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German Pages 309 Year 1999
GEORG RÖMPP
Ethik des Selbstbewußtseins
Philosophische Schriften Band 31
Ethik des Selbstbewußtseins Der Andere in der idealistischen Grundlegung der Philosophie: Kant, Fichte, Schelling, Hegel
Von
Georg Römpp
Duncker & Humblot . Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Römpp, Georg: Ethik des Selbstbewußtseins : der Andere in der idealistischen Grundlegung der Philosophie: Kant, Fichte, Schelling, Hegel / von Georg Römpp. - Berlin : Duncker und Humblot, 1999 (Philosophische Schriften; Bd. 31) ISBN 3-428-09691-6
Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Color-Druck Dorfi GmbH, Berlin Printed in Gennany
© 1999 Duncker &
ISSN 0935-6053 ISBN 3-428-09691-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97068
Inhaltsverzeichnis A. Ethik und Selbstbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 I.
Selbstverständnis und ethische Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9
11.
Das Selbstverständnis der ethischen Freiheit als empirisches und reines Selbstbewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Exkurs zu D. Henrichs Konzeption einer Theorie des Selbstbewußtseins 30
III.
Die Ethik des Selbstbewußtseins als »ich« und »Ich«
. . . . . . . . . . . 33
Exkurs zu E. Tugendhats Konzeption von Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 IV.
Die Logik des Selbstbewußtseins als Grundproblem der ethischen Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 47
B. Die ethische Freiheit des Individuums: Kants Theorie ethischer Verbindlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 52 I. Der Wille und das Gute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 11.
Das Gute und die Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 60
III.
Die ethische Freiheit des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . .. 67
C. Die Geburt des Selbstbewußtseins in der ethischen Freiheit ........ 73 I.
Kants moralphilosophischer Begriff des eigentlichen Selbst . . . . . . . 73 1. Begriff und Bedeutung des »eigentlichen Selbst« . . . . . . . . . . . . 73 2. Der Begriff des »eigentlichen Selbst« als Grundlage der Kantischen Theorie des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
11.
85
Das eigentliche Selbst und die Freiheit in der Wissenschaft: Der Zusammenhang von Spontaneität und Autonomie . . . . . . . . . . 91 1. Das Ich der transzendentalen Apperzeption und die Mir-Angehörigkeit a\1er Vorste\1ungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Spontaneität und Autonomie: Das Ich der transzendentalen Apperzeption und das eigentliche Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz des Selbstbewußtseins: Fichtes Explikation des Ich =Ich durch die Ethik der Freiheit ... 122 I. Die Explikation des Wissens und die Struktur des Selbstbewußtseins . 122 1. Wissen des Wissens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 2. Wissen als Identifizieren und Differenzieren . . . . . . . . . . . . . . 127 3. IdentifIzieren als Leistung von »ich« und ,.Ich« . . . . . . . . . . . . . 132
Inhaltsverzeichnis
6
4. Differenzieren als Leistung von »ich« und "Ich« . . . . . . . . . . . . 139 5. Wissen als Einheit von IdentifIzieren und Differenzieren . . . . . . . 142 6. Das Wissen und die Bestimmtheit des Ich . . . . . . . . . . . . . . . . 146 11.
Der Ursprung des wissensfähigen Selbstbewußtseins in der ethischen Selbstbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Das Wissen und die Selbstbestimmung des Ich . . . . . . . . . . . . . 153
2. Selbstbestimmung durch Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 3. Die moralische Selbstbestimmung und die Anfänglichkeit des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen als Bedingung des Selbstbewußtseins: Schellings Theorie ethischer Interpersonalität . . . . . . . . . 171 I.
Von der Ethik der Freiheit zum ethischen Verhältnis von Forderung und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171
11.
Die endogene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . 174
ill.
Von der Individualität zur absoluten Abstraktion . . . . . . . . . . . . . . 180
IV.
Das Paradox der Selbstbestimmung und das Verhältnis der Interpersonalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
V.
Ethische Interpersonalität als Verhältnis von Forderung und Sollen .. 186
VI.
Die ethische Interpersonalität und die Bestimmungsfähigkeit des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
VII. Die Bestimmtheit der Freiheit durch das Verhältnis von Forderung und Sollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung des Selbst in der Anerkennung des Anderen: Hegels Entwicklung des praktischen Grundverhältnisses . 200 I.
Von der Konzeption ethischer Interpersonalität zur praktischen Verfassung der reinen Struktur eines Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . 200
11.
Von der Einheit von Wahrheit und Gewißheit zur internen Dynamik des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
ill.
»Ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« und das praktische Verhältnis der Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213
IV.
Anerkennung in der Ungleichheit: Die Demonstration der Freiheit eines Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217
V.
Die Bestimmtheitsform der Anerkennung: Das Paradigma von "Herr« und »Knecht« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
VI.
Vom praktischen Verhältnis der Anerkennung zum »absoluten Wissen« 227
Vll. Von der Phänomenologie zur Wissenschaft der Logik: Das Begreifen des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Inhaltsverzeichnis
7
G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I.
Subjektivität ohne Selbstbewußtsein: Die Ethik der Andersheit und das Fremde des Eigenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 239
11.
Der Andere als Obsession: Eine Kritik an Levinas' Philosophie des Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252
III.
Die Philosophie des Selbstbewußtseins als Ethik des Anderen
. . . . . 274
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306
A. Ethik und Selbstbewußtsein I. Selbstverständnis und ethische Freiheit Der Prozeß der Modeme ist in Bezug auf das moralische Sollen durch eine ambivalente Bewegung geleitet. Einerseits verlieren vor den Begründungsforderungen der Vernunft die aus Sitte und Religion stammenden Sollensansprüche ihre verpflichtende Kraft und stehen von nun an auch dort, wo sie ihre faktische Geltung behalten, unter dem Vorbehalt der kritischen Überprüfung vor dem Gerichtshof der Vernunft. Andererseits war die Durchsetzung des modemen Denkens keineswegs nur die Verwirklichung eines theoretischen Modells im Sinne einer vernunftgeleiteten Beschreibung der Wahrheit des menschlichen Weltverhältnisses einschließlich der Sozialbeziehungen, wie sie jenseits der interessenbestimmten Ideologeme in Wahrheit sind. Die Modeme war von Anfang an auch ein moralisches Unternehmen: den Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit in seinen theoretischen und praktischen Lebensverhältnissen zu befreien und ihn in die Lage zu versetzen, ein durch je ihn selbst bestimmtes Leben zu führen, dies erschien als Gebot seines zur Leitung durch die Vernunft geschaffenen Wesens selbst. Die Moralität des Projektes der Modeme aber hatte dem entscheidenden Kriterium ihres selbstgesetzten Anspruchs zu genügen: das Individuum keinen Verhältnissen zu unterwerfen, die es nicht in freier und vernünftiger Prüfung als entweder notwendig oder gerechtfertigt anerkennen konnte. Ein moralisches Sollen kann auf dieser geistigen Grundlage nur noch legitim erscheinen, wenn es als das eigene Wollen des moralischen Forderungen unterworfenen Subjekts nachgewiesen werden kann, dem dieser Status des Sollens nur in einer Aufklärung über sich selbst dargetan werden muß. Dieser zusammen mit der Zentrierung des Weltverständnisses im Subjekt und seiner Vernunft entwickelte Anspruch, das moralische Sollen dürfe dem Individuum nicht als fremde Forderung gegenübertreten, verbindet die Modeme grundSätzlich mit ihrer postmodernen Kritik, die doch gerade aus dem Zweifel an der Ermächtigung des Subjekts zum Garanten der Verständlichkeit der Welt entstanden war. Das postmoderne Denken enthält allerdings auch den Zweifel, ob es tatsächlich gelingen könne, dem Individuum ein moralisches Sollen als sein eigenes Wollen darzulegen, ohne es wiederum fremder Gewalt zu unter-
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
werfen und damit gerade hinter die Einsicht der Modeme zurückzukehren. Dieses Bedenken motiviert die Wendung gegen jede Form von Ethik, die uns Regeln für das rechte Tun und Lassen oder gar für die Führung eines guten Lebens angeben zu können behauptet. An die Stelle einer solchen Ethik tritt in jenem Denken, das sich vornehmlich negativ als im Durchgang durch das »modeme« Denken zu dessen Überwindung gelangt bestimmen läßt, die Sorge um die Bewahrung der unantastbaren Andersheit des anderen Menschen, den es auch im Sollen vor sich zu Unrecht verallgemeinernden Ansprüchen zu bewahren gelte, die letztlich doch stets auch nur Vorstellungen von Individuen bleiben, obwohl sie darin ihre Grenzen überschreiten und Teile ihrer Individualität dem Fremden als moralisches Gebot entgegenhalten. Nun kann jedoch auch die ethische Grundlagendiskussion nicht jene Entdeckungen »ent-erfinden«, die den Ausgangspunkt auch noch der postmodernen Reduktion des Ethischen auf den Schutz der Andersheit als solcher in ihrem gedanklichen Anfang darstellen. Zu diesen jede Ethik konstituierenden Entdeckungen gehört die aristotelische Einsicht, daß wir nur das tun können, was wir für »gut« halten, wenn das Tun denn als Handeln soll gelten können. Zum Handeln wird das Tun dann, wenn wir uns darin als frei denken und uns deshalb verantwortlich dafür halten. Bei Handlungen, deren Maximen wir in ihrer Verallgemeinerungsform durchaus nicht billigen können, nimmt die für das Vorliegen einer Handlung notwendige Billigung eines Tuns gewöhnlich die Form der Einführung von ad-hoc-Rechtfertigungen an, die es uns gestatten, doch auch für diesen Einzelfall eine Rechtfertigung erfinden zu können, indem wir uns selbst sagen, in diesem Fall sei ein von der Maxime abweichendes Tun doch recht, weshalb wir auch hier zu handeln planen, statt nur Aktivitäten unseres vegetativen Nervensystems zu erwarten. Wenn wir also handeln nur können, wenn wir die geplante Aktion unter Berücksichtigung der speziell und gerade für diesen Fall geltenden Umstände als gerechtfertigt in der Dimension des moralischen Sollens bezeichnen oder wenigstens auf Nachfrage dazu bereit sind, so praktizieren wir offensichtlich einen merkwürdigen Zusammenhang von Freiheit und jener Dimension, die wir eröffnen, sobald wir Urteile über die moralische Güte eines Eingriffs in den Lauf der Welt abgeben, wodurch wir den Wunsch dokumentieren, unser Tun möge als Handeln und damit als eine Verwirklichung unserer Freiheit angesehen werden. Merkwürdig ist dieser Zusammenhang vor allem deshalb, weil die Eröffnung der moralischen Dimension danach mit jeder Handlung und mit jeder Rechtfertigungsform verträglich ist. Dieses Problem kannjedoch dann vernachlässigt werden, wenn die Frage nicht nach der Ausarbeitung bestimmter
I. Selbstverständnis und ethische Freiheit
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moralischer Regeln steht, sondern nur nach den Konstituentien des Ethischen selbst, also nach den Grundlagen des Phänomens des moralischen Sollens bzw. der moralischen Verpflichtetheit. Dann können wir uns auf die Frage konzentrieren, ob und wie durch die Transformation des Tuns in das Handeln aufgrund der prinzipiell moralischen Beurteilung seines Tuns durch den Täter selbst die Grundlagen des ethischen Sollens als eines solchen tangiert werden. Diese Transformation eines Geschehens in ein Handeln auf der Grundlage von Freiheit vollzieht sich bei Abstraktion von den Gehalten der Selbstrechtfertigung durch die Aufnahme eines Verhältnisses des Handelnden zu seinem Tun, das damit erst ein Handeln wird. Wird der Akteur so zu einem Handelnden, so hat er mit dem Verhältnis zu seinem Tun sich eo ipso davon differenziert: gerade indem es zu seiner Handlung geworden ist, ist es nicht mehr mit ihm identisch und es ist nicht mehr Teil von ihm. Diese Differenzierung in der Herstellung einer Relation verändert nun nicht nur den Bezug des Akteurs zu der von ihm herbeigeführten Veränderung der Welt. Mit dieser Transformation des Tuns in eine Handlung wird der Ausführende zu einem Handelnden, der in der Tat seine Freiheit weiß. Indem er von seinem Tun - mit welcher Begründungsstrategie auch immer - sagt, es sei ,.gut« (wenn auch nicht generell, so doch in diesem besonderen Fall und unter den nur für ihn geltenden Umständen), so hat er sich selbst und für sich selbst von einem Agenten in einen Handelnden transformiert, also in eine "Person«, die sich durch ihre Rechtfertigungsbemühung in die Dimension der Freiheit gestellt hat, in der allein das rechtfertigende Verhältnis zu seinen Aktionen Sinn gewinnt. Wenn wir mit dem Ziel einer Aufklärung des Phänomens des moralischen Sollens erwägen wollen, wann Handlungen moralisch richtig heißen können und wann das Leben gut genannt zu werden verdient, so müssen wir nun zwei grundlegenden Annahmen zustimmen. Wir vermeiden damit - und nur damit eine Gefahr, der moralisches Urteilen als Beurteilung anderer Menschen stets ausgesetzt ist und die die Grundlagen ethischen Argumentierens selbst infrage stellt. Werden Handlungen oder Existenzformen anderer Menschen beurteilt, so wird damit ihrer Freiheit durch die Unterscheidung zwischen zu billigenden und zu mißbilligenden Formen ihrer Lebensführung Abbruch getan. Damit aber gerät eine solche Beurteilung in Konflikt gerade mit der ursprünglichen Voraussetzung eines jeden ethischen Argumentierens, nämlich mit der Freiheit der Person, deren Handeln und Verhalten unter der ethischen Perspektive einerseits als frei bestimmbar und damit der persönlichen Verfügbarkeit zugehörig aufgefaßt werden muß, deren Handeln und Verhalten aber unter eben derselben Perspektive als moralisch richtig oder falsch bestimmt betrachtet und
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
damit der uneingeschränkten Disponibilität durch die Person entzogen wird. Das moralische Urteil erscheint damit als eine Verfügung, die einer Person durch eine andere angetan wird, obwohl ihr doch im gleichen Akt die Fähigkeit unterstellt wird, selbst über sich verfügen zu können. 1 Diese beiden grundlegenden Annahmen wurden in der philosophischen Tradition mit dem Ziel ausgearbeitet, die Paradoxie der Unterstellung einer Verfügbarkeit der Person durch sich selbst und der Autbebung eben dieser Disponibilität durch das moralische Urteil auflösen zu können. Dies kann grundsätzlich nur dann gelingen, wenn die moralische Beurteilungsweise nicht als eine der Person von außen auferlegte Zumutung erscheint, sondern sich stringent aus dem entwickeln läßt, was notwendig mitgedacht werden muß, wenn der Gedanke der Selbstbestimmungsfähigkeit der Person gedacht wird. Zur Auflösung dieser Paradoxie müssen wir zum einen davon ausgehen, daß jedes personale Wesen seine Handlungen und seine Lebensweise in einer Begrifflichkeit versteht, die sich prinzipiell auf die ethischen Kategorien ,.richtig« und ,.falsch« zurückführen läßt. Dies kann auch durch jenes aristotelische Theorem zum Ausdruck gebracht werden, demzufolge wir nur die Handlungen wollen können, die wir für gut in einem moralischen Sinn befinden, und alle Handlungen, die wir uns als gewollt zuschreiben, zum Zeitpunkt ihrer Ausführung auch als in eben diesem Sinne richtig angesehen haben müssen. Zum anderen können wir - auch wenn wir diesen Zusammenhang als gültig unterstellen - die Paradoxie nur dann vermeiden, wenn wir in der Bestimmung einer Handlung als gut bzw. richtig nicht ein sich nur als privat geltend verstehendes Urteilen tätig sehen, sondern in dieser Bestimmung im Handelnden selbst ein Sich-Verstehen unter der Perspektive der Allgemeinheit annehmen wollen. Der Begriff des Guten, das wir mit einer gewollten Handlung verbunden denken müssen, kann dem Handelnden nicht als sein privates Gutes gelten, sondern er muß für ihn den Anspruch auf eine Richtigkeit enthalten, die von ihm selbst unabhängig besteht und darin auf die Allgemeinheit dessen verweist, wodurch allein er sein Handeln als ein gewolltes auszuzeichnen in der Lage ist.
I Zum Zusammenhang von Moralität und Personalität vgl. Th.Kobusch, Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modemes Menschenbild, Freiburg 1993, der die Tradition einer Metaphysik der Freiheit aus der Ontologie des ens morale verfolgt, deren eigener Gegenstand der Begriff der Person war, indem darin der Mensch als Wesen der Freiheit gedacht wurde, in der seine Personalität begründet liegt. Gerade diese Metaphysik habe das Neue des neuzeitlichen Denkens ermöglicht.
I. Selbstverständnis und ethische Freiheit
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Mit diesen beiden Annahmen sind noch keine ethischen Qualifizierungen verbunden; es sind nur die Bedingungen formuliert, unter denen ethischen Explikationen Geltung zugeschrieben werden kann, ohne daß darin die Person als Gegenstand und ihre Handlungen als Ereignisse in der Welt aufgefaßt werden. Dies gelingt, indem die Person als so verfaßt beschrieben wird, daß die Bedingungen der Möglichkeit ethischen Urteilens zugleich als Bedingungen der Möglichkeit der Person als des ethischen Subjekts aufgefaßt werden können. Nur wenn von der Person, deren ethische Verpflichtungen auf philosophischer Grundlage expliziert werden sollen, ausschließlich mit Hilfe einer Zuschreibung der Fundamente ethischer Verpflichtetheit die Personalität behauptet werden kann, dann kann das ethische Begründen in die Lage kommen, seine Explikationen als Implikationen des genuinen Tuns der Person auszeichnen und sie so aus dem Status von außen der Person angetaner Zumutungen befreien zu können. Wissen zu können, was wir tun sollen und wie dementsprechend ein gutes Leben zu führen sei, war deshalb nie der einzige Anspruch, den praktische Philosophie an ihr eigenes Gelingen stellte. Gerade um ihre genuine Aufgabe mit ihren eigenen Mitteln und ohne Anleihen bei sachlich verwandten Unternehmungen verfolgen zu können, mußte sie ihren Gegenstand als solchen in die Frage stellen und die Gründe des Sollens selbst untersuchen. In der neueren Diskussion wird dieses Problem unter dem Titel der ethischen Verbindlichkeit behandelt, ohne daß jedoch bisher das Phänomen des moralischen Sollens eine befriedigende Verständlichkeit gewonnen hätte. Die Moralphilosophie kann sich also nicht darauf beschränken, solche Argumentationsformen auszuarbeiten, die uns mehr oder weniger plausibel zu begründen erlauben, was wir tun und was wir lassen sollen. 2 Sie wird vermutlich nur dann Gehör finden, wenn sie diesen Argumentationen durch einen gut begründeten internen Zusammenhang mit einer Aufklärung über den Status des Sollens selbst zu jener Bedeutung verhelfen kann, die dasjenige Denken, das gegenwärtig den Geist der Zeit prägt, dem Räsonnieren über das, was wir tun
2 Die philosophische Ethik wird ihrer Aufgabe auf dem gegebenen Problemniveau deshalb nur in einem zweistufigen Verfahren nachkommen können, in dem zunächst das Bestehen von Verpflichtung und Sollen expliziert wird, um auf dieser Grundlage den Versuch zu unternehmen, in einer "normativen« Ethik Grundnormen der "kommunikativen Ordnung« zu formulieren (vgl. zu diesem Begriff einer "normativen Ethik« M.Riedel, Moralnormen und moralisches Begründen. Prolegomena zu einer normativen Ethik, in: Perspektiven der Philosophie 4/1978, S. 193-213, bes. S. 202 f). "Zweistufig« bedeutet allerdings nicht "unabhängig voneinander«.
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
sollen und was es heißen könne, ein gutes Leben zu führen, generell und grundsätzlich abzusprechen geneigt ist. Ein jedes Begriindungsvorhaben, das einen solchen Zusammenhang zur Unterstützung seiner Behauptungen über die Bedeutung des Ethischen für das menschliche Selbstverhältnis in Anspruch nehmen will, gerät zwangsläufig in eine kalrunitäre Situation: entweder verbleibt die Aufklärung über die Bedeutung und den Status des Sollens in der ethischen Dimension und kann sich folglich nur solcher gedanklicher Mittel bedienen, die in der Frage nach ihrer Ausweisung die aufklärende Antwort bereits voraussetzen müssen, oder aber die Untersuchung rekurriert auf außerethische Begründungen und läuft drunit Gefahr, das Sollen und seine Bedeutung aus dem Sein ableiten zu wollen. Das Kriterium für das Gelingen einer Grundlegung ethischen Argurnentierens aus der Bestimmung von Status und Bedeutung des Sollens als des Konzepts, mit dessen Status das Projekt ethischen Räsonnierens steht und fallt, ergibt sich demnach zum einen aus der Venneidung einer vorgängigen Inanspruchnahme genuin ethischer Begründungen und zum anderen aus dem Verzicht auf eine Ableitung aus Phänomenen ohne rein endogen zu verstehende ethische Implikationen. Es läßt sich zunächst auch ohne Rekurs auf die entsprechenden Anläufe in der Geschichte der Philosophie vennuten, daß eine solche Fundierung der Bedeutung des Ethischen als eines notwendigen Gegenstandes genuin philosophischer Bemühungen run sinnvollsten dort ansetzen wird, wo run wenigsten verlangt werden muß: an der einfachen Tatsache, daß wir die Welt von uns und uns von der Welt unterscheiden und eo ipso darin ein Selbstverständnis gewinnen, in dem wir ein Verhältnis zur Welt unterhalten, indem wir uns gleichzeitig in der Unterscheidung von ihr auf uns selbst beziehen. Erste Voraussetzung für die Eignung dieses Zusammenhanges zur Bestimmung des Status ethischer Argumentationen ist jedoch seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit von exogenen Bestimmungsfaktoren. Dem Selbstverhältnis muß grundSätzlich eine endogene Leistungsfahigkeit in Bezug auf sein Selbst- und Weltverständnis zugesprochen werden können, wenn das Phänomen des Sollens und das dazugehörige Bewußtsein der Verpflichtetheit als notwendig zu dieser einfachsten und run wenigsten voraussetzenden Struktur gehörig aufgewiesen werden sollen. Eine solche endogene Verfaßtheit des menschlichen Selbstverständnisses muß dem in der geistigen Situation unserer Zeit nach der Möglichkeit und der Berechtigung ethischen Argurnentierens fragenden Bewußtsein jedoch
I. Selbstverständnis und ethische Freiheit
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befremdlich erscheinen. 3 Daß insbesondere die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung das menschliche Selbstverständnis affizieren, ist dem natürlichen Bewußtsein ein durchaus selbstverständlicher Gedanke. Die Durchsetzung des heliozentrischen Weltbildes, die freudianische Lehre von einem das menschliche Denken und Handeln steuernden Bereich des Unbewußten, der sich der vernünftigen Kontrolle umso mehr entzieht, je intensiver die Herrschaft darüber angestrebt wird, die darwinistische Erklärung der Genesis des Menschlichen durch einen natürlich gesteuerten Prozeß - solche und andere mit wissenschaftlichem Anspruch begründete Theorien sind der gängigen Auffassung zufolge in der Lage, den Menschen darüber aufzuklären, was er ist, woher er kommt und wohin er geht. Und eine solche Aufklärung läßt schon vermuten, daß damit auch die Antwort auf die Frage, was wir denn wissen können, zumindest ihrer Grundstruktur nach vorgegeben sein wird; eine pragmatistische oder evolutionistische Epistemologie, die beide letztlich den aufgrund wissenschaftlicher Theorien in seiner Stellung in der Welt bestimmten Menschen voraussetzen, legt sich damit nahe. Lediglich bezüglich. der Frage, was wir sollen, führen die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung nicht mit gleicher Suggestivkraft zu Veränderungen in den Begriffen, in denen das natürliche Bewußtsein sein Selbstverständnis zu formulieren gewohnt ist - obwohl auch hier geistige Strömungen an Boden zu gewinnen scheinen, die ethische Fragestellungen mit Hilfe genuin wissenschaftlicher Bestimmungen der Position des Menschen erklären zu können beanspruchen; eine Erklärung ist hier aber gleichbedeutend mit dem Verlust des Status des Ethischen als einer Problematik sui generis. So könnte die klassische Formulierung der der Philosophie gestellten Aufgabe bis auf einen offenbar besonders widerstandsfähigen Restbestand in der Frage nach dem Sollen durch die wissenschaftlich begründeten Veränderungen im menschlichen Selbstverständnis als überholt und abgetan erscheinen. In der Tat zeigt die Erscheinung, daß das natürliche Bewußtsein sich weit stärker durch wissenschaftlich generierte Befunde in seinem Selbstbegriffbeeindrucken zu lassen geneigt ist als dies dem philosophischem Räsonnement je gelingen könnte. So bewahrheitete sich jener »selbstverständliche« Gedanke von der Bestimmtheit des menschlichen Selbstverständnisses durch Ergebnisse
3 Es war hauptsächlich das Verdienst von D.Henrich, diese Befremdlichkeit wieder in die Philosophie eingefiihrt zu haben; vgl. insbesondere "Fichtes ursprüngliche Einsicht«, in: D.Henrich/H. Wagner, Hrsg., Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer zum 80. Geburtstag, FrankfurtlMain 1967, S. 188-232.
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
wissenschaftlicher Forschungstätigkeit also durch die Tat? Die Untersuchung dieser Frage scheint nun besonders gut geeignet, um jenem Gedanken einer endogenen Verfaßtheit des menschlichen Selbstverständnisses die Befremdlichkeit zu nehmen. Eo ipso wird damit für das Argument geworben, daß eine Ethik aufbauend auf ,.wissenschaftlichen« Forschungsergebnissen das nicht leisten kann, was verlangt ist: die Bedeutung ethischen Argumentierens und damit des Phänomens des Sollens überhaupt dort festzumachen, wo keine oder wenigstens nur unmittelbar einleuchtende Voraussetzungen zugestanden werden müssen. Wenn dabei der endogene Charakter des menschlichen Selbstverständnisses vorläufig plausibilisiert werden kann, so wäre ein gedanklicher Weg eröffnet, auf dem ein Zugang zu den folgenden Untersuchungen über den systematischen Zusammenhang der Moralphilosophie mit dem idealistischen Grundgedanken gefunden werden könnte. Nun ist auch der Gedanke von der Bestimmtheit des menschlichen Selbstverständnisses durch Forschungsergebnisse wissenschaftlicher Art seiner Struktur nach ein Selbstverständnis. Seine Auskunft über dessen Bestimmbarkeit läßt sich also nicht durch eine kategoriale Differenz von der Bestimmtheit eben dieses Selbstverständnisses trennen. Daß Sätze der Wissenschaft als eines Spezialbereichs des menschlichen Weltverhältnisses das menschliche Selbstverständnis in seinen Grundzügen verändern können, dies setzt bereits Strukturen in eben diesem Selbstverständnis voraus, die eine auf solche Art induzierte Transformation ermöglichen. Insofern liegt aber nicht nur überhaupt ein Selbstverständnis vor, sondern bereits ein bestimmtes Selbstverständnis - ein Selbstverständnis, das durch seine vorgängigen Gehalte die Möglichkeit einer Abhängigkeit des Sich-Verstehens von jenem Spezialbereich des menschlichen Weltverständnisses impliziert, dem unter dem Titel der ,.Wissenschaft« in der Modeme die Funktion eines korrigierenden Gerichtshofes mit der Kompetenz zu letztinstanzlicher Entscheidung im Verhältnis zu anderen Bereichen und anderen Formen einer verstehenden Bekanntschaft mit der Welt zugewachsen ist. Demnach scheint der gängige Glaube an die Abhängigkeit des menschlichen Selbstverständnisses von dem wissenschaftlichen Wissen um das Verhältnis des Menschen zu seiner Welt der hermeneutischen Grundkonstellation zu folgen, in der jedes Verstehen nur als Andersverstehen aufgrund eines Vorverstehens geschehen kann. Ein Sich-Verstehen auf der Grundlage der Resultate wissenschaftlicher Forschungen beinhaltet also der gedanklichen Struktur nach ein Sichverstandenhaben als bestimmbar durch jenen Spezialbereich des Umgangs mit der Welt, den wir als Wissenschaft zu bezeichnen pflegen.
I. Selbstverständnis und ethische Freiheit
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Daraus ergeben sich zwei Möglichkeiten für die Fortsetzung des reflektierenden Tuns. Zum einen kann jenes Sichverstandenhaben selbst als Produkt der Abhängigkeit des menschlichen Selbstverständnisses von den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungstätigkeit aufgefaßt werden. Auf diese Weise reproduzierte sich die hermeneutische Grundkonstellation offenbar ins Unendliche. Deshalb kann sich die Reflexion nur mit der zweiten Möglichkeit über ihren erreichten Stand hinaus entwickeln. In diesem Fall muß die sich in sich reproduzierende hermeneutische Konstellation selbst als solche und in ihrer eigenen Struktur in die Untersuchung einbezogen werden. Dann aber stellt sich die Problematik einer Abhängigkeit des menschlichen Selbstverständnisses von den Ergebnissen wissenschaftlichen Forschens auf eine neue Weise. Wenn die dem natürlichen Bewußtsein selbstverständliche Bedeutung des wissenschaftlichen Tuns für das Verständnis der ,.Natur.. des Menschen von einem Vorverständnis im Selbstverständnis abhängig ist, und dieses Vorverständnis selbst nur um den Preis seiner steten Reproduktion im unendlichen Regreß als abhängig von dem Bereich des wissenschaftlichen Wissens begriffen werden kann, so stellt der Gedanke eines solchen Vorverständnisses eine grundsätzliche Schwierigkeit für den scheinbar so einleuchtenden Gedanken einer Abhängigkeit des menschlichen Selbstverständnisses von den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschungen dar. Ist erst einmal zugestanden, daß ein intermittierender Faktor berücksichtigt werden muß, um die Rede von einer solchen Abhängigkeit begründen zu können, so gewinnt das, was darin behauptet wird, einen neuen Status. Von einer Abhängigkeit des menschlichen Selbstverständnisses von den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung kann nun nicht länger gesprochen werden. Damit ist nicht behauptet, daß wissenschaftliche Befunde ohne Bedeutung für die Bestimmtheit wären, in der wir uns selbst verstehen und beschreiben; deshalb wird dem natürlichen Bewußtsein auf diese Weise auch keine Selbsttäuschung unterstellt, von der es durch philosophische Bemühungen kuriert werden müßte. Die Behauptung lautet im Grunde nur, daß ein solches Selbstverständnis aus internen Gründen der Verfaßtheit seiner Struktur zurückverweist auf eine Leistung, die schon durch die bloße Struktur eines Selbstverständnisses erzeugt werden können muß, damit Elemente aus dem Spezialbereich des wissenschaftlich erzeugten und begründeten Wissens in den Bestand eines Selbstverständnisses aufgenommen werden können. Zwischen solchen Wissensbeständen, denen wir die Begründungsform der Wissenschaftlichkeit zuschreiben, und jenem Wissen, in dem sich unser
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
Selbstverhältnis realisiert, besteht also eine Differenz, die durch die Abwesenheit der Notwendigkeit eines Übergehens von den ersteren zum letzteren bestimmt ist, ohne daß damit das faktische Übergehen ausgeschlossen oder fehlerhaft sein müßte. Jene Differenz wird konstituiert durch eine dem Selbstverständnis eingeschriebene endogene Leistung, die Wissensbestände in Bestände eines Wissens mit der Struktur eines Selbstverhältnisses transformiert. Eine solche Differenz unterscheidet damit aber zwei Ebenen des Wissens mit sehr verschiedenem Status. Nun wird diese Unterscheidung offensichtlich durch einen grundSätzlichen Mangel in der Struktur aller Wissensbestände konstituiert, die wir für die Bestimmung unseres Selbstverständnisses verwenden können. Sie können in sich nicht die Notwendigkeit erzeugen, Teil des Selbstverständnisses eines bewußten Selbstverhältnisses werden zu müssen. Und dieser Mangel scheint ihnen nicht zufällig und gelegentlich zuzukommen. Er scheint vielmehr darin begründet zu sein, daß sie als Bestände eines bestimmten Wissens von der Welt nicht die Notwendigkeit in sich schließen können, in das Selbstverständnis eines bewußten Selbstverhältnisses eingehen zu müssen - obwohl nichts in ihnen diese Möglichkeit ausschließt. Dieser Sachverhalt kann natürlich auch von den Bedingungen eines Selbstverständnisses her zum Ausdruck gebracht werden: es handelt sich dabei um eine Struktur, die sich zwar durch Wissensbestände ausfüllen läßt, die außerhalb des Selbstverhältnisses generiert und unabhängig von ihm begründet werden können, aber diese Struktur schließt aus, daß eben diese Wissensbestände die Notwendigkeit, Teil des Selbstverständnisses werden zu müssen, mitbringen bzw. aus sich generieren können. Damit zeigt sich im menschlichen Selbstverständnis als dem einfachsten aller Sachverhalte ein Begriff von Freiheit enthalten, dem aus strukturellen Gründen ein ausgezeichneter Reflexionsstatus zukommt. Reflektorisch ausgezeichnet ist dieser Begriff, weil mit dem Selbstverständnis ein nicht hintergehbarer Sachverhalt zu dem Gedanken einer solchen Freiheit führt. Nicht hintergehbar ist dieser Sachverhalt, weil jeder Ansatz dazu zwar ein anderes, aber doch ebenso ein Selbstverständnis in Anspruch nehmen müßte, also eben jenen Sachverhalt, ohne den auszukommen einem solchen Ansatz doch gelingen müßte. Wenn auf den Sachverhalt des Selbstverständnisses jedoch nur mit Hilfe eines anderen Selbstverständnisses reflektiert werden kann, so reproduziert sich auch der im Gedanken eines Selbstverständnisses enthaltene Begriff der Freiheit in jedem Akt der Reflexion. Wenn jene Wissensbestände, mit denen wir uns selbst verstehen, nicht in sich die Notwendigkeit enthalten können, zur Realisierung unseres Selbstverständnisses beitragen zu müssen, so enthält ein jedes
I. Selbstverständnis und ethische Freiheit
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Selbstverständnis jene Freiheit, die sich als eine Differenz zu allen Beständen unseres Wissens zeigt, obwohl ein Selbstverständnis, das wir vernünftig zu nennen geneigt sind, nicht ohne seine Erfüllung in eben solchen Beständen von Wissen auskommen kann. Freiheit wäre demnach identisch mit einem Selbstverständnis, das ein solches nur sein kann, indem es alle Wissensbestände über die Welt zwar als mögliche Bestimmungen seines Selbstverhältnisses auffaßt, ihnen selbst aber nicht die Notwendigkeit zuschreibt, zu Realisierungen seines Selbstverständnisses werden zu müssen. Wäre es anders, und würde es sein Selbstverständnis ableiten aus einem Wissen über die Welt, das in sich selbst mit der Notwendigkeit ausgestattet ist, in das menschliche Selbstverständnis eingehen zu müssen, so würde es sich darin gerade nicht zu sich selbst verhalten. Es wäre im Grunde die Fundamentalstruktur des Selbstverständnisses selbst dementiert: die Identität von Identität und Differenz von verstehendem und verstandenem Selbst. Wäre das verstandene Selbst mit einer Notwendigkeit durch das Wissen über die Welt bestimmt, die sich aus eben diesem Wissen selbst ergibt, so könnte es die Identität mit dem verstehenden Selbst nicht bewahren, die für die Struktur eines Selbstverständnisses unabdingbar ist. Würden die Wissensbestände die Notwendigkeit, in das Selbstverständnis als dessen Realisierungen einzugehen, selbst mitbringen, so könnte das Verständnis des Selbst durch das Selbst sich darin nicht mehr von einem Verständnis der Welt durch die ihr zugehörigen Wissensbestände unterscheiden. Es wäre also ein Teil der einheitlichen Struktur des Selbstverständnisses dementiert, das ein Sich-Unterscheiden von der Welt als Bezug auf sich ist, und aufgrund ihrer Einheitlichkeit wäre diese Struktur als solche und gänzlich zerstört. Jene Differenz in der Identität, die ein Selbstverständnis zu einem solchen macht, verlangt also die Differenzierung des Selbstverständnisses von allem Weltverständnis, und diese Differenzierung impliziert die Nicht-Notwendigkeit des Eingehens von Wissensbeständen jeder Art in das Selbstverständnis. Wir könnten deshalb auch sagen: das Fehlen einer Notwendigkeit in den Beständen des Wissens von der Welt, ein solches Wissen in die Realisierung des Selbstverständnisses aufnehmen zu müssen, ist identisch mit dem Selbstverständnis. Wegen des Fehlens einer solchen Notwendigkeit ist das Selbstverständnis der Ort der Freiheit, und weil Freiheit nur in dieser Unterbrechung der Notwendigkeit zu fmden ist, deshalb ist gerade das Selbstverständnis ein anderer Name für Freiheit.
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
11. Das Selbstverständnis der ethischen Freiheit als empirisches und reines Selbstbewußtsein Wegen dieser Zusammenhänge kann ein ethisches Selbstverständnis offenbar nicht nur den Gedanken eines Bewußtseins von sich selbst als eines empirisch identifizierbaren Gegenstandes in der Welt enthalten. Nun wird dem empirischen Selbstbewußtsein im allgemeinen ohne weitere Zweifel der Status eines vernünftigen und für Zwecke der Verständigung über die Welt und uns selbst nützlichen Begriffes zugestanden. Das gleiche kann jedoch nicht von dem Begriff eines nicht-empirischen Selbstbewußtseins gesagt werden, dem unter dem Titel ,.reines« Selbstbewußtsein eher nur eine argumentative Funktion innerhalb eines spezifischen Gedankenzusammenhangs zugeschrieben wird unter philosophiegeschichtlicher Perspektive also innerhalb des Deutschen Idealismus. Obwohl auch das empirische Selbstbewußtsein nicht zu den Begriffen gehört, die über alle Zweifel erhaben scheinen, so betreffen die Probleme hier doch mehr seine Funktion und Bedeutung in philosophischen Denkzusammenhängen und nicht so sehr den Begriff als solchen. Die Verwendung dieses Konzepts scheint uns auch nicht auf eine bestimmte philosophische Tradition zu verpflichten, sondern sich lediglich durch Berufung auf die sprachlichen Formen ausweisen zu können, die uns für ein Verständnis der Welt und unserer selbst vorgegeben sind. 4 Im folgenden sollen einige Zweifel an der Vermutung geweckt werden, das empirische Selbstbewußtsein sei ein von weitreichenden philosophischen Voraussetzungen unabhängiger Begriff. Dagegen wird ein Gedankengang zu unterstützen versucht, demzufolge der Begriff eines empirischen Selbstbewußtseins nur dann sinnvoll zu verwenden ist, wenn als Grundlage dafür die Idee eines nicht-empirischen Selbstbewußtseins herangezogen wird. Diese Behauptung soll durch zwei Gedankengänge in ihren Grundzügen einleuchtend gemacht werden. Der erste nimmt zu diesem Zweck Bezug auf diejenige interne Struktur eines Bewußtseins, die es erlauben könnte, in einem nicht-metaphorischen und genuinen Sinn von einem empirischen Selbstbewußtsein zu sprechen. Der zweite erwägt eine argumentative. Strategie, derzufolge der sprachliche Gebrauch des ,.ich« als Ausdruck eines empirischen Selbstbewußtseins notwendig ein nicht-empirisches Element einschließt, daß ein nicht-empirisches Element
4 Für einen Abriß der damit aufgeworfenen Probleme vgJ. D.Henrich, Selbstbewußtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie, in: R.Bubner u.a., Hrsg., Hermeneutik und Dialektik I, Tübingen 1970, S. 257-284.
11. Empirisches und reines Selbstbewußtsein
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also notwendig ist, um Aussagen in der ersten Person Singular bilden und verstehen zu können. Wir könnten den Begriff eines empirischen Selbstbewußtseins zunächst zu verstehen suchen als das Bewußtsein eines ausgezeichneten Gegenstandes, der als "Selbst« bezeichnet wird und sich durch besondere Eigenschaften von allen anderen Objekten unterscheidet, ohne daß diese Eigenschaften in prinzipielIe Schwierigkeiten für das Konzept selbst führen müßten. Ein solches Verständnis führt jedoch in ernste Probleme, wenn erklärt werden solI, was für ein Ding denn ein Selbst ist. 5 Für eine solche Erklärung bieten sich zwei Strategien an. Zunächst könnte jede Instantiierung eines empirischen Selbstbewußtseins als Etablierung eines Verhältnisses zwischen einem geistigen Leistungsvermögen und einem Teil des Menschen, dem wir dieses Vermögen zuschreiben, aufgefaßt werden - des Menschen als eines Objekts in der Welt. Dabei macht es keinen prinzipiellen Unterschied, ob wir an in einem objektiven Sinn beschreib bare psychische Zustände denken oder etwa auch an physikalisch auffaßbare Organe, die wir mit geistigen Leistungen auf die eine oder andere Weise verbunden sehen. In diesem Sinne würden alle Ausdrücke Vorkommnisse eines empirischen Selbstverhältnisses darstelIen, die sich unter Verwendung eines Possessivpronomens auf physikalische oder in einem objektiven Sinn psychologische Eigenschaften des Sprechers beziehen. Offensichtlich setzt ein solcher Bezug jedoch voraus, daß in ihm tatsächlich eine Relation stattfindet, die sich auf etwas bezieht, das in einem Verhältnis der Selbstheit zu dem bewußten Wesen steht, das sich in solchen Ausdrücken selbst darzustelIen in der Lage sein solI. Folglich setzt diese Auffassung eines empirischen Selbstbewußtseins eine Konzeption des Selbst als zusammengesetzt aus heterogenen Elementen voraus, in denen allen sich ein Bewußtsein wiedererkennen kann. Gerade der sich so selbstverständlich gesichert wähnende AlItagsgebrauch des Begriffs eines empirischen Selbstbewußtseins scheint dieses Konzept also nur um den Preis eines äußerst unpräzisen - um nicht zu sagen verworrenen Bewußtseins von dem, was es heißt, seiner selbst bewußt zu sein, aufrechterhalten und als ein von selbst einleuchtendes Wissen verwenden zu können. Nichtsdestoweniger muß eine solche Konzeption doch die Selbstbeziehung als die entscheidende Struktur eines Selbstbewußtseins bewahren können, wenn
S Die Problematik wird näher untersucht von M.Frank, Hat Selbstbewußtsein einen Gegenstand?, in: ders., Selbstbewußtsein und Selbsterkenntnis. Essays zur analytischen Philosophie der Subjektivität, Stuttgart 1991, S. 252-409.
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A. Ethik und Selbstbewußtsein
denn in diesem Zusammenhang überhaupt von einem Selbstverhältnis die Rede sein soll. 6 Sie muß folglich die Identität des Bewußtseins als des wissenden Selbst mit dem Objekt dieses Wissens als des gewußten Selbst einschließen. Auch das einfachste und ..naive« Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins erfordert also die Behauptung, daß in einem bewußten Bezug auf psychische Zustände oder physikalisch beschreibbare Organe des Menschen in der Tat die Verwirklichung eines Selbstverhältnisses gesehen werden kann. Es wäre im anderen Fall von vornherein unsinnig, die Wirklichkeit und gar die philosophische Bedeutsamkeit eines Bewußtseins von sich selbst zu behaupten, wenn damit gerade die zentrale Bedeutung dieses Konzepts dementiert würde. Genau dies ist jedoch der Fall, wenn dieses Verständnis eines strikt empirischen Selbstbewußtseins verteidigt wird. Soll überhaupt von so etwas wie einem Selbstbewußtsein die Rede sein, so muß eine sehr besondere Beziehung zwischen zwei identischen Entitäten gedacht werden können, die trotz ihrer Identität eine Bewußtseinsrelation zwischen sich zulassen. Eine Identität, die es erlaubt, von einer solchen Beziehung zu sprechen und damit jene Entitäten als das Sich-Beziehende und das Bezogene voneinander zu unterscheiden, muß zunächst selbstwidersprüchlich erscheinen. Wie immer es sich damit jedoch verhält, die Identität zwischen dem wissenden und dem gewußten Selbst bleibt die entscheidende Struktur, die stets dann gedacht werden muß, wenn wir den Begriff eines Selbstbewußtseins in seinem eigenen Sinn und nicht nur metaphorisch verwenden wollen. Genau diese Forderung ist jedoch nicht erfüllt, wenn wir in dem genannten Sinn von einem strikt empirischen Selbstbewußtsein sprechen. Es könnte scheinen, als ob wir einen Weg aus dieser Problematik finden könnten, würden wir das Konzept des Selbstbewußtseins auf das Bewußtsein eines Objekts beschränken, dessen besondere Beziehung zum Bewußtsein nur in dem Wissen besteht, daß es hier mit einem Objekt zu tun hat, das ihm auf besondere Weise nahe ist und das von einem herausragenden Interesse für das Bewußtsein selbst ist. Dies würde jedoch das Element der Reflexion eliminieren. Der Sinn eines solchen Begriffs eines nicht-reflexiven Selbstbewußtseins ist jedoch nur schwer einzusehen. Zum einen läßt er sich kaum mit den Weisen vereinbaren, mit denen wir uns selbst verstehen und der Welt Sinn verleihen. Zum zweiten dürfte es kaum möglich sein, Rechenschaft von einem solchen Selbst zu geben, ohne Bezug auf die Struktur der Reflexion zu nehmen. Aus
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Vgl. dazu den Exkurs zu D. Henrichs Konzeption am Ende dieses Kapitels.
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dem Begriff des Selbstbewußtseins ergibt sich vielmehr, daß gerade die umgekehrte Abhängigkeitsbeziehung nahegelegt wird: ob das Konzept eines Selbstes - ebenso wie die verwandten Begriffe des Individuums und der Person - sinnvoll ist oder nicht, dies hängt davon ab, ob das Konzept der Reflexion evident ist oder nicht. Jeder Ausdruck, in dem sich ein empirisches Selbstbewußtsein ausspricht, enthält einen Begriff, der sich auf einen Zustand oder ein Objekt bezieht, dessen sich dieses Bewußtsein bewußt ist. Dieser Referent muß identisch sein mit dem Bewußtsein, mit dem er sich in einern Zustand des Selbstbewußtseins befindet. Folglich muß jenes Objekt, dessen ein Selbstbewußtsein als ein solches sich bewußt sein kann, auf jeden Fall diese Bedingung erfüllen: es muß geeignet sein, eine Identitätsrelation mit dem Bewußtsein zu unterhalten, das sich seiner bewußt ist. Anders gesagt: das so zum Gegenstand des Bewußtseins gewordene Selbst kann nichts anderes sein als das Bewußtsein, das sich dieses Selbstes bewußt ist, also muß gerade das letztere geeignet sein, ein solches Verhältnis zu gestatten. Damit ist bereits ein großer Bereich möglicher Objekte eines Selbstbewußtseins als eines solchen ausgeschlossen. Mehr noch: ein solches Objekt kann die Stelle des gewußten Selbstes nur dann einnehmen, wenn es seine eigene Bestimmtheit verliert und vollkommen von der Bestimmung durch das wissende Selbst abhängig wird. Von daher erscheint es schon zweifelhaft, daß Bezüge zu physikalisch oder objektiv psychologisch beschreibbaren Attributen einer Person als Akte eines Selbstbewußtseins aufgefaßt werden können. Niemand kann sich als blond und blauäugig beschreiben und beanspruchen, damit einen Akt des Selbstbewußtseins demonstriert zu haben - außer um den Preis der Akzeptanz weitreichender metaphysischer Voraussetzungen. Nichtsdestoweniger kann es nicht ganz falsch sein, auch Selbstbeschreibungen dieses Typs als Realisierungen des Bewußtseins unserer selbst aufzufassen. Eine solche Auffassung setzt jedoch weit mehr voraus als wir im allgemeinen zuzugestehen geneigt sind, und diese Voraussetzungen implizieren eine Struktur, die auf keinen Fall als »empirische bezeichnet werden kann. Damit aber führt das Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins notwendig zu dem Konzept eines nicht-empirischen Selbstbewußtseins, das erst ein empirisches Selbstbewußtsein als ein sinnvolles Konzept denkbar werden läßt. Die Aufklärung über diesen Zusammenhang erfordert demnach die Analyse, woraus jene Voraussetzung denn in der Tat besteht, ohne die eine Selbstzuschreibung von Attributen wie »blonde und »blauäugige nicht als Realisierung
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eines Selbstbewußtseins gelten kann. Das Mißliche in einer solchen Selbstzuschreibung ist offenbar grundsätzlich, daß eine Beschreibung wie "blond und blauäugig« kein angemessenes Konzept eines Selbstes repräsentieren kann, wie es in jedem Akt gewußt werden muß, der ein Bewußtsein von sich selbst darstellt. Eine Zuschreibung dieses Typs widerspricht offensichtlich der Identität von wissendem und· gewußtem Selbst, die das fundamentale Charakteristikum eines Selbstbewußtseins darstellt. "Blond und blauäugig« sind keine Attribute, die eine Entität beschreiben könnten, nur insofern sie fähig sein soll, sich selbst als "blond und blauäugig« zu wissen. Solche Attribute können ein gewußtes Selbst nicht nach seiner Fähigkeit beschreiben, mit dem wissenden Selbst identisch zu sein. Folglich kann in diesen Fällen jedenfalls dann nicht von einem Selbstbewußtsein die Rede sein, wenn wir dieses Konzept nicht nur in einem metaphorischen Sinn verwenden wollen. Wir haben also nun eine Struktur expliziert, die zwar im Alltagsgebrauch des Begriffes eines Bewußtseins von sich selbst übersehen wird, die es in einem strikten Sinne jedoch unmöglich macht, das Konzept eines Selbstbewußtseins mit dem eines empirischen Selbstbewußtseins gleichzusetzen. Würde das Selbstbewußtsein in einem radikal empirischen Sinn verstanden, so wäre damit notwendig gerade die Struktur dementiert, die es zu einem Bewußtsein von sich selbst macht. Ein empirisches Selbstbewußtsein kann also nicht vollständig die Bedeutung erfüllen, die einem solchen Konzept wesentlich ist, wenn es nicht auf irgendeine Weise eine Auszeichnung impliziert, die keineswegs als empirisch bezeichnet werden kann. Nun steht jedoch noch ein Weg offen, um das empirische Selbstbewußtsein zu verstehen, und unter Umständen könnte auf diese Weise das fragliche Konzept einen vernünftigen Sinn erhalten, ohne daß wir Voraussetzungen akzeptieren müssen, die notwendig in das Konzept eines nicht-empirischen Selbstbewußtseins führen. Es könnte der Versuch unternommen werden, von empirischem Selbstbewußtsein nur in solchen Situationen zu sprechen, in denen ein Bewußtsein sich auf mentale Zustände der selben bewußten Person bezieht. Danach würden nur Beschreibungen vom Typ "Ich bin glücklich« als Instantiierungen eines empirischen Selbstbewußtseins gelten können. Es stellt sich die Frage, welche Auszeichnungen solche Beschreibungen besitzen, die sich von den zuvor genannten unterscheiden. Im allgemeinen schreiben wir einer Person, die sich einer solchen Selbstbeschreibung bedient, eine stärkere Fähigkeit zu, für die Wahrheit der entsprechenden Aussagen einzustehen, als dies dann der Fall ist, wenn jemand Zustände seines physischen Daseins beschreibt. Für die hier verhandelte Problematik ist es grundSätzlich nicht
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wichtig, ob diese Fähigkeit einen exklusiven Zugang des Sprechers zu den Verifikationen jener Aussagen einschließt oder ob er nur mit einem privilegierten Zugang ausgestattet aufgefaßt wird. In beiden Fällen sind die den Selbstbeschreibungen entsprechenden Zustände nicht direkt für andere Personen beobachtbar, jedenfalls nicht so, wie sie sich für die sich selbst beschreibende Person darstellen. 7 Genügt dies jedoch, um einen signifikanten Unterschied zu den Selbstzuschreibungen physischer oder objektiv psychischer Zustände hinsichtlich der Implikation der zentralen Struktur eines Selbstbewußtseins behaupten zu können? Die Lage scheint sich ja nicht sehr verändert zu haben. Das Selbst, auf das sich ein Selbstbewußtsein bezieht, wird jetzt mit Hilfe von Aussagen beschrieben, die mentale Zustände zum Ausdruck bringen. Um das Konzept eines Selbstbewußtseins zu erfüllen ist es jedoch notwendig, daß das gewußte Selbst sich in einer Relation der Identität zu dem wissenden Selbst befindet. Von einem Selbstbewußtsein können wir also nur sprechen, wenn das gewußte Selbst so beschrieben werden kann, daß es gleichzeitig und in gleicher Hinsicht als das wissende Selbst angesehen werden kann. Eine Beschreibung wie »Ich habe blaue Augen« kann diese Bedingung sicherlich nicht erfüllen. Das gleiche gilt jedoch von einer Beschreibung vom Typ ,.Ich bin glücklich«. Glücklich zu sein stellt keine mögliche Beschreibung eines bewußten Wesens dar, insofern es fähig ist, seiner selbst bewußt zu sein. Und das gleiche gilt ebenso von all den anderen Prädikaten, die wir üblicherweise verwenden, um mentale Zustände auszudrücken, die von dem Gefühl begleitet werden, der Zugang des Sprechers zu ihnen ist auf die eine oder andere Weise privilegiert. Folglich können auch Selbstzuschreibungen von diesem Typ nicht als Instantiierungen eines
7 Die Behauptung einer ,.first/third-person asymmetry« wird in drei Formen vorgebracht: als ,.asymmetries of verification, of corrigibility, of noticing«, und die Standardexplikation schreibt der ,.asymmetry of pain« alle drei Formen zu und beschreibt die ,.symmetry of injury« durch die Abwesenheit aller drei Formen. K.J.Morris bezeichnet dies kritisch als "Contrast Theory« und argumentiert dagegen für eine "Comparability Theory«, die die Annahmen einer "partial asymmetry of pain« und einer ,.partial asymmetry of injury« vereinigt. Mir scheint besonders die kritische Reflexion des Status solcher Theorien wichtig: "Neither Contrast Theory nor Comparability Theory can plausibly be seen as a ,.report of the facts« of the use of the words "pain« and ,.injury«. Both, one might say, constitute ways of looking at those concepts: highlighting certain features of their usage, casting other features into shadow." (pain, Injury and FirstlThird-Person Asymmetry, in: Philosophy and Phenomenological Research 56/1996, S. 125-136, Zitat S. 136)
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Selbstbewußtseins gelten, wenn wir die zentrale und genuine Bedeutung dieses Konzepts bewahren wollen, ohne die es philosophisch nicht mehr von Wert sein könnte. Keine der Arten von Selbstzuschreibungen, die wir gewöhnlich mit dem Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins assoziieren, scheint eine angemessene Realisierung dieses Konzepts zu demonstrieren, wenn wir es in einem strikten Sinne auffassen. Möglicherweise können wir jedoch noch einen weiteren Versuch unternehmen, um das empirische Selbstbewußtsein zu verstehen. Wir könnten etwa argumentieren, daß die Identität von wissendem und gewußtem Selbst, die über den Sinn des Konzepts eines Selbstbewußtseins entscheidet, schon dann ausreichend hergestellt ist, wenn der Gehalt einer empirischen Selbstzuschreibung rein aus sich selbst geeignet erscheint, um ein solches bewußtes Wesen zu beschreiben, das in der Lage ist, ein bewußtes Selbstverhältnis zu unterhalten, das die Identität von wissendem und gewußtem Selbst einschließt. In diesem Fall wäre also ein interner Zusammenhang zwischen dem Gehalt einer Selbstzuschreibung und der Struktur, die es erlaubt, von einem Selbstbewußtsein im vollen Sinn zu sprechen, bereits ausreichend, um dem Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins Sinn zu verleihen. Dies setzt offensichtlich einen internen Zusammenhang zwischen dem selbstzugeschriebenen Attribut und der Fähigkeit des wissenden Selbstes voraus, ebenso das gewußte Selbst repräsentieren zu können. Es dürfte schwierig sein, einen solchen Zusammenhang im Falle physischer Attribute herzustellen, aber es könnte zunächst möglich erscheinen, den erforderlichen Zusammenhang im Falle mentaler Attribute zu entdecken. Wenn die Bedeutungen mentaler Selbstzuschreibungen notwendig die Struktur eines Wissens von sich selbst enthalten, dann würde das sich selbst wissende Selbst auf diese Weise in der Tat eine Beziehung zu sich selbst herstellen, die als Erfüllung des Konzepts eines Selbstbewußtseins im vollen Sinne gelten könnte. Es scheint nun jedoch, wir hätten nur ein Problem durch ein anderes ersetzt. Wenn wir Selbstbewußtsein tatsächlich in dieser Weise auffassen wollen, so sind wir nun zu dem Nachweis verpflichtet, daß der probeweise erwogene Zusammenhang tatsächlich besteht. Wir können mit guten Gründen bezweifeln, daß dieser Zusammenhang so möglich ist, daß er es uns erlauben könnte, auf dieser Grundlage von einem Selbstbewußtsein im vollen Sinn dieses Begriffs zu sprechen. Was uns den Gedanken nahelegt, das empirische Selbstbewußtsein in diesem Fall als eine Realisierung des Selbstbewußtseins anzusehen, ist im Grunde nichts anderes als die Tatsache, daß mentale Attribute als solche unter einer bestimmten Perspektive ein bewußtes Selbstverhältnis einschließen
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können. Selbst wenn dieser Zusammenhang jedoch plausibel ist, so konfrontiert er uns doch mit einem anderen Problem. Die Implikation einer bewußten Selbstbeziehung in mentalen Selbstzuschreibungen ist auch dann, wenn sie überzeugend dargelegt werden kann, nicht gleichbedeutend mit einer Identität in der Bedeutung von wissendem und gewußtem Selbst. Wessen ein Selbstbewußtsein sich auch bewußt ist, wenn es sich mentale Attribute zuschreibt, so unterscheidet sich dieser Vorgang immer noch von der Identität zwischen wissendem und gewußtem Selbst. Solange die Bestimmtheit des gewußten Selbst in irgendeiner Hinsicht unabhängig von der implizierten Selbstbeziehung ist, solange kann keine Identität zwischen wissendem und gewußtem Selbst bestehen. Diese Situation würde sich jedoch ändern, wenn die mentalen Attribute ihre Bedeutung vollständig aus der Struktur eines bewußten Selbstverhältnisses beziehen könnten. In diesem Falle würde sich das wissende Selbst nicht auf etwas beziehen, das sich von ihm unterscheidet, sondern auf etwas, das lediglich eine Transformation seiner eigenen und ihm wesentlichen Struktur repräsentiert. Eine solche Argumentationsform würde jedoch die Bewältigung einer noch weit umfangreicheren und weitreichenderen philosophischen Aufgabe erfordern, als sie durch unsere bisherigen Versuche, das Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins zu verstehen, bereits als notwendig nachgewiesen wurde. 8 Es wäre in der Tat erforderlich, wenigstens einige der Begriffe, die wir benutzen, um mentale Zustände zu beschreiben, aus der reinen Struktur eines Bewußtseins seiner selbst zu entwickeln. Wenn wir uns jedoch einer solchen Argumentationsform nicht bedienen wollen, so sind wir wieder zuruckverwiesen auf die Problematik, die das Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins aufwirft, wenn wir von der ihm wesentlichen Struktur Rechenschaft ablegen und das Bewußtsein von sich selbst in einem strikten Sinne verstehen wollen. Das Konzept eines Selbstbewußtseins scheint demnach nicht geeignet, um jene Phänomene verstehen zu können, die üblicherweise unter dem Titel eines
8 Grundsätzlich war dies die Argumentationsstrategie von Fichte und Schelling in dem Versuch, die reinen und apriorischen Begriffe aus der Identität des Ego zu entwickeln. Auch Hegel fiihrt diese Linie fort, wenn er die reinen Begriffe aus der Transformation von Sein in Nichts am Anfang der" Wissenschaft der Logik« entwickelt dieser Anfang beschreibt ja nichts anderes als die Wahrheit des Selbstbewußtseins als Resultat der "Phänomenologie des Geistes« (vgl. G.Römpp, Sein als Genesis von Bedeutung, in: Zeitschrift rur philosophische Forschung 43/1989, S. 58-80).
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empirischen Selbstbewußtseins subsumiert zu werden pflegen. Die Struktur des Selbstbewußtseins in empirischen Selbstzuschreibungen leugnen zu wollen, würde jedoch wahrscheinlich mehr Probleme erzeugen als lösen. Zunächst hieße dies, die Rechtmäßigkeit der wichtigen Unterscheidung zwischen Selbstbeschreibungen und solchen Beschreibungen, die sich auf Zustände anderer Personen beziehen, zu dementieren. Wenn die ersteren keine Instantiierungen eines Selbstbewußtseins darstellen, so besteht kein Unterschied in der Art zwischen diesen Beschreibungen. Folglich können sich Aussagen in der dritten Person von Aussagen in der ersten Person Singular nicht mehr auf der Grundlage ihrer internen logischen Struktur unterscheiden, also auf der Grundlage, wie sie ihre Gehalte auf eine Realität beziehen, die über ihre Wahrheitsansprüche entscheidet. Mit einer Konzeption von Ich-Aussagen als Realisierungen von Selbstbewußtsein wäre eine solche Konzeption dagegen relativ leicht durchzuführen gewesen. Falls das empirische Selbstbewußtsein jedoch in der Tat kein Bewußtsein von sich selbst im strikten Sinne repräsentiert, so können wir diese Konsequenz allerdings nicht ableugnen. Jene Unterscheidung zwischen der grammatikalisch ersten und der dritten Person würde sich also nicht mehr von jener zwischen verschiedenen mentalen Zuständen unterscheiden, unabhängig davon, ob sie mit dem Anspruch der Selbstzuschreibung oder als Zuschreibung zu anderen Personen angegeben werden. Schon an dieser Stelle können wir Zweifel anmelden, ob dies angemessen die Weise beschreibt, wie wir Aussagen in der ersten Person verwenden und verstehen - und auf sie reagieren. Darüber hinaus erstreckt sich der Zweifel auch darauf, ob wir Begriffe wie menschliche Individualität und Personalität angemessen verstehen, wenn wir die Differenz zwischen Aussagen in der ersten Person Singular und Aussagen in der dritten Person auf diese Weise einebnen. 9
9 Es ist in diesem Zusammenhang aufschlußreich, daß G.Frege nicht nur in Sätzen des Typs ,.ich friere« ein Problem für die Lehre von der Unabhängigkeit des Gedankens vom Denkenden sah, sondern auch in subjektiven Geschmacksurteilen wie ,.diese Rose ist schön«. Im ersten Fall enthalten die Worte nicht den ganzen Sinn, "sondern es kommt noch in Betracht, wer sie ausspricht." Ebenso aber ist es für den letzteren Satz wesentlich, "wer ihn ausspricht, auch ohne daß das Wort ,.ich« darin vorkommt. " Frege sieht darin jedoch nur ,.scheinbare Ausnahmen« von seiner Lehre, die so zu erklären sind, ,.daß derselbe Satz nicht immer denselben Gedanken ausdrückt, weil die Worte einer Ergänzung bedürfen, um einen vollständigen Sinn zu ergeben, und daß diese Ergänzung nach den Umständen verschieden sein kann." (Schriften zur Logik und Sprachphilosophie, Hamburg 1990, S. 48) An dieser Stelle zeigt sich sehr deutlich, daß der Fregesche ,.Gedanke« nur ein solcher sein kann durch die Vermittlung einer
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Unabhängig davon müßte es uns gelingen, den Gehalt jener Aussagen, die Instantiierungen eines empirischen Selbstbewußtseins entsprechen, unter Vermeidung aller reflexiven oder selbstbezüglichen Ausdrücke zu verstehen, wenn wir das Konzept des empirischen Selbstbewußtseins tatsächlich aufgeben wollen. Dementsprechend müßte der Ausdruck ,.Ich bin blond und blauäugig« transformiert werden in den Ausdruck ,.A ist blond und blauäugig« in Verbindung mit dem Ausdruck ,.A ist identisch mit dem Sprecher des Satzes 'Ich bin blond und blauäugig' zum Zeitpunkt t und am Ort p«. Entsprechend würde der Gehalt von ,.Ich bin glücklich« wiedergegeben werden müssen durch ,.A ist im Zustand des Glücklichseins« in Verbindung mit dem Ausdruck,.A ist identisch mit dem Sprecher des Satzes 'Ich bin glücklich' zum Zeitpunkt t und am Ort p«. Offensichtlich unterscheiden sich diese Umschreibungen logisch nicht von Beschreibungen wie ,.B ist blond und blauäugig« oder ,.B ist glücklich«, wobei ,.B« sich auf eine vom Sprecher unterschiedene Person bezieht. Die Kosten einer solchen Beschränkung sind nicht zu übersehen. Es erscheint in der Tat zweifelhaft, ob jene linguistischen Transformationen tatsächlich den Kern der Bedeutung von Aussagen in der ersten Person bewahren können. Es erscheint noch mehr zweifelhaft, ob wir in der Tat philosophische Rechenschaft ablegen können von den Strukturen, in denen wir uns auf Personen beziehen und von ihrer Differenz zu Objekten in der Welt, wenn wir darauf verzichten, ein vernünftiges Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins auszuarbeiten. 10 Das Bewußtsein von sich selbst, das empirische Selbstzuschreibungen einschließt und doch als ein Selbstbewußtsein beschrieben werden muß, scheint ein Phänomen darzustellen, das nur schwer bezweifelt werden kann, obwohl es
Abstraktionsleistung, die seine Situierung durch das Selbstverhältnis des Sprechers eliminiert. 10 Damit wird nicht behauptet, das Wort ,.ich- sei unverzichtbar - hier ist Wittgenstein grundsätzlich zuzustimmen: "Das Wort ,.ich. ist eines von mehreren Symbolen mit praktischer Verwendung, und wenn es für die Sprachpraxis nicht nötig wäre, könnte man es fallenlassen. Es nimmt keine hervorragende Stellung ein unter all den anderen Wörtern, die wir im praktischen Leben verwenden, es sei denn, wir beginnen es so zu verwenden wie Descartes." (Vorlesungen 1930-1935, FrankfurtlMain 1984, S. 226) Ich versuche im folgenden, die Besonderheit eines wie auch immer lautenden Ausdrucks einer Selbstbeziehung durch den Status einer damit erhobenen Forderung zu explizieren, die diesem Ausdruck einen im Praktischen ausgezeichneten Sinn verleiht, der gewiß nicht ohne Folgen rur das ,.praktische Leben. bleibt - allerdings wird dies den Bezug auf eine Verwendung »wie Descartes. implizieren.
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eine Fülle von Problemen aufwirft. Wir stehen also vor dieser Alternative: entweder wir dementieren die Angemessenheit jeder Beschreibung dieses Phänomens, die den Begriff des Selbstbewußtseins verwendet, und unterstellen jedem ein falsches Selbstverständnis, der sich selbst mit Hilfe von Gedanken versteht, die der Konzeption des empirischen Selbstbewußtseins zugehören, oder wir gestehen zu, daß die Tiefenstruktur dieser Konzeption den Gedanken eines reinen Selbstbewußtseins enthält.
Exkurs zu D. Henrichs Konzeption einer Theorie des Selbstbewußtseins Von D. Henrich wurde vorgeschlagen, Selbstbewußtsein als vollkommen beziehungsfreie und anonyme .. Dimension« (bzw. als ..Medium«) oder sogar als gänzlich objektiven Prozeß ohne das Moment eines wissenden Selbstbezugs aufzufassen (D. Henrich, Selbstbewußtsein. Kritische Einleitung in eine Theorie, in: R. Bubner u.a., Hrsg., Hermeneutik und Dialektik I, Tübingen 1970, S. 257-284, S. 278 ff; bzw. U. Pothast, Über einige Fragen der Selbstbeziehung, Frankfurt/Main 1971, S. 76ff). Selbstbewußtseinwäredanach zu denken als unmittelbare Vertrautheit mit sich, frei nicht nur von Spontaneität und Identifikation, sondern auch von einer wie immer zu denkenden Vermitt1ung mit sich selbst. Nur für ein aktives Prinzip im Innern dieser ereignishaften Dimension will Henrich noch den Namen .. Selbst« oder .. Ich« reserviert wissen (op. eit., S. 275 ff). Darin liegt zunächst eine Wendung gegen das epistemische Selbstbewußtsein im propositionalen Sinn, wie es die Diskussionen der analytischen Philosophie bestimmt - also auch gegen die spätere Auffassung von E. Tugendhat (Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen, Frankfurt/Main 1979); und diese Auffassung will Produktionsund Reflexionstheorien des Selbstbewußtseins ausschließen, die immer ..zu spät« kommen, weil sie das zu Explizierende bereits als expliziert in Anspruch nehmen. Wenn Henrich diese Dimension der Vertrautheit dann jedoch als ..exklusiv« beschreibt, weil eine Kenntnis von sich implizierend, so ist über den negativen Sinn einer Abweisung der aporetischen Verhältnisse traditioneller Selbstbewußtseinstheorien nur schwer der positive Sinn einer solchen Beschreibung zu erkennen. Mit der Exklusivität einer Kenntnis von und Vertrautheit mit sich bleibt die fundamentale Struktur eines bewußten Selbstverhältnisses erhalten man könnte versucht sein, Henrichs Begriff der ..Dimension« als Statthalter für den Gedanken eines bewußten Selbstverhältnisses aufzufassen, der Reflexivität, Identifikation und propositionales Sich-wissen ausschließt. Nichtsdestoweniger läßt Henrichs Begriff der ..Dimension« einen Aspekt hervortreten, der mir für
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das Fortdenken der Selbstbewußtseinsrelation aussichtsreich erscheint: dimensio bezeichnete ursprünglich den actus dimetiendi und den actus admetiendi (ou~p,fTP1J(Jt~ = das Vennessen); im Aus- oder Vennessen wird eine Differenz in den Status der Bestimmtheit gebracht - eine Differenz, die erst durch den actus dimetiendi als bestimmte Differenz aufscheint, ohne daß sie durch den Akt als solche geschaffen worden wäre. Insofern ist die dimensio nur der Vollzug des Ereignisses der Differenz. Damit könnte der Fortgang zu Heideggers Denken der Differenz als ereignishafter Unverborgenheit gelingen ohne Heideggers pauschaler und verdeckender Kritik an der Konzeption des Selbstbewußtseins und der von ihr inspirierten Philosophie generell folgen zu müssen. Da Henrich eine positive Selbstbewußtseinstheorie bisher nicht ausgearbeitet hat, läßt sich nur spekulieren, ob jener Fortgang mit den gedanklichen ,.Fluchtlinien" vereinbar sein könnte, die aus der von ihm 1989 veröffentlichten Kritik an Th. Nagels Buch ,.The View from Nowhere" zu entnehmen sind (Dimensionen und Defizite einer Theorie der Subjektivität, in: Philosophische Rundschau 36/1989, S. 1-24). Henrich wendet gegen Nagel u.a. ein, die Rechtfertigung der subjektiven Dimension im Weltverhältnis geschehe in dessen Theorie so, daß diese Dimension als solche von der Analyse gerade nicht erreicht werde, und beansprucht selbst, dargelegt zu haben, auf welche Weise dieser Ausstand im Bereich der Theorie des Geistes zu beheben wäre (S. 23). Gesucht ist offenbar eine Gedankensequenz, die die Thematisierung der Selbstbeziehung ,.von innen" in einen internen Zusammenhang mit der Bedeutung der Selbstbeziehung für das Verhältnis von Subjektivem und Objektivem und damit für Wahrheit und Rationalität zu setzen in der Lage ist. Henrich geht dabei von Nagels - rhetorischer - Frage aus, wie es ist, eine Fledennaus zu sein, und weist darauf hin, daß der darin entwickelte Gedanke nicht auf die unauflösbare Subjektivität des "Qualitätenraums" von Fledennauswahrnehmungen abzielt, sondern die unaufhebbare Differenz zwischen der Projektion und dem Vollzug von uns unzugänglichen Wahrnehmungen betont, woraus folgt, daß uns auch bei beliebig flexibler Projektionsfahigkeit dennoch das Leben entzogen bleibt, das im Medium des Qualitätenraums einer Fledennaus orientiert wird (S. 10). Auf dieser Grundlage wirft Henrich Nagel vor, er gehe nicht auf den Zusammenhang ein, "der die Verfassung der objektiven Konzeption von der Welt mit einer Selbstbeziehung verbindet, die ,.von innen«, also von den Gedanken dessen aus, der zu der Weltkonzeption gelangt, zu thematisieren wäre." (S. 14) Diese Thematisierung der Selbstbeziehung "von innen« rechnet Henrich nun zu den Gedanken, die für ein Verständnis von Rationalität und Wahrheit notwendig gedacht werden müssen. Es gilt ihm (1) als plausibel, "daß der Gedanke des ,.für mich«, der - verbunden mit einem ,.nur« - den Gedanken des
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bloß Subjektiven in der Innen- und Eigenperspektive ausmacht, ebenso ursprünglich zu den Konstitutionsbedingungen der Rationalität gehört wie die Gedanken von der Identität eines Dinges und der Allgemeinheit der Eigenschaften, die es charakterisieren." (S. 11) Henrich weist (2) darauf hin, daß auch ein Gedanke, von dem mitgedacht wird, daß er ,.bloß« meiner sei, nicht wahrheitsindifferent ist: "Ist auch das, was in ihm gedacht wird, nicht mehr im Sinne von »objektiv« gültig, so ist doch eben dies wahr schlechthin, daß ich diesen Gedanken gefaßt habe und unterhalte. Im Ausgang davon kann man in eine Untersuchung eintreten, die dem besonderen Wahrheitssinn in den Gedanken nachgeht, der noch vor dem, daß der Kontrast von »objektiv wahr« und »bloß subjektiv« in Beziehung auf den Gehalt eines Gedankens bestimmt wird, mit dem Gedachtsein dieser Gedanken verbunden ist." (S. 17) Die Aufgabe einer Theorie der Subjektivität bestünde demnach in der Vereinigung einer Thematisierung »von innen« mit einem solchen Denken, das den internen Bezug von Subjektivität zu Wahrheit und Rationalität einleuchtend macht, ohne dabei jene Thematisierung »von innen« zu dementieren. Diese Aufgabe spezifiziert sich über den Gedanken, daß Objektivität sich nur in einem Kontrast zum bloß Subjektiven ausbilden kann, zur Frage nach den Gründen, auf denen Objektivität selbst beruht und positiv zu erklären ist (S. 16) - es muß eine Entwicklung gedacht werden, aus der erst die objektive Weltbeschreibung als eine klare Konzeption hervorgeht (S. 18). Jene Gründe und diese Entwicklung geben der Theorie der Subjektivität nun als ,.Fluchtlinie« vor, die Thematisierung des Subjektiven ,.von innen« in einem einheitlichen Gedanken mit dem durch ,.ich« indizierten Einheitszusammenhang mit anderen Gedanken (S. 15, 16) so zu vereinigen, daß damit die Vorstellung der einfachen und durchsichtigen Identität mit der konkreten Person gerade vermieden wird (S. 18). Es ergibt sich, daß jener ,.Einheitsgedanke« bzw. ,.Einheitszusammenhang« den Fokus gerade einer Theorie der Subjektivität darstellt, die auf der Thematisierung des Subjektiven ,.von innen« besteht. Henrich führt die sich daraus ergebenden Aufgaben nicht mehr positiv aus. Er weist nur noch darauf hin, daß mit dem Bewußtsein ,.ich« ein ,.Einheitsgedanke« verbunden sei: "Er läßt sich nicht als das Insgesamt alles ,.bloß« Subjektiven zureichend verstehen. In ihm ist die Meinung fundiert, daß die Selbstbeziehung in Gedanken, welche zwar mit der Selbstbeziehung der konkreten Person nicht zusammenfällt, wohl aber in sie eingeht, irgendeine Durchgängigkeit dessen anzeigt, der in dieser Selbstbeziehung steht." (S. 15) »Ich« meint damit immer mehr als die Aktualität oder den Aktualitätsgrund jeweils eines Gedankens: ,.ich« "indiziert sowohl den jeweils aktuellen Fall wie auch einen Einheitszusammenhang mit anderen Gedanken. Und dies ist der Gehalt von ,.ich«-Gedanken, die nicht das ,.bloß Subjektive« von dem ausgrenzen, was als wahr gedacht wird." (S. 16)
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Die Quintessenz dieser Theorie der Subjektivität verbleibt dann jedoch in einer mehr behauptenden als argumentierenden Skizze: "Dagegen erlaubt es die komplexe logische Form der ,.ich«-Gedanken, zugleich auch eine solche Entwicklung zu denken, aus der die objektive Weltbeschreibung überhaupt erst als eine klare Konzeption hervo~geht. Denn die Einheitsform, die eines der Momente dieser ,.ich«-Gedanken ist, wird zwar als ein Ausgriff und eine Aufgabe des Denkens von Beginn an in jedem Gedanken dieser Form mitgedacht sein. Gleichwohl werden die Implikationen, die mit ihr einhergehen, erst über eine Schrittfolge zur Deutlichkeit gebracht werden können. Man wird also annehmen dürfen und müssen, daß der Gedanke von einem Subjekt, das nicht mit der konkreten Person einfach und durchsichtig identisch ist, im Gange der Entfaltung der Rationalität des bewußten Lebens schon lange aufgekommen ist, ehe sich diesem Leben die Aufgabe der objektiven Weltbeschreibung ausdrücklich stellt." (S. 18) Die Behauptung lautet also, "daß man dann, wenn man das ,.objektive Selbst« nicht nur in objektiver Einstellung, sondern ,.von innen«, somit aus den ,.ich«Gedanken, kraft deren es überhaupt angenommen werden kann, analysiert, auch dazu geführt wird, zwischen der logischen Form der ,.ich«-Komponente von Gedanken unter dem Anspruch der Objektivität und solchen Gedanken, in denen etwas als ,.bloß« subjektiv erschlossen ist, einen inneren Zusammenhang zu erkennen." (S. 18) Henrich ist sich der Tatsache wohl bewußt, daß dieser Zusammenhang noch nicht zur vollen Verständlichkeit gekommen ist, er besteht jedoch darauf, daß gerade ein solches Verständnis die Bedingungen der Differenz zwischen einer subjektiven Perspektive, die über sich als solche verständigt ist, und solchen ,.ich«-Gedanken, die ein ,.objektives Selbst« zu einer begründeten Konzeption werden lassen, aufklären könnte (S. 19).
111. Die Ethik des Selbstbewußtseins als »ich« und »Ich« Im idealistischen Denken wird das Ich üblicherweise als der Ausdruck für das Selbstbewußtsein verstanden. Darin wird das Pronomen der ersten Person Singular zum Substantiv transformiert: ,.das Ich«. Der typische Gebrauch des Pronomens der ersten Person findet jedoch in prädikativen Aussagen statt. Möglicherweise kann nun eine Untersuchung über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem ,.Ich« - das ein nicht-empirisches Selbstbewußtsein repräsentiert - und dem Pronomen ,.ich« Argumente für die Behauptung beibringen, daß der Gedanke eines ,.reinen« Selbstbewußteins eine notwendige Grundlage für den Gedanken eines empirischen Selbstbewußtseins darstellt und daß dieser Zusammenhang die einzige Möglichkeit darstellt, den dargestellten
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Schwierigkeiten mit dem Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins zu entgehen. 11 Dann wären wir in der Lage, die unmittelbare Plausibilität des Gedankens eines empirischen Selbstbewußtseins mit einer philosophischen Rechenschaft über dieses Konzept zu verbinden. Es gibt vor allem eine Differenz zwischen Aussagen in der ersten Person Singular - die unabhängig von ihrem Gehalt und ihrer Funktion üblicherweise als Ausdruck eines empirischen Selbstbewußtseins gebraucht werden - und Aussagen in der dritten Person, die uns wenigstens einen Hinweis darauf geben kann, wie empirisches und nicht-empirisches Selbstbewußtsein in der Verwendung des ,.ich« al5 Pronomen zusammenhängen. 12 Indem er ,.ich« sagt, zeigt der Sprecher an, daß seine Aussage eine der Prädikationen enthält, die er als korrekte Beschreibungen seiner selbst betrachtet, wie trivial diese Beschreibung auch immer sein mag. Zu sagen ,.lch sehe einen blühenden Akazienbaum« ist in den meisten Fällen von geringer Bedeutung verglichen mit ,.Ich bin der Herr, dein Gott« oder auch nur ,.lch bin ein Clown Gottes«.13 Prinzipiell aber ist auch die erstgenannte Aussage eine Instantiierung des Selbstverständnisses einer Person - nicht weniger als die Enthüllung der tiefsten Geheimnisse ihrer Seele es ist. In allen solchen Fällen
11 Gewiß ist es wahr, daß "ich« ein innersprachlicher Ausdruck ist und deshalb über das Erlernen der Sprache aufgeklärt werden kann; ebenso aber ist wahr, "daß zum Fungieren der Sprache vieles gehört, was nicht in den geregelten Gebrauch sprachlicher Ausdrücke aufgeht, sondern ihn mitkonstituiert. Wenn Denken nicht außerhalb der Sprache möglich ist, so heißt das nicht, daß es in nichts als in einer Weise der Sprachverwendung besteht." (D.Henrich, Selbstbewußtsein und spekulatives Denken, in: ders., Fluchtlinien, FrankfurtlMain 1982, S. 125-181, S.144 t) 12 In der angelsächsischen analytischen und post-analytischen Philosophie sind die Besonderheiten von "first-person statements« seit Jahrzehnten zum Gegenstand einer ausgedehnten Diskussion geworden, deren Ende noch nicht abzusehen ist. Gemäß der leitenden Orientierung an der Semantik stellt die Problematik der indexikalischen Ausdrücke hier den Ansatzpunkt für die subjektivitätstheoretische Fragestellung dar. bn Mittelpunkt steht deshalb die Frage nach der "first person authority« auf der Grundlage eines speziellen "first person access« zu Aussagen in der 1. Person Singular. Die folgenden Überlegungen beanspruchen nicht, in jene - philosophisch überaus voraussetzungsreiche - Diskussion einzugreifen. Mein Vorschlag, das Problem der "first person authority« als ethisch fundierten ,.first person claim« des Sprechers im Zusammenhang mit der Auffassung als "first person title« durch den Hörer zu reformulieren, nimmt auf philosophische Voraussetzungen Bezug, die sich nur schwer mit der analytischen Theorietradition verbinden lassen dürften.
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Wie der Tänzer Nijinsky sich in seinem Tagebuch bezeichnete.
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gibt der Sprecher eine Proposition an, die er als Beschreibung seiner selbst verstanden wissen will, wie begrenzt diese spezielle Beschreibung auch immer sein mag. Der Gebrauch des Pronomens der ersten Person Singular ermöglicht es dem Sprecher, seinen Zuhörern zu verstehen zu geben, daß er auf eine ganz bestimmte Weise aufgefaßt zu werden wünscht. 14 Die philosophische Aufklärung der Bedeutung des Pronomens der ersten Person wäre demzufolge unvollständig, würden wir dieses Element außer Acht lassen, das Aussagen in der ersten Person Singular von allen anderen Klassen prädikativer Aussagen unterscheidet, und einfach die gewöhnliche Relation von Subjekt und Prädikat auf die einzigartige Relation von "ich« und seiner Selbstbestimmung übertragen. Das Verständnis einer gewöhnlichen Prädikation impliziert das Bewußtsein, daß die Entität, auf die wir uns mit Hilfe des Satzsubjekts beziehen, nicht aktiv durch sich selbst irgendwelche Charakteristika des Prädikates bestimmt, das in der Proposition angegeben wird, so daß die Bedeutung der Prädikation von einer solchen Bestimmungsrelation vollständig unabhängig ist. Im Unterschied dazu hängt die Bedeutung einer Aussage in der ersten Person Singular wesentlich von einem Verständnis dieser Relation ab. ls Das entscheidende Problem für eine Aufklärung von Aussagen in der ersten Person Singular und der Bedingungen für ein Verständnis ihres Gebrauchs ist demnach die Erklärung dessen, was wir wirklich verstehen, wenn jemand uns in solchen Aussagen zumutet, einen wenn auch noch so unbedeutenden Teil seines Selbstverständnisses unserer Vorstellung von dem hinzuzufügen, was bzw. wer er ist. Wenn die Verwendung des "ich« in einer Proposition als Mittel dient, um den Hörer darüber zu informieren, daß er in diesem Fall mit einem Teil des Selbstverständnisses des Sprechers konfrontiert wird, dann müssen wir festhalten, daß die Besonderheit solcher Aussagen nur deutlich wird, wenn wir
14 Dieser Anspruch impliziert jedoch nicht die epistemologische These der Unkorrigierbarkeit von first-person statements; vgl. zur Diskussion dieser Frage R.Rorty, Incorrigibility as the Mark of the Mental, in: The Journal of Philosophy 67/1970, S. 406424. 15 Dies stimmt mit der Beobachtung zusammen, daß die Bedeutung von "ich« nicht aus einer Wahmehmungs- oder Außenperspektive verständlich werden kann; darauf weist S. Shoemaker hin: ·Perceptual self-knowledge presupposes non-perceptual selfknowledge, so not all self-knowledge can be perceptual. Recognition of these facts should help to dispel the notion that the nature of self-knowledge supports the Cartesian view that the self is a peculiar sort of object, or the Humean view that there is no sort of object at all.· (S.Shoemaker, Personal Identity. A Materialist's Account, in: S.Shoemaker/R.Swinburne, Personal Identity, Oxford 1984, S. 67-132, S. 105)
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verstehen, daß die Zuhörer eine solche Aussage als Instantiierung einer Selbstzuschreibung auffassen. Als Instantiierung bezieht sich eine solche Aussage und ihr Verständnis jedoch notwendig auf eine Fähigkeit, der über ihre Manifestation in dem einzelnen Ereignis hinaus Geltung und Bedeutung zukommt. Das angemessene Verständnis einer Aussage in der ersten Person Singular erfordert also auch das Bewußtsein, daß der Sprecher prinzipiell in der Lage ist, von dem Selbst, das er durch das ,.ich« zum Ausdruck bringt, mehr als einen Zustand zu prädizieren. Natürlich hören wir oft, wie ein Sprecher sich in der ,.ich«-Form auf sich selbst bezieht, den wir nie zuvor gesehen haben und dem wir vermutlich nie wieder begegnen werden. Wenn wir jedoch nicht unterstellen, er wäre fähig, sein Selbstverständnis wenigstens in einigen Propositionen zum Ausdruck zu bringen, die sich von der einen unterscheiden, die wir gehört haben, dann werden wir seine Selbstzuschreibung nicht als eine solche und in ihrer ganzen Bedeutung auffassen. Sogar wenn eine Person nur eine einzige Aussage in der ersten Person Singular während ihres ganzen Lebens formulieren sollte, so würden wir sie verstehen müssen als nur eine Instantiierung aus einer prinzipiell möglichen Sequenz von Aussagen dieses Typs. Der Grund für eine solche Unterstellung ist wiederum die Abhängigkeit des Verständnisses einer Aussage in der ersten Person Singular von einem gleichzeitigen Verständnis der Erwartung des Sprechers, daß wir einen Teil seines Selbstverständnisses zu akzeptieren bereit sind; diese Erwartung aber ist nur dann erfüllt, wenn wir mehr verstehen als nur den sachlichen Bezug des Prädikats auf das Satzsubjekt, anders gesagt: wenn wir uns nicht auf die Information beschränken, die wir ebensogut durch eine Aussage ohne ,.ich« als Prädikat hätten erhalten können. Demnach ist eine ausschließlich empirische Konzeption eines Selbstbewußtseins nicht die ausreichende Basis für ein Verständnis der Art des Selbstbezugs, der Aussagen in der ersten Person Singular auszeichnet. Ein Sprecher, der sich selbst mit Hilfe von Aussagen in der ersten Person Singular beschreibt, erwartet nicht als ein Objekt aufgefaßt zu werden, dem jede eigene Beziehung zu seinen Bestimmtheiten fehlt. Er wünscht vielmehr seinem Glauben - und seinem Wunsch - Ausdruck zu geben, daß jene Aussagen einige Prädikate enthalten, die in der Weise des Selbstbezugs zu ihm gehören. Eine Prädikation in einem ,.ich«-Satz ist also nicht angemessen verstanden, wenn der Hörer die Intention des Sprechers nicht als Teil der vollständigen Bedeutung der Proposition auffaßt. Folglich kann ein bloß empirisches Verständnis auch nicht der entschei-
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denden Struktur von Aussagen in der ersten Person Singular Rechnung tragen, die impliziert, daß das Prädikat selbstzuschreibend verwendet wird. Dies führt uns zu einem wichtigen Ergebnis. Wenn wir die vollständige Bedeutung einer Aussage in der ersten Person Singular verstehen wollen, so müssen wir notwendig auf etwas Bezug nehmen, das nicht vollständig bestimmt werden kann ohne Berücksichtigung der Weise, wie es sich auf sich selbst bezieht. 16 Man könnte allerdings vermuten, daß eine Bestimmung durch Selbstbezug notwendig jeder Bestimmtheit widerspricht, die auch anderen Personen zugänglich ist als dem Sprecher selbst. Diese Konsequenz könnten wir solange akzeptieren, als nur das ,.ich« im Subjektstatus betroffen ist, aber wir werden geneigt sein, sie und ihren Ableitungsgrund zu verwerfen, sobald ,.ich« als Objekt verwendet wird. 17 Wir sollten jedoch nicht den Unterschied verkennen, der zwischen "I have grown six inches« und "he has grown six inches« bzw. "the person named x has grown six inches« besteht. Alle diese Sätze bringen die Proposition zum Ausdruck, daß jemand um sechs Zoll gewachsen ist, und dies erlaubt es uns, sie weitgehend austauschbar zu verwenden. Nichtsdestoweniger sollte uns dies nicht von der Einsicht abbringen, daß ihre Bedeutungen verschieden sind. Indem er als ,.ich« spricht, zeigt der Sprecher auch an, daß er einen Bestandteil seines Selbstverständnisses zum Ausdruck bringt und erwartet, genau in diesem Sinne verstanden zu werden. Genau dieser Teil seiner Bedeutung wird übersehen, wenn ein "ich«Satz - unabhängig davon, ob das "ich« als Subjekt oder Objekt verwendet wird behandelt wird wie ein Ausdruck, der uns über die physische Welt informiert.
16 Dies scheint mir der gedankliche Fluchtpunkt von Th.Nagels folgenreichem Aufsatz über "What is it like to be a bat ?« zu sein. Nagel spricht darin vom subjektiven Charakter von Erfahrung, da ein Organismus mentale Zustände dann und nur dann haben kann, wenn es irgendwie ist, dieser Organismus zu sein, d.h. wenn es irgendwie für diesen Organismus ist (Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? in: ders., Über das Leben, die Seele und den Tod. Essays, KönigsteinlTs. 1984, S. 185-199). Nagel wurde von diesem Gedanken konsequent zur Beschäftigung mit dem Problem des Zusammenhangs von Selbstbewußtsein und Perspektivität geleitet (vgl. Das objektive Selbst, in: L.Siep, Hrsg., Identität der Person. Aufsätze aus der nordamerikanischen Gegenwartsphilosophie, Basel/Stuttgart 1983, S. 46-67), um schließlich zu einer Position zu gelangen, die um die Identität von Internalität und Externalität des Selbstverständnisses zentriert ist: The View from Nowhere, New York/Oxford 1986 (vgl. dazu D.Henrich, Dimensionen und DefIzite einer Theorie der Subjektivität, in: Philosophische Rundschau 3611989, S. 1-24; sowie G.Römpp, Double Vision Idealism, in: Man and World 26/1993, S. 329-338).
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L. Wittgenstein, The Blue and Brown Books, New York/Oxford 1985, S. 66-67.
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In seiner Verwendung als Subjekt und als Objekt verleiht das ,.ich« einer Aussage also eine Bedeutung, die einer empirischen Nachprüfung grundsätzlich nicht zugänglich ist. 18 In einer solchen Aussage ist eine Bestimmungsweise enthalten, die ausschließlich auf die eigene Bestimmungsmacht des Sprechers zurückgeht. Ein bedeutender Teil dessen, was jemand mit Hilfe von Aussagen in der ersten Person Singular zum Ausdruck bringt, verdankt sich also der Fähigkeit der Selbstzuschreibung. 19 Damit aber scheint Selbstzuschreibung ebenso die Fähigkeit zur Selbstbestimmung zu implizieren. Soweit dieser Bereich der Selbstbestimmung reicht, gibt es keine Verhältnisse, die unabhängig von dem Sprecher existieren, der sie sich in ,.ich«-Sätzen zuschreibt, und auf die wir uns beziehen könnten, um vollständig zu verstehen, was eine Aussage in der ersten Person Singular ausdrückt. Im Falle der Aussage ,.he has grown six inches« können wir ein Maßband benutzen, um über ihre Wahrheit zu entscheiden. Aber ungeachtet der Wahrheit dieser Proposition können wir damit doch nicht bestimmen, daß die mit ,.he« bezeichnete Person sich selbst mit den Worten beschreiben muß ,.1 have grown six inches«, denn eine solche Aussage schließt mehr ein als die bloße Tatsache körperlichen Wachstums. Sie impliziert etwa die Bereitschaft, sich auf sich selbst als auf jemanden zu beziehen, der wenigstens unter einem sehr speziellen Aspekt rechtmäßig durch eine Veränderung seiner Körpergröße beschrieben werden kann. Sie schließt darüber hinaus die Erwartung ein, andere Personen mögen diese Beschreibung als Teil des Selbstverständnisses des Sprechers auffassen. Eine Aussage in der ersten Person Singular realisiert also eine Selbstbestimmung, die eine solche Aussage von allen anderen Arten von Aussagen unterscheidet und auszeichnet.
Wir könnten die besonderen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn eine Aussage in der ersten Person Singular angemessen und vollständig verstanden werden soll, nun noch auf eine andere Weise beschreiben. Werur\V'ir eine solche Aussage verstehen, unterstellen wir, der Selbstbezug des Spr~~hers in seiner Selbstzuschreibung sei eine Fähigkeit, die sich nicht in einem
1& Insoweit - allerdings auch nur insoweit - stimmt dies mit H.Delius' fundamentaler These überein: "In making an egological statement in a specific situation a person brings about the state of affairs described by this statement. Thus, if such a statement is true, it is true in virtue of something (constituting the ground for its truth) which would not exist ifthe statement had not been made. " (Self-Awareness. A Semantical Inquiry, München 1981, S. 95)
19 Vgl. dazu auch D.Henrich, Selbstbewußtsein und spekulatives Denken, in: ders., Fluchtlinien, FrankfurtlMain 1982, S. 125-181, S. 146 f.
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empirisch zugänglichen Selbstverständnis erschöpft. Während ,.A sieht einen blühenden Akazienbaum« einen Zustand der Welt beschreibt, kann die Bedeutung von ,.ich sehe einen blühenden Akazienbaum« nicht vollständig in Begriffen beschrieben werden, die sich nur auf Tatsachen beziehen. Der Grund für diese Differenz kann nun auch mit Hilfe des Begriffes Freiheit angegeben werden: das Verständnis der letzteren Aussage erfordert das gleichzeitige Verständnis der Freiheit des Sprechers, sich auf sich in der einen oder in einer anderen Weise zu beziehen. Freiheit, wie sie sich in der Verwendung von Aussagen der ersten Person Singular zeigt, besteht demnach in der Fähigkeit einer Person, in einem gewissen Umfang diejenigen Prädikate auswählen zu können, die sie als angemessenen Ausdruck ihres Selbstverständnisses zu akzeptieren bereit ist. 20 Natürlich hängt die Tatsache, daß jemand gerade jetzt und an diesem Ort einen blühenden Akazienbaum sieht, von einer von ihm selbst unkontrollierbaren Kette von Bedingungen in der Vergangenheit ab. Daß gerade diese Person jedoch gerade diese Wahrnehmung in ihr Selbstverständnis aufnimmt und dies zum Ausdruck bringt durch die Aussage ,.ich sehe einen blühenden Akazienbaum«, dies kann nicht vollständig als Wirkung jener Sequenz von Bedingungen erklärt werden. Und insofern diese Aussage jene Bedingungen transzendiert, könnten wir sie als Teil der Freiheit einer Person ansehen. Dies wiederum könnte zu dem Schluß berechtigen, daß die Substantivierung des ,.ich« zum ,.lch« doch nicht gänzlich ohne Sinn ist. 21 Wir könnten die
20 Diesen Aspekt der "Selbst-Sorge« als Implikat des Aktes der Selbst-Synthesis stellt auch R.Nozick heraus: "Since the intentional creation and maintenance for no extemal or ulterior purpose also constitutes a caring, the self cares for itself as itself, it cares for itself as caring for itself - it cares for itself reflexively." (philosophical Explanations, Oxford 1981, S. 110) Nozick beansprucht damit, epistemisches Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung als praktisches Sich-zu-sich-verhalten in einem Gedanken verbinden zu können.
21 Als Parallele zu diesem Gedanken kann - mutatis mutandis - die Einführung eines Bezuges auf eine mentale ,.Entität« wie Selbstbewußtsein bei Anscombe, Chisholm und Castafieda herangezogen werden. Allerdings sollte die Parallelisierung nicht zu weit getrieben werden. Nach G.E.M.Anscombe führt die Auffassung der ersten Person Singular als Eigenname oder Demonstrativpronomen in Aporien, woraus folgt, "that if ,.1« is a referring expression, then Descartes was right about what the referent was." Sie fährt jedoch fort: "His position has, however, the intolerable difficulty of requiring an identification of the same referent in different "I«-thoughts." (The First Person, in: dies., The Collected Papers of G.E.M. Anscombe, Vol. 2, Oxford 1981, S. 21-36, S.31) Anscombe kommt zu dem Schluß, daß dem ,.ich« überhaupt keine referentielle
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beschriebenen Voraussetzungen für den Gebrauch und das Verständnis von Aussagen in der ersten Person Singular insgesamt als Grundlage für eine sinnvolle Verwendung des substantivierten ,.lch« ansehen. Der Ausdruck ,.lch« kann demnach als eine spezielle Annahme gelten, die immer dann impliziert ist, wenn eine Aussage in der ersten Person Singular in einer Weise verstanden wird, die der Intention des Sprechers entspricht. Er bezieht sich also auf eine Fähigkeit des Ausdrucks auf seiten des Sprechers und des Verstehens auf seiten des Hörers und nicht auf eine Entität und er bringt ein Bewußtsein von der Berechtigung anderer Personen zum Ausdruck, selbst mit dem Anspruch auf Gültigkeit auftretende Beschreibungen ihrer eigenen Zustände vorbringen zu können. Er bezeichnet damit auch die Grenze der Macht eines Subjekts, gültig defmieren zu können, was eine andere Person ist oder sein soll. Wir hatten behauptet, eine Theorie des empirischen Selbstbewußtseins könne nur Bestand haben, wenn wir darauf verzichten, das ,.Selbst« ausschließlich als eine empirische Entität aufzufassen. Diese Behauptung haben wir zu unter-
Funktion zukommt und schreibt die Probleme mit dem "ich« der grammatikalischen Illusion eines Subjekts zu, die durch "unmediated agent-or-patient conceptions of actions, happenings and states" aufgelöst werden könnte, was vermutlich auf eine rein performative "Bedeutung« des "ich« hinausläuft (op. cit., S. 36). R.Chisholm dagegen sieht im Gebrauch der 1. Person Singular die primäre Form von Referenz als »direct attribution« und versucht daraus de re- und de dicto-Meinungen als Spezialfälle mit indirekter Attribution abzuleiten. Selbstbewußtsein wird dann als Inbegriff selbstpräsentierender Eigenschaften aufgefaßt, setzt jedoch ein Bewußtsein der sich selbst direkt attribuierenden Instanz voraus. (The First Person, Brighton 1981, S. 7, 27 ff, 90) H.N. Castaiieda schließlich kam über die Analyse des selbstbezüglichen Pronomens der dritten Person indirekter Rede und die daraus entwickelte Theorie der »Quasi-Indikatoren« als besonderer logischer Kategorie zu seiner Auffassung von der Unhintergehbarkeit von Selbstbewußtsein. Die Pointe liegt dabei in der Auffassung von der Irreduzibilität des ,.ich« in der oratio obliqua - in der oratio recta ist das ,.ich« nicht für den Sprecher, wohl aber für den Hörer eliminierbar, dies gilt aber nicht für die oratio obliqua: der Gebrauch von »ich« kann durch den Hörer in oratio obliqua nur durch den uneliminierbar selbstbezüglichen Gebrauch von ,.er·« aufgenommen werden. ("Er«: Zur Logik des Selbstbewußtseins, in: Ratio 8/1966, S. 117-142; sowie ders., Indikatoren und Quasi-Indikatoren, in: ders., Sprache und Erfahrung. Texte zu einer neuen Ontologie, FrankfurtlMain 1982, S. 160-201) Castaiieda kommt auf dieser Grundlage schließlich zu der Auffassung von ,.Ichen« als den Referenten des rein indexikalisehen Gebrauchs des Pronomens der 1. Person Singular, wobei die indexikalisehen Ausdrücke diese Referenten in Erfahrungssituationen aktualisierend ,.erschaffen«, so daß die indexikalisehe Rede stets performativ und erfahrungsbezogen bleibt. (The Self and the I-Guises, Empirical and Transcendental, in: K. Crameru.a., Theorie der Subjektivität, Frankfurt/Main 1987, S. 105-140)
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stützen gesucht durch eine Untersuchung der Bedingungen für den Gebrauch und das Verständnis von Aussagen in der ersten Person Singular. Dies basierte auf der Annahme, daß jeder philosophische Versuch, das empirische Selbstbewußtsein zu verstehen, in irgendeiner Weise auf solche Aussagen wird Bezug nehmen müssen, die Instantiierungen eines empirischen Selbstbewußtseins zum Ausdruck bringen. Eine jede Aussage dieser Art zeigt den Sprecher als ein Subjekt, auf das sich bestimmte Propositionen beziehen können und das folglich selbst empirisch in einem weiten Sinne genannt werden kann. Das angemessene Verständnis eines empirischen Selbstbewußtseins in Aussagen der ersten Person Singular hängt jedoch von deren Auffassung als Fälle von Selbstzuschreibung und Selbstbestimmung ab. 22 Das Verständnis des Konzepts eines empirischen Selbstbewußtseins ist damit auf die Leistung eines Verstehens von Aussagen angewiesen, die einen Bezug auf die Fähigkeit der Selbstzuschreibung implizieren, welche Fähigkeit nicht durch eine einzige Zuschreibung erschöpfbar ist. Unter diesem Aspekt kann ein solches Verstehen selbst als nichtempirisch bezeichnet werden. Das Verständnis von Aussagen der ersten Person Singular als Ausdrucksformen eines empirischen Selbstbewußtseins erfordert also, den Sprecher aufzufassen als nie vollständig durch empirische Propositionen beschreibbar, da es zu Aussagen der ersten Person Singular gehört, daß der Sprecher von anderen erwartet, sie mögen Bestandteile seines eigenen Selbstverständnisses in ihre Auffassung seiner Person übernehmen. Es ergibt sich aus diesen Überlegungen, daß gerade die Untersuchung der Bedingungen eines empirischen Selbstbewußtseins zu dem Gedanken führt, daß es tatsächlich gute Gründe gibt, ein nicht-empirisches Selbstbewußtsein als sinnvolles philosophisches Konzept anzuerkennen. Ein solcher Gedanke wirft eine Fülle von Problemen auf. Würden wir ihn deshalb ablehnen, so hätten wir dafür jedoch einen hohen Preis zu bezahlen. Wir müßten den Versuch aufgeben, das Konzept des empirischen Selbstbewußtseins in seinem eigenen Sinn philosophisch verstehen zu wollen und müßten uns darauf beschränken, den Begriff lediglich in einem metaphorischen Sinn zu gebrauchen. Darüber hinaus müßten wir darauf verzichten, vollständig davon Rechenschaft zu geben, wie wir Aussagen der ersten Person Singular verwenden und verstehen. Das fundamentale Problem mit dem empirischen Selbstbewußtsein hat sich als die Unmöglichkeit gezeigt, es überhaupt als eine Realisierung von
22 Vgl. dazu den Exkurs zu E.Tugendhats Konzeption von Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung am Ende dieses Kapitels.
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Selbstbewußtsein auffassen zu können, weil der empirische Status des gewußten Selbstes dessen Identität mit dem wissenden Selbst von Anfang an dementiert. Diese interne Widersprüchlichkeit könnte natürlich ganz einfach auf die Forderung zurückgeführt werden, das empirische Selbstbewußtsein solle vollständig ohne Rekurs auf nicht-empirische Strukturen oder Begriffe verstanden werden. Den vorangegangenen Untersuchungen zufolge können wir zu dem Schluß kommen, daß wir wahrscheinlich besser mit dem Konzept des empirischen Selbstbewußtseins umgehen können, wenn wir jene Forderung aufgeben. Es hat sich gezeigt, daß in jedem sinnvollen Gebrauch von Aussagen der ersten Person Singular ein Bewußtsein von sich selbst involviert ist, das bereits einige Züge eines ,.reinen« Selbstbewußtseins offenbart hat. Wir müssen folglich die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß ein empirisches Selbstbewußtsein nur dann ein sinnvolles Konzept darstellt, wenn das Konzept eines Selbstbewußtseins überhaupt nicht auf die empirische Form eingeschränkt wird und wenn jenes nicht-empirische Selbstbewußtsein so in einem Zusammenhang mit dem empirischen befindlich gezeigt werden kann, daß damit die grundlegende Voraussetzung des letzteren als erfüllt gelten kann und wir mit Recht von einer Identität von wissendem und gewußtem Selbst sprechen können. Nach unseren bisherigen Überlegungen ist die einzige Möglichkeit, philosophisch Rechenschaft vom empirischen Selbstbewußtsein abzulegen, in dieses Konzept den Gedanken eines bewußten Selbstverhältnisses zu inkorporieren, das zum einen eine Identität von wissendem und gewußtem Selbst impliziert und zum anderen doch strukturiert ist und damit eine Unterscheidung zwischen wissendem und gewußtem Selbst enthält. Diese ,.reine« Struktur eines Selbstbewußtseins im strikten Sinne muß in jeder Instantiierung von Selbstbewußtsein enthalten sein, damit sie überhaupt als Realisierung von Selbstbewußtsein gelten kann. Das Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins kann also nur mit Hilfe des Konzepts eines nicht-empirischen Selbstbewußtseins bewahrt werden. Mit der Frage nach dem letzteren geht es deshalb stets auch um die Möglichkeit eines sinnvollen Denkens des ersteren.
Exkurs zu E. Tugendhats Konzeption von Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung In der Ersetzung von Selbstbewußtsein durch Selbstbestimmung fokussieren die Ausführungen von E. Tugendhat in den Vorlesungen über ,.Selbstbewußtsein und Selbstbestimmung. Sprachanalytische Interpretationen« (Frankfurt/Main
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1979). Tugendhat kann jedoch nicht ausweisen, warum die mit Mitteln kommunikativer Vernunft begründete ,.Selbstbestimmung« des praktischen reflektierten Selbstverhältnisses in der Tat den "eigentlich relevanten Teil der Selbstbewußtseinsproblematik" (S. 145) darstellt, wenn er nicht (1) die vernünftige Bestimmung des Verhaltens als Selbstbestimmung nachweist, und wenn er nicht (2) die Identität des praktischen Sich-zu-sich-verhaltens mit der Grundstruktur von Selbstbewußtsein verdeutlicht. Eine vernünftige Handlungsbestimmung muß nicht eo ipso eine Selbstbestimmung sein, wenn nicht zuvor die Übereinstimmung der Vernunft mit dem praktischen Selbstverhältnis nachgewiesen ist. Hier ist Kants Orientierung an Selbstgesetzgebung statt an Selbstbestimmung im Vorteil, indem das seine Maximen auf Universalisierbarkeit prüfende Selbst sich in einem Vorgang selbst zu einem Exemplum der vernünftigen Welt macht und sich mittels eben dieser Vernünftigkeit selbst bestimmt. Bezüglich des zweiten Problems hat Tugendhat sich selbst in eine schwierige Lage gebracht, indem er das epistemische Selbstbewußtsein mit Hilfe einer Interpretation und Korrektur von Wittgenstein weitgehend eliminiert und die Möglichkeit eines nicht-epistemischen bzw. nicht-propositionalen Selbstbewußtseins von vornherein abgewiesen hat. Wittgensteins Kritik an der Möglichkeit einer Privatsprache stellt Tugendhat zufolge letztlich eine Auseinandersetzung mit der dem Solipsismus und dem Realismus gemeinsamen Grundvoraussetzung dar, daß von sich selbst prädizierte Bewußtseinszustände ihre Bedeutung durch den Bezug auf innere Vorgänge erhalten, die in einer inneren Wahrnehmung gegeben sind. ,.Privatsprache« in dem von Tugendhat herausgestellten Sinn bedeutet eine Sprache, in der die Wörter sich auf das beziehen, wovon nur der Sprechende wissen kann, so daß ein Anderer diese Sprache nicht verstehen kann (S. 95). Wittgensteins Problem mit einer solchen Sprache wird von Tugendhat generell als Problem mit der für bedeutendes Sprechen notwendigen Bestimmtheit interpretiert: eine unbeschreibbare, d.h. nicht mit allgemein verständlichen Begriffen auszudrückende Empfindung wäre nicht von anderen Empfindungen zu unterscheiden und sie wäre nicht wiederzuerkennen. Damit aber könnte sie nicht als diese Empfindung bezeichnet werden, und d.h. sie könnte überhaupt nicht als ,.etwas« bezeichnet werden, und sie könnte nicht in der Sprache ausgedrückt werden (S. 96). Wird die Empfindung als ,.Unaussprechbares« bezeichnet, so wird sie eben als ein solches sprachlich zum Ausdruck gebracht und damit bestimmt. Gerade deshalb sieht Tugendhat Wittgenstein als berechtigt an, das Problem des Wissens um ,.innere Zustände« als semantisches Problem zu interpretieren und dieses wiederum als Problem, ob eine Privatsprache möglich ist oder ob alles Sprechen erst dadurch möglich wird, daß es auch von anderen verstanden werden kann. Mit dem Nachweis, daß eine Privatsprache allgemeinen Prinzi-
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pien der sinnvollen Verwendung sprachlicher Ausdrücke widerspricht, wird also auch nachgewiesen, daß eine private Bedeutungskomponente auch bei Beschreibungen eigener Bewußtseinszustände nicht bestehen kann, weil damit diesen Bewußtseinszuständen jene Bestimmtheit fehlen würde, die sie erst identifizierbar und von anderen Bewußtseinszuständen unterscheidbar werden läßt. Wittgensteins positive Auffassung über die Bedeutung von Beschreibungen eigener Bewußtseinszustände bzw. Empfindungen, über die es eine intersubjektive Verständigung geben kann, wird von deren Sich-Zeigen im Verhalten her verstanden. Nur wenn es einen Zusammenhang zwischen einem äußerlich beobachtbaren Verhalten und dem zu beschreibenden Bewußtseinszustand gibt, so kann er intersubjektiv ausgedrückt werden (S. 99). Daraus ergibt sich die These von einem Wesenszusammenhang zwischen Ausdruck der Empfindung und Empfindung: "das Wort, das wir lernen, ist ja ein Empfindungswort, es steht für die Empfindung und nicht für das Verhalten; andererseits lernen wir die Verwendung, d.h. die Bedeutung des Empfindungswortes nur im Zusammenhang mit dem Verhalten." (S. 99) Tugendhat zufolge bestreitet Wittgenstein hier nicht nur die Auffassung der gewöhnlichen Sprache als einer Privatsprache, sondern die Möglichkeit einer Privatsprache überhaupt. Das Problem ist demnach nicht, daß man sich mit einer Privatsprache nicht mit anderen verständigen könnte, "sondern daß man den Namen dann selbst nicht verstehen kann." (S. 103) Er sieht das entscheidende Argument dafür in § 258 der ,.Philosophischen Untersuchungen.. , wo der Nachweis geführt wird, daß bei einer privatsprachlichen Benennung überhaupt nicht die Möglichkeit besteht, dem Zeichen eine Bedeutung zu geben. Diese Möglichkeit besteht deshalb nicht, weil das Zeichen so nicht definiert werden kann. Dies wird jedoch Tugendhat zufolge nicht durch eine generelle Abweisung hinweisender Definitionen begründet (S. 105). Das Problem ist vielmehr, daß bei Prädikationen über innere Zustände keine Verwendung des Wortes ,.dies.. möglich ist, weshalb hier überhaupt nicht identifiziert werden kann. Die Fixierung der Bedeutung eines Empfindungswortes für sich selbst geschieht vielmehr genau auf die gleiche Weise, in der man diese Bedeutung auch einem anderen erklären würde: durch die Korrelation zu beobachtbaren Eigenschaften - die Bedeutung des Wortes wird durch die Korrelation mit äußeren Kriterien festgelegt. Dieser Zusammenhang mit ,.Kriterien.. läßt sich anhand der Auffassung verdeutlichen, daß die Ausdrücke über eigene Bewußtseinszustände im Zusammenhang ihrer Verwendung in Sätzen der 3. Person bzw. im Zusammenhang der von anderen Personen geäußerten Sätze der 1. Person gelernt werden (S. 114). Ein innerer Vorgang bedarf deshalb äußerer Kriterien (Philosophische Untersuchungen § 580). Von Kriterium soll dann die Rede sein, wenn ein Sachverhalt eine nicht induktive, sondern in der Bedeutung - also definitorisch eines anderen Sachverhaltes gründende Evidenz für eben diesen letzteren Sach-
ill. Die Ethik des Selbstbewußtseins als ,.ich« und ,.Ich«
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verhalt ist (S. 115). Ein Satz über einen inneren Zustand bedarf aufgrund seiner Bedeutung - also wesensmäßig - der äußeren Kriterien. Diese Kriterien treten hier in Sätzen über Verhaltensweisen auf, in denen sich der innere Zustand ausdrückt, und diese Sätze können sich gegenseitig entkräften oder bestätigen. Durch seine Erklärung der Sätze über innere Zustände in der Form der 1. Person gelinge Wittgenstein nun die Verteidigung seiner Position gegen den Vorwurf des Behaviorismus. Diese Erklärung muß zwei Anforderungen genügen: zum einen muß daraus verständlich werden können, daß und wie die Verwendung von Prädikaten über innere Zustände in Sätzen der 1. Person und in Sätzen der 3. Person einheitlich gelernt werden kann; zum anderen muß der epistemischen Asymmetrie zwischen diesen Sätzen Rechnung getragen werden (S. 122). Wittgensteins Lösung für dieses Problem besteht wohl darin, daß Sätze über innere Zustände in den Kontext des Verhaltens gestellt werden. Dies aber nicht so, daß der Ausdruck das Kriterium für die Begründung eines solchen Satzes abgibt, sondern indem der Satz in der 1. Person selbst als Ausdruck des Satzes über einen inneren Zustand zu verstehen ist. Der Satz tritt also an die Stelle des natürlichen Ausdrucks für einen inneren Zustand, in seiner Verwendung äußert sich der innere Zustand selbst, nicht eine Erkenntnis oder ein kognitiver Akt betreffend diesen Zustand, es ist ein expressiver und nicht ein kognitiver Satz. Mit dieser These vom expressiven Sinn der Sätze über innere Zustände gelinge es Wittgenstein, sich nicht nur von introspektiven, sondern auch von behavioristischen Bedeutungstheorien abzusetzen. Die entsprechenden Prädikate werden in ihrer Situierung im Verhaltenskontext einheitlich für Sätze der 1. und der 3. Person gelernt; epistemisch jedoch stellt die Verhaltensweise aus der Perspektive des Beobachters das Kriterium für die Verwendung des Prädikats in der 3. Person dar, aus der Perspektive des Handelnden jedoch nur eine Modifikation seiner Verhaltensweise selbst (S. 124f). Einige Probleme bereitet Tugendhat nun die Frage, wie solche expressiven Sätze semantisch zu verstehen sind. Wenn das Wort ,.ich« darin nicht die Funktion eines singulären Terminus hat, so wird das Verständnis der prädikativen Struktur des Satzes problematisch. Ohne prädikative Struktur - also in Analogie zu ungegliederten expressiven Ausdrücken - wäre ein solcher Satz jedoch nicht mehr als Aussage zu verstehen und man könnte ihn nicht als wahr oder falsch bezeichnen. Dann aber gehören sie auch nicht in den Bereich des Wissens und der Gewißheit als eines unmittelbaren Wissens. Tugendhat weist darauf hin, daß Wittgenstein diese Problematik nicht mehr systematisch durchgeführt habe (S. 126). Es scheint etwa nicht klar zu sein, ob Wittgenstein den Sätzen über innere Zustände tatsächlich den Aussagecharakter abspricht. Eindeutiger sieht Tugendhat allerdings Wittgensteins Auffassung, daß bei solchen Sätzen nicht von einem Wissen die Rede sein könne.
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Der ,.Kern des Problems« ist demnach, daß nach Wittgensteins Grundthese sich die Sätze über innere Zustände nicht wesentlich von den unartikulierten Ausrufen unterscheiden: "das läßt' jedoch offen, daß sie sich gleichwohl unterscheiden, und hier werden wir ansetzen müssen." (S. 127) Tugendhats Auflösung der Problematik der Strukturiertheit von Sätzen über innere Zustände im Gegensatz zu expressiven Ausrufen sowie der Tatsache, daß ein Satz im Gegensatz zu expressiven Ausrufen das Wort ,.ich« enthält, setzt nun daran an, daß es für ein Verständnis der Bedeutung eines Satzes nicht genüge, seine Verwendungsweise isoliert zu betrachten, sondern daß man auch berücksichtigen müsse, wie auf den Ausdruck geantwortet werden kann (S. 130). Dadurch unterscheiden sich Sätze über innere Ausdrücke von expressiven Ausrufen: nur auf die ersten kann mit ja/nein bzw. mit ,.wahr,,/,.falsch« geantwortet werden. Von der Seite des in solchen Sätzen verwendeten ,.ich« bedeutet dies, daß der Sprecher "mit diesem einzigartigen singulären Terminus auf sich so Bezug nimmt, daß er sich damit nicht identifiziert, aber weiß, daß derselbe, den er nicht-identifizierend meint, durch andere singuläre Termini ( ... ) identifizierbar ist." (S. 130) Genau dadurch ergibt sich der einzigartige Fall von assertorischen Sätzen, die wahr oder falsch sein können und gleichwohl nicht kognitiv sind. Tugendhat stimmt also Wittgensteins Angleichung der Sätze über innere Zustände an die Ausrufe ,.im wesentlichen" zu, besteht aber auf zwei eng miteinander zusammenhängenden Differenzierungen: (1) "Man darf nicht, weil mit ,.ich« nicht identifiziert wird, so weit gehen zu sagen, daß damit überhaupt nicht eine Person benannt wird, wie es manchmal bei Wittgenstein scheint (vgl. PhU § 410)"; (2) und es gibt wohl den Sonderfall assertorischer und gleichwohl nicht kognitiver Sätze, und wenn Wittgenstein dazu tendierte, den assertorischen Charaker dieser Ausdrücke zu leugnen, so ist dagegen einzuwenden, daß sich beides nicht ausschließt und daß es unserem tatsächlichen Sprachgebrauch widerspricht, wenn man leugnen wollte, daß man von »wahr« und ,.falsch« auch im Zusammenhang mit Sätzen über innere Zustände sprechen kann. Insbesondere würde eine solche Vorstellung einen wesentlichen kommunikativen Aspekt unserer Sprache leugnen, der durch die veritative Symmetrie der Sätze über innere Zustände in der 1. und der 3. Person gegeben ist (S. 132). Es ist schwer zu sehen, wie in eine solchermaßen destruierte Konzeption von Selbstbewußtsein noch ein praktisches und reflektiertes Selbstverhältnis eingeschrieben werden kann. Tugendhat zieht hier Heidegger und Mead heran und scheut nicht davor zurück, Heideggers Begriff der ,.Eigentlichkeit« in einen Existenzvollzug im Modus der Selbstbestimmung zu übersetzen (S. 179 ff, bes. S. 232). Heideggers ,.Zu-Sein« wird in dieser ,.Übersetzung« depotenziert zu ,.Möglichkeiten zu sein« und schließlich zu ,.mögliche Tätigkeiten« (S. 184 ff). Tugendhats praktisches Selbstverhältnis wird hier an einer entscheidenden Stelle
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an das epistemische Selbstbewußtsein angeglichen: beide sind propositional das Selbst verhält sich darin zu einer Proposition. Mit Hilfe von Mead sollen dagegen die bei Heidegger fehlenden Konzepte der Rationalität und vor allem des kommunikativen und intersubjektiven Charakters von Handlungen ergänzt werden (S. 245 ff). Tugendhat entnimmt daraus vor allem den Gedanken des "Mit-sich-redens« als notwendiger Bedingung eines vernünftigen Selbstverständnisses (S. 255 fi), das dann ein "reflektiertes Selbstverhältnis« ist, wenn jenes Reden im Modus der "Überlegung« stattfmdet und damit auf einen "objektiv begründeten Vorzug« ausgerichtet wird, womit das irreduzibel voluntative und subjektive Moment zu einem dezisionistischen Rest an den Rändern der Begründbarkeit wird (S. 295). Ein solches Selbstverhältnis ist dann durch" Verantwortlichkeit« ausgezeichnet. Daß das praktische Selbstverhältnis den "eigentlich relevanten Teil« der Selbstbewußtseinsproblematik ausmachen soll, dies geht demnach nur darauf zurück, daß sich das propositionale Selbstverhältnis in praktischer Rücksicht in Zusammenhänge vernünftig ausweisender Rechtfertigung stellen kann, während dies in theoretischer Rücksicht nicht möglich ist, weil sein assertorischer Charakter den Verzicht auf das Kognitive einschließt und im Expressiven verbleibt. Es verwundert deshalb nicht, daß Tugendhat den auf S. 145 erhobenen Anspruch, das praktische Selbstverhältnis stelle den eigentlich relevanten Teil der Selbstbewußtseinsproblematik dar, bereits auf S. 32 explizit durch den Hinweis dementiert hatte, es handle sich überhaupt nicht um ein einheitliches Phänomen: "Es gibt zwei Phänomene, das epistemische Selbstbewußtsein und das praktische Sichzusichverhalten, und diese fallen nicht unter eine einheitliche Gattung."
IV. Die Logik des Selbstbewußtseins als Grundproblem der ethischen Freiheit Es scheint, wir haben nun ein Problem durch ein anderes ersetzt. Von vornherein muß eine solche Ersetzung allerdings nicht nachteilig sein, vorausgesetzt, das zweite Problem ist leichter zu lösen als das erste. Darüber hinaus haben wir überhaupt keine Wahl, wenn wir an den Ergebnissen festhalten wollen, die besagen, ein empirisches Selbstbewußtsein ist kein sinnvolles Konzept ohne die Inklusion von Elementen eines "reinen« Selbstbewußtseins. Folglich muß sich die Untersuchung nun der Frage zuwenden, ob und unter welchen Bedingungen ein "reines« Selbstbewußtsein selbst ein sinnvolles Konzept darstellt. Auch wenn wir die Frage außer Acht lassen, ob
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ein solches Bewußtsein in irgendeiner Hinsicht als ..wirklich« gedacht werden kann, so stellen sich doch unmittelbar ernste Fragen bezüglich seiner logischen Struktur. Ein Selbstbewußtsein kann dann ..rein« genannt werden, wenn es ein Selbst bezeichnet, das sich auf sich selbst bezieht, ohne irgendeine Bestimmung des gewußten Selbstes außer durch das wissende Selbst vorauszusetzen. Damit wird der Begriff eines Selbstbewußtseins vollständig erfüllt - jede extern gegebene Detennination dagegen würde die Identität des gewußten Selbstes mit dem wissenden Selbst negieren. Gerade diese interne Struktur aber gefährdet die interne Logik des Konzepts und läßt es zweifelhaft erscheinen, daß es sich hier überhaupt um ein sinnvolles Konzept handeln könne. Das Problem ist also grundsätzlich, ob ein solches Konzept eine Bestimmtheit enthalten kann, die es zu einem möglichen Gegenstand begrifflichen Denkens macht. Der Gehalt dieses Konzepts stellt dies von vornherein in Frage und läßt den Verdacht aufkommen, daß es grundsätzlich jede Bestimmtheit ausschließen muß. 23 Es ist bereits deutlich geworden, daß das gewußte Selbst in der Struktur des Selbstbewußtseins nicht anders bestimmt sein kann als das wissende Selbst. Dies stellt im Grunde lediglich eine Voraussetzung für einen Bezug auf sich selbst und nicht auf etwas anderes dar. Wenn das Selbstbewußtsein jedoch in einem strikten Sinn aufgefaßt wird, so kann auch das wissende Selbst kein Objekt sein, das für sich selbst bestimmt wäre und damit unabhängig von seinem Charakter gerade als wissendes Selbst in der Struktur des Selbstbewußtseins - so könnte es gerade nicht die Bedingung der Identität des wissenden und des gewußten Selbstes erfüllen. Da das gewußte Selbst sich nicht vom wissenden Selbst unterscheiden kann, würde jede externe Detennination des wissenden Selbstes ausschließen, daß das Selbst sich tatsächlich auf sich selbst bezieht. Folglich übertragen sich die Anforderungen an eine Bestimmung des gewußten Selbstes notwendig auf das wissende Selbst. Also kann weder das wissende noch das gewußte Selbst eine Bestimmtheit besitzen, die unabhängig davon ist, daß es sich um das wissende bzw. das gewußte Selbst eines Selbstbewußtseins handelt. Das Ergebnis lautet deshalb mit Bezug auf die Struktur eines Bewußtseins von sich im genuinen Sinn, daß weder das wissende
23 Ähnlich weist K. Gloy darauf hin, daß das Selbstbewußtsein redundant ist, wenn es eine Kenntnis von sich selbst besitzt, während die Identifikation von Subjekt- und Objekt-Selbst unmöglich wird, wenn es über eine solche Kenntnis verfügt. Vgl. Selbstbewußtsein als Prinzip des neuzeitlichen Selbstverständnisses. Seine Grundstruktur und seine Schwierigkeiten, in: Fichte-Studien 1/1990, S. 41-72.
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noch das gewußte Selbst bestimmt werden kann außer als Teil der genuinen Struktur eines Selbstbewußtseins. Aber genügt dies bereits, um der Struktur eines Selbstbewußtseins insgesamt eine Bestimmtheit zu geben, die es als vernünftiges Konzept auszeichnen kann? Wir haben nun drei Identitätsverhältnisse: (1) zwischen wissendem Selbst und gewußtem Selbst, (2) zwischen der Struktur eines Selbstbewußtseins und dem wissenden Selbst, (3) zwischen der Struktur eines Selbstbewußtseins und dem gewußten Selbst. Demnach ist die einzige Bestimmtheit, die in ein Selbstbewußtsein eingehen kann, eben die reine Struktur des Selbstbewußtseins. Kann diese Struktur eine Bestimmtheit repräsentieren, die ausreicht, um jenes Konzept sinnvoll verwenden zu können, oder unterscheidet sich ihr Gehalt signifikant von allem, was von anderen Konzepten gilt - und wenn ja, wie? Dieses Konzept gewinnt den Bezug zu dem mit ihm Bezeichneten durch eine Bestimmtheit, die sowohl eine spezifische Unterscheidung innerhalb einer Identität als auch die besondere Form dieser Unterscheidung angibt. Man könnte nun einwenden, daß genau diese Form jene Unterscheidung dementiert, und daß folglich das Konzept einen Widerspruch enthält, der es nicht erlaubt, sinnvoll mit ihm umzugehen. Die Form fordert, daß sowohl das wissende als auch das gewußte Selbst nicht nur mit ihrem jeweiligen Gegenüber, sondern auch mit der Struktur des Selbstbewußtseins identisch ist. Die letztere wiederum besteht aus nichts anderem als eben jener Identitätsrelation, in der sich die Bestimmtheit der Relata erschöpft. Es stellt sich die Frage, ob ein Konzept, das bezeichnet, indem es ein Verhältnis angibt, das identisch mit seinen Relata ist, und dessen Relata keinerlei Bestimmtheit jenseits dieses Verhältnisses enthalten können, ausreichend bestimmt ist, um überhaupt als ein sinnvolles Konzept gelten zu können. Es könnte scheinen, daß die spezifische Form der Unterscheidung zwischen zwei Relata im Selbstverhältnis eines Selbstbewußtseins gerade aufgrund der Form dieses Verhältnisses nicht sinnvoll gedacht werden könnte. Demzufolge gibt es gute Gründe zu zweifeln, daß das Selbstbewußtsein ein vernünftig explizierbares Konzept mit einer ausreichenden Bestimmtheit darstellt. Es erinnert im Gegenteil geradezu an einen begrifflichen Selbstwiderspruch. Vermieden werden könnte diese innere Widersprüchlichkeit offensichtlich nur durch die Einführung einer externen Bestimmtheit in das Selbst, das in der Struktur des Selbstbewußtseins sowohl die Stelle des Objekts als auch diejenige des Subjekts einnimmt. Genau dies aber würde die Relation dementieren, die jenes Konzept kennzeichnet: die Identität zwischen wissendem und
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gewußtem Selbst und folglich die ausschließliche Bestimmtheit des gewußten Selbst als wissendes Selbst und die ausschließliche Bestimmtheit des wissenden Selbst als gewußtes Selbst. Die besondere Schwierigkeit mit dem Selbstbewußtsein ergibt sich also daraus, daß eine Bestimmtheit, die ausschließlich aus der Struktur eines Bewußtseins von sich selbst besteht, nicht ausreichend ist, um angeben zu können, was dieses Konzept eigentlich bedeutet. Demnach liegt der Gedanke nahe, das Konzept des Selbstbewußtseins sei nicht fähig, sich überhaupt auf etwas Denkbares zu beziehen. Führt dies jedoch notwendig zu dem Schluß, von einem Bewußtsein von sich selbst könne nicht sinnvoll die Rede sein - jedenfalls im strikten Sinne und über eine metaphorische Verwendung des Begriffes hinaus? Offensichtlich ist diese Konsequenz unvermeidlich, wenn es nicht gelingt, das Konzept des Selbstbewußtseins auf vernünftiger Grundlage verständlich zu machen, indem der fundamentale begriffliche Widerspruch, den es augenscheinlich enthält, aufgelöst wird. Aus den bisherigen Überlegungen hatte sich jedoch ergeben, daß das Konzept eines ,.reinen« Selbstbewußtseins für die Aufklärung des empirischen Selbstbewußtseins notwendig ist, das wiederum unverzichtbar ist, um grundlegende Phänomene wie ethische Freiheit und Personalität oder die Differenz zwischen Selbstzuschreibungen und Beschreibungen anderer Personen aufklären zu können. Wenn mit dem Konzept des ,.reinen« Selbstbewußtseins also das fundamentale und kaum in Zweifel zu ziehende Phänomen des empirischen Bewußtseins von sich selbst auf dem Spiele steht, so dürfte allein dies einigen Aufwand rechtfertigen, um eine Lösung zu fmden, mit deren Hilfe ein ,.reines« Selbstbewußtsein als sinnvolles Konzept gedacht werden kann. Eine solche Aufgabe kann offenbar nur dann gelöst werden, wenn sowohl für das wissende als auch für das gewußte Selbst eine Form von Bestimmtheit gefunden werden kann, die einerseits ausreicht, um dem Konzept einen verstehbaren Sinn zu verschaffen, und die andererseits doch nicht die fundamentale interne Struktur eines Selbstbewußtseins verletzt. Schon durch den Status einer solchen Erklärung würde sich jedoch das Konzept des Selbstbewußtseins verändern. Dies ist solange unschädlich, als diese Veränderung auf eine Ergänzung beschränkt werden kann, die die originale Bedeutung unberührt läßt, sie jedoch nichtsdestoweniger zu einem haltbaren und verständlichen Konzept vervollständigt. Nach den bisherigen Überlegungen muß eine solche Vervollständigung den folgenden Bedingungen genügen. Sie muß erstens eine Bestimmtheit in das
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Selbstbewußtsein einführen, die nicht nur eine Umformulierung der Struktur des Bewußtseins von sich selbst darstellt. Nun kann diese Struktur jedoch nicht geändert werden, ohne das Konzept als solches aufzugeben. Jene Vervollständigung kann sich deshalb nur auf das Selbst beziehen, das zugleich wissendes und gewußtes Selbst ist. Zweitens darf die gesuchte Bestimmtheit keinen Widerspruch zu der fundamentalen Identität des Selbst in der wissenden und der gewußten Position erzeugen. Drittens schließlich kann diese Bestimmtheit aus keiner anderen Quelle als eben dem Selbst stammen. Wir könnten diese Anforderungen demnach so zusammenfassen: um dem Selbstbewußtsein den Status eines sinnvollen und verständlichen Konzepts zu verschaffen, ist eine Bestimmungsform notwendig, die sowohl unabhängig vom Selbst als auch identisch mit dem Selbst ist, die also dem Selbst nicht zur Disposition steht und ihre Herkunft doch nur in dem hat, was ihm bloß als Selbst zukommt. Eine Konzeption des Selbstbewußtseins, die diesen Anforderungen genügen kann, ist offensichtlich nicht ohne weiteres verfügbar. Wiederum scheint es, als ob die Strategie, das fundamentale Problem des empirischen Selbstbewußtseins mit Hilfe des Konzepts eines »reinen« Selbstbewußtseins zu lösen, in eine Sackgasse führt. Aber auf diesem Weg wurde die scheinbar so einfache und doch so komplizierte Struktur eines Bewußtseins von sich selbst verdeutlicht, und es haben sich die Bedingungen gezeigt, die eine sinnvolle und verständliche Konzeption eines Selbstbewußtseins erfüllen muß. Damit läßt sich der Weg aus jener Sackgasse finden, in die das scheinbar so selbstverständliche Konzept eines empirischen Selbstbewußtseins führt, wenn philosophisch von seiner Struktur Rechenschaft gegeben werden soll. Schließlich sollte nicht übersehen werden, daß die Untersuchung der Struktur eines »reinen« Selbstbewußtseins zwar nicht zu einer Lösung führt und insofern aporetisch bleibt, daß diese Aporie aber doch auch einen positiven Gehalt besitzt: sie gibt die Bedingungen an, bei deren Erfüllung allein der Weg aus ihr gefunden werden kann. In diesem Sinne gibt gerade die vermeintliche Sackgasse die Richtung an, die für eine weitere Aufklärung der Struktur des Selbstbewußtseins - und damit auch des empirischen Bewußtseins von sich selbst - eingeschlagen werden muß. Die nachstehenden Erörterungen zu Kant, Fichte, Schelling und Hegel folgen dieser Richtung unter dem speziellen Aspekt der Bedeutung des Ethischen für die Struktur des Selbstbewußtseins.
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B. Die ethische Freiheit des Individuums: Kants Theorie ethischer Verbindlichkeit Obwohl mittlerweile bekannt ist, auf welche Schwierigkeiten die Suche nach Maßstäben des Tuns und Lassens bei Kant stößt, bildet seine Ausarbeitung einer deontischen Ethik doch den Ausgangspunkt aller modemen Versuche, auf vernünftig begründeten Wegen ein Wissen um das richtige Handeln zu erlangen. Ob dieses Desiderat jedoch im Zentrum der argumentativen Intentionen seiner Moralphilosophie steht, scheint prima facie fraglich, wenn Kant versichert, daß es "keiner Wissenschaft und Philosophie bedürfe, um zu wissen, was man zu thun habe, um ehrlich und gut, ja sogar um weise und tugendhaft zu sein" (G 404).1 Es könnte darüber hinaus scheinen, als ob der philosophische Diskurs hier geradezu seine Aufgabe verfehle, wenn der »gemeine Verstand« "beinahe noch sicherer" in der Bestimmung des Wertes der Handlungen ist als der Philosoph, "weil dieser doch kein anderes Princip als jener haben, sein Urtheil aber durch eine Menge fremder, nicht zur Sache gehöriger Erwägungen leicht verwirren und von der geraden Richtung abweichend machen kann" (G 404). Wenn der Philosoph jedoch seine Unfähigkeit eingesteht, in moralischen Fragen "etwas Neues zu lehren" (G 404), denn dies hieße behaupten, "als ob vor ihm die Welt, in dem was Pflicht sei, unwissend oder in durchgängigem Irrthume gewesen wäre" (KpV 8 Anm.), so darf dieser Gestus der Bescheidenheit doch nicht den Blick auf den argumentativen Anspruch der Kantischen Moralphilosophie verstellen. Zum einen beschränkt sich die Aufgabe der philosophischen Ethik nicht darauf, der Vorschrift der »unschuldigen Weisheit« "Eingang und Dauerhaftigkeit zu verschaffen" (G 405) und dadurch die "Zweideutigkeit" einer ,.natürlichen Dialektik« abzuwehren, worunter der Hang zu verstehen ist, "wider I Kants Werke werden nach der Akademieausgabe zitiert; die Kritik der reinen Vernunft jedoch wie üblich nach der 2. Originalausgabe (=B); Abkürzungen: G = Grundlegung zur Metaphysik der Sitten (= AA Bd.IV), KpV = Kritik der praktischen Vernunft (= AA Bd. V), MdS = Metaphysik der Sitten (= AA Bd. VI). Im folgenden Kapitel wird ein Text verwendet, der unter dem Titel: "Das Gesetz der Freiheit. Zu Kants Theorie ethischer Verbindlichkeit" veröffentlicht wurde in: Perspektiven der Philosophie, 20/1994, S. 129-153.
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jene strenge Gesetze der Pflicht zu vernünfteIn und ihre Gültigkeit, wenigstens ihre Reinigkeit und Strenge in Zweifel zu ziehen und sie wo möglich unsern Wünschen und Neigungen angemessener zu machen" (G 405), sondern beansprucht darüber hinaus, die Sittlichkeit der gemeinen Menschenvernunft auf ihr eigenes Prinzip aufmerksam machen zu können (G 404) und es in eine Formel zu bringen, die das, was zu tun sei, "ganz genau bestimmt und nicht verfehlen läßt", was keineswegs "für etwas Unbedeutendes und Entbehrliches" gehalten werden solle (KpV 8 Anm.).2 Zum anderen aber entwickelt die Kantische Moralphilosophie einen Zusammenhang, der das Phänomen der ethischen Verbindlichkeit in einen bedeutend weiteren Rahmen stellt und ihm daraus möglicherweise Begründung, zumindest aber Aufklärung über seinen Status verschafft. Wir werden im folgenden hauptsächlich in diesen Argumentationsbestand nachzuforschen suchen und in dieser Absicht in das nähere Verhältnis von Sollen, Freiheit und InteIligibilität vordringen müssen. Mit dieser Aufklärung wird jedoch auch Licht auf jenes Theorem fallen, mit dem das Kantische Unternehmen den Anforderungen nachzukommen sucht, die das handelnde Subjekt berechtigterweise an eine philosophische Ethik stellt: anzugeben, was es heißen könnte, moralisch richtig zu handeln.
I. Der Wille und das Gute Die argumentative Modernität der Kantischen Ethik läßt zu leicht vergessen, daß sie bei einem durchaus traditionellen Problem ansetzt und erst im Versuch seiner angemessenen Bearbeitung zu ihren eigenen Resultaten kommt. In gewisser Weise können Kants moralische Argumentationen als Explikation jenes Satzes gelesen werden, mit dem die »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«3 anhebt: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben
2 Vgl. dazu M.Riedel, Kritik der moralisch urteilenden Vernunft. Kants vorkritische Ethik und die Idee einer »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten", in: ders., Urteilskraft und Vernunft. Kants ursprüngliche Fragestellung, FrankfurtlMain 1989, S. 61-97.
3 Zur Diskussion des Zusammenhangs dieses Werkes vgl. die Beiträge in O.Höffe, Hrsg., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, FrankfurtlMain 1993; sowie I.Freudiger, Kants Begründung der praktischen Philosophie. Systematische Stellung, Methode und Argumentationsstruktur der «Grundlegung zur Metaphysik der Sitten», (Berner Reihe philosophischer Studien, 14), Bern u.a. 1993; und F.Kaulbach, Immanuel Kants «Grundlegung zur Metaphysik der Sitten». Interpretation und Kommentar, Darmstadt 1988.
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B. Die ethische Freiheit des Individuums
zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille" (G 393). Dem Willen kann das Prädikat »... ist gut« nun auf eine Weise zugeschrieben werden, die ihn von allen anderen Kandidaten spezifisch unterscheidet. Die »Eigenschaften des Temperaments«, die» Talente des Geistes« und die »Glücksgaben« können nämlich selbst als gute nicht »gut«, d.h. ,.böse" sein (vgl. G 393). Offensichtlich macht Kant hier Gebrauch von der Doppeldeutigkeit des Prädikats »gut«; jene Attribute können vollständig ihren Begriff erfüllen und in dieser Hinsicht gut genannt werden, obwohl sie unter moralischen Aspekten gerade deshalb nicht gut heißen können, wenn sie zu entsprechenden Folgen Anlaß geben. Im Falle des Willens jedoch können diese beiden Verwendungsweisen von »gut" nicht auseinanderfallen. Dem Willen als "Aufbietung aller Mittel, so weit sie in unserer Gewalt sind" (G 394), können die Folgen der daraus entstandenen Veränderungen in der Außenwelt als Willen nicht zugerechnet werden, da diese nicht mehr in unserer Gewalt stehen. Ein Wille, der ganz seinem Begriff entspricht und in diesem Sinne gut heißen kann, kann folglich auch in moralischem Sinne gut genannt werden. Wegen dieser Identität steht keine Hinsicht mehr zur Verfügung, unter der einem guten Willen die Güte noch abgesprochen werden könnte. Die Argumentationsstruktur der »Grundlegung« kann deshalb als Explikation und Nachweis dieser ausgezeichneten Identität des Guten im Falle des Willens verstanden werden. 4 Nun untersucht Kant jedoch nicht den Begriff des Willens, um zu seinen Ergebnissen zu gelangen, sondern führt den Begriff der Pflicht ein, um mit dessen Hilfe erst den Begriff eines in sich guten Willens zu entwickeln. Der Ausdruck »Pflicht« bezeichnet nun einen guten Willen "unter gewissen subjectiven Einschränkungen und Hindernissen", die gerade die Möglichkeit geben, diesen Begriff" durch Abstechung heben und desto heller hervorscheinen . lassen" zu können (G 397). In dem Pflichtbegriff finden wir also das, was an sich gut sein kann, unter menschlichen Bedingungen wieder, so daß dem reinen Willen nun die Endlichkeit integriert ist. Es wird sich zeigen, daß diese Beschränkung für die Argumentationsstruktur der Kantischen Ethik von entscheidender Bedeutung ist; obwohl auch der Anschluß an den »gemeinen Gebrauch unserer praktischen Vernunft« die Verwendung des Pflichtbegriffs motiviert, so ist dies doch nicht allein ausschlaggebend. Wir könnten an dieser
4 Vgl. zu den weiteren Kontexten dieses Willensbegriffs A.Dorschel, Die idealistische Kritik des Willens. Versuch über die Theorie der praktischen Subjektivität bei Kant und Hegel, Hamburg 1992.
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Stelle für "Pflicht« auch den moderneren Ausdruck "Verbindlichkeit« gebrauchen, da hier noch nicht von der genuin Kantischen Bestimmung dieses Terminus die Rede ist, sondern nur von dem Phänomen, dessen Analyse diesen Begriff erst legitimiert einführen soll. In diesem Sinne findet der Zusammenhang von Pflicht und reinem Willen seine Begründung erst durch das Ergebnis der Kantischen Argumentation. Deren Aufgabe hat sich nun so bestimmt: es ist aus dem Begriff der moralischen Verbindlichkeit die Bedingungsstruktur zu entwickeln, die ein solcher Begriff durch sich selbst erfordert. Zunächst kann ein Wille, der an sich gut ist, offensichtlich nicht durch externe BestimmungsgTÜnde bedingt sein, die als solche schon seine Güte in Zweifel stellen könnten. Folglich kann ein Gesetz, das einen reinen Willen beschreibt, nicht hypothetisch verfaßt sein, weswegen problematisch- und assertorisch-praktische Prinzipien von vornherein nicht als Kandidaten für seine Explikation in Frage kommen. S Kant nennt das Gesetz eines reinen Willens deshalb "kategorisch« und führt damit eine folgenreiche Bestimmung ein. Ein solches Gesetz - das aus noch näher zu bestimmenden Gründen als "Imperativ« bezeichnet wird - stellt nämlich die gewollte Handlung als für sich selbst und ohne Beziehung auf einen anderen Zweck, folglich als "objectiv-nothwendig" vor (G 414). Weil dieses Gesetz unabhängig von willenstranszendierenden Determinanten formuliert werden muß, deshalb darf es keinerlei Bezug auf die "Materie« der gewollten Handlung nehmen. Wenn dennoch eine Bestimmtheit ausgearbeitet werden soll, die es erst zum Gesetz qualifiziert, so kann sie folglich nur der bloßen Form entnommen werden. 6 Mit Hilfe dieser Determinanten der Gesetzlichkeit eines reinen Willens unternimmt Kant nun den Versuch, lediglich aus dem Begriff eines solchen kategorischen ,.Imperativs« auch dessen Formel auszuarbeiten: "Denke ich mir aber einen kategorischen Imperativ, so weiß ich sofort, was er enthalte" (G 420). Daß ein solches Gesetz schon deshalb formuliert werden muß, um überhaupt von einem an sich guten Willen sprechen zu können, ergibt sich aus den bis jetzt entwickelten Elementen. Wenn der Wille nämlich als ein Vermögen gedacht wird, "der Vorstellung gewisser Gesetze gemäß sich selbst
S Vgl. dazu H. Wagner, Kants Konzept von hypothetischen Imperativen, in: Kant-Studien 85/1994, S. 78-84.
6 Vgl. dazu F.Schroeter, Kants Theorie der fonnalen Bestimmung des Willens, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 47/1993, S. 388-407.
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zum Handeln zu bestimmen" (G 427), so kann sein Begriff bei aller Abstraktion von externen und materiellen Bestimmungen doch nicht ohne Zuhilfenahme einer internen Allgemeinheit angegeben werden. 1 Daß der Begriff eines Willens die Möglichkeit voraussetzt, durch bloße Vorstellungen Ursache von der Wirklichkeit der Gegenstände dieser Vorstellungen zu werden (KpV 15 Anm.), schließt sich unmittelbar an das alltags sprachliche Verständnis an. Wenn solche Vorstellungen im Falle eines reinen Willens nun keinerlei materielle Determination enthalten können, also auch nicht aus der eigenen Vorstellungsproduktion des Subjekts, so kann hier nur eine Form als Ursache der Wirklichkeit ihres Gegenstandes dienen. Eine Form, die weder intern noch extern einer gegenständlichen Bestimmtheit entnommen werden kann, dennoch aber als Vorstellung bestimmend wirkt, muß sich folglich als Form der Gesetzlichkeit darstellen. 8 Wenn ein reiner Wille sich nun dadurch auszeichnet, daß seine Gesetzlichkeit sich ohne jeden Bezug auf eine bedingende Materie formulieren lassen muß, so kann sein Gesetz, weil es keine Bedingung enthält, auf die es eingeschränkt ist, nur die Allgemeinheit eines Gesetzes überhaupt ausdrucken (G 421). 9 Damit ist aber bereits die allgemeine Formel des kategorischen Imperativs erreicht: ,.rein wollen.. heißt das Begehrungsvermögen nur durch eine solche Maxime bestimmen zu !lassen, "durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" (G 421). Der kategorische Imperativ mit seiner Allgemeinheitsforderung erweist sich demzufolge als Explikation des ,.Gegenstandes.. , von dem sich eingangs gezeigt hatte, daß nur auf ihn das Prädikat ,.gut.. im vollen und eigentlichen Sinn angewandt werden kann. Daß dieses Gesetz eines reinen Willens als Imperativ formuliert wird, ergibt sich wiederum aus der Notwendigkeit, die Endlichkeit und Bedingtheit des menschlichen Wollens in die Theorie aufzunehmen. Für einen Willen, der nicht
7 Die Allgemeinheit der Maxime kann dafür noch nicht ausreichen, da die Maxime der Verfügung des Subjekts unterworfen bleibt, das sich darin nicht durch die Universalisierungsleistung unabhängig von sich selbst macht; vgl. dazu generell U.Thurnherr, Die Ästhetik der Existenz. Über den Begriffder Maxime und die Bildung von Maximen bei Kant (Basler Studien zur Philosophie, 5), TübingenlBasel1994.
a Vgl. dazu etwa Reflexion 6639: "Die cathegorische (obiective) necessitas freyer Handlungen ist die nothwendigkeit nach gesetzen des reinen Willens." (AA Bd. 19) 9 Vgl. J.Aul, Aspekte des Universalisierungspostulats in Kants Ethik, in: Neue Hefte für Philosophie 22/1983, S. 62-94; sowie I.Craemer-Ruegenberg. Logische und andere Eigenschaften des kategorischen Imperativs. in: Neue Hefte für Philosophie 22/1983. S.45-61.
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rein ist, sondern auch durch sinnliche Antriebe bewegt werden kann, stellt sich das Gesetz des reinen Willens nicht als Beschreibung einer Wirklichkeit, sondern als Gebot dar. Nur in dieser Form aber kann es für Menschen überhaupt Bedeutung gewinnen, da der Begriff eines »heiligen Willens« (G 439) zwar möglich ist, in Bezug auf Wirklichkeit jedoch »überschwenglich« bleibt. Daraus ergibt sich bereits ein erster Hinweis auf den Status moralischer Verbindlichkeit. Wenn das Sollen sich nur aus der Differenz zwischen dem reinen, vollkommenen Willen und dem menschlichen, durch sinnliche Antriebe affizierten Willen erzeugt, so ist sein Gegenstand im Grunde der reine Wille als solcher, der in endlichen Verhältnissen nur als Sollen auftritt. Daß wir moralisch verbindlich sind, ergäbe sich demzufolge aus dem Faktum des Willens, sofern er rein von empirischen Antrieben gedacht wird, und d.h. sofern er den Begriff eines Willens rein und vollkommen erfüllt. Daß Kant einen solchen Zusammenhang im Auge hatte, ließe sich durch zahllose Stellen belegen, nur als Beispiel sei genannt: der kategorische Imperativ sagt, "ich soll so oder so handeln, ob ich gleich nichts anderes wollte" (G 441), so daß der schlechterdings gute Wille zum Prinzip einen kategorischen Imperativ hat, der bloß die »Form des Wollens« enthält (G 444); das Sollen ist deshalb eigentlich ein Wollen, "das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre" (G 449). Offensichtlich kann dieser Zusammenhang jedoch nicht ohne weitere Explikationen befriedigend darstellen, welchen Begründungsstatus das Phänomen moralischer Verbindlichkeit durch ihn gewinnt. Kant war sich dieser Lage wohl bewußt, wenn er nach Ausarbeitung des kategorischen Imperativs darauf hinweist, es sei bis jetzt noch nicht bewiesen, daß das Gebot der Sittlichkeit wirklich stattfinde, und es sei fraglich, ob es dieses Gesetz wirklich gebe (G 425). Folglich muß nun zum Gegenstand der Untersuchung werden, ob der Imperativ der Sittlichkeit ein notwendiges Gesetz für alle vernünftigen Wesen ist, und d.h.: ob er apriori schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens verbunden ist (G 426). Zunächst könnte es scheinen, als ob der letztere Zusammenhang bereits hergestellt wäre; was die Ableitung betrifft, ist dies auch der Fall, es wird sich jedoch zeigen, daß sie eine Prämisse in Anspruch nimmt, die selbst auf genuine Weise der Explikation bedarf. Wir versuchen uns der genaueren Explikation des zunächst nur angedeuteten Zusammenhanges zu nähern, indem wir zunächst noch weiter in die Erörterung jener Formel vordringen, die sich als Gesetz eines reinen Willens, d.h. dessen,
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was im eigentlichen Sinne gut genannt werden kann, ergeben hat. Auf der Grundlage der allgemeinen Formel des kategorischen Imperativs entwickelt Kant nämlich alternative Formulierungen, die zwar das gleiche ausdrücken sollen, aber doch andere Aspekte hervorheben. Uns interessiert dabei insbesondere die sogenannte ,.Selbstzweckformel«, die den kategorischen Imperativ so reformuliert, daß die Frage nach seiner Verbindlichkeit - und d.h. nach moralischer Verbindlichkeit überhaupt - zwar nicht aufgelöst, aber doch näher an eine mögliche Antwort herangeführt wird. Wenn der Wille allgemein ein Vermögen ist, sich durch Vorstellungen zum Handeln zu bestimmen, so ist er offensichtlich mit dem Begriff des Zweckes verschwistert, der das ausdrückt, was dem Willen zum objektiven Grund seiner Selbstbestimmung dient (G 427). Nach den bisherigen Explikationen des reinen Willens kann ein solcher Zweck nun weder der externen noch der internen Objektivität des Subjekts entnommen werden. Alle ,.materialen« Zwecke könnten wegen ihrer Relativität nur Grund hypothetischer Imperative sein. Die Begründung des kategorischen Imperativs muß also im reinen Willen auf einen Zweck rekurrieren können, der absolut ist. Daraus folgt: nur wenn es etwas gibt, "dessen Dasein an sich selbst einen absoluten Werth hat, was als Zweck an sich selbst ein Grund bestimmter Gesetze sein könnte, so würde in ihm und nur in ihm allein der Grund eines möglichen kategorischen Imperativs, d. i. praktischen Gesetzes, liegen" (G 428). Nun trifft diese Beschreibung aber nur auf die ,.Person« zu: "der Mensch und überhaupt jedes vernünftige Wesen existirt als Zweck an sich selbst" (G 428).10 Deshalb kann das Gesetz des reinen Willens nun auch mit Hilfe der Selbstzweckhaftigkeit des vernünftigen Wesens formuliert werden und lautet in imperativischer Form: "Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchst" (G 429). Nun kann darin nicht eine neue, eigenständig zu begründende Sollensforderung liegen. Der Zusammenhang mit der allgemeinen Formel muß deshalb mit Hilfe eines analytischen Urteils hergestellt werden können, so daß nicht die ,.Menschheit« als ein besonderes Objekt des Begehrungsvermögens ein Verhalten nach einer Maxime fordert, die dem Gesetz des reinen Willens entspricht, sondern ein Verhalten gemäß der Form der Gesetzmäßigkeit eo ipso
10 Vgl. näher W.P.Mendonra, Die Person als Zweck an sich selbst, in: Kant-Studien 84/1993, S. 167-184; zum Horizont des Problems der Aufriß von L.Honnefelder, Der Streit um die Person in der Ethik, in: Philosophisches Jahrbuch 100/1993, S. 246-265.
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Bezug auf ein Dasein nimmt, das an sich selbst Zweck ist. Der Ausdruck ,.Menschheit" in der neuen Formel hat folglich keine andere Bedeutung als die Selbstzweckhaftigkeit selbst. Aufgrund dessen differiert diese Formel nicht von der ersten, die nur die Allgemeinheit selbst ausdrückt: diese Allgemeinheit ist mit jener Selbstzweckhaftigkeit identisch, weil beide nichts anderes als die interne reine Gesetzlichkeit formulieren, die allein in der Lage ist, einen reinen Willen zu bestimmen, der von nichts außer sich selbst abhängig sein kann. Dennoch sind wir damit der Bestimmung des Zusammenhanges ein Stück näher gekommen, aus dem die moralische Verbindlichkeit ihren Status gewinnt. Moralisch handeln, d.h. seine Maximen nach dem kategorischen Imperativ als dem Sittengesetz auszurichten, heißt offensichtlich nicht nur, sich als ein rein wollendes Wesen zu erweisen, sondern auch als ein Subjekt, das durch die Fähigkeit ausgezeichnet ist, sich selbst Zwecke setzen zu können. Es steht damit in einem Verhältnis der Autonomie zu sich selbst und unterscheidet sich deshalb radikal von allen Wesen, die nur der Naturgesetzlichkeit unterworfen sindY Wenn die Reflexivität des Willens (vgl. G 427) somit den reinen Willen kennzeichnet, dem allein im eigentlichen Sinne das Prädikat »gut« zugesprochen werden kann, so ist die moralische Verbindlichkeit als solche und in ihrer imperativischen Formel nun auf ein Selbstverhältnis bezogen, dessen Untersuchung uns unter dem Namen der »Freiheit" weiter in das Kantische Begründungsverfahren auf dem Felde der Ethik führt. Eine ausreichende Begründung für das Phänomen der Verpflichtung und ihrer kategorischimperativischen Form ist nämlich auch jetzt noch nicht entwickelt; da die Selbstzweckformel mit der allgemeinen Formel dem Sinne nach identisch ist, war das auch nicht anders zu erwarten. Was bisher bewiesen wurde, ist deshalb nur dies: wenn ein Gebot der Sittlichkeit besteht, dann muß es der ausgearbeiteten Form des kategorischen Imperativs entsprechen. Wir haben bisher den Begriff des ,.vernünftigen Willens" zu vermeiden gesucht, um nicht den Eindruck zu erwecken, es handle sich um eine Art der
11 Es mag sein, daß die Selbstzweckformel kein ,.Kriterium" für die Beurteilung von Maximen darstellen könne, weil wir zur Anwendung bereits über ein Kriterium verfügen müßten - wenn denn die Formel verlangen würde, anderer Menschen faktische Zwecke zu fördern (vgl. etwa G. Prauss, Kant über Freiheit als Autonomie, FrankfurtlMain 1983, S. 142; J.E.Atwell, Ends and Principles in Kant's Moral Thought, Dordrecht 1986, S. 116 ft). Aber die Formel fordert nur, sich in ein Verhältnis zum anderen als Zweck an sich selbst zu setzen, also. zu ihm in der unverfügbaren Freiheit seines Selbstverhältnisses .
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Gattung Wille, die durch die differentia specifica »vernünftig« von ihrem genus proximum unterschieden werden und in dieser Bestimmtheit die Grundlage des kategorischen Imperativs bilden könne. In der Tat definiert sich der Wille eines vernünftigen Wesens aber durch jene Explikation des reinen Willens, die wir bis jetzt mit Kant durchgeführt haben. Es handelt sich also um einen Willen, der keiner Fremdbestimmung und keiner Relativität unterliegt, der folglich seine Gesetzmäßigkeit nur in sich hat und sich damit in der Form der Selbstzweckhaftigkeit von der Natur unterscheidet. Deshalb scheint mit der Entwicklung des kategorischen Imperativs als Formel des Sittengesetzes auch bereits bestimmt zu sein, was der Fall ist, wetm die Vernunft allein die Maximen der Handlungen bestimmt. Dennoch behauptet Kant, mit der Frage, ob der Imperativ der Sittlichkeit apriori schon mit dem Willen eines vernünftigen Wesens verbunden sei, überschreite die ethische Reflexion die Explikation des guten Willens und begebe sich auf das Gebiet einer Metaphysik der Sitten (vgl. G 426 und 431). Das Ergebnis der Kantischen Argumentation lautet also bis jetzt: der Wille ist schlechterdings gut, "dessen Maxime, wenn sie zu einem allgemeinen Gesetze gemacht wird, sich selbst niemals widerstreiten kann" (G 437); moralische Verbindlichkeit heißt demzufolge "Abhängigkeit eines nicht schlechterdings guten Willens vom Princip der Autonomie" (G 439). Wir könnten dies pointiert so zusammenfassen: ein Wesen, das die Fähigkeit des Wollens im vollen und ganzen Sinne besitzt, dennoch aber endlich und sinnlich affiziert bleibt, ist eo ipso moralisch verbindlich und kann das erstere nur durch das letztere explizieren. 12 Diese These wäre für sich genommen bereits interessant genug, um eine stärkere Beachtung für Kants Erwägungen in der neueren ethischen Grundlagendiskussion zu legitimieren. Das Argument ist damit jedoch nur teilweise expliziert; es erfahrt in seinem Fortgang eine beträchtliche Erweiterung, die das Kantische Theorem erst in seiner ganzen Bedeutung entfaltet.
11. Das Gute und die Freiheit Eine solche Ergänzung zeigt sich aber nicht nur um der möglichen Ergebnisse willen notwendig, sondern wird auch durch einen grundlegenden
12 Vgl. dazu etwa Reflexion 6947: "Die obligation geschieht immer durch die idee des vollkommensten Willens, der subjective mag seyn, wie er wolle." (AA Bd. 19)
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Defekt der bisherigen Begründungskette erfordert. Zunächst scheint Kant damit seine gesamte Argumentationslinie in der ,.Grundlegung« zu dementieren. Daß die Autonomie das alleinige Prinzip der Moral sei, dies lasse sich nämlich wohl durch einen analytischen Beweis finden, d.h. "durch bloße Zergliederung der Begriffe der Sittlichkeit" (G 440); daß jedoch der Wille eines jeden vernünftigen Wesens an den Imperativ der Sittlichkeit als Bedingung notwendig gebunden sei, dies könne auf analytischem Wege nicht bewiesen werden, "weil es ein synthetischer Satz ist" (ebd.). Nun war der Imperativ und seine Verbindlichkeit aber gerade durch die Explikation des reinen - und deshalb auch vernünftigen - Willens gefunden worden; wie sollte dieser Wille nicht an seine Explikation gebunden sein? Die Auflösung dieser Schwierigkeit findet sich erst in der ,.Kritik der praktischen Vernunft«, indem der sittliche Imperativ in seiner Begründung als synthetischer Satz apriori bezeichnet wird, der aber "analytisch sein würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte" (KpV 31). Die Argumentation der »Grundlegung« geht demzufolge wohl analytisch durch Explikation des Begriffes eines reinen Willens vor, sie nimmt dazu jedoch eine Prämisse in Anspruch, ohne die sie synthetisch wäre. Deshalb ruht der bisher entwickelte Zusammenhang von Wollen und Sollen, von reinem Willen und moralischer Verbindlichkeit, auf einer ungesicherten Grundlage und steht als solcher immer noch in Frage. Nun war bisher schon ein Begriff von Freiheit verwendet worden, der zur Beschreibung des Willens in seiner Differenz zu Naturbestimmtheit hinreichend war. Nach diesem negativen Begriff ist sie die Eigenschaft einer Kausalität, "da sie unabhängig von fremden sie bestimmenden Ursachen wirkend sein kann" (G 446), so daß das Subjekt "in Ansehung aller Naturgesetze als frei" gedacht werden kann (G 435). In ihrem negativen Begriff ist die Freiheit jedoch nur ein anderer Ausdruck für den reinen Willen und kann deshalb nicht als ermöglichende Voraussetzung für jene Explikation des Willens dienen, die zur Begründung des Sittengesetzes herangezogen wurde. Erst der positive Begriff der Freiheit kann jenes dritte »schaffen«, bzw. auf es »verweisen«, in dem der reine Wille mit dem Sittengesetz synthetisch verbunden ist (G 447). Nur in diesem Sinne kann Kant behaupten, die Sittlichkeit müsse lediglich aus der Eigenschaft der Freiheit abgeleitet werden (G 447). Nun kann die Freiheit jedoch nicht in theoretischer Absicht als etwas Wirkliches bewiesen werden und die Erfahrung kann uns kein Beispiel für die Existenz freier Handlungen liefern. Die »Deduktion« der praktischen Grundsätze und damit der sittlichen Verbindlichkeit muß aus diesem Grund eine radikal andere Form annehmen als
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die Kategoriendeduktion, wie sie in der ,.Kritik der reinen Vernunft« durchgeführt wird. 13 An die Stelle einer solchen Deduktion tritt nun eine Argumentationsform, die direkt zur spezifisch Kantischen Begründung des Sittengesetzes führt. Das moralische Gesetz nämlich dient "umgekehrt selbst zum Princip der Deduktion eines unerforschlichen Vermögens", d.h. der Freiheit, "von der das moralische Gesetz, welches selbst keiner rechtfertigenden Gründe bedarf, nicht blos die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit an Wesen beweiset, die dies Gesetz als für sie verbindend erkennen" (KpV 47). Dieser Beweis ergibt sich also durch die Notwendigkeit, die Freiheit in ihrem positiven Begriff vorauszusetzen, um das Sittengesetz denken zu können. Wenn umgekehrt aber die sittliche Verbindlichkeit sich nur durch die Voraussetzung der Freiheit legitimieren kann, so bewegt sich die Argumentation offensichtlich in einer Art von Zirkel (vgl. G 450).14 Für den Zusammenhang, den wir herausstellen wollen, ist nun die Weise, in der Kant diesen Zirkel auflösen zu können beansprucht, von entscheidender Bedeutung. Wir können dabei vernachlässigen, daß Freiheit die ratio essendi des moralischen Gesetzes darstellt, das moralische Gesetz aber die ratio cognoscendi der Freiheit sein soll (KpV 5 Anm.). Diese Unterscheidung alleine würde den Zirkel offensichtlich nicht auflösen können, wenn nur die Freiheit das Sittengesetz zu begründen in der Lage ist. 15 Für die zirkelfreie Charakterisierung des Verhältnisses von Moralität und Freiheit nimmt Kant nun die Unterscheidung von Ding an sich und Erscheinung in Bezug auf das menschliche Selbstverständnis in Anspruch, die er in der Kritik der reinen Vernunft bereits für die Begründung der Möglichkeit gültiger synthetischer Urteile apriori benutzt hatte. Wenn dem Menschen prinzipiell
13 Vgl. H. Wagner, Kants schwierige Bestimmung des Verhältnisses zwischen Freiheit und Moralgesetz (Zum 3. Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten), in: Vernunft und Anschauung. Festschrift für Gerd Wolandt zum 65. Geburtstag, Bonn 1993, S. 3-16; sowie M.Forschner, Kants Dilemma einer Metaphysik des Willens, in: Philosophische Rundschau 2111974, S. 117-130 (Sammelrezension zu Hutchings, Reboul, Weisskopt). 14 Vgl. dazu D.Schönecker, Die ,.Art von Zirkel« im dritten Abschnitt von Kants Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 22/1997 (2), S. 189-202; sowie ders., Zur Analytizität der Grundlegung, in: Kant-Studien 8711996, S. 348-354. 15 Vgl. M.Albrecht, Kants Maximenethik und ihre Begründung, in: Kant-Studien 8511994, S. 129-146.
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zwei »Standpunkte« zur Verfügung stehen, von denen aus er sich selbst betrachten kann als zur Sinnenwelt oder als zur intelligibelen Welt gehörig, so müssen wir uns aufgrund der Moralität als Glieder in die Verstandeswelt versetzen, in der allein wir uns als frei denken können (vgl. G 453).16 Der Schluß lautet deshalb nun: "so sind kategorische Imperativen möglich, dadurch daß die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt macht" (G 454). Diese Freiheit bleibt jedoch eine Idee der Vernunft, deren objektive Realität an sich zweifelhaft ist und ist selbst in ihrer Möglichkeit nicht zu begreifen. Deshalb ist die Einnahme des intelligibelen Standpunkts ein bloßer Gedanke, und die Vernunft kann sich in die Verstandeswelt zwar hineindenken, nicht aber »hineinschauen« oder sich »hineinempfmden« (G 458). Folglich bleibt der Standpunkt der Intelligibilität ein negativer Gedanke, der nur in einer einzigen Hinsicht positiv wird, nämlich durch die Moralität selbst, und besagt nur, daß die Freiheit mit einem Willen verbunden ist, so zu handeln, daß das Prinzip der Handlungen der wesentlichen Beschaffenheit einer Vernunftursache gemäß ist, d.h. der Bedingung der Allgemeingültigkeit der Maxime (vgl. G 458). Offensichtlich wirft diese Fundierung des sittlichen Imperativs in einem Vermögen, das selbst positiv nur durch das Sittengesetz begründet ist, einige gewichtige Probleme auf. Wenn wir nur »erklären« können, indem wir das Explanandum auf Gesetze zurückführen, deren Gegenstand in einer möglichen Erfahrung gegeben werden kann, so würde die Vernunft ihre Grenze überschreiten, wenn sie erklären wollte, wie Freiheit möglich sei und d.h. wie reine Vernunft praktisch sein könne (G 458 - 459). Mit der »intelligibelen Welt« ist offenbar eine Voraussetzung des Sittengesetzes erreicht, deren Möglichkeit einzusehen nicht möglich ist, und von der folglich zwar eine Idee gegeben ist, "die ihren guten Grund hat" (G 462), die aber keinerlei Erkenntnis von sich erlaubt. Deshalb ist hier die oberste Grenze aller moralischen Nachforschung erreicht, so daß wir nur noch die Unbegreiflichkeit des moralischen Imperativs begreifen können (G 463). Gerade von dieser Grenze her ist jedoch der Charakter der ethischen Argumentation und damit auch der Status der sittlichen Verbindlichkeit in Kants Begründungsleistung zu verstehen. Wir werden uns deshalb zunächst noch etwas eingehender mit den Auszeichnungen des Freiheitsbegriffes beschäftigen, bevor wir unsere Ergebnisse bezüglich der Kantischen Theorie sittlicher Verpflichtung zusammenfassend verdeutlichen.
16 Ausführlich zum Problem des Intelligiblen bei Kant: W.Teichner, Die intelligible Welt. Ein Problem der theoretischen und praktischen ~hilosophie I.Kants, Meisenheim am Glan 1967.
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In der ..Kritik der reinen Vernunft« formulierte der Widerstreit zwischen der notwendigen Kausalität nach Naturgesetzen und der ebenso notwendig anzunehmenden Kausalität durch Freiheit die dritte Antinomie der reinen Vernunft. 17 Die Schwierigkeit bestand hier darin, daß einerseits das Gesetz der Natur - "daß ohne hinreichend apriori bestimmte Ursache nichts geschehe" (B 474) - nur dann erfüllt ist, wenn ein erster Anfang gedacht wird als die Fähigkeit, eine Reihe von naturgesetzlich bestimmten Erscheinungen zu beginnen, daß andererseits diese ..transzendentale Freiheit« jedoch die Einheit der Erfahrung sprengt, indem sie die Universalität des Kausalgesetzes durchbricht, weswegen eine solche Freiheit nicht mehr sein kann als "ein leeres Gedankending" (B 475). Das Problem lautet also, ein Vermögen, "eine Reihe in der Zeit ganz von selbst anzufangen" (B 477), annehmen zu müssen, das doch die Natur als den "Zusammenhang nach allgemeinen Gesetzen sich einander nothwendig bestimmender Erscheinungen" (B 479) dementiert. Für die Auflösung dieser Schwierigkeit setzte Kant die Möglichkeit ein, die Kausalität eines Wesens "auf zwei Seiten" zu betrachten (B 566), als .. intelligibel« nach ihrer "Handlung als eines Dinges an sich selbst" und als .. sensibel« nach den "Wirkungen derselben als einer Erscheinung in der Sinnenwelt" (B 566). Ein solcher Ausweg legitimierte sich zwar aus dem grundlegenden Argumentationsverfahren der ..Kritik«, das die reinen Begriffe als Möglichkeitsbedingungen von Erfahrung nur mit Hilfe der Regelstruktur des apperzipierenden reinen und transzendentalen Ich aufweisen konnte und ihre Gültigkeit deshalb auf Erscheinungen beschränken mußte, er fordert aber den Preis, weder die Wirklichkeit noch die Möglichkeit der Freiheit beweisen zu können. Sie kann deshalb als ..transzendentale Idee« nur insofern plausibel gemacht werden, als gezeigt wird, daß die Antinomie unter den Bedingungen jener Unterscheidung von Erscheinung und Ding an sich "auf einem bloßen Scheine beruhe, und daß Natur der Causalität aus Freiheit wenigstens nicht widerstreite" (B 586). Wenn wir diese Idee jedoch ..transzendent« gebrauchen, so kann sie nur einen intelligiblen Gegenstand haben, "welchen als ein transcendentales Object, von dem man übrigens nichts weiß, zuzulassen, allerdings erlaubt ist" (B 593), den anzunehmen wir allerdings auch nicht die mindeste Rechtfertigung
17 Vgl. dazu ausführlich M.Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesheim 1978, S. 12 ff; sowie H.E.Allison, Practical and Transcendental Freedom in the Critique ofPure Reason, in: Kant-Studien 73/1982, S. 271-290; und K.Kawamura, Spontaneität und Willkür. Der Freiheitsbegriff in Kants Antinomienlehre und seine historischen Wurzeln, Stuttgart 1996.
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theoretischer Art haben, und der folglich im Denkzusammenhang der Kantischen theoretischen Philosophie nichts anderes als "ein bloßes Gedankending" sein kann (B 594). Nun beansprucht Kant in der ,.Kritik der praktischen Vernunft«, den Begriff der Freiheit - ebenso wie die Begriffe von Gott und Unsterblichkeit - auf den moralischen Gebrauch der Vernunft gründen zu können (KpV 5), so daß nun einem übersinnlichen Gegenstande der Kategorie der Kausalität durch einen praktischen Begriff zum praktischen Gebrauche Realität verschafft wird. Damit ist eine positive Bestimmung der Kausalität aus Freiheit erreicht und die Vernunft bekommt zum erstenmal objektive, obgleich nur praktische Realität (vgl. KpV 48).18 Weil dieser Begriff einer causa noumenon aber nur zum praktischen Gebrauch durch das moralische Gesetz Bedeutung erh;llt (vgl. KpV 50), deshalb wird er theoretisch dadurch nicht bestimmt und kann keine Erkenntnis bewirken (vgl. KpV 55). Er ist jedoch der einzige, der es verstattet, "daß wir nicht außer uns hinausgehen dürfen, um das Unbedingte und Intelligibele zu dem Bedingten und Sinnlichen zu finden" (KpV 105). Da die Freiheitskausalität jedoch nur möglich ist, wenn sich die handelnde Person zugleich als Noumenon betrachtet, und d.h. als reine Intelligenz in einem nicht-zeitlichen Dasein, so ist der Begriff der Freiheit offensichtlich unter allen Begriffen dadurch ausgezeichnet, daß nur er den Bezug des Subjekts zu sich als intelligibel em Wesen herstellen kann. Wenn dieser Begriff seine Bedeutung nun ausschließlich im praktischen Sinne als Voraussetzung des Sittengesetzes erhält, indem er die Ableitung des kategorischen Imperativs aus den Bedingungen des reinen Willens ermöglicht als des einzigen ,.Gegenstandes«, dem das Prädikat ,.gut« im vollen und eigentlichen Sinn zugeschrieben werden kann, so ist offenbar die moralische Verpflichtung selbst in ein enges Verhältnis zur Intelligibilität des Subjekts geraten und kann sich selbst und ihren Status nur aus diesem Zusammenhang verständlich machen und rechtfertigen. Wir werden
18 Aus diesem Zusammenhang ergibt sich auch der "Primat« der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der reinen spekulativen Vernunft (KpV 121). Weil ohne die Erfahrung sittlicher Verbindlichkeit niemand "zu dem Wagstücke gekommen sein würde, Freiheit in die Wissenschaft einzufiihren" (KpV 30), deshalb macht der praktische Begriff der Freiheit" den Schlußstein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus" (KpV 3-4). Zu einem Versuch, über Kant hinaus die Einheit seiner theoretischen und praktischen Philosophie durch die Entfaltung der Vollstruktur von Subjektivität als Intentionalität in ihrer grundSätzlichen Praktizität zu denken, vgl. G.Prauss, Kant über Freiheit alsAutonomie, FrankfurtlMain 1983.
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uns im folgenden näher damit beschäftigen, wie die Kantische Moralphilosophie in diesem Rahmen ihre Theorie ethischer Verbindlichkeit entwickelt und begründet. Es war bereits deutlich geworden, daß das Sollen im Zusammenhang der Kantischen Ethik die Differenz zwischen dem reinen vernünftigen Willen und dem sinnlich affizierten Willen des endlichen Subjektes bezeichnet. Ein ,.heiliger« Wille kennt kein Sollen, da der sittliche Imperativ bei ihm identisch mit dem Gesetz seines Willens ist, d.h. er beschreibt seinen Willen als einen solchen: "dieses Sollen ist eigentlich ein Wollen, das unter der Bedingung für jedes vernünftige Wesen gilt, wenn die Vernunft bei ihm ohne Hindernisse praktisch wäre" (G 449). Das Sollen manifestiert folglich - von seiten des ,.heiligen« Willens gesehen - die Unvollkommenheit des spezifisch menschlichen Wollens. 19 Von der Seite des triebgesteuerten Sinnenwesens Mensch her gesehen, zeigt sich durch das Sollen jedoch die Möglichkeit, einen Standpunkt jenseits der determinierten Animalität einzunehmen. Diesen Standpunkt erreichen wir nur dann, wenn wir uns durch Freiheit als apriori wirkende Ursachen denken, d.h. als begabt mit der Fähigkeit, wider die Naturkausalität spontan Reihen von Erscheinungen anfangen zu können. Ein solches Vermögen können wir aber nicht unmittelbar wahrnehmen, da wir uns selbst einerseits nur als Erscheinungen, d.h. nach Naturgesetzen auffassen, andererseits aber den Begriff der Freiheit nur negativ haben, nämlich als Unabhängigkeit von der Sinnenwelt, ohne daß dieser Begriff irgend eine Bedeutung über ein ,.leeres Gedankending« hinaus hätte. Deshalb gibt uns erst das ,.Faktum« der moralischen Verbindlichkeit das positive Bewußtsein der Freiheit. Kant beschreibt diesen Zusammenhang mit verschiedenen Wendungen: die Sittlichkeit ,.entdeckt« uns erst den Begriff der Freiheit (KpV 30, 161), das moralische Gesetz drückt nichts anderes aus als die
19 In der katholischen Moraltheologie wird seit einigen Jahrzehnten versucht, den Autonomiebegriff positiv aufzunehmen und ihn aus der unfruchtbaren Entgegensetzung zu »Theonomie« zu lösen; vgl. dazu A.Holderegger, Grundlagen der Moral und der Anspruch des Lebens, Freiburg i.Ue./Freiburg i.Br. 1995, S. 60 ff. Mir scheint der geeignete Ansatzpunkt bei Kant gerade in diesem Zusammenhang von Sollen/Autonomie mit der Unvollkommenheit des Menschen zu liegen; es sollte nicht vernachlässigt werden, daß eben die durch Autonomie in der Moral demonstrierte Freiheit es ist, die die Bedingtheit des Subjekts zu einem Ausdruck bringt, der konsistent an die gedanklichen Grundlagen der Subjektivität anschließt und deshalb nicht einem »objektivierenden« Zugang entnommen wird, dem die Subjektivität des Subjekts schon auf der konzeptionellen Ebene nicht zugänglich sein kann.
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Autonomie (KpV 33), es "beweiset" die Wirklichkeit der Freiheit (KpV'(7), es macht sie als eine ,.Eigenschaft der Willkür« kund (MdS 225•• so daß wir unsere eigene Freiheit nur durch den moralischen Imperativ kennen (MdS 239) und wir umso freier sind, desto mehr wir moralisch durch die bloße Vorstellung der Pflicht gezwungen werden können (MdS 382 Anm.). Wir können demnach unser vorläufiges Ergebnis so formulieren: nur ein Subjekt, das sich moralisch verpflichtet weiß, kann von sich ein Bewußtsein als von einem zur Freiheit begabten Wesen besitzen. Genau deshalb kann der sittliche Imperativ als das ,.Gesetz der Freiheit« bezeichnet werden (die Formulierung in KpV 65, 69, 70).20 Wir könnten hier durchaus die Analogie zum Naturbegriffheranziehen: wie Natur "das Dasein der Dinge, heißt, so fern es nach allgemeinen Gesetzen bestimmt ist" (G 421), so ist Freiheit das Dasein des Subjekts, das sich unter dem kategorischen Imperativ verpflichtet weiß, d.h. unter einem Gesetz, mit dem es sich auf zunächst paradox erscheinende Weise versteht: es legt aus eigenem Entschluß sich selbst ein Gesetz auf, das es gleichzeitig als an sich notwendig auffaßt (vgl. G 401 Anm.). Nur die ethische Verbindlichkeit also kann dem Paradox der Freiheit genügen, die eine Bestimmung durch sich selbst erfordert, in der die Bestimmtheit Gefahr läuft, in der Spontaneität verloren zu gehen, und die Spontaneität durch die Beharrungskraft der Bestimmtheit bedroht wird.
IH. Die ethische Freiheit des Selbstbewußtseins Das Verhältnis eines Willens zu sich selbst, der sich im sittlichen Imperativ bloß durch Vernunft bestimmt (vgl. G 427), eröffnet jedoch nicht nur das Selbstverständnis eines freien Wesens, sondern führt auch dazu, daß das Subjekt sich als ,.Intelligenz« und d.h. als Glied einer intelligibelen Welt versteht. 21 Die Idee der Freiheit als Kausalität in Unabhängigkeit von bestimmenden Ursachen der Sinnenwelt nötigt dazu, sich in den Standpunkt eines Gliedes der Verstandeswelt zu versetzen (vgl. G 455). Das moralische Gesetz gibt uns "Anzeige" auf eine reine Verstandeswelt (KpV 43) und ist deshalb
20 Unter der Perspektive der Naturgesetzlichkeit dagegen wäre der Ausdruck,.Gesetze der Freiheit" ein Widersinn, weil, wenn die Freiheit "nach Gesetzen bestimmt wäre, sie nicht Freiheit, sondern selbst nichts anderes als Natur wäre" (B 475).
21 Vgl. M.Albrecht, Kants Antinomie der praktischen Vernunft, Hildesbeim 1978, S. 108 ff.
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ebenso ein Gesetz der Möglichkeit einer übersinnlichen Natur (KpV 47), durch das der Mensch als zu einer reinen Verstandeswelt gehörig gedacht wird (Kp V 50); unter dem ,.Gesetz der Freiheit« geschehene Handlungen gehören folglich zu dem Verhalten intelligibeler Wesen (KpV 65). Es ist also gerade das moralische Gesetz und seine ethische Verbindlichkeit, durch die eine "Eröffnung einer intelligibelen Welt durch Realisirung des sonst transcendenten Begriffs der Freiheit" geschieht (KpV 94). Der sittliche Imperativ stellt also nicht nur das ,.Gesetz der Freiheit« dar, sondern auch das "Gesetz unserer intelligibelen Existenz" (KpV 99), durch welches das Subjekt sich als intelligibeles Wesen erkennt (KpV 106), und er ist damit "das Grundgesetz einer übersinnlichen Natur und einer reinen Verstandeswelt" (KpV 43).22 Deshalb ist die Möglichkeit, sich sinnvoll als Glied einer intelligibelen Welt zu verstehen, auch nur durch das moralische Gesetz beschränkt und bestimmt: "so bleibt von den Begriffen, durch die wir uns ein reines Verstandeswesen denken, nichts mehr übrig, als gerade zur Möglichkeit erforderlich ist, sich ein moralisch Gesetz zu denken" (KpV 137). Der Gedanke einer ,.Verstandeswelt« mit einer anderen Ordnung der Dinge (vgl. G 454, KpV 49), die die naturgesetzlich bestimmte Welt der Erscheinungen transzendiert, ist also nur auf der Grundlage der moralischen Verbindlichkeit nach dem sittlichen Imperativ sinnvoll zu fassen. 23 Die Idee einer intelligibelen Welt kann demnach nur in praktischer Beziehung objektive Realität erhalten (KpV 44) und die Vernunft bekommt nur durch das moralische Gesetz "obj ective , obgleich nur praktische Realität" (KpV 48). Die Wirklichkeit der intelligibelen Welt ist nun in praktischer Rücksicht bestimmt gegeben, obwohl sie in theoretischer Hinsicht transzendent und ,.überschwenglich« bleibt (KpV 105). Die einzige Möglichkeit, von der reinen Verstandeswelt etwas zu erkennen und sie positiv zu bestimmen, ist deshalb das moralische Gesetz selbst als deren ,.Grundgesetz« (KpV 43). Folglich ist der Mensch mit dem Prinzip moralischer Verbindlichkeit nicht nur als zu einer Verstandeswelt gehörig gedacht, sondern ist in ihr auch nur durch dieses Gesetz bestimmt (KpV 50).
22 Damit führt m.E. von Kants kategorischem Imperativ kein Weg zu einer utilitaristischen Position. Vgl. zu einer solchen Auffassung B.Brülisauer, Kants kategorischer Imperativ aus utilitaristischer Sicht betrachtet, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 26/1979, S. 426-455. 23 Zu einer Explikation von Kants berühmter Forinulierung dieses Zusammenhangs vgl. P.Probst, Kant: bestirnter Himmel und moralisches Gesetz. Zum geschichtlichen Horizont einer These Immanuel Kants, Würzburg 1994.
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Er ist demnach im intelligibelen Sinne nicht weiter bestimmbar als nur nach seiner moralischen Verbindlichkeit. Deshalb ist er als Glied der Verstandeswelt nichts anderes als "Person«, d.h. ein Wesen, dessen Dasein an sich Zweck ist (G 428); umgekehrt ist er aber auch nur dann Person, wenn er sich durch seine sittliche Verpflichtung als Intelligenz verstehen kann und muß. 24 Das Sollen bezeichnet in der Kantischen Moralphilosophie die Differenz des endlichen Willens zu dem reinen Willen, für den dieser Begriff keine Bedeutung haben kann, weil sein Gesetz mit dem Gesetz der Freiheit identisch ist. Demnach stellt die moralische Verbindlichkeit nun für endliche Sinnenwesen den Bezug zu ihrer "Persönlichkeit« her, ohne sie mit dieser zu identifizieren. Durch dieses Verhältnis offenbart das moralische Gesetz "mir ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben" (Kp V 162). Dieses Leben der Intelligenz bezeichnet Kant auch als "das eigentliche Selbst" (G 457), aufgrund dessen das "pathologisch bestimmbare[s] Selbst" nicht unser ganzes Selbst ausmacht (KpV 74), so daß der sittliche Imperativ nicht nur das Gesetz der Freiheit und der intelligibelen Welt, sondern auch das Gesetz der höchsten Bestimmung des eigenen Wesens des Menschen darstellt (KpV 87).25 Dieses "unsichtbare Selbst« der Persönlichkeit (KpV 162) enthält deshalb nur "ein Bewußtsein einer Unabhängigkeit von Neigungen und von Glücksumständen und der Möglichkeit sich selbst genug zu sein" (KpV 161). Das dualistische Selbstverständnis als Sinnes- und Verstandeswesen repräsentiert wohl eine der ältesten Unterscheidungen, seit Menschen Begriffe
24 Vgl. dazu Reflexion 6713: "Die Persohnlichkeit ist die unabhängigkeit des Willens von Neigungen. Also ist die moralitaet die übereinstimmung mit der Persohnlichkeit." (AA Bd. 19).
25 In diesem Zusammenhang scheint mir der angemessene Ansatzpunkt für einen Dialog der Kantischen Ethik mit der ,.klassischen« Moralbegründung im Eigeninteresse des Individuums zu liegen. Die Absicht auf Glückseligkeit ist Kant zufolge zwar geeignet, assertorisch-hypothetische Imperative zu begründen, da man eine solche Absicht bei allen vernünftigen Wesen als wirklich voraussetzen kann (G 415); weil der Begriff der Glückseligkeit jedoch nicht universell bestimmbar ist, deshalb können daraus nur pragmatische Imperative (G 417) mit dem Status von "Anrathungen" (G 418) entwickelt werden. Darüber hinaus wäre zu fragen, ob überhaupt ein Begriffvon Interesse sinnvoll ausgearbeitet werden kann, der nicht die Freiheit und Intelligibilität menschlichen Daseins in Rechnung stellt. Zu gegenwärtigen Versuchen, die Moralbegründung im Eigeninteresse zu erneuern, vgl. Ph.Foot, Virtues and Vices and Other Essays in Moral Philosophy, Oxford 1978; R.Bittner, Moralisches Gebot oder Autonomie, Freiburg/München 1983; u. Wolf, Das Problem des moralischen Sollens, BerlinlNew York 1984.
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B. Die ethische Freiheit des Individuums
von sich selbst bilden. Im Kontext der Kantischen Moralphilosophie gewinnt diese Einteilung jedoch eine Bedeutung, die sie ausschließlich auf dem Fundament der sittlichen Verbindlichkeit nach dem moralischen Imperativ sinnvoll erscheinen läßt. Daß der Mensch sich "als Wesen an sich selbst, seines in einer inlelügibelen Ordnung der Dinge bestimmbaren Daseins bewußt ist" (KpV 42), und damit ein Bewußtein von sich selbst als sinnlich affizierbarem GegeBStand und als Intelligenz gewinnt, wird nun als Betrachtungsweise aus einem ,.Standpunkt.. verstanden, den legitimiert nur ein moralisch verbindliches Wesen einnehmen kann und muß: "Der Begriff einer Verstandeswelt ist also nlK ein Standpunkt, den die Vernunft sich genöthigt sieht, außer den Erscheinungen zu nehmen, um sich selbst als praktisch zu denken" (G 458).26 Wir hatten zu Beginn unserer Erörterungen den Ansatz der Kantischen Moralphilosophie beim Begriff eines guten Willens und dessen Explikation verfolgt. Wenn der gute Wille sich nun als Wille in Reinform zeigt und mit dem praktischen Gesetz und seinen Bedingungen kongruiert, so ist von einem Willen im eigentlichen Sinne nur zu reden, indem der Standpunkt der Intelligenz bereits als möglich vorausgesetzt wird (vgl. G 453). Da die Formel des sittlichen Imperativs aus seiner Kategorizität entwickelt wird, die wiederum aus der Beschreibung eines Willens ohne externe Bestimmtheit resultiert, so ist mit der sittlichen Verbindlichkeit, die jener Wille impliziert, notwendig der intelligible Standpunkt eingenommen. Weil kategorische Imperative nur möglich sind, "dadurch daß die Idee der Freiheit mich zu einem Gliede einer intelligibelen Welt macht" (G 454), deshalb wird es durch einen reinen Willen möglich und notwendig, sich als Glied einer Verstandeswelt zu verstehenY
26 H.E.Allisons "two aspect interpretation" der transzendentalen Fundamentalunterscheidung scheint auf der Grundlage der zentralen Stellung der praktischen Philosophie deshalb gut begründet; vgl. Kant' s Transcendental Idealism, New Haven/London 1983, S. 34 ff. Allison entwickelte seine These weiter bezüglich des Handlungs- bzw. Erkenntnissubjekts in ders., Kant's Theory of Freedom, Cambridge 1990. In dieser Richtung ist vermutlich die Antwort auf den Metaphysik-Verdacht zu suchen, wie er etwa von A.Gunkel ausführlich erörtert wird (Spontaneität und moralische Autonomie. Kants Philosophie der Freiheit, Bem 1989, vor allem S. 167 ff.). 27 Es könnte scheinen, als ob damit die Kantische Moralphilosophie auf einer teleologischen und folglich hypothetischen Argumentationsform aufbauen würde, die der Kategorizität des sittlichen Imperativs widerspricht. Hier muß jedoch unterschieden werden: (1) dem Imperativ selbst wird durch den Zusammenhang von Willen, Moralität, Freiheit und Inrelligibilität auf keine Weise ein hypothetischer Charakter implantiert, die Kategorizität ist vielmehr gerade die Voraussetzung für die Herstellung jenes Zusammenhanges; (2) aber auch dieser Zusammenhang selbst kann deshalb nicht im Sinne
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Genau diesen Zusammenhang benutzt Kant für die Begründung ethischer Verbindlichkeit als solcher: die Sittlichkeit "interessiert" uns, weil das Sittengesetz "aus unserem Willen als Intelligenz, mithin aus unserem eigentlichen Selbst entsprungen ist" (G 461).28 Die "Wurzel« der Verbindlichkeit kann deshalb "nichts Minderes sein, als was den Menschen über sich selbst (als einen Theil der Sinnenwelt) erhebt, was ihn an eine Ordnung der Dinge knüpft, die nur der Verstand denken kann" (KpV 86). Folglich kann diese Wurzel ebenso in der "Persönlichkeit« gesehen werden, d.h. in der "Freiheit und Unabhängigkeit von dem Mechanism der ganzen Natur", betrachtet als Vermögen eines Wesens, "welches eigenthümlichen, nämlich von seiner eigenen Vernunft gegebenen, reinen praktischen Gesetzen" unterworfen ist (KpV 87). Daraus ergibt sich jedoch auch die Unmöglichkeit, durch exogene Gesetze zu erklären, wie und warum uns die Sittlichkeit interessiert (G 460), denn jene Wurzel der ethischen Verbindlichkeit ist nur als Voraussetzung der Sittlichkeit selbst bekannt und besitzt davon unabhängig keine Wahrheit. Daß wir uns als frei und einer intelligibelen Welt angehörig betrachten sollen, davon ist bei Kant nicht die Rede, und es dürfte schwer sein, dafür Gründe anzuführen, die das Gesollte nicht bereits voraussetzen müssen. Nichtsdestoweniger sieht Kant jenen Zusammenhang als "hinreichend" zur Überzeugung von der Gültigkeit des sittlichen Gesetzes an (G 461); das "Creditiv des moralischen Gesetzes" ist nur seine Fähigkeit, das Subjekt seiner Freiheit als Glied der intelligibelen Welt zu versichern (KpV 48).29 Wir könnten das Ergebnis deshalb so zusammenfassen: "Das moralische Sollen ist also eigenes nothwendiges Wollen als Gliedes einer intelligibelen Welt und wird nur so fern von ihm als Sollen gedacht, als er sich zugleich wie ein
eines hypothetischen Imperativs verstanden werden, da er in sich nur durch die Moralität als Maximenbestimmung nach der Vorstellung der Pflicht zusammengehalten wird. Überdies beruht er gerade darauf, daß Freiheit und Intelligibilität im Kantischen Sinn nicht als Interessen aufgefaßt werden können, insofern sie geradezu als jene Form definiert sind, in der alle bestimmte Interessiertheit transzendiert wird. 28 Es ist genau dieser Zusammenhang, der das Problem der ethischen Motivation im Rahmen der Kantischen Philosophie traktabel macht, wobei allerdings der Begriff der Motivation eine nicht-psychologistische Umformulierung erfahren muß; vgl. zu diesem Problem etwa R.McCarthy, Motivation and Moral Choice in Kant's Theory ofRational Agency, in: Kant-Studien 85/1994, S. 1-14. 29 In diesem Sinne würde der Grundbegriff der Kantischen Moralphilosophie statt mit ..Autonomie,. besser mit ..Eleutheronomie,. angegeben werden. Kant verwendet diesen Ausdruck in MdS 378.
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Glied der Sinnenwelt betrachtet" (G 455). Möglicherweise ist damit die Aufklärung über das Phänomen der ethischen Verbindlichkeit zu bescheiden ausgefallen, um die Frage nach einem letzten Grund der Moralität befriedigend beantworten zu können. Ob ein solches Desiderat jedoch einen sinnvollen philosophischen Forschungsgegenstand darstellt, kann mit guten Gründen bezweifelt werden, solange keine Mittel zur Verfügung stehen, in einem solchen Unternehmen ohne Zirkel auszukommen und gleichzeitig den naturalistischen Fehlschluß zu vermeiden. Was Kant uns stattdessen anbietet, ist die Erhellung eines Zusammenhanges, in den sich jedes Wesen, das sich als moralisch verpflichtet versteht, notwendig stellt. 30 Der Status moralischer Verbindlichkeit bestimmt sich deshalb aus dem Horizont einer zweifachen Fragerichtung: zum einen wird gefragt, was es heißen könne, sittlich verpflichtet zu sein, und die Antwort findet sich in der Notwendigkeit, den Standpunkt der Freiheit und der Zugehörigkeit zu einer intelligibelen Welt einzunehmen; zum anderen wird untersucht, was es heißen könne, sich als frei und intelligibel zu verstehen, und die Antwort liegt in der Notwendigkeit, sich als moralisch verpflichtetes Wesen aufzufassen. 31 Es ist dieser Zusammenhang, dem Kant Unterstützung geben zu können beansprucht und den er als hinreichend ansieht, um dem Faktum der Moralität eine plausible philosophische Verständlichkeit zu verschaffen. 32
30 Vgl. A. Ward, On Kant's Defence of Moral Freedom, in: History of Philosophy Quarterly 8/1991, S. 373-386. 31 G.Prauss sieht im Fehlen einer Deduktion der Freiheit als Wirklichkeit Kants ,.fundamentales Scheitern«, das ihn zu der ,.Verzweiflungstat« geführt habe, das Moralgesetz als Zugang zur Realität der Freiheit zu benutzen (Kant über Freiheit als Autonomiem, FrankfurtlMain 1983, S. 67). Ich sehe in diesem Zusammenhang dagegen gerade den positiven Argumentationsanspruch der Kantischen praktischen Philosophie. 32
Vgl. auch H.Meyer, Kants transzendentale Freiheitslehre, Freiburg 1996.
c. Die Geburt des Selbstbewußtseins in der ethischen Freiheit I. Kants moralphilosophischer Begriff des eigentlichen Selbst 1. Begriff und Bedeutung des »eigentlichen Selbst« Wer in der Sprache des Alltags das Wort »eigentlich« verwendet, wünscht damit zum Ausdruck zu bringen, daß sich eine Sache in Wahrheit anders verhält als es zunächst den Anschein hat. Nichtsdestoweniger wird »eigentlich« nicht synonym mit »in Wahrheit« gebraucht. Wer von einer Sache sagt, sie verhalte sich »eigentlich« anders als eine gegebene Beschreibung es von ihr behauptet, der wünscht damit nicht von vornherein diese Beschreibung zu dementieren. Es wird damit vielmehr auf die Möglichkeit einer anderen und der Sache näheren Betrachtungsweise aufmerksam gemacht, die die erste Beschreibung zwar relativiert, aber in ihrem relativen Recht doch unberührt läßt. Die alltagssprachliche Verwendung des Wortes »eigentlich« impliziert demzufolge eine höchst subtile Differenzierung innerhalb der Formen unseres Wissens. Es wird eine zunächst widersprüchlich erscheinende Struktur von Wissen vorausgesetzt: einerseits wird die Möglichkeit einer tieferen Einsicht in den Sachverhalt postuliert, andererseits soll dadurch eine zunächst gegebene Beschreibung ihr Recht behalten. Dieser Gedanke wäre problemlos zu formulieren, wenn es sich dabei um verschiedene Stufen oder Grade von Wissen handeln würde. Just dies aber soll das Wort »eigentlich« nicht zum Ausdruck bringen. Wie sich die Sache eigentlich verhält, steht nicht in Konkurrenz zu dem Anschein, den sie sich gegeben hat. Offensichtlich impliziert die Verwendung des Wortes »eigentlich« die Möglichkeit eines zweifachen Wissens von derselben Sache, das sich seinem Gehalt nach unterscheidet und doch zusammen bestehen kann. Die Semantik jenes Wortes gibt auch bereits einen Hinweis, wodurch sich die postulierte tiefere Einsicht von dem richtig bleibenden Anschein unterscheidet. Eine Beschreibung, mit der anzugeben beansprucht wird, wie sich die Sache »eigentlich« verhalte, wird dadurch offenbar in eine besondere Beziehung zu dieser Sache gesetzt. Jene Beziehung zwischen Beschreibung und Sache soll demnach nicht in einem Dritten fundiert sein, das den wahrheitsverbürgenden
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Zusammenhang von »außen« garantiert, sondern in diesem Falle soll der Ausdruck des Sachverhalts der Sache selbst zu eigen sein. Im Falle der Gegenstände der objektiven Wissenschaften widerspricht dies ganz offensichtlich der bekannten Tatsache, daß alle Beschreibungen theorie- und damit auch subjektabhängig sind, so daß ein Verhältnis der "Eigentlichkeit« zwischen ihnen und ihren Gegenständen nicht sinnvoll behauptet werden kann. Das Wort »eigentlich« kann hier also nur dann sinnvoll verwendet werden, wenn eine Beziehung, die einen solchen Gebrauch begründet, aus einer anderen Beziehung übertragen oder abgeleitet werden kann, in der eine Beschreibung in der Tat in einem Verhältnis zum Eigenen der Sache steht. Aus Kants Denken läßt sich die Behauptung entnehmen, daß von einer solchen Beziehung der Eigentlichkeit berechtigt nur im Falle des Subjektes von Aussagen und Handlungen die Rede sein kann. I Demnach wäre nur das Subjekt jener Gegenstand unseres Wissens, der die Doppelstruktur von dessen Form rechtfertigt, die der Ausdruck »eigentlich« postuliert. Primär wäre das Subjekt die »Sache«, von der gesagt werden kann, daß es sich mit ihr »eigentlich« anders verhalte als es den Anschein hat, ohne daß dieser Anschein damit in seinem eigenen Recht dementiert wäre. Nun verwendet Kant den Ausdruck »eigentlich« ausschließlich im Rahmen der Ausarbeitung seiner Moralphilosophie. Dennoch läßt sich von Kants moralphilosophischem Begriff der Eigentlichkeit eine Verbindung zu den Grundlagen seiner theoretischen Philosophie herstellen. Daraus läßt sich die Vermutung ableiten, daß so auch Aufschluß über die Möglichkeit einer Übertragung der Anwendbarkeit des Wortes »eigentlich« auf ein Wissen zu finden sein müßte, das nicht das Subjekt, sondern die Gegenstände seiner Welt betrifft. Dann aber muß Kants Moralphilosophie auch einen Zusammenhang herstellen können zwischen der ethischen Beziehung, die mit der berechtigten Verwendung des Ausdrucks »eigentlich« verbunden ist, und jenem Wissen, das Subjekte von den Gegenständen ihrer Welt besitzen. Kant gebraucht den Begriff des eigentlichen bzw. wahren Selbst nur an wenigen Stellen. Daraus sollte jedoch nicht der Schluß gezogen werden, daß
I G.Prauss weist auf den reflexiven - und nicht primär possessiven - Sinn der Verwendung des Wortes »eigen« bei Kant hin, wie er insbesondere in der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten anzutreffen sei, und wertet dies als Beleg dafür, daß es vom Beginn des Dritten Abschnitts der Grundlegung um nichts anderes gehe als um das theoretisch-praktische Selbstverhältnis der Subjektivität (Für sich selber praktische Vernunft, in: O.HöjJe, Hrsg., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, Frankfurt/Main 1989, S. 253-263).
I. Kants moralphilosophischer Begriff des eigentlichen Selbst
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dieser Begriff im Zusammenhang der Kantischen Moralphilosophie von untergeordneter Bedeutung wäre. 2 Daß dem nicht so ist, läßt sich bereits aufgrund des systematischen Ortes vermuten, an dem er eingeführt wird. Zuvor wurde der sittliche Imperativ als das Gesetz der Freiheit bestimmt, weshalb das Subjekt auf der Grundlage der kritischen Ethik Kants seine Freiheit grundsätzlich nur durch seine ethische Verbindlichkeit, d.h. durch seine kategorischimperativische Maximenbestimmung kennen kann. Es versteht sich jedoch nur dann als ein freies Wesen, wenn es sich zugleich und eo ipso als Intelligenz und damit als Glied einer intelligibelen Welt versteht. Daß die Intelligibilität deshalb das eigentliche Wesen des Menschen ausmacht, dies behauptet Kant nicht nur in G 457, sondern ebenso in KpV 74 und in KpV 162. Moralische Handlungen, die unter dem ,.Gesetz der Freiheit« geschehen, gehören ihrem Wesen nach zu dem Verhalten intelligibeler Wesen und können jenseits der intelligibelen Dimension nicht gedacht werden. 3 Indem auf diese Weise der sonst nur transzendente Begriff der Freiheit realisiert wird, eröffnet sich erst die intelligibele Welt. Folglich stellt der sittliche Imperativ auch das "Gesetz unserer intelligibelen Existenz" dar (KpV 99), in dem das Subjekt sich als intelligibeles Wesen erkennt. Dies schließt ein Selbstverständnis als "ein von der Thierheit und selbst von der ganzen Sinnenwelt unabhängiges Leben" ein (KpV 162). Dieses Leben der Intelligenz nennt Kant "das eigentliche Selbst" (G 457). Das eigentliche Selbst wird damit von einem "pathologischen«, d.h. sinnlich und durch Eigeninteressen motivierten Selbst unterschieden, so daß das patholo-
2 F.Kaulbach sieht das Programm einer Metaphysik der Sitten gerde durch den Ausschluß aller nicht durch das »eigentliche Selbst« und seine Selbstgesetzgebung zur Geltung gebrachten Motivationen aus dem Bereich des reinen HandeIns bestimmt (lmmanuel Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Darmstadt 1988, S. 11, vgl. 28). Als »eigentliches Selbst« wird damit der Gesetzgeber »in uns« bezeichnet (S. 32, 54,83). 3 Die Kantische »Leitfrage« nach dem eigentlichen Selbst des Menschen kann deshalb nur beantwortet werden durch die Bestimmung des spezifisch menschlichen HandeIns, wie K.Konhardt interpretiert (Faktum der Vernunft? Zu Kants Frage nach dem »eigentlichen Selbst« des Menschen, in: G.Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 160-184, S. 163, 167). Konhardt [mdet diese »Leitfrage« in der Ausarbeitung der These, daß ein moralneutraler Begriff menschlichen HandeIns nicht zu begründen sei, und kommt zu dem Ergebnis: "Handlungen sind nicht selbst-los, sondern auf die Leitvorstellung eines »eigentlichen Selbst« hin ausgerichtet. Daß dieses ,.Selbst« als moralisch-praktischer Orientierungsrahmen (Horizont) für die dem vernünftigen Subjekt möglichen Handlungen fungieren soll, ist sicher Kants Ansicht." (S. 183)
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gische Selbst nicht das »ganze« Selbst ausmacht. Eine vollständige Beschreibung des Selbst als motiviert und direkt oder indirekt durch sinnliche Antriebe bestimmt ist demzufolge mit dem Grundgedanken der Kantischen Moralphilosophie nicht vereinbar. Im Gegensatz zu dem sinnlich motivierbaren und damit durch äußere Umstände bestimmten Selbst bezeichnet Kant jenes Selbst, das nur durch kategorisch-imperativische Maximenprüfung erfahrbar ist, als das "unsichtbare Selbst" der Persönlichkeit (KpV 162). Das sinnlich motivierbare Selbst und das eigentliche Selbst sind jedoch nicht nur als zwei Aspekte des einen Selbst der Persönlichkeit anzusehen, sondern Kant sieht eine Rangordnung zwischen diesen beiden Aspekten, aus der erst die grundsätzliche Bedeutung des eigentlichen Selbst im Rahmen der Kantischen Moralphilosophie zu ersehen ist. Indem der sittliche Imperativ nämlich nicht nur ein Gesetz der Freiheit jenseits der von Naturgesetzen geprägten Welt darstellt, sondern auch das eigentliche Selbst der Person erfahrbar macht, stellt er ebenso das Gesetz der höchsten Bestimmung des eigenen Wesens des Menschen dar (KpV 87).4 Den Begriff des eigentlichen Selbst führt Kant also an einer entscheidenden Stelle in den gedanklichen Zusammenhängen seiner Moralphilosophie ein. An dieser Stelle wird ihre grundlegende argumentative Position deutlich, die sich bekannterweise nicht aus einer zirkulären Struktur lösen kann. Kant sah in der Ausarbeitung dieses Zirkels in der Legitimationsstruktur seiner Moralphilosophie jedoch die äußerste Grenze aller praktischen Philosophie erreicht. Jene Idee der Freiheit nämlich, durch die der Mensch sich in eine "andere Ordnung der Dinge" (G 457) versetzt und damit sein eigentliches Selbst erfährt, bleibt ein ,.Standpunkt« und kann sich nur als notwendige Voraussetzung für jenes Wesen erweisen, das sich eines Willens bewußt ist, der nur Wille sein kann, indem er frei ist (vgl. G 459). Im Grunde ist damit auch die letzte Auskunft Kants über die Grundlegung ethischer Verbindlichkeit erreicht. Denn: die "subjektive Unmöglichkeit, die Freiheit des Willens zu erklären, ist mit der Unmöglichkeit, ein Interesse ausfindig und begreiflich zu machen, welches der
4 Gerade deshalb muß im Kantischen Denkzusammenhang jede Konnotation femgehalten werden, die den Gebrauch eines im psychologischen oder anthropologischen Sinne »wahren« Selbst nahelegen könnte. F.Kaulbach, der den Begriff des »eigentlichen Selbst« in seinem Kommentar durchgehend verwendet, grenzt sich m.E. nicht deutlich genug gegen diesen Gedanken ab, so etwa, wenn er Kant die Auffassung zuschreibt, das Bild eines guten Willens und die Achtung dafür stünden dem Selbstverständnis des moralischen Bewußtseins von jedermann unreflektiert vor Augen, wenn er nur ein unverdorbenes Verhältnis zu seinem eigentlichen Selbst habe. (lmmanuel Kants »Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Darmstadt 1988, S. 18, S. 20)
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Mensch an moralischen Gesetzen nehmen könne, einerlei" (G 459/460).5 Daß das sich moralisch verpflichtet wissende Subjekt von Kant als das eigentliche oder wahre Selbst bezeichnet wird, kann somit zunächst als eine spezifische Formulierung jener zirkulären Grundstruktur der Kantischen Moralphilosophie verstanden werden, mit deren Legitimität diese Philosophie steht und fällt. Daraus ergibt sich zunächst die Vermutung, daß der Begriff des eigentlichen Selbst, obwohl er nur an wenigen Stellen in den Kantischen Texten zur Moralphilosophie erscheint, doch eine entscheidende argumentative Bedeutung für jene Fragestellung nach dem Grund moralischer Verpflichtetheit besitzen könnte, vor die sich jeder moralische Begründungsversuch gestellt sieht. Der Weg zu einem näheren Verständnis von ,.Eigentlichkeit« im Zusammenhang der Kantischen Moralphilosophie führt deshalb über die Einführung und Explikation des ethischen Zentralbegriffs des Sollens in Abhängigkeit von dem Begriff des Wollens. Die Kantische Moralphilosophie gewinnt ihren Anfang ja in der Vermutung, allein durch die Explikation des Begriffes des Wollens bzw. des diesem als Bedingung seiner sinnvollen Verwendung zugrundeliegenden reinen Wollens könne verständlich werden, wie wir wissen können, was wir tun sollen. Bekanntlich nimmt Kant diese Explikation in zwei Schritten vor, deren erster von der Explikation des reinen Willens zum Imperativ der Sittlichkeit führt, und deren zweiter untersucht, ob dieser Imperativ ein notwendiges Gesetz für alle vernünftigen Wesen ist, und d.h.: ob er apriori schon mit dem Begriffe des Willens eines vernünftigen Wesens verbunden ist (G 426) - m. a. W.: ob es ihn wirklich gebe (G 425). Erst damit ist das Gebiet einer Metaphysik der Sitten erreicht (vgl. G 426 und 431). Ob es das Gebot der Sittlichkeit nun tatsächlich als notwendiges Gesetz für alle vernünftigen Wesen gebe, kann auf dieser Grundlage also nur aufgeklärt
S Daß dieser Standpunkt durch das »Ein-nehmen des wahren Standes« des eigentlichen Selbst erreicht wird, wird von F.Kaulbach zum Anlaß genommen, Autonomie und Intelligibilität als Perspektive des philosophischen Denkens zu verstehen und darüber hinaus Kants praktische Philosophie insgesamt als »perspektivisch« zu interpretieren (lmmanuel Kants ,.Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Darmstadt 1988, S. 89, 110, 138, 164). Für eine solche Selbstdeutung der Philosophie kann Kants Moralphilosophie jedoch schon deshalb nicht in Anspruch genommen werden, weil in ihr die ,.Standpunkte« des Intelligiblen und des Phaenomenalen als notwendige Möglichkeitsbedingungen des wechselseitigen Bedingungsverhältnisses von Freiheit und Moralität begründet werden und damit eine wohldefmierte Bedeutung für das praktische Selbstverhältnis besitzen, durch das die Möglichkeit, eine ,.Perspektive« einzunehmen, überhaupt erst ermöglicht wird.
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werden, wenn nachgewiesen wird, daß das reine Wollen einemjeden vernünftigen Wesen allein aufgrund seiner Vernünftigkeit zugesprochen werden muß. 6 Im ersten Schritt der Explikation der Kantischen Moralphilosophie war argumentiert worden, daß ein wollendes Wesen als vernünftig im Sinne der Fähigkeit zur Verallgemeinerbarkeit seiner Maximen gedacht werden muß und deshalb an das Gebot der Sittlichkeit gebunden ist. Gelingt nun der Nachweis, daß ein vernünftiges Wesen bereits als solches auch ein rein wollendes ist, so kann einem jeden Wesen bereits dann eine kategorisch-imperativische Verpflichtetheit unterstellt werden, wenn von ihm nur bekannt ist, daß es als vernünftig bezeichnet werden muß. 7 Kant strukturiert diese Problematik mit Hilfe der Unterscheidung zwischen analytischem und synthetischem Beweisverfahren. Daß die Autonomie das alleinige Prinzip der Moral sei, dies lasse sich nämlich wohl durch einen analytischen Beweis fmden, d.h. "durch bloße Zergliederung der Begriffe der Sittlichkeit" (G 440); daß jedoch der Wille eines jeden vernünftigen Wesens an den Imperativ der Sittlichkeit als Bedingung notwendig gebunden sei, dies könne auf analytischem Wege nicht bewiesen werden, "weil es ein synthetischer Satz ist" (dto.). Die Auflösung dieser Schwierigkeit findet sich erst in der ,.Kritik der praktischen Vernunft«, indem der sittliche Imperativ in seiner Begründung als synthetischer Satz apriori bezeichnet wird, der aber "analytisch sein würde, wenn man die Freiheit des Willens voraussetzte" (KpV 31). Die Argumentation der ,.Grundlegung« geht demzufolge wohl analytisch durch Explikation des Begriffes eines reinen Willens vor, sie nimmt dazu jedoch eine Prämisse in Anspruch, ohne die sie synthetisch wäre. Die Voraussetzung der Freiheit des Willens erbringt damit zwei Leistungen für die Argumentationsstruktur der Kantischen Moralphilosophie: sie verbürgt die Gültigkeit des analytischen Zusammenhangs von reinem Wollen und kategorischem Imperativ; und sie stellt eine untrennbare Verbindung zwischen der Vernünftigkeit eines Wesens und seiner Fähigkeit zum reinen Wollen her. Nur wegen dieser doppelten Leistung kann die Prämisse der Freiheit dazu beitragen, eine Antwort auf jene Frage zu finden, mit der die Kantische Moralphilosophie ihr Ziel zu verfolgen sucht: ob ein vernünftiges Wesen auch ein rein wollendes ist und ihm
6 Vgl. R.McCarthy, Motivation and Moral Choice in Kant's Theory of Rational Agency, in: Kant-Studien 85/1994, S. 1-14. 7 Vgl. dazu D.Henrich, Die Deduktion des Sittengesetzes, in: A.Schwan, Hrsg., Denken im Schatten des Nihilismus, FS rur Wilhelm Weischedel zum 70. Geburtstag, Darmstadt 1975, S. 55-112.
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damit eo ipso die kategorisch-imperativische Verpflichtetheit unterstellt werden kann. Dieser Problemstrukturierung zufolge nimmt die Argumentation nun eine Unterscheidung in Anspruch, die auf dem Gedanken basiert, daß die Vernunft nicht nur durch Autonomie, sondern auch durch Eleutheronomie (MdS 378) bestimmt werden kann bzw. muß. Die Vernunft als Autonomie war in dem Gedankengang zur Geltung gekommen, der von der inneren Struktur eines reinen Willens über die Prüfung von Maximen auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit zur Bestimmung des Sittengesetzes im kategorischen Imperativ geführt hatte. Vernünftigkeit als Autonomie beruht jedoch auf einem synthetischen Zusammenhang, dessen Bestehen von einem Prinzip der Synthesis abhängt, dessen Existenz und Gültigkeit aufzuweisen Kant nicht gelungen ist. Zur Auflösung dieser Schwierigkeit wurde die Bestimmung von Vernünftigkeit als Eleutheronomie eingeführt, mit deren Hilfe sich die Bestimmung der Vernünftigkeit als Autonomie ohne Rekurs auf ein Prinzip des Synthesis rechtfertigen läßt, da sich diese Bestimmung nun auf analytischem Wege ergibt. Daß ein jedes vernünftige Wesen an den kategorischen Imperativ gebunden ist, dies ist jedoch erst dann nachgewiesen, wenn einleuchtet, daß das vernünftige Wesen nicht nur als autonom, sondern darüber hinaus als eleutheronom aufgefaßt werden muß. Der Begriff der Eleutheronomie bezeichnet in diesem Zusammenhang die Behauptung, daß Vernünftigkeit aus internen Gründen stets mit der Freiheit des Willens verbunden ist und deshalb als durch diese Freiheit des Willens bestimmt angesehen werden muß. Da aber aus der Freiheit des Willens analytisch die Autonomie und damit auch der sittliche Imperativ folgt, so ist Vernünftigkeit damit eo ipso auch mit dem sittlichen Imperativ verbunden und muß deshalb als durch ihn bestimmt angesehen werden. Damit sieht Kant auch das zweite Beweisziel der Explikation des reinen Wollens als Grundlage moralischer Verpflichtung als erreicht an: Vernünftigkeit als Eleutheronomie impliziert die Bindung eines jeden vernünftigen Wesens an den kategorischen Imperativ als Bestimmungsform eines reinen Willens. Das Beweisziel seiner Moralphilosophie kann Kant also nur erreichen, wenn ihm nachzuweisen gelingt, daß erst eine Bestimmung der Vernunft durch Freiheit den Begriff einer Selbstbestimmung durch Vernunft sinnvoll macht. Nun stellt der wechselseitige Voraussetzungszusammenhang von Freiheit und Moralität den innersten Kern der Kantischen Moralphilosophie dar. Dieser Zusammenhang erscheint unter der Prämisse der Freiheit nun in folgender Form: die Selbstbestimmung in der Autonomie des Willens setzt zu ihrer Möglichkeit die Bestimmung durch Freiheit als Eleutheronomie des vernünftigen
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Wesens voraus; umgekehrt kann sich die Freiheitsbestimmung jedoch nur in der Form der Selbstbestimmung demonstrieren. Dieser Zusammenhang läßt offensichtlich die Struktur jener Selbstbestimmung nicht unberührt, zu der ein vernünftiges Wesen fähig sein muß, um als moralisch verpflichtet gelten zu können. Würde das vernünftige Wesen nur als autonom aufgefaßt, so würde eine Gesetzgebung durch sein Selbst unterstellt, ohne daß dieses Selbst so in seinem Status bestimmt wäre, daß der interne Zusammenhang zwischen seiner Vernünftigkeit und der durch sein reines Wollen ernötigten Bindung an den kategorischen Imperativ zwingend wäre. 8 Eleutheronomie kann demzufolge als die Struktur einer Selbstbestimmung aufgefaßt werden, die dem ,.Selbst« der Selbstbestimmung jenen Status garantiert, der es eo ipso als vernünftig und moralisch verpflichtet auszeichnet. Daß Kant das dem kategorischen Imperativ unterworfene Selbst als das »eigentliche« und »wahre« Selbst bezeichnet, formuliert nun den Status jenes Selbst, das aufgrund seiner Vernünftigkeit seinen reinen Willen nicht nur autonom, sondern eleutheronom bestimmen kann. Nun war unter dem Namen Autonomie aber eine Maximenbestimmung durch Prüfung auf Verallgemeinerbarkeit ohne Rücksicht auf empirische BestimmungsgrÜßde eingeführt worden. Auch das »wahre« und »eigentliche« Selbst im Status der Eleutheronomie muß sich durch diese Autonomie definieren, es muß sich aber davon noch durch eine zusätzliche Auszeichnung unterscheiden können, und die Vermutung liegt nahe, daß diese Unterscheidung den Status des Selbst betrifft, das die ethische Dimension nur dann für sich beanspruchen kann, wenn es seine Maximen auf der Grundlage einer Selbstgesetzgebung bestimmt. Die Selbstheit dieser Gesetzgebung aber ist zunächst durch die mit dem kategorischen Imperativ bestimmte Prüfung auf Verallgemeinerbarkeit angegeben. Bezüglich der dem ,.eigentlichen« Selbst zuzuschreibenden Fähigkeit zur Eleutheronomie stellt sich demnach die folgende Frage: wie ist die Selbstheit einer Gesetzgebung zu denken, die über die Vernünftigkeit im Sinne der Prüfung auf Verallgemeinerbarkeit hinaus noch die Qualität einer Freiheit enthält, aufgrund derer jene
8 Dies wäre G.Prauss entgegenzusetzen, der den Willen als ein von Kant immer schon vorausgesetztes, aber niemals voll entfaltetes reflexives Selbstverhältnis auffaßt, dessen Explikation als ein sich autonom moralischer Verpflichtung unterwerfendes Selbstverhältnis Kant nie gelungen sei, weil er den Gedanken einer für sich selbst zwar schon praktischen, aber damit gerade nicht auch schon moralischen Vernunft nicht weiter verfolgt habe (Für sich selber praktische Vernunft, in: O.Höffe, Hrsg., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. Ein kooperativer Kommentar, FrankfurtlMain 1989, S. 253-263).
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Selbstheit nicht nur als autonom, sondern als eleutheronom bezeichnet werden kann. Der Status einer solchen Selbstheit bestimmt sich zunächst aus dem argumentativen Zusammenhang der Kantischen Moralphilosophie. Kant hatte die Freiheit als jene Prämisse bezeichnet, durch deren Voraussetzung die Ableitung des Sittengesetzes analytischen Charakter gewinnt und der kategorische Imperativ als notwendiges Gesetz für jedes vernünftige Wesen nachgewiesen wird. Diese Voraussetzung der Freiheit betrifft also sowohl die argumentative Form der Begründung des kategorischen Imperativs als auch seine Gültigkeit für jedes vernünftige Wesen. Eine eleutheronomische Selbstgesetzgebung schließt also im Unterschied zu einer nur autonomen aufgrund ihrer veränderten argumentativen Grundlage jene Geltung für alle vernünftigen Wesen ein. Bloße Selbstgesetzgebung durch Prüfung von Maximen auf Verallgemeinerungsfähigkeit reicht also nicht aus, um diese Selbstgesetzgebung als notwendig für jedes vernünftige Wesen nachzuweisen. 9 Sie reicht deshalb auch nicht aus, um den Status des ,.eigentlichen« und ,.wahren« Selbst zu dokumentieren. Zu diesem Zweck muß die Verwandlung des Charakters der Selbstheit der Gesetzgebung im Stande der Eleutheronomie beachtet werden. Das eigentliche Selbst ist das Selbst, das aufgrund seiner Bestimmung des reinen Willens durch Autonomie der intelligibelen Welt angehört. Da das Kantische Beweisziel aber erst mit dem Übergang von einer Bestimmung durch Autonomie zu einer Bestimmung durch Eleutheronomie erreicht ist - denn nur dann ist die kategorisch-imperativische Verpflichtetheit eines jeden vernünftigen Wesens bloß aufgrund seiner Vernünftigkeit nachgewiesen -, so kann das eigentliche Selbst erst dann als Charakterisierung des vernünftigen Selbst verstanden werden, wenn mit Hilfe des Übergangs von der Autonomie zur Eleutheronomie eine Begründungsform gefunden ist, die den Nachweis erlaubt, ein jedes vernünftige Wesen sei an die Willensbestimmung durch Autonomie gebunden. Damit wird die Autonomie nicht dementiert, aber es wird bestimmt, wie sie näher zu denken ist. Diese nähere Bestimmung hat sich für Kant deshalb als notwendig erwiesen, weil nur so auf analytischem Wege nachgewiesen werden kann, daß der Wille eines jeden vernünftigen Wesens notwendig an den Imperativ der Sittlichkeit gebunden ist. Mit der
9 F.Kaulbach betont den Status des eigentlichen Selbst als moralisches Selbstverhältnis, in dem die Autonomie in der systematischen Funktion einer ,.Einigung des Menschen mit sich selbst« ihren Ort hat (lmmanuel Kants ,.Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Darmstadt 1988, S. 103, 107, 159, 197).
6 Römpp
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Bestimmung als Autonomie wäre die für den Imperativ der Sittlichkeit erforderliche Gesetzgebung also nicht ausreichend bestimmt. 10 Indem aber erst mit der Voraussetzung der Freiheit der Begründungsanspruch der Kantischen Moralphilosophie einläsbar ist, so läßt die Bestimmung der moralischen Gesetzgebung als Eleutheronomie auch den Status der Autonomie nicht unberührt. Der Begriff der Autonomie beschrieb den Charakter einer genuin moralischen Gesetzgebung auf dem argumentativen Niveau, auf dem der sittliche Imperativ analytisch aus dem Begriff des reinen Wollens entwickelt werden konnte. Dieser Begriff behält zwar seine Gültigkeit auch dann, wenn eingesehen wird, daß der sittliche Imperativ nur dann einen universellen moralischen Verpflichtungscharakter erhält, wenn mit der expliziten Voraussetzung der Freiheit des Willens auch die Universalität dieser Verpflichtetheit analytisch nachgewiesen werden kann. Nur deshalb kann auch im vollendeten Argumentationsstatus der Kantischen Moralphilosophie noch von dem ..eigentlichen« und ..wahren« Selbst in der mit der Moralität erreichten Dimension der Intelligibilität gesprochen werden. Würde die Bedeutung der ..Selbstgesetzgebung« für die Moralität dementiert, so würden auch diese Auszeichnungen der moralisch konstituierten Selbstheit jede Bedeutung verlieren. Mit der Vorausgesetztheit der Freiheit in der vollendeten Argumentationsstruktur der Kantischen Moralphilosophie ist jedoch ein neues Argumentationsniveau erreicht, auf dem auch der Charakter einer genuin moralischen Gesetzgebung neu beschrieben werden muß. Dieses neue Argumentationsniveau ist durch den Nachweis der Universalität moralischer Verpflichtetheit durch die Prämisse der Freiheit bestimmt. Der Begriff der Eleutheronomie erscheint geeignet, den Charakter einer genuin moralischen Verpflichtetheit auf diesem argumentativen Niveau zu beschreiben. Wenn damit jedoch der Begriff der Autonomie seine Gültigkeit nicht verliert, so muß dieser Begriff doch durch den Begriff der Eleutheronomie eine nähere Bestimmung erfahren. Mit dieser Bestimmung muß er zugleich in die vollendete Argumentationsstruktur der Kantischen Moralphilosophie eingefügt werden. Autonomie als Autonomie würde demnach den Charakter der Selbstgesetzgebung auf dem Stande der analytischen Ableitung des moralischen Imperativs aus dem reinen Willen bezeichnen, während Autonomie als Eleutheronomie den Charakter der
10 Insoweit - aber nur insoweit - ist R.Bittners Kritik zuzustimmen; vgl. Moralisches Gebot oder Autonomie, Freiburg 1983, S. 115-172.
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Selbstgesetzgebung auf dem Stande der unter der Prämisse der Freiheit abgeleiteten Universalität imperativisch-moralischer Verpflichtetheit beschreibt. Eleutheronomie kann somit als eine Erläuterung der Autonomie im Status der vollendeten ArgumentationsstrukturderKantischenMoralphilosophieverstanden werden. In diesem Status wird also die Gültigkeit des folgenden Zusammenhangs beansprucht: was Selbstgesetzgebung heißt, dies erfahren wir eigentlich erst dann, wenn wir wissen, was Freiheitsgesetzgebung heißt. Anders formuliert: die Gesetzgebung durch ein Selbst läßt sich nur als Gesetzgebung durch Freiheit erläutern. Nichtsdestoweniger darf dadurch der Begriff der Autonomie die Bedeutung nicht verlieren, die er in der Ableitung des sittlichen Imperativs aus dem Begriff des reinen Willens erhalten hat. Im Grunde darf ihm nur eine solche Bedeutung zuwachsen - bzw. darf er nur eine solche Erläuterung erfahren -, die sich aus der Prämisse der Freiheit ergibt, mit der die Kantische Moralphilosophie die Vollendung ihrer Argumentationsstruktur erreicht. Freiheitsgesetzgebung als Gesetzgebung durch Freiheit und als Gesetzgebung, in der allein Freiheit sich zeigen kann, muß demnach als eine Charakterisierung verstanden werden, die nur explizit macht, was in einer Selbstgesetzgebung als Gesetzgebung durch ein Selbst und als Gesetzgebung, in der allein Selbstheit sich zeigen kann, bereits enthalten war. Der Begriff der Freiheitsgesetzgebung stellt im gedanklichen Zusammenhang der Kantischen Moralphilosophie also eine notwendige Erläuterung zu dem Begriff der Selbstgesetzgebung dar. Wenn mit der Selbstgesetzgebung aber eo ipso das ,.wahre« und ,.eigentliche« Selbst in der Dimension der Intelligibilität konstituiert ist, so stellt der Begriff der Freiheitsgesetzgebung auch eine Erläuterung zu der Weise der Konstitution eines Selbst dar, das als eigentliches und wahres charakterisiert werden darf. Da dieses Selbst jedoch nur durch die Weise seiner Konstituiertheit bestimmt sein kann und darüber hinaus nicht gesagt werden kann, ,.was« es ist, so charakterisiert der Begriff der Freiheitsgesetzgebung auch diejenige Bestimmtheit, die einem Selbst zukommen kann, das als eigentliches und wahres bezeichnet werden darf. Die Dimension der Intelligibilität wird also nur erreicht durch eine Selbstgesetzgebung, die eo ipso eine Freiheitsgesetzgebung ist. Wenn Kant also das im Status der durch reine Willensbestimmung erreichten Dimension der Intelligibilität befindliche Selbst als ,.eigentlich« bezeichnet, so muß die Selbstheit dieses Selbst von der voll entfalteten Argumentationsstruktur der Kantischen Moralphilosophie her verstanden werden. Erst wenn mit dem Begriff der Eleutheronomie formuliert ist, daß die Gesetzgebung des reinen
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Willens ausschließlich durch Freiheit vonstatten gehen kann, ist der sittliche Imperativ genügend bestimmt. Der Urheber der Gesetzgebung ist also nicht nur ein »Selbst«, sondern die Freiheit - die »Freiheit selbst«. Selbstgesetzgebung als Freiheitsgesetzgebung ist damit genau der Bedeutungsgehalt des Begriffes von Eigentlichkeit, die das »eigentliche« und damit »wahre« Selbst kennzeichnet. ll Seine Freiheit aber kann das »eigentliche« Selbst nur durch seine Fähigkeit zur Verallgemeinerung demonstrieren. Daran ändert auch die nähere Bestimmung seiner Autonomie durch Eleutheronomie nichts. Umgekehrt erfährt jedoch seine Fähigkeit zur Verallgemeinerung eine nähere Bestimmung, da die Autonomie in der vollständigen Argumentationsstruktur der Kantischen Moralphilosophie nur unter Voraussetzung der Freiheit ihre wohlbestimmte Stelle erhält. Die Autonomie, durch die allein sich das eigentliche Selbst demonstrieren kann, ist somit nicht unabhängig von der Eleutheronomie zu denken. Wir können demzufolge nur dann die Selbstbestimmung des reinen Willens als eine Demonstration der Autonomie des Selbst verstehen, wenn wir darin ebenso das Wirken einer Selbstbestimmung durch Freiheit anzuerkennen bereit sind. Und wir können jene Selbstbestimmung nur dann als Ausdruck seiner Moralität verstehen, wenn wir die Moralität ebenso als Ausdruck einer Selbstbestimmung durch Freiheit aufzufassen in der Lage sind. Daraus ergibt sich die Bestimmung des Status des »eigentlichen« Selbst als eines durch Freiheit selbstgesetzgebenden und darin sich in die Dimension der vernünftigen Allgemeinheit stellenden Ichs. In der Freiheitsgesetzgebung entäußert es sich also seiner Einzelnheit und unterstellt sich den Bedingungen der Universalisierung von Maximen. t2 Das »eigentliche« Selbst ist deshalb
11 Wegen dieses Zusammenhanges scheint es mir fraglich, ob Kant mit dem Gedanken des Zwecks an sich selbst tatsächlich die »Ursprungsthematik« in Richtung eines .. nicht-anthropologischen« Begriffs des Menschen entfaltet hat, demzufolge der moralische Anspruch des Sittengesetzes in einem ..Daseins- oder Existenzvollzug« gründet, der die strukturelle Nichtidentität als Willensbeziehung entfaltet, wie U.J. Wenzel interpretiert (Anthroponomie. Kants Archäologie der Autonomie, Berlin 1992, S. 265 ft). Wenn mit ..Anthroponomie« allerdings zum Ausdruck gebracht werden soll, daß die Bestimmung des Menschen seine Selbstbestimmung als Selbstgesetzgebung ist (S. 273), so läßt sich dies wohl mit den zentralen Gedanken der Kantischen Eleutheronomie vereinbaren.
t2 Zu den Konsequenzen vgl. auch E.Schreckhojf, Das Autonomieverständnis Kants und seine Bedeutung für die Moraltheologie, in: F.Furger, Hrsg., Ethische Theorie praktisch. Der fundamentalmoraltheologische Ansatz in sozialethiseher Entfaltung. Klaus Demmer zum 60. Geburtstag, Münster 1991, S. 66-83.
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gerade nicht das vereinzelte, in sich abgeschlossene und solipsistische Ich, sondern das sich autonom kraft seiner Freiheit in die Dimension der Universalität entäußernde Ich.
2. Der Begriff des »eigentlichen Selbst« als Grundlage der Kantischen Theorie des Selbstbewußtseins Die erstaunlichsten Implikationen entfaltet der Kantische Begriff eines in der Moralität erreichten "eigentlichen Selbst« erst dann, wenn das Attribut "eigentlich« wörtlich genommen wird und Kant nicht ein "Jargon der Eigentlichkeit« unterstellt wird. 13 Dann kann das "eigentliche Selbst« allgemein als ein Status des Subjekts aufgefaßt werden, in dem es sich "zu eigen« ist. Auch dies fügt sich nahtlos ein in den fundamentalen Zusammenhang der Kantischen Moralphilosophie. Frei ist das moralische Subjekt nicht nur, indem es sich in der moralischen Handlungsorientierung von seiner Animalität löst, sondern frei ist es auch, indem es sich darin von der Abhängigkeit von anderen Menschen löst. Damit zeigt sich gerade die Moralität, die zunächst dem Einzelnen nur allgemeine Gesetze vorzuschreiben und ihn damit gerade seiner Einzelnheit zu berauben schien, als Garant seiner Individualität, die gleichbedeutend mit seiner Freiheit ist. Das "eigentliche Selbst« der moralischen Entscheidung ist also gerade das Subjekt, das sich zu eigen hat und damit ein Verhältnis zu sich unterhält, in dem es nicht nur seiner selbst bewußt ist, sondern darin auch das Bewußtsein seiner Freiheit und Individualität besitzt. 14 Daß in der Maximenbestimmung durch die Stimme der reinen Vernunft (also durch die Verallgemeinerungsfähigkeit) das wahre und eigentliche Selbst erreicht ist, und daß dies nur so erreicht werden kann, dies widerspricht den gängigen Vorstellungen über Selbstheit radikal. Mit der Inanspruchnahme von Selbstheit für sich unterscheidet der Mensch sich von allem, was nicht "er selbst« ist und behauptet sich damit als Individuum. Kants Behauptung ist also durchaus "paradox«: von einem Selbst könne "eigentlich« nur gesprochen wer-
13 Vgl. zum folgenden auch D.Sturma, Autonomie und Kontingenz. Kants nichtreduktionistische Theorie des moralischen Selbst, in: Akten des 7. Internationalen KantKongresses Mainz 1990, Bd. 11,1, Bonn 1991, S. 573-587. 14 Zu dieser Thematik vgl. W.Teichner, Die intelligible Welt. Ein Problem der theoretischen und praktischen Philosophie I. Kants, Meisenheim am Glan 1967, S. 136ff.
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den, wenn das Subjekt sich durch die Prüfung seiner Maximen auf Verallgemeinerbarkeit von seiner Tierheit trennt und sich so als intelligibeles Wesen erweist. Individuum ist der Mensch also gerade dadurch, daß er sich der Vernunft als Autonomie und Eleutheronomie unterstellt. IS Der Kantische Begriff des in der Moralität erreichten ..eigentlichen Selbst« führt demnach weit über die Grenzen der Moralphilosophie hinaus. Die systematische Genesis eines Selbst, das sich zu eigen ist und damit einen Bezug zu sich aufnehmen und unterhalten kann, ist bei Kant von der Genesis einer ethischen Orientierung des Subjekts abhängig, in der ein prinzipiell ethischer Bezug zu sich selbst und zu anderen hergestellt wird. 16 Damit wird der Theorie des Selbstverhältnisses ein Element integriert, das zu einem besseren Verständnis dieser merkwürdigen Struktur beitragen kann. Dieses bessere Verständnis betrifft insbesondere den Status des .. Gegenstandes« eines Bewußtseins von sich selbst. Wenn das Bewußtsein eine bewußte Selbstbeziehung eingeht, so ist ihm ein Gegenstand bewußt, der grundsätzlich keiner Bestimmtheit fähig ist, da jede extern eingeführte· Bestimmtheit die Identität des wissenden mit dem bewußten Selbst dementieren würde. Kann der Gegenstand dieses Wissens jedoch keine Bestimmtheit annehmen, so ..implodiert« das Bewußtsein von sich selbst mangels eines Gegenstandes seines Wissens. Das Problem der internen Unbestimmtheit der Selbstbewußtseins-Relation kann nun mit Hilfe des Begriffs des ..eigentlichen Selbstes« zu lösen versucht werden. Die Kantische Strategie erscheint zunächst vielversprechend, impliziert jedoch ein schwieriges Problem. Daß das ..eigentliche Selbst« nur als einer .. intelligibelen Welt« zugehörig begriffen werden kann, in der Freiheit statt Kausalität regiert, und damit zwar kein Begriff einer subjektunabhängigen Objektwelt, aber doch der Begriff eines frei und spontan Kausalreihen
15 F. Kaulbach identifiziert Kants ,.eigentliches Selbst« mit der ,.eigenen Vernunft« als Quelle der sittlichen Prinzipien und weist darauf hin, daß das ,.eigentliche Selbst« in terminologischem Sinne der ,.Menschheit« jeweils in der Person des konkreten Menschen entspricht; die Identität des Menschen ist danach zu verstehen als Vergegenwärtigung der Menschheit bzw. des eigentlichen Selbst in der konkreten Erscheinung (lmmanuel Kants ..Grundlegung zur Metaphysik der Sitten«, Darmstadt 1988, S. 73, 160). 16 Daraus läßt sich im übrigen auch das Problem von Gesinnung und Verantwortung, also von ethischer Solipsizität und Intersubjektivität näher bestimmen; vgl. dazu W.Hirsch, Über den vermeintlichen Gegensatz von Gesinnungsethik und Verantwortungsethik, in: Perspektiven der Philosophie 21/1995, S. 147-170.
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beginnenden Subjekts möglich wird, kann einleuchten; daß sich dieses Selbst jedoch nur in der moralischen Selbstbestimmung erschafft, wirft hingegen eine Reihe von schwierigen Fragen auf. Daß das »eigentliche Selbst« der Dimension des Intelligibelen angehört, ist eine erste Voraussetzung dafür, daß mit diesem Selbst eine angemessene Formulierung für den Gegenstand eines Bewußtseins von sich selbst gefunden sein kann. Da diesem Gegenstand keine empirischen Bestimmungen zuschreibbar sind, so kann er sinnvoll nur als einer Dimension zugehörig verstanden werden, in der er nicht unter den Begriffen einer subjektunabhängigen Objektivität aufgefaßt wird. Die Frage, ob und inwieweit Kants Moralphilosophie mit dem Begriff eines rein ethisch bestimmten »eigentlichen Selbst« einen Beitrag zu dem Fundamentalproblem einer Theorie des Bewußtseins von sich selbst leisten kann, ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Dazu muß untersucht werden, ob die durch ethische Selbstbestimmung generierte Zugehörigkeit des Selbst zu einer intelligibelen Welt geeignet ist, den spezifisch unbestimmten Status des Selbst zu erhellen, von dem das Selbstbewußtsein weiß. Nun ist der Akt der kategorisch-imperativischen MaximenpTÜfung bei Kant genau der Vorgang, in dem ein Subjekt sich in vollkommenem Sinne selbst bestimmen kann. In der moralischen Selbstbestimmung erweist das Subjekt seinen Willen als frei, indem es ihn von allen außer ihm selbst liegenden Bestimmungsgründen unabhängig macht und nur in dieser Unabhängigkeit seinen Willen bestimmt, d.h. ihn bestimmt ohne jede Bestimmung außer der einen, nämlich der reinen Form der Gesetzesförmigkeit, also der Allgemeinheit, also der Vernunft. Wenn das moralische Subjekt auch als das eigentliche Selbst bezeichnet wird, so kann daraus der Schluß gezogen werden, daß im Kantischen Denkzusammenhang keine andere Form der Selbstbestimmung des Subjektes möglich ist als in seiner Moralität und d.h. in seiner Selbstdarstellung als eigentliches Selbst. Der Kantische Begriff des Selbst in seiner Eigentlichkeit enthält also wesentlich den Begriff der Freiheit und der Selbstbestimmung. Das eigentliche Selbst ist damit durch Autonomie und Eleutheronomie zugleich bestimmt. Wenn das moralische Subjekt aber alle fremde Bestimmung von sich abstößt und dennoch als ein Selbst bezeichnet werden kann, so ist damit im Grunde die fundamentale Struktur des Selbstbewußtseins erreicht. Anders kann der Begriff des Selbstbewußtseins im Rahmen des Kantischen Denkzusammenhangs auch nicht formuliert werden, da die absolute Bestimmungslosigkeit des Selbst, d.h.
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die reine Bestimmung durch sich selbst, bei Kant nur auf dem Wege der kategorisch-imperativischen Moralität erreicht werden kann, in der das Subjekt seine Freiheit und damit seine Unabhängigkeit von aller Bestimmtheit, die ihm vorgegeben ist, nachweist. 17 Damit zeigt sich der Kantische Begriff des eigentlichen Selbst, obwohl er nur an wenigen Stellen ausschließlich in der Moralphilosophie gebraucht wird, für Kant als die einzige Möglichkeit, einen Begriff des Selbstbewußtseins zu formulieren. Den Begriff eines empirischen Selbstbewußtseins freilich kann auch Kant ohne Schwierigkeiten verwenden, da dieser Begriff mit einer heteronomen Bestimmbarkeit vereinbar ist. Er kann jedoch nicht den Begriff eines reinen Selbstbewußtseins formulieren, ohne auf den Begriff der Freiheit rekurrieren zu müssen, der sich nur in einer moralischen Entscheidung demonstrieren läßt. 18 Wenn der Begriff der Freiheit aber die Grundlage der gesamten Kantischen Moralphilosophie darstellt, und die Ethik bei vorausgesetzter Freiheit analytisch aus diesem Begriffe abzuleiten ist, so zeigt sich nun die zentrale Bedeutung eines eigentlichen Selbstes für den Zusammenhang und die fundamentalen Begründungswege der Kantischen Ethik. Jene Freiheit, auf der nach Kant die gesamte Moral aufruht, kann nur die Freiheit des sich selbst bestimmenden Selbst sein, das Kant als das eigentliche Selbst bezeichnet. Damit ist offensichtlich die zirkuläre Struktur der Kantischen Moralphilosophie nicht behoben. Aber es zeigt sich, daß Kants Moralphilosophie in einen weiteren argumentativen Zusammenhang gehört, als er gewöhnlicherweise unterstellt wird. Der Kantische Begriff eines eigentlichen Selbst, von dem nur aufgrund seiner Moralität die Rede sein kann, eröffnet damit auch systematische Perspektiven im Hinblick auf ungelöste Probleme des reinen Selbstbewußtseins. Von einem reinen Selbstbewußtsein kann nur dann gesprochen werden, wenn der Begriff der Selbstbestimmung legitim verwendet werden kann, da rein ein Selbstbewußtsein nicht heißen kann, wenn es von außerhalb die Bestimmung seines Selbst erfahrt. Bleibt es jedoch völlig unbestimmt und wird nur die Selbstbezüglichkeit der Struktur ..bewußtes Selbstverhältnis« beibehalten, so bleibt
17 Im Prinzip ähnlich ist der Gedanke bei R. White, Morality as a Self-relation, in: Proceedings ofthe American Catholic Philosophical Association 66/1992, S. 99-108. 18 Vgl. dazu W.Müller-Lauter, Das Verhältnis des intelligiblen zum empirischen Charakter bei Kant, Schelling und Schopenhauer, in: K. Held/i. Hennigfeld, Hrsg., Kategorien der Existenz, FS für Wolfgang Janke, Würzburg 1993, S. 31-60.
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dieser Begriff in einer Unbestimmtheit, die eine sinnvolle Rede von ihm nicht ermöglicht. Wir könnten diese Schwierigkeit als das Grundproblem einer Theorie eines reinen Selbstbewußtseins auffassen. Kants Lösungsvorschlag für diese Schwierigkeit nimmt grundsätzlich eine sehr einfache Form an. Von der Selbstbestimmung, die die Rede eines reinen Selbstbewußtseins sinnvoll macht, kann nur dann die Rede sein, wenn es sich auf kategorisch-imperativische Weise selbst bestimmt. Dies ist gleichbedeutend mit der Aussage, daß von einem solchen reinen Selbstbewußtsein nur dann die Rede sein kann, wenn es in der Lage ist, seinen Willen ohne jede exogene Determinante durch reine Gesetzesförmigkeit zu bestimmen. Bestimmung durch reine Gesetzesförmigkeit heißt in der Kantischen Moralphilosophie jedoch Bestimmung durch das reine Prinzip der Universalisierbarkeit, die Kant im strengen Sinne als logische Verallgemeinerbarkeit von Maximen auffaßt. Danach wäre von einem reinen Selbstbewußtsein nur zu sprechen, wenn es fähig ist, Maximen durch rein logische Operationen so zu verallgemeinern, daß es interne Widersprüche in seinen Maximen erkennen kann und sie demgemäß eliminiert. Das reine Selbstbewußtsein nach dem Kantischen Begriff wäre also ein ethisches Selbstbewußtsein, das ethisch ist durch seine Fähigkeit zur Überprüfung seiner Handlungsmaximen durch das Kriterium der Universalisierbarkeit. Es wäre ein Selbstbewußtsein, das seiner selbst bewußt ist aufgrund seiner reflexiven Handlungsorientierung, d.h. ein Selbstbewußtsein aus praktischer Vernunft. 19 Ein Selbstbewußtsein aus theoretischer Vernunft kann Kant dagegen nicht denken, weil die theoretische Vernunft die Möglichkeit der
19 Die Priorität der moralischen Dimension in Kants Konzept vernünftiger Subjektivität zeigt sich nach K.Konhardt darin, daß sich das Subjekt der Vernunft allererst im Aktus der Übernahme des Vernunftanspruchs konstituiert, indem es darin sein ,.eigentliches Selbst« findet. Der Anspruchs- und Aufforderungscharakter der Vernunft wird auf diese Weise mit der Grundstruktur der Subjektivität verbunden: ein Wesen, das einen solchen Anspruch überhaupt verstehen kann, "muß sich grundsätzlich so in ein Verhältnis zu sich selbst setzen können, daß es sich selbst zugleich als denjenigen, der den Anspruch erhebt, und als den Adressaten dieses Anspruchs zu begreifen vermag: "Mein« Anspruch ergeht ,.an mich«.' Das Bewußtsein des Sittengesetzes ist die Bedingung der Möglichkeit, sich selbst als Vernunftwesen ansprechen zu können, und diese Möglichkeit macht als ,.Herausforderung an sich selbst« das ,.eigentliche Selbst« des Menschen aus. (Faktum der Vernunft? Zu Kants Frage nach dem ,.eigentlichen Selbst« des Menschen, in: G.Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 160-184, S. 176 f, 179 f, Zitat S. 176)
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Freiheit zwar nicht ausschließen kann, diese Möglichkeit und diesen Begriff jedoch mit keinem positiven Gehalt erfüllen kann. Wenn jedoch dieses Selbstbewußtsein aus praktischer Vernunft das Zentrum der Kantischen Moralphilosophie darstellt - und dies muß es, da nur ein Wesen, das fähig ist, seinen Willen ohne jede fremde Determination selbst und damit durch reine Gesetzesförmigkeit zu bestimmen, d.h. also eine Bestimmung überhaupt vorzunehmen, als ein moralisches Subjekt gelten kann -, so ergibt sich daraus, daß das moralische Subjekt innerhalb der Kantischen Moralphilosophie allein jenes eigentliche oder wahre Selbstbewußtsein ist, das aufgrund eben dieser Eigentlichkeit der Sphäre der Intelligibilität zugehört. Daraus ergibt sich jedoch auch, daß die Sphäre der Intelligibilität keine Sphäre jenseits der Welt ist, sondern die Sphäre der Intelligibilität mit ihrer anderen Ordnung der Dinge ist genau die Sphäre, die durch die Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins, die Kant mit dem Begriff des eigentlichen Selbst ausdrückt, aufgespannt wird. Das Selbstbewußtsein im Kantischen Sinne ist damit im Grunde das Verhältnis eines Willens zu sich selbst, der sich durch den sittlichen Imperativ durch reine Vernunft bestimmt. Diese Selbstbestimmung eines Willens als Grundstruktur eines Selbstbewußtseins kann Kant jedoch nur denken, indem er diese Bestimmung von jeder exogenen Bestimmung frei hält und sie als reine Selbstbestimmung fonnuliert, womit der Anfang seiner Moralphilosophie wieder erreicht ist, der zufolge allein ein guter Wille gut heißen kann. 20 Die Struktur eines Selbstbewußtseins ist demnach zu verstehen als die Bestimmung überhaupt eines Willens, da jede externe Determination ausgeschlossen werden muß, um nicht den Willen als solchen nicht gut und ihn damit als solchen nicht frei werden zu lassen, wodurch er nach Kant überhaupt kein Wille ist. Daraus ließe sich schließen, daß von Selbstbewußtsein nach Kant dann die Rede sein kann, wenn sich ein Wille im vollen und eigentlichen Sinne des Wortes demonstriert. ,.Wille« sollte jedoch nicht mißverstanden werden, es handelt sich um reine Selbstbestimmung, die durch keinerlei externe Faktoren mitbestimmt werden darf. Das Problem, das das Selbstbewußtsein im Kantischen Verständnis also darstellt, läßt sich so fonnulieren: ist eine reine, von jeder externen Determination freie und rein interne Determination eines
20 Zu den kritischen Implikationen dieses Gedankens vgl. R.Kraetke, Das Evangelium des Selbst wider Kants intelligible Freiheit, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39/1991, S. 637-649.
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Willens möglich? Nur wenn diese Frage bejaht werden kann, so ist aufgrund des Kantischen Gedankenganges ein Selbstbewußtsein möglich. Die Bejahung dieser Frage ist im Grunde die gesamte Kantische Moralphilosophie, so daß wir - pointiert gesagt - die Kantische Moralphilosophie als Nachweis der Sinnhaftigkeit des Begriffes eines reinen Selbstbewußtseins auffassen können. Von daher erhellt sich auch der Begriff des ,.eigentlich« im Ausdruck ,.eigentliches Selbst«. Dieser Begriff wird damit zu einer Auszeichnung des spezifisch Kantischen Begriffs eines Selbstbewußtseins. Das Selbstbewußtsein ist demnach aufgrund seiner Struktur ,.eigentlich«, oder es ist strukturell überhaupt kein haltbarer Gedanke, weil es nur durch eine Selbstbestimmung rein interner Art zustandekommt, d.h. nur durch einen Willen, der absolut rein ist. Der Ausdruck ,.eigentliches Selbst« drückt damit die spezifisch Kantische Theorie eines Selbstbewußtseins auf der Grundlage praktischer Vernunft durch absolute Selbstbestimmung des Willens aus, also eines Selbstbewußtseins, das nur mit eleutherologischen Begriffen verstanden werden kann. Kant hat damit die Grundlage für einen Begriff des Selbstbewußtseins als eines reinen Willens gelegt und so das Selbstbewußtsein mit Hilfe praktischer Vernunft zu verstehen versucht.
11. Das eigentliche Selbst und die Freiheit in der Wissenschaft: Der Zusammenhang von Spontaneität und Autonomie 1. Das Ich der transzendentalen Apperzeption und die Mir-Angehörigkeit aller Vorstellungen Kant gründet das Beweisverfahren der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe21 auf einen Zusammenhang, der ihm geeignet er-
21 Die transzendentale Deduktion wurde in den letzten Jahrzehnten so intensiv und kontrovers diskutiert wie kein anderer Text der Philosophiegeschichte. Eine eingehende Auseinandersetzung mit dieser Diskussion würde den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. Ich beschränke mich deshalb im folgenden auf einige wenige Hinweise. Ebenso ausführliche wie kritische Darstellungen fmden sich in der Literaturübersicht von P.Baumanns, Kants transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe (B). Ein kritischer Forschungsbericht, in: Kant-Studien 82/1991, Erster Teil: S. 329-348, Zweiter Teil: S. 436-455; Kant-Studien 83/1992, Dritter Teil: S. 60-207; sowie jetzt in ders., Kants Philosophie der Erkenntnis. Durchgehender Kommentar zu den Hauptkapiteln der ,.Kritik der reinen Vernunft«, Würzburg 1997, S. 452-522.
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scheint, das für jede Argumentation unabdingbare Zugeständnis an nicht infrage stehenden Voraussetzungen minimieren zu können. Eine solche Voraussetzung wird dann mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit auf allgemeine Zustimmung vertrauen können, wenn sich ihr Informationsgehalt so weit minimieren läßt, daß er das für ihre Verständlichkeit überhaupt erforderliche Residuum nicht übersteigt. Ein solches Minimum ist generell dann erreicht, wenn der zugestandene Sachverhalt mit einer maximalen Anzahl von Zuständen der Welt vereinbar ist - wird nichts ausgeschlossen, so kann die Voraussetzung nicht in den Zustand der Fraglichkeit zurückgeführt werden. Daß ein solch minimalinformatives Zugeständnis zur Entwicklung einer philosophischen Erkenntnis maximalinformativen Gehalts führen soll und kann, dieser Anspruch ist im Grunde die Definition des philosophischen Tuns: durch Ausdifferenzierung reflexiv aufeinander bezogener Wissensebenen eine spezielle Erkenntnis zu generieren, die einerseits nur reines Denken ohne Weltbezug in Anspruch nimmt, andererseits jedoch den Kreis unseres Wissens erweitert. Kant scheint nun in der Tat nur das Minimum an Zugeständnissen von uns zu verlangen. Daß alle Vorstellungen ,.durchgängig mir angehören« (B 132/133) besagt nicht mehr, als daß meine Vorstellungen zurecht als meine Vorstellungen bezeichnet werden können. Zugestanden werden muß demnach nur, daß der Begriff ,.meine Vorstellungen« insofern Notwendigkeit besitzt, als das Possessivpronomen nicht von dem Begriff einer Vorstellung abgetrennt werden kann. Vorausgesetzt wird also, daß ein analytischer Zusammenhang besteht, demzufolge Vorstellungen nur so gedacht werden können, daß sie ,.jemandes« Vorstellungen sind oder zumindest waren, der sie sinnvoll als die seinen bezeichnet oder zumindest bezeichnen könnte bzw. bezeichnen hätte können. Wenn der Begriff der Vorstellung von jedem Inhalt von Vorstellungen abstrahiert, so kann die von Kant geforderte Voraussetzung auch so formuliert werden: es gilt analytisch, daß Vorstellungen nur als Vorstellungen gedacht werden können, die jemand sinnvoll als die seinen bezeichnet, bezeichnet hat oder bezeichnen wird bzw. bezeichnen könnte, bezeichnen hätte können oder bezeichnen würde können. 22 Mit dem Anfang in dem einfachen Gedanken, daß der Begriff ,.Vorstellungen« notwendig das Possessivpronomen impliziert, um überhaupt sinnvoll
22 Vgl. dazu K.Cramer, Über Kants Satz: Das: Ich denke, muß alle meine Vorstellungen begleiten können, in: ders. u.a., Hrsg., Theorie der Subjektivität. Frankfurt/Main 1987, S. 167-202.
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Verwendung finden zu können, ist darüber hinaus schon die für das Beweisziel der gesamten theoretischen Philosophie Kants grundlegende Unterscheidung von subjektiven Vorstellungen und subjektunabhängigen Gegenständen begründet. Ohne diese Unterscheidung wäre das Possessivpronomen nicht sinnvoll zu verwenden, so daß nicht die Rede von »meinen« Vorstellungen sein könnte folglich auch nicht von Vorstellungen als solchen. Kants Umgang mit dem Problem synthetisch-apriorischer Urteile ist folglich schon durch den Ausgang von dem Gedanken »meine Vorstellungen« geprägt. Der ausformulierte Gedanke zur Lösung dieses Problems, daß nämlich die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung als identisch mit den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung gedacht werden müssen, ist in nuce bereits in dem Gedanken enthalten, daß der Begriff »meine Vorstellungen« nur sinnvoll ist, wenn er sich in der Entgegensetzung zu einem Begriff definiert, mit dem alle Vorstellungen als solche transzendiert werden: dem Begriff einer objektiven Welt. In diesem Sinne ist die Umkehrung des Denkens, die Kant mit der Kopernikanischen »Revolution« vergleicht, nur die Konsequenz aus dem Versuch, den Anfang mit dem einfachsten aller Gedanken zu machen, nämlich der bloßen Meinheit von Vorstellungen. Für die Argumentation der Transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe benutzt Kant nun zwei Gedanken, die sich zunächst als bloße Umformulierungen des Ausgangspunktes auffassen lassen, demzufolge Vorstellungen prinzipiell stets als meine Vorstellungen bezeichnet werden können. Obwohl beide sich nur aus dem Charakter der ,.Meinheit« von Vorstellungen begründen, beginnen damit jedoch folgenschwere Problemverkettungen, in deren Struktur Kant keine Einsicht mehr gewonnen hat. Darüber hinaus hat Kant explizit nur einen dieser beiden Gedanken für sein Deduktionsvorhaben in Anspruch genommen. Wenn jedoch beide nur Umformulierungen des Ausgangsgedankens der notwendigen Meinheit von Vorstellungen als solcher darstellen, so überträgt sich dessen Selbigkeit auch auf seine beiden Explikationen. Es genügt also nicht, daß Kant einen dieser beiden Gedanken in Anspruch nehmen konnte, ohne in argumentative Schwierigkeiten zu geraten. Sollte der andere Gedanke auch ohne explizite Verwendung unlösbare Probleme aufwerfen, so würde dies den Ausgangsgedanken selbst infrage stellen, dessen Umformulierungen beide darstellen. In der Tat kommt Kant jedoch nicht ohne die Inanspruchnahme des zweiten Gedankens aus, auch wenn er nicht explizit darauf Bezug nimmt. Auch wenn Kant jedoch durch verschiedene Formulierungen den Anschein erweckt, die Identität des einen Bewußtseins, in dem das Mannigfaltige zu
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begreifen ist, erschöpfe die Meinheit der Vorstellungen und reiche aus, sein Beweisziel zu erreichen, so ist der Beweisgang der Deduktion nicht unabhängig von dem Gedanken eines Bewußtseins von sich selbst, durch das erst der Gedanke möglich wird, daß die Vorstellungen mir angehören und ich sie deshalb meine nennen kann, die eine ausmachen (B 135).23 Dieser Zusammenhang ist zunächst schon durch den Charakter der Meinheit selbst gegeben. Um Vorstellungen sinnvoll als meine bzw. als mir zugehörig bezeichnen zu können, muß ich sie von mir unterscheiden und auf mich beziehen können. Beides setzt den Gedanken eines bewußten Selbstverhältnisses voraus, in dem das Ich sich von sich unterscheidet und sich mit sich identifiziert. 24 Darüber hinaus ist damit der Gedanke des Selbstbewußtseins von vornherein mit dem Gedanken einer subjektunabhängigen und objektiven Welt verbunden. Diese Verbindung ist in nuce bereits mit dem Anfang in dem einfachen Begriff »meine Vorstellungen« gegeben. Dieser Gedanke kann seine begründende Funktion zwar nur erfüllen, wenn er als Einheit verstanden wird. Nichtsdestoweniger lassen sich an ihm zwei Seiten unterscheiden, in deren Einheit sich der notwendige Zusammenhang von Selbstbewußtsein und Objektivität manifestiert. 2S Wenn Vorstellungen als solchen notwendig der Charakter der Meinheit zugesprochen werden muß, so liegt darin, daß es meine Vorstellungen sind, die Grundstruktur des bewußten Selbstverhältnisses; indem es jedoch meine Vorstellungen sind, so ist mit jenem einfachen Gedanken am Ausgangspunkt der Kantischen Gedankenentwicklung auch die Notwendigkeit einer
23 Zum Problem der Identität des Subjekts bei Kant vgI. K.-M.Kodalle, Von der Identität des Subjekts zu seiner Marginalisierung ? Erste Anzeichen bei Kant, Schiller und dem jungen Hegel, in: H.Schrödter, Hrsg., Das Verschwinden des Subjekts, Würzburg 1994, S. 1-18. 24 Als Überblick zu diesem Thema vgI. K. Gloy, Der Begriff des Selbstbewußtseins bei Kant, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 39/1991, S. 255-261.
2S Zur Bezugnahme auf Objektivität als Bedingung der Möglichkeit einer Selbstzuschreibung von Vorstellungen vgI. K.Cramer, »Gegeben« und »Gemacht«. Vorüberlegungen zur Funktion des Begriffs »Handlung« in Kants Theorie der Erkenntnis von Objekten, in: G. Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 41-81. Auch P.F.Strawson wies in seiner Interpretation daraufhin, daß das Selbstbewußtsein sich seiner Vorstellungen als ihm zugehöriger nur vergewissern kann, wenn es ihm gelingt, ein Bewußtsein seiner numerischen Identität angesichts gegebener Vorstellungen zu gewinnen, was voraussetzt, daß es zumindest einige Vorstellungen mit Bezug auf vorstellungsunabhängige Gegenstände gibt (Die Grenzen des Sinns, KönigsteinlTs. 1981, S. 75 ff, 82 ff.).
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subjektunabhängigen objektiven Welt gedacht. Folglich sind über den Kantischen Ausgangsgedanken einer notwendigen Meinheit von Vorstellungen Selbstbewußtsein und Objektivität so verbunden, daß der in diesem Gedanken in seiner Notwendigkeit begründete Begriff des Selbstbewußtseins in einem unauflösbaren Zusammenhang mit dem Begriff der Objektivität steht, und umgekehrt der in dem gleichen Gedanken in seiner Notwendigkeit begründete Begriff der Objektivität nicht von dem Begriff des Selbstbewußtseins zu trennen ist. Daß Kant dies wohl bewußt war, läßt sich darüber hinaus dem argumentativen Vorgehen der Deduktion entnehmen. Dazu ist zunächst der Status des anfangenden Gedankens von der Meinheit der Vorstellungen näher zu bestimmen. Daß Vorstellungen stets »jemandes« Vorstellungen sind, dies verbindet den Begriff der Vorstellungen überhaupt mit der Vorstellung »Ich denke«. Diese Vorstellung aber besitzt einen anderen Status als alle anderen Vorstellungen und unterscheidet sich der Herkunft nach so von ihnen, daß sie überhaupt nicht auf der gleichen Ebene der Thematisierung zugänglich ist. Die Vorstellung des »Ich denke«, das allen Vorstellungen den Charakter der Meinheit verleiht und sie damit überhaupt erst als Vorstellungen denken läßt, ist ein »Aktus der Spontaneität« und die »reine Apperzeption«, die Kant als dasjenige Selbstbewußtsein bezeichnet, das die Vorstellung »Ich denke« hervorbringt. Damit hat der Kantische Ausgangsgedanke von der notwendigen Meinheit der Vorstellungen nun einen Status und eine Bedeutung erhalten, die über seinen Charakter eines minimalinformativen Zugeständnisses zum Zwecke philosophischen Anfangens weit hinaus geht. Der Gedanke von der Meinheit der Vorstellungen wird von Kant also beschrieben als nicht einfach einen logischen oder semantischen Zusammenhang wiedergebend; er bezieht sich auch nicht auf einen in der Welt bestehenden Sachverhalt. Der Gedanke, der als der allereinfachste den geeigneten Ausgangspunkt für die Auflösung des Problems der Möglichkeit synthetischapriorischer Urteile bilden soll, wird charakterisiert als selbst hervorgebracht durch jene Vorstellung des »Ich denke«, die nichts anderes ist als die Meinheit der Vorstellungen selbst, in der und durch die sie eine ausmachen, deren Identität mit der des Selbstbewußtseins identisch ist, weshalb sie zur effektiven Grundlage der Deduktion werden kann. Daß die Vorstellung des »Ich denke« als ein »Aktus der Spontaneität« bezeichnet wird, beschreibt genau diesen selbstbezüglichen Charakter jener Hervorbringung, der die Vorstellung des »Ich denke« und damit die Meinheit der Vorstellungen einzigartig unter allen
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Gedanken macht. 26 ,.Spontan« ist die Vorstellung des ,.lch denke«, weil hier die gewöhnliche Aktstruktur von Akteur, Aktion und Akt - Handelnder, Handlung und Resultat - dementiert wird, indem an die Stelle dieser Differenzierung eine Identität tritt, in der der Akteur nichts ist außerhalb seiner Aktion und die Aktion ausschließlich den Akteur produziert, so daß wie Akteur und Aktion, so auch Akt und Aktion und Akt und Akteur ununterschieden sind. ,.Spontan« ist die Hervorbringung des ,.lch denke« und damit der Meinheit der Vorstellungen also, weil diese Vorstellung als ein sich selbst hervorbringender Aktus verstanden werden muß. Es ist genau dieser Aktus, den Kant als das Selbstbewußtsein bezeichnet (B 132). Weil das Selbstbewußtsein dieser spontane Aktus ist, genau deshalb kann es auch als ,.reine« und ,.ursprüngliche« Apperzeption bezeichnet werden. Mit der ,.Reinheit" und der .. Ursprünglichkeit« dieser Apperzeption wird darauf verwiesen, daß dieses Bewußtsein sich auf nichts außer sich selbst beziehen kann und deshalb auch keiner Instanz außer seiner selbst sein Entstehen und Bestehen verdankt. Indem das Selbstbewußtsein also die Vorstellung ..Ich denke« hervorbringt, bringt es ebenso spontan die Meinheit der Vorstellungen hervor und d.h. es produziert spontan die Möglichkeit, überhaupt Vorstellungen haben zu können, wenn denn die Meinheit notwendig zum Begriff der Vorstellung gehört. Jener Zusammenhang, den Kant zunächst nur aus argumentationsstrategischen Zwecken als minimalinformatives Zugeständnis zur Begründung des Beweisverfahrens der Deduktion benutzt, wird demzufolge aufgrund seines Status als sich selbst hervorbringender Aktus der Spontaneität auch sachlich als voraussetzungslos ausgezeichnet. Insofern erfüllt er nicht nur argumentationsstrategisch, sondern auch in Bezug auf seine inhaltliche Genesis einige Anforderungen, die ein philosophischer Anfang erfüllen muß: er verlangt ein minimales Zugeständnis an Voraussetzungen und er ist als sich selbst spontan generierender Zusammenhang ohne ihn bedingende Voraussetzungen sachlicher Art zu denken. Er ist anfangend im Begründen und er ist ein Anfang im Denken. Allerdings hat sich bis jetzt nur die eine Seite eines Anfangs an ihm gezeigt: er ist voraussetzungslos in argumentativer und in sachlicher Hinsicht.
26 D.Henrich fonnuliert diesen Zusammenhang so: "Das Selbstbewußtsein ist vielmehr etwas, das als Gedanke eine Wirklichkeit von nur ihm eigentümlicher Art hat: Der Gedanke impliziert einen in ihm selbst nicht zu spezifIZierenden Bezug auf etwas Wirkliches; und er ist kraft dieses Bezuges immer auch verwirklichter Gedanke." (Die Identität des Subjekts in der transzendentalen Deduktion, in: H.Oberer/G.Seel, Hrsg., Kant: Analysen - Probleme - Kritik, Würzburg 1988, S. 39-70, S. 54)
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Um wirklich ein Anfang sein zu können, muß er unter Beibehaltung dieser Voraussetzungslosigkeit zu Folgen führen, deren Entwicklung keinen zusätzlichen Gehalt in Anspruch nehmen darf als in seiner voraussetzungslosen Selbstgenerierung bereits enthalten ist. Bekanntlich benutzt Kant dafür die Identität des Bewußtseins, die mit dem Bewußtsein von sich selbst verbunden ist, mit jener Identität, durch die alle Vorstellungen eines Bewußtseins als »eine« gedacht werden. 27 Diese Seite der anfangenden Funktion des Selbstbewußtseins der transzendentalen Apperzeption kann in dem hier zur Diskussion stehenden Zusammenhang vernachlässigt werden. Wir konzentrieren uns deshalb auf die andere Seite der anfangenden Funktion dieses Selbstbewußtseins: auf seine voraussetzungslose Genesis in einem spontanen Akt des Sich-selbst-Hervorbringens. Was darin generiert wird, ist im Grunde nicht mehr als die Fähigkeit, Vorstellungen als mir zugehörig auffassen zu können und sie deshalb »meine Vorstellungen« nennen zu können. Eo ipso wird damit eine »ursprüngliche Verbindung« generiert, die den Vorstellungen (dem »Mannigfaltigen«) allein dadurch zukommt, daß sie alle als »meine« aufgefaßt werden können und auf diese Weise in einem Bewußtsein begriffen werden können. Kant formuliert diesen Zusammenhang als Identität des Gedankens der Mir-Zugehörigkeit der Vorstellungen mit dem Gedanken ihrer Vereinigung in einem Selbstbewußtsein (B 134). Diese Formulierung ist insofern etwas mißverständlich, als dabei nicht ein Selbstbewußtsein als Akteur vorausgesetzt werden kann, das Vorstellungen tätig vereinigt. Selbstbewußtsein ist genau jenes Ereignis, in dem Vorstellungen als »meine« aufgefaßt werden also jenes Ereignis, durch das überhaupt Vorstellungen möglich werden, wenn Vorstellungen denn - wie es Kants fundamentale Behauptung ist - stets »jemandes« Vorstellungen sind. 28 Die Suche nach einer näheren Aufklärung
27 Hier ließe sich die Verbindung zu S.Shoemakers Argumentation für einen notwendigen Zusammenhang zwischen Rationalität und »first person access« herstellen, wonach »Überzeugungen« zu haben die Fähigkeit voraussetzt, sie zu anderen eigenen Überzeugungen in ein Verhältnis zu setzen und sie aneinander »anzupassen«. Dies setzt aber die Möglichkeit voraus, sich reflexiv in einem first person access auf seine Überzeugungen beziehen zu können. (Rationalität und Selbstbewußtsein, in: B.Kienzle/H.Pape, Hrsg., Dimensionen des Selbst. Selbstbewußtsein, Reflexivität und die Bedingungen von Kommunikation, FrankfurtlMain 1991, S. 19-54). 28 Weil also in der »Meinheit« der Vorstellungen der Gedanke mitgedacht wird, daß alle für mich möglichen Vorstellungen »meine« sein müssen, deshalb ·wird in jedem Fall von Selbstbewußtsein auf einen Inbegriff von allen anderen Fällen von Selbstbewußtsein Bezug genommen.· (D.Henrich, Die Identität des Subjekts in der
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über jene Spontaneität, in deren Aktus das Selbstbewußtsein sich selbst erzeugt, indem es die Vorstellung ,.Ich denke« hervorbringt, impliziert also den Versuch, jenes Ereignis zu erhellen, in dem Vorstellungen als ,.meine« und damit überhaupt erst als Vorstellungen generiert werden. Das Kantische Begründungsprojekt baut darauf, daß jene Genesis ohne zusätzlichen Prämisseneinsatz Folgen aus sich entläßt, die nicht nur philosophisch ausgewertet werden können, sondern eine Wende im philosophischen Denken selbst nötig machen. Der Status des ,.Ich denke« wird von Kant im Zusammenhang mit der Behandlung der Paralogismen der reinen Vernunft näher erläutert. 29 Daß Kant es für nötig hielt, den Ausgangspunkt seines philosophischen Denkens gegen Mißverständnisse zu verteidigen, mag angesichts der Innovationshöhe dieses Gedankens verständlich sein - eine gegenüber der Deduktion neue Charakterisierung von Status und Funktion des ,.Ich denke« wird damit nicht gegeben. Nichtsdestoweniger läßt sich mit Hilfe des im Paralogismenkapitel Ausgeführten der Status des Selbstbewußtseins der Deduktion verdeutlichen. Kants Intention ist es hier, ein Verständnis des Selbstbewußtseins der transzendentalen Apperzeption als Objekt und Substanz abzuwehren. Mit einem solchen Verständnis wäre dieses Ich gerade mit Hilfe dessen begriffen, was durch es selbst erst verständlich werden kann: als Objekt müßte es kategorial verfaßt sein und folglich das voraussetzen, durch das die Geltung der Kategorien begründet wird: sich selbst als reines Selbstbewußtsein, das mit dem Charakter der Meinheit von Vorstellungen identisch ist. Deshalb kann jenes Ich nicht ein ,.denkend Wesen« bezeichnen, sondern stellt nur ein ,. Vehikel aller Begriffe überhaupt« dar, und es dient ausschließlich dazu, ,.alles Denken, als zum Bewußtsein gehörig, aufzuführen« (B 399).30 Deshalb impliziert die Bezeichnung ,.Ich« auch keinerlei Bestimmtheit, die über die sich selbst hervorbringende (spontane) Meinheit von Vorstellungen hinausgehen könnte. Daß Kant von einem ,.Ich« spricht, sollte also nicht
transzendentalen Deduktion, in: H.Oberer/G.Seel, Hrsg., Kant: Analysen - ProblemeKritik, Würzburg 1988, S. 39-70, S. 61 f) 29 Vgl. dazu P.F.Strawson, Kant's Paralogism: Self-Consciousness and the ,.Outside Observerc, in: K. Cramer u.a., Hrsg., Theorie der Subjektivität, FrankfurtlMain 1987, S.203-219. 30 Vgl. dazu und zum folgenden H.Heimsoeth, Transzendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Erster Teil: Ideenlehre und Paralogismen, Berlin 1966, S. 82 ff; sowie I.Bennett, Kant's Dialectic, Cambridge 1974, S. 66 ff.
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mißverstanden werden; an einer Stelle scheint Kant sogar darauf hinweisen zu wollen, daß auch eine ganz andere Bezeichnung gewählt hätte werden können (obwohl noch deutlich werden wird, daß es im Zusammenhang der Kantischen Philosophie nicht ohne Bedeutung ist, daß deren fundamentaler Gedanke den Titel ,.Ich« trägt): "Durch dieses Ich, oder Er, oder Es (das Ding), welches denkt, wird nun nichts weiter, als ein transzendentales Subjekt der Gedanken vorgestellt =X, welches nur durch die Gedanken, die seine Prädikate sind, erkannt wird." (B 404) Das Paralogismenkapitel bringt nun zwar keine von der Deduktion abweichende oder über sie hinaus gehende Aufklärung über den fundamentalen Zusammenhang der Kantischen Philosophie, aber es verdeutlicht diesen Zusammenhang. Die Verdeutlichung betrifft folgende Aspekte: (1) Zunächst wird das ,.lch denke« nur als .. Vehikel« aller Begriffe überhaupt bezeichnet. Daraus könnte entnommen werden, daß dieser Gedanke eine ausschließlich argumentationsstrategische Bedeutung besitzt und deshalb außerhalb des Begründungszusammenhanges der Kantischen theoretischen Philosophie überhaupt nicht sinnvoll von einem .. Ich der transzendentalen Apperzeption« die Rede sein kann. In diese Richtung weist Kants Bemerkung, daß wir die Einheit des Bewußtseins nur dadurch kennen, daß wir sie zur Möglichkeit der Erfahrung unentbehrlich brauchen (B 420), weshalb sie nur der logischen Erörterung des Denkens überhaupt angehört (B 409),31 (2) Bewußtsein soll nicht als Vorstellung von einem Objekt aufgefaßt werden, sondern als eine Form der Vorstellungen, sofern sie zu Erkenntnissen werden können (B 404). (3) Das ..Ich denke« will Kant nicht als Begriff verstanden wissen, sondern als bloßes Bewußtsein, das alle Begriffe begleitet (B 404). (4) Die Vorstellung .. Ich denke« soll für sich selbst an Inhalt gänzlich leer sein und stellt deshalb eine einfache Vorstellung dar, weshalb Kant sie auch als .. = x" bezeichnen kann (B 404). (5) Nichtsdestoweniger spricht Kant sowohl in der Deduktion als auch im Paralogismenkapitel vonjener inhaltsleeren, einfachen und nicht begriffsfähigen Form, von der wir überhaupt nur als Möglichkeitsbedingung der Erfahrung
31 Es kann deshalb bezweifelt werden, daß die ..Existenz« des transzendentalen Selbstbewußtseins - ebenso wie seine Erkennbarkeit - tatsächlich eine ..Aporie« der Kantischen Selbstbewußtseinstheorie darstellt, wie M.Frank ausführt (Fragmente einer Geschichte der Selbstbewußtseins-Theorie von Kant bis Sartre, in: ders., Hrsg., Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, FrankfurtlMain 1991, S. 413-599, hier S. 420 ft).
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wissen, als von einem ,.Ich«, dem als ,.lch denke« alle Vorstellungen zu den
seinigen werden. Aus dem Zusammenhang dieser Erläuterungen wird deutlich, daß Kants Erwähnung der Möglichkeit, das Ich der transzendentalen Apperzeption auch als ,.Er« oder sogar als ein ,.Es«, d.h. als ein denkendes Ding, bezeichnen zu können, aufgrund des Status und der Funktion der transzendentalen Apperzeption nicht ernsthaft als Alternative zu der Rede von einem ,.lch« gelten kann. 32 Ein ,.denkendes Ding« wäre genau jenes ,.denkend Wesen«, dessen Gedanken Kant explizit von der transzendentalen Apperzeption fernhalten will. Aber auch die erwähnte Möglichkeit, von einem denkenden ,.Er« oder ,.Es« zu sprechen, scheidet aufgrund der Kantischen Ausführungen grundSätzlich aus. Das ,.Es« würde entweder - wenn auf ein Ding bezogen - die soeben erwähnte Lage erzeugen, oder - wenn auf eine Person bezogen, die als Neutrum angesprochen werden kann - die gleiche Situation wie bei der Verwendung von »Er« mit sich bringen. Die Rede von einem ,.Er der transzendentalen Apperzeption« aber würde in beträchtliche Schwierigkeiten führen. Grundsätzlich wäre damit die Einheit des philosophierenden Ich mit dem philosophiebegründenden Ich aufgehoben, auf der die Stärke des zentralen Gedankens der Kantischen theoretischen Philosophie beruht. Das ,.Er« wäre ein Anfang, der ein entscheidendes zusätzliches Zugeständnis über den Gedanken der notwendigen Meinheit aller Vorstellungen hinaus verlangen würde. Damit aber würde die Forderung nach Minimierung des Informationsgehalts der zuzugestehenden Voraussetzungen verletzt. Das zusätzliche gedankliche Zugeständnis aber wäre in sich höchst problematisch und damit für den Anfang eines philosophischen Begründungsprojektes denkbar ungeeignet. Die zuzugestehende Behauptung müßte im Grunde lauten, daß alles, worauf mit dem Personalpronomen ,.er« (und vermutlich auch mit »sie«) in pronominalem Sinn Bezug genommen werden kann, identisch ist mit dem bloßen Bewußtsein eines »Ich denke«, für das alle überhaupt denkbaren Vorstellungen notwendig mit dem Possessivpronomen verbunden sein müssen, so daß sie als die seinen (bzw. in entsprechender Weise als die ihren) eine ausmachen und damit bereits als Vorstellungen in einer ursprünglichen Verbindung stehen. In dieser gegenständlichen Identität müßte der Referent des
32 H.Heimsoeth sieht den Sinn dieser »merkwürdigen Formel« in dem Verweis auf die Unbekanntheit und Unbestimmtheit des Subjekts des ursprünglich apperzipierenden Denkvollzugs (franszendentale Dialektik. Ein Kommentar zu Kants Kritik der reinen Vernunft. Erster Teil: Ideenlehre und Paralogismen, Berlin 1966, S. 93 f).
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..er« bzw. »sie« dann auch sein Verhältnis zu einer objektiv strukturierten Welt verstehen können. Selbst wenn wir davon absehen, daß wir im Deutschen mit »er« bzw. »sie« auch auf Sachen pronominal Bezug nehmen können und das er/sie nur als Pronomen für Personen betrachten, so ist dennoch ein ganz anders geartetes Zugeständnis gefordert als im Falle des »Ich denke«, das nur die Meinheit aller Vorstellungen bezeichnet. Wohl impliziert das »Ich denke«, daß alle Vorstellungen eo ipso »jemandes« Vorstellungen sind, waren oder sein werden. Es impliziert jedoch nicht, daß dieser »jemand« als bloßer Ausdruck für den Bezug von Vorstellungen auf ein »Denken« als »Er« oder »Sie« substantialisiert werden kann; und es impliziert auch nicht, daß auf es pronominal mit »er« oder »sie« Bezug genommen werden kann. Dem widerspräche zunächst die Einführung von Bewußtsein in den Kantischen Gedankengang als bloße Form der Vorstellungen. Wenn »er« Vorstellungen nur als die seinigen haben kann, so handelt es sich dabei um eine Übertragung des Gedankens von der Meinheit meiner Vorstellungen auf fremde Subjekte. Diese Übertragungsleistung aber ist mit der Meinheit meiner Vorstellungen noch nicht gegeben, sondern erfordert eine eigene Leistung, die vielleicht ebenso einen Aktus der Spontaneität darstellt wie das ,.Ich denke«, die aber nichtsdestoweniger nicht mit diesem Aktus identisch ist. Das Ich der transzendentalen Apperzeption als »Er« oder ,.Sie« zu bezeichnen bzw. mit »er« oder ,.sie« pronominal darauf Bezug zu nehmen, ist also nicht gleichbedeutend mit der Möglichkeit, den Kantischen Grundgedanken in der Form zu formulieren: Vorstellungen sind notwendig und eo ipso ,.jemandes« Vorstellungen. Diese Formulierung ist bedeutungsgleich mit der Rede von der notwendigen Einheit von Vorstellungen, denn jenes bestimmungslose ,.jemand« dient im Grunde nur als ,.Platzhalter« für die Meinheit von Vorstellungen und führt deshalb auch nicht zu einem »jemand der transzendentalen Apperzeption«. Weder ,.jemand« noch ,.Er« oder ,.er« können als bloße Form der Vorstellungen aufgefaßt werden, was die Bedingung für die Rede von Bewußtsein ist, so wie Kant diesen Gedanken zur Fundierung seiner theoretischen Philosophie einsetzt. »Er« oder ,.Sie« wären darüber hinaus nicht nur nicht in ausreichender Strenge nur als Form von Vorstellungen zu denken, sondern sie wären auch keine an Inhalt gänzlich leeren Vorstellungen. Die Rede von ,.Er« oder ,.Sie« impliziert zumindest die Bedeutung ,.jemand anders als ich«, und dieses ,.nicht ich« integriert dem ,.Er« oder ,.Sie« eine Bedeutung, aufgrund derer es nicht als inhaltsleere und einfache Vorstellung bezeichnet werden kann. Folglich kann
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der Grundgedanke der Kantischen theoretischen Philosophie auch nicht in dieser Form ausgedrückt werden. Des weiteren soll Bewußtsein im Sinne des bloßen ,.Ich denke« als ein ,.Vehikel« verstanden werden, das - selbst nicht Begriff - als bloßes Bewußtsein alle Begriffe begleitet. Diese grundlegende Bedeutung und Funktion könnte als "ErISie der transzendentalen Apperzeption« überhaupt nicht formuliert werden, da damit gerade der Selbstbezug des Ereignisses der transzendentalen Apperzeption verloren gehen würde. Die Bezeichnung des Ich der transzendentalen Apperzeption als ,.Er« oder "Es« oder gar als ,.Ding« führt also grundsätzlich in die Irre. Erklärlich sind solche Formulierungen nur aus dem Zusammenhang der argumentativen Intention des Paralogismen-Kapitels, in dem Kant sich in erster Linie darum bemüht, eine Vernutzung des Ichs der transzendentalen Apperzeption für eine rationale Seelenlehre zu verhindern und die Verdeutlichung des Ichs deshalb nur ein Nebenprodukt jener Intention darstellt. In diesem Sinne ist es auch verständlich, daß mit dem transzendentalen Subjekt der Gedanken, das durch das Ich vorgestellt wird, nur ein,.= x« bezeichnet sein soll. Gegen die Konzeption einer rationalen Psychologie und deren substanzialisierendes Vorgehen gedacht, ist das Ich der transzendentalen Apperzeption tatsächlich ein "x«. Von der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe her gedacht, handelt es sich jedoch um einen Gedanken, der eine Fülle von Schwierigkeiten mit sich bringt und deshalb kein ,.X« genannt zu werden verdient. Im Paralogismen-Kapitel gibt Kant uns vorwiegend Auskunft darüber, was das Ich der transzendentalen Apperzeption nicht sein kann. Dies läßt sich zusammenfassen in der Abweisung des dinglichen Status jenes Ich und der damit zusammenhängenden Unmöglichkeit, auf dieser Grundlage durch reines Denken Aufschlüsse über die Seele und ihre Qualitäten gewinnen zu können. Damit aber wird die Frage nach dem ,.Ich denke«, das die Meinheit aller Vorstellungen in einem Aktus der Spontaneität hervorbringt und darin die Grundlage für die kategorial strukturierte Verständlichkeit der Welt durch theoretisches Philosophieren legt, dringlicher und zugleich schwieriger zu beantworten. Das Ich der transzendentalen Apperzeption gleicht offenbar keiner der vertrauten Erscheinungen in der Welt. Was Welt ist und in welchem Sinne vernünftig von ihr gesprochen werden kann, dies soll vielmehr gerade durch jenes Ich verständlich werden, zu dessen Verständnis nichts Weltliches herangezogen werden darf. Daß jenes Ich in keinem Sinne als ein "etwas« aufgefaßt werden kann, das in irgendeiner Weise bestimmbar wäre - auch nicht erfahrungsfrei in einer rationalen Seelenlehre, dies läßt sich aus dem Status und der Funktion des Bewußtseins der transzendentalen Apperzeption im Denkzu-
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sammenhang der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe konsequent ableiten. Problematisch wird es allerdings dann, wenn - wie es in der Tat der Fall ist Kant jede Differenz zwischen dem Ich der transzendentalen Apperzeption als Selbstbewußtsein und der sein theoretisches Philosophieren initiierenden Meinheit aller Vorstellungen abweist. Einerseits ist dies im Zusammenhang des Kantischen Begründungsprogramms konsequent, da die Einräumung einer solchen Differenz das Niveau der in Anspruch genommenen Voraussetzungen und Zugeständnisse beträchtlich erhöhen würde. Es entstünde darüber hinaus die Schwierigkeit, ein von der bloßen argumentationsanfangenden Meinheit der Vorstellungen zu unterscheidendes Ich bzw. Selbstbewußtsein auf eine solche Weise zum Thema des theoretischen Philosophierens machen zu müssen, daß der Paralogismus einer rationalen Seelenlehre von vornherein ausgeschlossen bleibt - daß jenes Ich also nicht in der Gefahr steht, als substantiierte Seele oder ,.denkend Wesen« aufgefaßt werden zu können oder gar zu müssen. Andererseits führt die Identität des Ichs als Selbstbewußtsein mit der bloßen Meinheit der Vorstellungen in die Problematik, für diesen Anfang entweder nur einen argumentationsstrategischen Status in Anspruch nehmen zu können, indem er sich als informationsminimales Zugeständnis ausweist, das gerade aufgrund seiner Voraussetzungslosigkeit bei jedem möglichen Gesprächspartner vorausgesetzt werden kann, oder diesen Anfang als ein ursprüngliches Geschehen beschreiben zu müssen, in dem das bewußte Selbstverhältnis sich in ununterscheidbarer Einheit mit der Vorstellung ,.lch denke« und damit mit dem Charakter der Meinheit der Vorstellungen in einem Aktus der Spontaneität selbst hervorbringt. Der Anfang der theoretischen Philosophie wäre damit identisch mit dem Anfang alles bewußten Lebens, das wiederum identisch wäre mit vorstellendem Leben als solchem. Jener Anfang wäre auf diese Weise in der Tat der Anfang - nämlich jedes vorstellenden Verhältnisses zur Welt überhaupt, damit aber ebenso der Anfang eines jeden Verhältnisses zur Welt; in einer anderen Theoriesprache formuliert: es wäre der Punkt, an dem das Sein zu sich kommt, die Lichtung, auf der das Sein ,.da« sein kann. Wird dieser Anfang jedoch als ein solches voraussetzungsloses Geschehen aufgefaßt, so ist damit gleichzeitig jede Möglichkeit abgeschnitten, von diesem Anfang des Philosophierens auf irgendeine ausweisbare Art Rechenschaft geben zu können. Von einem Ich der transzendentalen Apperzeption zu reden gewinnt dann Sinn nur dadurch, daß dies uns erlaubt, uns eine Erkenntnisbeziehung zur Welt so zu denken, daß einige fundamentale
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Schwierigkeiten erkenntnistheoretischer Art auf diese Weise vermieden werden können. Daß Kant eine solche pragmatistische Interpretation seines eigenen Denkprojekts nicht fremd war, kann insbesondere aus der folgenden Formulierung entnommen werden: "Auf solche Weise sind synthetische Urteile apriori möglich, wenn wir die formalen Bedingungen der Anschauung apriori, die Synthesis der Einbildungskraft und die notwendige Einheit derselben in einer transzendentalen Apperzeption, auf ein mögliches Erfahrungserkenntnis überhaupt beziehen und sagen: die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile apriori. " (B 197) Bei isolierter Betrachtung läßt sich diese Passage so verstehen, daß der Argumentationsanspruch der Kritik der reinen Vernunft sich auf die Ausarbeitung eines Bedingungsgefüges beschränkt, das sich letztlich nur daraus legitimiert, daß wir mit seiner Hilfe das erkenntnistheoretische Grundproblem der Möglichkeit einer objektiven Gültigkeit synthetischapriorischer Urteile beseitigen können. Allerdings würde dies dazu führen, daß der Kantischen theoretischen Philosophie ein gänzlich anderer Status zugeschrieben werden müßte, als wir gewohnt sind mit einer genuin philosophischen Theorie zu verbinden. Grundsätzlich lautet der Anspruch eines pragmatistisch orientierten Philosophierens nicht, Probleme durch die Generierung eines neuen und besseren Wissens lösen zu können, sondern die Probleme als solche beseitigen zu können, indem dem Publikum die Annahme der Gültigkeit solcher Bedingungen zugemutet wird, unter deren Voraussetzung die Probleme als solche zum Verschwinden gebracht werden können. 33 Zunächst ist es fraglich, ob eine solche Argumentationsstruktur tatsächlich den Kantischen Intentionen entspricht. Gewichtiger ist jedoch die Frage, ob der zentrale Gedanke der Kantischen theoretischen Philosophie überhaupt geeignet sein könnte, einem spezifisch pragmatistischen Begründungsanspruch zu genügen. Hier ist wiederum an den besonderen Charakter der Anfänglichkeit des Gedankens eines Selbstbewußtseins zu denken, das gleichursprünglich ist mit der Meinheit von Vorstellungen und deshalb auch mit der Grundlegung eines vorstellungsförmigen Weltverhält-
33 Zur näheren Ausführung vgl. G.Römpp, Pragmatismus redivivus? Eine Kritik an der Revitalisierung des pragmatistischen Grundgedankens, in: Theologie und Philosophie 7111996, S. 187-204.
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nisses und mit der Aufnahme eines Verhältnisses zur Welt überhaupt. Einerseits nimmt dieser Gedanke - nur unter dem Aspekt der Meinheit von Vorstellungen betrachtet - einen minimalen Bestand an Zugeständnissen auf seiten der Argumentationsadressaten in Anspruch und erscheint deshalb gerade in argumentationsstrategischem Sinne als Anfang geeignet. Andererseits läßt sich der Status dieses Anfangs nicht ausreichend beschreiben, wenn nur seine argumentationsstrategische Kapazität berücksichtigt wird.
2. Spontaneität und Autonomie: Das Ich der transzendentalen Apperzeption und das eigentliche Selbst Wenn die Frage nach der Möglichkeit synthetisch-apriorischer Urteile nur beantwortet werden kann, wenn wir annehmen, die Welt richte sich zumindest in den Grundzügen, die überhaupt erst ihre Objektivität ausmachen, nach ,.uns«, und wir erkennen in der objektiven Welt nur das, was ,.wir« zuvor in sie hineingelegt haben, so steht dies in unmittelbarem Kontrast zu der alltäglichen Erfahrung des natürlichen Bewußtseins, für das sich die Welt durchaus nicht nach ihm zu richten scheint und das in ihr keineswegs das wiedererkennt, was es zuvor in sie hineingelegt hat. Ihm ist die Welt und sind die Objekte vielmehr gerade das, was sich nicht nach ihm richtet und in das es nichts hineinlegen kann, sondern das ihm als fremde und eigengesetzliche Wirklichkeit gegenübersteht. Daß diese Situation jedoch nicht nur ,.Schein« ist und falsches Bewußtsein, dies gehört gerade in den zentralen Gedankengang der Kantischen Epistemologie. Die Möglichkeit und Wirklichkeit synthetisch-apriorischer Urteile wird nachgewiesen durch deren Integration in die Konstitutionsbedingungen einer Welt der Erfahrung, in der sinnliche Wahrnehmungen als in den Bereich der Subjektivität des Subjekts gehörig von der Objektivität unterschieden und als deren Erscheinungen auf sie bezogen werden. Der Bezug des natürlichen Bewußtseins auf eine von ihm unabhängige Welt - zu deren Subjektunabhängigkeit es gerade gehört, daß es nichts in sie ,.hineinlegen« kann - kann also gerade dann nicht als Schein dementiert werden, wenn der zentrale Gedankengang der Kantischen Epistemologie Geltung besitzen soll.34 Damit
34 P.Rohs ist gewiß zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß das »intelligible« und das »phänomenale« Selbstbewußtsein »zwei Seiten« darstellen, die sich nur in der philosophisch-theoretischen Reflexion sondern lassen, nicht aber »direkt« im Selbstbewußtsein (Feld - Zeit - Ich. Entwurf einer feldtheoretischen Transzendental-
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verlangt dieser Gedankengang aus Gründen seiner internen Logik eine solche Bestimmung des Status des Ichs der transzendentalen Apperzeption, mit der die Wirklichkeit der Erfahrung des empirischen Ichs nicht verleugnet wird. Eine solche Bestimmung ist aber nicht nur aufgrund der Einheit des Ichs der Identität in der Mir-Angehörigkeit aller Vorstellungen mit dem Ich notwendig, das im Sich-entgegensetzen einer objektiven Welt selbst ,.empirisch« heißen muß, weil es nur als Entsprechung zur ,.konstituierten« Welt der Objektivität gedacht wird. Diese Bestimmung des Status des Ichs der transzendentalen Apperzeption aus der Einheit mit dem empirischen Ich ist auch aufgrund der Identität von philosophierendem und in der transzendentalen Deduktion gedachtem Ich erforderlich. Als Gedanke, der nichts enthält als ein Bewußtsein, das durch seine Begleitung allen Vorstellungen die Mir-Zugehörigkeit verleiht, durch die sie zum einen ,.jemandes« Vorstellungen werden, und durch die sie zum anderen in sich die Differenz zwischen subjektiver und objektiver Welt enthalten, ist das Ich der transzendentalen Apperzeption eine Bestimmtheit nur in sich und durch sich, die deshalb auch nur in sich und für sich adäquat zum Denkgegenstand werden kann. Der Gedanke gelingt folglich nur angemessen, wenn das Ich der transzendentalen Apperzeption sich selbst denkt. Es gehört deshalb in die Denkvoraussetzungen des Ichs der transzendentalen Apperzeption im Kantischen Denkzusammenhang, daß das philosophierende Ich, das diesen Gedanken denkt, sich in diesem Denken nicht als empirisches Ich und Teil der objektiven Welt versteht, obwohl es sich jenseits dieses Gedankens auch als empirisches Wesen auffassen muß und wird. Folglich ist das Denken, das in der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe geschieht, von einer Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Ich der transzendentalen Apperzeption und dem denkenden empirischen Ich abhängig, und darin muß das dem Denken der transzendentalen Deduktion angemessene Sich-zu-sich-Verhältnis von Denken und Gedachtem auch in das Denken der transzendentalen Apperzeption integriert werden können. Dieser Zusammenhang kann aufgrund der Argumentationslage der Kantischen Epistemologie nicht in einem Dritten stattfmden, etwa in einem
philosophie, FrankfurtlMain 1996, S. 85 ff). Andererseits wird eine solche Reflexion aber dem Gedanken des Selbstbewußtseins äußerlich bleiben, wenn sie nicht Identität und Differenz der beiden ,.Seiten« in der Struktur des Selbstbewußtseins ausweisen kann. Dafür scheint mir das Verhältnis Anschauungsform - Anschauung nicht auszureichen (S. 91 f).
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anthropologisch, metaphysisch oder auf andere Weise substantiell zu bestimmenden Menschen, der als Ding und unabhängig von den gedanklichen Determinanten der Kantischen Argumentation das Ich der transzendentalen Apperzeption und das empirische Ich zur Einheit bringen könnte. Zur Bestimmung dieser Identität können vielmehr nur und ausschließlich die Gedankengänge benutzt werden, die zu den Konzepten des Ichs der transzendentalen Apperzeption und des empirischen Ichs geführt haben, also nur jene Gedankengänge, die innerhalb des Kantischen Gedankengangs notwendig zur Einführung beider Gedanken zwingen, weil nur mit Hilfe beider Konzepte das Beweisziel der Kantischen theoretischen Philosophie zu erreichen ist. Letztlich dürfen damit zur Bestimmung dieser Identität nur jene Gedanken herangezogen werden, mit deren Hilfe allein die Möglichkeit synthetisch-apriorischer Urteile verständlich werden kann. Gefordert ist also nicht die Entwicklung eines Gedankens, der die Identität zweier Substanzen verständlich macht, sondern die eines Gedankens, der die Identität zweier Gedanken plausibel einsehen läßt, deren Gehalt sich nur aus ihrer argumentativen Funktion für das Beweisziel der theoretischen Philosophie herleiten kann. Damit stellt sich am systematischen Anfang der theoretischen Philosophie Kants die Frage, wie Ursprünglichkeit und Anfanglichkeit überhaupt zu verstehen sind - wie also ein Aktus der Spontaneität zu verstehen ist, in dem sich das Selbstbewußtsein als Bewußtsein der ,.Meinheit« aller Vorstellungen selbst hervorbringt. 3S Die Beantwortung dieser Frage verlangt offensichtlich den Rekurs auf eine Genesis von und aus Freiheit. 36 Die theoretische Philosophie bringt deshalb aus sich selbst die Problematik hervor, wie Freiheit zu Bestimmtheit kommt - wie durch voraussetzungslose Hervorbringung jener Akt der Spontaneität geschieht, der Selbstbewußtsein als Bewußtsein der ,.Meinheit« der Vorstellungen und damit den Anfang eines synthetisch-apriorischen Wissens von der Welt erzeugt. Nun hat im systematischen Zusammenhang der Kantischen Philosophie die praktische Philosophie ihre Funktion darin, einen
35 Das rein theoretische Subjekt ist nur gegen anderes bestimmt - gegen die Welt der Objektivität; das praktische Subjekt dagegen ist das in sich bestimmte Subjekt (B.Högemann, Die Idee der Freiheit und das Subjekt, Königstein/Ts. 1980, S. 136). Eine solche Bestimmtheit kann nur durch Freiheit geschehen und ist deshalb eo ipso Bestimmtheit der Freiheit. 36 Vgl. zu den grundSätzlichen Fragen dieses Zusammenhangs die Sammelrezension (Köhl, Allison, Velkley) von E.Förster, Freiheit und Vernunft bei Kant, in: Philosophische Rundschau 40/1993, S. 70-82.
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Begriff von Freiheit zu klären bzw. auszuarbeiten, der es erlaubt zu verstehen, wie Freiheit sich in Bestimmtheit transformiert und darin als Freiheit besteht. Die praktische Philosophie muß verständlich machen können, wie Freiheit so gedacht werden kann, daß sie - ohne sich als Freiheit zu dementieren - gleichzeitig als ursprünglicher und voraussetzungsloser Anfang aller Bestimmtheit verstanden werden kann. Nur mit dem Gelingen eines Gedankens, der Freiheit so verständlich macht, daß sie die ursprüngliche Hervorbringung von Selbstbewußtsein und der ihm komplementären Bestimmtheit einzusehen erlaubt, ist demnach das Argumentationsziel der Kantischen Philosophie zu erreichen. Daß sich die Gegenstände nach ,.uns« richten müssen, und wir deshalb apriorisch von ihnen wissen können, läßt sich ja nicht mit Kants Formulierung verstehen, daß ,.wir« der Natur ihre Gesetze vorschreiben. Hier verwendet Kant eine popularphilosophische Ausdrucksweise, die weit hinter seinem argumentativen Reflexionsniveau zurückbleibt. Die grundlegende Einsicht seiner theoretischen Philosophie lautet dagegen, daß die Bedingungen, unter denen wir sinnvoll von uns selbst sprechen können (also je ich von mir), identisch sind mit den Bedingungen, unter denen wir von Objekten sprechen können, die sich von uns und den uns zugehörigen Wahmehmungen unterscheiden. 37 Demnach können wir von uns selbst nur dann sinnvoll sprechen, wenn das ,.lch denke« alle unsere Vorstellungen begleiten kann, also wenn allen Vorstellungen der Status der ,.Meinheit« zugeschrieben wird. Indem die Vorstellungen aber alle als meine angesehen werden, sind sie synthetisch verbunden. Diese synthetische Verbindung ist mit Hilfe von Begriffen zu verstehen, die als ,.reine Verstandesbegriffe« deshalb bezeichnet werden können, weil sie sowohl die Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung als auch die Bedingungen dafür darstellen, daß überhaupt von einem Ich gesprochen werden
37 K. Cramer hat den Kantischen Gedanken deshalb folgendermaßen besonders pointiert formuliert: "Gerade und nur dadurch, daß ein der Vorstellungen fähiges Wesen mit gewissen Vorstellungen das Bewußtsein davon verbindet, daß sie ihm nicht gegeben, sondern von ihm selber hervorgebracht sind (daß es sich in Ansehung ihrer nicht ,.Ieidend«, sondern selbsttätig ,.handelnd« weiß), kann dies Wesen überhaupt vorstellen, daß sich Vorstellungen auf etwas beziehen, das von seinem Vorgestelltsein in einer solchen Vorstellung und das heißt auch von seinem Hervorgebrachtsein in einer solchen Vorstellung unterschieden und von ihr unabhängig ist.· (,.Gegeben« und ,.Gemacht«. Vorüberlegungen zur Funktion des Begriffs ,.Handlung« in Kants Theorie der Erkenntnis von Objekten, in: G.Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 41-81, S. 47)
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kann, das Erfahrungen haben kann (und insofern selbst empirisch zu nennen ist), weil es durch die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung strukturiert ist (und insofern transzendental heißen muß). Die Einheit dieses »wir« ist im Grunde das Zentrum der Problemlage des Denkens in der Kantischen Philosophie. Damit führt der Weg der theoretischen Philosophie notwendig in die Erörterung des Problems der Freiheit in der praktischen Philosophie, und mit dem Thema des »eigentlichen Selbst« der Eleutheronomie wird eben jene Frage behandelt. Der Kantische Freiheitsbegriff der Ethik als autonome Unabhängigkeit von aller gegebenen Bestimmtheit steht also zunächst deshalb in einem engen Zusammenhang mit der argumentativen Grundstruktur der theoretischen Philosophie, weil in dieser der Verstand ein Vermögen bezeichnet, das als ,.Erkenntnisvermögen« mit dem Prinzip apriori der ,.Gesetzmäßigkeit« auf Natur ,.angewandt« wird. Dazu aber muß er selbst unabhängig von Natur und Sinnlichkeit sein - er muß einen völlig anderen Ursprung haben, damit seine Prinzipien apriorisch sind und das Gegebene »regeln« können, so daß synthetisch-apriorische Urteile möglich werden. 38 Der Ursprung des Vermögens des Verstandes muß also die Unabhängigkeit des Verstandes von den gegebenen Bestimmtheiten plausibel denken lassen. Ein solcher Ursprung kann nun offensichtlich nicht mit dem Gedanken einer Entität verbunden werden, die den Gedanken einer übersinnlichen Objektivität verlangen würde. Gedacht werden muß ja nicht nur die Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit, sondern ebenso von einer gegebenen Objektivität, da Objektivität erst mit der regelgeleiteten Identität des Selbstverhältnisses ,.konstituiert« ist. Das ,.Ich denke« - also das Bewußtsein der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen - muß als ein Aktus gedacht werden, der von aller Sinnlichkeit und Objektivität und damit von jeder externen Bestimmtheit unabhängig ist, weil er als der Ursprung aller Bestimmtheit gelten muß, soll er das Beweisziel - die Gültigkeit synthetischapriorischer Urteile und damit unseres Verständnisses der Welt - zu erreichen gestatten. Das Problem der theoretischen Philosophie Kants ist es, daß sie diese Freiheit als Unabhängigkeit von Sinnlichkeit und Objektivität als einen positiven Begriff dementieren muß, obwohl sie ihn für die Argumentationsbewegung, in
38 Vgl. zum folgenden auch B.GrÜnewald, Das metaphysische Problem der Freiheit. Versuch einer Revision im Ausgang von der Kantischen Lösung, in: Philosophisches Jahrbuch 10111994, S. 347-357.
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der dieses Dementi entwickelt wird, gerade voraussetzen muß. Kants Lösungsversuch ist zunächst die Legitimation von Freiheit als Möglichkeit (also die Entwicklung eines negativen Begriffes von Freiheit). 39 Damit ist aber nur gesagt, daß die theoretische Philosophie selbst den Begriff der Freiheit nicht ausschließt - gefordert ist jedoch der positive Nachweis eines Begriffes von Freiheit als Unabhängigkeit von gegebener Bestimmtheit als Sinnlichkeit und Objektivität. Dieser Begriff wird in der praktischen Philosophie mit Hilfe der reinen Gesetzesförmigkeit als rein formale und von fremden Determinanten unabhängige - also autonome - Willensbestimmung ausgearbeitet. Der praktische Begriff von Freiheit als Gesetzlichkeit - als ,.Gesetz der Freiheit« - bezieht sich durch diesen Zusammenhang auf die argumentative Grundstruktur der theoretischen Philosophie. Daß Freiheit gerade so gedacht wird, auch dies muß demnach einen internen Zusammenhang mit dem Anfang der theoretischen Philosophie aufweisen, obwohl dieses Denken sich rein innerhalb der praktischen Philosophie ausweisen können muß. Der positive Freiheitsbegriff enthält nicht nur die Unabhängigkeit von gegebener Bestimmtheit als Sinnlichkeit und Objektivität, sondern diese Unabhängigkeit wird als Bestimmung in der Form der reinen Gesetzlichkeit gedacht. Die für die Grundlegung der praktischen Philosophie geforderte Unabhängigkeit von Sinnlichkeit und Objektivität kann also zum einen aus internen Gründen der Möglichkeit einer Moralphilosophie nur mit Hilfe von Freiheit als Gesetzlichkeit gedacht werden. Zum anderen ist das Denken von Freiheit gerade als reine Gesetzlichkeit die Bedingung, um in der praktischen Philosophie die Anfanglichkeit des Denkens der theoretischen Philosophie ausweisen zu können. Jene Freiheit, die am Anfang der theoretischen Philosophie stehen muß, damit der Gedanke der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen und damit der Gedanke einer regel geleiteten Identität des Selbstbewußtseins konsistent durchgeführt
39 Zu Kants frühen Versuchen, den rationalen Charakter der sittlichen Einsicht aus der theoretischen Vernunft zu verstehen, vgl. bereits D.Henrich, Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: ders. u.a., Hrsg., Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschrift für H.-G. Gadamer zum 60. Geburtstag, Tübingen 1960, S. 77-115, bes. S. 98 ff. Noch im dritten Abschnitt der Grundlegung zur Metaphysik der Sitten sieht Henrich (mit Hol .Paton) die "Nachklänge« einer "indirekten Deduktion«, die dem sittlichen Anspruch Wirklichkeit zuschreibt, weil das Selbstbewußtsein des Denkens, von dem er bezweifelt werden könnte, sich selbst nur als Freiheit denken kann (S. 108; sowie ders., Die Deduktion des Sittengesetzes, in: A.Schwan, Hrsg., Denken im Schatten des Nihilismus, Festschrift für W. WeischedeI zum 70. Geburtstag, Darmstadt 1975, S. 55-112, S. 64 ff).
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werden kann, muß demnach gerade den Gedanken einer positiven Freiheit aus reiner Gesetzesfönnigkeit in der praktischen Selbstbestimmung erfordern. Die praktische Willensbestimmung durch reine Gesetzesfönnigkeit ist Selbstbestimmung, und als solche ist sie sich selbst durchsichtig, weil sie keine fremden Detenninanten zuläßt, und der Wille sich in der Unterstellung unter das Kriterium der Allgemeinheit selbst bestimmt, so daß diese Bestimmung für ihn vollständig verständlich ist. Die Gesetzesfönnigkeit ist nur eine Form, und es ist die einzige Form, die keine zusätzliche Detenninante hinzubringt, sondern nur und gerade die Form ist, die in der Freiheit von aller Fremdbestimmtheit doch Bestimmtheit ermöglicht. So ist Gesetzesfönnigkeit also genau jene Freiheit des Willens, die der praktischen Selbstbestimmung ihre vollständige Intelligibilität als Sich-selbst-Durchsichtigkeit integriert. Genau darin liegt der Zusammenhang der theoretischen Freiheit mit dem »eigentlichen« Selbst, das allein der intelligiblen Welt angehört. Die universelle Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen impliziert einen reinen Bezug auf sich selbst, mit dem eine Struktur von absoluter Durchsichtigkeit gedacht wird. Das Selbst kennt darin sich, insoweit es nur dieser Bezug auf sich ist. Indem es in seinem Selbstverhältnis seinen Gegenstand vollständig und ohne Rest kennt, ist es das Paradigma von Intelligibilität, d.h. vollständiger Verständlichkeit. 40 Das Problem mit dem Ich der transzendentalen Apperzeption (also mit dem Bewußtsein der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen) besteht jedoch darin, daß von ihm innerhalb der theoretischen Philosophie keine Rechenschaft gegeben werden kann, obwohl - oder gerade weil - dieses Ich die gesamte theoretische Philosophie begründet. Die ,.Mir-Zugehörigkeit« aller Vorstellungen ist also kein Gedanke, der für sich allein bestehen kann. Plausibel erscheint dies deshalb, weil der Kantische Begründungsgang eine universelle Mir-Zugehörigkeit verlangt, die alle potentiellen und zukünftigen Vorstellungen in die Einheit des Bewußtseins auf-
40 M.Frank weist darauf hin, daß die Kantische Aporie der Erkennbarkeit des transzendentalen Selbstbewußtseins nur durch die Annahme einer intellektuellen Anschauung aufgelöst werden könne (Fragmente einer Geschichte der Selbstbewußtseins-Theorie von Kant bis Sartre, in: ders., Hrsg., Selbstbewußtseinstheorien von Fichte bis Sartre, FrankfurtlMain 1991, S. 413-599, S. 425 ft). Zweifellos bezeichnet dieses Problem die Nahtstelle der Selbstbewußtseinstheorien von Kant und Fichte; m.E. bleibt die Konstellation jedoch unterbestimmt, wenn auf der Seite Kants nicht der Zusammenhang des Ich der transzendentalen Apperzeption mit dem nur praktisch zu gewinnenden ,.eigentlichen« Selbst der intelligiblen Welt in Rechnung gestellt wird.
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nehmen zu können verlangt. Diese Universalität setzt eine Unabhängigkeit des Bewußtseins von der einzelnen mir angehörigen Vorstellung voraus. Sie impliziert auch eine Unabhängigkeit von der Addition aller mir angehörigen Vorstellungen, aus der noch nicht die Universalität der Mir-Zugehörigkeit hervorgehen würde, die auch alle potentiellen und zukünftigen Vorstellungen umfaßt. Darüber hinaus ist die Struktur der Mir-Angehörigkeit auch die Bedingung dafür, daß Vorstellungen überhaupt in das Bewußtsein aufgenommen werden können. Deshalb muß diese Struktur auch ..vor« - obwohl nicht unabhängig von - allen Vorstellungen gedacht werden können. Es muß also ..vor« dem Gedanken der ..Mir-Angehörigkeit aller Vorstellungen« der Gedanke der ..Mir-Angehörigkeit« als solcher gedacht werden können. Mit diesem Gedanken wird die reine Struktur des .. Eigen-seins« gedacht, und zur Beschreibung dieses Bewußtseins wird der Begriff der ..Eigenheit« erfordert, der in der praktischen Philosophie als Ausdruck des durch moralische Freiheitsbestimmung intelligiblen Bewußtseins eingeführt wurde. Nur die Eigenheit des ..eigentlichen Selbst« der ethischen Eleutheronomie impliziert demnach jene Freiheit, in der ein Anfang in der theoretischen Philosophie durch das emergierende Bewußtsein der Mir-Angehörigkeit aller Vorstellungen gemacht werden kann. Nun ist das Ich der transzendentalen Apperzeption jedoch nichts anderes als das ursprüngliche Bewußtsein der Mir-Angehörigkeit aller Vorstellungen. Wenn Mir-Angehörigkeit ein Mir-zueigen-sein impliziert, so ist die Voraussetzung für einen Begriff von Mir-Angehörigkeit (also für die Rechenschaft über das Ich der transzendentalen Apperzeption) ein Begriff von .. Eigenheit« - also von einem Bewußtsein des .. Eigen-seins«. Man könnte darin jene .. Spezifizierung« der Freiheit sehen, die in der Genesis der Mir-Angehörigkeit impliziert ist. Damit das Bewußtsein alle Vorstellungen als ..mir-zugehörig« auffassen kann (und damit transzendentale Ad-perzeption sein kann), muß es als Bedingung dafür ein Bewußtsein entwikkelt haben, das die Vorstellung eines ..mir« ermöglicht. Dies impliziert ein Bewußtsein des ..Eigen-seins«, das zwei Momente enthält: das negative der Differenz zu allem Nicht-mir-zugehörigem als Sich-unterscheiden von allem und allen anderen, und das positive des reinen Bezugs auf sich selbst als einer Struktur, in die Vorstellungen als mir-zugehörig eingeordnet werden können. 41
41 Nach M.Riedel ergibt sich der Zusammenhang des Gedankens eines Ichs der transzendentalen Apperzeption mit dem Gedanken eines praktischen Ichs über die Konzeption der Zurechnungsfähigkeit: die Einheit des Bewußtseins stellt die notwendige Bedingung dar, unter der einem "Subjekt« eine Vorstellung als seine "Handlung« - also
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Die fundierende Grundlage der theoretischen Philosophie wird also von Kant nicht innerhalb der theoretischen Philosophie ,.eingeholt« - wie dies etwa Fichte und Schelling versucht haben, indem sie innerhalb der systemischen Entwicklung eine Möglichkeit ausarbeiteten, Rechenschaft über den Ausgangspunkt dieser Systeme in der Identität des Ich zu geben. Kant dagegen ist dieser Weg aus internen Gründen seiner Philosophiekonzeption verschlossen: Rechenschaft über das Ich der transzendentalen Apperzeption geben verlangt einen Begriff der Freiheit in Anspruch zu nehmen, der in der theoretischen Philosophie Kants nur als ein möglicher Begriff dargestellt werden kann, ohne ihn positiv erklären zu können. Rechenschaft über das Ich der transzendentalen Apperzeption kann von Kant deshalb nur in dem Zusammenhang gegeben werden, in dem er einen positiven Begriff von Freiheit ausarbeiten kann - also in der praktischen Philosophie. Nun ist der Ausgangspunkt der transzendentalen Deduktion der reinen Verstandesbegriffe zwar die universale Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen; ihr Anfang jedoch liegt in dem Nachweis, daß diese Mir-Zugehörigkeit den Gedanken einer Identität erfordert, die ihrerseits nur als regelgeleitete Identifizierungsleistung gedacht werden kann. 42 Erst in dieser Genesis erfahren die Begriffe eine Begründung, deren Explikation Gegenstand der theoretischen Philosophie ist. Kant nimmt diese Identität des Bewußtseins für seine argumentativen Zwecke in Anspruch und sieht sich dazu durch die Universalität der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen legitimiert. Wenn jedoch diese Universalität der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen nur aufgrund des Bewußtseins der Mir-Zugehörigkeit als solcher und damit des ,.Eigen-seins«,
als ,.mir-angehörig« zugerechnet werden kann (Imputation der Handlung und Applikation des Sittengesetzes, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 14/1989 (1), S. 27-50, hier S. 44 f). Wenn Freiheit und Zurechnungsfähigkeit jedoch grundsätzlich als ,.Wechselbegriffe« anzusehen sind (so etwa: Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, AA VI, 26, 35; MdS 223; KpV 96, 97), und Freiheit nur in der kategorischimperativischen Willensbestimmung demonstrierbar ist, in der das Ich den Status der Intelligibilität und damit der Eigentlichkeit gewinnt, so erhält auch nach diesem Gedankengang das Ich der transzendentalen Apperzeption seine Aufklärung nur in der praktischen Philosophie. 42 M.Forschner macht darauf aufmerksam, daß diese Leistung an wesentliche Merkmale des Aristotelischen Handlungsbegriffs erinnert - Erkenntnis entsteht darin im Sinne einer nach Regeln geschehenden Aktivität, bei der stets die Einheit der Person intendiert wird und auf dem Spiel steht (Synthesis und Handlung bei Aristoteies und Kant, in: G.Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 82-97, hier S. 96 f).
8 Römpp
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das den Begriff der "Eigenheit« impliziert, möglich ist, so ist auch die argumentative Inanspruchnahme der Identität des Bewußtseins von dem Begriff der "Eigenheit« abhängig. Dieser Zusammenhang besteht jedoch auch aufgrund der Struktur von Identität als solcher, also ohne Bezugnahme auf die Vorausgesetztheit der Identität für den Gedanken der universalen Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen. Identität als Bewußtsein der Selbigkeit in allen Akten, in denen Vorstellungen als mir-zugehörig bewußt werden, erfordert vorgängig die Fähigkeit, in allen Akten sich wiedererkennen zu können. Diese Fähigkeit ist aber nicht als Addition aller Wiedererkennungsakte denkbar, sondern die SelbstIdentifizierung in allen Wiedererkennungsakten setzt ein Bewußtsein voraus, das die Beziehbarkeit aller Vorstellungen auf seine Einheit enthält und von jedem einzelnen Akt des Sich-erkennens in diesen Vorstellungen unabhängig ist. Dieses Bewußtsein kann nur in jenem Bewußtsein des "Eigen-seins« gefunden werden, das sich bereits als Voraussetzung des Bewußtseins der universellen Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen dargestellt hat. Der Gedanke einer Identität des Bewußtseins erfordert also schon als solcher den Gedanken eines "Eigen-seins«, der wiederum den Begriff der "Eigenheit« impliziert. Auch aus dieser Perspektive muß Eigenheit jedoch die Darstellung der Freiheit sein, wenn mit ihr der Anfang in der theoretischen Philosophie durch die regelgebundene Identität des Bewußtseins von sich selbst verständlich werden soll. Der systematische Zusammenhang zwischen der Autonomie des "eigentlichen« Selbst der praktischen Philosophie und der "Spontaneität«, d.h. Selbsttätigkeit des Ichs der transzendentalen Apperzeption ist also bereits gegeben, wenn der genaue Charakter jener "Selbsttätigkeit« bestimmt wird. Damit verdeutlicht sich das Verhältnis von Selbstgesetzgebung (Autonomie als Eleutheronomie) und Selbsttätigkeit (Spontaneität). Das Ich der transzendentalen Apperzeption muß demnach aus dem Selbst der intelligibelen Welt verständlich werden. Die phänomenale und die noumenale Welt bilden in diesem Zusammenhang eine vollständige Disjunktion, und jenes Ich kann offensichtlich nicht der phänomalen Welt angehören. Die reinen Verstandesformen, die das Ich der transzendentalen Apperzeption strukturieren (bzw. die Kategorien, als deren Möglichkeitsbedingung dieses Ich argumentative Bedeutung erhält), werden so verständlich durch den Einbruch des Intelligibelen in die theoretische Philosophie. Sie sind in der Theorie das einzige, das dem Ich völlig begreiflich ist, weil es selbst nichts ist als das, was es aufgrund der Kategorien ist. Die transzendentale Deduktion der reinen Verstandesbegriffe expliziert diesen Zusammenhang in der Kantischen Philosophie so weit, wie es für die
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theoretische Abzweckung des Unternehmens einer "Kritik der reinen Vernunft« notwendig ist. Die "Selbsttätigkeit« dieses Ich besteht demnach nicht in einer Tätigkeit, die transitiv zu verstehen wäre; es gibt kein ,.etwas«, das Gegenstand der Tätigkeit des Ichs der transzendentalen Apperzeption sein könnte. Es produziert auch nicht "etwas«, das zuvor nicht gewesen wäre. Es wird eingeführt als Bedingung der Möglichkeit eines synthetisch-apriorischen Wissens und es gewinnt keine Bestimmtheit über diesen Charakter einer Bedingung und der zu ihrer Erfüllung notwendigen Strukturen hinaus. 43 Da diese Strukturen aber nicht als etwas in der phänomenalen Welt Gegebenes verstanden werden können, wird es notwendig, den Begriff der Spontaneität zur Charakterisierung des Ichs der transzendentalen Apperzeption einzuführen und es somit als ,.selbsttätig« zu bezeichnen. Die argumentative Stellung dieses Ichs impliziert jedoch, daß diese Selbsttätigkeit kein Element der Willkür enthält, sondern mit den Gesetzen des synthetisch-apriorischen Wissens und damit mit der Verstehbarkeit der Welt kongruiert. Die Spontaneität des Ichs der transzendentalen Apperzeption ist deshalb eo ipso Autonomie. 44 Ebenso wie im Falle des "eigentlichen« Selbst der Moralphilosophie kann Autonomie hier nicht eine Gesetzgebung durch eine mit dem Titel "Selbst« zu benennende Entität bezeichnen. Die Selbstheit dieser Gesetzgebung besteht gerade in der Identität der für die Ermöglichung eines synthetisch-apriorischen Wissens erforderlichen Strukturen mit den Strukturen, die das Ich der transzendentalen Apperzeption konstituieren. Die zur Spontaneität gehörende Autonomie kann folglich nicht als Gesetzgebung durch ein extern bestimmtes Wesen mit dem Namen "Ich« verstanden werden, das auf irgendeine
43 Vgl. dazu K.Cramer, ,.Gegebene und ,.Gemachte. Vorüberlegungen zur Funktion des Begriffs ,.Handlung« in Kants Theorie der Erkenntnis von Objekten, in: G.Prauss, Hrsg., Handlungstheorie und Transzendentalphilosophie, FrankfurtlMain 1986, S. 4181, S. 69 ff. 44 Kant identifiziert Spontaneität und Autonomie an mehreren Stellen: von der Autonomie des Verstandes in Ansehung der theoretischen Gesetze der Natur bzw. der konstitutiven Prinzipien apriori ist die Rede in der Ersten Einleitung in die Kritik der Urteilskraft (AA XX, 225) und in der Kritik der Urteilskraft (AA V, 196); in Refl. 5441 wird Spontaneität mit der freien und reinen Selbsttätigkeit des Verstandes gleichgesetzt, "die durch nichts anderes als sich selbst bestimmt ist" (AA xvm, 182), und in Refl. 5608 heißt es prägnant: "Alle durch Erfahrung erkannte Gesetze gehoren zur Heteronomie, die aber, durch welche Erfahrung überhaupt möglich ist, zur Autonomie." (AA xvm, 250)
S'
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Weise der Natur seine Gesetze auferlegen könnte, sondern das Ich der transzendentalen Apperzeption ist nichts anderes als jene Gesetzgebung, die uns die Möglichkeit eines synthetisch-apriorischen Wissens zu begreifen erlaubt. Für das Verständnis dieser Autonomie und damit der Ursprünglichkeit des Ichs der transzendentalen Apperzeption ergibt sich daraus eine der Problematik eines Verständnisses des kategorisch-imperativisch verpflichteten Ichs analoge Situation. Dessen Sich-Entäußern in die Dimension der Universalität zeigt sich als notwendige Voraussetzung, damit das in der praktischen Philosophie als für alle Praxis notwendig erwiesene ,.eigentliche« Selbst die Wirklichkeit des in der theoretischen Philosophie nur als Bedingung der Möglichkeit synthetischapriorischen Wissens eingeführten Ichs der transzendentalen Apperzeption plausibel machen kann. Dieser Zusammenhang von Vernünftigkeit und Freiheitsgesetzgebung ist es, der Kant den Gedanken eines selbsttätigen, zu apriorischen Synthesisleistungen fähigen Ichs zu denken erlaubt, das die Bedingung der Möglichkeit eines synthetisch-apriorischen Wissens repräsentiert. Eigentlichkeit bezeichnet demnach unter dem Aspekt der Verständlichkeit der theoretischen Philosophie durch den Autonomiegedanken der praktischen Philosophie die Identität von Vernünftigkeit und reinem Wollen. Der Ausdruck ,.eigentlich« gewinnt seine Bedeutung also durch den Gedanken, daß das Subjekt vernünftig nur ist, indem es rein will. Dem kategorischen Imperativ untersteht das vernünftige Wesen, weil es vernünftig nur ist, indem es die Fähigkeit zum reinen Wollen besitzt, und es gehört der intelligiblen Welt an, wenn es frei ist also rein wollen kann. Folglich kann es auch nur dann zur Spontaneität fähig sein und als Ich der transzendentalen Apperzeption fungieren, wenn es rein wollen kann. Die Unterscheidung zwischen einer intelligiblen und einer phaenomenalen Welt läßt sich unter diesem Aspekt verstehen als Reflexion auf die Möglichkeitsbedingungen des Gedankens der Spontaneität des Ichs der transzendentalen Apperzeption. Die systematische Genesis eines Selbst, das sich zu eigen ist, und damit einen Bezug zu sich aufnehmen und unterhalten kann, ist bei Kant von der Genesis einer ethischen Orientierung des Subjekts abhängig, in der ein prinzipiell ethischer Bezug zu sich selbst und zu anderen hergestellt wird. Damit wird der Theorie des Selbstverhältnisses ein Element integriert, das zu einem besseren Verständnis dieser merkwürdigen Struktur beitragen kann. Dieses bessere Verständnis betrifft insbesondere den Status des ,.Gegenstandes« eines Bewußtseins von sich selbst. In der bewußten Selbstbeziehung ist ihm ein Gegenstand bewußt, der grundsätzlich keiner Bestimmtheit fähig ist, da jede
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extern eingeführte Bestimmtheit die Identität des wissenden mit dem bewußten Selbst dementieren würde. Kann der Gegenstand dieses Wissens jedoch keine Bestimmtheit annehmen, so »implodiert.. das Bewußtsein von sich selbst mangels eines Gegenstandes seines Wissens. In ihren gedanklichen Fluchtlinien versucht die Kantische Philosophie dieses Problem der internen Unbestimmtheit der Selbstbewußtseinsrelation mit Hilfe des Gedankens des ~eigentlichen Selbst.. zu lösen. Mit diesem Zusammenhang zeigt sich erneut die Verwiesenheit von Kants theoretischer Philosophie an die Moralphilosophie. Die theoretische Philosophie nämlich kann den Begriff einer subjektunabhängigen Objektwelt und deren spontaneitätsgeleiteter Genesis nur um den Preis der Unmöglichkeit, das durch seine Struktur objektivitätskonstituierende Subjekt selbst noch zum Thema zu nehmen, verständlich machen. Indem dem Subjekt Spontaneität zugeschrieben wird, ist es aus der kausal determinierten Objektwelt ausgeschlossen, zu deren Verständnis es von Kant überhaupt erst eingeführt wird. Gleichzeitig kann es damit nicht unter dem Gedanken einer subjektunabhängigen Welt begriffen werden. Es ist frei, und diese Freiheit kann Kant nur mit den gedanklichen Mitteln der praktischen Philosophie explizieren. 45 Wenn das Kantische Subjekt überhaupt nur als »Selbstbewußtsein.. einem Verständnis zugänglich werden kann, so impliziert dies den Gedanken, daß der Gegenstand eines Bewußtseins von sich selbst in keiner Weise als Objekt und damit nicht als subjektunabhängig aufgefaßt werden kann. Damit ist das sachliche Problem der theoretischen Philosophie Kants aber identisch mit jenem Problem, das die Grundschwierigkeit eines Verständnisses der Selbstbewußtseinsstruktur darstellt. Wenn die moralische Verbindlichkeit, durch die das »eigentliche Selbst.. der Dimension des Intelligibelen angehört; es nun erlaubt, einen Begriff des Selbst zu formulieren, der die Schwierigkeiten eines Verständnisses des Selbstbewußtseins in objektiven und bestimmten Termini
45 Auf diese Freiheit weist Kant in den Prolegomena eigens hin (AA IV, 290; ebenso Refl. 2476, AA XVI, 386). In Refl. 5413 fmdet sich folgende Erläuterung: die Freiheit eines vernünftigen Wesens als Ursache durch seine Vernunft beruht auf dem Vermögen, sich selbst apriori zu bestimmen, und KaDt fährt fort: 'Um obiectiv allgemein zu urtheilen und zwar apodictisch, muß die Vernunft frey von subjectiv bestimmenden Gründen seyn; denn bestimmeten die, so wäre das Urtheil nur so wie es ist zufallig, namlich nach den subiectiven Ursachen desselben. Also ist sich die Vernunft ihrer freyheit in obiectiv nothwendigen Urtheilen apriori bewußt, nämlich daß nur die Beziehung aufs obiect der Grund davon sey.· (AA XVIII, 176)
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vermeidet, so muß Kants Theorie der moralischen Verbindlichkeit als notwendiges Komplement seiner Theorie der Konstitution einer subjektunabhängigen Welt angesehen werden. Daß das »eigentliche Selbst« der Dimension des Intelligibelen angehört, ist eine erste Voraussetzung dafür, daß mit diesem Selbst eine angemessene Formulierung für den Gegenstand eines Bewußtseins von sich selbst gefunden sein kann. Da diesem Gegenstand keine empirischen Bestimmungen zuschreibbar sind, so kann er sinnvoll nur als einer Dimension zugehörig verstanden werden, in der er nicht unter den Begriffen einer subjektunabhängigen Objektivität aufgefaßt wird. Deshalb kann im Kantischen Denkzusammenhang die durch ethische Selbstbestimmung generierte Zugehörigkeit des Selbst zu einer intelligibelen Welt geeignet sein, den spezifisch unbestimmten Status des Selbst zu erhellen, von dem das Selbstbewußtsein weiß. Das Ich der transzendentalen Apperzeption, das sich nur im Akt der ethisch demonstrierten Freiheit konstituiert, kann ja nicht als ,.objektives«, also phänomenales gedacht werden, sondern nur als noumenales. Wenn dennoch von ihm als einem ,.Gegenstand«, der zum Thema in der theoretischen Philosophie werden kann, die Rede ist, so gibt es im Rahmen der gedanklichen Zusammenhänge des Kantischen Philosophierens keine andere Möglichkeit, als dieses Ich aus der objektiven und kategorial bestimmten Welt herauszunehmen. Zum zentralen Gegenstand des Philosophierens kann es dann aber nur in einem Bereich der Philosophie werden, der wohlbegründet ,.überschwänglich« werden und die Dimension des Noumenalen zum Thema nehmen darf. Dieser Bereich ist für Kant allein die Moralphilosophie. Deshalb kann nur in ihr nachgewiesen werden, daß wir berechtigt sind, in der theoretischen Philosophie von einem Ich zu sprechen, in dessen Spontaneität alle Objektivität begründet ist und das deshalb selbst kein objektives Ich sein kann. 46 Das eleutherologisch-ethisch
46 Dies muß nicht dem Gedanken widersprechen, daß das sich in der sittlichen Einsicht konstituierende Selbst ,.mehr« ist als theoretisches Ich. D.Henrich sieht dieses ,.mehr« in der Einstimmung oder Zustimmung, in der als einer spontanen Leistung sich das Selbst konstituiert, während das Wissen nur ,.gelten lassen« kann, weshalb das Selbst darin gerade ,.zurückgetreten« ist, um der Bewegung der Gedanken ihr eigenes Recht zu geben (Der Begriff der sittlichen Einsicht und Kants Lehre vom Faktum der Vernunft, in: ders. u.a., Hrsg., Die Gegenwart der Griechen im neueren Denken, Festschrift rur H.-G. Gadamer zum 60. Geburtstag, Tübingen 1960, S. 17-115, S. 86 f). Innerhalb des Henrichschen Gedankengangs könnte man dagegen einwenden, daß jenes ,.Zurücktreten« und ,.Recht geben« nur als Leistung eines Selbst zu verstehen und deshalb nicht unabhängig von der Konstitution des moralischen Selbstbewußtseins zu
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erreichte eigentliche Selbst kann damit als natur-transzendentes und spontanes Ich durch sein Selbstverhältnis, durch das allein es als solches ist, die Basis alles synthetisch-apriorisch Erkennbaren darstellen, weil allein es - und nichts sonst - der intelligibelen Welt angehört, also der Welt, die allein der Vernunft keinen Widerstand entgegensetzt und restlos verständlich ist. Offensichtlich ergeben sich daraus beträchtliche Folgen für das Verständnis der Kantischen Philosophie insgesamt. Wenn das Ich der transzendentalen Apperzeption in seinem Status letztlich nur verständlich wird als »eigentliches« Selbst der eleutherologischen Selbstbestimmung, so verweist die theoretische Philosophie von ihrem letztbegründenden Theorem her - der Fundierung alles synthetisch-apriorischen Wissens im Selbstbezug des Ichs der transzendentalen Apperzeption - zurück in die praktische Philosophie, in der sie erst ihre volle Verständlichkeit findet. In diesem Sinne kann gesagt werden, daß die Kantische theoretische Philosophie letztlich auf einem praktischen Fundament aufruht. 47 Allerdings hat Kant selbst diesen Zusammenhang nicht explizit untersucht und verdeutlicht. Von seinen unmittelbaren Nachfolgern Fichte und Schellingjedoch wurde der Gedanke einer eleutherologisch-ethischen Bestimmung von Status
denken sei. Henrichs Hinweis scheint mir deshalb die Bedeutung des »eigentlichen Selbst« für das Verständnis des Selbstbezugs in der Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen, die das wesentliche Moment im Ich der transzendentalen Apperzeption darstellt, nicht infrage zu stellen; er bezieht sich auch nicht auf den von mir herausgestellten Zusammenhang. 47 Daß auch die Spontaneität der theoretischen Vernunft Freiheit sein muß, darin ist G.Prauss zuzustimmen. Prauss zufolge habe Kant jedoch in seiner Lehre von der grundsätzlichen Intentionalität von Subjektivität als Intentionalität von Freiheit deren Wirklichkeit als einem Vermögen eigener Kausalität von eigentümlicher Gesetzlichkeit moralneutral nachgewiesen, bevor er diese Einsicht wieder vergessen und sie durch den aporetischen Gedanken einer Analytizität im Verhältnis zwischen praktischer Vernunft und Moralgesetz ersetzt habe (Kant über Freiheit als Autonomie, FrankfurtlMain 1983, S. 66, 114,231,203 f, vgl. 67). Dagegen wäre einzuwenden, daß eine intentionalistische Konzeption von Spontaneität bei Kant nur durch eine interpretatorische Überanstrengung zu fmden ist, die weder der theoretischen noch der praktischen Philosophie gerecht wird; außerdem würde eine solche Anstrengung das Ziel nicht erreichen Intentionalität ist keine Erklärung von Freiheit, sondern setzt in ihrem Vollbegriff den Gedanken der Freiheit voraus, ohne ihn selbst generieren zu können. Der Gedanke einer über die Produktion von Wirklichkeit geleisteten »Selbstverwirklichung« von Subjektivität in "Absichtlichkeit" und "Erfolgsbesessenheit" (S. 213,174 t) gerät darüber hinaus in die bekannten Schwierigkeiten einer Produktionstheorie des Selbstbewußtseins, und es kann vermutet werden, daß darin auch eine Substantialisierung enthalten ist, die die Konzeption den Einwänden des Paralogismus-Kapitels aussetzen würde.
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und Charakter des Ichs, das allein unser synthetisch-apriorisches Wissen begründen kann, in ihren Untersuchungen über Identität und Begreitbarkeit jenes Ichs wiederaufgenommen. Daß wir über die Fähigkeit zu gesichertem Wissen in synthetisch-apriorischer Form - und d.h. über ein Wissen, das seinen Begriff ganz erfüllt - verfügen, darüber können wir uns nur mit erheblichem argumentativen Aufwand Gewißheit verschaffen. Daß wir die Fähigkeit zur Praxis besitzen und uns das Vermögen zuschreiben dürfen, frei zu handeln, dies vorauszusetzen bereitet uns geringere Schwierigkeiten. Aber auch wenn der Nachweis der Wirklichkeit von Praxis tatsächlich die gleichen Probleme aufwirft wie der Nachweis eines Bestandes an gesichertem Wissen, so besteht zwischen diesen beiden Beweisanstrengungen doch ein entscheidender Strukturunterschied. Um das Problem des Wissens überhaupt in Angriff nehmen zu können, müssen wir die Frage der Praxis bereits entschieden haben und uns als frei für die Begründung der Möglichkeit von Erkenntnis wissen. Es ist genau dieser Statusunterschied, der Kant die Berechtigung gibt, die Frage nach der Plausibilität der Annahme eines Ichs der transzendentalen Apperzeption erst im Zuge der Analyse des Status eines ethisch verpflichteten Subjekts im Rahmen der Moralphilosophie zu behandeln. 48 Der Kantische Begriff des in der Moralität erreichten ..eigentlichen Selbst« weist deshalb weit über die Grenzen der Moralphilosophie hinaus. Das ..eigentliche Selbst« der Moralität führt im Grunde schon zu jenem Selbst, das als Anfang der idealistischen Philosophie in der unbestimmbaren Identität seines .. Ich bin Ich« die Grundlage alles Wissens wird. Die Moralität mit ihrem ..eigentlichen Selbst« führt demnach auch schon bei Kant zum Beginn der Aufschließung der Welt, zur Selbstunterscheidung des Bewußtseins von der Welt und damit zum Gedanken des Selbstbewußtseins. Damit zeigt sich das Bewußtsein selbst als untrennbar von seiner moralischen Verpflichtetheit. Bewußtsein als die Verständlichkeit der Welt verbürgende Instanz ist offenbar nur denkbar, wenn zugleich die Moralität gedacht wird, die über das ..eigentliche Selbst« der intelligiblen Welt dem Selbstbewußtsein den Status eines ursprünglichen Subjekts zuzuschreiben gestattet. Daraus erklärt sich der .. Primat« der reinen praktischen Vernunft in ihrer Verbindung mit der reinen spekulativen
48 Vennutlich ist dies der gedankliche Hintergrund für die Notiz: "Ursprung der critischen Philosophie ist Moral, in Ansehung der Zurechnungsfähigkeit der Handlungen.· (Lose Blätter zu den Fortschritten der Metaphysik, AA XX, 335)
ll. Das eigentliche Selbst und die Freiheit in der Wissenschaft
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Vernunft (KpV 121). Weil ohne die Erfahrung sittlicher Verbindlichkeit niemand "zu dem Wagstücke gekommen sein würde, Freiheit in die Wissenschaft einzuführen" (KpV 30), so macht deshalb der praktische Begriff der Freiheit "den Schluß stein von dem ganzen Gebäude eines Systems der reinen, selbst der speculativen Vernunft aus." (KpV 3-4)
D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz des Selbstbewußtseins: Fichtes Explikation des Ich =Ich durch die Ethik der Freiheit I. Die Explikation des Wissens und die Struktur des Selbstbewußtseins 1. Wissen des Wissens Daß das menschliche Wissen von der Welt und der Situation des bewußten Lebens in ihr unendlich in die Breite und in die Tiefe wachsen kann, darin jedoch stets reversibel bleibt und deshalb nie den Status eines für alle Zeiten aufzubewahrenden Bestandes erreichen kann, war Fichte wohl bewußt. Wenn die Wissenschaftslehre dennoch beansprucht, das System des Wissens in seiner Totalität entwickeln zu können, so kann die Aufklärung, die eine solche Philosophie verspricht, offensichtlich weder den Fundus der menschlichen Kenntnisse zu vermehren, noch deren Endgestalt anzugeben versprechen. Die Gesetze des Wissens, die das Argumentationsziel der Wissenschaftslehre darstellen, können demzufolge nur dessen Art zu bestimmen suchen. Für diese Aufgabe allerdings glaubte Fichte die umfassende und endgültige Lösung angeben zu können. Wenn uns diese Antwort überzeugt, so verfügen wir mit der Wissenschaftslehre über ein Wissen, dessen Status sich metaphorisch zunächst so beschreiben läßt (Begriff, I 58, Marginalie).l Uns ist der Mittelpunkt eines unendlichen Kreises gegeben, dessen Radien die Bestände des menschlichen Wissens repräsentieren. Deren Endpunkte liegen in der Unendlichkeit, und ihre Zahl ist selbst unendlich. Was der Aufklärung durch die Wissenschaftslehre unterliegt, ist also nur ihr gemeinsamer Mittelpunkt und ihre gerade Richtung, nicht aber die nähere Bestimmung dieser Radien. Wenn es jedoch der Mittelpunkt des Wissens sein soll, das durch ihn nach Status und Art bestimmt wird und deshalb aus diesem Bezug zum Verständnis
1 Fiehtes Werke werden zitiert nach "Sämmtliche Werke", hrsg. v. J. H. Fichte , Neudruck Leipzig 1924, unter Angabe von Kurztitel, Band und Seitenzahl.
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gebracht werden kann, so kann er selbst nur mit Hilfe eines Begriffes von Wissen gefunden und legitimiert werden, der zum einen zu einer generellen Bestimmung der Art des menschlichen Wissens führt und zum anderen den Zusammenhang mit der üblichen Verwendung des Ausdrucks ,.Wissen« wahrt. Ein solcher wenigstens rudimentärer Begriff des Wissens kann offenbar nicht erst im intendierten System des Wissens ausgearbeitet werden, da jene Begriffe, die darin seinen ,.Ort« bestimmen würden, von seiner Definition abhängig wären, und die Begriffe, die auf seiner Grundlage entwickelt werden könnten, diesen Zirkel in sich tragen würden. Die Vorstellung von Wissen, die der Systementwicklung vorausliegen muß, um überhaupt Fuß fassen zu können, kann demnach nur einer Phänomenologie entnommen werden, die sich ihrer eigenen Vorläufigkeit und ihrer Begründungsmängel bewußt bleiben muß. 2 Fichte beginnt den Weg zu seiner Philosophie eines verstandenen menschlichen Wissens deshalb mit einer Analyse dessen, was es heißen könne, jemand "erlüge über ,.Wissenschaft«. Dies ist genau dann der Fall, wenn Sätze gebraucht werden, deren Inhalt es erlaubt, dem Sprecher die Fähigkeit zuzuschreiben, daß er sie wirklich weiß und sie wissen kann. Das Wesen der ,. Wissenschaft« besteht demnach "in der Beschaffenheit ihres Inhalts und dem Verhältnis desselben zu dem Bewusstseyn desjenigen, von welchem gesagt wird, dass er wisse" (Begriff, I 39). Offensichtlich eröffnet eine solche Definition zwei Möglichkeiten, die Erörterung dessen, was es heißen könne, etwas zu wissen, weiter zu entwickeln. Nun scheidet die Orientierung an der Beschaffenheit des Inhalts von vornherein aus. Die Angabe der Inhalte, die in wahren Sätzen vorkommen können, würde den Begriff des Wissens ins Unendliche zersplittern; darüber hinaus würde von hier aus kein Weg zu dem zweiten Aspekt, d.h. dem Bezug auf das Bewußtsein des Wissenden, führen. Fichte benutzt folgerichtig das Verhältnis des Gewußten zum Bewußtsein des Wissenden, um seine vorläufige Bestimmung dessen, was es heißt, etwas zu wissen, auf den Weg zu bringen. Die erste Aufgabe der Wissenschaftslehre muß es demnach sein, zu verstehen, wie, inwiefern und unter welchen Bedingungen von Gewißheit zu sprechen sei. Nun beginnt die Wissenschaftslehre schließlich mit der Aufstellung von Grundsätzen alles Wissens. Offensichtlich müssen diese in der Lage sein auszudrücken, was es heißt, etwas sei gewiß, so daß von einem Wissen die Rede sein kann. Deshalb muß der Grundsatz die Ge-
2 Zu dieser Problematik vgl. die Ausführungen von J.Sallis, Fichte and the Problem of System, in: Man and World 9/1976, S. 75-90.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
wißheit als solche zum Ausdruck bringen können. Folglich muß es gelingen, den Zusammenhang zwischen dem Grundsatz und dem Begriff des Wissens so zu verdeutlichen, daß das Wissen, das er aussagt, unmittelbar zeigt, daß man überhaupt etwas weiß. Er wäre dann ..Grund« alles Wissens in dem Sinn, daß jeder, der überhaupt in einem vernünftigen Sinne den Anspruch erhebt, etwas zu wissen, zumindest implizit auch ihn weiß. Ein solcher Grundsatz könnte nun .. Satz des Wissens schlechthin« heißen, weil er geeignet wäre, das Phänomen ..etwas wissen« zusammenzufassen und ohne Redundanz auszudrücken. In diesem Falle wäre ein negatives Kriterium des Wissens entwickelt: wer den Satz des Wissens nicht versteht und das in Frage stehende Wissen nicht auf ihn beziehen kann, der kann überhaupt nicht berechtigt von sich behaupten, etwas zu wissen. Die Aufgabe des Anfangs der Wissenschaftslehre hat sich damit etwas näher bestimmt: es muß ein Satz gefunden werden, der das Faktum, daß überhaupt etwas gewußt wird, rein ausdrückt und auf einen Begriff bringt. 3 Nun lautet der Anspruch der Wissenschaftslehre jedoch, aus diesem Satz, der das Wissenkönnen formuliert, andere Sätze entwickeln zu können, die selbst als Grundsätze für Wissensgebiete fungieren können. 4 Folglich müßten aus der bloßen Struktur des Wissenkönnens auch nähere Charaktere allen möglichen Wissens bestimmt werden können, so daß das auf den Begriff gebrachte Faktum, daß überhaupt etwas gewußt wird, zugleich erlaubt, eine Grundverfassung alles Wissens zu bestimmen. Soll dies gelingen, so muß der Satz des Wissens nicht nur in sich selbst, um seiner selbst willen und durch sich selbst gewiß sein, sondern muß diese Gewißheit auch anderen Sätzen mitteilen können. Auch diese Sätze müssen demnach zumindest indirekt den Gehalt ihres Wissens aus ihrem Bewußtseinsbezug, d.h. aus ihrer Gewißheit beziehen können. Wenn diese Gewißheit nun darauf gründet, daß der Satz des Wissens eine Form besitzt, die für diesen Gehalt schlechthin gültig ist, so daß er in keine andere Form eintreten kann, und diese Form keinem anderen Gehalt zukommen kann, so müssen die abgeleiteten Sätze vermittels ihrer Entwicklung
3 Vgl. dazu die Interpretation der Wissenschaftslehre als Theorie der Objektivität bzw. des Beziehungscharakters des Bewußtseins bei W.M.Martin, Zu den Zielen von Fichtes Jenaer Wissenschaftslehre, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44/1996, S. 409-428. 4 Ich beschränke mich im folgenden auf die Wissenschaftslehre von 1794. Zur Entwicklung und zum Zusammenhang in Fichtes Denken vgl. die einführenden Darstellungen von P.Baumanns, J.G. Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg 1990; sowie von W.Janke, Vom Bilde des Absoluten. Grundzüge der Phänomenologie Fichtes, Berlin/New York 1993.
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aus dem Grundsatz über die gleiche Identität von Form und Inhalt verfügen wie jener. So muß das ganze System des Wissens aus dem Status abgeleitet und begründet werden, der dem ersten Satz die Auszeichnung erteilt, der Satz des Wissens zu sein. Damit wurde jener ausgezeichnete Bezug auf das Bewußtsein, den Fichte benutzt, um auf den Begriff zu bringen, was es heißt, etwas zu wissen, durch eine Struktur, die allem Wissen seinen Status bestimmt, näher angegeben. Daß ein Bewußtsein etwas weiß, kann also dann behauptet werden, wenn es zu einer Proposition ein solches Verhältnis unterhält, daß es in ihr Form und Gehalt nicht unterscheiden kann, ohne diese Form und diesen Gehalt als solche zu zerstören. Umgekehrt gilt: kann es zu keiner Proposition eine solche Beziehung aufweisen, so kann nicht mit Fug und Recht von ihm behauptet werden, daß es etwas wisse. Weil nur im Ausgang und auf der Grundlage dieser im Satz des Wissens formulierten Gewißheit ein System des Wissens entwickelt werden kann, das demzufolge nur aus näheren Bestimmungen jener Identität von Form und Gehalt besteht, deshalb wäre mit der Unmöglichkeit jenes Verhältnisses jedes Wissen als nicht seinem Begriffe entsprechend erwiesen. Einen Satz zu finden, der durch sich selbst seinen Gehalt und seine Form bestimmt, wird demnach durch die Aufgabe, das Phänomen ,.etwas wissen« zu formulieren, strukturell gefordert. Damit sind die inneren Bedingungen eines Satzes des Wissens im wesentlichen beschrieben. Nun kann sich der vorweg anzugebende Begriff des Phänomens ,.etwas wissen« nicht durch den Argumentationsgang der Wissenschaftslehre legitimieren, sondern muß sich unabhängig davon als der richtige ausweisen. Dies kann er zum einen durch seine Leistung, wenn es mit seiner Hilfe gelingt, die Art des menschlichen Wissens plausibel zu verdeutlichen. Zum anderen kann er sich dann als Begriff des Wissens bewähren, wenn die wichtigsten Phänomene, die wir als Vorkommnisse von Wissen anzusehen bereit sind, in einen Bezug zu ihm gesetzt werden können, durch den sie als solche Verständlichkeit gewinnen. Deshalb bestehen die äußeren Bedingungen des Satzes des Wissens im Gelingen des Versuches, alles was wir wissen oder zu wissen glauben, auf ihn zurückzuführen. Folglich muß der Zusammenhang zwischen den Formen, in denen wir etwas zu wissen behaupten, und dem das Wissen als solches ausdrückenden Grundsatz in beiden Richtungen bestehen. Es muß prinzipiell möglich sein, von jeder Wissensform aus den Satz des Wissens zu erreichen und dies so, daß sie dadurch ihre Verständlichkeit als Fall von Wissen erhält. Ebenso aber muß im Ausgang von dem Satz des Wissens jede Form in ihrem Wissensstatus entwickelt werden können. Ein solches Beglaubi-
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
gungsverfahren wäre eine unendliche Aufgabe, wenn die Beziehung zwischen jeder Wissensform und dem Grundsatz gesondert untersucht werden müßte. Es ist bekannt, daß Fichte beansprucht, diese Leistung in einem einzigen Arbeitsgang durch eine Entwicklung aller in Frage kommenden Formen aus dem Grundsatz des Wissens erbringen zu können. Eine solche Entwicklung scheint jedoch zunächst gerade aufgrund der Untrennbarkeit von Form und Inhalt, die dem Grundsatz seinen ausgezeichneten Charakter verleiht, ausgeschlossen zu sein. Soll der Grundsatz sich in einen anderen Satz des Wissens transformieren lassen, ohne seine das Wissen als solches ausdrückende Beziehung zum Bewußtsein aufzugeben, so müßte er eine interne Differenz aufweisen, aus deren Dynamik seine Veränderung hervorgehen kann, ohne daß damit jene Unmöglichkeit, die Form auf einen anderen Gehalt anzuwenden oder den Gehalt unter einer anderen Form aufzufassen, tangiert wäre, die den Grundsatz zu einem solchen macht. Wir werden sehen, daß diese Schwierigkeit und der Versuch, sie aufzulösen, ohne den zentralen Gedanken im Grundsatz des Wissens aufs Spiel zu setzen, Fichtes Wissenschaftslehre entscheidend prägen und ihre Differenz zu den verwandten Unternehmungen des Idealismus mitbestimmen wird. Zunächst genügt es für die Zwecke einer vorbereitenden Klärung, den Zusammenhang dieser Entwicklung von Wissensformen aus dem Grundsatz alles Wissens mit dem Anspruch, das menschliche Wissen seiner Art nach vollständig bestimmen zu können, zu verdeutlichen. s Eine vollständige Erklärung der Art unseres Wissens läßt sich nur dann erreichen, wenn die Entwicklung der auf den Grundsatz zu beziehenden und auf diese Weise in ihrem Wissensstatus aufzuklärenden Formen den ursprünglichen Satz gänzlich erschöpfen kann. Nur in diesem Falle könnte das System Vollständigkeit erreichen, und nur wenn es vollständig ist, kann es die Art des menschlichen Wissens bestimmen. Zu einem Abschluß kommt es nur dann, wenn es zum einen keinen Satz enthält, dessen Wahrheitswert nicht von dem des Grundsatzes abhängt, und wenn zum anderen kein weiterer Satz mehr gefolgert werden kann. Daß letzteres der Fall ist, kann dann nachgewiesen werden, wenn es gelingt, in einer konsistenten Entwicklung erneut auf den Grundsatz des Wissens zu stoßen. In diesem Falle nämlich würde ein weiterer Fortgang nur die schon erreichten
S Zum geistigen Umfeld und zu den geistesgeschichtlichen Zusammenhängen der Wissenschaftslehre vgl. die Beiträge in W.Hogrebe, Hrsg., Fichtes Wissenschaftslehre 1794. Philosophische Resonanzen, FrankfurtlMain 1995.
I. Die Explikation des Wissens
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Ergebnisse reproduzieren. Es wird sich zeigen, daß die neue Fassung des Satzes des Wissens, die dem System seinen Abschluß und seine Vollständigkeit gibt, eine charakteristische Auszeichnung der Fichtesehen Wissenschaftslehre darstellt. Daß die erste Formulierung des Grundsatzes alles Wissens nicht mit der letzten übereinstimmt, obwohl deren Gehalt nicht von dem jener abweichen kann, spielt eine entscheidende Rolle für jene zunächst unwahrscheinliche Möglichkeit, aus dem Form und Inhalt identifizierenden Satz des Wissens eine Entwicklung zu Formen des Wissens in Gang setzen zu können. Wenn das angestrebte Ziel einer Aufklärung über die Art unseres Wissens aber nur über die Abgeschlossenheit der Entwicklung der Wissensformen erreicht werden kann, so wird sich das Ergebnis der Fichtesehen Untersuchung auch durch diese Differenz zwischen Anfang und Ende bestimmen, die keine sein darf, wenn das Argumentationsprojekt der Wissenschaftslehre seinen selbstgesetzten Erfolgskriterien genügen soll.
2. Wissen als Identifizieren und Differenzieren Bekanntlich nimmt der Anfang der Wissenschaftslehre die Identität des »Ich bin Ich« in Anspruch, um den einleitend skizzierten Anforderungen an einen Grundsatz des Wissens genügen zu können. Daß das Ich am Beginn einer Entwicklung steht, die über die erschöpfende Ausarbeitung aller Formen des Wissens eine vollständige Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens erbringen soll, scheint durch die Struktur des Ich und deren Übereinstimmung mit dem Verhältnis der Gewißheit, das das menschliche Wissen auf den Begriff bringt, seine Legitimation zu finden. 6 Somit bestünde der Zusammenhang zwischen der Untersuchung des menschlichen Wissens und dem Ich in der glücklichen Fügung, daß mit letzterem eine Entität zur Verfügung steht, die jene zunächst nur mit hypothetischem Status entwickelte Bedingungsstruktur eines verständlichen Begriffes des Wissens als eine Wirklichkeit erweist, deren Bekanntschaft bei jedem mit dem Anspruch auf Wissen Auftretenden problemlos vorausgesetzt werden kann. Die von Fichte in Anspruch genommene Begründung für gerade diesen unter allen möglichen und denkbaren Anfängen lautete demzufolge, nur im einzigen Falle des »Ich bin Ich« werde mit der Form des Satzes zugleich sein innerer Gehalt gesetzt, so daß damit
6 Vgl. zu dieser Problematik insbesondere A. Wildt, Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption, Stuttgart 1982, S. 202 ff.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
jenes Verhältnis des Wissens zum Bewußtsein seine Aufklärung finden kann, das als Gewißheit am Anfang des Wissens steht. Nun beginnt der Text der Wissenschaftslehre von 1794 jedoch nicht mit dem Ich und dessen Identität, sondern mit den zwei fundamentalen Sätzen der Logik, betreffend die Identität und den Widerspruch. Erst im Ausgang von diesen Sätzen werden die Grundsätze des Ich = Ich bzw. der Entgegensetzung Ich Nicht-Ich erreicht. Dieser Umweg wird zumeist als didaktisch motivierte Umständlichkeit gedeutet, die ohne eigentlich argumentative Bedeutung dem Leser einen leichteren Zugang zu dem die Wissensstruktur begründenden Ich = Ich gewähren soll. Dagegen steht zunächst das Faktum, daß Fichte einen argumentativen Zusammenhang zumindest zwischen dem A = A und dem Ich = Ich herzustellen versucht. Daraus könnte der Schluß gezogen werden, daß die Ich-Struktur nicht den Anfang des Systems darstellen kann, da sie selbst erst durch Argumentationen vermittelt erreicht wird. Jener Zusammenhang scheint jedoch andererseits so offensichtlich brüchig und kritikbedürftig zu sein, daß im Interesse der Verteidigungsfähigkeit der Wissenschaftslehre besser kein allzu großes Gewicht auf ihn gelegt werden sollte. 7 Wir werden nichtsdestotrotz im folgenden eine Interpretation vorschlagen, die jene Sätze von der Identität und vom Widerspruch in den argumentativen Gang der Wissenschaftslehre einbezieht und ihnen somit eine Bedeutung für das intendierte Ziel einer Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens zuschreibt. 8 Wir können dazu an die einleitend skizzierte Charakteristik eines Grundsatzes anknüpfen, der nur dann allem Wissen zum Fundament dienen kann, wenn mit ihm das Wissen als solches auf seinen Begriff gebracht gelten
7 P.Baumanns weist darauf hin, daß die scheinbare Ableitbarkeit des absoluten Ich aus dem A = A nur einen Darstellungsmangel darstellt (J.G.Fichte. Kritische Gesamtdarstellung seiner Philosophie, Freiburg 1990, S. 66; sowie ders., Fichtes Wissenschaftslehre. Probleme ihres Anfangs, Bonn 1974).
8 K. Gloy unterscheidet zwei Grundmodelle mit mehreren Varianten in der Interpretation der drei Grundsätze. Einer Auslegung nach dem christlichen Dreierschema von Gott, Welt und Seele steht demnach eine Auffassung als Aussagen über das Selbstbewußtsein in der Gestalt einer Explikation, Konstruktion oder Dialektik gegenüber (Die drei Grundsätze aus Fichtes »Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« von 1794, in: Philosophisches Jahrbuch 9111984, S. 289-307). Die Entscheidung rur die zweite Option fällt sicher nicht schwer. Was die Varianten angeht, so scheint mir Fichte eher einen Gedanken verfolgt zu haben, der die Unterscheidung analytisch, synthetisch oder dialektisch in sich aufheben könnte, vor allem gilt dies rur die Einheit von Explikation und Konstruktion.
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kann. Die Funktion der logischen Fundamentalsätze wäre demnach im Zusammenhang der Aufgabe zu verstehen, das Wissen so in einem Ausdruck formulieren zu müssen, daß dieser sowohl als Inbegriff des Wissens gelten als auch durch sich selbst das Ich = Ich als einzig mögliche Begründungsgestalt alles Wissens plausibel machen kann. Wenn dieser Zusammenhang zu verdeutlichen wäre, so könnte das Ich über die Zufälligkeit seiner Strukturgleichheit mit dem Ausdruck dessen, was es heißt, etwas zu wissen, hinaus in eine interne Beziehung zu dem Begriff des Wissens selbst gesetzt werden, die es erlauben würde, dem Anfang der Artbestimmung unseres Wissens im Ich eine bessere Plausibilität zu verschaffen als durch die bloße Strukturgleichheit von Ich und Inbegriff des Wissens. Ein solcher Anfang vor dem Anfang besitzt offenbar einen ebenso merkwürdigen wie problematischen Status. Von ihm aus muß ein Weg zu dem eigentlichen Beginn führen, ohne daß dieser Weg argumentativ bedeutsam sein dürfte - im anderen Fall wäre der Anfang gerade als solcher dementiert. Wenn der gesuchte Grundsatz also durch den Weg, der zu ihm führt, weder bestimmt, noch bewiesen oder begründet werden kann, so bietet sich die Formulierung an, er werde auf diese Weise nur ..aufgesucht«. Damit wird ausgedrückt, daß er seine Begründung wohl in sich selbst tragen muß, daß eben dies und damit seine Fähigkeit des Anfangens aber doch aus unproblematisch einleuchtenden Strukturen des menschlichen Weltverhältnisses verständlich zu machen ist. Wenn es nun gelänge, jenen anfangsfähigen Grundsatz über die einfachsten Formen eines artikulierten Weltverständnisses aufzusuchen, so könnte die Thematik des Anfangs als eines solchen sich selbst als notwendig ausweisen, da ihr Gegenstand in diesem Falle als notwendig im ursprünglichen Verhältnis des Menschen zur Welt impliziert vorausgesetzt werden kann. Dies hätte den Vorteil, daß damit das Anfangenkönnen, das zunächst nur als Möglichkeitsbedingung eines in seiner Art zum Verständnis gekommenen Wissens eingeführt wurde, eine autonome Legitimation gewinnen könnte. Mit dem Satz der Identität soll nun ein Ausgangspunkt gewonnen sein, den jeder ohne Widerrede zugibt. Wenn er darüber hinaus den Punkt darstellt, von dem aus der Weg zum Ziel am kürzesten ist, so ist er offenbar auch der Satz, der das Anfangen innerhalb des menschlichen Weltverhältnisses am deutlichsten bezeichnet. Daß der Satz A = A in jeder Behauptung über die Welt impliziert ist, besitzt nun durchaus eine gewisse Plausibilität. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob mit ..Identität« hier primär ein semantisches Prinzip der Bestimmtheit bezeichnet ist - um Behauptungen aufeinander beziehen zu können, muß eine identische Bestimmtheit ihrer Termini vorausgesetzt werden dürfen -, oder ob 9 Römpp
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
,.Identität« primär dem Satz vom auszuschließenden Widerspruch gleichzusetzen ist. In jedem Falle gibt der Satz A = A eine Bedingung an, die in allen Behauptungen mit dem Anspruch, etwas über die Welt sagen zu können, vorausgesetzt werden muß und darf. Wenn es nun gelingt, von dieser primitiven Bedingung alles Behauptens einen Weg zu dem wissensbegründenden Grundsatz zu finden, so könnte sich dieser als Möglichkeitsbedingung aller Aussagen über die Welt legitimieren. Seine Stellung als Grundsatz kann jedoch nur gewahrt bleiben, wenn er sich trotzdem als in sich und durch sich selbst begründeter Anfang erweisen läßt. 9 Für diesen problematischen Zusammenhang findet Fichte nun eine Lösung, durch die bis zu einem gewissen Grade jene argumentative Bedeutung einsichtig wird, die einem solchen Anfang vor dem Anfang im Rahmen einer alles Wissen in seiner Art bestimmenden Wissenschaftslehre zukommen kann. Der Satz A = A kann offenbar nicht begründet werden, ohne ihn selbst vorauszusetzen, folglich kann er überhaupt nicht begründet werden. Wird er gleichwohl als Grundlage alles Behauptens immer schon und ständig in Anspruch genommen, so schreibt man sich mit ihm das Vermögen zu, etwas schlechthin zu .. setzen« (WL 1794, I 93). Wenn wir zunächst darauf verzichten, den Begriff des ,.Setzens« zu untersuchen, so ist soviel doch schon deutlich: wer A = A gelten läßt, der schreibt sich die legitime Fähigkeit zu, einen Satz schlechthin und ohne allen weiteren Grund gelten zu lassen. Der einfache Zusammenhang, den Fichte hier für seine Zwecke benutzt, besteht demzufolge zwischem dem Charakter von Behauptungen, die etwas über die Welt sagen sollen, und der Notwendigkeit, solche Aussagen schließlich in einem unbegründbaren Grund fundieren zu müssen. Wer den Anspruch erhebt, etwas über die Welt sagen zu können, muß sich demzufolge auch das Vermögen zuschreiben, etwas schlechthin setzen zu können. Das Ergebnis dieser Überlegung innerhalb des Anfangs vor dem Anfang lautet also zunächst: wer Behauptungen aufstellt, muß sich die Fähigkeit zuschreiben, anfangen zu können. Wenn jeder, der von der Welt etwas behauptet, nun auch in der Lage sein muß, auf sich selbst mit Hilfe des Ausdrucks der ersten Person Singular Bezug zu nehmen, so muß jeder, der ,.ich« in der natürlichen Weise verwendet, sich auffassen als ausgestattet mit dem Vermögen, einen Anfang machen zu
9 Vgl. dazu I.Schüßler, Logik und Ontologie. Fichtes transzendentale Begründung des Satzes der Identität, in: K.Hammacher, Hrsg., Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, S. 498-505.
I. Die Explikation des Wissens
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können. Damit ist ein wichtiger Schritt getan, um dem Ich = Ich eine über die Zufälligkeit der Strukturgleichheit mit dem Inbegriff des Wissens hinausgehende Bedeutung für die Aufklärung des Wissens zu verschaffen. Offenbar muß ein sich mit .. ich« designierendes Wesen schon in seiner rudimentären Tätigkeit des Behauptens sich als anfangsfähig auffassen können. 10 Außer dem A = A setzt die Tätigkeit des Behauptens jedoch noch den Satz des Entgegensetzens -A nicht = A voraus. Auch dafür läßt sich eine gewisse Plausibilität anführen. Ohne die Fähigkeit des Entgegensetzens könnte kein Subjekt und kein Prädikat von anderen Subjekten und Prädikaten unterschieden werden. Damit käme den Bestandteilen der elementaren Aussage jedoch keinerlei Bestimmtheit zu, so daß mit ihrer Hilfe überhaupt keine Behauptungen aufgestellt werden könnten. Auch der Satz des Entgegensetzens kann nun nicht näher bestimmt oder begründet werden. Wer ihn in Anspruch nimmt - und dies muß offensichtlich jeder Behauptende tun - schreibt sich demzufolge die Fähigkeit zu, auch diesen notwendigen Zusammenhang schlechthin setzen zu können, ohne eine Begründung zur Verfügung zu haben. Das behauptende Ich hat sich damit erneut als anfangs fähig gezeigt und kann sich nur so seiner Fähigkeit gewiß sein, über die Welt und sein Verhältnis zu ihr sinnvolle Sätze formulieren zu können. Da Fichte nur die Sätze der Identität und des Entgegensetzens für die argumentative Ausgestaltung des Anfangs vor dem Anfang in Anspruch nimmt, deshalb stellt sich die Frage, ob damit bereits eine vollständige Bedingungsstruktur der Fähigkeit des Behauptens angegeben ist. Die Antwort darauf hängt offensichtlich von der DefInition der Bezugsgröße ab. Dazu müssen wir auf die Abzweckung der ganzen Erörterungen vor den eigentlich anfangsfähigen Grundsätzen zurückkommen. Mit Hilfe der elementaren Voraussetzungen alles Behauptens soll dem Anfang im Ich eine eigenständige Legitimation über die Strukturgleichheit von Ich und Inbegriff des Wissens hinaus verschafft werden. Offensichtlich genügt dafür bereits der Nachweis eines anfangsfähigen Ich als Grundlage aller Behauptungen, die auf die erste Person SingUlar bezogen werden können. Daß jedoch gerade A = A und -A nicht = A geeignet sind,
10 Vgl. dazu auch die Überlegungen von J.Stolzenberg, demzufolge Fichte in § 1 dafür argumentiert, daß das ..Ich bin« nicht im Rahmen einer empirisch-psychologischen Selbstbewußtseinstheorie zu verstehen ist, obwohl es nur auf ..empirischer« Grundlage eingeführt und expliziert werden kann. (Fichtes Satz ..Ich bin«. Argumentanalytische Überlegungen zu§ 1 der ..Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« von 1794-95, in: Fichte-Studien 6/1994, S. 1-34)
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um das Ich alles Wissens auszuzeichnen, dies kann nur mit Hilfe eines weit aufwendigeren Verfahrens nachgewiesen werden, das im Grunde mit dem Argumentationsgang der Wissenschaftslehre identisch ist. Die beiden Sätze sind dann angemessen und vollständig bezüglich des Argumentationszieles, wenn sie es erlauben, das behauptende Ich so zu charakterisieren, daß aus seiner Struktur auf plausible Weise jene Wissensformen entwickelt werden können, durch deren Bezogenheit auf das Ich die Wissenschaftslehre legitim den Anspruch erheben kann, ein Unternehmen zur Aufklärung der Art des menschlichen Wissens zu repräsentieren. Die elementaren Grundlagen des Behauptens müssen deshalb so auf die Struktur des behauptenden Ich verweisen, daß zum einen ihre Übereinstimmung mit der grundsätzlichen Charakteristik des Ich als Identität von Form und Gehalt sichtbar wird, daß jedoch zum anderen das Ich trotz dieser Identität eine interne Differenz aufweist, die ihm erlaubt, durch es selbst einen Bezug auf die Wissens formen herzustellen, die es in der Art ihres Wissens aufklären können SOU}I Der Anfang vor dem Anfang, mit dessen Hilfe Fichte dem Ich eine eigenständige Ausweisung als anfangsfähig und wissensbegründend zu verschaffen sucht, muß nun aus sich heraus zu jener Struktur des Ich überleiten, deren Übereinstimmung mit dem Satz des Wissens eine Chance zur Aufklärung alles menschlichen Wissens seiner Art nach bietet.
3. Identif"lzieren als Leistung von »ich« und »Ich« Der Übergang vom Satz A = A zum Satz ,.Ich bin« birgt eine Reihe von Problemen in sich. Zunächst ist mit dem Satz der Identität nur der hypothetische Zusammenhang ,.wenn A, dann A« gesetzt. Dennoch beansprucht Fichte, daraus das Gesetztsein des A im Ich entwickeln zu können. Es scheint der klassische Fall einer Subreption vorzuliegen. Dieser Verdacht kann jedoch
11 Auch so wäre Fichtes Ichphilosophie als Gegenentwurf gegen das Denken des Ich als Reflexion aufzufassen (vgl. D.Henrich, Fichtes ursprüngliche Einsicht, in: D.HenrichlH. Wagner, Hrsg., Subjektivität und Metaphysik. Festschrift für Wolfgang Cramer zum 80. Geburtstag, Frankfurt/Main 1967, S. 188-232). Es erscheint jedoch fraglich, ob Fichte selbst die Aporie einer Reflexionstheorie des Selbstbewußtseins erkannt hat; näher liegt der Gedanke, daß Fichte auf eine solche Aporie überhaupt nicht kommen mußte, weil er Selbstbewußtsein von vornherein in der Gleichursprünglichkeit von Identität und Differenz begriffen hat, ohne daß in diese Konzeption eine durch Identifizierung zu überbrückende Differenz eingehen mußte.
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dann ausgeräumt werden, wenn die Bedeutung des Fichteschen Grundbegriffes "Setzen« genauer bestimmt wird. Die Behauptung lautet des näheren, A müsse im Ich gesetzt sein, insofern der Zusammenhang A = A darauf bezogen wird. Dies beantwortet die Frage, unter welcher Bedingung A denn sei. Deshalb bedeutet das Gesetztsein des A nicht mehr, als daß ihm jene Bedingung zugerechnet wird, unter der allein sinnvoll von ihm die Rede sein kann. Da diese Bedingung aber nur durch eine unbegriindbare Setzung durch das Ich erfüllt werden kann, so kann A nur dann in artikulierbarer Weise für das Ich sein, insofern es dem A = A untersteht. In diesem Sinne ist das A im Ich gesetzt, indem sein Vorkommen von einer nicht extern begriindbaren Leistung des Ich abhängt. Wir könnten dies auch so ausdrücken: sobald A den Bedingungen seines Behauptens unterstellt wird, sobald kann von ihm nicht mehr als von einem ausschließlich durch sich selbst bestimmten Dinge an sich die Rede sein, sondern es ist durch das die Form der Identität hervorbringende Ich bestimmt. Was immer es sonst noch sein mag, indem es der Bedingung A = A untersteht, ist das A in einen Bezug zum Ich gestellt und damit kommt ihm der Charakter eines Gesetztseins zu. Wir werden diese Interpretation des Ausdrucks "Setzen« noch zu verdeutlichen haben; zunächst jedoch hat sich ergeben: mit der Behauptung eines im A = A implizierten Gesetztseins des A begeht Fichte nicht den Fehler, von einem hypothetischen Zusammenhang auf die Existenz der Glieder zu schließen, sondern gibt das erste Beispiel seiner Verfahrensweise in der Ausarbeitung eines genuin philosophischen Wissens. Damit ist jedoch nur das Präludium für die Entwicklung des Zusammenhangs von A und Ich gegeben. Wenn A = A seine Gültigkeit aus dem Ich und seinem Leisten bezieht, und jedes mögliche A dadurch einen Bezug auf das Ich erhält, so ist ein Ich, das ein artikulierbares Verhältnis zur Welt unterhält, offenbar zumindest so weit mit sich identisch, daß es für die Identität des A mit sich selbst aufkommen kann. Indem A = A durch das Ich gesetzt ist, gilt unmittelbar auch Ich = Ich. Wenn wir auf die argumentative Herkunft des Satzes A = A rekurrieren, so lautet die Behauptung demnach: wer etwas über die Welt behaupten will, der muß sich selbst notwendig unter der Form der Identität auffassen. Das Argument lautet also kurz: wenn alle Gehalte des Behauptens der Identität unterliegen, der Satz der Identität aber wegen seiner Unbegriindbarkeit nur als Leistung des Behauptenden Geltung besitzt, und wenn weiter das Setzen von Identität die Identität des Setzenden erfordert, so impliziert das A = A auch das Ich = Ich. Mit dieser Identität aber ist die Ouvertüre zunächst beendet; sie wird in der Aufsuchung des zweiten Grundsatzes allerdings noch einmal aufgenommen.
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Nun ist genau der Charakter des Ich erreicht, dessen Übereinstimmung mit dem Inbegriff des Wissens die Ausarbeitung eines Verständnisses der Art des menschlichen Wissens durch dessen Bezug auf das Ich erlauben soll. Mit jener Identität des Ich = Ich nämlich soll eo ipso auch der Satz ,.lch bin« gelten. Wenn die Form aber ihren Gehalt impliziert, und dieser Gehalt sich in jener Form erschöpft, so wären genau die Bedingungen erfüllt, die der Satz des Wissens erfordert. Die Behauptung, daß die Identität des Ich seine Existenz beinhaltet, muß jedoch in einer eigenen Untersuchung geklärt werden. Zunächst sieht es so aus, daß Fichte diesen Zusammenhang auf ein vorgängiges und nur aufzunehmendes Wissen um die Struktur eines Ich gründet. ,.lch« wäre demnach der Ausdruck einer Entität, deren Form einer Identität mit sich bereits ihr ganzes Sein ausmacht. Daß von einer solch merkwürdigen Entität jedoch sinnvoll die Rede sein könnte, erscheint zunächst nicht gewiß. Nur in diesem Falle jedoch könnte dem ,.lch bin Ich« eine Bedeutung zukommen, die das Sein impliziert und diesen Satz damit entscheidend von dem A = A unterscheidet. Möglicherweise ergibt sich aus der Entwicklung des Grundsatzes alles Wissens aus den fundamentalen Bedingungen alles Behauptens noch eine weitere Aufklärung über das ,.lch = Ich« und seine Implikationen. Das Ich = Ich wurde im Argumentationsgang der ,.Aufsuchung« des obersten Grundsatzes erreicht, weil das behauptungsermöglichende A = A begründungslos gesetzt werden muß und deshalb dem Setzenden selbst inhärieren muß. 12 Deshalb erfordert die Möglichkeit, sinnvolle Behauptungen über die Welt aufstellen zu können, nicht nur die Form der Identität, sondern darüber hinaus auch eine gehaltvolle Identität. Deren Gehalt kann jedoch nicht extern bestimmt sein, wenn nicht verborgene Prämissen in den Schluß eingehen sollen. Folglich kann das ,.Ich« im ,.lch bin Ich« nur die Stelle dessen vertreten, was zuvor über die Möglichkeit des Behauptens entwickelt wurde. Das aber ist die Fähigkeit des sich in der 1. Person Singular designierenden Sprechers, einen begründungslosen Anfang zu setzen, den Fichte des näheren als A = A und -A nicht = A beschreibt. Im Grunde ist es nun genau diese Anfangsfähigkeit, der nun selbst die Identität mit sich zugeschrieben werden muß, aus der verständlich werden kann, daß sie Identität zu setzen in der Lage ist. Eine Anfangsfähigkeit, die ursprünglich mit sich identisch ist, erfordert jedoch selbst wiederum eine identitätsstiftende Leistung, die selbst eine interne Identität aufweisen muß,
12 Zum Zusammenhang von ,.Ich« und ,.Anfang« vgl. R.Lauth, Die grundlegende transzendentale Position Fichtes, in: K.Hammacher, Hrsg., Der transzendentale Gedanke. Die gegenwärtige Darstellung der Philosophie Fichtes, Hamburg 1981, S. 18-24.
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welche wiederum nur durch eine ursprüngliche Leistung verständlich werden kann usw. Die Möglichkeitsstruktur sinnvollen Behauptens erfordert demzufolge offensichtlich eine Identität, die sich selbst erzeugt und erhält. Eine solche Identität muß jedoch ebenso offensichtlich demjenigen zugeschrieben werden, der Behauptungen aufstellt. Nun muß ein solcher auf sich selbst mit Hilfe des Pronomens der 1. Person Singular Bezug nehmen können. Daraus ergibt sich: einem Sprecher, der Behauptungen so aufstellt, daß er sich darin mit ,.ich« selbst designiert, muß eine absolute und sich selbst setzende Identitätsleistung zugeschrieben werden. Es ist genau diese aus den Bedingungen sinnvollen Behauptens entwickelte Selbstidentifikationsleistung, aufgrund der im pronominalen ,.ich« jenes Ich impliziert ist, das aufgrund seiner Identität von Form und Gehalt zum Ausgangspunkt einer Aufklärung der Art des menschlichen Wissens dienen kann. Fichte benutzt folglich im Übergang vom Ich = Ich zum ,.Ich bin« nicht einfach ein vorgängiges Wissen um die Struktur eines Ich, sondern entwickelt diese Struktur als Implikat eines Behauptens, das eine Selbstreferenz unter dem pronominalen ,.ich« einschließt. Daß die als Möglichkeitsbedingung aller Behauptungen über die Welt ausgearbeitete absolute Identitätsleistung den Namen ,.lch« tragen kann, legitimiert sich demnach aus dem Zusammenhang ihres Prinzipiandums mit dem Personalpronomen ,.ich«, das sich im Status der Aufgeklärtheit über sich selbst in der Fähigkeit eines Behauptens über die Welt als ,.lch« darstellt. Diesen in der Analyse der Möglichkeitsbedingungen sinnvoller Behauptungen über die Welt ausgearbeiteten Zusammenhang von ,.ich« und ,.lch« benutzt Fichte nun auch, um die Implikation des ,.Ich bin« im ,.lch = Ich« plausibel zu machen. 13 Die absolute Identitätsleistung, die alles Behaupten fundiert, ist offensichtlich in sich differenziert. In ihr wird das A = A als unmittelbare Bedingung der Möglichkeit, etwas über die Welt zu sagen, in einer Leistung des Ich gesetzt, das sich selbst in einer Identität verstehen muß, die es wiederum selbst setzt, so daß die absolute Identität in einer Leistung auf sich selbst besteht. Sie ist demnach ein Handeln auf sich und in sich selbst. Wenn das Ich seine ausgezeichnete Bedeutung nun als diese absolute Identitätsleistung gewinnt, so stellt es selbst ein absolutes Handeln dar, das nicht auf etwas
13 Vgl. zur Problemlage dieses Zusammenhangs W.Röd, Empirisches Ich und Ich der Philosophen, in: H.Radermacher, Hrsg., Aktuelle Probleme der Subjektivität, BernlFrankfurt 1983, S. 91-101.
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anderes, sondern ausschließlich auf sich selbst geht. In diesem und als solches Handeln aber hat es sein Sein. Wenn also plausibel wird, daß alles Behaupten ein Ich voraussetzt, das durch jene absolute Identitätsleistung charakterisiert ist, so ist mit der Wirklichkeit von Behauptungen auch das Sein des Ich erwiesen. 14 Daraus wird auch deutlich, daß dieses Sein identisch ist mit einem absoluten Handeln und keine darüber hinaus gehende Bedeutung besitzt. Wir könnten hier auch die Analogie zu dem zuvor entwickelten Zusammenhang von A = A und dem Gesetztsein des A im Ich heranziehen. Das A ist deshalb gesetzt im Ich, weil alles Artikulierbare der Identitätsleistung des Ich untersteht und damit nicht als Ding an sich, sondern nur als bezogen auf das Ich aufgefaßt werden kann. Wenn das Ich nun selbst Identitätsbedingungen genügen muß - was sich allein schon aus seiner identitätssetzenden Leistung ergibt -, so ist es selbst nicht als an sich bestehend, sondern nur unter der Bedingung einer Bezogenheit auf das identitätsleistende Ich zu denken. Es ist in diesem Sinne selbst ..gesetzt«, d.h. seiend durch seinen Bezug auf Subjektivität. Folglich ist das Ich aber gesetzt durch das Ich, also in einem Handeln des Ich auf sich selbst. Daß ihm Sein aufgrund dieser Setzung durch sich selbst zukommt, bedeutet also schlicht, daß es nicht als Ding an sich aufgefaßt werden kann, sondern nur in dem Bezug auf das identitätssetzende Ich. Der Unterschied zum A besteht darin, daß das Ich in seinem Aufgefaßtwerden einen Bezug zu sich aufnimmt und in seinem Gesetztsein nicht von einem anderen abhängt, sondern nur von einem Bezug auf sich selbst. Soweit das Sein des Ich in seiner Identität besteht, soweit ist es ein Gesetztsein und beruht nur auf seinem Bezug zu sich selbst. Das Ich ist also, indem es sich setzt, weil seine Selbstauffaßbarkeit von seiner eigenen Leistung abhängt. Wenn alles Sein von einem Setzen abhängt, das die Herstellung eines Bezuges zum Ich bedeutet, wenn das Ich in seinem Setzen aber den Bezug zu sich selbst herstellt, so ist sein Sein ausschließlich von seinem Selbstbezug abhängig. Es wird deutlich, daß die für die Ich-Theorie Fichtes entscheidende Identität von Sein und SichSetzen des Ich von der im Übergang von A = A zum Gesetztsein von A im Ich eingeführten Bedeutung von Sein abhängt. Wie dem A aufgrund des A = A nur Sein als Gesetztsein zugeschrieben werden kann, so kommt dem Ich in seinem Selbstbezug auch nur Sein als Bezug auf das Ich, d.h ...Auffassungssein« zu. Wir könnten sagen: in seinem Sein als auffaßbares ist das Ich identisch mit
14 Vgl. 2. Einleitung 1797, 1459: "Erst durch diesen Act und lediglich durch ihn, durch ein Handeln auf ein Handeln selbst, ... , wird das Ich ursprünglich für sich selbst" .
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seinem Gesetztsein. 15 Solange jedoch dunkel bleiben muß, wie von einem Sein jenseits seiner Auffaßbarkeit sinnvoll die Rede sein könnte, solange kann darin keine Einschränkung gesehen werden, die nicht von der Sache gefordert wäre. 16 Weil das gewißheitsfähige Sein des Ich sich in einem absoluten Handeln erschöpft, deshalb unterscheidet sich Fichtes Argument fundamental von dem Cartesischen. Es ist folglich weit schwerer, den Fichteschen Existenzbeweis auf die unlegitimierte Inanspruchnahme der Substanz-Akzidenz-Form bzw. der entsprechenden grammatischen Form gegründet zu sehen als dies im Falle Descartes' möglich ist. Im Gegensatz zu letzterem behauptet Fichte nicht die Existenz eines substantiellen Ich, sondern nur die Implikation eines absoluten HandeIns in jedem Akt des Behauptens. Das Ich hat folglich nicht die Bedeutung eines Handelnden und Tätigen, sondern nur die einer Handlung und einer Tätigkeit. 17 Das in seiner Form implizierte Sein drückt ebendies und nicht mehr aus. Wegen seines Status als "Erklärungsgrund aller Tatsachen des empirischen Bewußtseins" (WL 1794, I 95) gründet sich dieses Sein jedoch selbst auf eine Tatsache. Wegen der Struktur dieser Tatsachen, die wir in der Möglichkeit eines artikulierten Weltverständnisses zusammenfassen können, kann und muß dieses Sein nicht substantiell, sondern nur als absolute Handlung verstanden werden. Die nunmehr erreichte Struktur eines Ich, das geeignet sein soll, alles Wissen seiner Art nach aufzuklären, ist offensichtlich nicht durch
15 Mir scheint deshalb der geläufige Einwand nicht ganz zutreffend, wonach Fichte Selbstbewußtsein durch den Rekurs auf den eigenen "Fall« defmieren wolle (vgl. etwa A. Wildt, Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner FichteRezeption, Stuttgart 1982, S. 212). Die Aufforderung "Denke dich" ist mit "Denke: "ich«" nicht adäquat wiedergegeben, da ein solches propositionales ,.ich« bereits eine Bestimmtheit aufweisen müßte, die die Ursprünglichkeit des Selbstbezugs dementieren würde. Vermutlich ist der Appell so zu betonen: "Denke dich" - realisiere die Einheit von Identität und Differenz in diesem Geschehen (Versuch einer neuen Darstellung der Wissenschaftslehre 1797, I, 525). 16 Mir scheint der Sinn der sog ... Doppeldeutigkeit« des absoluten Ichs als Selbstbewußtsein und Absolutes eben in der Reflexion auf diesen Zusammenhang zu liegen; vgl. F.Bader, Die Mehrdeutigkeit der drei Grundsätze in Fichtes ..Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre« von 1794/95, in: K.Hammacher/A.Mues, Hrsg.,.Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte, Stuttgart 1979, S. 11-41.
17 2. Einleitung 1797, I 460: "Jenes Handeln ist eben der Begriff des Ich, und der Begriff des Ich ist der Begriff jenes Handeins" . Wird das Ich über das Tun hinaus als ein Tätiges gedacht, so hat man bereits einen empirischen und abgeleiteten Begriff von ihm.
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eine vorgegebene Bekanntschaft mit dem Ich als einer unseren Begründungsanforderungen glücklich entsprechenden Entität bestimmt, sondern wurde selbst mit Hilfe jener Untersuchung von Möglichkeitsbedingungen des Behauptens über die Welt entwickelt, die in einem Anfang vor dem Anfang den Grundsatz ,.aufsuchen« sollte, der als absoluter Anfang alles Wissen aus sich verständlich machen soll. Über die Kriterien für einen Satz des Wissens hinaus hat sich der Anfang aller Aufklärung über die Art des Wissens nun in der Untersuchung der Möglichkeitsbedingungen eines artikulierten Weltverständnisses als "Tathandlung« gezeigt, in der das Ich das Handelnde und zugleich das Produkt der Handlung ist. Daß das Ich Ausdruck einer Tathandlung sein muß, war weder den Anforderungen an einen Satz des Wissens zu entnehmen, noch aus einem gesicherten Wissen um eine Entität "Ich« zu beziehen. Daß diese Auffassung korrekt ist, darf sich jedoch nicht nur auf die Ermöglichung von Behauptungen über die Welt stützen, sondern muß aus der geforderten Leistung für die Aufklärung des menschlichen Wissens weitere Evidenz beziehen können. Im weiteren Argumentationsgang der Wissenschaftslehre muß es sich erweisen, daß gerade das Ich als Tathandlung jene Aufgabe erfüllen kann. 18 Die "Erzählung« von dieser Tathandlung am begründenden Anfang der Wissenschaftslehre lautet nun: "Das Ich setzt ursprünglich schlechthin sein eigenes Sein« (WL 1794, 198). Wir haben versucht, diese absolute Anfangsfähigkeit des Ich aus den Möglichkeitsbedingungen eines artikulierten Weltverhältnisses zu entwickeln. Daß das Sein des Ich identisch ist mit seinem Sich-selbst-setzen, ist demzufolge nicht eine bloße Behauptung, die sich nur auf einen gewohnten Gebrauch des substantivierten Personalpronomens "ich« stützen könnte, sondern ergibt sich aus der Notwendigkeit, einem Behauptungen über die Welt aufstellenden und sich darin mit "ich« designierendem Wesen die Fähigkeit der absoluten Identitätssetzung zuschreiben zu müssen. 19 Darin setzt es sich eo ipso selbst, indem es auf sich handelt; und solange sein Sein und
18 Insofern nimmt die ..Aufsuchung« des obersten Grundsatzes zwar ihren Anfang beim A = A, aber im Grunde ist die ganze WL damit beschäftigt, diesen notwendigen Zusammenhang zu erweisen, indem versucht wird, alle Wissensformen auf dessen Grundlage verständlich zu machen (vgl. WL 1794, I 96). 19 U.Claesges wandte gegen D.Henrich ein, unter dem Sich-setzen sei nicht die Struktur des Selbstbewußtseins zu verstehen, sondern seine Seinsweise. Gerade diese Entgegensetzung macht ein Verständnis der gedanklichen Intentionen Fichtes m.E. unmöglich. Vgl. Geschichte des Selbstbewußtseins, Den Haag 1974, S. 152.
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Wesen sich auf dieses Selbstsetzen beschränkt, muß ihm soweit Sein zugesprochen werden. Jener megalomanisch klingende Satz, daß außer dem Ich nichts sei, der den härtesten Stein des Anstoßes für die Kritik an der idealistischen Philosophie darstellt, faßt demnach nur zusammen, was aus den elementaren Tatsachen des Bewußtseins als deren Bedingungen der Möglichkeit entwickelt wurde, und sagt deshalb nicht mehr aus als die Verwiesenheit alles von einem sich mit »ich« ansprechenden Wesen zu Erfahrenden auf dessen Leistung absoluter Identitätssetzung. Wenn es nun gelingt, aus dem durch jene Tathandlung bestimmten obersten Grundsatz alle Formen des Wissens abzuleiten, die auf das Ich bezogen werden müssen, um die Art des menschlichen Wissens zum Verständnis zu bringen, so könnte deren Charakter offenbar als Folgeerscheinung jener absoluten Identitätssetzung aufgefaßt werden. Damit wären sie auf einen Grundsatz bezogen, dem aufgrund seiner genuinen Struktur eines Handeins auf sich selbst Sein zugeschrieben werden muß. Genau dieses Sein käme bei konsistenten und plausiblen Ableitungsverhältnissen auch den entwickelten Formen zu, so daß sie ihre Legitimation als derivative Gestalten jener Identitätsleistung gewinnen könnten, die jedem artikulierbaren Weltverhältnis als solchem zugrundeliegt. Der Begriff "Sein« bezeichnet jedoch bereits für das Ich sein Gesetztsein als Auffaßbarsein für ein Ich, d.h. für ein Wesen, das in seinem artikulierten Weltverhältnis sich mit "ich« designiert. Demzufolge können die entwickelten Formen des Wissens nur als Formen der Beziehung von Weltgehalten auf ein Ich, d.h. als Auffassungsformen verstanden werden, die ein Sein als Gesetztsein, d.h. ein Sein-für-das-Ich ermöglichen. Es sind also jene Formen, die der Welt ein Sein als Aufgefaßtsein durch ein Ich verschaffen. Nur wenn bewußt bleibt, daß von einem Sein jenseits der Auffaßbarkeit nicht sinnvoll die Rede sein kann, so kann verkürzt gesagt werden: jene Formen des Wissens bestimmen das Sein, weil sie aus dem Sein und Wissen identifizierenden Ich entwickelt sind.
4. Differenzieren als Leistung von »ich« und »Ich« Nun beschränkt sich die Entwicklung innerhalb des Anfangs vor dem Anfang nicht auf die Erörterung des A = A, sondern benutzt zur Aufsuchung eines zweiten Grundsatzes das Prinzip der Entgegensetzung -A nicht = A. Wir haben bereits versucht, auch diesen Satz als elementare Möglichkeitsbedingung des Behauptens und eines artikulierbaren Weltverhältnisses verständlich zu machen.
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Wenn daraus nun ein zweiter Grundsatz ..aufgesucht« werden soll, so impliziert dies die Behauptung, die absolute Subjektivität mit ihrem Ausdruck ..das Ich setzt schlechthin sich selbst« sei allein nicht in der Lage, die Formen des Wissens so weit zu entwickeln, daß alles menschliche Wissen seiner Art nach daraus verständlich gemacht werden kann. Folglich muß auch der zweite Grundsatz eine doppelte Legitimation gewinnen. Er muß sich zunächst plausibel aus einer elementaren Charakteristik alles Behauptens entwickeln lassen, und dies so, daß er als in sich und durch sich selbst begründet einleuchtet; er muß sich aber ebenso durch seine Leistung legitimieren: zusammen mit dem ersten Grundsatz muß er in der Lage sein, die gewünschte Aufklärung über die Art unseres Wissens zu erbringen. Daß die Geltung des Satzes -A nicht = A eine Voraussetzung sinnvoller Behauptungen über die Welt darstellt, besitzt durchaus eine gewisse Plausibilität. Daß dieser Satz unbegründbar ist und deshalb auf einer Setzungsleistung des Ich beruhen muß, läßt sich ebenfalls ohne größere Schwierigkeiten einsehen. Die Probleme beginnen dort, wo Fichte beansprucht, aus dem -A nicht = A ein Setzen des Nicht-Ich durch das Ich entwickeln zu können. Nichtsdestoweniger besitzt dieses Argument unter den Prämissen der bisherigen Ausführungen zur Struktur eines anfangsfähigen Ich eine gewisse Konsequenz. Zunächst ist der zweite Grundsatz nicht im gleichen Sinne unbedingt wie der Satz vom Ich, das schlechthin sein eigenes Sein setzt. Auch dies läßt sich noch verhältnismäßig leicht einsehen. Um entgegensetzen zu können, muß das Ich A = A gesetzt haben; andernfalls käme weder dem A noch dem -A eine Identität zu, die eine Entgegensetzung zwischen ihnen zu einem sinnvollen Begriff macht. Nun hatte die Entwicklung der Bedingungen des A = A zu seiner Begründung in einem schlechthin sich selbst setzenden Ich geführt. Deshalb ist der erste Grundsatz für die Explikation der Bedingungen des -A nicht = A vorausgesetzt. Fichte drückt dies als Abhängigkeit des zweiten Grundsatzes in seinem Gehalte vom ersten und schlechthin unbedingten Grundsatz aus. Diese Determinante führt nun konsequent zu dem Zusammenhang von -A nicht = A mit der Forderung, das Ich müsse sich schlechthin ein Nicht-Ich entgegensetzen. Seiner Form nach muß der zweite Grundsatz unbedingt gelten, wenn er überhaupt einen Grundsatz darstellen soll. Diese Form des Entgegensetzens muß nun ebenso wie die Setzung von Identität in einer ursprünglichen Handlung des Wesens gegründet werden, das mit Hilfe jenes Satzes Behauptungen über die Welt aufstellt und darin sich selbst als ..ich« designiert. Diese Handlung ist aber nun wegen der Vorausgesetztheit des A = A seinem Gehalte
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nach bereits als das absolute Sich-Setzen des Ich bestimmt. Demzufolge besteht das Problem nun darin, dieses Sich-Setzen mit jener Form eines absoluten Entgegensetzens zu vereinigen. Soll das behauptungsfähige Ich nun in der Lage sein, aus sich selbst das Entgegensetzen schlechthin zu setzen, so muß es diese Form in sich selbst enthalten können. Nun wurde in der Aufsuchung des ersten Grundsatzes, der wegen der Geltung des A = A auch hier vorausgesetzt werden darf, das Ich nicht als Substanz entwickelt, der verschiedene Akzidenzen zugeschrieben werden könnten, sondern als absolute Tätigkeit des SichSetzens. Wenn weiterhin kein externes Wissen um eine Entität ,.Ich« in Anspruch genommen werden darf, so erfordert die Gültigkeit des -A nicht = A demzufolge, die Form dieses Satzes in jene absolute Tätigkeit des Ich integriert zu denken. Absolut aber ist diese Tätigkeit, wenn sie ein auf sich selbst gehendes Handeln darstellt. Folglich ist der Satz des Entgegensetzens nur begründbar durch eine Entgegengesetztheit im Ich, die als dessen eigene Leistung zu verstehen ist. Wenn das Ich aber nichts anderes ist als die Leistung des Entgegensetzens, und auch das ursprüngliche Entgegensetzen nicht ohne Gehalt verstanden werden kann, so setzt es, indem es die Form des Entgegensetzens hervorbringt, eo ipso sich selbst entgegen. Genau dies drückt Fichte in dem zweiten Grundsatz aus: das Ich setzt sich schlechthin ein Nicht-Ich entgegen. Offensichtlich benutzt Fichte zur Aufsuchung des zweiten Grundsatzes die gleiche Argumentationsform wie im Falle der Entwicklung des A = A zum Ich, das schlechthin sich selbst setzt. Im Grunde wird der Zusammenhang desA nicht = A mit dem sich ein Nicht-Ich schlechthin entgegensetzenden Ich ausschließlich durch die Radikalität fundiert, in der dem sich mit ,.ich« ansprechenden und Behauptungen über die Welt aufstellenden Wesen das Entgegensetzen ausschließlich als seine eigene Leistung zugerechnet werden soll. Wenn das -A nicht = A wegen seiner Unbegründbarkeit vom Ich gesetzt werden muß, so ist die Setzung nur dann autonom, wenn auch die Fähigkeit zu einem solchen Setzen einer Setzung des Ich entspringt. Folglich ist jener Satz nur dann ursprünglich gesetzt, wenn auch das entgegensetzende Ich ein Handeln des Ich in sich und auf sich selbst darstellt. Ein Handeln des Ich in selbst ist aber eo ipso ein Setzen des Ich. Demnach ist jenes Handeln ein Setzen des Ich, indem entgegengesetzt wird; da darin aber ausschließlich das Ich als absolute Tätigkeit gesetzt ist, kann das Entgegensetzen nur das Ich selbst betreffen; ein Entgegensetzen, das auf das Setzen des Ich bezogen ist, muß aber dem Ich selbst entgegensetzen; ein dem Ich Entgegengesetztes aber heißt Nicht-Ich. Nun hat das Ich sein Sein nur in seinem Setzen; folglich ist es nun in und durch seine absolute Handlung des Sich-Entgegensetzens.
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Es ist bereits deutlich, daß der zweite Grundsatz notwendig in Konflikt mit dem ersten geraten muß, obwohl er dem Gehalt nach durch ihn bedingt ist. Darin scheint zunächst ein gravierender Einwand gegen den Sinn eines solchen Grundsatzes zu liegen - über den Rest an Dunkelheit hinaus, die vermutlich kein Rekonstruktionsversuch aus dem argumentativen Übergang vom -A nicht = A zu einem dem Ich schlechthin entgegengesetzten Nicht-Ich vertreiben kann. Seine Legitimation kann der zweite Grundsatz jedoch nur dann finden, wenn zum einen seine Aufsuchung als Entwicklung der Möglichkeitsbedingungen des Entgegensetzens plausibel ist - gesetzt, das -A nicht = A gehört in der Tat zu den ursprünglichen Implikaten aller Behauptungen über die Welt; und wenn zum anderen gerade und nur mit Hilfe dieses Grundsatzes eine begründungsfähige Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens gewonnen werden kann. Daß dies der Fall ist, kann jedoch nur dann näher untersucht werden, wenn es zuvor gelingt, die Behauptung, daß dem Ich schlechthin ein Nicht-Ich entgegengesetzt sei, mit dem ersten Grundsatz zu vereinigen, demzufolge das Ich schlechthin sich selbst setzt. Es ist bekannt, daß Fichte nicht nur beansprucht, eine solche Vereinigung mit einleuchtenden Begriffen herstellen zu können, sondern darüber hinaus gerade aus dieser Vereinigung die ganze Wissenschaftslehre entwickeln will. Jene in einem dritten Grundsatz zu entwickelnde »Grundsynthesis«, die in der Lage sein muß, SichSetzen und Sich-Entgegensetzen des Ich zu vereinigen, muß den "Gehalt für alle möglichen künftigen Synthesen" bereitstellen können (WL 1794, I 123). Die von Fichte versprochene Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens hängt also nicht nur von der Plausibilität der Aufsuchung der bereits aufgesuchten Grundsätze, sondern auch vom Gelingen ihrer Vereinigung ab.
5. Wissen als Einheit von Identifizieren und Differenzieren War der zweite Grundsatz schon nicht ohne Restbestände an Dunkelheit zu erhellen, so potenzieren sich die Probleme in der Ausarbeitung eines Satzes, der es gestatten soll, das Sich-Setzen des Ich zusammen mit einem Entgegensetzen des Nicht-Ich gelten zu lassen. Die Rede von einem teilbaren Ich und einem teilbaren Nicht-Ich erscheint zunächst paradox und wird einen beträchtlichen Interpretationsaufwand erfordern, um einen vernünftigen Sinn mit ihr verbinden zu können. Zunächst ist bereits undeutlich, inwiefern die gesuchte Vereinigung selbst den Status eines Grundsatzes annehmen kann. Desweiteren wird zu fragen sein, ob und wie auch dieser Grundsatz einen Bezug zu den
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elementaren Implikaten eines artikulierten Weltverhältnisses aufweist und sich deshalb als Möglichkeitsbedingung aller Behauptungen verständlich machen läßt. Daß es gerade und nur drei Grundsätze geben muß, entnahm Fichte einer Überlegung über die Möglichkeiten, einem Satze unbedingte Geltung zuschreiben zu können (Begriff, 149/50). Wenn die Begründung eines Satzes von seiner Form und von seinem Gehalte abhängt, so kann ihm Unbedingtheit zukommen aufgrund seiner Form und seines Inhalts (1), aufgrund seiner Form (2) oder aufgrund seines Inhalts (3) allein. Die Fälle (1) und (2) sind nun in den ersten beiden Grundsätzen erfüllt. Für den zu entwickelnden dritten Grundsatz muß also behauptet werden, er sei zwar seiner Form nach bedingt, seinem Inhalt nach aber besitze er unbedingte Gültigkeit. Die gesuchte Vereinigung von Setzen und Entgegensetzen kann sich demzufolge dann als Grundsatz zeigen, wenn eine solche Unbedingtheit als ihr notwendiges Element nachgewiesen wird. Anders als bei der Aufsuchung der beiden ersten Grundsätze wird nun jedoch nicht ein unmittelbar gewisser Satz in Anspruch genommen, der zu seiner Geltung einer Begründung in einem schlechthin setzungs- und anfangsfahigen Ich bedarf. Ein Grundsatz kann jedoch nur vorliegen, wenn eine notwendige, aber nicht weiter begründungsfahige Setzung vorliegt, die nur in einem absoluten Setzen des Ich fundiert werden kann. Eine solche Setzung sieht Fichte nun durch die Aufgabe angezeigt, eine Lösung für die Vereinigung der beiden ersten Grundsätze ausarbeiten zu müssen. Damit ist die Form gegeben, und die absolute Setzung durch das Ich betrifft nur einen Gehalt, der durch die Aufgabe noch nicht bestimmt ist, sondern erst durch einen "Machtspruch der Vernunft" erzeugt wird (WL 1794, I 106). Nun ist jene Aufgabe aber durch die Notwendigkeit bestimmt, die beiden Setzungsweisen zu vereinigen, die durch die begründungsunfahigen Sätze A = A und -A nicht = A aufgesucht werden mußten, um verständlich machen zu können, was es heißt, Behauptungen über die Welt aufzustellen. Insofern ist die Aufgabe nun auch, die Möglichkeit einer Vereinigung dieser beiden Implikate des Behauptens in einer ursprünglichen Setzung einleuchten zu lassen. Der dritte Grundsatz könnte deshalb indirekt doch einen Bezug auf die elementaren Bedingungen eines artikulierten Weltverständnisses besitzen. Fichte diskutiert diese Frage nicht explizit, dennoch erscheint ein solcher Zusammenhang nicht unplausibel. Wir können diesen Ausgangspunkt der Aufsuchung des dritten Grundsatzes nun dort finden, wo Fichte durch Abstraktion von dem Gehalte des Sich-Setzens des Ich den bloß formalen und logischen Satz gewinnt. In den Erörterungen zu den ersten beiden Grundsätzen
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war durch eine solche Abstraktion jeweils der Ausgangspunkt in den elementaren Bedingungen des Behauptens wieder erreicht worden. Offensichtlich muß dies auch jetzt der Fall sein. Den logischen Satz, der durch Abstraktion von dem Gehalt des dritten Grundsatzes erreicht wird, bezeichnet Fichte als den Satz des Grundes. Nun ist zunächst nicht deutlich, warum die Form ..A zum Teil = -A und umgekehrt« diesen Titel tragen soll. Der Satz vom zureichenden Grund ist darin offensichtlich nicht unmittelbar zu fmden. Jener Satz soll jedoch die Formel für den Beziehungs- und Unterscheidungsgrund angeben; er soll also die Möglichkeit bezeichnen, Entgegengesetzte gleichzusetzen oder zu vergleichen und Gleichgesetzte entgegenzusetzen. Nun ist das begründete Urteil gerade dadurch ausgezeichnet, daß es genau einen Beziehungs- und einen Unterscheidungsgrund enthält. Wenn ein antithetisches oder verneinendes Urteil in zwei Begriffen, die vergleichbar sind und also einen Beziehungsgrund aufweisen, das aufsucht, worin sie entgegengesetzt sind, d.h. ihren Unterscheidungsgrund angeben zu können verspricht, so baut es offenbar, um sich als begründet zeigen zu können, auf jenes Zusammenwirken von Beziehungs- und Unterscheidungsgrund, das Fichte als Satz des Grundes bezeichnet. Das gleiche gilt für synthetische oder bejahende Urteile, die in entgegengesetzten Begriffen das aufsuchen sollen, worin sie gleich sind. Die ..ursprüngliche Handlung«, die der dritte Grundsatz ausdrückt, ist also die "des Verbindens Entgegengesetzter in einem Dritten" (WL 1794, I 113). Was der durch ihn legitimierte Satz des Grundes angibt, ist also nicht die Behauptung, daß alles, was geschieht, eine Ursache haben müsse, sondern die Beschreibung einer Struktur, in der ein Begründen möglich wird. Indem diese Struktur aber eo ipso die Begriffsverhältnisse in bejahenden und verneinenden Urteilen angibt, sind solche Urteile strukturell als begründungsfähig und begründungsbedürftig ausgezeichnet. In diesem Sinne bleibt der übliche Sinn des Satzes vom Grunde auch in Fichtes Formulierung gewahrt. Wenn wir nun wie bei der Aufsuchung der ersten beiden Grundsätze, so auch im Falle des dritten von einer elementaren Formimplikation unserer Behauptungen über die Welt ausgehen wollen, um dem selbst bestimmungs- und begründungsunfähigen Grundsatz einen einleuchtenden Zusammenhang mit unserem behauptenden Weltverhältnis zu verschaffen, so könnten wir uns demzufolge auf eine fundamentale Struktur von Sätzen berufen, die einen neuen begrifflichen Gehalt erzeugen, indem sie Begriffe so miteinander verbinden, daß durch ihre Gleichsetzung und Unterscheidung eine neue Bedeutung entsteht, die uns eine gehaltvolle Information über die Welt liefern kann. Diese Struktur
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verlangt die Möglichkeit, im Falle der absprechenden Prädikation die Begriffe in einem Dritten aufeinander beziehen zu können, in dem sie als gleichgesetzt angesehen werden können; im Falle einer zusprechenden Prädikation erfordert jene Struktur dagegen die Voraussetzung, die Begriffe in einem Dritten voneinander unterscheiden zu können. Die Elementarbedingung des Behauptens über die Welt, die wir der Aufsuchung des dritten Grundsatzes zugrundelegen können, stellt demnach die fundamentale Struktur dar, aufgrund derer unseren Aussagen Bestimmtheit und damit ein Informationsgehalt zukommen kann. Nun will Fichte die Grundsätze und ihre Geltung keineswegs zurücknehmen. Also müssen die entwickelten Folgerungen in Kraft bleiben können, ohne jedoch jenem Grundsatz zu widersprechen, der absolut voraussetzungslos mit Hilfe des Satzes der Identität aufgesucht wurde, nämlich dem Ich = Ich, d.h. der Identität des Bewußtseins. Diese Aufgabe kann dann als aufgelöst angesehen werden, wenn eine ursprüngliche Handlung des Ich gefunden wird, in der Ich und Nicht-Ich ,.vereinigt gesetzt«, d.h. ,.gleich gesetzt« werden können (vgl. WL 1794, I 107). Die Lösung soll jedoch mit der Aufgabe noch nicht gegeben sein, sondern nur dadurch gefunden werden können, daß ein besonderes Gesetz unseres Geistes durch dieses Problem zu Bewußtsein kommt. Fichte scheint es nun als selbstverständlich zu betrachten, daß jene gesuchte Handlung sich als wechselseitiges Einschränken der beiden Entgegengesetzten darstellen muß. Das Produkt einer solchen ursprünglichen Handlung des Ich heißt dementsprechend ,.Teilbarkeit« bzw. ,.Quantitätsfähigkeit überhaupt«. Aufgrund seiner Ableitung zur Lösung des Problems einer Vereinigung der Setzung des Ich und des NichtIch ist dieses Produkt als solches aber nur in der Reflexion von der Leistung zu unterscheiden, die darin besteht, Ich und Nicht-Ich als teilbar zu setzen. Im Rahmen der Entwicklung der Grundsätze erschöpft sich darin die Handlung einer Setzung von Teilbarkeit. Wollen wir diesen mehr vorgesetzten als entwickelten Behauptungen über eine zusätzliche Leistungsfähigkeit des Ich Verständlichkeit verschaffen, so können wir uns zunächst daran erinnern, daß auch diese Struktur des Ich grundsätzlich auf gleiche Weise erreicht und begründet werden muß wie die beiden ersten Grundsätze, denen zufolge das Ich sich selbst setzt und sich ein Nicht-Ich entgegensetzt. Die erforderliche Setzung wird demzufolge in einer absoluten Tätigkeit fundiert werden müssen, in der das Ich in sich selbst handelt, so daß ihm in seinem Sich-Setzen Sein zukommt. Es wird die Teilbarkeit folglich als eine Unterscheidung innerhalb seines Sich-Setzens setzen müssen. Der Ausdruck Setzen hat in der Wissenschaftslehre die Bedeutung, etwas aus seinem Bezug auf das Ich verständlich zu machen, d.h. zu zeigen, 10 Römpp
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daß es sich um einen Wissensbestand handelt, der dem unableitbaren Selbstbezug eines Ich integriert werden kann, so daß plausibel wird, daß es sich um das Wissen eines Ich handelt. Wenn das Ich nun in sich einen Bezug zur Vereinbarkeit von Ich und Nicht-Ich herstellen können muß, und darin Ich und Nicht-Ich als beschränkt auffaßt, so kann dies im Rahmen des Gedankens von einem sich durch seinen Bezug auf sich selbst setzenden Ich nur als partielle Zurücknahme des Setzens verstanden werden. In die Struktur des Ich, in der allein es einen Bezug zu sich herstellen und damit ein Selbstverständnis gewinnen kann, muß also integriert werden, daß es diesen Bezug zu sich nur dann verwirklichen kann, wenn es in sein Selbstverständnis aufnimmt, daß es sich nicht vollständig aus seinem Bezug auf sich verstehen kann. Jener Bezug auf sich selbst, in dem das Ich die ursprünglichen Bedingungen seines artikulierten Weltverständnisses erfüllt, muß demzufolge, um auch den Anforderungen informationshaltiger Urteile zu genügen, eine Seite enthalten, nach der das Ich sich so auf sich bezieht, daß es sich darin als nicht innerhalb seines Selbstbezuges vollkommen für sich verstehbar auffaßt. Es kann sich also nur dann so setzen, daß es den Implikaten seines urteilenden Weltverhältnisses nicht widerspricht, wenn es sich auf sich bezieht als mit einer dunklen Seite ausgestattet, auf der es zwar in einem Selbstverhältnis steht, aber doch so, daß es sich darin als nicht vollständig für sich verstehbar begreift. 20
6. Das Wissen und die Bestimmtheit des Ich Der dritte Grundsatz lautet nun: ,.Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen« (WL 1794, I 110). Mit dieser Erkenntnis aber soll bereits alles, was schlechthin und unbedingt gewiß ist, erschöpft sein, so daß keine Erkenntnis darüber hinausgehen kann. Folglich impliziert die Erhellung des dritten Grundsatzes auch alle notwendige Aufklärung über den Status der gesamten Entwicklung der Wissenschaftslehre und es wird mit dem Abschluß der Erörterung der Grundsätze schließlich deutlich werden müssen, wie Fichte die Art des menschlichen Wissens zu bestimmen und zu erklären gedenkt. Of-
20 Es erscheint auch deshalb angebracht, den Begriff des ,.Produzierense zur Vermeidung von Mißverständnissen so weit wie möglich zu vermeiden. Vgl. zu diesem Begriff insbesondere R.Hillscher, Stellt Fichtes Theorie vom ,.Iche in der WL von 1794/95 eine Produktionstheorie des ,.Iche dar?, in: Fichte-Studien 5/1992, S. 107-116. Hiltscher bezweifelt m.E. zu Recht, daß eine ,.Produktionstheoriee vorliegt.
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fensichtlich ist der Selbstbezug des Ich, wie er jetzt entwickelt wurde, von entscheidender Bedeutung für das ganze Unternehmen der Wissenschaftslehre. 21 Die nicht zu überbietende Erkenntnis der Philosophie besteht nun des näheren darin, daß der Kulminationspunkt der Ausarbeitung der Grundsätze, die alles Wissen seiner Art nach bestimmen können, indem es aus der Beziehung auf jene verständlich werden kann, dort zu fmden ist, wo vom Ich gesagt werden kann, es sei etwas (WL 1794, I 109). Diese Situation ist identisch mit der Möglichkeit, dem Ich ein Prädikat zusprechen zu können. Wir könnten die gedankliche Bewegung in der Erörterung der Grundsätze deshalb auch in einer Entwicklung von einem prädikatslosen Ich, das schlechthin ist, was es ist, zu einem prädikationsfähigen Ich verstehen, d.h. von einem Ich, von dem nichts gesagt werden kann, zu einem Ich, das als Satzsubjekt verwendet werden kann. Zunächst wird dies aus der ursprünglichen Implikation alles Behauptens verständlich, von der die Aufsuchung des dritten Grundsatzes ausgeht, auch wenn dieser Zusammenhang von Fichte selbst nicht explizit ausgeführt wird. Wenn erst der dritte Grundsatz den Satz des Grundes in der Formulierung .,.A zum Teil = -A und umgekehrt« fundiert, so ist erst auf seiner Grundlage die Struktur informationshaltiger Urteile verständlich. Deshalb kann erst auf der Grundlage dieser absoluten Handlung das Ich selbst zum Gegenstand von Urteilen werden. Daß das Ich nunmehr legitim zum Satzsubjekt von Prädikationen werden kann, impliziert offenbar, daß es nun auf gleicher Ebene mit Begriffen steht, zu denen es Beziehungen von Identität und Entgegensetzung unterhalten kann. Deshalb scheint .,.Ich« erst jetzt zu einem Begriff wie andere Begriffe auch geworden zu sein. Wenn ,.Ich« nun in Relationen zu anderen Begriffen eintreten kann, so daß informationshaltige Urteile entstehen, so muß es einen Begriffsinhalt besitzen, der eine Teilmenge enthält, die er mit anderen Begriffen gemeinsam h~t, und eine andere, die vom Begriffsinhalt anderer Begriffe differiert. Indem das .,.Ich« nun etwas ist, scheint es einer Definition fähig, so daß die Frage sinnvoll wird, was es denn sei. Wir könnten darüber hinaus noch einen Schritt weitergehen, den Fichte nicht ausführt, der seine Theorie jedoch enger an modernere Überlegungen anschließt. Wenn das Ich erst mit der Ausarbeitung des dritten Grundsatzes
21 Kritisch dazu die Ausfiihrungen von P.Reisinger, Reflexion und Ichbegriff, in: Hegel-Studien 6/1971, S. 231-265; sowie H.Radermacher, Zum Begriff der Reflexion, in: D.Henrich. Hrsg.. Kant oder Heget? Über Formen der Begründung in der Philosophie. Stuttgarter Hegel-Kongreß 1981. Stuttgart 1983. S. 162-175.
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prädikationsfähig wird, so könnten damit auch die Bedingungen der Verwendung des Personalpronomens der ersten Person Singular als rekonstruiert betrachtet werden. Indem ein Sprecher in seinen Behauptungen über die Welt sich als ..ich« designiert, faßt er sich als ..etwas« auf, dem er substituierbare Prädikate mannigfaltiger Art zuschreiben darf. Er kann nunmehr in einer prinzipiell unendlichen Reihe von ..ich bin ... «- und .. ich bin nicht ... «-Sätzen auf sich Bezug nehmen. Die Behauptung Fichtes lautet demzufolge: gerade jener Selbstbezug, in dem das Ich sich auffaßt als nicht durch sein Selbstverhältnis restlos verstehbar, bildet das Fundament für die Selbstdesignation mit Hilfe des Personalpronomens .. ich«. Daraus ergibt sich jedoch auch, daß jener Satz des .. Ich bin«, der in der Fundierung des A = A aufgesucht wurde, nicht eigentlich der Struktur des zu- und absprechenden Urteils gemäß ist. Im .. Ich bin« wird dem Gegenstand dieses Urteils nichts gleich- und nichts entgegengesetzt, folglich ist der Satz nicht begründungsfähig. Darüber hinaus kann er deshalb auch keinerlei Informationsgehalt besitzen. Dennoch implizieren Fichtes Ausführungen die Behauptung eines Begründungszusammenhanges zwischen dem absoluten, aber gehaltlosen .. Ich bin« und der Selbstdesignation mit Hilfe des Personalpronomens ..ich«, in der um den Preis einer Entgegensetzung von absolutem und prädikationsfähigem Ich informationshaltige Aussagen gebildet werden können. 22 Wenn vom absoluten Ich nur in begründungsunfähigen thetischen Urteilen gesprochen werden kann, die jedoch in der Lage sein sollen, gerade aufgrund ihrer grundlosen Geltung alle möglichen mit Gewißheitsanspruch auftretenden Urteile zu begründen, so kann das ..Ich bin« nicht im Sinne zu- oder absprechender Sätze informationshaltig sein, muß aber doch einen Gehalt aufweisen, der seine Funktion und Begründungsleistung determiniert. Offensichtlich kann der Sinn des ..Ich bin« demzufolge nicht darin bestehen, dem Ich das Sein zu- und folglich das Nicht-Sein abzusprechen. Daraus wird erneut deutlich, daß Fichte in der Aufsuchung des ersten Grundsatzes nicht eine Ich-Theorie voraussetzt, aus der die Identität von Sein und Sich-Wissen im Falle des Ich zu entnehmen wäre. Im höchsten thetischen Urteil, dem .. Ich bin«, wird nun vom Ich in der Tat nichts ausgesagt, ·sondern die Stelle des Prädikats für die mögliche Bestimmung des Ich ins Unendliche leer gelassen· (WL 1794, I 116). Wir könnten demzufolge sagen: das ..Ich bin« behauptet nichts über die Existenz eines Ich, sondern bezeichnet dessen Bestimmbarkeit durch sich selbst.
22 Vgl. zu dieser Problemlage W.Pannenberg, Person und Subjekt, in: O.Marquard/K.Stierle, Hrsg., Identität, München 1979, S. 407-422.
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In der Tat war das Ergebnis der Aufsuchung des ersten Grundsatzes ein Handeln des Ich in sich selbst, in dem es ein Selbstbestimmen vornimmt, das in der Lage ist, jene begründungslosen Implikate unserer Behauptungen über die Welt verständlich zu machen, von denen die Wissenschaftslehre ihren Ausgang nimmt, obgleich sie als solche nicht ihren Begrundungsanfang darstellen. Deshalb ist mit dem ,.Ich bin" primär die Fähigkeit der Selbstbestimmung ausgesagt. Möglicherweise wäre dieser Satz folglich besser zu formulieren als ,.Ich bin ... ". Bereits im zweiten Grundsatz können wir nun den Anfang der Ausarbeitung notwendiger Implikationen von Selbstbestimmung sehen. Um die unendliche Leere des ,.Ich bin ... " auszufüllen, muß die Möglichkeit solcher Bestimmungen einsichtig werden, die zum einen fähig sind, Bestimmungen des Ich zu sein und selbst aus dem Bezug auf das Ich entwickelt werden können, und die zum anderen nicht aus dem Ich selbst entnommen werden können, sondern einen unabhängigen Gehalt besitzen müssen; m. a. W.: es müssen die Komponenten des Selbst und der Bestimmung in einer Selbstbestimmung entwickelt werden können. Die Aufsuchung des zweiten Grundsatzes vom -A nicht = A zum Entgegengesetztsein des Nicht-Ich können wir nun als Versuch einer Auflösung dieser zunächst schwierig erscheinenden Problemlage ansehen. Entsprechend vereint der dritte Grundsatz die Bestimmbarkeit des Ich mit der Möglichkeit von Bestimmtheit, wie sie nun durch das Entgegensetzen des Nicht-Ich zur Verfügung steht, m. a. W.: es muß das ,.lch bin ... " mit dem x in einem ,.lch bin x" vereint werden können, um die unendliche Bestimmbarkeit des Ich in eine genuin ich-hafte Bestimmtheit transformieren zu können. Wir können den Weg vom sich setzenden Ich zur höchsten Erkenntnis der Philosophie im Satze ,.lch setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen" demnach als Explikation der Bestimmbarkeit eines Ich, d.h. eines anfangsfähigen Wesens, das auf sich selbst mit dem Personalpronomen ,.ich" Bezug nimmt, zu verstehen suchen. Das thetische Urteil ,.Ich bin" ist zwar ohne Grund, aber seiner logischen Form nach setzt es doch ein Drittes voraus, durch das es den Charakter einer gehaltvollen Aussage gewinnen kann. 23 Dieses Dritte ist deshalb ,.Aufgabe" für einen Grund (WL 1794, I 116). Die Entwicklung dieser Aufgabe auf dem Weg zum prädikationsfähigen Ich des dritten Grundsatzes ist demnach eo ipso die Explikation des anfangsfähigen aber bestimmungslosen
23 Zu den Problemen, die Fichtes Anspruch einer philosophischen Deduktion aus dem Sich-setzen des Ich aufwirft, vgl. A. Wildt, Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption, Stuttgart 1982, S. 227 ff.
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Ich, das als sich selbst setzendes bereits im ersten Grundsatz der Wissenschaftslehre aufgesucht wurde. Das zu einem ,.etwas« gewordene Ich steHt folglich die notwendige Explikation des reinen Ich dar und ist jene Gestalt, in der letzteres zu sich kommt. Das prädikationsfähige, begriffliche und mit Begriffen in Gleichheitsund Entgegensetzungsbeziehungen zu bringende Ich ist deshalb jener Status, in dem das absolute Ich von seiner unendlichen Bestimmbarkeit zur Bestimmung kommt. Genau dies aber geschieht nun in der Selbstauffassung mit Hilfe des Personalpronomens ,.ich«, mit dem das Ich sich selbst unter ,.ich bin x«-Sätzen beschreibt. Eine Bestimmtheit kommt dem Ich deshalb nur aufgrund einer internen Struktur der Begriffsverbindung "Ich bin« zu, die von der gewohnten Urteilsstruktur grundSätzlich abweichen muß, wenn sie überhaupt einen Gehalt aufweisen soll. Die Entgegen- und Gleichsetzung mit einem anderen Begriff, die ein Urteil informativ werden läßt, kann in diesem Falle nicht in einem höheren Begriff stattfinden, sondern nur in einem niederen. Die Bedingung der Möglichkeit einer Bestimmtheit des ,.Ich bin« liegt deshalb darin, daß das Ich selbst in den niederen Begriff der Teilbarkeit herabgesetzt wird. Damit wird jedoch andererseits auch behauptet, der bestimmende Zusammenhang eines Ich mit gleichgeordneten Begriffen sei nicht unabhängig von jenem "Ich bin« zu verstehen, dem nichts gleich- oder entgegengesetzt werden kann und das folglich absolut bestimmungslos ist. Wir könnten darin die allgemeine Formulierung des Vorgehens in der Aufsuchung der Grundsätze sehen: auch die Bestimmung des Ich in der Zusprechung von Prädikaten ist auf eine absolute und unbegründbare Leistung des Ich angewiesen. Aus der Erörterung der Grundsätze geht jedoch hervor, daß gerade darin die Anfangsfähigkeit, die in allen Behauptungen über die Welt vorausgesetzt wird, ihre Begründung erhält. Wir könnten die Anfangsfähigkeit, die Fichte als Möglichkeitsbedingung eines artikulierbaren Weltverhältnisses ausarbeitet, also im Anfang der Bestimmtheit eines Ich zusammenfassend ausgedrückt und begründet sehen. Die begründungslosen Implikate unserer Behauptungen, wie sie in A = A, -A nicht = A und ,.A zum Teil = -A und umgekehrt« zum Ausdruck kommen, sind demnach fundiert in der Angewiesenheit einer Bestimmung des Ich als eines solchen auf die Leistung eines bestimmungs- und begründungslosen Sich-Setzens, das selbst jedoch nur in seiner Herabsetzung auf den Begriff der Teilbarkeit in Gleichordnung mit einem Nicht-Ich in einen bestimmenden Ausdruck eintreten kann. Die Aufsuchung des ersten Grundsatzes war nicht nur von A = A zum sich setzenden Ich und zurück zum nun schlechthin fundierten Satz der Identität
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gegangen, sondern hatte in der Abstraktion von der Urteilsart die Kategorie der Realität als "Handlungsart des menschlichen Geistes" (WL 1794, 199) ergeben. In gleicher Weise hatte sich aus dem zweiten Grundsatz die Kategorie der Negation begründen lassen. Der dritte Grundsatz, der in seiner Formel ,.Ich setze im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen« Setzen und Entgegensetzen des Ich vereinigt, führt in der Reduktion auf das Allgemeine der in ihm dargestellten Handlungsart nun auf die Kategorie der Bestimmung (WL 1794, I 122). Nun ist die synthetische Handlung, deren Abstraktion diese Kategorie formuliert, mit jener Grundsynthesis identisch, die den Gehalt für alle möglichen künftigen Synthesen der Wissenschaftslehre aufstellt, so daß sich aus jener alles entwickeln lassen muß, was in das Gebiet der Wissenschaftslehre gehört (WL 1794, I 123). Die Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich muß demzufolge in der Lage sein, die versprochene Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens in Gang zu bringen, indem sie jene Wissensformen aus sich entwickelt, deren Verständnis auf das Prinzip des Wissens bezogen werden muß, um darin den Inbegriff alles Wissens erkennen zu können, aus dem jene Aufklärung gewonnen werden soll. Wenn jene Grundsynthesis aber in der Reduktion auf das Allgemeine ihrer Handlungsart die Bestimmung als solche darstellt, so lautet die die Erörterung der Grundsätze beschließende These: aus der absoluten Handlung, die den Anfang aller Bestimmung darstellt, lassen sich jene Bestimmungen entwickeln, die den Begriff unseres Wissens erschöpfen. Da die Bestimmung als Kategorie aber die Art der Handlung angibt, die in jener Grundsynthesis vorgenommen wird, so kann die These auch lauten, die Handlung des Bestimmens überhaupt ist in der Lage, allein aus sich alle die Bestimmungen zu entwickeln und damit zum Verständnis zu bringen, die den Begriff des Wissens im strengen Sinne erfüllen. Der Begriff der Bestimmung als solcher stellt demzufolge den entscheidenden Dreh- und Angelpußkt des Argumentationsganges der Wissenschaftslehre dar. Offenbar hat diese These zwei Seiten, von denen die Behauptung über einen möglichen Fortgang von der Bestimmung als solcher zu den Bestimmungen nur die eine Ansicht gibt. Nach der anderen Seite wird mit dieser These beansprucht, den Begriff und die Möglichkeit des Bestimmens aus den Grundsätzen des sich schlechthin setzenden, des sich schlechthin entgegensetzenden und des sich und das Nicht-Ich als teilbar setzenden Ich entwickeln und begründen zu können. Nun wurden diese Grundsätze aufgesucht, indem elementare Implikationen unseres artikulierten Weltverhältnisses auf ihre Bedingungen untersucht wurden, die aufgrund der Begründungsunfcihigkeit jener einfachen Strukturen des
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Behauptens nur in einer setzungs- und anfangsfähigen Tathandlung fundiert werden konnten. Wir können deshalb den Bogen schlagen von den ursprüDglichen Bedingungen, die stets erfüllt sind, wenn ein sich mit ,.ich" designierendes Wesen Behauptungen über seine Welt aufstellt, zu jenen Fonnen des Wissens, die auf das Prinzip alles Wissens bezogen werden müssen, wenn die Art des menschlichen Wissens erhellt werden soll. In gewisser Weise sind diese Fonnen demzufolge selbst als Bedingungen der Möglichkeit des AufsteIlens von Behauptungen erwiesen. Die genuine Argumentationsfonn der Wissenschaftslehre wird allerdings nur dann angemessen beschrieben, wenn die Unterbrechung der logischen BegrüDdungskette durch die weder bestimmungs- noch begrüDdungsfähigen Grundsätze berücksichtigt wird, die mit Hilfe der elementaren Implikate des Behauptens lediglich aufgesucht werden können. Auch in diesem Aufsuchen liegt eine Rechtfertigung der Annahme eines anfangsfähigen Ich und seines Ausdrucks in jenen drei Grundsätzen. Es impliziert jedoch keinen logischen Folgezusammenhang zwischen dem Aufsuchen des Ich und seinen Produkten. Daß dieser Zusammenhang mit der Rede von einem Ich notwendig zerrissen wird, ist gerade ein Ergebnis seiner Aufsuchung. Das Ich kann nur dann die allen Behauptungen begrüDdungslos zugrundeliegenden Sätze fundieren, wenn es sich selbst als schlechthin setzend und anfangsfähig zeigt. Der Zusammenhang zwischen den Bedingungen des Behauptens und den synthetisch-apriorischen Fonnen des Wissens kann deshalb nur dann als angemessen beschrieben gelten, wenn er an einer Stelle so unterbrochen ist, daß ihm eine Fähigkeit des absoluten Anfangens plausibel integriert werden kann. Die Bestimmungen, die aus der Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich entwickelt werden, können nun als Folgebestimmungen von Bestimmung überhaupt aufgefaßt werden, d.h. von jener Handlungsart, in der das Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt. 24 Wenn darin aber das reine Ich durch seine eigene Leistung zu einem prädikationsfähigen wird, indem es sich ein Nicht-Ich entgegensetzt und dies seinem eigenen Sich-Setzen integriert durch die Aufnahme einer Seite des Nicht-Wissens in sein absolutes Sich-Wissen, wodurch es sich nun versteht als nicht restlos aus sich selbst verstehbar, so könnten wir Fichtes Entwicklung von Wissensfonnen aus den Grundsätzen
24 Das Verhältnis von antithetischer und synthetischer Handlung wird erörtert bei W.Janke, Limitative Dialektik. Überlegungen im Anschluß an die Methodenreflexion in Fiehtes Grundlage 1794/95, § 4 (GA I, 2, 283-85), in: Fichte-Studien 1/1990, S. 924.
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und damit die intendierte Aufklärung der Art des menschlichen Wissens aus der beschriebenen Leistung der Selbstbestimmung des absoluten Ich zu verstehen suchen. Der systematische Anfang der Wissenschaftslehre läge demzufolge nicht im isoliert verstandenen Satz »Ich bin«, sondern in jener ursprünglichen Bewegung, die von ihm zu einem Ich führt, das sich ein Nicht-Ich entgegengesetzt hat und deshalb in der Lage ist, sich in einem Verhältnis der Gleichund Entgegensetzung zu anderen Begriffen zu verstehen, und das folglich in »ich bin x«-Sätzen auf sich Bezug nehmen kann.
11. Der Ursprung des wissensfähigen Selbstbewußtseins in der ethischen Selbstbestimmung 1. Das Wissen und die Selbstbestimmung des Ich Wenn die ganze Entwicklung der Wissenschaftslehre nun eine Ausarbeitung der Folgebestimmungen von Bestimmung als solcher darstellt, die der dritte Grundsatz als ein Implikat des sich schlechthin setzenden Ich aufweist, sobald dessen unendliche Bestimmbarkeit in einem Sich-Entgegensetzen schlechthin um die Möglichkeit einer unabhängigen Bestimmung erweitert wurde, so ergibt sich der Fortgang zu den weiteren Formen des Wissens als Folge aus dem Selbstverständnis des Ich als »etwas«. Die versprochene Aufklärung über die Art unseres Wissens entsteht demzufolge aus der Möglichkeit, jene Wissensformen verständlich zu machen aus der Leistung, in der ein Ich sich als prädikationsfähiger Gegenstand auffaßt, zu dem es mittels Affirmation und Negation Stellung nehmen kann. Der zentrale Begriff für die Erhellung der menschenmöglichen Art des Wissens lautet folglich »Selbstbestimmung«. Den Formen des Wissens kann demnach Verständlichkeit zugeschrieben werden, wenn es gelingt, sie auf jene Selbstbestimmung zu beziehen, in der ein Ich sich zu sich als einem Gegenstand möglicher Propositionen verhält. Da die Möglichkeit der Selbstprädikation aber auf die absolute Setzung des Ich durch sich selbst zurückgeht, die den Weg zu einem bestimmbaren Ich aus sich heraus vorgibt, deshalb kann die Entwicklung der Wissenschaftslehre auch verstanden werden als begründet in der spezifischen Differenz, die eine Bestimmung des Ich von den Bestimmungen weltlicher Gegenstände unterscheidet. Wenn der Angelpunkt der Wissenschaftslehre jedoch in der Angabe dessen besteht, was es heißt, ein Ich als solches zu bestimmen, so könnten wir den zentralen Gedanken Fichtes auch so zusammenfassen: die Art unseres Wissens
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
aufzuklären, indem es auf einen Inbegriff des Wissens bezogen wird, kann dann gelingen, wenn die Formen, mit Hilfe derer wir beanspruchen etwas zu wissen, in konsistenter Weise auf die differentia specifica von ,.ich.. -Prädikationen gegenüber allen anderen gegenstandsbestimmenden Prädikatzuschreibungen bezogen werden können. Gerade und nur die Besonderheit derjenigen Prädikationen, in denen wir uns selbst Bestimmungen zu- oder absprechen, soll demnach in der Lage sein, die Art alles menschlichen Wissens zu determinieren. Wenn es gelingt, die Formen des Wissens tatsächlich aus jener Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich abzuleiten, deren Handlungsart in der Kategorie der Bestimmung auf den Begriff gebracht wurde, so können wir unser Wissen nun unmittelbar durch die Fähigkeit bestimmt sehen, uns selbst mit Hilfe von »ich.. -Prädikationen auffassen und beschreiben zu können. Dies impliziert die Behauptung, solche Prädikationen seien von grundSätzlich anderem Charakter als Propositionen über weltliche Gegenstände. Wir könnten auch sagen, die Wissenschaftslehre gründet ihr Vorgehen auf das Gelingen einer Unterscheidung zwischen zwei Klassen von Prädikatzuschreibungen, von denen die erste in der Lage ist, die zweite nach Art und Status verständlich zu machen. Dies kann jedoch nur Erfolg haben, wenn diese Unterscheidung selbst aus der ersten Klasse von Prädikationen entwickelt werden kann, so daß kein Oberbegriff vorauszusetzen ist, der es erlauben würde, ,.ich.. -Prädikationen ebenso wie weltliche Zuschreibungen durch Angabe einer differentia specifica als Arten einer gemeinsamen Gattung zu bestimmen. Wenn die ausgezeichnete Bedeutung der Fähigkeit, sich selbst Bestimmungen zu- und absprechen zu können, das argumentative Zentrum der versprochenen Aufklärung über Art und Status des menschlichen Wissens darstellt, so muß dies nach zwei Richtungen begründet werden können. Zum einen muß die Anfangsfähigkeit der Grundsätze in deren Aufsuchung so verdeutlicht werden, daß das ,.Ich bin.. aus sich selbst den Fortgang zu seinem Selbstverständnis als prädikationsfähiges ,.ich.. fordert. Dafür bietet Fichte uns eine gewisse Evidenz, indem das identitätsbegründende ,.lch bin.. zwar wegen seiner internen Struktur einer absoluten und nur auf sich gehenden Handlung keine Bestimmtheit aufgrund von Gleich- und Entgegensetzung im Verhältnis zu anderen Begriffen enthalten kann, durch seine Form aber doch als ,.Aufgabe.. den Bezug zu einem Grund im Sinne des Unterscheidungs- und Beziehungsgrundes enthält. Der Ausdruck ,.Ich bin.. als Bezeichnung des identitätssetzenden In-sich-Handelns des Ich gibt die absolute Bestimmbarkeit an, d.h. jenes Verhältnis, das allein in der Lage ist, eine Bestimmung der Sache selbst zu begründen, indem diese Sache ausschließlich in jenem Verhältnis besteht, das aufgrund seiner Identitätssetzung
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Bestimmbarkeit als solche begründet. Wenn im »Ich bin.. nun die Bestimmungsfähigkeit zugleich ihren Anfang und ihren höchsten Ausdruck findet, so ist damit alle Bestimmung, die eine Legitimation in ihrer Sache selbst finden soll, als Selbstbestimmung oder deren Derivat ausgezeichnet. Nun ist der Ausdruck »Ich bin.. seinem Gehalt nach zwar ein thetisches Urteil; seine Form weist jedoch in sich auf die »Aufgabe.. , die Möglichkeit informationshaltiger Aussagen im »Satz des Grundes .. , d.h. durch die Beruglichkeit auf einen Unterscheidungs- und Beziehungsgrund, zu fundieren. Eben dies geschieht in der Wissenschaftslehre im dritten Grundsatz, der die Basisstruktur gehaltvoller Aussagen in der Fähigkeit des Ich fundiert, sich und sein Nicht-Ich als teilbar zu setzen und damit seinem Selbstverständnis eine Seite des Nichtwissens zu integrieren, so daß es sich nun versteht als nicht restlos aus sich selbst verstehbar . Genau damit aber nimmt das Ich einen prädikationsfähigen Status an und faßt sich als designierbar in der ersten Person Singular auf, mit Hilfe derer es sich Bestimmungen zu- und absprechen kann. Folglich impliziert das »Ich bin.. als Ausdruck der ursprünglichen und absoluten Bestimmbarkeit die »Aufgabe.. , zu einem Selbstverständnis als prädikationsfähiges »ich.. zu gelangen. Nun bezieht der dritte Grundsatz seine Struktur aus der Auflösung einer Problematik, die aus der notwendigen Vereinbarkeit von Setzen und Entgegensetzen des Ich entspringt. Demnach stellt er selbst eine Folgeerscheinung jenes Ausdrucks der absoluten Bestimmbarkeit in der identitätssetzenden Selbstbestimmung des Ich dar. Wir können deshalb zusammenfassen: der Ausdruck der ursprünglichen und wahrheitsfähigen Bestimmbarkeit im »Ich bin.. führt aus internen Gründen zu einem Selbstverständnis als prädikationsfähiges »ich .. der ersten Person Singular, das einerseits in der Lage ist, jenen Ausdruck zu einem gehaltvollen Verständnis zu bringen, und andererseits den Status einer Selbstbestimmung insoweit in das prädizierende Zu- und Absprechen von Bestimmungen einbringt, als die Möglichkeit solcher Selbstzuschreibungen nun als Leistung auf dem Grunde des ursprünglichen In-sich-Handelns des identitätssetzenden Ich entwickelt worden ist. Die Fähigkeit, sich selbst Prädikate zu- und absprechen zu können, muß jedoch auch aus sich selbst eine Gedankenbewegung in Gang setzen, wenn sie in der Tat das argumentative Zentrum der Wissenschaftslehre und ihres Unternehmens einer Erhellung des Status unseres Wissens darstellen soll. Nun beansprucht Fichte, die Formen des theoretischen Wissens als Folgesynthesen aus der höchsten Synthese von Ich und Nicht-Ich entwickeln zu können. Dieses Verfahren soll solange fortgesetzt werden können, "bis wir auf Entgegengesetzte kommen, die sich nicht weiter vollkommen verbinden lassen, und dadurch
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in das Gebiet des praktischen Teils übergehen" (WL 1794, I 115). Wenn wir uns zunächst auf die theoretische Wissenschaftslehre beschränken, so müssen offenbar im Verhältnis eines teilbar gesetzten Ich und eines ebensolchen NichtIch Begriffsmomente liegen, die noch nicht als aufgeklärt betrachtet werden können. Nun integriert der dritte Grundsatz dem Selbstverständnis des Ich das Bewußtsein, sich nur dann angemessen zu begreifen, wenn es sich als nicht restlos aus sich selbst verstehbar auffaßt. Demnach könnten wir die Entwicklung von Wissensformen in der Auflösung von Folgeproblemen der Grundsynthesis von Ich und Nicht-Ich auch als eine Ausarbeitung solcher Formen verstehen, die ein Selbstverständnis beschreiben können, das ein Bewußtsein von der Unmöglichkeit, sich restlos aus sich selbst verstehen zu können, impliziert. Dieses Bewußtsein einer notwendigen Dunkelheit in einem angemessenen Selbstbezug kommt zum Ausdruck in der Selbstdesignation als ,.ich« der ersten Person, dem Prädikate zu- und abgesprochen werden können, weil es sich in Beziehungen der Gleich- und Entgegensetzung zu anderen Begriffen gestellt hat. Demzufolge könnten wir die Wissensformen, die sich in der weiteren Ausarbeitung der Grundsynthesis ergeben, auch als solche Formen auffassen, mit deren Hilfe es einem Ich gelingt, sich als ein prädikationsfahiges ,.ich« der ersten Person zu verstehen. Wenn die Fähigkeit der Selbstprädikation eine solche Gedankenbewegung in Gang bringen kann und muß, so ist ihr Begriff durch die Erörterung der Grundsätze zwar aufgestellt, aber noch nicht ausreichend beschrieben. Er muß in diesem Stadium noch Widersprüche in sich enthalten, die eine solche Entwicklung erfordern, um seine innere Konsistenz nicht zu gefahrden. Deshalb stellt die Ausarbeitung von Wissensformen auch den Versuch dar, die innere Möglichkeit des Begriffes der Selbstprädikation zu erweisen, indem seine vollständige Explikation gegeben wird. Nun soll das System des menschlichen Wissens dann vollständig in einer Wissenschaftslehre zum Ausdruck kommen können, wenn seine Entwicklung sich als endlich zeigt, da sie an einem bestimmten Punkt zu ihrem Ausgang zurückkehrt. Erst nach diesem vollständigen Durchlaufen der Wissenschaftslehre müßte demzufolge der Begriff der Selbstprädikation in einer Leistung der Selbstauffassung des absolut in sich handelnden Ich als ,.ich« der ersten Person Singular bestimmt angegeben werden können. Offensichtlich impliziert ein solcher Begriff beträchtliche Schwierigkeiten, wenn es eines solchen Aufwandes bedarf, um ihn konsistent ausarbeiten zu können. Diese Schwierigkeiten müssen sich darüber hinaus als so geartet erweisen, daß sie in ihrer Auflösung alles menschliche Wissen in einen Zusammenhang bringen, durch den es als solches zum Verständnis kommt. Wir
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könnten das Unternehmen der Wissenschaftslehre nunmehr als einen Versuch verstehen, die Art des menschlichen Wissens zu verdeutlichen, indern es in eine Relation gesetzt wird zu den Bedingungen, unter denen ein bewußtes Wesen, das den Anspruch erhebt, etwas zu wissen, sich selbst als ,.ich« designieren kann. Und wir können den zentralen Gedanken der Wissenschaftslehre nun auch so formulieren: die Art des menschlichen Wissens kann verständlich werden, wenn dessen Formen in Beziehung gesetzt werden können zu dem Problem, das sich für das Verständnis von Prädikationen in der ersten Person Singular dann stellt, wenn deren grundlegende Differenzen zu anderen Prädikatzuschreibungen auf den Begriff gebracht werden sollen.
2. Selbstbestimmung durch Moralität Die besondere Schwierigkeit der Fichtesehen Systementwicklung besteht bekanntlich darin, daß sie ihren Abschluß erst in einern zweiten Anlauf erreicht, nachdem der Fortgang von der Widersprüchlichkeit des Satzes ,.Das Ich setzt sich selbst, als bestimmt durch das Nicht-Ich« diese Hälfte des dritten Grundsatzes so erschöpft hat, daß darin zwar der Ausgangspunkt der theoretischen Philosophie eingeholt wird, nicht aber der systematische Ausgangspunkt im Ich, das sich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt. Da der dritte Grundsatz jedoch nur die Vereinigung des Sich-Setzens des Ich mit seinem Sich-Entgegensetzen formuliert, so ist damit auch der absolute Anfang im Ich = Ich nicht wieder erreicht und die Wissenschaftslehre kann ihr argumentatives Unternehmen noch nicht als beendet ansehen. 2S Die ausgezeichnete Leistung der Einbildungskraft besteht nun darin, daß sie das anfangliehe Problem einer Vereinigung von Ich und Nicht-Ich so beheben kann, daß damit den Forderungen der Theorie genüge getan ist. Fichtes Begriff der Einbildungskraft faßt sie als ein Vermögen auf, das tatsächliche Unvermögen zur Vereinigung der beiden Entgegengesetzten mit der im Anfang der theoretischen Wissenschaftslehre implizierten Forderung nach einer solchen Vereinigung zu vermitteln. 26 Sie repräsentiert demnach die Fähigkeit, in dem
2S Zum entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhang vgl. die Ausfiihrungen von K.Homann, Zum Begriff ..Subjektivität« bis 1802, in: Archiv fiir Begriffsgeschichte 11/1967, S. 184-205. 26 Zur näheren Erörterung vgl. U.Claesges, Geschichte des Selbstbewußtseins, Den Haag 1974, S. 69 ff.
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Streit zwischen Unvermögen und Forderung zu ,.verweilen« und zu ,.schweben«; in diesem Zustand werden beide festgehalten und damit auffaßbar. Ihr Produkt bringt die Einbildungskraft hervor, indem sie "zwischen Bestimmung und Nicht-Bestimmung, zwischen Endlichem und Unendlichem in der Mitte schwebt" (WL 1794, 1216). Nichtsdestoweniger läßt sich daraus ersehen, daß dieses Vermögen noch nicht das Ende der Wissenschaftslehre bedeuten kann und deshalb in der weiteren Entwicklung auf ein noch höheres Vermögen zurückgeführt werden muß, obwohl die Schwierigkeiten des theoretischen Teils damit behoben sein sollen. Die Einbildungskraft ist zwar in der Lage, Ich und Nicht-Ich als sich Widersprechende zu vereinigen, aber sie kann nicht erklären, "wie und wodurch der für Erklärung der Vorstellung anzunehmende Anstoß auf das Ich geschehe" (WL 1794, I 218). In der theoretischen Vereinigung von Ich und Nicht-Ich bleibt demzufolge ein Moment, das nicht auf das Ich = Ich bezogen ist. Deshalb kann darin die Entwicklung einer systematischen Wissenschaftslehre, die die Art des menschlichen Wissens aufklären will, indem sie alle Wissensformen auf das anfangsfähige Ich bezieht, das in sich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt, noch nicht ihren Abschluß erreichen. Auch wenn der Begriff eines solchen ,.Anstoßes« sich zur Erklärung unseres theoretischen Verhaltens zur Welt nicht vermeiden läßt, so muß dieser Anstoß doch selbst als unabhängig vom Ich auf das Ich beziehbar sein, und die Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich muß sich gleichzeitig als eine Wechselbestimmung des Ich mit sich selbst aufzeigen lassen. Darin darf jedoch die Unabhängigkeit des Nicht-Ich nicht verlorengehen, soll die theoretische Wissenschaftslehre nicht dementiert werden. Das Problem am Ende der Entwicklung des Satzes ,.Das Ich setzt sich, als bestimmt durch das Nicht-Ich«, das sie offenbar selbst nicht auflösen muß und kann, liegt demnach darin: "daß der endliche Geist notwendig etwas Absolutes außer sich setzen muß (ein Ding an sich) und dennoch von der anderen Seite anerkennen muß, daß dasselbe nur für ihn da sei (ein notwendiges Noumen sei), ist derjenige Zirkel, den er in das Unendliche erweitern, aus welchem er aber nie herausgehen kann" (WL 1794, 1281). Daraus ergibt sich bereits Aufschluß über die Leistung, die der Übergang in die praktische Wissenschaftslehre und deren Entwicklung erbringen muß. Die interne Dynamik des praktischen Weltverhaltens wird zu einem Abschluß führen müssen, der in der Lage ist, jenen ,.Zirkel« so zu erweitern und auf einen einleuchtenden Begriff zu bringen, daß der begründende Anfang in einem Ich, das in sich einem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt, wieder erreicht wird, so daß das System darin seinen Abschluß und seine Vollständig-
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keit finden kann. 27 Nur darin aber kann es seine Aufgabe erfüllen: die Art des menschlichen Wissens aufzuklären, indem die Wissensformen auf das anfangsfahige Ich und seine Selbstbestimmung im prädikationsfahigen ,.ich« der ersten Person bezogen werden. Nun stellt die praktische Wissenschaftslehre die Entwicklung der internen Widersprüchlichkeit der zweiten Hälfte des dritten Grundsatzes dar, der zufolge das Ich das Nicht-Ich setzt als beschränkt bzw. bestimmt durch das Ich. Also muß der Versuch, mit diesen Widersprüchen fertig zu werden, in der Lage sein, in einem konsistenten Fortgang zu einem Abschluß zu führen, der das System zu einer sich selbst tragenden Gedankenbewegung bildet und daraus die einzelnen Formen als Gestalten der Selbstverständigung eines sich Prädikate zu- und absprechenden Ich verständlich werden läßt. Die Auflösung der Problematik der praktischen Wissenschaftslehre gibt demnach auch der Aufklärung über das theoretische Wissen im Zusammenhang der Wissenschaftslehre ihren Grund, so daß das praktische Weltverhalten in diesem Sinne das Fundament aller Theorie darstellt. 28 Der Begriff der Moralität muß es also erlauben, das Nicht-Ich in seiner Unabhängigkeit doch auf das Ich zu beziehen und ihm darin eine Verständlichkeit aus dem Ich zu verschaffen, ohne es als Nicht-Ich zu dementieren. Nun nimmt Fichte die Moralität in dem Ausdruck auf, den sie im kategorischen Imperativ gefunden hat. Was unter dem Titel ,.Moralität« die Wissenschaftslehre abschließt und vollendet, ist demzufolge die Form eines absoluten Gesetzes, eines Gesetzes um des Gesetzes willen, nach dessen Vorschrift gehandelt wird, weil gehandelt wird, und um zu handeln (WL 1794, I 327). Genau durch diese Form soll die Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich zu einer Wechselbestimmung des Ich mit sich selbst werden, ohne das Nicht-Ich in das Ich zu integrieren. Wir müssen zu einem näheren Verständnis zwei Begriffe aus dem Argumentationsgang der praktischen Wissenschaftslehre aufnehmen. Die reine, in sich selbst zurückgehende Tätigkeit des Ich war in Beziehung auf ein mögliches Objekt ein ,.unendliches Streben« genannt worden (WL 1794, I 261). Dieses Streben ist ein solches, indem ihm widerstanden wird und es keine Kausalität besitzt (WL 1794, I 270). Deshalb kann es eine nur im Ich be-
27 Zum Horizont dieses Übergangs im Zusammenhang von Fichtes Philosophie vgl. A.J.Mandt, Fichte's Idealism in Theory and Practice, in: Idealistic Studies 1411984, S. 127-147.
28 Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen von W.Becker, Fichte und der Mythos der praktischen Vernunft, in: M.Riedel, Hrsg., Rehabilitierung der praktischen Philosophie, Bd. 2, FreiburglMünchen 1974, S. 593-615.
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gründete Leistung darstellen, die aber ebenso durch ein Nicht-Ich bedingt wird; m. a. W.: es ist jene Weise, in der durch die absolute Tätigkeit des Ich sich ein Nicht-Ich melden kann, es ist somit die Bedingung der Möglichkeit eines fremden Einflusses im Ich selbst. Indem das Streben nun selbst gesetzt, d.h. auf das Ich bezogen wird, wird es zu einer Kausalität, die jedoch, soll das Streben nicht real wirkende Tätigkeit werden und damit seinen Leistungssinn aufgeben, nur sich selbst produzieren kann. Ein solches sich selbst produzierendes Streben in seiner reflektierten Bestimmung bezeichnet Fichte als einen ,.Triebe (WL 1794, 1287).29 Wird dieser Trieb nun selbst gesetzt, so ergibt sich schließlich, daß aufgrund seines Charakters eines In-sich-Handelns des Ich jeder Gegenstand seines idealen Bestimmens, d.h. alles Nicht-Ich, das durch ihn dem Ich begegnen kann, selbst durch sich selbst bestimmt sein muß (WL 1794, I 310/311). Folglich kann der Trieb nun als ,.Trieb nach Wechselbestimmunge bezeichnet werden. Dessen Äußerung bezeichnet Fichte als ,.Sehnene (WL 1794, 1320). Wenn dieser Trieb nun in Harmonie mit der Handlung ist, so wird das Gefühl von ,.Beifalle begleitet, während bei Disharmonie ,.Mißfailene entsteht (WL 1794, I 325). Das Nicht-Ich ist demnach als solches im Ich erfahrbar durch ein spezifisch ich-haft bestimmtes Harmonieerleben. Die Leistung dieser Harmonie muß Ich und Nicht-Ich in ihrer wechselseitigen Bestimmung sowohl als bestimmt als auch als bestimmend betrachten lassen. In dieser Leistung werden folglich Wechselbestimmung des Ich und Nicht-Ich und Wechselbestimmung des Ich durch sich selbst integriert. Und genau diese Situation wird durch den Trieb beschrieben, der sich absolut selbst hervorbringt, und durch eine Handlung, die sich absolut selbst bestimmt. Wir könnten versuchen, dies so zu verstehen: ein Nicht-Ich, das als solches einem Ich als solchem begegnen können soll, kann dies nur, wenn dieses Ich sich in seinem Weltumgang absolut selbst zu bestimmen vermag, so daß das Nicht-Ich sich als Widerstand gegen die autonome Handlungsdetermination des Ich offenbart. 30 Eine solche autonome Bestimmung des Willens und damit des spezifisch ichhaften Verhältnisses zur Welt ist nun mit der Moralität in ihrem Ausdruck als
29 Vgl. dazu C. Cesa, Der Begriff,.Trieb« in den Frühschriften von J .G. Fichte (17921794), in: C.Cesa/N.Hinske, Hrsg., Kant und sein Jahrhundert. Gedenkschrift für Giorgio ToneIli, FrankfurtlMain 1993, S. 165-185; und C.de Pascale, Die Trieblehre bei Fichte, in: Fichte-Studien 6/1994, S. 229-251. 30 Zum Kontext dieses Verhältnisses vgl. K.Hammacher, Fichtes praxologische Dialektik, in: Fichte-Studien 1/1990, S. 25-40.
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kategorischer Imperativ gegeben. Eine Handlung, die kategorisch-imperativisch bestimmt ist, hat keine externen Determinanten, sondern gewinnt Bestimmtheit nur aufgrund der bloßen Form von Bestimmung, d.h. der Allgemeinheit. Die Moralität, die Kants ,.kritisches Geschäft« als allein durch reine Vernunft zu legitimieren übrig ließ, beruht auf einer Selbstbestimmung ohne Vorgaben, die dennoch den Begriff der Bestimmung erfüllt. Das reine Ich bestimmt sich darin so, daß in seinen Umgang mit der Welt eine Determination eingeht, in der es seine spezifisch ich-hafte Freiheit nicht aufgibt und die dennoch in der Lage ist, sich dem Nicht-Ich entgegenzusetzen, das auf diese Weise sich als solches bekunden kann. Jenes Streben, in dem allein das Nicht-Ich als Hindernis erfahren werden kann, hat auf diese Weise eine Form angenommen, in der es der Selbstbestimmung des Ich entspricht, so daß das darin begegnende Nicht-Ich in seinem Begegnen auf die spezifische Bestimmung eines Ich bezogen bleibt. Indem so gerade in der absoluten Selbstbestimmung des Ich die Erfahrung eines Nicht-Ich geschieht, soll jene Schwierigkeit behoben sein, die am Ende der theoretischen Wissenschaftslehre den Fortgang in die systematische Entwicklung des praktischen Weltverhältnisses erzwang, um der Wissenschaftslehre jenen Abschluß in der Wiederkehr ihres Anfangs zu verschaffen, durch den sie den Status eines sich selbst tragenden Ganzen erhält. Die kategorisch-imperativische Moralität ist damit als der Begriff ausgezeichnet, der jenem Zirkel im Setzen eines Absoluten, das doch auf das Ich beziehbar und damit für es sein muß, die Problematik nimmt, an der die vorangegangenen Auflösungsversuche gescheitert waren. 31 Nun stellt die Moralität in ihrer kategorisch-imperativischen Ausdeutung die Form eines Vorkommens von Bestimmtheit in der Welt dar, in der Freiheit sich manifestiert und als solche erfahren werden kann. Wir könnten deshalb den Abschluß der Wissenschaftslehre auch mit Hilfe dieses Begriffes formulieren. Die Erfahrung der Freiheit in der reinen gesetzesförmigen Bestimmung des Willens, d.h. im moralischen Handeln, gibt demnach die Möglichkeit, in der Hemmung dieses Handeins, durch das die Freiheit sich erst als solche zeigt, ein
31 Zum Zusammenhang mit dem transzendentalen Anspruch vgl. M.J.Siemek, Praktische Vernunft und Transzendentalphilosophie bei Fichte, in: K.Hammacher/A.Mues, Hrsg., Erneuerung der Transzendentalphilosophie im Anschluß an Kant und Fichte. Reinhard Lauth zum 60. Geburtstag, Stuttgart 1979, S. 395-410; sowie M.Buhr, Zum Verhältnis von theoretischer und praktischer Philosophie bei Fichte, in: A.Mues, Hrsg., Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, Hamburg 1989, S. 147-162.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
Nicht-Ich in der Bezogenheit auf das Ich zur Geltung zu bringen. Die Freiheit, die stets gesetzesförmig ist, ist damit eo ipso die ich-hafte Form der Bekundung des Nicht-lch. 32 Folglich unterscheidet sich Fichtes Lösung für das Problem eines Ich-Bezuges auf das Nicht-Ich fundamental von allen Versuchen, Objektivität mit Hilfe der Erfahrung von Widerständigkeit im handelnden Umgang mit der Welt verständlich zu machen. Eine solche Erfahrung würde dann nur ein Verhältnis zwischen einer Kraft und ihrer Gegenkraft bezeichnen und damit das im Widerstand erfahrene Nicht-Ich nur auf ein anderes, menschliches Nicht-Ich beziehen, wenn die handelnde Beziehung nicht absolut durch Freiheit und ihre genuine Gesetzmäßigkeit bestimmt wäre. Deshalb kann es nur das im kategorischen Imperativ zum Ausdruck kommende moralische Handeln sein, das ein Nicht-Ich auf ein Ich bezieht, ohne den absoluten Charakter des Nicht-Ich oder die freie Selbstbestimmung des Ich zu dementieren. 33 Damit ist zunächst die interne Widersprüchlichkeit der zweiten Hälfte des dritten Grundsatzes behoben, wonach das Ich das Nicht-Ich setzt, als beschränkt und bestimmt durch das Ich. Gerade und nur indem das Ich kategorischimperativisch das Nicht-Ich bestimmt, wird letzteres als solches gesetzt. Darüber hinaus muß jedoch nun das am Ende der theoretischen Wissenschaftslehre ungelöst gebliebene Problem eines Ich-Bezuges auf das Nicht-Ich seine Aufklärung gefunden haben. Und damit muß die Entwicklung der internen Antinomie des dritten Grundsatzes insgesamt erschöpft sein. Der Satz ,.Das Ich setzt im Ich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegen« muß nun als ganzer wieder erreicht sein und zwar so, daß in seiner Explikation die gleiche Entwicklung wieder in Gang gesetzt würde, über die bereits seine neue Formulierung gewonnen worden war. Offenbar müßte damit nun die gesuchte Aufklärung über die Art des menschlichen Wissens abgeschlossen sein. Es müßten desweiteren alle Formen des Wissens aus dem Selbstbezug des Ich verständlich geworden sein. Darüber hinaus müßte jene Selbstbestimmung des
32 Vgl. dazu auch St. Rosen , Freedom and Spontaneity in Fichte, in: ders., The Ancients and the Modems. Rethinking Modemity, New HavenlLondon 1989, S. 65-82. 33 Ich beschränke mich hier auf diese Bedeutung von Praxis bei Fichte. Entwicklung und Kontext werden erläutert bei W.H.Schrader, Recht und Sittlichkeit. Zur praktischen Philosophie 1.G. Fichtes, in: Philosophisches lahrbuch 80/1973, S. 50-64; und C.Cesa, Zum Begriff des Praktischen bei Fichte, in: K.-O.Apel, Hrsg., Zur Rekonstruktion der praktischen Philosophie. Gedenkschrift fiir Karl-Heinz I1ting, Stuttgart 1990, S. 461480; sowie E.Düsing, Autonomie - soziale Heteronomie - Theonomie. Fichtes Theorie sittlicher Individualität, in: Fichte-Studien 8/1995, S. 59-85.
ll. Der Ursprung des wissensfahigen Selbstbewußtseins
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Ich zu einem prädikationsfähigen ,.ich« der ersten Person, die der dritte Grundsatz aus dem Setzen und Gegensetzen des Ich in der Integration einer Seite des Nichtwissens in das Sich-Wissen entwickelt hat, durch die Ausarbeitung jener Wissensformen aufgeklärt sein, die die ,.dunkle Seite« des Ich darstellen. Einer solchen abschließenden Betrachtung der Wissenschaftslehre steht jedoch immer noch die Tatsache entgegen, daß der Abschluß vom Beginn der Wissenschaftslehre beträchtlich zu differieren scheint; von Moralität im Ausdruck des kategorischen Imperativs war ja zunächst nicht die Rede. Wir werden deshalb zunächst den Sinn dieser Unterscheidung zu klären haben. Wir müssen dazu auf ein grundlegendes Problem eines jeden Argumentationsverfahrens, das den Sinn des ,.Ich« zu Hilfe nimmt, zu sprechen kommen. Wenn die Wissenschaftslehre als ,.pragmatische Geschichte des menschlichen Geistes« (WL 1794, I 222) in Gang gesetzt wird, so kann dies als eine freie Tätigkeit nur einem Ich zugeschrieben werden. Deshalb kann es sich dabei nur um dessen Selbstverständigungsprozeß handeln, in dem das Ich der Entwicklung der Bedingungen zusieht, die es selbst ausmachen und in denen es begreift, was es ist. Nun beginnt die Argumentation der Wissenschaftslehre jedoch mit der Aufsuchung des Ich = Ich als ursprünglicher Bedingung alles Behauptens und gelangt über das originale Sich-Entgegensetzen zu einem Ich, das in sich dem teilbaren Ich ein teilbares Nicht-Ich entgegensetzt. Damit hat das in seinem Selbstverständigungsprozeß befmdliche Ich sich zu einem Gegenstand gemacht, dessen Strukturprobleme es expliziert. Auf diese Weise widerspricht jedoch der Anfang mit dem absoluten Selbstverhältnis seiner Auffassungsweise im Ich. Folglich muß der argumentative Fortgang der Wissenschaftslehre nicht nur aus dem Grund in den Anfang zurückkehren, um durch die Abgeschlossenheit der Entwicklung von Wissensformen in einer sich selbst tragenden Vollendung dem System seine Begründungsbasis zu verschaffen. Der Anfang muß auch deshalb wieder erreicht werden, um jenen Mangel zu beheben. 34 Dies kann offensichtlich dann gelingen, wenn die Ausarbeitung des Systems das in der Untersuchung zum Gegenstand gewordene Ich so in eine Entwicklung bringt, daß es im Abschluß selbst den Status des die Untersuchung durchführenden Ich erreicht. Der ,.Kreisgang« des Systems wird also erst durch diese Vereinigung geschlossen sein können (WL 1794, 1291).
34 Zum Horizont dieses Problems vgl. die Ausführungen bei D.Breazeale, The »Standpoint of Life« and the »Standpoint of Philosophy« in the Context of the »Jena Wissenschaftslehre« (1794-1800), in: A.Mues, Hrsg., Transzendentalphilosophie als System. Die Auseinandersetzung zwischen 1794 und 1806, Hamburg 1989, S. 81-104.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
Wenn das zu untersuchende Ich im Abschluß des Systems den Punkt erreicht haben muß, auf dem zuvor der »Zuschauer« stand, so müssen darin zwei Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muß das Ich seinen absoluten Selbstbezug wahren, und zum anderen muß es für sich als Ich zum Objekt werden können, ohne darin seine Absolutheit aufgeben zu müssen. Es muß demnach eine Situation gefunden werden, in der das Ich als Ich zum Objekt wird und darin für sich erfahren werden kann. Die kategorisch-imperativische Moralität muß folglich nicht nur in der Lage sein, am Ende des Systems die Widersprüche aufzulösen und durch die Wiederkehr des Anfangs Vollendung zu gewähren, sondern sie muß darüber hinaus auch noch die Möglichkeit bieten, das Ich als solches für sich erfahrbar werden zu lassen. Diese Fähigkeit muß ihr aber aufgrund der gleichen Auszeichnungen zukommen, die sie in die Lage versetzten, den Bezug eines Nicht-Ich auf das Ich verständlich zu machen, ohne das eine oder das andere zu dementieren. Offensichtlich kann es nur der Charakter der absoluten Selbstbestimmung sein, in dem das Ich sich als solches erfahren kann. Indem es sich als moralisch verpflichtet versteht, faßt es sich selbst auf als fähig zu einem absoluten, nur in ihm und in nichts anderem begründeten Handeln. Durch das Sittengesetz allein kommt es zu einer" Anschauung der Selbstthätigkeit und Freiheit", in der es sich als selbsttätig erblickt (2. Einleitung in die WL, 1797, 1466). In der moralischen Handlung wird demnach die Tathandlung selbst als ein Faktum erfahrbar, so daß die Behauptung lautet: wer eine seiner Handlungsintentionen unter dem Vorzeichen des kategorischen Imperativs als moralisch interpretiert, der erfährt sich darin als absolutes und anfangsfähiges reines Ich. 3s Offensichtlich kann eine solche Erfahrung in keiner anderen Handlungsweise gemacht werden. Nur die genuin moralische Handlungsorientierung »objektiviert« eine durch keinerlei externe Determinanten beeinflußte Selbstbestimmung durch die bloße Form von Bestimmung. In dieser Form ist das Ich nun nicht mehr nur für den Philosophen, sondern als »Idee« auch für das Ich selbst. Diese Idee ist somit nichts anderes als die Idee "des natürlichen, jedoch vollkommen ausgebildeten Menschen" (WL 1794, 1260 Anm.). Daß es sich dabei um eine
3S Daraus scheint mir allerdings nicht die weitverbreitete These vom Primat der praktischen Vernunft zu folgen. Begriffe wie "structural identity" (Neuhouser) oder "equiprimordiality" (Breazeale) entsprechen Fichtes Gedankengang dagegen sehr gut; vgl. F.Neuhouser, Fichte's Theory of Subjectivity, Cambridge 1990, S. 29 ff; sowie D.Breazeale, The Theory ofPractice and the Practice ofTheory: Fichte and the ,.Primacy of Practical Reason«, in: International Philosophical Quarterly 36/1996, S. 47-64.
11. Der Ursprung des wissensfähigen Selbstbewußtseins
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»Idee.. handelt, ist zum einen Bedingung dafür, daß die Moralität ihre systemabschließende Aufgabe erfüllen kann, und ist zum anderen im kategorischimperativischen Begriff der Moralität enthalten. 36 Indem die moralische Verfassung der Selbstbestimmung als ,.Pflicht.. auftritt, impliziert sie das Bewußtsein, einem sinnlich gebundenen Wesen attachiert zu sein und deshalb nicht in Identität mit einem reinen Willen, sondern nur als Korrektiv in einem empirisch determinierbaren Willen auftreten zu können. Gerade diese Differenz zu einem reinen, d.h. nur durch ichhafte Selbstbestimmung determinierten Willen eröffnet die Möglichkeit, einen genuinen Ich-Bezug zu einem Nicht-Ich herzustellen, sei es unmittelbar zur inneren Natur des Menschen oder vermittelt durch sinnliche Rezeptivität zur Vielfalt der äußeren Natur. Weil der kategorische Imperativ ein "absolutes Postulat der Übereinstimmung mit dem reinen Ich" (WL 1794, 1260 Anm.) bleibt, deshalb kann sich durch ihn das Nicht-Ich als Hindernis der absoluten Selbstbestimmung auf spezifisch ich-hafte Weise offenbaren.
3. Die moralische Selbstbestimmung
und die Anfänglichkeit des Selbstbewußtseins In der moralischen Handlungsintention beweist das Ich seine Fähigkeit zu absoluter Selbstbestimmung. Es zeigt sich selbst und anderen, daß es in der Lage ist, einen Anfang zu machen, durch den es die Kette der Kausalzusammenhänge unterbricht, die sein empirisches Dasein in eine Reihe mit jenen Wesen stellen, denen wir nicht die Möglichkeit zusprechen, die erste Person Singular gebrauchen zu können. Eine solche Fähigkeit des Anfangens aber war im literarischen Beginn der Wissenschaftslehre gefordert worden, um die fundamentalen Implikationen unserer Behauptungen über die Welt und das Dasein des bewußten Lebens in ihr zu einem Verständnis zu bringen. Die Aufklärung über Identität, Entgegensetzen und den die Satzstruktur fundierenden Charakter des Grundes kann, gerade weil sie die Anfangsfähigkeit des sich mit ,.ich.. ansprechenden Behauptenden fordert, nicht mit Hilfe einer lückenlos verknüpften Kette von Möglichkeitsbedingungen erbracht werden, sondern muß den Anfang als einen solchen zeigen, der mit Hilfe des Ausgangs von den
36 Vgl. dazu W.H.Schrader, Johann Gottlieb Fichte. Anthropologie und praktische Philosophie, in: F.Decher/J.Hennigfeld, Hrsg., Philosophische Anthropologie im 19. Jahrhundert, Würzburg 1991, S. 21-36.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
elementaren Strukturen des Behauptens zwar aufgesucht, nicht aber begründet werden kann. Deshalb zeigt sich die Wirklichkeit eines solchen Anfangens erst dann, wenn am Schluß der Wissenschaftslehre eine Möglichkeit gefunden ist, diese Fähigkeit in einer Handlungsintention des bewußten Wesens dargestellt zu sehen. Genau dies ist nun mit der kategorisch-imperativischen Moralität von Handlungsorientierungen erreicht. Einen Akteur, dem wir die Fähigkeit zuschreiben, moralisch handeln zu können, müssen wir als anfangsfähig und damit außerhalb der Reihe der natürlichen Ursachen und Wirkungen stehend auffassen, wenn wir ihn angemessen verstehen wollen. Mit der Wirklichkeit der Anfangsfähigkeit zeigt sich eodem actu die Wirklichkeit von Subjektivität. Der Begriff der Subjektivität hatte sich am Beginn der Wissenschaftslehre aus der Notwendigkeit ergeben, die elementaren Implikationen des AufsteIlens von Behauptungen über die Welt in einem absoluten Anfangen fundieren zu müssen. Ein solches Anfangen hatte sich als eine Tätigkeit gezeigt, die nur auf sich selbst geht und darin eine Tat vollbringt, die identisch mit ihrer Handlung ist. In ihr geschieht eine Identität, die sich selbst erzeugt und erhält. Die Bedingung der Anfangsfähigkeit des Behauptungen über die Welt aufstellenden Ich ist demnach ein absolutes Handeln, d.h. ein Handeln auf sich und in sich selbst. 37 Der Anfang der Wissenschaftslehre zeigt sich deshalb aufgrund der an ihn gestellten Anforderungen als ein Setzen durch sich selbst und kann nur durch seinen Bezug auf sich selbst begreiflich werden. Ein solches nur in seiner Bezogenheit auf sich selbst bestehendes Sein ist als Für-sieh-sein anzusprechen und erfüllt damit den Begriff der Subjektivität in seiner zentralen Struktur. Der Anfang jenes Aufklärungsversuches über die Art unseres Wissens, den die Wissenschaftslehre in ihrem ganzen Unternehmen intendiert, muß folglich mit Hilfe des Begriffes eines absoluten Subjektes geschehen, weil nur das rein für sich seiende Verhältnis in der Lage ist, der Rede von einem Anfang einen verständlichen Sinn zu geben. Die Aufklärung über unser Wissen kann nun beanspruchen, in einem absoluten Anfang fundiert zu sein, weil sie in der Untersuchung der elementaren Bedingungen des AufsteIlens von Behauptungen auf ein Sein gestoßen ist, das in sich den Charakter des Anfangens trägt, so daß es nicht einer
37 Der Kontext ist erläutert bei M.Frank, ,.Intellektuale Anschauung«. Drei Stellungnahmen zu einem Deutungsversuch von Selbstbewußtsein: Kant, Fichte, Hölderlin/Novalis, in: E.Behler/J.Hörisch, Die Aktualität der Frühromantik, Paderbom 1987, S. 96-126; vgl. auch K.Nagasawa, Intellektuelle Anschauung und Dialektik, in: Fichte-Studien 611994, S. 35-44.
11. Der Ursprung des wissensfähigen Selbstbewußtseins
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Deduktion, sondern nur einer Aufsuchung fähig ist. Soll dieses Anfangen jedoch in der Lage sein, das menschliche Wissen seiner Art nach zu erhellen, so müssen in der Durchführung der Wissenschaftslehre die Formen, in denen wir etwas zu wissen beanspruchen, auf die anfangsfähige Subjektivität bezogen werden können, so daß sie als Folgeerscheinungen des absoluten Anfangens zu verstehen sind und durch diesen Verständnisbezug selbst den Status der Anfangsfähigkeit erhalten. Fichtes Wissenschaftslehre zeichnet sich nun auch dadurch aus, daß dieser Bezug nicht unmittelbar zwischen dem absoluten Ich und den Formen des Wissens hergestellt wird. Das reine Ich = Ich muß zunächst auf den Status der Teilbarkeit und damit der Begrifflichkeit herabgesetzt werden, um jene Formen als Derivate der ursprünglichen Selbstauffassung als »etwas« zu entwickeln. Die Anfänglichkeit der Subjektivität überträgt sich demnach nur dann auf die Ausgestaltungen des menschlichen Weltverhältnisses, wenn es dem Ich gelingt, sich selbst als mögliches Subjekt von Urteilen aufzufassen und sich darin mit Hilfe des ,.ich« der ersten Person zu bezeichnen. Nun bedeutet die Teilbarkeit des Ich und das Sich-Entgegensetzen eines Nicht-Ich die Integration einer Seite des Nicht-Wissens in das absolute Selbstverhältnis des Ich. Daraus bestimmt sich Fichtes Auffassung der Anfangsfähigkeit der Subjektivität näher. Einen Anfang kann das Subjekt nur machen, indem es sich so auf sich bezieht, daß es gerade in seinem genuinen Selbstverhältnis nicht zur völligen Durchsichtigkeit für sich selbst gelangt. Nur in diesem Zustand aber kommt es so zu sich, daß es in Selbstprädikationen auf sich Bezug nehmen kann. Zuvor bleibt es im Status unendlicher Bestimmbarkeit, ohne sich unter einer Bestimmtheit verstehen zu können. Der Anfang, auf den die Formen unseres Wissens bezogen werden müssen, um ihre Verständlichkeit aus der allein anfangsfähigen Subjektivität erhalten zu können, liegt demnach in der Fähigkeit des Ich, sich auf spezifisch ich-hafte Weise, d.h. ohne sich darin als Ding mit Eigenschaften zu betrachten, Bestimmungen zusprechen zu können. Die Ich-haftigkeit von Selbstzuschreibungen bleibt dann gewahrt, wenn diese Leistung so auf das reine Ich und sein Selbstverhältnis bezogen werden kann, daß sie daraus ihre angemessene Verständlichkeit gewinnt. Wir können die Herstellung eines solchen Zusammenhanges als die Aufgabe der Argumentationsbewegung vom ersten über den zweiten zum dritten Grundsatz betrachten. Was es heißt, anfangen zu können, zeigt sich demnach erst mit der Entwicklung des dritten Grundsatzes. Da dieser seine Form jedoch ausschließlich aus dem Problem bezieht, das Setzen des Ich mit seinem Entgegensetzen vereinbaren zu müssen, so ist das anfangs fähige Selbstverständnis als »etwas« nicht ohne die ersten beiden Grundsätze zu verstehen.
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
Da die Wissenschaftslehre die Formen des Wissens nun auf das Ich bezieht, indem sie als Auflösungen der internen Widersprüchlichkeit des dritten Grundsatzes entwickelt werden, so bestimmt sich die Art alles Wissens durch die Anfanglichkeit der Selbstauffasssung des Ich als prädikationsfähiges ..etwas". Diese Entwicklung kommt aber nur deshalb in Gang, weil die Formulierung des dritten Grundsatzes mit der Vereinigung von Setzen und Entgegensetzen des Ich nicht abschließend fertig werden kann. Folglich bestimmt sich der Status unseres Wissens zwar aus der Integration einer Seite des Nicht-Wissens in das absolute Selbstverhältnis des Ich, er wird jedoch gerade darin durch das SichSetzen und das Sich-Entgegensetzen des Ich geprägt, über die das prädikationsfähige .. ich" ein Verständnis aus dem absoluten Selbstbezug erhält. Die Art des menschlichen Wissens wird demnach durch die ursprüngliche Bewegung angegeben, in der das reine Ich zu einem Selbstverständnis als ..etwas" gelangt, und die wiederum als Möglichkeitsbedingung der elementaren Struktur des Aufstellens von Behauptungen über die Welt in einer »Aufsuchung" legitimiert, obzwar nicht in sich begründet werden kann. Ohne die Bestimmtheit im Status der Prädikationsfähigkeit, in dem das Ich sich Begriffe gleich- und entgegensetzt, käme es nicht zu einem Fortgang und der Anfang wäre ein Anfang von Nichts und dementierte sich unmittelbar; ohne den internen Bezug auf das absolute Selbstverhältnis des Ich in seinem Handeln auf sich bliebe der Anfang als solcher unverstanden. Ohne sich mit Hilfe der Form ,.ich bin x" zu verstehen, könnte ein Ich nicht anfangen; ohne das ,.ich bin ... " geleistet zu haben, läge darin kein Ichbezug und folglich kein Anfang, der den elementaren Implikationen des Behauptens zum einen und dem Verständnis für die Art des menschlichen Wissens zum anderen genügen könnte. Die Anfangsfähigkeit des Subjektes, die die Art unseres Wissens bestimmt, indem sie mit Hilfe einer konsistenten Entwicklung alle Formen, in denen wir den Anspruch erheben, etwas wissen zu können, in einen Verständnisbezug zu sich setzt, liegt demzufolge in der Fähigkeit des absoluten Selbstverhältnisses, eine genuin ich-hafte Bestimmtheit seiner selbst aus sich selbst zu erzeugen. Es ist diese Selbstbestimmung, die am Ende der Wissenschaftslehre in der kategorisch-imperativischen Moralität als der im untersuchten Ich selbst bezeugten Wirklichkeit der Subjektivität erscheint. 38 Der Begriff der Subjektivität, den Fichte für sein Unternehmen in Anspruch nimmt, erschöpft sich demnach nicht in der Durchsichtigkeit eines absoluten Selbstverhältnisses, das in vollendeter
38 Zu diesem Willensbegriffvgl. näher G.Zöller, Bestimmung zur Selbstbestimmung. Fichtes Theorie des Willens, in: Fichte-Studien 7/1995, S. 101-118.
11. Der Ursprung des wissensfähigen Selbstbewußtseins
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Selbstmacht sich und seine Welt setzt, sondern impliziert konstitutiv die Dunkelheit eines Sich-nicht-Wissens, in der dem Selbstbezug eine genuin ichhafte Unverfügbarkeit integriert ist. Nur indem das reine Ich sich selbst versteht als in seinem ich-haften Selbstbezug Bestimmtheiten unterworfen, die sein durchsichtiges Sich-Wissen begrenzen, kann es für ein Anfangen in Anspruch genommen werden, das die Art unseres Wissens durch die Entwicklung seiner Formen erhellen kann. Nun sollten die Grundsätze in der Lage sein, die Möglichkeit von Bewußtsein zum Verständnis zu bringen. Diese Aufgabe fordert eine Aufklärung über die Bedingung dafür, "daß das Ich ein Nicht-Ich sich entgegensetze" (Grundriss, 1410). Um einen solchen Bezug herstellen zu können, muß das Ich seine ,.ideale.. Tätigkeit auf das Nicht-Ich richten können. Die Entwicklung der Wissenschaftslehre kann deshalb auch als Ausarbeitung der Bedingungen von Bewußtsein verstanden werden. Wenn die Wissenschaftslehre schließlich die reine Selbsttätigkeit in der Gestalt kategorisch-imperativischer Moralität wiederfindet, so hat sie darin die Erklärung des Bewußtseins auf ihren Anfang im Bewußtsein von sich selbst zurückgeführt. Alles Bewußtsein zeigt sich damit abhängig von jener ursprünglichen Unterscheidung von Ich und Nicht-Ich, die ein Bewußtsein von sich in der Differenz zu dem Bewußtsein eines Gegenstandes möglich macht. Wenn die Entwicklung der Wissens formen aus den Schwierigkeiten des dritten Grundsatzes insgesamt jene Unterscheidung aufzuklären in der Lage sein soll, so impliziert dies die Behauptung, ein angemessenes Verständnis für Bewußtsein lasse sich nur unter Zuhilfenahme aller Formen des Wissens erreichen, wie umgekehrt eine solche Form nur dann begründet ist, wenn sie als eine der zur Erklärung von Bewußtsein notwendigen Gestalten des Verhältnisses von Ich und Nicht-Ich dargestellt werden kann. Nun ist diese ganze Entwicklung aber in der absoluten Anfangsfähigkeit einer Subjektivität begründet, die sich in ihrem genuinen Selbstverhältnis als prädikationsfähig und damit bestimmbar versteht. Demzufolge erfordert die Rede von Bewußtsein den Bezug auf die Fähigkeit eines absoluten Anfangens in einem Handeln in sich und auf sich selbst, das sich gerade dadurch zu einem Anfang macht, indem es sich zur prädikationsfähigen Subjektivität fortentwickelt und sich in der ersten Person Singular auf sich bezieht. Wir können das Ergebnis unserer Überlegungen zu Fichtes Wissenschaftslehre und ihrem Anspruch, in der Philosophie einen Anfang machen zu können, nun in einem einfachen Zusammenhang resümieren. Die Rede von einem Anfangen in der Philosophie legitimiert sich offenbar aus der Anfangsfähigkeit der Subjektivität selbst, die sich als notwendiger Erklärungsgrund
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D. Das ethische Fundament von Identität und Differenz
von Bewußtsein, als Implikation der Elementarstruktur unserer Behauptungen über die Welt und als Deduktionsbasis der Formen unseres Wissens erwiesen hat. Indem die Möglichkeit eines philosophischen Anfangs in dem Anfangen fundiert ist, das die Subjektivität als solche ist, so kann die Philosophie sich versichert sehen, daß ihr Versuch, einen Anfang zu machen und bestehende Diskurse nicht bruchlos fortzusetzen, sich notwendig aus den sachlichen Erfordernissen der Aufklärung des menschlichen Weltverständnisses ergibt. Das Anfangen in der Philosophie rechtfertigt sich damit aus der Sache der Philosophie selbst und findet seinen Grund nicht nur im Gewißheitsbedürfnis des Philosophen. Das genuine Wissen der Philosophie kann demnach einen von allen Wissenschaften differierenden Status beanspruchen, weil es sich als Explikation dessen ergibt, was es heißt, anfangen zu können und d.h. als Subjektivität zu sein. ,.Philosophie des Anfangs« stellt im Kontext der Fichteschen Wissenschaftslehre folglich nichts anderes als den Versuch dar, die Anfanglichkeit der Subjektivität zu explizieren, die aufgrund ihrer Struktur als ein Anfang gelten kann und muß, der keine weiteren Gründe mehr hinter sich verlangt.
E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen als Bedingung des Selbstbewußtseins: Schellings Theorie ethischer Interpersonalität I. Von der Ethik der Freiheit zum ethischen Verhältnis von Forderung und Sollen Mit Schellings Philosophie verändert sich der Zusammenhang zwischen der ursprünglichen Konstitution des Selbstbewußtseins und der darin implizierten ethischen Selbstbestimmung durch die explizite Aufnahme eines interpersonalen Elementes in die Grundlagen der Konzeption des Ethischen. Solipsistisch geprägt war freilich auch die Kantische Ethik und ihre Fortführung bei Fichte keineswegs. Dies ergibt sich schon aus der Umformulierung des kategorischen Imperativs aus der Gesetzesformel in die Selbstzweckformel, die Kants Intention gemäß ja nicht eine Transformation in einen neuen Gedanken, sondern nur den Ausdruck der gleichen Ethikbegründung in einer anderen Gestalt darstellen soll. Es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Fichte, der Kant in seiner Ethik ja treulich nachfolgen wollte, die Identität des kategorischen Imperativs mit der Selbstzweckformel nicht ebenso akzeptiert hat, auch wenn er diese Identität im Gehalt nicht eigens in seinem System ausgeführt hat. Demnach ist die Ethik der Freiheit, wie sie von Kant und Fichte in die alles Wissen fundierende Konzeption von Selbstbewußtsein eingeführt worden war, prinzipiell ebenso eine Ethik der Freiheit der anderen Person, die als Person selbst wiederum die Freiheit als Freiheit des anderen in ihrer ethischen Selbstbestimmung demonstriert. Bei Schelling allerdings - und dann ebenso bei Hegel - erhält die ethische Fundierung der Selbstbewußtseinsstruktur durch die explizite Aufnahme eines Elementes von Sozialität bzw. Interpersonalität eine veränderte Gestalt. Schellings Grundlegung des ethischen Verhältnisses geht im argumentativen Zusammenhang von der Entwicklung der Konzepte Individualität und Sozialität aus, um dann erst die ethische Grundkonstellation als Verhältnis von Forderung und Sollen auszuarbeiten. Folglich ist das Individuum und sein soziales Wesen bereits aus der Struktur des Ich entwickelt und d.h. als in die Bedingungen der sinnvollen Denkbarkeit des Selbstbewußtseins gehörig gedacht, wenn die ethische Strukturiertheit des Selbstbewußtseins und seines Ausdrucks im Ich als
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
dessen integraler Bestandteil ausgearbeitet wird. Daraus ergibt sich, daß die Ethik des Selbstbewußtseins mit Hilfe eines gedanklichen Bestandes entwickelt wird, der einerseits zwar nicht über das Bewußtsein von sich selbst hinausgeht, dem andererseits aber doch schon Individualität und Sozialität als Implikate der Selbstbewußtseinsstruktur integriert sind. Offensichtlich gewinnt das Ethische als Element dieser Struktur deshalb hier einen anderen begrifflichen Gehalt. Wenn auf dem Explikationsstand der Selbstbewußtseinsstruktur, auf dem die ethische Grundkonstellation ausgearbeitet wird, bereits explizit geworden ist, daß in diese Struktur auch Individualität und Sozialität bzw. Interpersonalität gehören, so wird die Ethik des Selbstbewußtseins eine Gestalt annehmen müssen, die diese bereits gegebenen Ausarbeitungen argumentativ bestimmend in die Konzeption von Ethik aufnimmt, die dem Selbstbewußtsein aufgrund der Explikation seiner eigenen Struktur konstitutiv eigen ist. Die Folge dieser veränderten Argumentationslage in Schellings Denken ist die Formulierung der zur Struktur des Selbstbewußtseins gehörigen Ethik in einer Konstellation von Forderung und Sollen. In ihrer Wechselbeziehung setzen diese ethikkonstituierenden Begriffe offenbar die zuvor entwickelten Konzepte von Individualität und Sozialität voraus, und jene beiden Begriffe fügen sich nur dann in die Explikation des Selbstbewußtseins ein, wenn zum einen zuvor diese beiden Konzepte in einem konsistenten Entwicklungsgang als Strukturbedingungen des Selbstbewußtseins ausgearbeitet worden sind, und wenn zum anderen gerade die Konstellation von Forderung und Sollen sich ebenso konsistent aus den Gedanken von Individualität und Sozialität entwickeln läßt. Daß das Ethische nur auf der Grundlage von Individualität und Sozialität bestehen kann, dies scheint zwar unmittelbar plausibel, muß im Argumentationsgang von Schellings Denken aber nichtsdestoweniger doch als notwendige Folgerung aus der Struktur des Selbstbewußtseins entwickelt werden können, die sich zuvor bereits in die Konzepte Individualität und Sozialität auseinandergelegt hat, wenn der Nachweis gelingen soll, daß eine Ethik in der Gestalt des interpersonalen Verhältnisses von Forderung und Sollen zum Verständnis von Selbstbewußtsein notwendig ist. Es wird sich zeigen, daß die Bestimmtheit des Selbstbewußtseins, wie sie sich in der Interpretation von Fichtes Denken als Differenz und Einheit von ,.ich« und ,.Ich« aufweisen läßt, in Schellings ,.System« nicht mit gleicher Deutlichkeit als Ingrediens der Selbstbewußtseinsstruktur erscheint. Nichtsdestoweniger beschäftigt sich auch das ,.System« mit dem Problem eben jener Bestimmtheit. Es wird hier als Frage nach der Thematisierbarkeit des Selbstbewußtseins aufgeworfen, die in der gänzlichen Bestimmungslosigkeit des
I. Von der Ethik der Freiheit zum ethischen Verhältnis
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Ich = Ich ja nur schwer denkbar erscheint. Im Grunde könnte die gesamte Entwicklung des ,.Systems« als Bearbeitung genau dieser Problematik verstanden werden. I Unter diesem Aspekt gewinnt aber auch die Ausarbeitung der ethischen Konstellation von Forderung und Sollen ihren Stellenwert in der Genesis einer angemessenen Thematisierbarkeit von Selbstbewußtsein. Wenn diese Konstellation sich konsistent in den Argumentationsgang einfügt, so ist daraus zu entnehmen, daß auch Schellings Philosophie, wie sie sich im ,.System« darstellt, mit Hilfe der ethischen Implikationen von Selbstbewußtsein an der Aufklärung des Problems arbeitet, wie die absolut bestimmungslose Identität von wissendem und gewußtem Selbst zu einer Bestimmtheit gelangt, die zum einen dem faktischen Bewußtsein von Bestimmtheit im empirischen Wissen von sich selbst Rechnung trägt, und die es zum anderen erlaubt, die bestimmungslose Identität gerade so in eine bestimmte zu transformieren, daß ihre strukturbestimmende Bestimmungslosigkeit nicht nur erhalten bleibt, sondern auch verstehbar wird. Die philosophische Begründung der Struktur von Forderung und Sollen aus der Selbstbestimmung, die am Beginn des Bewußtseins steht, wird in Schellings "System des transzendentalen Idealismus" im Ausgang vom Ich als Ur- und Grundprinzip idealistischen Philosophierens erreicht und erscheint deshalb als Folgeproblem der Begründungsbasis des Schellingschen Systemprogramms aus der Zeit von 1800. 2 Forderung und Sollen werden darin nicht als vorausgesetzte Begriffe aufgenommen, sondern systemimmanent in ihrer Struktur ent-
1 Ich kann diese Interpretation der Logik des "Systems" hier nicht näher ausführen. Vgl. dazu G. Römpp, Sich-Wissen als Argument. Zum Problem der Theoretizität des Selbstbewußtseins in Schellings ,.System des transzendentalen Idealismus«, in: Kant-Studien 80/1989, S. 303-323. Zum Thema des Sich-Objekt-Werdens des Ich als Schellings "Grundoperation« im "System" vgl. W.Schulz, Einleitung zum "System", Hamburg 1957, S. XXVI ff; M.Frank, Eine Einführung in Schellings Philosophie, FrankfurtlMain 1985, S. 60, 71 f, 81 ff, 116 ff; H.Holz, Dialektik in den Frühschriften von Fichte und Schelling, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 52/1970, S. 71-90; W.Marx, Aufgabe und Methode der Philosophie in Schellings System des transzendentalen Idealismus und in Hegels Phänomenologie des Geistes, in: Hegel-Studien, Beiheft 17, Bonn 1977, S. 77-10l. 2 Im folgenden bleibt die spätere Entwicklung von Schellings Philosophie unberücksichtigt. In Bezug auf die Freiheitsschrift ist jedoch auf die Arbeit von S.Peetz hinzuweisen, der Schellings Gedankengang als Versuch der Reformulierung des Identitätssystems in praktischen Begriffen und als Reaktion auf Jacobis Kritik des idealistischen Begriffes der Subjektivität zu verstehen sucht (Die Freiheit im Wissen. Eine Untersuchung zu Schellings Konzept der Rationalität, FrankfurtlMain 1995, insbes. S. 193 ft).
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
wickelt. Dies berücksichtigt die Schwierigkeit eines jeden Versuches, philosophisch auf einen denkunabhängigen Gegenstand als Thema verweisen zu können, und macht die Thematisierung selbst zum Problem einer Entwicklung. Wenn deren Ausgang aber das Prinzip alles Wissens ist, so werden Forderung und Sollen auch hier in einem bestimmten Zusammenhang des Wissens stehen müssen und nicht isoliertes Thema der Reflexion des Tuns sein können. Demzufolge geschieht das philosophische Begreifen von Forderung und Sollen in Schellings System von 1800 auch nicht in willkürlicher Thematisierung, sondern ergibt sich als Antwort auf eine entwickelte philosophische Problemlage und ist nur in diesem Zusammenhang angemessen zu verstehen. 3 Wir werden deshalb im folgenden auf die Entwicklungszusammenhänge, in denen unser Thema steht, besonders achten müssen. Dabei beschränken wir uns ausschließlich auf das "System des transzendentalen Idealismus", da so die uns interessierenden systematischen Argumentationen in einem geschlossenen Zusammenhang deutlich werden. 4
11. Die endogene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins Wenn das "System des transzendentalen Idealismus" seinen philosophischen Anfang im Selbstbewußtsein und dem darin entstehenden Begriff des Ich als einem ausgezeichneten, alles Wissen begründenden Wissen nimmt, so scheint zunächst das kognitive Resultat des "Systems" eines Elementes von Sozialität und damit auch von ethisch gegründeter Interpersonalität konstitutiv entbehren zu müssen. Das so gegründete Wissen gehört dem reinen Fürsichsein an, das
3 Der Zusammenhang von Systemphilosophie und philosophischer "Geschichtlichkeit" wird näher ausgeführt von A.Hutter, Geschichtliche Vernunft. Die Weiterführung der Kantischen Vernunftkritik in der Spätphilosophie Schellings, FrankfurtlMain 1996, S. 258 ff. 4 Das "System des transzendentalen Idealismus" wird zitiert nach F. W.J. von Schellings Sämtlichen Werken, Band 3, Stuttgart und Augsburg 1858, unter bloßer Angabe der Seitenzahl. Als komprimierte Darstellung des "Systems" und seines Argumentationszusammenhangs vgl. insbesondere X. Tilliette, Schelling. Une philosophie en devenir, T. I: Le systeme vivant 1794 - 1821, Paris 1970, S. 185-233; zur Vorgeschichte vgl. H.Kuhlmann, Schellings früher Idealismus. Ein kritischer Versuch, Stuttgart 1993. Im folgenden Kapitel wird ein Text verwendet, der unter dem Titel "Forderung und Sollen. Zum Problem der Interpersonalität im Kontext von Sozialität und Individualität in Schellings "System des transzendentalen Idealismus,," veröffentlicht wurde in: Tijdschrift voor Filosofie 49/1987, S. 645-674.
IT. Die endogene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins
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als sich-wissendes kein soziales ist. Zwar wird im Verlaufe der Argumentation wohl ein Begriff vom fremden Individuum entwickelt, dies aber erst mit dem Übergang in die praktische Philosophie. Bestätigt also das "System" den weithin akzeptierten Befund, demzufolge der idealistische Begründungsansatz nicht die Ausarbeitung eines philosophischen Begriffes von ethischer Interpersonalität auf theoretischem Gebiet erlaubt? Ebensowenig scheint von Schellings idealistischem Ansatz aus ein Begriff von selbstbewußter Individualität gewonnen werden zu können. Der Akt des Selbstbewußtseins, in dem der Begriff des Ich mit seinem ausgezeichneten Wissen als Sich-Wissen entsteht, enthält selbst nicht Individuelles (374).5 Das reine Ich stößt soziale Pluralisierung wie Individualisierung von sich ab, indem es seine wissensbegründende Funktion erfüllt als "das Gemeinschaftliche, worauf alle Intelligenzen gleichsam aufgetragen sind" (573). Ist es so "das einzige An sich, was alle Intelligenzen miteinander gemein haben" (dto.), so unterscheiden sie sich darin gerade nicht. Wird im Argumentationsgang des "Systems" dennoch ein Begriff von Individualität entwickelt, so gehört die Individualität des Bewußtseins ebenso wie seine Sozialität doch nur zur "Erscheinung" (590). 6 Auch in ihrem Erscheinungscharakter sind Individualität und Sozialität jedoch nicht äußerlich aufgenommene Begriffe, sondern werden im Rahmen des systemischen Argumentationsganges entwickelt. Wenn das "System des gesamten Wissens" (330) aber eine "Wissenschaft alles Wissens" (354) darstellt, so gehören auch jene zu den Begriffen, deren Gültigkeit durch ihre Situierung in diesem System mit Notwendigkeit nachzuweisen gerade der Anspruch des Schellingschen Projektes ist. Ist dieses System begründet durch eine immanente und stringente Entwicklung aus dem im Sich-Wissen des Selbstbewußtseins entstehenden Begriff des Ich, so werden auch jene Begriffe die Berechtigung ihres Wahrheitsanspruchs gerade aus diesem pluralitäts- und individualitätslosen Ich beziehen müssen.
5 Die Problematik des Verhältnisses von Ich und Selbstbewußtsein wird dargestellt und untersucht bei S.Jürgensen, Schelling: absolutes Ich oder Selbstbewußtsein, in: H.M.Baumgartner/W.G.Jacobs, Hrsg., Schellings Weg zur Freiheitsschrift. Legende und Wirklichkeit, Akten der Fachtagung der Internationalen Schelling-Gesellschaft 1992, Stuttgart 1996, S. 279-287. 6 Vgl. zu dieser Problematik J.Henningfeld, Einheit und Vielheit als grundlegendes Problem in Schellings Systementwürfen, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 14/1989 (2), S. 1-15.
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Soll die Individualität also erklärt werden - und wir können dies sinngemäß auch auf die Pluralität bzw. Sozialität übertragen -, so muß jeder "erst alle Individualität in sich aufgehoben haben" (483). Deshalb ist der "Akt des Selbstbewußtseins" (366), in dem sich der Begriff des Ich ergibt, als eine "absolutfreie Handlung" (365) aber ohne Bestimmtheit: ich werde darin meiner "nicht mit dieser oder jener Bestimmung, sondern ursprünglich bewußt" (367). Demzufolge muß sich uns der Weg zur Individualität - und Sozialität - als Entwicklung des individualitätskonstituierenden "Systems der Beschränktheit" aus einem "Handeln des absoluten Ichs" selbst bzw. einem "Handeln der absoluten Intelligenz" (483) selbst darstellen. 7 Individualität wie Sozialität werden sich so als bestimmte Stufen des Sich-selbst-Einschränkens des absoluten Ich entwickeln müssen. Nun ist Individualität zunächst gegeben, indem "Beschränkungen durch die organische Existenz gesetzt sind" (549), weiter aber durch die Selbstbeschränkung im Handeln (549). Zwischen diesen beiden Realisierungen der Individualität besteht ein systematischer Zusammenhang, dessen Deduktion beim organischen Individuum ansetzt. Im Argumentationsgang des "Systems" erscheint die Individualität als die "dritte Beschränktheit" (522), die ursprünglich dadurch gesetzt wird, "daß die Intelligenz genötigt war sich als organisches Individuum anzuschauen" (552). Wir werden uns also zunächst mit dem Weg von jenem bestimmungslosen Handeln des absoluten Ich zu dieser Nötigung zu beschäftigen haben. Wenn die Gewißheit des Transzendentalphilosophen mit dem Satz beginnt
"Ich bin" (344), so ist der Weg zu jener dritten Beschränktheit durch zwei Determinanten bestimmt, die den Zusammenhang der Selbstgewißheit des Ich mit den entwickelten Beschränktheiten betreffen. Zum einen ist das Selbstbewußtsein nicht nur das erste Wissen, sondern auch "Prinzip alles Wissens" (355). Damit ist es ebenso "absolute Grenze des Wissens" (355) und gibt die Möglichkeit, einen Begriff des Wissens in seiner Bestimmtheit und d.h. Begrenztheit zu entwickeln. Soll diese Bestimmtheit aber den Status absoluter Gewißheit aus dem Selbstbewußtsein übernehmen können, so darf bereits das "Ich bin" sich nicht in einem leeren, unendlichen Wissen erschöpfen, sondern muß in sich die Begrenztheit als Form aller Bestimmtheit tragen. Damit kommt
7 Vgl. dazu die Ausführungen von J.-F.Marquet, Sujectivite et absolu dans les premiers ecrits de Schelling (1794-1801), in: Revue Internationale de Philosophie 49/1995, S. 39-58.
11. Die endogene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins
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es zu einem Konflikt mit der zweiten Determinante. Das Selbstbewußtsein erfüllt nur dadurch seine Funktion eines ersten und prinzipiierenden Wissens, indem in ihm das Objekt und sein Begriff unmittelbar eins sind (vgl. 364): der Begriff des Ich kommt durch den Akt des Selbstbewußtseins zustande und ist nicht außer ihm (vgl. 366) - "das Denken des Ichs und das Ich selbst sind absolut Eins" (367); Inhalt und Form des Wissens sind hier und nur hier identisch (vgl. 359). Daraus aber entsteht ein Problem für die Bestimmtheit des im Selbstbewußtsein prinzipiierten Wissens. Ist der Begriff in diesem Fall "nichts anderes, als der Akt des Denkens selbst" (366), so ist das Ich nur als "das ins Unendliche fort Nichtobjektive" gegeben (367). Deshalb wird das Wissen von sich selbst ein gänzlich unbestimmtes sein (vgl. 367). Dies drückt sich zunächst darin aus, daß die Frage nach einem Prädikat des Ich keine Antwort fmden kann: "Der Charakter des Ichs liegt ebendarin, daß es kein anderes Prädikat hat als des Selbstbewußtseins" (368), das kein Prädikat ist, sondern der Akt seines Zustandekommens. Der Satz "Ich bin" ist also dadurch charakterisiert, daß er, "weil er außerhalb des unmittelbaren Bewußtseins selbst die Bedeutung verliert, die individuellste aller Wahrheiten, und das absolute Vorurteil ist" (344). Damit aber wird die Kommunikativität und damit Argumentativität des wissensbegründenden Anfangs im Selbstbewußtsein zum Problem. Ist das Ich eine "Monade" - "eine ganz in sich beschlossene Welt" (381) - so ist es für nichts Äußeres (380). Soll der Philosoph in seinem Argumentieren den Anfang mit dem Selbstbewußtsein machen können, so muß er es aber zum Thema nehmen und ihm darin eine Bestimmtheit und damit Objektivität geben. So muß das "System des transzendentalen Idealismus" zwar mit dem Ich als Objekt für den Philosophen beginnen, gerade damit kann das Ich jedoch nicht adäquat thematisiert sein. Das "System" beginnt also mit einer Bestimmtheit, die dem Ich gerade wegen seiner wissensbegründenden Auszeichnung nicht zukommen kann. 8 Gerade dieses Problem benutzt Schelling nun, um zu einer Entwicklung zu kommen, in der aus der Unbestimmtheit des Selbstbewußtseins die Bestimmtheit
a Gerade aufgrund dieser Argumentationsstrategie stellt das Transzendentalsystem den zunächst paradox erscheinenden Versuch einer ·Philosophie des Absoluten mit transzendentalen Begriffen und Argumentationen· dar (H.M.Baumgarmer, Das Unbedingte im Wissen: Ich - Identität - Freiheit, in: ders., Hrsg., Schelling. Einführung in seine Philosophie, FreiburglMünchen 1975, S. 45-57, hier S. 54). 12 Römpp
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
eines Wissens entstehen kann. Wenn es gelingt, jene wissensbegründende Unbestimmtheit - d.h. den Subjekt und Objekt absolut vereinigenden Akt des Selbstbewußtseins - so in einer Entwicklung entstehen zu lassen, daß auf diesem Wege notwendige und bestimmte Bedingungen einer solchen Thematisierung des Nichtobjektivierbaren entspringen, dann werden jene Bestimmungen ihre Begründung im Selbstbewußtsein finden, ohne eine thematisierbare Bestimmtheit in ihm vorauszusetzen. Damit haben wir in groben Zügen die Determinanten des Weges zu jenen Beschränktheiten skizziert, deren dritte - die Individualität - uns im folgenden beschäftigen wird. Wenn das Problem mit der Unbestimmtheit des Selbstbewußtseins sich nun als Problem seiner Kommunikativität und Argumentativität darstellt, so wird die projektierte Entwicklung zur Lösung dieses Problems auch ein Für-andere-sein des Wissens aus dem reinen Sich-Wissen des Selbstbewußtseins begründen müssen. Um dies gelingen zu lassen, muß eine Versöhnung des Philosophen als dem thematisierenden Selbstbewußtsein mit dem thematisierten Selbstbewußtsein so erreicht werden, daß die absolute Gewißheit des ersteren mit der Forderung des letzteren nach begründeter Allgemeinheit des entwickelten Wissens verbunden wird. Dies ist dann der Fall, wenn die Entwicklung so lange fortgeht, "bis dasselbe, was für uns in das Ich als Objekt gesetzt ist, auch in das Ich als Subjekt für uns gesetzt ist, d.h. so lange, bis für uns das Bewußtsein unseres Objekts mit dem unsrigen zusammentrifft" (389).9 Als Rekonstruktion dieses Weges ist das "System" deshalb nichts
9 Aus dieser Bestimmung der Zielsituation des "Systems" wurde der Schluß gezogen, der Transzendentalphilosoph nehme sich hier die Aufgabe vor, "den natürlichen Menschen auf den philosophischen Standort hinzuführen" (W.Schulz, Einleitung, S. XXXll; vgl. auch M.Frank, Einführung, S. 94, der sogar von der "impliziten Pädagogik" des Transzendentalsystems spricht). Eine solche didaktische Aufgabe ist jedoch im "System" nicht angelegt. Das Objekt, das zum Stand "unseres,. Wissens geführt werden soll, ist das philosophierende Ich selbst, das sich als Objekt - d.h. als Thema seines Philosophierens - nicht adäquat thematisieren kann, weshalb ,.unser" Wissen zunächst im Grunde überhaupt kein aussagbares sein kann (vgl. "System", S. 344). Insofern ist der Philosoph erst dann eigentlich auf dem philosophischen Standpunkt, wenn er im Laufe der Systementwicklung, d.h. der Geschichte des Selbstbewußtseins, eine Möglichkeit gefunden hat, das Ich zum Thema zu machen, ohne es zu objektivieren. Dies ist erst in der ästhetischen Anschauung der Fall. Vgl. dazu W.Marx: bei der" Aufgabenverteilung " zwischen philosophischem und natürlichem Ich handelt es sich um eine" Argumentationsfigur" , "die der Tatsache Rechnung tragen will, daß es - ... das Wesen des Ich ausmacht, sich objektiv zu werden" (Aufgabe und Methode, S. 92, vgl. S. 97).
11. Die endogene Bestimmtheit des Selbstbewußtseins
179
anderes als das Unternehmen, die Handlung zu beschreiben, wodurch das Ich als absolutes und thematisierbares entsteht (vgl. 372) und damit seine Selbstgewißheit sich in ein auch für andere geltendes allgemeines Wissen transformiert. Die Philosophie des "Systems" stellt diesen Weg als eine "Geschichte des Selbstbewußtseins, die verschiedene Epochen hat" (399), dar und entwickelt darin Bestimmtheiten aus den Selbstbestimmungsstufen des "Ich bin" .10 Mit dieser Konzeption ist die erste Beschränktheit nun bereits gegeben. Sie ist nämlich nichts anderes als eben jener ursprüngliche "Streit" des Selbstbewußtseins (vgl. 481), d.h. der Akt des Selbstbewußtseins (vgl. 406, 409), indem er Thema des philosophierenden Selbstbewußtseins wird, womit zum erstenmal Subjekt und Objekt auseinandergehalten werden. Damit ist eine Differenz zwischen ideeller und reeller Tätigkeit in ihrer wechselseitigen Vorausgesetztheit gegeben, aus der der ganze "Mechanismus" (386) des Ich abzuleiten ist. Nun ist das Selbstbewußtsein aber adäquat nur in der Identität dieser beiden Tätigkeiten zu thematisieren. Um die Bestimmtheit eines Wissens mit der Unbestimmtheit bloßen Fürsichseins vereinen zu können, muß diese Identität nun im "System" sukzessive entstehen. Wegen dieser Differenz fmdet das philosophierende - und deshalb Gewißheit und Bestimmtheit suchende Selbstbewußtsein sich in seinem Thematisierungsversuch - mit dem die erste Beschränktheit geschieht - bereits in diese Sukzession versetzt. Damit ist es auch schon in eine zweite, besondere Beschränktheit verstrickt, nämlich in jene, "vermöge welcher die Intelligenz gleich im ersten Anfang des empirischen Bewußtseins sich erscheinen muß als in einer Gegenwart, in einem bestimmten Moment der Zeitreihe begriffen" (481/482). Folglich läßt sich diese besondere Beschränktheit als zweite Transformation des ursprünglichen Konflikts zwischen Gewißheit und Objektivierung auch so formulieren: sie besteht darin, "daß, was jenseits deines Bewußtseins liegt, dir erscheine als unabhängig von dir" (484).11 Da aber auch diese Struktur ein Schritt auf jenem Wege ist, auf dem Selbstbewußtsein sich realisiert, so ist die nun erreichte endliche Intelligenz durchaus nicht von der unendlichen verschieden (vgl. 482). Deshalb entstehen die erste und die zweite Beschränktheit in einem und demselben Akt (482).
10 Vgl. zum Horizont dieser Auffassung von ,.Geschichte« W.G.Jacobs, Zur Geschichtsphilosophie des jüngeren Schelling, in: Dialektik 1996, S. 33-44.
11 Zum Zusammenhang der Konzeption des Zu-sich-selbst-kommens mit der naturphilosophischen Seite des Schellingschen Denkens vgl. insbesondere D.Sturma, Schellings Subjektivitätskritik, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44/1996, S. 429-446.
12'
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Nichtsdestoweniger ist die Intelligenz damit aus der absoluten Synthesis herausgetreten, "um sie mit Bewußtsein wieder zu erzeugen" (484). Insofern ist mit dem jetzt entwickelten Verhältnis bereits ein Reflexionsschritt auf dem Weg zur adäquaten Thematisierung des Selbstbewußtseins zurückgelegt.
111. Von der Individualität zur absoluten Abstraktion Die dritte Beschränktheit - die der Individualität - zeigt sich als ein weiterer Schritt auf diesem Wege. Die Intelligenz ist nun schon verstanden als "begriffen in einer bestimmten Sukzessionsreihe" (483). Soll mit diesem Begriff das Selbstbewußtsein aber zu seiner Selbstthematisierung kommen, so wird deren Unendlichkeit begrenzt werden müssen. In der dritten Begrenztheit wird deshalb die ganze Sukzession zum Objekt werden (vgl. 489). Soll dies adäquat geschehen, so muß das unendliche Selbstproduzieren der Intelligenz - und damit die in ihrem Fürsichsein liegende Unbestimmtheit - darin bewahrt sein. Innerhalb der Begrenztheit also wird die Sukzession wieder unendlich sein. In dem Produkt, in dem die Intelligenz ihre Begrenztheit durch Sukzession selbst anschauen kann, wird also die Sukzession eine in sich selbst zurücklaufende sein. Diese Charakterisierung wird nun erfüllt durch die "Organisation": sie ist "die in Grenzen eingeschlossene und als fixiert vorgestellte Sukzession" (491) die permanente Sukzession. Da das Prinzip der Bewegung aber ein inneres sein muß, deshalb stellt die Organisation sich als organisches Individuum dar. Das Ergebnis dieser - hier sehr verkürzt dargestellten - Entwicklung lautet deshalb: in der dritten Beschränktheit muß die Intelligenz sich selbst erscheinen als organisches Individuum (vgl. 495).12 Zwei Aspekte dieses Ergebnisses verdienen hervorgehoben zu werden. Zum ersten ist der Begriff des lebendigen Organismus entwickelt als Möglichkeitsbedingung der adäquaten Selbstthematisierung des Selbstbewußtseins und deshalb eine notwendige" Anschauungsart der Intelligenz" (498). Insofern ist das Selbstbewußtsein in seiner entwickelten Struktur, in der allein es zur adäquaten Thematisierung gelangt, kein "reines", sondern strukturell nur in einer Selbstauffassung als organisches Individuum möglich. 13 Offensichtlich
12 Vgl. dazu B.Rang, Schellings Theorie des Lebens, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 42/1988, S. 169-197.
13 Vgl. dazu N.Depraz, Chair de l' esprit et esprit de la chair chez Hegel, Schelling et Husserl, in: Revue Philosophique de Louvain 94/1996, S. 1942.
III. Von der Individualität zur absoluten Abstraktion
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wird diese Bestimmung auch die folgende und höherstufige Entwicklung der Interpersonalität affizieren: auch diese wird nicht von der Organizität als Charakter der Selbstauffassung des Selbstbewußtseins abstrahieren können. Zum zweiten ist mit dem organischen Individuum nun der "Kreis des Produzierens" (500) für die Intelligenz geschlossen. Dies deshalb, weil im jetzt abgeleiteten Produkt alle Produktion der Intelligenz in ihrer unendlichen, aber bestimmten Sukzession endlich angeschaut wird. Deshalb wird der weitergehende Thematisierungsprozeß des Selbstbewußtseins nicht auf dessen Produktionen zurückgreifen können. Jedes neue Produkt wäre ein Rückfall hinter den erreichten Stand, indem ein Moment der Sukzession thematisiert würde, die nun bereits als solche angeschaut wird. Deshalb kann die Intelligenz sich nun nicht mehr durch ein neues Produkt aus der Verlorenheit in ihren Selbstbegriff als Organismus herausreißen. Damit ist eine wichtige Determinante des Fortgangs gegeben. Die weiteren selbstbewußtseinsbedingenden Vermittlungen seiner Selbstbestimmtheit und -unbestimmtheit werden gerade das Produzieren selbst und als solches begrerizen müssen. Soll die Selbstanschauung der Intelligenz als organisches Individuum also in den Prozeß des Fürsichwerdens eintreten können, so wird eine Handlung gefunden werden müssen, in der die Intelligenz sich vom Produzieren völlig losreißen kann. Gerade die dritte Begrenztheit - die der Individualität - ist es also, die uns in die Sphäre der freien Reflexion treiben muß (vgl. 502). In dieser Sphäre muß die Intelligenz sich von den Produkten absondern. Nun entsteht das deduzierte Objekt als Produkt aber nur durch die auf bestimmter Stufe des Selbstbewußtseinsprozesses sich bewegende Handlungsweise der Intelligenz (vgl. 505). Deshalb kann die Intelligenz jetzt nur dadurch zu sich gelangen, "daß sie ihr Handeln als solches absondert von dem, was ihr in diesem Handeln entsteht" (505). Eodem actu entsteht so mit dem Eintritt in die Sphäre der Reflexion die Trennung von Begriff und Objekt (vgl. 506). Wenn die Handlung dieser Absonderung "Abstraktion" heißt, so ist Abstraktion jene Leistung, die Bedingung der Reflexion ist. Das Problem, wie das Ich auf den Standpunkt der Reflexion gelange, stellt sich so zunächst als Frage, wie es denn zur Abstraktion gelange (vgl. 5051506), und zwar nicht zur empirischen, sondern zur transzendentalen. Wie kann nun die Handlung der transzendentalen Abstraktion - mit ihrem Resultat - selbst bewußt werden, wenn doch kein Produkt mehr zur Verfügung steht, in dem sie ihre Bestimmtheit fmden könnte? Zur Beantwortung dieser Frage muß die Explikation der Strukturbedingungen der transzendentalen Abstraktion noch etwas weiter getrieben werden. Die fragliche Handlung ist
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
jene, in der die Intelligenz erst zu sich zu kommen beginnt. So kann sie für die Intelligenz aus keiner andern in ihr erfolgen - für die Intelligenz ist sie also eine absolute Handlung (vgl. 524). Wenn sie damit nicht mehr auf theoretische Weise erklärbar ist, "so reißt hier die Kette der theoretischen Philosophie ab" (524). An die Stelle dieses Erklärens muß aber, wenn der Fortgang im Selbstbewußtseinsprozeß bis hin zur adäquaten Themtisierung des Fürsichseins gemacht werden soll, eine andere treten. 14 Genau diese neue Erklärungsart bezeichnet den Übergang von der theoretischen in die praktische Philosophie. Der Anfang des Unbestimmtheit und Bestimmtheit des Selbstbewußtseins vermittelnden Prozesses in Begriffen praktischen Diskurses wird nun gemacht mit dem Satz "Die absolute Abstraktion, d.h. der Anfang des Bewußtseins, ist nur erklärbar aus einem Selbstbestimmen, oder einem Handeln der Intelligenz auf sich selbst" (532-kursiv). Die Erklärung geschieht also aus einem "ursprünglichen Freiheitsakt" (533) - d.h. durch ein "Wollen". So wird auf dieser Stufe die Intelligenz "nur durch das Medium des Wollens" sich selbst Objekt (534).
IV. Das Paradox der Selbstbestimmung und das Verhältnis der Interpersonalität Mit der so charakterisierten Handlung erreichen wir eine Problemlage, die den Selbstbewußtseinsprozeß bis an die Grenze der ethischen Konstellation weitertreibt: der Theorie der Interpersonalität als einem Verhältnis von Intelligenzen, das das ethische Grundverhältnis von Forderung und Sollen fundiert. Mit der nun deduzierten Erklärung aus einem Selbstbestimmen ist offensichtlich ein systematischer Haltepunkt erreicht, der strukturell den weiteren Fortgang der Selbstthematisierung des Fürsichseins bedroht. Wir sind bei einer Erklärungsweise angekommen, die die Möglichkeit des Erklärens gerade ab-
14 Von der Natur- und Geschichtsphilosophie im "System" als von den "beiden Strebepfeilern" des "Systems" zu sprechen (D.Jähnig, SchelIing. Die Kunst in der Philosophie, Pfullingen 1966, Bd. I, S. 229) ist insofern gefährlich, als damit der Epochencharakter von theoretischer und praktischer Philosophie im "System" aus dem Blick gerät. Beiden kommt innerhalb der Systementwicklung eine entscheidende Funktion zu, aber es wird die letztere aus Problemen der ersteren entwickelt und führt insofern näher an den Abschluß heran.
IV. Das Paradox der Selbstbestimmung
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schneidet, da sie aus der Autonomie, d.h. aus dem Nichterklärbaren erklären will. Nichtsdestoweniger hat sich dieses Ergebnis aus den vorangegangenen Argumentationen begründet ergeben. Auch diese Begründung fiele aber letztlich in sich zusammen, wenn kein Weg über diese Erklärung aus Selbstbestimmen hinaus gefunden würde. Bliebe nämlich der Weg zum systemabschließenden Ende versperrt, so würde das Fehlen der adäquaten Thematisierung des wissens begründenden Anfangs auch die argumentative Basis aller bisherigen Bestimmungen in sich zusammenfallen lassen. Findet sich also eine Lösung für die nun erreichte Paradoxie, so ist diese paradoxale Erklärungsweise selbst vom Ende des Systems her gerechtfertigt und in ihrer Wahrheit legitimiert. Kann sie jedoch keinen Fortgang aus sich entwickeln, so ist sie als solche obsolet und das ganze System findet in ihr seine Auflösung aus Mangel an Begründungsfähigkeit. Aus Gründen ihrer Genesis ist die erreichte Handlung nun als eine zugleich erklärbare und unerklärbare bestimmt. Dieser Widerspruch muß aufgelöst werden, indem ein "vermittelnder Begriff" (538) gesucht wird, mit· dem zugleich der systematische Fortgang gemacht werden kann. Da ein solcher Begriff aber nicht die Problemstruktur beseitigen, sondern sie weiterführend und in ihrer Möglichkeit einsehbar formulieren soll, kann das Vorgehen nur darin liegen, "daß wir die Aufgabe immer näher und näher bestimmen - bis die einzig mögliche Auflösung übrigbleibt" (538). Insofern ist die" Auflösung" die angemessene Bestimmtheit des Problems selbst. Wenn Erklärbarkeit aber bedeutet: Ableitbarkeit aus einem Produzierthaben der Intelligenz, und Unerklärbarkeit entsprechend die Unmöglichkeit einer solchen Ableitbarkeit, so läßt sich das Problem mit dem Selbstbestimmen so umformulieren: die Handlung soll "erklärbar sein aus etwas, das ein Produzieren und doch auch kein Produzieren der Intelligenz ist" (538). Für diesen umformulierten Ausdruck des zugrundeliegenden Widerspruchs findet Schelling nun eine interessante Lösung. Die Nichterklärbarkeit nämlich soll gewahrt bleiben durch eine Struktur, die durch drei Momente gekennzeichnet ist. Zunächst kann ein nicht-produzierendes Produzieren der Intelligenz nur gedacht werden durch eine "Differenzierung" innerhalb der Intelligenz. Die Seite des Nicht-Produzierens der Intelligenz soll nämlich nur gewahrt bleiben können durch eine Bedingung des Produzierens, die "außer" der Intelligenz liegt (539). Damit allein wäre aber noch kein Nicht-produzieren der Intelligenz gegeben - die beiden zu vereinenden widersprechenden Charaktere fielen auseinander. Deshalb muß diese Bedingung des Produzierens eine Bestimmung in der Intelligenz selbst sein. Damit aber wären wir zu einem Produzieren der
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Intelligenz zurückgekehrt und die beiden Charaktere fielen zusammen. Deshalb ist die Lösung um ein drittes Moment zu ergänzen. Die Bedingung des Handeins nämlich, die ein produzierendes Nicht-Produzieren ergeben soll, ist dann ein Handeln in der Intelligenz, das trotzdem nicht zu einem nicht mit seinem Gegensatz behafteten Produzieren zurückführt, wenn sie ein Nichthandeln der Intelligenz ist. Die Vereinigung von Erklärbarkeit und Unerklärbarkeit jener Handlung des Selbstbestimmens, die das vorläufige Resultat der systemischen Entwicklung war, wird deshalb als möglich gedacht in einer Struktur, die in der Intelligenz (1.) eine negative Bedingung (2.) des Produzierens außer ihr (3.) erfordert (vgl. 539). Damit ist "Grund der freien Selbstbestimmung" (538) "ein bestimmtes Nichthandeln der Intelligenz" (539). In der Problemstruktur, die zu diesem vorläufigen Ergebnis geführt hat, soll aber ebenso der Beweis für die ausschließliche Erklärbarkeit des Aktes der Selbstbestimmung "aus dem bestimmten Handeln einer Intelligenz außer ihr" liegen (540-kursiv). Wenn dieser Beweis nun genau in jener Entwicklung liegt, die zu obigem Ergebnis führte, so ist damit eine bemerkenswerte Charakteristik des Verhältnisses "Intelligenz außer der Intelligenz" gegeben. Bleibt die Intelligenz nämlich auch in der jetzt entwickelten Situation ganz in sich beschlossen, so kann nicht ein Handeln außer ihr sie bestimmen. Umgekehrt würde aber die bloße Vorstellung von einer Handlung außer ihr die Befangenheit der Intelligenz in ihrem Produzieren perpetuieren und die Vereinigung von Erklärbarkeit und Unerklärbarkeit nicht denkbar werden lassen. 15 Schelling löst diese Schwierigkeit nun mit einer Formulierung, die im Zusammenhang des "Systems" nicht weiter hervorgehoben ist, die aber bereits seine Theorie eines Verhältnisses zwischen Intelligenzen in nuce enthält. Die Vorstellung der Intelligenz von einem von ihr unabhängigen Handeln und ein solches Handeln außer ihr selbst sollen nämlich "so koexistieren, als ob eines durch das andere bestimmt wäre" (539 - Kursivierung von mir). Der
15 Mit dieser Problemlage wird bereits deutlich, daß die Lösung nicht in einer Forderung liegen kann, die "im Verkehr mit anderen Intelligenzen an das Ich herantritt" (wie F.Meier interpretiert - Die Idee der Transzendentalphilosophie beim jungen Schelling, Winterthur 1961, S. 85). Ein Herantreten von außen würde dem Verhältnis der Anerkennung, in dem der Andere konstituiert wird als ein solcher, der Ansprüche erheben kann, gerade widersprechen. Entsprechend kann es sich auch nicht um den "Anblick des Handelns einer "Intelligenz außer mir«" handeln (so D.Jähnig, Die Kunst in der Philosophie, Bd. I, S. 87).
IV. Das Paradox der Selbstbestimmung
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Zusammenhang von eigener Vorstellung und fremder Handlung ist also der einer" Als-ob" -Bestimmtheit der ersteren durch die letztere. 16 Damit ist eodem actu die Vereinigung von Heteronomie und Autonomie, die das entwickelte Problem der Erklärbarkeit/Nichterklärbarkeit der Reflexionshandlung lösen und damit den Fortgang des "Systems" ermöglichen sollte, zu einem ganz spezifischen ursprünglichen Verhältnis zwischen Intelligenzen ausgebildet worden. Dieses Verhältnis wird zunächst durch zwei weitere Begriffe erläutert. Soll in der entwickelten Struktur ein nichtproduzierendes Produzieren der Intelligenz möglich sein, so muß das Als-ob-Verhältnis in einer prästabilierten Harmonie (539) stehen, die das Handeln der einen Intelligenz und das Nichthandeln der anderen soweit kompatibel macht, daß gerade das bestimmte Nichtproduzieren ein produziertes sein kann - bzw. daß die nichtproduzierte Vorstellung der einen Intelligenz der Handlung der anderen angemessen ist. Damit ist schon deutlich, daß die prästabilierte Harmonie auch als indirekte Wechselwirkung (540) bezeichnet werden kann, deren Indirektheit natürlich nicht als Kausalität über Zwischenschritte mißverstanden werden darf. Von Kausalität kann im Rahmen eines Als-ob-Zusammenhanges nicht die Rede sein. Mit dem Begriff "indirekte Wechselwirkung" soll vielmehr jene merkwürdige Struktur formuliert werden, die ein nichtproduzierendes Produzieren zu denken gestattet, d.h. ein Nichthandeln in einem abgeschlossenen Zusammenhang eines Ich, das nur seiner eigenen Gesetzmäßigkeit folgt und deshalb nur dann nicht-handeln kann, wenn es VOn einem anderen ebenso geschlossenen Zusammenhang dazu veranlaßt wird, ohne daß ein Wirkungsverhältnis entsteht. Mit dieser Charakterisierung des deduzierten Verhältnisses zwischen Intelligenzen sind wir einem Begriff sehr nahe gekommen, dem auf dem jetzt erreichten Entwicklungsstand des Systems eine ausgezeichnete Bedeutung zukommt. Für die Ableitung dieses Begriffes wird eine Antinomie in Anspruch genommen, die aus dem deduzierten freien Akt der Selbstbestimmung als Anfang der Reflexion zu folgern ist. Wenn im Akt der Selbstbestimmung das
16 Deshalb scheint der Begriff einer "Aufspaltung" (W.Hartkopj, Die Dialektik in Schellings Transzendental- und Identitätsphilosophie, Meisenheim am Glan 1975, S. 66) der absoluten Intelligenz dem Schellingschen Begriff von Sozialität nicht angemessen zu sein. Die absolute Intelligenz bewahrt auch nicht dadurch ihre Unendlichkeit, daß sie als verendlichte durch die "Gesamtheit der menschlichen Individuen überhaupt" repräsentiert würde (S. 66, vgl. S. 15), sondern durch den Fortgang ihres Thematisierungsprozesses in der Geschichte des Selbstbewußtseins, in dem sie in der Differenz zu jedem objektivierenden Begriff bleibt.
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Ich sich als Ich entsteht, das Ich aber - eben weil es in diesem und nur in diesem Akt entsteht - ein "ursprüngliches Wollen" (vgl. 534) ist, so ist erst das "Produkt" des Selbstbestimmungsaktes jenes ursprüngliche Wollen, das aber identisch mit dieser vorausgesetzten freien - also gewollten - Handlung ist, die so zu ihrer eigenen Voraussetzung wird. Dieses Problem läßt sich nur auflösen, wenn eine Struktur gefunden wird, die eine solche Antinomie zuläßt und in einem Begriff vermittelt, der es denkbar macht, daß "mir das Wollen vor dem Wollen zum Objekt werden kann" (541). Dies aber scheint nur möglich mit Hilfe jener Charakteristik eines Verhältnisses zwischen Intelligenzen, die zuvor aus der Erklärbarkeit/Nichterklärbarkeit des Aktes der Selbstbestimmung entwickelt worden war. Damit zeigt sich zum zweitenmal das Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" als jener Begriff, der die Handlung der Abstraktion, d.h. der Trennung von Begriff und Objekt, und damit den Beginn des Bewußtseins in ihrer Möglichkeit verständlich macht. Der zunächst entwickelte indirekte Grund der Selbstbestimmung muß also der Intelligenz auch den Begriff des Wollens entstehen lassen (541). Deshalb handelt es sich um strukturgleiche Antinomien, die in dem näher zu bestimmenden Begriff der Intelligenz außer der Intelligenz ihre Vermittlung finden sollen. Wie muß die Struktur des Handeins zwischen Intelligenzen demzufolge gedacht werden? Der Begriff des Wollens kann offensichtlich nur durch ein Handeln entstehen, das den Begriff von einem wirklichen Objekt hervorbringt. Jene Differenz, die im Begriff des Wollens impliziert ist, ist nur mit dem Begriff eines möglichen Objekts zu denken. Wenn die geforderte Differenz aber das Ich von sich trennen und damit Bewußtsein ermöglichen soll, so muß es sich um eine Möglichkeit handeln, deren Realisierung in der Macht der Intelligenz steht. Es muß also der Begriff eines Objektes sein, "das nur sein kann, wenn es die Intelligenz realisiert" (542).
V. Ethische Interpersonalität als Verhältnis von Forderung und Sollen Auch diese Bestimmung jedoch reicht noch nicht aus. Wenn der gesuchte, das Intelligenzenverhältnis bestimmende Begriff nicht nur den Akt der Selbstbestimmung von den darin liegenden Antinomien befreien soll, sondern auch das bisher vage und unterbestimmt gebliebene Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" auf einen angemessenen Begriff bringen soll, der es in seiner Möglichkeit zu denken erlaubt, so wird gerade der jetzt noch bestehende
V. Ethische Interpersonalität
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Mangel den Begriff jenes Verhältnisses charakterisieren, wenn denn - wie es der Fall ist - dieser Mangel gerade und nur durch den gesuchten Begriff behoben werden kann. Dieser Mangel aber führt zurück auf das Wollen, d.h. den Akt der Selbstbestimmung, in dem das Ich zum Bewußtsein kommen sollte, indem es sich als Ich, d.h. als Subjekt und Objekt zugleich, zum Objekt wird (vgl. 534). Damit es nun so "für sich selbst ideell und reell" zugleich (542) wird, muß ihm die Entgegensetzung und der Bezug von ideellem und produzierendem Ich in dem gesuchten Begriff entstehen. Der noch bestehende Mangel des fraglichen Objektbegriffes muß demzufolge ein Mangel im Objekt selbst sein. Der Begriff des Wollens kann deshalb nur durch ein Objekt hervorgebracht werden, das durch einen wesenhaften Mangel charakterisiert ist. Wenn die vorangegangenen Bestimmungen dazugenommen werden, so kann dies nur der Mangel seiner Realisierung sein. Ein Objekt, das in sich die Spannung zwischen sich und seiner Realisierung trägt, kann aber nur ein gesolltes Objekt sein. Deshalb liegt in ihm ebenso die Spannung zweier Zeitrnomente, nämlich des gegenwärtigen der ideellen Begrenztheit des Ich und des folgenden des produzierenden Ich (542). Wenn es nun gerade der Begriff des Sollens ist, mit dem Schelling jenen Mangel formuliert und damit den genannten Ansprüchen Genüge getan sieht, so erhebt er diesen Begriff - und den komplementären der Forderung - in eine Schlüsselfunktion für die Explikation jenes Verhältnisses, das die Relation "Intelligenz außer der Intelligenz" mit dem Akt der Selbstbestimmung und d.h. mit der absoluten Abstraktion verknüpft. 17 Demzufolge gewinnt der Begriff der Forderung bzw. des Sollens im Zusammenhang des "Systems" seine Bedeutung zum einen, indem er die in der Identität von Voraussetzungs- und Folgecharakter liegende Antinomie des Selbstbestimmungsaktes vermittelt. Zum anderen bringt er die Antinomie der Erklärbarkeit und Nichterklärbarkeit jenes Aktes in eine Struktur der Als-ob-Bestimmtheit, die den systemischen Fortgang
17 Die Struktur von Forderung und Sollen entspricht offensichtlich nach wesentlichen Momenten dem Begriff der Verantwortung. M.Riedel weist darauf hin, daß die formale Begrifflichkeit der Verantwortung schon in der Kantischen Konzeption einer praktischen Realisierung transzendentaler Freiheit angelegt ist - wenn auch verdeckt. Implikat des moralischen Gesetzes ist danach die kommunikative Fundierung der Entscheidung, weil die Gesetzlichkeit eine Pluralität miteinander kommunizierender Personen voraussetzt. Das Grundphänomen dieses »materialen Apriori der kommunikativen Freiheit« aber ist die Verantwortung. (Freiheit und Verantwortung. Zwei Grundbegriffe der kommunikativen Ethik, in: H.M.Baumgartner, Hrsg., Prinzip Freiheit, FreiburglMünchen 1979, S. 201-228)
188
E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
erlaubt. Diese Leistung kann der Forderungsbegriff erbringen, weil durch eine Forderung die "Handlung erklärt wird, wenn sie geschieht, ohne daß sie deswegen geschehen müßte" (542). Insofern ist mit dem Charakter der Forderung nun das ganze bisher entwickelte Verhältnis zwischen Intelligenzen in seiner Selbstbestimmung und damit Bewußtsein ermöglichenden Leistung auf den Begriff gebracht. Die beiden zuvor unterschiedenen Funktionen des Begriffes der Forderung sind insofern nur eine einzige und ihre Trennung ist nur abstraktiv vorzunehmen. Zunächst betrifft die Vermittlung der Antinomie des Selbstbestimmungsaktes wohl speziell den "Gegenstand", bzw. das "Thema" des "Systems" und ermöglicht auf dieser Ebene einen Fortgang, während die Antinomie der Erklärbarkeit aus Selbstbestimmen auf den argumentativen Zusammenhang des "Systems" abzielt. Nun stellt das "System" in seiner ganzen Entwicklung jedoch den Versuch der adäquaten Thematisierung seines begründenden Sich-Wissens dar. Deshalb ist auch die Auflösung der zweiten Antinomie ein Schritt auf diesem Wege und somit der Begriff der Forderung als Vermittlung von Erklärbarkeit und Nichterklärbarkeit ein konstitutives Moment der Thematisierbarkeit des Selbstbewußtseins. Umgekehrt ermöglicht erst die vermittelnde Auflösung der ersten Antinomie den argumentativen Fortgang, indem sie den entwickelten Stand zu begreifen erlaubt und gerade damit über ihn hinausführt. Auf diese Weise gewinnt der das ursprüngliche Verhältnis zwischen Intelligenzen charakterisierende Begriff der Forderung bzw. des Sollens seine Bedeutung aus seiner Funktion für die zu entwickelnde adäquate Selbstthematisierung des Selbstbewußtseins, aus dem wiederum das gesamte "System" seine Dynamik und seine Begründung bezieht. Der Akt der Selbstbestimmung - damit die absolute Abstraktion und folglich der Beginn des Bewußtseins - kann also nun erfolgen, sobald das Ich "sich selbst reflektiert, sich im Spiegel einer andern Intelligenz erblickt" (542). Wir haben gesehen, daß Schelling diese Situation durch ein Verhältnis zwischen Intelligenzen charakterisiert, in dem sie durch Forderung und Sollen aufeinander "einwirken" (543).18 Dieses Aufeinandereinwirken geschieht somit "durch Freiheit" (543). Die so ermöglichte absolute Abstraktion aber ist jene
18 Wir können im Rahmen dieser Untersuchung vernachlässigen, daß es sich bei diesem Aufeinandereinwirken nicht um einen einzelnen Akt handeln kann, sondern nur um eine "fortgehende Einwirkung", die Schelling als "Erziehung" bezeichnet. Als "Bedingung des fortdauernden Bewußtseins" ist der Begriff der Erziehung in diesem Zusammenhang allerdings nicht unter »pädagogischen« Vorzeichen zu sehen (551).
V. Ethische Interpersonalität
189
Handlung, in der Begriff und Produkt, Subjektives und Objektives getrennt werden (vgl. 507). Damit wird mit der absoluten Abstraktion als einer Leistung in der Entwicklung der Selbstthematisierung des Sich-Wissens eine wichtige Differenzierung erreicht: mit dieser Handlung können wir die Objekte "als von uns verschieden" erblicken (507). Nach dem diskutierten Zusammenhang der absoluten Abstraktion mit dem Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" können wir jene Differenzierung bereits in eine enge Verbindung mit diesem Verhältnis bringen. Danach würde das freie Aufeinandereinwirken von Intelligenzen jenen Begriff darstellen, der mit der absoluten Abstraktion auch die Unterscheidung der Objekte "von uns" denkbar macht, indem mit ihm der Fortgang über die Antinomien dieser Abstraktion hinaus in Richtung auf die wissensbegründende Thematisierung des Sich-Wissens gemacht werden kann. Das Verhältnis Objektivität - "Intelligenz außer der Intelligenz" impliziert darüber hinaus aber noch einige Aspekte, die uns auf das Verhältnis Individualität - "Intelligenz außer der Intelligenz" zurückführen werden. Zunächst wird ein Zusammenhang zwischen dem deduzierten Verhältnis zwischen Intelligenzen und einer "gemeinschaftlichen Welt" (543) hergestellt. Offensichtlich wird damit beansprucht, einen Begriff von "intersubjektiv" identischer Objektivität geben zu können. Schellings Explikationen bleiben hier jedoch knapp und andeutend und nehmen überdies mehrere Argumente in Anspruch, deren Zusammenhang untereinander nicht unmittelbar klar erscheint. Zunächst wird der mit "Vorstellungen" verbundene Anspruch auf objektive Wahrheit auf die Übereinstimmung der Vorstellungen verschiedener Intelligenzen zurückgeführt, die uns "zwingt", eine objektive Wahrheit "zuzugestehen" (544) und zugleich die alleinige Ursache davon ist. Übereinstimmung zwischen Intelligenzen wird so als hinreichende und notwendige Bedingung für den Wahrheitsanspruch unserer "Vorstellungen" aufgefaßt. Im idealistischen Denkzusammenhang kann eine solche Übereinstimmung aber nicht durch ein "gemeinschaftliches Urbild der Vorstellungen" (543) erklärt werden. Was objektive Wahrheit ermöglicht und notwendig macht, ist also unsere "gemeinschaftliche Natur" (vgl. 544), und d.h. gemäß dem Argumentationsgang des "Systems" die interpersonale Identität der "Beschränktheit". Da mit der Beschränktheit die "Sphäre" der Vorstellungen prädeterminiert ist, so ist damit auch die Übereinstimmung der Vorstellungen erklärt (vgl. 544). Dieses erste Argument für die Übereinstimmung gewinnt seine Kraft offensichtlich aus deren Zusammenhang mit dem Anspruch auf objektive Wahrheit. Objektivität war zuvor über die Handlung der absoluten Abstraktion
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
auch in Verbindung mit dem Verhältnis zwischen Intelligenzen gesetzt worden. Die Relationen scheinen sich jedoch nicht zu decken. Sollte zunächst jenes Verhältnis ein Denkmittel zum Begreifen der Handlung der absoluten Abstraktion und damit auch der Trennung von Subjekt und Objekt sein, so ist es nun die Übereinstimmung (und nicht das bloße Verhältnis) zwischen Intelligenzen, die den Anspruch auf objektive Wahrheit möglich und nötig macht. Wenn wir auch Objektivität mit dem Anspruch auf objektive Wahrheit gleichsetzen können, so ist dies doch nicht mit der Übereinstimmung und dem bloßen Verhältnis von Intelligenzen möglich. Deshalb kann das bisher entwickelte Argument für das Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" nicht auf die Übereinstimmung ihrer Vorstellungen übertragen werden. Der Zusammenhang dieser Übereinstimmung mit dem Anspruch auf objektive Wahrheit bleibt von dieser Seite unexpliziert. Das zweite Argument für den Begriff einer gemeinschaftlichen Welt nimmt Bezug auf die Bestimmtheit einer Intelligenz, die auch "außer der Intelligenz" nur durch und aus ihr selbst entwickelt sein kann. Deshalb kann im Rahmen dieser Argumentationen keine Intelligenz anders bestimmt sein, als es im "System" im Prozeß der Selbstthematisierung des Sich-Wissens expliziert wurde. Somit muß die andere Intelligenz auch die gleiche Beschränktheit zeigen, und d.h. "unter denselben Bedingungen der Weltanschauung mit mir stehen" (543). Nun war die Unterscheidung Subjektivität - Objektivität erst mit der Handlung der absoluten Abstraktion in den Systemzusammenhang eingeführt worden. Aus dieser Handlung war das Verhältnis von Intelligenzen nur als eines von Forderung und Sollen entwickelt worden. Deshalb ist mit der Frage der Bestimmtheit der anderen Intelligenz, unter der die erste sie "anerkennen" (543) soll, ein Schritt über das bisher deduzierte Forderung/Sollen-Verhältnis von Intelligenzen hinaus getan. Zum dritten wird die gemeinschaftliche Welt direkt als Möglichkeitsbedingung eines Verhältnisses zwischen Intelligenzen, die durch Freiheit aufeinander einwirken können sollen, deduziert. Die gemeinschaftliche Welt stellt sich damit als "prästabilierte Harmonie" (543) der Vorstellungen dar. Auch hier geht die Begründung ein Stück über das bisher entwickelte Ergebnis hinaus. Ohne diese Harmonie nämlich hätten die Intelligenzen "nichts unter sich gemein" und hätten keinen "Berührungspunkt", "in welchem sie zusammentreffen könnten" (543). Daß Intelligenzen auf diese Weise "zusammentreffen" können müssen, war mit der bloßen Relation von Forderung und Sollen nicht explizit gegeben. Dennoch soll dieser Struktur die gleiche Dignität wie dem Forderung-Sollen-Verhältnis als Bedingung des Bewußtseins zukommen (544).
VI. Interpersonalität und Bestimmungsfahigkeit des Selbstbewußtseins
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VI. Die etbische Interpersonalität und die Bestimmungsfähigkeit des Selbstbewußtseins Als positives Ergebnis der Diskussion einer zu deduzierenden Gemeinschaftlichkeit der Welt der Intelligenzen läßt sich festhalten, daß die Relation zwischen Intelligenzen offenbar nicht in der Abstraktheit von Forderung/Sollen verbleiben kann, sondern einen objektivierenden Weltbezug strukturell in sich aufnehmen muß. Mit der absoluten Abstraktion war bereits ein Begriff von Objektivität entwickelt und auf das Intelligenzenverhältnis als seine Möglichkeitsbedingung bezogen worden. Jetzt sind Argumente für die Gemeinsamkeit dieser Objektivität für alle Intelligenzen gegeben worden, womit Objektivität und Intelligenzenverhältnis gleichermaßen näher bestimmt sind. Von daher stellt sich nun die Frage, in welchem Zusammenhang dieser
gemeinschaftliche Weltbezug steht zu jenem "Inbegriff der Objekte" (555), der in der Handlung der absoluten Abstraktion als Trennung von Subjekt und Objekt entstand. Dieser "Inbegriff" war zunächst wegen seiner Genesis aufs engste mit dem Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" verbunden. Diese Verbindung expliziert Schelling nun jedoch auch noch als ein Begründungsverhältnis eigener Art, das die interpersonale Identität der Objektivität argumentativ einschließt. Mit der bereits in den Zusammenhang des "Systems" aufgenommenen Struktur "Intelligenz außer der Intelligenz" soll nach dieser Argumentation auch ein begründeter - und weiter begründender - Begriff von interpersonaler Objektivität gefunden sein. Dieser Begriff wird aus zwei Momenten entwickelt. Zunächst entsteht die Vorstellung eines "Außer mir" ursprünglich durch die "Einwirkung" von anderen Intelligenzen (555). Darin scheint zunächst nichts neues zu liegen. Ein Begriff von anderen Intelligenzen war im "System" deduziert worden, um ein bestimmtes Problem auf dem Wege zur adäquaten Selbstthematisierung des Sich-Wissens zu lösen. Der Bezug auf Objektivität war darin bereits gegeben: der Begriff einer "Intelligenz außer der Intelligenz" löste Probleme mit der Denkbarkeit des Selbstbestimmens, das als absolute Abstraktion gerade die Handlung der Unterscheidung von Subjektivität und Objektivität war. In diesem Zusammenhang war der Begriff eines Intelligenzenverhältnisses jedoch aus systernischen Gründen auf den Zusammenhang von Forderung/Sollen beschränkt. Nunmehr wird der Begriff des "außer mir" jedoch präzisiert durch eine Bestimmung, die unmittelbar keine Verbindung zur Struktur von Forderung und Sollen aufweist. Das ursprüngliche "außer mir" nämlich ist durch eine Anschauung außer mir gegeben (555). Wenn Objekte die Auszeichnung ihrer
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
von mir unabhängigen Existenz darin haben, "daß sie auch dann existieren, wenn ich sie nicht anschaue" (556), ein Objekt außerhalb jeder Anschauung im Zusammenhang des "Systems" jedoch keinen sinnvollen Begriff darstellen kann, so kann gerade die Anschauung außer mir der Begriff sein, mit dessen Hilfe sich Objektivität verstehen läßt. Schelling schließt deshalb: "Die einzige Objektivität, welche die Welt für das Individuum haben kann, ist die, daß sie von Intelligenzen außer ihm angeschaut worden ist" (556). Nun war ein Begriff von Objektivität zunächst in der Handlung der absoluten Abstraktion erreicht worden, in der die Subjektivität sich als begreifende vom begriffenen Objekt unterscheidet. Das damit zu denkende Selbstbestimmen verband sich mit dem durch Forderung/Sollen charakterisierten Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz". Jetzt ist Objektivität bestimmt als Anschaubarkeit durch andere Intelligenzen. Das wirft zunächst die Frage auf, ob und wie das Verhältnis Forderung/Sollen mit dem Begriff der Anschauung außer mir zusammenhängt. In beiden Fällen wird ein Begriff des Verhältnisses zwischen Intelligenzen gegeben, und in beiden Fällen wird daraus ein Begriff von Objektivität begründet. Wir haben bereits darauf hingewiesen, wie verschieden sich diese Begründungszusammenhänge darstellen. Die Verschiedenheit betrifft dabei nicht nur die "sachlichen" Verhältnisse, sondern ebenso die systemischen Argumentations- und Entwicklungszusammenhänge. Aus dem Charakter des "Systems" als Prozeß der Selbstthematisierung des Sich-Wissens ergibt sich jedoch wiederum, daß diese Trennung nur äußerlich vorgenommen werden kann. Deshalb kann die Untersuchung des Zusammenhanges der beiden Charakterisierungsweisen von "Intelligenz außer der Intelligenz" und der entsprechenden Begründungen von Objektivität sich auf die argumentationslogische Entwicklung beschränken. Der nun in der ausgearbeiteten Richtung weiter zu untersuchende Zusammenhang des Verhältnisses von Intelligenzen mit dem "Bewußtsein der Freiheit" und dem "Bewußtsein der objektiven Welt" (556) führt zurück auf jenes Thema, mit dem wir unsere Darstellung begonnen hatten und dessen Relation zu dem im "System" entwickelten Begriff eines Verhältnisses von Intelligenzen eine entscheidende Bedeutung für die Klärung des letzteren zukommt: die Individualität der Intelligenz. Wir können dazu an den Begriff der Anschauung außer mir anknüpfen, die als Ausgangspunkt eines Bewußtseins von Objektivität eingeführt worden war. Diese fremde Anschauung wird wenigstens ansatzweise so deduziert, daß eine Verbindung von ihr zum ursprünglichen Intelligenzenverhältnis von Forderung
VI. Interpersonalität und Bestimmungsfähigkeit des Selbstbewußtseins
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und Sollen hergestellt werden kann. Die Intelligenz wird nämlich auf die Anschauung außer ihr "getrieben" nur durch eine ausgezeichnete Art von Produkt: das Kunstprodukt (Artefakt) (554). Erst und nur darin geschieht ein Umschlag von meiner Anschauung zu einer fremden. Diese andere Anschauung aber kann gerade nicht angeschaut werden. Wenn das Artefakt aber von der fremden Anschauung her bestimmt ist, so muß sich die Anschauung eines Artefaktes in sich aufheben, indem sie sich darin zu einer fremden Anschauung verhält. Nur auf diese Weise verhält sie sich angemessen zu ihrem Gegenstand. 19 Daß gerade das Kunstprodukt ein solches Verhalten erfordert, sieht Schelling mit seinem besonderen Charakter gegeben: es drückt den "Begriff eines Begriffs" (554) aus. Mit diesem Terminus bezeichnet Schelling einen Zusammenhang, in dem ein Objekt so durch einen Begriff bestimmt ist, daß dessen Bestimmtheit nicht durch den konstituierenden Objektbezug erschöpft ist, sondern darüber hinausgehend einen Bezug zu einem anderen Objekt impliziert. Insofern diese Bestimmungsweise als Mittel-Zweck-Relation charakterisiert werden kann, ist der Begriff des Begriffs der Begriff eines Zweckes außer dem Objekt (553). Diese "Zweckhaftigkeit" erfüllt nun in diesem Sinne allein das Artefakt, das ist, was es ist, weil es unter einem Begriff dazu gemacht wurde. In diesem Zweck aber liegt eo ipso der Bezug auf eine andere Intelligenz - nur sie ist "des potenzierten Begriffs fähig" (554). Das Artefakt ist deshalb jenes Objekt, in dem die Tätigkeit anderer Vemunftwesen "durch Objekte fixiert oder dargestellt ist" (555). Diese Tätigkeit ist nun der unsichtbare ideelle Widerstand, der solche Objekte meiner Verfügung entzieht. Gerade dieser Widerstand ist es, durch den die zugleich ideelle und produzierende Tätigkeit in sich reflektiert wird. Mit dieser Reflexion wird eben jenes Verhältnis erreicht, auf dem das Wollen beruht: der gedoppelte Gegensatz zwischen der ideellen Tätigkeit auf der einen Seite und der ideellen und reellen auf der anderen Seite (553). Der "unsichtbare Widerstand" (555) nämlich, der das Artefakt charakterisiert, hebt meine Freiheit gegenüber einem solchen Objekt keineswegs auf. Nur mit dieser Freiheit bleibt die Differenz zwischen dem Objekt und seinem Begriff erhalten, die die Zweckhaftigkeit als Begriff des Begriffs ausmacht. Genau die Vereinigung von ideeller Widerständigkeit und
19 Dieser Aspekt wird in der Literatur zu Schellings Kunstphilosophie durchgehend vernachlässigt; vgl. etwa B.Barth, Schellings Philosophie der Kunst. Göttliche Imagination und ästhetische Einbildungskraft, FreiburglMünchen 1991.
13 Römpp
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Freiheit gegenüber dem Objekt "nötigt" mich aber "zu einem Entschluß, d.h. zur Selbsteinschränkung" (555). Deshalb ist das Artefakt dasjenige Objekt, in dem die Tätigkeit anderer Vernunftwesen dazu dient, "mich zur Selbstbestimmung zu bestimmen" (555). Der Anfang des Bewußtseins in der absoluten Abstraktion als Selbstbestimmen führte als Bedingung seiner Denkbarkeit zum Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" in der Struktur von Forderung und Sollen. Jetzt ist eine bestimmte Klasse von Objekten in diese Struktur eingefügt worden, und zwar so, daß Artefakte das Forderung/Sollen-Verhältnis in Objekten darstellen. Damit ist dieses Verhältnis selbst objektiv geworden. Wenn es gerade das Artefakt ist, das die Intelligenz zu einer Anschauung außer ihr treiben kann und muß, so ist diese fremde Anschauung nun auf bestimmte Weise auf ein Forderung/Sollen-Verhältnis zurückbezogen. Ein solcher Bezug kann hergestellt werden aufgrund der Strukturparallele der Verhältnisse Forderung/Sollen und ideelle Widerständigkeit/Freiheit betreffend das Artefakt. Beidemale kommt der Intelligenz ein Anspruch entgegen, dem sie entsprechen oder dem sie sich verweigern kann. Auf ein solches Anspruchsverhältnis ist zum einen die Bestimmtheit jener Objektivität zurückgeführt, die als Artefakt der Intelligenz vorkommen muß. Ihre Bestimmtheit verweist konstitutiv auf eine andere Intelligenz und enthält damit eine ideelle - nicht natürliche - Widerständigkeit gegenüber AndersBestimmung, die als Anspruch ausgelegt werden kann. Zum zweiten wird über diese Objektivität des Artefaktes auch die in der fremden Anschauung gegründete Objektivität der Welt überhaupt von einem Anspruch der Intelligenz gegen die Intelligenz abhängig gemacht. Darüber hinaus war zum dritten auch die Trennung Subjekt-Objekt in der absoluten Abstraktion als Selbstbestimmen mit einem Anspruchsverhältnis als seiner Denkbarkeitsbedingung verbunden hier in der näheren Auszeichnung als Konstellation von Forderung und Sollen. Der Anspruch auf Bestimmt-sein-Iassen, den das Artefakt durch seinen Bezug zu fremder Intelligenz an mich stellt, nötigt nun eodem actu zu Selbstbestimmung und Selbsteinschränkung (vgl. 555). Damit ist diese ausgezeichnete Art von Objekten auch die "Vergegenständlichung" eines Verhältnisses von Individualität und Sozialität. Deshalb erreichen wir mit dem Artefakt den zweiten Begriff von Individualität nach der Beschränkung durch die organische Existenz: die Beschränkung durch "das Handeln selbst" (549). Diesen Zusammenhang diskutiert Schelling zunächst als Antwort auf ein weiteres Problem, das sich aus dem deduzierten Verhältnis "Intelligenz außer
VI. Interpersonalität und Bestimmungsfähigkeit des Selbstbewußtseins
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der Intelligenz" ergeben hatte. Es stand in Frage, "wie denn jene Forderung einer Intelligenz außer ihm an das Ich gelangen könne", bzw. "wie denn überhaupt Intelligenzen aufeinander einwirken können" (543). Eine erste Bedingung dieser Möglichkeit war mit der prästabilierten Harmonie "in Ansehung der gemeinschaftlichen Welt" (543) abgeleitet worden. Wir haben diesen Begriff einer "Übereinstimmung in den Vorstellungen verschiedener Intelligenzen" (544) bereits diskutiert. Nun gerät diese Übereinstimmung zwischen Intelligenzen offensichtlich in Konflikt mit der bereits zuvor deduzierten Organizität der Intelligenz, durch die sie sich in der Entwicklung der dritten Beschränktheit individualisiert. Diesen Konflikt behandelt Schelling nun so, daß sich daraus wichtige Aufschlüsse über den Status organischer Individualität und deren Zusammenhang mit der Beschränktheit durch das Handeln selbst ergeben; darüber hinaus wird die Beziehung Individualität - "Intelligenz außer der Intelligenz" weitere Klärung erfahren. Die Organizität der Intelligenz war abgeleitet worden als ein Schritt auf dem Wege zur adäquaten Selbstthematisierung des Sich-Wissens. Das organische Individuum und sein Dasein in einer bestimmten Zeit bezeichneten aus diesem Grunde eine Stufe des Für-sieh-werdens. Mit diesem so deduzierten Begriff wird deshalb eine bestimmte Art von "Selbstanschauung" formuliert, nämlich "insofern sie eine durchgängig bestimmte ist" (547). Nun ist die Intelligenz aber auf jeder Stufe die "Fortsetzung" jener Handlung des Selbstbewußtseins, in der ursprünglich der Begriff des Ich entsteht. Dieser ganze Prozeß ist geprägt durch die Dialektik zwischen objektivierender Thematisierung und Zurücknahme jeder fixierten Selbstanschauung in die Unbestimmtheit des bloßen Für-sieh-seins. Deshalb ist das mit der Organizität geschehene "Setzen meiner Individualität" als Selbstanschauung in Bestimmtheit identisch mit der "Negation einer gewissen Tätigkeit" (545). Darin beschränkt das Sich-Wissen in seiner Unendlichkeit sich selbst. Weil die organische Individualität so im Zusammenhang des "Systems" eine deduzierte - und damit notwendige - Weise des Selbstverständnisses der Intelligenz ist, deshalb kann Schelling auch von einer "Synthesis meiner Individualität" sprechen (546). Deshalb sind mit der Organizität der Intelligenz als einer Leistung der SelbstEinschränkung eo ipso "Grenzpunkte meiner freien Tätigkeit" gesetzt (547). Wird mit der Selbstanschauung als organisches Individuum aber der Kreis der möglichen Tätigkeiten als beschränkt angesehen, so ist demzufolge auch der Kreis des bewußten und freien Handeins in Grenzen gesetzt. Damit aber ist nicht nur die Beschränktheit der Individualität, sondern ebenso auch die Beschränktheit der Freiheit ursprünglich nur dadurch gesetzt, "daß die Intelligenz 13'
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
genötigt war, sich als organisches Individuum anzuschauen" (552). Gemäß dem Entwicklungs- und Argumentationsgang des "Systems" ist auf diese Weise nun auch ein höheres Verständnis des Status organischer Individualität erreicht. Es ist begriffen, daß Individualität - auch in ihrem organizistischen Selbstverständnis - selbst einen "Akt der Freiheit" darstellt, der eine "ursprüngliche Negation der Freiheit" (580) setzt. Damit ist der Begriff der Organizität der Intelligenz neu gewonnen als selbstgesetzte und deshalb freie Selbsteinschränkung der Freiheit. Gerade deshalb ist die organische Individualität nun aufs engste mit dem Verhältnis "Intelligenz außer der Intelligenz" verbunden. Ist die Selbsteinschränkung nämlich eine freie, so ist es mir damit unmöglich gemacht, "alles zu wollen" (547). Dies aber ist nach den vorangegangenen Ausführungen dann und nur dann denkbar, wenn jene "Grenzpunkte meiner freien Tätigkeit" "andere freie Tätigkeiten, d.h. Handlungen von Intelligenzen außer mir" (547) sind. In ihrem organischen Charakter ist die Intelligenz natürlich unfrei und tritt damit nicht in eine Beziehung des Nichthandelns zu anderen Intelligenzen. Im Charakter der Individualität des Organischen jedoch hat die Selbstanschauung in sich eine konstitutive Relation zu anderen organischen Individuen entwickelt. Diese Relation wird in Schellings Begriff der zur organischen Individualität gehörigen "Grenzpunkte meiner freien Tätigkeit" (547) reflektiert. Die Individualität - und in diesem Sinne zunächst die Organizität der Intelligenz ist VOn dieser Seite nun als Komplement des Verhältnisses zwischen Intelligenzen bestimmt. Offenbar ist der tragende Begriff dafür auf beiden Seiten das Wollen und die Möglichkeit seiner Einschränkung. Zuvor war das Intelligenzenverhältnis durch die Struktur VOn Forderung und Sollen bestimmt worden. Wir hatten gesehen, daß auch die Objektivität, die in dieses Verhältnis gehört, nach allen Seiten konstitutiv mit einer Anspruchsrelation verknüpft war. Eben diese Relation ist es nun auch, die Individualität als Selbsteinschränkung des Wollens möglich macht und damit den Zusammenhang VOn organischer Individualität in ihrem Charakter der Selbstbeschränkung von Handlungsmöglichkeiten mit dem Verhältnis zwischen Intelligenzen herstellt. Da sich dieses Verhältnis aber als Begründungsbasis für die Gemeinschaftlichkeit der Welt gezeigt hatte, so muß sich damit auch die zunächst problematisch erscheinende Beziehung dieser Gemeinschaftlichkeit mit der Individualität der Intelligenz aufklären.
VII. Die Bestimmtheit der Freiheit
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VII. Die Bestimmtheit der Freiheit durch das Verhältnis von Forderung und Sollen Das Wollen in seiner Freiheit ist in Schellings Verständnis nur einschränkbar durch ein Sollen, d.h. durch die freie Antwort auf eine Forderung anderer Intelligenzen. Nur in dieser Relation verbleibt nämlich dem Wollen als Selbstbestimmen sein genuiner Charakter: durch eine Forderung wird die Einschränkung zwar erklärt, wenn sie geschieht, aber sie muß deshalb nicht geschehen (vgl. 542). Deshalb bleibt mit diesem Begriff der Intelligenz jene Freiheit bewahrt, die ihr Wollen und dessen Einschränkbarkeit konstituiert. In diesem Sinne ist es zu verstehen, daß ich die "Negation einer gewissen Tätigkeit" in mir unmittelbar anschauen muß "als Tätigkeit einer Intelligenz außer mir" (545). Offenbar muß dies nun auch gelten für jene Beschränktheit des Wollens, die die Intelligenz in ihrem Prozeß der Selbstthematisierung mit ihrer Selbstauffassung als organisches Individuum sich selbst zuschreibt. Auch hier kommen wir wieder zurück auf jenes merkwürdige Als-ob-Verhältnis, das die Relation zwischen Intelligenzen bestimmte. Aus der Forderung/Sollen-Relation ist zu verstehen, daß es zur Beschränkung des Wollens zwar der Setzung bestimmter Handlungen anderer Intelligenzen bedarf, aber ohne daß besondere Einwirkungen auf mich geschehen müßten. Der Möglichkeit einer Einwirkung nämlich in der Sphäre freier Handlungen - ist die Intelligenz nur "durch "Negationen ihrer eignen Tätigkeit hingegeben, und gleichsam geöffnet" (546). Nichtsdestoweniger ist diese Negation eine "geforderte" und setzt deshalb die fremde Intelligenz als anerkannte voraus. Obwohl ich also in den Einwirkungen anderer Intelligenzen nur "die ursprünglichen Schranken meiner eignen Individualität erblicke", muß ich die anderen Intelligenzen als unabhängig von mir existierend anerkennen (550). Damit kommt die Forderung also nicht aus einem leeren Raum, sondern stets von einem bestimmten anderen Individuum. Zu dessen Bestimmtheit gehört offensichtlich auch diejenige seiner Vorstellungen. Die hier in Frage stehende Bestimmtheit ist nun eine ganz spezifische, da sie genau dem Als-ob-Verhältnis bzw. der Forderung/Sollen-Relation entspricht. Einerseits wird der andere für mich ursprünglich ein bestimmter durch seine Forderung. Eben deshalb liegt der Grund dieser Bestimmtheit nur "in seiner freien Selbstbestimmung" (548). Also ist er bestimmt nur durch seine Individualität. Andererseits aber wird die Forderung nur als Komplement meines Sollens zu einer solchen. In dieser Komplementarität ist es die Beschränktheit des eigenen HandeIns, die der Handlung des anderen erst ihre Bestimmtheit gibt. Deshalb liegt seine
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E. Das Verhältnis von Forderung und Sollen
Bestimmtheit ebenso in der Selbstbeschränkung meines Wollens, d.h. in meiner freien Selbstbestimmung und damit letztlich in meiner Individualität. Genau mit diesem Verhältnis soll nun das Problem der Vereinbarkeit von Individualität und Gemeinsamkeit der Weltanschauung seine Auflösung finden. Diese Gemeinsamkeit stellt sich als "prästabilierte Harmonie" dar (544), die eine Gemeinschaft zwischen Intelligenzen bei Bewahrung ihrer Individualität denken läßt. Damit ist auch jene prästabilierte Harmonie von Vorstellungen in ihrer Möglichkeit erwiesen, die als Begriff einer gemeinschaftlichen Welt von Intelligenzen entwickelt worden war. Der Charakter dieser gemeinschaftlichen Welt reflektiert nun genau jenes ursprüngliche Verhältnis von Intelligenzen, das wir zu Beginn unserer Untersuchungen in dem Begriff eines Als-ob-Verhältnisses formuliert hatten. Da diese Struktur aber die Relation "Intelligenz außer der Intelligenz" grundlegend charakterisiert, so sind damit auch Schellings weitere Argumente für die Gemeinsamkeit der Welt der Intelligenzen vor diesem Hintergrund zu sehen. Weil die Gemeinsamkeit eine von Intelligenzen ist, deshalb kann sie nur im Einklang mit der Struktur von deren Verhältnis verstanden werden. Daß die Welt eine gemeinsame sein muß, war als Möglichkeitsbedingung des Aufeinandereinwirkens von Intelligenzen abgeleitet worden. Deshalb ist die nun begründete Harmonie der Welt von Individuen, die ihnen gerade ihre Individualität bewahrt, als Näherbestimmung dieser Gemeinsamkeit eine Bedingung des durch Forderung und Sollen bestimmten Verhältnisses von Intelligenzen. Wenn wir unsere Erörterungen resümieren, so können wir Schellings zentralen Gedanken, der ihn zu einem philosophischen Begriff von Sozialität führt, in der systemischen Notwendigkeit sehen, dergemäß die Intelligenz selbst "zur Individualität sich beschränken" muß (633). Mit dieser Beschränkung nämlich ist bereits "das Dasein und die Einwirkung anderer Vernunftwesen auf die Intelligenz" gesetzt (552). Mit dieser Setzung aber ist auch "die Freiheit, das Vermögen auf das Objekt zu reflektieren, seiner selbst bewußt zu werden, und die ganze Reihe der freien und bewußten Handlungen zum voraus bestimmt" (552). Daraus wird verständlich, daß im Zusammenhang des "Systems" die Begrenztheit der Individualität gerade "der synthetische Punkt, oder der Wendepunkt der theoretischen und praktischen Philosophie" ist (552). Im Rahmen der Systemargumentation ist damit die praktische Philosophie gerade aus den Problemen der theoretischen Philosophie entwickelt. Deshalb ist der Schellingsche Begriff von Sozialität in ihrem Zusammenhang mit Individualität
Vll. Die Bestimmtheit der Freiheit
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nicht speziell der praktischen Philosophie zugeordnet; vielmehr wird die praktische Philosophie aus dem theoretisch deduzierten Verhältnis von Individualität und Sozialität entwickelt. Diese Entwicklung beruht zum guten Teil auf dem systemischen Zusammenhang der beiden Seiten der Realisierung der Individualität, d.h. der Organizität und der Selbstbeschränkung im Handeln. Mit der Relation von Forderung und Sollen entwickelt Schelling das Verhältnis von Intelligenzen so aus dem Prozeß der Selbstthematisierung des SichWissens, daß dieses Verhältnis seine Fundierung in der Individualität nicht verliert, ohne jedoch das Individuum als Basis voraussetzen zu müssen. Damit scheint die grundlegende Schwierigkeit eines philosophischen Versuches einer Theorie der Sozialität vermieden werden zu können. Eine solche Theorie müßte einen Begriff des anderen Bewußtseins - bzw. der anderen Intelligenz - aus dem Selbstverhältnis der Intelligenz begründet entwickeln und in dieser Begründung gerade den Absprung aus dem Selbstverhältnis finden. Nun wird im "System des transzendentalen Idealismus" der Begriff von Sozialität zwar auf dem Weg zur adäquaten Thematisierung des Sich-Wissens entwickelt und transzendiert insofern nicht das Selbstverhältnis der Intelligenz. Weil er so entwickelt wird, ist er begründet in das System der Selbstverständigung des Sich-Wissens aufgenommen. Aufgrund der selben Entwicklung weiß das Ich jedoch, daß es sich nur dann adäquat verstehen kann, wenn es sich als Individuum unter Individuen versteht. Eben dies ist nun gleichbedeutend mit einem Selbstverständnis als in einem durch Forderung und Sollen strukturierten sozialen Kontext stehend. Insofern ist es gerade der Begriff der Individualität, der es Schellings Deduktion von Sozialität ermöglicht, die genannte Schwierigkeit zu überwinden, indem mit ihm der Absprung aus dem reinen Selbstverhältnis argumentativ im reinen Selbstverhältnis aufgewiesen wird. Nach unseren Interpretationen können wir nun zusammenfassend sagen: das Ich kommt nur dann zu einem angemessenen Selbstverständnis, wenn es sich als Individuum ethisch versteht. Daß die Individualität - ebenso wie die Sozialität - nur zur "Erscheinung" gehört (vgl. 590), verändert ihre Bedeutung nun durchaus nicht. Das reine Ich nämlich, das als solches das nicht-individuelle Gemeinsame aller Intelligenzen ist (vgl. 374 und 572), ist dies nur um den Preis absoluter Bestimmungslosigkeit. Im Versuch, daraus einen Begriff des Wissens zu entwickeln, und d.h. das Ich zum Thema zu machen, wird gerade im Versuch der Thematisierung Bestimmtheit gewonnen, die durch das argumentative Fortschreiten zu Individualität und Sozialität über die Konstellation von Forderung und Sollen als Bestimmtheit aus Freiheit gedacht wird.
F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung des Selbst in der Anerkennung des Anderen: Hegels Entwicklung des praktischen Grundverhältnisses I. Von der Konzeption ethischer Interpersonalität zur praktischen Verfassung der reinen Struktur eines Selbstbewußtseins Kant konnte es aus Gründen der internen Logik seiner theoretischen Philosophie nicht gelingen, dem Ich der transzendentalen Apperzeption eine Aufklärung mit theoretisch begründetem Status zu verschaffen und mußte deshalb seine Moralphilosophie weitertreiben bis zur Beschreibung des praktischen Subjekts als des Selbst im Status der ,.Eigentlichkeit«, das aufgrund seiner ethischen Selbstbestimmung der intelligiblen Welt angehört und sich damit als vollständig verständlicher und sich selbst durchsichtiger Selbstbezug ausweisen konnte. Fichte und Schelling konnten die dem Selbstbewußtsein notwendig zugehörende Selbstbestimmung nur verständlich machen, indem sie in einem konsistenten Entwicklungsgang von der Identität des Ich = Ich ausgehend die theoretische Philosophie bruchlos in die praktische überzuführen versuchten. Während Fichte hier jedoch noch den Anspruch einer Weiterentwicklung der theoretischen zur praktischen Philosophie erhob, gestand Schelling den Hiatus zwischen Theorie und Praxis zwar ein, beanspruchte jedoch, gerade das ,.Abreißen« der theoretischen Philosophie führe zum Übergang in die praktische Philosophie, die auf diese Weise durch die Bestimmtheit des Defizits der ersteren selbst den Status einer notwendigen Fortsetzung des Systems gewinnt. Kant, Fichte und Schelling stimmten darin überein, daß der Ursprung der Verständlichkeit der Welt im Wissen von sich selbst hinsichtlich der implizierten Selbstbestimmung nur mit Mitteln der praktischen Philosophie aufgeklärt werden kann. Fichte hatte sich in seinem Denken aufs engste an Kants Ethik der kategorisch-imperativischen Maximenbestimmung angeschlossen und diese in einen konsistenten Zusammenhang mit der aus dem Ich = Ich entwickelten theoretischen Philosophie zu bringen gesucht - dies mit dem Bewußtsein, ein Defizit der Kantischen Philosophie behoben zu haben, in der theoretisches und praktisches Denken nur über die Explikation des Ichs der transzendentalen Apperzeption durch das der Sphäre der Intelligibilität
I. Ethische Interpersonalität und praktische Verfassung
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angehörende eigentliche Selbst miteinander vermittelt werden konnten, nicht aber in einen notwendig fortschreitenden Entwicklungsgang aus dem Wissen von sich selbst gebracht worden waren. Es war erst Schelling, der die Erhellung des Selbstbewußtseins durch die ethische Selbstbestimmung innerhalb des nur aus der problematischen Struktur des Bewußtseins von sich selbst voranschreitenden Entwicklungsgangs um das Element eines Zusammenhangs von Individualität und Interpersonalität erweiterte, woraus eine Konzeption von Ethik in die Aufklärung des Selbstbewußtseins eingefügt wurde, die das Verhältnis von Forderung und Sollen als ethisches Grundverhältnis auszeichnete. Auch Kant und Fichte hatten Ethik nicht als solipsistisches In-sieh-Handeln des Selbstbewußtseins verstanden, sondern den interpersonalen Bezug als integralen Bestandteil einer ethischen Handlungsorientierung aufgefaßt. In ihren Denkzusammenhängen hatten sie den interpersonalen Aspekt jedoch nicht in die Entwicklung der Verständlichkeitsbedingungen des Selbstbewußtseins aus diesem selbst eingefügt. Fichte hatte diesen Aspekt durch eine eigene Philosophie der Interpersonalität seinem Denken hinzugefügt, wodurch Interpersonalität erst recht als ,.Aspekt« und nicht als integraler Bestandteil der Struktur des Selbstbewußtseins zum Ausdruck gebracht wurde. Schwieriger verhält sich die Lage bei Kant. Dies schon deshalb, weil von ihm schon das eigentliche Selbst der in der Ethik eröffneten Dimension der Intelligibilität nicht explizit in einen Entwicklungszusammenhang mit dem Ich der transzendentalen Apperzeption gebracht worden war, obwohl die beiden Konzepte aus ihrer eigenen Logik aufeinander verweisen. Die Lage wird hier jedoch noch komplizierter, wenn die Transformierbarkeit des kategorischen Imperativs in die Selbstzweckformel berücksichtigt wird, derzufolge eine kategorische - und nicht hypothetische - Handlungsorientierung gleichbedeutend ist mit einer Handlungsweise, die sich an einer Auffassung fremder Personen als Zwecke an sich selbst orientiert. Die Universalität einer Maxime ist demnach gleichbedeutend mit einem Gehalt, der die Selbstzweckhaftigkeit fremder Personen in die Handlungsbestimmung aufnimmt. Insofern impliziert Kants Ethik von vornherein und aus ihrem eigensten argumentativen Kern doch ein Verhältnis von Interpersonalität. Dieses Verhältnis gewinnt allerdings keinen Stellenwert in der Entwicklung der theoretischen Philosophie, außer vermittelt über die Explikation des Ichs der transzendentalen Apperzeption durch das in der ethischen und damit intelligiblen Dimension erreichte ,.eigentliche« Selbst, das über seine Herkunft aus der kategorischimperativischen Maximenbestimmung und deren Identität mit einer Ausrichtung
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der Handlungsmaximen an der Selbstzweckhaftigkeit fremder Personen selbst einen Status gewinnt, der die Achtung fremder Personalität in seine Eigentlichkeit integriert. Wenn dieser Zusammenhang beachtet wird, den Kant allerdings nicht explizit ausgearbeitet hat, so gehört auch in Kants Denken ein Element von Interpersonalität in die Struktur, die das Wissen von sich selbst verständlich macht und damit jenes Konzept erläutert, das die Verständlichkeit der Welt garantieren soll. Nichtsdestoweniger war es doch erst Schelling, der die ethische Explikation des Selbstbewußtseins in Gestalt des Verhältnisses von Forderung und Sollen im Ausgang von Individualität und Sozialität in der Form ethischer Interpersonalität direkt in den Entwicklungsgang jener Konzepte einfügte, die das Selbstbewußtsein und seine absolute Selbstbestimmtheit zur Verständlichkeit bringen, und die damit vermittelt über das Bewußtsein von sich selbst jene Begriffe darstellen, die es uns erlauben, die Verständlichkeit der Welt begreifen zu können. Das fundamentale Problem dieses Gedankengangs ergibt sich jedoch gerade aus dieser Besonderheit der Entwicklung der Struktur des Selbstbewußtseins. Der interpersonale Charakter dieser ethischen Explikation des Selbstbewußtseins ist zum einen Resultat aus vorangegangenen Auseinanderlegungen des Wissens von sich selbst und wird zum anderen zu einem haltbaren Gedanken nur durch die folgenden Begriffsentwicklungen, die ihn in das ,.System« einfügen, das seinen einzelnen Elementen ihre Wahrheit nur durch seine eigene Vollständigkeit verleiht. Die ethische Interpersonalität gewinnt ihren Status in Schellings Denken also nur als Teil der Entwicklung des Selbstbewußtseins, die dieses Konzept sinnvoll und verständlich machen. Es ist jedoch keine Interpersonalität gemeint, die das Selbstbewußtsein unmittelbar tangieren würde, indem die Absolutheit des Sich-Wissens damit selbst ein interpersonales Verhältnis in sich aufnehmen müßte. Die interpersonale Begrifflichkeit wird in die Explikation des Selbstbewußtseins erst als Folge und Konsequenz der Entwicklung anderer Konzepte eingeführt, denen jene Begrifflichkeit Sinn verleihen muß, wie sie selbst nur durch das Fortschreiten zum Verhältnis von Forderung und Sollen Sinn gewinnt. Es war erst Hegel, der das Unternehmen in Angriff nahm, das Wissen von sich selbst verständlich zu machen durch eine Explikation, die direkt aus seiner Struktur ein Verhältnis entwickelte, die er als ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« bezeichnete. Offensichtlich ist damit nicht der Gedanke von Individualität und Sozialität wiederholt, der Schelling zu seiner Konzeption einer ethischen Interpersonalität in der Struktur von Forderung und Sollen führte. Daß ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein sei, dies ist bei
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Hegel eine Forderung, die sich unmittelbar als Explikation des Wissens von sich selbst ergibt, und die deshalb ohne begrifflich-explikative Vermittlung die Struktur darstellt, aufgrund derer das Selbstbewußtsein verständlich werden kann. Das Problem, das mit diesem Gedanken seine Auflösung finden soll, ist jedoch immer noch das gleiche, an dem Fichte und Schelling explizit arbeiteten und das Kant implizit mit dem Konzept des ,.eigentlichen Selbst« in der Dimension der Intelligibilität traktiert hatte: die absolute Bestimmungslosigkeit des Selbstbewußtseins so in eine Bestimmtheit zu überführen, daß das Konzept verständlich und zu einem Thema philosophischer Arbeit werden kann, ohne es jedoch als solches zu dementieren und Verzicht auf seine Fähigkeit zu leisten, aus ihm die Verständlichkeit der Welt einsehen zu können. I Nun unterscheidet sich die HegeIsche Lösung dieses Problems durch den Gedanken, daß ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein sein müsse, insofern nicht von Schellings Explikation des Selbstbewußtseins, als auch mit dieser Lösung nicht das Ende der Entwicklung der Selbstbewußtseinsstruktur erreicht ist, von dem her erst alle einzelnen Konzepte ihre Auszeichnung als solche erhalten, die allein in der Lage sind, das Wissen von sich selbst als ein sinnvolles und verständliches Konzept zu verdeutlichen und damit seine Leistungsfähigkeit einer Aufklärung der Verständlichkeit der Welt zu beglaubigen. Hegel führt den Gedanken ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« bekanntlich weiter bis zum Gedanken des ,.absoluten Wissens", mit dem die Phänomenologie endet und die Wissenschaft der Logik beginnt. Erst das absolute Wissen ist also jene Konzeption, mit der die Strukturexplikation des Selbstbewußtseins endet, und von dem her damit auch der Gedanke ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« seine Legitimation und seinen Status innerhalb des Entwicklungsgangs der Phänomenologie erhält. Dies dementiert aber natürlich nicht die Bedeutung des Übergangs vom Selbstbewußtsein zu jenem Gedanken - gerade nur dann, wenn dieser Übergang auch für sich einsichtig ist, kann er die Entwicklung so weiterführen, daß er vom Resultat im ,.absoluten Wissen« her seine Rechtfertigung erhält. Jedoch wird mit der Explikation des Selbstbewußtseins durch die Struktur »ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« für sich genommen keine ethische Konzeption verbunden, wie dies bei Schelling im Übergang von
1 Vgl. zu dieser Problemlage bei Hegel die Ausführungen von U.Schlösser, Hegel: Grundlegung der Kategorien für eine Theorie des Selbstbewußtseins, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44/1996, S. 447-473.
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Individualität und Sozialität zur Konstellation von Forderung und Sollen der Fall war. Jedenfalls handelt es sich nicht um eine Ethik, die eine Struktur von Forderung und Sollen impliziert, oder gar angibt, wie wir handeln sollen, um dieser Struktur zu entsprechen. Dennoch ist auch mit Hegels Konzeption die theoretische Explikation des Selbstbewußtseins bzw. der besonderen Weise seiner Selbstbestimmung verlassen. Das Selbstbewußtsein, das ein anderes Selbstbewußtsein als das andere seiner selbst benötigt, um es selbst zu sein, hat keinen theoretisch beschreibbaren Gegenstand »fremdes Selbstbewußtsein« vor sich. Es findet ihn nur im Handeln als sein Gegenüber, und dieses Handeln kann keine Poiesis sein, sondern muß notwendig als Praxis gedacht werden, soll das fremde Selbstbewußtsein nicht gerade in dem Status dementiert werden, in dem es dem Selbstbewußtsein erlaubt, eben ein solches zu sein. Wäre das fremde Selbstbewußtsein im poietischen Verhältnis für das Selbstbewußtsein, so würde das letztere hypothetisch auf es handeln und es damit gerade nicht als Selbstbewußtsein, sondern als Gegenstand behandeln. Nur im praktischen - also nicht-hypothetischen - Verhältnis kann die Relation »ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« überhaupt als realisiert gedacht werden. Es ist dieses im Gedanken »ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« implizierte praktische Verhältnis, das es berechtigt und erfordert, auch Hegels Explikation des Selbstbewußtseins im Zusammenhang der Frage nach der Bedeutung genuin ethischer Gedankengänge für die Erklärung des Selbstbewußtseins und damit für die Erklärung des Ursprungs und Anfangs der Verständlichkeit der Welt im idealistischen Denkzusammenhang heranzuziehen. 2 Obwohl Hegel explizit keine ethischen Argumentationsformen für seine Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur verwendet, so fordert die unmittel-
2 A. Wildt formuliert deshalb grundsätzlich völlig zu Recht: "Wenn bei Hegel irgendwo ein Ansatz zu einer Begründung der Moralität gefunden werden kann, dann in seiner Theorie der Anerkennung." (Autonomie und Anerkennung. Hegels Moralitätskritik im Lichte seiner Fichte-Rezeption, Stuttgart 1982, S. 19) Ich versuche im folgenden, Hegels ,. Theorie« als Strukturexplikation der Konstitution des Selbstverhältnisses zu verstehen und sie damit in den Argumentationsgang von ,.Phänomenologie« und "Logik« einzuordnen. Deshalb tritt der Begriff der ,.Anerkennung« zurück zugunsten der selbstbewußtseins-internen Struktur "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein«, die das Selbstbewußtsein als Differenz verstehen läßt, welche in der Selbstbewegung des Begriffs die Bewegung der Begriffe ermöglicht und damit die Verständlichkeit der Welt begreifbar werden läßt. Es wird sich zeigen, daß damit von ,.Begründung der Moralität« nur in einem sehr grundsätzlichen Sinn gesprochen werden kann, nämlich als Integration des freien Selbstverhältnisses des Anderen in die Konstitution von Selbstbewußtsein.
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bare Bedingung für eine sinnvolle Konzeption von Selbstbewußtsein doch ein genuin praktisches Verhältnis des Selbstbewußtseins zu einern fremden Selbstbewußtsein, wenn die Erklärungskraft dieses Verhältnisses für die Struktur des Selbstbewußtseins nicht dementiert werden soll, wie es dann der Fall wäre, wenn das Verhältnis als eine Beziehung zu einern Gegenstand aufgefaßt würde. Unter diesem Aspekt ist Hegels Gedanke von einern Selbstbewußtsein, das für ein Selbstbewußtsein ist, nicht so weit entfernt von Kants Transformation des kategorischen Imperativs in die Selbstzweckformel: nur wenn das fremde Selbstbewußtsein als Zweck und nicht nur als Mittel aufgefaßt wird, ist es tatsächlich als Selbstbewußtsein verstanden, das ebenso für sich ist wie das auffassende Selbstbewußtsein - das ausschließlich in dieser Relation ein solches sein kann. Welche Bedeutung dieses genuin praktische Verhältnis ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« für die Hegeische Explikation - und Transformation der Selbstbewußtseinsrelation besitzt, läßt sich schon daraus ersehen, daß mit ihm der ,.Begriff des Geistes« erreicht ist. Jenes Verhältnis wird also in der weiteren Entwicklung der Phänomenologie bewahrt bleiben und - erläutert durch diese Entwicklung - an ihrem Ende wiederkehren. Es wird deshalb auch noch im ,.absoluten Wissen« enthalten sein, das den Übergang zur Wissenschaft der Logik bereitet. Daraus ergibt sich aber, daß auch in der ,.Überwindung« der Selbstbewußtseinsphilosophie in der Konzeption des ,.Geistes« als sich in ein begriffliches System auseinanderlegende Einheit von Wissen und Sein jenes genuin praktische Verhältnis eines Selbstbewußtseins zu einern Selbstbewußtsein noch wirksam ist, das Hegel als unmittelbare Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur ausgearbeitet hatte. Wir können vielleicht sogar noch einen Schritt weitergehen: gerade die Verständigung über das Selbstbewußtsein durch ein notwendig praktisches Verhältnis, in dem ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein ist, bereitet den Boden für die Transformation des Selbstbewußtseins in ein Wissen von sich selbst, das sich als eine Einheit von Wissen und Sein in einer endogenen Entwicklung von Begriffen auseinanderlegt.
11. Von der Einheit von Wahrheit und Gewißheit zur internen Dynamik des Selbstbewußtseins Daß ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein sein könne, erscheint zunächst paradox. Wenn das Wissen von sich selbst jenes ausgezeichnete Wissen darstellt, in dem Subjekt und Objekt absolut vereinigt sind, so kann es
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durch keine externe und unabhängige Gegenständlichkeit bestimmt sein. Sein Sein besteht deshalb nur in seinem Sich-Wissen und entzieht sich insofern jeder Fixierung. Als unbestimmtes Fürsichsein kann es folglich kein intersubjektiv gemeinsamer Referent sein. Deshalb ist jene Paradoxie auf doppelte Weise zu verstehen. Zum einen kann das Selbstbewußtsein wegen seines beständigen Entstehens aus dem bloßen Wissen von sich selbst keinen Bestand darstellen, der von anderem Bewußtsein gewußt werden könnte. Zum anderen kann ein Selbstbewußtsein als solches schon per definitionem nichts außer sich selbst wissen. Jene absolute Vereinigung von Subjekt und Objekt im Wissen von sich selbst sollte im idealistischen Denkzusammenhang aber die Möglichkeit bieten, den vorausgesetzten Begriff des Wissens als Übereinstimmung eines Objektiven mit einem Subjektiven deshalb als möglich zu erweisen, weil im absoluten Akt des Selbstbewußtseins Sein und Vorstellen eins sind und somit, indem identisch geurteilt wird, im gleichen Akt synthetisch geurteilt wird. Deshalb ist jene Paradoxie aufs engste mit der Begründungskapazität des Wissens von sich selbst verbunden, um derentwillen die Selbstbewußtseinsrelation zur Grundlage idealistischen Argumentierens wurde. Nun wird in der Rede vom Selbstbewußtsein, das für ein Selbstbewußtsein ist, ganz selbstverständlich Gebrauch gemacht von der Struktur des ausgezeichneten Wissens des Sich-Wissens. Wer so redet, wird offensichtlich erheblichen Argumentationsaufwand investieren müssen, um jenen Begriff konsistent verwenden zu können. Aus der Konstellation des Problems läßt sich auch bereits die Bahn angeben, der ein solches Argumentieren zu folgen haben wird. Wenn gerade der Titel Selbstbewußtsein für etwas in Anspruch genommen wird, das für ein anderes sein können soll, so läßt sich eine solche Relation nicht anders rechtfertigen denn aus dem Selbstbewußtsein und seiner Struktur selbst. Ein solches Argumentationsprojekt wird also nur in selbstbewußtseinstheoretischen Erörterungen zeigen können, daß es notwendig und sinnvoll ist zu sagen: "Es ist ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " . Hegel formuliert diese offensichtlich problematische Behauptung in Kapitel IV der "Phänomenologie des Geistes«, das überschrieben ist mit "Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst". Jener Satz steht deshalb im Zusammenhang der Diskussion des Resultats der vorangegangenen dialektischen Argumentationen. Darin wurde ein Wissen entwickelt, das formal "eine Gewißheit, welche ihrer Wahrheit gleich ist" darstellt. Wegen dieser Form ist es identisch mit seinem Inhalt, "denn die Gewißheit ist sich selbst ihr Gegenstand, und das Bewußtseyn ist sich selbst das Wahre" (103), anders formuliert: "Ich ist der Inhalt der
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Beziehung, und das Beziehen selbst; es ist es selbst gegen ein anderes, und greifft zugleich über diß andre über, das für es ebenso nur es selbst ist" (103).3 Offensichtlich mißt Hegel dieser Struktur des Wissens eine ausgezeichnete Bedeutung zu, durch die es sich von allen zuvor diskutierten Fonnen unterscheidet. Gerade mit dem jetzt erreichten Selbstbewußtsein nämlich sollen wir in "das einheimische Reich der Wahrheit" eingetreten sein (103). Betrachten wir diese Struktur nun isoliert für sich, so wird uns nur eine neue Fonnulierung der grundlegenden Einsicht Fichtes und Schellings geboten, der zufolge Wissen seinem genuinen Sinn nach nur zu begründen ist, sofern eine Struktur als wirklich aufgewiesen werden kann, die Fonn und Inhalt des Wissens in Identität vereinigt und analytisch und synthetisch in einem ist. Diese Forderung ist nur im Ich erfüllt, das ist, indem es für sich ist, m. a. W.: das ist, indem es von sich weiß, und von sich weiß, indem es ist. Wenn dem so ist, so kann jedes andere Wissen seine Dignität nur aus seinem Bezug auf jene in Fonn und Inhalt identische Ichstruktur herleiten. Nun unterscheidet sich die Hegeische Konzeption des Selbstbewußtseins als Basis alles Wissens von der idealistischen zunächst durch ihren Resultatcharakter . Anders als im idealistischen Systemautbau wird die Struktur des Ich nicht eingeführt aus Überlegungen, die die notwendige Fonn eines wissensbegründenden Wissens als solche betreffen, sondern erscheint als Ergebnis einer argumentativen Entwicklung, die ihren Anfang in einer Fonn des Wissens nahm, die Hegel gerade wegen ihrer Einfachheit geeignet schien, als allgemein akzeptable Ausgangsbasis einer Diskussion des Wissensproblems zu dienen. 4 Hegels Anspruch lautet also, das Gegenstandsbewußtsein durch seine immanente argumentative Entwicklung in das Selbstbewußtsein übergeführt zu haben, das damit zum Ergebnis geworden ist und somit die Gegenständlichkeit als aufgehobene in sich enthält. Gerade deshalb ist die Differenz von Selbstbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein nun in das erstere integriert. Wir können diese Integration somit sowohl als Resultat als auch als Anfang der
3 Im Text wird mit Angabe der Seitenzahl zitiert G. W.F.Hegel, Phänomenologie des Geistes, hrsg. von W.Bonsiepen und R.Heede, Hamburg 1980 (Gesammelte Werke, Bd. 9). Im folgenden Kapitel werden Teile eines Textes verwendet, der unter dem Titel "Ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein. Bemerkungen zum Kapitel »Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst" in Hegels »Phänomenologie des Geistes,," veröffentlicht wurde in: Hegel-Studien 23/1988, S. 71-94. 4 Vgl. M.Kettner, »Sinnliche Gewißheit«. Diskursanalytischer Kommentar, FrankfurtlMain 1990; und A.Graeser, Zu Hegels Portrait der sinnlichen Gewißheit, in: Freiburger Zeitschrift für Theologie und Philosophie 34/1987, S. 437-453.
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weiteren Entwicklung auffassen. Zum anderen nimmt Hegel das Selbstbewußtsein auch zum Ausgang einer Entwicklung, die sich auf genuine Weise von der idealistischen Systemkonstruktion unterscheidet. Dies wird bereits in den ersten Schritten deutlich, mit denen das Selbstverhältnis des Ich sich aus sich entwickelt. Die interne Bewegung des wissensbegründenden Wissens führt nicht zu einer systemischen Deduktion des Nicht-Ich und seiner kategorialen Verfaßtheit, sondern zu einer Theorie der Interpersonalität, die zum einen für sich Interesse beanspruchen kann, und zum anderen von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung der "Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins" sein wird. Wir werden diese Theorie im folgenden durch eine eingehende Interpretation der Grundlagen und des Aufbaus der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft untersuchen. Von der idealistischen Systemidee her gedacht scheint es zunächst merkwürdig, daß sich die Entwicklung des Selbstverhältnisses in Begriffen bewegt, die die Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins als Herrschaft und Knechtschaft thematisieren. Um die Folgerichtigkeit dieser Diskussion zu verstehen, ist zunächst an den Resultatcharakter der Ich-Struktur zu erinnern. Weil das Selbstbewußtsein - anders als im idealistischen Denkzusammenhang bereits das Ergebnis primitiverer Wissensfonnen ist, aus denen es durch deren eigene Dialektik entwickelt wurde, sind die vorangegangenen Stufen in ihm aufbewahrt. 5 Indem das Selbstbewußtsein nur als solches Resultat seinen Charakter und seine Begründung als Struktur wahren und gewissen Wissens erhält, sind ihm keine dem Argumentationsgang der ,.Phänomenologie des Geistes« externen Momente zuzuschreiben. Insofern ist das Selbstbewußtsein nichts anderes als seine Entwicklung. Deshalb ist auch die charakteristische Grundstruktur des vorangegangenen Wissens, nämlich "Wissen von einem Andern" (103) zu sein, als Moment aufbewahrt. 6 Indem das Selbstbewußtsein nun "Reflexion" aus jenem Wissen ist, ist es "Rückkehr aus dem Andersseyn" und damit "Bewegung" (104). Mit dieser Bewegungsstruktur fonnuliert Hegel den Doppelcharakter von Selbstbewußt-
S Zum Problem des Zusammenhangs von ,.Anfang«, ,.Einruhrung« und ,.System« vg!. B.Bourgeois, Sinn und Absicht der Phänomenologie des Geistes, in: Wiener Jahrbuch rur Philosophie 27/1995, S. 117-131. 6 Vg!. zu dieser Charakteristik des HegeIschen Selbstbewußtseinsbegriffs auch E.Fink, Hege!. Phänomenologische Interpretationen der ,.Phänomenologie des Geistes«, hrsg. von !.Holl, FrankfunlMain 1977, S. 156 ff; sowie C.A.Scheier, Analytischer Kommentar zu Hegels Phänomenologie des Geistes, Freiburg, München 1980, S. 99 ff.
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sein: zum einen ist es Bewußtsein und als solches ist ihm sein eigenes Anderssein ein Sein; zum anderen ist auch die Einheit seiner selbst mit diesem Unterschied für es. Als Selbstbewußtsein muß es nun in jedem dieser Momente die ganze Struktur beschlossen haben. Eben deshalb erfüllt die entwickelte Struktur des Selbstbewußtseins den Begriff der Bewegung in seiner Paradoxalität. Wie die Bewegung nur anfangen kann, wenn sie schon angefangen hat, so kann Selbstbewußtsein nur werden, indem es immer schon ist; es ist aber nur, indem es wird. Diesen paradoxalen Charakter der Bewegungsstruktur des Selbstbewußtseins drückt Hegel positiv mit dem Begriff "Begierde" aus (104). "Begierde" in diesem strukturellen Sinn erscheint als geeigneter Terminus, weil damit sowohl die interne Andersheit als auch die Identität des Bewußtseins mit sich in eins gefaßt sind. 7 Insofern können wir in dem Begriff der ,"Begierde" bereits eine Form der grundlegenden HegeIschen Denkfigur der Identität von Identität und Nicht-Identität sehen. Im Gegensatz zu diesem statischen Begriff drückt "Begierde" jedoch den dynamischen Charakter des Selbstverhältnisses aus, der sich aus dessen Entwicklung ergeben hat. 8 Mit dem Strukturbegriff der "Begierde" ist bereits ein erster Schritt in die Explikation der HegeIschen Interpersonalitätstheorie getan, wie sie im Kapitel "Herrschaft und Knechtschaft" entwickelt wird. Insofern das Selbstbewußtsein nämlich als solches Resultat einer internen argumentativen Entwicklung aus der einfachsten Form des Wissens ist, ist auch seine interne Andersheit nicht bestimmungslos vorgegeben, sondern selbst Resultat und somit bestimmt. Diese Bestimmtheit charakterisiert deshalb auch die Struktur der "Begierde" näher. Weil das Selbstbewußtsein Reflexion ist aus dem, was zuvor dem Bewußtsein als Wahrheit galt (vgl. 104), deshalb ist auch das ihm interne "Negative" "in sich zurückgegangen" und damit eine "Reflexion in sich" (104). Es mutet zunächst überraschend an, daß Hegel den so entwickelten Gegenstand des Selbstbewußtseins, der als dessen Negatives das interne Andere ist, als "Leben" bezeichnet und den Gegenstand der unmittelbaren Begierde als ein "Lebendiges" (104). Um die Einführung dieser Begriffe in die Selbstbewußtseinsstruktur zu verstehen, müssen wir in der Entwicklung einen Schritt zurücktreten. Hegel
7 Vgl. dazu auch U.Müller, Die Erfahrung des Negativen. Hegels Wirklichkeitsverständnis in der Phänomenologie des Geistes, in: Archiv rur Geschichte der Philosophie 70/1988, S. 78-102.
a Vgl. zu der Entwicklung von ,.Bewußtsein« zu ,.Begierde« die Ausfiihrungen bei F.Neuhouser, Deducing Desire and Recognition in the ,.Phenomenology of Spirit«, in: Journal of the History of Ideas 24/1986, S. 243-262. 14 Römpp
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bezeichnet das allgemeine Resultat der vorangegangenen Dialektik von "Kraft und Verstand, Erscheinung und übersinnlicher Welt" als "das Unterscheiden des Nichtzuunterscheidenden, oder die Einheit des Unterschiednen" (l05). Wir können die Argumentation, die Hegel zu diesem Resultat führte, in unserem Zusammehang nicht im einzelnen rekonstruieren. Es dürfte aber deutlich sein, daß jene Struktur ein" Abstoßen von sich selbst" (105) in sich birgt. Indem darin eine Entzweiung liegt, die sich von sich selbst abstößt, differenziert sich diese Struktur in eine Einheit, für welche eben diese Einheit ist, und in diese Einheit selbst, die nur dadurch von der ersteren unterschieden ist, daß sie nicht zugleich für sich selbst ist (105). Diese letztere Einheit bezeichnet Hegel nun als "Leben". Daraus ergibt sich für die Charakterisierung dieses Begriffes zweierlei. Zunächst können wir paradox formulieren: "Leben" ist jene Seite des Selbstbewußtseins, auf der es nicht für sich ist. Da Selbstbewußtsein aber sich von sich unterscheidet und darin eine rein interne Andersheit gewinnt, stellt "Leben" in dieser Charakterisierung gerade jenes Andere dar, von dem her das Selbstbewußtsein Bewußtsein sein kann. Leben als "unendliche Einheit der Unterschiede" (105) ohne Fürsichsein ist somit integratives Moment der Selbstbewußtseinsstruktur als solcher. Wenn nun das Selbstbewußtsein als "Begierde" die "Erfahrung" der Selbständigkeit seines internen Gegenstandes machen muß (105), so stellt sich dies der bisherigen Entwicklung zufolge als Erfahrung des "Lebens" dar. Es ist jedoch offensichtlich, daß der Begriff des "Lebens" bisher undeutlich geblieben ist. Nichtsdestoweniger beansprucht Hegel, diesen Begriff für die in Gang befmdliche Diskussion aus seiner Entwicklung hinreichend bezeichnet zu haben (105). Diese Bezeichnung ist mit der "unendlichen Einheit der Unterschiede", die nicht für sich ist, zunächst erschöpft. Hegel versucht jedoch im Anschluß daran, den Kreis der Momente dieser Bestimmung näher zu explizieren. Wir werden daraus entnehmen können, aufgrund welcher Inhalte Hegel gerade den Begriff des Lebens als geeignet ansieht, um den internen Gegenstand des Selbstbewußtseins zu charakterisieren. Die Bestimmung des "Lebens", wie sie sich aus der Entwicklung ergeben hat, wird in folgendem Satz zusammengefaßt: "Dieser ganze Kreislauff macht das Leben aus, weder das, was zuerst ausgesprochen wird, die unmittelbare Continuität und Gediegenheit seines Wesens, noch die bestehende Gestalt und das für sich seyende Discrete, noch der reine Proceß derselben, noch auch das einfache zusammenfassen dieser Momente, sondern das sich entwickelnde, und seine Entwicklung auflösende und in dieser Bewegung sich einfach erhaltende Ganze." (107) Nach unseren bisherigen Interpretationen müßten wir darin die Struktur des Selbstbewußtseins
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wiederfinden können, der nur an der Stelle ihres internen Gegenstandes das Fürsichsein fehlt. Diese Struktur war zuvor in ihrer Dynamik als "Begierde" bezeichnet worden. Als "Begierde" ist das Selbstbewußtsein stets in einer prekären Situation, in der es gerade durch die Tendenz zu seiner eigenen Auflösung im Zusammenfallen seiner selbst mit seiner internen Gegenständlichkeit gekennzeichnet ist. Deshalb muß ein Begriff gefunden werden, der es als mit und trotz dieser Tendenz sich erhaltend denken läßt. Darin muß die "Begierde" in ihrem Verschwinden in Erfüllung stets neu entstehen. Als dieses Verschwinden und Entstehen in Permanenz stellt sich das "Leben" nun als begriffliche Fortentwicklung jener Kennzeichnung der Struktur von Selbstbewußtsein dar, die Hegel unter dem Titel "Begierde" eingeführt hatte. Nun war der Begriff des "Lebens" zunächst verwendet worden als Bezeichnung für den entwickelten internen Gegenstand des Selbstbewußtseins. 9 Deshalb bestätigt sich unsere Interpretation nur dann, wenn dieser Begriff ebenso die andere Seite des Selbstbewußtseins kennzeichnet. In der Tat nennt Hegel das Ich als Subjekt, für das sein eigener interner Gegenstand ist, "Diß andere Leben" (107). \0 Von da her erscheint das "Leben" als interner Gegenstand nun als "Gattung". Folgerichtig ist damit aber das Selbstbewußtsein als Fürsichsein selbst als "Gattung" bezeichnet und Hegel kann die nun entwikkelte Struktur des Selbstbewußtseins zusammenfassen als "Diß andere Leben ... , für welches die Gattung als solche und welches für sich selbst Gattung ist"
9 W.Becker kritisiert in diesem Zusammenhang, daß das objektive Moment im Selbstbewußtseinsgegensatz als Gegenstandsbewußtsein bestimmt werde, was zur Konsequenz habe, "daß das Selbstbewußtsein zu einem Moment im Gegensatzverhältnis mit dem Gegenstandsbewußtsein herabgesetzt wird, welches seinerseits in seiner die Materie und jede äußere Gegenständlichkeit animistisch ,.intellektuierenden« Gestalt als ,.Leben« auftritt" (Idealistische und materialistische Dialektik. Das Verhältnis von ,.Herrschaft und Knechtschaft« bei Hegel und Marx, Stuttgart 1970, S. 60). M. E. handelt es sich dagegen nur um eine neue, entwickelte Formulierung der internen Gegenständlichkeit eines Bewußtseins von sich selbst. Deshalb kann es auch nicht Ziel der Argumentation sein, das Ich aus seiner Grundlage, der realen Natur, zu entwickeln, wie W.Janke interpretiert (Historische Dialektik. Destruktion dialektischer Grundformen von Kant bis Marx, Berlin, New York 1977, S. 305). 10 Diese "Strukturgleichheit der Lebensbewegung des Lebendigen mit dem Selbstbewußtsein" bedeutet umgekehrt auch, daß das Sich-Verhalten des Lebendigen sich nur denken läßt vom Ich her, das seiner selbst bewußt ist; vgl. dazu näher die Ausführungen vonH.-G.Gadamer, Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins, in: H.F.FuldalD.Henrich, Hrsg., Materialien zu Hegels ,.Phänomenologie des Geistes«, FrankfurtlMain 1972, S. 218-242, S. 222.
14·
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(107). Ein solches Selbstverständnis des Bewußtseins ist aber bisher nur "für uns oder an sich" entwickelt (104). Insofern "Gegenstand" unserer Reflexionen aber das Selbstbewußtsein ist und wir eben damit in das "einheimische Reich der Wahrheit" (103) eingetreten sind, so kann in den entwickelten Strukturbestimmungen des Selbstbewußtseins nur dann Wahrheit liegen, wenn gezeigt werden kann, daß und wie in seiner rein internen Entwicklung ihm die Begriffe von "Leben" und "Gattung" zu seinen immanenten Bestimmungen werden. 11 Deshalb muß dem Selbstbewußtsein in seiner "Erfahrung" der "abstracte Gegenstand" reines Ich sich bereichern "und die Entfaltung erhalten, welche wir an dem Leben gesehen haben" (107). Indem es sich als "Begierde" versteht, ist es seiner selbst nur gewiß durch das Aufheben seines internen Gegenstandes als eines selbständigen Momentes, d.h. durch das Aufheben des selbständigen Lebens als seines internen Anderen (vgl. 107). Auf diese Weise aber hebt es sich selbst als Selbstbewußtsein in der Struktur der "Begierde" auf. Damit gerät es in eine widersprüchliche Situation, in der es sein bisheriges Selbstverständnis nicht beibehalten kann. Das Problem läßt sich kurz gefaßt so beschreiben: das Selbstbewußtsein in der Struktur der "Begierde" muß seinen internen Gegenstand so aufheben, daß es ihn damit gerade nicht aufhebt. Gerade durch die negative Beziehung darf und kann es seinen Gegenstand nicht aufheben; mit Hegels Worten: "es erzeugt ihn darum vielmehr wieder, so wie die Begierde" (107). Damit zeigt sich aber, daß das Selbstbewußtsein, gerade indem es sich als "Begierde" versteht, zu einem gewandelten Selbstverständnis kommen muß, das nach einem neuen Begriff seines internen Gegenstandes verlangt. 12
11 Nur aufgrund dieser argumentativen Grundstruktur der "Phänomenologie des Geistes« als einer »Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins« kommt es auch im weiteren Verlauf zur Einführung des Selbstbewußtseins als empirisches Ich: wenn das Selbstbewußtsein nur sich selbst bewußt haben kann in der Erfahrung eines anderen Selbstbewußtseins, so ist dies deshalb - und nur deshalb - empirisch verstanden. Auch damit werden also keine externen Bestimmungen eingeführt. Deshalb unterscheidet sich die Hegeische Einführung eines zu erfahrenden Selbstbewußtseins durch den argumentativen Zusammenhang grundlegend von Ansätzen im Linkshegelianismus, die Selbstbewußtseinsstruktur als ein Verhältnis zwischen sinnlich differenten Individuen zu denken. Vgl. dazu G.Römpp, Sensualismus und Altruismus. Zum Zusammenhang der beiden Grundmotive Feuerbachschen Denkens, in: Philosophisches Jahrbuch 93/1986, S.326-339. 12 Zum Horizont dieser Begriffiichkeit von »Begierde« und Anerkennung vgl. die Beiträge in J.O 'Neill, Hrsg., Hegel's Dialectic of Desire and Recognition. Texts and Commentary, Albany 1996.
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111. »Ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« und das praktische Verhältnis der Anerkennung Für das entwickelte Problem einer Aufhebung des internen Gegenstandes, die dadurch Aufhebung ist, daß sie gerade als solche den Gegenstand nicht aufhebt, findet Hegel nun eine bemerkenswerte Lösung. Die Situation, zu der die Selbstbewußtseinsstruktur sich entwickelt hat, ist nur denkbar, wenn der Gegenstand selbst die Negation an sich vollzieht und und sie vollziehen muß, weil er genau durch diese Negation charakterisiert ist: "er ist an sich das negative, und muß für das andre seyn, was er ist" (108). Eine solche selbständige Negation kann aber nur als Bewußtsein gedacht werden. Daß das Bewußtsein aufgrund seiner eigenen Entwicklung seine Wahrheit im Selbstbewußtsein hat, ist bereits als Resultat der vorangegangenen Erörterungen verfügbar und kann deshalb hier aufgenommen werden. Desweiteren ist das Selbstbewußtsein auf dem jetzt erreichten Stand als Gattung charakterisiert, "an der die Negation als absolute ist" (108). Deshalb kann der jetzt gewonnene Gegenstand als lebendiges Selbstbewußtsein (108) bezeichnet werden. Mit dem Selbstbewußtsein als Gegenstand ist folglich jene Situation möglich, die durch die Entwicklung der Selbstbewußtseinsstruktur gefordert war: "Es ist ein Gegenstand für das Bewußtseyn, welcher an sich selbst sein Andersseyn oder den Unterschied als einen nichtigen setzt, und darin selbständig ist." (108) Das Ergebnis der durchgeführten Entwicklung der internen Gegenständlichkeit eines Selbstbewußtseins lautet also nun: "Das Selbstbewußtseyn erreicht seine Befriedigung nur in einem andern Selbstbewußtseyn." (l08) Darin findet die Struktur jenes Selbstverhältnisses seine - vorläufige - Aufklärung, das als Selbstbewußtsein Resultat der vorangegangenen Dialektik des Bewußtseins ist und selbst Grundlage des Fortgangs zu Vernunft, Geist l3 , Religion und absolutem Wissen sein wird. Wir können diese Aufklärung gemäß unseren Inter-
13 Hegel erklärt an dieser Stelle mit der Struktur "Selbstbewußtsein tUr ein Selbstbewußtsein« den Begriff des Geistes als bereits für uns vorhanden. Deshalb wird der Fortgang in einer Entwicklung liegen, die diese Struktur zu ihrem besseren Selbstverständnis bringt. Wenn der Geist als "Ich, das Wir. und Wir. das Ich ist" (108). aber in seinem Begriff die jetzt entwickelte Struktur von Selbstbewußtsein darstellt. so gewinnt diese Interpretation auch von da her ihre Legitimation gegen andere Verstehensmöglichkeiten: mit dem Ausdruck "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« muß eine Struktur begriffen sein. die gerade als Entwicklung des Selbstbewußtseins in seiner Struktur doch zu einem Verhältnis von Selbstbewußtsein und Selbstbewußtsein fuhrt.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
pretationen so zusammenfassen. Jener interne Gegenstand, in dem das Bewußtsein sich als sich selbst wissen und somit Selbstbewußtsein sein kann, muß in der Negativität seiner selbst ebenso selbständig sein. Nur in einem solchen Verhältnis kann es das Selbstbewußtsein geben, "denn erst hierin wird für es die Einheit seiner selbst in seinem Andersseyn" (108). Die Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " stellt deshalb die vorläufige Lösung Hegels für das Grundproblem jenes Bewußtseinsverhältnisses zu sich selbst dar, das Ausgang idealistischen Philosophierens war: das Selbst, in dem das Bewußtsein seiner bewußt sein kann, ist in diesem Ergebnis ebenso Ich wie Gegenstand (vgl. 108). Damit hat sich der interne Gegenstand der Selbstbewußtseinsrelation in einem gewissen Sinne als externer erwiesen: als Negation an sich selbst ist er selbständig. Gerade als solcher ist er der adäquate interne Gegenstand, in dem das Selbstbewußtsein sich erfüllt. Es ist deshalb das Selbstbewußtsein selbst, das nun "außer sich gekommen" (109) ist. Diese intern-externe Gegenständlichkeit des Selbstbewußtseins ist nun der Entwicklungsstand, auf dem die Diskussion um "Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins; Herrschaft und Knechtschaft" einsetzt. Für das "Wesen" des Selbstbewußtseins, nämlich "unendlich, oder unmittelbar das Gegentheil der Bestimmtheit, in der es gesetzt ist, zu seyn", ist auf diesem Stand der Begriff einer "geistigen Einheit in ihrer Verdopplung" (109) gefunden. Das Thema "Herrschaft und Knechtschaft" wird nun erreicht auf dem Weg der Auseinanderlegung dieses Begriffs. Daraus ergibt sich bereits, daß die "Gestalten" von Herr und Knecht ihre Bedeutung nur erhalten aus der weitergehenden Entwicklung der Selbstbewußtseinsrelation in der Näherbestimmung der jetzt gefundenen Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" . Es ist diese Auseinanderlegung, die Hegel als "Bewegung des Anerkennens" (109) bezeichnet. 14 Die Einheit in der "Verdopplung", die als charakteristisch für die Selbstbewußtseinsstruktur entwickelt wurde, führt in ihrer auseinandergelegten Gestalt entsprechend zur Formulierung: das Selbstbewußtsein "ist nur als ein Anerkanntes". Dies ist· gleichbedeutend mit: es ist
14 Allerdings kommt diese Bewegung mit der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft noch nicht an ihr Ende. Vgl. dazu insbesondere L.Siep, Anerkennung als Prinzip der praktischen Philosophie, FreiburglMünchen 1979, vor allem S. 68 ff, S. 97 ff, S. 131 ff, S. 203 ff. Zu einer Interpretation der HegeIschen Philosophie im ganzen vom Prinzip der Anerkennung her vgl. J.Simon, Wahrheit als Freiheit. Zur Entwicklung der Wahrheitsfrage in der neueren Philosophie, Berlin, New York 1978, bes. S. 304; sowie St.Majetschak, Die Logik des Absoluten, Berlin 1992, bes. S. 211 ff.
ill. Ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein
215
"an und für sich, indem, und dadurch, daß es für ein anderes an und für sich ist" (109). Die Bewegung des Anerkennens beschreibt deshalb die Explikation jenes Verhältnisses, in dem einem Selbstbewußtsein sein einzig adäquater Gegenstand wird.
Indem das Selbstbewußtsein aufgrund der Entwicklung seiner Struktur" außer sich" gekommen ist, findet es sich zum einen als ein anderes Wesen; ebenso aber hat es darin "das Andere aufgehoben, denn es sieht auch nicht das andere als Wesen, sondern sich selbst im andern" (109). Offensichtlich ist bereits hier eine Dialektik angelegt, die die Entwicklung der Selbstbewußtseinsrelation auch über den jetzt erreichten Stand hinaus forttreiben wird. Zunächst aber wird dem Selbstbewußtsein aufgrund jener Struktur eine merkwürdige Leistung zugemutet. Als Bewußtsein nur von sich selbst muß es die Andersheit seines Wesens aufheben; eben dadurch hebt es auch sich selbst auf, indem es den ihm einzig adäquaten Gegenstand wieder verliert (vgl. 109). Die darin liegende Rückkehr zu sich selbst ist aber selbst doppelsinnig, denn es erhält durch das Aufheben nicht nur sich selbst zurück, sondern gibt auch das andere Selbstbewußtsein ihm zurück: "es war sich im andern, es hebt diß sein Seyn im andern auf, entläßt also das andere wieder frey" (109). Dieses Ergebnis erscheint zunächst paradox. Nach unserer Interpretation denkt Hegel nicht daran, daß das andere Selbstbewußtsein als vorhandenes aus dem Nichts auftauchen und sich dem ersten gegenüberstellen könnte, sondern versucht, es aus der internen Entwicklung der Selbstbewußtseinsrelation zu denken, die in ihrer immanenten Logik zur Exteriorität eines anderen Selbstbewußtseins führt. 1s Nun soll die Rückkehr zu sich aber den anderen als frei entlassen. Also hebt das Selbstbewußtsein im Aufheben des anderen selbständigen Wesens dieses andere Wesen gerade nicht auf. Mit dieser Situation kehrt jenes Problem wieder, das als Entwicklung der Struktur des Selbstbewußtseins den Ausgangspunkt unserer Erörterungen bildete: die Selbstbewußtseinsrelation kommt nur dann in eine wenigstens vorläufig - haltbare Verfassung, wenn die Aufhebung des internen Gegenstandes so geschieht, daß er dadurch gerade nicht aufgehoben wird. Offensichtlich ist es noch nicht gelungen, diese paradoxe Lage zu überwinden. Möglicherweise geht es Hegel nun überhaupt nicht um die Beseitigung dieser Antinomie. Das Argumentationsziel fordert zunächst nur, die Selbstbewußt-
15 Deshalb ist dem Selbstbewußtsein die Intersubjektivität inhärent; vgl. dazu J.E.Russon, Selthood, Conscience, and Dialectic in Hegel' s »Phenomenology ofSpirit«,
in: Southern Iournal of Philosophy 1991, S. 533-550.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
seinsrelation so weit zu entwickeln, daß die Widersprüchlichkeit ihrer Vereinigung von subjektiver Objektivität und objektiver Subjektivität auf einen Begriff gebracht werden kann, der sie auszuhalten erlaubt. In diesem Sinne haben wir es jetzt zwar wohl mit einer Wiederkehr des Ausgangsproblems zu tun, aber in entwickelter Form und in einer Begrifflichkeit, der Hegel offenbar die Kapazität zutraut, mit der Selbstbewußtseinsrelation und ihrer internen Problematik umgehen zu können. Der Preis dieses Ergebnisses scheint jedoch gerade das Paradoxon zu sein, das uns jetzt begegnet ist: in der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " stellt sich das notwendige Aufheben des anderen selbständigen Wesens als ebenso notwendiges Freilassen in seine Selbständigkeit dar. 16 Wir können dieses Paradoxon noch einen Schritt fortführen, um es deutlicher hervortreten zu lassen. Gerade weil in der Bewegung der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" ein Freilassen des anderen liegt, kann es sich nicht nur um ein "Tun des Einen" handeln, sondern "dieses Thun des einen hat selbst die gedoppelte Bedeutung, ebensowohl sein Thun als das Thun des Andem zu seyn" (110). Die Begründung dafür ist bereits mit dem Charakter des anderen als eines Selbstbewußtseins gegeben: "es ist nichts in ihm, was nicht durch es selbst ist"; es ist "in sich beschlossen" (110). Daraus folgt: das Selbstbewußtsein hat das andere Selbstbewußtsein, das es durch sein Aufheben freiläßt, dann nicht als einen für sich seienden selbständigen Gegenstand, "über welchen es darum nichts für sich vermag, wenn er nicht an sich selbst diß thut, was es an ihm thut" (110). Die Bewegung kann deshalb nur durch beide zustandekommen; sie ist "schlechthin die gedoppelte beyder Selbstbewußtseyn" (110). Die Paradoxalität nimmt deshalb nun den Charakter einer Bewegung an, in der zwei für sich und für nichts außer ihnen seiende Selbstbewußtseine in ein Verhältnis geraten, das "ungetrennt" (110) Tun des Einen und Tun des Anderen ist. Da zu Beginn des Kapitels das Selbstbewußtsein als ein "Anerkanntes" bezeichnet wurde - wodurch zum Ausdruck kam, daß es nur an und für sich ist, indem es für ein anderes an und für sich ist (vgl. 109) -, so kann Hegel die nun erreichte Form der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" so charakterisieren: "Sie anerkennen sich, als gegenseitig sich anerkennend" (110). Insofern gibt diese Formulierung den jetzt erreichten Entwicklungsstand der
16 Gerade und nur deshalb kann das HegeIsche Denkmodell auch als Grundlage für eine normativ gehaltvolle Gesellschaftstheorie ausgewertet werden; vgl. etwa A.Honneth, Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte, FrankfurtlMain 1992.
IV. Anerkennung in der Ungleichheit
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internen Problematik der Selbstbewußtseinsrelation wieder. "Anerkennen" nennt Hegel also die Form eines möglichen "Verhältnisses" zweier Wesen, deren Sein nur in ihrem Fürsichsein liegt, weshalb zunächst ein "Verhältnis" zueinander grundsätzlich ausgeschlossen scheint. Daß von einem solchen "Verhältnis" jedoch die Rede sein muß, war Ergebnis der Diskussion über die Strukturbedingungen eines Fürsichseins. Deshalb ist mit "Anerkennen" die Form bezeichnet, in der jenes Ergebnis seine Möglichkeit findet. 17
IV. Anerkennung in der Ungleichheit: Die Demonstration der Freiheit eines Selbstbewußtseins Wir haben bisher noch nicht erörtert, warum Hegel die beiden Seiten der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" in der Bewegung des Anerkennens in einen "Kampf auf Leben und Tod" geraten sieht, in dem sie sich zu den Gestalten von Herr und Knecht entwickeln. Ohne die bis jetzt durchgeführte Interpretation von Hegels Diskussion der internen Problematik der Selbstbewußtseinsrelation war dies auch nicht möglich. Mit der Thematik von Herrschaft und Knechtschaft wird nämlich nichts anderes expliziert als die bisher argumentativ entwickelte Selbstbewußtseinsproblematik. Der entscheidende neue Charakter der jetzt folgenden Entwicklung liegt in jener die Argumentationsform der ,.Phänomenologie des Geistes« kennzeichnenden Wendung von der Explikation einer Struktur in ihrer Logik an sich oderjür uns zur Betrachtung, wie die entwickelten Momente und Prozesse sich für das Selbstbewußtsein darstellen. Diese Wendung geschieht für den Begriff des Anerkennens, der in der ,.Phänomenologie des Geistes« auf unserem Stand die höchstentwickelte Strukturbestimmung der Selbstbewußtseinsrelation ausdrückt (vgl. 115), mit Hilfe der Thematik von Herrschaft und Knechtschaft. IB Allerdings leistet jene Thematik dies nicht für die ganze ausgearbeitete Struktur,
17 Zur Bedeutung von ,.Anerkennung« in der politischen Philosophie von Hegel in Jena vgl. Chr.Menke, ,.Anerkennung im Kampfe«. Zu Hegels Jenaer Theorie der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 77/1991, S. 493-507.
18 H.-G.Gadamer drückt dies so aus: "Der innere Unterschied von Ich zu Ich, der im Selbstbewußtsein liegt, kommt jetzt zur Erscheinung, wird der wirkliche Unterschied des Wir, die Ich und Du, reales Ich und reales anderes Ich sind" (Hegels Dialektik des Selbstbewußtseins, in: H. F.FuldalD. Henrich, Hrsg., Materialien zu Hegels «Phänomenologie des Geistes,., FrankfurtlMain 1972, S. 218-242, S. 228).
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
sondern nur für die Seite der "Ungleichheit" der beiden Selbstbewußtseine, in der, in Hegels Ausdrucksweise, die Mitte des Anerkennens als gegenseitig sich anerkennend "heraustritt" in die "Extreme", die sich als nur Anerkennendes und nur Anerkanntes entgegensetzen (vgl. 110). Nichtsdestoweniger findet damit die Einführung der Gestalten von Herr und Knecht ihren Ort in jener Strukturbestimmung der Selbstbewußtseinsrelation, die nun betrachtet wird, wie sie für das Selbstbewußtsein erscheint. Ein solches Vorgehen entspricht gerade der Wahrheit des Selbstbewußtseins, dem alles, was es ist, nur für es sein kann. 19 Was nun von einem Selbstbewußtsein gefordert wird, damit für es ein anderes sein kann - und so es selbst denkbar ist gemäß der bisher zur Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" entwickelten Selbstbewußtseinsrelation -, ist im Grunde etwas sehr einfaches. Wenn die Gewißheit des Selbstbewußtseins nur so zur Wahrheit wird, daß sein eigenes Fürsichsein sich ihm als selbständiger Gegenstand darstellt, so muß es ihm gelingen, einen "Gegenstand" zu finden, der sich zu ihm so in ein Verhältnis setzt, daß sie für einander die "Bewegung der absoluten Abstraction, alles unmittelbare Seyn zu vertilgen" (111), vollbringen können. Ein Wissen von sich selbst gelingt darin aber nur, wenn beide je für sich diese Bewegung leisten, so daß "wie der andere für ihn, so er für den andern, jeder an sich selbst durch sein eigenes Thun, und wieder durch das Thun des andern, diese reine Abstraction des Fürsichseyns vollbringt" (111). Auf dem erreichten Niveau einer Entwicklung der Struktur" Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " muß diese Abstraktion aber füreinander dargestellt werden. 20 Diese Darstellung besteht nun darin, "sich als reine Negation seiner gegenständlichen Weise zu zeigen, oder es zu zeigen, an kein bestimmtes Daseyn geknüpft" zu sein. Auf der jetzigen Entwicklungsstufe der Selbstbewußtseinsstruktur erfordert dies näher den Erweis, "nicht an das Leben geknüpft zu seyn" (111). Damit haben wir jenes Thema des Kapitels "Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst" erreicht, das besonders leicht zu Mißverständnissen Anlaß gibt und nur als Resultat der
19 Gerade diese Dialektik ist folglich geeignet, um den Grund des Gedankens einer ,.absoluten Negativität« im Gedanken des Selbstbewußtseins zu finden; vgl. dazu Chr.Hackenesch, Die Logik der Andersheit, FrankfurtJMain 1987, S. 240 ff.
20 Deshalb würde es nicht genügen, die eigene Unabhängigkeit vom Leben durch Selbsttötung zu demonstrieren: "Es muß, damit ein jedes die Gewißheit seiner selbst gewinnt - für sich ist -, diese Gewißheit zur Wahrheit an dem anderen erweisen." (W.Marx, Das Selbstbewußtsein in Hegels Phänomenologie des Geistes, FrankfurtJMain 1986, S. 69).
IV. Anerkennung in der Ungleichheit
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bisherigen Entwicklung der Selbstbewußtseinsrelation in ihrer Wendung zur Erscheinung für das Selbstbewußtsein angemessen zu verstehen ist: den "Kampf auf Leben und Tod". Um sich als Fürsichsein zu zeigen, muß jedes auf den Tod des anderen gehen; in diesem Sinne ist die Darstellung "Tun des Anderen" . Insofern die Bewährung des Selbstbewußtseins in seinem Fürsichsein aber nur durch ein anderes Fürsichsein geschehen kann, muß dieses andere so negiert werden, daß es sich darin gerade als Fürsichsein bewährt, damit das Verhältnis nicht auf die überwundene Stufe der Begierde zurückfällt. Um den Anforderungen der jetzt entwickelten Verfassung der Selbstbewußtseinsrelation Genüge zu tun, muß diese Darstellung also ebenso "Tun durch sich selbst" sein, d.h. das Daransetzen des eigenen Lebens muß auf beiden Seiten geschehen (111). Deshalb handelt es sich um eine einheitliche Struktur, in der das Tun des Anderen und das Tun durch sich selbst in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis stehen. Wir stehen vor dem merkwürdigen Ergebnis, daß eine rein theoretische Entwicklung der immanenten Problematik der Selbstbewußtseinsrelation in eine Situation führt, in der zwei Leben eingesetzt werden müssen, um die angemessene Gegenständlichkeit eines Fürsichseins zu erreichen. Daß dieser "Kampf" kein zufälliges Tun ist, sondern notwendiges Implikat der Selbstbewußtseinsstruktur in ihrer Wahrheit, drückt Hegel unmißverständlich aus: "Sie müssen in diesen Kampf gehen, denn sie müssen die Gewißheit ihrer selbst, für sich zu seyn, zur Wahrheit an dem andern, und an ihnen selbst erheben." (111) Zunächst hat sich aus unseren Interpretationen deutlich ergeben, daß es sich nicht um zwei "Selbstbewußtseine" handeln kann, die in diesen Kampf gehen; seine Wahrheit als Selbstbewußtsein gewinnt jedes vielmehr erst in und durch diesen Kampf. Es kann sich jedoch auch nicht um eine bloß interne Relation eines Selbstbewußtseins handeln. Daß auf dem Boden der reinen Interiorität seiner Gegenständlichkeit keine haltbare Selbstbewußtseinsrelation gedacht werden kann, war Ergebnis der Entwicklung dieser Relation für uns. Die interne Exteriorität, die als Bedingung eines Bewußtseins von sich selbst entwickelt wurde, wird zur Wahrheit erst in jenem Verhältnis, das Hegel als "Kampf auf Leben und Tod" bezeichnet und das wir wegen seiner selbstbewußtseinsermöglichenden Bedeutung ein absolutes nennen dürfen. Aus der argumentativen Entwicklung der Selbstbewußtseinsproblematik, die Hegel zu der jetzt erreichten Situation führte, ergibt sich jedoch auch, daß der entscheidende Grundgedanke darin das Daransetzen des eigenen Lebens füreinander ist, das zur wechselseitigen Darstellung der Freiheit des Fürsich-
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
seins führt (vgl. 111).21 Daraus können wir die Legitimation ableiten, den Kampf auf Leben und Tod als paradigmatische Formulierung jenes absoluten Verhältnisses zu betrachten, das wir auch in weniger martialischen Situationen verwirklicht sehen können. Das Paradigma eines solchen ,.Kampfes« können wir bereits dort als erfüllt ansehen, wo es einem Lebewesen gelingt, sich als nicht seinem sinnlichen Dasein attachiert zu zeigen; d.h. wo es ihm gelingt zu zeigen, daß es aufgrund seines Selbstverständnisses mehr ist als sein bloßes Für-Andere-Sein. Die Grundstruktur einer solchen Selbstdarstellung ist schon dort gegeben, wo Lebewesen eine ,.soziale« Beziehung konstituieren, indem sie das Leben einsetzen nicht um des Lebens sondern um eines darüber hinausgehenden Gutes willen. Insofern ist der Grundgedanke jenes Verhältnisses, das Hegel paradigmatisch als "Kampf auf Leben und Tod" formuliert, auch zu beschreiben durch die Bereitschaft eines Wesens, sein Leben nicht um jeden Preis erhalten zu wollen. In diesem wechselseitigen Daransetzen des Lebens - paradigmatisch formuliert als "Kampf auf Leben und Tod" - geschieht jenes Verhältnis, das Hegel als "Anerkennen" bezeichnet und das nun die Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " bestimmt. Deshalb kann es im übrigen keinen ,.Kampf um Anerkennung« geben, wenn damit das Motiv jenes Kampfes bezeichnet sein soll.22 Warum das Daransetzen des Lebens stattfindet, kann und muß nicht
21 Das zugrunde liegende Problem hat Sartre sehr klar formuliert und kritisch gegen Hegel gewendet: "Ie pour-soi est inconnaissable par autrui comme pour-soi" (L'etre et le neant. Essai d'ontologie phenomenologique, 26e M. Paris 1937, S. 298) - "Mais en tant que l'autre m'apparait comme objet, mon objectivite pour lui ne saurait m'apparaitre: sans doute je saisis que l'objet-autre se rapporte amoi par des intentions et des actes, mais du fait meme qu'il est objet, le miroir-autrui s'obscurcit et ne reflete plus rien" (S. 299). Sartre gründet darauf seine "accusation d'optimisme" (S. 296) gegen Hegel, dem es nicht gelungen sei, das Erkenntnisverhältnis zu transzendieren und zu einem adäquaten Begriff zu kommen, wie ein Fürsichsein für ein Fürsichsein sein könne. Hegel sucht jedoch an dieser Stelle gerade eine Erfahrungsmöglichkeit von einem fremden Fürsichsein zu beschreiben. Insofern scheint mir Sartres Kritik im ganzen nicht berechtigt. 22 Bei der Ausarbeitung dieser Problematik mag Hobbes' Lehre vom Naturzustand eine Rolle gespielt haben. Aber der "Kampf« in der Phänomenologie des Geistes steht in anderen Zusammenhängen. Schon von einem Naturzustande des Selbstbewußtseins zu sprechen, scheint sehr gewagt (W.Janke, Historische Dialektik, S. 315). Eine Parallelisierung scheint nur unter den Prämissen einer historisch-materialen Interpretation möglich. Vgl. dazu L.Siep, Der Kampf um Anerkennung. Zu Hegels Auseinandersetzung mit Hobbes in den Jenaer Schriften, in: Hegel-Studien 9/1974, S. 155-207.
V. Die Bestimmtheitsform der Anerkennung
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Thema der selbstbewußtseinstheoretischen Erörterungen sein. Mit "Anerkennung" als Bezeichnung des Verhältnisses "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " ist vielmehr das Resultat jenes Daransetzens des Lebens genannt. Insofern drückt dieser Begriff auch die Faktizität jenes selbstbewußtseinsermöglichenden Geschehens aus, in dem ein Fürsichsein für ein Fürsichsein wird. Wenn wir nun für einen Augenblick wieder auf die paradigmatische Formulierung der entwickelten Selbstbewußtseinsstruktur in ihrer Wendung zur Erfahrung des Selbstbewußtseins als "Kampf auf Leben und Tod" zurückgehen, so wird bereits aus dem Rückblick auf die bisherige Entwicklung deutlich, daß es mit dieser Lösung nicht sein Bewenden haben kann. Mit der bloßen Negation des Lebens fiele die Selbstbewußtseinsstruktur hinter ihre bereits ausgearbeiteten Momente zurück und würde deshalb durch ihre interne Dynamik erneut den soeben als nicht haltbar erkannten Zustand erreichen müssen. Dieses Wissen muß auch für das Selbstbewußtsein werden als Erfahrung, "daß ihm das Leben so wesentlich als das reine Selbstbewußtseyn ist" (112). In der bloßen Negation ohne Affirmation jener Selbständigkeit, die sich als Leben zeigt, wäre die geforderte Bedeutung des Anerkennens nicht zu erreichen. 23 Es handelte sich nicht um eine Negation durch das Bewußtsein, "welches so aufhebt, daß es das aufgehobene aufbewahrt und erhält und hiemit sein Aufgehobenwerden überlebt" (112). Deshalb muß sich die Selbstbewußtseinsrelation wiederum fortentwickeln zu einer Struktur, in der auf beiden Seiten Leben und Daransetzen des Lebens integriert sind. Nur darin können für die Erfahrung des Selbstbewußtseins jene Bedingungen erfüllt sein, die sich aus der Entwicklung seiner Struktur ergeben hatten.
V. Die Bestimmtheitsform der Anerkennung: Das Paradigma von »Herr« und »Knecht« Für den ersten Schritt dieser Fortentwicklung findet Hegel nun eine Begrifflichkeit, die ebenso wie die Rede vom "Kampf auf Leben und Tod" im
23 Der Schluß, daß ein totes Selbstbewußtsein niemanden mehr anerkennen kann, unterbietet Hegels argumentativen Aufwand beträchtlich. Die Notwendigkeit des Lebens für das Selbstbewußtsein ist nicht der Erfahrung des natürlichen Bewußtseins entnommen, sondern selbst argumentativ aus der Problematik der internen Gegenständlichkeit der Selbstbewußtseinsrelation entwickelt; dieser Begriff ist deshalb im Gedanken ,.Ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« aufbewahrt.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
Zusammenhang einer Strukturdiskussion der Selbstbewußtseinsrelation nicht ohne weiteres zu erwarten wäre. Das Verhältnis "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" erscheint nämlich in der Integration des Momentes des Lebens in das sich darstellende Fürsichsein als Verhältnis von Herr und Knecht. 24 Wiederum können wir unseren bisherigen Interpretationen entnehmen, daß damit nicht eine vorhandene soziale Konstellation beschrieben sein kann. Ebenso kann nicht eine kontingente soziale Urhandlung am Anfang der Geschichte gemeint sein. Herr und Knecht sind vielmehr Begriffe, die die Selbstbewußtseinsrelation auf der Stufe der internen Exteriorität ihrer Gegenständlichkeit weiter explizieren sollen. Deshalb sind wir auch hier wieder legitimiert, die Hegelschen Begriffe als paradigmatischen Ausdruck einer Struktur zu nehmen, ohne in wörtlichem Sinne eine bestimmte Konstellation damit zu verbinden. Müssen wir aufgrund der bisherigen argumentativen Entwicklung das "Leben" jenem "Gegenstand" attachieren, in dem allein ein Selbstbewußtsein adäquat sich auf sich beziehen kann, so haben wir als neue Gegenständlichkeit des Bewußtseins von sich selbst ein solches Selbstbewußtsein, "welches nicht rein für sich, sondern für ein anderes, das heißt, als seyendes Bewußtseyn oder Bewußtseyn in der Gestalt der Dingheit ist" (112). Genau durch einen solchen "Gegenstand" - den Hegel als "Knecht" bezeichnet - ist nun das Selbstbewußtsein mit sich vermittelt, das deshalb von der anderen Seite her als Herr erscheint. Weil seine Entwicklung sich aber bereits auf der Stufe "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " befindet, so treten die beiden Seiten auseinander in die Gestalten von Herr und Knecht, bzw. eines selbständigen und eines unselbständigen Selbstbewußtseins. Als Herr ist das Selbstbewußtsein nun durch ein Bewußtsein mit sich vermittelt, das mit der Dingheit synthetisiert ist (112/113). Genau dies war erfordert, um die Relation des Fürsichseins aus der problematischen Situation, in die sie erneut geraten war, herausführen zu können. Der "Knecht" scheint nun als Bezeichnung für die neue Gegenständlichkeit der Selbstbewußtseinsrelation besonders gut geeignet, da er sich auf doppelte Weise an das dingliche
24 Zu diesem Thema im Zusammenhang der Vor- und Nachgeschichte der Phänomenologie des Geistes vgl. H.Ottmann, Herr und Knecht bei Hegel. Bemerkungen zu einer mißverstandenen Dialektik, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 35/1981, S. 365-384. Ich möchte gegen Ottmanns Untersuchungen die Bedeutung des argumentativen Zusammenhanges speziell der Phänomenologie des Geistes stärker zur Geltung bringen; vgl. dazu auch O.pöggeler, Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, Freiburg/München 1973, bes. S. 264.
V. Die Bestimmtheitsform der Anerkennung
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Sein gebunden hält. Einerseits ist ihm sein eigenes Dingliches wesentlich; dies hat er gezeigt, indem er im Kampfe nicht den Tod vorgezogen hat, bzw. nach unserem Interpretationsvorschlag, indem er keinen Preis kannte, für den er das Leben zur Disposition zu stellen bereit gewesen wäre. Andererseits ist er als Knecht gerade definiert durch seinen Bezug zu fremdem dinglichen Sein; dies zeigt er, indem er es für andere bearbeitet und es so zwar negiert, aber nicht bis zur Vernichtung mit ihm fertig werden kann (vgl. 113). Wenn es mit der Begrifflichkeit von "Herr und Knecht" um die Darstellung der für uns oder an sich entwickelten Struktur der Selbstbewußtseinsrelation für das Selbstbewußtsein selbst geht, so können wir nun auch dieses Verhältnis als Strukturbegriff auffassen und die gleichnamige soziale Relation nur als deren paradigmatischen oder extremen Ausdruck verstehen. 2S Im Anschluß an unseren Versuch, für das "Daransetzen des Lebens" einen etwas weniger martialischen Ausdruck zu finden, könnten wir nun sagen: die Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" in der Form "Herr und Knecht" ist überall dort erfahrbar, wo ein solches Hinausgehen über das bloße Leben stattfindet, das zur Bedingung gerade die Bewahrung des Lebens hat und darin ein soziales Unterordnungsverhältnis in der Auseinandersetzung mit der Natur konstituiert. Im Rahmen unserer bisherigen Interpretationen ist ein solches Verhältnis relativ leicht zu rekonstruieren. Es genügt dazu, eine winzige Differenz zwischen den beiden Parteien einzuführen. Jener, der überhaupt keinen Preis kennt, für den er das Leben einzusetzen bereit wäre, ist jenem, der im Bewußtsein der Bereitschaft lebt, für einen - beliebig hoch anzusetzenden Preis sein Leben zu wagen, strukturell unterlegen. Eo ipso ist damit der Grundstein zu einem Verhältnis sozialer Über- und Unterordnung gelegt. Da mit dem Paradigma von "Herr und Knecht" eine neue Charakterisierung der Relation "Bewußtsein von sich selbst" entwickelt sein sollte, so ist es aus unmittelbar einzusehenden Gründen unvollständig und kann nicht Bestand haben. Wohl wird für den Herrn sein Anerkanntsein durch ein anderes Bewußtsein (113). Aber indem dies einseitig ist, kann darin das Bewußtsein von sich selbst nicht zu seiner adäquaten Gegenständlichkeit kommen, in der es sich selbst als Subjekt und Objekt wissen muß. Deshalb fehlt zum eigentlichen Anerkennen das Moment, "daß was der Herr gegen den andern thut, er auch gegen sich selbst, und was der Knecht gegen sich, er auch gegen den andern thue"
2S Es handelt sich nicht um ein »natürliches« Verhältnis, sondern um ein Verhältnis der Anerkennung; vgl. H.Faes, L'esclave, le travail et I 'action. Aristote et Hegel, in: Archives de Philosophie 58/1995, S. 97-121.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
(113). Indem der Herr seine Gewißheit in einem unselbständigen Bewußtsein hat, kann er darin nicht seine Wahrheit finden. Nach unseren bisherigen Interpretationen ergibt sich bereits aus einer einfachen Überlegung, von welcher Seite der Fortgang beginnen muß. Der Herr hat die für die adäquate Selbstbewußtseinsstruktur nötige Einheit von Fürsichsein und Leben in Gestalt des Knechtes bereits für sich. Er kann darin aber nicht für sich werden, da er sich selbst nicht als Leben versteht. Ein solches Verständnis aber ist aufgrund der Entwicklung der Selbstbewußtseinsproblematik für ein adäquates Sich-Wissen unabdingbar. Dem Herrn ist jedoch per defmitionem das dingliche Sein nur im Anderen wesentlich. Deshalb wird er von sich aus keinen Weg über sich hinaus anbieten können - und auch nicht müssen, denn in der Blickrichtung vom Herrn auf den Knecht ist die Relation der entwickelten Selbstbewußtseinsstruktur gemäß. Für den Knecht dagegen stellt sich die Lage genau umgekehrt dar. In sich selbst hat er alle Wahrheit, denn er ist ebenso Fürsichsein, wie er sich als Leben versteht und gezeigt hat. In der Blickrichtung auf den Herrn jedoch kann er sich als diese Wahrheit nicht wiederfinden, denn der Herr ist Fürsichsein, dem das Leben gerade nicht wesentlich ist. Aber als Knecht hat er auch bereits das andere Moment seiner eigenen Wahrheit, nämlich das dingliche Sein für sich. Deshalb muß es nun an ihm liegen, die beiden Momente seiner Wahrheit so zu einem Gegenstand zusammenzubringen, daß er seine Wahrheit darin wiederfinden kann. Damit wäre jene gesuchte Selbstbewußtseinsrelation in der Erfahrung für das Selbstbewußtsein gefunden, die zuvor aus der internen Problematik eines Fürsichseins entwickelt wurde. 26 Zur Beschreibung dieser Fortentwicklung von der Struktur" Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" in der Form "Herr und Knecht" - die sich als nicht ausreichend gezeigt hat, um die Selbstbewußtseinsrelation auf der nun erreichten Stufe zu charakterisieren - benutzt Hegel nun den Begriff "Arbeit".27 Es ist bereits deutlich geworden, daß es damit möglich sein muß, eine Situation zu erfassen, in der die beiden Momente, die dem Knecht in seinen Gegenständen noch auseinanderfallen, nämlich das bloße Fürsichsein und das dingliche Sein, zusammenzubringen sind. In der Tat sieht Hegel in der Arbeit die negative Beziehung auf den Gegenstand, die das Fürsichsein ausmacht, zur
26 In Bezug auf die argumentative Funktion ähnlich: Y.Kumamoto, Die methodologische Funktion des Verhältnisses von "Herr und Knechte in der Philosophie Hegels, in: Fichte-Studien 3/1991, S. 51-67. 27 Zum Horizont dieses Begriffs in Hegels Philosophie vgl. M.Riedel, Theorie und Praxis im Denken Hegels, Stuttgart 1965, S. 62 ff, S. 117 ff.
V. Die Bestimmtheitsfonn der Anerkennung
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Form und damit zu einem Bleibenden werden (115). Auf diese Weise kommt gerade das arbeitende Bewußtsein "zur Anschauung des selbständigen Seyns, als seiner selbst" (115). Nun war für den Knecht zunächst das selbständige Bewußtsein in der Gestalt des Herrn erfahren, der sich ihm als reines Fürsichsein dargestellt hatte. Daß sich in der Arbeit des Knechtes dieses Fürsichsein in die Dingwelt hineinbildet, muß sich deshalb aus der Struktur der Herr-Knecht-Beziehung entnehmen lassen. Indem der Knecht das "Mittel" ist, durch das sich der Herr zu den Dingen verhält, gestaltet er jenes Fürsichsein des Herrn in das Produkt seiner Arbeit. Nun arbeitet das knechtische Bewußtsein zwar im Dienste seines Herrn und bildet deshalb dessen Fürsichsein in das Sein. Aber indem es dies tut, hebt es auch stets andere Formen und damit andere Bildungen eines Fürsichseins im Sein auf. Insofern holt es darin in gewissem Sinne das nach, was es zuvor versäumt hat und wodurch es zum Knecht wurde: es zerstört das fremde Fürsichsein im Elemente der Gegenständlichkeit und setzt darin, obwohl im Dienste eines Herrn arbeitend, "sich als ein solches in das Element des Bleibens" (115).28 Offensichtlich ist es dem knechtischen Bewußtsein gerade durch seine Arbeit möglich, jene nun entwickelte Form der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein ", in der dem Ich-Subjekt und dem Ich-Objekt ebenso Fürsichsein wie Leben zukommen, zu einer für das Selbstbewußtsein erfahrbaren Gestalt werden zu lassen. Das Fürsichsein, in dem das Selbstbewußtsein seine adäquate Gegenständlichkeit erreichen kann, hat jedoch nun eine ganz andere Gestalt gefunden, als zu Beginn der Entwicklung zu vermuten gewesen war. Nicht in der unmittelbaren Beziehung zweier "Menschen" wird die Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" erfahrbar, sondern nur in der Vermittlung durch die Arbeit in Orientierung an anderem Fürsichsein, das darin als Fürsichsein gegenständlich wird. Zur Erfüllung bzw. Erfahrbarkeit dieser Struktur genügt es also offenbar nicht, daß das Bewußtsein nach seinen eigenen Vorstellungen und Plänen das dingliche Sein verändert; in Hegels Verständnis würde dies den Begriff der Arbeit nicht erfüllen, weil ein solches "Formieren" dem Bewußtsein nicht "das Bewußtseyn seiner als des Wesens geben" könnte (115). Wir können die argumentative Grundlage dieses Arbeitsbegriffes wiederum in selbstbewußtseinstheoretischen Erwägungen sehen. Die Form nämlich, die das knechtische Bewußtsein nach seinem eigenen Sinn verwirklichen würde, wäre nicht die Negativität an sich. Was es so realisieren würde, wäre
21 Zur näheren Erläuterung dieses Zusammenhanges siehe H. -G. Gadamer, Hegels Dialektik, S. 237 ff.
15 Römpp
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
deshalb noch von seinem eigenen bestimmten Sein, d.h. von seinem eigenen "Leben" affiziert. Wir könnten auch sagen: es würde nicht die reine Fonn realisieren, die mit dem reinen Fürsichsein identisch ist (vgl. 116). Auf diese Weise würde es nicht seine spezifische Gegenständlichkeit gewinnen, in der die Bestimmtheit des Dinglichen und die Absolutheit des Fürsichseins vereint sein müssen. Auch der das Kapitel "Herrschaft und Knechtschaft" beschließende Begriff der Arbeit ist also nicht losgelöst von der selbstbewußtseinstheoretischen Abzweckung der gesamten argumentativen Entwicklung dieses Textes zu verstehen. Mit diesem Gedanken schließt der Abschnitt A, in dem die "Wahrheit der Gewißheit seiner selbst" unter dem Titel "Selbständigkeit und Unselbständigkeit des Selbstbewußtseins" diskutiert wurde. Offensichtlich fußt der Abschnitt B, der die Selbstbewußtseinsstruktur unter dem Titel "Freiheit des Selbstbewußtseins " weiter entwickelt, auf jenen argumentativen Resultaten, die jetzt mit dem Begriff der Arbeit als Entwicklung der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " ihren Abschluß gefunden haben. Indem so eine Möglichkeit gefunden ist zu begreifen, wie diese entwickelte Struktur für das Selbstbewußtsein erfahrbar werden kann, ist für uns oder an sich eine neue Gestalt des Selbstbewußtseins geworden. Es mag zunächst merkwürdig erscheinen, daß dieses Selbstbewußtsein als freies und d.h. denkendes bezeichnet wird. Auf den ersten Blick mutet der Weg von "Arbeit" zu "Denken" ziemlich weit an. Wir kommen auch hier nur dann einem Verständnis näher, wenn wir die beiden Begriffe und ihren Zusammenhang rein aus ihrer Funktion der Strukturexplikation der problematischen Selbstbewußtseinsrelation verstehen. Dann wird es auch verständlich, daß "Denken" in diesem Zusammenhang das Selbstverhältnis bezeichnet, "nicht als abstractes Ich, sondern als Ich, welches zugleich die Bedeutung des Ansichseyns des Bewußtseyns hat, für welches es ist" (116). Dies fonnuliert gerade jenen Entwicklungsstand der Selbstbewußtseinsrelation, der unter der Bezeichnung "Arbeit" argumentatives Ergebnis des Abschnitts A war. Auch dieser Zusammenhang bestätigt unseren Versuch, die Hegeischen Begriffe in einem strukturellen Sinne und aus dem Entwicklungszusammenhang der Selbstbewußtseinsrelation aufzufassen. Aufgrund dieses Zusammenhangs von" Arbeit" und "Denken" können wir nun auch das freie oder denkende Bewußtsein von der Entwicklung der Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" her auffassen. Insofern ist das denkende Selbstbewußtsein zuTÜckbezogen auf jene intern-externe Gegenständlichkeit eines Bewußtseins von sich selbst, die nur als ein anderes Selbstbewußtsein adäquat zu denken ist. Wir können auf die Folgen dieses
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Zusammenhangs hier nicht näher eingehen; es ist jedoch offensichtlich, daß der Hegeische Begriff des Denkens sowie die gesamte weitere Entwicklung der ,.Phänomenologie des Geistes« von der von uns interpretierten Struktur "Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein " als argumentativer Entwicklung der problematischen Selbstbewußtseinsrelation affiziert sein werden. 29 Unsere Interpretationen haben uns zu Ergebnissen geführt, die sich teilweise beträchtlich von anderen Versuchen unterscheiden, dieses ebenso problematische wie zentrale Kapitel der "Phänomenologie des Geistes« zu verstehen. Es scheinen uns gerade rein selbstbewußtseinstheoretische Erwägungen zu sein, die Hegel zu jener zunächst paradox anmutenden Behauptung veranlassen, derzufolge ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein ist. Diese aus der internen Dynamik der Selbstbewußtseinsrelation entwickelte Exteriorität wird als Erfahrung eines fremden Fürsichseins formuliert, indem und sobald der Diskurs des erscheinenden Wissens jene charakteristische Wendung vollzieht, die ihm die argumentative Kapazität verschaffen soll, Relationen eines Fürsichseins zu diskutieren, für die Wahrheitsansprüche nur dann erhoben werden können, wenn das Fürsichsein sie selbst für sich erfahren hat. Wir haben versucht, die Theoreme vom Kampf auf Leben und Tod, von Herr und Knecht sowie von der Bedeutung der Arbeit in den Zusammenhang jenes selbstbewußtseinstheoretischen Beglaubigungsverfahrens zu stellen.
VI. Vom praktischen Verhältnis der Anerkennung zum »absoluten Wissen« Die Problematik, mit der Hegel in der "Phänomenologie des Geistes« den Gedankengang beginnt, der zur abschließenden Konzeption des "absoluten Wissens« führt, die schließlich dazu zwingt, die Verständlichkeit der Welt in einer mit dem bedeutungslosen Wort "Sein« anhebenden "Wissenschaft der Logik« zu explizieren, gleicht in ihrer Grundstruktur immer noch derjenigen, die Hegel gezwungen hatte, den Gedanken des Selbstbewußtseins als der
29 Vgl. zur weiteren Entwicklung des Selbstbewußtseinskapitels W.Marx, Das Selbstbewußtsein, S. 99 ff; sowie zu dem über die "Freiheit« des Selbstbewußtseins anschließenden Vernunftkapitel K.Düsing, Der Begriff der Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes, in: H.F.FuldalR.-P.Horstmann, Hrsg., Vernunftbegriffe in der Moderne, Stuttgart 1994, S. 245-260; sowie K.E.KaehlerlW.Marx, Die Vernunft in Hegels Phänomenologie des Geistes, FrankfurtlMain 1992.
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,.Wahrheit der Gewißheit seiner selbst« zunächst zu dem immer noch in sich widersprüchlichen Gedanken eines ,.Selbstbewußtseins für ein Selbstbewußtsein« weiterzuentwickeln, und die, obwohl damit schon der ,.Begriff des Geistes« für uns vorhanden war, ihn weiter gezwungen hatte, der internen Konsequenz dieses Gedankens folgend jene Widersprüchlichkeit in immer neuen ProblemLösung-Problem-Sequenzen so weit zu verfolgen, daß schließlich nur noch die Konzeption der ,.offenbaren Religion« als der Gedanke herangezogen werden konnte, der das Bewußtsein seiner selbst als Grundlage der Verständlichkeit der Welt in einen haltbaren Denkzusammenhang zu stellen in der Lage sein konnte. 30 Wenn der gedankliche Weg zum ,.absoluten Wissen« jedoch mit einer Situation beginnt, in der der Inhalt des VorsteIlens bereits der ,.absolute Geist« ist, so scheint nicht mehr viel zu fehlen, um das Selbstbewußtsein in seiner genuinen Struktur in einem konsistenten Begriff zum Ausdruck bringen zu können. Und wenn mit dem entscheidenden ersten Schritt in der Entwicklung der Selbstbewußtseinsstruktur, also zum ,.Begriff des Geistes« im Verhältnis ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein«, schon die Richtung angegeben war, in der die einzig mögliche Lösung gefunden werden kann, so muß es gerade die gedankliche Entwicklung der Konzeption des Geistes sein, die nunmehr so weit vorangeschritten ist, daß es nur noch eines letzten gedanklichen Schrittes bedarf, der uns abschließend darüber aufklärt, wie das Selbstbewußtsein - in dessen Grundstruktur doch auch Hegel die einzige Möglichkeit angelegt sah, uns konsistent die Verständlichkeit der Welt erhellen zu können angemessen als Geist begriffen werden muß. 31 Jenes wenige, das noch für das Gelingen eines Abschlusses der Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur nötig erscheint, ist offenkundig die Behebung des Problems, daß der ,.absolute Geist« in der Gestalt der ,.offenbaren Religion«
30 Insofern entspricht diese Entwicklung in ihrer systematischen Abzweckung durchaus dem Programm einer ,.Geschichte« des Selbstbewußtseins; vgl. dazu K.Düsing, Hegels ,.Phänomenologie« und die idealistische Geschichte des Selbstbewußtseins, in: Hegel-Studien 28/1993, S. 103-126.
31 Deshalb ist mit der Konstellation ,.ein Selbstbewußtsein rur ein Selbstbewußtsein« begrifflich das Zentrum der Entwicklung der Bewußtseinsgestalten der Phänomenologie erreicht. Vgl. dazu O.pöggeler, der darauf hinwies, daß die Idee der Phänomenologie letztlich im Prinzip des Selbstbewußtseins liegt (Hegels Idee einer Phänomenologie des Geistes, FreiburglMünchen 1973, bes. S. 257; vgl. ders., Die Komposition der Phänomenologie des Geistes, in: H.F.FuldalD.Henrich, Hrsg., Materialien zu Hegels ,.Phänomenologie des Geistes«, FrankfurtlMain 1973, S. 329-390).
VI. Von der Anerkennung zum ,.absoluten Wissen«
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noch als "Inhalt des Vorstellens" (422) gedacht wird. Dies ist gleichbedeutend damit, daß das Selbstbewußtsein noch nicht in seiner reinen Identität mit sich gedacht werden kann, was Hegel so zum Ausdruck bringt: "sein wirkliches Selbstbewußtseyn ist nicht der Gegenstand seines Bewußtseyns" (422). Jener »Geist der offenbaren Religion« fällt also noch in die ,.Form der Gegenständlichkeit«. Daraus läßt sich zunächst der innere Zusammenhang zwischen der ersten Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur in Kap. IV (,.Die Wahrheit der Gewißheit seiner selbst«) und der abschließenden ,.Überwindung« der Gegenständlichkeit des Selbstbewußtseins im ,.absoluten Wissen« ersehen ebenso wie die Bedeutung, die dieser Zusammenhang für das Argumentationsprojekt der "Phänomenologie des Geistes« besitzt. Das Problem, mit dem behaftet das Selbstbewußtsein bereits bei seinem Erscheinen im Entwicklungsgang der ,.Phänomenologie des Geistes« auftritt, ist ja unmittelbar das seiner Gegenständlichkeit, also das Problem, wie es zum Teil des Bewußten eines Bewußtseins werden kann, ohne seinen genuinen Charakter als Selbstbewußtsein in der Identität von Bewußtsein und Bewußtem zu verlieren. Das Problem war also, wie das Selbstbewußtsein bewußt und gedacht werden kann, obwohl es doch nichts anderes ist als die Identität von Bewußtsein und Bewußtem. Die Form des Denkens widerspricht in diesem Fall also seinem Inhalt. Nun scheint dies zunächst bei jedem Gegenstand des Bewußtseins der Fall zu sein: als Gegenstand erschöpft er sich nicht in der Bestimmung, "bewußt« zu sein, sondern tritt mit Gehalten auf, die ihn gerade nicht als "Bewußtes« kennzeichnen. Das Selbstbewußtsein unterscheidet sich von solchen Bewußtseinsgegenständen jedoch nicht durch einen Überschuß an Bestimmtheit gegenüber der bloßen Tatsache, daß sie "bewußt« sind, sondern gerade durch einen Mangel an Bestimmtheit. Dieser Mangel geht darauf zurück, daß darin die Identität von Bewußtsein und Bewußtem als solche zum Thema werden soll, die durch nichts anderes bestimmt ist als durch eben diese Identität. Dies würde vermutlich solange nicht zu einem unüberwindbaren Problem führen, als das Selbstbewußtsein wie ein anderer Gegenstand in der Welt zum Thema werden soll. Hier ließe sich für die besonderen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes wohl ein praktikabler Ausweg fmden. In der "Phänomenologie des Geistes« geht es jedoch nicht um Selbstbewußtsein als einen bestimmten Gegenstand in der Welt, sondern im Zentrum steht Selbstbewußtsein als eine Denkfigur, die allein geeignet erscheint, die Verständlichkeit der Welt transzendental zu erklären - mit Hilfe der Struktur von Selbstbewußtsein soll Objektivität über die Identität der Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung der Gegenstände mit den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung
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verständlich werden. Die "Phänomenologie des Geistes« handelt dementsprechend vom Selbstbewußtsein als Gedanken einer Struktur, mit der wir die Welt hinsichtlich dieser Identität verstehen können - es wird beansprucht, auf diese Weise die Verständlichkeit der Welt als solche verstehen zu können. Aus dieser Situation ergibt sich nun die Kalamität, einerseits das Selbstbewußtsein gerade dann als Denkgegenstand auffassen zu müssen, wenn wir mit seiner Hilfe die Verständlichkeit der Welt verstehen wollen, andererseits aber eben damit diese Leistungsfähigkeit zu dementieren, indem diejenige Struktur als Gegenstand in der Welt aufgefaßt wird, die doch erst aufgrund ihrer besonderen Identität diese Welt in ihrer Verständlichkeit einsehbar werden lassen kann. Als Bewußtes eines Bewußtseins ist das Selbstbewußtsein also selbst in einem Status unaufgeklärter Verständlichkeit - seine Verständlichkeit ist selbst noch unverstanden. Genau dieser Mangel muß sich aber auf die Aufklärung über die Verständlichkeit der Welt übertragen, die durch die gedankliche Ausnutzung der Selbstbewußtseinsstruktur angestrebt wird. 32 Die Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur zwischen dem ersten Schritt in Kap. IV, der zum "Begriff« des Geistes im Verhältnis "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein" führte (108), und der Situation, in der der Inhalt des Vorstellens, aus dem die Verständlichkeit der Welt einsehbar werden soll, bereits als "absoluter Geist" gedacht wird, war geleitet durch jene Schwierigkeit mit einem angemessenen Denken des Selbstbewußtseins, mit Hilfe dessen eben diese Einsicht gelingen soll. Der "Begriff« des Geistes war mit der Struktur "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« schon als solcher ausgearbeitet, weil das Selbstbewußtsein darin aus den Problemen mit seiner internen Gegenständlichkeit in einem ersten und entscheidenden Schritt "über sich hinaus« zu einem "Gegenstand" entwickelt worden war, der insofern den Fundamen-
32 Dieser Zusammenhang von Gegenständlichkeit der WeIt und Gegenständlichkeit des Selbst führt in der Entwicklung der Selbstbewußtseinsstruktur zur Realisierung des Begriffs des Geistes als einer "Reflexion«, die ihre Grenze zum Anderen in sich aufgenommen hat und das Andere als Moment seiner selbst weiß. Der Fluchtpunkt des HegeIschen Gedankens liegt deshalb in der Tat in dem Unternehmen, "die Einheit des Ich und des Anderen nicht aus der Perspektive eines Dritten zu bestimmen, sondern aus der Bestimmtheit des Ich selbst", wie Chr.Hackenesch dies formuliert (Die Logik der Andersheit, FrankfurtlMain 1987, S. 239). Mit diesem Vorhaben schließt Hegel allerdings nur an die Gedanken von Fichte und Schelling an. Der Fortschritt besteht darin, daß das Selbstbewußtsein nun sich und die Welt in einer Sequenz von Begriffen expliziert, die die Andersheit der Anderen ebenso implizieren wie diejenige des Anderen.
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talbedingungen der Gegenständlichkeit entsprach, als er nicht ,.im« Bewußtsein verblieb, sondern in das Verhältnis zum Bewußtsein eine Unabhängigkeit und Differenz einführte, die den Anfang machte auf dem Weg einer Entwicklung, in der das Selbstbewußtsein auf eine seiner Struktur angemessene Weise zu einem ,.Gegenstand« werden sollte. Es war damit auch der Anfang gemacht zu einer angemessenen begrifflichen Auffassung von Selbstbewußtsein als Denkgegenstand. Mit dem Verhältnis, in dem ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« ist, war im Selbstbewußtsein eine interne Andersheit entwickelt worden, die sein reines Für-sieh-sein durchbrach in Richtung auf den Gedanken eines Selbstbewußtseins, das Gegenstand eines Bewußtseins sein kann und damit als solches ein Gegenstand begrifflichen Denkens. 33 Offensichtlich ist nun das Ergebnis dieser Entwicklung, daß ein erfolgreicher Abschluß dieses Gedankenganges nur erreicht werden kann, wenn die Form des Vorstellens erst dann aufgehoben wird, sobald der Inhalt des Vorstellens der ,.absolute Geist« ist. Dann erst kann das ,.wirkliche Selbstbewußtsein« zum Gegenstand eben des Bewußtseins werden, in dem es in der Tat schon Gegenstand ist - aber nicht in der Form eines ,.wirklichen Selbstbewußtseins«. Im Selbstbewußtseins-Kapitel war zunächst nur die abstrakte Struktur des denkenden Verhältnisses zur Welt erreicht, die Hegel als ,.Geist« bezeichnet, als Geist, der die Gewißheit hat, in der Verdoppelung seines Selbstbewußtseins und in der Selbständigkeit beider seine Einheit mit sich selbst zu haben. Wenn das Bewußtsein den Geist aber schon als absolut weiß, so ist er schon vorgestellt als das Wissen seiner selbst in seiner Entäußerung, als das Wesen, das die Bewegung ist, in seinem Anderssein die Gleichheit mit sich selbst zu behalten. Die Aufhebung der Form des Vorstellens, durch welche dann, wenn der Inhalt bereits als ,.absoluter Geist« entwickelt ist, der Übergang zum ,.absoluten Wissen« gemacht wird, besteht nun darin, daß die Dingheit vom Bewußtsein als ,.Entäußerung« des Selbstbewußtseins gewußt wird. So ist das ,.absolute Wissen«
33 J.H.Hoover macht in diesem Zusammenhang darauf aufmerksam, daß Hegel sich in weitgehender Übereinstimmung mit Schleiermaeher befmdet, wenn er Selbstbewußtsein als Ergebnis eines empirischen Bewußtseins denkt, das sich in einer Sprachund Handlungsgemeinschaft von anderen unterscheidet; allerdings sollte diese Ähnlichkeit nicht verdecken, daß nach Hegel in diesem Prozeß das Bewußtsein sich von sich unterscheidet (Appropriating Selthood: Schleichermacher and Hegeion Subjectivity as Mediated Activity, in: G.Zöller, Hrsg., Figuring the Self. Subject, Absolute, and Others in Classical German Philosophy, Albany 1997).
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
nichts anderes als die "Bewegung des Bewußtseyns". Als »Bewegung« sind Bewußtsein und Selbstbewußtsein nun keine »Gegenstände« mehr - das Bewußtsein ist nur noch die »Totalität seiner Momente«. 34 Hinsichtlich der Selbstunterscheidung des Bewußtseins von der Welt ist das ,.absolute Wissen« erreicht, wenn die Gegenstände dieser Welt in jeder ihrer Bestimmungen - es wäre hinzuzufügen: der apriorischen Bestimmungen, durch die sie einer gegenständlichen Welt angehören - von der Totalität der Bestimmungen her verstanden werden, welche den Gegenständen ihre Gegenständlichkeit im transzendentalen Sinn verschafft, indem sie sie als jene »Entäußerung« des Bewußtseins für das Bewußtsein auffaßbar macht, in der es sich als Gegenstand weiß und sich und seine Gegenständlichkeit darin ebenso erhält wie in sich zurückgenommen hat. Zum »geistigen Wesen« wird der Gegenstand demnach durch sein Verstandenwerden von dem System der apriorischen und gegenstandskonstituierenden Begriffe her - durch die Hinzufügung eines Vorzeichens zu jedem begrifflichen Verstehen, das den entsprechenden Begriff als einen aus jenen Begriffen kennzeichnet, die in ihrer Totalität Gegenständlichkeit als Anderssein des Bewußtseins konstituieren. Nun ist die Wahrheit der Gegenständlichkeit schon vor der abschließenden Weiterentwicklung zum »absoluten Wissen« in der Gestalt des »absoluten Geistes« durch das Bewußtsein vorgestellt. Der Mangel für ein angemessenes Auffassen der in der Struktur des Selbstbewußtseins verstehbaren Welt - und damit des Selbstbewußtseins als dieser Struktur - bestand in der unangemessenen Form des Vorstellens. »In Wahrheit« und »für das Bewußtsein« aber wird er zum »geistigen Wesen« - zum »absoluten Wissen« - durch die Auffassung einer jeder einzelnen jener Bestimmungen, deren Totalität transzendental Gegenständlichkeit verständlich werden läßt, "als des SelbstsOl (422), d.h. als ihre Bestimmtheit aus dem Bewußtsein beziehend, das darin eine Welt von sich unterscheidet und so erst Bewußtsein wird, weshalb es nicht Begriffe sein können, die das Bewußtsein aus sich produziert, sondern es sich um Begriffe handeln muß, die in ihrer Totalität, aus der allein sich ihre Bestimmtheit verstehen läßt, eben jenen Vorgang beschreiben, in dem das
34 Weil die .. Phänomenologie« sich von Anfang an in der Dimension eines Denkens des Subjekts als Selbstbewußtsein bewegt, deshalb impliziert der Begriff der Anerkennung nicht, daß ein Subjekt-Subjekt-Verhältnis in ein Subjekt-Objekt-Schema zurückgebogen werde, wie V.Hösle kritisiert, der Hegels Philosophie generell vorwirft, sie fmde nicht zur Intersubjektivität (Hegels System. Der Idealismus der Subjektivität und das Problem der Intersubjektivität, Hamburg 1987, hier S. 379).
Vll. Das Begreifen des Selbstbewußtseins
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Bewußtsein sich von der Welt unterscheidet, weshalb es darin für sich und die Welt die seine wird. Der Weg zum ..absoluten Wissen« ist demnach nichts anderes als das Begreifen, daß der ..absolute Geist« gerade als solcher nicht als Inhalt des Vorstellens angemessen aufgefaßt ist, sondern erst dann, wenn begriffen wird, daß auch das Vorstellen des absoluten Geistes in Wahrheit nur durch ein Auffassen einer jeden einzelnen Bestimmung aus der gegenstandskonstituierenden Totalität als Beschreibung jenes Vorgangs, in dem das Bewußtsein für sich und die Welt die seine wird, angemessen gedacht werden kann. Von ..absolutem Wissen« soll also dann gesprochen werden, wenn alle Bestimmungen, mit denen die Verständlichkeit der Welt verständlich werden kann, als die Bestimmungen gewußt werden, mit denen die Unterscheidung des Wissenden von seiner Welt gemacht wird und damit die Grundlagen für alles Wissen überhaupt erzeugt werden. 35 .. Absolut« ist das Wissen demzufolge dann, wenn es in einem ein Wissen des Wissens von der Welt als Wissen und das Wissen ist, durch das die Selbstunterscheidung des Bewußtseins von der Welt geschieht, in welcher Bewußtsein und Selbstbewußtsein in einem ursprünglichen Vorgang der Selbstkonstitution entstehen ...Absolutes Wissen« liegt demnach dann vor, wenn jenes Wissen, das die Verständlichkeit der Welt verständlich werden läßt, als Einheit des Wissens, in dem sich Bewußtsein und Selbstbewußtsein konstituieren, mit dem objektkonstituierenden Wissen eingesehen wird und bewußt wird - also mit dem Wissen, mit dem die Welt so für das Bewußtsein wird, daß sie als apriorische Bewußtseinsleistung verstehbar wird.
VB. Von der Phänomenologie zur Wissenschaft der Logik: Das Begreifen des Selbstbewußtseins Das .. absolute Wissen« könnte damit als die spezifisch HegeIsche Transformation und Reformulierung des Kantischen Ichs der transzendentalen Apperzeption aufgefaßt werden. Diese Auffassung ist so weit richtig, als in beiden Konzeptionen die Einheit von Bewußtseins- bzw. Selbstbewußtseinsstrukturen mit den Verständlichkeitsstrukturen der für ein Bewußtsein bzw.
35 Das absolute Wissen ist insofern nichts anderes als der Ausdruck für die irreduzible Prozessualität von Realität und Denken; vgl. dazu Th.F. Geraets, L' esprit absolut comme ouverture du systeme, in: Laval Tbeologique et Philosophique 42/1986, S. 3-13.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
Selbstbewußtsein zugänglichen Welt zum Ausdruck gebracht wird. Während Kant jedoch die Identität der Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung mit den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung in der nur durch die apriorischen Verständlichkeitsstrukturen einer Gegenstandswelt denkbar werdenden "Mir-Zugehörigkeit« aller Vorstellungen als Denknotwendigkeit nachzuweisen sucht, findet bei Hegel mit der Konzeption des "absoluten Wissens« eine Reflexion auf dieses Nachweisverfahren staU, in der das Begreifen des bewußten Selbstverhältnisses in Einheit mit der Identität in den Vorstellungen, die damit zu den seinen werden können, und in Einheit mit der Identität der Möglichkeitsbedingungen des Erfahrens der Gegenstandswelt mit den Möglichkeitsbedingungen der erfahrbaren Gegenstände in dieser Welt zusammen zu denken versucht wird. 36 Sachlich motiviert ist diese Transformation durch die mit dem Kap. IV der "Phänomenologie des Geistes« entwickelten Schwierigkeiten, das bewußte Selbstverhältnis in dem Sinne angemessen als Denkgegenstand und damit als das Bewußte eines Bewußtseins aufzufassen, daß es durch diese "Auffassung« nicht in seiner Eignung als zentraler Gedanke für die Erhellung der Verständlichkeit der Welt zurückgenommen wird. Und der zentrale gedankliche Zusammenhang, der ,.Phänomenologie des Geistes« und "Wissenschaft der Logik« verbindet, läßt sich einsehen aus eben diesem Versuch, die Verständlichkeit, die Struktur und die gegenstandskonstituierende Bedeutung des Selbstbewußtseins mit Hilfe eines einheitlichen und konsistenten Gedankens aufzuklären. 37 Die Selbstbewußtseinsstruktur wird in ihrer Identität dadurch zu denken gesucht, daß die Denkformen, mit denen das gewußte Selbst begriffen werden kann, in einer ursprünglichen Identität mit den Denkformen gedacht werden, mit denen das wissende Selbst begriffen werden kann. Genau dies ist der Fokus des Hegeischen Denkens und der Zusammenhang von "Phänomenologie des
36 Vgl. zu diesem Zusammenhang insbesondere auch U.Schlösser, der darauf hinweist, daß für Hegel die Allgemeinheit des Selbstbewußtseins darauf beruht, daß seine innere Verfassung stets zugleich auch das allgemeine Organisationsmuster alles Wirklichen ist (Hegel: Grundlegung der Kategorien für eine Theorie des Selbstbewußtseins, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 44/1996, S. 447-473, hier S. 472). 37 Diese innere Einheit der Hegeischen Philosophie muß jeder Versuch bestreiten, der in der »Logik« einer Ordnung des Ich die innere Ordnung des Begriffenen entgegengesetzt sieht; vgl. etwa F.Schick, Hegels Wissenschaft der Logik - metaphysische Letztbegründung oder Theorie logischer Formen?, FreiburglMünchen 1994, bes. S. 79.
vrr.
Das Begreifen des Selbstbewußtseins
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Geistes« und "Wissenschaft der Logik«: die Identität kann nicht vorausgesetzt werden, denn damit wird sie nicht gedacht; soll sie gedacht werden, so müssen Begriffe gebraucht werden, die das Ich=Ich erklären, diese Erklärung muß einerseits aus eigener Kraft ihre Wahrheit nachweisen können, sie muß andererseits aber in sich der Identitätsstruktur des Selbstbewußtseins entsprechen. Und genau zu diesem Punkt führt die "Phänomenologie des Geistes« die Selbstbewußtseinsstruktur: das Selbstbewußtsein kann nicht eine Identität von Ich = Ich sein, sondern nur eine Identität des Wissens, in dem das Wissen sich selbst weiß. Und die "Wissenschaft der Logik« entwickelt eben dieses Wissen, so daß ihre Durchführung der Beweis ist: wenn ein Wissen entwickelt wird, das mit sich identisch ist und doch Wissen ist, so ist die Wirklichkeit der Selbstbewußtseinsstruktur nachgewiesen. So daß am Ende von "Phänomenologie des Geistes« und "Wissenschaft der Logik« zusammen das Selbstbewußtsein steht, das sich selbst begreifen kann - also nicht in der »leeren« Identität von Ich = Ich verbleibt. Das Problem, das "Phänomenologie des Geistes« und »Wissenschaft der Logik« zusammen zu lösen haben, kann also auch so bezeichnet werden: das "wirkliche Selbstbewußtseyn" (422) muß so Gegenstand des Bewußtseins werden können, daß es darin Selbstbewußtsein bleibt und doch "wirklich«, d.h. begreijbar wird. 38 Die Lösung dieses Problems ist so einfach wie schwierig: das Selbstbewußtsein kann dann ohne Widerspruch zu seiner Struktur Gegenstand des Bewußtseins werden und begreitbar zur Sprache kommen, wenn dieser Vorgang, in dem etwas zum Gegenstand für ein Bewußtsein wird, selbst in der Struktur des Selbstbewußtseins stattfindet und nur darin stattfinden kann. Diese Struktur für alles begriffliche Vorstellen - also für alle Gegenständlichkeit des Bewußtseins - zu explizieren, dies ist die Aufgabe der "Wissenschaft der Logik«. Nun entwickelt die "Wissenschaft der Logik« die Identität des Wissens, in dem das Wissen sich selbst weiß, und aus welcher das Selbstbewußtsein verständlich wird nicht als Identität des Ich = Ich, sondern als Identität eben dieses Wissens, aus dem bedeutungslosen Begriff "Sein«. So wird die Identität von Wissen und Gewußtern, in der das Selbstbewußtsein begrifflich expliziert
38 In diesem Zusammenhang liegt letztlich der Grund dafür, daß der Anfang der Logik als paradoxe Einheit von Verständlichkeit und Unverständlichkeit verstanden werden muß; vgl. dazu bereits W.Marx, Spekulative Wissenschaft und geschichtliche Kontinuität. Überlegungen zum Anfang der Hegeischen Logik. in: Kant-Studien 58/1967, S. 63-74.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
werden kann und damit nicht in der unbegriffenen Identität des Ich = Ich verbleibt, aus einem Ausdruck entwickelt, dem ohne Bedeutung Sinn zukommt. 39 Jene Identität des Selbstbewußtseins, wie es in der ,.Phänomenologie des Geistes« aus sich selbst heraus zum absoluten Wissen entwickelt wurde, soll also nun in der ,.Wissenschaft der Logik« ausgearbeitet werden, indem nur der Beginn des Verstehens - der Sinnzuschreibung zu Lautfolgen, die dadurch zu bedeutenden Zeichen werden - in Anspruch genommen wird, also der Beginn der Verständigung in der Sprache. Die Struktur des Selbstbewußtseins als Identität von Wissen und Gewußtem, wie sie auch von Hegel als die fundamentale Denkfigur zur Aufklärung der Verständlichkeit der Welt verwendet wird, und die in der ,.Phänomenologie des Geistes« von der leeren Identität des Ich = Ich zum absoluten Wissen als Wissen seiner selbst in seiner Entäußerung fortentwickelt wurde, wird damit mit Hilfe einer Rekonstruktion des systematischen Anfangens sprachlicher Verständigung aufzuklären und verständlich zu machen gesucht. 40 Eine solche Rekonstruktion kann der Anfang der ,.Wissenschaft der Logik« deshalb bieten, weil in ihm nicht in den historischen bzw. genetischen Beginn der Sprache nachgeforscht wird, sondern in den systematischen Anfang sprachlicher Verständigung über die Welt im Sinne einer Analyse der Möglichkeitsbedingungen einer Verständigung, die konstitutiv den wahrheitsdifferenten Bezug zur Welt in sich enthält. Daß der Anfang der,. Wissenschaft der Logik« ebenso den systematischen Anfang der Sprache rekonstruiert, dies kann im Sinne einer Nachforschung in die Möglichkeitsbedingungen des Funktionierens von Sprache verstanden werden. Schwieriger wird es, wenn eingesehen werden soll, wieso der systematische Anfang der Sprache zugleich mit dem wahrheitsdifferenten Bezug zur Welt entwickelt werden muß. Der Nachweis dafür kann im Denkzusammenhang der Hegelschen Philosophie offensichtlich nur durch die Durchführung des Anfangs der Wissenschaft selbst erbracht werden. Der fundamentale Gedanke dieser Beweisführung aber ist mit
39 Vgl. dazu näher G.Römpp, Sein als Genesis von Bedeutung. Ein Versuch über die Entwicklung des Anfangs in Hegels «Wissenschaft der Logik», in: Zeitschrift für philosophische Forschung 43/1989, S. 58-80.
40 Hegels Begrifflogischer Wahrheit hat deshalb wohl am Selbstbewußtsein sein ,.Modell« - und der Modellbegriff kann hier keineswegs dem ,.Auffindungszusammenhang« dieses Denkens zugeordnet werden. Darin eine ,.Ontologisierung der Reflexion« zu sehen, scheint mir jedoch nur dann berechtigt, wenn dabei stets der ,.Sinn« von Sein mitgedacht wird, wie er den Anfang der ,.Logik« zum Ausdruck bringt.
VII. Das Begreifen des Selbstbewußtseins
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der Konzeption einer Entwicklung der Einheit von Wissen und Gewußtem aus der anfänglichen Genesis von Sinn vor aller Bedeutung bereits gegeben. Wenn das als Wissen gewußte absolute Wissen als Wissen seiner selbst in seiner Entäußerung systematisch ausgearbeitet werden soll, so muß es sein Anderssein enthalten, mit dem es ebenso identisch ist. Die Identität des Wissens mit seinem Gewußten enthält also von vornherein die Wahrheitsstruktur der Übereinstimmung in sich. Nun wird mit der ,.Wissenschaft der Logik« jedoch der Anspruch erhoben,
alle Begriffe aus dem ,.Sein« entwickeln zu können, die für das Verständnis der Welt notwendig sind. Es könnte die Frage entstehen, warum es denn alle sein müssen, wenn nur die erfordert sind, die für ein Verständnis des Selbstbewußtseins ohne Dementi seiner Struktur notwendig sind. Diese Schwierigkeit läßt sich jedoch sehr einfach aufklären, wenn berücksichtigt wird, was hier ,.alle« Begriffe heißt. ,.Alle« sind es dann, wenn mit ihnen die Objektivität der Welt verständlich wird, also die Differenz, die die Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung von Gegenständen von den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung unterscheidet, und die der Grund für ihre Identifizierung in der Konstitution einer apriorisch strukturierten Verständlichkeit der Welt ist. Wir könnten deshalb auch sagen: es sind dann alle, wenn mit ihnen Objektivität verstanden werden kann, also die Differenzierung in sich des objektivitätskonstituierenden Bewußtseins, in der es zum Bewußtsein von sich wird, indem es sich in den Begriffen findet, die eo ipso und in ein und demselben Akt seine Identität und die von ihm unterschiedene Objektivität der Welt konstituieren, wodurch diese Welt zu seiner Welt wird. ,.Alle« sind es folglich genau dann, wenn mit ihnen das Bewußtsein sich von seiner Welt unterscheiden kann und somit darin Selbstbewußtsein wird. 4l ,.Sein« stellt nun den Ausdruck dar, in den das ,.absolute Wissen« zurückgehen muß, wenn mit ihm nicht nur die Struktur des Selbstbewußtseins als Identität des Wissens bezeichnet werden soll, in der das Wissen sich selbst weiß. Mit der Konzeption des ,.absoluten Wissens« wird die Entwicklung des bewußten Selbstverhältnisses unter dem Gesichtspunkt seiner Begreifbarkeit zu einem Abschluß gebracht, mit dem angegeben wird, wie das Selbstbewußtsein gedacht werden kann, ohne daß dieses Denken seine genuine Struktur
41 Weshalb die Logik es eben mit der Aufgabe zu tun hat, den Begriff des Selbstbewußtseins darzustellen. Vgl. dazu H. -G. Gadamer, Hegels Dialektik. Fünfhermeneuti-
sehe Studien, Tübingen 1971, S. 12.
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F. Das Selbstbewußtsein als Anerkennung
dementiert. ,.Sein« kann deshalb auch als der Ausdruck bezeichnet werden, in den das Selbstbewußtsein zurückgehen muß, um in der Tat begriffen werden zu können.
G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins I. Subjektivität ohne Selbstbewußtsein: Die Ethik der Andersheit und das Fremde des Eigenen Wer als Bewußtsein von sich selbst auf sich Bezug nimmt, der versteht sich in diesem wissenden Selbstbezug auch als ethisch verpflichtet. Daß das Bewußtsein von sich selbst ein ethisches Sollen impliziert, dies wird in den idealistischen Konzeptionen durch die Explikation des Selbstbewußtseins und seiner besonderen Struktur herausgearbeitet. Verstanden und sinnvoll zum Thema werden kann das Selbstbewußtsein diesen Erörterungen zufolge nur, wenn die Fundamente des Ethischen dafür eingesetzt werden, also moralisches Sollen und moralische Verpflichtetheit. Deshalb stellen die Fundamente des Ethischen aber keine beliebigen Konzepte dar, die nur für die Explikation einer speziellen Entität in der Welt benötigt werden. Aus dem Selbstbewußtsein nämlich beansprucht das idealistische Denken die Verständlichkeit der Welt für uns einsehbar machen zu können. Folglich überträgt sich die Bedeutung der Fundamente des Ethischen von dem durch sie explikablen Selbstbewußtsein auf die Verständlichkeit der Welt. Die idealistischen Konzeptionen behaupten damit einen Zusammenhang von Sein und Sollen, denn nur mit Hilfe der Konzepte, die die ethischen Fundamente zum Ausdruck bringen, kann es gelingen, die Verständlichkeit der Welt selbst verständlich zu machen. Das Selbstbewußtsein erfordert also den Gedanken eines Sollens für seine Beschreibbarkeit; und wir müssen ethische Verpflichtetheit akzeptieren, damit uns die Welt durch das Selbstbewußtsein verständlich werden kann.
Was wir sollen, dies ist damit jedoch nicht rein aus der Explikation des Selbstbewußtseins abzuleiten, mit Hilfe derer wir überhaupt von einem Selbstbewußtsein sprechen können. Wenn wir von einem Selbstbewußtsein sprechen und mit diesem Konzept argumentieren, so impliziert dies nichtsdestoweniger die Fundamente einer Ethik, die uns sagt, daß wir mit dem Bewußtsein von sich selbst ein Sein tangieren, das uns unzugänglich und fremd ist, und über das wir nicht verfügen dürfen, weil wir nicht darüber verfügen können: fremde Selbstbestimmung. Es könnte scheinen, als füge sich die Ethik
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
des Selbstbewußtseins damit fugenlos in die gedankliche Orientierung des gegenwärtigen ethischen Philosophierens ein. Die gedanklichen Anstrengungen der philosophischen Ethik der Gegenwart sind weniger der Ausarbeitung grundlegender Regeln für unser Tun und Lassen gewidmet als vielmehr um die Bewahrung der Andersheit des anderen Individuums besorgt. Der "Andere«, verstanden als der "Premde« und deshalb als den jeweils nur subjektiven Vorstellungen von dem, was richtig ist, entzogen, hat den Status des ethischen Konzepts angenommen, an dem alle Konzeptionen sich messen und beurteilen lassen müssen. Auch dort, wo das Problem des ethischen Sollens selbst mit der Prage nach den Gründen genuin ethischer Verpflichtetheit untersucht wird, gilt der "Andere« weithin als Ausgangs- und Endpunkt des Begründungsaufwands . Die Ethik hat sich damit sowohl in ihrem gewohnten Werk als auch in der Verteidigung ihrer Grundlagen und ihrer Daseinsberechtigung einem Gedanken verpflichtet, der sie in ähnlicher Weise leitet und bestimmt wie einst die christlichen Gebote, die sie mit vernünftigen Mitteln zu rechtfertigen, zu begründen und zu entwickeln hatte. 1 Mit diesem leitenden Gedanken antwortet das ethische Philosophieren zum einen auf externe Einflüsse, die mit einer prinzipienorientierten Ausarbeitung des rechten Tuns und Lassens nicht mehr verarbeitet und in ethische Systembildungen integriert werden konnten. Vor allem war es die Erfahrung aus der Globalisierung des Denkens und Handeins, die uns lehrte, "there are more things in heaven and earth, than are dreamt of by all our philosophy«.2 Mit dem Näherrücken fremder Kulturen wurden fremde und mit den Grundgedanken unserer ethischen Orientierungen inkompatible Verhaltensregeln für unsere Gedankenwelt so bedeutsam, daß sie nicht mehr als niedrigere Entwicklungsstufen der grundSätzlich mit der unseren einigen Vernunft in die praktische Philosophie integriert werden konnten, die sich deshalb als okzidentale oder gar eurozentrische Ethik begrenzen und damit von den fremden Orientierungen abgrenzen mußte. Dieses Bewußtsein einer grundsätzlich fragmentierten praktischen Vernunft beherrscht seitdem weithin den
1 Als Orientierung und als Beleg für die Richtigkeit dieses Befundes vgl. J.Habermas, Die Einbeziehung des Anderen. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt/Main 1996; zu Levinas als dem wohl meistgenannten Vertreter einer expliziten Philosophie
der Andersheit vgl. Kap. 2
Hamlet, Act 1,5.
G.n.
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Geltungsanspruch des ethischen Philosophierens in der abendländischen Hemisphäre. Diese veränderte Lage der praktischen Philosophie verbindet sich nun mit zwei gedanklichen Konstellationen, von denen die eine als Folge und die andere möglicherweise als Teil der Ursachen gedeutet werden kann. Eine Statusbestimmung als Tun einer fragmentierten Vernunft läßt sich mit dem traditionellen ethischen Philosophieren grundsätzlich nicht vereinbaren. Die Ethik muß folglich ein fundamental neues Selbstverständnis von den Grundlagen ihres eigenen Tuns entwickeln. Eine Selbstbegrenzung der Reichweite der eigenen vernunftbegriindeten Orientierungen war in der Vernunft, auf die sich alle Ethik auch in den schärfsten Kontroversen berufen konnte, schlicht nicht vorgesehen. In einer solchen Situation stehen offenbar nur zwei erfolgversprechende Strategien zur Verfügung. Zum einen kann die Vernunft versuchen, auch die neuen Erfahrungen von der Gültigkeit grundsätzlich abweichender ethischer Orientierungen in ihren Selbstbegriff zu integrieren und sich zu einem übergreifenden Konzept zu entwickeln, das in der Lage ist, auch die eigene Fragmentierung noch als Teil ihres Tuns verständlich werden zu lassen. Für eine solche Strategie bietet sich offensichtlich genau jenes Konzept an, das die problematische Situation erzeugt hatte: die Andersheit fremder Individualität, ob sie nun als solche fremder Individuen oder als solche fremder Kulturen mit einem fremden gedanklichen Selbstverständnis aufgefaßt wird. Die Andersheit des Anderen wird in dieser Strategie also deshalb zum gedanklichen Zentrum eines neuen praktischen Philosophierens, weil nur mit diesem Konzept die Fragmentierung auf einer höheren Ebene rückgängig gemacht werden kann. Mit dem Zentralbegriff der Andersheit kann gerade jene Differenz zu inkompatiblen ethischen Orientierungen verarbeitet und in der Konzeption der Vernunft aufgefangen werden, die das universalistische Selbstverständnis eben dieser Vernunft in Frage stellte. Das Denken der Andersheit stellt sich unter diesem Aspekt als ein Versuch der Rekonstitution der Universalität der praktischen Vernunft unter den Bedingungen ihrer Fragmentierung in der Erfahrung nicht integrierbarer ethischer Denkzusammenhänge dar. Dieses Denken zeigt demzufolge zwei Gesichter: einerseits versteht es sich selbst als Reduktion des universalistischen Anspruchs angesichts inkompatibler und nicht integrationsfähiger fremder ethischer Konzeptionen, andererseits benutzt es die Andersheit des Anderen als zentrales Konzept zur Wiederherstellung eines alle individuellen Entwürfe übergreifenden Denkens. Vermutlich gehören diese beiden Seiten der Ethik der Andersheit wesentlich zu,
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wenn sie sich als philosophische Ethik bewahren und ihren Anspruch nicht auf unverbindliche Erörterungen der geistigen Situation der Zeit unter den Bedingungen der Globalisierung reduzieren will. Die zweite gedankliche Konstellation, mit der sich die veränderte Lage der praktischen Philosophie verbindet, läßt sich eher im Bereich der Ursachen ausmachen, und auch sie zeigt bei näherer Betrachtung zwei Gesichter, die ihr vermutlich beide wesentlich sind. Die Fremdheit der anderen Kultur oder auch des anderen Individuums sind keine prinzipiell neuen Erfahrungen, die erst in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts ins Bewußtsein dringen konnten und zu grundsätzlichen Veränderungen in den zentralen Konzepten der praktischen Philosophie führen mußten. Auch die zunehmende Häufigkeit der Kontakte mit fremden Kulturen und deren ethischen Verhaltensregeln kann nicht ausreichen, um zu erklären, warum deren Fremdheit nun nicht mehr mit den gedanklichen Mitteln des okzidentalen Philosophierens und des universalistischen Anspruchs seiner Vernunft zu integrieren oder wenigstens zu einer ausreichenden Kompatibilität umzuformulieren ist. Gegen solche Erklärungsversuche kann schon die Erfahrung angeführt werden, daß das Phänomen der Globalisierung ja nicht primär durch das Aufeinandertreffen fremder Kulturen und deren Auseinandersetzung geprägt ist, sondern durch die Penetration der meisten zuvor autarken Kulturen durch die euro-amerikanische Kultur und Zivilisation. Auch wenn in vielen Ländern diese Erscheinung von den geistig und/oder politisch führenden Schichten geleugnet oder bekämpft wird - für die Menschen auch in diesen Ländern ist die Orientierung an der westlichen Kultur längst zu einem integralen Bestandteil ihres Selbstverständnisses geworden. 3 Daraus ergibt sich die Vermutung, daß es möglicherweise gar nicht so sehr die Erfahrung der Fremdheit des Anderen war, die das Konzept der Andersheit zum Zentrum der philosophischen Ethik werden ließ - jedenfalls kann es nicht die durchaus nicht so neue Erfahrung der Fremdheit alleine gewesen sein. Offensichtlich mußte die Fremdheit aber nun auf neue Weise unser Selbstverständnis affizieren können - auf eine Weise, die einen neuen gedanklichen Umgang mit den philosophischen Begründungsweisen der ein ethisches Sollen implizierenden Regeln für unser Tun und Lassen zwingend erforderten. Ist die Fremdheit aber einmal von solcher Bedeutung für uns geworden, dann kann sie
3 "Everyone, in asense, wants to live - and shop - in Califomia", wie einer der Theoretiker der Globalisierung auf dem Gebiet der Wirtschaft formulierte (K. Ohmae, The Global Logic of Strategie Alliances, in: Harvard Business Review, March-April 1989, S. 144).
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so fremd nun nicht mehr sein. Eine Bedeutung, die von uns eine Veränderung der zentralen Konzepte unseres praktischen Philosophierens fordert, kann die Fremdheit anderer Kulturen und Individuen nur dann gewinnen, wenn wir sie mindestens soweit an unser gewohntes Selbstverständnis anschließen können, daß sie darin den Status einer eben dieses Selbstverständnis erschütternden Herausforderung annehmen kann. Einen solchen Status gewannen fremde Formen des Verständnisses des Menschen und seiner Welt in früheren Zeiten offenbar nicht, und gerade deshalb hinterließen sie keine Spuren in der praktischen Philosophie des Okzidents. Damit die Erfahrung von Fremdheit solche Veränderungen in der Konzeption des Philosophierens über das rechte Tun und Lassen hervorrufen konnte, mußte sich demzufolge das Selbstverständnis schon so weit verändert haben, daß es das Fremde an das Eigene anschließen und ihm so als einem Fremden eine Bedeutung zumessen konnte, die schließlich forderte, die Universalität der praktischen Vernunft dadurch wiederherzustellen, daß gerade die Konzeption der Fremdheit und Andersheit fremder Kulturen und Individuen zum zentralen und bestimmenden Konzept in der praktischen Philosophie werden mußte. Voraussetzung für diese neue Bedeutung der Erfahrung von Andersheit und für ihre Auswirkungen auf die philosophiebestimmenden Grundüberzeugungen ist demnach gerade die Fähigkeit zur Aneignung des Fremden, das nun in ein Verhältnis als Fremdes des Eigenen gerät, womit es ebenso vom Eigenen abhängig wird und seine Fremdheit nur in dieser und durch diese Abhängigkeit bewahren kann. Zu der gedanklichen Konstellation, die der Andersheit ihre gegenwärtige Bedeutung für die praktische Philosophie - und nicht nur für diese - verschafft hat, gehört demnach gerade die Relativierung des Fremden zum Fremden des Eigenen. Dies führt notwendig auf den Gedanken, die neue Bedeutung der Andersheit für den philosophischen Diskurs setze zunächst und vor allem fundamentale Veränderungen in diesem Diskurs selbst voraus, aufgrund derer Fremdheit und Andersheit erst diese Bedeutung gewinnen konnten. Wir können einen wichtigen - wenn nicht den wichtigsten - Teil dieser Veränderungen im Verlust des Selbstvertrauens jener Philosophie identifizieren, die mit dem Versprechen angetreten war, die Verständlichkeit der Welt im Ausgang von den Strukturen eines Bewußtseins von sich selbst aufklären zu können. Von Kant über Fichte und Schelling bis zu Hegel galt die cartesische Entdeckung von der Identität von Gewißheit und Wahrheit im Selbstbewußtsein als zentraler Gedanke für die Selbstbegründung der Philosophie, und noch Husserl und Heidegger setzten das philosophische Denken von dieser Grundlage 16'
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ausgehend fort. Daß jenes verlorene Selbstvertrauen gerade zu einer Philosophie mit dem Zentrum in der Andersheit des Anderen führen konnte, dies läßt sich nun aus der gedanklichen Konstellation verstehen, in der einerseits das Selbstbewußtsein seine Bedeutung verlor, andererseits aber der Gedanke der Subjektivität sich umso gründlicher durchsetzen konnte. Nur der Gedanke des bewußten Selbstverhältnisses wurde so grundsätzlich erschüttert, daß ein neues Denken an seine Stelle treten mußte. Der Gedanke der Subjektivität dagegen behielt seine Bedeutung für das Verständnis unseres Wissens von der Welt und von einem gerechtfertigten Verhalten in ihr. Diese neue Bedeutung einer Subjektivität ohne Grundlage im Gedanken des Selbstbewußtseins läßt sich in den verschiedensten Ausprägungen wiederfinden. Marx' Vertrauen auf die Macht des Menschen, seine eigene Geschichte zu gestalten, ist hier ebenso zu nennen wie Feuerbachs Gedanke, unser Verhältnis zur Welt sei gebunden an ein Verhältnis leiblich und körperlich beschränkter Personen. Das gleiche gilt aber auch für die Versuche, alles Wissen aus der voraussetzungsvollen Leistung eines Interpretierens auf dem Grunde eines Vorwissens verständlich machen zu wollen, die das hermeneutische Philosophieren leiteten und in der gegenwärtigen interpretationistischen Philosophie fortgesetzt werden. Ebenso ruht Nietzsches pragmatistisches Denken - wie aller Pragmatismus - auf der Konzeption eines Subjekts, das zur Leistung einer Bestimmung seiner w.elt fähig ist. 4 Aber auch das sprachphilosophische Paradigma, das mit dem Bewußtsein angetreten war, die Philosophie des Bewußtseins überwinden und eine bessere Erklärung der Verständlichkeit der Welt für uns an ihre Stelle setzen zu können, hätte ohne den implizierten subjektivistischen Gedanken seine Denkbewegung nicht durchführen können. Dies gilt im gleichen Maße auch noch für die gegenwärtigen Versuche, das sprachphilosophische Paradigma durch eine Philosophie des Zeichens überbieten zu wollen. Was nach dem Ende der denkbestimmenden Bedeutung des idealistischen Denkens verlorenging, war also nicht der Gedanke des Subjekts als eines solchen. Aufgelöst wurde jedoch der Zusammenhang zwischen dem Gedanken des Subjekts und dem des Bewußtseins von sich selbst - also jener Zusammenhang, der das subjektivistische Denken überhaupt erst begründet hatte und aus dem es von Kant bis Hegel - und bis hin zu Husserl und Heidegger - seine
4 Vgl. dazu G.Römpp, Pragmatismus redivivus? Eine Kritik des pragmatistischen Grundgedankens, in: Theologie und Philosophie 7111996, S. 187-204.
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Kraft und Wirkungsmacht bezogen hatte. An die Stelle des Selbstbewußtseins traten andere Determinanten, die nach Ansicht jener Philosophen, die grundsätzlich der Linie eines subjektivistischen Denkens zu folgen gewillt waren, als Faktoren dienen konnten, um die Stelle in der Konzeption des Subjekts auszufüllen, die nach dem Verlust der Überzeugungskraft des Konzepts des Selbstbewußtseins leer geblieben war. Was vom Subjekt des Idealismus also geblieben war, bestand in dem Gedanken einer Subjektivität, der eine sinnvolle Aufklärungskapazität zukommen sollte, ohne das Bewußtsein von sich selbst konstitutiv in Anspruch nehmen zu müssen. Es ist gerade die Transformation des subjektivistischen Denkens in den Gedanken einer Subjektivität ohne Selbstbewußtsein, die diesem Denken zum einen die Kraft der Selbstbewahrung gegenüber Erfahrungen von fremdem und nicht kompatiblem Denken genommen hat; und es ist eben diese gleiche Transformation, die das Fremde nur in der Weise der Relativierung zum Fremden des Eigenen verstehen kann und es damit nur aneignend anerkennt. Die Tendenz zur Zentrierung der praktischen Philosophie in der Andersheit des Anderen als Verlust der Fremdheit des Anderen in seiner Aneignung, dfe eine Relativierung des Fremden zum Fremden des Eigenen impliziert, hat seine Voraussetzung in dieser Konstellation, die dem Verlust des Selbstvertrauens der Subjektphilosophie eine Gestalt gibt, die jener Transformation des Fremden zum Fremden des Eigenen den Boden bereitet. Jede subjektivistische Philosophie, die auf den Gedanken einer Bestimmung der Subjektivität aus dem reinen Bewußtsein von sich selbst verzichtet, gerät notwendig in ein Dilemma, das sie in einen Widerspruch zu sich selbst als Subjektphilosophie führt. Wird dem Subjekt die Fähigkeit zugeschrieben, die Bestimmungen, in denen wir die Welt und uns selbst verstehen, aus sich selbst erzeugen zu können, und werden die Determinanten der Subjektivität gleichzeitig als weltliche Bestimmtheiten angegeben, so wird das Subjekt letztlich reduziert auf die Instanz, durch die die Welt sich selbst bestimmt und begrifflich einteilt. Wenn die fundamentale Behauptung jeder subjektivistischen Philosophie also lautet, die Welt sei uns verständlich, weil die Bestimmtheiten, in der wir sie verstehen, identisch mit den Bedingungen sind, unter denen uns überhaupt Bestimmtheit zugänglich ist, so kann die dilemmatische Struktur eines nicht im Selbstbewußtsein begründeten Subjekts auch so beschrieben werden: die Bedingungen, unter denen wir die Bestimmtheit der Welt auffassen können, sind dann selbst durch die doch erst in ihrer Bestimmtheit aufzufassende Welt bestimmt, da das Subjekt in diesem Falle nicht als Bestimmt-
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heit generierende Instanz sui generis gedacht wird, sondern als selbst bestimmt durch Faktoren, die eben dieser aufzufassenden Welt angehören. Durch solche Faktoren wird das Subjekt aber in seiner das Verständnis der Welt bestimmenden Fähigkeit beschrieben, wenn die angeführten Konzeptionen einer Subjektphilosophie ohne Rekurs auf das Bewußtsein von sich selbst verwendet werden. Marx mußte dem Subjekt eine Bestimmtheit zuschreiben, in der das Bewußtsein durch sein gesellschaftliches Sein im Zusammenhang des gegebenen Standes der Entwicklung der Produktionsverhältnisse determiniert ist, Feuerbach mußte die Bestimmungsfähigkeit des Subjekts durch sein leibgebundenes interpersonales Dasein bestimmt sehen, die hermeneutische Philosophie muß die Leistung des Interpreten in die Bedingungen integrieren, unter denen dem Subjekt die Welt zugänglich wird, das pragmatistisch orientierte Denken muß das Streben nach zufriedenstelIenden Problemlösungen als Bestimmtheit dem Subjekt zuschreiben, das mit ihnen die Welt nach seinen Bedingungen auffassen kann, das sprachphilosophische Paradigma muß das Subjekt bestimmen durch seine Fähigkeit, eine vorgegebene Sprache auf die Welt anzuwenden und diese durch die Bestimmtheit jener zu verstehen, ebenso wie das zeichenphilosophische Denken das Subjekt als bestimmt ansehen muß durch sein Bestreben, mit Hilfe von Zeichen eine zufriedenstellende Bestimmtheit der Welt zu erreichen. Das Problem einer Subjektphilosophie ohne Rekurs auf das Bewußtsein von sich selbst besteht also grundsätzlich im Status der Bestimmtheit der Bedingungen, unter denen dem Subjekt die Welt verständlich werden kann, weil es gleichzeitig die Bedingungen seines Verstehens sind. Wenn diese Bestimmtheit nicht selbst aus dem Subjekt abgeleitet werden kann, so muß sie dem entnommen werden, was dem Anspruch einer subjektivistischen Philosophie zufolge eigentlich gerade der Bestimmung durch die Verstehensbedingungen des Subjekts unterliegen müßte. Es muß also ein Teil der Welt - nämlich jener, aus dem die die weltlichen Bestimmtheiten generierenden Verstehensbedingungen des Subjekts entnommen sind - so aufgefaßt werden können, daß er dem Verständnis durch die Verstehensbedingungen des Subjekts nicht unterliegt. Es muß sich folglich um einen Teil der Welt handeln, der der Subjekt-Objekt-Relation nicht untersteht und weder Subjekt noch Objekt ist, insofern letzteres ja nur als Objekt eines Subjekts gedacht werden kann. Die subjektivistische Philosophie muß in sich also den Gedanken einer Welt integrieren können, die zumindest in dem Teil, der die Verstehensbedingungen der Subjekte bestimmt, eine an sich und unabhängig von allen Bedingungen seiner Erfahrung vorhandene Bestimmtheit aufweist.
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Der nachidealistische subjektphilosophische Anspruch, das Subjekt ohne Rekurs auf das Bewußtsein von sich selbst denken zu können, muß also mit einem Widerspruch zu sich selbst auskommen können, insofern er das Subjekt mit einer Bestimmtheit ausgestattet denken muß, die nicht subjektphilosophisch als verständlich durch die Identität der Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung mit den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung zu denken ist - die also ein nicht weiter aufklärbares Residuum des An-sich darstellt. Was damit dementiert wird, ist jedoch gerade die Subjektivität des Subjekts: das Subjekt bestimmt die erfahrbare Welt durch Bedingungen seiner Erfahrung, die nur als An-sich festzustellen und nicht aus der Subjektivität selbst zu entwickeln sind. Da diese Bedingungen im subjektivistischen Denken aber gerade identisch mit den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung sind, so überträgt sich dieser Status eines An-sich auf die Welt der Gegenstände, die somit gerade nicht als Ergebnis subjektiven Leistens aufgefaßt werden kann, sondern selbst als mit dem Status eines An-sich vorhanden gedacht werden muß. Mit dieser Widersprüchlichkeit eines subjektivistischen Denkens, das ohne Fundierung im bewußten Selbstverhältnis zur konsistenten Durchführung seines eigenen Erklärungsanspruchs Rekurs auf ein allem Subjektivismus als sinnloser Gedanke erscheinendes An-sich nehmen muß, welches im Gegensatz zu dem erhobenen gedanklichen Anspruch schließlich als Garant der Verständlichkeit der erfahrbaren Welt auftritt, ist nun auch die innere Kraft der Selbstbewahrung dieses Denkens gegenüber Erfahrungen von fremdem und nicht kompatiblem Denken zerstört. Das subjektivistische Denken ohne Rekurs auf das Bewußtsein von sich selbst ist im Grunde gleichgültig gegen den Inhalt, der die Identität der Erfahrungsbedingungen mit den Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung bestimmt. Dieser Inhalt ist prinzipiell nicht mehr durch den Gedanken der Subjektivität selbst bestimmbar. Er steht folglich jedem Bestimmungsunternehmen offen, dem es gelingt, das Subjekt so in seinen Erfahrungsbedingungen zu charakterisier~n, daß dem jeweils vorherrschenden Geist der Zeit die Identität dieser Bedingungen mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung plausibel einleuchtet. Deshalb kann es ein fremdes und nicht kompatibles Denken auf der Grundlage dieser Denkvoraussetzungen überhaupt nicht mehr geben. Folglich fällt es dem nachidealistischen subjektivistischen Denken sehr leicht, sich mit dem Bewußtsein der Offenheit gegenüber der Fremdheit des Anderen zu präsentieren: diese Fremdheit ist ihm von vornherein schon aufgrund der Gleichgültigkeit des Subjektiven gegenüber den Inhalten der Identität zwischen den Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung und den Möglichkeitsbedingungen der
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Gegenstände der Erfahrung problemlos zugänglich. Diese Gleichgültigkeit geht zurück auf den Verzicht, die Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung aus dem Subjektiven selbst zu entwickeln, wie es die Bemühung des idealistischen Philosophierens in seinem ganzen Verlauf gewesen war, und auf die Bereitschaft, diese Möglichkeitsbedingungen stattdessen aus subjektfremden Denkbeständen zu entnehmen. Sie geht also zurück auf einen Verzicht, der letztlich den subjektivistischen Grundgedanken selbst dementieren muß. Trotz aller verbalen Bekundungen der Anerkennung der Fremdheit des Anderen kann auf dieser Grundlage doch nur das Fremde in seiner Relativierung zum Fremden des Eigenen gemeint sein. Gerade wegen der prinzipiellen Gleichgültigkeit der Bestimmtheit der Subjektivität ohne Bestimmung aus dem Subjektiven selbst kann die subjektivistische Philosophie allem Fremden und Anderen das Recht zugestehen, die Welt durch fremde und andere Bestimmtheiten des Subjektiven ebenso als erfahrbare Welt aufzufassen wie es in den aus der nachidealistischen Tradition bekannten Konzeptionen der Subjektphilosophie geschah und geschieht. Das Fremde stellt sich der subjektivistischen Philosophie deshalb nur als eine weitere Bestimmungsmöglichkeit der Identität der Bedingungen der Erfahrung der Welt mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung dar. Es wird aneignend anerkannt, weil es ebenso als eine Form des Subjektiven gewußt ist wie andere Formen, die in der Vergangenheit als Realisierungen des Subjektiven galten oder ihre Wirkungsmacht in der Gegenwart entfalten. Die Aneignung geschieht also bereits durch das Bewußtsein, auch die Bekundungen des Fremden, was die Welt sei und wie man in ihr handeln solle, stellen nichts weiter dar als neue und bisher unbekannte Realisierungen einer subjektiven Perspektive der Bestimmung der Welt und des rechten Tuns in ihr. Zwar liegt das ethische Zentrum der gegenwärtigen Philosophie der Andersheit in der Forderung, auch solche Beschreibungen der Welt und des Sollens anzuerkennen, die mit den bekannten und vertrauten nicht kompatibel sind und deshalb den Diskurs über die Welt unterbrechen. Darin nimmt sich jedoch nicht die Philosophie der Subjektivität zurück, sondern sie gesteht die prinzipielle Beliebigkeit der Bestimmungen ein, mit denen weltliche Subjekte ihre Möglichkeitsbedingungen des Erfahrens mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung identifizieren können. Daß der Fremde seine Bekundungen möglicherweise durchaus nicht als subjektive Ansichten und Konstruktionen aufgefaßt zu sehen wünscht, dies ist in diesem Kontext ein nicht zulässiges Ereignis. Die Aneignung des Fremden in der Relativierung zum Fremden des Eigenen läßt sich demzufolge auch als seine Unterwerfung unter die Bedingun-
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gen des subjektivistischen Weltverständnisses nach dem Verlust seiner Fundierung im bewußten Selbstverhältnis verstehen. Eine praktische Philosophie, die die Fremdheit des Anderen in das Zentrum ihres Denkens stellt, liegt auf diesen geistigen Grundlagen nahe. Die Bestimmtheit des Subjektiven kann auch auf praktischem Gebiet im nachidealistischen subjektivistischen Denken nicht mehr dem Subjektiven selbst entnommen werden. Wie das rechte Tun und Lassen gestaltet sein muß, dies kann auf der Grundlage des subjektivistischen Prinzips nur mit Hilfe von Determinanten angegeben werden, die ihre Herkunft nicht aus dem Subjektiven selbst legitimieren können, sondern Auskünfte über die Welt benutzen müssen, um daraus Anleitungen für ein zu rechtfertigendes Verhalten in der Welt entwickeln zu können. Insofern befmdet sich eine auf subjektivistischer Grundlage operierende Ethik ohne Rekurs auf die Fundierung des Subjektiven im bewußten Selbstverhältnis in der gleichen Lage wie eine theoretische Philosophie, die die Verständlichkeit der Welt für uns erklären will, indem sie die Bedingungen der Erfahrung als identisch mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung aufweist, die Bedingungen der Erfahrung aber nicht der Subjektivität als solcher entnimmt, sondern aus Bestimmungen des Subjekts, die letztlich aus einer Welt stammen, die als An-sich keinen Raum für Subjektivität mehr läßt. Aus dieser Konstellation einer nachidealistischen subjektivistischen Philosophie der Praxis läßt sich verstehen, daß die Anerkennung der Fremdheit des Anderen nun zur grundlegenden Determinante unseres Sollens entwickelt wird. Wenn der Gehalt des Praktischen nicht mehr aus dem Subjektiven als einem solchen ausgearbeitet wird, sondern aus Beschreibungen der Welt und des Menschen entnommen wird, die ihrerseits ihre Begründung nur aus dem Rekurs auf an-sieh-seiende Bestimmungen der Welt durch eine nicht-subjektivistische Bestimmung des Subjektiven beziehen müssen, so formuliert die Zentrierung des Praktischen in der Anerkennung der Fremdheit des Anderen exakt die sich daraus ergebende Konsequenz. Deshalb stellt diese Ausrichtung der praktischen Philosophie implizite allerdings auch einen höheren Reflexionsstand gegenüber solchen Positionen dar, die das Subjektive mit Gehalten aus Beschreibungen der Welt ausfüllen, aus denen sie dann im Namen subjektiven Bestimmens detaillierte ethische Anleitungen entwickeln, die ihre Begründung letztlich nur aus weltlichen Bestimmtheiten der Subjekte beziehen. Jene Konsequenz einer nachidealistischen subjektivistischen Ethik enthält die Einsicht, daß die Aufnahme von Bestimmungen aus der Welt in die Formulie-
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rung von Sollenssätzen die prinzipielle Austauschbarkeit dieser Bestimmungen und damit auch der resultierenden Sollenssätze - bereits in sich trägt. Dies ist das Resultat der Ablösung der Gehalte des Subjektiven von der Explikation der Subjektivität als bewußtes Selbstverhältnis. Wird die Verständlichkeit der Welt zwar grundSätzlich subjektiv gedeutet, werden die Gehalte dieses Subjektiven jedoch nicht ihm selbst entnommen, sondern aus weltlichen Bestimmungen bezogen, die auf dieser Grundlage den Status des An-sich erhalten, so ist die Austauschbarkeit dieser Gehalte schon in der gedanklichen Konstellation angelegt, die nun das subjektivistische Denken prägt. Das Bewußtsein von der prinzipiellen Austauschbarkeit der Determinanten subjektiven Bestimmens ohne Rekurs auf das Subjektive als solches bedeutet jedoch schon die Relativierung aller Ausprägungen subjektivistischen Philosophierens. Auch wenn auf ethischem Gebiet der Diskurs über die Unterscheidbarkeit des richtigen von falschem Handeln weitergeht, so kann sich dieser Diskurs doch wiederum nur auf Kriterien berufen, die auf mit dem Anspruch auf Richtigkeit auftretende Beschreibungen der Welt zurückgehen - also genau auf solche Bestimmungen, die das Subjektive mit einem Gehalt erfüllen, der dem ursprünglichen Anspruch des Gedankens der Subjektivität widerspricht. Die gegenwärtige Zentrierung der praktischen Philosophie um den Gedanken der anzuerkennenden Fremdheit des Anderen formuliert im Grunde nur das Resultat dieser Konstellation. In der Tat kann es nach der Auflösung des Begründungszusammenhanges zwischen dem Gedanken des Subjektiven und der Determination subjektiver Bestimmungsfaktoren durch die Struktur des bewußten Selbstverhältnisses und nach der Erschöpfung der Erzeugung funktional äquivalenter Determinationen durch weltliche Bestimmungen, die sich letztlich auf Gegebenheiten der Welt an sich berufen müssen, nur noch das ,.Andere« als solches sein, das zur Bestimmung der Leistungen des Subjektiven herangezogen werden kann. Die Zentrierung der Philosophie um die Fremdheit des Anderen beschreibt also eine Situation, in der nichts ,.anderes« mehr gefunden werden kann, das für sujektive Determinationen in Verwendung zu nehmen wäre, so daß solche Determinationen in der Tat nur noch durch den Verweis auf ,.das Andere« zu rechtfertigen sind. Daß ,.das Andere« nun als ,.Fremder« auftritt und als solcher die Anerkennung seiner Bestimmungen der Welt und seiner Vorstellungen von der Richtigkeit des Handeins verlangen kann, dies setzt den Weg einer subjektivistischen Philosophie ohne Rekurs auf das Subjektive als solches bzw. ohne Selbstbegründung der subjektiven Bestimmungsweisen im Bewußtsein von sich selbst konsequent fort - in der Tat führt es ihn zu Ende. Es ist eben der
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Weg, der mit der Bestimmung des Subjektiven durch weltliche Determinationen wie Produktionsverhältnisse, Gesellschaft, Leben, Leiblichkeit, Problembeseitigung, Sprache oder Befriedigung durch Akzeptanz von Zeichen begonnen worden war. Daß der Subjektivität nun die wechselseitige Fremdheit der Subjekte und damit der Status einer unbestimmten Pluralität von Subjekten integriert wird, bedeutet die Rückkehr zu einer subjektivistischen Konzeption, die als "rein« oder "absolut« bezeichnet werden könnte. Wenn nunmehr das "Andere« als solches schon jenen Gehalt für die Bestimmung der Welt angibt, den das Subjekt benötigt, um durch die Identität der Bedingungen der Erfahrung mit den Bedingungen der Gegenstände der Erfahrung sich eine Welt von Objekten gegenüberstellen zu können, von der her es seine Subjektivität begründet, so ist die subjektivistische Konzeption insofern an ihr Ende gekommen, als sie nunmehr aus der Subjektivität ausdrücklich jede genuin subjektive Bestimmtheit ausschließt, die die Erfahrung der Welt präformieren könnte. Wenn jede Bestimmtheit eines welterfahrenden Subjekts zugelassen wird, so wird zwar das Problem vermieden, weltliche Bestimmtheiten als Determinanten subjektiver Bestimmungsleistungen integrieren zu müssen und damit der subjektivistischen Philosophie den Gedanken eines An-sich zu implantieren, der sie im Kembestand ihres Denkens zerstören muß. Es wird jedoch durch die Negation jeder aus dem Subjektiven selbst stammenden Bestimmtheit - was gleichbedeutend mit der Zulassungjeder Bestimmung ist - die Bestimmungsleistung des Subjekts ebenso von ihrem subjektiven Ursprung getrennt. Die Bestimmungsleistung entspringt in der Konzeption des Subjekts als des Fremden nun dem absolut Individuellen und wird dadurch gerade als Bestimmung dementiert. Strukturell ist damit die Problematik der Rede von einer Privatsprache erzeugt. Die Bestimmung der Welt wird nun aus dem dunklen Grund der Individualität kommend gesehen, weshalb sie stets disponibel bleibt und jeder Bestimmtheit notwendig entbehren muß. Hatten die nachidealistischen Konzeptionen einer subjektivistischen Philosophie die subjektiven Bestimmungsweisen der Welt losgelöst von der Fundierung des Subjektiven im bewußten Selbstverhältnis durch weltliche Bestimmungen angegeben, die der Subjektphilosophie das Element eines An-sich integrieren mußten, das nicht mit ihr kompatibel sein kann, so hat die um die Anerkennung des Anderen als Fremden zentrierende Philosophie nun das andere Extrem erreicht: sie hat auf jede Angabe einer Bestimmtheit der Bestimmungsleistungen verzichtet, mit denen allein die Rede von einem Subjekt sinnvoll beibehalten werden kann - von einem Subjekt, das durch die Bestimmtheit seiner Erfahrungsbedingungen in der Identität mit den Bedingungen der Ge-
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genstände seiner Erfahrungen sich Zugang zu einer verständlichen Welt verschafft. Von der Scylla der Theorien über eine letztlich auf ein An-sich rekurrierende Bestimmtheit der Erfahrungsbedingungen hat der Weg der nachidealistischen Subjektphilosophie zur Charybdis der Negation jeder Bestimmtheit von Erfahrungsbedingungen geführt. Aus diesen Strukturen des gegenwärtigen ethischen Philosophierens in der Orientierung an der Andersheit des Anderen wird deutlich, daß die Ethik des Selbstbewußtseins, wie sie in den vorangegangenen Erörterungen mit Hilfe zentraler Gedankengänge von Kant, Fichte, Schelling und Hegel entwickelt worden ist, sich keineswegs in den Kontext einer Ethik der Subjektivität ohne Selbstbewußtsein fügt, auch wenn ihr Fluchtpunkt in der Anerkennung fremder Selbstbestimmung dies nahelegen könnte. Aufgrund der Fundierung des Subjektiven in der Struktur des bewußten Selbstverhältnisses ist dem Verständnis der Subjektivität durch Gedankenbestände eines genuin ethischen Philosophierens das Andere nicht durch die Gleichgültigkeit der Inhalte des Subjektiven das Fremde des Eigenen, sondern durch die bestimmungslose Struktur des Selbstbewußtseins emergiert das Andere in der immanenten Entwicklung des ethischen Gedankens im Prozeß des Selbstverständnisses der Erhaltungsbedingungen der externen Bestimmungslosigkeit des bewußten Selbstverhältnisses. Eine Ethik der Andersheit ist die Ethik des Selbstbewußtseins deshalb, weil sie als Element des Begreifens der Differenz im bewußten Selbstverhältnis aus dem innersten Zentrum der Struktur eines Selbstbewußtseins stammt. Diese Abgrenzung der Ethik des Selbstbewußtseins gegen eine Ethik der Andersheit als Ethik einer Subjektivität ohne Selbstbewußtsein soll im folgenden durch eine Kritik an derjenigen Position in der ethischen Philosophie der Gegenwart verdeutlicht werden, die am prägnantesten als Ethik der Andersheit auftritt und dieses Denken darüber hinaus mit einer Philosophie des Subjekts verbindet, die eine explizite Auseinandersetzung mit dessen Fundierung im Selbstbewußtsein einschließt, deren gedankliche Orientierung gerade die zu bewahrende Andersheit des Anderen darstellt.
11. Der Andere als Obsession: Eine Kritik an Levinas' Philosophie des Subjekts In der zeitgenössischen Philosophie wird der weitestgehende Anspruch, das Eigene des Fremden phänomenologisch so ausweisen zu können, daß es nicht zum Fremden des Eigenen wird, von Emmanuel Levinas erhoben, der auch die
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Philosophie des Selbstbewußtseins aus der Sicht seiner Ethik der Andersheit mit dem Grundübel der ganzen abendländischen Philosophie behaftet sieht, die mit der ,.Enthüllung des Anderen" zusammenfalle, in der das/der Andere seine Andersheit verliere. Sie sei Philosophie der Immanenz und der Autonomie, weil sie "vom Entsetzen vor dem Anderen, das Anderes bleibt, ergriffen" sei, gegen das sie eine ,.unüberwindbare Allergie" empfinde. s Die einzige Möglichkeit, dagegen ein Denken der Transzendenz zu setzen, das sich nicht schon als begriffliches und damit sich des Anderen bemächtigendes als solches dementiert, sieht Levinas in einer ethischen Vorstellung der Beziehung zum Anderen, in einer Beziehung also, die von vornherein als Widerstand gedacht wird - als Widerstand gegen die Macht des Selben und gegen das Denken des Selben: "Der ethische Widerstand ist die Anwesenheit des Unendlichen. "6 Dieser Widerstand öffnet die Dimension des Unendlichen selbst, "den Bereich dessen, was dem unwiderstehlichen Imperialismus des Selben und des Ich Einhalt tut. "7 Ein solcher Widerstand erscheint nach Levinas bereits mit dem ,.Antlitz" des Anderen, und er erscheint nur so: "Wir nennen Antlitz die Epiphanie dessen, was sich so direkt und eben dadurch von Außen kommend einem Ich darstellen kann. "8 ,.Exteriorität« ist Levinas' Ausdruck für die absolute Äußerlichkeit, die nicht-integrierbare Fremdheit, die nicht in einer dialektischen Beziehung zum Selben steht. Der/das Selbe dagegen wird als die Struktur der,. Totalität« gesehen, deren Geschehen die Aneignung alles Fremden durch seine gedankliche Integration in eine Ordnung oder ein System darstellt. Die vollendete Totalität ist damit gleichbedeutend mit der Immanenz, die alle Vielheit in irgendeiner Weise auf eine Einheit zurückführt. Die Totalität ist also die dynamische Verwirklichung der Einheit des ,.Meme«. Durch den gemeinsamen Nenner des Begriffs der Totalität erklärt sich für Levinas der Sinn des Denkens der abendländischen Philosophie, deren Thema
S Die Spur des Anderen, in: SdA S. 209-235, S. 211. Ich verwende für Nachweise zu E.Levinas folgende Abkürzungen: SdA = Die Spur des Anderen. Untersuchungen zur Phänomenologie und Sozialphilosophie, FreiburglMünchen 1983; TU = Totalität und Unendlichkeit. Versuch über die Exteriorität, FreiburglMünchen 1987; JdS = Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht, FreiburglMünchen 1992. Da SdA nicht identisch mit dem französischen Text von ,.En decouvrant I' existence avec Husserl et Heidegger« ist, gebe ich hier jeweils den genauen Beitrag an.
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Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SdA, S. 185-208, S.199. Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SdA, S. 185-208, S.199.
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Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SdA, S. 185-208, S.199.
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das Sein war, weil dieser ,.bedeutungslose« Begriff den Inbegriff der Totalität darstellt. Das Seiende als solches auffassen, also nach dem, was ihm zugesprochen werden kann, bloß indem es ist, konstituiert eine grundlegende Einheit der Realität des Seienden - eine Totalität. Weil und indem die Philosophie sich mit dem Sein zu beschäftigen unternahm, wurde sie Ontologie, und in diesem ontologischen Grundzug aller Philosophie sieht Levinas den totalisierenden Zwang in allem begrifflichen Denken, auch dann, wenn es explizit die Andersheit des Anderen zu achten bemüht ist. 9 Ein Denken, das sich nicht am Sein und seiner Totalität orientiert, wird deshalb den Sinn der zum Ausdruck zu bringenden Exteriorität nicht aus dem Selben ableiten können; der Sinn des ,.exterieur« muß von sich selbst her und nicht aus dem Sinn des SeI ben stammen. JO Diese Auflösung der Totalität der Ordnungen und Systeme, also der Integrierbarkeit in die Immanenz des Selben, findet Levinas nun in der ethischen Beziehung zum Anderen. 11 Er beschreibt diese Beziehung jedoch so, daß zweifelhaft wird, ob von einer Beziehung berechtigt die Rede sein kann, und dieser Zweifel ist gerade Bestandteil seines Vorhabens. Er beschreibt sie jedoch auch so, daß die Charakterisierung als ,.ethisch« zweifelhaft wird, und dieser Zweifel kann gewiß nicht in seinem Sinn sein. Wenn das Andere in ,.Ie Meme« zur Geltung kommen in der Lage sein muß, ohne auf dessen sinnkonstituierende Leistungen angewiesen zu sein, so muß es sich zeigen und offenbaren können. Auch wenn die Exteriorität als ,.1 'Infini« bezeichnet wird, und so als Unbestimmtes und in keiner Bestimmtheit angemessen beschreibbar angegeben wird, so muß sie doch ihren Sinn durch ein Erscheinen in der Welt des Ich offenbaren. Das Ethische kann das Unendliche aber nur dann zur Geltung bringen, wenn sein Sinn gerade in seiner Ursprünglichkeit von ihm selbst stammt. Es muß seinen Sinn also in sich selbst haben und ihn genau so, also ohne ihn von den Sinnbildungen des Selben und seiner Totalität abhängig zu machen, doch offenbaren können. Deshalb muß der
9 Vgl. dazu näher die Ausführungen von W.Krewani, Der Wandel des Seinsbegriffs bei Emmanuel Levinas, in: Philosophisches Jahrbuch 102/1995, S. 279-292. 10 J.-L.Lannoy macht hier darauf aufmerksam, daß diese Gedanken zuerst in der Betonung des ,.il y a" zur Sprache kamen (,.n y a" et phenomenologie dans la pensee du jeune Levinas, in: Revue Philosophique de Louvain 88/1990, S. 369-394).
11 Zur Entwicklung dieses Denkens vgl. R.Theis, Vom Sein zum Anderen. Levinas' Entwicklung seit den späten 40er Jahren bis zu Totalität und Unendlichkeit, in: prima philosophia 9/1996, S. 259-281.
11. Der Andere als Obsession
255
Sinn des Unendlichen für sich selbst in seiner Offenbarung der Transfonnation dieses Sinnes in einen Sinn für das Subjekt einen auch für dessen totalisierendes Streben unüberwindbaren Widerstand entgegensetzen können. Eben diese Leistung schreibt Levinas dem ethischen ,.Widerstand« ZU. 12 Das Unendliche zeigt sich in der nicht-materialen und im Unterschied zum Gesicht der Dinge in der Welt nicht faßbaren Anwesenheit des ,.Antlitzes«, durch das sich der Andere darstellt: "Das Antlitz ist gegenwärtig in seiner Weigerung, enthalten zu sein. In diesem Sinne kann es nicht begriffen, d.h. umfaßt werden. Weder gesehen noch berührt - denn in der visuellen oder taktilen Empfindung wickelt die Identität des Ich die Andersheit des Gegenstandes ein, der ebendadurch zum Inhalt wird. "13 Wenn das ,.Antlitz« die Darstellung der Exteriorität ist, so muß es einen Sinn mit sich bringen, den die Totalität nicht in die Immanenz ihres Sinns auflösen kann, es muß durch sein bloßes Erscheinen sich selbst erläutern, ohne in die begrifflichen Identifizierungen des Selben aufzugehen. In diesem Erscheinen muß es einen Widerstand zeigen, durch den es sich nicht totalisieren läßt, also den Ordnungen und Systemen entgeht und der Einheit des Seins jenseits bleibt. Es läßt sich also nicht an die gemachten Erfahrungen anschließen und nicht aus einem Horizont interpretieren. Wenn es mit keinen Erfahrungen kompatibel ist und alle Diskurse unterbricht, so wird ihm offenbar der Status eines absoluten Anfangs zugeschrieben. Ein solcher kann es jedoch nur sein, wenn mit ihm nicht nur alles Vorangegangene abbricht, sondern auch etwas neues beginnt. Es ist dieser Anfang in der Offenbarung des ,.Antlitzes«, den Levinas als das Ethische bezeichnet. 14
12 Levinas sieht den Vorrang der praktischen vor der theoretischen Vernunft bei Kant deshalb als positive Ausnahme in der Tradition der ontologischen Ethik; vgl. JdS, S. 138, 287 f; Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989, S. 82; Emmanuel Levinas - Gespräch mit Christian Descamps, in: P.Engelmann, Hrsg., Philosophien: Gespräche mit Michel Foucault u.a., GrazlWien 1985, S. 100-115, hier S. 111; sowie auch den ursprünglich 1970171 in niederländischer Sprache veröffentlichten und inzwischen nach dem französischen Originaltext ins Englische übertragenen Text,. The Primacy of pure practical reason«, übersetzt von B.Billings, in: Man and World 27/1994, S. 445-452. 13 TU, S. 277.
14 Durch diese konstitutive Ethik unterscheidet sich Levinas' ,.Phänomenologie« des Antlitzes fundamental von Sartres Beschreibung der Erfahrung des Anderen im Blick und in der Scham [la honte] als ,.unmittelbarer Schauder« [frisson immediat] ohne begriffliche Vorbereitung [sans preparation discoursive] (L' Etre et le neant, Paris 1943.
G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
256
Es erscheint deshalb nur folgerichtig, wenn Levinas das Erscheinen des ,.Antlitzes« auch als Beginn seiner eigenen Intelligibilität bezeichnet, die es von sich her mitbringt, ohne auf die subjektive Konstitution einer verständlichen Welt angewiesen zu sein: "Das eigentliche Geschehen des Ausdrucks besteht darin, von sich selber Zeugnis zu geben und zugleich die Gewähr für dieses Zeugnis zu übernehmen. Diese Bezeugung seiner selbst ist nur als Antlitz, d.h. als Wort möglich. Das Wort erzeugt den Anfang der Verstehbarkeit [le commencement de I' intelligibilite) ". IS Diese Intelligibilität des ,. Antlitzes« ist der Ursprung seiner Ausdrucksfähigkeit, sie ist das ,.erste Wort«, das der Andere spricht und das durch die ethische Herausforderung des SeI ben zu einer Antwort, die die Totalität sprengt, den Anfang der Sprache darstellt: "Alle Sprache als Austausch verbaler Zeichen bezieht sich schon auf dieses ursprüngliche Ehrenwort [cette parole originaire). "16 Das ,.Antlitz« stellt Sinn ohne Referenz bereit. Seine Intelligibilität folgt der Struktur einer "Bedeutung [signification) ohne Kontext";17 das Antlitz drückt sich aus, und darin bringt es die Bedeutung und den Kontext mit, durch den seine ,.ursprüngliche Sprache« verständlich wird. Es offenbart sich in einer ethischen Hermeneutik, indem es das Verständnis eröffnet, nicht aber in die Geschichte der Horizontbildungen und Interpretationen eintritt, um von einem Selben verstanden zu werden: "Der Sinn, das ist das Antlitz des Anderen, und jeder Rekurs zum Wort findet bereits innerhalb des ursprünglichen Von-Angesicht-zu-Angesicht der Sprache statt. "18 Die Sprache des Subjekts des Selben ist im Angesicht dieser ethischen Herausforderung nicht mehr frei. Sie ist dem ersten und ursprünglichen Wort des Anderen unterworfen, der Sinn ihres Diskurses ist nicht innerhalb des Diskurses einzuholen, und ihre Freiheit ist durch die Unverfügbarkeit der
S. 276). Darin ereignet sich auch keine ethisch gegründete Subjektivität im Akkusativ des ,.Sich«, sondern die Erfahrung des Anderen konstituiert mich als Objekt, "car c' est comme objet que j'apparai a autrui" (S. 276). In dieser Beziehung des ,.etre-vu-parautrui« geschieht eine ,.fuite du monde« und eine ,.decentration du monde« (S. 314, 313), durch die ich meine Grundlage ,.hors de moi« fmde (S. 318). Vgl. zur Frage einer möglichen Ethik in Sartres Phänomenologie der Erfahrung des Anderen umfassend die Erörterungen von U.Töllner, Sartres Ontologie und die Frage einer Ethik, Frankfurt/Main u.a. 1996; sowie mit Bezug auf Levinas D.Hauck, Fragen nach dem Anderen, Essen 1990, S. 52-130. IS
TU, S. 290.
16
TU, S. 291.
17
Ethik und Unendliches. Gespräche mit Ph.Nemo, GrazlWien 1986, S. 65.
18
TU, S. 298.
11. Der Andere als Obsession
257
ursprünglichen Sprache der Unendlichkeit im »Antlitz« des Anderen gebrochen. Es ist die Unfreiheit durch die Priorität der Signifikation vor dem Zeichen: "Nicht die Vermittlung durch das Zeichen macht die Bedeutung, sondern die Bedeutung (deren ursprüngliches Geschehen das Von-Angesicht-zu-Angesicht ist) macht die Funktion des Zeichens möglich .... Denn die Bedeutungen präsentieren sich nicht der Theorie, d.h. der konstituierenden Freiheit eines transzendentalen Bewußtseins; das Sein der Bedeutung besteht darin, in einer ethischen Beziehung die konstituierende Freiheit selbst in Frage zu stellen"19 Damit bezieht sich die ethische Intelligibilität des »Antlitzes« auf die Intelligibilität des Unendlichen, das sich ethisch offenbart: "Die Bedeutung [la signification) - das ist das Unendliche", und Levinas fügt hinzu: "aber das Unendliche präsentiert sich keinem transzendentalen Denken und nicht einmal der sinnvollen Tätigkeit, vielmehr präsentiert es sich in der Gestalt des Anderen; das Unendliche steht mir gegenüber, es stellt mich in Frage und verpflichtet mich durch sein Wesen als das eines Unendlichen. "20 Die Konkretheit des Unendlichen zeigt sich also nur deshalb als eine "Erfahrung schlechthin" in der "Epiphanie als Antlitz", weil sich in ihr eine Opposition ereignet, eine »Bewegung«, die sich selbst hervorbringt: "Diese Setzung im Angesicht von ... , der Gegensatz schlechthin [l' opposition par excellence), ist nur als moralische Infragestellung möglich. Diese Bewegung geht vom Anderen aus. Die Idee des Unendlichen, das unendlich Mehr, das im Weniger enthalten ist, ereignet sich konkret in der Gestalt einer Beziehung mit dem Antlitz. "21 Ein Anfangen ist die Erscheinung des Unendlichen, also des unbestimmten und alle totalisierenden Bestimmtheiten dementierenden Anderen, weil es als Aufforderung im Status des Ethischen auftritt. Damit ist ein wichtiger Schritt im Versuch eines philosophischen - nichtontologischen - Sprechens vom Unendlichen getan, ein Schritt, dessen Konsequenzen Levinas zwar als Problem erkannt hat, nicht aber in sein Denken einholen konnte. Dieser Schritt beginnt mit der Abweisung des Dialektischen: "Der »Widerstand« des Anderen tut mir keine Gewalt an, wirkt nicht negativ; er hat eine positive Struktur: eine ethische. Die erste Offenbarung des Anderen, die in allen weiteren Beziehungen mit ihm vorausgesetzt ist, besteht nicht darin, daß ich ihn in seinem negativen Widerstand ergreife und listig umgarne. Ich
19
20 2\
TU, S. 298. TU, S. 298. TU, S. 280.
17 Römpp
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
kämpfe nicht mit einem Gott ohne Antlitz, sondern antworte auf seinen Ausdruck, seine Offenbarung. "22 Dieses Anfangen des Unendlichen im ,.Antlitz« realisiert sich in seinem Sprechen: "Das Antlitz spricht mit mir und fordert mich dadurch zu einer Beziehung auf, die kein gemeinsames Maß hat mit einem Vermögen, das ausgeübt wird, sei dieses Vermögen nun Genuß oder ErkenntniS. 023
Dieses Sprechen aber ist seine Aktivität, denn der Andere setzt mir darin die Unendlichkeit seiner Transzendenz entgegen. 24 Das ,.Antlitz« ist also primär keine Wahrnehmung - anders gesagt: in der Wahrnehmung wird es gerade nicht als ,.Antlitz« aufgefaßt, das sich als solches überhaupt nicht in einer ,.Auffassung« zeigt, sondern seine Auffassung in der ethischen Aufforderung von sich aus mitbringt. Es ist auch nicht ,.Ausdruck«, obwohl es auch Ausdruck sein kann, aber diese Möglichkeit ist gerade die Folge seines ursprünglichen Erscheinens im ethischen Widerstand. In dieser Aktivität zeigt sich das Subjektive als ,.Passivität« - oder besser als Passion: "Das Subjektive ist nicht lediglich ein Erleiden in diesem Sinne, es leidet. olS Es wird deutlich, daß Levinas die Konzeption eines zweiseitigen Verhältnisses nicht angemessen erscheint, um die Andersheit des Anderen verstehen zu können, und er kann offensichtlich nur so an seiner Konzeption einer Andersheit ohne dialektische Vermittlung mit dem Selben festhalten, also den Gedanken einer Exteriorität ohne Totalität denken. Das Anfangen des Anderen, in dem die Exteriorität in ihrer Unendlichkeit in die Subjektivität ,.hereinsteht«, versucht Levinas im Fortgang seines Philosophierens deshalb als Sprache des Anderen zu denken, indem er das Sagen vom Gesagten zu unterscheiden sucht. Das Antlitz selbst erscheint nun mit der Fähigkeit der Sprache begabt; die ursprünglich ethische Beziehung wird deshalb unmittelbar zu einer sprachlichen, weil die Unsagbarkeit des Unendlichen, das mir das Antlitz des Anderen entgegensetzt, gerade dadurch überwunden wird, daß das Unendliche selbst und von sich her das erste Wort spricht und den Hörenden ,.überwindet«, indem der Andere durch die
22 TU, S. 283. Vgl. dazu kritisch Chr.Saint-Germain, Pouvoir de la singularite. Le pathos de visage dans les textes d , Emmanuel Levinas, in: Laval Theologique et Philosophique 49/1993, S. 27-35. 23 TU, S. 283. 24 TU, S. 285. lS JdS, S. 198.
ll. Der Andere als Obsession
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Begegnung des Antlitzes ,.von sich selbst her« spricht - "Das Wesen der Rede ist ethisch. 1126 Das Sagen wird verstanden in einem Verstehen ohne Interpretation, ohne Kontext. Darin zeigt sich ein neuer Sinn der Behauptung, das Antlitz sei "Bedeutung [signification] ohne Kontext". Das ,.Gesagte« dagegen ist eine Identifizierung und eine Synthese, in der etwas als etwas bestimmt wird: "durch dieses Licht identifiziert das Wort ,.dieses als dieses«, sagt es die Idealität des Selben im Verschiedenen aus. Identifizierung, die Sinnstiftung ist: ,.dieses als jenes«. "27 Insofern entspricht das ,.Gesagte« dem synchronisierten Resultat der ontologischen Totalisierung; es sagt das ,.Selbe«, in dem die Unbestimmtheit des Unendlichen in jedem einzelnen Vorkommnis dementiert wird. 28 Das ,.Sagen« dagegen soll fähig sein, das Resultat einer nicht in die synchronisierte Zeit des Selben integrierten Vorstellung der Andersheit zum Ausdruck zu bringen. 29 Aber das Verhältnis von ,.Dit« und ,.Dire« ist nicht nur die beziehungslose Beziehung von Totalität und Unendlichkeit. ,.Dire« bezeichnet auch die Möglichkeitsbedingung dafür, daß im ,.Gesagten« überhaupt eine Referenz in bestimmten Bedeutungen stattfinden kann. Es ist der Ursprung von Bedeutung im ethischen Verhältnis, wie er sich in dem Anfangen darstellt, das die Andersheit des Anderen in das Selbe hereinstehen läßt, indem das Unendliche sich selbst Bedeutung gibt - "Sagen, das vor dem sein bedeutet, vor der Identifizierung"JO - und damit eine ,.andere« Logik des Unendlichen im subjektiven Verständnishorizont realisiert. Der Unterschied zwischen ,.Dit« und ,.Dire« soll also fähig sein, Ontologie und Ethik, Totalität und Unendlichkeit so in ein
26
27
TU, S. 313. JdS, S. 89.
28 Zur Problematik der Anwendung dieses Gedankens auf Levinas' eigenes philosophisches ,.Gesagtes« vgl. insbesondere R.Esterbauer, Transzendenz-"Relation" . Zum Transzendenzbezug in der Philosophie Emmanuel Levinas', Wien 1992, S. 209 ff. Der Einwand wurde prinzipiell bereits von J.Derrida erhoben (Gewalt und Metaphysik. Essay über das Denken Emmanuel Levinas', in: ders., Die Schrift und die Differenz, FrankfurtlMain 1985, S. 121-235). Das Verhältnis Levinas - Derrida wird subtil kommentiert von W.Stegmaier, Die Zeit und die Schrift. Berührungen zwischen Levinas und Derrida, in: Th.FreyerlR.Schenk, Hrsg., Emmanuel Levinas - Fragen an die Modeme, Wien 1996, S. 51-72. 29 Vgl. dazu G.Römpp, Der Andere als Zukunft und Gegenwart, in: Husserl-Studies 6/1989, S. 129-154. 30 JdS, S. 110.
17'
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
Verhältnis zu bringen, daß das Unbestimmbare nicht in den Raum des in der Fonn des Systems oder Ordnung Bestimmten hineingezogen wird, und dennoch eine Positivität in der ethischen Antwort auf das Sich-entgegensetzen des »Antlitzes« in seinem ethischen Widerstand gegen die Totalisierung möglich wird. 31 Das »Sagen« muß folglich selbst eine Unendlichkeit in sich enthalten, die nicht in die Endlichkeit des Selben transformierbar ist, dennoch aber verstanden werden kann. Die Intentionalität des Bewußtseins beginnt mit dem ,.Sagen« demnach in einem ,.Sich-ausrichten«, das nicht als Aktivität, sondern als Passivität gedacht werden muß - als eine ,.Empfänglichkeit« ohne den Status passiver Konstitution, d.h. als "jenes unablässige Geschehen der Unterwerfung" als "Passion des Sich" .32 Darin begegnet der Andere nicht in der Erfahrung eines ,.Du« , sondern in der Differenz der ,.Spur«, die das ,.Antlitz« als ein bedeutendes Zeichen ohne Bedeutung auszeichnet. ,.Spur« ist das ,.Antlitz«, weil es sich »ereignet«, indem es den Anderen zugleich gibt und entzieht. 33 Als ,.Spur« löst es das Bild, das sich der eine vom anderen macht, auf, ohne den nahtlosen Anschluß eines neuen Bildes zu erlauben. 34 Die Differenz, die das ,.Antlitz« als ,.Spur« erzeugt, ist also realisiert in der Differenz zwischen den Bildern, die wir uns machen und die sich nicht zu einem Bild des Anderen fügen, weil das ,.Antlitz« die Totalität des Bildes auflöst, indem es sich nur in der Unterschiedenheit von sich und damit als ,.Spur« zeigt. Wenn der Andere mir also im ,.Sagen« die "Unendlichkeit seiner Transzendenz" entgegensetzt, von der Levinas sagt, sie "widersteht uns schon in seinem Antlitz, ist sein Antlitz, ist der ursprüngliche Ausdruck, ist das erste Wort"35, und dieses Sich-mirentgegensetzen nicht als Erfahrung und als Intentionalität geschehen soll, so ist damit die Differenz zum ,.Gesagten« bezeichnet, die der Andere mitbringt, wenn er in seinem ,.Antlitz« sich darstellt und von sich her spricht. Dementsprechend wird vom Subjekt gesagt: "Die Beziehung des Selben zum Anderen - ... - vollzieht sich ursprünglich als Rede; in der Rede geht das Selbe,
31 Vgl. dazu kritisch U.Schällibaum, Reduktion und Ambivalenz. Zur Reflexionsstruktur von E. Levinas' ,.Autrement qu' etre«, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 43/1996, S. 335-349. 32 JdS, S. 258. 33 34 35
Die Zeit und der Andere, Hamburg 1984, S. 50. Die Spur des Anderen, in: SdA, S. 209-235, S. 221. TU, S. 285.
11. Der Andere als Obsession
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das in seine Selbstheit als ,.ich« [Je] - ... - versammelt ist, aus sich heraus ... 36 Als Übergang in diesem ,.aus sich heraus« ist das Subjekt als Akkusativ, als ,.sich«. Diese Verwendung des ,.sich« impliziert allerdings nicht den Gedanken eines Selbstverhältnisses; Levinas versucht im Gegenteil sogar die Auffassung einer Ursprünglichkeit von Bewußtsein in seiner ,.Theorie« des Subjekts als Element des totalisierenden Denkens des Selben zu elimieren. Bewußtsein erscheint als Akt der Identifikation, während die Subjektivität "nicht auf das Bewußtsein und die Thematisierung zurückzuführen ist" Y Bewußtsein wird grundSätzlich als "Übereinstimmung mit sich" und "Selbstbesitz" aufgefaßt. 38 Die Position gewinnt ihre Originalität und Problematik daraus, daß Bewußtsein dadurch nicht zum sinnlosen oder überflüssigen Konzept erklärt wird. Es soll jedoch ein "Sich des Bewußtseins" gedacht werden, das selbst nicht ein Bewußtsein ist. 39 Wenn das Sich, das das Bewußtsein als Bewußtes zum Ausdruck bringt, gerade nicht als Bewußtsein - also nicht in Identität mit dem, worin es bewußt ist - gedacht werden soll, so ist der Gedanke des Selbstbewußtseins ausgeschlossen. Dann aber stellt sich die Frage dringender, wie eine Konzeption von Subjektivität ohne Selbstbewußtsein und mit einer Auffassung von Bewußtsein in Abhängigkeit von einem ,.Sich«, das nicht in der Struktur von Bewußtsein aufgefaßt wird, gedacht werden können SOll.4O Daß das ,.Sich« nicht als Bewußtsein gedacht werden kann, stellt sich in Levinas Denken nun als die Konsequenz seiner unbedingten Passivität dar. Diese Passivität ist - jedenfalls auf dem in ,.Autrement qu' etre« erreichten Denkniveau41 - nicht mit Rezeptivität oder passiver Konstitution identisch.
36 37 38
39
TU, S. 44 f. JdS, S. 221. JdS, S. 220, S. 221. JdS, S. 235.
40 Für eine Apologie der Konzeption von Levinas gegen die selbstbewußtseinstheoretischen Erwägungen von D.Henrich und M.Frank vgl. M.Mayer, Das Subjekt jenseits seines Grundes - Ernrnanuel Levinas' Deduktion des Selbstbewußtseins, in: prima philosophia 10/1997, S. 131-148. 41 In"Totalität und Unendlichkeit« war die Begegnung des Anderen noch als der Einbruch des Fremden in seiner Unendlichkeit in die bereits konstituierte Subjektivität gedacht worden. Die Identität des Subjekts erschien entsprechend als ein konkreter und eigendynamischer Prozeß der Identifikation. Zur Auffassung der Entwicklung zu ,.Jenseits des Seins« als einer linguistischen oder dekonstruktivistischen Wende als Folge der von Derrida in "Gewalt und Metaphysik« vorgebrachten Kritik vgl. S.Critchley,
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
Auch Rezeptivität ist Spontaneität und damit die Nivellierung des Anderen in das Selbe. Für das Denken des ,.Sich« dagegen soll eine "Passivität, die passiver ist als alle Rezeptivität" grundlegend sein, ein Geschehen, das nicht als einem Subjekt in seinen Konstitutionsleistungen angehörige Passivität aufgefaßt wird, sondern als ein Geschehen, das das Subjekt erst hervorruft und deshalb nicht seine Leistung oder Binnenstruktur darstellt. 42 Das ,.Sich« der Subjektivität geschieht ,.mit ihm«, ohne daß es an diesem Geschehen beteiligt wäre. Nun ist der Gedanke, daß die Subjektivität sich selbst nicht unterworfen ist, auch wenn sie die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung von Gegenständen enthält, die mit den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung kongruieren, so neu nicht. 43 Neu ist jedoch der Gedanke einer Genesis von Subjektivität als absolut passive Hervorrufung eines ,.Sich«. Die Subjektivität erscheint als "ein unersetzbares Sich- selbst. Nicht eigentlich ein Ich, das in seiner Identität in den Nominativ gesetzt ist, vielmehr von vornherein gezwungen zu ... : gleichsam im Akkusativ, von vornherein verantwortlich und ohne Möglichkeit, sich dem zu entziehen. "44 Der Akkusativ des ,.sich« hat also ebenso die Bedeutung des ,.accuser« - der Akkusativ der Subjektivität geschieht als Anklage. In dieser Anklage wird der Akkusativ des ,.sich« zu einem Anfang45 - zum Anfang der Subjektivität und ihrer Anfänglichkeit. Die Identifikation, die in diesem Geschehen beginnt, stammt diesem Gedanken zufolge nicht aus der Subjektivität selbst oder ist gar das bewußte Selbstverhältnis, sondern wird als Anfang der Spontaneität aus absoluter Passivität gedacht. Als Akkusativ der Anklage verdankt sich das ,.Sich« als Subjekt offensichtlich jener beziehungslosen Beziehung zum Anderen, um die sich Levinas' gesamtes Denken bewegt. ,.Subjekt« wird das ,.Sich« in einem Geschehen der
Eine Vertiefung der ethischen Sprache und Methode: Levinas' ,.Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht«, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42/1994, S. 643651. 42 JdS, S. 116; vgl. Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989, S. 78 f. 43 Zum Status des Transzendentalen in Levinas' Denken vgl. die Erörterungen bei Th.de Boer, An Ethical Transcendental Philosophy, in R.A. Cohen, Hrsg., Face to Face with Levinas, Albany 1988, S. 83-115; sowie bei J.E.Drabinski, The Status of the Transcendental in Levinas' Thought, in: Philosophy Today 38/1994, S. 149-158. 44 JdS, S. 190. 45
Die Substitution, in: SdA, S. 295-330, S. 315.
n.
Der Andere als Obsession
263
,.sujetion.. - in einer Unterwerfung. 46 Diese Unterwerfung in der absoluten Passivität ohne vorgängige Konstitution führt zurück auf das grundsätzlich ethische Verhältnis zur Unendlichkeit im Sich-offenbaren des ,.Antlitzes.. des Anderen. Der ,.absolute Akkusativ..47 in der Sujektivierung zum ,.sich.. eines spontanen und anfangenden Subjekts ereignet sich in der "Stellvertretung in der Verantwortung" .48 Die Konstellation der hier gemeinten Verantwortung ist offensichtlich paradox, eine Paradoxie, die Levinas sicherlich nicht als Einwand auffassen würde. W. Krewani formuliert sie so: "Das Subjekt ist Antwort auf einen Ruf, der an es erging, als es noch nicht da war. "49 Die Konstellation wird noch paradoxer, wenn die Unbegrenztheit der hier gemeinten Verantwortung berücksichtigt wird - für die Levinas im Zusammenhang seines Denkens allerdings gute Gründe hat. Wäre die Verantwortung begrenzt, so müßte sie als bestimmte Verantwortung angesehen werden, deren Bestimmung der Macht des Subjekts unterworfen wäre; damit wäre die Verantwortung in die Thematisierung der Aufforderung durch den Anderen zurückgenommen und der Andere in die Endlichkeit des Selben integriert. so Darin liegt ein Gedanke, der durchaus an die Gedankengänge des transzendentalen Idealismus anzuschließen wäre. Durch ihre Unbestimmtheit kann die Verantwortung nicht paternalistisch verstanden werden, sondern realisiert die Freiheit und Selbstzweckhaftigkeit des Anderen. Levinas schreibt in diesem Zusammenhang: "Das Sich-selbst ist die Verantwortung für die Freiheit der Anderen. "SI
46 JdS, S. 283, vgl. S. 231, S. 320; vgl. dazu St.Strasser, Jenseits von Sein und Zeit, Den Haag 1978, S. 277 ff. 47 JdS, S. 244. 48 JdS, S. 56, vgl. S. 234 f. J.F.Goud macht in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zu Meads Konzeption der »me-identity.. aufmerksam, die sozialpsychologisch den Teil der Identität bezeichnet, der die Erwartungen des generalisierten Anderen wiederspiegelt (Emmanuel Levinas und Karl Barth, Bonn 1992, S. 87). 49 W.Krewani, Emmanuel Levinas. Denker des Anderen, FreiburglMünchen 1992, S.232.
so Darauf macht A.E.Garrido-Maturano aufmerksam ("DIeität" im Denken von E. Levinas, in: Philosophisches Jahrbuch 103/1996, S. 62-75, S. 7lt). SI Die Substitution, in: SdA, S. 295-330, S. 312; vgl. dazu W.Lesch, Ethische Argumentation im jüdischen Kontext. Zum Verständnis von Ethik bei Emmanuel Levinas und Hans Jonas, in: Freiburger Zeitschrift fiir Philosophie und Theologie 38/1991, S. 443469.
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Von dieser absoluten, bedingungs- und grenzenlosen Verantwortung ist es nicht mehr weit bis zu den jedem Nicht-Levinasianer befremdlich klingenden Begriffen, mit denen die Asymmetrie im ethischen Verhältnis zum Ausdruck gebracht wird, die am Anfang des Subjekts als »sich« steht: sujetion als Besessenheit (obsession)52, Opfer (sacrifice)53, Vorladung (assignation)54, Anklage (accusation)55, Geiselschaft (otage)56, Verfolgung (persecution)57, traumatische Gewalt58 . Die zentrale Bedeutung dieser Umschreibungen dürfte jedoch als Geschehen einer Differenzierung durch die Substitution der absoluten Verantwortung am deutlichsten angegeben sein. Indem der Andere in der ethischen Beziehung Besitz ergreift von dem absolut und unbegrenzbar, weil unendlich für ihn Verantwortlichen, entfremdet die mit ihm erscheinende Unendlichkeit den letzteren, enteignet ihn und versetzt ihn so in den Status einer Differenz zu sich, in der er akkusativisch zu »sich« kommt.
In der Asymmetrie der ethischen Beziehung des Antlitzes ereignet sich Subjektivität als ein Geschehen, indem der in die Verantwortung Genommene gleichsam »gespalten« wird: "das Nahekommen des Nächsten heißt Spaltung des Subjekts "59. In dieser Spaltung ereignet sich die Abhängigkeit des Subjekts in einem Geschehen, das Levinas als "Von-sich- Weggerissenwerden tief im eigenen Einssein " beschreibt - nicht als Identität, sondern als Subjektivität im Status einer absoluten Nicht-Übereinstimmung. 60 Ein »sich«, das die Rede von Subjektivität und Selbstbewußtsein sinnvoll macht, muß diesem Gedankengang zufolge nicht als Reflexion, sondern als »Rückzug« gedacht werden - als Verzicht auf sich in der Substitution der Verantwortung. Levinas spricht deshalb auch vom Grundgeschehen der Subjektivität und dem Werden des
53
Die Substitution, in: SpA, S. 295-330, S. 298; JdS, S. 223. JdS, S. 266 f.
54
JdS, S. 310.
52
55 Sprache und Nähe, in: SdA, S. 260-294, S. 283. 56
JdS, S. 50 f, S. 284 f.
57
JdS, S. 270.
SI JdS, S. 283, S. 245 f. Vgl. dazu auch die folgende Formulierung: "Die Seele ist der Andere in mir. Der Psychismus, der-Eine-für-den-Anderen, kann Besessenheit und Psychose sein; die Seele ist bereits Keim des Wahnsinns." (JdS, S. 157, Anm., vgl. S. 298 f, S. 321) 59 JdS, S. 385.
60
JdS, S. 121.
11. Der Andere als Obsession
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Selbstbewußtseins als »recurrence«: sie geschehen als "Rückzug an und in sich ,,61 in einer "Vertreibung aus dem Sein, in sich" - "außerhalb des Seins
und infolgedessen in sich gleichsam im Exil. "62. Die nähere Kennzeichnung jener Verantwortung, in der das Subjekt als »recurrence« zu »sich« kommt, findet sich nun in der Rede von einer »Substitution« als "Einstehen für den Anderen". 63 Gerade durch die Stellvertretung befreit sich das Ich von sich. 64 Auch die Substitution implantiert der Verantwortung also kein Element der Übernahme durch das verantwortliche Subjekt; eine übernommene Verantwortung würde nach Levinas eine Rückkehr in die Intentionalität und damit in die Totalität des Selben bedeuten: "Die Verantwortung für den Anderen kann nicht in meinem Engagement, nicht in meiner Entscheidung ihren Anfang haben. "M Deshalb ist auch die Substitution absolut asymmetrisch: ich, der ich je verantwortlich bin, bin darin nicht substituierbar, sondern »einzig« durch die »Erwählung« zur Substitution: "Ethos des Unersetzbaren, das auf diese Verantwortung zurückgeht: diese Identität des Ich oder des »Sich-selbst« bedeutet den Charakter des unablässig an die Verantwortung Gebundenen; sie hängt an der Ethik dieser Verantwortung und so an ihrer Erwählung. "66 Einer Subjektivität, die durch eine solche Substitution zu denken ist, in der sie entsteht und durch die sie besteht, kann offenbar keine Identität im traditionellen selbstbewußtseinstheoretischen Sinn zugeschrieben werden. 67 Andererseits verzichtet Levinas nicht auf die Rede von einer auch im absoluten ethischen Verhältnis verbleibenden Identität: "In der Verantwortung wird das
61
Die Substitution, in: SpA, S. 295-330, S. 307.
JdS, S. 229; vgl. Die Substitution, in: SdA, S. 295-330, S. 303 f. Vgl. dazu R.Esterbauer, Transzendenz-"Relation". Zum Transzendenzbezug in der Philosophie Emmanuel Levinas', Wien 1992, S. 77 ff. 63 Die Substitution, in: SdA, S. 295-330, S. 317. Die Thematik der Substitution wird ausführlich erörtert von Ph.J.Maloney, Levinas, Substitution, and Transcendental Subjectivity, in: Man and World 30/1997, S. 49-64. 64 Die Substitution, in: SdA, S. 295-330, S. 317. M JdS, S. 40. In TU fand sich noch die Formulierung, das Antlitz vernehmen bedeute, "sich als verantwortlich zu setzen" (S. 311). 66 Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffenheit von Transzendenz, FreiburglMünchen 1985, S. 223. 67 Vgl. dazu JdS, S. 129, S. 136; sowie Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989, S. 85-104. 62
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
Subjekt im Innersten seiner Identität sich fremd - in einer Entfremdung, die nicht aus dem Selben seine Identität auslaufen läßt, sondern die ihn durch eine unabweisbare Vorladung zu einer Identität zwingt - es wird zu seiner Identität gezwungen als Person, worin niemand es ersetzen kann."68 Diese Identität aber ist gleichbedeutend mit dem Status, den das Subjekt in der Substitution gewinnt. In der Vorladung, in der Anklage, in seiner Besessenheit vom Anderen, als dessen Geisel und Opfer geschieht ihm seine Identität als Einzigkeit und Unvertretbarkeit. Das Ich stellt sich gegen seinen Willen an den Platz aller, "als Stellvertreter für alle aufgrund seiner Unaustauschbarkeit selbst. "69 Sie geschieht ihm "wider Willen [malgre soi] von außen ZU"70 in der absoluten Passivität als "Identität bloßer Erwählung"71, also in der "Selbst-Absetzung"72 der ,.recurrence«. Die Behauptung lautet also, die Substitution der Verantwortung vereinige Identität und Alterität. 73 Offenbar ist die Aktivität in diesem Ereignis ganz auf der Seite des Anderen - jedenfalls aber nicht auf der Seite des "Ich«, dem der Andere mit dem ,.Antlitz« die Unendlichkeit seiner Transzendenz entgegensetzt. Das "Ich« scheint aber auch nicht als jene Passivität und "Empfanglichkeit« gedacht werden zu können, die die "Epiphanie« des "Antlitzes« ereignet - jedenfalls dann nicht, wenn wir das Ich und seine Subjektivität so auffassen wie Levinas. Dann nämlich verläuft die Existenz eines Ich "als Verselbigung des Verschiedenen", in welcher das Ich dasselbe bleibt, "indem es aus getrennten und verschiedenen Ereignissen eine Geschichte macht, nämlich seine Geschichte", in der es sich als "das ursprüngliche Geschehen der Identifikation des Selben" realisiert. 74 Die ethische Beziehung aus dem Sich-entgegensetzen des ,.Antlitzes« stellt aber dieses "Ich« infrage, weil sie das Selbe als solches infrage stellfS - "Diese Infragestellung meiner Spontaneität durch die Gegenwart des
68 JdS, S. 310 f. Vgl. dazu insbesondere E.Dirscherl, Identität jenseits der Totalität oder: die Passivität des inkarnierten Bewußtseins und die Rekurrenz des Sich bei Emmanuel Levinas, in: Th. FreyerlR. Schenk, Hrsg., Emmanuel Levinas - Fragen an die Moderne, Wien 1996, S. 137-152. 69
Humanismus des anderen Menschen, Hamburg 1989, S. 101 f.
70
JdS, S. 126.
71 JdS, S. 318. n JdS, S. 179. 73
JdS, S. 262.
74 Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SdA, S. 185-208, S. 187. 75
TU, S. 280
11. Der Andere als Obsession
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Anderen heißt Ethik. "76 Auf dieser Grundlage scheint von einer ,.Passivität.. oder ,.Empfänglichkeit.. des ,.lch.. nicht sinnvoll die Rede sein zu können - das ,.Ich.. wird gerade in seinem Charakter des Selben durch die ,.reine Erfahrung.. des ,.Antlitzes.. dementiert, das ,.schon da.. war und sprach, bevor es antizipiert oder konstituiert wurde. 77 Es dementiert durch seine Ethik die Spontaneität also auch die Spontaneität, die den Genitivzusammenhang herstellen können müßte, wenn von ,.Empfänglichkeit.. als einer des Ich die Rede sein sollte. 78 Nichtsdestoweniger bewahrt auch das Ereignis des ,.Antlitzes .. und der darin geschehenden Beziehung zum ,. Unendlichen.. die Struktur eines Selbstverhältnisses, wenn der/das Andere in diesem Geschehen ,.von sich selbst her.. spricht und so ,.sich.. darstellt. Levinas geht es in seiner Philosophie des Subjekts ja nicht darum, diesen Gedanken zugunsten einer Vorstellung vom Auftreten an sich bestimmter Entitäten in einer subjektunabhängigen Erkenntnisrelation zu dementieren. Der Andere ,.überkommt.. in der Erfahrung seines ,.Antlitzes .. zwar das Subjekt, das ihn weder konstituiert noch beherrscht. Aber dessen ,.Passion.. geschieht ihm nicht durch ein Vorkommnis in der objektiven Welt, sondern durch eine Aktivität, der gegenüber es zwar nicht Subjekt sein kann, die ihm aber auch nicht als ,.Gott ohne Antlitz.. entgegentritt, sondern nur in der Antwort auf ,.seinen Ausdruck, seine Offenbarung... Es ist dieser Gedanke der von außen völlig unbestimmten und unbestimmbaren Aktivität des Anderen in seiner Erfahrung, der in Levinas' Philosophie zuerst und notwendig die Struktur eines Selbstverhältnisses einführt. Wird die Erfahrung des Anderen als ein Geschehen gedacht, in dem der Andere ,.von sich selbst her.. spricht und ,.sich.. darin darstellt, so wird ihm ein Bezug auf sich selbst zugeschrieben, und seine Selbstdarstellung wird auf dieses Selbstverhältnis zurückgeführt. Zwar verwenden wir das Reflexivpronomen auch dann, wenn wir eine Selbstbezüglichkeit bezeichnen wollen, die nicht in der Dimension des Bewußtseins stattfindet und die nicht selbst Grund des in diesem Modus demonstrierten Geschehens ist, aber dann schreiben wir diesem Geschehen nicht den Status einer aus sich anfangenden Aktivität zu. Genau dies
76
TU, S. 51.
Die Philosophie und die Idee des Unendlichen, in: SdA, S. 185-208, S.206. Sartre hatte die konstitutive Konstellation deshalb auf einen paradoxen Begriff gebracht: der Andere zeigt sich als jemand, "qui est mon etre sans etre-pour-moi" (L'~tre et le neant, Paris 1943, S. 275; vgl. dazu M.Theunissen, Der Andere, Berlin 1965, S. 187 fI). 77 78
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ist jedoch der Fall, wenn Levinas vom Anderen sagt, er spreche von sich selbst her und stelle sich darin selbst dar. Aber auch wenn wir von dieser Schwierigkeit abstrahieren, so gerät der Versuch einer selbstbewußtseinsfreien Interpretation notwendig in Kollision mit Levinas' Intentionen. Wird die Erfahrung des Anderen zu denken versucht, ohne ihm die Struktur eines Selbstbewußtseins zuzuschreiben, so wäre er Subjekt, da zu spontaner, anfänglicher Aktivität fähig, aber seine Subjektivität müßte ohne den bewußten Selbstbezug gedacht werden, mit dem der Gedanke des Subjekts bei Descartes begann und von dem er über Kant, Fichte, Schelling, Hegel und über Husserl bis hin zu Heidegger geleitet war. Es ist schwer zu sehen, wie Levinas in diesem Fall die Integration der Erfahrung des Anderen in die reduktionistischen Versuche des Denkens von Subjektivität als Bestimmung der erfahrbaren Welt durch weltlich bestimmte Subjekte vermeiden kann. Gelingt dies jedoch nicht, so wird der zentrale Gedanke von Levinas' Philosophie des Subjekts dementiert. Ist die Subjektivität des Subjekts in Bezug auf den Anderen und seine Selbstdarstellung in seinem ,.Antlitz« reine Passivität, also in vollständiger Abhängigkeit von der Erfahrung des Anderen, so müßte in diesem Fall die Subjektivität des vom Anderen konstituierten Subjekts selbst als konstitutiv abhängig von einem Geschehen in der Welt der objektiven Entitäten gedacht werden. Es könnte sich demnach wiederum nur um eine selbstbewußtseinsfreie Subjektivität als Fähigkeit bestimmter ausgezeichneter weltlicher Entitäten zur Bestimmung der Erfahrbarkeit der Welt handeln, der sie selbst zugehören und von der sie selbst in ihrer Subjektivität bestimmt sind. Der selbstbewußtseinstheoretische Gedanke würde also auf eine Bestimmung weltlicher Entitäten zur Fähigkeit der Subjektivität durch solche weltliche Entitäten hinauslaufen, die sich in der Erfahrung des ,.Antlitzes« als Andere darstellen, indem sie von sich her sprechen, ohne in diesem ,.sich« die Struktur eines bewußten Selbstverhältnisses zu demonstrieren. Die Problematik einer solchen Konzeption ist offenkundig. Es erscheint somit naheliegend, den Ansatz eines selbstbewußtseinsfreien Denkens der Anfänglichkeit des sich darstellenden Anderen aufzugeben und das Sich-darstellen des ,.Antlitzes« als in der Struktur des Selbstbewußtseins geschehend zu denken. Offensichtlich gerät dieser Versuch aber in Konflikt mit der von Levinas nachdrücklich betonten Unmittelbarkeit der Erfahrung des ,.Antlitzes«, das in seinem ethischen Widerstand ebenso unmittelbar das Unendliche in die Selbigkeit des Subjekts ,.hereinstehen« läßt. Das ,.Antlitz«
n.
Der Andere als Obsession
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indiziert nicht, es ist es selbst und gerade als solches die Erfahrung der Andersheit ohne gemeinsames Maß. Es erschöpft sich zwar nicht in der Sinnlichkeit seiner Wahrnehmung, aber es wird doch als frei von jeder Differenz zu sich selbst gedacht, und in seiner Erfahrung soll das Unendliche sich als solches dem Selben entgegensetzen. Der Gedanke, das »Antlitz« von der uneinholbaren Differenz des fremden Selbstverhältnisses her als Ausdruck des nur dem Anderen original zugänglichen Für-ihn zu denken, liegt fast verführerisch nahe, er würde jedoch dem Eigenen der Konzeption von Levinas mit Sicherheit nicht gerecht werden. Darüber hinaus muß respektiert werden, daß für Levinas das Selbstbewußtsein geradezu als Paradigma für die Identität des SeI ben gilt, also einen Gedanken darstellt, der die Unendlichkeit des Anderen grundSätzlich ausschließt, auch wenn diese Auffassung vor dem Hintergrund der in den vorangegangenen Kapiteln dargelegten Interpretationen zu Kant, Fichte, Schelling und Hegel nicht haltbar erscheint. 79 Damit sind wir aber zurückgeworfen auf den Gedanken eines selbstbewußtseinsfreien Subjekts, dem nichtsdestoweniger eine Aktivität zugeschrieben wird, in der es »sich« darstellt, indem es »von sich her spricht«, und dem der Subjektstatus deshalb nur schwer abgesprochen werden kann. Die Schwierigkeiten eines solchen Gedankens haben wir bereits erörtert, ohne eine befriedigende Auflösung finden zu können. Levinas scheint aus systematischen Gründen nicht in der Lage, die Beschreibung der Erfahrung des Anderen in ihrer Unmittelbarkeit in ihrer Einheit mit der vom Anderen ausgehenden Aktivität des Sichentgegensetzens und der darin sich offenbarenden Unendlichkeit konsistent durchführen zu können. Dem könnte entgegengesetzt werden, ein solcher Verzicht sei nicht nur mit Levinas' Beschreibung der Erfahrung des Anderen vereinbar, sondern geradezu durch die Intention dieses Unternehmens gefordert. Diese Verteidigung wird m.E. der Höhe von Anspruch und Niveau von Levinas' Denken nicht gerecht. Dieses Denken beschränkt sich schließlich keineswegs auf Deskriptionen und
79 Dies gilt grundsätzlich auch für Heidegger als den "intimsten Widersacher" von Levinas (H. Vetter, Zeichen des Anderen. Zum zweiten Hauptwerk von Levinas mit Bezug auf Heidegger, in: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 42/1994, S. 671-681); vgl. dazu G.Römpp, Truth and Interpersonality. An Inquiry into the Argumentative Structure of Heidegger's ..Being and Time", in: International Philosophical Quarterly 29/1989, S. 429-447.
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
die Hoffnung auf Zustimmung beim philosophisch interessierten Publikum, sondern entwickelt zur Plausibilisierung der Thesen von der Erfahrung des Unendlichen im Antlitz des Anderen eine Philosophie des Subjekts als konstituiert durch die vom Anderen ausgehende ethische Verantwortung, und diese Philosophie fordert komplementär die Explikation der konstitutiven Fähigkeit des Anderen und der sich in ihm offenbarenden Unendlichkeit. Es ist der Anspruch dieser Philosophie, der von Levinas eine Explikation des Anderen als Subjekt fordert, und eben diesem Anspruch genügen die angebotenen Auskünfte nicht. Daß dieser Anspruch eine fundamentale Spannung innerhalb der Konzeption impliziert, sei nur am Rande vermerkt. Levinas arbeitet eine Philosophie des Subjekts aus, das »akkusativisch« von der ethischen Erfahrung des Anderen konstituiert wird, und zwar nicht in der Struktur eines bewußten Selbstverhältnisses, wohl aber als »Sich« ohne »Sich-zu-sich«. Der Andere kann deshalb offensichtlich nicht in gleicher Weise als Subjekt gedacht werden. Dennoch wird ihm eine Aktivität zugeschrieben, die aus ihm selbst stammt und ihn zu einem Sich-darstellen in einem Sprechen von ihm selbst her befähigt. Er wird also grundsätzlich durch die Leistung eines Subjekts beschrieben. Die Konzeption würde dementsprechend im Grunde den expliziten Gedanken einer prä-subjektiven Subjektivität erfordern, mit dem sich allerdings die genannten Probleme mit deren Status als Selbstverhältnis restituieren müßten. 80 Darüber hinaus stellen sich jedoch auch Fragen bezüglich des Subjekts, das »akkusativisch« in einem Geschehen der »recurrence« durch die ethische Erfahrung des Unendlichen konstituiert wird. Im Zentrum dieser Problematik steht die Frage, ob und wie sinnvoll von einem Subjekt gesprochen werden kann, das nur »Sich« ist, also »absoluter Akkusativ«. Levinas versucht offenbar, damit einen Weg zwischen zwei problematischen Konzeptionen von Subjektivität zu finden. Einerseits soll der Gedanke von Subjektivität als einem Geschehen in der objektiven Welt vermieden werden, demzufolge eine bestimmungsmächtige Entität als Subjekt aufgefaßt wird, dessen Subjektivität nicht aus seinem Selbstverhältnis abgeleitet werden kann, so daß sie letztlich von der Möglichkeit
110 Eine der wenigen Arbeiten, die Levinas mit idealistischen Positionen konfrontieren, ist B.G. von Manz, Selbstgewißheit und Fremdgewißheit. Fichtes Konzeption des Anderen als Konstituens der Selbsterfassung unter Berücksichtigung der Perspektive Levinas', in: Fichte-Studien 6/1994, S. 195-213.
11. Der Andere als Obsession
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abhängig wird, sich als Entität in der Welt von den anderen Entitäten der Welt so unterscheiden und auszeichnen zu können, daß verständlich wird, wie dieser Entität Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung von Gegenständen in Identität mit Möglichkeitsbedingungen der Gegenstände der Erfahrung als Attribute zugeschrieben werden können, so daß sie als Teil der Welt gelten kann, der fähig ist, die Verständlichkeit dieser Welt aus eigenen Sinnbeständen heraus einleuchten zu lassen. Andererseits soll die Subjektivität des Subjekts nicht von der Besonderheit des bewußten Selbstverhältnisses abgeleitet und aus ihm begründet werden. Es ist diese Konzeption, gegen die sich der Vorwurf der Einholung alles Anderenund aller Anderen - in die Selbigkeit der Totalität in erster Linie richtet. Gerade die Identität des Ich mit sich soll das Paradigma eines Selben darstellen, das die Unendlichkeit des Anderen notwendig in die Totalität einstellen muß. Levinas übersieht dabei, daß die Selbigkeit des Ich im bewußten Selbstverhältnis stets ebenso aufgelöst wie hergestellt ist. Er sieht nur - wie die postmoderne Kritik am Selbstbewußtsein und an der in ihm fundierten Subjektivität generell- die Seite der Identität und nicht die Seite der Differenz. Wir können die Konzeption des akkusativischen Subjekts als vom Anderen beherrschtes Verhältnis eines Zu-sich ohne Sich-zu-sich-verhalten demnach als Versuch auffassen, die Subjektivität des Subjekts nicht als ein Bestimmungsverhältnis zwischen weltlichen Entitäten zu denken und doch jene totalisierende Selbigkeit zu vermeiden, die von der Identität des Sich mit sich auf die von der Grundlage dieses Selbstverhältnisses aus verstehbare Welt übertragen wird. Der Gedanke des Zu-sich ohne Sich-zu-sich soll es erlauben, die Konzeption des Subjekts mit dem Aufbrechen der Totalität zugunsten des Sich-darstellens des Unendlichen aus der Nähe des »Antlitzes« zu vereinigen. Die »Halbierung« des Selbstverhältnisses in das akkusativische Sich soll also der Totalität ein Ende bereiten und dem Einbruch des Unendlichen in das Subjekt den Weg öffnen. Dies soll plausibel werden durch die »Obsession« des Subjekts durch den Anderen, der es über die Erfahrung seines Antlitzes zum »Rückzug« (recurrence) in sich zwingt, in dem es ein Zu-sich wird, ohne sich zu einem Sich-zusieh ergänzen zu können - außer in der Stellvertretung einer unbegrenzbaren Verantwortung, in der das Sich im Sich-zu-sich nur in der Substitution des Anderen und im Einstehen für ihn Bedeutung gewinnt, also ohne jemals in die Identität des Sich-zu-sich zurückkehren zu können. Die Frage, was dieses »Sich« zu einem Subjekt mache, ist damit nicht beantwortet. Die Struktur eines Selbstbewußtseins kann es offenbar nicht sein,
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G. Der Andere in der Ethik: des Selbstbewußtseins
aber auch besondere Auszeichnungen einer weltlichen Entität, die es ihr erlauben würden, als Grund der Verständlichkeit des Weltlichen zu fungieren, scheiden aus, wenn das Subjekt als ,.Sich« vor dem Antlitz des Anderen gedacht wird. Das Gelingen von Levinas' Philosophie des Subjekts hängt jedoch von der Explikation eines Zusammenhanges ab, auf dessen Grundlage einleuchten könnte, daß gerade das ,.akkusativische Sich« ohne Sich-zu-sich aus sich die Fundamente der Verstehbarkeit der Welt generieren kann. Jene ,.intelligibilite«, die der Andere mit sich bringt, müßte dazu mit dem Ursprung des ,.Gesagten« im ,.Sagen« so in einen gedanklichen Zusammenhang gebracht werden, daß daraus der Anfang des bestimmenden Sprechens in der Erfahrung des ,.intelligiblen« Antlitzes und der darin sich offenbarenden Unendlichkeit der Andersheit deutlich werden könnte. Diese transzendentale Dimension seiner Philosophie des Subjekts stand jedoch nicht im Zentrum des Interesses von Levinas und die wenigen Andeutungen über den Weg vom ,.dire« zum ,.dit« lassen sich nicht genügend extrapolieren. 81 Unabhängig von diesen Zusammenhängen legt sich jedoch ein weiterer Einwand nahe, der gerade für Levinas' Denken von zentraler Bedeutung ist, rührt er doch an eine seiner tragenden Explikationen, nämlich an den ethischen Status der beschriebenen Erfahrung des Unendlichen im Antlitz des Anderen. Man könnte mit guten Gründen daran zweifeln, daß nach Levinas' Beschreibung die Erfahrung des Anderen mit Recht in die Dimension des Ethischen gehört. Daß das ,.Antlitz« des Anderen eine genuin ethische Forderung mit sich bringt, durch die es die Sphäre des sinnlich Wahrnehmbaren transzendiert, ist phänomenologisch plausibel und es ist vor allem das Verdienst von Levinas' Deskriptionen, daß diese Erfahrung in einer angemessenen Sprache zur Deutlichkeit gebracht wurde. Levinas führt diese Beschreibungen jedoch so weit, daß die Erfahrung des Anderen nur noch als Forderung erscheint, während ihr ethischer Charakter gerade durch die Absolutheit der Forderung dementiert wird. Dieses Dementi führt letztlich zurück auf den Versuch, ein Denken zu initiieren, das nicht ,.totalisierend« im Selben verbleibt, sondern dem Einbruch des Unendlichen der absoluten Andersheit offensteht. Diese Offenheit sieht Levinas nach den Denkerfahrungen der neuzeitlichen Philosophie in erster Linie
81 Zur Konfundierung der Konzepte vgl. JdS 111: "Bedeutung, die dem Anderen gilt, in der Nähe, die sich von jeder anderen Beziehung abhebt, denkbar als Verantwortung für den Anderen; man könnte sie Menschlichkeit oder Subjektivität oder Sich nennen. "
11. Der Andere als Obsession
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durch die Identifikationsleistung des Subjekts gefährdet. Er versucht deshalb mit konsequenter Radikalität, die Forderung in der Erfahrung des ,.Antlitzes« unabhängig von jeder Beteiligung subjektiver Konstitution zu beschreiben. Es ist gerade dieser Ausschluß jeder Aktivität des von der Forderung des Antlitzes Getroffenen, der dieser Forderung ihren ethischen Status nimmt. Wenn die Weigerung, den Gedanken einer Subjektivität zu denken, die sich nicht durch die absolute Forderung des Anderen in ein ,.akkusativisches Sich« zurückgezogen hat, jedoch durch den Verdacht motiviert ist, dem Gedanken der Subjektivität gehöre notwendig die Identität und Selbigkeit des Sich-zu-sich des Selbstbewußtseins zu, so können wir das Dementi des ethischen Status der Forderung des Antlitzes in Levinas' Deskriptionen auch im Ausschluß des Gedankens eines bewußten Selbstverhältnisses begründet sehen. Einer Forderung können wir einen ethischen Status nur dann zuschreiben, wenn ihr auf Seiten des Adressaten ein Sollen korrespondiert, dem er durch eine ,.Re-Aktion« genüge tun kann, die den Charakter einer verantwortlich zuschreibbaren Handlung mit dem Charakter einer nicht der subjektiven Verfügbarkeit unterstehenden Verbindlichkeit vereinigt. Eine Forderung kann also nur dann ethisch heißen, wenn im Adressaten die Bedingungen des Sollens erfüllt sind, so daß er in freier Entscheidung auf die Forderung reagieren kann: ultra posse nemo obligatur. Dem Adressaten muß also die Fähigkeit zugeschrieben werden, der Forderung aus freier Entscheidung auch nicht nachkommen zu wollen und nicht gemäß der als Sollen eingesehenen Verpflichtung zu handeln. Eine Beziehung der Forderung ethisch zu nennen, die als Anklage, Geiselschaft, Verfolgung, Trauma oder Obsession charakterisiert wird, widerspricht demnach ganz offensichtlich dem Sinn dieser Auszeichnung. Ethisch könnte die Beziehung nur sein, wenn der Forderung des einen ein Sollen des anderen entspricht, dem er in seiner Freiheit nachkommen kann, nicht aber das Müssen einer Obsession in der Gefangennahme durch den Anderen. 82 Was Levinas in seiner Beschreibung der ,.sujetion« exkludiert, ist also gerade die Freiheit des Verpflichteten, die die Forderung des Anderen in ihm in ein Sollen transformiert, das die ethische Beziehung vervollständigt. Diese Beziehung aber ist unteilbar; eine absolute Forderung ohne ein kor-
82 In einem Interview faßte Levinas den Primat der Verantwortlichkeit so zusammen: "Die Subjektivität ist nicht ein Für-sich; sie ist, ... , ursprünglich ein Für-einenAnderen." (Ethik und Unendliches. Gespräche mit Ph.Nemo, GrazlWien 1986, S. 73)
18 Römpp
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
respondierendes Sollen und ohne die implizierte Freiheit kann überhaupt nicht ,.ethisch« heißen. Die gleiche Situation ergibt sich, wenn Levinas von ,.absoluter Verantwortung« oder ,.absoluter Schuld« spricht und damit eine Verantwortung meint, die nicht übernommen wurde, und eine Schuld, die niemand auf sich geladen hat. Die Problematik einer einseitig als ,.absolute Forderung« auftretenden und doch als ,.ethisch« bezeichneten Beziehung korrespondiert über den zugrundeliegenden Gedanken der ,.sujetion« offensichtlich der Problematik einer als ,.akkusativisches Sich" gedachten Subjektivität in ihrer unbedingten Abhängigkeit von der ,.subjektivierenden" Unendlichkeit in der Erfahrung der absoluten Andersheit im ,.Antlitz". Damit schließen sich auch die kritischen Einwände gegen Levinas' Philosophie des Subjekts zusammen. Es gelingt nicht, den Gedanken einer Subjektivität durchzuführen, die selbstbewußtseinsfrei und doch nicht als Teil der Welt gedacht werden soll, die durch sie erst verständlich werden kann. Eben deshalb gelingt es nicht, die Freiheit eines Sollens zu denken, in der eine Verantwortlichkeit möglich wird, die Forderung und Sollen zur Voll struktur eines ethischen Verhältnisses verbindet. Indem das ,.Antlitz" durch seine eigene Macht sowohl die anfängliche Intelligibilität als auch die anfängliche ,.Ethik" mitbringt, dementiert diese Konzeption in einem Gedanken sowohl die Struktur der Subjektivität als auch die des Ethischen. In der ,.Besessenheit" durch den Anderen ist weder Subjektivität noch Ethik möglich.
111. Die Philosophie des Selbstbewußtseins als Ethik des Anderen Die Ethik des Selbstbewußtseins wurde in den vorangegangenen Erörterungen entwickelt aus der Differenz im bewußten Selbstverhältnis, so daß sie als Ethik der Andersheit aus dem innersten Zentrum der Struktur eines Selbstbewußtseins stammt. Das Andere ist immer schon in ihm und zwar als Ethik, die allein die Struktur des Selbstbewußtseins in seiner Identität und Differenz verständlich machen kann. Diese fundamentale Ethik zeigt sich als Integration eines genuin praktischen Verhältnisses in der Struktur eines bewußten Selbstverhältnisses. Daß das Selbstbewußtsein in seiner Struktur eine ,.Unendlichkeit« in sich enthält, die allein durch die ethische Beziehung zum Anderen so ,.verelldlicht« zu denken ist, daß es weder in seiner Unendlichkeit differenzlos in sich implodiert, noch in eine Beziehung von Entitäten transformiert
ID. Die Philosophie des Selbstbewußtseins als Ethik des Anderen
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wird, die durch ihren eigenen Status und Charakter die Struktur eines Selbstbewußtseins zerstören müssen, dies könnte als kurze Formulierung der Ethik des Selbstbewußtseins gelten. In dem Gedanken, daß das Selbstbewußtsein als Subjekt in seiner Differenz zur allein bestimmungsfähigen Objektwelt nur mit Hilfe grundsätzlich der Ethik zugehöriger Gedankenzusammenhänge verständlich zu machen ist, kommt die Philosophie von Kant, Fichte, Schelling und Hegel zu einer Einheit. Diese Übereinstimmung schließt den Gedanken ein, daß es in einer solchen Ethik nicht primär darum zu tun sein kann, solche Handlungsregeln anzugeben, mit deren Hilfe wir wissen können, was wir tun sollen, sondern daß in ihr die uneinholbare Freiheit des Anderen zur Geltung gebracht werden können muß. Die Freiheit des Subjekts und die Freiheit seines Anderen werden in einer Symmetrie gedacht, in der sie wechselseitig voneinander abhängig, aber nicht aufeinander zurückführbar sind. Die Freiheit des Selbstbewußtseins als epistemisches Subjekt wird verständlich gemacht durch die doppelseitige Freiheit des praktischen Selbstbewußtseins, das sich in der ethischen Anerkennung fremder Freiheit selbst als frei konstituiert. Das Eigene des Fremden kommt deshalb im Innersten des als Selbstbewußtsein gedachten Subjekts in Gestalt der ethischen Verantwortlichkeit vor der und für die Freiheit des Anderen zur Geltung. Jenes Denken, das im Selbstbewußtsein ein Sein wird, weil es nur sich auf sich beziehendes Denken in der Gestalt eines Selbstbezugs des Denkenden ist, ist Identität und Differenz, und in seiner internen Differenz ist ihm der Gedanke der Freiheit des Anderen ebenso wesentlich wie der Gedanke seiner selbst. Daß der Andere in der das Selbstbewußtsein zum zentralen Gedanken nehmenden Philosophie nur ein Gedanke ist, besitzt als Einwand deshalb den gleichen Status wie der Hinweis, das Bewußtsein von sich selbst sei nur ein Gedanke. Zum zentralen philosophischen Thema war das Selbstbewußtsein geworden, weil in ihm Denken und Sein nicht auseinandertreten und so die Frage nach der Übereinstimmung beider erzeugen, sondern dem Denken Sein zukommt, das sich im Denken erschöpft: cogito, sumo Wenn in der Explikation dieses Gedankens die ethische Verantwortung als Anerkennung der Fremdheit des Anderen zum konstitutiven Moment der Explizierbarkeit wird, so partizipiert dieses Moment an jener Einheit von Denken und Sein, weil die Explikation selbst die ausgezeichnete Struktur eines Selbstbewußtseins reproduzieren muß, so daß mit der Einheit von Sich-Wissen und Sein auch die Einheit von ethischem Wissen um den Anderen mit dem Sein der Andersheit als Implikat der Struktur des Subjekts als Selbstbewußtsein gedacht werden muß. Wenn dagegen 1S·
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
vorgebracht wird, auch in diesen Gedankenzusammenhängen bleibe Andersheit nur ein Gedanke, so kann dies in konsistenter Weise nur um den Preis eines grundsätzlichen Dementis der Konzeption eines Subjekts als Selbstbewußtsein geschehen. In den vorangegangen Erörterungen wurde darauf verwiesen, daß die Thematisierbarkeit des Selbstbewußtseins von Kant, Fichte, Schelling und Hegel nur unter der Bedingung einer genuin ethischen Perspektive auf die Freiheit des Anderen als möglich gedacht wird. Die Tragweite dieses Gedankens zeigt sich dann, wenn beachtet wird, daß die Thematisierung des Selbstbewußtseins kein der Struktur eines Selbstbewußtseins fremdes Tun sein kann. Insofern das Selbstbewußtsein nichts ist außerhalb seines Sich-wissens, kann es nicht als ein ,.etwas- zum Gegenstand philosophischer Erörterungen gemacht werden, also so, als ob es außerhalb seines Selbstverhältnisses und unabhängig davon Bestimmungen aufweisen könnte. 83 Die Thematisierung ist die Selbstexplikation des Selbstbewußtseins und die Bedingungen der Möglichkeit, das Selbstbewußtsein zum Thema zu nehmen, sind eo ipso Strukturbedingungen des Selbstbewußtseins. Eben dies gilt deshalb auch von der ethischen Freiheit des Anderen, wie sie bei Kant, Fichte, Schelling und Hegel als Bedingung eines sinnvollen Redens von dem nur in seinen eigenen und von ihm abhängig bleibenden Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Selbstbewußtsein entwickelt wurden. Dagegen wendet Levinas ein, Thematisierung und die davon untrennbare Konzeptualisierung "bedeuten keinen Frieden mit dem Anderen, sondern Unterdrückung oder Besitz des Anderen. "84 Die Fremdheit des Anderen könne nur als der Umstand verstanden werden, "daß er nicht auf mich, meine Gedanken und meinen Besitz zurückgeführt werden kann"; sie vollziehe sich deshalb "nur als Infragestellung meiner Spontaneität", ein Geschehen, das
83
Die ganze Fragwürdigkeit der Levinas' sehen Subjekttheorie kommt deshalb in
W.Krewanis Darstellung sehr gut zum Ausdruck, wenn er schreibt: "Das bloß lebendige, Naturhafte wird zum Subjekt, weil es sich vom Anderen infragegestellt fühlt." Entsprechend wird die subjektivierende Anwort so charakterisiert: "Das Bewußtsein überwindet die Unmittelbarkeit des Sinnlichen, die Ausgeliefertheit an den Anderen, die Unflihigkeit, einen eigenen Standpunkt gegen den Anderen geltend zu machen. " (Emmanuel Levinas. Denker des Anderen, Freiburg/München 1992, S. 232 f) Das akkusativische »sich« gewinnt sich dementsprechend im Ausgang von der "Identität eines Leibes, der sich dem Anderen exponiert," als "Auflösung einer vitalen Identität, die zunächst bestand." (S. 236) 84
TU, S. 55.
m.
Die Philosophie des Selbstbewußtseins als Ethik des Anderen
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Levinas als Ethik bezeichnet. 8S Levinas unterstellt hier, der in der als Denken und als Sein auszulegenden Struktur von Selbstbewußtsein implizierte Gedanke des ethisch anzuerkennenden Anderen sei als Ergebnis einer Aktivität ,.meines« Denkens und "meiner« Spontaneität auf das Reich ,.meines« Besitzes zurückzuführen. Er begeht damit eine folgenreiche Verwechslung, durch die die Fähigkeit der Konzeption des Selbstbewußtseins, für einen ethischen und nicht totalisierenden Bezug zum Anderen aufkommen zu können, aus dem Blick geraten muß. Wenn von meinem Denken und meiner Spontaneität die Rede ist, so ist nicht mehr die genuine Struktur von Selbstbewußtsein das Thema, sondern allenfalls das zum ,.Gegenstand« eines objektivierenden Diskurses gewordene ,.Ich«, in dem die vollständige Abhängigkeit des Seins des Selbstbewußtseins von seinem Sich-denken nur noch eine Erinnerung ist. Die innere Problematik von Levinas' Philosophie des Subjekts zeigt auf paradigmatische Weise, wie die Schwierigkeiten einer nachidealistischen Philosophie der Subjektivität im Mißlingen der Ausarbeitung einer Konzeption des Subjektes fokussieren, dessen Subjektivität nicht durch subjektfremde Faktoren bestimmt gedacht werden kann. Damit mißlingt aber ebenso die Vereinigung des subjektphilosophischen Denkens mit einer Ethik der Andersheit, deren Anstrengungen in der Bewahrung und Anerkennung des Fremden zentrieren. Als fremdes Subjekt kann der Fremde dann nicht gedacht werden, wenn sich seine Fremdheit in der Bestimmungslosigkeit einer Subjektivität ohne Selbstbewußtsein erschöpft, in der der subjektphilosophische Gedanke selbst zu Ende geht. Nun ist die Wahrung der Eigenheit des Fremden im theoretischen wie im praktischen Weltverhältnis in der Tat ein Desiderat. Von einem Desiderat zu einem notwendig mit philosophischen Mitteln zu bedenkenden Gegenstand wird sie jedoch nur dann, wenn inmitten des philosophischen Denkens das Fremde und wesenhaft Andere sich zeigt, ohne daß andere Bestimmungsgründe hinzutreten müßten. In den vorangegangenen Kapiteln haben wir im Falle der Kantischen Philosophie mit Hilfe systematischer Überlegungen und im Falle des Denkens von Fichte, Schelling und Hegel anhand ausgewählter Texte auf Elemente einer Ethik des Selbstbewußtseins im zentralen und fundamentalen Denkbestand der idealistischen Philosophie aufmerksam zu machen gesucht. In der idealistischen Ethik des Selbstbewußtseins scheint demzufolge jenes Desiderat der Wahrung der Eigenheit des Fremden als Implikation einer
8S
TU, S. 51.
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G. Der Andere in der Ethik des Selbstbewußtseins
Strukturexplikation des Selbstbewußtseins mit ethischen Konzepten erfüllt zu sein, indem es darin nicht als Desiderat aufgenommen, sondern als integraler Bestandteil der Erklärung des Selbstbewußtseins und damit der Aufklärung der Verständlichkeit der Welt für uns entwickelt wird. Die Philosophie des Idealismus unterscheidet sich von allen nachfolgenden subjektivistischen Konzeptionen grundlegend durch die Fundierung der Bestimmtheit des Subjektiven im Subjektiven selbst, das sie aus dem bewußten Selbstverhältnis erklärt. Sie muß deshalb zur Angabe von Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung, die in ihrer Identität mit den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung die Verständlichkeit der Welt selbst verständlich machen können, nicht auf Determinanten außerhalb des Prinzips des Subjektiven selbst zurückgreifen. Das Prinzip des Subjektiven beansprucht sie im Bewußtsein von sich selbst in seiner ,.reinen«, nicht-empirischen Gestalt gefunden zu haben und für die Angabe jener Möglichkeitsbedingungen der Erfahrung einsetzen zu können. Das Subjekt und seine erfahrbare Welt gelten ihr demnach als bestimmt durch das ,.reine« Selbstbewußtsein, weshalb Subjekt und Selbstbewußtsein hier als austauschbare Begriffe gedacht werden können. Aus den vorangegangenen Erörterungen der Konzeptionen Kants, Fichtes, Schellings und Hegels in Verbindung mit der Kritik an der ethischen Leistungsfähigkeit des Gedankens einer Subjektivität ohne Fundierung im bewußten Selbstverhältnis hat sich der zentrale Zusammenhang herauskristallisiert, der die idealistische Subjektphilosophie in die Lage versetzt, dem Desiderat einer Ethik des Fremden weit besser zu entsprechen als dies dem Subjektivismus gelingen konnte, der auf den idealistischen Gedanken Verzicht leistet. 86 Dieser Vorzug beruht zunächst auf der Möglichkeit, jenes Desiderat nicht als solches aufnehmen zu müssen, sondern die Notwendigkeit einer Anerkennung des Fremden als integralen Teil des gedanklichen Zusammenhangs eines bewußten Selbstverhältnisses entwickeln zu können. Dieser Zusammenhang enthält die Untrennbarkeit des zentralen Gedankens eines Selbstbewußtseins von seiner
86 In diesem Zusammenhang würde sich vermutlich die Untersuchung der Frage lohnen, ob und inwieweit eine radikal-hermeneutische Position wie die von P.RiclEur an den zentralen idealistischen Gedanken angeschlossen werden könnte. In seiner ,.Hermeneutik des Selbst« verfolgt Ric~ur eine Dialektik des Selbst und des Anderen, die ihre volle Entfaltung in den ethischen und moralischen Dimensionen eines Subjektes erhält, dem die Struktur eines ,.gebrochenen Cogito« zugeschrieben wird und dem die Andersheit nicht von außen geschieht, sondern in seinem Sinngehalt und seiner ontologischen Konstitution zugehört (Das Selbst als ein Anderer, München 1996).
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Explikation in ethischen Konzepten, wodurch Subjektivität auf der Grundlage des Selbstbewußtseins eo ipso den Status ethischer Verpflichtetheit annimmt. Es hat sich gezeigt, daß in den idealistischen Gedankengängen der Explikationszusammenhang zwischen dem Selbstbewußtsein und den fundamentalen Konzepten der Ethik auf einen zentralen Gehalt des ethischen Sollens verweist, der aufgrund der jede exogene Bestimmtheit von sich abweisenden Unbestimmtheit des reinen Selbstverhältnisses eine Nähe zu jenem Desiderat der Anerkennung des Fremden besitzt, das in der selbstbewußtseinsfreien subjektivistischen Ethik des Fremden nicht in einem überzeugenden gedanklichen Zusammenhang erfüllt werden kann. In Kap. A war ohne unmittelbaren Zusammenhang mit, aber nicht unabhängig von der idealistischen Konzeption des Selbstbewußtseins auf die Schwierigkeiten verwiesen worden, die die innere Unbestimmtheit eines Bewußtseins von sich selbst für eine verständliche und in begrifflicher Bestimmtheit durchzuführende Explikation dieses Gedankens mit sich bringt. Das Selbstbewußtsein kann keine Bestimmtheit jenseits der Identität von wissendem und gewußtem Selbst enthalten, die selbst nur durch eben· diese Identität in der Differenz des Sich-Wissens ,.bestimmt« sind. Das Selbstbewußtsein ist demnach ein philosophischer Gegenstand sui generis, dessen Thematisierung nur durch seine Explikation in einer vollständigen und sich zum System schließenden Sequenz reiner Begriffe durchgeführt werden kann. Als solcher aber enthält er keine Bestimmtheit, die für andere zugänglich wäre, außer jener, die er sich selbst in seiner begrifflichen Selbstexplikation gibt. Eine idealistisch gedachte Subjektphilosophie muß schon deshalb den Fremden und seine unbestimmbare Andersheit nicht erst als Desiderat beschwören, sondern enthält das absolute Fremde bereits an ihrem Anfangsund Ausgangspunkt in sich: in der keiner exogenen Bestimmtheit zugänglichen Selbstbestimmtheit des Selbstbewußtseins. Das Fremde läßt sich demnach direkt im Zentrum der Philosophie des Selbstbewußtseins entdecken. Im Unterschied zu den nachidealistischen Konzeptionen muß das Konzept der Fremdheit deshalb nicht von außen an diese Philosophie herangetragen werden. Das Fremde muß auch nicht zum Fremden des Eigenen relativiert werden, um überhaupt zugänglich zu werden und in eigenen ethischen Aufweisungen als Forderung Geltung verliehen zu erhalten. In seiner Selbstbestimmtheit benötigt das interne Fremde des Selbstbewußtseins nicht den Bezug auf eine Subjektivität, die ihr die Unbestimmtheit zugesteht, aufgrund derer sie den Status der Fremdheit annehmen kann. Damit zeigt sich gerade die Konzeption des Selbstbewußtseins als geeignet, die Beziehung zur Andersheit des Fremden ohne
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dessen Aneignung zum Fremden des Eigenen begreifen zu können. Was das Fremde im eigenen gedanklichen Zentrum enthält, kann auch dem Fremden außer sich begegnen, ohne es zum Fremden des Eigenen relativieren zu müssen. Es kann in ihm eine Bestimmtheit erkennen, die es sich nur selbst geben kann, so daß sie seine Selbstexplikation bleibt. In Kap. A.II war der Gedanke eines empirischen Selbstbewußtseins so weit entwickelt worden, daß die Konzeption eines "reinen« Selbstbewußtseins als seine Grundlage deutlich wurde, wenn darin tatsächlich die Struktur eines Selbstbewußtseins bewahrt werden soll. In Kap. A.III war versucht worden, den besonderen Anspruch, der mit Aussagen in der ersten Person Singular erhoben wird, in seinem ethischen Charakter zu verdeutlichen und diesen Anspruch in Einheit mit den Verstehensbedingungen von Aussagen in der "ich«Form in eine Beziehung zur Struktur des idealistischen Ichs zubringen und auf diese Weise den Hiatus zwischen empirischem Selbstbewußtsein und reinem Selbstbewußtsein zu überbrücken. Diese Verbindung beruht auf dem Phänomen, daß Aussagen in der ersten Person Singular einen Anspruch auf Geltenlassen der eigenen Explikationen enthalten, mit denen der Sprecher sich selbst beschrieben zu sehen wünscht. Aufgrund der Fundierung eines konsequent gedachten empirischen Selbstbewußtseins in der Struktur eines "reinen« Selbstbewußtseins führt diese Selbstexplikation im Bereich empirischer Selbstbeschreibungen zurück auf die Selbstexplikation des "reinen« Selbstbewußtseins, das nur durch die Auseinanderlegung seiner eigenen Struktur eine Bestimmung erhalten kann, durch die es zu einem philosophischen Gegenstand wird. Die Philosophie gerät mit dem Bewußtsein von sich selbst demnach in die besondere Lage, nicht einen "Gegenstand« vor sich zu haben, der durch seine vorgängige Bestimmtheit im Grunde das genuine Tun der Philosophie überflüssig machen würde, sondern sich als Nachkonstruktion des Geschehens der Bestimmtheit eines Gegenstandes verstehen zu müssen, der diese Bestimmtheit weder durch sie noch durch andere Determinanten außerhalb seiner selbst erhalten hat. Indem sie die Selbstbestimmung eines Selbstbewußtseins so nachkonstruiert, daß es zu einem thematisierungsfähigen Gegenstand philosophischen Verstehens wird, folgt sie dem Weg vom Unbestimmten zum Bestimmten. So hat sie es im Ausgang vom Selbstbewußtsein mit einer unbestimmten Bestimmung zu tun, die ihre Fähigkeit des Anfangenkönnens dadurch beglaubigt, daß es sich nicht um eine exogen bestimmte Leistung handelt, sondern um das Sich-unterscheiden von solchen Leistungen in der Orientierung an einer unbestimmten Selbstbestimmung.
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Damit setzt der Ausgang von der internen Bestimmungslosigkeit des Selbstbewußtseins einen Maßstab für ein genuin philosophisches Denken, der, wenn schon nicht in der Verwirklichung, so doch als Orientierung seine Bedeutung behält. Dieser Orientierungsmaßstab für das philosophische Denken ist nun aber gleichbedeutend mit einer Orientierung am Fremden als Fremdem, der nicht zum Fremden des Eigenen relativiert wurde. Der Maßstab, den die idealistische Subjektphilosophie vorgibt, entspricht demnach genau jenem Desiderat einer Anerkennung der Andersheit des Fremden, das die modemen Versuche einer an dieser Andersheit orientierten Philosophie leitet. Im Unterschied zu diesen Versuchen handelt es sich bei der Andersheit des Fremden im idealistischen Denkzusammenhang jedoch nicht um ein äußerlich aufgenommenes Desiderat, sondern um den das philosophische Tun von allen anderen Unternehmungen unterscheidenden Anfang selbst. In der idealistischen Subjektphilosophie zeigt sich die Andersheit des Fremden als ihr eigener grundund bestimmungsloser Grund und Ursprung aller Bestimmtheit. Die Andersheit des Fremden erweist sich vor diesem gedanklichen Hintergrund durchaus nicht als eine speziell der neueren Philosophie zugehörige Entdeckung. Auch als Gegenstand spezifisch philosophischer Bemühungen ist das Fremde so neu nicht. Letztlich war das Fremde stets dort schon Zentrum und Ausgangspunkt des Philosophierens, wo es sich von der Dienstbarkeit gegenüber vorgegebenen Bestimmungen des Seins und des Sollens freimachen konnte und sein genuines und para-doxes Geschäft im Angesicht des Bestimmungslosen verfolgte, das es verständlich zu machen gilt, ohne in diesem Verständnis die Genesis aus dem Unbestimmten zu dementieren. Von dieser Aufgabe bestand in der idealistischen Subjektphilosophie ein lebendiges Bewußtsein, das sich in der Orientierung am in sich bestimmungslosen und sich nur aus sich bestimmenden Selbstbewußtsein dokumentierte, das aus sich das Fremde am Grunde und am Anfang alles Verstehens freigibt. Über diese Orientierung an der Andersheit des Fremden im Ursprung und Anfang des idealistischen Denkens hinaus umfaßt die Ethik des Selbstbewußtseins jedoch auch solche ethische Fundamentalbegriffe, die sich in der Explikation des Selbstbewußtseins als Bedingungen seiner Verständlichkeit und damit der Verständlichkeit der Welt für uns zeigen. Das Ethische und das Sollen werden damit nicht als vorhandene Gedanken aufgenommen, sondern aus jener Bestimmungslosigkeit des Selbstbewußtseins entwickelt, aus der verständliche Auseinanderlegungen auszuarbeiten sich die idealistische Philosophie zur genuinen Aufgabe gemacht hatte. In den vorangegangenen Kapiteln wurde dargestellt, wie Kant, Fichte, Schelling und Hegel diese Auseinanderlegung der
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Grundbegriffe des Ethischen und damit des Ethischen selbst durchgeführt haben. Bei Kant war es die nur in der ethischen Selbstbestimmung demonstrierbare Freiheit des ..eigentlichen Selbst«, die den Zusammenhang zwischen dem unbestimmten Anfang der bestimmten Verständlichkeit der Welt im Ich der transzendentalen Apperzeption und der Selbstverallgemeinerung von Handlungsorientierungen als Anfang des ethisch Gesollten herstellen mußte. Das Sollen zeigte sich dementsprechend identisch mit der von jeder vorgegebenen Determination freien Bestimmung des Willens nur durch sich, also durch die reine Form von Bestimmung in der Allgemeinheit. Indem es dem Individuum durch seine moralische Willensbestimmung gelingt, sich ohne Hilfe vorgetaner Bestimmungsleistungen zu verstehen, stellt es sich außerhalb der objektiv bestimmten Welt, die seinem Selbstverhältnis eine Bestimmtheit integrieren würde, die den reinen sich in sich bestimmenden Selbstbezug eines Selbstbewußtseins dementieren müßte. 87 Mit der von jeder vorgegebenen Bestimmung freien Willensbestimmung konnte das Individuum in seiner völligen Durchsichtigkeit für sich selbst als der Dimension der Intelligibilität angehöriges ..eigentliches« Selbst aufgefaßt werden, das auf der Grundlage der praktischen Philosophie das Selbstbewußtsein, das in der theoretischen Philosophie als Ich der transzendentalen Apperzeption die Geltung der reinen Begriffe, durch die die Welt für uns verständlich wird, begründet, in seiner ihm eigenen Struktur ohne externe Bestimmtheiten verständlich werden läßt. Zwar war für Kant die Struktur des Selbstbewußtseins jenseits der kategorial verfaßten Mir-Zugehörigkeit aller Vorstellungen in der theoretischen Philosophie mcht eigens zum Problem geworden. Daß damit aber ein reines Selbst auf sich selbst bezogen wird, und daß dieser Bezug den Gedanken eines rein durch sich selbst bestimmten Selbst erfordert, das sich deshalb in sich ebenso fremd wie vollkommen durchsichtig ist, dies stellte er in der praktischen Philosophie in den Mittelpunkt seines Denkens, das mit der reinen Willensbestimmung die Konzeption eines Selbst ausarbeitete, das aufgrund seiner Freiheit von exogener Bestimmtheit ..eigentlich« genannt werden konnte. Aufgrund dieser Freiheit konnte mit ihm die in sich bestimmungslose Freiheit des Ichs der transzendentalen Apperzeption erläutert werden, durch das in der Explikation seiner
87 Es erscheint deshalb grundsätzlich zweifelhaft, Kants Ethik mit einem Begriff von Herrschaft zu verbinden und auf dieser Grundlage zu kritisieren; vgl. J. Conrad, Freiheit und Naturbeherrschung. Zur Problematik der Ethik Kants, Würzburg 1992.
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Struktur die Verständlichkeit der Welt durch die reine Begrifflichkeit ihrer Erfahrbarkeit in Identität mit den reinen Begriffen der Gegenstände der Erfahrung einsichtig werden sollte. Damit war ein erster Weg gefunden, um das reine Selbstbewußtsein durch ethische Fundamentalkonzepte bzw. durch die Ausarbeitung der ethischen Selbstbegründung zu explizieren und eo ipso die ethischen Konzepte durch das die Verständlichkeit der Welt erhellende Bewußtsein von sich selbst zu begründen. Es war Fichte, der diesen Zusammenhang erstmals in einer konsistenten Sequenz der Fundamentalbegriffe der Verständlichkeit der Welt erläuterte. Die Anfangsfähigkeit der Philosophie erschien Fichte von vornherein durch die Identität von Wissen und Sein in der Struktur des reinen Wissens von sich als unbezweifelbar gesichert. Mit dieser Identität aber war die Bestimmtheit des anfangenden Gedankens zum Problem geworden, das in der Wissenschaftslehre zunächst durch den Nachweis einer Vorausgesetztheit des Selbstbewußtseins in allen behauptenden Aussagen aufzulösen versucht wurde. Daß die innere Bestimmungslosigkeit des Selbstbewußtseins solche Aufweisungen von sich abweist, war Fichte jedoch wohl bewußt. Es war ihm ebenso bewußt, daß nur Deduktionen, die als Movens ausschließlich die reine und in sich bestimmungslose Struktur des Selbstbewußtseins einsetzen, das Selbstbewußtsein und seine Anfänglichkeit erhellen und aus ihm die Verständlichkeit der Welt selbst zum Verständnis bringen können. Die Explikation des Selbstbewußtseins durch das Konzept der moralischen Freiheit wurde schließlich notwendig, weil anders die verbliebene interne Widersprüchlichkeit des dritten aus der Identität des Selbstbewußtseins entwickelten Grundsatzes nicht aufgelöst werden konnte, dem zufolge das Ich das Nicht-Ich setzt als beschränkt und als bestimmt durch das Ich. Es war deshalb die konsequente Fortsetzung der Explikation des Selbstbewußtseins in einer Sequenz widerspruchsfreier Begriffe, die Fichte dazu führte, im Übergang in die praktische Wissenschaftslehre die ethischen Fundamentalkonzepte zur Aufklärung der Struktur des Selbstbewußtseins einzusetzen und sie so als Bedingungen der Denkbarkeit dieses durch die Identität von Wissen und Sein zur Erhellung der Verständlichkeit der Welt in reinen Begriffen geeignet erscheinenden Konzeptes selbst zu begründen. Nun beansprucht Fichte, das Ethische genau in der Form aufzunehmen, die Kant in seiner Moralphilosophie entwickelt hatte. Daß Kant in seiner Ethik mit dem der Dimension der Intelligibilität angehörenden ,.eigentlichen« Selbst selbst eine Konzeption der Verständlichkeit des bestimmungslosen Ich des Selbst-
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bewußtseins ausgearbeitet hatte, war ihm freilich nicht bewußt. Für Fichte stellt der kategorische Imperativ durch die Reinheit der Willensbestimmung die Struktur eines Gesetzes um des Gesetzes willen dar, das eine Wechselbestimmung des Ich mit sich selbst zu denken erlaubt, die die Wechselwirkung von Ich und Nicht-Ich zu einem sinnvollen Gedanken werden lassen soll. Das spezifisch ich-hafte Verhältnis zur Welt soll damit durch die autonome Bestimmung des Willens verständlich werden. Nur in der ethischen, reinen Willensbestimmung kann das Ich sich also so bestimmen, daß es ohne Zuhilfenahme exogener Gedankenbestände als fahig gedacht werden kann, eine Beziehung zur Welt als dem Inbegriff des Ich-Fremden aufzunehmen. Die absolut reine Willensbestimmung des Ich stellt diesem Denken zufolge die einzige Möglichkeit dar, eine Handlungshemmung des prinzipiell unendlichen Ich in seiner Identität von Wissen und Sein so anzunehmen, daß darin gleichzeitig der Gedanke des Selbstbewußtseins bewahrt wird und das Selbstbewußtsein sich doch eine Grenze und damit eine Bestimmtheit setzt, die es aus seinem absoluten Verhältnis in sich befreit und ohne Hilfe exogener Determinanten in es den Gedanken einer Welt des Nicht-Ich einzuführen erlaubt. Das Selbstbewußtsein wird durch die ausschließlich ihm selbst zugehörige moralische Willensbestimmung zum Bewußtsein einer Welt, die die seine ist, ohne daß sie seiner Verfügung unterstehen würde. Was die moralische Willensbestimmung in Fichtes Denkzusammenhang verständlich machen soll, ist also die Differenz von sich selbst durchsichtigem Ich und undurchsichtigem Nicht-Ich, also letztlich die Möglichkeit des Differenzierens und Identifizierens, die ein aussagenförmiges Wissen von der Welt ermöglicht. Durch das in der moralischen Maximenbestimmung zum Ausdruck kommende reine Wollen soll der Gedanke möglich werden, ein Nicht-Ich könne sich so auf das Ich beziehen, daß darin weder der absolute Charakter des NichtIch noch die freie Selbstbestimmung des Ich dementiert werden. Indem das Ich sein Handeln kategorisch-imperativisch bestimmt, wird die Welt, in der es handelt, als ,.absolut« auf die Identität des Selbstbewußtseins bezogene und darin ebenso absolut selbständige Welt gedacht. Weil die Bestimmtheit eines solchen Handeins ausschließlich der bestimmungslosen Selbstbestimmung des reinen Willens entstammt, deshalb ist die Welt, in der das Ich auf diese Weise handelt, keine ihm mit dem Status des An-sich vorgegebene Welt, sondern ausschließlich das Nicht-Ich des Ich, das seine Verständlichkeit folglich aus jener reinen Identität des Selbstbewußtseins bezieht; aus dem gleichen Grunde ist sie jedoch auch das ,.nicht« des Ich und die aufgelöste Identität von Wissen und Sein, also eine Welt, die dem Selbstbewußtsein in einer nun verstandenen
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Unverständlichkeit gegenübersteht und in der es als empirisches Ich agiert, dem weder die Welt noch sein eigenes Dasein durchsichtig sind. Obwohl Fichte die Kantische Moralphilosophie als richtige Bestimmung des Ethischen übernimmt, ohne jedoch deren Fluchtpunkt im "eigentlichen« Selbst der Dimension der Intelligibilität wahrzunehmen, nimmt sie in seiner Explikation des Selbstbewußtseins doch eine neue Funktion an, die Kant sicherlich nicht im Sinn hatte. Aber auch mit dieser Gedankenentwicklung wird der Zusammenhang zwischen dem Ethischen und der genuinen Struktur des Selbstbewußtsein in dessen Explikation hergestellt, in der zum einen das Selbstbewußtsein selbst und zum anderen die Verständlichkeit der Welt mit Hilfe der aus jenem anzufangenden Sequenz reiner Begriffe verständlich werden soll. Bei Fichte steht jedoch die letztere Aufgabe im Vordergrund: das Ethische in Gestalt der kategorisch-imperativischen Maximenbestimmung wird eingesetzt, um die Selbstdifferenzierung des Selbstbewußtseins in seiner Identität zum Bewußtsein einer von ihm unabhängigen Welt verständlich zu machen. Schellings Inanspruchnahme des Ethischen zur Explikation des Selbstbewußtseins und der in ihm begründeten Verständlichkeit der Welt fokussiert grundSätzlich ebenfalls in dieser Aufgabe, nimmt jedoch das Ethische in einer anderen Konzeptualisierung auf und setzt diesen Gedanken an einer anderen Stelle der Selbstdifferenzierung des Selbstbewußtseins ein. Die Konstellation von Forderung und Sollen steht für die erste Besonderheit der Schellingschen Ausarbeitung und die Entwicklung aus Individualität und Sozialität für die zweite, aufgrund derer sich die ethische Konzeption in Schellings "System« als ethische Interpersonalität darstellt. Dies ändert jedoch nichts an der grundsätzlich dem Kantischen und Fichtesehen Unternehmen entsprechenden Intention, das Ethische als Explikation der bestimmungslosen Struktur des Selbstbewußtseins einzusetzen und damit mit seiner Hilfe die Verständlichkeit der Welt für uns zum Verständnis zu bringen. Bestand für Fichte das Problem der Selbstbestimmung des Ich zu einem Verständnis der bestimmten Welt in der Erzeugung des Nicht-Ich aus der Identität des Selbstbewußtseins, das nur durch die kategorisch-imperativisch verstandene Moralität als absolute Selbstbeschränkung des Selbstbewußtseins gelöst werden konnte, so stellt Schelling die Selbstbeschränkung des Selbstbewußtseins nun mit Hilfe der Konzepte von Individualität und Sozialität dar, in denen die Bestimmtheit der dem Selbstbewußtsein nicht disponiblen Welt verständlich werden muß. Den Status der Individualität nimmt das
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Selbstbewußtsein also im Zuge des Gedankengangs an, in dem es sich als unbestimmte Bestimmung aufhebt und aus sich selbst die Bestimmtheit entwickelt, aufgrund derer es erst zum Fundament der Verständlichkeit der Welt für uns werden kann. Das Problem der Bestimmtheit der Welt wird also zunächst so gelöst, daß das Selbstbewußtsein zu einem Selbstbewußtsein fortentwickelt wird - wir könnten auch sagen: zu einem empirischen Selbstbewußtsein, dem Bestimmtheit integriert ist, indem es sich auf eine bestimmte Weise auf sich bezieht. Damit ist schon ein erster Schritt zur Entwicklung des Gedankens eines Nicht-Ich - einer vom Selbstbewußtsein unabhängigen Welt - getan, den Fichte mit Hilfe einer Explikation des Selbstbewußtseins durch die kategorischimperativische Moralität zu denken unternommen hatte. Mit dieser Selbstbestimmung der absoluten Unbestimmtheit der Struktur des Selbstbewußtseins geschieht in Schellings Denken ein entscheidender Schritt auf dem Wege des Selbstbegreifens des Bewußtseins von sich selbst, dem nun das Begreifen der Bestimmtheit der nicht-bewußtseinsförmigen Welt zugehört, so daß in ihm das Bewußtsein einer verständlichen Welt entsteht. In Kap. E war erläutert worden, daß Schelling mit dem Eintritt in die Sphäre der Individualität und damit der Bestimmtheit das ,.Produzieren« der Intelligenz beendet sieht. Gerade weil seine Tätigkeit des ,.Produzierens« an einem Ende angekommen ist, steht dem Selbstbewußtsein nun eine bestimmte, von ihm unabhängige und doch für es verständliche Welt gegenüber. Ein solches Verhältnis zur Welt kann ,.Begreifen« genannt werden. In der Tat sieht Schelling die Bestimmtheit der Welt nun entstehen aus der Trennung von Begriff und Objekt in der Leistung der absoluten Abstraktion, die die ,.Reflexion« als Geschehen einer Trennung und Beziehung von Begriff und Objekt erzeugt. Mit der absoluten Abstraktion formuliert Schelling also den Begriff, der am Ende des ,.Produzierens« die Bestimmtheit und Ich-Unabhängigkeit der Welt durch eine Entwicklung aus der absoluten Identität von Wissen und Sein im Selbstbewußtsein erzeugt, das Schelling ebenso wie Fichte als ursprünglichen Anfang der Philosophie in Anspruch nimmt. Mit der absoluten Abstraktion - also dem Beginn des Bewußtseins - ist nun eine Bestimmtheit in das Selbstbewußtsein eingeführt, die seine Bestimmungsfähigkeit negiert. Erforderlich ist also eine Konzeption, die genau diese Situation begreiflich machen kann. Und hier nähert sich Schelling wiederum Fichtes Denken an, wenn er die Erklärung der absoluten Abstraktion, die zum begrifflichen Verständnis der Welt führt, nur möglich sieht aus einem ursprünglichen Freiheitsakt, der die Selbstbestimmung eines Wollens darstellt. Es könnte vermutet werden, daß nun auch hier die kategorisch-imperativische
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Maximenbestimmung in einem Akt der freien Selbstbestimmung als naheliegender Gedanke für die Fortführung des ,.Systems" aufgenommen wird. Im Unterschied zu Fichte findet Schelling jedoch zu einer durchaus eigenständigen Lösung. Die Beschränkung des Handeins der Intelligenz, die eine bestimmte Welt aus der un-endlichen Unbestimmtheit des Selbstbewußtseins entwickelt, auf die das Bewußtsein sich begreifend und bestimmend beziehen kann, wird von Schelling als ein Nicht-Handeln der Intelligenz erklärt. So weit stimmt er mit Fichte überein. Nun kann das Nicht-Handeln der Intelligenz im idealistischen Denkzusammenhang nur aufgrund einer Selbstbestimmung geschehen, die nur dann eine Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins ist, wenn sie eine freie Willensbestimmung ohne exogene Determinanten darstellt. Das Nicht-Handeln der Intelligenz wird nun jedoch auf einem Entwicklungsstand zum Thema, auf dem bereits die Individualität des Selbstbewußtseins als Grund der Beschränktheit des Selbstbewußtseins und der Erzeugung einer unabhängigen und doch für das Selbstbewußtsein verständlichen Welt ausgearbeitet wurde. Deshalb stehen sich in der Selbstbestimmung nun verschiedene Individuen mit gleichberechtigter Fähigkeit zur Bestimmung der Welt durch ihre Selbstbestimmung gegenüber. Die Bestimmung der Welt geschieht aufgrund dieser Konstellation von Bestimmtheit und Selbstbestimmung im Verhältnis von Individuen durch eine Relation von Forderung und Sollen. Die Antinomie der Selbstbestimmung in der Bestimmung der Welt wird also durch eine Konzeption aufzulösen gesucht, in der einem ethisch zur Selbstbestimmung fähigen individuellen Selbstbewußtsein ein anderes, ebenso zur ethischen Selbstbestimmung fähiges individuelles Selbstbewußtsein gegenübertritt. In dieser Konstellation sind beide wechselseitig berechtigt, ethische Forderungen zu erheben, und beide sind verpflichtet, ein ethisches Sollen für sich anzuerkennen. Die auf der Grundlage ethischer Selbstbestimmung erhobene Forderung repräsentiert für das andere sich ebenso ethisch selbstbestimmende Individuum ein Sollen, so daß ein wechselseitiges Verhältnis ethischer Selbstbestimmung entsteht. Auch Schelling setzt also die ethische Explikation der Struktur des Selbstbewußtseins für die Erklärung der Unabhängigkeit der Welt ein, deren begriffliche Bestimmtheit aus dem Selbstbewußtsein entwickelt wurde und deren Verständlichkeit deshalb mit Hilfe des gesamten Explikationsganges des ,.Systems" verständlich werden soll. Die unabhängige Bestimmtheit der Welt expliziert Schelling jedoch durch das Verhältnis ethisch bestimmungsfähiger Individuen, die wechselseitig aus Gründen ihres ohne exogene Determinanten
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bestimmten reinen Wollens ethische Maximen in ihrem Handeln zur Geltung bringen, so daß sie auf dieser Grundlage ein Geltenlassen ihrer Bestimmungen beanspruchen können. Dieser wechelseitige ethisch begründete Anspruch führt demnach zu einer Bestimmtheit der Welt, in der sie ebenso durch die absolute Selbstbestimmungsfähigkeit des Selbstbewußtseins als auch durch die Selbstbegrenzung dieser Bestimmungsfähigkeit im Geltenlassen fremder Bestimmungsleistungen determiniert ist. Die Explikation des Selbstbewußtseins und seiner Fähigkeit, die Verständlichkeit der Welt für uns verständlich zu machen, durch die Konzeption einer ethischen Interpersonalität scheint nun in Hegels Denken wiederaufgenommen zu werden, indem das Selbstbewußtsein zu dem Verhältnis "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« entwickelt wird. Hegel benutzt jedoch weder die kategorisch-imperativische Moralität zur Explikation des Weges von der Selbstbestimmung des Selbstbewußtseins zur Bestimmtheit der Welt, noch setzt er Konzepte wie Individualität oder Sozialität für die Verständlichkeit der Entwicklung vom reinen Selbstbewußtsein zum Bewußtsein von der Welt ein. Es ist auch kein unmittelbar als ethisch zu erkennendes Verhältnis, das hier in der Fortführung der Philosophie des Selbstbewußtseins eingeführt wird. 88 Wohl aber ist es ein praktisches Verhältnis der Interpersonalität, mit dessen Hilfe von Hegel das Selbstbewußtsein in seiner Struktur zu erklären gesucht wird, und dieses praktische Verhältnis führt in der "Phänomenologie« weit über das Kapitel hinaus, in dem es eigens zum Thema wird, und es zeigt seine Folgen bis in die Konzeption des "absoluten Wissens« und in den systematischen Anfang der "Wissenschaft der Logik«. Hegel versucht mit der Gedankenentwicklung, derzufolge "ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« sein muß, in einem direkten Zugriff das Fundamentalproblem der Struktur des Selbstbewußtseins zu lösen, wie es sich ihm in der fehlenden Bestimmtheit der Relata darstellt, die er aufgrund ihrer
SB Vgl. jedoch die knappe Argumentationsskizze von R.M. Wallace, der DefIzite in Kants Formulierung des Zusammenhangs von Autonomie und Moral gerade mit Hilfe des Hegeischen Begriffs der Anerkennung zu beheben sucht (Mutual Recognition and Ethics. A Hegelian Reformulation of the Kantian Argument for the Rationality of Morality, in: American Philosophical Quarterly 32/1995, S. 263-271). Hier könnte auch die Antwort auf A.Th.Peperzak liegen, der Hegel gerade die Vermischung der Problematik des Selbstbewußtseins mit derjenigen des praktischen Geistes vorwirft (Selbstbewußtsein - Vernunft - Freiheit - Geist, in: L.Eley, Hrsg., Hegels Theorie des subjektiven Geistes in der ,.Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse«, Stuttgart 1990, S. 280-312).
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Identität nur mit der Struktur von Selbstbewußtsein nicht so voneinander unterscheidbar sieht, daß sie überhaupt eine Beziehung zu einander aufnehmen könnten, in der die Differenz in der Identität des Selbstbewußtseins gewahrt bleibt. Bekanntlich versucht Hegel dieses Problem nicht mit dem Konzept ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« allein zu beheben. Mit diesem Konzept zeigen sich neue Probleme, die - wie in Fichtes und Schellings Entwürfen auch - zum Fortgang zu neuen Bestimmungen zwingen. Bei Hegel schließt sich die Explikation der Struktur des Selbstbewußtseins jedoch nicht zu einem System, sondern endet in der Phänomenologie in der Konzeption eines ,.absoluten Wissens«, das den Übergang zur ,.Wissenschaft der Logik« bildet, in der erst die Begriffe entwickelt werden, mit denen die Welt zu ihrer Verständlichkeit für uns kommt. Daß Hegels Konzeption von einem Selbstbewußtsein, das für ein anderes Selbstbewußtsein sein muß, um überhaupt als ein solches gedacht werden zu können, dennoch in die Reihe der Unternehmungen gehört, die das Selbstbewußtsein mit Hilfe ethischer Konzepte verständlich zu machen suchen, dies rechtfertigt sich aus der notwendig praktischen Beziehung, die zwischen einem Selbstbewußtsein und einem anderen Selbstbewußtsein bestehen muß, wenn sie denn überhaupt als solche in ein Verhältnis zueinander treten können sollen. Insofern integriert auch Hegel seiner Explikation der Selbstbewußtseinsstruktur ein ethisches Element, das ihm notwendig erscheint, um das Selbstbewußtsein als ein solches denken zu können und damit seine Aufklärungskapazität für unser Wissen von der Welt in der Wahrheit der Gewißheit seiner selbst bewahren zu können. Nichtsdestoweniger sollten die Unterschiede zu den Konzeptionen von Kant, Fichte und Schelling nicht vernachlässigt werden. Hegel benutzt nur das praktische Verhältnis der Anerkennung, um die Struktur des Selbstbewußtseins aufklären zu können, und verbindet damit nicht die Ausarbeitung einer ethischen Konzeption, die einerseits das Selbstbewußtsein erläutert und andererseits in jene Begriffe gehört, die die Verständlichkeit der Welt für uns verständlich werden lassen. Implizite ist jedoch auch hier noch der Einfluß der Kantischen Moralphilosophie bestimmend. Das Selbstbewußtsein wird in seiner Struktur begreifbar, wenn es gezeigt hat, an keine weltliche Wirklichkeit gebunden zu sein - was Hegel in der unglücklichen weil mißverständlichen Formulierung vom Kampf auf Leben und Tod zum Ausdruck glaubte bringen zu müssen. Diese Unabhängigkeit von weltlichen Bestimmtheiten aber bezeichnet ebenso den Beginn der Kantischen Moralphilosophie, an dem die Bestimmtheitsstruktur eines Willens entwickelt wird, der keine exogenen 19 Römpp
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Determinanten in sich aufnimmt, sondern sich ausschließlich durch die Fonn von Bestimmtheit überhaupt bestimmt. Bei Kant allerdings konnte das zu einer solchen Willensbestimmung fähige Individuum schon als solches der Dimension der Intelligibilität angehörig und als ,.eigentliches« Selbst angesehen werden und damit eine aufklärende Bedeutung für das Ich der transzendentalen Apperzeption in der theoretischen Philosophie gewinnen. Gerade weil Hegel die Selbstdifferenzierung des reinen Selbstbewußtseins, in der es zu seiner eigenen Struktur findet und sich darin von der bestimmten Welt so unterscheidet, daß es deren Verständlichkeit selbst verständlich entwickeln kann, nicht im reinen In-sich-Verhältnis des Selbstbewußtseins durchführt, sondern aus ihm den Gedanken eines anderen und auf die gleiche Weise seine Selbstdifferenzierung gewinnenden Selbstbewußtseins ausarbeitet, deshalb kann es bei der Situation nicht bleiben, in der einern Selbstbewußtsein ein anderes Selbstbewußtsein gegenübertritt, in dem es sich selbst finden kann. Hegel bezeichnet die Struktur ,.ein Selbstbewußtsein für ein Selbstbewußtsein« folglich auch nur als den ,.Begriff des Geistes« und weist damit auf die Notwendigkeit der weiteren Entwicklung hin, die schließlich zum ,.absoluten Wissen« und zum Anfang der ,.Wissenschaft der Logik« führen wird. Es ist aus den Erörterungen der vorangegangenen Kapitel bereits deutlich geworden, daß die idealistische Subjektphilosophie keine explizite Ethik der Andersheit des Fremden ausgearbeitet hat. 89 Wir können nun sagen, daß sie einer solchen Konzeption auch nicht bedurfte, um die Andersheit des Fremden ohne Relativierung zum Fremden des Eigenen in ihre Gedankengänge aufnehmen zu können. Die Philosophie des Selbstbewußtseins war immer schon eine Philosophie des absolut Anderen, das in ihrem Anspruch enthalten war, bestimmungslos einen Anfang machen zu können, der in der Fonn der Selbstbestimmung zu einer Bestimmtheit führt, die zwar die Verständlichkeit der Welt für uns verständlich machen kann, aufgrund ihrer Herkunft aus der reinen Struktur des Selbstbewußtseins aber dennoch dessen absolute Andersheit und Fremdheit gegenüber jeder Bestimmtheit der Welt in sich aufbewahrt. Das Desiderat einer Anerkennung des Fremden war in der idealistischen Subjektphilosophie also bereits erfüllt, bevor es als Desiderat zu einern eigenständigen Thema wurde. Gerade in diesem Verhältnis zeigt sie ihre besondere Eignung für ein Denken der Andersheit des Fremden. Wird dieses
89 Vgl. in Bezug auf Kant die Ausführungen bei J. P. Surber, Kant, Levinas, and the Thought of the "Other", in: Philosophy Today 38/1994, S. 294-316.
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Denken als Desiderat formuliert, so wird es von vornherein in einer Bestimmtheit aufgenommen, die bereits Bestandteil seiner Transformation in das Fremde des Eigenen ist. Die Bestimmung des Fremden zu einem Thema, dessen angemessenes Bedenken darüber hinaus als Desiderat bestimmt wird, läßt es bereits in einer nicht durch das Fremde selbst vorgegebenen Bestimmtheit in den Bereich des zu Denkenden eingehen. Als Desiderat ist es das Desiderat derjenigen, die es bedenken werden, und ihr Denken wird entsprechend präfiguriert zu Werke gehen, wenn sie das von ihnen selbst bestimmte Desiderat aufnehmen. In den Konzeptionen der idealistischen Subjektphilosophie fmden sich deshalb auch keine ethischen Begründungszusammenhänge, die die Andersheit des Anderen explizit zur Grundlage der Ausarbeitung von Regeln für unser Tun und Lassen machen. Sie werden letztlich auch nicht benötigt. Mit dem Denkanfang im unbestimmt sich selbst bestimmenden Selbstbewußtsein sind alle Konzepte, die ausgearbeitet werden, um in einem einheitlichen Gedanken jenen absolut unbestimmten Anfang im Selbstbewußtsein und zugleich die Verständlichkeit der Welt für uns verständlich zu machen, in ihrem Gehalt durch jene anfängliche Unbestimmtheit des Selbstbewußtseins bestimmt, die wir als den angemessenen Ausdruck für die Andersheit des Anderen ansehen können, die nicht schon zu einer auf das Eigene relativierten Fremdheit bestimmt wurde. Die Ethik des Selbstbewußtseins ist deshalb eine Ethik der Andersheit, in der das Andere aus dem innersten Zentrum der Struktur des bewußten Selbstverhältnisses im Prozeß seiner Selbstverständigung entwickelt wird, ohne daß das Andere durch die Entwicklung bestimmter Beziehungsformen wieder in seiner absoluten Selbstbestimmtheit dementiert werden müßte.
19*
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20 Römpp
Sachregister absolut 57, 89, 137, 141, 146, 152, 156~ 168, 172, 199, 225, 227, 243, 254ff, 275, 281
Bewegung 116, 143, 148, 163, 175, 198, 202ff, 208, 210ff, 225, 249
Abstraktion 11, 54, 139, 146, 175ff, 181ff, 188f, 212, 277
Deduktion 61f, 72, 78, 91ff, 148, 165,175, 198,207,259
Akkusativ 247, 252, 254, 262
Dialektik 30, 52, 96, 98, 124, 148, 156, 162, 168, 174, 179, 190, 202f, 207ff, 211f, 215f, 231, 269
Andersheit 10, 208ff, 229f, 237ff, 246ff, 266ff Anschauung 60, 102f, 109, 160ff, 173, 186f, 219 Anspruch 12ff, 30ff, 6Of, 75ff, 9Of, lOlf, 110f, 120ff, 164f, 170, 2oof, 229f, 234ff, 242, 244, 261, 271, 277f Antinomie 63ff, 161, 184ff, 214, 284 Antlitz 245, 247ff, 252, 256ff, 263, 265 Apperzeption 91, 95ff, 111 ff, 199f, 232,279 Arbeit 168, 197, 218ff Argumentativität 172f Artefakt 187ff Autonomie 59ff, 91, 105, 114ff, 126, 135, 148, 161, 181ff, 203, 251 Begierde 203ff, 212 Behaviorismus 44 Beschränktheit 171ff, 184f, 190ff, 278 Bestimmtheit 47ff, 55ff, 106ff, 171 ff, 180ff, 192ff, 243ff, 249ff, 275ff Bestimmung 47ff, 77ff, 85ff, 118f, 144ff, 155ff, 236ff, 240ff, 275ff
Differenz 28ff, 33f, 57ff, 102ff, 121ff, 152ff, 203ff, 222ff, 250ff Dimension lOff, 30f, 82ff, 115ff, 2ooff, 265ff, 280f Eleutheronomie 70, 77ff, 84f, 106, 109, 112 Entgegensetzen 136ff, 145ff, 161ff, 211,247, 251f, 258ff Exteriorität 209, 213, 216, 221, 245ff,250 Forderung 9, 22, 29, 41, 98, 136, 153, 166ff, 173ff, 181ff, 191ff, 201,240, 263ff, 270, 276ff Fragmentierung 233 Freiheit 18ff, 50ff, 58ff, 73ff, 105ff, 115ff, 156ff, 187ff, 208ff, 220ff, 248ff, 264ff Geist 14, 154,207, 222ff, 239, 279 Gewißheit 119ff, 171ff, 199ff, 212f, 218ff, 235, 280 Grund 62, 70, 75, 120, 126, 139, 145, 159, 165f, 179, 181, 192, 212, 229ff, 259, 263, 272, 278
Sachregister Grundsatz 120ff, 125f, 133ff, 149ff, 153, 158, 163 Handeln 1Off, 47, 5lf, 56ff, 131ff, 159ff, 164f, 178ff, 19Off, 210, 213, 226, 238ff, 259, 264,275ff Handlung IOff, 54, 63, 93f, 106ff, 133ff, 146ff, 176ff, 182ff, 190ff Identität 24ff, 31ff, 47ff, 91ff, 103ff, 123ff, 194ff, 222ff, 227ff, 243ff, 262ff, 274ff Immanenz 245ff Imperativ 54ff, 64ff, 73ff, 155ff, 160, 275 Intelligenz 64, 66ff, 73, 171ff, 277f
307 168ff, 180ff, 186ff, 199f, 217ff, 238, 247, 277
Objektivität 32f, 92f, 103ff, 107f, 115f, 157, 172, 184ff, 189ff, 209, 223,231 Obsession 244, 255, 262, 264f Passivität 250, 252ff, 257ff Pflicht 51ff, 65, 69, 160 Phänomenologie 27, 119f, 168, 197ff, 205f, 21lf, 215f, 221ff, 227ff, 245ff,279f Postmoderne 10, 262 Privatsprache 42f, 243 Propositionen 36, 40f, 149f
Intention 36, 96, 100, 166, 261, 276 Interiorität 213 Interpretation 42, 52, 68, 93, 101, 120ff, 167f, 202, 205ff, 215, 250, 259 Kampf 21Off, 221, 280
Reflexion 17f, 23ff, 55ff, 114, 128, 133, 141f, 169, 176, 180ff, 202ff, 224ff, 256, 277 Relation 35, 49, 84ff, 152, 182ff, 191ff,198ff,213,216ff,251,256, 278 Religion 110, 207, 222f
Kommunikativität 172f Konstitution 81, 115f, 166, 198,231, 248, 252ff, 264, 269 Leben 13f, 29ff, 68, 73, 101, 203ff, 211ff, 242, 280f
Selbst 9ff, 19ff, 53ff, 61ff, 78ff, 91ff, 10 1ff, 124ff, 140ff, 159ff, 192ff, 212ff, 228ff, 235ff, 245ff, 253ff, 268ff,280f Selbstbeschränkung 171, 191 ff, 276
Logik 27f, 124, 126, 168, 194f, 197ff, 208f, 211f, 227ff, 279ff
Selbstbestimmung 38ff, 85ff, 115f, 144ff, 154ff, 179ff, 188f, 192ff, 232, 244, 271ff, 281
Maxime 10,55,57,59,62, 195
Selbstgesetzgebung 42, 73, 78ff, 112
Meinheit 91ff, 96, 98ff, 105f
Selbstverhältnis 14, 18, 22ff, 42ff, 72ff, 87, 101, 109, 116, 142f, 162ff, 194, 202, 220, 228, 239ff, 254, 259ff
Mir-Zugehörigkeit 95, 104, 107ff, 111, 116,227,273 Modeme 9f, 16,221,251,257 Objekt 22f, 36f, 96f, 115, 155, 159,
20'
Selbstverständnis 14ff, 36ff, 66ff, 73f, 141f, 149ff, 163, 190, 194, 205ff, 233f
308
Sachregister
Selbstzuschreibung 24ff, 35f, 40, 93
Transzendenz 245, 250ff, 256f
Setzen 122f, 126ff, 132, 134, 136ff, 141ff, 157f, 162f, 236, 245, 256
Trieb 155f
Sittengesetz 58, 6Off, 69, 160
Verantwortung 84, 182, 254ff, 261ff
Sollen 9f, 13ff, 20, 46, 52, 56f, 64ff, 126, 130, 140, 144, 152f, 166ff, 177, 179ff, 185ff, 191ff, 216, 231, 234, 264ff, 272ff
Verbindlichkeit 13, 51ff, 56ff, 64ff, 73ff, 115, 118, 264
Sozialität 166f, 169ff, 179, 189, 193ff, 276, 279 Sprecher 29, 34ff, 45, 119, 131, 143, 271
Verpflichtetheit 11, 13f, 75ff, 79ff, 118, 23lf, 270 Verstandeswelt 61, 62, 66ff Vorstellungen 89ff, 100ff, 116, 184f, 219,227,232,242,273
Spur 245, 252
Wechselwirkung 154f, 180, 275
Streben 155f, 238, 247
Widerspruch 237,239
49f, 124f, 178, 229,
Widerstand 260
116, 156f, 188, 245ff,
Substitution 254ff, 263 Sukzession 174ff System 118f, 121ff, 152ff, 166ff, 172ff, 177f, 182f, 185ff, 194ff, 225f,280 Tathandlung 134, 147, 160 Teilbarkeit 141, 146, 162 Tod 37, 211ff, 221, 280 Totalität 118, 225f, 245ff, 250ff, 256f,262
Wissenschaft 16f, 27, 51, 64, 89, 118f, 170, 197ff, 202, 206, 221, 227ff, 279ff Wissensformen 122f, 128, 134, 147ff, 15lf, 158f, 165, 202 Zeichen 44,229,238,242,248, 252, 260 Zirkel 61, 70, 119, 154, 157