Familienstruktur und Arbeitsorganisation im frühindustriellen Wien 9783205158097, 3702801626, 3486501712, 9783205778974


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Familienstruktur und Arbeitsorganisation im frühindustriellen Wien
 9783205158097, 3702801626, 3486501712, 9783205778974

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EHMER FAMILIENSTRUKTUR UND ARBEITSORGANISATION IM FRÜHINDUSTRIELLEN WIEN

SOZIAL- UND WIRTSCHAFTSHISTORISCHE STUDIEN Herausgegeben von ALFRED HOFFMANN und MICHAEL MITTERAUER Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte Universität Wien

BAND 13

JOSEF EHMER

FAMILIENSTRUKTUR UND ARBEITSORGANISATION IM FRÜHINDUSTRIELLEN WIEN

VERLAG FÜR GESCHICHTE UND POLITIK WIEN 1980

Publiziert mit Unterstützung des Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

© 1980. Verlag für Geschichte und Politik Wien Druck: K. Nakladal, 1080 Wien Umschlagentwurf: Renate Uschan-Boyer ISBN 3-7028-0162-6 Auch erschienen im R. Oldenbourg Verlag München ISBN 3-486-50171-2

INHALT VORWORT GRAPHIK

7 13

I. MANUFAKTURPERIODE 1. Sozio-ökonomische Grundlagen a. Zum Begriff der Manufaktur b. Entwicklung und Charakteristik des Manufakturwesens in Wien c. Hausindustrie und Familienarbeit 2. Herausbildung der Arbeiterfamilie a. Familienstruktur und Arbeitsorganisation b. Heirat und Haushaltsgründung c. Geburtenentwicklung und Kindersterblichkeit d. Haushaltsgröße

15 19 28 36 40 47 54

II. INDUSTRIELLE REVOLUTION 1. Sozio-ökonomische Entwicklungstendenzen der Industriellen Revolution in Wien a. Zum Charakter der Industriellen Revolution 57 b. Abwanderung der alten Industrie Standortprobleme 63 Verfall der Seidenverarbeitung 66 c. Ansätze einer neuen Industrie 71 d. Ausdehnung des Kleingewerbes als Haupttendenz . . . . 74 Entwicklungsbedingungen des Kleingewerbes in der Industriellen Revolution 75 Einzelne Gewerbezweige 78

Inhalt

6

2. Krise der Arbeiterfamilie 90 a. Bruchlinien in der Entwicklung der Arbeiterfamilie Demographische Tendenzen 94 Heiratseinschränkungen für Arbeiter 101 b. Arbeiterfamilie und Handwerkerfamilie 107 Handwerker und Arbeiter als Haushaltsvorstände. . . . 108 Ehefrauen von Handwerkern und Arbeitern 110 Söhne und Töchter 114 Verwandte Personen 123 Familienzyklus 125 Zum Kontrast: großbürgerliche Familien 129 c. Arbeiter ohne Familie 131 Hausrechtlich abhängige Arbeiter 134 Untermieter und Bettgeher

150

III. ÜBERGANG ZUR HOCHINDUSTRIALISIERUNG 1. Sozio-ökonomische Grundlagen

162

2. Verallgemeinerung und Stabilisierung der Arbeiterfamilie a. Demographische Tendenzen 169 b. Heiratsmöglichkeiten 177 c. Struktur der industriellen Arbeiterfamilie Arbeiterfamilie und Frauenarbeit Kinderarbeit und Arbeiterfamilie IV.

185 188 198

ZUSAMMENFASSUNG: FAMILIE, K L A S S E , SOZIALE REPRODUKTION

208

ANMERKUNGEN

227

QUELLEN- UND L I T E R A T U R V E R Z E I C H N I S

257

VERZEICHNIS D E R T A B E L L E N

276

VORWORT Vielen Menschen erscheint die Familie der Gesellschaft entgegengesetzt, als Alternative und Fluchtpunkt vor den Bedrängnissen durch Arbeitswelt, politisches System und Öffentlichkeit. Wissenschaftliche Beschäftigung mit der Familie und ihrer Geschichte war lange Zeit von denselben Voraussetzungen geprägt. Die Familiensoziologie, wie sie sich um die Mitte des 19. Jahrhunderts herausbildete, verstand sich als „Krisenwissenschaft", die den widerwärtigen Zügen und sozialen Gegensätzen des industriellen Kapitalismus mit der vermeintlichen Harmonie eines patriarchalischen Hauswesens beizukommen trachtete. Die Neigung, Familie als überzeitlich zu denken, sie aus gesellschaftlichen Wechselbeziehungen herausgelöst zu untersuchen, kurz, sie als „Gegenstruktur zur Gesellschaft" aufzufassen, ist bei allen Wandlungen bis heute für die einflußreichsten Strömungen der Familiensoziologie kennzeichnend geblieben.(l) Für eine Geschichtswissenschaft dagegen, die sich im Bann von Staatsaktionen und Führerpersönlichkeiten befand, war Familie freilich kein Untersuchungsgegenstand. „Der weitaus größte, ja nach der Anschauung aller edlen Völker der wichtigste und heiligste Teil des Familienwesens, das innere Leben der Familie, entzieht sich der Lehre von Recht und Staat, aus dem einfachen Grund, weil es sich jeder wissenschaftlichen Behandlung entzieht . . . für eine wissenschaftliche Behandlung ist dies Leben zu mannigfaltig und zu sehr individuell", faßte Heinrich von Treitschke kurz u n d bündig zusammen. (2) Im Rahmen einer sich langsam herausbildenden Sozialgeschichtsschreibung gewannen dagegen auch einzelne Aspekte der Geschichte der Familie einen historiographischen Stellenwert. Eine systematische historische Erforschung der Familie setzte allerdings erst in den 60er Jahren unseres Jahrhunderts ein. Methodisch war sie durch die Auswertung von quantifizierbaren Massenquellen wie Matriken und Volkszählungslisten gesprägt, inhaltlich stand zunächst vor al-

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Vorwort

lern die Auseinandersetzung mit familiensoziologischen Theorien im Vordergrund. (3) J e mehr Erkenntnisse die schnell anwachsende Zahl von empirischen Untersuchungen lieferte, desto intensiver und tiefer wurden theoretische Überlegungen und Diskussionen um einen spezifischen historischen Zugriff auf die Geschichte der Familie. Forschungsansätze, die die Wechselbeziehung von Familie und Gesellschaft thematisierten und dabei den jeweils konkreten Bedingungen von Produktion und Reproduktion einen zentralen Stellenwert zuwiesen, gewannen zunehmend an Bedeutung. (4) Die vorliegende Arbeit fühlt sich dieser Entwicklung der Historiographie der Familie verpflichtet. Sie geht von der Auffassung aus, daß die Familie ein Element des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses bildet, von dessen historischem Entwicklungsstand und klassenspezifischer Ausprägung ihre konkrete Gestalt und Funktion bestimmt wird. Es versteht sich, daß dieser Blickwinkel auf die Sozialgeschichte der Familie eine differenzierte Kenntnis der ökonomischen und sozialen Strukturen und Entwicklungen der jeweils untersuchten Gesellschaft erfordert. Dies allerdings nicht im Einwegsystem: Die Untersuchung der Familie kann umgekehrt eine tiefere Einsicht in die Struktur und Dynamik der Gesellschaft insgesamt vermitteln. Die vorliegende Arbeit versucht in diesem Sinn, nicht nur zur Geschichte der Familie beizutragen, sondern mit ihrer Hilfe auch neue Aspekte der Wirtschafts- und Sozialgeschichte Wiens im 19. Jahrhundert aufzuzeigen. Die Impulse, die von dieser Verschränkung ausgingen, wurden schon im Forschungsprozeß sichtbar. Er soll hier kurz skizziert werden, um den Aufbau und die Fragestellungen des Buches verständlich zu machen. Jeder, der sich mit der Entwicklung des Wirtschaftslebens und der sozialen Verhältnisse in Wien beschäftigen will, stößt auf eine kaum zu überblickende Menge von Darstellungen, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in rasch wachsendem Maße bis heute angehäuft haben. Die meisten von ihnen bieten viel Material, zeigen aber wenig Neigung zu theoretischer Reflexion und betrachten es nicht als ihre Aufgabe, Zusammenhänge darzustellen. (5) Man steht also vor der Schwierigkeit, aus dem Dickicht des Gedruckten Entwicklungslinien herauszuarbeiten und -stufen abzugrenzen, ein Vor-

Sozialgeschichte der Familie

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haben, das unerläßlich ist, wenn von der Beschreibung zur Analyse vorgestoßen werden soll und eine Einbindung der Einzelergebnisse in einen allgemeinen theoretischen Rahmen und eine weitere Diskussion angestrebt wird. Für diese Arbeit ging von der Untersuchung demographischer Langzeitreihen ein entscheidender Anstoß zur Lösung dieser Schwierigkeiten aus. Sie zeigten insgesamt eine übereinstimmende Kurve, die klarer als alle übrigen vorhandenen Angaben drei unterschiedliche Entwicklungsphasen hervortreten ließ: die erste um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, die zweite in den 1850er und 60er Jahren, die dritte in den beiden letzten Jahrzehnten des 19. und im Übergang zum 20. Jahrhundert. (Vgl. Graphik 1, S. 13) Damit war eine Leitlinie für die zeitliche Gliederung der Untersuchung gegeben. Es ging nun darum, die verfügbaren Angaben zur Wirtschaftsentwicklung auf diese demographische Kurve zu beziehen und die Frage zu stellen, ob sich in ihren drei Verlaufsphasen spezifische und abgrenzbare sozio-ökonomische Strukturen ausdrücken. Diese Frage konnte in theoretischer Hinsicht Nutzen aus der Diskussion um den Charakter der verschiedenen Entwicklungsetappen der kapitalistischen Produktionsweise ziehen, wie sie vor allem in der marxistischen Geschichtswissenschaft geführt wird. (6) Sollte daraus ein tragfähiges Gerüst für die vorliegende Untersuchung entstehen, so war es allerdings unerläßlich, die Besonderheiten der Entwicklung Wiens zu bestimmen und zu berücksichtigen. Während so die Verschränkung von demographischen Reihen und ökonomischem Befund der Arbeit ihr Gliederungsprinzip aufdrückte, ermöglichte es die quantitativ wichtigste Quelle der Untersuchung - Volkszählungslisten der Jahre 1857 bis 1890 - in den Entwicklungsprozeß Querschnitte zu legen und die Beziehungen zwischen Ökonomie, Demographie und Familienstruktur genauer zu analysieren. Über die Berufsangaben lassen Volkszählungslisten die soziale Plazierung der einzelnen Personen zu und gestatten es damit, Familienkonstellationen auf soziale Klassen und Schichten zu beziehen, demographisches Verhalten mit deren Bedürfnissen zu vermitteln. Die Vielzahl von Einzelanalysen und Modellbildungen, die von der Sozialgeschichte der Familie in den letzten J a h r e n im internationalen Rahmen erarbeitet wurden, prägten hierbei die Fragestellungen und Erklärungsversuche. (7) Der Schwerpunkt der Argumentation liegt demnach auf quanti-

Vorwort

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tativ auswertbaren Quellen, woraus sich Vor- und Nachteile ergeben. Vorteile liegen einerseits in der größeren Beweiskraft von Aussagen, die quantitativ abgesichert sind, und andererseits darin, daß mit Massenquellen die Familienformen jener sozialen Schichten zu erfassen sind, die die Masse der Bevölkerungbildeten, während ihres arbeitsreichen Lebens aber wenig Gelegenheit fanden, schriftliche Zeugnisse zu hinterlassen. Die Untersuchung konzentriert sich auf die sozialen Beziehungen von Arbeitern - wie im folgenden notwendigerweise unscharf alle unselbständig in Gewerbe und Industrie Beschäftigten genannt werden - und selbständigen Handwerkern. Angehörige anderer Schichten, wie Beamte und Großbürger, werden nur vereinzelt zu Vergleichszwecken berücksichtigt. Der Nachteil der quantitativen Daten besteht darin, daß sie materielle Strukturen spiegeln, über die Inhalte sozialer Beziehungen aber nur Andeutungen abgeben. Bezogen auf die Familie gestatten sie, den Bau des Skeletts zu erkennen; dieses mit Fleisch und Blut, mit Sinnlichkeit, Emotion und Intellekt zu füllen, kann dagegen hier nicht geleistet werden. Ein Problem der quantitativen Daten liegt in ihrer Fülle. Demographische Daten liegen zum Teil in aggregierter Form vor und können damit ganz Wien umfassen. Bei den Volkszählungslisten mußte dagegen eine Auswahl getroffen werden, die von dem Bestreben geleitet war, für die Wiener Entwicklung insgesamt charakteristische Regionen hervorzuheben, wobei natürlich Vorhandensein und Qualität des Quellenmaterials Grenzen setzten. Ausgewählt wurden Populationen der Vorstadt Gumpendorf ( 1 8 5 7 ) , des Vororts Gaudenzdorf ( 1 8 5 7 , 1 8 7 0 , 1 8 8 0 ) sowie für einzelne Fragestellungen der Inneren Stadt ( 1 8 5 7 ) und der Fabrikssiedlung der Alpine-Montan-Gesellschaft in Kaiser-Ebersdorf ( 1 8 9 0 ) . (Vgl. Graphik 2 , S. 14) Auch wenn die Beispiele gestreut und im einzelnen sehr groß sind (im Fall Gumpendorf über 1 3 . 0 0 0 Personen - was für einige Fragestellungen die Speicherkapazität der Anlagen des Wiener Universitätsrechenzentrums überstieg), bleibt das Problem bestehen, daß die ganze Stadt erfassende Längsschnitte mit Hilfe von Querschnitten analysiert werden müssen, die sich nur auf einzelne Stadtteile beziehen. Um die Entwicklungslinien deutlicher hervortreten zu lassen, reichen die demographischen Reihen auch über den eigentlichen Untersuchungszeitraum hinaus. (8) Um wieder zum Inhaltlichen zurückzukehren: Es geht in erster

Aufbau der Arbeit

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Linie darum, der Wechselbeziehung von Ökonomie, Sozialstruktur und Familie nachzuspüren und zu untersuchen, wie die Veränderung eines dieser Pole auf die anderen und auf das Gesamtgefüge wirkt. Im letzten Abschnitt des Buches wird versucht, die einzelnen Ergebnisse wieder auf diesen gemeinsamen Nenner zu bringen. Wenn einleitend die Prämisse genannt wurde, Familie als Element sozialer Reproduktion zu begreifen, dann ist damit der Aufbau und die ständige Wiederherstellung einer spezifischen Klassen- und Schichtstruktur gemeint. Entsprechend der Orientierung auf Arbeiter und Handwerker werden im letzten Kapitel die Ergebnisse der Untersuchung in Hinblick auf die Struktur der Arbeiterklasse diskutiert. Dieser Abschnitt möchte vor allem weitere Fragestellungen anregen und über Wirtschaftsentwicklung und Familiengeschichte hinausweisen: Lassen sich von hier - vermittelt über die Klassenstruktur Beziehungen zu sozialem Verhalten, vor allem in Konfliktsituationen, zu Bewußtseinsformen und Mentalitäten finden? Hiermit ist insbesondere eine Arbeitergeschichte angesprochen, die über Programme und Organisationen hinaus Lebensbedingungen in umfassender Weise einbezieht. (9) Man sieht, daß die Arbeit an diesem Buch von weit gefächerten Interessen getragen wurde. Ob es glücklich war, eine Menge sehr unterschiedlicher Fragestellungen und Ansprüche in ein Buch zusammenzupacken, und ob es gelungen ist, dem angestrebten Ziel den einen oder anderen Schritt näherzukommen, kann nur der Leser beurteilen. Die Möglichkeit, an dieser Untersuchung zu arbeiten, bestand im Rahmen eines von der Stiftung Volkswagenwerk geförderten Forschungsprojekts „Strukturwandel der Familie im europäischen Vergleich". Die Arbeit konnte auf meiner Dissertation „Familie, Haushalt und Beruf in Wien in der industriellen Revolution" (1976) aufbauen. Die demographischen Daten entstammen zum Teil einem Forschungsprojekt, an dem ich gemeinsam mit Birgit BologneseLeuchtenmüller und Hermann Hold arbeitete. Das vorliegende Buch wurde ganz oder in einzelnen Teilen von einer Reihe von Freunden und Kollegen gelesen, denen ich für ihre Mühe und Diskussionsbereitschaft danken möchte, auch wenn es mir nicht gelungen ist, allen Anregungen nachzugehen. Ich danke Peter Feldbauer (der überdies Mühe hatte, immer wieder für neue Verlagstermine zu sorgen), Herman Freudenberger, Hans Medick (der mir auch einen Studien-

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Vorwort

aufenthalt am Max-Planck-Institut für Geschichte, Göttingen, vermittelte), Michael Mitterauer (der überdies als Projeküeiter und Herausgeber diese Arbeit ermutigte und förderte), Roman Sandgruber, Reinhard Sieder, Hannes Stekl, Manfred Thaller, Karl Ucakar; sowie Monika Pelz für die Herstellung des Composer-Satzes.

I. MANUFAKTURPERIODE 1. Sozio-ökonomische

Grundlagen

a. Zum Begriff der Manufaktur Die Herausbildung der kapitalistischen Produktionsweise war ein langwieriger und komplexer Prozeß. Er wies zeitlich und regional eine Vielfalt von unterschiedlichen Erscheinungsformen auf, je nachdem, wie im konkreten Fall die Produktivkräfte und Sozialbeziehungen der alten Gesellschaft mit den Elementen der neuen Produktionsweise in Wechselwirkung traten. Ob und wie diese reiche Palette von Erscheinungsformen auf eine einheitliche sozio-ökonomische Struktur bzw. einen einheitlichen sozio-ökonomischen Prozeß des Übergangs von der feudalen Gesellschaft zum industriellen Kapitalismus zu beziehen ist, gehörte und gehört zu den zentralen Diskussionspunkten der Wirtschafts- und Sozialgeschichte, insbesondere dann, wenn sie sich mit marxistischen Fragestellungen auseinandersetzt. (1) Karl Marx bezeichnete diese erste, feudal eingebundene Phase der kapitalistischen Produktion als „Manufakturperiode, die, rauh angeschlagen, von der Mitte des 16. Jahrhunderts bis zum letzten Drittel des achtzehnten währt." (2) Bei der Darstellung der sozioökonomischen Triebkräfte dieser Epoche lag der Schwerpunkt seines Interesses bei Manufakturen im engeren Sinn, bei zentralisierten Betriebsformen mit entwickelter Arbeitsteilung und Kooperation. (3) Diese Akzentuierung setzte sich in einem Traditionsstrang der marxistischen Wirtschafts- und Sozialgeschichte fort. (4) In der neueren Diskussion wird dagegen die - vor allem ländliche - Hausindustrie als sozio-ökonomische Grundstruktur der Übergangsperiode stärker in den Vordergrund gerückt. Hausindustrie wird dabei begriffen als Grundlage eines eigenständigen „proto-industriellen" Systems oder als gemeinsame Erscheinungsform einer Reihe von Stufen in

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Manufakturperiode

der Entwicklung von der Familienwirtschaft zur Lohnarbeit. (5) Wenn die in diesem Zusammenhang aufgeworfenen Probleme von einer zeitlich und räumlich begrenzten Untersuchung wie der folgenden auch nur höchst partiell aufgegriffen werden können, so bieten sie doch einen grundlegenden Problemraster und die Chance, Einzelergebnisse in einem allgemeinen Entwicklungszusammenhang zu interpretieren. Dazu ist es allerdings erforderlich, den zugrundegelegten Begriffen einige Aufmerksamkeit zu schenken. Im folgenden wird für einen weiten Begriff der Manufaktur argumentiert, der das Spannungsfeld von zentralisierten Betriebsformen und Hausindustrie einschließt und damit geeignet ist, die komplexe Struktur der Wiener Wirtschaft an der Wende zum 19. Jahrhundert zu erfassen. Der Begriff „Manufakturzeitalter" zur Kennzeichnung des wirtschaftlichen Entwicklungsstandes der habsburgischen Erblande von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis in den Vormärz hat sich im Anschluß an H. Hassinger in der österreichischen wirtschafts- und sozialhistorischen Forschung eingebürgert, auch wenn sie die oben angeschnittene Debatte bisher nicht rezipierte. (6) Wenn vom Manufakturzeitalter die Rede ist, dann schwebt im Hintergrund meist die Assoziation an jene Baumwollbetriebe des südlichen Niederösterreich, die wegen ihrer Bedeutung und Größe schon von den Zeitgenossen zu den „sechs k.k. priv. Zitz- und Kattunfabriken" zusammengefaßt oder auch achtungsvoll als die „erbländischen Hauptkottonfabriken" bezeichnet wurden. (7) Bei ihnen - wie auch bei wenigen anderen Betrieben außerhalb der Textilerzeugung, z.B. der Nadelindustrie - handelte es sich um hochentwickelte Formen der Manufaktur, die mehrere hundert Arbeiter in zentralisierten Werkstätten beschäftigten und eine ausgeprägte Arbeitsteilung aufwiesen. Würden wir allerdings diese Großbetriebe allein und isoliert betrachten und den Begriff der Manufaktur auf sie beschränken, so könnten wir damit nur einen begrenzten Aspekt der wirtschaftlichen Triebkräfte des ausgehenden 18. Jahrhunderts erfassen. Schon die Zeitgenossen - beschreibende Topographen, Verordnungen formulierende Beamte oder kameralistische Schriftsteller verwendeten den Begriff Manufaktur in unterschiedlichem Sinn und setzten ihn häufig synonym mit „Fabrik" oder „Verlag". (8) Eindeutig sind diese Bezeichnungen dahingehend, daß sie nicht-zünftige, meist privilegierte Betriebe meinen. Was Größe und Arbeitsorganisation betrifft, lassen sie aber einen großen Spielraum zu. Die

Zum Begriff der Manufaktur

17

Zeitgenossen hatten diese begrifflichen Schwierigkeiten nicht zufällig; mußten sie doch Produktionsformen benennen, die sich im Erscheinungsbild zwar stark unterschieden, entwicklungsgeschichtlich und arbeitsorganisatorisch aber eng zusammenhingen. Gerade in der Verschwommenheit ihrer Begriffe spiegelt sich dieser grundlegende Sachverhalt. Kehren wir, um dieses Problem zu illustrieren, zunächst zu den großen „erbländischen Hauptkottonfabriken" zurück. Sie beschäftigten nicht nur einige hundert Arbeiter unter einem Dach, sondern verarbeiteten das jeweils von mehreren tausend hausindustriellen Spinnern erzeugte Gam. Diese Spinner bevölkerten umliegende Dörfer und weiter entfernt liegende agrarisch ertragsschwache Regionen und waren zumindest so eng an die einzelnen „Hauptkottonfabriken" gebunden, daß sie in den Merkantiltabellen von 1772 und der folgenden Jahre als deren Beschäftigte geführt wurden. (9) Hier zeigt sich eine enge Beziehung zwischen zentralisiertem Betrieb und Hausindustrie, die zumindest für die Textilerzeugung ein charakteristisches Merkmal der Manufaktur war. Die konkrete Form dieser Beziehung konnte sehr unterschiedlich sein. In obigem Beispiel war mit dem Spinnen ein ganzer Arbeitsgang ausgelagert, während die vorhergehende Bearbeitung der Baumwolle wie auch teilweise das anschließende Weben, auf jeden Fall aber das Färben und Appretieren zentralisiert erfolgte. Ebenso konnte aber auch, wie in der Wiener Seidenverarbeitung, derselbe Produktionsschritt sowohl zentralisiert als auch dezentralisiert erfolgen: es hing vom verfügbaren Kapital - insbesondere dem in Gebäuden angelegten fixen Kapitalteil und der Risikobereitschaft des Unternehmers ab, wieviele Stühle ein Seidenfabrikant ,,im Betrieb" hatte, und wieviele er „außer Haus verlegte". (10) Eine Differenzierung mochte dahingehend erfolgen, daß die feineren, wertvolleren Gewebe zentralisiert, die gröberen hausindustriell gefertigt wurden; eine weitere, daß jene Arbeitsgänge des Seidenwebens, die die größte Sorgfalt erforderten - wie das Schweifen der Kette - in zentralen Manufakturen vorgenommen wurden und nur noch der eigentliche Webvorgang der Hausindustrie verblieb. (11) Dies führt schon zur Frage der unterschiedlichen Arbeitsorganisation in zentralisierten Manufakturen. In ihren Anfängen faßte sie lediglich mehrere Handwerker zusammen, ohne die Arbeitsweise jedes einzelnen zu verändern. In dieser Stufe unterschied sich die Ma-

18

Manufakturperiode

nufaktur „kaum anders von der zünftigen Handwerksindustrie als durch die größere Zahl der gleichzeitig von demselben Kapital beschäftigten Arbeiter". (12) Die räumliche Zusammenfassung eröffnete allerdings die Möglichkeit, Produktivität durch Arbeitsteilung zu erhöhen, die Handwerker auf einzelne Arbeitsgänge zu spezialisieren und im Produktionsprozeß nacheinander zu stellen. In einer entwickelten Arbeitsteilung und Kooperation erreichte die Manufaktur ihre „klassische Gestalt". (13) Diese Entwicklungsschritte der Manufaktur existierten allerdings im ausgehenden 18. Jahrhundert durchaus nebeneinander. Der hier zugrunde gelegte Begriff der Manufaktur ist also auf zwei Ebenen differenziert. Die eine Ebene erfaßt das Verhältnis von zentralisierter und dezentralisierter, also hausindustrieller, Produktion. Die zweite Ebene erfaßt unterschiedliche Entwicklungsstufen der zentralisierten Betriebe, vor allem hinsichtlich der Arbeitsteilung. Beide Ebenen sind miteinander verbunden: eine Wahlmöglichkeit zwischen zentralisierter und hausindustrieller Produktion bestand dann, wenn die Arbeitsorganisation in beiden Fällen keine gravierenden Unterschiede aufwies. War dagegen die Arbeitsteilung in einer zentralisierten Manufaktur hoch entwickelt, wurden nicht mehr beliebige, sondern allenfalls genau begrenzte Arbeitsschritte an die Hausindustrie abgegeben. Der Begriff der Manufaktur soll beide Diferenzierungsebenen erfassen. Er beschreibt jene Stufe in der Entwicklung der vorindustriellen kapitalistischen Produktionsweise, in der sich der Unternehmer die Sphäre der Produktion unterordnet, wenn auch in verschiedenen Formen. Gemeinsam ist diesen Formen, daß sie im Gegensatz zum industriellen Kapitalismus von keinen einschneidenden Veränderungen der Arbeitsinstrumente begleitet wurden. „Die Umwälzung der Produktion nimmt in der Manufaktur die Arbeitskraft zum Ausgangspunkt, in der großen Industrie das Arbeitsmittel." (14) Für den unmittelbaren Produzenten hatte dies eine zwiespältige Auswirkung. Einerseits bedeutete die kapitalistische Umformung der Produktion, daß er - im Gegensatz zum ländlichen Hausindustriellen - nicht Waren verkaufte, sondern seine Arbeitskraft. Die Logik der Produktionsweise wurde damit nicht mehr vom Ziel der Bedürfnisbefriedigung kleiner Warenproduzenten, sondern vom Ziel der Profitmaximierung bestimmt. Andererseits war aber in der Manufaktur die Arbeitskraft der entscheidende Produktionsfaktor ge-

Manufakturwesen in Wien

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blieben, sodaß der Arbeiter eine bestimmte Kontrolle über den unmittelbaren Arbeitsprozeß aufrechterhielt. Diese Ambivalenz ist insbesondere bei der Betrachtung der Organisation der Familienwirtschaft zu berücksichtigen.

b. Entwicklung und Charakteristik des Manufakturwesens in Wien Die Manufakturperiode ist in Wien vom letzten Drittel des 18. Jahrhunderts bis in den Vormärz anzusetzen. Die Anfänge des Manufakturwesens reichen hier zwar bis in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts zurück; ein entscheidender Wachstumsstoß - der sich sowohl in Neugründungen als auch in der raschen Ausdehnung bestehender Manufakturen ausdrückte - fand allerdings erst im Rahmen der Aufschwungsphase statt, von der die mitteleuropäische Wirtschaft von den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts bis in das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts geprägt war. (15) Nach der Überwindung der wirtschaftlichen Krisenerscheinungen im Gefolge des Siebenjährigen Krieges stieg die Finanzkraft des Hofes als wichtiger Förderer und Konsument der Manufakturen an, die einsetzende Agrarrevolution ermöglichte es der gesamten adeligen Oberschicht überdies, Luxuswaren in steigendem Maß nachzufragen. (16) Nach einigen Manufakturgründungen zu Ende der 60er Jahre des 18. Jahrhunderts erwiesen sich insbesondere die 80er J a h r e als eine „Gründerzeit" des Manufakturwesens, die bis ins beginnende ^ . J a h r h u n dert reichte. (17) Die Jahre 1811 bis 1825 gelten als wirtschaftliche Stagnationsperiode, woran sich wiederum ein Ansteigen der ökonomischen Aktivitäten anschloß, wenn auch mehrfach durch Krisen unterbrochen. (18) Unter diesen hatten allerdings vorwiegend die Arbeiter zu leiden. Für die Seidenfabrikanten als Vertreter des wichtigsten Produktionszweiges der Wiener Manufakturperiode handelte es sich trotz verstärkter Konzentrationsprozesse um eine „gute,alte Zeit". (19) Der damals von ihnen angehäufte Reichtum hatte denn auch spöttische Zungen im Volk veranlaßt, das Zentrum der Seidenindustrie, Schottenfeld, in „Brillantengrund" umzubenennen. Wie schon erwähnt, war der rasche Aufschwung des Manufakturwesens zum Teil den Förderungsmaßnahmen des absolutistischen Staates geschuldet, die sich im wesentlichen auf zwei Ebenen konzentrierten: Sie bestanden zum einen in unmittelbar finanziell wirk-

20

Manufakturperiode

samen Maßnahmen, wie Steuer- und Zollerleichterungen, dem Überlassen geeigneter Fabriksgebäude und ähnlichem.Zahlreiche Seidenfabrikanten waren aus westeuropäischen Textilzentren nach Wien gesiedelt, wobei sie sowohl die technische Ausstattung als auch einen Stamm qualifizierter Arbeiter mitbrachten. Von Seiten der Regierung wurden die Kosten der Ubersiedlung finanziert und den einwandernden Arbeitern verschiedene Begünstigungen zugestanden wie Militärbefreiung und ungehinderte Ausübung ihrer - meist protestantischen - Religion. (20) Das zweite Maßnahmenbündel zur Förderung des Manufakturwesens setzte an der Gewerbegesetzgebung an. Der gemeinsame Nenner von zahlreichen Verordnungen und Bestimmungen bestand darin, die rechtlichen Voraussetzungen für die Existenz einer von Zunftregeln befreiten Lohnarbeiterschaft zu schaffen. Diese Maßnahmen stießen auf den heftigen Widerstand des zünftig verfaßten Gewerbes. Das Mittel der bürgerlichen Seiden-, Samt- und Dünntuchfabrikanten, wie die Zunftorganisation der Wiener Seidenzeugmacher hieß, unternahm zahlreiche Eingaben, um die zünftlerische Beschränkung des Gewerbes aufrechtzuerhalten. 1 7 7 0 und 1792 fanden gewalttätige Demonstrationen der Zeugmacher statt. (21) Die Regierung wehrte diese Bestrebungen ab, wobei unter Maria Theresia und Joseph II. Monarch und Hofkammer gemeinsam und entschieden vorgingen, Franz II. dagegen zwischen Zünftlern und der für eine Ausdehnung der Gewerbefreiheit eintretenden Hofkammer schwankte. Der hier zutage tretende soziale Konflikt fand seinen Niederschlag in einem reichen Quellenmaterial, dem wir Einblick in den Stand der wirtschaftlichen Entwicklung Wiens und in die gegensätzlichen Interessen des Zunftgewerbes und der Manufakturkapitalisten verdanken. (22) Unter den günstigen wirtschaftlichen Bedingungen waren in Wien einige große, zentralisierte Manufakturen entstanden. Die staatliche Porzellanmanufaktur in der Rossau, die jahrzehntelang mit wenigen Dutzend Arbeitern ihr Dasein gefristet hatte, beschäftigte 1 7 8 0 3 2 0 Personen, gegen die Jahrhundertwende schon ein halbes Tausend. (23) In der Trattner'schen Buchdruckerei nahe der Lerchenfelder Linie arbeiteten um 1 7 8 0 an die 2 0 0 Buchdrucker und Schriftsetzer, eine außerordentlich hohe Zahl, die jedoch nur kurze Zeit gehalten werden konnte. (24) Einige Berühmtheit hatte auch die

Entwicklung der Seidenindustrie

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in die 60er Jahre zurückreichende „Leonische Drahtzugsfabrick in der Vorstadt zu St. Margarethen" erlangt. (25) Auch in der Textilerzeugung bestanden dank unmittelbarer staatlicher Unterstützung größere zentralisierte Manufakturen, wie die im Meidlinger Schloß gegründete k.k. Wollenzeugfabrik, in der „die armen Mägdelein so die mildtätige Theresia sonst zu Ebersdorf erziehen ließ seit 1765 Dienste leisteten" - so der Topograph Weißkern 1769 - oder die Schweizerbandfabriken in Penzing, Matzleinsdorf und am Rennweg. (26) Diese Beispiele, so sehr sie auch wegen ihrer Größe herausragen, waren aber insgesamt für die Wiener Manufakturperiode nicht typisch. Ihre sozio-ökonomische Struktur wurde vorwiegend durch die Seidenverarbeitung geprägt, deren Schwerpunkte in der Herstellung von Seidenzeug (Seide, Samt, Dünntuch), Seidenbändem und in der Strumpfwirkerei lagen. (27) Die Konzentration der Seidenindustrie in Wien war keineswegs zufällig. Sie resultierte vielmehr aus den besonderen Bedingungen des Waren- wie des Arbeitsmarkts einer historisch gewachsenen Großstadt und Residenzstadt wie Wien. (28) Seidenstoffe zählten zu den Luxusgeweben, die an zahlungskräftige Bevölkerungsschichten verkauft wurden. Diese waren nirgends innerhalb der Monarchie so zahlreich anzutreffen, wie in der „Hauptund Residenzstadt". Die Verarbeitung von Seide erforderte auch größere Sorgfalt und Geschicklichkeit als die von Baumwoll- und Schafwollgeweben. Qualifizierte Arbeitskräfte ließen sich leichter nach Wien ziehen, als in provinzielle Zentren. Und letztlich, die Seidenverarbeitung widerstand wegen der Feinheit des Gewebes am längsten allen Schritten in Richtung Mechanisierung und war deswegen nicht gezwungen, die Wasserkraft ländlicher Bäche zu nutzen. Versuche, außerhalb Wiens eine Seidenindustrie zu entwickeln, blieben jedenfalls begrenzt; umgekehrt siedelten um 1800 anderswo etablierte Betriebe nach Wien, etwa Bujatti aus Görz. Einen sprunghaften Anstieg erlebte die Wiener Seidenfabrikation von den 80er Jahren des 18. Jahrhunderts, jener „Gründerzeit" (H. Hassinger) des österreichischen Manufakturwesens, bis zur Jahrhundertwende. In den 90er Jahren profitierte die Wiener Seidenproduktion auch davon, daß im Gefolge der Französischen Revolution die Lyoner Seidenverarbeitung weitgehend ausgefallen war. Eine erste Bestandsaufnahme aus dem J a h r 1819 nahm Stephan Keeß in

22

Manufakturperiode

seiner ,.Darstellung des Fabriks- und Gewerbewesens im österreichischen Kaiserstaate" vor: „Von 1797 - 1801 hoben sich die niederösterreichischen und besonders die Wiener Fabriken so weit, daß 8 000 Stühle mit großem Gewinne betrieben wurden. Noch im Jahre 1813 befanden sich in Wien bei 600 Seidenzeugfabrikanten, welche in guten Zeiten gewiß über 6 000 Gesellen, 800 - 900 Lehrlinge und 7 000 - 8 000 Arbeiterinnen beschäftigten." (29) Nach diesen Zahlen arbeitete etwa jeder fünfte Wiener Berufstätige in der Seidenindustrie! In der Seidenmanufaktur hatte sich eine Reihe von Großbetrieben herausgebildet. Die Merkantiltabellen des Jahres 1772 geben für die ,,Schweizerbandfabrik" in Penzing 316 Beschäftigte an, darunter ,,133 Weibspersonen und Seiden winderinnen, 40 Lehrmägdlein, 51 Jungen und Scholaren" - eine nach Alter und Geschlecht durchaus typische Zusammensetzung. (30) 1782 beschäftigten die Seidenzeugmacher Jonas 144 Personen, Tomasi 264, Throll 150 und König mehrere hundert, um nur die größten zu nennen. (31) Gegen die Jahrhundertwende hatte sich Andreas J o n a s auf 660 Stühle ausgedehnt, an denen 1 980 Personen arbeiteten, Hornbostel war mit 200 Stühlen und 600 Beschäftigten neu zu den großen Unternehmen gestoßen. (32) Seidenmanufakturen dieser Größenordnung waren zwar nicht allzu zahlreich, in der Blütezeit der Wiener Seidenindustrie waren jedoch auch die durchschnittlichen Beschäftigungsziffern beachtlich. Nach einer Zählung des Jahres 1803 verfügten die 4 4 „k.k. priv. landesbefugten Seidenzeugfabrikanten" in Wien im Durchschnitt über 34 Stühle, für die man rund hundert Arbeiter annehmen kann. Die 156 einfachen Seidenzeugfabrikanten hielten durchschnittlich 13 Stühle in Betrieb, ebenso die 50 einfachen Schweizerbandfabrikanten. (34) Die Streuung der Beschäftigtenzahlen lag dabei ziemlich dicht um den Durchschnittswert. Die Wiener Seidenmanufaktur war von einer breiten Abstufung von Klein-, Mittel- und Großbetrieben geprägt. Damit ist aber - und hierin besteht das entscheidende Problem - noch nichts über die Produktionsform ausgesagt. Außer Zweifel steht der kapitalistische Charakter der Produktionsverhältnisse: Alle Quellen deuten darauf hin, daß Webstühle und Seidengarn stets im Besitz der „Fabrikant e n " waren. (35) Wo allerdings diese Stühle aufgestellt waren, zentralisiert in den Betriebsstätten der Unternehmer oder dezentralisiert in den Wohnungen der Arbeiter, ist im einzelnen Fall nicht ein-

Hausindustrie und zentralisierte Manufaktur

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deutig zu entscheiden. Vieles spricht dafür, daß die Wiener Seidenverarbeitung durch das Nebeneinanderbestehen von größeren und kleineren Formen der zentralisierten Manufaktur sowie hausindustrieller Produktion gekennzeichnet war. In den Aufzählungen von 1803 finden sich etwa Hinweise der Art, daß der Schweizerbandfabrikant Neuffer von 47 Stühlen 38 im Fabriksgebäude habe, den Rest außerhalb; oder daß der Seidenzeugmacher Pezana 25 Stühle im Haus habe und 30 außer Haus verlege. (36) Das Nebeneinander von Hausindustrie und zentralisierter Manufaktur war keineswegs friedlich. Zahlreiche Belege lassen keinen Zweifel daran, daß das Recht, „außer den Fabriksgebäuden Arbeiter mit Stühlen zu verlegen" (37) im Zentrum der Auseinandersetzung zwischen Innungen und Hofkammer stand und von Regierungsseite entschieden vertreten wurde. ,,So ist allen Meistern und befugten Fabrikanten die Verlegung der Gesellen mit Arbeit außer den Häusern . . . nicht nur zu gestatten, sondern auch durchaus zu begünstigen", stellte die Niederösterreichische Regierung 1801 in einem Privileg fest. (38) Die Argumente, die von den Innungen gegen und von Regierungsseite für die Hausindustrie vorgebracht wurden, enthielten jeweils einen rationalen Kern. Die Zentralisation der Produktion würde geeignete Gebäude und Räumlichkeiten erfordern, die entweder nicht zu bekommen seien oder durch die Baukosten bzw. Mietenbelastung erhöhte Produktionskosten nach sich zögen. Da „Fabrikanten ihre Gesellen zu Hause o f t nicht unterbringen können", würde das Verbot der Hausindustrie „der Erweiterung der Beschäftigung und Produktion höchst hinderlich" sein. (39) Umgekehrt ließ sich gegen die Hausindustrie in zweifacher Hinsicht ein Mangel an Kontrolle anführen: einmal, was die Qualität der Verarbeitung betraf, dann aber auch die Schwierigkeit, zu verhindern, daß der Hausgeselle Garn entwende und nebenbei auf eigene Rechnung oder für andere Unternehmen arbeite. (40) Diese Probleme stellten sich allgemein auf einem bestimmten Entwicklungsstand der kapitalistischen Produktion: mangelnde Möglichkeit oder Neigung, den fixen Kapitalanteil zu erhöhen - der auch bei Absatzschwierigkeiten nicht so leicht aus der Produktion zurückzuziehen war - bedeutete immer zugleich eine mangelnde Kontrollmöglichkeit über die Produktion. Unter diesen die Manufaktur charakterisierenden Umständen , .ringt das Kapital beständig mit der Insubordination der Arbeiter." (41)

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Manufakturperiode

Neben diesen allgemeinen Problemen spielten aber auch durchaus eigensüchtige Motive in der Diskussion um die Hausindustrie eine Rolle. Bei den Strumpfwirkern bekämpfte während der 90er Jahre immer wieder die Mehrheit der Meister das Verlegen außer Haus. Da die meisten bürgerlichen Strumpfwirkermeister Hausbesitzer waren und unter dem eigenen Dach ihre Betriebe ausdehnen konnten, scheinen sie mit ihrer Ablehnung der Hausindustrie vor allem nicht-hausbesitzende befugte Konkurrenten getroffen zu haben. Wohl nicht zu Unrecht interpretierte die „Fabrikeninspektion" 1801 solche Wünsche als einem „Handwerksneide der Meisterschaft gegen die Fabrikanten" entspringend. (42) Dies wäre aber nicht ein Konkurrenzverhältnis zwischen Handwerk und Kapital, sondern zwischen zwei kapitalistischen Unternehmergruppen, deren unterschiedliche soziale Herkunft sie zu unterschiedlichen Produktionsformen - zentralisiert oder dezentralisiert - drängt. Die Regierungsstellen wiederum hatten, wenn sie den Nutzen der Hausindustrie überlegten, nicht nur Vor- und Nachteile für die Fabrikanten im Auge, sondern auch jene der Arbeiter. Das Interesse an der Hausindustrie wurde ausdrücklich damit begründet, daß der Arbeiter in seiner Familie und mit ihrer Unterstützung tätig sein könne. Daraus resultiere der „wohlfeile, jeder Lage sich anschmiegende" Charakter des Hausgewerbes, wie es die Niederösterreichische Regierung 1801 formulierte. (43) 1797 hatte dieselbe Stelle festgesetzt, daß „die Entledigung von Zunftzwang besonders bey jenen Beschäftigungszweigen nöthig sey, welche zur einzelnen, so wichtigen und so nützlichen Hausbeschäftigung von Familien taugen." (44) Umgekehrt schien es im Rahmen der Hausindustrie am besten möglich zu sein, die Familien der Seidenzeugmacher zu ernähren. Ihre Bedeutung wurde unter anderem damit begründet, ,,um die verheyrateten und alten Gesellen beschäftigen zu können, welche von Weib und Kindern in der Arbeit unterstützt werden k ö n n e n . " (45) In allen diesen Stellungnahmen wurde aber darauf hingewiesen, „daß die Webstühle ein Eigenthum des Verlegers sind, und der Geselle ein ordentliches Zeugnis hierüber von dem Verleger erhalten müsse." (46) Eine genaue Bestimmung der Anteile von Hausindustrie und zentralisierter Manufaktur in der Wiener Seidenverarbeitung scheint mit den bisher bekannten Quellen nicht möglich zu sein. (47) Alles deutet aber darauf hin, daß - zumindest um die Wende vom 18.

Hausindustrie und zentralisierte Manufaktur

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z u m 19. J a h r h u n d e r t - der größte Teil der S e i d e n z e u g m a c h e r hausindustriell tätig gewesen ist und s o m i t die verlegte Hausindustrie die d o m i n i e r e n d e P r o d u k t i o n s f o r m der Wiener M a n u f a k t u r p e r i o d e war. Dies w u r d e in der Diskussion u m die Verteilung v o n Fabriksbefugnissen, wie sie vor allem 1 8 0 4 geführt w u r d e , i m m e r wieder bet o n t . Der R e f e r e n t der Niederösterreichischen Landesregierung, Freiherr von Kielmannsegge, stellte etwa f e s t : „ A u ß e r der k . k . Porzellanfabrik bestehe daselbst überhaupt keine große Fabrik im wirklichen Sinn des Wortes. Die anderen Fabriken seien nicht in großen G e b ä u d e n untergebracht, sondern die Werkstühle in kleineren Wohnungen unter die Arbeiter v e r t e i l t . " (48) Dieselbe Meinung vertrat auch die F a b r i k s i n s p e k t i o n : „ D i e F a b r i k e n seien an der Zinsteuerung nicht schuld, da sie keiner großen G e b ä u d e oder Werkstätten b e d ü r f e n , vielmehr die Stühle unter die im Verlag arbeitenden Gesellen verteilt seien, während in den F a b r i k s g e b ä u d e n nur die Vorräte an Gespinst und fertiger Ware sowie die A p p r e t u r m a s c h i n e n a u f b e w a h r t w e r d e n . " (49) Die

Dominanz

der

Hausindustrie

in der

Seidenverarbeitung

scheint auch im V o r m ä r z erhalten geblieben zu sein. Bildliche Darstellungen zeigen zwar ansehnliche F a b r i k s g e b ä u d e von Schottenfelder S e i d e n f a b r i k a n t e n , ( 5 0 ) und auch die autobiographisch gef ä r b t e n R o m a n e des aus einer alten Wiener

Seidenweberfamilie

s t a m m e n d e n , u m 1 9 0 0 sehr p o p u l ä r e n Schriftstellers Emil Ertl kennen nur zentralisierte, patriarchalisch geführte M a n u f a k t u r e n . (51) Größere Betriebe bestanden auch d o r t , w o nicht nur reine Seide, sondern d a n e b e n auch Schaf- und Baumwolle verarbeitet w u r d e , wie z u m Beispiel bei Phillip H a a s , J . S . Wertheimer oder Blümel in der Teppich- u n d der S h a w l f a b r i k a t i o n . ( 5 2 ) T r o t z d e m erscheinen in den aus den 30er und 4 0 e r J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s überlieferten Berichten der Wiener Polizei die Hausgesellen als H a u p t b e standteil der M a n u f a k t u r a r b e i t e r s c h a f t , zumindest j e n e s Teils, der im Gegensatz zu d e n ledigen Handwerksgesellen d a u e r h a f t in Wien ansässig war. (53) Im Bericht der Wiener Polizei v o m O k t o b e r 1 8 4 5 heißt es: „ D i e Webermeister und Schalarbeiter a u f d e m hiesigen Platze haben den S t a n d ihrer Arbeitsgehilfen u m die H ä l f t e verringert. Zwar sind die meisten Webergesellen nicht nach Wien zuständig und werden daher bei längerer Arbeitslosigkeit v o m hiesigen Platze entfernt; da aber der größte Teil der Webwarenfabrikanten mit sogenannten Hausgesellen arbeitet, welche verheiratet sind, Kin-

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Manufakturperiode

der haben, Jahreswohnungen besitzen . . . ist hier die Arbeitslosigkeit umso bedenklicher." (54) Wo in einem Produktionszweig Hausindustrie und zentralisierte Manufaktur nebeneinander bestanden, dort erfolgte meist durch die Einführung teurer Maschinen der entscheidende Stoß zur Zentralisierung. (55) Technische Veränderungen griffen auch in der Wiener Seidenverarbeitung um sich. Da jedoch - wie im Abschnitt über die industrielle Revolution gezeigt werden wird - sich mechanisierende Betriebe meist nach kurzer Zeit aus Wien abwanderten, blieb hier die hausindustrielle Struktur erhalten. Diese allgemeine Feststellung soll aber nicht übersehen lassen, daß in den 30er und 40er Jahren außerhalb der Seidenverarbeitung das Manufakturwesen auf neue Branchen übergegriffen hatte, in denen größere zentralisierte Betriebe entstanden waren. Zahlreiche Hinweise dafür finden sich in den Berichten über die Wiener Gewerbeaussteilungen der Jahre 1835, 1839 und 1845- (56) Zentralisierte Manufakturen mit über hundert Beschäftigten bestanden in der Lederfärberei, Wagenfabrikation, Handschuherzeugung, Papiertapetenfabrikation, Kerzen- und Siegellackherstellung, in der Erzeugung von Steingutwaren und anderem mehr. (57) In Sickingens „Darstellung der k.k. Haupt- und Residenzstadt Wien" aus dem J a h r e 1832 werden besonders Wollsortierungsanstalten hervorgehoben, etwa in der Leopoldstadt und der Landstraße, mit 200 - 400 Arbeitern, die zum Teil für die großen Kammgarnspinnereien Niederösterreichs arbeiteten. (58) Auch im Brauwesen und in der Zuckerraffinierung waren große Betriebe entstanden. Am ausgeprägtesten aber hatten sich zentralisierte Manufakturen in Wien im Textildruck entwickelt. Dieser hatte hier seinen Schwerpunkt und verarbeitete zum Teil auch im Wiener Becken erzeugte Baumwollstoffe weiter. Die größten Betriebe befanden sich in den westlichen Vororten entlang des Wienflusses, wie Granichstädter und Weiss in Sechshaus mit an die 300 Arbeiter, oder Bacht und König in Penzing mit über 500. Doch auch im eigentlichen Wiener Stadtgebiet bestand „eine Anzahl von kleinen Druckereien, die meistens Lohndruck arbeiten . . . Die bedeutendsten derselben mögen mit 50 Drucktischen arbeiten" lautete eine Bestandsaufnahme des Jahres 1840. (59) An 50 Drucktischen mochten an die 150 Arbeitskräfte beschäftigt gewesen sein, rechnet man Drucker, Streicheijungen, Malermädchen und Formstecher zusammen.

Differenzierung des Handwerks

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In der M a n u f a k t u r p e r i o d e f a n d auch eine Differenzierung des Handwerks statt. Die A u f w e i c h u n g u n d lockere H a n d h a b u n g der Z u n f t b e s t i m m u n g e n erhöhte die Chancen aller Handwerker, legal oder illegal selbständig ein Gewerbe auszuüben. Die Arbeitsverhältnisse änderten sich d a m i t aber noch nicht; dies blieb vielmehr den ö k o n o m i s c h e n I m p u l s e n , die u m die Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s einsetzten, vorbehalten. (60) N o c h die Gewerbezählung von 1 8 3 7 legt j e n e s Bild nahe, d a s Thiel als typisch für die Periode v o m 16. bis z u m 18. J a h r h u n d e r t zeichnet: daß nämlich die Wiener Handwerker in ihrer Masse mit einem oder keinem Gesellen arbeiteten. (61) Die Differenzierung in der rechüichen Stellung der G e w e r b e war dagegen sehr reichhaltig, worin zum A u s d r u c k k o m m t , daß das Z u n f t w e s e n seine Herrschaft schon weitgehend eingebüßt

hatte,

ohne daß dies zunächst ö k o n o m i s c h e Folgen gehabt hätte. S c h o n nach einer Zählung aus dem J a h r e 1727 waren von allen in Wien ansässigen Handwerkern nur 32 Prozent zünftige Meister, 2 8 Prozent Dekreter, wie j e n e Gesellen genannt wurden, denen ab 1 7 2 5 durch jährliche Schutz-Befugnisse die A u s ü b u n g ihres G e w e r b e s gestattet war, 27 Prozent aller Handwerker waren Störer außerhalb jeglicher rechüichen Sicherung, 10 Prozent Angehörige der Stadtg u a r d i a , die zur Verbesserung ihres S o l d e s zur Gewerbeausübung berechtigt waren, und drei Prozent waren H o f h a n d w e r k e r , denen ein persönliches Privileg des Herrschers die Arbeit für den H o f ermöglichte, die j e d o c h darüber hinaus für alle K u n d e n tätig waren. (62) Die ohnehin nur schwache Z u n f t v e r f a s s u n g erstreckte sich außerdem nur auf j e n e S t a d t t e i l e , in denen der Wiener Magistrat die G r u n d h e r r s c h a f t ausübte. In den übrigen konnte nach d e m Belieben der G r u n d h e r r s c h a f t j e d e r Geselle legal als Störer arbeiten, was insb e s o n d e r e deshalb eine Rolle spielte, weil einige geistliche Grundherrschaften eine Politik der planmäßigen Anlage von Handwerkersiedlungen betrieben. (63) E i n e wichtige Differenzierung des Kleingewerbes erfolgte durch die maria-theresianischen und josephinischen G e w e r b e r e f o r m e n , vor allem durch die T r e n n u n g der Handwerke in Polizei- und K o m m e r z i a l g e w e r b e und vielfältige Förder u n g s m a ß n a h m e n für letztere. Im V o r m ä r z w u r d e ein weiterer Bereich zünftiger Arbeit von Einschränkungen befreit: Zünftige Gewerbe konnten nur gegen A n m e l d u n g betrieben w e r d e n , wenn sie lediglich ein o d e r mehrere einzelne P r o d u k t e herstellten. (64) Gera-

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Manufakturperiode

de dies begünstigte die vom Verlagswesen vorangetriebene Arbeitsteilung. Restriktive Maßnahmen rechtlicher Art scheinen dagegen auf den Wirtschaftsprozeß nicht mehr ernsthaft eingewirkt zu haben. Wenn etwa Franz I. zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Einschränkung der Schutz-Befugnisse verfügte, so ergab sich daraus eine starke Zunahme der Störer; wurde die Vergabe der Befugnisse liberal gehandhabt, so stieg die Zahl der Dekreter: Eine Gruppe von Handwerkern wechselte ihren Rechtstitel, nicht jedoch ihre Stellung in der Produktion. (65) Vollends nebensächlich scheinen gewerberechtliche Bestimmungen aber erst nach der Revolution von 1848 geworden zu sein. Unabhängig von und quer durch die verschiedenen Rechtstitel, unter denen Handwerke betrieben wurden, setzte sich eine neue Differenzierung durch, die nur noch von sozialen und wirtschaftlichen Faktoren bestimmt war. Zusammenfassend kann gesagt werden, daß in der Wiener Manufakturperiode verschiedene Arbeitsformen nebeneinander bestanden: traditionelles und außerzünftiges Handwerk, zentralisierte Manufaktur und Hausindustrie. Strukturell und quantitativ war allerdings letztere das dominierende Element.

c. Hausindustrie und Familienarbeit Zwischen Hausindustrie und Eheschließung der Gesellen bestand ein enger Zusammenhang. Die Heiratsmöglichkeit für Gesellen der Seidenindustrie war ein Bestandteil jener Förderungsmaßnahmen, die qualifizierte Arbeiter veranlassen sollten, sich in Wien niederzulassen. Schon 1765 hieß es in einem Dekret der Hofkammer: . J e nen Gesellen, welche die Wanderjahre in einer wohleingerichteten Tuchfabrik in und außer Landes zugebracht haben, ist unweigerlich sich zu verheiraten zu gestatten." (66) Umgekehrt war die Diskussion um die Einschränkung der Fabriken um und in Wien, wie sie in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts geführt wurde, zugleich eine Diskussion, „ob und wie den vielen Heiraten der Handwerksgesellen, Bedienten und anderer Menschen, die sich über ein dauerndes hinreichendes Einkommen nicht ausweisen können, Schranken gesetzt werden könnten." (67) Von den Zeitgenossen wurde der Zusammenhang von Hausindustrie und Eheschließung darin gesehen, daß die hausindustrielle Produktion die Arbeit mehrerer Familien-

Hausindustrie und Familienarbeit

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mitglieder erforderte bzw. ermöglichte. (68) Mit diesem Tatbestand ist allerdings der Charakter der Familienarbeit noch nicht geklärt. Es stellt sich die Frage, ob die Familienarbeit während der Wiener Manufakturperiode mit jenem Modell hausindustrieller Familienwirtschaft zu erfassen ist, das zur Analyse der „proto-industriellen Produktionsweise" entwickelt wurde und das in der internationalen Forschung große Beachtung findet. (69) Dieses Modell geht von einem System der Familienwirtschaft aus, das bestimmt ist erstens durch den konkreten Arbeitszusammenhang der Familienmitglieder und zweitens dadurch, daß die Kontrolle über den Arbeitsprozeß von der Familie selbst ausgeübt wird. Die hausindustrielle Familie wäre hier Produktionseinheit in einem umfassenden Sinn mit weitreichenden ökonomischen, sozialen und demographischen Folgen. Dieses Modell wurde dahingehend kritisiert, daß es einen steigenden Einfluß der Unternehmer auf die Produktion nicht erfaßt. (70) Der unternehmerische Einfluß würde durch Entwicklung der Arbeitsteilung und Spezialisierung tendenziell den familialen Arbeitszusammenhang zerstören und durch das Nebeneinanderarbeiten der Familienmitglieder ersetzen. Dann wäre „die Familie bzw. der Haushalt, nicht mehr in dem Sinne eine Produktionseinheit, daß der Arbeitsprozeß die Zusammenarbeit aller Glieder erforderte und alle durch gemeinsame Arbeit ein ungeteiltes Einkommen erwirtschafteten, sondern verschiedene Familienmitglieder konnten durch getrennte Arbeit je einen individuellen Lohn verdienen; die Familie, der Haushalt war nur noch der Ort der Produktion. Eine Einheit konnte sie nur noch im Hinblick auf Konsum und Reproduktion sein." (71) Da wir über keine hinreichend genaue und differenzierte Kenntnis der Arbeitsorganisation der Wiener Manufakturperiode verfügen, werden sich diese aufgeworfenen Fragen nur zum Teil verfolgen lassen. Die vorhandenen Angaben reichen aber aus, um das Verhältnis von Hausindustrie und Familienarbeit in der Seidenverarbeitung zumindest zu problematisieren. Dabei sind stets die Eigentumsverhältnisse der Wiener Manufakturperiode im Auge zu behalten: Die Tatsache, daß Garn und Webstühle nicht den Hausgesellen gehörten, sondern den Fabrikanten; und, daraus abgeleitet, daß die Fabrikanten ständig mit der Herausforderung konfrontiert waren, einzelne Arbeitsschritte - wenn nicht gar die gesamte Produktion - von der Hausindustrie in zentrale Betriebsstätten zu verlagern.

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Manufakturperiode

„Der Mann webt und lehrt seine Söhne weben, die Frau spinnt und lehrt die Töchter spinnen" - dies ist ein klassischer Topos der Literatur über textile Hausindustrie. (72) Wie weit eine Verallgemeinerung dieses Bildes gerechtfertigt ist, braucht hier nicht erörtert zu werden; fest steht, daß mit der Entwicklung zentralisierter Manufakturen und insbesondere mit der Mechanisierung der Spinnerei grundlegende Veränderungen der hausindustriellen Arbeitsorganisation erfolgten. (73) Die Wiener Seidenverarbeitung zeichnete sich darüber hinaus durch eine komplexere Arbeitsorganisation aus. Der Spinnvorgang - das Abwinden des Kokons und das Filieren und Zwirnen - erfolgte überwiegend in den Seidenraupenzuchtgebieten selbst. Der größte Teil der in Wien verarbeiteten Seide wurde in den Filanden und Filatorien Oberitaliens, vor allem der Gegend um Rovereto, gefertigt. In Wien selbst waren nur einige wenige Filatorien in Betrieb. (74) So scheint der erste in Wien vorgenommene Arbeitsschritt im „Kavilieren" bestanden zu haben, worunter man das Zusammendrehen von Seidensträhnen zu für das Färben geeigneten Buschen verstand. (75) Kam die Seide vom Färber zurück, so mußte sie zunächst möglichst gleichmäßig auf Spulen gebracht werden. Die Fäden von ein bis zwei Dutzend Spulen wurden weiters auf den Schweifrahmen (Scherrahmen) übertragen, von dem am Webstuhl die Kettfäden abliefen. Kavilieren, Spulen und Schweifen waren Tätigkeiten, die von Frauen und Kindern ausgeführt wurden. Die entsprechenden Berufsbezeichnungen kommen fast ausnahmslos in ihrer weiblichen Form vor: Das Spulen wurde von der Spulerin oder Winderin vorgenommen, das Schweifen von der Zettlerin; jugendliche Arbeiter wurden j a meist nicht mit einer Berufsangabe, sondern als Lehrmädchen oder Lehrbub bezeichnet. (76) Die dem eigentlichen Webvorgang vorausgehenden Tätigkeiten waren in der textilen Hausindustrie im allgemeinen die Aufgabe von Frauen und Kindern der Weber. Wenn wir aber, wie im Fall der Wiener Seidenverarbeitung, die Ambivalenz von zentralisierter und dezentralisierter Produktion im Auge behalten, so sprechen einige Gründe für die Vermutung, daß die Garnvorbereitung einer besonderen Tendenz zur Zentralisierung unterlag: Erstens waren die Möglichkeiten, G a m zu stehlen, auf die Arbeiten vor dem Weben beschränkt; (77) zweitens fanden hier schrittweise Mechanisierungen statt - schon 1799 war in Wien eine Seidenspulmaschine erfunden

Die Arbeitsorganisation der Seidenindustrie

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worden; (78) und drittens mußten gerade die vorbereitenden Tätigkeiten sehr sorgfältig ausgeführt werden, um eine gleichmäßig gespannte Kette zu erhalten. In einer späteren Entwicklungsphase der hausindustriellen Seidenverarbeitung, um 1900, erfolgten jedenfalls alle Tätigkeiten mit Ausnahme des Webens in zentralisierten Fabriken. (79) Wie weit sich diese Tendenz schon in der Manufakturperiode entfaltet hatte, kann nicht gesagt werden. Einige Quellen deuten aber darauf hin, daß Frauen auch außerhalb der Hausindustrie die genannten Tätigkeiten ausübten. In einer Beschreibung der Vorstadt Nikolsdorf aus dem Jahre 1832 etwa heißt es: „Der Seelenstand zählt nur 1 350, die mehrenteils Weber, Schuster, Schneider, und das weibliche Geschlecht Seidenwinderinnen sind." (80) Während die vorbereitenden Tätigkeiten nicht notwendigerweise zeitlich oder räumlich mit dem Weben verbunden sein mußten, erforderte dieses selbst auf einer bestimmten Stufe der Technologie die unmittelbare Zusammenarbeit des Webers mit einer unqualifizierten Arbeitskraft. Vom Ende des 18. Jahrhunderts an waren im Wiener Seidengewerbe im wesentlichen drei Arten von Webstühlen in Verwendung. Glatte Seidenzeuge wurden auf einfachen, eine Person zur Bedienung erfordernden Webstühlen hergestellt. Gemusterte Seidenzeuge bedurften eines Zugstuhls, an dem mit Latzenschnüren die jeweils dem Muster entsprechenden Kettfäden hochzuheben waren; diese Tätigkeit erforderte die Mitarbeit einer zweiten Person, meist eines Knaben, der als „Zugbub" bezeichnet wurde. In der Bandfabrikation standen Bandmühlen oder Mühlstühle in Verwendung. Auf diesen konnten von einer Person gleichzeitig 4 bis 5 Gewebe erzeugt werden; eine zweite Person war vonnöten, um den Stuhl mittels einer Treibstange in Bewegung zu halten. (81) Zugstühle und Bandmühlen erforderten also die Kombination einer qualifizierten Arbeitskraft, des Webers, mit einer unqualifizierten, die Hilfestellung leistete. Weitere technologische Verbesserungen machten es allerdings wieder möglich, auf diese Kombination zu verzichten. Die Weiterentwicklung des Zugstuhls zum Jacquardstuhl, der Bandmühle zum „Kunststuhl", bestand in einer verbesserten Mechanik, die es dem Weber gestattete, die Zieh- und Treibvorrichtungen selbst in Gang zu halten. Diese Entwicklungen setzten in Wien allerdings erst in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts ein und fanden nur eine geringe Verbreitung. (82) Ein weiterer Arbeitsgang in der Seidenweberei konnte sowohl vom Weber als auch von einer Hilfs-

Manufakturperiode

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person ausgeführt werden: das Andrehen der Fäden einer neuen Kette an die der zu Ende gegangenen und das Einziehen der Litzen, die das Muster bestimmten. In zentralisierten Manufakturen wurde dies von weiblichen Arbeiterinnen durchgeführt, den „Andreherinn e n " und „Einzieherinnen". (83) Die Kombination zweier Arbeitskräfte an Zugstuhl und Bandmühle war sowohl in der Hausindustrie als auch in zentralisierten Manufakturen erforderlich. In der Hausindustrie dürften überwiegend Vater und Sohn zusammengearbeitet haben. Die Berufsvererbung war jedenfalls im Textilgewerbe auch unter Unselbständigen außerordentlich hoch. Wie weit diese verwandtschaftlichen Bindungen auch in zentralisierten Betrieben bestanden, läßt sich nicht feststellen. Im internationalen Vergleich scheint es aber, entgegen früherer Annahmen, eher selten gewesen zu sein, daß Eltern und Kinder in einem Betrieb zusammenarbeiteten. (84) Ein letztes Kennzeichen der hausindustriellen Seidenverarbeitung in Wien bestand darin, daß an einen Hausgesellen meist nur ein Stuhl vergeben wurde. Seine Möglichkeiten, die Produktion auszudehnen und seine Frau und geübte Kinder an einem Webstuhl arbeiten zu lassen, waren also beschränkt und damit auch der Umfang der hausindustriellen Produktion. (85) Wenn wir die Frage nach der Beziehung von Hausindustrie und Familienarbeit nochmals aufgreifen, dann läßt sich nur ein Arbeitsverhältnis mit Sicherheit bestimmen: das des Webers und einer Hilfsperson zum Ziehen der Latzenschnüre. Die Vorbereitung des Garns mag ganz oder teilweise hausindustriell erfolgt sein, scheint aber eine Tendenz zur Zentralisierung aufgewiesen zu haben. War die Garnvorbereitung hausindustriell, so ist wiederum nicht geklärt, wieviel Arbeitskraft und Arbeitszeit sie erforderte, o b sie zum Weben synchron verlief. Eine eindeutige Bestimmung des Verhältnisses von Hausindustrie und Familienarbeit läßt sich also nicht treffen; es zeichnet sich aber ein Rahmen ab, innerhalb dessen die hausindustrielle Arbeitsorganisation funktionierte: Alle Angaben weisen darauf hin, daß der hausindustrielle Seidenweber auf die Mithilfe von Familienangehörigen angewiesen war. Es ist aber höchst zweifelhaft, daß diese Mithilfe die Arbeitskraft der ganzen Familie erschöpfte. Zugleich weiteten sich in der Manufakturperiode auch außerhalb der Hausindustrie die Arbeitsmöglichkeiten für alle Familienmitglie-

Frauen- und Kinderarbeit

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der, unabhängig von Alter und Geschlecht, aus. In der Auseinandersetzung zwischen Zünften und Regierung nahm die Frage nach Verbot oder Förderung der Frauen- und Kinderarbeit einen zentralen Stellenwert ein. Die Durchsetzung der Frauen- und Kinderarbeit bedeutete einen wichtigen Schritt zur Herausbildung eines allgemeinen, von Zunftschranken befreiten, Arbeitsmarkts. Frauenarbeit bildete von den ersten Anfängen an eine Grundlage der Seidenmanufaktur. In den Merkantiltabellen des Jahres 1772 werden für alle in Wien und Umgebung gelegenen Samt-, Seidenzeug-, Spitzen- und Schweizerbandfabriken 5 252 Beschäftigte angeführt, darunter 2 853 Arbeiterinnen und Lehrmädchen, also mehr als die Hälfte. (86) 1773 stellte eine Verordnung der Kaiserin Maria Theresia eindeutig fest, daß „alle glatte und faconnierte Seidenzeugwaren mit alleiniger Ausnahme der reichen und broschierten Zeugen, dann aller Gattungen von Sammet in Unseren Erblanden durch Weibspersonen auf dem Stuhle solen bearbeitet werden können". (87) Als Begründung wird auf das niedrige Niveau der Frauenlöhne verwiesen; es handle sich um „geringe den Gesellenlohn nicht ertragende Seidenzeuggattungen." (88) Direkt an Webstühlen waren Frauen nur in größeren Betrieben beschäftigt, (89) als Seidenwinderinnen und Spulerinnen arbeiteten sie jedoch in allen Bereichen der Seidenfabrikation, auch bei kleineren Meistern. (90) Die erste weibliche Werkmeisterin ist für das Jahr 1807 verbürgt, in dem der Seidenfabrikant Leberfinger seine Tochter mit ausdrücklicher Billigung der Hofkammer auf diesen Posten setzte. (91) Der hohe Frauenanteil der Beschäftigten in der Seidenindustrie wird von allen Zählungen bestätigt und blieb bis in die Zeit des Niedergangs der Wiener Textilerzeugung erhalten. (Vgl. Tabelle 5) Ein verstärkter Anstieg scheint sich in den 40er Jahren ergeben zu haben, als häufige Absatzkrisen eine Senkung des Lohnniveaus und - als eine Ausdrucksform davon - den verstärkten Einsatz von Frauen motivierten. (92) Um die Mitte des 19. Jahrhunderts betrugen in der Textilindustrie Frauenlöhne etwa die Hälfte von Männerlöhnen. (93) Auch in den sich außerhalb der Seidenindustrie etablierenden Manufakturen dehnte sich die Frauenarbeit aus. Die Abbildung eines Arbeitssaals der „Apollo-Kerzenfabrik" aus den 40er Jahren etwa zeigt mit Ausnahme eines Aufsehers ausschließlich Frauen am Werk. (94) Was dagegen die Masse der traditionellen Gewerbe betraf, so

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Manufakturperiode

stand auch die Hofkammer noch 1818 auf dem Standpunkt: „Weiber sind zur Erlangung von Gewerben und Handlungen in der Regel nicht geeignet." (95) Das Manufakturwesen schuf weiters veränderte Arbeitsbedingungen für Kinder und Jugendliche. In der Seidenindustrie wurde mit der Begrenzung von Lehrstellen und gleichzeitig damit mit der Tradition gebrochen, den Lehrling in den Meisterhaushalt aufzunehmen. Seidenzeugmacherlehrlinge blieben schon Ende des 18. Jahrhunderts zum Teil bei ihren Eltern wohnhaft; sie erhielten von ihren Lehrherrn den halben Gesellenlohn. (96) Insbesondere breitete sich aber die Kinderarbeit in den zentralisierten Manufakturen aus, vor allem in der Textildruckerei. Hier wurden Knaben und Mädchen vom 7. Lebensjahr an beschäftigt. Bei einiger Geschicklichkeit, und bei einer Arbeitszeit „von Sonnenaufgang bis zum späten A b e n d " konnten Kinder unter Umständen bis zum halben Gesellenlohn verdienen und damit wesentlich zum Familieneinkommen beitragen. Sie erhielten aber eine völlig einseitige Ausbildung, und wurden in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklungsmöglichkeit derart eingeschränkt, daß es ihnen unmöglich war, außerhalb des Textildrucks Arbeit zu finden. (97) Die sozialen Probleme der Kinderarbeit begannen in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts die Behörden zu beschäftigen. Ein umfassender Gesetzesentwurf zur Begrenzung der Kinderarbeit wurde von der Hofkammer 1842 vorgelegt; seine Beratung zog sich jedoch in die Länge und wurde schließlich durch die Revolution von 1848 vorläufig von der Tagesordnung abgesetzt. (98) Der geringe Erfolg legistischer Maßnahmen zur Einschränkung der Kinderarbeit erklärt sich daraus, daß die Eltern aus finanziellen Gründen gezwungen waren, ihre Kinder in Manufakturen zu schikken, und zugleich der Produktionsprozeß in den Textildruckereien eine Reihe von Arbeitsgängen umfaßte, die keine ausgebildeten erwachsenen Arbeiter erforderten, sondern von wesentlich billigeren kindlichen Arbeitskräften ausgeführt werden konnte. In den europäischen Textildruckereien hatte sich um 1800 eine ziemlich einheitliche Arbeitsweise herausgebildet: (99) Der Drucker übertrug das Muster von einer in Farbe getauchten Holzplatte - später einer Kupferplatte - auf ein Stück Stoff, wobei ein Kind Hilfsdienste verrichtete. Es hatte die jeweils benötigten Druckplatten herbeizuholen, die Farben auf ihnen zu verteilen, und den Stoff so auf dem Ar-

Frauen- und Kinderarbeit

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beitstisch auszubreiten, daß er keine Falten legte. Weiters wurden Kinder, vor allem Mädchen, auch als „Pinselkoloristinnen" beschäftigt. Diese mußten bestimmte Farben, die nicht auf Druckplatten aufgetragen werden konnten, direkt mit dem Pinsel auf den Stoff bringen. Diese spezifisch kindlichen Arbeiten wurden allmählich durch technische Verbesserungen ersetzt. Neue Farbstoffe machten Pinselkoloristinnen überflüssig, das Glattziehen der Stoffe auf den Arbeitstischen wurde von mechanischen Geräten übernommen. Gänzlich veränderte sich die Arbeitsweise des Textildruckers mit der Einführung der Walzendruckmaschine, mit der sich im Textildruck der Übergang von der manufaktureilen zur industriellen Produktion vollzog. Diese Maschine fand allerdings in Österreich erst spät Verbreitung. Obwohl sie schon zu Ende des 18. Jahrhunderts in England erfunden worden war, standen 1840 in den österreichischen Erblanden erst 16 Stück im Einsatz. (100) Die Wiener Manufakturperiode war vom Nebeneinanderbestehen von Hausindustrie und zentralisierten Betriebsformen geprägt. Dem entsprach ein Arbeitsmarkt, der für alle Familienmitglieder, unabhängig von Geschlecht und Alter, zum Teil in der Familie lag, zum Teil in außerhäuslicher Lohnarbeit bestand. Einzeldarstellungen von hausindustriellen Familien aus der Zeit der industriellen Revolution illustrieren diese Ambivalenz. Der zu Anfang der 50er Jahre von Le Play untersuchte Wiener Tischler arbeitete zu Hause, damit ihm Frau und Kinder helfen konnten. Dennoch lag der Schwerpunkt der Arbeit seiner Frau nicht in der Mithilfe, sondern im eigenständigen Nähen von Handschuhen; ebenso wurde der älteste Sohn in eine handwerkliche Lehre geschickt. (101). Adelheid Popp, die Tochter eines Webers, berichtete, daß ihre Brüder ab dem zehnten Lebensjahr dem Vater am Webstuhl zu helfen hatten. Zugleich sind ihre Schilderungen voll von den Kämpfen, die ebendiese Brüder, die Mutter und sie selbst durchzustehen hatten, um Arbeitsmöglichkeit außer Haus zu finden. (102) „Family E c o n o m y " und „Family Wage E c o n o m y " , wie Tilly und Scott die Grundlagen einerseits der Hausindustrie und andererseits der lohnarbeitenden Familie nennen, waren in der Wiener Manufakturperiode ineinander verflochten. (103)

Manufakturperiode

36 2. Herausbildung

der

Arbeiterfamilie

a. Familienstruktur und Arbeitsorganisation Wenn wir die Entwicklungsbedingungen und die Struktur der Wiener Arbeiterfamilie der Manufakturperiode untersuchen, ist es erforderlich, uns zunächst der verschiedenen nebeneinanderexistierenden Arbeitsformen zu erinnern: Hausindustrie als dominierendes Element, aber verbunden mit zentralisierter Manufaktur und vielfältig differenziertem Handwerk. Diese verschiedenen Arbeitsformen sind in Hinblick auf Familienstruktur und demographisches Verhalten nicht über einen Leisten zu schlagen. In der internationalen Forschung wurde dem „demo-ökonomischen S y s t e m " und den Familienbeziehungen der Hausindustrie die größte Aufmerksamkeit geschenkt und ein spezifischer T y p proto-industrieller

Familienstruktur

herausgearbeitet.

(104)

Er

gründet sich auf die gemeinsame Teilnahme von Mann, Frau und Kindern am Arbeitsprozeß, über den die Familie weitgehend die Kontrolle aufrecht erhalten hatte. Dies führte zu einer engen Verschränkung von Produktion und Reproduktion: V o n der Familie selbsten mußten Strategien entwickelt werden, um eine bestimmte, für den Arbeitsprozeß erforderliche Anzahl und Zusammensetzung von Arbeitskräften sicherzustellen. Heiratsverhalten und Einstellung gegenüber Kindern waren wesentliche Variablen innerhalb dieser Strategien, frühe Eheschließung und hohe Kinderzahl ihre hervorragenden Auswirkungen. ( 1 0 5 ) Ein anderes Bild ergibt sich, wenn wir die Arbeiter zentralisierter Manufakturen betrachten. Aus der Untersuchung der Beschäftigtenstruktur der Fridauer Baumwollmanufaktur des Jahres 1 7 8 7 leitete M. Mitterauer folgenden grundsätzlichen Schluß ab: „Die Arbeiterschaft älterer Großbetriebe verfügt zunächst vielfach noch gar nicht über eigene Familie, weil sie selbst noch stark einer gesindeähnlichen Stellung verhaftet ist. Sie wohnt unmittelbar an ihrer Arbeitsstätte, sie lebt manchmal in unmittelbarer Haushaltsgemeinschaft mit dem Betriebsinhaber oder dem von ihm mit der Leitung des Betriebs Beauftragen; vor allem gehört sie Altersklassen an, von denen herkömmlich Gesindedienstfunktionen ausgeübt wurden . . . In dem hier behandelten Zusammenhang erscheint es wesentlich, daß Familienfähigkeit der in den Großbetrieben tätigen frühindu-

Familienstruktur und Arbeitsorganisation

37

striellen Arbeiterschaft weitgehend erst als eine sekundäre Entwicklungsstufe anzusehen ist." (106) Daß dieser Einzelbefund durchaus eine weitere Geltung beanspruchen kann, zeigt eine ganz Preußen umfassende Untersuchung Η. Harnischs: „Die Möglichkeit einer Familiengründung für die Arbeiter in den zentralisierten Manufakturen scheint regional und zeitlich mit dem Lohnniveau sehr unterschiedlich gewesen zu sein . . . Gerade im Vergleich mit den Gebieten eines über das Land ausgebreiteten Gewerbes sind die Eheschließungs- und Geburtenziffern in . . . Manufakturstädten extrem niedrig, sodaß die Frage, inwieweit die Arbeit der zentralisierten Manufakturen eine Familie gründen konnten, mindestens sehr zweifelhaft ist." (107) Auch hier kam es allerdings darauf an, an welcher Stelle der nach Qualifikation und Einkommen ja weit gefächerten Hierarchie arbeitsteiliger Manufakturen der jeweilige Arbeiterstand. (108) Nach den angeführten Befunden hatten jedenfalls zentralisierte Manufaktur und Hausindustrie durchaus entgegengesetzte Auswirkungen auf die Möglichkeit zur Familiengründung von Arbeitern und deren demographisches Verhalten! Am wenigsten theoretische und praktische Aufmerksamkeit wurde von der Forschung bisher den Familienbeziehungen der Handwerker geschenkt. (109) Hier seien deshalb nur Auswirkungen des Zerfalls der Zunftstruktur auf die Familien angedeutet: Für außerhalb der Zunft stehende Handwerker - Störer oder auch Befugte fiel die geschlechts- und altersmäßig gebundene traditionelle Arbeitsorganisation weg. Handwerkerautobiographien aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert zeigen die Bedeutung der Mitarbeit von Frauen und Töchtern auch in Gewerben, die nicht als weiblich galten, z.B. dem Schmiedehandwerk. (110) Außerdem konnte sich auch in Handwerkerfamilien hausindustrieller Nebenerwerb als notwendig erweisen. (111) Letztlich ist zu bedenken, daß jene Handwerker, die außerhalb der Zunft standen, damit auch aus einem System sozialer Sicherung ausgeschlossen waren. All dies mag die Funktion der Familie erweitert und gestärkt haben. Wenn wir nun den Zusammenhang zwischen Arbeitsorganisation und Familienstruktur der Wiener Manufakturperiode untersuchen, so stoßen wir zunächst auf einen scheinbaren Widerspruch: Wie in den folgenden Abschnitten detailliert dargestellt werden wird, entsprechen alle vorhandenen Angaben zur Familienstruktur und zur demographischen Entwicklung in Wien genau den Merkmalen jenes

38

Manufakturperiode

Modells proto-industrieller Familienstruktur, wie es einleitend skizziert wurde. In dem Kapitel über die sozio-ökonomischen Grundlagen wurde dagegen gezeigt, daß die Arbeitsorganisation der Wiener Manufakturperiode gerade nicht mit dem Modell proto-industrieller Hauswirtschaft gleichgesetzt werden kann: Die Hausindustrie war zwar die dominierende Arbeitsform, sie erfaßte aber nicht die gesamte Familie, sondern stand in Wechselbeziehung zu Arbeitsformen der zentralisierten Manufaktur und zum Handwerk. Dieser Widerspruch zwingt zu einer Differenzierung der demo-ökonomischen Modelle, von denen ausgegangen wurde. Es scheint, daß gerade die Vermischung von Hausindustrie und zentralisierter Manufaktur jene demographischen und familienstrukturellen Merkmale verstärkt hervortreten ließ, die einem „reinen" Modell der proto-industriellen Produktionsweise zugeschrieben wurden. Umgekehrt hat der Umstand, daß zentralisierte Manufakturen in Wien nicht isoliert, sondern auf der breiten Grundlage der Hausindustrie bestanden, deren mögliche negative Wirkung auf die Familiengründung von Arbeitern aufgehoben. Wir können annehmen, daß die Hausindustrie die Basis für die Familiengründung nicht-besitzender Schichten war und diese massenhaft ermöglichte. Hausindustrielle Seidenverarbeitung erforderte die Zusammenarbeit von Familienmitgliedern, hatte aber einen begrenzten Arbeitsbedarf. Nicht in der häuslichen Produktion einsetzbare Familienangehörige konnten durch Lohnarbeit in zentralisierten Manufakturen zum Familieneinkommen beitragen und sich zugleich, durch die Rückbindung an die hausindustrielle Familie, hausrechtlicher Abhängigkeit vom Arbeitgeber entziehen. Reine Hausindustrie erforderte eine bestimmte Anzahl zusammenarbeitender Familienmitglieder, konnte diese Anzahl aber nicht beliebig überschreiten. (112) Zentralisierte Manufakturen hatten einen tendentiell unbegrenzten Arbeitsbedarf, waren aber sehr krisenanfällig. Für die Verbindung von Hausindustrie und zentralisierter Manufaktur fielen diese Einschränkungen weg; sie scheint ein sehr flexibles System familialer Arbeitsorganisation begründet und den Familien die Suche nach Möglichkeiten erleichtert zu haben, die es gestatteten, die Arbeitskraft möglichst vieler ihrer Mitglieder zu nützen. In der Hinsicht unterschieden sich allerdings die Arbeiterfamilien der Wiener Manufakturperiode nicht von den Arbeiterfamilien der folgenden Jahrzehnte. Auch diese konnten nur überleben, wenn

Proto-industricllc Familienstruktur?

39

möglichst viele Familienmitglieder am Produktionsprozeß teilnahmen und zum Familieneinkommen beitrugen. (113) ökonomisch gesehen, handelte es sich hier insgesamt um eine Entwicklungsstufe der kapitalistischen Produktionsweise, in der sich die Produktion vorwiegend extensiv ausdehnte, durch die Einbeziehung eine wachsenden Zahl von Arbeitern. Wurden viele Familienmitglieder unabhängig von Alter und Geschlecht in die Produktion einbezogen, so entwertete dies die Arbeitskraft jedes einzelnen und verstärkte rückwirkend den Zwang zur Arbeitsleistung einer größtmöglichen Zahl von Familienmitgliedern. (114) „Das demographische Wachstum" der Manufakturperiode und der folgenden Jahrzehnte ist demnach „von der .Proletarisierung' der betreffenden Bevölkerung zu erklären." (115) Hier sind also gemeinsame Merkmale der Arbeiterfamilien der Wiener Manufakturperiode mit späteren Arbeitergenerationen zu erkennen, wenn auch, wie weiter unten gezeigt werden wird, unter den spezifischen Bedingungen der industriellen Revolution in Wien sich die Möglichkeit zur Familiengründung von Arbeitern drastisch verschlechterte. (116) Bestehende Gemeinsamkeiten dürfen aber auch andererseits die grundlegenden Unterschiede nicht vergessen lassen, die daraus entstanden, ob zumindest ein Kern der Familie hausindustriell produzierte, oder ob alle Familienmitglieder außerhäuslicher Lohnarbeit nachgingen. Jedenfalls erscheint es notwendig, die Arbeiterfamilien der Wiener Manufakturperiode in eine Entwicklungslinie mit den Arbeiterfamilien späterer sozio-ökonomischer Phasen der kapitalistischen Produktionsweise zu stellen, und nicht, zurückgreifend, in eine proto-industrielle Grundstruktur einzuordnen. (117) In den folgenden Abschnitten soll nun, vorwiegend mittels demographischer Langzeitreihen, einigen Merkmalen der demo-ökonomischen und Familienstruktur der Wiener Manufakturperiode nachgegangen werden, auch wenn weitere Quellen nur spärlich fliessen. Dabei wird überwiegend mit Daten argumentiert, die sich nicht nur auf die verschiedenen Arbeiterschichten beziehen, sondern auf die gesamte Wiener Bevölkerung. Der Einfluß der Lebensweise der Kernschichten der manufaktureilen Produktionsweise war jedoch stark genug, um die Bevölkerungsentwicklung der ganzen Stadt zu prägen. Selbstverständlich setzt die Argumentation mit demographischen Langzeitreihen voraus, daß die zugrundeliegenden Daten zu

Manufakturperiode

40

Bevölkerungsstand u n d -bewegung verläßlich sind. Wenn auch an die über die Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s zurückreichenden Angaben kein allzu strenger Maßstab angelegt werden darf, so sind doch gerade die Scheitelpunkte unserer demographischen Kurven gut abgesichert.

b . Heirat u n d Haushaltsgründung Es wurde schon darauf hingewiesen, daß die Produktionsweise der Wiener M a n u f a k t u r p e r i o d e für die nicht-besitzende Bevölkerung Eheschließung u n d Familiengründung sowohl ermöglichte als auch erzwang. Ausmaß u n d Dynamik dieses sozialen Wandels sollen n u n an Hand einiger Zahlenreihen dargestellt werden. (118) Beginnen wir zunächst mit der Trauungssziffer; diese lag zwischen 1780 u n d 1820 h ö h e r als in den J a h r z e h n t e n davor und danach. (Vgl. Tabelle 1) Von 1754 an - von welchem J a h r die ersten gesicherten Angaben zur Bevölkerungszahl vorliegen - bis 1780 waren jährlich zwischen sieben u n d acht Trauungen p r o tausend Einwohner zu verzeichnen. Von 1780 bis 1820 erhöhte sich diese Q u o t e auf 10,7 Tabelle 1:

Entwicklung der Trauungsziffer (Wien insgesamt, 1754 - 1935)

Jahresgruppen

1754-1760 1761-1770 1771-1780 1781-1790 1791-1800 1801-1810 1811-1820 1821-1830 1831-1840 1841-1850

Quelle:

Jährliche Trauungen Jahresgruppen pro 1000 Einwohner 7,3 7,2 7,7 10,7 10,8 11,0 12,1 8,7 8,8 8,5

1851-1860 1861-1870 1871-1880 1881-1890 1891-1900 1901-1910 1911-1920 1921-1930 1931-1935

Jährliche Trauungen pro 1000 Einwohner 9,4 9,6 9,6 8,7 9,6 9,4 9,9 10,4 7,6

Sedlaczek/Löwy, Historische Tabellen (1754-1886); Statistisches J a h r b u c h (1887-1914); Schiff, Natürliche Bewegung (1914-1925); Statistisches J a h r b u c h N F 3 (-1935).

41

Heiratsverhalten

bis 12,1. Im Vormärz sank die Trauungsziffer wiederum auf 8,5 bis 8,8, u n d erst in der zweiten Hälfte des 19. J a h r h u n d e r t s erfolgte ein neuerlicher allmählicher Anstieg, der allerdings das h o h e Niveau der Manufakturperiode nicht wieder erreichte. Die günstigen Heiratsmöglichkeiten dieses Zeitraums spiegeln sich weiters in der Entwicklung der Verehelichtenquote, also dem Anteil der Verheirateten an der Gesamtbevölkerung. (Vgl. Tabelle 2) (119) In den J a h r e n zwischen 1780 u n d 1798 waren 3 4 bis 3 6 Prozent der Wiener Gesamtbevölkerung verheiratet. Wie enorm hoch dieser Anteil war, wird deutlich, w e n n man ihn mit j e n e m der die M a n u f a k t u r p e r i o d e ablösenden Phase der industriellen Revolution vergleicht: 1856, w o für das 19. J a h r h u n d e r t die ersten Zahlen verfügbar sind, war der Anteil der Verheirateten an der Wiener Bevölkerung auf k n a p p 27 Prozent gefallen. Ein Verheiratetenanteil von

Tabelle 2:

Jahr 1780 1785 1790 1795 1798 1856 1869 1880 1890 1900 1910 1934

Gesamtbevölkerung nach dem Familienstand (Wien insgesamt, 1 780 - 1934)

Ledigen

Anteil der Verheirateten

Verwitwi

(%)

(%)

(%)

67,4 64,7 62,4 61,6 60,1 58,2 42,4

35,4 34,9 35,7 33,8 34,1 26,9 29,3 30,7 31,4 33,1 35,0 45,1

5,8 6,0 6,9 7,1 6,8 7,2 12,4

*) ab 1880 einschließlich der gerichtlich getrennten, Quelle:

Goehlert, Historisch-statistische Notizen (1780-1898); Statistik der Stadt Wien (1856); Schimmer, Bevölkerung (1869); Statistisches J a h r b u c h 1883, 1901, 1912, 1930-35, (1880, 1900-1934); Sedlaczek, Definitive Ergebnisse (1890).

42

Manufakturperiode

über einem Drittel, wie er in der Manufakturperiode bestanden hatte, wurde erst wieder um die Wende zum 20. Jahrhundert erreicht. Die Wechselwirkung zwischen Hausindustrie und Heiratsmöglichkeit ging über die bloße Zunahme verheirateter unselbständig Beschäftigter hinaus und umfaßte weitere Aspekte. Die Aufnahme eines hausindustriellen Gewerbes in der Textilindustrie erforderte nicht nur die Verehelichung, sondern ermöglichte es auch, jung zu heiraten und einen eigenen Haushalt zu gründen. Niedriges Heiratsalter ist eine charakteristische Erscheinung der hausindustriellen Produktion, die sich auch in der Wiener Manufakturperiode nachweisen läßt. (120) Die Entwicklung des Heiratsalters in Wien läßt sich zwar nicht allzuweit zurückverfolgen; die ersten Berechnungen können für 1831 und die folgenden Jahre vorgenommen werden, für einen Zeitraum also, an dem der Höhepunkt der Manufakturperiode schon überschritten war. Die Daten zeigen allerdings deutlich, daß in den letzten Jahres des Vormärz relativ jung geheiratet wurde, wesenüich jünger als in den folgenden J a h r e n . Etwa 40 Prozent der getrauten Männer, 62 Prozent der getrauten Frauen waren in den Jahren von 1831 bis 1850 jünger als dreißig J a h r e . Im folgenden Jahrzehnt stieg das Heiratsalter stark an: Zwischen 1851 und 1858 war nur noch ein Drittel der männlichen und 55 Prozent der weiblichen Brautleute jünger als dreißig. (Vgl. Tabelle 3) Der Verfall der Manufaktur um die Mitte des 19. Jahrhunderts hinterließ also auch im Heiratsalter deutliche Spuren. Frühe Heiratsmöglichkeit und die Tatsache, daß Arbeitsvermögen die wichtigste Mitgift in eine hausindustrielle Ehe war, führten weiters zu einem Rückgang von Witwenheiraten. Hierzu gestatten die Daten einen Vergleich zwischen dem zweiten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts und den J a h ren 1831 bis 1850. Unter den Bedingungen der vorindustriellen städtischen Gesellschaft waren in den Jahren 1709 bis 1717 knapp 18 Prozent der getrauten Personen verwitwet gewesen, davon genau die Hälfte Männer, die Hälfte Frauen. In den 30er und 40er J a h r e n des 19. Jahrhunderts betrug der Anteil der verwitweten Getrauten 13,6 bzw. 11,5 Prozent. Der Anteil der Frauen darunter ist zwar erst wieder in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu erfassen, wo er aber immer nur knapp über einem Drittel lag. (Vgl. Tabellen 4,5) Die Heirat lediger Personen hatte demnach in der Manufakturperiode eine Ausdehnung erfahren, die allerdings in erster Linie auf Kosten verwitweter Frauen ging. Der Schluß ist berechtigt, daß mit

Heiratsverhalten

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44

Manufakturperiode

Tabelle 4. Familienstand der getrauten Personen (Wien insgesamt, 1709 - 1935) Jahresgruppen 1709-1717 1831-1840 1841-1850 1851-1858 1862-1870 Quelle:

Ledige

Verwitwete

(%)

(%)

82,1 86,7 88,5 86,5 89,1

17,9 13,6 11,5 13,5 10,9

Jahresgruppen

Ledige

1874-1880 1881-1890 1891-1900 1901-1910 1911-1914 1935

Jahresgruppen

Quelle:

(%)

87,6 88,7 90,8 91,9 92,5 92,7

12,4 11,3 9,2 8,1 7,5 7,3

Wienerisches Diarium (1709 - 1 717); Statistische Tafeln (1831-1851); Statistik der Stadt Wien (1853-1858); Wiener Kommunalkalender (1862,1864,1870); Glatter, Volksbewegung (1865-1869); Bewegung der Bevölkerung (1874-1880); Statistisches Jahrbuch (1881-1914); Statistisches Jahrbuch NF 3 (1935).

Tabelle 5. Verwitwete getraute Personen nach dem (Wien insgesamt, 1709 - 1935)

1709-1717 1851-1858 1862-1870 1874-1880 1881-1890

Verwitwete

(%)

Männer

Frauen

(%)

(%)

50,0 65,2 64,6 65,7 66,0

50,0 34,8 35,4 34,3 34,0

Jahresgruppen 1891-1900 1901-1910 1911-1914 1935

Geschlecht

Männer

Frauen

(%)

(%)

64,2 63,9 62,2 67,6

35,8 36,1 37,8 32,4

Wienerisches Diarium (1709-1 717); Statistik der Stadt Wien (1851-2858); Wiener Kommunalkalender (1862-1870); Bewegung der Bevölkerung (1874-1880); Statistisches Jahrbuch (1881-1914); Statistisches Jahrbuch NF 3 (1935).

der Zunahme von Heiraten jüngerer und lediger Personen sich auch der mögliche Altersabstand zwischen den Ehegatten verkleinerte. Dies alles war Ausdruck einer geänderten Motivation zur Ehe, in der die Einheirat in Rechte, Besitz und soziale Stellung an Bedeu-

Beruf und Haushaltsgründung

45

tung verlor und von den Erfordernissen gemeinsamer Arbeit übertroffen wurde. Alle uns zur Verfügung stehenden d e m o g r a p h i s c h e n Zahlenreihen zeigen also übereinstimmend, wie günstig in der M a n u f a k t u r p e riode die Heiratsmöglichkeiten waren. U m diese T e n d e n z auch quantitativ eindeutig an den hausindustriellen und M a n u f a k t u r a r b e i t e m f e s t m a c h e n zu k ö n n e n , fehlt es an reichem Q u e l l e n m a t e r i a l . Nur für d a s J a h r 1 8 0 5 liegen b r u c h s t ü c k h a f t Volkszählungslisten vor, die zwar nur über wenige Fragestellungen A u s k u n f t g e b e n , aber d o c h den aus den demographischen Reihen gewonnenen B e f u n d ergänzen können. ( 1 2 1 ) Sie gestatten es, für die V o r s t a d t G u m p e n d o r f einen Teil der Haushaltsvorstände aus d e m J a h r e 1 8 0 5 , nämlich jenen, der in Wien heimatberechtigt war, mit der G e s a m t z a h l der Haushaltsvorstände von 1 8 5 7 zu vergleichen. A u f f a l l e n d ist d a b e i , daß 1 8 0 5 auch unter den Wiener Haushaltsvorständen unselbständig Beschäftigte ö f t e r als Haushaltsvorstände aufscheinen als 1 8 5 7 unter Wiener Heimatberechtigten und „ F r e m d e n " z u s a m m e n . (Vgl. Tabelle 6, S . 4 6 ) 1 8 0 5 stellten in G u m p e n d o r f Arbeiter genau die H ä l f t e aller Haushaltsvorstände der gewerblich-industriellen Produktion, 1 8 5 7 nur n o c h 4 4 Prozent. Die übrigen Haushalte wurden von selbständigen

Gewerbetreibenden

geführt. Beide Schnitte

zeigen

den b e d e u t e n d e n Einfluß des B e r u f s auf die Möglichkeit, als Arbeiter einen Haushalt zu gründen. S o w o h l 1 8 0 5 als auch 1 8 5 7 war dies vor allem in der Textilerzeugung der Fall. N u r in diesem B e r u f s f e l d waren zu Beginn wie auch zur Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s mehr Arbeiter Haushaltsvorstände als Selbständige. Außerhalb der Textilerzeugung war es Unselbständigen nur noch im B a u g e w e r b e , im Taglohn und in nicht näher spezifizierter „ F a b r i k s a r b e i t " in größerem U m f a n g m ö g l i c h , einen Haushalt zu gründen. In dieser Hinsicht gleichen sich die beiden Schnitte von 1 8 0 5 und 1 8 5 7 . Was sie unterscheidet, ist, daß 1 8 0 5 die Berufsstruktur in wesentlich höherem Maß von Textilerzeugung, „ F a b r i k s a r b e i t " und T a g l o h n geprägt war als 1 8 5 7 . Mit d e m Niedergang der M a n u f a k t u r u m die Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s gewannen dagegen hausrechtliche Arbeitsverhältnisse im Kleingewerbe wieder stärkeres Gewicht. Wenn auch die sozialen Auswirkungen der M a n u f a k t u r p e r i o d e begrenzt waren u n d sie kleingewerbliche Arbeits- und Lebensverhältnisse n o c h nicht a u f Dauer zurückzudrängen v e r m o c h t e n , so waren sie d o c h für die Herausbildung der Arbeiterfamilie ein entschei-

Manufakturperiode

46

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56

Manufakturperiode

Tabelle 12: Durchschnittliche (Wien insgesamt,

Personenanzahl

pro

Haushalt)

1780-1934)

Jahr

Personenzahl pro Haushalt

Jahr

Personenzahl pro Haushalt

1780 1785 1790 1795 1803 1810 1815 1820 1825 1830

4,4 4,3 4,1 4,1 3,9 3,9 4,2 4,4 4,5 4,5

1837 1846 1856 1864 1869 1880 1890 1900 1910 1934

4,4 4,6 5,3 5,2 5,3 5,0 4,7 4,4 4,1 2,9

Quelle:

Goehlert, Historisch-Statistische Notizen (1780-1795); Liechtenstern, Archiv (1803); Humpel, Statistisches Tableaux (1810-1825);StatistischeTafeln (1830-1846); Statistik der Stadt Wien (1856); Glatter, Hauptergebnisse (1864, 1869); Sedlaczek, Definitive Ergebnisse (1890); Statistisches J a h r b u c h (1880, 1900, 1910); Statistisches J a h r b u c h N F 3 (1934).

ter, h o h e Geburtenziffer u n d ebenso h o h e Kindersterblichkeit, sowie eine durchschnittlich geringe Anzahl zusammenlebender Personen. Es wird im weiteren zu zeigen sein, daß diese K o m b i n a t i o n spezifisch für die Wiener Arbeiterfamilie der M a n u f a k t u r p e r i o d e ist u n d die zugrunde gelegten demographischen Variablen sich in späteren Entwicklungsphasen ganz anders zu einander verhalten w e r d e n .

II. INDUSTRIELLE REVOLUTION 1. Sozio-ökonomische Entwicklungstendenzen Revolution in Wien

der

industriellen

a. Zum Charakter der industriellen Revolution Der Kernzug der industriellen Revolution war der Einsatz von Werkzeugmaschinen in der Produktion. Dies bedeutete einen qualitativen Sprung in der Entwicklung der Produktivkräfte: Zwischen Mensch und Werkzeug, mit dem er auf die Natur einwirkt, trat mit der Werkzeugmaschine eine weitere Vermittlung. Sie ermöglichte es, das Werkzeug von den physischen Kräften des Menschen unabhängig zu machen; wirkte vorher ein von der Hand des Menschen unmittelbar geführtes Werkzeug auf den Naturgegenstand ein, so bewegte nun die Maschine eine Vielzahl von Werkzeugen mit einer wachsenden Geschwindigkeit und Präzision. Zugleich engten Maschinen und Maschinensysteme den Spielraum der Arbeiter ein und gestatteten es den Unternehmern, eine vollständige Kontrolle über den Produktionsprozeß aufzurichten. Der massenhafte Einsatz von Werkzeugmaschinen - nicht der ersten sehr einfachen Generation, sondern entwickelterer Formen - erforderte die Anlage großer Mengen von Kapital. Die Kapitalanlage in der Produktion bildete die Grundlage für ein ungeheures Anwachsen der Masse der produzierten Waren. Dies wiederum war die Voraussetzung für die Herausbildung des spezifischen Zyklus der kapitalistischen Produktionsweise, der aus der Abfolge von Aufschwung, Überproduktionskrise und Stagnation besteht. (1) Diese allgemeinen Aussagen über den Charakter der industriellen Revolution bilden auch die Grundlage ihrer Periodisierung. Die Wechselwirkung von Fortschritt der Produktivkräfte einerseits und der Entfaltung der Warenproduktion andererseits berücksichtigend, definierte Jürgen Kuczynski den Beginn der industriellen Revolution

58

Industrielle Revolution

mit dem ersten Einsatz von Werkzeugmaschinen, ihren Abschluß mit der „ersten landeseigenen' das heißt nicht-importierten, allgemeinen zyklischen Überproduktionskrise".(2) Wendet man diese Definition auf die österreichische Wirtschaftsentwicklung an, so beginnt die industrielle Revolution im Jahre 1801 mit dem ersten Einsatz von Spinnmaschinen in der niederösterreichischen Baumwollindustrie, und sie endet mit dem „Großen Krach" des Jahres 1873. Der Begriff der industriellen Revolution umfaßt damit einen langen Zeitraum, der jedoch weder zeitlich noch regional eine gleichmäßige Dynamik aufwies. In den ersten Jahrzehnten setzte sich die Maschinenindustrie nur zögernd durch und vermochte die Dominanz von Hausindustrie, zentralisierter Manufaktur und traditionellem Handwerk noch nicht abzuschütteln. Es scheint, daß sich die entscheidende und dynamischste Phase der industriellen Revolution in Österreich auf ihre letzten Jahrzehnte zusammendrängte, in Wien auf die 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhunderts. „In der franzisko-josephinischen Epoche trat die Industrielle Revolution in der Habsburgermonarchie in ihre entscheidende Phase". (3) Noch enger gefaßt, wird insbesondere dem Aufschwung der Jahre 1867 bis 1873 von der österreichischen Wirtschaftsgeschichte die größte Bedeutung zugemessen. Herbert Matis schreibt, die Jahre 1867-1873 und weiter 1874-1896 „gehören zu den entscheidendsten Epochen der österreichischen Wirtschaftsgeschichte, waren sie doch gleichbedeutend mit der endgültigen Durchsetzung und der ersten krisenhaften Erschütterung des modernen Industriesystems und Effektenkapitalismus in Österreich." (4) Die industrielle Revolution erfaßte keineswegs gleichmäßig und harmonisch alle Regionen eines Wirtschaftsraums, vielmehr ist gerade Widerspruch und Gegensatz die spezifische Erscheinungsform kapitalistischer Verflechtung: Industrialisierung eines Gebietes konnte Deindustrialisierung eines anderen bewirken; bestimmte Produktionsbedingungen konnten für die Mechanisierung eines Produktionszweiges günstig sein, diesen anziehen, und damit an seinem bisherigen Standort einen Verfall der Ökonomie einleiten. In diesem Spannungsfeld ist auch das Verhältnis von Stadt und Land, von Hauptstadt und Provinz, aufzusuchen. Es zeigt sich, daß historisch gewachsene Großstädte wie Wien hinsichtlich des Charakters und der Dynamik der industriellen Revolution eine Sonderstellung einnahmen, die sie sowohl von ländlichen Industriezentren als auch

Wachstum und Umschichtung der Bevölkerung

59

von durch die Industrialisierung geschaffenen Großstädten unterschied. (5) Historisch gewachsene Großstädte verkörperten einen hoch entwickelten Arbeits- und Warenmarkt, sie befanden sich aber an vorgegebenen, der ökonomischen Expansion nicht in allen Aspekten nützlichen Standorten. Sie boten günstige Bedingungen für die Produktion insbesondere in jenen Branchen, in denen der Faktor Arbeitskraft eine große Rolle spielte, ebenso wie auch für den Absatz der rasch anwachsenden Warenflut. Sie stellten aber dem Einsatz der neuen Produktivkräfte, der Werkzeugmaschinen, einige Hindernisse entgegen. In sozialer Hinsicht war das entscheidende Ergebnis der industriellen Revolution das rapide Anwachsen der auf Lohnarbeit angewiesenen Bevölkerungsschichten. Friedrich Engels schrieb: „Die industrielle Revolution hat eine Klasse großer fabrizierender Kapitalisten geschaffen, aber auch eine weit zahlreichere Klasse fabrizierender Arbeiter. Diese Klasse wuchs fortwährend an Zahl, im Maß, wie die industrielle Revolution einen Produktionszweig nach dem anderen ergriff." (6) In einer Großstadt wie Wien ging dieses Wachstum besonders rasch vor sich. In der Innenstadt und den Vorstädten Wiens wohnten im Jahre 1820 260.000 Menschen, 1840 356.000, 1857 476.000 und 1869 607.000. Innerhalb von 50 Jahren war die Wiener Bevölkerung fast auf das Zweieinhalbfache gestiegen; bezieht man die Vororte mit ein, auf mehr als das Dreifache! (Vgl. Tabelle 13, S.60) Das Wachstum der Bevölkerung wurde vorwiegend durch Zuwanderung verursacht. Da vor allem besitzlose,nach Arbeitsuchende Menschen in die Stadt strömten - um die Jahrhundertmitte immer zahlreicher junge Leute aus Böhmen, Mähren und Schlesien - war das Anwachsen der Bevölkerung mit einer Änderung der Sozialstruktur verbunden. (7) Darüber gibt der Vergleich der Gewerbezählung von 1837 und der Volkszählung von 1869 Auskunft: Die Wiener Bevölkerung stieg zwischen 1837 und 1869 von 333.582 auf 607.514 und hatte sich damit nicht ganz verdoppelt. (8) In einem ähnlichen Verhältnis nahm auch die Zahl der selbständigen Gewerbetreibenden zu, nämlich von 23.840 im Jahre 1837 auf 45.484 im Jahre 1869. Während das Wachstum der Gewerbetreibenden dem Bevölkerungswachstum entsprach, wuchs die Gesamtzahl der in Gewerbe und Industrie Beschäftigten sehr viel schneller, von 55.160 im Jahre 1837 auf 248.338 im Jahre 1869. Ihr Anteil an der Gesamtbe-

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Beruf und Familie

103

damit des Fehlens hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse. Daran hatte sich auch in der industriellen Revolution nichts geändert. In der Textilerzeugung war die Hausindustrie erhalten geblieben. Auch in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bediente sich die Wiener Hausweberei noch einer wenig veränderten Technologie, die das Zusammenarbeiten mehrerer Familienmitglieder begünstigte. Für die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts berichtete Adelheid Popp, wie ihre Brüder spätestens ab dem zehnten Lebensjahr ihrem Vater am Webstuhl zu helfen hatten. (119) In ihrer Darstellung der „Arbeits- und Lohnverhältnisse in den Fabriken und Gewerben Niederösterreichs" verwies die Wiener Handelskammer 1868 auf die zahlreichen Hausgesellen in der Weberei. Ihnen würden von Fabrikanten zwar die Webstühle zur Verfügung gestellt, die zu ihrer Arbeit notigen Kinder hätten sie jedoch selbst zu bezahlen. Es versteht sich, daß dazu eigene Kinder vorgezogen wurden. Nach Meinung der Handelskammer zählte es ja gerade zu den „positiven Seiten dieser Art von Beschäftigung", daß alle Familienmitglieder mitarbeiten konnten und für diese der Arbeitstag nahezu unbegrenzt zu verlängern war. (120) Die übrigen Branchen aber, vor allem jene, die in den 50er Jahren zu den Hauptträgern der ökonomischen Entwicklung geworden waren, stützten sich bis zu neun Zehntel auf ledige Arbeiter. In der Holzverarbeitung und in der Lebensmittelindustrie waren weniger als zehn Prozent der Arbeiter verheiratet, in der Bekleidungsindustrie knapp 14 Prozent, in der Metallverarbeitung 16,3 Prozent. Ähnliches gilt auch für jene Arbeiter, die sich zumindest in der Berufsbezeichnung vom traditionellen Handwerk abgrenzten und sich als „Fabriksarbeiter" oder „Handarbeiter" bezeichneten. Auch in dieser Gruppe waren nur wenige Verheiratete anzutreffen; es dominierten vielmehr ledige Mädchen und verwitwete Frauen. Gewiß waren die meisten der ledigen Arbeiter jung, aber nicht ausschließlich. In den Gewerbezweigen, die am wenigsten verheiratete Arbeiter kannten, schwankte das durchschnittliche Alter der Beschäftigten zwischen ca. 22,5 und 26 Jahren. Heiratsmöglichkeiten bestanden demnach in der Mitte des 19. Jahrhunderts zwar für traditionelle protoindustrielle Arbeiterschichten, kaum jedoch für jene, die neu in den kapitalistischen Produktionsprozeß einbezogen wurden. Eine Änderung kündigte sich allerdings schon in jenen Berufen an, die unter dem Begriff „Technische Gewerbe" zusammen-

104

Industrielle Revolution

gefaßt wurden. Hierunter fallen mit den Facharbeitern des Werkzeug- und Maschinenbaus jene Lohnarbeiter, die zu. Trägern der industriellen Revolution geworden waren. „Freie" Arbeitsverhältnisse und ein höheres Lohnniveau erleichterten ihnen die Familiengründung: 27,8 Prozent dieser Gruppe waren 1857 in Gumpendorf verheiratet. Berufsfelder dieser Art reichten auch in die Metallverarbeitung, in der sich einige Übergangsformen vom Handwerksbetrieb zur industriellen Fabrik nachweisen lassen. Der Verheiratetenanteil lag hier deuüich höher als in den anderen kleingewerblich dominierten Branchen. Die Bindung der Heiratsmöglichkeit an wenige einzelne Berufe sowie das hohe Heiratsalter fanden auch darin ihren Ausdruck, daß sich die Berufsverteilung mit der Altersverteilung überlagerte. Die expandierenden hausrechtlich verfaßten Gewerbe beschäftigten jüngere Arbeiter, Textilindustrie und Baugewerbe ältere. Im Hinblick auf die Familiengründung bedeutete dies, daß ihr in vielen Fällen ein Berufswechsel voranzugehen hatte. Wenn sich ein Geselle zu Ende seines dritten oder zu Beginn seines vierten Lebensjahrzehnts von der hausrechtlichen Abhängigkeit emanzipieren wollte und die Gründung einer Familie anstrebte, so mußte er damit rechnen, die Arbeitsmöglichkeit in seinem bisherigen Beruf - etwa der Holz-, Metall- oder Bekleidungsindustrie - zu verlieren und in Textilindustrie oder Baugewerbe nach einer neuen suchen. In Gumpendorf waren 1857 von den Arbeitern zwischen 20 und 24 J a h r e n rund ein Viertel in der Textilindustrie beschäftigt, im Alter von 35 bis 39 schon die Hälfte; mit fortschreitendem Alter stieg dieser Anteil weiter an. Neben der Hausindustrie wies die Wiener Textilerzeugung eine weitere Besonderheit auf, die allerdings weniger ins Gewicht fiel. Hier bestanden auch einige Fabriken, die ganze Familien anstellten, eine Erscheinung, die im englischen Industrialisierungsprozeß verbreitet war, in Wien aber nur selten vorkam. (121) In der von der Niederösterreichischen Handelskammer im Jahre 1868 durchgeführten Erhebung der Arbeits- und Lohnverhältnisse der Arbeiterschaft wurde jedenfalls vermerkt, daß in der Seidenfabrikation, vor allem in der Posamentrie, mitunter beide Ehegatten, eventuell auch deren Kinder, im selben Betrieb Beschäftigung fänden. (122) Ähnliche Fälle sind auch für die Schufabrikation bekannt. Sonst kamen sie nur noch in den Ziegelfabriken der südlichen Vororte Wiens vor, wo aber rund die Hälfte der Arbeiter aus gemeinsam beschäftigten Ehe-

Beruf und Familie

105

paaren bestand. (123) Auch die Hausindustrie war zwar in der Textilerzeugung am verbreitetsten, aber in anderen Branchen nicht unbekannt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war sie in Wien noch in der Schuhmacherei und in der Drechslerei verankert. Auch der von Le Play in den 50er Jahren als typisch beschriebene Wiener Arbeiter werkte als gelernter Tischlergeselle in Heimarbeit. Er arbeitete in einer „Werkzeugfabrik, in der Hobel und Sägen hergestellt werden . . . Er wird nach Stück entlohnt für die Fabrikation von Werkzeugen nach vorgegebenen Modellen: Er kann daher zu Hause arbeiten, unterstützt von seiner Frau und seinen Kindern." (124) Das Beispiel zeigt aber zugleich, daß familiale Zusammenarbeit keinen Ausschließlichkeitsanspruch besaß und nur eine der Möglichkeiten proletarischer Familienarbeit darstellte. Neben der Mithilfe bei der Arbeit des Mannes widmete sich die Ehefrau dem Nähen von Handschuhen und dem Waschen. Ähnlich verhielt es sich in dieser Familie auch mit dem Beruf des Sohnes: Obwohl seine Mithilfe als nützlich angesehen wurde, begann er mit dem 12. Lebensjahr eine handwerkliche Lehre. Die enge Bindung der Arbeiterfamilie der Jahrhundertmitte an bestimmte Berufsfelder konzentrierte sie auch räumlich im Stadtgebiet auf jene Zonen, wo Arbeitsmöglichkeiten in Hausindustrie und traditioneller Lohnarbeit bestanden. Der Anteil der verheirateten „Gesellen" zeigt innerhalb Wiens starke regionale Unterschiede und wurde umso geringer, je mehr man sich dem Zentrum näherte: In der Inneren Stadt waren 1857 nicht mehr als 2,3 Prozent der gewerblich-industriellen Arbeiter verheiratet, in den Vorstädten Gumpendorf und Schottenfeld um 24 Prozent, in dem außerhalb des eigentlichen Stadtgebiets gelegenen Vorort Gaudenzdorf knapp 43 Prozent. (Vgl. Tabelle 24, S. 106) Neben dem Arbeitsmarkt sind hierbei allerdings auch die in der Inneren Stadt höher liegenden Mieten bzw. das niedrigere Preisniveau der Vororte, die außerhalb des Wiener Steuerbereichs lagen, mit zu berücksichtigen. Unter jenen Arbeitern, die in der Zählung 1857 als „Geselle" bezeichnet wurden, waren in der Inneren Stadt also kaum welche verheiratet. Proletarische Haushaltsvorstände wiesen dagegen häufig die Berufsbezeichnung „Maurer und Hausmeister" auf. Typischerweise gestattete solcherart traditionelle Lohnarbeit - verbunden mit fehlender Miete durch Hausmeisterdienste - die Gründung eines Haushalts, was Angehörigen gewerblich-industrieller Berufe noch nicht mög-

Industrielle Revolution

106

lieh war. Im wesentlichen waren also die 50er J a h r e von beschränkten Möglichkeiten zur Familiengründung gekennzeichnet. Zugleich bestand in einigen Berufsfeldern die Tradition der Arbeiterfamilie weiter. Bei der Untersuchung der Wiener Arbeiterfamilie in der industriellen Revolution t r e f f e n wir stets mehrere Erscheinungsformen an, w e n n auch mit unterschiedlichem Gewicht. Statistisch faßbare H ä u f u n g e n ändern nichts daran, daß in j e d e m einzelnen Fall mehrere Wahlmöglichkeiten bestanden, für die m a n sich je nach den Umständen entscheiden k o n n t e .

Tabelle 24. Anteil

der Verheirateten

an den "Gesellen "

(Stadtteile Wiens, 1857) Zahl der Gesellen (abs.) Innere Stadt Vorstadt Schottenfeld Vorstadt Gumpendorf Vorort Gaudenzdorf Quelle:

649 289 2.011

596

Anteil der Verheirateten % 2,3 23,5 24,0 42,8

WStLA, Konskription 1857.

Die Familiengeschichte der Adelheid Popp, der Begründerin der sozialdemokratischen Frauenbewegung, liefert ein nützliches Beispiel f ü r diese Bandbreite. Als A. Popp 1869 in Inzersdorf bei Wien als f ü n f z e h n t e s Kind - nur vier hatten allerdings außer ihr die ersten Lebensmonate überlebt - einer Weberfamilie geboren w u r d e , arbeitete ihr Vater zu Hause am Webstuhl. Ihre älteren Geschwister halfen ihm dabei, zumindest ständig ab d e m zehnten Lebensjahr. Als ihr Vater 1875 starb, m u ß t e nach n e u e n Einkommensmöglichkeiten gesucht werden. Der älteste Bruder, 18 J a h r e alt, der ebenfalls das Weberhandwerk erlernt h a t t e , machte sich auf die Wanderschaft, da in Wien in dem erlernten Beruf kein A u s k o m m e n war. Er k o n n te also der Familie „keine Stütze sein" (125) Zwei weitere Brüder, die bisher mit dem Vater gearbeitet h a t t e n , schieden ebenfalls aus der Familie aus u n d kamen in die Lehre bei einem Handwerksmeister. Der jüngste zehnjährige Sohn ging noch zur Schule. Die M u t t e r setzte seine Entlassung aus der Schulpflicht durch u n d verschaffte

Beruf und Familie

107

ihm eine Stelle als Hilfsarbeiter in einer Fabrik. (126) Als er nach wenigen Jahren starb, blieben nur noch Mutter und Tochter zusammen und zogen nach Wien, wo größere Arbeitsmöglichkeiten bestanden. Die Mutter arbeitete in der Weberei oder betrieb, wenn Arbeitslosigkeit herrschte, einen Hausierhandel mit Seife oder Obst. Adelheid Popp hatte schon während des Schulbesuchs kleinere Nebenbeschäftigungen auszuüben. Im Alter von zehn Jahren verließ sie 1879 die Schule und arbeitete in den verschiedensten Berufen: als Häklerin, Weißnäherin, Fransenknüpferin, bei einer Zwischenmeisterin; dazwischen wurde eine Lehre in der Posamenterie versucht, die allerdings wegen zu geringem Verdienst wieder abgebrochen werden mußte. Bis zu ihrem 14. Lebensjahr hatte Popp schon Arbeitserfahrungen in einer Bronzefabrik, Metalldruckerei, Patronenfabrik, Kartonagenfabrik, Schuhfabrik und Schmiergelpapierfabrik gesammelt. (127) Wir finden in dieser Familiengeschichte die breite Palette von Arbeitsverhältnissen, die sich in Wien in der industriellen Revolution boten und die jeweils verschiedene Sozial- und Familienformen hervorbrachten: Hausindustrie, Handwerk, industrielle Fabriksarbeit, selbständiger Kleinhandel, die Kombination verschiedener Formen. Starre Grenzen zwischen diesen Arbeitsverhältnissen bestanden jedenfalls in der industriellen Revolution nicht, wenn auch in den 50er und 60er Jahren des 19. Jahrhunderts jene überwogen, die die Gründung einer Familie nicht zuließen.

b. Arbeiterfamilie und Handwerkerfamilie Durch die Ausdehnung der kleingewerblichen Produktion in den 50er und 60er J a h r e n des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung der Arbeiterfamilie gehemmt worden. Die Handwerkerfamilie hatte dagegen an Bedeutung gewonnen: Zum einen stieg der Anteil der Haushalte an, die von selbständigen Gewerbetreibenden geführt wurden, zum anderen erhöhte sich auch die durchschnittliche Zahl der Personen, die in den Haushalten von Handwerksmeistern lebten. Sowohl Arbeiter- als auch Handwerkerfamilien wiesen allerdings eine reiche Differenzierung auf. Heimarbeit, Fabriksarbeit ganzer Familien, individuelle Lohnarbeit begründeten bei ersterer,selbständige oder verlegte Arbeit, mit jeweils vielem, wenigem oder keinem

108

Industrielle Revolution

Personal, bei zweiterer eine spezifische Familienstruktur. Angesichts dieser vielfältigen A b s t u f u n g e n stellt sich die Frage, inwieweit Arbeiterfamilie u n d Handwerkerfamilie jeweils einheitliche Merkmale ausbildeten, die sie voneinander unterschieden u n d einen eigenständigen T y p konstituierten; u n d zugleich, w o die Uberschneidungsbereiche der beiden T y p e n lagen. Ein Vergleich von Arbeiter- u n d Handwerkerfamilie kann jedenfalls zu einem besseren Verständnis des sozialen Ubergangscharakters der industriellen Revolution beitragen. Die folgende Darstellung stützt sich auf die Volkszählungslisten des J a h r e s 1857 für die Wiener Vorstadt G u m p e n d o r f , in denen eindeutig bestimmbar 6 9 0 Haushalte von Handwerksmeistern u n d 477 Haushalte von gewerblich-industriellen Arbeitern enthalten sind. Den Möglichkeiten der Quelle folgend, sollen zunächst die einzelnen familialen Rollen verglichen w e r d e n .

Handwerker

und Arbeiter

als

Haushaltsvorstände

Wenn wir die Haushaltsvorstände b e t r a c h t e n , so ist zu b e d e n k e n , daß wir damit nahezu alle Handwerksmeister erfassen, aber n u r einen kleinen Teil der Arbeiter. Die selbständige Führung eines Gewerbebetriebs erforderte einen eigenen Haushalt, w ä h r e n d Unselbständige in großer Zahl beim Arbeitgeber oder als Untermieter w o h n ten. 1857 standen 9 4 Prozent der G u m p e n d o r f e r Handwerksmeister einem eigenen Haushalt vor, aber nur r u n d ein Viertel der Arbeiter in einem Alter von über 25 J a h r e n . J e n e Meister, die über keinen eigenen Haushalt verfügten, waren z u m Teil Söhne von Selbständigen, die schon die Meisterwürde erreicht h a t t e n aber n o c h im elterlichen Betrieb arbeiteten; den anderen Teil bildeten ältere, verwitwete Meister, die als Untermieter lebten. Bei diesen ist zwar der Meistertitel angeführt, ohne daß sich a b e r w e i t e r e Hinweise auf die tatsächliche Ausübung des Gewerbes f ä n d e n . Die Haushaltsgründung hing eng mit der Verheiratung zusamm e n , aber für Meister u n d Arbeiter in unterschiedlicher Weise. In G u m p e n d o r f waren 1857 8 6 Prozent der Handwerksmeister verheiratet, sieben Prozent verwitwet, sechs Prozent ledig. Damit stellten Meister immerhin die Hälfte aller ledigen Haushaltsvorstände. Als Lediger einen eigenen Haushalt zu führen, kam sonst nur n o c h in

Haushaltsvorstände

109

bestimmten Berufsgruppen außerhalb der gewerblich-industriellen Produktion vor, bei Beamten, Privatangestellten, Militärs, Lehrern, Künstlern, nicht jedoch bei Arbeitern. Bei Handwerksmeistern ging häufig die Aufnahme des Gewerbes und die Gründung eines Haushalts der Eheschließung voraus; man etablierte sich als Selbständiger und sah sich dann nach einer Frau um. (128) Bei Arbeitern war dies meist umgekehrt der Fall. Unmittelbar nach der Hochzeit lebte man in Untermiete, und erst später, etwa wenn das erste Kind geboren wurde, gründete man einen eigenen Haushalt; von den Ehepaaren, die jünger als 25 Jahre waren, lebte in Gumpendorf 1857 ein Drittel in Untermiete. Üblicherweise lagen aber auch bei den Handwerksmeistern Erringung der Selbständigkeit, Haushaltsgründung und Heirat nicht weit auseinander. Der enge Zusammenhang kam etwa an den Folgen der Gewerbeordnung von 1859 zum Ausdruck. Dieses Gesetz, das erstmals eine Aufhebung aller Gewerbebeschränkungen beinhaltete, trat am 1. Mai 1860 in Kraft. In den folgenden Monaten kam es parallel zu einem sprunghaften Ansteigen der Neueinrichtung von Handwerksbetrieben sowie der Zahl der Eheschließungen. Letztere nahmen gegenüber 1859 und 23 Prozent zu. (129). Die Schließung einer Ehe konnte jedenfalls zu den materiellen Voraussetzungen für die Aufnahme eines Handwerksbetriebs beitragen. Die Heirat einer Meisterswitwe dürfte um die Mitte des 19. Jahrhunderts dabei nur noch eine geringe Rolle gespielt haben, wie sich aus dem allgemeinen Rückgang der Witwenheiraten und aus der Entwicklung der Altersunterschiede zwischen den Ehegatten schließen läßt. (Vgl. Tabelle 25, S. 113) Dagegen spielte aber die Mitgift der Ehefrau eine wichtige Rolle für jene, die sich selbständig machen wollten; sie suchten Frauen mit Ersparnissen zn heiraten. Derartige Gedanken waren auch unter Arbeitern nicht unbekannt, wenn auch von geringerer Bedeutung. (130) Das Wiener Ehepaar etwa, das Le Play für seine Abhandlungen über die europäischen Arbeiter untersuchte, lebte 1853 schon drei Jahre vor der Hochzeit zusammen. Während dieses Zeitraums wurde es als Aufgabe der Frau angesehen, durch ihre Arbeit - das Nähen von Handschuhen - genug Geld zu ersparen, um eine Heirat zu ermöglichen: Geld für die Hochzeit, für Ausstattung, für Möbel etc. (131) In altersmäßiger Hinsicht waren Meister u n d Arbeiter als Haushaltsvorstände nicht sehr verschieden. Das Durchschnittsalter betrug

110

Industrielle Revolution

1857 in Gumpendorf bei Meistern als Haushaltsvorständen 45 J a h re, bei Arbeitern 41 Jahre. In einzelnen Berufsgruppen konnte das Verhältnis aber auch umgekehrt sein: In der Metallverarbeitung waren die Meister mit eigenem Haushalt durchschnittlich 40 Jahre alt, die Arbeiter 41 Jahre. Gerade die Metallverarbeitung erlebte in den 50er Jahren auf der Grundlage hausrechtlicher Abhängigkeit eine starke Expansion. Dies verbesserte die Chancen, sich früh selbständig zu machen, während aber umgekehrt für Arbeiter die Bindung an den Meisterhaushalt zunahm. Ganz allgemein waren 1857 in Gumpendorf nicht nur die Arbeiter sondern auch die Handwerksmeister eine relativ junge Bevölkerungsgruppe. Mehr als 60 Prozent der Meister waren jünger als 40 Jahre, nur 14 Prozent älter als fünfzig. Heirat, Haushaltsgründung und Gewerbsaufnahme scheint demnach in der Altersgruppe zwischen 25 und 35 vorgenommen worden zu sein, kaum später. Sicherlich hat der kleingewerbliche Arbeitsprozeß unter dem Druck des Verlags die letzten Rest vorindustrieller Behaglichkeit eingebüßt und hohe Anforderungen an die Arbeitskraft gestellt, die einem raschen Verschleiß unterworfen war. Dies könnte erklären, daß nur wenige ältere Meister begegnen. Die Verhältnisse in Gumpendorf kontrastieren denn auch deutlich mit denen der Wiener Innenstadt, wo eine traditionellere, auf Kundenarbeit orientierte Gewerbestruktur in größerem Ausmaß erhalten geblieben war: Hier war mehr als ein Viertel der Meister über fünfzig Jahre alt, weniger als 40 Prozent unter vierzig.

Ehefrauen von Handwerkern

und

Arbeitern

Von Frauen wurde in Handwerker- und Arbeiterfamilien nicht nur ein Beitrag zur Gründung des Haushalts erwartet, ihre Arbeit war eine Voraussetzung für die Existenz der Familie. Dies betraf sowohl „reproduktive" Tätigkeiten wie Kinderaufzucht und Hausarbeit im engeren Sinn, als auch produktive Arbeit: im Handwerk und in der Heimarbeit Teilnahme an der häuslichen Produktion, in den Industriearbeiterfamilien außerhäusliche Lohnarbeit. Reproduktive u n d produktive Tätigkeiten wurden zugleich von Frauen erwartet, sie waren aber nicht immer leicht zu vereinen: Die Zeit, die für den einen Bereich aufgewendet wurde, fehlte am anderen,

Ehefrauen

111

und umgekehrt. Diesen Widerspruch hatte in der industriellen Revolution die Masse der Arbeiter- wie auch der Handwerkerfrauen zu lösen, wenn auch auf unterschiedlichem Terrain. Für Handwerkerfrauen war die Einheit von Haushalt und Betrieb das einzige Betätigungsfeld; außerhäusliche Lohnarbeit war, soweit die Quellen Auskunft geben, ausgeschlossen. Die Volkszählung von 1857 gab generell bei verheirateten Frauen keine Berufsbezeichnungen an. Auch in den folgenden Zählungen, in denen die Berufe sämtlicher Familienmitglieder erhoben wurden, finden sich bei Handwerkerfrauen keine Berufsangaben. Was die Tätigkeit im Handwerksbetrieb betrifft, so waren für Wien keine schriftlichen Belege aufzufinden, die eine Mitwirkung der Handwerkerfrauen bezeugen. Zur selben Zeit war es aber in weiten Teilen Europas durchaus so, daß die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung im Handwerk in der Praxis o f t unterlaufen wurde, und von den Frauen selbstverständlich Mitwirkung erwartet wurde, wenn die Arbeit es erforderte. (132) Was sich aus den Wiener Volkszählungslisten ablesen läßt, ist die steigende Bedeutung der Hausarbeit in der Phase der Ausdehnung der kleingewerblichen Produktion. Bei jenen Gewerben, die im Rahmen traditioneller handwerklicher Arbeitsverhältnisse expandierten, nahm die Zahl der in den Haushalten mitlebenden Lehrlinge und Gesellen beträchtlich zu. In Gumpendorf finden sich 1857 zahlreiche Beispiele, wo im Haushalt eines Meisters über zehn Lehrlinge und Gesellen anzutreffen sind, jedoch keine Mägde oder sonstige weibliche Dienstboten. Wenn auch Lehrlinge häufig zur Hausarbeit herangezogen wurden, so lastete doch die Versorgung dieser umfangreichen Hausgemeinschaft vorwiegend auf den Meistersfrauen. Überhaupt war die Anzahl der Mägde in den Handwerkerhaushalten begrenzt: In einer Reihe von Haushalten in Gumpendorf 1857 mit bis zu 18 mitlebenden Lehrlingen und Gesellen war nicht mehr als eine Magd beschäftigt. Diese Verhältnisse zeigen die entsprechend dem Umfang des Haushalts gestiegene Bedeutung der Hausarbeit der Ehefrauen von Selbständigen. Sie lassen gleichermaßen den Schluß zu, daß auch ein Gewerbebetrieb mit einer großen Anzahl von mitwohnendem Personal nur begrenzte Verdienstmöglichkeiten bot, die den Verzicht auf Mitarbeit der Meisterfamilie ausschlossen. Dieses Einbeziehen der Handwerkersfrau in die gewerbliche Hauswirtschaft setzte selbstverständlich den Zusammenfall von Wohnung und Arbeitsplatz voraus. In dem Maß, in dem sich auch

112

Industrielle Revolution

im Handwerk Wohnraum und Arbeitsstätte zu trennen begannen und immer weniger Lehrlinge und Gesellen beim Meister wohnten, wurden dagegen die Arbeitsmöglichkeiten der Handwerkersfrauen beschränkt. Wenn man den Verzicht auf außerhäusliche Lohnarbeit der Frau aufrechterhalten wollte, so blieb nur die Möglichkeit, daß sich die Ehefrau innerhalb des Hauswesens neue Arbeitsmöglichkeiten schuf. Unter den Frauen und Töchtern von Handwerkern begann sich Heimarbeit auszubreiten; Handwerkerfrauen stellen einen großen Teil des Heers der Zwischenmeisterinnen, die als abhängige Selbständige vorwiegend der Textil- und Bekleidungsindustrie in ihren Wohnungen Arbeiterinnen beschäftigten. (133) Schon weiteroben wurde darauf hingewiesen, daß der Anteil der Frauen an den selbständig Gewerbetreibenden der Textilindustrie zwischen 1837 und 1869 von 6,5 auf 40,2 Prozent gestiegen war, in der Bekleidungsindustrie von 12,8 auf 21,6 Prozent. (Vgl. Tabelle 19, S. 82) Für Arbeiterfrauen waren dagegen außerhäusliche Lohnarbeiten keineswegs ausgeschlossen, obwohl sie danach trachteten, solchen Beschäftigungen nachzugehen, die zu Hause auszuüben waren oder nur eine kurzfristige Abwesenheit erforderten. Auch über die Berufstätigkeit verheirateter Arbeiterinnen gibt die Volkszählung 1857 keine Angaben. Das Beispiel, das Le Play mit der von ihm untersuchten Wiener Arbeiterfamilie in der Mitte der 50er Jahre gibt, ist aber als durchaus typisch anzusehen: Die beschriebene Arbeiterfrau nähte in Heimarbeit Handschuhe, und zwar in einem Ausmaß, das nach den Berechnungen Le Plays zusammengezogen 120 Arbeitstage im Jahr erreichte. (134) Zusätzlich sind unter ihren Arbeitswerkzeugen noch angeführt: „Für das Waschen von Wäsche und Kleidern: Gußeisen-Kessel, Eimer, Bottiche, Körbe, Stricke", sodaß angenommen werden kann, daß sie auch als Wäscherin arbeitete.(135) Wie die weiter unten behandelten Volkszählungslisten der Jahre 1870 bis 1890 zeigen, war Nähen und Waschen durchaus typisch für die Berufstätigkeit verheirateter Frauen der Wiener Arbeiterschichten. In jener Berufsgruppe dagegen, die mit „Fabriksarbeit" bezeichnet wurde, waren überwiegend ledige Mädchen und verwitwete Frauen vertreten. Einer der wenigen quantitativen Indikatoren für die Stellung der Frau in den Arbeiter- und Handwerkerfamilien, die die Volkszählung von 1857 bieten, ist der durchschnittliche Altersabstand zwischen den Ehegatten. (Vgl. Tabelle 25, S. 133) Bei Arbeitern waren

113

Altersabstand zwischen den Ehegatten

Tabelle 25. Altersunterschiede zwischen den (Wien/ Gumpendorf, 1857)

Ehegatten

Durchschnittliche Altersdifferenz in Jahren Beamte Angestellte

Zahl der Ehen (abs.)

11,2 8,5

53 14

Handwerksmeister Gesellen

3,7 2,3

602 439

Meister der Textilerzeugung Gesellen der Textilerzeugung

5,4 2,3

171 242

Quelle:

WStLA, Konskription 1857.

die Ehefrauen im Durchschnitt 2,3 Jahre jünger als die Männer, bei Handwerkern 3,7 Jahre. Hier bestand also ein Unterschied, der allerdings verblaßt, wenn man beide Gruppen mit Berufstätigen außerhalb der gewerblich-industriellen Produktion vergleicht. Beamte waren durchschnittlich 11,2 Jahre älter als ihre Frauen, Angestellte 8,5 Jahre. Es hat den Anschein, als ob das Altersverhältnis zwischen den Ehegatten umso ausgeglichener war, je mehr sich die Rolle der Frau aus ihrer unmittelbar produktiven Funktion für die Familie bestimmte. J e mehr dagegen die Rolle der Frau durch reproduktive, sexuelle und emotionelle Faktoren geprägt war, desto jünger war sie im Vergleich zum Mann. (136) Was die einzelnen Berufsgruppen der gewerblich-industriellen Produktion betrifft, so zeigen Arbeiter kaum Unterschiede. Ihr Altersverhältnis ist allgemein und für alle Arbeiterschichten charakteristisch. Bei Handwerksmeistern bestanden dagegen große Differenzen, die im dargestellten Interpretationsrahmen erklärt werden können. Vergleicht man die einzelnen Gewerbe miteinander, so zeichnen sich zwei Gruppen ab: Handelsgewerbe, Textilindustrie, Lebensmittelgewerbe und Gastgewerbe zeigen eine hohe durchschnittliche Altersdifferenz zwischen den Ehegatten von fünf Jahren und darüber. Hier handelt es sich um jene Gewerbe, die am wenigsten vom traditionellen Handwerksbetrieb abgewichen waren, bzw. im Fall der Textilindustrie um jene Branche, die sich durch die größte Differenzierung zwischen armen

Industrielle Revolution

114

u n d reichen Meistern auszeichnete. Bei den Handwerkern der Holzverarbeitung, Bekleidungsindustrie u n d Metallverarbeitung lag der durchschnittliche Altersunterschied zwischen 1,5 u n d 2,5 J a h r e n , also auf einem Niveau, das d e m der Arbeiter glich oder es sogar unterschritt. Gerade diese G r u p p e u m f a ß t jene Gewerbe, die in den 50er J a h r e n expandierten u n d auch die meisten m i t w o h n e n d e n Lehrlinge u n d Gesellen aufwiesen. Wo sich Selbständigkeit leichter erringen ließ u n d an die Mitarbeit der E h e f r a u große A n f o r d e r u n gen d u r c h zahlreiches m i t w o h n e n d e s Personal gestellt w u r d e n , d o r t lagen sich die Ehegatten altersmäßig näher.

Söhne und

Töchter

Auch die Arbeit der Kinder h a t t e in der industriellen Revolution in den ökonomischen Systemen der Arbeiter- u n d Handwerkerfamilien einen festen Platz. In den Arbeiterfamilien der Hausindustrie waren Kinder u n m i t t e l b a r in den Arbeitsprozeß eingebunden; darüberhinaus - u n d in den nicht-hausindustriellen Arbeiterfamilien - spielte ihr E i n k o m m e n aus außerhäuslicher Lohnarbeit eine große Rolle. Dies k o n n t e allerdings n u r d a n n genützt werden, w e n n Kinder auch nach der A r b e i t s a u f n a h m e im elterlichen Haushalt verblieben. Unter den Bedingungen von Hausindustrie u n d zentralisierter Manuf a k t u r war dies selbstverständlich gewesen. Dagegen widersprach das Verbleiben arbeitender Kinder der Tradition des Handwerks u n d der vorindustriellen Unterschichten. (137) Hier war es üblich, daß Kinder früh ihre Eltern verließen und Dienst in f r e m d e m Haus a n t r a t e n . Damit verursachten sie den Eltern keine weiteren Sorgen, k o n n t e n aber auch nicht z u m Familieneinkommen beitragen. Die Ausbreitung hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse in den 50er u n d 60er J a h r e n hatte es für die Arbeiterfamilien schwierig gemacht, nicht hausrechtlich gebundene Arbeitsmöglichkeiten für Kinder zu f i n d e n . Traditionelle F o r m e n der Lohnarbeit im Taglohn, im Transportgewerbe oder im Bauwesen k o n n t e n von Kindern k a u m ausgeübt werden, da sie große K ö r p e r k r ä f t e verlangten. Die verschieden e n Zweige der kleingewerblichen P r o d u k t i o n stützten sich zwar auf jugendliche Arbeiter, allerdings auf solche, die beim Meister w o h n t e n . Die S t r u k t u r des Arbeitsmarktes, die in den 50er u n d 60er J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s stark von den hausrechtlichen Ar-

Abschichtung der Söhne

115

beitsverhältnissen des Kleingewerbes geprägt war, stand d e m Interesse der Arbeiterfamilien, den Verdienst der Kinder zu nützen, im Wege. Auch im Handwerk waren Kinder frühzeitig an der Produktion beteiligt. (138) Was das Verbleiben im elterlichen Haushalt b e t r i f f t , waren die Verhältnisse im Handwerk allerdings komplizierter als in Arbeiterfamilien. Die soziale R e p r o d u k t i o n des traditionellen Handwerks wurde durch Zunftregeln m i t b e s t i m m t , die den Entscheidungsspielraum der einzelnen Haushalte eingrenzten. Wie lange ein Sohn im elterlichen Haushalt verblieb, in welchem Alter er als Lehrling in das Haus eines f r e m d e n Meisters gehen sollte, wieviele J a h r e ein Geselle zu wandern h a t t e , all dies waren Elemente der handwerklichen Familienstruktur, die nicht v o m einzelnen Haushalt geregelt w u r d e n . Z u n f t b e s t i m m u n g e n h a t t e n n u n in der industriellen Revolution ihren rechtlichen Einfluß weitgehend verloren; mit der Einbeziehung des Handwerks in die kapitalistische Warenproduktion bildeten sich neue Verhaltensweisen heraus - ohne daß aber die traditionellen Normen völlig verschwunden wären. Der handwerklichen Tradition entsprach ein frühes Ausscheiden der Knaben aus dem Haushalt der Eltern u n d das Eingehen einer Lehre in f r e m d e m Haus. Der Wanderzwang für Gesellen trug weiter dazu bei, d a ß eine mögliche Rückkehr in die Elternfamilie hinausgeschoben w u r d e . Ab d e m Beginn der Lehrzeit k o n n t e also die Mitarbeit von Söhnen im väterlichen Gewerbe nicht hoch veranschlagt werden, u n d es folgte auch selten der Sohn d e m Vater im Gewerbebetrieb n a c h . (139) Im Verlauf des 18. J a h r h u n d e r t s n a h m allerdings die erbliche Übernahme des väterlichen Betriebes zu, u n d zwar u m s o stärker, je größeren Wert die zu vererbenden Produktionsmittel besaßen. (140) Dies f ü h r t e dazu, daß eine steigende Zahl von Söhnen bis zur Betriebsübernahme im Elternhaus verblieb, was eine bürgerliche Tendenz im Handwerk verkörperte. Die Stellung der Kinder in Arbeiter- u n d Handwerkerfamilien soll n u n a n h a n d ihres Alters beim Verlassen des Elternhauses untersucht werden, wobei Knaben u n d Mädchen getrennt zu behandeln sind. Um aus den einzelnen Volkszählungslisten die Abschichtung der Kinder von den Eltern erfassen zu k ö n n e n , w u r d e folgendes Verfahren gewählt: Die im Alter zwischen 8 u n d 27 J a h r e n stehenden Kinder w u r d e n in vier Altersgruppen geteilt u n d ihre Verteilung

116

Industrielle Revolution

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Wandel hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse

143

renden Gewerben wesentlich ausgeprägter als im persönlichen Dienst u n d in d e n traditionellen Gewerben der Nahrungsmittelerzeugung. (Vgl. Tabelle 3 6 , S. 142) Diese beiden Beschäftigungen w u r d e n zu größeren Teilen auch von Wienern, Niederösterreichern u n d Zuwanderern aus den A l p e n l ä n d e m ausgeübt. (154) In der Bekleidungsindustrie u n d der Holzverarbeitung kamen dagegen stets 70 bis 80 Prozent der m i t w o h n e n d e n Arbeitskräfte aus den Sudetenländern, davon etwa die Hälfte aus B ö h m e n , ein Drittel aus Mähren u n d der Rest aus Schlesien. Diese h o h e Übereinstimmung berechtigt zur A n n a h m e , daß sich die Z u w a n d e r u n g von J u g e n d l i c h e n - vorwiegend männlichen Geschlechts - aus B ö h m e n u n d Mähren u n d die Ausdehnung hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse in einigen Wiener Gewerbezweigen in den 50er u n d 60er J a h r e n des 19. J a h r hunderts wechselseitig vorantrieben. Der Wiener Meister k o n n t e mit einem reichen Strom billiger u n d im Großstadtleben unerfahrener jugendlicher Arbeiter r e c h n e n ; f ü r den alleinstehenden, gerade in Wien a n g e k o m m e n e n böhmischen Lehrling mag es nützlich gewesen sein, auch u n t e r schlechten Arbeits- u n d Lebensbedingungen im Handwerkerhaushalt einen ersten S t ü t z p u n k t in Wien g e f u n d e n zu haben. Die Beziehungen im Meisterhaushalt waren diesen Erfordernissen angepaßt. Schon seit dem 18. J a h r h u n d e r t kündigte sich die Tendenz an, hausrechtlicher Abhängigkeit den Charakter gegenseitiger Verpflichtungen zu n e h m e n u n d sie als Mittel verstärkter Ausb e u t u n g einzusetzen. Die sozio-ökonomischen Bedingungen der Industrialisierung ermöglichten die breite E n t f a l t u n g dieser T e n d e n z . Die in den Z u n f t bestimmungen festgelegten Beschränkungen der Gehilfen- u n d Lehrlingszahlen waren schon seit d e m 18. J a h r h u n d e r t obsolet gew o r d e n . Die U n t e r o r d n u n g der Gewerbe u n t e r das Verlagssystem förderte die Arbeitsteilung u n d die Spezialisierung auf einzelne Prod u k t e oder Halbfertigwaren. Für deren Herstellung war keine besondere gewerbliche Ausbildung mehr erforderlich. Auf der anderen Seite verlor eine handwerkliche Lehre auch für die Auszubildenden ihren Sinn: Auf die Phase der hausrechtlichen Abhängigkeit folgte für die große Masse der Gesellen ja nicht die Errichtung eines eigenen selbständigen Betriebs, sondern die weitere unselbständige Beschäftigung in einer anderen als der erlernten, weniger hausrechtlich b e s t i m m t e n Branche. Damit verlor der hausrechtliche Dienst zuneh-

144

Industrielle Revolution

mend den Charakter eines Ausbildungsverhältnisses. Es entwickelte sich vielmehr ein Arbeitsverhältnis besonders drückender Art. Durch die Unterordnung unter das Verlagswesen und infolge der kapitalistischen Konkurrenz wurden die selbständig Gewerbetreibenden dazu gedrängt, auf das bei ihnen wohnende Arbeitspersonal starken Druck auszuüben. Die Möglichkeiten dazu bestanden in der nahezu uneingeschränkten Verlängerung des Arbeitstages, in der im Vergleich zu selbständig wohnenden Arbeitern geringeren Bezahlung und schließlich im Versuch, die Kosten für Verpflegung, Kleidung und Wohnraum des Personals möglichst gering zu halten. (155) Andererseits stellte das Eingehen eines hausrechtlichen Dienstverhältnisses für junge Arbeiter o f t die einzige Möglichkeit dar, überhaupt einen Arbeitsplatz, eine Wohnmöglichkeit und zumindest regelmäßige Verpflegung zu erhalten. So mußte zum Beispiel die Wiener Handelskammer, die sich für die Einführung eines reinen Geldlohnes einsetzte, 1868 feststellen, daß Kost- und Speisehäuser dafür zu wenig entwickelt wären. Es wirft jedoch ein bezeichnendes Licht auf die Verpflegung beim Arbeitgeber, wenn an derselben Stelle vom Abgehen vom Kostlohn trotz der gezeigten Schwierigkeiten eine Verbesserung der Nahrungsqualität der Arbeiter erwartet wurde. (156) Solcherart war der Zwang zur Aufnahme und Ausübung eines hausrechtlichen Dienstverhältnisses auch nicht mehr, wie im Begriff weitergeführt, rechtlicher Art, sondern wirtschaftlicher. Es herrschte eine starke Fluktuation der beim Meister wohnenden Gesellen und Lehrlinge, die jedoch nur Personen, nicht aber Verhältnisse auswechseln konnten. Der stattgefundenen Entwicklung trug die Gewerbeordnung des Jahres 1859 Rechnung, die mit den alten Gewerbebeschränkungen aufräumte und gleichzeitig damit auch den letzten legistischen Schein hausrechtlicher Beziehungen im traditionellen Sinne beseitigte. Einer ihrer Kemsätze lautete: „Die Art der Verwendung eines Gehilfen, seine Bezüge und sonstige Stellung, die Dauer des Dienstverhältnisses, die allfällige Probezeit und die Kündigungsfrist werden als Gegenstand freier Übereinkunft bezeichn e t . " (157) In einem ähnlichen Sinn wandelte sich das Lehrlingswesen. Bis 1859 war formell noch das alte vielschichtige System der Gewerbebestimmungen in Kraft, das jedoch insbesondere nach der Revolution von 1848 keine reale Bedeutung mehr hatte. Zu Beginn der 50er Jahre versuchte insbesondere die neugeschaffene Handels-

Wandel hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse

145

kammer eine Regelung der Lehrlingsbestimmungen, die jedoch weniger auf eine Fixierung der Ausbildung zielte als vielmehr auf eine rechtlich abgesicherte Einbeziehung der Lehrlinge in eine KostenNutzen-Relation. So zum Beispiel im Lehrlingsstatut des Wiener Handelsstandes von 1850, in dem die Länge der Lehrzeit von den Leistungen der Eltern des Lehrlings während dieser Zeit abhängig gemacht wurde. (158) Mit der Gewerbeordnung von 1859 wandelte sich das Lehrverhältnis auch rechtlich zu einem reinen Arbeitsverhältnis, welches nur durch allgemeine Beschränkungen der Kinderarbeit begrenzt wurde. Vom Standpunkt dieser liberalen Gewerbeordnung, die ja an die selbständige Ausübung eines Gewerbes keine Qualifikationsanforderungen knüpfte, war die Ablegung einer Lehre nicht erforderlich. Eine Änderung brachte jedoch die Novellierung der Gewerbeordnung im Jahre 1883, mit der sich der Gesetzgeber bemühte, „das im Patent von 1859 beinahe auf das Niveau eines reinen Arbeitsverhältnisses herabgesunkene Lehrverhältnis zu einem spezifischen Unterrichts- und häuslichen Abhängigkeitsverhältnis zurückzubilden." (159) Ob nun eine legistische Regelung des Lehrverhältnisses bestand, oder ob es zwischen 1859 und 1883 wie jedes Arbeitsverhältnis „Gegenstand freier Vereinbarung" war, an der tatsächlichen Stellung des Lehrlings als billigste Arbeitskraft des Kleingewerbes dürfte das nicht allzuviel geändert haben. Im Bericht der Wiener Handelskammer von 1868 wurden zwar auch die Bezüge der Lehrlinge aufgegliedert, die in einigen Berufen im letzten Lehrjahr an die Hälfte der Gesellenlöhne herankommen konnten; es wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dann, wenn der Lehrling beim Arbeitgeber wohnte, überhaupt kein Lohn ausbezahlt und der Lehrling lediglich verpflegt würde. (160) Ähnliches geht aus dem Protokoll einer 1873/74 ebenfalls von der Kammer abgehaltenen öffentlichen Enquete hervor. (161) Hier wird festgestellt, daß zahlreiche Meister nur deshalb mit einer größeren Zahl von Lehrlingen - bis zu zwanzig - arbeiteten, weil sie erwachsene Arbeiter nicht bezahlten könnten. Die Lage der Lehrlinge wird als so schlecht dargestellt, daß sich von jedem Betrieb stets einige im Spital befänden; deswegen gingen auch nur noch jugendliche Zuwanderer aus Böhmen ein Lehrverhältnis ein, während in Wien Gebürtige in die Fabriken drängten. Diese handelten damit nicht nur im eigenen, sondern im Interes-

146

Industrielle Revolution

se ihrer Familien, die nur durch möglichst hohes Einkommen aller arbeitsfähigen Familienmitglieder die Armutsgrenze überschreiten konnten. Wenn wir davon ausgegangen sind, daß hausrechtliche Arbeitsverhältnisse die Entwicklung der Arbeiterfamilie behinderten, so können wir nun feststellen, daß die Arbeiterfamilie ihre Mitglieder motivierte und befähigte, sich hausrechtlicher Arbeit zu entziehen. Stabile proletarische Familienverhältnisse schränkten den Spielraum des Kleingewerbes auf dem Arbeitsmarkt ein. Neben technologischen und ökonomischen Faktoren verstärkte damit die soziale Konstituierung der Arbeiterklasse den Druck auf hausrechtliche Produktionsverhältnisse. Tabelle 3 7, S. 147, veranschaulicht, wie rasch das Wohnen beim Arbeitgeber abgebaut wurde. Gerade jene Altersgruppen zwischen 10 und 30 Jahren, die in der Inneren Stadt und in Gumpendorf 1857 in hohem Maß von hausrechtlicher Abhängigkeit betroffen waren, erlebten in den folgenden Jahrzehnten eine deutliche Emanzipation. Wie auch schon bei anderen Fragen, widerspricht allerdings auch hier das Beispiel Gaudenzdorf 1880 dem Trend. Dabei scheint es sich um eine Auswirkung der 1873 eingetretenen Wirtschaftskrise zu handeln. Da in der Krise zahlreiche industrielle Arbeitsplätze verloren gingen, wurde der Emanzipationsprozeß der jugendlichen Arbeiter aus hausrechtlicher Abhängigkeit gehemmt. Abschließend soll nochmals darauf hingewiesen werden, daß beim Arbeitgeber mitwohnendes Personal - trotz seiner großen Zahl und Bedeutung - nicht in allen Haushalten von selbständig Gewerbetreibenden, und auch nicht in allen gleichmäßig vorzufinden war. Unter den Haushalten selbständiger Handwerksmeister in Gumpendorf 1857 verfügte ein Drittel über kein mitwohnendes Personal, ein weiteres Drittel über nur ein oder zwei Gesindepersonen. (Vgl. Tabelle 38, S. 148) Die Gesindehäufigkeit in Handwerkerhaushalten variierte auch nach dem Geschlecht der Gesindepersonen. In der stark auf Warenproduktion orientierten Vorstadt Gumpendorf waren in knapp der Hälfte der Haushalte von Handwerksmeistern Gesellen und/oder Lehrlinge anzutreffen, aber nur in 36 Prozent der Haushalte Mägde. (Vgl. dazu Tabelle 16,S. 79;sowie Tabelle 39, S. 149) Außerdem wurden große Gesindezahlen fast immer durch männliches mitwohnendes Arbeitspersonal verursacht. In knapp 5 Prozent der Haushalte von Gumpendorfer Handwerksmeistern lebten mehr als zwei Mägde, dagegen in 22 Prozent mehr als zwei Ge-

147

Gesindepersonen im Handwerkerhaushalt

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168

Obergang zur Hochindustrialisierung

Zusaxnmenschluß zu Aktiengesellschaften, ohne daß die Produktionsstätten selbst vergrößert worden wären, ist auch im Baugewerbe erkennbar. (22) Eine breite Streuung von klein-, mittel- und großbetrieblichen Formen zeigen Metallverarbeitung, Textilindustrie, Papierindustrie, Chemische Industrie, Graphische Gewerbe und Verkehr, wo die Mehrzahl der Berufstätigen in Unternehmen mit mehr als 20 Personen beschäftigt war. Die restlichen Produktionszweige bildeten die eigenüichen Residuen des Kleingewerbes, also Holzverarbeitung, Bekleidungsindustrie, Nahrungsmittelerzeugung, Gastgewerbe und Warenhandel. Gegen die Jahrhundertwende hatte sich somit der industrielle Großbetrieb in Wien in einigen Branchen durchgesetzt, während in anderen die Dominanz des Kleingewerbes erhalten geblieben war. In diesem wiederum standen traditionell handwerkliche Betriebsformen neuentstandenen, einer erweiterten Heimarbeit vergleichbaren, gegenüber. Für unser Thema ist wichtig, daß die sozialen Verhältnisse, insbesondere die Arbeitsbeziehungen, wesentlich stärker vom industriellen Großbetrieb geprägt wurden, als es seinem zahlenmäßigen Anteil an der städtischen Wirtschaft entsprach. Hausrechtlich verfaßte Arbeitsverhältnisse, wie sie für das vor- und frühindustrielle Kleingewerbe charakteristisch gewesen waren, befanden sich gegen die Wende zum 20. Jahrhundert in weitgehender Auflösung, auch dort, wo der Kleinbetrieb bestehen geblieben war. Präzise Quellen zur Untersuchung dieses Prozesses stehen zwar nicht zur Verfügung; aus der Altersstruktur und dem Zivilstand der Arbeiter der einzelnen Branchen lassen sich jedoch einige Schlüsse auf den jeweiligen Grad hausrechtlicher Abhängigkeit ziehen. (23) Traditionelle hausrechtliche Arbeitsverhältnisse lassen sich zur Jahrhundertwende nur noch in der Nahrungsmittelerzeugung und im Gastgewerbe annehmen. Hier fallen die höchsten Ledigenquoten mit einem relativ hohen durchschnittlichen Alter der Beschäftigten zusammen. Wohnen beim Arbeitgeber hatte sich hier auch im Erwachsenenalter als herrschendes Muster gehalten. Der Arbeitsprozeß selbst begünstigte hausrechtliche Abhängigkeit, war er doch etwa bei Bäckern und Gastwirten durch einen spezifischen Arbeitsrhythmus geprägt, wie Nachtarbeit, Freizeit am Nachmittag bzw. durch unbegrenzte Arbeitszeit. In den übrigen kleingewerblichen Produktionszweigen war das Wohnen beim Arbeitgeber vorwiegend für junge Arbeiter u n d für

Demographische Rahmenbedingungen

169

Lehrlinge typisch geblieben, j e d o c h nicht m e h r für Erwachsene. Diese traten denn auch in der Holzverarbeitung, Lederindustrie u n d einigen Metallgewerben in ihrer Bedeutung zurück. Die „Lehrlingszüchterei" scheint für den Bestand dieser kleinen Gewerbe bedeutend geworden zu sein. Ähnlich verhält es sich mit der Bekleidungsindustrie, die j e d o c h nicht nur sehr junge, sondern auch sehr alte Menschen beschäftigte. Hier lag ein beruflicher S c h w e r p u n k t für die Jahrgänge über 50, vor allem für verwitwete Frauen. In den übrigen Produktionszweigen h a t t e dagegen zur J a h r h u n d e r t w e n d e die kapitalistische Lohnarbeit ihren eigentlichen Charakter endgültig entfaltet, u n d das Arbeitsverhältnis von persönlichen, außerhalb des unmittelbaren Produktionsprozesses liegenden Bindungen befreit. Darin ist auch das entscheidende soziale Ergebnis der Ausbreitung großindustrieller Betriebsformen zu sehen, obwohl sie auch weiterhin die ökonomische S t r u k t u r Wiens n u r z u m Teil prägten.

2. Verallgemeinerung

und Stabilisierung

der

Arbeiterfamilie

a. Demographische Tendenzen Der sozio-ökonomische Strukturwandel im Ubergang zur Hochindustrialisierung f a n d wiederum einen deutlichen Niederschlag in demographischen Veränderungen, die Ausmaß u n d Richtung des Wandels erkennen lassen. Die demographischen Langzeitreihen, mit d e n e n schon in den vorhergehenden Kapiteln argumentiert w u r d e , zeigen einen charakteristischen Verlauf. (Vgl. Tabellen 1 - 1 2 ) Ebenso aussagekräftig sind die Veränderungen in der Zusammensetzung der Haushalte u n d der Familienkonstellationen, die beginn e n d mit der Volkszählung von 1857 f a ß b a r sind. Beiden Datentypen wird im folgenden nachgegangen werden; im anschließenden Kapitel wird dagegen w i e d e r u m die Frage erörtert, wieweit die dargestellten Veränderungen in einem Strukturwandel der arbeitenden Bevölkerung zu verorten sind. Werfen wir aber zunächst einen Blick auf die demographischen Rahmenbedingungen. In der Stadt und den Vorstädten - worauf sich vor 1890 alle Angaben zur Bevölkerungsbewegung beziehen - hatte sich das Bevölkerungswachstum in der zweiten Hälfte des 19. J a h r -

170

Übergang zur Hochindustrialisierung

hunderts verlangsamt. Die Innere Stadt hatte ja schon zur Mitte des 18. Jahrhunderts mit rund 50.000 Bewohnern einen Bevölkerungsstand erreicht, der sich nicht mehr weiter erhöhte. Die westlichen Vorstädte, darunter auch Gumpendorf, erreichten um die Mitte des 19. Jahrhunderts ihren höchsten Bevölkerungsstand und .wiesen ab etwa 1870 eine rückläufige Bewegung auf. (Vgl. Tabelle 13, S. 60) Ähnlich verhielt es sich mit den früh industrialisierten westlichen Vororten, zu denen auch Gaudenzdorf zählt. Insgesamt konzentrierte sich aber das Bevölkerungswachstum auf den Kranz der Vororte, die 1890 eingemeindet wurden. Erst ab diesem Zeitpunkt beziehen sich also die demographischen Daten wiederum auf ein als Ganzes dynamisch wachsendes Stadtgebiet. (24) Die Altersverteilung der Wiener Bevölkerung ist ab der städtischen Volkszählung von 1 8 5 6 b e k a n n t . (25) Sie zeigt trotz eines unterschiedlichen räumlichen Bezugs und eines starken Stadtwachstums ein erstaunlich stabiles Bild. Der Anteil der Jugendlichen und der alten Personen an der Bevölkerung hat sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kaum verändert. (Vgl. Tabelle 49) (26)

Tabelle 49. Altersverteilung (Anteil der Kinder und der alten Personen männlichen Geschlechts an der männlichen Zivilbevölkerung; Wien insgesamt, 1856 -1934) Jahr

1856 1864 1869 1880 1890

Quellen:

unter 15

über 60

(%)

(%)

25,9 24,3 24,3 26,1 27,8

5,0 5,3 5,0 6,0 5,5

Jahr

1900 1910 1923 1934

unter 15

über 60

(%)

(%)

27,2 26,7 20,0 16,4

5,7 6,3

Tß 12,1

Statistik der Stadt Wien (1856); Glatter, Volksmenge (1864, 1869); Statistische Jahrbücher 1883, 1901, 1929, 1930-35; Sedlaczek, Definitive Ergebnisse (1890).

Einen gewissen Wandel zeigt dagegen die Sexualproportion. (Vgl. Tabelle 20, S. 95) Zur Mitte des 19. Jahrhunderts war mit der Do-

Heiratsverhalten und Geburtenentwicklung

171

minanz der kleingewerblichen Produktion, deren handwerkliche Tradition sich in einer männlich dominierten Beschäftigtenstruktur auswirkte, ein nahezu ausgeglichenes Geschlechterverhältnis einhergegangen. Im Übergang zu industriekapitalistischen Verhältnissen setzte sich dagegen wieder eine Sexualproportion durch, die über Jahrhunderte in Großstädten anzutreffen war und ist, nämlich ein Ubergewicht der Frauen. (27) Auch diese Veränderungen waren aber geringfügig und undramatisch. Wir können also bei der Untersuchung des demographischen Wandels die Umschichtung der Bevölkerung als Erklärungsfaktor ausklammern und uns auf sozio-ökonomische Bedingungen konzentrieren. Betrachten wir als erstes Heiratsverhalten und Geburtenentwicklung, wie sie aus den demographischen Langzeitreihen sichtbar werden. Zum Teil verlaufen die Entwicklungslinien in eine Richtung, die zu Verhältnissen vor der sozialen Bruchzone der industriellen Revolution zurückzufuhren scheint, zumindest an sie anschließt, zum Teil aber spiegeln sie spezifische Charakteristika der hochindustrialisierten Gesellschaft. Ein Wandel des Heiratsverhaltens zeigt sich vor allem in Veränderungen der Verehelichtenquote und des Heiratsalters. Der Anteil der ledigen Bevölkerung sank in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kontinuierlich ab. Der Anteil der Verheirateten erreichte um 1900 wieder ein Niveau, wie es schon zu Ende des 18. Jahrhunderts bestanden hatte. Einen weitergehenden Wandel, der in der vergangenen Entwicklung keine Parallele erkennen läßt, zeigt dagegen das Heiratsalter, vor allem jenes der Männer. Die Tendenz, jung zu heiraten, setzte sich sehr rasch durch: Von Männern wurden immer mehr die Jahre zwischen 24 und 30 bevorzugt: 1851 - 1858 hatten knapp 30 Prozent der Männer in diesem Alter geheiratet, 1891 1900 waren es fast 50 Prozent! Bei Frauen, die auch zur Jahrhundertmitte in jüngeren Jahren die Ehe geschlossen hatten, verlief die Entwicklung in dieselbe Richtung, aber weniger dramatisch. (Vgl. Tabelle 3, S. 43). Einen interessanten Verlauf zeigt die Geburtenentwicklung im Vergleich zum Heiratsverhalten. Bis in die 6 0 e r J a h r e des ^ . J a h r hunderts ist eine Parallelität von Geburten und Heiraten zu erkennen: Stieg die Zahl der Heiraten und der Anteil der Verehelichten, so war auch mit einer Zunahme der Geburten zu rechnen und umgekehrt. (Vgl. Tabelle 7, S. 49) Dieser Zusammenhang ist in Wien

172

Ubergang zur Hochindustrialisierung

trotz der hohen Unehelichkeit festzustellen; er entspricht einem von der historischen Demographie vielfach konstatierten Bevölkerungsmuster vorindustrieller und sich industrialisierender Gesellschaften. (28) Im Übergang zur Hochindustrialisierung setzte dagegen eine Umkehr im Verhältnis von Heirat und Geburt ein: Jüngerem Heiraten und einem steigenden Anteil von Verehelichten steht n u n eine sinkende Geburtenziffer gegenüber. Hierin kündigt sich ein grundlegender Wandel der Familienstruktur an, der uns weiter unten noch beschäftigen wird. Die Geburtenziffer sank jedenfalls in Wien zwischen den 70er J a h r e n des 19. Jahrhunderts und dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts um rund ein Drittel ab. Dies kann nur mit dem Einsetzen einer bewußten und allgemeinen, wenn auch schichtspezifisch mit unterschiedlicher Intensität erfolgenden Geburtenkontrolle erklärt werden. (29) Parallel zu verbesserten Heiratsmöglichkeiten verlief die Entwicklung der unehelichen Geburten. Ihr Anteil an den Geburten insgesamt fiel von knapp der Hälfte in den 50er und 60er J a h r e n auf unter ein Drittel u m die Jahrhundertwende. (Vgl. Tabelle 21, S. 90) Dazu k o m m t , daß auch unehelich geborene Kinder immer häufiger einer stabilen Beziehung entstammten, die in einer später gesetzlich legitimierten Ehe mündete. Die Zahl jener unehelich Geborenen, die nachträglich durch die Heirat der Eltern legitimiert wurden, stieg rasch an. Sie betrug 1910 schon knapp ein Viertel aller unehelichen Geburten und hatte sich damit gegenüber 1886 - dem ersten J a h r , für welches entsprechende Angaben vorliegen - fast verdoppelt. (Vgl. Tabelle 50) Tabelle 50. Legitimation unehelicher Geburten durch Heirat*) (Wien insgesamt, 1886-1910) Jahr

Legitimierungen

(%) 1886 1889 1890 1891**) 1900 1910

12,7 14,3 15,1 18,0 22,8 23,9

*) in Prozent der unehelichen Geburten. **) einschließlich der 1890 eingemeindeten Vororte. Statistisches Jahrbuch, 1887 ff. Quelle:

nachfolgende

Zusammensetzung der Haushalte

173

Wesentlich geringere Veränderungen als die bisher behandelten Zahlenreihen lassen die Kinder- und Säuglingssterblichkeit erkennen. (Vgl. Tabellen 10, 11, S. 53 f.) Der Anteil der unter Zehnjährigen an den Todesfällen war vom Vormärz bis zum Ende des Jahrhunderts ziemlich gleich und mit etwa 45 Prozent auch ziemlich hoch geblieben. Auch die Sterbefälle von Säuglingen, bezogen auf die Zahl der Geburten, ging nur langsam zurück. Wenn wir eine hohe Kinder- und Säuglingssterblichkeit vor allem bei Unterschichten annehmen, dann deutet diese Entwicklung darauf hin, daß sich im Übergang zur Hochindustrialisierung zwar eine Stabilisierung der Sozial- und Familienbeziehungen der arbeitenden Bevölkerung durchgesetzt hatte, die materiellen Bedingungen ihrer Existenz aber nicht in demselben Maß günstiger geworden sind. Der soziale Wandel im Übergang zur Hochindustrialisierung findet weiter seinen Ausdruck in einer veränderten Zusammensetzung der Haushalte. Gliedert man die Bevölkerung nach der Stellung im Haushalt, so wird als entscheidende Tendenz das Ausscheiden der mitwohnenden Arbeitskräfte und der Untermieter/Bettgeher sichtbar. Dem entspricht auf der anderen Seite, daß sich die Haushalte in rasch wachsendem Maß auf den Haushaltsvorstand samt Frau und Kindern beschränken. Die Tabellen 51 u n d 52 zeigen das Ausmaß dieser Entwicklung. Dabei ist interessant, daß in der Fabrikssiedlung von Kaiser-Ebersdorf schon 1890 über neun Zehntel der Bevölkerung auf Familienangehörige im engeren Sinn entfielen, ein Wert, der in der gesamten Stadt erst 1934 erreicht wurde. Dieselbe Erscheinung läßt sich unter einem anderen Blickwinkel an Hand der Entwicklung der Familienkonstellationen erfassen. Tabelle 53, S. 176, stellt diese Entwicklung dar; unter der Fülle der vorhandenen Konstellationen - stets mehr als 50 - sind allerdings nur die jeweils sieben häufigsten angeführt. Sie umfassen etwa zwei Drittel der Gesamtheit vorgefundener Familienkonstellationen. Auch hier wird sichtbar, daß 1857 die Konstellationen, in denen ein Ehepaar mit Kindern sowie Gesinde und/oder Untermietern wohnte, dominierten. Diese Konstellationen gingen im weiteren zurück, wobei Untermietverhältnisse gegenüber hausrechtlichen Arbeitsverhältnissen einen deutlichen time-lag aufwiesen. Allein lebende Ehepaare und nur mit ihren Kindern lebende Eltern wurden dagegen immer zahlreicher. In der Fabrikssiedlung Kaiser-Ebersdorf 1890 umfaßten diese beiden Konstellationen bereits knapp 73 Pro-

174

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Übergang zur Hochindustrialisierung

schiede auf. Verglichen mit den städtischen Arbeiterschichten der 50er und 60er Jahre war hier die durchschnittliche Altersdifferenz zwischen den Ehegatten hoch und ältere Frauen selten. Wir können annehmen, daß sich auch hierin der Mangel an Berufstätigkeit verheirateter Frauen in der Fabrikssiedlung ausdrückt. In einigen der angeführten Werte ähneln die Hüttenarbeiter von 1890 den städtischen Oberschichten von 1857. Zugleich zeigen sie aber einen grundlegenden eigenständigen Zug: Krasse Altersunterschiede zu Gunsten des Mannes kommen sehr selten vor. Nur in vier Prozent der Ehen war der Mann mehr als 10 Jahre älter als die Frau, ein Wert, der die Kaiser-Ebersdorfer Fabriksarbeiter deutlicher als alle anderen Angaben von den übrigen Samples trennt. Hier scheint sich ein neuer Zug im sozialen Profil der industriellen Fabrikarbeiterschaft abzuzeichnen, der sie sowohl von den frühindustriellen Unterschichten als auch von den Oberschichten unterschied: Der Ehemann hatte zwar älter zu sein als die Ehefrau, aber auch wiederum nicht allzu viel. Dies könnte ein Hinweis dafür sein, daß mit zunehmendem Ausscheiden der Arbeiterfrau aus der Berufstätigkeit die Arbeiterfamilie sich dem Einfluß der bürgerlichen Ideologie der Geschlechtercharaktere öffnete, ohne aber eigenständige Züge zu verlieren. (70)

Kinderarbeit

und

Arbeiterfamilie

Auch im Übergang zur Hochindustrialisierung blieb das Einkommen der Kinder ein wichtiger beitrag zur Existenzsicherung der Arbeiterfamilie. Seebohm Rowntree's aus der Untersuchung der Arbeiterbevölkerung Yorks um 1900 gewonnene Erkenntnis eines spezifisch proletarischen Familienzyklus, der sich aus der wechselnden Höhe des Beitrags der einzelnen Familienmitglieder zum gemeinsamen Budget ableitet, wurde in einigen Untersuchungen bestätigt und scheint auch für die Wiener Arbeiterbevölkerung um die Jahrhundertwende zu gelten. (71) Rowntree wies nach, daß die Yorker Arbeiterfamilien kurz nach der Heirat über ein relativ hohes Einkommen verfügten. Mit der Geburt von Kindern sank das Einkommen ab und stieg erst wieder an, wenn das älteste Kind selbst zu arbeiten beginnen konnte. Sobald mehrere bzw. alle Kinder zum Budget beitrugen, erlebte die Arbeiterfamilie eine Phase relativen

Kinderarbeit und Familieneinkommen

199

Wohlstands, der sich dann wiederum umso mehr verringerte, je mehr Kinder das Elternhaus verließen, und mit steigendem Alter auch der Verdienst des Vaters sank. (72) Diesem Verlauf entsprechende Hinweise auf die Bedeutung des Einkommens der Kinder bieten die schon erwähnten Haushaltsrechnungen von Wiener Arbeiterfamilien aus den Jahren 1912 - 1914. Das durchschnittliche Einkommen in diesen 119 Familien stammte zu 69,8 Prozent vom Mann, zu 10,4 Prozent von der Ehefrau und zu 19,8 Prozent von den Kindern. Betrachtet man die Ausgabenverteilung, so zeigt sich, daß das Einkommen des Mannes in etwa den Ausgaben für Nahrungsmittel, Wohnungsmiete und Heizung entsprach. Bekleidung, Genußmittel, Ausgaben für Geselligkeit, Unterhaltung und Kultur bzw. auch kleinere Ersparnisse waren damit vom Verdienst der Frau und der Kinder abhängig. (73) Dabei war die Verdienstmöglichkeit der Frau im wesentlichen begrenzt, während das Einkommen der Kinder den flexibelsten Posten im Budget der Arbeiterfamilie darstellte: „Was zunächst den Einfluß der Familiengröße(auf das Gesamteinkommen) anlangt, so zeigen (die Angaben) . . . , daß auch bei wachsender Familiengröße der Arbeitsverdienst des Mannes und der Frau im allgemeinen nicht steigen, ja im allgemeinen sogar fallen. Dagegen wird der Arbeitsverdienst der Kinder rasch größer, und zwar deshalb, weil mit der Zahl der Kinder überhaupt auch die der verdienenden Kinder wächst." (74) Das also waren die Verhältnisse knapp vor dem Ersten Weltkrieg in einer „Oberschichte der Arbeiter". Wir können annehmen, daß während der gesamten Phase des Ubergangs zur Hochindustrialisierung in Wien der Bedarf der Arbeiterfamilien am Verdienst ihrer Kinder erhalten geblieben war. Die Bedingungen der Arbeit von Kindern hatten sich allerdings stark verändert und mit ihnen die Stellung der Kinder in den Familien. Zunächst erhöhte sich das Alter, in dem Kinder eine regelmäßige Berufsausübung begannen. Der Zeitpunkt, von dem an sie regelmäßig zum Familieneinkommen beitrugen, ist kaum genau festzustellen; auch die Volkszählungslisten sind bei Berufsangaben von Kindern eher zurückhaltend. Es gibt aber eine Reihe von Hinweisen, die eine langsame Verschiebung erkennen lassen. Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts sind Beispiele einer Arbeitsaufnahme mit sechs J a h r e n bekannt. (75) In den Textilmanufakturen des Vormärz wurden Kinder vom siebten Lebensjahr an

200

Übergang zur Hochindustrialisierung

beschäftigt. (76) In der Konskription von 1857 wurden einzelne neunjährige Knaben als Lehrlinge angeführt, wenn auch das zwölfte Lebensjahr als üblich zum Lehreintritt angesehen wurde. Aus den 70er Jahren berichtete Adelheid Popp, daß ihre Eltern das 10. Lebensjahr als angemessenes Alter zur Aufnahme einer regelmäßigen Arbeit betrachteten. (77) In Gaudenzdorf waren 1880 immerhin noch 7,8 Prozent aller 10 - 14jährigen im Haushalt eines Arbeitgebers wohnhaft - u m wieviel mehr arbeitende Rinder müssen wir bei ihren Eltern vermuten! In einer Enquete über die Lage der Lohnarbeiterinnen wurden 1896 Beispiele von Mädchen angeführt, die mit elf, zwölf und dreizehn Jahren in die Fabrik gekommen waren. (78) Von den Kindern der in den Arbeiterhaushaltsrechnungen 1912 1914 erfaßten Familien arbeiteten nur noch vier in einem Alter unter 14 J a h r e n ; in einem Alter darüber arbeiteten dagegen alle 47 anwesenden Kinder. (79) Der Rückgang der Kinderarbeit scheint demnach in Wien sehr schleppend gewesen zu sein. Als entscheidender Hebel zur Einschränkung der Kinderarbeit wird im allgemeinen eine Veränderung der Arbeitstechnologie angesehen. (80) J e n e Tätigkeiten, die in der Manufakturperiode und während der industriellen Revolution vorwiegend von Kindern ausgeübt worden waren, wurden zunehmend durch die Mechanisierung verdrängt. Dies betraf aber selbstverständlich nicht die auf Handarbeit beruhenden Kleinbetriebe: In den Wohnungen der Zwischenmeisterinnen und in den Werkstätten der Handwerker wurden Kinder auch weiterhin frühzeitig beschäftigt. Die Kinderschutzgesetzgebung, die erstmals in der Gewerbeordnung von 1859 eine Einschränkung der Arbeit der 9 - 12jährigen vorsah, erstreckte sich ebenfalls nicht auf das Kleingewerbe. (81) Ein wichtigerer Impuls in Wien kam von der Schulgesetzgebung. Mit dem Reichsvolksschulgesetz war 1869 die Schulpflicht von sechs auf acht Jahre erhöht worden. In den ersten J a h r e n seiner Gültigkeit war die Wirkung des Gesetzes allerdings noch begrenzt. (82) Es waren keine Regelungen vorgesehen, in welcher Form die Schulpflicht zu erfüllen sei; für Kinder, die in Fabriken arbeiteten, wurden etwa Abendschulen für ausreichend gehalten. Das 7. und 8. Schuljahr offiziell streichen zu lassen, war nicht schwer. (83) Auch die Arbeitereltem brachten dem Schulbesuch wenig Verständnis entgegen, da ja der Verdienstausfall der Kinder die Existenz der Familie gefährden konnte. Adelheid Popp beschreibt die Ansichten

Alter beim Arbeitsantritt

201

ihrer Mutter, die in ähnlicher Form auch in anderen Autobiographien zu finden sind: „Sie war auch eine Feindin der .neumodischen Gesetze', wie sie die Schulpflicht nannte. Sie fand es ungerecht, daß andere Menschen den Eltern vorschrieben, was sie mit ihren Kindern zu tun hätten. In diesem Punkt hatte mein Vater ihre Anschauungen geteilt, und meine Brüder hatten ihm schon mit zehn Jahren bei seiner Arbeit, der Weberei, helfen müssen. Drei Jahre Schule war nach Ansicht meiner Eltern genug, und wer bis zum zehnten Lebensjahr nichts lernt, lernt später auch nichts, war eine von ihnen o f t getane Äußerung. Auch mein jüngerer Bruder mußte jetzt aus der Schule austreten, doch hatten sich mittlerweile die Gesetze über die Schulpflicht schon mehr eingelebt, und die Schulbehörde machte Schwierigkeiten. Mit viel Gesuchen setzte es meine Mutter doch durch, daß er aus der Schule entlassen wurde und als Hilfsarbeiter in eine Fabrik gehen konnte." (84) Die Einhaltung der Schulpflicht war in den 70er und 80er Jahren jedenfalls „eher die Ausnahme als die Regel". (85) Allerdings verschärften die Behörden zunehmend die Aufsicht über den Schulbesuch, und mit der Zunahme stabilerer und höhere Qualifikation erfordernder Arbeitsmöglichkeiten in Industriebetrieben konnte auch bei Arbeitereltem eine Neubewertung des Schulbesuchs eintreten. Ohne also exakte Daten zugrunde legen zu können, scheint sich der Beginn der Arbeitsaufnahme von Kindern Wiener Arbeiterfamilien des ausgehenden 19. Jahrhunderts zwischen dem 12. und 14. Lebensjahr vollzogen zu haben. Die Art der Arbeit, sowie die Höhe und die Dauer des Beitrags zum Familieneinkommen, war bei Knaben und Mädchen verschieden. Dies soll nun wieder an Hand der Volkszählungslisten dargestellt werden. In den 50er Jahren war es für Arbeiterfamilien noch ein Problem gewesen, Arbeitsmöglichkeiten für Kinder zu finden, die nicht den Übertritt in den Arbeitgeberhaushalt erforderten. Bei Söhnen von Arbeitern war es schon 1857 üblich gewesen, nach dem Berufseintritt im elterlichen Haushalt zu verbleiben. Dies hatte sich in den folgenden Jahren verfestigt. Der Abschichtungsschwelle mit dem 12. Lebensjahr, die 1857 noch die Verhältnisse im Handwerk bestimmt hatte, kam bei Arbeitern in den folgenden Jahrzehnten keine Bedeutung mehr zu. Während der ersten Arbeitsjahre bzw. während der Lehrzeit bei den Eltern zu bleiben, war für Arbeitersöhne zur Norm geworden. (Vgl. Tabelle 26, S. 116)

202

Ubergang zur Hochindustriaiisierung

Die Zahl der Berufe, die diese Norm gestatteten, war in Ausdehnung begriffen. 1857 hatte hier noch eine Dominanz der Textilindustrie bestanden. In Gaudenzdorf 1870 - auf dem Höhepunkt des Wirtschaftsaufschwungs - zeichnete sich die Berufsverteilung der bei ihren Eltern lebenden Söhne dagegen durch eine breite Streuung aus. (Vgl. Tabelle 59, S. 203) An die erste Stelle waren mit einem Anteil von über 15 Prozent die technisch anspruchsvollen Berufe gerückt, eine Tendenz, die sich aber in den J a h r e n der Depression nach 1873 nicht fortsetzte. Aus den Volkszählungslisten geht nicht eindeutig hervor, ob die Knaben ihre Berufslaufbahn als Hilfsarbeiter oder als Lehrlinge begannen. Einen Hinweis auf die Wertschätzung der Lehre zumindest in den „oberen Arbeiterschichten" bieten die Arbeiterhaushaltsrechnungen von 1912 - 1914: Dort standen rund sechs Zehntel der arbeitenden Kinder in einem Lehrverhältnis, vier Zehntel arbeiteten als Gehilfen und Hilfsarbeiter. (86) Meist wurde eine Lehre in einer Fabrik angestrebt. Die Streuung der Berufe von Söhnen zeigt jedoch, daß nach dem Rückgang hausrechtlicher Arbeitsverhältnisse auch die Lehre in kleingewerblich dominierten Branchen anstieg. Für alle Beispiele gilt, daß die Berufswahl der Arbeitersöhne vom Arbeitsmarkt und nicht vom Beruf des Vaters bestimmt war. Von den Söhnen unselbständig Beschäftigter trugen rund 20 Prozent dieselbe Berufsbezeichnung wie ihre Väter, 80 Prozent eine verschiedene. (87) Übten mehrere Söhne einer Arbeiterfamilie einen Beruf aus, so arbeiteten sie meist in unterschiedlichen Branchen. Eine breite Streuung der Berufsfelder wurde angestrebt, vermutlich um auf wirtschaftliche Krisenerscheinungen flexibler reagieren zu können. In den zu Beginn des 20. Jahrhunderts vorgenommenen Untersuchungen über die Arbeiter des Maschinenbaus und der Elektroindustrie zeigte sich dies in modifizierter Form: Söhne waren häufig in derselben Branche beschäftigt wie ihre Väter, aber sehr selten im selben Betrieb. (88) Auch in den fortgeschrittensten Industriebetrieben läßt sich also in Wien keine Überlagerung familialer und innerbetrieblicher Beziehungen erkennen, wie sie für anglo-amerikanische Industriezentren häufig nachgewiesen wurden. (89) Eine deutliche Häufung im Verlassen des Elternhauses zeigen Söhne in einem Alter von 17 und 18 Jahren und zwar ziemlich konstant in allen Beispielen von 1857 bis 1880. Hierfür dürfte der Abschluß der Lehre und anschließende Probleme bei der Suche einer

Berufstätigkeit von Söhnen SS?

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Ubergang zur Hochindustrialisierung

Stellung verantwortlich gewesen zu sein, die zum Verlassen des Elternhauses zwangen. Jener Teil allerdings, der auch nach dieser Abschichtungsschwelle im elterlichen Haushalt geblieben war, scheint dies bis zur eigenen Haushaltsgründung getan zu haben. Ein Ausscheiden aus der Herkunftsfamilie zu Beginn des dritten Lebensjahrzehnts trat zurück, und der Anteil der über 23 Jahre alten Söhne stieg an. (Vgl. Tabelle 26, S. 116) Bei Mädchen lagen andere Verhältnisse vor. Die für sie zur Auswahl stehenden Berufe waren höchst beschränkt. In Gaudenzdorf arbeiteten 1870 und 1880 90 Prozent der bei ihren Eltern lebenden berufstätigen Töchter in folgenden Bereichen: häuslicher und persönlicher Dienst, Textilindustrie, Bekleidungsindustrie und nicht näher definierte „Fabriksarbeit". Die Berufsverteilung von Mädchen zeigt damit eine charakteristische Ambivalenz. (Vgl. Tabelle 60)

Tabelle 60. Berufe der bei ihren Eltern lebenden (Wien/Gaudenzdorf, 1870 - 1880)

Töchter

Berufsgruppen

Gaudenzdorf 1870

1880

(%)

(%)

Häuslicher und persönlicher Dienst Textilerzeugung Bekleidungsindustrie „Fabriksarbeit" Sonstige

18 18 29 25 10 100

10 4 26 47 13 100

Zahl der berufstätigen Töchter (abs.)

144

125

Quelle:

WStLA, Konskriptionen 1870 - 1880.

Ein hoher Anteil hatte „Fabriksarbeit" als Beruf angegeben, nämlich 25 Prozent im Jahre 1870 und 47 Prozent im Jahre 1880. Wenn diese Berufsbezeichnung auch nicht eindeutig ist, so lassen zeitgenössische sozialwissenschaftliche Untersuchungen und Befragungen doch den Schluß zu, daß hier tatsächlich Arbeit in größeren Fabriken gemeint war. (90) Die Arbeiterinnen in den Fabriken der Textil-, Bekleidungs-, Papier- und Lederindustrie waren jedenfalls

Berufstätigkeit von Töchtern

205

überwiegend jüngere Frauen, die im Haushalt ihrer Eltern lebten. (91) Von den Arbeiterinnen Wiener Industriebetriebe, die 1 8 9 6 nach ihren Arbeits- und Lebensbedingungen befragt worden waren, waren knapp über 7 0 Prozent jünger als 3 0 J a h r e . (92) Für T ö c h t e r von Arbeitern bestanden also industrielle Arbeitsmöglichkeiten. Andererseits spielten auch die Berufe des häuslichen und persönlichen Dienstes eine große Rolle. In Gaudenzdorf gaben 1 8 7 0 und 1 8 8 0 18 bzw. 1 0 Prozent der T ö c h t e r entsprechende Berufe an. Mit den bei ihren Eltern verbleibenden Töchtern ist hierbei jedoch nur der kleinste Teil erfaßt, da für diese Tätigkeiten j a noch das Wohnen beim Dienstgeber üblich war. Schon 1857 war deshalb bei Arbeitermädchen eine frühe Abschichtung festzustellen gewesen - wesentlich früher als bei Söhnen - und auch noch in den Arbeiterhaushaltsrechnungen von 1 9 1 2 - 1 9 1 4 finden sich Bemerkungen, daß T ö c h ter als Hausmädchen ,4m D i e n s t " und deswegen vom Haushalt abwesend seien, was bei Söhnen als Lehrlingen kaum mehr vorkam. (93) Fabriksarbeit, Dienst in fremdem Haus oder die Tätigkeit bei einer Zwischenmeisterin der Bekleidungsindustrie waren also die wichtigsten Berufsfelder für Arbeitermädchen. Für das Eingehen einer Lehre blieb dazwischen nicht viel Raum; dies war den Söhnen vorbehalten. (94) Die widersprüchlichen Berufsfelder für Mädchen spiegeln sich in den Zeitpunkten, an denen bevorzugt das Elternhaus verlassen wurde. Im Gegensatz zu den Söhnen blieb für die T ö c h t e r eine frühe Abschichtungsschwelle zwischen dem 1 2 . und dem 1 4 . Lebensjahr bedeutsam. (Vgl. Tabelle 2 7 , S. 122) Davon waren j e n e betroffen, die als Magd oder Hausmädchen Dienst in einem fremden Haus antraten. Die Abschichtungsschwelle um das 17. und 1 8 . Lebensjahr trat dagegen bei Mädchen weniger deutlich hervor als bei Knaben. Hatte ein Mädchen Fabriksarbeit ergriffen und war über den Beginn der Arbeitsaufnahme hinaus bei den Eltern verblieben, dann schienen daraus längerfristige Bindungen hervorgegangen und der Lohn des Mädchens zu einem fixen Posten im Einkommen der Arbeiterfamilie geworden zu sein. (95) Zu Anfang ihres dritten Lebensjahrzehnts verließen dagegen Mädchen wiederum rascher ihre Eltern als Burschen; der Anteil der älteren T ö c h t e r war geringer als der Anteil der älteren Söhne. Wir können auch für Mädchen, die nicht beim Arbeitgeber wohnten, annehmen, daß sie bis zur Heirat bei den Eltern blieben - ihr Heiratsalter lag jedoch unter dem ihrer Brüder.

206

Obergang zur Hochindustrialisierung

In welch hohem Maß die hier skizzierten Veränderungen an die spezifischen Arbeitsmöglichkeiten für Knaben und Mädchen gebunden waren, läßt sich an Hand des Beispiels Kaiser-Ebersdorf 1890 erkennen. In einer Reihe anderer Fragen repräsentierte dieses Beispiel die entwickeltste Stufe des Wandels, in dem sich die Wiener Arbeiterfamilien im Übergang zur Hochindustrialisierung befanden. Bei der Abschichtung der Kinder trifft das genaue Gegenteil zu: In Kaiser-Ebersdorf verließen Knaben und Mädchen sehr früh ihre Eltern. Hier gab es außerhalb der Eisenhütte der Alpine-Montan-Gesellschaft keinerlei Arbeitsmöglichkeiten, sodaß die Kinder zum Abwandern gezwungen waren. Die Entwicklung des Anteils der bei den Eltern lebenden Kinder an den einzelnen Altersgruppen spiegelt die dargestellten Veränderungen. (Vgl. Tabelle 61) Die Altersgruppen unter 20 Jahren wurden immer stärker von im elterlichen Haushalt lebenden Kindern dominiert. Geringe Veränderungen zeigt die Altersgruppe zwischen 20 und 24 Jahren, während im Alter ab 25 eine Gegentendenz sichtbar wird: Hier nahm der Anteil der bei den Eltern lebenden Kinder stetig ab, worin sich ein sinkendes Heiratsalter und verbesserte Möglichkeiten zur Gründung eines eigenen Haushalts ausdrückt. Der für die alteuropäische Gesellschaft typische lange Zeitraum zwischen dem Verlassen des Elternhauses und der eigenen Haushaltsgründung wurde solcherart in der industriellen Arbeiterfamilie von zwei Seiten her eingeschränkt. Es wurde zur Norm, früh eine eigene Familie zu gründen und bis dahin bei den Eltern zu wohnen. Damit waren auch in den Arbeiterfamilien die Voraussetzungen dafür geschaffen, dafi sich langdauemde und intensive Beziehungen zwischen Eltern und Kindern entwickeln konnten. (96)

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VERZEICHNIS DER TABELLEN Tab. 1. Entwicklung der Trauungsziffer (Wien insgesamt, 1754 - 1935) Tab. 2. Gesamtbevölkerung nach dem Familienstand (Wien insgesamt, 1780 - 1934) Tab. 3. Entwicklung des Heiratsalters (Wien insgesamt, 1831 - 1900) Tab. 4. Familienstand der getrauten Personen (Wien insgesamt, 1709 - 1935) Tab. 5. Verwitwete getraute Personen nach dem Geschlecht (Wien insgesamt, 1709 - 1935) Tab. 6. Haushaltsvorstände der gewerblichen Produktion nach der Stellung im Beruf (Wien/Gumpendorf, 1805 - 1857) Tab. 7. Entwicklung der Geburtenziffer (Wien insgesamt, 1754 - 1934) Tab. 8. Regional gegliederte Geburtenziffer (Innere Stadt und Vorstädte, 1783 - 1856) Tab. 9. Regional gegliederte Geburtenziffer (Vororte im Westen Wiens, 1820 - 1880) Tab. 10. Entwicklung der Säuglingssterblichkeit (Wien insgesamt, 1730 - 1935) Tab. 11. Sterbeziffer und Kindersterblichkeit (Wien insgesamt, 1706 - 1935) Tab. 12. Durchschnittliche Personenanzahl pro Haushalt (Wien insgesamt, 1780 - 1934) Tab. 13. Bevölkerungswachstum in Wien (1754 - 1910) Tab. 14. Verhältnis von selbständig zu unselbständig Berufstätigen in Gewerbe und Industrie (Wien insgesamt, 1837 - 1900) Tab. 15. Rückgang der Seidenverarbeitung (Wien insgesamt, 1850-1887)

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62 70

Tabellenverzeichnis Tab. 16. Haushalte von selbständig Gewerbetreibenden ausgewählter Gewerbegruppen mit inwohnenden Gesellen/Lehrlingen (Wien/Gumpendorf, 1857) Tab. 17. Produktions- und Verkehrsunternehmungen in Wien 1853 nach der Steuerklasse Tab. 18. Berufstätige in Gewerbe und Industrie (Wien insgesamt, 1837 - 1900) Tab. 19. Anteil der Frauen an den selbständig und unselbständig Berufstätigen in Gewerbe und Industrie (Wien insgesamt, 1837 - 1900) Tab. 20. Sexualproportion: Anteil der Männer und der Frauen an der Zivilbevölkerung (Wien insgesamt, 1754 - 1934) Tab. 21. Unehelichenquote: Verhältnis der ehelich zu den unehelich Lebendgeborenen (Wien insgesamt, 1797 - 1935) Tab. 22. Korrelationsanalyse: Zusammenhang zwischen der Personenzahl pro Haushalt und der Zahl familialer Rollenträger (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 23. Unselbständig in Gewerbe und Industrie Beschäftigte nach Familienstand und Alter (Wien/Gumpendorf, 1857) Tab. 2 4 . Anteil der Verheirateten an den „Gesellen" (Stadtteile Wiens, 1857) Tab. 2 5 . Altersunterschiede zwischen den Ehegatten (Wien/Gumpendorf, 1857) Tab. 26. Abschichtung der Söhne (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 27. Abschichtung der Töchter (Stadtteile Wiens,1857 - 1890) Tab. 28. Größe und Zusammensetzung von Haushalten von (a) selbständig Gewerbetreibenden und (b) Unselbständigen (Wien/Gumpendorf, 1857) T a b . 2 9 . Verhältnis von Kinderzahl und Gesindezahl in Haushalten selbständig Gewerbetreibender (Wien/Gumpendorf, 1857) Tab. 30. Haushalte von selbständig Gewerbetreibenden und unselbständig in Gewerbe und Industrie

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Tab.

Tab. Tab. Tab.

Tab.

Tabellenverzeichnis Beschäftigten nach der Personenzahl (Wien/Gumpendorf, 1857) 31. Anteil des beim Arbeitgeber wohnenden Personalls an der Gesamtzahl der Berufstätigen (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) 3 2 . Beim Arbeitgeber wohnendes Personal nach Berufsklassen (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) 3 3 . Beim Arbeitgeber wohnendes Personal nach Alter und Geschlecht (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) 3 4 . Unterschiedliche Altersverteilung des männlichen und weiblichen beim Arbeitgeber wohnenden Personals (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) 3 5 . Verhältnis von Gesellen und Lehrlingen unter dem beim Arbeitgeber wohnenden Personal

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(Wien/Gumpendorf 1857) T a b . 36. Herkunft des beim Arbeitgeber wohnenden Personals nach der Berufszugehörigkeit

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(Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 37. Anteil des beim Arbeitgeber wohnenden Personals an den Altersgruppen der Gesamtbevölkerung (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 38. Haushalte von selbständig Gewerbetreibenden mit inwohnendem Personal (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 39. Haushalte von selbständig Gewerbetreibenden mit inwohnendem weiblichen Personal (Wien/Gumpendorf, 1857)

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Tab. 4 0 . Wohnverhältnisse von unselbständig Beschäftigten (Wien/Gumpendorf, 1857; Wien insgesamt, 1869, 1880) Tab. 4 1 . Untermieter/Bettgeher nach dem Zivilstand (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 4 2 . Wohnverhältnisse nach dem Alter (Wien/Gumpendorf, 1857) T a b . 4 3 . Untermieter/Bettgeher nach dem Alter (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) T a b . 4 4 . Untermieter/Bettgeher nach dem Beruf (Stadtteile Wiens 1857 - 1880)

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Tabellenverzeichnis

Tab. 45. Wohnverhältnisse von Arbeitern ausgewählter Berufsgruppen (Wien/Gumpendorf, 1857; Wien insgesamt, 1880) Tab. 46. Anteil der Untermieter/Bettgeher an den Altersgruppen der Gesamtbevölkerung (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 47. Zahl der Untermieter pro Haushalt (Wien/Gumpendorf, 1857; Wien insgesamt, 1890) . . . Tab. 48. Betriebsgrößen in Wien, 1902 Tab. 49. Altersverteilung (Wien insgesamt, 1856 - 1934) Tab. 50. Legitimation unehelicher Geburten durch nachfolgende Heirat (Wien insgesamt, 1886 - 1910) Tab. 51. Gesamtbevölkerung nach der Stellung im Haushalt (Wien insgesamt, 1856 - 1934) Tab. 52. Zusammensetzung der Haushalte (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 53. Entwicklung der häufigsten Familienkonstellationen (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 54. Unselbständig Beschäftigte in Gewerbe und Industrie nach Zivilstand und Alter (Wien insgesamt, 1869 - 1890) Tab. 55. Anteil der Haushaltsvorstände und deren Ehegatten an den Altersgruppen der Gesamtbevölkerung (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 56. Berufstätigkeit verheirateter Frauen (Wien/Gaudenzdorf, 1870 - 1880) Tab. 57. Berufstätigkeit verheirateter Frauen aus 114 Wiener Arbeiterfamilien 1 9 1 2 - 1 9 1 4 Tab. 58. Altersunterschiede zwischen den Ehegatten (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890) Tab. 59. Berufe der bei ihren Eltern lebenden Söhne (Stadtteile Wiens, 1857 - 1880) Tab. 60. Berufe der bei ihren Eltern lebenden Töchter (Wien/Gaudenzdorf, 1870 - 1880) Tab. 61. Anteil der leiblichen, bei ihren Eltern wohnenden Kinder an den Altersgruppen der Gesamtbevölkerung (Stadtteile Wiens, 1857 - 1890)

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Sozial- und wirtschaftshistorische Studien Band

1 Peter Feldbauer: Der Herrenstand in Oberösterreich

Band

2 Hannes Stekl: Österreichs Aristokratie im Vormärz

Band

3 Herrschaftsstruktur und Ständebildung 1: Peter Feldbauer: Herren und Ritter

Band 4 Herrschaftsstruktur und Ständebildung 2: Herbert Knittler: Städte und Märkte Band

5 Herrschaftsstruktur und Ständebildung 3: Ernst Bruckmüller: Täler und Gerichte — Helmut Stradal: Die Prälaten — Michael Mitterauer: Ständegliederung und Ländertypen

Band 6 Michael Mitterauer (Hrsg.): Österreichisches Montanwesen Band

7 Hermann Kellenbenz (Hrsg.): Wirtschaftspolitik und Arbeitsmarkt

Band

8 Edith Rigler: Frauenleitbild und Frauenarbeit in Österreich vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg

Band

9 Peter Feldbauer: Stadtwachstum und Wohnungsnot

Band 10 Alfred Hoffmann (Hrsg.): Österreich-Ungarn als Agrarstaat Band 11 Franz Mathis: Zur Bevölkerungsstruktur österreichischer Städte im 17. Jahrhundert Band 12 Hannes Stekl: Österreichs Zucht- und Arbeitshäuser 1671 — 1920 Band 14 Hubert Ch. Ehalt: Ausdrucksformen absolutistischer Herrschaft