wachsenden Verrechtlichung von politischen Entscheidungsprozessen und Funktionen. Ob diese immer zulasten weiblicher Akteure wirkten, müssten dann erst empirisch gesättigte und umfassendere Untersuchungen zum Wandel der politischen Kultur erweisen.
Die »reine Frau« gegen den »korsischen Dämon«: Mediale Darstellungen von Außenbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert
Von Birte Förster Nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt 1806 war Preußen von französischen Truppen besetzt worden. Die preußische Königsfamilie floh zunächst nach Königsberg und dann weiter nach Tilsit ins Exil. 1807 kam es dort zu Friedensverhandlungen, während derer der russische Zar, eigentlich ein Verbündeter Preußens, einen separaten Friedensvertrag mit dem französischen Kaiser schloss und Preußen so in eine äußerst ungünstige Verhandlungssituation brachte. Der Verlust von nahezu der Hälfte des Territoriums drohte. In dieser Situation nun sollte die Königin auf Bitten des Generalfeldmarschalls Kalckreuth zu den Friedensverhandlungen hinzustoßen1. Diese war von diesem Anliegen nicht begeistert, zumal der russische Zar geäußert habe, »bei der Abhandlung von Geschäften dürften Frauen nicht zugegen sein«2. Dass Napoleon sie auf Propagandaplakaten in Berlin und anderen besetzten Landesteilen als kriegslüsterne Amazone und als Liebhaberin des Zaren hatte darstellen lassen, mag einer der Gründe für ihre ablehnende Haltung gewesen sein3. Doch im Juli 1807 traf die preußische Königin Luise in Piktupöhnen bei Tilsit den französischen Kaiser Napoleon, um mit ihm über bessere Friedensbedingungen für Preußen zu verhandeln. Die aus preußischer Sicht ergebnislosen Verhandlungen wurden – außer in einer kleinen Zeitungsnotiz – von den Zeitgenossen so gut wie nicht wahrgenommen4. Die Quellenlage zur historischen Begegnung aus der Perspektive der
1 Siehe Luise Schorn-Schütte, Königin Luise. Leben und Legende, München 2003, 66. – Für ihre klugen und hilfreichen Kommentare zu meinem Beitrag danke ich Nadine Amsler, Silke Vetter-Schultheiß und Christian Windler. 2 Königin Luise von Preußen, Briefe und Aufzeichnungen 1786–1810, hrsg. v. Malve Gräfin Rothkirch, 2. Aufl., München 1995, 377 f., 368–374, 368. 3 Siehe Gisela Wilkending, Historische, historisch-biografische und autobiografische Romane und Erzählungen für die Jugend, in: Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur von 1850–1900 (Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur), hrsg. v. Otto Brunken / Theodor Brüggemann / Hans-Heino Ewers, Stuttgart / Weimar 2008, 537–616, 602. 4 Siehe Wulf Wülfing, Die heilige Luise von Preußen. Zur Mythisierung einer Figur der Geschichte in der deutschen Literatur des 19. Jahrhunderts, in: Bewegung und Stillstand in Metaphern und Mythen. Fallstudien zum Verhältnis von elementarem Wissen und Literatur im 19. Jahrhundert, hrsg. v. Jürgen Link / dems., Stuttgart 1984, 233–273, 247.
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preußischen Königin ist dürftig, da persönliche Aufzeichnungen der Königin fehlen5. Im kollektiven Gedächtnis spielte diese Begegnung jedoch spätestens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und bis weit ins 20. Jahrhundert eine zentrale Rolle, wurde gar zum Höhepunkt der Leidensgeschichte der flüchtenden und im Exil lebenden Monarchin6. Wieder und wieder wurde die Begegnung in Texten wie Bildern erzählt, an Schulen unterrichtet, auf Laienbühnen und in Filmen nachgestellt. Die Begegnung beider Monarchen wurde dabei zum Opfergang erklärt, den die preußische Königin für »die Nation« durchlitten habe. Dies machte auch der Besuch ihres Sohnes Wilhelm I. am Grabmal der Mutter unmittelbar vor der Kriegserklärung an Frankreich am 19. Juli 1870 deutlich, wohl nicht zufällig der Todestag der Königin7. Noch in den 1950er-Jahren wehrte Ruth Leuwerik als Königin Luise ein mögliches Treffen mit den Worten ab: Napoleon mit einer Audienz zu schmeicheln, sei »das Grässlichste, was Sie [Hardenberg] von mir verlangen können«8. Derlei nachträgliche Inszenierungen männlicher und weiblicher Akteure in Außenbeziehungen zwischen 1860 und 1960 sind der Gegenstand dieses Beitrags. Um die historische Begegnung beider Monarchen geht es also nicht. Vielmehr möchte ich am Beispiel des Königin Luise-Mythos zeigen, welche Rolle Geschlecht in der nachträglichen Darstellung von Außenbeziehungen spielte und 5 In den Briefen und Aufzeichnungen Königin Luises bricht die Darstellung unmittelbar nach Eintreffen Napoleons ab, siehe Königin Luise, Briefe (Anm. 2), 377 f. Ein der Königin zugeschriebener Brief, in dem sie 1808 das baldige Ende des französischen Usurpators verkündet haben soll, ist in ihrem Briefnachlass nicht zu finden und vermutlich nach ihrem Tod von Bischof Rulemann Friedrich Eylert verfasst worden, so der Archivar und Herausgeber der Briefe, Karl Griewank, siehe Königin Luise von Preußen, Ein Leben in Briefen, hrsg. v. Karl Griewank, Leipzig 1943, 479. Siehe auch Hubertus Büschel, Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 220), Göttingen 2006, 66 f. Lediglich der Teil des Briefes, in dem Königin Luise über ihre Kinder schreibt, sei im damaligen Brandenburg-Preußischen Hausarchiv als Abschrift zu finden gewesen. Der Anfang des Briefes, das sog. »politische Glaubensbekenntnis«, gehört nicht dazu. Dieser Brief ist auch abgedruckt in Königin Luise, Briefe (Anm. 2), 422–426. 6 Siehe das Kapitel zu Königin Luise im Buch von Wulf Wülfing / Karin Bruns / Rolf Parr, Historische Mythologie der Deutschen 1798–1918, München 1991, 59–111, 70 f.; Birte Förster, Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des ›Nationalbilds deutscher Weiblichkeit‹, 1860–1960 (Formen der Erinnerung, 46), Göttingen 2011. 7 Siehe beispielsweise den Tags darauf in der Neuen Preußischen Zeitung veröffentlichten Artikel »Der neunzehnte Juli 1870«, Neue Preußische Zeitung, 20. Juli 1870, Nr. 166, sowie Georg Hesekiel, Der neunzehnte Juli, in: Daheim 6 (1870), 719. Vgl. auch Frank Becker, Bilder von Krieg und Nation. Die Einigungskriege in der bürgerlichen Öffentlichkeit Deutschlands 1864–1913 (Ordnungssysteme, 7), München 2001, 306, 316 ff. 8 »Königin Luise« (D 1957, Regie Wolfgang Liebeneiner).
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wie nationale und religiöse Semantiken mit dieser Darstellung verknüpft wurden9. Dies gilt nicht nur für die Darstellung der Verhandlungen der preußischen Königin mit Napoleon, sondern auch für die Schilderung ihrer Begegnungen mit Zar Alexander und ihrer Rolle bei innerpreußischen Konfliktsituationen, wurde sie doch oft als Vermittlerin zwischen Friedrich Wilhelm III. und den preußischen Reformern inszeniert. Für eine Geschlechtergeschichte der Außenbeziehungen ist die Begegnung von Königin Luise mit Napoleon in dreifacher Hinsicht von Interesse10: Am Königin Luise-Mythos insgesamt und insbesondere in der Piktupöhnen-Episode werden erstens Aushandlungen und Fixierungen von Geschlechternormen sichtbar11. Letztere werden zweitens sowohl mit nationalen Stereotypen als auch mit religiöser Semantik verknüpft. Gerade an der Kategorie Nation kristallisieren sich also jene Interferenzen heraus, nach denen dieser Band fragt12. Die Begegnung wurde drittens auch zum Zentrum der bildlichen Darstellung des Königin LuiseMythos, verdichteten sich hier doch die antagonistischen Geschlechterstereotype der »reinen deutschen Frau« und des »korsischen« oder französischen »Dämons«. Grundlage meiner Überlegungen sind die zahlreichen, häufig zweckgebundenen Nacherzählungen dieser Begegnung, die von Friedrich Adami 1851 erstmals popularisiert wurde13. Aus diesen Nacherzählungen möchte ich nun zunächst eine idealtypische Version herausarbeiten. In einem zweiten Schritt wird es um 9 Das Quellenmaterial, auf das ich dabei zurückgreife, rangiert von populären Unterhaltungsmedien wie Familienzeitschriften, Bestsellern und Filmen über institutionalisierte Deutungen in Schulen und seitens der Hohenzollernschen Kaiser- und Königsfamilie bis hin zu Aneignungen durch Akteure: in Schulen, bei Denkmalserrichtungen oder in Vereinen. 10 Zum Forschungsdefizit von Gender in Außenbeziehungen vgl. knapp Hillard von Thiessen / Christian Windler, Einleitung. Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive, in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerk und Interkulturalität im historischen Wandel, hrgs. v. dens. (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 1–12, 8 f. Zur Rolle exilierter Monarchinnen in diplomatischen Netzwerken und Gender vgl. knapp Ann Huges / Julie Saunders, Gender, Exile and the Hague Courts of Elizabeth, Queen of Bohemia and Mary, Princess of Orange in the 1650s, in: Monarchy and Exile. The Politics of Legitimacy from Marie de Médicis to Wilhelm II, hrsg. v. Philipp Mansel / Torsten Riotte, Basingstoke 2011, 44–65, 53 f. 11 Noch immer einschlägig: Joan W. Scott, Gender. A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (1986), 1053–1075. 12 Karen Hagemann, ›Mannlicher Muth und Teutsche Ehre‹. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens (Krieg in der Geschichte 8), Paderborn / München / Wien / Zürich 2002, 350–357, 366–374. 13 Friedrich Adami gab 1849 die zweite Auflage der anonym erschienenen Biographie Caroline von Bergs, Luise, Königin von Preußen, Leipzig / Berlin 1814 heraus. 1851 veröffentlichte er auf dieser Grundlage folgende preisgünstige Version, die er im Untertitel
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die Interferenzen von Geschlecht und Nation gehen. Diese werden in der visuellen Darstellung besonders deutlich, wie ich am Beispiel des Films Königin Luise aus dem Jahr 1928 zeige. Abschließend gehe ich auf die Aneignung des Mythos seitens rechtskonservativer Aktivistinnen in den 1920er- und 1930er-Jahren und deren Praxis informeller Außenbeziehungen ein.
I. Nur ein Körper für die Königin In kaum einer Erzählung willigt die Königin in das Treffen mit Napoleon ein, weil sie eine eigene politische Agenda verfolgt. Vielmehr wird ihr zugeschrieben, sie sehe darin eine Pflicht, die sie notgedrungen erfülle: Für Preußen sei sie zu jedem, auch diesem schweren Opfer bereit. Sich selbst bezeichnet die Königin als politisch unvermögend. Viele der späteren Darstellungen wiederholen diese Selbsteinschätzung, beispielsweise der Film Königin Luise aus dem Jahr 1957, in dem die Königin auf die Frage ihres Mannes, ob sie noch wisse, was sie Napoleon sagen solle, antwortet: »Ach, im Moment weiß ich gar nichts.«14 Das Treffen in Piktupöhnen beginnt in seinen zahlreichen Nacherzählungen in der Regel mit dem Austausch von Höflichkeiten. Doch Napoleon durchbricht diese Gesprächsstrategie, indem er brüsk fragt, wie Preußen es habe wagen können, Krieg mit Frankreich zu beginnen. Eine – so die späteren Darstellungen – ungehörige Frage, auf welche die Königin jedoch diplomatisch geschickt und zugleich würdevoll reagiert habe, wenn sie antwortet: »Sire, dem Ruhm Friedrichs war es erlaubt, uns über unsere Kräfte zu täuschen, wenn wir uns überhaupt getäuscht haben.«15 Die Königin verfolgt dann eine doppelte Gesprächsstrategie: Zum einen appelliert sie an die Moral des französischen Usurpators, indem sie ihn auf die möglichen Konsequenzen einer harten Besatzungspolitik hinweist16. Zum anderen nimmt sie ihre repräsentative Rolle im Gespräch mit Napoleon in der Regel vollkommen zurück und betont, sie spreche als »Mutter für ihre Kinder«17. Sie beansprucht also keinen body politic, sie verneint diesen sogar.
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»dem Volk« zueignete: Friedrich Adami, Königin Luise. Ihr Leben, Leiden und Sterben. Dem Volke erzählt, Berlin 1851. Ruth Leuwerik als Königin Luise zu Friedrich Wilhelm III. (Dieter Borsche) in »Königin Luise« (Anm. 8). Zum Film vgl. Katharina Sykora, Ambivalente Versprechungen. Die Figur der Königin Luise im Film, in: Verdeckte Überlieferungen. Weiblichkeitsbilder zwischen Weimarer Republik, Nationalsozialismus und Fünfziger Jahren, hrsg. v. Barbara Determann / Ulrike Hammer / Doron Kiesel, Frankfurt a. M. 1991, 137–168. Luise Mühlbach, Napoleon und Königin Luise (Napoleon in Deutschland, 2), 2. Aufl., Berlin 1860, 382. Luise Mühlbach war das Pseudonym der Schriftstellerin Clara Mundt. Siehe ebd., 384. So Henny Porten als Königin Luise in »Luise, Königin von Preußen« (D 1931, Regie: Carl Froehlich).
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Eva Dade und Corina Bastian konnten nachweisen, dass der Topos, »nur als Frau« zu handeln, bereits in der Frühen Neuzeit etabliert war und zur Verschleierung diplomatischer oder politischer Aktivitäten diente18. Im Königin Luise-Mythos des 19. Jahrhunderts, der vornehmlich von bürgerlichen Schichten getragen wurde, wurde dieser Topos durch seinen bürgerlichen Kontext neu definiert: »Nur als Frau« zu handeln ist nicht mehr Verschleierung von, sondern Voraussetzung für weibliches politisches Handeln. Nur ohne Ambitionen, nur in der politischen Notsituation ist es legitim. Die Aussage, »nur als Frau« zu handeln, wird in diesen Deutungen also für bare Münze genommen. Sie ist nicht Teil einer Strategie, weil die zuvor als natürlich und von ihrem Nationalgefühl geleitet dargestellte Königin eben nicht strategisch agieren kann. Um, wie von Claudia Opitz angemahnt, die empirisch unscharfe Meistererzählung eines systematischen Ausschlusses von Frauen von der bürgerlichen Öffentlichkeit zu vermeiden19, sei zweierlei angemerkt: Zum einen beschreibe ich hier den Mainstream des Königin Luise-Mythos, von dem es durchaus Abweichungen gibt, wie weiter unten zu zeigen sein wird. Außerdem ist selbstredend zwischen normativer Deutung und der Aneignung des Mythos seitens historischer Subjekte zu unterscheiden, auch wenn Letztere nur fragmentarisch überliefert ist20. Die skizzierte Ablehnung eines body politic durch Königin Luise hat dreierlei Folgen: Sie ist erstens ein Erfolg versprechendes Mittel, denn Napoleon scheint gerade aus diesem Grund geneigt zu sein, den Bitten der Königin zumindest Gehör zu schenken. Er sieht sie nun in einem anderen Licht und der Ausgang der Verhandlungen ist zumindest in der Schwebe21. Zweitens lässt sich die Begegnung als Ehrverletzung der Königin darstellen: Zunächst als Treffen in Gegenwart Dritter beschrieben und dargestellt22, handelt es sich in den meisten Darstellungen nach der Nationalstaatsgründung um ein Vier-Augen-Gespräch. Theodor Mommsen 18 Corina Bastian, Kammerdame und diplomatische Akteurin. Die Princess des Ursins am Hof Philipps V. von Spanien (1701–1714), in: Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerk und Interkulturalität im historischen Wandel, hrgs. v. Hillard von Thiessen / Christian Windler (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 1), Köln / Weimar / Wien 2010, 261–276, 274; Eva Kathrin Dade, Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie (Externa. Geschichte der Außenbeziehungen in neuen Perspektiven, 2), Köln / Weimar / Wien 2010, 230 ff. 19 Siehe dazu insbesondere Teil 3 des Beitrags von Claudia Opitz in diesem Band (140– 143). 20 Siehe B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), 29–32. 21 Dies ist besonders nach der um 1890 einsetzenden positiveren Deutung Napoleons festzustellen, siehe dazu Barbara Beßlich, Der deutsche Napoleon-Mythos. Literatur und Erinnerung 1800–1945, Darmstadt 2007, 312 f. Bis zum ersten Weltkrieg ist es nun häufig die suggestive Rhetorik Talleyrands, die einen Erfolg der Königin zunichte macht, siehe beispielsweise Maria Schade, Königin Luise. Sechs Bilder aus Preußens großer Zeit, Berlin 1913, 52–55. 22 Beispielsweise Max Ring, Eine Deutsche Königin, in: Die Gartenlaube 1860, 212–216.
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ging 1876 auf einem Festakt der Berliner Akademie der Wissenschaften anlässlich ihres 100. Geburtsjubiläums sogar so weit zu behaupten, sie habe es »für die Pflicht der Königin« gehalten, »auch das zu opfern, was eine Frau nicht opfern kann und darf«23.Während Mommsen nicht aussprach, was damit gemeint sein könnte, thematisierten andere Texte offen die erotische Anziehungskraft der Protagonisten – eine weitere, dritte Folge des fehlenden body politic. Während des Gesprächs macht Napoleon der Königin Komplimente über ihr Aussehen, ihre Kleidung und ihren Charakter und sucht ihre körperliche Nähe. Diese Darstellung nahm zwar nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Wegfall monarchischer Schutzgesetze erheblich zu24, war jedoch schon seit den 1850er-Jahren in der populären Unterhaltungsliteratur zu finden. In Luise Mühlbachs Roman Napoleon und Königin Luise aus dem Jahr 1858 flicht Napoleon immer wieder Bezüge auf den Körper der Königin in das Gespräch ein. Er verlangt, auf einem Diwan in »Ihrer nächsten Nähe zu sitzen«25 und bezeichnet sie als »die schönste [...] Frau der Welt«26. Die Vaterlandsliebe der Preußen führt er allein auf deren Liebe zu ihrer Königin zurück. Nachdem Napoleon den Bitten der Königin zumindest dem ersten Anschein nach entgegenkommt, überreicht er ihr eine rote Rose, deren Annahme sie jedoch mit der Bitte verbindet, Preußen wenigstens die Festung Magdeburg zu überlassen27. Auf dem Höhepunkt des Gesprächs scheitert die Königin jedoch, entweder weil der französische Kaiser selbst sich weigert, ihrem Charme zu erliegen, weil Talleyrand ihn davon abhält, auf die Bitten der Königin einzugehen, oder weil Friedrich Wilhelm III. zu einem zentralen Zeitpunkt das tête-a-tête stört. Gerade das Scheitern der Verhandlungen allerdings bestätigte die bürgerlichen Geschlechternormen. Letztlich trugen diese Geschlechternormen in der Unterredung den Sieg davon, da die Königin zwar politisch unterlegen war, moralisch jedoch die Überlegenere blieb. Der vergebliche »Opfergang« der Königin wurde, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, zum Kernstück des Königin Luise-Mythos und zugleich zum Zentrum seiner Nationalisierung.
23 Theodor Mommsen, Königin Luise, Vortrag gehalten am 23. März 1876 in der Berliner Akademie der Wissenschaften, in: Preußische Jahrbücher 37 (1876), 430–437. Mommsen führt so wieder einen zweiten Körper ein, dieser ist jedoch kein body politic, sondern einer, der auch das größte Opfer erlaubt – insinuiert wird der Verlust weiblicher Ehre. 24 Siehe B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), 273, 309–313. 25 L. Mühlbach, Napoleon (Anm. 15), 380. 26 Ebd., 382. 27 Siehe beispielsweise Julius Mühlfeld, Deutschlands Genius: Gedenkblatt zur 50-jährigen Todesfeier der Königin Luise von Preußen, am 19. Juli 1860, Anclam 1860, 17; Brigitte Augusti, Luise, Königin von Preußen. Ein Lebensbild, deutschen Frauen und Mädchen gewidmet, Breslau 1897, 30.
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II. Außenbeziehungen als »nationales Opfer« Die aus preußischer Sicht erfolglosen Verhandlungen wurden also nicht als gescheitert dargestellt, sondern vielmehr als »Opfer« für das »Vaterland« und somit mit Hilfe religiöser Semantik gedeutet: als Demütigung, als der »Leidenskelch«28, den die Königin habe leeren müssen und der sie nur drei Jahre später an gebrochenem Herzen habe sterben lassen29, kurzum als Höhepunkt des Passionsweges der exilierten Königin30. Zusätzlich wurde die Begegnung mit Hilfe nationaler Stereotype interpretiert: Der aggressive französische Eroberer verkannte demnach die moralische Überlegenheit der preußischen beziehungsweise deutschen Bittstellerin und war unfähig, Gnade walten zu lassen. Diese Deutung gewann im Reichsgründungsjahrzehnt und nach der Nationalstaatsgründung 1871 deutlich an Gewicht. Die Abgrenzung von Frankreich wurde zunehmend aggressiver und hielt auch Einzug in die Kinder- und Jugendliteratur31. Wie stark nationale, geschlechtsspezifische und auch religiöse Semantik miteinander verknüpft waren, zeigt ein Artikel des Hofpredigers Rudolf Koegel, der anlässlich des 100. Geburtsjubiläums der Königin in der protestantischen Familienzeitschrift Daheim veröffentlicht wurde. Da Koegel auch die Festpredigt für die kaiserliche Familie hielt und Wilhelm I. den Artikel zudem redigiert hatte32, kann dieser Text als Teil monarchischer Mythenbildung gelten. 28 So die 1910 mit einer Auflage von einer halben Million besonders verbreitete Kurzversion des Pfarrers Hermann Petrich, Königin Luise, Ihr Leben und Wirken in 15 Geschichten, Potsdam 1910, 27. Das jugendliche Lesepublikum sah sich rhetorischen Fragen wie »Hatte sie in den vergangenen Jahren zuviel aus dem Leidenskelch getrunken und zu viel geweint?« (ebd.) ausgesetzt. 29 Siehe in Auswahl: Neue Preußische Zeitung, 20. Juli 1870, Nr. 166; Johanna Baltz, JungDeutschlands Huldigung! Vaterländische Dichtungen zum Schulgebrauche bei patriotischen Festlichkeiten, Düsseldorf 1889, 27; drastisch Arnim Stein, Die Königin Luise. In Bildern aus ihrem Erdenwallen, Emmishofen 1910, 24; Heinrich Blume, So ward das Reich. Deutsche Geschichte für die Jugend (Volk und Führer. Deutsche Geschichte), Frankfurt a. M. 1941, 206 f. 30 Zum Zusammenhang von nationaler und religiöser Semantik siehe Friedrich Wilhelm Graf, Die Nation – von Gott ›erfunden‹? Kritische Randnotizen zum Theologiebedarf der historischen Nationalismusforschung, in: ›Gott mit uns‹. Nation, Religion und Gewalt im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. v. Gerd Krumeich / Hartmut Lehmann (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 162), Göttingen 2000, 286– 317. 31 Siehe beispielsweise die sehr erfolgreiche historische Erzählung für junge Leserinnen von Carl von der Boeck, Die Königin Luise von Preußen. Ein Vorbild weiblicher Tugenden, 22. Aufl., Leipzig [o. J.] [EA 1881], 177–188. 32 Rudolf Koegel, Königin Luise von Preußen, in: Daheim (1876), 408–414. Dies geht aus dem Faksimileabdruck eines Briefes Wilhelms I. hervor, der dem Artikel beigefügt war.
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»Ich [...] bitte nur, jenen Gegensatz lebendig zu erfassen: dort der dämonische Feldherr [...], ihm gegenüber die sanft gebeugte Frau, [...]; dort das scharfgeschnittene olivenfarbene Corsengesicht, hier das herzgewinnende seelenvolle Auge und die musikvolle Stimme einer wahren Königin; dort der eiserne Cäsar, der die Sonne von Austerlitz für unvergänglich wähnte, hier die gottergebene Christin.«33
Mit sprachlich drastischen Mitteln grenzte auch der Schriftsteller Ludwig Storch den französischen Kaiser von der preußischen Königin ab. Dieser sei von »Gewinnsucht, Herrschsucht, Glanzsucht, Genusssucht, Ränkesucht und Eitelkeit« geprägt gewesen, Königin Luise jedoch von »Liebe, Treue, Sanftmuth, Wohlwollen, Menschlichkeit«34. Diese – durch populärliterarische Mittel noch gesteigerten – Interpretationen waren jedoch nur möglich, weil das normierte bürgerliche Geschlechtermodell keine aktive Königin zuließ. Allerdings erfährt dieses Geschlechtermodell hier zugleich eine Wendung, da nicht länger alle positiven Eigenschaften dem männlichen Part zugeschrieben werden35 – im Gegenteil. Im Zuge der Nationalisierung von Geschlechterdifferenz ist allein die Königin im Besitz positiver Eigenschaften. Der französische Kaiser ist jedoch nicht die einzige Negativfolie für die »deutsche« Königin. Gleiches gilt für den russischen Monarchen. In zahlreichen Darstellungen drängt der wortbrüchige Zar die Königin zum Treffen mit Napoleon und erklärt offen, ihre Schönheit und Anmut können eventuell den gewünschten Effekt erzielen. Dies wirft ein denkbar schlechtes Bild auf den Zaren: Er wird als unmoralisch und unreif charakterisiert, was durch seine zuweilen ungezügelte Begeisterung für Napoleon noch weiter verstärkt wird. In Luise Mühlbachs Roman aus dem Jahr 1858 etwa schwärmt er: »Er litt es nicht einmal, daß ich in meine Wohnung ging, um meine Kleider zu wechseln, er führte mich selbst in sein Schlafzimmer und lieh mir von seiner Wäsche und seinen Kleidern. Bei dieser Gelegenheit [...] schenkte er mir ein superbes goldenes Necessaire.«36
Zar Alexander repräsentiert durchgehend eine – auch erotisch – ungezügelte Männlichkeit, die von Wankelmut, Selbstbezogenheit und Missachtung der Ge33 Ebd., 411. Ähnlich auch Eduard Engel, Königin Luise, 2. Aufl., Berlin 1876, 135–150; Arnim Stein, Königin Luise. Ein Lebensbild (Deutsche Geschichts- und Lebensbilder, 9), 2. Aufl., Halle 1887, 289. 34 Ludwig Storch, Die Louisenburg bei Wunsiedel. Erinnerungen an die Königin Louise von Preußen, in: Die Gartenlaube 1860, 442–446, 443. 35 Siehe dazu Cornelia Klinger, Beredtes Schweigen und verschwiegenes Sprechen. Genus im Diskurs der Philosophie, in: Genus. Zur Geschlechterdifferenz in den Kulturwissenschaften, hrsg. v. Hadumod Bußmann / Renate Hof, Stuttgart 1995, 34–59, 42 f. 36 L. Mühlbach, Napoleon (Anm. 15), 367.
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fühle anderer geprägt ist37. In den Filmen der 1920er- und 1950er-Jahre führt seine Anziehungskraft zu fatalen politischen Fehlentscheidungen der Königin. Ihre unerfüllte Liebe zum emotionalen und begeisterungsfähigen Zaren (Bernhard Wicki) führt in Königin Luise dazu, dass sie ihren Mann zum Krieg gegen Napoleon drängt, da sie auf Alexanders vages Versprechen vertraut, als »Herrscher Großes« tun zu wollen38. Damit erteilt der Film ihrem politischen Handeln eine klare Absage, die Königin muss infolgedessen ihren Mann »als den alleinigen politischen Akteur auf dem Feld der Politik« akzeptieren39. Auch Friedrich Wilhelm III. ist zumindest in populären Medien kein positiver Gegenpart zu Königin Luise. Er unternimmt nichts, um seine Frau zu schützen. Der Zar und er haben Preußen nicht vor den napoleonischen Expansionsbestrebungen bewahren können beziehungsweise wollen und die Königin muss sich daraufhin auf einem Gebiet bewegen, in dem sie ungeübt ist und »von dem sie ja gar nichts weiß«. Der König wehrt sich zudem nicht gegen die mit dem Wunsch nach einem Zwiegespräch zumindest angedeutete Ehrverletzung seiner Frau. So verletzt er die Geschlechterordnung des 19. Jahrhunderts, die ein Einstehen des Ehemannes – beispielsweise im Duell – für die Ehre der Ehefrau gefordert hätte40. Die Passivität des preußischen Königs hat allerdings auch den Effekt, den Raum für eine politisch aktive Königin zu öffnen. Da der König sich nicht seiner Geschlechterrolle gemäß verhält, muss seine Frau für ihn einspringen, als »der Nation« Gefahr droht. Diese Legitimationsfigur für weibliches politisches Handeln war vor dem Ersten Weltkrieg – und dies mag nicht verwundern – am häufigsten in Schriften von Frauen zu finden. Diese zeigen eine aktive Königin, die selbst für das erlittene Unrecht Rache nehmen will und somit Geschlechtergrenzen übertritt41. Die promovierte Publizistin Ella Mensch etwa wehrte sich gegen die Stilisierung der Königin als Märtyrerin und kritisierte eine Form der Geschichtsschreibung, die einer Frau »ein gewisses Piedestal nur dann zubillige [...], wenn sie aus ihr eine ätherische, allen irdischen Bedürfnissen entrückte Erscheinung machen« könne42. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt diese Deutung des Köni37 Siehe Walter von Molo, Luise, Roman (Ein Volk wacht auf, 2), München 1919; Gertrud Aretz, Königin Luise, Dresden 1927; Edith Mikeleitis, Die Königin. Roman, Braunschweig 1940. 38 Siehe »Königin Luise« (Anm. 8). 39 Siehe K. Sykora, Ambivalente Versprechungen (Anm. 14), 162. 40 Siehe Ute Frevert, Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991. 41 Siehe Birte Förster, Analyzing Popular History, Gender and Nationalism, in: Popular History Now and Then. International Perspectives, hrsg. v. Sylvia Paletschek / Barbara Schraut (Historische Lebenswelten in Populären Wissenskulturen, 6), Bielefeld 2012, 149–169, 154–161. 42 Ella Mensch, Königin Luise von Preußen. Ein Lebens- und Zeitbild, 5. Aufl., Berlin [um 1908], 71.
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gin Luise-Mythos durch die nun durchgängige Charakterisierung Friedrich Wilhelms III. als entscheidungsunfähig und schwach neuen Auftrieb. Beispielhaft für diese Neukonzeption der Rolle Königin Luises ist folgende Aufforderung des Freiherrn vom Stein aus Walter von Molos Bestseller Luise: »›Spielen Sie nicht länger die Königin, seien Sie es! [...] Wehren Sie sich gegen Ihren Mann und seine Umgebung‹.«43 Die Königin muss sich – nicht zuletzt aufgrund ihres ausgeprägten Nationalgefühls – von ihrem Ehemann emanzipieren. Und mehr noch: Die Ehe des Königspaares ist nun zentrales Konfliktfeld der Auseinandersetzung um die nationale Identität. In den Verhandlungen mit Napoleon ist die Königin jetzt wahlweise ebenbürtige Kontrahentin44 oder sich heroisch opfernde Frau45. Beides führt zur Aufwertung der Rolle Königin Luises in Außenbeziehungen: Die Königin wird nun als die einzige mögliche Verhandlungspartnerin des französischen Kaisers dargestellt.
III. Visualisierung von Geschlecht in Außenbeziehungen Insbesondere die vier Königin Luise-Filme machten die Rolle von Geschlecht in Außenbeziehungen sichtbar46. Orientierte sich der dreiteilige Film von der Königin Luise (D 1912, Regie: Franz Porten) stark am Bilderbogen Königin Luise47, nahmen auch die weiteren Filme die bereits etablierte Ikonographie der antagonistischen Gegenüberstellung der preußischen Königin und des französischen Kaisers auf. Allerdings gelang es gerade dem Stummfilm Königin Luise (D 1928, Regie Karl Grune), die Außenbeziehungen facettenreich in Bilder zu übersetzen48. Dies gilt besonders für die Interaktion zwischen französischem Kaiser und preußischem König während der Friedensverhandlungen, die vor allem über die Darstellung 43 W. v. Molo, Luise (Anm. 37), 133. 44 Siehe beispielsweise Eckart von Naso, Die Begegnung, Bielefeld 1936, 53. 45 Siehe beispielsweise Else von Hollander-Lossow, Die unsterbliche Königin. Ein LuiseRoman, Leipzig 1934, 250–258. 46 Zu den Filmen siehe K. Sykora, Ambivalente Versprechungen (Anm. 14); B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), 249–255, 360–381, 394–401; Rolf Parr, »Das ist unnatürlich, schlimmer: bürgerlich« – Königin Luise im Film, in: Zeitdiskurse. Reflexionen zum 19. und 20. Jahrhundert als Festschrift für Wulf Wülfing, hrsg. v. Roland Berbig / Martina Lauster / dems., Heidelberg 2004, 135–163. 47 Richard Knötel / Woldemar Friedrich / Carl Röchling, Die Königin Luise. In 50 Bildern für Jung und Alt, Berlin 1896. 48 Der Film ist in Fragmenten erhalten und war der zweite Teil einer Terra-Film-Produktion, Mady Christians spielte die Titelrolle, Charles Vanel war als Napoleon zu sehen. Der erste Teil kam 1927 unter dem Titel »Kronprinzessin Luise« in die Kinos, siehe BAFA, B107269. Die Zulassungskarte findet sich im SDK/Filmmuseum Berlin, Schriftgutarchiv/4927. Alle folgenden Zitate zum Film ebd.
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von Innen und Außen sowie jene Napoleons inszeniert wird. Der preußische König wartet unruhig auf- und abgehend vor dem Zelt des französischen Kaisers, der derweil im Zelt mit dem russischen Zaren speist und scherzt. Nachdem Friedrich Wilhelm III. endlich vorgelassen wird, würdigt ihn Napoleon keines Blickes, sondern setzt ungerührt sein Mahl fort. Als der preußische König bei der Vertragsunterzeichnung wütend seine Feder hinwirft, steckt der Kaiser sie seelenruhig in das Tintenfass zurück und demonstriert so seine Überlegenheit. Hier werden verschiedene Formen von Männlichkeit sichtbar: Napoleon als Repräsentant hegemonialer Männlichkeit wird vom effeminierten Zaren bewundert, dem unterlegenen Friedrich Wilhelm III. wird der Zugang zur hegemonialen Männlichkeit auch auf der Ebene der bildlichen Darstellung verweigert49. Die Verhandlungen in Piktupöhnen selbst sind konventionell inszeniert und bleiben vergleichsweise statisch: Die Protagonisten stehen sich im Halbprofil gegenüber, die Königin in bittender Haltung, die Hände wie zum Gebet gefaltet. Als sich Napoleon der Bittstellerin nähert, kommt dies den Annäherungen bei den Verhandlungen gleich, denn der Kaiser fragt: »Welche von den verlorenen Provinzen liegt dem Herzen Eurer Majestät am nächsten?« und die Königin bittet um Magdeburg. Im Film scheint die Strategie erotischer Anziehungskraft zunächst erfolgreich zu sein: Nachdem Napoleon bei der Bitte um Magdeburg seinen Blick über das Dekolleté der Königin hat schweifen lassen, ist auf der Titelkarte zu lesen »Wir wollen sehen! Ich werde Ihnen selbst die Entscheidung bringen!« Das eng beieinander stehende Paar wird unmittelbar darauf vom ungeduldig vor der Tür wartenden Friedrich Wilhelm III. gestört, woraufhin Napoleon ohne Zugeständnis aufbricht. Das nächste Zusammentreffen der Monarchen wird durch das Bild eines Rosenstraußes eingeführt, von dem eine Männerhand eine Rose abbricht, die er dann einer behandschuhten Frauenhand reicht. Die berühmte Rosenszene haben die Zuschauer vermutlich lange erkannt, bevor Napoleon und Königin Luise im Bild zu sehen sind. Die Königin nimmt die Rose strahlend entgegen und presst sie an ihre Brust, doch ihre Hoffnung wird bitter enttäuscht, denn der Friedensvertrag wird kurz darauf unverändert unterzeichnet. In Königin Luise sind körperliche Reaktionen das stärkste Mittel zur Inszenierung von Geschlechterbeziehungen: Kurz vor der Begegnung bricht die Königin schluchzend zusammen, nach Bekanntgabe des Friedensschlusses wirft sie sich ihrem Mann weinend in die Arme. Im Vordergrund der filmischen Inszenierung steht also die körperlich leidende Frau, deren Reize Napoleon zwar anfangs betören, aber nichts gegen die Staatsraison (verkörpert durch Talleyrand) vermögen. Auch als politische Ratgeberin ihres Mannes scheitert die so inszenierte Königin: Der Konflikt des Ehepaares, der durch das politische Engagement der Königin entsteht, wird durch die körperliche Abwendung des Königs von der Königin 49 Zu hegemonialer Männlichkeit vgl. Jürgen Martschukat / Olaf Stieglitz, Geschichte der Männlichkeiten, Frankfurt a. M. / New York 2008, Kap. 4.
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sichtbar gemacht, begleitet von den Worten: »Politik ist nichts für Frauen, Luise!« Als politische Ratgeberin ihres Mannes scheitert die so gezeichnete Königin. Der Konflikt um Preußens Außenpolitik wird vornehmlich zwischen dem König und Prinz Louis Ferdinand ausgetragen, das von der Königin initiierte Bündnis mit Russland hat fatale Folgen. Ähnliches gilt auch für die beiden Tonfilme Luise, Königin von Preußen (D 1931, Regie: Carl Froehlich) und den bereits erwähnten Film Königin Luise aus den 1950er-Jahren: Das Überschreiten von Geschlechtergrenzen und ein außenpolitisches Engagement der Königin haben negative Folgen, sie unterstützen Preußen letztlich nicht. Damit stehen die Filme im Widerspruch zu anderen zeitgenössischen Deutungen.
IV. Akteurinnen von Außenbeziehungen? Der Bund Königin Luise in Italien In den 1920er- und 1930er-Jahren nutzten rechtskonservative Politikerinnen der DNVP und die Leitungsriege des Bundes Königin Luise den Königin Luise-Mythos, um die eigene politische oder öffentliche Tätigkeit zu rechtfertigen – und zwar in Organisationen, die von einer starken Geschlechterhierarchie geprägt waren. Diese Modernisierung des Mythos nach dem Ersten Weltkrieg war neben seiner Popularisierung der maßgebliche Grund für seine Langlebigkeit. Wie Königin Luise – so die Argumentation der Aktivistinnen – wurden auch sie selbst politisch aktiv, weil »die Nation« sich aktuell in einer Notlage befinde. Damit hatte sich diese Deutung nicht nur in populären Unterhaltungsmedien weitgehend durchgesetzt. Königin Luise war für diese Frauen in den 1920er- und 1930er-Jahren die Verkörperung des eigenen »Nationalgefühls«, sie wurde als »Führerin« tituliert, zugleich war sie das Gegenbild der new woman50. Politische Partizipation wurde denn auch ausdrücklich als Pflicht, nicht als Recht konzipiert, und dieser Verpflichtungscharakter ließ sich mühelos auf die Lebensgeschichte der preußischen Königin übertragen. Der nationalkonservative, monarchistische und antisemitische Bund Königin Luise war 1923 in Halle als Frauenorganisation des Stahlhelmbunds der Frontsoldaten gegründet worden. Der hierarchisch organisierte Bund hatte besonders in der Endphase der Weimarer Republik regen Zulauf und hatte Anfang 1933 eigenen Angaben zufolge 150 000 Mitglieder51. Die Begründung seiner Namensgebung 50 Zu den Interferenzen zwischen »Führer-Mythos« und Königin Luise-Mythos siehe B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), 283, 299–305, 330 f. 51 Zum Bund Königin Luise s. Andrea Süchting-Hänger, Das ›Gewissen der Nation‹. Nationales Engagement und politisches Handeln konservativer Frauenorganisationen 1900 bis 1937 (Schriften des Bundesarchivs, 59), Düsseldorf 2002, 165–171; Eva SchöckQuinteros, Der Königin Luise-Bund. ›Unser Kampfplatz ist die Familie!‹, in: ›Ihrem Volk verantwortlich!‹ Frauen der politischen Rechten, 1890–1937, Organisation – Agita-
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zeigt, wie der Bund mit Hilfe des Mythos seine Vorstellungen nationalisierter Weiblichkeit artikulierte: »Der B.K.L. wählte sich den Namen Königin Luise, weil diese Frau in schwerer Notzeit ihres Volkes sich als reine, sich selbst vergessende Volksmutter bewährte.«52 Wie Akteurinnen den Königin Luise-Mythos mit den politischen Zielen des Bundes verknüpften und welchen Aufgabenbereich sie Frauen zuwiesen, verdeutlicht die Werberede für den Königin Luise-Bund aus dem Jahr 1925. Die zunächst ablehnende Haltung Königin Luises gegenüber politischen Aktivitäten habe sich – so die Autorin Almuth von Richthofen-Dürrjentsch – mit dem drohenden Krieg gegen Frankreich geändert: »[D]a glaubte die deutsche Frau nicht länger, ihre Dienste dem Vaterlande entziehen zu können.«53 Gleiches gelte auch für die aktuelle Notsituation: »Dienst am Vaterland« und »Schutz der nationalen Ehre« wurden als privater und zugleich politischer Aufgabenbereich von Frauen definiert, dem man sich nicht entziehen dürfe und könne. Hier gewinnt die Verschränkung von Nation und Geschlecht eine neue Qualität, da politisches Handeln nun als nationale weibliche Pflicht definiert wird. Königin Luise war aber auch Symbol für die Überwindung der republikanischen Gegenwart, wie beispielsweise die ihr zugeschriebene Jahreslosung »Durch müssen wir« zeigt54. Möglicherweise war das faschistische Italien, das zumindest formal eine konstitutionelle Monarchie geblieben war, deshalb ein attraktives Reiseziel für die Mitglieder des Bundes55. Im Mai und Juni 1930 reisten 31 Leiterinnen des Bundes auf Initiative der späteren »Bundesführerin« Charlotte von Hadeln nach Italien, um dort nach eigener Aussage »den Faschismus selbst und die Erfolge der Arbeit von Faschistinnen kennenzulernen«56. Während ihres inoffiziellen Aufenthaltes, die der Bund erst nach der Machtergreifung publik machte57, trafen die deutschen Frauen führende Mitglieder der faschistischen Frauenorganisati-
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tion – Ideologie, hrsg. v. ders. / Christiane Streubel (Schriftenreihe des Hedwig HintzeInstituts, 9), Berlin 2007, 231–270; B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), S. 329–346. Franziska von Gaertner, Der Bund Königin Luise. Seine Gründung im Jahre 1923 eine volkliche Notwendigkeit. Seine Leistung ein volksmütterliches Erziehungswerk innerhalb des deutschen Volkes, Halle 1934, 10. Almuth v. Richthofen-Dürrjentsch, Königin Luise. Ein Lebensbild. Werberede für den Königin Luise-Bund, Querfurth 1925, 11. Die Deutsche Frau 23 (1930), 258. Siehe »Deutsche Frauen studieren den Faschismus und werden von Mussolini empfangen«, Halle 1933, 20: Die Autorin des Berichtes war vermutlich Charlotte von Hadeln, die das Schriftstück fast vollständig in ihrer Autobiographie wiedergab. Sie erwähnt, dass die königliche Familie anlässlich einer Militärparade »von der Menge stark bejubelt« worden sei. Charlotte von Hadeln, In Sonne und Sturm, Rudolstadt 1935, 311. Siehe Deutsche Frauen (Anm. 55).
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onen, darunter Angiola Moretti, zu diesem Zeitpunkt noch Sekretärin der Fasci Femminili (FF), sowie die Pädagogin und Übersetzerin Maria Pezzè Pascolato, Leiterin der FF im Veneto58. Sie besuchten Einrichtungen der Jugendorganisation Opera Nazionale Ballila und des Mütter- und Kinderhilfswerks Opera Maternità ed Infanzia59. In Venedig, Florenz, Rom, Neapel, Genua und Mailand trafen sie ranghohe, häufig adlige Faschistinnen, die zudem ein Kulturprogramm organisiert hatten. Insbesondere von den weiblichen Jugendorganisationen zeigten sich die Besucherinnen beeindruckt; hier sahen sie verwirklicht, woran sie in Deutschland selbst arbeiteten, nämlich einen »stolze[n] und kraftvolle[n] Nationalgeist«60. Ausdrücklich lobt der Reisebericht die Modernisierung der Mädchenerziehung als Leistung faschistischer Organisationen. Ihnen sei es gelungen, Mädchen und jungen Frauen ein Bildungsangebot zu machen, ihre sportliche Ausbildung zu fördern und sie zudem in die Arbeit der Organisationen einzubinden61. Immer wieder hebt die Broschüre die Gemeinsamkeiten von Bund und Fasci Femminili hervor. Nicht durch diplomatische Verhandlungen, sondern über die gemeinsame »Hingabe an die Nation« und die »tief darunter glühende Mutterliebe« habe man Freundschaft geschlossen62. Ein Höhepunkt der Reise war der Aufenthalt in Rom. Hier wurden die Mitglieder des Bundes zunächst von Parteisekretär Augusto Turati empfangen63, Benito Mussolini gewährte ihnen eine Audienz64. In ihrer Rede vor Mussolini zeigte Hadeln Gemeinsamkeiten zwischen den nationalkonservativen deutschen Frauen und den Faschistinnen auf: »›Die faschistischen Frauen und wir fühlen uns eins 58 Zu Angiola Moretti siehe knapp: Perry Wilson, Peasant Women and Politics in Fascist Italy. The Massaie Rurali, London 2002, 21 f.; Victoria de Grazia, How Fascism Ruled Women. Italy 1922–1945, Berkeley, CA 1995, 31. Zu Maria Pezzè Pascolato siehe Nadia Maria Filippini, Maria Pezzè Pascolato (Profili Novecento, 6), Cierre 2004, bes. 109–140. 59 Zum Opera Nazionale Ballila siehe Ute Schleimer, Die Opera Nazionale Ballila bzw. Gioventù italiana del littorio und die Hitler-Jugend. Eine vergleichende Darstellung, Göttingen 2004. Zum Opera Maternità ed Infanzia und zu den faschistischen Frauenorganisationen knapp V. d. Grazia, Fascism (Anm. 58), 155, 169–173. 60 Deutsche Frauen (Anm. 55), 42. 61 Siehe ebd., 39 ff. 62 Ebd., 33, Hervorhebung im Original. 63 Siehe BArch R 1501/125982, Bl. 5: Vom Außenministerium an das Reichsministerium des Innern übergebenes Schreiben der Deutschen Botschaft in Rom vom 18. Juni 1930; Deutsche Frauen (Anm. 55), 21: Die Broschüre betont, dass sich die Mitglieder des Bundes nicht um eine Audienz bemüht hätten. 64 Leider ist im Archivio Centrale dello Stato nur in den Audienzlisten Mussolinis ein Hinweis auf die Reise des Bundes zu finden. Diese verzeichnet lediglich eine 15-minütige Audienz von 31 signore tedesche aderenti al gruppo Elmi d’Acciaio, siehe Archivio Centrale dello Stato, S.P.D., CO, Udienze, b. 3103. Den Hinweis auf die Audienzlisten verdanke ich Wolfgang Schieder.
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in dem heiligen Willen, alles einzusetzen für die Zukunft unserer Kinder und in voller Hingebung mitzuwirken an der Veredelung, Erstarkung und Freiheit unserer Nation, soweit uns dies unsere Fähigkeiten ermöglichen‹.«65 Über die Audienz schrieb Hadeln in ihrer Autobiographie 1935 rückblickend: »Damals trugen wir noch die Sehnsucht nach einem starken Lenker der deutschen Geschicke im Herzen – nun aber ist sie erfüllt.«66 Wolfgang Schieder hat darauf hingewiesen, dass es Mussolini bei seinen Audienzen meist gelang, sich den Bedürfnissen seiner Besucher anzupassen. Diese wiederum seien der eigenen »Autosuggestion« erlegen: »Sie erlebten Mussolini jeweils so, wie sie ihn im Hochgefühl ihres privilegierten Zugangs gerne haben wollten.«67 Dies traf auch auf die Mitglieder des Bundes zu, die Mussolini als »genialischen Staatsmann« wahrnahmen, der »die Wünsche und Belange der Mütter und Kinder seines Volkes« verstanden habe und »Herrscher und Beschützer zugleich« sei68. Mussolini hatte geschickt auf der Klaviatur der Erwartungshaltungen der rechtskonservativen Frauen gespielt: Er hatte die Bedeutung der faschistischen Frauenorganisationen betont und auch symbolische Zeichen wie einen Handkuss für Hadeln und den Bescheidenheitstopos am Ende seiner Rede – eine Entschuldigung für sein schlechtes Deutsch – gesetzt und so seine deutschen Gäste euphorisiert69. Die Austauschbeziehungen rechtskonservativer und faschistischer Frauenorganisationen sind bisher wenig erforscht70. Ob diese sich in einem fascist tourism71 erschöpften, den Julie Gottlieb für die Reisen der britischen Faschistinnen nach Deutschland und Italien ausgemacht hat, kann hier nicht entschieden werden und bedürfte weiterer Forschung. Deutlich ist jedoch, dass der Besuch den Mitgliedern des Bundes zur Selbstvergewisserung diente. Anders als einige britischen Faschistinnen sahen die Mitglieder des Bundes in Italien nicht die Gleichstellung der Geschlechter verwirklicht, sondern vielmehr die auch von ihnen angestrebte Un65 C. v. Hadeln, Sonne (Anm. 56), 316. 66 Ebd., 320. 67 Wolfgang Schieder, Audienz bei Mussolini. Zur symbolischen Politik faschistischer Diktaturherrschaft 1923–1943, in: Italien-Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des. 19. und 20. Jahrhunderts, hrsg. v. Petra Terhoeven, Göttingen 2010, 107– 132, 124. 68 Deutsche Frauen (Anm. 55), 23. Interessanterweise berichtet Schieder, dass der Mussolini-kritische Gerhard Hauptmann diesen abschätzig mit Napoleon verglich, s. W. Schieder, Audienz bei Mussolini (Anm. 67), 123. 69 Siehe Deutsche Frauen (Anm. 55), 22 f. 70 Neben den von Julie Gottlieb, Feminine Fascism. Women in Britain’s Fascist Movement, 1923–45, London 2000, 125 ff. untersuchten Beziehungen siehe auch Toni Morant i Ariño, ›Junge, tapfere Spanierin! Starkes sportliches BDM-Mädel‹. Selbst- und Fremdbilder in den Kontakten zwischen der Sección Femenina de Falange und dem Bund Deutscher Mädel in der HJ (1937–1943), in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 13 (2008), 187–210. 71 J. Gottlieb, Feminine Fascism (Anm. 70), 125.
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terordnung des Individuums unter die Ziele des Staates: »Jede Faschistin, ob groß oder klein, erfüllt eine Dienstpflicht am Volk. [...] Kein sentimentaler Ich-Geist wird gezüchtet, sondern ein stolzer und kraftvoller Nationalgeist.«72 Dass sie diese Vorstellungen Benito Mussolini hatten vortragen dürfen, bestätigte die »gedachten Ordnungen«73 der Leiterinnen des Bundes. Sie sahen die eigenen Anliegen in den faschistischen Frauen-, Jugend- und Wohlfahrtsorganisationen zu großen Teilen verwirklicht und nahmen von der informellen Reise den Eindruck mit, dass ihre italienischen Gesprächspartnerinnen und -partner sich für ähnliche Anliegen engagierten. Anders als die Fasci Femminili konnte der Bund seinen Anspruch auf Mitarbeit im nationalsozialistischen Staat trotz seines anbiedernden Verhaltens jedoch nicht durchsetzen. Seine Führungsriege hatte offensichtlich sowohl den »totalitären Charakter des Regimes« als auch die Möglichkeit, dass dessen Gleichschaltungspolitik sich gegen sie selbst richten könnte, verkannt74. Im März 1934 gab Hadeln die Selbstauflösung des Bundes bekannt75.
V. Schlussfolgerungen: Fiktionale Geschlechter der Diplomatie An den fiktionalen Darstellungen von Außenbeziehungen lässt sich Folgendes ablesen: Die diplomatischen Verhandlungen Königin Luises wurden in der Regel nicht als politische Verhandlungen, sondern vielmehr als eine private Familienangelegenheit dargestellt. Sie traf sich, so das verbreitete Narrativ, als »Frau und Mutter« mit dem französischen Kaiser. Als Gattin des preußischen Monarchen hatte sie keinen body politic, ihre repräsentative Rolle wurde ausdrücklich nicht als Movens für die Verhandlungen genannt. Ihre Begegnung mit dem französischen Kaiser war eine Ausnahmesituation. Im Regelfall – dies suggerieren die Nacherzählungen durch die Bank – verhandelt eine preußische Königin nicht mit einem fremden Herrscher. Das Argument, »nur als Frau« zu handeln, wird nun wörtlich genommen: Vor einem bürgerlichen Normhorizont kann die Königin gar keine erfolgreichen Verhandlungen führen, als »Opfer« ist sie dennoch die moralische Siegerin. Im 19. wie im frühen 20. Jahrhundert war das Geschlecht der Diplomatie zumindest in populären Darstellungen immer auch an die Differenzkategorie Nation gebunden. Beide standen in einem reziproken Verhältnis zueinander: Geschlechterrollen wurden ebenso national aufgeladen wie nationale Stereotype mit geschlechtsspezifischen Zuschreibungen verknüpft. Dies trifft auch auf die 72 Deutsche Frauen (Anm. 55), 42; J. Gottlieb, Feminine Fascism (Anm. 70), 127. 73 Kirsten Heinsohn, Konservative Parteien in Deutschland 1912 bis 1933. Demokratisierung und Partizipation in geschlechterhistorischer Perspektive, Düsseldorf 2010, 107. 74 Siehe A. Süchting-Hänger, Das Gewissen der Nation (Anm. 51), 387. 75 Siehe B. Förster, Der Königin Luise-Mythos (Anm. 6), 341–346.
Mediale Darstellungen von Außenbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert
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männlichen Protagonisten zu: Neben dem »korsischen Dämon« und Usurpator Napoleon, der den Opfergang der schönen, reinen Königin nicht anerkennen und durch Milde belohnen kann, ist dies der attraktive, aber zwielichtige und vertragsbrüchige Zar Alexander. Doch auch der preußische König Friedrich Wilhelm III. wird seiner Geschlechterrolle nicht gerecht, nicht als Herrscher und – in Darstellungen nach dem Ersten Weltkrieg – auch nicht als Ehemann. Besonders die »nationalen« Gegensätze zwischen »preußischer« oder »deutscher« Königin und »französischem« Kaiser werden mittels religiöser Semantik zusätzlich verstärkt. Zu Königin Luise gibt es also keinen positiven männlichen Gegenpart. Dies wiederum öffnet Handlungsspielräume für die Königin, die zwar ohne Ambitionen, aber dennoch politisch handelt – ein Argument, das rechtskonservativen Aktivistinnen in den 1920er- und 1930er-Jahren zur Legitimation der eigenen Tätigkeit diente. Der verdichtende Charakter visueller Darstellungen ist demgegenüber ein Rückschritt: Die antagonistische Gegenüberstellung von Königin Luise und Napoleon fixierte Geschlechternormen und brach sie trotz gegenteiliger zeitgenössischer Deutungen nicht auf. Für eine Geschlechtergeschichte der Diplomatie wirft der Blick auf fiktionale Darstellungen von Außenbeziehungen mehrere Fragen auf, die noch der Beantwortung harren: Unklar ist, ob und wie derlei Inszenierungen von Geschlecht Einfluss auf die tatsächliche Tätigkeit von Frauen in Außenbeziehungen nahmen. Möglicherweise wurden diese nicht allein als negative, sondern auch als positive Referenzkategorien genutzt. Äußerst lohnenswert scheint der Blick auf die Konstruktion von Männlichkeit für diplomatische Beziehungen zu sein. Vermutlich wurde das Verhalten männlicher Akteure nicht nur in nachträglichen Inszenierungen ebenso geschlechtsspezifisch gedeutet wie jenes der weiblichen.
Kategorien der Weiblichkeit: Diplomatengattinnen und Bürgerinnen in Frankfurt am Main zur Zeit des Deutschen Bundes
Von Ellinor Schweighöfer Frankfurt am Main zur Zeit des Deutschen Bundes stellt für Fragestellungen aus dem Bereich der Kulturgeschichte der Diplomatie einen besonders fruchtbaren Untersuchungsgegenstand dar. Denn während der fast fünfzig Jahre (1816–1866, unterbrochen durch die 1848er-Revolution) als Hauptstadt des Deutschen Bundes war Frankfurt ein Sonderfall unter den diplomatischen Standorten: Frankfurt war »Bürgerstadt« und hatte somit keinen Hof. Folglich traten die dort akkreditierten Diplomaten mit einem ganz anderen Personenkreis in gesellschaftlichen Verkehr, als dies in den Residenzstädten üblich war. Die adligen Diplomaten trafen auf eine fast durchweg nicht-adlige, wirtschaftliche Elite: Diese hatte in der Frankfurter Gesellschaft gegenüber der von bürgerlichen Juristen dominierten politischen Elite1 und dem seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts langsam aus der stadtbürgerlichen Gesellschaft ausgeschiedenen Patriziat2 eine dominierende Position inne. Außerdem waren deren internationale Kontakte für die Diplomaten von besonderem Interesse.3 Deshalb gelang es dem Wirtschaftsbürgertum in einem gewissen Maße, den Hof gesellschaftlich zu ersetzen, indem es sich einerseits anpasste, andererseits aber ebenso den Diplomatenadel in seine gesellschaftlichen Strukturen miteinbezog. Dadurch entstand gewissermaßen ein bürgerliches Substitut für die Hofgesellschaft. Interaktionen fanden vor allem auf gesellschaftlicher Ebene statt: Man traf sich auf Bällen, in Salons oder in den Haushalten der Diplomaten und Frankfurter Bürger zu Diners. Diese verschiedenen Kommunikationsräume erfüllten durchaus Funktionen, die sonst am Hof verankert waren: Politischer Austausch – auch unter den Diplomaten selbst – fand häufig in diesem Rahmen statt. In erster Linie war die Stadt Frankfurt zur Zeit des Deutschen Bundes aber das, als was sie auch gegenwärtig noch wahrgenommen wird: ein wichtiger Wirtschaftsstandort. Gerade 1 Rainer Koch, Grundlagen bürgerlicher Herrschaft. Verfassungs- und sozialgeschichtliche Studien zur bürgerlichen Gesellschaft in Frankfurt am Main (1612–1866) (Frankfurter Historische Abhandlungen, 27), Wiesbaden 1983, 331 f. 2 Ebd.; Ralf Roth, Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft 1760–1914 (Stadt und Bürgertum, 7), München 1996, 352. 3 Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historischsoziologische Rekonstruktion (Studien zur Frankfurter Geschichte, 33), Frankfurt a. M. 1992, 62.
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als solcher nahm sich die Stadt auch ihrer Rolle als diplomatischer Standort an, indem sie sich an die Gepflogenheiten des diplomatischen Parketts anpasste, aber auch die Diplomaten in das Frankfurter Gesellschaftsleben einbezog4. Frankfurt wurde 1816, im Jahr nach der Gründung des Deutschen Bundes, Sitz der Bundesversammlung, für die auch die Bezeichnung Bundestag gebräuchlich ist, des einzigen und zentralen Organs des Deutschen Bundes. Die Bundesversammlung diente als ständige Vertretung der einzelnen Mitgliedstaaten. Die je nach Phase etwa 30 bis knapp 40 Mitgliedstaaten, manchmal auch mehrere Staaten zusammen, entsandten je einen Vertreter an den Bundestag. Aber auch auswärtige Staaten, vor allem Großbritannien, Frankreich, Russland und Belgien, schickten Diplomaten zum Bundestag, sodass in den etwa 50 Jahren als Bundeshauptstadt 169 Diplomaten, in der Regel im Rang von außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Ministern, nach Frankfurt kamen5. Für die Stadt bedeutete dies den Zuzug einer völlig neuen Personengruppe, die nicht nur die Gesandten, sondern meist auch deren Familien umschloss. Besonders die 1850erJahre, in denen sich nach der Revolution die »neue Bundestagsdiplomatie«6 etablierte, eignen sich als Untersuchungszeitraum für die hier zu behandelnde Frage nach dem in den unterschiedlichen Kreisen vorherrschenden Frauenbild und nach den geschlechterspezifischen Rollen der Diplomatengattinnen und ihres Umfelds. Damit sollen sowohl die Perzeption von Frauen als auch weibliches Handeln ins Blickfeld genommen werden. Dies erstreckt sich etwa auf Selbst- sowie Fremddarstellungen einzelner Frauen, Gerüchte über sie, Nachrede, aber auch ihr Verhalten auf gesellschaftlichem und diplomatischem Parkett sowie im familiären Bereich. 4 Dieser Absatz bezieht sich auf Ergebnisse der Magisterarbeit der Verfasserin. Siehe Ellinor Fried-Brosz, Stadt der Diplomaten? Gesandtschaften und Stadtgesellschaft in Frankfurt am Main zur Zeit des Deutschen Bundes. Abschlussarbeit zur Erlangung der Magistra Artium im Fachbereich Philosophie und Geschichtswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt a. M. 2009. 5 Einen leider nicht völlig verlässlichen Überblick über die am Bundestag akkreditierten Diplomaten bietet Tobias C. Bringmann, Handbuch der Diplomatie 1815–1963. Auswärtige Missionschefs in Deutschland und deutsche Missionschefs im Ausland von Metternich bis Adenauer, München 2001. Sehr gut ist Jürgen Müller, Deutscher Bund und deutsche Nation 1848–1866 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, 71), Göttingen 2005, der allerdings nur die Zeit nach der Revolution betrachtet. Hilfreich, um den Überblick zu vervollständigen, ist das Staats- und Adress-Handbuch der freien Stadt Frankfurt. 6 Der von Klötzer verwandte Begriff markiert den Einschnitt, den die Aufhebung des Bundestages während der Zeit der Paulskirchenrevolution und dessen Wiederbelebung nach dieser für die Bundestags-Diplomatie bedeutete. Wolfgang Klötzer, Frankfurt am Main von der Französischen Revolution bis zur preußischen Okkupation. 1789–1866, in: Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, hrsg. v. der Frankfurter Historischen Kommission (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, 17), Sigmaringen 1994, 303–348, 338 f.
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Frankfurt eignet sich für eine solche Untersuchung nicht zuletzt auch aufgrund der guten Quellenlage. Einer der aufschlussreichsten Quellenbestände für die Frage nach der Rolle von Diplomatengattinnen in Frankfurt ist die Korrespondenz Otto von Bismarcks, da er aus seiner Sicht wiedergab, wie sich Frauen in seinem Frankfurter Umfeld verhielten, und dies auch mit seiner persönlichen Meinung bewertete. Er war von Mai 1851 inoffiziell – während noch sein Vorgänger von Rochow nominell den Posten bekleidete – und von August 1851 bis Februar 1859 offiziell preußischer Gesandter am Bundestag7, befand sich dabei am Anfang seiner Karriere und galt zunächst als diplomatischer Außenseiter8. Bei der Entscheidung, ihn für dieses Amt zu nominieren, hatte vor allem seine politische Einstellung, nicht die Ausbildung oder Erfahrung eine Rolle gespielt9. Aus Bismarcks Zeit in Frankfurt sind zahlreiche Briefe überliefert, von denen ein großer Teil zum einen an seine Ehefrau Johanna von Bismarck gerichtet ist. Diese Briefe stammen aus der Zeit vor ihrer Ankunft in Frankfurt Anfang Oktober 185110 oder wurden während zeitweiliger Abwesenheiten der Ehefrau verfasst11. Zum anderen war Otto Freiherr von Manteuffel ein sehr häufiger Adressat12, zu dieser Zeit preußischer Außenminister und somit Bismarcks Vorgesetzter. Ihm ließ Bismarck oft persönlich gehaltene Schreiben zukommen, die auch Privates betrafen. Nicht nur aufgrund der Laufbahn Otto von Bismarcks, sondern auch wegen seiner Lebensform in Frankfurt galten die Bismarcks dort als Außenseiter. Sie zogen sich lieber ins Familiäre und Private zurück, als am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Jedoch entzogen sich die Bismarcks den gesellschaftlichen Anlässen nicht völlig, da diese auch Teil ihrer Pflichten als Diplomatenehepaar waren13. So erklärt sich die geringe Wertschätzung, die Otto von Bismarck dem Frankfur7 Lothar Gall, Bismarck. Der weiße Revolutionär, Frankfurt a. M. / Berlin / Wien 1980, 135. 8 Hans-Otto Schembs, Auf neutralem Boden. Frankfurt am Main. Der Sitz des Bundestages, in: Die Hauptstädte der Deutschen. Von der Kaiserpfalz in Aachen zum Regierungssitz Berlin, hrsg. v. Uwe Schulz, München 1993, 157–168, 164 f. 9 L. Gall, Bismarck (Anm. 7), 123. 10 Bismarck, Privatschreiben an Minister Otto Freiherr v. Manteuffel, o. O., [3.10.1851], in: Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke. Politische Schriften. Bd. 1: Bis 1854, bearb. v. Hermann von Petersdorff, 2. Aufl., Berlin 1924, 66 f. 11 Otto von Bismarck, Die gesammelten Werke. Briefe. Bd. 14/1: 1822–1861, hrsg. v. Wolfgang Windelband, Berlin 1933; ders., Politische Schriften (Anm. 10); ders., Die gesammelten Werke. Politische Schriften. Bd. 2: 1. Januar 1855 bis 1. März 1859, bearb. v. Hermann von Petersdorff, 2. Aufl., Berlin 1924. 12 Günther Grünthal, Im Schatten Bismarcks. Der preußische Ministerpräsident Otto Freiherr von Manteuffel (1805–1882), in: Konservative Politiker in Deutschland. Eine Auswahl biographischer Portraits aus zwei Jahrhunderten, hrsg. v. Hans-Christoph Kraus, Berlin 1995, 111–133. 13 L. Gall, Bismarck (Anm. 7), 133.
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ter Gesellschaftsleben entgegenbrachte. Trotz oder möglicherweise gerade wegen dieser inneren Distanz zum Frankfurter Lebensstil erweist sich Bismarck als ein präziser und deswegen für die hier zu behandelnde Fragestellung wichtiger Beobachter. Viele mit dem Leben eines Diplomaten in Frankfurt verbundene Aspekte thematisierte er sehr genau: den diplomatischen Alltag der Bundesversammlung, den Alltag in der – gehobenen Gesellschaft der – Stadt Frankfurt und seine eigenen gesellschaftlichen Interaktionen mit Diplomaten und Bürgertum. Eine Bismarck fast diametral gegenüberstehende Sicht auf die Frankfurter Gesellschaft kommt in den Memoiren der österreichischen Gräfin Leopoldine von Thun zum Ausdruck, einer weiteren grundlegenden Quelle für den vorliegenden Beitrag14. Sie war die Ehefrau des Grafen Friedrich Thun von Hohensteins, der von 1851 bis 1853 am Bundestag als Präsidialgesandter tätig war. Lothar Gall charakterisiert sowohl Lebenslauf als auch Lebensstil Thuns als Gegenentwurf zu Bismarck, indem er Thun als einen »eleganten und lebenslustigen Edelmann aus wohlhabendem reichsgräflichem Hause« beschreibt, »der [...] als erfolgreicher Karrierediplomat und Präsidialgesandter in Frankfurt in vielerlei Hinsicht den Ton angab«15. Eine der mit der Abfassung ihrer Memoiren verbundenen Absichten der Gräfin Thun war es, das Andenken an ihren Mann zu wahren, damit sein »edler, nach hohen Zielen strebender Sinn, seine aufopfernde rastlose Tätigkeit, sein patriotisches Wirken, und die interessanten Momente seiner dienstlichen Stellung« als Erinnerung und Beispiel dienen16. Für unsere Fragestellung eignen sich die Memoiren vor allem deshalb, weil sie ähnlich wie Bismarcks Korrespondenz Einblicke in die Funktionsweisen des diplomatischen Alltags in der Frankfurter Gesellschaft bieten, aber dennoch einen anderen Blickwinkel gewähren: den einer Frau und Österreicherin, die dem gesellschaftlichen Leben weitaus positiver begegnete als Bismarck. Für die andere, die Frankfurter Seite, kann Clotilde Koch (1813–1869), geborene Gontard, stehen. Sie stammte aus einer wohlhabenden Frankfurter Kaufmannsfamilie und war die Gattin Robert Kochs, des britischen Konsuls in Frankfurt und Juniorchefs eines ansässigen Handelshauses17. In der historischen Forschung über Frankfurt wird Clotilde Koch als Musterbeispiel der aktiven Frau 14 Leopoldine Thun, Erinnerungen aus meinem Leben, hrsg. v. Jaroslav Thun, 3. Aufl., Innsbruck / Wien / München 1927. 15 L. Gall, Bismarck (Anm. 7), 143. 16 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14). 17 Wolfgang Klötzer, Clotilde Clara Alexandra Koch-Gontard, in: Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. 1, hrsg. v. dems. (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, 19/1), Frankfurt a. M. 1994, 409 f. Zur Person Clotilde Kochs siehe auch ders., Clotilde Koch-Gontard. Der politische Salon einer Frankfurterin, in: ›Wahrlich eine schöne und lebendige Stadt…‹ Kleine Schriften zur Frankfurter Kulturgeschichte, hrsg. v. dems. (Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst, 60), Frankfurt a. M. 1985, 29–36.
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aus dem gehobenen Bürgertum beschrieben. Sie gilt als »Frau eines angesehenen Handelsmanns und Initiatorin eines Salons«, die »Stellung zu den politischen Ereignissen« bezog18. Sie darf vielleicht nicht als repräsentativ für die durchschnittliche Frankfurterin des gehobenen Bürgertums angesehen werden, liefert aber einen Beleg dafür, dass eine Frau aus diesen Kreisen durchaus eine exponierte Stellung einnehmen konnte. Der Empfänger der meisten ihrer Briefe war Heinrich Freiherr von Gagern (1799–1880), der erste Präsident der Frankfurter Nationalversammlung19. Clotilde Koch hatte Gagern über gemeinsame Freunde kennengelernt. Sie war Anhängerin der 1848er-Revolution, zumal sie auch mit vielen anderen Politikern des Vorparlaments und der Nationalversammlung befreundet war. Ihr Salon wurde als der des »Gagern-Kreises« bekannt20. Zuletzt soll auch ein Ausschnitt des Briefwechsels zwischen Bismarck und der Frankfurterin Emma Metzler21, einer Nichte Clotilde Kochs, in die Untersuchung miteinbezogen werden. Metzler spielte eine wichtige Rolle in den gesellschaftlichen Kreisen um die Bundestagsdiplomaten und korrespondierte auch nach der Abberufung Bismarcks aus Frankfurt mit dem ehemaligen preußischen Gesandten.
I. Johanna Bismarck als Außenseiterin in Frankfurt Es war selbstverständlich, dass die Frau eines Diplomaten die Folgen der Ernennung ihres Mannes in allen Belangen mittrug. Dies war auch bei Johanna von Bismarck der Fall. Trotzdem stellte Bismarck mit Bedauern fest, dass seine Entsendung nach Frankfurt für seine Frau bedeutete, ihr »Stillleben« mit dem »Lärm der bundestäglichen Diplomatie« vertauschen zu müssen22: Es stimme ihn wehmütig, wenn er an den Lebensstil denke, den seine Frau aufgrund seiner Berufung 18 R. Roth, Stadt und Bürgertum (Anm. 2), 421. 19 Wolfgang Klötzer, Heinrich von Gagern, in: Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, Bd. 1, hrsg. v. dems. (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, 19/1), Frankfurt a. M. 1994, 237 f. 20 Wolfgang Klötzer, Clotilde Koch-Gontard 1813–1869. Eine Frankfurter Patriotin, in: Clotilde Koch-Gontard an ihre Freunde. Briefe und Erinnerungen aus der Zeit der deutschen Einheitsbewegung 1843–1869, hrsg u. bearb. v. Wolfgang Klötzer, Frankfurt a. M. 1969, 11–28. 21 Auszüge des Briefwechsels zwischen Emma Metzler und Otto von Bismarck, in: Geschichte der Familie Metzler und des Bankhauses B. Metzler seel. Sohn & Co. zu Frankfurt am Main 1674 bis 1924. Im Auftrage der Familie Metzler aus Anlaß des zweihundertfünfzigjährigen Geschäftsjubiläums, hrsg. v. Heinrich Voelcker, Frankfurt a. M. 1924, 290–306. 22 Bismarck an seine Gattin Johanna, Berlin, 28.4.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 206 f.
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zum Gesandten in Frankfurt werde führen müssen, da er wisse, wie wenig ihr dieser gefallen werde. Weder das Leben in einer Stadt noch der gesellschaftliche Verkehr in Salons oder etwa der Zwang zum gesellschaftlichen Umgang mit anderen Mitgliedern des diplomatischen Corps – und dabei vor allem die formelle Konversation – entsprächen dem Charakter seiner Frau23. Umso mehr versuchte Bismarck, seine Frau vor ihrer Ankunft in Frankfurt auf ihre Pflichten in ihrem neuen Zuhause vorzubereiten. Sie werde »viel langweilige Gesellschaft sehn, Dîners und Bälle geben und erschrecklich vornehm thun. Was macht Dir das für Eindruck, dass Du bis in die Nacht in Deinem Hause sollst tanzen lassen? es wird nicht zu vermeiden sein, mein geliebtes Herz, das gehört zum ›Dienst‹.«24 Dabei sah Bismarck das persönliche Opfer, das seine Frau für seine Karriere erbringen musste, nicht als selbstverständlich an, sondern wusste es durchaus zu schätzen. Er schrieb seine Briefe an Johanna von Bismarck stets in einer sehr respektvollen und liebevollen Art und ließ sie ihm gegenüber offen ihren Unmut über ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen äußern25. Um seiner Frau die Umstellung leichter zu machen, hatte Bismarck vor ihrer Ankunft in Frankfurt bereits Vorarbeit geleistet: Mit Lady Cowley, der Frau des britischen Gesandten an den Bundestag, habe er sich »sofort auf Freundschaftsfuß [...] gestellt, um eine mächtige Stütze an ihr für Dich zu haben, wenn Du in das kalte Bad der diplomatischen Gesellschaft steigst«26. Zudem erwähnte Bismarck in den Briefen an seine Frau noch andere Diplomatengattinnen, zum Beispiel die Gräfin Thun, die er als »eine junge sehr schöne Frau in dem Genre Malwines«27 beschrieb. Malwine war die Schwester Bismarcks. Der Vergleich mit einer vertrauten Person mag ein weiterer Versuch gewesen sein, seiner Frau das Knüpfen von Bekanntschaften zu erleichtern. Bismarck versuchte auch, seine Frau auf die Anforderungen vorzubereiten, die auf sie zukommen würden. In erster Linie betraf dies das elegante Auftreten. Ferner legte er ihr nahe, sich dringend mit der französischen Sprache vertraut zu machen, schränkte diese Bitte aber gleich darauf wieder ein, als ob er zu viel von seiner Frau verlangt hätte: »[E]s hängt das Leben nicht daran, Du bist meine Frau und nicht der Diplomaten ihre, und sie können ebenso gut deutsch lernen wie Du französisch.«28 23 Bismarck an die Gattin, Frankfurt a. M., 14.5.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 210–212, 211. 24 Bismarck an die Gattin, Frankfurt a. M., 8.7.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 231 f. 25 Bismarck an seinen Bruder Bernhard, Frankfurt a. M., 8.12.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 330. 26 Bismarck an die Gattin, Frankfurt a. M., 14.5.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 210–212, 211. 27 Ebd. 28 Ebd.
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Von Seiten Gräfin Thuns wurde Bismarcks Frau wiederum zwar als eine »Frau von Verstand« mit edlem Charakter bezeichnet, sie sei jedoch keine »Weltfrau« gewesen, sondern »manchmal komisch in ihren spießbürgerlichen Ansichten über Welt, Menschen, Toiletten und anderes«, weswegen sie bei allem Gräfin Thun zu Rate habe ziehen müssen und diese »hatte manchen Strauß mit ihr, um eine hübschere Toilette, eine Blume im Haar u. dgl. zu erobern, wie dies die Welterfordernisse mit sich brachten«. Frau von Bismarck habe demnach trotz ihrer Liebenswürdigkeit in ihren Formen und ihrem Wesen nach gar nicht ihrer Stellung entsprochen. Einer der dabei von Gräfin Thun angeführten Kritikpunkte war, dass Frau von Bismarck kaum französisch gesprochen habe29 – ein Manko, das, wie bereits erwähnt, von ihrem Gatten selbst als mögliches Problem antizipiert worden war. Wie wichtig es ihm war, dass seine Frau zumindest diese Konvention erfüllte, geht nicht zweifelsfrei aus der Quelle hervor. Doch nicht zuletzt aufgrund des liebevollen und sanftmütigen Stils der Briefe an seine Frau ist davon auszugehen, dass er zumindest nicht allzu viel Druck auf sie ausüben wollte. Mit dem Laufe der Zeit freundete sich Johanna von Bismarck wohl mit der französischen Sprache an30. Aus Otto von Bismarcks Briefen und Gräfin Thuns Memoiren werden also zwei unterschiedliche Konzeptionen der Diplomatengattin sichtbar, wobei klar wird, dass Gräfin Thun weitaus mehr den Idealen einer Diplomatenfrau entsprach als Johanna von Bismarck. Dies korrespondiert wiederum mit den verschiedenen Lebensläufen und Charakteren der beiden Männer, Otto von Bismarck und Friedrich von Thun, die ihre Rolle als Diplomaten sehr unterschiedlich verstanden und gestalteten. Sie verkörperten damit zwei von drei Typen von Diplomaten, die in Frankfurt zur Zeit des Deutschen Bundes zu finden waren. Erstens war die Laufbahn vieler Gesandter der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes mehr eine politische denn diplomatische. Das heißt, dass sie in ihrem Heimatland bereits Ämter in der Regierung oder Verwaltung ihres jeweiligen Landes innegehabt hatten. Die Gesandten der freien Städte etwa fallen durchgehend in diese Kategorie. Da die Bundesversammlung als Organ des Deutschen Bundes zwar für dessen Außenbeziehungen, aber vor allem auch für seine inneren Angelegenheiten zuständig war, scheinen Personen, die eher eine politische als eine diplomatische Laufbahn eingeschlagen hatten, als gut für die Aufgaben qualifiziert angesehen worden zu sein. Trotzdem gab es zweitens auch einige Personen mit einer klassischen diplomatischen Laufbahn, vom unbezahlten Attaché bis zum Gesandten oder sogar Botschafter, wobei zwischen Diplomaten mit herausragender und solchen mit mäßiger Karriere unterschieden werden muss. Erstere, zu denen Thun oder beispielsweise auch der britische Gesandte Cowley zählten, schlossen – teilweise bereits aus Diplomatenfamilien stammend – ihre Karriere auf dem Posten eines Gesandten oder sogar Botschafters in den angesehensten Standorten 29 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 54. 30 L. Gall, Bismarck (Anm. 7), 153.
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wie Paris, St. Petersburg, Wien oder Konstantinopel ab31. Bismarck hingegen ist zu Beginn seiner Karriere drittens eines der besten Beispiele für einen Quereinsteiger oder sogar Außenseiter auf dem Frankfurter diplomatischen Parkett32. Sofern man annimmt, dass die Herkunft der Eheleute vergleichbar ist und vor allem, dass sie bereits einige Zeit verheiratet waren und somit bereits einen Teil ihres Lebensweges geteilt haben, lassen sich diese Kategorien bis zu einem gewissen Grad auch bei den Diplomatengattinnen anwenden. Johanna von Bismarck, geborene Puttkamer, stammte aus einem ländlichen Adelsgeschlecht. Sowohl das Leben in der Großstadt als auch die Politik standen ihr fern, vor allen Dingen noch 1851, als sie ihrem Mann – mit dem sie damals seit vier Jahren verheiratet war – nach Frankfurt folgte33. Damit war sie zu diesem Zeitpunkt auf dem Gebiet der Diplomatie genauso unbewandert wie ihr Mann. Graf und Gräfin Thun waren insgesamt über 35 Jahre verheiratet, als sie nach Frankfurt kamen erst fünf Jahre, doch Gräfin Thun hatte zudem im Dienste der österreichischen Kaiserin gestanden. Als sie ihre Memoiren verfasste, konnte sie also auf reiche Erfahrungen auf dem diplomatischen Parkett – sowohl an der Seite ihres Gatten als auch ohne ihn – zurückblicken. Bezeichnet man Graf Thun als einen herausragenden Karrierediplomaten, darf man gleichzeitig davon ausgehen, dass seine Frau ihre Aufgaben ebenso professionell erfüllte wie ihr Mann die seinigen. Ferner kann also angenommen werden, dass sie die Anforderungen, die an die Gattin eines Diplomaten gestellt wurden, äußerst akkurat einzuschätzen wusste und auch bewerten konnte, ob eine andere Frau in ihrer Position den an sie gestellten Erwartungen gerecht wurde. Deshalb kann man ferner davon ausgehen, dass in den Fällen, in denen Bismarck und Gräfin Thun unterschiedlicher Auffassung waren, Bismarcks Position eher als Randmeinung und Gräfin Thuns als weitestgehend repräsentativ für diplomatische Kreise angesehen werden darf.
II. Funktionen von Diplomatengattinnen in Frankfurt In den untersuchten Quellen beziehen sich Selbst- und Fremdbeschreibungen der Diplomatengattinnen häufig auf ihre »offizielle« Funktion, die zwischen dem politischen und dem gesellschaftlichen Bereich anzusiedeln ist. »Offiziell« soll hier diejenigen Tätigkeiten bezeichnen, die entweder ein entsprechendes Pendant in den Aufgaben und Tätigkeiten des Mannes als Diplomat hatten, in direktem Zusammenhang zu diesen standen oder eine notwendige Er31 Raymond A. Jones, The British diplomatic Service 1815–1914, Gerrards Cross 1983, 56, 60, 64 f., 69. 32 Dieser Absatz bezieht sich auf Ergebnisse der Magisterarbeit der Verfasserin. Siehe E. Fried-Brosz, Stadt der Diplomaten (Anm. 4). 33 L. Gall, Bismarck (Anm. 7), 57 f.
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gänzung zu diesen bedeuteten. Sie standen insbesondere mit jenen Funktionen der Bundestagsgesandten in Zusammenhang, die sich außerhalb der Bundestagssitzungen abspielten. Diese umschlossen, wie Bismarcks Briefwechsel zeigt, einen weit gefächerten Aufgabenbereich: So mussten etwa Korrespondenzen erledigt werden34; die Mahlzeiten wurden für Besprechungen mit den Attachés der eigenen Gesandtschaft benutzt, während die Abende oftmals in großer Gesellschaft, bei Diners, Empfängen oder Bällen verbracht wurden35. Generell war es üblich, dass sich die Gesandten auch außerhalb der Sitzungszeiten trafen36: So kam es auch öfters vor, dass sich Bundestagsgesandte in ihren Privatwohnungen versammelten, um über das Vorgehen im Bundestag zu diskutieren. Einen nicht unwesentlichen Teil des Tages füllte dementsprechend das Abstatten oder Empfangen von Besuchen aus. Diese Pflicht wurde noch umfangreicher, wenn sich hochgestellte Persönlichkeiten aus dem Entsendeland eines Diplomaten in Frankfurt oder der Umgebung aufhielten. Denn dann war es die Aufgabe des jeweiligen Diplomaten, die Persönlichkeit auf Visiten bei den umliegenden Höfen und anderen Stationen des Aufenthaltes zu begleiten sowie für dessen reibungslosen Ablauf zu sorgen37. Ebenso wie die Diplomaten hatten auch ihre Ehefrauen untereinander konkrete gesellschaftliche Verpflichtungen. Gräfin Thun berichtete von den obligatorischen Antrittsbesuchen, die Neuankömmlinge nach ihrer Ankunft in Frankfurt anderen Diplomatengattinnen sowie wichtigen Frankfurter Bürgerinnen abstatteten38. Dabei war es üblich, dass die gerade eingetroffenen Damen von einer anderen Diplomatengattin, die sich bereits länger in der Stadt aufhielt, begleitet wurden. Im Falle der Gräfin Thun handelte es sich dabei um die Frau des österreichischen Gesandten an die Stadt Frankfurt. Thun selbst begleitete Lady Malet, die Frau des Nachfolgers Cowleys als britischer Gesandter, bei ihren ersten Besuchen39. Solche »große[n] Visitentournee[n]«40 hatten ihre Entsprechung beziehungsweise ihr Vorbild bei den Antrittsbesuchen der Diplomaten. Ähnlich wie diese erfuhren die Diplomatengattinnen ebenfalls von offizieller Seite eine 34 Bismarck an den Bruder, Frankfurt a. M., 24. Juni 1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 226. 35 Bismarck an seine Schwiegermutter Luitgarde Agnese v. Puttkamer, Frankfurt a. M., 5.2.52, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 248 f. 36 Bismarck, Schreiben an Minister v. Manteuffel, Frankfurt a. M., 3. Februar 1855, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 11), 14–16, 14; ders., Vertrauliches Schreiben an Minister v. Manteuffel, o. O. 11.Februar 1855, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 11), 17 f. 37 Beispielsweise Bismarck beim Besuch des preußischen Königs: Bismarck an die Gattin, Frankfurt a. M., 16.8.51, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 237. 38 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 38. 39 Ebd., 38, 56. 40 Ebd.
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ihrem Stand angemessene Aufmerksamkeit, so etwa durch das Militär: Der Gräfin Thun statteten vierzig bis fünfzig Offiziere der österreichischen Garnison in Frankfurt in corpore einen Besuch ab41. Neben solchen offiziellen Anlässen werden in den Quellen auch Teile des privaten und familiären Bereichs der Frauen skizziert, wobei sich dieser genauso wenig wie bei den Gesandten selbst – wenn nicht noch weniger – von offiziellen Handlungen abgrenzen lässt. Auch bei den Antrittsbesuchen konnten diese beiden Lebensbereiche stark ineinandergreifen. Denn einerseits waren diese klar als Antrittsbesuche definiert und hatten somit offiziellen Charakter, andererseits waren sie in vielen Fällen die ersten von vielen Besuchen zwischen Personen, die oftmals im Laufe der Zeit auch freundschaftlichen Verkehr miteinander pflegten. Die offiziellen Aufgaben der Bundestagsgesandten der Mitgliedstaaten des Deutschen Bundes waren derweil klar in den Protokollen der Bundesversammlung definiert: Zusammengefasst handelte es sich um die Abfassung und Vervollständigung der Grundgesetze des Bundes, die Beschäftigung mit dessen Einrichtungen und mit den gemeinnützigen Anordnungen sowie die fortwährende Besorgung der Angelegenheiten des Bundes 42. Dies fand innerhalb der Sitzungen des Bundestages, aber, wie bereits erwähnt, auch außerhalb derer statt. Befand sich ein Bundestagsgesandter also etwa auf einem Empfang und tat dies zu seinem Vergnügen, könnte man dies der privaten Sphäre zuschreiben. Da er dabei in der Regel aber auch Kontakte pflegte, die seiner Aufgabe als Bundestagsgesandter dienlich waren, vermischten sich öffentliche und private Sphäre. Nutzte er einen solchen Anlass, um mit einem Kollegen über Angelegenheiten des Bundes zu debattieren, war dies wiederum ganz klar eine offizielle Tätigkeit, vor allem wenn er die Ergebnisse einer solchen Besprechung dann noch in eine Bundestagssitzung einbrachte. Die Verknüpfung des Offiziellen mit dem Privaten galt (und gilt) bei einem Diplomaten aber als ganz grundlegend: »Man erwartet von ihm einen Lebensstil, der dem Ansehen des Landes, das er vertritt, entspricht. Er soll gastfrei sein, große offizielle Diners und Bälle geben und offizielle Persönlichkeiten, Kollegen und Geschäftsleute häufig zu Mahlzeiten einladen. Man verlangt von ihm, dass er mit Personen von Ansehen und Einfluss seines Aufenthaltslandes auf intimen Fuß stehe; dass er lebhaftes Interesse für die örtliche Industrie, Kunst, Literatur und den Sport zeige; die Provinz besuche und sich mit den industriellen und agrarischen Verhältnissen bekannt mache und in freundlichem Kontakt mit den Landsleuten bleibe, die sein Exil teilen.«43
41 Ebd., 38. 42 Protokolle der deutschen Bundesversammlung 1817. Beylagen zu dem Protokolle der elften Sitzung vom 17. Februar 1817, 69 f. 43 Harold Nicolson, Diplomatie, Bern 1947, 150 f.
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Natürlich hing es auch von Art und Anlass der Veranstaltung ab, ob ein Diplomat ihr eher in privater oder in offizieller Funktion beiwohnte. Wurde etwa ein Monarchengeburtstag zelebriert, war dies mit der Repräsentation des jeweiligen Landes verknüpft. Konzerte oder Maskenbälle hingegen waren auf den ersten Blick vor allem mit Vergnügen konnotiert. Relativ klar ist die Zuordnung auch bei Freizeitaktivitäten. Ging ein Gesandter mit einem Kollegen beispielsweise Jagen oder Fischen, diente dies zwar auch der Pflege des Kontaktes, deklariert waren solche Tätigkeiten aber als die Ausübung eines Hobbys, zumal sich aus beruflichen Verbindungen auch freundschaftliche ergeben konnten. Im Prinzip verhielt es sich bei Frauen in Bezug auf die Trennung des Offiziellen und Privaten ähnlich. Der entscheidende Unterschied bestand jedoch darin, dass bei ihnen im Gegensatz zu Männern die offiziellen Aufgaben nicht von vornherein definiert waren und somit deren Abgrenzung zu Handlungen, die in den Bereich des Privaten fielen, schwieriger ist. Das fast freundschaftlich anmutende Verhältnis zwischen Johanna von Bismarck und Gräfin Thun zeigt außerdem, dass sich Frauen, selbst wenn sie so gegensätzlich waren, gegenseitig bei der Erfüllung der an sie gestellten Anforderungen behilflich waren. Auch deshalb war bei Frauen die öffentliche schwieriger von der privaten Sphäre zu trennen als bei Männern. Die hauptsächliche Aufgabe der Frau in diesen Kreisen umfasste die Rolle einer Gastgeberin, wofür sie auch Anerkennung erhielt. So wurde etwa ein Ball, der im Haus des britischen Gesandten Cowley stattfand, meist als »ein Ball bei Lady Cowley« 44 bezeichnet. Es stand also bei gesellschaftlichen Anlässen – zumindest vordergründig – in der Regel nicht der Hausherr, sondern die Hausherrin im Mittelpunkt. Dies galt umso mehr, wenn etwa Johanna von Bismarck im Fall der Abwesenheit ihres Gatten ein Diner alleine ausrichten musste45. Zu den weiteren Pflichten der Diplomatengattinnen gehörte außerdem die Teilnahme an Veranstaltungen zu wohltätigen Zwecken. Gräfin Thun wirkte beispielsweise an der Organisation einer solchen Veranstaltung in einem Theater mit, deren Erlös den Armen der Stadt zugutekommen sollte46. Ähnlich verhielt es sich mit den Frauen des gehobenen kaufmännischen Bürgertums. Deren Engagement im Bereich der Wohltätigkeit gilt der Forschung zum Frankfurter Bürgertum sogar als ein wichtiger »Aspekt der Eroberung der Öffentlichkeit durch Frauen«47. Die Diplomatengattinnen wurden von ihren Gatten auch in das politische und diplomatische Geschehen einbezogen, so zumindest nach Einschätzung Grä44 Bismarck an die Gattin, Frankfurt a. M., 27.5.1851, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 215. 45 Bismarck an den Bruder, Frankfurt a. M., 7.2.1854, in: O. von Bismarck, Briefe (Anm. 11), 344. 46 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 58 f. 47 R. Roth, Stadt und Bürgertum (Anm. 2), 188.
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fin Thuns: »Fritz sprach gern und offen von allem, was ihn beschäftigte, was ihn erfreute und verdross, und weihte mich ein in alle Phasen seines interessanten Geschäftslebens.«48 Somit konnte die Ehefrau, wenn es beide Partner wollten, als Beraterin das politische Handeln des Gesandten beeinflussen. Weitaus öffentlichkeitswirksamer als diese indirekten Einflussnahmen waren hingegen die direkten Auswirkungen, welche die Gattin eines Diplomaten auf das Ansehen und die Außenwirkung ihres Mannes haben konnte. Bismarck beschrieb in diesem Zusammenhang den Fall des französischen Gesandten Montessuy. Dieser sei in Frankfurt gesellschaftlich nicht hoch angesehen, was vor allem an seiner Frau liege. Ihr mangle es in den Augen der anderen Diplomatengattinnen an Höflichkeit, was besonders im Zusammenhang mit ihrem extravaganten Lebensstil einen schlechten Gesamteindruck hinterlasse. Dieser werde durch ihre Art als Gastgeberin noch verschlechtert, da sie die formellen Anforderungen nicht genügend beachte. Das habe sogar zur Folge, dass ein Teil der Bundestagsgesandten den Einladungen der Montessuys nicht mehr folge. Bismarck machte dabei deutlich, dass er nicht zu denen gehöre, die aufgrund solcher Äußerlichkeiten und Formalien ablehnend reagierten, und betonte sein gutes Verhältnis zu beiden Ehegatten49. Das Beispiel eines anderen Diplomatenehepaares, das sowohl bei Bismarck als auch bei der Gräfin Thun Erwähnung fand, zeigt, dass in Bezug auf die gesellschaftliche Wahrnehmung die Frau eines Gesandten ihrem Mann gegenüber deutlich im Vordergrund stehen konnte. Graf Rossi war von 1836 bis 1838 als sardischer Gesandter am Bundestag und später in Berlin akkreditiert. 1829 hatte er heimlich die in Koblenz geborene Henriette Sonntag (1806–1854) geheiratet, eine ausgebildete Opernsängerin, die durch Auftritte in Paris, London und St. Petersburg sowie auf dem amerikanischen Kontinent internationale Bekanntheit erlangt hatte. Mit der Hochzeit beendete sie zunächst ihre Karriere, nahm sie aber zwanzig Jahre später erneut auf. Sie empfand während des durch den Posten ihres Mannes bedingten Aufenthaltes in Frankfurt nicht viel Sympathie für die Ehefrauen der anderen Gesandten. Hingegen stand sie in freundschaftlichen Beziehungen mit der Familie Rothschild, einer der führenden Familien des jüdischen Wirtschaftsbürgertums in Frankfurt. Während der Akkreditierung ihres Mannes in Berlin hielt sie sich des Öfteren mit ihm in Frankfurt auf, zumal sie dort mehrere Gastspiele gab50. Sowohl in der Einschätzung Gräfin Thuns51 als auch nach 48 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 47. 49 Bismarck, Privatschreiben an Minister v. Manteuffel, o. O., 18.11.1856, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 11), 173–175, 174. 50 Reinhard Frost, Henriette Gertrude Walburga Sontag (eigentl.: Sonntag), in: Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon, hrsg. v. Wolfgang Klötzer (Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission, 19/2), Bd. 2, Frankfurt a. M. 1996, 399 f. 51 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 53.
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Ansicht von Bismarck52 nahm Gräfin Rossi in dieser Zeit eine äußerst prominente Position im Frankfurter Gesellschaftsleben ein. Bismarck beschrieb sie als exzentrisch und hielt es für äußerst unangemessen, dass die Frau eines Diplomaten auf der Bühne öffentlich auftrat. Gräfin Thun schätzte sie als Person und hielt sie zwar für eine fähige Künstlerin, teilte aber Bismarcks Auffassung darüber, dass die Ausübung dieses Berufes einer Diplomatengattin nicht angemessen sei. Sie stellte fest: »Die sehr liebenswürdige und angenehme Frau besuchte oft unseren Salon, und es machte mir einen eigenen, fast peinlichen Eindruck, als ich sie, vom Theater heimkehrend – wo ich sie als Regimentstochter in der vulgären Umgebung des Frankfurter Opernpersonales gesehen – bald darauf in hübscher, eleganter Toilette mit ihrem Gatten bei mir eintreten sah, wo sie alles durch ihre Liebenswürdigkeit entzückte.«53 In Bezug auf die Bedeutung der Person der Gräfin Rossi waren sich Bismarck und Gräfin Thun einig. Graf Rossi hingegen wurde nur nebensächlich erwähnt – und dies in einem negativen Zusammenhang: Die durch ihn verschuldete fatale finanzielle Lage des Ehepaares sei nämlich der Grund dafür, dass Gräfin Rossi ihren Beruf wieder habe aufnehmen müssen54. Nicht nur die eigene Ehefrau konnte die Beurteilung eines Diplomaten durch seine Kollegen beeinflussen. Auch andere Frauen konnten zu diesem Zweck instrumentalisiert werden, wie ein Blick in Bismarcks Korrespondenz zeigt. Bestimmend für dessen Bundestagszeit war vor allem der Gegensatz zwischen ihm und seinen österreichischen Kollegen55. Dieser Konflikt spielte sich auf zwei Ebenen ab: Auf der politischen Ebene manifestierte sich die Auseinandersetzung zwischen Österreich und Preußen durch deren Vertreter am Bundestag. Bismarck befürchtete sodann stets eine persönliche Benachteiligung gegenüber dem Präsidialgesandten und versuchte sich ständig – zum Beispiel in den Briefen an Manteuffel – durch die Herabsetzung Thuns zu profilieren, womit er auch eine zweite Ebene, die Privatsphäre Thuns, tangierte. So behauptete er etwa, Thun habe mit Emma Metzler eine Affäre unterhalten. Dabei schilderte er einen mutmaßlichen, kompromittierenden Vorfall in einer für Thun sehr beschämenden Weise. Um nicht in flagranti ertappt zu werden, habe Emma Metzler den Präsidialgesandten in einem Verschlag versteckt, der von innen nicht zu öffnen gewesen sei. Als sie daraufhin das Haus habe verlassen müssen, sei Friedrich von Thun gezwungen gewesen, um Hilfe zu rufen, bis er von den Hausangestellten befreit worden sei. Bismarck beließ 52 Bismarck, Privatschreiben an Minister v. Manteuffel, o. O., 5.11.1851, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 11), 83–86, 85. 53 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14), 53. 54 Bismarck, Privatschreiben an Minister v. Manteuffel, o. O., 5.11.1851, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 11), 83–86, 85. 55 Zu den Auseinandersetzungen siehe die etwas ältere aber sehr ausführliche Monographie von Arnold Oskar Meyer, Bismarcks Kampf mit Österreich am Bundestag zu Frankfurt (1851 bis 1859), Berlin / Leipzig 1927, in der die Kontrahenten sowohl unter dem politischen als auch dem persönlichen Gesichtspunkt charakterisiert werden.
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es aber nicht bei der Schilderung peinlicher Vorfälle, sondern behauptete zudem, dass Emma Metzler von Friedrich von Thun schwanger sei56. Auf den Ehegatten Emma Metzlers ging Bismarck bei dieser Gelegenheit nicht ein. Das in den hier angeführten Quellen erkennbare Frauenbild unterscheidet auch an anderen Stellen deutlich zwischen der Darstellung als Ehepaar und der Darstellung der Frau als individuelle Person. Bismarcks Urteil über die in Frankfurt anwesenden Frauen aus diplomatischen Kreisen fiel – besonders im Hinblick auf die herrschende Moral – nicht sehr positiv aus, wenngleich es aus heutiger Perspektive davon zeugt, dass diese Frauen über einen für jene Zeit untypisch hohen Grad an Unabhängigkeit verfügten. Im Extremfall äußerte sich dies laut Bismarck sogar darin, dass die Frauen ihre Männer bei gesellschaftlichen Anlässen zu Hause ließen oder sie bei solchen Veranstaltungen ignorierten. Im Kreise der Diplomaten würden sich die Frauen wie selbstverständlich bewegen und sich mit guten französischen Sprachkenntnissen an den Konversationen beteiligen. Dabei zeigten sie seiner Auffassung nach eine gewisse inhaltliche Oberflächlichkeit. Äußerlichkeiten gehörten aber auch bei Bismarck zu den hauptsächlichen Kriterien, nach denen er die Frauen in den diplomatischen Kreisen beurteilte: Vor allem die Kleidung, geschmückt mit »reiche[m] Diamantschmuck«, scheint er als weitaus extravaganter empfunden zu haben, als er es aus Berlin gewohnt war. Er sprach den Damen dabei eine zumindest äußerliche Eleganz zu. Die Kleidung sei allerdings von einer zu großen Freizügigkeit, was sich auch in den Gesprächen spiegle. Dies und vor allem auch das Erscheinungsbild der Damen würden bei Frau von Bismarck jedes Mal zu Entsetzen führen57. Die Einbindung der Frau in die politischen Geschäfte wird wiederum am Beispiel Clotilde Kochs besonders deutlich, deren enge Freundschaft mit Heinrich von Gagern bereits erwähnt wurde. Daran wird zudem gut sichtbar, wie eng Diplomatie und Bürgertum in Frankfurt verwoben waren. Koch war zwar nicht Diplomatengattin in engerem Sinne, doch Gattin eines Konsuls. Vor allem war sie jedoch auch eine Frau aus dem gehobenen Frankfurter Wirtschaftsbürgertum, die sich politisch engagierte. Clotilde Koch betrachtete sich selbst als Vorposten Gagerns in Frankfurt: »Der Wunsch etwas Neues für Sie [Heinrich von Gagern] zu fischen, trieb mich in mein festliches Gewand und in diese Gesellschaft«58. Für ihn Informationen zu beschaffen und ihm so eine Einschätzung der politischen Lage liefern zu können, war für Clotilde Koch oftmals die Motivation für die Pflege gesellschaftlicher Beziehungen. Auch von anderen wurde sie in dieser 56 Bismarck, Privatschreiben an Minister v. Manteuffel, o. O., 10.11.1851, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 10), 94 f., 95. 57 Bismarck, Privatschreiben an Minister v. Manteuffel, o. O., 5.11.1851, in: O. von Bismarck, Politische Schriften (Anm. 10), 83–86, 85. 58 Clotilde Koch an Heinrich von Gagern, Frankfurt a. M., 14.8.1850, in: C. Koch-Gontard, Briefe und Erinnerungen (Anm. 20), 196–199, 196 f.
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Funktion wahrgenommen, wobei sie gewissermaßen eine Vermittlerrolle zwischen Personen in Frankfurt und Gagern einzunehmen schien59. Im Kreis der Gesandten an den Bundestag spielte Koch ebenfalls eine wichtige Rolle – und das nicht nur im Fall der englischen Diplomaten, denen sie aufgrund des Konsulats ihres Mannes ohnehin nahe stand. So wurde sie vom französischen Gesandten konsultiert, der mit ihr über seine Sorgen bezüglich der politischen Situation – unter anderem die Schleswig-Holstein-Frage – sprach60. Clotilde Koch schloss aus dem Gespräch mit dem Diplomaten, dass man in der Sache im Bundestag ratlos sei61. Wenngleich sie nicht als exemplarisch für andere Frankfurter Frauen gesehen werden darf, ist Clotilde Koch doch bezeichnend für eine grundsätzliche Entwicklung. So waren in Frankfurt bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts gewisse emanzipative Momente vorhanden. Etwa waren auffallend viele Frauen am öffentlichen Diskurs der gebildeten Oberschicht beteiligt62. Auch Emma Metzler nahm an, dass sie einen gewissen Einfluss auf mindestens einen der Diplomaten hatte: Mit Otto von Bismarck verbanden sie freundschaftliche Beziehungen. Sie versuchte nach der preußischen Okkupation Frankfurts 1866, als Bismarck längst nicht mehr in Frankfurt, sondern bereits preußischer Ministerpräsident war, wiederholt, über ihn eine mildere preußische Politik gegenüber ihrer Heimatstadt zu erreichen. Bismarck ging auf ihre Bitte ein: »Dafür bin ich aber nicht müßig gewesen, im Interesse Ihres ›armen‹ Frankfurt, und hoffe, dass sich dort alles zur Zufriedenheit ergeben wird.«63 An einer späteren Stelle schrieb er sogar: »Ich tue was ich kann […] und mit Rücksicht auf ihre Fürsprache täte ich gern mehr als ich kann.«64 Tatsächlich hatte Bismarck im Vorfeld der Annexion der Stadt den befehlshabenden General Edwin von Manteuffel telegraphisch zu einem schonenden Vorgehen angewiesen. Etwas später stellte er Frankfurt ein Entgegenkommen bei der hohen preußischen Forderung nach Kontributionszahlungen in Aussicht.65 Inwiefern Emma Metzler dabei eine Rolle gespielt hatte, ist schwer zu beantwor59 Clotilde Koch an Heinrich von Gagern, Frankfurt a. M., 17.6.1850, in: C. Koch-Gontard, Briefe und Erinnerungen (Anm. 20), 169–171, 169. 60 Bei der Schleswig-Holstein-Frage ging es darum, ob die beiden Herzogtümer Schleswig und Holstein einen Teil Dänemarks oder im Zusammenschluss als Schleswig-Holstein einen eigenen Staat bilden sollten. In dieser Frage kam es zwischen 1848 und 1851 zu kriegerischen Auseinandersetzungen und 1864 schließlich zum deutsch-dänischen Krieg. 61 Clotilde Koch an Heinrich von Gagern, Frankfurt a. M., 21./23.10.1850, in: C. KochGontard, Briefe und Erinnerungen (Anm. 20), 209–212, 210. 62 R. Roth, Stadt und Bürgertum (Anm. 2), 161. 63 Bismarck an Emma Metzler, Berlin, 7.3.1867, in: H. Voelcker (Hrsg.), Geschichte der Familie Metzler (Anm. 21), 290–306. 64 Ebd., 306. 65 Wolfgang Klötzer, Frankfurt 1866. Eine Dokumentation aus deutschen Zeitungen, Frankfurt a. M. 1966, 321 f.
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ten. Meines Erachtens hätte Bismarck niemals aufgrund von freundschaftlichen Gefühlen eine Entscheidung getroffen, die seinem politischen Kalkül widersprach. Für gut möglich halte ich es allerdings, dass er Emma Metzler als Vertreterin einer Interessentengruppe ansah, des einflussreichen Wirtschaftsbürgertums, und ihre Briefe als ein repräsentatives Meinungsbild, das es bei der preußischen Politik zu berücksichtigen galt. Die in Frankfurt begründete Rivalität zwischen Thun und Bismarck wurde auch nach dem Tod Thuns durch seine Frau fortgeführt. Durch die Veröffentlichung von Dokumenten und Aufzeichnungen Bismarcks aus seiner Bundestagszeit, die etwa den erwähnten Vorwurf des Ehebruchs enthielten, sah sie das Ansehen ihres toten Gatten kompromittiert. Die Gräfin versuchte Bismarck in mehreren Briefen dazu zu bewegen, einige der ihrer Ansicht nach falschen Behauptungen öffentlich richtigzustellen und bei weiteren Publikationen das Andenken Thuns zu wahren. Bismarck antwortete beschwichtigend und respektvoll auf diese Briefe, ohne jedoch den Forderungen der Gräfin Thun Folge zu leisten66.
III. Schlussfolgerungen Auf der Grundlage der ausgewerteten Quellen aus der Frankfurter Bundestagszeit ist es möglich, die dort deutlich werdenden Frauenrollen sowie das Verhältnis zwischen den Geschlechtern herauszuarbeiten. Erstens wurde ein Ehe- beziehungsweise Diplomatenehepaar häufig als Einheit wahrgenommen. Meist spiegelten sich dabei das gesellschaftliche Ansehen und die politische Position des Mannes in seiner Frau wider beziehungsweise wurden auf sie projiziert. Doch geschah es – zweitens – in einzelnen Fällen auch, dass der Ruf der Frau auf den Mann abfärbte – und zwar in der Regel zu seinem Nachteil. Denn Gerüchte über die Frau oder Verhaltensweisen ihrerseits, die scheinbar nicht den an sie gestellten gesellschaftlichen Anforderungen entsprachen, wurden thematisiert, oftmals auch bewusst eigens mit dem Ziel, den Mann herabzuwürdigen. Auf diese Weise wurde die Ehefrau instrumentalisiert, um indirekt Kritik an ihrem Mann üben zu können. Nicht zuletzt trat drittens die Diplomatengattin oder Wirtschaftsbürgerin auch losgelöst von der Person ihres Mannes als eigenständige Akteurin auf. Das eigenständige Auftreten konnte aber ebenso in Anknüpfung an die Person des Gatten erfolgen, etwa, wenn die Ehefrau informell als seine Stellvertreterin fungierte oder nach seinem Tod für seine Interessen, beispielsweise im Sinne der respektvollen Wahrung seines Andenkens, eintrat. All diese Kategorien haben gemein, dass die Stellung des Mannes eine Grundbedingung für die Funktion und den Handlungsspielraum der Frau darstellte. Allerdings konnte die Herkunftsfamilie der Frau genauso wichtig sein, wie das Beispiel der Clotilde Koch zeigte. Sie entstammte 66 L. Thun, Erinnerungen (Anm. 14). Anhang. Ein Briefwechsel mit Bismarck, 193–200.
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einer sehr einflussreichen Frankfurter Familie, einer der »angesehensten und verzweigtesten Familien der Stadt«67. Den engen Kontakt zu Gagern etwa hatte sie nicht über ihren Mann, nicht über gemeinsame, sondern über ihre ganz eigenen familiären und freundschaftlichen Netzwerke geknüpft68. Aus der besonderen Konstellation in der Bundeshauptstadt Frankfurt ergaben sich Kontaktzonen und Reibungsflächen, die vielleicht andernorts nicht entstanden wären – ebenso wenig wie die in ihnen sichtbar werdenden Frauenbilder. Denn anders als an einem typischen diplomatischen Standort, in einer Residenzstadt, waren in Frankfurt die Verknüpfungen zwischen Diplomatie und Bürgertum besonders eng. Dies schlug sich zum einen im Quellenbestand nieder, der zahlreiche gegenseitige Einschätzungen von Bürgern und Bürgerinnen über Diplomaten und Diplomatengattinnen sowie umgekehrt aufweist. Zum anderen wären bestimmte Konstellationen, die für die Untersuchung der hier behandelten Fragen besonders aufschlussreich waren, wie etwa die mutmaßliche Affäre zwischen Friedrich von Thun und Emma Metzler oder die Freundschaft zwischen Selbiger und Otto von Bismarck, ohne den engen Kontakt zwischen Gesandten und Bürgern möglicherweise gar nicht entstanden. So allerdings lag ein erweiterter Möglichkeitsraum für die Äußerung von Frauenbildern durch die Zeitgenossen vor. Gleichwohl sind die sich dabei abzeichnenden Kategorien des Weiblichen auch anderswo denkbar beziehungsweise sind für den reibungslosen Ablauf des Alltages in den diplomatischen Kreisen als notwendig anzunehmen. Denn durch die skizzierten Fallbeispiele wurde deutlich, dass die für die Äußerung von Frauenbildern ausschlaggebenden Faktoren nicht nur in gesellschaftlichen Strukturen lagen, sondern sich auch aus der jeweiligen individuellen Paarbeziehung ergaben. Im Frankfurt der Bundestagszeit lassen sich also verschiedene Kategorien des Weiblichen oder verschiedene Rollen fassen, die mit teilweise sehr großem Wirkungsspielraum der jeweiligen Frauen verbunden waren. Dies lässt sich durch gesellschaftliche Strukturen im Allgemeinen, die besonderen Konstellationen in Frankfurt, aber immer auch zu einem großen Teil aus individuellen Lebenswegen erklären. Dies soll aber nicht heißen, dass es sich nur um Einzelfälle handelte. Vielmehr waren manche Faktoren, wie etwa die Art der Karriere des Mannes, bei vielen Paaren vergleichbar. Auch persönliche Umstände, wie etwa die innige, vertraute Beziehung, die sich sowohl bei den von Bismarcks als auch den von Thuns zeigt, waren sicherlich nicht singulär. Mit den Erkenntnissen der Bürgertumsforschung in Bezug auf geschlechterspezifische Fragen decken sich die Befunde aus Frankfurt zum Teil. Wie Brigitte Mazohl-Wallnig festgestellt hat, gilt für das 19. Jahrhundert das Öffentliche traditionell als die Sphäre des Mannes, das Private als diejenige der Frau. Dies greife jedoch zu kurz, so Mazohl-Wallnig, zumal die definitiv vorhandene Teil67 W. Klötzer, Frankfurter Patriotin, in: C. Koch-Gontard, Briefe und Erinnerungen (Anm. 20), 11. 68 Ebd., 14.
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habe des Mannes am Privaten in dieser traditionellen Sichtweise ausgeklammert werde. Stattdessen müsse auch die öffentliche Relevanz des Privaten in den Blick genommen und gleichzeitig die Bedeutung der inoffiziellen Rolle der Frau in der Öffentlichkeit anerkannt werden69. In Frankfurt bestätigt sich diese Feststellung. Darüber hinaus zeigt sich aber auch, dass Frauen zum einen durchaus offizielle Funktionen verschiedener Art zumindest im Ansatz wahrnahmen. Zum anderen waren viele der von den Frauen im oder aus dem Privaten heraus wahrgenommenen inoffiziellen Funktionen derart standardisiert, dass sie als Teil der politischöffentlichen Sphäre gelten dürfen. Es lassen sich also im diplomatischen Standort Frankfurt unter den Diplomatengattinnen sowie den mit ihnen verkehrenden Frauen der wirtschaftsbürgerlichen Elite feste Rollen und bedeutende Funktionen nachweisen, die einen öffentlichen Charakter hatten. Wenngleich vielleicht nicht immer explizit, wurden diese zumindest implizit offiziell ausgeübt.
69 Brigitte Mazohl-Wallnig, Männliche Öffentlichkeit und weibliche Privatsphäre? Zur fragwürdigen Polarisierung bürgerlicher Lebenswelten, in: Von Bürgern und ihren Frauen, hrsg. v. Magret Friedrich / Peter Urbanitsch (Bürgertum in der Habsburgermonarchie, 5), Wien / Köln / Weimar 1996, 125–140, 127–134.
Das dritte Geschlecht der Diplomatie: Die Außenpolitik des wilhelminischen Deutschland unter dem Verdacht der Homosexualität
Von Norman Domeier Aus heutiger Sicht mag es befremdlich wirken, ganze politische Handlungsfelder und Institutionen wie Außenpolitik, Diplomatie und Militär unter einen sexuellen Verdacht zu stellen. Die Belle Époque war jedoch das Zeitalter der Prestigepolitik. Dass der Eulenburg-Skandal (1906–1909) das Sexualmoralische als Deutungskategorie der angespannten internationalen Beziehungen aufbrachte, wie im Folgenden gezeigt wird, bildete nur die Zuspitzung in einer Kette internationaler Verwerfungen, von der Schnäbele-Affäre 1887 über die Beschlagnahme des Postdampfers Bundesrat im Burenkrieg 1899 bis zum Venezuela-Zwischenfall 1902, die vermeintlich lokale und rudimentäre Ereignisse zu Fragen der nationalen Ehre stilisierten. Neu am Eulenburg-Skandal war jedoch die Wucht, mit der GenderKategorisierungen, die zuvor nur in Spezialdiskursen der noch ganz jungen Sexualwissenschaft ventiliert wurden, in die allgemeine Öffentlichkeit und damit auf das Feld des Politischen transponiert wurden. In den Blick rückt damit zugleich die immer noch unterbelichtete gesellschaftliche Dimension der internationalen Beziehungen1. Speziell der Diplomatie wurde nicht immer nur binär Feminität oder Maskulinität zugeschrieben, sondern es wurde am Ende des langen 19. Jahrhunderts in der Tat so etwas wie das dritte Geschlecht der Diplomatie konstruiert: Diplomaten, Militärs und Politiker, die weder als Mann noch als Frau verstanden wurden und denen die Öffentlichkeiten der zum Krieg strebenden Nationalstaaten das Stigma des »geborenen« Landesverräters zuschrieben2. Ist der Eulenburg-Skandal heute vor allem als erster großer Homosexualitätsskandal des 20. Jahrhunderts in Erinnerung, wurde er von den Zeitgenossen viel umfassender als Gegenstück zur französischen Dreyfus-Affäre verstanden. Dies hing nicht zuletzt damit zusammen, dass auch durch den »deutschen Skandal« drängende politische, soziale und kulturelle Konfliktlinien der Epoche repräsentativ verhandelt wurden, von denen die Außenpolitik und Diplomatie des späten 1 Eckart Conze, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension in der internationalen Geschichte, in: Internationale Geschichte. Themen–Ergebnisse–Aussichten, hrsg. v. Wilfried Loth / Jürgen Osterhammel, München 2000, 117–140. 2 Zu diesem ursprünglich sexualwissenschaftlichen Konzept: Magnus Hirschfeld, Berlins Drittes Geschlecht (Großstadtdokumente, 3), 9. Aufl., Berlin / Leipzig 1904; Rudolf Quanter, Wider das dritte Geschlecht, 2. Aufl., Berlin 1904.
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Kaiserreichs eine der brisantesten darstellten3. In seiner europaweit beachteten Politik- und Kulturzeitschrift Die Zukunft unterstellte Maximilian Harden im Herbst 1906 dem Fürsten Philipp Eulenburg, bester Freund und zeitweise wichtigster Berater Kaiser Wilhelms II., das Haupt einer homosexuellen Clique innerhalb der Reichsleitung zu sein. Harden, einem der bedeutendsten, aber auch umstrittensten Publizisten und Intellektuellen der damaligen Zeit, gelang es durch den Skandal, ein großes Narrativ wilhelminischer Dekadenz zu popularisieren: Danach hatte die Eulenburg-Kamarilla bereits 1890 den Sturz Bismarcks bewerkstelligt, seither den Monarchen vom Volk abgeschirmt und durch eine von übersteigerter Friedensliebe bestimmte Politik das Deutsche Reich in die internationale Isolation manövriert. Mit dem nach Eulenburgs Schloss bei Berlin auch »Liebenberger Tafelrunde« genannten Freundschaftsnetzwerk4 war für die deutsche, zunehmend aristokratiekritische Öffentlichkeit ein Sündenbock für die zahlreichen politischen Fehlleistungen der Herrschaft Wilhelms II. gefunden worden.
I. Die wilhelminische Friedenspartei Von einer Kriegspartei innerhalb der Führungsspitze des Kaiserreiches ist in der politik- und militärgeschichtlichen Literatur häufig die Rede, insbesondere wenn es um die Ursprünge des Ersten Weltkrieges geht5. Obwohl dieser Begriff ohne ein Pendant kaum Sinn macht, wurde eine Friedenspartei bisher entweder gar nicht oder nur als Silhouette ausgemacht6. Dabei erahnten schon die Zeitgenossen die Auseinandersetzungen zwischen diesen beiden Einflussgruppen im Arkanbereich der Reichsleitung. »Der will den Frieden«, kritisierte eine Streitschrift der Imperi-
3 Vertiefend behandelt in Norman Domeier, Der Eulenburg-Skandal. Eine politische Kulturgeschichte des Kaiserreichs (Campus Historische Studien, 55), Frankfurt a. M. / New York 2010, 301–361. 4 Die Freundschaftsstrukturen der Liebenberger finden sich in Isabel V. Hull, The Entourage of Kaiser Wilhelm II. 1888–1918, Cambridge 1982. 5 Etwa Wilhelm Deist, Kaiser Wilhelm II. in the Context of his Military and Naval Entourage, in: Kaiser Wilhelm II. New Interpretations. The Corfu Papers, hrsg. v. John Röhl / Nicolaus Sombart, Cambridge 1982, 169–192. 6 Zur Machterweiterung der Kriegspartei durch den Sturz der Eulenburg-Kamarilla John Röhl, Wilhelm II., Bd. 3: Der Weg in den Abgrund, 1900–1941, München 2008, 607. Vgl. auch ders., Wilhelm II., Bd. 1: Die Jugend des Kaisers, 1859–1888, München 1993, 739–755; Katharine A. Lerman, The Chancellor as Courtier. Bernhard von Bülow and the Governance of Germany. 1990–1909, Cambridge 1990, 258. Zeitgenössisch Paul Meinhold, Wilhelm II. 25 Jahre Kaiser und König, Berlin 1912, 200.
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alisten 1906 den Widerstreit innerhalb der wilhelminischen Herrschaftselite, »und jener hält einen ›frischen fröhlichen Krieg‹ für eine nationale Notwendigkeit«7. Auch in dieser Frage gelang es Maximilian Harden, den Deutungsrahmen vorzugeben, in dem sich die europäische Presse bewegte. Er erklärte die Eulenburg-Kamarilla zur wilhelminischen Friedenspartei und machte dies plausibel, indem er eine Verbindung zwischen einer den nationalen Interessen Deutschlands schädlichen Friedensliebe und Homosexualität herstellte: Die »träumen nicht von Weltenbränden, haben’s schon warm genug«, so formulierte er den Zusammenhang in seiner Zukunft8. In Politik, Diplomatie und Militär des Auslandes, wurde der Publizist dann Ende 1907 vor Gericht deutlich, denke man über die Staatsführung des Deutschen Reiches folgendermaßen: »Das sind Homosexuelle […] und deshalb brauchen wir politisch keine Furcht zu haben.« Weil die Mitglieder der Eulenburg-Kamarilla homosexuell waren, mussten sie pazifistisch sein, weil sie pazifistisch waren, mussten sie homosexuell sein, so die Konstruktion dieser Korrelation zwischen Politik und Sexualität. Laut Harden gab es dazu auch eine maskuline Gegenkraft. Mit der Eulenburg-Kamarilla im Widerstreit sah er, was viele Beobachter der Reichspolitik »die Militärpartei nennen, nämlich die Partei unzufriedener, ehrgeiziger Generäle«9.
II. Die Enthüllung der Kriegsgefahr in der Marokko-Krise »Es wird sich kein Mensch im Deutschen Reiche finden«, schrieben am 23. Oktober 1907 die Hamburger Nachrichten, »einen juristischen Zusammenhang zwischen der marokkanischen Frage und [dem Eulenburg-Skandal] zu entdecken«10. Tatsächlich war diese apodiktische Feststellung politisches Wunschdenken. Denn die Marokko-Krise von 1905/06 war das außenpolitische Thema im Justizpalast von Berlin-Moabit, in dem – unter den Augen von Journalisten aus aller Welt – die meisten der Sensationsprozesse verhandelt wurden, die den Eulenburg-Skandal bis 1909 immer wieder mit neuen Enthüllungen anheizten. On a parlé politique, samedi, au procès Harden-Moltke, verkündete André Mévil im regierungsnahen Écho de Paris; von einer political demonstration sprach auch die Westminster Gazette11. 7 Anonym, Unser Kaiser und sein Volk. Deutsche Sorgen. Von einem Schwarzseher, Aufl. 4, Freiburg / Leipzig 1906, 41. 8 Maximilian Harden, Monte Carlino, in: Die Zukunft 59, 13. April 1907, 39–50. Zur Verbindung mit dem Begriff »warme Brüder« siehe das Urteil im 2. Moltke-HardenProzess, BLHA 557. 9 Schlussrede Hardens im 2. Prozess, 45 ff., BLHA 557. 10 Hamburger Nachrichten, Zum Prozess Moltke-Harden, 28. Oktober 1907, BAL 7836. 11 Hamburger Nachrichten, Zum Prozess Moltke-Harden, 28. Oktober 1907, BAL 7836; Echo de Paris, Les origines et le but de la campagne de M. Harden, von André Mévil, 28. Oktober 1907; Westminster Gazette, 30. Oktober 1907. Beide im PAAA.
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Maximilian Harden nutzte die transnationale Presseöffentlichkeit des Skandals, um der Marokko-Niederlage des Deutschen Reiches retrospektiv eine ungeheuerliche Deutung zu geben: Eine deutsche Kriegsdrohung an Frankreich, von der die europäische Öffentlichkeit bis dahin nicht einmal wusste, dass es sie gegeben hatte, sei dem Pariser Außenministerium als Bluff verraten worden12. »Schwärmende Friedensstifter«, erläuterte Harden, seien am Werk gewesen und hätten der Diplomatie des Kaiserreiches ihr »Jena« bereitet13. Gemeint waren Eulenburg und der mit ihm seit den 1880er-Jahren befreundete französische Spitzendiplomat Raymond Lecomte, der auf dem Höhepunkt der Marokko-Krise am 25. Juli 1905 als Botschaftsrat nach Berlin versetzt worden war14. Als Harden erfuhr, dass Lecomte im November 1906 zur Kaiserjagd nach Liebenberg eingeladen worden war und, offenkundig nicht zum ersten Mal, Gelegenheit zu vertraulichen Gesprächen mit Wilhelm II. erhalten hatte, war er sicher, in ihm den missing link zur Erklärung der deutschen Niederlage auf der Konferenz von Algeciras gefunden zu haben. Das Deutsche Reich war hier auf grandiose Weise mit dem Versuch gescheitert, die Entente Cordiale zu sprengen, obgleich Frankreich mit seinen Kolonisierungsbestrebungen offenkundig die völkerrechtlich vereinbarte Open-Door-Politik gegenüber Marokko brach. Stattdessen fand sich das Kaiserreich, nur noch von Österreich-Ungarn unterstützt, endgültig ausgekreist15. Nur das Tandem Eulenburg-Lecomte konnte der französischen Diplomatie den »unschätzbaren Dienst« erwiesen haben, den unbedingten Friedenswillen Kaiser Wilhelms II. zu beglaubigen und damit die Drohpolitik des Reichskanzlers Bernhard von Bülow und seines außenpolitischen Beraters Fried12 Hugo Friedländer, Interessante Kriminal-Prozesse von kulturhistorischer Bedeutung. Darstellung merkwürdiger Strafrechtsfälle aus Gegenwart und Jüngstvergangenheit, 12 Bde., Berlin 1910–1920 [Digitalversion], 4110–4113. Zu dem Bluff mit der Kriegsdrohung instruierte Bülow seinen Pressechef Hammann: »Das muss nicht in einem einzelnen Artikel irgendeiner Revue gesagt werden, sondern als Grundton durch eine Reihe von Artikeln in Tagesblättern gehen.« Auch Wilhelm II. sollte bei seinem Besuch in Marokko (Tangerlandung) bei verschiedenen Gesprächspartnern einen Krieg andeuten. Vgl. GP 20, 1, Nr. 6576; GP 20, 2, Nr. 6609 und Nr. 6875; GP 21, 1, Nr. 6916. 13 Maximilian Harden, Schlussvortrag, in: Die Zukunft 61, 9. November 1907, 179–210, 206. 14 Frankreich hatte einer internationalen Konferenz über Marokko am 8. Juli 1905 zugestimmt. BZ am Mittag, Die Zeugen im Prozess Harden-Moltke, 21. Oktober 1907, BAL 7836. 15 Harden, schrieb Holstein, sei in eine wahre Tobsucht geraten, als er von Lecomtes Einladung nach Liebenberg erfuhr. Friedrich von Holstein. Lebensbekenntnis in Briefen an eine Frau, hrsg. v. Helmuth Rogge, Berlin 1932, 296. Hardens Pressekampagne begann zwei Wochen darauf, am 24. November 1906. Vor Gericht stellte sich heraus, dass Lecomte auf ausdrücklichen Wunsch Wilhelms II. vom Hofmarschallamt zur Liebenberger Jagd eingeladen worden war. H. Friedländer, Kriminal-Prozesse (Anm. 12), 4163 f.
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rich von Holstein als Taktik zu verraten16. Für Harden ein unverzeihlicher politischer Fehler. »Soll man die Friedenssehnsucht, das Friedensbedürfnis in kritischen Zeiten – es handelt sich um Marokko – so stark betonen, dass der andere einen für schwach hält? Oder soll man ihm die Möglichkeit lassen, dass er glaubt, der wird losschlagen?« Mit dem kriegerischen Drohpotential, dem allseits geglaubten »Starksein«, war der deutschen Außenpolitik nach Meinung des Zukunft-Herausgebers der letzte Trumpf aus der Hand geschlagen worden, um die Isolation des Reiches noch zu verhindern17.
Abb. 1: Das Zeitalter des Prestigewahns: Der Eulenburg-Skandal demonstriert die Macht und den Bellizismus der öffentlichen Meinung; die Diplomatie kann auf solche Tendenzen meist nur noch reagieren. Entnommen aus: John Grand-Carteret, Derrière »Lui«. L’homosexualité en Allemagne, Paris, 1907, II.
16 Tatsächlich gelangte der Friedenswille Wilhelms II. in der Marokko-Frage über mehrere Kanäle nach Frankreich, etwa über den Welfenabgeordneten Hermann von Hodenberg sowie die Zentrumsabgeordneten Franz von Arenberg und Emile Wetterlé. Zudem war ein Aktenstück zur Marokkopolitik mit dem kaiserlichen Vermerk »Aber keinen Krieg deshalb!« aus dem Auswärtigen Amt gestohlen worden. Martin Mayer, Geheime Diplomatie und öffentliche Meinung. Die Parlamente in Frankreich, Deutschland und Großbritannien und die Erste Marokkokrise 1904–1906, Düsseldorf 2002, 177, 214–219, 307. Vgl. Robert Graf Zedlitz-Trützschler, Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof, Aufl. 5, Stuttgart 1924, 173 f.; Bernhard Fürst von Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. 2: Von der Marokko-Krise bis zum Abschied, hrsg. v. Franz von Stockhammern, Berlin 1930, 12 f.; Wilhelm II., Ereignisse und Gestalten aus den Jahren 1878–1918, Leipzig 1922, 92. Dazu J. Röhl, Wilhelm II., Bd. 3 (Anm. 6), 589 f. 17 Schlussrede Hardens im 2. Prozess, 45 ff., BLHA 557; H. Friedländer, Prozesse (Anm. 12), 4110–4113.
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III. Die Desavouierung der Idee einer deutsch-französischen Aussöhnung Weltweit stieß Hardens Marokko-Theorie auf Beachtung. Wie viele europäische Zeitungen zog die Prager Union die Bilanz, das französische Außenministerium sei durch die Zusammenarbeit von Eulenburg und Lecomte besser über die politische Haltung Kaiser Wilhelms II. informiert gewesen als die Regierung Bülow und ihre Diplomaten18. Wie sich aus Eulenburgs erhaltenen Aufzeichnungen ergibt, griff der Favorit des Monarchen tatsächlich nach jahrelanger Abstinenz wieder in die deutsche Politik ein, um eine Wende im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland herbeizuführen. Die »unhaltbaren und uns mit Frankreich verhetzenden Machenschaften« Holsteins müssten »unbedingt abgewehrt« werden. Sie trügen »einen so bedenklichen Charakter«, notierte er im September 1905, »dass ich mir den Kopf darüber zerbrach, wie ich mich gegenüber einer möglicherweise zu einem Kriege treibenden Verhetzung stellen sollte«19. Wie bereits bei der Gewinnung Wilhelms II. für ein deutsches Protektorat über ein zionistisches Palästina wirkte Eulenburg mit rassepolitischen Argumenten auf den Kaiser ein20. Nur eine »europäische Koalition« könne die »gelbe Rasse« abwehren. »Hierzu muss der Antagonismus Frankreichs gegen Deutschland überwunden werden; sonst bleibt der Gedanke eine Phantasie.« Die russische Schwächephase infolge des verlorenen Krieges gegen Japan sei die große Chance, zur Aussöhnung mit dem westlichen Nachbarn zu gelangen. Der Kaiser stimmte der Analyse seines besten Freundes zu, dass »die Marokko-Frage wie ein reinigendes Gewitter wirken und den Weg für die Entente zwischen uns und Frankreich« freimachen müsse21. Als besten Partner, den Plan durchzuführen, sah Eulenburg in der Tat seinen alten Freund Raymond Lecomte, der während des Skandals in der deutschen Presse als »König der Päderasten« herabgewürdigt wurde. »Der aufrichtigste und treueste Anhänger des Gedankens einer dauernden deutsch-französischen Verständigung«, wie Eulenburg ihn nannte, habe wie er selbst als großes Ziel stets »ein Bündnis« zwischen den Nachbarländern angestrebt. Lecomtes »hyperpatriotischen« Landsleuten sollte die Allianz mit dem Erbfeind dadurch versüßt werden, eine Lösung für das Problem 18 Union (Prag), 30. Oktober 1907, PAAA. 19 Memorandum mit dem Titel: Pathologische Politik, BAK NL Eulenburg, Nr. 77. vgl. auch die gedruckten Notizen Eulenburgs zu Gesprächen mit Wilhelm II. in Rominten, 23.–25. September 1905, in: Philipp zu Eulenburg, Eulenburgs politische Korrespondenz, Bd. 3: Krisen und Katastrophen 1895–1921, hrsg. v. John Röhl (Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts, 52), Boppard am Rhein 1976, Nr. 1509. 20 N. Domeier, Eulenburg-Skandal (Anm. 3), 247–269. 21 Memorandum Pathologische Politik, BAK NL Eulenburg, Nr. 77. Vgl. auch die gedruckten Notizen Eulenburgs zu Gesprächen mit Wilhelm II. in Rominten, 23.–25. September 1905, in: P. Eulenburg, Eulenburgs politische Korrespondenz, Bd. 3 (Anm. 19), Nr. 1509.
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der malheureuse Alsace zu finden22. »Wir haben keinerlei entgegengesetzte Interessen mit Frankreich – außer Elsass und Lothringen«, hob Eulenburg hervor23. Die Zusammenarbeit von kaiserlichem Favoriten und französischem Spitzendiplomaten, von der die europäische Presse im Skandal schemenhaft und vor allem aus der Perspektive Hardens erfuhr, rief völlig unterschiedliche Reaktionen hervor. Die französischen Zeitungen verwiesen auf die politische Verantwortung des Kaisers: Guillaume II n’est pas un crétin, schrieb das Écho de Paris. Der Monarch habe doch ganz offenkundig die Weitergabe seines Friedenswillens in der MarokkoKrise an die französische Regierung gewollt und dabei auch die Düpierung seiner eigenen Regierung in Kauf genommen. Für deutsche Journalisten hingegen hatten die beiden, wohlgemerkt, weil sie homosexuell waren, »in Liebenberg ein rapprochement franco-allemand besonderer Art« betrieben, was nichts anderes als einen »Vaterlandsverrat« Eulenburgs darstellte24. Erstaunlicherweise jedoch wies kein zeitgenössischer Kritiker auf die Ungereimtheiten in Hardens Marokko-Theorie hin. Das Deutsche Reich hatte ja unbedingt eine internationale Konferenz als Tribunal über Frankreichs völkerrechtswidrige Marokkopolitik gewollt. Eine deutsche Kriegsdrohung wäre allerdings nur in bilateralen Verhandlungen, wie sie Frankreich angeboten hatte, möglich gewesen25. Die mangelnde Plausibilität seiner Marokko-Theorie konnte Harden überspielen, da sie nur der sensationelle Aufhänger war, um die gesamte deutsche Außenpolitik seit dem Sturz Bismarcks als von einer homosexuellen Friedenspartei bestimmt darzustellen: »Wir treiben im Deutschen Reich eine viel zu süßliche und weichliche Politik«, erklärte er vor Gericht. »Wenn wir, im Bewusstsein unserer Kraft, jede unwürdige Zumutung ablehnten, wenn wir zeigten, dass im Notfall das Schwert gezogen werden kann, gezogen werden wird, sobald die Ehre und die Zukunft der Nation es fordert, dann würde unsere Weltstellung besser sein.«26 Kriegstreiber wie die Alldeutschen sahen sich bestätigt; bereitwillig nutzten sie Homosexualität als neue politisch-moralische Kategorie, sowohl um die inter22 Lecomte erklärte Eulenburg auf dem Höhepunkt der Marokko-Krise: »Sie [werden] jetzt wieder Politik machen müssen – und wenn es nur für einige Stunden wäre.« Memorandum: Der Botschaftsrat Lecomte und der Krieg mit Frankreich, BAK NL Eulenburg, Nr. 70. 23 P. Eulenburg, Eulenburgs politische Korrespondenz, Bd. 3 (Anm. 19), 2110, FN 3; 2267 f., FN 2. 24 Echo de Paris zit. in Germania, Liebenberg und Place de l’Opéra, 31. Oktober 1907, BAL 7837; Frankfurter Zeitung, 27. Oktober 1907, BAL 7836. 25 Wie falsch Reichskanzler Bülow die mit der Konferenz eintretende Konstellation einschätzte, zeigte seine Instruktion an Botschafter Radolin vor Konferenzbeginn, der französischen Regierung die in der Konferenz liegende Gefahr unbedingt vor Augen zu führen: Das Ende der open door policy sei eine sehr kritische Situation, die einen schweren Konflikt unvermeidlich machen würde. GP 21, 1, Nr. 6916. 26 H. Friedländer, Kriminal-Prozesse (Anm. 12), 4266.
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nationalen Beziehungen der letzten Jahrzehnte zu fassen als auch um die Konflikte der Gegenwart zu verschärfen. Für die Leipziger Neuesten Nachrichten stand fest, dass die Eulenburg-Kamarilla der »eigentliche Träger jener dürftigen und unmännlichen Versöhnungspolitik« war, »an deren Nachwehen wir noch immer kranken«. Ihre »ewige Betonung unserer Friedenssehnsucht«, so das imperialistische Blatt, habe das Ausland ermutigt, »uns als quantité négligeable zu behandeln und unser gelegentliches Auftrumpfen mehr als eine Spielerei denn als Ausdruck eines entschlossenen Willens zu betrachten«27. Noch drastischere Töne schlug die Neue Bayerische Landeszeitung an: »Die deutsche Politik, namentlich nach außen, trug seit 1889 das Gepräge des unmännlichen, weibischen, schwankenden Süßholzrasplers Eulenburg. Diese perverse Eunuchen- und Homunkelpolitik ohne Rückgrat, ohne Saft und Kraft, hat Deutschlands Ansehen und Einfluss in der Welt tief herabgesetzt und auch die Niederlage in Algeciras herbeigeführt.«28 Wie, fragte der Sozialimperialist Friedrich Naumann, konnten seiner Auffassung nach feminine Typen wie Eulenburg und sein Busenfreund Kuno Graf Moltke, Stadtkommandant von Berlin, überhaupt in ihre Positionen gelangen? »Es rollt und grollt in allen Gemütern, dass diese Leute Deutschland vertreten und Berlin kommandieren durften!«29 Im Eulenburg-Skandal wurde »die deutsche Politik als das Produkt mehr oder weniger geschlechtlich Abnormer« hingestellt, resümierte bereits 1931 der frühe Sexualhistoriker Richard Linsert in seiner Studie Politik und Geschlechtsleben. Der Topos von einer landesverräterischen Friedenspartei im Arkanbereich der Macht, an den Harden mit seiner Anklage homosexueller Außenpolitik unter Wilhelm II. erfolgreich anknüpfte, war dabei weit älter als der Eulenburg-Skandal. Er tauchte bei allen Kamarilla-Regimen der jüngeren preußischen Geschichte nach Friedrich II. auf30. Als spezifisch wilhelminische Befürchtung formulierte 1895 Erich Bischoff die Angst vor einer Verschmelzung von nichtinstitutionellen, unkonstitutionellen und vor allem arkanen Einflüssen und einer die nationalen Interessen verletzenden monarchischen Privatpolitik: »Ich denke und mit mir hegt wohl ein jeder […] die Überzeugung, dass in den Tafeln der Geschichte die Worte 27 Leipziger Neueste Nachrichten, Rückblick, 6. Juli 1908, BAL 7839. 28 Neue Bayerische Landeszeitung, 25. April 1908, BAL 7838. 29 Die Hilfe, Der Schmutzprozess, von Friedrich Naumann, 3. November 1907, BAL 7837; Richard Linsert, Kabale und Liebe. Über Geschlechtsleben und Politik, Berlin 1931. 30 Die Berliner Zeitung, deren historisches Gedächtnis beachtlich war, zählte eine ganze Kette preußischer Würdenträger, Militärs und Politiker seit Bischoffwerder auf, die nicht allein eine Kamarilla gebildet, sondern auch eine unselige Traditionslinie spiritistisch inspirierter Politik aufrechterhalten hätten. Genannt werden Wolfahrt, von Pfuel, von Aken, von Förster, von Schachtmeyer, von Eberstein, Säger, von Wollisen und Graf Brassier St. Simon. Die Gerlach-Kamarilla war nicht einmal eingeschlossen, obwohl ihre spiritistischen Vorlieben ebenfalls bekannt waren. Berliner Morgenpost, Das Urteil im Prozess Moltke-Harden, 30. Oktober 1907, BAL 7837.
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›Wilhelm II.‹ und ›Kamarillen-Herrschaft‹ nie zusammenstehen werden, so wenig wie die Worte ›Deutscher Kaiser‹ und ›Rückgabe von Elsass und Lothringen‹. Das wird mir jeder gute Deutsche glauben.« Diesen einerseits monarchiekritischen, andererseits kriegerischen Patriotismus vertraten im Eulenburg-Skandal selbst sozialdemokratische Zeitungen31. Wichtiger als die gegenläufigen und widersprüchlichen Politiken im Pariser oder Berliner Arkanbereich im Bannkreis der Marokko-Krise ist aus der Perspektive einer politischen Kulturgeschichte, dass französische und deutsche Presse die Existenz einer »homosexuellen Achse Paris-Berlin« mit ihrem Masterplan einer Allianz unter Rückgabe Elsass-Lothringens für plausibel hielten. Entsprechend wurden Eulenburg 1906/07 Ambitionen auf den Pariser Botschafterposten oder die Reichstatthalterschaft in Elsass-Lothringen nachgesagt, Lecomte solche auf den Berliner Botschafterposten oder eine führende Stellung am Quai d’Orsay, um ihren großen Aussöhnungsplan voranzutreiben32. Zuvor hätte in Deutschland allerdings Reichskanzler Bülow stürzen müssen33. Dieser wähnte sich tatsächlich in einer solchen Gefahr. Bereits in den ersten Tagen der Algeciras-Konferenz – also fast ein Jahr vor der Pressekampagne, mit der Harden den Eulenburg-Skandal begann – war zwischen Bülow und Holstein die Abwehrstrategie erdacht worden, Eulenburg und Lecomte durch ein »Skandalprojekt« mit dem Thema »Päderastie« zu vernichten. Schon damals wurde Maximilian Harden als publizistischer Skandalorganisator gehandelt. »Hübsch wird es freilich nicht werden, wenn Harden die ›deutsch-französische Annäherung von der unrechten Seite‹ in seiner [Zukunft] 31 Erich Bischoff, Die Camarilla am preußischen Hofe. Eine geschichtliche Studie, 2. Aufl., Leipzig 1895, 45 f. Wie Friedrich Wilhelm IV. sich von der Kamarilla nach Olmütz, habe sich Wilhelm II. von ihr nach Algeciras führen lassen. Leipziger Volkszeitung, Kamarilla, 5. Juni 1907, BAL 7836. 32 Im Laufe des Skandals ergänzte Harden die homosexuelle Achse Paris-Berlin noch um Wien. Pressemeldungen, Wilhelm II. habe in Algeciras auf Eulenburgs Rat eine österreichische Lösung angenommen, erklärte er mit dem Einfluss Graf Johann Lonyays, des Schwagers der Erzherzogin Stephanie. Eulenburg-Lecomte-Lonyay seien seit ihrer gemeinsamen Diplomatenzeit in München in den 1880er-Jahren ein homosexuelles Trio. Le Gaulois, Le prince d’Eulenbourg, von Denis Guibert, 19. Juli 1908, PAAA; Vorwärts, Hardens Rückzug, 18. Juni 1907, BAL 7836. Vgl. Helmuth Rogge, Holstein und Harden. Politisch-publizistisches Zusammenspiel zweier Außenseiter des Wilhelminischen Reiches, München 1959, 296 f. 33 Gleich nach Ernennung zum Reichskanzler hatte Bülow klargestellt, fortan die Grundlinien der deutschen Politik allein zu bestimmen und auch Eulenburgs Vermittlerdienste zum Kaiser nicht mehr zu benötigen. Hans Wilhelm Burmeister, Prince Philipp Eulenburg-Hertefeld. His Influence on Kaiser Wilhelm II and his Role in the German Government, 1888–1902, Wiesbaden 1981, 148; I. Hull, Entourage (Anm. 4), 121; Fritz Hartung, Verantwortliche Regierung, Kabinette und Nebenregierungen im konstitutionellen Preußen 1848–1918, in: Volk und Staat in der deutschen Geschichte. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. v. dems., Leipzig 1940, 230–339, 317.
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bespricht«, vertraute Holstein am 19. Januar 1906 dem deutschen Botschafter in Paris, Fürst Radolin, an34. Diese bisher vollkommen unbeachtete Quelle aus dem Arkanbereich wilhelminischer high politics zeigt neben dem langen, untergründigen Vorlauf des Eulenburg-Skandals, dass seine Ursache in den außenpolitischen Turbulenzen der Epoche zu finden ist. In Deutschland nutzten bezeichnenderweise alle politischen Parteien die bloße Idee einer deutsch-französischen Annäherung für Angriffe gegen die Reichsleitung. Die hardenfreundliche Augsburger Abendzeitung warnte vor der »Romantikergefahr«, die dem Reich durch das Tandem Eulenburg-Lecomte von seiner westlichen Flanke drohte und der man gerade noch entkommen sei35. Die katholische und die sozialdemokratische Presse machten den Aussöhnungsgedanken unmöglich, indem sie behaupteten, ein Ausgleich mit Frankreich wäre mit Verfassungsbruch und Staatsstreich nach innen einhergegangen. Nach dem Sturz Bülows hätte der Eulenburgfreund General Kuno Graf Moltke zum »Reichskanzler des Inneren« ernannt werden sollen, während in der Außenpolitik ein »persönliches Regiment« des Kaisers und seines Favoriten errichtet worden wäre, um jeden Widerstand gegen eine Rückgabe Elsass-Lothringens zu brechen36. Die Idee einer deutsch-französischen Aussöhnung, lässt sich festhalten, geriet durch den Eulenburg-Skandal auch bei wohlmeinenden Journalisten in Verruf und machte realpolitischer Ernüchterung und Resignation Platz; ein Beleg für die problematische Rolle der Presse im Vorfeld des Ersten Weltkrieges37. Erst 34 Holstein an Radolin, 19. Januar 1906, in: Friedrich von Holstein, Die geheimen Papiere Friedrich von Holsteins. Bd. 4: Briefwechsel (10. Januar 1897 bis 8. Mai 1909), hrsg. v. Norman Rich / Max H. Fisher, Göttingen 1963, Nr. 927, 350–352. Eulenburgs Achillesferse war in den Berliner Herrschaftszirkeln seit Jahren bekannt. Siehe Anton Monts, Erinnerungen und Gedanken des Botschafters Anton Graf Monts, hrsg. v. Karl Friedrich Nowak / Friedrich Thimme, Berlin 1932, 184; H. W. Burmeister, Eulenburg-Hertefeld (Anm. 33), 170. 35 Augsburger Abendzeitung, Hardens Enthüllungen, 23. Juni 1907, BAL 7836. 36 Dieser Plan sei, so die sozialdemokratische und katholische Presse, durch die Interpellation des nationalliberalen Parteiführers Bassermann am 14. November 1906 im Reichstag vereitelt worden, woraufhin Harden seine Kampagne gegen die Eulenburg-Kamarilla in der Zukunft begann. Vorwärts, Der enthüllte Absolutismus, 29. Oktober 1907, BAL 7836. Berichtet wurde überdies, dass Bülow durch eine Unvorsichtigkeit Eulenburgs von der Absicht seiner politischen Beseitigung erfahren hatte. A. Monts, Erinnerungen (Anm. 34), 184. 37 Vgl. Ute Daniel, Einkreisung und Kaiserdämmerung. Ein Versuch, der Kulturgeschichte vor dem Ersten Weltkrieg auf die Spur zu kommen, in: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, hrsg. v. Barbara Stollberg-Rilinger, Berlin 2005, 279–328; Günter Heidorn, Monopole, Presse, Krieg. Die Rolle der Presse bei der Vorbereitung des Ersten Weltkrieges, Berlin Ost 1960. Zur Presse als konstitutivem Teil der Außenpolitik bereits zeitgenössisch Max von Brandt, Die deutsche Presse und die auswärtige Politik, in: Deutsche Revue 25 (1900), 197–201; ders., Die europäische Diplomatie und die Presse,
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Abb. 2: Die Eulenburg-Kamarilla als wilhelminische Friedenspartei und ihre Delegitimierung durch den Vorwurf der Homosexualität. Entnommen aus: Kladderadatsch. Humoristisch-satirisches Wochenblatt, 29. Dezember 1907, 921.
nach dem Ersten Weltkrieg bereute Maximilian Harden, zur Vernichtung der Eulenburg-Kamarilla beigetragen zu haben, weil sie als Friedenspartei im wilhelminischen Machtzentrum gewirkt hatte. Bei einer Diskussionsrunde über den Eulenburg-Skandal in Magnus Hirschfelds Berliner Institut für Sexualwissenschaften 1923/24 sagte Harden nach Erinnerung eines Teilnehmers, heute bedauere er außerordentlich, gegen Eulenburg und seinen »mäßigenden Einfluss« vorgegangen zu sein38. Durch die Eigendynamik des Skandals löste die Verquickung von devianter Sexualität und umstrittener Außenpolitik in den Jahren 1906 bis 1909 allerdings noch weitere folgenschwere Wirkungen aus. in: Deutsche Revue 34 (1909), 181–185; Anonym [Fritz Walz], Die Presse und die deutsche Weltpolitik, Zürich 1906; Sidney Bradshaw Fay, Der Einfluss der Vorkriegspresse in Europa, in: Berliner Monatshefte 10 (1932), 411–445. 38 Aus der Erinnerung des Publizisten Harry Schulze-Wilde Ende der 1950er-Jahre. Walther Kiaulehn, Berlin. Schicksal einer Weltstadt, München 1958, 578.
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IV. Die Diplomatie als Teil einer homosexuellen Internationale Ein wichtiges Kennzeichen der Globalisierung um 1900 war die institutionelle, aber auch diskursive Entstehung von Internationalen. Die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg waren eine Blütezeit grenzüberschreitender Wissenschaftskongresse und humanitärer Bewegungen wie dem Roten Kreuz. In der Politik wurde die »rote« sozialistische Internationale prägend, an die sich Verschwörungstheorien über eine »goldene« jüdisch-zionistische und »schwarze« ultramontane Internationale anknüpften39. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, nachdem Begriff und Konzept des Homosexuellen durch den Eulenburg-Skandal popularisiert worden waren40, auch eine homosexuelle Internationale zu imaginieren, die »über alle Wälle des Glaubens, der Staaten und Klassen ein Band schlingt«, wie Maximilian Harden schrieb, und »die einander Fernsten, Fremdesten zu Schutz und Trutz in Brüderlichkeit vereint«41. In der Zeit eines hochaggressiven Nationalismus vor wie nach dem Ersten Weltkrieg ging mit der Zuordnung von Menschen zur »Vierten Internationale«, wie sie Kurt Tucholsky in den 1920er-Jahren nannte, zwangsläufig der Vorwurf nationaler Unzuverlässigkeit einher. »Bei vielen Homosexuellen habe ich auch einen bedauerlichen Mangel an Nationalgefühl gefunden«, schrieb der ehemalige Leiter des Berliner Homosexuellendezernates Hans von Tresckow, der die Ermittlungen im Eulenburg-Skandal geführt hatte, ungefähr zur selben Zeit in seinen Memoiren. »Sie empfinden international und empfinden sich als Kosmopoliten«42. Bereits während des Eulenburg-Skandals witterte die antisemitische Presse Verbindungslinien zwischen homosexueller und jüdischer Internationale, so wie sie zuvor einen Zusammenhang zwischen jüdischer und sozialistischer Internationale konstruiert hatte. Es könne kein Zufall sein, dass gerade die »Organe der Alliance Israélite« immer wieder die Abschaffung des »Liebenberger Paragraphen«43 forderten, schrieb die Neue Bayerische Landeszeitung; eine vollkommen irreale Annahme, die sich bei Antisemiten tief einprägen sollte44. Als Kronzeugen für die Existenz 39 Vgl. allgemein Martin Geyer / Johannes Paulmann (Hrsg.), The Mechanics of Internationalism. Culture, Society, and Politics from the 1840s to the First World War, Oxford 2001. Eine historische Studie zur homosexuellen Internationale ist ein Desiderat. 40 Dazu N. Domeier, Eulenburg-Skandal (Anm. 3), 158–184. 41 Maximilian Harden, Prozesse. Köpfe III. Teil, Berlin 1913, 182 f. 42 Tucholsky und Tresckow zit. n. R. Linsert, Geschlechtsleben und Politik (Anm. 29), 145, 161. 43 Gemeint ist §175 Reichsstrafgesetzbuch: »Die widernatürliche Unzucht, welche zwischen Personen männlichen Geschlechts oder von Menschen mit Tieren begangen wird, ist mit Gefängnis zu bestrafen; auch kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.« 44 Neue Bayerische Landeszeitung, Die große Kloake, 31. Oktober 1907, BAL 7837. Zur Folgewirkung bei Antisemiten Emil Witte, Wider das Juden- und Kynädenregiment,
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einer homosexuellen Internationale und der daraus abzuleitenden Gefährlichkeit von Homosexuellen für eine von nationalen Interessen bestimmte Politik beschwor Maximilian Harden einmal mehr Bismarck45. »Da gibt’s Zusammenhänge und Hautsympathien, die unsereins gar nicht versteht«, habe ihn der Altkanzler vor der grenzenlosen »Kamarilla der Kinäden« gewarnt, deren Mitglieder »grässliche Leute; ganz anders als wir« seien, »ohne Sinn für die Nüchternheit des politischen Lebens, ohne den Nerv der Tapferkeit, die eine große Nation braucht«46. Bismarck, dies versicherte Harden der Öffentlichkeit, habe ihm als Vertrautem in seinen letzten Lebensjahren geklagt: »Ihnen missfällt der Kaiser als politische Persönlichkeit in vielen wesentlichen Zügen; mir auch. Aber Sie können mir glauben: alle oder mindestens neun Zehntel dieser nicht erfreulichen Seiten wären nicht sichtbar, wenn Philipp Eulenburg nicht seine Sippschaft an ihn herangebracht hätte.« Eulenburg bestätigte vor Gericht freimütig diese Behauptungen, mit denen Bismarck ihn in seinem »vulkanischen Hass« in Hof- und Adelskreisen als Homosexuellen habe brandmarken und unmöglich machen wollen. Der gestürzte Favorit Wilhelms II. stellte dies allerdings als Rache für seinen Beitrag zum Sturz des ersten Reichskanzlers dar, der »Partherpfeil, der sehr geschickt gewählt war und der wohl seine Wirkung nicht verfehlen konnte«47. Den transnationalen Charakter der Homosexuellen sah Harden dadurch determiniert, dass sie »eine gegenseitige Lebensversicherung abgeschlossen« hatten, ihr geschlechtsspezifischer Zusammenhalt angesichts vielfältiger staatlicher und gesellschaftlicher Bedrohungen stärker sei als jedes nationale Zugehörigkeitsgefühl und jeder Patriotismus. Ihre homosexuelle »Gemeinschaft« und »Verbündelung« funktioniere nach dem keine nationalen Grenzen kennenden, nur auf das Individuum bezogenen Prinzip tes amis sont mes amis. Diesem Selbsterhaltungsprinzip folgend habe Eulenburg auf alle wichtigen politischen Posten »homoseBerlin 1914. Vgl. Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918, Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie, München 1992, 296. 45 Auf die Vorstellung einer homosexuellen Internationale verweist ohne Belege I. Hull, Entourage (Anm. 4), 11, 135. Vgl. mit Fokus auf den Männerbund als soziales Strukturprinzip Claudia Bruns, Skandale im Beraterkreis um Kaiser Wilhelm II. Die homoerotische ›Verbündelung‹ der Liebenberger Tafelrunde als Politikum, in: Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945, hrsg. v. Susanne zur Nieden (Geschichte und Geschlechter, 46), Frankfurt a. M. 2005, 52–80. 46 Zu diesem Aspekt die Beiträge in Stefan Dudink / Karen Hagemann / Josh Tosh (Hrsg.), Masculinities in Politics and War. Gendering Modern History, Manchester / New York 2004. 47 H. Friedländer, Kriminal-Prozesse (Anm. 12), 4158–4160, 4269–4273. Diese Charakterisierungen, von Bismarck anlässlich des Tausch-Skandals 1896/97 verwendet, wurden von Moritz Schweninger und Paul Liman als authentisch bestätigt und von der HardenPartei als Indizien dafür behandelt, dass Bismarck gegen Eulenburg in der krassesten Weise den Vorwurf der Homosexualität ausgesprochen hat. Ebd., 4007.
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xuelle Menschen hingesetzt«. Auf diese Weise habe er schließlich auch Raymond Lecomte in die Nähe Kaiser Wilhelms II. gebracht und in der Außenpolitik »ein nationales Unglück« und eine »Gefahr für das Vaterland« heraufbeschworen48. Die Vorstellung von einer homosexuellen Internationale, zu der auch viele Diplomaten gehörten, stieß in der Presse auf große Resonanz. Auch kritische Intellektuelle wie Friedrich Naumann sprachen jetzt von der »internationalen Ansteckung des Lasters«49. Eulenburg figurierte bald als »der große Kinäde«, Mittelpunkt eines homosexuellen Netzwerkes im wilhelminischen Arkanbereich, eines »schwülen Treibens«, in dem er »mit bewundernswerter Kunst seine Kreaturen, seine ›Lieblinge‹ überall hinzubringen« wusste50. Harden hatte keine Skrupel, Wilhelm II. gar als »Fetisch« der politischen Homosexuellen hinzustellen. Seit dem Sturz Bismarcks habe ihr »Kampf um die Person des Kaisers getobt«, erklärte er vor Gericht, um sich ostentativ zu korrigieren: »ich meine der Kampf, der Versuch, sich seine Gunst, den Einfluss auf ihn zu sichern«51. Transnationale Homosexualität konnte in diesem politischen Zusammenhang leicht an ältere Vorbehalte gegenüber Hof und Diplomatie angeschlossen werden; beide Institutionen galten im nationalen Sinne nie als verlässlich. Diplomaten hatten nach einem zeitgenössischen Bonmot nichts gelernt als »Französisch sprechen, nichts sprechen und die Unwahrheit sagen«52. Der Topos vom Hof als Tummelplatz effeminierter, national unzuverlässiger Charaktere besaß eine noch längere Tradition. Die sozialdemokratische Presse berief sich während des Skandals gar auf die Briefe Liselottes von der Pfalz, um Höfe als »Hauptbrutstätte der Päderastie« zu kennzeichnen. Der latente Landesverrat, der speziell am preußischen Hof waltete, wurde mit der Bezeichnung les Potsdamists zum Ausdruck gebracht, mit der bereits unter Friedrich dem Großen die homosexuellen Höflinge »überall in Europa« bezeichnet worden seien53. Besonders in der britischen Presse wurde 48 Ebd., 3962 f., 4024, 4060–4064, 4113, 4269 f. 49 Die Hilfe, Der Schmutzprozess, von Friedrich Naumann, 3. November 1907, BAL 7837. 50 Neue Freie Presse, 3. Januar 1908, PAAA. 51 Schlussrede Hardens im 2. Prozess, 32–45, BLHA 566. 52 E. Bischoff, Camarilla (Anm. 31), 6 f. 53 »Der alte Fritz selbst, der preußische Nationalheros, hatte aus jenem Sanssouci, zu dem heute noch jeder patriotische Preuße mit Gefühlen inbrünstiger Andacht wallfahrtet, ein Brutnest der Päderastie gemacht und im 18. Jahrhundert hießen die Leute von der Gilde, der Herr Harden jede staatsmännische Befähigung abspricht, überall in Europa les Potsdamists, die Potsdamisten.« Leipziger Volkszeitung, Faul bis ins Mark, 25. Oktober 1907, BAL 7836. Die Arbeiterzeitung warf zudem die ironische Frage auf, ob Mutter Natur wirklich alle Kinder, von denen sie ahnt, dass sie einmal Höflinge werden können, mit dieser unnatürlichen Anlage ausrüstet. Leipziger Volkszeitung, Einer dieser Ehrenmänner, 28. Oktober 1907, BAL 7836. Leider ohne Hinweise: Mary Lindemann, Liaisons dangereuses. Sex, Law and Diplomacy in the Age of Frederick the Great, Baltimore 2006.
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bei der Beschreibung der Eulenburg-Kamarilla noch vielfach die seit dem Mittelalter nachweisbare Bezeichnung mignon/minion für den homosexuellen Höfling gebraucht. Mit ihr konnte sowohl der transnationale Charakter der homosexuellen Bruderschaft – der Standard sprach von der disgraced fraternity of minions – als auch ihre landesverräterische Neigung – the intriguers of Berlin were working in cooperation with sympathetic malefactors in Paris – herausgestellt werden54.
V. Der schmale Grat zwischen Friedenspolitik und Landesverrat Solche Vorstellungen von der homosexuellen Internationale als einer großen, auch diplomatischen Verschwörung zu Lasten des Deutschen Reiches, wie sie um 1900 ebenfalls zum Repertoire des Redens über sozialistische, jüdische und ultramontane Internationale gehörten, spitzte insbesondere die Neue Gesellschaftliche Korrespondenz zu. Sie erkannte einen »über ganz Europa verbreiteten Geheimbund der geschlechtlich verderbten Männer«, der nach einem »kühlen, in vielen Stunden und Tagen ersonnenen Plane« einen »Ring« von Homosexuellen um Kaiser Wilhelm II. gelegt habe, um antinationale »sexuale Interessen« zu verfolgen. Standes- und Klassengrenzen glaubte man in der homosexuellen Internationale aufgehoben. Entsprechend wurde die Nachricht verbreitet, Eulenburg und andere aristokratische Homosexuelle hätten dem Kaiser »Freunde und Bekannte – alles Hunderfünfundsiebziger55 – aus Kreisen zugeführt, mit denen er sonst nie in Berührung gelangt wäre«56. Diese (politische) Gefahr sah auch Kriminalkommissar von Tresckow, obgleich er der Homosexuellenbewegung mit Sympathie gegenüberstand: »Da die Homosexuellen miteinander wie die Kletten zusammenhingen und keiner vor dem anderen ein Geheimnis hatte, so bildeten sie eine Mauer um den Kaiser«57. Auf diese Weise wurde die Idee einer homosexuellen staatsfeind54 The Standard, 30. Oktober 1907, PAAA. Zu mignons als hochverräterischen Charakteren: John H. Elliott / Laurence W. B. Brockliss (Hrsg.), The World of the Favourite, New Haven 1999. Zur nationalen Unzuverlässigkeit von Homosexuellen: I. Hull, Entourage (Anm. 4), 135; George L. Mosse, Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion moderner Männlichkeit, Frankfurt a. M. 1997, 91. 55 Siehe Anm. 43. 56 Neue Gesellschaftliche Korrespondenz, zit. in: Kölnische Volkszeitung, Die Pfütze, 30. Oktober 1907, BAL 7837. 57 Hans von Tresckow, Von Fürsten und anderen Sterblichen. Erinnerungen eines Kriminalkommissars, Berlin 1922, 134; Otto Wagener, Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten. 1929–1932, hrsg. v. Henry Ashby Turner, Frankfurt a. M. 1978, 200; Susanne zur Nieden, Der homosexuelle Staatsfeind. Zur Geschichte einer Idee, in: Ideen als gesellschaftliche Gestaltungskraft im Europa der Neuzeit. Beiträge für eine erneuerte Geistesgeschichte, hrsg. v. Lutz Raphael / Heinz-Elmar Tenorth, München 2006, 395–427, 395 f.
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lichen Verschwörung geprägt, wie sie später etwa von Hitler in der Röhm-Affäre aufgegriffen wurde. In der Presse wurde es für unbegreiflich gehalten, dass weder Monarch noch verantwortliche Minister das »pathologische Band« bemerkt haben wollten, das die Homosexuellen um Eulenburg zusammenhielt58. Doch auch dafür fand sich eine historisch tradierte Erklärung im Charakter des (homosexuellen) Höflings: Seit jeher sei er daran gewöhnt, seine wahren Ansichten hinter einer Rollenmaske zu verbergen. Maximilian Harden und mit ihm zahlreiche Journalisten übertrugen die »angeborene Falschheit« direkt auf den Habitus moderner Homosexueller, die »ihre wahre Veranlagung vor der Welt durch eine Maske zu verbergen« suchten. Dass diese Welt sie durch Intoleranz zur Verstellung nötigen mochte, wurde nicht erwogen. Gleichzeitig wurde damit ein bis heute gebrauchtes Argument für die Gefährlichkeit Homosexueller in Politik, Diplomatie und Militär geschaffen, demzufolge sie nicht nur viel stärker erpressbar waren als »Normalsexuelle«, sondern bereits durch ihre »innere Unwahrhaftigkeit« Schaden anrichten mussten59. Waren Homosexuelle hinter den Masken ihrer sozialen Rollen nur schwer erkennbar, wurde im Gegenzug angenommen, dass sie sich untereinander über alle nationalen, kulturellen und sozialen Grenzen hinweg verständigen, mithin allein am Blick erkennen konnten. Der »homosexuelle Blick« fand bereits bei Johann Ludwig Casper Erwähnung, dem Wegbereiter der Gerichtsmedizin. Ein Homosexueller hatte ihm zu diesem Phänomen mitgeteilt: »In Paris, Italien, Wien, überall […] wir finden uns gleich, es ist kaum ein Blick des Auges, wie ein elektrischer Schlag, und hat mich bei einiger Vorsicht noch nie getäuscht.« Dass dieses »Sichauf-den-ersten-Blick-Erkennen« unter Homosexuellen fast ein Dogma war, bestätigte Albert Moll, Sexualgutachter im Eulenburg-Skandal, bereits in einer Studie von 189160. Auch die Presse der Sozialdemokratie, selbst unter dem Dauerverdacht des Internationalen und Landesverräterischen stehend, verschmähte derartige Ideen von einer homosexuellen Internationale nicht. In den letzten Jahren seien erstaunlich viele Freunde Wilhelms II. aus dem In- und Ausland in den Verdacht der Homosexualität geraten, schrieb die Leipziger Volkszeitung leutselig, zuletzt Lord Tweedmouth, mit dem der Monarch »die intimsten Briefe« gewechselt habe61. 58 Deutsche Nachrichten, Fürst Eulenburg, 6. Mai 1908, GStAPK 49831. 59 H. Friedländer, Kriminal-Prozesse (Anm. 12), 4058. 60 Johann Ludwig Casper, Klinische Novellen zur Gerichtlichen Medicin, Berlin 1863, 38; Albert Moll, Die conträre Sexualempfindung. Mit Benutzung amtlichen Materials, Berlin 1891, 82. Vgl. Klaus Müller, Aber in meinem Herzen sprach eine Stimme so laut. Homosexuelle Autobiographien und medizinische Pathographien im neunzehnten Jahrhundert, Berlin 1991, 185, 316. 61 Leipziger Volkszeitung, Wieder einer, 5. Juni 1908, BAL 7838. Zur Affäre um den Privatbrief Wilhelms II. an Edward Tweedmouth, den Ersten Lord der Admiralität, ausgelöst durch einen Times-Artikel am 6. März 1908: Lothar Reinermann, Der Kaiser in
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Wie die diplomatische Tätigkeit war Homosexualität in der Vorstellungswelt der spätwilhelminischen Zeit auf gefährliche Weise transnational, vom allseits bedrohten Reichsterritorium entkoppelt. Geographisch wurde sie in einem imaginären »Süden« lokalisiert, wo sie kulturgeschichtlich aus griechisch-antiker, römisch-katholischer oder orthodox-osmanischer Sittenlosigkeit hergeleitet werden konnte. Dass homosexueller Geschlechtsverkehr in den meisten südeuropäischen Ländern, für viele wilhelminische Zeitgenossen beginnend mit einigen Kantonen der Schweiz, keinen Straftatbestand darstellte, wurde als rechtsgeschichtlicher Beweis dieses sexuellen Nord-Süd-Gefälles angesehen62. Als »Dorado der normwidrig empfindenden Männer aller Staaten« firmierte dabei Italien. In Florenz, klärten die Dresdener Nachrichten ihre Leser auf, »besteht eine richtige internationale Kolonie derartiger Männer der höheren und höchsten Stände«63. Der EulenburgSkandal bewirkte denn auch, dass sich in Italien heftiger Widerstand gegen ausländische Homosexuelle regte. »Vorgearbeitet haben in dieser Beziehung die vielen Filialen, welche die deutsche Bruderschaft in Florenz, Capri, Taormina und in Rom selbst eingerichtet hat«, berichtete der deutsche Botschafter in Rom, Anton Graf Monts, an Reichskanzler Bülow. Frappierend ist, wie stark die Vorstellung von einer homosexuellen Internationale bis in die Wortwahl Eingang in die selbst hochgradig internationalisierte Spitzendiplomatie jener Jahre fand. Werde jetzt irgendwo in Italien »ein Nest von Homosexuellen« ausgehoben, klagte der aus französischem Uradel stammende Monts nach Berlin, nannten es die Zeitungen unter Verweis auf die Eulenburg-Kamarilla »tavola rotonda«. »Auch wird das Laster selbst, wie einst im Altertum das griechische, so jetzt in Italien das deutsche genannt«. König Viktor Emanuel persönlich habe sich bei ihm beschwert, beklagte Monts, dass die deutsche Regierung es angesichts der seit Jahren bekannten Schwierigkeiten mit deutschen Homosexuellen in Italien zum Skandal habe kommen lassen. Ihm sei klar, habe der König zugegeben, dass »es Laster und Abweichungen von der Norm zu allen Zeiten und in allen Ländern gegeben« habe. Nun sei das Problem der Homosexualität jedoch in der hohen Politik angekommen, und dort schlügen die italienischen Gegner des Dreibundes »viel politisches Kapital« aus dem Eulenburg-Skandal. Mit Belegen aus der Presse bestätigte Monts, dass dieser tatsächlich von allen »Feinden des Reiches« in Italien als »ein Zeichen für die beginnende Dekadenz Deutschlands« ausgeschlachtet werde64. England. Wilhelm II. und sein Bild in der britischen Öffentlichkeit, Paderborn 2001, 325–332; Anthony Morris, The Scaremongers. The Advocacy of War and Rearmement 1896–1914, London 1984, 135–143. 62 Vgl. Florence Tamagne, Das homosexuelle Zeitalter. 1870–1940, in: Gleich und anders. Eine globale Geschichte der Homosexualität, hrsg. v. Robert Aldrich, Hamburg 2007, 167–196. 63 Dresdener Nachrichten, 21. Juni 1908, BAL 6961. 64 Monts an Bülow, 31. Oktober 1907 und 23. Juli 1908, PAAA.
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VI. Der Krieg als »reinigendes Gewitter« Nicht zuletzt wegen solch diplomatischer Verwicklungen und nationalistischer Anwürfe aus dem Ausland geriet Homosexualität in der deutschen Öffentlichkeit in den Ruch des Landesverrates65. Für französische Blätter wie Le Temps hingegen war der eigentliche Grund klar, weshalb Eulenburg und seine Freunde als homosexuelle Landesverräter behandelt wurden: »Weil sie einen Krieg mit Frankreich verhindert haben!«66 Was für den einen ein landesverräterisches Komplott war, räsonierte Gaston Calmette im Figaro, sei für den anderen ein Dienst am europäischen Frieden: En attaquant le prince d’Eulenbourg dans son honneur, on l’a ruiné dans l’amitié que lui portait le souverain et on a détruit sa politique de conciliation envers la France. Le but est atteint67. Als Hauptverantwortlicher galt in Frankreich der Herausgeber der Zukunft. Es ist jedoch überzogen, Maximilian Harden als Individuum – ohne Beachtung des sozialen Kontextes und der historischen Traditionslinien – dafür verantwortlich zu machen, die Figur des »homosexuellen Staatsfeindes« aus der Taufe gehoben zu haben68. Vielmehr wurde durch den Eulenburg-Skandal in einer interaktiven transnationalen Presseöffentlichkeit, mit historischen Rekursen ebenso wie mit Verweisen auf den letzten Stand von Sexualwissenschaft und Kriminalanthropologie, ein Zusammenhang zwischen dem traditionellen Delikt des Landesverrats und einer spezifisch modernen homosexuellen Internationale hergestellt. Auf diese Weise wurde im deutschsprachigen Raum die Figur des homosexuellen Landesverräters etabliert, deren Wirkung vom Eulenburg-Skandal über die Traditionslinie Redl-Röhm-Kießling bis in die Gegenwart reicht69. Langzeitwirkung, und das ist entscheidend, entfaltete der Kurzschluss von Außenpolitik und Homosexualität aber auch in anderen Ländern. So wurde in Großbritannien im letzten Jahr des Ersten Weltkrieges ein sensationeller Verleumdungsprozess um die Behauptung geführt, die homosexuelle Kamarilla, von der das Deutsche Reich laut englischer Kriegspropaganda nach wie vor beherrscht wurde, habe auf den britischen Inseln Tausende Männer und Frauen durch Geheimagenten zur Ho65 James D. Steakley, Die Freunde des Kaisers. Die Eulenburg-Affäre im Spiegel zeitgenössischer Karikaturen, Hamburg 2004, 158. 66 Le Temps zit. in: Vorwärts, Hardens Rückzug, 18. Juni 1907, BAL 7836. 67 Le Figaro, Le vrai but, von Gaston Calmette, 18. Juli 1908, PAAA. 68 Vgl. S. zur Nieden, Der homosexuelle Staatsfeind (Anm. 57), 394–427; dies., Homophobie und Staatsräson, in: Homosexualität und Staatsräson. Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945, hrsg. v. Susanne zur Nieden (Geschichte und Geschlechter, 46), Frankfurt a. M. 2005, 17–51. 69 Zu der beginnenden Entwicklungslinie politischer Homophobie siehe die zeitgenössische Hetzschrift von Eugen Fried, Das männliche Urningtum in seiner sozialen Bedeutung, Wien 1919. Den Fall Redl deutet schon zeitgenössisch als internationale homosexuell-jüdische Verschwörung E. Witte, Juden- und Kynädenregiment (Anm. 44), 14.
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mosexualität verführen lassen, um sie anschließend mittels Erpressung zu zwingen, konspirativen Anweisungen aus Berlin Folge zu leisten70. Für die USA hat Robert Dean in seiner Studie Imperial Brotherhood die Verbindungslinie von kommunistischer und homosexueller Bedrohung in der McCarthy-Ära – Red Scare und Lavender Scare – aufgezeigt71. Angesichts der Sprengkraft der Homophobie in der klassischen Moderne erstaunt es, dass in der Dreyfus-Affäre, die in der jüngeren Forschung auch als Krise französischer Männlichkeit gedeutet wurde, derartige Vorwürfe fehlen. Tatsächlich unterhielten zu jener Zeit der Militärattaché Deutschlands und sein italienischer Kollege ein homosexuelles Verhältnis, das jedoch nicht bekannt wurde72. Mit der Sexualpolitik der Wilhelminer ist zugleich sichtbar geworden, was bisher weder von außen- noch militärpolitischer Geschichtsschreibung identifiziert worden war: die Friedenspartei innerhalb des Berliner Machtzentrums. Für die Allgemeinheit war sie indes nur kurze Zeit sichtbar, denn die Definition der Eulenburg-Kamarilla in der Presseöffentlichkeit als frankophile Friedenspartei und Teil einer homosexuellen Internationale war zugleich der Moment der politischen Vernichtung dieses im Vergleich zur »Generalskamarilla« immer nur sehr losen und sporadisch intervenierenden Freundschaftsbundes im Umfeld Wilhelms II. Durch diesen Befreiungsschlag der Imperialisten bei Hof und in der Regierung, hoffte 1908 die New Yorker Staatszeitung, werde in der Außenpolitik des Deutschen Reiches endlich wieder »die Fanfare des Kürassierstiefels« erschallen. Rundheraus empfahl dieses wichtige Organ der Auslandsdeutschen in den USA einen »frischen, fröhlichen Krieg« als bestes Mittel, die Homosexualität abzuwerfen, durch die nicht nur Deutschlands Außenpolitik und Diplomatie, sondern auch sein Militär kompromittiert war73. Im Hinblick auf die zunehmend aggressive und unberechenbare Außenpolitik des wilhelminischen Deutschland nach 1908/09 kann festgehalten werden, dass der Eulenburg-Skandal als international beachtete Staatsaffäre dazu beitrug, den gesellschaftlichen Wertekodex mit Hilfe allzu rasch popularisierter und für den politischen Gebrauch nicht selten bewusst entstellter Geschlechterkonstruktionen der noch jungen Sexualwissenschaft zu verschieben. In erster Linie bedeutete dies, dass Homosexualität als Erklärungsmuster und Deutungskategorie für 70 J. Steakley, Die Freunde des Kaisers (Anm. 65), 114 f. 71 Robert Dean, Imperial Brotherhood. Gender and the Making of Cold War Foreign Policy, Amherst 2001, 72, 113, 131, 152. 72 Pierre Gervais / Romain Huret / Pauline Peretz, Les plis de l’Affaire. Une relecture du dossier secret. Homosexualité et antisémitisme dans l’Affaire Dreyfus, in: Revue d’Histoire Moderne et Contemporaine 55 (2008), 125–147; Christopher Forth, The Dreyfus Affair and the Crisis of French Manhood, Baltimore 2004. 73 New Yorker Staatszeitung, zit. in: Kölnische Volkszeitung, Eulenburgs politische Geständnisse, 28. Juli 1908, BAL 7839. Zur Kompromittierung des Militärs N. Domeier, Eulenburg-Skandal (Anm. 3), 327–345.
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Nachgiebigkeit, Kooperationsbereitschaft und Friedensliebe in der allgemeinen, durch die moderne Massenpresse konstituierten Öffentlichkeit nutzbar gemacht wurde; alte, nicht zuletzt diplomatische Tugenden, die nun durch die begriffliche Gleichsetzung mit Effeminität gezielt delegitimiert werden konnten. Ohne einen Determinismus auf »1914« hin zu behaupten, stärkte der Eulenburg-Skandal durch seine sexuell konnotierte Kompromittierung prestigeträchtiger Symbole des Kaiserreiches, insbesondere der Trias Außenpolitik-Diplomatie-Militär, ein Weltbild, in dem ein großer Krieg als »reinigendes Gewitter«74 sowohl für die infrage gestellte Legitimität der traditionellen aristokratischen Herrschaftselite als auch für die ganze Nation herbeigesehnt wurde.
74 Die Neue Zeit, Das große Reinemachen, 9. November 1907, BLHA 553.
Der Aufstieg der Subalternen: Diplomatie und genderbezogene Professionalisierung, 1919–1945
Von Madeleine Herren Im September 1923 publizierte die Washington Post einen Artikel, der die Beschäftigung junger und schöner Frauen im neu eröffneten Sekretariat des Völkerbundes hervorhob1. Der Artikel gehört zu einer ganzen Reihe von Berichten, die amerikanische und asiatische Zeitungen in den 1920er- und 1930er-Jahren über die Neukalibrierung der internationalen Politik veröffentlichten. Der neu gegründete Völkerbund spielte dabei als modernes Gegenbild zur versunkenen Welt des Wiener Kongresses eine zentrale Rolle und diente als Projektionsfläche einer neuen Form internationaler Beziehungen, die erst viel später als Global Governance beschrieben werden sollte. Zu den Vorstellungen des internationalen Paradigmenwechsels gehörte die Forderung nach öffentlichen Diskussionen zur internationalen Politik als Gegenbild zur Geheimdiplomatie. Multilateralität und technische Kooperationen sollten bilaterale Geheimverträge ablösen, die, auf den exklusiven Klub der Großmächte begrenzt, den Kriegsfall immer schon vorweggenommen hatten. Im neuen System des Völkerbundes sollten möglichst alle souveränen Staaten vertreten sein, auch jene, die bislang für den Westen eher Objekte geopolitischer Herrschaftsstrategien und gewiss nicht Partner im internationalen System gewesen waren. In dieses, in den 1920er-Jahren auf allen Kontinenten in der jeweils verfügbaren öffentlichen Debatte nachweisbare Argumentarium gehörte auch die Vorstellung, dass das bisherige diplomatische Corps mit seiner adligen sozialen Herkunft ausgedient habe. Als Alternative bot sich jenes internationale Beamtentum an, das sich im Völkerbundssekretariat und dem Office der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) auszubilden begann und von dem die bislang als Diplomatinnen nicht vorgesehenen Frauen zumindest nicht mehr ausgeschlossen werden sollten. Diese zeittypischen Elemente der Neuorientierung, zu denen auch die Konfrontation zwischen alten Diplomatenakademien und neu errichten Lehrstühlen für Internationale Beziehungen anzufügen wären, sind als gesamtes Tableau für die hier vorgestellte Diskussion von Bedeutung. Es geht also weder darum, an einzelnen Biographien2 aufzuzeigen, dass Frauen nun den Diplomatenstatus erreichen konnten, noch soll am Beispiel der Diplomatinnen nachgewiesen werden, dass die 1 Constance Drexel, Young Women Combining Beauty and Brains Serve in League Headquarters, in: The Washington Post, 9.9.1923, 29. 2 Biographien dieser informell bedeutenden, dennoch eher am Rande berücksichtigten Frauen sind allerdings immer noch selten. Als Beispiel siehe Mary Kinnear, Woman of the World. Mary McGeachy and International Cooperation, Toronto 2004.
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internationale Politik von einem Modernisierungsprozess erfasst wurde, der mit einer Erweiterung des diplomatischen Personals verbunden war3. Im Zuge der Entangled History werden grenzübergreifende Verflechtungen zwischen institutionellen Funktionen in der heutigen Forschungsdebatte zusehends als politische Strategie und weniger als ein systemisch nicht vorgesehener Grenzfall diskutiert4. Im Folgenden steht denn auch das paradigmatische Potenzial einer genderbezogenen Analyse internationaler Beziehungen zur Debatte. Dabei zeigt die neueste Entwicklung innerhalb der Geschichtswissenschaft ein wachsendes Interesse an diesem Forschungsfeld, und zwar sowohl aus einer theoretischen wie auch aus einer methodischen Perspektive diesseits und jenseits der Diplomatie- und Geschlechtergeschichte5. Der hier diskutierte Ansatz geht davon aus, dass die Frage nach der Beteiligung von Frauen am diplomatischen Dienst neben Aussagen zur Geschlechtergeschichte mindestens ebenso sehr zur Spezifizierung von Veränderungen im Rahmen der Global Governance dienen kann. Um diesen Punkt noch deutlicher zu machen, sei auf eine definitorische Problematik hingewiesen. Mit der Vervielfältigung der Ebenen, Formen und Bereiche internationaler Kooperation wurden der Begriff und die Funktion des Diplomaten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert immer weiter gefasst und reichten auch über die Funktionsbeschreibung von Diplomaten als Staatsbeamte und Angehörige des diplomatischen Dienstes hinaus. In dem hier vorgestellten Kontext geht es aber weniger darum, den zwar weiblichen, aber formell »echten Diplomaten« zu spezifizieren. Hier sind vielmehr die spannungsreiche Beanspruchung des Begriffes und die zunehmende Unsicherheit über dessen Bedeutung analytisch bemerkenswert. Im Folgenden wird die These zur Diskussion gestellt, dass Verweise auf Diplomatinnen vornehmlich im öffentlichen Diskurs dazu dienten, Partizipation in der Gestaltung internationaler Beziehungen für jene einzufordern, die bislang nicht berücksichtigt wurden. Die Frage der weiblichen Beteiligung verschränkte sich also mit der Repräsentation jener Staaten, die nicht zum kleinen Kreis (westlicher) Großmächte gehörten. Der Typus der modernen Diplomatin wurde deshalb auch nicht in London, Paris und Berlin entwickelt, sondern in den Vereinigten 3 Als Übersicht über die Diplomatinnen der Zwischenkriegszeit vgl. Madeleine Herren, Die Liaison. Gender und Globalisierung in der internationalen Politik, in: Politische Netzwerkerinnen. Internationale Zusammenarbeit von Frauen 1830–1960, hrsg. v. Eva Schöck-Quinteros / Anja Schüler / Annika Wilmers, Berlin 2007, 183–204. 4 Vgl. Shalini Randeria, The State of Globalization. Legal Plurality, Overlapping Sovereignties and Ambiguous Alliances between Civil Society and the Cunning State in India, in: Theory, Culture, Society 24/1 (2007), 1–33. 5 Vgl. Robert Dean, The Personal and the Political. Gender and Sexuality in Diplomatic History, in: Diplomatic History 36/4 (2012), 763–767; Laura McEnay, Personal, Political, and International. A Reflection on Diplomacy and Methodology, in: Diplomatic History 36/4 (2012), 769–772. Die gleiche Zeitschrift eröffnete ein »Special Forum: Gender and Sexuality in American Foreign Relations«.
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Staaten, den Staaten Skandinaviens, der Sowjetunion, in Lateinamerika und in den 1919 neu gegründeten Staaten. Neben der strukturellen Neugestaltung der internationalen Beziehungen gibt es allerdings noch weitere Gründe, weshalb das vergleichsweise schmale Zeitfenster der 1920er- und 1930er-Jahre für diese Fragestellung besonders geeignet ist: Auch etablierte diplomatische Dienste wurden Teil der in dieser Zeit zunehmend eingeforderten Professionalisierung der staatlichen Verwaltung. Die Diplomatenprüfungen, die nach dem Ersten Weltkrieg in fast allen Staaten eingeführt oder substanziell verändert wurden, verweisen einerseits auf die Dynamik dieses Wandlungsprozesses, der einen Abschluss in Latein an einer renommierten Institution als Vorbildung für eine Diplomatenkarriere selbst in England legitimationsbedürftig machte. Die Einführung neuer Kommunikationstechnologien und Medien, von Schreibmaschinen, Telefon, Radio, neuen Managementstrukturen beeinflusste andererseits die Genderbalance und veränderte auch aus dieser, eher technischen, Perspektive die diplomatischen Dienste. Die Verschiebung der Diplomatie von einer exklusiven staatlichen Vertretung zu einem Teilbereich einer ihrerseits transnational aktiven staatlichen Verwaltung hatte wesentliche Auswirkungen auf Entscheidungsprozesse in der internationalen Politik. Die Komplexität des Wandels blieb der zeitgenössischen Analyse keineswegs verborgen. Die Literatur zum Strukturwandel in der staatlichen Administration war zwischen 1920 und 1945 umfangreich und nicht auf den jeweiligen nationalen Kontext begrenzt. Als Beispiel sei der amerikanische Historiker Walter Rice Sharp erwähnt, der 1939 ein Fellowship der John Simon Guggenheim Memorial Foundation erhielt, um internationale Verwaltungsprozesse zu studieren. Er hatte bereits 1931 die französische Verwaltung untersucht und festgestellt, dass der Staat als Arbeitgeber Frauen nicht eben förderte, dass diese vornehmlich Sekretariatsarbeiten erledigten und wenig Aufstiegschancen besaßen. Diplomatinnen sah dieses System nicht vor. Aber wie in den meisten anderen Staaten auch gab es gemäß Sharp Anzeichen einer Öffnung, indem Frauen zumindest für intermediäre und untergeordnete Positionen zugelassen wurden6. Solche Veränderungen wurden – je nach politischer Position – im nationalen Kontext als Lichtblick begrüßt oder als Zeichen des Niedergangs beklagt. Neu war allerdings, dass mit Völkerbund und ILO eine internationale Verwaltung auf gouvernementaler Ebene entstanden war, die einen zumindest zitierbaren Anspruch auf Partizipation im Feld der internationalen Politik anbot – auch wenn wiederum die Völkerbundsbeamten selbst auf die Grenzen weiblicher Aufstiegsmöglichkeiten verwiesen7. Und schließlich sorg6 Walter Rice Sharp, The French Civil Service: Bureaucracy in Transition, New York 1931, 95. 7 Egon Ranshofen-Wertheimer betonte in seiner Verwaltungsgeschichte des Völkerbundes, dass der Völkerbund den Frauen wohl weit weniger Hindernisse in den Weg legte als die nationalen staatlichen Verwaltungen, dass aber letztlich nur eine einzige Frau, näm-
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ten die vielen zivilgesellschaftlichen Organisationen mit selbstdefinierter Zugehörigkeit zum Völkerbund dafür, dass die dichte Textur informeller Beziehungen in der öffentlichen Debatte sichtbar war. Viele der pazifistisch orientierten, mit der Internationalisierung von Bildung und Erziehung befassten Organisationen erhoben Anspruch auf die Beeinflussung der zwischenstaatlichen Beziehungen8. In diesem Bereich war nicht nur der Anteil aktiver Frauen deutlich höher als in den Rängen der Botschafter, hier hatten internationale Frauenorganisationen auch offensichtliche Erfolge vorzuweisen9. Die aufgeführten Strukturveränderungen lassen sich allerdings nicht als Kontinuum, als unwiderruflich angestoßener, wenn auch langsamer Modernisierungs- und Entwicklungsprozess analysieren. Von Diplomatinnen ist vielmehr an charakteristisch unterschiedlichen Orten die Rede. Im Folgenden sollen jeweils drei Bereiche miteinander verschränkt werden: Die Präsenz von Frauen als Akteurinnen der internationalen Politik in der zeitgenössischen Presse, die Bedeutung der internationalen Völkerbundsverwaltung und die Zurückhaltung nationaler staatlicher Verwaltungen gegenüber international tätigen Frauen am Beispiel des britischen Foreign Office. Bevor allerdings Narrative über Diplomatinnen untersucht werden, seien jene Bereiche zumindest skizziert, in denen wider alle Erwartungen kaum Diskussionen stattfanden. Die Zulassung von Frauen zum diplomatischen Dienst war in der neu entwickelten Disziplin der International Relations offenbar kein Thema. Soweit dies eine erste Übersicht zeigen kann, versuchten vornehmlich die Frauen selbst auf die Problematik aufmerksam zu machen. Doch sogar im vergleichsweise offenen Feld der amerikanischen Scientific Community blieben diese Versuche vereinzelte Vorstöße, die als wissenschaftliche Beiträge kaum wahrgenommen wurden. Dies gilt beispielsweise für Ki-Tchengs in Paris verteidigte und auch publizierte Dissertation über die im Völkerbund tätigen Frauen. Dorothea Mary Northcroft, die eine Brolich Dame Rachel Crowdy, den Rang eines Sektionschefs einnahm. Egon RanshofenWertheimer, The International Secretariat. A Great Experiment in International Administration, Washington 1945, 365–369. 8 Der Kreis dieser dem Völkerbund zugewandten NGO wird in der Datenbank LONSEA greifbar (www.lonsea.de). Als Beispiel für die zeitgenössische Verschränkung von staatlicher Politik und internationaler Zivilgesellschaft sei das 1928 erschienene Handbuch der Friedensarbeiter zitiert. Dessen Autorin, Florence Brewer Boeckel, Feministin und Völkerbundsabgeordnete, bietet auf über 600 Seiten eine schwindelerregende Einsicht in grenzübergreifende Aktionen, in die Rolle internationaler Clubs, Organisationen zum Studentenaustausch usw. Florence Brewer Boeckel, Between War and Peace. A Handbook for Peace Workers, New York 1928. 9 Für die Rolle der internationalen Frauenorganisationen bei der nationalen Durchsetzung staatsbürgerlicher Rechte siehe Leila Rupp, Worlds of Women. The Making of an International Women’s Movement, Princeton 1997. Für die Rolle des Völkerbundes und die Verschränkung der Gender History mit politischer Geschichte siehe Karen Offen, European Feminism, 1700–1950. A Political History, Stanford 2000.
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schüre zu »Women at Work in the League of Nations« herausgab, wurde ihrerseits selten und von einer anderen Frau, Florence Brewer Boeckel, zitiert10. Brewer Boeckel brachte immerhin einen umfangreichen Artikel zu »Women in International Affairs« in den Annals of the American Academy of Political and Social Science unter11 – allerdings handelt es sich um eine Sondernummer, die der Darstellung der »neuen Frau« gewidmet war. Dass die Verbindung von Gender und internationalen Beziehungen wie auch deren Autorinnen zwischen die Maschen der Zitationsnetzwerke fielen, sollte erst im ausgehenden 20. Jahrhundert Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzung werden12. Als Folge blieben selbst die publizierenden Frauen im Bereich der internationalen Beziehungen und der Diplomatie vereinzelte Erscheinungen, über viele ist nach wie vor nur wenig bekannt – selbst bei Dame Rachel Crowdy ist eine bemerkenswerte Distanz zwischen der ihr unterdessen zugestandenen Bedeutung als mächtigste Frau im Völkerbund und der Einschätzung ihrer Arbeit und ihres Gewichts in der internationalen Politik festzustellen13.
I. Das Interesse der Presse: Constance Drexel und die Ästhetik des Internationalen Mit der Hervorhebung der jungen, dynamischen Völkerbundsbeamtinnen stellt der eingangs erwähnte Zeitungsartikel den Völkerbund als Ausdruck einer neuen Ära der Diplomatie vor, in der auch Frauen ihren Platz hatten. Die Autorin dieses Artikels, Constance Drexel, erwähnt denn auch zeittypisch Artikel VII, 3 der Völkerbundssatzung. Dieser versprach, dass alle Stellen beim Völkerbund Männern wie Frauen offen standen14. Trotz der amerikanischen Nichtpartizipation am Völkerbund verfolgte gerade die amerikanische Presse sehr genau die Genfer Karrieremöglichkeiten auf allen Stufen und berichtete gerne auch über die jeweiligen »ersten weiblichen Diplomaten«15. Ebenso fand die amerikanische Leiterin der Völkerbundsbibliothek, Florence Wilson, in der amerikanischen Öffentlichkeit große Beachtung. Als ihr Vertrag 1927 nicht mehr verlängert wurde, protestierten 10 Dorothea Mary Northcroft, Women at Work in the League of Nations, London 1923. 11 Florence Brewer Boeckel, Women in International Affairs, in: Annals of the American Academy of Political and Social Science 143 (1929), 230–248. 12 Gillian Youngs, Feminist International Relations. A Contradiction in Terms?, in: International Affairs 80/1 (2004), 75–87. 13 Für deren Einschätzung vgl. u. a. Margaret E. Galey, Forerunners in Women’s Quest for Partnership, in: Women, Politics, and the United Nations, hrsg. v. Anne Winslow, Westport 1995, 1–10, 5. 14 C. Drexel, Young Women (Anm. 1), 29. 15 Als ein Beispiel siehe First Women Diplomat Departs for Switzerland, in: The Atlanta Constitution 16.4.1925, 5. Der Bericht stellt Lucille Atcherson vor, die 1925 in der amerikanischen Gesandtschaft in Bern als third secretary arbeitete.
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internationale Frauenorganisationen mit einem gemeinsamen, an den Generalsekretär des Völkerbundes gerichteten und der amerikanischen Presse zugespielten Brief. Dem Verweis auf die Gleichberechtigungsklausel der Völkerbundssatzung folgte der Hinweis auf eine gleichzeitig ergangene Vertragsverlängerung für einen amerikanischen Mann, Arthur Sweetser, zu diesem Zeitpunkt bereits Assistant Director der Information Section16. In Artikeln, wie sie Constance Drexel und andere schrieben, hatten internationale Akteure ein neues Profil gefunden, das mit traditionellen Vorstellungen von Diplomatie nicht mehr viel gemein hatte. Internationale Akteure waren eben nicht mehr alt, männlich und meist adlig. Sie wurden als jung, schön, klug, als gut ausgebildet statt von Familie, sportlich, dynamisch und eben gelegentlich auch weiblich imaginiert. Solche Artikel bedienten Vorstellungen vom »Neuen Menschen« dessen grenzübergreifende Tätigkeiten die Diplomatie vom geschlossenen Arkanbereich in eine internationale Öffentlichkeit zu verschieben begannen. Derartige Schilderungen in der Presse waren dann auch von ästhetischen Vorstellungen geprägt; Drexel betonte bezeichnenderweise den Verzicht des Völkerbundssekretariats, die Angestellten in eine dunkle Uniform zu stecken. Drexels Schilderung weist demnach typische Elemente auf, mit denen insbesondere in den 1920er-Jahren Frauen mit zugewiesener oder tatsächlicher diplomatischer Funktion beschrieben wurden. Typisch ist allerdings nicht minder die Autorin des Artikels. Constance Drexel (1894–1956) weist – zumindest in den 20er-Jahren – selbst auch die Merkmale der Zugehörigkeit zu jener neuen Akteursgruppe auf, die nach dem Ersten Weltkrieg die internationalen Beziehungen zu prägen begann. Sie war eine reiche Tochter aus gutem Frankfurter Hause mit kosmopolitischer Ausbildung in Schweizer Internaten und Studium an der Sorbonne. Sie hatte einen US-amerikanischen Pass und neben der Verwandtschaft in Deutschland familiäre Beziehungen zur Genfer Uhrmacherfamilie Audemars, der Familie ihrer Mutter. Sie arbeitete während des Ersten Weltkriegs für das Amerikanische Rote Kreuz in Frankreich, nahm 1915 an der berühmten internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag teil und erweiterte ihr Profil als vielsprachige Feministin, indem sie ins zukunftsträchtige Mediengeschäft einstieg. In der Folge profilierte sie sich als Journalistin und Radiokorrespondentin. Sie erreichte Anerkennung als politische Korrespondentin US-amerikanischer Zeitungen durch ihre Berichte über die Pariser Friedenskonferenz und wies damit ein weiteres zeittypisches Karrieremerkmal auf. Viele derartige Karrieren begannen in 16 Call League Unfair to American Women. Bodies Opposing removal of Miss Wilson Base their Protest on ›Discrimination‹ Only, in: The New York Times, 24.1.1927, 19. Wilson blieb dem internationalen Geschäft treu und trat als Organisatorin der Cercles des relations internationales in Europa und im Nahen Osten in Erscheinung. John Eugene Harley, International Understanding. Agencies Educating for a New World, Stanford 1931, 379.
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der Tat auf der Pariser Friedenskonferenz. Die immens große und durch Bittsteller und Besucher nochmals erweiterte Pariser Friedenskonferenz bündelte alte Netzwerke und legitimierte grenzübergreifend neue Expertennetzwerke17. In Paris entstand bereits jenes kontroverse Muster, das grenzübergreifende Netzwerke in der Folge prägen sollte: Die entmachteten Vertreter des Ancien Régime waren ebenso anzutreffen wie die Frauen, die im Dienste des Roten Kreuzes erst die Verwundeten auf den Schlachtfeldern und dann die an der Spanischen Grippe Erkrankten pflegten. Derartige Muster internationaler Erfahrungen verbanden transnational aktive Frauen, die an sich über Herkunft und Ausbildung nur geringe Gemeinsamkeiten aufwiesen. Adlige wie Gabrielle Radziwill, verwandt mit dem deutschen, russischen, polnischen und englischen Hochadel, übersetzten buchstäblich Standesmerkmale in globale Expertise und boten nach dem Krieg ihre Dienste als Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen dem Völkerbund an. Drexel gehört zu jenen Frauen, die von der gendertypischen Krankenversorgung über die Pariser Friedenskonferenz zu einer Tätigkeit von zentraler politischer Relevanz aufstieg, nämlich dem Handel mit Informationen. Sie spezialisierte sich auf Fragen der Abrüstung und dokumentierte die Genfer Abrüstungskonferenz von 1932 – fand aber in den Vereinigten Staaten weniger Aufmerksamkeit als im nationalsozialistischen Deutschland. Während des Krieges moderierte sie von Wien aus Radiosendungen18. Diese Arbeit für den deutschen Rundfunk führte 1945 dazu, dass Drexel von der amerikanischen Armee verhaftet und interniert, 1948 aber freigesprochen wurde. In Drexels Prozessen spielte dabei die Frage eine zentrale Rolle, ob ihre Radiosendungen als politisches Statement zu gelten hatten – was zu ihrer Verurteilung geführt hätte – oder ob es sich bloß um kulturelle Beiträge handelte, wie sie jeweils hervorhob und wie es die amerikanischen Gerichte schließlich auch feststellten19. Zumindest für die Presse lässt sich demnach feststellen, dass die enge Verbindung zwischen der Entwicklung neuer Formen internationaler Vertretungen und der Partizipation von Frauen wahrgenommen, kommentiert und gelegentlich beschworen wurde. Aus einer systemischen Perspektive gelesen, spiegelt die Presse in den 1920er-Jahren die Verwischung von Grenzen, die Gleichzeitigkeit von Nationalismus und globaler Weitläufigkeit, von lokalen Prägungen und grenzübergreifenden Biographien, die Aihwa Ong im 21. Jahrhundert als flexible citizenship beschreibt. Die Multiplizierung der internationalen Akteure und die Erweiterung der Diplomatie als zivilgesellschaftlich diskutiertes Anliegen wird derzeit als Pub-
17 Madeleine Herren / Christiane Sibille / Martin Rüesch, Transcultural History, Berlin 2012. 18 John Carver Edwards, Berlin Calling: American Broadcasters in Service to the Third Reich, New York 1991, 19–21; Shaaron Cosner / Victoria Cosner, Women under the Third Reich. A Biographical Dictionary, Westport 1998, 38 f. 19 Vgl. Constance Drexel, Freed of Charges, in: New York Times, 14.8.1948.
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lic Diplomacy diskutiert, lässt sich aber auch in den Debatten der Zwischenkriegszeit nachweisen20. Die hier allerdings viel bescheidener gestellte Frage lautet, ob denn, wenn Gender und Öffentlichkeit die Gruppe der außenpolitischen Akteure neu bestimmten, Verbindungen zwischen unterschiedlichen Subalternen auszumachen sind. Können wir uns vorstellen, dass die nach dem Ersten Weltkrieg in die außenpolitischen Ämter drängenden Frauen mit denen sprechen wollten, die als koloniale Untertanen ihrerseits keine außenpolitischen Äußerungsmöglichkeiten besaßen?
II. Frauen als internationale Akteure Die relationale Datenbank LONSEA21 macht die Verbindung zwischen drei üblicherweise getrennten Bereichen, nämlich Personen, internationalen Organisationen und den jeweiligen Orten ihrer Niederlassung sichtbar. Die Personendatei, welche derzeit über 6400 Personen erfasst, lässt auf Aktivitäten in internationalen Organisationen schließen, erfasst aber auch alle Personen, welche jemals – und sei es nur für ein Praktikum – vom Völkerbund bezahlt wurden. Die Datenbank erlaubt eine erste Übersicht über eine vorerst noch unspezifische Gruppe von Frauen, die international aktiv wurden in einem Bereich, der zwar außerhalb der klassischen Diplomatie liegt, aber dennoch auf diese bezogen bleibt. Die hier erfassten internationalen Organisationen erschienen in dem vom Völkerbund publizierten Handbook of International Organizations, einer Publikation, die für den Völkerbund wie für die internationalen Organisationen einem Statement von Zugehörigkeit entspricht. Die Datenbank weist derzeit bei über 6400 erfassten Personen ungefähr 15 Prozent Frauen aus. Bei den thematischen Feldern ist eine Orientierung auf pazifistische, sozialpolitische und bildungspolitische Fragestellungen auszumachen. Die nationale Zugehörigkeit zeigt, dass die in internationalen Netzwerken aufscheinenden Frauen aus 40 unterschiedlichen Nationen stammen und ihre Herkunft die zu erwartende Orientierung auf den Westen präsentiert: Besonders viele dieser Frauen stammten aus England und den USA. Aus England kam denn auch die Frau mit dem höchsten Rang im Völkerbundssekretariat, Dame Rachel Crowdy. Crowdy besaß als Sektionschefin im Völkerbundssekretariat einen Diplomatenpass und verfügte über weitreichende, keineswegs auf Europa beschränkte Netz-
20 Aihwa Ong, Flexible Citizenship, London 1999; Eytan Gilboa, Searching for a Theory of Public Diplomacy, in: The Annals of the American Academy of Political and Social Science 616 (2008), 55–77. 21 http://www.lonsea.de. LONSEA ist das Resultat eines Forschungsprojektes, das in den nächsten drei Jahren weiter ausgebaut wird.
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werke mit einem eindeutig asiatischen Kontext22. Kontakte zu asiatischen Internationalisten ergaben sich durch ihre Expertise im Gebiet der Seuchenbekämpfung, des Opiumhandels und der für den Völkerbund besonders wichtigen Bekämpfung des Frauen- und Kinderhandels. In der Frage nach den jeweiligen Aktionsfeldern folgt die Datenbank der thematischen Zuordnung, wie sie vom Völkerbund selbst vorgenommen wurde23. Dass Frauen international vornehmlich im Bereich der Frauenrechte, der humanitären Organisationen sowie der Bildung präsent waren, erstaunt nicht weiter. Interessant ist dagegen ihre deutliche Präsenz im Bereich der Politik und der internationalen Beziehungen. Dabei handelt es sich allerdings um eine Fortführung der bereits in der Vorkriegszeit gegründeten internationalen Frauenorganisationen, die neben ihrem emanzipatorischen Programm eine pazifistische und zum Teil auch eine konfessionelle Zielsetzung aufwiesen. Diese Organisationen waren hauptsächlich in Europa lokalisiert, wiesen aber in den 1930er-Jahren über Europa hinaus. So war die International League for Peace and Freedom seit 1925 in China und Japan und seit 1929 in Indien vertreten24. Halten wir fest: Für die 1920er- und 1930er-Jahre lassen sich internationale Akteure darstellen, die vom Völkerbund selbst als solche in den verschiedenen Auflagen des Handbook of International Organizations spezifiziert wurden. Da es sich beim Völkerbund um die größte und zweifellos auch aus der Perspektive der konventionellen Diplomatie relevanteste Organisation handelt, ist zum einen die Präsenz von Frauen und zum anderen der Einschluss von Angehörigen nichtwestlicher Gebiete bemerkenswert und neu. Nun, dabei handelt es sich allerdings noch nicht um außenpolitische, sondern eben um internationale Akteure, deren Bedeutung für die bereits bestehenden diplomatischen Institutionen vorerst unklar ist.
III. Die Emanzipation der Peripherie Ob wir bereits von einer Verschiebung und Erweiterung internationaler Akteure sprechen können, ist letztlich von der Entwicklung der Diplomatie und von der Frage abhängig, ob die Diplomatie angesichts der Vervielfältigung von grenzübergreifenden Netzwerken sowie der Nachfrage nach Expertenwissen ihr Deutungsmonopol über internationale Beziehungen bewahren konnte. Auf den ersten Blick lässt sich die Frage aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive bejahen. Für die Außenministerien der europäischen Großmächte setzte das britische Foreign Office mit der Ablehnung der Zulassung von Frauen 1936 ein deutliches Zeichen – auch wenn die Arbeit der Völkerbundsbeamtinnen im britischen Bericht zur Eig22 http://www.lonsea.de/pub/person/5391, Zugriffsdatum 16.11.2012. 23 http://www.lonsea.de/pub/search_person?page=2&s=1, Zugriffsdatum 16.11.2012. 24 http://www.lonsea.de/pub/org/297, Zugriffsdatum 16.11.2012.
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nung von Frauen im diplomatischen Dienst spezieller Erwähnung und expliziter Entkräftung bedurfte25. Die vornehme Académie diplomatique internationale mit Sitz in Paris blieb eine gänzlich frauenfreie Zone, wies aber 1929 bereits einen japanischen Vizepräsidenten auf26. Diplomatinnen, so scheint es, waren vor allem an der machtpolitischen Peripherie zu finden. Die berühmte sowjetische Diplomatin Alexandra Kollontaj kann als Beispiel für diese Form der Marginalisierung angeführt werden: Sie besaß zwar einen Diplomatenpass, ein US-Durchreisevisum nach Mexiko erhielt sie 1926 aber nicht. Der Einsatz von Diplomatinnen wurde damit anscheinend auch als Zeichen von nicht etablierten, neu gegründeten Staaten wahrgenommen. Westliche Staaten, die in den 1920er- und 1930er-Jahren Frauen einsetzten, taten dies entsprechend in eher bescheidenen Positionen, vorzugsweise in Konsulardiensten oder in Gebieten weit weg von den Zentren westlicher Macht. Das britische Kabinett entschied sich gegen die Zulassung von Diplomatinnen und von Frauen in der Kolonialverwaltung aufgrund eines 1934 erstellten bemerkenswerten Berichtes27. Bemerkenswert nicht nur deshalb, weil die Kommission selbst darauf insistierte, dass von einer Veröffentlichung der Informationen, auf denen der Bericht basierte, abzusehen sei. Bemerkenswert vor allem deswegen, weil es nicht mehr gelang, in einer global mit Kommunikationstechnologien vernetzten Welt die Aufgabe eines Diplomaten konzise zu beschreiben. Der Bericht führte aus, dass es viele kleinere Vertretungen gäbe, in denen die Unterscheidung zwischen einem Botschaftssekretär und dem Gesandten hinfällig geworden sei. Ja selbst in den großen Vertretungen sah sich der Bericht außerstande, die genauen Aufgaben eines diplomatischen Vertreters zu beschreiben. Übrig blieb die Feststellung, dass formelle und informelle Kontakte mit der örtlichen Bevölkerung wichtig seien und daher Sozialkompetenz nachgefragt werde28. Das indirekte Eingeständnis, dass es die beschworene Einheitlichkeit der Diplomatie gar nicht mehr gab, verursachte eine Überbewertung von »weichen« Faktoren, die sich in eher diffusen Begründungen für den Ausschluss von Frauen manifestierten. Die Gegner einer Einbeziehung von Frauen in den diplomatischen Dienst führten vor allem kulturelle Differenzen und gesundheitliche Probleme an – Argumente, welche bereits von den diesem Bericht beigefügten Minderheitsvoten gnadenlos demontiert 25 Committee on the admission of women to the diplomatic and consular services, Confidential, PRO CAB/24/251. 26 http://www.lonsea.de/pub/org/949, Zugriffsdatum 16.11.2012. 27 Der Bericht wurde von einem Inter-departemental Committee on the Admission of Women to the Diplomatic and Consular Services vorgelegt. Dazu Hilda Martindale, Women Servants of the State, 1870–1938. A History of Women in the Civil Service, London 1938, 192. 28 great importance of the informal as well as the formal intercourse with the inhabitants of the country and the need, therefore, for the possession of social gifts: Committee on the admission of women to the diplomatic and consular services, Confidential, PRO CAB/24/251, 6.
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wurden. Erschwerend für den britischen diplomatischen Dienst kam hinzu, dass die beiden Minderheitsvoten von international profilierten und selbst in der nationalen Verwaltung erfolgreichen Frauen stammten, von Hilda Martindale und Muriel Ritson. Martindale publizierte 1938 eine viel beachtete Geschichte über die weiblichen Staatsbeamten29, die sie pikanterweise aus der Perspektive einer Fabrikinspektorin geschrieben hatte, einer Funktion, in der sie auch Expertisen für die britische Delegation bei der Internationalen Arbeitsorganisation abgab. Ritson war eine schottische Sozialpolitikerin und Expertin für das öffentliche Gesundheitswesen und hatte das erst 1929 geschaffene schottische Gesundheitsministerium mit aufgebaut30. Die beiden Frauen stellten den Voten der Diplomaten eine Welt gegenüber, welche vielfältig mit Telegraphenkabeln vernetzt war und in der Mobilität nicht mehr den Ausnahmefall darstellte, sondern soziale Normalität. In dieser Welt existierten klar definierbare kulturelle Differenzen letztlich nur noch in der veralteten Wahrnehmung einer Diplomatie, deren Daseinsberechtigung darin bestand anzunehmen, dass Peripherie und Zentrum der Vermittlung bedurften, um überhaupt miteinander in Kontakt treten zu können. Die beiden zitierten denn auch mit einer gewissen Häme aus den Konsularberichten, welche die beschworene Gefährlichkeit einer isolierten Peripherie nicht bestätigten. Vielmehr betonten die Konsularberichte die modernen Freizeitaktivitäten im Belgisch-Kongo und beschrieben die ausgezeichneten Tennisplätze in Lourenço Marques in Portugiesisch-Ostafrika31. Ist diese Dynamik der Verflechtung als Herausforderung einer spezifisch eurozentrischen Diplomatie nachzuweisen? Nicht nur die amerikanische, auch die Presse in Singapur dokumentierte sorgfältig, welche Staaten Frauen als Diplomatinnen einsetzte und damit den Beweis erbrachte, dass Diplomatie als statischer Arkanbereich nicht mehr zu führen war. Frauen befanden sich dabei in der Tat an Örtlichkeiten, die aus der europäischen diplomatischen Perspektive peripher erschienen, weil es sich dabei nicht um die großen europäischen Hauptstädte handelte. Allerdings hatten sich diese peripheren Bereiche nach dem Ersten Weltkrieg eben gerade zu weltpolitischen Brennpunkten entwickelt. Frauen saßen beispielsweise in Genf, das mit dem Völkerbund eine eklatante Zunahme von konsularischen Vertretungen und internationalen Organisationen aufwies. Auch wenn Genf keine Hauptstadt war, erschien eine diplomatische Präsenz den meisten Ländern und nicht einmal nur den Mitgliedstaaten wichtig genug, um eine Vertretung zu etablieren32. In dieser Zwischenwelt einer informell wichtigen und 29 H. Martindale, Women Servants of the State (Anm. 27). 30 Elizabeth L. Ewan / Siân Reynolds / Sue Innes / Rose Pipes, The Biographical Dictionary of Scottish Women, Edinburgh 2006, 303. 31 Committee on the Admission of Women to the Diplomatic and Consular Services, Confidential, PRO CAB/24/251, 24. 32 Die Vereinigten Staaten schickten 1929 als amerikanischen Vizekonsul Margaret Warner nach Genf, die allerdings nach 2 Jahren ihren Dienst quittierte.
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formell eher heruntergespielten Vertretung spielten Frauen eine bemerkenswerte Rolle. Ein ähnliches Muster einer neu gewonnenen Wichtigkeit von Peripherien lässt sich aber auch außerhalb Europas feststellen. Die Niederlande setzten 1927 im Konsulat in Jerusalem eine Frau ein33, an einem Ort, an dem die Palästinafrage höchste politische Relevanz entwickelte. Zusehends betonten überdies asiatische Zeitungen ein asymmetrisches Entwicklungsgefälle in der Spezifizierung außenpolitischer Akteure, und das Gefälle verlief nicht zugunsten Europas. Die am 20. Januar 1933 in Singapur erschienene Ausgabe der Straits Times berichtete über die Einstellung von Diplomatinnen in der Türkei. Die Berichterstattung hatte einen durchaus sarkastischen Unterton. Die türkischen Frauen sollten demnach als attachettes in London, Washington und Stockholm eingesetzt werden – nicht aber in Paris und Rom, da in Frankreich und Italien Frauen keine politische Bedeutung hätten34. Während die europäischen Großmächte internationale Netzwerke als außenpolitische Aktionsfelder eher herunterspielten und damit in den 1930er-Jahren anscheinend Recht behielten, lässt sich zumindest im Völkerbundssekretariat eine gegenteilige Entwicklung feststellen. In den 30er-Jahren ließ sich die Globalität der Völkerbundsorganisation nicht mehr allein durch europäische Mitgliedstaaten nachweisen. Asiatische Länder und islamische Netzwerke spielten eine zusehends wichtige Rolle. Die bislang ausgewerteten Quellenbestände zeigen nämlich, dass das Sekretariat Informationen insbesondere aus der reichhaltigen Presselandschaft Indiens nachfragte und die Informationslieferanten eine Eigendynamik entwickelten, die durchaus nicht im Sinn des britischen Foreign Office war. Solche, im Übrigen selten ausdiskutierte Ambivalenzen lassen sich auch aus einer Genderperspektive nachweisen.
IV. Schlussfolgerungen Die im Völkerbundssekretariat tätigen Frauen beklagten sich völlig zu Recht über nicht eingelöste Gleichberechtigung samt Lohndifferenzen. Sie sollten Opfer der Verkleinerung des Völkerbundssekretariats in den späten 1930er-Jahren werden und wurden überdies zusehends durch Männer ersetzt35. Einige, wie Fürstin Radziwill, gerieten bei den regelmäßigen Evaluationen und den steigenden Anforderungen an die Verwaltungsarbeit unter Druck. Nur wenige hochrangige Völkerbundsbeamtinnen besaßen einen Diplomatenpass, wobei dessen Wert spätestens 33 Jerusalem Receives Woman Diplomat, Washington Post, 1.8.1927, 3. 34 Paris and Rome, owing to the lack of political significance of women in those countries, would be excluded: Turkish Women to Enter Diplomatic Service, The Straits Times, 20.1.1933, 14. 35 E. Ranshofen-Wertheimer, The International Secretariat (Anm. 7), 369.
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nach dem »Anschluss« Österreichs fraglich war, zumal der Völkerbund selbst keine Pässe ausstellen konnte. Dennoch galt das Völkerbundssekretariat wie auch die ILO nach dem Ersten Weltkrieg als Referenzbeispiel für die Vervielfältigung internationaler Akteure und den Ausbau weiblicher Partizipation. Von Drexels Imagination der eleganten Effizienz einer kosmopolitischen Zivilgesellschaft war bereits in den 30er-Jahren nicht mehr viel übrig – aber die vielschichtige Überlagerung von zahlreichen grenzübergreifenden Funktionen wird in allen drei der hier überprüften Bereiche gespiegelt. Sie erscheint als Anliegen der Presse, als internationaler Referenzrahmen in den nationalen Debatten über die Zulassung von Frauen zum diplomatischen Dienst und ist als Netzwerk und Beziehungsgeflecht bei denen nachzuweisen, die zwar keinen formellen Status und schon gar keinen Diplomatenpass besaßen, deren Berücksichtigung für eine moderne Geschichte der Global Governance aber unabdingbar ist. Die Professionalisierung der internationalen Verwaltung führte zu einer kontinuierlichen Erweiterung des internationalen Personals, von der Frauen nicht zuletzt während des Zweiten Weltkriegs wiederum profitierten. Die Quellenbestände der nach Princeton ausgelagerten Völkerbundskommissionen weisen drei Aspekte auf: Erstens stellte der Völkerbund in seiner letzten und keineswegs inaktiven Lebensphase insbesondere in den nach Princeton exilierten Abteilungen zahlreiche sehr junge amerikanische Universitätsabsolventinnen ein36. Damit entstand ein für die künftige UNO nicht unwesentliches Kollektiv von gut ausgebildeten Frauen, die internationale Erfahrungen nachweisen konnten. Zweitens kann eine Verschränkung der internationalen Repräsentation außereuropäischer Peripherien mit der Besetzung diplomatischer Posten durch Frauen auch ex negativo nachgewiesen werden: Der beginnende Kalte Krieg und die Dekolonisierung setzten neue Akzente, welche die Kooperation der »Subalternen« ersetzten. Drittens sorgte nicht zuletzt der Krieg dafür, dass selbst ein konservatives Foreign Office Diplomatinnen akzeptierte – nur die Schweiz sollte sich diesem Modernisierungsdruck auch weiterhin und für lange Zeit entziehen. Dennoch lässt sich die Durchlässigkeit der sozialen und nationalen Grenzen an eben solchen sich neu definierenden Biographien besonders gut aufzeigen.
36 Vgl. dazu League of Nations Archives, C1626/1627.
Ein Diplomat im Kleid: Aleksandra Kollontaj und die sowjetische Diplomatie
Von Susanne Schattenberg Aleksandra Kollontaj ist in erster Linie als Kämpferin für Frauenrechte, für die freie Liebe, als Revolutionärin und einzige Volkskommissarin in der ersten Sowjetregierung bekannt1: Die Biographien und historischen Arbeiten über sie konzentrieren sich auf diesen Aspekt ihres Lebens, der als der Eigentliche gilt2. Ihre 23-jährige Tätigkeit als Diplomatin in Norwegen, Mexiko und Schweden zwischen 1922 und 1945 zählt dagegen als »revolutionärer Ruhestand« und als unfreiwilliges Exil3. Ihre westlichen Biographinnen und Sympathisantinnen Barbara Evans Clements, Beatrice Farnsworth und Cathy Porter sprechen von »Verbannung« und lassen keinen Zweifel daran, wer Kollontaj ins Zwangsexil
1 Kendall E. Bailes / Marie-José Imbert, Alexandra Kollontai et la Nouvelle Morale, in: Cahiers du Monde russe et soviétique 6 (1965), 471–496; Anne Bobroff, Alexandra Kollontai. Feminism, Worker’s Democracy, and Internationalism, in: Radical America 13 (1979), 50–75; Elena V. Kudriašova, Aleksandra Kollontai i ženskoe političeskoe liderstvo v Rossii i Norvegii, in: genDerationŽenskie miry-99, Ivanovo 1999, 77–86; Edith Laudowicz, Alexandra Kollontai. Zwischen Pragmatismus und Utopie, in: Sexualforschung und -politik in der Sowjetunion seit 1917, hrsg. v. Joachim S. Hohman, Frankfurt a. M. 1990, 148–169; Norma C. Noonan, Two Solutions to the Zhenskii Vopros in Russia und the USSR – Kollontai and Krupskaia. A Comparison, in: Women and Politics 11 (1991), 77–99; Tatjana Osipovič, Aleksandra Kollontai – teoretik i praktik feminizma, in: Gendernye issledovaniia. Feministskaja metodologiia v sotsial’nych naukach, hrsg. v. Irina Zherebkina, Foros 1998, 103–161; Jerry Pankhurst, The Ideology of ›Sex Love‹ in Postrevolutionary Russia. Lenin, Kollontai and the Politics of Lifestyle Liberation, in: Alternative Lifestyles 5 (1982), 78–100; Richard Stites, Kollontai and the New Morality, in: ders., The Women’s Liberation Movement in Russia. Feminism, Nihilism, and Bolshevism 1860–1930, New Jersey 1978, 346–357; Polina Vinogradskaja, The Winged Eros of Comrade Kollontai, in: Bolshevik Visions. The First Phase of the Cultural Revolution in Soviet Russia, hrsg. v. William Rosenberg, Ardis 1984, 127–138. 2 Barbara Evans Clements, Bolshevik Feminist. The Life of Aleksandra Kollontai, Bloomington 1979; Beatrice Farnsworth, Aleksandra Kollontai. Socialism, Feminism and the Bolshevik Revolution, Stanford 1980; Cathy Porter, Aleksandra Kollontai. A Biography, London 1980. 3 Angenehm nüchtern und sachlich auf die Entwicklungen und Ereignisse konzentriert schreibt dagegen Kaare Hauge, deren Dissertation leider nicht publiziert wurde (Kaare Hauge, Alexandra Mikhailova Kollontai: The Scandinavian Period, 1922–1945, Diss. University of Minnesota, 1971).
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schickte: Stalin höchstpersönlich4. Die Abneigung habe auf Gegenseitigkeit beruht5. Kollontaj, so heißt es weiter, habe die diplomatische Arbeit nicht gemocht. Das vorsichtige Agieren, die erforderliche Zurückhaltung und Geduld haben ihr nicht gelegen6. Während im Westen Kollontaj durch die »rosa Brille« zur exilierten Feministin verklärt und der Beginn ihrer diplomatischen Tätigkeit 1922 zum klaren Bruch in ihrer Biographie erklärt wurde7, gehörte sie in der Sowjetunion zu den »kommunistischen Heiligen«8. Ihre russischen Biographen stilisierten ihr Leben zu einem Musterbeispiel für den revolutionären Kampf und beschrieben ihren Weg als fortwährenden Aufstieg, der in der Diplomatie seinen Höhepunkt fand9. Im postsowjetischen Russland ist eine dritte Entwicklung zu beobachten: Während einerseits Arkadij Vaksberg angetreten ist, um Aleksandra Kollontaj von Heldenkult und Geschichtsfälschung zu befreien10, kommt es andererseits zu einer neuen russisch-patriotischen Verklärung Kollontajs als großer Diplomatin, derweil die Frage des »Exils« und Stalins Terror vollkommen verschwiegen werden11. In Abgrenzung von alten wie neuen Zerrbildern sollen hier Kollontajs diplomatische Arbeit im Mittelpunkt stehen und zunächst folgende Thesen erörtert werden: (1) Stalin schickte Kollontaj nicht in die Verbannung, sondern sie selbst bat ihn um eine Aufgabe im Ausland. (2) Auch wenn es durchaus sehr unterschiedliche Phasen in den 23 Jahren in der Diplomatie gab, war Kollontaj insgesamt doch sehr zufrieden und gerade zu Beginn ihrer Tätigkeit begeistert von ihrem neuen Metier. (3) Das Verhältnis zwischen Stalin und Kollontaj war 4 B. E. Clements, Bolshevik Feminist (Anm. 2), 242; C. Porter, Aleksandra Kollontai (Anm. 2), 400; Beatrice Farnsworth, Bolshevism, the Woman Question, and Aleksandra Kollontai, in: American Historical Review 81 (1976), 292–316, hier 301, 314. 5 B. E. Clements, Bolshevik Feminist (Anm. 2), 249, C. Porter, Aleksandra Kollontai (Anm. 2), 403. 6 B. E. Clements, Bolshevik Feminist (Anm. 2), 245. 7 Zu der »rosa Brille« siehe die Sammelrezension von Simon Karlinsky, The Menshevik, Bolshevik, Stalinist Feminist. Three biographies of Aleksandra Kollontai, in: New York Times Review of Books, 4.1.1981. 8 Ol’ga V. Černyševa / Vadim V. Roginskij, Sud’ba diplomatičeskich dnevnikov A. M. Kollontaj, in: Novaja i novejšaja istorija 46 (2002), 171–185. 9 Sinowi Schejnis, Alexandra Kollontai. Das Leben einer ungewöhnlichen Frau, Berlin Ost 1984; Zinovij Šejnis, Put’ k veršine. Stranicy žizni A. M. Kollontaj, Moskau 1987; Anna Itkina, Revolucioner, tribun, diplomat. Stranicy žizni Aleksandry Michailovnoj Kollontai, 2. Aufl., Moskau 1970; Leonid Itsel’, Aleksandra Kollontai – Diplomatka i kurtizanka. Grezy pčely trudovoi, Tel Aviv 1987; Michail Olesin, Pervaja v mire. Biografičeskii očerk ob A. M. Kollontai, Moskau 1990. 10 Akardij Vaksberg, Val’kirija revoljucii, Smolensk 1997. 11 M. Olesin, Pervaja v mire (Anm. 9); Michail Ivanovič Truš, Ot politike revoljucionnoj bor’by k pobedam na diplomatičeskom fronte. Žiznennyj put’ Aleksandry Kollontaj, Moskau 2010.
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keineswegs so eindeutig negativ12. Zum einen war sie ihm ernsthaft dankbar, dass er ihr 1922 den Auslandsposten verschafft hatte13. Zum anderen folgte sie nicht Zinov’ev, Kamenev und Trotzki, als sich diese 1925 zur »vereinten Opposition« zusammenschlossen, sondern hielt Stalin die Treue – teils aus pragmatischen Gründen, teils weil sie von Zinov’ev und anderen enttäuscht war14. In den 1920er-Jahren war ihr Stalin durchaus nicht unsympathisch15; ihre Sekretärin behauptete, die Beziehung sei sogar freundschaftlich gewesen16. Zumindest verließ sie sich lieber auf seine und V. M. Molotovs Unterstützung, als sich direkt an ihren Vorgesetzten im Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten, M. M. Litvinov, zu wenden17. Ausgehend von diesen Thesen soll hier die Frage im Mittelpunkt stehen, was es für Kollontaj bedeutete, die erste (offizielle) Diplomatin der Welt zu sein und dabei nicht nur ihre Rolle und die richtigen Repräsentationsformen in einer durch und durch männlichen Welt zu finden, sondern zudem die junge Sowjetunion zu vertreten, die noch nicht zu einem eigenen diplomatischen Stil gefunden hatte und Diplomatie an sich ablehnte. Kollontaj hatte die Aufgabe zu meistern, zwei Handlungsfelder neu zu gestalten, ohne sich dabei auf Traditionen oder Präzedenzfälle beziehen zu können. Es soll gezeigt werden, wie sie die protokollarischen Leerstellen besetzte und auf welche kulturellen Muster sie dabei zurückgriff. Ferner wird es um die Reaktionen gehen, die ihre Auftritte bei den Herren der diplomatischen Welt – und ihren Gattinnen – hervorriefen.
I. Schicksal eines Manuskripts Es stellt sich zunächst die Frage, warum die diplomatische Tätigkeit Kollontajs, die fast ein Viertel ihres Lebens ausmachte, (zumindest im Westen) immer als Anhang behandelt wurde. Das hat in erster Linie ideologische Gründe: Feministische Forscherinnen konzentrierten sich auf Kollontajs revolutionäre Jahre18. Darüber 12 Heinz Deutschland, Vorwort, in: Aleksandra Kollontaj, Mein Leben in der Diplomatie. Aufzeichnungen aus den Jahren 1922 bis 1945, hrsg. v. Heinz Deutschland, Berlin 2003, 8–26, 17. 13 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 607. 14 Ebd., 592, 597; Marina Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹. Briefe von Aleksandra Kollontaj an V. Molotov 1926–1952. Zur Illustration der Rolle des ›Patron-Klient‹-Verhältnisses in der Sowjetunion, in: Forum für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte 5 (2001), 295–353, 300. 15 A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 304. 16 H. Deutschland, Vorwort (Anm. 12), 17. 17 M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 308. Briefe von A. M. Kollontaj an V. M. Molotov, 1926 und 1. März 1927, in: ebd., 324–326. 18 Vgl. dazu auch S. Karlinsky, The Menshevik (Anm. 7).
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hinaus war entscheidend, dass ihre Aufzeichnungen über ihre diplomatische Tätigkeit erst vor wenigen Jahren wieder aufgetaucht sind und publiziert wurden19. Die verloren geglaubten Manuskripte hatte Kollontaj am 25. Februar 1952, zwölf Tage vor ihrem Tod am 9. März 1952, an das Archiv des Marx-Engels-Lenin-Instituts übergeben. Es waren 16 Hefte, zu denen sie die Zeit ihres Lebens geführten Tagebücher und Notizen zusammengefasst hatte20. Im Russischen Staatsarchiv für sozial-politische Geschichte (RGASPI) lagern bis heute die in den Jahren 1947 bis 1951 bearbeiteten Hefte in einer handschriftlichen und in einer maschinenschriftlichen Version21. Die Originale aber liegen nicht hier und sind vermutlich von Kollontaj bei ihrer Überarbeitung vernichtet worden, um sie vor dem Zugriff des KGB zu schützen, der bereits im August 1942 ihr gesamtes Archiv aus dem Krankenhaus gestohlen und erst im November 1946 auf Stalins Anweisung hin zurückgegeben hatte22. Die Problematik dieser Hefte besteht darin, dass sie als »Tagebuchaufzeichnungen« präsentiert werden, tatsächlich aber von Kollontaj am Ende ihres Lebens mit der Absicht redigiert, zensiert und ergänzt wurden, ihr Lebenswerk zum 30. Jahrestag der Revolution 1947 zu veröffentlichen23. Da die Originale fehlen, lässt sich nicht mehr rekonstruieren, was ihrer Selbstzensur zum Opfer fiel. Andersherum lässt sich aber an mehreren Stellen an Stil, Duktus und Inhalt erkennen, dass Kollontaj Stalinelogen einarbeitete, um ihren Text dem stalinistischen Diskurs zu unterwerfen24. Zu diesem Zweck erfand sie Gespräche und Zusammenkünfte mit Stalin, wie etwa jene Begebenheit im November 1924, als er ihr im Rat der Volkskommissare angeblich zu einem Abstimmungserfolg verholfen hatte: »Als ich auf den Ausgang zugehe, steht Stalin in der Nähe der Tür: ›Na, sind Sie zufrieden mit dem Schluss‹, raunt er mir […] halblaut zu und lächelt dabei verhalten. Ich antworte: ›Und wie! Das verdanke ich Ihnen, herzlichen Dank.‹ Und dann laufe ich, ohne
19 Aleksandra Michajlovič Kollontaj, Diplomatičeskie dnevniki, 1922–1940, 2 Bde., Moskau 2001; A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12). 20 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 646. 21 RGASPI, Bestand (fond [im Folgenden f.]) 134: Aleksandra Michajlovna Kollontaj, (geheimes) Findbuch (opis [im Folgenden op.]) 3, 77 Verzeichnungseinheiten. Weitere Exemplare finden sich im Archiv des Außenamts und in der Familie Kollontaj, siehe dazu: O. V. Černyševa / V. V. Roginskij , Sud’ba (Anm. 8), 173. 22 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 652; O. V. Černyševa / V. V. Roginskij, Sud’ba (Anm. 8), 174 f. Brief von A. M. Kollontaj an J. V. Stalin vom 17. August 1946, in: A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 44. Brief von A. M. Kollontaj an V. M. Molotov vom 11. Februar 1947, in: M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 348 f. 23 Brief von A. M. Kollontaj an A. N. Poskrebyšev vom 21. November 1946, in: A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 645. 24 Vgl. A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 550.
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auf den Lift zu warten, überglücklich und dankbar die Treppe hinab. Selbst jetzt bin ich noch erregt, wenn ich an all das zurückdenke, was ich an diesem Tag durchlebt habe.«25
Am Stilbruch bei der Schilderung ihrer Unterwerfungsgesten sind solche Textstellen eindeutig als spätere Einfügungen zu erkennen. Für ihren autobiographischen Text, der als »Tagebuchaufzeichnung« daherkommt, hat das zur Folge, dass unklar ist und bleiben wird, was dem imaginierten stalinschen Blick zum Opfer fiel26. Die erhaltenen Passagen aber können mit einiger Sicherheit in den ursprünglichen Text einerseits und »stalinistische« Einsprengsel andererseits unterteilt werden. Am 1. Januar 1951 schickte Kollontaj all ihre Passagen, in denen sie über Stalin schreibt, direkt an den »hochverehrten und teuren Josif Vissarionovič«27, damit er sich selbst davon ein Bild mache. Seine Reaktion ist nicht überliefert, aber die »Aufzeichnungen« blieben für viele Jahrzehnte weggesperrt. Kollontaj hoffte zuletzt, ihre Erinnerungen mögen zu ihrem hundertsten Geburtstag 1972 erscheinen, doch selbst dieser letzte Wunsch erfüllte sich nicht28. Erst 2001, 60 Jahre nach Fertigstellung des Manuskripts, erschien es auf Russisch in einer gekürzten Fassung unter dem Titel Diplomatische Tagebücher, 1922– 1940. Zwei Jahre später wurde die umfangreichere deutsche Fassung unter der Überschrift Mein Leben in der Diplomatie. Aufzeichnungen aus den Jahren 1922 bis 1945 publiziert29.
II. Die Abschaffung der Diplomatie? Aleksandra Kollontaj war nicht nur die erste (offizielle) Diplomatin der Welt; sie war auch eine der ersten Gesandten der jungen Sowjetregierung, die von vornherein die Diplomatie auf dem »Kehrrichthaufen der Geschichte« entsorgen wollte: »Die Regierung schafft die Geheimdiplomatie ab; sie erklärt, dass sie ihrerseits fest entschlossen ist, alle Verhandlungen völlig offen vor dem ganzen Volke zu führen.« 30 Lev Trotzkij, der erste Volkskommissar für Äußere Angelegenheiten, war der Meinung, dass ein revolutionärer Arbeiterstaat keine Außenvertretung im herkömmlichen Sinne benötige und die Diplomatie als Verhandlungsform zwischen Staatsvertretern obsolet sei. »Was für diplomatische Arbeit werden wir denn 25 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 17, 45; RGASPI, f. 134, op. 3, d. (für Verzeichnungseinheit) 4, l. (für Blatt) 138. 26 A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 538. 27 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 31. 28 H. Deutschland, Vorwort (Anm. 12), 8; O. V. Černyševa / V. V. Roginskij, Sud’ba (Anm. 8), 175. 29 A. Kollontaj, Diplomatičeskie dnevniki (Anm. 19); A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12). 30 Dekret über den Frieden, 8. November 1917, hier nach: http://mdzx.bib-bvb.de/ cocoon/1000dok/dok_0005_fri.pdf ?lang=de, abgerufen am 11. Juli 2010.
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haben«, hatte er über sein neues Amt sinniert und war zu dem Schluss gekommen: »Ich werde einige revolutionäre Proklamationen an die Völker erlassen und dann die Bude schließen.«31 Diplomatie war Teil der kapitalistischen Weltstruktur, mit der sie in kürzester Zeit unwiederbringlich untergehen würde32. So sah es auch Aleksandra Kollontaj: »Ein Diplomat, das war in meinen Augen Talleyrand, Metternich, die Briands und Lloyd-Georges, deren Tätigkeit in gegenseitigem Betrug und Verrat bestand und sich in den Salons und prunkvollen Sälen der Kongresse abspielte.«33 Die sowjetische Diplomatie musste eine neue, andere sein, nur: »Wie kann man ohne Aufstand, ohne Barrikaden und Waffen in der Hand Erfolge und Siege über die Kapitalisten davontragen? Wie kann man mit der uns feindlich gesonnenen bourgeoisen Welt verhandeln und wo muss man die Grenze bei solchen Händeln ziehen, um nicht in Opportunismus zu verfallen?«34 Eine »sozialistische Diplomatie« war also nicht vorgesehen bzw. musste aus der Not der Stunde heraus erfunden werden; im Notfall blieb nur die Improvisation oder das Handeln aufs Geratewohl. Zusätzlich erschwerend kam hinzu, dass – auch in der RSFSR − Frauen in der Diplomatie nicht vorgesehen waren. Der Volkskommissar G. V. Čičerin und sein Mitarbeiter Ja. S. Ganeckij zeigten sich überhaupt nicht begeistert vom Beschluss der Partei, eine Frau zur Diplomatin zu ernennen35. Ganeckij grollte: »Die Sowjetrepublik hat sich keineswegs zum Ziel gesetzt, mit allen bestehenden Traditionen der Diplomatie zu brechen.«36 Čičerin ärgerte sich über die Idee, eine Frau und Revolutionärin als Vertreterin in die britische Kronkolonie Kanada zu schicken: »Warum sollen wir uns eine Absage einhandeln, wenn unsere Beziehungen mit London auch so schon belastet sind?«37 Es gab also keineswegs irgendein Programm oder gar eine Förderlinie, Frauen in die Diplomatie zu bringen. Kollontaj war auch keine »Eisbrecherin« für Frauen im diplomatischen Dienst, sondern blieb eine Ausnahmeerscheinung. 1948 legten Stalin und Molotov sogar fest, dass das diplomatische Corps männlich zu bleiben habe und an den entsprechenden Ausbildungsstätten die Männer mindestens zwei Drittel der Studierenden stellen sollten38. Kollontajs Entsendung an die Handelsvertretung in Norwegen entsprach also weder irgendeiner Frauenförderpolitik noch war sie eine »Abstrafung«, wie es westliche Forscherinnen oft unterstellten. Es waren vielmehr Kollontajs persön31 Leo Trotzki, Mein Leben. Versuch einer Autobiographie, Frankfurt a. M. 1974, 296. 32 Vgl. Theodor von Laue, Soviet Diplomacy. G. V. Chicherin, Peoples Commissar for Foreign Affairs, 1918–1930, in: The Diplomats 1919–1939, hrsg. v. Gordon A. Craig / Felix Hilbert, Princeton NJ, 1953, 234–281, 235. 33 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 9. 34 Ebd. 35 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 30. 36 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 28. 37 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 29. 38 Staatsarchiv der Russischen Föderation (GARF), f. 5546, op. 50, d. 2876, l. 7.
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liche Lebensumstände, die sie dazu veranlassten, um eine Entsendung an einen möglichst weit entfernten Ort – in den Fernen Osten oder an eine Auslandsvertretung – zu bitten39. Hintergrund war zum einen die Trennung von ihrem zweiten Mann Pavel Dybenko40. Zum anderen waren es ideologische Streitigkeiten mit Zinov’ev, Lenin und der Komintern bzw. ihre Unterstützung der »Arbeiteropposition«, die sie auf dem innenpolitischen Kampfplatz resignieren ließen41. Es war für das Außenamt kein einfaches Unterfangen, ihr als erster Diplomatin eine Stelle zu verschaffen. Der Weg an die Vertretung in Kanada wurde ihr tatsächlich vom Foreign Office in London versperrt, das sich weder eine Frau noch eine so aktive Agitatorin als Staatsvertreterin wünschte42. Stattdessen gelang es ihr, ein Agrément für Norwegen zu erhalten, wo sie 1923 die Leitung der Handelsvertretung übernahm43. Sie diente in Norwegen von 1922 bis 1926 und erneut in den Jahren 1927 bis 1929, unterbrochen von wenigen Monaten als Vertreterin in Mexiko 1926–1927. 1930 kam sie als Gesandte nach Schweden, wo sie schließlich als Botschafterin bis 1945 die Sowjetunion vertrat. Ferner gehörte sie 1935–1938 zur sowjetischen Delegation beim Völkerbund in Genf.
III. Comme il faut Einerseits hat Kollontaj zu Protokoll gegeben: »Ich habe mich während der Zeit meiner diplomatischen Tätigkeit nie als Frau gefühlt. Die Arbeit, die ich zu verrichten hatte, war zu ernst.«44 Das entspricht ihrer Einstellung bzw. der Haltung der Bolschewiki, dass die Frauen im Arbeiterstaat automatisch gleichberechtigt seien und Geschlecht keine Rolle spiele. Andererseits spricht Kollontaj doch von einem Triumphgefühl, dass sie wieder einen Sieg für die Frauen erreicht hatte. Über ihre Ernennung schrieb sie: »Das ist nicht nur eine persönliche Freude, sondern eine weitere Errungenschaft für die Frauen. Der diplomatische Weg war bisher für sie hermetisch verschlossen. Die Sowjetrepublik hat dieses Tabu beseitigt.«45 Den Tag, als sie zur Missionschefin ernannt wurde, feierte sie als historischen Tag in der Geschichte des Kampfes um Gleichberechtigung46. 39 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 26. 40 C. Porter, Alexandra Kollontai (Anm. 2), 456 f.; Polina Vladimirovna Stepanenko, Aleksandra Kollontaj i Pavel Dybenko, Minsk 1999. 41 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 29; Dietrich Geyer, Eine Klasse für sich, in: DIE ZEIT, 28.2.2002; M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 302. 42 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 28 f. 43 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 30. 44 »Frau Kollontaj empfängt«, in: Frankfurter Zeitung und Handelsblatt. Zweites Morgenblatt, 23.12.1925, zitiert nach A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 590. 45 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 26. 46 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 182.
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Vor diesem besonderen Hintergrund musste sich Kollontaj auf doppelte Weise ihren Weg als Diplomatin selbst suchen. Zum einen stellte sich die Frage, was »sowjetische« Diplomatie war, zum anderen musste sie eine »weibliche Diplomatie« neu erfinden. In beiden Fällen, so die hier vertretene These, half ihr die bürgerlich-aristokratische Etikette, die überall dort als Verhaltensform infrage kam, wo das sowjetische Außenamt keine Normen bereit hielt bzw. für Frauen bisher keine Regeln vorgesehen waren. Sie folgte damit, ohne es je auszusprechen, dem Volkskommissar für Äußeres, G. V. Čičerin, der nach dem Scheitern von Trotzkijs »Neo-Diplomatie« die Strategie verfolgte, »aristokratisch in der Form, revolutionär im Inhalt« aufzutreten47, d. h. sich weiterhin an das höflich-gesittete Comme il faut auf dem internationalen Parkett zu halten und die Spielregeln der High Society mitzuspielen, um damit politische Ziele der Bolschewiki durchzusetzen48. Anders formuliert, herrschte in den 1920er-Jahren ein Pragmatismus im Umgang mit den »Kapitalisten«, bei dem sich die sowjetischen Vertreter – mangels eigener Alternativen − in der Form anpassten, um ihren Inhalten Gehör zu verschaffen49. Kollontaj war in eine alte Adelsfamilie, die väterlicherseits ihre Wurzeln bis ins 13. Jahrhundert zurückverfolgen konnte, geboren worden und in behüteten Verhältnissen aufgewachsen50. Umgeben von Dienern und Hauslehrern lernte sie das Comme il faut der mondänen Welt von Kindesbeinen auf, bevor sie im Alter von 26 Jahren anfing, marxistische Schriften zu veröffentlichen und 1906 in die Sozialdemokratische Partei Russlands eintrat51. Ebenso zahlte sich aus, dass sie fünf Fremdsprachen fließend sprach, die sie teils im Elternhaus, teils während des Studiums in Zürich und ab 1907 im europäischen Exil erlernte52. Das Beherrschen des westlich-globalen Verhaltenscodes brachte ihr nicht nur die Akzeptanz als Vertreterin der »proletarischen Diktatur« unter den bürgerlichen und aristokratischen Diplomaten, es erleichterte ihr auch die Aufnahme als Frau in die männlich geprägte Welt der Diplomatie. Das Protokoll als diplomatische Einheits- und Kunstsprache gab standardisierte Verhaltensformen vor und ermöglichte damit nicht nur, dass verschiedene Kulturen zu einer gemeinsamen Kommunikations-
47 James Der Derian, On Diplomacy. A Genealogy of Western Estrangement, New York 1987, 194–197. 48 Vgl. T. von Laue, Soviet Diplomacy (Anm. 32), 235. 49 Vgl. Susanne Schattenberg, 1918 − Die Neuerfindung der Diplomatie und die Friedensverhandlungen in Brest-Litovsk, in: Schlüsseljahre. Zentrale Konstellationen der mittelund osteuropäischen Geschichte. Festschrift für Helmut Altrichter zum 65. Geburtstag, hrsg. v. Matthias Stadelmann / Lilia Antipow, Stuttgart 2011, 273–292. 50 Alexandra Kollontaj, Ich habe viele Leben gelebt… Autobiographische Aufzeichnungen, 3. Aufl., Köln 1986, 6, 9. 51 Ebd., 116 ff. 52 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 30.
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form fanden, sondern auch, dass der Geschlechterunterschied nivelliert wurde53. Kollontaj war in keiner Weise Berufsdiplomatin, sondern Berufsrevolutionärin, die 1917 als einzige Frau Mitglied der ersten sowjetischen Regierung wurde, die sie aber bereits im März 1918 aus Protest gegen den Frieden von Brest-Litowsk wieder verließ, um sich ganz der Frauenfrage zu widmen und im Zentralkomitee die Frauenabteilung zu leiten54. Dementsprechend unvorbereitet fühlte sie sich für die diplomatische Arbeit. Im Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten bekam sie jedoch keine diplomatische Einweisung; stattdessen gab ihr Čičerin mit auf den Weg, sie solle sich ganz auf ihre Kenntnis der Etikette und der Lebensumstände im Ausland verlassen, wo sie ja mehr als ein Jahrzehnt verbracht habe55.
IV. Diplomatie à la soviétique Tatsächlich war es Kollontajs großer Vorzug, dass sie auch gegenüber dem »Klassenfeind« immer freundlich blieb und zwischenmenschliche Beziehungen klar von ideologischen Kämpfen zu trennen wusste. Bei ihrer ersten Vorstellung beim norwegischen Außenminister Johan Mowinckel plauderte sie so reizend mit dem Norweger, dass dieser sie spontan zu sich nach Hause einlud. Der Missionsleiter Ja. Z. Suric, ihr Vorgesetzter, verstand dagegen nicht, wozu Kollontaj eifrig mit den Kapitalisten Konversation pflegte und giftete: »Sie hätten ihn ordentlich beschimpfen sollen! Sie mit Samthandschuhen anzufassen, ist unangebracht, sie sind alle Gauner!«56 Zwischen diesen beiden Polen, sich entweder an alte Etikette, Rituale und Formeln zu halten, oder aber die ganze diplomatische Tradition abzulehnen und dabei in Kauf zu nehmen oder gar zu bezwecken, das Gegenüber vor den Kopf zu stoßen, schwankte die sowjetische Diplomatie der 1920er-Jahre sehr stark. Manifest wird dies an einem Vorfall, der Kollontaj in einen Konflikt mit ihrer Regierung stürzte und gegenüber der norwegischen Regierung in eine sehr peinliche Lage brachte. Kollontaj konnte am 15. Februar 1924 als großen diplomatischen Triumph feiern, dass die norwegische Regierung die Sowjetunion de jure anerkannte. Doch ihre Freude war nicht von langer Dauer, denn postwendend forderte sie das Volkskommissariat für Äußeres auf, den bereits verabschiedeten und ratifizierten Vertragstext zu revidieren. Der Passus, dass die Sowjetunion Norwegen als »meistbegünstigten Handelspartner« behandle, müsse wieder gestrichen werden. Kollontaj realisierte und akzeptierte, was den Bolschewiki in Moskau fremd blieb, nämlich dass die Formulierung discuter le traité de commerce sur la base 53 Zur Funktion des Protokolls siehe auch Susanne Schattenberg, Diplomatie als interkulturelle Kommunikation, in: Zeithistorische Forschungen 8 (2011), 457–462. 54 M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 301. 55 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 30. 56 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 98,107, A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 48.
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du principe de la nation la plus favorisée lediglich eine diplomatische Floskel und traditionelle Höflichkeitsformel war57. War es ein kulturelles Missverständnis oder politischer Unwille? Was für die einen diplomatische Konvention bedeutete, begriffen die anderen als arglistigen Hinterhalt. Der norwegische Staatssekretär im Außenamt Esmarch erklärte entgeistert: »Aber es gibt keine andere Formulierung im internationalen Recht!«, und der Außenminister Christian Frederik Michelet kommentierte ironisch: »Vielleicht hat die sowjetische Regierung ein neues Handelsprinzip erfunden?!«58 Kollontaj gelang schließlich der Spagat zwischen internationalen Vertragskonventionen und den Sonderwünschen der Bolschewiki. Die sowjetische Regierung erklärte in einer offiziellen Note, wie das Wort »Meistbegünstigung« zu verstehen sei, und die norwegische Regierung antwortete darauf mit einer offiziellen Note. Damit war die Sache beigelegt59. Kollontaj litt nicht nur darunter, dass ihr pragmatisch-diplomatischer Stil immer wieder von der fundamental ideologischen Position Moskaus konterkariert wurde; sie musste auch immer wieder schmerzvoll erfahren, dass die aristokratische Etikette nicht in allen Situationen half und ihr durchaus fundamentales Wissen über die Regeln und Fallstricke der zwischenstaatlichen Kommunikation fehlte. Gleich zu Beginn ihrer Arbeit, im Januar 1923, handelte sie sich eine Rüge des norwegischen Außenamtes ein, weil sie sich mit Anfragen über die sozioökonomische Situation in Norwegen direkt an die Fachministerien gewandt hatte, anstatt, wie vorgeschrieben, diese über das Außenamt einzureichen. Immerhin war Kollontaj ihr Charme auch hier behilflich, eine generelle Missstimmung zu vermeiden. Sie bat, von Staatssekretär Esmarch empfangen zu werden und entschuldigte sich mit ihrer Unkenntnis der protokollarischen Gepflogenheiten: »›Ich bin, wie Sie wissen, ein Neuling auf dem Gebiet der Diplomatie, ich entschuldige mich persönlich für das daraus erwachsene Missverständnis. Um jedoch nicht gezwungen zu sein, auf Ihre recht scharfe Note antworten zu müssen, lege ich sie hier auf Ihren Tisch und denke, dass die Angelegenheit damit ausgeräumt ist. Meine Entschuldigung habe ich Ihnen mündlich vorgetragen, betrachten Sie dies als note-verbale, schloss ich schon lachend. Esmarch war sehr angetan von der Art, wie dieser kleine Zwischenfall behoben worden ist.«60
Am 13. Juli 1923 beklagte sich Kollontaj in ihrem »Tagebuch«: »Die Kommunisten haben mich reingelegt, schuld ist allerdings das Volkskommissariat für Äußere Angelegenheiten. Es existieren keine Instruktionen, wie wir uns zu ver57 58 59 60
A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 125. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 85. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 88. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 49.
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halten haben und was das diplomatische Etikett und Protokoll vorschreiben. Folglich machte ich einen Fehler: Ich verschickte Einladungen zu einem Essen an alle Minister, ohne diesen Schritt zuvor mit der Protokollabteilung abgestimmt zu haben. Mein zweiter Fehler: Ich hatte nicht nur alle Minister, sondern auch führende Parlamentsmitglieder der verschiedenen Parteien eingeladen. Was war die Folge? Eine liebenswürdige Ablehnung aller Minister.«61
Kollontaj war die Grundregel der Diplomatie nicht bekannt gewesen, dass erst die Regierung den Gesandten einlädt, bevor dieser das Recht hatte, seinerseits Regierungsmitglieder zu bewirten. Zudem entzog sich ihrer Kenntnis, dass sie als einfache Handelsvertretung überhaupt kein Recht hatte, zu offiziellen Essen einzuladen. Der ihr wohlgesonnene norwegische Außenminister Michelet klärte sie daraufhin geduldig über die Feinheiten des Protokolls auf, was sie minutiös nach Moskau weiterleitete62. Allerdings bewahrten sie ihre Erfahrungen im sozialdemokratisch orientierten, die Formen der Diplomatie recht liberal handhabenden Norwegen nicht davor, in der wesentlich konservativeren diplomatischen Welt Schwedens erneut gegen das diplomatische Procedere zu verstoßen. Hier waren es weniger die Regierungsvertreter als die Angehörigen des diplomatischen Corps selbst, die eine peinliche Beachtung der Etikette und der Rangordnung im Sinne des Wiener Kongresses erwarteten. Wer sich diesen Regularien nicht unterwarf, wurde aus der community verstoßen und gezwungen, Stockholm zu verlassen63. Vor diesem Hintergrund war es Kollontaj besonders unangenehm, dass sie unwissentlich gegen die protokollarische Präzedenz verstieß, die vorschrieb, dass sie als neueingetroffene Diplomatin zunächst dem Rangältesten, hier dem französischen Botschafter, ihre Aufwartung zu machen hatte, bevor sie alle anderen besuchte. »Ich hatte nicht erwartet, dass dieser Verstoß gegen die Rangfolge eine solche Unruhe im diplomatischen Corps auslösen und den Gerüchten weiter Nahrung geben würde, dass der neue sowjetische Botschafter, sprich diese Bolschewikin, böswillig das allgemein anerkannte Ritual verletze.«64 Zur Hilfe eilte ihr der türkische Gesandte, der ihr als einziger freundlich gesonnen war und ihr riet, was zu tun sei. Also fuhr sie zum Doyen der Diplomaten, dem norwegischen Vertreter, und warf ihm vor, es wäre seine Pflicht gewesen, sie in die Gepflogenheiten des schwedischen Diplomatenkorps einzuführen, da sie solche Bräuche weder aus Norwegen noch aus Mexiko kenne. Sie schob damit die Schuld auf den Doyen selbst, dem es nun oblag, sich bei den Franzosen zu entschuldigen: »Es war amüsant zu sehen, wie sich der norwegische Gesandte […] wand, als ich ihm vorwarf, er hätte mich einweisen müssen, er habe mich in eine unangenehme Lage gegen61 62 63 64
RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 203; A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 79–80. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 204. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 21–22. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 22.
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über den Franzosen gebracht.«65 Kollontaj schaffte es derart zu verhindern, dass sie als Außenseiterin und Querulantin gebrandmarkt wurde, und brachte stattdessen ein angesehenes Mitglied des diplomatischen Corps in eine pikante Lage. Kollontaj lernte schnell, sich in den Finessen des Procedere zurechtzufinden und es zu ihren Gunsten zu nutzen. Zum Ende ihrer Amtszeit in Norwegen 1929 galt sie dort als die Dinner-Lady schlechthin. Die Presse attestierte ihr: »Madame Kollontaj und ihre Dinner brechen die Rekorde aller Abendeinladungen.«66 Mit ihrem gesellschaftlich tadellosen Auftreten befreite sie die sowjetische Repräsentanz sowohl in Norwegen als auch in Schweden aus der Isolierung und erreichte sogar, dass sich offizielle Staatsvertreter zu den von ihr ausgerichteten Empfängen anlässlich der Feier des Revolutionstags am 7. November die Ehre gaben67.
V. Die Frau und das Protokoll Kollontaj musste nicht nur in Hinsicht auf das sowjetische Protokoll improvisieren, sondern auch die Rolle der Frau auf dem internationalen Parkett neu erfinden. Der norwegische Protokollchef beschwerte sich Anfang 1923 bei ihr: »Sie sind der erste weibliche Diplomat der Welt, schon das allein wirft einige bisher ungelöste und von der Etikette nicht vorgesehene Probleme auf. Und nun reist auch noch ihr Ehegatte an. Wo werden wir ihn während eines Empfangs platzieren, mit wem sollen wir ihn bekanntmachen, wer rangiert vor ihm, wer nach ihm?«68 Als sie 1930 nach Stockholm versetzt wurde, klagte der schwedische Protokollchef, Baron Barnekow, dass sie seine Arbeit verdoppelt habe: »Manchmal scheint mir, dass ich wahnsinnig werde, wenn ich die Sitzordnung bei Tisch wieder und wieder umstoße.«69 Die schwierige Frage, die sich den Protokollchefs stellte, lautete, in welcher Eigenschaft Kollontaj zu platzieren sei: als Dame oder als Diplomat? Unterlag sie der protokollarischen Präzedenz und musste als jüngstes Mitglied des diplomatischen Corps im hintersten Glied stehen, oder sollte man ihr als Dame die Ehre erweisen, sie direkt neben den Gastgeber zu setzen? Sollte sie bei den Herren stehen, die politische Konversation führten, oder bei den Damen, die darauf warteten, von ihren Herren zu Tisch geleitet zu werden? Bislang war die diplomatische Welt in eine männliche Sphäre der Staatsvertreter hier und eine weibliche Sphäre ihrer Gattinnen dort geteilt gewesen. Da die protokollarischen Regularien bei Empfängen und Dinners auf den vorherrschenden Geschlechterrollen aufbauten, brachte Kollontaj nicht nur die 65 66 67 68 69
RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 22–23. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 12, l. 35. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 74; A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 264, 328. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 51. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 18, l. 27.
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diplomatische Welt, sondern auch die Ordnung der Geschlechter durcheinander. In Stockholm, wo die diplomatische Welt zu Kollontajs großem Missvergnügen sehr traditionell geprägt war und sich in eine »höfische Gesellschaft« und die »normalsterblichen Diplomaten« teilte70, nahm es sich der Außenminister, Baron Fredrik Ramel, heraus, sie nicht entsprechend der diplomatischen Rangfolge am Ende der Tafel zu platzieren, sondern sie als Dame zweiten Ranges auf die linke Seite des Gastgebers zu setzen. Am königlichen Hofe hingegen wurde sie wiederum als Gesandte, nicht als Dame platziert, also hinter dem vor ihr eingetroffenen Diplomaten71. Offenbar machte eine Frau als Landesvertreterin auch den schwedischen König unsicher, denn als ihm Kollontaj 1930 ihr Beglaubigungsschreiben überreichte, bat er sie vertraulich um Rat: »›Wie hat König Haakon Sie eigentlich empfangen? Haben Sie sich im Stehen oder sitzend unterhalten?‹ ›Sitzend‹, antwortete ich. ›In diesem Fall, Exzellenz, bitte ich Sie Platz zu nehmen. Ich hatte noch nie die Ehre, eine Dame in so hoher Mission zu empfangen. Das Zeremoniell ist noch nicht erarbeitet.‹«72
Wenn sich die Protokollchefs einmal durchgerungen hatten, Kollontaj wie einen männlichen Diplomaten nach dem Senioritätsprinzip zu behandeln, war die Sitzordnung ganz einfach. Normalerweise stand sie bei Empfängen vor dem Dinner in der Gruppe der Herren und stellte sich nicht zu den Damen, die warteten, von ihren Tischherren zur Tafel geführt zu werden. Nach dem Dinner gesellte sie sich mit den Herren in den Rauchsalon, während die Damen ihren Kaffee in einem separaten Zimmer einnahmen73. So, wie alle ausländischen Vertretungen einmal im Jahr der Oberhofmeisterin in Stockholm die Damen des diplomatischen Corps vorstellten, führte auch Kollontaj bei dieser Zeremonie »ihre Damen« der Gräfin Levenhaupt vor – ein ganz normaler Vorgang für einen »Diplomaten«74. Sich ganz in diese »männliche Rolle« zu fügen, hatte große Vorteile und konnte vor peinlichen Zwischenfällen schützen. Einmal nämlich, 1931 in Stockholm, war sie ins Gespräch mit einer Dame versunken, als der niederländische Gesandte, der die Bolschewiki hasste, verspätet hereinstürzte und in Eile begann, einer Dame nach der anderen einen Handkuss zu geben – ohne dabei aufzuschauen, wen er da gerade küsste: »In unverminderter Hast schmatzte er auch meine Hand und erst danach blickte er zu mir auf. Der Schreck war seinem Gesicht abzulesen, völlig in Panik geraten, trat er 70 71 72 73 74
RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 21. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 27. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 286. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 12, l. 39. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 29.
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zwei Schritte zurück, riss dabei ein Rauchtischchen um und wäre um ein Haar selbst gestrauchelt. Die in unmittelbarer Nähe stehenden Diplomaten konnten sich nur mit Mühe das Lachen verkneifen. Der englische Gesandte kam zu mir und sagte mit heiterer Ironie: ›Wiederholen Sie diese Szene bitte noch einmal. Wir haben uns alle köstlich amüsiert.‹«75
Fast schwerer als die Herren taten sich die Damen mit dem Fakt, dass sie Kollontaj als ausländischen Repräsentanten und nicht als Dame und Vertreterin der sowjetischen Mode zu betrachten hatten. Wenn sie in Moskau war, so Kollontaj, dann zerrissen sich die Frauen der dortigen Diplomaten die Münder über ihre Hüte und Schuhe76. Auch in Schweden passierte es hin und wieder, dass eine Dame aus dem Hochadel sich vertraulich bei ihr unterhakte, sie ungeniert von Kopf bis Fuß musterte und neugierig über ihre Garderobe ausfragte77. Tatsächlich war die Kleiderfrage für Kollontaj eine der schwierigsten. Ihre Freundin Isabel de Palencia, die spanische Gesandte und eine von fünf weiblichen Diplomaten, die es in den 1930er-Jahren gab, drückte es so aus: »Ein männlicher Diplomat hat zwei Gala-Anzüge zur Auswahl, eine Paradeuniform oder Frack und seine Diplomatenuniform. […] Die Garderobe einer Frau ist wesentlich komplizierter […]. Alles Schrille und Exzentrische provoziert Kritik. Alles was zu elegant ist, kann Neid erwecken […]. Die vier weiblichen Diplomaten, die ich traf, bevorzugten alle schwarze Kleider und wenig, wenn überhaupt Schmuck. Instinktiv und spontan trugen Alexandra und ich einfarbig schwarz, als wir unsere Beglaubigungsurkunden dem König von Schweden überreichten.«78
1930 hatte Kollontaj in der Kleiderwahl schon Routine, aber 1924, als sie erstmals zum norwegischen König gerufen wurde, kostete sie die richtige Kleiderwahl einige Anstrengung, zumal die Audienz sehr kurzfristig angekündigt wurde: »Bis Ladenschluss verblieben noch eineinhalb Stunden. Zuerst bemühte ich mich um einen Mantel und fand sofort, was ich mir vorgestellt hatte; er war teuer, doch blieb keine Zeit, darüber zu räsonieren. Es war ein Chasuble aus dunklem, bronzefarbenem seidigem Stoff, ohne Ärmel […].«79
Für das Kleid konnte sie eine Schneiderin überreden, auch am Sonntag zu arbeiten, doch der Hut stellte ein wirkliches Problem dar: 75 76 77 78 79
A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 305; RGASPI, f. 134, op. 3, d. 16, l. 26. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 18, l. 44. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 12, l. 42. Isabel de Palencia, Alexandra Kollontay. Ambassadress from Russia, New York 1947, 211. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 123.
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»[…] ich brauchte noch etwas Passendes für meine ›Uniform‹ (glatter und strenger Schnitt aus schwerem, schwarzem Samt, hoher Kragen, lange Ärmel). Mir schwebte ein Hut in Form eines Zylinders vor, dem durch irgendeine Feder die Strenge genommen werden sollte. Doch das Geschäft war geschlossen. Was tun? In unserer Vertretung herrschte Hochstimmung, die Männer boten mir ihre Zylinder an, an denen sie Hahnenfedern anbrachten – alle probierten, amüsierten sich und lachten.«80
Schließlich erbarmte sich ein Putzmacher, der sie am Sonntag bediente und das Gewünschte verkaufte. Nicht nur Kollontaj beunruhigte, welche Signale sie mit ihrer Kleiderwahl aussenden würde. Auch der schwedische Protokollchef war voller Sorge, die Bolschewikin könnte durch ein unziemliches Äußeres den König provozieren wollen. Er wollte von Kollontaj wissen: »Welchen Hut werden Sie tragen, Exzellenz? Wäre es nicht besser ohne Hut?«81 Immerhin war der Anblick, dass eine Dame vom Hofmarschall in der königlichen Kutsche abgeholt wurde, so ungewöhnlich, dass auf der Straße die Passanten stehen blieben und fragten, ob hier ein neuer Film gedreht werde.82 Kollontaj musste also auch das äußere Erscheinungsbild eines weiblichen Diplomaten erfinden. Offenbar gelang ihr der Balanceakt zwischen schlichter, hochgeschlossener Seriosität einerseits und einer weiblichen Note andererseits. Sie selbst war sehr zufrieden: »streng, aber doch weiblich-elegant«.83 Der norwegische Außenminister Mowinckel bestätigte diese Einschätzung, als er ihr anlässlich ihrer ersten Einladung, für die sie sich ihre Garderobe sehr genau überlegt hatte, mit folgendem Kompliment aufwartete: »Mir ist erst heute aufgefallen, dass Madame Kollontaj nicht nur klug, sondern auch attraktiv ist.«84 Schließlich sah sich Kollontaj mit einer weiteren geschlechterspezifischen Besonderheit konfrontiert. Diplomaten hatten normalerweise Ehefrauen, die sich um die repräsentative Ausstattung der Vertretung, den Tischschmuck und Ähnliches kümmerten, sprich Damen des Hauses waren. Sie aber war Diplomat und Hausdame in einer Person. In Norwegen ebenso wie in Mexiko und Schweden oblag es ihr, die Vertretungen einzurichten, für präsentables Geschirr, Tafelsilber und Tischleinen zu sorgen85. Dabei war ihr sehr bewusst, dass dies wichtige repräsentative Accessoires waren, die für den gewünschten Eindruck entscheidend sein konnten. Über die Räumlichkeiten der Vertretung in Stockholm schimpfte sie: »Stilvolle Möbel kommen in den ungemütlichen Zimmern, die an Gästezimmer deutscher Pensionen erinnern, nicht zur Geltung. Und das in Schweden, wo man 80 81 82 83 84 85
Ebd. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 285. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 124. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 4, l. 126. RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 204. I. de Palencia, Alexandra Kollontay (Anm. 78), 210 f.; A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 261; RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 139.
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einem angemessenen Ambiente und einer gediegenen Ausstattung von Botschaften große Bedeutung beimisst. Warum nur hat sich niemand darum gekümmert, unsere Vertretung so einzurichten, wie es sich für die Vertretung einer Großmacht gehört? Und während ich durch die Zimmer ging, stellte ich bereits in Gedanken die Möbel um und warf den geschmacklosen billigen Kram hinaus.«86 Angesichts der Doppelbelastung von Geschäfts- und Haushaltsführung liebte sie es zu scherzen: »Hätte ich eine Ehefrau – sie würde mir diese lästigen Pflichten abnehmen. Darin besteht die unkomfortable Lage einer Vertreterin, dass sie keine Ehe- und Hausfrau hat und eine doppelte Last trägt. Ich bin der Bevollmächtigte und seine Frau.«87
VI. Schlussfolgerungen: Eine Diplomatin in Stalins Zeiten Aleksandra Kollontaj genoss ganz offensichtlich ihre Arbeit und Erfolge als Diplomatin88. Nachdem sie als Frau und Vertreterin der Sowjetunion in Stockholm einen schweren Start gehabt hatte und von den meisten Kollegen regelrecht boykottiert worden war89, stieg sie 1942 selbst zum Doyen des diplomatischen Corps auf und führte seit 1943 den Titel »außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter«, der erstmals überhaupt in der Sowjetunion verliehen wurde90. Für ihre Vermittlung der Friedens- bzw. Waffenstillstandsverträge zwischen Finnland und der Sowjetunion 1940 und 1944 wurde sie 1946 von Norwegen mit dem St. OlafsOrden ausgezeichnet und von schwedischen und norwegischen Parlamentariern für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen91. Im konservativen Schweden, das keine Orden an Frauen vergab, schickte ihr der König als Zeichen der höchsten Ehre sein Porträt, in Silber gerahmt, mit Wappen und Autogramm92. Kollontaj wurde am 18. März 1945 weniger aus politischen Gründen abberufen als aufgrund ihres äußerst schlechten Gesundheitszustands; sie war bereits 73 Jahre alt. Als sie im August 1942 einen Schlaganfall erlitt, soll Stalin dafür gesorgt haben, dass sich die besten schwedischen Ärzte um Kollontaj kümmerten93. Nachdem ihr bereits 1933 der Leninorden verliehen worden war94, wurde sie 1945 zum zweiten Mal 86 87 88 89 90 91
A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 261. Zit. nach: A. Itkina, Revoljucioner (Anm. 9), 247. Vgl. auch H. Deutschland, Vorwort (Anm. 12), 13. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 264. A. Itkina, Revoljucioner (Anm. 9), 274; A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 518. M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 315, 318; A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 542. 92 A. Itkina, Revoljucioner (Anm. 9), 279. 93 Brief von A. M. Kollontaj an V. M. Molotov vom September 1943, in: M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 341 f.; A. Vaksberg, Val’kirij revoljucii (Anm. 10), 517. 94 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 364.
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mit dem Roten Arbeiterbanner geehrt. Zeit ihres Lebens blieb sie Ratgeberin des Außenministeriums und durfte den Titel »Botschafter« weiterführen95. Nichtsdestoweniger gab es Zeiten, in denen sie die Diplomatie als »Joch« empfand, vom dem sie befreit werden wollte. Dies betraf die gesamte Zeit in Mexiko, wo das Höhenklima ihrem kranken Herzen schwer zusetzte96, aber auch das letzte Jahr in Norwegen und die Anfangszeit in Stockholm97. Im April 1930 klagte sie: »Ich stehe abseits und fühle, dass meine Entscheidung, in Moskau darauf zu drängen, das Joch der Diplomatie abschütteln und nach Hause, in die Union, zurückkehren zu dürfen, endgültig herangereift ist. Ich habe nicht mehr genügend Kraft und Ausdauer, diese Umzingelung aus Feindschaft und Hass zu ertragen.«98 Dagegen hatte sie im Juni 1923 notiert: »Ich möchte keine neue Seite in meinem Leben, keine Veränderungen. So, wie es jetzt ist, soll es bleiben.«99 Es lässt sich keineswegs pauschal sagen, dass Kollontaj als Diplomatin im Zwangsexil war. Wie sie ihre jeweilige Lage und Aufgabe beurteilte, hing von mehreren Faktoren ab, von denen einer ihre Gesundheit war, ein anderer die außenpolitische Lage bzw. das Ansehen, das die Sowjetunion zum jeweiligen Zeitpunkt im jeweiligen Land genoss, und ein dritter schließlich die innenpolitische Lage in der Sowjetunion verknüpft mit der Frage, welchen Gestaltungsspielraum Moskau ihr ließ. Dass sie im Jahr 1930 ihre Lage in Norwegen und dann Schweden als immer unerträglicher empfand, lag zum großen Teil daran, dass dort die Verhaftungen und Schauprozesse gegen die Sozialrevolutionäre und gegen die technische Intelligenz, zumal wenn es schwedische Ingenieure waren, während der Kulturrevolution sowie die Politik der Kollektivierung sehr genau wahrgenommen und scharf verurteilt wurden100. Während es Kollontaj in den 1920er-Jahren durchaus ausfüllte, sich für die Anerkennung der Sowjetunion einzusetzen und erste Handelsverträge zu schließen, und sie offenbar noch einige Freiheit in ihrem Tun und Lassen genoss, wurde die Situation für sie nicht nur mit der Kulturrevolution, sondern auch mit dem Wechsel an der Spitze des Außenkommissariats 1930 schwieriger101. Nun beklagte sie sich, dass die wirkliche Außenpolitik im Politbüro gemacht wurde, während sie sich zur Handelsvertreterin degradiert sah102. Es war also weniger das diplomatische Metier an sich, das ihr nicht behagte, als die politische Beschneidung von Handlungsfeldern und Gestaltungsspielräumen. Am 1. Februar 1932 notierte sie: 95 Ebd. 96 Brief von A. M. Kollontaj an V. M. Molotov vom 1. März 1927, in: A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 595. 97 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 257, 276. 98 Ebd., 256. 99 RGASPI, f. 134, op. 3, d. 2, l. 186. 100 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 292, 296; Brief von A. M. Kollontaj an J. V. Stalin vom 16. Juli 1930, in: ebd., 600 f. 101 A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 280. 102 Ebd., 327.
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»Ich beneide Litwinow. Ich muss hier in Stockholm sitzen und mit Holz handeln in einer Zeit, da die Gefahr besteht, dass die Union in das japanische Kriegsabenteuer in der Mandschurei hineingezogen wird. Das ist absurd und quälend. Es ist, als ob man tatenlos ausharren müsse, während im Nebenzimmer ein dir naher, kranker Mensch mit dem Tode ringt.«103
Über ihre Rolle als Mitglied der sowjetischen Delegation beim Völkerbund schreibt Kollontaj auffälligerweise fast nichts von Substanz, weder über die Verhandlungen noch über Begegnungen. Absurderweise waren es die zwei Kriege ab 1939, die ihr wieder das alte politische Handlungsfeld eröffneten, auch wenn sie um jeden Auftrag, jede Instruktion und Bevollmächtigung aus Moskau betteln und tagelang auf Antwort warten musste104. »Moskau geizt mit Informationen und Weisungen. Ich handle auf eigene Verantwortung«, schrieb Kollontaj am 24. Dezember 1939105. Letztlich gewann sie, auch dies eine Ironie der Geschichte, durch die Geheimpolizei, den NKVD, der seit 1939 Stockholm als Führungszentrale für die Agenten in ganz Skandinavien ausbaute, wieder mehr an politischem Gewicht106. Nachdem Kollontaj feststellen musste, dass sie sich der neuen Attachés nicht entledigen konnte, versuchte sie deren Präsenz zu nutzen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen107. Dabei ist umstritten, ob sie lediglich gute Miene zum bösen Spiel machte und sich mit der Unterordnung unter bzw. Überwachung durch den Geheimdienst abfand108, oder ob sie sich tatsächlich mit der NKVDAgentin Zoja Rybkina anfreundete109. Jedenfalls wären ihr ohne die permanente Kontrolle durch den NKVD seit Ende des Jahres 1939 die Sondierungsgespräche mit Finnland im Jahr 1943 vermutlich kaum übertragen worden110. Die Unterzeichnung des Waffenstillstands 1944 war zugleich Sternstunde und Endpunkt ihrer diplomatischen Karriere. Es wäre also verkürzt, Kollontajs diplomatische Laufbahn allein im Kontext ihrer Biographie bzw. ihres angeblichen Disputs mit Stalin zu erzählen. Das Auf und Ab wird erst vor dem Hintergrund der zunehmenden Stalinisierung der Außenpolitik in den 1930er-Jahren und der großen Machtfülle des NKVD während des Krieges nachvollziehbar111. 103 104 105 106 107 108 109 110 111
Ebd., 336 f. Ebd., 533, 538, 540. Ebd., 534. M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 315; A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 505. M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 314 f., 317. A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 510. M. Fuchs, Die ›geheime Verbindung‹ (Anm. 14), 315. Ebd., 317; A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 524. Vgl. dazu auch Charles Roetter, The Diplomatic Art. An Informal History of World Diplomacy, Philadelphia 1963, 108; Albert Resis, The Fall of Litvinov: Harbinger of the German-Soviet Non-aggression Pact, in: Europe-Asia Studies 8 (2000), 33–56; Sabine
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Es bleibt das große Rätsel, warum Stalin Kollontaj verschonte, während er die meisten Mitglieder der ersten Sowjetregierung und einen Großteil der Diplomaten während des Großen Terrors hinrichten ließ112. Hierzu kursieren verschiedenste Theorien, von der feministischen Meinung Beatrice Farnsworth’, es sei ein weiterer Beweis für die Frauenfeindlichkeit Stalins, dass er sie für nicht wichtig genug hielt, um sie zu erschießen113, über die lakonische Aussage Molotovs, sie habe ihnen schließlich nicht geschadet114, bis hin zu der Annahme, sie sei im Ausland zu prominent gewesen, und der Tatsache, dass durchaus einige herausragende Diplomaten den Wechsel und die Säuberung im Außenamt 1939 überlebten115. Kollontaj selbst rechnete in den Jahren des Großen Terrors stets, wenn sie nach Moskau gerufen wurde, mit ihrer Verhaftung und traf jedes Mal vor ihrer Abreise Vorkehrungen für den Fall, dass sie nicht zurückkehren würde116. Arkadij Vaksberg behauptet, ohne allerdings entsprechende Quellen anzugeben, ein vierter Moskauer Schauprozess gegen die »Verräter-Diplomaten« sei bereits geplant gewesen und der NKVD habe nur auf das Signal aus dem Kreml gewartet, die Vernichtungsmaschinerie anlaufen zu lassen. Vaksberg nimmt an, dass Stalin von dieser Inszenierung nach der »moralischen Niederlage« im dritten Schauprozess gegen Bucharin und Rykov Abstand nahm117. Das erklärt allerdings noch nicht, warum er Kollontaj nicht im Stillen verhaften und erschießen ließ. Der genaue Grund für ihre Verschonung wird vermutlich nie zu klären sein. Nicht ausgeschlossen ist, dass hier reiner Zufall waltete; möglich ist aber auch, dass ihr Ende 1939 der Krieg mit Finnland, in dem sie als Friedensvermittlerin nützlich war, das Leben rettete118. Was sie angesichts der Ermordung vieler ihr nahestehender Menschen, Weg- und Kampfgefährten, ihres früheren Liebhabers A. G. Šljapnikov und zweiten Ehemanns P. Je. Dybenko sowie vieler bewunderter Schriftsteller durchlitt, ist angesichts der in den »Tagebüchern« getilgten Passagen und nur weniger Andeutungen in Briefen aus dieser Zeit lediglich zu erahnen. Im Juli 1937 notierte sie auf dem Flug nach Moskau: »Es ist Krieg in Spanien, in China, und es ist außerdem noch vieles geschehen, das das Herz schmerzhaft erstarren lässt. Niemals, niemals mehr kehrt unbekümmerte Freude zurück.«119
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Dullin, Plebeian Diplomats? Profiles and Skills of Soviet Diplomats, 1936–1945, in: Cahiers du Monde Russe 10 (2003), 437–462. Simon Sebag Montefiori, Stalin. Am Hof des Roten Zaren, Frankfurt a. M. 2006, 346. B. Farnsworth, Bolshevism (Anm. 4), 316. Feliks Čuev, Sto sorok besed s Molotovym. Iz dnevnika F. Čueva, Moskau 1991, 189. Očerki istorii Ministerstva inostrannych del Rossii, hrsg. v. Igor’ S. Ivanov, Bd. 2: 1917– 2002, Moskau 2002, 199 f., 238. Brief von A. M. Kollontaj an Ada Nilsson vom 4. Juli 1937, in: A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 624. A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 473. Ebd., 492. A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 624.
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Vor der Gewalt dieser historischen Ereignisse können Kollontajs Leistungen, sich als Frau in der Diplomatie behauptet und zwei Handlungsfelder neu gestaltet zu haben – als Vertreterin der Sowjetunion und als Frau in einem auf Männer ausgelegten Protokoll – leicht in den Hintergrund geraten. Sie selbst war der Meinung, dass Frauen die besseren Diplomaten seien: flexibler, verständnisvoller, mit einer stärkeren Intuition ausgestattet120. Zu ihrer Freundin Isabel de Palencia sagte sie: »Einige Männer werden sagen, dass Diplomaten all jene Eigenschaften brauchen, die ihrer Meinung nach Frauen fehlen. […] Aber sie gestehen uns das zu, was für die Diplomatie am wichtigsten ist: Takt und Diskretion.«121 Dass sich Kollontaj so schnell in dieser Welt von »Takt und Diskretion« orientierte und reüssierte, lag maßgeblich daran, dass sie die sozialen Umgangsformen und Höflichkeitsfloskeln aus dem Effeff beherrschte. Der alte Verhaltenscodex aus dem 19. Jahrhundert, den Trotzkij und viele »Fundamental-Bolschewiken« ablehnten, war die Eintrittskarte sowohl für die Sowjetregierung als auch für die erste Frau in die Diplomatie; die Kultur des Auftretens war wichtiger als Ideologie oder Geschlecht es waren. Die Protokollsprache, ganz gleich ob als »westlich«, »bourgeois« oder »aristokratisch« apostrophiert, half sowohl der Sowjetregierung im Allgemeinen als auch Kollontaj als Frau im Besonderen, ihre Interessen durchzusetzen und sich als feste Größe in der Welt der Diplomatie zu etablieren. Kollontaj ist damit ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sehr im diplomatischen Miteinander die Umgangsformen dominierten und ideologische Gegensätze verblassen bzw. überbrückt werden konnten, wenn nur die Art der Ansprache, die gewählte Geste und die Form des Verhaltens stimmten. Die sowjetische Diplomatie war in den 1920er-Jahren ein großes Experimentierfeld, da es weder ein »sowjetisches Protokoll« noch eine »bolschewistische Etikette« gab. Diese Leerstellen ließen Kollontaj einerseits in der Formensprache viel Gestaltungsfreiheit. Andererseits brachten die Unbestimmtheit und der Mangel an klaren Anweisungen sie auch immer wieder in Konflikt mit der eigenen Regierung. Ihr kulturelles Kapital half ihr, sich als geschätzte Repräsentantin ihres Landes zu etablieren, sodass sie dank ihres formvollendeten Auftretens mehr als Diplomatin denn als Bolschewikin wahrgenommen wurde. Das diplomatische Protokoll erfüllte damit seinen ureigensten Zweck: kulturelle Unterschiede einzuebnen und ein Zeichensystem zur Verfügung zu stellen, das alle Seiten gleichermaßen beherrschten und dechiffrieren konnten. Die Form war relevanter als der Inhalt bzw. entschied darüber, ob der Inhalt überhaupt wahrgenommen wurde. Kollontaj, die oft als Fundamentalistin oder Dogmatikerin bezeichnet wurde122, zeigte sich sehr flexibel und begriff schnell, welche Räume und Türen sich ihr öffneten, wenn sie sich auf ihre gute Kinderstube aus der Zarenzeit verließ. Es ist nicht erstaunlich, dass die Vossische Zeitung 1925 von 120 I. de Palencia, Alexandra Kollontay (Anm. 78), 208. 121 Ebd., 209. 122 A. Vaksberg, Val’kirija revoljucii (Anm. 10), 6.
Ein Diplomat im Kleid
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dieser Performance begeistert war. Sie schrieb über Kollontajs Besuch in Berlin: »Es bleibt der Eindruck: Propaganda für Russland in geschickter Form. Und es erhebt sich die Frage: Warum hat Westeuropa nicht Diplomatinnen? Wie nahe liegt Frauenwesen und Diplomatie!«123
123 »Die erste Diplomatin in Berlin«, in: Vossische Zeitung, 22.12.1925, zitiert nach A. Kollontaj, Mein Leben (Anm. 12), 589.
Von Ehefrauen, Sekretärinnen und Diplomatinnen: Diskurse, Biographien und Verwaltungspraktiken im schweizerischen diplomatischen Corps, 1945–1975
Von Sacha Zala und Ursina Bentele »Es war einmal eine stille junge Dame, die trotz ihres akademischen Titels eines Doktors der Philosophie ein bescheidenes und unaufdringliches Wesen war und ihrem Beruf – sie war Geschichtslehrerin an einer der angesehensten und berühmtesten höheren Mädchenschulen der Vereinigten Staaten – gewissenhaft und ohne besondere Sensationen nachging. Diese junge Dame ließ sich damals gewiss nicht träumen, dass sie noch einmal Weltgeschichte machen und zu einer Persönlichkeit auf dem großen politischen Welttheater werden würde. Aber fünfundzwanzig Jahre später hat sich das Wunder vollzogen: Fräulein Dr. phil. Frances E. Willis wird als Botschafterin der Vereinigten Staaten in Bern einziehen, nicht mehr ganz so jung wie damals als Geschichtslehrerin am Vassar-College und nicht mehr ganz so scheu und zurückhaltend, aber immer noch still, bescheiden, freundlich und unaufdringlich.«1
Diese freundliche, ja geradezu begeisterte, wenn auch selbstredend paternalistische Würdigung ließ der USA-Korrespondent der schweizerischen illustrierten Wochenzeitschrift Sie und Er Frances E. Willis im Sommer 1953 angedeihen. Die illustrierte Idylle sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass ihre Ernennung zum ersten Botschafter – die Frage der Bezeichnung muss in der Tat noch eingehend diskutiert werden – der Vereinigten Staaten in der Schweiz vier Monate früher wie eine Bombe eingeschlagen hatte2. Am 15. April 1953 platzierte die New York Times auf der Frontseite die Indiskretion, dass Präsident Eisenhower beabsichtige, die Karrierediplomatin bald zur US-Botschafterin in der Schweiz zu ernennen und dies »trotz der antifeministischen Schweizer Sichtweise«3. Der Genfer Korrespondent der Zeitung wusste weiter zu berichten, dass dortige ausländische Diplomaten von der Ernennung einer Frau zur Botschafterin in der Schweiz ungünstige Wirkungen befürchteten. Tatsächlich traf die Indiskretion der New York Times auch das Department of State unvorbereitet. In einem vertraulichen Memorandum an den Unterstaatssekretär zeigte sich der Verantwortliche für Europäische Angelegenheiten sehr 1 Sie und Er, 16.7.1953. 2 Vgl. Sacha Zala, Gebändigte Geschichte. Amtliche Historiographie und ihr Malaise mit der Geschichte der Neutralität. 1945–1961, Bern 1998, 97; Sacha Zala, Geschichte unter der Schere politischer Zensur, München 2001, 297–300. 3 […] despite anti-feminist Swiss view, New York Times, 15.4.1953.
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erstaunt über die Indiskretion, weil weder Willis selbst noch die schweizerische Regierung informiert worden waren, was bereits zu einer Intervention4 des schweizerischen Ministers in Washington geführt hatte5. Der hohe Beamte des Department of State bedauerte, dass die Geschichte von der Presse als »Schlag gegen die antifeministische Schweiz« (slap at anti-feminist Swiss) dargestellt wurde und meinte lakonisch: »Wenn Miss Willis tatsächlich nach Bern gesandt wird, halte ich dies für einen denkbar ungünstigen Start.«6 Die Meldung der New York Times wurde auch vom Vancouver News-Herald, La Presse in Montreal, der New York Herald Tribune und von der Neuen Zürcher Zeitung aufgenommen7. Da Willis zu diesem Zeitpunkt Legationsrätin in Helsinki war, wurde die Nachricht ebenfalls von der finnischen Presse verbreitet – mit dem Hinweis des Korrespondenten der New York Times, dass »ihre Ernennung keine günstige Wirkung auf die Schweiz haben wird, da dieses Land einen Widerwillen dagegen hat, dass Frauen am politischen Leben teilnehmen«8. Wahrscheinlich wurden die Befürchtungen der negativen Konsequenzen einer solchen Mission in der Schweiz etwas journalistisch zugespitzt, denn es lassen sich in der Tat keine »amtlichen Aversionen« gegen die beabsichtigte Ernennung von Willis nachweisen. Doch zeugt ein anonymes Schreiben eines selbsternannten »einfache[n] Bürger[s]« als »Reaktion auf die Bekanntgabe in Zeitungen und Zeitschriften, dass der Herr Präsident der USA ›uns‹ mit einer Botschafterin beglücken wolle«, von der Befürchtung, dass durch diese Wahl »die leidige Frauenstimmrechtsbewegung namhaften Auftrieb« erfahre. »In natürlichem Empfinden« – so die Argumentation – »hat der Mann bisher die Frau verschont von schwerer und besonders schmutziger Arbeit, und eben auch von der Politik, die ja wesentlich Kampf ist, bis zum Krieg. Unserm bisherigen Wahlsystem dürften schon genug Mängel anhaften, ohne dass die Frau mit ihrer leidenschaftlicheren Veranlagung für Hass und Liebe in diesen ›Kampf‹ hineingezogen wird. Es wäre m. E. eine Schande für die Männer, und sicherlich ein Unheil für die Familie. [...] 4 Vgl. Telegramm von Minister Karl Bruggmann an Bundesrat Max Petitpierre, 15.4.1953, CH-BAR#E2001E#1970/217#1469* (B.22.21). 5 Memorandum ›Confidential‹ von Livingston T. Merchant, Bureau of European Affairs, an Unterstaatssekretär General W. Bedell Smith, [Washington, D.C.], 15.4.1953, National Archives USA, RG 59, Miscellaneous Lot Files, Lot 59D233, Miscellaneous Office Files of the Assistant Secretaries of State for European Affairs, 1943–1957, Box 28, Dossier »Switzerland, 1950–1955, Folder 2 of 2«. 6 If Miss Willis is to go to Bern, I think this is a most unfortunate send-off for her, ebd. 7 Vancouver News-Herald, 15.4.1953; La Presse, 15.4.1953; New York Herald Tribune, 16.4.1953; Neue Zürcher Zeitung, 16.4.1953. 8 Hufvudstadsbladet, 16.4.1953. Für die deutsche Übersetzung vgl. den Brief der schweizerischen Gesandtschaft in Finnland an die Abteilung Presse und Informationen des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD), 17.4.1953, CHBAR#E2001E#1970/217#1469* (B22.21).
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So hätte ich denn den wohl vergeblichen Wunsch: Es sollte die Botschafterin dem Herrn Präsidenten mit einem höflichen Refusé zur Verfügung gestellt werden können!«9 Diese einleitenden Bemerkungen über eine bemerkenswerte Ernennung sollten die Relevanz des Themas von Frauen in der Schweizer Diplomatie sowohl für die Geschichte der Außenbeziehungen als auch für die Geschlechter- und Mentalitätsgeschichte deutlich belegen. Umso erstaunlicher ist es, dass zum Forschungsstand der Geschichte des schweizerischen diplomatischen Corps außer Claude Altermatts Dissertation aus dem Jahre 199010 und mit Ausnahme punktueller Beiträge11 kaum neue Studien dazu vorliegen. Noch karger ist die Forschungslandschaft zu Geschlechterfragen in der schweizerischen Diplomatie, die immer noch ein regelrechtes historiographisches no man’s (sic!) land ist. Dies ist eigentlich erstaunlich, hat doch die schweizerische Außenministerin Micheline Calmy-Rey (2002–2011) kurz nach ihrer Wahl eine konsequente Frauenförderung im Außendepartement angeordnet. Diese zielstrebige Politik führte 2006 gar zu einem politischen Eklat, als ein Ständerat und zwei Professoren die Kommission für die Auswahl der künftigen Diplomaten und Diplomatinnen unter Protest verließen, weil die Außenministerin sechs von der Kommission vorgeschlagene Männer nicht berücksichtigt hatte. Um den Frauenanteil im diplomatischen Corps zu erhöhen, wurden je vier Frauen und vier Männer aufgenommen und somit eine Praxis der Parität der Geschlechter eingeführt. Durch direkte Intervention der Außenministerin wurden 2011 dann erstmals gar mehr Frauen als Männer aufgenommen, nämlich sieben Frauen und drei Männer12. Diese Entwicklung lässt nach Veränderungen der geschlechterspezifischen Handlungsfelder in der Schweizer Diplomatie zwischen 1945 und 1975 fragen. Wir möchten im Folgenden einerseits die stereotype Arbeitsteilung in der Diplomatie – also die klassischen Rollen der Diplomatengattin und der Sekretärin – und andererseits die atypische und neue Rolle der Botschafterin analysieren. Dabei betrachten wir sowohl die exogene wie auch die endogene Komponente der Geschlechterfrage in der schweizerischen Diplomatie der Nachkriegszeit, führte doch das Interesse der Presse für ausländische Botschafterinnen in der Schweiz zu einer grundsätzlichen Diskussion über die Rolle der Frauen im schweizerischen auswärtigen Dienst. In der Geschichte der Geschlechterrollen in der Schweiz soll somit ein neues Themenfeld eröffnet werden: die Frage nach der Relevanz der Kategorie Geschlecht in der Schweizer Diplomatie der Nachkriegszeit. Dazu werden 9 Anonymes Schreiben an das EPD, 26.4.1953, CH-BAR#E2001E#1970/217#1469* (B22.21). 10 Claude Altermatt, Les débuts de la diplomatie professionnelle en Suisse (1848–1914), Fribourg 1990. 11 So z. B. die Dissertation von Daniel Trachsler, Bundesrat Max Petitpierre. Schweizerische Außenpolitik im Kalten Krieg 1945–1961, Zürich 2011. 12 Tages-Anzeiger, 4.2.2011.
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einerseits die verwaltungstechnische und administrative Behandlung von ausländischen Diplomatinnen in der Schweiz sowie der Ehefrauen von Schweizer Diplomaten untersucht. Andererseits soll auch die zunehmende Präsenz von Frauen in der Administration des Eidgenössischen Politischen Departements (EPD) und im diplomatischen Corps analysiert werden.
I. Ausländische Diplomatinnen in der Schweiz Wie der eingangs skizzierte Fall von Frances Willis gezeigt hat, stellte sich die Frage von formell gleichberechtigten weiblichen Diplomaten – also sozusagen Diplomatinnen vom type moderne – für viele europäische Staaten erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Anstoß dazu war exogener Natur. In der Diplomatie »modernen Typs« spielen dynastische Fragen, wie sie in diesem Band für das Mittelalter und die Frühe Neuzeit analysiert werden, keine Rolle mehr. Auch die höfische Gesellschaft existiert in der Form, wie sie Norbert Elias am Beispiel des Hofes Ludwigs XIV. in Versailles konzeptualisiert hat13, nicht mehr. Dennoch haben sich wohl in keinem anderen Bereich der Politik moderner Demokratien ausgefeilte ritualisierte Umgangsformen so weitgehend bewahrt wie in der Diplomatie. Hofrangordnungen, Zeremoniell und Etikette sowie die dem Anlass entsprechende Hofkleidung haben das moderne diplomatische Protokoll entscheidend geprägt. Soweit wir es überblicken können, stellten sich nach der ersten akkreditierten Diplomatin, Aleksandra Kollontaj, die seit 1923 Gesandte der Sowjetunion in Norwegen war, die protokollarischen Fragen für die anderen europäischen Länder erst ab den 1950er-Jahren, als die USA drei Diplomatinnen in Europa akkreditierte. Diese ersten drei amerikanischen Frauen, die ihr Land im Ausland vertraten, waren allerdings keine Karrierediplomatinnen, sondern, wie es in der amerikanischen Diplomatie häufig der Fall ist, politische Ernennungen: Eugenie Anderson wurde von Präsident Truman von 1949 bis 1953 als Botschafterin nach Dänemark entsandt. Sie war die erste US-Missionschefin im Range eines Botschafters. Perle Mesta war bevollmächtigte Ministerin in Luxemburg von 1949 bis 1953 und Ann Clare Boothe Luce, von 1953 bis 1956 US-Botschafterin in Italien, galt als die erste US-Botschafterin in einem größeren europäischen Land. Die beiden letzteren Ernennungen erfolgten als Verdankung einer großzügigen finanziellen Unterstützung der Präsidentschaftskandidaten Truman und Eisenhower. Sowohl Mesta wie auch Luce waren sehr reich und als non-career appointees entsprechend atypisch: Luce war vor ihrer Ernennung die Herausgeberin von Vanity Fair und 13 Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft (Gesammelte Schriften/Norbert Elias, 2), Frankfurt a. M. 2002.
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Mesta eine bekannte Society-Lady. Der eigenwillige Stil von Mesta als Diplomatin inspirierte Irving Berlin gar zum Musical Call Me Madam14. Die erste KarriereBotschafterin der USA war somit Frances Willis, die, wie eingangs erwähnt, 1953 in der Schweiz akkreditiert wurde. In den frühen 1950er-Jahren enthielt die Frage nach dem korrekten Umgang mit diesen Botschafterinnen für das männerdominierte Protokoll der europäischen Außenministerien zwei protokollarische Knacknüsse: die Frage der Rangund Sitzordnung sowie die Frage der Bezeichnung. Die Frage der Sitz- und Rangordnung Luxemburg regelte das Protokoll so, dass Mesta bei einem Empfang mit ihren männlichen Kollegen den Rang nach dem Datum der Akkreditierung einnahm, »als wäre sie ein Mann«15. Bei einem Essen also, an welchem die Missionschefs mit ihren Frauen eingeladen waren, musste die Botschafterin sofort nach der Frau des diplomatischen Vertreters sitzen, der vor ihr auf der Liste des Protokolls stand. Sie wurde somit wie ein Mann gesetzt, womit dem Rang gegenüber der geschlechterüblichen Alternanz zu Tische Vorrang gegeben wurde. Die Ernennung von Botschafterin Luce verursachte auch in Italien eine Änderung der protokollarischen Normen. Das Problem stellte nämlich primär der Ehegatte der Botschafterin dar. So wurde im italienischen Protokoll festgehalten, dass es bei zivilen oder religiösen Funktionen »natürlich« (naturale) sei, dass der Ehegatte zur Seite der Botschafterin stehe; bei der Tischordnung hingegen wurde die Botschafterin wie in Luxemburg nach der Frau des unmittelbar vor ihr auf der Protokollliste stehenden Botschafters gesetzt, während jedoch ihr Ehegatte von ihr getrennt nach allen Diplomaten mit Minister-Titel platziert wurde. Der Status des Ehegatten einer Botschafterin war somit protokollarisch eindeutig tiefer als jener der Ehegattin eines Botschafters. Die italienische Angelegenheit war offenbar wichtig genug, dass ihr weit weg von Rom gar das Badener Tagblatt unter dem Titel »Mrs. Luce revolutioniert das Protokoll« einen zweispaltigen Artikel widmete16. Noch schlechter als Luces’ Gatte in Italien fuhr der Ehemann der US-Botschafterin Anderson in Dänemark, der nicht nur nach den Diplomaten mit Minister-Titel, sondern sogar nach den Chargés d’affaires platziert wurde. Hier hatte sich nämlich eine angeregte Debatte im diplomatischen Corps entfaltet, als das Gerücht aufkam, der König beabsichtige, der neuen amerikanischen Botschafterin den Ehrenplatz zu geben: »Die schon vor Ort befindlichen Botschafterinnen 14 »The Theater: New Musical in Manhattan«, in: Time Magazine, 23.10.1950. 15 […] comme si elle eût été un homme, Schreiben der schweizerischen Gesandtschaft in Belgien an das EPD, 25.4.1953, CH-BAR#E2001E#1972/33#2747* (B.22.11.22). 16 Badener Tagblatt, 16.5.1953.
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nahmen diese Sache sehr schlecht auf«17. Die Ehefrauen der in Dänemark bereits akkreditierten Botschafter (ambassadrices), die nach Anciennität den Ehrenplatz hätten erhalten sollen, revoltierten also dagegen, dass eine Karrierefrau bevorzugt behandelt werden sollte, womit Botschafterin Anderson dann »normal«, d. h. wie ein Mann, nach der Protokollliste – aber im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen von ihrem tief rangierten Ehemann getrennt – platziert wurde. Die offensichtlich schlechtere Behandlung eines Ehepaars, bei welchem die Frau als Botschafter akkreditiert war, versuchte schließlich das italienische Protokoll mit der Galanterie aufzufangen, dass der Protokollchef sie zuerst besuchte, im Gegensatz zu den männlichen Botschaftern, die zuerst die Visite machen mussten18. Frances Willis, die erste US-Karriere-Botschafterin der USA, war bezeichnenderweise ledig und stellte somit 1953 der Schweiz keine kniffligen protokollarischen Rang- und Sitzfragen. Ebenfalls als glückliche protokollarische Fügungen für die Schweiz erwiesen sich die Ernennungen von Josephine McNeill (1956, Irland) und Amalia de Castillo Ledón (1958, Mexiko), die beide verwitwet waren. Das Problem stellte sich dann aber schließlich 1959 mit der Akkreditierung der dänischen Botschafterin Bodil Begtrup, die – horribile dictu – mit einem Ehegatten eintraf, was den Protokollchef veranlasste, mehrere schweizerische Vertretungen anzuschreiben, um nach Präzedenzfällen zu suchen, da »die Ankunft von Frau Begtrup uns vor einige ziemlich heikle protokollarische Probleme stellt«19. Die Antworten der Vertretungen ergaben ein uneinheitliches Bild, gab es doch nebst den bereits vorgestellten Praktiken noch diverse andere Lösungen: In Island wurde ein Ehemann wie eine Ehefrau rangiert; in Norwegen hingegen wurde ein Ehemann gar nach den Chargés d’affaires ad interim gesetzt. Der schweizerische Protokollchef optierte schließlich – auf Anraten des iranischen Botschafters – für die Formel, dass ein Ehemann nach den Botschaftern, Ministern und Chargés d’affaires, die alle einen Staatschef vertraten, aber vor den Chargés d’affaires ad interim, die bloß einen abwesenden Missionschef vertraten, rangiert wurde20. Die sicherlich als salomonisch empfundene Lösung erwies sich im Fall des Ehemannes von Botschafterin Begtrup, Laurits Bolt Bolt-Jørgensen, als besonders unbehol17 Les ambassadrices déjà sur place ont très mal pris la chose, vertrauliches Schreiben der schweizerischen Gesandtschaft in Dänemark an das EPD, 11.1.1950, CH-BAR#E2001E#1972/ 33#3798* (B.22.81.11.31). 18 Norme protocollari adottate in Italia nei riguardi di una Signora che venga accreditata presso la Repubblica Italiana con lettera di Ambasciatore o di Ministro Plenipotenziario, 15.4.1953. CH-BAR#E2001E#1972/33#2747* (B.22.11.22). 19 Il ne vous échappe pas que l’arrivée de Madame Begtrup posera des problèmes de protocole assez délicats, Schreiben von Pierre Dumont, stv. Protokollchef, an die schweizerische Botschaft in Rom, 2.3.1959, CH-BAR#E2001E#1972/33#3798* (B.22.81.11.31). 20 Interne Notiz des EPD, 25.3.1959, CH-BAR#E2001E#1972/33#3798* (B.22.81.11.31).
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fen: Er war nämlich ein pensionierter Diplomat, der nach dänischem Recht den Minister-Titel immer noch führen konnte. Die Frage der Bezeichnung Die Frage der amtlich korrekten Bezeichnung von weiblichen Funktionen und Titeln stellt sich nicht in allen Sprachen auf dieselbe Weise. Keine großen Probleme ergeben sich diesbezüglich in der englischen Sprache, in der Funktionsbezeichnungen und Titel grundsätzlich geschlechtsneutral sind. Die Wahl von Botschafterin Frances Willis stellte hingegen für die mehrsprachige Schweiz einige Schwierigkeiten, die sich alsbald gar in einer Kontroverse in der Presse niederschlugen. Nach vielen Überlegungen entschied sich das Protokoll im Außenministerium auf Deutsch für folgende Version der Bezeichnung: »Ihre Exzellenz Fräulein Frances Elizabeth Willis, Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Schweiz«21. Die Formel beinhaltete also eine männliche Funktionsbezeichnung (»Botschafter«) und hob gleichzeitig den diskriminierenden weiblichen Zivilstand (»Fräulein«) besonders hervor. Die spezielle Betonung des weiblichen Zivilstandes entbehrte schon damals nicht einer gewissen Ironie. Jedenfalls hatte die schweizerische Vertretung in Washington davon abgeraten: »Da die Formulierung ›Fräulein Botschafter‹ jedoch zum Lachen verführen würde, denke ich, dass uns nichts anderes übrig bleiben wird, als die Formulierung ›Frau Botschafter‹ zu übernehmen, wobei das Wort ›Frau‹ in einem zeremoniellen Sinn und nicht im Hinblick auf den Zivilstand verwendet würde.«22 In der Folge wurde mit placet des Department of State beschlossen, dass die offizielle Bezeichnung auf Französisch und auf Englisch Madame l’Ambassadeur bzw. Madam Ambassador sein sollte. Obschon offensichtlich Klarheit über den Verzicht in Englisch und Französisch auf die diskriminierende Zivilstandsbezeichnung herrschte, wurde auf Französisch diskussionslos die männliche Funktionsbezeichnung übernommen. Die deutsche Bezeichnung »Frau Botschafter« stieß hingegen auf Widerspruch. Die Neue Berner Zeitung und Der Bund griffen die Frage der Bezeichnung mit einer deutlichen Spitze gegen den französischsprachigen Außenminister Max Petitpierre polemisch auf: »Für uns sind ohnehin nicht die Regeln des Französischen verbindlich, sondern jene der deutschen Grammatik, die in diesem Fall eindeutig genug sind. Sie 21 Schreiben von Protokollchef Robert Maurice, 15.10.1953, CH-BAR#E2001E#1970/ 217#1469* (B22.21). 22 Comme la formule ›Mademoiselle l’Ambassadeur‹ prêterait cependant à sourire, il ne restera je pense qu’à adopter la formule ›Madame l’Ambassadeur‹, le mot ›Madame‹ étant pris dans le sens cérémonieux et non comme le signe d’un état civil. Schreiben von André Boissier an Alfred Zehnder, 5.8.1953, CH-BAR#E2001E#1970/217#1469* (B22.21).
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verlangen, dass wir Fräulein Willis als Botschafterin bezeichnen, und wer sich nicht daran hält, setzt sich dem Vorwurf aus, einen groben sprachlichen Schnitzer zu begehen.«23 Keinen grammatikalischen Verstoß bildete hingegen aus der Sicht der Berner Presse die Bezeichnung »Fräulein«. Das Maß voll machte schließlich ein kritischer Artikel im Sprachspiel, der Zeitschrift des Deutschschweizerischen Sprachvereins. Danach war der französischsprachige Außenminister bereit, die Frage nochmals prüfen zu lassen, und in der Folge wurde der Kompromiss beschlossen, »von nun an die Bezeichnung ›Frl. Willis, Botschafterin der Vereinigten Staaten von Amerika‹ offiziell anzuwenden und als Anrede ›Frau Botschafterin‹ zu gebrauchen«24. Die französische Bezeichnung wurde erst fünf Jahre später hinterfragt, als im Frühjahr 1959 das Außendepartment eine Häufung weiblicher Diplomatinnen befürchtete und der Botschaft in Paris besorgt mitteilte: »Da die Zahl der weiblichen chefs de mission in Bern ansteigt, stellt sich eine Frage der protokollarischen Terminologie, an der sich die Meinungen teilen. Ist die Anrede Madame l’Ambassadeur oder Madame l’Ambassadrice korrekt?«25 Die schweizerische Botschaft in Paris holte sich Rat bei der Académie française, die prompt die Singularität des französischen Falles bestätigte: »Der gesunde Menschenverstand geht darin mit Ihnen einig, eine Frau, die tatsächlich mit der Führung einer Botschaft beauftragt ist Madame l’Ambassadeur zu nennen [...], Madame l’Ambassadrice bezeichnet demgegenüber die Ehefrau eines Botschafters. Das Wörterbuch der Akademie macht diese Unterscheidung nicht, aus dem einfachen Grund, dass man in Frankreich noch nie einen weiblichen Botschafter gesehen hat.«26
Der Richtspruch der höchsten Hüterin der französischen Sprache bestärkte den schweizerischen Außenminister, die bei Beginn der Mission von Frances Willis eingeführte männliche Funktionsbezeichnung in der Formel von »Madame l’Ambassadeur« beizubehalten. 23 Neue Berner Zeitung, 15.10.1953. 24 Schreiben von Bundesrat Max Petitpierre an den Deutschschweizerischen Sprachverein, 2.2.1954, CH-BAR#E2001E#1970/217#1469* (B22.21). 25 Le nombre des femmes-chefs de mission tendant à se multiplier à Berne (sic!), une question de terminologie protocolaire se pose au sujet de la quelle les avis sont partagés. Doit-on dire Madame l’Ambassadeur ou Madame l’Ambassadrice? Schreiben des EPD an René Keller, 3.4.1959, CH-BAR#E2001E#1972/33#2747* (B.22.11.22). 26 Le bon sens est avec vous pour appeler en effet ›Madame l’Ambassadeur‹ la femme chargée en fait d’une ambassade [...], ›Madame l’Ambassadrice‹ désignant d’autre part l’épouse d’un Ambassadeur. Le Dictionnaire de l’Académie ne fait pas cette distinction, pour la raison bien simple que l’on n’avait jamais vu de femme ambassadeur en France. Schreiben von Maurice Genevoix, secrétaire perpétuel de l’Académie française, an Minister Bernard Barbey, 20.4.1959, CH-BAR#E2001E#1972/33#2747* (B.22.11.22).
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II. Frauen im schweizerischen auswärtigen Dienst Die Entwicklung in verschiedenen Ländern in den 1950er-Jahren hatte gezeigt, dass Frauen auch die höchsten Stufen der diplomatischen Karriere nicht mehr verwehrt werden konnten. Die Schweiz hatte sich dieser Entwicklung nicht verschlossen: Formell war es Frauen seit der Einführung eines Zulassungsreglements ab 1955 möglich, über den Concours diplomatique den Karriereweg als Diplomatin zu wählen. Anlässlich der zweiten Schweizerischen Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA), die im Sommer 1958 unter dem Motto »Lebenskreis der Frau in Familie, Beruf und Staat« in Zürich stattfand, wurde dementsprechend ein Diplomat dazu eingeladen, über das Thema »Die Schweizerfrau im auswärtigen Dienst der Eidgenossenschaft« zu sprechen. Das Referat wurde ein Erfolg, sodass es der Redner, Heinz Langenbacher, in den folgenden Monaten noch mehrmals an verschiedenen Orten halten konnte27. Langenbacher freute sich, »ein wenig die Werbetrommel für einen begeisternden Frauenberuf schlagen zu dürfen«, wies aber auch auf die negativen Aspekte hin – insbesondere auf den Verzicht, »den alle diese 1’019 Frauen wie die anderen Mitglieder des auswärtigen Dienstes immer wieder, oft unter seelischem ›Substanzverlust‹, auf dem Opfertisch des Berufes zu erbringen haben«28. Die Vorstellung von Frauen in der Position eines – dem geläufigen Bild entsprechend – repräsentierenden, verhandelnden und trinkfesten Diplomaten war in der Nachkriegszeit neu. In einer längeren Tradition standen hingegen zwei andere, zahlenmäßig weit größere Kategorien von Frauen in der Schweizer Diplomatie, die nun zunächst betrachtet werden sollen: die Ehefrauen von Diplomaten und die Sekretärinnen. Diplomatengattinnen Die Frage nach der Rolle der Ehefrau des Botschafters spielte in der Administration des Eidgenössischen Politischen Departements in den 1950er-Jahren höchstens eine nebensächliche Rolle. Eine der frühen administrativen Bemühungen zur Erfassung und Einbindung dieser Personengruppe kann im »Personalblatt der Ehefrauen von Beamten des EPD« von 1948 nachgewiesen werden. Darin wurde vorgeschlagen, Informationen über die Sprachkenntnisse der Ehefrauen der Di-
27 So z. B. am 6.1.1959 im Club der Zürcher Berufs- und Geschäftsfrauen. Zur Reaktion auf die Rede Langenbachers in der Presse vgl. z. B. das St. Galler Tagblatt vom 18.10.1959 oder das Volksrecht vom 9.10.1959. 28 Heinz Langenbacher, Die Schweizerfrau im auswärtigen Dienst der Eidgenossenschaft, Zürich 1958, 5 und 8.
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plomaten zu sammeln29. Am Anfang der 1950er-Jahre gründete Außenminister Petitpierre eine Groupe des Dames du Département politique, die sich unter der Leitung seiner Frau einmal im Monat im Wattenwylhaus zum Tee traf30. 1952 sprach Petitpierre der Diplomatengattin Verantwortungen zu: »Sie muss lernen Empfänge zu geben, [...] sie trägt auch eine Verantwortung.« 31 Den Ehefrauen wurden also gewisse Funktionen zugesprochen, fest reglementiert waren sie zu Beginn der Nachkriegszeit jedoch nicht. Etwas konkreter wurde es 1965, als in einem neu erarbeiteten Vademekum zum Beruf des Diplomaten ein Abschnitt der Rolle der Ehefrau gewidmet wurde: »Die Frau eines Diplomaten spielt eine wichtige Rolle. Wie ihr Mann repräsentiert sie ihr Land [...]. Zu den Aufgaben, die eine Diplomatengattin erwarten, gehören karitative Betätigungen (zum Beispiel gegenüber den Bedürftigen und Kranken der Schweizer Kolonie, usw.). Sie wird ihre Aufgabe umso besser meistern, wenn sie die notwendigen Herzensqualitäten besitzt. Von der Gattin eines Schweizer Diplomaten wird erwartet, dass sie diese Bedingungen erfüllt und dass sie unter allen Umständen bereit ist, ihren Mann zu unterstützen.«32
Erst als 1974 eine Arbeitsgruppe zur Evaluierung und Reorganisation des Politischen Departements eingesetzt wurde, begann die Verwaltung, die effektive Rolle der Diplomatengattin bewusster wahrzunehmen und zu untersuchen. Die Arbeitsgruppe anerkannte, dass die Ehefrau ihren Gatten »in der Regel in der Erfüllung seiner gesellschaftlichen Verpflichtungen aktiv unterstützt«, daher »ist ihre Stellung besonderer Art und für das Departement von großer Bedeutung«. Tatsächlich bestand für die Ehefrau keine Rechtspflicht, sich ohne jeglichen Lohn in den Dienst der Eidgenossenschaft zu stellen. Anerkannt wurde diese Arbeit nur indirekt über die Spesen des Ehegatten, da die diplomatische oder konsularische Zulage des verheirateten Beamten etwas höher angesetzt wurde als jene des ledigen, »um die durch die Repräsentationstätigkeit bedingten Mehrauslagen für die Garderobe der Ehefrau zu decken.« Die Arbeitsgruppe schlug vor, diese »Hilfe 29 Notiz für Bundesrat Max Petitpierre, 5.10.1948, CH-BAR#E2001E#1968/83#613* (a.22.30.19). 30 Nationalzeitung, 26./27.11.1955. 31 Elle doit apprendre à recevoir, [...] elle a également une responsabilité. Notiz von Bundesrat Max Petitpierre, September 1951, dodis.ch/32097. 32 La femme du diplomate joue un rôle important. Comme son mari, elle représente son pays [...]. Aux tâches qui attendent l’épouse du diplomate s’ajoutent ainsi les œuvres de bienfaisance (par exemple aux nécessiteux et aux malades de la colonie suisse, etc.). Elle accomplira d’autant mieux sa mission qu’elle en aura les qualités de cœur nécessaires. On doit attendre de la femme d’un diplomate suisse qu’elle remplisse ces conditions et qu’elle soit en toutes circonstances prête à seconder son mari. Vade-Mecum »quelques considérations à l’usage des candidats au service diplomatique«, 10.2.1965, CH-BAR#E2004B#1978/136#399* (a.224.12).
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der Ehefrau« zu honorieren, auch wenn die Höhe des Beitrages »nur symbolischer Natur sein könnte«33. Wie viel die Arbeit einer Ehefrau jedoch wert war, könnte daraus abgeleitet werden, dass 1974 das Budget eines ledigen Botschafters im Vergleich zu einem verheirateten Botschafter 17 Prozent weniger Geld für Repräsentationszwecke enthielt: »Dies entspricht übrigens dem Unterschied der Ausgaben. Der Unverheiratete muss nicht für die zusätzlichen Kosten für die Garderobe einer Ehefrau aufkommen. Er hat auch weniger Kosten bei der Inneneinrichtung.«34 Allerdings vollzog die Arbeitsgruppe drei Jahre später eine bemerkenswerte argumentative Wende: Ledige Diplomaten sollten mehr Spesenzulagen erhalten »wegen der höheren Kosten, die sie im Bereich der aktiven Repräsentation aufgrund der Tatsache zu ertragen haben, dass sie von Restaurants und Traiteurs abhängig sind.«35 Ein weiterer Brennpunkt in der Frage nach der Rolle der Botschaftergattin war die Stellung einer ausländischen Ehefrau. Grundsätzlich wurde von ihr verlangt, dass sie bei der Heirat ihre angestammte Staatszugehörigkeit abgab und die schweizerische annahm, um ihre Rolle an der Seite ihres Gatten erfüllen zu können. Möglichkeiten und Gefahren wurden vom Politischen Departement kritisch evaluiert: Im Rahmen des Kalten Krieges wurde nämlich befürchtet, dass die mehrfache Staatsangehörigkeit der Ehefrau eines Schweizer Diplomaten diesen »aus politischen Gründen in der Ausübung seiner amtlichen und gesellschaftlichen Funktionen behindert«36. Es wurden zudem Bedenken geäußert, ob eine ausländische Diplomatengattin in der Lage sei, den Anforderungen ihrer spezifischen Rolle gerecht zu werden, beinhaltete diese doch Aufgaben wie die Betreuung der Schweizerkolonie, Gespräche mit Landsleuten in einer der Landessprachen oder das Halten von Vorträgen über die Schweiz. Aber nicht nur von Seiten der Verwaltung wurde gegen ausländische Ehefrauen polemisiert: Frauenvereine wünschten explizit, »das Departement möge stets dafür besorgt sein, dass unsere 33 Entwurf «Das Personal im Dienste des Departements«, 13.1.1975, CHBAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21), 35. 34 Cela correspond du reste à la différence des dépenses. Le célibataire n’a pas à assumer les frais supplémentaires de garde-robe d’une épouse. Il a aussi moins de frais d’installation intérieure. Notiz an die Mitglieder der Kommission V, 20.5.1974, CH-BAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21), 5. 35 […] en raison des coûts plus élevés qu’ils ont à supporter dans le domaine de la représentation active par le fait qu’ils ne sont que rarement en mesure de préparer eux-mêmes (sic!) les réceptions et dépendent pour ce faire des restaurants et des traiteurs. Rapport sur l’exécution des recommandations adoptées par le plénum du groupe de travail »Florian«, présenté à la 20e réunion plénière du 27.4.1977, CH-BAR#E2004B#1996/399#11* (a.151.21), 40. 36 Vgl. die Notiz »Die Ausländerin als Ehefrau eines Schweizer Diplomaten«, 7.6.1955, CH-BAR#E2001E#1972/33#3800* (B.22.81.11.33), 13.
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Diplomaten wenn immer möglich Schweizerinnen heiraten«37. 1955 war hingegen der Nationalzeitung zufolge die Hälfte aller schweizerischen Diplomatengattinnen Ausländerinnen38. Die klar formulierten Vorstellungen und Erwartungen, welche das Politische Departement in den 1970er-Jahren an eine Diplomatengattin herantrug (wenn es diese auch nur über die Spesenabrechnung des Ehemannes entschädigte), wurde geradezu exemplarisch verkörpert durch Sigrid Schnyder, die Ehefrau Felix Schnyders, der von 1966 bis 1975 als Schweizer Botschafter in Washington amtete. Das Beispiel des Ehepaars Schnyder zeigt, dass nicht nur die Bundesverwaltung Vorstellungen von der perfekten Botschaftergattin hatte, sondern auch die Öffentlichkeit an diesen Rollenidealen interessiert war. So schrieb die Atlanta Constitution im Jahre 1967 über Sigrid Schnyder: »Gegenwärtig wird unsere Stadt durch den Besuch von Mrs. Felix Schnyder aus Washington DC beehrt, die Frau seiner Exzellenz, des Schweizer Botschafters. Sie hat ihren Mann nach Atlanta begleitet […]. Mrs. Schnyder, eine kleine blonde Frau, die Lebensfreude ausstrahlt, war ein Ehrengast beim Mittagessen, das Mrs. Joseph Seitz am Montag im Capital City Club gab. Sie erschien in einem ritterspornblauen Kostüm aus Schweizer Spitze und trug dazu modische blaue Pumps mit flachem Absatz. ›Ich liebe auch amerikanische Kleider‹ vertraute sie uns an. ,Wenn ich in der Schweiz bin, trage ich Kleider, die von Amerikanern entworfen wurden […].‹ Mrs. Schnyder hat während der glänzenden Karriere ihres Mannes in Moskau, Berlin, Israel, New York und Washington gelebt. Sie spricht Deutsch, Französisch, Englisch und Italienisch. ›Eine Botschaft zu führen ist eine anspruchsvolle Arbeit‹ erklärte sie, ›und ich liebe es, Gäste zu unterhalten.‹«39
37 Notiz von Heinz Langenbacher an Paul Clottu, 7.1.1959, CH-BAR#E2004B#1978/ 136#399* (a.224.12). Darin vermerkt er noch: »Ich habe diese Gelegenheit benützt, um auf die Schwierigkeiten hinzuweisen, die sich einem jungen, heiratslustigen Diplomaten oft entgegenstellen.« 38 Nationalzeitung, 26./27.11.1955. 39 Currently gracing our city is Mrs. Felix Schnyder of Washington, DC wife of His Excellency, the Ambassador of Switzerland, who accompanied her husband to Atlanta [...]. Mrs Schnyder a petite blonde radiating joie de vive, was honor guest Monday at the luncheon given by Mrs. Joseph Seitz at the Capital City Club. She appeared in a delphinium-blue suit of Swiss lace worn with high-fashion low-heeled blue pumps. ›I love American clothes too‹, she confided. ›When I go to Switzerland, I wear clothes designed by Americans [...].‹ Mrs. Schnyder has lived in Moscow, Berlin, Israel, New York and Washington during her husband’s brilliant diplomatic career. She speaks German, French, English and Italian. ›Keeping an embassy is a demanding job‹, she disclosed, ›and I love to entertain.‹ »Wife of Swiss Ambassador Is Entertained in Atlanta by Kathryn Grayburn«, in: The Atlanta Constitution, 28.3.1967.
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Die Karriere von Felix Schnyder war demnach eng verbunden mit der ›häuslichen‹ Karriere seiner Frau, welche als perfekte Gastgeberin der Botschafterkarriere sozusagen den letzten Schliff gab. Der Stereotyp der »Diplomatengattin« entsprach der weiblichen Rolle der fürsorglichen Ehefrau, die mit guten Manieren als vollendete Gastgeberin auftrat und für das Wohl nach innen sorgte, während der Botschafter für die Repräsentation nach außen zuständig war. Sekretärinnen Ende der 1950er-Jahre gab es im schweizerischen Außenministerium über 300 Sekretärinnen, gut ein Dutzend Kanzlistinnen und nur zwei Diplomatinnen. Die Anforderungen an Sekretärinnen und ihr Aufgabenbereich wurden 1964 in einem Entwurf des Politischen Departements genauer festgelegt. Gefordert wurden Kenntnisse der Stenodaktylographie in zwei Sprachen, in höheren Ämtern auch die Arbeiten einer Direktionssekretärin, Stenodaktylographie in drei Sprachen, Übersetzungen, laufende Korrespondenz, bisweilen auch einfachere Kanzleiarbeiten40. Heinz Langenbacher sah anlässlich seiner Werbetour an der SAFFA 1958 in der Sekretärin im auswärtigen Dienst den »freundliche[n] dienstbare[n] Geist, der dem Botschafter oder dem Konsul und seinen Mitarbeitern die Arbeit auf diskrete und angenehme Weise leichter macht. Oft ist sie auch das erste charmante ›Aushängeschildchen‹.«41 Im Außenministerium machte man sich auch Gedanken und fast schon Sorgen über das Wohlbefinden der Sekretärinnen im Außendienst: Alleinstehende Frauen hätten weniger Möglichkeiten als ihre männlichen Kollegen, sich mit Land und Leuten eines Einsatzortes vertraut zu machen. Eine entsprechende Arbeitsgruppe bat deshalb »alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Ausland, die sich am gegenwärtigen Arbeitsort bereits integrieren konnten, den Neuankömmlingen beizustehen. Die neue Kollegin wird es Ihnen durch gute Laune, mehr Begeisterungsfähigkeit und (noch) größere Einsatzbereitschaft danken.«42 Hier wird der Diskurs der »schutzbedürftigen Frau«43 und damit eine Ungleichbehandlung der Geschlechter aufgrund angeblicher biologischer oder sozialer Unterschiede deutlich sichtbar – auch wenn es für eine junge ledige Frau an einem Außenposten 40 Vgl. den Entwurf »Die Laufbahnen des Politischen Departements«, August 1964, CHBAR#E2004B#1978/136#399* (a.224.12). 41 H. Langenbacher, Die Schweizerfrau (Anm. 28), 3. 42 Schreiben von Antonino Janner an die diplomatischen Vertretungen, 8.12.1975, CHBAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21). 43 Regina Wecker / Brigitte Studer / Gaby Sutter, Die »schutzbedürftige Frau«. Zur Konstruktion von Geschlecht durch Mutterschaftsversicherung, Nachtarbeitsverbot und Sonderschutzgesetzgebung, Zürich 2001.
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sicherlich gewisse Schwierigkeiten gab, sich auf unverfängliche Weise ein soziales Netzwerk aufzubauen. Die Arbeit in Sekretariaten oder Kanzleien war eindeutig weiblich konnotiert, und entsprechend waren vor allem Frauen in diesen Berufen tätig. In der Verwaltung wurde Mitte der 1950er-Jahre die Möglichkeit des Aufstiegs von Sekretärinnen in die Kanzleikarriere beschlossen. Dies zog auch eine gerechtere Bewertung der Arbeit der Sekretärinnen nach sich, da nun ihre Arbeitserfahrungen für einen möglichen Karriereschritt angerechnet werden konnten44. Diese Verbesserung der Stellung vieler Frauen im Departement anerbot sich umso mehr, da zahlreiche Sekretärinnen bereits Kanzleiarbeiten verrichteten, ohne entsprechend angestellt zu sein. Dies aber widersprach, wie das Politische Departement verlauten ließ, »dem in der Bundesverwaltung angestrebten Prinzip der Gleichheit der Entlohnung für Mann und Frau bei gleicher Leistung«45. Auf eigene Initiative konnten Sekretärinnen nun versuchen, eine Kanzleikarriere in Angriff zu nehmen. Dabei verrichteten sie zwar teilweise dieselbe Arbeit, wurden jedoch wegen der höheren Funktion als Kanzleimitarbeiterin besser entlohnt. Diplomatinnen 1955 wurde in der Schweiz erstmals eine Zulassungsprüfung für Diplomaten durchgeführt. In den acht Jahren zuvor waren aus Budgetgründen im Politischen Departement keine neuen Beamten eingestellt worden. Vor 1946 gab es keine Bestimmungen über die Zulassung zum Beruf des Diplomaten. Das »Reglement über die Zulassung zur Dienstleistung im Politischen Departement«46 wurde dringend benötigt, da dem schweizerischen Außenministerium qualifizierte Mitarbeitende fehlten. Die Rekrutierung stellte sich als nicht ganz einfach dar, da die Hochschulabsolventen jünger als 30 Jahre sein mussten und bereits über Arbeitserfahrung verfügen sollten. Nur knapp ein Drittel der Bewerbungen von 1949 bis 1955 erfüllte diese strengen Bedingungen47. Das Zulassungsreglement brachte dementsprechend auf verschiedenen Ebenen Neuerungen. Nicht nur regelte es erstmals transparent den Zugang zum prestigeträchtigen Beruf, sondern es ließ auch Frauen zu den Prüfungen zu. »Frauen, welche die Zulassungsprüfung bestehen«, so versicherte Minister Walter Stucki, 44 Schreiben des Personalausschusses des EPD an die Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten, 24.1.1958, CH-BAR#E2004B#1974/53#297* (a.224.121.Uch. 3). 45 Schreiben des Personalausschusses des EPD an die Abteilung für Verwaltungsangelegenheiten, 7.9.1957, CH-BAR#E2004B#1974/53#297* (a.224.121.Uch. 3). 46 Vgl. das Reglement über die Zulassung zur Dienstleistung im Politischen Departement, 4.3.1955, dodis.ch/34255. 47 Vgl. dazu die Notiz »Betrifft Anstellung von Akademikern« von Angelo Berla an Walter Stucki, 24.2.1955, dodis.ch/34254.
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»werden ohne weiteres zu den vorgesehenen Beamtungen zugelassen.«48 Die Zulassung von Frauen geschah beinahe unbemerkt, da sie nicht explizit im Reglement erwähnt, sondern einfach qua Zulassungskriterium »Schweizerbürger« geregelt wurde, welches Frauen – im Gegensatz zur Bundesverfassung49 – mit einschloss. Dies ist in Anbetracht der bis 1971 ausbleibenden Einführung des Frauenstimmrechts umso bemerkenswerter. Auf die Nachfrage der Akademischen Berufsberatung zur realen Gleichstellung zwischen Mann und Frau wurde seitens des Departements eingeräumt, dass »eine Nuance […] vielleicht insofern festzustellen [ist], als eine Frau erfahrungsgemäß für bestimmte Posten oder für bestimmte Chargen des diplomatischen oder konsularischen Dienstes (z. B. in ungesundem Klima oder unter besonderen Arbeits- und Lebensverhältnissen) auf Grund ihrer Konstitution oder ihrer spezifisch weiblichen Veranlagung weniger geeignet sein kann als ein Mann. Die Berufsaussichten der Frau werden indessen dadurch in keiner Weise berührt.«50 Hier stellt sich natürlich die Frage, ob diese Einschränkungen, welche ja zum Schutz der Frau eingeführt wurden, nicht doch einen Einfluss auf die Karriere einer Diplomatin hatten, die ja grundsätzlich weltweit einsetzbar sein sollte51. Ferner gilt es zu untersuchen, ob die Einschränkungen auch für die Ehefrauen, die ihren Ehegatten in solche Länder folgen mussten, hätten gelten sollen. Anfang der 1960er-Jahre mussten die schwierigen Zulassungsbestimmungen zum Concours etwas gelockert werden. Denn Hochschulabsolventen waren in vielen Bereichen der Wirtschaft gefragt, wo schneller ein höherer Lohn zu erreichen war; demgegenüber schien die auf den Concours folgende zweijährige Ausbildungszeit mit geringem Lohn als Stagiaire wenig attraktiv. Eine Revision wurde 1963 durch den Bundesrat beschlossen. Sie beinhaltete eine Lockerung der Altersgrenze sowie eine rangmäßige und finanzielle Besserstellung der neu eintretenden Mitarbeiter52. Die Prüfungskommission für Diplomatenanwärter, ein hochkarätiges Gremium, beriet ein Jahr später bereits wieder über die Gründe der Rekrutierungsschwierigkeiten und über mögliche Anpassungen des Reglements53. 48 Neue Zürcher Zeitung, 17.11.1955. 49 Vgl. dazu Nationalzeitung, 26./27.11.1955. 50 Schreiben von Paul Clottu an Hugo Wyss, 21.7.1958, CH-BAR#E2004B#1978/136#399* (a.224.12). 51 Vgl. das Kreisschreiben von Antonino Janner an die Sektionen und Dienste des Politischen Departements und an die diplomatischen Vertretungen der Schweiz im Ausland, 25.3.1974 sowie die Antwort darauf von Gérard Franel an Antonino Janner, 30.4.1974, CH-BAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21). 52 Vgl. den Bundesratsbeschluss »Revision des Reglements über die Zulassung zu den Ämtern des EPD vom 9. Juni 1955«, 23.4.1963, dodis.ch/34257. 53 Vgl. das Protokoll der Sitzung vom 12.3.1964 der Prüfungskommission für Diplomatenanwärter, dodis.ch/34256. Vgl. auch den Bundesratsbeschluss betreffend die Änderung der Verordnung über das Dienstverhältnis der Beamten der allgemeinen Bundesver-
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Trotz dieser steten Anpassungen der Zulassungsbedingungen blieb der Weg für die Frauen in die Diplomatie schwierig. Zum ersten Mal gelang einer Frau der Zutritt in diese Männerdomäne 1956, als die dreißigjährige Francesca Pometta den Concours diplomatique erfolgreich absolvierte. In der Folge wurde sie als erste Frau in der Schweiz zur Diplomatin ernannt. 1975 erhielt sie den Minister-Titel und wurde als stellvertretende Direktorin der Direktion für internationale Organisationen berufen. Zwei Jahre später wurde die gebürtige Tessinerin zur Botschafterin ernannt und übernahm die Funktion als Vorsteherin der Abteilung für internationale Organisationen. Kurz nach Francesca Pometta wurde Marianne von Grünigen als zweite Frau in den diplomatischen Dienst aufgenommen. Weitere Frauen haben zwar eine diplomatische Laufbahn begonnen, diese jedoch nach der Heirat abgebrochen. Auch nach der Einführung des Frauenstimmrechts 1971 und den Erfolgen der ersten Diplomatinnen war der Schritt zur Gleichberechtigung noch lange nicht vollzogen. Vor dem Hintergrund von Budgetkürzungen und Personalplafonierung ließ Außenminister Pierre Graber im Januar 1974 durch seinen Verwaltungsdirektor, Botschafter Antonino Janner, die Arbeitsgruppe Florian, die aus mehreren Kommissionen bestand, bilden54. Eine der insgesamt sechs Kommissionen beschäftigte sich mit Fragen des Personellen. Miteinbezogen wurde auch Marianne von Grünigen, die zweite Schweizer Frau, die in den Rang einer Botschafterin aufsteigen sollte. Die Kommission hatte sich unter anderem auch mit der Position der Frau als Ehefrau eines Diplomaten beziehungsweise als Diplomatin zu befassen55. Dazu wurde von Grünigen, die bezeichnenderweise selbst nicht Mitglied der Kommission war, sondern sozusagen als »Expertin« auf der Liste der Kommissionsmitglieder in Klammern aufgeführt wurde, von der Kommission beauftragt, eine Notiz über ihre Ansicht zu den verschiedenen Fragen in Bezug
waltung (Beamtenordnung I) vom 23.6.1964 sowie die Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung betreffend die Änderung des Bundesgesetzes über das Dienstverhältnis der Bundesbeamten und der Statuten der Personalversicherungskassen vom 23.1.1964, Bundesblatt 1964, I, 125–161. 54 Pressemitteilung des EPD über den Bericht der Arbeitsgruppe Florian, 1.9.1975, CHBAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21). 55 Vgl. das Kreisschreiben »concernant la création d’un groupe de travail chargé d’examiner l’opportunité de certaines réformes au sein du Département (groupe de travail Florian)« von Antonino Janner an die Sektionen und Dienste des Politischen Departements und an die diplomatischen Vertretungen der Schweiz im Ausland, 25.3.1974, CH-BAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21), sowie das Kreisschreiben von Antonino Janner an die Sektionen und Dienste des Politischen Departements und an die diplomatischen Vertretungen der Schweiz im Ausland betreffend die Arbeitsgruppe Florian, 24.5.1974, CH-BAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21).
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auf die Stellung der Diplomatinnen zu verfassen56. Darin wehrte sie sich gegen eine gesonderte Behandlung von Diplomatinnen sowie gegen eine Verwendung »etwa nur für Sonderaufgaben wie beispielsweise Kultur, soziale Angelegenheiten u. ä.«57. Dennoch plädierte sie für »eine gewisse Rücksichtnahme« auf die Situation der Diplomatin – jedoch nicht wegen physischer Unterschiede, wie dies in der Verwaltung oft gemacht wurde –, sondern wegen der sozialen Rolle der Diplomatin, also ihrer Doppelfunktion als Berufstätige und Hausfrau. Auch einer Sonderbehandlung von Frauen bei der Versetzungspolitik wegen »ungesundem Klima« konnte von Grünigen nichts abgewinnen, wies jedoch auf die Schwierigkeiten hin, die sich einer Diplomatin in einem Empfangsstaat stellten, welcher »den Frauen nicht die Freiheit und Selbständigkeit zubilligt, welche die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Berufstätigkeit bilden.«58 Die Arbeitsgruppe Florian beschäftigte sich auch mit der Stellung der verheirateten Diplomatin. Bis 1972 wurde das Dienstverhältnis mit einer Diplomatin aufgelöst, wenn diese heiratete. Diese Ungleichbehandlung gegenüber den männlichen Diplomaten wurde zwar aufgehoben, jedoch gab es 1974 noch keine verheiratete Schweizer Diplomatin, denn diese hätte, wohl wegen der Berufstätigkeit des Ehemannes, an Flexibilität bei den Versetzungsmöglichkeiten eingebüßt. Schwieriger noch war die Gleichbehandlung von binationalen Ehepaaren, denn während eine Ausländerin bei der Heirat eines Schweizers automatisch das Schweizer Bürgerrecht erhielt, musste der ausländische Ehemann einer Schweizerin mindestens sechs Jahre auf die Einbürgerung warten. Am 30. April 1975 nahm der Bundesrat Kenntnis vom Bericht der Arbeitsgruppe und beauftragte das Politische Departement, den Empfehlungen Folge zu leisten59. Erst 1976 wurden dann die verbleibenden Diskriminierungen – die Freistellung von Diplomatinnen mit ausländischem Ehemann und die zwingende Annahme der Schweizerischen Staatsangehörigkeit durch ausländische Ehefrauen von Diplomaten – abgeschafft60. Die Vorschläge der Arbeitsgruppe Florian in Sachen Gleichberechtigung zwischen Diplomat und Diplomatin – ob ledig oder verheiratet – wurden also zu großen Teilen umgesetzt. Die Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf wurde ebenfalls angegangen und mittels unbezahlter Ur-
56 Schreiben von Jean Bourgeois an Francesca Pometta, 11.6.1974, CH-BAR#E2004B# 1990/219#161* (a.151.21). 57 Notiz von Marianne von Grünigen, 2.4.1974, CH-BAR#E2004B#1990/219#1201* (a.221.90). 58 Ebd., 2 und 4. 59 Pressemitteilung des EPD, 1.9.1975, CH-BAR#E2004B#1990/219#161* (a.151.21), 4. 60 Vgl. den »Rapport sur l’exécution des recommandations adoptées par le plénum du groupe de travail »Florian«, présenté à la 20e réunion plénière du 27.4.1977«, April 1977, CH-BAR#E2004B#1996/399#11* (a.151.21), 23.
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laube zu lösen versucht61. Inwieweit alle Maßnahmen und Instrumente tatsächlich Verbesserungen jenseits der normativen Ebene brachten, könnte freilich nur eine – längst fällige – breit angelegte prosopographische Studie zum schweizerischen diplomatischen Corps abschließend klären.
III. Schlussfolgerungen Die im vorliegenden Band versammelten Beiträge zeigen auf, wie fruchtbar die Auseinandersetzung mit der Kategorie Geschlecht in der Diplomatie vom Mittelalter bis hin ins 20. Jahrhundert sein kann. Dieser breit gewählte zeitliche Rahmen bedingt eine Konzeptualisierung oder zumindest Periodisierung des »Diplomatie«-Begriffes in Bezug auf die Geschlechterfrage, die hier in drei Stufen gesehen wird: Nach einer langen Phase der »höfischen Diplomatie«, in welcher Außenbeziehungen und dynastische Familienpolitik praktisch zusammenfielen, eröffneten sich im bürgerlichen Zeitalter ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts unter dem zeitgenössischen Begriff des »Internationalismus« bis hin zur Etablierung des Völkerbundes vielschichtige Netzwerke transnationaler und internationaler Kontakte durch internationale Organisationen und Kongresse, in welchen Frauen in einem Grau- und Grenzbereich zwischen nongouvernementaler und gouvernementaler Politik eigenständig agieren konnten62. Die dritte Phase, jene der Diplomatie »modernen Typs«, in welcher Frauen formell gleichberechtigt sind, begann bezeichnenderweise an der Peripherie, wie im Fall der sowjetischen Diplomatin Aleksandra Kollontaj, oder aber durch »moderne Prinzessinnen« aus der amerikanischen high society und aus dem »Geldadel« wie Perle Mesta oder Ann Clare Boothe Luce, die eigentlich Außenseiterinnen sowohl im eigenen als auch im diplomatischen Corps des Gastlandes blieben. Die Professionalisierung begann in diesem Sinne für die USA erst 1953 mit der Entsendung der Karrierediplomatin Frances E. Willis nach Bern. In der Schweiz wurde mit der Einführung einer Zulassungsprüfung der Concours diplomatique institutionalisiert, was den Frauen das Berufsfeld der Diplomatie formell öffnete. Es bedurfte jedoch vieler weiterer administrativer, politischer und gesellschaftlicher Veränderungen, bis die Frauen auf dem diplomatischen Parkett mehr als eine Ausnahmeerscheinung waren. Der Diskurs um Bezeichnungen und die neue Definition von Protokollpraktiken für Frauen und ihre Ehegatten zeigt ein Phänomen auf, das man in Anlehnung an das Konzept des body politic als body diplomatic konzeptualisieren könnte. Dieser body diplomatic war bis zur Mitte der 1970er-Jahre eindeutig männlich konnotiert, 61 Entwurf »Das Personal im Dienste des Departements«, 13.1.1975, CH-BAR#E2004B# 1990/219#161* (a.151.21), 35. 62 Vgl. Madeleine Herren, Hintertüren zur Macht (Studien zur Internationalen Geschichte, 9), München 2000.
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was sich nicht zuletzt in der männlichen Bezeichnung der Funktion »Frau Botschafter« zeigt. Ehefrauen von Botschaftern konnten somit in ihrer traditionellen Rolle als »Frau Botschafterin« betitelt werden und erhielten damit volle diplomatische Privilegien. Die Schweiz orientierte sich hier an der Praxis der übrigen europäischen Staaten. Die Diskriminierung der Ehemänner von Diplomatinnen, die sich sowohl in einem niedrigeren protokollarischen Rang als auch in der Nichtgewährung voller diplomatischer Privilegien niederschlug, sowie die für die Schweiz in den ersten drei Jahrzehnten der Nachkriegszeit untersuchten Verwaltungspraktiken verdeutlichen hingegen paradigmatisch den schwierigen und langwierigen Weg hin zur Gleichberechtigung der Geschlechter in der Diplomatie.
Schlussbetrachtung: Frauen in Verhandlungen Von Jean-Claude Waquet Der Botschafter war in der Frühen Neuzeit, wie der Titel eines Traktats aus dem Jahr 1604 besagt1, Träger nicht nur eines Amtes, sondern auch einer Würde. Es handelte sich überdies um eine der höchsten Würden, war sie doch aufs Engste mit der Idee der Repräsentation des Fürsten verbunden. Es erstaunt deshalb nicht, dass sie in der Regel demjenigen verliehen wurde, der aufgrund seiner Herkunft in seiner Person bereits eine außergewöhnliche Würde mitbrachte und so die Dignität, die mit dem Titel des Botschafters einherging, noch besser verkörperte. Adlige wurden deshalb Personen mit gewöhnlicher Herkunft vorgezogen. Außerdem hatten Männer Vorrang vor Frauen, da, wie Katrin Keller in ihrem Beitrag ausführt, der Grundsatz maior dignitas est in sexu virili galt2. Diese grundlegende Regel hätte die Frage nach der Beteiligung von Frauen in einem Bereich, den Männer später mit dem Begriff der Diplomatie bezeichnen sollten, eigentlich bereits im Vornherein erledigen können. Die Diplomatie aber war, bereits bevor sie diesen Namen trug, viel zu komplex, als dass der Platz der Frauen durch einen einzigen Grundsatz abschließend hätte bestimmt werden können, so apodiktisch dieser auch gewesen sein mag. Die Tagung Das Geschlecht der Diplomatie hat gezeigt, dass in der Frühen Neuzeit der Platz der Frauen nicht nur negativ durch ihren Ausschluss definiert wurde, sondern auch positiv durch ihren anerkannten Einbezug und ihre informelle Beteiligung an einem System, das von der Historiographie zu oft als rein männlich beschrieben worden ist. Die Beiträge in diesem Tagungsband zeigen, dass Frauen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit stets einen wichtigen Part in Verhandlungen mit fremden Mächten spielten, trotz oder manchmal auch gerade wegen der geringeren Würde, die ihnen zugeschrieben wurde. Darüber hinaus verdeutlichen die Beiträge eindrücklich die Art, die Wege und die Grenzen der »diplomatischen« Tätigkeit weiblicher Akteure und zeigen, in welchem Maße die Legitimierung, die Anfechtung oder ganz allgemein die Darstellung dieser Tätigkeit vom Faktor Geschlecht beeinflusst wurden. Der Platz der Frauen und die Rolle des Geschlechts – diese beiden Themen überschneiden sich dann insbesondere in jenen Beiträgen, die sich mit den an Brüchen und Veränderungen reichen Entwicklungen der Konstellationen von Geschlecht und Diplomatie im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigen. Vorläufiger Endpunkt dieser Entwicklungen war nicht der Moment, in dem Frauen Zugang zu Verhandlungen erhielten – denn, wie der Band vielfach belegt, hatten Frauen 1 Jean Hotman de Villiers, De la charge et dignité d’ambassadeur, 2. Aufl., Paris 1604. 2 Siehe oben, 48.
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bereits in früheren Zeiten Zugang dazu gehabt –, sondern eher der Moment ihrer Integration in die Verwaltung und in den Berufsstand des Diplomaten, der vorher exklusiv männlich gedacht worden war. Diese Integration, die anfangs eher zufällig und dann immer systematischer erfolgte, hatte weitreichende Konsequenzen für das »Geschlecht der Diplomatie«, brachte doch die Möglichkeit zur Umkehrung der Rollen – Frauen als Botschafter, Männer als Botschafterehegatten – die ihrem Wesen nach männliche Ordnung der diplomatischen Nomenklatur und des Protokolls ins Wanken. Bereits zuvor hatte im Vorfeld des Ersten Weltkriegs die Militarisierung der Außenpolitik im wilhelminischen Deutschland noch zu einer ganz anderen Form der Verbindung von Geschlecht und Diplomatie geführt; diese stellte die Männlichkeit einer auf friedlichen Ausgleich bedachten Diplomatie in Frage, indem ihre Akteure als Mitglieder einer homosexuellen Internationale verunglimpft wurden.
I. Frauen, Repräsentation und Verhandlung in der Frühen Neuzeit In der Frühen Neuzeit wurden diplomatische Repräsentation und weibliches Geschlecht allgemein als unvereinbar wahrgenommen. Die Botschafter der Könige und Königinnen waren für gewöhnlich Männer, und die mehr oder weniger theoretischen Werke über den Botschafter und seine Funktion, bekanntermaßen sehr zahlreich im 16. und 17. Jahrhundert, betrachteten weibliche Botschafter allenfalls als gelehrte Kuriosität, sicherlich aber nicht als einen Normalfall. Gewiss hatten Frauen ihren Platz im höfischen Zeremoniell, allen voran Königinnen oder künftige Königinnen, wie dies Joan Landes am Beispiel MarieAntoinettes zeigt. Die Zeremonie der remise aber, die Landes so trefflich beschreibt, steigerte weder die Autorität der jungen Prinzessin, noch deutete sie die Rolle an, die ihr in der Sphäre der Diplomatie zugesprochen werden könnte. Im Gegenteil: Die Zeremonie reduzierte die neue Dauphine auf ein Objekt, sie »neutralisierte« und »naturalisierte« sie in gewisser Weise. Die remise setzte MarieAntoinette gerade nicht als Vertreterin ihrer Mutter, der Kaiserin, ein, sondern ließ verschwinden, was an ihr auf die Repräsentation eines fremden Hofes hingewiesen hätte. Abgesehen davon erwartete Maria Theresia gar nicht, dass ihre Tochter den Platz ihres Botschafters hätte einnehmen sollen, und die Betreffende selbst zeigte weder die Fähigkeiten für eine solche Aufgabe noch ein Interesse daran. Beschränkt man sich also auf die Ebene der diplomatischen Repräsentation, so scheint der Platz der Frauen mehr als begrenzt gewesen zu sein. Das zeigt nicht nur eine Betrachtung des Amts des Botschafters, sondern auch allgemeiner der Ämter des außerordentlichen Gesandten oder Residenten. Denn im Bereich der Diplomatie waren Frauen, wie Corina Bastian, Eva Dade und Eva Ott bemerken, »ohne Amt« (sans caractère). Diplomatie bestand allerdings nicht nur aus Repräsentation, und die Botschafter und Gesandten an fremden Höfen waren nicht
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die einzigen Akteure in den Verhandlungen, die im Auftrag der Fürsten geführt wurden. Auch wenn es im 16. und im 17. Jahrhundert tatsächlich eine begrenzte Zahl von Botschaftern und eine um einiges größere Zahl von Gesandten gab, tummelten sich auf der Bühne der Verhandlungen – oder noch häufiger hinter den Kulissen – unzählige andere Akteure ohne Ämter und diplomatische Titel. Einige von ihnen handelten fern vom eigenen Hof wie die Inhaber offizieller Ämter, andere agierten an der Seite des Fürsten und verdoppelten auf diese Weise die Zahl seiner Berater, und viele von ihnen, besonders in diesem letzten Fall, waren Frauen. Es ist eines der wichtigsten Verdienste des vorliegenden Bandes, ihre Präsenz und ihr Wirken ins Licht gerückt zu haben. Spezifische Bedingungen machten in der Frühen Neuzeit die Verhandlungsführung durch Frauen möglich. Katrin Keller hebt in ihrem Beitrag vier von ihnen besonders hervor: das Fehlen einer Trennung zwischen »öffentlich« und »privat«, die Konzeption des Fürstenpaars als »Arbeitspaar«, die Bedeutung von Korrespondenz- und Patronagenetzwerken in Verhandlungen und schließlich den erleichterten Zugang zum Herrscher, der Quelle aller Gunsterweise. Diese Bedingungen sind im Kontext einer frühneuzeitlichen Welt zu sehen, in der Außenund Innenpolitik oft nur unvollständig voneinander getrennt wurden, Politik im Allgemeinen stark durch die zentrale Rolle des Hofes bestimmt wurde, Dynastie und dynastische Interessen ein essentieller Handlungsfaktor waren und Politik allgemein eine »grundsätzlich familienbasierte Struktur« aufwies, wie es Claudia Opitz formuliert hat3. Diese Bedingungen kamen sowohl bei der Nutzung personaler Netzwerke wie jenen der Louise de Coligny oder der großen Damen des schwedischen Adels als auch bei der Ausübung eines Hofamtes (etwa im Falle der Ursula Meyer beim König von Polen) zum Tragen. Der mehr oder weniger verpflichtende Ausnahmestatus einer Königin oder einer Mätresse vergrößerte diese Handlungsmöglichkeiten noch. Trotzdem setzte der Schritt zum Handeln und mehr noch der Erfolg in den Verhandlungen auch individuelle Fähigkeiten genauso wie günstige Umstände voraus. Hier kam die Fähigkeit zur Initiative ins Spiel, die vor allem etwas mit Erfahrung zu tun hat, persönlicher Erfahrung wie im Fall der Princesse des Ursins beziehungsweise familiärer Erfahrung wie im Fall der Henriette Adélaïde von Savoyen. Es kam, mit anderen Worten, spezifisches Handlungswissen zum Einsatz, das bei gewissen Gelegenheiten nutzbar gemacht werden konnte. Anlass für den Einsatz dieses Wissens konnte die Schwäche der Männer sein (zum Beispiel im Fall von Ferdinand Maria von Bayern), oder deren Fall in Ungnade (etwa bei Mercœur). Hinzu kamen Krisensituationen wie beispielsweise jene, in der sich die Princesse de Condé nach der Verhaftung ihres Gatten befand, und allgemeiner auch Ehrangelegenheiten, bei denen die Männer ihr Gesicht zu verlieren riskierten, wenn sie sich selbst exponierten – so etwa im Fall einiger Verhandlungen, die 3 Siehe oben, 140.
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Louise de Coligny führte. Ein fast strukturell bedingter Antrieb für weibliche Verhandlungen war schließlich der Wille von Müttern, ihren Kindern im Interesse des Hauses vorteilhafte Heiratsverbindungen zu vermitteln, was der Botschafter Khevenhueller als muetterlich practiken4 bezeichnete. In der Praxis kamen die genannten Bedingungen vielfach in ausreichendem Maße zusammen, damit eine Akteurin, die sie zu nutzen wusste, an diplomatischen Verhandlungen partizipieren konnte. Zu einer solchen Teilnahme an Verhandlungen – das hat die Tagung deutlich gemacht – kam es in der Frühen Neuzeit sehr häufig. Die sich daraus ergebende Galerie verhandelnder Frauen zeigt eine große Vielfalt an Persönlichkeiten, Rängen und Positionen, denn sie stellt regierende Königinnen und Königin-Witwen, Mätressen und Ordensschwestern, Ehefrauen von Ministern und Botschaftern, mutige Rebellinnen und mächtige Hofdamen nebeneinander, allesamt Frauen, die zwar manchmal Verhandlungen untereinander führten – wie die Duchesse de Mercœur, Louise de Lorraine und Gabrielle d’Éstrées –, die sich jedoch schlussendlich immer mit Männern messen mussten, da die Gesamtheit der Minister, Botschafter und Gesandten und eine deutliche Mehrheit der Herrscher männlichen Geschlechts waren. Wie Julia Schwarz zeigt, wurde Henriette Adelaïde durch ihre Betätigung zum »Knoten der Freundschaft« (nœud de l’amitié)5 zwischen dem bayerischen und dem französischen Hof. Zweifellos kann man auch allgemeiner sagen, dass es zumindest einigen Frauen in Verhandlungen möglich war, eine konkrete politische Rolle zu spielen, vielleicht eher noch, als ihnen die so oft analysierte Position als Salonnière die Lenkung des Gesellschaftslebens des 18. Jahrhundert erlaubte. Gleichwohl spielten sie diese Rolle nur in einem Bereich des politischen Systems: im Bereich des Informellen, in dem im Übrigen Frauen nicht allein, sondern gemeinsam mit Männern wirkten, unter ihnen große Figuren wie der Prince de Conti im Versailles der Marquise de Pompadour. Da aber das Informelle einen essentiellen Teil des politischen und damit auch des diplomatischen Systems darstellte, waren Frauen vollständig in dieses System integriert: Sie repräsentierten es nicht, trugen aber zu seinem Funktionieren bei. Sie taten dies bisweilen in gleichem Maße wie Männer und wurden dabei von den Botschaftern vor Ort aufmerksam beobachtet und in manchen Fällen hoch geschätzt. Insofern bestätigen die Beiträge ganz und gar eine der Eingangsthesen der Herausgeberinnen und Herausgeber, nach der Frauen in die Diplomatie vom type ancien integriert waren.
4 Siehe oben, 43. 5 Siehe oben, 73 f.
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II. Komplexe Frühe Neuzeit: Zeiten, Orte, Verfassungen, Konfessionen Ist die Beteiligung von Frauen an Verhandlungen in der Frühen Neuzeit erwiesen, so sollte im Einzelnen trotzdem noch etwas genauer Maß genommen werden, um das Bild ihrer Rolle zu differenzieren. Zunächst stellt sich die Frage nach einer Periodisierung und davon ausgehend nach möglichen Entwicklungen im Verlauf dieser Epoche. Zudem gilt es, die verschiedenen Formen der Beteiligung von Frauen an Verhandlungen möglichst systematisch mit der allgemeinen Entwicklung der Institutionen und der Methoden der Verhandlungsführung, der Formen des Zusammenlebens und des Platzes von Frauen in der Gesellschaft in Verbindung zu bringen. In dieser Hinsicht lässt sich eine Kontinuität erahnen: Was etwa am schwedischen Hof des späten 17. Jahrhunderts auf Initiative hochadliger Damen wie der Gräfin Magdalena Stenbock, der Gräfin Beata Elisabeth von Königsmarck oder der Königin-Mutter Hedwig Eleonora geschah, war nicht ohne Vorläufer in der Zeit Gustav Adolfs, wie Svante Norrhem zeigt. Gleichfalls folgten auch die Akteurinnen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in Frankreich, denen Jane Couchman nachspürt, ihren Müttern Madeleine de Mailly und Charlotte de Laval nach. Geht man noch weiter zurück, zeigt der Beitrag von Raphaela Averkorn schließlich, dass geschickt verhandelnde Frauen schon in den iberischen Königreichen des Spätmittelalters zahlreich zu finden waren. Unter ihnen waren zahlreiche Königinnen oder königliche Mätressen: gut vorbereitet aufgrund ihrer persönlichen oder familiären Erfahrung, unterstützt durch ihre Ehemänner, Söhne oder privadas und getragen von Netzwerken, die weit reichende Verzweigungen aufwiesen. Sie intervenierten oft in dynastischen Angelegenheiten, im selben Maße oder vielleicht sogar mehr noch als ihre Nachfolgerinnen in späteren Zeiten. Sie wirkten als König und Königin in einem legitimen »Arbeitspaar«, oder im Fall von Fürst und Mätresse oder Königin und Favoritin auch in weniger konventionellen Konstellationen. Sie knüpften Verbindungen und Heiratsallianzen und spielten allgemein eine wichtige Rolle in den Außenbeziehungen dieser Königreiche, was eher auf eine Kontinuität denn auf einen Bruch zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit hinweist. Dass dieser Übergang trotzdem von einigen Wendepunkten gekennzeichnet war, unterstreichen zu Recht mehrere Autorinnen, die die fortschreitende Wirkung der Bürokratisierung und der Professionalisierung in Europa hervorheben. Sie bemerken, dass diese Entwicklung nach und nach die informelle Seite der Diplomatie bedrohte, sei sie nun männlich oder weiblich. Aus diesem Grunde, so folgern sie, wurde das Agieren der Marquise de Pompadour eher als illegitim betrachtet als jenes ihrer Vorgängerinnen. Es stellt sich darüber hinaus für das 16. und 17. Jahrhundert auch die Frage nach den Auswirkungen der Konfessionalisierung. Auch wenn sich in den Beiträgen dieses Tagungsbandes keine vollständige Antwort darauf findet, kann gleichwohl mit dem Beitrag von Jane Couchman
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festgehalten werden, dass das religiöse Register in der Argumentation von Frauen wie Eléonore de Roye nicht fehlte. Außerdem wird klar, dass die Religionskriege, die viele Hochadlige zur Revolte motivierten und bei Verhaftungen die heikle und erniedrigende Frage nach ihrer Unterwerfung aufwarf, für die Ehefrauen dieser hohen Herren zahlreiche zusätzliche Gelegenheiten zur Verhandlung boten. Raphaela Averkorn hebt hervor, dass die besondere Lage der iberischen Königreiche Frauen spezifische Möglichkeiten zum Handeln bot. Auch Svante Norrhem zeigt, dass die anders gelagerten, aber nicht weniger spezifischen Voraussetzungen eines großen Königreiches im Norden am Ende des 17. Jahrhunderts – eines offenen Königreiches, in dem sich die Netzwerke über den Sund und die Ostsee hinaus erstreckten – ebenfalls Möglichkeiten schufen, die insbesondere den Ehefrauen der höchsten Würdenträger des Staates zugutekamen, etwa jenen der Botschafter und anderer Gesandten fremder Höfe. Die Wichtigkeit unterschiedlicher Rahmenbedingungen, die verhandelnde Frauen zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten antrafen, würde zweifellos noch deutlicher hervortreten, wenn nicht nur Monarchien, sondern auch Republiken berücksichtigt würden. Ein weiteres Thema von Interesse wäre in diesem Zusammenhang die päpstliche Diplomatie, die zum Beispiel mit der Einflussnahme von Königinnen auf die Nuntien oder von Vertreterinnen des römischen Adels am päpstlichen Hof rechnen musste. Die Kombination unterschiedlicher Zeiten, Orte, Regierungsformen und Konfessionen würde zu einem noch differenzierteren Bild der Rolle von Frauen in Verhandlungen vom 16. bis 18. Jahrhundert – also vor den Veränderungen, die durch die Französische Revolution in Gang kamen – führen. Die im vorliegenden Sammelband versammelten Beispiele verraten bereits, dass dabei ein vielschichtiges und bewegliches Bild entstehen würde.
III. Verhandlungen durch Frauen und die Rolle des Geschlechts Die Botschafter waren sich der Wichtigkeit weiblicher Akteure wohl bewusst und integrierten sie in ihre Kalküle, ob es sich nun um die Princesse des Ursins in Madrid handelte oder um mächtige Gräfinnen, die ihre Intrigen am Hof von Stockholm schmiedeten. Wenn man nur sorgfältig genug sucht, finden sich zahlreiche Briefe dieser Frauen wie auch Zeugnisse der von ihnen geführten Verhandlungen. Aus ihnen geht hervor, dass diese Intrigen nicht weniger von Erfolg gekrönt waren als jene der Männer und dass sie sehr häufig in Absprache mit ihnen geführt wurden. Die Frauen griffen dabei auf dieselben Mittel und Ressourcen zurück wie die Männer, seien dies Audienzen, Gespräche, Briefe, Netzwerke, Geschenke oder fürstliche Zusammenkünfte. Dementsprechend kommt Raphaela Averkorn in ihrem Beitrag zum Schluss, dass es keinen grundsätzlichen Unterschied zwischen der Diplomatie der Königinnen und jener der Könige gab, zumindest nicht in den
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iberischen Königreichen des Spätmittelalters. Doch auch im Polen des Königs Sigismunds agierte Ursula Meyerin, Kammerdienerin und Vertraute des Königs, ganz wie ein kaiserlicher Resident dies getan hätte: Sie vergab Audienzen, sorgte für die Verteilung von Gunstbeweisen, intervenierte in politischen Angelegenheiten und unterhielt Korrespondenzen mit dem Ausland. Das Handeln dieser dama favorita dal re e regina6, um den Ausdruck des Nuntius’ aufzugreifen, schien sich damit kaum von jenem männlicher Günstlinge zu unterscheiden. Schließlich maß sich Henriette Adélaïde von Savoyen, Herzogin von Bayern, in ihrem Selbstverständnis und ihrem Handeln mit den Männern: Ihr Geschlecht spielte »höchstens eine untergeordnete Rolle«, so Julia Schwarz7. Davon ausgehend muss man sich fragen, ob Geschlecht überhaupt einen Einfluss auf die Konstruktion der Rolle hatte, die den Frauen in Verhandlungen zuerkannt wurde, auf ihre Art zu verhandeln und auf die damit verbundenen Darstellungen durch sie selbst oder durch Männer. In mancher Hinsicht spielte Geschlecht aber sehr wohl eine strukturierende Rolle. Wie bereits eingangs erwähnt, wurden Frauen aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert und von der Funktion der Repräsentation und den offiziellen diplomatischen Ämtern ausgeschlossen. Den Frauen standen deshalb nur die in der Sphäre des Informellen angesiedelten Tätigkeitsfelder der Verhandlung und der Information offen. Auf diese Weise verlief eine wichtige Unterscheidung in der Diplomatie entlang der Geschlechtergrenze: auf der einen Seite die Sphäre der formalen Diplomatie – offiziell, akkreditiert, repräsentativ und männlich – und auf der anderen Seite die Sphäre der informellen Verhandlung, in der Frauen und Männer gleichermaßen verkehrten. Diese geschlechterspezifische Aufteilung war nicht ohne Folge für die Position und die Handlungsweise der Frauen. Von offiziellen Missionen ausgeschlossen, verhandelten sie häufiger von ihrem Herkunftsland aus als an fremden Höfen, es sei denn, sie waren wie Henriette Adélaïde durch eine Heirat an einen fremden Hof gelangt oder bekleideten dort ein höfisches Amt wie die Princesse des Ursins. Darüber hinaus sahen sich Frauen zu einer wenig zeremoniellen Handlungsweise gedrängt, die dafür direkter und bisweilen effizienter war als die formale Verhandlung. Frauen vereinten, so die gelungene Synthese von Corina Bastian, Eva Dade und Eva Ott, »kürzere Wege, direkteres Vorgehen, schnelleres Entscheiden«8 und sahen sich daher in einem Wort niemals durch die »Umstände« (embarras) gehindert, wie dies der aufmerksame Praktiker François de Callières für formale Gesandtschaften feststellte9. 6 7 8 9
Siehe oben, 45. Siehe oben, 85. Siehe oben, 109. François de Callières, De la manière de négocier avec les souverains, ediert in: Jean-Claude Waquet, François de Callières: l’art de négocier en France sous Louis XIV, Paris 2005, 261.
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Wenn Frauen aufgrund ihres Geschlechts der Zugang zu repräsentativen Ämtern verwehrt blieb, so stellte Geschlecht innerhalb der Sphäre des Informellen nicht notwendigerweise ein Handicap dar. Im Gegenteil: Unter gewissen Umständen waren gerade Frauen für das Führen von Verhandlungen prädestiniert und Männer von ihnen ausgeschlossen. Fremde Herrscher und ihre Vertreter konnten über den (zugegebenermaßen weniger oft gewählten) Weg einer mit ihnen verwandten Königin, deren Kammerdienerin oder Camarera Mayor beträchtliche Hebelwirkungen erzielen, wenn es darum ging, sich in einen fremden Hof einzuschleusen und ihn zu kontrollieren; dies zeigen gleichermaßen die Beispiele aus München und Madrid oder auch ein von mir untersuchtes Beispiel in Florenz10. Überdies konnte weibliches Eingreifen wie oben beschrieben in kritischen Momenten die Züge einer unverhofften Ersatzdiplomatie annehmen, die es männlichen Akteuren – etwa dem Duc de Mercœur oder dem Duc de Bouillon – erlaubte, angemessen im Hintergrund zu bleiben. Männliche Ehrkonflikte konnten so ohne Gesichtsverlust gelöst werden. Der Weg verringerte Risiken und ermöglichte Annäherungen, die sich andernfalls als sehr viel schwieriger erwiesen hätten. Dergestalt positioniert und manchmal auch geschätzt, zeigten sich Frauen sicherlich nicht zuvorderst auf der Bühne der Diplomatie. Sie waren auch nicht weisungsbefugt, weder innerhalb des königlichen »Arbeitspaares«, das nicht egalitär, sondern hierarchisch organisiert war, noch im Rahmen von Gesandtschaften, die ihnen verschlossen waren. Man könnte insofern geneigt sein, ihr Wirken als zusätzlich oder lediglich ergänzend zu jenem von Männern zu charakterisieren und ihr diplomatisches Handeln selbst als abhängig oder subaltern zu sehen. Eine solche Schlussfolgerung wäre jedoch zweifellos übertrieben. Nichts erlaubt nämlich die Annahme, dass sich die Hierarchie zugunsten der Botschafter in der zeremoniellen Ordnung exakt in der pragmatischen Ordnung der Verhandlungsführung widergespiegelt hätte. Im Gegenteil: Callières, dessen Meinung es in diesem Zusammenhang verdient zitiert zu werden, bekräftigte, dass sich formale Gesandtschaften kaum auszahlten, und wertete dagegen geheime Verhandlungen auf, die ohne viel Aufhebens von Einzelpersonen geführt wurden11, also genau jene, zu denen Frauen sehr leicht Zugang hatten. Derartige Verhandlungen, die eher zum Bereich des Informellen gehörten, waren nämlich nicht einfach eine Ergänzung der offiziellen Verhandlungen. Sie konnten genauso gut autonom geführt werden und sich überdies als entscheidend erweisen. Verhandlungen durch Frauen nur als ergänzend, weil informell darzustellen, würde zudem zu der Aussage führen, dass die Sphäre des Informellen selbst 10 Vgl. Jean-Claude Waquet, L’échec d’un mariage. Marguerite-Louise d’Orléans et Côme de Médicis, in: Femmes et pouvoir politique. Les princesses d’Europe, XVe–XVIIIe siècle, hrsg. v. Isabelle Poutrin / Marie-Karine Schaub, Paris 2007, 120–132. 11 Callières, De la manière (wie Anm. 9), 260.
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eine ergänzende war, während sie doch ein eigenständiges Element innerhalb des Systems darstellte, in dem mehrere Verhandlungsformen beständig miteinander interagierten. Selbst wenn Frauen außer im Falle echter Königinnen wie Elisabeth I. oder mächtiger Regentinnen wie Katharina von Medici immer aus einer Abhängigkeitsposition heraus agierten, hatten sie in diesem Punkt doch dieselben Voraussetzungen wie die gesamte Diplomatie, die ja per definitionem niemals autonom ist, sondern stets abhängig von einer höheren Autorität, in deren Auftrag sie ausgeführt wird. Obwohl Frauen ungeachtet ihres Geschlechts in der informellen Sphäre der Diplomatie eine wichtige Rolle spielten, stand das Geschlecht trotzdem im Mittelpunkt eines komplexen Diskurses, der die Verhandlung durch Frauen zum Gegenstand hatte und in dem weibliches Geschlecht und Verhandlungsführung als gegensätzlich dargestellt wurde, sei dies durch die betroffenen Frauen selbst oder durch männliche Beobachter. Der kaiserliche Botschafter in Schweden schätzte beispielsweise die Gräfin von Stenbock, deren Eignung für das Verhandeln er anerkannte. Er nuancierte seine Aussagen jedoch mit der Beobachtung, dass sie sich in diesem Punkt ihrem Geschlecht überlegen zeige. Elisabetta Farnese positionierte sich mit einem sehr ähnlichen Argument, wenn sie etwa ihrem Briefpartner, dem Kardinal Fleury, mitteilte, dass man »ein wenig Vernunft in den am wenigsten Vernünftigen«12 finden könne. Madame de Maintenon verhandelte ihrerseits Brief für Brief mit der Princesse des Ursins, drückte sich aber in ihrer Eigenschaft als königliche Ehefrau aus und spiegelte in dieser Eigenschaft die Absichten und den Willen des Herrschers wider. »Ich spreche als Frau« (je parle en femme)13 war umgekehrt ein Ausdruck, mit dem sie sich disqualifizierte oder sich zumindest eine echte politische Kompetenz abschrieb. So konnte das Geschlecht, das Frauen bisweilen half, in eine Verhandlung einzutreten, es ihnen, wenn es ihren Interessen entsprach, auch ermöglichen, diese zu einem passenden Zeitpunkt wieder zu verlassen. Dies gelang, indem sie erklärten, dass sie eben nur Frauen seien und sich daher überhaupt nicht dafür eigneten, diplomatisch tätig zu sein. Dieser Tendenz zur Selbstentwertung oder Selbstbeschränkung, bei der eine Art natürliche Unvereinbarkeit von Frau und Verhandlung postuliert wurde, stand jedoch eine andere Sichtweise gegenüber, die, wie bei Katharina de Medici, davon ausging, dass Frauen für diese Tätigkeit geeigneter seien als Männer, da sie weniger von Ehrgefühl getrieben und dem Frieden zugeneigter seien. Die Figur des Botschafters als »Mann des Friedens«, unangefochten gefeiert in der theoretischen Literatur über die Verhandlung, verschwand so hinter der Frau des Friedens, geschmückt mit der wichtigsten Qualität eines jeden Botschafters.
12 Siehe oben, 111, Anm. 35. 13 Siehe oben, 111.
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IV. Professionelle Diplomatie und Männlichkeit im 19. Jahrhundert In der Frühen Neuzeit schrieben sich die Verhandlungen von Frauen in ein System multipler Normen ein, innerhalb dessen Prozesse wie die beginnende Bürokratisierung und Professionalisierung zu wirken begannen, aber nicht dominierten. Eine Beobachtung, die im Verlauf der Berner Tagung immer wieder gemacht wurde, ist jedoch, dass diese beiden Prozesse in Verbindung mit einer Entwicklung in Richtung Entpersonalisierung von Souveränität sowie einer Trennung zwischen einer männlichen und einer weiblichen Öffentlichkeit im 19. Jahrhundert schließlich das Bild dominierten. Dies begünstigte die Entstehung einer neuen Konzeption der Diplomatie, die innerhalb einer männlichen Öffentlichkeit eine ebenfalls männliche Bürokratie und das Berufsbild eines männlichen Diplomaten aufwerteten und diesen in den Dienst eines entpersonalisierten Staates stellte, der sich von Hof und Dynastie unterschied, falls diese überhaupt noch existierten. Diese Entwicklung verlief zuungunsten der informellen Diplomatie im Allgemeinen und erklärt zum Beispiel, warum im 18. Jahrhundert auch die Figur eines Prince de Conti, des geheimen Beraters Ludwigs XV., für die bereits von den neuen Werten überzeugten Minister immer weniger tragbar wurde. Diese Entwicklung sollte sich auch gegen die Frauen wenden, die sich von nun an doppelt disqualifiziert sahen: in ihrer Eigenschaft als Frauen, die von Natur aus als ungeeignet für den diplomatischen Dienst betrachtet wurden, und als Repräsentantinnen einer nun zusehends kritisch beurteilten informellen Sphäre. Die neue Ausgangslage entstand zweifelsohne nicht auf einen Schlag mit der Französischen Revolution: Von dieser allzu vereinfachenden Sichtweise haben die Teilnehmenden der Tagung Das Geschlecht der Diplomatie Abstand genommen. Gleichwohl ging die Revolution, wie es Claudia Opitz beschreibt, mit klaren Stellungnahmen einher, die sinnbildhaft für eine neue Ära standen: Auf der einen Seite stand, von Männern unverzagt verkündet, »der Wunsch der Natur«, die »die Frauen nicht für die Funktionen des politischen Körpers geschaffen hat«14. Auf der anderen Seite standen Feministinnen wie Olympe de Gouges, die gleichwohl weit davon entfernt war, auf die Betätigung von Frauen in der Politik des Ancien Régime ein Loblied zu singen, sondern ihre Form im Gegenteil vielmehr als heimlich, abwegig und schädlich heftig an den Pranger stellte und auf diese Weise die informellen Wege, die von den Damen vergangener Zeiten mit so viel Erfolg gegangen worden waren, als Nebenprodukte des Despotismus unwiderruflich verurteilte. Olympe de Gouges wünschte sich zugleich in der durch die Revolution erneuerten politischen Ordnung mehr Macht für Frauen. Was den Platz betrifft, der in dieser neuen Ordnung für die Frauen in der Diplomatie, die von nun an auch so 14 Siehe oben, 137.
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genannt wurde, geschaffen wurde, so wurden ihre Erwartungen aber nicht wirklich erfüllt. Gewiss lebten Frauen, die Diplomaten geheiratet hatten, von nun an im alltäglichen Kontakt mit der professionellen Diplomatie. Dies war etwa der Fall bei den Ehefrauen auswärtiger Gesandter, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Frankfurt stationiert waren. Sie alle waren, um einen Ausdruck des jungen Bismarck aufzugreifen, »in das kalte Bad der diplomatischen Gesellschaft«15 geworfen worden und infolgedessen dazu angehalten, nicht Verhandlungen, sondern ein mondänes Leben zu führen, bestehend aus Visiten und Empfängen, deren Glanz den Ruf ihrer Ehemänner bestimmte. Mit solchen sozialen Aufgaben bedacht, waren diese Frauen, wie es Ellinor Schweighöfer zeigt, tatsächlich nicht völlig vom diplomatischen Dienst ausgeschlossen, ganz im Gegenteil: Ihre Aktivität als Hausherrin gehörte »zum ›Dienst‹«16, um erneut Bismarck zu zitieren. Untrennbar von ihren Ehegatten, mit welchen sie als geschlossene Einheit wahrgenommen wurden, erfüllten sie an ihrer Seite notwendige Funktionen, die ihnen auch Eigenständigkeit garantierten – ein Ball beim englischen Gesandten war ein Ball bei Lady Cowley. Diese Aktivität vermittelte ein gewisses Maß an Unabhängigkeit und verschaffte diesen Frauen sogar Zugang zur Öffentlichkeit, etwa mittels wohltätiger Aktivitäten. Die Lage der Diplomatengattin hob die Grenzen der Trennung zwischen einer männlich-öffentlichen und einer weiblich-privaten Sphäre auf und bestätigte sie zugleich. Andererseits war die Rolle, die Frauen in der diplomatischen Welt zugestanden wurde, aber streng komplementär zu der dominanten und entscheidenden Rolle ihrer Ehemänner, wodurch sie im Vergleich zu ihren Vorgängerinnen in der Frühen Neuzeit an Handlungsautonomie einbüßten. Auf die verhandelnde Frau, die négociatrice, die den Fürsten gewiss nicht repräsentierte, aber trotz allem über einen gewissen Handlungsspielraum in der informellen Sphäre verfügte, folgte die ambassadrice, die nur die Ehefrau des Botschafters war und ihn in seiner Funktion der Repräsentation unterstützte. Im Europa des 19. Jahrhunderts war die neue Figur des Diplomaten also männlich. Die Frau wurde ihrerseits für die diplomatische Profession und allgemein für die politische Tätigkeit für unfähig gehalten. Diese Unfähigkeit wurde auch in jenen Schriften und Filmen postuliert, die sich in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert dem Treffen der Königin Luise mit Napoleon in Piktupönen bei Tilsit widmeten. Wie Birte Förster aufzeigt, verwendeten sich darin die Verehrer der Königin von Preußen, die Teil einer neuen kulturellen Ordnung waren, dafür, diese Episode aus dem Bereich der Verhandlung herauszulösen und die Königin als Frau und Mutter und nicht als Diplomatin darzustellen. Derart in Szene gesetzt, verhandelte Luise nicht. Vielmehr bewies sie vorbildliche, aber weibliche Qualitäten im Dienst an ihrem bedrohten Heimatland, ohne für sich 15 Siehe oben, 168. 16 Ebd.
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auch nur die geringste Kompetenz als Botschafterin zu reklamieren oder einen politischen Anspruch zu erheben. Sie lief dadurch Gefahr, die unglückliche Beute einer nicht nur militärischen, sondern auch erotischen Aggressivität des korsischen Tyrannen zu werden. Sie akzeptierte dieses Opfer jedoch aufgrund des höheren Diensts an der Heimat, in dem sich Nationalgefühl und religiöse Aspekte gleichermaßen zeigten und in dem sich später die konservativen Frauenbewegungen der Weimarer Republik wiederfinden sollten. So sollte das Opfer der Königin, aufgezwungen durch die Umstände und die Pflicht, als Antwort auf eine extreme Situation erscheinen und nicht als Inanspruchnahme einer Rolle, die aus der Sicht jener, die für Luise sprachen, Frauen nicht zustand. Ein weiteres Verdienst des Beitrags von Birte Förster besteht darin, zu zeigen, dass diese Darstellung mit der Überzeugung einherging, Politik sei die Angelegenheit »wahrer« Männer wie Napoleon und nicht verweichlichter oder verweiblichter Figuren wie Zar Alexander oder König Friedrich Wilhelm. Politik rief also nicht nur nach einem Mann, sondern auch nach einer »Männlichkeit«, deren Konstruktion zugleich in den Schriften und in den Praktiken im Gange war. Diese Wahrheit galt natürlich auch für die Diplomatie. Sie führte bisweilen dazu, letztere in Frage zu stellen. Denn wenn Diplomatie eine Angelegenheit von Männern geworden war, um welche Männer handelte es sich dann? Diese Frage wurde mit polemischer Brutalität im Deutschland Wilhelms II. aufgeworfen, als die Debatten um die Eulenburg-Affäre entbrannten und in diesem Zusammenhang die Männlichkeit der Diplomatie selbst in Frage gestellt wurde. Hatte ihre unverbesserliche Neigung zum Frieden, den Kompromiss, die Kooperation nicht etwas Verdächtiges? Ging sie nicht mit einem Manko an Nerven, Patriotismus und vor allem an wahrer Virilität einher? Mit einem Wort: War die Diplomatie etwas anderes als das immer stumpfere Instrument dieser Homosexuellen, deren Nest der Hof war und deren Runde in Berlin von einem französischen Diplomaten und »König der Päderasten«17, dem beklagenswerten Lecomte, angeführt wurde? Norman Domeier hat diese Auseinandersetzung in seinem Beitrag nachgezeichnet, eine Polemik, die zweifellos keine allgemein geteilte Sichtweise darstellte. Sie illustriert vielmehr die Ambiguität und die mehr oder weniger impliziten Hierarchien, die von nun an diesen unsicheren und nicht voll ausgebildeten Berufsstand prägten. Sicherlich hatte dieser den Frauen seine Türen verschlossen; er war aber zugleich, wie man lauthals behauptete, nur für verweiblichte Männer gut und erwies sich so gegenüber dem militärischen Berufstand als weit unterlegen. Je nach Zeit und Ort diente Geschlecht also dazu, den diplomatischen Beruf zu konstruieren oder zu disqualifizieren. Nachdem dieser sich zum Teil über dieses Differenz- und Diskriminierungskriterium herausgebildet hatte, wurde er schließlich, zumindest im Deutschland vor 1914, beschuldigt, gegen ebendiese Differen17 Siehe oben, 186.
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zierung verstoßen zu haben – und dies zum Schaden der Grenzen zwischen den Geschlechtern und der Nationen. Denn Homosexuelle, so hieß es, bildeten eine Internationale. Auch bezöge sich eine von ihnen betriebene Diplomatie nicht auf den höheren Wert der Nation, sondern vielmehr auf das trübe Universum der Internationalismen, die sich just zu diesem Zeitpunkt entwickelten und die von einer anderen Seite aus den Eintritt der Frauen in das diplomatische Berufsfeld vorbereiteten.
V. Eine männliche Welt auf dem Prüfstand: Die Feminisierung des diplomatischen Berufsfeldes nach 1917 Während der Französischen Revolution war die Diplomatie der »Despoten« grundsätzlich in Frage gestellt worden, ohne dass dies den Frauen genutzt hätte. Vielmehr sahen die Frauen, wie bereits ausgeführt, ihre herkömmlichen Handlungsweisen als Nebenprodukte eben dieser Tyrannei verurteilt. Vom Ende des 19. Jahrhunderts an wirkten sich Widerstände und Brüche eher in die entgegengesetzte Richtung aus: Sie begünstigten die Aufnahme der Frauen in einen Berufsstand, der ihnen bis dato verschlossen gewesen war. Sacha Zala und Ursina Bentele unterstreichen die Rolle, die der Internationalismus und mit ihm die Entwicklung internationaler Netzwerke für diese Entwicklung spielten. In diesen Netzwerken konnten Frauen im »Grau- und Grenzbereich zwischen nongouvernementaler und gouvernementaler Politik eigenständig agieren«, während sie ihren späteren Eintritt in die staatlichen Bürokratien vorbereiteten. Susanne Schattenberg verweist auf die Überzeugung der Bolschewiki, der zufolge Geschlecht in der Arbeitswelt keine Rolle spielen dürfe, sowie auf die feindliche Haltung Trotzkis gegenüber der »alten Diplomatie«, die von der höfischen Welt geerbt und in der Praxis durch die allesamt männlichen professionellen Diplomaten verkörpert werde – eine Feindschaft, die im Übrigen von Wilson geteilt wurde. Madeleine Herren betont schließlich den frischen Wind, der durch den Völkerbund, die Entwicklung internationaler Organisationen und den Eintritt außereuropäischer Staaten in den europäischen Kreis der Diplomatie entfacht wurde. Die Folge dieser Entwicklungen ist bekannt und wird in diesem Band ausführlich dargestellt: Es ist zuerst die »revolutionäre« Ernennung der Sowjetbürgerin Aleksandra Kollontaj zur Botschafterin in Norwegen, dann die Rekrutierung der young women combining beauty and brain18 im Völkerbund sowie der Eintritt der Frauen in die Diplomatie von – aus europäischer Sicht – »peripheren« Ländern und schließlich die Nominierung US-amerikanischer Bürgerinnen auf Botschafterposten diesseits des Atlantiks nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. All dies zeugt von einem relativ langen, aber letztlich unaufhaltsamen Prozess, dem sich 18 Siehe oben, 201.
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die Staaten des alten Europa, der Heimat der »alten Diplomatie«, zugegebenermaßen nur ungern beugten. Aber auch wenn England sich noch im Jahr 1936 weigerte, Frauen in den diplomatischen Dienst aufzunehmen, öffnete es ihnen diese Türen schließlich trotzdem, ein Schritt, den im Übrigen 1955 auch die Schweiz vollzog, die heute, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, mindestens gleich viele Frauen wie Männer in ihr diplomatisches Corps rekrutiert. Die Entwicklung führte dazu, dass Frauen auch zur Position des Botschafters vorstießen, die bislang Männern vorbehalten gewesen war, und dass Männer die Funktion des Ehepartners des Botschafters übernahmen, die bisher ausschließlich von Frauen ausgefüllt worden war. Von der Botschaftergattin sagte ein schweizerisches Vademekum noch im Jahr 1965, dass sie »unter allen Umständen bereit« sein solle, »ihren Mann zu unterstützen«19. Diese auf der Geschlechterdifferenz basierende Rollenaufteilung, die aufgrund der großen Bedeutung von diplomatischem Protokoll und Titelgebrauch öffentlich und formalisiert war, wurde zur selben Zeit aber bereits infrage gestellt. In diesen Zeiten des Wandels konnten sich Botschaftergattinnen doppelt bedroht fühlen: von Frauen, die ein Botschafteramt bekleideten und sie möglicherweise verdrängen konnten, und von Männern, die weibliche Botschafter begleiteten. Bei letzteren stand nicht nur zu befürchten, dass sie von den Aufgaben einer Hausherrin entbunden wurden, sondern auch, dass sie sich dazu aufschwingen könnten, etwa bei den Diners einen Platz einzunehmen, der durch ihr Geschlecht statt durch ihren Rang in der Ordnung der Botschaftergattinnen (oder, wenn man so will, der Gatten von Botschaftern) bestimmt wurde. Die Beispiele in diesem Band zeigen, dass sich diese Befürchtungen, sofern sie sich regten, als unbegründet herausstellen sollten. Die protokollarischen Dienste zogen es angesichts der kniffligen Tischordnung nämlich vor, eher die Männer, die nun eine vormals von Frauen ausgefüllte Position einnahmen, deutlich zu degradieren, als sie im Vergleich zu den Botschaftergattinnen zu erhöhen. Sie platzierten also die Gatten der Botschafterinnen so weit unten oder so weit weg wie möglich, hinter allen offiziellen Funktionsträgern – Männern und eventuell auch Frauen – und ohne ihnen auch nur den geringsten Vorzug vor den Botschaftergattinnen zu geben. Sie entschlossen sich indes trotz allem nicht, sie als »Herr Botschafterin« zu titulieren, wie es sich von der offiziellen Bezeichnung ihrer Ehefrauen hergeleitet hätte und wie es sich gemäß der Ordnung der Dinge oder, wie Sacha Zala und Ursina Bentele die Académie française zitieren, nach dem »gesunden Menschenverstand«20 dargestellt hätte. Das eigentliche Problem stellte sich jedoch bei Frauen, die in das Amt des Botschafters berufen wurden. Dieses neue Phänomen führte dazu, dass man sich nach dem Geschlecht dieses Amtes fragen musste. Gemäß der Académie française 19 Siehe oben, 246. 20 Siehe oben, 244.
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existierte jenes nur in männlicher Form: Der Titel Madame l’Ambassadeur sollte deshalb die weibliche Person im immer noch männlichen Amt des Botschafters bezeichnen – eine Entscheidung, die sich nicht allgemein durchsetzen konnte. So wurde etwa im deutschsprachigen Raum stattdessen wagemutig der Titel »Botschafterin« vorgeschlagen. Jedoch trat deutlich die Frage zum Vorschein, mit der sich das Protokoll der Außenministerien in ganz Europa auseinandersetzen musste: jene nämlich nach dem Umgang mit dem Botschafter als einer nunmehr hybriden, geschlechtlich nicht mehr klar zuzuordnenden Figur, deren Leben darüber hinaus auch noch öffentlich war und die guten Beziehungen zwischen den Staaten betraf. Die Einstellung Aleksandra Kollontajs selbst war in diesem Punkt ziemlich ambivalent. Denn obschon sie ihre Nominierung einerseits als Sieg für die Frauen bezeichnete, so schrieb sie doch auch: »Ich habe mich während der Zeit meiner diplomatischen Tätigkeit nie als Frau gefühlt. Die Arbeit [...] war zu ernst.«21 Die männlichen Stimmen waren ihrerseits geteilt, angefangen mit den Königen, die sich – wohl erzogen wie sie waren – fragten, ob es sich während der Empfangszeremonie eher schickte, die Dame sich setzen oder den Botschafter stehen zu lassen. Der König von Schweden entschied sich für die erste Option, nachdem er die Hauptbetroffene diskret über das Vorgehen seines norwegischen Kollegen befragt hatte. Anderswo und wahrscheinlich in den häufigsten Fällen wurde indessen Madame l’Ambassadeur behandelt, »als ob sie ein Mann wäre«22. Das Weibliche nahm also das Territorium des Männlichen in Beschlag. Dennoch trug das Männliche weiterhin den Sieg über das Weibliche davon, zumindest in der ersten Zeit, in der es galt, schnelle Lösungen zu finden, die mit den Ritualen und den zuvor etablierten sozialen Codes kompatibel waren. Dennoch stellten diese Codes für Frauen kein unüberwindbares Hindernis dar, im Gegenteil: Ihre Beherrschung zählte den Erkenntnissen Susanne Schattenbergs zufolge in der Welt der Diplomatie mehr als das Geschlecht der Akteure oder, wie im Fall der Sowjetunion, die Ideologie, die sie zum Ausdruck brachten. Auch schuf das Korsett der Formen einen paradoxen Freiheits- oder zumindest Handlungsspielraum, vorausgesetzt, sie wurden respektiert. Nichts hinderte im Übrigen die Frauen daran, wie Katharina von Medici weiterhin davon auszugehen, dass sie bessere Diplomaten seien als Männer – »flexibler, verständnisvoller, mit einer stärkeren Intuition ausgestattet«23, wie es Aleksandra Kollontaj ausdrückte. *
21 Siehe oben, 221. 22 Siehe oben, 227. 23 Siehe oben, 234.
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Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit spielten sich die Verhandlungen von Frauen im Herzen des politischen Systems ab: am Hof, und zwar in seinem informellen Bereich, dessen Bedeutung die Geschichtsschreibung immer wieder hervorgehoben hat. Diese aktive Beteiligung findet sich auf dem gesamten Kontinent und besonders in den großen Monarchien, der französischen, schwedischen, spanischen oder österreichischen, die auch die Wiege der Old Diplomacy darstellen. Im 20. Jahrhundert, nach Jahrzehnten eines männlichen Monopols im diplomatischen Berufsfeld, ging die (Wieder-)Eroberung der Diplomatie durch die Frauen von der Peripherie aus – von internationalen Organisationen und Bewegungen sowie von Ländern außerhalb des Kerngebiets der Old Diplomacy –, bevor sie Schritt für Schritt die alten Nationen zurückgewannen, die ihnen vormals einen Platz in den Verhandlungen eingeräumt hatten und sich jetzt mit ihrer Präsenz in diesem Metier abfinden mussten, darunter zuletzt auch Großbritannien, Frankreich und die Schweiz. Es handelt sich also um eine Art Bewegung in drei Schritten, welche die Tagung aufgezeigt hat: Diese setzte bei der Einbindung der Frauen in den informellen Bereich der Diplomatie ein und wurde abgelöst von einer zweiten Phase des Ausschlusses der Frauen aus der Diplomatie, welche durch die Komplementarität der Geschlechterrollen nur leicht abgemildert wurde. Es folgte schließlich in einem dritten Schritt die Wiederaufnahme der Frauen in die Diplomatie im Zeichen des Fortschritts, da nun endlich auch die Funktion der Repräsentation für Frauen zugänglich wurde. Jahrhundertelang und mindestens bis zur Französischen Revolution spielte das Geschlecht in Verhandlungen eine zugleich diskriminierende und strukturierende Rolle, sowohl auf der Ebene der Institutionen und des Handelns als auch auf jener der Diskurse. Nach der Herausbildung eines gänzlich männlichen Berufsbildes, vorbereitet durch die frühneuzeitlichen Staatsbildungsprozesse, versteifte sich die Geschlechterfrage auf eine Debatte über die Männlichkeit der Diplomatie als einer Tätigkeit, die ihren Akteuren einen verdächtigen Ölzweig anstelle des Schwertes in die Hände gab. Als sich das Berufsfeld dann einige Zeit später – wenn auch mit Widerstand – für Frauen öffnete, führte dies dazu, dass man nicht mehr nur die Männlichkeit ihrer Repräsentanten, sondern auch jene der Tätigkeit selbst, die Männer wie Frauen ausübten, in Frage stellte. Dass diese Tätigkeit als rein männlich begriffen wurde, verschaffte Frauen in einem diplomatischen Amt eine Art soziale oder zeremonielle Männlichkeit – jene der »Frau Botschafter«, die »wie ein Mann behandelt wird«. Diese Entwicklung brachte zugleich in zunehmendem Maße eine Position – und kein Amt – in Gefahr, die im Verlauf des 19. Jahrhunderts klare Züge erhalten hatte: die Position der Botschaftergattin, deren Grundlage die Idee der Komplementarität der Frau zum Mann war und die in der Praxis kein wirkliches männliches Pendant fand. Während dieses gesamten komplexen Prozesses zeigte sich die Welt der Verhandlungen und der Diplomatie bemerkenswert stabil, wie es für einen stark ritualisierten Tätigkeitsbereich typisch ist. Zugleich erwies sie sich als flexibel, was sich
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an den Verhandlungsräumen zeigt, die Frauen in den alten politischen Systemen offen standen, oder an ihren Möglichkeiten, sich schließlich auch in einer professionellen Welt von Männern zu bewegen, sofern sie ihre sozialen Codes vollkommen beherrschten. Diese Flexibilität ermöglichte im Zusammenspiel mit den allgemeineren Entwicklungen der Staaten und der Gesellschaften nachweislich Verschiebungen im Verhältnis von Geschlecht und Diplomatie. Trotz allem hielt sich, zumindest in gewissen Gegenden, jener Widerstand am längsten, der das Geschlecht des Amtes betraf. Ambassadeur war – und zwar nur in seiner männlichen Form – der Schlussstein des Systems; und mit der Madame l‘Ambassadeur galt es, das Wesentliche zu retten. Übersetzung aus dem Französischen: Corina Bastian, in Zusammenarbeit mit Nadine Amsler und Nadir Weber
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Personenregister A Abadal, Ramon d’: 24 Ackerlind, Sheila R.: 20 Adami, Friedrich: 147–148 Adams, Robyn: 52–53 Afonso II., König von Portugal: 17 Afonso III., König von Portugal: 20 Afonso IV., König von Portugal: 20–22, 26–27 Albert, Jeanne d’: 54 Albrecht V., Herzog von Bayern: 46 Albrecht VII., Erzherzog von Österreich: 39, 42–43 Albrecht, Dieter: 75 Alexander I. Pawlowitsch Romanow, Zar von Russland: 145, 147, 152– 153, 155, 160–161, 268 Alexandrine, Prinzessin von Preußen: 145 Alfonso V., König von Aragón: 31 Alfonso VIII., König von Kastilien: 16–17 Alfonso IX., König von León: 17–18 Alfonso X., König von Kastilien und León: 18–19, 22–23 Alfonso XI., König von Kastilien und León: 21–22, 26–28, Altermatt, Claude: 239 Álvarez Palenzuela, Vicente Ángel: 15 Amelot, Michel-Jean, Seigneur de Gournay: 107 Anderson, Eugenie: 240–242 Anderson, John Pierce: 241–242 Anna von Innerösterreich, Königin von Polen: 44–46 Anna, Erzherzogin von Österreich, Herzogin von Bayern: 46
Anna, Erzherzogin von Österreich, Königin von Frankreich: 118–119 Anna, Erzherzogin von Österreich, Königin von Spanien: 41–42 Anna, Prinzessin von Preussen, Kurfürstin von Brandenburg: 96 Antequera, Fernando de: 29, 31 Antoine, Michel: 109 Arcilla, José Sánchez: 27 Arenberg, Franz von: 185 Arenfeldt, Pernille: 35 Aretz, Gertrud: 153 Aristoteles: 133 Armagnac, Bernard VII. Graf von: 26 Arneth, Alfred von: 124 Arnim, Malwine von (geb. von Bismarck): 168 Asch, Ronald G.: 11, 33, 37 Atcherson, Lucille: 205 Aubery du Maurier, Benjamin: 65 Aubigné, Agrippa d’: 55 Audemar (Familie): 206 Audemar Drexel, Zelda: 206 Augusti, Brigitte: 150 Avaux, Jean Antoine d‘: 89–94, 100 Averkorn, Raphaela: 15–32, 261–262 Ayala, Inés de: 28 Ayala, María de: 28 Ayala, Teresa de: 28 B Badinter, Élisabeth: 141 Baecque, Antoine de: 123 Bailes, Kendall E.: 215 Ballesteros Beretta, Antonio: 19 Baltz, Johanna: 151 Bar, Violante de, Königin von Aragón: 25, 29–31, 261–262
300 Barbey, Bernard: 244 Barnekow, Christian Otto Karl, Baron: 226 Barranco, Margarita García: 104 Barros Leite, Fernando: 19 Barry, Marie-Jeanne Bécu, Comtesse du: 121 Bary, Roswitha von: 69, 76 Bassermann, Ernst: 190 Bastian, Corina: 7–14, 54, 81–82, 103–114, 149, 258, 260, 263 Bastl, Beatrix: 40 Báthory, Sigismund: 46 Baucells i Reig, Josep: 21 Beatriz von Kastilien, Königin von Portugal (1244–1300/03): 19, 22, 261–262 Beatriz von Kastilien, Königin von Portugal (1293–1359): 21–22, 26, 261–262 Beatriz von Schwaben, Königin von Kastilien (1205–1235): 18 Beatriz, Prinzessin von Sizilien-Aragon (1326–1364): 23–24 Becker, Frank: 146 Begtrup, Bodil: 242 Behn, Andreas von: 95 Benedikt XIII., Papst: 26 Bennassar, Bartolomé: 40 Bentele, Ursina: 237–255, 269, 271 Berenguela, Königin von Kastilien (1180–1246): 16–18, 22, 261– 262 Berenguela, Prinzessin von León (1201–1237): 18, 261–262 Berenguela, Prinzessin von Kastilien, Nonne (1228–1288/89): 18 Bergs, Caroline von: 147 Berla, Angelo: 250 Berlin, Irving: 241 Bernabé, Luis Valero de: 16, 19, 21–22, 28–29
Personenregister
Berridge, Geoff: 52 Berry, Johann, Herzog von: 26, 30 Berry, Johanna, Herzogin von: 30 Beßlich, Barbara: 149 Beziers, Saurina de: 21 Bielke, Eva, Gräfin: 97 Bielke, Nils: 88 Biron, Charles de Gontaut, Duc de: 63 Bischoff, Erich: 188–189, 194 Bischoffwerder, Johann Rudolf von: 188 Bismarck, Bernhard von: 168, 170, 173 Bismarck, Johanna (geb. von Puttkamer), Fürstin von: 165, 167–171, 173, 176 Bismarck, Malwine von, siehe Arnim, Malwine von (geb. von Bismarck) Bismarck, Otto, Fürst von: 165–171, 173–179, 182, 187, 193–194, 267 Blanca von Anjou, Königin von Aragón (1283–1310): 20 Blanca von Bourbon, Königin von Kastilien (1339–1361): 28 Blanca von Kastilien, Königin von Frankreich (1188–1252): 17–18, 261–262 Blanca, Prinzessin von Frankreich (1253–1323): 19–20, 261–262 Blanca, Prinzessin von Portugal (1259– 1321): 20–22, 261–262 Blanca, Prinzessin von Sizilien (*1342): 24 Blume, Heinrich: 151 Bobroff, Anne: 215 Bock, Gisela: 106, 132 Bodin, Jean: 9, 55, 96 Boeck, Carl von der: 151 Boissier, André: 243 Bolt-Jørgensen, Laurits Bolt: 242–243 Borsche, Dieter: 148 Bort, französischer Chargé d’affaires in Kopenhagen: 89, 92 Boucher, Jaqueline: 38–39
Personenregister
Bouillon, Elisabeth von Oranien-Nassau, Duchesse de: 61–63, 67 Bouillon, Henri de la Tour d’Auvergne, Vicomte de Turenne, Duc de: 62–68, 264 Bouillon, Robert IV. de La Marck, Duc de: 53–54, 56 Bourbon (Haus): 59, 74, 122, 135, Bourbon, Anne de Forez, Herzogin von: 30 Bourbon, Louis de, Dauphin de Viennois: 75, 79, 84 Bourbon, Louis II., Herzog von: 30 Bourdieu, Pierre: 33 Bourgeois, Jean: 253 Brancas, Louis de Cerest, Marquis de: 107 Brandt, Max von: 190 Bratsch-Prince, Dawn: 29–31 Braunschweig und Lüneburg, Ernst August von Braunschweig-Calenberg, Kurfürst von: 99 Breteuil, Louis Charles Auguste le Tonnelier, Baron de: 124 Brewer Boeckel, Florence: 204–205 Briand, Aristide: 220 Bringmann, Tobias C.: 164 Brockliss, Laurence W. B.: 195 Broomhall, Susan: 52, 61, 63 Bruggmann, Karl: 238 Brunner, Otto: 10 Bruns, Claudia: 193 Bruns, Karin: 146 Bryant, Marc: 110 Bucharin, Nikolaj Ivanovič: 233 Bugenhagen, Johannes: 35–36 Buisseret, David: 66 Bülow, Bernhard Fürst von: 184–187, 189–190, 197 Burgund, Margarete von Flandern, Herzogin von: 30 Burgund, Philipp, Herzog von: 26, 30
301 Burmeister, Hans Wilhelm: 189–190 Büschel, Hubertus: 146 C Cabrera, Bernat de: 24 Callières, François de: 264 Calmette, Gaston: 198 Calmy-Rey, Micheline: 239 Campan, Jeanne Louise Henriette de: 115–116, 128 Cantarell, Margarida Anglada: 24 Carlos III, König von Navarra: 26 Casper, Johann Ludwig: 196 Castelnau, Michel de: 60 Castillo Ledón, Amalia de: 242 Catherine de Bourbon, Herzogin von Lothringen: 54 Cerda, Alfonso de la: 19 Cerda, Fernando de la (1253–1275): 19 Cerda, Fernando de la (1275–1322): 19 Černyševa, Ol’ga V.: 216, 218–219 Charlotte, Prinzessin von von Preußen, als Alexandra Fjodorowna Zarin von Russland: 145 Christian V., König von Dänemark, Norwegen: 100 Christians, Mady: 154 Christina von Dänemark, Herzoginwitwe von Lothringen: 56–57 Christine, Herzogin von SchleswigHolstein-Gottorp: 96 Christina, Königin von Schweden: 99 Christine, Prinzessin von Frankreich, Herzogin von Savoyen: 69–72, 74, 82–84 Christoph von Württemberg: 57 Čičerin, Georgij Vasil‘evič: 220, 222–223 Claramunt Rodríguez, Salvador: 24 Clarstein, Arnoldin von: 44, 46 Clinton, Hillary: 7 Clottu, Paul: 248, 251 Coester, Christiane: 38
302 Coligny, Gaspard II., Comte de: 57, 61, 67 Coligny, Louise, Comtesse de: 51–56, 61–68, 259–260 Coligny-d’Andelot, François de: 57 Condé, Éléonore de Roye, Princesse de: 51–61, 66–68, 259, 262 Condé, Louis I. de Bourbon, Prince de: 53, 56–61, 67, 259 Conrad II., Herzog von Schwaben: 16–17 Constanza, Prinzessin von Aragón (1300–1327): 21 Constanza, Prinzessin von Aragón, Königin von Sizilien (1343–1363): 24 Constanza, Prinzessin von Kastilien, Äbtissin († 1243): 17 Constanza, Prinzessin von Kastilien (1205–1242): 18 Constanza, Prinzessin von Portugal, Königin von Kastilien (1290–1313): 21 Constanza, Prinzessin von Sizilien: 19 Constanza, Prinzessin von Sizilien (1324–1355): 24 Conti, Louis François de Bourbon, Prince de: 108–109, 260, 266 Conze, Eckart: 181 Cosandey, Fanny: 105, 117–118 Cosner, Shaaron: 207 Cosner, Victoria: 207 Couchman, Jane: 51–68, 261–262 Cowley, Henry Richard Charles Wellesley, Earl: 168–169, 171, 173, 267 Cowley, Olivia Cecilia FitzGerald, Lady: 168, 173, 267 Cox, Rosanna: 52–53 Crabb, Ann: 53 Crouzet, Denis: 55 Crowdy, Rachel Eleanor: 204–205, 208–209
Personenregister
Cruz Coelho, Maria Helena da: 22 Cruz, Anne J.: 33 Čuev, Feliks: 233 D Dade, Eva Kathrin: 7–14, 103–114, 149, 258, 260, 263 Daniel, Ute: 190 De la Gardie, Ebba Margareta: 100 De la Gardie, Johanna Eleonora: 92–93, 95–96, 100–101, 259, 262 De la Gardie, Magnus Gabriel, Graf: 99–100 De la Gardie, Pontius, Freiherr von Ekholmen: 100 De la Gardie, Pontius Friedrich: 100–101 Dean, Robert: 199, 202 Deibel, Ulla: 24 Deist, Wilhelm: 182 Delaborde, Jules: 57–59, 61, 63, 65, Delille, Jacques: 122 Demel, Walter: 35 Der Derian, James: 222 Desprats, Guillerma: 21 Deutschland, Heinz: 217, 219, 230 Dickerman, Edmund H.: 63, 66 Dinis I. von Portugal: 20, 23 Diotallevi, Francesco: 45 Doeberl, Michael: 76 Domeier, Norman: 181–200, 268 Domínguez, María: 23, Dorothea von Sachsen-Lauenburg, Königin von Dänemark und Norwegen: 35 Drexel, Constance: 201, 205–207 Dreyfus, Alfred: 181, 199 Dubois, Guillaume, Erzbischof von Cambrai: 104, 110 Dudink, Stefan: 193 Dufournaud, Nicole: 38–39
Personenregister
Dufva, Diener von Karl XII. von Schweden: 95–96 Duindam, Jeroen: 33–34 Dulce (Aldonza) von León: 18 Dullin, Sabine: 233 Dumont, Pierre: 242 Durfort, Emmanuel-Félicité de: 126 Du Tronchet, Étienne: 54 Dybenko, Pavel Jefimowitsch: 221, 226, 233 E Earenfight, Theresa: 105 Echeverría, Ana: 29 Edelmayer, Friedrich: 40–41 Eduard III., König von England: 27–28 Edwards, John Carver: 207 Ehrenstrahl, David Klöcker: 95 Eisenhower, Dwight David: 237–240 Eleanor, Herzogin von Aquitanien: 16 Eleonora, Prinzessin von Brandenburg, Königin von Schweden: 96 Elias, Norbert: 9, 10, 33, 240 Elisabeth I., Königin von England: 11, 57–58, 61, 265 Elisabeth von Kärnten, Herzogin von Österreich und der Steiermark: 23 Elisabeth von Österreich: 42 Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern, Kaiserin von Österreich: 170 Elliott, John H.: 195 Emilia (Amélie) von Oranien-Nassau, Pfalzgräfin von ZweibrückenLandsberg: 61, 67 Engel, Eduard: 152 Engel, Gisela: 10 Enrique I., König von Kastilien: 17 Enrique II., König von Kastilien: 26, 28 Enrique III., König von Kastilien: 28 Ernst, Erzherzog von Österreich: 43
303 Esmarch, August Wilhelm Stiernstedt: 224 Estoile, Pierre de l’: 63 Estow, Clara: 28 Estrées, Gabrielle d’: 39, 260 Eufemia, Prinzessin von Sizilien: 24 Eulenburg und Hertefeld, Philipp Friedrich Alexander Fürst zu: 181–200, 268 Evans Clements, Barbara: 215–216 Ewan, Elizabeth L.: 211 Externbrink, Sven: 70 Eylert, Rulemann Friedrich: 146 F Farnese, Elisabetta, Königin von Spanien: 8, 103–104, 110–112, 265 Farnsworth, Beatrice: 215–216, 233 Fay, Sidney Bradshaw: 191 Fenollet, Pere de: 30 Ferdinand II., Kaiser: 45–48, 72 Ferdinand III., Kaiser: 72 Ferdinand Karl, Erzherzog von Österreich: 120 Ferdinand Maria, Kurfürst von Bayern: 69, 71–85, 259 Ferdinand von Bourbon, Herzog von Parma: 120 Fernández Coronel, María: 23 Fernández Tortadés, M. Angels: 24 Fernando III., König von Kastilien: 17–18 Fernando IV., König von Kastilien: 21–23 Fernando, Prinz von Kastilien (1189– 1211): 16 Feros, Antonio: 43 Ferrer Mallol, María Teresa: 24 Filippini, Nadia Maria: 158 Firpo, Arturo: 27 Fleury, André-Hercule de, Kardinal: 111–112, 265
304 Foix, Mathieu Graf von: 25–26 Forbes, Patrick: 58 Förster, Birte: 145–161, 268 Forth, Christopher: 199 Fößel, Amalie: 37 Fraisse, Geneviève: 131–132 Francien, Kutschenmacher: 126 Franel, Gérard: 251 Franz Hyazinth, Herzog von Savoyen: 70 Franz I. Stephan von Lothringen, Kaiser: 115, 117, 119–120 Fraser, Antonia: 116, 121 Frederik IX., König von Dänemark: 241 Frevert, Ute: 153 Fried, Eugen: 198 Fried-Brosz, Ellinor, siehe Schweighöfer, Ellinor Friederike Amalie von Dänemark, Herzogin von Schleswig-HolsteinGottorp: 92–94, 96 Friedländer, Hugo: 184–185, 187, 193–194, 196 Friedrich August I. (der Starke), Kurfürst von Sachsen, als August II., König von Polen: 91 Friedrich I Barbarossa, Kaiser: 16–18 Friedrich II. (der Große), König von Preußen: 188, 194 Friedrich III., König von Dänemark: 96 Friedrich III., Kurfürst von der Pfalz: 57 Friedrich III., König von Sizilien: 24–25 Friedrich IV., Kurfürst von der Pfalz: 63 Friedrich IV., Herzog von SchleswigHolstein-Gottorp: 92, 94, 100 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen: 147–148, 150, 153–156, 160–161, 268 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen: 145, 171
Personenregister
Friedrich, Woldemar: 154 Friedrich-Heinrich von Oranien-Nassau, Statthalter der Vereinigten Niederlande: 61 Frindte, Julia: 79–80 Froehlich, Carl: 148, 156 Frost, Reinhard: 174 Fryxell, Anders: 89, 91–92, 94–96 Fuchs, Marina: 217–218, 221, 223, 230–232 Fuente, María Jesús: 16, 21–22, 24–25, 27–28 Furetière, Antoine: 113 Fürstenberg, Hermann von: 76–78, 81–82 G Gaertner, Franziska von: 157 Gagern, Heinrich Wilhelm August, Freiherr: 167, 176–178, 179 Gaibrois de Ballesteros, Mercedes: 20, 22–23, Galey, Margaret E.: 205 Gall, Lothar: 165–166, 169–170 Ganeckij, Jakov Stanislavovič: 220 García Fernández, Manuel: 15, 21–22 Geffroy, Auguste: 124 Genevoix, Maurice: 244 Gent, Jacqueline von: 52, 61, 63 Germann, Jennifer Grant: 118 Gervais, Pierre: 199 Geyer, Dietrich: 221 Geyer, Martin: 192 Gharib, Hormoz: 242 Gilboa, Eytan: 208 Gimenez, José Carlos: 19, 21 Gómez de Sandoval y Rojas, Francisco, Marqués de Denia, Duque de Lerma, siehe Lerma, Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Marqués de Denia, Duque de Gonnor, Artus de Cossé, Seigneur de: 60
Personenregister
González Minguez, Cesar: 22 Goodman, Dena: 140–142 Görtz, Georg Heinrich von: 90 Gottlieb, Julie: 159–160 Götz von Olenhusen, Irmtraud: 10 Gouges, Olympe de: 139–140, 266–267 Graber, Pierre: 253 Graf, Friedrich Wilhelm: 151 Gramont, Antoine III. de: 73 Grand-Carteret, John: 185 Gravel, Robert de: 74, 83 Grazia, Victoria de: 158 Greengras, Mark: 66 Griewank, Karl: 146 Grune, Karl: 154 Grünigen, Marianne von: 252–253 Grünthal, Günther: 165 Guise, François, Duc de: 56–57, 59 Gustav II. Adolf, König von Schweden: 96, 261 Gustav V., König von Schweden: 227–230, 271 Guzmán, Leonor de: 26–28 Gyldenstolpe, Margareta, Gräfin: 97 Gyllenhielm, Sofia Elisabeth Johansdotter: 100 H Haakon VII., König von Norwegen: 227–229, 271 Habermas, Jürgen: 12, 118, 131 Habsburg (Haus): 40–42, 45, 73, 88, 91, 98, 116, 119–120, 125–126, 128 Hadeln, Charlotte von: 157–160 Hagemann, Karen: 147, 193 Hain, Veronika: 81 Hainard, François: 239 Hamilton, Keith: 54 Hammann, Otto: 184 Hanau-Münzenberg, Katharina Belgica von Oranien-Nassau, Gräfin von: 64, 67
305 Hanken, Caroline: 135 Hansert, Andreas: 163 Harden, Maximilian: 182–194, 198 Hardenberg, Karl August Freiherr von: 146 Harley, John Eugene: 206 Haro, Graf Lope de: 23 Hartung, Fritz: 189 Hassauer, Friederike: 10 Hatton, Ragnhild: 98 Haug, Tilman: 8 Hauge, Kaare: 215 Hauptmann, Gerhard: 159 Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein-Gottorf, Königin von Schweden: 88, 91–96, 98, 101, 259, 261 Hedwig Sophia, Prinzessin von Schweden: 91–92, 94 Heide, Gustav: 76 Heidorn, Günter: 190 Heinrich II., König von England:, 16 Heinrich II., König von Frankreich: 55 Heinrich III., König von Frankreich: 38, 55 Heinrich IV., König von Frankreich und Navarra: 37–39, 51–52, 54, 56, 61, 63–68, 69 Heinrich von Navarra, siehe Heinrich IV., König von Frankreich und Navarra Heinsohn, Kirsten: 160 Henriette Adelaïde von Savoyen, Kurfürstin von Bayern: 69–85, 259–260, 263 Herbers, Klaus: 15, Herren, Madeleine: 13, 201–213, 254, 269 Hesekiel, Georg: 146 Hinojosa Montalvo, José: 21 Hirschfeld, Magnus: 181, 191 Hitler, Adolf: 196 Hobbes, Thomas: 97
306 Hodenberg, Hermann von: 185 Hodson, Simon: 53, 61, 63, 66 Hofer, Karin: 41, 43 Hofmann, Christina: 105 Hollander-Lossow, Else von: 154 Holstein, Friedrich August von: 184–186, 189–190 Holt, Mack P.: 60 Horn af Björneborg, Eva, siehe Bielke, Eva, Gräfin Hotman de Villiers, Jean: 257 Hufton, Olwen: 132 Huges, Ann: 147 Hull, Isabel V.: 182, 189, 193, 196 Hunt, Lynn: 116, 131–132 Huppert, Caroline: 116 Huret, Romain: 199 I Imbert, Marie-José: 215 Imhof, Arthur Erwin: 39 Innes, Sue: 211 Innozenz III., Papst: 17 Innozenz VI, Papst.: 28 Irene, Prinzessin von Byzanz: 18 Isabel von Aragón, Königin von Portugal († 1336): 19–21, 23 Isabel, Prinzessin von Kastilien, Königin von Aragón (1283–1328): 23 Isabel Clara Eugenia, Prinzessin von Spanien: 42 Itkina, Anna: 216, 230 Itsel’, Leonid: 216 J Jacquot, Benoît: 116 Jaime I. von Aragón: 17, 19 Jaime II. von Aragón: 20– 21, 23 Janner, Antonino: 249, 251–252 Jansen, Sharon L.: 9, 33 Jaspert, Nikolas: 21 Javierre Mur, Aurea: 24
Personenregister
Jean de Brienne, König von Jerusalem: 18 Jeanne von Ponthieu: 18 Joan, Prinzessin von England: 27 João I., König von Portugal: 28 Johann III. Sobieski, König von Polen: 91 Johann III., König von Schweden: 100 Johann, Prinz von Sizilien: 24 Johanna Gabriela, Erzherzogin von Österreich: 120 Jones, Raymond A.: 170 Joseph II., Kaiser: 119–120, 124, 138 Jouanna, Arlette: 39, 60 Juan I., König von Aragón: 25–26, 29–30 Juan II., König von Kastilien: 28 Juana, Prinzessin von Aragón: 25 Juel, Dorte (Mogensdotter Krage), Baronin von Juellinge: 95–96 Juel, Jens, Baron von Juellinge: 92–93, 95–96 Jurewitz-Freischmidt, Sylvia: 135 K Kägler, Britta: 36, 40, 48, 80–81, 82 Kaiser, Thomas: 121, 123–124 Kalckreuth, Johann Nikolaus von: 145 Kamenev, Lew Borissowitsch: 217 Kantorowicz, Ernst Hartwig: 105 Karl, Prinz von Dänemark: 94 Karl, Prinz von Preußen: 145 Karl II., Erzherzog von Innerösterreich: 46 Karl IV., Kaiser: 23, 31 Karl V., Kaiser: 40 Karl V., König von Frankreich: 29 Karl VI., Kaiser: 119 Karl VI., König von Frankreich: 25–26 Karl VII., König von Frankreich: 31 Karl IX., König von Frankreich: 55–56
Personenregister
Karl X. Gustav, König von Schweden: 92, 98 Karl XI. König von Schweden: 88–89, 91, 96, 101 Karl XII., König von Schweden: 91–95, 100 Karl Emanuel II., Herzog von Savoyen: 70, 74–75, 83–84 Karl Joseph, Erzherzog von Österreich: 120 Karlinsky, Simon: 216–217 Karsten, Arne: 113 Keller, Katrin: 11, 33–50, 71, 74, 77, 81–82, 85, 105, 257, 259 Keller, René: 244 Kelly, Donald: 57 Kettering, Sharon: 36, 52–53 Khevenhüller, Hans: 41–44, 47–48 Khull, Ferdinand: 47 Kiaulehn, Walther: 191 Kießling, Günter: 198 Kinnear, Mary: 201 Ki-Tcheng: 204 Klinger, Cornelia: 152 Klopp: Onno: 99 Klötzer, Wolfgang: 164, 166–167, 177 Knecht, Robert J.: 55, 60, 66 Knötel, Richard: 154 Koch, Rainer: 163 Koch-Gontard, Clotilde: 166–167, 176–179 Koefoed, Nina: 87 Koegel, Rudolf: 151–152 Köhler, Matthias: 8 Kollontaj, Alexandra Michailowna: 210, 215–235, 240, 254, 270–272 Königsegg-Rothenfels, Leopold Wilhelm, Graf von: 77–79, 83–84, 265 Königsegg-Rothenfels, Sigismund Wilhelm, Graf von: 89
307 Königsmarck, Beata Elisabeth von, Gräfin von: 88, 91–95, 98–101, 259, 261–262 Konstanze von Innerösterreich, Königin von Polen: 45–46 Kraus, Andreas: 73 Kudriašova, Elena V.: 215 Kurtz von Senftenau, Ferdinand Sigismund: 71 Kurtz von Senftenau, Maximilian: 69–73, 75, 81–82 L Lahtinen, Anu: 87 Lancaster, Catalina von: 28–29 Lancaster, Felipa von: 28 Lancaster, John of Gaunt, Herzog von: 28 Landes, Joan B.: 12, 115–129, 131, 258 Langenbacher, Heinz: 245, 248–249 Langhorne, Richard: 54 Laudowicz, Edith: 215 Laue, Theodor von: 220, 222 Laval, Charlotte de: 54, 61, 261 Lebon, André: 76 Lecomte, Raymond: 184, 186–187, 189–190, 194, 268 Lehner, Tatjana: 41–42 Leicester, Robert Dudley, 1. Earl of: 61 Leijonclou, Anders: 92, 100 Leitsch, Walter: 44–47 Lenin, Wladimir Iljitsch: 221 Leonor von Kastilien († 1246), Königin von Aragón: 17 Leonor von Sizilien (1349–1375), Königin von Aragón: 23–25 Leonor, Königin von England (1241– 1290): 19 Leonor, Prinzessin von England, Königin von Kastilien (1162–1214): 16–17 Leopold I., Kaiser: 78, 84, 90–91, 98–99
308 Leopold II., Kaiser: 119–120 Lerma, Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Marqués de Denia, Duque de: 43, 47–48 Lerman, Katharine A.: 182 Leuwerik, Ruth: 146, 148 Levenhaupt, Gräfin: 227 Lever, Évelyne: 115, 120–121 Liebeneiner, Wolfgang: 146 Liljegren, Bengt: 93 Liman, Paul: 193 Lindemann, Mary: 194 Linsert, Richard: 188 Lionne, Hugues de: 73–74 Liselotte von der Pfalz: 194 Lisola, François de: 98 Litvinov, Maksim Maksimovič: 217, 232 Lloyd George, David: 220 Locke, John: 97 Lonyays, Johann, Graf: 189 López-Cordón Cortezo, María Victoria: 104–106 López de Córdoba, Leonor: 28 Lorraine-Vaudemont, Louise de: 38–39, 260 Louis Ferdinand, Prinz von Preußen: 156 Luce, Ann Clare Boothe: 240–241, 254 Luce, Henry Robinson: 241 Ludwig II., Herzog von Anjou: 31 Ludwig IX., König von Frankreich: 17, 19 Ludwig XIII:, König von Frankreich und Navarra: 119 Ludwig XIV., König von Frankreich und Navarra: 69, 73–74, 76–78, 83, 104, 106–108, 110, 117–119, 127, 240, 265 Ludwig XV., König von Frankreich und Navarra: 104, 107–109, 113, 116, 118, 120–126, 266
Personenregister
Ludwig XVI., König von Frankreich und Navarra: 115, 117, 120–123, 125– 126, 136–137 Ludwig, Prinz von Sizilien: 24 Luhmann, Niklas: 33 Luise, Prinzessin zu MecklenburgStrelitz, Königin von Preußen: 145–161, 268 Luise von Savoyen, Herzogin von Angoulême, Regentin von Frankreich: 49 Luise Juliana von Oranien-Nassau, Kurfürstin von der Pfalz: 61, 63–64, 67 Luna, Lope de: 24 Luna, Maria de, Königin von Sizilien: 24–26, 29 Luther, Martin: 36 M MacHardy, Karin J.: 36 Machiavelli, Niccolo: 97 Mahaut von Boulogne: 20 Mailly, Madeleine de: 54, 261 Maintenon, Françoise d’Aubigné, Madame de: 8, 103–104, 110–111, 117, 265 Makk, Ferenc: 19 Malet, Mary Anne Dora, Lady: 171 Malet, Alexander Charles, 2nd Baronet: 171 Manteuffel, Edwin Karl Rochus, Freiherr von: 177 Manteuffel, Otto, Freiherr von: 165, 171, 174–179 Manuel, Don Juan: 21 Margarethe von Österreich, Statthalterin der Niederlande: 49 Margarethe, Königin von Spanien: 41–42, 44, 46–48 Margarethe, Erzherzogin von Österreich, Nonne: 41–42
Personenregister
Margarita Teresa, Prinzessin von Spanien, Kaiserin: 78 Marguerite von Provence, Königin von Frankreich: 19 María von Portugal, Königin von Kastilien (1313–1357): 26–28, 261–262 Maria von Spanien, siehe María de Austria Maria, Königin von Sizilien (1362–1401): 25 María, Prinzessin von Aragón (1297/98– ca. 1347): 21 María, Prinzessin von Portugal (1264– 1284): 20 Maria Amalia, Erzherzogin von Österreich: 120 Maria Anna Victoria von Bayern, Dauphine von Frankreich: 75, 79, 84 Maria Anna von Bayern, Erzherzogin von Innerösterreich (1551–1608): 45–49 Maria Anna, Kurfürstin von Bayern (1610–1665): 69, 71–72, 74–75, 81–82 Maria Anna, Erzherzogin von Österreich: 120 Maria Antonia, Erzherzogin von Österreich: 79, 84 Maria Christina, Erzherzogin von Innerösterreich, Fürstin von Siebenbürgen: 46 Maria Christina, Erzherzogin von Österreich: 120 Maria de Austria, Kaiserin: 40–44, 47, 49 Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich: 120–121 Maria Josepha, Erzherzogin von Österreich: 120 Maria Josepha von Sachsen, Dauphine von Frankreich: 125
309 Maria Karolina, Erzherzogin von Österreich: 120 Maria Leszczyńska, Königin von Frankreich: 118–119 Maria Luisa von Savoyen, Königin von Spanien: 104, 106 Maria Magdalena, Erzherzogin von Innerösterreich, Großherzogin der Toskana: 46 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen, Kaiserin: 115–117, 119–125, 128–129, 258 Marie, Prinzessin von Frankreich (1344–1404): 29 Marie-Antoinette, Königin von Frankreich und Navarra: 115–129, 136–137, 258 Marie Elisabeth von SchleswigHolstein-Gottorp, Fürstäbtissin von Quedlinburg: 92–93 Marie-Thérèse, Königin von Frankreich und Navarra: 104, 118, 127 Marivaux, Pierre Carlet de: 125 Márquez de la Plata, Vicente: 16, 19, 21–22, 28–29 Marsh-Caldwell; Anne: 59 Marsin, Ferdinand de: 107 Martin I. (der Jüngere), König von Sizilien: 24–25 Martin I., König von Aragón und als Martin II., König von Sizilien: 24–26, 30–31 Martin, George: 18 Martindale, Hilda: 210–211 Martinez Ferrando, J.-Ernesto: 21 Martschukat, Jürgen: 155 Marty, Dick: 239 Masià i de Ros, Àngels: 21 Mattingly, Garret: 55 Maulevrier, Jean-Baptiste Louis Andrault, Marquis de: 110
310 Maurice, Robert: 243 Maximilian I., Kurfürst von Bayern: 45–46 Maximilian II. Emanuel, Kurfürst von Bayern: 73, 75, 79, 84 Maximilian II., Kaiser: 40–42 Maximilian III., Erzherzog von Österreich: 43 Maximilian Franz, Erzherzog von Österreich: 120 Mayer, Martin: 185 Mazarin, Jules: 73 Mazohl-Wallnig, Brigitte: 179–180 McCarthy, Joseph: 199 McEnay, Laura: 202 McNeill, Josephine: 242 Medici, Cosimo II. de’, Großherzog von Toskana: 46 Medici, Katharina de’, Königin von Frankreich: 53–54, 56–60, 67–68, 137, 265, 271 Medici, Maria de’, Königin von Frankreich: 42, 117–118 Meinhold, Paul: 182 Melani, Atto: 73 Mensch, Ella: 153 Mercœur, Marie de Penthièvre, Duchesse de: 37–39, 49, 260 Mercœur, Philippe Emanuel de Lorraine, Duc de: 38–39, 49, 259 Mercy-Argenteau, Florimond Claude, Graf von: 124 Mesta, Perle: 240–241, 254 Metternich, Klemens Wenzel Lothar, Fürst von: 220 Metzler, Emma: 167, 175–179 Metzler, Wilhelm Peter: 176, Mévil, André: 183 Meyer, Arnold Oskar: 175 Meyer, Bruno: 17 Meyerin, Ursula: 44–46, 259, 263 Michelet, Christian Frederik: 224–225
Personenregister
Mikeleitis, Edith: 153 Milam, Jennifer: 120 Molina, Don Alfonso de: 22 Molina, María de, Königin von Kastilien und León: 20–23, 26, 31, 261–262 Moll, Albert: 196 Mollin, Gerhard Th.: 12 Molo, Walter von: 153–154 Molotov, Vjačeslav Michajlovič: 217–218, 220, 231, 233 Moltke, Kuno, Graf von: 183, 190 Mommsen, Theodor: 149–150 Montefiori, Simon Sebag: 233 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de: 133–136, 141–142 Montmorency, Anne de: 57, 60–61, 67 Montmorency, Louise de: 57 Monts de Mazin, Anton, Graf von: 190, 197 Monttessuy, Gustave, Comte de: 174, 177 Monttessuy, Pauline Madeleine Ximenes, Comtesse de: 174 Morant i Ariño, Toni: 159 Morel-Fatio, Alfred: 107–108 Moretti, Angiola: 157–158 Moritz von Nassau: 51, 62–63 Mornay-Montchevreuil, René de, Erzbischof von Besançon: 104, 110 Morris, Anthony: 197 Mosse, George L.: 195 Mowinckel, Johan Ludwig: 223, 229 Mühlbach, Luise, eigentlich Clara Mundt: 148, 150, 152 Mühlfeld, Julius: 150 Müller, Jürgen: 164 Müller, Klaus: 196 Müller, Rainer A.: 33 Mussolini, Benito: 157–160
Personenregister
N Napoleon I. Bonaparte, Kaiser der Franzosen: 141, 145–155, 159–161, 268 Naso, Eckart von: 154 Naumann, Friedrich: 188, 194 Neale, John Ernest: 55, 60–61 Neuschel, Kristen: 53, 57 Nicolson, Harold: 172 Nieden, Susanne zur: 195, 198 Niederkorn, Jan Paul: 43, 47 Nieto Soria, José Manuel: 22 Nilsson, Ada: 233 Nipperdey, Thomas: 193 Noailles, Philippe, Comte de: 125 Noonan, Norma C.: 215 Norrhem, Svante: 87–102, 261–262 Northcroft, Dorothea Mary: 204–205 Noverre, Jean-Georges: 125 O Ochoa Brun, Miguel Angel: 15 Odet de la Noue, Philippe Duplessis-Mornay von: 65 Offen, Karen: 204 Olesin, Michail: 216 Ong, Aihwa: 207–208 Opitz-Belakhal, Claudia: 9–11, 33, 35, 131–143, 149, 259, 266 Osipovič, Tatjana: 215 Ott, Eva: 8, 26, 103–114, 258 Oxenstierna, Axel: 89 Oxenstierna, Bengt, Graf: 88–94, 98–99, 101 Oxenstierna, Bengt, Sohn von Oxenstierna, Bengt, Graf: 99 Oxenstierna, Eva Magdalena: 99 Ozanam, Didier: 109 Ozouf, Mona: 141 P Padilla, María de: 28
311 Palencia, Isabel de: 228–229, 234 Pangerl, Irmgard: 37 Panizzardi, Alessandro: 199 Pankhurst, Jerry: 215 Paravicini, Werner: 11 Parr, Rolf: 146, 154 Parsons, John C.: 19 Pasquier, Etienne: 55 Pateman, Carol: 131–132 Patrouch, Joseph F.: 40 Paulmann, Johannes: 192 Pečar, Andreas: 33, 36–37 Pedro I., König von Kastilien: 26–28 Pedro III., König von Aragón: 19–20 Pedro IV., König von Aragón: 23–26, 29–30 Pedro, Prinz von Kastilien († 1319): 21 Penthièvre, Sébastien de Luxembourg, Comte de: 38 Perellós, Constanza de: 30 Perellós, Francesc de: 30 Peretz, Pauline: 199 Pérez Ponce, Fernán: 23 Perrot, Michèle: 141 Petit Cibiriain, Concepció: 24 Petitpierre, Antoinette: 246 Petitpierre, Max: 238, 243–244, 246 Petrich, Hermann: 151 Pezzè Pascolato, Maria: 158 Philipp II., König von Spanien: 40–42 Philipp III., König von Frankreich: 19 Philipp III., König von Spanien: 41–44, 46–48 Philipp V., König von Spanien: 8, 103–104, 110, 112 Piper, Carl: 93–95 Piper, Christina: 93, 97 Pipes, Rose: 211 Plantagenet, Eduard, Prinz von England: 27 Platen, Clara Elisabeth, Gräfin von: 99 Platen, Franz-Ernst, Graf von: 99
312 Pometta, Francesca: 252–253 Pompadour, Jeanne-Antoinette Poisson, Marquise de: 8, 103–104, 107–111, 113–114, 260–261 Pomponne, Simon Arnauld de: 77–78 Ponsich, Claire: 29–31 Porten, Franz: 154 Porten, Henny: 148 Porter, Cathy: 215–216, 221 Poskrebyšev, Aleksandr Nikolaevič: 218 Poutrin, Isabelle: 34 Press, Volker: 40 Pribram, Alfred Francis: 98 Prudhomme, Jean-Jacques: 137–139 Puppel, Pauline: 34, 49 Puttkamer, Luitgarde Agnese von: 171 Q Quanter, Rudolf: 181 R Radolin, Hugo, Fürst von: 187, 190 Radziwill, Gabrielle, Fürstin: 207, 212 Ramel, Fredrik, Baron: 227 Randeria, Shalini: 202 Rang, Brita: 10 Ranshofen-Wertheimer, Egon: 203–204, 212 Raster, Harro Georg: 75 Redl, Alfred: 198 Reinermann, Lothar: 196 Reinhard, Wolfgang: 36 Reinhardt, Nicole: 36 Resis, Albert: 233 Reynolds, Siân: 211 Rice, Condoleezza: 7 Richard II., König von England: 26 Richards, Jennifer: 44 Richthofen-Dürrjentsch, Almuth von: 157 Riedenauer, Erwin: 70
Personenregister
Riescher, Gisela: 35 Ring, Max: 149 Ritson, Muriel: 211 Robert I., Herzog von Bar: 25 Robert, Koch: 166, 177, 179 Roche-Aymon, Charles-Antoine de la, Erzbischof von Reims: 126 Röchling, Carl: 154 Rochow, Theodor Heinrich Rochus von: 165 Rodrigues Oliveira, Ana: 16, 20, 22, 27–28 Roelker, Nancy: 54 Roetter, Charles: 233 Rogge, Helmuth: 189 Rogge, Jörg: 50 Roginskij, Vadim V.: 216, 218–219 Rohan-Guéméné, Louis René Édouard de: 122 Röhl, John: 182, 185 Röhm, Ernst: 196, 198 Roosen, William James: 91, 99 Rosset, Pierre Fulcrand de: 121–122 Rossi, Carlo, Graf: 174–175 Rossi, Henriette Sonntag, Gräfin: 174–175 Roth, Ralf: 163, 167, 173, 177 Rothschild (Familie): 174 Rottembourg, Conrad Alexandre, Comte de: 110 Rousseau, Jean-Jacques: 136, 140–142 Rucquoi, Adeline: 15 Rudolf II., Kaiser: 41–43, 46–48 Rüesch, Martin: 207 Rupp, Leila: 204 Ruppel, Sophie: 84 Ruprecht II. von der Pfalz: 23 Rybkina, Zoja: 232 Rykov, Aleksej Ivanovič: 233 S Salvador Martínez, H.: 16, 19
Personenregister
Sancha, Prinzessin von León: 18 Sánchez, Magdalena S.: 34, 40–44, 47–48, 105 Sancho IV., König von Kastilien: 19–20, 22–23, Saunders, Julie: 147 Savoyen (Haus): 69–70, 73–74, 83 Schade, Maria: 149 Schäfer, Regina: 48–49 Schattenberg, Susanne: 12, 215–235, 269, 271 Schaub, Marie-Karine: 34 Schejnis, Sinowi: 216 Schembs, Hans-Otto: 165 Schieder, Wolfgang: 158–159 Schleimer, Ute: 158 Schmale, Wolfgang: 33 Schmid, Franz Kaspar von: 81 Schmid, Kaspar von: 77–78, 81 Schnäbele, Wilhelm: 181 Schnyder, Felix: 248–249 Schnyder, Sigrid: 248–249 Schöck-Quinteros, Eva: 156 Schoder, Elisabeth: 41 Schorn-Schütte, Luise: 145 Schraut, Sylvia: 11 Schulze-Wilde, Harry: 191 Schwartzkoppen, Maximilian von: 199 Schwarz, Julia: 69–85, 260, 263 Schweighöfer, Ellinor: 163–180, 267 Schweninger, Moritz: 193 Scott, Joan W.: 131–132, 147 Seitz, Mrs. Joseph: 248 Šejnis, Zinovij: 216 Senarclens, Pierre de: 239 Senfft von Pilsach, lüneburgischer Gesandter in Schweden: 90 Shadis, Miriam: 16–18 Sharp, Walter Rice: 203 Sheriff, Mary: 117 Sibille, Christiane: 207
313 Sigismund von Luxemburg, Kaiser: 31 Sigismund III. Wasa, König von Polen: 44–46, 259, 263 Silleras-Fernández, Núria: 24–25, Silva-Tarouca, Emanuel Teles da Silva, Graf von: 115 Simeoni, Arzt von Henriette Adelaïde von Savoyen, Kurfürstin von Bayern: 82 Šljapnikov, Aleksandr Gavrilovič: 233 Smith, W. Bedell: 238 Soares Martínez, Pedro: 15, 20 Solms-Lich, Josephine Johanna Philippina, Gattin von Sigismund Wilhelm, Graf von KönigseggRothenfels: 89 Sonntag, Henriette, siehe Rossi, Henriette Sonntag, Gräfin Sophie Amalie von BraunschweigLüneburg, Königin von Dänemark und Norwegen: 96 Sotto Mayor Pizarro, José Augusto de: 19 Sparre, Per: 100 Spinelli, Antonio: 78, 82–83 Stalin, Josif Vissarionovič: 216–220, 230–231, 233 Starhemberg, Franz Ottokar, Graf von: 90–91, 98–99 Starhemberg, Johann Georg Adam, Fürst von: 125 Starhemberg, Maria Cäcilia, Gräfin von: 90, 98 Steakley, James D.: 198–199 Stein, Arnim: 151–152 Stein, Heinrich Friedrich Karl, Freiherr vom und zum: 154 Steinmeier, Frank-Walter: 7, 13 Stenbock, Johan Gabriel: 94–95 Stenbock, Magdalena, Gräfin: 88–94, 96–99, 101, 259, 261–262, 265 Stenbock, Magnus: 99
314 Stenbock zu Torpa, Akeshov und Norre-Harg, Erich Gustaf: 100–101 Stepanenko, Polina Vladimirovna: 221 Stephanie von Belgien, Erzherzogin von Österreich-Ungarn: 189 Stieglitz, Olaf: 155 Stites, Richard: 215 Storch, Ludwig: 152 Strich, Michael: 76 Strohmenger, Arthur: 41–43, 48 Stucki, Walter: 250 Studer, Brigitte: 249 Suárez Bilbao, Fernando: 29 Süchting-Hänger, Andrea: 156, 160 Sully, Maximilien de Béthune, Duc de: 56, 64–65 Suric, Jakov Zacharovič: 223 Sutherland, Nicola Mary: 55 Sutter Fichtner, Paula: 40 Sutter, Gaby: 249 Suzuki, Mihiko: 33 Sweetser, Arthur: 206 Sykora, Katharina: 148, 153–154 T Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice, Duc de: 149–150, 155, 220 Tamagne, Florence: 197 Tasis i Marca, Rafael: 24 Teresa von Portugal, Königin von León: 18 Thiessen, Hillard von: 7–14, 34, 36, 71, 81, 113–114, 147, 260 Thomas, Chantal: 116, 120, 123 Thorne, Alison: 44 Thun von Hohenstein, Friedrich, Graf von: 166, 169–171, 174–176, 178–179 Thun von Hohenstein, Leopoldine, Gräfin von: 166, 168–175, 178 Tischer, Anuschka: 50
Personenregister
Torcy, Jean-Baptiste Colbert, Marquis de: 106–107 Törne, Olof: 93 Torres, Inés de: 28 Tosh, Josh: 193 Trachsler, Daniel: 239 Trémoille, Charlotte Brabantine von Oranien-Nassau, Duchesse de la: 64–65, 67 Trémoille, Claude, Duc de la: 63 Tresckow, Hans von: 192, 196 Triepel, Heinrich: 12 Trotzki, Lev: 217, 219–220, 222, 234, 269 Truman, Harry S.: 240 Truš, Michail Ivanovič: 216 Tucholsky, Kurt: 192 Turati, Augusto: 158 Tweedmouth, Edward Marjoribanks, 2. Baron: 196 U Ulrika Eleonore, Prinzessin von Dänemark und Norwegen, Königin von Schweden: 91–92, 96, 100–101 Urraca, Prinzessin von Kastilien: 17–18 Ursins, Marie-Anne de La Trémoille, Princesse des: 8, 103–104, 106–108, 110–111, 114, 259, 262–263, 265 V Vaksberg, Arkadij: 216–219, 230–233, 234 Valdeón Baruque, Julio: 19, 28 Válgoma Díaz-Varela, Dalmiro de la: 105 Valle, Marquesa del: 47 Valle Curieses, Rafael del: 20, 21 Vanel, Charles: 154 VanLandingham, Marta: 19 Vann, Theresa M.: 16, 19
315
Personenregister
Vantelay, Denis de la Haye, Sieur de: 76–77 Vataza, Doña: 21 Ventura, Leontina: 22 Ventura Conejero, Agusti: 21 Vermond, Mathieu-Jacques de: 123 Vernoni, Angela: 82–83 Vetter-Schultheiß, Silke: 145 Viennot, Éliane: 38 Viktor Amadeus I., Herzog von Savoyen: 69 Viktor Amadeus II., Herzog von Savoyen: 84 Viktor Emanuel III., König von Italien: 197 Vilaragut, Carroza de: 30 Vinogradskaja, Polina: 215 Violante von Aragón, Herzogin von Anjou (1381–1442): 29, 31, 261–262 Violante von Aragón, Königin von Kastilien und León (1236–ca. 1300): 18–19, 261–262 Violante von Ungarn, Königin von Aragón: 19 Vitry, François-Marie de l’Hospital, Duc de: 76–78 Vones, Ludwig: 15 W Wachtmeister, Axel: 88 Wachtmeister, Eva Juliana: 98 Wachtmeister, Hans: 88 Wagener, Otto: 195 Walker, Anita M.: 63, 66 Walker, Rose: 16 Walraven van Heeckeren, Gesandter der Generalstaaten in Schweden: 90 Walsh, Katherine: 40 Walz, Fritz: 191 Wanegffelen, Thierry: 33 Waquet, Jean-Claude: 257–273 Warner, Margaret: 211
Wecker, Regina: 249 Weigand, Kurt: 133 Wenzel von Luxemburg, König von Böhmen, Kaiser: 31 Wetterlé, Emile: 185 Whitelocke, Bulstrode: 98 Wicki, Bernhard: 153 Widorn, Helga: 40–41 Wijnne, Johan A.: 91, 99 Wiley, William Leon: 57 Wilhelm I., Fürst von Oranien-Nassau: 51, 61–62, 67 Wilhelm I., König von Preußen, Deutscher Kaiser: 145–146, 151 Wilhelm II., Deutscher Kaiser: 182, 184–190, 193–196, 199, 268 Wilhelm III. von Oranien-Nassau, König von England: 91, 94 Wilhelm IV., Landgraf von HessenKassel: 57 Wilhelm V., Herzog von Bayern: 45 Wilhelm Ludwig, Graf von NassauDillenburg: 51 Wilkending, Gisela: 145 Willis, Frances Elizabeth: 137–244, 254 Wilson, Florence: 205–206 Wilson, Perry: 158 Windler, Christian: 7–14, 34, 36, 145, 147, 260 Winn, Colette H.: 56–59 Wischermann, Ulla, 12 Witte, Emil: 192, 198 Wladyslaw Wasa: 44–46 Wolff, Charlotta: 87 Wrede, Fabian: 88 Wülfing, Wulf: 145–146 Wunder, Heide: 9–11, 34–35, 84, 105 Wyss, Hugo: 251 Y Yonan, Michael: 119–120 Youngs, Gillian: 205
316 Z Zala, Sacha: 237–255, 269, 271 Zanger, Abby: 127–128 Zedler, Johann Heinrich: 33
Personenregister
Zedlitz-Trützschler, Robert Graf: 185 Zehnder, Alfred: 243 Zinov’ev, Grigorij Evseevič: 217, 221 Zweig, Stefan: 126
PETER BURSCHEL, BIRTHE KUNDRUS (HG.)
DIPLOMATIEGESCHICHTE (HISTORISCHE ANTHROPOLOGIE, BAND 21,2)
Christine Vogel: Gut ankommen. Der Amtsantritt eines französischen Botschafters im Osmanischen Reich im späten 17. Jahrhundert; Dorothea Nolde: Was ist Diplomatie und wenn ja, wie viele? Herausforderungen und Perspektiven einer Geschlechtergeschichte der frühneuzeitlichen Diplomatie; Christina Brauner: Ein Schlüssel für zwei Truhen. Diplomatie als interkulturelle Praxis am Beispiel einer westafrikanischen Gesandtschaft nach Frankreich (1670/71); Susanne Schattenberg: „Sascha, ich würde Dir gern glauben, aber versteh auch Du mich …“ Brechnew, DubČek und die Frage von Kadern und Vertrauen im Konflikt um den Prager Frühling 1968; Katja Sabisch: Experiment und Exzess. Wissenschaftsgeschichte mit Marquis de Sade; Monica Rüthers: Liebe Grüße aus Russland. Gefühl und Performanz in jiddischen Briefen um 1900; Ludolf Kuchenbuch: Zwanzig Jahre Historische Anthropologie. Ein Generationsgespräch am 26.10.2012 in Mainz. 2013. IV, 155-314 S. 3 S/W-ABB. BR. 170 X 240 MM | ISBN 978-3-412-22194-2
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JOHANNES E. SCHWARZENBERG
ERINNERUNGEN UND GEDANKEN EINES DIPLOMATEN IM ZEITENWANDEL 1903–1978 HERAUSGEGEBEN VON COLIENNE MERAN, MARYSIA MILLER-AICHHOLZ, ERKINGER SCHWARZENBERG
Johannes E. Schwarzenberg (1903–1978) zieht 1921 zum Studium nach Wien. Als mittelloser Akademiker tritt er 1928 einen Posten bei der Wiener Polizei als gewöhnlicher Verkehrspolizist an. 1930 wird er in den Auswärtigen Dienst aufgenommen und 1933 nach Rom und dann 1936 nach Berlin entsandt. 1938 muss Schwarzenberg fliehen. Er entkommt den Nazis nach Belgien, ehe es ihn 1940 nach Genf verschlägt. Als Leiter der Sonderhilfsabteilung des Roten Kreuzes befasst er sich bis 1945 mit dem tragischen Los der europäischen Juden. Nach Kriegsende stellt sich Schwarzenberg neuerlich der Republik Öster reich als Diplomat zur Verfügung. Oliver Rathkolb, Peter Jankowitsch, Maximilian Liebmann, Gabriella Dixon und Christoph Meran bestreiten den Dokumentarteil zu diesem Band, in dem auch die „Auschwitz Protokolle“ enthalten sind. 2013. 467 S. 81 S/W-ABB. UND 2 STAMMTAF. GB. MIT SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78915-4
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EXTERNA GESCHICHTE DER AUSSEN BEZIEHUNGEN IN NEUEN PERSPEKTIVEN HERAUSGEGEBEN VON ANDRÉ KRISCHER, BARBARA STOLLBERG-RILINGER, HILLARD VON THIESSEN UND CHRISTIAN WINDLER BISHER ERSCHIENEN
BD. 3 | MATTHIAS KÖHLER STRATEGIE UND SYMBOLIK VERHANDELN AUF DEM KONGRESS VON NIMWEGEN 2011. XII, 531 S. GB. ISBN 978-3-412-20771-7 BD. 4 | CORINA BASTIAN VERHANDELN IN BRIEFEN FRAUEN IN DER HÖFISCHEN DIPLOMA-
BD. 1 | HILLARD VON THIESSEN, CHRISTIAN WINDLER (HG.)
TIE DES FRÜHEN 18. JAHRHUNDERTS 2013. 497 S. GB. | ISBN 978-3-412-21042-7
AKTEURE DER AUSSEN BEZIEHUNGEN NETZWERKE UND INTERKULTURA LITÄT IM HISTORISCHEN WANDEL 2010. VIII, 546 S. MIT 6 S/W-ABB. GB. ISBN 978-3-412-20563-8
BD. 5 | CORINA BASTIAN, EVA KATHRIN DADE, HILLARD VON THIESSEN, CHRISTIAN WINDLER (HG.) DAS GESCHLECHT DER DIPLOMATIE GESCHLECHTERROLLEN IN DEN BD. 2 | EVA KATHRIN DADE MADAME DE POMPADOUR DIE MÄTRESSE UND DIE DIPLOMATIE 2010. X, 338 S. GB.
HC575
ISBN 978-3-412-20480-8
AUSSENBEZIEHUNGEN VOM SPÄTMITTELALTER BIS ZUM 20. JAHRHUNDERT 2014. 316 S. 2 S/W-ABB. GB ISBN 978-3-412-22198-0
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