Fallgesetz und Massebegriff: Zwei wissenschaftshistorische Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus 9783110838831, 9783110064285


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German Pages 168 [172] Year 1971

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Table of contents :
Methodologisches Vorwort
Erste Untersuchung: Philoponus’ „Fallgesetz“
Einleitung
Kapitel I: Philoponus’ Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen in Physik Δ 8 und die Konstruktion seines neuen „Fallgesetzes“
1. Philoponus’ Kritik an diesen Bewegungsproportionen nach der Deutung E. Wohlwills
2. Seine Kritik nach der Deutung P. Duhems
3. Die logische Verknüpfung der beiden aristotelischen Proportionalitätsannahmen als theoretische Voraussetzung in Philoponus’ Widerlegungsverfahren
4. Die Konstruktion des neuen „Fallgesetzes“ mit Hilfe jener logischen Verknüpfung
5. Die explizite Definition der Begriffe „Schwere“ (bzw. „Leichte“) (ῥοπή) und „Dichte“ (παχυμέρεια)
Kapitel II: Die Dichte des Mediums als Widerstand; die Schwere des Körpers als Wirkursache der Bewegung
1. Die Differenz zwischen der aristotelischen Auffassung bezüglich der Dichte des Mediums und der Schwere des Körpers und der des Philoponus
2. Philoponus’ Deutung der Schwere als Wirkursache der Bewegung – ein Kompromiß zwischen Aristoteles und Galen?
3. Philoponus’ Deutung der Dichte des Mediums als Widerstand in ihrem Zusammenhang mit seiner Zurückführung aller Bewegungen auf innere Kräfte (Die Impetustheorie)
Kapitel III: Die Aufhebung des kosmologischen Gegensatzes zwischen „naturwidrig“ und „naturgemäß“
1. Eine erzwungene Bewegung ist nach Philoponus nicht naturwidrig, wenn sie auf das Prinzip der vis impressa zurückführbar ist
2. Zwei verschiedene Bedeutungen von „naturgemäß“
3. Alle natürlichen Veränderungen sind nach Philoponus insofern naturgemäß, als sie in einem universalen teleologischen Zusammenhang stehen
4. Resultat von Kapitel III
Kapitel IV: Eine genetische Erklärung des Zusammenhangs zwischen Philoponus’ dynamischer Deutung der Fall- und Wurfbewegungen und der Relativierung des Naturgemäßen und Naturwidrigen
1. Die „platonistische“ Theorie des de Anima-Kommentars
2. Exkurs: Philoponus’ Theorie der Selbstbewegung der Seele
3. Das chronologische Verhältnis zwischen Physik- und de Anima-Kommentar
4. Die Zurückführung der Fallbewegung auf mitgeteilte Kräfte im Physik-Kommentar als theoretische Erweiterung der „platonistischen“ Theorie des de Anima-Kommentars
5. Resultat von Kapitel IV
Kapitel V: Das Prinzip der mitgeteilten Kraft vor dem Hintergrund neuplatonischer Kausalitätstheorie
1. Der Begriff der vis impressa im Umkreis der neuplatonischen Begriffstrias „πρόοδος – μονή – τελείωσις“
2. Philoponus’ Theorie der mitgeteilten Kraft: ihr kritisches Verhältnis zugleich gegenüber der aristotelischen Bewegungslehre und gegenüber Proklos’ vis impressa-Theorie
3. Philoponus’ Kritik an der Behauptung der Ewigkeit der Welt im Verhältnis zu Proklos’ vis impressa-Theorie
Schlußbemerkungen
Zweite Untersuchung: Zur Genese des Begriffs der ausgedehnten Substanz und der Masse
Einleitung
Kapitel I: Zur Vorgeschichte von Philoponus’ Theorie der ausgedehnten Substanz
1. Lukios’ Aporie: Das Problem der für eine Substanz konstitutiven Attribute
2. Porphyrius’ Lösungsversuch: Das Postulat der materia prima
3. Philoponus’ Kritik an Porphyrius’ Position
Kapitel II: Die Entwicklung in der Substanztheorie des Philoponus zwischen den Jahren 517 und 529
1. Die Kritik in Philoponus’ Physik-Kommentar am Prinzip „nihil ex nihilo“
2. Die Substanztheorie von 517
3. Die Substanztheorie von 529
4. Was hinderte Philoponus, die Substanztheorie von 529 schon im Physik-Kommentar zu vertreten?
Kapitel III: Philoponus’ Beitrag zur Konzeption des Massebegriffs
1. Die aristotelische Theorie der Kontraktion und Expansion in Physik Δ 9
2. Die Kritik an dieser Theorie in Philoponus’ Physik- Kommentar
3. Die Substanztheorie von 529 als Theorie des spezifischen Volumens
4. Zur Bedeutung dieser Theorie für die Genese des Begriffs der quantitas materiae
Literaturverzeichnis
Index Verborum
Sachregister
Namenregister
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Fallgesetz und Massebegriff: Zwei wissenschaftshistorische Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus
 9783110838831, 9783110064285

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Wölfl · Fallgesetz und Massebegriff

W G DE

Quellen und Studien zur Philosophie Herausgegeben von Günther Patzig, Erhard Scheibe, Wolfgang Wieland

Band 2

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1971

Fallgesetz und Massebegriff Zwei wissenschaftshistorische Untersuchungen zur Kosmologie des Johannes Philoponus

von Michael Wolff

Walter de Gruyter & Co. Berlin 1971

Ardiiv-Nr. 34 96 702

© 1970 by Walter de Gruyter & Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J. Guttentag, Verlagsbuchhandlung - Georg Reimer - Karl J. Trübner - Veit & Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikropie, Xerokopie) zu vervielfältigen. Satz und Druck: Walter Pieper, Würzburg.

Me-ti sagte: Wenn man Bronze- oder Eisenstücke im Schutt findet, fragt man: Was waren das in alter Zeit für Werkzeuge? Wozu dienten sie? Aus den Waffen schließt man auf Kämpfe; aus den Verzierungen auf Handel. Man ersieht Verlegenheiten und Möglichkeiten aller Art. Warum macht man es mit den Gedanken nicht auch so?

INHALT

Methodologisches Vorwort

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Erste Untersuchung:

Philoponus' „Fallgesetz" Einleitung

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Kapitel I: Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen in Physik Δ 8 und die Konstruktion seines neuen „Fallgesetzes "

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1. Philoponus' Kritik an diesen Bewegungsproportionen nach der Deutung E. Wohlwills 2. Seine Kritik nach der Deutung P. Duhems . . . . 3. Die logische Verknüpfung der beiden aristotelischen Proportionalitätsannahmen als theoretische Voraussetzung in Philoponus' Widerlegungsverfahren 4. Die Konstruktion des neuen „Fallgesetzes" mit Hilfe jener logischen Verknüpfung Die explizite Definition der Begriffe „Schwere" (bzw. „Leichte") (ροπή) und „Dichte" (παχυμέρεια) . . . Kapitel II: Die Dichte des Mediums als Widerstand; die Schwere des Körpers als Wirkursache der Bewegung 1. Die Differenz zwischen der aristotelischen Auffassung bezüglich der Dichte des Mediums und der Schwere des Körpers und der des Philoponus 2. Philoponus' Deutung der Schwere als Wirkursache der Bewegung — ein Kompromiß zwischen Aristoteles und Galen?

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Inhalt

3. Philoponus' Deutung der Dichte des Mediums als Widerstand in ihrem Zusammenhang mit seiner Zurückführung aller Bewegungen auf innere Kräfte (Die Impetustheorie) . Kapitel III: Die Aufhebung des kosmologisdien Gegensatzes zwischen „naturwidrig" und „naturgemäß" 1. Eine erzwungene Bewegung ist nach Philoponus nicht naturwidrig, wenn sie auf das Prinzip der vis impressa zurückführbar ist 2. Zwei verschiedene Bedeutungen von „naturgemäß" . . 3. Alle natürlichen Veränderungen sind nach Philoponus insofern naturgemäß, als sie in einem universalen teleologischen Zusammenhang stehen 4. Resultat von Kapitel III Kapitel IV: Eine genetische Erklärung des Zusammenhangs zwischen Philoponus' dynamischer Deutung der Fall- und Wurfbewegungen und der Relativierung des Naturgemäßen und Naturwidrigen 1. Die „platonistische" Theorie des de Anima-Kommentars 2. Exkurs: Philoponus' Theorie der Selbstbewegung der Seele 3. Das chronologische Verhältnis zwischen Physik- und de Anima-Kommentar 4. Die Zurückführung der Fallbewegung auf mitgeteilte Kräfte im Physik-Kommentar als theoretische Erweiterung der „platonistischen" Theorie des de Anima-Kommentars . 5. Resultat von Kapitel IV Kapitel V: Das Prinzip der mitgeteilten Kraft vor dem Hintergrund neuplatonischer Kausalitätstheorie 1. Der Begriff der vis impressa im Umkreis der neuplatonischen Begriffstrias „πρόοδος — μονή — τελείωσις" . . . . 2. Philoponus' Theorie der mitgeteilten Kraft: ihr kritisches Verhältnis zugleich gegenüber der aristotelischen Bewegungslehre und gegenüber Proklos' vis impressa-Theorie . 3. Philoponus' Kritik an der Behauptung der Ewigkeit der Welt im Verhältnis zu Proklos' vis impressa-Theorie . Schlußbemerkungen

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Inhalt

IX

Zweite Untersuchung:

Zur Genese des Begriffs der ausgedehnten Substanz und der Masse Einleitung Kapitel I: Zur Vorgeschichte von Philoponus'Theorie der ausgedehnten Substanz 1. Lukios' Aporie: Das Problem der für eine Substanz konstitutiven Attribute 2. Porphyrius' Lösungsversuch: Das Postulat der materia prima 3. Philoponus'Kritik an Porphyrius'Position . . . . Kapitel II: Die Entwicklung in der Substanztheorie des Philoponus zwischen den Jahren 5 1 7 und 529 1. Die Kritik in Philoponus' Physik-Kommentar am Prinzip „nihil ex nihilo" 2. Die Substanztheorie von 5 1 7 3. Die Substanztheorie von 529 4. Was hinderte Philoponus, die Substanztheorie von 529 schon im Physik-Kommentar zu vertreten? . . . .

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Kapitel III: Philoponus' Beitrag zur Konzeption des Massebegriiis . 1. Die aristotelische Theorie der Kontraktion und Expansion in Physik Δ 9 2. Die Kritik an dieser Theorie in Philoponus' PhysikKommentar 3. Die Substanztheorie von 529 als Theorie des spezifischen Volumens 4. Zur Bedeutung dieser Theorie für die Genese des Begriffs der quantitas materiae

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Literaturverzeichnis

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Index Verborum

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Sachregister

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Namenregister

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Methodologisches Vorwort

„Wenn man Erfinder sein will, so verlangt man der Erste zu sein; will man nur Wahrheit, so verlangt man Vorgänger" (Kant, Refl. 2159).

Seitdem Ernst Mach einige Entdeckungen Emil Wohlwills in seine Geschichte der Mechanik aufgenommen hatte 1> und seit den historischen Forschungen Pierre Duhems 2 ist die Bedeutung von Johannes Philoponus für die Vorgeschichte der klassischen Physik, insbesondere der Dynamik, der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung im Umriß bekannt. Bis in die neueste Zeit ist, weniger allerdings im Rahmen von Einzelstudien als im Zusammenhang von Gesamtdarstellungen und Textsammlungen zur Geschichte der vorklassischen Physik, auf Philoponus als einen „Wegbereiter der Neu1 E. Mach „Die Mechanik, historisch-kritisch dargestellt", 7. Aufl. Leipzig 1912, zweites Kapitel („Die Entwicklung der Prinzipien der Dynamik"). — E. Wohlwill hatte in einem Vortrag „Ein Vorgänger Galileis im 6. Jahrhundert" auf einer Versammlung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte 1905 bereits auf Philoponus' Bedeutung für die Vorgeschichte der klassischen Mechanik hingewiesen. Eine Zusammenfassung dieses Vortrags findet sich in „Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, 77. Versammlung zu Meran 1905", 2. Teil, 2. Hälfte, Leipzig 1906, S. 81 ff. Α. E. Haas („Über die Originalität der physikalischen Lehren des Johannes Philoponus" in: Bibliotheca Mathematica, III. Folge, VI., 1907, S. 337—342) bezweifelte in einer Replik auf Wohlwills Vortrag, ohne weitergehende Untersuchungen über Philoponus anzustellen, dessen Originalität, was auf der Grundlage von Wohlwills Entdeckungen nicht schwierig war, und strich, ähnlich wie es Wohlwill mit Philoponus getan hatte, die Bedeutung Hipparchs für die Vorgeschichte der Physik heraus, als ob es in dieser nur darum ginge, „den Vermittler zwischen Aristoteles und Galilei" (a.a.O. 337) herauszufinden und dann als Pionier zu feiern. Zu den besonderen historischen Beziehungen zwischen Galilei und Hipparch vgl. neuerdings W. Hartner / M. Schramm. „La notion de l'inertie chez Hipparque et Galilee" (in: Actes du 2 e Symposium International d'Histoire des Sciences, Pise-Vinci 1958). Auch diese Autoren berücksichtigen allerdings nicht, daß Hipparchs Theorie des freien Falls nur in der neuplatonischen, durch Philoponus vielleicht nicht unbeeinflußten Interpretation des Simplicius (In Cael. 264,25 ff.) überliefert ist. 2

P. Duhem „Le Systeme du Monde", torn. I, Paris 1914, chap. V und VI.

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Methodologisches Vorwort

zeit" hingewiesen worden 3 . Unter dem historischen Gesichtspunkt der Vorwegnahme sind auch im Hinblick auf ihn, den Zeitgenossen des Boethius 4 , Entdeckungen gemacht worden, die Aufschluß über die Bedingungen geben können, unter denen die neuzeitliche Physik de facto entstanden ist, Bedingungen, durch die sie von alten metaphysischen Voraussetzungen abhängig blieb, die aber gleichsam die Abstoßfläche gebildet haben, von der die neuzeitliche Physik sich abhob. Entdeckungen solcher „Vorwegnahmen" sind historisch interessant aber nur dann, wenn es möglich ist, den Nachweis zu erbringen, daß sie wirklich zur Traditionsgeschichte gehört haben, in der die beginnende neuzeitliche Physik steht. Nachweise dieser Art sind für Philoponus bisher nicht in dem Maße geliefert worden, in dem er als Vorgänger bezeichnet worden ist 5 . 3

Stellvertretend sind hier einige Darstellungen zu nennen: A. Maier „Die Impetustheorie der Scholastik", Wien 1940, S. 1 1 ff.; E. J. Dijksterhuis „Die Mechanisierung des Weltbildes", Berlin 1956, S. 88 f., 201 ff.; M. Clagett „The Science of Mechanics in the Middle Ages", Madison 1959; Μ. Jammer „Das Problem des Raumes", Darmstadt i960, S. 56 fi.; S. Sambursky „The Physical World of Late Antiquity", New York 1962 (vgl. „General Index" unter „John Philoponus").

4

Boethius war ebenso wie Philoponus Schüler des Ammonius Hermeiu. Zur Person des Philoponus vgl. vor allem A. Gudeman, Art. „23) Joannes" (Philoponus), in: R E Bd. IX 2, Sp. 1764 ff. Das liegt vor allem daran, daß solche Nachweise kaum zu erbringen sind, ohne die Geschichte der arabischen Naturphilosophie mit einzubeziehen. Soweit ich sehe, gibt es bisher nur eine Studie (E. A. Moody „Galileo and Avempace", in: Journal of the History of Ideas, New York 1951, vol. X I I Nr. 2, S, 163—193 und Nr. 3, S. 375—422), die diesen Anforderungen versucht gerecht zu werden. Diese Studie befaßt sich speziell mit der Frage, unter welchen Bedingungen Galilei während seiner Pisaner Zeit Kenntnis von Philoponus' Fallgesetz gehabt hat; sie versucht nachzuweisen, daß Galilei mit dem Fallgesetz des Arabers Avempace vertraut gewesen ist, das, wie Moody zeigt, der Sache nach mit dem von Philoponus identisch ist. — Daß Galilei vielleicht unmittelbar von Philoponus Kenntnis hatte, dessen Physik-Kommentar im Jahre 1535 in griechischer Sprache, in den Jahren 1542, 1554, 1558 und 1569 in verschiedenen lateinischen Ubersetzungen erschien, möchte Moody nicht ausschließen (a. a. O., S. 414).

5

Uber den eminenten Einfluß des Philoponus auf die arabische Philosophie, der vor allem in der Tatsache begründet zu sein scheint, daß die Kontroverse um die Frage der Ewigkeit der Welt, für die Philoponus in seiner ins Arabische übersetzten Schrift „De aet. m." eine Reihe grundlegender Argumente beigesteuert hatte, bei den Arabern weiterhin ausgetragen wurde, informieren M. Steinschneider „Johannes Philoponos bei den Arabern", in: Memoires de l'Academie Imperiale des Sciences de Saint-Petersbourg, VII e serie, torn. X I I I Nr. 4, 1869, S. 152 ff., 220 ff., 250 ff.; S. van den Bergh „Introduction", S. X V I I f f . (vgl. audi den Index in voLII) zu seiner Ausgabe von Averroes' „Tahafut al — Tahafut", vol. I, London 1954. — (Steinschneider bringt vor allem bibliographische Nachweise für bei den Arabern bekannte oder ins Arabische Übersetzte Schriften des Philoponus. Van den Bergh geht hingegen einigen inhaltlichen Einflüssen nach.) —

Methodologisches Vorwort

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Die Entdeckung der Existenz von Vorgängern der klassischen Physik hat dazu beigetragen, den neuzeitlichen Mythos zu entschleiern, der Ursprung alles Wissens der „neuen Wissenschaft" sei „das Buch der Natur" gewesen. Aber dieser Mythos wird durch solche Entdeckungen allein nicht beseitigt; im Gegenteil: die einseitige Methode, Schriften antiker und mittelalterlicher Autoren nach Spuren abzusuchen, die „in Richtung auf den Fortschritt" 6 weisen, sie bloß nach wahren Erkenntnissen über die Gegenstände einer künftigen Wissenschaft zu befragen, ist selbst ein Ausdruck des Vorurteils, daß die Leistung auch dieser Autoren kaum in etwas anderem habe bestehen können als einem — wenn auch nur flüchtigen und bloß vorwegnehmenden — Blick in „das Buch der Natur". Die Vorgeschichte der klassischen Physik 7 ist so kaum etwas anderes als eine Anhäufung zufälliger und mehr oder weniger genialer Einsichten in die Tatsachen der Natur, vergleichbar jener Trauben, aus denen, wie Bacon meinte, der Wein der Wissenschaft gekeltert wird. Als naiv stellt sich diese Ansicht von der Geschichte der vorklassischen Physik heraus, wenn man die anscheinend den Fortschritt anbahnende Leistung eines einzelnen ihrer Exponenten nach anderen Kriterien bemißt als nach dessen Eigenschaft, in irgendeiner Hinsicht „der Erste" zu sein. Abgesehen davon, daß diese Eigenschaft natürlich niemandem mit Gewißheit zugeschrieben werden kann, ist sie für die „Wahrheit" einer wissenschaftlichen Theorie, für das, was in ihr wirklich geleistet wurde, bedeutungslos. Irgendein künftiger „Stand der Forschung", auf den sich eine Theorie ihrem Inhalt nach beziehen läßt, vermag deren mögliche Wahrheit nicht zu bestätigen. Diese kann immer nur hypothetisch angenommen werden, steht unter dem Vorbehalt des Irrtums und bleibt auf den „Stand der Forschung" zurückbezogen. Gibt es überhaupt „Wahrheit", wird man sich ihrer niemals als Eigenschaft einer Theorie bewußt. Wenn es für die Bildungsgeschichte der nicht-apriorischen Wissenschaften so etwas wie inneren Fortschritt gibt, hängt er davon ab, inwiefern sich 6 Wohlwill, a. a. O., S. 82. 7 Vor allem die Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts — Condorcet sei hier nur als Beispiel genannt — verband das Vorurteil, der Fortschritt der Wissenschaft bestehe in einem stetigen Wachstum der Summe von Wahrheiten, die das System der beobachtenden, experimentierenden und rechnenden Wissenschaften bilden, mit der historischen Ansicht, daß die Ergebnisse der vorklassischen Physik bei ihrem angeblichen Verzicht auf das planmäßige Befragen der Natur durch Experimente mehr auf zufällig gefundenen, sich von selbst aufdrängenden Tatsachen als auf physikalischen Theorien beruht haben. (Vgl. M. J. Α. N. Caritat Marquis de Condorcet „Esquisse d'un tableau historique des progres de l'esprit humain", hsg. von W. Alff, Frankfurt 1963, S. 128 β., 3 68)

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Methodologisches Vorwort

diese oder jene ihrer Theorien gegenüber den Theorien der Vorgänger, mit denen sie im Widerspruch steht, kritisch verhält. Dieses kritische Verhalten ergibt sich daraus, daß niemand, der einen Anspruch auf die Möglichkeit der Wahrheit einer von ihm vertretenen Ansicht erhebt, umhin kann, sich mit den Ansichten derer bewußt auseinanderzusetzen, denen er widerspricht. Kritik in diesem Sinne braucht nicht allein darin zu bestehen, die Falschheit anderer Theorien oder die Falschheit der Argumente für diese Theorien zu beweisen — dies ist nicht immer möglich. An „Abgrenzungskriterien" hat sich die beginnende Wissenschaft nie gehalten. Die kritische Negation einer Theorie kann sich auch auf den Beweis gründen, daß aus den kritisierten Theorien keine Argumente abzuleiten sind, aufgrund deren es möglich wäre, die Wahrheit einer neuen Theorie auszuschließen. Die Geschichte der Wissenschaft ist ein Beispiel für eine kontinuierlich geführte Diskussion, in der auch Meinungen geäußert werden, die zwar als widerlegbar gelten, die aber vorläufig von niemandem mit guten Gründen widerlegt werden können, — bis sie sich endlich, durch neue Argumente (und veränderte Zeitumstände) gestärkt, allgemein durchsetzen. Kritik muß insofern nicht notwendig auf der Widerlegung anderer Theorien, sondern kann im weiteren Sinne auch auf dem Nachweis beruhen, daß die eigene von anderen, ihr widersprechenden Theorien nicht widerlegt wird. Die kritische Position ist der kritisierten überlegen, da sie nur die Möglichkeit ihrer Berechtigung zu beweisen braucht, während die kritisierte Position gleichsam borniert, gegenüber der Möglichkeit einer von ihr verschiedenen Position blind ist 8 . Diese logische Struktur formalen wissenschaftlichen Fortschritts besagt natürlich nichts über die Gründe, die den Selektionsprozeß wissenschaftlicher Theorien, das endgültige Scheitern theoretischer, problematisch gebliebener Ansätze realisieren. Aber sie enthält den Leitfaden einer zum Kern der theoretischen Leistungen eines Autors führenden Methode; aus ihr leitet sich die allgemeine, auf „arm-chair-physics" nicht weniger als auf die moderne Physikgeschichte anwendbare Fragestellung her: ob und in welcher . j 8 Die Verbreitung der irrtümlichen Meinung, daß nicht nur der subjektive Beweggrund für die Übernahme einer neuen wissenschaftlichen Theorie, sondern auch das Fürwahrhalten einer solchen Theorie immer ein für wahr gehaltenes Argument sein muß (und nicht seinerseits Gründe haben kann, die nur durch Ideologiekritik aufzudecken sind), läßt sich vielleicht dadurch erklären, daß die Veröffentlichung einer Theorie ebenso wie die Veröffentlichung einer Kritik meist die Funktion hat, das Publikum von der Notwendigkeit zu überzeugen, eine Meinung aufzugeben. — Ein Beispiel dafür, wie die Aufstellung einer neuen Theorie und die mit ihr verbundene Widerlegung einer anderen Theorie mit der Überlegung verbunden ist, daß die widerlegte Theorie falsch, die neue Theorie dagegen wahr ist, wird im Kap. I der Untersuchung über Philoponus' „Fallgesetz" behandelt.

Methodologisches Vorwort

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Weise eine Theotie, sofern sie mit den Theorien der Vorgänger im Widerspruch steht, von deren unwiderlegten Bestandteilen nicht ausgeschlossen wird. Natürlich erhebt sich die Frage: Ist das Zutreffen der Kritik an einer Theorie auf der Basis einer anderen danach zu beurteilen, wie die kritisierte Theorie von uns oder wie sie von der untersuchten kritischen Position aus verstanden wird? — Es trifft zu, daß die Kritik an einer Theorie bereits eine bestimmte Interpretation dieser Theorie voraussetzt, die meist nicht die einzig mögliche ist. Weil sich die Möglichkeit verschiedener Interpretationen ein und desselben historischen Dokuments im allgemeinen nicht ausschließen läßt, muß sich der Historiker darauf beschränken, die Bedingungen anzugeben, unter denen er eine bestimmte Interpretation akzeptiert. Gerade daraus ergibt sich aber für den Wissenschaftshistoriker, wenn er sich zur Aufgabe macht, Bedingungen inneren wissenschaftlichen Fortschritts aufzusuchen, die Fragestellung, wie die an einer Theorie geübte Kritik zu interpretieren ist, wenn sie als zutreffend gelten soll 9 . — Die vorliegenden Untersuchungen über Philoponus' „Fallgesetz" und zur Genese des Begriffs der ausgedehnten Substanz und der Masse machen sich zur Aufgabe, Philoponus' Theorie der Fallbewegungen und deren Quantifikation sowie seine Theorie der ausgedehnten Substanz und des spezifischen Volumens unter dem Gesichtspunkt zu untersuchen, wiefern diese Theorien auf Kritik beruhen und unter welchen Bedingungen diese Kritik wirklich treffend ist. A n einigen Stellen werde ich versuchen, darüber hinaus zu zeigen, aufgrund welcher möglichen außerwissenschaftlichen Motive Philoponus zur Kritik an seinen Vorgängern gekommen ist: warum er ihnen in diesem und nicht in jenem Punkt widerspricht oder warum er gerade diese und keine andere Position bezieht I 0 . 9 Das schließt natürlich nicht aus zu zeigen, daß eine solche Kritik auf Mißverständnissen beruht. Aber der Nachweis der Möglichkeit, daß eine kritisierte Position auch anders interpretiert werden kann, beweist noch kein unwillkürliches Mißverständnis des Kritikers. Vielmehr beweist es die Unzulänglichkeit der kritisierten Position, die es arglos nicht vermeidet, so verstanden werden zu können, als ob sie ein Irrtum wäre. 10 In bezug auf Philoponus hat die Frage nach Motiven und Interessen, die hinter seiner ausdrücklichen Kritik am Aristotelismus stehen, bisher eine ungewöhnlich große Rolle gespielt. Es gibt neothomistische, der Dialektik der Aufklärung treu gehorchende Versuche, den Monophysiten Philoponus als „Zeugen" einer „christlichen Naturwissenschaft" hinzustellen, der Physik als Phänomen der Säkularisation. Ein kurioses Beispiel dieser Art stellt das Buch „Johannes Philoponos, ausgewählte Sdiriften, übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Walter Böhm", Paderborn 1967 (im Untertitel: „Christliche Naturwissenschaft im Ausklang der Antike, Vorläufer der modernen Physik, Wissenschaft und Bibel"), dar. „Man kann zeigen,

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Methodologisches Vorwort

Wenn Philoponus Aristoteles-Kommentator ist, heißt das nicht, daß sein unmittelbarer Gegner, den er widerlegt oder kritisiert, immer Aristoteles ist. O f t sind diese Gegner Aristoteles-Interpreten, Platoniker der Alexandrinischen oder Athenischen Schule und andere. Die Frage, gegen wen sich Philoponus mit den Argumenten, die er für seine Theorien ins Feld führt, richtet, muß im Einzelfall entschieden werden. — Einer seiner Gegner ist Philoponus selbst: Sowohl in seiner Theorie der Fallbewegungen als auch in seiner Theorie der ausgedehnten Substanz hat Philoponus seinen Standpunkt im Laufe der Zeit deutlich geändert. Die vorliegenden Untersuchungen müssen daher jeweils genetische Analysen einschließen Diese lassen in besondaß solche naturwissenschaftliche Theorien, wie er [sc. Philoponus] sie vertritt, nur auf dem Boden des Christentums erstehen konnten [ . . . ] . Evrard schon hat festgestellt, daß er bereits in seinen frühesten Aristoteleskommentaren von mehreren möglichen Interpretationen immer die auswählt, die sich mit der christlichen Religion am ehesten verträgt, nämlich mit der Lehre, daß Gott vor einer gewissen Zeit aus dem Nichts, d. h. also auch der Materie nach und die Zeit selbst erschaffen hat." (a. a. O., S. 31) E. Evrard („Les convictions religieuses de Jean Philopon et la date de son commentaire aux ,Meteorologiques' u , in: Bull, de la Classe des Lettres, V e s&ie, tom. X X X I X , Brüssel 1953, S. 351 ff.) hatte zum „Beweis" für die angeborene Zugehörigkeit des Philoponus zur damaligen Staatsreligion und für die Vereinbarkeit seiner im de Anima-Kommentar vorgetragenen Ansichten mit den Lehren der Kirche auf das vertrackte Argument zurückgreifen müssen, daß diese Lehren der Kirche im 6. Jahrhundert untereinander im Widerspruch standen und daß es beispielsweise in gleicher Weise mit den Lehren der Kirdie vereinbar war, die Ewigkeit der Welt wie ihre Entstehung aus nichts zu behaupten (vgl. dazu u. S. 92 f.). Man muß hinzufügen, daß ebenso auf Seiten nicht-christlicher Gelehrter der Spätantike sowohl die Ansicht vertreten wurde, die Welt sei ewig (ζ. B. von Simplicius), als auch die Ansicht, sie sei aus nichts entstanden (ζ. B. von Hierokles). — 11 Dabei ist folgende Chronologie der für uns wichtigen Schriften des Philoponus vorauszusetzen: Die einzigen exakt datierbaren Schriften sind der Physik-Kommentar und die AntiProklos-Schrift „De aet. m.": Beide Schriften geben ein Datum an, das jeweils in die Zeit fällt, während der diese Schriften verfaßt wurden — sie datieren sich also selbst, — der Physik-Kommentar (vgl. In Ph. 703, 16 ff.) den 10. Mai 517, die Anti-Proklos-Schrift (vgl. De aet. m. 579, 14 ff.) das Jahr 529. Sicher sehr spät, und zwar innerhalb des Zeitraums zwischen 557—560, zu datieren ist „De opificio mundi" (vgl. dazu Evrard, a. a. O., S. 299 ff.). In die Zeit nach 529 fällt die im de Caelo- und Physik-Kommentar des Simplicius nur noch fragmentarisch erhaltene Contra-Aristoteles-Sdirift. Das beweisen die Vorausankündigungen dieser Schrift in De aet. m. 258, 24; 396, 24 und 483, 20. Ebenfalls in die Zeit nach 529 (aber früher als die Contra-Aristoteles-Sdirift) ist der Meteorologie-Kommentar zu datieren. Das hat Evrard (a. a. O., vgl. S. 344) plausibel gemacht. (Seinen Beweis können wir hier voraussetzen, zumal ich im Verlaufe der folgenden Untersuchungen nichts von dieser Datierung abhängig mache.) Daß der de Anima-Kommentar älter als der Physik-Kommentar ist, werde idi im Kap. I V der ersten Untersuchung zeigen. Zur Datierung des Kategorien-Kommentars vor 529 vgl. S. 120. Anm. 23.

Methodologisches Vorwort

7

derem Maße deutlich werden, daß und auf welche Weise Philoponus selbständig zu seinen Theorien gekommen ist. — Abschließend möchte ich durch zwei vorläufige Merkmale erläutern, in welchem Sinne ich die beiden folgenden Abhandlungen als Untersuchungen zur Kosmologie bezeichnet habe. 1. Beide Untersuchungen behandeln insofern Fragen der Kosmologie, als sie sich beide speziell auf Gegenstände beziehen, die im aristotelischen Sinne in das Gebiet der Kosmologie gehören. Sie behandeln thematisch jeweils eines der (im folgenden näher erläuterten) Ordnungsprinzipien, nach denen sich Aristoteles die Welt aufgebaut denkt: a) das Prinzip der sogenannten „naturgemäßen" Bewegungen, zu denen die Fallbewegung gehört und die bewirken, daß jeder der Elementarstoffe Feuer, Erde, Luft etc., aus denen die Welt besteht, sich „von Natur aus" in eine bestimmte Gegend der Welt bewegen, b) das Prinzip der bei jeder Umwandlung eines der Elementarstoffe in einen anderen Elementarstoff stattfindenden Volumenvergrößerung oder -Verkleinerung. 2. Beide Untersuchungen behandeln, wie sich aus dem folgenden des näheren ergeben wird, Konsequenzen, die Philoponus aus seiner Kritik an dem von Aristoteles vertretenen kosmologischen Grundsatz, daß die Welt ewig sei, gezogen hat.

Erste Untersuchung: Philoponus' „Fallgesetz"

Einleitung Einige Sätze im Kapitel Δ 8 der aristotelischen „Physik" und einige dem Anspruch nach deren Widerlegung enthaltende Bemerkungen im PhysikKommentar des Philoponus werden gewöhnlich zwar so verstanden, als ob es ihren Autoren um die Aufstellung eines — de facto mit dem Fallgesetz Galileis durchaus konkurrierenden, wenn auch falschen — Fallgesetzes gegangen wäre Der moderne Leser dieser Stellen wird einen Eindruck dieser Art insofern gewinnen, als sowohl Aristoteles als auch Philoponus dort den Versuch zu unternehmen scheinen, gewisse bei Fallbewegungen beteiligte Größen als proportional zueinander in Beziehung zu bringen. Diese Versuche erfüllen jedoch, wie eine genauere Untersuchung ergibt, nicht einmal die formalen Bedingungen, die zur Aufstellung eines Fallgesetzes notwendig sind. Die Proportionalitätsannahmen, die Aristoteles im Kapitel Δ 8 der Physik konstruiert, ebenso wie deren Korrekturen durch Philoponus betreffen nämlich nicht speziell Fallbewegungen — d. h. Bewegungen, zu denen einige Körper aufgrund ihrer Schwere (βάρος Δ 8, 215 a 28; 216 a 14) tendieren — , sondern ebenfalls Aufwärtsbewegungen, die einigen Körpern aufgrund ihrer Leichte (κουφότης 215 a 29; 216 a 14) eigentümlich sind. Sie beziehen sich allgemein auf Bewegungen, die aus einer den bewegten Körpern eigentümlichen, mit ihrer Schwere oder Leichte zusammenhängenden Bewegungstendenz (ροπή ή βάρους ή κουφότητος 2ΐ6 a 13 £·) resultieren 2 . Um dies zu verstehen, muß man wissen, daß die aristotelische Kosmologie so etwas wie eine allgemeine Gravitation nicht kannte. Im Unterschied 1 So spricht ζ. B. Duhem mit Bezug sowohl auf Aristoteles als audi auf Philoponus von der Aufstellung einer „loi generale de la chute des corps" (vgl. „Le Systeme du monde", torn. I, Paris 1914, S. 361). Ebenso spricht S. Sambursky („Das physikalische Weltbild der Antike", Zürich 1965, S. 130f.) von „Aristoteles* Fallgesetz", ähnlich E. J. Dijksterhuis („Die Mechanisierung des Weltbildes", Berlin 1956, S. 3 2 ! ) . Es ließen sich hier viele weitere Zeugen nennen. 2 Zur Ubersetzung von „φοπή" durch „Bewegungstendenz" vgl. I. Burnet „Early Greek Philosophy", 4. A u f l . London 1930, S. 344 f. Die lateinische Übersetzung ist „inclinatio". —

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Philoponus' „Fallgesetz"

vor allem zu Epikur ging Aristoteles — und Philoponus Schloß sich ihm dabei, wie wir sehen werden, vorbehaltlos an — davon aus, daß es abgesehen von den Körpern, zu deren natürlichen Eigenschaften die Schwere gehört, auch Körper gibt, die in einem absoluten Sinne leicht sind; Aristoteles nahm an, daß durchaus nicht alle Körper von sich aus die Tendenz haben zu fallen, daß vielmehr die leichten Körper im Gegensatz zu den schweren sich „ihrer Natur nach" (κατά φΰσιν) aufwärts bewegen. In seiner Lehre von den natürlichen Örtern, die in De caelo in extenso entwickelt worden ist — auf diese Lehre kommen wir im Laufe dieser Untersuchung des öfteren zurück — , faßte Aristoteles alle Bewegungen, die aus der natürlichen Schwere oder Leichte der bewegten Körper resultieren, unter dem Namen „naturgemäße Bewegungen" (κατά φύσιν oder φυσικαί κινήσεις) zu einer Klasse zusammen. — Nach der Lehre von De caelo gehörte zu dieser Klasse abgesehen von der Auf- und Abwärtsbewegung leichter und schwerer Körper auch die kreisförmige Bewegung des Äthers, eine Theorie, auf die wir im Laufe unserer Untersuchung noch zurückkommen müssen. — Der Unterschied zwischen der aristotelischen Lehre von den naturgemäßen Bewegungen und der epikureischen Auffassung lag darin, daß nach dieser die Schwere als eine den Körpern überhaupt zukommende Eigenschaft angesehen wurde und insofern allen Körpern als solchen die Tendenz zugeschrieben wurde, sich abwärts zu bewegen; daraus ergab sich für die Epikureer im Gegensatz zu den Aristotelikern die Annahme, daß die Aufwärtsbewegung relativ leichter Körper nur dadurch bedingt sei, daß diese von schwereren, stärker abwärts tendierenden Körpern nach oben abgedrängt würden 3 . Angesichts dieses Unterschiedes wird der eigentümliche Gehalt klar, den die Begriffe „Schwere" und „Leichte" für Aristoteles und Philoponus haben. Sie sind bei ihnen nicht bloß verschiedene Namen für ein und dieselbe intensive Größe. Sie decken sich ζ. B. nicht etwa mit dem modernen Begriff des Gewichtes. Beide bezeichnen zwar jeweils eine bestimmte Eigenschaft oder Größe, deren Besitz zugleich einschließt, „von Natur aus" eine bestimmte Bewegungstendenz (φυσική ροπή) zu haben und insofern zu einer bestimmten „naturgemäßen" Bewegung zu neigen 4 . „Schwere" und „Leichte" geben aber darüber hinaus in verschiedener Weise an, in welche Richtung ein Kör— Den Ausdruck „Bewegungstendenz" wähle ich hier zunächst, um den Begriff ,,όοπή" nicht von vornherein als terminologisches Äquivalent eines Begriffs der klassischen Physik festzulegen. 3

Vgl. Simp. In Cael. 267, 30 ff.

* Arist. Cael. Γ 2, 301 a 22 ff.; Γ 6, 305 a 25; Phlp. In Ph. 437, 16 f.; 499, 2 ff.

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per seiner naturgemäßen Bewegung nach tendiert, wenn er leicht oder schwer ist. Würden nun die von Aristoteles und Philoponus aufgestellten Proportionalitätsbeziehungen speziell Fallbewegungen betreffen, so bezögen sie sich ausschließlich auf (naturgemäße) Abwärtsbewegungen schwerer Körper. Das aber ist nicht der Fall. Weder bei Aristoteles noch bei Philoponus findet sich etwa eine Behauptung über die Proportionalität speziell zwischen der Schwere und der Fallgeschwindigkeit. Vielmehr gibt es bei beiden jeweils nur eine Aussage über die Proportionalität zwischen der ροπή und der Geschwindigkeit. So behauptet ζ. B. Aristoteles (Ph. Δ 8 ζτ6 a 13 ff.), daß je größer die ροπή (der Schwere oder Leichte) eines Körpers ist, desto schneller seine (naturgemäße) Bewegung sei. Damit ist aber nicht bloß gemeint, daß der schwerere Körper schneller als der weniger schwere fällt, sondern außerdem, daß sich der leichtere Körper schneller als der weniger leichte aufwärts bewegt. Für den Begriff der ροπή als einer intensiven Größe gibt es in der klassischen Physik gar keine Entsprechung. Es liegt von daher nahe, im Hinblick auf Aristoteles und nicht weniger im Hinblick auf Philoponus statt, wie üblich, von einem „Fallgesetz" eher von einem „Gesetz der naturgemäßen Bewegung" zu reden. Von einem „Fallgesetz" könnte man bestenfalls insofern reden, als Fallbewegungen natürliche Bewegungen sind und das Schwersein eines Körpers den Besitz einer natürlichen Bewegungstendenz einschließt5. — Wenn nun im Text und im Titel der vorliegenden Untersuchung von einem „Fallgesetz" des Philoponus die Rede ist, so ist es dieser Vorbehalt, dem die Anführungszeichen, in welche ich das Wort „Fallgesetz" gesetzt habe, ihre Existenz verdanken. Während sich dieser Vorbehalt vor allem auf den ersten Bestandteil des Wortes „Fallgesetz" bezieht und während durch ihn in gleicher Weise sowohl Philoponus als auch Aristoteles betroffen werden, gibt es allerdings noch einen zweiten Vorbehalt, der zwar für Aristoteles, aber nicht in gleicher Weise auch für Philoponus gilt. Wenn ich ihn im folgenden nenne, wende ich mich dadurch gegen die Meinung, die von Aristoteles in Δ 8 der Physik aufgestellten Proportionalitätsannahmen bildeten zusammengenommen ein G e s e t z . Die folgenden Bemerkungen dieser 5

An dieser Stelle sei ein für allemal darauf hingewiesen, daß, wenn im Laufe der folgenden Untersuchung im Hinblick auf Aristoteles oder Philoponus von „Fallbewegung", „Fallgeschwindigkeit", „Schwere" etc. die Rede ist, wir nur von Beispielen reden. Genauer miißten wir statt dessen immer von „natürlicher Bewegung", „Geschwindigkeit der natürlichen Bewegung", „Bewegungstendenz" etc. reden, worauf wir der Kürze wegen verzichten wollen.

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Einleitung sollen dazu dienen, eine grundsätzliche Differenz zwischen Aristoteles und Philoponus sichtbar zu machen. Ihr vor allem gilt das Interesse der vorliegenden Untersuchung. Daß den aristotelischen Proportionalitätsannahmen die Bezeichnung als Gesetz nicht angemessen ist, liegt daran, daß sie überhaupt kein logisch zusammenhängendes System empirisch nachprüfbarer Hypothesen bilden. Diesen Sachverhalt möchte ich erläutern. Das aristotelische „Fallgesetz" ist in der Form einer Gleichung bekannt, nach der die Geschwindigkeit der Bewegung gleich dem Quotienten aus der Masse des bewegten Körpers und der Dichte des Mediums ist. So schreibt ζ. B. W. D. Ross das aristotelische „Fallgesetz" in der Form „v = c m / d" (wobei „v" die Geschwindigkeit, „c" eine Konstante, „m" die Masse und „d" die Dichte des Mediums bezeichnen soll) 6 . Neben dieser Ross'schen Deutung gibt es allerdings Varianten, nach denen anstelle des Begriffs „Masse" entweder der Begriff „Kraft" oder „Gewicht", anstelle des Begriffs „Dichte des Mediums" der Begriff „Widerstand" substituiert wird 7 . Abgesehen davon, daß die Substitution von Begriffen, die innerhalb des Systems der klassischen Physik definiert sind, in die Gleichung des aristotelischen „Fallgesetzes" anachronistisch ist — wir sahen bereits, daß es für den Begriff „ροπή" im Rahmen der klassischen Physik keine Entsprechung gibt — läßt sich der Text von Physik Δ 8 mit den Voraussetzungen einer Gleichung dieser Form nicht in Einklang bringen. Das ergibt sich aus folgender Überlegung. Eine Gleichung von der Form „v = c m / d" schließt logisch die Aussage ein: „ v S d - > - v R m " (wenn „S" so viel heißt wie die Relation „ceteris paribus umgekehrt proportional" und wenn „R" gleichbedeutend ist mit der Relation „ceteris paribus proportional"). Daß diese logische Beziehung zwischen jener Gleichung und der Wenn-dann-Aussage tatsächlich besteht, ist klar, wenn man folgendes bedenkt: Man darf, wenn man die Gleichung (G) „v = c m / d" behauptet, ebenfalls behaupten, daß man von der Aussage 6 Vgl. „Introduction" zu „Aristotele's Physics", S. 28 7 Vgl. E. A . Moody „Galileo and Avempace", in: Journal of the History of Ideas, vol. X I I 2, 1 9 5 1 , S. 192 (: „ V = Ρ / M " , wobei „ V " die Geschwindigkeit, „P" die Kraft und „ M " die Dichte des Mediums bezeichnet). A. C. Crombie „Von Augustinus bis Galilei" (Augustine to Galileo [dt.]), Köln 1965, S. 283 (: „v = p / r", wobei „v" die Geschwindigkeit, „p" die bewegende Kraft, „r" den Widerstand bezeichnet). E . J . Dijksterhuis „Die Mechanisierung des Weltbildes", Berlin 1956, S. 3 2 (: „v = f · G / W " , wobei „v" Geschwindigkeit, „f" eine Konstante, „ G " das Gewicht und „ W " den Widerstand bezeichnet).

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(Α): „v ist ceteris paribus umgekehrt proportional d a zu der zweiten Aussage (Β): „v ist ceteris paribus proportional m" übergehen kann. Genauer: Die erste Aussage (A) impliziert die zweite (B) dann, wenn jene Gleichung (G) gilt; und die Gleichung (G) ist falsch, wenn die erste Aussage (A) die zweite (B) nicht impliziert. Das ergibt sich aus der Tatsache, daß die Behauptung der Gleichung (G) nur dann wahr ist, wenn beide Aussagen (A) und (B) wahr sind [d. h. wenn die Konjunktion der Aussagen (A) und (B) wahr ist], und daß, wenn die Konjunktion der Aussagen (A) und (B) wahr ist, diese einander audi implizieren. Nun finden sich im Text von Physik Δ 8 zwei Proportionalitätsbeziehungen ähnlicher Art: Aristoteles stellt eine Proportionalitätsbeziehung e r s t e n s (215 b 6 ff.) zwischen der Zeit (pro Strecke) und der Dichte des Mediums her, und z w e i t e n s (216 a 13ff.) zwischen der Geschwindigkeit und der Schwere. Beide Beziehungen sollen nach Aristoteles ceteris paribus (έάν τδλλα ταύτα ύπάρχη 2 1 5 3 2 7 f.; ähnlich 216 a 14) gelten. Es läßt sich allerdings zeigen, daß Aristoteles jene beiden Proportionalitätsannahmen im Rahmen zweier voneinander ganz unabhängiger Argumentationen aufstellt, in deren Zusammenhang sie nicht die Funktion affirmativer Behauptungen haben. Ihre Wahrheit ist in beiden Fällen von ganz verschiedenen Bedingungen abhängig, und es widerspricht offenbar der Intention des Aristoteles, die Falschheit der einen Proportionalitätsannahme von der der anderen abhängig zu machen. Aus dem Textzusamenhang von Physik Δ 8 ergibt sich, daß die Unterstellung einer solchen logischen Verknüpfung (und insofern die Ross'sche Interpretation des aristotelischen „Fallgesetzes ") mit der aristotelischen Argumentation unvereinbar ist. Dazu bedarf es einer ausführlichen Erläuterung. Aristoteles hat es in diesem Text damit zu tun, die atomistische Annahme der Existenz des Leeren zu widerlegen. Unter den Argumenten, die Aristoteles gegen diese Annahme anführt, ging eines (Ph. Δ 8, 2iß a 24 ff.) von der Behauptung der Atomisten aus, verschieden schwere Körper fielen im absolut Leeren gleich schnell; die verschiedene Geschwindigkeit fallender Körper resultiere aus einer Beziehung zwischen den Eigenschaften der fallenden Körper zu den Eigenschaften des Mediums, durch das die Körper fallen, nicht aber aus der Ungleichheit der Schwere der fallenden Körper allein. Wir kennen nicht die möglichen Quellen, denen Aristoteles diese atomistische Behauptung entnommen hat; sie ist uns aber indirekt in den Fragmenten Epikurs und in Lukrez' De rerum natura heute noch greifbar8. « Vgl. Epikurs Brief an Herodot bei D. L . X , 61; Lukrez „De rerum natura" II, 221—239

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Aristoteles nimmt an, daß die atomistische Annahme folgendes besagt (215 a 26 f.): Gesetzt, Körper fallen durch ein Medium (wie ζ. B. durch Luft oder Wasser), dann gilt einerseits (a), daß, je dichter das Medium ist, ein Körper desto langsamer fällt, andererseits (b), daß, je schwerer ein Körper ist, er desto schneller fällt. Von diesen beiden Beziehungen (a) und (b) ausgehend, versucht Aristoteles durch zwei voneinander unabhängige Argumentationen nachzuweisen, daß aus der Annahme je einer von beiden, d. h. sowohl aus der Annahme von (a) als auch aus der von (b) folgt, daß die atomistische Annahme der Existenz eines absolut Leeren absurd ist. Der erste Argumentationszusammenhang, der sich auf die Annahme von (a) bezieht, daß, je dichter das Medium ist, desto langsamer der Körper fällt, geht von der Formulierung einer άναλογία aus (21^ a 31 ff.): d. h. die syntaktische Beziehung „je — desto" (δσφ — τοσούτω 215 b 4 f.) wird durch die mathematische Beziehung der Proportionalität präzisiert. Aristoteles geht davon aus, daß man — bezogen auf den Fall, daß derselbe Körper durch zwei verschiedene Medien Α und Β dieselbe Strecke weit fällt >— folgende die Form einer Proportionalitätsbeziehung enthaltende Aussage aufstellen darf (215 b 2 ff.): Die Dichte des Mediums Α steht zu der des Mediums Β in demselben Verhältnis wie die Zeit der Fallbewegung durch das Medium Α zu der durch das Medium B. Offenbar ist Aristoteles der Meinung, daß die Atomisten die Wahrheit, zumindest aber die Möglichkeit der Behauptung einer solchen Aussage würden zugeben müssen. Die Pointe dieser Aussage liegt darin, daß sich aus ihr folgendes unmittelbar ergibt (215 b 12 ff.): Wenn es ein Leeres geben könnte, m. a. W. wenn die Dichte des Mediums = ο sein könnte, würden sich in ihm verschieden schwere Körper nicht, wie die Atomisten glauben, gleich schnell bewegen; vielmehr müßte es in ihm eine Bewegung geben, die keine Bewegung in der Zeit und daher für Aristoteles gar keine Bewegung ist. Diese Konsequenz ist allerdings unsinnig, es muß insofern auch die Annahme der Existenz des Leeren unsinnig sein. Weshalb dieser Schluß zwingend ist, werden wir weiter unten sehen. Die zweite Argumentation (216 a 12—21), mit deren Hilfe gezeigt werden soll, daß sich aus der Annahme von (b) je schwerer ein Körper sei, desto schneller falle er, die Notwendigkeit ergibt, die Existenz des Leeren zu leugnen, basiert auf einer anderen Begründungsmethode. Sie besteht im ganzen aus den folgenden zwei Schritten. Der erste Schritt (216 a 12—16) besteht in einer Begründung der Annahme, daß die Bewegungen ungleich schwerer Körper im Leeren ebenfalls ungleich schnell sein würden. Diese Begründung geht von der — mit der Ansicht der Atomisten übereinstimmenden — Be-

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hauptung aus, daß im Plenum ungleich schwere Körper ungleich schnell fallen; sie wird durch folgenden Analogieschluß zu Ende geführt: Wenn die verschiedenen Geschwindigkeiten im Plenum von der Verschiedenheit der Schwere der Körper abhängen, so wird dasselbe auch im Leeren der Fall sein; also werden ungleich schwere Körper auch im Leeren ungleich schnell fallen. — Der zweite Schritt (216 a 1 7 — 2 1 ) besteht in der Begründung der Annahme, die sich zu jener, die im ersten Schritt bewiesen werden soll, kontradiktorisch verhält, der Annahme also, daß die Bewegungen ungleich schwerer Körper im Leeren n i c h t ungleich schnell sein würden. Wiederum im Sinne der atomistischen Auffassung geht Aristoteles bei dieser Begründung davon aus (216 a 17 f.), daß die Ungleichheit der Bewegungsgeschwindigkeiten nur im Plenum möglich ist: die schnellere Bewegung besteht in der schnelleren Überwindung des Mediums. Im Leeren müßten daher notwendig alle Bewegungen gleich schnell sein. — Es handelt sich um eine elenktische Argumentation, die man folgendermaßen verstehen wird: Aristoteles will gegenüber den Atomisten nicht beweisen, daß im Leeren alle Bewegungen gleich schnell wären — denn das behaupten ja gerade auch die Atomisten. Und weder aus dieser Annahme noch aus deren kontradiktorischem Gegenteil läßt sich unmittelbar ableiten, daß es kein Leeres gibt. Aristoteles argumentiert vielmehr so: Wenn man, wie die Atomisten, davon ausgeht, daß die verschiedenen Geschwindigkeiten fallender Körper von ihrer verschiedenen Schwere abhängen und wenn man ferner, ebenfalls wie die Atomisten, annimmt, daß die Verschiedenheit der Geschwindigkeiten schon die Existenz eines Plenums voraussetzt, läßt sich aus diesen beiden Annahmen Entgegengesetztes und daher „Unmögliches" (αδύνατον 2i6 a 17; a 21) beweisen. Diese Antinomie ergibt sich allerdings nur dann, wenn man wie die Atomisten voraussetzt, daß es überhaupt so etwas wie ein absolut Leeres gibt, und daß Bewegungen im Leeren überhaupt unmöglich sind. Sie ergibt sich aber nicht — und das ist Aristoteles' Lösung des Dilemmas — , wenn man diese atomistische Voraussetzung gar nicht akzeptiert. Aus dem Zusammenhang dieser beiden Argumentationen geht nun klar hervor, daß jeder der beiden Sätze, die die Beziehungen zwischen der Dichte des Mediums, der Schwere des fallenden Körpers und der Geschwindigkeit seiner Bewegung zum Gegenstand haben, nicht in gleicher Weise die Behauptung einer Proportionalitätsgleichung ausdrückt. Obgleich beide Sätze jeweils im Rahmen einer elenktischen Beweisführung stehen und innerhalb dieser die Funktion von Ausgangssätzen haben, die für den zu widerlegenden Gegner, die Atomisten, akzeptabel sein müssen, erfüllen sie diese Funktion der Sache nach insofern auf verschiedene Weise, als die Bedingungen,

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unter denen jeder der beiden Sätze akzeptiert werden muß, in beiden Fällen verschieden sind: Der Satz, der die Beziehung zwischen der Schwere und der Geschwindigkeit zum Gegenstand hat, drückt eine Beobachtung aus (216 a 13 ff. όρώμεν γαρ τά μείζω ροπήν έχοντα [. . .] θΰττον φερόμενα τό ίσον χωρίον [. . .]). Dabei handelt es sich um eine Beobachtung, von welcher die Atomisten, da sie ja selbst die Ungleichheit der Fallgeschwindigkeit ungleich schwerer Körper im Plenum behaupteten, offenbar selbst ausgehen. Der Satz, daß die Geschwindigkeit eines fallenden Körpers mit seiner Schwere ceteris paribus zunimmt, war insofern für die Atomisten nicht nur akzeptabel, sondern wurde von ihnen selbst vertreten. Freilich ist es nicht bekannt, ob es Atomisten gegeben hat, die behaupteten, daß die Geschwindigkeit p r o p o r t i o n a l mit der Schwere eines fallenden Körpers zunehme. Dazu ist aber zu bemerken, daß Aristoteles seinerseits dies zwar behauptet (216 a 15 f.), daß er aber von dieser Behauptung in seiner Argumentation keine weiteren Annahmen abhängig macht. Seine Argumentation wäre nämlich nicht weniger stringent, wenn er auf diese Behauptung verzichtet hätte. Dagegen ist der Satz, nach dem ceteris paribus die Zeit (pro Strecke) eines fallenden Körpers proportional der Dichte des Mediums ist, eine Konvention, die Aristoteles gleichsam mit dem Leser abschließt und durch welche er der Sache nach Zeit und Dichte als voneinander funktionell abhängige Quanta implizit definiert: Aristoteles behauptet nicht, Dichte und Zeit s e i e n proportional, sondern er legt bloß fest, Dichte und Zeit s o l l t e n proportional sein (215 b 6ff. έ χ έ τ ω δή τον αυτόν λόγον ονπερ διέστηκεν άήρ προς ΰδωρ, τό τάχος προς τό τάχος· ωστε ει διπλασίως λεπτόν, έν διπλασίω χρόνφ την τό Β δίεισιν η την τό Δ, κτλ.). Daß die Fallzeit = ο ist, wenn die Dichte des Mediums = ο ist, ist von daher für Aristoteles nichts anderes als gleichsam eine Petition, die als solche nicht für falsch gehalten werden kann. Außer der Konvention, nach der die Dichte und die Zeit proportional sind, gibt es in der aristotelischen Physik sonst keine Festlegung, durch welche eine Bedingung angegeben wäre, um wieviel eine Dichte größer als eine andere, oder wann sie = ο ist — keine Festlegung also, die mit jener Konvention in Konflikt geraten könnte. — Von hier aus wird deutlich, daß die Annahmen der Atomisten über die Dichte des Mediums und ihr Verhältnis zur Geschwindigkeit sowie über die Existenz des Leeren ihrerseits fiktiv waren. Die Aufstellung einer solchen Konvention ist für die elenktische Beweisführung des Aristoteles vollkommen ausreichend; auf dem fiktiven Gehalt dieser Konvention beruht gerade der zwingende Charakter seiner Ar-

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gumentation: Wenn es keinen Grund dafür gibt, eine andere Konvention als diese aufzustellen, können die Atomisten nicht a u s s c h l i e ß e n , daß ihre Annahme, die Fallgeschwindigkeit sei im Leeren stets gleich und endlich, möglicherweise falsch ist. Damit ist allerdings ihre Position erschüttert 83 . Für uns ergibt sich aus der Feststellung der Verschiedenheit der beiden aristotelischen Proportionalitätsannahmen folgendes. Wenn die Proportionalitätsannahme bezüglich der Dichte des Mediums und der Fallzeit als Konvention zu verstehen ist, ist es der Sache nach nicht zulässig, Aristoteles zu unterstellen, er habe so, wie es die Ross'sdie Interpretation des aristotelischen „Fallgesetzes" voraussetzt (s. o.), der Sache nach gemeint, daß die Proportionalitätsannahme bezüglich der Schwere und der Geschwindigkeit die Proportionalitätsannahme bezüglich der Dichte des Mediums und der Fallzeit impliziert. Denn die Annahme der Proportionalität zwischen der Dichte des Mediums und der Fallzeit würde ihren fiktiven Charakter verlieren, sobald ihre Wahrheit von der möglichen Fehlerlosigkeit einer Beobachtung abhängig gemacht würde. Eine Annahme ist nämlich falsch, wenn eine von ihr implizierte Annahme falsch ist. Demgegenüber wird nun allerdings von Ross nicht einmal die Möglichkeit in Erwägung gezogen, daß es sich bei der aristotelischen Annahme der Proportionalität zwischen der Dichte des Mediums und der Fallzeit um eine Konvention handelt. Er behauptet nämlich, daß diese Annahme falsch ist: „he [sc. Aristotle] makes the natural enough mistake of supposing that velocity and density ceteris paribus vary inversely; failing to notice that the relation which connected them might be more complex than that of inverse proportion." 9 Ross wirft Aristoteles vor, daß, wenn er schon nicht die richtige Lösung gefunden habe, er doch wenigstens die M ö g l i c h k e i t der Falschheit seiner Annahme hätte einsehen müssen: „A better mathematician might, even in the absence of evidence, have noticed the possibility of this." 10 Diese Bemerkung ist natürlich insofern zutreffend, als ja in der Tat jeder Konvention etwas Willkürliches anhaftet und es für Aristoteles möglich gewesen wäre, statt dieser eine andere Konvention zu wählen, wenn dies nur für seine Beweisführung sinnvoll gewesen wäre. Ross hat aber, wenn die von ihm für falsch gehaltene aristotelische Annahme wirklich eine Konvention ist, bei der es sich um eine implizite Definition handelt, mit sei8a Ein zeitgenössischer Atomist, den Aristoteles im Auge haben könnte, wäre Metrodor v. Chios. Diesen Hinweis verdanke ich Klaus Reich. 9 „Introduction" zu „Aristotle's Physics", S. 29 10 a. a. Ο., S. 29

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ner Bemerkung insofern unrecht, als eine solche Konvention nicht einmal der Möglichkeit nach falsch ist. Die Vermutung, daß Aristoteles, wäre er nur ein besserer Mathematiker gewesen, wenigstens die Möglichkeit eines Fehlers in Rechnung hätte stellen müssen, wäre nur dann berechtigt, wenn Aristoteles seine Proportionalitätsannahme von einer durch Beobachtung überprüfbaren Hypothese logisch abhängig gemacht hätte. Sie ist nichts als eine Konsequenz aus der Unterstellung, Aristoteles habe das Ross'sche „Fallgesetz" vertreten. Ross geht in seiner Kritik an Aristoteles allerdings noch einen Schritt weiter. Er glaubt nämlich, daß die aristotelische Proportion mit dem „Wesen" der Bewegung im Widerspruch stehe: „His [sc. Aristotle's] error of course lies in not seeing that the essence of motion is the traversal of a given distance in a given time, and in supposing that it is essentially the penetration of a medium to a certain distance, so that the resistance of the medium, instead of being something that merely reduces the velocity of the moving body is something by which the ροπή of the body has to be divided, to get its velocity." 11 Ross hält also, was er selbst als „the essence" der Bewegung betrachtet — Aristoteles selbst hat, worüber sich Ross offenbar im Klaren ist, die Bewegung niemals als die Durchquerung einer gegebenen Strecke in einer gegebenen Zeit definiert — , für nicht vereinbar mit der Annahme, daß die Fallzeit eines durch das Leere fallenden Körpers = ο ist; darin unterscheidet sich seine Ansicht übrigens kaum von der des Aristoteles: auch Aristoteles nahm an, daß eine Bewegung mit der Fallzeit = ο keine Bewegung ist (Ph. Δ 8, 2x5 b 19 ff.). Während aber Aristoteles daraus die Konsequenz zog, die Existenz eines Leeren und somit auch die Bewegung im Leeren für unmöglich zu erklären, meint Ross, daß es im Leeren eine Bewegung geben müsse, daß sie aber, da das Medium nur die Funktion eines Widerstandes habe und die Geschwindigkeit der Bewegung bloß reduzieren könne, „wesentlich" in der Durchquerung einer gegebenen Strecke in einer gegebenen Zeit bestehen müsse. Ross' Ansicht vom „Wesen" der Bewegung rührt offenbar von der zweifelhaften Meinung her, daß die Definition, die die klassische Physik für die Bewegung im widerstandsfreien Vakuum gegeben hat, über die Bewegung im absolut Leeren und insofern über das, was eine ideale Bewegung ist, Aufschluß gibt. Ross scheint dabei außer Acht zu lassen, daß jede Annahme über Bewegungsgeschwindigkeiten im absolut Leeren oder über das Maß, um das der Grad der Dichte eines gegebenen Mediums verringert wern

a.

a. O., S. 28 f.

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den muß, wenn er = ο sein soll, jeder erfahrungswissenschaftlichen Kontrolle entzogen ist. Denn jenes absolut Leere ist kein Gegenstand möglicher Erfahrung, und sein Begriff ist kein Begriff der Physik. An jeder Aussage, die sich auf einen Gegenstand wie das absolut Leere bezieht, kann Kritik nur auf der Basis nicht empirischer Voraussetzungen geübt werden — Ross' Essentialismus ist nur ein Beispiel für Voraussetzungen dieser Art. Aber selbst eine Kritik auf der Basis solcher Voraussetzungen ist nicht möglich, wenn der Autor der kritisierten Annahme gar nicht den Anspruch erhebt, eine möglicherweise falsche Annahme über das absolut Leere zu machen, sondern — seinerseits Kritik übend — beweisen will, daß die Annahme der realen Existenz des absolut Leeren willkürlich und unmittelbar nicht zu verteidigen ist. Wir können zusammenfassen: Aristoteles hat in Physik Δ 8 kein Gesetz aufgestellt derart, daß dieses eine logische Verknüpfung von Proportionalitätsannahmen enthält. Proportionalitätsannahmen hat Aristoteles logisch niemals so miteinander verbunden, daß aus der möglichen Falschheit der einen die der anderen folgen kann. Sie bilden kein System logisch voneinander abhängiger Hypothesen. Sie sind nicht einmal für sich genommen, d. h. insofern sie voneinander logisch unabhängig sind, in gleicher Weise empirisch überprüfbare Hypothesen; und keine von beiden hat die Funktion, irgendetwas über die Welt der Erfahrung zu sagen. Dagegen haben beide die Funktion, als von den Atomisten nicht bestrittene oder für sie nicht bestreitbare Annahmen gegen deren Behauptung der Existenz des absolut Leeren ins Feld geführt zu werden. — — Die Aufgabe der folgenden Untersuchung wird (zunächst und vor allem im Kapitel I) sein zu beweisen, daß sich Philoponus' „Fallgesetz" von dem aristotelischen „Fallgesetz" unterscheidet. Philoponus hat zwei Proportionalitätsannahmen, die den aristotelischen formal ähnlich sind, logisch so miteinander verknüpft, daß (nach modus tollens) aus der Falschheit der einen die Falschheit der anderen folgt. Um die aristotelischen Annahmen zu widerlegen, setzt Philoponus (ähnlich wie Ross) voraus, daß jene logische Verknüpfung auch zwischen diesen besteht. Er geht dabei von der Beobachtung aus, daß die Geschwindigkeit fallender Körper mit deren Schwere zwar zunimmt, aber nicht proportional zunimmt, und schließt dann von der Falschheit dieser Proportionalitätsannahme auf die Falschheit der Annahme, daß die Dichte des Mediums der Fallzeit proportional ist. Sein neues, mit dieser Beobachtung in Einklang stehendes „Fallgesetz" besagt, daß die Dichte des Mediums mit einem Teil der Fallzeit proportional ist, dergestalt, daß dieser mit dem Rest der Fallzeit, der nach Philoponus' Ansicht der

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Schwere umgekehrt proportional ist, zusammengenommen die Gesamtfallzeit ergibt. Für die dann (von Kapitel II ab) folgende Untersuchung wird die Tatsache wichtig sein, daß Philoponus zur theoretischen Begründung seines Fallgesetzes und insbesondere zur Begründung der logisdien Verknüpfung der beiden Proportionalitätsannahmen eine explizite Definition der innerhalb der Proportionalitätsbeziehungen auftretenden Begriffe mit Hilfe anderer Begriffe („Wirkursache", „einschränkende Ursache") gegeben hat. Die übrige Untersuchung wird von der Frage geleitet sein, unter welchen Bedingungen Philoponus zu dieser expliziten Definition gekommen ist.

Kapitel I Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen in Physik Δ 8 und die Konstruktion seines neuen „Fallgesetzes"

W i r wollen uns zunächst die einschlägige Stelle im Physikkommentar anschauen (In Ph. 6 8 2 , 30 — 684, 4): „Fälschlicherweise nimmt [Aristoteles] an, daß nach demselben Verhältnis, nach welchem sich die Dichten der Medien, durch die sich etwas bewegt (τά δι* ών ή κίνησις), zueinander verhalten, sich auch die Zeiten der Bewegungen zueinander verhalten, und umgekehrt. [ . . . ] Überzeugend scheint diese Annahme zwar zu sein und das Gegenargument, das es gegen sie gibt, ist eben darum nicht leicht zu entdecken, weil man nicht schätzen (λαμβάνειν) kann, welches Verhältnis der Dichte nadi (κατά την σύστασιν) Luft zu Wasser hat; ζ. B. um welches Maß Wasser dichter als Luft oder diese Luft dichter als andere Luft ist. Aufgrund [der Schwereverhältnisse] der bewegten Körper selbst aber ist es möglich, die Annahme zu widerlegen. 683,5 Wenn nämlich nach demselben Verhältnis, das die Bewegungszeiten zueinander haben, sich notwendigerweise auch die Dichten der beiden Medien zueinander verhalten, wobei der durch beide Medien hindurchbewegte Körper ein und derselbe ist — der Unterschied der Bewegungen rührt ja nicht nur von den Dichten der Medien, sondern auch von den bewegten Körpern her —, dann haben klarerweise, wenn das Medium ein und dasselbe ist, die bewegten Körper aber ihrer Bewegungstendenz nach (κατά τάς φοπάς) verschieden sind, dasselbe Verhältnis ebenso auch die Bewegungszeiten zueinander, das die Bewegungstendenzen (φοπαί) zueinander haben. Ζ. B. beträgt dann die Bewegungszeit eines Körpers von bestimmter Schwere die Hälfte von der eines halb so schweren Körpers: wenn beim Fall etwa eines zwei Pfund schweren Körpers dieser in einer Stunde die Strecke eines Stadiums zurücklegt, wird ein Körper von einem Pfund dieselbe Strecke in einer halben Stunde zurücklegen. [ . . . ] 683,16 Aber das ist völlig falsch. Man kann den Fehler besser als jeden durch Aussagen geführten Beweis einsehen aufgrund einer augenscheinlichen Beobachtung (έξ αύτής της ενάργειας). Wenn du zwei um ein beträchtlich großes Maß voneinander abweichende Gewichte zugleich aus derselben Höhe fallen läßt, wirst du sehen, daß das Verhältnis der Bewegungszeit nicht aus dem Verhältnis der Gewichte resultiert, sondern hinsichtlich der Zeiten ergibt sich ein sehr geringer Unterschied, so daß, wenn die Gewichte um ein nicht sehr großes Maß voneinander abweichen, ζ. B. wenn das eine das Doppelte und das andere die Hälfte beträgt, die Bewegungszeiten gar keinen Unterschied haben werden, oder wenn sie ihn haben, er nicht wahrnehmbar ist. [ . . . ] 683,25 Wenn bei verschiedenen bewegten Körpern und ein und demselben Medium nicht dasselbe Verhältnis, das die Körper zueinander haben, auch auf die Bewegungszeiten untereinander zutrifft, und umgekehrt, wenn nicht gilt, daß das Ver-

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Philoponus' „Fallgesetz" hältnis der Zeiten auch auf die bewegten Körper zutrifft, so ist klar, daß bei gleichschweren Körpern und verschiedenen Medien, ζ. B. Luft und Wasser, das Verhältnis, das Luft und Wasser zueinander haben, nicht auch für die Zeiten der Bewegungen durch Luft und Wasser besteht. [ . . . ] Wenn sich aber der Unterschied der Zeiten nicht entsprechend dem Unterschied der körperlichen Medien ergibt, wenn man also einen halb so dichten (διπλασίως λεπτόν) Körper [als Medium] wählt, erfolgt die Bewegung nicht in der halben Zeit, sondern in mehr als der halben; und [ . . . ] je dünner das körperliche Medium ist, desto kleiner wird der Zeitbetrag, der aufgrund der Teilung des Mediums addiert wird; niemals wird aber die Zeit proportional zur Dichte (κατά τήν άναλογίαν της λεπτύνσεως) verbraucht und [mit abnehmender Dichte] verringert. [ . . . ] "

Dieser Text steht im Zusammenhang eines Kommentarabschnitts, der in der Akademieausgabe (Vitelli) als „Corollarium de inani" bezeichnet und genaugenommen kein kommentierender Abschnitt ist. Dieses Corollarium befaßt sich kritisch mit den Argumenten, die Aristoteles im Buch Δ der Physik gegen die Existenz des Leeren vorgebracht hat.

i.

Emil Wohltvill, der als erster auf die historische Bedeutung des Textes im Corollarium de inani aufmerksam gemacht hat, meinte, seinen Inhalt so wiedergeben zu können: „Schroff wie Leonardo da Vinci und Galilei stellt schon dieser alte Kommentator der Autorität des Aristoteles die Wahrheit gegenüber, die sich aus der Beobachtung der Natur und aus Experimenten ergibt. Auf die Erfahrung gestützt, behauptet er gegen Aristoteles, daß ungleich schwere Körper im freien Fall nach gleicher Zeit den Boden erreichen. Der Augenschein in Verbindung mit rationeller Betrachtung führt ihn zur schlagenden Widerlegung der aristotelischen Behauptung, daß die Fallgeschwindigkeiten des gleichen Körpers in verschiedenen Medien der Dichte dieser Medien umgekehrt proportional seien." 1 2 In der Tat beruft sich Philoponus auf eine Beobachtung; aber führt er sie gegen Aristoteles ins Feld, so, wie Wohlwill meint? Nimmt Philoponus wirklich die Legende vom Turm zu Pisa vorweg? — Der Satz 683, 2 1 — 2 5 scheint Wohlwills Meinung zu bestätigen. Philoponus bemerkt dort, daß bei relativ gering abweichenden Gewichten, ζ. B. bei Gewichten, die sich wie 1 : 2 verhalten, die Fallzeiten nicht verschieden sein würden. Philoponus 12 E. Wohlwill „Ein Vorgänger Galileis im Ö.Jahrhundert", in: Verhandlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, 77. Versammlung zu Meran 1905, 2. Teil, 2. Hälfte, Leipzig 1906, S. 82. E. Mach „Die Mechanik, historisch-kritisch dargestellt", 9. Aufl. Leipzig 1 9 3 3 , S. 1 1 7 f. Schloß sich Wohlwill an.

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

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fügt aber hinzu, daß, wenn die Fallzeiten unter diesen Umständen dennoch verschieden sein würden, diese Verschiedenheit jedenfalls nicht wahrnehmbar sein würde. Diese Hinzufügung und im übrigen auch die Einschränkung „bei gering abweichenden Gewichten" deutet darauf hin, daß Philoponus nicht daran interessiert ist, der Meinung des Aristoteles, daß ungleich schwere Körper im freien Fall keine gleiche Fallgeschwindigkeit haben würden, zu widersprechen. Anders verhielte es sich, wenn Philoponus der Meinung wäre, daß die Abweichung der Fallgeschwindigkeiten voneinander unter sonst gleichen Bedingungen a u s s c h l i e ß l i c h aus einem Unterschied der jeweils auf die Fallbewegungen einwirkenden Widerstände der Medien resultiere (daß also in einem widerstandsfreien Vakuum die Fallgeschwindigkeiten gleich sein würden). Das ist aber nachweislich nicht der Fall. Philoponus betont innerhalb des Corollariums des öfteren 13 , daß die verschiedenen Medien als Widerstand Ursache der Verschiedenheit der Fallgeschwindigkeiten seien, daß aber andererseits auch die verschiedene Schwere (βαρΰτης) oder allgemeiner: die verschiedene Bewegungstendenz (ροπή) 14 als bewirkende Ursache die Verschiedenheit der Fallgeschwindigkeiten erzeuge. Philoponus beruft sich an einer anderen Stelle des Corollariums 15 genauso wie in dem zitierten Text auf die ενάργεια, diesmal aber um zu zeigen, daß die Bewegungen ungleich schwerer Körper im selben Medium von ungleicher Geschwindigkeit sind. Daß schließlich im leeren Raum die Verschiedenheit der Fallgeschwindigkeiten erhalten bleibt, betont Philoponus ebenfalls u . Wenn man eine Stelle aus dem Kommentar zum Physikbuch Γ (In Ph. 420, 8—17) hinzuzieht, wird deutlich, daß Philoponus das aristotelische Prinzip der proportionalen Abhängigkeit der Geschwindigkeit von der Schwere sogar noch verschärft. Philoponus behauptet dort (ohne allerdings für diese Behauptung eine Begründung zu geben) folgendes: Daß mehrere gleichartige Qualitäten (ομοειδείς ποιότητες) an Kraft zunehmen (δυναμικώτεραι γίνονται), wenn man sie miteinander vereinigt, „siehst du deutlich bei den Bewegungstendenzen (ροπαί). Wenn du nämlich zwei jeweils ein Pfund schwere Körper (λιτριαΐα βάρη) in eins zusammenfaßt, wird der aus beiden zusammengesetzte Körper schwerer sein: er wird nicht nur eine Schwere von zwei Pfund haben, sondern mehr. Ebenso wenn du einen zwei 13 Vgl. In Ph. 678, 2 2 — 2 8 ; 679, 5—9; 680, 1 9 — 2 3 ; 681, 1 0 — 1 2 M

Zu diesem Begriff vgl. die Einleitung dieser Untersuchung

15

In Ph. 678, 9 S . έναργώς γαρ τά δνισα διά τοΰ αύτοΰ κινούμενα άνισοταχώς



κινούνται. Vgl. a. a.

Ο.,

678, 28

f.;

680, 24 ff·

26

Philoponus' „Fallgesetz"

Pfund schweren Körper (διλιτριαΐον μέγεθος) in zwei gleich schwere Teile teilst, wird jeder der beiden Teile nicht ein Pfund schwer sein, sondern weniger. Wenn also gleichartige Qualitäten auf diese Weise vereinigt werden, werden sie kräftiger, geteilt werden sie schwächer (ασθενέστερα). Genauso ist es bei den Bewegungsgeschwindigkeiten (κινήσεις): Je mehr schwere Körper du zusammensetzt, desto schneller bewegen sie sich. Ζ. B. werden sich fünf ein Pfund schwere Körper, wenn sie einander berühren, aber unterteilt sind, nicht so schnell bewegen, wie wenn man sie zusammenfaßt und in einen Körper überführt, so daß sie sich beträchtlich schneller bewegen. Entsprechendes gilt für leichte Körper." Philoponus behauptet also, daß es bezüglich der ροπή und der Fallgeschwindigkeit — modern gesprochen — kein Additionstheorem gibt, sondern daß ein Körper von bestimmter Schwere oder von bestimmter Fallgeschwindigkeit vereinigt mit einem Körper derselben Schwere bzw. derselben Fallgeschwindigkeit nicht bloß doppelt so schwer ist bzw. die doppelte Fallgeschwindigkeit hat, sondern jeweils mehr als doppelt so schwer ist bzw. mehr als die doppelte Fallgeschwindigkeit hat 1 7 . Man muß demnach eine andere Antwort auf die Frage suchen, worin eigentlich die Kritik des Philoponus an Aristoteles besteht.

2. Pierre Duhems Antwort auf diese Frage ist differenzierter als die Wohlwills. Duhem meint, daß die in dem zitierten Philoponus-Text enthaltene Kritik der „Ioi generale de la chute des corps" zwei Seiten habe. Die eine Seite bestehe darin, die Exaktheit dieses „Gesetzes" zu bestreiten, die andere darin zu leugnen, daß im Leeren alle Körper, gleichgültig welches „Gewicht" sie haben, mit denselben Geschwindigkeiten fallen 18 . Was Duhems Meinung, Philoponus leugne gegenüber Aristoteles, daß im Leeren alle verschieden schweren Körper gleich schnell fallen, betrifft, so kehrt Duhem Wohlwills Beurteilung des Verhältnisses zwischen Philo17 Diese Lehre geht vermutlich zurück auf Heron von Alexandrien, „Mechanics" I I . Buch, Quaestiones I V und V . Vgl. auch Procl. El. theol. prop. 95 (Dodds 84, 28 f.): πδσα δύναμις ένικώτερα οΰσα της πληθυνομένης άπειροτέρα. Und (Dodds κα 84, 34 ΐ Ύ«ρ έν τοις μεριστοΐς αί δυνάμεις συναγόμε\αι μέν πολλαπλασιάζοντι, μεριζόμεναι δέ άμυδροΰνται. Dazu Ρ. Duhem „Le Systeme du monde", torn. I, S. 367 ff. — Zu Heron vgl. die Ausgabe von L. Nix u. W . Schmidt [s. u. Literaturverzeichnis] S. 1 7 6 ff. 18 Duhem, a. a. O., S. 361.

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

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ponus und Aristoteles gleichsam um. Indem er nämlich einerseits berücksichtigt, daß nach Philoponus die Verschiedenheit der Schwere die Verschiedenheit der Fallgeschwindigkeit bedingt und daß nach ihm auch im leeren Raum verschieden schnelle Bewegungen möglich sind, geht Duhem andererseits davon aus, daß Aristoteles als sicher betrachte, „qu'aucune cause ne peut donner ä des corps qui tombent des vitesses differentes, si ce n'est la resistance du milieu"; und Aristoteles schließe daraus, „que toute difference entre les vitesses de chute disparaitra, lä oü la resistance aura disparu avec le milieu meme" 19. Nadht Duhems Ansicht teilt also Aristoteles die atomistische Voraussetzung, daß im Leeren alle Geschwindigkeitsunterschiede verschwinden würden. Der Unterschied zwischen Aristoteles und den Atomisten würde allein darin bestehen, daß der eine die Existenz des Leeren leugnet, während die anderen sie behaupten. Philoponus stünde demnach zu beiden Parteien im Gegensatz: Gegen beide würde sich seine Behauptung der Möglichkeit verschiedener Fallgeschwindigkeiten im Leeren richten. Wir hatten nun bereits in der Einleitung dieser Untersuchung gesehen, daß Aristoteles in Physik Δ 8 (216 a 1 1 — 2 1 ) — die Stelle, auf die sich Duhem bezieht — keineswegs behauptet, daß bei fehlendem Widerstand alle Geschwindigkeiten gleich sein würden. Vielmehr sahen wir, daß Aristoteles diese Behauptung nicht weniger als die Behauptung des kontradiktorischen Gegenteils für beweisbar und damit für unsinnig hält — beweisbar allerdings nur unter den atomistischen Voraussetzungen, deren Unsinnigkeit sich für Aristoteles eben dadurch ergibt, daß sich aus ihnen eine Antinomie ableiten läßt. Duhem ist also im Irrtum, wenn er meint, daß Aristoteles mit seiner angeblichen Behauptung, alle Geschwindigkeiten seien im Vakuum gleich, im Widerspruch zu Philoponus steht. Ahnlich wie Wohlwill, der den Gegensatz zwischen Philoponus und Aristoteles als den zwischen Wahr und Falsch hinstellt, so nimmt auch Duhem das, worin Philoponus glaubt, sich Aristoteles zu widersetzen, als einen wirklichen Gegensatz zwischen beiden. Der Charakterisierung der Aristoteleskritik des Philoponus nützt es allerdings, zwischen dem wirklichen Verhältnis, in welchem Philoponus Aristoteles gegenübersteht, und der Meinung, die Philoponus von diesem Verhältnis hat, eine Unterscheidung zu treffen. Philoponus' Meinung, eine der Bedingungen seiner Kritik an den aristotelischen Proportionen sei deren direkte Widerlegbarkeit (In Ph. 683, 1 ff., ι» Duhem, a. a. O., S. 363.

28

Philoponus* „Fallgesetz"

s. o.), ist begleitet von dem Desinteresse gegenüber dem Widerlegungszusammenhang, in dem die aristotelischen Proportionen selber stehen. Am Anfang seines Corollariums de inani (676, 33 — 677, 8) nimmt Philoponus (ähnlich wie Duhem) den Teilbeweis, den Aristoteles für den Satz gibt, daß im Leeren alle Geschwindigkeiten gleich sein würden, aus seinem elenktischen Kontext heraus und stellt ihn in dieser Form neben andere Argumente, mit denen Aristoteles die Existenz des Leeren bestritten hatte und die sich Philoponus vornimmt, in seinem Corollarium zu widerlegen. Diesem aus dem Zusammenhang herausgenommenen Beweis seine Beweiskraft zu entziehen, ist unter diesen Umständen natürlich nicht schwierig. Philoponus braucht zu diesem Zweck nur den von Aristoteles selbst gelieferten Gegenbeweis anzuführen. In nichts anderem besteht der Inhalt des folgenden Corollarientextes (677, 9 ff.). Philoponus beabsichtigt, die aristotelische Argumentation soweit zu entkräften, daß man erkennt, daß Aristoteles durch seinen Beweis seine eigenen Voraussetzungen aufhebt 20 . Er gibt sich auf diese Weise den Anschein, Aristoteles immanent zu widerlegen. Wie wenig es Philoponus in Wirklichkeit um eine bloß immanente Widerlegung geht, zeigt allerdings schon die Tatsache, daß er ja nicht die atomistische Position in dem Umfange, wie sie von Aristoteles rekonstruiert und kritisiert wird, nochmals gegen Aristoteles zu verteidigen versucht. Philoponus hat offenbar weder ein Interesse an der Verteidigung irgendeiner der von Aristoteles kritisierten atomistischen Thesen, noch bezieht er sich allem Anschein nach im Zusammenhang seiner Aristoteleskritik auf irgendwelche anderen Lehren vor- oder nacharistotelischer Atomistiker. Wie wir bereits sahen, will Philoponus ja nicht die Gleichheit aller Geschwindigkeiten im Leeren behaupten. Er will aber auch nicht die Existenz des Leeren in dem Sinne behaupten, wie sie von den Atomisten verstanden wurde. Thema seines Corollariums ist kein atomistisches, durch voneinander getrennte Korpuskel gleichsam unterbrochenes, aber aktualiter existierendes Vakuum, sondern ein kontinuierlicher und stets nur potentiell existierender leerer Raum (τοπικόν διάστημα), der stets durch ein körperliches Kontinuum (σωματικόν διάστημα) erfüllt ist. Warum Philoponus' Versuch, diese Theorie des Raums gegenüber der aristotelischen Kritik an der atomistischen Raumtheorie abzugrenzen, überhaupt zu einem Konflikt mit den aristotelischen Bewegungsproportionen führen mußte, ist nicht leicht einzusehen, wenn man bedenkt, daß Aristoteles mit Hilfe dieser Proportionen de facto nur gezeigt hatte, daß sich bei der Annahme der Existenz eines a k t u a 1 Leeren 20 In Ph. 677,10 ff.

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

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Widersprüche in den Eigenschaften der Bewegungen ergeben, die in diesem aktual Leeren stattfinden würden. Da sowohl Aristoteles als auch Philoponus die Existenz eines aktual leeren Raumes für unmöglich halten und da keiner von beiden die Gleichheit aller Geschwindigkeiten behauptet — insofern Aristoteles also von daher überhaupt keinen Anlaß zur Kritik für Philoponus gegeben hatte, insofern liegt die Vermutung nahe, daß Philoponus' Kritik und Neukonzipierung der Bewegungsproportionen auf Bedingungen beruht, die in bezug auf Physik und Kosmologie sowohl des Aristoteles als auch der Atomisten heterogen sind. Wenn man also von dem wirklichen Verhältnis zwischen der aristotelischen und der philoponischen Auffassung der Bewegungsproportionen absieht, trifft es zwar zu, daß Philoponus in seinem Corollarium als einen seiner Angriffspunkte die Behauptung angesehen hat, die Fallgeschwindigkeiten im Leeren seien stets gleich. Nicht richtig aber ist, daß dieser Angriffspunkt eben der Angriffspunkt der Kritik am sogenannten aristotelischen „Fallgesetz" ist. Denn daß die Proportionen, die Aristoteles im 8. Kap. des Buches Δ zwischen Dichte, Schwere und Fallzeit aufstellt, auch in den Augen des Philoponus nicht ausdrücken sollen, daß im Leeren alle Fallgeschwindigkeiten gleich sind, sieht man daran, daß Philoponus die Proportionen zu jenen „Voraussetzungen" des Aristoteles zählt, denen Aristoteles selbst widerspreche, wenn er die Gleichheit der Fallgeschwindigkeiten im Leeren behaupte: Philoponus betrachtet die aristotelische Annahme, daß der Dichte des Mediums und der Schwere des fallenden Körpers als veränderlichen Größen die Verschiedenheit der Fallzeiten zuzurechnen sind, als Einwand gegen die These, daß ungleich schwere Körper im Leeren zwar gleich schnell, im körperlichen Medium dagegen ungleich schnell fallen 21 . Offen ist also immer noch, worin eigentlich Philoponus' Kritik am aristotelischen „Fallgesetz" besteht. Seiner Deutung, diese bestehe (zweitens) darin, daß Philoponus die „exactitude" des aristotelischen „Fallgesetzes" bestreite, fügt Duhem eine knappe Erläuterung bei 22 . Philoponus richte sich, so meint er, gegen die beiden von Aristoteles behaupteten Proportionalitätsgesetze, nicht ohne beide als „unauflöslich miteinander verknüpft" zu betrachten. Diese Bemerkung Duhems enthält eine, wie mir scheint, wertvolle Beobachtung. Es scheint mir einer Nachprüfung sowohl fähig als auch würdig zu sein, worin Philoponus die „unauflösliche Verknüpfung" der beiden Proportionalitätsgesetze gesehen hat. 21 In Ph. 677, 29—678, 5 ; vgl. 678, 1 3 — 1 5 . 22 Duhem, a. a. O., S. 3 6 1 .

30

Philoponus' „Fallgesetz"

3· Zunächst ist allerdings festzuhalten, daß sich Philoponus' Kritik, wie unser Text zeigt, zunächst nicht ausdrücklich gegen beide Proportionalitätsgesetze richtet. Sie richtet sich vielmehr nur gegen die von Aristoteles aufgestellte Proportionalitätsbeziehung zwischen den Größen der Dichte des Mediums und der Fallzeit. Das ist verständlich, weil Aristoteles ja nur für diese Größen ausdrücklich behauptet hatte, daß, wenn der Wert einer von beiden Größen = ο wird, auch der der anderen Größe = ο wird. Eben gegen diese Behauptung richtet sich Philoponus. Nun ist, wie Philoponus bemerkt, diese von Aristoteles aufgestellte Proportionalitätsbeziehung nur auf einem schwer zu findenden Umweg zu widerlegen. In der Tat ist die Dichte eines Körpers als intensives Quantum nicht meßbar, wenn sie nicht innerhalb eines Systems physikaler Dimensionen funktional definiert ist. Eine solche Definition gibt es aber im Rahmen der aristotelischen Physik, wie wir bereits sahen, nicht23. Vielmehr gibt es dort für den Begriff der Dichte als Quantum neben der impliziten Definition im Zusammenhang jener fiktiven Annahme, nach der die Dichte des Mediums proportional der Fallzeit ist, keine Festlegung, aufgrund deren die Dichte eines Körpers gemessen werden könnte. Von dem fiktiven Charakter der aristotelischen Proportionalitätsannahme sieht Philoponus nun allerdings ab, er hält diese vielmehr für „falsch" 24. Um dies zu zeigen, versucht er allerdings nicht unmittelbar eine neue Konvention bezüglich des quantitativen Verhältnisses zwischen der Dichte des Mediums und der Fallzeit aufzustellen. Der Umweg, den er zur 23 Vermutlich ebensowenig im Rahmen der vorklassischen Physik überhaupt. Der Begriff „Dichte" ist im Rahmen der klassischen Physik durch den Begriff der Masse (quantitas materiae) definiert (vgl. I. Newton „Philosophiae naturalis principia mathematica", Definitio I). Eine solche Definition, oder besser: die Fiktion, daß die „Menge der Materie" von dem Volumen und der Dichte eines Körpers abhängig ist, war zwar schon vor Newton (vielleicht zuerst von Ägidius Romanus, einem Schület des Thomas von Aquin [vgl. dazu unten S. 162 f.]) getroffen worden. Aber da die vorklassische Physik den Begriff der Masse nicht im Rahmen eines Systems von Funktionen durch andere Größen (ζ. B. durch die Begriffe der Beschleunigung und der Kraft) definiert hat, konnte die Dichte eines Körpers nur als fiktive Größe, nicht aber als meßbare Größe aufgefaßt werden. Dementsprechend gilt bei Philoponus nicht als durch Konvention bestimmt, was der „leere" Raum ist. Vielmehr ist für ihn der leere Raum der Sache nach dasselbe wie der widerstandsfreie Raum. Unter welcher Bedingung der Raum widerstandsfrei wäre, das ist durch sein für wahr gehaltenes „Fallgesetz" definiert: er ist dann widerstandsfrei, wenn Schwere und Fallzeit (multipliziert mit einer Konstanten) gleich groß sind.

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen BewesunesDronortionen

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Widerlegung der aristotelischen und zur Auffindung der richtigen quantitativen Beziehung zwischen Dichte und Fallzeit entdeckt zu haben meint, ist der Weg über die Auswertung der soeben erwähnten Beobachtung, daß die Geschwindigkeit verschieden schwere Körper „kaum wahrnehmbar" voneinander abweicht. Philoponus geht (wenn wir den oben zitierten Text so gliedern wollen) von einem Wenn-Dann(£i - 5riJtoi))-Gefüge aus (683, 5—16). Auf der Seite des Wenn-Satzes steht die zu widerlegende aristotelische Proportionalitätsbehauptung, während die Seite des Dann-Satzes in der Behauptung der (umgekehrten)25 Proportionalität zwischen Schwere und Zeit besteht. Jene von Philoponus beschriebene, die Beziehung zwischen der Schwere und Fallzeit eines fallenden Körpers betreffende Beobachtung wird im folgenden Text so gedeutet, daß sie dem Implikat widerspricht (683, 16—25). Deshalb kann (nach modus tollens) auf die Falschheit des Implikans geschlossen werden (683, 25—34), die zu beweisen war. In diesem Falsifizierungsverfahren schließt Philoponus also von dem NichtzutrefEen eines bestimmten Proportionalverhältnisses zwischen Schwere und Fallzeit auf das NichtzutrefEen eines entsprechenden Proportionalverhältnisses zwischen Dichte des Mediums und Fallzeit. Dieser Umweg erscheint Philoponus deshalb zweckmäßig, weil er voraussetzt, daß für die ροπή im Gegensatz zu der παχυμέρεια eines Körpers gemessen werden kann, um das Wievielfache sie die eines andern Körpers übertrifft. Die Voraussetzung ist freilich keineswegs unproblematisch. Denn man dürfte die Frage stellen, wie sie mit der Annahme des Philoponus vereinbar ist, daß es für die intensive Größe der ροπή kein Additionstheorem gibt. (Nach dieser Annahme wäre es wohl möglich festzustellen, daß zwei Körper gleich schwer sind. Welche Operation aber gäbe es, unter dieser Bedingung festzustellen, daß ein Körper doppelt so schwer ist als ein anderer? — Man muß immerhin bedenken, daß das Wiegen mit der Hebelwaage ohne die physische Zusammenfassung der jeweils die Schwere-Einheiten repräsentierenden Körper [„Gewicht"-Steine] nicht möglich ist. —) Die Falsifizierbarkeit der aristotelischen Behauptimg der Proportionalität zwischen ροπή und Fallzeit durch Beobachtung wird von dieser Schwierigkeit nur deshalb nicht berührt, weil es in ihm nicht auf eine „exaktere" Messung, sondern auf die Feststellung des bloßen Nichtzutreffens der aristotelischen Proportionalitäts25

Zwischen direkter und umgekehrter Proportionalität unterscheidet Philoponus sprachlich nicht, statt dessen verwendet er die Form des Relativsatzes: „ov oi χρόνοι λόγον [ . . . ] , τούτον [ . . . ] τά κινούμενα τόν λόγο ν " .

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Philoponus' „Fallgesetz"

beziehung ankommt 26 . Die Beobachtung in diesem Sinn zu deuten, ist plausibel, weil bei Körpern, die sich ihrer Schwere nach wie ι : 2 verhalten, die Differenz der Geschwindigkeiten nicht bloß von diesem Verhältnis abweicht, sondern ü b e r h a u p t n i c h t (wahrnehmbar) auftritt. Das Problem des Falsifizierungsversuchs beruht auf den theoretischen Voraussetzungen des Schlußverfahrens. Der Schluß vom Fehlen der (umgekehrten) Proportionalität zwischen Schwere und Fallzeit auf das Fehlen der Proportionalität zwischen der Dichte des Mediums und der Fallzeit setzt nämlich voraus, daß ein Implikations- (oder Äquivalenz-)verhältnis besteht, derart, daß, wenn es eine bestimmte Relation gibt zwischen zwei Größen, eine Relation ähnlicher Art zwischen einer der beiden Größen und einer dritten Größe besteht 27 . Philoponus nennt diese Voraussetzung nicht in dieser Form. Aber ohne Zweifel verfährt er im Sinne dieser Voraussetzung bei der Formulierung des erwähnten Wenn-Dann-Satzes (683, β ff.). Wie mir scheint, läßt sich eben dem, was Duhem als „unauflösliche Verknüpfung" der beiden aristotelischen Proportionalitätsbeziehungen bezeichnete, ein präziser Sinn verleihen, wenn man davon ausgeht, daß diese „unauflösliche Verknüpfung" in jenem Implikationsverhältnis besteht. Gegenüber dem aristotelischen System, das, wie wir sahen, die Proportionen untereinander unverbunden läßt, stellt die Herstellung dieser Verknüpfung als logische Beziehung zwischen Proportionalitätsannahmen einen elementaren Schritt physikalischer Systembildung dar. ( — Darauf, daß es auch einen physikalischen Grund für das Bestehen der [logischen] Implikationsbeziehung gibt, kommen wir gleich zu sprechen. — ) Man sieht nun leicht, wie dieses Verknüpfungsprinzip — so möchte ich der Kürze des Ausdrucks wegen die Implikationsbeziehung zwischen den beiden Proportionalitätsannahmen künftig nennen — zur Widerlegung dei aristotelischen Proportionen zwischen Dichte und Zeit dienen konnte. Nach Aristoteles müßte gelten, daß ceteris paribus bei Verdopplung der Dichte Ein Problem ist mit der Annahme des Fehlens eines Additionstheorems im Hinblick auf die Konzipierung des „Fallgesetzes" erst insofern verbunden, als Philoponus die aristotelischen Proportionsbeziehungen nicht nur widerlegt, sondern durch neue Beziehungen ersetzt. Die neuen Beziehungen versucht Philoponus nicht durch neue — genauere — Messungen, sondern durch die Beobachtung, daß ungleich schwere Körper in ihrer Fallgeschwindigkeit „kaum wahrnehmbar" voneinander differieren, zu erproben — vermutlich aus dem Grund, weil es solche „genaueren" Messungen wegen des Fehlens eines Additionstheorems nicht gibt. Wie Philoponus zu den neuen Beziehungen kommt, s. u. 27 Wenn „a" die Dichte des Mediums, „b" die Zeit und „c" die Schwere des fallenden Körpers bedeuten und wenn „R" für die Proportionalität und „S" für die umgekehrte Proportionalität steht, soll „a R b c S b" und deshalb auch „Nicht: c Sb Nicht: a R b" gelten.

26

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

33

auch die Zeit um das Doppelte vermehrt wird; geschrieben in einer Tabelle erhielten Zeit und Dichte folgende Werte relativ zueinander: Tabelle ι Zeit

Dichte des Mediums

2

2

ceteris paribus

ι

ι

Gemäß dem Verknüpfungsprinzip ergäbe sich dann für die relativen Werte von Schwere und Zeit (bei Umkehrung der Proportionalität): Tabelle 2 Schwere ceteris paribus

Zeit

2

1

ι

2

Nun soll die Beobachtung zeigen, daß diese Werte nicht zutreffen. Die Werte der Zeit verhalten sich nicht wie 1 : 2 , sondern sie bilden einen Quotienten, der größer ist als 1 : 2. Wenn Tab. 2 aber falsch ist, ist aufgrund des Verknüpfungsprinzips auch Tab. 1 falsch 273. 4·

Wenn wir die Frage stellen, aus welchem physikalischen Grund Philoponus das Verknüpfungsprinzip gelten läßt, ist es zweckmäßig, nicht nur die Falsifizierung der aristotelischen Proportionalitätsannahmen zu betrachten, sondern auch zu rekonstruieren, aufgrund welcher Überlegungen Philoponus zur Konzipierung seines neuen „Fallgesetzes" kommt. Philoponus drückt denselben Sachverhalt, der in der Vergrößerung des Quotienten besteht, den die Werte der Zeit bilden, folgendermaßen aus: „γίνεται δέ τις και άλλος χρόνος" (682, 22) oder ,,προστεθήσεταί τις και άλλος χρόνος" (682, ι f.); „eine andere Zeit", d. h. ein bestimmter Betrag, kommt zu demjenigen Zeitbetrag, der der Schwere des fallenden Körpers proportional ist, additiv hinzu. Die Tab. 2 müßte nach Philoponus so korrigiert werden: Tabelle 3 Schwere Zeit ceteris paribus 27a Z u r

wissenschaftstheoretischen

2 ι Bedeutung der

„Logik der Forschung", 2. Aufl., Tübingen, 1966.

1 + x 2 + x Falsifikation vgl. K . R .

Popper

Philoponus' „Fallgesetz"

34

Philoponus erklärt das Hinzukommen dieses (in unserer Tabelle als „x" bezeichneten) nach seiner Meinung ceteris paribus offenbar konstanten Betrages dadurch, daß der fallende Körper, abgesehen von der Zeit, die sich proportional seiner Schwere verhält (und die nach Philoponus' Ansicht seine Bewegung auch dann verbrauchen würde, wenn der Körper durch den leeren Raum fiele), a u ß e r d e m noch Zeit verbraucht, um beim Fallen durch ein Plenum das Medium zu „durchteilen" 28. Der zu addierende Betrag ist also jener, der proportional der Dichte des Mediums ist; und der Gesamtbetrag der Bewegungszeit eines Falls, der nicht im leeren Raum stattfindet, ist immer aus zwei Teilbeträgen zusammengesetzt, von denen der eine der Dichte, der andere der Schwere proportional ist. Wenn wir dementsprechend in Tab. 3 anstelle des durch „x" bezeichneten Betrages einen dem Wert der Dichte proportionalen Betrag supponieren, kommen wir zu folgender Tabelle: Tabelle 4 Strecke 1 1

Zeit 2 2

Schwere ι + ι 1 + 2

Dichte ι 2

I

X

2 +

1

I

I

I

2 -j- 2

2

Diese Tabelle läßt deutlich erkennen, daß, wenn man annimmt, daß die Dichte des Mediums = ο wäre, es immer noch eine Bewegung geben könnte, deren Geschwindigkeit proportional der Schwere des fallenden Körpers ist 29 . In ihr drückt sich die Ansicht aus, daß Fallbewegungen mit bestimmter Geschwindigkeit von nichts anderem als von der inneren Schwere der fallenden Körper verursacht werden. Die ihrer Dichte nach verschiedenen Medien dagegen wirken auf die Fallbewegungen nur insofern ein, als sie in verschiedenem Maß deren Geschwindigkeit einschränken. Mit Philoponus' Worten: die inneren Bewegungstendenzen sind als e r z e u ge Vgl. In Ph. 681, 1 7 — 2 4 ; 681, 30—682, 2; 684, 3. 8 f.; 682, 21 fi. ε'ι γαρ γίνεται τις χρόνος καΐ παρά τάς διαχόρους ροπάς διάφορος, γίνεται δε τις καΐ άλλος χρόνος διά την τοϋ σώματος διαίρεσιν δι' οί ή κίνησις γίνεται, [ . . . ] . 29 Mit dem Wertverlauf dieser Tabelle konvergiert das sogenannte Diflerenzgesetz „V = Ρ — Μ"

(wobei „ V " die Geschwindigkeit, „P" die Schwere und „R" die

Dichte des Mediums bezeichnen), das gewöhnlich für einen Ausdruck von Philoponus' „Fallgesetz" gehalten wird. Die genannte Formulierung des Differenzgesetzes verwendet E. A. Moody „Galileo and Avempace", in: Journal of the History of Ideas, vol. X I I 2, New York 1 9 5 1 , S. 192. Eine der Form nach ähnliche Formulierung findet sich bei A . Maier „Zwischen Philosophie und Mechanik", Rom 1958, S. 243 fi.

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

g e n d e U r s a c h e n (ώς ποιητικαί α'ιτίαι 68ι, i i f.), die Medien dagegen sind nur a l s W i d e r s t a n d Ursache der ungleich schnellen Bewegung (ώς έμποδιστικόν της άνισου κινήσεως αίτιον 68ι, i o f . ) 3 0 . Diese beiden Arten von Ursachen stehen also nicht auf gleicher Stufe: positive oder Hauptursache der ungleich schnellen Bewegung sind nur die inneren Bewegungstendenzen, die Dichten der Medien sind als Widerstände nur Nebenursachen und wirken nur negativ auf die Geschwindigkeit der Bewegungen ein.

5· Die Begriffe „ροπή" und ,,παχυμέρεια" erfahren eine Umdeutung mit Hilfe eines Begriffspaars, das in seiner Terminologie an die Begriffsbildung der klassischen Mechanik erinnert. Indem die Schwere a l s Wirkursache und die Dichte a l s Widerstand explizit definiert werden und als solche den beiden Zeitkomponenten proportional sind, werden Widerstand und Wirkursache, insofern sie in dieser Weise quantitative Bedingungen der Geschwindigkeit der Bewegung sind, als quantitative Begriffe aufgefaßt. Neben den q u a n t i t a t i v e n Charakter dieser beiden Begriffe tritt aber außerdem das Merkmal der funktionalen Bezogenheit aufeinander. Der f u n k t i o n a l e Charakter äußert sich darin, daß Widerstand und Wirkursache als (einander untergeordnete) Ursachen der Geschwindigkeit in einem Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen: d. h. die Annahme, daß die innere Schwere des fallenden Körpers als Wirk- und Hauptursache der Geschwindigkeit der Bewegung proportional der Fallzeit ist, hängt davon ab, daß man die Dichte des Mediums nur als Widerstand und insofern nur als Nebenursache der Bewegungsgeschwindigkeit deutet. Philoponus drückt das Bestehen dieses Abhängigkeitsverhältnisses in dem Satz aus: W e n n die Dichte des Mediums als hindernde Ursache fungiert, d a n n fungiert die innere Schwere der fallenden Körper als Ursache (εί γαρ τό δι' οΰ ώς έμποδιστικόν της άνισου κινήσεως αίτιον έστιν, at αρα φυσικαί ροπαί ώς ποιητικαί αίτίαι αν εΐεν. 68ι, ioff.). Das heißt: Daß die Dichte des Mediums bloß als Widerstand (und insofern bloß als Nebenursache und negativ) fungiert, ist eine notwendige Bedingung dafür, daß zwischen der Bewegungszeit und der inneren Schwere der Körper überhaupt eine Proportionalitätsbeziehung besteht. 30 Die „erzeugende Ursache" heißt an anderen Stellen desselben Corollariums auch „κινητική έν αύτοΐς [sc. τοϊς σώμασιν] αίτια" (677, 19 f·) oder „ένέργεια" (678, 12).

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Philoponus' „Fallgesetz"

( [ . . . ] ε'ι τό σώμα, δι' οΰ κινούνται τά δια σώματος κινούμενα, έμποδιστικόν έστι των φερομένων, εστι δηλονότι ό χρόνος,δς δαπανδται έν έκάστη κινήσει, κατά την άναλογίαν των ένυπαρχουσών ροπών έν τοις σώμασι 681, 6 ff.). Der Sache nach handelt es sich bei dieser Wenn-dann-Beziehung nicht nur um eine Implikations-, sondern sogar um eine Äquivalenzbeziehung. Der Sache nach läßt sich nämlich diese Implikations-Beziehung umkehren: Daß zwischen der Bewegungszeit und der inneren Schwere der Körper eine Proportionalitätsbeziehung besteht (daß insofern die innere Schwere Hauptursache der Bewegungsgeschwindigkeit ist), ist die Bedingung — und hier dürfte man nicht nur von einer notwendigen, sondern von einer hinreichenden Bedingung reden — dafür, daß die Dichte des Mediums bloß als Widerstand und Nebenursache fungiert. Der physikalische Grund dafür, daß diese Äquivalenzbeziehung besteht, liegt darin, daß Philoponus die beiden die Geschwindigkeit der Bewegung bedingenden Ursachen einander unterordnet: daß er die eine Ursache als Nebenursache deutet, ist die notwendige Bedingung dafür, daß die andere Ursache als Hauptursache, als die eigentliche Bewegungsursache, gedeutet werden kann; daß dagegen diese Ursache als Hauptursache gilt, ist hinreichende Bedingung dafür, daß es sich bei jener Ursache nur um eine Nebenursache handeln kann. (Denn es kann nach Philoponus' Ansicht offenbar nur eine Hauptursache geben). — Die explizite Definition der Begriffe „Schwere" und „Dichte des Mediums" durch die Begriffe „Wirkursache" und „Widerstand" ist eine wesentliche Voraussetzung für die Gestalt von Philoponus' „Fallgesetz". Als quantitative Begriffe sind die Dichte des Mediums und die Schwere als Widerstand und Wirkursache jeweils Größen, die sich zur Zeit als einer die Geschwindigkeit eines Körpers bestimmende Größe proportional (bzw. umgekehrt proportional) verhalten; als quantitative Begriffe sind sie Bestandteile einer Proportionalitätsbeziehung. Als funktional aufeinander bezogene Begriffe dagegen stehen sie zugleich in einer logischen Beziehung zwischen jenen beiden Beziehungen: Das Bestehen der Proportionalität zwischen Widerstand und Zeit impliziert das Bestehen der Proportionalität zwischen Wirkursache und Zeit. Es erfordert keine Mühe, in eben der logischen Beziehung, die Philoponus aufgrund der funktionalen Beziehung zwischen Widerstand und Wirkursache aufstellt, jenes Verknüpfungsprinzip („aRb-^cSb", vgl. Anm. 27) wiederzuerkennen. Das Verknüpfungsprinzip ist nämlich in sich verständlich, wenn man, wie es Philoponus im Zusammenhang der Falsifizierung des aristotelischen „Fallgesetzes" allerdings nur stillschweigend tut, die in beiden Relationen auftretenden Begriffe der Dichte und der Schwere als Wider-

Philoponus' Kritik an den Aristotelischen Bewegungsproportionen

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stand und Wirkursache deutet. Wenn man das Verknüpfungsprin2ip in diesem Sinne versteht, zeigt sich, daß es zugleich die Bedingung der Falsifizierung der aristotelischen Proportionsbeziehungen war und zugleich als die logische Verknüpfung dienen konnte, mit der Philoponus die nach seiner Meinung geltenden Proportionen zu einem neuen Fallgesetz vereinigt hat. Um zu dieser Konstituierung dienen zu können, mußte das Verknüpfungsprinzip freilich eine spezifizierende Deutung erfahren. Die Zeitgröße, die in den beiden logisch verknüpften Relationen auftritt, konnte nicht mehr undifferenziert als die gesamte Fallzeit genommen werden, sondern mußte in beiden Relationen jeweils als der eine von zwei Teilbeträgen, die additiv den Gesamtbetrag ergeben, gedeutet werden, wenn anders Philoponus seiner Beobachtung gerecht werden wollte und wenn anders er mit Aristoteles daran festhalten wollte, daß s o w o h l der Dichte des Mediums a l s a u c h der Schwere des fallenden Körpers die Verschiedenheit der Fallgeschwindigkeiten zuzurechnen sei 31 .

31 Man müßte nach dieser Deutung des Verknüpfungsprinzips nach unserer Formalisierung b in die Komponenten b' und b " zerlegen, so daß sich ergibt: a R b' - > c S b " . ( „ b ' " und „ b " " sind in dieser Formel also Bezeichnungen für zwei verschiedene Zeitgrößen, die jeweils der Dichte des Mediums [a] und der Schwere [c] proportional bzw. umgekehrt proportional sind und die zueinander addiert die Fallzeit ergeben.)

Kapitel II Die Dichte des Mediums als Widerstand; die Schwere des Körpers als Wirkursache der Bewegung Wir hatten uns anfangs die Frage gestellt, worin der Sache nach die Kritik des Philoponus am sogenannten aristotelischen „Fallgesetz" bestanden hat. Statt zu einer Antwort zu kommen, die gezeigt hätte, welche möglichen Fehler Philoponus bei Aristoteles aufgespürt haben könnte, fanden wir bei ihm neue, nicht-aristotelische Voraussetzungen, auf denen seine Argumentation basiert. Gleichsam als Schlußstein unter diesen Voraussetzungen fanden wir zuletzt ein Begriffspaar, mit dessen Aufstellung sowohl die Möglichkeit der Falsifizierung des aristotelischen als auch die der Konzipierung des neuen „Gesetzes" steht und fällt. Wenn wir uns anfangs die Aufgabe stellten, die Bedingungen zu untersuchen, unter denen Philoponus zu seiner Kritik gekommen ist, liegt es nahe, diesem Begriffspaar ein besonderes Interesse zu schenken. Wir wollen uns fragen, unter welchen Bedingungen Philoponus dazu gekommen ist, die beiden Begriffe der Dichte und der Schwere in dieser Weise als Widerstand und Wirkursache, als Neben- und Hauptursache der Bewegungsgeschwindigkeit einander gegenüberzustellen und zu quantifizieren. Dieselbe Frage könnte man auch so formulieren: Unter welchen Bedingungen ist Philoponus einerseits dazu gekommen, die Funktion, die dem Medium in bezug auf Bewegungen zukommt, so zu deuten, daß das Medium Bewegungen nicht positiv bedingt, sondern daß es ausschließlich deren Geschwindigkeit der Quantität nach einschränkt? Und wieso hält Philoponus andererseits ausschließlich die den Körpern innewohnende Schwere für die aktive und bewegungserzeugende Ursache?

i. Diese Deutung der Funktion des Mediums und der inneren Schwere durch Philoponus findet im Rahmen der aristotelischen Kosmologie ohne

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Zweifel keine eindeutige Entsprechung, wenn sie nicht sogar im Gegensatz zu ihr steht. Werfen wir einen Blick auf den von Philoponus kritisierten AristotelesText! Die Aufstellung eines Begriffspaars von der Art wie das von Widerstand und Wirkursache sucht man dort vergeblich. Zwar behauptet auch Aristoteles, daß das Medium, durch das sich ein Ding bewegt, deshalb Ursache (αίτιον) für die Geschwindigkeit dieser Bewegung ist, indem es das bewegte Ding behindert (εμποδίζει) (215329). Die Behinderung ist dadurch bedingt, daß sich das Medium im Verhältnis zu dem Ding entweder in der entgegengesetzten Richtung bewegt (άντιφέρεσθαι) oder indem es sich in Ruhe befindet (μένειν) (215 a 30). Die Behinderung beruht also auf einer bestimmten Art des Zustands, in dem sich das Medium befindet. Größer freilich, so fährt Aristoteles fort, ist die Behinderung bei dem Medium, das nicht wohldurchteilbar (τό μή εύδιαίρετον τοιοΰτο δέ τό παχύτερον 215 a 31), also dichter ist. Diese Stelle deutet darauf hin, in welchem Sinne Aristoteles das Medium als „Ursache" der Geschwindigkeit betrachtet. Aristoteles hebt nämlich mit dem Hinweis auf die „Wohldurchteilbarkeit" des Mediums eine Eigenschaft des Mediums als solchen hervor, die es von anderen, nämlich von festen Körpern unterscheidet. In diesem Sinne, daß das Medium ein wohldurchteilbarer Körper ist, ist aber die Dichte des Mediums durchaus eine positive Ursache der Bewegung. Aristoteles unterscheidet also die Dichte des Mediums von der ροπή fallender Körper nicht als eine bloß negative, bloß einschränkende Ursache. Was insbesondere die Deutung der ροπή betrifft, läßt sich im Corpus Aristotelicum (soweit ich sehe) keine Stelle finden, die eindeutig erkennen läßt, Aristoteles habe die Schwere der Körper als aktive Kraft, als ποιητική αιτία der Fallbewegung angesehen. „Schwere" (βάρος) bezeichnet nach Aristoteles — übrigens ähnlich wie nach Piaton (vgl. Ti. 62 c ff.) — nichts anderes als eine Eigenschaft, die ein Körper seinem Wesen nach hat, wenn er sich seinem Wesen nach (κατά φύσιν) abwärts bewegt; ebenso wie die Leichte (κουφότης) die Eigenschaft eines Körpers ist, sich seinem Wesen nach aufwärts zu bewegen. Daß Bewegungen schwerer sowohl als leichter Körper in der Kosmologie des Aristoteles zu den sogenannten naturgemäßen Bewegungen (κατά φύσιν oder φυσικαί κινήσεις) zählen, soll heißen: Die Eigenschaft oder die „φύσις" (,,ή έν αύτω υπάρχουσα") des schweren oder leichten Körpers, sich nach unten oder oben — und das heißt gemäß der aristotelischen Lehre von den natürlichen Örtern: sich an seinen naturgemäßen, irgendwo zwischen dem

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Philoponus' „Fallgesetz"

Zentrum und der Peripherie der Welt gelegenen Ort — zu bewegen, ist das Prinzip seiner Bewegung 32 . Der Gegensatz, in welchem die aristotelische Theorie der naturgemäßen Bewegungen zu Philoponus' Deutung der Schwere (bzw. Leichte) als Wirkursache der Bewegung steht, geht aus folgendem klar hervor. Aristoteles sagt in Buch Θ der Physik deutlich, daß die Natur als Prinzip der Bewegung (κινήσεως αρχήν) Prinzip n i c h t des aktiven Bewegens (τοΰ κινεΐν ουδέ τοϋ ποιεϊν), sondern des Bewegtwerdens, des Affiziertwerdens (τοΰ πάσχειν) sei 3 3 . Dieser Satz folgt unmittelbar aus einem für die aristotelische Kinematik zentralen Grundsatz: απαν τό κινούμενον άγάγκη υπό τίνος κινεϊσθαι (Ph. Η ι , 241 b 24); alles Bewegte wird von etwas bewegt. Daß nach Aristoteles die Natur, die Schwere (oder Leichte) eines Körpers, Prinzip der Bewegung desselben Körpers ist, soll also dem kinematischen Grundsatz nicht widersprechen; vielmehr bilden, wie Aristoteles im Physikbuch Θ betont, die natürlichen Bewegungen leichter und schwerer Körper deshalb keine Ausnahme gegenüber diesem Grundsatz, weil es immer etwas von den bewegten Körpern Unabhängiges gibt, das entweder das Hindernis der Abwärts- oder Aufwärtsbewegung beseitigt (ή [. . .] τοϋ τά έμποδίζοντα και κωλύοντα λύσαντος) oder das die Schwere oder Leichte eines Körpers überhaupt erst bedingt (ή [. . .] τοΰ γεννήσαντος και ποιήσαντος κοΰφον ή βάρυ, 256 a 1 f.), wie z. Β. eine heiße Substanz, die auf eine kalte aber der Möglichkeit nach warme Substanz wirkt, diese heiß und somit leicht macht (vgl. zu diesem Beispiel 256 b 5 ff.). Es ist nach Aristoteles gleichgültig, ob sich etwas erzwungermaßen oder von Natur aus bewegt, ob es beseelt oder unbeseelt ist, immer wird es von etwas bewegt 3 4 Simplicius, der Zeitgenosse des Philoponus, schließt sich in seinem Kommentar zum Physikbuch Β eng an die Gedanken von Ph. Θ an. Auch er meint, daß ein in dem Körper subsistierendes Prinzip unmöglich zugleich die denselben Körper bewegende Ursache (κινητική αρχή) sein könne 35 . Die vier verschiedenen, von Natur aus entweder auf- oder abwärtsbewegten Elemente könnten keine Bewegungsursache in sich selbst haben (έν έαυτοϊς τό όθεν ή αρχή της κινήσεως, τουτέστι τό κινοΰν αίτιον). Die Natur als deren Bewegungsprinzip sei keine bewegungserzeugende (ποιητική) Ursache, son32 Vgl. Cael. Γ 2, 301 a 20 ff.; 301 b 17 ff. 33 Ph. Θ 4, 255 b 30 ff.; Ph. B i , 192 b 20 f. und 27 ff. ομοίως δέ καΐ των άλλων εκαστον των ποιούμενων ουδέν γάρ αυτών εχει την Αρχήν έν έαυτφ της πγιήσεως, άλλα τά μεν έν άλλοις καΐ εξωθεν, [ . . . ] . 34 Ph. Θ 4, 255 b 3 1 — a 35 Simp. In Ph. 287, 29 f.

3.

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dem nur eine gewisse Tauglichkeit, sich bewegen zu lassen (έπιτηδειότης ή προς τό κινεΐσθαι) Diese reflexiv-kausative Auffassung der natürlichen Bewegung, wie sie von Aristoteles und Simplicius vertreten wird, auch wenn sie zweifellos nicht ausschließt, daß der sich naturgemäß bewegende Körper selbst auch noch ein Prinzip zur Bewegung beisteuert, läßt sich offensichtlich nicht vereinbaren mit der Ansicht des Philoponus, nach der die innere Schwere der Körper als Wirkursache ihrer Bewegung fungiert. Nach ihnen ist die innere Bewegungstendenz keine Tendenz zu bewegen, sondern eine Tendenz, sich auf eine bestimmte Art bewegen zu lassen. Es ist klar, daß der, der wie Simplicius oder Aristoteles die aktive Auffassung der natürlichen Bewegung nicht akzeptieren würde, auch nicht akzeptieren müßte, daß w e n n das Medium als Widerstand, d a n n die Schwere des Körpers als Wirkursache fungiert. Der Falsifizierungsversuch des Philoponus wäre schon aus diesem Grunde im Rahmen der aristotelischen Kosmologie nicht zwingend. Konsequent ist, daß Philoponus in seinem Kommentar zum Buch Β der Physik im Unterschied zu Simplicius die aristotelische, im Physikbuch Θ entwickelte Ansicht verwirft, daß das aktiv Bewegende immer ein außerhalb des bewegten Körpers befindliches Ding ist. Nicht nur die sich bewegenden Lebewesen, auch nicht-animalische Dinge würden nicht notwendig von etwas Äußerem bewegt, sondern sie besäßen das aktiv Bewegende (τό κινοΰν) in sich. Die losgelassenen Steine beispielsweise würden nicht von dem, der sie losläßt, sondern von der in ihnen selbst befindlichen natürlichen Bewegungstendenz (ή έν αύτοΐς φυσική ροπή) nach unten bewegt. Ähnlich werde, so meint Philoponus, das bewegte Feuer allein durch seine innere Natur (υπό της έν αΰτω φύσεως) von unten nach oben bewegt 3 7 .

2. Die Auffassung, daß die den Körpern innewohnende Schwere deren aktive Bewegungsursache sei, geht — wenigstens der Sache nach — auf eine Entgegnung des Alexander von Aphrodisias gegen eine Kritik Galens an dem erwähnten kinematischen Grundsatz des Aristoteles zurück, alles was sich bewegt, werde notwendig von etwas bewegt. Eine knappe Notiz zu dieser Entgegnung Alexanders findet sich in Simplicius' Physik-Kommentar (In Ph. 1039, i 3 f i . ) . Der nähere Gegenstand der Kontroverse geht aller36 Simp. a. a. Ο. 288, 6 fi. 37 Phlp. In Ph. 195, 26—30.

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Philoponus' „Fallgesetz"

clings erst aus einem Text hervor, den F. Rosenthal in einer arabischen Handschrift aus dem 15. Jahrhundert (Carullah Collect., Millet Libr. MS. 127—129, fol. 66 b—69 a) gefunden und den S. Pines in der Zeitschrift „Isis" ausführlich behandelt hat 38 . Fol. 66 b—69 a gibt schon dem Titel nach einen Text des Alexander von Aphrodisias wieder, der die Kritik Galens an dem kinematischen Grundsatz des Aristoteles zurückzuweisen versucht. Pines hat wahrscheinlich gemacht, daß es sich bei diesem Text um die arabische Übersetzung eines Exkurses aus dem (heute verlorenen) Kommentar Alexanders zum Buch II der aristotelischen Physik handelt. Dieser Exkurs befaßt sich mit einer Schrift Galens, und zwar, wie Pines versucht hat zu zeigen, genauer mit einem Brief Galens an Alexanders Lehrer Herminos, in welchem Galen den genannten Grundsatz des Aristoteles angegriffen hatte. Weil dieser Angriff Galens, abgesehen von der Notiz bei Simplicius, sonst auf keine Weise überliefert ist, läßt sich der ihm zugrunde liegende Gedanke nur aufgrund der Replik Alexanders rekonstruieren. Danach steht fest, daß Galen, um den aristotelischen Grundsatz zu erschüttern, sich auf das Beispiel der Fallbewegung und allgemeiner auf das, was Aristoteles „naturgemäße Bewegung" nennt, berufen hat. Galen scheint in Verbindung mit seiner Meinung, daß die naturgemäßen Bewegungen nicht durch ein äußeres Ding bedingt, sondern Bewegungen eines „καθ' εαυτό κινητόν" sind, die Argumente, mit denen Aristoteles zu Beginn des Buches Η der Physik seinen Grundsatz hatte beweisen wollen, gegen diesen Grundsatz selbst angewandt zu haben. Aristoteles hatte nämlich behauptet (Ph. Η ι , 242 a 15), daß ein Ding als Ganzes in Ruhe ist, wenn sich nur einer seiner Teile nicht bewegt. Jedes Ding müsse daher, wenn es sich καθ' εαυτό39 und als Ganzes bewegt, durch ein anderes Ding von außen bewegt werden (vgl. 38 F. Rosenthal „From Arabic Books and Manuscripts, V: a one-volume library of Arabic philosophical and scientific acts in Istanbul", in: Journal of the American Oriental Society, vol. 75, 1955, S. 14—23. S. Pines „Omne quod movetur necesse est ab aliquo moveri: A Refutation of Galen by Alexander of Aphrodisias and the Theory of Motion", in: Isis, 1961, vol. 52, part I, no. 167, S. 21—54. — Als Übersetzer des Textes fol. 66 b — 69 a wird (fol. 66 b) Abu Uthmän al-DimaSql (um 900) erwähnt, ein Mann, der auch sonst als Übersetzer von Schriften des Alexander von Aphrodisias ins Arabische bekannt ist (vgl. H. Gätje „Zur arabischen Uberlieferung des Alexander von Aphrodisias", in: Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft, Bd. n 6 , 1966, S. 255—278). 39 Der Begriff der καθ' εαυτό κίνησις, den Aristoteles hier verwendet, ist der Gegenbegriff zu dem der Bewegung κατά συμβεβηκός. Κατά συμβεβηκός bewegt sich ζ. Β. der Teil eines Dinges, wenn sich das ganze Ding bewegt, oder ein Passagier auf einem fahrenden Schiff (vgl. Ph. Θ 4, 254 b 7 S.).

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242 a 3 — 1 5 ) . Galens Behauptung dagegen scheint darin bestanden zu haben, daß, wenn sich etwas καθ' εαυτό bewegt, und wenn es, wie z.B. das fallende Ding, nicht von einem seiner Teile bewegt wird, dann also nicht alles notwendigerweise von etwas bewegt wird 4 0 . Alexander versucht den Grundsatz des Aristoteles zu retten. Sein Einwand gegen Galen besteht in zweierlei. E r s t e n s wirft er Galen vor, er restringiere den Begriff der καθ' έαυτό κίνησις auf die naturgemäßen, also auf diejenigen Bewegungen, deren Prinzip in den bewegten Körpern selbst subsistiert, während demgegenüber nach Aristoteles auch die erzwungenen (ßt(?) Bewegungen mit in den Begriff der καθ' έαυτό κίνησις eingeschlossen seien 41 . Was die erzwungenen Bewegungen betrifft, hält es Alexander für keines Beweises bedürftig, daß sie einen äußeren Beweger voraussetzen 42 . Mit Bezug auf die naturgemäßen Bewegungen macht Alexander gegen Galen z w e i t e n s geltend, daß das innere Bewegungsprinzip etwas von dem bewegten Ding Verschiedenes sei. Das Bewegende sei kein Teil des Dinges, sondern eine gewisse Kraft, die dem bewegten Ding zwar innerlich, aber selbst ein von diesem Ding verschiedenes Etwas sei. Bei den animalischen Bewegungen ζ. B. sei diese Kraft die Seele, bei den naturgemäßen Bewegungen die innere Bewegungstendenz, die Schwere oder Leichte 43 . Dinge, deren Bewegung auf einem solchen inneren Bewegungsprinzip be« Pines a. a. Ο., S. 33· 41 fol. 69 a (in Pines' Ubersetzung [dieser Übersetzung liegt der Text der auf Mikrofilm festgehaltenen und stellenweise korrupten Handschrift zugrunde], vgl. a. a. O., S. 30 f.): „ I (?) have imagined that it was difficult for the author of this Epistle to demonstrate the things that Aristotle said, because he held that the things that are moved per se are the things whose principle of motion subsists in them and which are not at all moved by any external thing. Now [the fact is] that not only these things are moved per se; for Aristotle considers that there may exist certain things which are in motion through violence, and which never the less may be moved per se." « fol. 68 a, Pines a. a. O., S. 30. « fol. 68 b (Pines a . a . O . , S. 30): „These [d.h. die natürlich bewegten Dinge] are consequently in motion, because the principle of their motion exists in them. [Hence namely] because the principle of their motion exists in them, a certain force [ . . . ] which moves them exists in them, and they are moved by and through it. This force is a certain thing that is other than them. [It is] in this way that the things endowed with a soul are moved, their motion not being due to something that is external to them . . V g l . auch a. a. O., S. 27. — Für die innere bewegende Kraft, wie sie von Alexander angenommen wird, ist es offenbar charakteristisch (vgl. dazu audi den Text der folgenden Anmerkung), daß sie, obgleich „principle", dennoch „a certain thing" ist. Prof. Otto Rössler verdanke ich die Auskunft, daß das von Pines als „principle" wiedergegebene arabische Wort (mabda') dem griechischen „άρχή" entspricht.

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Philoponus' „Fallgesetz"

ruhe, würden demgemäß ebenso wie alle anderen Dinge v o n e t w a s bewegt 44 . Uns interessiert dieser zweite Einwand. Man sieht, daß Alexander ohne weiteres die Annahme Galens teilt, daß naturgemäße Bewegungen kein äußeres Prinzip voraussetzen. Nur ist sein Schluß nicht derart, daß er wie Galen aufgrund dieser Annahme die Geltung des aristotelischen Grundsatzes leugnet, alles, was sich bewege, werde notwendigerweise von etwas bewegt. Vielmehr deutet er diesen Grundsatz kompromißbereit so, daß das Etwas, von dem ein Ding notwendigerweise bewegt wird, wenn es sich bewegt, nicht nur ein Ding im engeren Sinne zu sein braucht, sondern ebensogut eine (freilich verdinglichte) Kraft, wie die Seele oder die Schwere eines Körpers sein kann. Daß dieser Kompromiß zwischen Aristoteles und Galen eine „intellektuell befriedigende" (Pines, a. a. Ο. S. 54) Deutung der naturgemäßen Bewegung war, würde ich Pines wegen der bei Alexander auftretenden Verdinglichung des Kraftbegriffs, die sowohl von Aristoteles als auch von Galen vermieden wird, nicht zugeben. Für Philoponus' Behandlung der aristotelischen Fallproportionen stellt aber ein solcher Kompromiß zwischen Aristoteles und Galen, wie ihn Alexander von Aphrodisias gefunden hatte, eine notwendige Voraussetzung dar: Nicht die Ausschaltung des aristotelischen Grundsatzes, sondern seine Ausdehnung auf bewegende Kräfte erklärt es, warum Philoponus die innere Schwere des Körpers als W i r k u r s a c h e der Bewegung versteht. Obwohl man bei Philoponus kein unmittelbares Echo auf die Auseinandersetzung Alexanders mit Galen findet — Philoponus' Kommentar zum Buch Η der Physik, wo man eine Rezeption Alexanders durch Philoponus hätte erwarten dürfen, ist nicht erhalten — , liegt die Vermutung nahe, daß Philoponus eine Theorie innerer Bewegungskräfte, wie sie Alexander entwickelt hatte und die vielleicht durch Alexander beeinflußt war, bereits vorgefunden hatte. Daß Philoponus direkt Kenntnis von Alexanders Theorie hatte, ist ebenso wahrscheinlich, wie er wahrscheinlich Alexanders Kommentar in seinem eigenen verarbeitet hat 4 5 . 44

fol. 66 b (Pines a. a. Ο., S. 2 5 ) : „But in the case of a thing which [is moved?] by a certain motive force which exists in it, the beginning of its motion is (or proceeds from) [a thing] other than itself but which is in it. For the things whose mover is outside of themselves are not the only ones whose motion [proceeds] from a thing other than themselves. For the things in which something like a principle exists are also things that are moved by some other thing." 4 5 V g l . dazu A . Gudeman, Art. „Ioannes 2 1 ) " R E I X 2, Sp. 1 7 7 9 . Gudeman bezieht die gegenüber Philoponus wenig schmeichelhafte Stelle in Simplicius' Physik-Kommentar auf den Kommentar von Philoponus (Simp. I n Ph. 1 1 3 0 , 3 fi.: τοΰ τε " Α λ ε ξ ά ν δ ρ ο υ την έξήγησιν πδσαν και τοΰ Θεμεστίου τήν παράφρασιν έπενεγκών,

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Mit der Abhängigkeit des Philoponus von einer Position, wie sie von Alexander vertreten wird, würden wir eine wohl notwendige, aber natürlich keine hinreichende Bedingung für die Aufstellung des neuen „Fallgesetzes" nennen. Eine Abhängigkeit dieser Art erklärt nur, warum Philoponus die Schwere eines Körpers als Wirkursache seiner Bewegung hat ansehen können, ohne glauben zu müssen, eindeutig gegen die peripatetische Lehre zu verstoßen. Die hinreichende Bedingung nennen wir, wenn wir die andere zu Beginn dieses Abschnitts gestellte Frage beantworten, warum Philoponus die Funktion des Mediums so deuten konnte, daß dieses keine aktive Ursache für Bewegungen ist, sondern nur deren Geschwindigkeit der Quantität nach einschränkt. Diese Frage läßt sich relativ leicht beantworten. Die Voraussetzung für seine Deutung der Funktion des Mediums hatte sich Philoponus einfach dadurch geschaffen, daß er Alexanders Kompromiß, den Grundsatz der aristotelischen Kinematik durch die Einführung eines inhärierenden, aktiven Kraftprinzips zu retten, nicht nur auf naturgemäße Bewegungen beschränkt gelassen, sondern konsequent auf erzwungene Bewegungen erweitert hatte. Worauf wir schon anfangs hinwiesen, hatte Philoponus das Bewegungsprinzip, das einem auf erzwungene Weise bewegten Ding inhäriert, als eine dem Ding selbst mitgeteilte oder eingeprägte Kraft (δύναμις ένδοΰεΐσα) angesehen. Daß Alexander von diesem Schritt weit entfernt war, zeigt sich darin, daß er, wie wir sahen, erzwungene und naturgemäße Bewegungen eben aufgrund ihrer entweder äußeren oder inneren Verursachung unterschied, um daraus gegen Galen den Vorwurf abzuleiten, er restringiere den Begriff der καθ' έαυτό κίνησις fälschlicherweise auf die naturgemäßen Bewegungen . Diesen Vorwurf hätte Philoponus unter seinen Voraussetzungen nicht mehr vorbringen können. Der Schritt, den Philoponus mit dieser Erweiterung des Prinzips der inneren Kraft über Alexander hinaus getan hat, ist deshalb für seine Einschätzung der Funktion des Mediums von historischer Bedeutung, weil Philoponus aufgrund dieser Erweiterung des Prinzips der inneren Kraft zugleich die aristotelische Lehre für überflüssig erklären konnte, daß ίνα πολύστιχα μάλλον αύτοϋ γενόμενα τά σ υ γ γ ρ ά μ μ α τ α τφ πλήθει κ α τ α π λ ή τ τ η τούς Ιδιώτας, [ · · · ] ) mit der Begründung, Philoponus' Kommentar zur Physik sei eben von allen der dickste. Auch Pines betont, daß Alexander die erzwungenen Bewegungen ausschließlich auf die Bewegung durch äußere Dinge zurückführe und auf jedes innere Bewegungsprinzip verzichte, vgl. a. a. O., S. 30.

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das Medium bei gewissen Arten der erzwungenen Bewegung, ζ. B. bei W u r f oder Schleuderbewegungen jenes E t w a s sein müsse, durch welches das Projektil fortbewegt wird, wenn die Bewegung des projiciens aufhört. Aristoteles nahm in seiner Theorie der W u r f - und Schleuderbewegungen (Ph. Θ ί ο , 2 6 6 b 3 0 — 2 6 7 a 20) an, daß das primum movens, etwa ein Steinwerfer, dem Medium nicht nur eine Bewegung, sondern auch die Fähigkeit erteile, das Projektil aktiv zu bewegen ( 2 6 7 a 2 ff.). Diese Fähigkeit pflanzt sich, w i e Aristoteles glaubt, im Medium von Luftschicht zu Luftschicht fort, bis sie schwächer wird und schließlich erlischt 47 . A u f diese Weise konnte Aristoteles die Geltung seines Grundsatzes auch f ü r solche erzwungenen Bewegungen erhalten, die scheinbar keines äußeren Bewegers bedürfen. I m Kommentar zum Buch Δ (Kap. 8) der Physik (In Ph. 6 3 9 ff.) setzt Philoponus an die Stelle des Mediums eine unkörperliche όρμή, die er promiscue auch δύναμις oder ένέργεια nennt, die vom Werfenden unmittelbar dem geworfenen Stein eingeprägt wird ( 6 4 2 , 1 1 f. ενέργεια τις ασώματος κινητική ένδίδοται υπό τοΰ ριπτοΰντος τψ ριπτουμένφ, [. . .]) und den Stein so lange fortbewegt, bis sie „ermüdet" ( 6 4 1 , 1 0 f. μέχρις αν έκλυθη ή ένδο•θεΐσα αύτψ κινητική δύναμις). Diese Deutung der Projektionsbewegung, die zum erstenmal den Begriff der vis impressa in die Kinematik einführt, bezeichnet man heute als „Impetus-Theorie"

48

. Philoponus' Bemerkungen zu

dieser Theorie im Kommentar zum Buch Δ sind nur beiläufig in den Text 47 48

Vgl. dazu A. Maier „Die Impetustheorie der Scholastik", Wien 1940, S. 8 f. Wenn man davon ausgeht, daß die Impetustheorie, wie sie bei Philoponus entwickelt wird, in einer konsequenten Verfolgung des Prinzips: alles Bewegte wird von etwas bewegt, im Sinne der Einwände Alexanders gegen Galen auf dem Gedanken beruhte, daß die eingeprägte Kraft das das bewegte Ding bewegende Etwas sei, ist deutlich, daß d i e s e Impetustheorie keine „Vorbereitung" der Theorie der Inertialbewegungen, sondern eine zur Verteidigung der aristotelischen Kinematik ersonnene Reaktion auf Ideen war, die die Möglichkeit einer ursachlosen Bewegung gerade bejahten. Das Trägheitsprinzip besagt nach der klassischen Formulierung Newtons, daß jeder Körper in seinem Zustand der Ruhe oder der geradlinig gleichförmigen Bewegung beharrt, wenn er nicht durch irgendeine vis impressa diesen Zustand zu verändern gezwungen wird (vgl. Philosophiae naturalis principia mathematica, Lex I). Das Trägheitsprinzip schließt also die Behauptung ein, daß es Bewegungen gibt, die weder durch ein bewegendes Ding noch durch eine eingeprägte Kraft verursacht werden. Nun ist zwar behauptet worden (vgl. Dijksterhuis „Die Mechanisierung des Weltbildes", Berlin 1956, S. 205 f., 522 f.), daß die Trägheitsauffassung Newtons, insofern nach ihr audi für Inertialbewegungen ein Motor, die vis inertiae, postuliert wurde, unter dem Einfluß der Impetustheorie der Pariser Terministen stand. Die „vis inertiae" Newtons „sei nichts anderes als der Pariser „impetus" oder die „vis impressa" Galileis. Von daher kann der Eindruck entstehen, die Impetustheorie sei ebenso wie die Newtonsche Trägheitstheorie eo ipso die Vorstufe einer Abwendung von der aristotelischen Kinematik gewesen. Wenn die Impetustheorie historisch auch diese Funktion gehabt haben mag, ist es dennoch

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eingedrungen. Philoponus weist darauf hin (In Ph. 639, 7 ff.), daß er ausführlicher auf die mit dem Problem der erzwungenen Bewegung zusammenhängenden Fragen im Kommentar zum Buch Θ der Physik eingegangen sei. Der Kommentar der Bücher Ε — Θ ist allerdings bis auf Exzerpte vollständig verloren. Daß Philoponus' Impetus-Theorie von unmittelbarer Bedeutung für die Aufstellung des neuen „Fallgesetzes" war, beweist die Tatsache, daß Philoponus im Corollarium de inani 692, 27 — 693, 6 ein Gedankenexperiment vorführt, das einerseits die dem „Fallgesetz" zugrunde liegende These erhärten soll, nicht das äußere Medium, sondern allein die innere Kraft sei Wirkursache der verschiedenen Bewegungsgeschwindigkeiten, das aber andererseits nur auf der Basis der Impetus-Theorie gedacht werden kann. Philoponus läßt nämlich zwei ungleich starke Bogenschützen Pfeile durch den leeren Raum schießen, um zu sehen, wessen Pfeil zuerst das Ziel erreicht. Philoponus meint, daß die Geschwindigkeit ihrer Pfeile nicht gleich sein könne, da die größere einem Pfeil eingeprägte Kraft (έρρωμενεστέρα δύναμις) bewirken müsse, daß dieser Pfeil schneller fliegt. Und Philoponus glaubt, daß diese Beziehung zwischen der eingeprägten Kraft und der Geschwindigkeit der Beziehung zwischen der Schwere und der Geschwindigkeit genau entspricht. (Darauf, daß nach Philoponus' Meinung allgemein die größere Geschwindigkeit von der größeren Kraft abhängt, komme ich zurück. Vgl. S. 101 ff.). Diese dem Gedankenexperiment zugrunde liegende Argumentation zeigt, wie sehr sich bei Philoponus die Unterschiede zwischen erzwungener und naturgemäßer Bewegung verwischen. Diese Unterschiedslosigkeit beruht auf dem Faktum, daß Philoponus beide Bewegungsarten in gleicher Weise als Produkt einer inneren aktiven Kraft ansieht und daß nach seiner Meinung in beiden Fällen das äußere Medium nur die Funktion des Widerstandes hat. So drückt das „Fallgesetz" speziell für die naturgemäßen Bewegungen (Fallbewegungen) aus, was die Impetus-Theorie für die erzwungenen Bewegungen (Wurfbewegungen) behauptet: daß das Medium keine Bedingung der Möglichkeit von Bewegung ist. Der Wegfall der kosmologischen Unterscheidung zwischen erzwungener und naturgemäßer Bewegung ist eine der Bedingungen für die Deutung der Funktion des Mediums als Widerstand. Ein anderer Beweis in demselben Corollarium (690, 3 — 690, 13) verdient besondere Aufmerksamkeit. Dieser Beweis enthält diesmal kein Genicht ausgeschlossen, daß sie der Intention nach ursprünglich gerade der Verteidigung aristotelischer Prinzipien diente.

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dankenexperiment, sondern rekurriert gewissermaßen auf das einzige Beispiel, für das, wie Philoponus meint, durch Beobachtung gezeigt werden kann, daß das Fehlen eines Mediums weder die Bewegungen unmöglich, noch ihre Geschwindigkeiten untereinander gleich werden läßt. Bei diesem Beispiel handelt es sich um die periodischen Bewegungen der Himmelssphären. Die Himmelssphären werden, wie Philoponus meint, deshalb von nichts Äußerem bewegt, weil sie einerseits kein Medium zu zerteilen haben, da sie in sich rotieren (In Ph. 690, 7 f.), und weil andererseits die Fixsternsphäre von nichts Äußerem berührt wird (690, 8). Dennoch zeigt sich in der Beobachtung, daß die verschiedenen Sphären verschiedene Geschwindigkeiten haben (690, 10). Der Schluß, meint Philoponus, muß also sein, daß nicht das Medium, sondern die verschieden große, in den bewegten Sphären befindliche Kraft (ή έν τοις κινουμένοις δύναμις διάφορος ούσα 690, 12) Ursache der verschiedenen Geschwindigkeit ist (690, 10—13). Auch diese Argumentation dient zum Beweis, daß das Medium keine Bedingung der Möglichkeit von Bewegung ist und daß es, weil die Geschwindigkeiten positiv nur von der Größe der inneren Kraft abhängen, nur die Funktion des Widerstandes haben könnte. Was unsere Aufmerksamkeit an dieser Argumentation verdient, ist, daß Philoponus die Geschwindigkeiten der Himmelsbewegungen in gleicher Weise wie die Fall- oder Wurfbewegungen auf die Größe einer inneren Kraft zurückführt. Daß Philoponus die Himmelsbewegungen ausdrücklich von den sogenannten προαιρετικοί κινήσεις unterscheidet (auf die Philoponus im Zusammenhang eines dritten Beweises In Ph. 691, 9 ff. eingeht), deutet darauf hin, daß er von der aristotelischen und noch von der Scholastik im allgemeinen vertretenen Lehre abweicht, nach der die Geschwindigkeiten der Himmelsbewegungen intellectu et voluntate erzeugt werden, eine Lehre, die auch Alexander von Aphrodisias teilt. Nach traditioneller Auffassung sind die Himmelskörper mit einer Art erotischem Trieb begabt, mit dem sie den (oder die) unbewegten Beweger anstreben und in kreisförmige Bewegungen geraten. Diese kreisförmigen Bewegungen sind den Himmelskörpern naturgemäß, weil der erotische Trieb ihrer Natur angehört. Die traditionelle Lehre vom erotischen Trieb der Himmelssphären hatte die Funktion, auch die Himmelsbewegungen als von außen verursachte Bewegungen aufzufassen; dieser Lehre liegt nämlich die Vorstellung zugrunde, daß sich die Himmelskörper — ähnlich wie ein Liebhaber vom Geliebten — durch einen unbewegten Beweger in Bewegung versetzen lassen. Der erotische Trieb ist von der inneren Kraft, die nach Philoponus' Ansicht den Himmelskörpern innewohnt, also insofern zu unterscheiden, als er gerade keine

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aktive, sondern eine passive Bewegungsfähigkeit, eine besondere Art von Affizierbarkeit ist. Das Etwas, das nach Aristoteles' Grundsatz für jede Bewegung vorausgesetzt werden muß, ist für die kreisförmigen Bewegungen nach aristotelischer Auffassung also der unbewegte Beweger 49 . Bei Philoponus treten wir im Hinblick auf die Deutung der Himmelsbewegungen in doppelter Weise dem Dilemma gegenüber, daß es keinen Unterscheidungsgrund für erzwungene und naturgemäße Bewegung gibt. Einmal, weil das Prinzip der Himmelsbewegung schlechthin eine innere Kraft ist, zum andern, weil Philoponus diese innere Kraft als eingeprägte Kraft betrachtet, ohne doch damit die Himmelsbewegung als naturwidrige Bewegung anzusehen, zu der nach der aristotelischen Kosmologie die erzwungenen Bewegungen zählen. Man findet diese Auffassung, daß den Himmelskörpern eine eingeprägte Kraft innewohnt, in Philoponus' populärer Schrift „De opificio mundi". Philoponus vertritt dort die Ansicht, daß die Himmelskörper weder beseelt (έμψυχα) noch vernünftig (λογικά) seien, und er polemisiert gegen die plotinische Lehre, nach der die Kreisbewegungen der Himmelssphären Nachahmungen des göttlichen νοΰς sind 50 . An einer anderen Stelle derselben Schrift macht er den Bischof Theodoros von Mopsuestia lächerlich, der gelehrt hatte, Sonne, Mond und Sterne würden von Engeln (Philoponus: wie von Zugtieren) gezogen, von hinten gestoßen oder auf Schultern getragen. Dieser naiven Vorstellung hält Philoponus die Frage entgegen: „Konnte nicht der Demiurg Mond, Sonne und den übrigen Sternen eine Bewegungskraft einsetzen (κινητικήν ένθεϊναι δΰναμιν), so, wie auch den schweren und leichten Körpern die Bewegungstendenzen und wie den Tieren die animalischen Bewegungen innewohnen, damit nicht die Engel diese mit Gewalt bewegen müssen? Alles, was nicht von Natur aus bewegt wird, hat nämlich eine erzwungene und naturwidrige Bewegung." 51 49 Vgl. ζ. B. Arist. Metaph. A 7, 1072 a 26 ff.; Theophrast Metaph. II, 7, 5 a 14 ff. Zu Alexander von Aphrodisias vgl. ζ. B. Phlp. In de An. 102, 1 ff. Nach Philoponus hat Alexander gelehrt, daß die Himmelskörper nicht υπό φύσεως, sondern ύπό κρείττονος δυνάμεως, της έν αύτοϊς ψυχής bewegt werden. Simp. In Ph. 1 2 1 9 , 3 — 5 berichtet etwas abweichend, Alexander habe die φύσις der Himmelskörper so aufgefaßt, daß sie nichts anderes als ψυχή sei. Ihre φύσις sei insofern vergleichbar mit Schwere und Leichte anderer Körper, sie seien nur höherer Art. 50 De op. m. 2 3 1 ff. 51 a . a . O . 28, 26—29, 7. Mit dieser Stelle vergleiche man Buridan „„Quaestiones de caelo et mundo" I I q. 1 2 (hrg. E. A. Moody, Cambridge, Mass. 1942, S. 180 f.): E t sic aliquis posset imaginari, quod non oporteat ponere intelligentias moventes corpora coelestia, quia nec habemus ex scriptura sacra quod debeant poni. Posset enim dici quod quando deus creavit sphaeras caelestes, ipse ineepit movere unamquamque earum sicut voluit; et tunc ab impetu quem dedit eis, moventur adhuc,

Philoponus' „Fallgesetz"

Das Interesse liegt darin, daß Philoponus hier den Himmelsbewegungen eine mechanistische Deutung auf der Basis der Impetus-Theorie gibt, die dennoch nicht mit der aristotelischen Kosmologie kollidiert, insofern nach ihr die Himmelsbewegungen naturgemäß sind. Vielmehr gerade dadurch, daß Philoponus die mechanistische Deutung anwendet, glaubt er, den Rahmen der aristotelischen Kosmologie nicht wie Theodoros von Mopsuestia durchbrechen zu müssen, der die Himmelsbewegungen nach dem Prinzip von kontaktmäßigem Stoß und Druck erklärt. Das „Einprägen" der Kraft, das im Rahmen der Impetus-Theorie zur Deutung von (nach der aristotelischen Kosmologie) n i c h t - naturgemäßen, nämlich erzwungenen Bewegungen dient, soll angewandt auf Himmelsbewegungen deren Deutung als nichte r z w u n g e n e r Bewegungen retten. In der gleichförmigen Anwendung des vis impressa-Prinzips auf nach aristotelischer Auffassung prinzipiell entgegengesetzte Bewegungsarten drückt sich deutlich eine Nivellierung des Gegensatzes zwischen „naturgemäß" (κατά ψύσιν) und „erzwungen" (βία) aus. Die mechanistische Deutung der Himmelsbewegungen hat Philoponus an keiner anderen Stelle mit dieser Deutlichkeit ausgesprochen. Möglich ist, daß sie wegen ihres revolutionären Charakters für die Schuldiskussion in Alexandrien und Athen zu wenig seriös war und deswegen in den Aristoteles-Kommentaren aus schulpolitischen Gründen nicht hat diskutiert werden können. Immerhin verliert ja mit ihr die natürliche Theologie des Aristoteles ihren Sinn. Vielleicht gab es auch allgemeinere politische Gründe oder Gründe in der öffentlichen Meinung, die das Aussprechen einer mechanistischen Himmelstheorie im 6. Jahrhundert behinderten. Diese Annahme ist allerdings weniger wahrscheinlich, wenn De opificio mundi wirklich eine populäre Schrift gewesen ist. Allerdings ist anzumerken, daß es Philoponus sogar in De opificio mundi, einer außerhalb der Schuldiskussion stehenden Schrift, die, wie aus ihrem Proömium hervorgeht, vornehmlich für das kirchliche Publikum Alexandriens bestimmt war, offenbar für nötig halten mußte, seine Theorie als Mittel zur Bekämpfung von Ketzern zu tarnen. Anders ist kaum zu verstehen, warum Philoponus seine eigene Theorie und die des Bischofs Theodoros in ein alternatives Verhältnis stellt. Theodoros war im Jahre 553, also kurz bevor De opificio mundi verfaßt wurde, im Zusammenhang mit dem sogenannten Dreikapitelstreit auf dem ß. ökumenischen Konquia ille impetus non corrumpitur nec diminuitur, cum non habeant resistentiam. — A . v. Humboldt, Kosmos Bd. I I I , Stuttg. 1 8 5 1 , S. 597 f. geht einen Schritt zuweit, wenn er Philoponus de op. m. 28,26—29,7 einen Begriff der Trägheit der Materie unterstellt.

Die Dichte des Mediums als Widerstand

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zil zu Konstantinopel anathematisiert worden 52 . Es ist nicht ausgeschlossen, daß Philoponus dieses Ereignis für das Aussprechen seiner Himmelstheorie ausgenutzt hat. Wie dem auch sei, ich möchte im folgenden die These begründen, daß das mechanistische Modell der Himmelsbewegungen schon im Physik-Kommentar, also schon um das Jahr 5 1 7 , für die Kosmologie des Philoponus von paradigmatischer Bedeutung gewesen ist 53 . Daß die Anwendung des vis impressa-Prinzips auf Himmelsbewegungen den kosmologischen Gegensatz „naturgemäß — erzwungen" für den E i n z e l f a l l der Himmelsbewegungen relativiert, geht, wie wir sahen, schon aus De opificio mundi hervor. Es läßt sich aber, wie aus den folgenden Kapiteln dieser Untersuchung hervorgehen wird, folgendes zeigen: 1. In Philoponus' Physik-Kommentar gilt bereits a l l g e m e i n , daß eine Bewegung, die aus einer vis impressa resultiert, nicht im Sinne von „naturwidrig" (παρά φύσιν) erzwungen (ßi