Eschatologie und Wirklichkeit Jesu Christi: Zum Werk von Thomas F. Torrance [1 ed.] 9783666564802, 9783525564806


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German Pages [237] Year 2019

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Eschatologie und Wirklichkeit Jesu Christi: Zum Werk von Thomas F. Torrance [1 ed.]
 9783666564802, 9783525564806

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Philip Jonathan Jonathan Geck Geck Philip

Eschatologie und Wirklichkeit Jesu Christi Zum Werk Werk von von Thomas Thomas F.F. Torrance Torrance Zum

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar, David Fergusson und Christiane Tietz Band 168

Philip Jonathan Geck

Eschatologie und Wirklichkeit Jesu Christi Zum Werk von Thomas F. Torrance

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abruf‌bar. © 2019, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 ­G öttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: Hajo Kenkel, Heidelberg

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-3253 ISBN 978-3-666-56480-2

Inhalt

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Eschatologie im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2. Thomas F. Torrance: Zu Person und Werk . . . . . . . . . . . 8 3. Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 TEIL I

Eschatologie im Kontext der frühen Christologie (15−109) Kapitel 1 Die Auburn-Christologie (1938/39) . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.1 Die neue Menschheit Jesu Christi als christologisches Leitmotiv . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.2 Die neue Menschheit Jesu Christi als eschatologische Größe 24 1.2.1 Die Neubestimmung der menschlichen Natur . . . . . 24 1.2.2 Die Auferstehung und Endzeitparusie als unmittelbare Gottesoffenbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.3 Die neue Menschheit Jesu Christi und die Gotteslehre . . . . 33 1.4 Die neue Menschheit Jesu Christi und das Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch . . . . . 38

VI

Inhalt

Kapitel 2 Die neue Menschheit Jesu Christi. Rekonstruktion einer christologischen Traditionslinie . . . . 43 2.1 Die Annahme des „sündigen Fleisches“ durch Jesus Christus bei Edward Irving . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2.2 Die qualitative Veränderung des Menschen im Versöhnungsgeschehen bei John McLeod Campbell . . . . . 48 2.3 Die neue Menschheit Jesu Christi bei Peter Taylor Forsyth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.4 Die Verbindung von schottischer Tradition und dialektischer Theologie bei Hugh Ross Mackintosh . . . . . . . . . . . . . . 62 2.4.1 Mackintoshs Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.4.2 Späte Wende? Mackintoshs Rezeption der dialektischen Theologie . . 70 2.5 Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch bei Emil Brunner und F. W. Camfield . . . . . . . . . . . . . . 74 2.5.1 Emil Brunner: Der Mittler (1927) . . . . . . . . . . . . . 74 2.5.2 F. W. Camfield: Revelation and the Holy Spirit (1933) . 80 2.6 Ertrag: Theologiegeschichtlicher Ort und systematisches Profil der Auburn-Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Kapitel 3 T. F. Torrance und Karl Barth. Frühe Richtungsentscheidungen in der Gotteslehre . . . . . . 91 3.1 Torrance’ Barth-Rezeption in seinen Auburn-Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 3.2 Torrance’ Barth-Rezeption in der Auburn-Christologie . . . 97 3.3 Predestination in Christ (1941): Christologie und Erwählungslehre bei Torrance und Barth . . . . . . . . . . . . 99 3.4 Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Inhalt

VII

TEIL II

Eschatologie im Kontext der ökumenischen Bewegung (111−168) Kapitel 4 Irdische Kirche – welthaltige Neuschöpfung . . . . . . . . . . 117 4.1 Die Gegenwart der neuen Schöpfung in der irdischen Kirche (Gutachten zur Eschatologie 1949) . . . . . . . . . . . . . . . . 117 4.2 Die christologische Begründung der neuen eschatologischen Perspektive (Amsterdam-Essay 1949) . . . . . . . . . . . . . . 122 Kapitel 5 Bleibende Dualismen: Kirche und Neuschöpfung im Licht einer problematischen christologischen Analogie. The Atonement and the Oneness of the Church (1954) . . . . . 129 Kapitel 6 Blickwechsel: Das Abendmahl als Auferstehungsereignis. Eschatology and Eucharist (1952) . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Kapitel 7 Vertiefung: Reformatorische Abendmahlslehre als Eschatologie. Kingdom and Church (1956) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 7.1 Luthers „dialektische Eschatologie“ . . . . . . . . . . . . . . . 146 7.2 Calvins Eschatologie der neuen Menschheit Jesu Christi . . . 153 7.2.1 Die Himmelfahrt Christi und das Abendmahl als zentrale eschatologische Topoi . . . . . . . . . . . . 154 7.2.2 Über Torrance hinaus: Die Gegenwart Jesu Christi in Calvins Lehre vom Abendmahl . . . . . . . . . . . . 158 7.2.3 Die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

VIII

Inhalt

TEIL III

Eschatologie im Kontext der Schöpfungslehre (169−188) Kapitel 8 Space, Time and Incarnation (1969) . . . . . . . . . . . . . . . 171 8.1 Auf der Suche nach einem theologischen Raumverständnis . 172 8.2 Das Extra-Calvinisticum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Kapitel 9 Space, Time and Resurrection (1976) . . . . . . . . . . . . . . . 181 9.1 Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi im Licht der Zweinaturenlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 9.2 „Menschlicher Realismus“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Zusammenfassung: Eschatologie als Frage nach der Wirklichkeit Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 2. Das Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung als zentrales Problem einer realistischen Eschatologie . . . . . . 198

Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Abkürzungen

Wo nicht anders angegeben, richten sich die Abkürzungen nach dem Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Zeitschriften, Serien, Lexika, Quellenwerke mit bibliographischen Angaben, hg. v. Siegfried M. Schwertner, Berlin 32014, sowie den Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaften nach RGG4 , hg. v. der Redaktion des RGG4, Tübingen 2007.

C&A I

Thomas F. Torrance: Conflict and Agreement in the Church. Bd. I, Order and Disorder, London 1959.

C&A II

Thomas F. Torrance: Conflict and Agreement in the Church. Bd. II, The Ministry and the Sacrament of the Gospel, London 1960.

F&O 14

Minutes of the Meeting of the Commission on Faith and Order together with the Minutes of the first meeting of The Working Committee on August 28th, 1952, at Lund, Sweden (Faith and Order Commission Papers No. 14), London 1952.

F&O 15

Report of the Third World Conference on Faith and Order, Lund, Sweden: August 15−28 1952 (Faith and Order Commission Papers No. 15), London 1952.

F&O 21

Commission on Faith and Order. Minutes of the Commission and Working Committee (Faith and Order Commission Papers No. 21), Evanston/ Chicago 1954.

Inst.

Johannes Calvin: Unterricht in der christlichen Religion. Institutio Christianae Religionis, hg. v. Matthias Freudenberg, Neukirchen−Vluyn 2009.

JC

Thomas F. Torrance: The Doctrine of Jesus Christ, Eugene, OR, 2002 [„Auburn-Christologie“, 1938/39].

KD I/1

Barth, Karl: Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik. Halbbd. 1, Zürich 1932.

KD I/2

Barth, Karl: Die Lehre vom Wort Gottes. Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik. Halbbd. 2, Zürich 1938.

KD II/1

Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik. Die Lehre von Gott. Halbbd. 1, Zürich 1940.

KD II/2

Barth, Karl: Die Kirchliche Dogmatik. Die Lehre von Gott. Halbbd. 2, Zürich 1945.

MC

The Thomas F. Torrance Manuscript Collection. Special Collections, Princeton Theological Seminary Library (MC XY = „Manuscript Collection, Box XY“).

Vorwort Diese Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertationsschrift angenommen. Im Zuge der Drucklegung habe ich sie geringfügig überarbeitet und insbesondere im Schlussteil um einige Passagen ergänzt. Die Arbeit wurde durch ein Promotionsstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung gefördert. Zu ihrer Veröffentlichung haben die Evangelische Landeskirche in Baden und der Freundeskreis der Theologischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg mit Druckkostenzuschüssen beigetragen. Darüber hinaus hat mir das vom Global Network of Research Centers for Theology, Religious and Christian Studies vergebene Karl-Schlecht-Stipendium ein Forschungssemester am Princeton Theological Seminary ermöglicht. Dort liegt Torrance’ Nachlass, der wertvolles Material für diese Arbeit barg und mir die Gelegenheit gab, viele Stunden in der eindrucksvollen Bibliothek des Seminary zu verbringen. Dabei hat mich der regelmäßige Austausch mit Prof. Dr. Bruce McCormack zu fortlaufender Textproduktion angespornt. Überhaupt ist die Zeit in Princeton meiner Frau und mir, die wir dieses Abenteuer gemeinsam mit unserer ältesten Tochter wagten, unvergesslich. In Heidelberg war Prof. Dr. Friederike Nüssel nicht nur meine Vertrauensdozentin von Seiten der Adenauer-Stiftung, sondern auch die Zweitgutachterin der vorliegenden Arbeit. Ich danke ihr herzlich für ihr gründliches Gutachten. Mein Doktorvater, Prof. Dr. Dr. Dres. h.c. Michael Welker, hat mich seit meinem ersten Semester in Heidelberg begleitet und durch seine Begeisterung für die Sache der Theologie beständig ermutigt. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Den beiden Freunden und designierten Doktoren der Theologie, Hajo Kenkel auf evangelischer und Tobias Mayer auf katholischer Seite, danke ich für ihre tatkräftige Hilfe in der Korrekturphase. Hajo Kenkel hat die Arbeit eigenhändig gesetzt. Auch meine Mutter Sabine Geck und mein Bruder Paul Matthias Geck haben Teile des Manuskripts korrigiert. Gewidmet sei die Arbeit meiner geliebten Ehefrau Sara Celestina Geck, geb. Valeo. Heidelberg, im Januar 2019

Philip Jonathan Geck

Einleitung Die Bibel und die christlichen Bekenntnisse zeichnen Bilder von und treffen Aussagen über etwas, das die Theologie seit dem 19. Jahrhundert unter dem Namen Eschatologie („Lehre von den letzten Dingen“) zu erfassen sucht. Der alttestamentliche Prophet Jesaja und der frühchristliche Verfasser der Johannesoffenbarung sprechen von einem „neuen Himmel und einer neuen Erde“, das altkirchliche Nicaeno-Constantinopolitanum schließt mit dem erwartungsvollen Blick auf „die Auferstehung der Toten und ein Leben der zukünftigen Welt“.1 Neben diesen großformatigen Bildern und Begriffen stehen Sätze, die sich auf die Person Jesu Christi konzentrieren. Das Apostolische Glaubensbekenntnis zeichnet den Weg Jesu Christi nach: geboren von der Jungfrau Maria, zum Tod verurteilt von dem römischen Beamten Pontius Pilatus, gekreuzigt, gestorben und begraben. Es folgen Aussagen, die die alltägliche Wahrnehmung von Wirklichkeit übersteigen: „Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel; er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen, zu richten die Lebenden und die Toten“.2 Hier werden neutestamentliche Aussagen über ein endzeitliches Kommen Christi aufgegriffen, das in einem letzten Gericht mündet. Wie sind diese Aussagen zu verstehen? Darüber herrscht bis heute Uneinigkeit in der Theologie, die sich im 20. Jahrhunderts sehr für eschatologische Fragen zu interessieren begonnen hat.3 Um die Jahrhundertwende brachten Exegeten wie Johannes Weiß und Albert Schweitzer diese Fragen zur Geltung, als sie entdeckten, wie stark eschatologische und apokalyptische Motive die neutestamentlichen Zeugnisse prägen.4 In der dialektischen Theologie wurden diese Ergebnisse wegen ihrer Irritation für das zeitgenössische

1 2 3 4

Vgl. Jes 65,17a u. Offb 21,1; „Das Nicaeno-Constantinopolitanum“, bearb. v. Adolf Martin Ritter, in: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, hg. v. Irene Dingel, Göttingen/Bristol, CT, 2014, 45−50, 50. Evangelische Landeskirche in Baden: Bekenntnisschriften der Evangelischen Landeskirche in Baden. Textsammlung (Bd. 1), bearb. v. Wolfgang Vögele, Karlsruhe 102015, 11. Vgl. Markus Mühling: Grundinformation Eschatologie. Systematische Theologie aus der Perspektive der Hoffnung, Göttingen 2007, 17ff. Vgl. Johannes Weiß: Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, hg. v. Ferdinand Hahn, durchges. Nachdr. d. 2., neubearb. Aufl. von 1900, Göttingen 1964; Albert Schweitzer: Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, GW Bd. 3, hg. v. Rudolf Grabs, München 1974 [Tübingen 1906].

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Einleitung

Christentum aufgenommen und kritisch gegen eine Identifizierung des Reiches Gottes mit der modernen Kultur gewendet.5 Nach dem zweiten Weltkrieg gewinnt das Interesse an der Bedeutung biblisch-eschatologischen Denkens auch international an Intensität. Einer der ersten, die sich nun der Eschatologie widmen, ist der junge schottische Theologe Thomas F. Torrance (1913−2007). Er engagiert sich in der ökumenischen Bewegung, die in den 1940er Jahren an großer Dynamik gewinnt, und regt 1948 im britischen Zweig der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order) an, sich intensiver mit der aktuellen Forschung zur Eschatologie zu beschäftigen. Er verfasst ein Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie und schreibt den Aufsatz Eschatology and Eucharist für einen Vorbereitungsband zur Faith and Order-Weltkonferenz in Lund.6 Wie kommt Torrance darauf, ausgerechnet in der ökumenischen Bewegung kurz nach Ende des zweiten Weltkrieges die Eschatologie in den Mittelpunkt zu stellen? Sie hat für ihn eine wichtige Funktion. Sie fragt danach, was die Bemühungen der Kirchen um Verständigung und Einheit – vor dem Hintergrund des Weltkrieges – mit Gott und seinem Reich zu tun haben. Sie stellt die Frage nach der Realität Gottes in der heutigen Welt. Auf diese Weise stößt Torrance auf die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Gottes Wirklichkeit und unserer Wirklichkeit. Dieses systematische Problem versucht er im Rahmen der Christologie zu klären, indem er das Verhältnis von Gott und Mensch anhand der Frage nach der Gottheit und Menschheit Jesu Christi zu bestimmen sucht. Damit vollzieht er den Trend moderner Theologie nach, sich auf systematische Grundgedanken zu konzentrieren, von denen aus die eschatologischen Loci (etwa die Auferstehung Jesu, seine Endzeitparusie, Gericht, Himmel und Hölle) erst in einem zweiten Schritt in den Blick kommen.7 Im ökumenischen Kontext interessiert er sich nicht primär für die inhaltliche Entfaltung der Loci, sondern für die Realität Jesu Christi in seiner Kirche in ihrer gegen-

5 6

7

Vgl. zugespitzt Karl Barth: Der Römerbrief (Zweite Fassung) 1922, hg. v. C. Van der Kooi u. T. Tolstaja, Zürich 2010, 430. Vgl. u.a. Georg Brenner: Geschichtstheologie und Eschatologie in der Moderne. Eine Grundlegung, Berlin 2016, 16. Vgl. Thomas F. Torrance: „Eschatology and Eucharist“, in: Inter-Communion. The Report of the Theological Commission Appointed by the Continuation Committee of the World Conference on Faith and Order Together with a Selection from the Material Presented to the Commission, hg. v. Donald Baillie u. John Marsh, London 1952, 303−350; ders.: „The Modern Eschatological Debate“, in: EvQ 1953 (1) 45−54, (2) 94−106, (3) 167−178, (4) 224−232. Vgl. Sigurd Hjelde: Das Eschaton und die Eschata. Eine Studie über Sprachgebrauch und Sprachverwirrung in protestantischer Theologie von der Orthodoxie bis zur Gegenwart, München 1987, 469.

Einleitung

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wärtigen Situation. Torrance kann die Eschatologie sogar als auf das Reich Christi und die geschichtliche Kirche angewandte Christologie definieren.8 Diese Transformation der Eschatologie hat ihre Gefahren. Sie kann zu ihrer inhaltlichen Entleerung führen, wenn die Loci nur noch die systematischen Grundentscheidungen widerspiegeln. Trotzdem kann die Eschatologie nicht auf grundsätzliche Klärungen, etwa in der Gotteslehre, verzichten. So schützt sie sich davor, an Gottes Offenbarung vorbei die menschliche Phantasie spielen zu lassen. Das hat Karl Rahner in aller Deutlichkeit vor Augen geführt. Er hat mit kritischem Blick auf die Tradition darauf hingewiesen, dass ein eschatologischer Hyperrealismus mit seinen detailreichen Einsichten in die himmlischen und höllischen Sphären wenig glaubwürdig ist und allzu schnell als Illusion oder Ideologie zu entlarven ist.9 Darüber hinaus sind es die biblischen Zeugnisse selbst, die eine solche Klärung verlangen. In der neutestamentlichen Johannesoffenbarung etwa steht „die heilige polis, das neue Jerusalem“ (Offb 21,2) im Mittelpunkt, wenn es darum geht, den „neue[n] Himmel und die neue Erde“ (21,1) zu beschreiben. Sie kommt aus dem Himmel, aus dem Bereich Gottes, und wird beschrieben als vollkommene Gemeinschaft von Gott und den Menschen: „Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden seine Völker sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein“ (21,3). Diese heilige Stadt bedarf nicht des Lichts der Gestirne. Sie wird erhellt von der „Herrlichkeit Gottes“. Jesus Christus selbst ist ihre „Leuchte“ (21,23). Diese Schilderung führt zwangsläufig die Frage herauf, wie dieser Gott zu verstehen ist, der inmitten der polis leben soll und als das Licht seiner neuen Schöpfung beschrieben wird. Ihr Provokationspotential ist einzigartig, weil man der Frage nach der spezifischen Realität Gottes hier gar nicht ausweichen kann. Der Zusammenhang von Eschatologie und Gotteslehre ist vielleicht gerade in unserer Zeit von großer Bedeutung. An der Frage nach der Zukunft der uns bekannten Welt, die heute mit großer Dringlichkeit gestellt wird, kann sich die Frage nach Gott entzünden. Es ist deshalb die Aufgabe der Theologie, Gottes eigene Wirklichkeit im eschatologischen Problemzusammenhang zum Thema zu machen. Im deutschsprachigen Bereich ist dieses Anliegen mit Namen wie Wolfhart Pannenberg, Jürgen Moltmann und Gerhard Sau-

8 9

„(…) eschatology properly speaking is the application of Christology to the Kingdom of Christ and to the work of the Church in history“ (Torrance: Royal Priesthood, London 1955, 43). Vgl. MacLean: Resurrection, 174 (s.u. Anm. 34). Vgl. Karl Rahner: „Theologische Prinzipien der Hermeneutik der eschatologischer Aussagen“ (1960), in: ders.: Schriften zur Theologie IV. Neuere Schriften, Einsiedeln 1962, 401−428, 408.

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Einleitung

ter verbunden, die sich seit den 1960er Jahren mit großer Energie und auf je eigene Weise eschatologischen Fragen gewidmet haben.10 Fünfzig Jahre später haben diese Fragen keineswegs an ihrer Dringlichkeit verloren. Die enormen Gestaltungskräfte des Menschen lassen spätmoderne Propheten das neue Zeitalter des Anthropozän ausrufen, in dem die Menschen nicht nur ihren natürlichen Lebensraum, sondern auch ihre eigene Gattung zerstören können. Von theologischem Interesse ist hier nicht nur die Makroperspektive, die in säkularisierter und postmetaphysischer Manier nach dem Sinn und Ziel der uns zugänglichen Wirklichkeit fragt.11 Auch der erdenschwere Realismus dieser Zukunftsszenarien sollte die christliche Theologie nachdenklich machen. Sie muss sich keinesfalls von deren Denkmustern gefangen nehmen lassen, darf aber ihrem irritierenden Realismus nicht einfach ausweichen. Dazu besteht auch keine Notwendigkeit, ist ihr Erkenntnisgegenstand doch der dreieinige Gott, der sich in unserer Wirklichkeit – nicht aber an ihr vorbei – zeigt, um in und an ihr zu handeln. Natürlich löst das Postulat eines theologischen Realismus nicht automatisch alle Probleme. In dieser Arbeit wird er nicht begrifflich ausbuchstabiert, sondern in einem minimalistischen Sinn verwendet.12 Er steht dafür, dass Gott nicht im menschlichen Denken aufgeht. Ebenso steht er für eine realistische Erdung der Theologie. Für eine realistische Eschatologie heißt das: Sie rechnet mit neuen Realitäten, die durch Gottes Offenbarung erschlossen werden. Um als real gelten zu können, müssen diese in irgendeiner Weise mit unserer geschöpflichen Wirklichkeit zu vermitteln sein. Beide Aspekte stehen in einer Spannung: Wie kann Gott von seiner Schöpfung unterschieden werden, wenn sein Handeln nur in und an seiner Schöpfung offenbar wird? Diese Spannung ist nicht a priori aufzulösen oder begrifflich zu fixieren, wie Karl Rahner annahm, der als Antwort auf seine Problemanalyse eine allgemeine Hermeneutik biblisch-eschatologischer Aussagen forderte.13 Sie regt vielmehr dazu an, in konkreten Kontexten Gott zu erkennen und – innerhalb der nicht von vornherein bestimmbaren Grenzen dieser Kontexte – realistisch von Gott und seiner Schöpfung zu reden. 10 Vgl. Jürgen Moltmann: Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, München 1965; Gerhard Sauter: Zukunft und Verheißung. Das Problem der Zukunft in der gegenwärtigen theologischen und philosophischen Diskussion, Zürich/Stuttgart u.a. 1965; Wolfhart Pannenberg: „Eschatologie, Gott und Schöpfung“, in: ders.: Theologie und Reich Gottes, Gütersloh 1971, 9−30. 11 Vgl. Samuel Scheffler: Der Tod und das Leben danach, Berlin 2015; Philip Geck: „Der Tod und die Zukunft der Menschheit. Zu einem Buch des Philosophen Samuel Scheffler“, in: IkaZ 44 (2015), 555−559. 12 Vgl. bspsw. die präzise Begriffsbestimmung bei Ingolf U. Dalferth: „Theologischer Realismus und realistische Theologie bei Karl Barth“, in: EvTh 46 (1986), 402−422. 13 Vgl. Rahner: Prinzipien, 407.

Einleitung

5

Das macht das konstruktive Ziel dieser Arbeit bescheiden. Sie will nicht programmatisch eine realistische Eschatologie entwerfen, sondern lediglich erkunden, an welchem Punkt Torrance’ Eschatologie die Möglichkeit eröffnet, unsere Rede von der neuen Schöpfung und dem erhöhten Christus so zu präzisieren, dass wir ihrer Wirklichkeit ein Stück weit näher kommen. Bereits in seiner frühen Christologievorlesungen im Jahr 1938/39 versucht Torrance zu zeigen, dass Gott erkennbar und erfahrbar ist, weil er in Jesus Christus in unsere Wirklichkeit eingeht und eben diese Wirklichkeit neu schafft. Die eschatologische Frage nach der neuen Schöpfung ergibt sich für ihn aus dem Leben, Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Die Auferstehung Jesu und die mit ihr verbundenen eschatologischen Verheißungen betreffen die Wirklichkeit, in der Jesus gelebt hat und als Auferstandener lebt.14 Die Frage, ob Jesus wirklich auferweckt wurde, dient Torrance als eschatologischer reality check. An ihr entscheidet sich, ob die Verheißung der Neuschöpfung unserer Wirklichkeit gilt: „If Jesus Christ is not risen in Body, then salvation is not actualised in the same sphere of reality in which we are, and we are yet in our sins (1 Cor. 15.17)“.15 Es ist dieser Anspruch, der ihn dazu bringt, eschatologische Aussagen nicht von vornherein als uneigentliche Sätze zu behandeln, die in unserer Wirklichkeit keinen direkten Sachgehalt haben können, weil sie über die Erkenntnisbedingungen menschlicher Subjektivität hinausgehen.16

1. Eschatologie im Kontext Eschatologische Inhalte und Fragestellungen thematisiert Torrance in drei unterschiedlichen Zusammenhängen, denen die drei Teile dieser Arbeit entsprechen. Erster Teil: Eschatologie im Kontext der frühen Christologie (Kap. 1−3). In seiner frühen Christologie, die er in den Auburn-Vorlesungen 1938/39 entwickelt, orientiert sich Torrance an dem Motiv der „neuen Menschheit“ Jesu Christi. In Jesus Christus hat Gott nach Torrance den Menschen einen Weg eröffnet, eine neue und mit Gott versöhnte Existenz zu leben. Er verwirklicht in seinem Leben und Sterben, das von gehorsamer Hingabe gegenüber

14 Vgl. Torrance: JC, 198. 15 Vgl. Thomas F. Torrance: Royal Priesthood. A Theology of Ordained Ministry, Edinburgh 21993 [1955], 43. 16 Vgl. als Bsp. für dieses klassische kantische Argument Henning Theißen: „What Dare we Hope? An Attempt to Conceive Newness after the End of the 20th Century“, in: Game Over? Reconsidering Eschatology, hg. v. Christophe Chalamet u.a., Berlin/Boston 2017, 369−381, 370f.

6

Einleitung

Gott geprägt ist, die „neue Menschheit“.17 Mit Hilfe dieses Motivs versucht Torrance, das Verhältnis von Gottheit und Menschheit Jesu Christi zu klären. Darüber hinaus dient es ihm dazu, die Neuschöpfung der menschlichen Wirklichkeit zum Ausdruck zu bringen. Indem Jesus Christus einen neuen Modus des Menschseins vor Gott realisiert, verwirklicht er die paradigmatische Möglichkeit, als Mensch eine neue menschliche Existenzweise leben zu können. Diese ist eschatologisch qualifiziert, weil sie einen endgültigen Charakter annimmt und im finalen Gericht offengelegt wird. Der Akzent liegt auf der Möglichkeit einer existentiellen Gottesbegegnung in der Gegenwart und weniger auf einer inhaltlich ausgestalteten futurischen Eschatologie. Zweiter Teil: Eschatologie im Kontext der Ökumenischen Bewegung (Kap. 4−7). In den späten 1940er und 1950er Jahren konzentriert sich Torrance in zahlreichen Aufsätzen, die im Kontext der Ökumenischen Bewegung entstehen, auf die Gegenwart des erhöhten Christus in seiner Kirche. Die Feier des Abendmahles spielt hier eine Schlüsselrolle. Torrance beschreibt das Abendmahl als „Auferstehungsereignis“, in dem sich der Auferstandene in der Mitte der Gläubigen vergegenwärtigt und ihnen Anteil an seiner neuen Schöpfung gibt. Zugleich lässt seine Gegenwart Raum für die ausstehende, als spezifisches Ereignis verstandene Endzeitparusie Christi und die Vollendung der neuen Schöpfung. Dritter Teil: Eschatologie im Kontext der Schöpfungslehre (Kap. 8−9). In den 1960er Jahren beschäftigt sich Torrance mit der Frage, wie der auferstandene und erhöhte Jesus Christus und die in ihm verwirklichte neue Schöpfung auf die raumzeitliche Struktur der uns zugänglichen, naturwissenschaftlich beschreibbaren Wirklichkeit bezogen ist. Der auferstandene Christus ist nach Torrance nicht ohne räumliche und zeitliche Bezüge zu verstehen. Ende der 1960er Jahre veröffentlicht er ein Buch mit drei theologiegeschichtlich orientierten Studien zum Verhältnis von Space, Time and Incarnation (Oxford 1969), darauf folgt Space, Time and Resurrection (Edinburgh 1976). Die drei Kontexte bilden chronologisch aufeinander folgende Werkphasen ab. Sie sind Ergebnis einer systematisierenden Auswahl, weil sie auf unterschiedliche Weise eschatologische Fragen – immer im Zusammenhang mit der Christologie – thematisieren. Zugleich erlaubt ihre Chronologie eine historisch-genetische Rekonstruktion, die für Entwicklungen in Torrance’ Theologie sensibel ist. Die „reife“ Christologie, die Torrance in seiner Lehrtätigkeit am New College (Edinburgh) zwischen 1952 und 1979 entwickelte, aber erst kurz vor seinem Tod in zwei Bänden herausgeben ließ, wird nicht als Ganze, sondern nur

17 Torrance: JC, 59.

Einleitung

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im Zusammenhang mit unserer Fragestellung berücksichtigt.18 Dafür steht die Studie Space, Time and Resurrection, die weitgehend identisch mit Kapiteln der späten Christologie ist und im dritten Teil analysiert wird.19 Wichtiger für diese Arbeit ist Torrance’ früher christologischer Gesamtentwurf in Auburn. Anders als die späteren Christologie-Vorlesungen, die sich über zwei Jahrzehnte erstrecken und nicht historisch-kritisch ediert wurden, kann er in die Linie der drei Werkphasen eingeordnet und in seinem historischen Kontext erhellt werden. Überhaupt ist die Auburn-Christologie für das Verständnis der Torranceschen Theologie von unschätzbarem Wert, was in der Torrance-Forschung noch zu wenig beachtet worden ist.20 Sie lässt sein Denken theologiegeschichtlich präzise einordnen. Der junge Torrance zitiert hier so ausgiebig und offenherzig, wie er es nie wieder tun wird.21 Der spezifische schottische Traditionsstrang, in dem sein Leitmotiv der neuen Menschheit Christi steht, reicht weit hinein in das 19. Jahrhundert (Kapitel 2). Er umfasst die Schotten Edward Irving, John McLeod Campbell, P. T. Forsyth sowie Torrance’ Lehrer H. R. Mackintosh, und wird bei seinen Zeitgenossen F. W. Camfield und Emil Brunner in einen dialektisch-theologischen Ansatz aufgenommen. Der Diskurs konzentriert sich auf das Neuwerden der menschlichen Existenz und hat wichtige Folgen für Torrance’ Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch sowie für seine Gotteslehre. Hier, in der Offenbarungs- und Gotteslehre, der Torrance ebenfalls eine Vorlesung in Auburn widmete, ist das Nervenzentrum seiner Christologie und Eschatologie zu finden. Weil an dieser Stelle seine Barth-Rezeption bedeutsam wird, wird diese im ersten Teil anhand des Auburn-Materials zur Offenbarungs- und Gotteslehre und eines Schlüsseltextes zur Erwählungs-

18 Vgl. Thomas F. Torrance: Incarnation. The Person and Life of Christ, hg. v. Robert Walker, Milton Keynes 2008; ders.: Atonement. The Person and Work of Christ, hg. v. Robert Walker, Downers Grove, IL, 2009. 19 Vgl. David Fergusson: „The Ascension of Christ. Its Significance in the Theology of T. F. Torrance“, in: Participatio 3 (2012), 92−107, 95. 20 Eine Ausnahme bildet William Duncan Rankin: Carnal Union with Christ in the Theology of T. F. Torrance, unveröfftl. Diss., Edinburgh 1997, A−15. Auch McGrath behandelt die Texte der Auburnzeit, allerdings eher kursorisch (vgl. Allister McGrath: Thomas F. Torrance. An Intellectual Biography, Edinburgh 1999, 134−137, 147−150). Molnar zitiert aus der Auburn-Christologie, um Torrance’ Christologie zu illustrieren, zeigt aber kein Interesse an dem ihr eigenen theologischen Profil (vgl. Paul Molnar: Thomas F. Torrance. Theologian of the Trinity, Surrey (UK) 2009, 102ff, 123, 140ff, 160ff, 165ff). 21 Vgl. den von Rankin erstellten Personenindex, der aber nicht zwischen den unterschiedlichen Vorlesungsteilen der großen Dogmatikvorlesung, d.h. zwischen Gotteslehre und Christologie, differenziert, in: ders.: Carnal Union, A15−A20.

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lehre, der aus Torrance früher Christologie hervorging, analysiert (Kapitel 3).22 Torrance’ Auburn-Christologie dient im Folgenden dazu, die Grundstruktur seiner Theologie herauszuarbeiten, um vor diesem Hintergrund die Entwicklung seiner Eschatologie im ökumenischen und schöpfungstheologischen Kontext nachvollziehen zu können. In vielerlei Hinsicht zeigt sich, dass erst dort, wo sich Torrance von seinen doch recht schematischen christologischen Grundentscheidungen frei machen kann, Potentiale für eine realistische und inhaltlich konkretere Eschatologie freigesetzt werden.

2. Thomas F. Torrance: Zu Person und Werk Der Presbyterianer Thomas Forsyth Torrance wurde am 30. August 1913 in Chengdu, China, als Sohn schottischer Missionare geboren. Aufgrund der politisch instabilen Lage musste die Familie 1927 nach Schottland zurückkehren.23 1931 schrieb sich der junge Torrance an der Universität Edinburgh ein. Nachdem er ein Jahr klassische Philologie studiert hatte, wechselte er zur Philosophie, um im Jahr 1934 als Master of Arts abzuschließen.24 Daraufhin ging Torrance an die theologische Fakultät (dem sogenannten „New College“), um dort nach weiteren drei Jahren einen Bachelor of Divinity zu erwerben, der ihn für den Gemeindedienst in der reformierten Church of Scotland qualifizierte. Prägender Lehrer dieser Zeit war der Dogmatiker Hugh Ross Mackintosh (1870−1936), der mit der kontinentalen Theologie wohlvertraut war und Torrance mit dem Werk Karl Barths bekannt machte. In seinen Erinnerungen nennt Torrance einen weiteren Lehrer aus seiner Zeit in Edinburgh: Daniel Lamont, der einen Lehrstuhl für Apologetik, Ethik und Prak-

22 Vgl. Thomas F. Torrance: The Christian Doctrine of Revelation; The Christian Doctrine of God. Constructive Account, in: MC 23; ders.: „Predestination in Christ“, in: EvQ 13 (1941), 108−141. 23 Vgl. McGrath: Torrance, 16ff. 24 In der autobiographischen Skizze „Itinerarium Mentis in Deum: T. F. Torrance – My Theological Development“ (in: MC 10) nennt Torrance die zwei prägenden Figuren seines Philosophiestudiums, Norman Kemp Smith und A. E. Taylor. Beide interessierten sich für religiös-metaphysische Fragen: Kemp Smith aus skeptischer, Taylor aus platonisch-augustinisch gefärbter Perspektive (vgl. Norman Kemp Smith: A Commentary to Kant’s ‚Critique of Pure Reason‘, Hampshire/New York 2003; ders.: The Philosophy of David Hume. A Critical Study of its Origins and Central Doctrines, Hampshire/New York 2005; A. E. Taylor: The Faith of a Moralist. Gifford Lectures Delivered in the University of St. Andrews, 1926−1928, 2 Bd., London 1930).

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tische Theologie bekleidete, und dessen Monographie Christ and the World of Thought Torrance beeindruckte.25 Ein Stipendium ermöglichte Torrance ein weiteres Studienjahr in Basel bei Karl Barth (1937/38). Bei Barth sollte Torrance schließlich auch mit einer Arbeit über das Gnadenverständnis der apostolischen Väter promoviert werden – allerdings erst im Jahr 1946.26 Dazwischengekommen war eine erste Anstellung als Gastdozent am Auburn Theological Seminary in Upstate New York (USA) für das akademische Jahr 1938/39. Als Torrance im Sommer 1939 heimkehrte, war ein weiterer Krieg zwischen Großbritannien und Deutschland absehbar. Torrance entschied sich deshalb gegen die Rückkehr nach Basel. Es folgte ein Interludium am Oriel College in Oxford, wo Torrance die Arbeit an seiner Dissertation vorantrieb, ein dreijähriger Gemeindedienst im schottischen Alyth sowie der Einsatz als Militärseelsorger in Nordafrika und Italien.27 In seinen Studienjahren erhielt Torrance entscheidende intellektuelle Impulse, die er aufnahm und zügig in einen systematischen Zusammenhang brachte. Seine Lehrtätigkeit am Auburn Theological Seminary zwang ihn dazu, schon ungewöhnlich früh – 25-jährig – seiner Theologie eine erste Gestalt zu geben. Torrance war im akademischen Jahr 1938/39 der einzige Dozent in Auburn, der die Systematische Theologie vertrat. Er war deshalb zu einer intensiven Vorlesungstätigkeit verpflichtet. Die Frucht dieses Jahres sind mehrere hundert Manuskriptseiten über zentrale dogmatische Themen. Die bedeutendste und längste Vorlesung über Christologie, die hier als „Auburn-Christologie“ bezeichnet wird, wurde im Jahr 2002 veröffentlicht.28 25 Vgl. Torrance: „Student Years – Edinburgh to Basel“, 5, in: MC 10; Daniel Lamont: Christ and the World of Thought, Edinburgh 1934, verrät viel über Torrance’ frühe Prägung. Lamont verbindet einen metaphysischen Theismus mit personalistisch-existentialistischen Denkformen. Der wissenschaftliche Positivismus könne Grenzbegriffe wie Welt, Person oder das Absolute nicht erfassen. Die solchen Größen angemessene „personale Haltung“ bringt Lamont mit Zeittheorien ins Gespräch, nach denen Zeit nicht zur gegenständlichen Welt gehöre, sondern zur „subjektiven Seite der Existenz“ (69). Die der objektivierenden Sicht nicht zugängliche reine Gegenwart werde zum Ort der Begegnung zwischen menschlichen Personen und dem Absoluten. Im zweiten Teil füllt Lamont diesen Rahmen mit christlichen Inhalten. In seiner Auburn-Christologie verweist Torrance etliche Male auf Lamont, dann verliert sich dessen Spur in seinem Werk. Sein bleibendes Interesse an personalistisch-existentialistischem Denken in Verbindung mit einem objektiven Theismus und seine späteren Texte zur Wissenschaftstheorie, zu Zeit und Raum sowie der Korrelation unterschiedlicher Wirklichkeitsebenen bleiben Lamont indirekt verpflichtet (vgl. auch McGrath: Torrance, 34). 26 Vgl. Thomas F. Torrance: The Doctrine of Grace in the Apostolic Fathers, Edinburgh u.a. 1948. 27 Vgl. McGrath: Torrance, 59−77. 28 Vgl. Thomas F. Torrance: The Doctrine of Jesus Christ, Eugene, OR, 2002 [JC]. Die Originalmanuskripte sind enthalten in: MC 21−23.

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Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Abschluss seiner Dissertation nahm Torrance den Gemeindedienst wieder auf, blieb aber weiterhin publizistisch aktiv. Dazu gab ihm der britische Zweig der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, die auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen im Jahr 1948 zu einem Arbeitszweig desselben ernannt wurde, reichlich Gelegenheit. Torrance veröffentlichte seit 1948 viele Aufsätze zu kontroverstheologischen Themen.29 Dieser Textbestand stellt die zweite Werkphase dar, die in dieser Arbeit untersucht wird. 1950 wurde Torrance auf einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte an seine alma mater, das New College in Edinburgh, berufen.30 1952 gelang ihm der Wechsel auf den Lehrstuhl für Christian Dogmatics, den Mackintosh bis zu seinem frühen Tod 1936 innegehabt hatte. Sein Kollege war John Baillie, der als Professor of Divinity für die Gotteslehre sowie für fundamentaltheologische Fragen zuständig war. Dementsprechend lag Torrance’ Schwerpunkt auf materialdogmatischem Gebiet. Der Christologie und Soteriologie widmete er ebenso wie der Ekklesiologie lange Vorlesungszyklen.31 Erst nach seiner Emeritierung im Jahr 1979 publizierte Torrance verstärkt zur Gotteslehre, insbesondere zur Trinitätstheologie.32 Zuvor hatte er bereits zahlreiche Studien zu wissenschaftstheoretischen Fragen und dem Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaften veröffentlicht, wofür er 1978 mit dem Templeton Prize ausgezeichnet wurde.33

3. Forschungsstand Die drei Textgruppen, die für diese Arbeit ausgewählt wurden, haben in der Torrance-Forschung bislang nicht im Zentrum des Interesses gestanden. Die Auburn-Christologie und die ökumenischen Aufsätze fallen in Torrance’ Frühphase. Sie bestehen aus einer Vielzahl kleinerer Arbeiten, was ihre systematische Interpretation erschwert. Einzig Stanley MacLean hat die Texte der ökumenischen Phase sowie eine Vielzahl unveröffentlichter Predigten der 29 Zahlreiche dieser Texte wurden später in zwei Aufsatzbänden veröffentlicht (vgl. Torrance: C&A I u. C&A II). 30 Vgl. McGrath: Torrance, 84. 31 Vgl. McGrath: Torrance, 90f. Die Vorlesungen zur Christologie und Soteriologie wurden, wie bereits erwähnt, später von Robert T. Walker herausgegeben (vgl. Torrance: Atonement; Incarnation). 32 Vgl. Thomas F. Torrance: The Trinitarian Faith. The Evangelical Theology of the Ancient Catholic Church, Edinburgh 1988; Trinitarian Perspectives. Toward Doctrinal Agreement, Edinburg 1994; The Christian Doctrine of God. One Being Three Persons, Edinburgh 1996. 33 Vgl. u.a. Thomas F. Torrance: Theological Science, London 1969; God and Rationality, London 1971.

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1940er Jahre bearbeitet. Von ihm stammt die bislang einzige Studie zu Torrance’ Eschatologie.34Auch MacLean konzentriert sich auf Torrance’ Frühwerk, allerdings auf die Predigten der 1940er Jahre. Er macht drei Phasen in Torrance’ Eschatologie aus: In den Predigten der frühen 1940er Jahre orientiere sich Torrance an der existentiellen Situation des Einzelnen. Diese gehe über in eine apokalyptische Phase, in der Torrance die Gegenwart Christi in der Geschichte (und ihren Kriegswirren) betone – insbesondere in seinen Predigten zur Johannesoffenbarung.35 Im Rahmen seines ökumenischen Engagements der 1950er Jahre verschiebe sich sein Interesse auf die Kirche, die in ihrer Verbindung mit Christus das verborgene eschatologische Ziel Gottes in dieser Welt darstelle.36 Mit seinem historisch-genetischen Ansatz hat MacLean auf überzeugende Weise die Entwicklung von einer am Individuum orientierten zu einer an der Kirche orientierten Eschatologie beschrieben. Als Erster hat er die Bedeutung der eschatologischen Thematik für den frühen Torrance herausgearbeitet. MacLean beurteilt Torrance’ Eschatologie nicht unkritisch. Sie sei „christologisch überbestimmt“37 und vernachlässige die inhaltlichen Loci der Eschatologie. Seine Hauptkritik richtet sich auf das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche, die Torrance in der ontologisierenden Konzeption der 1950er Jahre nahezu miteinander identifiziere.38 Diese Kritik zeigt allerdings auch die Grenze der Analyse MacLeans. Um Torrance’ Eschatologie zu verstehen, müssen die christologischen Grundentscheidungen der Auburn-Zeit in den Blick genommen werden. In systematischer Hinsicht sind diese aussagekräftiger als die Predigten, in denen Torrance seine christologische Grundkonstellation nur anwendet. Die beiden Bücher der dritten Werkphase zum Verhältnis der Inkarnation bzw. Auferstehung Jesu Christi zu Raum und Zeit fallen in den Bereich, der bislang die größte Aufmerksamkeit in der Forschung gefunden hat. Etliche Arbeiten haben sich mit Torrance’ Wissenschaftsverständnis und seiner Verhältnisbestimmung von Theologie und Naturwissenschaften beschäftigt. Das gilt auch für die bislang einzige deutschsprachige Monographie zu Torrance.39 34 Vgl. Stanley MacLean: Apocalypse, Resurrection, and the Kingdom of God. The Eschatology of Thomas F. Torrance, Eugene, OR, 2012. 35 Torrance hielt die Predigten in der Zeit seines Gemeindedienstes in Alyth (v.a. in den Jahren 1942 und 1946) und Beechgrove (1948). In dem veröffentlichten Band The Apocalypse Today (London 1960) sind fast ausschließlich Predigten aus Beechgrove abgedruckt (vgl. die Originalmanuskripte in: MC 47). 36 Vgl. MacLean: Resurrection, 194. 37 Vgl. MacLean: Resurrection, 199. 38 Vgl. MacLean: Resurrection, 197. 39 Vgl. Wolfgang Achtner: Physik, Mystik und Christentum. Eine Darstellung und Diskussion der natürlichen Theologie bei T. F. Torrance. Frankfurt a.M. 1991. Weitere Beispiele

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Torrance’ Studien zu Raum, Zeit und Inkarnation bzw. Auferstehung werden in zwei aktuellen deutschsprachigen Habilitationsschriften, die nach einem angemessenen theologischen Raumverständnis fragen, diskutiert. Ulrich Beuttler und Matthias Wüthrich machen sich die Einschätzung Wolfhart Pannenbergs zu eigen, nach der Torrance nicht befriedigend klären könne, wie sich die Realität der raumzeitlich verfassten Schöpfung für Gott zu der von ihm postulierten göttlichen Transzendenz über Raum und Zeit verhalten.40 In diese Richtung argumentiert auch John Morrison, der in Torrance’ Offenbarungslehre einen latenten Dualismus zu erkennen meint. Torrance verstehe die Offenbarung Gottes in der Tradition Kierkegaards und Barths als Begegnung („encounter“) zwischen Gott und Mensch, in der die Kluft zwischen dem transzendenten Gott und den Menschen aber nicht überwunden werde.41 Morrison folgt einer richtigen Intuition, doch seine Begründung – die Prägung durch Kierkegaard und Barth – bleibt ebenso wie die Problemanzeige Pannenbergs auf einer zu allgemeinen Ebene. Darüber hinaus steht sie Torrance’ Selbsteinschätzung diametral entgegen und müsste anhand seiner Christologie überprüft werden, in der Torrance seine theologischen Grundentscheidungen trifft. Wo dies getan wurde, hat man sich in Würdigung und Kritik jedoch zu einseitig auf christologische Theologumena wie das homoousion konzentriert, dem Torrance ein starkes konzeptionelles Eigengewicht beimisst.42 Mit Elmer Colyer erachtet die Mehrheit der Torranceforschung das homoousion als Beleg für Torrance’ entdualisierte Theologie, während Duncan Rankin und Kevin Chiarot die Aporien einer ontologisch fundierten Zweinaturenlehre aufzeigen, die sich in Torrance’ Christologie niederschlagen.43

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sind u.a.: Tapio Luoma: Incarnation and Physics. Natural Science in the Theology of Thomas F. Torrance, New York 2002; Paul D. Molnar: „Natural Theology Revisited. A Comparison of T.F. Torrance and Karl Barth“, in: ZDTh 21 (2005), 53–83; W. Travis McMaken: „The Impossibility of Natural Knowledge of God in T.F. Torrance’s Reformulated Natural Theology“, in: IJST 12 (2010), 319−340. Vgl. Wolfhart Pannenberg: Systematische Theologie Bd. 2, Göttingen 2015 [1991], 108f, Anm. 228; Ulrich Beuttler: Gott und Raum – Theologie der Weltgegenwart Gottes, Göttingen 2010, 537f; Matthias Wüthrich: Raum Gottes. Ein systematisch-theologischer Versuch, Raum zu denken, Göttingen 2015, 140f u. 228f. Vgl. John D. Morrison: Knowledge of the Self-Revealing God in the Thought of Thomas Forsyth Torrance, New York 1997, 318f u. 360f. Vgl. kritisch Daniel Hardy: „T. F. Torrance“, in: The Modern Theologians. An Introduction to Christian Theology since 1918, hg. v. David F. Ford, Oxford u.a. 2005, 163−177, 172. Vgl. Elmer M. Colyer: How to Read T. F. Torrance. Understanding His Trinitarian and Scientific Theology, Downers Grove, IL, 2001, 98. Auf das systematische Gewicht des homoousion und ihr Potential für eine nicht-dualistische Theologie weisen hin McGrath: Torrance, 158; Hardy: „Torrance“, 166; Myk Habets: Theology in Transposition. A Constructive Appraisal of T. F. Torrance, Minneapolis, MN, 2009, 161; Luoma: Incarnation,

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Rankins und Chiarots Arbeiten führen vor Augen, dass es mit dem Verweis auf altkirchliche Theologumena noch nicht getan ist. Diese können die gedanklichen Probleme sogar eher verhüllen als klären.44 Denn wenn sich die Analyse nur auf die Theologumena konzentriert, gerät sie allzu schnell in deren Sog. Sie kann dann deren Aporien zeigen, sich aber kaum aus den ihr vorgegebenen Schemata lösen. Zudem trägt die Orientierung an den Theologumena dazu bei, Torrance’ Theologie als package deal zu betrachten, der man entweder ganz oder gar nicht folgt. Diese Tendenz wird dadurch verstärkt, dass Torrance in einer gegenwärtigen angloamerikanischen Debatte als Gegengewicht zu einer postmetaphysischen Gotteslehre ins Feld geführt wird, wie sie der Barth-Interpret Bruce McCormack in kritischer Abgrenzung von einer im anglophonen Raum verbreiteten „neo-orthodoxen“ Barth-Auslegung vertritt.45 7. Kritisch äußern sich Kevin Chiarot: The Unassumed is the Unhealed. The Humanity of Christ in the Theology of T. F. Torrance, Eugene, OR, 2013, 222, und Rankin: Carnal Union, 98. Auch Gunton hat die zentrale Funktion, die das homoousion bei Torrance spielt, vorsichtig kritisiert. Es rücke das göttliche Sein in den Vordergrund und ebne die Profile der trinitarischen Personen ein (vgl. Colin Gunton: „Eastern and Western Trinities: Being and Person. T. F. Torrance’s Doctrine of God“, in: ders.: Father, Son and Holy Spirit. Toward a Fully Trinitarian Theology, London/New York 2003, 32−58, 50f). 44 Vgl. Rankin: Carnal Union, 288. 45 Nach McCormack lässt Barth die Offenbarungslehre seiner dialektischen Phase nicht einfach in einer „neo-orthodoxen“ Wende hinter sich, wie es viele Ausleger, auch Torrance, angenommen hätten (vgl. Bruce McCormack: Theologische Dialektik und kritischer Realismus. Entstehung und Entwicklung von Karl Barths Theologie 1909−1936, Zürich 2006, 43ff.). Barths reife Erwählungslehre führe seine postmetaphysische Gotteslehre konsequent weiter, indem sie die Trinitätslehre untrennbar mit der Erwählung Jesu Christi verbinde, so dass die Trinität nicht ohne Gottes Einsatz für seine Schöpfung zu denken sei. McCormacks These hat entschiedenen Widerspruch geerntet, da sie Gott abhängig von seiner Schöpfung mache (vgl. ders.: „Grace and Being“, in: Cambridge Companion to Karl Barth, hg. v. John Webster, Cambridge 2000, 92−110, sowie exemplarisch für die vielen Gegenreden: George Hunsinger: „Election and Trinity. Twenty-five Theses on the Theology of Karl Barth“, in: Modern Theology (24) 2008, 179−198). Torrance wird insbesondere von Molnar als Gegengewicht zu Barth bzw. McCormack ins Feld geführt (vgl. Paul Molnar: „The Obedience of the Son in the Theology of Karl Barth and of Thomas F. Torrance“, in: SJT 67 (2014), 50–69, 60, abgedruckt in ders.: Faith, Freedom and the Spirit. The Economic Trinity in Barth, Torrance and Contemporary Theology, Downers Grove, IL, 2015, 313−354). Hier schließt sich der Kreis zu der am homoousion orientierten Torranceforschung. Denn Molnar hat selbst eine Einführung in die Torrancesche Theologie vorgelegt, in der das homoousion eine Schlüsselfunktion einnimmt, um eine nicht-dualistische Theologie mit einer angemessenen Unterscheidung zwischen Gott und seiner Schöpfung zu verbinden (vgl. Molnar: Theologian, 54f). Diese Unterscheidung sieht er bei McCormack gefährdet, weshalb er sich in Berufung auf Torrance dagegen ausspricht, die heilsökonomische Relation zwischen Vater und Sohn in die immanente Trinität hinein zu lesen (vgl. Molnar: „Obedience“, 60).

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Die vorliegende Arbeit kommt weder an Torrance’ Verhältnis zu Karl Barth noch an seiner Gotteslehre – als dem Nervenzentrum seiner Christologie und Eschatologie – vorbei. Sie bemüht sich um einen differenzierten Zugang zu Torrance, indem sie sich an konstruktiven Fragen orientiert, historisch-genetisch vorgeht und sich eher auf den frühen Torrance konzentriert. So sollen Denkmuster offengelegt werden, ohne Torrance auf eine Formel zu bringen. Das konstruktive Interesse an einem besseren Verständnis der neuen Schöpfung und des erhöhten Christus kann dazu anregen, gegenläufige Tendenzen und unterschiedliche Optionen in seiner Theologie zu erkunden. Gerade in der ökumenischen Werkphase zeigen sich Alternativen zu dem existentialistischen Individualismus der Auburn-Christologie und seiner Neigung, den Problemen mit schematischen Theologumena auszuweichen – insbesondere in seiner Abendmahlstheologie, in der Torrance die neue Schöpfung im Hinblick auf die Gegenwart des auferstandenen Christus in seiner Kirche bestimmt, die auf nachvollziehbare Weise mit unserer Wirklichkeit vermittelt werden kann.

TEIL I

Eschatologie im Kontext der frühen Christologie

Im Alter von 25 Jahren wurde Thomas F. Torrance (1913−2007), noch ohne Doktortitel, an das Auburn Theological Seminary nach Upstate New York berufen, um dort im akademischen Jahr 1938/1939 die Systematische Theologie zu vertreten. In Auburn stürzte sich Torrance in die Arbeit und produzierte eine beeindruckende Zahl von Vorlesungen, die bis heute erhalten sind. Torrance las über alle Gebiete der Dogmatik. Die längste und wichtigste Vorlesung zur Christologie wurde 2002 veröffentlicht.1 In gewisser Weise handelt es sich dabei um eklektisches Material. Der junge Torrance schrieb die Vorlesungen von Woche zu Woche, weshalb sie von seinen jeweiligen Lektüren stark geprägt sind. Ihren inneren Zusammenhang gewinnen sie durch die ihnen zugrunde liegende Frage nach dem Verhältnis der Gottheit und Menschheit Jesu Christi. In der ersten Vorlesung stellt Torrance seine christologischen Gütekriterien vor. Er beginnt mit einem Plädoyer für eine christozentrische Offenbarungstheologie, nach der man über Gott nur auf Grundlage des historischen und partikularen Christusereignisses sprechen könne. Er setzt voraus, dass Gott sich den Menschen nur offenbaren kann, wenn er sich ihnen innerhalb der historischen und kontingenten Bedingungen, die ihre Existenz ausmachen, erschließt.2 Gottes Offenbarung ist für Torrance deshalb ohne das historische Leben Jesu nicht denkbar. Zugleich legt sich Torrance auf die Aussage fest, dass der Mensch Jesus „als solcher“, d.h. im Hinblick auf seine „Menschheit“ („manhood“), nicht der Ort der Offenbarung Gottes sein könne. Er folgt hier dem anglikanischen Theologen F. W. Camfield, der eine Offenbarungstheologie im Anschluss an Karl Barth zu vertreten beanspruchte.3 Dass sich Gott in Jesus offenbart, sei nicht 1

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Vgl. Torrance: Jesus Christ [im Folgenden: JC]. Die Christologie-Vorlesung war Teil einer semesterübergreifenden Vorlesung zur Dogmatik, die mit der Offenbarungs- und Gotteslehre einsetzte (vgl. Torrance’ Brief vom 5. Januar 1939 an Annie Elizabeth Torrance, in: MC 11). Vgl. Torrance: JC, 2. „The Manhood of Jesus as such is not divine, nor the revelation of God. The human Jesus is never as such the ‚locale‘ of revelation in the New Testament“ (Torrance: JC, 10). Der Begriff „locale“ und die inhaltliche Aussage stammen von Camfield (vgl. F. W. Camfield: Revelation and the Holy Spirit. An Essay in Barthian Theology, London 1933, 61).

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Teil I

einfach an dessen besonderem Leben oder seinen herausgehobenen Eigenschaften abzulesen und kein Ergebnis geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen oder menschlicher Werturteile.4 Torrance möchte den Blick auf das Handeln Gottes richten, das den Glauben des Menschen hervorbringt – und nicht auf ein menschliches Phänomen, das hin zu Gott führt. Indem er der pointierten Aussage Camfields folgt, steht Torrance nun allerdings vor einem Problem. Wenn er seinem christozentrischen Anspruch gerecht werden will, muss er zeigen, dass der Mensch Jesus doch in irgendeiner Form konstitutiv für die Offenbarung Gottes ist. Anders formuliert: Wie ist die Selbstoffenbarung Gottes in dem Menschen Jesus mit der strikten Unterscheidung zwischen Gott und Mensch zu vereinbaren? Damit ist das zentrale Problem benannt, das Torrance in seiner frühen Christologie beschäftigt. Torrance folgt der Prämisse seines Lehrers Hugh Ross Mackintosh, nach der sich Person und Werk Jesu gegenseitig auslegen.5 Das Heilswerk Jesu begreift Torrance als Klärung des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen. Diese Klärung vollzieht sich, indem sich die Gottheit und Menschheit Jesu in seiner Person auf eine spezifische Weise zueinander verhalten. In dieser paradigmatischen Verhältnisbestimmung der Gottheit und Menschheit Jesu Christi ist ihre soteriologische bzw. eschatologische Bedeutung für die Menschen bzw. für die Menschheit inbegriffen. Faktisch verschiebt Torrance die Frage nach dem Zusammenhang der Gottheit und Menschheit Jesu in den Bereich seiner Sendung (seines „Werkes“). Dabei denkt er die Aneignung des durch Christi „Werk“ vollbrachten Heils durch die Menschen gleich mit. Er argumentiert folgendermaßen: Indem Jesus Christus sein menschliches Leben im vollkommenen Gehorsam gegenüber Gott lebt, realisiert er eine menschliche Existenzform, die nicht im Widerspruch zu Gott steht. Ein solches Leben ist nur Gott möglich. Jesus Christus ist wahrer Mensch und wahrer Gott, weil er eine menschliche Existenz realisiert, die nicht im Widerspruch zu Gott steht. Torrance spricht von der neuen Menschheit Jesu Christi.6 Mit ihr ist auch die Verbindung zu allen anderen Menschen angedeutet, für die die in Christus realisierte menschliche Existenz der Weg ist, um in ein neues Verhältnis zu Gott kommen und den Widerspruch, der zwischen Gott und Mensch besteht, zu überschreiten. Im ersten Kapitel soll nun der Versuch unternommen werden, die Auburn-Christologie mit Hilfe dieses Grundgedankens der neuen Menschheit Jesu Christi zu erschließen (1.1). Diese neue Menschheit Jesu Christi hat eine dezidiert eschatologische Kehrseite. In ihr wird das Verhältnis zwischen Gott 4 5 6

Den Begriff des Werturteils verbindet Torrance mit Albrecht Ritschl, von dem er sich abgrenzen möchte (vgl. Torrance: JC, 16). Vgl. Torrance: JC, 1. Vgl. Torrance: JC, 59.

Eschatologie im Kontext der frühen Christologie

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und Mensch auf endgültige Weise vermittelt. Die menschliche Existenz – Torrance kann auch von der „menschlichen Natur“7 sprechen – erhält in diesem Verhältnis eine neue Qualität. Torrance thematisiert die Neuschöpfung des Menschen deshalb im Rahmen seiner Verhältnisbestimmung der Gottheit und Menschheit Jesu Christi (1.2). Letztere ist eng mit Entscheidungen in der Gotteslehre (1.3) und Soteriologie (1.4) verbunden. Auch diese Loci sind in dem Motiv der neuen Menschheit Jesu Christi begründet und legen es in verschiedene Richtungen hin aus. Im zweiten Kapitel wird Torrance’ Motiv der neuen Menschheit Jesu Christi und die zugrundeliegende christologische Problemkonstellation in einen theologischen Diskurs eingeordnet, der weit hinein in das 19. Jahrhundert reicht. Er findet seinen Ausdruck in den soteriologischen und christologischen Entwürfen der Schotten Edward Irving (2.1), John McLeod Campbell (2.2), Peter Taylor Forsyth (2.3) und Hugh Ross Mackintosh (2.4), aus deren Werken Torrance ausführlich zitiert. Dazu kommt der Einfluss der Christologien Emil Brunners und F. W. Camfields (2.5), die dafür verantwortlich sind, dass Torrance seine schottische Tradition im Licht programmatischer Forderungen der dialektischen Theologie liest (etwa der strikten Unterscheidung zwischen Gott und Mensch). Nur vor diesem – im Hinblick auf Torrance wenig erforschten – Hintergrund kann seine Auburn-Christologie adäquat verstanden werden, wie im Schlussteil des zweiten Kapitels dargelegt wird (2.6). In seiner frühen Christologie trifft Torrance wegweisende Entscheidungen in der Gotteslehre, der Anthropologie und Eschatologie. In der Grundfrage nach dem Verhältnis von Gott und Mensch lassen sie ihn eine andere Richtung als Karl Barth einschlagen, auch wenn dieser zeitlebens einen positiven Bezugspunkt für Torrance bildete. Das soll im dritten Kapitel anhand der Auburn-Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre, die der Christologie vorausgingen, sowie Torrance’ erster akademischer Veröffentlichung, einer Studie zur Erwählungslehre, gezeigt werden.8 In seiner reifen Erwählungslehre gelingt es Barth, die Dichotomie von „Gott“ und „Mensch“ als „fixierte Gegenüber“9 und die mit ihr verbundenen Festlegungen und Aporien in der Gotteslehre und Anthropologie in Frage zu stellen, ohne die gebotene Unterscheidung zwischen Gott und Mensch zu relativieren. Damit werden Alternativen auch in der Eschatologie möglich, die Torrance im Rahmen seiner frühen Christologie nicht zur Verfügung stehen.

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Vgl. Torrance: JC, 122. Vgl. Thomas F. Torrance: „The Christian Doctrine of Revelation“; „The Christian Doctrine of God. Constructive Account“, in: MC 23; ders.: „Predestination in Christ“, in: EvQ 13 (1941), 108−141. Barth: KD II/2, 45.

KAPITEL 1

Die Auburn-Christologie (1938/39)

1.1 Die neue Menschheit Jesu Christi als christologisches Leitmotiv Der Aufbau der Auburn-Christologie weist zahlreiche Parallelen zu einem zeitgenössischen Standardwerk der schottischen Theologieausbildung auf, das aus der Feder von Torrance’ Lehrer am New College in Edinburgh, Hugh Ross Mackintosh, stammt. In The Doctrine of the Person of Jesus Christ behandelt Mackintosh zuerst einleitende Fragen nach dem inneren Zusammenhang des neutestamentlichen Zeugnisses und dem Verhältnis von Person und Werk Christi. In einem zweiten Schritt widmet er sich „unmittelbaren Glaubensaussagen“ wie der Menschheit und Gottheit Christi, um schließlich deren „transzendente Implikationen“ (Inkarnation, Präexistenz, Kenosis, Erhöhung) zu entfalten. Diesen programmatischen Dreischritt übernimmt Torrance nicht. Er orientiert sich aber an den inhaltlichen Themen, die er in zwei Schritten behandelt. Nach einleitenden Fragen, die das neutestamentliche Zeugnis und die Gottheit und Menschheit Christi betreffen (Kap. 1−5), widmet er sich einzelnen christologischen Topoi (Kap. 6−16). Im Unterschied zu Mackintosh beschäftigt sich Torrance in mehreren Kapiteln mit dem Kreuzesgeschehen (Kap. 12−14). In dieser Hinsicht orientiert er sich stärker an P. T. Forsyth, einem weiteren schottischen Theologen, dessen Christologie eine markante soteriologische Theorie zugrunde liegt.1 Da Torrance seine Vorlesungen Woche für Woche schrieb, diente ihm dieser Aufbau nur als Orientierungshilfe. Entscheidender ist seine systematische Leitfrage nach dem Verhältnis der Gottheit und Menschheit Jesu Christi, die er im Laufe der Vorlesung von unterschiedlichen Seiten aus angeht. Nachdem Torrance seine christologischen Gütekriterien geklärt hat, unternimmt er im dritten Kapitel The Gospel Testimony to Christ erste und für ihn wegweisende Versuche, das Verhältnis der Gottheit und Menschheit Jesu Christi zu artikulieren. Ausgangspunkt ist der exegetische Befund, nach dem Jesus nicht direkt auf seine Gottessohnschaft hinweist. Das entspricht Tor1

Vgl. Hugh Ross Mackintosh: The Doctrine of the Person of Jesus Christ, New York 1912; P. T. Forsyth: The Person and Place of Jesus Christ. Congregational Union Lecture For 1909, Boston/Chicago 1909. Die Ähnlichkeiten im Aufbau zwischen Mackintosh, Forsyth und Torrance hat schon McGrath beobachtet (vgl. McGrath: Torrance, 51f).

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Kapitel 1

rance’ These, nach der Jesu Menschheit selbst nicht göttlich sei und durch eine direkte Selbstoffenbarung in ihrer Integrität verletzt werde. Torrance greift auf die von Karl Barth geprägten Begriffspaare der Offenbarung und Verborgenheit Gottes bzw. seiner Enthüllung und Verhüllung zurück, die nach Barth dialektisch miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen.2 Torrance ist aber weniger von Barth als von dessen Interpreten Camfield abhängig. Mit Camfield entschlüsselt Torrrance den Zusammenhang zwischen der Verhüllung und Enthüllung der Gottheit Jesu Christi auf folgende Weise: Die Verhüllung bestehe in Jesu Verzicht, seine Menschheit auf eine herausgehobene Weise zum Ausdruck zu bringen. Anders als alle anderen Menschen lebe Jesus ein Leben der gehorsamen Hingabe vor Gott. Er verneine die sündige menschliche Existenz in ihrer Auflehnung gegen Gott und realisiere die „wahre Menschheit“3, deren Bestimmung sich im Gehorsam gegenüber Gott erfülle. Das kann Jesus nur tun, weil er aufgrund seiner göttlichen Identität nicht im sündigen Widerspruch gegen Gott steht. Weil er Gott ist, kann er der wahre Mensch sein. Auf diese Weise kann Torrance die Menschheit und Gottheit Jesu Christi als zwei unterschiedene, aber ineinandergreifende Bewegungen denken. Damit will er die Integrität der Person Jesu wahren. Zudem führt er das für ihn zentrale christologische Motiv der in Jesus Christus realisierten neuen Menschheit ein. Das Werk Jesu besteht für ihn darin, eine neue menschliche Existenz zu offenbaren und zu realisieren. Er spricht hier noch nicht explizit von der „neuen Menschheit“ Jesu Christi, der Sache nach verbirgt sie sich aber hinter Camfields Begriff der „wahren Menschheit“.4 Barth versteht Gottes Verborgenheit und seine Offenbarung als dialektisch miteinander verschränkt. Davon unterscheidet sich Torrance’ Konzeption in entscheidender Hinsicht. Die Dialektik, die den Menschen Jesus kennzeichnet, ist eine Dialektik der Verhüllung Gottes und der Enthüllung des wahren Menschen. Der erniedrigte Jesus offenbart in seiner sündhaften menschlichen Gestalt nicht Gott, sondern die wahre menschliche Existenz vor Gott. Zwar wird in diesem Geschehen auch Gottes Gottheit enthüllt – als Macht, das menschliche Wesen nach dem Willen Gottes neu zu schaffen.5 Diese 2 3 4 5

Vgl. Torrance: JC, 33f. Er bezieht sich wohl auf § 8 der Prolegomena, in dem der zugespitzte Satz fällt: „Gerade der Deus revelatus ist der Deus absconditus (…)“ (Barth: KD I/1, § 8, 338). Vgl. Torrance: JC, 34. Er zitiert hier aus Camfield: Revelation, 271. Von der „new humanity“, die Christus realisiere, spricht Torrance zum erste Mal auf S. 59. Vgl. das Camfield-Zitat: „[Christ was] wholly divine because in him occurred a deed of God in which the human nature which the divinity had assumed was wholly turned round, negated in its empiric actuality and restored to its divine definition“ (Torrance: JC, 35; Camfield: Revelation, 271f).

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Macht bleibt dem eigentlichen soteriologischen Geschehen jedoch äußerlich. Gott ermöglicht das Neuwerden des Menschen, er vollbringt es nicht selbst. Nach Torrance offenbart sich Gott in seiner göttlichen Herrlichkeit erst, nachdem dieses Werk vollbracht ist – am Ostermorgen: Is it too much to say that Jesus as such, as bearing our guilt, as the One, in St Paul’s words, ‚made sin for us‘, could not give us a revelation of himself, at least no more than an indication until he had ascended to the Father on the Resurrection Morning? (…) As the vicarious sin-burdened humanity of Christ is surrendered, and surrendered by a divine act in Christ, there comes in the full revelation, fulfilment, or plerosis of his divinity. (…) his Divine glory concealed in his Person and kept concealed until the bearing of the world’s sin was accomplished, only now breaks out to view in its fullness and power.6

Wenn sich Gott erst im auferstandenen Christus enthüllt, stellt sich die Frage, ob die historische Existenz Jesu wirklich so konstitutiv für die Offenbarung Gottes ist, wie Torrance es – seinem christozentrischen Programm nach – behauptet. Im vierten Kapitel zeigt sich diese Problematik erneut. Torrance setzt sich nun mit der hohen Christologie der apostolischen Zeugnisse auseinander, die aus seiner Sicht die Gottheit Jesu in den Mittelpunkt stellen. Er versucht, den Zusammenhang zwischen diesen an der Gottheit Jesu orientierten Zeugnissen und seinem menschlichen Leben zu klären, um die Einheit seiner Gottheit und Menschheit nachzuvollziehen. Die hohe Christologie der apostolischen Zeugnisse führt er auf auf die Geistausgießung sowie die Auferstehung Jesu zurück, konzentriert sich aber auf letztere. Erst der auferstandene und erhöhte Christus werde als Gott erkannt.7 Diese Aussage mag nicht falsch sein, wird aber mit einer problematischen Entgegensetzung der niedrigen und der herrlichen Gestalt Jesu Christi begründet. Torrance entwickelt diese in seiner Auslegung von Phil 2,5−11. Jesus sei aufgrund seiner Niedrigkeit und Demütigung nicht als Gott erkannt worden. Erst als Auferstandener erscheine er in der ihm eigenen göttlichen Herrlichkeit („in his own Glory“), indem er die Begrenztheit seiner niedrigen Gestalt („the limitations of his self-assumed humiliation“) überwinde und nicht mehr als Sklave, sondern als Herr erscheine.8 Der „historische Christus“ werde dadurch nicht herabgesetzt.9 Das würde Torrance’ Intention auch widersprechen, will er doch die Einheit des Menschen Jesus und des Auferstandenen bekräftigen. Nach seiner Konzeption 6 7 8 9

Torrance: JC, 35. Vgl. Torrance: JC, 54 (zur Geistausgießung vgl. S. 49). Torrance: JC, 54. Vgl. Torrance: JC, 56.

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wird die Gottheit Jesu jedoch erst in der Auferstehung offenbar – anders als seine wahre Menschheit, die zur Hingabe gegenüber Gott bestimmt ist, und im irdischen Leben Jesu Gestalt gewinnt. Torrance setzt den „historischen Christus“ also in der Tat nicht herab. Hier vollzieht sich das Heilswerk Gottes, das die Voraussetzung für die Neuschöpfung der Menschen ist. Er trennt es aber von Gott. Das Heilswerk Jesu vollzieht sich im Bereich der menschlichen Hingabe gegenüber Gott. Dabei will Torrance eigentlich keine Abstriche an die Gottheit Jesu machen. Kenotische Theorien stellen für ihn keine Lösung dar, weil sie voraussetzen, dass sich Gott im Akt der Menschwerdung in irgendeiner Form gewandelt habe.10 Die Unterscheidung der zwei Gestaltformen Christi unterstreicht aus seiner Sicht gerade die genuine Menschwerdung Gottes: Thus it was a true real humanity which Christ assumed concealing his dignity and divinity under the flesh; for he was made in the concrete likeness of sinful flesh, though without sin, in order that he might thereby identify himself with the sin and servitude of the world, bearing it and bearing it away in his death and crucifixion; (…) Hence the Humanity of Christ is to be thought of as a definite assumption by God; the Incarnation is a movement of Eternity into time, and as such is real and historical.11

Hier zeigt sich, dass Torrance das Problem der Christologie – das Verhältnis der Gottheit und Menschheit Jesu Christi – neu konfiguriert. Er hält es nicht für problematisch, dass Gott Mensch wird. Er hält es für problematisch, dass Gott ein sündiger Mensch wird. Christus hat zwar eine echte menschliche Gestalt angenommen hat. Es handelt sich jedoch um die Gestalt des sündigen Menschen („the concrete likeness of sinful flesh“12). Deshalb kann sich Gott nicht direkt in dem Menschen Jesus offenbaren. Torrance markiert die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch also hamartiologisch. Jesus Christus nimmt keine neutrale Menschheit, sondern die von Schuld und Sünde beladene Menschheit an. Deshalb stehen seine Gottheit und Menschheit in einem Widerspruch, so dass sich Gott nicht direkt in dem Menschen Jesus offenbaren kann. Diese Neuformulierung des christologischen Problems funktioniert nur im Rahmen einer moralisch und personalistisch fundierten Ontologie, nach der sich Gott und Mensch zueinander auf personale Weise verhalten. Das bedeutet, dass ihr Verhältnis durch ihren Willen gegenüber dem anderen bestimmt wird. Dieses Verhältnis ist ein problematisches, weil der Mensch sich 10 Das klingt schon im vierten Kapitel an (vgl. Torrance: JC, 56f). Explizit kritisiert Torrance die Kenosistheorien erst in einer späteren Vorlesung (vgl. ders.: JC, 109f). 11 Torrance: JC, 57. 12 Torrance: JC, 57.

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willentlich von Gott abgewandt hat. Es kann zurecht gebracht werden, wenn die beteiligten „Personen“ Gott und Mensch willentlich aufeinander zugehen. Das Problem besteht also nicht darin, dass Gott Mensch wird. Dazu sind sich Gott und Mensch in dieser ontologischen Perspektive zu ähnlich. Es besteht darin, dass Gott die Perspektive des Sünders einnehmen muss, obwohl er als Gott nicht durch den widergöttlichen Willen bestimmt ist, sondern durch den göttlichen Willen wider die menschliche Sünde. Diesen Antagonismus versucht Torrance in seiner Auburn-Christologie aufzubrechen, indem er zwischen der göttlichen Person Jesu Christi und der von ihr angenommenen Menschheit unterscheidet. Er orientiert sich an Emil Brunners Begriff des „Persongeheimnisses“, das er dessen christologischer Studie Der Mittler entnimmt – dem Werk, das er in seinen frühen Christologie mit Abstand am öftesten zitiert.13 Das „Persongeheimnis“ eines Menschen steht nach Brunner für einen Akt der fundamentalen Selbstbestimmung, die dem empirischen Leben eines Menschen in gewisser Weise vorausgeht.14 Das Persongeheimnis Jesu liegt nach Brunner in seiner Einheit mit Gott begründet. Es entspricht seiner fundamentalen Entscheidung, mit Gottes Willen übereinzustimmen. Aus dieser anthropologischen Unterscheidung folgert Torrance: „Christ has indeed assumed human nature, but not a human person“.15 Die „Menschheit“ Jesu Christi muss er im Grunde als gegenständliche Größe behandeln, um sie seiner göttlichen Person gegenüberstellen zu können.16 So will Torrance erklären, wie Jesus Christus ein echter Mensch werden und in die widergöttliche Wirklichkeit eingehen konnte, ohne selbst von einem widergöttlichen Willen bestimmt zu werden. Das Heilswerk Christi besteht nun nach Torrance darin, die „menschliche Natur“ von dem widergöttlichen Willen zu lösen. Das vollziehe sich in seiner Annahme der sündigen Natur. Nicht nur Jesu Persongeheimnis, auch seine menschliche Natur sei deshalb als sündlos zu begreifen. Torrance spricht von 13 Vgl. Torrance: JC, 9, 14, 32f, 37f, 67f, 70ff, 77, 80ff, 88, 93, 124, 151f, 155, 162, 177, 183. 14 Vgl. Emil Brunner: Der Mittler. Zur Besinnung über den Christusglauben, Tübingen 1927, 283ff (ders.: Mediator. A Study of the Central Doctrine of the Christian Faith, übers. v. Olive Wyon, London 1934). Zu Brunner s.u. Kap. 2.5.1. 15 Torrance: JC, 124. Er zitiert aus Brunner: Mediator, 317f (Mittler, 283f). 16 Rankin spricht von Torrance’ „appolinarischen Eierschalen“ (vgl. Rankin: Carnal Union, 109). In der Tat stellte Torrance später die göttliche Person und die menschliche Natur einander nicht mehr so schematisch gegenüber, ohne die Problematik seiner Konzeption wirklich zu überwinden. Nach van Kuiken verschob Torrance die Erbsünde in seinem späteren Werk von der Person zur Natur, um die Annahme der menschlichen Natur in ihrer Sündhaftigkeit durch den Logos lehren zu können, welche dieser aber im Moment der Annahme heilige (vgl. E. Jerome Van Kuiken: Christ’s Humanity in Current and Ancient Controversy: Fallen or Not?, London/Oxford/New York 2017, 38).

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der Heiligung der menschlichen Natur im Akt ihrer Annahme durch Christus.17 Auf diese Weise realisiere Jesus Christus die neue Menschheit.

1.2 Die neue Menschheit Jesu Christi als eschatologische Größe 1.2.1 Die Neubestimmung der menschlichen Natur Die „neue Menschheit“ Jesu Christi ist dadurch gekennzeichnet, dass sie in einer neuen Verbindung zu Gott steht. Durch diese Verbindung wird sie als menschliche Natur neu bestimmt. Sie erhält eine neue Qualität. Diese neue Qualität ergibt sich aus Torrance’ Neukonfiguration der christologischen Problemlage. Torrance will sagen, dass Jesus Christus ganz in die durch Sünde qualifizierte menschliche Wirklichkeit einging. Um die notwendige Distanz zwischen Jesus und der als sündig definierten „alten“ menschlichen Natur herzustellen, rekurriert er auf Brunners Begriff des Persongeheimnisses Jesu als fundamentaler Selbstbestimmung, die seinem empirischen Leben vorausgeht. Anstatt von dieser eingenommen zu werden, kann sich Jesus deshalb anders zu seiner menschlichen Natur verhalten und sie in diesem Akt neu qualifizieren. Im Hinblick auf die Sündenproblematik bedeutet das für Torrance, dass Jesus echten Versuchungen ausgesetzt gewesen sei, aufgrund seines göttlichen Persongeheimnisses aber nicht habe sündigen können. Im Sinne der augustinischen Typologie gelte für ihn das non posse peccare. Seine Güte sei nicht das Resultat einer moralischen Auseinandersetzung, weil er nicht in einem relativen Verhältnis zum Guten stehe.18 Dass Jesus nicht frei war, zu sündigen, ist durchaus mit einem positiven Freiheitsbegriff zu vereinbaren, der keine neutrale Willkür meinen muss. Doch Torrance begründet die Freiheit Jesu anders. Er versteht die Identität Jesu Christi als absolute Größe, die über seiner menschlichen Geschichte steht und deshalb nicht deren Bedingungen unterworfen ist. Nur unter dieser Bedingung scheint er die notwendige Distanz zur menschlichen Natur zu haben, um diese in ein neues Verhältnis zu Gott zu bringen. Und um diese Neuqualifizierung und Neuschöpfung der menschlichen Natur durch die Person Jesu und sein Werk geht es Torrance. Er artikuliert sie mit Hilfe einer spezifischen Verhältnisbestimmung der Größen „Zeit“ und „Ewigkeit“. 17 „In this Union the flesh of Christ becomes Holy though it is a member of humanity under the curse of the law, under the ban of God’s wrath. Thus we are to think of Christ’s flesh as perfectly and completely sinless in his own nature, and not simply in virtue of the Spirit as Irving puts it“ (Torrance: JC, 122). Hervorh. PJG. 18 Vgl. Torrance: JC, 129.

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Die Inkarnation bezeichnet Torrance als Bewegung der Ewigkeit in die Zeit.19 Er verwendet das Begriffspaar, um die Realität der geschöpflichen Wirklichkeit für Gott darzulegen. Er will sich auf diese Weise von einem metaphysischen Verständnis von Zeit und Ewigkeit abgrenzen, das die Wirklichkeit der kontingenten Zeit nicht erfassen könne, welche in ihrem Gegensatz zur absoluten Ewigkeit letztlich negiert werde. In der Inkarnation werde eine echte Beziehung zwischen Zeit und Ewigkeit geschaffen.20 Sie beinhalte, dass Zeit und Ewigkeit nicht automatisch aufeinander bezogen seien, sondern in einem Widerspruch stehen, den Gott in freier Gnade überwinde. Torrance spricht von dem Gericht Gottes über die Zeit sowie von der Schöpfung einer „neuen Zeit“21. Die neue Zeit kennzeichne die neue Schöpfung, die mit der Auferstehung Jesu realisiert werde. Sie bedeute die vollständige Verwandlung unserer Zeit und die Inauguration einer neuen Schöpfung in neuer Zeitlichkeit. Den Begriff der neuen Zeit hat Torrance von Karl Barth übernommen, der ihn in den christologischen Paragraphen 13−15 der Kirchlichen Dogmatik I/2 einführt und darauf hinweist, dass Gott in Christus eine zeitliche Existenzform annehme.22 Dadurch werde die menschliche Zeit, „indem sie die Zeit Jesu Christi wurde, obwohl und indem sie zu unserer, zu jener verlorenen Zeit gehörte, eine andere, eine neue Zeit“.23 Barth will die alte und neue Zeit nicht als abstrakte Größen zu verstehen, sondern als Qualifizierung der menschlichen Wirklichkeit, in der die neue die alte Zeit überwindet, weil Christus in sie eingeht und sich in ihm der Übergang vom alten zum neuen Äon abspielt. Barths Rede von der neuen Zeit ist etwas missverständlich, denn es geht aus ihr nicht hervor, dass sie streng christologisch gemeint ist. Allein in Jesus Christus vollzieht sich bei Barth die Offenbarung Gottes und damit eine neue Qualifizierung der menschlichen Wirklichkeit bzw. „Zeit“. Barth will nicht sagen, dass sich die zeitliche Existenzform des Menschen verändert, sondern dass sie in Christus zum Ort und Gegenstand der Offenbarung Gottes wird. Man kann hier durchaus fragen, ob das der wirklichkeitsverändernden Kraft der Auferstehung und der Neuschöpfung des Menschen in seiner Zeitlich-

19 Vgl. Torrance: JC, 74 (u. 57f). Auch hier zeigt sich die Prägung durch Brunner und Camfield (vgl. „Appendix I: Time and Eternity“, in: Camfield: Revelation, 252ff, u. „Der ewige Grund und das zeitliche Geschehnis der Menschwerdung“, in: Brunner: Mittler, 269−281). 20 „This means further that time must be real for Eternity, that time relations are posited as real events for Eternity, and it is here, at least, that time has its justification as something real – that is, in the Incarnation“ (Torrance: JC, 75). 21 Vgl. Torrance: JC, 78. 22 Vgl. Barth: KD I/2, § 14, 55. 23 Barth: KD I/2, § 14, 57.

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keit auch tatsächlich gerecht wird.24 An Torrance muss man diese Anfrage nicht richten. Die neue Zeit signalisiert für ihn eine realistisch verstandene neue Schöpfung in neuer Zeitlichkeit. Er sieht sie paradigmatisch in Christus verwirklicht. Die neue Schöpfung bzw. neue Zeit versteht Torrance in ewigkeitseschatologischen Kategorien. Sie vollziehe sich mit der Wiederkunft („return“) Jesu Christi, in der die uns bekannte Zeit endgültig verwandelt werde.25 Torrance hebt hier die starke Diskontinuität zwischen der neuen Zeit und der Weltgeschichte hervor.26 Zugleich bezieht er die ewigkeitseschatologischen Kategorien auf die Gegenwart. In der Inkarnation werde die Zeit real für Gott. Deshalb werde es möglich, in der Zeit eine Entscheidung von fundamentaler Tragweite, d.h. von ewiger Bedeutung, zu treffen.27 Die Inkarnation stabilisiert also das Verhältnis zwischen menschlicher Zeit und Gottes Ewigkeit. Diesen Gedanken übernimmt Torrance von Emil Brunner. Nach Brunner überführt die Inkarnation die menschliche Wirklichkeit in einen neuen ontologischen Status, den er „Einmaligkeit“ nennt.28 Eigentlich sei die menschliche Wirklichkeit durch partikulare Ereignisse gekennzeichnet, die sich in der Zeit vollziehen und deshalb relativ und vorläufig bleiben müssen. Doch indem sich die Inkarnation als zeitliches Ereignis von letzter Gültigkeit in der Zeit vollziehe, werde die zeitliche Situation als einmalig und von absoluter Bedeutung qualifiziert. Die Kategorie der Einmaligkeit ist bei Brunner mit seiner Unterscheidung zwischen dem Persongeheimnis Jesu und seinem empirischen Leben verbunden. Weil das Persongeheimnis Jesu ewigen Ursprungs sei, gehe es seinem Leben voraus und könne dieses zugleich neu qualifizieren und in den Status der Einmaligkeit überführen.29 Diesen Gedanken der Neuqualifizierung der menschlichen Wirklichkeit übernimmt Torrance mitsamt ihrer christologischen Begründung. Wenn Torrance von der neuen Zeit spricht, meint er also die Neuschöpfung des Menschen. Sie vollzieht sich, wenn sich der Mensch auf neue Weise 24 Vgl. Günter Thomas: Neue Schöpfung. Systematisch-theologische Untersuchungen zur Hoffnung auf das ‚Leben in der zukünftigen Welt‘, Neukirchen-Vluyn 2009, 192ff. 25 Torrance: JC, 79. 26 „But just because this new order is really new, a wholly other, it does not mean, and cannot mean, an historical extension in the time of our world, but rather its final and complete transformation, when the time of our world will reach its end and a new time will arrive“ (Torrance: JC, 78). 27 „Coming from Eternity it is the one event which is of all-decisive importance; Eternity comes to time and time is called to decision“ (Torrance: JC, 90). Torrance spricht von den neuen kontinentalen Theologen, welche die „Einmaligkeit“ der Offenbarung betonen. Seine Abhängigkeit von Brunner ist offensichtlich (vgl. Brunner: Mittler, 271f). 28 Vgl. Brunner: Mittler, 7. 29 Vgl. Brunner: Mittler, 272.

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zu Gott verhält. Diese Perspektive zeigt sich auch in einem zweiten Motiv, mit dem Torrance die Realisierung des neuen Menschen in Christus entfaltet: der Imago Dei. Sie bestehe in der Übereinstimmung mit Gottes liebender Zuwendung zum Menschen. Durch die Sünde des Menschen stehen Gott und Mensch jedoch im Widerspruch. Um die Feinschaft, die von beiden Seiten aus besteht, zu überwinden, müssen die einzelnen Menschen mit Jesus Christus das Urteil Gottes über ihre Sünde bejahen. So realisieren sie ihre Gottesebenbildlichkeit.30 Die Motive der neuen Zeit und der Imago Dei stellen für Torrance geschöpfliche Gestaltformen dar, die durch den Eingang Gottes in die geschöpfliche Existenz geschaffen werden. Während die neue Zeit als äußere Gestaltform fungiert, d.h. als notwendige Bedingung für eine menschliche Entscheidung von ewiger Bedeutung, ist die Imago Dei als deren innerer Kern zu verstehen, als Nachvollzug der Existenz Christi, in der die Neuschöpfung des Menschen und sein neues Gottesverhältnis zu ihrem Ziel kommen. Torrance’ Christologie und sein Verständnis der Neuschöpfung der menschlichen Wirklichkeit bedingen einander. Sie sind deshalb auch von der gleichen systematischen Problematik geprägt. Torrance behandelt die Identität Jesu Christi – sein „Persongeheimnis“ – als absolute Größe, die jeder Relativität enthoben ist. Er definiert sie in Abgrenzung von der uns bekannten Zeitlichkeit und konstruiert damit unvereinbare Gegensätze. Jesus Christus stellt nun die Verbindung seiner zeitlosen göttlichen Person und seiner zeitlichen menschlichen Geschichte dar. Diese Verbindung muss aber widersprüchlich bleiben, weil die Geschichtlichkeit des Menschen durch seine zeitlose göttliche Person negiert wird. Torrance versucht, diesen Widerspruch zu überwinden, indem er eine dritte Größe einführt: die neue Menschheit und die ihr entsprechende neue Existenzform der neuen Zeit. Das Heilswerk Jesu Christi besteht darin, diesen neuen Modus menschlicher Existenz zu ermöglichen, der sich über seine zeitliche Relativität erhebt, indem er sich in seiner zeitlichen Existenz auf eine bestimmte Weise zu Gott verhält. Gegenüber der eigenen menschlichen Situation kann dieses Verhalten nur ein negatives sein. Folgerichtig besteht die Realisierung der neuen Menschheit Jesu Christi darin, seine angenommene „alte“ Menschheit zu verneinen. Damit wird die Dichotomie zwischen der Person Jesu Christi als absoluter Größe und der zeitlichen, relativen Situation der Menschen aber nicht überwunden. Die „neue Zeit“ kann Torrance deshalb nicht positiv füllen, weshalb er von einer radikalen Diskontinuität zu der uns bekannten Zeit ausgeht. Sie gewinnt ihr Profil allein durch die ihr zugeschriebene ewige Qualität, d.h. durch ihren Gegensatz zu der uns bekannten vergänglichen Zeit. Bei genau30 Vgl. Torrance: JC, 94.

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erer Betrachtung bleibt sie eine ambivalente Größe. Denn sie bleibt offen für eine Entscheidung für oder gegen Gott. Sie beinhaltet eine Verewigung des zeitlich begrenzten menschlichen Lebens – im Guten und wie im Bösen. Insofern ist der Begriff der neuen Zeit irreführend. In der Form, die Torrance ihr gibt, ist sie nicht wirklich neu. Sie knüpft zwar an die Vorstellung der Neuschöpfung als umfassendem schöpfungstheologischem und soteriologischem Geschehen an, bleibt jedoch weit unter der Wirkmächtigkeit dieser biblischen Vorstellung. Denn sie berührt nicht das innere Wesen Gottes, sondern dient dazu, dem Menschen eine neue Existenzweise vor Gott zu ermöglichen. Auf diese Weise wird kein wechselseitiges Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung konstituiert, das den Namen „neue Schöpfung“ verdiente, sondern den Menschen lediglich eine zweite Möglichkeit geboten, von ihrer Seite aus in ein rechtes Verhältnis zu Gott zu kommen. Gott ist nun gewillt, die menschliche Zeit ernst zu nehmen. Er qualifiziert die menschlichen Vollzüge unter raumzeitlichen Bedingungen als gültig. Das bedeutet die Inkarnation für Gott. Selbst wenn Torrance seinen neuen Zeitbegriff christologisch zu bestimmen meint, unterscheidet er sich nicht von einem allgemeinen monotheistisch gefassten Schöpfungsbegriff, der von dem Heilshandeln Gottes in Christus und seinem Geist absieht. Denn er zielt in erster Linie darauf ab, die Wirklichkeit und den Eigenstand der Schöpfung auszusagen. Man kann bei Torrance ein Schwanken zwischen einer existenzphilosophischen Würdigung des Menschlichen in seiner kontingenten Geschichtlichkeit und einer metaphysischen Würdigung des Göttlichen in seiner unveränderlichen Ewigkeit beobachten. Mit der Existenzphilosophie betont er den Vorrang des Individuellen vor dem Allgemeinen, d.h. die Bedeutung der historischen Person Jesu, die als Mensch die neue Menschheit unter zeitlichen Bedingungen realisiert.31 Doch bezieht Torrance diese Würdigung des Endlichen gerade nicht auf den Gottesbegriff.32 Deshalb tendiert seine Christologie zu einer metaphysischen Grundierung, nach der die wahre Identität Jesu seiner Geschichte vorausgeht. Im Unterschied zu Jesus Christus bewegen sich die Menschen, die in ihm neu werden, diesseits des Eschatons notwendig zwischen Zeit und Ewigkeit. Ihre Einheit mit Gott ist nicht ein für allemal gesichert. Auf dieses eschatologische Ziel streben sie allerdings hin, so dass auch hier eine metaphysische Verheißung ihr endliches Leben überstrahlt. Letzteres ist nur deshalb relevant, weil es den Ort seiner eigenen Verneinung darstellt.

31 Vgl. Klaus-M. Kodalle: Art. Existenzphilosophie, in: RGG 4, Bd. 2, 1814−1816, 1814. 32 Damit bestätigt sich Morrisons Kritik im Hinblick auf die Auburn-Christologie (vgl. Morrison: Knowledge, 360f).

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1.2.2 Die Auferstehung und Endzeitparusie als unmittelbare Gottesoffenbarung Die Auburn-Christologie endet mit zwei Kapiteln zur Auferstehung, Himmelfahrt und Endzeitparusie Christi. Das Kapitel zur Auferstehung ist nicht vollständig erhalten, lässt jedoch Rückschlüsse auf Torrance’ Verständnis des österlichen Christus zu.33 Die Erscheinungen des Auferstandenen unter den Jüngern deutet Torrance als Offenbarung seines göttlichen Persongeheimnisses und als Enthüllung der wahren Identität des Gekreuzigten. Diese Offenbarung sei unmittelbar und unzweifelhaft. Sie blende Leben und Sterben Jesu nicht aus, sondern erschließe deren Bedeutung im Licht seiner Gottheit.34 Diese Einschätzung ist nicht leicht mit den neutestamentlichen Zeugnissen in Einklang zu bringen, in denen sich der auferstandene Jesus Christus in zahlreichen Begegnungen erschließt, die unterschiedlich verlaufen, aber nicht als unmittelbare und unzweifelhafte Offenbarung seiner „Gottheit“ beschrieben werden. Weder die Emmausjünger (Lk 24,16) noch Maria von Magdala (Joh 20,14) erkennen den auferstandenen Christus auf den ersten Blick. Nicht nur der Jünger Thomas zweifelt an der Identität Christi, auch Matthäus berichtet davon, dass Jesus den Missionsbefehl an seine elf Jünger richtet, von denen „einige zweifelten“ (Mt 28,17).35 Der Gott, der sich im Auferstandenen erschließt, kann das zwar wie in den von Lukas geschilderten Christuserscheinungen des Apostels Paulus auf außergewöhnliche Weise tun.36 Doch auch hier offenbart er sich nicht als unmittelbare „Gottheit“, sondern als Jesus, der sich mit seiner verfolgten Gemeinde identifiziert (Apg 9,4; 22,7). Das spektakuläre Damaskuserlebnis setzt einen Prozess in Gang, in dessen Verlauf Paulus mehrere Tage keine Speise zu sich nimmt und im Gebet verharrt. Der christusgläubige Jude Hananias erklärt ihm schließlich, was es mit der Christuserscheinung auf sich hatte und was für Konsequenzen Paulus daraus zu ziehen habe (Apg 9,10−19; 22,12−15). Es sind systematische Vorannahmen, die Torrance zu seiner These von der unmittelbaren Gottesoffenbarung bringen. Seines Erachtens erreicht die Einheit von Person und Werk Christi in der Auferstehung ihre höchste Klarheit.37 Die Person Jesu Christi konstituiert ein neues Verhältnis zwischen Gott und Mensch, das sich in seiner Auferstehung vollendet. Gott und Mensch stehen 33 Der erhaltene Text umfasst drei Druckseiten (vgl. Torrance: JC, 187−189). 34 Vgl. Torrance: JC, 187. 35 Vgl. Michael Welker: Gottes Offenbarung. Christologie, Neukirchen 32016, 118f. Welker schließt daraus, dass es sich bei der Auferstehung um ein komplexes historisches Ereignis handle, das als „neue Wirklichkeit“ zu deuten sei: Der Auferstandene sei nicht der vorösterliche Jesus, er sei auf neue Weise gegenwärtig. 36 Vgl. Torrance: JC, 188. 37 Vgl. Torrance: JC, 187.

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in seiner Person nicht mehr in einem problematischen Verhältnis, weil Jesus als Mensch die widergöttliche menschliche Disposition negiert und in dieser Negation dem Willen Gottes entspricht. Im Kreuzestod Jesu findet diese Negation ihre letzte Konsequenz. Nun hat Jesus die Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch realisiert. Gottheit und Menschheit stehen in seiner Person nicht mehr in einem spannungsvollen Verhältnis, so dass er in der Auferstehung unmittelbar als Gott und wahrer Mensch offenbar werden kann. Torrance unterscheidet hier gar nicht zwischen der Enthüllung der Gottheit Christi und der Enthüllung seiner wahren Menschheit. Denn der auferstandene Christus steht für die neue Verbindung der göttlichen und menschlichen Wirklichkeit. Die unmittelbare Gotteserkenntnis der Jünger, denen der Auferstandene erscheint, spiegelt das neue und unmittelbare Verhältnis zwischen Gott und Mensch wider. Die Person Christi ist nach Torrance’ Maßgabe mit seinem Werk verschränkt – und in letzterem ist dessen Aneignung durch die anderen Menschen mitgedacht. Jesus Christus ermöglicht also auch den anderen Menschen ein neues Gottesverhältnis, das nicht länger im sündigen Widerspruch zu Gott steht. Dieses neue Gottesverhältnis setzt allerdings voraus, dass die Menschen die Bewegung Jesu Christi nachvollziehen, die er in seiner Erniedrigung und Erhöhung durchlaufen hat. Nur wer Christus in dieser doppelten Bewegung erkennt, gewinnt Anteil an seiner Existenz.38 Im Hinblick auf die Jünger, die den österlichen Christus erkennen, setzt Torrance diese Bewegung voraus. Um diese Bewegung auch den anderen Menschen zu ermöglichen, bringt er die Himmelfahrt Jesu zur Geltung. Die Himmelfahrt deutet er zunächst als Verewigung der in Jesus Christus realisierten Vermittlung von Gott und Mensch („the form and reality of Christ as God-Man continues“39). Indem Christus als Mensch auferweckt worden und in den Himmel aufgefahren sei, werde die Schöpfung in ihrer physischen Wirklichkeit bestätigt – in Gestalt der Verheißung einer neuen Schöpfung. Für den Menschen bedeute dies, dass er in Christus auf endgültige Weise mit Gott verbunden sei. Für Gott bedeute dies, dass er sich in Christus auf endgültige Weise offenbart habe und es für den Menschen keinen Gott unabhängig von Christus gebe.40 Darüber hinaus hat die Himmelfahrt eine wichtige heilsgeschichtliche Funktion für Torrance. Christus entziehe sich dem Blick der Menschen und

38 Vgl. Torrance: JC, 196. 39 Torrance: JC, 190. 40 Vgl. Torrance: JC 192f.

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sei nicht mehr unmittelbar offenbar.41 Auf die unmittelbare Offenbarung des auferstandenen Gottmenschen folge eine erneute Verhüllung, durch die die Zeit der Kirche eingeleitet werde. Offensichtlich geht Torrance von einem Vierschritt aus: Auf die Inkarnation Christi als Verhüllung seiner Gottheit folgt seine Auferstehung als Enthüllung seiner Gottheit und wahren Menschheit. Diese Bewegung wiederholt sich in seiner Himmelfahrt als erneuter Verhüllung und seiner endzeitlichen Parusie als endgültiger Enthüllung seiner gottmenschlichen Identität.42 Auf die zweite Verhüllung bzw. zweite „Inkarnation“ Christi folgt die Endzeitparusie, in der der Auferstandene im Wortsinn wiederkommen wird. Denn für Torrance besteht kein Unterschied zwischen dem österlichen Christus und dem endzeitlichen Christus: „(…) it is the very same Jesus Christ who will return, the Christ who is Man, and who is Lord and King“.43 Die erneute Verhüllung Jesu in der Himmelfahrt begreift Torrance als Voraussetzung dafür, dass die Menschen seine Bewegung der Erniedrigung nachvollziehen können. Indem sich der Auferstandene den Blicken der Menschen entziehe, werden diese zurück auf den gekreuzigten Christus gelenkt. Nur indem sie den gekreuzigten Jesus erkennen, könne ihr Erkenntnisweg zu Gott führen. Darüber hinaus gewinnen sie durch die Entzogenheit Christi den nötigen Freiraum, um sich zu ihm verhalten zu können und aus freien Stücken zur Umkehr kommen.44 In seiner Endzeitparusie offenbart sich Jesus Christus – in Entsprechung zu seiner Auferstehung – unmittelbar als Gott. Diese endzeitliche Offenbarung deutet Torrance als Gericht Jesu über die Menschen, das die Neuschöpfung der Menschen oder ihre Verwerfung endgültig besiegelt. In seiner Gottesoffenbarung zeigt sich Christus als der neue Mensch. In diesem Kommunikationsakt eignet er den Gläubigen die in ihm realisierte neue menschliche Natur zu. Sie steht für eine menschliche Existenz, die in einem angemessenen Verhältnis zur göttlichen Heiligkeit steht. Die Gläubigen werden vollkommen geheiligt und von den Konsequenzen ihrer Sünde, die sich in ihrem sterblichen Leib manifestiert hatten, befreit. Torrance verwendet den paulinischen Begriff des „alten Menschen“, der in der Auferstehung und end41 „[The ascension] also means the removal of his ‚visible presence as Man‘ in order that people may know him, really know him as their Saviour and Lord“ (Torrance: JC, 195). 42 Für diese doppelte Inkarnation bzw. Verhüllung spricht auch Torrance’ Terminologie. Er bezeichnet die Kirche als „visible ‚incarnation‘ of his word in lieu of his very Self “ und die Heilige Schrift als „audible ‚incarnation‘ of his word in lieu of his living voice“ (Torrance: JC, 194). 43 Torrance: JC, 197. 44 „(…) Christ has withdrawn himself visibly from men and women just in order that in this time of repentance they might be held by Christ at arm’s length, so to speak, and given space and time to repent and decide for him; and decide for him again and again“ (Torrance: JC, 195f).

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gültigen Umgestaltung („transformation“) aller Gläubigen vollends überwunden werde.45 Für die Menschen, die dem Evangelium nicht geglaubt haben, bedeute die Wiederkunft Christi und seine Selbstbestätigung als Christus („self-assertion“) den Tod.46 Auch wenn Torrance das nicht weiter ausführt, kann man ihre Verwerfung wohl damit erklären, dass sie den Glauben an den gekreuzigten Christus und seine Hingabe gegenüber Gott nicht mitvollzogen haben. Wenn Gott sich nun in seinem Widerstand gegen ihre Sünde unmittelbar offenbart, können sie der Notwendigkeit der Selbstverneinung und Übereinstimmung mit Gottes Willen nicht weiter ausweichen. Sie haben jedoch nicht mehr die Möglichkeit, dies auf heilvolle Weise im Glauben an den Gekreuzigten zu tun, weil die Zeit seiner Verhüllung an ihr Ende gekommen ist und er sich nun auf unmittelbare Weise als Gott offenbart, in dessen Gegenwart allein die neue gewordenen Menschen leben können. Torrance’ Auferstehungsverständnis führt zu schwerwiegenden Problemen. Er zeichnet eine grundlegende Diskontinuität zwischen dem vorösterlichen und dem österlichen Jesus. Jesus Christus, der sich den Jüngern am Ostermorgen als Auferstandener und der ganzen Welt am Ende der Zeit als Richter offenbart, lässt seine Verhüllung bzw. die Niedrigkeit seines irdischen Lebens gänzlich hinter sich. Sie bleibt für ihn eine heilsökonomische Durchgangsstation, deren Dialektik von Verborgenheit und Offenbarung eschatologisch überwunden wird. Dieser starken Diskontinuität entspricht die Kluft, die Torrance in seiner christologischen Konzeption zwischen Gott und der Schöpfung, in die Christus eingeht, voraussetzt. Sie spiegelt sich in seiner Unterscheidung zwischen der Person Jesu Christi als absoluter Größe und seinem Leben in dieser Welt (d.h. seiner „menschlichen Natur“ unter der Macht der Sünde und Vergänglichkeit). Der Gedanke der „neuen Menschheit“ dient Torrance zwar gerade dazu, eine dritte Größe einzuführen, die dem Gegensatz zwischen Gott und seiner der Sünde verfallenen Schöpfung enthoben ist. Sie führt jedoch aus den geschöpflichen Bedingungen hinaus und steht damit ebenfalls in einseitiger Diskontinuität zur Schöpfung. Der Auferstandene offenbart sich auf unmittelbare Weise in seiner Gottheit und neuen Menschheit. Wenn sich diese absolute Größe zu erkennen gibt, sprengt sie die relativen Bedingungen der Schöpfung. Seine Erkenntnis bedarf keiner Vermittlung, sie vollzieht sich in einem radikalen Gegensatz zu diskursiven Erkenntnisprozessen. Um die Integrität der Schöpfung nicht vorzeitig zu gefährden, muss sich der Auferstandene im Ereignis der Himmelfahrt erneut verhüllen.

45 Vgl. Torrance: JC, 198f. 46 Vgl. Torrance: JC, 199.

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Der radikale Gegensatz, den Torrance zwischen Gottes und des Menschen Wirklichkeit bzw. zwischen Neuschöpfung und Schöpfung aufbaut, macht es unmöglich, die Neuschöpfung positiv zu beschreiben. Torrance kann sie lediglich als Verneinung der Schöpfung denken: Sie realisiert sich im menschlichen Glaubensakt der Selbstverneinung, der dem Paradigma des Kreuzestodes Christi folgt, und wird in der Endzeitparusie Jesu Christi vollendet. Diese Vollendung wird als Abbruch der Geschichte beschrieben.

1.3 Die neue Menschheit Jesu Christi und die Gotteslehre Torrance’ christologische Konzeption ist eng mit Entscheidungen in der Gotteslehre verbunden. Dort, wo Torrance in seiner Christologie-Vorlesung auf die Gottes- und Offenbarungslehre zu sprechen kommt, wiederholen sich die Widersprüche, die sein christologisches Programm von Anfang an kennzeichnen. Torrance möchte sowohl eine konsequente christozentrische Offenbarungstheologie treiben als auch die Unterscheidung zwischen dem sich offenbarenden Gott und dem Menschen Jesus wahren. Im Hinblick auf die Gotteslehre kann er deshalb immer wieder Spitzenaussagen zur Inkarnation als Selbstoffenbarung Gottes treffen und im selben Atemzug postulieren, Gott bleibe dem Menschen in seinem inneren Wesen unzugänglich.47 Im achten Kapitel wendet sich Torrance erneut Phil 2,5−11 zu, um aufzuweisen, dass Gott in seiner ganzen Gottheit Mensch geworden sei. Er kritisiert die Kenosistheorien, nach denen der Logos spezifische göttliche Attribute in seiner Menschwerdung abgelegt habe.48 Torrance nennt keine einzelnen Vertreter der Kenosistheorie. Seine Kritik an der These, die Kenosis sei als Konzentration oder Kontraktion seiner göttlichen Eigenschaften zu begreifen, zielt wohl auf Mackintosh und Forsyth, in deren Kenosistheorien diese Begriffe eine wichtige Rolle spielen.49 Torrance hält dem entgegen, dass Gott sich in der Inkarnation nicht gewandelt habe. Er bleibe derselbe Gott auch im Akt der Menschwerdung. „God himself is Subject of an actual human being and existence“.50 Torrance beruft sich an dieser Stelle mehrmals auf die christologische Paragraphen der Kirchlichen Dogmatik I/2. Ohne Zögern beschreibt er die Erniedrigung Gottes als 47 Morrison erkennt diesen Widerspruch auch in Torrance’ späterem Werk (vgl. Morrison: Knowledge, 319 u. 360f). 48 Torrance: JC, 112. 49 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 477; Forsyth: Person, 316; Bruce McCormack: „Kenoticism in Modern Christology“, in: The Oxford Handbook of Christology, hg. v. Francesca Murphy, Oxford 2015, 445−457, 452ff. 50 Torrance: JC, 113.

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Gottes Selbsterniedrigung.51 Das kann er allerdings nur sagen, weil er in seiner Auslegung von Phil 2,5−11 zwischen Gott als personalem Subjekt und seinen zwei Gestaltformen (der göttlichen morphe und der niedrigen Sklavengestalt) unterscheidet und so Distanz zwischen Gott und seine menschliche Gestalt bringt.52 Torrance erklärt nicht, wie Christus zwei unterschiedliche Gestaltformen bzw. deren jeweiliges inneres Wesen in einer Person vereinen kann, ohne dass er mit seiner Person in ein akzidentielles Verhältnis zu den Gestaltformen gerät. Auch wenn er mit seiner Kritik an den Kenosistheorien seinen Lehrer Mackintosh im Blick hat, orientiert er sich wie dieser an dem einen personalen Subjekt Jesus Christus, das sich in göttlicher und menschlicher Gestalt durchhält. Mackintosh hatte dies mit der grundsätzlichen Ähnlichkeit zwischen Gott und Mensch begründet, die er als personale, moralisch handelnde Subjekte versteht.53 Um ein akzidentielles Verhältnis zwischen Christus und seinen Gestaltformen zu vermeiden, beruft sich Torrance hingegen auf die Einsicht Barths, dass Gott seine Gottheit gerade in Jesus Christus zum Ausdruck bringe. Die göttlichen Attribute seien nicht von Gottes Person zu abstrahieren, der sich in seiner Freiheit dem Menschen zuwende. Gottes Gottheit bestehe in seiner Freiheit, er selbst als Mensch zu sein.54 Erneut greift Torrance nun auf Barths Rede von der Verhüllung bzw. Verborgenheit Gottes in der Inkarnation zurück. Nach Torrance musste Gott seine Herrlichkeit und Heiligkeit – und das heißt: seine göttliche Natur – verhüllen, da diese die sündigen Menschen geblendet und keine menschliche Gotteserkenntnis ermöglicht hätte. Torrance zitiert aus Exodus 33,20b: „Kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben“.55 Auf diesen Satz folgen zwei denkwürdige Aussagen: This is partly the reason for asserting that we may never know God as he is in his ultimate Being or Divine Essence. (…) It is an act of sheer mercy that God veils his glory and only allows us to see it as we are pure, for it is only the pure in heart who see God.56

51 „If his Humiliation which is his own Self-Humiliation includes suffering and pain even unto death, then they are his own chosen experiences; he takes them upon himself “ (Torrance: JC, 113). 52 Vgl. Torrance: JC, 109. Auf S. 54 hatte er die beiden Gestaltformen als „the form of a servant“ bzw. „the Form of the Master and Lord of all“ bezeichnet. 53 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 274. 54 Vgl. Torrance: JC, 109. 55 „To look directly upon the pure holiness of God would mean death, for no man has seen God and lived“ (Torrance: JC, 110). 56 Torrance: JC, 110.

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Die Aussage, wir können Gott niemals in seinem göttlichen Wesen kennen, steht in direktem Widerspruch zu Torrance, wiederholten Beteuerungen, dass Jesus Christus offenbare, wer und wie Gott in sich selbst sei. Sie wird durch den folgenden Satz relativiert, nach dem diejenigen, die reinen Herzens sind, Gott schauen. Torrance stellt den Christusbezug also sofort wieder her. Denn in der Person Jesus Christus wird es nach Torrance möglich, Gott zu erkennen. Das ist der Fall, weil Jesus Christus einerseits den Sünder vor dem Gericht Gottes bewahrt, andererseits die Existenz des Menschen dahingehend verändert und neu schafft, dass der Mensch nicht mehr im prinzipiellen Widerspruch zu Gott steht. Der Satz über die Unerkennbarkeit Gottes ist deshalb in erster Linie als Plädoyer für eine christozentrische Theologie zu verstehen. Mit diesem Plädoyer hat Torrance den Menschen und dessen Erneuerung im Blick, nicht aber die Gotteslehre.57 Die Pointe seiner Argumentation lautet, dass es für den Menschen unabhängig von Christus keine heilvolle Begegnung mit Gott geben kann. Jesus Christus hat in dieser Perspektive keine konstitutive Bedeutung für das Wesen Gottes, sondern für den Menschen, der in ihm erneuert und in die Lage versetzt wird, Gott zu erkennen: If the revelation of God were to take place apart from his veiling in human being or in the form of another being whose form was unknown to us in our world, it would mean the disruption of the conditions of this world and of mankind – it would mean the end of all things. It would mean impossibility!58

Zeigte sich Gott den Menschen direkt als Gott, würde er ihre geschöpflichen Bedingungen zerstören. Sie müssten sterben. In Christus wahrt Gott die geschöpflichen Bedingungen, indem er sich unter den Bedingungen eines historischen menschlichen Lebens offenbart. Zur Integrität des Menschen gehört seine Freiheit, die durch Gottes Verhüllung gewahrt bleibt bzw. ermöglicht wird. Eine unmittelbare Gottesoffenbarung würde keinen Raum für Buße und Umkehr lassen. Gottes Verhüllung in menschlicher Gestalt ermöglicht den Menschen eine menschliche Antwort auf Gott, d.h. eine eigene Glaubensentscheidung.59

57 Das zeigt auch die folgende Aussage: „The Being of God is God being Father, Son, and Holy Spirit to us; and what he is to us he was and is antecedently in himself to all eternity. God may not be known as he ultimately is in himself but only as he reveals himself in action“ (Torrance: JC, 149). Unter Gottes Handeln versteht Torrance wohl die Neuschöpfung des Menschen in Christus. Was die Differenzierung zwischen Gottes Sein und Handeln im Hinblick auf die Gotteslehre bedeutet, führt er nicht aus. 58 Torrance: JC, 137. 59 Vgl. Torrance: JC, 136.

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Man muss diese Perspektive würdigen. Torrance will keine spekulative Gotteslehre entwickeln, sondern die Beziehung zwischen Gott und Mensch an geschöpfliche Bedingungen binden. Es wäre auch falsch, ihm vorzuwerfen, er lasse die Gotteslehre gänzlich außer Acht. Im Gegenteil, Torrance betont, das Heilswerk Christi bestehe in seiner Person und sei darum nicht nur für den Menschen, sondern auch für Gott von Bedeutung.60 Er will zeigen, dass Gott sich in Christus tatsächlich offenbart und sein Wesen nicht vor den Menschen verborgen hält.61 Und doch bleibt Gottes Wesen in einem spezifischen Sinn christologisch unterbestimmt. Denn Torrance begründet die Notwendigkeit der durch Christus vermittelten Offenbarung folgendermaßen: Were he to unveil himself directly he would make history disappear. Were he to unveil himself directly he would no longer be a historical personality, accessible to human beings, but would still be the Son of God he was in himself from everlasting to everlasting.62

Der Sohn Gottes bleibt eine von Jesus Christus zu unterscheidende, eigene Realität. Seine unmittelbare Enthüllung bleibt für Torrance eine denkbare Möglichkeit. Die Art und Weise, wie er sie beschreibt – als Gegensatz zur menschlichen Geschichte („history“) –, erinnert an sein Verständnis der Endzeitparusie Christi, nach dem sich Gott in Christus, aber auf unmittelbare Weise in der ihm eigenen Gottheit offenbaren wird.63 Jesus Christus steht in dieser unmittelbaren Offenbarung dafür, dass Gott den Menschen eine Möglichkeit eröffnet hat, eine neue menschliche Existenz in Versöhnung mit Gott zu realisieren. Für die neue gewordene Menschheit ist die unmittelbare Gottesoffenbarung heilvoll. Ansonsten würde sie ihren Tod bedeuten. Torrance’ Verständnis der Verhüllung Gottes beinhaltet, dass Gottes göttliches Wesen durch seine die Sünder verzehrende Heiligkeit bestimmt wird. Im inkarnierten Christus kann er sich hingegen in seiner rettenden Liebe offenbaren.64 Diese wird zu einer Funktion der Heiligkeit Gottes, die Verhüllung in Christus zu einer Funktion der Enthüllung Gottes. Ohne eine der Heiligkeit Gottes entsprechende Existenzform, für die die neue Menschheit 60 Vgl. Torrance: JC, 136. 61 „(...) there is nothing in God essential to his Nature, Being and Character which is hid from men“ (Torrance: JC, 143). 62 Torrance: JC, 137. 63 S.o. Kap. 1.2.2. 64 „It is only when God confronts man not openly or in his unveiled Majesty, but in and through the mediation of his incarnate Reality and Love, where faith can take place and God’s Love casts out fear, that it is possible for the sinner (…) to cast himself or herself wholly upon the Love and Grace of God and be saved“ (Torrance: JC, 136).

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Jesu Christi steht, bleibt Gott unzugänglich für die Menschen – nicht in einem prinzipiellen, sondern im faktischen Sinn. Denn eine unmittelbare Begegnung mit Gott ist prinzipiell möglich, würde jedoch den sofortigen Tod der Menschen bedeuten. Die Bedeutung der Inkarnation für Gott besteht nach dieser Konzeption darin, dass die geschöpfliche Wirklichkeit wirklich für ihn ist. Sie berührt das Wesen Gottes nur indirekt, nämlich im Hinblick auf die menschliche Wirklichkeit, die durch die Inkarnation von Gott neu geschaffen wird. Letztlich kann Torrance keine präzisen Aussagen über Gottes Wesen treffen. Nicht nur das Heilswerk Jesu Christi, sondern auch die Heiligkeit Gottes bleiben theologisch unterbestimmt. Denn die Christologie, die Torrance treibt, trifft keine letzten Aussagen über Gottes Wesen, sondern Aussagen über die heilsökonomischen Mittel, die Gott in seiner Heiligkeit zur Verfügung stehen, um die neue Menschheit zu realisieren. Formal handelt es sich um Aussagen über den Menschen bzw. über den der Heiligkeit Gottes entsprechenden menschlichen Modus, den Gott im Menschen realisiert. Auch inhaltlich handelt es sich um Aussagen, die dem Menschen, nicht aber Gottes Wesen zuzuordnen sind. Selbsthingabe und Gehorsam Christi sind Dispositionen, die im Verhältnis zwischen Gott und Mensch allein den Menschen betreffen. Indem Torrance die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch auf diese Weise durchführt, errichtet er eine letzte Kluft zwischen Gott und den Menschen. Deren Prinzip könnte man sui cuimque nennen: Dem Menschen gebührt der Gehorsam, der sich unter geschöpflichen Bedingungen vollzieht; Gott gebührt eine seiner Heiligkeit entsprechende Disposition des Menschen. Seine Gottheit äußert sich in der Macht, den Menschen erneut zu einer solchen Disposition zu verhelfen. Der spezifisch christliche Gottesgedanke scheint für Torrance darin zu bestehen, dass Gott in Christus in seine Schöpfung eingeht, um von des Menschen Seite eine ihm gemäße Existenzweise zu vollziehen. Torrance behandelt diese Rettungstat als Gottes uneigentliches Werk, als opus alienum (während die Reformatoren in Gottes Gnadenhandeln gerade sein opus proprium sahen65), das seiner Heiligkeit nachgeordnet wird. In einem strengen Sinn geht Gott gar nicht in raumzeitliche Bedingungen ein. Seine menschliche Gestaltform steht in einem akzidentiellen Verhältnis zu dem göttlichem Subjekt, sie dient ihm als Instrument. Torrance bleibt der Annahme verhaftet, dass das Proprium Gottes – das, was ihn zu Gott macht – der Hingabe vor Gott, die den Menschen Jesus kennzeichnet, gegenübersteht. In der Folge bleibt nun auch das Proprium Gottes inhaltlich unbestimmt. Denn auch sein Verständnis der Heiligkeit Gottes er65 Vgl. Eberhard Jüngel: Das Evangelium von der Rechtfertigung des Gottlosen als Zentrum des christlichen Glaubens, Tübingen 62011, 85.

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Kapitel 1

laubt keine präzisen Aussagen über Gott. Konturen gewinnt sie nur als Gegenstück zur Hingabe Jesu Christi. Damit bleibt sie eine negative Kontrastfolie des menschlichen Handelns, über die inhaltlich nicht viel zu sagen ist.

1.4 Die neue Menschheit Jesu Christi und das Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch Seine Christologie-Vorlesung hat Torrance mit der programmatischen Forderung eröffnet, die Person Christi sei nicht unabhängig von seinem Werk zu begreifen. Deshalb ist der Begriff der „neuen Menschheit“ Jesu Christi bzw. der von ihm bezeichnete Sachverhalt von so großem systematischen Gewicht für seine Christologie. In der neuen Menschheit Jesu Christi laufen Person und Werk Jesu sowie seine Bedeutung für die Menschen zusammen. Diese allgemeine Perspektive artikuliert Torrance in verdichteter Form als Kreuzestheologie. Denn im Kreuzestod Jesu sieht er dessen Heilswerk gipfeln – so dass von hier aus auch seine Person, d.h. seine Gottheit und Menschheit, zu erschließen ist. Seine Vorlesung beginnt mit einem programmatischen Zitat Mackintoshs: „In point of fact it is at the Cross that the full meaning of ‚God in Christ‘ has broken on the human mind“.66 Indem Torrance die Kreuzestheologie in drei Kapiteln ausführlich behandelt, will er dieses Diktum konsequent durchführen. In theologiegeschichtlicher Hinsicht zeigt sich in seiner Kreuzestheologie eine starke Prägung durch schottische Theologen des 19. Jahrhunderts, die im zweiten Kapitel dieser Arbeit ausführlich rekonstruiert werden wird. Torrance bezieht sich auf die Kreuzestheologie John McLeod Campbells (1800−1872) und Robert William Dales (1829−1895). Er geht aber einen Schritt weiter als Campbell und Dale. Denn er nimmt deren Entwürfe auf, um zu einer systematischen Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Mensch zu kommen. Schließlich will er seine Lehre von der Person Jesu Christi in ihrer wahren Gottheit und wahren Menschheit (sowie deren Unterscheidung) von ihrer soteriologischen Bedeutung her erschließen. Deshalb will er im Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch beide Seiten in ihrem Eigenrecht berücksichtigen. Der Kreuzestod Jesu, d.h. sein heilsames Werk, sei ebenso wie seine Person als Ausdruck seiner vollen Gottheit und Menschheit zu begreifen, durch das er die göttliche und menschliche Seite miteinander vermittle.67

66 Torrance: JC, 1. 67 „I believe we must seek to understand the work of Christ in terms of Mediation in which both the divine and human aspects in propitiation and reconciliation are given full

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Die Unterscheidung zwischen einer göttlichen und menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens stammt von Campbell.68 Nach Campbell interagiert Jesus Christus einerseits mit den Menschen von Gottes Seite aus, andererseits mit Gott von der menschlichen Seite aus bzw. stellvertretend für die menschliche Seite.69 Campbell kann somit als Impulsgeber für die Denkfigur der bilateralen Beziehung zwischen Gott und Mensch gelten, die die gesamte Anlage der Auburn-Christologie prägt. Seine Unterscheidung beinhaltet eine Neugewichtung der menschlichen Seite Christi, der er eine eigenständige Bedeutung beimisst. Campbell trifft eine zweite Unterscheidung zwischen dem retrospektiven und dem prospektiven Aspekt des Versöhnungsgeschehens, d.h. zwischen der Ausgangssituation, die das Heilswerk Christi notwendig macht, und dem Zustand, zu dem der Mensch durch dieses Werk geführt wird. Auch diese Unterscheidung beinhaltet eine neue Gewichtung des positiven Ausgangs des Kreuzesgeschehens und der Teilhabe der Gläubigen an Christi Menschheit.70 Campbell geht zwar von einer göttlichen und einer menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens aus, doch er legt den Akzent klar auf die Seite des Menschen. Torrance will beide Seiten berücksichtigen, weshalb er zur Korrektur Campbells auf den soteriologischen Entwurf Robert William Dales zurückgreift, den dieser 1875 in seiner Congregational Union Lecture formuliert hatte.71 Dales Augenmerk liegt auf der Unterwerfung Christi unter das Gericht Gottes, das erfolgen muss, um der Gerechtigkeit Gottes Genüge zu tun. Torrance sieht hier den wahren Kern der Satisfaktionslehre Anselms bewahrt.72 Mit Campbell legt Torrance das Versöhnungsgeschehen zunächst im Hinblick auf eine spezifisch göttliche Seite aus. Die göttliche Seite vollziehe sich – hier folgt er Dale bzw. Anselm – als Gericht Gottes über die menschliche Sünde. In diesem Gericht realisiere Gott die ihm eigene Gottheit, indem er seiner göttlichen Heiligkeit ihr Recht verschaffe. The Act of God in Christ on the Cross must be thought of in accordance with his Being which is itself God’s reality in action, for it is in the Cross that there was manifested his supreme self-assertion as Holy God and God’s supreme selfbestowal as Holy Love. Holiness is very Godness of God, his self-affirmation as

68 69 70 71 72

place in the vicarious life and substitutionary death of Christ“ (Torrance: JC, 167). Er spricht von dem zweiseitigen Werk Christi (167). Vgl. John McLeod Campbell: The Nature of the Atonement and its Relation to Remission of Sins and Eternal Life, Cambridge 1856, 128. Vgl. Campbell: Atonement, 111 u. 115. Vgl. Campbell: Atonement, xviii. Vgl. Torrance: JC, 166; Robert William Dale: The Atonement. The Congregational Union Lecture for 1875, London 231909. Vgl. Torrance: JC, 175.

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the I Am, of God towards and for us, of what he is in his unapproachable Majesty. Love is the self-bestowal of God, is his will not to be for himself alone but for mankind (...).73

Diese Sätze sagen Entscheidendes über Torrance’ Gottesverständnis. Er identifiziert Gottes Gottheit mit seiner Heiligkeit. Diese versteht er als den göttlichen Willen, der eine und einzige Gott zu sein. Aus diesem Willen zur Selbstbestätigung entspringt die Liebe Gottes, die aber – wie wir bereits sahen74 – eine Funktion seiner Heiligkeit bleibt, weil sie diese nach außen durchsetzt. Indem Gott sich selbst den Menschen gibt, offenbart er sich in seiner Heiligkeit und Selbstbestätigung als der eine Gott und erweitert dadurch den Raum, in dem seine Heiligkeit anerkannt wird. Die freie Gnade Gottes bleibt deshalb blass. Sie hat nur sekundäre Bedeutung. Denn in gewisser Weise geschieht zuerst das Notwendige, die Genugtuung Gottes, und erst dann die Vergebung der Sünder: „(…) forgiveness is only possible as all these ‚natural‘ acts of God’s Being have been fulfilled and are carried out“.75 Das Evangelium besteht darin, dass Gott seinem eigenen Zorn Genüge tut, woraufhin die Rettung des Menschen möglich wird. Auch Torrance geht von einer eigenen menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens aus, die er mit Campbell als Interaktion zwischen Christus und Gott zugunsten der Menschen bezeichnet.76 Jesus Christus vollbringe ein Werk vor Gott für die Menschen. Torrance und Campbell wollen dieses Werk nicht als rein menschliches qualifizieren. Dafür spricht die begriffliche Differenzierung Campbells, der von Gottes Seite aus von „Christ’s dealing with men on the part of God“, von des Menschen Seite aus jedoch von „Christ’s dealing with God on behalf of men“, also für die Menschen, spricht.77 Torrance betont dementsprechend, dass Gott in Christus selbst von der menschlichen Seite aus handle.78 Doch die Unterscheidung einer göttlichen und menschlichen Seite macht es schwierig, diese Differenzierung durchzuhalten. Campbell hatte auf innovative Weise an eine Prämisse Jonathan Edwards angeknüpft, nach der die menschliche Sünde entweder eine äquivalente Strafe oder eine äquivalente Buße verlangt. Er hatte die von Edwards nicht erwogene Möglichkeit der vollkommenen Buße Jesu Christi in den Mittelpunkt seiner soteriologischen Überlegungen gestellt.79 Torrance übernimmt diesen 73 Torrance: JC, 168. 74 S.o. Kap. 1.3. 75 Torrance: JC, 170. 76 Vgl. Torrance: JC, 172. 77 Campbell: Atonement, 111 u. 115. Hervorh. PJG. 78 „(...) the act of Christ here on behalf of man is ultimately an act of God from the human side“ (vgl. Torrance: JC, 172). 79 Vgl. Campbell: Atonement, 123.

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Gedanken: Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch äußere sich gegenüber dem Menschen als Gericht Gottes, das die Menschen von ihrer Seite aus bejahen. Gott und Mensch stimmen überein in dem Urteil Gottes über den Menschen. Darum könne Jesus Christus in seiner „göttlichen Menschheit“80 das Gericht Gottes auf sich nehmen und es zugleich durch seine innere Haltung entschärfen. Die Rede von einer „göttlichen Menschheit“ bleibt jedoch vage. Sie kann die Aporien der bilateralen Konzeption Campbells nicht verhindern. Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch vollzieht sich von zwei Seiten aus, die nur in ihrem komplementären Gegenüber miteinander vereinbar sind: dem göttlichen Gericht und dem menschlichen Gehorsam. Wenn das Wesen Gottes mit seinem Gericht bzw. seiner Selbstbestätigung identifiziert wird, das Wesen des Menschen aber mit seinem Einverständnis in diese göttliche Selbstbestätigung – dann bleibt die Passion Jesu ein Ereignis, an dem Gott in seiner Gottheit nur als Gegenüber Jesu beteiligt ist. Die Grundproblematik der Torranceschen Christologie zeigt sich auch in seiner Kreuzestheologie. Diese ist von Vorannahmen über die Gottheit und Menschheit Jesu Christi geprägt, deren Unterscheidung Torrance artikuliert, indem er sie als einander gegenüberstehende Größen behandelt, die durch ein gegensätzliches Prinzip – Selbstbestätigung vs. Selbsthingabe – charakterisiert werden. Beide sind miteinander vereinbar – aber nur in ihrer Unterschiedenheit. Das mag kohärent sein, untergräbt aber die Möglichkeit, das Christusereignis als Selbstoffenbarung Gottes zu begreifen. Im Vollsinn ist Jesus Christus allein mit der angemessenen menschlichen Disposition vor Gott, der neuen Menschheit, zu identifizieren. Diese Einseitigkeit lässt sich mit Torrance’ Perspektive auf die Christologie erklären. Er interessiert sich primär für die Frage, wie die Menschen in dieser Welt vor Gott eine neue und gültige Identität gewinnen können. Nicht Gott ist für ihn eine problematische Größe, sondern die geschöpfliche Realität und die Frage, wie diese vor Gott und damit in Ewigkeit bestehen kann. Deshalb blendet er die Gotteslehre aus und konzentriert sich darauf, dass Gott in Christus die geschöpfliche Wirklichkeit neu qualifiziert, so dass diese ihre neue Menschheit vor Gott realisieren kann. Damit bleibt er einem Traditionsstrang treu, der die Seite des Menschen im Versöhnungsgeschehen mit Gott als eigenständige Größe thematisiert und sich bis weit hinein in das 19. Jahrhundert zurückverfolgen lässt. Im Folgenden soll diese Tradition rekonstruiert werden. 80 Torrance zitiert ausführlich aus Campbell: Atonement, 116ff.: Jesus Christus stehe für das vollkommene Sündenbekenntnis und die Bejahung des göttlichen Gerichtes. „(…) he responds to it with a perfect response, a response from the depths of that divine humanity, and in that perfect response absorbs it“ (Torrance: JC, 173f).

KAPITEL 2

Die neue Menschheit Jesu Christi Rekonstruktion einer christologischen Traditionslinie

Im ersten Kapitel sind Torrance’ christologischen Grundentscheidungen herausgearbeitet worden. Sie kreisen um das Motiv der neuen Menschheit Jesu Christi. In Person und Werk Jesu Christi wird die menschliche Wirklichkeit neu qualifiziert, so dass die Menschen in einer letztgültigen Entscheidung für Gott in ein neues Verhältnis zu Gott kommen können. Mit der These, dass sich auf der menschlichen Seite etwas Konstitutives in der Gottesbeziehung vollzieht, damit die Menschen auch tatsächlich verändert und erneuert werden können, steht Torrance in einem spezifischen schottischen Diskurs, der sich bis weit in in das 19. Jahrhundert zurück verfolgen lässt. Er ist mit Autoren wie Edward Irving (2.1), John McLeod Campbell (2.2), Peter Taylor Forsyth (2.3) und Hugh Ross Mackintosh (2.4) verbunden, aus deren Werken Torrance ausführlich zitiert. Die Christologien Emil Brunners und F. W. Camfields (2.5) sind dafür verantwortlich, dass Torrance diese schottische Tradition im Licht programmatischer Forderungen der dialektischen Theologie liest.1 Während Torrance in seinem späteren Werk vieles voraussetzt und seine Bezugspunkte kaum offenlegt, kann man in den Auburn-Vorlesungen genau nachverfolgen, welche Autoren an welcher Stelle wichtig für Torrance werden. Zu Recht hat Markus Mühling auf den diskursiven Charakter von Torrance’ Theologie hingewiesen.2 Anhand der Analyse der Auburn-Christologie lässt sich diese Beobachtung nun konkretisieren. Grundlegende Weichenstellungen, die in diesem Diskurs lange vor Torrance getroffen werden, können die Vorannahmen und Konturen seiner Christologie zu profilieren helfen. Wenn Torrance’ Verwurzelung in der schottischen Tradition erhellt wird, kann das helfen, einen differenzierten Zugang zu seiner Theologie zu gewin1

2

Brunners Einfluss auf Torrance ist bislang allein von Rankin gesehen worden (vgl. Rankin: Carnal Union, 67). Camfields Bedeutung wird in der Torranceforschung vollkommen unterschätzt, auch von Rankin, der ihn immerhin im Kontext von Torrance’ Offenbarungslehre nennt (vgl. ders.: Carnal Union, A−16, Anm. 3). Vgl. Markus Mühling: „Paul D. Molnar, Thomas F. Torrance. Theologian of the Trinity“, in: ThLZ 138 (2013), 724–725, 725.

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Kapitel 2

nen.3 Das ist umso wichtiger, als Torrance selbst ein theologiegeschichtliches Narrativ erzählt, in dem Campbell eine positive Rolle in der Überwindung der calvinistischen Föderaltheologie und der Rückkehr zu den reformatorischen Wurzeln der schottischen Theologie spielt.4 Dieses Erbe will Torrance weiterführen. Seine Verbindung zu Campbell muss aber präziser und kritischer rekonstruiert werden, als er selbst es tut.5

2.1 Die Annahme des „sündigen Fleisches“ durch Jesus Christus bei Edward Irving Edward Irving (1792−1834) war ein Pfarrer der Church of Scotland, aus der er 1833 ausgeschlossen wurde, weil er die Annahme des „sündigen Fleisches“ durch Jesus Christus lehrte. Bei Irving ist also der Ursprung dieser für Torrance so wichtigen Formel zu finden. Torrance war sich dessen bewusst. Wie jeder theologisch gebildete Schotte seiner Zeit assozierte er die Formel mit dem kirchenrechtlichen Verfahren gegen Irving. In seiner Auburn-Christologie finden sich nur zwei Verweise auf Irving, in denen sich Torrance nicht unkritisch gegenüber Irving zeigt. Er kritisiert nicht dessen Formel vom sündigen Fleisch Christi, sondern die Art und Weise, in der Irving diese christologische These entfaltet. Nach Torrance geht Christus zwar in das „sündige Fleisch“ ein, stellt dessen ursprüngliche Integrität jedoch durch seine Annahme wieder her.6 Damit weicht er nicht grundlegend von Irving ab, der die konkrete Sündlosigkeit Christi und seine eschatologische Transformation der menschlichen Natur lehrte. Torrance verlagert jedoch den Akzent und betont den Antagonismus zwischen der menschlichen Natur Christi und seiner Gottheit weniger stark als Irving. Neben diesem direkten Bezug zu Irving erreicht ihn dessen Theologie auf indirektem Weg. Denn Irving steht am Anfang einer christologischen Tradition, die über Campbell, Forsyth, Mackintosh und Camfield bis zu Torrance führt. Diese Tradition wird durch ihr gemeinsames Interesse an der menschlichen Seite von Person und Werk Jesu zusammengehalten. 3 4 5

6

Vgl. David Fergusson: „Torrance as a Scottish Theologian“, in: Participatio 2 (2010), 77−87, 86f. Vgl. Thomas F. Torrance: Scottish Theology. From John Knox to John McLeod Campbell, Edinburgh 1996, 290ff. Andrew Purves sieht die Verbindung zwischen Campbell und Torrance, doch er folgt unkritisch dem Torranceschen Narrativ (vgl. ders.: Exploring Christology and Atonement. Conversations with John Mcleod Campbell, H. R. Mackintosh, T. F. Torrance, Downers Grove, IL, 2015, 10f). Vgl. Torrance: JC, 122 (u. 100). Irving findet auch bei Barth Beachtung, der ihn aus Mackintoshs Christologie kennt (vgl. Barth: KD I/2, 168; Mackintosh: Jesus Christ, 277).

Rekonstruktion einer christologischen Traditionslinie

45

Sowohl Irving als auch Campbell wandten sich gegen eine bestimmte Auslegungstradition des Westminster Bekenntnisses, welche die doppelte Prädestination und das auf eine bestimmte Zahl von Menschen begrenzte Heilswerk Christi lehrte. Sie waren der Ansicht, eine solche Theologie verdunkle die Heilsgewissheit der Gläubigen ebenso wie die Gotteslehre.7 Irving antwortete auf diese Problematik mit einer christologischen Argumentationsfigur. Das Gebot der Heiligung verlange nichts Unmögliches, weil Jesus Christus „holiness in the flesh“8 ermögliche. Christus habe die tatsächliche sündige menschliche Natur angenommen und durch den Heiligen Geist die Kraft empfangen, diese zu überwinden. Im Grunde geht Irving davon aus, dass auch Jesus Christus einen Heiligungsprozess durchläuft. Er wird nicht automatisch aufgrund seiner Gottheit geheiligt, sondern durch die Einwohnung des Heiligen Geistes in seiner menschlichen Natur. Weil die Gläubigen diesen Geist empfingen, können auch sie als Menschen den Weg der Heiligung gehen. Denn wenn das Werk Christi die menschliche Natur in ihrer Sündhaftigkeit betrifft, so die Implikation, dann muss sie die gesamte sündige Menschheit betreffen. Nach Irving hat das Werk Christi deshalb universale Geltung für die gesamte Menschheit; es hat als eine reale Möglichkeit für jeden Menschen zu gelten. Er kritisiert die Lehre von dem begrenzten Versöhnungswerk Christi, nach der dieses nur einer vorherbestimmte Zahl von Erwählten gilt. Seine Lehre von der universalen Versöhnung („universal atonement“) ist von einer heilsuniversalistischen Position zu unterscheiden, die Irving ablehnt.9 Sachlogisch und auch in genealogischer Hinsicht folgte Irvings Soteriologie aus seiner Christologie.10 Irving betont, dass die Menschheit Christi sich nicht von derjenigen der Sünder unterschieden habe. Die Formel „sinful flesh“ beinhalte, dass er als Mensch eine Neigung zur Sünde gehabt, durch den Heiligen Geist jedoch ein Leben in vollkommenem Gehorsam gegenüber Gott gelebt habe.11 Irvings Soteriologie kennt zwei Versöhnungsmomente: einerseits die Erlösung der Menschen von ihrer Sünde, andererseits die Genugtuung des GeVgl. Graham McFarlane: „Reformed Theology in Scotland and the Netherlands“, in: The Blackwell Companion to Nineteenth-Century Theology, hg. v. David Fergusson, Oxford u.a. 2010, 358−374, zu Irving und Campbell 360−364. 8 McFarlane: „Reformed Theology“, 361. 9 Vgl. Edward Irving: The Confessions of Faith and the Books of Discipline of the Church of Scotland of date anterior to the Westminster Confession, London 1832, 12f. 10 Nachdem Campbell Irving – als den deutlich prominenteren Theologen – 1828 in Edinburgh aufgesucht hatte, begann dieser die Lehre vom „universal atonement“ zu verkünden. Sie hatte sich in seiner Christologie bereits angedeutet (vgl. Byung Sun Lee: ‚Christ’s Sinful Flesh‘. Edward Irving’s Christological Theology within the Context of his Life and Times, Newcastle 2013, 76f). 11 Vgl. Lee: Sinful Flesh, 132. 7

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richts Gottes: „When Christ took sinful flesh, His first task was to redeem it from the power of sin, and His second task was to be sacrificed in order to satisfy God’s judgment.“12 Inkarnation und Kreuzestod stehen für die zwei Momente der Erlösung, die Christus in seinem vollkommenen menschlichen Leben und in seinem Kreuzestod erringt.13 Die Neuschöpfung des Menschen wird zu einem eigenen Erlösungsmoment, das in der Auferstehung Christi und in der Umwandlung seines „sündigen Fleisches“ zu ihrem Ziel kommt. Somit hat auch die Neuschöpfung zwei Momente: das Leben Jesu und seine Auferstehung. Damit kann Irving einerseits die Bedeutung des Heilswerks Jesu Christi für das Leben aller Menschen lehren. Das entspricht seiner Lehre vom unbegrenzten Versöhnungswerk Christi. Andererseits kann er die endgültige Neuschöpfung unter einen eschatologischen Vorbehalt stellen und damit die Lehre von der Allversöhnung vermeiden. Denn die Neuschöpfung, die im Auferstandenen schon vollendet ist, steht für die übrigen Menschen noch aus und ist abhängig von deren Lebensführung. Überhaupt hat Irvings Christologie eine eschatologische Kehrseite, weil sie sich an der vollkommenen Menschheit Christi orientiert, die dieser durch sein Leben und Sterben verwirklicht. Bis zu seiner endzeitlichen Parusie sind die Gläubigen aufgerufen, seinen Weg des Leidens nachzuvollziehen, um mit dem erhöhten Christus schließlich verherrlicht zu werden.14 Seiner Betonung der Menschheit Christi bleibt Irving auch im Hinblick auf den auferstandenen, erhöhten und endzeitlichen Christus treu. Der endzeitliche Christus erscheine in der physischen Gestalt, in der er in den Himmel aufgefahren sei.15 Die entscheidende These Irvings lautet, dass Jesus Christus die menschliche Natur neu qualifiziert. Christus erwirkt die Versöhnung mit Gott als Mensch. Damit wird für die Gläubigen ein Leben möglich, das in seiner moralischen Anstrengung ernst genommen wird. Zugleich steht es unter der Verheißung, dass ein Mensch den Weg des Gehorsams und des Glaubens tatsächlich gehen kann, weil Gott seine Befreiung von der Sünde will und ihm den Beistand des Heiligen Geistes zusichert.16 Die Prädestinationslehre der Westminster Confession konnte – zumindest in der Interpretation einiger Gegner Edwards – dazu führen, das Leben der Gläubigen in ein Zwielicht zu tauchen. Denn eine unzugängliche Erwählung und Verwerfung Gottes steht in keinem klaren Zusammenhang zu dem Leben der Gläubigen. Sie lässt nicht nur an der eigenen Chance, das Heil 12 Lee: Sinful Flesh, 142. 13 Vgl. Lee: Sinful Flesh, 152. 14 Vgl. Edward Irving: „Preliminary Discourse“, in: Juan Josafat Ben-Ezra: The Coming of Messiah in Glory and Majesty, übers. v. Edward Irving, London 1827, cxxvii. 15 Vgl. Lee: Sinful Flesh, 210. 16 Vgl. Edward Irving: „The Doctrine of the Incarnation Opened“, in: The Collected Works of Edward Irving, Bd. 5, hg. v. G. Carlyle, London/New York 1866, 183.

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zu erlangen, sondern auch an Gottes Güte zweifeln, der das Heil jedes Menschen und damit auch das eigene Heil nicht zwingend zu intendieren scheint. Die Pointe von Irvings Christologie liegt darin, den Zusammenhang zwischen dem Leben der Gläubigen und Gottes Willen herzustellen. Die Gläubigen können sich an dem Menschen Jesus Christus orientieren, seinem Leben nacheifern und sich zugleich in ihm des guten Willens Gottes gewiss sein.17 Zwischen Irving und Torrance besteht vor allem ein indirektes Abhängigkeitsverhältnis. Irving wurde für Torrance bedeutsam, weil er einen wichtigen Gedanken in den schottischen Theologiediskurs des 19. Jahrhunderts einführte: die Heiligung des Menschen, die er als konstitutiv für die Versöhnung mit Gott betrachtet, ist nach Irving kein dem Menschen entzogenes Geschehen. Sie ist kein utopisches Ideal, sondern ein realistisches Szenario. Für Irving besteht das Heilswerk Christi darin, einen für die Menschen gangbaren Weg aufgezeigt zu haben, auf dem sie als Sünder durch die Unterstützung des Heiligen Geistes zur Versöhnung mit Gott gelangen können. Irvings Christologie erinnert somit an die frühaufklärerischen soteriologische Theorien der Sozinianer und Arminianer, nach denen jeder Mensch nach dem Vorbild des Menschen Jesus seine (moralisch verstandene) Erlösung selbst bewirken kann und muss.18 Irving geht es zwar nicht um die aufklärerische Kritik an der theologischen Tradition, er kommt ihr aber erstaunlich nahe. Dem Bundesdenken des Westminster Bekenntnisses bleibt er insoweit verpflichtet, als dieses die gegenseitige Verpflichtung von Gott und Mensch als Sinn jedes Rechtsverhältnisses herausstellt.19 Irvings Konzeption lässt jedoch keinen Raum für den Gedanken, dass Gott in Christus stellvertretend für die Menschen handelt. Die Verpflichtung liegt auf Seiten jedes Menschen. Sie ist aber, und darin besteht die Bedeutung Christi für Irving, keine unmögliche Forderung. Die auf Irving folgenden schottischen Theologen, deren Positionen im Folgenden skizziert werden, gehen alle über Irving hinaus. Auch sie betonen das Eigenrecht der menschlichen Seite. Sie wollen jedoch präziser bestimmen, was genau auf Seiten des Menschen geschieht, wenn er mit Gott versöhnt wird. Irving äußert sich dazu nicht, weil sich der Mensch in seiner Konzeption nicht qualitativ verändert, da er – wie auch der Mensch Jesus – durch die Unterstützung des Heiligen Geistes den Weg der Heiligung und Versöhnung mit Gott zu gehen hat. Hier setzt auch Torrance’ direkte Kritik an Irving 17 Vgl. Lees Fazit: „Irving showed that Christ was the model for faith by His perfect moral obedience; Christ, as a Person who shared the same humanity with His brothers and sisters, ensured that human faith was not void, but it was real, as He was real“ (Lee: Sinful Flesh, 157). 18 Vgl. Gunther Wenz: Geschichte der Versöhnungslehre in der evangelischen Theologie der Neuzeit, Bd. 1, München 1984, 113. 19 Vgl. Christian Link: Art. Föderaltheologie III., in: RGG4, 174f.

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an, dessen Christologie ihm zu wenig Veränderung für die conditio humana brachte. Irving konnte noch immer von dem „sündigen Fleisch“ Christi sprechen. Er traf also keine qualitative Unterscheidung zwischen der Menschheit Jesu und der Menschheit der zu erlösenden Sünder.

2.2 Die qualitative Veränderung des Menschen im Versöhnungsgeschehen bei John McLeod Campbell John McLeod Campbells (1800−1872) Hauptwerk The Nature of Atonement ist ein zentraler Bezugspunkt der Torranceschen Christologie. Seine soteriologische Konzeption entfaltet er in den Kapiteln 12−14 der Auburn-Christologie in enger Anlehnung an Campbell. Deshalb ist Campbells theologischer Ansatz in der Analyse der Auburn-Christologie auch schon zur Sprache gekommen.20 An dieser Stelle soll nach Campells Bedeutung für den spezifischen schottischen Theologiediskurs gefragt werden, in den sich Torrance mit seinem christologischen Leitmotiv der neuen Menschheit Jesu Christi einreihen sollte. Campbell war ein Freund und Pfarrkollege Edward Irvings. Auch er wurde von der schottischen Kirk ausgeschlossen. Die General Assembly of the Church of Scotland enthob Campbell im Mai 1831 seines Amtes. Stein des Anstoßes war Campbells Lehre von dem unbegrenzten Versöhnungswerk Christi und der damit verbundenen Glaubensgewissheit der Christen. Nach eigener Aussage war er aus seelsorgerlichen Gründen zu der Einsicht gelangt, dass ein echter und freier Glaube nur ein Glaube an den liebenden Gott sein könne. Wer an den liebenden Gott glaube, erkenne sich darin als Gegenstand der Liebe Gottes. Campbell nannte diese Erkenntnis „assurance of the essence of faith“.21 Diese Einsicht führte Campbell zu der Frage nach der Reichweite des Versöhnungswerkes Jesu Christi.22 Er entwickelte die Theorie einer universalen Vergebung Gottes, die sich in Christi Kreuzestod vollzieht, jedoch nicht mit der Lehre von der Allversöhnung zu verwechseln ist. Gottes Vergebung sei vorläufig und habe das Ziel, die Menschen zur Versöhnung zu führen.23 Die Menschen können sich in Campbells Szenario nicht selbst ret-

20 S.o. Kap. 1.4. 21 The Whole Proceedings before the Presbytery of Dumbarton, and Synod of Glasgow and Ayr, in the case of the Rev. John M’Leod Campbell, Minister of Row, including the libel, answers to the libel, evidence, and speeches, Greenock 1831, 49. 22 Vgl. Campbells Brief an seinen Bruder vom 1. Januar 1831, abgedruckt in Peter Stevenson: God in our Nature. The Incarnational Theology of John McLeod Campbell, Milton Keynes u.a. 2004, 280−286, v.a. 283f. 23 Vgl. Stevenson: God, 20f.

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ten, da sie auf das Werk Gottes antworten. Sie können sich jedoch der Versöhnung mit Gott entziehen. Campbell und Irving befanden sich beide im Widerspruch zu der geltenden Lehre ihrer Zeit. Was sie verbindet, ist ihre gemeinsame Intention, eine soteriologische Theorie zu formulieren, bei der die Versöhnung beim Menschen ankommt. Bei Irving geschieht dies durch die paradigmatische Heiligung der menschlichen Natur durch Christus, die zeigt: Versöhnung mit diesem Gott ist für den Sünder in dieser Welt einerseits erstrebenswert (weil Gott nicht fern und passiv bleibt, sondern den Menschen in Christus befreien will), andererseits auch tatsächlich möglich. Campbell geht über diese Konzeption hinaus.24 Es geht ihm um eine reale Veränderung der menschlichen Situation. Die Versöhnung sei keine Rechtsfiktion, die dem Menschen äußerlich und damit unzugänglich bleibe.25 Campbell lokalisiert die reale Veränderung der Menschen in ihrer Glaubensgewissheit. Diese Gewissheit der Liebe Gottes begreift er als reale Veränderung der Beziehung zwischen Gott und Mensch und als notwendigen Bestandteil ihrer Versöhnung. Wie Mühling gezeigt hat, folgt Campbell hier einer Spur, die der Laientheologe Thomas Erskine of Linlathen, gelegt hatte.26 Lee bestätigt diese Einschätzung. Campbell gehe es wie Linlathen und Irving um die Stärkung der individuellen Glaubensgewissheit. Während Irving bei dem vollkommenen moralischen Leben Jesu ansetze, das durch die Befähigung des Heiligen Geistes zu einer menschlichen Möglichkeit werde, setzten Erskine und Campbell hingegen bei der unbegrenzten Liebe Christi an.27 24 Stevenson zieht eine direkte Linie von Irvings Motiv des „sündigen Fleisches“ Christi zu Campbell. Dieses Motiv erhöhe die Plausibilität der These Campbells vom vollkommenen Sündenbekenntnis Christi. Es könne erklären, inwiefern Christus die menschliche Natur in ihrer Sünde geheilt habe (vgl. Stevenson: God, 84). In der Tat bekennt sich Campbell in einer Predigt vom 10. April 1831 zu der Inkarnation Christi in die sündige menschliche Natur (vgl. Stevenson: God, 153f.). Doch die Formel hat bei ihm nicht das theologische Gewicht, das ihr Irving zugesteht. In Campbells Hauptwerk spielt sie keine Rolle. Erst bei Brunner, Camfield und Torrance taucht sie wieder auf (Vgl. Brunner: Mediator, 319; Camfield: Revelation, 68f u. 271; Torrance: JC, 118). Den auf Irving folgenden Theologen – von Campbell bis Torrance – reichte Irvings Christologie nicht aus, weil sie die menschliche Situation nicht prinzipiell zu verändern scheint. 25 Vgl. Campbell: Atonement, 41. 26 Erskine habe schon 1820 die Universalität der Versöhnung und die Gewissheit der Liebe Gottes als Bestandteil des Glaubens gelehrt. Von ihm stamme auch der für Campbell wichtige Gedanke der Einheit („oneness“) mit dem Bewusstsein („mind“) Gottes, der die Versöhnung inhaltlich charakterisiert (vgl. Markus Mühling: Versöhnendes Handeln – Handeln in Versöhnung. Gottes Opfer an die Menschen, Göttingen 2005, 251f u. 220). Dieser Gedanke spielt auch in der Auburn-Christologie eine wichtige Rolle (vgl. Torrance: JC, 167). 27 Vgl. Lee: Sinful Flesh, 80.

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In seinem Hauptwerk The Nature of Atonement entfaltet Campbell dieses Anliegen, indem er zwischen Gottes und des Menschen Seite des Versöhnungsgeschehens sowie zwischen dessen Ausgangs- und Zielzustand (ihrem retrospektiven bzw. prospektiven Aspekt) unterscheidet. In der Analyse der Auburn-Christologie ist bereits angeklungen, dass diese Unterscheidungen zu einer Neugewichtung der menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens führen.28 Es geschieht etwas Entscheidendes auf menschlicher Seite – mit dem Ziel, den Menschen in eine qualitativ neue Situation zu führen. Diese Neugewichtung der menschlichen Seite ist schon in Campbells Postulat begründet, Inkarnation und Kreuzestod bzw. Person und Werk Christi miteinander zu verschränken. Damit gewinnt das Leben Jesu als Mensch an Bedeutung, das Campbell als „göttliches Leben in der Menschheit“ („divine life in humanity“29) bezeichnet. Ebenso wird die Bedeutung Christi für die Gläubigen erhellt. Wer glaubt, erhalte als Mensch Anteil an diesem göttlichem Leben. Nach Campbell gewinnt das „göttliche Leben im Menschen“ in der Person Jesu Christi klare Konturen. Es bestehe in seiner personalen Beziehung zu Gott als Sohn zu seinem Vater. Jesus Christus sei „der Sohn Gottes, in unserer Natur“.30 In dieses filiale Verhältnis treten die Gläubigen ein, nicht in einen juridischen Status, der ihrer Beziehung zu Gott äußerlich bliebe.31 Entscheidend für das Verständnis der Soteriologie Campbells ist seine systematische Identifizierung der Sohnschaft Jesu Christi mit seiner Heiligkeit, Gerechtigkeit und Liebe.32 Diese Sohnschaft Jesu Christi versteht Campbell als dezidiert menschliche Existenzweise des göttlichen Wesens, der in der Beziehung zu Gott dessen Wesen auf menschlicher Seite widerspiegelt.33 Was ereignet sich im Christusgeschehen auf Gottes und des Menschen Seite? Von Gottes Seite aus manifestiert sich seine Liebe und Heiligkeit unter den Bedingungen der conditio humana als Leiden an der menschlichen Sünde.34 Dadurch werde die Sünde des Menschen sowie Gottes Heiligkeit offenbart. Nur weil Jesus Christus göttlich und damit sündlos sei, könne er auf diese Weise als Mensch an der Sünde leiden. Auf menschlicher Seite werde das Leiden Gottes und sein Zorn über die Sünde als gerecht anerkannt. Das 28 S.o. Kap. 1.4. 29 Campbell: Atonement, xviii. 30 „(…) the Son of God, in our nature“ (Campbell: Atonement, 59). 31 Vgl. Campbell: Atonement, 59. 32 Vgl. Campbell: Atonement, 150. 33 „He asks for us, with that in His own human consciousness, in His following the Father as a dear child walking in love, which justifies His hope in making intercession – enabling Him to intercede in conscious righteousness as well as conscious compassion and love, – we have the elements of the atonement before us as presented by the Son and accepted by the Father, (...)“ (Campbell: Atonement, 152). Hervorh. PJG. 34 Vgl. Campbell: Atonement, 102.

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Gericht Gottes laufe damit nicht ins Leere, sondern werde als solches zur Geltung gebracht: That oneness of mind with the Father, which towards man took the form of condemnation of sin, would in the Son’s dealing with the Father in relation to our sins, take the form of a perfect confession of our sins. This confession, as to its own nature, must have been a perfect Amen in humanity to the Judgment of God on the sin of man.35

Das Sündenbekenntnis Jesu entspricht Gottes Wesen („as to its own nature“), das er als Mensch vollbringt („in humanity“). Darum kann Campbell von der göttlichen Menschheit Jesu Christi sprechen und diese als Synonym für seine Sohnschaft verwenden. Das ist sein in systematischer Hinsicht entscheidender Gedanke, der ihn auch von Irving unterscheidet. Ähnlich wie Irving will Campbell das menschliche Leben Jesu akzentuieren. Nach Campbell musste das Tragen der menschlichen Sünde für Jesus wirkliche Erfahrung sein – als Voraussetzung dafür, dass er diese überwindet und Gottes Gerechtigkeit tatsächlich im Menschen zu ihrem Ziel kommt.36 Anders als Irving geht Campbell aber von der Sündlosigkeit Jesu Christi in seiner Menschheit aus.37 Das ist die Voraussetzung für sein Leiden an der Sünde und sein vollkommenes Ja zu Gottes Gericht. Campbells Darstellung des prospektiven Aspektes des Versöhnungsgeschehens, das die Menschen in einen neuen Zustand erhebt, tendiert jedoch dazu, die Unterscheidung zwischen Christus und den Gläubigen einzuebnen.38 Campbell versteht diesen neuen Zustand als Verinnerlichung der versöhnten Beziehung zu Gott. Indem der Sünder im Glauben das vollkommene Sündenbekenntnis Jesu bejaht, entspricht sein Bewusstsein (mind) dem Bewusstsein Christi in seiner Versöhntheit als Mensch mit Gott. Campbell kommt hier zurück zu der Einsicht, die ihn als jungen Theologen in den Konflikt mit seiner Kirche brachte: Der Glaube beinhaltet ein verinnerlichtes Wissen um die Liebe Gottes und um die eigene Versöhnung mit Gott.39

35 Campbell: Atonement, 116f. 36 Er beruft sich hier auf Luthers Soteriologie (vgl. Campbell: Atonement, 42). 37 In seiner „sinless humanity“ erlebe Jesus zugleich, was das Leben der „sinful humanity“ ausmache (Campbell: Atonement, 128). 38 Allerdings nimmt er eine präzise Verhältnisbestimmung von Christus und den Menschen auch gar nicht vor (vgl. Leanne van Dyk: The Desire of Divine Love. John McLeod Campbell’s Doctrine of the Atonement, New York u.a. 1995, 123). 39 Vgl. Campbell: Atonement, 156.

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Campbell identifiziert diese verinnerlichte Versöhnung zwischen dem Glaubenden und Gott mit der in Jesus Christus vollzogenen „righteousness in humanity“40 bzw. mit seinem filialen Verhältnis zu Gott.41 Jesu Sohnschaft ist also eine dezidiert menschliche Existenzweise, die von den Gläubigen nachvollzogen wird. Deshalb kann er nicht die Unterscheidung zwischen Christus und den Gläubigen markieren. Jesus Christus ist der paradigmatische göttliche Mensch, der das Wesen Gottes ebenso wie die Bestimmung des Menschen vor Gott offenbart und verwirklicht. Mühling bezeichnet Campbells Gottes- und Menschenverständnis deshalb als „Panfilialismus“, in dem Gott und Mensch sich wechselseitig konstituieren.42 Das hat gewichtige Folgen: Gott und Mensch sind auf Kosten von Gottes freier Gnade notwendig aufeinander bezogen. Die Kehrseite dieser hohen Anthropologie ist eine niedrige Christologie: Das Verhältnis des Sohnes Jesus Christus zum Vater muss als subordinationistisch beschrieben werden.43 Dabei wird die Subordination der menschlichen Seite Jesu zugeordnet. In Jesus Christus reproduziert sich Gottes Wille auf einer niedrigeren Ebene als menschliche Unterwerfung unter seinen Willen. Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch – und damit auch zwischen Gott Vater und seinem Sohn – manifestiert sich in der Existenzweise der göttlichen Selbstbejahung bzw. menschlichen Unterwerfung. Bei Campbell findet Torrance im Vergleich zu Irving eine genauere Bestimmung dessen, was sich auf menschlicher Seite im Versöhnungsgeschehen qualitativ verändert. Das Heilswerk Christi besteht darin, als Mensch dem göttlichen Wesen zu entsprechen, d.h. in der menschlichen Existenzweise des Gehorsams die Versöhnung mit Gott zu vollziehen. Im Glauben an Christus verinnerlichen die Gläubigen diese neue menschliche Existenzform. Christus ist damit nicht nur wie bei Irving ein von dem Heiligen Geist abhängiger Mensch im sündigen Fleisch, sondern tatsächlich ein neuer Mensch, der in seiner Bejahung des göttlichen Gerichts mit Gott als Mensch versöhnt ist. An diese qualitative Erneuerung des Menschen in Christus knüpfte Torrance direkt an. Jedoch bleibt schon im Blick auf Campbell fraglich, ob er sich aus den Bahnen Irvings tatsächlich lösen konnte. Auch in Campbells Konzeption stehen sich Gott und Mensch gegenüber, denn Christus ist zwar Gott in menschlicher Existenzweise, aber als Mensch vollzieht er gerade das Nichtgöttliche – den Gehorsam gegenüber Gott, den Gott ihm nicht abnehmen kann. Der Gedanke des göttlichen Heilswerkes für den Menschen wird 40 Campbell: Atonement, 137. 41 Hier bestätigt sich Mühlings Einschätzung, nach der Campbell maßgeblich von Erskine abhängig ist (vgl. Mühling: Versöhnendes Handeln, 205). 42 Mühling: Versöhnendes Handeln, 244. 43 Vgl. Mühling: Versöhnendes Handeln, 243.

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auch hier nicht erreicht, denn Christus vollzieht als neuer Mensch etwas, was er nur als Mensch kann – und was schließlich jeder Gläubige selbst für sich zu verwirklichen hat.44

2.3 Die neue Menschheit Jesu Christi bei Peter Taylor Forsyth Peter Taylor Forsyth (1848−1921) war ein kongregationalistischer Pfarrer und Direktor des theologischen Seminars Hackney College in London. Seine Congregational Union Lecture For 1909 widmete er der Christologie, sie erschien unter dem Titel The Person and Place of Jesus Christ. 1912 veröffentlichte er Vorlesungen, die sich mit The Work of Jesus Christ befassten. Torrance zitiert in seiner Auburn-Christologie ausgiebig aus beiden Werken.45 Forsyth bewegt sich mit seiner Christologie und Soteriologie in den Bahnen Campbells, dessen Nature of Atonement er schätzte und ausdrücklich weiterempfahl.46 Dessen Grundentscheidungen vollzieht er nach: Das Heilsgeschehen versteht er als zweiseitiges Geschehen, für das sowohl Gottes als auch des Menschen Seite – vereint in der Person Jesu Christi – konstitutiv sind. Auch der Entscheidung Campbells, Inkarnation und Kreuzesgeschehen bzw. Person und Werk Christi ineinander zu verschränken, folgt Forsyth. Campbells Dialogpartner war noch der alte Calvinismus des 17. und 18. Jahrhunderts. Bei Forsyth war dies schon anders. Er hatte bei Albrecht Ritschl in Göttingen studiert und war mit den Entwicklungen der Bibelwissenschaften und Dogmatik im kontinentalen und anglophonen Kontext vertraut. Deshalb behandelt er in The Person und Place of Jesus Christ zwei dem zeitgenössischen Theologiediskurs verpflichtete Grundprobleme, bevor er im letzten Teil seine eigene Position darlegt. In den ersten sieben Vorlesungen versucht Forsyth zu ergründen, inwiefern die hohe Christologie der neutestamentlichen Zeugnisse angesichts der zeitgenössischen exegetischen Befunde Bestand haben kann. In der achten und neunten Vorlesung entwickelt er eine an frei handelnden Subjekten orientierte Ontologie, mittels derer er seine Grundentscheidungen systematisch entfalten will. Dies tut er in den letzten drei Vorlesungen, in denen er Person und Werk Christi mit Hilfe der Begriffe Kenosis und Plerosis bestimmt. 44 Die These Guntons, Campbell sei für Torrance im Hinblick auf die Selbstgabe Gottes an den Menschen wichtig, bleibt unvollständig, weil sie nicht klärt, worin diese Selbstgabe besteht (vgl. Gunton: „Doctrine“, 33). 45 Vgl. Torrance: JC, 12f, 22, 24, 26ff, 43f, 51, 107, 109, 125, 160. Er zitiert aus: Forsyth: Person; ders.: The Work of Christ, London 1912. 46 Vgl. Forsyth: Work, 148.

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Mit seinen ontologischen Ausführungen kann Forsyth an den nachkantischen Theologiediskurs anzuknüpfen, der skeptisch gegenüber metaphysischen Aussagen ist und theologische Fragen in den Kontext verschiebt, der der menschlichen Erfahrung besser zugänglich zu sein scheint: den der praktischen Vernunft. Um die Inkarnation Jesu Christi zu verstehen, plädiert Forsyth deshalb unter der Maßgabe „das Moralische ist das Wirkliche“ („the moral is the real“) für eine ethische Metaphysik.47 In dieser „metaphysic of ethics“ stehen frei handelnde Subjekte im Mittelpunkt, die ihr moralisches Handeln nicht als heteronomen Anspruch, sondern als Ausdruck der eigenen Wahl des Guten begreifen. Den Begriff des Moralischen verwendet Forsyth als Synonym für eine persönliche Religiosität, in der die Gläubigen ihre Erlösung durch Jesus Christus als eigene Erlösung erfahren.48 Die Versöhnung zwischen Gott und Mensch versteht Forsyth in eben diesem Sinn: als Verhältnis von Subjekten, die sich in innerer Freiheit bejahen. Gott bestimme sich in freier Gnade zur Erlösung des Menschen und handle dementsprechend in der Person Jesu Christi. Der durch eine von Gott initiierte und durchlebte Geschichte erlöste Mensch wisse sich in einem neuen Verhältnis zu Gott. Er verinnerliche dieses Verhältnis und werde zu einer neuen moralischen Person („new moral self“49). Diese Ontologie hat eine stark personalistische und voluntative Färbung. Den Glauben des Menschen versteht Forsyth als Willensakt gegenüber Gott.50 Diese voluntative Dimension bezeichnet Forsyth als letzte Wirklichkeit: Gott sei der höchste Wille, zu dem sich der Mensch verhalten müsse.51 Mit seiner Konzeption verfolgt er bewusst ein antimetaphysisches Programm. Er sieht sich in der Tradition der Reformatoren, die das Versöhnungsgeschehen als Verhältnis von Subjekten verstanden, aber diese Einsicht nicht auf die Inkarnation angewandt hätten.52 Auch Gott versteht Forsyth im Sinne seiner am moralisch handelnden Subjekt orientierten Ontologie. Gott realisiere seine Freiheit zum Guten, indem er sich erniedrige und den Menschen zur Freiheit erlöse. Forsyth verabschiedet ein formales bzw. metaphysisches Verständnis von Gottes Allmacht zugunsten einer Ontologie der moralischen Person, nach der Gott Gott ist, 47 Forsyth: Person, 218. 48 Vgl. Forsyth: Person, 218. 49 Forsyth: Person, 197. 50 Vgl. P. T. Forsyth: Positive Preaching and Modern Mind. The Lyman Beecher Lectures on Preaching, Yale University 1907, New York 1907, 44. 51 „Reality has therefore the nature of consciousness. And consciousness is moral. For it is of the will in its nature. We are conscious of ourselves as will-powers. The great reality is thus a supreme will. And our recognition of it is an act of moral submission“ (Forsyth: Preaching, 49). 52 Forsyth: Person, 233.

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weil er auf eine bestimmte Weise handelt und damit zu seinem Ziel kommt: Nicht sein formaler Status als Gott, sondern der Inhalt seines Lebens zeichne Jesus als Gott und sein Werk als heilswirksam aus.53 Wenn Forsyth nun vermeiden will, dass Jesus auf eine menschliche Möglichkeit reduziert wird, muss er diese Aussagen ergänzen. Das tut er, indem er die Person Jesu Christi an einen vorgeschichtlichen göttlichen Akt der Kenosis bindet. Seine Ontologie eröffne zwei komplementäre Möglichkeiten, um die Inkarnation zu verstehen: einerseits als Folge eines freien Aktes Jesu Christi, bevor er in die Welt einging; andererseits als Folge seines irdischen Lebens, das in seinem Kreuzestod seinen Höhepunkt finde. Für Forsyth gehören diese beiden Bewegungen zusammen.54 Es ist unschwer zu erkennen, dass er keine moralistische Theologie treiben möchte. Ihm geht es um die veränderte Existenz der Gläubigen, die als freie Personen in persönlicher Gemeinschaft mit Gott leben und als solche die neue Schöpfung darstellen.55 Die christologische Frage, die Forsyth beschäftigt, lautet: Worin besteht das Verhältnis zwischen der Gottheit des ewigen Sohnes und dem Menschen Jesu?56 Er konzentriert sich auf die Gotteslehre, weil die Erlösung des Menschen für ihn nur glaubwürdig und wirkmächtig sein kann, wenn sie in Gottes Wesen begründet und die Frucht seines eigenen Einsatzes für den Menschen ist. Der Begriff der Kenosis dient Forsyth dazu, Gottes Wesen in dem beschriebenen moralischen Sinn zu verstehen: Leben und Sterben Jesu Christi seien als irdische Kehrseite eines himmlischen Aktes zu deuten, in dem der Sohn Gottes sich selbst erniedrige. Jesu Kreuzestod und Auferstehung betreffen Gott in seinem innersten Wesen: „The cross was the reflection (or rather the historic pole) of an act within Godhead“.57 Forsyth kann an zahlreiche Kenosistheorien anknüpfen, die im 19. Jahrhundert im deutschen und anglophonen Sprachraum formuliert wurden.58 Er bezweifelt, dass die von Gottfried Thomasius geprägte Unterscheidung zwischen relativen und immanenten Attributen Gottes aufrechtzuerhalten sei und plädiert dafür, von unterschiedlichen Modi zu sprechen, in denen sich die göttlichen Eigenschaften realisieren. Beispielsweise sei Gottes Allwissen 53 Vgl. Forsyth: Person, 235. 54 Vgl. Forsyth: Person, 232. 55 Als positive Bezugspunkte nennt er Ritschl und Schleiermacher (vgl. Forsyth: Person, 251f). 56 Vgl. Forsyth: Person, 283. 57 Forsyth: Person, 270. 58 Auch in der schottischen Theologie waren Kenosistheorien im Umlauf, u.a. von Alexander B. Bruce (1831−1899), Andrew M. Fairbairn (1838−1912) und David Forrest (1856−1918), vgl. David Brown: Divine Humanity. Kenosis Explored and Defended, London 2011, 86−104.

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im göttlichen Modus ein simultanes Allwissen, das sich im menschlichen Modus auf diskursive Weise entfalte. Der Logos habe seine Eigenschaften nicht abgelegt, sondern sie von einem aktuellen in einen potentiellen Modus überführt.59 Diese spekulativen Begriffe eröffnen viele Fragen, die Forsyth nicht klärt.60 Seine Argumentation läuft auf das Postulat hinaus, Gottes Größe bestehe gerade darin, sich selbst begrenzen und seine Gottheit im menschlichen Modus vollziehen zu können.61 Forsyths Kenosislehre gewinnt da an Originalität, wo er die Geschichte des Menschen Jesus als Kehrseite des himmlischen Aktes deutet – im menschlichen und geschichtlichen Modus. Sie beinhaltet einen Wachstumsprozess, ist gekennzeichnet durch seinen Gehorsam gegenüber Gott dem Vater und gipfelt in seinem Tod am Kreuz. Jesus realisiert im menschlichen Modus das, was Gottes innerstes Wesen ausmacht. Letzteres bestimmt Forsyth als „heilige Liebe“, d.h. als personale Verkörperung des Guten und Gerechten (Heiligkeit) und als Bereitschaft und Fähigkeit, dieses Gute auch im Menschen zu realisieren (Liebe), so dass die Menschen in ihrem innersten Wesen der heiligen Liebe Gottes entsprechen. Dies geschieht nach Forsyth in dem Menschen Jesus: Der Kenosis des Gottessohnes entspreche die Plerosis des Menschen Jesus, in der er als Mensch das Wesen Gottes realisiere, so dass Gottes heilige Liebe zu ihrem Ziel komme. Forsyth geht davon aus, dass das Heilswerk Christi gerade darin besteht, im Menschen an sich die liebende Gemeinschaft mit Gott und die Orientierung an Gottes Willen zu schaffen.62 Forsyth bestimmt sowohl Gott als auch den Menschen in metaphysikkritischer Manier als Bewegungen („movements“), die in der Menschheit Jesu Christi aufeinandertreffen.63 Die göttliche Bewegung Jesu Christi bezeichnet Forsyth als Erlösung: Seine Person habe ihren Grund in Gottes Ewigkeit; sie sei nicht von außen bestimmt, sondern bestimme sich zur Rettung des Menschen.64 Die menschliche Bewegung Jesu Christi bezeichnet er als Religion, als aktive Empfänglichkeit gegenüber Gott.65 Als Kehrseite seiner himmlischen Kenosis sei sein Leben ein Prozess, an dessen Ende er der werde, der er schon immer gewesen sei.66 59 Vgl. Forsyth: Person, 308. 60 Vgl. McCormack: Kenoticism, 453f. 61 Vgl. Forsyth: Person, 300. 62 Vgl. Forsyth: Person, 326f. 63 Vgl. Forsyth: Person, 333. 64 Forsyth: Person, 344. 65 Die Rede von der „perfectly active receptivity“ Jesu (Forsyth: Person, 352) erinnert natürlich an Schleiermachers Begriff der „lebendigen Empfänglichkeit“ Jesu (vgl. Friedrich D. E. Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt, 2. Aufl. (1838/31), hg. v. Rolf Schäfer, Berlin/New York 2008, § 94.2, 55). 66 Vgl. Forsyth: Person, 352.

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In seinen Vorlesungen zur Soteriologie, die 1912 als The Work of Christ veröffentlicht wurden, gibt Forsyth zu erkennen, wie der Zusammenhang zwischen dem einen Menschen Jesus und dem ganzen Menschengeschlecht zu verstehen ist. Schon in seiner Christologie steht das Versöhnungsgeschehen im Mittelpunkt, weil Forsyth die Person Jesu Christi nur im Licht ihres Werkes verstehen will. In The Work of Christ tritt sein systematischer Grundgedanke noch klarer hervor. In der Tradition Campbells begreift Forsyth das Versöhnungsgeschehen als zweiseitiges Geschehen mit einer göttlichen und einer menschlichen Seite. Er stellt sich damit gegen Ritschl, der aus seiner Sicht die Versöhnung allein auf Seiten des Menschen bzw. dem menschlichen Gottesverständnis verorte.67 Nach Forsyth ist das Versöhnungsgeschehen eine Geschichte, die von Gott ausgeht und durchlebt wird. Um diesen Aspekt hervorzuheben, könnte man von einer Versöhnungsgeschichte sprechen, an der der Mensch beteiligt ist und in der er eine Neuschöpfung durch Gott erfährt. Doch worin besteht diese Neuschöpfung? An dieser Stelle wird Forsyths Ontologie der moralischen Person relevant. Die Formel, unter der seine Perspektive zusammengefasst werden kann, lautet: „Justification by holiness and for it alone“68. Die Rechtfertigung des Menschen vollzieht sich in der Heiligkeit des Menschen Jesus, wodurch die Menschheit geheiligt wird, so dass sie nun in Gemeinschaft mit Gott leben kann. Nach Forsyth besteht das Wesen Gottes und des Menschen darin, sich zu einer moralischen Ordnung zu verhalten. Aus diesem Grund könne Gott nicht einfach über die Sünde des Menschen hinwegsehen. Zwischen Gott und den Menschen stehe die Sünde, die nur dadurch überwunden werde, dass Gott seine eigene Heiligkeit auf des Menschen Seite realisiere. Auf des Menschen Seite müsse Gottes Heiligkeit verinnerlicht und bejaht werden. Forsyth bezieht sich hier auf Campells Denkfigur des vollkommenen Sündenbekenntnisses. Er korrigiert diese jedoch, indem er statt von Sündenbekenntnis von Jesu Bekenntnis zu Gottes Heiligkeit in ihrem Gericht über den sündigen Menschen spricht.69 Ein solches Bekenntnis der Heiligkeit Gottes sei nur dem heiligen Gott möglich: Heiligkeit könne nur durch Heiligkeit gelebt und bekannt werden. Weil Jesus Christus Gott sei, realisiere er diese Heiligkeit – als Mensch: „For the only adequate confession of a holy God is a perfectly holy man“.70 In Person und Werk Jesu Christi werde das Verhältnis zwischen Gott und der Menschheit geklärt und die Menschheit mit Gott ver-

67 Vgl. Forsyth: Work, 65. 68 Forsyth: Work, 80f. 69 Vgl. Forsyth: Work, 150. 70 Forsyth: Work, 126.

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söhnt. Hier fällt nun der Begriff der neuen Menschheit („new humanity“71), die individuell angeeignet werden muss.72 Sein Verständnis der Heiligkeit des Gottmenschen Jesus führt zu einer für Forsyth charakteristischen Ambivalenz. Inhaltlich beschreibt er die Heiligkeit Jesu Christi als seinen vollkommenen Gehorsam und seine Hingabe bis in den Tod. Diese Heiligkeit ist keine selbstbezügliche und moralistische Leerformel. Sie wird durch die konkrete Liebe Jesu ausgelegt. Forsyth versucht, diese Heiligkeit an Gottes Wesen zu binden, indem er das menschliche Leben Jesu als Kehrseite seiner göttlichen kenosis beschreibt. Gottes Heiligkeit bestehe in der einzigartigen Weise, in der Gott seine Liebe zu den Menschen realisiere, ohne seine Gerechtigkeit zu kompromittieren.73 Gelegentlich tendiert Forsyth dennoch dazu, die Heiligkeit Gottes als abstraktes und selbstbezügliches Gut zu behandeln, dem Genugtuung widerfahren muss – unabhängig von der menschlichen Sünde und damit unabhängig von der das Heilswerk begründenden Liebe Gottes. Stellenweise spielt er den Selbstbezug der göttlichen Heiligkeit regelrecht gegen seine Beziehung zu den Menschen aus: To this end the Son of God sympathetically renounces the glory of his Heavenly state. He does it for God’s sake more than for man’s, for love of the Holy more even than of the sinner, to glorify the Holy through the sinner, and to hallow His name.74

Forsyths Anliegen, die Heiligkeit Jesu als Realisierung seines menschlichen Wesens zu verstehen, könnte diese Ambivalenz erklären. Auch in The Work of Christ ist zu beobachten, dass Forsyth sein Augenmerk auf die Gotteslehre richtet und eine theozentrische Soteriologie entwickelt. Diese beinhaltet die menschliche Seite und kommt in der Neuschöpfung des Menschen zu ihrem Ziel. Forsyth begreift Jesu Übereinstimmung mit Gottes Willen als Akt seines menschlichen Bewusstseins. Der kenotische Akt Gottes muss sich in einem menschlichen Leben realisieren, weil Gottes gerechtes Gericht über die Sünde von der Seite der Sünde aus bewusst empfangen werden muss, damit es sich als echtes Gericht vollziehen kann. Als solches ist es zugleich effektiv: Seine Wirkung besteht darin, der Heiligkeit Gottes Genüge zu tun, indem der, der das Gericht empfängt, geheiligt wird. Im Letzten geht es Forsyth um die Heiligkeit Gottes, die der Anerkennung des Menschen bedarf, um sie selbst zu sein. Gott findet seine Heiligkeit 71 Forsyth: Work, 56. 72 Das geschieht im Glauben an Jesus Christus, den Forsyth als „union with Christ“ begreift (Forsyth: Work, 129). 73 Vgl. Forsyth: Work, 83. 74 Forsyth: Person, 313.

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im Anderen seiner selbst, indem er zu dem Anderen, der Sünde, wird und seine Heiligkeit in ihr realisiert. Wie Trevor Hart beobachtet hat, liegt diese an Hegels Geistphilosophie erinnernde Denkfigur der Soteriologie Forsyths zugrunde. Hart sieht jedoch einen Unterschied zwischen der Selbstverwirklichung des Geistes bei Hegel und Forsyths Ontologie, weil letztere von Gottes – moralisch verstandener – Heiligkeit her begründet werde und von der grundsätzlichen Verfallenheit des Menschen unter die Sünde ausgehe.75 In seiner Betonung der Selbstbezogenheit Gottes, die sich auch im Akt des Loslassens seiner selbst durchhält, scheint sich Forsyth jedoch nicht grundlegend von Hegel zu unterscheiden.76 Die Menschwerdung Jesu dient der Verwirklichung der göttlichen Heiligkeit. Gottes Liebe bestimmt Forsyth als die Bereitschaft und Fähigkeit, seine Heiligkeit auch im Menschen zu realisieren. Sie steht in der Gefahr, als bloße Funktion der Heiligkeit Gottes missverstanden werden zu können. Forsyths Verständnis der Heiligkeit Gottes bringt ein weiteres Problem mit sich, das sich schon bei Campbell gezeigt hat. Wie Campbell unterscheidet er zwischen Gott und Mensch in der Kategorie der Heiligkeit bzw. Sündlosigkeit und Sünde. Wenn sich die Heiligkeit Gottes im menschlichen Modus verwirklicht, wird diese Unterscheidung zwischen Gott und den Sündern in Hegels doppeltem Sinne aufgehoben: Sie wird transzendiert, indem Christus diese Feindschaft nicht auslebt, sondern mit Gottes Willen übereinstimmt. Sie wird bewahrt als Unterscheidung zwischen Gott und Mensch, indem Christus die neue Menschheit unter den Bedingungen des Widerspruchs zwischen Gott und Mensch verwirklicht. Als solche nimmt sie eine spezifische Form an: als Gottes Heiligkeit im menschlichen Modus manifestiert sie sich in Christi Gehorsam gegenüber Gottes Willen. Die Haltung des Gehorsams und der Hingabe gegenüber dem Anderen wird somit als menschliche Haltung begriffen, um so die Unterscheidung zu Gott zu bewahren. In vielerlei Hinsicht mag sich Forsyth von der klassischen Gotteslehre verabschiedet haben, doch im Entscheidenden scheint dies nicht der Fall zu sein. In der Tradition des klassischen Theismus erscheint der Gehorsam Jesu als nur indirekt mit Gott vereinbar; er muss durch den menschlichen Modus vermittelt werden. Die Probleme, die sich in Campbells Soteriologie ergeben haben, setzen sich somit bei Forsyth fort. Jason Goroncy hat gezeigt, dass Forsyth die Grundlinien Campbells nachvollzieht, jedoch an einem bestimmten Punkt von ihm abweicht. Jesus Chris75 Vgl. Trevor Hart: „Morality, Atonement and the Death of Jesus. The Crucial Focus of Forsyth’s Theology“, in: ders. (Hg.): Justice the True and Only Mercy. Essays on the Life and Theology of Peter Taylor Forsyth, Edinburgh 1995, 16−36, 20f. 76 Vgl. die theologische Kritik dieser Denkfigur bei Michael Welker: Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 62015, 263ff.

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tus zeichne sich nach Forsyth nicht durch das von Campbell imaginierte vollkommene Sündenbekenntnis aus, da er selbst kein Sünder sei. Er zeichne sich durch seinen vollkommenen Gehorsam gegenüber Gott dem Vater und seinem Bekenntnis zu Gottes Heiligkeit in ihrem Gericht über den sündigen Menschen aus. Das Sündenbekenntnis bleibe somit dem einzelnen Sünder vorbehalten und werde der subjektiven Seite des Versöhnungsgeschehens zugeordnet.77 Goroncys Beobachtung ist richtig, nicht jedoch seine Deutung des Verhältnisses zwischen Campbell und Forsyth. Goroncy bringt hier eine dritte Größe ins Spiel: Irvings christologische Formel vom „sündigen Fleisch“. Er lehnt sich explizit an Stevenson an, der eine grundlegende Kontinuität zwischen Irving und Campbell sieht.78 Im Gegensatz zu Forsyth habe Campbell an Irvings Formel festgehalten und mit ihr das vollkommene Sündenbekenntnis Christi begründet. Damit gewinne er, was Forsyth verloren habe: die notwendige Transformation der Menschheit als solcher. Denn Christi vollkommenes Sündenbekenntnis, seine restlose Identifizierung mit der Menschheit, involviere die Menschheit als solche. So werde die gratia praeveniens gewahrt, die durch Forsyths Betonung der individuellen Aneignung der Versöhnung verloren gehe.79 Goroncy hat Recht: Forsyths Konzeption wird dem Gedanken der gratia praeveniens nicht gerecht. Doch bei Campbell scheint dies nicht anders zu sein. Erstens hat die christologische Formel Irvings für Campbell keine systematische Bedeutung. Beide wissen sich eins in der Betonung der menschlichen Seite der Versöhnung, erschließen diese jedoch auf unterschiedliche Weise. Zweitens ist die Kontinuität zwischen Campbell und Forsyth hervorzuheben. Forsyths Korrektur der Terminologie Campbells ist eine Präzisierung, keine Kursänderung. Auch Campbell konnte von der „sündlosen Menschheit“ Christi sprechen und so seine Rede vom Sündenbekenntnis Christi qualifizieren.80 Umgekehrt will Forsyth Jesus Christus ebenso wenig wie Campbell von der sündigen conditio humana lösen: Er stehe am Ort der Sünde („sinful spot“) und bejahe von diesem aus das Gericht Gottes.81 Forsyth mag die Notwendigkeit der individuellen Heilsaneignung stärker als Campbell betonen. Doch Campbell entkommt dieser Problematik ebenso wenig, da er betont, dass die menschliche Seite des Versöhnungsgeschehens 77 Vgl. Jason Goroncy: „‚Tha mi a’ toirt fainear dur gearan‘. J. McLeod Campbell and P. T. Forsyth on the Extent of Christ’s Vicarious Ministry“, in: Evangelical Calvinism. Essays Resourcing the Continuing Reformation of the Church, hg. v. Myk Habets u. Bobby Grow, Eugene, OR, 2012, 253−286, 260ff. 78 S.o. Anm. 24. 79 Vgl. Goroncy: Vicarious Ministry, 271. 80 Vgl. Campbell: Atonement, 128. 81 Forsyth: Work, 150.

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dieses mit konstituiert – und die menschliche Seite als Gehorsam qualifiziert, der Gott in seiner Gottheit fremd bleibt. So kann die gratia praeveniens Gottes nur als grundsätzliche Ermöglichung des menschlichen Heils verstanden werden. Dieses muss vom Mensch angeeignet werden, was in Jesus Christus paradigmatisch geschieht. Indem die Gläubigen das Sündenbekenntnis Christi bejahen, verwirklichen sie mit Christus das göttliche Leben im Menschen. Forsyth schreibt Campbells christologische und soteriologische Konzeption also konsequent weiter. Er gibt ihr ein reichhaltiges Fundament und führt Begriffe ein, die für Mackintosh, Camfield und schließlich Torrance wichtig werden. Das zentrale Begriffspaar, das Forsyth in die christologische Diskussion einführt, ist dasjenige der Kenosis bzw. Plerosis. Es soll aussagen, dass Gott sich begrenzen und Mensch werden (Kenosis) – und den Menschen neu schaffen kann (Plerosis). An dieser Stelle schreibt Forsyth die Tradition Campbells fort, indem er zu artikulieren versucht, dass sich im Versöhnungsgeschehen auf menschlicher Seite eine qualitative Veränderung des Menschen ereignet. Forsyth spricht von der „neuen Menschheit“82 oder „neuen Schöpfung“83, die in Christus verwirklicht werde. Die neue Menschheit ist durch die ihr eigene Heiligkeit gekennzeichnet, die darin besteht, die Heiligkeit Gottes und damit sein gerechtes Gericht über die Sünder anzuerkennen und positiv zu bejahen. Für Campbell artikuliert sich die Gottheit Jesu im Menschen als Sündenbekenntnis; Forsyth drückt dieses Geschehen positiv aus, wenn er von der Bejahung der Heiligkeit Gottes durch den Menschen spricht. Weil Forsyth ein systematischer Denker ist, treten die Probleme seiner Christologie und Soteriologie noch schärfer als bei Campbell zu Tage. Gott und Mensch werden als autonome, durch einen persönlichen Willensakt konstituierte Subjekte gedacht, die einander gegenüberstehen. Die Veränderung des Menschen kann nur als sein eigener Willensakt gedacht werden. Gott qualifiziert die menschliche Situation neu, indem er Mensch wird und als Mensch die neue Menschheit realisiert, die darin besteht, willentlich die Heiligkeit Gottes zu bejahen. Diesen neuen Existenzmodus, der im Einklang mit Gott steht, können die einzelnen Menschen verwirklichen, indem sie an Christus glauben und mit ihm die Heiligkeit Gottes bejahen. Das Heilswerk Christi für die Menschen wird auf seine Offenbarung der Heiligkeit Gottes und den ihm entsprechenden menschlichen Existenzmodus reduziert. Mit Christus eröffnet Gott den Menschen lediglich einen gangbaren Weg, mit ihm versöhnt zu werden. Die Heiligkeit Gottes erweist sich als eine streng

82 Forsyth: Work, 56. 83 Forsyth: Work, 86.

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selbstbezügliche Größe, die sich im Anderen ihrer selbst – im Menschen – zu steigern sucht, indem sie vom Menschen bejaht wird. Es kommt hier alles darauf an, wie dieses göttliche Selbst inhaltlich gefüllt wird, d.h. was inhaltlich mit der Heiligkeit Gottes bejaht wird. Forsyth tendiert dazu, die Heiligkeit Gottes nicht durch die Geschichte des Menschen Jesus auszulegen, sondern sie als abstrakte Größe zu behandeln, die seinem Heilshandeln vorausgeht. Sie stellt ein abstraktes Expansionsprinzip dar, nach dem Gott seine Heiligkeit so weit wie möglich entfalten möchte. Von diesem problematischen Verständnis der Heiligkeit Gottes kann sich Torrance in seiner Auburn-Christologie nicht klar lösen.84

2.4 Die Verbindung von schottischer Tradition und dialektischer Theologie bei Hugh Ross Mackintosh Der Schotte Hugh Ross Mackintosh (1870−1936) war einer der angesehensten britischen Theologen seiner Zeit. Von 1904 bis zu seinem Tod im Jahr 1936 lehrte Mackintosh Systematische Theologie am New College in Edinburgh. Seine enzyklopädisch anmutende Christologie erschien im Jahr 1912 und blieb für viele Jahrzehnte ein Standardwerk für das Theologiestudium in Großbritannien.85 Zeit seines Lebens hatte er ein großes Interesse an Gestalt und Gewissheit des christlichen Glaubens aus der Perspektive der Gläubigen. Davon zeugt sein zweites Hauptwerk The Christian Experience of Forgiveness ebenso wie seine lebenslange Begeisterung für Wilhelm Herrmanns Der Verkehr des Christen mit Gott, dem er 1929 eine emphatische Würdigung widmete.86 Mackintosh war mit der Theologie des 19. Jahrhunderts wohlvertraut, er hatte bei Herrmann und Martin Kähler studiert.87 Als Professor in Edinburgh verfolgte er die theologischen Entwicklungen im deutschsprachigen Raum und organisierte Übersetzungen der Hauptwerke Schleiermachers und Ritschls. 88 84 S.o. Kap. 1.4. 85 Vgl. Mackintosh: The Doctrine of the Person of Jesus Christ, New York 1912. 86 Vgl. H. R. Mackintosh: The Christian Experience of Forgiveness, London 1927; ders.: „Books that have influenced our Epoch. Herrmann’s ‚Communion with God‘“, in: Expository Times 1929, 311−315, zu Wilhelm Herrmann: Der Verkehr des Christen mit Gott. Im Anschluß an Luther dargestellt, Stuttgart u.a. 61908. 87 Vgl. Brown: Divine Humanity, 114. 88 Vgl. The Christian Doctrine of Justification and Reconciliation. The positive Development of the Doctrine, übers. und hg. v. H. R. Mackintosh u. A. B. Macaulay, Edinburgh 1900; Friedrich Schleiermacher: The Christian Faith, Engl. Transl. of the Sec. Ed., hg. v. H. R. Mackintosh u. J. S. Stewart, Edinburgh 91999 [1928].

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Mackintosh war auch einer der ersten in der britischen Welt, der als Rezensent der Expository Times auf die dialektischen Theologen aus der Schweiz und Deutschland aufmerksam machte.89 Eine Gesamtdarstellung der deutschen Theologie des 19. Jahrhunderts wagte Mackintosh in seinen Croall Lectures im Jahr 1933, die 1937 nach seinem plötzlichen Tod mit einem zusätzlichen Kapitel zu Karl Barth, das den ersten Halbband der Kirchlichen Dogmatik berücksichtigt, als Types of Modern Theology: Schleiermacher to Barth veröffentlicht wurden.90 Laut Torrance war Mackintosh der Grund, warum er sich für das Theologiestudium am New College entschieden hatte. Im Jahr 1935/36 hörte Torrance Mackintoshs große Dogmatik-Vorlesung, die alle Gebiete der Dogmatik umfasste und ihren Schwerpunkt in der Christologie fand. Torrance’ Mitschrift sowie Mackintoshs Handouts im Umfang von etwa 90 Druckseiten sind bis heute erhalten.91 Die Croall Lectures, die Mackintosh eigentlich im folgenden Jahr hatte wiederholen wollen, konnte er nicht noch einmal halten. Torrance las Types of Modern Theology jedoch nach eigener Aussage direkt nach dessen Erscheinung.92 Torrance kam also in intensiven Kontakt mit der Theologie Mackintoshs. Dessen christologisches Standardwerk sowie The Christian Experience of Forgiveness sind wichtige Bezugstexte der Auburn-Christologie.93 Im Rückblick hob Torrance die Bedeutung Mackintoshs für seine eigene Barth-Rezeption hervor. Mackintosh sei es gewesen, der Barth am New College bekannt gemacht und seine Studenten zur Auseinandersetzung mit ihm ermutigt habe.94 Torrance berichtet, dass Mackintosh sogar seine eigenen Handouts im akademischen Jahr 1935/36 handschriftlich korrigiert habe, weil er so beeindruckt von Barths Theologie gewesen sei.95 Mit dieser Aussage ist schon die Perspektive angedeutet, aus der Torrance Mackintoshs Theologie interpretierte. Nach Torrance besteht eine grundsätzliche Diskontintuität zwischen der liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts und der Theolo89 Vgl. D. Densil Morgan: Barth Reception in Britain, London/New York 2010, 26, und Richard H. Roberts: „The Reception of the Theology of Karl Barth in the Anglo-Saxon World. History, Typology and Prospect“, in: ders.: A Theology on its Way? Essays on Karl Barth, Edinburgh 1991, 95−154, 108. 90 Vgl. H. R. Mackintosh: Types of Modern Theology. Schleiermacher to Barth, New York 1937. 91 Vgl. H. R. Mackintosh: Photocopied Lecture Summaries from H.R. Mackintosh’s Lectures, in: MC 37. 92 Vgl. Torrance: „Student Years“, 4. 93 Aus der Christologie zitiert Torrance auf S. 1, 103f, 105f, 109, 124, 132f, 135, 141, 149f, 164, 182ff, aus The Christian Experience auf S. 164 u. 182ff. 94 Vgl. Thomas F. Torrance: „Hugh Ross Mackintosh. Theologian of the Cross“, in: SBET 5 (1987), 160−173, 161f. 95 Vgl. Torrance: „Mackintosh“, 164f.

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gie Barths. Mackintosh ist letztlich auf Seiten Barths zu verorten, mit dessen Hilfe er Korrekturen vornehmen und seine wahren Motive klarer habe artikulieren können.96 Im Folgenden soll Mackintoshs Entwicklung nachgezeichnet werden – anhand von Texten, die Torrance kannte. So soll gezeigt werden, dass Mackintosh einerseits der Tradition Campbells und Forsyths verpflichtet blieb, andererseits Impulse der dialektischen Theologie an Torrance vermittelte, die dieser auf eigene Weise aufnahm. 2.4.1 Mackintoshs Christologie Mackintoshs Hauptwerk The Doctrine of the Person of Jesus Christ ist in einen theologiegeschichtlichen und einen konstruktiven Teil aufgeteilt. In seinen konstruktiven Ausführungen nennt er die für ihn entscheidende christologische Frage: „The one real question before us is how the man Jesus is God for the believing mind (...)“.97 Um die Gottheit des Menschen Jesus Christus auszusagen, entwickelt Mackintosh ein personalistisches und ethisches Verständnis der Person Jesu Christi. Er tut das vor dem Hintergrund seiner Kritik an der altkirchlichen Christologie, deren Naturenlehre er für problematisch hält. Diese beinhalte einen abstrakten Dualismus zwischen Gott und Mensch: Gott führe aus, der Mensch leide. Beide würden damit als abstrakte Gegensätze bestimmt, was der einen Wirklichkeit Jesu Christi nicht gerecht werde.98 Mackintosh verwirft die von Leontius von Jerusalem im Anschluss an das Konzil von Chalcedon formulierte Lehre von der anhypostasis Jesu Christi. Diese besagt, dass die Menschheit Jesu Christi nicht als unabhängige und eigenständige Exis96 Diese Interpretation ist in der Mackintosh-Forschung weit verbreitet. Sie wurde von James Leitch vorweggenommen, der in den 1950er Jahren bei Barth mit einer Studie über Mackintosh promoviert wurde. Leitch deutet Mackintosh als Übergangsfigur, der in den 1930er Jahren seine Theologie unter dem Einfluss Barths stark korrigiert habe (vgl. James W. Leitch: A Theology of Transition. H. R. Mackintosh as an Approach to Barth, Basel 1952). Auch Redman folgt diesem Interpretationsmuster (vgl. Robert Redman: Reformulating Reformed Theology. Jesus Christ in the Theology of Hugh Ross Mackintosh, Lanham, Md., 1997). Ein differenzierteres Szenario entwirft McPake: Barths christozentrischer Ansatz und das ihn interessierende Problem des Verhältnisses von Geschiche und Offenbarung verbinde ihn mit der Ritschl-Schule – hier liege der Grund für Mackintoshs Interesse an Barth (vgl. John McPake: H. R. Mackintosh, T.F. Torrance and the Reception of the Theology of Karl Barth in Scotland. With particular reference to the Concept of the Self-revelation of God, unveröff. Diss., Universität Edinburgh, 1994, 130f). 97 Mackintosh: Jesus Christ, 287. 98 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 296.

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tenz, sondern nur als Wirklichkeit des inkarnierten Logos zu verstehen ist.99 Aus der Sicht Mackintoshs führt dieses Lehrstück zu falschen Alternativen. Werde es konsequent ausgelegt, müsse die menschliche Natur Jesu als unpersönlich erscheinen oder Jesus Christus aus einer menschlichen und göttlichen Persönlichkeit bestehen. Gottheit und Menschheit stünden einander als unvereinbare Gegensätze gegenüber.100 Nach Mackintosh steht Jesus Christus gerade dafür, dass Gott und Mensch nicht im Sinne unüberwindbarer metaphysischer Gegensätze zu verstehen sind. Jesus Christus sei Gott, weil sein Wille identisch mit Gottes Willen sei. Diese Aussage habe nicht weniger ontologisches Gewicht als die Naturenlehre.101 Dem analytischen Ansatz der altkirchlichen Bekenntnisse, der die Einheit von Gottheit und Menschheit Jesu Christi nicht erklärt, stellt Mackintosh einen synthetischen Ansatz entgegen, der diese Einheit zur Sprache bringen will. Dabei verbindet er personalistisches und ethisches Denken: Die Person wird durch ihren Willen bestimmt und dieser Wille wird als handlungsleitende Instanz verstanden. Eine solche „Personalität“ ist Gott und Mensch gemeinsam. Seiner personalen Struktur nach ist es kein Widerspruch für Jesus, Gott und Mensch zu sein. Mackintosh scheint hiermit an Forsyths Ontologie der moralischen Person anzuknüpfen, um sie auf die eine Person Jesu Christi anzuwenden. Er ist an der Personalität des Menschen in seiner jeweiligen Individualität interessiert, das voluntative und ethische Element ist bei ihm schwächer als bei Forsyth ausgeprägt. Die Christologie muss nach Mackintosh in dem historischen Jesus begründet sein. „Not mere ideas but facts are indispensably vital; facts which have existence in the same field of reality as we ourselves, i.e. the field of history“.102 Mackintosh vertritt keinen historischen Positivismus, sondern knüpft an Wilhelm Herrmanns Rede von den „geschichtlichen Tatsachen“ an, die für den Glauben notwendig seien.103 Die Betonung liegt weniger auf dem Leben des historischen Jesus als auf der Tatsache, dass Jesus Christus in der Geschichte gelebt habe und dort Menschen persönlich begegnet sei. Die Gottheit Christi könne nicht durch historische Forschung ermittelt werden, sondern nur dadurch, dass jeder Mensch aufgrund seines Gewissens ansprechbar für Gott sei.104 Es geht ihm um die individuelle Gottesbeziehung des Menschen. 99 100 101 102

Vgl. Christoph Markschies: Art. Enhypostasie/Anhypostasie, in: RGG4 Bd. 2, 1315f. Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 296. Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 304. Das erinnert an Torrance’ Aussage, nach der sich die Neuschöpfung in unserer „sphere of reality“ vollziehen muss, um als wirklich gelten zu können (vgl. Torrance: JC, 198). 103 Vgl. Wilhelm Herrmann: „Warum bedarf der Glaube geschichtlicher Tatsachen?“ (1884), in: ders.: Schriften zur Grundlegung der Theologie I, hg. v. Peter Fischer-Appelt, München 1966, 81−103. 104 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 313.

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Diese ist letztlich unabhängig von vorläufiger historischer Forschung. Sie steht dafür, dass Jesus Christus dem Menschen unvermittelt entgegentreten kann.105 Mackintosh verweist auf Herrmanns Rede vom „Glaubensgrund“, den dieser als den Kern seiner Identität und als letztgültige Größe begreife.106 Hier verbindet sich ethisches mit personalistischem Denken, wobei Mackintoshs Interesse an Individualität und Personalität überwiegt. Letzere wird bei Herrmann mit der Resonanz Gottes in den Gläubigen, die sich in ihrer Erfahrung der Vergebung Gottes äußert, begründet. Mackintosh vertritt einen objektiven Personalismus und versteht den erhöhten Christus als freies Gegenüber der Gläubigen. Denn für Mackintosh gehört die Auferstehung und das Leben des erhöhten Christus zu der Erfahrung der Person Jesu Christi; diese christologischen Aussagen seien nicht von seiner Person zu trennen.107 Mackintosh will den Menschen Jesus und sein Leben als Auferstandener zusammenbringen, um zu begründen, dass es derselbe Jesus Christus ist, der heute den Menschen gegenwärtig ist. Das innere Leben Jesu, von dem Herrmann spricht, muss nach Mackintosh an inhaltliche christologische Sätze von seiner Präexistenz, Auferstehung und Wiederkunft Christi gebunden sein. Dies hatte er schon in seiner Kritik Schleiermachers deutlich gemacht. Zwar würdigt Mackintosh Schleiermachers christologischen Ausgangspunkt, nämlich das spezifisch christliche Bewusstsein der Erlösung. Die Auferstehung, Himmelfahrt und Endzeitparusie Christi seien für Schleiermachers Christologie jedoch nicht konstitutiv. Der lebendige Jesus Christus, der auf personale Weise Menschen begegne, werde zu einem Prinzip herabgestuft.108 Im Zentrum der Christologie Mackintoshs steht seine Kenosislehre, die eng mit seinem Personalismus verbunden ist. Nach Mackintosh kann die Einheit der Person Jesus Christus mittels des Gedankens der Kenosis am besten ausgedrückt werden. Im theologiegeschichtlichen Teil skizziert Mackintosh einflussreiche kenotische Theorien des 19. Jahrhunderts (Gottfried Thomasius, Wolfgang Friedrich Gess, Isaak August Dorner). Nach Mackintosh 105 Christus „makes His own overmastering impression and subdues us to Himself. He is beheld as the last and highest fact of which moral reason takes cognizance“ (Mackintosh: Jesus Christ, 313). 106 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 316. 107 Damit setzt er sich von einer bestimmten Herrmann-Rezeption ab. Er diskutiert das Verhältnis von „Glaubensgedanken“, d.h. inhaltlichen Sätzen der Christologie, zu ihrem „Glaubensgrund“ und kritisiert, wie Theodor Häring und Max Reischle diese Begriffe Herrmanns auslegen. Nach Häring und Reischle ist der Glaube an die Auferstehung Jesu (als „Glaubensgedanke“) in der „inneren Herrlichkeit und Geistesmacht“ Jesu (als dem „Glaubensgrund“) begründet, was man als inhaltliche Entleerung und Reduktion auf die Subjektivität Jesu verstehen kann (vgl. Theodor Häring und Max Reischle: „Glaubensgrund und Auferstehung. Ein gemeinschaftliches Schlußwort zu den Verhandlungen in dieser Zeitschrift“, in: ZTK 1898, 129−133, 131). 108 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 255.

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haben diese Ansätze zwei Stärken: Sie bringen zum Ausdruck, dass die Inkarnation Gott selbst betrifft. Mackintosh spricht von dem „sense of sacrifice on the part of the pre-existent One“.109 Zudem bestimmen sie die Gottheit Christi als seinen Willen zur Erniedrigung und Inkarnation. Damit vermeiden sie eine metaphysische Gegenüberstellung von Gott und Mensch. Denn auch Menschen seien moralisch handelnde Personen, so dass die Menschwerdung Christi nachvollziehbar werde. Damit sind die zwei Grundmotive der Christologie Mackintoshs genannt: Jesus Christus ist eine Person, deren Gottheit und Menschheit nicht als aporetisches Konstrukt erscheinen muss, wenn sowohl seine Gottheit als auch Menschheit in einem moralischen und personalen Sinne bestimmt werden.110 Zugleich ist Jesus Christus eine einzigartige Person. Denn nur ihm kommt der Akt der Kenosis im Vollsinn zu, den er in seiner präexistenten Person vollzieht. Mackintosh will also nicht alle ontologischen Ansprüche aufgeben.111 Er entwickelt seine Kenosislehre auf folgende Weise. Die Menschheit Jesu Christi sei als Existenzmodus zu verstehen, der sich von dem göttlichen Modus unterscheide, aber von der Person Jesus Christus ebenso gewählt werden könne: „with Luther we may say that God has always longed for humanity as His own form of existence“.112 In der Kenosis gebe Christus nicht seine göttlichen Attribute auf, sondern bringe sie dem menschlichen Existenzmodus entsprechend zum Ausdruck.113 Mackintosh unterscheidet also zwischen Gott in seiner Gottheit und in der Inkarnation.114 In der Inkarnation besitze Jesus Christus seine göttlichen Eigenschaft potentialiter und nicht actualiter.115 Gott könne den Menschen nur nahe kommen, indem er sich selbst begrenze. Genau darin sei er personal gegenwärtig: In Him there is realised on earth the human life of God (…). It is the personal presence of God in One who is neither omniscient nor ubiquitous nor almighty – as God per se must be – but is perfect Love and Holiness and Freedom in terms of perfect humanity.116

109 Mackintosh: Jesus Christ, 265. 110 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 274. 111 Mackintosh weist den Positivismus Ritschls zurück, der die Gottheit Jesu in einem rein immanenten Sinn verstehen wolle (vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 281). 112 Mackintosh: Jesus Christ, 434. 113 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 477, Anm. 2. 114 „God in man is by supposition otherwise qualified than God as absolute“ (Mackintosh: Jesus Christ, 493). 115 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 477, u. kritisch McCormack: „Kenoticism“, 453f. 116 Mackintosh: Jesus Christ, 486.

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Mackintosh unterscheidet zwischen Gott per se und Gott in der Inkarnation, aber er versteht die Person Jesu Christi nicht unabhängig von der Inkarnation.117 Die Präexistenz Jesu Christi sei Ausdruck seiner ewigen Bedeutung, nicht aber im Sinne eines Logos extra carnem zu verstehen.118 Das menschliche Leben Jesu Christi ist für Mackintosh konstitutiv für seine Person. Die Bedeutung Christi liege darin, Gott und Menschheit zu vereinen und dem Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung eine endgültige Gestalt zu geben.119 Jesus Christus wird als Vermittlungs- oder Vereinigungsprinzip von Gott und Menschheit nicht durch unvereinbare Naturen, sondern durch zwei komplementäre Bewegungen bestimmt. Hier greift Mackintosh auf Forsyths Rede von der kenosis und plerosis Jesu Christi zurück.120 Der kenosis als Bewegung Gottes zum Menschen entspricht eine Bewegung des Menschen zu Gott, die Mackintosh als plerosis bezeichnet. Die Person Jesu Christi vereinigt eine kenotische und eine plerotische, eine göttliche und eine menschliche Bewegung – das ist das Herz von Mackintoshs Kenosislehre. Von Gottes Seite aus beginnt sein Leben in einem Akt der Kenosis; von menschlicher Seite aus ist sein Leben von Wachstum und Reife hin zu einer vollkommenen Einheit von Gott und Mensch geprägt. Kenosis und Plerosis können nicht voneinander isoliert der Menschheit oder Gottheit Christi zugeordnet werden. Sie sind in seiner Person vereint und damit beide Ausdruck der Gottheit Christi im Modus menschlicher Existenz. Während die klassische Christologie Wachstum und Prozesshaftigkeit des Lebens Jesu nur seiner Menschheit zuordnen konnte, gilt dies nach Mackintosh für seine ganze Person.121 Die Auferstehung Jesu deutet er als das Resultat seines menschlichen Lebens, in dem seine Gottheit vollkommene Gestalt gewonnen habe und die Einheit von Gott und Mensch realisiert werde.122 Bei aller Metaphysikkritik kommt Mackintoshs Christologie selbst bei einer metaphysischen Aussage zum Stehen: Die Bedeutung Jesu Christi besteht darin, zu offenbaren, dass Gott und Mensch nicht in einem grundsätzlichen Widerspruch zu einander stehen, sondern in seiner Person eins sind.123 Das von seinem moralischen Handeln geprägte Leben Jesu ist identisch mit seiner 117 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 485. 118 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 516f. 119 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 500. 120 Vgl. Forsyth: Person, 311. 121 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 495. 122 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 500. 123 Brown sieht Mackintoshs Grundmotiv in seiner Metaphysik-Kritik und dem Versuch, zwei Bewegungen in Christus zu verschränken (vgl. Brown: Divine Humanity, 118ff). Thompson spielt dieses „spekulative“ Problem herunter: Mackintosh gehe es um eine angemessene Exegese (vgl. Thomas R. Thompson: „Nineteenth-Century Kenotic Christology. The Waxing, Waning, and Weighting of a Quest for a Coherent Ortho-

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Einheit mit Gott. Möglich ist diese Konzeption wegen des personalistischen Rahmens, in den Gott und Mensch eingezeichnet werden. Die Person Jesu Christi bleibt für Machintosh eine Größe sui generis, das in ihm realisierte Verhältnis zwischen Gott und Mensch aber eine allen Menschen offenstehende Möglichkeit.124 Wie sich Mackintosh das vorstellt, führt er in seiner Christologie nicht aus. In The Christian Experience of Forgiveness (1927) bestimmt er das Verhältnis zwischen Christus und allen Menschen, indem er auf den Topos der unio cum Christo zurückgreift.125 Hier kommt Mackintoshs Christologie zum Tragen, nach der Jesu Auferstehung und Vollendung seiner Einheit mit Gott nicht von außen, sondern aus seiner eigenen Menschheit heraus realisiert worden sei.126 In gleicher Weise könnten alle anderen Menschen nur als Menschen mit Gott versöhnt werden, was für Mackintosh heißt, dass sie in ihrer Subjektivität am Versöhnungsgeschehen beteiligt sind. Mackintosh wiederholt das Argument Campbells und Erskines, nach dem das Versöhnungsgeschehen keine Rechtsfiktion sei, an der die Parteien nicht in ihrer Personalität beteiligt sind.127 Indem sich der Gläubige mit Christus identifiziere und dessen Verhältnis zu Gott dem Vater nachvollziehe, d.h. sich dem Willen Gottes hingebe, werde er mit Gott versöhnt.128 Die für Campbell und Forsyth charakteristische Verbindung der Sohnschaft Christi mit seiner moralischen Vollkommenheit findet sich nun auch bei Mackintosh, der das versöhnte Verhältnis zu Gott als Übereinstimmung mit dem moralischen Willen Gottes bzw. als Sohnschaft beschreibt.129 Die Bedeutung Christi erschöpft sich demzufolge in seiner paradigmatischen Realisierung der Einheit von Gott und Mensch, die jeder Einzelne nun selbst nachvollziehen kann. Er ist Wegbereiter eines Weges, den jeder selbst gehen kann.130 Es ist deutlich geworden, dass Mackintosh die Grundlinien der durch Campbell und Forsyth vorgezeichneten Tradition nachvollzieht. Dem für Campbell und Forsyth entscheidenden Gedanken, nach dem die Versöhnung auf Seiten des Menschen realisiert werden muss, bleibt Mackintosh treu. Nur dann erscheint sie ihm als Geschehen, das die geschöpfliche Wirklichkeit tatsächlich betrifft. Auch den Personalismus Forsyths nimmt er auf. Deshalb

doxy“, in: C. Stephen Evans: Exploring Kenotic Christology, Oxford 2006, 74−111, 89, Anm. 22). 124 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 500. 125 Mackintosh: Experience, 228. 126 Vgl. Mackintosh: Jesus Christ, 494. 127 Vgl. Campbell: Atonement, 41. 128 Vgl. Mackintosh: Experience, 227f. 129 Vgl. Mackintosh: Experience, 225. 130 Vgl. Mackintosh: Experience, 228.

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kann er ebenso wie Campbell und Forsyth postulieren, dass Jesus Christus das Leben Gottes im menschlichen Modus verwirklicht. 2.4.2 Späte Wende? Mackintoshs Rezeption der dialektischen Theologie Als einer der ersten wurde Mackintosh auf die neue theologische Bewegung aufmerksam, die sich in den 1920er Jahren zu formieren begann und als „dialektische Theologie“ in die Theologiegeschichte eingehen sollte. In seinen Besprechungen für die Expository Times widmete sich Mackintosh zunächst vor allem der Theologie Emil Brunners, dessen Werke er einer von ihm als „Schweizer Gruppe“ bezeichneten Bewegung zuordnete. Diese junge Bewegung beurteilte Mackintosh an dem Maßstab seiner christologischen Synthese von Gott und Mensch. Er las Brunner, ab 1928 schließlich auch Barth, als Nachfolger Kierkegaards, und kritisierte, dass sie einen radikalen Gegensatz zwischen Gott und Mensch eröffneten.131 Dieser bestand aus seiner Sicht nicht nur in ethischer Hinsicht – das hätte Mackintosh als negative Kehrseite ihrer gemeinsamen Personalität bejahen und damit als überwindbar ansehen können –, sondern prinzipiell. Trotzdem nahm Mackintosh in seinen Croall Lectures im Jahr 1933 Impulse aus Brunners Christologie positiv auf, um sich von der These Ritschls abzugrenzen, nach der Gott nur in seinen Wirkungen auf uns zu erkennen sei. Eine solche Theologie konnte nach Mackintosh keine Aussagen über Gott selbst treffen und musste diesen als immanente Größe behandeln. Ein immanentes Verständnis der Gottheit Christi erschien Mackintosh nun als problematisch, weshalb er zwischen der historisch wahrnehmbaren Person Jesu und seiner Gottheit zu unterscheiden begann.132 Das hatte erhebliche Konsequenzen. Mackintosh wollte Jesu Gottheit und seinen menschlichen Willen nun nicht mehr miteinander identifizieren. Diese Position, die er dezidiert in seiner Christologie vertreten hatte, verabschiedet er nun ohne große Erklärung. Er begann sogar, die von ihm früher als „metaphysisch“ kritisierten Begriffe wie Natur oder Wesen zu reanimieren, um angemessen zwischen Gott und Mensch unterscheiden zu können.133

131 Vgl. H. R. Mackintosh: „Leaders of Theological Thought. Karl Barth“, in: Expository Times 1928, 536−540, 537; ders: „Recent Foreign Theology. The Swiss Group“, in: Expository Times 1924, 73−75. 132 Vgl. Mackintosh: Types, 157. Er verweist auf „die Barthianer“, namentlich auf Brunner. 133 Mackintosh kritisiert, dass Ritschl die Gottheit Christi nicht mit einer „special Divine ‚nature‘ underlying His moral character and action, and distinguishable from them“ (Mackintosh: Types, 164) erkläre.

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In seiner großen Dogmatik Vorlesung im Jahr 1935/36 wiederholte Mackintosh seine Kritik an Ritschls Gotteslehre.134 Torrance erinnerte sich daran, dass Mackintosh die Handouts seiner Vorlesung unter dem Einfluss der Theologie Barths korrigiert habe.135 Für die Dogmatik-Vorlesung, deren Handouts sich im Nachlass von Torrance befinden, ist dies bis auf eine Ausnahme jedoch nicht nachzuweisen.136 War Mackintosh wirklich im Begriff, eine theologische Kehrtwende zu vollziehen, wie Torrance’ Erinnerungen es nahelegen? Eine genaue Analyse seiner Entwicklung zeigt, dass dies nicht der Fall ist. Schon 1912 hatte er die Person Christi als bleibendes Gegenüber der Menschen verstanden und christologische Sätze, etwa über die Präexistenz Christi, nicht nur als Selbstaussagen des Glaubens begriffen. Aus den frühen Texten Brunners und Barths nahm er den Impuls auf, die Objektivität Gottes, die nicht in menschlichem Denken aufgeht, stärker zu gewichten. Zugleich hielt Mackintosh an seiner personalistischen Ontologie fest, nach der Gott und Mensch in einem bilateralen und komplementären Verhältnis stehen. In seiner Dogmatik-Vorlesung wiederholte er die Aussagen aus The Christian Experience of Forgiveness, nach der Menschen nur als Menschen gerettet werden können und den Weg Christi selbst nachvollziehen müssen. Interessanterweise stellt sich Mackintosh an dieser Stelle explizit in die Tradition der Sühnetheorie Campbells.137 Damit steht seine Kritik an Ritschl und seine Öffnung für ein dialektisches Verständnis der Menschheit Jesu relativ unverbunden neben seinem ursprünglichen Anliegen, eine Synthese von Gott und Mensch in Christus zu denken. Nachdem Mackintosh im Jahr 1936 plötzlich verstorben war, wurden seine Croall Lectures 1937 veröffentlicht. Sie wurden um ein Kapitel zu Barth ergänzt, an dem Mackintosh bis zuletzt gearbeitet hatte. Dieser Text stellt eine Neubewertung der Theologie Barths vor dem Hintergrund seiner Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik dar, die bereits ins Englische übersetzt worden waren.138 Allerdings blieb der Text ein Fragment. Das wird vor allem daran deutlich, dass der letzte Teil des Kapitels, der nach Angabe des Herausgebers nicht noch ein letztes Mal von Mackintosh überarbeitet worden war, fast ausschließlich auf Barths Römerbrief-Kommentar beruht. Hier ist Mackintoshs Ton gegenüber Barth deutlich kritischer als im überarbeiteten ersten

134 Vgl. Mackintosh: Lecture Summaries, 10. 135 Vgl. Torrance: „Mackintosh“, 74f. 136 In einem Fall wurde „history“ durchgestrichen und durch „historical revelation“ ersetzt (vgl. Mackintosh: Lecture Summaries, 14). 137 Vgl. Mackintosh: Lecture Summaries, 20−23. 138 Vgl. Karl Barth: Church Dogmatics I.1. The Doctrine of the Word of God, übers. v. G. T. Thomson, Edinburgh 1936; Mackintosh: Types, 300.

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Teil, in dem er eine intensive Textanalyse der Prolegomena betreibt.139 Diese lohnt sich für ihn, ist er doch überzeugt, Barth habe seine frühe Theologie hinter sich gelassen und treibe nun eine konstruktive Theologie.140 Mackintosh verweist auf Barths Aussage in KD I/1, nach der er gegenüber der Dogmatik im Entwurf von 1927 nun alle Inhalte, die an existentialistische Begründungen erinnern, zurücklassen wolle.141 Aus dieser Perspektive kann er Barths Dialektik würdigen. Weil sich Gott in dialektischer Form offenbare, d.h. in einem geschöpflichen Medium, könne die Trennung zwischen Gott und Mensch überwunden werden, ohne die Unterscheidung von Gott und Mensch aufzuheben. Der mit der Dialektik verbundene aktualistische Gedanke Barths, nach dem das Menschenwort nur durch einen Akt Gottes als Wort Gottes qualifiziert werde, drücke die Freiheit Gottes aus, bei dem die Initiative zur Offenbarung liege. Die Offenbarung als Akt Gottes werde damit dem Glauben des Menschen vorgeordnet.142 Mackintosh sieht genau, dass die dialektischen Pole von Offenbarung und Verborgenheit Gottes für Barth nicht zu trennen sind, weil sie mit seiner aktualistischen Gotteslehre verbunden sind.143 Es fällt auf, dass Mackintosh die dialektische Gestalt der Offenbarung nicht als Übergangsphase behandelt, die auf die Sünde des Menschen zurückzuführen und deshalb prinzipiell zu überwinden ist. Man hätte dies nach seiner Kierkegaard-Kritik erwarten können: als Widerspruch gegen eine unüberwindliche metaphysische Trennung zwischen Gott und Mensch. Tatsächlich sagt Mackintosh auch an einer Stelle, dass Barth schon im Römerbrief-Kommentar keine absolute metaphysische Kluft zwischen Gott und Mensch lehre, sondern diese auf des Menschen Sünde zurückführe.144 Mackintosh meint damit, dass Gott frei ist, die Kluft der Sünde von seine Seite aus zu überwinden. Die Tatsache, dass Mackintosh die dialektische Form der Offenbarung aber nicht relativiert, zeigt, wie wichtig ihm die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch an dieser Stelle ist, die er durch die dialektische Vermittlung gewahrt sieht. Denn wenn die Synthese bei Gott liegt, bleibt sie von Gottes Handeln abhängig. 139 Es handelt sich bei diesem nicht überarbeiteten Teil um die Seiten 303−319 (vgl. Mackintosh: Types, 306, Anm. 1). Hier wird nur noch einmal aus der KD zitiert (312). McPake hat diesen textgeschichtlichen Sachverhalt nicht berücksichtigt, weshalb er in dem überarbeiteten Teil des Barth-Kapitels außer einer stärkeren Gewichtung der Trinitätslehre nichts Neues erkennen kann (vgl. McPake: Mackintosh, 145f). 140 Vgl. Mackintosh: Types, 272. 141 Vgl. Mackintosh: Types, 264. Mackintosh verweist auf Barths Äußerung in der von G. T. Thomson übersetzten Church Dogmatics I/1, ix. 142 Vgl. Mackintosh: Types, 285. 143 Vgl. Mackintosh: Types, 294. 144 „It is because man is fallen, not because he is finite, that man is incapable of God. The dualism follows upon sin“ (Mackintosh: Types, 299).

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In seiner späten Barth-Rezeption vollzieht sich eine Akzentverlagerung in seiner Theologie. Mackintosh fährt das komplementäre Verhältnis von Gott und Mensch stark zurück und ordnet Gott dem Menschen vor. Deren Synthese sieht er nicht mehr in einer doppelten Bewegung von Gott und Mensch, sondern in dem Akt Gottes, der das kreatürliche Medium (zu der die Menschheit Jesu zählt) zu seiner Offenbarung macht. Er konnte Barth neu würdigen, weil dieser nun der Offenbarung Gottes im Medium des Geschöpflichen Rechnung zu tragen schien. Sein Barth-Kapitel blieb jedoch ein unausgeglichenes Fragment, so dass die Frage nicht beantwortet werden kann, ob Mackintosh seine Christologie unter dem Eindruck der Barth-Rezeption hätte korrigieren wollen. In jedem Fall war er stärker an Barths positiver Verhältnisbestimmung von Gott und Mensch interessiert als an dessen Kehrseite, dem kritischen Charakter der Barthschen Dialektik. Damit blieb er seinen frühen Grundmotiven treu, auch wenn ihre spekulative Begründung nun zurücktrat. Sie hatten in zweierlei bestanden: in der durch Jesus Christus begründeten positiven Beziehung zwischen Gott und Mensch sowie seiner Realität als bleibendem Gegenüber der Menschen, denen er auch heute auf personale Weise begegnet. In seiner frühen Christologie hatte die personalistische Ontologie als Begründungsfigur des personalen Christus und der positiven Beziehung zwischen Gott und Mensch gedient. Unter dem Einfluss Brunners und Barths fuhr Mackintosh diese Begründung zurück, um eine mangelnde Unterscheidung zwischen Gott und Mensch zu verhindern. An den Anliegen seiner frühen personalistischen Ontologie hielt er fest, auch wenn diese als explizite Begründungsfigur verblasste. Dass damit manche Fragen – insbesondere der Gotteslehre – offen blieben, erleichterte seine Rezeption bei Schülern wie T. F. Torrance. Die Komplexität dieser Übergangsfigur und der theologischen Fragen seiner Generation wurde jedoch schnell überdeckt. Am New College in Edinburgh prägte Mackintosh den jungen Torrance. Er stellt das entscheidende Bindeglied zu der schottischen Tradition um Campbell und Forsyth dar. Von Mackintosh lernte Torrance, dass der Mensch auf personale Weise am Versöhnungs- und Offenbarungsgeschehen beteiligt ist. So versuchte Mackintosh, seinem Anspruch auf eine realistische Soteriologie gerecht zu werden, nach der sich Gott in „unserer“ geschöpflichen Wirklichkeit offenbart („in the same field of reality“) und diese neu schafft. Voraussetzung dieses Realismus ist seine personalistische Ontologie, nach der sich Gott und die Menschen in einem gemeinsamen Wirklichkeitsraum bewegen. Das Moment der Diskontinuität zwischen Gott und Mensch, das Campbell und Forsyth mit dem Gedanken des menschlichen Gehorsams artikulierten, war bei Mackintosh weniger stark ausgeprägt.

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In seiner Auburn-Christologie beruft sich Torrance nicht nur auf Mackintosh, sondern zehrt von seiner eigenen Lektüre Campbells und Forsyths. Zugleich wurde er durch Mackintosh mit der dialektischen Theologie, v.a. mit Brunners Mittler und den Prolegomena zu Barths Kirchlicher Dogmatik bekannt. Die Unterscheidung zwischen Gottheit und Menschheit Christi, die Mackintosh in seiner Ritschl-Analyse zu fordern begann, prägte Torrance. Die personalistische Ontologie, in die Mackintosh Gott und Mensch in seiner frühen Christologie eingezeichnet hatte, war nun keine Option mehr – solange sie von einer grundsätzlichen Harmonie zwischen Gott und Mensch ausging.

2.5 Die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch bei Emil Brunner und F. W. Camfield Neben Mackintosh und Barth sind Emil Brunner (1898−1966) und F. W. Camfield (1882−1950) für Torrance die entscheidenden Referenzpunkte der Auburn-Zeit und der 1940er Jahre. Wie die Analyse der Auburn-Vorlesung gezeigt hat, können Brunners Christologie und Camfields Revelation and the Holy Spirit als die Schlüsseltexte zum Verständnis der Auburn-Christologie gelten. Beide vereinen das Grundanliegen der dialektischen Theologie (die strikte Unterscheidung zwischen Gott und Mensch) mit dem Interesse an einer personalistischen Ontologie, in welche diese Dialektik eingeordnet werden kann – so dass die Dialektik in gewisser Weise der Ontologie, die Gott und Mensch umfasst, untergeordnet wird. Dieser moderate Ansatz ermöglichte es Torrance, Mackintoshs undialektische Christologie aufzunehmen und in seine von der Unterscheidung zwischen Gott und Mensch geprägte Theologie zu integrieren. 2.5.1 Emil Brunner: Der Mittler (1927) Emil Brunners Christologie Der Mittler fand relativ schnell Beachtung in der anglophonen Welt. 1934 erschien sie in englischer Übersetzung mit einem knappen Vorwort von Mackintosh, in dem dieser seine – nicht unkritische – Bewunderung für Brunners Christologie ausdrückt.145 Es ist nicht ganz klar, wann Torrance sie las. In seiner Auburn-Christologie zitiert er kein Werk öfter als den Mittler.146 145 Vgl. H. R. Mackintosh: „Foreword“, in: Brunner: Mediator, 10. 146 S.o. Kap. 1.1, Anm. 13. Im Rückblick erinnerte sich Torrance daran, dass der Mediator neben anderen Texten Brunners zu seiner Studienzeit am New College verfügbar war

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Schon oft ist festgestellt worden, dass Emil Brunner in der englischsprachigen Theologie der 1930er bis 1950er Jahr stärker als Barth rezipiert wurde.147 Das hängt mit seinen Lehrtätigkeiten in England und den USA zusammen. 1909 nahm Brunner an der Konferenz des Christlichen Studentenweltbundes in Oxford teil. Es folgten Aufenthalte als Lehrer in England (1913−1914), als Fellow am Union Theological Seminary in New York (1920), eine Vorlesungsreise in die USA (1928) sowie nach London, Glasgow und Edinburgh (1931).148 Brunners Vorträge fanden Eingang in englischsprachige Publikationen. Explizit nennt Torrance eine 1936 im Englischen veröffentlichte Sammlung von Aufsätzen Brunners, die ihn beeindruckte: God and Man. Four Essays on the Nature of Personality.149 Brunner war also schon früh eine wichtige Stimme im theologischen Diskurs Großbritanniens. Auch in inhaltlicher Hinsicht galt Brunner nicht mehr als der einseitige und radikale Theologe vom Kontinent, als den Mackintosh ihn in den 1920er Jahren charakterisiert hatte. Spätestens in den 1930er Jahren sind auffällige Parallelen zwischen Brunners Mittler und Mackintoshs Types of Theology erkennbar. Dafür spricht nicht nur die Beobachtung, dass Mackintosh sich überraschend oft auf Emil Brunner beruft.150 Auch seine theologischen Gütekriterien stehen Brunner näher, als man erwarten könnte. Beide wollten eine christozentrische Theologie treiben. Sie wandten sich gegen ein geschichtspositivistisches Verständnis der Person Jesu Christi, wobei Mackintosh die unmittelbare und personale Gottesbegegnung, Brunner die kritische Unterscheidung zwischen Gott und allem Menschlichen betonte. Ebensowenig wollten sie christologische Fragen auf metaphysischem Wege klären. Insgesamt war Brunner jedoch stärker von dem Wunsch motiviert, eine scharfe Grenze zwischen Gott und Mensch zu ziehen. Anders als Mackintosh es lange getan hatte, plädierte Brunner für die Zweinaturenlehre. Es ging ihm nicht um die metaphysische Konzeption dieses altkirchlichen Lehrstücks, sondern um die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch. Um diese zu akzentuieren, bediente er sich der Konzeption des „Mittlers“, in dem Gott und Mensch zusammengeführt werden, ohne dass ihre Gegensätzlichkeit aufgehoben werde.151 Es stellt sich die Frage, inwieweit er an dieser Stelle tatsächlich von Mackintosh abweicht. Dies soll im Folgenden untersucht werden, um (vgl. Torrance: „Itinerarium“, 18−20). 147 Vgl. Horst Beintker: Art. Brunner, Emil (1889−1966), in: TRE 7 (1981), 236−242, 237; Christoph Schwöbel: Art. Brunner, Emil, in: RGG 4, Bd. 1, 1802. 148 Vgl. Frank Jehle: Emil Brunner. Theologe im 20. Jahrhundert, Zürich 2006, 129f u. 241ff. 149 Vgl. Torrance: „Student Years“, 6, zu: Emil Brunner: God and Man. Four Essays on the Nature of Personality, übers. u. hg. v. David Cairns, London 1936. 150 Obwohl er Brunner kein eigenes Kapitel widmet, ist Brunner einer der meistzitierten Autoren in Types of Theology (vgl. Mackintosh: Types, 331). 151 Vgl. Brunner: Mittler, 11.

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so die Rolle Brunners im theologischen Diskurs der 1930er Jahre zu beleuchten und seine Bedeutung für Torrance herauszuarbeiten. Den Abstand zwischen Gott und Mensch markiert Brunner, indem er drei Unterscheidungen trifft. Zunächst unterscheidet er zwischen Zeit und Ewigkeit. Die Zeit bzw. Geschichte habe eine wichtige Qualität. In ihr vollziehen sich kontingente, partikulare Ereignisse. Doch die Geschichte bleibe immer vorläufig und erreiche keine Endgültigkeit. Nur wenn etwas nicht noch einmal geschehen könne, sei es in strengem Sinne einmalig und aufgrund dieser Einmaligkeit von „ewiger“ oder „absoluter“ Qualität. Eine solche Einmaligkeit stehe für das, was in der Geschichte selbst nicht erreicht werden könne.152 „Einmaligkeit“ ist für Brunner also die entscheidende Kategorie, anhand derer er klassischen Konzeptionen wie „Ewigkeit“ eine existentielle Prägung gibt und sie zur Zeit hin öffnet, so dass ein zeitliches Ereignis von ewiger Qualität, ein „einmaliges“ Ereignis, denkbar wird. Nach dieser Maßgabe versteht Brunner die christliche Offenbarung als ein partikulares, zeitliches Ereignis, das zugleich einmalig und von letzter Gültigkeit ist.153 Die Person Jesus Christus vermittle zwischen Zeit und Ewigkeit, die Inkarnation sei als „Geschehnis zwischen Ewigkeit und Zeit“ zu verstehen.154 Im Hinblick auf die Person Jesu Christi unterscheidet Brunner deshalb zwischen der menschlichen Geschichte Jesu und seinem ewigen Ursprung. Brunners christologische Konzeption zielt auf eine anthropologische Aussage ab. Die Inkarnation hat ihren Ursprung allein in der Ewigkeit, eröffnet aber als Ereignis zwischen Zeit und Ewigkeit den zeitlichen Menschen eine Beziehung zum Ewigen. Die Bewegung erfolgt also von Gott her. Aber indem sich die Inkarnation als zeitliches Ereignis von letzter Gültigkeit inmitten der Zeit vollzieht, qualifiziert sie die menschliche, zeitliche Situation als einmalig und von absoluter Bedeutung. Brunners Unterscheidung zwischen dem ewigen Ursprung Jesu Christi und seiner zeitlichen Geschichte als Mensch läuft parallel zu einer anthropologischen Unterscheidung zwischen seiner „menschlichen Person“, die anderen Menschen direkt zugänglich sei, und seinem „Persongeheimnis“.155 Jeder Mensch habe ein „Persongeheimnis“, aus dem seine einzelnen Handlungen entspringen, und das als fundamentaler Akt der Selbstbestimmung zu verstehen sei. Das Persongeheimnis der Menschen bestehe in ihrer Sünde gegen Gott. Dort, wo sie sündige Personen seien, sei Jesus der personale Gott.156 Sein „Persongeheimnis“ sei nicht direkt zugänglich und könne nur im Glauben 152 Vgl. Brunner: Mittler, 7. 153 Brunner: Mittler, 11. 154 Brunner: Mittler, 275. 155 Vgl. Brunner: Mittler, 284f. 156 Vgl. Brunner: Mittler, 285.

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erkannt werden. Damit will Brunner eine geschichtspositivistische Position vermeiden und die Unterscheidung zwischen menschlicher Geschichte und göttlicher Offenbarung wahren.157 Im Glauben an Christus erkennen wir, wer er wirklich ist – und ebenso, was unser Persongeheimnis als Sünder ist. Indem unsere ursprüngliche Identität aufgedeckt wird, werden wir in der Begegnung mit der konkreten Person Jesus Christus gezwungen, nicht weiter in der „Illusion der Autonomie“ zu leben, sondern „Verantwortlichkeit für unsere Existenz“ zu übernehmen.158 Das bedeutet: Wir werden zu einer Entscheidung von absoluter Bedeutung gebracht, und in dieser Entscheidung werden wir zur Person. Allein die Begegnung mit Jesus Christus ermöglicht eine solche existentielle Glaubensentscheidung auf Seiten des Sünders – denn dieser ist davon abhängig, dass sein geschlossenes System geöffnet wird. Dies kann nicht durch direkte Kommunikation geschehen, die immer noch Teil des Systems wäre, sondern nur durch Gottes indirekte Offenbarung. Auch dies ist ein Grund dafür, dass die Offenbarung in verhüllter Form geschieht und durch die Person Jesu Christi, in dem die Gegensätze zusammengeführt werden, vermittelt wird. Aus Brunners Sicht erschöpft sich Gottes Sein nicht in seiner Offenbarung.159 Aus diesem Grund trifft er eine dritte Unterscheidung zwischen Gott in Christus und Gott in sich selbst. Er wendet sich gegen Albrecht Ritschl, dem er eine einseitige Identifizierung Gottes als „Liebe“ vorwirft. „Gott ist nicht einfach Liebe. Gottes Wesen soll nicht mit einem einzigen Wort ausgesagt werden können. (…) Der dunkle Hintergrund hinter der Gestalt des Sohnes darf nicht verschwinden, sonst verfallen wir im Glauben einer falschen Sicherheit. (…) Gott liebt, wen er will“.160 Mit der Souveränität Gottes will Brunner seine bleibende Unterscheidung vom Menschen hervorheben. Er beruft sich weniger auf die Freiheit Gottes als auf seine Heiligkeit. Heiligkeit versteht Brunner als „göttliche Selbstbehauptung“161. Er ordnet die Heiligkeit der Natur Gottes zu, die notwendig die Beziehung zwischen Gott und seiner Schöpfung präge und sich aufgrund der kreatürlichen Sünde als Zorn manifestiere. Die Liebe hingegen sei Ausdruck des freien Gotteswillen, der sich in seinem Sohn offenbare und in seiner Liebe „durch den Zorn Gottes

157 „Dieser Mensch ist es, in dessen Personexistenz uns die göttliche Person begegnet – im Glauben. Die Person dieser menschlichen Persönlichkeit ist nicht eine menschengleiche; hier hört die Menschheit Christi auf. Aber diese Person tritt auch gar nicht in die geschichtliche Sichtbarkeit ein“ (Brunner: Mittler, 309). 158 Brunner: Mittler, 312. 159 Vgl. Brunner: Mittler, 249. 160 Brunner: Mittler, 250. 161 Brunner: Mittler, 416.

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hindurchbricht“162. In Jesus Christus – insbesondere in seinem Tod am Kreuz – seien Gottes Heiligkeit und seine Liebe vereint.163 Nur wo es diese Zweiheit gibt, nur wo Gott erkannt wird als der, der ‚außer Christi‘ wirklich zürnt, aber ‚in Christo‘ ‚eitel Liebe‘ ist, ist der Glaube wirklich Entscheidung und die Versöhnung wirklich Wende. Darum kann die Zweiheit von Heiligkeit und Liebe, von Offenbarung und Verhüllung, von Barmherzigkeit und Zorn nicht aufgelöst, in einen, synthetischen Begriff verwandelt werden (…). Hier entspringt die ‚Dialektik‘ jeder echt christlichen Theologie, die nichts anderes soll, als die Unauflösbarkeit dieser Zweiheit gedanklich zum Ausdruck zu bringen.164

Bedeutsam ist, dass Liebe und Heiligkeit bzw. Offenbarung und Verborgenheit Gottes für Brunner zu unterscheidende Wirklichkeiten bleiben, die der Vermittlung bedürfen. Damit trifft er zugleich eine Unterscheidung zwischen Gott in Christus, d.h. in vermittelter Beziehung zum Menschen, und Gott in sich. Im Kapitel „Der offenbare König“ fragt Brunner, warum wir Christus als König bekennen, nicht aber von Gott als König sprechen. Seine Antwort lautet: weil Gott unser König in der offenbaren Gestalt Christi sein will, nicht aber in seiner verborgenen Majestät. „Das Königtum des majestätischen Gottes wäre unsere Vernichtung. Der Anblick Gottes in seiner Majestät würde uns verbrennen. Es ist die göttliche Gnade und Barmherzigkeit, dass er uns den Mittler als König gibt“.165 Christi Mittlerschaft währe in Ewigkeit, doch Gott in sich bleibe von ihm unterschieden. Brunners Dialektik liegt in dieser Verhältnisbestimmung von Gottes Heiligkeit und Liebe begründet. Zu Beginn des Jahres 1927 hatte ihm die Luther-Deutung Theodosius von Harnacks in dieser Frage entscheidende Impulse gegeben. Seinem Eindruck nach lag ihm nun der Schlüssel zum rechten Verständnis der Rede Barths von der Offenbarung und Verhüllung Gottes in den Händen.166 Anhand der skizzierten drei Unterscheidungen profiliert Brunner einerseits den Abstand zwischen Gott und Mensch, andererseits die Vermittlung ihres Gegensatzes in der Person Jesu Christi. Jesus Christus wird auf eine solche Weise verstanden, dass Gott und Mensch nicht nur als unvereinbare Gegensätze erscheinen. Die Gottheit Jesu Christi besteht in seinem Persongeheimnis, d.h. in seinem Akt der Selbstbestimmung. Das ist ebenso bei den 162 Brunner: Mittler, 471. 163 Vgl. Brunner: Mittler, 410. 164 Brunner: Mittler, 470. 165 Brunner: Mittler, 533. 166 Vgl. Emil Brunner: „Der Zorn Gottes und die Versöhnung durch Christus“, in: ZdZ 5 (1927), 93−115, sowie seinen Brief an Barth vom 27. Januar 1927 (abgedruckt als Brief 61 in: Karl Barth Gesamtausgabe, 5. Briefe, Karl Barth – Emil Brunner: Briefwechsel 1919−1966, hg. v. Eberhard Busch, Zürich 2000, 149−151, 149f).

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Menschen der Fall, die sich als Sünder gegen Gott bestimmen, in der Begegnung mit Jesus Christus nun jedoch eine letztgültige Entscheidung für oder gegen Gott treffen können. Sowohl Gott als auch der Mensch werden durch einen Akt der Selbstbestimmung definiert und damit in einen gemeinsamen ontologischen Rahmen eingeordnet. Das ist nicht weit entfernt von der Position Mackintoshs, für den die Christologie zeigen soll, dass die Gottheit Jesu Christi nicht seiner Menschheit widerspricht. Brunner ist hier vorsichtiger. Das göttliche Persongeheimnis Jesu Christi, d.h. der fundamentale Akt seiner Selbstbestimmung, sei nicht direkt mit etwas Menschlichem zu identifizieren. Indem Brunner aber jedem Menschen einen solchen fundamentalen Willensakt – für oder gegen Gott – zugesteht, hat er den Gegensatz zwischen Gott und Mensch wieder aufgehoben und sie in ein und denselben ontologischen Rahmen eingezeichnet. Dieser ist dem Menschen nicht direkt zugänglich und bedarf der Offenbarung. Er ist, ebenso wie bei Mackintosh, durch einen fundamentalen Willensakt gekennzeichnet. Der Abstand zwischen Gott und Mensch ist auf den durch die Sünde des Menschen und den Widerstand Gottes entstandenen Antagonismus zurückzuführen. Brunner ist überzeugt, dass ohne eine solche grundlegende Gemeinsamkeit keine Gemeinschaft von Gott und Mensch möglich sei. 1924 hatte er Barths Verständnis des verborgenen und offenbaren Gottes als problematisch empfunden, weil es einen prinzipiellen metaphysischen Gegensatz zwischen Gott und Schöpfung zu beinhalten schien. In einem Brief an Barth hatte er dafür plädiert, die Dialektik als Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium zu verstehen. Das Gesetz verband er mit der „autonomen, semper et ubique stattfindenden Gotteserkenntnis“, das Evangelium mit der kontingenten Gnadenbotschaft in Christus. „Suchen wir das Kriterium anderswo, etwa im Zusammen von Deus absconditus und revelatus, so laufen wir Gefahr, den kosmologischen Gegensatz von endlich und unendlich, absolut und relativ über den ethischen zu setzen (...)“.167 Die Beobachtung, dass Brunner das Verhältnis von Gott und Mensch primär als moralischen Antagonismus begreift, deckt sich mit David Gillands Analyse der frühen Theologie Brunners. Gilland hebt Brunners Prägung durch die praktische Philosophie Kants hervor. Aus diesem Grund betone er die Bedeutung des Gesetzes als notwendiges Implikat der menschlichen Vernunft. Das Verhältnis des Menschen zu Gott verstehe er primär in einem moralischen Sinn als Verhältnis zu dem Gesetz Gottes.168 Das Gesetz sei 167 Brief an Barth, vermutlich vom August 1924, abgedruckt als Brief 44 in: Barth – Brunner, 101−105, 105. 168 David Andrew Gilland: Law and Gospel in Emil Brunner’s Earlier Dialectical Theology, London u.a.: Bloomsbury 2013, 134.

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für Brunner der Berührungspunkt zwischen Gott und Mensch. Ohne diese Grenze, an die der Mensch stoße, gehe seine Gottesbeziehung auf Kosten einer prinzipiellen metaphysischen Distanz verloren.169 Brunner gelingt es nun aber gerade nicht, eine positive Beziehung zwischen Gott und den Menschen kohärent zu denken. Um die Unterscheidung zwischen Gott und seiner Schöpfung aufrechtzuerhalten, die Brunner mit der Unterscheidung zwischen Zeit und Ewigkeit bzw. dem ewigen Persongeheimnis und ihrem Vollzug in der Zeit nicht durchhalten kann, unterscheidet er nicht nur zwischen Jesus Christus und Gott in sich, er bestimmt darüber hinaus letzteren als prinzipiell unzugänglich. Die Unzugänglichkeit Gottes muss dabei eine andere als die Unzugänglichkeit des Persongeheimnisses Jesu Christi sein, das nach Brunner im Glauben zu erkennen ist. Damit eröffnet Brunner eine Kluft zwischen Gott a se und Gott in seiner Zuwendung zur Welt, die er mit einer einseitig als moralisch verstandenen Heiligkeit Gottes erklärt, die den Sünder unabhängig von seiner Teilhabe an Jesus Christus vernichten würde. Er unterscheidet zwischen der vermittelten Wirklichkeit Gottes in Christus und seiner eigentlichen Wirklichkeit als Gott, kann aber nicht erklären, inwiefern die vermittelte Wirklichkeit in Christus als Selbstoffenbarung Gottes verstanden werden kann. Diese Problematik erinnert an die christologische Tradition Campbells und Forsyths, in der Christus und die Menschen nahezu identifiziert werden (als „göttliche Menschheit“) und zugleich zwischen diesem menschlichen Modus Gottes und seinem eigenen göttlichen Modus unterschieden wird. Die Modi unterscheiden sich in ihrer inneren Haltung gegenüber dem Anderen: Im menschlichen Modus gibt sich Jesus gehorsam hin; in seinem göttlichen Modus will Gott seine eigene Heiligkeit. Die Menschen können nur mit Gott versöhnt werden, wenn sie (vermittelt durch den Glauben an Christus) den ihnen gemäßen Modus annehmen, der mit Gott vereinbar ist. Beide Modi bleiben jedoch unterschieden, so dass der Inhalt des menschlichen Modus nicht Gottes Gottheit auslegt, sondern allein den menschlichen Modus coram Deo expliziert. So wird deutlich, dass Brunners dialektische Theologie keinen grundlegenden Bruch mit dieser Tradition darstellt, sondern sich noch in seiner Betonung des Antagonismus zwischen Gott und Mensch in deren personalistisch-moralische Ontologie einordnet. Auch Torrance schlug den Weg ein, den Brunner vorgezeichnet hatte.

169 Vgl. Gilland: Law, 87.

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2.5.2 F. W. Camfield: Revelation and the Holy Spirit (1933) Frederick William Camfields Revelation and the Holy Spirit. An Essay in Barthian Theology erschien 1933. Torrance las „das brillante Werk“ vor seinem Aufbruch nach Auburn.170 Der Engländer Camfield (1882−1950) war ein freikirchlicher Pfarrer, der bei P. T. Forsyth studiert hatte. Der Untertitel seiner Dissertation An Essay in Barthian Theology suggeriert, dass Camfield die Einsichten Barths nun in der Frage des Heiligen Geistes zur Anwendung bringt. Er ist jedoch irreführend. Camfield konzentriert sich nicht auf die Exegese der Werke Barths, aus denen er nur spärlich zitiert. Die Lektüre seines Essays legt nahe, dass er Barths 1932 erschienenen ersten Teilband der Kirchlichen Dogmatik als Impuls für eigene trinitätstheologische Fragestellungen nutzte – nicht mehr und nicht weniger. Nach dem Urteil Morgans hatte er sich die frühen Texte Barths, v.a. den Römerbrief-Kommentar und die Christliche Dogmatik von 1927, erarbeitet.171 Wie gründlich seine Barth-Lektüre war, bleibt trotzdem fraglich. Insgesamt fällt auf, dass Camfield häufiger auf Brunners Mittler als auf Texte Barths verweist.172 Auch in inhaltlicher Hinsicht scheint seine Konzeption der Theologie Brunners nahe zu stehen. So übernimmt Camfield die grundlegende anthropologische und christologische Konzeption Brunners, nach der zwischen dem Persongeheimnis eines jeden Menschen und seiner historischen Persönlichkeit zu unterscheiden ist. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist ganz im Sinne der dialektischen Theologie die Diskontinuität zwischen Gott und Mensch. Gott offenbare sich nicht durch eine menschliche Eigenschaft Jesu, etwa durch die Ausstrahlungskraft seiner Persönlichkeit.173 Der Heilige Geist hat für Camfield eine epistemologische Bedeutung: In ihm kann sich Gott dem Menschen in seiner Göttlichkeit offenbaren. Das dialektische Moment der Diskontinuität zwischen Gott und Mensch kann Camfield in seine von seinem Lehrer Forsyth geprägte Theologie gut integrieren. Eine zentrale Einsicht Camfields besteht darin, einen Zusammenhang zwischen den innertrinitarischen Relationen und der Person Jesu (als ganzer Gott und ganzer Mensch) bzw. der menschlichen Gotteserkenntnis durch den Heiligen Geist herzustellen. An dieser Stelle wird deutlich, dass auch 170 Vgl. Torrance: „Student Years“, 4: „(...) my study of Barth increased and deepened. This was also helped by the books about Barth by Mackintosh’s friend John McConnachie, and by the brilliant work of F. W. Camfield, Revelation and the Holy Spirit, An Essay in Barthian Theology, (...) which I read in 1937 or 1938“. 171 Vgl. Morgan: Barth Reception, 124f. 172 Mit insgesamt dreizehn Verweisen auf Brunner ist dieser der meistzitierte Autor seines Essays. 173 Vgl. Camfield: Revelation, 61.

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Camfields Essay primär eine Auseinandersetzung mit dem christologischen Problem der Gottheit und Menschheit Jesu Christi ist – ein Problem, das die Kenotiker Forsyth und Mackintosh ebenso wie die Dialektiker Barth und Brunner beschäftigt hatte. Barths Einfluss ist daran zu erkennen, dass Camfield die innertrinitarischen Relationen ins Spiel bringt, die in Christus in geschichtlicher Gestalt aktualisiert werden.174 Indem er Gott in seinen innertrinitarischen Relationen und die Schöpfung als deren Nachvollzug in einen Zusammenhang stellt, will Camfield begründen, warum Gott Mensch werden kann, ohne seine Gottheit zu kompromittieren.175 Dabei gelte: Nur wenn die Schöpfung wieder in eine rechte Beziehung zu Gott komme, könne sie die Gottheit des Sohnes sehen. Deshalb müsse der Sohn Gottes seine Gottheit ablegen und in Knechtsgestalt Mensch werden. Indem Gott Mensch werde, überwinde er die sündige Menschheit und stelle so das ursprüngliche Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung wieder her. „He has to take our manhood into Himself, that is, to abolish our actual empirical manhood, to carry it through death to resurrection, and so restore it to its first estate“.176 Die menschliche Gotteserkenntnis durch den Heiligen Geist begreift Camfield analog zur Inkarnation. So wie der Sohn Gottes als Gott im Menschen sei, könne der Heilige Geist als göttliches Wissen um sich selbst im menschlichen Bewusstsein sein. Er entfaltet diesen Gedanken, indem er sich auf ein eigentümliches Problem konzentriert: Wie ist die Inkarnation Gottes möglich, wenn die von Jesus Christus angenommene Menschheit sündiger Natur ist und er in das „sündige Fleisch“ eingeht?177 Hier taucht also wieder die von Edward Irving etwa 100 Jahre vor Camfield geprägte Formel vom sündigen Fleisch Christi auf. Wahrscheinlich knüpft Camfield aber an Brunner an, bei dem dieser Gedanke – wohl unabhängig von Irving – auftaucht.178 Es ist eher unwahrscheinlich, dass Camfield auf Irving rekurriert. Seine Terminologie entspricht auch nicht exakt derjenigen Irvings. Torrance ist wahrscheinlich zuerst bei Camfield auf diese Einsicht gestoßen, um dann im Anschluss an Irving und sein eigenes schottisches Erbe Irvings Formel vom „sündigen Fleisch“ Jesu zu verwenden.

174 Vgl. Camfield: Revelation, 93. 175 „Because He is the Father of the Son, he can create a world without setting up an absolute which is other than Himself. (…) And because God is also the Son of the Father, He can become man without any diminuition of His transcendent deity“ (Camfield: Revelation, 249). 176 Camfield: Revelation, 249. 177 Vgl. Camfield: Revelation, 271 (u. 86). 178 „He entered wholly into human life, even descending to the deepest depths of the ‚sinful flesh‘“ (Brunner: Mediator, 319).

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In jedem Fall will Camfield die Einheit der Person Jesu Christi als Gott und Mensch aussagen. In der Tradition Forsyths und Mackintoshs kritisiert er das Chalcedonense, das die Gottheit und Menschheit Christi als isolierte Größen nebeneinander stelle. Bei allem Einheitsbestreben will er aber nicht die Diskontinuität zwischen Gott und Mensch aufheben. Für diese Diskontinuität steht der Eingang Christi in das sündige menschliche Fleisch. Wie aber ist die Einheit der Person Christi zu denken? Um das Problem einer Lösung zuzuführen, unterscheidet Camfield zwischen der sündigen Menschheit und der vollkommenen Menschheit Jesu Christi. Christus nehme unsere sündige Menschheit an und erneuere sie, indem er sie negiere und sich dem Willen Gottes hingebe: In and through the self-emptying of the actual empirical humanity, the true humanity which is after the original creation of God finds continual expression until it rises up revealed and complete in the resurrection. The works of God are manifested in Jesus all along the line of His life because the works of man as such are renounced.179

Seine Gottheit bestehe darin, den vollkommenen Menschen zu realisieren, indem er auf seine Selbstverwirklichung verzichte. In diesem Verzicht bestehe „die menschliche Seite seiner Gottheit“ („the human side of the divinity which was in Him“180). Als menschliche Seite seiner Gottheit sei sie als Bewegung hin zum Tod des alten Menschens zu begreifen. Als menschliche Seite seiner Gottheit qualifiziert Camfield diese kenosis als plerosis, in der sich der wahre Mensch verwirklicht und Gott offenbart. Erneut wird das Anliegen deutlich, mit Forsyth und Mackintosh die Einheit der Person Jesu Christi auszusagen, zugleich aber die Diskontinuität zwischen Gott und Mensch zu wahren. Camfield versucht, dies zu erreichen, indem er die kenosis als Tod des alten Menschen versteht. Zugleich bleibt die kenosis ein göttlicher Akt. Camfield entfernt sich also nicht weit von Forsyth, bei dem die „göttliche Menschheit“ Jesu Christi ein Modus Gottes im Menschen ist, der seine Eigenständigkeit durch den Gehorsam gegenüber Gottes Willen gewinnt. Bei Camfield steht der Tod des alten Menschen für das Moment der Diskontinuität zwischen Gott und Mensch. Indem Jesu Hingabe in den Tod zugleich als göttlicher Akt qualifiziert wird – nur Gott könne das dem Menschen vor Gott Gemäße tun und den Menschen neu erschaffen – bleibt Jesu Gottheit gewahrt. Brunners Rede vom Persongeheimnis Christi hatte ebenfalls die Funktion, die Einheit der Person Jesu als Gott und Mensch auszusagen. Aus diesem Grund kann Camfield den Begriff aufnehmen und nahtlos in seine Kon179 Camfield: Revelation, 272. 180 Camfield: Revelation, 271.

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zeption integrieren. Im Letzten sei die Person Jesu als göttlich und nicht als menschlich zu begreifen, denn Jesus habe eine Möglichkeit realisiert, die dem sündigen Menschen aus sich heraus verwehrt sei. Jeder Mensch habe ein Persongeheimnis, das seine Person konstituiere und durch sein Gottesverhältnis bestimmt werde. Was Jesus von allen Menschen unterscheide, sei der Inhalt seines ursprünglichen Willens, der auf Autonomie gegenüber Gott verzichte.181 Auch hier wird das Moment der Diskontinuität zwischen Gott und Mensch durch Jesu Verzicht auf menschliche Selbstverwirklichung gewahrt. Dieser Selbstverzicht wird als das dem wahren Menschen gemäße und nur durch einen göttlichen Akt zu realisierende Verhalten Jesu begriffen. Der dem Menschen vor Gott entsprechende Modus des Selbstverzichts Jesu ermöglicht es, die Einheit der Person Jesu in seiner Gottheit und wahren Menschheit zu denken. Ganz im Sinne des Traditionszusammenhangs, der von Campbell über Forsyth zu Camfield führt, wird im Streben nach der Einheit der Person Jesu seine Gottheit und Menschheit sehr nahe zusammengerückt. Auch Camfield hebt die menschliche Seite Jesu in ihrem Eigenrecht hervor, sie muss allerdings auch die Last der Beweisführung tragen. Deshalb reproduziert Camfield die schon für Forsyths Christologie charakteristische Spannung, nach der Jesu Selbsthingabe zwar auf Gottes innerstes Wesen zurückzuführen ist, aber letztlich doch nur Gottes Sein im nichtgöttlichen bzw. menschlichen Modus aussagt. Einerseits kann Camfield deshalb sagen, dass die Selbsterniedrigung des Menschen Jesu die menschliche Seite seiner Gottheit sei, die mit einem göttlichen Akt der Selbsterniedrigung korrespondiere.182 Die Selbsterniedrigung Jesu Christi sei Gottes innerstem Wesen nicht fremd. An dieser Stelle kommt die im Anschluss an Forsyth gwonnene Einsicht zum Tragen, nach der Jesus Christus und der Heilige Geist in ihrem Werk am Menschen innertrinitarische Beziehungen aktualisieren. Camfield unterscheidet zwischen dem menschlichen Leiden Jesu und einer „göttlichen Auseinandersetzung“, in der es begründet ist.183 Das menschliche Leiden Jesu begreift er nicht als menschliches Verdienst, sondern als Gottes Werk. Andererseits behauptet Camfield, Jesus Christus könne in seiner wahren Identität nur erkannt werden, nachdem er die alte Menschheit durch seine Selbsterniedrigung hinter sich gelassen habe, auferstanden sei und die neue Menschheit in ihrer wiederhergestellten Beziehung zu Gott realisiert habe. Erst in dieser erneuerten Beziehung könnten die Menschen Gott erkennen.184 181 Vgl. Camfield: Revelation, 273. 182 Vgl. Camfield: Revelation, 274. 183 Camfield: Revelation, 274. 184 Vgl. Camfield: Revelation, 249.

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Das wirft die Frage auf, inwiefern dann die Selbsterniedrigung des Menschen Jesus zur göttlichen Identität gehört. Sie wird als Durchgangsstation behandelt – zumindest für Gott. Für den Menschen bleibt sie der vor Gott angemessene Modus. Mit seiner Kritik an der altkirchlichen Naturenlehre und dem Versuch, Gott und Mensch als dynamische Bewegungen auf relationale Weise zu beschreiben, reiht sich Camfield in die von Campbell begründete christologische Tradition ein. Aus dem Dilemma des klassischen Theismus, nach dem Gott von Leid und Erniedrigung freizuhalten ist, führt diese Konzeption jedoch auch bei Camfield nicht heraus. In postmetaphysischer Manier wird Gott mit Bewegung, Veränderung und Zeitlichkeit in Verbindung gebracht und die kenosis auf innertrinitarische Relationen bezogen. In inhaltlicher Hinsicht bleibt Gott in seiner Gottheit frei von der Selbsterniedrigung Jesu, welche seine Göttlichkeit im menschlichen Modus charakterisiert und damit auf diesen beschränkt bleibt.

2.6 Ertrag: Theologiegeschichtlicher Ort und systematisches Profil der Auburn-Christologie Die Analyse der Christologie Brunners und Camfields hat zu einem überraschenden Ergebnis geführt. Auch wenn beide zur dialektischen Theologie gezählt werden können, überwiegen die Kontinuitäten zu den schottischen Theologen des langen 19. Jahrhunderts, zu Campbell, Forsyth und Mackintosh. Dabei gehörten Letztere aus Sicht der dialektischen Theologie einer zu überwindenden theologischen Epoche an. Nichtsdestotrotz stehen Brunner und Camfield in dem Diskurszusammenhang, der sich für die menschliche Seite des Versöhnungsgeschehens interessiert und danach fragt, was im Menschen Jesus vor sich geht und worin die Bedeutung seines Lebens und Sterbens für die Menschen bzw. die Menschheit als solche besteht. Es geht natürlich nicht nur um die menschliche Seite, sondern immer auch um Gott. Doch die Frage, wie Gott die Menschen mit sich versöhnt, erhält einen neuen Akzent. Sie lautet nun: Wie ermöglicht Gott den Menschen die Versöhnung mit sich? Was geschieht mit den Menschen, die versöhnt werden? Es handelt sich hierbei nicht um einen schottischen Sonderweg. Das verrät schon die Tatsache, dass mit Camfield ein Engländer und mit Brunner ein Schweizer in die Linie, die schließlich zu Torrance führt, einzuzeichnen sind – und dass Forsyth und Mackintosh in Deutschland bei Ritschl, Kähler und Herrmann studiert hatten. Gunther Wenz’ Studie zur Versöhnungslehre in der deutschsprachigen evangelischen Theologie der Neuzeit führt vor Augen, mit welcher Intensität diese ebenfalls um das Problem der menschlichen Subjektivität vor Gott

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kreiste – d.h. um das Problem, wie der Mensch als Mensch mit Gott versöhnt wird. 185 Wenz bringt das Problem auf den Begriff, indem er zeigt, dass in diesen Entwürfen das individuelle Selbstbewusstsein zur letzten Bezugsgröße wird. Dies kann zu problematischen Verengungen führen, etwa wenn der „Besserungsvorsatz des empirischen Subjekts und sein selbsttätiger Vollzug der Moral“186 zu bestimmenden Kriterien der Versöhnungslehre werden. Die dialektische Theologie setzte ein mit der Kritik an den dominierenden Formen der Theologie des ausgehenden 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts. Barth, Thurneysen, Brunner, Gogarten und Bultmann wollten theologisch wieder von Gott in seiner Unterschiedenheit vom Menschen reden.187 Dementsprechend betonen Brunner und Camfield die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch. Indem sie diese Unterscheidung als antagonistische Beziehung selbständiger Subjekte begreifen, bleiben sie dem spezifischen Interesse an der menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens jedoch verpflichtet. Gott und der sündige Mensch stehen sich als widerstreitende Antagonisten gegenüber, deren fundamentale Willensentscheidungen miteinander unvereinbar sind. Jesus Christus ist der Ort, an dem dieser Gegensatz vermittelt und miteinander versöhnt wird, indem er als Mensch den Willen Gottes tut, d.h. den sündigen Willen negiert und den göttlichen Willen bejaht. Das ist nur möglich, weil Jesus Christus Gott ist. Um dies auszusagen, führt Brunner den Begriff des Persongeheimnis ein: Jeder Mensch wird durch einen fundamentalen Akt der Selbstbestimmung definiert. Dieser ist bei Jesus nicht durch seine Selbstbestätigung gegenüber Gott, sondern durch seine Übereinstimmung mit Gott definiert. Jesus Christus offenbart das Persongeheimnis der Menschen als Sünder, er macht ihre Verfasstheit transparent und ermöglicht dem Glaubenden eine personbildende Entscheidung für Gott. Im Grunde bedeutet die Offenbarung Jesu Christi nach Brunner, dass der Mensch als Mensch – in seiner anthropologischen Struktur als durch einen fundamentalen Willensakt bestimmte Person – mit Gott versöhnt sein kann. Damit anthropologisiert er das Heilswerk Jesu Christi: Es ist kein Leben und Werk Gottes als Gott und Mensch, sondern ein Leben und Werk Gottes als Mensch, in dem Gott 185 Im Hinblick auf Pietismus und Neologismus zeigen Wenz’ Analysen der Positionen Johann Conrad Dippels (1673−1734) und Johann Gottlieb Töllners (1724−74), wie die Lehre vom Werk Christi unter dem Aspekt ihrer Aneignung durch den Menschen entwickelt wurde (vgl. Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 1, 164). Dies hatte christologische Implikationen: Töllner begriff die Menschheit Christi als selbständiges Aktzentrum, wobei die Eigenständigkeit des Menschen in Konflikt mit dem Gedanken der Stellvertretung Jesu Christi geriet (vgl. Wenz: a.a.O., 180ff). 186 Vgl. Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 1, 219. 187 Vgl. den Schlüsseltext Rudolf Bultmanns: „Welchen Sinn hat es, von Gott zu reden?“, in: Theologische Blätter 4 (1925), 129−135, abgedruckt in: ders.: Glauben und Verstehen. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1933, 26−37, 26.

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den Menschen offenbart, wer sie sind (Sünder im Widerstreit mit Gott) und sein können (Glaubende im Einklang mit Gott). In diesem Sinn besteht kein Unterschied zwischen Jesus Christus und allen anderen Menschen, wenn sie denn glauben. Sie sind Personen qua ihrer willentlichen Übereinstimmung mit Gott. Möglicherweise weil er die drohende Nivellierung zwischen Gott und Mensch an dieser Stelle korrigieren will, trifft Brunner zugleich eine problematische Unterscheidung zwischen der Offenbarung Gottes in Jesus Christus und Gott in seiner unzugänglichen Transzendenz. Brunner eröffnet eine Kluft zwischen Gott a se und Gott in seiner Zuwendung zur Welt, die er in einem moralischen Sinn mit der Heiligkeit Gottes erklärt, die den Sünder unabhängig von seiner Teilhabe an Jesus Christus vernichten würde. Diese Problematik erinnert an die christologische Tradition Campbells und Forsyths, in der Christus und die Menschen in ihrer Existenzweise nahezu identifiziert werden (als „göttliche Menschheit“), zugleich aber zwischen diesem menschlichen Modus Gottes und dem ihm eigenen göttlichen Modus unterschieden wird. Die Modi unterscheiden sich in ihrer inneren Haltung gegenüber dem Anderen: Im menschlichen Modus gibt sich Jesus gehorsam hin, in seinem göttlichen Modus bejaht Gott die ihm eigene Heiligkeit. Die Menschen können nur mit Gott versöhnt werden, wenn sie (vermittelt durch den Glauben an Christus) den ihnen gemäßen Modus annehmen, der mit Gott vereinbar ist. Beide Modi stehen sich gegenüber, so dass der Inhalt des menschlichen Modus Jesu Christi nicht Gottes Gottheit auslegt, sondern den menschlichen Modus coram Deo expliziert. Diese Grundkonstellation bestimmt auch F. W. Camfields Revelation and the Holy Spirit. Bei Camfield fließen Impulse Brunners sowie die christologische Traditionslinie, die ihm durch seinen Lehrer P. T. Forsyth vermittelt wurde, zusammen. Mit Forsyth spricht Camfield von zwei Bewegungen, die in der einen Person Jesu Christi vereint werden. Die Bewegung der kenosis, in der er auf seine Selbstverwirklichung verzichtet, dient der Überwindung des sündigen Menschen. Sie korrespondiert mit der „menschlichen Seite der in ihm wohnenden Gottheit“188. Diese kenosis mündet in der plerosis, der Realisierung des wahren Menschen und der Offenbarung Gottes. Nur Gott kann diese komplementäre Bewegung vollziehen. Mit Brunner nimmt Camfield ein göttliches Persongeheimnis Jesu an. Jedoch kann er sein Werk nur als Mensch tun, denn der Selbstverzicht ist die dem Menschen vor Gott gemäße Disposition. Zwar versucht Camfield, die kenosis als historische Verwirklichung einer innertrinitarischen Relation zu begreifen und an das innere Wesen Gottes zu binden. Die wahre Identität Jesu wird jedoch erst mit seiner Auferstehung offenbar: Er offenbart Gott als den, der in ihm den neuen 188 Vgl. Camfield: Revelation, 271.

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Menschen verwirklicht hat. Er offenbart, dass für den Menschen der Selbstverzicht die angemessene Existenzweise coram Deo ist, in der sie ihr wahres Menschsein verwirklichen. Für Gott bleibt diese Existenzweise eine heilsökonomische Durchgangsstation. Torrance’ Christologie-Vorlesung aus der Auburn-Zeit ist als Teil des skizzierten Diskurses zu verstehen. Torrance ist interessiert an der menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens. Er fragt nach der Realität des Menschen vor Gott, und nach der Möglichkeit des Menschen, angesichts seiner Sünde in eine neue und gültige Beziehung zu Gott zu kommen. Als Leitfrage seiner Christologie kann die Frage gelten, die er im zehnten Kapitel der Auburn-Christologie aufwirft: How can man have a part in God and in the realm of Glory, how can time come to share in eternity? That is the question of man (…). It is answered only by the act of God in the Incarnation, an act which is identical with God himself.189

Diese Frage wird nach Torrance in der Christologie entschieden, da in Jesus Christus das Verhältnis von Gottheit und Menschheit auf endgültige Weise vermittelt wird. Dieses Verhältnis ist ein problematisches, weil sich Gott und Mensch als Antagonisten gegenüberstehen. Der sündige Mensch steht mit Gott im Widerstreit. Die Christologie muss nicht nachvollziehen, wie Gott Mensch werden kann, sondern wie Gott in das „sündige Fleisch“ des Menschen eingehen konnte. Torrance’ Antwort lautet: Jesus kam in das „sündige Fleisch“, doch seine Person war nicht durch dieses bestimmt, sondern – mit Brunner – durch sein göttliches „Persongeheimnis“190. Das Werk Jesu Christi besteht darin, das menschliche „Fleisch“ qualitativ zu verändern bzw. zu heiligen und damit der neue und wahre Mensch zu sein, der nicht im Widerspruch zu Gott steht.191 Jesus Christus verwirklicht diese neue Existenzform im Ereignis seines Lebens, Sterbens und seiner Auferstehung. Seine „veränderte Natur“192 vollzieht sich in seinem Verzicht auf menschliche Selbstverwirklichung, der in seinem Tod mündet. Darin ist Jesus der neue Mensch, der nicht im Widerspruch zu Gott steht. Die neue Natur weist neben dem Aspekt des Selbstverzichts gegenüber Gott eine weitere Charakteristik auf: Ihre Selbstbestimmung zum Selbstverzicht ist von ewiger Gültigkeit. Der Selbstverzicht entspringt dem inneren Wesen des neuen Menschen, seine Einheit mit Gott unterliegt deshalb nicht mehr kontingenten Bedingungen. Während Jesus dies aufgrund 189 Torrance: JC, 144. 190 Vgl. Torrance: JC, 122. 191 „(...) his Person sanctified the very flesh he assumed from the Virgin Mary“ (Torrance: JC, 123). 192 Torrance: JC, 129.

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seines göttlichen Persongeheimnisses schon immer ist, laufen die Gläubigen auf dieses eschatologische Ziel zu. Diese christologische und anthropologische Perspektive ist widersprüchlich. Sie schwankt zwischen klassischer Ewigkeitsmetaphysik und der existenzphilosophischen Würdigung des Besonderen und Geschichtlichen.193 Einerseits geht das göttliche Persongeheimnis Christi seiner Geschichte als zeitlose und absolute Größe voraus. In der Geschichte selbst ist es nicht direkt offenbar, sondern verhüllt. Erst mit der Auferstehung wird seine wahre Identität als Gott und neuer Mensch offenbar. Zugleich betont Torrance, dass sich Gott in dieser historischen Person offenbart hat. Das hat aber weniger Bedeutung für sein Gottesverständnis als für den Menschen und dessen soteriologische und eschatologische Aussichten: Jesus Christus verwirklicht in seiner menschlichen Zeitlichkeit bzw. in der Gestalt des „sündigen Fleisches“ die neue Menschheit. Die Zeitlichkeit des Menschen und seine sündige Verfasstheit werden damit zum Ort, an dem sie transzendiert werden können, indem sie verneint werden. Der neue Mensch wird bestimmt durch seinen Selbstverzicht und die ewige Gültigkeit dieser seiner Selbstbestimmung. Was Jesus Christus schon immer war, verwirklicht er paradigmatisch als Mensch, um den Menschen somit zu ermöglichen, diese Bewegung des Selbstverzichts mitzuvollziehen, um Anteil an seiner ewigen Gemeinschaft mit Gott zu gewinnen. So beantwortet Torrance seine Leitfrage, wie der Mensch Anteil an Gott gewinnen kann. Doch kann Jesus Christus als wahrer Mensch begriffen werden, wenn sein göttliches Persongeheimnis seiner menschlichen Geschichte vorausgeht und sich in menschlicher Gestalt nur auf eine bestimmte Weise äußert, die seiner eigenen Gottheit gar nicht direkt entspricht, sondern der vor Gott angemessenen Menschheit? Und was bedeutet eine solche Konzeption für unser Verständnis von Gott und den Menschen? Die „neue Menschheit“ bzw. neue Schöpfung ist nach Torrance dadurch gekennzeichnet, dass sie sich in Ewigkeit zur Selbsthingabe gegenüber Gott bestimmen kann. Die Gläubigen werden Personen nach dem Vorbild Jesu, die ihre menschliche Endlichkeit und Sünde transzendieren. Sie gewinnen Anteil an Gottes Ewigkeit – als Menschen, und deshalb in dem menschlichen Modus des Selbstverzichts. Eschatologie kann aus dieser Perspektive nur als Überwindung der raumzeitlichen Relativität der Schöpfung begriffen werden. Wenn Torrance von einer „neuen Zeit“ spricht, löst er das Versprechen einer neuen Zeitlichkeit nicht 193 Das entspricht der „anhypostatischen“ und „enhypostatischen“ Dimension der Person Jesu, auf die Rankin im Hinblick auf Torrance’ spätere Christologie aufmerksam gemacht (vgl. Rankin: Carnal Union, 130−135) und deren Widersprüchlichkeit Chiarot herausgearbeitet hat (vgl. Chiarot: Unassumed, 222f).

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Kapitel 2

ein. Denn der absolute und fundamentale Akt der Selbstbestimmung, in der die Menschen ihre Personalität als neue Menschen realisieren, erlöst sie gerade aus ihrer Zeitlichkeit. Auch Gott steht jenseits der Zeit. Allerdings wird er dadurch definiert, dass er seine eigene Heiligkeit – und damit sich selbst – bejaht. In seiner Selbsthingabe und -verneinung entspricht das Menschsein Jesu deshalb nicht Gottes eigenem Wesen. Sie ist die gottgemäße Existenz im menschlichen Modus. Gottes Inkarnation bleibt somit sein opus alienum, das seiner Heiligkeit nachgeordnet ist und dazu dient, die Menschen in ein neues Verhältnis zu seiner Heiligkeit zu bringen. Die Erniedrigung Jesu Christi und seine rettende Liebe sind keine Aussagen über Gottes Wesen, sondern Aussagen über die heilsökonomischen Mittel, die Gott in seiner Heiligkeit zur Verfügung stehen, um die neue Menschheit zu realisieren. Eigentlich handelt es sich um Aussagen über den Menschen bzw. über den der Heiligkeit Gottes entsprechenden menschlichen Modus, den Gott im Menschen realisiert. Torrance’ frühe Christologie führt zu einer radikal auf den einzelnen Menschen ausgerichteten Eschatologie. Diese mag in dem Sinn realistisch sein, dass sie die menschliche Erfahrung, sich als Einzelner zu Gott verhalten zu müssen, ernst nimmt. Jedoch lässt sie einen theologischen Realismus vermissen, denn sie kommt gar nicht an Gott heran. Gott bleibt Kontrastfolie der menschlichen Erfahrung, vor der diese absolute Gültigkeit gewinnt, aber er geht nicht selbst in die menschliche Wirklichkeit ein und ist nicht in ihre Neuschöpfung involviert. Die Kluft, die Torrance einerseits zwischen Gott und seiner Schöpfung, andererseits zwischen Gott Vater und Jesus Christus bzw. der immanenten und ökonomischen Trinität aufbaut, steht der von ihm intendierten Selbstoffenbarung Gottes ebenso wie einer theologisch begründeten Eschatologie entgegen. Denn eine Eschatologie kann unsere Wirklichkeit nur dann betreffen, wenn Gott sich selbst in ihr offenbart. Christologie und Eschatologie haben ihr Nervenzentrum in der Gotteslehre, die wiederum mit der Frage nach der Offenbarung Gottes verbunden ist. Neben seiner Christologie-Vorlesung las Torrance in Auburn auch über die Offenbarungs- und Gotteslehre. Sein wichtigster Gesprächspartner war hier Karl Barth, der die Offenbarungslehre in den Prolegomena seiner Kirchlichen Dogmatik neu auf die theologische Agenda gesetzt hatte. Die Offenbarungs- und Gotteslehre stehen deshalb im Mittelpunkt des nächsten Kapitels, in dem die Barth-Rezeption des frühen Torrance rekonstruiert werden soll.

KAPITEL 3

T. F. Torrance und Karl Barth Frühe Richtungsentscheidungen in der Gotteslehre

Die vorangehende Analyse hat gezeigt, dass Torrance’ Auburn-Christologie in einem Diskurszusammenhang steht, der nach der spezifisch menschlichen Seite im Versöhnungsgeschehen fragt, um deren Realität für den Menschen auszusagen. Mit dieser Perspektive übernimmt Torrance auch ihr Grundproblem. Um die Realität des Menschen vor Gott auszusagen, wird sie in ein einfaches Gegensatzverhältnis zu Gott gestellt. Gott bleibt seiner Offenbarung und Neuschöpfung äußerlich, weil diese sich allein im Bereich des Menschen bzw. der menschlichen Seite Jesu Christi abspielt. Gott wird als Kontrastfolie der menschlichen Erfahrung dargestellt. Zwischen seiner Offenbarung und seinem eigenen Wesen entsteht eine Kluft, die zu schwerwiegenden Problemen in der Gotteslehre führt. Der Theologe, der die Offenbarungslehre wieder auf die theologische Agenda gesetzt hatte, war Karl Barth, bei dem Torrance im Jahr 1937/38 studierte und 1946 promovierte. In Torrance’ Auburn-Christologie spielt Barth nicht die Hauptrolle.1 Anders verhält es sich in den Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre, die Torrance ebenfalls in Auburn hielt und in der die ersten beiden Teilbände der Kirchlichen Dogmatik einen zentralen Bezugspunkt darstellen. Im Folgenden soll Torrance’ Barth-Rezeption exemplarisch an seinen Auburn-Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre nachvollzogen werden. Anschließend soll ein Vergleich ihrer Erwählungslehre, mit denen sich beide in den frühen 1940er Jahren intensiv beschäftigten, zeigen, welch unterschiedliche Wege Torrance und Barth in der Gotteslehre einschlugen – obwohl Torrance als Barthianer wahrgenommen wurde, der die englische Übersetzung der Kirchlichen Dogmatik mitverantwortete und in der britischen Öffentlichkeit als Barthausleger auftrat.2 1 2

Vgl. Rankin: Carnal Union, 54f. Auch an der Gründung des Scottish Journal of Theology war Torrance beteiligt, das zu einem wichtigen Medium für die Verbreitung der Theologie Barths in der englischsprachigen Welt wurde (vgl. Morgan: Barth-Reception, 218). Seit den frühen 1950er Jahren trat er öffentlich für Barths offenbarungstheologischen Ansatz ein (vgl. Thomas F. Torrance: „Correspondence with Professor Brand Blanshard in The Scotsman on ‚The Theology of Karl Barth‘“, 11., 18. u. 22. April 1952). 1962 legte er eine Monographie zur En-

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Kapitel 3

Er konnte das mit einer gewissen Autorität tun, weil er selbst bei Karl Barth studiert hatte. Ein Stipendium hatte ihm ermöglicht, nach Abschluss seines Studiums in Edinburgh für zwei weitere Semester nach Basel zu gehen. Seinem Basler Kollegienbuch ist zu entnehmen, dass er in den beiden Semestern des Jahres 1937/38 die fortlaufende Dogmatik-Vorlesung Barths hörte. Zu dieser Zeit las Barth über die Gotteslehre, die er als Halbband II/1 der Kirchlichen Dogmatik veröffentlichte. Torrance hörte wohl die erste Hälfte des Halbbandes, d.h. die Paragraphen 25−27 über die Erkenntnis Gottes und möglicherweise Paragraph 28 „Gottes Sein als der Liebende in Freiheit“.3 Bevor Torrance nach Basel kam, war er schon durch H. R. Mackintosh mit dem ersten Halbband der Kirchlichen Dogmatik in Berührung gekommen, der 1936 ins Englische übersetzt worden war; in Basel las er den zweiten Halbband.4

3.1 Torrance’ Barth-Rezeption in seinen AuburnVorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre Die Christologie-Vorlesung bildet den Hauptteil einer semesterübergreifenden Vorlesung zur Dogmatik, in der Torrance zuerst die Offenbarungslehre, dann die Gotteslehre und schließlich die Christologie behandelte. Für diese Reihenfolge spricht nicht nur eine briefliche Äußerung5, sondern auch der Aufbau von Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, an dem sich Torrance zu orientieren scheint. In den zweibändigen Prolegomena behandelt Barth die Of-

3

4 5

twicklung des frühen Barth vor, in der er die Perspektive seines Lehrers Mackintosh übernimmt, der von einer Wende hin zu einer positiven Theologie ausgeht: “But with the concentration upon the Incarnation of the Word, upon Jesus Christ, God and Man in one Person, dialectical thinking had to fall away and positive Christological thinking had to take its place” (ders.: Karl Barth. An Introduction to his Early Theology, 1910−1931, London 1962, 106f). Diese scharfe Unterscheidung zwischen früher Dialektik und reifer „positiver“ Theologie hat McCormack zu dekonstruieren versucht (vgl. ders.: Theologische Dialektik, 41−44). Barth kam erst im Herbst 1939 zur Prädestinationslehre und damit zum Material der KD II/2 (vgl. Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, München 1975, 317). An der KD II/1 hatte er im Sommersemester 1937 zu arbeiten begonnen (vgl. Busch: Lebenslauf, 297). In den folgenden vier Semestern las er über das Material der KD II/1, dessen erste Hälfte Torrance gehört haben wird. Zudem besuchte Torrance Barths Vorlesungen zum Kolosser- und zum 1. Petrusbrief sowie zwei Seminare zur natürlichen Theologie und zur Taufe. Dazu kam die Dogmatische Sozietät, zu der Barth einen ausgewählten Kreis von Studenten einlud, um in den Semestern 1937−38 Johann Wollebs Christianae theologiae compendium durchzuarbeiten (vgl. sein Basler Kollegienbuch, in: MC 14, sowie McGrath: Torrance, 45). Vgl. Torrance: „Student Years“, 13−15. Vgl. den Brief vom 5. Januar 1939 an Annie Elizabeth Torrance, in dem Torrance von seinem Vorlesungsprogramm berichtet (MC 11).

T. F. Torrance und Karl Barth

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fenbarungslehre und in deren Zusammenhang die Trinitätslehre. Darauf folgt die zweibändige Gotteslehre, die zwar erst ab 1940 publiziert wurde, deren erste Paragraphen Torrance jedoch in Basel gehört hatte. In Torrance’ Nachlass finden sich die Vorlesungsmanuskripte The Christian Doctrine of Revelation (59 Manuskriptseiten) und The Christian Doctrine of God: Constructive Account, das mit 139 Manuskriptseiten deutlich länger ist und einen eigenen Abschnitt zur Trinitätslehre enthält.6 Die Christologie-Vorlesung umfasst 350 Manuskriptseiten, was für Torrance’ Konzentration auf die Christologie spricht. Torrance’ Vorlesungen zur Gotteslehre kreisen um die beiden spannungsvollen Aussagen, die auch seine Christologie-Vorlesung prägen. Einerseits gilt nach Torrance, dass Gott den Menschen nur in seiner Selbstoffenbarung zugänglich ist. In dieser gebe er sich dem Menschen in seiner ganzen Gottheit. Zugleich qualifiziert Torrance diese Aussage. Er will Gott nicht mit seiner Selbstoffenbarung in der Weise identifizieren, dass Gott seine Freiheit gegenüber seiner Offenbarung verliert. Aus diesem Grund betont Torrance, dass Gottes inneres Wesen verborgen bleibt: But God is always the Subject of his operations, the Subject of his revelation, the Subject of his self-giving, the Subject of his Love, though he is at the same time this love. (…) God does not cease to be the God who in his essence is hidden.7

Mit diesen spannungsvollen Aussagen orientiert sich Torrance an Barths Prolegomena, in der Barth sowohl die Selbstoffenbarung Gottes als auch seine souveräne Freiheit in dieser Offenbarung und gegenüber seiner Offenbarung betont. Offenbarung definiert Barth als „Selbstenthüllung des seinem Wesen nach dem Menschen unenthüllbaren Gottes“8. Diese wesenhafte Unenthüllbarkeit macht eine genuine Selbstoffenbarung Gottes nach Barth nicht unmöglich, sondern sie stellt sie unter die Bedingung der göttlichen Aktivität. Nur wenn Gott handelt, funktioniert die Dialektik von Verhüllung und Enthüllung. Indem Gott die Gegensätze zusammenhält, offenbart er sich in menschlicher Gestalt, von der ansonsten kein automatischer Weg zur Gotteserkenntnis geht. Deshalb ist seine Offenbarung mit seiner Verborgenheit verbunden. Wenn Gott sich offenbart, dann wird dem Menschen seine Unverfügbarkeit deutlich und er erkennt, dass der offenbare Gott immer zugleich der verborgene Gott ist, der sich nicht unmittelbar offenbart. Nach Bruce McCormack beherrschte die epistemologische Dialektik von Verhüllung und Enthüllung Barths Theologie bis in den ersten Band der Prolegomena. Barth habe sich in dieser Phase auf das Offenbarungsereignis kon6 7 8

Beide sind enthalten in: MC 23. Torrance: „Revelation“, 2. Barth: KD I/1, 332f.

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zentriert und die Offenbarungslehre im ersten Band der Prolegomena mit der Trinitätslehre verknüpft. Er habe verstehen wollen, wie Gott sich in seiner „Gottheit“, d.h. in seiner Unterschiedenheit vom Menschen, als Gott offenbaren kann. Wenn Barth Gottes Gottheit mit dem Satz „Gott offenbart sich als der Herr“ bestimmt, bleibe er jedoch auf der Ebene des Offenbarungsbegriffs.9 Dadurch nehme seine Offenbarungs- und Trinitätslehre einen formalen Charakter an, weil Barth mit der Prämisse „Gott offenbart sich als der Herr“ eine Vorentscheidung in der Gotteslehre treffe, die er nicht – oder nur durch eine eklektische Exegese – von dem Geschehen der Offenbarung bzw. der Heiligen Schrift her gewonnen habe. Man kann dies allerdings auch ins Positive wenden: Gerade weil Barth die Herrschaft Gottes in einem formalen (und damit minimalen) Sinn als seine Aseität und Freiheit gegenüber dem Menschen versteht, die sich in seiner Selbstoffenbarung manifestiert, bleibt seine Konzeption offen für eine Weiterentwicklung, in der diese inhaltlich präzisiert wird. Dies geschieht in Barths reifer Erwählungslehre, mit der Barth eine christologische Wende innerhalb seiner Kirchlichen Dogmatik einleitet. Er bleibt seinem Interesse an der Gotteslehre treu, doch er lässt sie durch die Geschichte Jesu Christi bestimmen, anstatt dieser Geschichte einen abstrakten Gottesbegriff vorzuschalten.10 Das heißt aber gerade nicht, dass Gottes Verborgenheit zu Gunsten seiner inhaltlichen Bestimmung in Christus, d.h. seiner Offenbarung, aufgegeben wird. Vielmehr wird seine Verborgenheit durch Christus ausgelegt: Es gehört zu Gottes innerstem Wesen, als Gott der Mensch Jesus zu sein. Indem Gott sich in menschlicher Gestalt verbirgt, erweist er sich als Gott. In den Prolegomena entwickelt Barth diese Dialektik von Verhüllung und Enthüllung im Hinblick auf das Offenbarungsereignis zwischen Gott und den Menschen. Mit der christologischen Wende tritt Gottes inneres Wesen in den Mittelpunkt. Barth kann jetzt viel präziser darüber Auskunft geben, was Gottes Gottheit inhaltlich ausmacht.11 Die Verborgenheit steht nun für die niedrige Gestalt, die Gott in Christus annimmt und ohne die er nicht Gott ist. 9

Barth fährt fort: „Dieser Satz ist als ein analytisches Urteil zu verstehen“ (KD I/1, 323). Vgl. Wilfried Härle: Sein und Gnade. Die Ontologie in Karl Barths Kirchlicher Dogmatik, Berlin u.a. 1975, 27f. 10 Vgl. zur christologischen Wende Bruce McCormack: „Karl Barth’s Version of an ‚Analogy of Being‘. A Dialectical No and Yes to Roman Catholicism”, in: The Analogy of Being. Invention of the Antichrist or the Wisdom of God?, hg. v. Thomas Joseph White, O.P., Grand Rapids, Mich. u. Cambridge, UK 2010, 88−144, v.a. 121−143, sowie Thies Gundlach: Selbstbegrenzung Gottes und die Autonomie des Menschen. Karl Barths kirchliche Dogmatik als Modernisierungsschritt evangelischer Theologie, Frankfurt a.M. 1992, 161. 11 Vgl. McCormack: „Analogy“, 127.

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In Auburn rezipierte Torrance in erster Linie die Prolegomena, weshalb Barth in seinen Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre eine wichtigere Rolle als in seiner Christologievorlesung spielt. Allister McGrath hat auf zahlreiche Parallelen zwischen Torrance’ Vorlesungen zur Trinitätslehre und den Prolegomena hingewiesen. Er nennt die häufige Zitation Barths, die Verknüpfung von Offenbarungs- und Trinitätslehre sowie Torrance’ Beteuerung, zwischen Gottes immanentem Wesen und seiner Offenbarung bestehe keine Kluft.12 Zugleich betont McGrath, dass Torrance Barth nicht unkritisch folge und eine eigenständige Theologie treibe. Er begründet das jedoch nicht weiter und verweist lediglich darauf, dass sich Torrance gerade in seiner Vorlesung zur Offenbarungslehre auch auf seine schottischen Lehrer Mackintosh und Lamont berufe.13 Es ist in der Tat schwierig, Torrance’ Barth-Rezeption allein anhand der Vorlesungen zur Offenbarungs- und Gotteslehre zu erfassen. Wie bereits angedeutet, bildet Barths doppelte Aussage – Gott offenbart sich selbst, aber er bleibt in seiner Offenbarung frei und geht nicht in dieser auf – das Leitmotiv für Torrance’ Offenbarungs- und Gotteslehre. In seinem Umgang mit der dialektischen Denkfigur der Verhüllung und Enthüllung Gottes setzt er aber eigene Akzente, wie zwei Hinweise zeigen sollen. Erstens. Von Anfang an nimmt Torrance die Reaktion der Menschen auf Gottes Offenbarung in den Blick. Torrance begreift das Problem der Offenbarung weniger als epistemische denn als moralische Herausforderung. Diese bestehe darin, dass die Menschen Gottes Offenbarung ausweichen.14 Aufgrund der menschlichen Sünde können die Menschen Gott nicht erkennen – noch könne Gott sich in seiner Gottheit offenbaren: „God cannot compromise His own Being or Deity, abdicate His Honour or Transcendent Majesty without abdication as God.“15 Die Offenbarung müsse deshalb ein Geschehen sein, in dem des Menschen Sünde vergeben und die Menschen dahingehend verändert werden, dass sie Gott erkennen können. Torrance spricht von einer notwendigen Erneuerung der menschlichen Natur.16 Zweitens. Während Barth Gottes Wesen mit einer Vorentscheidung als Herrschaft definiert, aber aufgrund seines epistemologischen Interesses relativ neutral von dieser spricht, gewinnt sie bei Torrance eine moralische Färbung. Das wird dort deutlich, wo Torrance die Heiligkeit Gottes behandelt. Mit Barth will Torrance Gottes Heiligkeit zwar nicht als moralische Vollkommenheit verstehen, sondern als das Proprium Gottes, das ihn von uns 12 Vgl. McGrath: Torrance, 136. 13 Vgl. McGrath: Torrance, 136. Camfield wird nicht genannt, obwohl Torrance ihn am häufigsten in seiner Vorlesung zur Offenbarungslehre zitiert. 14 Vgl.Torrance: „Revelation“, 2. 15 Torrance: „Revelation“, 38. 16 Vgl. Torrance: „Revelation“, 39.

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unterscheidet und zu Gott macht.17 Die Heiligkeit Gottes beschreibe Gottes inneres Wesen. Wenn Gott sich als Gott offenbare, müsse seine Offenbarung seiner Heiligkeit entsprechen, denn Gott könne nichts anderes sein und wollen als sein eigenes Wesen, d.h. seine Heiligkeit. Diese verbindet Torrance mit dem Begriff der Ehre Gottes: God’s Holiness is precisely the Divine Glory. God cannot be other than that which he is; He is what He is; therefore His supreme end is His own Glory, His own deity. Turned toward us that must mean that in Holiness God is being faithful to Himself. He is being just what He is. His nature is being manifested in action consistent with that nature.18

Entscheidend ist nun aber die Frage, worin die Heiligkeit Gottes inhaltlich besteht. Einerseits folgt Torrance Barth, der betont, dass sich Gottes Gottheit in seiner Offenbarung durchhalten muss. Barth bestimmt seine Gottheit als seine Herrschaft, wobei diese im Rahmen der Prolegomena als seine Freiheit zur Selbstoffenbarung ausgelegt wird und damit in erster Linie als epistemologisches Prinzip fungiert. Für Torrance ist Gottes Heiligkeit sein inneres Wesen, er spricht von Gottes sanctitas essentialis, die aber mit seinem universalen Geltungsanspruch, seiner sanctitas moralis, untrennbar verknüpft sei.19 Das erinnert an Anselms Konzeption der Ehre Gottes, die ihn nicht nur als Privatperson betrifft, sondern immer zugleich Inbegriff einer universalen Ordnung ist, zu der die Welt durch das Gesetz bestimmt ist. Die menschliche Sünde verletze diese Ordnung, weshalb Gottes Ehre nicht von ihr unberührt bleibe. Die Tatsache, dass Torrance die Heiligkeit Gottes mit seiner Ehre gleichsetzt, spricht für seine Rezeption dieses Topos.20 Gottes Heiligkeit im Sinne seiner eigenen sanctitas essentialis erscheint als formales Prinzip, nach dem Gott sein eigenes Wesen bejaht. Auf diese Weise legt Torrance Barths Gedanken der Freiheit Gottes in seiner Selbstoffenbarung aus. In seiner Beziehung zum Menschen will Gott sich selbst, er wird in dieser Beziehung also nicht seiner Gottheit beraubt. Auch Barth geht es darum, dass die Selbstoffenbarung Gottes im Menschen seiner Gottheit nicht 17 Gottes Heiligkeit sei zu verstehen als „that aspect of his Being which separates him from us, in which alone he is God“ (Torrance: „God“, 40). Torrance verweist auf „KD 370“, meint aber wohl KD I/1, 340, wo Barth Gottes Heiligkeit als den ihm eigenen Weg in seiner Offenbarung bestimmt. 18 Torrance: „God“, 56. 19 Torrance: „God“, 57. Diese Terminologie übernimmt Torrance von dem reformierten Theologen Samuel Endemann (1727−1789), auf dessen Institutiones Theologiae Dogmaticae, Bd. 1, Hannover 1778, § 28, er verweist. 20 Vgl. Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 1, 48. In seiner Christologie-Vorlesung verweist Torrance auf Anselms Satisfaktionslehre, nach der die Sünde gesühnt werden müsse, um die gerechte Ordnung in ihrer Übereinstimmung mit der gerechten Natur Gottes wiederherzustellen (vgl. Torrance: JC, 75).

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widerspricht. Doch er kommt stärker von dem Gedanken der Freiheit her, nach der Gott so frei ist, auch dies zu tun, ohne seine Gottheit zu kompromittieren. Beide treffen eine Vorentscheidung bezüglich der Gottheit Gottes, die sie nicht konsequent von seinem Offenbarungshandeln her gewinnen. Bei Torrance ist diese Vorentscheidung von Anfang an stärker inhaltlich bestimmt, da die sanctitas essentialis mit dem Begriff der sanctitas moralis korreliert. Durch die sanctitas moralis wird Gottes Gottheit bzw. Heiligkeit konkretisiert. Sie ist auf das Gute und Böse der menschlichen Handlungen bezogen und will sich in diesen darstellen. In dieser Konkretion ist Gottes Heiligkeit, wie Torrance explizit sagt, eine moralische.21 Torrance nimmt damit das Ziel der Offenbarung in den Blick. Gottes Selbstgabe an die Menschen in Christus ist daraufhin angelegt, eine ihm entsprechende Gerechtigkeit im Menschen zu schaffen.22 Hier deutet sich das Motiv der neuen Menschheit Jesu Christi an, die in der Auburn-Christologie im Zentrum steht.

3.2 Torrance’ Barth-Rezeption in der Auburn-Christologie In der Auburn-Christologie ist Barth für Torrance nur ein Bezugspunkt neben Mackintosh, Forsyth, Campbell, Brunner und Camfield. Zuweilen dient er als Stichwortgeber. Der für Torrance wichtige Begriff der „neuen Zeit“ stammt von Barth.23 Auch greift Torrance auf theologiegeschichtliche Bezüge der Kirchlichen Dogmatik zurück (etwa auf Zitate und Schlüsselbegriffe Augustins, Luthers oder Wollebs), verwendet diese allerdings teilweise mit einer anderen Intention als Barth. Beispielsweise zitiert Barth das Wort Augustins von der Inkarnation als Prototyp der rechtfertigenden Gnade, um das göttliche Handeln in Christus als „sein eigenes Werk an ihm selber“24 – unabhängig von jeder eigenständigen menschlichen Person – zum Ausdruck zu bringen, so wie Augustin die rechtfertigende Gnade allein von Gott ausgehen sieht. Torrance übernimmt das Augustin-Zitat aus der Kirchlichen Dogmatik und wendet es auf den Glauben des Menschen an, dessen menschliche Integrität gewahrt werde und nicht im Widerspruch zu Gottes Handeln stehe.25 21 Es handle sich bei der sanctitas moralis um die Heiligkeit in ihrer moralischen Dimension, um Gottes „immediate relations to right and wrong in human life“ (Torrance: „God“, 59). Torrance zitiert hier aus H. R. Mackintosh: The Christian Apprehension of God, London 1929, 167f. 22 Vgl. Torrance: „God“, 59. 23 S.o. Kap. 1.2.1. 24 Barth: KD I/2, 164. 25 Vgl. Torrance: JC, 115.

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Diese Beispiel zeigt auf markante Weise, dass Torrance in den 1930er Jahren ein anderes Erkenntnisinteresse als Barth hat. Es geht ihm um die Wirklichkeit des Menschen vor Gott und um das, was den Menschen im Versöhnungsgeschehen zu einem neuen Menschen macht. Barth hingegen ist in seinen Prolegomena stärker an dem Problem der Selbstoffenbarung Gottes interessiert. Der menschlichen Seite des Offenbarungsgeschehens schenkt er kein eigenständiges Interesse. Trotzdem war er für Torrance ein wichtiger Bezugspunkt. Wie ist dieser Befund zu erklären? Gunther Wenz widmet ein Kapitel seiner Geschichte der Versöhnungslehre der Theologie Karl Barths. Seine Barth-Deutung wirft ein interessantes Licht auf unsere Frage. Wie bereits beschrieben, kreist die neuzeitliche Versöhnungslehre nach Wenz um das Problem, wie der Mensch als Mensch und Gegenüber Gottes am Versöhnungsgeschehen beteiligt sein kann. Barth weiche diesem Problem aus, indem er die Einheit zwischen Gott und Mensch in den ersten Bänden der Kirchlichen Dogmatik nur am Ort Gottes entfalte, nicht jedoch am Ort des Menschen Jesus.26 Gottes Versöhnung mit den Menschen finde, so der Vorwurf, ohne die Menschen statt. Der Grund dafür liegt nach Wenz in Barths Identifizierung der menschlichen Natur mit der Sünde. Deshalb könne der Mensch keine positive Rolle im Versöhnungsgeschehen spielen – auch nicht der Mensch Jesus. Nur ex negativo, durch die Negation seiner menschlichen Natur, könne Jesus Christus als sündlos betrachtet werden.27 Seine Sündlosigkeit könne nur in seinem unbedingten Bekenntnis zur Verworfenheit der menschlichen Natur als solcher bestehen.28 Wenz’ Barth-Deutung erinnert auf frappierende Weise an einen zentralen Gedanken der Traditionslinie, die von Campbell und Forsyth über Brunner und Camfield zu Torrance verläuft: Der Mensch ist nur in seiner Selbstnegation am Versöhnungsgeschehen beteiligt. Diese Tradition unterscheidet sich jedoch auf markante Weise von Barth. Bei Torrance ist der Mensch in seiner Selbstnegation auch wirklich beteiligt am Versöhnungsgeschehen. Seine Selbstnegation eröffnet die Möglichkeit der Versöhnung und damit einen neuen Selbststand des Menschen vor Gott. Hierin besteht die spezifisch menschliche Seite des Versöhnungsgeschehens. Das gilt sowohl für Jesus Christus als auch für alle Gläubigen. Barth will aber gerade vermeiden, die menschliche Seite des Versöhnungsgeschehens als eigenständiges Thema zu behandeln. Mit seiner Konzeption der Selbstoffenbarung Gottes lenkt er in den ersten Bänden der Kirchlichen Dogmatik die Aufmerksamkeit auf Gottes Freiheit, sich als Gott zu offenba26 Vgl. Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 2, 225. 27 Wenz spricht davon, „daß die menschliche Natur als solche gleichsam nur in der Weise der annihilatio sündlos genannt werden kann“ (Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 2, 231). 28 Vgl. Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 2, 232.

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ren. Erwägungen zu einer menschlichen Seite des Offenbarungs- und Versöhnungsgeschehens stellt Barth zunächst gar nicht an. Wenz’ Beobachtung, die Versöhnung finde nur am Ort Gottes statt, mag deshalb im Hinblick auf die ersten Bände der Kirchlichen Dogmatik zutreffen. Seine Kritik ist insofern berechtigt, als dass Barth die Gottheit Gottes formal als Herrschaft bestimmt und noch nicht inhaltlich bzw. christologisch füllt. Wenz’ Erklärung für dieses Phänomen – die Reduktion der menschlichen Seite auf Sünde und Sündenbekenntnis – trifft die Sache jedoch nicht. Vor diesem Hintergrund wird aber deutlich, warum sich Torrance als Barth-Interpret wähnen konnte, obwohl er die eigentliche Intention Barths verkannte. Während Torrance sich um den neuen Selbstand des Menschen bemüht (und zugleich die Unterscheidung von Gott wahren will), konzentriert sich Barth auf die Gotteslehre. Beide haben eine Richtung eingeschlagen, die sie von nun an weiterentwickeln. Bei Barth bedeutet diese Weiterentwicklung einen entscheidenden neuen Schritt. In der Erwählungslehre der KD II/2 vollzieht er eine christologische Wende, während sich Torrance nicht aus einer fixierten Gegenüberstellung von Gott und Mensch und deren Aporien lösen kann. Die Selbstnegation des Menschen Jesus begründet Barth nun im inneren Wesen Gottes. Diese Entwicklung soll nun anhand der Erwählungslehre gezeigt werden, zu der Torrance und Barth in den frühen 1940er Jahren wichtige Texte veröffentlichten.

3.3 Predestination in Christ (1941): Christologie und Erwählungslehre bei Torrance und Barth 1941 nimmt Torrance in einer seiner ersten akademischen Veröffentlichungen, dem Aufsatz Predestination in Christ, ein Thema auf, das auch Barth intensiv beschäftigte.29 Er orientiert sich an Barths Vorlesungen über Gottes Gnadenwahl, die dieser 1936 in Ungarn vorgetragen hatte. Barths reife Erwählungslehre, die er 1942 in der Kirchlichen Dogmatik II/2 veröffentlichte, kannte Torrance ebenso wenig wie die ihr zugrunde liegenden Vorlesungen, mit denen Barth im Wintersemester 1939 begonnen hatte.30

29 Vgl. Thomas F. Torrance: „Predestination in Christ“, in: EvQ 13 (1941), 108−141. 30 Vgl. Karl Barth: Gottes Gnadenwahl (Theologische Existenz heute, Bd. 47), München 1936. Auch Barths Gifford Lectures zum Schottischen Bekenntnis, in denen er die Erwählungslehre behandelte, waren Torrance bekannt (ders.: „Predestination“, 132, Anm. 8), nicht aber die KD II/2, in der Barths Erwählungslehre ihre endgültige Gestalt annahm (vgl. Karl Barth: Gotteserkenntnis und Gottesdienst nach reformatorischer Lehre. 20 Vorlesungen (Gifford Lectures) über das Schottische Bekenntnis von 1560, Zollikon 1938).

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Für Torrance ist die Erwählungslehre ein interessantes Problemfeld, weil er meint, im Anschluss an Barth die Erwählung christologisch bestimmen und damit die Erkenntnisse seiner Auburn-Christologie zur Geltung bringen zu können. Er will christologisch begründen, dass die menschliche Wirklichkeit vor Gott zu ihrem Eigenrecht kommt, da Jesus Christus nicht nur wahrer Gott, sondern auch wahrer Mensch sei. Barth hingegen hatte schon in seinen Vorlesungen zu Gottes Gnadenwahl versucht, die Erwählungslehre auf eine solche Weise anzugehen, dass sie nicht von der Frage nach der Freiheit des Einzelnen dominiert wird. Sie habe nicht von zwei menschlichen Chören zu handeln, sondern von dem prädestinierenden Gott.31 Dieser Gott sei frei und souverän, darin liegt die reformierte Tradition nach Barth richtig. Die Erwählung könne deshalb nicht als Schachspiel begriffen werden, in der die Menschen auf Gottes ersten Zug mit einer eigenen Antwort reagieren.32 Die Verwerfung sei nicht von einer menschlichen Reaktion aus, etwa dem „schlechten Willen des Menschen, der dem Zug des Vaters widersteht“33, zu begreifen. Sie sei exklusiv von der Verwerfung Christi am Kreuz her zu verstehen, und damit als Verwerfung, die Gott an sich selbst erträgt.34 Sie könne gar nicht als eigenständige Wirklichkeit erkannt werden, sondern nur ex post von dem gestorbenen und auferweckten Jesus Christus her. Schon 1936 versuchte Barth also, die Rede von der Prädestination auf die konkrete Geschichte Jesu als Geschichte, in der Gott an sich selbst handelt, zu konzentrieren.35 Die Erwählungslehre der KD II/2, die ja einen Teilband der Gotteslehre darstellt, führt diese Einsicht konsequent weiter, indem sie Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus konsequent auf den Gottesbegriff anwendet.36 In der Geschichte Jesu Christi bestimmt Gott sich selbst als den, der von der Stelle des Gottlosen aus die Gottlosigkeit selbst durchleidet und überwindet. 31 Vgl. Barth: Gnadenwahl, 25. 32 Vgl. Barth: Gnadenwahl, 9. 33 Barth: Gnadenwahl, 20. 34 Vgl. Barth: Gnadenwahl, 22. 35 Damit antizipiert er nach dem Urteil Matthias Gockels die christologische Revision der Erwählungslehre, die er in der KD II/2 entfalten wird (vgl. ders.: Barth and Schleiermacher on the Doctrine of Election. A systematic-theological Comparison, Oxford 2006, 162). 1936 sieht er noch nicht alle Konsequenzen dieser christologischen Konzentration. Als er bei der Antwort auf eine Frage aus dem Publikum improvisieren muss, nennt er den Zustand der Verworfen- oder Erwähltheit eine „eschatologische Wahrheit“ (Barth: Gnadenwahl, 48). In KD II/2 kehrt Barth dies um: Nur im Vorletzten will er hier von Verworfenen und Erwählten sprechen, die beide ein Moment der Geschichte Jesu repräsentieren, aber durch diese Geschichte auch begrenzt werden (vgl. Barth: KD II/2, 385.). 36 Darin sieht Gockel einen wichtigen Unterschied gegenüber der Göttinger Dogmatik (vgl. Gockel: Election, 165f).

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Wer von der Erwählung und Verwerfung des Menschen reden will, kann in strengem Sinn nur von Gottes Geschichte in Jesus Christus reden, und erst von dort aus von den einzelnen Menschen. Die Konstellation, in der sich der erwählende Gott und die Individuen gegenüberstehen, wird so geöffnet. Sie sind nicht „fixierte Gegenüber“37, denn Gott entscheidet zuerst über sich, als Gott Mensch für die Menschen zu sein. So schafft er einen Freiraum für diese, in dem sie seine Geschichte bestätigen können und zu Zeugen ihrer Erwählung in Christus werden. Sie können aber keinen von Gottes Geschichte unabhängigen Pol im Erwählungsgeschehen darstellen, weil Gott selbst diesen Pol eingenommen und für sie geöffnet hat. Torrance setzt einen anderen Akzent, auch wenn er mit Barth und in kritischer Abgrenzung von der reformierten Tradition den Gedanken der Selbstoffenbarung Gottes in Christus für die Erwählungslehre fruchtbar machen will. In Anlehnung an Barths Gifford Lectures vertritt er die These, Jesus Christus sei in seiner eigenen Person das ewige Erwählungsdekret Gottes.38 An dieser These erscheint Torrance der Begriff der „Person“ Jesu Christi bedeutsam, den er in einem doppelten Sinn auf die Frage nach der Erwählung anwendet. In der Person Jesu Christi als wahrer Mensch und wahrer Gott werde die Integrität der souveränen göttlichen Entscheidung über den Menschen ebenso wie die Integrität der freien Entscheidung des Menschen für Gott gewahrt. Zugleich werde im Leben Jesu deutlich, wie sich Erwählung vollziehe: als konkrete Begegnung zwischen Jesus und dem Einzelnen, in der diese als Menschen ernst genommen werden. Die Kriterien, die Torrance an eine Erwählungslehre stellt, werden so deutlich. Gottes vorgängige Gnade, der die Menschen nichts eigenes hinzufügen können, soll gewahrt werden – gegen eine synergistische Position ebenso wie gegen den Gedanken einer neutralen menschlichen Willensfreiheit.39 Auch jede Form von Determinismus will Torrance ausschließen und Gottes Entscheidung nicht gegen die menschliche Entscheidung ausspielen.40 Die Erwählung vollzieht sich nach Torrance in der konkreten Begegnung zwischen Gott und den einzelnen Menschen. Die Offenbarung in Christus bedeute „the acute personalisation of all God’s dealings with men, election and damnation not excluded“41. Die Menschen werden zu verantwortlichen Personen, indem Gott sie als Individuen anspricht und ihre eigene Entscheidung provoziert. Gottes Gnade besteht für Torrance in dieser Personalisierung und Konkretisierung seiner Beziehung zu den Einzelnen, weil sie die Si37 38 39 40 41

Barth: KD II/2, 45. Vgl. Torrance: „Predestination“, 110. Er beruft sich Barth: Gotteserkenntnis, 68f. Vgl. Torrance: „Predestination“, 117f . Vgl. Torrance: „Predestination“, 109. Torrance: „Predestination“, 112.

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tuation unter dem Gesetz durchbricht (welche Torrance mit Unfreiheit und Determinismus gleichsetzt42) und personale Freiheit überhaupt erst ermöglicht. Torrance kann diesen Sachverhalt auch in der Zeit-Ewigkeit-Terminologie ausdrücken und die Inkarnation als Neuschöpfung beschreiben: Indem Gott in die Zeit eingehe, richte er diese und schaffe sie neu als „neue Zeit“ bzw. neue geschöpfliche Wirklichkeit, in der der Mensch eine freie Entscheidung von absoluter Gültigkeit treffen könne.43 In der Begegnung mit Christus werde der Einzelne dazu befähigt, sich für oder gegen Gott zu entscheiden.44 Gott qualifiziere die Entscheidung des Einzelnen, indem er sich als Erkenntnisobjekt zu erkennen gebe, zu dem sich dieser verhalten müsse.45 Mehr kann Torrance an dieser Stelle nicht sagen, auch wenn er Gott als Subjekt und Objekt des Glaubensereignisses bezeichnet. Seine näheren Erläuterungen bestätigen diesen Eindruck. Torrance vertritt die Ansicht, dass am Kreuz alle Menschen in Christus verworfen und erwählt werden, weil Gott alle Menschen richte und zur Gnade erwähle. In seiner Liebe gebe Gott sich allen Menschen. Diese These erläutert Torrance folgendermaßen: But the Love of God, His Self-giving, means the giving of GOD, of God Who asserts Himself to be God: I am that I am. The Self-giving of God entails therefore the giving of the Self-asserting God even in Jesus Christ. God does not cease to be God in the Incarnation. He asserts the rights of His sovereignty and Holiness in Christ as much as in the Law, indeed, as we have seen, more so. And so it is Grace, the complete Self-giving of God to men, that comprises at its heart God’s judgment, the Self-assertion of the divine Holiness over against sin. That is the God we accept in Christ on the cross. And so we might call the result of the encounter of man with Christ, wo died for all, election or damnation in the second place.46

Das erste „And so“ in den zitierten Sätzen ist nachvollziehbar: Gottes Gnade übergeht in Jesus Christus nicht einfach das Gericht über die Sünde. Das zweite „And so“ ist nicht unmittelbar einleuchtend. Nur weil sich am Kreuz das Gericht und die Gnade Gottes vollzieht, heißt das nicht, dass die Begegnung mit Christus für die Einzelnen Verdammnis oder Erwählung bedeutet. Wie kommt Torrance zu dieser Schlussfolgerung? In seiner Erwählungslehre steht Jesus Christus dafür, dass Gott den Menschen in seiner Heiligkeit nah kommt. Gottes Liebe vollzieht sich, indem 42 Vgl. Torrance. „Predestination“, 113 u. 122. 43 Vgl. Torrance: „Predestination“, 119. 44 „(...) the personal encounter of Christ with forgiveness on His lips, singles out a man (cf. all the miracles), and gives him freedom to say ‚yes‘ or ‚no‘“ (Torrance: „Predestination“, 123). 45 Vgl. Torrance: „Predestination“, 124. 46 Torrance: „Predestination“, 126. Hervorh. PJG.

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er sich zu erkennen gibt und eine Entscheidungssituation ermöglicht. Dieses Handeln Gottes verändert weder für Gott noch für die Menschen etwas Grundlegendes. Die Menschen stehen nun erst recht vor der Frage, ob sie sich dem heiligen Gott unterordnen. Jesus Christus eröffnet die Möglichkeit, dies in concreto tun zu können. Doch worin besteht die von Torrance ebenfalls betonte Vorgängigkeit des Kreuzes vor der menschlichen Entscheidung? Das Kreuz Jesu Christi eröffnet zwei Möglichkeiten: die Verdammnis oder die Erwählung, d.h. die Selbstbestätigung gegen Gott oder den Gehorsam gegenüber Gott. Torrance ist der Ansicht, auf diese Weise die Verdammnis und Erwählung christologisch zu begründen, und zugleich die Freiheit des Menschen zu wahren. Torrance’ Aufsatz gipfelt folgerichtig in der Frage, in welchem Verhältnis göttliche und menschliche Freiheit stehen. Seine Antwort bemüht die Analogie der hypostatischen Vereinigung zwischen dem ewigen Logos und dem Menschen Jesus.47 So wie Jesus Christus wahrer Gott und wahrer Mensch sei, wahre das Glaubensgeschehen die Gottheit Gottes und die Menschheit des Menschen. Sowohl Gott als auch der Mensch treffen eine echte und freie Entscheidung, auch wenn die menschliche Entscheidung die göttliche voraussetze. Es handle sich nicht um eine kausale Relation, sondern um „eine Form von hypostatischer Vereinigung zwischen Gnade und Glaube durch den Heiligen Geist“48 . Torrance kann diese Aussagen nur treffen, weil er an dieser Stelle die Möglichkeit der Verdammnis, mit der er rechnet, einfach ausblendet.49 Doch vor allem in seiner Rede von der hypostatischen Vereinigung treten die Probleme seiner Erwählungslehre zu Tage. Dieses altkirchliche Lehrstück soll traditionell die Singularität der Person Jesu Christi bewahren. Indem Christus wahrer Gott und wahrer Mensch ist, stellt er seine singuläre Wirklichkeit dar.50 Christus ist nicht Mensch, ohne dass er Gott ist. Das gilt für alle anderen Menschen gerade nicht. Sie werden im Glauben an Christus wahre Menschen, als die sie aber nicht Gott sind. 47 Vgl. Torrance: „Predestination“, 128. 48 Vgl. Torrance: „Predestination“, 130. Damit werden die Widersprüche aber nicht auflöst, wie Chiarot zeigt: „Enhypostatic personal decision by men and women seems to invalidate the anhypostatic assumption and healing of their natures“ (Chiarot: Unassumed, 222). 49 Sie ist für Torrance ein Begleitumstand der freien Glaubensentscheidung. Er legt das Gewicht auf die Möglichkeit zur Erwählung und behandelt die Verdammnis nur am Rande, da sie nicht erklärbar sei (vgl. Torrance: „Predestination“, 123f). 50 Torrance’ Intention, die Kluft zwischen Christus und den Menschen durch seine vollständige Annahme der menschlichen Natur zu schließen, unterläuft nach Chiarot die fundamentale Unterscheidung zwischen Christus und allen anderen Menschen (vgl. Chiarot: Unassumed, 158).

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An dieser Stelle wird ein christologisches Defizit bei Torrance deutlich. Die Person Jesu Christi dient ihm als formales Prinzip, das die Vereinigung von Menschheit und Gottheit ermöglichen soll. Diese Vereinigung hat konstitutive Bedeutung für die heilsbedürftigen Sünder, nicht aber für Jesus Christus selbst, und damit auch nicht für Gott. Die Aussagen, dass Jesus Christus wahrer Mensch ist, indem er – und nur er – Gott ist, müsste ja umgekehrt heißen: Gott ist nicht Gott, ohne dass er dieser Mensch Jesus ist. Bei Torrance bleibt das Kreuzesgeschehen der Gottheit Gottes jedoch äußerlich. Es dient allein der Offenbarung seiner Heilsinitiative. Weil diese Initiative nur zur Konfrontation des heiligen Gottes mit dem Sünder führen kann, ist die Reaktion des Einzelnen gleichbedeutend mit seiner Erwählung oder Verdammnis. Letztlich erwählen oder verdammen die Einzelnen sich selbst, indem sie sich der Offenbarung des heiligen Gottes unterordnen oder dieser widerstehen. Gottes Gnade erschöpft sich darin, den Menschen diese Möglichkeit eröffnet zu haben. Im strengen Sinn hat Jesus Christus selbst weder mit der Verdammnis noch mit der Erwählung etwas zu tun. Er offenbart die Gottheit Gottes, die in der menschlichen Wirklichkeit deren Gericht bedeutet. Dem Einzelnen wird damit eine neue Entscheidung für Gott ermöglicht, indem er das Gericht Gottes über seinen sündigen Willen (und damit auch die Heilsinitiative Gottes) akzeptiert. In qualitativer Hinsicht hat sich nichts gegenüber der Situation, in der die Sünder unter dem Gesetz Gottes standen, geändert. Allein die Möglichkeit, innerhalb dieses Rahmens einen Neuanfang zu machen, ist dem Einzelnen eröffnet worden. Torrance selbst scheint sich über die Konsequenzen seiner Konzeption nicht bewusst gewesen zu sein. Er beendet den Aufsatz mit der Behauptung, seine Konzeption vermeide die klassischen Irrwege des Synergismus oder Arminianismus ebenso wie den Determinismus der reformierten Prädestinationslehre.51 Er konzentriert sich freilich auf letzteres, also auf die Zurückweisung jeglichen Determinismus (wozu er auch die Lehre von der unwiderstehlichen Gnade zählt).52 Bei aller Kritik bleibt sein Anliegen zu würdigen, die Erwählung als lebendiges Ereignis zu verstehen und sowohl die Freiheit und Lebendigkeit Gottes als auch des Menschen zur Geltung bringen zu wollen. Torrance’ Position ähnelt derjenigen des Calvin-Forschers Peter Barth, mit der sich Barth in KD II/2 kritisch auseinandersetzt. Peter Barth will Calvin mit einer aktualistisch verstandenen Prädestinationslehre korrigieren. Auf biblischer Grundlage betont er die Lebendigkeit Gottes, der Reue kenne, überraschend handeln könne und nicht an ein vorzeitliches Dekret gebunden 51 Vgl. Torrance: „Predestination“, 131. 52 Vgl. Torrance: „Predestination“, 130.

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sei.53 Gottes Handeln stehe nicht in einem kausalen Verhältnis zu des Menschen Freiheit. Gott suche nach dem Menschen, der nun selbst vor eine existentielle Entscheidung gestellt sei. Nach Karl Barth kann sich diese Konzeption nicht dem Dilemma von Determinismus oder Synergismus entziehen: Werde Gottes Souveränität stark gemacht, gehe dies auf Kosten der Menschen; werde des Menschen existentielle Entscheidung hervorgehoben, gehe dies auf Kosten der Freiheit Gottes. Die Lebendigkeit Gottes werde letztlich von des Menschen Existentialität her gewonnen.54 Entscheidend an dieser Kritik ist Barths konstruktive Christologie, die er am Ende des Exkurses zu Peter Barth andeutet und ohne die seine reife Erwählungslehre nicht zu verstehen ist. „In der Geschichte der Erwählung Jesu Christi gibt es darum schlechterdings keinen Synergismus, weil in ihr weder die Sünde noch das Gebet des Menschen ein Faktor ist, der als die der göttlichen Entscheidung entsprechende Entscheidung des Menschen den Charakter eines selbständigen Geheimnisses hätte, der als solcher mit dem Geheimnis des vorherbestimmenden Gottes in irgendeiner Konkurrenz und Wechselwirkung stehen würde“.55 In Barths reifer Erwählungslehre ist die Menschheit Jesu Gottes innerstem Wesen nicht fremd. Zu der Geschichte Jesu gehört eine menschliche Entscheidung, doch diese hat kein abstraktes Eigengewicht gegenüber der göttlichen Entscheidung. Sie ist in ihrer menschlichen Eigenheit in der göttlichen Entscheidung enthalten, weil die göttliche Entscheidung identisch mit der Geschichte Jesu ist. Erst von einer so verstandenen Christologie her behandelt Barth die Erwählung der Gemeinde und schließlich die Erwählung der einzelnen Menschen. Die Einzelnen dürfen an Gottes Geschichte partizipieren.56 Mit seiner reifen Erwählungslehre leitet Barth eine christologische Wende innerhalb seiner Kirchlichen Dogmatik ein. Er bleibt seinem Interesse an der Gotteslehre treu, doch er lässt sie durch die Geschichte Jesu Christi bestimmen. Man kann Barth nun nicht mehr vorwerfen, die Versöhnung finde ohne den Menschen statt, da sein Gottesbegriff geöffnet ist und gar nicht ohne die Geschichte Jesu zu denken ist. Gunther Wenz’ Kritik an Barths Missachtung der menschlichen Seite hatte ihr Recht im Hinblick auf die formale Trinitäts-

53 Vgl. Peter Barth: „Die biblische Grundlage der Praedestinationslehre bei Calvin“, in: De L’Election Eternelle De Dieu, Actes Du Congrès International De Théologie Calviniste, Genf 1936, 21−36; Barth: KD II/2, 207. 54 Vgl. Barth: KD II/2, 209f. 55 Barth: KD II/2, 213. 56 Für ihr Handeln gilt, was Barth von dem Menschen Jesus sagt: „(...) daß er in seinem Verwerfen der Sünde und in seinem Erwählen des Gehorsams gewissermaßen des vorherbestimmenden Gottes Spiegelbild sein darf “ (Barth: KD II/2, 214).

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und Offenbarungslehre der Prolegomena zur Kirchlichen Dogmatik, in der Gottes Wesen vor und unabhängig von seiner Offenbarung feststeht.57 Im Hinblick auf Barths Erwählungslehre in KD II und seine Versöhnungslehre in KD IV ist diese Kritik nicht berechtigt. Der Gehorsam des Menschen Jesus ist hier konstitutiv für das Versöhnungsgeschehen – als Gehorsam, der Gottes eigenes Werk und Wesen darstellt und in seinem göttlichen Leben begründet ist.58 Die Pointe liegt darin, dass der Gehorsam nicht länger der menschlichen gegenüber der göttlichen Seite zugeordnet wird. Im Glauben gewinnen Menschen Anteil an diesem Gehorsam und damit an Gottes Geschichte, die sich nicht in eine göttliche und eine menschliche Seite aufteilen lässt. Weder die menschliche noch die göttliche Seite können aus dieser Perspektive in abstracto betrachtet und als Gegensätze bestimmt werden. Eine Variante des Einwandes von Gunther Wenz könnte freilich lauten, dass Barth zwar Raum für den Menschen lässt, diesen aber auf den einen Menschen Jesus Christus beschränkt. Ist Barths Erwählungslehre im Hinblick auf Gott konkret (als Geschichte Jesu), im Hinblick auf die Menschen in ihrem individuellen und vielfältigen Geschick aber abstrakt, weil der Fokus auf die Geschichte Jesu dazu zwingt, von deren Situation abzusehen? Zu diesem Vorwurf kann man nur kommen, wenn man Jesus Christus gegen die vielfältigen Formen seiner Gegenwart in seiner Kirche und (neuen) Schöpfung ausspielt und zu einer isolierten, absoluten Größe macht. Dann wird eine Fehlentscheidung der klassischen Prädestinationslehre, die Gott von seinem Einsatz in und für die Schöpfung isoliert hatte, auf Jesus Christus übertragen. Jesus Christus, in dem Gott klare Gestalt annimmt, steht jedoch nicht in Konkurrenz zu weiteren Formen seiner Gegenwart. Dafür steht das Pfingstereignis, bei dem die Jünger Jesu Anteil an seinem Geist gewinnen und zu einer Gemeinschaft geformt werden, die seine Gestalt (seinen „Leib“) in neuen Kontexten darstellt. Die fixierte Gegenüberstellung von Gott bzw. Jesus Christus und den Menschen, die zu ihm gehören, wird damit aufgehoben oder zumindest relativiert, weil Gottes Geist nicht a priori in Konkurrenz zu den Menschen steht (sondern zur Sündhaftigkeit und Verlorenheit seiner Schöpfung), und sie in ihrer Vielfalt in das Ereignis der Neuschöpfung hineinnimmt.

57 Gundlach gesteht der Barth-Kritik Trutz Rendtdorffs, Wolfhart Pannenbergs u.a. ein relatives Recht im Hinblick auf die ersten Bände der KD zu (vgl. Gundlach: Selbstbegrenzung, 161). Wenz steht in der Tradition dieser Barth-Kritik. 58 Vgl. McCormack: „Analogy“, 140f.

T. F. Torrance und Karl Barth

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3.4 Fazit und Ausblick Auch Torrance hatte den Blick auf die Gegenwart Gottes in dieser Welt gerichtet, indem er die personbildende Entscheidung der einzelnen Menschen in den Mittelpunkt rückte, die sich im Gegenüber zu Gottes Offenbarung vollzieht. Die Konzentration auf die individuelle menschliche Existenz prägt seine Texte der 1940er Jahre und verblasst dann zunehmend. In dem Aufsatz Universalism or Election? von 1949 betont er deutlicher als 1941, dass die Entscheidung des Einzelnen nicht heilskonstitutiv sei.59 Seine Intention, die vorgängige Gnade Gottes hervorzuheben, ist nun ganz deutlich, auch wenn er seiner Grundposition treu bleibt.60 Deren Problematik besteht darin, dass Torrance zu einer Form von Objektivismus neigt, der sich in Gottes vorgängiger Qualifikation der menschlichen Situation äußert. Zugleich will er dem Phänomen menschlicher Subjektivität gerecht werden, wenn er das Heil in der individuellen menschlichen Entscheidung realisiert sieht. Er vermittelt beide Postulate allein im Hinblick auf die menschliche Situation, die durch Gottes heilvolles Handeln objektiv neu geschaffen wird, wobei zu dieser Neuschöpfung die individuelle menschliche Aneignung – paradigmatisch durch Jesus – gehört. Gott ist ermöglichender und objektivierender Grund dieses Geschehens61, in dieses aber als Gott nicht direkt involviert. Denn die Neuschöpfung manifestiert sich in der angemessenen menschlichen Haltung vor Gott. Man kann die Barth-Kritik von Gunther Wenz also in umgekehrtem Sinn auf Torrance anwenden, bei dem sich die Versöhnung einseitig am Ort des Menschen vollzieht.

59 Ihm geht es nun vor allem darum, die Lehre vom Heilsuniversalismus zu kritisieren, die das partikulare Erwählungsgeschehen zwischen Gott und Mensch als Kausalverhältnis behandle (vgl. Thomas F. Torrance: „Universalism or Election?“, in: SJT 3 (1949), 310−318, 313). 60 Auch Myk Habets Beitrag zu Torrance’ Erwählungslehre verdeutlicht, dass Torrance in späteren Texten – etwa in seiner Einleitung zu The School of Faith. The Catechisms of the Reformed Church, hg. v. T. F. Torrance, London/New York 1959 – das Gewicht auf die Vorgängigkeit der Gnade Gottes legt, um die Entscheidung des Einzelnen nicht als heilskonstitutiv zu behandeln. Damit konnte er jedoch nicht den Dilemmata seiner frühen Erwählungslehre entkommen, an deren Betonung der menschlichen Entscheidung er festhielt. Habets sieht hier kein Dilemma, lässt aber ein Zögern in der Frage erkennen, ob Torrance sich der Probleme tatsächlich entledigt: „With John Cameron (1579– 1625), Torrance can say that Christ died absolutely for the elect, and conditionally for all. How different this position is from the earlier one he rejected, that Christ died efficiently for all but sufficiently for some, is debateable“ (vgl. Myk Habets: „The Doctrine of Election in Evangelical Calvinism. T. F. Torrance as a Case Study“, in: Irish Theological Quarterly 73 (2008), 334–354, 347). 61 Das sieht auch Hardy: „the true object – God – gracefully objectifies all else“ (Hardy: „Torrance“, 166).

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Kapitel 3

Diese Verbindung von Objektivität und Subjektivität kennzeichnet Torrance’ frühe Christologie ebenso wie seine weitere Entwicklung, wobei das Gewicht letztlich auf die objektive Seite fällt.62 Das ist selbst in Auburn der Fall, wo Torrance von der subjektiven Seite der menschlichen Entscheidung aus argumentiert. Diese wird erst durch die Inkarnation Jesu Christi zu einer objektiven Möglichkeit. Er will mit seinem frühen Existentialismus also nicht einer menschlichen Autonomie das Wort reden, sondern die objektive Realität der göttlichen Wirklichkeit in dieser Welt markieren.63 Diese manifestiert sich in der Entscheidung des Individuums in der konkreten Begegnung mit Gott. Das ist der Punkt, an dem sich Gottes objektive Wirklichkeit und die Subjektivität des Menschen treffen. Das geht auch aus zahlreichen kleineren Arbeiten der 1940er Jahre hervor, in denen Torrance ein personalistisches Wirklichkeitsverständnis skizziert. Einerseits betont Torrance hier den personalen Entscheidungscharakter im Erkenntnisprozess, andererseits möchte er diesen nicht als subjektivistische Leerformel verstanden wissen, sondern als Brücke zu einer objektiven und realistischen Gottes- und Welterkenntnis.64 In seiner weiteren Entwicklung verlagert Torrance das Gewicht deutlicher auf das vorgängige Handeln Gottes und seine vorgängige Qualifikation der menschlichen Natur in Christus, wozu er die beschriebene Konstellation nicht grundlegend ändern muss. Das aus Auburn bekannte Motiv der neuen Menschheit Jesu Christi, nach der Christus eine objektiv neue Situation schafft, welche die individuellen Menschen nun selbst realisieren können, hält sich durch. Torrance spricht nun eine stärker ontologisch grundierte Sprache und betont die Gemeinsamkeit zwischen Jesus und allen Menschen, die durch seine Annahme der menschlichen Natur vollzogen werde. Emil Brunners Begriff des Persongeheimnis Jesu Christi, mit der Torrance seine Göttlichkeit begründet hatte, verblasst. Die Gottheit Jesu Christi wird eher 62 Vgl. Dick O. Eugenio: Communion with the Triune God. The Trinitarian Soteriology of T. F. Torrance, Eugene, OR, 2014, 209. 63 Das zeigt sich auch in den späteren Schriften zur Theologie als Wissenschaft, nach denen die menschliche Subjektivität nicht die Wirklichkeit hervorbringt, sondern sie in einem personalen Akt anerkennt (vgl. Hardy: „Torrance“, 170). 64 Besonders pointiert zeigen dies zwei Rezensionen aus dem Jahr 1941. An Smith Kemps Studie zu Hume interessiert sich Torrance für dessen These, Humes Philosophie liege in einer existentiellen Entscheidung begründet, auch wenn diese einen naturalistischen Charakter angenommen habe (Thomas F. Torrance: „The Philosophy of David Hume. A Critical Study of Its Origins and Central Doctrines. By N. Kemp Smith (Macmillan)“, in: The British Weekly, May 15, 1941, 58). Einige Monate später rezensiert er eine Essaysammlung Thomas Reids und lobt dessen Realismus und seine Kritik an Humes Subjektivismus und Skeptizismus (vgl. ders.: „A Critic of Hume. ‚Thomas Reid’s Essays on the Intellectual Powers of Man‘, ed. and abridged by A. D. Woosley, (Macmillan)“, in: The British Weekly, Dec 18, 1941, 142.).

T. F. Torrance und Karl Barth

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mit seiner Heiligung des menschlichen Fleisches, d.h. mit seiner objektiven Qualifizierung der menschlichen Natur, begründet.65 Das geschieht ab den 1950er Jahren in den Vorlesungen zur Christologie, die Torrance in Edinburgh bis zu seiner Emeritierung hält und ausbaut. Auf dieser Ebene einer formalen Christologie ist von Torrance deshalb kaum etwas Neues zu erwarten. Wie wenig fruchtbar sie ist, zeigt schon seine frühe Christologie, in der es ihm schwer fällt, seine Theologie über die existentielle Entscheidung des Einzelnen hinaus zu konkretisieren. In den späten 1940er Jahren verstärkt Torrance sein Engagement in der Ökumenischen Bewegung. Er konzentriert sich nun auf die Gegenwart Christi und die Realität der neuen Schöpfung in der irdischen Kirche. Damit tritt die Situation der Kirche und konkrete Fragen nach kirchlicher Einheit, nach dem Verständnis der Sakramente und Ämter in den Blick. Im Folgenden ist zu prüfen, inwiefern Torrance hier über seine schematische Verhältnisbestimmung von Gott und seiner Schöpfung hinauskommen kann und welche Potentiale für eine realistische Eschatologie, die Gott und die Menschen betrifft, in diesem Kontext freigesetzt werden.

65 Zu dieser Entwicklung und der ihr zugrundliegenden Kontinuität vgl. Rankin: Carnal Union, 109f.

TEIL II

Eschatologie im Kontext der ökumenischen Bewegung

Ab den späten 1940er Jahren engagiert sich Torrance in der Ökumenischen Bewegung. In diesem Kontext entwickelt sich seine theologische Perspektive weiter. Die Frage, in welchem Zusammenhang die Kirchen der Ökumenischen Bewegung zu der Wirklichkeit Jesu Christi stehen, beschäftigt ihn stark. In programmatischen Texten setzt er sich für eine neue eschatologische Perspektive ein, um die Gegenwart Jesu Christi und seiner neuen Schöpfung in der irdischen Kirche und in dieser Welt besser verstehen und neu zur Geltung bringen zu können. Aus dieser Perspektive bilden Christologie, Eschatologie und Ekklesiologie für ihn einen inneren Zusammenhang. Bevor die gedanklichen Linien seiner Theologie entfaltet werden, soll zunächst ein Blick auf sein ökumenisches Wirken geworfen werden. Es wird vor allem in seinen pointierten Aufsätzen der späten 1940er und 1950er Jahre greifbar. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gewann die Ökumenische Bewegung an großer Dynamik. 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) in Amsterdam gegründet. 1952 trat die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung (Faith and Order), nun als zentraler Arbeitszweig des neu gegründeten ÖRK, zu ihrer dritten Weltkonferenz in Lund zusammen. Torrance’ Engagement in der Ökumenischen Bewegung beginnt in dieser Phase – und zwar bemerkenswerterweise mit einem Text zur Eschatologie. Bei einem Treffen des British Council of Churches war es Torrance, der die eschatologische Thematik ins Gespräch brachte und versprach, ein Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie (s.u. Kap. 4.1) zu erstellen.1 Er verfasste das Gutachten noch im Jahr 1949.2 Ebenfalls im Frühjahr 1949 schrieb er einen längeren Aufsatz (den „Amsterdam-Essay“, s.u. Kap. 4.2) zu den theologischen Vorbereitungsbänden zur ersten Vollversammlung des ÖRK in Amsterdam, der im zweiten Quartal 1949 veröffentlicht wurde. Unter dem Titel The Nature and Mission of the Church bestimmt Torrance die Kirche in ihrem Verhältnis zu Christus als neue Schöpfung, die seine Versöhnung in dieser Welt darstellen soll.3 1 2 3

Vgl. MacLean: Resurrection, 104. Zur Datierung s.o. Kap. 4.1. Vgl. Thomas F. Torrance: „The Nature and Mission of the Church“, in: SJT 2 (1949), 241−70, abgedruckt in: C&A I, 195−225.

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Teil II

Seit 1949 wurde Torrance stärker in die Arbeit der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung eingebunden. Zur Weltkonferenz in Lund wurde er als Berater eingeladen. In Lund wurde er nicht nur in die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung, sondern auch in deren ausführendes Organ, das Working Committee, berufen.4 Auf der Konferenz wurden Berichte verfasst, die an die Kirchen gesendet wurden. Es geht nicht eindeutig aus ihnen hervor, welche Rolle Torrance in der inhaltlichen Diskussion in Lund spielte. Er war noch ein relativ unerfahrener Theologe, der erst seit kurzem einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte am New College in Edinburgh innehatte. Mit pointierten Texte wie dem Amsterdam-Essay und seiner programmatischen Begabung scheint er schon in Lund aufgefallen zu sein. Dort wurde beschlossen, dass die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung die Spaltung der Kirchen christologisch reflektieren und ihre Ergebenisse in die anstehende Weltkonferenz des ÖRK in Evanston einbringen solle. Torrance wurde damit beauftragt, das Verhältnis von Kirche und Christologie weiter zu bearbeiten und eine Grundlage für die Diskussion des Working Committee zu schaffen, die 1953 in Bossey fortgesetzt werden sollte.5 Bei der inhaltlichen Diskussion in Lund hatte sich herausgestellt, dass diese Thematik fruchtbar und weiterführend sein könnte. Der in Lund verfasste Text Christ and his Church wird im Lund-Report eigens hervorgehoben.6 Inhaltlich und sprachlich ähnelt er den Texten, die Torrance zu dieser Zeit verfasste. Die enge Verbindung zwischen Christus und der Kirche wird mit Hilfe der Leibmetaphorik hervorgehoben und in einen eschatologischen Zusammenhang eingeordnet: Die Kirche habe Anteil an der Auferstehung Christi, doch ihre irdische Gestalt sei zu relativieren; erst mit der Parusie Christi werde ihr neues Sein enthüllt.7 Die inhaltliche Nähe zwischen dem Bericht der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung und Torrance’ Aufsätzen zeigen, dass Torrance im ökumenischen Diskurs auf Resonanz stieß. Es ist beobachtet worden, dass die Eschatologie mit der Weltkonferenz in Lund zu einem zentralen Thema der Ökumenischen Bewegung wurde.8 Torrance trug dazu bei, sie auf die Agenda zu setzen, indem er die Kirche als eschatologischen Ort, d.h. als Ort der Neuschöpfung bzw. der Gegenwart Christ in dieser Welt, zu bestimmen versuchte. Sein programmatischer Ansatz traf einen Nerv des ökumenischen Diskurses, der in der Nachkriegszeit von einem großen Interesse an einer 4 5 6 7 8

Vgl. F&O 15, 67. Vgl. F&O 14, 7. Vgl. F&O 14, 2. Vgl. F&O 15, 7−11, 10. Vgl. Emmanuel Clapsis: „Eschatology“, in: Dictionary of the Ecumenical Movement, hg. v. Nicholas Lossky u.a., Genf/Grand Rapids, Mich. 1991, 361−364, 362.

Eschatologie im Kontext der ökumenischen Bewegung

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realistischen Christologie und Eschatologie geprägt war. Nach dem Zweiten Weltkrieg suchte man nach einer Theologie, die sich nicht aus der Welt zurückzieht, sondern die Wirklichkeit Jesu Christi in ihr neu zur Geltung bringt. Auch deshalb entfaltete die ökumenische Bewegung nach 1945 eine ungeheure Dynamik, die von genuin theologischen Überzeugungen getragen wurde. Die Vorlesungen, die der zukünftige Generalsekretär des ÖRK, W. A. Visser t’Hooft, 1947 am Princeton Theological Seminary unter dem Titel Die Königsherrschaft Jesu Christi hielt, dokumentieren diese Überzeugungen. Visser t’Hooft pädierte dafür, das königliche Amt Christi neu zur Geltung zu bringen. Die biblische Eschatologie mit ihrem Bezug auf das politische Weltgeschehen müsse neu in die Waagschale geworfen werden. Visser t’Hooft kritisiert den frühen Barth und die dialektische Theologie, deren Dualismus von Zeit und Ewigkeit den Blick auf die Transformation der gegenwärtigen Welt verstelle. Er zitiert Barths Diktum, das Wort sei Zeit geworden, um mit Barth eine jenseitige Eschatologie zu kritisieren.9 Eine biblisch begründete Eschatologie dürfe nicht einseitig präsentisch oder futurisch sein, sondern sei in der Kategorie von Verborgenheit und Offenbarung zu begreifen. Die universale Herrschaft Christi und sein dreifaches Amt bezieht Visser t’Hooft primär auf die Kirche. Ihr komme eine zentrale Rolle im Heilsgeschehen zu, sei sie doch die Sphäre, in der Christus in der Welt wirksam werde.10 Auf Visser t’Hoofts Vorlesungen bezieht sich Torrance nur selten. In seinem eschatologischen Gutachten, das er 1949 verfasste, scheint er Visser t’Hoofts Kritik an der Eschatologie der dialektischen Theologie und die Berufung auf Barths Diktum von der Zeitlichkeit des Wortes Gottes übernommen zu haben.11 Freilich hatte Torrance schon in Auburn auf Barths Diktum verwiesen und betont, dass die Inkarnation die Annahme zeitlicher Relationen durch Gott beinhalte.12 Dieses Motiv prägte auch seine Predigten zur Johannesapokalypse, die er in seinen zwei Gemeinden in Alyth und Aberdeen in den 1940er Jahren hielt und 1960 unter dem Titel The Apocalypse Today veröffentlichte.13 Es steht für sein wachsendes Interesse an der Frage, ob und wie Christus in dieser Welt gegenwärtig ist. Auch deshalb trafen Visser t’Hoofts Thesen bei ihm auf Resonanz. Sie veranschaulichen, dass der ökumenische

9 10 11 12 13

Vgl. Willem A. Visser t’Hooft: The Kingship of Christ. An Interpretation of Recent European Theology, London 1948, 25 u. 55; Karl Barth: KD I/2, 55. Vgl. Visser t’Hooft: Kingship, 64. Vgl. Torrance: „Eschatology“, 308 u. 335; „Nature“, 213. Vgl. Torrance: JC, 134 u. 192. MacLean widmet diesem Textbestand ein ganzes Kapitel (vgl. MacLean: Resurrection, Kap. 3).

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Teil II

Diskurs der 1940er Jahre viele Anknüpfungspunkte für Torrance bot. Davor hatte die Kirche keine wichtige Rolle in seiner Theologie gespielt. Nach der Weltkonferenz in Lund trat 1953 das Working Committee der Kommission für Glauben und Kirchenverfassung in Bossey zusammen, um die Vollversammlung des ÖRK in Evanston vorzubereiten. Dazu wurde eigens die theologische Arbeitgruppe „Christus und die Kirche“ gegründet, die sich in eine europäische und eine nordamerikanische Sektion unterteilte. Torrance wurde zum Sekretär der europäischen Sektion ernannt. Der Arbeitsgruppe gehörten namhafte Theologen wie Oscar Cullmann, Edmund Schlink und Anders Nygren auf europäischer sowie Robert Calhoun, Reinhard Niebuhr und George Florovsky auf nordamerikanischer Seite an. Auf der zweiten Vollversammlung des ÖRK in Evanston trafen sich 1954 Vertreter beider Sektionen. Torrance hielt einen Vortrag, den er im gleichen Jahr unter leicht veränderten Titel als The Atonement and the Oneness of the Church (Kap. 5) veröffentlichte.14 In Evanston schlugen die Europäer der nordamerikanischen Sektion Themen vor, zu denen die Amerikaner Texte erarbeiten sollten. Hier finden sich Torrance’ Lieblingsthemen wieder.15 Erneut ist sein Einfluss festzustellen, der möglich wurde, weil seine Texte auf programmatische Weise bündelten, was viele dachten. Auch der Bericht, den die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung dem ÖRK in Evanston vorlegte, trägt Torrance’ Handschrift. Es handelt sich um die von Oliver Tomkins gekürzte und leicht veränderte Version eines Textes, der unter Torrance’ Ägide in Bossey erarbeitet worden war. Torrance’ Einfluss auf diesen Text war so stark, dass er ihn in einer ausführlichen Fassung als eigenen Beitrag in einer Aufsatzsammlung veröffentlichte.16 Der orthodoxe Theologe George Florovsky, der Teil der Arbeitsgruppe in Bossey gewesen war, distanzierte sich von dem Text und warf Torrance vor, die Sakramentenlehre nicht ernst genug zu nehmen und die Bedeutung der Kirche in ihrer irdischen Gestalt und Ämterstruktur mit einer falschen Eschatologie auszuhebeln.17 Diese Kritik zeigt ex negativo, welche Themenfelder die Ökumenische Bewegung der frühen 1950er Jahre bewegte. Es ist kein 14 Vgl. Thomas F. Torrance: „The Atonement and the Oneness of the Church“, in: SJT 7 (1954), 245−269. 15 „The Incarnation in the light of the relation of the Deity and the Humanity of Christ“; „The relation of the Church to the Person of Christ, to His birth and humanity“; „The ascended humanity of Christ and the participation of the Church in Him through the Spirit“; „The Church and the parousia“ (vgl. F&O 21, 18). 16 Vgl. Torrance: „Our Oneness in Christ and our Disunity as Churches“, in: C&A I, 263−283, 263, Anm. 1. Vgl. die offizielle Version in: The Evanston Report. The Second Assembly of the World Council of Churches 1954, hg. v. W. A. Visser t’Hooft, London 1955, 82−97. 17 Vgl. Matthew Baker: „The Correspondence between T. F. Torrance and Georges Florovsky (1950−1973)“, in: Participatio 4 (2013), 287−323, 289.

Eschatologie im Kontext der ökumenischen Bewegung

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Zufall, dass sich Torrance in diesen Jahren besonders intensiv mit der Sakramentenlehre, insbesondere der Abendmahlstheologie, auseinandersetzte. Auch diese brachte er in einen systematischen Zusammenhang mit einer christologisch begründeten Eschatologie. Bereits 1949 hatte er die Aufgabe angenommen, für die Weltkonferenz in Lund einen Beitrag zur Frage der Interkommunion aus reformierter Sicht zu verfassen.18 Das Ergebnis trug den bezeichnenden Titel Eschatology and Eucharist (Kap. 6).19 Auch in einem Aufsatz zur Eschatologie der Reformatoren, den Torrance 1956 dann zu der Monographie Kingdom and Church ausarbeitete (Kap. 7), steht deren Abendmahlstheologie im Zentrum. Hier bündelten sich die miteinander verknüpften Fragen nach dem Wesen der irdischen Kirche, nach der Realität der neuen Schöpfung in dieser Welt bzw. nach der Gegenwart Jesu Christi. Man kann auch von einem ekklesiologischen, eschatologischen und christologischen Problemkomplex sprechen, der die Ökumenische Bewegung in den frühen 1950er Jahren beschäftigte und den Torrance auf pointierte Weise auf den Begriff zu bringen wusste. Im Folgenden sollten die Schlüsseltexte dieser für Torrance so produktiven Jahre 1949 bis 1956 analysiert werden. Das vierte Kapitel ist dem Gutachten zur Eschatologie und dem Amsterdam-Essay gewidmet. In diesen Texten, die beide aus dem Jahr 1949 stammen, versucht Torrance, die Gegenwart der neuen Schöpfung in der Kirche zum Ausdruck zu bringen. Es handelt sich hier nicht um ein Gedankenspiel, sondern um den Versuch, die Ökumenische Bewegung theologisch zu reflektieren. Kann diese im Licht der Gegenwart Jesu Christi verstanden werden? Stehen die Gespräche und Bemühungen der Kirchen in einem Zusammenhang mit der neuen Schöpfung – und wenn ja, wie wäre dieser zu verstehen? Die abstrakte Verhältnisbestimmung von Gottheit und Menschheit Jesu, die Torrance’ frühe Christologie bestimmt hatte, tritt in diesem Kontext in den Hintergrund. Torrance hebt nun stärker die Kontinuität zwischen der neuen Schöpfung und der uns bekannten Wirklichkeit hervor, um die Gegenwart der neuen Schöpfung plausibel zu machen. Sie steht nicht in einem prinzipiellen Gegensatz zu unserer Wirklichkeit, aber in einem Konflikt mit der alten Schöpfung, in und gegen die sie in der gegenwärtigen Kirche Gestalt gewinnt. Im Amsterdam-Essay versucht Torrance, diese Perspektive christologisch zu begründen. Er will klären, wie das Verhältnis zwischen dem leib18 Vgl. MacLean: Resurrection, 128. 19 Thomas F. Torrance: „Eschatology and Eucharist“, in: Inter-Communion. The Report of the Theological Commission Appointed by the Continuation Committee of the World Conference on Faith and Order Together with a Selection from the Material Presented to the Commission, hg. v. Donald Baillie u. John Marsh, London 1952, 303−350, abgedruckt in: C&A I, 154−202, aus dem im Folgenden zitiert wird.

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Teil II

lich auferstandenen Christus und der Kirche als seinem Leib – konkret: den Kirchen der Ökumenischen Bewegung – zu verstehen ist. Torrance’ Perspektive weitet sich nun sichtlich, doch die dualistischen Tendenzen der Auburn-Christologie kann er nicht ganz abschütteln. Das zeigt sich immer dann, wenn er Christologie (bzw. Soteriologie) im engeren Sinn treibt – insbesondere in dem Aufsatz The Atonement and the Oneness of the Church (1954), dem das fünfte Kapitel gewidmet ist. Torrance unternimmt hier den Versuch, das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche mit Hilfe einer christologischen Analogie näher zu bestimmen. In einem ersten Schritt entwickelt er – ganz auf der Linie der Auburn-Christologie – die chalzedonische Christologie weiter, indem er die gottmenschliche Wirklichkeit Jesu Christi durch sein Versöhnungswerk auslegt. Torrance verweist auf das menschliche Leben und Sterben Jesu, um Raum für die geschöpfliche Kirche zu schaffen, die an Christus Anteil gewinnt, indem sie sein Versöhnungswerk nachvollzieht. In der Auburn-Christologie ist das genau der Punkt, an dem die neue Menschheit Jesu Christi realisiert wird. Und auch hier fällt Torrance mit dieser Denkfigur in eine abstrakte Gegenüberstellung von Mensch und Gott zurück, die seiner Intention zuwiderläuft. Zugleich deuten sich im Eschatologie-Gutachten und im Amsterdam-Essay neue Perspektiven an. Denn dort hatte Torrance eine abstrakte Verhältnisbestimmung der Gottheit und Menschheit Jesu Christi bzw. ihre Anwendung auf die Kirche explizit zurückgewiesen. Als dritte, neue Größe zwischen Christus und der Welt fungiert dort die neue Schöpfung. So wie sich diese in Christus in der alten Schöpfung Bahn bricht, ereignet sie sich heute in der Kirche. Diese verheißungsvolle Linie verfolgt Torrance in seiner Abendmahlstheologie weiter. Sie stellt in diesen Jahren das konstruktive Herzstück seiner Theologie dar. Denn das Abendmahl stellt ein durch und durch welthaltiges, irdisches und zugleich auf keine Formel zu bringendes Geschehen dar, das Torrance mit unverkrampften Blick als Vergegenwärtigung Jesu Christi begreift – als Ort, an dem die Neuschöpfung in dieser Welt Gestalt gewinnt, und das jenseits falscher Alternativen und Dualismen. Im sechsten Kapitel wird dieser Durchbruch anhand des Aufsatzes Eschatology and Eucharist (1952) dargestellt. Seinen Höhepunkt erreicht Torrance’ Abendmahlstheologie mit der Monographie Kingdom and Church. A Study in the Theology of the Reformation (1956). Dieser Studie ist das siebte Kapitel gewidmet. Der Themenkomplex von Christologie, Ekklesiologie und Eschatologie wird hier wie in einem Brennglas in der Frage gebündelt, wie die Wirklichkeit Jesu Christi, der sich im Abendmahl vergegenwärtigt, zu verstehen ist. Besonders intensiv setzt sich Torrance an dieser Stelle mit Calvin auseinander. Sein Verständnis des erhöhten Christus soll in diesem ausführlichsten Kapitel des Zweiten Teils geprüft und kritisch-konstruktiv weitergeführt werden.

KAPITEL 4

Irdische Kirche – welthaltige Neuschöpfung

4.1 Die Gegenwart der neuen Schöpfung in der irdischen Kirche (Gutachten zur Eschatologie 1949) Ausgerechnet mit einem Bericht zur zeitgenössischen Eschatologie schaltete sich Torrance in den ökumenischen Diskurs der späten 1940er ein, auch wenn sich dieser vorerst auf den britischen Zweig von Faith and Order beschränkte. Bei einem Treffen des britischen Arbeitszweiges hatte Torrance die eschatologische Thematik ins Gespräch gebracht, woraufhin er mit der Aufgabe betraut worden war, ein Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie zu erstellen. Erst 1953 wurde dieses Gutachten als vierteilige Serie in der Zeitschrift Evangelical Quarterly veröffentlicht.1 Bislang konnte der Text nicht eindeutig datiert werden. Robert Walker hat zu Recht vermutet, dass Torrance den Text früher als 1953 verfasste. Die zur Kenntnis genommene Forschungsliteratur des Gutachtens spreche für eine Datierung in den frühen 1950er Jahren oder noch früher.2 Walkers Vermutung kann noch weiter präzisiert werden. MacLean hat auf einen Brief vom März 1949 hingewiesen, in dem Torrance Karl Barth um Rat für einen Bericht zur zeitgenössischen Eschatologie bittet.3 MacLean hält diesen Bericht für eine Vorarbeit zu Eschatology and Eucharist.4 Es handelt sich jedoch um das Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie, das erst 1953 unter dem Titel The Modern Eschatological Debate veröffentlicht wurde. Dafür spricht neben zahlreichen inhaltlichen und formalen Gründen ein Archivfund. Im Nachlass von Thomas F. Torrance befinden sich sowohl das Originalmanuskript als auch eine Kopie des Textes mit einer handschriftlichen Notiz, nach der dieser für den britischen Zweig Vgl. Thomas F. Torrance: „The Modern Eschatological Debate“, in: EvQ 1953 (1) 45−54, (2) 94−106, (3) 167−178, (4) 224−232. 2 Walker hat den Text als „Addendum: Eschatology“ abgedruckt in: Torrance: Incarnation, 297−344, aus dem im Folgenden zitiert wird. Er hat beobachtet, dass Torrance noch aus der deutschen Fassung von Cullmanns Christus und die Zeit zitiert und sein Text aus der Zeit vor 1951 stammen muss, als die englische Übersetzung veröffentlicht wurde (vgl. Walker: „Addendum“, 297 u. 316, Anm. 20). 3 MacLean zitiert einen Brief aus dem Karl Barth-Archiv, Basel, vom 30. März 1949. Nach MacLean hatte Torrance die eschatologische Thematik selbst aufgebracht (vgl. MacLean: Resurrection, 104, Anm. 13). 4 MacLean: Resurrection, 128. 1

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Kapitel 4

von Faith and Order im Jahr 1948 verfasst und 1953 veröffentlicht wurde.5 Derselbe Archivordner enthält einen Brief aus dem Jahr 1949, der von Torrance erbetene Informationen zur Theologie Karl Heims erhält, die sich auch in dem Gutachten finden.6 Den Brief an Barth, in dem er diesen um Rat für sein Gutachten bat, schrieb er ebenfalls erst im Jahr 1949. Somit ist das Gutachten auf das Jahr 1949 zu datieren, auch wenn Torrance möglicherweise schon 1948 mit der Arbeit an dem Text begann. Es stellt eine Art review der zeitgenössischen eschatologischen Ansätze dar, die Torrance kritisch begutachtet, um einen eigenen Ansatz zu skizzieren. Er selbst will die Gegenwart des Reiches Gottes in unserer Wirklichkeit zur Geltung bringen. Eschatologie müsse sich an der Christusoffenbarung in unserer Welt orientieren. Der Fokus auf das historische Christusereignis beinhalte auch die Hoffnung auf dessen historische Erfüllung. Torrance denkt hier an die Endzeitparusie Jesu Christi, die er als zukünftige Offenbarung „desselben Jesus“ („the same Jesus“7) beschreibt. Das Reich Gottes habe eine kosmologische und historische Dimension, es werde in unserer Wirklichkeit („in the same sphere of reality as that to which we belong“8) realisiert. Zu diesem Zeitpunkt beurteilt Torrance die reformatorische Eschatologie nicht unkritisch. Sie habe zu einer Enteschatologisierung der Theologie geführt, indem sie die Eschatologie auf die letzten Dinge beschränkt habe (Tod, Gericht, Auferstehung) bzw. von einer grundsätzlichen eschatologischen Spannung des Glaubens ausgegangen sei, die Geschichte und gegenwärtige Wirklichkeit des Reiches Gottes jedoch aus den Augen verloren habe.9 Um die Wende zum 20. Jahrhundert sei die apokalyptische Eschatologie des Neuen Testamentes bei Johannes Weiß und Albert Schweitzer zwar neu ins Blickfeld getreten. Sie sei jedoch christologisch unterbestimmt geblieben und deshalb als wenig plausibles Katastrophenszenarium abgeschrieben worden, das nichts mit der Gegenwart zu tun habe.10 Das gelte auch für den frühen Karl Barth, der in seiner dialektischen Phase eine zeitlose Eschatologie getrieben habe, die von dem qualitativen Unterschied zwischen Zeit und Ewigkeit lebte. Hier wie auch in seiner Skizze der Positionen Charles Dodds und G. F. MacLeods wird deutlich, dass Torrance darum ringt, eine auf un5

Das Originalmanuskript befindet sich in MC 21, eine Kopie in MC 176 (Akte „Correspondence and papers on Eschatology and Rudolf Bultmann, 1949−1950“). Beide tragen den Titel „Eschatology“, die Kopie zudem die Notiz: „[Written in 1948 for the Faith and Order Department of the British Council of Churches, and published in the Evangelical Quarterly, 1953, pp. 45−54, 94−106, 167−178, 224−232]“. 6 MC 176 enthält weitere Korrespondenzen aus den Jahren 1948−49, etwa mit Oliver Tomlin und Jean Daniélou. Immer geht es um aktuelle Literatur zur Eschatologie. 7 Torrance: „Eschatology“, 300. 8 Torrance: „Eschatology“, 321. 9 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 301. 10 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 305.

Irdische Kirche – welthaltige Neuschöpfung

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sere gegenwärtige Wirklichkeit bezogene eschatologische Perspektive zu gewinnen, ohne die neue Schöpfung mit der uns bekannten Welt zu identifizieren. Er kritisiert einseitig präsentische oder futurische Ansätze, welche der vielfältigen Perspektiven der biblischen Zeugnisse nicht gerecht würden. Im Neuen Testament liege die Betonung auf der Gegenwart des Reiches Gottes, das jedoch ohne seine zukünftige Vollendung bedeutungslos bleibe.11 Der Gedanke des Kommens Christi, seiner Parusie, changiere zwischen seinem zukünftigen Kommen und seiner bereits heute erfahr- und erkennbaren Gegenwart im Heiligen Geist.12 Begeistert zeigt sich Torrance von der Studie des Neutestamentlers Oscar Cullmann, Christus und die Zeit, in der Cullmann das neutestamentliche Zeitverständnis zu rekonstruieren versucht. Es sei die bedeutendste eschatologische Arbeit in der Ära nach Albert Schweitzer.13 Cullmann vertritt die Ansicht, dass die eschatologischen Aussagen des Neuen Testaments gerade in ihren Bezügen auf Zeit und Geschichte zum Proprium des Evangeliums gehören. Die neutestamentlichen Zeugnisse kennen nicht den prinzipiellen Gegensatz zwischen Zeit und Ewigkeit, der die theologische Tradition im Anschluss an Augustin geprägt habe. Sie gehen von einer „naiv gradlinige[n] Auffassung der unendlichen Zeit als Rahmen für die neutestamentliche Heilsgeschichte“14 aus. Das Christusgeschehen sei keine zeitlos-ewige Größe, sondern als Mitte der Zeit zu verstehen. Als solches präge es die gesamte Zeit, so dass in Jesus Christus die Herrschaft Gottes über die Zeit erkannt werde. Zugleich läute es einen neuen Äon ein, der als neuer Zeitabschnitt zu verstehen sei.15 Die Endzeitparusie Jesu Christi versteht Cullmann als zukünftiges Ereignis, das wiederum einen neuen – den finalen – Zeitabschnitt inauguriert. Cullmann nimmt das Phänomen der Zeit also sehr ernst. Das macht seine Eschatologie realistisch, denn sie spielt in der zeitlich verfassten Realität, wie wir sie kennen. Torrance hebt lobend hervor, dass Cullmann die Dialektik von Zeit-Ewigkeit oder Diesseits-Jenseits überwinde, um die eschatologische Spannung zwischen Gegenwart und Zukunft anzusiedeln. Jedoch bleibe Cullmann zu stark auf einen linearen Zeitstrahl fixiert. Deshalb könne er die Gegenwart der neuen Schöpfung nicht zur Geltung bringen. Er denke zu einseitig von der uns bekannten Zeit aus. 11 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 315. 12 „(...) the advent presence of Christ undoubtedly refers both to his presence through the Spirit and to his presence on the last day“ (Torrance: „Eschatology“, 315f). 13 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 331. 14 Vgl. Oscar Culllmann: Zeit, 42. 15 Vgl. Cullmann: Zeit, 79.

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Torrance schlägt vor, mit Barth von einer „neuen Zeit“ bzw. einer neuen Schöpfung auszugehen, die in Christus Gestalt und Wirklichkeit gewonnen habe.16 Jedoch sei sie noch verborgen unter der alten Zeit. Die neue Zeit begreift Torrance in Analogie zur Inkarnation als „eine Form von hypostatischer Vereinigung des Ewigen und Zeitlichen in der Gestalt einer neuen Zeit“.17 So wie sich diese im Leben Jesu unter den Bedingungen der ersten Schöpfung realisiert habe, vollziehe sie sich nun im Leben der Kirche. Zwischen der Gegenwart der neuen Schöpfung und ihrer Zukunft als neuem Himmel und neuer Erde unterscheidet Torrance, indem er ihren gegenwärtigen Modus der Verborgenheit mit ihrem zukünftigen Modus der Sichtbarkeit kontrastiert. Schon im gegenwärtigen Modus spricht er von einer neuen Zeit. So kann er die Kontinuität zwischen erster und neuer Schöpfung wahren. Die neue Schöpfung sei in unserer zeitlich verfassten Wirklichkeit gegenwärtig. Sie stehe in einem Konflikt mit der alten Schöpfung, der in Christus eskaliert und endgültig geklärt worden, für die Kirche und diese Welt aber noch nicht vorbei sei. Die Vollendung des Gottesreiches stehe noch aus, in seiner gegenwärtigen Verborgenheit sei es jedoch nicht weniger real als in seiner zukünftigen Sichtbarkeit. Das erscheint Torrance als plausible Erklärung für die in einigen neutestamentlichen Schriften geäußerte Naherwartung der Endzeitparusie Christi. Sie resultiere aus der Erfahrung seiner verborgenen Gegenwart.18 Bereits in seiner Dissertation zur Gnadenlehre der apostolischen Väter hatte Torrance die apokalyptischen Motive des Neuen Testaments mit der intensiven Erfahrung der Gegenwart Jesu Christi erklärt. Dort hatte seine Erklärung eine existentialistische Färbung: Die apokalpytischen Bilder deutete Torrance als Ausdruck einer intensiven Gotteserfahrung, die nicht anders könne, als diese außergewöhnliche Erfahrung als Abbruch des Alten und Beginn eines Neuen zu artikulieren.19 In dieser spannungsvollen Dialektik hatte er die Gegenwart des Reiches Gottes in dieser Welt erkannt und kritisch gegen die apostolischen Väter gewendet, denen er vorwarf, eine prinzipielle Kluft zwischen dieser und der kommenden Welt errichtet zu haben.20 Diese dialektische Argumentation verblasst im Gutachten zur Eschatologie. Der Dialog mit Cullmann verstärkt Torrance’ Realismus, weil Cullmann darauf drängt, das Phänomen der Zeit ernst zu nehmen. Torrance verwendet das Motiv der neuen Zeit nun, um die Realität des Reiches Gottes in ih16 Den Begriff der neuen Zeit hatte er schon in seiner Auburn-Christologie aufgenommen (s.o. Kap. 1.2.1). 17 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 335. 18 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 334. 19 Vgl. Torrance: Grace, 35. 20 Vgl. Torrance: Grace, 135.

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rer Kontinuität zu der uns bekannten zeitlich verfassten Wirklichkeit auszudrücken. Die Gegenwart des Reiches Gottes ist mit der zeitlich verfassten Wirklichkeit zu vermitteln, weil sie eine neue Zeit darstellt. Zugleich kann Torrance, indem er von einer neuen Zeit spricht, die neue Qualität der Neuschöpfung zum Ausdruck bringen, die nicht einfach nur im Sinne der uns bekannten Zeit bzw. Wirklichkeit zu verstehen ist. Das ist eine kluge Strategie, um Dualismen wie denjenigen zwischen Zeit und Ewigkeit bzw. zwischen dieser Welt und einem transzendenten Jenseits aufzubrechen. In der Auburn-Christologie hatte der Begriff der neuen Zeit dazu gedient, die Entscheidung des einzelnen Menschen als fundamentale Selbstbestimmung vor Gott zu qualifizieren. Dieses Moment tritt nun zugunsten der Kirche zurück, die Torrance als „auferstandenen Leib“21 und Neuschöpfung unter den Bedingungen der ersten Schöpfung beschreibt. Die Sendung der Kirche in die Welt tritt in den Vordergrund. Sie wird als Ausbreitung der Neuschöpfung verstanden. Die in Christus vollendete Vereinigung von Gott und der neuen Schöpfung soll in die Welt und alle Zeiten („all conditions of time“22) getragen werden. Damit gewinnt die neue Schöpfung an welthafter Gestalt. Denn nun wird der Blick auf die irdische Kirche in ihren vielfältigen historischen und kulturellen Kontexten eröffnet, in denen sich Neuschöpfung ereignet. Das ist ein Fortschritt gegenüber der Auburn-Christologie. In inhaltlicher Hinsicht bleibt die Neuschöpfung jedoch unbestimmt, da die Analogie der hypostatischen Vereinigung, an der sich Torrance weiterhin orientiert, auf einer formalen Ebene bleibt. Mit seinem Bericht eröffnet Torrance der ökumenischen Bewegung die Möglichkeit, das eigene Wirken als Teil der Neuen Schöpfung zu begreifen. Er erinnert sie zugleich an die neue Qualität dieser Schöpfung, die nicht identisch mit irdischen Institutionen oder kirchlichen Ämtern sei.23 Zwischen 1949 und 1956 wird Torrance in zahlreichen Beiträgen versuchen, diese eschatologische Perspektive im Hinblick auf die Kirche umzusetzen. Es bleibt zu prüfen, wie Torrance hier die Gegenwart der neuen Schöpfung bestimmt und wie er die hilfreichen, allerdings noch recht formalen Kriterien seines eschatologischen Gutachtens entfaltet.

21 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 341. 22 Torrance: „Eschatology“, 341. 23 Vgl. Torrance: „Eschatology“, 344.

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4.2 Die christologische Begründung der neuen eschatologischen Perspektive (Amsterdam-Essay 1949) Im Jahr 1948 wurde der Ökumenische Rat der Kirchen in Amsterdam gegründet. Im Vorfeld der Gründungsversammlung waren vier Studienbände veröffentlicht worden, in denen sich Vertreter der protestantischen Denominationen sowie der orthodoxen Kirche mit ekklesiologischen Fragestellungen befassten. 1949 besprach Torrance die ersten zwei Bände in einem ausführlichen Aufsatz. Er erschien unter dem Titel The Nature and Mission of the Church und wird im folgenden als Amsterdam-Essay bezeichnet.24 Torrance knüpft an eine Perspektive an, die er in zwei kritischen Rezensionen zu anglokatholischen Sammelbänden angedeutet hatte.25 Diese Perspektive ist viel stärker christologisch akzentuiert, als dies in seinem Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie der Fall ist. Anlass dafür mag der Aufsatz des Anglikaners A.G. Hebert sein, an dem Torrance in seiner ersten Rezension großes Interesse zeigt. Hebert verknüpft in seinem Aufsatz Eschatologie und Ekklesiologie – und das mittels eines christologischen Gedankens. Die eschatologische Renaissance in der Exegese habe überraschenderweise zu einer neuen Beachtung der Kirche geführt. Die Frage nach den kirchlichen Ämtern will Hebert im Licht des Verhältnisses zwischen Gott und Mensch, das er in Christus begründet sieht, betrachten. Dazu rekurriert er auf die Zweinaturenlehre der altkirchlichen Christologie.26 Diese Verbindung von Eschatologie, Ekklesiologie und Christologie übernimmt Torrance; sie erlangt bei ihm zentrale Bedeutung. Allerdings wittert Torrance bei Hebert eine Vermischung der Naturen, die sich als Vergöttlichung des kirchlichen Amtes äußere. Gegen die anglokatholische Seite macht er die Unterscheidung zwischen Gott und seiner Kirche stark. Er argumentiert ganz ähnlich wie Hebert, will aber schärfer zwischen Gott und Mensch unterscheiden.Zugleich will er nicht in das andere Extrem fallen und die neue Schöpfung ins Jenseits verbannen. Schließlich interessiert sich Torrance für die kirchliche Wirklichkeit, weshalb er auf das teleologische Moment der Neuschöpfung verweist. In dieser erfülle sich die Bestimmung der

24 Vgl. Thomas F. Torrance: „The Nature and Mission of the Church“, in: SJT 2 (1949), 241−70, abgedruckt in C&A I, 195−225. Die Reihe trug den Titel „Man’s Disorder and God’s Design“, ihre vier Bände The Universal Church in God’s Design, The Church’s Witness to God’s Design, The Church and the Disorder of Society, The Church and the International Disorder wurden 1948 in London veröffentlicht. 25 Vgl. Thomas F. Torrance: „The Apostolic Ministry“, in: SJT 1 (1948), 190−201; „Catholicity“, in: SJT 2 (1949), 85−93, abgedruckt in C&A I, 34−37 bzw. 48−56. 26 Vgl. Arthur G. Hebert: „Ministerial Episcopacy“, in: The Apostolic Ministry. Essays on the History and the Doctrine of Episcopacy, hg. v. K. E. Kirk, London 1946, 493−534, 510.

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ersten Schöpfung, so dass sie nicht in völligem Gegensatz zu der uns bekannten Wirklichkeit stehe.27 Im Amsterdam-Essay versucht Torrance, diese Perspektive auf die ökumenische Bewegung zu übertragen. Er entwickelt eine christologische Denkfigur, mit deren Hilfe er die Kirche und ihre Sendung näher zu bestimmen sucht. Die eschatologische Relativierung der sichtbaren Kirche überwiegt vorerst. Torrance will sich von der anglo- und römisch-katholischen Betonung der notwendigen historischen Kontinuität der Kirche distanzieren. Ebenso will er die Rede von der göttlichen Natur der Kirche, die in Amsterdam von manchen Kirchen betont wurde, qualifizieren. Torrance bestimmt das Wesen der Kirche in Analogie zur hypostatischen Vereinigung der beiden Naturen in Jesus Christus: So wie sich Gottheit und Menschheit in Christus zueinander verhalten, sei das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche zu verstehen. „The analogy runs not ‚as God and Man are related in Christ so the divine and human are related in the Church‘, but rather ‚as God and Man are related in Christ so Christ and the Church are related‘“.28 Es geht Torrance bei dieser Verhältnisbestimmung nicht um eine abstrakte göttliche und menschliche Natur oder die Gegenüberstellung von Zeit und Ewigkeit, sondern um das Verhältnis von alter und neuer Schöpfung.29 Torrance’ Neuansatz wird deutlich, wenn er im zweiten Teil seines Aufsatzes erneut mit der christologischen Analogie einsetzt, um die Mission der Kirche zu bestimmen. Das Verhältnis zwischen Gott und Mensch in Christus deutet Torrance als Verhältnis zwischen Gott und dem neuen Menschen bzw. der neuen Schöpfung, die sich in der alten Schöpfung Bahn bricht und diese schöpferisch verwandelt. Der auferstandene Christus steht für „die vollkommene Vereinigung zwischen dem ewigen Sohn Gottes und der neuen Schöpfung in Jesus Christus“30. In Analogie zu Christus besteht die göttliche Natur der Kirche in ihrer in Christus bereits vollendeten neuen Schöpfung, in der sie in vollkommener Einheit mit Gott lebt. Ihre göttliche Natur ist also im strengen Sinne ihre neue menschliche Natur, die jedoch nicht ohne ihre Gemeinschaft mit Gott zu denken ist. So vermeidet Torrance eine Rezeption der Zweinaturenlehre, welche sich stärker für die Naturen als für den konkreten Christus interessiert. Jesus Christus wird nicht in eine abstrakte menschliche und göttliche Natur auf27 Vgl. Torrance: „Catholicity“, 86. 28 Torrance: „Nature“, 203. 29 „(...) the eschatological tension tends to be conceived in terms of eternity and time or transmuted into a mystical relation, instead of being thought of in terms of the new creation and the old“ (Torrance: „Nature“, 203). Zur Aporie der Zweinaturenlehre vgl. Wolfhart Pannenberg: Grundzüge der Christologie, Gütersloh 71990, 292. 30 Vgl. Torrance: „Nature“, 220.

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geteilt. Er steht für das Geschehen, in dem Gott seine Schöpfung neu schafft – nicht an seiner Schöpfung vorbei, sondern indem er in sie eingeht und sie von innen heraus verändert. Indem Torrance das Christusgeschehen im Hinblick auf sein heilsökonomisches Ziel versteht, erscheint Jesus Christus nicht als ein zeitloses Einheitsprinzip von Gottheit und Menschheit, sondern als Ereignis, in dem sich die neue Schöpfung vollzieht. Das hilft Torrance im ökumenischen Kontext. Indem er Christus als Ereignis der Neuschöpfung bestimmt, kann Torrance die von einigen Kirchen gebrauchte Rede von der „göttlichen“ Natur der Kirche erheblich qualifizieren. Darüber hinaus kann er die Kirche in das Christusgeschehen integrieren, indem er nach ihrer neuen Schöpfung in Christus und ihrer irdischen Gestalt fragt. An dieser Stelle wird der Begriff des Leibes (neutestamentlich soma) für Torrance wichtig. Die neutestamentliche Rede von der Kirche als Leib Christi drückt aus seiner Sicht die Zugehörigkeit der Kirche zum auferstandenen und erhöhten Christus aus, an dessen neuer Schöpfung sie Anteil hat. Torrance greift die paulinische Anthropologie auf, um zwischen dem geistlichen und dem natürlichen Leib (1. Kor 15,44), dem himmlischen und dem irdischen Leib (1. Kor 15,40) bzw. dem niedrigen und dem verherrlichten Leib (Phil 3,21) zu unterscheiden.31 In Analogie zu Christus, der seine wahre Identität durch die alte Schöpfung hindurch realisiert habe, versteht Torrance die Kirche in Christus als neue Schöpfung, die sich in der ersten Schöpfung vollzieht. Denn sie ist noch in ihrer irdischen Gestalt. Erst mit der Endzeitparusie Christi wird ihre verherrlichte Gestalt enthüllt. Die niedrige Gestalt der Kirche – Torrance verweist neben den Leib-Bezügen auch auf den Begriff der Knechtsgestalt Christi (morphe doulou) in Phil 2,7 – ermöglicht es Torrance, die neue Wirklichkeit der Kirche und die Bedeutung ihrer irdischen Mission hervorzuheben: Sie bilde die Gestalt Christi ab, der in seiner irdischen Gestalt die Versöhnung zwischen Gott und Menschen herbeigeführt habe.32 Zugleich steht die irdische Kirche unter einem eschatologischen Vorbehalt. Ihre äußere Gestalt hat keine letzte Würde; ihre Niedrigkeit kann sich gerade auch in ihrer Korrekturfähigkeit und in der Relativierung ihrer Traditionen äußern. Vor diesem Hintergrund versucht Torrance, dem im ökumenischen Diskurs zentralen Problem der apostolischen Sukzession der Kirche eine christologische Bestimmung zu geben. Er will zwischen den Extremen vermitteln, d.h. zwischen der anglo- und römisch-katholischen Betonung der apostolischen Kontinuität der Kirche als historischer Sukzession und der evangelischen Sicht, nach der die Kontinuität der Kirche allein durch die 31 Vgl. Torrance: „Nature“, 203. 32 Vgl. Torrance: „Nature“, 206.

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Weitergabe des Glaubens gewahrt wird. Torrance spricht von der eschatologischen und ontologischen Wirklichkeit der Kirche.33 Zur näheren Bestimmung dieser offenen Begriffe greift er auf biblische Texte zurück. In Jesus Christus wohne die Fülle Gottes auf leibhaftige Weise, zitiert Torrance aus Kol 2,9, und nennt das dort verwendete Adverb somatikos.34 Kol 2,9 und Eph 1,23 bringen nach Torrance die leibliche Dimension Christi mit der Fülle Gottes in Verbindung. Ebenso beziehen sie diese Fülle auf die Kirche, die von der Fülle Christi erfüllt (Eph 1,23) bzw. zur Fülle gebracht wird (Kol 2,9b). Vor dem Hintergrund dieser Verse wird verständlich, was Torrance mit der eschatologischen und ontologischen Wirklichkeit der Kirche und ihrer apostolischen Sukzession meint. Ihre eschatologische Wirklichkeit steht für die Fülle Christi, ihre ontologische Wirklichkeit für seine Leiblichkeit. Die Kirche sei eine eschatologische Wirklichkeit, weil sie bereits vollständig an der Fülle oder Ganzheit („all-inclusive fulness or wholeness“35) des Leibes Christi – Torrance denkt hier an den Leib des Auferstandenen – Anteil habe und in dieser Hinsicht nicht einer geschichtlichen Entwicklung bedürfe. Das, was unter dem Begriff der apostolischen Sukzession zu fassen versucht werde, das wahre Wesen der Kirche, bestehe in der eschatologischen Fülle Christi, an der die Kirche Anteil habe, weil Christus nicht ohne sie sein wolle.36 Die Rede von der apostolischen Sukzession verweist nach Torrance auf einen weiteren Aspekt der Kirche: Obwohl sie in der Fülle Christi eine eschatologische Wirklichkeit sei, wachse sie in der Geschichte. Dieses Phänomen bringt Torrance mit der leiblichen Dimension Christi und seiner Kirche in Verbindung. In diesen Zusammenhang gehört die Rede von der Kirche als ontologischer Wirklichkeit. Der lebendige Christus versammle die Gläubigen durch sein Wort als seine Kirche und als seinen Leib. Torrance spielt hier auf die congregatio als ereignishaften Akt Gottes an, die Karl Barth auf der Gründungsversammlung des ÖRK in Amsterdam hervorgehobenen hatte.37 Barth hatte sich sehr kritisch gegenüber einem ökumenischen Enthusiasmus geäußert und scharf zwischen Christus, dessen Versöhnungswerk allein die Hoffnung der Kirche begründe, und den kirchlichen Einigungsbestrebungen unterschieden. Nach 33 34 35 36

Torrance: „Nature“, 217. Vgl. Torrance: „Nature“, 216. Torrance: „Nature“, 217. Vgl. Torrance: „Nature“, 217. Torrance verweist auf Calvins Kommentar zu Eph. 1,23 (vgl. Johannes Calvin: „Der Brief an die Epheser“, in: ders.: Auslegung der kleinen Paulinischen Briefe, übersetzt u. hg. v. Otto Weber u.a., Neukirchen-Vluyn 1963, 99−210). 37 Vgl. Torrance: „Nature“, 219; Karl Barth: „The Church – the Living Congregation“, in: The Universal Church in God’s Design, hg. v. World Council of Churches, London 1948, 67−76.

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Torrance muss der Aspekt der incorporatio jedoch stärker berücksichtigt werden, als dies bei Barth der Fall sei.38 Torrance will vermeiden, dass die Kirche auf ein abstraktes Ereignis reduziert wird und die neue Schöpfung zu einer weltlosen Größe wird. Incorporatio als Einkörperung bedeutet für Torrance, der leiblichen Dimension der Kirche mehr Raum zu geben und damit ihrer neuen Geschöpflichkeit in dieser Welt Rechnung zu tragen. Diese konkrete Leiblichkeit begründet er christologisch: Jesus Christus erschaffe eine irdische Kirche „in sacramental con-corporation (susoma – Eph. 3:6) with the Body of Christ“39. Torrance versucht, den Leib Christi und den Leib seiner Kirche in einen differenzierten Zusammenhang zu bringen. Die Kirche sei nicht mit Christus identisch, habe aber Anteil an seiner eschatologischen Fülle. Sie sei schon mit ihm auferstanden und habe damit Anteil an seinem Auferstehungsleib. Zugleich sei sie noch in ihrem irdischen Leib. Sie habe deshalb auf eine spezifische Weise Anteil an Christus. Diesen Modus nennt Torrance „sacramental con-corporation“. Im Hintergrund steht der Gedanke, dass Christus auf unterschiedliche Weise Gott verkörpert: in seinem niedrigen irdischen Leib ebenso wie in seinem verherrlichten Leib. Wenn die Kirche Anteil an seinem Auferstehungsleib hat, ist sie mit Gott versöhnt und vereint, und kann dies nun in Korrelation zu dem anderen Modus Christi – seinem irdischen Leib – in ihrer irdischen Leiblichkeit leben. Torrance betont sowohl die Einheit Christi mit der Kirche als auch das eigenständige Moment der Kirche und weist ihr eine markante Rolle in der Heilsökonomie Gottes zu: Sie realisiere die Versöhnung zwischen Gott und Mensch, indem sie – auf der Grundlage und in Einheit mit dem auferstandenen Christus – dessen Weg nachvollziehe, wodurch sich die neue Schöpfung in der ersten Schöpfung Bahn breche. Damit wiederhole sich in der Kirche, was in Christus geschehen sei.40 Der Amsterdam-Essay kreist um die Frage nach der Verhältnisbestimmung zwischen dem leiblich auferstandenen Christus und der Kirche als seinem Leib. Indem Torrance die Leiblichkeit des Auferstandenen betont, kann er die Gegenwart der neuen Schöpfung in dieser Welt akzentuieren, ebenso aber die ausstehende Verwandlung der ersten Schöpfung. Das ist eine verheißungsvolle Perspektive, die allerdings der inhaltlichen Ausgestaltung bedarf. Zugleich ist an dieser Stelle ein offenes Problem zu markieren. Inwiefern hat die Kirche Anteil an der neuen Schöpfung? Nach Torrance aktualisiert sie die Versöhnung Jesu Christi bzw. die neue Schöpfung, die noch verbor38 Vgl. Torrance: „Nature“, 210. 39 Torrance: „Nature“, 219. Den Begriff concorporate übernimmt Torrance von dem belgischen Jesuiten Emile Mersch (218). 40 „Thus the Church is the atonement becoming actual among men in the resurrection of a new humanity corresponding to the resurrected Body of Jesus“ (Torrance: „Nature“, 220).

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gen ist und einen konflikthaften Weg durch die erste Schöpfung hindurch gehen muss. Um die Realität der neuen Schöpfung auszudrücken, verweist Torrance auf die Leiblichkeit der irdischen Kirche, die sich in ihrem niedrigen Leib hingeben muss. Die Realität der neuen Schöpfung wird mit Hilfe des paradigmatischen Kreuzestodes Jesu Christi ausgesagt, der einen historischen Menschen und mit ihm die uns bekannte Schöpfung betrifft. Doch das Verhältnis der Kirche zum Leib des Auferstandenen bleibt unklar. Dieser fungiert für Torrance als Prinzip, welches sicherstellt, dass die neue Schöpfung paradigmatisch verwirklicht und ein neues Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung als hypostatische Vereinigung realisiert worden ist. Doch diese neue Schöpfung wird eher postuliert, als dass ihre gegenwärtige Wirklichkeit entfaltet wird. Torrance’ eschatologischer Realismus, den er im Amsterdam-Essay andeutet, liegt auf Seiten der irdischen Kirche und ihrer Nachfolge, während die Wirklichkeit des auferstandenen Christus und seines Geistes nur als formales Prinzip fungiert, das die irdische Kirche neu qualifiziert, nicht aber in sie involviert ist.

KAPITEL 5

Bleibende Dualismen: Kirche und Neuschöpfung im Licht einer problematischen christologischen Analogie The Atonement and the Oneness of the Church (1954)

Auf der zweiten Vollversammlung des ÖRK in Evanston traf sich auch Torrance’ Arbeitsgruppe, die im Rahmen von Faith and Order das Verhältnis zwischen Christus und seiner Kirche bearbeitete. Torrance hielt einen Vortrag über The Atonement and the Unity of the Church, den er im selben Jahr unter einem leicht verändertem Titel veröffentlichte.1 Er stellt den Versuch dar, der im Konferenzbericht geforderten engen Verbindung von Christus und der Kirche eine konzeptionelle Gestalt geben. Damit schließt Torrance an eine in Lund gewachsene Einsicht an.2 Sein Vortrag mündet in der These, dass die gemeinsame Feier des Abendmahles konstitutiv für das Wesen und die Einheit der Kirche sei, weil sich in ihr das Versöhnungswerk Christi ereigne. Im Hinblick auf Torrance’ theologische Entwicklung ist der Text interessant, weil er die Kirche hier relativ bruchlos in die christologische Konzeption einfügt, die er in Auburn entwickelt hatte. Die Probleme dieser Konzeption treten nun besonders deutlich zu Tage. Während das fünfte Kapitel die bleibenden Dualismen seiner Christologie zur Sprache bringt, markiert Torrance’ Abendmahlstheologie (sechstes und siebtes Kapitel) den Kontext, in dem sich seine Theologie von diesem Ballast immer wieder befreien kann. Torrance eröffnet den Vortrag mit der These, nach der die von den altkirchlichen Bekenntnissen geprägte klassische Christologie im Licht der Versöhnungslehre zu reformulieren sei. Indem Torrance die Person Jesu Christi von seinem Versöhnungswerk her bestimmt, dieses aber wiederum von der 1

2

Vgl. Thomas F. Torrance: „The Atonement and the Oneness of the Church“, SJT 7 (1954), 245−269, abgedruckt in C&A I, 238−262; [„Die Versöhnung und das Eine-Sein der Kirche“, in: EvTh 15 (1954), 1−22]. Um der sprachlichen Präzision willen wird im Folgenden aus dem Original zitiert. Torrance zitiert aus F&O 15, 7: „What concerns Christ concerns His Body also. What has happened to Christ uniquely in His once and for all death and resurrection on our behalf, happens also to the Church in its way as His Body (...) so that the way of Christ is the way of His Body“ (Torrance: „Atonement“, 246).

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Kapitel 5

Person Christi in seiner Gottheit und Menschheit, eröffnet er einen Raum für die menschliche Kirche. Dem Versöhnungswerk Christi eignet ein genuin menschliches Moment, weil es auf die Versöhnung der Menschen zielt und sich im Menschen vollzieht. Nach Torrance trifft das Chalcedonense gültige Aussagen über die Person Christi, sagt aber nicht genug über sein Werk der Versöhnung. Inkarnation (dafür stehen bei Torrance die Begriffe der hypostatischen Vereinigung bzw. der „incorporation“) und Versöhnung (dafür stehen die Begriffe „atonement“ und „reconciliation“) behandelt Torrance als zu unterscheidende Größen, die sich wechselseitig auslegen.3 Doch schon mit der Unterscheidung zwischen „Inkarnation“ und „Versöhnung“ unterläuft Torrance seine eigene Intention. Er behandelt das Chalcedonense, als treffe es adäquate Aussagen über die Person Jesu Christi im Allgemeinen – als Gottmenschen, der wahrer Mensch und wahrer Gott ist. Er abstrahiert diese Aussagen von der konkreten Person Jesu und ihrer Geschichte. Denn er gesteht dem Chalcedonense zu, etwas Gültiges über die Person Jesu Christi „an sich“ zu sagen: „When we think of Jesus Christ in Himself, in the mystery of His own Person, the Chalcedonian formula is quite adequate (...)“.4 Torrance will diese Aussagen auf das Werk der Versöhnung anwenden. Damit reißt er die Inkarnation und die Versöhnung jedoch erst recht auseinander. Er behandelt die Inkarnation als den ersten Schritt und die Bedingung der Möglichkeit des Sühnetodes Jesu Christi. Im Hinblick auf Jesus Christus beschreibe der Begriff der Inkarnation, dass sich Jesus in seiner Menschwerdung mit der sündigen Menschheit, die unter dem Gericht Gottes steht, identifiziert habe. Torrance bringt sogleich die Kirche ins Spiel: Jesus habe Jünger berufen, damit diese als „one Body with Himself“5 seinen Weg der Selbstverneinung mitgehen. Irritierenderweise spricht Torrance schon vor Pfingsten von der Kirche: Sie stelle in dieser Phase den Leib der Sünde dar, den Jesus Christus angenommen habe. Nachdem im letzten Abendmahl seine Einheit mit der Kirche bestätigt worden sei, sterbe Christus den Sühnetod, um den Leib der Sünde zu zerstören und als verherrlichter Leib wieder aufzuerstehen. Auf dieser Grundlage gebe der Auferstandene der Kirche an seiner hypostatischen Vereinigung von Gottheit und Menschheit durch den Heiligen Geist Anteil.6 3 4 5 6

Vgl. Torrance: „Atonement“, 247f. Torrance: „Atonement“, 247. Torrance: „Atonement“, 248. „It was then that the hypostatic union, carried through crucifixion to its telos in the Risen Christ, was through the breathing of the Spirit inserted first into the nucleus of the Church on Easter evening, and then, after Christ’s Ascension to fill all things, into the whole Church at Pentecost“ (Torrance: „Atonement“, 249).

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Die Unterscheidung zwischen Inkarnation und Versöhnung setzt voraus, dass auf das Moment der Inkarnation ein spezifisch menschliches Moment folgt, das beschreibt, wie der Mensch Jesus die Versöhnung realisiert. Torrance behandelt die Inkarnation als Handlung Gottes, die zu der Handlung des Menschen Jesus im Versöhnungsgeschehen führt. Er präpariert ein spezifisch menschliches Moment aus dem Christusgeschehen heraus – mit dem Ziel, die christologischen Einsichten auf die Kirche übertragen zu können. Seine ursprüngliche Intention unterläuft Torrance konsequent. Eigentlich will er die Gottheit und Menschheit Jesu betonen, um zur Sprache zu bringen, dass Gott die Menschen in das Versöhnungsgeschehen mit hinein nimmt und sie als Menschen neu geschaffen werden. Diese Intention wird deutlich, wo Torrance die altkirchliche Rede von der anhypostatischen und enhypostatischen menschlichen Natur Christi interpretiert. Da beide zusammengehören, könne nicht von einer göttlichen sowie einer menschlichen Handlung gesprochen werden, sondern nur von der einen Handlung des „Gottmenschen“.7 Torrance wendet sich gegen den schwedischen Lutheraner Gustav Aulén und dessen 1930 erschienene Monographie Christus Victor.8 Aulén behandle die Versöhnung als transzendenten Akt Gottes, der über den Menschen hinweggehe. Er spiele die anhypostasis der menschlichen Natur Christi gegen ihre echte Menschheit aus. Den Gegentypus sieht Torrance in der pelagianischen Soteriologie, welche die Menschheit Christi so stark von seiner Gottheit trenne, dass sein Versöhnungshandeln zu einem rein menschlichen Opfer werde. Torrance will gerade nicht ein einseitiges menschliches Moment aus dem Christusgeschehen herauspräparieren. Er beruft sich auf den Anglikaner F. W. Camfield, der schon für seine Auburn-Christologie prägend war und von dem er gelernt hat, dass „Gott als Mensch“ Versöhnung bringt.9 Torrance folgert: „(...) while atonement is throughout act of God for us, we are to understand it as act of God done into our humanity, wrought out in our place and as our act“.10 Was aber bedeutet „als unser Akt“? Offensichtlich sehen Camfield und Torrance ein spezifisch menschliches Moment im Versöhnungsgeschehen. Torrance nennt dieses Moment Stellvertretung („substitution“). Der Mensch Jesus tut etwas, was nur ein Mensch tun kann – stellvertretend für alle Men-

7 8

Vgl. Torrance: „Atonement“, 250. Vgl. Gustaf Aulén: Christus Victor. A Historical Study of the Three Main Types of the Idea of the Atonement, London 1931. 9 „It was not Godhead qua Godhead that atoned; it was the God-manhood. And that means not simply God in man but God as man. The manhood was integral and essential and not merely instrumental“ (Torrance: „Atonement“, 250). Er zitiert aus F. W. Camfield: „The Idea of Substitution in the Atonement“, in: SJT 1 (1948), 282−293, 292. 10 Torrance: „Atonement“, 250.

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schen. Den Konflikt zwischen Gott und Mensch trage er von der Seite des Menschen und von der Seite Gottes aus: He shared in it from both sides, from the side of God who is offended by man and from the side of man who is under the divine judgment of death. Within our flesh He was thus act of God the Judge condemning sin in the flesh, and within our flesh where man has no justification before God, He the Just in the place of the unjust stood under judgment and rendered to God the answer of complete obedience, even to the death of the Cross.11

Die Rede von der menschlichen und göttlichen Seite sowie der Verweis auf den vollkommenen Gehorsam Jesu erinnern an die soteriologischen Entwürfe Campbells und Forsyths, die Torrance’ Auburn-Christologie entscheidend geprägt hatten.12 Campbell hatte zwischen der göttlichen und menschlichen Seite im Versöhnungsgeschehen unterschieden und den Begriff der vollkommenen Reue Christi eingeführt. Forsyth hatte diese Konzeption fortgeführt, aber den Begriff der vollkommenen Reue durch den der menschlichen Heiligkeit Jesu ersetzt, die sich in ihrem Gehorsam und ihrer Selbsthingabe gegenüber Gott äußert. Torrance steht in dieser Tradition, wenn er auf Gottes Seite das Gericht über die Sünde des Menschen verortet, auf Seite des Menschen seine stellvertretende Gerechtigkeit, die sich darin äußere, dass er als gerechter Mensch das Gericht Gottes in vollkommenem Gehorsam ertrage. Im Hinblick auf die Person Jesu Christi will Torrance eigentlich die Einheit seiner Gottheit und Menschheit betonen. Die Formel „der Gerechte anstelle des Ungerechten“ beinhaltet schließlich, dass Jesus Christus anders als alle anderen Menschen ist und deshalb stellvertretend für diese handelt. Wenn Torrance dieses versöhnende Handeln in den Blick nimmt, ordnet er der menschlichen Seite jedoch ein spezifisches Moment zu. Es besteht darin, dem Gericht Gottes ausgesetzt zu sein und ihm mittels der eigenen Selbstverneinung Recht zu geben. Diese Selbstverneinung verbindet Torrance mit dem Begriff der Stellvertretung („substitution“): (...) there is a substitution where the guilty does not shelter behind the innocent, but such a substitution that the guilty is faced with the Light, that man is dragged out of his self-isolation and brought face to face with God in His compassion and holiness. Because it is God Himself who here steps into man’s place and takes his status upon Himself, man is not sheltered from God but exposed to His judgment, for in our place He claims to displace us and demands that we renounce ourselves for Him, in order to be one with Him.13 11 Torrance: „Atonement“, 251. Hervorh. PJG. 12 S.o. Kap. 2.3. 13 Torrance: „Atonement“, 252.

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Torrance verbindet eine Aussage über das stellvertretende Werk Christi, das in seiner Selbsthingabe besteht, mit der Forderung an alle Menschen, diese Selbsthingabe nachzuvollziehen. Die Stellvertretung Christi vollzieht sich in der Selbstverneinung der Sünder und nicht an dieser vorbei. Man kann hier deutlich erkennen, dass Torrance seine Christologie und Soteriologie mit dem Interesse an einer spezifisch menschlichen Haltung gegenüber Gott entwickelt, um der Kirche eine eigene Rolle im Versöhnungsgeschehen zuzuweisen. Er wendet den Begriff der Stellvertretung explizit auf die Kirche an – freilich in der skizzierten indirekten Weise, nach der sie sich vertreten lässt und gerade darin die Haltung Christi in ihrer aktiven Selbstverneinung nachvollzieht.14 In der Sprache der klassischen Christologie heißt das für Torrance: Die Menschheit der Kirche ist anhypostatischer Natur, indem sie sich von Christus vertreten lässt, so dass sie ihre wahre Menschheit in Christus – enhypostasis – gewinnt. Aus dem exklusiv auf die Person Jesu Christi zielenden Begriff der anhypostasis macht Torrance einen menschlichen Akt der Selbstverneinung, den die Kirche gegenüber Christus nachvollzieht und so ihre wahre menschliche Natur realisiert.15 Torrance’ Argumentation hat ihren Fluchtpunkt im sakramentalen Leben der Kirche. Hier vollzieht sich das Versöhnungsgeschehen auf eine solche Weise, dass die Kirche wirklich involviert ist. Ihre Mission besteht darin, das Versöhnungswerk Christi an sich selbst nachzuvollziehen. Dies geschehe in den Sakramenten, in denen die Kirche sich von Christus vertreten lasse und damit seine Haltung der Selbsthingabe nachvollziehe.16 Taufe und Eucharistie bringen nach Torrance zwei unterschiedliche Aspekte der Kirche zum Ausdruck. Im Hinblick auf die Taufe akzentuiert er die Parallele zur Inkarnation. Die Sünder werden in den Leib Christi aufgenommen („incorporated“), um mit Christus vereint zu sterben und aufzuerstehen. Sie entsprechen der Inkarnation Christi, der in den Leib der Sünde eingeht, der unter dem Gericht Gottes steht, indem sie sich mit ihm vereinigt unter das Gericht Gottes begeben. Im Hinblick auf die Eucharistie betont Torrance die aktive Nachfolge der Kirche. Sie stellt das Versöhnungswerk Christi an sich selbst dar, indem sie in einer Haltung des Gehorsams am Tod

14 Torrance kann deshalb folgern: „If such incorporation and substitution are the way of the Son of Man, they are the way of the Church as His Body“ (Torrance: „Atonement“, 252). 15 „The only way the Church can follow Him is by way of anhypostasia, by way of self-denial and crucifixion, by letting Christ take its place and displace its self-assertion; and by way of enhypostasia, by way of incorporation and resurrection, by receiving from Christ the life which He has in Himself and which He gives His own“ (Torrance: „Atonement“, 252). 16 Vgl. Torrance: „Atonement“, 258.

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und an der Auferstehung Christi Anteil gewinnt. So wird sie täglich in ihrer Identität als neue Menschheit erneuert.17 Torrance bestimmt das Verhältnis von Taufe und Abendmahl in Analogie zu Jesus Christus, der vom Beginn seines Lebens an wahrer Gott und wahrer Mensch gewesen sei, dies aber durch sein Leben und Sterben zur Darstellung habe bringen müssen. Mit der Taufe seien die Gläubigen mit Christus ein für allemal verbunden. Zu dieser Verbindung gehöre ihre ständige Erneuerung in der Eucharistie, auch wenn diese nichts zur Taufe hinzufüge. Seine christologische Ausgangsthese, Inkarnation und Versöhnungswerk Christi seien ineinander verschränkt, wendet Torrance auf die Kirche an: Taufe und Eucharistie fungieren als spezifische Momente einer gemeinsamen Bewegung hin zur Versöhnung.18 Die Wiederholung der Eucharistie steht für den eschatologischen Vorbehalt, unter dem die ekklesia militans in ihrer irdischen Gestalt steht, welche der ständigen Erneuerung bedarf. Die Eucharistie bezeichnet Torrance in Abgrenzung von einem rein kognitiven Verständnis als effektives Sakrament. Torrance findet hier deutliche Worte. Er bindet die Versöhnung der Kirche an die Eucharistie: „(...) it is only through this reconciliation and healing of division mediated through Eucharistic communion that it participates in the oblation [Opfer; PJG] of Christ whereby He presents us in Him as one Body to the Father“19. Dieser Satz verdeutlicht, welche problematischen Folgen daraus erwachsen, dass Torrance ein spezifisches menschliches Moment aus dem Versöhnungsgeschehen herauspräpariert hat, um so einen Ort für die Kirche und ihr sakramentales Leben zu schaffen. Die menschliche Selbsthingabe Jesu begründet auf kausale Weise die Versöhnung. Nur wenn die Kirche mittels der Eucharistie an dieser Selbsthingabe partizipiert, wird sie mit Gott versöhnt. Torrance kann also gar nicht mehr scharf zwischen dem Versöhnungswerk Christi und dem Handeln der Kirche unterscheiden. Seine Argumentation dient der ökumenischen Verständigung. Denn er versteht die Versöhnung als Überwindung der Spaltung der Kirche. Er bezeichnet die Bewegung der Kirche als Versöhnung und Vereinigung („unification“20), wobei immer ein Doppeltes gemeint zu sein scheint: die Versöhnung mit Gott (als Vereinigung mit Christus) und die Versöhnung unter den Menschen (als der eine Leib Christi). In dieser doppelten Versöhnung bzw. Vereinigung besteht die neue Menschheit, die Jesus Christus heraufgeführt

17 18 19 20

Vgl. Torrance: „Atonement“, 266. Vgl. Torrance: „Atonement“, 265. Torrance: „Atonement“, 268. Vgl. Torrance: „Atonement“, 268 u.ö.

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hat. Indem sie seine Bewegung vom Tod zum Leben nachvollzieht, realisiert die Kirche ihre Versöhnung und Vereinigung.21 Die Kirche vollzieht auch die Bewegung der Himmelfahrt Christi mit. Diese versteht Torrance als Universalisierung seiner Neuschöpfung. Zum Leben der irdischen Kirche gehört für Torrance deshalb nicht nur das Moment der Versöhnung, sondern auch das Moment des Wachstums, durch das sich die Neuschöpfung in Jesus Christus ausbreitet.22 Im Atonement-Aufsatz kann man genau beobachten, wie Torrance hinter die Einsichten des Amsterdam-Essay zurückfällt. Er konzipiert das Versöhnungsgeschehen in Christus mit dem Ziel, die Kirche in dieses Geschehen einzuschließen. Dazu verwendet er Kategorien der chalzedonischen Christologie. Hier entsteht das Problem: Torrance muss die Rede von der göttlichen und menschlichen Natur Christi in einem abstrakten Sinn aufnehmen, weil es der Übertragung auf die Kirche dient. Der tertium comparationis zwischen Christus und der Kirche sind seine abstrakt verstandene göttliche und menschliche Natur. Nur durch diese Abstraktion kann die Analogie durchgeführt und auf die – ebenfalls in einem abstrakten Sinn als „menschlich“ verstandene – Kirche angewendet werden. Das menschliche Moment Jesu Christi besteht nach Torrance in seiner Selbsthingabe, welche die Kirche indirekt wiederholt, wenn sie Christus als ihren Herrn bekennt. Im Amsterdam-Essay hatte Torrance eine abstrakte Verhältnisbestimmung von Gottheit und Menschheit Christi bzw. ihre Anwendung auf die Kirche explizit zurückgewiesen. Als tertium comparationis zwischen Christus und der Kirche fungiert dort die neue Schöpfung. So wie sich diese in Christus in der alten Schöpfung Bahn bricht, ereignet sie sich in der Kirche. Der Begriff der neuen Schöpfung ist hilfreich, weil er nicht säuberlich zwischen Gottes und des Menschen Werk unterscheidet, sondern das Christusgeschehen als Ereignis behandelt, das zur Neuschöpfung des Menschen führt. Gott und Mensch werden von dem Heilsgeschehen her profiliert, das sich in der Sendung Christi und der Ausgießung seines Geist vollzieht. Eberhard Jüngel hat betont, dass eine angemessene Unterscheidung zwischen Gott und Mensch erst durch die Offenbarung Gottes möglich wird. Denn die Offenbarung in Christus unterläuft abstrakte Gottesbilder, die immer vom Menschen her entwickelt werden und dessen Selbstbild ins Unendliche steigern.23 Torrance ist durchaus kritisch gegen solche Gottesbilder eingestellt, wie seine ab 1949 geäußerte Kritik an der Dialektik von Zeit und 21 „The road to unity lies through atonement“ (Torrance: „Atonement“, 267). 22 Vgl. Torrance: „Atonement“, 268. 23 Vgl. Eberhard Jüngel: „Keine Menschenlosigkeit Gottes. Zur Theologie Karl Barths zwischen Theismus und Atheismus“, in: ders.: Barth-Studien, Gütersloh 1982, 332−347, 343ff.

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Ewigkeit zeigt. Das Geschehen der Neuschöpfung in Christus, das er als Alternative vorschlägt, könnte diesen Dualismus überwinden. Im Hinblick auf eine angemessene Unterscheidung zwischen Gott und den Menschen würde dies heißen: Gott offenbart sich als der, der den Menschen gerecht macht, mit sich versöhnt und ihm neues Leben schenkt. Gottes Gerechtigkeit besteht darin, Gerechtigkeit unter den Menschen aufzurichten. Darin ist Gott selbst gerecht.24 Seine Hoheit besteht darin, den Menschen zu erhöhen, indem er sich erniedrigt. Der Mensch wird offenbar als der, der von Gott errettet und erhöht wird. Sein Leben wird ihm neu geschenkt, indem er an der Kraft des Heiligen Geistes Anteil gewinnt. Es ist unmöglich, hier ein abstraktes göttliches oder menschliches Moment herauszupräparieren – weder im Christusgeschehen noch in der Sendung des Geistes. Am ehesten könnte man sagen, dass Gott der ist, der den Menschen mit sich versöhnt, und der Mensch der ist, der als neue Schöpfung in der Kraft dieser Versöhnung leben darf. Dieser Unterscheidung kam Torrance im Amsterdam-Essay sehr nahe. Er artikulierte das Handeln der Kirche als Neuschöpfung, nicht primär als Versöhnung. In der Tat müssen beide Begriffe unterschieden bleiben, um den konkreten und einmaligen Jesus Christus, den das Chalcedonense im Blick hat, zu bewahren. Denn nur dieser versöhnt die Menschen mit Gott. Von diesem Geschehen sind alle anderen Menschen ausgeschlossen. Denn in Christus macht Gott die Sünde der Welt zu seiner eigenen Sache, die er durchlebt und überwindet – zugunsten der Sünder. Diese können nur als bereits Versöhnte, die den Geist Gottes empfangen haben, Christus als ihren Herrn bekennen (vgl. 1. Kor 12,3). Sie können nicht hinter ihre Versöhnung zurück, um diese selbst zu realisieren, und sind nicht in einem isolierten menschlichen Selbstverzicht an ihrer Versöhnung beteiligt. Die Menschen, die den Geist Gottes empfangen, stellen die neue Schöpfung, die paradigmatisch in Christus Gestalt gewonnen hat, auf ihre eigene Weise in neuen Kontexten dar. Hier hat die Rede von dem eigenen Selbstverzicht zugunsten des Willens Gottes und der Mitmenschen durchaus ihr Recht, denn der Geist Jesu Christi hat sich in seiner Selbsthingabe geäußert. Der Selbstverzicht der Gläubigen begründet jedoch nicht ihre Versöhnung mit Gott. Er ist eine Frucht der von ihm herbeigeführten Versöhnung, eine Frucht seines Geistes, der sich nun auch in anderen Kontexten manifestiert: als neue Schöpfung, die in der Tat nicht am Menschen vorbeigeht, sondern in der geschöpflichen Wirklichkeit Gestalt annimmt.

24 Vgl. Jüngel: Evangelium, 54.

KAPITEL 6

Blickwechsel: Das Abendmahl als Auferstehungsereignis Eschatology and Eucharist (1952)

1939 hatte die Kommission für Glauben und Kirchenverfassung drei theologische Kommissionen zu den Themen „Kirche“, „Gottesdienstformen“ und „Interkommunion“ eingesetzt. Ihre Ergebnisse wurden in drei Studienbänden veröffentlicht. Im Frühjahr 1949 wurde Torrance bei einem Treffen des britischen Zweiges der Kommission für Glaube und Kirchenverfassung darum gebeten, einen Beitrag zur Frage der Interkommunion aus reformierter Sicht zu verfassen.1 Das Ergebnis war sein Aufsatz Eschatology and Eucharist, der im dritten Studienband veröffentlicht wurde.2 Wie der Titel andeutet, stellt Torrance die Feier des Abendmahls in einen eschatologischen Zusammenhang. Er versucht, die Gegenwart Christi im Abendmahl – und mit ihr die gegenwärtige Wirklichkeit der neuen Schöpfung – zur Sprache zu bringen. Die Gegenwart Christi will er auf eine solche Weise bestimmen, dass Raum für eine zukünftige Vollendung der neuen Schöpfung bleibt. Auch hier ist Torrance’ Theologie nicht frei von den dualistischen Tendenzen, die in seiner frühen Christologie angelegt sind und in den 1950er Jahren präsent bleiben, wie das vorangehende fünfte Kapitel gezeigt hat. Doch mit dem Gedanken, das Abendmahl als „Auferstehungsereignis“ zu verstehen, richtet sich Torrance’ Blick auf die neue Wirklichkeit Jesu Christi, die jenseits falscher Gegensätze steht und es ermöglicht, Gottes versöhnendes und schöpferisches Handeln in und an der uns bekannten Wirklichkeit zu erfahren und zu erkennen. Torrance knüpft an die biblischen Zeugnisse zur Einsetzung des Abendmahls an. Dort macht er zwei Aspekte aus. Zahlreiche Texte binden das Abend-

1 2

Vgl. MacLean: Resurrection, 128. Vgl. Thomas F. Torrance: „Eschatology and Eucharist“, in: Inter-Communion. The Report of the Theological Commission Appointed by the Continuation Committee of the World Conference on Faith and Order Together with a Selection from the Material Presented to the Commission, hg. v. Donald Baillie u. John Marsh, London 1952, 303−350; ders.: „The Modern Eschatological Debate“, in: EvQ 1953 (1) 45−54, (2) 94−106, (3) 167−178, (4) 224−232.

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mahl an den vorösterlichen Jesus und seine Kreuzigung.3 Sie erinnern an die Nacht vor der Kreuzigung Jesu, in der Jesus das Abendmahl mit seinen Jüngern feierte und ihnen auftrug, es fortan im Gedenken an ihn zu feiern. Zugleich steht die Feier des Abendmahls im Zusammenhang mit den Auferstehungszeugnissen – und gewinnt damit eine eschatologische Bedeutung. Torrance nennt die Emmaus-Begegnung in Lk 24,13−35, in der die Jünger den unbekannten Mitreisenden beim Brechen des Brotes als ihren Herrn erkennen. Er verweist auch auf Joh 20,19−23. Dort wird geschildert, wie die Jünger am ersten Tag der Woche versammelt sind – eine Anspielung auf den sonntäglichen Gottesdienst – und Jesus in ihre Mitte tritt. Diese „Auferstehungsereignisse“ („resurrection events“4) kennzeichnen die gemeinsame Feier des Abendmahls als Ereignis, in dem sich der Auferstandene vergegenwärtigt. Nach Torrance ist Jesus Christus als Mensch, und das heißt auch in einer leiblichen Dimension, auferweckt worden. Mit seiner Himmelfahrt ist er den Menschen entzogen worden. Seine neue Existenzform ermöglicht es aber, die Kirche in ihren irdisch-leiblichen Vollzügen an sich zu binden. Die Kirche bezeichnet Torrance deshalb als sichtbaren Gegenpart zum Auferstehungsleib Jesu Christi.5 Sie sei sakramentales Zeichen, in dem Christus auf andere Weise gegenwärtig sei als in der Endzeitparusie.6 Indem Torrance die neue Menschheit Jesu Christi als neue leibliche Existenzform begreift, gewinnt auch die Kirche in ihrer irdischen Leiblichkeit Anteil an seiner neuen Schöpfung. Weder ist sie als sakramentales Zeichen identisch mit Christus, noch steht sie ihm abstrakt gegenüber. Hier zeigt sich das Potential, das in dem Begriff der neuen Schöpfung liegt, die in Christus vollgültig realisiert worden ist und sich zugleich in der Kirche ereignet. Einfache Dichotomien, etwa zwischen dem himmlischen Christus und der irdischen Wirklichkeit oder zwischen Sache und Zeichen, können so vermieden werden, ohne dass die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche aufgehoben wird. Die leibliche Vergegenwärtigung Christi ereignet sich in der Feier des Abendmahls. Brot und Wein stellen die neue Schöpfung bzw. die neue Menschheit Jesu Christi in ihrer leiblichen Wirklichkeit dar – auf zeichenhafte Weise, denn sie sind nicht identisch mit dem erhöhten Christus. Im Ereignis der sakramentalen Kommunikation vergegenwärtigt sich Christus in den Elementen und vereint die Gläubigen mit sich. Die zeichenhaften Elemente werden Teil eines Geschehens, das mehr ist als ein Zeichen. Torrance 3 4 5 6

Vgl. Torrance: „Eucharist“, 185. Torrance: „Eucharist“, 186. Er spricht vom „visible counterpart of the resurrection-body of Christ“ (Torrance: „Eucharist“, 161f). Von der Endzeitparusie gelte: „(…) the sacraments will give way to literal reality“ (Torrance: „Eucharist“, 162).

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spricht von einer „ontologischen Vereinigung“ zwischen Christus und seiner Kirche. Just as the humanity of Christ remains true humanity even after the resurrection and ascension and is no docetic phantasm, so the bread and wine remain true bread and wine and are no mere species, though by consecration they are converted into instruments of the real presence. Through the consecrated elements the Church partakes of the very body and blood of Christ, and there is enacted a true and substantial union, an ontological union, between Christ and His Church. Christ has become bone of our bone and flesh of our flesh, but in the Eucharist we become bone of His bone and flesh of His flesh.7

Jesus Christus geht also nicht in den Elementen Brot und Wein auf, sondern nimmt diese in ihrer Kreatürlichkeit in seinen Dienst, damit die Kirche durch sie Anteil an seinem „Fleisch und Blut“ gewinnt. Diese Vereinigung (unio) begreift Torrance als Ereignis von ontologischer und eschatologischer Gültigkeit. Im Anschluss an Wilhelm Niesel spricht er davon, das die eschatologische Grenze im Abendmahl überschritten werde.8 Mit seiner ontologisierenden Sprache fällt Torrance jedoch in Dichotomien zurück. Er spricht von dem „Fleisch und Blut“ Jesu Christi, an dem die Kirche durch die konsekrierten Elemente Anteil gewinne. Denn es geht ihm nun vor allem darum, zu begründen, dass die Kirche in ihrer irdischen Wirklichkeit der Inkarnation Jesu entspricht, indem sie Anteil an seinem „Fleisch und Blut“ gewinnt. Hier zeigt sich sein Bemühen um einen theologischen Realismus. Weil Jesus als Mensch auf dieser Welt gelebt hat, kann die Kirche in ihrer irdischen Realität mit ihm verbunden sein. Diesen realistischen Akzent kann Torrance jedoch nur schwerlich mit seinem Bemühen um eine genuine Neuschöpfung der irdischen Realität zusammenbringen. Dass Jesus auferweckt wurde und die Kirche mit ihm Anteil an einer neuen Schöpfung gewinnt, kann er nur als eschatologische Chiffre aussagen. In der Eucharistie steige der erhöhte Christus – der für die neue Schöpfung steht – in die irdische Kirche hinab und führe sie mit sich in den Himmel hinauf: (...) ‚whether in the body or out of the body‘ – who can tell? But it is an eschatological anticipation both of the Advent of the Son of Man and the rapture of the Church. The Eucharist involves at its very heart the sursum corda, for our union with Christ in history and yet out of history is a reality that utterly transcends all our categories of space and time.9 7 8 9

Torrance: „Eucharist“, 188. Vgl. Torrance: „Eucharist“, 187f.; Wilhelm Niesel: Calvins Lehre vom Abendmahl, München 1930, 95. Torrance: „Eucharist“, 189.

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Torrance tendiert dazu, die Differenz zwischen Christus und seiner Kirche als Differenz zwischen der irdischen Kirche und dem erhöhten Christus zu verstehen. Indem die Kirche unter einem eschatologischen Vorbehalt steht, ist sie von ihrem Herrn unterschieden. Diese Tendenz zeigt sich in Torrance’ Positionierung gegenüber der römisch-katholischen Sakramentenlehre. Zu Beginn seines Aufsatzes würdigt er diese, weil sie die eschatologische Dimension von Taufe und Eucharistie wiederentdeckt habe.10 Zugleich steht Torrance unter dem unmittelbaren Eindruck des im Jahr 1950 von Papst Pius XII. verkündeten Dogmas von der leiblichen Aufnahme Marias in den Himmel. Seine Kritik an diesem Dogma ist aufschlussreich: Es bedeute, dass Maria in die göttliche Sphäre aufgenommen worden sei. Mit Maria werde die Kirche bzw. das Priesteramt ebenfalls vergöttlicht und die Unterscheidung zwischen Kirche und Christus untergraben.11 Warum er die Himmelfahrt Marias als Vergöttlichung versteht, aber im Blick auf Christus betont, dass dessen Himmelfahrt in leiblicher und menschlicher Gestalt erfolgt und gerade nicht als Vergöttlichung zu verstehen sei, ist nicht klar ersichtlich. Deutlich wird, dass der eschatologische Vorbehalt, unter dem die Kirche steht, nun für ihre Nichtgöttlichkeit steht, die sich in ihrer Differenz zu dem erhöhten Christus äußert. Die Sakramente seien Zeichen der neuen Schöpfung in Christus, aber nicht identisch mit dem erhöhten Christus. Erst mit der Endzeitparusie Jesu Christi werde die gegenwärtig verborgene Realität der neuen Schöpfung in ihrer Einheit mit Gott enthüllt.12 Der auf diese Weise akzentuierte eschatologische Vorbehalt hat für Torrance eine konstruktive Funktion: Er verheißt eine neue Schöpfung, die über diese Welt hinausgeht und sich noch einmal deutlich von der Gegenwart Christi im Abendmahl unterscheidet. Dieses Anliegen ist zu würdigen. Es ist jedoch nicht hilfreich, den eschatologischen Vorbehalt mit der Differenz zwischen der irdischen Kirche und dem erhöhten Christus zu identifizieren. Oder fällt im Eschaton mit dem eschatologischen Vorbehalt auch die Differenz zwischen den Gläubigen und Christus? Muss nicht stattdessen eine stärkere Kontinuität zwischen der Gegenwart Christi in seiner Kirche, etwa im Abendmahl, und im „neuen Himmel und der neuen Erde“ angenommen werden? Das könnte bedeuten, dass die Gläubigen auch im Eschaton nicht in einer unmittelbaren Relation zu Christus stehen, sondern Christus in Kontinuität zu den Erfahrungen seiner 10 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 155. 11 „The physical assumption of the Virgin Mary means that she is taken up into the divine sphere, and that it is there that she belongs rather than to the Church that waits to see its Lord and become like Him“ (Thomas F. Torrance: „Review of Edmund Schlink (ed.): Evangelisches Gutachten zur Dogmatisierung der leiblichen Himmelfahrt Mariens“, in: SJT 4 (1951), 90−96, abgedruckt in C&A I, 156−162, 160). 12 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 161.

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Gegenwart in dieser Welt erkennen. Erfahrungen der vielfältigen und indirekten Gestaltformen, in denen sich Christus in seiner Kirche vergegenwärtigt, würden eschatologisch nicht einfach aufgehoben. Die Gegenwart Christi im Abendmahl könnte dann als Ereignis der Neuschöpfung verstanden werden, das durch seine Endzeitparusie nicht einfach übertrumpft wird. Das würde Torrance’ Intention auch entsprechen. Denn Torrance legt die Gegenwart Christi im Abendmahl als „Auferstehungsreignis“ aus. Er legt deutliche Spuren, die diese Gegenwart inhaltlich profilieren und falsche Alternativen zwischen dem irdischen und dem himmlischen Christus bzw. der irdischen Kirche und ihrer eschatologischen Neuschöpfung vermeiden. Torrance betont, dass sich Christus in Kontinuität zu seiner Geschichte als Mensch vergegenwärtigt. Das vollzieht sich in der Erinnerung der Gläubigen, die durch die Einsetzungsworte des Apostels Paulus aufgerufen wird. Paulus beruft sich auf eine Abendmahlsüberlieferung, die er „vom Herrn“ empfangen hat (1. Kor 11,23a) und die dieser in der Nacht vor seinem Tod einsetzte (1. Kor 11,23b). Die Verkörperung Christi („embodiment“13) habe in seinem irdischen Leben seinen Niederschlag gefunden und sei an dieses gebunden. Wenn Christus sich in seiner Kirche vergegenwärtige, seien diese Formen der Verkörperung zwar nicht mit seiner historischen Inkarnation, d.h. mit dem Leben und Sterben Jesu, identisch. Die Himmelfahrt garantiere aber die Bindung Christi an sein historisches Leben, denn sie verweise auf die Ereignisse, die sein Leben und Sterben bestimmt haben, als den Ort, wo Christus zu finden sei. Zugleich besage die Himmelfahrt, dass Christus auferstanden sei und nicht auf eine bestimmte Epoche reduziert werden könne.14 Hier werden Kontinuität und Diskontinuität, die zwischen der neuen Wirklichkeit des erhöhten Christus und der irdisch bekannten Wirklichkeit bestehen, sinnvoll vermittelt. Der erhöhte Christus hat einen Namen und eine konkrete Geschichte, ohne die er nicht gegenwärtig ist. Zugleich ist seine Wirklichkeit nicht auf die eines Menschen in einer bestimmten Epoche zu reduzieren, weil er auferweckt worden ist. Die Wirklichkeit seiner Auferstehung manifestiert sich gerade darin, dass er sich in seiner Kirche vergegenwärtigt. Der Modus seiner leiblichen Gegenwart im Abendmahl steht, so darf man folgern, in Kontinuität und Diskontinuität zu dem Menschen Jesus von Nazareth. Wie aber steht es mit der Kontinuität und Diskontinuität zu dem österlichen Christus? Auch hier trifft Torrance eine interessante Aussage. Die Diskontinuität besteht darin, dass sich Christus im Abendmahl nicht auf sichtbare Weise – wie in den Ostererscheinungen – vergegenwärtigt. Doch das,

13 Torrance: „Eucharist“, 199. 14 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 199.

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was in seiner eucharistischen Gegenwart geschieht, vollzieht die Ostererscheinungen nach, in denen Jesus seinen Jüngern begegnete: Jesus Christ is as really present in the Eucharist as He was on that Easter day to his disciples. As surely as in the Eucharist we handle bread and wine, we put our fingers into His wounds and He breathes upon us His peace and forgiveness in answer to the prayer: ‚Lamb of God who takest away the sins of the world, grant us thy peace‘. The Eucharist then is the sacramental enactment of the real presence of Christ.15

Torrance vergleicht den eucharistischen Umgang mit Brot und Wein, in denen der gemarterte Leib Christi vergegenwärtigt wird, mit den Szenen, in denen Christus sich den Jüngern zu erkennen gibt, indem er ihnen seine Wundmale zeigt. Der Auferstandene fordert in Lk 24,39f und Joh 20,27f die Jünger bzw. Thomas auf, seine Hände und Füße (Lk) bzw. seine Seite (Joh) zu betasten. Die Texte deuten an, dass die Jünger dieser Aufforderung nicht im wörtlichen Sinn nachkommen (sie wundern sich in Lk 24,41; Thomas erkennt den Auferstandenen als seinen Herrn und Gott in Joh 20,28). Entscheidend ist, dass sich Jesus durch seine Worte und Gesten bzw. seinen gemarterten Leib zu erkennen gibt. Dies scheint die Parallele zu sein, um die es Torrance geht. Denn auch im Abendmahl gibt sich Jesus Christus inmitten seiner Gemeinde zu erkennen. Er bringt seinen Frieden, schenkt seinen Geist und spricht Vergebung zu – wie in der in Joh 20,19−23 geschilderten Ostererscheinung, in der der Auferstandene in die Mitte seiner Jünger tritt.16 Mit dieser klugen Beobachtung kann Torrance die neue Wirklichkeit Christi zur Geltung bringen und sie inhaltlich profilieren. Entscheidend ist sein resümierender Satz, die Eucharistie stelle auf diese Weise den sakramentalen Vollzug („enactment“) der Realpräsenz Christi dar. Diese Realpräsenz ist eben nicht auf die Alternative von bruchloser Kontinuität oder völliger Transzendenz zu der uns bekannten Wirklichkeit festgelegt, sondern beinhaltet neue Formen der Gegenwart Christi, die nicht weniger real als sein historisches Leben oder die Ostererscheinungen sind. Die Auferstehungswirklichkeit Jesu Christi kann also gerade von der vielschichtigen Feier des Abendmahls her erhellt werden – und umgekehrt, wie Michael Welker zu zeigen versucht hat.17 So vermeidet Torrance den Fehler, den er an anderer Stelle beging, als er die Gegenwart Christi als Nachvollzug seiner Inkarnation bestimmte („the re-enactment by the Word of its becoming flesh“18). Dort konnte er der neuen 15 16 17 18

Torrance: „Eucharist“, 186. Vgl. zu diesem Zusammenhang Welker: Offenbarung, 133. Vgl. Michael Welker: Was geht vor beim Abendmahl?, Gütersloh 42012, 27. Torrance: „Eucharist“, 189.

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Wirklichkeit des Auferstandenen nicht gerecht werden.19 Sein Versuch, die Kirche in diese Inkarnation zu integrieren, wirkt dann so, als müsse die Kirche die Inkarnation Jesu sowie sein Sterben und Auferstehen noch einmal für sich selbst realisieren.20 Nur wenn er eine neue Form der Realpräsenz Christi annimmt und nicht mehr hinter seine Auferstehung zurückgeht, kann er überzeugend darlegen, wie sich Jesus Christus heute in seiner Kirche vergegenwärtigt. Das wird an der zweiten Spur deutlich, die Torrance legt, um die Gegenwart Christi inhaltlich zu bestimmen. Er macht die innere Haltung Jesu und seinen Gehorsam zum Maßstab seiner Gegenwart in der Feier der Eucharistie. Wenn sich Christus vergegenwärtigt, dann bewegt er die Gläubigen dazu, seine Geisteshaltung nachzuvollziehen und in die versöhnte Gemeinschaft mit ihm und miteinander einzutreten. In der Eucharistie gewinnt diese versöhnte Einheit der Gemeinde konkrete Gestalt. Torrance verweist auf den 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, in der dieser die Abendmahlsüberlieferung im Kontext der Gemeindespaltung zur Geltung bringt. Wer aus der öffentlichen Feier der Eucharistie ein privates und exklusives Mahl mache, verweigere sich der Gemeinschaft Jesu und der Einheit seines Leibes.21 Die Gegenwart Jesu findet ihren Niederschlag in der Einheit seiner Gemeinde. Diese manifestiert sich in konkreten Akten des demütigen Gehorsames gegenüber Christus und dessen Willen, dass seine Gemeinde eins sei. Christus ist also gegenwärtig in seiner Kirche, die ihm entsprechend handelt. Seine Gegenwart steht nicht im Widerspruch zu dem freien Handeln der Kirche, sondern sie manifestiert sich in ihrer Geisteshaltung und Praxis. Die Gläubigen gewinnen selbst Anteil an der Gegenwart Christi, sie werden in seine Bewegung mit hinein genommen. Diese inhaltliche Bestimmung der Gegenwart Christi bewegt sich jenseits der irreführenden Frage nach dem einen und entscheidenden Handlungssubjekt. Diese Spur kann durchaus mit dem Ereignis der Eucharistie verbunden werden. Christus vollzieht seine Inkarnation und Erhöhung nach, indem er herabkommt, sich gehorsam hingibt und die Kirche mit sich zum himmlischen Thron Gottes hinaufführt.22 Dabei ist entscheidend, dass diese „Inkar19 Zur Notwendigkeit, die Gegenwart Christi im Abendmahl nicht in Analogie zu dem Herabkommen des Logos in der Inkarnation zu begreifen, sondern als Anamnese der irdischen Geschichte Jesu, vgl. Pannenberg: Systematische Theologie 3, 356, sowie Wüthrich: Raum, 401f. 20 Das zeigt sich immer dann, wenn Torrance Camfields Konzeption der Stellvertretung Jesu aufnimmt, nach der die Kirche diese selbst nachvollziehe. Torrance tut das in „Atonement“ (s.o. Kap. 5), aber auch stellenweise in „Eucharist“ (vgl. ders.: „Eucharist“, 181, Anm. 2: „The following is indebted to an Anglican theologian, the late F. W. Camfield“). 21 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 201. 22 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 189.

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nation“ als leibliche Vergegenwärtigung nicht mehr vor seinen Tod und seine Auferstehung zurückgeht, sondern die Gläubigen in die neue Wirklichkeit, die Christus herbeigeführt hat, hinein nimmt. Diese neue Schöpfung steht nun nicht in einem Gegensatz zu der irdischen Gestalt der Kirche. Die Kirche hat in ihrer konkreten Existenz und auch in ihrer Niedrigkeit, die sie im Geist Christi annehmen kann, Anteil an der neuen Schöpfung. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass auch die Rede von einem „neuen Himmel“ und einer „neuen Erde“ von der Gegenwart Jesu Christi in seiner Kirche her erhellt werden kann.

KAPITEL 7

Vertiefung: Reformatorische Abendmahlslehre als Eschatologie Kingdom and Church (1956)

In Torrance’ Auburn-Christologie hatten die Reformatoren noch keine Rolle gespielt. In den 1940er Jahren wurden Calvins exegetische Kommentare zu einer wichtigen Quelle für seine Predigten. 1948 veröffentlichte Torrance eine Studie zu Calvins Anthropologie, die auch ins Deutsche übersetzt wurde und sein wachsendes Interesse an Calvin dokumentiert.1 Gegen Calvins Eschatologie hegte Torrance zunächst Vorbehalte. In seinem Gutachten zur zeitgenössischen Eschatologie kritisiert er die reformatorische Theologie, die aus Angst vor schwärmerischen Übertreibungen die Transzendenz des Reiches Gottes auf Kosten ihrer geschichtlichen Wirklichkeit überbetont habe.2 Als Ordinarius für Kirchengeschichte beschäftigte sich Torrance in den frühen 1950er Jahren intensiv mit den Reformatoren. Er kam nun zu einer neuen Einschätzung hinsichtlich ihrer Eschatologie. Das dokumentiert seine Studie Kingdom and Church. A Study in the Theology of the Reformation, die auf einem Vortrag aus dem Jahr 1952 fußt.3 Seit 1952 gelten ihm die reformierten Theologen Martin Bucer und Johannes Calvin als Wegbereiter einer neuen Eschatologie, in der das gegenwärtige Reich Christi bzw. die Kirche eine prominente Rolle spielen. Wie stark sein Interesse an der eschatologischen Bedeutung der Kirche ist, zeigt seine Bemerkung, dass die Reformation von ihren maßgeblichen Akteuren als eschatologisches Ereignis beurteilt wurde.4 Nicht umsonst beendet Torrance sowohl den Aufsatz von 1952 als auch die spätere Monographie mit einem Zitat aus Calvins Kommentar zu Hebräer 10,25: “Therefore, the nearer His coming is, the more we ought to labour that the scattered may be as1 2 3

4

Vgl. Thomas F. Torrance: Calvin’s Doctrine of Man, London 1949 [Calvins Lehre vom Menschen, Zürich 1951]. Vgl. Torrance: „Eschatology“, 302. Vgl. Thomas F. Torrance: Kingdom and Church. A Study in the Theology of the Reformation, Edinburgh/London 1956, sowie den Vortrag „The Eschatology of the Reformation“, in: Eschatology. Four Papers Read to the Society for the Study of Theology, SJT Occasional Papers 2, Edinburgh/London 1953, 36−63. Vgl. Torrance: „Eschatology of the Reformation“, 39.

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sembled and united together, that there may be one fold and one shepherd”.5 Seine Überlegungen zur reformatorischen Eschatologie stehen im Zusammenhang mit seinem eigenen theologischen und kirchenpolitischen Einsatz für die Einheit der Kirche. Eschatologie zu treiben bedeutet für Torrance, nach der Gegenwart des Reiches Gottes zu fragen. Das deutet der Titel seiner Monographie Kingdom and Church an. Ebenso bezeichnend ist der Untertitel A Study in the Theology of the Reformation. Mit seiner Rekonstruktion der Eschatologie Luthers, Bucers und Calvins erhebt Torrance den Anspruch, etwas Gültiges über ihre Theologie als Ganze zu sagen. Weil das Bucer-Kapitel deutlich kürzer und allgemeiner gehalten ist, konzentriert sich die Analyse im Folgenden auf die Kapitel zu Luther und Calvin.

7.1 Luthers „dialektische Eschatologie“ In seiner Rekonstruktion der Eschatologie Luthers hat Torrance ein klar bestimmtes Erkenntnisinteresse. Er orientiert sich an der Frage, ob das Reich Gottes in der Gegenwart als neue geschöpfliche Wirklichkeit zu erkennen ist, die sich dem dialektischen Gegensatz von Zeit und Ewigkeit entzieht.6 Er rückt Luther in die Nähe der dialektischen Theologie, indem er fragt, ob Luther über deren Dialektik von Zeit und Ewigkeit hinauskomme.7 Torrance kommt zu einem gemischten, letztlich negativen Ergebnis. Zunächst würdigt er Luthers christologische Orientierung. Der Glaube an Christus versetze die Gläubigen in die geistliche und himmlische Wirklichkeit des erhöhten Herrn, bleibe aber mit seiner Orientierung an Wort und Sakrament an irdische und leibliche Vollzüge – und damit an die reale Menschheit Jesu Christi – gebunden .8 Mit Christus sind die Gläubigen bereits zu einem neuen Leben auferweckt worden. Das ist Torrance’ Überzeugung, die er auch bei Luther stellenweise zu erkennen meint. In diesem Sinne verstehe Luther die paulinische Rede vom soma pneumatikon nicht als vergeistigte, weltlose Größe, sondern als menschlichen Leib, der gegenwärtig vom Heiligen Geist gestaltet und im Eschaton endgültig und auch äußerlich erneuert werde.9 Die Erwartung der 5 6

Torrance: „Eschatology of the Reformation“, 62. „Apart from the ultimate unity between the two kingdoms which will be revealed only in the advent of Christ in glory and power and the over-all rule of the Word of God, is there no positive tertium comparationis which faith at least may discern here and now in this world?“ (Torrance: Kingdom, 32). 7 Vgl. Kingdom, 46. 8 Vgl. Torrance: Kingdom, 48. 9 Vgl. Torrance: Kingdom, 51.

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zukünftigen und endgültigen Erneuerung ermöglicht für Torrance (bzw. für den von ihm rekonstruierten Luther) gerade die gegenwärtige Wirklichkeit der neuen Schöpfung. Im sakramentalen Leben der Kirche wachse diese als Leib Christi. Es komme also auch bei Luther zu einem Fortschritt in der Heiligung des neuen Menschen bzw. im Wachstum der neuen Schöpfung, wodurch ihre zeitliche Dimension unterstrichen werde. Diese positive Luther-Interpretation zieht Torrance aber sofort wieder zurück. Letztlich gebe Luther der Auferstehung doch nicht genug Gewicht, er verstehe auch sie dialektisch als Kreuzigung, in der die Gläubigen dem Tode sterben. Luther gehe deshalb von einer kontinuierlichen krisenhaften Bewegung von Tod und Auferstehung aus. Hier steht Torrance die dialektische „Theologie der Krise“ vor Augen, die er bei Luther vorgezeichnet sieht.10 Torrance’ Kritik konzentriert sich auf Luthers Abendmahlslehre. Das wörtliche Verständnis der Einsetzungsworte deutet Torrance als Notlösung, um die dialektischen Gegensätze der geistlichen und irdischen Wirklichkeit doch noch an einem Punkt zusammen zu bringen.11 Die Identifizierung des Leibes Christi „in, mit und unter“ den Elementen steigere die negative Dialektik jedoch nur, denn die Elemente offenbaren den Leib Christi als völlig verborgene, allein sub contrario zu erkennende Wirklichkeit. Die Botschaft dieses Abendmahlverständnisses lautet für Torrance: Die neue Schöpfung in Christus hat mit der gegenwärtigen Welt, die durch die Elemente verkörpert wird, nichts zu tun. Denn das Abendmahl, in dem die körperliche („corporal“) und geistliche („spiritual“) Wirklichkeit vermittelt werden, begründet nicht eine neue Wirklichkeit der Kirche jenseits dieser Dichotomie, sondern bleibt ein punktuelles Aufeinandertreffen unvereinbarer Größen, d.h. des menschlichen Leibes Jesu und eines Stück Brotes. Luthers vermeintlich realistische Sakramentenlehre läuft für Torrance auf die dialektische Relation unvereinbarer Gegensätze hinaus. Er liest sie als kritischen Gegenentwurf zur römischen Papstkirche.12 Torrance geht sogar noch weiter und wirft Luther ein doketisches Auferstehungsverständnis vor.13 Hier sieht er das entscheidende Problem der lutherischen Theologie, welche der Menschheit des erhöhten Christus und der von ihm konstituierten neuen geschöpflichen Wirklichkeit nicht gerecht werde. Der Vorwurf des Doketismus zeigt, wo Torrance den Schlüssel zu einer Eschatologie jenseits dialektischer Gegensätze sieht: In der leiblichen Wirklich-

10 Torrance: Kingdom, 53. 11 „(…) for that sacramental identity nailed the two communions, the corporal and the spiritual, together“ (Torrance: Kingdom, 53). 12 Vgl. Torrance: Kingdom, 63. 13 Vgl. Torrance: Kingdom, 62.

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keit Jesu Christi, welche die Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Reich überschreite.14 Ganz sicher greift diese Lutherdeutung zu kurz.15 Es geht Torrance um die Kritik an der dialektischen Theologie, deren Grundentscheidungen er in Luthers Abendmahlstheologie hineinliest. Luther selbst ging es nicht prinzipiell um eine negative Dialektik zwischen geistlicher und irdischer Wirklichkeit, sondern um den positiven Sachgehalt der Aussage Jesu: „Dies ist mein Leib“.16 Man muss seine Texte zum Abendmahl in den 1520er Jahren als Reaktion auf die signifikative Auslegung dieses Satzes, wie er sie bei Ulrich Zwingli zu lesen meinte, lesen. Er sah die biblische Verheißung gefährdet und wollte sie verteidigen. Schnell führte der reformatorische Abendmahlsstreit dann zu der christologischen Frage, wie die Himmelfahrt Christi und die Lokalisierung seines erhöhten Leibes zu verstehen sei. Zwingli verstand diese in Konkurrenz zu seiner leiblichen Gegenwart im Abendmahl.17 Wie reagierte Luther auf diese These? Er brachte in der Tat eine dialektisch bestimmte Allgegenwart Gottes zur Geltung, wie seine Schrift Daß diese Wort Christi (1527) dokumentiert. Die Rechte Gottes, zu der Christus aufgefahren ist, versteht er nicht als räumliche Bestimmung. In der ihm eigenen Macht sei Gott zugleich nirgends und an allen Orten.18 Aufgrund der unio personalis naturarum sei der Leib Christi nicht an einen Ort gebunden und könne deshalb auch im Abendmahl gegenwärtig sein. Diese dialektische Allgegenwart ist jedoch kaum mehr mit Raumkategorien zu vermitteln, wie Matthias Wüthrich beobachtet hat. Gott, Himmel und Leib Christi verlieren ihren Raumbezug.19 14 „Quite clearly Luther did not give sufficient attention to the corporeal embodiment of the Word here and now within the world, an embodiment which already spans the distinction between the two kingdoms as tertium datur“ (Torrance: Kingdom, 45). 15 Vgl. kritisch zu Torrance’ Lutherdeutung: Ulrich Asendorf: Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967, 294f. 16 Vgl. Thomas Kaufmann: Geschichte der Reformation, Frankfurt a.M./Leipzig 2009, 535. 17 Nach Meyer untergräbt der Gedanke einer leiblichen Gegenwart Christi im Abendmahl für Zwingli die Unterscheidung zwischen dem soteriologischen Heil bzw. eschatologischen Ziel, das Gott allein in Jesus Christus vollziehe und das deshalb einen himmlischen Status habe, der durch eine (neuerliche) irdisch-leibliche Präsenz gefährdet würde (vgl. Walter E. Meyer: Huldrych Zwinglis Eschatologie. Reformatorische Wende, Theologie und Geschichtsbild des Zürcher Reformators im Lichte seines eschatologischen Ansatzes, Zürich 1987, 156). Wüthrich betont stärker sein positives Anliegen, mit dem himmlischen Christus an dessen wahrer Menschheit festzuhalten, die nicht zerteilt werden dürfe (vgl. Wüthrich: Raum, 213f). 18 Vgl. Martin Luther: „Dass diese Wort Christi ‚Das ist mein Leib‘ noch fest stehen wider die Schwärmgeister“, in: WA 23, 38−320, 133. 19 Vgl. Wüthrich: Raum, 198. Der Begriff der Ubiquität wird nicht von Luther selbst verwendet, sondern auf polemische Weise von seinen reformierten Gegnern (vgl. Jörg Baur: Art. Ubiquität, in: TRE 34 (2002), 224−241, 224).

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Luther bleibt jedoch nicht bei dem einfachen Kontrast zwischen der Transzendenz Gottes über Raum und Zeit und der lokalen Auffassung des erhöhten Leibes Christi stehen. 1528 griff er in seiner Schrift Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis auf die scholastische Terminologie einer circumscriptiven, definitiven sowie repletiven Präsenzweise Christi zurück.20 Er wollte zeigen, dass Christus nicht nur auf den circumscriptiven, streng lokalisierten Modus festgelegt sei, die er aus erkenntnistheoretischer Perspektive als Modus einer „leiblichen begreifflichen weise“21 bezeichnet. Die definitive Präsenzweise hingegen könne nicht begriffen werden, weil der Raum, den der Leib hier einnehme, nicht identisch mit diesem sei und ihm deshalb auch nicht in quantitativer Hinsicht entspreche. Luther veranschaulicht diesen Modus damit, dass der Auferstandene durch die Felsen vor seinem Grab und durch verschlossene Türen ging. Seine Leiblichkeit sei also nicht in räumliche Konkurrenz zu diesen Materialien getreten.22 In diesem Modus könne Christus auch im Brot leiblich anwesend sein, ohne mit dem Brot zu konkurrieren. Die dritte, repletive Präsenzweise komme allein Gott zu – und darum auch dem Leib Christi, da Gott niemals ohne den Menschen Jesu Christi sei. Luther definiert sie folgendermaßen: „wenn etwas zu gleich gantz vnd gar / an allen o(e)rten ist vnd alle o(e)rte fullte / vnd doch von keinem ort abgemessen vnd begriffen wird nach dem raum des orts / da es ist“23. Die terminologischen Bemühungen Luthers sind hilfreich, um zu zeigen, dass die Gestalt Christi nicht auf eine Präsenzweise zu reduzieren ist und keine Konkurrenz zwischen seiner leiblichen Gegenwart im Himmel und in den Elementen bestehen muss. Allerdings bleibt das Verhältnis zwischen den Präsenzweisen unklar. Luther kann beispielsweise den circumscriptiven Modus den Ostererscheinungen sowie der Erscheinung Christi in der Endzeitparusie zuordnen, wo sich Christus auf eindeutige, sichtbare Weise zeige – und zugleich seinen Gang durch die Grabfelsen und Türen als definitiven Modus beschreiben. Vom definitiven Modus wiederum schließt Luther unmittelbar darauf, dass sein Leib auch an mehreren Orten zugleich sein kann.24 Das erklärt er nicht mit der Terminologie, sondern mit der wundersamen Qualität des Leibes Christi. Zu Recht hat Wüthrich darauf hingewiesen, dass das Ver-

20 Vgl. Wüthrich: Raum, v.a. 185−189. 21 Martin Luther: „Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis“, in: Martin Luther Studienausgabe, Bd. 4, hg. v. Hans-Ulrich Delius, Berlin 1986, 13−258, 91. 22 Vgl. Luther: „Abendmahl“, 93. 23 Luther: „Abendmahl“, 89. 24 „Da ich hatte beweiset / das zween leibe zu gleich an einem ort sein mu(e)gen / als da Christus durch verschlossen thur kam / welchs eben so gros wunder ist / als das ein leib an zweyen o(e)rten sey“ (Luther: „Abendmahl“, 158).

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hältnis zwischen dem repletiven Modus und den beiden anderen Modi nicht präzisiert wird und ihre Unterscheidung unklar bleibt.25 Diese Beobachtungen führen zu der Frage, weshalb Luther überhaupt zwischen den Präsenzweisen unterscheidet. Will er auf diese Weise die unbegreifliche Macht Gottes, sich in unterschiedlicher Gestalt zu vergegenwärtigen, artikulieren – oder eine inhaltlich bestimmte neue Leiblichkeit Christi, die räumliche Dimensionen hat, profilieren? Ersteres scheint der Fall, und würde die These unterstützen, dass Luther stärker an dem Gedanken der unbegreiflichen Allgegenwart Gottes (und Christi) hängt, als daran, die neue Schöpfung in Christus, die den Gläubigen verheißen ist, systematisch zu entfalten. Das macht aus Luther noch keinen Anhänger einer spekulativen Dialektik. Es ging ihm weniger um eine prinzipielle Dialektik (im Sinne des Satzes: Gott ist überall und nirgendwo), als um die Möglichkeit, den im Himmel lokalisierten Christus auch im Abendmahl als leiblich präsent zu verstehen. Mit seinem Verweis auf die Allgegenwart Gottes will Luther den Gedanken verteidigen, dass Christus an vielen Orten zugleich auf unterschiedliche Weise leiblich gegenwärtig sein kann. Die zentrale Frage ist jedoch, ob der Gedanke der – in räumlicher Hinsicht nur vage bestimmten – Allgegenwart Gottes hilfreich für dieses Ansinnen ist. Ist die ubiquitäre Qualität des Leibes Christi der Schlüssel, um seine reale Gegenwart im Abendmahl zu verstehen? Jörg Baur hat in diese Richtung argumentiert. Den Vorwurf des Doketismus, den ja auch Torrance erhebt, weist er scharf zurück. Hellsichtig führt er ihn auf ein reduktionistisches Verständnis des menschlichen Leibes zurück.26 Baur wendet sich gegen ein fixiertes Verständnis von Gott und Mensch, das keine neue Form von Leiblichkeit erwägen will. Alle Weisen des Widerspruchs bis hin zu der die Konkordienformel bestreitenden Admonitio Neostadiana (1581) basieren auf dem Axiom, daß auch in Christus von Gott und Mensch nur gilt, was ohnehin von beiden in ihrer wesenhaften Verschiedenheit auszusagen ist. Die Mitteilung der göttlichen Idiome, insbesondere der Allgegenwart, an Christi Menschheit und eine (noch so restringierte) Teilhabe der Gottheit an Leiden und Tod mußten deshalb als Vermischung bestritten werden, die Gottes Gottheit verneint und Christi Menschsein verflüchtigt, also Person und Werk des Mittlers auflöst.27 25 Vgl. Wüthrich: Raum, 188f. 26 „Der Vorwurf des Doketismus basiert auf einem nicht genügend geklärten Verständnis des vere homo, d. h. auf der Unfähigkeit des alten Denkens, sich das dem Leib Christi mitgeteilte Vermögen, allenthalben zu sein, anders denn als Auflösung ins Phantastische vorzustellen. Luther bestreitet das unbegrenzte Recht dieser begrenzenden Vorstellung von ‚Leib‘, nicht das gegenständliche Da-Sein Jesu, wohl aber, daß er ‚nicht mehr weise habe etwo [irgendwo] zu sein‘ (...)“ (Baur: „Ubiquität“, 234). 27 Baur: „Ubiquität“, 236.

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Damit trifft er in der Tat die reformierte Position, solange diese den Leib Christi auf physische Weise im Himmel lokalisiert und seine Gegenwart im Abendmahl auf nichtleibliche Weise denken muss. Doch führt Baurs Verweis auf die communicatio idiomatum wirklich weiter? Solange sein Postulat nicht christologisch und pneumatologisch entfaltet wird, besteht die Gefahr, dass eine unbestimmte Form von Allgegenwart Gottes seine leiblichen Manifestationen dominiert. Luther scheint in diese Gefahr zu geraten, wenn er die unterschiedlichen leiblichen Präsenzmodi Christi mit Gottes Allmacht und Allgegenwart begründet, sie aber im Grunde nicht ernst nimmt, da ihre konkrete Gestalt und ihre Unterscheidung von Gottes allgegenwärtigem Wesen nivelliert wird. So wird seine Intention, den positiven Sachgehalt der Einsetzungsworte zu verteidigen, untergraben. Diese sollen ja gerade die spezifische und ausgezeichnete leibliche Gegenwart Christi aussagen, und zwar nicht als Unterkategorie einer allgemeinen Allgegenwart Gottes. Betrachtet man Torrance’ Lutherauslegung weniger als theologiegeschichtliche Analyse denn als Kritik an einer bestimmten Form von Eschatologie, kann man Torrance an entscheidender Stelle recht geben: Die sakramentalen Elemente sind nicht als der eine paradoxe Punkt zu begreifen, an dem die Gegenwart Christi in negativer Dialektik vermittelt wird. Die Wirklichkeit des erhöhten Christus unterläuft man, so seine Einsicht, wenn man sie auf diese dialektische und punktuelle Weise auffasst. Dann wird aus der Verheißung der Gegenwart Christi in den Elementen eine willkürliche Setzung, denn irgendwo müssen Gottes und des Menschen Wirklichkeit schließlich zusammenkommen. Sie hat dann aber keinen positiven Bezug zu der geschöpflichen Wirklichkeit und der Feier des Abendmahles mehr, sondern einen einseitig kritischen Impetus. Das wird besonders deutlich, wenn Torrance den lutherischen Gedanken der larva Dei bzw. der Gegenwart Christi in den Elementen sub contrario zurückweist, weil diese aus seiner Sicht bewusst die Absurdität hervorheben, dass Christus in einem Stück Brot gegenwärtig ist. Wenn die Christuswirklichkeit oder die neue Schöpfung in völliger Diskontinuität zu der uns bekannten Schöpfung steht, so die Schlussfolgerung, kann sie auch nicht in dieser Welt gegenwärtig sein, geschweige denn eine Verheißung für diese Welt darstellen. Auf der anderen Seite offenbart seine einseitige Luther-Kritik, dass Torrance selbst zu stark in den Bahnen einer Kontinuität denkt – und zwar zwischen dem historischen und dem auferweckten bzw. erhöhten Jesus Christus. Offensichtlich versteht er diesen als individuellen Körper, der in den Himmel als einen räumlich definierten Ort, der die bekannte Schöpfung übersteigt, entrückt worden ist. Nur deshalb kann er Luther ein doketisches Auferstehungsverständnis vorwerfen, das sich in dessen Abendmahlstheologie manifestiere. Torrance scheint den erhöhten Christus an dieser Stelle auf ungebrochen physische Weise zu verstehen. Dessen reale Gegenwart in Brot und

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Wein, also in dieser Leiblichkeit, ist dann nur in negativer Dialetik, sub contrario, denkbar. Denn Brot und Wein sind ganz anders als ein menschlicher Körper. Wird Christi Gegenwart in dieser dialektischen Form verstanden, wie Torrance Luther vorwirft, dann sieht Torrance seine Auferstehung als Mensch gefährdet, was zu der geschilderten Diskontinuität zwischen geistlicher und irdischer Wirklichkeit führt. Das gilt auch für die Kirche, deren geistliche Wirklichkeit in keiner Kontinuität zu ihrer irdischen Gestalt steht. Torrance denkt hier zu stark in den vermeintlichen – und stark überzeichneten – konfessionellen Alternativen von wörtlich-leiblicher oder signifikativ-geistiger Gegenwart Christi in den Elementen. In beiden Fällen ist der Schritt nicht weit, ihn als weltlose, vergeistigte Größe zu verstehen. Denn seine physische Lokalisierung an einem himmlischen Ort kann man nur in Form einer Parallelwelt denken. Wird seine Lokalisierung in Brot und Wein hingegen als dialektische Vermittlung von Gegensätzen (Ubiquität – Lokalisierung, Unendlichkeit – Endlichkeit, etc.) aufgefasst, gerät seine Auferstehung in neuer geschöpflicher Leiblichkeit jenseits der dialektischen Gegensätze aus dem Blickfeld. Torrance will die Wirklichkeit des Reiches Christi bzw. der Kirche in dieser Welt gerade zur Geltung bringen. Er definiert die Kirche als Auferstehungsleib Christi in der Geschichte („the risen Body of Christ within history“28). Wenn er diese Verbindung von Christus und Kirche ernst nimmt, unterläuft er jedes einfache physische Auferstehungsverständnis. Denn die Kirche als Auferstehungsleib verlangt nach einer differenzierten Bestimmung des Begriffs „Body“ – es kann sich hier nicht um einen individuellen Körper handeln. Und wenn die Kirche mit Christus auf eine solche Weise verbunden ist, dass sie als sein Auferstehungsleib bezeichnet werden kann, hat das Konsequenzen für das Verständnis des erhöhten Christus. Wenn Torrance diese Verbindung ernst nimmt, muss er ein differenzierteres Verständnis des erhöhten Christus entwickeln. Es gilt, zwischen dem „Körper“ Christi und seiner neuen leiblichen Gestalt zu unterscheiden. Der erhöhte Christus ist nicht in physischer Weise als individueller Körper zu begreifen, der in einer spezifischen räumlichen Position lokalisiert ist. Er kann sich deshalb in der Feier des Abendmahles und den Elementen Brot und Wein vergegenwärtigen. Er steht auch nicht in einem einfachen, räumlich gedachten Gegenüber zu seiner Gemeinde. Zugleich ist seine leibliche Gegenwart nicht allein auf den Laib Brot und den Wein zu fixieren – hier wäre die negative Dialektik nicht weit, wie Torrance richtig sieht. Die Gegenwart Christi vollzieht sich in dem komplexen Geschehen, in dem die Gemeinde zusammenkommt, sich singend und betend seiner erinnert, sein Mahl empfängt, den Friedensgruß teilt und ge28 Torrance: Kingdom, 62.

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stärkt in die Welt gesendet wird. Zur leiblichen Gegenwart Christi gehört ein vielfältiges Geschehen, an dem viele Menschen beteiligt werden.

7.2 Calvins Eschatologie der neuen Menschheit Jesu Christi Torrance’ Calvin-Kapitel trägt den Titel Eschatologie der Hoffnung. Diese Formel stammt von Heinrich Quistorp, dessen Studie zu Calvins Eschatologie 1955 mit einem enthusiastischen Vorwort aus der Feder von Thomas F. Torrance auf Englisch erschienen war.29 Im Hinblick auf die Eschatologie stellt Calvin für Torrance den positiven Antipoden zu Luther dar. Auch hier ist Calvins Verständnis der Himmelfahrt Christi und dementsprechend seiner Gegenwart im Abendmahl für Torrance der Schlüssel, um seine Eschatologie zu verstehen. Während für Luther die eschatologische Hoffnung ein Trost in der Anfechtung sei, lehre Calvin eine aktive Eschatologie, nach der die Kirche schon mit Christus auferstanden sei. Als neue geschöpfliche Wirklichkeit macht Torrance das neue menschliche Leben des auferweckten Christus aus: „Thus the heart of Calvin’s eschatology is to be found in his doctrine of the new humanity in Jesus Christ. It is as Man that Jesus Christ is given to have life in Himself“.30 Torrance betont, dass Christus auch seiner menschlichen Natur nach eigenes Leben von Gott empfing, wobei er den Begriff der Natur selbst aufbringt und in ein Calvin-Zitat einzeichnet.31 Vereint mit Christus vollziehen die Gläubigen Tod, Auferweckung und Himmelfahrt Christi mit und werden so als Menschen neu geschaffen. Als solche leben sie ein neues Leben, das Leben der neuen Schöpfung, in neuer menschlicher Gerechtigkeit (“a new human righteousness which is the righteous humanity of the risen Jesus”32). Diese neue Wirklichkeit ist unter den Bedingungen dieser Welt eine verborgene Wirklichkeit, die eschatologisch enthüllt werden wird. 29 Vgl. Thomas F. Torrance: „Foreword“, in: Heinrich Quistorp: Calvin’s Doctrine of the Last Things, London 1955, 7f. 30 Torrance: Kingdom, 94. 31 Seine Übersetzung eines Satzes aus Calvins Psychopannychia lautet „And though as God He had life in Himself, yet when He assumed human nature, He received from the Father the gift of having life in Himself in that nature also” (Torrance: Kingdom, 94). Er zitiert aus Calvins Psychopannychia. Im Original fällt der Begriff der Natur nicht. Stattdessen wird das menschliche Wesen Jesu Christi durch den Empfang des Lebens durch Gott bestimmt: „Et quum in se, ut Deus, vitam haberet, ubi hominem assumpsit, donum accepit hoc a patre, ut vitam ea etiam parte haberet in semetipso“ (Calvini Opera 5, 165−323, 191). Nach Pannenberg hat die Zweinaturenlehre bei Calvin kein Eigengewicht, sondern dient dem Mittlergedanken (vgl. Pannenberg: Christologie, 122). 32 Torrance: Kingdom, 94.

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Als neue Schöpfung steht sie in Kontinuität zu den Charakteristika der irdischen Geschöpflichkeit: Auch sie ist zeitlich und räumlich verfasst. Im Anschluss an Calvins Kommentierung von Epheser 4,12f, in dem von der Erbauung des Leibes Christi gesprochen wird, der sich in einem Wachstumsprozess befinde, bringt Torrance die Kirche und ihr irdisches Leben ins Spiel.33 Er begründet dies damit, dass sich Calvin nicht auf die einzelnen Gläubigen konzentriere, sondern auf die Kirche als Leib Christi, die hin zu Christus wachse und damit seine Herrschaft und neue Schöpfung manifestiere. So kann er Calvin auf einer Linie mit Bucer lesen, dessen große Leistung nach Torrance in der Unterscheidung zwischen regnum Christi und regnum Dei liegt. Indem Calvin diese Unterscheidung übernehme, könne er die unveränderliche ewige Gottesherrschaft und das zeitliche Wachstum des Reiches Christi verbinden.34 Damit ist Torrance’ Calvin-Interpretation kurz skizziert. Torrance orientiert sich an seinen eigenen Lieblingsthemen. Er knüpft hier an Calvins Institutio an, in der eschatologische Fragen in Buch III im Zusammenhang mit einer pneumatologisch verstandenen unio cum Christo sowie in Buch IV im Zusammenhang mit der Lehre von der Kirche, ihren Ämtern, Sakramenten und ihrem Verhältnis zum Staat thematisiert werden. Torrance erkennt in Buch III eine christologische Begründung der Eschatologie mittels der unio cum Christo, in der die Gläubigen an Christus und damit an seinem Geschick Anteil haben. In Buch IV sieht er diese christologische Einsicht auf die Kirche angewendet.35 7.2.1 Die Himmelfahrt Christi und das Abendmahl als zentrale eschatologische Topoi Das Lehrstück von der Himmelfahrt Christi spielt eine zentrale Rolle in Torrance’ Calvin-Deutung. Wie wir gesehen haben, wirft Torrance Luther ein doketisches Auferstehungsverständnis vor: Auferstehung und Himmelfahrt Christi führten nicht zu einer neuen geschöpflichen Wirklichkeit, sondern verharrten in einem negativen dialektischen Verhältnis zwischen Gott und Mensch. Calvins Eschatologie hingegen sei von der Himmelfahrt Christi geprägt, der in seiner Menschheit zur Rechten Gottes erhöht werde und eine neue menschliche Wirklichkeit begründe, an der die irdische Kirche – unter

33 Vgl. Torrance: Kingdom, 94. 34 Vgl. Torrance: Kingdom, 95. 35 „(…) eschatology is the analogical transposition of Christology to the whole understanding of the Church“ (Torrance: Kingdom, 101).

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eschatologischem Vorbehalt, aber in einem realistischen Sinn – Anteil habe.36 Torrance legt Wert darauf, dass es sich um ein neues menschliches, und damit leibliches, Leben des erhöhten Christus in neuer menschlicher Gerechtigkeit handle: Jesus Christ has already acquired permanent life for the Church in His flesh, has already accomplished our righteousness in His human nature, and because He transmits that to the Church even in the midst of its frailty on earth, the Church already begins to actualise its new life and being.37

Christi Himmelfahrt hat die Neuschöpfung des Menschen besiegelt und paradigmatisch an sich vollendet. Die Kirche hat Anteil an dieser Neuschöpfung, sie ist aber noch nicht vollendet. Die Realität der neuen Schöpfung in ihrer leiblichen Geschöpflichkeit besteht gerade darin, dass sie im Hinblick auf die Kirche zunehmen kann und sich in Raum und Zeit vollzieht. Torrance verweist auf Calvins Kommentar zur Apostelgeschichte, in der dieses Wachstum besonders hervorgehoben wird: „In a profound sense the Kingdom is wholly realised in Christ, realised in Him on behalf of the Church, but ‚this must be transferred to the whole body of the Church‘“.38 Torrance will aufweisen, dass die zeitliche, prozessuale Wirklichkeit der Kirche nicht in einem prinzipiellen Gegensatz zu ihrer Neuschöpfung steht. Die Wirklichkeit der neuen Schöpfung ist eine geschöpfliche und entzieht sich somit der negativen Dialektik von Zeit und Ewigkeit. Das erinnert an Torrance’ Leitmotiv des teleologischen (Kontinuität) und eschatologischen (Diskontinuität) Momentes der neuen Schöpfung.39 So kann Torrance mit Calvin die Gegenwart der neuen Schöpfung in dieser Welt begründen, auch wenn diese unter einem eschatologischen Vorbehalt steht. Es ist sogar so, dass der eschatologische Vorbehalt ihre teleologische Zeitlichkeit garantiert. Die beiden Dimensionen fungieren als komplementäre Größen: Das teleologische Moment steht dafür, dass die neue Schöpfung immer noch eine geschöpfliche Gestalt hat – Räumlichkeit, Zeitlichkeit, Kontingenz – und damit in Kontinuität zu der uns bekannten Wirklichkeit steht. Das eschatologische Moment, das Torrance in dem erhöhten Christus verortet, steht dafür, dass es Gott ist, der seine Schöpfung radikal erneuert.

36 Vgl. Torrance: Kingdom, 143. 37 Torrance: Kingdom, 149. Vgl. auch die pointierte Aussage: „The new creation has ontological reality here and now in the Church, for, as we have seen, the Church participates in the vivifying flesh of Christ, in His new humanity, and is as such the society of glory“ (150). 38 Torrance: Kingdom, 115f. Torrance zitiert aus Calvins Kommentar zu Apg. 8,33, in: Calvini Opera 48, 194. 39 Vgl. u.a Torrance: „Catholicity“, 86.

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In der unio cum Christo erhalten die Gläubigen Anteil an der neuen Menschheit Christi. Diese Vereinigung vollzieht sich in einem Wachstumsprozess, der zu einer vertieften Vereinigung mit Christus führt. Das geschieht in der regelmäßigen Feier des Abendmahles, steht jedoch unter einem eschatologischen Vorbehalt. Nach Torrance spricht Calvin sehr realistisch von der sakramentalen Vereinigung mit Christus. Das Lehrstück von seiner Himmelfahrt ermögliche diesen Realismus. Die Gläubigen erhalten Anteil an der neuen geschöpflichen Wirklichkeit des erhöhten Christus. Dafür stehe das lebendigmachende Fleisch („vivifying flesh“40) des erhöhten Menschen Jesus Christus. Es sei eine neue Wirklichkeit, die nicht mit den irdischen Elementen vermischt, aber auch nicht von ihnen getrennt werden könne. Der Heilige Geist überschreite die räumliche Trennung von dem erhöhten Herrn und führe zu einer echten, allerdings noch verborgenen, Vereinigung. So bleibe der eschatologische Vorbehalt und die Unterscheidung zwischen der Gegenwart Christi in der Eucharistie sowie der Endzeitparusie gewahrt: The Eucharistic presence of Christ is therefore to be understood eschatologically, in which the moment of real union and the moment of celestial glory are held somewhat apart until the final resurrection, although that eschatological distance is incomprehensibly transcended in the power of the Holy Spirit, so that through a real and substantial union we are given to feed even now upon the vivifying flesh of Christ.41

Es fällt auf, dass Torrance die bei Calvin vorherrschende räumliche Distanz zwischen dem himmlischen Christus und seiner Kirche als eschatologische Distanz betrachtet. Er verbindet den räumlichen mit dem zeitlichen Faktor.42 Die eucharistische Gemeinschaft mit Christus ist nicht nur eine Gemeinschaft mit dem räumlich entrückten himmlischen Christus, sondern auch mit dem wiederkommenden Christus der Endzeitparusie. In der Gemeinschaft mit Christus treten die Gläubigen in die neue Schöpfung ein, allerdings vollzieht sich dies noch auf verborgene Weise. Die end40 Torrance: Kingdom, 146. 41 Torrance: Kingdom, 145f. 42 In diese Richtung argumentiert auch Farrow. Er vermisst das zeitlich-eschatologische Moment der Distanz zwischen Christus und den Gläubigen: „Calvin handled the dialectic of presence and absence almost exclusively in spatial terms, and hence (…) in a non-eschatological fashion“ (vgl. Douglas Farrow: Ascension and Ecclesia. On the Significance of the Doctrine of the Ascension for Ecclesiology and Christian Cosmology, Edinburgh 1999, 178). Calvin blendet den zeitlich-futurischen Aspekt aber nicht aus. Inst. III,9 trägt nicht umsonst den Titel Meditatio futurae vitae (vgl. Georg Plasger: „Calvins lebensbejahende Eschatologie“, in: Calvin und seine Wirkungen. Vorträge der siebten Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, hg. v. M. Freudenberg u. J. M. J. Lange van Ravenswaay, Neukirchen-Vluyn 44 (2009), 81–96, 84).

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gültige himmlische Herrlichkeit („celestial glory“), die Torrance mit der Endzeitparusie verbindet, steht noch aus. Deshalb streite Calvin gegen die Schwärmer. Letztere missachteten den eschatologischen Vorbehalt und vermischten die „transcendent majesty of His ascended Humanity, for His coming again in glory and power could only mean the complete transformation of the world and the unveiling of the new heaven and the new earth“.43 In der Feier des Abendmahles erhebt Christus die Gläubigen im Heiligen Geist zu sich in den Himmel. Brot und Wein sind Zeichen, die dieses reale Geschehen mit sich bringen. Gerade in ihrer Nichtidentität mit dem erhöhten Christus verbürgen sie dessen neue leibliche Wirklichkeit. Den Zusammenhang zwischen der leiblichen Auferstehung und Erhöhung Christi und einer realistischen Eschatologie erfasst Torrance auf treffende Weise. Allerdings versäumt er es, die Vereinigung mit Christus, die sich in der Eucharistie vollziehen soll, präziser zu bestimmen. Schon im „Eucharist“-Essay hatte er von einer „ontological union“44 gesprochen – aber was meint er damit? Calvins Begriff des caro vivifica Jesu Christi bleibt ebenfalls eine Chiffre. Torrance müsste erklären, wie die geistige Dimension der Eucharistie – mit Calvin betont er das sursum corda der Gläubigen – und die Speisung durch das „lebendigmachende Fleisch“ Christi zusammenhängen bzw. wie die Leiblichkeit Christi und seiner neuen Schöpfung zu verstehen ist, wenn Christus nur auf unsichtbare Weise anwesend ist. Weil er das nicht tut, erscheint der Hinweis, dass er auf unsichtbare Weise anwesend ist und die Gläubigen zu sich in den Himmel führt, als supranaturalistische Setzung. Die Kontinuität zur neuen Schöpfung in ihrer leiblichen Dimension wird dann allein in Christus verortet. Weil dieser aber abwesend ist und der Ort der Abwesenheit einen supranaturalistischen Anstrich hat, ist seine Leiblichkeit mit der uns bekannten Wirklichkeit nur schwer zu vermitteln. Die neue Schöpfung kann dann nur auf geistige Weise gegenwärtig werden – was wiederum ein vergeistigtes Verständnis des Leibes Christi fördert. Calvin hat sich darauf festlegt, die Erhöhung Christi in den Himmel in einem lokalen, physischen Sinn zu verstehen. Für Torrance ist das kein Problem, weil er die räumlich-kosmologische Distanz Calvins in einem zeitlich-eschatologischen Sinn auslegt.45 Calvin selbst ging mit seiner Festlegung äußerst produktiv um, so dass seine Abendmahlslehre großes Potential für eine realistische Eschatologie hat, ohne dass sie unkritisch übernommen wer43 Torrance: Kingdom, 145. 44 Torrance: „Eucharist“, 188. 45 Das deutet sich bereits in seiner einleitenden ideengeschichtlichen Skizze an, in der Torrance die reformatorische Eschatologie und die kopernikanische Wende als parallele Entwicklungen interpretiert, die das kosmologische und theologische Stufenmodell von Erde und Himmel bzw. Natur und Übernatur überwanden (vgl. Torrance: Kingdom, 1−6).

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den müsste. Man muss sein Verständnis der Himmelfahrt kritisch überprüfen, um hier weiterzukommen. Das soll nun geschehen, und in einem zweiten Schritt gefragt werden, was das für Torrance’ Calvin-Rezeption und seine eigene Eschatologie bedeutet. 7.2.2 Über Torrance hinaus: Die Gegenwart Jesu Christi in Calvins Lehre vom Abendmahl Den menschliche Leib definiert Calvin als räumlich begrenzt. Wenn Christus also tatsächlich als der Erstgeborene der neuen Schöpfung von den Toten auferweckt worden ist, dann muss er auch als Auferstandener und in den Himmel Erhöhter einen räumlich begrenzten Ort einnehmen: Denn wir sind nun einerseits fest überzeugt, daß der Leib Christi nach der ständigen Art des menschlichen Leibes begrenzt ist und vom Himmel umschlossen wird (vgl. Apg. 3,21), in den er einmal aufgenommen ist, bis er wiederkommt, um Gericht zu halten; und deshalb halten wir es andererseits für völlig unstatthaft, ihn wieder unter diese vergänglichen Elemente herabzuziehen oder sich einzubilden, er sei allenthalben gegenwärtig.46

Die lutherische Abendmahlstheologie gefährdet aus seiner Sicht ein realistisches Verständnis der Auferstehung, wenn sie den Auferstandenen mit den vergänglichen Elementen identifiziert. Sie wird dann seiner neuen himmlischen Herrlichkeit nicht gerecht, die über diese Erde und ihre Bedingungen endgültig erhoben worden ist. Weil diese himmlische Herrlichkeit den menschlichen Leib Christi betrifft, ist er begrenzt und vom Himmel umschlossen, was eine Lehre von seiner Allgegenwart qua Idiomenkommunikation ausschließt. Calvin geht es nicht um die räumliche Bestimmung des Leibes Christi bzw. des Himmels an sich. Er will in erster Linie etwas über dessen Realität aussagen, die eine räumliche Dimension einschließt. Diese ist schon rein logisch in dem biblischen Begriffspaar „Himmel und Erde“ enthalten: Der Himmel wird hier von der Erde unterschieden, aber beide Größen in eine gemeinsame Realität eingezeichnet, die aufeinander bezogen ist. Der Himmel ist ein Ort und als solcher markiert er den realen Weggang Christi. Thomas Davis hat darauf hingewiesen, dass Christus nach Calvin weggehen muss, damit er den

46 Calvin: Inst. IV.17, 12.

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Menschen nah sein kann, weil so seine reale, leibliche Menschheit verbürgt wird, auch wenn diese nun an einem anderen Ort ist.47 Calvin versteht den Himmel nicht auf naturalistische Weise. Die Calvin-Interpreten beantworten die Frage, welche Bedeutung die kosmologische, räumliche Dimension des Himmels bei Calvin hat, unterschiedlich. Fest steht, dass der Himmel für ihn nicht nur eine erweiterte Sphäre der Erde ist. Christi Lokalisierung im Himmel drückt seine Distanz zu den Menschen auf der Erde aus, wie Calvin und Bullinger im Consensus Tigurinus in aller Deutlichkeit festhalten.48 Für Calvin bedeutet die himmlische Erhöhung Christi, dass er wirklich über die vergängliche, irdische Schöpfung erhoben worden ist.49 Es wäre deshalb irreführend, Christus im physikalischen Universum zu verorten. So merkt Calvin zu Eph. 4,8ff an: Denn wenn gesagt wird, Christus sei im Himmel, so müssen wir das nicht so auffassen, als bleibe er zwischen den Himmelskörpern sitzen, um die Sterne zu zählen, sondern der Himmel bezeichnet einen Ort, der höher ist als alle Himmelskörper und der für den Sohn Gottes nach seiner Auferstehung bestimmt worden ist, nicht weil es sich im eigentlichen Sinn um einen ‚Ort‘ außerhalb des Weltalls handeln würde, sondern weil wir über das Reich Gottes nur in unserer Sprechweise reden können.50

Die Rede vom Himmel ist einerseits notwendig, andererseits hermeneutisch zu relativieren. Der Himmel steht für eine Realität, die ohne eine räumliche Dimension nicht zu verstehen ist. Die Himmelfahrt bleibt für Calvin eine räumliche Bewegung. Nur so meint er, der Trennung zwischen Christus und seinen Jüngern in ihrem Realismus gerecht zu werden. Es geht ihm nicht um ein kosmologisches Szenario, sondern um diese reale und deshalb räumliche Trennung.51 Calvin will hier keinen Schritt weitergehen, er wittert die Gefahr haltloser Spekulation. Seine Interpreten tendieren hingegen dazu, eher

47 Vgl. Thomas J. Davis: „‚He is Outwith the World... That He May Fill All Things‘. Calvin’s Exegesis of the Ascension and its Relation to the Eucharist“, in: ders.: This is My Body. The Presence of Christ in Reformation Thought, Grand Rapids, MI, 2008, 127−140, 86. 48 Vgl. Consensus Tigurinus. Heinrich Bullinger und Johannes Calvin über das Abendmahl, hg. v. E. Campi u. R. Reich, Zürich 2009, 125−158, 153, Art. 25. 49 Davis betont: „Heaven, in terms of the kingdom of God, is not a place above the spheres but a different order of reality, or as Calvin put it, something ‚set over the against the fabric of the world‘“ (Davis: „Calvin’s Exegesis“, 133). 50 Johannes Calvin: „Der Brief an die Epheser“, in: ders.: Auslegung der kleinen Paulinischen Briefe, übers. u. hg. v. Otto Weber u.a., Neukirchen-Vluyn 1963, 99−210, 161f. 51 Im folgenden Satz weist Calvin die Folgerung zurück, Christus sei durch keinen „örtlichen Zwischenraum“ von uns getrennt. Die räumliche Dimension der „Auffahrt in den Himmel“ sei nicht wegzudiskutieren (vgl. Calvin: „Epheser“, 162).

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den physischen oder den metaphysischen Pol seines Himmelsverständnisses zu betonen.52 Interessant wird es, wenn Calvin sich der Gegenwart Christi in dieser Welt zuwendet. In ausgezeichneter Weise vergegenwärtigt sich Christus im Abendmahl. Hier kommt es zu einer Vereinigung der Gläubigen mit Christus – und zwar mit dem ganzen Christus in seiner vollen Menschheit, also auch in seiner Leiblichkeit: Ich behaupte also, daß uns im Geheimnis (Sakrament) des Abendmahls durch die Merkzeichen Brot und Wein Christus in Wahrheit angeboten wird und damit auch sein Leib und Blut, in welchen er allen Gehorsam erfüllt hat, um uns die Gerechtigkeit zu erwerben. Und das geschieht, damit wir erstens mit ihm zu einem Leibe zusammenwachsen und zweitens, seiner Substanz teilhaftig geworden, auch seine Kraft erfahren, indem wir an allen seinen Gütern teilhaben.53

Wie ist die leibliche Gegegenwart Christi zu verstehen? Der Abendmahlsstreit konzentrierte sich auf die Elemente Brot und Wein. Darauf ist auch Calvin negativ fixiert. Er will eine leibliche Gegenwart Christi in einem räumlichen Sinn – und das heißt für ihn, an dem umgrenzten Ort der physischen Elemente – unbedingt ausschließen.54 Stattdessen vergegenwärtigt sich der Auferstandene durch den Heiligen Geist. Das ist aber kein vergeistigtes Geschehen, sondern führt zur leiblichen Gemeinschaft mit Christus.55 Die Verbindung der Gläubigen mit Christus vollzieht sich nicht in ihrer Einbildung oder auf einer rein intellektuellen Ebene. Die theologische Aufgabe besteht darin, die Realität dieser leiblichen Gemeinschaft im Heiligen Geist zur Sprache zu bringen.56 Calvin nimmt sich dieser Aufgabe auf folgende Weise an: Aufgrund seiner himmlischen Herrlichkeit ist der Leib Christi zwar abwesend, seiner Kraft nach ist Christus aber nicht auf diesen Ort beschränkt. Er kann seine Kraft wirken lassen, wo es ihm gefällt. Auf ausgezeichnete Weise tut er dies im 52 Wüthrich betont den physischen Aspekt des Himmels (vgl. ders.: Raum, 223), Ewerszumrode den metaphysischen (vgl. Frank Ewerszumrode: Mysterium Christi spiritualis praesentiae. Die Abendmahlslehre des Genfer Reformators Johannes Calvin aus römisch-katholischer Perspektive, Göttingen 2012, 187), Kaiser den geistlichen (vgl. Christopher B. Kaiser: „Climbing Jacob’s ladder. John Calvin and the Early Church on our Eucharistic Ascent to Heaven“, in: SJT 56 (2003), 247–267, 257). 53 Calvin: Inst. IV.17, 11. 54 Vgl. Ewerszumrode: Mysterium Christi, 156. 55 “Denn der Herr gewährt uns durch seinen Geist die Wohltat, daß wir nach Leib, Geist und Seele mit ihm eins werden (...)” (Calvin: Inst. IV.17, 12). 56 „Und das soll dergestalt geschehen, daß man es nicht so versteht, als ob die Gläubigen Christi Leib und Blut bloß in der Einbildung oder mit dem Begreifen Ihres Verstandes erfaßten, sondern vielmehr so, daß sie diese tatsächlich als Speise zum ewigen Leben genießen” (Calvin: Inst. IV.17, 19).

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Abendmahl, wo die Gläubigen durch seine Kraft – d.h. seinen Heiligen Geist – mit ihm verbunden werden. In der Sprache Calvins heißt das: Die Gläubigen werden zu Christus in den Himmel erhoben und „mit seinem eigenen Leibe, dessen Gemeinschaft er durch die Kraft seines Geistes auf sie übergehen lässt“ gespeist.57 Von zentralem systematischen Gewicht ist der Hinweis, dass der Leib Christi nicht von seiner Kraft zu trennen sei.58 Wo wir in der Kraft des Heiligen Geistes das Abendmahl feiern, werden wir mit dem Leib Christi verbunden. Der physische Genuss der Elemente ist Teil eines geistlichen Geschehens, in dem die Gläubigen durch den liturgischen Ruf sursum corda – Empor die Herzen! – aufgefordert werden, ihre Herzen zum erhöhten Christus zu erheben. Sie sind gerade in ihrer Physikalität Zeichen der realen abwesenden Leiblichkeit Christi. Ihr Genuss bringt ein geistliches Geschehens mit sich, in dem die Gläubigen zu Jesus Christus in den Himmel erhoben werden. Calvin kommentiert: [N]ichts ist unglaublicher, als daß Dinge, die so weit auseinanderliegen und getrennt sind wie Himmel und Erde, bei solch großem räumlichen Abstande nicht nur verbunden, sondern eins gemacht werden, so daß die Seelen aus dem Fleische Christi Nahrung empfangen.59

Es ist bemerkenswert, dass Calvin mit der Seele die geistige Seite der Gläubigen und mit dem Fleisch Christi die leibliche Seite des himmlischen Christus verbindet. Es ist gerade die Verbindung mit dem leiblichen Christus, die das Heil der Gläubigen verbürgt – Torrance weist auf Calvins Begriff des caro vivifica hin, mit dem die Gläubigen vereint werden.60 Im Leib Christi manifestiert sich Gottes Gerechtigkeit, damit sie den Gläubigen mitgeteilt werden kann.61 Die Versöhnung und Neuschöpfung ist keine Idee, sondern in dem einmaligen menschlichen Leben und Sterben Jesu vollzogen worden. Ebensowenig ist der Auferstandene ein Gedanke, der geistig begriffen werden muss, sondern eine spezifische Realität, die in einem geistlichen und leiblichen Geschehen die Menschen in Kontakt mit sich bringt. Das Ereignis des Abendmahls ist bei Calvin ein Geschehen jenseits von Intellektualismus oder Naturalismus. Es vereint geistige und physische Aspekte, menschliche Worte und physische Elemente, durch die sich Christus in einer neuen, geistleiblichen Weise vergegenwärtigt. Weder ist der erhöhte 57 58 59 60 61

Calvin: Inst. IV.17, 18. Vgl. Calvin: Inst. IV.17, 34. Calvin: Inst. IV.17, 24. Vgl. Torrance: Kingdom, 150. Vgl. Thomas J. Davis: „Not ‚hidden and far off‘. The Bodily Aspect of Salvation and its Implications for Understanding the Body in Calvin’s Theology“, in: ders.: Body, 79−90, 85.

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Christus ein rein geistiges Objekt, noch vollzieht sich die Verbindung ungebrochen durch den Genuss der physischen Elemente, als ob Christus auf naturalistisch-physische Weise anwesend wäre. Auch der Ort des Abendmahls ist nicht eindeutig: Wenn Christus herabkommt und die Gläubigen mit sich heraufführt, ist das ein dynamisches Geschehen zwischen Himmel und Erde.62 Davon gibt die Rede von dem Herabkommen und Heraufsteigen Christi Zeugnis. Mit diesen dynamischen räumlichen Begriffen hält Calvin die Distanz zu dem erhöhten Christus in seiner Leiblichkeit ebenso wie Vereinigung mit ihm fest – und damit die spannungsvolle Gegenwart Christi jenseits von Naturalismus und Intellektualismus.63 Es ist jedoch zu fragen, ob Calvin nicht von diesem geistleiblichen Geschehen der Eucharistie her stärker die neue Wirklichkeit Christi hervorheben bzw. konkretisieren müsste, um das Missverständnis einer himmlischen Parallelwelt auszuschließen. Zu Recht will Calvin jede Spekulation vermeiden. Blockiert wird er durch seine einseitige Fronstellung gegen materialistische Theorien der Realpräsenz Christi. Aufgrund dieser negativen Fixierung zieht Calvin den Schluss, dass der menschliche Leib zwingend auf eine Position im Raum begrenzt sein muss – und deshalb nicht auf genuin leibliche, d.h. räumliche, Weise im Abendmahl gegenwärtig sein kann. Der Auferstandene hat die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens überwunden, nicht aber seine räumliche Positionierung. Ihm wurde “Unverderblichkeit und Herrlichkeit verliehen, aber seine Natur und seine Wahrheit nicht weggenommen (...)“.64 Deshalb schließt Calvin aus, dass der Leib Christi vielfältige Gestalt annehmen kann. Er kann auch nicht auf unsichtbare Weise gegenwärtig sein. Dann droht die lutherische Lehre von einem unsichtbaren und räumlich nicht begrenzten („unermeßlichen“) Leib Christi. Calvin zitiert zustimmend das Wort Jesu aus Lk 24,39 („Ein Geist hat nicht Fleisch und Bein“) und folgert: „Wird nun das aufgehoben, was er der Natur seines Leibes als eigen zuspricht, so muß doch unzweifelhaft eine neue Begriffsbestimmung des ‚Leibes‘ ausgedacht werden!“65 Genau dies will Calvin vermeiden. Die Auferstehungszeugnisse, die von Christi Gang durch verschlossene Türen berichten und die ungewöhnliche Qualität seines Leibes hervorheben, nimmt er nicht ernst. Die Tür sei in ihrer Materialität flexibel geworden oder auf den Befehl Christi hin aufgegangen – ebenso wie die Wasser bei seiner Seewandlung fest geworden seien.66 62 Vgl. Randall Zachman: „Communio cum Christo“, in: Calvin Handbuch, hg. v. Herman J. Selderhuis, Tübingen 2008, 359−366, 362. 63 Dieses Potential sieht Mühling nicht, der Calvins Abendmahlslehre zu stark von der Zweinaturenlehre her liest (vgl. Mühling: Grundinformation, 109f). 64 Calvin: Inst. IV.17, 24. 65 Calvin: Inst. IV.17, 29. 66 Vgl. Calvin: Inst. IV.17, 29.

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An dieser Stelle zeigt sich nun doch die Gefahr der scharfen reformierten Unterscheidung zwischen der Gottheit und Menschheit Jesu Christi. Denn hier werden die ungewöhnlichen Ereignisse um seine Auferstehung allein von seiner Gottheit her erklärt. Der Hinweis auf die Seewandlung Christi, die ja vor der Auferstehung geschah, zeigt: im Hinblick auf die Erkenntnis, wie und wer Gott bzw. der Mensch ist, hat die Auferstehung nichts Neues gebracht.67 In Calvins Abendmahlstheologie verbinden sich zwei Linien: Einerseits das Festhalten an der Lokalisierung des Leibes Christi im Himmel, andererseits die leibliche Vergegenwärtigung Christi im Geist, die ein hyperrealistisches Verständnis des erhöhten Christus unterläuft, aber auch bestätigt (da die leibliche Vergegenwärtigung als Überbrückung räumlicher Distanz verstanden wird). Sein Ringen um ein realistisches Verständnis des erhöhten Christus führt zu einer innovativen Pneumatologie, die ganz neue Möglichkeiten, eine leibliche pneumatische Gegenwart Christi zu denken, eröffnet.68 Diese geistleibliche Gegenwart Christi müsste man jedoch konsequent ausgestalten, gerade um seiner realistischen Leiblichkeit willen – und um jeden Anschein einer Parallelwelt zu vermeiden. Dann allerdings muss man Calvins Prämisse, der Leib Christi sei im Vollsinn nur an einem Ort anwesend, zurückweisen. Auch seine Annahme, die Diskontinuität zwischen den irdischen und himmlischen Leibern bestehe einzig und allein in der himmlischen Unsterblichkeit und Herrlichkeit, muss überprüft werden. Beinhaltet diese Herrlichkeit nicht auch neue Dimensionen menschlicher Leiblichkeit? 7.2.3 Die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche Torrance geht der anstößigen physischen Lokalisierung Christi im Himmel, auf die Calvin sich festgelegt hat, aus dem Weg, indem er die Distanz der Gemeinde zu Christus als eschatologische Distanz deutet, als Distanz zu dem Christus der Endzeitparusie. Er deutet die Himmelfahrt als realen Weggang Christi, die den eschatologischen Vorbehalt garantiert, und im Abendmahl auf unsichtbare, in der Endzeitparusie auf sichtbare Weise durchbrochen wird.

67 Vgl. Baurs Vorwurf gegenüber der reformierten Christologie (ders.: „Ubiquität“, 236). 68 Auch Ewerszumrode plädiert in seiner exzellenten Studie zu Calvins Abendmahlstheologie dafür, die eucharistische Gegenwart Christi als pneumatisch-leibliche, aber unkörperliche Präsenz zu verstehen. So könne das, was die Substanzontologie auf katholischer Seite zum Ausdruck bringe, festgehalten werden (vgl. Ewerszumrode: Mysterium Christi, 259f). Es wäre aber zu fragen, ob sich die substanzontologische Perspektive nicht immer noch zu stark auf die Elemente fixiert.

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An der Kontinuität, die Calvin zwischen dem historischen und dem erhöhten Christus sieht, der leiblich nur an einem Ort sein kann, hält er fest, auch wenn er Christus nicht in dem Ereignis der Endzeitparusie verortet. Während Calvin hier einen räumlichen Akzent setzt, herrscht bei Torrance eine zeitliche Kontinuität vor, wenn er die Endzeitparusie als Wiederkunft Christi begreift, in der sein historischer Leib auf sichtbare Weise offenbar wird. An Calvins Verknüpfung von Leiblichkeit im Vollsinn und eindeutiger Sichtbarkeit hält Torrance damit fest. Dass Torrance die anstößige kosmologische Lokalisierung Christi vermeidet, bedeutet nicht, dass er eine bessere Lösung vorlegt.69 Das Problem verschiebt sich zu der Frage, wie der Christus der Endzeitparusie zu verstehen ist. Bei Torrance besteht nicht weniger als bei Calvin die Gefahr, mit der Annahme einer ausgeprägten Kontinuität zwischen dieser Welt und dem erhöhten Christus den Gedanken einer eschatologischen Parallelwelt zu verstärken. Weder ein räumlich verstandener Himmel noch eine zukünftige Parusie Christi als Wiederkunft Jesu in seinem historischen Körper können einfach – in ungebrochener Kontinuität zu der uns zugänglichen Wirklichkeit – postuliert werden. Das Ziel, die Realität der neuen Schöpfung mittels der Erhöhung des leiblich-geschöpflichen Jesus Christus auszusagen, würde so gerade verfehlt. An die Stelle einer realistischen Eschatologie würde ein hyperrealistisches Verständnis der Wirklichkeit Jesu Christi treten. Die Alternative zwischen ungebrochener Kontinuität oder Spiritualisierung unterläuft Calvin immer dann, wenn er eine pneumatische leibliche Vergegenwärtigung Christi annimmt. Auch bei Torrance ist das so. Er will das teleologische Moment der neuen Schöpfung zum Ausdruck bringen, indem er das eucharistische Handeln der irdischen Kirche als konstitutiv für die neue Schöpfung behandelt. Die Gläubigen sind hier in ihrer vollen Menschlichkeit beteiligt. Der Wachstumsprozess der Kirche, ihr Bemühen um Einheit mit Christus und untereinander, ist ein leibliches Geschehen, das sich in 69 Torrance’ mangelndes Problembewusstsein wird in seinem Umgang mit der Studie Quistorps zu Calvins Eschatologie anschaulich, zu der Torrance das bereits erwähnte enthusiastische Vorwort beisteuerte (vgl. Torrance: „Foreword“, 7f.). Dabei steht seine Calvin-Deutung t.w. im Widerspruch zu derjenigen Quistorps (vgl. MacLean: Resurrection, Anm. 86, 116f.). Auch der Lutheraner Quistorp betont, dass Calvin seine Eschatologie als Christologie konzipiert, in der Abendmahl und Himmelfahrt Christi eine zentrale Rolle spielen (vgl. Quistorp: Last Things, 192). Sie sei aber nicht ohne spiritualistische und individualistische Engführungen. Calvin begründe seine Lehre von der Unsterblichkeit eher mit der Himmelfahrt als mit der Auferweckung Christi. Es bleibe unklar, inwiefern die Auferstehung der Gläubigen eine leibliche Dimension habe, da Calvin auch ihre himmlische Gottesschau v.a. geistlich-intellektualistisch verstehe. So entstehe eine Spannung zwischen Calvins biblischem Realismus und seiner Tendenz zur Spiritualisierung – etwa in seiner Deutung von 1. Korinther 15,24−28 oder seiner Sakramentenlehre (ebd., 170).

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konkreten Handlungen manifestiert. Hier vollzieht sich die neue Schöpfung – allerdings, darauf legt Torrance großen Wert, auf unsichtbare Weise. Das Gegenüber von voller sichtbarer Leiblichkeit des himmlischen Christus und unsichtbarer pneumatisch-leiblicher Gegenwart im Abendmahl garantiert die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche, den eschatologischen Vorbehalt und die Verheißung einer noch ausstehenden Vollendung. Aber muss die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche auf diese Weise gedacht werden? Die biblischen Aussagen über die Himmelfahrt und Endzeitparusie Christi beinhalten die Unterscheidung zwischen Christus und seiner Kirche. Sie haben aber nicht die Funktion, die leibliche Abwesenheit Christi gegen eine nicht-leibliche, unsichtbare Anwesenheit im Heiligen Geist auszuspielen. Sie nötigen nicht dazu, den Leib Christi im räumlich verstandenen Himmel oder einer eschatologischen Zukunft zu verorten. Vielmehr weisen sie auf ein ausstehendes Ereignis hin, das den erhöhten Christus ebenso wie die gesamte Schöpfung betrifft. Wie wir gesehen haben, geht Torrance von einer ausgeprägten Kontinuität zwischen dem historischen und dem erhöhten Christus aus. Sie wird durch den eschatologischen Vorbehalt garantiert: Der Unterschied zwischen der historischen und der erhöhten Gestalt Christi besteht gegenwärtig in seiner Entzogenheit, die Torrance als seine Unsichtbarkeit deutet. Diese wird in der Endzeitparusie aufgehoben, wenn Jesus Christus in seiner historischen Gestalt auf sichtbare Weise erscheinen wird. Die Diskontinuität zwischen seiner historischen Inkarnation und seiner endzeitlichen Erscheinung – und damit ihre eschatologische Qualität – besteht für Torrance in dem Verhältnis zwischen der Menschheit und Gottheit Christi: Der erhöhte Christus steht in einem neuen Verhältnis zu Gott, seine Menschheit verdeckt seine Gottheit nicht länger. Mit der sichtbaren Erscheinung des erhöhten Christus wird auch Gott auf sichtbare Weise offenbar – bzw. eine wiederhergestellte Schöpfung, die Gott nicht verstellt. Umgekehrt heißt das: In der Gegenwart kann Christus nicht in seiner neuen, leiblichen Wirklichkeit offenbar sein, weil damit auch Gott sichtbar würde und das Eschaton (bzw. das finale Gericht) unvermeidlich würden. Die Kontinuität, die Torrance zwischen dem historischen und erhöhten Christus annimmt, gewinnt hier ein Übergewicht gegenüber der Diskontinuität zwischen erster und neuer Schöpfung. Die Diskontinuität besteht in der gegenwärtig durch die Sünde des Menschen geprägten Beziehung zwischen Gott und seiner Schöpfung. Sie ist vorläufig und wird im Eschaton aufgehoben. In diesem Problemzusammenhang folgt Torrance einer Spur Calvins, die dieser in seiner Auslegung einer berühmten Stelle aus dem 1. Korintherbrief des Apostels Paulus legt. In 1. Kor 15,28 skizziert Paulus ein endzeitliches Szenario. Auf die Ankunft Christi (Parusie, V. 23) folgt das Ende (telos, V.

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24): Nachdem Christus alle Mächte dieser Welt unterworfen hat, übergibt er das Reich dem „Gott und Vater“ (V. 24). Schließlich wird auch der Sohn Gott unterworfen sein (V. 27), „damit Gott alles in allem sei“ (V. 28). Torrance zitiert aus Calvins Kommentar zu Vers 27, der hier in deutscher Fassung wiedergegeben werden soll: Dereinst aber wird Christus dem Vater sein Reich übergeben, so daß wir vollkommen und unmittelbar an Gott selbst hängen. So wird sein Reich kein Ende nehmen, aber Christus wird es aus der menschlichen Form zur vollen Gestalt göttlicher Herrlichkeit hinführen. (…) Dann werden wir ohne Hülle die Herrlichkeit Gottes sehen, der sein Reich regiert, und die menschliche Natur Christi braucht nicht mehr zwischen Gott und uns zu stehen.70

Entscheidend ist Calvins Satz, dass die Menschheit Christi nicht länger den direkten Blick auf Gott verstellt. Der Sohn kehrt zurück in die Gottheit und Gott übt seine Herrschaft nicht mehr vermittelt durch seine Menschheit, sondern unmittelbar in seiner Gottheit aus. Die Gläubigen treten dafür in ein unmittelbares Gottesverhältnis ein. Die vermittelnde Menschheit Christi hat für Calvin ein verhinderndes Moment, wie Jürgen Moltmann beobachtet hat. Sie gehört nicht zum Wesen Gottes, sondern verdeckt es.71 Torrance schwächt diesen Satz ab – Calvins Terminologie sei manchmal unscharf – und modifiziert ihn leicht. Christus gebe seine Menschheit nicht auf, sondern manifestiere sich auf neue Weise: „(...) He continues to wear our humanity, but in such a way that we see Him in the full glory and majesty of Godhead. This Kingdom will involve the final perfection of heaven and earth, for both will be wholly renewed.“72. Das Trennende der Vermittlung wird aus seiner Sicht aufgehoben, nicht aber die Menschheit Christi als solche. Christus bleibt das Vermittlungsprinzip zwischen Gott und Mensch: in seiner offenbaren neuen Menschheit, die in einem neuen Verhältnis zu Gott steht und seine eigene Gottheit sichtbar werden lässt. Torrance denkt also durchaus an eine Erneuerung der Schöpfung. Diese versteht er als ein qualitativ neues Verhältnis zwischen Gott und Mensch, das sich in der Sichtbarkeit der Herrlichkeit Gottes ausdrückt. Die vollendete Relation von Gott und Mensch und die mit ihr verbundene neue Schöpfung 70 Johannes Calvins Auslegung des Römerbriefes und der beiden Korintherbriefe, hg. v. Otto Weber, Neukirchen-Vluyn 1960, 459. Torrance übersetzt aus dem lateinischen Original (vgl. ders.: Kingdom, 138; Calvini Opera 49, 292−574, 549). Er hebt das Adverb quodammodo („gewissermaßen“) hervor, das Calvin gebraucht, um den Transfer von der menschlichen zur göttlichen Existenz in Anführungsstriche zu setzen. 71 „Die für die Erlösung der Sünder gekreuzigte Menschheit Christi hat im gottunmittelbaren erlösten Dasein keinen Platz mehr“ (Jürgen Moltmann: Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1972, 246). 72 Torrance: Kingdom, 138.

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verortet er im erhöhten Christus und beschreibt sie damit als gegenwärtige Größe, die in der Endzeitparusie sichtbar wird: Der Christus der Endzeitparusie offenbart die neue Schöpfung und Gott, beides ist nicht voneinander zu trennen. Jedoch bleibt die nun unmittelbar zugängliche Herrlichkeit Gottes bei Torrance inhaltlich unbestimmt. Sie wird nicht auf die neue Schöpfung und das Heilshandeln Gottes bezogen, sondern als eigenständige Größe behandelt. In diesem Sinne ist Torrance’ Christologie funktionalistisch: Sie dient dazu, die Menschheit in ein neues Verhältnis zu Gott zu bringen, der selbst aber eine von diesem Heilshandeln unberührte Größe bleibt. Die wichtige Einsicht, dass die Neuschöpfung und die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes nicht voneinander zu trennen sind, kann Torrance deshalb nicht entfalten. Gott bleibt der Neuschöpfung, die Torrance ins Auge fasst, äußerlich. Seine eschatologische Perspektive konzentriert sich – ganz im Sinne seiner christologischen Grundentscheidung in den Auburn-Vorlesungen – auf das Neuwerden des Menschen, das Torrance als Wiederherstellung des rechten Verhältnis zwischen Gott und den Menschen versteht. Deshalb ist Torrance ist daran interessiert, die Realität des neuen Menschen Jesus Christus und seines Gottesverhältnisses für uns festhalten. Diese Perspektive ist verantwortlich dafür, dass er von einer direkten Kontinuität zwischen dem historischen, dem erhöhten und dem kommenden Christus ausgeht. Diese Kontinuität dient aus seiner Sicht der Vergewisserung der Wirklichkeit Jesu Christi in unserer Realität. Ihre Kehrseite besteht darin, dass sie von einem naiven Hyperrealismus kaum zu unterscheiden ist und irreführende Fragen provoziert wie diejenige, in welcher Raumzeitstelle der erhöhte Christus gerade zu verorten ist. Mit anderen Worten: Die neue Wirklichkeit Jesu Christi wird so realistisch verstanden, dass sie von einer phantastischen Parallelwelt kaum mehr zu unterscheiden ist. Über das Neue der Neuschöpfung, d.h. über die Diskontinuität zwischen erster und neuer Schöpfung, kann Torrance keine inhaltlich gefüllte Auskunft geben. Die neue Schöpfung müsste von der inhaltlich bestimmten Herrlichkeit Gottes und ihrer Neuschöpfung in Christus her konkretisiert werden, nicht aber von einer formalen Relation zwischen Gottheit und Menschheit Christi und der Annahme einer (inhaltlich unbestimmten) zukünftigen unmittelbaren Gottesschau. Deshalb ist festzuhalten, dass sich die neue Schöpfung in dieser Welt auf realistische, wahrnehmbare Weise vollzieht – und ein klares, inhaltliches Profil hat. Torrance’ abendmahlstheologische Überlegungen haben gezeigt, dass gerade die Feier des Abendmahls als Ort der Neuschöpfung in dieser Welt betrachtet werden kann. Die Auferstehungswirklichkeit Jesu Christi und die Feier des Abendmahls erhellen sich gegenseitig, wie Michael Welker

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betont.73 Hier kann die neue Wirklichkeit Jesu Christi in dieser Welt erfahren und erkannt werden. Inhaltlich bestimmt wird sie durch die Geschichte Jesu Christi, die durch die Einsetzungsworte aufgerufen wird. Solch ein realistisches, welthaltiges Verständnis der Neuschöpfung kann auch die biblische Rede von einem ausstehenden Kommen Jesu Christi und der endgültigen Schöpfung eines „neuen Himmels und einer neuen Erde“ ernstnehmen. Denn es basiert auf der Erfahrung der neuschöpferischen Gegenwart Gottes in dieser Welt. Diese Erfahrung kann Gott Möglichkeiten zutrauen, die unsere gegenwärtige Wirklichkeit übersteigen. Wenn Gott weder jenseitig ist, d.h. unserer Welt diametral gegenübersteht, noch in einer reinen Zukunft zu verorten ist, dann gewinnt der Gedanke an Plausibilität, dass auch seine Neuschöpfung nicht aus dieser Welt hinausführt, sondern diese Welt schöpferisch gestaltet – bis hin zu Möglichkeiten, die unserer derzeitigen Perspektive verschlossen sind. Hier zeigt sich der innere Zusammenhang zwischen Eschatologie und Gotteslehre. Wenn Gott in unserer Welt schöpferisch gegenwärtig ist, ist festzuhalten, dass er nicht an einem Punkt fixierbar ist. Gott ist nicht direkt in der geschöpflichen Wirklichkeit lokalisierbar. Er kann aber auch nicht als einfacher Gegensatz zu der geschöpflichen Wirklichkeit betrachtet werden. Denn auch dann bliebe er innerhalb des geschöpflichen Weltbildes und würde von diesem aus als Gegensatz konzipiert. Auch wenn Gott also nicht fixierbar ist, ist er zugleich als in der Schöpfung gegenwärtig zu begreifen: in dem historischen, erhöhten und kommenden Jesus Christus und den vielfältigen Vollzügen, in denen Christus in seinem Geist in unserer Wirklichkeit gegenwärtig ist. Wenn man die reformierte Lehre vom Extra-Calvinisticum im Sinne dieser zwei Kriterien versteht, kann man an ihr festhalten und zugleich Calvin widersprechen – zumindest dann, wenn dieser in seiner Frontstellung gegen materialistisch interpretierte Theorien der Realpräsenz Christi den Schluss zieht, dass der menschliche Leib des erhöhten Christus zwingend auf eine Position im Raum begrenzt sein müsse. Auch in Torrance’ schöpfungstheologischen Arbeiten der 1960er und 1970er Jahre spielt die Frage nach der Wirklichkeit Jesu Christi – und mit ihr das Extra-Calvinisticum – eine Schlüsselrolle, wie nun im folgenden dritten Teil zu zeigen ist.

73 Vgl. Welker: Abendmahl, 27.

TEIL III

Eschatologie im Kontext der Schöpfungslehre In den späten 1950er Jahren wendet sich Torrance der Frage nach dem wissenschaftstheoretischen Status der Theologie zu, die ihn zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den Naturwissenschaften anregt.1 Im Hintergrund steht auch hier das Verhältnis zwischen Gott und der geschöpflichen Wirklichkeit. Letztere sieht Torrance maßgeblich durch ihre Räumlichkeit und Zeitlichkeit charakterisiert. Ende der 1960er veröffentlicht er ein Buch mit drei theologiegeschichtlich orientierten Studien zum Verhältnis von Space, Time and Incarnation, 1976 folgt die Monographie Space, Time and Resurrection. Der schöpfungstheologische Problemkomplex ergibt sich aus den Fragen, die Torrance in seinen Arbeiten zur Kirche und zur Feier des Abendmahles thematisiert hat. Wo ist der erhöhte Christus und wie ist die differenzierte Wirklichkeit des Auferstandenen zu erfassen? Torrance’ „menschlicher Realismus“2 lässt ihn nach der geschöpflichen Wirklichkeit des Auferstandenen fragen, die raumzeitliche und physische Bezüge haben muss, um mit der uns bekannten Wirklichkeit vermittelbar zu sein und sie neu zu schaffen. Nach Torrance gewinnen diese Fragen auch durch Einsichten der modernen Physik an Plausibilität, nach der die naturwissenschaftlich zugängliche Welt nicht als geschlossenes kausales Kontinuum, sondern als offen und indeterminiert zu beschreiben ist. Dass Torrance die naturwissenschaftlich beschreibbare Wirklichkeit nicht einfach ausblendet, ist ihm hoch anzurechnen. Er betritt in den 1960er Jahren tatsächlich theologisches Neuland, indem er einen Problemkomplex erschließt, der von hoher Bedeutung für eine realistische Eschatologie ist. Die Position, die er entwickelt, bleibt jedoch nicht ohne Widersprüche.

1 2

Vgl. Thomas F. Torrance: Theological Science (Edinburgh 1969). Die Studie fußt auf Torrance’ Hewett Lectures aus dem Jahr 1959. Vgl. Torrance: Resurrection, 26.

KAPITEL 8

Space, Time and Incarnation (1969)

In dem Buch Space, Time and Incarnation will Torrance zeigen, dass diese geschöpflichen Bedingungen real für Gott sind, weil Gottes Heilshandeln dieser Welt gilt und deshalb nicht ohne Raum- und Zeitbezug zu verstehen ist. Zugleich hält er an der Prämisse fest, dass Gott selbst nach seinem göttlichen Wesen nicht räumlich oder zeitlich verfasst ist und das Verhältnis zwischen Gott und Mensch nicht raumzeitlich begründet ist. In zwei Kapiteln widmet er sich der theologiegeschichtlichen Klärung der Raum-Konzeptionen in der altkirchlichen (Kap. 1) sowie reformatorischen und modernen Theologie (Kap. 2). Im dritten Kapitel versucht Torrance, in konstruktiver Hinsicht das Verhältnis zwischen Gott und Raum bzw. Zeit zu klären.1 Die drei Kapitel überschneiden sich inhaltlich, weil Torrance theologiegeschichtliche und eigene Überlegungen miteinander verknüpft. Deshalb werden sie im Folgenden nicht einzeln, sondern in ihrer gemeinsamen Stoßrichtung interpretiert. Torrance ist an der Wissenschaftlichkeit der Theologie und ihrem Zusammenhang mit den Naturwissenschaften interessiert. Nach Torrance arbeiten Naturwissenschaftler und Theologen in der gleichen raumzeitlich verfassten Wirklichkeit, die sie a posteriori und damit empirisch erforschen. Torrance wendet sich gegen einen Dualismus zwischen natürlicher Theologie und Offenbarungstheologie, weil Gottes Offenbarung in unserer geschöpflichen Wirklichkeit vermittelt werde. Menschliche Gotteserkenntnis habe immer eine raumzeitlich verfasste Form bzw. Rationalität, innerhalb derer sich Gott vergegenwärtige und zu erkennen gebe.2 Es geht Torrance also um die Möglichkeit geschöpflicher Gotteserkenntnis, die von der Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung abhängt.

1 2

Vgl. Thomas F. Torrance: Space, Time and Incarnation, Edinburgh 1997 [Oxford 1969]. Vgl. Torrance: Space, 24.

172

Kapitel 8

8.1 Auf der Suche nach einem theologischen Raumverständnis Nach Torrance wahrt die altkirchliche Lehre von der creatio ex nihilo die Realität von Raum und Zeit, ohne dass sie Gott der geschöpflichen Bedingungen unterwirft: The doctrine of creation out of nothing meant that God does not stand in a spatial or temporal relation to the universe but that spatial and temporal relations are produced through His creation of the universe and maintained through His interaction with what He has made. (…) while it does not discount the absolute priority of God over all space and time, it asserts the reality of space and time for God in His relations with us and binds us to space and time in all our relations with Him.3

Daraus resultiere ein flexibles Raumverständnis, das nicht an eine spezifische Kosmologie gebunden sei. Die Kirchenväter wandten sich nach Torrance gegen die aristotelische Raumkonzeption, die den Raum als unbewegliche Begrenzung eines materiellen Inhaltes, also als Container, verstanden habe. Seine Ausführungen zu Aristoteles’ Raumverständnis bleiben allerdings kursorisch.4 Dieses hat für Torrance eine typologische Funktion – als Negativbeispiel eines von Subjekten und Ereignissen unabhängigen absoluten Container-Raumes. Dem stellt er den Typus eines relationalen Raumverständnisses gegenüber, das den Raum als Ordnungsgefüge begreift, welches die Interaktion von Subjekten strukturiert. Man kann hier von Idealtypen im Sinne Max Webers sprechen, die allerdings nicht Torrance selbst, sondern Albert Einstein in seinem Vorwort zu Max Jammers Concepts of Space (1954) aufgestellt hat.5 Torrance ordnet die unterschiedlichen historischen Positionen nun den zwei Idealtypen zu – nicht immer im Einklang mit Jammer und Einstein. Er beurteilt alle Entwürfe anhand der Frage, ob sie einen von Subjekten und Ereignissen unabhängigen statischen Raum denken oder von einem dynamischen Raum ausgehen, der relativ zu Subjekten und Ereignissen ist. Dieses Gütekriterium erklärt, warum Torrance die aristotelische Position dem Container-Modell zuordnet, anders als Jammer, der dieses erst bei Isaac Newton verwirklicht sieht. Der Raum dient in der klassischen Mechanik Newtons als Bezugssystem, das einen Körper in einer spezifischen Raumstelle lokalisieren kann und dabei keine Relation zu anderen Körpern voraussetzt.6 Jammer 3 Torrance: Space, 23f. 4 Vgl. Torrance: Space, 7ff. 5 Vgl. Albert Einstein: „Foreword“, in: Max Jammer: Concepts of Space. The History of Space in Physics, Cambridge, Mass., 1954, xi−xvi; vgl. Torrance: Space, 22. 6 Vgl. Jammer: Concepts, 108.

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spricht vom absoluten Raum, der als losgelöst von den in ihm enthaltenden Körpern, als unendlich und isotrop verstanden wird. Newton sei davon ausgegangen, dass das Zentrum der Welt ruhe; es sei der notwendige Referenzpunkt des absoluten Raumes.7 Für Newton waren diese Einsichten von theologischer Bedeutung.8 Darauf weist auch Torrance hin. Newton habe den absoluten Raum als Medium zwischen Gott und Welt verstanden, als solches mit den göttlichen Eigenschaften der Ewigkeit und Unendlichkeit versehen und de facto mit Gott identifiziert. Wir befinden uns also in einem wörtlichen Sinn in Gott. Gott enthält die Schöpfung wie ein Container seinen Inhalt. Torrance dient diese Konzeption als paradigmatisches Negativbeispiel, weil es den absoluten Raum und die Ereignisse, die sich in diesem vollziehen, in einen unvereinbaren Dualismus bringe und zu einer deistischen Gotteslehre führe. Gott könne nach dieser Konzeption ebenso wenig in seine Schöpfung eingehen wie eine Box zu einem der in ihr enthaltenden Objekte werden könne.9 Die Gemeinsamkeit zwischen Newton und Aristoteles sieht Torrance darin, dass beide von einem ruhenden Zentrum des Universums ausgehen, das ihnen als Referenzpunkt für Bewegung dient, dieser aber vorgeordnet und damit von ihr losgelöst ist.10 Auch wenn Aristoteles keinen absoluten Raum im Sinne Newtons lehrte, kann Torrance ihn deshalb dem statischen Container-Modell zuordnen. Diese Typologisierung ist allerdings irreführend. Wenn Aristoteles von Raum als Umgrenzendem oder als Gefäß spricht, meint er nicht den absoluten Raum, sondern die Korrelation unterschiedlicher Körper, die sich gegenseitig begrenzen.11 Man kann hier also durchaus ein relationales Moment sehen, ohne dass damit gesagt wäre, dass dieses Raumverständnis zur theologischen Klärung beitragen könnte.12 Torrance’ Typologie verdeutlicht aber, worum es ihm in Space, Time and Incarnation geht. Er möchte den geschöpflichen Raum und die geschöpfliche Zeit in einen Zusammenhang mit dem Eingehen Gottes in Raum und Vgl. Jammer: Concepts, 101f. „Henry More, Isaac Newton, Joseph Raphson und Samuel Clarke hatten eine metaphysische Auffassung des absoluten Raumes als einer Realität an sich vertreten, der Träger und Repräsentanz der erhaltenden und wirkenden Allgegenwart Gottes ist“ (Beuttler: Raum, 231). 9 Vgl. Torrance: Space, 39. 10 Vgl. Torrance: Space, 8. 11 Vgl. Beuttler: Raum, 79. Beuttler nennt das Beispiel eines Kruges und der ihn umschließenden Luft. Das gesamte Universum ist voller Körper, selbst die supralunarische Welt ist mit feinstofflichem Äther erfüllt. Der Himmel als äußerste Sphäre ist nicht an einem Ort, da er per definitionem keine ihn umfassende Grenze mehr hat (vgl. ders: Raum, 81). 12 Vgl. Myriam Gebhard: „Materie, Kraft, Energie“, in: Naturphilosophie. Ein Lehr- und Studienbuch, hg. v. Thomas Kirchhoff, Nicole Karafyllis, Dirk Evers u.a., Tübingen 2017, 131−137, 132. 7 8

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Zeit bringen. Dazu muss er ein Raum- und Zeitverständnis, das diesen Zusammenhang von vornherein unmöglich macht, ausschließen. Das physikalische Raum- und Zeitverständnis ist für seine Theologie nicht irrelevant, da er davon ausgeht, dass Gott in der uns zugänglichen physikalischen Welt handelt und sich in ihr offenbart. Zugleich betont Torrance, dass Gott selbst nicht raumzeitlich verfasst ist. Raum und Zeit begreift er als Gestaltformen geschöpflichen Lebens. Damit will Torrance auch die Legitimität einer säkularen Naturwissenschaft garantieren: Raum und Zeit sind keine theologisch aufgeladenen Größen und deshalb der naturwissenschaftlichen Erforschung zugänglich. Torrance verzichtet auf eine naturphilosophische oder naturwissenschaftliche Erörterung von Raum und Zeit. Stattdessen beurteilt er naturwissenschaftliche Positionen anhand des Kriteriums, ob sie prinzipiell offen für das Handeln Gottes in der raumzeitlichen Schöpfung sind. Während das Container-Modell, das Torrance bei Aristoteles, der Scholastik, dem Luthertum sowie Newton zu erkennen meint, dieses ausschließe, erkennt er positive Ansätze bei Platon, den neuzeitlichen Denkern Leibniz und Huygens sowie der modernen relativistischen Kosmologie Albert Einsteins.13 Hier werde Raum als relationale Ordnungsgefüge zwischen Subjekten und Ereignissen gedacht, was ihn prinzipiell für ein göttliches Subjekt öffne. Die Schöpfung könne so als relativ zu dem Handeln Gottes verstanden werden, nicht als absoluter Rahmen, der Gott vorzuordnen sei. Torrance konzentriert sich auf Positionen der Theologiegeschichte und fragt, inwiefern diese einen positiven Zusammenhang zwischen Gottes Handeln in seiner Schöpfung bzw. Inkarnation und der geschöpflichen Raumzeit denken konnten. In systematischer Hinsicht stellt er das Verhältnis zwischen Gott und Schöpfung zur Disposition: sei es die schöpfungstheologische Frage nach dem Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung oder die christologische Frage nach dem Verhältnis zwischen der göttlichen und menschlichen Natur Jesu Christi. Wie bereits im Hinblick auf die altkirchliche Lehre von der creatio ex nihilo erwähnt, würdigt Torrance die Kirchenväter, weil sie einerseits einen kategorialen Unterschied zwischen Gott und seiner Schöpfung angenommen, andererseits die Realität der Schöpfung in der ihr eigenen raumzeitlichen Gestalt für Gott postuliert hätten.14 Auch im Hinblick auf die Christologie verweist Torrance auf die altkirchliche Theologie, insbesondere auf Athanasius und die Christologie des Nicaeno-Constantinopolitanum. Seine Rekonstruktion der Position des Athanasius bleibt skizzenhaft. Inhaltlich kommt Torrance nicht über den relativ allgemeinen Anspruch hinaus, den er an sämtliche Raumvorstellungen stellt: eine dynamische Bezie13 Vgl. Torrance: Space, 37f. u. 56f. 14 Vgl. Torrance: Space, 23f.

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hung zwischen Gott und seiner Schöpfung nicht auszuschließen, sondern dafür offen zu bleiben. Athanasius’ Position sei hilfreich, weil sie die falschen Raumvorstellungen (Raum als unendliche Substanz, als Anschauungsform oder als absoluter und zeitloser Container) ausschließe.15 Den entscheidenden Erkenntnisgewinn sieht Torrance darin, dass Jesus Christus als raumzeitlich bestimmter Ort verstanden werde, an dem sich Gott in der raumzeitlichen Wirklichkeit offenbare. Weil er zugleich als ungeschaffener Gott jenseits von Raum und Zeit sei, müsse dieser raumzeitlich bestimmte Ort Jesu Christi über sich hinaus auf Gott weisen: Space is here a differential concept that is essentially open-ended, for it is defined in accordance with the interaction between God and man, eternal and contingent happening. (…) This means that the concept of space which we use in the Nicene Creed is one that is relatively closed, so to speak, on our side where it has to do with physical existence, but is one which is infinitely open on God’s side.16

Die Offenbarung Gottes ist raumzeitlich bestimmt, sie ist deshalb verständlich für die Menschen und mit der Alltagserfahrung vermittelbar. Zugleich eröffne sie eine neue Dimension, wie Torrance in Anspielung auf die modernen Naturwissenschaften sagt, in der neue und mit dem gesunden Menschenverstand schwer vermittelbare Ebenen der Wirklichkeit zugänglich werden.17 Die interessante Perspektive, die Torrance hier eröffnet, hat jedoch mit einer grundlegenden Schwierigkeit zu kämpfen. Wenn Gott prinzipiell Raum und Zeit transzendiert und diese Konzepte theologisch lediglich als offen für Gottes Transzendenz angesehen werden müssen – ist dann die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und der raumzeitlichen Wirklichkeit nicht bereits auf dieser formalen Ebene erschöpft? Die naturwissenschaftliche Analogie der unterschiedlichen Erkenntnisebenen setzt voraus, dass diese von gegenläufigen Rationalitätsformen geprägt sein mögen. Bekanntes Beispiel ist das Verhältnis von klassischer mechanischer Physik und Quantenphysik. Torrance wendet eine solche Relation auf das Verhältnis von menschlicher Alltagserfahrung und göttlicher Rationalität an.18 Zugleich trifft er die Aussage, dass Gott gerade nicht „an sich“ erkannt werden könne, weil sein Wesen unendlich sei und Raum und Zeit transzendiere: It is in Christ that the objective reality of God is intelligibly linked with creaturely and physical forms of thought, so that the latter may be adapted and given an orientation enabling them to direct our minds to what God really makes known of 15 Vgl. Torrance: Space, 18. 16 Torrance: Space, 18. 17 Vgl. Torrance: Space, 19. 18 Vgl. Torrance: Space, 19.

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Himself, although in view of his infinite nature they will not be able to seize hold of Him as He is in Himself.19

Gott offenbart sich also nicht selbst, sondern er offenbart etwas von sich. Torrance unterscheidet zwischen Gott in Raum und Zeit bzw. dem inkarnierten Christus und der göttlichen Natur in ihrer Transzendenz über Raum und Zeit. Gottes Handeln in Schöpfung und Inkarnation verbürge die Wirklichkeit der raumzeitlichen Schöpfung, da Gott in seinem Handeln die geschöpflichen Bedingungen wahre, obwohl er selbst über Raum und Zeit stehe.20 Unsere raumzeitlich verfasste Gotteserkenntnis hat nach Torrance objektive Gültigkeit. Zugleich vermag sie Gott in seiner Transzendenz nicht zu erfassen. Deshalb kann Torrance sagen, dass die Frage nach Raum und Zeit für die Theologie weniger ein kosmologisches als ein epistemologisches Problem darstelle.21 Es geht ihm nicht um das Verhältnis zwischen Gott selbst und Raum bzw. Zeit, sondern darum, dass unsere menschliche, räumlich und zeitlich verfasste Gotteserkenntnis gültig ist. Das erklärt, warum er sich mit einem nur rudimentär bestimmten Raumverständnis begnügen kann. Es muss sich aus theologischer Sicht um ein relationales Gefüge zwischen Subjekten handeln, das – wie im Fall von Jesus Christus – offen für das über Raum und Zeit stehende göttliche Subjekt ist.22

8.2 Das Extra-Calvinisticum Die reformierte Christologie, die im reformatorischen Abendmahlsstreit an Profil gewonnen hat, gilt Torrance als positives Beispiel für ein Raum- und Zeitverständnis, das offen für den transzendenten Gott ist. Dabei steht das sogenannte Extra-Calvinisticum im Zentrum seiner Auslegung. Es stellt das zentrale theologische Gütekriterium in allen drei Studien dar, denn es verbürgt nach Torrance das Eingehen Gottes in Raum und Zeit bei gleichzeitiger Transzendenz über diese. Auch bei Athanasius und Origines erkennt er der Sache nach das reformierte Extra, das für ihn mit einem angemessenen Verständnis von Raum und Zeit untrennbar verbunden ist.23 Negativ steht diesem der Container-Raum gegenüber, der aus Torrance’ Sicht die lutherische Christologie bestimmt. 19 Torrance: Space, 17. Hervorh. PJG. 20 Vgl. Torrance: Space, 67. 21 Vgl. Torrance: Space, 4. 22 Vgl. Torrance: Space, 78. 23 Zu Origines sagt Torrance: „He [Jesus Christ; PJG] was wholly present in the body and yet wholly present everywhere, for He became man without ceasing to be God“ (Torrance: Space, 12f).

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Nach reformierter Erkenntnis sei der Logos im inkarnierten Christus gegenwärtig und zugleich außerhalb diesem „im Himmel“, wo er seine göttliche Herrschaft ausübe. Es gebe demnach, so Torrance, keine räumliche Verbindung zwischen der göttlichen und menschlichen Natur. Die Inkarnation sei kein räumlicher Vorgang und der Leib Christi nicht als Container zu verstehen, in den der Logos eingehe.24 Die Lutheraner hätten dies aufgrund ihres falschen Raumverständnisses missverstanden. Aus ihrer Sicht habe die reformierte Christologie beinhaltet, dass nicht der ganze Logos Mensch werde, sondern etwas von ihm außerhalb (extra), d.h. im Himmel, bleibe. Die Himmelfahrt deutet Torrance im Sinne seiner Betonung der Transzendenz Gottes als Bewegung Christi über alle unsere Konzepte von Raum und Zeit hinweg („transcending all our notions of space and time“25). Die Rede vom Leib Christi im Himmel bringe negativ zum Ausdruck, dass der Raum nicht als Container zu verstehen sei. Positiv bedeute sie, dass der Leib Christi seine Realität als menschlicher Leib nicht verliere. Die Himmelfahrt verbindet also die beiden Pole der Transzendenz des Gottessohnes über Raum und Zeit und seiner inkarnatorischen Gegenwart.26 Das reformierte Verständnis der eucharistischen Präsenz Christi sei sensibel für die Realität von Raum und Zeit, da sie zwischen der historischen, der eucharistischen und der endzeitlichen Parusie Jesu Christi unterscheiden könne. Torrance setzt sich hier differenzierter mit der lutherischen Abendmahlstheologie auseinander, als dies in Kingdom and Church der Fall war.27 Er würdigt Luthers Versuch, mit dem machtvollen Handeln Gottes seine Vergegenwärtigung in den eucharistischen Elementen zu begründen. Luthers einseitiger Fokus auf die Elemente als leiblicher Gegenwart Christi – Torrance verwendet den aus Kingdom and Church bekannten Begriff des „ontologischen Nagels“, der die geistliche und weltliche Wirklichkeit zusammenbringe – führe jedoch dazu, dass Raum und Zeit zu unwirklichen Größen werden. Das Handeln Gottes begründe lediglich eine punktuelle, zeitlose Begegnung („mathematical points of timeless encounter“28), sei aber nicht mehr mit der Offenbarung Gottes in der Geschichte und der ausstehenden, auf Raum und Zeit bezogenen Endzeitparusie zu vermitteln. Torrance diagnostiziert also einen Dualismus, der Raum und Zeit entwertet und theologisch als irrelevant behandelt. Er sieht hier eine Verbindung zur Theologie Rudolf

24 Vgl. Torrance: Space, 31. 25 Torrance: Space, 31. 26 „(...) the transcendence of the Son of God over space and time without the loss of His incarnational involvement in space and time“ (Torrance: Space, 31). 27 S.o. Kap. 7.1. 28 Torrance: Space, 35.

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Bultmanns, die er für den radikalsten Versuch hält, die christlichen Glaubensinhalte von ihrer räumlichen und zeitlichen Dimension zu lösen.29 Es ist unschwer zu erkennen, dass Torrance sich hier erneut der Frage widmet, die schon seine Abendmahlstheologie geprägt hatte: Wie kann die Wirklichkeit des erhöhten Christus verstanden werden? Mit Hilfe des Extra-Calvinisticum markiert er zwei Leitlinien: Einerseits sei die Himmelfahrt nicht im Sinne unserer räumlichen Kategorien zu verstehen; andererseits bleibe der erhöhte Christus auf unsere – auch räumlich verfasste – Wirklichkeit bezogen. Diese Anliegen sind berechtigt. Torrance entfaltet sie nun aber nicht theologisch – wie in seiner Abendmahlstheologie –, sondern bleibt bei den sehr allgemeinen Aussagen stehen, dass Gott über Raum und Zeit steht, Christus jedoch nicht ohne einen bleibenden Raumbezug zu verstehen ist. Die beiden Größen „Gott“ sowie „Raum und Zeit“ kann er in diesem Kontext nicht sinnvoll vermitteln. Es scheint, als habe er sich mit dem Beharren auf der prinzipiellen Transzendenz Gottes über Raum und Zeit in eine Sackgasse begeben. Zwar betont Torrance, dass Raum und Zeit für Gott real seien und sowohl Gott als auch die Menschen in ihrem wechselseitigen Verhältnis unwiderruflich an Raum und Zeit gebunden seien.30 Dabei verweist er auf den hilfreichen Gedanken der aposteriorischen Notwendigkeit von Raum und Zeit, die in Gottes Schöpfung begründet liege, in der Gott in Freiheit diese Möglichkeit verwirklicht und ihre Alternativen damit als unwirklich erklärt habe.31 Gott selbst will Torrance aber von Raum und Zeit freihalten. Diese Prämisse entspringt dem metaphysischen Theismus, der Torrance prägt, selbst wenn er sich von diesem abgrenzt.32 Sie müsste theologisch erst erwiesen werden. Natürlich hat Torrance ein wichtiges Anliegen. Gott ist offensichtlich nicht in gleicher Weise wie seine Geschöpfe raumzeitlich verfasst, sonst könnte er sie nicht aus Sünde und Tod erretten und Jesus Christus vom Tod auferwecken. Torrance müsste diese spezifische Beziehung Gottes zu Raum und Zeit, oder eine von diesem Gott her bestimmte Räumlichkeit und Zeitlichkeit, inhaltlich entfalten. Doch er setzt eine prinzipielle Transzendenz Gottes voraus. Über diese kann er nicht viel sagen. Er verbindet sie mit wenig aussagekräftigen Eigenschaften wie seiner unendlichen Majestät („the majesty of his transcendence that reaches out infinitely beyond the whole created order“33). Während sein innovatives Interesse an Raum und Zeit viel Beachtung gefunden hat, ist die Prämisse von der prinzipiellen Transzendenz Gottes deshalb kritisiert Vgl. Torrance: Space, 48. Vgl. Torrance: Space, 62. Vgl. Torrance: Space, 67. Beispielsweise weist Torrance die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes zurück und spricht davon, dass Gott leiden könne (vgl. Torrance: Space, 74f). 33 Vgl. Torrance: Space, 79.

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worden, weil sie in Widerspruch zu Torrance’ Anliegen tritt und es als Aporie erscheinen lässt.34 In der Tat kann Torrance weder den von ihm intendierten Bezug Gottes zu Raum und Zeit noch ein angemessenes Offenbarungsverständnis zum Ausdruck bringen. Gott kann in seinem inneren Wesen nicht von den Menschen erkannt werden, wenn er die Gestaltformen geschöpflicher Rationalität prinzipiell überschreitet. Wie schon in seiner Auburn-Christologie, so eröffnet Torrance auch hier eine unüberwindbare Kluft zwischen der Gottheit und Menschheit Jesu Christi bzw. zwischen dem inkarnierten Christus und Gott in der ihm eigenen Gottheit.35 Mit seinem als göttliche Transzendenz verstandenen Extra behandelt Torrance die geschöpfliche Raumzeit gerade nicht als offenes System, sondern als eine mit der uns bekannten Schöpfung identifizierte und fixierte Gestaltform, die dem transzendenten Gott – dem göttlichen Extra – gegenübersteht. In diese Richtung geht auch Wolfgang Achtners Kritik, der bei Torrance ein Übergewicht der Ontologie gegenüber der Eschatologie diagnostiziert.36 Es bleibe unklar, wie die als relativ geschlossen und selbständig charakterisierte geschöpfliche raumzeitliche Struktur und die transzendente Rationalität Gottes in eine gemeinsame Wirklichkeit überführt werden.37 Diese Unterscheidung zwischen Gott und seiner Schöpfung ist auf Torrance’ Orientierung an der Zweinaturenlehre zurückzuführen.38 Die göttliche und menschliche Natur behandelt er als einander gegenüberstehende Größen. Demgegenüber wäre die entscheidende Differenz nicht zwischen zwei a priori definierten Naturen, sondern zwischen dem gekreuzigten und auferstandenen Christus anzusetzen und mit Christian Link als „eschatologische Differenz“39 zu verstehen: als Differenz zwischen der ersten Schöpfung in ihren vermeintlich unüberwindbaren Festlegungen und der Neuschöpfung. Link interpretiert das Extra-Calvinisticum nicht als Signum einer unbestimmten Transzendenz Gottes, sondern als Zeugnis seiner schöpferischen Macht, die Festlegungen der ersten Schöpfung zu durchbrechen. Gott geht nach Link nicht in dem uns bekannten Raum und der uns bekannten Zeit auf – und auch nicht in dem historischen Jesus. Denn Gottes schöpferische Zuwendung zur Welt kann nicht an einem Ort fixiert werden 34 Vgl. Pannenberg: ST II, 108f, Anm. 228, und an ihn anschließend Beuttler: Raum, 537f; Wüthrich: Raum, 140f, 228f. 35 Vgl. Morrison: Knowledge, 360. 36 Vgl. Achtner: Physik, 223. 37 Vgl. Achtner: Physik, 216f. 38 Vgl. Torrance: Space, 31. 39 Christian Link: „Das sogenannte Extra-Calvinisticum. Die Entscheidung der Christologie Calvins und ihre theologische Bedeutung“, in: ders.: Prädestination und Erwählung. Calvin-Studien, Neukirchen-Vluyn 2009, 145−170, 165.

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(etwa als im historischen Jesus fixierte Einheit von göttlicher und menschlicher Natur40). Das verbürgt keine allgemeine Gotteslehre, so darf man Link interpretieren, sondern die Geschichte Jesu Christi, der von den Toten aufersteht und sich in seinem Geist in seiner Kirche und dieser Welt vergegenwärtigt. Als Gott ist er nicht auf unsere raumzeitlichen Festlegungen oder die historische Gestalt Jesu beschränkt, sondern kommt in der neuen geistleiblichen Gestalt Jesu Christi zu uns, um uns Anteil an seiner neuen Schöpfung zu geben. Das Extra markiert das schöpferische Potential Gottes. Gott ist nicht Gott, weil er in prinzipieller Hinsicht Raum und Zeit transzendiert – sondern weil er die Schöpfung neu schafft. Er ist nicht als absolut, d.h. als losgelöst von jeglichen geschöpflichen Bedingungen, zu verstehen – sondern als in die Schöpfung und deren Neuschöpfung involviert. Deshalb sind „Raum und Zeit“ in der Tat als offenes System zu begreifen, in dem die Schöpfung mit Gott lebt und ihre Zukunft hat. Die uns bekannte Raumzeit wird dann gerade nicht als Gegenüber zu Gott hypostasiert. Mit untrüglichem Gespür hatte Torrance in seinen ökumenischen Arbeiten die Wirklichkeit des auferstandenen Christus im Abendmahl als den Ort markiert, an dem die neue Schöpfung erkennbar und erfahrbar wird – in Kontinuität und Diskontinuität zu der uns vertrauten Wirklichkeit. Mit seiner Erhöhung in den „Himmel“ verlässt Christus nicht die geschöpfliche Wirklichkeit, sondern öffnet diese. Diese Öffnung bleibt aber nicht unbestimmt. Doch das suggeriert Torrance in Space, Time and Incarnation mit seiner Rede von der Offenheit von Raum und Zeit zu „Gottes Seite“ hin. Denn diesen Gott verortet er jenseits von Raum und Zeit, so dass von „Gottes Seite“ aus keine Konkretion der neuen Schöpfung erwartet werden kann. Dagegen hatte er im ökumenischen Kontext teilweise erkennen lassen, dass die Öffnung der geschöpflichen Wirklichkeit in der Gegenwart Jesu im Abendmahl und in welthaften Vollzügen konkret erkennbar und erfahrbar ist. Aus dieser Perspektive ist Jesus Christus in dieser Welt auf neue Weise gegenwärtig. Seine Gegenwart hat klare räumliche und zeitliche Bezüge, ohne auf naturalistische Schemata reduziert werden zu können.

40 Link sagt zur Himmelfahrt: „Es ist unbestreitbar, dass es zu einer Auflösung der wörtlich verstandenen, nämlich ‚lokal‘ bestimmbaren Einheit beider Naturen und damit – der Konsequenz sollte man sich nicht verweigern – tendenziell der Zweinaturenlehre selbst kommt“ (Link: „Extra-Calvinisticum“, 151).

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In der Monographie Space, Time and Resurrection steht die Wirklichkeit des auferstandenen Christus im Mittelpunkt. Der Zusammenhang von christologischen und eschatologischen Überlegungen, der mit Torrance’ Auburn-Christologie einsetzte und im Kontext von Ekklesiologie und Schöpfungstheologie bestimmend blieb, findet hier seinen pointierten Höhepunkt. Torrance verbindet nun Grundlinien seiner Christologie, die er schon in Auburn entwickelt hatte, mit Überlegungen zur Auferstehung und Himmelfahrt Christi. In der Einleitung und im Schlusskapitel legt er programmatisch seinen christologisch begründeten Realismus dar. Dazwischen liegen sieben Kapitel, in denen er biblische Texte zur Auferstehung (Kap. 1) und Himmelfahrt (Kap. 5) rekapituliert sowie das „Wesen“ („nature“) der Auferstehung (Kap. 4) und Himmelfahrt Christi (Kap. 6) entfaltet. Die Erhöhung Christi wird in einem weiteren Kapitel in ihrer Verbindung mit einer dreifach differenzierten Parusie Christi, zu der auch seine Endzeitparusie gehört, erörtert (Kap. 7). Im Vergleich zur Auburn-Christologie fällt auf, dass Torrance seine materiale Christologie nun als Entfaltung der Zweinaturenlehre durchführt. Für die Konstruktion seiner Christologie grundlegend sind die Kapitel, in denen Torrance den materialen Locus der Auferstehung in Beziehung zu Person (Kap. 2) bzw. Werk (Kap. 3) Christi setzt. Beides, Person und Werk Christi, entfaltet er anhand der Zweinaturenlehre, um diese Struktur dann auf die Auferstehung und Himmelfahrt Christi anzuwenden. Bereits im ekklesiologischen (The Atonement and the Oneness of the Church, s.o. Kap. 5) und schöpfungstheologischen Kontext (Space, Time and Incarnation, s.o. Kap. 8) hatte sich Torrance an der Zweinaturenlehre orientiert. In Space, Time and Incarnation hatte ihn das zu berechtigten, jedoch sehr allgemein bleibenden Aussagen über den erhöhten Christus bzw. dessen Transzendenz über Raum und Zeit bei gleichzeitigem Raumbezug geführt. Nun zeigt sich Torrance’ Tendenz, diese beiden spannungsvollen Aussagen auf die zwei Naturen aufzuteilen. Wird jedoch der erhöhte Christus einseitig dem göttlichen Existenzmodus zugeordnet, dann stellt sich die Frage, inwiefern die neue Schöpfung, für die der erhöhte Christus steht, noch mit der uns bekannten, raumzeitlich verfassten Schöpfung – ja überhaupt mit der geschöpflichen Wirklichkeit – zu vermitteln ist.

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Kapitel 9

9.1 Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi im Licht der Zweinaturenlehre Bevor Torrance in den Kapiteln 4−7 die materialen Loci behandelt, setzt er die Auferstehung Jesu in Beziehung zu seiner Person (Kap. 2) bzw. seinem Werk (Kap. 3). Die Kreuzigung und Auferstehung Jesu will er nicht als Ereignisse verstehen, die Jesus einfach so zustießen, sondern als Konsequenz seiner Person, als die er Gott und Mensch ist.1 Torrance legt die Auferstehung hinsichtlich der ontologischen Struktur Christi als Gott und Mensch aus, die aus seiner Sicht zur Transformation bzw. Neuschöpfung der menschlichen Natur führt. Christus realisiere die wahre Menschheit, indem er als Mensch in gehorsamer Hingabe gegenüber Gott lebe. Das sieht Torrance in seiner Gottheit begründet, weshalb sein menschliches Geschick allein aus der Gnade Gottes zu verstehen sei. Den Aspekt des passiven Gehorsams verbindet Torrance mit dem Gedanken der anhypostasis Christi, den des aktiven Gehorsams mit der enhypostasis Christi. Auch der Auferstehung schreibt er nun ein aktives und ein passives Moment zu: Christus werde durch den Vater auferweckt, zugleich sei seine Auferstehung mit einigen biblischen Zeugnissen als Akt Jesu zu verstehen.2 Das aktive Moment steht nach Torrance für die Neuschöpfung der menschlichen Natur, die als solche in eine neue Beziehung zu Gott komme und von Gott ihr Leben empfange: He is the resurrected Man who has life in himself, and is become in himself the Source and Fountain of eternal life for others. By living in utter holiness as Son on earth he appropriated for and into our human nature the eternal Life of God.3

Auf dieser Erneuerung bzw. Wiederherstellung der menschlichen Natur liegt auch der Fokus des dritten Kapitels, in dem Torrance die Auferstehung im Zusammenhang mit dem Versöhnungswerk interpretiert. Die Auferstehung begreift er als zweiten Schöpfungsakt, in dem Gott die wahre Geschöpflichkeit auf endgültige Weise in Christus wiederherstelle. Sie betreffe den Menschen in der ihm eigenen Realität, also auch in seiner Leiblichkeit.4 Im Hinblick auf die Auferstehung und Himmelfahrt Christi ist Torrance in erster Linie daran interessiert, ihre Kontinuität zu unserer räumlich und zeitlich verfassten Wirklichkeit darzulegen und zugleich Raum für Diskonti1 2 3 4

Vgl. Thomas F. Torrance: Space, Time and Resurrection, Edinburgh 1976, 60. Torrance verweist auf Mk 8,31, Lk 18,33 und Joh 5,27f (vgl. Torrance: Resurrection, 53). Torrance: Resurrection, 55. „Since man is the concrete reality he is, resurrection of man in the nature of the case can be only bodily resurrection“ (Torrance: Resurrection, 82).

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nuität zu lassen, um die Neuschöpfung unserer Wirklichkeit zur Geltung zu bringen.5 Er versucht, beide Aspekte durch den Gedanken einer Heilung und Wiederherstellung der von Sünde korrumpierten menschlichen Wirklichkeit auszudrücken. Raum und Zeit werden in der Auferstehung Christi nicht für unwirklich erklärt, sondern „geheilt und wiederhergestellt“.6 Diese Neukonfiguration der menschlichen Wirklichkeit entfaltet Torrance mit Hilfe des christologischen Lehrstückes von der hypostatischen Vereinigung der göttlichen und menschlichen Naturen in Jesus Christus. In Christus werde die menschliche Natur mit Gott vereint, so dass sie ewige Gültigkeit in versöhnter Gemeinschaft mit Gott erhalte. Christus stehe für die erneuerte menschliche Natur und Zeit, die nicht mehr der Vergänglichkeit der uns bekannten Zeit unterworfen sei.7 Wenn Torrance dafür plädiert, die Auferstehung entsprechend des Wesens („nature“) ihres Subjektes – der Person Jesu Christi – zu verstehen und nicht in einen bereits bestehenden Rahmen einzuordnen, kann er sich etwas von dem Schema der Zweinaturenlehre lösen. Denn um sein „Wesen“ zu verstehen, verweist er nicht auf die zwei Naturen Jesu Christi, sondern auf dessen Leben. Die Auferstehung Christi führe dazu, dass die Geschichte des Menschen Jesus gültig und lebendig bleibe und nicht wie andere historische Ereignisse der Vergessenheit anheim falle. Doch Torrance bindet diese Einsicht sofort wieder in sein Schema der Zweinaturenlehre ein: Indem das Christusgeschehen lebendig bleibe, erlöse Christus die geschöpfliche Zeit.8 Seine Entfaltung des Auferstehungsereignisses läuft darauf hinaus, dass die menschliche Natur in ihrer Realität vor Gott bestätigt wird und damit von ihrer Vergänglichkeit gerettet wird.9 Die menschliche Natur wird insofern erneuert, als dass ihre Defizite aufgehoben werden. Torrance versteht diese im augustinischen Sinn als privatio boni, nach dem das Böse auf parasitäre Weise vom Guten lebt und ihm seine Vollkommenheit raubt.10 In Christus werde das geschöpfliche Leben von seinen Defiziten erlöst und in seiner ursprünglichen Vollkommenheit wiederhergestellt. Endgültig, d.h. auch in physischer Hinsicht, werde dies erst mit der Endzeitparusie Jesu Christi verwirklicht.11 Die Diskontinuität zwischen Vgl. Torrance: Resurrection, 87. Vgl. Torrance: Resurrection, 91. „In the risen Christ, in whom hypostatic union between God and Man is carried through to its telos, there is involved an hypostatic union between eternity and time, eternity and redeemed and sanctified time, and therefore between eternity and new time“ (Torrance: Resurrection, 98). 8 Vgl. Torrance: Resurrection, 95. 9 Vgl. Torrance: Resurrection, 98. 10 Mehrfach verwendet Torrance den Begriff der privatio (vgl. Torrance: Resurrection, 116, 127, 141). 11 Vgl. Torrance: Resurrection, 101. 5 6 7

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der uns bekannten und der neuen Schöpfung besteht also darin, dass unsere Schöpfung von ihren Defiziten befreit wird. Das setzt allerdings eine starke Kontinuität zu unserer Wirklichkeit voraus, da das Neue vom Alten aus gedacht wird. Indem Torrance das Neue erst mit der ausstehenden Endzeitparusie vollgültig realisiert sieht, kann er zwar das Moment des eschatologischen Überschusses, der unsere Erwartungen sprengt, wahren – allerdings um den Preis, dass er dieses Moment an einen fernen Horizont verschiebt und relativ unbestimmt lässt. Diese Spannung prägt auch Torrance’ Verständnis des Auferstehungsleibes Christi. Der Auferstandene habe sich den Blicken der Jünger immer wieder entzogen und sei nicht im Rahmen einer Historiographie, die im Rahmen der Bedingungen der gefallenen Schöpfung bleiben muss, zu begreifen. Die Kontinuität zu unserer Wirklichkeit bestehe in der Leiblichkeit des Geistleibes Jesu Christi, der von jedem Mangel an Sein („privation of being“) befreit sei.12 Dabei bleibe er auf unsere empirische Wirklichkeit bezogen. Dafür stehe das leere Grab. Das Moment des diskontinuierlichen Neuen erkennt Torrance darin, dass sich der Auferstandene den Jüngern immer wieder entzieht, weil sie noch nicht selbst leiblich erlöst worden sind. Erst mit der Endzeitparusie Christi, in der die menschliche Natur in physischer und geistlicher Hinsicht vollständig erneuert werde, können sie Christus in seiner auferstandenen Gestalt in der Herrlichkeit seiner Auferstehung und Transzendenz („in all his risen and transcendent glory“13) erkennen. Was das inhaltlich heißt, bleibt offen. Der Torrance-Interpret Paul Molnar begnügt sich mit der Aussage, dass die Menschen an der erhöhten Menschheit Christi und so an Gottes Herrlichkeit und seiner „Natur“ Anteil gewinnen. Die Formel von der hypostatischen Vereinigung, die durch Christus den Gläubigen vermittelt werde, wird zum telos der Wege Gottes mit den Menschen.14 So wird ein – in seinen Grenzen hilfreiches – begriffliches Instrumentarium zum Selbstzweck erhoben, ohne sich inhaltlich an den eschatologischen Verheißungen Gottes und seiner konkreten Geschichte mit den Menschen zu orientieren. Auch die Himmelfahrt entfaltet Torrance, indem er seine christologischen Grundentscheidungen konsequent anwendet. Anhand begrifflicher Studien zu neutestamentlichen Texten will er zeigen, dass die Erhöhung Christi eine königliche und eine kultische Bedeutung habe. Christus werde in sein messianisches, königliches Amt eingesetzt. Das bedeute, dass sein Leben und 12 Vgl. Torrance: Resurrection, 140. 13 Torrance: Resurrection, 140. 14 „(…) we live our renewed human lives from a center in Jesus Christ alone as the one person in history who is both divine and human and so can enable us to be one with God in a union that upholds our distinction from him and our own unique human existence as well. This is the point of the hypostatic union after all“ (Molnar: Torrance, 257).

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sein Sühnetod vor Gott ewige Gültigkeit gewinnen.15 Im himmlischen Christus werden Gott und Mensch auf endgültige Weise vereint. Auch hier spricht Torrance von der hypostatischen Vereinigung der wahren Menschheit Jesu (d.h. seiner Priesterschaft von Seiten des Menschen, also seinem Sühnetod) sowie seiner wahren Gottheit (d.h. seiner Sendung von Gott).16 Torrance wiederholt also die Grundkonstellation seiner Christologie. Das Lehrstück von der Himmelfahrt thematisiert jedoch auch einen neuen Aspekt: den Modus der Gegenwart Christi zwischen Himmelfahrt und Endzeitparusie. Auch hier prägt die Zweinaturenlehre Torrance’ Argumentation. Als historischer Mensch begegnete Jesus den Menschen auf menschliche, als himmlischer Christus hingegen auf göttliche Weise. Die Himmelfahrt bezeichnet Torrance als Bewegung von des Menschen Ort zu Gottes Ort. Den zwei Orten entsprechen zwei unterschiedliche Präsenzweisen Jesu Christi.17 Die menschliche Präsenzweise vollzieht sich in Raum und Zeit als menschliches Leben Jesu. Sie ist von der göttlichen Präsenzweise des himmlischen Christus zu unterscheiden, erhält allerdings durch Jesu Weggang und seine Erhöhung in den Himmel gerade ihre Gültigkeit. Indem sich Jesus Christus den Blicken der Jüngern entzieht, verweist er auf sein Leben und Sterben als den Ort, an dem er erkannt werden will. Sein menschliche Leben gewinnt durch seine Himmelfahrt einen endgültigen Charakter: (…) for the historical Jesus is the one locus within our human and creaturely existence where God and man are hypostatically united, and where man engulfed in sin and immersed in corruption can get across to God on the ground of reconciliation and atonement (…). The ascension thus means that to all eternity God insists on speaking to us through the historical Jesus.18

In Christus wird die geschöpfliche Wirklichkeit von ihrer Vergänglichkeit befreit und erhält ewige Gültigkeit. Schon dieses Moment der Neuschöpfung stehe dafür, dass sie nicht in bruchloser Kontinuität zu der uns bekannten Wirklichkeit steht, die der Sünde unterworfen sei.19 Allerdings führt Torrance das nicht im Hinblick auf neue Formen von Raum und Zeit aus.

15 Vgl. Torrance: Resurrection, 110. 16 Torrance bezeichnet das Amt des erhöhten Christus als „Priesthood in which Apostleship from God and Priesthood from man are hypostatically united in his own Person“ (Torrance: Resurrection, 114). Er beruft sich auf William Milligan: The Ascension and Heavenly Priesthood of Our Lord, London 1892. Zur seiner Milligan-Rezeption vgl. Andrew Burgess: The Ascension in Karl Barth, New York 2017 [2004], 116f. 17 Vgl. Torrance: Resurrection, 127. 18 Torrance: Resurrection, 133. 19 Vgl. Torrance: Resurrection, 127.

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Kapitel 9

Die Diskontinuität zwischen dem historischen und dem himmlischen Christus – und damit die göttliche Präsenzweise Christi – entwickelt er mit Hilfe des Gedankens der göttlichen Transzendenz: Indem der Auferstandene zu Gott in den Himmel (als Gottes „Ort“) aufgenommen werde, übersteige er Raum und Zeit, da Gott nach seiner göttlichen Natur Raum und Zeit transzendiere.20 Dementsprechend ist die Präsenzweise des himmlischen Christus eine göttliche, die Gottes Transzendenz über Raum und Zeit entspricht. Die göttliche Transzendenz verbindet Torrance mit seiner Omnipräsenz, nach der er als Schöpfer über allem stehe und seinen Geschöpfen zugleich unendlich nah sei.21 Torrance deutet das christologische Ereignis auf metaphysische Weise: Jesus Christus habe die Welt in seinem Modus der menschlichen Gegenwart verlassen, um als himmlischer Christus alles zu erfüllen und seiner Schöpfung nach der Art und Weise der Gegenwart Gottes („in the mode of God’s presence to man“22) gegenwärtig zu sein. Das ist nach Torrance der Modus des Heiligen Geistes, durch den wir auf unmittelbare Weise mit dem erhöhten Christus kommunizieren. Das Pfingstereignis und die Gegenwart des Geistes in konkreten weltlichen Zusammenhängen werden in eine metaphysische Relation aufgehoben. So eröffnet Torrance eine Kluft zwischen einer unmittelbaren göttlichen und einer vermittelten menschlichen Präsenzweise Christi, die es schwer macht, das diskontinuierliche Moment der Neuschöpfung in den Blick zu nehmen. Er hat die Schöpfung auf ihre Räumlichkeit und Zeitlichkeit, Gott hingegen auf seine Transzendenz über diese festgelegt. Im siebten Kapitel behandelt Torrance das Verhältnis zwischen Himmelfahrt und Endzeitparusie Christi, indem er die eine Parusie Christi in dreifacher Hinsicht unterscheidet: als Kommen des inkarnierten, des österlichen sowie des endzeitlichen Christus, der er eine historische, sakramentale bzw. eschatologische Relation zwischen Christus und den Gläubigen zuordnet. In seiner Beschreibung der historischen und sakramentalen Relation hält Torrance die spannungsvolle Beziehung zwischen einer unvermittelten göttlichen Gegenwart Christi im Heiligen Geist sowie seiner Vermittlung durch Zeugnisse seines historischen Lebens und die kirchlichen Sakramente fest. Die unmittelbare Gegenwart Christi werde durch unsere sinnliche Weltwahrnehmung („veil of sense“) und Zeitlichkeit („veil of time“) verhüllt.23

20 „But God in his own nature cannot be conceived in that way – God utterly transcends the boundaries of space and time, and therefore because he is beyond them he is also everywhere, for the limits of space and time which God transcends are all around us“ (Torrance: Resurrection, 128). 21 Vgl. Torrance: Resurrection, 132. 22 Torrance: Resurrection, 133. 23 Vgl. Torrance: Resurrection, 152f.

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So bleibt allerdings ungeklärt, wie der Christus der Endzeitparusie zu verstehen ist, wenn er sich unmittelbar als Gott offenbart. In welchem Verhältnis steht seine Gottheit zu seiner Menschheit? Offenbart er sich als der Erstgeborene der neuen Schöpfung, ergibt sich die Frage, warum gerade die geschöpflichen Medien (Sakramente, Zeitlichkeit) seiner Gegenwart in dieser Welt überwunden werden müssen bzw. inwiefern noch von einer Kontinuität zwischen der gegenwärtigen Wirklichkeit und dem Eschaton zu sprechen ist.

9.2 „Menschlicher Realismus“ Torrance hat sich auf eine Zweinaturenlehre festgelegt, nach der die Schöpfung räumlich und zeitlich verfasst ist – und zwar im Sinne ihrer naturwissenschaftlich beschreibbaren Struktur –, Gott hingegen in seiner göttlichen Natur Raum und Zeit per se transzendiert. In Christus werden beide Naturen ungetrennt und unvermischt vereint, so dass die menschliche Natur neu geschaffen werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Zweinaturenlehre versucht er nun, Auferstehung und Himmelfahrt zu verstehen. Dabei betrachtet er diese Ereignisse im Hinblick auf ihre göttliche sowie menschliche Seite. Die materialen christologischen Loci sind weniger das Ergebnis seiner Auseinandersetzung mit den Zeugnissen der Schrift als eine Explikation seines christologischen Konstruktionsprinzips. Der Christus der Endzeitparusie dient als Fluchtpunkt, an dem Gott und seine Schöpfung in einem prinzipiell neuen Verhältnis stehen. Dementsprechend verschiebt Torrance das Neue, die Diskontinuität zwischen erster und neuer Schöpfung, in die Endzeitparusie, wenn Jesus Christus als der neue Mensch in seiner auferstandenen Leiblichkeit sichtbar erscheinen und die Schöpfung auch in physischer Sicht erneuern wird. Diese Aussicht kann er jedoch nur postulieren und kaum inhaltlich bestimmen. Voraussetzung einer realistischen Eschatologie war für Torrance, dass die eschatologische Wirklichkeit auf die Gegenwart bezogen sein muss. Da er jedoch Gott und Mensch auf bestimmte metaphysische Naturen festlegt, kann er diese Einheit in Jesus Christus – egal in welcher Gestalt – nicht zusammenbringen. Christus dient ihm als Einheits- bzw. Konstruktionsprinzip, das aber schematisch bleiben muss, weil Gott selbst immer im Gegensatz zu seiner Schöpfung bestimmt wird. In der Endzeitparusie Jesu Christi kommt die Unmittelbarkeit Gottes und die Vermittlung durch den vollkommenen neuen Menschen zwar zusammen, aber nur als postuliertes Konstruktionsprinzip, das paradox und unbestimmt bleiben muss.

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Kapitel 9

Torrance hatte in seinem Vorwort programmatisch einen menschlichen Realismus („human realism“24) gefordert, weil sich die Auferstehung Christi in menschlich-leiblicher Gestalt und damit in unserer Wirklichkeit vollziehe. Die Dichotomie der zwei Naturen führt dazu, dass dieser Realismus nur die menschliche Seite, nicht aber Gott, betrifft. Die menschliche Natur erfährt eine Neuschöpfung, was mit der ontologischen Verbindung zwischen Christus und der Schöpfung begründet wird. Dieser menschliche Realismus betrifft Gott selbst jedoch nur indirekt, da Gott ja gerade über dem, was die menschliche Realität ausmacht, steht. Realistisch kann nur über den Menschen Jesus bzw. die geschöpflichen Medien der Gegenwart Gottes gesprochen werden, nicht aber über Gott. In der Folge kann die Diskontinuität der Neuschöpfung nur schwer kontrolliert werden. Sie läuft auf das minimalistische und unbestimmte Postulat eines Ausgleichs der Defizite der sündigen Menschen hinaus. Allein die Wirklichkeit des österlichen sowie des erhöhten Christus in seiner differenzierten, auch auf die Kirche bezogenen Leiblichkeit könnte helfen, das Neue der neuen Schöpfung in den Blick zu nehmen. Denn hier besteht weder eine Dichotomie zwischen Gott und Mensch noch zwischen der ersten und neuen Schöpfung. Christi Gegenwart kann hier nicht in eine göttliche oder menschliche Seite aufgeteilt werden. Auf diese Weise kann realistisch von der neuen Schöpfung in der Gegenwart gesprochen werden. Im Lichte der Gegenwart Jesu in dieser Welt gewinnen dann auch weitere Momente von Diskontinuität, die erst mit der Endzeitparusie offenbar werden, an inhaltlicher Bestimmtheit. Doch leider entfaltet Torrance die Potentiale, die er im ökumenischen Kontext der 1950er anhand der eucharistischen Gegenwart Christi angedeutet hatte, im schöpfungstheologischen Kontext nicht.

24 Vgl. Torrance: Resurrection, 26.

Schlussbetrachtung 1. Zusammenfassung: Eschatologie als Frage nach der Wirklichkeit Jesu Christi Eschatologische Sachverhalte werden bei Thomas F. Torrance in drei Werkphasen zum Thema: in seiner frühen Christologie, seinen ekklesiologischen Arbeiten im ökumenischen Kontext sowie seiner Beschäftigung mit schöpfungstheologischen Fragen. Sie sind stets mit der grundsätzlichen Verhältnisbestimmung von Gott und der geschöpflichen Wirklichkeit verbunden: In seiner frühen Christologie versucht Torrance, Gottheit und Menschheit Jesu Christi miteinander zu vermitteln. Im ökumenischen Kontext geht es um das Verhältnis von Christus und seiner Kirche, im Gespräch mit den Naturwissenschaften um die Frage, wie Gott auf die raumzeitliche Schöpfung bezogen ist. Zunächst hat die Analyse dieser drei Werkphasen eines gezeigt: Torrance’ Theologie hat ein klares christozentrisches Profil. Sie kreist um die Frage, wie die spezifische Realität Jesu Christi erfasst werden kann. Der erste Teil dieser Arbeit hat sich der frühen Christologie-Vorlesung gewidmet, die Torrance im akademischen Jahr 1938/39 in Auburn (Upstate New York, USA) hielt. In dieser von uns als „Auburn-Christologie“ bezeichneten Vorlesung, die erst im Jahr 2002 veröffentlicht wurde, formuliert Torrance seine Leitfrage wie folgt: How can man have a part in God and in the realm of Glory, how can time come to share in eternity? That is the question of man (…). It is answered only by the act of God in the incarnation, an act which is identical with God himself.1

Torrance fragt hier nach der Möglichkeit der Menschen, an der Wirklichkeit Gottes Anteil gewinnen. Seine Antwort verweist sogleich auf Jesus Christus bzw. auf die biblische und dogmatische Rede von seiner Inkarnation. In Person und Werk Jesu Christi wird nach Torrance das Verhältnis zwischen Gott und den Menschen auf endgültige Weise vermittelt. Seine Auburn-Christologie ist dabei stark von der Überzeugung geprägt, dass dieses Verhältnis ein problematisches ist, weil sich Gott und die sündigen Menschen als Antagonisten gegenüberstehen. Die Menschen versuchen, sich gegen Gott zu behaupten. Im Mittelpunkt der Auburn-Christologie steht der Versuch, nachzuvollziehen, wie diese Problematik in Jesus Christus geklärt wird, so dass 1

Torrance: JC, 144.

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Schlussbetrachtung

die Menschen in ein neues Gottesverhältnis kommen. Nach Torrance geht Jesus Christus diesen Weg auf paradigmatische und für die Menschen heilvolle Weise: Indem er sich nicht gegen Gott zu behaupten versucht und auf eine eigene menschliche Selbstverwirklichung verzichtet, realisiert er die „neue Menschheit“, die in einem geklärten und versöhnten Verhältnis zu Gott steht. Seine soteriologische Theorie begründet Torrance, indem er auf die spezifische Realität der Person Jesu Christi verweist. Diese sieht er mit Emil Brunner in einem göttlichen „Persongeheimnis“2 begründet, das einerseits von bleibender, „ewiger“ Gültigkeit, andererseits durch eine fundamentale Hingabe gegenüber Gott geprägt sei. Sein spezifisches „Persongeheimnis“ ermögliche Jesus Christus, die menschliche Situation – das menschliche „Fleisch“ – qualitativ zu verändern und somit die „neue Menschheit“ zu verwirklichen.3 In Auburn entwickelte Torrance eine theologische Perspektive, die christologische, soteriologische und eschatologische Aspekte miteinander verbindet. Dafür steht das Leitmotiv der Auburn-Christologie, die „neue Menschheit“ Jesu Christi. Wie das zweite Kapitel gezeigt hat, steht dieses Motiv in einem christologischen Traditionszusammenhang, der sich bis weit hinein in das 19. Jahrhundert erstreckt und maßgeblich von schottischen Theologen geprägt wurde. Meist wird Torrance lediglich mit der Theologie Karl Barths sowie der altkirchlichen Theologie, insbesondere derjenigen des Athanasius, in Verbindung gebracht. Die Analyse der Auburn-Christologie ermöglicht es, hier ein differenziertes Bild zu zeichnen: einerseits im Hinblick auf seine theologischen, insbesondere christologischen Grundentscheidungen; andererseits im Hinblick auf deren theologiegeschichtliche Quellen und Bezugspunkte. Torrance Frage nach der Realität des Menschen für Gott, d.h. letztlich nach der menschlichen Realität, entpuppt sich bei aller klassisch-christlichen Rhetorik als eine genuin moderne Frage. Torrance ist an einem spezifisch menschlichen Moment der Person Jesu Christi interessiert, an welches Menschen anknüpfen können, um als Menschen tiefgreifend verändert zu werden und in ein neues, bleibend gültiges, ein „ewiges“ Verhältnis zu Gott zu kommen. Zentral für seine Konzeption ist die Unterscheidung zwischen einer menschlichen und einer göttlichen Seite Jesu Christi, die auf den Schotten John McLeod Campbell zurückgeht (s.o. Kap. 2.2). Sie zielt darauf ab, eine qualitative Veränderung des Menschen aussagen zu können. Diese Linie setzt sich in der Theologie Peter Taylor Forsyths fort, der nun auch explizit von der „neuen Menschheit“ Jesu Christi spricht (s.o. Kap. 2.3). Bei Forsyth – und bei Torrance’ direktem Lehrer Hugh Ross Mackintosh (s.o. Kap. 2.4) – zeigt sich, dass es sich hier nicht um einen schottischen Sonderweg handelt. Beide hat2 3

Torrance: JC, 122. Vgl. Torrance: JC, 123.

Schlussbetrachtung

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ten an deutschen Universitäten studiert, bei Albrecht Ritschl, Martin Kähler und Wilhelm Herrmann. In jedem Fall steht Torrance in einem nicht erst mit Karl Barth beginnenden Diskurs, der um das Problem der menschlichen Subjektivität vor Gott kreist und an der Frage interessiert ist: Wie kann der Mensch als Mensch mit Gott versöhnt werden?4 Es waren Emil Brunner und der Anglikaner F. W. Camfield, die diese Perspektive aufnahmen, obwohl sie sich im Sinne der dialektischen Theologie von der Theologie des 19. Jahrhundert abzugrenzen versuchten (s.o. Kap. 2.5). Anders als Forsyth und der frühe Mackintosh akzentuierten sie den Antagonismus zwischen Gott und Mensch. Trotzdem blieben sie der skizzierten christologischen Tradition verhaftet. Beide betonen die Unterscheidung zwischen Gott und Mensch, die bei Forsyth und Mackintosh ihre Schärfe verloren hatte. Indem Brunner und Camfield diese Unterscheidung als antagonistische Beziehung selbständiger Subjekte interpretieren, bleiben sie dem Interesse an einer spezifisch menschlichen Seite des Versöhnungsgeschehens jedoch verpflichtet. Das gilt auch für Torrance, der in Auburn unmittelbar an die christologischen Arbeiten Emil Brunners und F. W. Camfields anknüpfte – und nicht nur aus diesen Arbeiten, sondern auch aus den Werken der erwähnten schottischen Theologen ausführlich zitierte. Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung war die Frage, inwiefern Torrance’ Theologie dazu beitragen kann, die biblische und dogmatische Rede von der „neuen Schöpfung“ klarer nachzuvollziehen. In der Auburn-Christologie stehen christologische und soteriologische Überlegungen im Mittelpunkt. Sie haben immer eine eschatologische Dimension, wie das Motiv der „neuen Menschheit“ Jesu Christi zeigt. Dieses Motiv dient jedoch nicht einer inhaltlichen Lehre von der neuen Schöpfung. Es zielt auf die Möglichkeit der Menschen ab, in ihrem endlichen Leben in dieser Welt in ein neues Verhältnis zu Gott zu gelangen, indem sie die von Jesus Christus realisierte „neue Menschheit“ nachvollziehen. Auch die klassischen Themen der Eschatologie wie die Frage nach der Auferstehung, Himmelfahrt und Endzeitparusie Jesu Christi, nach dem Jüngsten Gericht sowie nach Himmel und Hölle behandelt Torrance im Rahmen seiner Auburn-Christologie (s.o. Kap. 1.2.2). Er tut dies im Licht seines systematischen Grundgedankens, der „neuen Menschheit“ Jesu Christi. Nach Torrance ist es die Wirklichkeit des auferstandenen Christus, in der das problematische Verhältnis zwischen Gott und Mensch endgültig geklärt und die neue Menschheit realisiert worden ist. Deshalb offenbare sich Gott im Auferstandenen auf unmittelbare Weise. Der Auferstandene ist also der Ort, an dem Torrance die neue Schöpfung lokalisiert – als Verewigung des durch die Selbsthingabe Jesu Christi geklärten Gottesverhältnisses, das als ein unmit4

S.o. Kap. 2.6 sowie die Beispiele bei Wenz: Versöhnungslehre, Bd. 1, 164, 180ff.

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Schlussbetrachtung

telbares Verhältnis zu der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes zu verstehen ist. Dieses neue Gottesverhältnis, d.h. die Wirklichkeit des auferstandenen Christus, wird nach Torrance mit der Himmelfahrt noch einmal verhüllt, um den Menschen zu ermöglichen, die Hingabe Jesu aus freien Stücken nachzuvollziehen. Der wiederkommende Christus werde seine neue Menschheit in ihrem unmittelbaren Gottesverhältnis erneut enthüllen – und die Menschen mit der Frage konfrontieren, wie sie sich zu Gott verhalten haben. Torrance versteht die neue Schöpfung als in Christus realisiertes neues menschliches Gottesverhältnis – und er identifiziert sie mit dem erhöhten Christus. Auch die Schrift spricht von Jesus Christus als dem „Erstgeborenen der ganzen Schöpfung“ und „Erstgeborenen der Toten“ (Kol 1,15b.18), in dem die neue Schöpfung eine erste Gestalt gefunden hat. Es fällt jedoch auf, dass Torrance’ Konzeption in inhaltlicher Hinsicht weit hinter den reichhaltigen biblischen Verheißungen zurückbleibt. Letztlich ist der Akt der menschlichen Selbstverneinung gegenüber Gott ihr einziger Inhalt. Die Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes, von der Torrance spricht, ist der göttliche Widerpart dieses Aktes. Darüber hinaus bleibt auch sie inhaltlich unbestimmt. Die Konzentration auf diesen fundamentalen menschlichen Akt Jesu Christi führt dazu, dass alle übrigen Verbindungslinien und Kontinuitäten zwischen dem vorösterlichen und österlichen Jesus verblassen. Die unmittelbare Gottesoffenbarung, die Torrance im auferstandenen Christus identifiziert, steht sogar in klarem Gegensatz zu dem Leben Jesu, in dem Gott sich gerade nicht unvermittelt offenbarte. Das muss auch so sein, denn Torrance hatte ja gerade die Niedrigkeit des Menschen Jesus und seinen Verzicht auf Erfolg und Ehre hervorgehoben. Er ordnet diesen freien Selbstverzicht aber einseitig der menschlichen Seite Jesu Christi zu. Gott selbst, der sich unmittelbar im österlichen Christus offenbart, zeichnet sich gerade nicht durch seine Selbsthingabe, sondern durch die Bejahung der ihm eigenen Heiligkeit aus. Die Kontinuität zwischen dem voröstlichen und österlichen Christus bzw. zwischen der ersten und der neuen Schöpfung besteht in seinem menschlichen Akt der Selbsthingabe. Er ist der einzige Punkt in unserer Wirklichkeit, der sie mit der neuen Wirklichkeit der neuen Schöpfung vermittelt, weil er von ewiger, letzter – und damit im wörtlichen Sinne „eschatischer“ – Gültigkeit ist. An diesem Punkt verortet Torrance die neue Schöpfung. Doch wenn der Akt der menschlichen Selbstverneinung die einzige Brücke in die neue Welt Gottes ist – dann ist darüber hinaus nichts über die neue Schöpfung zu sagen. Torrance zeichnet letztlich das Bild einer fundamentalen Diskontinuität zwischen dem voröstlichen und österlichen Christus, zwischen der verborgenen und der enthüllten Gottesoffenbarung bzw. zwischen der uns bekannten und der neuen Schöpfung. Die existentielle Selbstbestimmung Jesu ist erstens ein negativer Akt, der sich gegen etwas wendet

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– gegen die sich wider Gott erhebende Geschöpflichkeit –, aber keinen weiteren positiven Inhalt hat. Zweitens folgt die Diskontinuität aus dem Gegensatz, den Torrance zwischen dem sich selbst erniedrigenden Jesus und der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes aufbaut. Letztere hat keinen positiven Bezug zur Selbsthingabe Jesu Christi; sie erscheint im Leben Jesu und damit in unserer Welt als negative Kontrastfolie zu dieser Selbsthingabe. Es bedarf aber der Erkenntnis und Erfahrung Gottes und seiner Neuschöpfung in dieser Welt, wenn diese nicht nur als Kontrast zu unserer Wirklichkeit, sondern als schöpferisches Handeln Gottes an unserer Welt erkannt werden soll. Das Neue der Neuschöpfung, die Diskontinuität, muss schon hier erfahrbar sein, um in einem realistischen Sinn unsere Wirklichkeit zu betreffen – nur von hier aus könnte dann auch ein „neuer Himmel“ und eine „neue Erde“ in den Blick kommen, der über Erfahrungen in dieser Welt noch einmal hinausgeht. Zusammenfassend ist zu sagen, dass Torrance’ christologische Konzeption von der Gegenüberstellung einer göttlichen und einer menschlichen Seite Jesu Christi lebt. Seine Eschatologie folgt dieser Konzeption – und übernimmt damit auch ihre Probleme. Diese sind eng mit Torrance’ Gottesverständnis verbunden. Das dritte Kapitel widmete sich deshalb den Grundentscheidungen seiner Gotteslehre. Hier kam nun auch Karl Barth ins Spiel, bei dem Torrance im Jahr 1937/38 studiert hatte. Auch wenn Barths Offenbarungs- und Gotteslehre in einem Teil der Auburn-Vorlesung eine Rolle spielen (s.o. Kap. 3.1 u. 3.2), sind doch markante Unterschiede zwischen Barth und Torrance zu erkennen. Das hat die Analyse ihrer Christologie und Erwählungslehre gezeigt, der beide in den frühen 1940er Jahren einige Energie widmeten. In seiner Erwählungslehre, die in der Kirchlichen Dogmatik II/2 ihre vollendete Gestalt fand, bricht Barth den Gegensatz von Gott und Mensch auf, ohne ihre Unterscheidung einzuebnen. Das Leben des Menschen Jesus – sowie seinen Gehorsam gegenüber Gott – verortet Barth im inneren Wesen Gottes. Von Gott aus wird der Gegensatz zwischen Mensch und Gott überwunden, weil Gottes eigenes ewiges Leben kein monolithischer Akt der Selbstbejahung der ihm eigenen Heiligkeit ist, sondern eine Interaktion zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist, der die Sendung Jesu in die Welt und zum Heil der Welt entspricht. Die Frage, ob ein einzelner Mensch erwählt oder verworfen sei, ist für Barth falsch gestellt – weil sie den einzelnen Menschen künstlich von dem Handeln des lebendigen Gottes isoliert. Weil Gott selbst frei für den Menschen ist, steht er den Menschen nicht als abstrakter Gegensatz gegenüber. Anders als bei Barth hat die Erwählungslehre für Torrance keine Auswirkungen auf sein Gottesverständnis. An Torrance’ Aufsatz Predestination in Christ (1941) zeigt sich vielmehr, dass Torrance in erster Linie an der Realität des einzelnen Menschen und dessen Möglichkeit einer existentiellen Entscheidung – über das eigene Gottesverhältnis – interessiert ist (s.o. Kap. 3.3).

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Schlussbetrachtung

Es geht Torrance um die Wirklichkeit des Menschen vor Gott und um das, was ihn im Versöhnungsgeschehen auf endgültige Weise transformiert und zu einem dauerhaft neuen Menschen macht. Er bewegt sich also auch hier in den Bahnen der Auburn-Christologie. Dabei will er die Realität des Einzelnen und seiner Entscheidung nicht unabhängig von Gottes Offenbarung in Jesus Christus bestimmen. In Jesus Christus qualifiziert Gott die menschliche Situation auf neue Weise. Er qualifiziert sie als eine Entscheidungssituation. In der Begegnung mit Jesus Christus kann (bzw. muss) sich jeder Einzelne dafür oder dagegen entscheiden, den Weg Jesu Christi – seine Selbsthingabe – nachzuvollziehen, um so die eigene „neue Menschheit“ zu realisieren oder sie zu verfehlen. Er identifiziert die Realität Gottes an der für sein Wirklichkeitsverständnis entscheidenden Stelle: der Selbstbestimmung des einzelnen Menschen. Die Realität Gottes bleibt jedoch lediglich ein Ermöglichungsgrund (aufgrund der Sendung Jesu Christi) sowie eine negative Kontrastfolie gegenüber der menschlichen Entscheidung. Wird die Entscheidung des Einzelnen jedoch als der „eschatische“, letztgültige Punkt identifiziert, an dem die Realität Gottes auf den einzelnen Menschen trifft, dann bleibt darüber hinaus wenig über die neue Schöpfung und über den schöpferischen Gott zu sagen. In den späten 1940er Jahren beginnt für Torrance eine neue Phase, die im zweiten Teil rekonstruiert worden ist. Im Kontext der Ökumenischen Bewegung wendet er sich nun ekklesiologischen Fragen zu. Torrance ist begeistert von der Dynamik, die in der Ökumenischen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg neu aufkommt. Er will diese Entwicklung theologisch verstehen und begleiten, indem er nach der Realität Jesu Christi und seines Reiches in dieser Welt fragt. Hier kommt er mit einer an der existentiellen Entscheidung des Einzelnen orientierten Christologie nicht weiter. Stellenweise lesen sich seine Text in den späten 1940er und beginnenden 1950er Jahren deshalb wie eine Selbstkritik, die Torrance freilich nicht direkt auf seine eigene Theologie beziehen will, sondern auf die Vertreter der dialektischen Theologie. Das Gutachten zu aktuellen Entwicklungen der Eschatologie, das Torrance auf eigene Initiative hin für den britischen Zweig von Faith and Order verfasste, diente ihm wohl auch zur eigenen Neuorientierung (s.o. Kap. 4.1). Torrance wendet sich hier gegen eine einseitig kritische, „zeitlose“ Eschatologie, die mit der Geschichte bzw. mit der uns bekannten Welt nicht positiv zu vermitteln sei. Explizit kritisiert er den frühen Barth. Als paradigmatisches Negativbeispiel gilt ihm aber von nun an die Theologie Rudolf Bultmanns. Torrance versucht nun, eine auf unsere gegenwärtige Wirklichkeit bezogene eschatologische Perspektive zu gewinnen (s.o. Kap. 4.1 u. 4.2). Er will die Gegenwart Jesu Christi und seiner neuen Schöpfung in der irdischen Kirche und in dieser Welt, d.h. unter zeitlichen und geschichtlichen Bedingungen, neu zur Geltung bringen, ohne die kritische Differenz zwischen der neuen

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Schöpfung und dieser Welt zu überspielen. Die abstrakte Gegenüberstellung von Gott und Mensch, die seine frühe Christologie geprägt hatte, tritt nun in den Hintergrund, auch wenn sich Torrance nicht ganz von ihr freimachen kann, sobald er christologische und soteriologische Fragen im engeren Sinne behandelt (s.o. Kap. 5). In seinen abendmahlstheologischen Überlegungen gelingt es Torrance jedoch, seine Perspektive deutlich zu weiten. Zunächst beschreibt er die Feier des Abendmahls unter Bezug auf die neutestamentlichen Auferstehungszeugnisse als „Auferstehungsereignis“, in welcher sich der erhöhte Christus und die in ihm vollendete und verheißene neue Schöpfung in dieser Welt vergegenwärtigt (s.o. Kap. 6). Diese Perspektive ermöglicht es ihm, neue Formen der Gegenwart Christi, die nicht weniger real als sein historisches Leben sind, in den Blick zu nehmen. Durch die Abendmahlstradition und die Erinnerung der feiernden Gemeinde vergegenwärtigt sich der lebendige Christus mit seinem Namen und seiner konkreten Geschichte, ohne dass seine leibliche Gegenwart identisch mit seiner historischen Inkarnation ist. Im Friedensgruß und der Zusage der Vergebung gibt sich der Auferstandene in der Liturgie seiner Gemeinde selbst zu erkennen – ähnlich wie in den Ostererscheinungen des Johannesevangeliums, aber nun in einer Gestalt, die seine Gemeinde mit einschließt. Im kritischen Dialog mit den Reformatoren entwickelt Torrance diese eschatologische Perspektive auf das Abendmahl weiter (s.o. Kap. 7). Martin Luther dient ihm als Negativfolie einer Theologie, welche die Wirklichkeit der neuen Schöpfung mit dieser Welt nur an einem paradoxen Punkt, den physischen Elementen im Abendmahl, vermitteln könne. Das wird Luthers Abendmahlstheologie nur schwerlich gerecht – und ist eher als kritische Abgrenzung von der dialektischen Theologie zu lesen. An die Stelle des dialektisch gelesenen Luthers könnte Torrance freilich auch den Grundgedanken seiner eigenen frühen Christologie setzen. Positiv orientiert sich Torrance an der Theologie Calvins, die aus seiner Sicht die Wirklichkeit des auferstandenen Christus und seines Reiches in dieser Welt besser zur Geltung bringen kann. Im Abendmahl gewinnen die Gläubigen nach Calvin Anteil an der neuen Wirklichkeit Jesu Christi, die nicht mit den irdischen Elementen vermischt, aber auch nicht von ihnen getrennt werden könne. Der in den Himmel erhöhte Christus vergegenwärtige sich in der Mitte der feiernden Gemeinde. Die räumliche Trennung von den Gläubigen überschreite er in der Kraft des Heiligen Geistes auf reale, jedoch unter den Bedingungen dieser Welt verborgene Weise. In diesem Sinne kann Torrance das welthaltige, vielfältige Geschehen der Abendmahlsfeier als Ereignis der Neuschöpfung deuten. Allerdings fällt es Torrance schwer, diese Neuschöpfung inhaltlich näher zu bestimmen. Er begreift sie mit Calvin als unio cum Christo, als Empfang

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Schlussbetrachtung

seines „lebendigmachenden Fleisches“ (caro vivifica). Jesus Christus kommt den Menschen im Abendmahl nahe. Diese Begegnung ist heilvoll, weil die Wirklichkeit Jesu Christi neues, versöhntes Leben für die Menschen bedeutet. Das soll die Rede von seinem „lebendigmachenden Fleisch“ zum Ausdruck bringen. Diese neue Wirklichkeit Jesu Christi ist nicht einfach da, wie es die Rede von seiner Himmelfahrt ja auch zum Ausdruck bringen will. Im Abendmahl überbrückt Christus deshalb seine Distanz zu den Gläubigen. Diese Distanz nimmt bei Calvin stark räumliche Züge an. Torrance geht weniger von einer räumlichen als von einer zeitlichen Trennung von Christus aus, er denkt hier also im Rahmen einer futurischen Eschatologie, nach der die endgültige Neuschöpfung noch aussteht. Die neue Schöpfung ist dann in dieser Welt gegenwärtig – aber noch nicht auf sichtbare, sondern auf verborgene Weise. Hier liegt die Stärke und Schwäche von Torrance’ Abendmahlstheologie. Einerseits zeichnet er das Bild einer Neuschöpfung, die sich in der Feier des Abendmahls und damit in und an dieser Welt ereignet. Ihr eigentlicher Ort ist jedoch der himmlische Christus, der unter den Bedingungen dieser Welt nur auf verborgene Weise erscheinen kann – und damit nicht im eigentlichen Vollsinn seiner Realität, was für Torrance bedeuten würde: als leiblich auferstandener, sichtbarer, individueller Mensch, dessen Neuschöpfung darin besteht, nun in einem für alle sichtbaren unmittelbaren Gottesverhältnis zu stehen. Sein Anliegen, realistisch von Jesus Christus zu denken, lässt ihn eine starke Kontinuität zwischen dem historischen, dem erhöhten und dem kommenden Christus annehmen. Das entscheidende Diskontinuitätsmoment besteht in dem nun für alle sichtbaren Gottesverhältnis des Menschen Jesus. Für die gesamte Schöpfung bedeutet das: Wer diese neue Wirklichkeit Jesu Christi sieht, der sieht Gott – und steht damit selbst in einem neuen Gottesverhältnis. Torrance’ in Auburn entwickeltes christologisches Leitmotiv der neuen Menschheit Jesu Christi klingt hier an. Eine so verstandene Neuschöpfung ist jedoch mit der gegenwärtigen Wirklichkeit nur schwer zu vermitteln. Torrance versteht den auferstandenen Christus zwar ganz realistisch als Mensch – aber als solcher ist Jesus Christus offensichtlich „nicht da“. Die Kontinuität zwischen dem historischen Jesus und seiner Neuschöpfung als auferstandener Mensch erscheint als zu direkt, um sie mit der uns bekannten Wirklichkeit zu vermitteln. Die eigentliche Diskontinuität besteht in seinem neuen, unmittelbaren Gottesverhältnis. Was das bedeutet, muss jedoch inhaltlich unbestimmt bleiben, weil es ja unter den Bedingungen dieser Welt per se unanschaulich und deshalb der eschatologischen Zukunft vorbehalten ist. Das, was an der neuen Schöpfung für Torrance „neu“ ist – das unmittelbare, sichtbare Gottesverhältnis – ist also mit der Gegenwart gerade nicht zu vermitteln.

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Damit unterläuft Torrance seinen eigenen Anspruch, anhand der Feier des Abendmahls realistisch von der neuen Schöpfung in dieser Welt zu sprechen. Wenn Christus den Menschen im Abendmahl nahekommt, wird die Distanz zu seiner eschatologischen Wirklichkeit zwar überbrückt. Diese Überbrückung kann Torrance aber nur als unanschauliche, mit den Bedingungen dieser Welt nicht zu vermittelnde und von ihm als „verborgen“ bezeichnete Gegenwart Christi zur Sprache bringen. Er verweist hier auf den Heiligen Geist, in dem sich der erhöhte Christus auf göttliche Weise vergegenwärtige. Auch diese göttliche Präsenzweise bezeichnet Torrance als „unmittelbar“ – dabei sind es doch gerade die vielfältigen Medien des Abendmahles, in denen Gott den Menschen auf mittelbare und welthaltige Weise nahekommt. In ihrem Vollsinn muss die neue Schöpfung deshalb jenseits dieser Welt verortet werden. Wenn Jesus Christus sich unmittelbar und auf sichtbare Weise offenbaren wird – dafür steht nach Torrance das Ereignis seiner Endzeitparusie –, werden die Medien seiner verborgenen Gegenwart aufgehoben. Torrance’ Versuch, das Abendmahl als Ereignis der Neuschöpfung zu verstehen, bleibt deshalb ambivalent. Es fällt ihm schwer, die vielfältigen und inhaltsreichen Bezüge der Abendmahlsfeier konsequent mit dem erhöhten Christus zu vermitteln. Auch im schöpfungstheologischen Kontext (dritter Teil), der für Torrance zunächst ganz im Zeichen der Frage nach dem Verhältnis Gottes zu Raum und Zeit steht, orientiert er sich an der Frage nach der Wirklichkeit Jesu Christi. Insbesondere konzentriert sich Torrance auf die biblische und dogmatische Rede von der Himmelfahrt Jesu Christi (s.o. Kap. 8 u. Kap. 9). Im Anschluss an ein reformiertes Lehrstück, das sogenannte Extra-Calvinisticum, will er zwei Anliegen zum Ausdruck zu bringen: Einerseits sei die Himmelfahrt Christi nicht in den Kategorien unseres Raumverständnisses auszusagen. Andererseits stehe auch der erhöhte Christus in einem bleibenden Bezug zu unserer Wirklichkeit. Diese Leitlinien sind durchaus berechtigt. Im Grunde warnt Torrance mit ihnen auch vor dem naturalistischen Missverständnis, den erhöhten Christus an einem Ort in unserem Kosmos zu lokalisieren. Diesem Missverständnis war er selbst dort nahegekommen, wo er eine einlinige Kontinuität zwischen dem historischen, dem erhöhten und dem kommenden Christus angenommen hatte. In der Frage, wie Gottes neuschöpferisches Handeln in unserer Wirklichkeit besser verstanden werden kann, führen Torrance’ zwei Anliegen jedoch kaum weiter. Die reformierte Deutung der Himmelfahrt Christi als Ortswechsel legt Torrance im Sinne seiner Rekonstruktion des altkirchlichen Raumverständnisses aus, das je nach Referenzpunkt – der göttlichen oder

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Schlussbetrachtung

menschlichen Natur – unterschiedlich verstanden werden müsse.5 Was das genau heißt, führt er bezeichnenderweise nicht aus. Im Grunde wiederholt Torrance die Aussagen der Zweinaturenlehre und wendet sie auf das Problem des Raumes an. Seine zwei Anliegen bleiben sehr allgemein: Der Raum steht unter göttlichen Vorzeichen für seine eigene Begrenztheit bzw. für die Transzendenz Gottes über den Raum, unter menschlichen Vorzeichen hingegen für die inkarnatorische Nähe Jesu Christi, d.h. seinen bleibenden Raumbezug. An beiden Anliegen ist festzuhalten. Sie müssten aber konkretisiert und inhaltlich entfaltet werden. Freilich ist das im Zusammenhang einer relativ abstrakten Frage – nach „Raum und Zeit“, die ja selbst künstlich isolierte physikalische Größen sind – sehr schwierig. Diese verengte Perspektive erlaubt es kaum, die Wirklichkeit des erhöhten Christus bzw. der neuen Schöpfung jenseits der abstrakten Gegenüberstellung einer raumzeitlichen Schöpfung und eines transzendenten Gottes in den Blick zu nehmen.

2. Das Verhältnis zwischen Gott und seiner Schöpfung als zentrales Problem einer realistischen Eschatologie 1. Als schottischer Presbyterianer steht Torrance in der Tradition der reformierten Christologie. Diese unterscheidet scharf zwischen Gott und jeglicher geschöpflichen Wirklichkeit. In der Frage, ob und auf welche Weise realistisch von Gottes neuer Schöpfung gesprochen werden kann, ist das ein wichtiger Grundsatz, an dem es festzuhalten gilt. Nur wenn Gott von seiner Schöpfung kategorial unterschieden ist, verliert diese ihren absoluten Status. Die geschöpfliche Wirklichkeit muss dann nicht für immer auf sich selbst festgelegt sein. Sie ist relativ zu Gott und damit offen für sein kreatives Handeln. 2. Die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Gott und seiner Schöpfung allein führt jedoch noch nicht weiter. Die entscheidende Frage für eine Eschatologie mit realistischem Anspruch lautet: Wo wird die neue Schöpfung und damit Gottes schöpferisches Handeln an seiner Schöpfung erfahren und erkannt? Nur wenn klar ist, wer dieser Gott ist und wofür er sich einsetzt, gewinnt die Rede von der Neuschöpfung inhaltliche Konturen. Ein realistisches Verständnis der Neuschöpfung lebt von der Erfahrung der neuschöpferischen Gegenwart Gottes in dieser Welt. Wenn Gott und sein schöpferisches Handeln schon hier erkennbar und erfahrbar ist, sind ihm Möglichkeiten zuzutrauen, die unsere gegenwärtigen Erfahrungen und Vorstellungen überstei5

Vgl. Torrance: Space, 31.

Schlussbetrachtung

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gen, dabei aber nicht in eine Parallelwelt führen, sondern gerade unserer Welt gelten. 3. Es ist deutlich geworden, dass Torrance den Anspruch hat, realistisch von der neuen Schöpfung zu sprechen. So wie Gottes schöpferisches und versöhnendes Handeln unserer Realität gilt, vollzieht sich seine Neuschöpfung auch in und an unserer Wirklichkeit. Die Frage, wo die neue Schöpfung bzw. Gottes schöpferisches Handeln erfahren und erkannt wird, versucht Torrance zu beantworten, indem er die Wirklichkeit Jesu Christi in den Blick nimmt. In seiner frühen Auburn-Christologie findet er einen präzisen Punkt, an dem sich die Neuschöpfung des Menschen ereignet: in der Selbsthingabe Jesu und seinem Verzicht darauf, gegen Gott groß und mächtig sein zu wollen. Die „neue Menschheit“, die durch Jesus Christus verwirklicht wird, steht für das versöhnte Gottesverhältnis der neuen Schöpfung. Dieses wird vorläufig in seiner Auferstehung und endgültig im Eschaton offenbar, doch es wird als menschlicher Selbstverzicht gerade in dieser Welt realisiert. In seiner Abendmahlstheologie wahrt Torrance seine christologische Perspektive, auch wenn sie weniger stark von dem Gedanken der existentiellen Selbstbestimmung des Menschen Jesus dominiert wird. Nun steht die Wirklichkeit des leiblich auferstandenen und in den Himmel erhöhten Jesus Christus im Mittelpunkt. Hier verortet Torrance die neue Schöpfung. Torrance’ Kritik an dem von ihm als dialektischer Theologe gelesenen Martin Luther bzw. an dessen scheinbar auf die Elemente fixierte Abendmahlstheologie fällt nun jedoch auf ihn selbst zurück. Auch Torrance verortet die neue Schöpfung präzise an einem Punkt – und zwar einem dezidiert „geschöpflichen“ Punkt, wie die vorangehende Untersuchung gezeigt hat: Teil I. In Auburn stellt die existentielle Selbstbestimmung des Menschen zum Gehorsam gegenüber Gott diesen Punkt dar. Sie hat einen negativen und inhaltlich unbestimmten Charakter. Denn sie wird als Selbstverneinung und damit als menschliches Korrelat zur Heiligkeit und Herrlichkeit Gott verstanden. Zudem wird im eigentlichen Sinn nur sie, nicht aber Gott, in dieser Welt erfahren und erkannt. Weil Gott hier gar nicht selbst in die neue Schöpfung involviert ist, bleibt diese bei sich selbst. Sie bezeugt gerade nicht, dass Gottes Handeln über ihre Fixierungen und Festlegungen hinausweist. Teil II. In seiner Abendmahlstheologie stellt der in den Himmel erhöhte Jesus Christus den Punkt dar, an dem die neue Schöpfung Realität geworden ist. Den erhöhten Jesus Christus versteht er auf maximal realistische Weise – als individuellen Menschen, der die endgültige Neuschöpfung des Menschen auch in seiner Leiblichkeit darstellt und in einem neuen, unmittelbaren Gottesverhältnis steht. Aber auch diese Wirklichkeit bleibt unanschaulich, weil sie gerade dadurch definiert ist, dass sie in unserer Welt nicht im Vollsinn gegenwärtig sein kann.

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Schlussbetrachtung

Torrance’ Versuch, das Abendmahl als „Auferstehungsereignis“ zu interpretieren, hat zwar großes Potential. Seine eigenen Vorentscheidungen erlauben es jedoch nicht, dieses Potential zu entfalten. Denn die Vergegenwärtigung Jesu Christi im Abendmahl kann er nur im Sinne seiner unvermittelten Präsenz im Heiligen Geist verstehen. Sie steht in keinem klaren Zusammenhang zu seiner neuen, auch leiblichen Wirklichkeit. Ihr Verhältnis zu den vielfältigen geschöpflichen Bezügen, die Gottes Gegenwart im Abendmahl kennzeichnen, bleibt deshalb unklar. Teil III. Die unmittelbare Gegenwart Jesu Christi im Abendmahl repräsentiert seine göttliche Seite, nach der er jegliche räumlichen und zeitlichen Bezüge transzendiert. Diese ontologische Perspektive leitet Torrance im schöpfungstheologischen Kontext. Dabei will er die Inkarnation und Auferstehung Jesu Christi eigentlich in einen positiven Zusammenhang zu der raumzeitlichen Struktur unserer Wirklichkeit bringen. Er spricht programmatisch von einem „menschlichen Realismus“ („human realism“6), der auf der Menschwerdung Jesu Christi und seiner leiblichen Auferstehung fußt. Die neue Schöpfung, die Gott in Christus herbeiführt, hat aus seiner Sicht eine raumzeitliche Gestalt, sie steht also in Kontinuität zu der uns bekannten Welt. Der auferstandene und erhöhte Jesus Christus steht einerseits für die göttliche Transzendenz über Raum und Zeit, andererseits für den für seine menschliche Natur konstitutiven Bezug auf Raum und Zeit. Beide Dimensionen stehen einander jedoch unvermittelt gegenüber. Der Ort ihrer Vermittlung – der erhöhte Christus – ist dieser Welt gerade entzogen. Ob er als realistische Größe verstanden werden kann, steht und fällt mit der Frage, inwiefern er in dieser Welt gegenwärtig ist. Für Torrance kann er in seiner vollgültigen Realität gerade nicht gegenwärtig sein, sondern nur seiner unvermittelten, göttlichen Seite nach. In seiner raumzeitlich verfassten, kreatürlichen Dimension ist er dieser Welt entzogen. Damit wird die Frage eines realistischen Zusammenhangs zwischen Gott und seiner Schöpfung gerade nicht beantwortet, sondern ins Jenseits verschoben. Man kann diesen Ansatz auf folgende Formel bringen: Torrance denkt zu realistisch von dem neu geschaffenen Menschen Jesus – und zu unrealistisch von Gott. Er bezieht die Kontinuität zwischen der ersten und der neuen Schöpfung zu einseitig auf die menschliche Natur Jesu Christi. Bezeichnenderweise spricht er deshalb auch nur von einem „menschlichen“ Realismus. Zwischen dem inkarnierten Jesus und demjenigen, der in seiner finalen, „endzeitlichen“ Parusie erscheint, differenziert er hinsichtlich seiner Menschheit gar nicht, sondern verweist auf „denselben Jesus“.7 Die neue Schöpfung wird als Wiederherstellung und damit von dem Altbekannten 6 7

Torrance: Resurrection, 26. Vgl. Torrance: Resurrection, 145.

Schlussbetrachtung

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her verstanden. Gott hingegen wird a priori darauf festgelegt, prinzipiell jenseits von Raum und Zeit zu stehen. Als Gott kann er nur auf unmittelbare Weise erkannt werden. Die durch ihr unmittelbares Gottesverhältnis definierte neue Menschheit Jesu Christi ist der notwendige Vermittlungspunkt einer Eschatologie mit realistischem Anspruch. Als solcher bleibt sie jedoch eine jenseitige Größe. 4. Trotzdem macht Torrance auf die Fragen aufmerksam, die entscheidend für eine realistische Eschatologie sind. Er will realistisch von Gottes neuer Schöpfung denken, indem er sie von seinem Handeln in Jesus Christus her zu erhellen versucht. Allerdings tendiert er dazu, Gott und seine Schöpfung als einander gegenüberstehende Gegensätze zu betrachten. In seiner Auburn-Christologie versteht er den Gegensatz primär als Antagonismus sich selbst behauptender Subjekte, der durch die Selbstzurücknahme des Menschen Jesus geklärt wird. In seinen schöpfungstheologischen Arbeiten verschiebt sich sein Akzent. Er orientiert sich nun an der reformierten Abendmahlstheologie bzw. dem Extra-Calvinisticum, das er im Horizont der altkirchlichen Zweinaturenlehre liest. Torrance betont nun die prinzipielle Transzendenz Gottes über Raum und Zeit und die bleibende raumzeitliche Verfassung seiner Schöpfung. In der Tat gilt, dass Gott nur dann von seiner Schöpfung unterschieden bleibt, wenn er ihrer raumzeitlichen Struktur nicht auf dieselbe Weise wie sie unterworfen ist. Wenn seine „Natur“ jedoch in abstraktem Gegenüber zu dieser Schöpfung definiert wird, bleibt der von Torrance postulierte Vermittlungspunkt dieser Gegensätze – der erhöhte Christus – ein aporetisches Konstrukt. Es erscheint nicht hilfreich, Gott und seine Schöpfung a priori als gegensätzliche Naturen zu definieren. Christian Link hat vorgeschlagen, die Unterscheidung nicht zwischen zwei Naturen, sondern zwischen dem historischen und dem auferstandenen Jesus Christus anzusetzen. Er spricht von einer „eschatologische[n] Differenz“8 zwischen der ersten und der verheißenen neuen Schöpfung. Von seiner Schöpfung unterscheidet sich Gott nicht durch ein schon immer bekanntes Kriterium (etwa seiner Transzendenz über Raum und Zeit), sondern indem er die Sache seiner gefallenen und verlorenen Schöpfung zu seiner Sache macht, sie errettet und zu sich erhebt. Das vollzieht sich in der Geschichte Jesu Christi. In dem erhöhten Jesus Christus steht Gott seiner Schöpfung nicht einfach nur gegenüber, sondern lebt in seiner neuen Schöpfung. Das heißt aber nicht, dass Gott an einem Punkt in der geschöpflichen Raumzeit zu verorten bzw. mit einem auf hyperrealistische Weise verstandenen erhöhten Menschen Jesus zu identifizieren ist. Dagegen schützt nun ge8

Link: „Extra-Calvinisticum“, 165.

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rade das Extra-Calvinisticum. Diese Einsicht ist nun aber auch, konsequenter als Torrance es tut, auf die neue Schöpfung anzuwenden. Auch der erhöhte Christus darf nicht als ein Punkt in der geschöpflichen Wirklichkeit verstanden werden, an dem Gott und seine Schöpfung in einem unmittelbaren Verhältnis vereint sind. In seiner konstruktiven Auseinandersetzung mit Calvin bezieht Christian Link das Extra-Calvinisticum deshalb auf die Himmelfahrt Jesu Christi, in welcher der österliche Christus dem Blick seiner Jünger entzogen wird.9 Indem das geschieht, werden neue Formen der Gegenwart Gottes möglich. Dafür steht die Ausgießung des Heiligen Geistes.10 Die Himmelfahrt gibt dem formalen Prinzip des Extra-Calvinisticum also einen Inhalt. Sie steht dafür, dass Gott auch im auferstandenen Jesus Christus nicht mit einem Punkt unserer geschöpflichen Wirklichkeit zu verwechseln ist – sondern sich in ihm als Gott erweist, der in unsere Welt kommt, um in ihr als Gott versöhnend und schöpferisch aktiv zu sein und sie als seine neue Schöpfung zu gestalten. Die kritische Differenz zwischen Gott und seiner Schöpfung ermöglicht die Gegenwart Gottes in unserer Welt. Christologisch gesprochen: Die kritische Differenz zwischen der neuen Wirklichkeit des auferstandenen Jesus Christus und den Festlegungen dieser Welt – zu denen auch eine isolierte Fixierung auf ihre raumzeitliche Struktur gehört – ermöglicht die Gegenwart des Auferstandenen und der in ihm wirklich werdenden neuen Schöpfung in unserer Welt. 5. Es gilt also, sich von der Prämisse zu lösen, nach der die Auferstehung nur dann realistisch zu verstehen ist, wenn Jesus Christus im Vollsinn an einem Ort zu lokalisieren ist.11 Weder ist er mit einem Punkt in der Schöpfung zu identifizieren, noch steht er der Schöpfung einfach gegenüber. Das gilt auch für die Wirklichkeit des auferstandenen und erhöhten Jesus Christus, der einem unmittelbaren Zugriff entzogen ist, sich aber trotzdem in dieser Welt vergegenwärtigt – nicht an einem isolierten Punkt, sondern in vielfältigen Vollzügen. Die Befreiung von der genannten Prämisse ermöglicht ein realistisches Verständnis der in Jesus Christus realen neuen Schöpfung, und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen wird die neue Schöpfung im Vollsinn nicht jenseits dieser Welt lokalisiert. Sie wird nicht als Gegensatz zu der uns bekannten Wirklichkeit definiert, sondern kann hier und heute erfahren und erkannt 9 Vgl. Link: „Extra-Calvinisticum“, 165. 10 In Torrance’ Auferstehungsverständnis spielt der Heilige Geist hingegen keine entscheidende Rolle, wie Farrow beobachtet hat (vgl. Farrow: Ascension, 265f). 11 Zur notwendigen Unterscheidung zwischen dem Leib des auferstandenen Christus und einem rein physischen Körper vgl. Welker: Offenbarung, 122f.

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werden. Weil sie nicht auf einem Punkt zu fixieren ist, wird sie zum anderen unserem Wirklichkeitsverständnis besser gerecht. Sie ist nicht auf eine Formel zu bringen, sondern vollzieht sich in vielfältigen Bezügen. Sie umschließt die vielen Dimensionen geschöpflicher Existenz. 6. Jesus Christus kommt in konkreten und vielfältigen Vollzügen in unsere Welt. In einem ausgezeichneten Sinn steht dafür die Feier des Abendmahles, die Torrance in Verbindung mit den neutestamentlichen Auferstehungszeugnissen bringt und treffend als „Auferstehungsereignis“ bezeichnet.12 Torrance hat hier einen Zusammenhang gesehen, den in der jüngeren Theologie insbesondere Michael Welker zu erhellen versucht hat.13 In der Feier des Abendmahles erinnert sich die Gemeinde an Jesus Christus, indem sie die biblische Abendmahlsüberlieferung aufruft. Die Präsenz Jesu Christi wird bereits mit den neutestamentlich tradierten Einsetzungsworten evoziert, die eine Szene kurz vor dem Tod Jesu vor Augen führen, in der er sich mit seinen Jüngern zum Passamahl versammelte: „Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und sprach: Das ist mein Leib für euch; das tut zu meinem Gedächtnis“ (1. Kor 11,23f). Die Gemeinde richtet ihren Blick nun auf Jesus Christus, wie er von den kanonischen Zeugnissen bezeugt wird. Jesus Christus vergegenwärtigt sich in der Gestalt, die sein Leben angenommen hat. Diese Gestalt wird von den biblischen Texten bezeugt, auf unterschiedliche Weise interpretierend ausgeprägt und den Hörern in der Verkündigung eingeprägt. In einem spezifischen und relativen Sinn wird die Wirklichkeit Jesu Christi durch die kanonischen Zeugnisse „umgrenzt“, um den Ausdruck Calvins in einem nicht-naturalistischen Sinn aufzunehmen.14 Hier ist nicht an einen umgrenzten Körper zu denken, sondern an das einzigartige, unwiederholbare Leben Jesu, auf das sich Gott festgelegt hat, und das in der Auferweckung und Erhöhung Jesu Christi lebendig ist. Zu seiner Realität gehört auch die Profilierung und Gestaltung seiner Person durch die vielfältigen biblischen Christuszeugnisse. Diese werden in der dynamischen Erinnerung der Gemeinde Jesu Christi lebendig. Michael Welker spricht im Anschluss an die Gedächtnistheorie Jan Assmanns von dem „lebendigen kulturellen und kanonischenGedächtnis Jesu Christi“.15 Zur Wirklichkeit Jesu Christi gehört also auch seine literarische Dimension und deren Rezeption, die aber als solche gerade 12 Vgl. Torrance: „Eucharist“, 186. 13 Vgl. Welker: Abendmahl, 26f; Offenbarung, 133. 14 In Inst. IV.17,30 verwendet Calvin den Ausdruck: „circunscribi [sic] humani corporis mensura“ (Joannis Calvini Opera Selecta 5, hg. v. Peter Barth und Wilhelm Niesel, München 1936, 388). 15 Vgl. Welker: Abendmahl, 130f.

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nicht absolut zu setzen ist. Jesus Christus ist nicht auf eine literarische Figur zu reduzieren – hier würde der Fehler wiederholt, ihn mit einem Punkt der uns vertrauten Wirklichkeit zu identifizieren. Genauso falsch wäre es aber, diese welthaltige Dimension seiner Person zu ignorieren. Die vielfältigen Dimensionen der Abendmahlsfeier und der Gegenwart Jesu Christi werden in Brot und Wein „konzentriert“, um einen treffenden Ausdruck Michael Welkers zu verwenden.16 Es ist hier entscheidend, Jesu Aussage „Das ist mein Leib“ nicht als isolierten Satz über die physischen Elemente zu verstehen – sondern als Aussage über Jesus Christus. Jesus spricht von „mein[em] Leib“ und „mein[em] Blut des Bundes“ (Mk 14,22 parr). Auf sein Leben und Sterben und auf die ihm vollzogene Versöhnung der Menschen mit Gott werden die Elemente bezogen. Es ist Jesus Christus, der sich nun als Gekreuzigter und Auferstandener, d.h. in seiner vollgültigen Wirklichkeit, in Brot und Wein vergegenwärtigt. Umgekehrt konkretisieren die mit dem Satz „Das ist mein Leib“ gemeinten Elemente auch den lebendigen Jesus Christus: In dem sinnlich greifbaren Geschehen der Abendmahlsfeier erfahren und feiern die Menschen Gottes versöhnendes und schöpferisches Handeln an ihnen und der ganzen Welt. Hier ist Jesus Christus in der ihm eigenen Realität gegenwärtig. Die Gläubigen werden in diesem Geschehen mit Christus auf reale Weise verbunden. Hier ist der Gedanke einer räumlichen Entrückung zu vermeiden. Das ist auch nicht nötig, wenn die neue Wirklichkeit Jesu Christi in ihren differenzierten Formen gesehen wird. Die Verbindung mit Christus (unio cum Christo) bedeutet, gemeinsam den kanonisch „umgrenzten“ Jesus Christus zu erkennen, im Genuss der Elemente sinnlich zu erfahren und an seiner neuen Wirklichkeit in dieser Welt Anteil zu gewinnen. Eine wichtige Dimension dieses Geschehens stellen die Gläubigen bzw. die Gemeinde selbst dar. Wenn sich die Gemeinde als eucharistische Gemeinschaft versammelt – um nur diesen einen ausgezeichneten Kontext zu nennen –, dann gehört dieses Geschehen zu der neuen Schöpfung in Jesus Christus. Deshalb spricht das Neue Testament auf überraschende Weise von der Gemeinde Christi als von seinem Leib (vgl. Eph 1,22; 4,15f.; Kol 1,18; Röm 12,4f). Schon diese Begrifflichkeit weist darauf hin, dass der neue Leib Jesu Christi nicht der eines gewöhnlichen menschlichen Individuums ist, sondern seine Gemeinde – in ihrer Vielfalt und ihren dynamischen Vollzügen – in seine neue Wirklichkeit hineinnimmt. Die neutestamentliche Johannesoffenbarung zeichnet das Bild einer neuen Stadt, in der Gott wohnen wird, und die von seiner Herrlichkeit bzw. von Jesus Christus erhellt wird (Offb 21,1−3.23, s. Einleitung). Wird die Gegenwart des Auferstandenen auf eine realistische und differenzierte Weise in der ge16 Welker: Abendmahl, 98.

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meinsamen Feier des Abendmahls erfahren und erkannt, dann wird deutlich, dass die Vision der Johannesoffenbarung in all ihrer Bildgewalt doch in Kontinuität zu der Art und Weise steht, in der Gott bereits heute in der Feier des Abendmahles in seine Schöpfung kommt. 7. Zwar können Calvin und dann auch Torrance das Missverständnis nicht ganz vermeiden, den Auferstandenen im Vollsinn doch an einem räumlich entfernten oder zeitlich-zukünftigen Ort zu lokalisieren. Dahinter steht aber das berechtigte Anliegen, den „neuen Himmel und die neue Erde“ nicht mit unserer Welt zu verwechseln, sondern auf das ausstehende und endgültige Kommen Jesu Christi zu verweisen.17 Nicht umsonst verweist die von Paulus überlieferte Abendmahlstradition auf dieses Kommen: „Denn sooft ihr von diesem Brot esst und von dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt“ (1. Kor 11,26). Wie jedoch gezeigt worden ist, führt dieses Anliegen insbesondere bei Torrance zu einem Dualismus zwischen Gegenwart und eschatologischer Zukunft, zwischen dieser Welt und der neuen Schöpfung, zwischen einem vermittelten in dieser und einem unmittelbaren Gottesverhältnis in Gottes kommender Welt. Wenn die Wirklichkeit des erhöhten Christus nicht exklusiv auf seine „endzeitliche“ Erscheinung reduziert wird, sondern sein Kommen in diese Welt – etwa im Abendmahl – hervorgehoben wird, muss das keineswegs zu einer Identifizierung der neuen Schöpfung mit dieser Welt führen. Im Gegenteil, eine welthaltige Erfahrung und Erkenntnis der neuen Schöpfung lässt umso mehr auf eine endgültige und noch ausstehende Neuschöpfung und damit auf den in der Johannesoffenbarung verheißenen „neuen Himmel“ und die „neue Erde“ hoffen. Erst ein realistisches Verständnis des gegenwärtigen Jesus Christus ermöglicht auch eine realistische Hoffnung auf sein noch ausstehendes und endgültiges Kommen. Diese darf auf Kontinuitäten und Diskontinuitäten zu der gegenwärtigen Gotteserfahrung und -erkenntnis hoffen. Inwiefern kann nun die vielgestaltige Wirklichkeit Jesu Christi, wie sie sich etwa in der Feier des Abendmahls erschließt, ein realistischeres Verständnis seiner Parusie begründen? In ihrem Licht wird deutlich, dass auch die endgültige Parusie Jesu Christi nicht als monolithisches, auf einen Punkt fixiertes Ereignis zu verstehen ist. Einige neutestamentliche Texte weisen auf eine Synchronisierung der gesamten Schöpfung im Ereignis der Parusie hin: Sie betonen, dass alle den „Sohn des Menschen“ sehen werden, der in sämtliche Bereiche der Schöpfung kommt (vgl. Mt 24,30). In Offb 1,7 heißt es in Anlehnung an die apokalyptische Tradition (in welcher u.a. die Menschensohnvision aus Daniel 7,13 LXX wichtig ist): „Siehe, er kommt mit den Wolken, und es werden ihn sehen alle 17 Das betont auch Farrow: Ascension, 265.

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Augen und alle, die ihn durchbohrt haben, und es werden wehklagen um seinetwillen alle Stämme der Erde“. Im Kontext der Johannesoffenbarung fungiert dieser Ausblick als Gerichtsansage an alle Feinde Jesu Christi, die den verfolgten Gemeinden Trost spendet.18 Der „Menschensohn“ kommt „mit den Wolken“. Das erinnert an seine Erhöhung in den Himmel „auf einer Wolke“, wie sie in Apg 1,7 beschrieben wird. Der Begriff der Wolke ist hilfreich, um ein Phänomen darzustellen, das für viele Menschen an unterschiedlichen Orten zugänglich ist. Wir sprechen heute von der cloud, in der digitale Daten gespeichert werden, auf die man mit der geeigneten technologischen Ausrüstung von überall auf der Welt zugreifen kann. Ebenso wird der kommende Christus zu einem Bezugspunkt für alle Bereiche der Schöpfung – sein Kommen ist also nicht ohne zeitliche und räumliche Bezüge. Denn die biblischen Texte denken an dieser Stelle nicht in den Alternativen von physikalischem Kosmos und transzendenter Gottheit. Der kommende Christus ist über die Menschen erhöht – nicht als transzendente Größe aus dem Jenseits, sondern indem er „auf einer Wolke“ kommt, die den Menschen nicht verfügbar und trotzdem Teil ihrer Wirklichkeit ist. In Offb 1,7 hat der kommende Christus ein Erkennungsmerkmal: Er ist „durchbohrt“. Hier wird auf das im Johannesevangelium berichtete Durchbohren seines Leichnams mit einer Lanze angespielt (Joh 19,32−37) und ein prophetisches Schriftwort zitiert (Sach 12,10). Ähnlich wie die Wundmale, an denen der zweifelnde Apostel Thomas den Auferstandenen erkannte (vgl. Joh 20,24−29), ruft die durchbohrte Gestalt Jesu die Geschichte seines Lebens und Sterbens auf. Das bringt „alle Stämme der Erde“ zum Klagen – weil der Sohn Gottes unschuldig getötet wurde und nun zum Gericht über alles Böse kommt. Offensichtlich ist der kommende Jesus Christus hier in seiner partikularen Geschichte für alle Kulturen zu erkennen, auch wenn nicht erklärt wird, wie man sich das vorstellen kann. Die Erkenntnis, dass sich der erhöhte Christus schon heute in vielfältigen Bezügen offenbart, kann diese Frage – auf begrenzte Weise – erhellen. Sie lässt darauf schließen, dass sich Christus auch in seinem endgültigen Kommen und Gerichtshandeln in der Vielfalt seiner Auferstehungswirklichkeit und in unterschiedlichen Bezügen offenbart. Wenn alle Welt den kommenden Christus erkennen wird, muss das deshalb nicht heißen, dass alle Menschen im Ereignis seiner Parusie das Gleiche sehen werden. Die ausgeprägte Diskontinuität zwischen der uns bekannten Welt und dem „neuen Himmel und der neuen Erde“ (Offb 21,1), der mit der Parusie des Menschensohnes und seinem Gericht über die gesamte Schöpfung vollendet wird, soll nicht bestritten werden. Als kommender Menschensohn wird Jesus Christus auf andere Weise offenbar als etwa in seiner österlichen Begegnung 18 Vgl. Akira Satake: Die Offenbarung des Johannes, Göttingen 2008, 134.

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mit Thomas – das ist zumindest die Stoßrichtung der synoptischen Endzeitreden (vgl. Mk 13 parr) oder des Zweiten Thessalonicherbriefes (vgl. 2. Thess 1,7f). Diese Texte gehen davon aus, dass das ausstehende Kommen Christi nicht einfach nur identisch mit den Gestaltformen ist, in der er sich heute dieser Welt und seiner Kirche offenbart. Die beschriebene Kontinuität zwischen dem erhöhten und dem kommenden Christus kann aber als Hinweis darauf dienen, dass sein schwer greifbares, endgültiges Kommen kein monolithisches Ereignis ist, welches den vielfältigen Welten, in denen wir leben, diametral entgegensteht. In dieser Hinsicht kann ein realistischer Blick auf die gegenwärtige Wirklichkeit Jesu Christi auch ein realistischeres Verständnis seiner ausstehenden Parusie ermöglichen.

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Personenregister Achtner, Wolfgang 11, 179 Aristoteles 172−174 Asendorf, Ulrich 148 Athanasius 174−176, 190 Augustin, Aurelius 24, 97, 119 Aulén, Gustav 131

Daniélou, Jean 118 Davis, Thomas J. 158 f., 161 Dippel, Johann Conrad 85 Dodds, Charles 118 Dorner, Isaak August 66 Dyk, Leanne van 51

Baillie, John 10 Baillie, Donald 2, 115, 137 Baker, Matthew 114 Barth, Karl 2, 7−9, 12−15, 17, 20, 25, 34, 44, 63 f., 70−74, 78−81, 86, 90−101, 104−107, 113, 117 f., 120, 125 f., 191, 193 f. Barth, Peter 104 f., 203 Baur, Jörg 148, 150 f., 163, Beintker, Horst 74 Beuttler, Ulrich 12, 173, 179 Blanshard, Brand 91 Brown, David 55, 62, 68 Bruce, Alexander B. 55 Brunner, Emil 7, 17, 23−26, 43, 49, 70 f., 73−83, 85−88, 97 f., 108, 190 f. Bucer, Martin 145 f., 154 Bullinger, Heinrich 159 Bultmann, Rudolf 86, 118, 178, 194 Busch, Eberhard 78, 92

Einstein, Albert 172, 174 Endemann, Samuel 96 Eugenio, Dick O. 108 Ewerszumrode, Frank 160, 163

Calhoun, Robert 114 Calvin, Johannes 104 f., 116, 125, 145 f., 153−166, 168, 195 f., 203, 205 Cameron, John 107 Camfield, F. W. 7, 15−17, 20, 25, 43 f., 49, 61, 74, 80−87, 95, 97 f., 131, 143, 191 Campbell, John McLeod 7, 17, 38−41, 43−45, 48−53, 59, 60 f., 69, 73, 84 f., 98, 132, 190 Canterbury, Anselm von 39, 96 Chiarot, Kevin 12 f., 88, 103 Clapsis, Emmanuel 112 Clarke, Samuel 173 Colyer, Elmer 12 Cullmann, Oscar 114, 119 f. Dale, Robert William 38 f. Dalferth, Ingolf U. 4

Fairbairn, Andrew M. 55 Farrow, Douglas 156, 202, 205 Fergusson, David 7, 44 f. Florovsky, George 114 Forrest, David 55 Forsyth, Peter Taylor 7, 17, 19, 33, 43 f., 53−62, 65, 68 f., 73, 80 f., 83−85, 87, 97 f., 132, 190 f. Gebhard, Myriam 173 Gess, Wolfgang Friedrich 66 Gilland, Andrew 79 Gockel, Matthias 100 Gogarten, Friedrich 86 Goroncy, Jason 59 f. Gundlach, Thies 94, 106 Gunton, Colin 13, 53 Habets, Myk 12, 60, 107 Hardy, Daniel 12, 107 f. Häring, Theodor 66 Härle, Wilfried 94 Harnack, Theodosius von 78 Hart, Trevor 59 Hebert, Arthur G. 122 Hegel, Georg F. W. 59 Heim, Karl 118 Herrmann, Wilhelm 62, 65 f., 85, 191 Hume, David 8, 108 Hunsinger, George 13 Huygens, Christiaan 174 Hjelde, Sigurd 2

220

Personenregister

Irving, Edward 7, 17, 24, 43−49, 51 f., 60, 82

Nygren, Anders 114

Jammer, Max 172 f. Jehle, Frank 75 Jüngel, Eberhard 37, 135 f.

Origines 176

Kant, Immanuel 8, 79 Kähler, Martin 62, 85, 191 Kaiser, Christopher B. 160 Kaufmann, Thomas 148 Kemp Smith, Norman 8, 108 Kierkegaard, Sören 12, 70, 72 Kodalle, Klaus 28 Lee, Byung Sun 45−47, 49 Leibniz, Gottfried Wilhelm 174 Leitch, James W. 64 Link, Christian 47, 179 f., 201 f. Linlathen, Thomas Erskine of 49 Lamont, Daniel 8f., 95 Luoma, Tapio 12 Luther, Martin 51, 67, 97, 146−54, 177, 195, 199 MacLeod, G. F. 118 Mackintosh, Hugh Ross 7 f., 10, 16 f., 19, 33 f., 38, 43 f., 61−75, 78−83, 85, 92, 95, 97, 190 f. MacLean, Stanley 3, 10 f., 111 f., 115, 117, 137, 164 Markschies, Christoph 64 McConnachie, John 80 McCormack, Bruce 13, 33, 56, 67, 92−94, 106 McFarlane, Graham 45 McGrath, Allister 7−10, 12, 19, 92, 95 McMaken, W. Travis 12 McPake, John 64, 71 Mersch, Emile 126 Meyer, Walter E. 148 Milligan, William 185 Molnar, Paul 7, 12 f., 43, 184 More, Henry 173 Morgan, D. Densil 63, 81, 91 Morrison, John 12, 28, 33, 179 Moltmann, Jürgen 3 f., 166 Mühling, Markus 1, 43, 49, 52, 162 Newton, Isaac 172−174 Niebuhr, Reinhard 114 Niesel, Wilhelm 139, 203

Paulus 29, 141, 143, 165, 205 Pannenberg, Wolfhart 3 f., 12, 106, 123, 143, 153, 179 Pius XII. 140 Plasger, Georg 156 Platon 174 Purves, Andrew 44 Quistorp, Heinrich 153, 164 Rahner, Karl 3 f. Rankin, William Duncan 7, 12 f., 23, 43, 88, 91, 109 Raphson, Joseph 173 Redman, Robert 64 Reid, Thomas 108 Reischle, Max 66 Rendtdorff, Trutz 106 Ritschl, Albrecht 16, 53, 55, 57, 62, 67, 70−73, 77, 85, 191 Roberts, Richard H. 63 Satake, Akira 206 Sauter, Gerhard 4 Scheffler, Samuel 4 Schleiermacher, Friedrich D. E. 55 f., 62 f., 66 Schlink, Eduard 114, 140 Schweitzer, Albert 1, 118 f. Schwöbel, Christoph 74 Stevenson, Peter 48 f., 60 Taylor, A. E. 8 Theißen, Henning 5 Thomas, Günter 26 Thomasius, Gottfried 55, 66 Thompson, Thomas R. 68 Thomson, G. T. 71 f. Thurneysen, Eduard 86 Töllner, Johann Gottlieb 85 Tomkins, Oliver 114 Torrance, Annie Elizabeth 15, 92 Van Kuiken, E. Jerome 23 Visser t’Hooft, Willem Adolf 113

Personenregister Walker, Robert T. 7, 10, 117 Weber, Max 172 Weiß, Johannes 2, 118 Welker, Michael 29, 59, 142, 167 f., 202−204 Wenz, Gunther 47, 85 f., 96, 98 f., 105−107, 191

221

Wolleb, Johann 97 Wüthrich, Matthias 12, 143, 148−150, 160, 179 Zachman, Randall 162 Zwingli, Ulrich 148

FORSCHUNGEN ZUR SYSTEMATISCHEN UND ÖKUMENISCHEN THEOLOGIE Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar | David Fergusson | Christiane Tietz

Band 161: Lisanne Teuchert Gottes transformatives Handeln Eschatologische Perspektivierung der Vorsehungslehre bei Romano Guardini, Christian Link und dem „Open theism“ 2019. 324 Seiten, mit 2 Tab., gebunden € 100,00 D ISBN 978-3-525-56458-5

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Band 152: Hendrik Klinge Verheißene Gegenwart Die Christologie des Martin Chemnitz 2015. 376 Seiten, gebunden € 110,00 D ISBN 978-3-525-56417-2 eBook € 89,99 D | ISBN 978-3-647-56417-3

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Studien zur theologischen Anthropologie

Band 150: Joachim Ringleben Sprachloses Wort? Zur Kritik an Barths und Tillichs Worttheologie – von der Sprache her

Band 153: Martin Hailer