Erwünschte Harmonie. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik – Motive, Verfahren, Mythos (1680-1713) 3050065095, 9783050065090

Lange Zeit wurde die Fridericiana in Halle in ihren Anfängen als Reformuniversität des Pietismus und der Aufklärung vers

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Table of contents :
Vorwort
I. Einleitung
1. Forschungsprofil
1.1. Problemstellung 1: Toleranz als Merkmal brandenburg-preußischer Konfessionspolitik
1.2. Problemstellung 2: Reformuniversität Halle
2. Forschungsdesign
2.1. Die Reaktivierung des Konfessionalisierungsparadigmas
2.2. Die Einführung der Kategorien ‚Identität’ und ‚Erfahrung’
2.3. Definitorische Voraussetzungen
2.3.1. Lutherische Orthodoxie – Konkordienluthertum – Traditionelles Luthertum
2.3.2. Pietismus – Pietistische Akteure
2.3.3. Aufklärung – Naturrecht
3. Quellen
II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität
1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung. Die brandenburg-preußische Konfessionspolitik 1613–1668
1.1. Die Generierung eines konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1613–1615
1.2. Die konfessionspolitische Nutzung der binnenkonfessionelllutherischen Strömung der Helmstedter Theologie
1.3. Die Weiterentwicklung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1652–1668
2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation. Die Kommunikation zwischen Ständen und Regierung im Herzogtum Magdeburg 1650/1680
2.1. Die Auseinandersetzung um den Bestandsschutz lutherischer Identität
2.2. Die Auseinandersetzung um den obrigkeitlichen Anspruch auf äußere Kirchenleitung
3. Kollisionsfall. Das Ringen um das Simultaneum in der Stadt Halle ab September 1680
3.1. Neuer Bekenntnisstand und neues Herrschaftsverständnis
3.2. Eingriffe in den Bestand des traditionellen Luthertums
3.2.1. Die Konsistorialverfassung
3.2.2. Die Konkordienformel als Code konfessioneller Identität
3.2.3. Die Ritualpraxis als Abgrenzungsmerkmalkonfessioneller Identität
3.2.4. Die Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger
4. Zusammenfassung
III. Konfessionspolitik und Universität
1. Bildungsoffensive. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als neues Wirkungsfeld für erfahrungsgeleitete Konfessionspolitik ab 1688/1691
1.1. Die Ausgangssituation der Ritterakademie
1.2. Koinzidenz zwischen dem naturrechtlichen Denken Christian Thomasius’ und der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik
1.3. Konfessionspolitische Kontinuität in der Berufungspolitik 1691
1.3.1. Die Einbeziehung der hallischen Akademiker
1.3.2. Binnenkonfessionelle Pluralität als Motiv für die Besetzung der theologischen Fakultät
1.3.3. Die Berufung August Hermann Franckes im Rahmen des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1691/92
1.4. Unverdächtige Juristen
1.5. Vernetzte Mediziner
1.6. Philosophische Grundlagenbildung
1.7. Die Aufsichtsorgane der Universität als konfessionspolitische Kräfte
1.7.1. Die Oberkuratoren
1.7.2. Der Kanzler
2. Umkämpfte Identität. Die Antizipation der konfessionellen Wirkmächtigkeit der Friedrichs-Universität im Streit 1691–1700
2.1. Etablierung und Raumgreifung
2.1.1. Die Erlangung der Jurisdiktion über die Studenten
2.1.2. Universitätsfinanzierung und Besetzung des öffentlichen Raums
2.1.3. Die Schulkirchennutzung als Zeichen konfessioneller Gemengelage
2.2. Deutungskonflikte um konfessionelle Identität und Heterodoxie
2.2.1. Das binnenkonfessionelle Patt
2.2.2. Die Abgrenzung zum Spiritualismus
2.2.3. Der Umgang mit konfessionellen Codes in den Universitätsstatuten
2.2.4. Die Eingriffe in die Ritual- und Zeremonialpraxis
2.3. Orthodoxie und Umdeutung konfessioneller Identität
2.3.1. Die personalpolitische Nutzung konfessioneller Codes
2.3.2. Die Verlagerung der Deutungshoheit über die lutherische Identität zur hallischen Universitätstheologie
3. Zusammenfassung
IV. Misserfolg und Neuausrichtung
1. Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713
1.1. Allgemeine Entwicklungen
1.2. Die Errichtung einer gemischtkonfessionellen theologischen Fakultät
2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie gegenüber Christian Thomasius 1693–1713
2.1. Ordnungskonflikte
2.2. Identitätskonflikte
3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700
3.1. Die Glauchischen Anstalten
3.2. Der Wandel der Konfessionspolitik durch die ‚Besserung der Welt’
4. Zusammenfassung
V. Schluss
1. Fazit
2. Ausblick
VI. Quellen- und Literaturverzeichnis
1. Quellen
1.1. Ungedruckte Quellen
1.2. Gedruckte Quellen
2. Literatur
2.1. Gedruckte Literatur
2.2. Ungedruckte Literatur
3. Digitale Medien
Orts- und Personenregister
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Erwünschte Harmonie. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik – Motive, Verfahren, Mythos (1680-1713)
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Marianne Taatz-Jacobi Erwünschte Harmonie

Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit Band 13

Herausgegeben von Andreas Ranft und Andreas Pečar

Marianne Taatz-Jacobi

Erwünschte Harmonie Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als Instrument brandenburg-preußischer Konfessionspolitik – Motive, Verfahren, Mythos (1680–1713)

Gedruckt mit finanzieller Unterstützung der Oestreich-Stiftung.

ISBN 978-3-05-006509-0 eISBN 978-3-05-006510-6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Akademie Verlag GmbH, Berlin Ein Unternehmen von De Gruyter Druck & Bindung: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis

Vorwort I. Einleitung 1. Forschungsprofil 1.1. Problemstellung 1: Toleranz als Merkmal brandenburg-preußischer Konfessionspolitik 1.2. Problemstellung 2: Reformuniversität Halle 2. Forschungsdesign 2.1. Die Reaktivierung des Konfessionalisierungsparadigmas 2.2. Die Einführung der Kategorien ‚Identität’ und ‚Erfahrung’ 2.3. Definitorische Voraussetzungen 2.3.1. Lutherische Orthodoxie – Konkordienluthertum – Traditionelles Luthertum 2.3.2. Pietismus – Pietistische Akteure 2.3.3. Aufklärung – Naturrecht 3. Quellen II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität 1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung. Die brandenburg-preußische Konfessionspolitik 1613–1668 1.1. Die Generierung eines konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1613–1615 1.2. Die konfessionspolitische Nutzung der binnenkonfessionelllutherischen Strömung der Helmstedter Theologie 1.3. Die Weiterentwicklung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1652–1668 2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation. Die Kommunikation zwischen Ständen und Regierung im Herzogtum Magdeburg 1650/1680

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Inhaltsverzeichnis

2.1. Die Auseinandersetzung um den Bestandsschutz lutherischer Identität 2.2. Die Auseinandersetzung um den obrigkeitlichen Anspruch auf äußere Kirchenleitung 3. Kollisionsfall. Das Ringen um das Simultaneum in der Stadt Halle ab September 1680 3.1. Neuer Bekenntnisstand und neues Herrschaftsverständnis 3.2. Eingriffe in den Bestand des traditionellen Luthertums 3.2.1. Die Konsistorialverfassung 3.2.2. Die Konkordienformel als Code konfessioneller Identität 3.2.3. Die Ritualpraxis als Abgrenzungsmerkmal konfessioneller Identität 3.2.4. Die Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger 4. Zusammenfassung III. Konfessionspolitik und Universität 1. Bildungsoffensive. Die Gründung der Friedrichs-Universität Halle als neues Wirkungsfeld für erfahrungsgeleitete Konfessionspolitik ab 1688/1691 1.1. Die Ausgangssituation der Ritterakademie 1.2. Koinzidenz zwischen dem naturrechtlichen Denken Christian Thomasius’ und der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik 1.3. Konfessionspolitische Kontinuität in der Berufungspolitik 1691 1.3.1. Die Einbeziehung der hallischen Akademiker 1.3.2. Binnenkonfessionelle Pluralität als Motiv für die Besetzung der theologischen Fakultät 1.3.3. Die Berufung August Hermann Franckes im Rahmen des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1691/92 1.4. Unverdächtige Juristen 1.5. Vernetzte Mediziner 1.6. Philosophische Grundlagenbildung 1.7. Die Aufsichtsorgane der Universität als konfessionspolitische Kräfte 1.7.1. Die Oberkuratoren 1.7.2. Der Kanzler 2. Umkämpfte Identität. Die Antizipation der konfessionellen Wirkmächtigkeit der Friedrichs-Universität im Streit 1691–1700 2.1. Etablierung und Raumgreifung 2.1.1. Die Erlangung der Jurisdiktion über die Studenten 2.1.2. Universitätsfinanzierung und Besetzung des öffentlichen Raums 2.1.3. Die Schulkirchennutzung als Zeichen konfessioneller Gemengelage

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7 2.2. Deutungskonflikte um konfessionelle Identität und Heterodoxie 2.2.1. Das binnenkonfessionelle Patt 2.2.2. Die Abgrenzung zum Spiritualismus 2.2.3. Der Umgang mit konfessionellen Codes in den Universitätsstatuten 2.2.4. Die Eingriffe in die Ritual- und Zeremonialpraxis 2.3. Orthodoxie und Umdeutung konfessioneller Identität 2.3.1. Die personalpolitische Nutzung konfessioneller Codes 2.3.2. Die Verlagerung der Deutungshoheit über die lutherische Identität zur hallischen Universitätstheologie 3. Zusammenfassung

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IV. Misserfolg und Neuausrichtung 1. Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713 1.1. Allgemeine Entwicklungen 1.2. Die Errichtung einer gemischtkonfessionellen theologischen Fakultät 2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie gegenüber Christian Thomasius 1693–1713 2.1. Ordnungskonflikte 2.2. Identitätskonflikte 3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700 3.1. Die Glauchischen Anstalten 3.2. Der Wandel der Konfessionspolitik durch die ‚Besserung der Welt’ 4. Zusammenfassung

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V. Schluss 1. Fazit 2. Ausblick

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VI. Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellen 1.1. Ungedruckte Quellen 1.2. Gedruckte Quellen 2. Literatur 2.1. Gedruckte Literatur 2.2. Ungedruckte Literatur 3. Digitale Medien

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Orts- und Personenregister

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Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2012/13 an der Philosophischen Fakultät I der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Dissertation angenommen. Für den Druck ist sie geringfügig überarbeitet und um ein Register erweitert worden. Mein herzlicher Dank gilt Professor Dr. Andreas Pečar für seinen vielfältigen Rat und seine fachkundige Begleitung und nicht zuletzt für die Erstellung des Erstgutachtens. Prof. Dr. Udo Sträter hat das Zweitgutachten übernommen. Dafür und für seine mannigfaltige Unterstützung danke ich ihm sehr. Die Arbeit ist in die Reihe der Hallischen Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit aufgenommen worden. Ich danke den Herausgebern Prof. Dr. Andreas Ranft und Professor Dr. Andreas Pečar. Für die Übernahme der Druckosten danke ich der Oestreich-Stiftung. Prof. Dr. Veronika Albrecht-Birkner, PD Dr. Holger Zaunstöck und Dipl. theol. Claudia Drese haben mich mit zahlreichen Ratschlägen und steter freundschaftlicher Ermutigung, die Arbeit voranzutreiben, unterstützt. Sie waren ausdauernde und kritische Gesprächspartner und Leser. Eine freundliche und fachkundige Hilfe bei der Quellen- und Literaturrecherche waren die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Berlin-Dahlem, des Landeshauptarchivs des Landes Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg, des Universitätsarchivs Halle und des Archivs der Franckeschen Stiftungen in Halle. Ein besonderer Dank gilt Agnes Reschka M.A. für ihre Unterstützung. Für das Korrektorat und den Satz des Textes bedanke ich mich sehr bei Judith Brademann-Fenkl M.A. In ganz besonderer Weise haben mein Mann Jens Jacobi und meine Eltern Dr. Irene Wiertelorz und Matthias Taatz das Zustandekommen des Buches in allen Phasen unterstützt und mit fortwährendem Interesse begleitet. Besonders mein Mann hat dafür so manches Mal sein Leben nach den Erfordernissen meiner Arbeit ausgerichtet. Dafür danke ich ihm von Herzen. Ein unablässig starker Rückhalt und fürsorgliche Begleiter waren meine Großeltern Käthe und Martin Taatz. Ihnen sei dieses Buch gewidmet. Berlin/Halle, November 2013

Marianne Taatz-Jacobi

I. Einleitung

1.

Forschungsprofil

1.1. Problemstellung 1: Toleranz als Merkmal brandenburg-preußischer Konfessionspolitik Am Beginn dieser Untersuchung zur Gründung der Universität Halle im Rahmen brandenburg-preußischer Konfessionspolitik steht die Beobachtung, dass es am Ende des 17. Jahrhunderts konfessionspolitische Absichten innerhalb der Berliner Obrigkeit und bei wichtigen Handlungsträgern gab, die den Tatbestand der reformierten Konfessionalisierung erfüllen und deshalb auch als solche beschrieben und bezeichnet werden sollten. Anlass dafür bieten Äußerungen des reformierten Hofpredigers in Cölln Daniel Ernst Jablonski. Dieser teilte 1698 im Zuge der Vorbereitung eines Religionsgesprächs zwischen Reformierten und Lutheranern in Brandenburg-Preußen dem Hauptinitiator dieses collegium charitativum1 Gottfried Wilhelm Leibniz seine Einschätzung verschiedener im Land bestallter lutherischer Theologen mit.2 Es könnten „allermaßen unter den Häuptern der Geistlichkeit in allen Brandenburgischen Landen, solche gefunden werden, die Gotseeligkeit und Friede lieben, und nach bequemer Gelegenheit, die langwürige Trennung zu heben, seuffzen. Wir haben allhier, den gotseeligen Herrn D. Spener […]: Zu Pommern den General-Superintendenten Herrn D. Heiler: In Halber-Stadt den Superintendenten Herrn Lüders: bey der Universität Halle, die vortreffl[ichen] Leüte, D. Breithaupt, Herrn Lic. Anton, und Francken, anderer zu geschweigen.“3

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Lateinische Begriffe werden im Text nicht flektiert und klein geschrieben. Vgl. dazu Albrecht-Birkner, Veronika: Der Berliner Hof und die Theologische Fakultät Halle. Konfessionelle Aspekte eines spannungsvollen Verhältnisses (1690–1790), in: Freudenberg, Matthias / Plasger, Georg (Hgg.): Kirche, Theologie und Politik im reformierten Protestantismus. Vorträge der 8. Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, Neukirchen-Vluyn 2011, S. 110–112. Jablonski an Leibniz am 6.8.1698 [Entwurf], SBB-PK, Francke-Nachlass, Kapsel 11, 2/11:14 (= AFSt, Mikrofilm 7, Jablonski, S. 46f.).

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I. Einleitung

Die Männer mit der besonderen Qualität ‚Friedensliebe’ – Günther Heiler, Justus Lüders, Joachim Justus Breithaupt, Paul Anton und August Hermann Francke – einte ihre Zugehörigkeit zum innerkirchlichen lutherischen Pietismus,4 der unter anderem von der Reformschrift Philipp Jakob Speners aus dem Jahr 1675, den Pia Desideria,5 geprägt war. Allgemein bekannt war der vierte, die Religionsstreitigkeiten betreffende Reformvorschlag der Pia Desideria. Nach Spener sollte die eigene (lutherische) Religion klar bekräftigt, für die Irrenden eifrig gebetet, mit gutem Beispiel vorangegangen und sich im Streit mit Polemik zurückgehalten, jedoch die Wahrheit immer gegen den Irrtum benannt werden.6 Diesen Verhaltenskanon erweiterte er um „die Übung hertzlicher liebe, daß wir zwar ihnen zu ihrem un- und irrglauben oder dessen so übung als fortpflanzung nichts zu willen werden, vielmehr mit eiffer uns demselben widersetzen, aber in anderen dingen, welche zu menschlichem leben gehören, zeigen, daß wir sie vor unsere nechsten […] ja auch auß recht der allgemeinen schöpffung und gegen alle sich erstreckenden Göttlichen Liebe (obschon nicht der wiedergeburt) brüder erkennen, und also auch mit solchem hertzen gegen sie gesinnet seyen, wie wir den befehl haben, alle als uns selbs zu lieben.“7

Auf der Basis dieses Grundsatzes der Nächstenliebe unter den Angehörigen der unterschiedlichen christlichen Konfessionen stellten die genannten Personen für den Reformierten Jablonski die geeigneten Kandidaten dar, die Annäherung der Lutheraner an die Reformierten im Rahmen eines Religionsgesprächs selbst zu vollziehen, ohne dass dies per Edikt angeordnet werden musste, was wiederum Proteste unter den weniger friedliebenden Lutheranern hätte mit sich bringen können. Schon während des Berliner Beichtstuhlstreits in den Jahren 1696 bis 1698 hatte Jablonski gegenüber dem Geheimen Rat Paul von Fuchs8 eine ähnliche Ansicht über einen Teil der lutherischen Theologen im Lande vertreten. Es sei notwendig, in diesem Konflikt innerhalb des Luthertums sorgsam vorzugehen, „daß Seine Churfürstliche Durchlaucht die Schadische Sache entweder per Commissionem zu untersuchen, oder sonst es also zu führen, gnädigst geruhen, damit das Gemeine Gutte das daraus entstehen kann […] nicht in der ersten blüthe ersticket, und der Posterität der Klage gelassen werden: die Mark Brandenburg habe sich selbst reformiren wollen, man habe aber die reformation gehemmet, und die reformatores aus dem Land gewiesen.“9 4 5

6 7 8

9

Vgl. die Ausführungen zum Pietismusbegriff in Kapitel I.2.3.2. Spener, Philipp Jakob: Pia Desideria oder Hertzliches Verlangen, Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen, sampt einigen dahin einfaeltig abzweckenden Christlichen vorschlägen, Franckfurt am Mayn: Zunner 1676, Nachdruck: Berlin 31964 (KlT 170). Es handelt sich dabei um den Nachdruck der ersten Separatausgabe. Virgeln in Titeln und Zitaten werden in Kommata aufgelöst. Vgl. ebd., S. 62f. Ebd., S. 63. Zur Beziehung von Jablonski und von Fuchs vgl. Palladini, Fiammetta: Der Hofprediger und der Minister: Daniel Ernst Jablonski und Paul von Fuchs, in: Bahlcke, Joachim / Korthaase, Werner (Hgg.): Daniel Ernst Jablonski. Religion, Wissenschaft und Politik um 1700, Wiesbaden 2008 (Jabloniana, Bd. 1), S. 87–108. Vgl. Jablonski an von Fuchs am 3.4.1697 [Entwurf], SBB-PK, Francke-Nachlass, Kaps. 11,

1. Forschungsprofil

13

Die „Schadische Sache“ bezog sich auf Johann Caspar Schade, einen Leipziger Studienfreund Franckes und Anhänger Speners, der als dritter Diakon an St. Nikolai in Berlin seit 1696 aufgrund von Skrupeln, auch Unwürdige zu absolvieren, die Ohrenbeichte abgelehnt hatte. Das stellte den Auslöser des Berliner Beichtstuhlstreits dar. Spener, Konsistorialrat und Propst an St. Nikolai, hatte daraufhin eine vermittelnde Position zwischen Schade und dem Klage führenden Berliner Magistrat sowie dem Konsistorium in Gestalt des Propstes Franz Julius Lütkens bezogen.10 Brisanz gewann die Angelegenheit, weil Cöllner Bürger vor einer Untersuchungskommission, der auch Spener angehörte, als Konsequenz die Beichtfreiheit verlangten – eine Forderung, die weit über den Ansatz Schades hinausging.11 1698 wurde Schade per kurfürstlicher Anweisung als Unruhestifter aus Berlin removiert, gleichzeitig allerdings auch der Beichtzwang in Brandenburg-Preußen abgeschafft. Das entsprechende Edikt vom 17.6.1698 wurde in Cölln in Anwesenheit des Kurfürsten publiziert, nicht aber von den Kanzeln verlesen, wahrscheinlich aus Angst vor Unruhe unter den Lutheranern.12 Neben dem Aussagegehalt über die dogmatischen und praktischen Schwierigkeiten einer solchen Ritualänderung13 innerhalb eines bikonfessionellen Territoriums gibt Jablonskis Äußerung Auskunft über die reformiert-konfessionalisierenden Absichten, die am Hof virulent waren: Es spricht ein geistlicher Vertreter des Reformiertentums zu einem Geheimen Rat als seinem weltlichen Pendant und äußert den Gedanken, man dürfe als reformierte Obrigkeit denjenigen Strömungen unter den Lutheranern in der Mark nicht entgegenstehen, die geeignet seien, den Übergang zum Reformiertentum zu unterstützen. Die Benutzung des Begriffes ‚Reformation’ durch Jablonski verweist zunächst auf den Begriff der ‚Zweiten Reformation’, der von der Forschung inzwischen allerdings weitgehend kritisch gesehen wird, vor allem weil er eine Höherbewertung des Reformiertentums suggeriert.14 Neutraler kann man formulieren, Jablonski intendierte eine Fortsetzung der von Luther begonnenen Reformation zugunsten der Durchsetzung der

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14

2/10:52 (= AFSt, Mikrofilm 7, Jablonski, S. 137.). Spener hatte zunächst in einer Predigt den Beichtstuhl als „Mittelding“ bezeichnet, das ein Pfarrer allerdings auch nicht einfach im Alleingang ändern dürfe. Um das Gewissen der Pfarrer zu entlasten, verortete Spener die Verantwortung anschließend bei den Beichtkindern; vgl. Drese, Claudia: Der Berliner Beichtstuhlstreit oder Philipp Jakob Spener zwischen allen Stühlen?, in: PuN 31 (2005), S. 68–70. Vgl. ebd., S. 82. Vgl. ebd., S. 87. Der Begriff des Rituals wird hier nach der Definition Stollberg-Rilingers gebraucht: Ein Ritual ist eine aus mehreren Elementen bestehende, formal normierte, symbolische Handlung mit besonderer Wirkmächtigkeit im Sinne eines Statuswechsels; vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven, in: ZHF 31,4 (2004), S. 503f. Auf die Beichte ist der Begriff wegen ihres stereotypisierten Handlungsablaufs und des durch die Absolution durch den Pfarrer vollzogenen Statuswechsels nach Mt 18, 18 anzuwenden. Vgl. Klueting, Harm: „Zweite Reformation“ – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, in: HZ 277 (2003), S. 326ff.

14

I. Einleitung

reformierten Konfession aus eigenem Antrieb der Lutheraner. Seine konfessionspolitische Strategie war es also, subtil auf eine Selbst-Reformation der Lutheraner hinzuarbeiten. In dieser Arbeit wird daher der Begriff ‚Selbst-Reformation’ verwendet, der das Ziel bezeichnet, das die Lutheraner aus Sicht der Reformierten erreichen sollten. Jablonski differenzierte zwischen dem ‚Reformator’ Schade einerseits und den lutherischen Untertanen in Cölln bzw. der Kurmark sowie der Mehrheit der lutherischen Geistlichkeit andererseits. Auch Spener ordnete er in das Schema ‚Reformator – Reformgegner’ ein: „D. Spener […] und M. Schade darinn sich so wohl begriffen, daß sie fast nur nomine von denen Reformirten hierinen unterschieden sind“.15 Auffällig ist der Kontrast zwischen Jablonskis Äußerungen der Jahre 1697/98, die auf eine Selbst-Reformation der Lutheraner zum Zweck der Konfessionsvereinigung setzten, und der These von der toleranten Konfessionspolitik in Brandenburg-Preußen, die in der Allgemein- wie der Kirchengeschichte immer noch dominiert. Ihren Ausgangspunkt nimmt die These von der Toleranz bei den zeitgenössischen Beurteilungen der Konversion Johann Sigismunds 1613 und seiner Haltung, die Mark Brandenburg nicht mit Zwang zum reformierten Glauben zu überführen. Hermann Fabronius, Hofprediger in HessenKassel, ein Verteidiger von Johann Sigismunds Konfessionspolitik, nannte dieses Vorgehen „die Christliche einigkeit und Toleranz, welche der durchleuchtigste und Hochgeborene Churfürst zu Brandenburgk […] in der Churfürstlichen Margk und zu Perlin Christlichen auffrichtet und gestattet hat.“16

Auch das Protokoll des Leipziger Religionsgesprächs zwischen Reformierten und Lutheranern im Jahr 1631 unter dem Nachfolger Johann Sigismunds, Georg Wilhelm, enthielt den Toleranzbegriff: Es hätten „doch die Chur-Brandenburgische und Fürstl. Heßische dafür gehalten, es könnte nichts desto weniger eine christliche Vereinigung geschehen, oder doch zum wenigsten eine Toleranz erfolgen“.17 Diese Verwendung des Begriffs ‚Toleranz’ basiert auf dem lateinischen Wortsinn von ‚tolerare’ – ‚(er-)dulden’ – und kann als eine besondere Form der Erlaubnis-Konzeption von Toleranz bezeichnet werden: Vor den Festlegungen des Westfälischen Friedens duldete eine Autorität in Gestalt der Obrigkeit, die in der Bevölkerung nicht über die kon15

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Jablonski an von Fuchs, am 1.6.1697 [Entwurf], SBB-PK, Francke-Nachlass, Kaps. 11, 2/10:57 (= AFSt, Mikrofilm 7, Jablonski, S. 149.). Fabronius, Hermann: Concordia Lutherano-Calvinistica oder Vereinigung der Lutheraner und Calvinisten: Darinnen begriffen wird: Erst: Ein christliche Warnung vorm Spruch: Lieber bäpstisch als calvinisch; darnach: Christliche Widerantwort Harminii de Mosa auff die genante Widerlegung Hutteri Vom politischen Hoff-Calvinisten; beyde dahin gerichtet: das die Lutheraner unnd Calvinisten sich billich in der Religion mit einander vergleichen, dieweil sie im Fundament einig seyn; Vor die brandenburgische Reformation publiciret, Schmalkalden: Ketzel 1616, S. 105. Colloquium Lipsiacum Anno 1631, da die anwesende Reformirte und Lutherische Theologi eine Liquidation angestellet, wie weit sie einig und nicht einig seyn, abgedruckt bei Gericke, Wolfgang: Glaubenszeugnisse und Konfessionspolitik der Brandenburgischen Herrscher bis zur Preußischen Union. 1540–1815, Bielefeld 1977, S. 152.

1. Forschungsprofil

15

fessionelle Mehrheit verfügte, die Konfession der abweichenden Mehrheit und nutzte ihr Reformationsrecht nicht oder nicht vollständig.18 Dies resultierte aus den besonderen Regelungen für das Reformiertentum im Reichsrecht: Im Augsburger Religionsfrieden 1555 wurde nur die lutherische Konfession als der römisch-katholischen gleichberechtigt anerkannt, während die Reformierten nicht unter die Friedensordnung fielen. Durch die gleichzeitige Anerkennung des ius reformandi für die Territorialherren unter den Reichsständen entstand eine Quelle für zukünftige Konflikte. Landesfürsten, die dem Reformiertentum zuneigten, beanspruchten das ius reformandi für sich. Gleichzeitig aber war der Übertritt zum reformierten Glauben durch den Religionsfrieden an sich und dessen Bezug auf die Confessio Augustana (CA) invariata von 1530 sanktioniert. Indem sich die reformierten Fürsten auf die CA variata von 1540 bezogen, versuchten sie, das Problem des Ausschlusses zu umgehen und innerhalb der Grenzen des Religionsfriedens zu bleiben. In einer sich machtpolitisch zuspitzenden Situation im Reich führten die Auslegungsoptionen auf dem Augsburger Reichstag von 1566 aber nicht zu einem Ausschluss des zum Reformiertentum konvertierten Kurfürsten der Pfalz, Friedrich III., sondern öffneten statt dessen die Tür für Übertritte weiterer Landesfürsten. 19 In diesem Zusammenhang muss auch der Übertritt Johann Sigismunds in Brandenburg gesehen werden, genauso wie die märkischen Stände ihr Beharren gegen den Versuch, das Land vom Luthertum zum Reformiertentum zu überführen, auf die Regelungen des Augsburgers Religionsfriedens bezogen. Für die Gestaltung von Konfessionspolitik spielte die Epochenzäsur des Westfälischen Friedens bei der Veränderung des ius reformandi als dem Recht einer weltlichen Obrigkeit, die Religionsverhältnisse in ihrem Gebiet zu gestalten, anschließend eine wesentliche Rolle. 1648 wurde das Recht der Untertanen, bei ihrer Konfession zu bleiben, durch die Regelung des Normaljahres 1624 als einem Minderheitenschutz gestärkt und das ius reformandi entscheidend eingeschränkt. Die reformierte Konfession wurde reichsrechtlich anerkannt.20 Inwieweit die Entscheidung Johann Sigismunds, auf eine zwanghafte Einführung des Reformiertentums zu verzichten, das Produkt einer Toleranz wider Willen, geprägt durch gezielte Beeinträchtigungen, oder einer Toleranz mit Willen der Obrigkeit war bzw. ob die

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19

20

Begriffsbildung nach Forst, Rainer: Art. „Toleranz“, in: Sandkühler, Hans Jörg (Hg.): Enzyklopädie Philosophie, 3 Bde., Bd. 3., Hamburg 2010, S. 2753–2758, bes. S. 2756. Seit der Kontroverse um die Konversion des Pfälzer Kurfürsten Friedrich III. auf dem Reichstag 1566 hatte sich die Unterscheidung festgesetzt, die Reformierten seien sensu theologico keine CA-Angehörigen. Den aktuellen Erfordernissen Rechnung tragend, galten die Reformierten sensu politico jedoch als CA-Anhänger, was das gesamtprotestantische Bündnis garantierte. Indem der Augsburger Religionsfrieden die reformierte Konfession jedoch ausschloss, war in der lutherischen Auffassung zwangsläufig kein Reformationsrecht für reformierte Fürsten vorgesehen; vgl. Heckel, Martin: Art. „Augsburger Religionsfrieden“, in: RGG4 1 (1998), Sp. 957f. Zur Confessio Augustana invariata und variata vgl. Lohse, Bernhard: Art. „Augsburger Bekenntnis I“, in: TRE 4 (1979), S. 616–628. Vgl. Klueting, Harm: Das konfessionelle Zeitalter 1525–1648, Stuttgart 1989, S. 348ff.

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I. Einleitung

Art der Toleranz sich wandelte,21 bleibt in den einschlägigen Untersuchungen unhinterfragt.22 Indem Johann Sigismund aber zusammen mit seiner Tolerierung der lutherischen Konfession die Tolerierung seiner eigenen Konfession seitens des Luthertums anordnete, kam es bereits sehr früh zu einer in der Forschung kaum reflektierten Etablierung einer zweiten Form von Toleranz: Nicht nur die reformierte Obrigkeit duldete die lutherischen Untertanen, sondern auch die lutherischen Untertanen wurden angehalten, ihre reformierten Mituntertanen ebenfalls zu dulden. Ginge man diesem Gedanken konsequent nach, wäre Johann Sigismund über den teilweisen Verzicht auf sein ius reformandi die Toleranz nicht allein zuzuschreiben, sondern die Lutheraner müssten ebenfalls tolerant genannt werden, sofern sie sich mit dem Reformiertentum arrangierten. Jedoch bestand für Lutheraner, die auf diesen Konsens setzten, dabei immer die Gefahr, sich den Vorwurf des Synkretismus und der Heterodoxie seitens anderer Lutheraner einzuhandeln. Daher markiert der Synkretismus- und Heterodoxievorwurf immer die entscheidende Schwierigkeit bei Fragen der Konfessionsannäherung.23 In der Forschung dominierte bei den Erklärungsversuchen für die Toleranz der brandenburgischen Kurfürsten eine Verbindung zwischen Calvinismus und westeuropäischer Staatsraison.24 Otto Hintze nannte diese Toleranz eine, „die nicht eigentlich aus religiöser, sondern aus politischer Quelle stammte: In dem konfessionell so stark gespaltenen Deutschland konnte nur ein Fürstenhaus, das religiöse Duldung übte, sich zu einer Großmacht erweitern.“25

Im Zuge der Konzentration auf die Konfessionspolitik als Teil absoluter Herrschaft des Landesherrn zum Zweck der Staatsbildung sah Carl Hinrichs einen calvinistischen Geist nach Preußen einziehen, der eine moderne Staatsraison und damit die Religions- und Gewissensfreiheit für Lutheraner und Reformierte in der Kurmark herstellte.26 Daneben hätte für die brandenburgischen Kurfürsten, besonders dann für Friedrich Wilhelm, der „taktische Zweck“ bestanden, „den eigenen Glaubensgenossen das Ausharren in ihrer 21

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Begriffsbildung nach Eckert, Georg: Art. „Toleranz“, in: Jaeger, Friedrich (Hg.): Enzyklopädie der Neuzeit, bisher 14 Bde., Bd. 13, Stuttgart u.a. 2011, Sp. 619–629, bes. Sp. 624–626. Ähnlich problematisch scheint der unscharfe, auf eine werthafte Entwicklung in nachkonfessioneller Zeit gerichtete Toleranzbegriff zu sein, der einem 2010 erschienenen Sammelband zu Toleranz, Identität und Geschichtsbewusstsein zugrunde liegt und sowohl auf interkonfessionelle als auch interreligiöse Kontexte angewendet wird; vgl. Schäufele, Wolf-Friedrich: Einleitung: Religion – Toleranz – Historie, in: Armborst-Weihs, Kerstin / Becker, Judith (Hgg.): Toleranz und Identität. Geschichtsschreibung und Geschichtsbewusstsein zwischen religiösem Anspruch und historischer Erfahrung, Göttingen 2010 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft, Bd. 79), S. 1–5. Vgl. die Ausführungen zum Begriff der lutherischen Orthodoxie in Kapitel I.2.3.1. Vgl. Hintze, Otto: Kalvinismus und Staatsräson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: HZ 144 (1931), S. 542. Hintze, Otto: Die Epochen des evangelischen Kirchenregiments, in: HZ 96, 1 (1906), Neudruck: Büsch, Otto / Neugebauer, Wolfgang (Hgg.): Moderne preußische Geschichte 1648–1947. Eine Anthologie, 3 Bde., Bd. 3, Berlin, New York 1981, S. 1219f. Vgl. Hinrichs, Carl: Der Große Kurfürst, Berlin 1956, S. 580f.

1. Forschungsprofil

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Lage als kleine Minderheit zu erleichtern.“27 Darüber hinaus entwickelte sich die historiographisch fragwürdige, weil äußerst teleologische, Tendenz, retrospektiv aus der Erfolgsgeschichte der Altpreußischen Union ab 181728 sowie der modernen Entwicklung seit der Leuenberger Konkordie 1973 den innovativen und positiven Charakter der „vom Kurfürsten [Friedrich Wilhelm] vertretenen Meinung“ zu betonen und herauszustellen, „daß die beiden evangelischen Konfessionen im Grunde übereinstimmten und zusammengehörten, daß die Differenzen in der Abendmahlsfeier nicht die feindliche Spaltung und wechselseitige Verdammung rechtfertigten“.29 Die in den sogenannten Toleranzedikten von 1662 und 1664 genannten Einschränkungen für die Lutheraner hätten nach Klaus Deppermann zwar dazu geführt, dass diese den „Angriff auf die Bekenntnisgrundlage der lutherischen Kirche“ im Sinne eines Eingriffs in das ius in sacra und auf der Basis der Regelungen des Westfälischen Friedens berechtigt abwehrten, sie wurden aber gleichzeitig als Elemente einer „Versöhnungsstrategie“ beurteilt, der „eine tiefere religiöse Einsicht“30 zugrunde lag. Den Lutheranern, die der geforderten Toleranz nicht entsprachen, wurde damit unausgesprochen religiöse Rückständigkeit und Intoleranz zugeordnet, denn sie blieben „im engen Konfessionsdenken befangen.“31 Hier müsste die Notwendigkeit, die zweite Variante der Toleranz wahrzunehmen, nämlich die der Lutheraner gegenüber den Reformierten, bei der Verwendung des Toleranzbegriffs besonders zum Tragen kommen. Dies bleibt in der Regel aber unreflektiert. Dass Stefi Jersch-Wenzel bei der Untersuchung der Hugenotteneinwanderung und der Wirkungen des Edikts von Potsdam 168532 auf die Dominanz der ökonomischen anstelle der religiösen Motive unter dem Stichwort des Ersatzbürgertums hingewiesen hat,33 ändert nichts daran, dass die Beurteilung der Hugenottenimmigration und -integration nach wie vor als Zuschreibung religiöser Toleranz erfolgt. Exemplarisch sei dafür der 27

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Opgenoorth, Ernst: Friedrich Wilhelm. Der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, 2 Bde., Bd. 2: 1660–1688, Göttingen u.a. 1978, S. 351. Vgl. Lackner, Martin: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten, Witten 1973, S. 308f. Lackner konstatiert, dass die Einheit des Staats nur möglich gewesen sei, wenn „der exklusive Konfessionsstandpunkt überwunden, die konfessionelle Parität eingeführt und die evangelische Kirche für eine Kirchenunion vorbereitet wurde. Die verschiedenen Anläufe zur Förderung der Kirchenunion zeigten, daß ihm [dem Kurfürsten] diese als Endziel vorschwebte. Auch wenn er sie nicht erreichte, so hat er doch der Kirchenunion am Anfange des 19. Jahrhunderts den Weg bereitet.“ Ebd. Deppermann, Klaus: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten, in: PuN 6 (1980), S. 114. Ebd., S. 113f. Ribbe, Wolfgang: Brandenburg auf dem Weg zum polykonfessionellen Staatswesen (1620–1688), in: Heinrich, Gerd (Hg.): Tausend Jahre Kirche in Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, S. 288. Edikt von Potsdam, abgedruckt bei: Muret, Eduard: Geschichte der Französischen Kolonie in Brandenburg-Preußen, unter besonderer Berücksichtigung der Berliner Gemeinde; aus Veranlassung der Zweihundertjährigen Jubelfeier am 29. Oktober 1885, Berlin 1885, S. 301–306. Vgl. erneut sehr pointiert Jersch-Wenzel, Stefi: Ein importiertes Ersatzbürgertum? Die Bedeutung der Hugenotten für die Wirtschaft Brandenburg-Preußens, in: Thadden, Rudolf von / Magdelaine, Michelle (Hgg.): Die Hugenotten 1685–1985, München 1995, S. 160–171.

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I. Einleitung

Beitrag von Heinz-Dieter Heimann aus dem Jahr 2000 genannt. Heimann nimmt zwar die Bezüge zur Peuplierungspolitik wahr, konzentriert sich aber dennoch auf den Gedanken der Toleranzgewährung durch das Potsdamer Edikt als einen Akt der Herstellung von Religionsfreiheit für eine bestimmte Bevölkerungsgruppe.34 Inwieweit die Aufnahme von Glaubensflüchtlingen der eigenen Konfession durch eine Obrigkeit einen Akt der Duldung dieser Konfession darstellen soll, klärt er nicht. Die Kritiker der Toleranzthese befanden und befinden sich seit jeher in der Minderheit und formulierten die Ambivalenzen der Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms zunächst vorsichtig: Gerd Heinrich äußerte, Friedrich Wilhelms Konfessionspolitik sei „nicht von den Gesichtspunkten einer idealen Toleranz“35 geprägt gewesen, und Andreas Nachama sah ein „scharfes politisches Kalkül“ in der Toleranzausübung.36 Bis heute hat sich nur Jürgen Luh dezidiert kritisch und ausführlich mit der Anwendung des Toleranzbegriffs auf die Konfessionspolitik der brandenburgischen Kurfürsten und Könige von Friedrich Wilhelm über Friedrich den III. (I.) bis hin zu Friedrich Wilhelm I. auseinandergesetzt und die Konfessionspolitik explizit als landesherrliche reformierte Konfessionalisierung wahrgenommen.37 Folgerichtig wurde auch der Gedanke einer Vereinigung zwischen beiden protestantischen Konfessionen von Luh als eine „unter calvinistischen Vorzeichen“38 bezeichnet. Eine Reflexion dieses Verständnisses findet sich bei Matthias Asche, der in seiner Studie zur Kriegsbewältigungspolitik im ländlichen Raum Brandenburgs von 2006 die Ansiedlungsförderung als Bestandteil „des durch Kurfürst Friedrich Wilhelm nachgeholten reformierten Konfessionalisierungsprozesses“39 bewertete und diese in den umfassenderen Kontext der Religionspolitik einordnete. Obwohl Agnes Winter 2007 in einer Arbeit zum Gelehrtenschulwesen in Berlin die Konfessionalisierungsforschung ebenfalls berücksichtigt hat, erneuerte sie die These von einer toleranten, polykonfessionellen Religionspolitik für die Zeit Johann Sigismunds.40 Gleichzeitig postulierte sie den Beginn der Entkonfessionalisierung der Religionspolitik 34

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Vgl. Heimann, Heinz-Dieter: Brandenburger Toleranz zwischen Anspruch, Mythos und Dementi. Historisch-politische Annäherungen an das „Edikt von Potsdam“, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 52 (2000), S. 115–125, bes. S. 118ff. Heinrich, Gerd: Die Geschichte Preußens. Staat und Dynastie, F.a.M. 1981, S. 121. Nachama, Andreas: Ersatzbürger und Staatsbildung. Zur Zerstörung des Bürgertums in Brandenburg-Preußen, F.a.M. 1984, S. 34. Vgl. Luh, Jürgen: Zur Konfessionspolitik der Kurfürsten von Brandenburg und Könige in Preußen 1640 bis 1740, in: Lademacher, Horst / Loos, Renate / Groenveld, Simon (Hgg.): Ablehnung – Duldung – Anerkennung. Toleranz in den Niederlanden und in Deutschland. Ein historischer und aktueller Vergleich, Münster u.a. 2004 (Studien zur Geschichte und Kultur Nordwesteuropas, Bd. 9), S. 306–324, bes. S. 306–308. Ebd., S. 318. Asche, Matthias: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006, S. 9f. Vgl. Winter, Agnes: Das Gelehrtenschulwesen der Residenzstadt Berlin in der Zeit von Konfessionalisierung, Pietismus und Frühaufklärung (1574–1740), Berlin 2007 (QFBPG, Bd. 34), S. 35.

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in den 1670er Jahren angesichts des Aufkommens des Pietismus.41 Die Zeit der Konfessionalisierung in Brandenburg-Preußen unter der Regierung Friedrich Wilhelms beträgt nach Winter demnach nur dreißig Jahre. Auch bei der Einschätzung des Religionsgesprächs von 1703 taucht der Begriff der Toleranz in der Forschung als ein König Friedrich I. gleichsam intrinsisches Merkmal wieder auf: „Bei der Religionspolitik dieses Landesherrn ist zu bemerken, dass er sich für Toleranz einsetzte, und zwar in einem umfassenden Sinn: Es handelte sich nicht nur um einen Gedanken, den er je nach kirchenpolitischer Lage aufgriff, sondern Toleranz war ihm ein Prinzip.“42

Drei Erklärungsmodelle können für die fortwährende Wirkung des Toleranzgedankens in der Historiographie benannt werden: 1. Der Versuch, eine Universalerklärung für die gewährte Toleranz geben zu wollen, ohne die Konfessionspolitik prozessual und die konfessionspolitischen Einzelschritte zu bewerten. Die grundsätzliche Voraussetzung von Toleranz verhindert Offenheit für mögliche andere Erklärungen konfessioneller Entwicklungen. 2. Die augenscheinliche Überformung des Duldungscharakters mit heutigen zeitgenössischen Topoi von Toleranz im Sinne eines polykonfessionellen, friedlichen Zusammenlebens und der Gleichberechtigung der Konfessionen als moderne Respekt-Toleranz einer pluralistischen Gesellschaft.43 3. Das mangelnde Gespür für die Subjekte der Toleranz. Nähme man die Bedeutung einer zweiten Form der Toleranz wahr, die von den lutherischen Untertanen gegenüber den Reformierten eingefordert wurde, würde die einseitige, unreflektierte Benutzung der Begriffe ‚Toleranz’ und ‚Toleranzedikt’ ad absurdum geführt. Eine Reflexion des Begriffs Toleranz in Bezug auf moderne Bedeutungseintragungen und seine zweifache Erscheinungsform zerstört also den Grundtenor der Forschung einer auf die Moderne ausgerichteten, von Gleichberechtigung geprägten brandenburg-preußischen Konfessionspolitik grundlegend. Exakt dieser Schritt muss vollzogen werden, nimmt man Daniel Ernst Jablonskis Äußerungen ernst: 1697/98 existierte eine deutlich wahrnehmbare Tendenz innerhalb des Berliner reformierten Politikzirkels, die Lutheraner durch die Förderung der richtigen, nämlich Friedfertigen unter ihnen, zu einer Kirchenunion mittels Selbst-Reformation zu bewegen, und zwar, wie anhand des Beichtstuhlstreits gezeigt worden ist, durch die Aufgabe wichtiger Rituale: „Es scheint Gott selbst lenke die Hertzen Unsrer Evangelischen Mitbrüder die noch übrige Reliquien des Pabstums vollends von sich auszufegen. Die itzt den beichtpfennig und den beichtstuhl abgeschaffet wünschen, werden, wenn dieses erlanget, auch an die Oblaten kommen, und rechtes Brot nebst brechung des Brodtes, eingeführet zu sehen sich bemühen wodurch denn die lutherische Kirche durch ihre eigene Glieder reformirete und ein gewünschtes actreminement zur längste verlangten Kirchenvereinigung erlanget werden kan.“44 41 42

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Vgl. Ebd., S. 44ff. Scheepers, Rajah: Die gescheiterte Union. Der preußische Unionsversuch des Collegium charitativums im Jahr 1703, in: JBBK 67 (2009), S. 141. Scheepers zitiert hier Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 48. Vgl. Forst: Art. „Toleranz“, S. 27–56. Jablonski an von Fuchs am 3.4.1697 [Entwurf], SBB-PK, Francke-Nachlass, Kaps. 11, 2/10:52 (=

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I. Einleitung

Jablonskis implizierte Forderungen, welche die Lutheraner auf dem Weg zu einer nah erwarteten Kirchenunion erfüllen sollten, gingen über Fragen einer wechselseitigen Toleranz hinaus und stellen deutlich eine konfessionspolitische Absicht zur Schau: Die Selbst-Reformation der Lutheraner. Auf Basis dieser Bewertung der konfessionspolitischen Vorgänge in Berlin in der zweiten Hälfte der 1690er Jahre ergibt sich die Notwendigkeit, die brandenburg-preußische Konfessionspolitik einer erneuten grundsätzlichen Analyse zu unterziehen, die nicht mehr mit dem vorschnellen Verdikt der Toleranz operiert. Statt dessen soll die Konfessionspolitik seit Kurfürst Johann Sigismund unter dem Fokus der reformierten Konfessionalisierung untersucht werden.

1.2. Problemstellung 2: Reformuniversität Halle Jablonski verortete einige der friedfertigen Theologen, nämlich „die vortreffl[ichen] Leüte, D. Breithaupt, Herrn Lic. Anton, und Francken“45 an der noch jungen Friedrichs-Universität in Halle. Joachim Justus Breithaupt und Paul Anton wirkten an der theologischen Fakultät, und August Hermann Francke war zum Zeitpunkt der brieflichen Äußerung Jablonskis des Jahres 1698 noch an der philosophischen Fakultät bestallt. Die 1691 etablierte und 1694 privilegierte Universität scheint demnach eine besondere Rolle für konfessionspolitische Überlegungen in Berlin gespielt zu haben. In der breiten Öffentlichkeit ist es heute üblich, die Bedeutung der Universität Halle für das 18. Jahrhundert mit dem Begriff der ‚Reformuniversität’ zu fassen. Die Selbstdarstellung der Martin-Luther-Universität (MLU) ist von ihm geprägt, beispielsweise sagt die theologische Fakultät auf ihrer Homepage: „An der 1694 gegründeten Reformuniversität in Halle versammelten und überkreuzten sich Pietismus und Aufklärung.“46 Laut dem Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) an der MLU wurde in Halle „1694 die erste Reformuniversität der Aufklärung gegründet“.47 Die Recherche mit der Suchmaschine Google offenbart, wie weit die Begriffsverknüpfung ‚Reformuniversität Halle’ in den allgemeinen Gebrauch vorgedrungen ist, seien es (in willkürlicher Auswahl) der Artikel ‚Reformuniversität’ in der Wikipedia,48 die Preußen-Chronik des Rundfunks Berlin-Brandenburg49 oder die Homepage der EKD für eine an der Leucorea in Wittenberg veranstaltete Tagung.50

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AFSt, Mikrofilm 7, Jablonski, S. 136.). Jablonski an Leibniz am 6.8.1698 [Entwurf], SBB-PK, Francke-Nachlass, Kapsel 11, 2/11:14 (= AFSt, Mikrofilm 7, Jablonski, S. 46f.). http://www.theologie.uni-halle.de/81_235651/ [Zugriff am 26.1.2012]. http://webdoc2.urz.uni-halle.de/izea/cms/de/personen-profil/kurzpraesentation.html [Zugriff am 26.1.2012] http://de.wikipedia.org/wiki/Reformuniversität [Zugriff am 28.1.2012]. http://www.preussen-chronik.de/episode_jsp/key=chronologie_001910.html [Zugriff am 28.1.2012] http://www.ekd.de/aktuell/52930.html [Zugriff am 4.2.2012]

1. Forschungsprofil

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Der Historiker, der mit dem Topos der ‚Reformuniversität Halle’ konfrontiert ist, ist hingegen aufgefordert, dessen Begriffsverknüpfung zu hinterfragen und seine Herkunft zu bestimmen. Diese Recherche führt nicht in die ältere Universitätsgeschichtsschreibung, sondern in die moderne Bildungs- und Universitätsgeschichte. In den klassischen hallischen Universitätsgeschichten fehlt die Rede von der ‚Reformuniversität’, seien es Johann Peter von Ludewigs Universitätsgeschichte von 1734,51 Johann Christian Försters universitätsgeschichtlicher Überblick von 179452 oder das am Ende des 19. Jahrhunderts entstandene Werk von Wilhelm Schrader.53 Auch die Stadtgeschichte von Johann Christoph von Dreyhaupt von 1749/5054 bietet sie nicht an. Näherungsweise fündig wird man erst bei dem Universitäts- und Wissenschaftshistoriker Notker Hammerstein 1972,55 der zwar nicht den Begriff, aber die Begriffsbedeutung in die Forschung eingetragen hat: Hammerstein akzentuierte eine universitätsgeschichtliche Gründungslinie Halle – Göttingen (– Berlin) und verortete an diesen Hochschulen die Entstehung und Verbreitung eines aufgeklärten Universitätsmodells durch die zunehmende Bedeutung von Jus und Historie innerhalb der Universität und ihrer Wissenschaftshierarchie analog zu den Veränderungen der Universitäten in der Reformationszeit.56 Halle sei in einer Zeit des Niveauverlusts an den Universitäten „die Rettung zu danken, und die Inauguration dieser Universität kennzeichnet ganz allgemein den Umschwung der deutschen Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte zwischen Reformation und Idealismus.“57 Dies verband er unmittelbar mit dem Wirken von Christian Thomasius – nach Hammerstein derjenige, der „die notwendige ‚reformatio’“ des deutschen Universitätswesens in Halle bewerkstelligte, was „eben diesem ihrem Reformator das Lob eines zweiten Praeceptor 51

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Ludewig, Johann Peter von: Historie der Friedrichs-Universität Halle. Vom Jahr 1531, so dann 1692 und dero Einweyhung 1694 biß auf jetzige Zeiten. 1734 überhaupt sowohl, als auch vornehmlich der Juristen-Facultät; statt eines Vorberichtes in dem II. Theil der Rechtlichen Gutachten der Hallischen Rechtsgelehrten, aus eigener Erfahrung beschrieben von dero Cantzlern Johann Peter von Ludewig, [Halle] 1734. Förster, Johann Christian: Uebersicht der Geschichte der Universität zu Halle in ihrem ersten Jahrhunderte, Halle: Kümmel 1794. Schrader, Wilhelm: Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle, 2 Bde., Halle 1894. Dreyhaupt, Johann Christoph von: Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatischhistorische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr durch den westphälischen Friedens-Schluß secularisierten Herzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses und aller darinnen befindlichen Städte, Schlösser, Aemter, Rittergüter, adelichen Familien, Kirchen, Clöster, Pfarren und Dörffer, Insonderheit der Städte Halle, Neumarckt, Glaucha, Wettin, Löbejün, Cönnern und Alsleben, 2 Theile, Halle: Schneider 1749/50, Nachdruck: Halle 2002. Vgl. Hammerstein, Notker: Jus und Historie. Ein Beitrag zur Geschichte des historischen Denkens an deutschen Universitäten im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert, Göttingen 1972; vgl. auch Ders.: Jurisprudenz und Historie in Halle, in: Hinske, Norbert (Hg.): Zentren der Aufklärung I. Halle. Aufklärung und Pietismus, Heidelberg 1989, S. 239–253. Mit europäischer Perspektive vgl. Hammerstein, Notker: Aufklärung und Universitäten in Europa: Divergenzen und Probleme, in: Ders. (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995 (Das achtzehnte Jahrhundert, Supplementa, Bd. 3), S. 191–205. Hammerstein: Jus, S. 13. Hervorhebung durch Hammerstein.

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Germaniae“58 eingetragen habe. Aufgrund seiner Leistungen wurde die Friedrichs-Universität zum „Vorbild aller ‚modernen’ Hochschulen des kommenden Jahrhunderts.“59 Diese Deutung des Werks von Thomasius verdankt sich der frühesten universitätsgeschichtlichen Darstellung durch Johann Peter von Ludewig: Hier wird für Thomasius die Rolle einer von der Obrigkeit beauftragten Testperson der Möglichkeiten der hallischen Bildungslandschaft stark gemacht,60 welcher aufgrund seiner neuen Methoden mit großem Erfolg Vorlesungen hielt61 und nach Rolf Lieberwirth „heute mit recht als der geistige Begründer der Universität Halle“ gilt, „die schon wenige Jahre nach ihrer Errichtung eine führende Rolle in der deutschen Wissenschaft spielen sollte“.62 Diese Sichtweise prägte die Ausbreitung des Begriffs von der Reformuniversität Halle seit den 1970er Jahren.63 Durch die besondere Betonung der Person des Thomasius wurde Halle zu einem Ausgangsort der deutschen Aufklärung, und damit verband sich sukzessive die Ansicht, die Universität sei als Ort der Aufklärung intendiert gewesen, weil – so wiederum Hammerstein – „mit der Gründung Halles […] eine schließlich reichsweit nachgeahmte Reform zustande kam, die die klassische und alte Institution verjüngte, kräftigte, überlebensfähig und zukunftsoffen sein ließ.“64 Gleichwohl geriet auch der Pietismus mit in den Blick, allerdings aus einer anderen Perspektive: Der Titel von Carl Hinrichs’ posthum erschienenem Werk „Preußentum und Pietismus“65 prägte die begriffliche Symbiose zwischen Staat und religiöser Strömung, 58 59 60

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Ebd., S. 375f. Ebd., S. 43. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 40. Dort heißt es, es schiene „auch am rathsamsten zu seyn; vorhero den Versuch, von Privat-Leuthen, thun zu lassen, welche allemahl, wenn der Fortgang nicht einschlagen will, die Hände wieder herausziehen mögen. Ohne deßhalben in der Welt ein großes Aufsehen zu machen.“ Ebd. Vgl. ebd., S. 41ff. Lieberwirth, Rolf: Christian Thomasius (1655–1728), in: Jerouschek, Günther / Sames, Arno (Hgg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694–1806), Hanau 1994, S. 42. Frühe Verwendungen z.B. vgl. Link, Christoph: Rechtswissenschaft, in: Vierhaus, Rudolf (Hg.): Wissenschaften im Zeitalter der Aufklärung, Göttingen 1985, S. 134; vgl. Schwochow, Werner: Was ist Aufklärung? Bericht über die 4. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Buchgeschichte, in: WNzB 11, 2 (1986), S. 86; vgl. Treue, Wilhelm: Wissenschafts- und Technikgeschichte Preußens, Berlin 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission, Bd. 56), S. 19, S. 47. Es sollte nicht ausgeschlossen werden, dass möglicherweise die zeitgenössische Diskussion um die Reformuniversitätsgründungen Konstanz (1966) und Bielefeld (1969) dabei eine Rolle spielte. Hammerstein, Notker: Innovation und Tradition. Akademien und Universitäten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in: HZ 278 (2004), S. 603. Hinrichs, Carl: Preußentum und Pietismus. Der Pietismus in Brandenburg-Preußen als religiössoziale Reformbewegung, Göttingen 1971. Dies entspricht der Sichtweise der Franckebiographik vgl. Kramer, Gustav: August Hermann Francke. Ein Lebensbild. 2 Teile, Halle 1880 und 1882, Nachdruck: Hildesheim u.a. 2004; vgl. Peschke, Erhard: Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Hermann Franckes, Bielefeld 1977.

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die aufgrund ihrer jeweiligen, unterschiedlich motivierten Frontstellung gegenüber der Orthodoxie entstanden66 und für beide Partner in theologischer, merkantilistischer und disziplinierender Hinsicht nutzbringend gewesen sei. Der dritten Partei, der Orthodoxie und den mit ihr verbundenen Landständen kam nach Hinrichs die Rolle zu, die tolerante Religionspolitik in Bezug auf Reformierte und Pietisten wegen des drohenden Verlustes ihrer allgemeinen Vormachtstellung und insbesondere der Auflösung der bestehenden gesellschaftlichen Ordnung zu bekämpfen.67 Die These Klaus Deppermanns, der brandenburg-preußische Staat habe auch den verfolgten Pietisten eine Heimstatt gegeben, indem Breithaupt und Francke aus Gründen der auf Spener zurückgeführten genuin neuen pietistischen Friedfertigkeit an der gerade gegründeten Universität planvoll installiert wurden, um der erstarrten lutherischen Orthodoxie in deren Verbindung mit den Ständen zu begegnen,68 ließ ihn die Konflikte zwischen Pietisten und Reformierten, die er durchaus wahrgenommen hat, ausschließlich als einen „Anachronismus“ deuten, „der weder dem Geist der bisherigen Religionspolitik in Brandenburg-Preußen, noch dem des Pietismus entsprach“.69 Die Universität besitzt in den Ansichten Hinrichs und Deppermanns die Funktion eines pietistischen Bollwerks gegenüber der Orthodoxie und später auch gegenüber der Aufklärung.70 Durch die Annahme der These, es hätte einen Plan gegeben, den Pietismus in Halle an der Universität zu implantieren, entstand eine derart zielgerichtete Sichtweise, dass Widersprüche nicht wahrgenommen wurden bzw. ungeklärt blieben. Einen entscheidenden Beitrag zur Auflösung dieser verengten Perspektive hat Veronika Albrecht-Birkner 2004 geleistet, indem sie aufgezeigt hat, wie sehr die Wahrnehmung einer Dichotomie zwischen Pietismus und Orthodoxie Franckes eigener Inszenierung entsprang.71 Mit Bezug auf das Verständnis vom Pietismus als Ursprung der Universität wies darüber hinaus Udo Sträter – ohne Verwendung des Begriffs ‚Reformuniversität’ – darauf hin, dass für die städtischen und ständischen Gegner der Universität nicht etwa Christian Thomasius als Verkörperung der Aufklärung, sondern die pietistischen Theologen im Fokus standen, noch bevor überhaupt ein Pietist die Stadt betreten hatte. Thomasius als der Verteidiger Franckes in Leipzig galt ihnen als Pietist, nicht als Frühaufklärer.72 Von Franckes Reformprogramm73 66 67 68

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Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 177. Vgl. ebd., S. 218. Vgl. Deppermann, Klaus: Der hallesche Pietismus und der preußische Staat unter Friedrich III. (I.), Göttingen 1961, S. 62ff. Vgl. ebd., S. 163. Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 216ff, S. 352ff. Vgl. Albrecht-Birkner, Veronika: Francke in Glaucha. Kehrseiten eines Klischees (1692–1704), Tübingen 2004 (Hallesche Forschungen, Bd. 15). Sträter, Udo: Aufklärung und Pietismus – das Beispiel Halle, in: Hammerstein, Notker (Hg.): Universitäten und Aufklärung, Göttingen 1995, S. 49. Vgl. [Francke, August Hermann]: Project. Zu einem Seminario Universali oder Anlegung eines Pflantz-Gartens, von welchem man eine reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Teutschlands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten, AFSt/ W II/-/10, Bl. 33r–42v.

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dürfte hingegen Johannes Wallmann ausgegangen sein, wenn er schreibt, dass Francke „Halle zu einer universalen Reformuniversität weiterbilden“74 wollte. Das Schlagwort von der ‚Reformuniversität’ benutzte er aber auch in herkömmlicher Weise und zwängte den Aufbau von Universität und Franckeschen Stiftungen in ein enges zeitliches Korsett, denn beides vollzog „sich innerhalb der Regierungszeit des ersten preußischen Königs, in den beiden Jahrzehnten, die auf Speners und Franckes Kommen nach Brandenburg-Preußen folgten.“75 Bei Speners Tod 1705 sei der Aufbau im wesentlichen abgeschlossen gewesen. Die Annahme eines engen zeitlichen Rahmens und die Zusammenschau mit den Stiftungen weisen darauf hin, dass es sich für Wallmann bei der Universitätsgründung und der Etablierung der Pietisten in Halle um ein intendiertes innovatives Konzept handelte. Ein Blick in die Festschrift zur Dreihundertjahrfeier der Universität Halle im Jahr 1994 unter dem Titel „Aufklärung und Erneuerung“76 illustriert das Problem. Hier heißt es: „Mit den Stichworten ‚Aufklärung’ und ‚Erneuerung’ läßt sich nachgerade die Programmatik der Gründergeneration der Fridericiana charakterisieren: Man wollte heraus aus dem autoritätsfixierten Wissenschaftsbetrieb des konfessionellen Zeitalters, man insistierte auf Erfahrungs- und Rationalitätskriterien im Wissenschaftsvollzug, strebte nach kognitiver Erhellung der Wirklichkeit, nach Lebens- und Berufspraxis, man traute der deutschen Sprache wissenschaftliches Artikulationsvermögen zu und beabsichtigte bildungsbürgerliche Öffnung. Mit einem Wort: Man wollte eine Reformuniversität sein […]. Pietismus […] und Aufklärung […] haben nachhaltig den raschen Aufstieg der Fridericiana befördert und ihr Profil geprägt“.77

Diese Aussage ist verräterisch, denn es wird etwas über die Einstellungen und Absichten der Gründergeneration an der Universität ausgesagt, nicht aber über die des Gründers, also des Landesherrn und seiner Regierung. Ohne Frage entfalteten die dem Pietismus und der Aufklärung zuzuordnenden Personen an der Friedrichs-Universität enorme wissenschaftliche und praktische Wirkung. Aber von einer sich erst entwickelnden Prägekraft der Universität auf die Ursache der Gründung zu schließen, also gleichsam aus der Retrospektive eine umgekehrte Kausalität zu konstruieren, ist problematisch, weil teleologisch, oder, um es mit Veronika Albrecht-Birkner und Udo Sträter zu sagen: „Die Annahme, Kurfürst und Regierung hätten beabsichtigt, eine durch Pietismus und Aufklärung geprägte ‚Reformuniversität’ zu gründen, gehört in das Reich der Legenden, auch wenn letztlich dieser Effekt unfreiwillig erzielt wurde.“78 74

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Wallmann, Johannes: Der Pietismus, Göttingen 1990 (Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 4), S. 79. Wallmann, Johannes: Preußentum und Pietismus, in: Ders.: Gesammelte Aufsätze, 3 Bde., Bd. 2: Pietismus-Studien, Tübingen 2008, S. 370f. Jerouschek, Günther / Sames, Arno (Hgg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694–1806), Hanau 1994. Beintker, Michael (im Namen des Herausgeberkreises): Einleitung, in: Jerouschek, Günther / Sames, Arno (Hgg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694–1806), Hanau 1994, S. 14. Albrecht-Birkner, Veronika / Sträter, Udo: Lutherische Orthodoxie in Halle – theologische Profile, Frömmigkeit und die Auseinandersetzung mit den Pietisten, in: Freitag, Werner / Ranft, Andreas (Hgg.): Geschichte der Stadt Halle, 2. Bde., Bd. 1: Halle im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Halle 2006, S. 344.

1. Forschungsprofil

25

Die Frage nach der Ursache für die Universitätsgründung beantwortet sich nicht mit dem Zirkelschluss, Halle sei als Ausgangsort der reformerischen Gedanken von Aufklärung und Pietismus gleichsam Startpunkt einer auf die Moderne ausgerichteten innovativen wissenschaftlichen Entwicklung gewesen, und dies hätte zwangsläufig im Interesse der Obrigkeit gelegen.79 Darüber hinaus reicht der Bezug zu ‚Aufklärung’ und ‚Pietismus’, die als Prozesse zur „umfassenden Ablösung und ‚Aufhebung’“80 der Orthodoxie beigetragen hätten, nicht aus, um die Hochschulpolitik in Halle zu erklären. Keinesfalls soll es deshalb in dieser Arbeit um eine erneute Wiederholung der verbreiteten hagiographischen Zuordnung von Namen und Konzeptionen zu den Großbegriffen gehen.81 Vielmehr sollen die individuellen theologischen Entwicklungen und Konzeptualisierungen sowie die von außen herangetragen Vorwurfsprofile wahrgenommen und in Bezug gesetzt werden: Beide Strömungen wurden nicht als Gesamtbewegungen in Halle installiert, es können allenfalls Einzelpersonen ausgemacht werden, die besondere den Großbegriffen zugeschriebene inhaltliche Elemente auf eine Weise vertraten, die sie interessant für eine Bestallung an einer neu zu gründenden Universität machten. Eine umfassendere Antwort auf die Frage nach der Intention des brandenburgischen Kurfürsten als Universitätsgründer kann nur aus der Analyse der bis dahin in Brandenburg-Preußen verfolgten Bildungspolitik und – angesichts des Primats der Theologie an den Universitäten – deren enger Verknüpfung mit der Konfessionspolitik erfolgen. Wenn aber eine noch unter den Prinzipien der Konfessionalisierung ablaufende Konfessionspolitik bis zum Ende des 17. Jahrhunderts postuliert wird (Problemstellung 1), so ergeben sich für eine Untersuchung der Gründungszeit der Friedrichs-Universität Halle automatisch die Fragen nach konfessionspolitischen Ursachen für die Gründung und nach ihren Bezügen innerhalb der in Halle verfolgten Hochschulpolitik.82

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82

Vgl. für die Aufklärung Hammerstein, Notker: Die Universitätsgründungen im Zeichen der Aufklärung, in: Baumgart, Peter / Hammerstein, Notker (Hgg.): Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978 (Wolfenbütteler Forschungen, Bd. 4), S. 264ff. Vgl. z.B. Greschat, Martin: Einleitung, in: Ders. (Hg.): Orthodoxie und Pietismus, Stuttgart u.a. 1982 (Gestalten der Kirchengeschichte, Bd. 7), S. 9f. Zuletzt für den Pietismus noch einmal sehr markant bei Schicketanz, Peter: Das Miteinander von Pietismus und Aufklärung in Halle, in: Sträter, Udo u.a. (Hgg.): Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2011, 2 Bde., Bd.1, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen, Bd. 17, 1), S. 236. Vgl. dazu auch Asche: Neusiedler, S. 139f. Damit würde die Forderung von Fred van Lieburg erfüllt werden, die Verbindungen des Pietismus zur Konfessionalisierung zu erforschen und deren Beziehungen zu erhellen; vgl. van Lieburg, Fred: Conceptualizing Religious Reform Movements in Early Modern Europe, in: Ders. (Hg.): Confessionalism and Pietism. Religious Reform in Early Modern Europe, Mainz 2006, S. 2ff.

26

2.

I. Einleitung

Forschungsdesign

2.1. Die Reaktivierung des Konfessionalisierungsparadigmas Zur Erforschung der landesherrlichen Motive für die Gründung der Friedrichs-Universität 1691/1694 soll das Konfessionalisierungsparadigma im Sinne einer reformierten Konfessionalisierung reaktiviert werden. Es wird an dieser Stelle auf eine Wiedergabe der Entstehung des Paradigmas und der Kontroversen darüber verzichtet und stellvertretend auf den Sammelbericht zu dieser Forschungsdebatte von Thomas Kaufmann von 199683 und den Beitrag von Harm Klueting von 200384 verwiesen. Gegenüber den ursprünglichen Ansätzen von Heinz Schilling85 und Wolfgang Reinhard86 ist im Rahmen dieser Arbeit auf folgende Modifikationen hinzuweisen: 1. Der Zeitraum der Konfessionalisierung wird gegenüber der Ursprungsthese Schillings, der sich auf die Zeit von 1555 bis 1648 bezogen hatte, stark erweitert. Damit wird sowohl Reinhard, der früh die Ausläufer von Konfessionalisierung bis ins 18. Jahrhundert erkannte,87 als auch Schillings späterer Selbstkritik88 entsprochen. Es wird zu fragen sein, inwieweit die reformierte Konfessionalisierung in der Konfessions- und Bildungspolitik auch am Ende des 17. Jahrhunderts noch bestimmten Ausgangsmustern folgte, und inwieweit diese in Bezug auf die Universitätspolitik erhalten oder verändert wurden. 2. Entgegen der Tendenz neuerer Forschungen zum Konfessionalisierungsparadigma89 wird explizit nach den Handlungsabsichten und Gestaltungsoptionen der brandenburg83

84 85

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89

Vgl. Kaufmann, Thomas: Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: ThLZ 121 (1996), Sp. 1008–1025, Sp. 1112–1121. Vgl. Klueting: „Zweite Reformation“, S. 309–341. Vgl. Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246 (1988), S. 1–45. Reinhard, Wolfgang: Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ZHF 10 (1983), S. 257–277. Vgl. ebd., S. 259. Vgl. Schilling, Heinz: Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Reinhard, Wolfgang / Schilling, Heinz (Hgg.): Die katholische Konfessionalisierung, Heidelberg 1995 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 198), S. 1–49. Zur Kritik der Mikro- und Alltagsgeschichte nach wie vor grundlegend vgl. Schilling, Heinz: Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht, in: HZ 264 (1997), S. 675–691; vgl. Schmidt, Heinrich Richard: Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: HZ 265 (1997), S. 639–682. In jüngerer Zeit ist die Tendenz zu stark kulturwissenschaftlich geprägten Arbeiten in der Konfessionalisierungsforschung auffällig, z.B. vgl. Balbach, Anna-Maria: „Hier ruhen wir in dieser Grufft, biß Unser Herr uns zu sich rufft“ – Grabinschriften der Frühen Neuzeit als Spiegel sprachlicher Konfessionalisierung? Das Beispiel der Stadt Augsburg, in: Elspaß, Stephan / Negele, Michaela (Hgg.): Sprachvariation und Sprachwandel in der Stadt der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2011(Spra-

2. Forschungsdesign

27

preußischen Obrigkeit im Bereich der Konfessions- und Bildungspolitik gefragt. Dabei werden dort, wo es die Quellen ermöglichen, die verschiedenen Akteure der landesherrlichen Verwaltung und ihre Differenzen sichtbar gemacht, seien es Geheime Räte in Berlin, Regierungsorgane im Herzogtum Magdeburg oder Hofprediger sowohl in Berlin als auch in Halle. Hinter diesen Akteuren tritt der Kurfürst oder König wahrnehmbar zurück, so dass die Herangehensweise keinesfalls dazu dienen kann, einem absolutistisch-monarchistischen Verständnis das Wort zu reden. Die verwendeten Quellen sind als Texte in einem kommunikativen und dynamischen Prozess von Konfessionspolitik zu verstehen, in dem diese Politik von verschiedenen Handlungsträgern sowohl auf der Ebene der Landesverwaltung als auch auf der lokalen Ebene verhandelt wird.90 Es geht also nicht um eine Gegenüberstellung von aktivem Landesherrn und passiven Staatsdienern oder Untertanen. 3. Aus diesem Zugriff ergeben sich die Opponenten der reformierten Konfessionspolitik: Die Stände der Provinzen, insbesondere die des Herzogtums Magdeburg. Im weiteren Untersuchungsverlauf kristallisieren sich dann die Stadt Halle und deren Stadtgeistlichkeit heraus. Nach der Rolle der Universitätsprofessoren in diesem Gefüge von lokalen und überregionalen Akteuren ist gemäß der hier postulierten Verknüpfung von Konfessionalisierung und Universitätsgründung besonders zu fragen. Eine starke Konzentration auf die Handlungs- und Kommunikationsstrategien der Theologen erklärt sich dabei von selbst. Das betrifft auch die Stadtprediger Halles genauso wie die Hofprediger in Halle und Berlin, zuvorderst allerdings die neu etablierte theologische Fakultät an der Friedrichs-Universität. Akteure aus den drei anderen Fakultäten spielen dann eine Rolle, wenn sie sich mit theologischen Fragestellungen beschäftigten, in Konflikte einschalteten

90

che – Literatur – Geschichte, Bd. 38), S. 239–251; vgl. Freitag, Werner: Berühren, bekleiden, niederknien: „Wunderthätige Gnadenbilder“ im Zeitalter der Konfessionalisierung, in: StollbergRilinger, Barbara / Weißbrich, Thomas (Hgg.): Die Bildlichkeit symbolischer Akte, Münster 2010 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 28), S. 199–221; vgl. Horstkamp, Sarah: „von der Paebstischen Finsternueß zum hellscheinenden Evangelischen Liechte“ – Konfessionalisierung der Sprache in Konversionsschriften des konfessionellen Zeitalters?, in: Elspaß, Stephan / Negele, Michaela (Hgg.): Sprachvariation und Sprachwandel in der Stadt der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2011, S. 221–238. Darüber hinaus stehen geistliche Akteure der Konfessionalisierung im Mittelpunkt. Vgl. z.B. Küppers-Braun, Ute / Schilp, Thomas (Hgg.): Katholisch – lutherisch – calvinistisch: Frauenkonvente im Zeitalter der Konfessionalisierung, Essen 2010; vgl. Brademann, Jan: Die Sakralisierung der Ordnung. Prozessionen im Kirchspiel Ascheberg in der Konfessionalisierung, in: Freitag, Werner / Helbich, Christian (Hgg.): Bekenntnis, soziale Ordnung und rituelle Praxis. Neue Forschungen zu Reformation und Konfessionalisierung in Westfalen, Münster 2009 (Westfalen in der Vormoderne, Bd. 4), S. 279–298. Vgl. die Auseinandersetzung mit dem älteren Staatsmodell und die Entwicklung eines die Bipolung von Herrscher und Beherrschten auflösenden kommunikationstheoretischen Modells bei Meumann, Markus / Pröve, Ralf: Die Faszination des Staates und die historische Praxis. Zur Beschreibung von Herrschaftsbeziehungen jenseits teleologischer und dualistischer Begriffsbildungen, in: Dies. (Hgg.): Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses, Münster 2004 (Herrschaft und soziale Systeme in der Frühen Neuzeit, Bd. 2), S.11–49, bes. 45ff.

28

I. Einleitung

bzw. eingeschaltet wurden oder gar Zentren von theologisch-konfessionellen Konflikten darstellten. 4. Der von Thomas Kaufmann geprägte Begriff der Konfessionskultur muss mit bedacht werden:91 Konfessionskultur wird als der „Formungsprozeß einer bestimmten, bekenntnisgebundenen Auslegungsgestalt des christlichen Glaubens in die vielfältigen lebensweltlichen Ausprägungen und Kontexte hinein, in denen der allenthalben wirksame Kirchenglaube präsent war“,92

verstanden. Der Begriff bezieht sich damit auf das Gemeinsame, das dogmatisch und rituell Verbindende zwischen den Akteuren einer Konfession. Weil es sich bei allen konfessionellen Gemeinsamkeiten aber um individuelle Akteure und Gruppen innerhalb einer Konfession handelt, muss der Begriff der Konfessionskultur zwangsläufig von dem Terminus der ‚binnenkonfessionellen Pluralität’ flankiert werden, der es ermöglicht, die Differenzierung in territoriale, nationale, regionale und letztendlich auch gruppenspezifische sowie personale konfessionelle Varianten kenntlich zu machen.93 Die Zusammenschau von Konfessionskultur und binnenkonfessioneller Pluralität dient also dazu, sowohl die Mitte der Konfession im Sinne dogmatischer und ritueller Verbindlichkeiten als gemeinsame Sinnstiftung94 als auch die Pluralisierung innerhalb einer Konfession zu erfassen. Es handelt sich um einen integrativen Ansatz, mit dem verdeutlicht werden kann, wie sich Personen einzeln oder in Gruppen als Angehörige einer Konfession fühlen konnten und als solche wahrgenommen wurden, die zugleich offen waren für von der Mehrheit der Zeitgenossen pejorativ bewertete theologische Strömungen oder Einflüsse 91

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Vgl. Kaufmann, Thomas: Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur, Tübingen 1998 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 104), S. 7–9, S. 139ff.; vgl. ders.: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006 (Spätmittelalter und Reformation, NR, Bd. 29), S. 3–26. Der Begriff wurde für die kulturellen Prägungen des Katholizismus bereits rezipiert vgl. Klueting, Harm: Westfalia catholica im 16. und 17. Jahrhundert. Katholische Konfessionskultur im Westfalen der Frühen Neuzeit. Glaubenswissen und Glaubenspraxis in agrarischen Lebens- und Erfahrungsräumen, in: Westfälische Forschungen 56 (2006), S. 23–63. Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg, S. 7. Indem eine Konzentration auf Theologen bzw. Gelehrte und die von ihnen geführten Auseinandersetzungen favorisiert wird, kommt der Aspekt der Alltagskultur weniger zum Tragen als der Begriff der Konfessionskultur es ermöglichen würde. Relevanter wird dies gerade dort, wo Laien als Akteure wahrnehmbar werden, sei es in den Texten der Landstände oder in denen von Gemeindegliedern in Halle. Dort vorzufindende Aspekte konfessioneller Eigenart deuten nicht nur auf einen bewussten diskursiven Gebrauch hin, sondern zeigen auch, daß diese Topoi einen Sitz im Leben haben. Vgl. Kaufmann, Thomas: Einleitung, in: Greyerz, Kaspar von / Jakubowski-Tiessen, Manfred / Kaufmann, Thomas / Lehmann, Hartmut (Hgg.): Transkonfessionalität, Interkonfessionalität, binnenkonfessionelle Pluralität – Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Heidelberg 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 201), S. 15. Nach Kaufmann kommt „dem Begriff der lutherischen Konfessionskultur die Funktion zu, die innerlutherische Vielfalt hinsichtlich des geltenden Bekenntnisses ebenso wie hinsichtlich der kulturellen Ausdrucksformen begrifflich zu verbinden.“ Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg, S. 144. Kaufmann nennt dies „prägende Verbindlichkeiten“; vgl. ebd., S. 145.

2. Forschungsdesign

29

anderer Provenienz wie z.B. die Rezeption von Mystik und Spiritualismus. Als plausible Beschreibungsmöglichkeiten für Varianten von binnenkonfessioneller Pluralität können ‚Transkonfessionalität’ als das (bewusste) Hinausgehen über eine konfessionelle Grenze in einem prozessualen Sinn einschließlich der Konversion als das Verlassen einer Konfession und der Aufgabe der Konfessionskultur95 und ‚Interkonfessionalität’ als wechselseitige Austauschprozesse zwischen verschiedenen konfessionellen Milieus verwendet werden.96 5. In dieser Arbeit wird ‚Konfessionskultur’ bei der Untersuchung der lutherischen Akteure angewendet: Die obrigkeitlich betriebene reformierte Konfessionalisierung richtete sich im Fall Brandenburg-Preußens auf die Umgestaltung der lutherischen Konfessionskultur der Untertanen und letztendlich auf die Etablierung der eigenen reformierten Konfessionskultur. Bei einer differenzierten Beschreibung der reformierten Seite müsste ebenfalls das Konzept von ‚Konfessionskultur’ beachtet werden. Für Brandenburg-Preußen kommt das beispielsweise insofern zum Tragen, als die doppelte Prädestination hier kein Teil des dogmatischen Kanons war, wodurch sich ein spezifisches Reformiertentum entwickelte.97 Angesichts dessen ist der Begriff hier deutlich auf die gemeinsame dogmatische und rituelle Mitte im Luthertum ausgerichtet. Die von Individuen und Gruppen benutzten Identifikationsmuster mit der eigenen Konfession können auf diese Weise kenntlich gemacht werden. Gleichzeitig muss auf die ‚binnenkonfessionelle Pluralität’ geachtet werden: Mitglieder verschiedener innerlutherischer Strömungen konnten diese konfessionelle Mitte und den Konsens darüber problematisieren, die Kommunikation über die Mitte vorantreiben und um die Deutungshoheit über die Mitte ringen. Die Begriffe der Konfessionskultur und der binnenkonfessionellen Pluralität stehen demzufolge in einem Abhängigkeitsverhältnis voneinander, wiewohl zwischen ihnen eine starke Spannung herrscht. Bei der Wahrnehmung von Deutungskonflikten müssen demzufolge die Reichweite und die Grenzen des Konzepts der Konfessionskultur als gemeinsames Bedeutungsnetz ausgelotet werden: Innerhalb des Luthertums sollen plurale binnenkonfessionelle Strömungen wahrgenommen werden, denen eine konfessionelle ‚Mitte’ gemeinsam ist. Auslegungs- und Deutungskonflikte zwischen Angehörigen dieser Strömungen über die gemeinsamen konfessionellen Verbindlichkeiten werden dahingehend untersucht, inwieweit die verschiedenen Gruppen einander noch als zum Luthertum gehörend anerkannten oder einen Prozess von Transkonfessionalität wahrnahmen, der zum Ausschluss 95

96 97

Vgl. Kaufmann: Einleitung, S. 14f. Kai Bremer setzt sich mit der Verhältnisbestimmung von Konfession und Konversion insbesondere für die Reformationszeit auseinander und plädiert für die Untersuchung von individuellen Konversionen und die Berücksichtigung des prozesshaften Charakters mit Blick auf die konfessionelle Identitätsbindung; vgl. Bremer, Kai: Konversionalisierung statt Konfessionalisierung. Bekehrung, Bekenntnis und das Politische in der Frühen Neuzeit, in: Jaumann, Herbert (Hg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, Berlin u.a. 2011 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 369–408. Vgl. Kaufmann: Einleitung, S. 14f. Vgl. Kapitel II.1.1.

30

I. Einleitung

dieser – oder zumindest zur Ausschlussdiskussion über diese – Personen führte. Da sich der Kulturbegriff also auf das Gemeinsame der Mitglieder einer Konfession bezieht, wird das Erreichen seiner Anwendungsgrenze dort vermutet werden, wo eine binnenkonfessionelle Strömung eine andere als nicht mehr der konfessionellen ‚Mitte’ zugehörig und damit jenseits der konfessionellen Verbindlichkeiten wahrnimmt. Demzufolge wird binnenkonfessionelle Pluralität dort verstärkt wahrzunehmen sein, wo zu erkennen ist, dass das konfessionell Gemeinsame reduziert oder von einer Gruppe als reduziert wahrgenommen wird. In der vorliegenden Arbeit kann bei der Untersuchung von Texten und Praktiken von lutherischen Akteuren in Reaktion auf die reformierte Konfessionalisierungsabsicht des Landesherrn die konfessionelle Einheit aufgebrochen und die Pluralisierung ihrer Mitglieder deutlich gemacht werden, indem bestimmte gemeinsame Verbindlichkeiten als Topoi der konfessionellen Kultur benannt und ihre Variationen seitens verschiedener Akteure in der Auseinandersetzung mit der landesherrlich betriebenen Konfessionspolitik beschrieben werden. Für die Untersuchung der Gründung der Universität in Halle bedeutet dies, besser als bisher zu verstehen, wie Akteure wie Francke, Breithaupt oder Thomasius seitens der brandenburg-preußischen Obrigkeit konfessionell wahrgenommen, aufgrund welcher konfessionspolitischer Intentionen sie bestallt wurden, wie sich das auf den Umgang mit den Verbindlichkeiten ihrer eigenen Konfession auswirkte, und wie sie von anderen innerlutherischen Gruppen und Personen in Bezug auf die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Konfessionskultur gesehen wurden.

2.2. Die Einführung der Kategorien ‚Identität’ und ‚Erfahrung’ Das Begriffspaar ‚Konfessionskultur’ und ‚Konfessionalisierung‘ soll um die Kategorien ‚Identität’ und ‚Erfahrung’ erweitert werden, um genauere Beschreibungen der Auseinandersetzung über den Erhalt der lutherischen Konfessionskultur bzw. die Variabilität der reformierten Konfessionalisierung zu ermöglichen. 1. Begreift man Konfessionskultur als gemeinsame konfessionelle Identität von Personen, kann man im vorliegenden Fall nach der Selbst-Deutung oder Selbst-Beschreibung von Lutheranern fragen und dadurch sowohl ihrer Eigen- als auch der Fremdwahrnehmung innerhalb ihrer Alltagswelt nachgehen.98 Subjektives konfessionelles Empfinden wird dabei an bestimmte konfessionelle Verbindlichkeiten gekoppelt und damit in eine kollektive Identität überführt.99 Damit kommt man zwei Grundproblemen des Begriffs der kollektiven Identität bei, nämlich zum einen seiner schwierigen Erfassbarkeit in einem 98

99

Vgl. Eibach, Joachim / Sandl, Marcus: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Protestantische Identität und Erinnerung. Von der Reformation bis zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR, Göttingen 2003 (Formen der Erinnerung, Bd. 16), S. 14f. Zur Verhältnisbestimmung von personaler und kollektiver Identität vgl. wesentlich Straub, Jürgen: Identität, in: Jaeger, Friedrich / Liebsch, Burkhard (Hgg.): Handbuch der Kulturgeschichte, 3 Bde., Bd. 1: Grundlagen und Schlüsselbegriffe, Stuttgart u.a. 2004, S. 286ff.

2. Forschungsdesign

31

gesellschaftlichen Sinn. Zum anderen wird durch gleichzeitige Inblicknahme binnenkonfessioneller Pluralität innerhalb der Konfessionskultur ein essentialistisch-statisches Verständnis des Kollektivs Luthertum vermieden.100 Kollektive konfessionelle Identität bedeutet also, dass sich Individuen auf einer gemeinsamen konfessionellen Basis miteinander verbinden und sich selbst etwas Gemeinsames zuschreiben. Sie deuten ihre religiöse Umwelt in derselben Weise und versichern sich dieser durch dieselben Dogmen und Rituale. Für Kaufmann sind die lutherischen Theologen die Repräsentanten und Konstrukteure einer solchen gemeinsamen lutherischen Identität. Auf der Basis eines Zugehörigkeitsempfindens zur Wittenberger Reformation, des theologischen Klärungsprozesses zwischen 1548 und 1577, der herausgehobenen Stellung der Wittenberger theologischen Elite und der Betonung der Rolle Luthers101 entwarfen sie „die Matrix für eine mentale Welt, in der der einzelne Christ, seine Familie, seine Orts- und Stadtgemeinde, im ‚Wir’ der ‚wahren Kirche’ bindend und verpflichtend ‚aufgehoben’ waren.“102 Zur Identitätsbildung gehört zentral eine starke Komponente des gemeinsamen Erinnerns einer den Individuen eines konfessionellen Kollektivs gemeinsamen Vergangenheit als gemeinsame Grundlage. Eine solche kollektive, sinnstiftende Vergangenheit, gemeinsame konfessionelle Inhalte und Werte, bilden die konnektive Struktur zwischen den Individuen des konfessionellen Kollektivs.103 Das gemeinsame Gedächtnis als Mittel der Identitätsstiftung kann dabei durch Akteure mittels verbaler und symbolischer Strategien produziert und instrumentalisiert werden.104 Die Entstehung einer Konfessionskultur als konfessionelle Identität stellt damit einen bewussten Prozess dar. Gleichzeitig bedarf konfessionelle Identität immer wieder der Selbstversicherung, da es dabei wesentlich um die Differenzierung bzw. Abgrenzung von Nicht-Zugehörigen geht, also um die Frage, 100

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102 103

104

Nach Straub kann man einer „variablen Mehrzahl etwas ihnen Gemeinsames“ zuschreiben, und dem Einzelnen dennoch die Möglichkeit zuweisen, verschiedenen Kollektiven anzugehören. Ebd., S. 286. Straub weist außerdem darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven insofern problematisch sein kann, als dass sich der Einzelne dann möglicherweise auch verschiedenen, sich widerstreitenden Identitätskonstrukten ausgesetzt sähe, was in der lebensweltlichen Praxis problematisch wäre; vgl. ebd., S. 287f. Dies wird z.B. bei Konversionen relevant, die als extremer Schritt von Transkonfessionalität aufgefasst werden können. Vgl. Kaufmann, Thomas: Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts, Tübingen 2006 (Spätmittelalter und Reformation, NR, Bd. 29), S. 17–20. Zur Herstellung lutherischer Identität durch die Rekapitulation auf die Person Luthers und die Einarbeitung der Reformation in einen historischen Zusammenhang vgl. Pohlig, Matthias: Zwischen Gelehrsamkeit und konfessioneller Identitätsstiftung. Lutherische Kirchenund Universalgeschichtsschreibung 1546–1617, Tübingen 2007 (Spätmittelalter und Reformation, Bd. 38), bes. S. 496ff. Kaufmann: Konfession, S. 25. Begriffsentwicklung nach Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, bes. S. 16, S. 130ff. Zur Identitätsstiftung mittels verbaler und symbolischer Strategien vgl. auch Assmann, Aleida / Friese, Heidrun: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Identitäten, F.a.M. 1999 (Erinnerung, Geschichte, Identität, Bd. 3), S. 12.

32

I. Einleitung

wer und was ein Kollektiv normativ und identitätsstiftend zusammenhält, und wer aus welchem Grund nicht dazu gehört. Zur Überlegung, was eine kollektive konfessionelle Identität ausmacht, gehört demzufolge auch die Frage, wann und wodurch – analog zu den Grenzen des Begriffs der Konfessionskultur – eine solche gemeinsame Identität durch einzelne Akteure oder Gruppen mit anderen nicht mehr herstellbar oder wahrnehmbar war, wie konkurrierende konfessionelle Identitätsangebote entstanden, die zur Zerstörung der konnektiven Struktur führen konnten. Um mit Kaufmann zu sprechen, stellt sich demzufolge die Frage, wann das „‚Wir der wahren Kirche’“105 zu einem ‚Wir und die anderen außerhalb der wahren Kirche’ und damit die gemeinsame Identitätsgrundlage instabil wurde. Um die angewendeten Mittel der konfessionellen Identitätsstiftung und -versicherung zu erfassen und zu beschreiben, eignet sich der Begriff des konfessionellen Codes.106 Dazu können dogmatische Texte, Personen, Institutionen, Rituale und Zeremonien zählen. Diese text- und handlungsorientierten Codes markieren die Grenze zwischen dem Innen und dem Außen der Selbst-Konstruktion kollektiver konfessioneller Identitäten, also das Innen und Außen dessen, was als ‚zur Konfession gehörig’ definiert wird. Als Symbole sind konfessionelle Codes im historischen Prozess und in der jeweiligen sozialen Situation für die Mitglieder des Kollektivs und des ‚Außen’ les- und anwendbar, sie repräsentieren gleichzeitig die Mitte, das Gemeinsame der Konfession über die konkrete Situation hinaus.107 Wenn man davon ausgeht, dass für die lutherische Konfession eine in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sich manifestierende lutherische Identität Tiefen- und Langzweitwirkung für das Kollektiv entfaltet hat, kann für das 17. Jahrhundert und die hier relevante Situation des konfessionellen Konflikts durch die reformierten Konfessionalisierungsbestrebungen brandenburg-preußischer Herrschaftsträger gefragt werden, wie sich die lutherische Bevölkerung der eigenen und gemeinsamen konfessionellen Identität versicherte und wie mit Abweichungen von der normativen ‚Mitte’ umgegangen wurde. Es ist demzufolge in den Texten und den Handlungen, mit denen Lutheraner auf die reformierte Konfessionalisierungsabsicht der Obrigkeit reagierten, nach Codes lutherischer Identitätsversicherung zu suchen, ihre Verwendung nachzuverfolgen und wahrzunehmen, ob und inwieweit Angehörige verschiedener binnenkonfessioneller lutherischer Strömungen solche Codes argumentativ variabel handhabten und Deutungskonflikte, d.h. Identitätskonflikte provozierten. Bei unterschiedlicher Bewertung konfessioneller Codes ging es immer um eine Auseinandersetzung, um die Frage der Deutungshoheit, was lutherische Identität ausmachte und welche binnenkonfessionelle Gruppe eine tragfähige und 105 106

107

Kaufmann: Konfession, S. 25. Begriffsentwicklung nach Giesen, Bernhard: Codes kollektiver Identität, in: Gephart, Werner / Waldenfels, Hans (Hgg.): Religion und Identität. Im Horizont des Pluralismus, F.a.M. 1999, S. 13–43. Die gleichzeitige Koppelung an eine konkrete Situation und das Verweisen darüber hinaus macht die flexible Verwendung von Codes möglich; vgl. ebd., S. 16f.

2. Forschungsdesign

33

letztendlich mehrheitsfähige Definition davon vorlegte, diese durchsetzte und dadurch möglicherweise eine andere Gruppe verdrängte. Konfessionelle Identität war demzufolge nicht von Statik, sondern von Dynamik gekennzeichnet, sie unterlag Deutungskonflikten seitens der verschiedenen Strömungen innerhalb der Konfessionskultur. Das konnte nach der Wahrnehmung einzelner Akteure oder Gruppen bis hin zur Auflösung der gemeinsamen Verbindlichkeiten und dem dadurch begründeten Ausschluss anderer Akteure oder Gruppen führen, so dass die Anwendung eines auf das Gemeinsame ausgerichteten Begriffs der Konfessionskultur durch die Forschung dann nicht mehr gerechtfertigt sein kann. Grundsätzlich war für die Bewertung und die Härte eines Deutungskonflikts entscheidend, ob es sich bei einem umstrittenen Merkmal um einen identitätsstiftenden bzw. definierenden konfessionellen Code oder um ein Adiaphoron handelte und wer das jeweilige Merkmal wie definierte. 2. Konfessionalisierung als Durchsetzung oder Bevorzugung einer bestimmten Konfession wurde durch konfessionspolitische Maßnahmen erreicht, mit denen entweder das Identitätsbewusstsein der Angehörigen der eigenen Konfession gestärkt oder das der Mitglieder der abzuändernden Konfession beeinflusst und verändert wurde, um diese im extremen Fall zur Konversion zu bewegen. Welche Mittel mit welcher Intensität angewendet wurden, unterlag der zeitgenössischen situativen Wahrnehmung der Wirkung der Konfessionspolitik durch den die Konfessionalisierung betreibenden Akteur. Es ist evident, dass die konkrete politische Erfahrung den Obrigkeitsträger bei der Handhabung der zukünftigen Konfessionspolitik beeinflusste.108 Aus konfessionspolitischen Erfahrungen und ihrer Verarbeitung resultierten demzufolge weitere konfessionspolitische Handlungen. Mit Reinhart Koselleck wird im Folgenden davon ausgegangen, dass die konfessionspolitischen Maßnahmen der Vergangenheit und Gegenwart mitsamt ihren Ergebnissen einen anwachsenden Erfahrungsraum ‚Konfessionspolitik’ konstituierten, der mit einem zukünftigen Erwartungshorizont ‚Herstellung konfessioneller Einheit’ verknüpft war.109 Die entscheidende Frage bei der Untersuchung fortschreitender Konfessionspolitik ist dabei, inwieweit Erfahrungen zu Handlungsvariationen führten. D.h. bei der Analyse konfessionspolitischer Maßnahmen muss festgestellt werden, ob es überhaupt eine bestimmte, einer inneren Logik folgende Struktur innerhalb der Konfessionspolitik gab, die den Erfolg sicherstellen sollte. Im Zuge des in Brandenburg-Preußen nicht erfolgten Durchbruchs der reformierten Konfessionalisierung in der Bevölkerung ist anschließend zu klären, ob und wie auf dieses Scheitern bei der Gestaltung der weiteren Konfessionspolitik reagiert wurde. Außerdem ist zu fragen, ob die Selbstwahrnehmung konfessions108

109

‚Erfahrung’ als kulturhistorische Kategorie besitzt ebenfalls vielfältige Anwendungsmöglichkeiten in der Geschichtswissenschaft. Vgl. in Auswahl Münch, Paul (Hg.): „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte, München 2001 (HZ, NF, Bd. 31); vgl. Asche, Matthias / Ilg, Matthias (Hgg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001. Vgl. Koselleck, Reinhart: „Erfahrungsraum“ und „Erwartungshorizont“ – zwei historische Kategorien, in: Ders.: Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, F.a.M. 21992, S. 349–375.

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I. Einleitung

politischer Erfahrungen zu besserer Prognostizierbarkeit110 der Ergebnisse von weiteren konfessionspolitischen Handlungen führte und damit die eingesetzten Methoden oder gar der Erwartungshorizont, also das Maximalziel konfessioneller Einheit, angepasst wurden.

2.3. Definitorische Voraussetzungen 2.3.1. Lutherische Orthodoxie – Konkordienluthertum – Traditionelles Luthertum Der Begriff der lutherischen Orthodoxie als Bezeichnung für das Luthertum seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist angesichts der Entwicklung des Konzepts lutherischer Konfessionskultur bei gleichzeitig wahrzunehmender binnenkonfessioneller Pluralität nicht mehr haltbar. Seine Problematik liegt zum einen im Gebrauch als Epochenbegriff – seit August Tholuck im Sinn einer Zeit der erstarrten Theologie111 und seit der durch Adolf von Harnack erfolgten Gliederung in die nachreformatorische Epoche der lutherischen Orthodoxie, die vom Pietismus und Rationalismus abgelöst wurde.112 Zwar stehen seit geraumer Zeit auch die Aspekte der Frömmigkeit und der Reformbestrebungen im Fokus der Forschung,113 jedoch haben die Rede von der erstarrten Orthodoxie und ihre Engführung auf die akademische Theologie und die Dominanz Wittenbergs bis heute nicht nachgelassen.114 Zum anderen zeigt schon die Fraktionierung anlässlich der Annahme oder Ablehnung des Konkordienwerks 1577/80 an, dass ‚Orthodoxie’ niemals das geschlossene Luthertum bezeichnete, sondern allenfalls für eine bestimmte, wenn auch große Gruppe verwendet wird, in diesem Fall für das Konkordienluthertum, das lutherische Identität auf eine bestimmte Weise mit bestimmten Codes deutete und diese Deutung in der Breite durchzusetzen versuchte. ‚Orthodoxie’ als Begriff für die gesamte Formation des Luthertums verstellt den Blick auf plurale Lebensäußerungen, auf „Adaptions-, Umgestaltungs- und Aneignungsformen“115, mithin den Blick auf die binnenkonfessionelle Pluralität und deren Dynamik. Zudem übernehmen Historiker und Theologen beim Gebrauch des Begriffs der Orthodoxie als Gruppennamen auch den Anspruch dieser Gruppe, das gesamte Luthertum zu repräsentieren. Die Übersetzung von Orthodoxie – Rechtgläubigkeit – weist den Weg hin zu den Identitätsmustern lutherischer Konfessions110 111

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Vgl. ebd., S. 29f. Vgl. Tholuck, Friedrich August Gottreu: Vorgeschichte des Rationalismus, Tl. 1: Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts. Abt. 1–2, Halle 1853/54; Tl. 2: Das kirchliche Leben des siebzehnten Jahrhunderts. Abt. 1–2, Halle 1861/62. Vgl. Harnack, Adolf von: Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 3: Die Entwicklung des kirchlichen Dogmas, Tübingen 41909, Nachdruck: Tübingen 1990, S. 685. Vgl. Wallmann, Johannes: Art. „Orthodoxie“, in: RGG4 6 (2003), bes. Sp. 697, Sp. 701f. Zur Verdeutlichung der Spannung vgl. Brecht, Martin: Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: Ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S. 166f. Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg, S. 149.

2. Forschungsdesign

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kultur: Orthodoxie als verbindliche konfessionelle Mitte musste in ebenso verbindlichen Codes fassbar sein, die Zugehörigkeit und Grenzen verdeutlichten. Kenneth Appold hat in ähnlicher Weise den Orthodoxiebegriff mit ‚Konsensbildung’ in Zusammenhang gebracht: „Wittenberger (und wohl auch andere) Lutheraner verwenden das Wort ‚Orthodoxie’ unter anderem, um Menschen oder Lehren zu bezeichnen, mit denen sie im Konsens zu sein meinten bzw. um einen solchen Konsens zu demonstrieren. Insofern bezieht es sich nicht auf ein ‚feststehendes Lehrgebäude’, sondern auf einen sozialen Identifikationsprozeß. […] Der Prozeß zielte auf einen überregionalen ‚gesamt-lutherischen’ Lehrkonsens; er wurde wesentlich von Universitätsprofessoren vorangetrieben.“116

Insbesondere den Wittenberger Universitätsprofessoren kam aufgrund der reformationsgeschichtlichen Tradition besondere Autorität bei der Entwicklung und Weitergabe konfessioneller Codes und der Identitätsstiftung zu. Ihre dogmatischen Entwürfe waren für die Mehrzahl der Lutheraner der Maßstab, von dem aus sich der Grad der Homogenität oder Heterogenität des Individuums mit der Großgruppe bestimmen ließ. Überschritt ein Mitglied bestimmte Grenzen, machte es sich aus deren Sicht der Heterodoxie schuldig. Dass dabei Eigen- und Fremdwahrnehmung des eigenen Grades von Ortho- oder Heterodoxie insbesondere in Konfliktsituationen unter Umständen nicht kongruent waren, liegt auf der Hand und führte zu Konflikten über die Deutung eines Codes als identitätsstiftend oder als Adiaphoron. Auseinandersetzungen um Orthodoxie waren demzufolge immer auch Streitigkeiten um die ‚konfessionelle Mitte’ und die Entfernung von ihr. Darüber hinaus gibt das Konzept von Konfessionskultur aber auch die Möglichkeit an die Hand, Äußerungen von Individuen kontextuell zu betrachten, d.h. beispielsweise einen auf das Konkordienbuch verpflichteten Theologen dennoch als Erbauungsschriftsteller wahrzunehmen. Verständlicher werden damit auch die Schwierigkeiten der Zeitgenossen bei der Beurteilung von Ortho- und Heterodoxie:117 Haltungen, Einstellungen oder Tendenzen eines einzelnen Protagonisten oder einer Gruppe konnten fließend ineinander übergehen118 und dennoch auf die gemeinsame konfessionelle Grundlage bezogen sein. Solange diese konnektive Struktur von den Protagonisten noch als intakt betrachtet wurde, ist die

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Appold, Kenneth G.: Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 127), S. 11. Kaufmann macht dies am Beispiel Johann Arndts deutlich. Dessen Vier Bücher vom wahren Christentum konnten als heterodox bezeichnet werden, hingegen andere Texte und seine Handlungen in kirchenleitender Position durchaus verbindlichen Vorstellungen genügten; vgl. Kaufmann: Konfession, S. 11. Eine Anwendung des Konzepts liegt neuerdings in einem Sammelband zu Johann Benedict Carpzov vor; vgl. Michel, Stefan / Straßberger, Andres (Hgg.): Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699), Leipzig 2009 (Leucorea Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 12).

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I. Einleitung

Anwendung des Begriffs der Konfessionskultur zur Beschreibung der Prozesse gerechtfertigt. Da es derjenigen innerlutherischen Gruppe, die sich dem Konkordienbuch verpflichtet fühlte, um die Wahrung unveränderter konfessioneller Kerninhalte und um die Überlieferung bzw. die Aufrechterhaltung möglichst unverfälschter konfessioneller Codes ging, bietet es sich in Abgrenzung zu anderen, eher auf Adaptierung der Codes setzenden binnenkonfessionellen Strömungen an, hier von ‚traditionellem Luthertum’ zu sprechen, womit quantitativ sicherlich die größte Gruppe innerhalb der lutherischen Konfessionskultur im 17. Jahrhundert gemeint sein dürfte.119 Die erste herausragende Form solcher Codes stellten die in den Texten von Bekenntnissen oder Bekenntnisschriften verfassten Dogmen dar. Mit der Etablierung der Konkordienformel (FC)120 hatte sich formal der Streit um die Geltungsvariante der CA durch die Festlegung der Invariata von 1530121 als das reichsrechtlich geltende lutherische Bekenntnis entschieden. Die CA invariata fasste die zentral geltenden Lehrinhalte zusammen, in der FC wurden Präzisierungen und Abgrenzungen unternommen. Der bis heute übliche Gebrauch des Begriffs ‚Symbol’ für die drei altkirchlichen Glaubensbekenntnisse deutete den Codecharakter dieser Texte bereits an,122 und auch CA invariata und FC wurden als „Symbole“ bezeichnet. Die Nennung Wittenbergs als Bezugsort der Reformation und Ort einer einflussreichen theologischen Fakultät kann für weite Teile des traditionellen Luthertums ebenfalls als Code begriffen werden. Einzelne Rituale, mit denen sich konfessionelle Differenzierung leisten ließ, wie Abendmahl, Taufe und Beichte, konnten als Codes lutherische Identität stiften. Als Erinnerungskultur konnte das traditionelle Luthertum die Gestalt Martin Luthers ins Zentrum rücken und Luther selbst zum Zeichen konfessioneller Identität deklarieren. Angesichts einer vonseiten des traditionellen Luthertums so empfundenen bedrohten konfessionellen Identität durch obrigkeitliche reformierte Konfessionalisierungsbestrebungen stellt sich die Frage, ob diese Situation als ein status confessionis, also als Bekenntnisfall,123 erfasst wurde und, davon abgeleitet, welche konfessionellen Inhalte, repräsentiert durch Codes, als besonders angreifbar bzw. schützenswert betrachtet oder möglicherweise auch aufgegeben wurden. Darüber hinaus ist zu analysieren, inwieweit einzelne Vertreter binnenkonfessioneller Strömungen den Umgang mit gemeinsamen Co119

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Für die in dieser Analyse relevanten Gebiete Brandenburg-Preußen und Magdeburg wäre es aufgrund der Annahme des Konkordienbuchs darüber hinaus weiterhin möglich, den Begriff des Konkordienluthertums zu verwenden. FC, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998, S. 767–1102. Angaben der FC im Text werden ohne weitere Herkunftsangabe gemacht. CA invariata, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998, S. 33–137. Angaben der CA invariata im Text werden ohne weitere Herkunftsangabe gemacht. Vgl. Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998, S. 21. Vgl. FC 10 Affirmativa Punkt 4.

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des anders als eher auf den Codes beharrende Strömungen bewerteten und versuchten, Codes zu verändern oder aufzugeben und welche Integrations- und Abgrenzungsbestrebungen unter den verschiedenen Gruppen entstanden. 2.3.2. Pietismus – Pietistische Akteure Das Konzept des Pietismus als einer innerkirchlichen lutherischen Reformbewegung ist bisher eng mit den Personen Philipp Jakob Speners als ‚Vater des Pietismus’ und August Hermann Franckes als Begründer des Halleschen Pietismus verbunden. Die Sicht auf den Halleschen Pietismus wiederum ist vom Gedanken einer planvollen Implantierung und der frühen Symbiose mit dem Staat geleitet.124 Diese Interpretation wirkte, wie gezeigt worden ist, zurück auf das Konzept der Reformuniversität Halle. Aufbauend auf der bis hierher erarbeiteten Begrifflichkeit kann ‚Pietismus’ nun als eine binnenkonfessionelle Strömung innerhalb des Luthertums bezeichnet werden, die sich aus verschiedenen theologischen und geistesgeschichtlichen Ursprüngen speiste. Durch den Katalysator der Pia Desideria Speners wurde sie in dem Sinn geprägt, dass Personen sich selbst in ihrer Theologie und Frömmigkeitspraxis oftmals auf Spener und dessen Schrift rückbezogen. Markant war auch der Bezug auf ältere Frömmigkeitstraditionen, insbesondere vermittelt durch die Erbauungsbücher Johann Arndts, bei gleichzeitiger Behauptung eines Verfallszustands der verfassten Kirche.125 Dazu kam eine gewisse Nähe zu calvinistischen Elementen, die von der reformierten Seite genau wahrgenommen wurde. Albrecht-Birkner nennt unter anderem die folgenden, von Person zu Person unterschiedlich ausgeprägten, durchaus umstrittenen Aspekte: Bekehrungserfahrung, strenge Kirchenzucht, perfektionistische und chiliastische Lehren, Sichtbarmachung des göttlichen Segens – mithin also ein Anklang an die reformierte Prädestinationslehre, obgleich sie in Brandenburg-Preußen nicht in der doppelten Auslegung zur Seligkeit und zur Verdammnis etabliert war – , die Aufwertung von Adiaphora und die Änderung von Ritualen.126 Eine allgemeine Wesensbestimmung des Pietismus ist somit nicht möglich, vielmehr müssen die variablen theologischen Positionsbildungen der ihm zugeschriebenen Individuen bestimmt werden.127 124

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Vgl. Kramer: Francke; vgl. Peschke: Bekehrung; vgl. Brecht, Martin: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus, in: Ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S. 439–539. Zu Spener vgl. Grünberg, Paul: Philipp Jakob Spener, Bd. 1: Die Zeit Speners – Das Leben Speners – Die Theologie Speners, Göttingen 1893, Nachdruck: Hildesheim u.a. 1988, bes. S. 214ff.; vgl. Wallmann, Johannes: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 1970 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 42); vgl. Blaufuß, Dietrich: Spener-Arbeiten: Quellenstudien und Untersuchungen zu Philipp Jacob Spener und zur frühen Wirkung des lutherischen Pietismus, Bern u.a. 1975; vgl. Wendebourg, Dorothea (Hg.): Philipp Jakob Spener. Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Tübingen 2007 (Hallesche Forschungen, Bd. 23). Vgl. Albrecht-Birkner: Der Berliner Hof, S. 112f. Dies wird gegen Johannes Wallmann postuliert; vgl. Wallmann, Johannes: Was ist Pietismus?, in: PuN 20 (1994), S. 11–27.

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I. Einleitung

Sobald Individuen mit ähnlichen Positionen zunehmend sichtbar wurden, entstanden folgerichtig begriffliche Bezeichnungen, die oft auch von den Gegnern stammten: Während der Leipziger Unruhen um Francke wurden die Begriffe ‚Pietismus’, ‚Pietisten’ und ‚Pietisterey’ als pejorative Kampfbegriffe geprägt.128 Um dem dynamischen und prozessualen Charakter der Entstehung und Entwicklung von ‚Pietismus’ zu entsprechen, sollen in dieser Arbeit pietistische Akteure untersucht werden, die aufgrund der Aufnahme verschiedener theologischer Einflüsse zur Umprägung konfessioneller Codes bereit waren und dies als notwendig ansahen. Entscheidend wurde die Frage, inwieweit diese Haltung dazu führte, dass die einzelnen Akteure oder Kleingruppen aufgrund ihrer doch noch vorhandenen Nähe zur konfessionellen ‚Mitte’ in die lutherische Konfessionskultur integrierbar schienen, oder ob sie sich dogmatisch derart am Rande bewegten, dass dieses Verhalten eine Desintegration bzw. einen Ausschluss durch das traditionelle Luthertum als Mehrheitsströmung zur Folge hatte bzw. sie sich selbst abgrenzten, so dass wiederum die Anwendungsgrenze für Konfessionskultur erreicht würde. Für den jungen Francke haben Sträter und Albrecht-Birkner unlängst deutlich gemacht, wie sehr dessen theologische Entwicklung bis 1696 zwischen dem Einschwenken auf eine zur Integration fähige Position und radikalen Segmenten schwankte, so dass unklar war, ob er zum Eintritt in den Formationsprozess einer formalisierten innerkirchlichen Reformbewegung zu bewegen war.129 Francke war zwar weder der Auslöser von „latenten Separationen“ oder „Wellen ekstatischer Erscheinungen“130, jedoch fiel ihm die Distanzierung von solchen Phänomenen schwer. Das Beispiel des frühen Francke macht somit deutlich, wie sehr die Definition eines in der Kirche verbleibenden Pietismus Spenerscher und Franckescher Prägung und eines radikalen Pietismus eine spätere Eintragung der Forschung ist,131 aber keine zeitgenössische Realität abbildet. Das Konzept binnenkonfessioneller Pluralität erscheint somit als das bessere Instrument, um zu beschreiben, wie weit pietistische Akteure sich im Zweifelsfall von den konfessionellen Verbindlichkeiten entfernen konnten, sofern ihre Positionen seitens der Mehrheitsströmung noch einigermaßen integrierbar waren.132 Wenn Individuen sich 128

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Bekannt ist der Leichcarmen Joachim Fellers mit dem Wortlaut: „Es ist jetzt stadtbekannt der Nam der Pietisten. Was ist ein Pietist? Der Gottes Wort studiert, und nach demselben auch ein heiligs Leben führt.“ Zitiert nach: Wallmann, Johannes: Was ist Pietismus?, in: PuN 20 (1994), S. 13. Vgl. dazu ausführlich Albrecht-Birkner, Veronika / Sträter, Udo: Die radikale Phase des frühen August Hermann Francke, in: Breul, Wolfgang / Meier, Marcus / Vogel, Lothar (Hgg.): Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2010 (AGP, Bd. 55), S. 57–84. Ebd., S. 78. Vgl. Wallmann, Johannes: Kirchlicher und radikaler Pietismus. Zu einer kirchengeschichtlichen Grundunterscheidung, in: Breul, Wolfgang / Meier, Marcus / Vogel, Lothar (Hgg.): Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2010 (AGP, Bd. 55), S. 19–43. Das Beispiel von Johann Wilhelm und Johanna Eleonora von Petersen zeigt auf, an welcher Stelle das binnenkonfessionelle Profil des Luthertums seine kritische Grenze erreichte und der Heterodoxievorwurf zur Ausgrenzung erfolgreich benutzt wurde; vgl. Matthias, Markus: Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen. Eine Biographie bis zur Amtsenthebung Petersens im Jahre 1692, Göttingen 1993 (AGP, Bd. 30).

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vom konfessionellen Konsens entfernten, setzten sie sich Kritik und der Zuschreibung des Heterodoxievorwurfs aus, zu dessen Markierung dann bereits die Begriffsbezeichnung ‚Pietist’ ausreichte.133 Das Vorwurfsprofil in pietistischen Streitigkeiten läuft, wie Drese aufgrund der Protokolle in Leipzig 1689 und Erfurt 1690/91 gezeigt hat,134 vor allem auf folgende Punkte hinaus: Perfektionismus entgegen der lutherischen Rechtfertigungslehre135 und Separatismus durch Konventikelbildung. Dazu kamen die Weitergabe von Schriften, die aufgrund von kirchenkritischem Spiritualismus als heterodox galten, und die Verbreitung chiliastischer Lehren. In dieser Untersuchung soll gefragt werden, wann und wie die verschiedenen von pietistischen Akteuren vorgebrachten theologischen Topoi von traditionellen Lutheranern zunehmend als Angriffe auf ihre Deutungshoheit über das wahrgenommen wurden, was ihnen als konfessionelle Mitte, als lutherische Identität galt. Es geht darum, zu untersuchen, inwieweit der Heterodoxievorwurf als Argument in konfessionellen Konfliktsituationen verwendet wurde und welche Teilaspekte dabei zielführend waren, den Betroffenen zu diskreditieren und welche eher nicht. Dies wurde insofern bedeutsam, als mit der reformierten Obrigkeit das Machtzentrum in die Konflikte um die Deutungshoheit lutherischer Identität involviert war, die im Rahmen der Universitätsgründung eigene reformiert-konfessionalisierende Ziele verfolgte. Insbesondere die Frage, inwieweit der Vorwurf der Inter- oder Transkonfessionalität funktional war, gewann in dieser Situation an Relevanz. 2.3.3. Aufklärung – Naturrecht Eine Untersuchung zur Praxis von Konfessionalisierung aus obrigkeitlicher Perspektive bewegt sich zwangsläufig in der Nähe zu kirchenrechtlichen Fragestellungen. Der Begriff ‚Konfessionspolitik’ scheint dabei besser als der Begriff ‚Kirchenpolitik’ geeignet zu sein, landesherrliche Eingriffe konfessionalisierender Intention zu beschreiben, da er weniger auf die Verfasstheit von Kirchentümern als auf die Erscheinungsformen von Konfessionen gerichtet ist.136 Für die generelle Erhaltung des Aufsichtsrechts 133

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Der Aspekt des theologischen Streitens motiviert die Studie von Gierl zum theologischen Streit über den Pietismus und die Verhältnisbestimmung von Pietismus und Frühaufklärung, vgl. Gierl, Martin: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsformen der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1997 (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte, Bd. 129). Vgl. Drese, Claudia: Das Problem des Perfektionismus im frühen Pietismus [Diplomarbeit Man. masch. Halle 2008], S. 33–35, S. 38ff. Das Problem wurde durch die schwierige Unterscheidung zwischen Wiedergeburt und Erneuerung bzw. Erlösung und Heilung und die Frage, ob der Mensch die Gesetze Christi erfüllen oder halten könne, markiert. Der Vorwurf, Pietisten lehrten, der Mensch könne die Vollkommenheit erlangen, implizierte eine Abkehr von der Rechtfertigung allein aus Glauben. Das Sola-Fide-Prinzip gehörte aus traditionell-lutherischer Sicht zur Mitte der Konfession, markiert in CA invariata 12 und FC III; vgl. Drese: Problem, bes. S. 40ff. Begriffsentwicklung nach Honecker, Martin: Art. „Kirchenpolitik“, in: Heun, Werner / Honecker,

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I. Einleitung

der Obrigkeit über die Konfessionen sorgte rechtshistorisch die Entstehung des modernen Naturrechts.137 Im deutschen Raum leistete Samuel von Pufendorf den entscheidenden Beitrag: Im Rahmen seiner Konzeption einer zweistufigen Errichtung des Gemeinwesens auf Basis von Gesellschaftsverträgen138 ist die Obrigkeit zwar einerseits als Vertragspartner an Rechte und Pflichten gebunden, andererseits aber auch souverän. Konsequenterweise obliegt ihr damit die ‚cura religionis’ nicht mehr im Sinn eines landesherrlichen Summepiskopats über die eigene Konfession, sondern als souveränes Recht über alle Konfessionen in ihrem Territorium. Diese Vorstellung forcierte für das landesherrliche Kirchenregiment die Entwicklung zum Territorialismus auch als einer fortschreitenden ‚Verstaatlichung’ konfessioneller Belange.139 Von Pufendorf sah die Grenze des Aufsichtsrechts des Staats bei der natürlichen Gewissensfreiheit des Einzelnen, die zu dulden sei, wobei er zwischen dem öffentlichen und dem privaten exercitium religionis für Minderheiten unterschied. Die Duldung von konfessionellen Minderheiten endete allerdings dort, wo es durch diese zu einer Kollision mit der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kam.140 Für die Situation in Brandenburg-Preußen, dessen Herrscher eine andere Konfession besaßen als die Mehrheit der Untertanen, bestand genau darin die entscheidende Frage, zu klären, inwieweit dem Landesherrn das Kirchenregiment über die ihm fremde Konfession als innere Kirchenleitung oder nur die Kirchenhoheit als äußere Beaufsichtigung aller Religionsgemeinschaften eines Territoriums zukam, und beides von einander abzugrenzen. Notwendigerweise musste sich der Ort dieser Abgrenzung in der Wahrnehmung reformierter Akteure einerseits und lutherischer Akteure andererseits unterscheiden. Das, was für die eine Seite eine Maßnahme im Rahmen der äußeren Kirchenaufsicht darstellte, konnte für die andere Seite ein Eingriff in die innere Gestaltung der Konfession sein und

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Martin / Morlok, Martin / Wieland, Joachim (Hgg.): Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 1191–1196. Vgl. Ilting, Karl-Heinz: Art. „Naturrecht“, in: Brunner, Otto / Conze, Werner / Koselleck, Reinhart (Hgg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 8 Bde., Stuttgart 1972–97, Bd. 4 (1978), S. 245–313. Im ersten Gesellschaftsvertrag verbinden sich die Naturzustandsbewohner untereinander zu einer societas, dem ‘Volk’, als eigenem Rechtssubjekt. Im Anschluss beschließen sie über die zukünftige Regierungsform. In einem zweiten Unterwerfungsvertrag überträgt das ‘Volk’ der Obrigkeit die Souveränitätsrechte; vgl. Grunert, Frank: Normbegründung und politische Legitimität. Zur Rechts- und Staatsphilosophie der deutschen Frühaufklärung, Tübingen 2000 (Frühe Neuzeit, Bd. 57), S. 163–167; vgl. Denzer, Horst: Moralphilosophie und Naturrecht bei Samuel von Pufendorf. Eine geistes- und wissenschaftsgeschichtliche Untersuchung zur Geburt des Naturrechts aus der Praktischen Philosophie, München 1972 (Münchener Studien zur Politik, Bd. 22), S. 196. de Wall, Heinrich: Art. „Landesherrliches Kirchenregiment“, in: Heun, Werner / Honecker, Martin / Morlok, Martin / Wieland, Joachim (Hgg.): Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 1380–1386, bes. Sp. 1382f. Vgl. Fritsch, Matthias J.: Religiöse Toleranz im Zeitalter der Aufklärung. Naturrechtliche Begründung – konfessionelle Differenzen, Hamburg 2004 (Studien zum Achtzehnten Jahrhundert, Bd. 28), S. 40–45.

2. Forschungsdesign

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damit deren Identität bedrohen. Die Weite der Auslegung des Territorialismusprinzips war demzufolge bestimmend für die Möglichkeiten. Diese Auseinandersetzung fand ihren Ausdruck in der Differenzierung in ‚iura in sacra’ als Hoheit über die innere Gestaltung der eigenen Konfession, die in der von Pufendorfschen Konzeption den Mitgliedern der Konfession zukam, und in die ‚iura circa sacra’, die Aufsicht über alle Konfessionen im Territorium.141 Als äußeres Zeichen der Verbindung zwischen der praktizierten Konfessionspolitik und den Vertretern naturrechtlicher Auffassungen kann zum Zeitpunkt der Universitätsgründung bereits die Übersiedlung von Pufendorfs nach Berlin 1688 und seine Abfassung einer Geschichte der Regierung des Großen Kurfürsten gelten, in der Friedrich Wilhelm als vorbildhafter protestantischer Reichsfürst porträtiert wird.142 Mit Christian Thomasius wurde 1690 in Halle ein weiterer bedeutender Vertreter des modernen Naturrechts als Professor installiert. Indem er als „der Hauptinitiator der Aufklärung in Deutschland“143 bezeichnet wird, wurden die hallische Rechtswissenschaft und die Universität – in der Vorstellung von der Reformuniversität – traditionell von Anfang an mit ‚Aufklärung’ verknüpft. Es scheint für eine Untersuchung spezifischer Konfessionspolitik jedoch zielführender, sich auf die engere Grundlage des Naturrechts anstelle des unscharfen Aufklärungsbegriffs zurückzuziehen. Wenn es hier darum geht, die Gründung der Universität Halle dezidiert aus der Perspektive brandenburg-preußischer Konfessionspolitik zu analysieren, muss aufgrund der kirchenrechtlichen Veränderungen also auch die Jurisprudenz mit einbezogen werden. Zu fragen ist demzufolge, inwieweit naturrechtliche Konzeptionen mit brandenburg-preußischer Konfessionspolitik im Gründungszusammenhang der Universität koinzidierten. Darüber hinaus muss geklärt werden, wie Thomasius seine Rolle inmitten der konfessionellen Gemengelage zwischen lutherischer Konfessionskultur und reformierter Konfessionalisierungsabsicht gestaltete.

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Vgl. Schneider, Bernd Christian: Ius Reformandi. Die Entwicklung eines Staatskirchenrechts von seinen Anfängen bis zum Ende des Alten Reiches, Tübingen 2001 (Jus Ecclesiasticum, Bd. 68), S. 5f. Vgl. dazu Döring, Detlef: Samuel von Pufendorfs Berufung nach Brandenburg-Preußen, in: Palladini, Fiametta / Hartung, Gerald (Hgg.): Samuel von Pufendorf und die europäische Frühaufklärung. Werk und Einfluß eines deutschen Bürgers der Gelehrtenrepublik nach 300 Jahren (1694– 1994), Berlin 1996, S. 11–28, bes. S. 25ff. Schneiders, Werner: Die wahre Aufklärung. Zum Selbstverständnis der deutschen Aufklärung, Freiburg u.a. 1974, S. 14.

42

3.

I. Einleitung

Quellen

Für eine Untersuchung der Gründungsgeschichte der Friedrichs-Universität steht als wesentliche gedruckte Quelle die Universitätsgeschichte Johann Peter von Ludewigs von 1734144 zur Verfügung. Sie stellt nach wie vor ein wichtiges Mittel der Wahl dar, weil von Ludewig als Schüler Samuel Stryks die Universität Halle von Anbeginn erlebte und für die unmittelbare Anfangszeit die archivalische Quellendecke gelegentlich so dünn ist, dass von Ludewigs Ausführungen eine wichtige Grundlage sein können. Im Bereich der Landes- und Stadtgeschichte ist die Chronik des Saalkreises von Dreyhaupt aus dem Jahr 1755145 gewinnbringend, denn sie basiert auf offiziellen Dokumenten der magdeburgischen Regierung. Im Bereich der Universitätsgeschichte hingegen geht Dreyhaupt nicht über von Ludewig hinaus.146 Die eigentliche Basis der Untersuchung bilden aber handschriftliche Archivalien, Briefe und gedruckte Streitschriften, Traktate usw. Die Bestände des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin (GStA PK), des Landeshauptarchivs in Magdeburg (LHASA, MD), des Universitätsarchivs der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg (UAH) und der Franckeschen Stiftungen in Halle (AFSt)147 bieten umfangreiche Akten für eine Untersuchung der Geschichte des Herzogtums Magdeburg als Teil des brandenburg-preußischen Staates. Dabei sind konfessionspolitische und bildungshistorische Aspekte mit dem Schwerpunkt der Friedrichs-Universität und der Franckeschen Stiftungen gut vertreten. Große Teile davon wurden noch nie für eine Untersuchung zur Integration des Herzogtums Magdeburg in den Gesamtstaat oder für stadt- und universitätsgeschichtliche Forschungen herangezogen.148 Die Mehrheit dieser benutzten Archivalien erfüllt das Kriterium, als Texte Teile umfassender Kommunikation zu sein – zwischen der Obrigkeit in Berlin sowie ihrer Vertretung, der magdeburgischen Regierung in Halle und lokalen Akteuren wie den Landständen des Herzogtums, der Stadt Halle, ihrer Stadtgeistlichkeit sowie den Universitätsmitgliedern – Beteiligte, die ihrerseits eine diffizile Interessenlandschaft abbildeten. Die Texte entstanden von allen 144 145 146

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von Ludewig: Historie. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici. Albrecht-Birkner ist der Hinweis auf einen Brief Siegmund Jacob Baumgartens an den König aus dem Jahr 1754 zu verdanken, aus dem hervorgeht, dass Dreyhaupt sein Werk ohne Unterstützung der Universität verfasst habe; vgl. Albrecht-Birkner, Veronika: Erbe – Norm – Tagesthemen. Hallesche Theologen im Spannungsfeld von Universität, Waisenhaus und Berliner Hof (1750–1794) [Habil. Man. masch.], Kapitel 2.2.: Das Theologische Seminar, dort Anm. 2: Sigmund Jacob Baumgarten an den König am 8.11.1754, in: GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1754–1782), Bl. 448–454, hier Bl. 449v. Mit Abstrichen auch das Stadtarchiv Halle (StA, Halle), das Archiv der reformierten Domgemeinde (PfA, DG) und der Gemeinde Unser Lieben Frauen (PfA, ULF), wobei hier i.d.R. nur Abschriften oder Entwürfe von in den anderen Archiven enthaltenen Ausführungen vorliegen. Zum Umgang mit gedruckten und ungedruckten Quellen: 1. Alle Datierungen folgen dem alten Stil. 2. Statt „=“ wird „–“ verwendet. 3. Druckschriften, die nur in den Anmerkungen erwähnt werden, sind nicht im Quellen- und Literaturverzeichnis aufgelistet.

3. Quellen

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beteiligten Seiten, um Herrschaft in Konfliktlagen zu gestalten, entweder als obrigkeitliches Recht oder als Versuch der mitgestaltenden Teilhabe durch die Untertanen.149 Sie werden den Fragestellungen gemäß als Äußerungen in konfessionspolitischen Konflikten gelesen und auf die Art der konfessionspolitischen Eingriffe, das konfessionelle Beharrungsvermögen, die Verwendung identitätsstiftender konfessioneller Codes und das Vorgehen von Akteuren binnenkonfessioneller Strömungen in diesen Konflikten hin analysiert. Flankiert werden diese Texte von einem umfangreichen Corpus von mehrheitlich edierten Briefen, unter denen der Briefwechsel zwischen Spener und Francke150 quantitativ und qualitativ herausragt. Die Briefwechsel verweisen auf eine weitere Dimension des Untersuchungsgegenstands, nämlich die enge Verflechtung der Akteure durch Patronage- und Klientelsysteme oder Freundschaft.151 In gewisser Weise gilt der Gedanke der Verflechtung auch für die als Quellen in Frage kommenden gedruckten Schriften. Indem es um Konfessionalisierungsabsichten, konfessionelles Beharrungsvermögen und binnenkonfessionelle Ausgestaltung des Umgangs mit beiden Phänomenen geht, spielt der Aspekt des Streitens bei der Textanalyse eine besondere Rolle, insbesondere bei der Analyse der aktuellen Druckschriften, die in meist theologische Streitzusammenhänge gehören. Sie entstanden in bestimmten Konfliktsituationen, lösten Konflikte aus, begleiteten sie oder wirkten eindämmend und brachten Akteure über Themen miteinander in Verbindung.152 Intellektuelles Streiten war für die Zeitgenossen also ein zentraler Aspekt konfessionspolitischer Auseinandersetzung. Für diese Untersuchung soll jedoch nicht der Streit zwischen den verschiedenen binnenkonfessionellen Gruppen an sich analysiert werden. Es interessiert derjenige konfessionell konnotierte Streit, der einen Bezug zur landesherrlichen reformierten Konfessionalisierungsabsicht, zur Umgestaltung der lutherischen Konfessionskultur im Herzogtum Magdeburg und davon ausgehend im Gesamtterritorium und zur Friedrichs-Universität besitzt. Besondere Bedeutung kommt darüber hinaus denjenigen lokalen konfessionellen Konflikten zu, in die sich die Obrigkeit als Akteur einschaltete oder von Konfliktparteien eingeschaltet wurde. Es soll auf diese Weise untersucht werden, welche komplexen Motive der Gründung der Friedrichs-Universität zugrunde lagen und welche Verfahren dabei angewendet wurden. Derart soll dem Mythos von der Gründung der Universität in Halle als Reformuniversität begegnet werden.

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Vgl. Meumann / Pröve: Faszination, S. 47. Spener, Philipp Jakob: Briefwechsel mit August Hermann Francke (1689–1704), hg. v. Wallmann, Johannes / Sträter, Udo, in Zusammenarbeit mit Albrecht-Birkner, Veronika, Tübingen, 2006. Zur These der Verflechtung vgl. Asch, Ronald G. / Emich, Birgit / Engels, Jens Ivo: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Integration – Legitimation – Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, F.a.M. u.a. 2011, S. 7–32. Gierl beschreibt diesen Zusammenhang mit den Bezeichnungen Streitschrift, Streitschriftenwechsel, Streitstrang und Streitgesamtzusammenhang; vgl. Gierl: Pietismus, S. 33.

II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

1.

Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung. Die brandenburg-preußische Konfessionspolitik 1613–1668

1.1. Die Generierung eines konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1613–1615 Um die grundlegenden Weichenstellungen in der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik des 17. Jahrhunderts nachzuvollziehen, ist ein Überblick über die Entwicklungen seit der Konversion des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund vom Luthertum zum Reformiertentum am Weihnachtstag 1613 notwendig.1 Johann Sigismund leitete das ius reformandi aus der Geltung des Augsburger Religionsfriedens von 1555 auf der Basis der Confessio Augustana (CA) ab. Zwar schloss der Religionsfrieden die Reformierten ausdrücklich nicht mit ein, indem er die CA invariata verbindlich machte, doch unter Bezugnahme auf die konfessionell offenere CA variata von 1540 reklamierten zum Reformiertentum konvertierende Herrschaftsträger die Geltung des Religionsfriedens auch für ihren Machtbereich und demzufolge auch 1

Zur Konversion Johann Sigismunds vgl. Beeskow, Hans-Joachim: Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund im Jahre 1613, in: Herbergen der Christenheit 14 (1983/84), S. 7–18; vgl. Croon, Helmuth (Bearb.): Die kurmärkischen Landstände 1571–1616, Berlin 1938 (Brandenburgische Ständeakten, Bd. 9,1); vgl. Delius, Walter: Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund. Eine Berliner Weihnachtsüberraschung am Anfang des 17. Jahrhunderts, in: JBBK 50 (1977), S. 125–129; vgl. Hering, Daniel Heinrich: Historische Nachricht von dem ersten Anfang der evangelisch-reformierten Kirche in Brandenburg und Preußen, Halle: Curt 1778; vgl. Hintze, Otto: Kalvinismus und Staatsräson in Brandenburg zu Beginn des 17. Jahrhunderts, in: HZ 144 (1931), S. 541–556; vgl. ders.: Epochen des evangelischen Kirchenregiments; vgl. Gericke: Glaubenszeugnisse; vgl. Nischan, Bodo: Kontinuität und Wandel im Zeitalter des Konfessionalismus. Die zweite Reformation in Brandenburg, in: JBBK 58 (1991), S. 87–133; vgl. ders.: Prince, People and Confession. The Second Reformation in Brandenburg, Philadelphia 1994.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

das ius reformandi.2 Theologisch funktionierte dieser Schritt durch die Bewertung des Reformiertentums als Fortsetzung der Reformation Luthers und als Weiterentwicklung des Luthertums zu einer zweiten Stufe derselben Konfession, nämlich einer gesamtprotestantischen. Im Verständnis der reformierten Theologen und Fürsten existierte somit keine dritte Konfession neben der römisch-katholischen und der lutherischen, sondern nur eine Verbesserungsstufe der lutherischen, die sich innerhalb der Grenzen des Religionsfriedens bewegte, und die es landesweit zu etablieren galt. Die historiographische Beurteilung der Motive der Konversion Johann Sigismunds changiert zwischen einer stärker die politischen Momente im Sinne des Staatsausbaus3 betonenden und einer die religiösen Momente, welche die religiöse Gewissensentscheidung als Ursache für den nun einsetzenden reformierten Konfessionalisierungsversuch herausstellen, fokussierenden Sicht.4 Gemeinsam ist beiden Forschungstendenzen, Johann Sigismunds Konversion auf sein spezifisches Verständnis des im ius reformandi des Augsburger Religionsfriedens begründeten landesherrlichen Summepiskopats zurückzuführen.5 Die Konversion schien sich seit Johann Sigismunds Heidelberger Aufenthalt 1605 angebahnt zu haben, wobei die Rolle von einflussreichen Persönlichkeiten reformierten Glaubens auf den Kurprinzen nicht unterschätzt werden darf.6 Seit der Gründung des Geheimen Rats 1604 durch Kurfürst Joachim Friedrich war es ein Charakteristikum kurmärkischer Personalpolitik, landfremde, oft reformierte Amtsträger zu berufen und damit den Zugang zu diesen Ämtern für den einheimischen lutherischen Adel sukzessive zu begrenzen.7

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Vgl. Heckel, Martin: Art. „Augsburger Religionsfrieden“, in: RGG4 1 (1998), Sp. 957f. Zur Confessio Augustana invariata und variata vgl. Lohse, Bernhard: Art. „Augsburger Bekenntnis I“, in: TRE 4 (1979), S. 616–628. Vgl. z.B. Neugebauer, Wolfgang: Zentralprovinz im Absolutismus. Brandenburg im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 42f. Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 93, S. 95. So vgl. Manten, Georg: Das Notbischofsrecht der preußischen Könige und die preußische Landeskirche zwischen staatlicher Aufsicht und staatlicher Verwaltung. Unter besonderer Berücksichtigung der Kirchen- und Religionspolitik Friedrich Wilhelms II., Berlin 2007 (QFBPG, Bd. 32) S. 58. Zur Einleitung in das Problem des landesherrlichen Kirchenregiments vgl. Zimmermann, Gunter: Die Einführung des landesherrliche Kirchenregiments, in: ARG 76 (1985), S. 146–168. Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 93–96. Die Voraussetzungen für den Bekenntniswechsel Johann Sigismunds legte schon sein Vater Joachim Friedrich (1598–1608), der in Abgrenzung zur römisch-katholischen Kirche eine Abschaffung kontroverser altkirchlicher Praktiken forcierte und damit auf die Ablehnung des traditionellen Luthertums stieß. Vgl. Opgenoorth, Ernst: „Ausländer“ in Brandenburg-Preußen. Als leitende Beamte und Offiziere 1604 bis 1871, Würzburg 1967, S. 11ff.; vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 93–96. Zum Geheimen Rat, vor allem zur Anfangszeit der Regierung Friedrich Wilhelms bis 1651, noch immer vgl. Oestreich, Gerhard: Der brandenburg-preußische Geheime Rat vom Regierungsantritt des Großen Kurfürsten bis 1651, Würzburg-Aumühle 1937. Ein weiteres Moment auf dem Weg zum reformierten Glauben bestand in dem Bekenntniswechsel des Bruders Markgraf Ernst 1610; vgl. Beeskow: Konfessionswechsel, S. 9.

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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Weil weder Stände8 noch übrige Bevölkerung, weder Geistlichkeit9 noch Kurfürstin Anna von Preußen sich dem Schritt Johann Sigismunds mit dem Vollzug des Abendmahls in reformierter Weise anschlossen, sondern es stattdessen zu Protesten und kontroverstheologisch-polemischer Bekämpfung kam, griff Johann Sigismund zu einer Reihe von flankierenden Maßnahmen,10 die den aus seiner Sicht vollendeten Protestantismus in Leben, Lehre und Ritual- und Zeremonialwesen durchsetzen, mithin also die reformierte Konfessionalisierung in der Kurmark gestalten sollten. Diese Maßnahmen können als ein konfessionspolitischer Handlungskatalog verstanden werden, der für die brandenburgische Religionspolitik des 17. Jahrhunderts prägende Wirkung haben sollte. Die erste Operation bildete das Edikt vom 24.2.1614 gegen die Polemik der lutherischen Theologen, um – im kurfürstlichen Verständnis – die Ordnung und den Frieden in der Mark zu wahren.11 Bei Verstößen gegen das Edikt musste mit einem Landesverweis gerechnet werden. Der zweite und wichtigere Schritt bestand in der Erklärung eines Bekenntnisses im Zusammenhang mit der Variation oder Streichung bisher gültiger Bekenntnisse, welche den lutherischen Glauben in der Mark ausgelegt und reglementiert hatten. In seiner Marchica oder Confessio Sigismundi von 161412 bekannte Johann Sigismund sich zu den drei altkirchlichen Bekenntnissen13 und „zu der Augsburgischen Confeßion, so anno 1530. Keyser Carolo V von den protestirenden Fürsten und Ständen übergeben, und nachmals in etlichen Puncten nothwendig übersehen und verbessert worden.“14 Er beharrte gleichzeitig darauf, dass er keinesfalls entschlossen sei, „etwas neues, oder was in Gottes Wort nicht ausdrücklich gegründet, anzuordnen, und deroselben unterthanen beyzubringen.“15 Er versuchte demnach dezidiert, die beiden Konfessionen als zwei Teile 8 9

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Vgl. den Briefwechsel zwischen Ständen und Kurfürst bei Hering: Historische Nachricht, S. 222ff. Vgl. Kniebe, Rudolf: Der Schriftenstreit über die Reformation des Kurfürsten Johann Sigismund von Brandenburg seit 1613, Halle 1902. Mit ausführlichem Verzeichnis der die Confessio Sigismundi bekämpfenden Schriften. Die Abwehr wurde vor allem durch die Wittenberger theologische Fakultät unterstützt. Bei Leonard Hutter heißt es u.a.: Es „ist lauter Betrug, vnnd ein vergeben Spiegelfechten, einfeltigen Christen hierdurch blawen Dunst für die Augen zumachen, damit sie nicht sehen oder mercken sollen, wie unter diesen Kirchen Ceremonien, vnnd durch derselben ausmusterung, allgemach der leidige verdamte Calvinismus eingeführet werde.“ Hutter, Leonhard: CALVINISTA Aulico-Politicus Alter. Das ist: Christlicher vnnd Nothwendiger Bericht, von den fürnembsten Politischen Heubtgründen, durch welche man, die verdampte Calvinisterey, in der Hochlöbl. Chur vnd Marck Brandenburg einzuführen, sich eben starck bemuehet. Allen Eifferigen Lutheranern zu bestendigem Unterricht, Wittenberg: Helwig 1614, S. 5. Vgl. die Zusammenfassung bei Nischan: Prince, People and Confession, S. 111 nach dem „Der Churfürstlich Brandenburgischen Stadthalter und Räte Bedenken wie die Reformation fortzuführen“ vom 21.2.1614, (dort zitiert als: LHASA Merseburg, Rep. 47, Nr. 16). Vgl. Edikt am 24.2.1614, GStA PK, X. HA, Rep. 8, Nr. 414, Bl. 25r–27v. Confessio Fidei Johannis Sigismundi, Electoris Brandenburgici, abgedruckt bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 122–131. Vgl. ebd., S. 124. Ebd. Ebd., S. 123.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

einer Einheit – Protestantismus – darzustellen. Dabei kam der reformierten Konfession der Status der weiterentwickelten, verbesserten Konfession zu. Zur Anerkennung dieser Meinung sollten die Anhänger des – in diesem Duktus – niederentwickelten Luthertums nun systematisch gebracht werden. Mit der in der Marchica so subtil formulierten Hinwendung zu der durch Philipp Melanchthon weiterentwickelten Form der CA invariata von 1530, nämlich ihrer 1540 neu herausgegebenen Variante CA variata, verabschiedete man sich subtil von einem der beiden grundlegenden dogmatischen Texte des Luthertums. Der zweite maßgebende Text, die Bekenntnisschrift der Konkordienformel (FC) von 1577,16 wurde ebenfalls in Zentralaussagen theologisch außer Kraft gesetzt und nicht erwähnt. Reichsrechtliche Brisanz erhielt die Absage an die CA invariata von 1530 durch ihre grundlegende Bedeutung im Augsburger Religionsfrieden von 1555. Die verfassungsrechtliche Rolle des Religionsfriedens macht den Legitimationsversuch, keinesfalls eine neue Konfession, sondern nur eine weitere Stufe im Protestantismus etablieren zu wollen, verständlich. So kritisierten die märkischen Stände dieses Vorgehen prompt mit dem Hinweis, der Kurfürst laufe Gefahr, den Schutz des Reichsfriedens zu verlieren, und forderten die Rückkehr zur Augsburger Konfession von 1530.17 An dieser Stelle zeigte sich erstmals in der Auseinandersetzung die identitätsstiftende Bedeutung, welche CA invariata und FC für die lutherischen Untertanen besaßen, und auf deren unverfälschter Geltung diese entschieden beharrten. Erteilte die Confessio Sigismundi in der Ubiquitätslehre und der Frage nach der Realpräsenz der lutherischen Auffassung zwar eine Absage,18 blieb sie dennoch in einer theologischen Zentralaussage, in der Rechtfertigungslehre, in Luthers Denken verhaftet, Calvins Denkweise einer partikularistischen Gnadenwahl wurde nicht übernommen.19 Diese Tatsache wird von Wolfgang Gericke als Beleg dafür gewertet, es sei Johann Sigismund um eine gleichberechtigte Annäherung der beiden protestantischen Konfessionen gegangen.20 Die Übernahme von Dogmen Calvins bei gleichzeitiger Beibehaltung von Glaubenssätzen Luthers beinhaltete theoretisch die Möglichkeit der konfessionellen Annäherung zwischen Lutheranern und Reformierten, illustriert jedoch die Breite innerhalb des Reformiertentums. Gericke negiert sich insofern selbst, indem er weiter feststellt, „daß Johann Sigismund und seine nächsten Nachfolger trotz allem bewußt reformierte Christen sein und bleiben wollten.“21

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Zur FC vgl. Wallmann, Johannes: Art. „Konkordienformel“, in: RGG4 4 (2001), Sp. 1604–1606. Nach einem Erlass zur Vokation und Ordination der Geistlichen aus dem Jahr 1614 sollte der Verpflichtung auf die FC unterbleiben; vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 51. Vgl. Croon: Landstände, S. 188–198. Vgl. Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 23f. Vgl. Confessio Sigismundi, S. 129f. Vgl. Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 25f. Ein rationalistisches Motiv sieht Gericke bei der Ablehnung als absurd empfundener Lehren und Zeremonien als Ursache, so bei der Weglassung des Exorzismus bei der Taufe; vgl. ebd., S. 27; vgl. Confessio Sigismundi, S. 126f. Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 27.

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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Dies mag einer der Kernsätze für alle weiteren Ausführungen sein, denn allein die traditionellen Lutheraner, Theologen und Bevölkerung, sollten sich in dieser Frage auf die Reformierten zu bewegen und ihren Glauben hin zu diesem leicht abgeschwächten Reformiertentum brandenburgischer Prägung entwickeln, nicht umgekehrt. Die abschließende Hoffnung des Kurfürsten, die Untertanen mögen die Wahrheit mit Gottes Hilfe noch erkennen, wenn „S. Churf. Gn. auch zu dieser Bekenntnus keinen Underthanen öffentlich oder heimblich wider seinen Willen zwingen, sondern den Curs und Lauff der Warheit Gott allein befehlen“,22 täuscht deshalb nicht darüber hinweg, dass es Johann Sigismund keinesfalls um eine Kirchenunion zwischen zwei gleichberechtigten Partnern ging.23 Ein dritter Schritt, Überzeugungsarbeit für den reformierten Glauben zu leisten, sollte die Einberufung eines Religionsgesprächs zwischen Theologen beider protestantischer Richtungen für den 3.10.1614 sein. Dieses Instrumentarium der friedfertigen Verständigung im Gespräch erwies sich allerdings nicht als zweckdienlich, die lutherischen Theologen der Mark zu einem konfessionellen Austausch, geschweige denn zum Überschreiten der eigenen Konfessionsgrenzen zu bewegen und scheiterte an ihrer bloßen Teilnahmeverweigerung.24 Von wichtiger Wirkung war die forcierte Besetzung prominenter Ämter in Regierung und Kirche mit Geistlichen reformierter Prägung durch die Berufung Landfremder auf Stellen, deren Patronat reformierte Adlige oder der Kurfürst innehatten.25 Mittelfristig musste aber die Ausbildung von einheimischen reformierten Eliten zum Zweck des Ämtertauschs mit einheimischen Lutheranern erfolgen. Denn mit reformierten Einheimischen waren kaum Stellen in der Kurmark zu besetzen, da sich die Stände der Konversion verweigerten und es diese reformierten Einheimischen demzufolge quantitativ und qualitativ nicht gab. Es war notwendig, zunächst Multiplikatoren zu erziehen und auszubilden, deren Aufgabe es sein musste, die reformierte Konfessionalisierung im Land tiefgreifend durchzusetzen. Das prominenteste Beispiel eines auswärtigen Theologen war der vom Kurfürsten berufene Pfälzer Theologe Abraham Scultetus, der einen dezidierten Plan für den Austausch der Geistlichen in der Mark, der Lehrer an den wichtigsten Schulen des Landes, vor allem des 1609 gegründeten Joachimsthaler Gymnasiums, und der Professoren an der Frankfurter theologischen Fakultät vorlegte.26 Beide Einrichtungen waren für den Wechsel geeignet, standen ihre Mitglieder doch traditionell dem Konkordienbuch kritisch gegenüber und waren, besonders die Universität, humanistisch-philippistisch ge22 23

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Vgl. Confessio Sigismundi, S. 131. Im Sinn der Union vgl. Mühler, Heinrich von: Geschichte der evangelischen Kirchenverfassung in der Mark Brandenburg, Weimar 1846, S. 135. Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 103–105. Die lutherischen Theologen weigerten sich, das Religionsgespräch auf Deutsch anstatt auf Latein zu führen. Ein weiteres Argument war die kurze Zeit, um auswärtige theologische Unterstützung aus Wittenberg zu erlangen. Am 3.10.1614 verlangten sie mit Unterstützung der Stände einen erneuten Aufschub. Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 53. Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 101.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

prägt.27 Mit der Berufung von Johann Bergius, Wolfgang Crell und Gregor Franck an die Frankfurter theologische Fakultät vollzog sich deren reformierte Konfessionalisierung. Daneben lehrte der dem Reformiertentum gegenüber aufgeschlossene Lutheraner Christoph Pelargus seit 1591 in Frankfurt und fungierte seit 1595 außerdem als lutherischer Generalsuperintendent der Kurmark. Die Universität Frankfurt sollte von nun an die Ausbildung reformierter Geistlicher und Gelehrter für die Mark gewährleisten. Aus den Statuten der Frankfurter theologischen Fakultät war dazu 1610 bereits die Konkordienformel entfernt worden, 1616 folgte das Verbot der Weitergabe der lutherischen Abendmahlslehre.28 Den Kern der neu zu schaffenden reformierten Gesellschaft bildeten die Hofprediger. Martin Füssel, Johann Bergius und Karl Sachse waren alle keine Kurmärker, sondern als Landfremde auf die höchsten geistlichen Ämter des Landes berufen worden. Sie und ihre Nachfolger sollten dafür sorgen, einen festen reformierten Geistlichenstand in der Mark auszubilden, nicht zuletzt auch deshalb, weil sich deren Familien durch Heiratsbeziehungen miteinander vernetzten.29 Ein Einfluss der Hofprediger auf die kirchlichen Institutionen und das geistliche Leben in Brandenburg-Preußen kann bereits zu diesem frühen Zeitpunkt vermutet werden, obwohl er, abgesehen von wenigen Ausnahmen, quellenmäßig nur schwer zu ermitteln ist.30 Als Pfeiler in einem geschickt austarierten konfessionspolitischen System sind die Hofprediger für konfessionspolitische Fragestellungen auf jeden Fall von Interesse. Zur Organisation und Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten des Landes richtete Johann Sigismund 1614 einen Kirchenrat ein. Der Kirchenrat, der die Durchsetzung der Mark mit der reformierten Konfession durch die Berufung reformierten Personals, welches in Frankfurt examiniert sein musste, und vor allem die Einhaltung des Anti-PolemikEdikts aus dem Februar 1614 kontrollieren sollte, war dem Kurfürsten direkt unterstellt. Zunächst beabsichtigte er wohl, den Rat paritätisch mit Lutheranern und Reformierten zu besetzen. Dem kamen die Lutheraner in ihrer generellen Abwehrhaltung allerdings nicht nach, so dass die Stellen alle von Reformierten übernommen wurden. Wolf-Dietrich von Rochow nahm den Vorsitz ein, weitere Mitglieder waren Salomo Finck und die Hofprediger Johann Bergius und Martin Füssel.31 Die Räte waren mit dem Protest der lutherischen Pastoren in der Mark konfrontiert,32 so dass die Idee des möglichst harmonischen Aus27

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Vgl. ebd., S. 106ff. Zum Joachimsthaler Gymnasium vgl. Wetzel, Erich: Geschichte des königl. Joachimsthalschen Gymnasiums 1607–1907, Halle 1907; vgl. Winter: Gelehrtenschulwesen, bes. S. 121–126; zur Viadrina vgl. Mühlpfordt, Günther: Die Oderuniversität Frankfurt (1506–1811), F.d.O. 1981 (Frankfurter Beiträge zur Geschichte, Bd. 9); vgl. Heinrich, Gerd: Art. „Frankfurt an der Oder, Universität“, in: TRE 11 (1983), S. 335–342. Vgl. Hering: Historische Nachricht, S. 323f. Vgl. von Thadden, Rudolf: Hofprediger, Die Brandenburg-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 32), 72ff. Vgl. ebd., S. 56f Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 105. Vgl. Nischan: Prince, People and Confession, S. 124. Nischan zählt Protestbeispiele und Verstöße

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tauschs zwischen den beiden Konfessionen im Kirchenrat durch dessen bloße Existenz zunehmend ad absurdum geführt wurde. Betrafen die bisher durchgeführten Maßnahmen die Bevölkerung zunächst indirekt, sollten weitere Eingriffe eine breitenwirksame Durchdringung des Landes mit der reformierten Konfession sicherstellen. Diese Eingriffe, in der Fortführung von Luthers Reformation als letzte Austreibung römisch-katholischer Rituale und Zeremonien verstanden, konnten eine Bandbreite von der Durchsetzung des reformierten Abendmahls über die Eliminierung des Exorzismus bei der Taufe,33 die Purifikation der Kirchen und Gottesdienste von künstlerischen Darstellungen und Kirchenmusik bis zur Abschaffung bestimmter Feste, insbesondere der Marienfeste, des Michaelstags und Fronleichnams umfassen.34 In Brandenburg führte die Abschaffung des Exorzismus bei der Taufe, wie in der Confessio Sigismundi angelegt,35 zu einer langanhaltenden Kontroverse. Der Taufexorzismus war seit den Auseinandersetzungen um Georg Merula in Gotha 1549, 1591 im Kursachsen Christians I., vor allem aber seit 1589 in Anhalt ein zentrales Element der traditionellen Deutung lutherischer Identität geworden.36 So überraschte es nicht, dass es auch in Brandenburg-Preußen zu einer Abwehrhaltung seitens der lutherischen Geistlichkeit und der Bevölkerung kam. Erste Höhepunkte der Auseinandersetzung waren die Eingaben des Königsberger Konsistoriums im Jahr 1614 gegen die Weglassung des Taufexorzismus durch den reformierten Hofprediger Bergius oder die Debatte um den lutherischen Pastor der Marienkirche in Berlin, Johann Finck, der sich weigerte, dem Weglassen des Exorzismus nachzukommen. Der Widerstand gegen die Abschaffung des Taufexorzismus und die damit verbundene nicht erreichte Erwartung der freiwilligen Selbst-Reformation an diesem Punkt führte zu einer langfristigen Anpassung der konfessionspolitischen Strategie, indem ein Mittelweg geschaffen wurde, der von langfristiger Wirkung sein sollte: 1624 erließ Kurfürst Georg Wilhelm angesichts der anhaltenden Streitigkeiten ein Edikt, das die Zurückweisung von Eltern, die bei der Taufe ihres Kindes die Weglassung des Exorzismus präferierten, durch lutherische Pfarrer ausdrücklich verbot.37 33

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gegen das Edikt für die Städte Fürstenwalde, Cottbus, Beelitz, Stendal und Berlin auf. Vgl. Kelter, Gerd: Der Taufexorzismus in der Lutherischen Kirche. Liturgiegeschichtlicher Überblick und pastoraltheologische Überlegungen, in: Lutherische Beiträge 1 (1996), S. 137–148, bes. 144f. Vgl. Nischan: Prince, People and Confession, S. 133–158. Vgl. Confessio Sigismundi, S. 126f. Vgl. Nischan, Bodo: The Exorcism Controversy and Baptism in the Late Reformation, in: The Sixteenth Century Journal 18 Vol.1 (1987), S. 31–52, hier S. 33–42; zu Anhalt vgl. v.a. Breul, Wolfgang: Johann Arndt und die konfessionelle Entwicklung Anhalts, in: Otte, Hans (Hg.): Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die „Vier Bücher vom wahren Christentum“, Göttingen 2007 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd. 40), S. 56ff. Vgl. Edikt am 28.8.1624 [Abschrift], UAH Rep. 1, Nr. 4607, unpag.; vgl. Nischan: The Exorcism Controversy, S. 45f; vgl. auch Kapitel II.3.2.3. dieser Arbeit. Theologisch musste sich eine Schwierigkeit aus der im Reformiertentum bestehenden Verknüpfung zwischen der Weglassung des Exorzismus bei der Taufe im Zusammenhang mit dem Sakramentsverständnis an sich und der

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Symbol- und vorbildhafte Wirkung sollte die ‚Reformierung’ des Berliner Doms am 30.3.1615 und dessen Purifikation erreichen. Für die lutherischen Theologen und die Stadtbevölkerung war diese Maßnahme das endgültige Fanal zur Gegenwehr. In Berlin kam es zu Protesten vor den Häusern der reformierten Prediger Füssel und Sachse.38 Diese Aufregung war aber nur ein Glied in einer Kette von Störungen, wie sie schon für das Jahr 1614 aus Brandenburg an der Havel, Lindow und Stendal berichtet wurden. Die Bereitschaft der Bevölkerung und der Theologen, die mit anti-reformiert-polemischen Predigten die Ablehnung in den Gemeinden noch forcierten, dem Glaubenswechsel insbesondere im Abendmahlsritus nachzukommen, war so gut wie nicht vorhanden, so dass sich die Situation für den Kurfürsten und seine Räte zunehmend schwierig gestaltete.39 Offensichtlich hatten Kurfürst, Geheime Räte und reformierte Theologen das konfessionelle Beharrungsvermögen der Bevölkerung erheblich unterschätzt, so dass es nicht gelang, der reformierten Konfessionalisierung von oben eine parallele von unten beizufügen. Relevant wurden die Proteste aber erst durch die sowohl konfessionell als auch finanzpolitisch motivierte Unterstützung der märkischen Landstände. Ihr Beharrungsvermögen und ihre Wahrnehmung, eigene Privilegien und Zuständigkeiten zunehmend gegen Eingriffe des Fürsten – beispielsweise in der Frage der Zuständigkeit des lutherischen Konsistoriums und des paritätisch gedachten Kirchenrates – verteidigen zu müssen, sowie die Tendenz, lokale Politikfelder den überregionalen, wie der Gewinnung neuer Gebiete oder der auch konfessionell motivierten Partnerschaft mit anderen Mächten wie der Pfalz oder den Generalstaaten, vorzuziehen, verbanden sich mit ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Macht gegenüber dem Kurfürsten. Dessen Realpolitik musste es bei allen konfessionellen Überlegungen deshalb sein, einen Konsens mit den Ständen zu finden.40 Als Johann Sigismund Ende Januar und Anfang Februar 1615 mit ihnen über Geldzuwendungen verhandeln wollte, machten sie jegliche Gesprächsbereitschaft vom

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Vorherbestimmung der Christen zum Heil durch den Ratschluss Gottes ergeben. Da die Taufe quasi als eine Versiegelung der Heiligung durch den Beschluss Gottes mithin als Zeichen verstanden wurde, musste der Exorzismus zu einem leeren Ritual verkommen, welches man folgerichtig auch weglassen konnte; vgl. dazu Calvin, Johannes: Institutio Christianae Religionis (1559), 3 Bde., bearb. v. Weber, Otto, Moers 1936–38, IV (= Bd. 3, 1938), Kapitel 15, Abschnitt 22, S. 412. In der Marchica wurde aber gerade die sogenannte doppelte Prädestination nicht übernommen, so dass sich die Frage nach der Gnadenwahl und der Rolle sowie dem Wesen der Sakramente eigentlich zwangsläufig neu stellen musste. Hier beinhaltete die Confessio Sigismundi theologisch und zeremoniell Schwachstellen, die m. E. weniger aus dem Bedürfnis nach konfessioneller Weite, als der theologischen Unsicherheit des Kurfürsten resultierten. Vgl. Hering: Historische Nachricht, S. 279–301; vgl. Nachricht von der Anno 1615 zu Cölln an der Spree entstandenen Tumult, in Küster, Georg Gottfried (Hg.): Collectio opusculorum historiam Marchicam illustrantium, 2 Bde., Berlin 1727–53, Bd. 1, Stück 4, S. 62. Vgl. die ausführliche Zusammenfassung bei Nischan: Prince, People and Confession, S. 185–203. An der Joachimsthaler Fürstenschule zeigte sich die Abwehrhaltung im Abbau der Schülerstellen und steigenden Kosten; vgl. Winter: Gelehrtenschulwesen, S. 125. Vgl. Nischan: Kontinuität und Wandel, S. 118f.

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Schutz ihres lutherischen Bekenntnisses und ihres Patronatsrechts abhängig und nötigten ihn letztendlich zum Rezess vom 5.2.1615, in dem er ausdrücklich den Verbleib der Bevölkerung bei der unveränderten Augsburgischen Konfession einschließlich der Geltung des Konkordienbuchs und die Bewahrung des ständischen Patronatsrechts gestattete.41 Damit rückte er von dem ihm in seiner Interpretation des Augsburger Religionsfriedens zustehenden Recht des ius reformandi über seine Untertanen unter deren Druck ab und ließ in seinem Land eine Bikonfessionalität42 innerhalb des Protestantismus zu, wobei das Reformiertentum zunächst auf den Hof und dessen unmittelbares Umfeld beschränkt blieb. Die Duldung des Luthertums entsprach also keinesfalls einer Affinität zu Toleranz, sondern einzig einer Zwangslage. Deshalb von einer toleranteren, polykonfessionell angelegten Religionspolitik zu sprechen,43 ist unangebracht, denn Johann Sigismund kam im Rezess ausschließlich den realpolitischen Zwängen der Stunde nach, seine konfessionelle Einstellung änderte sich nicht. Die Duldung des Luthertums bei gleichzeitigen massiven Beschränkungsversuchen ‚tolerant’ zu nennen, erscheint demnach euphemistisch. Die reformierte Konfessionalisierung blieb in Brandenburg zunächst stecken, weswegen man von einer eingeschränkten reformierten Konfessionalisierung sprechen kann. Johann Sigismund beschied sich und seinen Nachfolgern einen Katalog von Maßnahmen zur Konfessionsdurchsetzung, die langfristig – durch die Widerstandserfahrung seitens der Bevölkerung nuanciert und ohne den Rezess vom Februar 1615 zu verletzen – durchaus praktikabel waren: 1. Edikt zur Beendigung theologischer Streitigkeiten; 2. Streichung bzw. stillschweigende Unterlassung oder Variation von Bekenntnissen und Bekenntnisschriften, besonders der FC; 3. Religionsgespräche; 4. Schaffung geeigneter Ausbildungsstätten zur Multiplikation der Bekenntnisträger; 5. Berufung geeigneten landfremden Personals; 6. Besetzung der Hofpredigerstellen mit Reformierten und Ausbau dieser Stellen; 7. Schaffung neuer oder Veränderung bestehender Behörden; 8. Eingriffe in das Taufritual. Sein Nachfolger Georg Wilhelm (1619–1640) gab die Absicht, die reformierte Konfession, wenn nicht durchzusetzen, dann doch zu stärken, nicht auf und nahm einige dieser Handlungsmöglichkeiten in Anspruch: Er besetzte das lutherische Konsistorium 1637 paritätisch und unterstützte die Teilnahme von Bergius am Leipziger Religionsgespräch von 1631.44 Der Plan, Bergius auf den Posten des Generalsuperintendenten der Kurmark zu setzen, war angesichts von geistlichen und ständischen Protesten sowie der Kriegsun-

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Vgl. ebd., S. 121–122. Der Rezess ist abgedruckt bei Klinkenborg, Melle (Hg.): Das Archiv der Brandenburgischen Provinzialverwaltung, 2 Bde., Bd. 1: Das Kurmärkische Ständearchiv, Strausberg 1920, S. 444. Am 6.2.1615 erfolgte eine Resolution zur Religionsausübung der Reformierten; vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 56. So immer noch vgl. Winter: Gelehrtenschulwesen, S. 35. „Polykonfessionell“ war die brandenburgische Religionspolitik schon deshalb nicht, weil Katholiken vor 1648 nicht geduldet wurden. Vgl. Nischan: Prince, People and Confession, S. 240–244; vgl. Heinrich, Gerd: Art. “Brandenburg II”, in: TRE 7 (1981), S. 111–128.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

ruhen allerdings zum Scheitern verurteilt.45 Die weitere Umgestaltung des Berliner Doms zu einer den lutherischen Kirchen gleichberechtigten reformierten Parochialkirche und ihre Abtrennung von der Hofkirche, um den Dom vor einer eventuellen Rekonversion eines späteren Kurfürsten zu schützen, führte zwar ebenfalls zu Protesten, diesmal aus dem Reich und Sachsen, bildete aber einen weiteren wichtigen Schritt zur Forcierung der reformierten Konfessionalisierung im Lande, wobei es allerdings kaum zu reformierten Gemeindegründungen außerhalb Berlins kam.46 Auf die Purifikation des Doms wurde nach der Protesterfahrung von 1615 verzichtet. Die flächendeckende Durchsetzung der reformierten Konfession blieb zunächst blockiert und wurde durch die Erfordernisse des Dreißigjährigen Krieges zusätzlich erschwert. Für das landesherrliche Kirchenregiment bedeuteten die Maßnahmen Johann Sigismunds und Georg Wilhelms dennoch eine Neuerung: Obwohl einer anderen Konfession angehörend, behielten die Kurfürsten die Oberaufsicht über die lutherische Konfession in ihrem Land, praktisch umgesetzt in der Verantwortung des weltlichen reformierten Rats im paritätisch besetzten Konsistorium für Pfarrstellenbesetzung, Visitationen und lokale Streitfälle. Staatskirchenrechtlich bedeutete das für Otto Hintze den entscheidenden Übergang vom Episkopalismus zum Territorialkirchensystem,47 in dem die Aufsicht über die Konfessionen allmählich Teil der allgemeinen Staatsverwaltung wurde, die der Fürst selbstverständlich wahrnahm. Zunächst erhielten die von Johann Sigismund begonnenen Maßnahmen ihre reichsrechtliche Legitimation im Westfälischen Frieden von 1648 durch die Gleichstellung der reformierten Konfession mit der römisch-katholischen und der lutherischen.48 Durch die gleichzeitige Abschaffung des ius reformandi für die Territorialherren waren Friedrich Wilhelm allerdings über den Rezess von 1615 hinaus die Hände gebunden, die reformierte Konfession durchsetzen oder stärken zu wollen, sondern er musste zunächst das Nebeneinander der Konfessionen in der Kurmark akzeptieren. Sollte es sein Ziel sein, die eigene reformierte Konfession wie seine Vorgänger zu fördern, mussten jetzt alle Maßnahmen erheblich subtiler abgestimmt gehandhabt werden, um Widerstandserfahrungen, wie sie bei den Versuchen Johann Sigismunds und Georg Wilhelms gemacht worden waren, zu vermeiden.

45 46 47 48

Vgl. Mühler: Geschichte, S. 144–147. Vgl. ebd., S. 138ff. Vgl. Hintze: Epochen, S. 82 Vgl. ausführlich Lackner: Kirchenpolitik, S. 71–89.

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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1.2. Die konfessionspolitische Nutzung der binnenkonfessionelllutherischen Strömung der Helmstedter Theologie Die Absicht Johann Sigismunds, den seit 1614 an der braunschweigischen Landesuniversität49 Helmstedt lehrenden Lutheraner Georg Calixt an die Frankfurter Universität zu berufen, deutet bereits auf die besondere dogmatische Qualität der in Brandenburg favorisierten lutherischen Theologie und die Strategie der konfessionspolitischen Nutzung geeigneter binnenkonfessioneller Strömungen innerhalb der lutherischen Konfessionskultur hin, auch wenn Calixt diesem Ruf nicht nachkam. Calixt, geprägt durch späthumanistische historisch-philosophische Studien, hatte sich als Inhaber der Professur für Kontroverstheologie in Helmstedt in einen Gegensatz zu den Vertretern des traditionellen Luthertums begeben und einen universalkirchlichen Standpunkt entwickelt.50 Diese Entwicklung basierte wesentlich auf der – zunächst polemischen – Auseinandersetzung mit den mit dem Katholizismus gewonnenen Argumenten51 und ließ Calixt zwischen fundamentalen – zusammengefasst im Apostolicum – und nicht fundamentalen Glaubensartikeln trennen. Die Fundamentalartikel sollten durch die Heilige Schrift und die Tradition der ersten fünf Jahrhunderte der Kirche,52 den sogenannten consensus antiquitatis,53 49

50

51 52 53

Braunschweig-Wolfenbüttel hatte die Konkordienformel 1577 nicht angenommen; vgl. Böttingheimer, Christoph: Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt, Münster 1996 (Studien zur systematischen Theologie und Ethik, Bd. 7), S. 28f, Zu Calixt und zur Helmstedter Theologie außerdem vgl. Böttingheimer, Christoph: Das Unionskonzept des Helmstedter Irenikers Georg Calixt (1586–1656), in: Klueting, Harm (Hg.): Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert, Hildesheim u.a. 2003 (Hildesheimer Forschungen, Bd. 2), S. 55–70; vgl. Müller, Hans-Joachim: Konfession, Kommunikation und Öffentlichkeiten. Der Streit um die Irenik in Danzig 1645–1647, in: Greyerz, Kaspar von / Jakubowski-Tiessen, Manfred / Kaufmann, Thomas / Lehmann, Hartmut (Hgg.): Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese, Gütersloh 2003 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte, Bd. 201), S. 151–178; vgl. Schüssler, Hermann: Georg Calixt. Theologie und Kirchenpolitik. Eine Studie zur Ökumenizität des Luthertums, Wiesbaden 1961; vgl. Wallmann, Johannes: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, Tübingen 1961 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 30); vgl. ders.: Zweite Reformation und Humanismus. Eigenart und Wirkungen Helmstedter Theologie unter besonderer Berücksichtigung Georg Calixts, in: ZThK 74 (1977), S. 344–370; vgl. ders.: Art. „Georg Calixt“, in: TRE 7 (1981), S. 552–559; vgl. ders.: Union, Reunion, Toleranz: Georg Calixts Einigungsbestrebungen und ihre Rezeption in der katholischen und protestantischen Theologie des 17. Jahrhunderts, in: Duchhardt, Heinz / May, Gerhard (Hgg.): Union – Konversion – Toleranz. Dimensionen der Annäherung zwischen den christlichen Konfessionen im 17. und 18. Jahrhundert, Mainz 2000 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Beiheft 50), S. 21–38. Die Rede von der ‚Union’ sollte im Zusammenhang von Calixt und Brandenburg eher nicht verwendet werden, um eine Zielführung zur Union von 1817 zu vermeiden. Vgl. Böttingheimer: Polemik und Irenik, S. 49ff. Vgl. ebd., S. 60ff. Calixt, Georg: Prooemium ad Augustini „De doctrina Christiana“ et Vincentii Lerinensis „Commonitorium“, Helmstedt 1626, 21656, S. 31, zitiert nach: Böttingheimer: Unionskonzept, S. 63.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

definiert werden können. Damit wehrte er sich gegen die Bedeutung von seiner Ansicht nach erst später in das Glaubensfundament eingetragenen Sonderlehren. Römisch-katholischerseits betraf das die Rolle des Papstes, den Zölibat, Transsubstantiation, Ablass und Purgatorium. Auf protestantischer Seite lehnte er die reformierte Prädestinationslehre sowie die lutherische Ubiquitätslehre ab. Daraus resultierte bei ihm eine Ablehnung der FC und der Variantendiskussion um die CA.54 Mit diesem Konzept traf er sowohl auf die Einwände der römisch-katholischen Kirche als auch des traditionellen Luthertums, verneinte er doch zur verbindlichen konfessionellen Mitte gehörende Lehrnormen und die entsprechenden konfessionellen Codes. Der Vorwurf des Reduktionismus und Minimalismus gegenüber seiner Lehre entsprach demzufolge der Abwehr gegen die Beeinträchtigung der konfessionellen Identität, wie sie seitens traditioneller Lutheraner definiert wurde, insbesondere durch die Auslassung der lutherischen Rechtfertigungslehre.55 Calixt und seine Anhänger entfernten sich derart weit von der konfessionellen Mitte, dass das traditionelle Luthertum mit der Abgrenzung gegenüber dieser zunächst in der Sphäre der Universität verorteten binnenkonfessionellen Strömung mittels des Synkretismusvorwurfs reagierte. Aus Sicht der traditionellen Lutheraner stellte Calixt die gemeinsame konfessionelle Identität in Frage und legte ein unannehmbares alternatives Identitätskonzept vor. Johannes Wallmann urteilt daher treffend: „Mit diesem konkreten kirchenpolitischen Ziel schwamm er allerdings gegen den reißenden Strom der Konfessionalisierung, der seine Zeit beherrschte. Im Luthertum seiner Zeit wurde er damit zum Außenseiter.“56 Die Idee der gemeinsamen Bekenntnisgrundlage, welche Vorrang vor den in der Reformationszeit gewonnenen Bekenntnissen besitzen sollte, ausgerechnet ausgehend von einem Lutheraner, war für die brandenburgische Konfessionspolitik notwendigerweise von Interesse, weil man sie sowohl für die innerprotestantische Profilierung Brandenburgs als auch für die Selbstreformation der lutherischen Pfarrer und Laien nutzen konnte. Indem man die reformierte Prädestinationslehre nicht übernommen hatte, waren hier theologisch schon gute Anknüpfungspunkte an Calixt gegeben. Für die brandenburgische binnenkonfessionelle Variante innerhalb der reformierten Konfessionskultur bestand demzufolge keine Identitätsproblematik durch den Reduktionismus Calixts. Ein erster innerprotestantischer Umsetzungsversuch der irenischen Bemühungen fand auf dem während des Konvents evangelischer Reichsfürsten ausgetragenen Leipziger Religionsgespräch vom 3. bis zum 23.3.1631 statt, an dem für Brandenburg Hofprediger Johann Bergius teilnahm. Bei der Erörterung der 28 Artikel der CA invariata (!) wurde in 26 Artikeln eine Übereinstimmung zwischen den lutherischen Theologen Kursachsens Matthias Hoe von Hoenegg, Polykarp Leyser und Heinrich Höpffner und den Reformierten Johann Bergius und Johannes Crocius sowie Theophil Neuberger aus Hessen-Kassel erreicht. Einzig in den Fragen der Omnipräsenz Christi (CA III) und der manducatio oralis des Leibes und Blutes Christi sowie der manducatio infidelium (CA X) wurde 54 55 56

Vgl. Wallmann: Union, S. 28–31. Vgl. Böttingheimer: Unionskonzept, S. 65f. Wallmann: Union, S. 24.

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keine Übereinstimmung erzielt, allerdings wurden von den Reformierten Kompromisse auf Basis altkirchlicher Aussagen und der CA unter stillschweigender Ausklammerung weiterer Bekenntnisschriften, v.a. der FC, vorgeschlagen.57 Letzteres entsprach völlig der konfessionspolitischen Linie in Brandenburg. So verwundert es nicht, dass das Protokoll des Religionsgesprächs58 mit dem Ziel, zu klären, „ob und wie man auf beiden Theilen näher zusammen rücken mögte“,59 später zu den symbolischen Büchern des Kurfürstentums gehören und zu einem Code der spezifisch brandenburgischen reformierten konfessionellen Identität werden und die lutherischen Codes ersetzen sollte. Wichtiger für die Wirkung der Theologie Calixts und auch wichtiger für die brandenburgischen intrareligiösen Verständigungsversuche war das colloquium charitativum von Thorn 1645, zu welchem der polnische König Wladislaus IV. die römisch-katholischen, lutherischen und reformierten Christen seines Landes am 28.8.1645 eingeladen hatte.60 Als Abgesandter des Kurfürsten traf Johann Bergius mit Georg Calixt zusammen, der beabsichtigt hatte, als Berater Danzigs an dem Religionsgespräch teilzunehmen. Aufgrund der Ablehnung des traditionellen Luthertums um den Danziger Abraham Calov und den Vertreter Wittenbergs, Johannes Hülsemann, kam diese Verbindung jedoch nicht zustande,61 Calixt wurde vielmehr Berater der brandenburgischen Delegation. Als er sich zur reformierten Delegation unter Bergius setzte, schien er die schlimmsten Befürchtungen der traditionellen Lutheraner zu bestätigen, nämlich dass die irenischen Konzepte auf die politisch gewollte Vereinigung mit den Reformierten hinauslaufen sollten. In den Stellungnahmen der ebenfalls irenisch orientierten lutherischen Königsberger Theologen Christian Dreier, Michael Brehm und Levin Pouchen waren die Calixtschen Ideen deutlich zu erkennen, insbesondere in der Hauptschrift der Reformierten vom 1.9.1645, in der als Grundlage für Glaubensartikel die Heilige Schrift, das Apostolicum und die Entscheidungen der altkirchlichen Konzile genannt wurden.62 Die Hauptschrift sollte später trotz des Scheiterns des Religionsgesprächs von Thorn zu den brandenburgischen Bekenntnisgrundlagen gehören. Das kommunikationstechnische Problem der Irenik bestand darin, dass sie „in das Kommunikationsgefüge der Kontroverstheologie eingebunden [war]. Indem sie es grund57 58

59 60

61

62

Vgl. Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 32ff. Colloquium Lipsiacum Anno 1631, da die anwesende Reformirte und Lutherische Theologi eine Liquidation angestellet, wie weit sie einig und nicht einig seyn; abgedruckt bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 143–156. Vgl. ebd., S. 144. Vgl. Müller, Hans-Joachim: Irenik als Kommunikationsreform. Das Colloquium charitativum von Thorn 1645, Göttingen 2004 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Bd. 208). Sehr ausführlich zu den Auseinandersetzungen in Danzig vgl. Müller: Konfession, bes. S. 156– 170. Declaration der Reformierten im Königreich Polen, Großherzogthum Litthauen und benachbarten Provinzen des Reiches; auf dem Convent in Thorn, im Jahre 1645 zur beschleunigten Klarstellung der Streitigkeiten; abgedruckt in Auszügen bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 160–164.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

legend kritisierte und in Frage stellte, war sie selbst kontroverstheologischen Angriffen ausgesetzt.“63 Nach Hans-Joachim Müller umfasst das Konzept dieser irenischen Theologie drei Ebenen: Die erste eines hermeneutischen Konzepts war durch Calixt für dessen Theologie geklärt worden. Dazu musste nun die Kommunikations- oder Verfahrensebene durch interkonfessionelle Religionsgespräche hinzugefügt werden. Als drittes Element sollten höfliches Verhalten und Mäßigung im Streit beachtet werden.64 Dieses dritte Element wurde als ‚Friedfertigkeit‘ zunehmend zu einem Synonym für ‚Irenik‘. Dass es sich bei den Kontroversen um irenische Theologie aber um Fragen nach einem dogmatischen Fundamentalkonsens und um diffizile theologische Normdiskussionen handelte, die verschiedene konfessionelle Identitätskonzeptionen bewirkten, wird sowohl von der allgemein- wie der kirchenhistorischen Forschung kaum problematisiert. So, wie schon Georg Calixt selbst Abraham Calov beim colloquium charitativum in Danzig als polemisierenden Eiferer beschrieben hat,65 entstand eine Negativfolie zur ‚Friedfertigkeit‘ der Ireniker, die geradezu stellvertretend für die lutherische Orthodoxie66 wurde und bis heute prägend ist. So erklärt sich beispielsweise Albrecht Beutels Charakterisierung der Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms im Berliner Kirchenstreit 1662–1667, diese sei von „irenischer Konzilianz“67 geprägt gewesen, und die gleichzeitige Abwertung der traditionell-lutherischen Proteste gegen die obrigkeitlichen Eingriffe.68 Irenik als bloße ‚Friedfertigkeit‘ ohne theologische Inhalte erhält auf diese Weise ebenso wie ‚Toleranz‘ eine moderne Überformung im Sinne eines respektvollen inner- und interkonfessionellen Umgangs, die genauso wie der Toleranzbegriff problematisiert werden muss.69 Die Verwendung des Begriffs darf nicht zu einer abwertenden Interpretation der traditionell-lutherischen Reaktion auf konfessionell-konsensuale Konzepte führen, nur weil diese Reaktion ablehnend und polemisierend geschah. Im Mittelpunkt der theologischen Normdiskussion um den Fundamentalkonsens stand von traditionell-lutherischer Seite der Vorwurf, sich des Synkretismus schuldig zu machen, also die lutherische Identität durch fragwürdige Glaubenssätze und die Abschaffung von konfessionellen Codes wie der CA invariata und der FC zu entstellen. Der Synkretismusvorwurf traf auch Calixts Schüler in brandenburg-preußischen Diensten. Einer von ihnen, der Königsberger Theologe Johann Latermann, sollte den Anlass für den von Königsberg bis Straßburg geführten Synkretistischen Streit70 um die Ideen Calixts 63 64 65

66 67

68 69 70

Müller: Konfession, S. 175. Vgl. Müller: Konfession, S. 155f. Vgl. Sträter, Udo: Przez Gdańsk do Wittenbergi: Abraham Calov (1612–1686) jako teolog luterańskiej ortodoksji, in: Zapiski Historyczne 73 (1008), S. 37–56 (mit dt. Zusammenfassung). Zum Orthodoxiebegriff in dieser Arbeit vgl. Kapitel I.2.3.1. Beutel, Albrecht: Paul Gerhardt und der Große Kurfürst, in: Wendebourg, Dorothea (Hg.): Paul Gerhardt – Dichtung, Theologie, Musik. Wissenschaftliche Beiträge zum 400. Geburtstag, Tübingen 2008, S. 172. Vgl. dazu Kapitel II.1.3. Vgl. dazu Kapitel I.1.1. Zum Synkretistischen Streit vgl. Wallmann, Johannes: Art. „Synkretistischer Streit“, in: RGG4 7

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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geben. Gegen Latermann, der 1647 die Berufung auf eine außerordentliche Professur in Königsberg erhielt, protestierte die dortige Fakultät anlässlich einer Disputation um die Erkennbarkeit der Trinität im Alten Testament und holte die Unterstützung verschiedener weiterer Fakultäten ein, die sich gegen Latermann aussprachen und den Ursprung für dessen Irrtümer im Helmstedter Synkretismus fanden. Nachdem sich beinahe das gesamte traditionelle Luthertum mit der Königsberger Fakultät gegen Latermann solidarisiert hatte, entbrannte eine Jahrzehnte andauernde kontrovers-theologische Debatte, die eine umfangreiche Streitschriftenliteratur produzierte. Die Königsberger Fakultät entwickelte sich dabei mit den weiteren Berufungen Christian Dreiers (1649 Hofprediger, 1652 Ordinarius) und Melchior Zeidlers (1658 Hofprediger, 1663 Ordinarius) und deren Schülern zusammen mit Latermann zu einem Zentrum der Calixtinischen Theologie oder des Synkretismus, je nach Perspektive.71 Aufgrund der kompromisslosen Bekämpfung Calixts durch den größten Teil des Luthertums setzte sich dessen irenische Theologie nicht flächendeckend durch, doch prägte sie – sozusagen als Negativfolie – jahrelang die theologischen Debatten und konstituierte ein dogmatisches Feindbild für das traditionelle Luthertum.72 Sollten nun in Brandenburg, im Rahmen der Fortsetzung der von Johann Sigismund und Georg Wilhelm begonnenen Politik der Annäherung zwischen Reformierten und Lutheranern, durch Kurfürst Friedrich Wilhelm das Calixtinische Konzept weiter verwendet oder weitere irenische Theologen helmstedtischer Prägung als friedfertige ‚Lutheraner’ berufen werden, musste der Konflikt mit den traditionellen Fakultäten, insbesondere der im kursächsischen Wittenberg, auch auf dieser Ebene bestehen bleiben. Theologen aus Helmstedt und aus Königsberg haftete seit den beschriebenen Kontroversen ein verdächtiger Makel an.

71

72

(2004), Sp. 1969; vgl. Müller: Irenik, S. 444ff. Vgl. dazu Sdzuj, Reimund B.: Zwischen Irenik, Synkretismus und Apostasie: Konversionen Königsberger Gelehrter im konfessionellen Zeitalter, in: Marti, Hanspeter / Komorowski, Manfred (Hgg.): Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit, Köln 2008, S. 186–223, hier: S. 194f. Im Verlauf des Synkretistischen Streits unterstützten die reformierten Prediger Berlins in einem Gutachten vom 9.3.1676 einerseits die Königsberger Position in der Unterscheidung zwischen Glaube und Theologie, legten dem Kurfürsten aber auch die Beendigung des Streits im Sinne des Kirchenfriedens nahe; vgl. auch Kaufmann, Thomas: Theologische Auseinandersetzungen an der Universität Königsberg im 16. und 17. Jahrhundert, in: Garber, Klaus / Komorowski, Manfred / Walter, Axel. E. (Hgg.): Kulturgeschichte Ostpreußens in der Frühneuzeit, Tübingen 2001, S. 243–318. So noch 1682 bei Calov vgl. Calov, Abraham: Historia syncretistica das ist Christliches wohlbegründetes Bedencken über den lieben Kirchen-Frieden und christliche Einigkeit in der heilsamen Lehre der himmlischen Wahrheit, [s.l.] 1682, 21685.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

1.3. Die Weiterentwicklung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1652–1668 In den 1650er und 1660er Jahren fokussierte der Große Kurfürst besonders innenpolitische Fragen, wobei die Auseinandersetzungen mit den Ständen in der Kurmark und in Preußen besondere Herausforderungen bildeten.73 In diesen Zusammenhang gehörten auch weitere konfessionspolitische Maßnahmen, welche deutlich eine Rezeption der von Johann Sigismund und Georg Wilhelm begonnenen reformierten Konfessionalisierungsaktivitäten zeigten. Für die Stände kristallisierte sich ihr seit 1613 erwiesenes konfessionelles Beharrungsvermögen weiter heraus, das sich mit der grundsätzlichen Frage nach dem Bestand der althergebrachten ständischen Privilegien und Rechte verband. Eine Zusammenfassung der Intentionen in der Konfessionsfrage gibt das Politische Testament Friedrich Wilhelms von 1667.74 Die Konfessionspolitik steht hier an erster Stelle, auch wenn dieses Thema nicht den größten Umfang im Testament besitzt. Der erste Rat an seinen Nachfolger75 nach der Heraushebung der reformierten Kirche als der auf das wahre Gotteswort gegründeten Kirche, war es, Obacht zu geben, dass „die Reformierte Religion […], In allen Eweren Landen moge vortgepflantzet werden, doch solcher gestaldt, das es nicht mitt zwangsmittelen, oder entziehung der Lutterischen kirchen, vndt abgang deren Rentten und inkunften gesche[he]“.76

Deutlich wird dabei einerseits das seit Johann Sigismund existierende und im Westfälischen Frieden verstärkte Prinzip der freien Konfessionswahl, wobei dies in Kurbrandenburg natürlich nur die Wahl zwischen Reformiertentum oder Luthertum beinhaltete, und andererseits der eindeutige Zusammenhang mit finanziellen Motiven. Denn wäre es zu 73

74

75 76

Vgl. Baumgart, Peter: Zur Geschichte der kurmärkischen Stände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Büsch, Otto / Neugebauer, Wolfgang (Hgg.): Moderne Preußische Geschichte. Eine Anthologie, 3 Bde., Bd. 2, Berlin, New York 1981, S. 509–540; vgl. ders.: Zur Geschichte der kurmärkischen Landstände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Gerhard, Dietrich (Hg.): Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 21974, S. 131–161; vgl. Hahn, Michael: Landesstaat und Ständetum im Kurfürstentum Brandenburg während des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Baumgart, Peter (Hg.): Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, Berlin u.a. 1983, S. 41–79; vgl. Hartmann, Stefan: Gefährdetes Erbe. Landesdefension und Landesverwaltung in Ostpreußen zur Zeit des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1640–1688), in: Heinrich, Gerd (Hg.): Ein sonderbares Licht in Teutschland. Beiträge zur Geschichte des Großen Kurfürsten von Brandenburg (1640–1688), Berlin 1990 (ZHF, Beiheft 8), S. 113–136; vgl. Körber, Esther-Beate: Ständische Positionen in Preußen zur Zeit des Großen Kurfürsten, in: Kaiser, Michael /Rohrschneider, Michael (Hgg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640–1688), Berlin 2005 (FBPG, NF, Beiheft 7), S. 171–192; vgl. Opgenoorth, Ernst: „Nervus rerum“. Die Auseinandersetzung mit den Ständen um die Staatsfinanzierung, in: Heinrich: Ein sonderbares Licht, S. 99–111. Vgl. Politisches Testament des Großen Kurfürsten, Cöln a.d. Spree, 19.5.1667, in: Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearb. v. Dietrich, Richard, Köln 1986, S. 179–204. Hier noch Kurprinz Karl Emil (1655–1674). Politisches Testament, S. 181.

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einer verstärkten Emigration von Lutheranern aufgrund von Konversionszwang gekommen, hätte das auch 1667 immer noch an den Kriegsfolgen leidende Land erhebliche Schwierigkeiten bekommen. Friedrich Wilhelm forderte den Kurprinzen weiter auf, die Reformierten in seinem Land nach allen Kräften zu fördern und reformierte Personen, „so da qualificirt vndt geschickt, fur andere zu denen bedingungen vndt officien, zu hoffe vndt im Landes annehmet vndt auch bestallet, Ja da auch in der Chur Brandenburg keine vorhanden, auß der frembde annehmet, vndt den Lutterischen furziehet.“77

Er empfahl also erneut eine Politik des konsequenten Elitentauschs bei Umgehung des Indigenatsrechts.78 Friedrich Wilhelm riet weiterhin, reformierte Kinder systematisch mit Stipendien auszustatten und auszubilden, damit das geeignete Personal für den Staatsdienst mittelfristig aus der Bevölkerung der eigenen Konfession rekrutiert werden konnte. Die Lutheraner im Land sollten gemäß den Bestimmungen des Westfälischen Friedens geduldet werden. Bei der Vokation der Prediger sollte sich aber darauf konzentriert werden, solche zu berufen, „welche nicht zanksuchtig, vndt Eure Religion nicht verketzeren oder verdammen, sonderen friedliche leutte sein, So da den kirchen frieden zu beforderen suchen, vndt meinen edicten nach zu leben Sich reversiren, gleichfals die Schullen vndt Academien im Lande, mit solchen preceptoren vndt Professores besetzet, So da moderat, vndt nicht zancksuchtig sein, die solches nicht thun wollen, selbige das landt zu reumen befelliget.“79

Die Ämter sollten also im Interesse des Kirchenfriedens mit moderat bzw. friedfertig eingestellten Theologen, die sich mit der in Brandenburg favorisierten irenischen Theologie identifizieren konnten, besetzt werden, um durch verstärkte binnenkonfessionelle Pluralität die lutherische Konfessionskultur insgesamt gegenüber dem Reformiertentum zu öffnen. Durch diese Maßnahme im Berufungs- und Bildungssektor sollte die Etablierung des gewünschten friedfertigen Luthertums gefördert werden, wenn die Mehrheit der lutherischen Untertanen zukünftig von solchen Predigern belehrt und die Söhne der Adligen und Bürger von entsprechend ausgebildeten Lehrern unterrichtet wurden. Katholiken, die es in der Kurmark nur in geringer Zahl gab, wurden nach der Normaljahresregelung geduldet, Friedrich Wilhelm warnte aber davor, römisch-katholische Religionspraktiken einschließlich der Messe wieder in der Mark zuzulassen.80 Im Zusammenhang mit der Behandlung der Katholiken äußerte Friedrich Wilhelm sein Selbstverständnis als Summepiskopus.81 Er und sein Nachfolger seien den Untertanen, in dem Falle den Katholiken, verpflichtet, 77 78

79 80 81

Ebd., S. 182. So auch die Abhandlung über den Rat vgl. ebd., S. 185. Unter den von Friedrich Wilhelm ernannten Räten war etwa ein Drittel brandenburgischer Herkunft; vgl. Heinrich, Gerd: Der Adel in Brandenburg-Preußen, in: Rössler, Hellmuth (Hg.): Deutscher Adel 1555–1740, Darmstadt 1965, S. 300. Politisches Testament, S. 182. Vgl. ebd., S. 182f. Vgl. ebd., S. 183.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität „allen schutz zu leisten, da Sie aber dem herkommen zu wider handelen wollten, vndt einen anderen Episcopum oder Supremum in diesen Landen erkennen mochten, so seindt selbige ernstlich mitt gelde zu bestrafen […], wen aber solches nicht bey Ihnen verfangen möchte, vndt Sie in Ihrer bosheitt vndt vngehorsam verharrten, So kann man selbige absetzen, vndt andere Romische Cattolische ahn Ihre stelle, die da gehorsam leisten hinwiderumb setzen.“82

Zu der Schutz- und Aufsichtsfunktion gehörte für den Kurfürsten demnach im Gegenzug die Pflicht zur Anerkennung des Summepiskopats und der Gehorsam der Untertanen in konfessionellen Fragen; insbesondere im Bezug auf die römisch-katholische Kirche ein problematisches Verständnis.83 Friedrich Wilhelm verstand sich noch als oberster Bischof – aber nicht mehr als konfessionell gebundener Notbischof im Sinne Luthers, sondern als Vorsteher aller in seinen Territorien von den Untertanen ausgeübten Konfessionen. Dieser, eigentlich der calvinistischen Presbyterialverfassung widersprechenden, Wahrnehmung entsprach es, in die Ausgestaltung der Konfessionen in Leben und Lehre einzugreifen. Hier vollzog sich im Zusammenhang mit der Wahrung des Kirchenfriedens zum Wohle des Staats der Übergang zum rationalen Territorialismus im Sinne von Pufendorfs. Nicht übergangen werden sollte dabei allerdings der Verbleib der älteren Elemente des landesherrlichen Kirchenregiments: Friedrich Wilhelm war konfessionell streng gebunden und begnügte sich nicht mit der bloßen Kirchenhoheit: Er versuchte, seine eigene Konfession zu fördern und behielt es sich vor, gestaltend in die Belange auch der anderen Konfessionen einzugreifen.84 Betrachtet man das konfessionspolitische Agieren Friedrich Wilhelms in den Jahren vor dem Verfassen des Politischen Testaments, wird schnell deutlich, dass er 1667 tatsächlich eine Zusammenfassung seiner eigenen Konfessionspolitik gab, in deren Mittelpunkt unter der Maxime der ‚Friedfertigkeit’ die Förderung des Reformiertentums im Sinne auch einer zahlenmäßigen Multiplikation stand.85 Dass dabei ein subtiles Vorgehen angebracht war, zeigte der hartnäckige Widerstand der Landstände. Dies sollte sich zunächst im kurmärkischen Rezess von 1653 niederschlagen, welcher den Landtag von 1652/5386 abschloss und zu einer konfessionspolitischen Niederlage für den Kurfürsten wurde. Für die Bewilligung des Unterhalts und des Ausbaus des Heeres war der Kurfürst 82 83

84 85

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Ebd. Zur Ausübung der Episkopalrechte gegenüber den Katholiken vgl. Manten: Notbischofsrecht, S. 78f. Vgl. ebd., S. 79f. Die geistesgeschichtlichen Wirkungen des Calvinismus sind seit langem Gegenstand der historiographischen Forschung. Bereits Hintze versuchte, eine Verbindung zwischen der Hinwendung zum reformierten Bekenntnis und dem absolutistischen Politikverständnis herzustellen; vgl. Hintze: Kalvinismus und Staatsräson, S. 541–556, bes. S. 542. Gerhard Oestreich wies auf die Bedeutung des niederländischen Späthumanismus und den Neustoizismus des Justus Lipsius für die kurbrandenburgische Politikgestaltung hin; vgl. Oestreich, Gerhard: Calvinismus, Neustoizismus und Preußentum, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 5 (1956), S. 157–181. Die gesamten Verhandlungen vgl. Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, hg. von Erdmannsdörfer, Bernhard u.a., 23. Bde. Berlin, Leipzig 1864–1930, Bd. 10, Tl. 2: Ständische Verhandlungen Mark Brandenburg, Berlin 1880, S. 223–280.

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gezwungen, eine Reihe von Zugeständnissen gegenüber den lutherischen Ständen der Kurmark zu machen. Neben der Festschreibung der Grundherrschaft in der Kurmark betraf dies vor allem die Konfessionspolitik. Die Stände erreichten die Garantie der althergebrachten konfessionellen Gegebenheiten auf Basis des Rezesses Johann Sigismunds von 1615, so dass der Erhalt der lutherischen Konfession „wie dieselbige von der Zeit an in den luttherischen und allermeist hiesigen Kirchen dieses Churfürstenthumbs getrieben worden, und wie unßere getrewe Stände sich Bißhero und itzo dazu bekannt, und welche inßgemein von den lutherischen Kirchen ungeendert genannt wird“,87

sowie der Verzicht auf Zwangsmaßnahmen garantiert wurden. Mit dem Rezess von 1615 besaß demnach auch die FC weiter Gültigkeit in der Kurmark. An dieser Stelle war kein Ansatz für eine Aufweichung der traditionellen lutherischen Identität zu finden. Weiterhin sollten die Patronatsrechte der Stände vollkommen unangetastet bleiben, Pfarrer, so sie zugelassen werden wollten, sollten aber immerhin vom Generalsuperintendenten der Kurmark oder von durch den Kurfürsten eingesetzten Inspektoren examiniert werden.88 Dies war eine Maßnahme, die zumindest einen Teil der konfessionellen Kontrolle beim Kurfürsten beließ und die Möglichkeit beinhaltete, ‚friedfertige’ Theologen in der Kurmark zu installieren.89 Demzufolge wurde mit der Aufhebung des Indigenats ein anderer Hebel für den Konfessionalisierungsversuch angesetzt: „Jedoch können wir uns die Hände so gaar nicht binden lassen, daß wir auch frembde und außwertige geschickte wohlqualificirte Personen, so unß und dem Lande rühmliche, guete, nützliche Dienste gethaan oder noch thun können, mit Beneficien und Landämptern zu begnadigen nicht berechtiget sein sollten, sondern solches wollen wir unß, unsere erben und nachkommen außtrücklich reserviret und vorbehalten haben.“90

Hier konnten sich die Stände, welche auf der Ämterbesetzung mit Einheimischen und Lutheranern beharrten, nicht durchsetzen. Nützlichkeitserwägungen im Sinne des Staatswohls waren für den Fürsten wichtig, darunter die sukzessive Zurückdrängung des einheimischen Adels aus den Staatsämtern zugunsten auswärtiger Amtsinhaber, welche dann idealerweise eine loyale Bindung zum Hof und Kurfürsten eingingen und die fürstliche Macht stärkten; die etwaige reformierte Konfession dieser Landfremden kam dann außerdem noch der Konfessionspolitik gelegen. Die besondere Bedeutung der Konfessionspolitik wurde bei der Besetzung der Universität Frankfurt wieder deutlicher: Forderten die Stände die paritätische Besetzung, setzte der Kurfürst sich insofern durch, als die Konfession des Kandidaten nicht entscheidend sein sollte. Eine Ausnahme bildete die theologische Fakultät; hier sollte zumindest ein Ordinarius lutherischer Konfession sein, sich aber aller Angriffe auf die Reformierten enthalten.91 87

88 89

90 91

Revers vom 26. Juli 1653, abgedruckt bei Baumgart, Peter (Bearb.): Erscheinungsformen des preußischen Absolutismus, Nördlingen 1966 (Historische Texte der Neuzeit, Bd. 1), S. 10. Vgl. ebd., S. 11. Reichsrechtlich sanktionierten Gruppierungen wie Arianern, Weigelianern und Täufern, aber auch Juden war das exercitium religionis in der Kurmark nicht gestattet. Ebd., S. 12. Vgl. Urkunden und Actenstücke, Bd. 10, Tl. 2, S. 280.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Konsequent folgte die Erneuerung des Anti-Polemik-Edikts Johann Sigismunds vom 24.2.1615 am 3.12.1656. Mit diesem Edikt setzte ein erneuter Versuch ein, die lutherische Identität durch Entzug der Codes FC und CA invariata als Bekenntnisgrundlage für die Ausbildung ihrer Multiplikatoren, der Pfarrer, aufzuweichen. In diesem Edikt wurde die FC bei der Ordination beseitigt, es blieb allein die CA, die ohne Zusatz erwähnt wurde. Das Edikt wurde am 2.6.1662 noch einmal bestätigt.92 Nun sollten nur noch diejenigen lutherischen Kandidaten zum Pfarramt zugelassen werden, die die CA variata, die Confessio Sigismundi und die Dokumente der Religionsgespräche von Leipzig und Thorn akzeptierten und sich jeglicher Polemik gegen die Reformierten enthielten. Eine nur folgerichtige Ergänzung war das Verbot für brandenburgische Studenten, bei Strafe des Ausschlusses von weltlichen und geistlichen Ämtern in Wittenberg zu studieren, am 21.8.1662.93 ‚Wittenberg’ kam aus Sicht Berlins der Wert eines negativen konfessionellen Codes zu, dessen Bedeutung für die lutherische Identität beseitigt werden sollte. Am 16.9.1664 folgte nach dem durch die Blockadehaltung der Berliner Lutheraner erfolglosen Berliner Religionsgespräch zwischen dem 1.9.1662 und dem 29.5.166394 ein weiteres Edikt, das erneut die Polemik auf der Kanzel verbot. Hierbei waren zwei Reverse besonders umstritten, welche die Inspektoren und Pfarrer des Landes unterschreiben sollten und die die CA nicht bzw. ohne Zusatz erwähnten, die FC gar nicht nannten. Der Exor92 93

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Vgl. Edikt am 2.6.1662, abgedruckt bei Gericke: Glaubenszeugnisse, S. 166–170. Vgl. Deppermann: Kirchenpolitik, S. 110f; vgl. Manten: Notbischofsrecht, S. 71. Als unmittelbare Reaktion auf das Edikt wandte sich die Universität Wittenberg an den sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. mit der Bitte, gegen das kurbrandenburgische Edikt einzuschreiten, weil eine nachhaltige Schädigung der Universität durch das Ausbleiben der Studierenden befürchtet wurde. Am 11. September 1662 reagierte Berlin mit Ablehnung unter dem Hinweis, dass die Wittenberger Theologen unter der Führung Calovs mit Aggressivität in den Konfessionskonflikt hineinwirkten „und mit was für eifer sie sich an den andern orten zur bessern verträglichkeit gelegten grund mit großer heftigkeit umbzustossen und andere friedliebende davon abzuziehen suchten, uber dem die Reformierte […] auszuschließen unternommen und über diese […] durch oeffentliche getruckte schrieben […] in unsern chur- und andern landen ohne unser als des landsfürsten vorwissen […] und dergestalt in unser landesfürstliches ambt gegriffen“ haben. Schreiben des Kurfürsten am 11.9.1662 aus Küstrin an den sächsischen Kurfürsten, abgedruckt bei Friedenburg, Walter (Hg.): Urkundenbuch der Universität Wittenberg, 2 Bde., Bd. 2 Magdeburg 1927 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, NR, Bd. 4), S. 181. Eine Änderung des Edikts sei nur möglich, wenn der sächsische Kurfürst solche Eingriffe seiner Theologen in Zukunft verhindern würde. Der brandenburgische Kurfürst und seine Regierung sahen die Ursache für ihre Konfessionspolitik nicht bei sich, sondern in den Angriffen der traditionellen lutherischen Theologen, die eines der Kernanliegen, nämlich die Friedfertigkeit unter den Konfessionen im Land, gefährdeten. Die Freizügigkeit hier einzuschränken, diente in dieser Sicht nur dem Wohl des Landes. Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 128–131. Das Berliner Religionsgespräch stand in unmittelbarer Nähe zum Kasseler Religionsgespräch von 1661, bei dem zwischen reformierten und lutherischen Teilnehmern, unter denen sich Schüler Calixts befanden, Kirchenfrieden für das Territorium Hessen-Kassels vereinbart worden war. Das Kasseler Religionsgespräch erlangte wegen der fehlenden Rezeption in den außerhessischen Kirchen und des Widerstands der Wittenberger und Leipziger theologischen Fakultät keine Binnenwirkung, war aber eines der wenigen Religionsgespräche, das überhaupt stattfand; vgl. Wallmann: Zweite Reformation, S. 362f.

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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zismus bei der Taufe wurde ebenfalls thematisiert und lutherische Prediger verpflichtet, auf Wunsch der Eltern ohne Exorzismus zu taufen.95 Unter den Berliner und brandenburgischen Geistlichen regte sich Widerstand, man bestritt das Recht des Kurfürsten, sich derart in die innersten Belange der lutherischen Kirche einzumischen, dessen Verständnis es aber genau entsprach, in der Frage der Bekenntnisgrundlage ‚richtige’ und ‚falsche’ Theologie zu definieren.96 Damit das Staatswohl vor durch lutherische Polemik verursachter Unruhe schützen zu wollen, mag das politische Anliegen des Kurfürsten gewesen sein. Dem konfessionellen, die Reformierten stärken zu wollen, kamen alle Maßnahmen in jedem Fall nach. Zwar erklärte Friedrich Wilhelm im Mai 1665, die lutherische Konfession in seinem Land nicht behindern oder verändern zu wollen,97 doch waren die Eingriffe in den Bestand der Bekenntnisschriften und in den Taufritus tiefgreifende Veränderungen der lutherischen Konfessionskultur durch die Obrigkeit zum Zweck, die traditionelle Deutung lutherischer Identität aufzuweichen. Von Toleranzedikten im Sinne eines neuzeitlichen Toleranzverständnisses zu sprechen, bietet sich für die Forschung insofern nicht an, als, so wie die Lutheraner durch die Edikte zu ‚Toleranz’ gegenüber den Reformierten angehalten wurden, das Verhalten von Kurfürst und Reformierten von Intoleranz gegenüber traditionellen lutherischen Bekenntnisinhalten und Riten gekennzeichnet war. Konfessionell flexibel mussten nur die Lutheraner sein, die Toleranz in Brandenburg war parteilich!98 Die Ablehnung der Lutheraner kulminierte in den Amtsenthebungen von mehreren Berliner Geistlichen, deren prominentester aus heutiger Sicht Paul Gerhardt war.99 Der Streit über die Edikte schleppte sich bis 1667 hin, wobei die lutherischen Geistlichen des Berliner Ministeriums durch die Landstände unterstützt wurden. Letztere beharrten auf der 1653 erteilten Garantie der CA invariata und des Rezesses Johann Sigismunds von 1615 mit der FC. Mit dieser Erinnerung mussten die Edikte am 6.6.1667 insofern zurückgenommen werden, als sie nur noch für neu anzustellende Geistliche gelten sollten. Trotz dieser Mäßigung wurden aber auch 1668 noch Lutheraner ihrer Ämter entho-

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Vgl. Deppermann: Kirchenpolitik, S. 111f. Bereits 1656 war die Ordinationsverpflichtung auf die FC entfallen; vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 117. Vgl. Manten: Notbischofsrecht, S. 71. Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 134. Gegen Beutel vgl. Beutel: Paul Gerhardt, S. 169. Vgl. ebd., S. 167ff; vgl. zum Berliner Kirchenstreit jetzt auch Ruschke, Johannes M.: Paul Gerhardt und der Berliner Kirchenstreit. Eine Untersuchung der konfessionellen Auseinandersetzungen über die kurfürstlich verordnete ‚mutua tolerantia‘, Tübingen 2012 (BHTh, Bd. 166). Ruschke folgt bei der Beurteilung der Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms dem herkömmlichen Urteil mit modernistischer Perspektive: „Da die religiöse Toleranz zur Zeit des Konfessionellen Zeitalters noch weitgehend unbekannt war, konnte Gerhardt nicht beurteilen – wie es aus heutiger Zeit rückblickend möglich ist –, inwiefern die Maßnahmen des Großen Kurfürsten nicht per se auf eine Schädigung des lutherischen Glaubens zielten, sondern den Beginn einer die gegensätzlichen konfessionellen Grundfesten auflockernden und somit tatsächlich toleranten Kirchenpolitik darstellten.“ Ebd., S. 509f.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

ben.100 Als eine der treibenden Kräfte für die reformierten Durchsetzungsversuche gilt der reformierte Oberhof- und Domprediger Bartholomäus Stosch, welcher den Kurfürsten bei der Durchsetzung der Edikte durch Predigten und Traktate unterstützte.101 Für die Kurmark hatte sich 1662 bzw. 1664 derjenige Aspekt des Handlungskatalogs, der die Streichung von Bekenntnissen beinhaltete, endgültig als nicht tragfähig erwiesen, wenn Unruhe vermieden werden sollte. Diese Erfahrung mag einer der Gründe gewesen sein, die Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger zu intensivieren. Generell ist unter der Herrschaft des Großen Kurfürsten eine Ausweitung der Hofpredigerstellen, vor allem in den neu gewonnenen Gebieten zu beobachten. Dies betraf 1651 Minden, 1680 Bielefeld, 1657 Kolberg, 1669 Stargard, 1664 Halberstadt, die die Tendenz verdeutlichten, die landesherrlichen konfessionspolitischen Bestrebungen zu intensivieren und reformierte Multiplikatoren vor Ort zu schaffen.102 Das Hofpredigeramt erfuhr demzufolge als ein Element der reformierten Konfessionalisierungspolitik unter Friedrich Wilhelm einen Bedeutungsschub. Obwohl es bei der Besetzung oder Neuschaffung von Hofpredigerstellen mit Reformierten durchaus zu Protesten kam, blieb diese Maßnahme im Rahmen der Bestimmungen des Westfälischen Friedens, welche Hofprediger in den Residenzen auch neuerworbener, aber konfessionsfremder Gebiete gestatteten. Dass dabei ein Kunstgriff angewendet und der Begriff der „Residenz“ gedehnt werden musste, wie von Thadden meint,103 kann nicht nachvollzogen werden: Zwar war der Hofprediger zunächst der einzige erlaubte Prediger der kurfürstlichen Konfession in einem neu erworbenen Territorium am Regierungssitz. Jedoch sanktionierte der Westfälische Frieden ja ausdrücklich nicht die Ansiedlung einer (mit der des Herrschers übereinstimmenden) Minderheitskonfession in einem Territorium, die natürlich pastoral versorgt werden musste, was weitere Pfarrstellen dieser Konfession nach sich zog, deren Inhaber wiederum zu Hofpredigern ernannt werden konnten.104 Zwischen 1661 und 1663 befand sich der Kurfürst im Konflikt mit den Ständen des Herzogtums Preußen, welcher sich nicht mit einem Vergleich analog zum kurmärkischen Rezess beilegen ließ.105 Für die Stände Preußens bestand das Hauptproblem in der Frage der Ablösung der ständischen Gefolgschaft zu Polen nach der Souveränität des Herzog100 101

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Vgl. Manten: Notbischofsrecht, S. 73. Vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 118ff. Zu Stosch vgl. Landwehr, Hugo: Bartholomäus Stosch – Kurbrandenburgischer Hofprediger, in: FBPG 71 (1893), S. 91–140. Wie Landwehr zeigt, gehört Stosch zu denjenigen Hofpredigern, deren Einfluss auf die Konfessionspolitik, konkret auf die Toleranzedikte von 1662 und 1664, quellenmäßig sehr gut nachweisbar ist. Vgl. von Thadden: Hofprediger, S. 17ff, S. 48ff. Vgl. ebd., S. 24, S. 61f. Die mittelfristige Etablierung der deutsch-reformierten Gemeinde in Halle vollzog sich durch die Einrichtung des Presbyteriums ab 1694, welches direkt dem Landesherrn unterstellt war; vgl. Gabriel, Martin: Die reformierte Gemeinde am Dom zu Halle von ihren Anfängen bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (1688–1750). Ein Beitrag zur Geschichte der reformierten Gemeinden in Mitteldeutschland [Diss. Man. masch., Halle 1957], S. 48–53. Vgl. Urkunden und Actenstücke, Bd. 15 und Bd. 16, Tl. 1: Ständische Verhandlungen Preußen, Berlin 1894 und Berlin 1899.

1. Erfahrung als prozessuale Kategorie für Politikgestaltung

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tums im Frieden von Oliva 1660 bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer Gewohnheiten und Privilegien durch den neuen obersten Lehnsherrn. Auch hier nahm die konfessionelle Frage einen breiten Raum ein, denn Preußen war ein nahezu lutherisches Territorium, von einigen reformierten Adelsgeschlechtern wie den Dönhoffs und Dohnas und wenigen Katholiken abgesehen.106 Die dominierende binnenkonfessionelle Strömung war das traditionelle Luthertum mit der Ausnahme der Königsberger theologischen Fakultät. Friedrich Wilhelm ging es um die Durchsetzung seiner Souveränität auch in konfessionellen Fragen, wie Kaufmann feststellt: „Die von ihm betriebene offensive Förderung der die dogmatischen Grenzen zwischen den Konfessionen nivellierenden ‚synkretistischen’ Helmstedter Theologie, die er an der Albertina gegen den Widerstand der lutherisch-orthodoxen Kräfte zu etablieren verstand, zielte faktisch drauf ab, dem Widerstand der Geistlichkeit und der Stände im Herzogtum sukzessive den Boden zu entziehen.“107

In seiner Landtagsproposition vom 30.5.1661 forderte Friedrich Wilhelm gemäß seiner Maxime, die Reformierten fördern zu wollen, sowohl ihre religiöse Gleichstellung und damit das exercitium religionis für Reformierte in Preußen, damit reformierte Gemeinden gegründet und reformierte Kirchen gebaut werden konnten, als auch die politische Gleichberechtigung, um ihnen Beamtenstellen übertragen zu können.108 In dem geplanten Rezess sollte die FC nicht mehr enthalten sein und das Konkordienbuch nur insoweit, als es nicht dem Reformiertentum zuwiderlief. Die Stände wollten weder die religiöse noch die politische Gleichberechtigung zulassen, wobei letztere auch die Möglichkeit zur Umgehung des Indigenats beinhaltete. Diese Punkte blieben bis zur Zwangsschlichtung vom 1.5.1663 am Ende des „Langen Landtags“ bestehen und führten im Ergebnis zu einer Art Kompromiss: Für die Lutheraner wurden alle Lehrschriften bestätigt, die FC blieb im Gegensatz zur Kurmark aber unerwähnt. Im Gegenzug erhielten die Reformierten das Bürgerrecht nur in den großen Städten, also Königsberg, Memel und Tilsit. Die lutherische Kirche in Preußen wurde der Königsberger Ratsstube unterstellt.109 Die Linien der Förderung der Reformierten und Duldung der friedfertigen Lutheraner, wie man das Politische Testament in der Konfessionsfrage verkürzt zusammenfassen kann, sind in den einzelnen Stationen der Konfessionspolitik mehr als ersichtlich. Da Friedrich Wilhelm wegen des Steuerbewilligungsrechts und der Souveränitätsproblematik auf die Unterstützung der Stände angewiesen war, musste er kompromissbereit sein. 106

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Erste Auseinandersetzungen hatte es bereits nach der Konversion Johann Sigismunds gegeben, der 1609 die Vormundschaft über den Herzog von Preußen, Albrecht Friedrich, erhalten hatte. Die preußischen Stände hatten mit Unterstützung ihres obersten Lehnsherrn, des polnischen Königs, seit 1559 eine massive Ausschlusspolitik gegenüber Reformierten betrieben; vgl. Weinberg, Johannes: Die Kirchenpolitik des Großen Kurfürsten in Preußen, Würzburg 1963 (Beiheft zum Jahrbuch der Albertus-Universität Königsberg, Bd. 23), S. 17–21; vgl. Kniebe: Schriftenstreit, S. 71ff. Kaufmann: Auseinandersetzungen, S. 307. Vgl. Urkunden und Aktenstücke, Bd. 15, S. 646f. Vgl. Deppermann: Kirchenpolitik, S. 108f.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Seine Maßnahmen wurden nicht zwangsläufig konfessionell begründet, sondern eher mit Staatsräson – Ruhe und Ordnung im Land durch den Kirchenfrieden, Ämterbesetzung mit dem am meisten qualifizierten Personal. Sie waren deshalb keine offenen Verbote, sondern es handelte sich erneut um stillschweigendes Auslassen, Variation von bestehenden und Hinzufügung von neuen Bekenntnisschriften wie den Beschlüssen von Leipzig und Thorn. Der Begründung mit Argumenten der Staatsräson konnten sich die Landstände dabei nur bedingt entziehen, waren sie doch im Zweifelsfall diejenigen, die die Ordnung im Land durch die Unruhe in den Kirchen gefährdeten. Dass daraus ein zähes Ringen mit den Ständen in der Mark und Preußen werden würde, war dennoch absehbar, denn die Stände waren trotz aller Änderungsversuche fest in der lutherischen Konfessionskultur verwurzelt und in Lehre und Leben auf die in den Bekenntnissen und Bekenntnisschriften fixierten Verbindlichkeiten und traditionellen Deutungsmuster ausgerichtet. Die Bereitschaft zu interkonfessionellem Austausch war nicht vorhanden, denn man musste dabei auch immer fürchten, wichtige dogmatische und damit identitätsstiftende Substanz aufzugeben. Verschärft wurde die Situation für die Lutheraner außerdem durch die – wenn auch langsam – wachsende Schicht der Träger reformierter Konfessionskultur. Neben den Räten und Beamten der politischen und höfischen Sphäre110 in Berlin breitete sich das Netz der reformierten Hofprediger, deren Familien zunehmend in Heiratsbeziehungen traten, aus.111 Daneben waren reformierte Gemeindegründungen in der Kurmark mit Einwanderern reformierten Glaubens als eine auch die Konfessionspolitik forcierende Tendenz zu verzeichnen,112 weit bevor es zur großen Hugenotteneinwanderung ab 1685 und der Herausbildung eines reformierten „Ersatzbürgertums“113 kam.114 Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger wurde zunehmend zu einem wesentlichen Aspekt des konfessionellen Handlungskatalogs, da die Erfahrung zeigte, dass die Selbst-Reformation der Lutheraner durch bloße Streichung konfessioneller Codes nicht zu erreichen war.

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Vgl. die prosopographische Studie von Bahl, Peter: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens, Köln u.a. 2001 (Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8). Vgl. von Thadden: Hofprediger, S. 91ff. Vgl. Asche: Neusiedler, S. 426–436; vgl. Neugebauer: Zentralprovinz, S. 69. Begriff zuerst vgl. Jersch-Wenzel, Stefi: Juden und „Franzosen“ in der Wirtschaft des Raumes Berlin/Brandenburg zur Zeit des Merkantilismus, Berlin 1978 (Einzelveröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Bd. 23). Vgl. auch Kapitel II.3.2.4.

2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation

2.

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Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation. Die Kommunikation zwischen Ständen und Regierung im Herzogtum Magdeburg 1650/1680

2.1. Die Auseinandersetzung um den Bestandsschutz lutherischer Identität Neben der Gleichstellung der Reformierten war eines der Hauptziele Kurbrandenburgs auf dem Westfälischen Friedenskongress der Gewinn Pommerns, der sich durch den Tod Herzog Bogislaws 1637 in Gestalt einer Erbanwartschaft realisieren sollte. Diese Absicht überschnitt sich allerdings mit den Kriegszielen Schwedens und konnte daher das Gelingen des gesamten Kongresses in Frage stellen. Dementsprechend erhöhte sich der Druck des Reichs auf den brandenburgischen Kurfürsten derart,115 dass Friedrich Wilhelm zum Verzicht auf das um das wirtschaftlich und strategisch wichtige Stettin und um einen Landstreifen an der Oder vergrößerte Vorpommern gezwungen war. Als Entschädigung für Brandenburg wurden die Bistümer Kammin, Halberstadt und Minden sowie das Erzbistum Magdeburg vorgesehen. Am attraktivsten von diesen Territorien musste Magdeburg erscheinen: Um das Administratorenamt im Erzstift konkurrierte Brandenburg seit der Reformationszeit kontinuierlich mit den Wettinern. Seit 1598 hatte zunächst der brandenburgische Administrator Christian Wilhelm regiert, bevor das Land unter dem Druck der kaiserlichen Truppen ab 1628 und des Restitutionsedikts 1629 zum Katholizismus zurückgeführt wurde. Dazu gehörte 1628 die Übertragung des Erzbischofstitels an den Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich.116 Im Prager Frieden 1635 verzichtete dieser auf das Erzbistum, um es ab 1638 dem sächsischen Administrator August von SachsenWeißenfels zu überlassen.117 1648 gehörte es dann zur Territorialmasse, die zur Rekompensation der verschiedenen inneren und äußeren Ansprüche verwendet wurde, und fiel an Brandenburg, wobei die Ratifizierung erst nach dem Tod des Administrators August geschehen sollte.118 Das endgültig zum Herzogtum säkularisierte Bistum gliederte sich 115

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Vgl. Baumgart, Peter: Kurbrandenburgs Kongreßdiplomatie und ihre Ergebnisse, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Frieden. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte, München 1998 (HZ, Beihefte, NF, Bd. 26), S. 469–484; vgl. Brunert, Maria-Elisabeth: Der Mehrfachherrscher und das politische System des Reiches. Das Ringen um Pommern auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Kaiser, Michael / Rohrschneider, Michael (Hgg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640–1688), Berlin 2005 (FBPG, NF, Beiheft 7), S. 147–169. Vgl. Joppen, Rudolf: Das Erzstift unter Leopold Wilhelm von Österreich (1628–1635), in: Schrader, Franz (Hg.): Beiträge zur Geschichte des Erzbistums Magdeburg, Leipzig 1969, S. 290–342. Bei Abtrennung der vier Herrschaften Querfurt, Jüterbog, Dahme und Burg für Kursachsen; vgl. Dickmann, Fritz: Der Westfälische Frieden, München 61992, S. 319. Vgl. Schrader, Franz: Magdeburg, in: Schindling, Anton / Ziegler, Walter (Hgg.): Die Territorien

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

organisatorisch in das Domkapitel und die aus Ritterschaft und Städten bestehenden Stände. Das sich aus dem Adel des Landes rekrutierende Domkapitel hatte sich bereits bis zum 16. Jahrhundert stark von den Bischöfen emanzipieren können. Genauso selbstbewusst trat es gegenüber den verschiedenen auswärtigen evangelischen Administratoren auf und versuchte dies auch während des Friedenskongresses.119 Unter den Städten traten das nach der Reichsstandschaft strebende Magdeburg und die Residenzstadt Halle wortführend hervor. Sie sahen ihre Rechte und Privilegien bedroht und zeigten ihren Protest auch dadurch, dass das Domkapitel im Dezember 1646 Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg zum Koadjutor wählte. Die Proteste wurden allerdings alle mit dem Hinweis auf das Ziel des Kongresses, den Frieden im Reich herstellen zu müssen, abschlägig beschieden.120 Nach der Ratifizierung des Westfälischen Friedenswerkes im Nürnberger Reichsexekutionstag am 30.1.1650 drang Kurbrandenburg auf die umgehende Huldigung der magdeburgischen Stände, um den Übergang des Herzogtums nach dem Tod des Administrators abzusichern.121 Dabei musste mit Vorsicht gegenüber Domkapitel und Ständen gehandelt werden, um den Widerstand im Land gegen den Übergang an die Hohenzollern nicht bereits zu diesem Zeitpunkt anzufachen. Es war also nicht die richtige Gelegenheit, Änderungsmaßnahmen auch nur anzudeuten, sondern eher, zu versichern, die Gegebenheiten im Land unangetastet zu lassen. Besonders in der Frage der Konfessionspolitik war es ratsam, die lutherische Verfasstheit des Territoriums weder anzugreifen, noch die eigene reformierte Konfession besonders herauszustellen, bestanden doch schon seit der Öffnung des ehemaligen Administrators und (seit 1598) Kurfürsten Joachim Friedrich gegenüber der reformierten Konfession Vorbehalte, so dass die Stände sich 1599 den Schutz der lutherischen Konfession garantieren ließen. Im Herzogtum war 1577 im Kloster Berge außerdem die FC fertiggestellt und nach der Visitation von 1583 als Bekenntnisschrift angenommen worden.122 Zur Vollstreckung der Überführung des Herzogtums wurden kaiserliche Kommissare eingesetzt, die sich am 5.3.1650 an die Städte des Herzogtums wandten, noch einmal über die Regelungen des Friedensvertrages informierten und die Stände zur Eventualhuldigung aufforderten.123

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im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 2: Der Nordosten, Münster 1993, S. 68–86. Vgl. Neugebauer, Wolfgang: Die Stände in Magdeburg, Halberstadt und Minden im 17. und 18. Jahrhundert, in: Baumgart, Peter (Hg.): Ständetum und Staatsbildung in Brandenburg-Preußen, Berlin u.a. 1983, S. 171f.; S. 177f.; vgl. Gringmuth, Hanns: Die Behördenorganisation im Herzogtum Magdeburg. Ihre Entwicklung und Eingliederung in den brandenburg-preußischen Staat, Halle 1935, S. 2–4. Vgl. Dickmann: Der Westfälische Frieden, S. 319f. Zur Eventualhuldigung vgl. jetzt Thiele, Andrea: Residenz auf Abruf? Hof- und Stadtgesellschaft in Halle unter dem letzten Administrator des Erzstifts Magdeburg, August von Sachsen (1614– 1680), Halle 2011 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 16), S. 45—56. Vgl. Schrader: Magdeburg, S. 84. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1 S. 452. Die Umgehung des Domkapitels, also

2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation

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In diesem auch für die zukünftige Konfessionspolitik im Herzogtum nicht unwichtigen Zusammenhang versicherte der Kurfürst, „dieses Erzstifft sowohl, als das Hochw. Capitel und die sämtliche Stände bey ihren wohl hergebrachten Privilegiis, Recht und Gerechtigkeiten […] erhalten und […] schützen“124 zu wollen. Im weiteren Verlauf kristallisierten sich zwei Probleme für alle Stände, nicht nur für die Städte heraus: Zum einen der Druck Brandenburgs auf eine möglichst rasch erfolgende Huldigung und zum anderen die Frage nach den detaillierten ständischen Rechten und ihrer Garantie. Zunächst suchten die städtischen Vertreter Rat bei der Kanzlei in Magdeburg. Die Weisung der magdeburgischen Kanzlei, allgemein an alle Stände gerichtet, sich dringend an die bisherige politische Linie, nämlich die des Protests des sächsischen Landesherrn bei den Friedensverhandlungen gegen eine Statusveränderung des Erzstifts, zu halten, sich deshalb aber nicht dem kaiserlichen Beschluss zu widersetzen oder gar einen Krieg zu provozieren,125 zeigte bereits, wie unumkehrbar die Situation sowohl für August als auch für die Stände war. Protest konnte zwar noch eine Möglichkeit zur Minimierung des brandenburgischen Einflusses zu Lebzeiten Augusts und zur Wahrung des Gesichts sein. Die Chancen, die Westfälischen Beschlüsse zu ändern, waren aber nicht existent, lag doch die Übertragung Magdeburgs im unmittelbaren Interesse des Reichs und Schwedens. Außerdem riet die Kanzlei, sich des Schutzes und Schirms des Administrators für das Herzogtum zu versichern.126 Ganz offensichtlich wurde zu diesem frühen Zeitpunkt bereits versucht, Machtfelder abzustecken und innerterritoriale Bündnisse zu festigen, um zumindest die Regierungszeit Augusts politisch geschlossen zu gestalten, den Einfluss Brandenburgs zu minimieren und Optionen auf Veränderungen der Westfälischen Beschlüsse zu wahren. Auffällig an den folgenden Entwicklungen war aber die Uneinigkeit der Stände, sicherlich auch geschürt durch die Tatsache, dass die kaiserlichen Kommissare sich an die Städte und nicht an alle Stände und vor allem nicht an das Domkapitel gewandt hatten. Eine prominente Funktion besaß die Stadt Halle. Sie hatte das Direktorium unter den Ständen inne und beabsichtigte, eine eigene Antworterklärung an die kaiserlichen Kommissare aufzusetzen. Das Domstift zu Magdeburg riet im Gegenzug davon ab, wohl um nicht durch mangelnde Geschlossenheit vorschnell den Raum für mögliche politische Veränderungen der Sachlage zu verspielen. Bei den Städtevertretern schien aber das Gefühl der Notwendigkeit einer schnellen Reaktion auf die Kommissarsaufforderungen vorzuherrschen. Der Syndikus verwies in seiner Argumentation auf die Garantien des Westfälischen Friedensvertrages und die generelle Garantie des Kurfürsten vom 5.3.1650. Dabei wurde diese „Versicherung in

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der Prälaten, erklärt sich nur durch dessen zu erwartenden Protest, welcher unbedingt vermieden werden sollte. Der Hinweis Hertels, das Domkapitel anzuschreiben, sei schlichtweg vergessen worden, erscheint hingegen unglaubwürdig, diskreditierte diese Annahme doch die kaiserliche Verwaltung beträchtlich; vgl. Hertel: Der Anfall, S. 22. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1 S. 452. Vgl. ebd., S. 453. Vgl. ebd.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

genere“127 explizit auf die Konfessionsfrage und die Unveränderlichkeit der Augsburgischen Konfession bezogen, mit der nach dem Selbstverständnis der lutherischen Untertanen nur die traditionell geprägte lutherische Konfession auf Basis der CA invariata von 1530 gemeint sein konnte und dies deshalb nicht extra hervorgehoben werden musste, obwohl sie am 5.3.1650 nicht ausdrücklich genannt worden war. Die Hervorhebung der Konfessionsfrage als einzige Spezialisierung innerhalb der Gesamtgarantie deutet bereits ihre wichtige identitätsstiftende Rolle für die Stände des Herzogtums an. Darüber hinaus reichte diesem Teil der Stände die Erlangung allgemeiner Garantien offensichtlich aus, denn Spezialfälle könnten anschließend immer noch durch Herbeibringung von entsprechenden Akten mit einem für die Stände positiven Ergebnis abgehandelt werden. Durch Taktieren im Vorfeld würden hingegen solche Spezialfälle auf die Tagesordnung gerufen und behandelt werden. Dies wäre „wohl gefährlich, weil leichtlich etwas und zwart daran nicht wenig gelegen, omittiret werden möchte“.128 Außerdem könnte unverhältnismäßiges Erschweren der geplanten Vorgänge die von den Ständen so vermutete unvoreingenommene Haltung des brandenburgischen Kurfürsten eintrüben. Das Domkapitel beharrte dennoch auf seiner Meinung und forderte, dass die Städte sich einer allgemeinen Erklärung mit den Herren der Ritterschaft und den Prälaten anschließen sollten,129 sicherlich um die politische Einheit der Stände zu wahren und sich nicht von Brandenburg fraktionieren zu lassen. Hier herrschte offensichtlich größeres Misstrauen sowohl den Versuchen einzelner Städte, den eigenen Status eventuell auch auf Kosten der gesamten Stände und ihrer politischen Einheit zu sichern, als auch den Garantieerklärungen des Brandenburgers gegenüber. Die Abgeordneten der Stadt Halle und der Stände des Saalkreises einigten sich am 15.3.1650 auf die Abordnung einer Delegation, die den kaiserlichen Kommissaren in Gröningen am 17.3.1650 ein Memorial überreichten, in dem um einen zeitlichen Aufschub für die Huldigung und die Nennung des Huldigungsortes gebeten wurde. Die Kommissare ihrerseits unternahmen nun alles, die Abgeordneten zu beruhigen und den reibungslosen Ablauf der Huldigung sicherzustellen. Sie wiesen erneut auf die Geltung und die Problematik des Friedensschlusses hin130 und betonten, die Huldigung keinesfalls länger als sechs Tage aufschieben zu können. Ebenfalls beschwichtigt wurden die Sorgen der Abgeordneten, ständische Privilegien zu verlieren. In Aussicht gestellt wurden weitere Gespräche zwischen den Kommissaren und dem brandenburgischen Kurfürsten, an deren Ende auch eine schriftliche Bestätigung der Privilegien seitens des Kurfürsten stehen sollte. Außerdem erfolgte ein Hinweis auf die grundsätzliche Zustimmung des Administrators zu allen Vorgängen in einem Schreiben an Friedrich Wilhelm vom 8.3.1650.131 127 128 129 130 131

Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 454. Vgl. ebd., S. 455. Das Schreiben Augusts vom 8.3.1650 beinhaltet aber auch noch einmal einen

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In der Folge wurde über den Zeitpunkt und den Huldigungsort verhandelt, wobei sich die Abgeordneten die neuen Angebote, die Huldigung nun doch zehn oder zwölf Tage aufschieben zu können und in Magdeburg abzuhalten, mit dem Hinweis, zunächst mit den Obersten der Stände und dem Administrator Rücksprache zu halten, offen hielten und sich damit durchsetzten.132 Zur weiteren Beschwichtigung der Delegation trug außerdem eine persönliche Begegnung mit Friedrich Wilhelm bei. Am 19.3.1650 wiesen die Kommissare die Delegation an, die Stände darüber zu informieren, Abgeordnete am 22.3.1650 nach Magdeburg zu senden, um sich mit den vom Kurfürsten beauftragten Konrad von Burgsdorf und Johann Fromhold dort über Ort und Zeit der Huldigung zu verständigen.133 Weiterhin misstrauisch und abwartend präsentierte sich hingegen das Domkapitel auf Anfrage der Stände hin: Man betonte wiederholt den Protest des Administrators in Osnabrück, von dem man nicht absehen könne, und warnte vor dem Verlust der Rechte und Privilegien. Das Kapitel insistierte, von den Ständen Informationen über alle Vorgänge zu erhalten und versicherte sich ihres Respekts. Dem Schreiben wurde ein Antwortschreiben des Administrators vom 8.3.1650 beigefügt, welches sich im Tonfall erheblich von dem am selben Tag an die kaiserlichen Kommissare abgegangenen Schreiben unterschied und starke Bedenken äußerte.134 Ganz offensichtlich bewirkten die Bedenken des Domkapitels ein Umdenken, und die Stände sahen sich nun doch genötigt, ihre bestehenden Freiheiten und Privilegien gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten festzustellen und einzufordern, und stellten diese in einem „Memorial der Magdeburgischen Stände von Prälaten, Ritterschaft und Städten“ in 53 Punkten zwecks Beachtung in einem kurfürstlichen Revers am 24.3.1650135 zusammen. Bei diesem Memorial handelte es sich um das wichtigste ständische Dokument im Zusammenhang mit der anstehenden Übertragung des Herzogtums an Kurbrandenburg und die Eventualhuldigung. Es bot die argumentative Grundlage für alle weiteren Kontakte und Konflikte mit Brandenburg in den folgenden Jahrzehnten.

132

133 134

135

Hinweis auf dessen förmlichen Protest anlässlich der Friedensverhandlungen, bevor es mit dem Blick auf die Friedenserhaltung im Reich feststellt, „daß Wir unsers Theils den Effect des so lang gewünschten Friedens im Röm. Reich aufzuhalten nicht gemeinet, so lassen wir es darbey ferner bewenden, und werden dieser Eventual-Huldigung nicht hinderlich seyn“. Ebd. Den Argumenten der kaiserlichen Kommissare, die beabsichtigte Hinterbringung der Vorschläge an die Stände und den Administrator bewirkten eine weitere Verzögerung und stellten den Friedensschluss sowie die kaiserliche Autorität in Frage, begegneten die Abgeordneten erfolgreich mit dem Hinweis, sie seien nicht befugt, dies zu entscheiden, die Kommissare könnten aber auch selbst alle Stände von den Verschiebungen unterrichten; vgl. ebd., S. 457f. Vgl. ebd., S. 458f. Erwähnung fand hier auch der misslungene Versuch, durch die Wahl eines braunschweigischen Coadjutors, Ernst August von Braunschweig-Lüneburg der Vereinigung des Erzstifts mit einem anderen Territorium vorzubeugen; vgl. ebd., S. 459f.; vgl. Hertzberg, Gustav Friedrich: Geschichte der Stadt Halle an der Saale von den Anfängen bis zur Neuzeit, 3 Bde., Bd. 2: Halle während des 16. und 17. Jahrhunderts (1513–1717), Halle 1891, S. 484. Vgl. Memorial der magdeburgischen Stände am 24.3.1650 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 107, Bl. 180r–190r.

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Für die Konfessionspolitik sind insbesondere der Anfang und der Abschluss der 53 Punkte entscheidend. Zunächst wurde im ersten Punkt „praeliminariter et fundamento loco“ in „unverrückter Observantz unstreitig hergebracht“, dass die neue Landesherrschaft die Stände „bei dero Privilegiis, Rechten und Gerechtigkeiten wie die nahmen haben mögen, ungehindert verbleiben zu lassen, nicht allein durch dero fürstliche Worte Versprechen besonders auch durch ausgestelte gnädigste reversa den Sie darüber assecuriert haben: Worauf dann einfolglichen die Prälaten und Ritterschaft mit dem Handtschlage, die Städte aber jurato ihr Homagium praestiret haben.“136

Die fordernde Formulierung zeugte einerseits von der Selbstsicherheit der Stände in Bezug auf ihren verfassungsmäßigen Status. Andererseits gab er aber auch der Unsicherheit über das Vorgehen der neuen Landesherrschaft Ausdruck, die die Stände zu rechtlicher Absicherung in Form von kurfürstlichen Reversen zwang. Der Konfession kam unter den angestammten Rechten herausragende Bedeutung zu. Die lutherischen Stände stellten ihr Bekenntnis mit Nennung der „bey der in Anno 1530 übergebenen ungehinderten Augsburgischen Confession, dessen Apologia, Schmalkaldischen Articuln, Großen und Kleinen Catechismo Lutheri, auch Formulac concordia“137

fest, welches bisher „in Lehr, Leben und ceremonie unbeeinträchtiget verblieben.“138 Entscheidend an dieser Reihung von Bekenntnissen und Bekenntnisschriften waren für die lutherischen Stände die Bewahrung der CA invariata von 1530, wie schon in Reaktion auf die kurfürstliche Garantie vom 5.3.1650, und der FC von 1577, denn diese formulierten das lutherische Bekenntnis dezidiert in Abgrenzung zur römisch-katholischen ebenso wie in Abgrenzung zur reformierten Konfession. Sie gaben dem lutherischen Bekenntnis der Bevölkerung des Herzogtums formalen Ausdruck und trugen wesentlich zur Identitätsstiftung der Stände als lutherisch bei, indem sie in Lehre, Zeremonien und Leben Anwendung fanden. Die Konfession war ganz offensichtlich das zentrale Identitätsmerkmal der Stände des Herzogtums und außerdem das einzige wirklich alle Stände vereinende Kriterium, unterschied sich doch deren Status in allen anderen Privilegien und Rechten voneinander. Die Stände des Herzogtums waren ebenso wie alle ihre Lebensbereiche fest in der lutherischen Konfessionskultur traditioneller Deutung verhaftet. Sie wiesen eine hohe Bereitschaft auf, in ihrem konfessionellen Status und ihrem konfessionellen Selbstverständnis zu verharren und diese zu verteidigen. Eine Tendenz zu inter- oder gar transkonfessionellen Neigungen ist den magdeburgischen Ständen im Jahr 1650 genauso wenig wie den kurmärkischen in den Jahren nach 1613 nachzuweisen. Zum lutherischen Bekenntnisstand gehörten, so Punkt zwei weiter, die weltliche und geistliche Ämterbesetzung ausschließlich mit Personen lutherischer Konfession, und 136 137 138

Ebd., Bl. 180v. Ebd. Ebd.

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zwar auch an den Orten, an denen die Landesobrigkeit das ius patronatus vel praesentandi besaß, nämlich am Dom zu Magdeburg, und die Besetzung von Visitationskommissionen mit Deputierten der Stände und einheimischen Theologen Augsburgischer Konfession.139 Diese Forderung bezog sich erstens auf alle politischen Ämter im Land, deren Besetzung mit Personen lutherischen Glaubens den Schutz des Luthertums in allen Lebensbereichen durch die Landespolitik sicherstellen sollte. Zum Zweiten betraf sie die wichtigsten Multiplikatoren der Konfession, also die lutherischen Theologen mit entsprechendem Bildungsweg, hier aber nicht dezidiert ausgesprochen, an traditionell lutherisch geprägten Fakultäten. Die Stände versuchten, eine mögliche Durchsetzung der Kirchenlandschaft mit lutherischen Theologen zweifelhafter binnenkonfessioneller Strömungen abzuwehren. Nur Repräsentanten des traditionellen Luthertums garantierten das bisherige Gesicht des Luthertums im Herzogtum. In Punkt drei begann die ausführliche Darstellung der politischen Situation im Herzogtum, ebenfalls verbunden mit der grundlegenden Bitte um Bestandsschutz aller geistlichen und weltlichen Güter, Lehen, Schlösser, Städte, Ämter, Klöster, Herrschaften sowie der Freiheiten, Gerechtigkeiten, Höfe, Häuser etc.140 Viertens wurde das positive Wirken der bisherigen Landeshoheit des Administrators, ohne namentlichen Bezug, aber desto deutlicher herausgehoben, der in seinem Verhältnis zu den Ständen als Vorbild für den zukünftigen brandenburgischen Herrscher dargestellt wurde. 141 Punkt fünf forderte die Belassung der gesamten Landschafts- und Landtagsordnung,142 die dann in den folgenden Abschnitten detailliert dargelegt wurde, vom Bestandsschutz für Konfession und Gut des Normaljahres 1624 entsprechend dem Westfälischen Frieden und der Wahrung der geistlichen Gerichtsbarkeit ausgehend,143 über die Garantie sämtlicher Rechte der Prälaten, Klöster und Kapitel,144 die Landtagsordnung,145 das Steuerrecht, Landschaftskasse und Exemtion,146 die Rechtssprechung und Gerichtsorganisation147 bis zum Zollrecht auf dem Land.148 Eindeutig besaßen die konfessionellen Rechte herausragende Geltung, wurden sie doch erneut vor den politischen Gegebenheiten, juristischen und steuerrechtlichen Belangen genannt. Am wichtigsten war die Wahrung des konfessionellen Status’ im Herzogtum und der damit verbundenen Besitzverhältnisse und entsprechend groß der Drang, für diese Punkte Garantien vom Kurfürsten zu erlangen. 139 140 141

142 143 144 145 146 147 148

Vgl. ebd. Vgl. ebd., Bl. 181r. Vgl. ebd., Bl. 181v. Dort heißt es über August, dass dieser „nicht allein in Gnaden wol angenommen, was die stände sich bey gemeinen Landtägen zuforderst und sonsten in dem beschweret, daß der alten hergebrachten löblichen Freyheit des Erzstiftes zuwieder gewesen, sondern auch gefördert, geholffen und solches auf den alten weg gerichtet und dabey gelaßen hat“. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. ebd., Bl. 182r. Vgl. ebd., Bl. 182v–183v. Vgl. ebd., Bl. 183v–185r. Vgl. ebd., Bl. 185r–186v. Vgl. ebd., Bl. 186r–187r. Vgl. ebd., Bl. 187r.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Diese Thematik wurde im Schlussteil der 53 Punkte, in welchem sämtliche Spezialrechte dargelegt wurden, erneut traktiert. Punkt 40 stellte klar, dass die Prälaten, Ritter und Städte das Patronatsrecht an vielen Orten „und zwar nontantum quoad praesentationem et vocationem sed etiam confirmationem, also das ratione Episcopatus“ besaßen und die Stellen nicht nur an magdeburgische Theologen, sondern auch an „unverdechtige und der ungehinderten Augsburgischen Confession zugethane universitäten und ministeria“149 vergeben würden. Diese Forderung kongruierte mit der in Punkt zwei enthaltenen und markierte nicht nur politische und konfessionelle Rechte der einzelnen Stände, sondern ebenfalls ihre Schutzfunktion und ihre Schutzabsicht für die lutherische Konfession. Ganz konkret nahm Punkt 51 auf den irgendwann realiter bevorstehenden Herrschaftswechsel Bezug, in dem die Inkorporation des Gebietes in das Kurfürstentum und damit in die Unselbstständigkeit behandelt wurde. Er stellte fest, dass „dieses Land und Erzstift Magdeburg dem Churbrandenburgischen Landen nicht incorporiren, sondern absonderliches Fürsten – oder Herzogthum deutsches Landes seye“,150 also dementsprechend weder rechtlich noch konfessionell einfach der Kurmark angepasst werden dürfe. In diesem Zusammenhang ist auch die Betonung des Appellationsrechts der Stände beim Kaiser bereits in Punkt 50 zu sehen, was aufzugeben sie keinesfalls bereit waren.151 Die Abschlussbitte fasste alle Punkte noch einmal zusammen.152 Im Gegenzug verpflichteten sich die Stände zu Gehorsam und erklärten damit ihre Bereitschaft, ihren Teil des von ihnen gedachten Herrschervertrags zwischen Fürst und Untertanen erfüllen zu wollen.153 Die Stadt Halle versuchte währenddessen im Alleingang im am 30.3.1650 übergebenen Schreiben, ihren Status abzusichern und spezifizierte Garantien für den religiösen, politischen, rechtlichen und ökonomischen Bereich zu erlangen,154 wobei den kirchenrechtlichen Bestimmungen und der Garantie der „Evangelischen Religion“155 als erstem Spezialpunkt prominente Bedeutung zukam. Mit „Evangelischer Religion“ war mit Blick auf die angeführten Garantiedaten und auf das konfessionelle Selbstverständnis die lutherische Konfession gemeint. Herausgestellt wurde vor allem die Forderung, alle hergebrachten Garantien über „Erbau und Anrichtung der Kirchen, Bestellung der Pfar149 150 151 152

153 154

155

Ebd., Bl. 187v. Ebd., Bl. 189v. Vgl. ebd., Bl. 188r–189r. Vgl. ebd., Bl. 190r. Es wurde gedrängt, der Kurfürst werde „die Stände sambt und sonders allen anderen Rechten und Herkommen undt waß zu dero selben Freyheit in den alten Fundamentalgesetzen, Landt- undt Ausschußtagsabschieden verfaßet, dieselbe auch hierüber absonderlichen durch lange observantz in Religion, Kirchen- Policey- und Justicien-Sachen hergebracht gnädigst schützen, erhalten, undt Ihr gnädigster Churfürst und Herr, sein undt bleiben“. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 190r. Zum Selbstverständnis der Stadt und ihren Deutungsmustern politischer Ordnung vgl. Brademann, Jan: Integration einer Residenzstadt? Politische Ordnung und Kultur der Stadt Halle an der Saale im 16. und 17. Jahrhundert, in: ZHF 34, 4 (2008), S. 569–608. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 469.

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rer, Diaconorum und auch Superintendenten, ohne Zuthun oder confirmation der Fürstl. Herrschafft“156 zu üben und zu erhalten. Die theologische Basis dafür bot dem Rat die FC.157Am 4.4.1650 erhielten die Stände den erwarteten Revers,158 worin als einzige ständische Forderung die Konfessionsfrage zumindest teilweise behandelt wurde. Es wurde zugesagt, die „Prälaten, Ritterschaft und Städte Unseres Herzogthums Magdeburg sämbtlich und einen jeden insonderheit, nach Inhalt des Instrumenti Pacis lassen, und Churfürstl. schützen [zu] wollen, bey der rechten wahren Augsburgischen Confeßion, wie dieselbe Anno 1530. den 25 Junii, der damahln regierenden Kays. Majest. übergeben, und biß daher sonderlich ao 1624. den 1 Januarii in dem Erz-Stifft Magdeburg in Übung gewesen, und sie in derselben exercitio, sowohl in Lehre als Ceremonien weder selbst turbieren, noch von andern beeinträchtigen, oder auch hierwieder etwas anderes einführen lassen [zu] wollen.“159

Alle weiteren Rechte und Privilegien, welche den Westfälischen Frieden nicht betrafen, sollten noch vor der Erbhuldigung konkret wiederholt und bestätigt werden. Dass sie an dieser Stelle weder Konkretion noch Bestätigung erfuhren, fügte sich deutlich in die bisherige Vorgehensweise Brandenburgs ein. Man versuchte durch Entsendung von Kommissaren und Abgabe allgemeiner Garantien die Eventualhuldigung so schnell wie möglich in die Wege zu leiten und sich nicht in die speziellen rechtlichen und politischen Gegebenheiten des Landes hineinziehen zu lassen. Deshalb beließen es die Kommissare und der Geheime Rat bei der Abgabe von mündlichen Zusagen und der Formulierung allgemeiner Garantien im Sinne des Westfälischen Friedens. Die von den Ständen explizit formulierten Forderungen nach Garantien der lutherischen Konfession waren im Prinzip ebenfalls durch den Westfälischen Frieden und den Wegfall des ‚cuius regio, eius religio‘ geregelt. Doch war die Situation für beide Seiten offensichtlich zu heikel, als die Konfessionsfrage unerwähnt bleiben konnte. So kam der Kurfürst in der Folge nicht umhin, die lutherische Konfession zu garantieren, wobei nur die CA invariata in einer vergleichsweise vagen Formulierung und die Normaljahresregelung genannt wurden. Die von den Ständen eingeforderte FC blieb genauso wie die Bestätigung der Besetzung weltlicher und geistlicher Ämter mit Personen lutherischen Glaubens unerwähnt. Friedrich Wilhelm folgte hier ganz eindeutig der in der Kurmark erprobten Strategie des stillschweigenden Streichens von Bekenntnisgrundlagen und administrativen Traditionen. Hier stand das Einfallstor für eine die lutherische Konfessionskultur des Landes abschwächende und das Reformiertentum fördernde Linie in der Konfessionspolitik weit offen, noch bevor die Hohenzollern das Gebiet überhaupt beherrschten. Die Ausgangsbasis für die langfristige Etablierung der reformierten Konfession in allen Lebensbereichen im Herzogtum war gelegt und die Strategie für den Erbfall vorgegeben. 156 157 158

159

Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Revers des Kurfürsten an die magdeburgischen Stände am 4.4.1650 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 61r–62r. Ebd., Bl. 61v.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Am Huldigungstag160 in Groß Salze monierten die Stände dann auch die fehlende Konfirmation der in den 53 Punkten enthaltenen Privilegien. Ob die Lücke bei der Garantie der Konfession noch einmal diskutiert wurde, ist aus den Quellen nicht ersichtlich. Auch die Stadt Halle erhielt nur eine generelle Bestätigung ihrer Privilegien ohne jegliche Spezifikation.161 So konnte der Syndikus der Stände im Huldigungsablauf zwar die Freude über die generelle Bestätigung der CA invariata zum Ausdruck bringen, weiterer Raum für Verhandlungen blieb jedoch nicht.162 In den folgenden 30 Jahren der Regierung Augusts von Sachsen-Weißenfels163 sollte die traditionelle Deutung lutherischer Konfessionskultur im Land noch gefestigt werden, und die Stadt Halle als Residenzstadt dabei eine besondere Rolle spielen. Dennoch konnte eine gewisse Verstärkung der binnenkonfessionellen Pluralität durch den Einfluss der Helmstedter Theologie Calixts auf einzelne Pastoren nicht völlig ausgeschlossen werden: Betroffen von den Reversen des Jahres 1664 war der brandenburgische Pfarrer Christian Scriver in Stendal, welcher sich in der Unterschriftenfrage ratsuchend an den Senior des Magdeburger Ministeriums Johannes Böttiger wandte. Böttiger wiederum, der in Helmstedt bei Calixt Theologie studiert hatte, riet in seinem in Helmstedt gedruckten Votum zur Unterschrift unter die Reverse, weil er die abgemilderte brandenburgische Prädestinationslehre als Verständigungsgrundlage betrachtete. Dieses Votum wiederum führte dann innerhalb der Pfarrerschaft Magdeburgs zu Auseinandersetzungen um den vermeintlichen Synkretismus Böttigers, wobei die Gegenschriften in Wittenberg verlegt wurden – ein Konflikt, der vor dem Hintergrund der 1666 erfolgten Eventualhuldigung der Stadt und der Aussicht, brandenburgisch zu werden, ablief.164 Wie diese Episode deutlich macht, war die Pfarrerschaft im Herzogtum nicht vollkommen einheitlich im traditionellen Luthertum konfessionalisiert, andere binnenkonfessionelle Strömungen konnten über Einzelpersonen Eingang finden, sie konnten im Zusammenhang mit dem zu erwartenden Übergang des Gebiets an Brandenburg virulent werden. Abgesehen von solchen Episoden war die Mehrheit der Lutheraner im Herzogtum traditionell lutherisch geprägt. August war in der lutherischen Tradition des Dresdner Hofs erzogen worden, und richtete seine Gebiete dementsprechend weiter aus,165 indem er seit 1641 Visitationen in Magdeburg durchführen ließ, welche 1652 zur allgemeinen Kirchenordnung führten. 160

161 162 163 164

165

Die Stadt Magdeburg verweigerte die Huldigung bis zum unter dem Druck Friedrich Wilhelms zustande gekommenen Vertrag vom Kloster Berge 1666; vgl. Gringmuth: Behördenorganisation, S. 5. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 479. Vgl. ebd., S. 479; zur eigentlichen Huldigung vgl. ebd., S. 477–479; vgl. Thiele: Residenz. Zur Regierung Augusts ausführlich vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 489ff. Vgl. Schultze, Harald: Toleranzgebot und orthodoxe Predigt. Paul Gerhardt und die kurfürstliche Konfessionspolitik , in: Großbölting, Thomas / Willenius, Roswitha (Hgg.): Landesherrschaft – Region – Identität. Der Mittelelberaum im historischen Wandel, Halle 2009 (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 20), S. 87f. Vgl. Thiele, Andrea: Halle in der Zeit des Administrators August von Sachsen-Weißenfels (1638– 1680), in: Freitag / Ranft: Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, S. 291.

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In dieser wurden als Bekenntnisgrundlage die unveränderte Augsburgische Konfession, die Apologie Melanchthons, Luthers Katechismen, die Schmalkaldischen Artikel und die FC genannt.166 In Halle war 1579 eine Pacification167 verabschiedet worden, die die Einigung auf die FC vorsah, und bis ins 18. Jahrhundert von allen Geistlichen und den Lehrern des lutherischen Gymnasiums unterschrieben wurde.168 Nicht verwunderlich ist daher die zum 100. Geburtstag169 der Bekenntnisschrift in Halle stattfindende Feier mit einer Disputation von 14 Superintendenten des Herzogtums, die von Johannes Olearius veröffentlicht wurde. Die enge Anlehnung an die Wittenberger theologische Fakultät wurde durch die akademische Form der Veranstaltung und die Widmungsgedichte von Abraham Calov und Johannes Deutschmann zum Ausdruck gebracht. Das Selbstbewusstsein der Stadt und ihrer Gemeinden schlug sich auch in der Besetzungspolitik für die Pfarrstellen nieder, bei der der Administrator keinen Einfluss besaß. Der Rat übte das Präsentations-, Vokations- und Konfirmationsrecht für die Pfarrstellen an St. Moritz, St. Ulrich und Unser Lieben Frauen aus.170 Somit war gewährleistet, dass nur sich auf die unverfälschten konfessionellen Codes verpflichtende Kandidaten auf die Pfarrstellen der Stadt gelangten. Einflussreiche „Träger der lutherischen Konfessionskultur“171 waren besonders die Theologen der Familie Olearius, die über Generationen führende geistliche Ämter in der Stadt innehatten und sich für das kontroverstheologische Zentralthema des traditionellen Luthertums – die Verteidigung des traditionellen Luthertums und seiner Deutungshoheit über die lutherische Identität gegen die Ausbreitung des Reformiertentums (Johann Olearius d. Ä.) und gegen irenische Tendenzen aus der Schule Georg Calixts (Gottfried Olearius) – engagierten, wobei sie sich dabei der Unterstützung des Magistrats sicher sein konnten. Die lutherische Konfessionskultur der Residenzstadt und des Landes wurde außerdem durch die lutherischen Hofpredigerstellen intensiviert. Das Vokationsrecht für diese Posten lag beim Administrator, die Konfirmation beim Domkapitel. Organisatorisch zwar von der 166

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Kirchen- policey- und procesz Ordnungen Deß Hochwürdigsten, Durchläuchtigsten. Hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn, Augusti, Postulirten Administratoris des Primats und Ertz-Stiffts Magdeburg, Hertzogens zu Sachsen [...]: Darnach in J. Fürstl. Durchl. ErtzStifft Magdeburg sich männiglich zu achten. Publiciret auff dem allgemeinen Land-Tage zuHall. den 6. Julii, 1652, Hall: Rappoldt 1652, § 3, S. 2f. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 1007–1011. Vgl. Albrecht-Birkner, Veronika/ Sträter, Udo: Lutherische Orthodoxie in Halle – theologische Profile, Frömmigkeit und die Auseinandersetzung mit den Pietisten, in: Freitag / Ranft: Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, S. 333. Opel und Hertzberg datieren die Feier auf 1675. Damit konnten nur Vorstufen der 1577 fertiggestellten FC gefeiert werden; vgl. Opel, Julius: Die Vereinigung des Herzogthums Magdeburg mit Kurbrandenburg. Festschrift zur Erinnerung an die zweihundertjährige Vereinigung, hg. im Namen der Historischen Kommission der Provinz Sachsen, Halle 1880, S. 23; vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 509. Vgl. Saran, Gustav: Die Besetzung erledigter Pfarrstellen an den drei Kirchen städtischen Patronats zu Halle a. S. nach Herkommen und Recht, Halle 1884, S. 11f. Albrecht-Birkner / Sträter: Orthodoxie, S. 336.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Stadtgeistlichkeit getrennt, waren die Kontakte eng und von theologischer Übereinstimmung gekennzeichnet. Schon unter Christian Wilhelm waren mit Paul Röber, Salomo Lentz und Arnold Mengering Theologen Wittenberger Prägung etabliert worden. Dies setzte sich unter August mit Johannes Olearius d. J. kontinuierlich fort, dem seit 1663 sein Sohn Johann Andreas als Hofprediger assistierte.172

2.2. Die Auseinandersetzung um den obrigkeitlichen Anspruch auf äußere Kirchenleitung Erst 30 Jahre nach der Eventualhuldigung wurde der Erbfall durch den Tod des Administrators August am 4.6.1680 real. Am 6.6.1680 nahm der brandenburgische Kommandant der Magdeburger Garnison Oberst Isaak du Plessis Gouret mit einer kleinen Abteilung Infanterie die Moritzburg in Halle ein und setzte das eindeutige Zeichen des Übergangs des Landes und der Stadt nach Brandenburg, was zuvor schon mit dem Hissen der schwarzweißen Fahne und dem Anschlagen des brandenburgischen Wappens symbolisch zum Ausdruck gekommen war. Eine Woche später, am 13.6.1680, erreichten der kurfürstliche Abgeordnete Bodo von Gladebeck und der Geheime Rat und Hauptmann der Altmark sowie Oberhofmeister der Kurfürstin Thomas von dem Knesebeck auf Tilsen Halle, um Besitz von der Residenz zu nehmen und Siegel an die Aktenschränke und Kassen zu legen. Die Kommissare scheinen bis zum 24.6.1680 in Halle geblieben zu sein, denn erst dann verpflichteten sie und Gustav Adolf von der Schulenburg auf Emden in Magdeburg den Rat und die Geistlichkeit der Stadt Magdeburg zur Treue.173 Die Todesnachricht war von mehreren Eilboten aus dem Erzstift, darunter auch von der Familie des Administrators, nach Berlin und Potsdam hinterbracht worden. Der Sohn Albrechts, Herzog Johann Adolf, hatte seinen Hof- und Justizrat Hans Caspar von Loß nach Berlin geschickt, „um sich der Liberalität des Kurfürsten zum Behuf der vorläufigen Ordnung der Verhältnisse zu sichern.“174 Der Bestand der gegenwärtigen Ordnung und aller Privilegien war auch das Hauptanliegen der Stände im Kontakt mit dem neuen Herrscher, als sie sich ebenfalls an den Hof wandten, um ihren Respekt zu erweisen und die Erbhuldigung in die Wege zu leiten. Ihnen musste bewusst sein, dass nur in der unmittelbaren Situation des Übergangs des Territoriums in die neuen Machtverhältnisse die Möglichkeit bestand, bestimmte Rechte und Privilegien festsetzen und garantieren zu lassen, zumal ihnen 1650 anlässlich der Eventualhuldigung versichert worden war, alle offenen Spezialfragen noch vor der Erbhuldigung klären zu wollen.175 Diesem Anliegen entsprach der Inhalt des ersten Schrei-

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Vgl. ebd., S. 335f. Vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 550ff.; vgl. Opel: Vereinigung, S. 28. Vgl. Opel: Vereinigung, S. 24. Vgl. Revers des Kurfürsten an die magdeburgischen Stände am 4.4.1650 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 61v.

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bens aller Stände des Herzogtums an den Kurfürsten am 6.6.1680.176 Die Stände setzten sich ganz im Tenor der Verhandlungen um die Eventualhuldigung dreißig Jahre zuvor generell für den Erhalt der Privilegien im Bereich der Religion und, dies kam neu hinzu, für die Wahrung des Indigenats ein und baten: „Sie [der Kurfürst] werden denen indigenis und Augsburgischen Confessions verwandten ihre beförderliche hohe Gnade und Hulde […] zuwenden, undt übrigens des Landes Gerechtigkeiten und Freyheiten, bey allen was in Ecclesiasticis und Politicis hergebracht gnädigst handhaben.“177

Die Konfessionsfrage in Verbindung mit dem Erhalt der ständischen Ordnung einschließlich der Wahrung des Indigenats wurde demnach für die magdeburgischen Stände analog zu den Forderungen der Stände der Kurmark und Preußens zum Zentralthema ihrer Verhandlungen mit dem neuen Herrscher, dessen reformiertes Bekenntnis und reformiertenfreundliche Politik bekannt waren. Dabei unterschätzten sie allerdings von Anfang an den bedeutenden Machtzuwachs, den der seit der Schlacht von Fehrbellin 1675 sogenannte ‚Große Kurfürst’ seit 1653 und 1663 erfahren hatte. Zwar hatten die Landstände in den beiden Hauptterritorien ihre Existenzberechtigung wahren können, auf Landtage für Steuerbewilligungen beispielsweise war Friedrich Wilhelm aber seit der schrittweisen Einführung der Akzise ab 1667 nicht mehr angewiesen und hatte 1653 in der Kurmark den letzten abgehalten. Den magdeburgischen Ständen schien zunächst das Senden einer ständischen Delegation an den Hof ratsam. Die Instruktion vom 7.6.1680178 an die Delegierten beinhaltete Folgendes: Die Abgesandten sollten dem Kurfürsten den Respekt der Stände erweisen und Glückwünsche zum Herrschaftsantritt überbringen. Anschließend war ein Memorial anlässlich der Anerkennung der Privilegien zu überreichen. Weiterhin wurde der Delegation aufgetragen, darauf zu bestehen, dass „bis mit Bestellung der Ämbter und Regierung, die eingeseßen nicht bey dem ersten Anlange stracks excludiert, sondern so Sie dazu genugsam captabel und der Augsburgischen Confession, welche bey dem Lande üblich, zugethan, Frembden vorgezogen werden, und ihres juris indigenatus wirklich geniesen möchten“.179

Die Bewahrung der Augsburgischen Konfession und des Indigenats spielten demzufolge auch in dem Memorial die Hauptrolle. Ein Entwurf des nach einer Marginalie mindestens einmal überarbeiteten Memorials stammte ebenfalls vom 7.6.1680.180 Es begann mit der bekannten Forderung nach Beibehaltung der unveränderten Augsburgischen Konfession 176

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179 180

Vgl. magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 6.6.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 81r–81v. Opel und Hertzberg datieren dieses Schreiben fälschlicherweise einen Tag früher auf den 5.6.1680; vgl. Opel: Vereinigung, S. 36; vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 557. Magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 6.6.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 81v. Vgl. Instruktion der magdeburgischen Stände an die Delegation am 7.6.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 110, Bl. 12v–13r. Ebd., Bl. 13r. Hervorhebungen im Zitat sind der Quelle entnommen. Vgl. ebd., Bl. 17r–20r.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

und nach Bestätigung der Religionsartikel des Westfälischen Friedens, bevor diese Forderungen präzisiert wurden. Im ersten Punkt wurden in die Forderung nach Bewahrung des konfessionellen Bestands die fünf bestehenden römisch-katholischen Klöster explizit mit eingeschlossen,181 bevor Ausführungen zur Augsburgischen Konfession erfolgten. Dezidiert forderten die Stände die Beibehaltung der symbolischen Bücher analog zu den 53 Punkten von 1650, ohne sie noch einmal zu spezifizieren; die Beibehaltung der Zeremonien und Gebräuche nach der im Herzogtum geltenden lutherischen Kirchenordnung; die Besetzung der weltlichen und geistlichen Ämter mit Personen lutherischen Glaubens, die den Konfessionseid ableisten sollten; die Beibehaltung des bisherigen Patronatsrechts und die Bewahrung des konfessionellen Vermögens- und Besitzstands.182 Im zweiten Punkt wurden die politischen Gegebenheiten behandelt, unter denen die Forderung des Indigenats herausragte.183 Alle weiteren politischen Forderungen wurden knapp ausgeführt und waren in keiner Weise mit der ausführlichen Darlegung der 53 Punkte von 1650 zu vergleichen. Im Schlussteil beriefen die Stände sich dezidiert auf die in der Eventualhuldigung erteilten allgemeinen Garantien184 und begründeten ihr Bestreben nach Ordnung und Garantie der Verhältnisse religiös und im Verständnis des göttlichen Rechts: „Es gezeuget solches zur Ehre Gottes, weil Gott ein Gott der Ordnung, und ein Uhrsprung ist aller freyheiten, auch der irdischen“.185 Neben dem Memorial der Stände wurde auch ein Memorial der Stadt Halle eingereicht, worauf eine kurfürstliche Garantie der vorläufigen Verhältnisse in der Stadt bis zu einer Klärung der Spezialkonfirmation vom 8.6.1680 hinweist,186 die auf eine Eingabe des Bürgermeisters und des Rats der Stadt anspielt. Demnach versuchte die Stadt analog zu ihrem Vorgehen des Jahres 1650, sich bei den Verhandlungen um die Privilegien und die Huldigung in eine möglichst gute Position, auch an den Gesamtständen vorbei, zu bringen.187 Eine Erklärung für dieses gesonderte Vorgehen lag sicherlich in der begründeten Hoffnung der Ratsmitglieder, den Status und die Privilegien Halles als – nun gewesene – Residenzstadt in die neue Herrschaft hinüberzuretten. Inwieweit die Berliner Regierung mit den magdeburgischen Verhältnissen 1680 bereits vertraut war, kann heute nicht mehr aus archivalischen Quellen, sondern nur noch aus den überlieferten Beschreibungen der brandenburgischen Aktivitäten in der Literatur abgelesen werden. Allerdings gibt Julius Opel im Jahr 1880 Auskunft über eine die Handlungsweise der Regierung prägende Denkschrift, die darauf schließen ließe, dass die Geheimen Räte Friedrich von Jena, Franz von Meinders und Paul von Fuchs sich 181 182 183 184 185 186

187

Vgl. ebd., Bl. 17r. Vgl. ebd., Bl. 17v–18r. Vgl. ebd., Bl.18r. Vgl. ebd., Bl. 19r. Ebd., Bl. 20r. Vgl. Kurfürst an die Stadt Halle am 8.6.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 110, Bl. 15r–15v. Vgl. Kurfürst an die Stadt Halle 8.6.1680 [Abschrift], GStA PK, I. HA Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543– 1688), Bl. 245r–246r.

2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation

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bereits vor dem Jahr 1680 intensiv mit den Verhältnissen im Herzogtum beschäftigt hätten.188 Danach ließen sich für den Regierungsantritt folgende Überlegungen feststellen: Da das Gebiet kein Erzstift mehr darstelle, existiere keine bischöfliche Gewalt mehr, sondern der Kurfürst besitze die höchste weltliche und geistliche Gewalt. Die Funktion des Summepiskopus würde ihm demzufolge die Aufsicht über alle Konfessionen im Gebiet als äußere Kirchenleitung ermöglichen. Damit kongruiere der siebente Punkt der Aufzählung über das Kirchenregiment, welches der Kurfürst dann besitze. Ihm unterstehe sowohl die Kirchengesetzgebung als auch die ausführende Gewalt. Er sei befugt, das Konsistorium zu bestellen und Kirchen- und Schulstellen zu besetzen. Er besitze die Oberaufsicht über das Domkapitel, die Stifte und Klöster. Die Bestellung des Superintendenten stehe nicht mehr dem Rat in Halle zu, sondern ebenfalls dem Kurfürsten. Das bereits im Politischen Testament angeklungene Verständnis der kurfürstlichen Oberhoheit in Konfessionsfragen im Sinne des Territorialismus dringt damit in der Denkschrift deutlich durch. Ebenso sei der Kurfürst zweitens der oberste Gerichtsherr über die Stände. Drittens sei es wichtig, dass der Kurfürst, indem er gerade kein Nachfolger der Erzbischöfe sei, nicht an deren Anordnungen und Verpflichtungen gebunden sei. Deshalb dürfe er die Landesausschüsse nicht bestätigen. Die Punkte vier, fünf und sechs betrafen mit dem dem Kurfürsten zustehenden Berg- und Salzregal, dem Erlassrecht für neue Jagd-, Holz, Teich- und Fischordnungen, und der geplanten Einführung der Akzise189 im Herzogtum neben der Umlegung von Privilegien vor allem den wirtschaftlichen Sektor. Die Denkschrift macht die Form der gesamten Herrschaftsausübung in allen geistlichen und weltlichen Bereichen deutlich, auch wenn die Existenz der Stände an sich nicht bestritten wird. Als allumfassender Herrscher ist der Kurfürst dabei nicht an frühere Vereinbarungen gebunden, er steht nicht in einem vertraglichen Verhältnis mit den Ständen. Opel stellt die Vermutung auf, dass diese von den Räten angestellten Überlegungen durchaus im Umlauf gewesen sein könnten,190 was dann im Umkehrschluss die anhaltend starken Bemühungen der Stände, entgegenzuwirken, erklären könnte. Es hat sich bei der Denkschrift jedoch vermutlich eher um ein internes Papier gehandelt, welches keinesfalls offiziell in die Hände von Ständen eines noch fremden Territoriums hätte gelangen sollen. Wenn die Denkschrift offiziell in Umlauf gewesen wäre, hätten die Schreiben der Stände aus Magdeburg nach Berlin wohl deutlichere Bezüge auf die genannten Probleme beinhaltet. Stattdessen machen die Forderungen aus dem Herzogtum Magdeburg einen ungewissen Eindruck, welche Probleme und Veränderungen tatsächlich anstehen würden. Nur 188

189 190

Vgl. Opel: Vereinigung, S. 34f. Opel schreibt: „In Berlin hatte man sich dem Anschein nach schon längere Zeit vor dem Tode des Administrators mit den Veränderungen, welche der Anschluß des Landes einst nach sich ziehen mußte, beschäftigt und hatte zu diesem Behufe die Verhältnisse einer sehr scharfen Prüfung unterworfen. Wir stoßen auf eine Denkschrift, welche in ihren Ansprüchen ziemlich weit geht, deren einzelne Forderungen jedoch bei der Einrichtung der Verwaltung keineswegs alle erfüllt worden sind.“ Ebd., S. 34. Die Denkschrift sollte also nach 1667 abgefasst worden sein. Vgl. Opel: Vereinigung, S. 35.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

die konfessionelle Grundproblematik und die Rolle des Indigenats konnte man aus den bekannten Auseinandersetzungen der 1650er und 1660er Jahre und den Entwicklungen in Brandenburg-Preußen als Kernprobleme abschätzen. Zu einer wirklichen Aufklärung konnten also nur die direkten Gespräche in Berlin führen, die am 15.6.1680 stattfanden. Einen Überblick über den Ablauf der Gespräche bietet eine nach Halle gesandte Relation der Deputation, unmittelbar am 15.6.1680 verfasst und am 17.6.1680 in Halle eingetroffen.191 Der Delegation wurde Audienz beim Kurfürsten gewährt, und sie überbrachte verabredungsgemäß den Glückwunsch der Stände und das Memorial. Es standen nicht die Privilegien im Vordergrund, vielmehr ging es zunächst um die Finanzierung des Begräbnisses des Administrators sowie um die Schuldentilgung. Dies brachte Friedrich Wilhelm zu einigen grundsätzlichen Fragen zur Situation im Land, insbesondere den mangelnden Wohlstand betreffend.192 Erst im Gespräch mit den Geheimen Räten kamen die für die Stände entscheidenden Themen auf die Tagesordnung. Nachmittags hatte Friedrich von Jena die Deputation empfangen und „seine Gedanken wegen des juris indigenatus weitläufig erwähnet.“193 Die Deputierten erinnerten an alle Verabredungen anlässlich der Eventualhuldigung von 1650, worauf von Jena nicht einging, sondern „sich aber mit dem Mangel an Acten entschuldiget, und verheißen, derselbe nachzuschlagen.“194 Der Geheime Rat bremste an dieser Stelle die Ständevertreter sicherlich sehr bewusst aus, um später auf keine Versprechungen im informellen Raum festgelegt werden zu können. Kaum realistisch ist es, anzunehmen, er sei tatsächlich nicht informiert gewesen, zumal die Festlegungen bei der Eventualhuldigung ja die rechtliche Grundlage für die Übernahme bildeten und aus aktuellem Anlass, nämlich der Eingliederung des neuen Territoriums als dem augenblicklich dominierenden Ereignis der Berliner Tagespolitik, den Regierungsmitgliedern mit Sicherheit präsent waren. Bei dem Übernahmevorhaben spielte Aktenunkenntnis viel weniger eine Rolle, als die Absicht, sämtliche Politikziele uneingeschränkt durchzusetzen und sich in keiner Weise von Landständen einschränken zu lassen. Als die Ständevertreter versuchten, von Jena festzulegen, wich dieser bewusst aus, sprach dann aber immerhin beide Kernfragen, auf die die Stände besonderes Gewicht legten, an und setzte die taktische Linie Berlins, wie sie aus den Verhandlungen mit den kurmärkischen und ostpreußischen Landständen bekannt war, fort. Er äußerte, „daß S. Churfürstl. Durchl. in religions Sachen nichts endern, sondern ieden bey seinen Gerechtigkeiten hierin lasen würden, nur das calumniiren und injuriren der Priester auf denen Kanzeln könten Sie nicht leiden […]. Die Landeskinder werden S. Churfürstl. Durchl. vor an-

191

192

193 194

Vgl. Relation der Delegation an die Ständevertreter in Halle am 15.6.1680, LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 110, Bl. 27r–30v. Vgl. ebd., Bl. 27r–28r. Friedrich Wilhelm hatte zur Verbesserung der Situation im Land Resolution erteilen lassen, „die Saale, zu Verbeserung der commercien, sonderlich des Salzwerkes, navigare zu machen“. Ebd., Bl. 28v. Ebd., Bl. 29r. Ebd.

2. Konfessionelle Identität als konstituierendes Merkmal einer ständischen Formation

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dren gerne befordern, und Ihren hierunter mehr Gnade zuwenden, als Sie dächten, doch würden Sie sich die Hände so gar nicht binden lassen, das kein extraenus im Lande befordert werden sollte“.195

Dies musste für die Stände erneut unbefriedigend bleiben, erfuhren sie doch entgegen ihren Forderungen keine Konkretion in der Konfessionsfrage. Stattdessen kassierten sie einen Seitenhieb mit dem Hinweis, die Kanzelpolemik der lutherischen Pfarrer nicht dulden zu können, sie also früher oder später verbieten zu wollen. Somit wundert es nicht, dass der Rat in Halle am 19.6.1680 die Stadtprediger auf die Einhaltung der kurfürstlichen Anordnung zu friedfertigem Verhalten hinwies.196 Hier war ein Konfliktpunkt gegeben, den die Stadt während der Verhandlungen offensichtlich unbedingt vermeiden wollte. Auch in der Frage des Indigenats blieb die Situation allem Anschein nach unbefriedigend, denn Verabredungen, externe Personen grundsätzlich von Ämtern auszuschließen, schienen nicht geplant zu sein. Mit aller Deutlichkeit wurde klargemacht, dass bei der Ämterbesetzung von nun an keine ständische Mitwirkung mehr geplant war und der Kurfürst sich in Personalfragen gegen die Einflussnahme der Stände verwahrte. Friedrich Wilhelm setzte demnach den Ratschlag an seinen Nachfolger, nur geeignete Personen berufen zu wollen und sich in dieser Frage nicht die Hände binden zu lassen, wie schon in der Kurmark und in Preußen, nun auch im Herzogtum Magdeburg konsequent selbst um. Die Grenzen ihrer Mitwirkung mussten den ständischen Vertretern mit dieser Äußerung von Jenas nun mehr als deutlich sein. Immerhin deutete er an, alle Unklarheiten, so wie 1650 abgesprochen, noch vor der Erbhuldigung klären zu wollen, weswegen die Stände aufgefordert waren, erneut eine Deputation nach Berlin zu entsenden, um sich mit den Detailfragen zu beschäftigen.197 Vergleichbare Äußerungen tätigte Paul von Fuchs später gegenüber den Delegierten und forderte die Stände auf, „daß der Ausschus binnen Acht oder Zehn tagen zum längsten einzukommen, und den passum privilegiorum auszumachen“.198 Mit einem engen zeitlichen Limit für die Tagungen der Landtagsausschüsse wurde der Druck auf die Stände erhöht, denn eine zweite Delegation mit Vorschlägen wurde in Berlin erwartet. Die Resolution an diesem Tag setzte die Ständevertreter zu guter Letzt über ihre Rolle innerhalb des Herrschaftssystems Brandenburgs deutlich ins Bild. Ohne irgendein Privileg zu erwähnen, wurde die Treue der Untertanen gegenüber der Herrschaft beschworen und Schutz für alle Begebenheiten versichert.199 An dieser Stelle zeigen sich die divergierenden Deutungen des Status’ der Stände im Herrschaftsgefüge bereits deutlich: Begegnen sie dem Kurfürsten analog zu ihrer Forderung in den 53 Punkten von 1650200 noch als Landstände, die ein Vertragsverhältnis 195 196

197

198 199 200

Ebd., Bl. 29v. Vgl. Rat der Stadt Halle an die Stadtprediger [Entwurf], StA, Halle, Kap. XI, Abt. B, Nr. 10, Bl. 59r–60r. Vgl. Relation der Delegation an die Ständevertreter in Halle am 15.6.1680, LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 110, Bl. 29v. Ebd., Bl. 30v. Vgl. Opel: Vereinigung, S. 37. Vgl. Memorial der magdeburgischen Stände am 24.3.1650 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6,

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

eingehen, aus dem für beide Seiten Pflichten hervorgehen, geht aus dem Wortlaut ein deutlich naturrechtliches Staatsverständnis des Souveräns hervor. Es musste nun auf der ständischen Seite die Zusammenstellung aller Spezialfragen und die Entsendung einer zweiten Delegation folgen. Nach Opel tagte der ständische Ausschuss vom 23.6.1680 und veröffentlichte das Ergebnis als „Magdeburgische Landprivilegia und Jura“.201 Eine Quelle mit diesem Titel und Datum, welche nach Opel zeigte, „wie zähe die Stände an den alten Verhältnissen und Ideenkreisen hingen, und wie sehr sie bemüht waren, das geistige Leben in den überlieferten Formen gefesselt zu halten“,202 ist in den Archiven aber nicht nachweisbar. Die Zusammenstellung wird in jedem Fall den bisherigen Forderungen der Stände entsprochen haben. Sicher ist die Erklärung vom 12.7.1680 seitens der Regierung, eine weitere Deputation nach der Kornernte, also Ende August/Anfang September des Jahres, zur Frage der Spezialkonfirmation und Klärung des Huldigungsablaufs hören zu wollen.203 Die Berliner Seite kannte die Forderungen der Stände im Detail und sollte ihr nun mit rasch geschaffenen politischen und konfessionellen Fakten begegnen.

3.

Kollisionsfall. Das Ringen um das Simultaneum in der Stadt Halle ab September 1680

3.1. Neuer Bekenntnisstand und neues Herrschaftsverständnis Am 7.9.1680 wurden die Verhandlungen zwischen der Berliner Regierung und den Abgesandten der Zweiten Deputation mit einem Edikt des Kurfürsten abgeschlossen.204 Aus diesem lässt sich zum einen noch einmal die prominente Rolle der konfessionspolitischen Fragen in den Verhandlungen belegen: Drei von sechs Blatt beschäftigen sich mit diesem Themenfeld.205 Zum anderen kann eine Reihe der sich in den folgenden Jahren im Herzogtum und speziell in Halle entwickelnden kirchenpolitischen Konfliktfelder herauskristallisiert werden, die auszuräumen dem Edikt gerade nicht gelingt. 201 202 203

204

205

Nr. 107, Bl. 190r. Vgl. Opel: Vereinigung, S. 37. Ebd. Vgl. Kurfürst an die magdeburgischen Stände am 12.7.1680, LHASA, MD, Rep. A 6, Nr. 111, Bl. 2r–2v. Dazu existiert eine Abschrift eines Dankschreiben der Stände für diese erneute Anhörung, welches von Juli 1680 fälschlicherweise auf den 28. Juni 1680 umdatiert wurde, obwohl es deutlichen Bezug auf den Befehl vom 12.7.1680 nimmt und sich dafür bedankt; vgl. LHASA, MD, Rep. A 6, Nr. 111, Bl. 1r–1v. Eine zweite Deputation, wie Opel sie andeutet, scheint es demnach zunächst nicht gegeben zu haben; vgl. Opel: Vereinigung, S. 38. Vgl. Edikt am 7.9.1680 [jeweils Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 83r–88v; vgl. LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 73, Bl. 261v–267r; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 114r–118v; vgl. Opel: Vereinigung, S. 60f. Vgl. Edikt am 7.9.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 83r–85v.

3. Kollisionsfall. Das Ringen um das Simultaneum in der Stadt Halle ab September 1680

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Den ersten, sich schon seit 1650 durch die Verhandlungen mit den Ständen ziehenden Konfliktherd stellte die Geltung von Bekenntnissen und Bekenntnisschriften im Herzogtum dar. Erneut versicherte der Kurfürst am 7.9.1680 nur, im Rahmen der Westfälischen Friedensverträge die Augsburgische Konfession des Jahres 1530 gelten und damit das Herzogtum „bey dem freyen öffentlichen exercitio der also genannten Lutherischen Religion, in Lehr und Ceremonien, ungehindert und von Jedermann unbeeinträchtiget [zu] laßen.“206 Die FC wurde nicht erwähnt. Im Zusammenhang mit dem Erhalt des Luthertums traditioneller Prägung standen auch der Erhalt seiner Institutionen und deren Finanzierung.207 Das Patronatsrecht sollte im Allgemeinen ebenfalls unangetastet bleiben, allerdings würde der Landesherr die gesamten konfessionellen Aufsichtsrechte übernehmen: „Uns als Landesfürsten bleibt die Bestellung der Superintendenten, wie auch alle und jede confirmationes über alle Pastores, Priester und Prediger, welche von dato an vociret und bestallet werden.“208

Dies konnte im Zusammenhang mit der aus Sicht der Stände nach wie vor unbefriedigenden Bekenntnisschriftensituation bei der Priesterexamination vor dem Konsistorium in der Frage, welche dogmatische Grundlage angewendet werden sollte, virulent werden, denn das Edikt sah auch hier einen klaren Zugriff Berlins vor: „Imgleichen sollen keine Prediger, Sie mögen Nahmen haben, wie sie wollen, an keinem andern Ort, als dem Unserem bestalten Consistorio, examiniret und von Denen Jenigen, welche wir darzu verordnen werden, im Lande ordiniret werden.“209

Indem das Edikt in Aussicht stellte, die kirchlichen Aufsichtsorgane im Herzogtum neu zu ordnen und dann über das Instrument des Konsistoriums in die Ämterbesetzung aktiv einzugreifen, war ein weiteres Konfliktfeld vorprogrammiert. Denn für Berlin bestand über diesen Weg die Möglichkeit, die schon in Friedrich Wilhelms Politischem Testament beschworenen friedfertigen lutherischen Theologen in der neuen Landschaft zu installieren und im Zweifelsfall auch das Indigenatsrecht, welches bereits im Vorfeld vakant gewesen war, zu umgehen. Die Mitsprache der Stände, welche gemäß der 53 Punkte von 1650 auf einheimischen, ‚unverdächtigen’ lutherischen Pfarrern beharrten, war nicht vorgesehen. Sehr konkret wurde das Edikt in der Frage der Ausübung der reformierten Konfession in der Residenzstadt Halle, welche über die Nutzung des Doms als Schlosskirche im Raum stand. So verfügte Friedrich Wilhelm – dabei seine „christliche gute Intention, welche wir bei dem zertrennetem Religionswerk führen“,210 herausstellend – die alternie206

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Ebd., Bl. 83v–84r. Unbeeinträchtigt blieben auch die fünf bestehenden römisch-katholischen Klöster auf dem Gebiet des Herzogtums; vgl. ebd., Bl. 85v. Der Kurfürst solle alles, was „zur Unterhaltung der Kirchen und Schulen, Stifter, Klöster und Hospitalien gewidmete Renten, Zinsen Einkünften, Beställen, Sie haben Nahmen wie sie wollen, nicht entziehen, schmählern, oder verringern“; ebd., Bl. 84r. Ebd. Ebd., Bl. 84r–84v. Ebd., Bl. 84v–85r.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

rende Nutzung der Dom- und Schlosskirche durch beide protestantische Konfessionen als ein Simultaneum, wobei ihre Prediger sich jeweils mit der Vormittags- und der Nachmittagspredigt abwechseln sollten.211 Damit war das öffentliche exercitium religionis für die Reformierten im Herzogtum etabliert worden, mit dem Dom in der bisherigen Residenzstadt noch dazu in einer der prominentesten Kirchen des Landes.212 Das Ziel der Einführung des reformierten Gottesdienstes war die Bildung einer deutschen reformierten Gemeinde, deren erste Mitglieder die Regierungsangehörigen und deren Familien in Halle sein würden.213 Von einer Bestätigung der hergebrachten kirchlichen Rechte, wie die Stände sie eingefordert hatten, konnte mit diesem Edikt keine Rede mehr sein. Das einzige Entgegenkommen der neuen Regierung markierte die formale Festschreibung der CA invariata. Darüber hinaus waren offene Eingriffe in das kirchliche System des Herzogtums deutlich angekündigt worden. Bereits die Verhandlungen im Vorfeld des Edikts vom 7.9.1680 zwischen der zweiten nach Berlin entsandten Deputation und den Geheimen Räten Friedrich von Jena und Franz von Meinders ab Ende August214 hatten sich – für die Deputierten – unbefriedigend gestaltet. Die Deputation, wie vereinbart ‚nach der Ernte’ erneut in Berlin eingetroffen, brachte die Ergebnisse der ständischen Tagungen Ende Juni und Anfang Juli mit, welche sich nicht von den Forderungen im Juni 1680 unterschieden.215 Offenbar verharrten die Stände in ihrer anfänglichen Verhandlungsposition und waren nicht bereit, ihre Erwartung, sämtliche Teile der Landesverfassung von der neuen Regierung im Vorfeld der Erbhuldigung bestätigen zu lassen, zu modifizieren. Insbesondere die konfessionspolitischen Forderungen der Stände stießen wie gehabt auf die Ablehnung der Räte. So berichteten die Deputierten am 26.8.1680 nach Magdeburg, in einer Konferenz mit den Räten „vielerley diffi-

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215

Vgl. ebd. Von der Forschung wird im Vorfeld des Edikts von Potsdam 1685 keine deutsche reformierte Gemeinde in Halle erwähnt. Albertz spricht von „wenigen“ Reformierten in Halle für die Zeit vor 1685; Albertz, Hugo: Der Dom und die Domgemeinde zu Halle a. S., Halle 1888, S. 180. Ob es einzelne Einwohner reformierten Glaubens gegeben hat, ist unklar. Anders sieht die Situation für Magdeburg aus: Ob es vor der Stationierung brandenburgischer Truppen im Rahmen des Festungsaufbaus ab 1666 nach der geleisteten Eventualhuldigung reformierte Gläubige – aus Kurbrandenburg oder Anhalt – gegeben hat, ist zwar ebenfalls unklar. Ab 1666 formierte sich aber im Haus des brandenburgischen lutherischen Gouverneurs August von Schleswig-Holstein-NorburgPlön eine kleine reformierte Gemeinde unter der Leitung von Heinrich Dunker, der die Ehefrau Augusts, die reformierte Elisabeth Charlotte von Anhalt-Harzgerode angehörte. Es handelte sich hier also um ein privates exercitium religionis; vgl. Fischer, Johannes: Die Pfälzer Kolonie zu Magdeburg. Zum Andenken an ihre vor 250 Jahren erfolgte Begründung, Magdeburg 1939, S. 68. Vgl. Kapitel II.3.2.4. Der Verhandlungsbeginn ist aus den Akten nicht genau datierbar. Das früheste nachweisbare Schreiben der Deputierten stammt vom 24.8.1680 [Abschrift]; vgl. LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 60r–60v. Vgl. Deputierte an die magdeburgischen Stände am 26.8.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 4r; vgl. Opel: Vereinigung, S. 53f.

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cultäten, sonderlich quoad formulam concordiae“216 besprochen zu haben. Strittig waren außerdem die Zukunft der Landesausschüsse und die Steuern. Eine gewisse Resignation schien sich zu diesem Zeitpunkt bereits unter den Deputierten verbreitet zu haben, hatten sie doch zunächst die Räte nicht sprechen können und bei der anschließenden mindestens zweitägigen, immer wieder unterbrochenen Besprechung wurde keine Einigung erzielt. Eine weitere, nun von den Deputierten ausgearbeitete Eingabe von 22 Punkten beharrte im ersten Punkt in der Konfessionsfrage demzufolge neben der CA invariata auf der FC und erwartete anschließend vom Kurfürsten die Bestätigung der gesamten Landesverfassung, deren Tradition man in den Punkten 4 bis 21 nachzuweisen versuchte.217 Scheinbar schuf diese Argumentation keinen bleibenden Eindruck bei den Regierungsvertretern, denn in den weiteren Berichten an die Gesamtstände wurde erstmals nicht auf die Huld des Landesfürsten, sondern auf die Gottes gehofft. So hieß es am 28.8.1680 erstmals: „GOTT wird sich auch des Landes erbarmen, deßen getreuen Schutz Wir Uns allerseits ergeben, und stets bekennen.“218 und am 31.8.1680 noch deutlicher: „Der Gott, welcher hoher Potentaten und deren hohen Ministrorum Herz in seinen Händen hat, wird nach seinem gnädigen Willen zu des Landes Besten alles dirigiren“.219 Der Kampfgeist erwachte aber schon am 3.9.1680 wieder. Offensichtlich stand die später im Edikt vom 7.9.1680 ergangene Anordnung des reformierten Gottesdienstes im Dom als Schloss- und Domkirche zu Halle, alternierend mit dem lutherischen Gottesdienst, bereits zu diesem Zeitpunkt auf der Tagesordnung, denn die Deputierten sahen sich in einem Schreiben an die Geheimen Räte genötigt, eine solche Nutzung entschieden abzulehnen. Dabei wurden die tatsächlichen Gegebenheiten umgedeutet und behauptet, der Dom sei erstens niemals Schlosskirche gewesen, sondern die Schlosskirche hätte sich auf der Moritzburg befunden.220 Schon Kardinal Albrecht hatte den Dom aber als Schlosskirche genutzt, der direkte Vorgänger Friedrich Wilhelms, August von Sachsen-Weißenfels, hatte dem nicht nachgestanden. Zum Zweiten wurde ein Beschluss des Jahres 1599 angeführt, nach dem im Dom keine Sakramentshandlungen, sondern nur Betstunden und Wochenpredigten abgehalten werden sollten.221 Dieses Argument eignete sich, um den Vollzug einer anderen als der lutherischen Abendmahlfeier, welche eines der wesentlichen Abgrenzungsrituale gegenüber dem Reformiertentum darstellte, abzuwehren. Immerhin wurde dem Kurfürsten zugestanden, als Territorialherr „welcher mit denen Unterthanen

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Deputierte an die magdeburgischen Stände am 26.8.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 4v. Vgl. Eingabe der Deputation [undatierter Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 14r–18v. Deputierte an die Geheimen Räte am 28.8.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 24r. Ebd., Bl. 29v. Vgl. Deputierte an die Geheimen Räte am 3.9.1680 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 257r. Vgl. ebd., Bl. 257r–257v. 1599 setzte der Rat diese Regelung durch, vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 327.

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nicht gleicher Religion […], seine concionatores [contionatores] aulicos sua confessionis in residentia sua“222 zu haben. Dies ziehe aber, zumal auch die Normaljahresregelung von 1624 gelte, keinesfalls eine Veränderung der kirchlichen Verfassung nach sich, sondern der Kurfürst könne selbst sehen, „daß der locus der Schloßkirchen in Halle nicht zu verendern noch die Sacra der reformierten mit denen Sacris der Evangelischen Lutherischen religion in uno loco conjugiren“.223 Die Deputierten schlugen stattdessen vor, „daß die Sacra der her[r]en Reformierten zu der Zeit, wenn S. Churfürstl. Durchl. Unser gnädigster Herr oder einer von denen Prinzen in der Stadt Halle residentiam haben möchten, soviel die Hofstat anlanget, in der Schloßkirchen auf der Moritzburg getrieben“224

werden. Die seit Juni 1680, letztlich schon seit den 53 Punkten von 1650, im Raum stehende konfessionspolitische Auseinandersetzung zwischen der das Reformiertentum begünstigenden Politik des brandenburgischen Kurfürsten und seinen lutherischen NeuUntertanen entzündete sich hier erstmals konkret an der Forderung des Kurfürsten, ein reformiertes exercitium religionis für die Reformierten in Halle zu etablieren. Die Untertanen führten die Normaljahresregelung von 1624 als Argument gegen den reformierten Gottesdienst im Dom ins Feld, völlig übersehend, dass der Kurfürst gar keine Umwidmung des Domes, sondern nur die Etablierung des reformierten Gottesdienstes beabsichtigte. Die Deputierten erkannten hier aber das durch die bisherige stillschweigende Ausklammerung der FC entstandene, sich nun weiter öffnende Einfallstor für die reformierte Konfession, die in ihrem Territorium anzuerkennen sie nicht geneigt waren. Die Geltung des von ihnen immer wieder angeführten Instrumentum Pacis endete in ihrem Verständnis genau hier. Auch die am 4.9.1680 zur Präzisierung ihrer Anliegen den Geheimen Räten überreichten „Unterthänigste Erinnerungen“ in 16 Punkten beinhalteten konfessionspolitische Aspekte: So wurden, sicherlich unter dem Eindruck des Domgottesdienstes, kurz und bündig die Geltung der Normaljahresreglung von 1624 und der bestehenden Archidiakonatsverfassung, mit der die Macht des Domkapitels aufrecht erhalten werden sollte, die Aussetzung der Domfrage bis zu einer Anhörung der Stadt Halle, der Erhalt der lutherischen Stipendien und die Besetzung des neuen Konsistoriums mit Lutheranern gefordert.225 Weiterhin kämpften die Stände um ihre Beteiligung bei der gesamten Gesetzgebung, insbesondere bei den Steuergesetzen, sowie um die allgemeine Bestätigung der Landesverfassung. Die im Vergleich mit den bisherigen Papieren äußerst kurze Zusammenstellung deutet wohl darauf hin, dass sich der Druck auf die Ständevertreter

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Deputierte an die Geheimen Räte am 3.9.1680 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 257v. Ebd. Ebd., Bl. 258r. Vgl. Deputierte an die Geheimen Räte am 4.9.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 42r–42v.

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erhöht hatte, zu einem Abschluss zu kommen, welcher sich dann im Edikt vom 7.9.1680 vollzog. Dabei mag auch die für Oktober geplante Erbhuldigung eine Rolle gespielt haben, sollte dieser Termin gehalten werden.226 Die Stände verstanden die Verhandlungen um den Erbvertrag als traditionelles Ritual im Vorfeld der Erbhuldigung und traten in dem Bewusstsein auf, als Landstände dem neuen Territorialherrn als Vertragspartner zu begegnen und zu verhandeln. Dabei bedeutete ‚Verhandeln’ für sie die Festschreibung der bestehenden Verhältnisse. Für die Berliner Regierung bestand die Notwendigkeit tatsächlicher inhaltlicher Verhandlungen und Kompromissfindung ihrer Herrschaftsauffassung nach nicht mehr, wie sich auch in der Unveränderlichkeit ihrer Position bis zum Edikt vom 7.9.1680 zeigte. Die Berliner Politik im Herzogtum war seit 1650 angelegt worden und dem Inhalt nach nicht mehr verhandelbar. Nur der äußeren Form von Verhandlungen mit den Ständen (und der Huldigung an sich) war man in Brandenburg-Preußen noch verpflichtet, um die Herrschaftsforderung durch diese Rituale zu kommunizieren. Hier spiegelten sich sowohl Entwicklung als auch Ambivalenz von Friedrich Wilhelms Verhältnis zu den Landständen wider: 1653 und 1663 in der Kurmark und in Ostpreußen ging es noch um den Aufbau und die Sicherung von fürstlicher Macht, für die Kompromisse, auch konfessionspolitischer Art, erbracht werden mussten. Dem Ritual der Landtagsverhandlungen wohnten tatsächliche inhaltliche Verhandlungen inne. 1680 lagen diese Probleme weit zurück, Friedrich Wilhelms Verständnis war das eines weitestgehend uneingeschränkt herrschenden Territorialherrn, der versuchte, die Landstände seiner Provinzen in gesamtstaatlichen Belangen zu politischen Statisten bei gleichzeitiger Einhaltung gewisser Traditionen, also Huldigungsverhandlungen usw., zu degradieren. Wie Brademann herausstellt, zeigte insbesondere der Ablauf der durch einen Pestausbruch verschobenen Huldigung am 4.6.1681 die Wandlung des Herrscherverständnisses des Brandenburgers. Die Herrschaft „galt dem Anspruch nach unabhängig von lokalem Herkommen und wollte auf Konsens nicht mehr angewiesen sowie an das von den Vorgängern geschaffene Recht nicht mehr gebunden sein. Für das Verhältnis von Huldigung und Stadtherrschaft bedeutete dies, dass es sich umdrehte: Die Huldigung war nicht länger Voraussetzung, sondern Folge der unabhängig von ihr bestehenden Untertänigkeit.“227

Bei der Huldigung 1681 fehlte der Huldbrief, und alle zeremoniellen Teile wurden von Berlin vorgegeben, die ständische Beteiligung daran wurde unterbunden.228 Zwar können für die ersten Jahre der neuen Landesherrschaft eine gewisse Respektierung der ständischen Institutionen und darüber hinaus – mit unterschiedlicher Intensität – bis in die Regierungszeit Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. hinein ein ständisches Mitspracherecht unterhalb der gesamtstaatlichen Behördenorganisation, vor allem auf Kreisebene, konstatiert werden.229 Die Existenz der Stände an sich wurde also nicht in Frage gestellt. 226 227 228 229

Vgl. Opel: Vereinigung, S. 59f. Brademann: Integration, S. 599. Vgl. zum Huldigungsablauf ausführlich Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 509–517. Vgl. Neugebauer: Die Stände in Magdeburg, S. 179–189.

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Doch für den Bereich der Konfessionspolitik, dies lassen die Vorgänge um die Eventualhuldigung und die Erbhuldigung in Magdeburg in den Jahren 1650 und 1680 erkennen, war die Zeit des Aushandelns zwischen Regierung und Ständen endgültig vorbei. Was die Stände Magdeburgs völlig übersahen, war die Tatsache, dass die Konfessionspolitik auch als ein politisches Feld vom Fürsten im Interesse seines Machtausbaus im Territorium beansprucht wurde und ohne Mitsprache der Stände gestaltet werden sollte. Die Aufsicht über die Konfessionen wurde von Berlin primär als ein Teil der allgemeinen Staatsverwaltung betrachtet. Dieses territorialkirchliche Verständnis von Religionspolitik verband sich mit den besonderen reformiert-konfessionalisierenden Bestrebungen in Brandenburg-Preußen, wie sie auch der persönlichen Glaubensüberzeugung des Kurfürsten entsprachen: Duldung von Katholiken, Akzeptanz der friedfertigen Lutheraner und Förderung der Reformierten soweit es eben ging, limitiert nur durch die Grenzen des Westfälischen Friedensvertrags, um das traditionelle Luthertum – und damit die Stände – soweit wie möglich zurückzudrängen. Die Stände Magdeburgs waren nicht nur in der Frage der unbedingten Erhaltung der Monokonfessionalität ihres Territoriums weit von der Haltung des neuen Landesherrn entfernt. Die Deputierten hatten die Verbindung der beiden hauptsächlichen Politikstränge Berlins – der Ausbau der äußeren Kirchenleitung und die die Reformierten begünstigende Religionspolitik – am 6.9.1680 noch immer nicht völlig akzeptiert, denn nun wandten sich die hallischen Vertreter Johann Christian Gueinzius und Adam Cortrejus an von Jena und von Meinders, um über die Frage der Superintendentenbestallung in Halle zu diskutieren, welche alleiniges Recht des Kurfürsten ohne Beteiligung des Rats der Stadt sein sollte. Sie legten die traditionelle Beteiligung des Rats an der Examination vor dem Ministerium und an der Ordination in der Kirche Unser lieben Frauen dar, bei der die Superintendenten und alle übrigen Prediger bisher die Pacification von 1579, also die FC als Basis unterschrieben hätten, und „niemals aber ist von der hohen Landes-Obrigkeit eine absonderliche confirmation der Superintendenten und übrigen Prediger der Stadt verlanget noch erfolget.“230 Dabei verbanden sich die Sorge vor dem Zugriff der Reformierten mit der vor dem Geltungsverlust der Stadtobrigkeit an sich, denn als Belege für die geforderte Beibehaltung der bisherigen Regelungen wurden das Religionsrecht des Augsburger Religionsfriedens fälschlicherweise auf Municipalstädte, also Halle, ebenso wie die Normaljahresregelung auf die (Un-)Veränderlichkeit von städtischen Kirchenordnungen ausgedehnt und um Erhalt der bisherigen Ordnung gebeten.231 Das Edikt vom 7.9.1680 wies diese Forderungen eindeutig zurück. Die Erkenntnis, dass keine der ständischen Forderungen in Berlin auf fruchtbaren Boden fiel, schien sich am 7.9.1680 Bahn gebrochen zu haben. An diesem Tag – und offensichtlich noch in Unkenntnis des abschließenden Ediktes – äußerte sich der Deputierte 230

231

Deputierte an die Geheimen Räte am 6.9.1680 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 251r. Vgl. ebd., Bl. 252v–256r. Cortrejus hatte 1677 in einem Entwurf zur Kirchenordnung Halles die besondere Rolle des Rats bei der Berufungs- und Bestätigungspraxis der Prediger dargelegt, in der sich das Selbstbewusstsein des Rats niederschlug, vgl. Saran: Die Besetzung, S. 11.

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Sebastian Göbel, Abt des Klosters Berge in drastischen Worten zur aktuellen Situation und machte deutlich, wie schwer der Angriff auf die traditionelle Deutung lutherischer Identität durch den Verlust der konfessionellen Codes des Konkordienbuchs tatsächlich wog.232 Zunächst monierte er die fehlende Bestätigung der lutherischen Bekenntnisschriften und trauerte der vergebenen Chance der Verhandlungen des Jahres 1650 nach, „daß mann schon Anno 1650 bei der Eventual Huldigung in den Landschaftl. Revers nicht allein die Formulam Concordiae, sondern auch die Schmalkaldischen Articul, und beyder, kleinen und großen Catechismos Lutheri (welche drey Libros Symbolicos in die Vocationes et Confirmationes eingewürkt zu werden, wir noch anizo entlich erhalten) ja sogar das epitheton der Augsburgischen Confession, ungeändert,233 welches doch außdrücklich in dem Instrumentum Pacis gebraucht wirdt, außzulaßen verstattet haben. […] was […] bey der gemelten Eventual Huldigung nicht erhalten […], das will anizo nicht zu repariren seyn“.234

Dazu kamen Klagen Göbels über die allgemeine Aushebelung von Landesgegebenheiten, v.a. in der Frage der Landtags- und Ausschussbeschlüsse,235 wie sie die Verhandlungen ebenfalls geprägt hatten. Wie in keiner anderen ständischen Quelle während dieser Verhandlungen brachte Göbel alle Probleme und Umwälzungen auf den Punkt: „In Summa Wir sollen wo nicht gar in Ecclesiasticis doch ganz und gar Politicis reformirt werden.“236 Göbel hatte die gesamtpolitischen Absichten Berlins für das Herzogtum Magdeburg klar erkannt: Das Territorium wurde, was die landschaftlichen Gegebenheiten anging, in den brandenburg-preußischen Gesamtstaat eingegliedert. Das beinhaltete die Aushöhlung ständischer Mitspracherechte, ganz der Politik in der Kurmark und im Herzogtum Preußen folgend. In der Konfessionspolitik konnte man sich auf die Umgestaltung der kirchlichen Einrichtungen wie der des Konsistoriums, auf die Durchsetzung des reformierten exercitium religionis und unter Umständen auch auf Angriffe auf den lutherischen Bekenntnisstand analog zu denen der 1660er Jahre in der Kurmark gefasst machen. Aus lutherisch-ständischer Sicht kam allerdings erschwerend hinzu, dass man mit der Nicht232

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236

Vgl. Sebastian Göbel an einen Unbekannten am 7.9.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 77r–78v. Opel identifiziert den Adressaten des Schreibens mit dem landschaftlichen Syndikus in Magdeburg Georg Seyffert; vgl. Opel: Vereinigung, S. 57. Aus der Abschrift geht allerdings nur hervor, dass es sich beim Adressaten um eine Einzelperson handelt. Sie wird nicht genannt und ist auch aus dem Kontext nicht zu erschließen. Hier irrt (oder dramatisiert) Göbel, war die CA invariata doch 1650 nach entsprechendem ständischen Druck ausdrücklich bestätigt worden; vgl. Revers des Kurfürsten an die magdeburgischen Stände am 4.4.1650 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1801), Bl. 61r– 62r; vgl. Kapitel II. 2.1. Sebastian Göbel an einen Unbekannten am 7.9.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 113, Bl. 77r–77v. Vgl. ebd., Bl. 78r. Göbel schrieb: „Die Land und Auschußtags Abschiede will mann nicht agnohcieren, sondern holt sie vor res inter alios actas; Die Landes-Ordnungen, in Kirchen und Policey Sachen vor nicht viel beßers, welches alles waß immer gewesen untersuchung unterworffen, und ausgesetzet seyn soll, daraus und künfftige was gelten oder nicht gelten solle gezogen werden könne.“ Ebd. Ebd.

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anerkennung der FC im Edikt vom 7.9.1680 hinter die konfessionelle Situation in der Kurmark zurückfiel, in der die FC durch den Rezess von 1653 anerkannt war und für die Stände als Bekenntnisgrundlage in allen Auseinandersetzungen Bestand hatte. Offenbar gab es seitens Berlins für das Herzogtum die Hoffnung, die konfessionelle Situation, bedingt durch die politische Schwäche der Stände, tiefgreifender umgestalten zu können als in den anderen Gebieten. Über die im Edikt abgehandelten religionspolitischen Fragen wurde jetzt nicht mehr verhandelt. Konnten die Stände über die konfessionspolitischen Absichten Berlins angesichts ihrer Subtilität zunächst noch spekulieren (1650) und später auf Verhandlungen hoffen (Juni/Juli 1680), beendete das Edikt vom 7.9.1680 diesen Zustand und brachte Klarheit. Der Zeitpunkt für eine offene reformierte Konfessionalisierung des Herzogtums Magdeburg war gekommen.

3.2. Eingriffe in den Bestand des traditionellen Luthertums 3.2.1. Die Konsistorialverfassung Göbel sollte nur teilweise recht behalten, stellten sich doch die Veränderungen im Bereich der Religion in den nächsten Jahren als erheblich tiefgreifender als die politischen Eingriffe heraus. Die erste Maßnahme griff in den politischen Bereich ein. So wurde die neue Regierung am 15.6.1680 und damit sehr schnell nach dem Tod des Administrators etabliert, um die Verwaltung des Landes aufrechtzuerhalten. Die markanteste neue Personalie war die Person des neuen Kanzlers des Herzogtums Gottfried von Jena, Bruder des Geheimen Rats Friedrich von Jena. Mit Gottfried von Jena, dem diplomatischen Vertreter Brandenburgs beim Reichstag in Regensburg, als Regierungschef im Magdeburgischen wurde das Indigenat, wie es die Stände schon am 6.6.1680 eingefordert hatten, unterlaufen, das Wahlrecht des Domkapitels sowieso. Von Jena war reformierter Konfession.237 Zwar wird von keinerlei ständischen Protesten gegen den neuen Kanzler berichtet, was auch an der fast durchgängigen Abwesenheit von Jenas im Herzogtum bis 1687 gelegen haben mag, jedoch spielte die Frage der Ämterbesetzung mit Einheimischen und Lutheranern in den Verhandlungen des Sommers 1680 für die Stände eine Hauptrolle und muss damit auch als ein indirekter Affront gegen den Kanzler und die Berliner Personalpolitik verstanden werden. Darüber hinaus setzte man in Berlin weitestgehend auf Kontinuität durch die (Wieder-)Bestallung der bisherigen einheimischen und lutherischen Amtsträger aus dem Gefolge des Administrators August. Dies betraf insbesondere den Kammerpräsidenten Gustav Adolf von der Schulenburg, den landesherrlichen Inspektor der Administrationsverfassung und Salzgräfen Friedrich Hondorff, die Stadtrichter in Halle Johann Christoph Herold und Georg Beuther, die im Juni 1680 zu brandenburgischen Hof- und Justizrä237

Zur Regierung und Gottfried von Jena im einzelnen vgl. Opel: Vereinigung, S. 38–45.

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ten ernannt wurden. Ebenfalls Mitglied der neuen Regierung wurde der hallische Ratsmeister Heinrich Dürfeld.238 Die auffällige Übernahme von einheimischen Amtsträgern auf der höchsten Regierungsebene deckt sich mit dem Befund Ursula Löfflers für die lokalen Amtsträger im Herzogtum in der Zeit des Regierungswechsels bis ca. 1713, unter denen es auf der dörflichen Ebene ebenfalls nicht zu einer Auswechslung kam.239 Ebenfalls knüpfte man zunächst an eine Reihe der bestehenden lokalen rechtlichen und institutionellen Strukturen im Land an, so dass insbesondere in Halle die traditionellen Gegebenheiten mit der entscheidenden Ausnahme der Religionshoheit des Rates erhalten blieben.240 Den weitaus stärksten Eingriff gab es im Bereich der Steuerverwaltung mit der Einführung der Akzise in den Städten im Jahr 1685 zu verzeichnen. Damit wurde auch den magdeburgischen Ständen die umfassende Steuerverwaltung des Landes entzogen, ihnen blieben noch die Aufsicht über das Landeskreditwesen und die Einziehung der Kontribution. Institutionalisiert wurde diese Verlagerung der Finanzverwaltung in die Hand des Kurfürsten 1692 durch die Einrichtung des Obersteuerdirektoriums zur Verwaltung aller Steuerarten, dem Regierung und Stände in der Finanzverwaltung unterworfen waren.241 Weitaus umfassender und tiefgreifender sollte sich hingegen der Durchgriff Berlins auf der Ebene der Konfessionspolitik gestalten. Die religionspolitisch und institutionsgeschichtlich bedeutsamste Veränderung war die Errichtung eines Konsistoriums am 18.7.1680. Damit war, noch bevor die neue Konsistorialverfassung mit dem Edikt vom 7.9.1680 erlassen worden war, das entscheidende Instrument für deren erfolgreiche Durchsetzung geschaffen worden. Die Forderungen der Stände nach Bestätigung der hergebrachten Privilegien in ecclesiasticis wurden nicht erfüllt, sondern ihre kirchenpolitische Mitsprache in der Konsistorialverfassung durch die Bestallung der Konsistorialräte und Superintendenten seitens Berlins und durch die Verlagerung der Examinations-, Konfirmations- und Ordinationsrechte an das Konsistorium mit dem Ziel der Steuerung der Personalpolitik beschränkt und unter landesherrliche Gewalt gestellt.242 Empfindlich 238 239

240

241 242

Vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 553f. Vgl. Löffler, Ursula: Magdeburgs Weg nach Brandenburg-Preußen: Herrschaftsetablierung und -durchdringung als administrativer Prozeß, in: Kaiser, Michael / Rohrschneider, Michael (Hgg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640–1688), Berlin 2005 (FBPG, NF, Beiheft 7), S. 77–98. Der Rat behielt die Polizeigewalt, die Kompetenzen für die Regelung des Marktwesens, die Aufsicht im Bau-, Bestattungs- und Brauwesen, das Vorschlagsrecht auf das Schultheißen- und Salzgräfenamt. Auch bei den Amtsinhabern in der Stadt erhielt sich in den 1680er und 1690er Jahren eine Kontinuität, ein Eindringen landfremder Familien in die Ämterbesetzung ist zunächst nicht festzustellen; vgl. Brademann: Integration, S. 602f. Vgl. Löffler: Magdeburgs Weg, S. 84f; vgl. Gringmuth: Behördenorganisation, S. 15–30. Magdeburg behielt eine Restsonderstellung, da die Stadt das Ordinationsrecht, nach einer Prüfung des Kandidaten vor dem Konsistorium, wieder zuerkannt bekam; vgl. dazu die Eingabe der Stadt vom 10.2.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 226r–236v. Gleiches galt für das Domkapitel. 1683 erreichte der Rat die Rückerlangung der Prüfungsrechte für die Kandidaten; vgl. Lackner: Kirchenpolitik, S. 199; Opel: Vereinigung, S. 51f. Die Ursache dieses so

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traf dies besonders den hallischen Rat, der als weltliches Gremium bei der Berufung der Stadtpfarrer nahezu ausgeschaltet war, denn ihm blieb nur noch das Präsentationsrecht für die Prediger, allerdings beanspruchten auch die Gemeinden dies weiter, nun gegenüber dem Konsistorium.243 Dieses Vorgehen – Gründung des Konsistoriums und Erlass einer Konsistorialordnung – zeugte einerseits von einem raschen, entschlossenen Vorgehen der neuen Regierung, und andererseits entsprach es der umfassenden Politik, „Entmachtungen bisheriger Entscheidungsträger nicht ausdrücklich zu vollziehen, sondern deren Kompetenzen in neu geschaffenen Behörden zu zentralisieren.“244 Trotz dieses tiefen Einschnitts in die kirchlichen Hoheitsrechte insbesondere der Stadt kann auch bei der Besetzung des Konsistoriums das politikgestaltende Prinzip der Kontinuität nicht von der Hand gewiesen werden. In der Anfangszeit gehörten dem Konsistorium ein weltlicher und ein geistlicher Rat an, wobei zunächst der lutherische Hofprediger des Administrators August Johann Olearius d. J. als geistlicher Rat verpflichtet werden sollte. In dieser Personalie hätte sich die verlagerte konfessionspolitische Strategie Berlins besonders gut gezeigt: Entschlossenheit bei der rechtlichen und institutionellen Organisation bei gleichzeitiger Rücksichtnahme gegenüber den örtlichen Befindlichkeiten in Form der Berufung von bisherigen Amtsträgern, denn Olearius gehörte zum traditionell geprägten lutherischen Establishment des Herzogtums. Inwieweit man mit dieser Berufung sinnvoll eine das Luthertum beschränkende Kirchenpolitik hätte gestalten können, bleibt offen, da Johann Olearius es vorzog, zusammen mit seinem Sohn Johann Andreas Olearius nach Weißenfels überzusiedeln. Stattdessen wurde ein weiterer ehemaliger Hofprediger Augusts zum Konsistorialrat berufen: Domprediger Christoph Schrader. Weil außerdem festgelegt wurde, dass bei Ordinationen die ranghöchsten Pfarrer der Hauptkirche als Assistenten des Konsistorialrats fungieren sollten, also eine dezidierte Unterordnung der Stadtgeistlichkeit unter das Konsistorium, rief dies offensichtlich Proteste seitens der Stadtgeistlichkeit hervor, die von den Konsistorialräten nach Berlin vermittelt wurden. Am 13.10.1680 erfolgte eine harsche, auf dem landesherrlichen Kirchenregiment beharrende Antwort an das Konsistorium, welches in der Aussage gipfelte: „Wir müssen glauben, daß ihr die Sache nicht recht eingenommen, denn sonst würdet ihr ja, als welchen das Recht der landesfürstlichen Hoheit bekannt, dafür gehalten, auch solches behauptet haben, daß Uns als dem Landes-Fürsten frey stehe, die Ordination nach Unserem Belieben einem Prediger aufzutragen und solches auch wohl einem Dorff-Prediger und demselben bei diesem actu die Direction zu lassen.“ 245

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244 245

unterschiedlichen Politikstils gegenüber den beiden Städten muss sicherlich in dem allgemeinen Entgegenkommen Friedrich Wilhelms gegenüber Magdeburg im Rahmen einer geräuschlosen Integration der Stadt gesucht werden. Beispielsweise musste die Stadt 1681 auch nicht zur Huldigung erscheinen, sondern der Kurfürst begab sich persönlich nach Magdeburg; vgl. Brademann: Integration, S. 605. Vgl. Saran: Besetzung, S. 16. Offensichtlich war es auch zu Gegenpräsentationen von Kandidaten der Gemeinden gegen Kandidaten des Rates gekommen; vgl. ebd. Albrecht-Birkner / Sträter: Orthodoxie, S. 343. Friedrich Wilhelm an das magdeburgische Konsistorium am 13.10.1680, abgedruckt bei Opel:

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Die Zurückweisung der ständischen und städtischen Privilegien in Kirchenfragen wurde genauso wie die Rangordnung zwischen Konsistorium und Stadtministerium offensichtlich. Völliges Unverständnis über die beanspruchte Stellung des Stadtsuperintendenten und der Stadtprediger gegenüber Schrader bzw. dem Konsistorium wurde geäußert und Schrader aufgefordert, im Zweifelsfall bei einer weiteren Weigerung der Stadtpfarrer einfach zwei andere Pfarrer als Helfer zur Ordination heranzuziehen.246 Halles bis dato wichtigste Prediger standen also nicht nur unter dem landesherrlich verfügten Konsistorium, sie waren nun außerdem den übrigen Pfarren gleichgestellt. Schrader saß mit dieser Anweisung zwangsläufig zwischen den Stühlen und nahm die Berufung zunächst nicht an, möglicherweise auch aufgrund von Vorbehalten gegenüber dem Simultaneum am Dom, folgte ihr aber, als der Kurfürst drohte, andernfalls einen auswärtigen Theologen berufen zu wollen,247 was Schrader und die übrige Stadtgeistlichkeit wohl als das größere Übel bewerteten. Ein bekannter einheimischer Lutheraner als geistlicher Konsistorialrat, als Instrument der Konsistorialordnung, schränkte die Funktionen der Stadtgeistlichkeit zwar ein, ein fremder, möglicherweise gar reformierter Amtsinhaber, wäre jedoch ein Politikum gewesen und hätte die Dimensionen des Angriffs auf den Einfluss und Rang der Stadtpfarrer beträchtlich vergrößert. 1685 erhöhte sich die Zahl der geistlichen Konsistorialräte mit der Berufung Andreas Christof Schubarts von der Ulrichskirche auf zwei, ihm folgte 1689 Johann Christian Olearius. 1691 wurde Joachim Justus Breithaupt Konsistorialrat. Mit dieser Berufung hielt ein in Helmstedt ausgebildeter Theologe und pietistischer Akteur Einzug in das wichtigste kirchliche Organ im Herzogtum Magdeburg.248 Ein reformierter Konsistorialrat begegnet erst 1692 in der Person Jakob Merchiers. Erst dieser dritte reformierte Domprediger, als Schwiegersohn des Berliner Oberhofpredigers Benjamin Ursinus bestens vernetzt, wurde auch Konsistorialrat.249 Die offensichtliche Kontinuität bei der Ämterbesetzung und die lange Anlaufzeit von mehr als einem Jahrzehnt bis zu einer Berufung von Theologen einer anderen binnenkonfessionellen Strömung des Luthertums als der traditionellen bzw. reformierter Provenienz in die höchsten kirchenpolitischen Ämter des Herzogtums bedeutete innerhalb des konfessionspolitischen Erfahrungsschatzes der Hohenzollern eine wichtige Veränderung: Aus den einschneidenden Protesterfahrungen der Jahre 1614/15 und 1662–1664 waren Konsequenzen gezogen worden, welche insofern erstaunen, als Berlin sich in einer erheblich unabhängigeren Position gegenüber den im Vergleich schwächeren Ständen Magdeburgs befand. Unruhe sollte um jeden Preis vermieden werden, es galt, einen Mittelweg – Entschlossenheit und Rücksichtnahme – zu finden, um den Verdacht der Gefährdung des konfessionellen Bestands des Herzogtums durch das Konsistorium zu vermeiden.

246 247 248 249

Vereinigung, S. 99–102, hier: S. 100. Vgl. ebd., S. 101. Vgl. ebd., S. 47f. Vgl. Kapitel III.1.3.2. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 65f.

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Illustrieren mag diese Ambivalenz eine Episode im Umfeld der Erbhuldigung im Juni 1681: Nicht etwa ein reformierter Hofprediger, sondern Christoph Schrader hielt den Huldigungsgottesdienst im Dom am 4.6.1680 vor einer gemischt-konfessionellen Gemeinde.250 Bei der anschließenden Audienz wurden nur die Vertreter der hallischen Geistlichkeit, nicht die des Rats zugelassen.251 Die Bewertung Brademanns, die Kluft zwischen lutherischer Geistlichkeit und reformierter Obrigkeit sei angesichts dieser Tatsache nicht derart groß gewesen, wie man aus den Huldigungsverhandlungen schließen könne,252 erscheint angesichts der Notwendigkeit zum späteren harten Eingriff am 13.10.1680 als nicht tragfähig. Die Behandlung der Pfarrerschaft, zwar rücksichtsvoller als erwartet, folgte klar einer konfessionspolitischen Strategie Berlins und war nicht Ausdruck eines sich beruhigenden Verhältnisses. Ebenso wenig darf die bloße Kontinuität der Amtsträger im Konsistorium, die sich ja zunächst aus der Stadtgeistlichkeit rekrutierten, den Blick verstellen. Denn jede Partei in der Stadt hatte an religionspolitischem Einfluss verloren. Gustav Saran bringt es auf den Punkt: „Von diesen Rechten hatte der Rat der Stadt die kirchliche Aufsicht, der Superintendent das jus ordinandi, die Geistlichen das jus examinandi, die Kirchväter zu U.L.Fr. die Wahl des Superintendenten, die übrigen Kirchväter und Achtmänner aber das jus praesentandi ad Superiorem sowie der Einführung ihrer Prediger verloren.“253

3.2.2. Die Konkordienformel als Code konfessioneller Identität Um das Verfahren der Pfarrerberufung zu systematisieren und zu vereinheitlichen, wurde im Zusammenhang mit der scharfen Zurechtweisung am 13.10.1680 ein neues Formular erlassen, welches im gesamten Herzogtum ausnahmslos gebraucht werden sollte254 und am 18.12.1680 überall bekannt gemacht wurde.255 Entscheidend an diesem Priestervokationsformular war die Auslassung der FC als Dreh- und Angelpunkt der konfessionspolitischen Streitigkeiten.256 Das Fehlen der FC sowohl im Edikt vom 7.9.1680 als auch im Formular zur Priestervokation und die Zurückdrängung der ständischen Teilhabe bei der Pfarrervokation im Allgemeinen führte dementsprechend zu einer Reihe eindringlicher Eingaben nach Berlin, welche zum Ziel hatten, die erlassenen Regelungen doch noch zu beeinflussen, d.h. aufzuheben. 250 251 252

253 254

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Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl.1, S. 511. Vgl. ebd. S. 513. Vgl. Brademann, Jan: Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Halle 2006 (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 14), S. 61. Saran: Besetzung, S. 15. Vgl. Friedrich Wilhelm an das magdeburgische Konsistorium am 13.10.1680, abgedruckt bei Opel: Vereinigung, S. 99–102, hier: S. 101. Vgl. Saran: Besetzung, S. 15. Vgl. Druckvorlage des Vokationsformulars, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 355r–356r; vgl. Opel: Vereinigung, S. 50. Laut Deppermann wurden auch die Konsistorialräte schon ohne Bezug zur FC vereidigt; vgl. Deppermann: Pietismus, S. 71.

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Paradigmatischen Charakter besitzt eine Apologie der FC,257 welche von den Gesamtständen des Herzogtums am 1.10.1680 nach Berlin gesandt wurde. Sie bringt scharf und detailliert die Problematik der Bekenntnisfrage als Identitätsfrage auf den Punkt. Die Stände bezogen sich explizit auf den Beschluss vom 7.9.1680 und die Aussage des Kurfürsten, die lutherische Konfession in Lehre und Zeremonien nach dem Beschluss des Westfälischen Friedens unbeeinträchtigt zu lassen258 und baten, „umb Gottes Willen, E. Churfürstliche Durchl. wollten uns keine Fehlbitte in denen Dingen thun lassen, zu welchen uns antreibet, unser Gewissen, die eingepflanzete Liebe gegen die Christliche Evangelische Lutherische Kirche dero Herzogthums Magdeburg, in deren Schoß wir allermeist unseren Geist empfangen, darinnen wir erzogen, und dermahleins nach der Ordnung so Gott bestimmt hatt, unser Leben zu beschließen gedenken.“259

Als besonderes Instrument zur Ausrichtung und Beobachtung des Gewissens wird neben dem Wort Gottes die FC genannt.260 Im Folgenden wurde versucht, die Bedeutung der FC herauszuarbeiten, um beim Kurfürsten die Einsicht in die Notwendigkeit zu ihrer Erhaltung zu wecken. Die FC sei das einzige symbolische Buch, „welches derogleichen Erläuterung des Ausgburgischen Confession zu nehmen, zudem auch durch Übergehung der Formulae Concordiae in denen Vocationen so dahin gedeyen würde, daß bey vielen wieder herfür geführet, und in der Christlichen Kirche vermerket werden dürffe, was in der Formula Concordiae, zu Nutze der Evangelischen Lutherischen Religion, erkläret und verglichen worden, wir wollen nicht berüren, was bey unseren Evangelischen Lutherischen Glaubens Genossen für Ärgernüß entstehen, und wie dadurch die christliche Kirche in dem Herzogthum Magdeburg nicht wenig betrübt würde.“261

Im Gegensatz zur Berliner Sichtweise, in der die FC als ein wesentliches Element der Entzweiung zwischen den beiden evangelischen Konfessionen betrachtet wurde, weil sie durch die dogmatische Unterscheidung Zwietracht und Unruhe unter den Untertanen bewirkte, führten die magdeburgischen Stände die FC gerade als das Gegenteil an: Durch die Weglassung der FC und damit der dogmatischen Definierung und Unterscheidung zwischen lutherischen und katholischen, vor allem aber zwischen lutherischen und reformierten Christen, würde Unruhe innerhalb der lutherischen Untertanenschaft des Herzogtums erzeugt werden, welche wiederum zu neuerlichen dogmatischen Abgrenzungsversuchen führen würde. Verhältnismäßig geschickt wurde hier also auch an die Pflicht des Herrschers appelliert, Sorge für den inneren Frieden in seinem Territorium zu tragen und gerade deshalb die FC zu erhalten. Wohl rechneten die Stände bereits mit einem neuen Vokationsformular, was am 1.10.1680 ja noch nicht erlassen worden war. Sie baten konkret, der Kurfürst möge die FC der Predigervokation einverleiben und bestätigen.262 257 258 259 260 261 262

Vgl. Apologie der FC am 1.10.1680 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 554, Bl. 55r–60v. Vgl. ebd., Bl. 56r. Das Konzept geht auf Adam Cortrejus zurück. Ebd., Bl. 55r. Vgl. ebd. Ebd., Bl. 55v–56r. Vgl. ebd., Bl. 56v.

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Es wurden anschließend die geltenden Regelungen angeführt, also die Normaljahresregelung von 1624, die bestehende Kirchenordnung von 1652 inklusive FC und der Westfälische Frieden. Mit letzterem wurde sowohl für die Anerkennung der Reformierten in einem lutherischen Territorium als auch für den umgekehrten, also konkret vorliegenden Fall der Anerkennung von Lutheranern eines 1624 lutherisch gewesenen Territoriums durch den reformierten Landesherrn argumentiert und von Friedrich Wilhelm gefordert, er werde es bei der „Formula Concordiae und der darauff gerichteten Vocationen halber, als auch sonst bey der Landes-Kirchen-Ordnung, Constitutionen und Herkommen, gnädigst beruhen lassen, dann so denen Predigern nicht verboten seyn soll, ihre Lehre doch mit Christlicher Bescheidenheit, auch nach der Formula Concordiae zu führen, so wird dieselbe auch in ihren Vocationen nicht auszulaßen […] seyn; […] die Confirmation der Prediger auff alle Symbolischen Bücher gerichteter Vocationen bey denen izigen und künfftigen Evangelisch-Lutherischen Consistorialen im Herzogtum Magdeburg gnädigst verfügen […] und darin keine änderung fürnehmen laßen.“263

Immer wieder wurde in den folgenden Passagen die Religionsregelung von 1648 angeführt, der brandenburgische Kurfürst also implizit davor gewarnt, konfessionspolitischen Rechtsbruch zu begehen. Gleichzeitig gingen die Stände in ihren Forderungen aber auch wieder über die bloße Gleichbehandlung hinaus, denn sie forderten zum Schutz vor der die reformierte Konfession begünstigenden Politik Berlins auch die ausschließliche Besetzung des Konsistoriums mit Lutheranern, und zwar im geistlichen und weltlichen Bereich, sowie die Vergabe von Stipendien nur an Lutheraner.264 Konfessionsrechtliche Gleichheit und Bestandsschutz lasen sich mit den Augen der lutherischen Stände als Vorzugsbehandlung vor Reformierten und Ausgrenzung von diesen. Konfessionsrechtliche Gleichheit in den Augen des brandenburg-preußischen Kurfürsten las sich hingegen als möglichst umfassende Zurückdrängung der Lutheraner innerhalb der reichsrechtlichen Grenzen. Diese beiden Positionen standen sich im Herzogtum Magdeburg im Herbst 1680 gegenüber, als die Stände ihren bisher bittenden Ton zu einem deutlich fordernden wandelten. Die Forderung nach der FC wurde am Rande der Apologie noch verbunden mit der Forderung, das Berufungs-, Examens- und Ordinationsverfahren dort, wo es in den Händen der Magistrate, also in Magdeburg und Halle, lag, zu belassen.265 Erst im Schlussteil der Eingabe spielte der Erhalt der allgemeinen Landesprivilegien eine Rolle,266 es dominierte die konfessionspolitische Streitfrage. In dem inzwischen etablierten Beschwerdeszenario durfte auch die Stadt Halle nicht fehlen. Am 18.267 und am 25.10.1680268 folgten zwei Suppliken nach Berlin, die die Rech263 264 265 266

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Ebd., Bl. 58r–58v. Vgl. ebd., Bl. 59r. Vgl. ebd., Bl. 58v. Vgl. ebd., Bl. 59v; vgl. auch Supplik der Stände am 4.10.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 175 b–177 (1683–1701), Bl. 132r–135v. In der Supplik vom 4.10.1680 legten die Stände die Tradition ihrer Ausschüsse dar und baten um ihren Erhalt. Hintergrund war die vage Bestätigung der Ausschüsse ohne Präzisierung im Edikt am 7.9.1680. Vgl. Supplik der Stadt Halle am 18.10.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 328r–334r. Vgl. Supplik der Stadt Halle am 25.10.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688),

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te des Rats einforderten, das Problem der FC aber nicht traktierten. Am 18.10. rekurrierte der Rat auf die Spezialkonfirmation des Kurfürsten gegenüber der Stadt vom 8.6.1680,269 nach der die städtischen Gegebenheiten dem Herkommen gemäß belassen werden sollten. Die städtische Interpretation der Religionsartikel des Westfälischen Friedens hinsichtlich der Geltung von kirchlichen Organisationsformen und der Ablehnung ihrer Gestaltbarkeit durch den Landesherrn ist bekannt. Ein neues Element in der Auseinandersetzung ist die Tonverschärfung, nämlich den brandenburgischen Kurfürsten implizit als wortbrüchig darzustellen.270 Auch am 25.10.1680 begegnen im städtischen Schreiben die bekannten Problemfelder: Simultaneum am Dom, Kirchengerechtigkeiten der Stadt und die Geltung aller symbolischen Bücher des Luthertums.271 Dabei begegnet eine neue Formulierung, die die große Sorge von Stadt und Ständen beschreibt, dass es „bey der Christlichen Gemeinde ohne grostes ärgernüß nicht abgehen würde, wenn in dem Religions Wesen eine Mixtur eingeführet“.272 Hier wurde erstmals der Vorwurf des Synkretismus gegenüber Berlin verwendet. Demgegenüber wird mehrfach die Gottesfurcht des Kurfürsten beschworen, „denen Predigern auf ihrem Gewissen liegende Evangelische Freyheit gnädigst nachlassen“273 zu wollen. In der Lesart der Stadt hieß, Gewissensfreiheit für die Lutheraner zu gewähren, die konfessionellen Gegebenheiten so zu lassen, wie sie bis 1680 bestanden hatten. Die Phalanx der Ablehnenden erweiterte sich am 12.11.1680 um die Stadtprediger, die den Appell an die Gottesfurcht des Herrschers als Argument für den konfessionellen Status quo in subtiler Weise aufnahmen, indem sie argumentierten, „eure Churfürstliche Durchl. [haben] den Ruhm in aller Welt […], daß Sie vor Ihre hohe Person, mit dero Unterthanen, Geist- und Weltlichen, so gnädig umbgingen, und als ein Gottseliger und Gerechter Herr, irdenen gern in seiner Gewissens Ruh ungehindert bleiben ließen“,274

sofern der Kurfürst alle strittigen Punkte fallen ließe. Genannt wurde die bekannte Trias aus genereller Geltung der FC, ihrer besonderen Geltung in Halle durch das Weiterbestehen der Pacification von 1579 und dem Fortbestehen der hergebrachten Kirchenverfassung, wobei das Konfirmationsrecht der Stadt nicht angesprochen wurde.275

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Bl. 263r–268r. Vgl. Supplik der Stadt Halle am 18.10.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 329v. Vgl. ebd., Bl. 329r, Bl. 333r–334r. Vgl. Supplik der Stadt Halle am 25.10.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 263r–268r. Vgl. ebd., Bl. 265r. Ebd., Bl. 265v. Dazu zählte vor allem das Argument, der Westfälische Frieden bestimme die Geltung der althergebrachten Religionsrechte in lutherischen Gebieten, in denen nun ein reformierter Fürst herrsche; vgl. ebd., Bl. 264r. Ebd., Bl. 340v. Unterzeichnende waren der Stadtsuperintendent Gottfried Olearius, Andreas Christoph Schubart, Christoph Andreas Merk, die Archidiakone Johann Gottfried Olearius, Wolfgang Melchior Stisser, Johann Andreas Schäffer, Georg Heine, Paul Sauer. Vgl. Supplik der Stadtprediger am 12.11.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688),

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Am 16. und 17.11.1680 musste die Berliner Regierung weitere Nuancen des Widerstands aus Halle zur Kenntnis nehmen. Am 16.11.1680 meldete sich zunächst die Regierung des Herzogtums mit der Entschuldigung, die Verbreitung des Vokationsformulars verzögere sich, weil man nicht wisse, ob man noch ein spezielles Konsistorialsiegel dafür bekomme, oder ob man das Regierungssiegel nutzen solle.276 Der merkwürdig zurückhaltende Ton erklärt sich dann aus einem Schreiben der Regierungsmitglieder einen Tag später, aus dem deutlich wird, dass am 16.11.1680 nach Abgang des ersten Schreibens aus Halle offensichtlich eine Beschwerde aus Berlin in Halle eingegangen sein musste, und dass die magdeburgischen Regierungsmitglieder mehr oder weniger zwischen den Stühlen saßen, denn sie baten, dass der Kurfürst „Uns zu Gunsten halten werden, daß aus Beysorge bey Unseren Glaubensgenossen, Wir einiger Behutsamkeit Uns gebrauchet.“277 Im Anschluss daran wurden einige „Beobachtungen“ nach Berlin gemeldet, die alle den geistlichen Konsistorialrat Schrader betrafen, der offenkundig Probleme mit dem Fehlen der FC und der Regelung für die Domkirche hatte. Spektakulärer allerdings wiegt die Tatsache, dass die Regierungsmitglieder sich im weiteren Verlauf des Schreibens, in dem sie die rechtlichen Grundlagen der städtischen Kirchenverfassung nach Berlin referierten, sehr diffus zwischen Stadt, Schrader, Stadtgeistlichkeit und Berlin positionierten: Bei der Aufzählung der Kirchengerechtigkeiten auf Basis der Kirchenordnung von 1544 führten sie die Ordination durch den Stadtsuperintendenten in der Marktkirche ohne (!) weitere Konfirmation an278 und bezogen implizit auf der Seite der Stadtgeistlichkeit Stellung. Schrader wurde dabei folgerichtig beiseite gelassen. Der Rat aber wurde in seiner Kampagne von den Regierungsmitgliedern offensichtlich nicht unterstützt.279 Es kann aber nicht von einer Entzweiung zwischen Schrader und der Regierung gesprochen werden, denn alles, was diese über ihn nach Berlin meldeten, entsprach seiner eigenen Eingabe nach Berlin vom 17.11.1680.280 Die genauen Übereinstimmungen lassen sogar auf eine Absprache schließen. Konsistorium und Regierung arbeiteten zumindest nicht gegeneinander, zumal der weltliche Konsistorialrat Johann Christoph Herold auch Regierungsmitglied war. Schrader wehrte sich gegen die Auslassung der FC bei der Priestervokation, die er zu verantworten hatte. Da er selbst den Eid auf diese Bekenntnisschrift abgelegt hatte, bat er um die weitere Duldung der Schrift. Außerdem drang er auf

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Bl. 340v–341r. Vgl. magdeburgische Regierung an den Kurfürsten am 16.11.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 354r–352r (In der Akte wurden mehrere Schriftstücke durcheinander gebunden. Daher ergibt sich die unlogische Paginierung.) Magdeburgische Regierung an den Kurfürsten am 17.11.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1534–1688), Bl. 335v. Vgl. ebd., Bl. 337r. Die Stadt operierte mit der gegensätzlichen Argumentation: Das Amt des Stadtsuperintendenten sei mit Unser Lieben Frauen verknüpft, die Konfirmationsrechte lägen beim Rat; vgl. undatiertes Memorial, Documenta und Acta copialia, AFSt/W XXI/-/1, unpag. Vgl. Christoph Schrader an den Kurfürsten am 17.11.1680, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 338r–339r.

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die Erhaltung des einheitlichen lutherischen Gottesdienstes in der Domkirche zusammen mit einem lutherischen Kollegen.281 Offenbar hatte die scharfe kurfürstliche Zurechtweisung vom 13.10.1680 den Widerstand Schraders nicht ersticken können. Ausgemacht werden kann also, dass die Landstände als geschlossene Korporation einen inzwischen einheitlichen Protest führten, dessen Schwerpunkt auf der Geltung der FC als identitätsstiftendem konfessionellen Code lag. Der Rat der Stadt Halle musste den Fokus auf sein Konfirmationsrecht bei der Priestervokation richten. Dabei wurde er nicht, zumindest nicht explizit, von der Stadtgeistlichkeit und von Konsistorialrat Schrader unterstützt. Inwieweit sich die Stadtgeistlichkeit vom Einfluss der Stadt zugunsten der Landeshoheit lösen wollte, ist ungewiss, kam man hier doch vom Regen in die Traufe, was die Frage der konfessionellen Eindeutigkeit anbelangte. War der Rat verantwortlich, konnte man sich zumindest des Kampfes für die FC sicher sein. Schrader ließ das Konfirmationsrecht ebenfalls außen vor, als Konsistorialrat und durch die enge Verbindung zur Regierung Magdeburgs liegt der Schluss nahe, dass er die Ausschaltung der Stadt aus den geistlichen Belangen eher unterstützte. Sein Problem lag wesentlich in der Bekenntnisfrage, zwischen den Fronten saß er allemal.282 Ähnlich erging es der Regierung, die doch nur ausführendes Organ Berlins sein sollte. Der konfessionspolitische Streit war im November 1680 längst nicht erledigt und spitzte sich noch einmal in der praktischeren der zwei Problemlagen, dem Konfirmationsrecht, zu. In einer Supplik vom 20.1.1681 bat der Rat um kurfürstlichen Schutz, da er sich des Ungehorsams schuldig gemacht hatte, und zwei Prediger, ohne sie vorher beim Konsistorium zur Bestätigung angemeldet zu haben und ohne Verwendung des Vokationsformulars, berufen hatte.283 Dabei handelte es sich um den späteren Konsistorialrat Andreas Christof Schubart, der von St. Moritz nach St. Ulrich berufen wurde, und um dessen Nachfolger an St. Moritz Johann Christian Olearius.284 In der Supplik wurden zum wiederholten Male die bekannten Rechtstopoi unter Bezug auf die unbeschränkte Libertät der Stadt aufgezählt, aufgrund derer man fortgefahren war, sein Religionsrecht nach hergebrachter Weise „ruhig [zu] continuieren, und dabey allenthalben, nach rechter hergebrachter observantz [zu] verfahren“.285 Diese Episode war das sehr kurze Eintreten in den offenen Konflikt und zwang auch die Regierung, den Vorfall am 21.1.1680 und erneut am 10.2.1681 nach Berlin zu melden. Auch die Stadt Magdeburg, so berichteten die Vertreter, hatte die neue Vorgehensweise noch nicht

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Vgl. ebd. Opel führt eine Kritik Sebastian Göbels an der bereitwilligen Annahme der Vokationsformel ohne FC durch das Konsistorium an; vgl. Opel: Vereinigung, S. 50. Vgl. Rat der Stadt Halle an den Kurfürsten am 20.1.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 241r–242v. Vgl. magdeburgische Regierung an den Kurfürsten am 10.2.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 238r. Rat der Stadt Halle an den Kurfürsten am 20.1.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543– 1688), Bl. 242v.

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akzeptiert.286 Am 20.2.1681 wies Berlin die magdeburgische Regierung deutlich an, bei der Vokation, Examination und Ordination künftig keine Ausnahmen, auch nicht für die Städte Halle und Magdeburg, zu machen, denn mit ‚Herzogtum Magdeburg’ seien, „wie ihr längst selbst begriffen, auch Unsere Städte Magdeburg und Halle gemeinet“.287 Danach kann ein ähnliches Aufbegehren in Halle nicht mehr nachgewiesen werden, der Konflikt war erstickt worden. Beiden Predigern schadete die Angelegenheit übrigens nicht: Schubart wurde später noch Konsistorialrat und Olearius Stadtsuperintendent288 und Konsistorialrat. Auffällig an allen diesen Vorgängen ist die Tatsache, dass seit der Vermahnung vom 13.10.1680, die bei Opel abgedruckt ist, in den Akten keine Antwortschreiben aus Berlin bis zu diesem 20.2.1681 mehr nachweisbar sind. Das stellt einen wichtigen Unterschied zum Zeitraum der gesamten Verhandlungen bis zum 7.9.1680 dar. Immer naheliegend ist natürlich ein schlichtes Fehlen der Reskripte in den Akten. Zu vermuten wäre aber auch, dass mit dem Edikt vom 7.9.1680 die konfessionspolitischen Verhandlungen für die Berliner Seite samt und sonders abgeschlossen waren289 und auf Klagen nicht mehr reagiert wurde, bis es zu offener Opposition kam. Nach dem Februar 1681 waren diese Probleme mit der Stadt Halle nach Aktenlage ausgesessen. Was die Diskussion um die Geltung der FC anbelangte, geben die Quellen keinen weiteren Aufschluss. Seinen endgültigen Abschluss erfuhr das Problem im Erlass der neuen magdeburgischen Kirchenordnung am 13.11.1685, in der die FC nicht mehr enthalten war und die für weitere Verstöße bei der Berufung von Kirchen- und Schuldienern ein Eingriffsrecht der Regierung und des Konsistoriums vorsah.290 Mit Blick auf den gesamten Territorialverbund Brandenburg-Preußen kam dieser Kirchenordnung insofern besondere Bedeutung zu, als sie mit der Auslassung der FC weit über den Landtagsabschied in der Kurmark 1652/53 hinausging.

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Vgl. magdeburgische Regierung an den Kurfürsten am 21.1.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 239r; vgl. magdeburgische Regierung an den Kurfürsten am 10.2.1681, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 238r–238v. Kurfürst an magdeburgische Regierung am 20.2.1681 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 273r. Vgl. Ernennung von Olearius zum Stadtsuperintendenten am 27.4.1685, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 139r–140v. Dies galt noch nicht für andere Verhandlungsgegenstände wie die Militärkontribution; vgl. LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 73, Bl. 11r–14v; vgl. Opel: Vereinigung, S. 63f. Vgl. ChurFürstliche Brandenburgische Im Hertzogthum Magdeburg Publicirte KirchenOrdnung. Anno 1685: Halle: Salfeld; Hübner 1685, §§2–4.

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3.2.3. Die Ritualpraxis als Abgrenzungsmerkmal konfessioneller Identität Ein auf den 21.12.1683 datiertes Konzeptpapier der „Stände einer Evangelisch-Lutherischen Provinz“,291 als die nur die Stände des Herzogtums Magdeburg zu identifizieren sind, gibt Auskunft über ein für die Stände nur schwer lösbares Dilemma in Fragen des Kultes und des Bekenntnisstandes im Angesicht der als Bestandsbedrohung empfundenen Eingriffe der neuen reformierten Regierung. Es ging den Ständen in den species facti um die Frage, ob es möglich sei, den Taufexorzismus freiwillig abzuschaffen, und wie das innerhalb des Luthertums bewertet würde. Das Schreiben ist adressiert an die theologischen Fakultäten zu Leipzig und Wittenberg, das Ministerium zu Halle und an Konsistorialrat Schrader, kurzum an alle verfügbaren traditionellen lutherischen Autoritäten im Bereich Halles. Es existieren weiterhin keine über das Konzept hinausgehenden Schreiben oder Antworten der genannten Adressaten, das Projekt könnte also durchaus niemals über den planerischen Status hinaus gelangt sein.292 Die Stände nahmen zunächst Bezug auf die Kirchenordnung Augusts von SachsenWeißenfels,293 in welcher der exorzismus duplex vor der Taufe enthalten war, jedoch ausdrücklich als Adiaphoron bezeichnet wurde und immer mit entsprechender Unterweisung verbunden werden sollte, um vermeintliche magische Vorstellungen der Zuhörer über eine Teufelsbesessenheit des Kindes auszuräumen und die Erinnerungsfunktion des Rituals herauszustellen.294 Sie konstatierten anschließend die neue Situation, nun einem Landesherrn untertan zu sein, welcher „zu dem Lutherthum aber sich nicht bekenne und also auch der angezogenen Lehr von dem Exorcismo nicht ergeben ist“295 und formulierten ihr Problem: Es „entstehet, bey vorstehender Revision der Kirchen- und anderer Landes-Ordnungen, die Frage, ob es der Christlichen Kirchen derselben Provintz fürträglich, auch dem Beschließen der Landstände und anderer eingesessenen unnachtheilig sey, bey itziger Gelegenheit, da weder die hohe Landesobrigkeit, noch dero Regierung, noch sonst Jemand von Abthuung des Exorcismi uns das geringste zumutet, denselben aus christlicher Freyheit von selbsten fahren zu lassen und Erinnerung zu thun“.296 291

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Vgl. magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 1r–8v (Paginierung teilweise unterbrochen), Bl. 7v. In den Fakultätsakten gibt es keine Hinweise auf die Erstellung der Gutachten, d.h. es sind keine Einnahmen verzeichnet. Ebenso wenig existieren handschriftliche oder gedruckte Gutachten zu dieser Frage. Vgl. magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 1r. Dort ist „aufgericht“ gestrichen und ersetzt worden durch „mit Zuziehung der Landstände aufgericht“, um sich selbst und nach außen neuerlich der tragenden (konfessions-) politischen Rolle zu versichern. Kirchen- policey- und procesz Ordnungen Deß Hochwürdigsten, Durchläuchtigsten, Hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn, Augusti, Postulirten Administratoris des Primats und Ertz-Stiffts Magdeburg, Hertzogens zu Sachsen [...]: Darnach in J. Fürstl. Durchl. ErtzStifft Magdeburg sich männiglich zu achten. Publiciret auff dem allgemeinen Land-Tage zu Hall. den 6. Julii, 1652, Hall: Rappoldt, 1652, S. 53. Magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 1v. Ebd., Bl. 1v –2r.

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Die Stände überlegten also, ihre Gestaltungsmöglichkeiten nach FC 10 wahrzunehmen, und ein Adiaphoron aus der christlichen Freiheit297 – dieser Terminus durchzieht die gesamte ständische Argumentation – der Gemeinde heraus zu verändern. Die eigentliche Problematik für die Stände bestand in der Kluft zwischen den vorhandenen rituellen Bedürfnissen und dem theologisch-konfessionspolitischen Handlungsspielraum. Über die Herkunft der geänderten Haltung der Stände zum Taufexorzismus kann nur spekuliert werden. Offensichtlich existierte ein grundsätzliches Verständnisproblem für den Taufexorzismus als Element des Taufrituals, das sich in der Anfrage niederschlug. 1683 ist die Existenz einer – theologisch gebildeten – konfessionelle Codes eher randständig auslegenden Gruppierung mit Einfluss auf die Stände im Herzogtum nicht nachweisbar.298 Eine Supplik des Obereinnehmers Halles Johann Conrad Hoffmann am 21.7.1686, welcher sein Kind ohne Exorzismus taufen lassen wollte, lässt eine mögliche Erklärung vermuten. Hoffmann monierte, es habe sich kein lutherischer Prediger in Halle zur Taufe ohne Exorzismus bereitgefunden, einen deutsch-reformierten gab es noch nicht. Hoffmann bat den Kurfürsten nun, entweder die lutherischen Pfarrer anzuweisen, den Exorzismus auszulassen, oder sich an den französisch-reformierten oder an einen auswärtigen Pfarrer aus Anhalt, allerdings ohne diesen konfessionell zu präzisieren, wenden zu können. Dem wurde am 30.9.1686 stattgegeben. 299 Diese Spur verweist also nach Anhalt: Möglicherweise bestanden in der Bevölkerung Kontakte in die anhaltischen Territorien, die zur Wahrnehmung einer anderen religiösen Praxis führten und das sich ändernde Exorzismusverständnis bewirkten. Dabei mag insbesondere Anhalt-Zerbst richtungsweisend gewesen sein. Dort war 1644 zwar das Luthertum wiedereingeführt worden, und es galt das Konkordienbuch. Der exorzismus duplex aber fehlte in der Kirchenordnung von 1645 und wurde wohl auch weitestgehend nicht wieder praktiziert.300

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Es gibt keinen direkten Bezug, jedoch dürfte der Begriff in Anlehnung an Luthers Von der Freiheit eines Christenmenschen verwendet worden sein. Erkennbar ist das Changieren zwischen der unverstellten Gott-Mensch-Beziehung, die eine eigenständige Gestaltung der Glaubenspraktiken zulässt, und der Rücksichtnahme auf die Schwachen in der Gemeinde nach 1Kor 8. Vgl. die Parallele zum Fall des Arztes und Theosophen Peter Moritz in Halle, der Ende der 1660er Jahre aufgrund der Lektüre reformatorischer, aber auch mystischer Schriften die Beichte verweigerte und schlussendlich 1669 der Stadt verwiesen wurde; vgl. Berthold, Benjamin: Kritik an der lutherischen Beichtpraxis in Gottfried Arnolds Unparteiischer Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700) am Beispiel von Peter Moritz aus Halle, in: PuN 36 (2011), S. 11–48. Vgl. Johann Conrad Hoffmann an den Kurfürsten am 21.7.1686, LHASA, MD, Rep. A12 Generalia, Nr. 1633, Bl. 1r–3v; vgl. Reskript an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 30.9.1686 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1543–1688), Bl. 35r–35v. Vgl. Brademann, Jan: Reformierte Konfessionalisierung oder konfessionelle Koexistenz? Eine andere Sicht auf die Religionsgeschichte Anhalts im 17. und 18. Jahrhundert, in: Auf dem Weg zu einer Geschichte Anhalts. Wissenschaftliches Kolloquium zur 800-Jahrfeier des Landes Anhalt vom 29. Bis 31. März 2012 in Dessau-Roßlau, hg. v. Stadtarchiv Dessau-Roßlau, der Anhaltischen Landesbücherei Dessau und LHASA, Abt. Dessau, Köthen 2012, S. 159–192.

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Im Angesicht der aus den bisherigen konfessionspolitischen Vorgängen ableitbaren Tatsache, dass eine neue Kirchenordnung über kurz oder lang in Geltung gebracht werden würde, überlegten die Stände an dieser Stelle, Tatsachen zu schaffen, und die Abschaffung des Exorzismus zu beschließen. Die Einschätzung, der Exorzismus spiele für die reformierte Obrigkeit keine Rolle und sei früher oder später obsolet, war aus der Historie Berliner Religionspolitik in den Kernterritorien begründbar. Wichtig war den Verfassern die Feststellung, eine solche Veränderung in einer Phase ohne äußeren Druck unabhängig zu vollziehen, um dann auf die Gestaltung der neuen Kirchenordnung einwirken zu können.301 Durch diese Überlegung wurde sich der eigenen Bedeutung angesichts anwachsender reeller Bedeutungslosigkeit versichert, wobei die Stände neuerlich ihr Mitwirkungsrecht an entsprechenden Vollzügen überschätzten, doch soll dies nicht Schwerpunkt der Analyse sein. Für die Stände lag das Kernproblem bei der Frage, welche Nachteile für die magdeburgische Kirche und für sie selbst entstehen würden. Denn angesichts einer von den Ständen initiierten Veränderung der Kirchengebräuche lag die Gefahr der von außen, also von anderen traditionell-lutherisch geprägten Landeskirchen und vor allem von den traditionell geprägten theologischen Fakultäten, herangetragenen Vorwürfe, den Boden der gemeinsamen lutherischen Verbindlichkeiten zu verlassen und Synkretismus zu praktizieren, bzw. gar reformiert zu sein, nahe. Der imaginierte Feind war also das Reformiertentum, in dessen Nähe man sich, sei es auch nur latent, keinesfalls gerückt wissen, geschweige denn sich des vorauseilenden Gehorsams schuldig machen wollte. Deshalb ersuchten sie die genannten Adressaten, die theologischen Fakultäten in Leipzig und Wittenberg, um theologische Unterstützung, „sie wollen dieses wichtige Werk in der Furcht des Herrn erwegen, und uns ihre in Gottes Wort begründete Gedanken eröffnen.“302 Es ging demzufolge um rituelle Veränderung bei gleichzeitiger Abgrenzung gegenüber den Reformierten und um Identitätswahrung.

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Im Prinzip abträglich war der von den Verfassern an dieser Stelle getätigte Verweis auf die die Eingriffsrechte des Landesherrn bestätigenden Schriften des Wittenberger Juristen Caspar Ziegler und des 1672 verstorbenen (lutherischen) Juristen der Universität Frankfurt an der Oder Johann Brunnemann. Das Werk des letzteren wurde 1681 von seinem Schwiegersohn Samuel Stryk herausgegeben. Hier wird umso mehr deutlich, dass es den Ständen nicht um eine Alleinbestimmung, sondern um Mitbestimmung ging. Ziegler und Brunnemann konnten einerseits dezidiert als lutherische Juristen ins Felde geführt werden, im Fall Brunnemanns konnte dieser andererseits auch gegenüber den brandenburgischen Kurfürsten als Autorität herhalten, ohne reformiert zu sein; vgl. Ziegler, Caspar: De Juribus Majestatis: Exercitatio V. quae est De Jure Circa Sacra Et Religionem, Wittenbergae [1660]; vgl. Brunnemann, Johann: De Iure Ecclesiastico: Tractatus Posthumus, In Usum Ecclesiarum Evangel. & Consistoriorum Concinnatus, Post mortem Autoris revisus, & Necessariis Supplementis adauctus a Samuele Strykio, D. Com. Pal. Caes. & Profess. Ordin.; Accesserunt Praelectiones Ad Regulas Iuris Canonici Eiusdem Autoris, Et Index Rerum Locupletissimus, Francofurti ad Viadrum: Schrey; Meyeru; Coepselius 1681. Magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 7v.

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Um den heiklen Sachverhalt wissend, wurden im Konzept sechs mögliche Vorwürfe aufgezählt, die man gegen die Umwandlung des Exorzismus in eine Erinnerungshandlung ins Felde führen könne: Am schwersten wog erstens der Vorwurf des Synkretismus, ohne dass er genauer mit Blick auf das Reformiertentum ausgeführt wurde; zweitens könne mit 1Kor 14, 40303 die Unklarheit der Grundlage, auf der die Veränderung geschehe, angemahnt werden; weiterhin sei die zeitliche Situation des Eingriffs problematisch, in der doch eher „eine richtige confessio des Glaubens zu thun [sei]“304 als die Abschaffung bestimmter Bräuche. Unzureichend getarnt verbarg sich dahinter die Frage, ob im Herzogtum durch die neuen Verhältnisse eigentlich der Bekenntnisfall herrsche und Mitteldingen im status confessionis dann eine zentrale Rolle zukäme, sie also gerade nicht verändert oder abgeschafft werden dürften, um die eigene Position nicht zu schwächen und dem Gegner zu weichen.305 Das Argument des status confessionis, ob klar oder verschleiert, war in den bisherigen Schriften von Landständen und Geistlichkeit nicht angeführt worden. Dies ist insofern verständlich, als die Annahme einer solchen Situation in die offene Konfrontation geführt hätte. Als drittes Gegenargument wurde die Möglichkeit entstehender Unruhe unter den „schwachen Glaubensgenossen“306, denen die Veränderung des Ritus‘ und die gewandelte Position der Landstände, die doch unter Herzog August auf dem Exorzismus in der Kirchenordnung bestanden hatten, nicht einsichtig sein könnten, genannt. Weiterhin wurde die argumentative Munitionierung der Menschen „anderer religion“, die „dahero in ihren Bedenken gestärcket werden, ob der Exorcismus unzulässig, und Gottes Wort zuwider [sei]“,307 problematisiert. Mit den Personen anderer Religion konnten wiederum nur die Reformierten gemeint sein, denn die römisch-katholische Kirche praktizierte ja den Taufexorzismus. Viertens wurde die Ausdehnung der Veränderungen auf weitere Adiaphora und somit die schleichende Erosion anderer Codes der lutherischen Konfessionskultur im Herzogtum und darüber hinaus durch ein stillschweigendes Einvernehmen (collusio) befürchtet. Fünftens könnten alle Veränderungen generell als unlauter betrachtet werden. Den sechsten Vorwurf könne die Überlegung bilden, es seien weder Landesobrigkeit noch Landstände berechtigt, die Kirchenordnung zu ändern, sondern nur eine Konferenz der ganzen Kirche, wobei diese Formulierung offen lässt, was genau man sich darunter vorzustellen hat, außer dass es sich um Theologen als Entscheidungsberechtigte der Veränderung handeln sollte.308 Im Mittelteil des Schreibens bekräftigen die Stände gegen alle fiktiven Gegenargumente ihre Haltung, den Exorzismus zu verändern: 303

304

305 306

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1Kor 14, 40: „Laßt aber alles ehrbar und ordentlich zugehen.“ Evangelische Kirche in Deutschland (Hg.): Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers, Stuttgart 1985 (= Bibel nach Luther 1984). Magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 2v. Vgl. FC 10 Affirmativa Punkt 4. Magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 2v, sicherlich als Anspielung auf 1Kor 8 und Röm 14, 1–15. Ebd., Bl. 2v. Vgl. ebd., Bl. 3r.

3. Kollisionsfall. Das Ringen um das Simultaneum in der Stadt Halle ab September 1680

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„Hingegen scheint die freywillige Abthuung des Exorcismi der Christlichen Kirche und dem Beschließen der Landstände und der eingesessenen fürträglich zu seyn, die Jenige ritus Ecclesiastici und Formeln zu transporthierung des Beschließens helsamer, welche in Gottes Wort haben, als welche darin weder geboten noch verboten. Nun aber hat der Exorcismus in Gottes Wort keinen eigentlichen Brauch […], es seyend auch die Prediger im göttlichen Worte darauff nicht verwiesen […]. Für die Kindlein aber beten, daß der Allmächtige den höllischen Geist austreibe […]. Daher ist der Christlichen Kirche und dem Beschließen der eingesessenen besser geraten, den Exorcismungen in ein Christlich Gebet zu Verwandeln.“309

Die Umwandlung in ein Gebet allein konnte eigentlich genügen, die Rechtmäßigkeit der Veränderung zu untermauern, war man damit doch ganz nah bei Luther, der den Exorzismus im Taufbüchlein auch als ein besonders starkes Gebet verstanden hatte.310 Dem imaginierten Vorwurfsprofil Rechnung tragend, untermauerten die Autoren im Folgenden zunächst ihr angedachtes Vorgehen mit der Entkräftung der sechs möglichen Gegenargumente, wobei der Schwerpunkt auf der Herausstellung der expliziten ‚Christlichkeit’ des Unternehmens lag. Dem Vorwurf des Synkretismus begegneten sie zunächst mit dem Hinweis, bei der Abschaffung des Exorzismus immer „eine christliche intention [zu] führen“311 und der Jugend auf den Dörfern, die ungenügenden Unterricht über den Exorzismus erführe, damit zu helfen, dass diese, wenn der Exorzismus nicht mehr existiere, magischen Vorstellungen nicht mehr anheim fallen könne.312 Zweitens stelle es insbesondere in der augenblicklichen Situation, in der „confessio fidei contra adversios“313 nötig sei, die beste Möglichkeit dar, für den Erhalt und die Erbauung der Kirche durch ein entsprechendes, erklärendes Gebet zu sorgen. Drittens und 309

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Ebd., Bl. 4r–4v. Der Entwurf des neuen Gebets, auf welches in der Argumentation immer wieder eingegangen wurde, liegt dem Konzept leider nicht bei und war auch sonst nicht mehr ermittelbar. Luther meinte, „daß es wol not ist, dem armen kindlin aus gantzem hertzen und starckem glauben beystehen, auffs andechtigest bitten, das yhm Gott nach laut dieser gepet nicht allein von des teuffels gewalt helffe, sondern auch stercke, das es müge widder yhn ritterlich ym leben und sterben bestehen. […] Sondern da sihe auff, das du ym rechten glauben da stehest, Gottes wort hörest und ernstlich mit betest. Denn wo der priester spricht: ‚Last uns beten’, da vermanet er dich yhe, das du mit yhm beten sollt. Auch sollen seins gebets wort mit yhm zu Gott ym hertzen sprechen alle paten und die umb her stehen. Darumb sol der priester diese gebet fein deutlich und langsam sprechen, das es die paten hören und vernemen kunden, und die paten auch einmütiglich ym hertzen mit dem priester beten, des kindlins not auffs aller ernstlichst für Gott tragen, sich mit gantzem vermügen fur das kind wider den teuffel setzen und sich stellen, das sie es ernst lassen sein, das dem teuffel kein schimpff ist.“ Luther, Martin: Das Taufbüchlein aufs Neue zugerichtet (1526), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1897, Nachdruck: Weimar 2004, WA 19, 2, S. 537. Magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 6r [eigentlich unpaginiert]. Zur generellen Problematik magischer Vorstellungen und zum Gebrauch des Exorzismus sowie zur Entwicklung des Fürbittengebets im Luthertum vgl. Rieger, Miriam: Der Teufel im Pfarrhaus. Gespenster, Geisterglaube und Besessenheit im Luthertum in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2011 (Friedenstein-Forschungen, Bd. 9). Ebd., Bl. 6r [eigentlich unpaginiert].

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analog zur Beilegung des ersten Vorwurfs werde durch ein solches Gebet den schwachen Gliedern der Gemeinde überhaupt erst die Bedeutung des Exorzismus deutlich gemacht. Zur Kritik der Angehörigen einer anderen, sprich reformierten Konfession, wurde festgestellt, dass diese Auseinandersetzung an sich überflüssig sei, da auch das Gebet in seiner gedachten Form deren Lehre widerspräche, wie diese selbst feststellen und predigen würden.314 In dieser schroffen Absage an das Reformiertentum begegnet erneut, wenn auch nicht sehr subtil, die Abweisung des Synkretismusvorwurfs, der ja immer dann unlogisch sein musste, wenn die Reformierten selbst eine lutherische Neuerung, welche vonseiten des traditionellen Luthertums unter Synkretismusverdacht stand, als ‚zu lutherisch’ ablehnten. Zum vierten werde die christliche Freiheit durch die Weglassung des Exorzismus nicht etwa aufgehoben, sondern erhalten und eine collusio mit anderen Religionsverwandten sei von außen ebenfalls nicht zu erzwingen, da das neue Gebet anstelle des Exorzismus alle Inhalte des Glaubensbekenntnisses, über die Erbsünde und die Wirkung der Taufe, beinhalte und deshalb der Vorwurf, die Taufe verkomme nur noch zu einer bloßen Versiegelung, nicht gerechtfertigt sei. Die Stände waren sich demnach der Gefahr, durch Weglassung des Taufexorzismus das Taufverständnis in Zusammenhang mit einer Vorherbestimmung des Menschen schon vor der Geburt zu einem äußerlichen, symbolischen Akt werden zu lassen, äußerst bewusst. Indem sie auf die Einbettung des neuen Gebets in die dogmatischen Grundlagen des traditionellen Luthertums abhoben, bannten sie die Möglichkeit, von außen, d.h. von der reformierten Obrigkeit, im Bekenntnisstand beeinflusst und eventuell zu der befürchteten Religionsmixtur gezwungen werden zu können, da ja die dogmatische Nähe ihrer Ansicht nach nicht bestand. Durch die Umwandlung in ein Gebet sollte im Gegenteil die Einsicht in die Wirkung der Taufe und damit ihr genuin lutherischer Charakter gestärkt werden. Den Ständen ging es um die Beseitigung eines verbreiteten effektiven Verständnisses des Exorzismus, welches die effektive Wirkung des Taufrituals beschnitt. Dem fünften Vorwurf, alle Veränderungen im kirchlichen Bestand seien grundsätzlich zu verwerfen und gefährlich, wird unter Verweis auf das Ablegen bestimmter römischkatholischer Bräuche im Reformationsgeschehen begegnet. Bei der Frage, wer berechtigt sein sollte, die Kirchenverfassung des Landes zu ändern, versicherten die Stände immerhin sechstens, die Meinung der Prediger im Land einzuholen, diskutierten die Zuständigkeiten aber auch nicht weiter.315 Dass ihnen hier eine Ablehnung ins Haus stand, ist angesichts des Adressatenkreises augenfällig. Im Kern war für die Stände die freiwillige Abschaffung des Exorzismus in der vorgeschlagenen Form nur die Umwandlung – aus christlicher Freiheit – in ein an selber Stelle gesprochenes Gebet bei völliger Erhaltung des lutherischen Taufverständnisses. Mit dieser Interpretation konnte ihnen somit nicht der Vorwurf gemacht werden, in einer Situa314

315

Vgl. magdeburgische Stände zur Abschaffung des Exorzismus [Entwurf], LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 556, Bl. 6v [eigentlich unpaginiert]. Vgl. ebd., Bl. 7r.

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tion, die möglicherweise als Zeit der Verfolgung bewertet werden könnte, ein Mittelding aufzugeben und dem Gegner zu weichen, denn das Mittelding bliebe in ihrer Lesart, nur in anderer Form, erhalten. Untermauert wird das den Text durchziehende Bestreben, darzustellen, dass man sich auch weiterhin auf dem Boden des Luthertums befände, durch ausführliche Zitate verschiedener unverdächtiger lutherischer Lehrautoritäten zum Taufexorzismus. Der Bogen spannte sich allerdings vom Mitverfasser der FC Martin Chemnitz über Johann Gerhard und Nikolaus Hunnius bis zu Polykarp Leyser und bildete dabei das ganze Spektrum traditioneller Theologie zwischen der Wittenberger theologischen Fakultät äußerst nahestehenden Professoren (Hunnius, Leyser, Chemnitz) und weniger nahestehenden Professoren (Gerhard) ab. Chemnitz war zudem an der Abfassung der Konkordienformel beteiligt gewesen.316 Chemnitz und Gerhard, letzterer direkt auf Chemnitz verweisend, verstanden den Exorzismus bei der Taufe als eine Erinnerung an die Erbsünde und an die Autorität Christi nach Mt 26, 63.317 Eine tatsächliche körperliche Besessenheit des Täuflings durch Satan wurde gleichzeitig verneint. Aufgrund dieser Spannungen muss der Exorzismus, so Gerhard, den Zuhörern unbedingt erläutert werden.318 Insgesamt aber berührten sekundäre Handlungen bei der Taufe, welche durch den Gebrauch des dreifaltigen Namens Gottes beim Taufakt definiert wurde, wie der Exorzismus das eigentliche Sakrament nicht. Auch ohne solche Zusätze war die Taufe nach Chemnitz vollständig, gleichwohl Handlungen wie der Exorzismus, welche von Luther rezipiert worden seien, die Freiheit der Kirche nicht berührten,319 demnach, so kann die Passage interpretiert werden, also auch hätten weggelassen werden können. Nikolaus Hunnius plädierte zwar gegen die Abschaffung des Exorzismus, sah aber gleichwohl die Möglichkeit zur Beibehaltung und Verbesserung.320 Von den Ständen konnte Hunnius an dieser Stelle herangezogen werden, um die Umwandlung des Exor316 317

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Vgl. ebd., Bl. 4v und Einlagen. Mt 26, 63: „Aber Jesus schwieg still. Und der Hohepriester sprach zu ihm: Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, daß du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes.“ Bibel nach Luther 1984. Vgl. Gerhard, Johann: Locorum theologicorum cum pro adstruenda veritate, tomus 4, Genevae: Gamonetti 1629, de baptismo § 265, pag. 628f; vgl. Chemnitz, Martin: Loci Theologici Reverendi Et Clarissimi Viri, Dn. Martini Chemnitii, Sacræ Theologiæ Doctoris, atque Ecclesiæ Brunsvicensis quondam Superintendentis fidelissimi: Qvibvs Et Loci Commvnes D. Phil. Melanchthonis Perspicve Explicantvr, & quasi integrum Christianæ doctrinæ corpus, Ecclesiæ Dei sincere proponitur, Editi opera & studio Polycarpi Leyseri D. […] Cui nunc recens accesserunt Fvndamenta Sanæ Doctrinæ De Vera & substantiali præsentia, exhibitione, & sumptione corporis & sanguinis Domini in Cœna, repetita ab eodem D. Martino Chemnit. Item: Libellvs De Dvabvs Natvris In Christo, earundem hypostatica unione &c. De Communicatione Idiomatum, eiusdem Auctoris: Adjecti sunt Indices ad sing. Tractatus. Ed. nova, emaculata & Indice aucta, Teil 3, Vvittebergæ: Bergeri; Schûreri 1610, S. 160f. Vgl. Chemnitz: Loci Theologici Reverendi, Tl. 3, S. 161. Vgl. Hunnius, Nikolaus: Epitome crendentorum oder Kurtzer Inhalt dessen, was ein Christ von Göttlichen unnd Geistlichen Dingen zu wissen und zu glauben bedürfftig, Wittenbergk: Helwig; Hake 1625, cap. 26, § 659.

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zismus in ein Gebet gerade nicht zu einem Beweis für dessen Abschaffung, sondern zu einer Verbesserung werden zu lassen. Mit der Unterfütterung ihrer Argumentation durch die Schriften der genannten Theologen agierten die Stände einer ‚evangelisch-lutherischen Provinz’ beim Betreten des heiklen dogmatischen Terrains mit Netz und doppeltem Boden. Auffällig ist allerdings, dass sie mit Ausnahme der Tatsache, dass die grundsätzliche Idee der Einführung eines Gebets anstelle des Exorzismus auf Luther zurückging, nicht mit dem Reformator argumentierten, weder inhaltlich mit dem Taufbüchlein noch durch die bloße Nennung des Namens als Code. Vielmehr benutzten sie die theologischen Entwürfe späterer akademischer Vertreter des traditionellen Luthertums vor allem in Wittenberg. Ohne Frage stand hinter dem Code ‚Wittenberg’ auch das auf Luther zurückgeführte Reformationsgeschehen und seine Theologie. Die Nichtverwendung der Person Luthers fällt an dieser Stelle, aber auch generell in den Konflikten zwischen Berliner Regierung und Landständen auf. Es macht den Anschein, als ob Luther als Code für beide Seiten zu problematisch war. Das wäre dadurch erklärbar, dass die Nennung Luthers als positiver oder negativer Code auf beiden Seiten eine zusätzliche enorme Provokation bedeutet hätte. Der Befund deckt sich insofern damit, dass die reformierte Seite in den Konflikten analog darauf verzichtete, Calvin als Code einzuführen. Darüber hinaus scheint aber Luthers Theologie auch weniger identitätsstiftend als die Auslegungen der Wittenberger Professoren späterer Generationen gewesen zu sein, zumindest in der Konfliktlage in Brandenburg-Preußen. Es wäre interessant zu beobachten, wie im Fall eines reformierten Angriffs auf die lutherische Abendmahlsvorstellung vonseiten der Stände argumentiert worden wäre – jedoch liegt dieser Fall im Rahmen dieser Untersuchung nicht vor. Neben dem Bezug auf Martin Chemnitz, durch den implizit erneut die besondere Rolle der FC herausgestellt wurde, waren insbesondere die Anspielungen auf Polykarp Leyser auffällig. Leyser war es gewesen, der in der Auseinandersetzung um den Taufexorzismus mit Wolfgang Amling in Anhalt die entscheidenden Beiträge für den Taufexorzismus geliefert, dabei aber seinen Charakter als Adiaphoron nicht bestritten, stattdessen das Vorgehen kritisiert hatte. Für Leysers Votum für den Exorzismus war unter anderem ausschlaggebend, dass die Abschaffung durch eine Minderheit, nämlich einige wenige dem Reformiertentum zuneigende Personen und nicht durch die Mehrheit der Stände, Bevölkerung und Geistlichkeit im Zusammenwirken mit dem Landesfürsten geschehen war.321 Letzteres spielte für die Verfasser 1683 keine Rolle, da die Haltung des Landesherrn ja keine gegensätzliche war. Aber das Insistieren Leysers auf der entscheidenden Rolle der Untertanen und des adiaphorischen Charakters des strittigen Ritus lieferte den Ständen eine wichtige Armierung gegenüber allen Vorwürfen. Die Verbindung theologischer und 321

Vgl. Leyser, Polykarp: Ein Christliches Bedencken, was von dem Exorcismo bey der Tauff, vnd abschaffung desselben zu halten sey. Auf begeren etlicher guthertzigen vnd fürnemen vom Adel, gestelt, Durch Polycrapum Leisern, der H. Schrift Doctorem vnd Superintendenten zu Braunschweig. Wegen embsigen anhaltens vieler bestendiger fromen Christen, in Druck verfertiget, Magdeburg: Johann Francken 1591, S. B3r-B3v.

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politischer Argumente illustriert die für die Stände bestehende Notwendigkeit zur Selbstversicherung ihrer lutherischen Identität und der Erhaltung einer vitalen politischen Rolle auf das Genaueste. Es bleibt zu bemerken, dass es im Herzogtum Magdeburg nicht zur offiziellen Abschaffung des Taufexorzismus kam, gleichwohl die Kirchenordnung von 1685 den Exorzismus nicht extra erwähnte, obwohl sie sonst die Kirchenordnung Augusts im Wortlaut übernahm. Jedoch solle die Taufe mit Respekt vor den bisher gewohnten Zeremonien gehandhabt werden.322 Die obrigkeitliche Abschaffung des Taufexorzismus im Herzogtum Magdeburg erfolgte erst 1713 durch die Übernahme der kurmärkischen Regelung von 1664. Die Überlegungen der Stände griffen demnach der praktizierten Religionspolitik weit vor. 3.2.4. Die Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger Das Wachstum der hallischen Untertanenschaft reformierten Bekenntnisses und seine landesherrliche Förderung können ebenfalls unter die Eingriffe in den Bestand des hallischen Kirchentums subsummiert werden. Dabei müssen die französischen Einwanderer in Folge des Potsdamer Edikts von 1685323 und die Herausbildung der französisch-reformierten Kolonie und Kirchengemeinde324 von der deutsch-reformierten Bevölkerungsgruppe und Kirchengemeinde325 unterschieden werden. Dem Anliegen ökonomischer und konfessioneller Stärkung kam die Ansiedlung von Hugenotten in Halle nach, wobei der französisch-reformierten Gemeinde nicht das konfessionelle Konfliktpotential zueignete, was man angesichts der konfessionell angespannten Lage nach 1680 vermuten könnte. Dies kann möglicherweise auf die gruppenspezifische, politisch geförderte Abgrenzung zurückgeführt werden. Die ökonomischen Probleme mit den Stadtbürgern überragten in 322

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ChurFürstliche Brandenburgische Im Hertzogthum Magdeburg Publicirte KirchenOrdnung, S. 5–15. Vgl. Edikt von Potsdam, abgedruckt bei: Muret: Geschichte der Französischen Kolonie, S. 301– 306. Vgl. dazu Zahn, Adolphe: Die Zöglinge Calvins in Halle an der Saale, Halle 1864; vgl. Tollin, Henri: Geschichte der französischen Colonie von Magdeburg, 3 Bde., Halle 1886ff. sowie Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 533, Tl. 2, S. 1098. Auf dieser Basis vgl. jeweils Albertz: Der Dom; vgl. Lang, August: Die Domkirche und die Domgemeinde zu Halle a. S. Ein kurzer geschichtlicher Überblick, Halle 1912; vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 591–586; vgl. Gerikke, Werner / Masch, Friedrich: Minderheiten in Halle/Saale, Bonn [1985], S. 7–14; vgl. Reuter, Jürgen: Die evangelisch-reformierte Domgemeinde zu Halle/S., in: Gresch, Eberhard (Hg.): Reformierte Gemeinden in Sachsen-Anhalt und Sachsen, Bad Karlshafen 1998, S. 39–47. Für die Erforschung der Geschichte der deutsch-reformierten Gemeinde maßgeblich und zuverlässig ist nach wie vor die Dissertation von Martin Gabriel aus dem Jahr 1957, der alle wichtigen Aktenstücke im Archiv der Domgemeinde (PfA, DG), dem Archiv der Franckeschen Stiftungen (AFSt), dem Archiv der theologischen Fakultät der Universität (heute: UAH) und vor allem im Deutschen Zentralarchiv Abt. Merseburg (heute wieder GStA PK Berlin-Dahlem) ausgewertet hat; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde.

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jedem Fall bei weitem die konfessionellen.326 Die am 24.11.1686 gegründete hugenottische Gemeinde nutzte für ihre Gottesdienste die Magdalenenkapelle auf der Moritzburg. Das war bezeichnenderweise der Ort, den die Stände des Herzogtums in den Verhandlungen um den Dom in Halle dem Kurfürsten als einzigen Raum für den reformierten Gottesdienst hatten zugestehen wollen.327 Von erheblich größerer Bedeutung für das konfessionelle Gefüge in der Stadt war hingegen das Anwachsen der deutsch-reformierten Gemeinde. In der Zeit der unmittelbaren Huldigungsverhandlungen existierten nach Hertzberg lediglich zwei deutsch-reformierte Familien in Halle. Dazu kamen die wenigen neuen brandenburg-preußischen Beamten und einige aus dem benachbarten Anhalt übersiedelnde Familien.328 Die die Huldigungsverhandlungen kennzeichnende Abwehrhaltung von Ständen, Stadt und Stadtgeistlichkeit gegen das Reformiertentum richtete sich demnach gegen einen Feind, der in Halle quantitativ noch gar nicht existierte. Insbesondere die Debatte um das Simultaneum am Dom macht den präjudizierenden Charakter der Auseinandersetzung für beide Seiten deutlich. Es ging dabei um das konfessionspolitische Prinzip, nicht um die dauernde Begegnung mit der fremden Konfession im Alltag.329 Für die Frage, was als Bedrohung konfessioneller Identität wahrgenommen wurde, lässt dies den Schluss zu, dass die deutsche Herkunft und Sprache bei unterschiedlicher Konfession ein wesentliches Kriterium der empfundenen Bedrohung war. Die kleine deutsch-reformierte Gemeinde erhielt 1688 mit Johann Jakob Reich ihren ersten ordentlichen Prediger. Auf den Tag der Antrittspredigt von Reich am 16.4.1688 wird daher die Gründung der deutsch-reformierten Domgemeinde datiert. Ihr rasches Anwachsen in der Folgezeit resultierte aus der Emigration von Pfälzer Flüchtlingen auch nach Halle ab 1689 sowie der Einwanderung von Schweizern. Dem geschuldet war die Schaffung einer zweiten Pfarrstelle, die am 20.7.1690 der Konvertit Ernst Adolph von Felde einnahm.330 Erst Reichs Nachfolger, der Domprediger Jakob Merchier trug den

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Vgl. zuletzt Skrzypkowski, Jan: Fremde Nachbarn – die französische Kolonie in Halle von ihrer Gründung 1686 bis zur Auflösung 1808/09, in: Freitag / Ranft (Hgg.): Geschichte der Stadt Halle, Bd.1, S. 469–471. Berichtet werden allerdings pöbelartige Störungen des Gottesdienstes auf der Moritzburg; vgl. kurfürstliche Bestätigung der Nutzung der in Renovierung befindlichen Magdalenenkapelle durch die französischsprachigen Reformierten am 4.12.1689, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 585r–585v; vgl. Albertz: Der Dom, S. 207f. Vgl. Kapitel II.3.1. Vgl. Hertzberg: Geschichte, Bd. 2, S. 592; vgl. Albertz: Der Dom, S. 180. Gabriel vermutet darunter auch den Franzosen Jean Michel [Millié] la Fleur, der – obwohl reformierter Konfession – unter August die Stellung eines Kammerdieners innehatte und nach dem Regierungswechsel eine Sprach- und Exerzitienschule begründete; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 26; vgl. Kapitel III.1.1. Ein wichtiges Ereignis war sicherlich die Predigt des reformierten Cöllner Hofpredigers Georg Conrad Bergius anlässlich der Huldigung 5.6.1681, einen Tag nach Schraders Huldigungspredigt; vgl. Albertz: Der Dom, S. 178. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 39–47.

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Titel eines Hofpredigers des Kurfürsten (der zweite Prediger erst ab 1697)331, wodurch in Halle erstmals nach dem Tod des Administrators im Juni 1680 wieder Hofprediger existierten. Denn der Kurfürst hatte 1680 zwar unmissverständlich sein Anrecht auf den Dom geltend gemacht, die Hofpredigerstellen aber nicht besetzt. Die eine Ursache dafür mag das Fehlen einer nennenswerten reformierten Bevölkerungsgruppe gewesen sein, die andere aber die beschriebene strategische Rücksichtnahme auf die einheimischen Lutheraner, diese also noch nicht durch die Schaffung eines reformierten Hofpredigers vor den Kopf zu stoßen. Christoph Schrader im Gegenzug war Domprediger und Konsistorialrat geworden, zum Hofprediger wurde er aber nicht ernannt, denn dazu besaß er die falsche Konfession. Umgekehrt waren die ersten beiden reformierten Prediger nicht Angehörige des Konsistoriums, sondern erst Merchier wurde nach Schraders Abgang 1692 zum Konsistorialrat ernannt und erhielt auch dessen Gehalt.332 Angesichts der konfessionellen Gemengelage wurde Merchier aufgefordert, behutsam zu agieren, „wie er dann auch dortigen Consistorio sowol mit seinen votis als sonsten alle mahl der Kirchen bestes dergestalt zu beobachten, daß so viel an ihm ist, aller bitterkeit zwischen denen Reformiert- und Lutherisch-Evangelischen abgeholfen, gute Verständnüs, Christliche tolerantz, friedt und einigkeit gestiftet werden möge.“333

Die friedfertige Haltung der neuen Stadtbewohner war zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine schwierige Probe gestellt worden, denn der Konflikt mit den Lutheranern in der Stadt war durch die simultane Nutzung des Doms334 und die bekannte Abwehrhaltung Christoph Schraders schon vorgegeben gewesen: So warnte Schrader in seiner unmittelbar auf Reichs Antrittspredigt folgenden Nachmittagspredigt die Zuhörer vor den Reformierten und einer Vermischung mit diesen. Dabei spielte er auf Reichs Predigt an, welcher über das friedliche Miteinander beider Konfessionen mit Blick auf eine zukünftige (Wieder-)Vereinigung gesprochen hatte. Schraders Wort fand Gehör: Organist, Kantor und Küster verweigerten ihren Einsatz im reformierten Gottesdienst.335 331

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Nach von Feldes Tod 1692 folgte ihm zunächst Philipp Wilhelm Budäus, auf diesen wurde 1697 Peter Ludwig Hendreich zweiter Domprediger. Hendreich heiratet 1699 eine weitere Tochter des Berliner Oberhofpredigers Benjamin Ursinus und wurde damit ein Schwager Merchiers. Hier zeigt sich die besondere Vernetzung dieser Elite; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 67, Anm. 124. Vgl. Kurfürst an die magdeburgische Regierung am 18.8.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 392r. Bestallung Merchiers am 18.8.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 454r. Die alternierende Nutzung des Doms hatte sich durch die zwischenzeitliche Auslagerung der französisch-reformierten Gemeinde in den Dom während der Renovierung der Magdalenenkapelle noch verschärft: „Bis 1690 wurde dort sonntags von sieben bis neun sowie von vier bis sechs Uhr nachmittags französisch-reformierter, von neun bis elf deutsch-reformierter und von zwei bis vier Uhr nachmittags lutherischer Gottesdienst abgehalten“. Gericke / Masch: Minderheiten, S. 20. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 74.

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Schrader blieb mit diesem Angriff vollkommen auf der im Herbst und Winter 1680/81 selbst vorgegebenen Linie der Reformiertenabwehr. Spätestens diese Episode machte deutlich, dass er als prominentester lutherischer Amtsträger in der Stadt auf lange Sicht nicht den Anliegen der Berliner Religionspolitik würde genügen können.336 Das Anwachsen der deutsch-reformierten Gemeinde, ihre feste Etablierung in der Stadt und die programmatische Förderung seitens des Kurfürsten zeigten sich auch in der Veränderung der Bildungslandschaft. Dazu gehörte – entsprechend dem politischen Testament von 1667 – die Schaffung eines reformierten Schulwesens mit der Gründung einer Elementarschule im Jahr 1692.337 Diese wurde am 2.12.1700 per Patent in eine Lateinschule umgewandelt.338 Höhepunkt war die Errichtung des Gymnasiums illustre am 29.8.1709.

4.

Zusammenfassung

Bei dem Versuch, 1613 bis 1615 in der Kurmark das Reformiertentum einzuführen, wurde ein konfessionspolitischer Handlungskatalog, der die weitere brandenburg-preußische Konfessionspolitik des 17. Jahrhunderts prägen sollte, etabliert. Er bestand aus einem Anti-Polemik-Edikt, der Streichung bzw. stillschweigenden Auslassung von Bekenntnissen und Bekenntnisschriften, einem Religionsgespräch, Multiplikation der reformierten Bekenntnisträger, Schaffung oder Ausbau von Behörden und Hofpredigerstellen sowie Eingriffen in die Konfessionspraxis. Jedoch blieb die reformierte Konfessionalisierung aufgrund des konfessionellen Beharrungsvermögens der Untertanen, die von der traditionellen Auslegung der gemeinsamen Verbindlichkeiten in der lutherischen Konfessionskultur geprägt waren, zunächst stecken, so dass Zugeständnisse gemacht werden mussten. Diese betrafen die Garantie der CA invariata und der FC genauso wie den Verzicht auf die Purifikation von Kirchen oder auf die generelle Abschaffung des Exorzismus bei der Taufe. Diese Aspekte wurden seitens der lutherischen Untertanen als besondere identitätsstiftende Codes ihrer Konfession wahrgenommen, so dass zukünftige Konfessionspolitik an dieser Stelle zu besonderer Sensibilität aufgerufen war, wollte sie Proteste vermeiden. Unwesentlich weniger problematisch erwies sich hingegen die schrittweise Einführung konfessioneller Parität in den Ausbildungsstätten und kirchenpolitischen Institutionen. Dafür sollte mittelfristig die geschickte Nutzung derjenigen binnenkonfessionellen Strömung im Luthertum, von der man sich Friedfertigkeit versprach, sorgen. 336

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Die Veränderungen wurden beim Huldigungsgottesdienst am 21.5.1689 deutlich: Hatte 1681 Schrader einen lutherischen Huldigungsgottesdienst halten dürfen, praktizierte nun der Berliner Oberhofprediger Benjamin Ursinus einen reformierten Huldigungsgottesdienst. Am Pfingstsonntag und Pfingstmontag (19. und 20.5.1689) hatte noch das übliche Simultaneum am Dom zwischen Ursinus und Schrader stattgefunden; vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 1, S. 522. Vgl. Reskript an die reformierte Gemeinde in Halle am 2.1.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 406r. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 61–68, S. 88–95.

4. Zusammenfassung

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Es handelte sich dabei um die auf einen die Konfessionen überwindenden consensus antiquitatis setzende Theologie des Helmstedter Lutheraners Georg Calixt, dessen Anhänger systematisch in Brandenburg und Preußen bestallt wurden. Damit verband sich die Hoffnung, das konfessionelle Beharrungsvermögen zugunsten einer Selbst-Reformation zum Reformiertentum aufzulösen. Da Calixts Theologie wesentlich auf der Abschaffung konfessioneller Codes fußte, wurde diese Entfernung von der konfessionellen Mitte seitens des traditionellen Luthertums durch umgekehrte Abgrenzung mittels des Synkretismusvorwurfs gegenüber Calixt und seinen Anhängern stigmatisiert. Die Maxime von der Förderung der Friedfertigen unter den lutherischen Theologen setzte sich seither jedoch in der brandenburgischen Konfessionspolitik fest. Erneute Versuche, konfessionelle Codes bei der Pfarrervokation abzuschaffen, scheiterten in der Regierungszeit Friedrich Wilhelms weniger an der Weigerung der Pfarrer, von Ausnahmen abgesehen, als an dem neuerlichen Protest der Stände, die auf die Garantie von CA invariata und FC drängten. Aufgrund dieser Protesterfahrungen wurde das Konzept einer durch die Berliner Regierung geförderten Selbst-Reformation zunehmend zugunsten der Multiplizierung der Untertanen reformierter Konfession abgeändert, wovon das Politische Testament 1667 zeugt. Verstärkt eingesetzte Mittel waren jetzt die Abschaffung des Indigenats, eine forcierte Ansiedlungspolitik und die Ausweitung der Hofpredigerstellen. Der prognostizierte Anfall des Herzogtums Magdeburg an den brandenburgischen Kurfürsten sollte 1650 mit einer Eventualhuldigung der magdeburgischen Stände fixiert werden. Während es die Berliner Strategie war, die Huldigung möglichst schnell und in Fragen der Konfessionspolitik, wie in allen anderen politischen Fragen, bei allgemeinen Garantien belassend, zu absolvieren, versuchten die magdeburgischen Stände, Zeit zu gewinnen und explizite Garantien für die einzelnen politischen Felder zu erlangen. Dabei spielte die Bewahrung der unveränderten Augsburgischen Konfession eine herausragende Rolle, war diese doch das einzige die fraktionierten Stände einigende Merkmal. Ihnen ging es um die Bewahrung ihrer unverfälschten konfessionellen Codes, auf deren Basis insbesondere die hergebrachte Pfarrstellenbesetzung beibehalten werden sollte, um die gemeinsamen Verbindlichkeiten und damit die lutherische Konfessionskultur im Territorium abzusichern. Allerdings wurde 1650 nur die CA invariata garantiert. Bei den Verhandlungen um die eigentliche Huldigung 1680 zeigte sich das unterschiedliche Herrschaftsverständnis bei beiden Verhandlungspartnern deutlich: Während die Stände weiterhin auf ein beiderseitiges Vertragsverhältnis setzten, wurde seitens Berlins zwar noch der äußeren Tradition der Huldigungsverhandlung nachgekommen, inhaltlich jedoch fand de facto kein konsensualer Austausch mehr statt. Konfessionspolitisch waren die Intentionen beider Seiten seit 1650 unverändert. Die Stände forderten erneut den Erhalt aller Symbole ihres Glaubens und hoben das Indigenatsrecht besonders hervor. Die Berliner Regierung zögerte die Garantiererklärung zunächst hinaus, um sich dann erneut auf die CA invariata zu beschränken. Mit der Streichung der FC aus der Landesverfassung fiel das Herzogtum Magdeburg hinter die Garantien in der Kurmark 1615/1653 zurück. Darüber hinaus forcierte die kurfürstliche Seite die Durchsetzung der äußeren

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II. Politische Erfahrung und konfessionelle Identität

Kirchenleitung besonders in den Bereichen der Pfarrervokation und –konfirmation durch die Errichtung eines paritätisch besetzten Konsistoriums. Ein wichtiges Einfallstor für die reformierte Konfessionalisierung stellte außerdem die Schaffung eines Simultaneums am Dom in Halle dar, der Form nach ein entscheidender Eingriff in den Bestand der lutherischen Konfessionskultur des Herzogtums. Die Proteste aus Halle zeigten den tiefen Einschnitt in die bisherigen Gegebenheiten, auch wenn die Diskussion darum erst mit der Etablierung der deutsch-reformierten Gemeinde 1688 ihren virtuellen Charakter verlor. Die Erzeugung einer konfessionellen Kontinuität durch die Übernahme einheimischer geistlicher Amtsträger konnte die Ressentiments gegenüber der neuen Konsistorialverfassung nicht beseitigen, stellte aber eine neue Variante der Konfessionspolitik zugunsten der Befriedung dar. Insbesondere die FC erscheint in den Auseinandersetzungen als der die konfessionelle Grenze markierende und die lutherische Identität konstituierende konfessionelle Code, den es einerseits für die Erhaltung des traditionellen Luthertums unbedingt zu bewahren und andererseits für die Aufweichung der lutherischen Konfessionskultur unabdingbar abzuschaffen galt, da sie dem Inhalt nach anders als die CA invariata auf Abgrenzung der beiden Konfessionen ausgerichtet war. Auch im Fall des Taufexorzismus erwies sich die Richtigkeit der brandenburgischen Konfessionspolitik, hier einen wichtigen konfessionellen Code ausgemacht zu haben, der ähnlich wie das Simultaneum von großer öffentlicher Sichtbarkeit war. Das Dilemma der Stände war es, diese als nicht mehr zeitgemäß empfundenen Praktiken nicht aus eigener Kraft abschaffen zu können, ohne sich der Abgrenzung des übrigen traditionellen Luthertums mittels des Heterodoxievorwurfs auszusetzen.

III. Konfessionspolitik und Universität

1.

Bildungsoffensive. Die Gründung der FriedrichsUniversität Halle als neues Wirkungsfeld für erfahrungsgeleitete Konfessionspolitik ab 1688/1691

1.1. Die Ausgangssituation der Ritterakademie In Anbetracht der bisher erprobten konfessionspolitischen Strategie im Herzogtum Magdeburg waren die Teilschritte Verbot konfessioneller Polemik, Variation bzw. Streichung der Bekenntnisschrift der Konkordienformel (FC), Schaffung eines Konsistoriums und Etablierung von reformierten Hofpredigern mit dem virtuellen Simultaneum und mit der Gründung der reformierten Domgemeinde intendiert, von der Regierung absolviert worden. Zur Erfüllung des konfessionspolitischen Katalogs im Herzogtum fehlten noch die Schritte des Eingriffs in die Konfessionspraxis, vor allem in Gestalt der Abschaffung des Taufexorzismus, die Abhaltung eines Religionsgesprächs sowie die Schaffung neuer, auf Friedfertigkeit ausgerichteter innerlutherischer Eliten durch geeignete Ausbildungsstätten, um die Deutungshoheit des traditionellen Luthertums über die gemeinsame konfessionelle Identität durch die Deutungshoheit anderer, friedfertiger eingeschätzter binnenkonfessioneller Strömungen zu ersetzen und die lutherische Identität mittel- und langfristig im Sinn der Selbst-Reformation umzuprägen. Im Herzogtum Magdeburg existierte bei der Übernahme 1680 keine Universität, vielmehr bezogen die Studenten aus dem Territorium vor allem die nah gelegenen Universitäten Wittenberg oder Leipzig – beides traditionell-lutherisch geprägte Institutionen. Dies konnte aus Berliner Sicht keine ernstzunehmende Alternative sein, war für Kurmärker das Studium in Wittenberg doch seit 1662 verboten. Der Unterschied zur theologischen Fakultät in Leipzig war in dieser konfessionspolitisch gefärbten Sichtweise höchstens graduell, dazu kamen die natürlichen Rivalitäten zwischen den Häusern Hohenzollern und Wettin um Macht und Prestige im Reich,1 zu deren Entscheidung eine neue hohen1

Vgl. Mühlpfordt, Günter: Die Rivalität zwischen Wettinern und Hohenzollern als Handlungsspielraum, Dienst- und Zensuralternative für Christian Thomasius und andere Autoren, in: Lück, Hei-

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III. Konfessionspolitik und Universität

zollernsche Universität beitragen konnte. Die Universitäten des Territorialverbunds in Königsberg, Duisburg und Frankfurt an der Oder kamen als Studienplätze nicht in Frage: Königsberg war seit den Anfangstagen des Synkretistischen Streits als der „wohl ruheloseste Universitätsort Deutschlands“2 indiskutabel und erlebte den Beginn einer Reihe von Konversionen von Theologen zum Katholizismus, welche die Skepsis noch vergrößerten.3 Außerdem lag die Universität aus magdeburgischer Sicht zu abgelegen, um attraktiv zu sein. Duisburg war ebenfalls zu weit entfernt, noch dazu reformiert. Frankfurt an der Oder war seit dem Konfessionswechsel 1613 das bildungspolitisch-universitäre Laboratorium der Brandenburger gewesen und fiel mit der dezidiert reformierten bzw. calixtinischen Prägung als Ausbildungsstätte ebenfalls aus. Benötigt wurde demnach eine höhere Ausbildungsstätte für das Herzogtum, die dann auch noch einer der Konfessionspolitik entsprechenden, dem Reformiertentum offener gegenüberstehenden, binnenkonfessionell-lutherischen Strömung verpflichtet sein sollte.4 In der Stadt Halle existierte seit 1680 eine kleine Exerzitienschule nach Vorbild der französischen Ritterakademien5 des aus Grenoble stammenden Hugenotten Michel Milié dit la Fleur. La Fleur hatte schon in Augusts Diensten gestanden6 und im Juni 1680 die Gelegenheit ergriffen, seine Dienste dem neuen Herzog angetragen und ihn von seinem Projekt überzeugt.7 Für Friedrich Wilhelm war dies bereits das zweite RitterakademieProjekt, nachdem er in Frankfurt an der Oder 1671 eine solche gegründet hatte.8 Die Einzelheiten der Ausgestaltung der Akademie in Halle sollen hier nicht interessieren, zumal la Fleur in dieser Anfangszeit quellenmäßig kaum zu erfassen ist.9 Es ist nicht einmal zu klären, inwieweit la Fleurs hugenottische Herkunft und sein reformierter Glaube für die

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ner (Hg.): Christian Thomasius (1655–1728). Gelehrter Bürger in Leipzig und Halle, Stuttgart, Leipzig 2008 (Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philosophische Klasse, Bd. 81, 2.), S. 34–53; vgl. Fleischmann, Max: Christian Thomasius. Leben und Lebenswerk, Halle 1931, Nachdruck: Aalen 1979. Kaufmann: Theologische Auseinandersetzungen, S. 317. Vgl. Sdzuj: Zwischen Irenik, Synkretismus und Apostasie, S. 187ff. Vgl. Sträter, Udo: Spener und August Hermann Francke, in: Wendebourg, Dorothea (Hg.): Philipp Jakob Spener. Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Tübingen 2007 (Hallesche Forschungen, Bd. 23), S. 90. Zu Ritterakademien in der Frühen Neuzeit im Allgemeinen vgl. Conrads, Norbert: Ritterakademien der Frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 21). Vgl. Neuss, Erich: Die vorakademischen Akademien in Halle, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 10, 3 (1961), S. 728. Schon an Augusts Hof soll es eine Art Pagenakademie gegeben haben, an der la Fleur beschäftigt gewesen sein soll. Er und andere Lehrmeister waren mit dem Tod des Administrators zunächst anstellungslos. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 37f.; vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 3. Vgl. Conrads: Ritterakademien, S. 219. Mit der Zustimmung des Landesherrn erwarb la Fleur das Doppelhaus in der Märkerstraße 21/22 und sorgte für die Bestallung weiterer Lehrmeister (Sprachmeister, Fechtmeister, Tanzmeister) durch den Hof; vgl. von Ludewig: Historie, S. 38.

1. Bildungsoffensive

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Genehmigung der Akademie eine Rolle spielten. Von Ludewig berichtet von einem – in den Quellen nicht nachweisbaren – Konflikt mit dem Rektor des lutherischen Gymnasiums Johannes Prätorius10 und deutet eine institutionelle Konkurrenzsituation an. Ob diese auch konfessionell motiviert war, bleibt offen. In jedem Fall wurde das la Fleursche Projekt nicht weiterentwickelt und florierte wegen des Abgangs einzelner Lehrmeister Ende der 1680er Jahre nicht wie erhofft.11 Deshalb sah sich Friedrich III. unmittelbar nach seinem Regierungsantritt genötigt, eine Veränderung herbeizuführen. Dies gelang durch die Gründung einer neuen – besonders finanziell verbesserten – Exerzitienschule unter dem Stallmeister Anton Günter von Berghorn,12 die von la Fleur offenbar rasch als Konkurrenz bewertet wurde. Ein Vergleich zwischen beiden Parteien kam am 9.10.1688 zustande, nach dem auch la Fleur weiter offizielle Exerzitienstunden abhalten durfte.13 Die Berghornschen Stunden wurden später in die Universität inkorporiert,14 la Fleur jedoch am 22.4.1693 zum Privatmann degradiert. Allerdings sollte er als Abfindung eine jährliche Zahlung von 200 Talern erhalten und weiterhin privaten Sprach- und Exerzitienunterricht geben dürfen.15 Es ist zu fragen, inwieweit diese beiden Varianten einer Exerzitienschule vonseiten des Berliner Hofs bereits als Vorläufer einer Universität behandelt bzw. geplant worden waren, so dass sich die Stringenz der Universitätsgründung erkennen ließe. Dazu kann zunächst ein Indiz gefunden werden: Von Ludewig berichtet von einer Begegnung des Großen Kurfürsten mit dem Utrechter Professor Johann Georg Graevius im Jahr 1686 anlässlich einer diplomatischen Reise nach Kleve, bei der Friedrich Wilhelm bekundet haben soll, „daß er vorhabe, neben seinen drey Universitäten, auch noch die vierte, in seinem neuerlangtem Herzogthum Magdeburg, anzulegen.“16 Von Ludewig bezieht dies auf Halle, wozu er aufgrund der Faktenlage bis 1686 berechtigte Gründe hatte, bedenkt man die Existenz der Einrichtung la Fleurs. Der Philologe Graevius – im übrigen re10

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Vgl. ebd. In dem bei Neuss abgedruckten Reglement der Exerzitienschule wird indirekt auf die Konkurrenz eingegangen: „Sollen diejenigen escoliers, welche das Gymnasium zu Halle frequentieren, in denen Stunden, das Sie Ihre studia abzuwarten haben, in der Exercitien Schule nicht informiret, sondern die Stunden zu denen Exercitien abgetheilet werden, daß in dem Gymnasio nicht verhindert und versäumet werden möge: gestalt auch denen Sonn: Hohen Fest: und Bußtagen die Exercitia suchen sollen.“ [Kursiva von Neuss aufgelöst]; Neuss: Akademien, S. 738. Eine Notiz zu Prätorius vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 690. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 38. Anton Günther von Berghorn, Stallmeister des sächsischen Kurfürsten Johann Georg, war von 1684–1688 Leiter der Akademie an der Universität Wittenberg. Conrads bewertet diese Akademie genauso wie die Akademie in Frankfurt/Oder als ein „universitäres Reitinstitut“, welches sich nicht mit den Akademien in Tübingen oder Wolfenbüttel vergleichen konnte. Die Abwerbung von Berghorns kann demnach nur teilweise als Coup gewertet werden; vgl. Conrads: Ritterakademien, S. 220, Anm. 20. Vgl. die Erwähnung des Vergleichs bei von Ludewig: Historie, S. 40–41. Vgl. 1. Professorenliste vom 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1158, Bl. 23r–24r. Vgl. Edikt wegen la Fleur am 22.4.1693 [Abschrift], UAH, Rep. 3, Nr. 315, unpag. Von Ludewig: Historie, S. 36; vgl. auch Förster: Uebersicht, S. 9f.

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III. Konfessionspolitik und Universität

formierter Konvertit und seit 1662 in Briefwechsel mit Samuel von Pufendorf stehend – war am Beginn seiner Karriere von 1656–1658 Professor in Duisburg gewesen. Seine Herausgabe des Lukian von 1687 widmete er Friedrich Wilhelm mit für diesen Kontext aufschlussreichen Worten: „In tanto numero novam doctrinae liberalioris officinam Te moliri in Magdeburgensi diocesi nuperius, cum in Clivis ad Tuum conspectum admitterer benignissime, ex Tuis sermonibus, quos in tanta rerum mole de amplificanda eruditionis dignitate mecum habere dignabaris, mihi datum fuit intelligere.“17

Das von Ludewig notierte Gespräch hatte demnach also stattgefunden, der Universitätsplan existierte deutlich vor 1691.18 Ein zweites Indiz lässt sich in der Bestallungsurkunde von Berghorns vom 9.8.1688 nachweisen. Friedrich III. habe „bey Antretung unserer Landes-Regierung, unseres Landes väterliche Gedancken dahin gerichtet, daß gleichwie, durch unserer glorwürdigsten Vorfahren löbliche Vorsorge, unsere Lande mit Universitäten, dergestalt versehen, daß es der erwachsenen Jugend an Gelegenheiten nicht mangelt, ihre Studia, in allen Facultäten und Professionen, fortzusetzen; also auch gnugsame Ritter-Schulen angeleget werden, in welchen die Jugend, insonderheit der Adel […] erlernen könne und nicht nöthig haben möge, sich derohalben, nach fremde Lande, zu begeben und daselbst, zum Nachteil und ruin, unerschwingliche Kosten anzuwenden.“19

In der Formulierung wird deutlich, dass es um zwei verschiedene Dinge ging: Um neue Universitäten und um neue Ritterakademien, die sicherlich auch als Vorläufer gewertet werden können, wobei das Ziel – Universitäten – vollkommen klar ist. Daneben spielte aber auch die ökonomisch-finanzielle Entwicklung des Landes eine Rolle, wenn die Jugend nicht nach auswärts zum Studium gehen sollte und stattdessen Auswärtige ihr Geld nach Halle tragen sollten. Im Unterschied zum Umgang mit der la Fleurschen Schule fällt drittens bei der Neugründung der Berghornschen Akademie auf, dass jetzt drei Geheime Räte mit der Verantwortung für die Akademie betraut wurden: Otto von Schwerin d. J., Joachim Ernst von Grumbkow und Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann.20 Die neue Akademie war damit sichtlich stärker im Fokus Berlins. Das war verständlich, wenn es noch 17

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Graevius, Johann Georg: Lukianu Samosateos Apanta. Luciani Samosatensis Opera, 2 Teile, Amstelodami: P. & I. Blaev 1686, Tomus 1, S. *7 (unpaginiert). Ein deutliches Indiz gibt der Brief des Magdeburger Bürgermeisters Heinrich Manfred Wesche am 8.2.1690, also vor dem Eintreffen Thomasius’ in Berlin, in dem er den Gedanken einer Verlegung der Regierung und Amtkammer des Herzogtums nach Magdeburg und die Errichtung einer Universität in Halle erörtert; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 52 Nr. 159 N1 (1531, 1690–1698), Bl. 374r–379v; vgl. auch Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 38. Mit entsprechender Vorsicht spräche dies für die Bekanntheit der Gründungsidee. Der Abzug der Regierungsinstitutionen erfolgte allerdings erst 1714. Bestallung Anton Günther von Berghorns am 9.8.1688 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1158, Bl. 2r–4r, hier: Bl. 2r–2v. Vgl. Kurfürst an die magdeburgische Regierung am 28.8.1688 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1158, Bl. 1r.

1. Bildungsoffensive

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weitere bildungspolitische Vorhaben geben sollte. Was allerdings in den Entwicklungen des Jahres 1688 völlig fehlte, waren ein inhaltliches Konzept zur Weiterentwicklung der Ritterakademie – geschweige denn zum Aufbau einer Universität – und die dazu geeigneten Persönlichkeiten als Professoren. Diese Fehlstelle machte sich nach Lage der Dinge Christian Thomasius zunutze.

1.2. Koinzidenz zwischen dem naturrechtlichen Denken Christian Thomasius’ und der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik Die Kongruenz zwischen Christian Thomasius’ naturrechtlich fundiertem konfessionspolitischen Denken und der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik kann in vielfacher Hinsicht offengelegt werden. Fasst man das Thomasische Gedankengebäude in Bezug auf die Kirchenpolitik im Gefolge der Studie von Martin Kühnel21 streng fokussiert zusammen, wird man die Kritik an der machtpolitischen Verbindung zwischen Kirche(n) und Staat, von Thomasius in historischer Beweisführung anhand einer Verfallsgeschichte der christlichen Kirchen analysiert, die Zerstörung des inneren Friedens durch den Einfluss von Theologen sowie die Forderung nach einer Trennung beider Bereiche und nach der Aufsicht des Staates über die Religionsausübung, d.h. die Entwicklung eines „im säkularen Souveränitätsverständnis verankerte[n] Kirchenrecht[s] des Fürsten“22, nennen müssen. Als Aufgaben für den landesherrlichen Souverän gegenüber der Kirche setzte Thomasius einerseits die Sicherung der individuellen Religionsfreiheit und andererseits deren Begrenzung immer dann, wenn, beispielsweise durch Theologen als Unruhestifter, das Duldungsprinzip und die fürstliche Souveränität angegriffen würden. Die Duldung der individuellen Gewissensfreiheit endete also dort, wo einzelne oder ganze Gruppen einer Konfession zur Intoleranz gegen eine andere Konfession oder Gruppe oder einen einzelnen aufriefen.23 Besonders intolerabel sei eine nicht dem Territorialherrn unterworfene Kirchenleitung, sei es durch das Papsttum oder eine anderweitig vertretene dogmatische Lehrmeinung. Drei Schriften des Christian Thomasius, die in einem unmittelbaren Bezug zu seinem Wechsel nach Halle24 stehen, vermitteln diesen Eindruck seines territorialkirchenpolitischen Konzepts und von der Nähe seiner Vorstellungen zu der in Brandenburg-Preußen praktizierten Konfessionspolitik: 1. Die Hauptsätze des Summarischen Inhalts zum Recht evangelischer Fürsten In Theologischen Streitigkeiten25 von 1696 lassen sich als Quintessenz seines kirchenpoliti21

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Vgl. Kühnel, Martin: Das politische Denken von Christian Thomasius. Staat, Gesellschaft, Bürger, Berlin 2001 (Beiträge zur politischen Wissenschaft, Bd. 120), S. 153–173. Ebd., S. 163. Vgl. Fritsch: Religiöse Toleranz, S. 60–65. Die Bestallung erfolgte am 4.4.1690, vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 353f. Thomasius, Christian (Praes.), Brenneysen, Enno Rudolph (Resp.): Das Recht evangelischer Fürsten In Theologischen Streitigkeiten, gründlich ausgeführet, und wider die Papistischen Lehrsätze

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III. Konfessionspolitik und Universität

schen Denkens verstehen. Thomasius bezeichnete Frieden, Ruhe und Toleranz im Sinne von gegenseitiger Duldung als die besten Mittel einer fürstlichen Religionspolitik.26 Dabei muss allerdings beachtet werden, dass die Schrift 1696 nicht nur unter dem Eindruck des Streits mit den traditionell-lutherischen Theologen, namentlich Johann Benedikt Carpzov27 in Leipzig, sondern zunehmend auch mit den Theologen der Fakultät in Halle verfasst wurde.28 Am Grundtenor ändert das aber nichts. Mit der Idee der vom Fürsten durchzusetzenden Friedfertigkeit traf er den kurbrandenburgischen Ton, der sich durch die konfessionspolitischen Verhandlungen der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts zog, genau. ‚Friedfertigkeit’ bedeutete dabei aber nicht das Verhalten des Fürsten gegenüber den verschiedenen Konfessionen, sondern das friedliche Verhalten der Konfessionsmitglieder untereinander. In der Summarischen Anzeige als einer Zusammenfassung der Vorgänge um die Vertreibung aus Leipzig spielte er weiter auf dieser Klaviatur, indem er die FC als „Zwangsbuch“ bezeichnete und feststellte, „daß ich solche Formulam Concordiae für ein hoechst-gefährliches Buch halte, indem dadurch das Band des Friedens unter denen Evangelischen Ständen des Heil. Röm. Reichs aufgehoben, die Dissertirenden verketzert und verfolget [werden]“.29

Weiterhin brandmarkte Thomasius die Macht der Theologen gegenüber einem Fürsten, der sich entschlossen zeigte, die FC „oder nur den Exorcismum“30 abzuschaffen, ein solches Vorhaben durch die Methode der ‚Ketzermacherei’ auf Basis der FC zu verhindern, also im Kern eine regelrechte Abgötterei um diese Schrift zu betreiben. Außerdem differenzierte Thomasius scharf zwischen der FC an sich und den Ländern bzw. Kirchen, in denen sie angenommen sei, und ihrem durch Theologen verursachten Zwangscharakter als Scheide zwischen Ketzerei oder Rechtgläubigkeit. Die Theologen, die die FC als konfessionelles Abgrenzungsmittel verwendeten, nicht die Schrift an sich wurden als Urheber des Übels herausgearbeitet.31 In einer ironisierenden Verteidigungsrede seiner Nicht-Ver-

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eines Theologi zu Leipzig vertheydiget […], Benebst einer Summarischen Anzeige und kurtzen Apologie wegen der vielen Anschuldigungen und Verfolgungen, damit etliche Chur-Sächsische Theologen zu Dresden, Wittenberg, und Leipzig nun etliche Jahr besagten D. Thomasen beleget und diffamiret, Halle: Salfeld 1696. Vgl. Thomasius: Das Recht […], Benebst einer Summarische Anzeige, S. Br-B4v. Zur literarischen Auseinandersetzung mit Carpzov um das Recht der Fürsten in Mitteldingen 1695/96 vgl. Matthias, Markus: Johann Benedikt Carpzov und Christian Thomasius. Umstrittene Religions- und Gewissensfreiheit, in: Michel, Stefan / Straßberger, Andres (Hgg.): Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699), Leipzig 2009 (Leucorea Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 12), S. 233ff; vgl. Gierl, Martin: Pietismus und Aufklärung. Theologische Polemik und die Kommunikationsformen der Wissenschaft am Ende des 17. Jahrhunderts, Göttingen 1997, S. 464. Vgl. Kapitel IV. 2. Vgl. Thomasius: Das Recht evangelischer Fürsten […], Benebst einer Summarische Anzeige, S. 269. Ebd., S. 270. Vgl. ebd., S. 259 (Fehlzählung: S. 271).

1. Bildungsoffensive

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ursacherschaft32 der brandenburgischen Edikte, insbesondere des Anti-Wittenberg-Edikts von 1662, trat erneut das auch in Brandenburg vertretene Prinzip der konfessionellen Friedfertigkeit im Lande zutage, denn Thomasius verteidigte das brandenburgische Vorgehen gegen die Einflussnahme Wittenbergs geschickt, indem er den umgekehrten Fall einer versuchten Einflussnahme einer auswärtigen reformierten theologischen Fakultät auf die Belange fiktiver reformierter Réfugiés in Kursachsen konstruierte und auf die dann analoge Haltung des sächsischen Kurfürsten zu der Friedrich Wilhelms 1662 anspielte.33 Bei aller Ironie und Streitlust verbarg sich dahinter doch auch eine ganz unverhohlene Huldigung der brandenburgischen Konfessionspolitik in Vergangenheit und Zukunft, hatte sich Thomasius ja gerade erst wieder Angriffen von Theologen ausgesetzt gesehen und benötigte u. U. demnächst fürstlichen Schutz. Nicht zuletzt die Widmung der Disputation und der Summarischen Anzeige an den Geheimen Rat Paul von Fuchs macht dieses Doppelanliegen deutlich. Thomasius zeigte sich als Vertreter eines konsequenten Territorialismus, der die gesamte Kirchenorganisation einschließlich der Zeremonien und Riten in die Hoheit des Landesherren stellte.34 2. Die von Thomasius am 23.8.1690 gehaltene erste Disputation De felicitate subditorum Brandenburgicorum35 zeigte ebenfalls die Übereinstimmungen zwischen dem Denken von Thomasius und der brandenburgischen Konfessionspolitik. In der Schrift fokussierte er die wichtige Rolle der Edikte der 1660er Jahre für die Einschränkung der anti-reformierten Polemik und den daraus resultierenden Frieden als Ursache der Glückseligkeit der Untertanen36 und forderte indirekt sogar den Besuch des reformierten Gottesdienstes durch Lutheraner ein.37 Inwieweit diese Glückseligkeit tatsächlich dem Empfinden der Untertanen in Halle entsprach, ist bereits an anderer Stelle erörtert worden. Gleichzeitig attestierte Thomasius den Universitäten, besondere Brutstätten des konfessionellen Unfriedens in Form der reinen Schulbuch-Theologie und -Philosophie zu sein und kontrastierte dies mit den Ideen des Theologen Philipp Jakob Spener: 32

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Vgl. ebd., S. 276. Dort heißt es: „Nun will ich ja nimmermehr verhoffen, daß ihr mir die vor 30. Jahren ergangenen Edicta, als ihr euch in fremde Händel mengetet, und mit eurem Wittenbergischen Judicio und Responso die Märckischen Unterthanen zu Wiedersetzlichkeit und Zusammenrottirung anfrischetet, zuschreiben wollet, da ich noch kaum ein Student gewesen“. Ebd. Vgl. ebd., S. 277–279. Vgl. dazu Buchholz, Stephan: Toleranz im späten 17. Jahrhundert. Über das Fürstenrecht in theologischen Streitigkeiten, in: Lück, Heiner (Hg.): Christian Thomasius (1655–1728). Wegbereiter moderner Rechtskultur und Juristenausbildung, Hildesheim 2006, S. 97ff. Thomasius, Christian (Praes.), Ramm, Friedrich Emich (Resp.): Felicitas Subditorum Brandenburgicorum Ob Emendatum Per Edicta Electoralia Statum Ecclesiasticum Et Politicum, [s.l.]: Salfeldius 1690; dt. Übersetzung: Doppelte Glückseligkeit Brandenburgischer Untertanen, in: Thomasius, Christian: Auserlesene und in Deutsch noch nie gedruckte Schriften, Erster Theil, Halle: Renger 1705, Nachdruck: Hildesheim 1994, S. 1–75. Vgl. ebd., S. 31f. Vgl. ebd., S. 36f. Dort heißt es: „Wenn die Kirchendiener von beyderseits Religionen die Churfürstl. Befehle in acht nehmen, und ein Christlich Leben aus Gottes Wort einschärffen, so darff kein Lutheraner die Predigten der Reformirten scheuen.“ Ebd.

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III. Konfessionspolitik und Universität

„Doch hat sich Gott unser erbarmet und einen und den andern rechtschaffenden Theologu erwecket, die sich solchen […] Schaden zu verbessern höchstangelegen seyn lassen, […], so sind im öffentlichen Druck vorhanden, und werden von allen frommen Christen mit Freuden gelesen, die herrlichen Schriften Herrn Speners, so fast alle dahin zielen, sonderlich seine gottselige Verlangen, und die rechte Theologische Vorrede von den Hindernissen des Theologischen studirens, welchen Schrifften destomehr Beyfall gegeben wird von denjenigen, so die Wiederauffrichtung des wahren Christenthums sehnlich wünschen“.38

Für eine neue Universität, so wird man vermuten dürfen, wünschte Thomasius sich also theologisches Personal dieser binnenkonfessionellen Richtung, für die Spener seiner Meinung nach einstand, und er rückte sich selbst in die Nähe davon. 3. De felicitate subditorum Brandenburgicorum kann auch als eine Art Danksagung Thomasius’ für die Aufnahme in Halle nach der Leipziger Verfolgung bewertet werden, wenn man als unmittelbaren Auslöser dafür seine – bereits in Halle gedruckte – Rechtmäßige Erörterung39 der Ehefrage zwischen dem lutherischen Herzog Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz mit der reformierten Prinzessin Maria Amalia von Brandenburg, einer Tochter des Großen Kurfürsten, von Ende 1689 betrachtet. Für den jungen Kurfürsten Friedrich III. war die Ehe seiner Schwester zwangsläufig auch ein konfessionspolitisches Prestigeprojekt, die Angriffe von traditionell-lutherisch-kursächsischer Seite mussten unbedingt zurückgewiesen werden, und ein solcher Versuch wurde auch finanziell belohnt.40 Der für Brandenburg angesichts der Situation im Herzogtum Magdeburg unangenehmste theologische Gegner dieser Ehe fand sich indessen im eigenen Territorium: Philipp Müller, Probst des Liebfrauenklosters in Magdeburg, hatte anonym dagegen mit dem Fang des edlen Lebens polemisiert.41 Zwei Kernaussagen Thomasius’ in der Rechtmäßigen Erörterung mussten in der Folge das Interesse in Berlin wecken: Zum einen stellte Thomasius die Unabhängigkeit der fürstlichen Gewissensentscheidungen von den Meinungen der Theologen als eines der wichtigsten Ergebnisse der Reformation heraus und reklamierte sie für die gemischt-

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Ebd., S. 26. Thomasius, Christian: Rechtmäßige Erörterung der Ehe- und Gewissens-Frage: Ob zwey Fürstliche Personen im Römischen Reich, deren eine der Lutherischen, die andere der Reformirten Religion zugethan ist, einander mit guten Gewissen heyrathen können? Auff Veranlassung Einer famosen Schrifft derer Titul: der Fang des edlen Lebens durch frembde Glaubens-Ehe zu seiner Wahrheit entworffen von Christian Thomasius, Halle: Salfeld 1689. Für die Theorie des letzten Anstoßes vgl. Lieberwirth, Rolf: Christian Thomasius’ Verhältnis zur Universität Leipzig, in: Karl-Marx-Universität Leipzig 1409–1959. Beiträge zur Universitätsgeschichte, 2 Bde., Leipzig 1959, Bd. 1, S. 71–92. Thomasius vermeldete neben einer Zahlung aus Zeitz für März 1690 eine Geldzahlung aus Berlin für das Traktat vgl. Thomasius, Christian: Vernünfftige und Christliche aber nicht scheinheilige Thomasische Gedanken und Erinnerungen Uber allerhand Gemischte Philosophische und Juristische Händel, 2. Theil, Halle 1724, V. Handel: Letzte Verfolgung wegen der von mir publicirten Ehe- und Gewissensfrage, S. 509. [Müller, Philipp:] Der Fang des edlen Lebens durch frembde Glaubens-Ehe, [s.l.] 1689.

1. Bildungsoffensive

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konfessionelle Ehe.42 Zum zweiten bestritt er scharf den Ketzereivorwurf gegenüber den Reformierten durch die Herausstellung ihrer Apostolizität und die Betonung der wesenhaften Zusammengehörigkeit beider protestantischer Konfessionen: „Hierauff aber antworte ich gantz kurtz […], dass keiner von denen protestirenden Religionen die andere mit denen Ketzereyen, die zur Zeit der Apostolischen Kirchen waren, vergleichen könne, […], dass man daraus nichts wider die Ehe der Lutherischen und Reformirten schliessen könne, weil keine der beyden Religionen eine andere als Apostolische Lehre treibet, und nur in Auslegung derselben streitig ist.“43

Dass die Parteinahme für die in der Ehefrage enthaltenen reformierten Belange in Kursachsen zu keinem positiven Ergebnis führte und letztendlich den Ausschlag für Thomasius’ überstürzten Abzug aus Leipzig gab, ist allgemein bekannt. Die einzelnen Schritte der Leipziger Verfolgung des „gelehrten Streiters“44 sollen an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden, sie sind in der Literatur, insbesondere der biographischen, vielfach behandelt worden.45 Hier soll ausschließlich gefragt werden, wie Thomasius nach Halle gelangte, und wie das Verhalten der entsprechenden Stellen in Berlin dabei zu bewerten ist. Aufschluss können dazu die Briefe Samuel von Pufendorfs an Christian Thomasius geben, wobei Thomasius’Antworten nicht überliefert sind.46 Beide bildeten seit Mitte der 1680er Jahre eine „Streitgemeinschaft“,47 so dass es nicht verwundert, dass die Auswirkungen der Leipziger Verfolgung und der Wechsel nach Halle ebenfalls ein ganz praktisches Thema dieses Briefwechsels waren. Das erste Mal rückte Halle am 16.10.1688 in den Fokus. Thomasius hatte offensichtlich von Pufendorf einige Bemerkungen über den Standort Halle und die Entstehung der dortigen Ritterakademie zukommen lassen, auf die letzterer nun einerseits mit Skepsis wegen der Kriegsgefahr, andererseits mit Zustimmung wegen Thomasius’ Wirkung auf Studenten reagierte: „Soll gleichsehr unvergeßen seyn meine erkändlichkeit bey gelegenheit an tag zugeben, und werde, was MhH von Halle gedenket, ad notam nehmen; wiewohl ich glaube, daß man bey entstehenden itzigem unwesen an neue Academias literarias aufzurichten so fort nicht gedenken 42

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Vgl. Thomasius: Rechtmäßige Erörterung, S. 41f. Thomasius stellt klar: „Vielleicht dependiret auch der fürstlichen Personen ihre Gewissens-Freyheit von der Meynung andrer Menschen, oder doch zum wenigsten von dem Bey-und Abfall der Theologorum? Ich meine nicht.“ Ebd., S. 41. Ebd., S. 92ff. Gierl: Pietismus, S. 419. Vgl. Bienert, Walter: Der Anbruch der christlichen deutschen Neuzeit dargestellt an Wissenschaft und Glauben des Christian Thomasius, Halle 1934, S. 74ff; vgl. Döring, Detlef: Christian Thomasius und die Universität Leipzig am Ende des 17. Jahrhunderts, in: Lück: Christian Thomasius. Gelehrter Bürger, S. 13ff; vgl. Lieberwirth, Rolf: Christian Thomasius’ Leipziger Streitigkeiten, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg 3,1 (1953/54), S. 155–159. Das in Halle angesiedelte DFG-Projekt „Vollständige Edition und Kommentierung sämtlicher Briefe von und an Christian Thomasius (1655–1728)“ unter der Leitung von Dr. Frank Grunert wird hier demnächst Abhilfe schaffen können. Gierl: Pietismus, S. 428.

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III. Konfessionspolitik und Universität

werde, biß man siehet, wie es sich mit dem krieg geben wird. Bekenne sonsten, daß MhH ein hauffen leute von Leipzig abziehen solte.“48

Die von Pufendorfsche Bewertung des Aufbaus der Akademie zu Halle war insofern nicht unzutreffend, als er in der Tat schleppend, durch ihre Doppelstruktur gehemmt und durch den Tod des Großen Kurfürsten am 29.4.1688 möglicherweise auch verzögert voranging. Die militärischen und finanziellen Verpflichtungen eines Kriegsengagements mussten bei dieser ungewissen Prognose noch gar nicht zum Tragen kommen. Dennoch schien von Pufendorf Thomasius’Anliegen zu dem seinen gemacht zu haben, da er am 1.12.1688 ein Gespräch mit dem Geheimen Rat Friedrich von Rhetz vermeldete: „Der H. von Rhetz gedachte jüngsthin als ich mit Ihm von MhH redete, daß man vielmehr zu sehen hette MhH nach Frankfurt an der Oder zu ziehen. Weswegen man sich eigentlich erkundigen wird, was für personen aldar sind, denen die Zehne wackeln, damit man auf alle fall in zeiten vigiliren könne. Allzeit will H. Stryck lieber dorten als hier seyn.“49

Der Gesprächspartner von Pufendorfs, von Rhetz, war von Interesse für Thomasius. Er war bis 1682 Jurist an der Universität Frankfurt an der Oder und zusammen mit dem in der Notiz ebenfalls erwähnten Samuel Stryk einer der Lehrer von Thomasius gewesen. In Berlin verstärkte er inzwischen die Phalanx der Geheimen Räte reformierter Konfession. Offensichtlich gab es zunächst nur ein Interesse dieses einzelnen Rats am Schicksal des Thomasius, wobei als Unterbringungsmöglichkeit die Universität Frankfurt – als Thomasius’ Heimatuniversität und als bildungspolitisch-irenisches Laboratorium der Hohenzollern sicherlich keine ungeschickte Variante – in Betracht gezogen wurde. Halle spielte in diesen Überlegungen keine Rolle.50 Die dortigen Möglichkeiten tauchen erst am 7.8.1689 und am 28.8.1689 und damit noch vor dem Streit um den Ehetraktat wieder im Briefwechsel auf, erneut riet von Pufendorf von einem übereilten Wechsel mit dem Hinweis auf die ungewisse finanzielle Ausstattung der Akademie ab.51 Es entsteht somit auf dieser Briefbasis der Eindruck, dass die vage Grundidee eines Wechsels nach Halle von Thomasius selbst stammte, er die Entwicklungen rund um die entstehende Ritterakademie zumindest wahrnahm und diese Idee ihm nicht von außen, also nicht von Berliner Kreisen angetragen worden ist. Zwischen dem 28.8.1689 und dem 18.3.1690 hat sich dann der Wechsel nach Brandenburg-Preußen angebahnt. Das auslösende Moment des Ehetraktats erhärtet ein Brief von Pufendorfs vom 4.2.1690: Der Fang des edlen Lebens Müllers war Ende Januar in Berlin in Umlauf gewesen, Müller verhaftet und nach Spandau gebracht 48

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Brief Nr. 146 Samuel von Pufendorf an Christian Thomasius am 16.10.1688, in: Pufendorf, Samuel von: Gesammelte Werke, hg. v. Schmidt-Biggemann, Wilhelm, bisher 6 Bde. ersch., Bd.1: Briefwechsel, hg. v. Döring, Detlef, Berlin 1996, S. 208. Brief Nr. 152 von Pufendorf an Thomasius am 1.12.1688, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 223. Allerdings gehörten zu den Lehrern von Rhetz’ in Frankfurt an der Oder sowohl Friedrich als auch Gottfried von Jena, letzterer inzwischen Kanzler des Herzogtums Magdeburg. Inwieweit es hier im Verlauf der Ereignisse zu einer Kontaktaufnahme zugunsten von Thomasius kam, ist ungewiss. Vgl. Brief Nr. 166 von Pufendorf an Thomasius am 7.8.1689 und am 28.8.1689, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 246f.

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worden.52 Als Thomasius’ Lage in Leipzig Anfang März unhaltbar geworden war, reiste er am 18.3.1690 nach Berlin, wo er in die Nachwirkungen dieser Situation gekommen sein wird. Das Interesse der Berliner politischen Szene an dem Leipziger Juristen dürfte bis zu diesem Zeitpunkt deutlich gewachsen sein, nicht zuletzt die Geldzahlung des Hofes an Thomasius spricht dafür. Dennoch musste letzterer erst selbst die Initiative ergreifen und sich nach Berlin begeben, bevor Bewegung in die Angelegenheit kam. Bei diesem immer noch nicht konkretisierten Plan eines Wechsels nach Halle scheint von Pufendorf zwischenzeitlich als Partner Thomasius’ nur die zweite Rolle übrig geblieben zu sein, da er am 18.5.1690 noch nach Leipzig anfragte, „mich zuweilen wißen zu laßen, wie das wesen zu Halle sich anläßt“.53 Beim Studium der von Pufendorfschen Briefe gewinnt man generell nicht den Eindruck, als wäre dieser beständig bestrebt gewesen, für Thomasius eifrig Kontakte zu Berliner Räten zu knüpfen und die Angelegenheit zu forcieren, denn mit Ausnahme des Gesprächs mit von Rhetz gibt es keine Hinweise auf andere Kontakte in dieser Sache. Zwar war von Pufendorf ein Neuling in der Berliner Szene, aber angesichts seines Rufs, seiner Verdienste und als Hofhistoriograph eigentlich keine Randerscheinung. Allerdings wurde er erst am 19.6.1690 zum Geheimen Rat berufen, so dass möglicherweise noch ein gewisses Netzwerkdefizit in Berlin existierte. Nimmt man allerdings von Pufendorfs Briefe an den Leipziger Theologen Adam Rechenberg hinzu, ergibt sich auch das Bild einer größeren Distanziertheit gegenüber Thomasius.54 Möglicherweise hielt sich von Pufendorf bei der Protegierung auch zurück, um im Zweifelsfall seine Angelegenheiten in der Wahrnehmung Dritter nicht mit denen des Thomasius vermengt zu sehen. Hingegen war der reformierte Theologe und Professor in Frankfurt an der Oder Johann Christoph Becmann zu diesem Zeitpunkt erheblich besser als von Pufendorf durch Thomasius selbst informiert, denn letzterer teilte am 15.3.1690 noch von Leipzig aus Becmann seine Pläne mit, nach Berlin zu reisen und bat um Unterstützung: „Könnte nun Mhh. Doctor mir bey iemand in diesem meinen Zustand dienliche addreße schaffen, wird er mich höchlich verbinden. So trage ich auch ein höchliches verlangen mit Ihn mündlich zu reden, wenn es Ihm nur gelegen ist, und er es für rathsam hält, daß ich nach Franckfurt zu Ihm komme.“55

Becmann war für Thomasius zu diesem Zeitpunkt wichtiger als von Pufendorf, zumal er sich auch in Thomasius’ Streit mit dem Kopenhagener Hofprediger Hector Gottfried 52

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Vgl. Brief Nr. 173 von Pufendorf an Thomasius am 4.2.1690, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 258f. Brief Nr. 180 von Pufendorf an Thomasius am 18.5.1690, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 272. Vgl. Brief Nr. 168 von Pufendorf an Adam Rechenberg ca. November 1689, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 249f.; vgl. ebenso Brief Nr. 198 von Pufendorf an Rechenberg am 31.1.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 301. Für den freundlichen Hinweis danke ich Dr. Frank Grunert, IZEA Halle. Christian Thomasius an Johann Christoph Becmann am 15.3.1690, Original: Krakow, Biblioteka Jagiellonska, Berol. Autographen-Sammlung (ehem. Radowitz), jetzt auch: DFG-Projekt: „Vollständige Edition“.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Masius unter dem Pseudonym Hubertus Mosanus als Verteidiger des Reformiertentums eingeschaltet hatte.56 Die Bedeutung Becmanns für das intellektuell-hochschulpolitische Feld in Brandenburg-Preußen illustrieren dessen Verdienste: Becmann war seit 1667 Professor in Frankfurt; als Bibliothekar, reformierter Theologieprofessor und achtmaliger Rektor hatte er zum Flor der Frankfurter Universität beigetragen und kann als einer der einflussreichsten und wichtigsten reformierten Akademiker in Brandenburg-Preußen mit den entsprechenden Kontakten gelten. Folgende Schlüsse können in summa gezogen werden: Thomasius selbst hat Halle mit der Ritterakademie als mögliches Wirkungsfeld in den Blick genommen. Die Annäherung beider Parteien bis zur Bestallung am 4.4.1690 dauerte dabei ausgesprochen lange, einerseits, weil Thomasius auf der Berliner Bildfläche zunächst keine besondere Rolle spielte, die Ereignisse in Leipzig sind der Quellenlage nach dort zunächst nicht weiter rezipiert worden, andererseits weil in Berlin für den Ausbau des Bildungsstandortes Halle noch keine konkreten Pläne beispielsweise in der Personalentwicklung vorlagen. Der Auslöser des Ehetraktats, die Verbindungen zu den renommierten von Pufendorf und Becmann und die durch Thomasius’ Reise nach Berlin forcierte und nicht nachweisbare mündliche Kommunikation unter Anwesenden,57 möglicherweise vermittelt durch den schon länger informierten von Rhetz, haben dann in die Berufung nach Halle gemündet. Für die Berliner Regierung musste sich auf der Basis des bisher entwickelten Interpretationsmodells brandenburgischer Religionspolitik mit der Berufung von Christian Thomasius nach Halle folgende Kalkulation ergeben: In der hallischen Bildungslandschaft wurde eine akademische Gestalt installiert, die an der Universität Leipzig die Studenten durch innovative Ideen und Methoden angezogen hatte. Dabei spielten auch der Bruch akademischer Traditionen wie die Verwendung der deutschen Sprache und die neue Art der wissenschaftlichen und literarischen Kritik in Form der Monatsgespräche zwischen 1688 und 1690 eine Rolle. Mit Thomasius als Professor in Halle waren ein Anstieg der Studierendenzahlen und ein Imagegewinn des Standorts erwartbar. Thomasius konnte sich selbst zum Gesicht oder zur Marke der Ritterakademie in Halle und vielleicht der späteren Universität aufbauen58 und als kreativer Kopf gleichzeitig die stagnierenden Planungen für eine Universität vorantreiben. Es konnte mit den reformerischen Ideen Thomasius’ tatsächlich ein wichtiges Ziel, Studentenbindung, wie es auch schon in der Bestallung von Berghorns zum Ausdruck gebracht worden war, mittelfristig verwirklicht werden. Mit seiner Naturrechtslehre im 56

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Vgl. zum Streit mit Masius Grunert, Frank: Zur aufgeklärten Kritik am theokratischen Absolutismus. Der Streit zwischen Hector Gottfried Masius und Christian Thomasius über Ursprung und Begründung der summa potestas, in: Vollhardt, Friedrich (Hg.): Christian Thomasius (1655– 1728). Neue Forschungen im Kontext der Frühaufklärung, Tübingen 1997, S. 51–77. Begriff nach Schlögl, Rudolf: Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155–224. Von Ludewig verzeichnete den gesteigerten Zulauf an Studenten in Halle; vgl. von Ludewig: Historie, S. 42f.

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Gefolge von Pufendorfs und den daraus resultierenden staatskirchenrechtlichen Überlegungen, die sich gegen den weltlichen Machtanspruch und gegen die Polemik traditionell-lutherischer Theologen gegen das Reformiertentum richtete,59 holte man sich außerdem einen Gelehrten ins Haus, der in der Lage war, der in Brandenburg-Preußen bereits praktizierten Staatskirchenauffassung stärkere juristische Gestalt zu geben und die Position der Juristen gegenüber den Theologen auszubauen.60 Das politische Interesse an Vertretern solcher Konzeptionen hatte sich bereits bei der Bestallung von Pufendorfs gezeigt. Die Einholung von Thomasius’ stellte für die Konfessionspolitik insofern eine Neuheit dar, als man sich jetzt auch verstärkt um die Ausbildung von Juristen kümmerte: Mit Thomasius besaß man nun einen Vertreter, der naturrechtliche Vorstellungen für konfessionspolitische Strategien nutzbar zu machen verstand. Das musste im Kontext der allgemeinen konfessionspolitischen Überlegungen das Hauptargument für die Bestallung des Thomasius darstellen. Es ist gezeigt worden, dass die Grundlagen der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik mit der starken Stellung des Territorialherrn und dessen Eingriffsrechten in alle konfessionellen Bereiche auch Ende der 1680er Jahre nicht aus einer tolerant-aufgeklärt-philantrophischen, sondern aus einer noch immer latent auf Konfessionalisierung zielenden und das Bonum des Landes suchenden Haltung resultierten. Durch welche analytischen Modi Thomasius seine konfessionspolitischen Ideen entwickelte, war für die Berliner Regierung dann zwangsläufig zweitrangig. Hingegen war das praktische Ergebnis des Thomasischen Denkens für die Konfessionspolitiker entscheidend, nämlich die Propagierung des Friedfertigkeitsideals und die Forderung, diesem entsprechend innerlutherische Strömungen zu fördern. Dazu kam die Möglichkeit, den brandenburgpreußischen Kurfürsten als Schutzherrn der Friedfertigen zu inszenieren. Diese Motivlage hatte der Herzog von Sachsen-Zeitz klar erkannt, als er Thomasius am 18.3.1690 nach Berlin empfahl, der „durch die Verfolgung seiner wiederwertigen, welche Ihn sonderlich deßhalber, weil er in Religions-Sachen moderatere und gelindere opinionen alß selbige hatte, verunglimpffet, gezwungen würde, sich aus Leipzig zu wenden, und were er in willens, sich in E. Lbden Landen unter deroselben mächtigen Churfürstl. Schutz und Protection auffzuhalten“.61

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Vgl. zu den staatskirchenrechtlichen Ideen Hunter, Ian: The secularisation of the confessional state. The political thought of Christian Thomasius, Cambridge 2007 (Ideas in context, Bd. 87), S. 121–128. Vgl. Thomasius, Christian: Abhandlung vom Recht Evangelischer Fürsten in Mittel-Dingen oder Kirchen-Ceremonien, in: Thomasius: Auserlesene […] Schriften, 1, S. 76–209, hier: S. 82ff, S. 139ff, S. 192f. Thomasius kritisierte die ketzermachende Kraft der Adiaphora und unterstellte sie genauso wie die Entscheidung in Religionsstreitigkeiten der Gewalt des Fürsten. Damit stärkte er juristisch die brandenburgische Linie. Auf diese Dissertation folgten erneut heftige Angriffe Benedict Carpzovs, auf die wiederum Thomasius mit der Dissertation von 1696 Das Recht evangelischer Fürsten In Theologischen Streitigkeiten, gründlich ausgeführet […] antwortete. Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz an Friedrich III. am 18.2.1690, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1531, 1690–1698), Bl. 178r–178v.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Von einer intendierten Förderung der Frühaufklärung bei der Berufung des Thomasius kann nach Lage der Dinge keine Rede sein, dafür gab es in der praktischen Konfessionsund Bildungspolitik kein Interesse, ganz im Gegensatz zu den konfessionellen Belangen. Ein weiterer Beweis ist das Begleitschreiben des Statthalters des Kurfürsten Johann Georg von Anhalt vom 25.3.1690, in dem ausschließlich auf den konfessionspolitischen Aspekt der möglichen Berufung eingegangen wird. Der Statthalter hatte keine Zweifel, dass Thomasius „wan er sich in Ewr. Churf. Gnaden Diensten und in dero Lande wird etabliret wißen, er kein bedencken tragen wirdt, sich zu der wahren reformirten religion zu bekennen.“62 Folgt man diesem Gedanken, ging es in Berlin also in der Tat nicht nur um einen Ausgleich der Waage zwischen den beiden Konfessionen zugunsten des Reformiertentums, sondern um die Konversion zum wahren, d.h. reformierten Glauben. Die Konversion einer prominenten Persönlichkeit wie Thomasius wäre ein Aushängeschild gewesen. Es ist zugleich legitim, Thomasius eine geschickte Ausnutzung der besonderen politischen Interessenlage Brandenburg-Preußens zu unterstellen, die konfessionspolitischen Interessen Berlins lagen für den aufmerksamen Beobachter auf der Hand.63 Thomasius selbst stellte am 25.3.1690 in einem Brief an den in Königsberg weilenden Kurfürsten sein Eintreten für die konfessionelle Friedfertigkeit und nicht etwa moralphilosophische Diskrepanzen oder den gegen ihn vorgebrachten Atheismusvorwurf als Ursache für den Konflikt heraus: „also ist dadurch bey nahe der gantze Chur-Sächsische Clerus wieder mich ins Harnisch gebracht worden, alß welche nicht verdauen können, daß ein Lutherischer und zwar Chur-Sächsischer Unterthaner sich unterstanden, der warheit zu Steüer und dem instrumento pacis gemäß, seine friedwünschenden Gedancken so deütlich zu exprimiren, und die Nichtigkeit der Gründe der zancksüchtigen Pseudo Theologorum, welche eine so lange Zeit in sachsen geherschet, so offenhertzig zu wiederlegen.“64

Inwieweit er ganz opportunistisch diese sich bietende Gelegenheit klar erkannt hatte, die Konfessionspolitik in Brandenburg-Preußen dezidiert für die Verbreitung und Durchsetzung seiner gerade nicht auf die Durchsetzung einer Konfession zielenden, sondern den Territorialismus und die individuelle Gewissensfreiheit stärkenden Konzeptionen zu nutzen, inwieweit er sich also durch sein unbestelltes Gutachten höchst kalkulierend in Leipzig zu einer persona non grata gemacht hatte, um den Brotherrn zu tauschen und 62

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Johann Georg von Anhalt an den Kurfürsten am 25.3.1690, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1531, 1690–1698), Bl. 60r. Die von de Boor angegebene Signatur GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N ist falsch; vgl. de Boor, Friedrich: Die ersten Vorschläge von Christian Thomasius „wegen auffrichtung einer Neuen Academie zu Halle“ aus dem Jahre 1690, in: Donnert, Erich (Hg.) Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günther Mühlpfordt, 7 Bde., Bd. 4: Deutsche Aufklärung in Europa, Weimar u.a. 1997, S. 57–84, hier: S. 61. Zum Erfolg der Thomasischen Kalkulation zählten dann nicht nur die Geldzahlungen, sondern auch das Empfehlungsschreiben des Zeitzer Herzogs Moritz Wilhelm an seinen Schwager in Berlin für Thomasius am 18.3.1690 sowie dessen prompte positive Reaktion aus Berlin am 31.3.1690. Thomasius an den Kurfürsten am 25.3.1690, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1531, 1690– 1698), Bl. 170v–171r.

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damit seine Gesamtsituation entscheidend verbessern zu können, das kann nicht völlig eindeutig entschieden werden. Die hier favorisierte Deutung im Gegensatz zu der eines naiven und unschuldigen Thomasius der älteren Thomasius-Forschung folgt Günter Jerouschek, der den Übergang eine „klug eingefädelte Inszenierung“65 nennt. Außer Acht ließ man in Berlin die Tatsache, mit Christian Thomasius einen Mann zu berufen, der das für die Theologen propagierte Friedfertigkeitsideal für seine Person weder akzeptierte noch erfüllte, wie die Streitigkeiten in Leipzig gezeigt hatten. Die große Gefahr bestand also in einer Übertragung der heftigen Leipziger Auseinandersetzungen mit den Vertretern der traditionell-lutherischen Geistlichkeit und der Stadt in das um 1690 konfessionell nur äußerlich beruhigte Terrain Halles und des Herzogtums. Insgesamt lässt sich der Wechsel Thomasius’ nach Halle aber zunächst als die Verwandlung der schwierigen privaten und akademischen Lage des Thomasius sowie der für Berlin unbefriedigenden Bildungslandschaft in Halle in eine Win-win-Situation beschreiben. Unklar ist die institutionelle Anbindung von Thomasius in Halle. Von Ludewig spricht von einer Ansetzung auf die Ritterakademie unter dem Verweis auf die geplante Universitätsgründung.66 Wenn man den Wortlaut der Bestallungsurkunde vom 4.4.1690 ernst nimmt, deutet allerdings nichts explizit darauf hin, dass Thomasius an der Ritterakademie installiert worden ist, vielmehr wurde ein institutioneller Freiraum für seine eigenen Lehrveranstaltungen gelassen: „Und gleichwie gedachter Unser Rath, Thomas, Unterthänigst verlanget, daß Wir ihm erlauben möchten, sich in Unserer Stadt Halle im Herzogthum Magdeburgk zu setzen, und der studierenden Jugend, welche sich allda vielleicht bei ihm anfinden möchte, mit Lectionibus und Collegiis, wie er bißhero zu Leipzigk gethan, an die Hand zu gehen, so haben Wir ihm solches nicht allein in Gnaden permittiret, sondern Wir wollen auch bei Unserer Magdeburgischen Landschafft die Verfügung thun, daß dieselbe ihm zu seiner so viel bessern subsistenz, aus den gemeinen Landes-Mitteln jährlich Fünffhundert Thaler zahlen, und damit von der Zeit an, da ermeldter Dr. Thomas sich zu.Halle setzen wird, den Anfang nehmen soll.“67

Hinter diesem vermeintlichen Freiraum kann man aber auch die geplante Universität verborgen sehen, denn mit Thomasius’ Lehrbetrieb wurde immerhin eine Privateinrichtung in Halle installiert, deren Inhalte nicht genuin zum Curriculum einer Ritterakademie – Sprachen, Mathematik, Kriegskunst –, sondern vielmehr zu dem einer alma mater gehörten: Moralphilosophie und Logik. Mit Erich Neuss wird man vermuten können, dass 65

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Jerouschek, Günter: Arbeit am Mythos. Thomasius und die Gründung der Universität Halle, in: Lück: Christian Thomasius. Wegbereiter, S. 317. Die Fülle der Positivbeispiele Brandenburgs in den Thomasius-Schriften und ihre offensive Darstellung sprechen ebenfalls dafür: Thomasius selbst kaprizierte sich in seinen Texten immer wieder geradezu huldigungsartig auf die Berliner Konfessionspolitik als positiven praktischen Ausdruck seines Territorialkirchensystems. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 41. Von Ludewig schrieb: „Und, weil der Hof, ohne deme, als bißhero gesaget, mit Universitäts-Gedanken umgienge: so war der beste Vorschlag, ihn nach Halle, auf die, bereits angelegte Ritter-Schule, zu setzen; um auf derselben, sein Heyl zu versuchen.“ Ebd. Bestallungsurkunde des Christian Thomasius 4.4.1690, abgedruckt bei: Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 354.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Thomasius der Ritterakademie frische Zuhörer zuführte, und die Studenten der Akademie wiederum bei Thomasius hörten.68 Für den Aufbau der Universität war der institutionalisierte Betrieb der Ritterakademie zwar wichtig, für den erfolgreichen Start entscheidender aber war die Existenz eines schon universitätsnahen Lehrprogramms und einer erfahrenen akademischen Leitfigur.69 Dieser ihm zugedachten Rolle wurde Thomasius ausgesprochen schnell gerecht, indem er, wie Friedrich de Boor minutiös nachgewiesen hat,70 in rascher Folge Vorschläge und Pläne für die Errichtung einer Universität entwickelte. Einige grundsätzliche Punkte in diesen Gründungskonzeptionen sind von Bedeutung: Ein erster Entwurf von April oder Mai 1690, bei dem unklar ist, ob er auch beim Kurfürsten eingereicht worden ist, thematisiert erstmals die Organisation einer neuen Universität. Mit Blick auf die Professoren forderte Thomasius neue, tüchtige, lehrfähige Männer für alle Fachbereiche, nicht nur für die Theologie, die sich nicht von der bürgerlichen Sphäre absonderten, was sich insbesondere in der Forderung nach dem Gebrauch der deutschen Sprache widerspiegelt. Neue Namen mit neuen Methoden würden dann auch eine entsprechend hohe Zahl von begabten Studenten anziehen.71 Der zweite Entwurf datiert von Mai oder Juni 1690 und ist inhaltlich weiter gefasst als der erste. Eingehend auf die schwierigen Umstände durch das Kriegsgeschehen im Reich rückte Thomasius von der Forderung ausschließlich neuer Professoren ab und fokussierte vornehmlich das Ziel, über eine Argumentation für zukünftig hohe Studentenzahlen sowie das angeblich umlaufende Gerücht, es gäbe gar keinen Plan für eine Universitätsgründung, den Kurfürsten zu einer offiziellen Erklärung über die in Halle geplante Universität zu bewegen,72 denn diese fehlte nach wie vor völlig, und sie fehlte auch Thomasius zur Absicherung seiner eigenen Existenz. Anschließend zählte er zehn mögliche Privilegien für eine neue Universität auf, unter denen die direkte Jurisdiktion durch die magdeburgische Regierung und die Integration der bestehenden Akademie herausragten.73 Die Endfassung dieser Vorschläge stammt vom 26.8.1690 als Beilage eines an den Kurfürsten gerichteten Memorials. Zu Beginn legte Thomasius die Forderung nach einem kurfürstlichen Edikt dar, dem sowohl die studentische Jugend als auch die Bürger der Stadt entgegensähen.74 Zwei wichtige Parteien, und dies könnte ein Hinweis auf die bereits bestehenden Konflikte sein, fehlten in dieser Pro-UniversitätAufzählung: Die Landstände und der Rat Halles. Weiterhin erwähnt das Schreiben die bereits bestehenden Einrichtungen und die Formulierung der Erwartung, der Kurfürst möge zusagen, alle bisherigen Lehrkräfte dann auch bevorzugt als Professoren an die 68 69

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Vgl. Neuss: Akademien, S. 731. Dass Thomasius Studenten anzog, zeigte sich bereits im August 1690, als er von der Stadt wegen der großen Zahl der Studenten einen neuen Lese- und Disputationssaal auf der Waage forderte; vgl. von Ludewig: Historie, S. 43. Vgl. de Boor: Die ersten Vorschläge. Vgl. ebd., S. 62–64. Vgl. ebd., S. 66. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 70–72.

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Universität berufen. Dies wurde von Thomasius mit der Idee eines Spezialbefehls an ihn selbst verknüpft, sich für die Interessen des Kurfürsten beim Aufbau einer Universität einzusetzen. Dazu kamen die Formulierung von Sonderwünschen, was den Ort und die Zeiten seiner Vorlesungen anbelangte, sowie die Einforderung des Direktorenamtes der neuen Universität für ihn selbst, der damit seine Intention, sich so unentbehrlich wie möglich zu machen und sich die Unterstützung der Landesregierung als juristischer Instanz zu sichern, bestätigte.75 Weder die Vorschläge von Thomasius noch die ersten Edikte zur Universitätsgründung oder die späteren Statuten der Universität76 enthalten eine grundsätzliche Diskussion und Änderung der hergebrachten Universitätsstruktur. Sowohl der Fächerkanon als auch die Hierarchie der Fakultäten untereinander waren traditionell verfasst. Eine Reformabsicht mit dem Ziel einer Reformuniversität lässt sich hier nicht erkennen. Die Erklärung der Gründungsabsicht erfolgte am 24.6.1691. Den entscheidenden Impuls gab der Besuch des Kurfürsten in Halle auf einer Reise nach Karlsbad. Am 2.5.1691 hatte von Pufendorf gegenüber Thomasius eine positive Entscheidung angedeutet, sofern die Reise über Halle gehen würde, Thomasius aber auch zu nochmaligem Engagement im persönlichen Gespräch mit Friedrich III. geraten.77 Am 27.6.1691 stellte von Pufendorf dann fest, dass dieses persönliche Gespräch offensichtlich den Ausschlag gegeben hatte.78 Gleichzeitig gab er Thomasius allerdings auch eine Warnung der Geheimen Räte Franz von Meinders und Daniel Ludolf von Danckelmann weiter, im Zusammenhang mit seinem Universitätsprogramm von 1691 seine Auseinandersetzungen nicht pauschal und unkontrolliert zu führen.79 Die Erkenntnis, mit Thomasius einen schwer kontrollierbaren Geist in Halle etabliert zu haben, setzte sich in Berlin erstaunlich spät durch, hatte Thomasius dafür doch eigentlich schon viel früher Anlass gegeben: Dabei ging es zum einen um den Konflikt um die Waage der Stadt, deren Nutzung als Lesesaal der Jurist am 7.8.1690 gefordert hatte. Zu75 76

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Vgl. ebd., S. 71f. Vgl. Statuten der theologischen Fakultät am 1.7.1694, abgedruckt bei Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 398–408. Vgl. Brief Nr. 203 von Pufendorf an Thomasius am 2.5.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 315. Vgl. Brief Nr. 204 von Pufendorf an Thomasius am 27.6.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 316. In der Tat zeugt die Absichtserklärung zur Universitätsgründung vom 24.6.1691 davon, wie der Kurfürst sich in Halle persönlich von den Verhältnissen überzeugt hat: „Nachdem Wir nun bey Unserer näulichen Anwesenheit in Halle wargenommen, daß unterschiedene Graffen, Herren und Standes-Personen wie auch einige von Adel und vornehmer Leuthe Kinder sich aldar aufgehalten, und noch einige Printzen darhinzukommen entschlossen seyn sollen. So seyn wir dahero auf Mittel und Wege bedacht, diesen wohl angefangenen Wercke weiter Nachdruck zu geben“. Absichtserklärung vom 24.6.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1159, Bl. 1r. Vgl. Brief Nr. 204 von Pufendorf an Thomasius am 27.6.1691, in: von Pufendorf, Briefwechsel S. 316; vgl. Kapitel III.1.4. Dass von Pufendorf jetzt engere Kontakte zu weiteren Geheimen Räten besaß, ist ein auffälliger Unterschied zu der Zeit, als Thomasius noch nicht in Halle untergekommen war.

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sammen mit der Anbringung eines Schwarzen Bretts an der Kirche Unser Lieben Frauen war dies auch der symbolische Ausdruck der größeren Pläne für eine Universität mit entsprechenden Eingriffen in die Gestaltung des Stadtraums. Der Rat reagierte erwartungsgemäß ablehnend, wobei in diesem Zusammenhang Vorwürfe des Gauklertums gegen Thomasius laut wurden. Dieser setzte sich im Lauf des Augusts mit der Landesregierung ins Benehmen, welcher ebenso wie der Stadt, der Plan der Förderung der Akademie nicht unbekannt war, so dass die Angelegenheit letztendlich im September mit der Nutzung der Waage durch Thomasius und der Anbringung des Schwarzen Bretts endete.80 Das Klima für die Universitätsgründung in Halle war also keineswegs günstig, die junge Einrichtung wurde als Fremdkörper in der Stadt empfunden.81 Für den konfessionspolitischen Zusammenhang bedeutsamer war der zweite von Thomasius ausgelöste Konflikt, in dessen Verlauf er allerdings zu einer Nebenfigur wurde. Im Memorial vom 26.8.1690 war er nicht nur auf seine ersten in Halle erzielten Erfolge, sondern auch auf die Situation unmittelbar nach der ersten Disputation am 23.8.1690 über die Glückseligkeit der kurbrandenburgischen Untertanen eingegangen, in deren Rahmen es zu ersten Auseinandersetzungen mit der hallischen Stadtgeistlichkeit gekommen war. Treffsicher auf der konfessionspolitischen Klaviatur spielend hatte er herausgestellt, dass es ihm nur um die Friedfertigkeit der lutherischen Untertanen seines Kurfürsten und die Überlegung, wie man diese erreichen könne, ging.82 Durch die Verwendung des Codes ‚Wittenberg’, in dessen Nähe er die Lutheraner Halles rückte, verstärkte Thomasius die für Berlin positiven Aspekte seines Tuns und subkutan auch die Forderung nach einer anders ausgerichteten Theologie an einer neuen Universität. Die Inhalte der Disputation zu vertreten sei nämlich in Halle besonders notwendig, da „die Wittenbergischen Zancksüchtigen Maximen alhier noch alzusehr eingewurtzelt [sind], und der hiesigen Lutherischen Clerisey ein Schwert durchs Hertz gehet, wenn von friedlicher und vertraulicher conversation von den Reformirten was gedacht wird“.83

So war es dem Diakon der Ulrichkirche Albrecht Christian Rotth nicht schwer gefallen, den Zusammenhang zwischen der Glückseligkeit der brandenburgischen Untertanen und der von Thomasius gepriesenen brandenburgischen Konfessionspolitik im allgemeinen mit der aus traditionell-lutherischer Sicht noch immer ungelösten konfessionellen Situation in der Stadt Halle und dem Angriff auf die eigene konfessionelle Identität zu verbinden und in einer Predigt gegen die Reformierten zu polemisieren.84 Dass diese Außenwahrnehmung der ersten öffentlichkeitswirksamen akademischen Handlung von Thomasius und die prompte Herausbildung der theologischen Gegnerschaft sich ausschließlich auf die konfessionspolitische Stellungnahme von Thomasius bezog und nicht auf dessen sonstige philosophische Überlegungen oder seine Lehrweise, stärkt die kon80 81 82 83 84

Vgl. von Ludewig: Historie, S. 43f. Vgl. Kapitel III.2.1. Vgl. de Boor: Die ersten Vorschläge, S, 73. Memorial Thomasius’ am 26.8.1690, zitiert nach de Boor: Die ersten Vorschläge, S. 73. Vgl. Schrader: Geschichte, S. 16f.

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fessionspolitische Interpretation in Verbindung mit der Thomasius-Berufung nach Halle, weil Thomasius’ Tun und Denken von seinen hallischen Gegnern sofort selbst in diesen Zusammenhang gesetzt wurden. Die durch Thomasius’ Thesen ausgelöste Reaktion Rotths bewirkte einen schwerwiegenden, wenn auch zeitlich begrenzten Konflikt zwischen Berliner und magdeburgischer Regierung, der sich nahtlos in die Auseinandersetzungen der 1680er Jahre einfügte und gleichsam eine Brücke zum Aufbau der Universität schlug. Nachdem am 3.9.1690 eine Rüge aus Berlin an die Regierung des Herzogtums in Halle wegen Rotth mit der gleichzeitigen Aufforderung, dergleichen Aktivitäten von Predigern in Zukunft zu unterbinden,85 eingegangen war, versuchte die magdeburgische Regierung zunächst, Rotth vor Sanktionen aus Berlin in Schutz zu nehmen. In der Antwort vom 11.9.1690 erklärte sie, Rotth bereits verwarnt zu haben und darüber hinaus von keinen anderen Predigern derselben Haltung zu wissen.86 Erneut wird die vage Haltung der Regierung in Halle deutlich, einerseits Berlin verpflichtet zu sein, andererseits dennoch die Stadtgeistlichkeit schützen zu wollen. Das hatte sich seit 1680 offensichtlich nicht geändert. Es wurde versucht, die gesamte Angelegenheit möglichst klein zu halten, eine Maßnahme, die an der Realität vorbeiging und noch dazu zu spät kam, wie das Reskript an die magdeburgische Regierung ebenfalls vom 13.9.1690 zeigt.87 Die Bedeutung des Vorgangs erweist sich insbesondere auch daran, dass die Rüge vom 3.9.1690 aus Berlin, unterzeichnet vom Statthalter Johann Georg von Anhalt, das Reskript vom 13.9.1690 aber aus Brüssel, dem aktuellen Aufenthaltsort des Kurfürsten, unterzeichnet von Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann, stammt. Die Reaktion Rotths zog also ihre Kreise. Der Inhalt des Reskripts erhärtet ebenfalls die Tatsache, dass man auf der höchsten Ebene mit diesem Konflikt nicht mehr laissez-faire umging, handelte es sich bei der Predigt doch um den schärfsten Angriff gegen das Reformiertentum, den es nach einer vermeintlichen Phase der Ruhe in Halle seit 1680 gegeben hatte. In nichts war er beispielsweise mit den langatmigen Debatten die Nutzung der Domkirche betreffend zu vergleichen. Die Darlegung der kurfürstlichen Politik im Reskript war ausführlich und machte deutlich, dass die Regierung konsequent gegen derartige reformiertenfeindliche Tendenzen vorzugehen habe: Mit Moderation, ohne Unterschied der beiden evangelischen Gruppen, mit Schutz, bei Belassung aller Vorteile und Privilegien, wie sie in religiösen und weltlichen Dingen schon unter dem Administrator August bestanden, hätte man die Herrschaft des Herzogtums angetreten und „in Summa nichts unterlassen, was Euren Unterthanen von einer Obrigkeit mit Ihnen ein[es] Glaubens nur hoffen und verlangen kann.“88 Deshalb hätte man gerade von den Untertanen und der Regierung im Herzogtum 85

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Vgl. Kurfürst (Statthalter) an die magdeburgische Regierung am 3.9.1690 [Abschrift], PfA Marien, A III A, Nr. 6 Controversiae pietisticae, S. 3. Vgl. magdeburgische Regierung an Kurfürst am 11.9.1690 [Abschrift], PfA Marien, A III A, Nr. 6 Controversiae pietisticae, S. 1–2. Vgl. Reskript an die magdeburgische Regierung am 13.9.1690 [Abschrift], AFSt/ H D81, S. 2937. Ebd., S. 30.

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„nechst der Frucht Gottes nichts höhers als den schuldigen respect, liebe und Gehorsahm gegen Ihre vorgesetzte höchste Obrigkeit beyzubringen“, erwarten können, jedoch diese, „anstatt dessen derselben allerhand Mißtrauen, Verachtung und solche Maximen gegen uns zu inculciren sich unterstanden haben würden, welche mit der Uns schuldigen devotion und unterthänigkeit sich nimmer zusammen reimen können“.89

Der Unfrieden zwischen den Konfessionen sei befördert und die Leute zu Ungehorsam und Falschheit gegen den Kurfürsten angestiftet worden.90 Schwerwiegendere Vorwürfe waren gegen eine Provinzregierung kaum denkbar. Befeuert wurden sie von einem assistierenden Beschwerde-Memorial der reformierten Gemeinde Halles an den Kurfürsten, in dem die Predigt Rotths ebenfalls thematisiert worden war.91 Demzufolge hatte Rotth die Reformierten mit Schwärmern verglichen, welche Christus verleugneten, und seine Zuhörer sogar zum Gebet für den Kurfürsten aufgerufen, damit Gott diesem nach seinem Ende seine Irrtümer nachsehen würde.92 Nun stammten die Vorwürfe in der Darstellung des Reskripts bereits aus zweiter Hand und müssen distanziert betrachtet werden, sind sie doch in ihrer Schärfe möglicherweise durch die besondere Interessenlage der reformierten Gemeinde und die Empörung des Kurfürsten bedingt. Dennoch wird aus diesem Vorwurfsprofil immer noch die Problematik der Rotthschen Predigt deutlich: Die konfessionelle Einstellung unter den Lutheranern Halles, zumindest aber unter den Stadtpredigern, war für Berlin unhaltbar und erforderte Maßnahmen. Ganz offensichtlich war für die Berliner Regierung der Frieden in Halle jetzt durch Rotth und das Nicht-Durchgreifen der Regierung derart nachhaltig gestört, dass verlangt wurde, „M. Rotth vorzufordern, obiges alles Ihm bestendtlich vorzustellen, seinen darunter begangenen groben und höchst strafbaren Unfug Ihm wohl begriffen zumachen, und Ihm darbey anzubringen, daß […] bey so gestalten Sachen, und da dieses sein verbrechen mehr pro Crimine Status als Religionis zu halten, Ihn nebst remotion von seinem Ampte noch wohl mit einer andern Exemplarischen Straffe gantz rechtmeßiger wohlverdienter Weise ansehen könten.“93

Zunächst wurde also scheinbar nur der Angriff auf die Person des Kurfürsten und nicht die Konfessionsproblematik ins Felde geführt, Rotth ein letztes Mal ermahnt und zum Respekt gegenüber der Obrigkeit und deren reformierten Glaubensgenossen aufgefordert, womit die beiden Problemlagen dann aber doch wieder korrespondierten. Bei Nichtbeachtung drohte Versetzung, danach Bestrafung als Rebell und Aufwiegler.94 Jedem anderen Theologen, der Rotth jetzt noch nacheifern wollte, mussten die Konsequenzen klar sein. Das war einerseits im Umgang mit diesem altbekannten Problem der Polemik gegen 89 90

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Ebd. Vgl. ebd., S. 31. Dort heißt es, es seien „gegen Uns aber den Leuthen eine offenbahre renitenz und Ungehorsahm jedoch soviell inspirirt worden […], dass sie nimmer ein rechtes Hertz gegen Uns würden fassen“. Ebd. Vgl. ebd. Das Memorial der reformierten Gemeinde ist nicht mehr ermittelbar. Vgl. ebd. Ebd., S. 32f. Vgl. ebd., S. 33.

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das Reformiertentum eine in Halle bisher unbekannte Härte, die aus der Verbindung mit dem Angriff gegen die Person des Kurfürsten erklärbar wird. Andererseits deutete sich aber mit Vehemenz das zweite, bisher eher im Hintergrund changierende Problem des Sachverhalts an: Die Pfarrstellenbesetzung im Herzogtum mit geeigneten, friedfertigen lutherischen Theologen durch das Konsistorium in Zusammenarbeit mit der Regierung in Halle funktionierte nicht, weil es keine entsprechende binnenkonfessionelle Strömung in quantitativer Breite gab. Es wurde festgestellt: „daß die sonderbahre Indulgencien, so Wir bey bestallung der Prediger in unserem dorthigen Herzogthum vor Euch bishero gehabt, offters gar sehr mißbrauchet, und anstatt frommer und erbaulicher Leuthe solche hin und wieder angenommen werden, welche es wohl darauff angeleget, durch das unglückselige Zanken, und Verletzen, sich bey dem unverständigen Pöbel ein Ansehen zu machen, als Ihr Zuhörer in dem Christentum, und demjenigen, was dasselbe von Ihnen erfordert zuunterweisen.“95

Deshalb forderte Berlin die Kontrolle über die Pfarrstellenbesetzung neben hallischer Regierung und Konsistorium ein und forderte auf, „so oft sich eine vacanc ereignet, Uns darvon berichten, einige subiecta so bey vergebung solcher erledigten Predigämpter wider in consideration zu ziehen, Uns vorschlagen an was Ohrt dieselbigen studirt und sich aufgehalten, auch welcher gestalt dieselbe sonst sich bis dahin betragen haben Uns umbständtlich berichten und darüber Unserer ferner gnädigsten verordnung erwarten“.96

Durch die Disputation und die Reaktion Rotths war in aller Deutlichkeit das alte Problem, für die favorisierte Konfessionspolitik und die Umprägung der konfessionellen Identität geeignete lutherische Theologen einstellen zu müssen, also letzten Endes das Problem der geeigneten eigenen Ausbildungsstätte, wieder auf die Tagesordnung getreten. Dieser Erkenntniswert des Eklats für Berlin kann von daher in einen Zusammenhang mit der Universitätsgründung ein knappes Jahr später und der Berufung von geeigneten Theologen an dieselbe gesetzt werden. Christian Thomasius kam dabei das Verdienst zu, das Problem durch seine erste Disputation wieder ans Licht gebracht zu haben. Dass sein Disputationsthema nicht dazu geeignet gewesen war, die einigermaßen friedliche Koexistenz in der Stadt zu erhalten, wurde von Berlin in keiner Weise kritisiert. Thomasius ging aus dieser Konfrontation als Sieger hervor, weil die Disputation nicht beanstandet wurde, seine Gegner aber mundtot gemacht wurden. Das zwischenzeitliche konfessionelle Patt in Halle hatte er binnen kürzester Zeit empfindlich ins Wanken gebracht.

95 96

Ebd., S. 34. Ebd., S. 34f.

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1.3. Konfessionspolitische Kontinuität in der Berufungspolitik 1691 1.3.1. Die Einbeziehung der hallischen Akademiker Am Beginn der Universitätseinrichtung stand eine Absichtserklärung des Kurfürsten am 24.6.1691 und die Übertragung der Kuration für die neu zu gründende Universität auf die Führungskräfte des Herzogtums, Kanzler von Jena, Dechant von Schulenburg, den Geheimen Rat Gottfried Stößer Edler von Lilienfeld und den Landrat von Dieskau. Die eigentliche Gründung erfolgte dann am 27.8.1691. Wichtig ist die im Gründungsdokument verzeichnete Liste der vorgesehenen Professoren und insbesondere der Theologen, von denen die meisten schon Ämter in Halle innehatten, so dass erneut das Kontinuitätsprinzip verfolgt wurde: Es werden die Konsistorialräte Johann Christian Olearius und Christoph Schrader und ohne weitere Bezeichnung Joachim Justus Breithaupt aufgeführt. Auch für die juristische Fakultät überwiegen neben der Nennung von Christian Thomasius mit dem weltlichen Konsistorialrat Joachim Wolff, dem Hofkammerrat Christian Friedrich von Kraut und einem gewissen Kreuzing hallische Namen. Desgleichen sollten für die medizinische Fakultät die Stadtärzte Dr. Kraut, Dr. Beerwinckel und Dr. Stisser als Professoren fungieren. Und auch in der philosophischen Fakultät bestätigt sich das Bild: Es werden der französische Hofprediger Augier, der Postmeister und Gelehrte Friedrich Madeweis und Johann Jakob Spener als Mathematiker, der Rektor des lutherischen Gymnasiums Johannes Prätorius und der Konrektor Gottfried Vockerodt97 für theoretische und praktische Philosophie benannt.98 In sehr unvollständiger Weise wurde mit dieser Liste der Vorschlag von Thomasius nach neuen und lehrfähigen Männern in allen Wissenschaftsbereichen berücksichtigt, wobei die Gründe sicher nicht zu Unrecht bei finanziellen Erwägungen die Ausstattung der Universität betreffend zu suchen sind,99 denn die neue Einrichtung sollte wesentlich durch das Herzogtum mit 1200 Talern aus der Kammer in Halle, mit 1200 Talern aus der Akzisekasse und mit 1200 Talern aus der magdeburgischen Landschaftskasse finanziert werden, weitere Einnahmen waren in den Zeiten des Pfälzischen Erbfolgekrieges nicht zu erwarten.100 Mit diesen Einnahmen war die Berufung auswärtiger, gar berühmter Personen nicht möglich, und vielleicht auch nicht angeraten, wenn man nicht den Protest der Stände auf den Plan rufen wollte. Im Übrigen sollten Breithaupt, Thomasius, Spener und dazu auch von Berghorn mit Abstand die höchsten Gehälter erhalten, alle anderen nur einen kleinen Gehaltsvorteil zusätzlich zu ihrem üblichen Gehalt bekommen.101 Der finanzielle Aspekt verdeutlicht sich durch 97 98

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Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 743. Vgl. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1158, Bl. 23r–24v, hier: Bl. 23r; vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 1r–4v. So vgl. Sträter: Aufklärung, S. 56. Vgl. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Bl. 23r– 23v. Von Ludewig verwendet an dieser Stelle falsche Angaben, er nennt nur die Summen der Kammer und der Akzisekasse, zusammen 2400 Taler; vgl. von Ludewig: Historie, S. 44. Vgl. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Bl. 23v.

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die Herausstellung der Doppelverwendbarkeit der Amtsinhaber, wodurch das aus der Landschaft abgeführte Kapital ihr auf diesem Weg quasi wieder zugutekommen konnte: „die übrigen Professores Theologiae, Juris, Medicinae, Matheseos et Philosophiae haben ihro andere Bedienungen nach wie vor bey zubehalten, werden albereit als Consistorial-Räthe, HoffPrediger und andere Bediente reichlich besoldet, und haben bey anwendendem Fleiß alle fernere Gnade zu erwarten. Es soll auch hinübero keiner ins Consistorium erwehlet werden, wenn er nicht mit Ruhm einer Professionem Theologiae oder Juris zugleich mit verwalten könne.“102

Dass es zu den Personalunionen später nicht kam, lag an den Absagen der meisten der Listenkandidaten.103 Befriedung der Stände mag auch hinter der Berufung der einheimischen theologischen Eliten in Gestalt von Olearius und Schrader gesteckt haben, stellte man sie doch als dem traditionellen Luthertum verbundene Vertreter dem Neuling Breithaupt gegenüber. Die geplante Besetzung der theologischen Fakultät bildete dadurch aber einen Widerspruch zu anderen im Dokument geäußerten konfessionspolitischen Überlegungen. So solle auf der Universität „ein Seminarium Theologicum angestellet werden, daraus wir alle Prediger und Schulbediente in unseren Provincen, dieser Evangelischen Lutherischen Religion zugethan, seyn, hinführo existente casu vor anderen erwehlen und gnädigst beruffen wollen.“104

Die Lösung des Problems, konfessionspolitisch geeignete Theologen einstellen zu wollen, in Gestalt des Theologischen Seminars als Annexum der theologischen Fakultät ist an dieser Stelle ebenso deutlich wie in dem später erfolgten Besuchsverbot der Wittenberger Universität am 3.11.1691,105 sofern man einigermaßen unkompliziert als Theologe in den brandenburg-preußischen Provinzen angestellt werden wollte. Inwieweit aber die Theologen Olearius und Schrader, letzterer seit den Auseinandersetzungen um das Simultaneum an der Domkirche als hartnäckiger Sachwalter traditionell-lutherischer Belange bekannt, dabei helfen sollten, einen nicht strikt auf die unverfälschte Überlieferung konfessioneller Codes und die davon abgeleitete Identität ausgerichteten theologischen Nachwuchs auszubilden, musste fraglich sein. Keinesfalls ging es dabei um die Schaffung einer pietistischen theologischen Fakultät.106 Nur unter dem Aspekt des konfessionellen 102

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Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 3r–3v. Die angegebenen Gründe sollen zwischen Altersmüdigkeit, fehlender Wissenschaftlichkeit, zu geringer Bezahlung für den Mehraufwand changiert haben; vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 43. Von Ludewig führt sicherlich nicht zu Unrecht das schwierige Verhältnis zwischen Universität, Stadt und Herzogtum an, dem sich die Vorgeschlagenen entziehen wollten, vgl. von Ludewig: Historie, S. 54. Entsprechende Quellen existieren heute nicht mehr. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Bl. 24r. Vgl. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 614r. Vgl. Sträter, Udo: Wolffs Gegner Joachim Lange im Kontext der Theologischen Fakultät Halle, in: Stolzenberg, Jürgen / Rudolph, Oliver-Pierre (Hgg.): Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Akten des 1. Internationalen Christian-Wolff-Kongresses, Halle (Saale), 4. - 8. April 2004, Tl. 3, Hildesheim u.a. 2007, S. 79f; vgl. Sträter: Aufklärung, S. 56.

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Ausgleichs von verschiedenen binnentheologischen Strömungen innerhalb der geplanten Fakultät erklärt sich die anvisierte Berufung von Schrader, Olearius und Breithaupt, denn letzterer repräsentierte sowohl eine neue als auch eine in Brandenburg altbekannte theologische Linie. Die Namen der Liste vom 27.8.1691 sprechen deutlich gegen die These von der Schaffung einer Reformuniversität des Pietismus. 1.3.2. Binnenkonfessionelle Pluralität als Motiv für die Besetzung der theologischen Fakultät In seinen im Lauf des Jahres 1690 geäußerten Vorschlägen zur Aufrichtung einer Universität hatte Thomasius sich auch intensiv mit der zukünftigen theologischen Fakultät beschäftigt. Die Vorstellungen schwankten zwischen den Vorschlagsvarianten der Erst-, Zweit- und Endfassung,107 wiesen jedoch in Summe in eigentümlicher Art auf die dann in der Tat realisierte Ausrichtung der Fakultät Mitte und Ende der 1690er Jahre voraus. So diagnostizierte Thomasius für die Theologen im Allgemeinen eine zu starke Hinwendung zur polemischen Kontroverstheologie anstelle der Konzentration auf die Vermittlung von praktischer, bibelzentrierter Frömmigkeit108 und führte zur Hebung derselben eine Forderung Becmanns nach einem „Professor Pietatis“109 an, rekurrierte aber nicht, wie an dieser Stelle zu vermuten wäre, auf die Pia Desideria Philipp Jakob Speners. Im zweiten Entwurf und in der Endfassung wies er auf die Bedeutung von Exegese und Frömmigkeit einübenden, von Professoren zu haltenden Privatkollegien hin. Nimmt man seine positive Darstellung der Pietisten in Leipzig im Brief vom 25.3.1690 hinzu, in welcher er diese „alß gelehrte Magistri und Studiosi Theologiae […], die das Theologische Schulgezänck haßen, und vielmehr nach dem exempel und der Lehre Herrn. D. Speners Collegia Biblica und Pietatis halten, und sowohl sich als andere in Ubung des wahren Christenthums und zuförderst der friedfertigen Liebe des Nechsten zu erbauen und auffzumuntern suchen“,110

bezeichnet, kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, hier solle auf den Kurfürsten eingewirkt werden, Theologen dieser binnenkonfessionellen Strömung in Halle zu etablieren. Auf den ersten Blick passte die Person Joachim Justus Breithaupts gut zu diesem Eindruck, denn dass Breithaupt Pietist war, ist nicht von der Hand zu weisen. Vier Punkte seien angeführt. 1. Schon zu Beginn seiner Studienzeit 1676 war er in Kontakt mit Speners Pia Desideria gekommen und hatte sich zu einem begeisterten Leser entwickelt:

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Vgl. de Boor: Die ersten Vorschläge, S. 75–78. Vgl. ebd. Vgl. Becmann, Johan Christoph: Linea doctrinae moralis de natura moralium variisque eorum casibus ductae, Berlin 1679, S. 6f. zitiert nach de Boor: Die ersten Vorschläge, S. 75. Ob Becmann Speners Schrift kannte und rezipierte, ist unklar. Thomasius an den Kurfürsten am 25.3.1690, GStA PK, Rep. 52, I. HA, Nr. 159 N1 (1531, 1690– 1698), Bl. 172v.

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„Hiezu kamen nunmehro die Pia Desideria Speneriana; von welchen man billig sagen mag, wie JEsus Syr. C.XLVIII,1. dieselbige Schrifft brach herfür, wie ein Feuer, und ihr Wort brannte, wie eine Fackel! welcher denn obige Theologi nicht abfielen. O wie lieb und theur war es zu der Zeit manchen studiosis, daß sie auf eine reale Besserung gewiesen wurden! Indem man sehr hungrich und dürstig war, zu erkennen, wie man doch eigentlich nach den wahren Fußstapffen der Evangelischen Reformation procediren, und zu einer Evangelischen Besserung recht gelangen, und andere anleiten müßte.“111

2. Darüber hinaus schätzte Breithaupt verschiedene Klassiker der lutherischen Erbauungsliteratur des 17. Jahrhunderts, darunter die Vier Bücher vom Wahren Christentum112 von Johann Arndt (1605/10) und Joachim Lütkemanns Vorschmack göttlicher Güte113 (1653). Praktisch zum Tragen kam diese Lektüre frühzeitig. Als Konrektor in Wolfenbüttel 1679–81 hielt Breithaupt im Gefolge der spenerschen Vorschläge erste collegia pietatis ab, in denen Erbauungsbücher eine wichtige Rolle spielten: „Denn, von der Zeit an kamen sie ultro und ungezwungen: und nicht weniger des Sonntages, nach dem Heil. Werck gegen den Abend, versammleten sich bey mir wiederum die der S. Coena genoß und theilhafftig worden, auf daß sie sich im neuen Vorsatz durchs Wort und Gebet erwecketen und stärcketen; Wobey man denn, nechst der Heil. Schrifft, Catechismo und Compendio, die Lesung Joh. Arndts Bücher vom wahren Christenthumb, und dessen ParadießGärtlein, wie auch D. Lütkemanns Vorschmack Göttlicher Güte, recommendiret hat, und, nach geendigter Andacht, Gelegenheit genommen, singulatim einigen, die es benöthiget, besondere Erinnerungen mitzutheilen.“114

Dies setzte er als Hofprediger in Meiningen 1685 bis 1687 mit Kollegien zur Predigtwiederholung fort, und schon während seiner Zeit als Professurinhaber in Kiel 1684/85 hatte er hermeneutisch-homiletische Privatkollegien gegeben.115 3. Breithaupt kann außerdem vom Anbeginn seiner Karriere an tief im pietistischen Binnensystem verortet werden: Zu der persönlichen Bekanntschaft mit August Hermann Francke 1679 im Haus des Kieler Kirchenhistorikers Christian Kortholt kam 1681 der Kontakt zu Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen116 und nicht zuletzt die sich 111

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[Breithaupt, Joachim Justus]: Memoria Caplatoniana, Oder: Lebens-Beschreibung zweener Breithaupten […], [Quedlinburg] 1725, S.45. Arndt, Johann: Vier geistreiche Bücher vom wahren Christenthum, heilsamer Busse, hertzlicher Reue und Leid über die Sünde, und wahrem Glauben, auch heiligen Leben und Wandel der rechten wahren Christen, auch wie ein wahrer Christ, Sünde, Tod, Teufel, Hölle, Welt, Creutz und alle Trübsal durch den Glauben, Gebet, Geduld Gottes Wort und himmlischen Trost überwinden soll: und dasselbe alles in Christo Jesu, Anjetzo auffs neue wiederum auffgeleget, [...] vermehrt und verbessert, elchen allen noch in dieser Edition hinzu gethan anstatt des fünfften Buchs, Drey geistreiche Tractätlein des Autoris [...], Riga: Wilcke 1678. Lütkemann, Joachim: Der Vorschmack göttlicher güte, durch Gottes gnade, Von Joachimo Lütkeman vorgetragen, Woffenbüttel: Bißmarck 1653. Memoria Caplatoniana, S. 49. Vgl. ebd., S. 57: Breithaupt schrieb: „Und ob ich wohl daneben allerley Collegia privata von neuen anfieng, so wendete gleichwohl den meisten Fleiß darauff, daß mit gewissen Auditoribus die gantze Biebel Alt- und Neuen-Testaments homiletice durch excerpirete.“ Ebd. Vgl. Petersen, Johann Wilhelm: Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, [...] Als Zeugens der Warheit

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intensivierende persönliche Beziehung zu Philipp Jakob Spener seit 1683/84 anlässlich einer von Breithaupt geplanten Studienreise über Frankfurt am Main nach Straßburg, die allerdings nach dem Treffen mit Spener nicht über die Mainstadt hinauskam. 4. In den Erfurter Streitigkeiten mit den Vertretern des traditionellen Luthertums in Rat und Ministerium um die Person August Hermann Franckes und um den Perfektionismusvorwurf war Breithaupt – in Anbetracht seines Abgangs nach Halle – zwar nicht unbedingt erfolgreich, hatte seinen Ruf als Pietist aber weiter intensiviert. Dennoch ist die Erfurter Episode weniger mit seinem als mit dem Namen Franckes verknüpft.117 Auch bei der historiographischen Betrachtung der späteren Situation in Halle rückt Breithaupt zumeist in die zweite Reihe hinter Francke.118 In Bezug auf die in Brandenburg-Preußen forcierte Abwehr gegenüber dem kirchenund lebensgestaltenden Einfluss des traditionellen Luthertums und seines Zentrums Wittenberg, auf die Thomasius-Äußerungen zu Spener sowie den collegia pietatis im Zusammenhang mit der Universitätsgründung in Halle und auf seine Forderung nach neuen tüchtigen, lehrfähigen Männern erhält man in diesem Licht eine ausgesprochen smarte Erklärung für die Breithaupt-Berufung als die eines pietistischen Akteurs mit Bezug zu Spener als Referenzperson. Die Deutung der Breithaupt-Berufung als die von Berlin intendierte Berufung eines Pietisten, also eines Vertreters einer bisher kaum bekannten lutherisch-theologischen Denk- und Handlungsart, mit einer zentralen Stellung in deren personellem Netzwerk, ergibt in Synopse mit dem vermeintlich als Aufklärer berufenen Thomasius ein innovativeres Moment für die Stoßrichtung der jungen Universität, als es der Anachronismus des bloßen Konfessionalismus sein könnte. ‚Modernisierung’ und ‚Reformuniversität’ sind die Stichwortgeber für diese Interpretation. Jedoch: In Anbetracht des Konzepts zur Rolle von Bildungseinrichtungen in Brandenburg-Preußen im Rahmen der lang angelegten Konfessionspolitik und zu der geplanten Umprägung der konfessionellen Identität des Kirchenpersonals sowie der Untertanen in diesem Sinn ergibt sich durch die Installierung Breithaupts als eines Pietisten eine abrupte Diskontinuität. Kurz gesagt: Die Berufung eines völlig neuen theologischen Elements passt nicht ins Bild. Der bisher in Brandenburg-Preußen erprobte konfessionspolitische Handlungskatalog lässt das Interpretament einer durch die Förderung der Pietisten plötzlich vollkommen veränderten Handlungsweise als nicht überzeugend erscheinen. Ebenso wenig kann ein solcher Wechsel in der Konfessionspolitik durch personelle oder strukturelle Veränderungen in Berlin erklärt werden. Die erste Professorenliste mit den Vertretern der traditionell-lutherischen Geistlichkeit als Mehrheit an der theologischen Fakultät

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Christi und seines Reiches, nach seiner grossen Oeconomie in der Wiederbringung aller Dinge. [...], [Halle: Renger] 1717, S. 60f. Dort heißt es: „Um die Zeit habe ich auch den lieben Herrn Dr. Breithaupt, der jetzo Abt zu Closterberg, und Professor Theologiae Primarius in Hall ist, in mein Hauß aufgenommen, als er von Wolffenbüttel kam, und einen grossen Trieb in sich empfand, seine Studien in der Theologie weiter zu prosequiren.“ Ebd. Vgl. Kramer, Gustav: August Hermann Francke. Ein Lebensbild, 2. Bde., Bd. 1 Halle 1880, Nachdruck: Hildesheim u.a. 2004, S. 65ff. Vgl. Brecht, Martin: August Hermann Francke, S. 454.

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spricht ebenfalls eindeutig gegen einen völlig neuen Schub in der Konfessionspolitik. Die pietistische Identität Breithaupts allein reicht nicht aus, um seine Berufung zu erklären. Ebenso wie im Fall des Staatskirchenrechtlers Christian Thomasius ist auch bei Breithaupt eine differenziertere Betrachtung jenseits der Pietismusthese notwendig.119 Sowohl als Kieler Professor als auch als Hofprediger in Meiningen hatte Breithaupt sich in Verbindung mit den collegia als Repräsentant einer anders gelagerten lutherischen Theologie erwiesen, welche die Verständlichkeit und Erbaulichkeit von Predigten, die Katechismuserziehung der Untertanen und die Mäßigung im kontroverstheologischen Streit gegenüber anderen Konfessionen zunehmend in den Mittelpunkt rückte. Dies allein hätte in Anbetracht des bisherigen Erkenntnisstands über die Eigenheiten der Berliner Konfessionspolitik ausreichen können, ein Interesse an seiner Person zu wecken, ohne dass man mit den theologischen Besonderheiten von pietistischen Akteuren vertraut sein musste. Breithaupt repräsentierte eine reformiertenfreundliche Strömung innerhalb der lutherischen Konfessionskultur. Seine ‚Friedfertigkeit’ kann im Rahmen seines Bildungsweges nicht ausschließlich durch den Frühkontakt mit den Pia Desideria erklärt werden, denn er überkreuzte sich mit einem zur brandenburg-preußischen Konfessionspolitik erheblich passgenaueren theologisch-intellektuellen Einfluss: Die Tatsache, dass Breithaupt äußerlich die Theologie seines Studienorts Helmstedt repräsentierte, ergab zwangsläufig einen interessanten Kandidaten. 1676 hatte er sich an der Universität Helmstedt immatrikuliert, wo er einen Teil seiner philosophischen Studien bei dem Professor für Rhetorik Christoph Schrader absolvierte, bevor er mit den theologischen Studien begann. In seinem 1725 verfassten Lebenslauf fehlen zwar Hinweise auf eine entscheidende Prägung durch die führenden Vertreter der Calixt-Linie, dennoch kann man davon ausgehen, dass er mit den theologischen Grundpositionen des Calixt-Sohns Friedrich Ulrich Calixt und des Calixt-Schülers Gerhard Titus zumindest in Berührung kam, die beide als Verteidiger der theologischen Grundpositionen Georg Calixts ebenso wie Heinrich Rixner120 in den Synkretistischen Streit involviert waren. Unter den Helmstedter Lehrveranstaltungen zwischen 1676 und 1679 finden sich jedenfalls mehrere, die sich mit den Konfessionskontroversen befassten.121 Inwieweit sich Breithaupt tatsächlich mit dieser theologischen 119 120

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Als Ausgangspunkt für die folgenden Überlegungen vgl. Sträter: Spener, S. 97. Rixner hatte zwar nicht bei Calixt, sondern vorrangig bei Johann Musäus an der Fakultät in Jena studiert, welche sich 1655 dem von Calov angestrebten, gegen Calixt die Identität des traditionellen Luthertums klarstellenden Consensus repetitus fidei vere Lutheranae widersetzt hatte; vgl. Zimmermann, Paul: Art. „Rixner, Heinrich“, in: ADB 28 (1889), S. 714–715. So z.B. die Ankündigungen: „Gerhardvs Titivs D. Exposuit hactenus Controversias quae Protestantibuscum Pontificiis intercedunt. Ejus operae quod reliquum est, sedulo laborabit ad finem perducere. [...]“ (1676B); “Gerhardvs Titivs D. publice Controversias singulas, quae Augustanae invariatae Confessionis Doctoribus cum Reformatis, qui vocantur, intercedunt, praeleget. […]“ (1677A); “Fridericvs Ulricvs Calixtvs D. de S. Eucharistia Doctrinam publice, Deo iuvante, est explicaturus, & discrepantes cum Pontificiorum tum Reformatiorum circa illam sententias propositurus. [...]” (1677B); “Gerhardvs Titivs D. Disputationes publicas super Thesibus suis Theologicis institutas, quarum dimidiam partem jam habuit, absolvet porro. Controversias quoque quae nobis cum Reformatis intercedunt, lectionibus publicis proponent denuo & [...]” (1979B). Alle

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Richtung identifizierte oder sich innerlich von ihr distanzierte, wie es sein 1725 erschienener Lebenslauf vermittelt,122 bleibt im Dunkeln. Angemerkt werden muss allerdings, dass eine auf die Vorgänge in Helmstedt bezogene Kritik an den traditionell-lutherischen Theologen und deren Streitlust, geäußert im Druckjahr des Lebenslaufs, 1725, durchaus eine Kontextualisierung im Bereich der Auseinandersetzungen der hallischen Fakultät mit Valentin Ernst Löscher besitzen konnte. 1691, um diese Zeit und nicht um eine retrospektive Deutung geht es hier, waren in Berlin jedoch keine Äußerungen Breithaupts pro oder contra Calixt-Schule bekannt, es galt der äußere Anschein. Die Konrektorentätigkeit 1679–1681 in Wolfenbüttel stand ebenfalls unter dem Einfluss einer durch Calixt geprägten Persönlichkeit in Gestalt des Calixt-Schülers Brandanus Dätrius.123 1662 war Dätrius ein Nachfolger des bekannten lutherischen Erbauungsschriftstellers Joachim Lütkemann als Hofprediger und Konsistorialdirektor geworden und hatte die Berufung Breithaupts wahrscheinlich erwirkt.124 Zum Wintersemester 1681 wechselte Breithaupt dann an die theologische Fakultät der 1665 gegründeten ChristianAlbrechts-Universität Kiel, um dort vor allen anderen bei Christian Kortholt Kirchengeschichte und später Kasualtheologie zu hören.125 Kortholts theologiegeschichtliche Bedeutung ist von Eberhard Peschke herausgearbeitet worden.126 Dessen abschließendes Urteil ergibt mit Blick auf Breithaupt ein weiteres wichtiges Instrument zur Dechiffrierung, warum Breithaupt in den Blick der Berliner Regierung geraten konnte: „Die Theologie Kortholts ist ein anschauliches Beispiel dafür, dass die vorpietistische Orthodoxie nicht mit der durch ihren Kampf gegen den Pietismus verhärteten Spätorthodoxie gleichgesetzt werden darf,“127 denn die kirchengeschichtlichen Vorstellungen Kortholts hoben sich von der in Berlin abgelehnten Wittenberger Kontroverstheologie durchaus ab128 und illustrierten gleichzeitig die Bandbreite auch lutherischer Theologie ganz im 122

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entnommen: http://uni-helmstedt.hab.de/?cPage=3&sPage=vorlesung [Zugriff 22.9.2010]. Im Sinne einer Distanz votiert le Cam; vgl. le Cam, Jena-Luc: Justus Joachim [sic!] Breithaupt als Schüler von Christoph Schrader, in: Lindauer-Huber, Reimar / Lindner, Andreas (Hgg.): Joachim Justus Breithaupt (1658–1732). Aspekte von Leben, Wirken und Werk im Kontext, Stuttgart 2011 (Friedenstein-Forschungen, Bd. 8), S. 111. Vgl. Memoria Caplatoniana, S. 4. Dätrius war außerdem 1636–1638 lutherischer Gesandtschaftsprediger beim reformierten schwedischen Gesandten Hugo Grotius gewesen. Vgl. ebd., S. 47f. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. Peschke, Erhard: Bekehrung und Reform. Ansatz und Wurzeln der Theologie August Hermann Franckes. Bielefeld 1977 (AGP, Bd. 15), S. 41–63. Ebd., S. 62f. Hervorhebungen von Peschke. Kortholt beschäftigte sich während der Kieler Studienzeit Breithaupts kontroverstheologisch vorrangig mit antikatholischer Polemik, wodurch sich Breithaupts Respondententätigkeit für De Processu disputandi Papistico als ein quasi kontroverstheologischer ‚Ausfall’ in der Biographie erklärt; vgl. Memoria Caplatoniana, S. 52f. Breithaupt selbst erklärte rückblickend lapidar: „Insonderheit war ich, unter andern respectibus, auch deßhalb zur rechten Zeit angekommen, weil KORTHOLTUS, wie er schon vieles contra Pontificios edirt hatte, eben in Begriff war, den methodum disputandi, e Scriptis Lutheri, Patrum, et Theologorum nostrorum contra adversarios, atque, ex horum scriptis, ad versum nos, ausführlich darzuthun: Daher ich bewogen worden, unter ihm

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Sinne des Konzepts lutherischer Konfessionskultur. So lassen sich bei Kortholt, abgeleitet aus einer äußeren und inneren Verfallsgeschichte der Kirche,129 Lösungsvorschläge einer kirchlichen Reform finden, insbesondere die praktisch-theologischen Vorschläge zur Predigt- und Katechismuserziehung ähnlich denen von pietistischen Akteuren.130 Für den außenstehenden Beobachter konnte Breithaupt mit diesem Bildungsweg als ein Theologe gelten, der mit der in Brandenburg geschätzten irenischen Theologie durch seine Jahre in Helmstedt und Wolfenbüttel gut vertraut war.131 Die Zeit in Kiel fügt sich insofern in dieses Bild als sich Breithaupt hier ebenfalls nicht kontroverstheologisch gegen die Reformierten betätigte, sondern sich vielmehr auf kirchenhistorische und kasualtheologische Studien konzentrierte. Günstig war außerdem, dass das von traditionell-lutherischer Seite vermeintlich wahrzunehmende Calixtinische Odeur durch Kortholt gut überdeckt wurde. Breithaupt als Kortholt-Schüler, so konnte man in Berlin annehmen, war gegen Heterodoxievorwürfe aus Wittenberg gefeit. Auch die spätere Tätigkeit als Inhaber der homiletischen Professur in Kiel 1684/85 passte zu einem Theologen, der augenscheinlich fern der Theologie Wittenbergs stand und nicht in den für Brandenburg-Preußen relevanten theologischen und konfessionspolitischen Konflikten der letzten Jahre aufgetreten war, dies natürlich auch allein aufgrund seines noch jungen Alters. Man kann bei Breithaupt zusammenfassend eine theologische Grundhaltung der Abkehr von der Kontroverstheologie feststellen, die die Voraussetzung für die Abhaltung von collegia und die Entwicklung zum Vertreter Spenerscher Ideen bildete. Einen Schub erfuhr Breithaupts theologische und kirchenpolitische Karriere nach der Meininger Zwischenstation, als er 1687 auf Empfehlung Speners132 in Erfurt Oberpfarrer an der Predigerkirche, Senior des evangelischen Predigtministeriums, Protephorus und Inspektor des Ratsgymnasiums und Professor Augsburgischen Bekenntnisses an der Erfurter Universität wurde. In Erfurt fand er unentschiedene Verhältnisse für die Einrichtung von Kollegien zur Predigtwiederholung vor, denn es muss „seit dem Dreißigjährigen Krieg in Erfurt eine Gruppe von Bürgern und Pfarrern gegeben haben, die von den im nahen Gotha verbreiteten frühpietistischen Reformbestrebungen erfaßt und deshalb von der Mehrheit der orthodoxen Pfarrschaft angefeindet wurde.“133 Insgesamt scheint sich in Erfurt durch die Tätigkeit des als Erbauungsschriftsteller bekannt gewordenen Johann

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als Respondens publice zu disputieren de Processu disputandi Papistico.“ Ebd. Vgl. Peschke: Bekehrung, S. 42. Vgl. ebd., S. 50ff. Darüber hinaus unterhielt Kortholt vielseitige Kontakte zu pietistischen Akteuren wie Spener, dem Ehepaar Petersen, Horb und Winckler in Hamburg. Vgl. Albrecht-Birkner/Sträter: Orthodoxie, S. 345. Vgl. Spener, Philipp Jakob: Letzte Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten 1711. Nebst einer Vorrede von Carl Hildebrand von Canstein, 3 Teile, Tl. 3, Halle: Waisenhaus 1711, Nachdruck, eingel. v. Blaufuß, Dietrich / Schicketanz, Peter, Hildesheim u.a. 1987 (= Spener, Philipp Jakob: Schriften, hg. von Beyreuther, Ernst, Bd. XV, 2 Bde.), S. 217f.; vgl. Wallmann, Johannes: Erfurt und der Pietismus im 17. Jahrhundert, in: Weiß, Ulman (Hg.): Erfurt 742–1992. Stadtgeschichte. Universitätsgeschichte, Weimar 1992, S. 412. Wallmann: Erfurt, S. 409.

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Matthäus Meyfarth, durch den Senior Bartholomäus Elsner und den Diakon Johann Melchior Stenger ein mittelfristig günstiges Klima für theologische Neuerungen im Sinn von Kirchenreform und Erbauung, auch unter dem Einfluss der gothaischen Kirchen- und Schulvisitation,134 entwickelt zu haben, bei einer sich gleichzeitig erhöhenden Wachsamkeit der Mehrheit der Mitglieder im Predigtministerium gegenüber dem möglichen Abfall von Bürgern und Theologen von traditionell-lutherischen Lehrtraditionen.135 Wie schon zuvor gewann Breithaupt für seine collegia in Erfurt erfolgreich Anhänger, darunter angesehene Bürger der Stadt und theologische Kollegen.136 Als Professor las er über die biblischen Bücher, die Bekenntnisse und Bekenntnisschriften Augsburgischer Konfession, die altkirchlichen Bekenntnisse, die Loci Theologici des Martin Chemnitz und auch über Johann Arndts Bücher vom Wahren Christentum unter Bezug auf Luthers Römerbriefvorrede.137 Die ersten drei Jahre waren vergleichsweise reibungslos verlaufen, bevor mit der geplanten Bestallung Franckes als Diakon an der Augustinerkirche im April bis zum Juni 1690 ein erster heftiger Streit um dessen Rechtgläubigkeit ausbrach. Breithaupt setzte hier die Berufung Franckes in der binnenkonfessionell aufgeladenen Konfliktlage durch das zwischen den Befürwortern der Pietisten und des traditionellen Luthertums gespaltenen Predigtministerium erfolgreich durch.138 Im Sinne der Friedfertigkeit ist dabei allerdings das Entgegenkommen des Seniors gegenüber der anti-pietistischen Partei mit ihren Vorbehalten insbesondere gegen Perfektionismusvorstellungen bei Francke zu verzeichnen, indem er diesen eine Verpflichtung auf die Bekenntnisschriften die Rechtfertigung und die Vollkommenheit betreffend unterschreiben ließ.139 Breithaupt ließ sich an dieser Stelle nicht auf eine Abkehr von den konfessionellen Verbindlichkeiten ein, sondern beharrte auf ihrer Anerkennung und der Wahrung ihrer Codes. Dass er sowohl mit der Autorität seines Amtes als auch mit ausgleichendem Geschick zu agieren 134

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Dazu vgl. Albrecht-Birkner, Veronika: Reformation des Lebens. Die Reformen Herzog Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha und ihre Auswirkungen auf Frömmigkeit, Schule und Alltag im ländlichen Raum (1640–1675), Leipzig 2002 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 1). Vgl. Wallmann: Erfurt, S. 404–411. Vgl. Memoria Caplatoniana, S. 64; vgl. Wallmann: Erfurt, S. 412. Vgl. Memoria Caplatoniana, S. 72. Breithaupt dazu: „Zu Erffurth hatte ich zu dem Ende, nechst Handlung der Heil Schrifft, die Libros Augustanae Confessionis Symbolicos samt den Antiquitatibus Ecclesiasticis, und die Locos Theologicos nach des CHEMNITII Lehr-Arth, und daneben absonderlich Seel. Joh. ARNDTII Bücher vom wahren Christenthum, beständig tractiret; Als wodurch Lutheri wahrer Krafft-Sinn recht erneuert, und zur Praxi gebracht wird: wovon die aldort gedruckten Programmata noch zeugen. Damit auch alle best-gemeynte intention gerettet würde von dem Argwohn, als würde was neues gesuchet; So hatte dabey immer auf des Lutheri teutsche Vorrede, über die Epistel an die Römer, meine Auditores gewiesen“. Ebd. Zur Rolle der Römerbriefvorrede als Mittel der Pietisten, zentrale Anliegen zu begründen vgl. Schmidt, Martin: Luthers Vorrede zum Römerbrief im Pietismus, in: Ders.: Wiedergeburt und neuer Mensch. Gesammelte Studien zur Geschichte des Pietismus, Witten 1969 (AGP, Bd. 2), S. 299–330. Vgl. Drese: Problem, S. 55f. Vgl. Kramer: Lebensbild, Bd. 1, S. 68.

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befähigt war, zeigte sich deutlich. Die von Francke von Leipzig nach Erfurt mitgebrachte Perfektionismusproblematik entlud sich im Dezember 1690 auch für Breithaupt persönlich in einem anhaltenden, auf den Kanzeln und im Rat ausgetragenen Konflikt mit dem Rektor des Erfurter Ratsgymnasiums Zacharias Hogel.140 Auch in dieser Auseinandersetzung ging es wie schon bei Franckes Berufung sowohl um einen theologischen Disput als auch um eine „Machtprobe innerhalb des städtischen Machgefüges“, welche sich „zu einem Versuch Breithaupts, pietistische Theologie mit Hilfe seiner Amtsautorität durchzusetzen, wobei der Kampf um die Amtsautorität letzthin einen weit größeren Raum einzunehmen schien als das Durchsetzen theologischer Ansichten,“141 entwickelte. Claudia Drese gibt mit diesem Hinweis auf das Amtsverständnis des Seniors und seine Durchsetzungsfähigkeit einen wichtigen Fingerzeig zur äußeren Einschätzung der Rolle Breithaupts. Schließlich erscheint es fragwürdig, inwieweit weltliche Geheime Räte in Berlin hochkomplexe theologische Kontroversen um die Frage nach dem Perfektionismus verfolgten und ausgerechnet daraus für die Konfessionspolitik zwischen Lutheranern und Reformierten personale Konsequenzen ableiteten, zumal eine umfangreiche literarische Debatte fehlte. Konturierter war allerdings eine einigermaßen prominente lutherische Amts- und Lehrperson, die sich gegenüber den traditionellen lutherisch-theologischen Eliten in Erfurt autoritär, konsequent und zielorientiert verhielt und dabei auch den Konflikt mit dem Rat nicht scheute. Breithaupt protestierte im Streit mit Hogel gegen die am 30.12.1690 vom Rat eingesetzte Untersuchungskommission, an welcher er nicht beteiligt werden sollte. In den folgenden Diskussionen trat er in einen Dauerkonflikt, sowohl mit dem Rat um die Neubesetzung der Untersuchungskommission und um die Rücknahme eines Hogel bestätigenden Ratsdekrets (beides Februar 1691) als auch mit den nichtpietistisch orientierten Mitgliedern des Predigtministeriums um die Beantwortung eines von der Kommission vorgelegten Fragenkatalogs zu den Themen von Wiedergeburt und Erfüllung. In beidem zeichnete er sich nun durch anhaltende Kompromisslosigkeit aus und beharrte auf seiner Amtsautorität als Senior, stellte aber gleichzeitig seine anhaltende Friedfertigkeit heraus.142 An Spener in Berlin schrieb er am 9.7.1691: „Ob ich nun wol bey meinem Ampt sehr hefftiglich und manichfaltig beleidiget worden, […], und meines Ampts Rettung auff einige Weise zuerhalten wäre, erbete ich nichts mehr als Frieden, und würde mich in alle wege christlich finden laßen“.143

Dass Breithaupt sich im Fall Hogel zudem eine negative Begutachtung seitens der theologischen Fakultät Wittenberg zugezogen hatte, konnte seine Eignung für brandenburgische Dienste noch deutlicher erweisen, deutete aber gleichzeitig, wenn auch weniger offensichtlich als die Vorgeschichte Thomasius’, die möglichen kontroverstheologischen Probleme bereits an.144 Dennoch konnte Breithaupt als ein Theologe wahrgenommen 140 141 142 143 144

Vgl. Drese: Problem, S. 40ff. Ebd., S. 44. Vgl. ebd., S. 45–50. Joachim Justus Breithaupt an Philipp Jakob Spener am 9. Juli 1691, AFSt/ H D89, Bl. 18r. Vgl. Drese: Problem, S. 52ff.

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werden, der im Kern so lange, wie es möglich war, auf Verständigung und Kompromiss gesetzt hatte. Als präsumtiver, zweiter neuer Professor in Halle besaß Breithaupt damit Eigenschaften, die Thomasius bisher nicht gezeigt hatte. Umso wichtiger war dies, da es jetzt um die Besetzung der wichtigen theologischen Fakultät ging. Der Erfurter Konflikt mit Hogel endete am 11.6.1691 mit einem vom magdeburgischen Propst und Jenaer Professor Philipp Müller vermittelten Vergleich zur Wiederherstellung der im Streitverlauf beschädigten Amtsautoritäten beider Hauptakteure.145 Eine knappe Woche später eskalierten die ‚Erfurter Streitigkeiten’ Franckes um Separation und Perfektionismus, welche letztendlich zu dessen Entlassung und Breithaupts freiwilligem Abgang nach Halle führten. Eine detaillierte Schilderung soll hier nicht im Zentrum stehen;146 festzustellen sind eine zunehmende Opposition sowohl im Rat als auch im Ministerium gegen Francke und seinen Unterstützer Breithaupt. Am 3.9.1691 schaltete sich die kurmainzische Regierung ein, verbot jegliche Konventikel und entsetzte am 18.9.1691 Francke seines Amtes. Angesichts des wachsenden Drucks seiner Gegnerschaft Ende September 1691 und der Ausweisung Franckes am 24.9.1691 erklärte auch Breithaupt am 25.9.1691 seinen Abschied in Richtung Halle.147 Die Verbindung zwischen Breithaupt und Halle/Berlin muss subkutan erfolgt sein: Da Breithaupts Name schon am 27.8.1691 auf der ersten Professorenliste auftauchte, musste Berlin, weil keine direkten Kontakte zwischen beiden Parteien nachweisbar sind, durch eine dritte Partei über die Situation in Erfurt und ein mögliches Interesse bzw. Freiwerden Breithaupts informiert gewesen sein. Dabei kann es sich zum einen um die Verbindung zwischen Breithaupt und Philipp Jakob Spener und die Kontakte Speners zu Mitgliedern des Geheimen Rats gehandelt haben. Spener war, nicht zuletzt durch Breithaupts Brief vom 9.7.1691, über die Vorgänge in Erfurt aus der Sicht des Seniors informiert. Zum anderen stand er mit August Hermann Francke, dem Hauptakteur der neuerlichen Erfurter Streitigkeiten, in gutem Kontakt. Deren letzter bekannter brieflicher Austausch vor dem Breithaupt-Wechsel nach Halle hatte am 7.8.1691 stattgefunden. Francke berichtete nach Berlin von der Zuspitzung der Situation durch die Bittschrift von Studenten um die Wiedereinführung seiner collegia und dem Abgang verschiedener Studenten aus Erfurt.148 Im nächsten überlieferten Brief am 10.10.1691 teilte Spener Francke bereits die Nachricht von der offenen Glauchaer Pfarrstelle mit und beschrieb als einen Vorteil die dann wiederhergestellte Nähe Franckes zu Breithaupt.149 Die Bemerkung Dreyhaupts,

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Vgl. Breithaupt an Spener am 9.7.1691, AFSt/ H D89, Bl. 18r–18v. Vgl. dazu immer noch ausführlich Biereye, Johannes: August Hermann Francke und Erfurt, in: ZVKGS 21 (1925), S. 31–82; vgl. Kramer, Gustav: Beiträge zur Geschichte August Hermann Francke’s enthaltend den Briefwechsel Francke’s und Spener’s, Halle 1861, S. 80–152; vgl. Kramer: Lebensbild, Bd.1, S. 65–99. Wegen des Breithaupt-Abgangs vgl. Kramer: Lebensbild, Bd. 1, S. 94–97. Vgl. Joachim Justus Breithaupt an den Erfurter Rath am 25.9.1691, AFSt/ H D89, Bl. 988r. Vgl. Brief Nr. 12 August Hermann Francke an Philipp Jakob Spener am 7.8.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 47f. Vgl. Brief Nr. 13 Spener an Francke am 10.10.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 51.

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Spener habe Breithaupt für die Professur in Halle vorgeschlagen,150 könnte richtig sein. Der verbreiteten Annahme, Spener habe direkten Einfluss auf höchste Regierungskreise und den Kurfürsten besessen, soll dabei allerdings nicht gefolgt werden, wie die Analyse von Speners Kontakten an anderer Stelle aufzeigt.151 Auch im Umkehrschluss kann diese Verbindungslinie zwischen Spener und Breithaupt stark gemacht werden. Als Breithaupt am 25.9.1691 dem Rat seinen Abgang erklärte, muss er ebenfalls über dritte Quellen, neben der kursierenden ersten Liste vom 27.8.1691, über seine Vokation nach Halle informiert gewesen sein, da er offiziell erst am 7.10.1691 aus Berlin in Kenntnis gesetzt und die Berufung recht allgemein damit begründet worden war, dass „zumahlen und sonderlich gerühmet worden, was vor eine ungemeine Wissenschaft ihr [Breithaupt], in dieser heiligen doctrin, erlanget, was für ein exemplarischen Wandel ihr, an denen Orten, woselbst ihr bishero gestanden, geführet und daß ihr also, in Lehr und Leben, der studirenden Jugend hoffentlich mit Nutzen werdet vorgesetzet werden können.“152

Gleichzeitig, und das hatte im Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 noch keine Erwähnung gefunden, sollte Breithaupt als Direktor des geplanten theologischen Seminars für den gesamten theologischen Nachwuchs verantwortlich und auch zum Konsistorialrat berufen werden. Breithaupt hingegen wusste – sein Abgangsschreiben an den Erfurter Rat sagt dies aus – davon bereits am 25.9.1691. Einem Vertreter einer noch unkalkulierbaren jungen theologischen Richtung einen derart eminenten Einfluss auf die neuen Theologen des Landes zu gewähren, wäre Teil einer risikoreichen Konfessionspolitik gewesen, wie sie in Brandenburg bisher nicht gehandhabt wurde, und angesichts der schon vorhandenen Konflikte nicht wahrscheinlich. Besser ins Bild passt die Indienstnahme eines lutherischen Theologen, der sich durch seine bisherige Karriere grundsätzlich frei von aggressiver Kontroverstheologie gezeigt und bei der Ausbildung des Nachwuchses auf andere Qualitäten Wert gelegt hatte. Erst am 26.10.1691 vermeldete Breithaupt Annahme und Abreise gen Halle an die Universität, „welche nicht anders anzusehen, als ein Pflantzen-Garten rechtschaffender Werckzeuge bey allen Ständen“153 nach Berlin, nachdem er von dem Hofkammerrat von Kraut einen Vorschuss erhalten hatte.154 Die geplante Gegenüberstellung zwischen Schrader und Olearius als Repräsentanten der traditionell-lutherischen Geistlichkeit des Herzogtums einerseits und Breithaupt andererseits besaß keinen Bestand, da die beiden 150 151 152

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Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 6. Vgl. Kapitel III.1.3.3. Notifikation vom 7.10.1691, abgedruckt bei von Ludewig: Historie, S. 46f. Breithaupt vermeldete am 26.10.1691 aus Halle die Annahme der Vokation, vgl. Joachim Justus Breithaupt an den Kurfürst am 26.10.1691, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 357r–358r. Joachim Justus Breithaupt an den Kurfürst am 26.10.1691, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 357r. Vgl. ebd., Bl. 357v. Zu von Kraut, der bei der Berufung Franckes nach Halle ebenfalls die wichtige Rolle des Zuträgers übernommen hatte vgl. Brief Nr. 13 Spener an Francke am 10.10.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 51.

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anderen Kandidaten den Ruf ablehnten. Schrader verließ im Sommer 1692 Halle endgültig und entzog sich den ihm bekannten, nun neu entfachten konfessionellen sowie den hochschulpolitischen Auseinandersetzungen,155 um das Superintendentenamt an der Dresdner Kreuzkirche anzunehmen.156 Johann Christian Olearius vermied zwar den Universitätsposten, als Stadtsuperintendent und Oberpfarrer von Unser Lieben Frauen aber nicht die Konflikte mit den Universitätsangehörigen. Bis zur eigentlichen Eröffnung der Universität durch die kaiserliche Privilegierung und die Einweihung am 1.7.1694 war Breithaupt demzufolge einziger Professor für Theologie in Halle. Das änderte sich erst mit der Berufung von Johann Wilhelm Baier als Professor primarius und zum ersten Prorektor der Universität. Andrea Lehmann äußert Zweifel an der in der jüngeren Breithauptforschung getroffenen Aussage, Baier und nicht Breithaupt sei primarius gewesen. Lehmann begründet ihre Zweifel mit der Amtsseniorität Breithaupts und dem Fehlen des Primarius-Titels in von den Theologieprofessoren gemeinsam verfassten Schreiben.157 Die Konsultation der frühesten Universitätsgeschichte zeigt jedoch, dass Baier sehr wohl als primarius berufen wurde.158 Wenn man darüber hinaus eine wie auch immer geartete Amtsseniorität geltend machen wollte, dann hinge diese nicht von der Erstberufung, sondern vom akademischen (sozialen) Kapital des Professors und seiner Positionierung innerhalb des innerlutherischen akademischen Gefüges ab. Insofern war Baiers Berufung ein geschickter Schachzug, denn er konnte als traditioneller Lutheraner gelten, war aber im Zweifelsfall weniger angreifbar als sein Kollege Breithaupt. Dies lag an der besonderen Situation der theologischen Fakultät Jena, von der Baier nach Halle kam. Die Universität Jena verzeichnete einen enormen Zulauf, neben der theologischen Fakultät wurden die Studenten insbesondere von dem Universalgelehrten Erhard Weigel angezogen. Baier hatte bei Johann Musäus studiert und war dessen Fakultätskollege geworden. Seitdem die Fakultät unter Musäus die Unterschrift unter den von Wittenberg 1665 initiierten Consenus repetitus fidei159 verweigert hatte, galt sie in den Augen der Theologen Wittenbergs 155 156

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Vgl. von Ludewig: Historie, S. 54. Vgl. dazu Abgangsgesuch Schraders vom 19.7.1692 und kurfürstlicher Bescheid vom 6.8.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 601r–603r. Durch den Abgang Schraders in wettinische Lande wird ebenso wie durch die spätere Berufung und den Abgang Baiers Mühlpfordts These von der Rivalität zwischen Brandenburg-Preußen und sächsischen Territorien um die akademischen Köpfe belegt; vgl. Mühlpfordt: Die Rivalität, S. 34–53. Vgl. Lehmann, Andrea: Joachim Justus Breithaupts Berufung nach Halle, in: Lindauer-Huber, Reimar / Lindner, Andreas (Hgg.): Joachim Justus Breithaupt (1658–1732). Aspekte von Leben, Wirken und Werk im Kontext, Stuttgart 2011 (Friedenstein-Forschungen, Bd. 8), S. 136. Lehmann positioniert sich v.a. gegen Sträter. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 67. Calov, Abraham: Consensus Repetitus Fidei Vere Lutheranae: In illis Doctrinae capitibus, Quae Contra puram, & invariatam Augustanam Confessionem, aliosq[ue] libros symbolicos, in Formula Concordiae comprehensos, scriptis publicis impugnant D. Georgius Calixtus, Professor Helmstadiensis, eiusdemq[ue] complices, In gratiam eorum, qui distantiam D. Calixti, Rintelensium, & aliorum Novatorum a fide Lutherana in Synopsi intueri discupiunt, ob praesentem Ecclesiae necessitatem, seorsim editus, Wittebergae: Borckardus 1666.

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als abtrünnig, in den Augen derer aber, die die Wittenberger wiederum ablehnten, konnte Jena als Ort einer friedlicheren binnenkonfessionellen Strömung erscheinen. Baier hatte 1678 seinen Schwiegervater Musäus gegen Angriffe aus Wittenberg verteidigt, aber 1686 mit seinem Compendium theologiae positivae160 einen dogmatischen Entwurf vorgelegt, „der auf den Schultern von Musäus blieb, aber durch betonte Rezeption der Konkordienformel den durch Musäus entstandenen Dissens zu Wittenberg überspielte und sich so als dogmatisches Lehrbuch empfahl.“161 Für die Außenwahrnehmung der theologischen Fakultät Halle war Baier innerhalb der Bandbreite lutherischer Theologie damit auf dem Papier ein geeigneter Mann, ausreichend traditionell-lutherisch, jedoch ohne die Wittenberger Aggressivität. In der Praxis sah es kurz nach Baiers Ankunft jedoch anders aus, denn seine Verhaftung im traditionellen Luthertum war derart stark, dass er sich sehr schwer mit konfessionspolitischen Neuerungsabsichten tat.162 Baiers Berufung 1694 wirft ein genaueres Licht auf die Breithaupt-Berufung drei Jahre zuvor: Mit ihm wurde aus Berliner Sicht einerseits ein gemäßigter traditioneller Lutheraner – vor dem Hintergrund Wittenbergs – berufen. Auf der Folie der sich inzwischen eher pietistisch als nur gemäßigt lutherisch entwickelnden hallischen Verhältnisse um Breithaupt und vor allem Francke muss er aber andererseits in der lutherischen Außenwahrnehmung erheblich stärker als Vertreter des traditionellen Luthertums erfasst worden sein. Es handelte sich bei Baiers Berufung daher um eine taktische Handlung, ihn als Ausgleich zur Phalanx Francke-Breithaupt zu installieren, um die Rechtgläubigkeit der theologischen Fakultät und der Universität deutlicher herauszustellen. Denn die möglichen Zweifel an dieser Rechtgläubigkeit durch die Vertreter des traditionellen Luthertums hätten die Gefahr des Akzeptanzverlusts der Fakultät und Universität bei den Untertanen heraufbeschworen und damit den Studentenzulauf einschließlich der damit verbundenen finanziellen Bilanz bedroht. Diese Erklärung für die Breithaupt-Baier-Berufung wird außerdem durch die Tatsache gestützt, dass Baier, nicht Breithaupt, Primarius wurde und letzterer in das zweite Glied treten musste.163 Für die Breithaupt-Berufung ergibt sich als Umkehrschluss aus der Baier-Berufung weiterhin Folgendes: So wie Baier 1694 als Ausgleichspersönlichkeit berufen wurde, war auch Breithaupt 1691 zum Ausgleich berufen worden, nämlich um das in der ersten Berufungsliste angelegte traditionelle Luthertum aufzuweichen und die Ausbildung von geeigneten friedfertigen und dennoch der Breite lutherischer Konfessionskultur zuzurechnenden Theologen ohne Heterodoxieverdacht erfüllen zu können. Wie Johannes Wallmann unlängst dargelegt hat, war Baier aber pietistischen Reformvorschlägen gegenüber keineswegs feindlich gesinnt: Mit Philipp Jakob Spener stand 160

161 162 163

Baier, Johann Wilhelm: Compendium Theologiae Positivae: Cum Notis, Quibus Doctrina orthodoxa, ad paideian Academicam uberius explicatur, atque ex Scriptura Sacra, eique innixis rationibus Theologicis, confirmantur: allegatis subinde scriptis dictisque B. Joh. Musaei, & plurium Theologorum orthodoxorum consentientium, Ienae: Oehrlingius; Gollnerus 1686. Wallmann, Johannes: Der Pietismus an der Universität Jena, in: PuN 37 (2011), S. 38f. Vgl. Kapitel III.2.2.3. Vgl. Sträter: Spener, S. 97.

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er in losem Kontakt, so hatte Spener 1681 in einem Brief an Baier dessen Auseinandersetzung mit den Quäkern begrüßt.164 1688 stellte Spener Baiers Liebe zu Johann Arndts Wahrem Christentum heraus, welches dieser auch den Studenten nahegebracht habe.165 B Baiers Nähe zu pietistischen Akteuren und Inhalten ging allerdings noch weiter, so hat Wallmann Belege für ein von Baier veranstaltetes collegium philobiblicum und ein collegium pietatis zusammengetragen.166 Bibellektüre und gemeinsame Erbauung gehörten offenkundig zu Baiers Frömmigkeits- und Lehrideal dazu, und er folgte darin Speners in den Pia Desideria dargelegten Vorstellungen 1.3.3. Die Berufung August Hermann Franckes im Rahmen des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1691/92 Die dritte wichtige Berufung im Jahr 1691, um die These von der konfessionspolitisch intendierten, nicht stringent auf Pietismus und Aufklärung zielführenden Universitätsgründung weiterzuführen, war die von August Hermann Francke. Dies mutet paradox an, erschließt sich aber aus dem Folgenden. Francke wurde zum Pfarrer in Glaucha bei Halle und zum Professor für Griechisch und orientalische Sprachen an der philosophischen Fakultät der Universität berufen. Daraus ergeben sich neue Schlussfolgerungen für die Berliner Berufungspolitik und ihre Hintermänner, welche in Verbindung zur Breithauptund Thomasius-Berufung stehen. Um die Notwendigkeit, Franckes Berufung nach Halle hier noch einmal nachzugehen, zu illustrieren, sei an dieser Stelle ausführlich auf die noch immer tradierten Bewertungen seiner Person in Universitätsgeschichtsschreibung und biographischer Darstellung verwiesen: Für die Vermittler des stark hagiographisch geprägten Franckebilds scheint die Erstberufung lediglich auf eine Professur für Griechisch und orientalische Sprachen und eben nicht zum Professor für Theologie ein Makel gewesen zu sein, den man dadurch zu beheben beabsichtigte, indem man von Franckes Wirkungsgeschichte her zu argumentieren und Strategien zu entwickeln versuchte, die Franckes besonderen Charakter und seine Bedeutung für den Standort Halle hervorhoben.167 So stellte bereits Johann Peter von Ludewig in seiner Universitätshistorie die prekäre finanzielle Lage der Universität als Ursache für die Berufung Franckes ‚nur’ nach Glaucha heraus und betonte gleichzeitig dessen bescheidene und vorbildhafte Gesinnung: „Und, weil der Vorrath zu großen Besoldungen, auf der neuen Universität, sich nicht funde: so begnügte er sich mit einem mäßigem Gehalt und Pastorat. […] Und da derselbe sonderlich auf die Grund-Sprachen der heil. Schrifft die studiosos theologiae verwiesen, und seine

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Vgl. Wallmann: Pietismus an der Universität Jena, S. 42f. Vgl. ebd., S. 44. So berichtete Paul Anton an Spener im November 1687 von einem Jenenser collegium. Vgl. ebd., S. 44f. Eine ähnliche, von Francke selbst initiierte Strategie lag der Darstellung von Glaucha als Ort der Sünde und Gottlosigkeit zugrunde, wie Veronika Albrecht-Birkner nachgewiesen hat; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, besonders: S. 1–17.

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exegesin, darauf vornehmlich gerichtet; so ist auch sein studium philobiblicum, nicht ohne Erbauung in Lehre und Leben, geblieben.“168

Während Dreyhaupt Francke im Kapitel zur Entstehung der Universität nur im Anschluss an einen ausführlichen Abschnitt zum ersten Kanzler Veit Ludwig von Seckendorff erwähnt,169 versuchte Franckes Biograph Gustav Kramer den vermeintlichen Makel durch die Nähe der Berufungspassage zur Anstellung Breithaupts an der theologischen Fakultät und die Nennung der maßgeblichen Referenz Spener zu kaschieren: „Was aber die Professur betrifft, so war es von höchster Bedeutung, daß die Universität […] keine Tradition vorfand, durch welche leicht eine freiere Bewegung gehindert wird, und namentlich daß die Richtung der theologischen Fakultät wesentlich durch Spener bestimmt wurde, aus dessen Anhängern sie hervorging. Zu ihnen gehörte […] Breithaupt, der zuerst und schon vor Francke an dieselbe berufen war. Zu beiden kam, nachdem Bayer, ein von Jena kurz vor der Einweihung der Universität berufener, Spener wenigstens nicht feindseliger Theologe, [..] 1695 Anton, der Freund Franckes von Leipzig her. Zunächst gehörte Francke allerdings als Professor graecae et orientalium linguarum nicht zur theologischen, sondern zur philosophischen Facultät, thatsächlich aber trugen seine Vorlesungen einen durchaus theologischen Character, indem sie sich ausschließlich auf die Exegese biblischer Bücher des Alten wie des Neuen Testaments bezogen.“170

Die Universitätsgeschichte Wilhelm Schraders übertraf diese Bewertung noch und verschmolz Franckes Berufung beinahe mit der des vermeintlichen spiritus rector der Universität, Thomasius, unter dem Verweis auf beider gemeinsame Geschichte: „Neben und nach ihm [Thomasius] trat ein zweiter ein, gleich ihm von warmer Liebe zu den wahren Lebensmächten getrieben, ihm schon früher verbunden und auch nachdem trotz gelegentlicher Fehde nicht feind, nicht so kampflustig, aber von gewaltigerer Tat- und Glaubenskraft, zwar nicht in gleichem Grade Stifter unserer Universität, aber Schöpfer ihrer religiösen und kirchlichen Eigenart; auch ihn haben wir zunächst nach seinem früheren Leben zu betrachten. Wir empfinden es fast als eine Ironie der Geschichte, daß diese beiden, welche nicht nur die junge Universität sondern die Hochschulen überhaupt mit neuer Kraft füllen sollten, Thomasins [sic!] und Francke, um ihres freien Geistes willen von Leipzig ausgestoßen wurden, demselben Leipzig, dessen Anfänge doch auch einer Befreiung von fremdem Drucke entstammten. Damals freilich wanderten große Schülermassen mit; jetzt schieden nur zwei junge Gelehrte, einzig mit dem Mute ihrer Überzeugung ausgerüstet, aber so kraftvoll und schaffensfreudig, daß sie, wie vordem ein Irnerius und Abälard, die Menge der Schüler anzogen und das Vorbild aller späteren Universitäten schufen. Die neue Universität ist durch den Kurfürsten Friedrich von Brandenburg gestiftet; aber diese Universität wäre nicht ohne Thomasius entstanden noch ohne Francke zu ihrem gewaltigen Einfluß gediehen.“171

Auch bei Schrader wurde die philosophische Professur getarnt: „So traf er [Francke] am 7. Januar 1692 in Glaucha als Pfarrer und als Professor der hebraeischen und griechischen Sprache an der künftigen Universität ein. Das letztere Amt wies ihm 168 169 170 171

Von Ludewig: Historie, S. 52. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 6f. Kramer: Lebensbild, Tl. 1, S. 105. Schrader: Geschichte, Bd.1, S. 8.

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III. Konfessionspolitik und Universität

seine Stellung innerhalb der philosophischen Fakultät an, was ihn doch nicht hinderte, seine Vorlesungen über das Alte und Neue Testament sofort zu beginnen.[…] Sein akademisches Lehramt trat er am Sonntage Invokavit mit einem Programm an, in welchem er den Studenten nachdrücklich das Studium der heiligen Grundsprachen empfahl; an der Universität fand er in Breithaupt, Stryke, Thomasius, Hoffmann Gesinnungsverwandte.“172

Diese ex post hergeleitete Wahrnehmung Franckes als herausragende Gründungspersönlichkeit hat sich bis heute gehalten. In diesem Tenor handelt es sich bei der Berufung Franckes auf die Doppelstelle in Halle bei Martin Brecht „um weit mehr als eine punktuelle Personalentscheidung. Der von dem Premierminister Danckelmann ausdrücklich zugesagte Rückhalt in der brandenburg-preußischen Regierung war eine Voraussetzung für die Wirkungsmöglichkeiten Franckes.“173

Dabei verzichtet Brecht darauf, die Berufung auf gerade keine theologische Professur überhaupt zu thematisieren. Peter Schicketanz nennt Thomasius und Francke als die beiden Personen, welche die neue Universität wesentlich geprägt hätten,174 und über die eigentliche Berufung heißt es lapidar: „Beide mußten Leipzig verlassen. Thomasius ging direkt nach Halle, Francke zunächst für ein Jahr nach Erfurt.“175 Der eminent unterschiedliche Berufungsweg spielt für die Interpretation keine Rolle. Bei Hans Joachim Kertscher werden die sich um Thomasius versammelnden Professoren aufgezählt, allen voran Francke vor Breithaupt, Gundling, Stryk, Stahl, Hoffmann und Budde.176 Damit wird eine besondere Hierarchie erzeugt. Dass alle Autoren es für nötig erachteten, die Tatsache von Franckes Berufung in die zweite Reihe der neuen Universität möglichst nicht präsent herauszustellen, sondern zu verbergen, führt im Umkehrschluss zu der Frage, welche weiteren Aspekte außer der offenkundigen Differenz zwischen Franckes Ankunftsbedingungen in Halle und seiner später realiter erreichten Bedeutung für Universität, Stadt und Land verborgen werden sollten. Aus den bisherigen Erkenntnissen zur Konfessionspolitik kann zumindest recht einfach geklärt werden, warum Francke nicht theologischer Professor wurde.177 Im Zentrum der Bemühungen um die theologischen und kirchenpolitischen Effekte der neuen Universität stand einerseits die Ausbildung einer friedfertigen Theologengeneration, andererseits aber deren unbedingt zu erweisende Rechtgläubigkeit durch Übereinstimmung mit den konfessionellen Verbindlichkeiten. Jedoch war Francke mit seiner Rolle in den Leipziger und Erfurter pietistischen Unruhen eher ein Zeuge der traditionell-lutherischen Anklage. Auch ohne exakte theologische Kenntnis der Streitpunkte um Konventikel und Wieder172 173 174 175 176

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Ebd., S. 25f. Brecht: August Hermann Francke, S. 453. Vgl. Schicketanz: Miteinander, S. 236. Ebd. Vgl. Kertscher, Hans-Joachim: Von der Residenz zur Universitätsstadt. Zur Kulturgeschichte Halles an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, in: Zaunstöck, Holger (Hg.): Halle zwischen 806 und 2006. Neue Beiträge zur Geschichte der Stadt, Halle 2001 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 1), S. 92. Ein nicht unwesentliches Argument ist selbstverständlich auch der fehlende Doktorgrad Franckes.

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geburt, wie man sie bei Regierungsmitgliedern eher nicht vermuten kann, stellte er eine durch Vertreter der kirchlichen wie landesherrlichen Obrigkeit nur schwer zu lenkende Persönlichkeit dar und war deshalb für eine theologische Professur denkbar ungeeignet. Die Berufung Franckes als Pfarrer der Vorstadt und als Angehöriger ‚nur’ der philosophischen Fakultät ist angesichts der bisher geschilderten Berufungspolitik in Stadt und Universität bereits eine Steigerung ins Extreme, denn Friedfertigkeit war von Francke noch weniger als von Thomasius zu erwarten. Schon die Anstellung von Thomasius und Breithaupt bot neben allen Chancen – Stärkung des territorialstaatlichen Kirchenrechts und der Theologenausbildung – vor allem Risiken in sich und öffnete, in Thomasius’ Fall wurde es bereits aufgezeigt, dem innerlutherischen Gegner Flanken. Francke als Mitglied der theologischen Fakultät konnte in diesem Konzept nicht denkbar sein. Seine Ankunft in Halle, in welcher Rolle auch immer, konnte schlimmstenfalls mit einer Verschleppung des Leipziger Separationsvorwurfs und des Erfurter Perfektionismusstreits178 in die Saalestadt einhergehen, beides unmittelbare Bedrohungen für die Universität. Kurzum: Die Berufung Franckes fällt aus dem Erfahrungsschatz der bisher festgestellten Konfessionsund Berufungspolitik heraus. Anders als im Fall Joachim Justus Breithaupts lassen sich auch keine alternativen Beweggründe wie die Nähe zur calixtinischen Theologie oder leitende kirchliche Ämter aus dem Werdegang extrahieren. Im Vergleich mit Thomasius verband sich mit Francke weniger die Hoffnung auf eine Steigerung der Studierendenzahlen, vielmehr drohte ein Nachzug von Mitgliedern der verschiedenen Leipziger und Erfurter Konventikel.179 Warum also diesen Unruheherd nach Halle ziehen? Rekonstruiert man Franckes Berufungsgeschichte nach Halle, fällt zunächst auf, dass sein Name auf dem ersten Listenvorschlag vom 27.8.1691 fehlt. Im Rahmen der hier entwickelten Interpretation verwundert dies nicht. Wenn allerdings von der Absicht Berlins, eine pietistische Fakultät zu schaffen, ausgegangen wird, muss das Fehlen von Francke verwundern, denn er wäre dann ein naheliegender Kandidat gewesen. Spätestens mit seiner Amtsenthebung am 24.9.1691 war Francke frei; ein Ruf erfolgte jedoch auch dann nicht. Erst am 10.10.1691 wurde der inzwischen in Gotha weilende Francke von Spener aus Berlin über Pläne, ihn in Glaucha etablieren zu wollen und sich dafür in Berlin vorzustellen,180 informiert, wovon er zuvor schon durch einen Brief Speners an Breithaupt in Erfurt erfahren hatte.181 Speners Kontaktperson in Berlin war der bereits beim Breithaupt-Wechsel in Erscheinung getretene Hofkammerrat Christian Friedrich von Kraut, welcher ein Schreiben Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmanns mit dem entsprechenden Angebot an Francke über Spener vermittelte. 178

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Wie Drese in Anlehnung an Hans Schneider nachgewiesen hat, spielte der Perfektionismusvorwurf auch im Leipziger Verhör Franckes und seiner Anhänger 1689 eine Rolle; vgl. Drese: Problem, S. 28–31. Elf von Franckes Anhängern, darunter fünf, die schon in Leipzig dabeigewesen waren, folgten ihm zumindest zeitweise nach Halle; vgl. ebd. Vgl. Brief Nr. 13 Spener an Francke am 10.10.1691, in Spener: Briefwechsel, S. 50f. Vgl. Kramer: Lebensbild, Tl. 1, S. 100.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Fünf Punkte sind bisher augenfällig: 1. Francke ist bis dato kein Teil universitärer Planungsvarianten gewesen. 2. Franckes Rolle in der Universität sollte eine in der zweiten Reihe sein, wenn auch durch die Art der Professur klar war, dass er mit den zukünftigen Theologiestudenten Kontakt erhalten würde. 3. Das Pfarramt in Glaucha war mindestens ein gleichgewichtiger Teil des Angebots. 4. Es handelte sich dezidiert nur um ein Angebot, noch nicht um einen Ruf. 5. Es war offenbar notwendig, Francke persönlich in Augenschein zu nehmen, bevor man ihm die Pfarrstelle und den Universitätsposten übertrug. In gewisser Weise stellte dies auch eine Umkehrung des Vorgangs bei Thomasius dar, welcher von selbst in Berlin in Erscheinung getreten war, um den Ruf zu erhalten. Alles in allem kann man sich des Eindrucks einer gewissen vorherrschenden Skepsis gegenüber Francke nicht erwehren, während Spener alles unternahm, diese durch die Präsentation seines Protegés in Berlin auszuräumen: Obwohl er seine Bitte dringend formuliert hatte, Francke solle „ohne verzug hieher […] kommen“,182 beeilte dieser sich nicht, nach Berlin zu reisen, sondern machte vielmehr Zwischenhalte in Halberstadt und Quedlinburg, um dort vor Anhängern zu predigen und Kontakte zu festigen. Dieses Vorgehen ist einzigartig, man bedenke wieder Thomasius’ Verhalten ein Jahr zuvor. Francke erscheint hin- und hergerissen zwischen der Integration seiner Person in das kirchliche Gefüge durch eine entsprechende Bestallung und der Anziehung durch die Enthusiasten. Sein Argument, von Gott geleitet und geführt zu sein,183 war ein Vabanquespiel, denn es musste nicht unbedingt in allen Amtsstuben geschätzt werden und Geduld gegenüber Francke erzeugen. Jedenfalls bleibt die Angelegenheit Francke undurchsichtig, denn zwischen seinem Eintreffen am 15.11.1691 und der Berufung am 22.12.1691 klafft eine auffällige Lücke. Möglicherweise hing diese mit dem noch nicht abgeschlossenen Amtsenthebungsverfahren von Franckes Glauchaer Vorgänger Johann Richter zusammen.184 Der weitere Hinweis Kramers, es hätte Bedenken gegeben, weil man vonseiten „der dortigen [hallischen] Geistlichkeit Feindseligkeiten fürchtete, die zum Nachtheil der Universität ausschlagen könnten“,185 erscheint zumindest angesichts des bisherigen Wissenstands über die Universitätsgründung bis zu diesem Zeitpunkt und über die Biographie Franckes plausibel. Albrecht Christian Rotth hatte sich nach der Auseinandersetzung mit Thomasius im Spätsommer 1690 den Pietisten als neuen Gegnern zugewandt und war 1691 anonym mit der Schrift Imago Pietismi186 gegen pietistisches Konventikelwesen, Perfektionis182 183 184

185 186

Brief Nr. 13 Spener an Francke am 10.10.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 52. Vgl. Brief Nr. 14 Francke an Spener am 2.11.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 53–55. Dies vermutet Kramer; vgl. Kramer: Lebensbild, Tl. 1, S. 102. Albrecht-Birkner kann nach Aktenlage die Richter-Sache als Ursache für die zweite markante Lücke in Franckes Berufungsprozess im Januar 1692 erklären; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 19. Kramer: Lebensbild, Tl. 1, S. 102. [Rotth, Albrecht Christian]: Imago Pietismis, hoc est, Brevis delineatio abusuum et errorum, qui Pietismum, barbare quidem, sed fortassis jure sic dictum, constituere dicuntur: Hunc in finem conscripta, ut habeant Pietistae, si pii sunt, in quo detestando innocentiam suam declarent, sin mali, ut id tacendo approbent […], [s.l.] 1691.

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mus und Chiliasmus hervorgetreten, wodurch der hallische Boden für eine weitere Auseinandersetzung bereitet war.187 Dieser sich heraufbeschwörende Konflikt könnte eine Erklärung sein, warum die Angelegenheit erst nach einer Predigt Franckes am ersten Advent (2.12.1691) vor von Danckelmann eine positive Richtung erhielt. Mit Datum vom 22.12.1691 wurde Francke in Glaucha und an der Universität eingesetzt188 und ihm wurde jede Unterstützung durch von Danckelmann zugesichert. Francke war der einzige hallische Professor der ersten Generation, der vor seiner Anstellung nach Berlin beordert wurde und der eine Probe seines Könnens und seiner Gesinnung ablegen musste. Das spricht für Vorbehalte gegenüber der Person Franckes in Zusammenhang mit der Lage in Halle, es spricht keinesfalls für eine eindeutige Absicht, die neue Universität und die Stadt offensiv pietistisch umgestalten zu wollen. Die zeitliche Verzögerung während des Berliner Aufenthalts fand ebenfalls positiven Eingang in das hagiographische Franckebild: So habe Spener durch Eingaben an Regierungsmitglieder auf eine schnellere Entscheidung drängen wollen, Francke dies aber abgelehnt, um sich des Willens Gottes ganz gewiss zu werden.189 Der Erklärungsschlüssel für die Berufung Franckes liegt in der Person Philipp Jakob Speners und in dessen persönlichen Kontakten in Berlin. Speners Rolle für die Etablierung von pietistischen Akteuren in Brandenburg-Preußen als ein „Patron des Pietismus“190 ist eine wesentliche These innerhalb der Pietismusforschung, deren Gültigkeit hier schon bei der Berufung Breithaupts beobachtet worden ist.191 Wenn man das Verhältnis zwischen Spener und einschlägigen Berliner Regierungskreisen und die daraus resultierenden Schlüsse für die Anfangsphase der hallischen Universität verstehen möchte, ist es allerdings geraten, Spener analog zu Francke nicht von der wirkungsgeschichtlichen Seite her zu erfassen, sondern seine Stellung bei seiner Ankunft in Berlin im Juni 1691 möglichst vorurteilsfrei zu untersuchen. Erschwert wird dies durch die geringe Zahl von quellenmäßig fundierten Hinweisen zum Ablauf des Wechsels Speners von Dresden nach Berlin sowie zu seinen Kontaktpersonen an der neuen Wirkungsstelle.192 Die Edition der späten Dresdner und der Berliner Briefe Speners wird hier hoffentlich in absehbarer Zeit Abhilfe schaffen, damit dieses wichtige Kapitel innerhalb der Pietismusforschung zufriedenstellend analysiert werden kann.193 187 188

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Vgl. Kapitel III.2.2.1. Vgl. Bestallungsurkunde Franckes am 22.12.1691 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 295r–297v. Vgl. Kramer: Lebensbild, Tl. 1, S. 102. Wallmann: Pietismus, S. 58. Vgl. Kapitel III.1.3.2.; exemplarisch für die These zur Personalpolitik vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 62ff; vgl. Wallmann: Der Pietismus, S. 58f.; vgl. Ders.: Philipp Jakob Spener in Berlin 1691–1705, in: Ders.: Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, S. 314ff.; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha. Dass der Wechsel in Berlin erhofft, aber von teils erheblicher Verzögerung begleitet wurde, kann dem Briefwechsel zwischen von Pufendorf und Rechenberg entnommen werden vgl. Brief Nr. 198 von Pufendorf an Rechenberg am 31.1.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 301; vgl. Brief Nr. 199 von Pufendorf an Rechenberg am 17.2.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 304. Der Wechsel nach Berlin muss mindestens seit Oktober 1690 virulent gewesen sein, denn am

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III. Konfessionspolitik und Universität

Spener konnte sich durch seinen Wechsel nach Berlin als Propst an St. Nikolai194 und Konsistorialrat zunächst aus der für ihn verfahrenen Situation als Dresdner Oberhofprediger befreien, obwohl dies stellungsmäßig einen Rückschritt bedeutete.195 Es ist sich aber Johannes Wallmann anzuschließen, der über die Betrachtung der für den ‚Vater des Pietismus’ wenig einflussreichen Ämter hinausgeht: „Ich weiche hier von der üblichen Einschätzung ab, wonach man in Berlin den ‚Lärm’ um den Pietisten genau kannte und wußte, wen man sich da eingehandelt hatte. Spener hatte sich in den Leipziger pietistischen Unruhen öffentlich zurückgehalten. Nicht als den bekannten Führer einer kirchlichen Parteibewegung, sondern als den gelehrtesten und überdies moderatesten lutherischen Theologen Deutschlands hatte ihn Danckelmann nach Berlin berufen.“196 Dies belegt Wallmann mit den vor 1691 nur in geringer Zahl vorliegenden pietistischen Streitschriften Speners, hingegen seien die öffentlichkeitswirksamen Auseinandersetzungen erst ab 1691 zu verzeichnen.197 Dazu kommt sicherlich auch die Tatsache, dass Spener nach dem Scheitern des Modells in Frankfurt keine collegia pietatis mehr gegründet hat, ihm also der Vorwurf des Konventikelwesens in der Praxis nicht mehr zu machen war. Folgt man Wallmanns Sichtweise, gilt es erneut, nach anderen als den rein ‚pietistischen’ Erklärungsmustern zu fragen, um Speners eigene Berufung und seine rasch erlangte Rolle bei der Breithaupt-, mehr noch bei der Francke-Berufung zu erklären. Das Stichwort gibt die von Wallmann postulierte Gelehrtheit und Moderation Speners. Für die Konfessionspolitiker in Berlin musste unter Speners theologischen Anliegen, mit denen er mittels der Pia Desideria 1675 hervorgetreten war, seine Einstellung zu anderen Konfessionen, insbesondere zum Reformiertentum herausragen. Im Anschluss an den vierten, die Religionsstreitigkeiten betreffenden Reformvorschlag der Pia Desideria, der Liebe und Brüderlichkeit,198 relativierte Spener folgerichtig die Rolle von Disputationen. Diese seien zwar zur Wahrheitsfindung notwendig, allerdings auch gefährlich, denn die Wahrheit könne durch sie verloren gehen „und die gemüther dardurch verdorben werden, und wann sie mit dem gezänck zu thun haben, versaumen sie darüber, was sie fürnehmlich treiben sollten, und was das vornehmste ist“,199 nämlich die Liebe. Ein solches Disputieren ohne Geist und Glauben bringe nur eine fleischliche Weisheit hervor, was einem Missbrauch der Wahrheit gleichkomme. Dadurch werde das Gegenüber nur verärgert,

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8.10.1690 drückte von Pufendorf an Rechenberg in Leipzig seine Hoffnung auf einen geistigen Austausch mit Spener aus: „Von H. Dr. Spenern müßen wir erwarten, was Gott disponieren wird. Ich habe sonsten großes verlangen mit einem cordato theologo genaue correspondence in der nähe zu haben.“ Brief Nr. 191 von Pufendorf an Rechenberg am 8.10.1690, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 288. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Schulaufsicht am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster; vgl. Winter: Gelehrtenschulwesen, S. 102f. Vgl. Wallmann: Philipp Jakob Spener, S. 306ff. Ebd., S. 320f. Vgl. ebd., S. 321f. Vgl. Spener: Pia Desideria, S. 62f; vgl. Kapitel I. Spener: Pia Desideria, S. 64.

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nicht aber bekehrt.200 Der akademischen Disputationskultur wurden auf diese Art und Weise deutliche Grenzen aufgezeigt, Friedfertigkeit und Mäßigung, insbesondere was einen menschlichen Umgang miteinander anbelangt, als Werte sowohl in der akademischen Debatte als auch in den mehrkonfessionellen Alltag eingeführt. Aus seinem Forderungskatalog für eine Besserung aller christlichen Stände, die für einen Herrscher als Kirchenoberhaupt genuin nachvollziehbar und wünschenswert sein musste, stach dieser Aspekt des spenerschen Denkens besonders hervor und besaß zwangsläufig eine hohe Passgenauigkeit zum Grundsatz der Friedfertigkeit in der propagierten brandenburgpreußischen Konfessionspolitik – und zwar jenseits der binnenkonfessionellen Strömung Calixtinischer Theologie, d.h. jenseits einer offenen Infragestellung konfessioneller Codes lutherischer Identität. Von Pufendorf brachte Speners konfessionspolitisches Kapital gegenüber Adam Rechenberg auf den Punkt: „Wenn alle Lutherische priester auf diese art lehreten und lebten als er, würde unsere kirche in viel größerem ansehen seyn.“201 Bekannt war seit 1687 auch ein Gutachten von Spener zum Synkretistischen Streit in Königsberg, um das er allerdings schon 1676 vom Großen Kurfürsten gebeten worden war. In der Fassung von 1676202 hatte Spener noch das Verteidigungs- und Widerstandsrecht der traditionell-lutherischen Partei beim Kampf um die Bekenntnisgrundsätze vertreten.203 Spener ließ dieses

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Vgl. ebd., S. 65. Brief Nr. 319 von Pufendorf an Rechenberg am 29.8.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 320. Von Pufendorf verstand Speners moderate Haltung allerdings nur zum Teil: „Ich bin auch gentzlich der meinung, habe es auch H. Dr. Spener selbst gesagt, daß die alzugroße gelindigkeit bey diesen grindigten köpfen nicht hilft. […] Und wenn ich gleich H. Dr. Spenern nicht verdenkken kan, daß er bey seiner gelinden art zuschreiben bleibet, so werde doch nicht übel gethan, wenn ein andrer denen wiedersachern rechtschaffen die Kolbe lausete.“ Ebd. Spener, Philipp Jakob: Ausführliches Gutachten über Dr. Dreiers in Preußen geführten lehr, 26.3.1676, in: Spener: Bedencken, Tl. 3, S. 30–43; vgl. Brief Nr. 74 Philipp Jakob Spener an den Großen Kurfürsten am 26.3.1676 (=Brief Nr. 74 Philipp Jakob Spener an Kurfürst Friedrich Wilhelm am 26.3.1676, in: Spener, Philipp Jakob: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686, 5 Bde., Bd. 2: 1675–1676, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit Matthias, Markus / Friedrich, Martin, Tübingen 1996, S. 335–349. Vgl. Blaufuß, Dietrich: Concordia – Confessio – Conversio. Königsberger Synkretismus und Kryptokatholizismus im Urteil Philipp Jakob Speners, in: Marti, Hanspeter / Komorwoski, Manfred (Hgg.): Die Universität Königsberg, S. 224–246, hier: S. 234–238. Spener sah geradezu einen Zwang für die Prediger, den Synkretismus zu thematisieren: „So hat es dennoch mit dieser art fragen welche, wie wir dargethan zu haben hoffen, die gantze religion betreffen, viel eine andere bewandnues: und sehen wir nicht wie demjenigen theil welcher die negativam der fragen behaubtet, einiges stillschweigen auferleget werden koent, in dem sie nicht allein noth haben, was die wahre lehr und unserer kirchen in GOttes wort gegründete bekanntnues ist, ihren zuhoerern fleißig vorzutragen, und sie darinnen zu gruenden, sondern auch sie vor dem gefaehrlichen irrthum des gegentheils treulich zu warnen und zu verwahren, und damit die besorgende und bey ereignender gelegenheit gewiß nicht ausbleibende abfaelle zu dem papstthum zu verhüten.“ Spener: Ausführliches Gutachten, S. 39.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Gutachten Anfang 1687 über Franz von Meinders erneut zustellen.204 Nun äußerte er sich mehrfach mit positivem Grundton über eine Annäherung zwischen Reformierten und Lutheranern, wobei er die menschlichen Schwierigkeiten dabei den politischen Problemen vorordnete.205 Das musste zwangsläufig in Berlin auf Interesse stoßen und stand exemplarisch für weitere Bemerkungen Speners zu einem positiven Verhältnis von Reformierten und Lutheranern, beispielsweise auch in Sinne einer Kirchenvereinigung: „[…] ich bleibe stets dabey, es könnte kaum der Evangelischen kirchen eine groessere glückseligkeit widerfahren […] als wo der himmlische Vater mittel und wege zeigte, unsere und die Reformierte kirche ohne verletzung seiner warheit mit einander zu vereinigen: indessen aber habe ich geringste hoffnung solches annoch zu geschehen, nicht als wann solches bloß dahin nicht möglich wäre, sondern weil ich die gemüther noch nicht in derjenigen disposition sehe, daß dergleichen itzo erwarten dörfte“.206

Für die Einschätzung Speners durch die Berliner politische Szene muss hier allerdings quellenkritisch angemerkt werden, dass die zuletzt zitierten Letzten Bedencken zwar von 1688 stammen, allerdings erst 1711 in Druckfassung vorlagen. Schwarz auf Weiß war diese konfessionelle Offenheit Speners 1691 so nicht zu belegen, die Eindrücke der Pia Desideria und des Gutachtens von 1676/1687 mussten ausreichen. Angesichts dieses Kenntnisstands konnte eine Anstellung Speners in Berlin aber durchaus eine Bereicherung für die konfessionspolitischen Interessen darstellen. Mit den in den Pia Desideria enthaltenen Vorschlägen zur Reform des Theologiestudiums – Förderung des Glaubens unter den Studierenden, u.a. auch durch collegia pietatis, Korrektur der Lebensführung, Argumentationsübungen in Form von Disputationen in deutscher Sprache – waren von Spener außerdem andere Schwerpunkte in der Ausbildung zukünftiger Theologen gesetzt worden,207 die Attraktivität für die hallischen Planungen besaßen. Nur vor diesem Hintergrund ist die aus den Akten nicht belegbare Aussage von Ludewigs zu verstehen, Spener habe in Berlin angeraten, „ihre künfftige Priester zu Hause zu behalten, und für dieselbe, eine neue Universität zu Halle anzulegen. Dann, darzu bliebe das Geld im Lande; die Studenten würden, im Lande, angezogen GOTT zu fürchten und den König und Landes-Herrn zu Ehren; so dann bliebe das armseelige 204

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Vgl. Brief Nr. 47 Philipp Jakob Spener an Johann Daniel Arcularius am 7.12.1686, in: Spener, Philipp Jakob: Briefe aus der Dresdner Zeit, 2 Bde, Bd. 1: 1686–1687, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit Friedrich, Martin / vom Orde, Klaus / Blastenbrei, Peter, Tübingen 2003, S. 187f. „Et certe facile admodum futurum est serenissimo Electori vestro, qui alioqui zelo pro conservatione Protestantium tantam iam gloriam meruit, sua autoritate prohibere, nequi sub velo antiquitatis res novant, Evangelicam Doctrinam per cuniculos subruere pergant, cum alioqui per ruinam istam suo tempore nullo negotio irrumpere possent adversarii publici.“ Brief Nr. 113 Spener an [Anton Brusenius] am 25.7.1687, in: Spener: Briefe aus der Dresdner Zeit, S. 474; vgl. auch schon Brief Nr. 47 Spener an Arcularius am 7.12.1686, in: Spener: Briefe aus der Dresdner Zeit, Bd. 1, S. 184ff.; vgl. auch Brief Nr. 68 Spener an Arcularius am 7.2.1686, in: Spener: Briefe aus der Dresdner Zeit, Bd. 1, S. 267ff. Spener, Philipp Jakob: Bedencken wegen vereinigung mit der reformirten kirchen vom 3.9.1688, in: Spener: Bedencken, Tl. 1, S. 277f. Vgl. Spener: Pia Desideria, S. 67ff.

1. Bildungsoffensive

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Ketzermachen, unterwegen; die Zeit aber könnte, zur Erlernung der Sprachen; der Biblischen Weisheit; der wahren Bekehrung und einem thätigem Christenthum, angewendet, endlich dardurch so manche tausend Seelen, vom Verderben, errettet werden.“208

Die erste Hälfte dieser Einschätzung von Speners Einfluss auf die Universitätsgründung entbehrt der Grundlage. Insbesondere das finanzielle Argument existierte erheblich früher als 1691, und der Einfluss von Christian Thomasius auf die Universitätsgründung bereits im Jahr 1690 ist eindeutig herausgearbeitet worden. Der zweite Teil allerdings kann der Rezeptionsgeschichte der Pia Desideria zugeordnet werden. Nicht umsonst hatte Thomasius die Bedeutung von Spener und dessen Ideen für Friedfertigkeit und wahres Christentum gegenüber dem Kurfürsten bereits 1690 herausgestellt und erinnerten seine Vorschläge stark an Speners Reformpläne. Thomasius hatte in der Endfassung seines Memorials vom 26.8.1690 zur Universitätsgründung deren Konkretisierung zwar abgeschwächt, allerdings dezidiert collegia pietatis eingefordert und auf die Angehörigen der anderen Fakultäten ausgedehnt.209 In der Form neu war die Idee eines zu errichtenden theologischen Seminars als Annex der theologischen Fakultät. Dies könnte immerhin für eine Kenntnis und sehr vorsichtig für eine Einflussnahme Speners auf die Universitätsgründung sprechen, die sich dann in der Breithaupt-Berufung als Theologieprofessor und Direktor eben dieses Seminars niederschlug. Es dürfte deutlich geworden sein, dass die Personalvermittlungsmöglichkeiten einer solchen Persönlichkeit in der günstigen Berliner Situation groß sein mussten. Für August Hermann Francke sollten sie ausreichen, obwohl Speners Vorschlag allein diesmal noch nicht den Ausschlag gab, denn immerhin musste Francke geraume Zeit auf seine Berufung warten. Ins Spiel kamen hier sicherlich zwei weitere Argumente: Zum einen kann Spener von Anfang seines Berliner Wirkens an im Beamten- und Dienstadel als gut vernetzt gelten, allerdings ohne direkten Einfluss bei Hof zu besitzen. Aber seine Stimme wurde wahrgenommen. Unter den Hörern zu nennen sind vor allem die reformierten Geheimen Räte Franz von Meinders und Paul von Fuchs. Beide waren schon an der geordneten Überführung des Herzogtums Magdeburg in den brandenburg-preußischen Territorialverbund beteiligt gewesen und mit den konfessionspolitischen Notwendigkeiten vertraut. Von Fuchs trat bei der Gründung der hallischen Universität mehrfach in Erscheinung, u.a. hielt er 1694 die Inaugurationsrede. In Franckes Fall hatte Spener mit von Meinders, von Fuchs und dem Kontakt zu von Danckelmann Kommunikationskanäle zu denjenigen Verantwortlichen, welche in die Geschehnisse in Halle, der Ritterakademie und dem Universitätsaufbau inhaltlich stärker involviert waren, mithin Entscheiderkontakte. In der Angelegenheit um August Hermann Francke trat zudem die Gestalt des ehemaligen Kanzlers von Sachsen-Gotha und Sachsen-Zeitz und des Gelehrten Veit Ludwig

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Von Ludewig: Historie, S. 46. Vgl. de Boor: Die ersten Vorschläge, S. 76f. Im ersten Vorschlag vom April/Mai 1690 hatte Thomasius sich auch noch stärker auf die Mängel der Theologieprofessoren kapriziert: Polemik, mangelnde Gottgelehrtheit, Ehrgeiz, Zanksucht, Geiz und Heuchelei; vgl. ebd., S. 75.

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III. Konfessionspolitik und Universität

von Seckendorff210 als wichtiger Kontakt in den Vordergrund.211 Von Seckendorff war im Rahmen der Pfarrstellenbesetzung in Meuselwitz 1690 gut über die Vorgänge in Leipzig rund um Francke, Paul Anton und Johann Caspar Schade, den er für Meuselwitz hatte gewinnen wollen, informiert und stand sowohl mit dem Leipziger Adam Rechenberg als auch mit Spener, der die Vorgänge als Beisitzer des Dresdner Oberkonsistoriums zu beurteilen hatte, in brieflichem Kontakt.212 Als von Seckendorff im Juni 1691 zum kurbrandenburgischen Geheimen Rat ernannt wurde, ergab sich für Spener die Möglichkeit, die Beziehung zu diesem Bündnispartner stärker zu nutzen und weitere Kontakte in den Regierungszirkel herzustellen. In der Sache Franckes wandte er sich am 1.12.1691, am Vorabend des Adventsgottesdienstes Franckes, an von Seckendorff, in dem Bewusstsein, dass seine Nachricht auf diesem Weg von Danckelmann erreichen würde: „Sollte des H. Geheimen Rats von Danckelmann Excell. beliebig sein, mit mir auch darauf zu reden, so könten dieselbe mich nur durch einen ihrer diener auß dem Consistorio dieser wegen zu selbst beliebiger stunde abruffen laßen, dann man wol einige weil, nach dem es starck besetzet, darauß absein kann“.213

Man kann sicherlich nicht zu Unrecht vermuten, dass dieser Brief den Ausschlag für den Besuch von Danckelmanns in Franckes Adventsgottesdienst gab, sofern von Seckendorff Francke und dessen Patron Spener gegenüber von Danckelmann positiv dargestellt hatte.214 Für Spener erwies sich die Zusammenarbeit mit von Seckendorff auch deshalb als günstig, als der inzwischen offen die Pietisten verteidigte und literarisch gegen die Imago Pietismi Rotths mit seiner Schrift Bericht und Erinnerung215 zu Felde zog. Dabei besaß er die Zensurgenehmigung der kurbrandenburgischen Regierung, musste die Widerlegung aber dennoch ohne Druckort veröffentlichen, weil Berlin eine allzu offene Unterstützung vermeiden wollte.216 Der ‚Lärm’ um die Pietisten hatte Ende 1691 also auch die Hauptstadt erreicht und spielte wohl, wie oben angedeutet, in die Francke-Berufung

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Zu von Seckendorff vgl. Strauch, Solveig: Veit Ludwig von Seckendorff (1626–1692). Reformationsgeschichtsschreibung – Reformation des Lebens – Selbstbestimmung zwischen lutherischer Orthodoxie, Pietismus und Frühaufklärung, Köln 2004 (Historia profana et ecclesiastica, Bd. 11). Vgl. Kapitel III.1.7.2. Vgl. Strauch: Seckendorff, S. 81ff. Philipp Jakob Spener an Veit Ludwig von Seckendorff am 1.12 1691, AFSt / H D66, Bl. 122r– 123r, hier: 122v. Bei Deppermann fehlt der Hinweis auf die Vermittlung Speners; vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 67. Seckendorff, Veit Ludwig von: Bericht und Erinnerung, Auff eine neulich in Druck Lateinisch und Teutsch ausgestreuete Schrifft, im Latein Imago Pietismi, zu Teutsch aber Ebenbild der Pietisterey, genannt: Gedachte Schrifft, oder so genanntes Ebenbild, ist in gegenwärtigem Tractat von Worte zu Worte Stückweise eingerücket, die Beantwort- und Erinnerung aber, mit anderen Litern darunter gesetzt, zu befinden. Abgefasset Anno 1692 im Monat Januario, Sambt Einer Vorrede D. Philipp Jacob Speners, Darinnen sonderlich die Historie und was in der Sache bisher vorgegangen, enthalten ist, [s.l.] 1692. Vgl. Brief Nr. 18 Spener an Francke am 26.1.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 74.

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mit hinein.217 Angesichts dieser Tatsache sollte die Verbindung zwischen Spener und von Seckendorff sich im weiteren Verlauf der Geschehnisse für Francke noch als erheblich günstiger erweisen.218 Spener jedenfalls hatte die Vorteile, die sich für Francke und die gemeinsame Sache des Pietismus in Halle unter kurfürstlichem Schutz boten, sofort erkannt: „1. ist er [Francke] Herrn D. Breithaupten nahe. 2. Von Erffurt nicht zu weit entfernet. 3. Wäre gelegenheit an der kirche und studierenden zugleich zu arbeiten. 4. Vor der theologorum verfolgender wuth ist man da menschlicher weise sicherer, ob ich wol gäntzliche befreyung von aller widrigkeit des cleri zu versprechen nicht getraue, […], und es das ansehen gewinnet, ob wollte Gott die Churfürstlichen lande zum refugio anderer betrangten und rechtschaffenden machen“,219

so dass man insgesamt von einer sehr bewussten Ausnutzung der Berliner Möglichkeiten durch Spener sprechen kann. Dabei kamen ihm zum einen seine vielfältigen Kontakte zupass, die er offenkundig erheblich geschickter nutzte, als das beispielsweise von Pufendorf für Thomasius getan hatte. Damals hatte es mit von Rhetz und Becmann eine regelrechte reformierte Frankfurt-Verbindung gegeben. Obwohl von Rhetz 1694 einer der Oberkuratoren der Universität Halle wurde, war dieser Einzelkontakt verglichen mit denen Speners untergeordnet. Zum anderen muss für die Anstellung und den Verbleib August Hermann Franckes in Halle die deutliche Distanzierung Philipp Jakob Speners von den radikalen unter den pietistischen Akteuren den Ausschlag gegeben haben, um die massive Abgrenzungsbestrebung seitens des traditionellen Luthertums gegenüber Francke auszugleichen. Für die Rechtgläubigkeit und den damit verbundenen Erfolg der jungen Universität und ihrer theologischen Fakultät war es wichtig, dass ihrem Personal nicht die geringste Nähe zu spiritualistischen oder chiliastischen Tendenzen nachgesagt werden konnte. Ende 1691 war eine besondere Gefahrenquelle virulent: Das Ehepaar Johann Wilhelm und Johanna Eleonora Petersen hatte mit seinen chiliastischen Lehren bereits 1690 große Unruhe verbreitet, war aber zunächst dem Heterodoxievorwurf entgangen. 1691 traten sie für die Christusvisionen der Ekstatikerin Rosamunde Juliane von der Asseburg ein und kommunizierten sie der Öffentlichkeit, so dass zwangsläufig ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Lüneburger Superintendenten bis Anfang 1692 durchgeführt wurde.220 Die Petersens fanden anschließend zwar Aufnahme in Brandenburg-Preußen durch die Vermittlung des Berliner Kammerpräsidenten Dodo von Knyp-

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Dies bemerkte auch von Pufendorf in einem Berliner Stimmungsbild gegenüber Thomasius: „Die herrn gnhsiwV orthodoxi werden uns hier almehlich für Ketzer erklären, weil wir die pietisten alle anhero ziehen. M. Schaden [Johann Caspar Schade] haben wir accomodiert, für M. Francken ist auch eine Stelle vacant zu St. Peter in Cöln; aber man meinet, der H. Lütken wolle ihn nicht gern dar haben, ne luminibus ipsius officiat. Doch weis ich noch nicht, was daraus werden wird.“ Brief Nr. 216 von Pufendorf an Thomasius am 20.12.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 338. Vgl. Kapitel III.2.2.1. Brief Nr. 13 Spener an Francke am 10.10.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 52. Vgl. Matthias: Johann Wilhelm, S. 318–329.

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hausen, und Paul von Fuchs ließ Petersen auf seinem Gut Malchow predigen.221 Es handelte sich dabei jedoch um eine rein private Unterstützung dieser von den traditionellen Vertretern des Luthertums scharf bekämpften pietistischen Strömung, keinesfalls kann daraus eine offizielle Förderung des Spiritualismus oder Chiliasmus als Teil eines religionspolitischen Programms in Brandenburg-Preußen abgeleitet werden. Schließlich hätte man aus traditionell-lutherischer Sicht damit heterodoxe Lehrgegenstände eingeführt.222 Spener und sein Anliegen der Förderung von pietistischen Wegbegleitern im Rahmen der offiziellen lutherischen Kirche standen allerdings in der Gefahr, durch enthusiastisch-chiliastisch geprägte Akteure empfindlich gestört zu werden. Wollte man die in kirchlichen Strukturen verbliebenen Pietisten nicht beschädigen, mussten deren Vertreter, allen voran Spener, sich deutlich von den radikalen Elementen distanzieren. Im Fall der Petersens und der von der Asseburg machte Spener gegenüber von Seckendorff Ende 1691 deutlich: „Was mir von der person [Rosamunde Juliane von der Asseburg] erzehlet wird, zeuget alles von einer ungeheüchelten gottseligkeit, und macht mir keinen verdacht […]. Hingegen leügne nicht, daß meinem begriff nach unterschiedliches darinnen sehe, so mit der majestet Gottes nicht allerdings übereinzukommen meine […]. Also ist mirs eine schwehre sache, und weiß weder von einer noch anderer seiten einen außschlag zugeben: sorge darbey, daß es viel unruhe geben dürffte.“223

Eine Anerkennung des göttlichen Ursprungs dieser Offenbarungen war von ihm somit nicht zu erwarten.224 Im Zusammenhang mit der Universitätsgründung in Halle, der keine Heterodoxie nachgesagt werden durfte, konnte dieser Fall ebenfalls zu einem Problem werden, wie Spener rechtzeitig erkannte und zu verhindern versuchte. Dies war deshalb so wichtig, weil Francke Spener vermehrt Grund zur Beunruhigung lieferte, denn dieser hatte gerade während seiner Anreise nach Berlin Kontakte zu den Enthusiasten in Halberstadt und Quedlinburg gepflegt.225 221

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Vgl. Matthias, Markus: „Preußisches“ Beamtentum mit radikalpietistischer „Privatreligion“. Dodo II. von Innhausen und Knyphausen (1641–1698), in: Breul, Wolfgang / Meier, Marcus / Vogel, Lothar (Hgg.): Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2010 (AGP, Bd. 55), S. 189–209. Zu der privaten Unterstützung solcher Strömungen vgl. bereits Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 29. Spener an von Seckendorff am 7.12.1691, AFSt / H D66, Bl. 125r–125v. Obwohl Spener sich von den Petersens distanzierte, trat er in den Folgejahren dennoch in eine literarische Debatte über den Chiliasmus mit dem Wittenberger Theologen Johann Georg Neumann und dem Lübecker Superintendenten August Pfeiffer. Nach Wallmann ging es Spener darum, „zu verhindern, daß die pietistische Hoffnung besserer Zeiten, die Erwartung eines noch herrlicheren Reiches Christi auf Erden, in den Strudel enthusiastisch-ekstatischer Bewegung hineingezogen wurde, die seit 1690 die Öffentlichkeit irritierten und von Johann Wilhelm Petersen mit dem Glauben an das herannahende Gottesreich verknüpft worden waren.“ Wallmann: Philipp Jakob Spener in Berlin, S. 322. Vgl. Brief Nr. 14 Francke an Spener am 2.11.1691, in: Spener: Briefwechsel, S. 53f; vgl. Witt, Ulrike: Bekehrung, Bildung und Biographie. Frauen im Umkreis des Halleschen Pietismus, Halle 1996 (Hallesche Forschungen, Bd. 2), bes. S. 24–38.

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Als 1692 durch die Veröffentlichung von Berichten über die Visionen von Catharina Reinecke aus Halberstadt, Magdalena Elrichs aus Quedlinburg und Anna Maria Schuchardt aus Erfurt unter Franckes Namen versucht wurde,226 ihn zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, da eine Klage seiner Glauchaer Gemeindeglieder über Konventikelbildung im Pfarrhaus und Abendmahlsauschluss anhängig war,227 zu diskreditieren und quasi zu einem zweiten Petersen zu machen,228 sorgte Spener nicht nur für die nötigen Kontakte, um Francke einen günstigen Ausgang der Untersuchungskommission zu gewährleisten. Darüber hinaus stellte er vorher bereits eine Unterstützung in Berlin gegen die implizierten Vorwürfe, Francke akzeptiere die Visionen der Ekstatikerinnen als göttlichen Ursprungs, her. So sandte Francke seine Gegenreaktion Entdeckung der Boßheit229 zur Korrektur an Spener mit dem Wunsch, diese in Berlin drucken, also autorisieren zu lassen.230 Spener wandte sich umgehend an Franz von Meinders, der „über die getruckten brieffe wegen der ecstaticarum eifferte […], und begehrte derselbe sollte sobald mit unterthänigem memorial einkommen, und sich dieses falsi wegen beschwehren, mit versicherung, daß nachtrückliche andung erfolgen solle, und mag wol die resolution dahin gehen, das das scriptum, auffs wenigste der titul, durch den scharffrichter verbrannt werde.“231

Aus der Reaktion kann man absehen, welcher Ernst der Verbindung der durch Berlin protegierten Theologen und Universitätsprofessoren, die ohnehin bereits in einer binnenkonfessionellen Konfliktsituation agierten, mit dem Spiritualismus auch für die Regierungsseite innewohnte. Nach Eingabe eines entsprechenden Memorials Franckes meldete Spener am 23.8.1692 den Druck von Franckes Gegenschrift, nicht umsonst mit dem Druckort Cölln.232 Franckes Gegnern musste jetzt deutlich werden, dass ihm mit dem Spiritualismusvorwurf nicht so leicht beizukommen war, denn er wurde von der Berliner Regierung an dieser Stelle unterstützt. Und dennoch blieb Franckes Haltung schwankend. 1695/96 sah Spener erneut die Gefahr, Francke riskiere das Werk in Halle, diesmal durch ein Bekenntnis zum Chiliasmus, heraufziehen und warnte ihn vor der Übernahme

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[Anonym]: Eigentliche Nachricht von dreyen begeisterten Mägden, Der Halberstädtischen Catharinen, Quedlinburgischen Magdalenen, und Erffurtischen Liesen, Aus Zehen unterschiedenen eingelauffenen Schreiben zusammen getragen von M. August Herman Francken, der Zeit der Pastore zu Glauche in Halle, [s.l.] 1692. Vgl. Kapitel III.2.2.1. Francke selbst stellte fest: „Ein jeder unbekanter wird’s auffnehmen, als wenn ichs heraußgegeben wie D. Petersen die speciem facti.“ Brief Nr. 38 Francke an Spener am 6.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 156. Francke, August Hermann: Entdeckung der Boßheit, So mit einigen jüngst unter seinem Nahmen fälschlich publicirten Brieffen von dreyen so benahmten begeisterten Mägden zu Halberstadt, Quedlinburg und Erffurt begangen, Cölln an der Spree: Schrey; Meyer 1692. Vgl. Brief Nr. 38 Francke an Spener am 6.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 156. Brief Nr. 40 Spener an Francke am 9.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 162. Vgl. Brief Nr. 46 Spener an Francke am 23.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 184.

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der Petersenschen Lehren, indem er zunächst theologisch mit der mangelnden biblischen Begründung dieser Vorstellungen argumentierte. 233 Klar erkannte Spener jedoch auch die politische Bedeutung, sollte Francke zum Chiliasmus umschwenken: „wo solches noch außkommen sollte, wie die feinde der wahrheit darüber frolocken, und vollends die Hallische universitet in mißcredit setzen würde. Wie ich auch versichern kann, wo selbs dergleichen hier bey hoff kund werden sollte, daß es gewiß gantz auß sei“.234

Der Chiliasmus- und Spiritualismusvorwurf war ein scharfes Schwert in den Händen der Gegner der Pietisten und der Universität. Noch 1696 war Spener deutlich, dass die hallischen Pietisten für die offizielle Berliner Politik nur insofern Bedeutung besaßen, als sie das Ansehen der Universität vergrößerten, was nur möglich war, wenn sie die Dogmen des traditionellen Luthertums nicht vollkommen verließen. Heterodoxie und in diesem Rahmen besonders der Chiliasmus waren in Speners Sicht noch immer in der Lage, diese Verbindung zu zerstören und seine ganze Unterstützung August Hermann Franckes und seiner Mitstreiter wirkungslos werden zu lassen.

1.4. Unverdächtige Juristen Am 27.6.1691 warnte von Pufendorf Thomasius vor einer Verschlechterung der Stimmungslage unter den verantwortlichen Geheimen Räten: „Beyder [Franz von Meinders und Daniel Ludolf von Danckelmann] aber gaben mir an hand etwas MhH wohlmeinend beyzubringen, weil sie wußten, daß ich MhH guter freund were: denn wenn es von Sr. Churfl. Durchl. oder einem aus des Rats mitteln geschehen, möchte es etwa denselben fürm Kopf stoßen.235

Den Räten war Thomasius’ Konfliktmanagement negativ aufgefallen, weil er Unruhe stiftete. Der Befehl, Streitigkeiten umgänglicher zu führen und seine Schriften zensieren zu lassen, formulierte von Pufendorf als einen diplomatischen Vorschlag: „Ihre meinung war, daß MhH wohl thun würde, wenn Er ins künftige seine neider oder von denen er dissentirte, mit weniger piquanterie angriffe, und sonderlich gantze collegia und faculteten verschonete. Denn wenn man gleich derselben dogmata refutieren möchte, und lehre errores anweisen; so were doch am besten, daß man damit dergestalt verführe, wie hiesigen landes religions edicta vermögen, daß man thesin und antithesin tractire, sine acerbitate, und ohne die person zu perstringiren. Und erwirkte solches nur haß und wiederwertigkeit, damit weder dem publico noch MhH gedienet were. Sie berührten in specie das jüngste programma, […]. Sie gaben auch zu verstehen, daß MhH wohl thun würde, wenn er etwas publiciren wollte, daß Er es zuvor anhero schickte.“236

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Vgl. Sträter: Spener, S. 89. Brief Nr. 115 Spener an Francke am 29.2.1696, in: Spener: Briefwechsel, S. 430. Brief Nr. 204 von Pufendorf an Thomasius am 27.6.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 316. Ebd.

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Es fällt zunächst auf, dass sich von Pufendorfs Vernetzung gegenüber 1689/90 deutlich verbessert haben musste oder er bereit war, seine Kontakte stärker im Sinne Thomasius’ zu nutzen. Bei dem von den Geheimen Räten gegenüber von Pufendorf erwähnten Programm handelte es sich wahrscheinlich um Thomasius’ Lehrveranstaltungsangebot im Frühjahr 1691.237 Darin pries er die sich noch immer in einem Planungsstatus befindende hallische Universität vorrangig als einen Ort, an dem das Verhältnis zwischen Lehrenden – also ihm, Thomasius – und Lernenden noch intakt und nicht durch Privilegien für die einen und Respektlosigkeiten der anderen gestört sei, und grenzte sie auf ironische Weise von den umliegenden Universitäten, womit vor allem natürlich Leipzig gemeint sein musste, ab.238 Offensichtlich befürchtete man in Berlin negative Reaktionen auf die Polemiken Thomasius’, die sich dann auch gegen die Universität als solche richten würden, und die man nach der Auseinandersetzung mit Rotth nicht gebrauchen konnte. Nach der Darstellung von Pufendorfs rechneten die Räte allerdings auch mit einer unwilligen Reaktion des Streiters Thomasius auf einen Berliner Steuerungsversuch und die Gefahr eines dadurch erst recht angefachten Konflikts, sieht man einmal von der Möglichkeit ab, von Pufendorf schmeichelte Thomasius mit der vermeintlichen Rücksichtnahme durch die Räte. So oder so praktizierte man im Umgang mit Thomasius Mitte 1691 einen indirekten hochschulpolitischen Stil. Eine Antwort von diesem an von Pufendorf ist nicht überliefert. Mitte 1692 zeigte sich Thomasius selbst besorgt wegen der Stimmung in Berlin ihm gegenüber, wandte sich aber an Becmann in Frankfurt: „Es gehet itzo hier in gantz Halle die rede daß von denen Hen Geheimbden Räthen zu Berlin allbereit meine demißion concipirt und nach cleve zur unterschrifft gesendet sey. […] Und also stelle ich in Mhhn Doctoris belieben, bey gelegenheit wegen dieser sache sich zu informiren, und darbey zu thun was er meinet für das intereße Ihrer seite dienlich zu sein. Ego me in hoc negotio geram mere paßive.“239

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Thomasius, Christian: Christian Thomas eröffnet der studirenden Jugend in Halle in einem gemischten Discurs Fünff neue Collegia, die er nach der Leipziger Oster-Meße daselbst anzufangen gesonnen, Halle 1691. Vgl. Thomasius: Christian Thomas, S. A2v-A3r. Thomasius polemisierte: „Wenn wir nun dieses alles erwegen, und unser armes geringes Häufflein gegen den Zustand so vieler vortrefflichen und hochprivilegirten Universitäten, die um uns herum liegen, halten: Wenn wir die daselbst befindliche grosse Menge derer Herren Professorum und der studirenden Jugend betrachten; wenn wir die uralten fundationes und Gestiffte derselben, und was für eine Menge gelehrter Leute aus denenselben als aus dem Trojanischen Pferde, wie man im gemeinen Sprichwort redet, so viele Jahre hervorgekommen, ansehen, so können wir nicht anders, als daß wir diese Vortrefflichkeiten mit stillschweigender Hochachtung und hochachtender Verwunderung, aber doch ohne Beneidung anschauen, und uns mit der Natur vergleichen, die man saget, daß sie mit wenigen vergnüget sey.“ Ebd., S. A3r. Thomasius an Becmann am 18.6.1692, Original: Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, jetzt auch: DFG-Projekt: „Vollständige Edition“.

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Wahrscheinlich war Thomasius im Zusammenhang mit dem Fall des Theologiestudenten Johann Hornemann in eine schlechte Position geraten.240 Hornemann sollte wegen wohl trunkenheitsbedingten unchristlichen Redens im Spätwinter 1692 von der magdeburgischen Regierung vernommen werden. Die drei hallischen Professoren Thomasius, Breithaupt und Francke wandten sich daraufhin am 5.3.1692 an den Kurfürsten mit dem Hinweis, dass die Jurisdiktion über einen Studenten nach einer Resolution vom 25.10.1690 beim Kanzler Gottfried von Jena, verschiedenen Regierungsräten und v.a. Thomasius, nicht aber bei Institutionen der Regierung läge.241 Dabei hatte Thomasius, der als Verfasser der Beschwerde leicht identifiziert werden konnte,242 erfolgreich auf den Ausschluss des weltlichen Konsistorialrats Ludwig Gebhard Kraut, der gleichzeitig Universitätssekretär war, als Rechtsvertreter des Konsistoriums in dieser Angelegenheit hingearbeitet243 und wahrscheinlich dessen Bruder Christian Friedrich von Kraut verärgert.244 Seine Wahrnehmung der Stimmung in Berlin war insofern richtig, als zur gleichen Zeit Spener Francke immer wieder davor warnte, Thomasius als Referenz für seine Position in den beginnenden Auseinandersetzungen in Glaucha245 zu verwenden: „Herr D. Thomasius darff nicht gebraucht werden, weil er extreme verhasst.“246 Dies scheint so schwerwiegend gewesen zu sein, dass Spener Francke dringend dazu aufforderte, seine Angelegenheit von denen Thomasius’ zu trennen: „Wie dann gewiß der Mann Herr D. Thomasius alhier fast durch und durch nicht wol angesehen ist. Nun hat man ihm wol alle liebe und treue, wo er unser bedarff, zu erzeigen: man hat aber nicht nötig sich seiner in den eigenen geschäfften zu gebrauchen, wo man weiß, das man solche dardurch verhaßter macht.“247

Im Briefwechsel mit von Pufendorf spielte diese Sachlage keine Rolle, hier ging es vielmehr um Einkommen und Einfluss Thomasius’. Er drohte offensichtlich im Februar 1692 gegenüber den Geheimen Räten mit seinem Abzug, sollte sein Salär nicht erhöht werden, wozu ihn sein Berliner Ratgeber kräftig anstachelte.248 Das machte ihn mit Sicherheit bei 240 241

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Vgl. Kapitel III.2.1.1. Vgl. Bericht von Thomasius, Breithaupt und Francke an den Kurfürsten vom 5.3.1692 [Abschrift], GStA PK, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), unpag.; vgl. Kapitel III.2.1.1. Die Datierung der Akte war vormals 1693–1716 und wurde seitens des GStA PK geändert. Das Schreiben bezieht sich auf die Übergabe der Jurisdiktion über die Studenten am 4.11.1690 So sei „die Jurisdiction über die allhier befindlichen Studiosos dero Kanzler dem Von Jena nebst einem baar Regierungs Räthen und mir D. Thomasio ad interim aufgetragen“ worden. Bericht von Thomasius, Breithaupt und Francke an den Kurfürsten vom 5.3.1692 [Abschrift], GStA PK, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), unpag. Dies parallel zu dessen Abendmahlsausschluss durch Francke, vgl. Kapitel III.2.2.1. Vgl. Kapitel III.2.1.1. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 18ff. Brief Nr. 28 Spener an Francke am 9.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 119. Brief Nr. 31 Spener an Francke am 16.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 130. Vgl. Brief Nr. 217 von Pufendorf an Thomasius am 27.2.1692, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 339. Von Pufendorf riet seinem hallischen Kollegen: „Allein weil es in der that für modeste leute eine große mortification ist jahr für jahr auszubetteln, so muß MhH Rath mit allem ernst dahin

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der Regierung nicht beliebter, die bisher bei der hallischen Universität eher auf das Sparen Wert gelegt hatte. Außerdem riet von Pufendorf Thomasius zu einem Ausbau seines Lehrangebots, „ehe H. dr. Stryk kommet, der vielleicht ein monopolim möchte pretendiren, oder einen majoratum, und die andern als cadets considerire, und habe ich schon vorhin daran gedacht, ob selbiger mann nicht etwa MhH möchte verdacht erwecken.“249

Thomasius’ intellektuelle Selbstinszenierung, sein Agieren im Fall Hornemann und seine Gehaltsvorstellungen stimmen mit seiner für sich angedachten Rolle in den Entwürfen zur Errichtung der Universität und seinem Auftreten des Jahres 1690 überein: Er sah sich Mitte 1692 als den wichtigsten Mann in Halle, dem dementsprechend Einfluss und Salär zustanden. Auf den Ausbau der juristischen Fakultät reagierte er demzufolge mehr als reserviert. Die Berufung Samuel Stryks d. Ä. war, nimmt man von Pufendorfs Briefaussage ernst, schon seit dem Frühjahr 1692 virulent, vollzogen wurde die Bestallung am 30.8.1692. Der Jurist Samuel Stryk hatte in Wittenberg bei Caspar Ziegler und in Frankfurt an der Oder bei seinem späteren Schwiegervater Johann Brunnemann studiert und war an letztgenannter Universität 1682 der Nachfolger Friedrich von Rhetz’ als Primarius geworden. Über seine Berufung an die Universität Wittenberg als Nachfolger seines Lehrers Caspar Ziegler im Jahr 1690 wird berichtet, dass er nur unter der Bedingung aus dem brandenburgischen Dienst entlassen wurde, dass er im Bedarfsfall zurückkehren würde. Von Ludewig, der als dessen Schüler 1692 mit nach Halle wechselte und als glaubwürdiger Kenner Stryks gelten kann, setzte dies mit der im Aufbau befindlichen Universität Halle,250 deren Gestaltung 1690 bis auf die Vorschläge Thomasius’ noch im Unklaren lag, in Verbindung. Ihm zufolge mussten allerdings besondere Umstände zusammenkommen, damit Stryk dann willens war, dem Ruf nach Halle zu folgen. Das waren zum einen die Rückkehrklausel,251 die Verleihung des Titels eines Geheimen Rats und die angebliche brandenburg-preußische Bereitschaft, die Berufungsverhandlungen durch Christian Friedrich von Kraut mit einem Angebot von bis zu 3000 Talern äußerst großzügig zu führen.252 Zum anderen hatte sich die Stimmung in Wittenberg und in Dresden laut von Ludewig zunehmend gegen Stryk gewandt: Die kursächsischen Theologen meinten, „daß er gegen die Reformirte, allzugelinde wäre und des Speneri Schrifften lese.“253 Mit

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arbeiten, daß ihm ein beständiger fond angewiesen werde, wo Er das seinige alle jahr haben kan; und das mus MhH fein rein und Teutsch heraus sagen, daß wo man seine subsistence nicht richtig hat, einem alle lust etwas zuthun vergehet.“ Ebd. Brief Nr. 218 von Pufendorf an Thomasius am 9.4.1692, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 341. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 48. Vgl. Berufung am 30.8.1692 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1286, Dokument Nr. 21, unpag. Stryks Kommen nach Halle mag im Übrigen auch durch die Berufung seines Sohns Johann Samuel Stryk zum applizierten Professor beschleunigt worden sein. Von Ludewig: Historie, S. 49.

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diesem Ruf passte er aber gut in den sich in Halle abzeichnenden Lehrkörper. Bekannt waren seine Zusätze mit Zitaten Speners zu der von ihm verantworteten Herausgabe des Kirchenrechts seines Schwiegervaters Brunnemann.254 Stryk besaß aber noch eine andere, vielleicht noch unschätzbarere Qualität: Er war eine Koryphäe seines Fachs und sollte die Studierenden nach Halle ziehen, um der Universität „renomee zu geben.“255 Er galt als ein ausgezeichneter Kenner des römischen Rechts und hatte die Abhandlung seines später begriffsstiftenden Specimen usus moderni pandectarum fertiggestellt.256 Für das Curriculum in Halle besaß er daher großen Wert.257 Und trotz der Wittenberger Probleme war Stryk seitens traditionell-lutherischer Anfeindungen erheblich weniger angreifbar als Thomasius aufgrund dessen Leipziger Vorgeschichte. Setzt man das Erscheinungsbild der beiden Juristen im Jahr 1692 auf diese Art ins Verhältnis, dann kann der Berufung Stryks durchaus ein ähnlich ausgleichendes Moment wie der sich später abzeichnenden Gestaltung der theologischen Fakultät mit Breithaupt und Baier zugrunde liegen. Dafür spricht, dass Stryk, nicht Thomasius, wie dieser angedacht hatte, sofort Direktor der Universität wurde und dies bis zu seinem Tod 1710 blieb.258 Die Kollegen Stryks und Thomasius’ bleiben blasser: Johann Georg Simon war am 30.8.1692 aus Jena berufen worden, um als dritter Professor der Fakultät die Gutachtertätigkeit zu ermöglichen, aber bereits 1696 gestorben.259 Heinrich Bode wurde am 12.8.1693 auf die vierte Professur berufen. Er war Sohn des Rinteler Theologen Gerhard Bode, eines Lutheraners mit einer dezidierten Neigung zu Calixtinischer Theologie.260 Bode junior war 254

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Vgl. ebd., S. 48; vgl. z.B. Brunnemann: De jure ecclesiastico, Ad Caput VI, de officio ac potestate Ministrorum Christi et Verbi eius, Membrum I. De officio Ministrorum in genere, et Concursu officii Magistratus Politici, S. 149. Hier merkte Stryk die Absage Speners an den konfessionellen Streit bei Disputationen an. Berufung Stryks am 30.8.1692 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1286, Dokument Nr. 21, unpag. Stryk, Samuel: Samuelis Strykii, JC. Specimen Usus Moderni Pandectarum, ad Libros V. Priores In Academia Francofurtana Publicis Disputationibus Exhibitum, Francofurti; Witebergæ: Schrey; Meyerus 1690; vgl. Hammerstein, Notker: Jurisprudenz und Historie in Halle, in: Hinske, Norbert (Hg.): Zentren der Aufklärung I, S. 242. Bei von Ludewig heißt es: „So bald nun dieser Mann, zu Halle anlangte; so bekam das gantze Musen-Gebäude, ein anderes und besseres Geschicke. Dann nun hiesse es; daß man in Halle alles lernen könnte; mithin halbe und gantze Gelehrte daselbsten zu thun fänden.“ Von Ludewig: Historie, S. 50. Ob es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Juristen gekommen ist, geben die Akten nicht her. Allerdings spielte von Pufendorf bereits am 26.11.1692 auf etwas an: „So bald ich vernommen, daß der H. Stryck nach Halle kommen würde, habe ich eine collision mit MhH und ihn gefürchtet, worvon vorlängst H. L. Rechenberg [Adam Rechenberg, Brief nicht erhalten] geschrieben. Denn es scheinet wohl, daß er in der Jurisprudenz ein monopolium haben wolle.“ Brief Nr. 223 von Pufendorf an Thomasius am 26.11.1692, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 348. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 55f. Dies zeigte sich praktisch darin, dass Gerhard Bode senior gegen den Widerstand seiner Fakultätskollegen zusammen mit reformierten Juristen des Konsistoriums bei den Kandidatenprüfungen der Theologen agierte; vgl. Schormann, Gerhard: Academia Ernestina. Die schaumburgische Universität zu Rinteln an der Weser, Marburg 1982 (Academia Marburgensis, Bd. 4) , S. 179.

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in der gemischt-konfessionellen Lebenssituation in Hessen-Kassel aufgewachsen und hatte sein Jurastudium in Helmstedt absolviert. 1694 wurde er zum magdeburgischen Konsistorialrat berufen, wo er neben Breithaupt und Merchier agierte. Weder Simon noch Bode traten bei der weiteren konzeptionellen Ausgestaltung der Universität Halle in Erscheinung.

1.5. Vernetzte Mediziner An die medizinische Fakultät wurden 1693/94 mit Friedrich Hoffmann und Georg Ernst Stahl zwei Ärzte berufen, die hinsichtlich des theoretischen Lehrgebäudes als auch des Kontaktnetzwerks dem Diktum von der Reformuniversität der Frühaufklärung und des Pietismus zu entsprechen scheinen. Jedoch erhielten Stahls psychodynamisches naturaKonzept 1708 in der Theoria medicina vera261 und Hoffmanns im Cartesianismus verwurzelte Theorie von der medicina mechanica erst 1718 als Medicina rationalis systemica262 eine kompakte schriftliche Gestalt,263 so dass derartige medizintheoretische Vorstellungen bei der Berufung noch keine wichtige Rolle gespielt haben können. Für die Berufungshintergründe können demzufolge nur der berufliche Werdegang und die Kontakte zu Rate gezogen werden. Hoffmann war als Sohn eines hallischen Arztes, Friedrich Hoffmann senior, der Leibarzt des Administrators August gewesen war, 1660 geboren worden.264 Wie sein Vater hatte er ab 1678 in Jena studiert, zwischen 1681 und 1684 war er als Arzt in Minden tätig und absolvierte eine Bildungsreise nach Belgien, den Niederlanden und England, bevor er 1685 endgültig in Minden als Garnisonsarzt sesshaft und 1686 zum Physikus des Fürstentums Minden und zum Hofrat ernannt wurde. Im Anschluss wirkte er als Landphysikus im 1680 brandenburgisch gewordenen Fürstentum Halberstadt. Hoffmann war angesichts dieses Werdegangs und dieser Ämter für die Regierungsebene in Berlin vielleicht nicht übermäßig bekannt, doch zumindest als in brandenburgischen Diensten stehend ‚aktenkundig’, als er 1693 nach Halle berufen wurde. Außerdem stand er durch seine Untersuchung der Quedlinburger Ekstatikerin Magdalena Elrichs in Kontakt mit den pietistischen Kreisen in Mitteldeutschland, wovon Francke wiederum an Spener nach Berlin berichtete.265 Bereits im Januar 1691 hatte Hoffmann Francke zu seiner Versetzung nach Halle gratuliert.266 Georg Ernst Stahl war ebenfalls 261

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Stahl, Georg Ernst: Theoria medica vera. Physiologiam et Pathologiam, tanquam doctrinae medicae partes vere contemplativas, e nature er artis veris fundamentis, intaminata ratiuone, et inconcussa experientia sistens, Halle: Waisenhaus 1708. Hoffmann, Friedrich: Medicina rationalis systemica, Halle: Renger 1718. Zum Folgenden vgl. Helm, Jürgen: Hallesche Medizin zwischen Pietismus und Frühaufklärung, in: Hammerstein, Notker (Hg.): Universitäten und Aufklärung, S. 63ff. Vgl. Thiele: Residenz auf Abruf, S. 192. Francke berichtete an Spener, Hoffmann habe in Quedlinburg die Ekstasen der Magd Magdalena Elrichs untersucht und als Katalepsien beschrieben; vgl. Brief Nr. 22 Francke an Spener am 15.3.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 96; vgl. Brief Nr. 60 Francke an Spener am 10.12. 1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 235. Vgl. Friedrich Hoffmann an August Hermann Francke am 21.1.1692, AFSt/H, C 65 a–1. Nr.1, unpag.

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Jahrgang 1660 und hatte zur gleichen Zeit wie Hoffmann in Jena studiert. Nach einer Lehrtätigkeit in Jena wurde er 1687 zum Leibarzt von Johann Ernst III. von SachsenWeimar ernannt. In diesem Umfeld kam er mit pietistischen Akteuren in Kontakt und begegnete 1691 Francke in Gotha auf dessen Durchreise von Erfurt nach Berlin.267 Da Stahl ebenfalls verschiedene Patienten des pietistischen Kreises in Quedlinburg behandelte, ist es nicht auszuschließen, dass er dort möglicherweise erneut auf Hoffmann traf. Francke hatte Stahl persönlich erlebt, von Hoffmann hatte er über Dritte und persönlich gehört. Inwieweit er im Zusammenhang mit ihren Berufungen agiert hat, ist ungewiss. Der Briefwechsel zwischen Spener und Francke enthält über Stahl keine Informationen, über Hoffmann sind die Notizen spärlich. Betrachtet man die Möglichkeiten Frankkes, Entscheidungen in Berlin aus eigener Kraft zu forcieren, kann man in etwa bis zum Zeitpunkt der Anstellung Johann Anastasius Freylinghausens als Adjunkt in Glaucha 1695 konstatieren, dass dies aufgrund der kritischen Situation in Glaucha zum Berufungszeitpunkt der Ärzte 1693/94 kaum möglich gewesen sein kann. Er hätte zumindest die Unterstützung Speners benötigt. Angesichts der latenten Zugehörigkeit der beiden Ärzte zum pietistischen Netzwerk ist es zwar nicht vollkommen auszuschließen, dass Francke, so er die Gelegenheit dazu erhielt, beide in Berlin empfahl, die Akten geben einen solchen Befund allerdings nicht her. Auch für eine Empfehlung Stahls durch Hoffmann gibt es keine Belege.268 Mit Stahl und Hoffmann wurden zwei vergleichsweise junge auswärtige Ärzte, die bisher nur in geringem Umfang akademisch, sondern eher praktisch gewirkt hatten, an die neue Universität berufen. Für die These von der Reformuniversität reichen diese biographischen Merkmale genauso wenig aus wie die Feststellung, beide stammten aus dem weiteren pietistischen Umfeld.

1.6. Philosophische Grundlagenbildung Die Besetzung der philosophischen Fakultät über die Person Franckes hinaus gestaltete sich schwierig, da die zunächst anfragten Personen, allesamt Berühmtheiten ihres Fach und geeignet, den Flor der neuen Universität zu mehren,269 der Berufung nicht nachkamen, worüber von Ludewig Auskunft gibt: Konrad Samuel Schurtzfleisch, Polyhistor 267

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Vgl. Geyer-Kordesch, Johanna: Pietismus, Medizin und Aufklärung in Preußen im 18. Jahrhundert. Das Leben und Werk Georg Ernst Stahls, Tübingen 2000 (Hallesche Beiträge zur Europäischen Aufklärung, Bd. 13), S. 97. Vgl. ebd., S. 102. So von Ludewig: „Ob nun wohl die wenigste sich davon eingefunden; sondern die meiste solche Vocationen nur zu ihrem Vortheil gebrauchet, an ihren alten Orten, eine Zulage von Besoldungen heraus zu bringen, und sich dardurch denen Ihrigen theurer zu machen: so wollen wir doch derselben Nahmen deßwegen hieher setzen; um dardurch Churfürstliche Durchl. Ihren Eyfer zu bezeugen; Ihre Hällische Universität, mit einem Kern, von weltberuffenen Leuten zu besetzen.“ Von Ludewig: Historie, S. 54.

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und Professor für Eloquenz in Wittenberg habe den Ruf vom 30.6.1692 zum Professor für Geschichte und Eloquenz abgelehnt, „weil er […] erfahren: daß man allhier [in Halle] von den gelehrten Sprachen, besonders dem Latein, ein nachtheiliges Urtheil fällete“.270 Dies mag auch eine Anspielung auf die Lehrart des Thomasius gewesen sein; fest stand, dass Schurtzfleisch in Wittenberg eine lange gewachsene, einflussreiche Stellung, nicht zuletzt auch als Hofhistoriograph Kursachsens, aufzugeben hatte. Neben Schurtzfleisch hätte der Eklektiker Johann Christoph Sturm271 lehren sollen, doch lehnte dieser seine am selben Tag wie die Schurtzfleischs ausgestellte Bestallung zum Professor für Mathematik ebenfalls ab, wofür von Ludewig aber keine Gründe zu nennen weiß.272 Auch für Sturm gilt, dass er in Altdorf eine über einen langen Zeitraum etablierte, wissenschaftlich durch die Einführung regelmäßig abgehaltener Experimentalkollegs einflussreiche Position zugunsten eines möglicherweise konfliktreichen Neubeginns an der noch unbedeutenden brandenburgischen alma mater eingetauscht hätte. Eine ähnliche Begründung gab von Ludewig zufolge der ebenfalls für Halle angefragte Samuel von Pufendorf: „Allein er schützte sein Alter vor und, gegen gute Freunde, sagte er offenhertzig; die UniversitätsBedienungen auch diese Beschwehrlichkeit bey sich hätten: daß, an dem berühmtesten und geschicktestem Manne, ein geschwätzhaffter und Zungeloser junger Magister zum Ritter werden könnte. Welches Gezäncke, auf denen Universitäten, zu Heidelberg und Londen, ihme allemahl sehr entgegen gewesen. Und wie er von Hertzen froh gewesen wäre, da er, in Schweden, schon davon abgeruffen worden. Wiewohl die Abwartung seines Amtes, als historiographus ihme noch viel mehrere Gefahr auf den Hals gezogen. Und da er nun wieder in Teutschland wäre; so bäthe er Churfürstl. Duchlauchtigkeit, ihn mit dem Universitäten-Wesen, in höchsten Gnaden zu verschonen.“273

Die Berufung von Pufendorfs wurde wohl erneut von Christian Friedrich von Kraut forciert, wovon der zu Berufende allerdings nichts wusste, wie er am 31.10.1691 an Thomasius vermeldete: „Daß H. Kraut so positive sagt, ich würde nach Halle kommen, wundert mich so viel mehr, weil mir hier kein mensch ein wort davon gesagt. MhH sey doch so gut, und frage ihn bey gelegenheit, von wem er solches eigentlich habe. Denn wenn es des Churfürst rechte intention seyn sollte, were es mir dienlich vorzuwißen, daß ich meine mesures darauf nehmen könnte. Ich bin sonsten auf die Welt genug herumb gezogen, und were noch wohl in Berlin viel werck, daß ich den rest meines lebens nicht ohne nutzen vollends könnte zubringen.“274

Unklar bleibt allerdings, an welcher Fakultät von Pufendorf hätte installiert werden sollen. Im Herbst 1691 waren die Positionen an der juristischen Fakultät neben Thomasius und die philosophischen Professuren noch völlig offen, und von Pufendorf hätte beides aus270 271

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Ebd., S. 55. Zu Sturm vgl. Graab, Hans / Löffladt, Günter (Hgg.): Johann Christoph Sturm (1635–1703), F.a.M. 2004. Vgl. von Ludewig: Historie, S. 57. Ebd., S. 54f. Brief Nr. 212 von Pufendorf an Thomasius am 31.10.1691, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 331.

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füllen können. Letztendlich wurde er nun kein Teil der später so von ihm beschriebenen „wunderliche[n] conjunctio Planetarum zu Halle“,275 stattdessen sollten dazu die Mitglieder der philosophischen Fakultät Christoph Cellarius und Johann Franz Budde gehören. Cellarius wurde am 24.6.1693 auf die Empfehlung von Seckendorffs und Ezechiel von Spanheims hin als Professor für Geschichte und Beredsamkeit berufen. Von Seckendorff kannte Cellarius, seit er ihn 1676 – in seiner Funktion als Kanzler und Konsistorialrat – aus Weißenfels nach Zeitz geholt und zum Leiter der Stiftsschule befördert hatte. 1693 kam Cellarius aus Merseburg, wo er seit 1688 Rektor der Domschule gewesen war und sich einen bedeutenden Ruf als Latinist und Althistoriker erarbeitet hatte.276 Für den Geheimen Rat von Spanheim ist zu vermuten, dass ihm Cellarius als vorzüglicher Kollege in den Altsprachen bekannt war, dem allerdings die Lehre weniger als die Forschung gelegen haben soll, denn Spanheim „riethe dem Hofe, ihn, von allem gemeinen Docieren und Collegien-halten zu befreyen, ihm aber doppelten Gehalt zu geben, damit er oder die Seinigen die Collegien-Gelder nicht vermisseten.“277 Cellarius’ Verdienst um die Entwicklung einer modernen Geschichtswissenschaft war es, die epochale Dreiteilung der Weltgeschichte etabliert zu haben. Die lateinischen Bezeichnungen einer historia antiqua, media und nova begegnen erstmals 1685278 und wurden bis 1702 in Halle ausformuliert.279 Mit diesem Geschichtskonzept konnte Cellarius bereits 1693 als innovativer Kopf gelten, als Philologe war er ohnehin berühmt.280 Neben ihm agierte als Professor für Philosophie Johann Franz Budde. Er war am 2.9.1693 aus Coburg von einer Stellung als Professor für Griechisch und Latein am dortigen Gymnasium wegberufen worden. Budde hatte zwischen 1685 und 1689 in Wittenberg das philosophische Grundstudium absolviert, aber auch Theologie gehört. Nach Coburg war er nach einem kurzen Studienaufenthalt in Jena gekommen. Der Aufenthalt Buddes in Jena markierte eine wesentliche Gemeinsamkeit mit Hoffmann, Stahl, Cellarius, Simon und Baier: Alle hatten (unter anderem) in Jena studiert und standen der Wittenberger Sphäre offenkundig fern.281 Jena kann demzufolge als das unverdächtige Berufungsreservoir für die hallische Universität gelten. Daneben kamen noch Helmstedt (Breithaupt, Bode), Frankfurt an der Oder (Thomasius, Stryk) und Leipzig (Francke, Thomasius) in 275

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Brief Nr. 223 von Pufendorf an Thomasius am 26.11.1692, in: von Pufendorf: Briefwechsel, S. 348. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 59. Von Ludewig: Historie, S. 67. Dennoch musste Cellarius einer normalen Lehrtätigkeit nachkommen, die er in einer ständigen Konkurrenz zu den juristischen Lehrveranstaltungen wähnte; vgl. Schrader: Geschichte, Bd.1, S. 59. Cellarius, Christoph: Historia Antiqua: Multis Accessionibus Aucta Et Emendata, Cum Notis Perpetuis Et Tabulis Synopticis, Ienae: Bielckius 1685. Cellarius, Christoph: Cellarii Historia vniversalis. Breviter ac perspicve exposita, in antiqvam, et medii aevi ac novam divisa, cvm notis perpetvis, Ienae: Bielke 1702. Vgl. Lindauer-Huber, Reimar: Christoph Cellarius (1638–1707). Erster Professor für Philologie, Geschichte und Altertumskunde an der Universität Halle, Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 5 (2007), S. 162. Dies gilt auch für Johann Christoph Sturm.

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Betracht, während der Werdegang von Johann Sperlette als Nicht-Deutscher zwangsläufig aus dem Rahmen fiel. Neben Budde besaß v.a. Stryk einen dezidierten WittenbergBezug, der aber gegenüber seinen Verdiensten offenbar nicht ins Gewicht fiel, zumal er als Jurist berufen wurde.282 In Jena bildete Budde sich theologisch weiter, zu einem späteren Zeitpunkt ist der Einfluss Baiers auf sein Werk nachweisbar und damit indirekt die bereits erwähnte vermittelnde Linie von Musäus.283 Dass Budde aber, wie Sparn anmerkungslos behauptet, die Berufung Baiers nach Halle vermittelt habe,284 geht aus den Quellen nicht hervor. Allerdings hielt die Verbindung beider auch später in Halle, denn Budde erwarb das theologische Lizenziat 1695 unter Baier. 1693 war Budde allerdings noch ein unbeschriebenes Blatt. Während Friedrich Hoffmann für die Physik sorgte, war auf den Lehrstuhl für Mathematik Martin von Ostrowski berufen worden, der Halle aber bereits 1695 wieder verließ.285 Die Recherche nach von Ostrowski verlief bis auf ein Detail ergebnislos: Die bisherige Forschung sah ihn im Anschluss an Halle in Königsberg.286 Helga Schultz gibt hingegen einen polnisch-stämmigen Martinus von Ostrowski für 1695 als Extraordinarius der Philosophie an der Viadrina an,287 ein einziger, aber stimmiger Hinweis. Mathematik wurde anschließend zunächst von dem bisher unerforschten Johann Sperlette (Jean Sperlette de Montguyon) gelesen, bis 1706 Christian Wolff dieses Amt übernahm. Sperlette, ein katholischer, später reformierter Franzose und Anhänger Descartes’ soll persönliche Beziehungen zum Geheimen Rat von Spanheim unterhalten haben.288 In jedem Fall hatte letzterer in seiner Verantwortung für die hugenottischen Kolonien 1689 die Berufung des Franzosen zum Direktor des französischen Gymnasiums in Berlin erwirkt, wo Sperlette u.a. auch in Kontakt mit Daniel Ernst Jablonski kam, der sich von ihm in Physik unterweisen ließ.289 Als Lehrer für Philosophie verfasste Sperlette drei Lehrbücher, in denen er seine Rezeption des Cartesianismus darlegte.290 Bei der Analyse der Berufungen an die philosophische Fakultät signalisiert die erste, nicht realisierte, Variante aus Schurtzfleisch, dem Frühaufklärer Sturm, eventuell auch von Pufendorf und Francke, als auch die zweite, realisierte, mit Cellarius sowie den unbe282

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Für Schurtzfleisch, wäre er aus Wittenberg gekommen, kann man dasselbe wie für Stryk annehmen. Vgl. Sparn, Walter: Auf dem Wege zur theologischen Aufklärung in Halle: Von Johann Franz Budde zu Siegmund Jakob Baumgarten, in: Hinske, Norbert (Hg.): Zentren der Aufklärung I, S. 75f. Vgl. ebd., S. 75. Johann Jakob Spener, der diese Position 1691 an der Ritterakademie ausgefüllt hatte, war am 20.1.1692 verstorben. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd.1, S. 61. Vgl. Schultz, Helga: Die Bedeutung der Viadrina für die deutsch-polnischen Wissenschaftsbeziehungen, in: Pfeiffer, Waldemar (Hg.): Wissenschaftseinrichtungen und Strukturentwicklung in der Grenzregion. Modelfall Europa Universität Frankfurt (Oder), Poznan 1995, S. 62. Vgl. Splett, Jürgen: Art. „Sperlette de Montguyon, Jean“, in: Noack, Lothar / Ders.: Bio-Bibliographien. Brandenburgische Gelehrte der Frühen Neuzeit. Mark Brandenburg 1640–1713, S. 467. Vgl. Winter: Gelehrtenschulwesen, S. 201f. Vgl. Splett: Sperlette, S. 467.

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kannteren Budde, von Ostrowski bzw. Sperlette und Francke eine stärker von der Konfessionspolitik losgelöste Tendenz bei der Berufungspolitik, als man dies für die juristische und theologische Fakultät sagen kann. Der Grundlagenbildung wurde demzufolge ein innovativer Zug zugebilligt, wohingegen die Lehrenden der anderen Fakultäten, besonders Thomasius und Breithaupt, die Studenten anschließend in die gewünschte Richtung für gehorsame Staatsdiener führen sollten.

1.7. Die Aufsichtsorgane der Universität als konfessionspolitische Kräfte 1.7.1. Die Oberkuratoren Auch die Bestallung der Aufsichtsorgane der Universität folgte konfessionspolitischen Motiven. Zwei Oberkuratoren wurden ernannt: Johann Friedrich von Rhetz und Daniel Ludolf von Danckelmann. Besonders die Ernennung des von Rhetz fällt auf: Nicht nur, dass es sich selbstverständlich um ein Mitglied des Geheimen Rats, mit übrigens unbekannter Konfession,291 handelte, sondern von Rhetz war auch ein hochschulpolitisches Schwergewicht als Professor der Rechte und mehrmaliger Rektor in Frankfurt und dort mit von Jena, Thomasius und Stryk persönlich bekannt. Sicherlich war er aber nicht mit dem einflussreichen Paul von Fuchs zu vergleichen, der den erkrankten von Rhetz schon bei der Inaugurationsfeier prominent vertrat. Von Fuchs’ Werdegang steht exemplarisch für die Ziele brandenburg-preußischer Religionspolitik: Nachdem er in den 1660er Jahren Friedrich Wilhelm kennengelernt hatte und ihm eine Anstellung angeboten worden war, sticht aus dem Lebenslauf die Konversion vom Luthertum zum Reformiertentum hervor. Als er 1667 eine Professur der Rechte in Duisburg angenommen hatte, war er auch Mitglied des dortigen reformierten Presbyteriums geworden.292 Für die Karriere war die Konversion gewinnbringend, denn es existierten zwar, wie Peter Bahl nachgewiesen hat, auch für Lutheraner im Staatsdienst Aufstiegschancen, jedoch findet sich in den höchsten Staatsämtern, in die von Fuchs ab 1670 sukzessive gelangte, ein deutlicher Überschuss an reformierten Amtsträgern.293 Von Fuchs stand seit 1689 mit Spener294 und, so geben es die im Francke-Nachlass erhaltenen Briefe her, seit 1698 in regelmäßigem Kontakt mit Francke. Bis er 1701 Kurator der Universität Halle als Nachfolger von Rhetz’ wurde, war er außerdem als Berliner Konsistorialpräsident eine wichtige Kontaktperson für Spener.295 Sein religiöses Interesse war offenkundig breit gefächert und ohne Berührungs291 292

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Vgl. Bahl: Hof, S. 563. So schon Salpius, Friedrich von: Paul von Fuchs. Ein brandenburgisch-preußischer Staatsmann vor zweihundert Jahren, Leipzig 1877, S. 9. Vgl. Bahl: Hof, S. 203f. Zu Paul von Fuchs vgl. ebd., S. 481ff. Vgl. ebd., S. 482. Vgl. Brief Nr. 95 Spener an Francke am 1.12.1694, in: Spener: Briefwechsel, S. 352. In der Frage, wie es zu bewerkstelligen sei, dass es Francke gelänge, Johann Anastasius Freylinghausen als Adjunkt in Glaucha anzustellen, war Spener sich nicht völlig sicher, inwieweit die Oberkuratoren von Rhetz und von Danckelmann oder doch eher von Fuchs anzuschreiben seien, „der die Eccle-

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ängste, da er auch Johann Wilhelm Petersen auf seinem Gut in Malchow predigen ließ.296 Außerdem stand von Fuchs ab 1692 bereits mit Daniel Ernst Jablonski, dem damals neuen Hofprediger an der Berliner Domgemeinde, in Kontakt.297 Beide beschäftigte in ihrem Briefwechsel insbesondere der mit dem Berliner Beichtstuhlstreit 1697 kirchenpolitisch erneut virulente Gedanke einer innerprotestantischen Kirchenunion.298 Von Fuchs’ Kollege Daniel Ludolf von Danckelmann war als zweitjüngster Bruder ein Mitglied des „Danckelmannschen Siebengestirns“. Seine Karriere war eng mit dem Aufstieg und Sturz seines Bruders Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann verbunden, so dass er seine Kuratorentätigkeit zwischen 1698 und 1701 aussetzen musste.299 Mit diesem Oberkurator, im übrigen ebenfalls reformierter Konfession, besaß man in Halle einen mittelbaren Zugang zum Premierminister, der die Etablierung der binnenkonfessionellen Strömung in Halle und Berlin bei der Spener- und der Francke-Berufung stark unterstützt und die Einstellung der Rotthschen Feindseligkeiten gegen Thomasius angemahnt hatte. Bei Angriffen gegen die Universität und ihre kontroverstheologisch angreifbaren Mitglieder stand mit beiden Oberkuratoren somit ein starker Rückhalt zur Verfügung. 1.7.2. Der Kanzler Schraders Urteil über den ersten Kanzler der Friedrichs-Universität Veit Ludwig von Sekkendorff, soll in aller Kürze nachgegangen werden, denn von Seckendorffs Berufung steht ebenfalls exemplarisch für die Gesamtausrichtung der alma mater: „Ein erfahrener Beamter, hochstehend in der Gesellschaft, fromm und dem Pietismus freundlich gesinnt, wie er in seiner schon erwähnten Schrift gegen das Ebenbild des Pietismus dargethan [Bericht und Erinnerung] aber dem Separatismus und der Mystik abgeneigt, dem allgemeinen Rufe nach omnium Christianorum nobilissimus, omnium nobilium Christianissimus, trat er sein Amt am 13. Oktober 1692300 an“.301

Von Seckendorff allerdings nur in die Nähe pietistischer Akteure zu rücken, würde zu kurz greifen, er stand allgemeiner für die kirchenreformorientierten Strömungen innerhalb des Luthertums. Mit Detlef Döring kann man von Seckendorff zu einer Gruppe von Personen zählen, „die im oder am Rande des politischen Raumes wirken, meist eine juristische Ausbildung genossen haben, zugleich aber deutliche theologische und pädagogische Interessen verfolgen. Das Bestreben nach einer Begründung des staatlichen und bürgerlichen Lebens auf der Grundlage

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siastica ordninariae respiciert, und deswegen alle stellen in der Marck, wo der Churf[ürst] patronus ist, von ihm vergeben werden müßten“. Ebd. Vgl. Wallmann: Pietismus, S. 87. Vgl. Palladini: Der Hofprediger und der Minister, S. 87. Vgl. Kapitel I. und IV.1.1. Vgl. Bahl: Hof, S. 459. Die Ernennung datiert auf den 30.8.1692; vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 360f. Vgl. ebd., S. 41.

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III. Konfessionspolitik und Universität

der christlichen Religion verbindet sich bei ihnen mit dem Glauben an die Reformierbarkeit der Kirche und der Welt. […] Damit verknüpft ist der allerdings zahlreichen Einschränkungen und Bedingungen unterworfene Wunsch nach einer Beendigung der konfessionellen Gegensätze.“302

Von Seckendorff war durch verschiedene Positionen am Gothaer Hof bis hin zur Bestallung zum Vorsitzenden des Geheimen Rats 1663 mit den Facetten des Reformwerks Herzog Ernsts von Sachsen-Gotha vertraut, sowohl was Visitationen und Kirchenzucht als auch die christliche Bildung der Untertanen anbelangte.303 Während seiner Tätigkeit in Sachsen-Zeitz als Kanzler und Konsistorialrat 1665–1681 erweiterte sich dieser von der Sorge um die christliche Lebensführung der Untertanen bestimmte Denkkosmos um die Dimension der Prinzenerziehung zu einem gottesfürchtigen, frommen Regenten, wozu in von Seckendorffs Lehrplan sowohl Katechismusstudien, Meditation und Gebet als auch die Kenntnis der symbolischen Bücher des Luthertums und der Inhalte der Kontroverstheologie gehörten.304 Mit den Konzeptionen der beiden Komplementärwerke des Fürsten-Staats von 1656,305 vor allem aber des Christen-Staats von 1686306 ordnete sich von Seckendorff außerdem in die lange Reihe der Verfasser christlicher Staatsutopien in Verbindung mit Überlegungen zu guter Ordnung und Policey ein. In der Vorrede des Christen-Staats wird von den gelehrten Männern, deren Schriften und Gedanken von Seckendorff bei der Abfassung studiert hatte, nur Philipp Jakob Spener namentlich genannt.307 Von Seckendorff musste demnach für kirchen-, aber eben auch weltreformerisch orientierte Denkimpulse, festgemacht an der Person Speners, offen gewesen sein.308 Solveig Strauch sieht diese beginnende Offenheit allerdings bereits früher als 1686 bei einem von von Seckendorff verfassten Bedenken für die Einführung eines praxisbezogenen Predigerseminars im Jahr 1680, dem ein Nachdenken über das nahende Weltende und den verderbten Zustand der Kirche sowie ihrer Diener vorausgegangen war. Nach Strauch kannte er die Pia Desideria zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, da erst Spener, mit dem er seit 1681 im Briefwechsel stand, ihn darauf aufmerksam machte.309 302

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Döring, Detlef: Untersuchungen zur Entstehung des „Christenstaates“ von Veit Ludwig von Sekkendorf, in: Donnert, Erich (Hg.): Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günther Mühlpfordt, 7 Bde., Bd. 1: Vormoderne, Weimar u.a. 1997, S. 477. Vgl. Albrecht-Birkner: Reformation, S. 43ff. Vgl. Strauch: Seckendorff, S. 58ff. Vgl. Seckendorff, Veit Ludwig von: Teutscher Fürsten-Stat, Oder: Gründliche und kurtze Beschreibung, Welcher gestalt Fürstenthümer, Graff- und Herrschafften im H. Römischen Reich Teutscher Nation [...] beschaffen zu seyn, Regieret [...] zu werden pflegen: Zu beliebigem Gebrauch und Nutz hoher Standspersonen [...] abgefasset, F.a.M: Götze 1656. Vgl. Seckendorff, Veit Ludwig von: Christen-Stat in drey Bücher abgetheilet. Im Ersten wird von dem Christenthum an sich selbst und dessen Behauptung wider die Atheisten und dergleichen Leute, Im Andern von der Verbesserung des Weltlichen und im Dritten des geistlichen Standes nach dem Zweck des Christenthums gehandelt. […], Leipzig: Gleditsch 1686. Vgl. von Seckendorff: Christenstaat, Vorrede, S. 5r. So vgl. auch Döring: Untersuchungen, S. 477. Vgl. Strauch: Seckendorff, S. 74ff. Vgl. dazu auch Philipp Jakob Spener an Veit Ludwig von Seckendorff am 26.8.1681, in: Spener, Philipp Jakob: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686,

1. Bildungsoffensive

181

Mit dem Plan, Johann Caspar Schade 1690 auf die Pfarrstelle in Meuselwitz zu berufen, zeigte sich von Seckendorff als jemand, der durchaus bereit war, das Abhalten von Erbauungsstunden und intensives Bibelstudium als praktische Elemente seiner individuellen Religionspraxis hinzuzufügen, denn dafür stand Schade als Mitstreiter Franckes in Leipzig. Dabei scheute er die Kontroverse mit dem zuständigen Altenburger Generalsuperintendenten über Schades Person und die collegia pietatis im Allgemeinen nicht.310 Nimmt man seine Auffassungen zum Verhältnis der Konfessionen untereinander hinzu, könnte man von Seckendorff am ehesten wohl einen irenisch veranlagten Lutheraner nennen, der aber die traditionellen Codes nicht aufgab: Gegenüber Katholiken und Reunionsversuchen mit diesen zeigte er sich voller Skepsis und Misstrauen gegenüber der Kirchenhierarchie und ihren politischen Verbindungen.311 Erheblich maßvoller waren hingegen seine Äußerungen zu den Reformierten, so hatte er von den beiden protestantischen Kirchen als evangelischer Kirche gesprochen und durch die Hinzuziehung von 1Kor 14 und 15312 im Positiven sowie durch 1Kor 8, 11313 im Negativen sein Verständnis einer Nähe zwischen beiden Konfessionen deutlich gemacht.314 In summa fügte sich der Denker und Politiker von Seckendorff gut in die Berliner wie auch in die angestrebte hallische konfessionspolitische Szenerie ein. Es ist bereits unmittelbar am Beginn seines Wirkens als Geheimer Rat in Berlin 1691 von einem nicht unmaßgeblichen Einfluss und Kontaktnetzwerk auszugehen, denn immerhin nutzte Spener seine Beziehung zu von Seckendorff im Zusammenhang mit der Francke-Berufung stante pede. Die Verbindung zwischen von Seckendorff und Spener kam Anfang 1692 mit der Verteidigungsschrift Bericht und Erinnerung vollends zum Tragen.315 Diese Schrift, entstanden als eine Reaktion auf Albrecht Christian Rotths Imago Pietismi und mit kurbrandenburgischer Zensurgenehmigung gedruckt, ging in Form einer Textanalyse auf jeden den pietistischen Akteuren vorgeworfenen Missbrauch und Irrtum, in der Hauptsache auf Konventikelbildung, Schwärmertum, Perfektionismus und Chiliasmus, ein und entkräftete diese. Den Schwerpunkt legte von Seckendorff in seiner

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5 Bde., Bd. 5: 1681, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit vom Orde, Klaus / Blastenbrei, Peter, Tübingen 2010, S. 405–410. Vgl. Strauch: Seckendorff, S. 80ff. Schades Berufung scheiterte an dessen verweigertem Examen im Rahmen der Leipziger Pietismuskontroverse. Vgl. ebd., S. 104ff. Es handelte sich um die Reunionsversuche des Bischofs Christoph de Royas y Spinola, zu denen sich von Seckendorff Leibniz 1683 gegenüber äußerte. Vgl. dazu auch Zeeden, Ernst Walter: Der ökumenische Gedanke in Veit Ludwig von Seckendorfs Historia Lutheranismi. Über die Idee einer religiösen Überwindung des intoleranten Konfessionalismus im späten 17. Jahrhundert, in: Ders.: Konfessionsbildung, Gegenreformation und katholische Reform, Stuttgart 1985 (SMAFN, Bd. 15), S. 9–24. Es geht in 1Kor 14 um die verschiedenen Gaben in der Gemeinde und in 1Kor 15 um die Wahrheit der Auferstehung Christi als Zeugnis der Gemeinde; vgl. Luther 1984. 1Kor 8, 11: „Und so wird durch deine Erkenntnis der Schwache zugrunde gehen, der Bruder, für den doch Christus gestorben ist.“ Luther 1984. Vgl. Strauch: Seckendorff, S. 110f. Vgl. Kapitel III.2.2.1. dieser Arbeit.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Argumentation darauf, dass eine christliche Obrigkeit die Aufgabe besäße, die Kirche vor bloßer Äußerlichkeit und Verderbnis, wie sie zur Zeit vorherrschten, zu bewahren und das Christentum zu fördern, wobei ausgerechnet das Konventikelwesen eine wichtige Strategie darstellen könne: „Wie viel halten sich für stattliche Christen, wenn sie nur den äußerlichen Gottesdienst taliter qualiter abwarten, und nicht in groben Schanden und Lastern leben. […] Warum sollten denn Christliche hohe Obrigkeiten rechtgläubige Gotteselige Lehrer samt den vornehmsten Ständen und Personen, jeden Landes und Orts, nachdem dieser Mangel etliche Jahr her eiferig gerüget, und die Verbesserung auffs höchste gewünschet und gebeten worden, nicht der Mühe werth achten hiervon in Rathstuben oder auf Synodis, Landtagen und der gleichen Zusammenkunften, zu handeln, inzwischen aber diejenigen, welche sich freywillig mit solcher particular-Unterweisung, Ermahnung und Conversation ohne Mißbrauch und Trennung beladen, nicht vielmehr loben, fördern, und andere durch Exempel aufmuntern zu lassen, als dieselben für Phantasten, Pietisten, Schwärmer und Ketzer ungehört zu verdammen, oder auch die thesin zu verwerffen, daß solche Mittel der Erbauung, ob sie schon nicht absolute und bey Verlust der Seeligkeit nöthig, dennoch mit gehöriger Bescheidenheit zu praciticiren möglich wären, und diejenigen nicht sündigten, die dergleichen fürnehmen“?316

Die Zusammenkünfte frommer Menschen und die gemeinsame Bibellektüre stellten für von Seckendorff vielmehr ein Mittel dar, durch Erbauung die Reformation der Evangelischen Kirche fortzusetzen, hingegen aber Obrigkeiten, die solches versucht hätten – als Beispiel wird Ernst von Sachsen-Gotha genannt – von den Theologen aus Angst vor Veränderungen verleumdet worden seien. Doch sei nun die Zeit für ein Umdenken gekommen: „Eins müssen wir wehlen, entweder daß wider ein dominat der Geistlichkeit in Religions- und Gewissens-Sachen aufkomme, oder dahin stellen und GOTT befehlen, wenn etliche Schrift ohne Verstand und Nutzen lesen, oder irrige Meinungen daraus schöpffen.“317

Der Herrschaft der Geistlichkeit und den Irrgängern im Glauben werden stattdessen Personen gegenübergestellt, die im Rahmen der kirchlichen Dogmen und Praktiken in besonderen Gemeinschaftsformen christliche Frömmigkeit praktizierten: „ […] gute und rechtschaffende Seelsorger oder wahre Glaubens-Genossen und Mit-Bruder in Christo [sind] die jenigen, welche unserer Confession zugethan sind auch recht lehren, und gelegenheit darzu haben, die so genannten Collegia pietatis, mit den ihrigen, auch Zuziehung anderer Christlichen Personen zu bequemer Zeit ohne Versäumung des Gottesdienstes und BeruffsArbeit, offentlich in Kirchen oder auch zu Hause, und mit andern sich daselbst finden lassen, wann man Gottes Wort oder Biblische Sprüche lieset, erkläret, sich daraus, oder aus den angehörten Predigten gottselig befraget, oder den Catechismum treibet, bätet, singet und dabey kein Mißbrauch wissentlich duldet, sondern dieselbe sorgfältig verhütet, sich auch deßhalben über andere, die dergleichen collegia nicht halten noch besuchen, nicht erhebet noch von den Gemeinden sondert, auch den offentlichen Gottesdienst nicht geringe schätzet, oder verseumet“.318

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von Seckendorff: Bericht und Erinnerung, S. 24. Ebd., S. 28. Ebd., S. 56f.

1. Bildungsoffensive

183

Da der Begriff des Pietisten ein mit Schwärmer- oder Ketzertum konnotiertes Schmähwort sei,319 solle man diese Menschen allerdings keinesfalls Pietisten nennen. Diese Einschätzung von Seckendorffs zeigte, wie der Begriff des Pietisten bereits zu einem Kampfbegriff in der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit über die lutherische Identität geworden war. Hingegen war von Seckendorffs Definition dessen, was den wahrhaften Christen ausmachte, so angelegt, dass man zwar eine besondere Frömmigkeit, jedoch kein Abrücken von den konfessionellen Codes ausmachen konnte. Von Seckendorff gab an dieser Stelle indirekt die Linie vor, die konsensuale Mitte der lutherischen Konfessionskultur gerade nicht in Frage zu stellen, sondern nur durch Frömmigkeitspraxis zu stärken, wollten die pietistischen Akteure erfolgreich sein. Neben der allgemeinen Aufgabe der Förderung des Christentums, die selbstverständlich auch die brandenburgischen Kurfürsten als gute Landesväter zu befolgen hatten, setzte von Seckendorff taktisch geschickt die zweite Grundlinie brandenburgischer Konfessionspolitik, für die diese besonders frommen Personen eintraten: „Weiter sind auch die für keine Pietisten oder Schwärmer zu halten, welche nicht aus allen Streitigkeiten der Religion oder Neben-Fragen solche Haupt-articul machen, daran die Seligkeit hienge, oder deswegen einen Christlichen Kirchen-Frieden und zulässige tolerantz verhinderten und verwürffen“.320

Im Sinne dieser Friedfertigkeit wandte er sich aber auch den Angehörigen der umstrittenen Gruppierung zu und forderte sie zu einem behutsamen und seelsorglichen Vorgehen auf: „Gott bewahre aber auch diejenige, welche Verbesserung suchen, vor Betrug, Unbedachtsamkeit, Ubereilung, und Leichtgläubigkeit, u. lasse sie nicht dahin komen, daß sie, was entweder gar nicht, oder itziger Zeit und Beschaffenheit nach nicht nöthig, und ohne Zerrüttung des Christlichen Kirchen-Friedens nicht zu erhalten, dafür nicht ausgeben, noch allen neuen Vorschlägen nachhengten, vielweniger solche ungeschickter Weise prosequiren und urgiren, sondern sich selbst und andere wohl prüfen, und die Wahrheit und Einigkeit der Lehre, weniger nicht als die Liebe und Ubung in der Gottseligkeit zu erhalten sich angelegen seyn lassen.“321

Mit den Deutungs- und Abgrenzungskämpfen zwischen den lutherischen Gruppen hatte von Seckendorff seit einer Kommission anlässlich pietistischer Streitigkeiten im Mai 1692 in Halberstadt Erfahrung,322 bevor im Sommer 1692 seine Ernennung zum Kanzler der hallischen Universität virulent wurde. War die Ernennung zum Kanzler eher seinem langen Karriereweg geschuldet, prädestinierte ihn die Argumentation von Bericht und Erinnerung für den Vorsitz einer Kommission zur Schlichtung von Streitigkeiten zwischen August Hermann Francke, dessen Glaucher Gemeinde und der hallischen Stadt319 320 321 322

Vgl. ebd., S. 8-15. Ebd., S. 58. Ebd., S. 29. Vgl. Brecht, Martin: Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: Ders. (Hg.): Geschichte des Pietismus, 4 Bde., Bd. 2: Der Pietismus im achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1995, S. 360.

184

III. Konfessionspolitik und Universität

geistlichkeit um die verschiedenen Facetten der Abweichung von den konfessionellen Verbindlichkeiten und der Heterodoxie im Jahr 1692.

2.

Umkämpfte Identität. Die Antizipation der konfessionellen Wirkmächtigkeit der FriedrichsUniversität im Streit 1691–1700

2.1. Etablierung und Raumgreifung 2.1.1. Die Erlangung der Jurisdiktion über die Studenten Nach den Konflikten um Christian Thomasius 1690 entwickelten sich im Umfeld der Universitätsgründung 1691 eine Reihe von Auseinandersetzungen zwischen Mitgliedern der Universität und den Angehörigen von Stadt und Landschaft um die Besetzung des öffentlichen, kirchlichen und rechtlichen Raums in der Stadt durch die Universität, die geeignet waren, die gesamte auf konfessionspolitischen wie wirtschaftlichen Erfolg ausgelegte Universitätsentwicklung empfindlich zu stören. Eine charakteristische Bündelung verschiedener Konfliktfelder lässt sich anhand des Streits um die Jurisdiktion über die Studenten im Frühjahr 1692 nachweisen. Bereits im Spätwinter 1692 war der Theologiestudent Johann Hornemann in einer Wirtschaft mit Reden und heftigen Wortwechseln mit Stadtbürgern aufgefallen, die als unchristlich tituliert wurden. Als die magdeburgische Regierung daraufhin Bürger als Zeugen befragte und Hornemann selbst verhören wollte, beschwerte dieser sich bei den Universitätsprofessoren Francke, Breithaupt und Thomasius.323 Personalpolitisch kann dieser Fall als eine Wegmarke für die Erweiterung der juristischen Fakultät um Samuel Stryk gesehen werden.324 Darüber hinaus ging es um die ‚akademische Freiheit’ der Studenten, in Halle auch als die „Hallische Freyheit“325 bezeichnet. Die Studenten kamen seit 1690 in größer werdender Zahl nach Halle, wo sie eine eigene Gruppe bildeten und in der städtischen Rangordnung ihren Platz einforderten, der sich gerade nicht durch Unterordnung oder Einordnung in die Stadt auszeichnete, wie Holger Zaunstöck zuletzt in konstellationstheoretischer Sichtweise dargestellt hat.326 Zu dieser besonderen Rolle gehörte 323

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Vgl. Bericht von Thomasius, Breithaupt und Francke an den Kurfürsten am 5.3.1692 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), unpag. Vgl. Kapitel III.1.4. Vgl. Meier, John: Der hallische Studentenaufstand vom Jahre 1723, in: Zeitschrift für Kulturgeschichte 1, Ergänzungsheft. Beiträge zur Kulturgeschichte (1897), S. 8. Vgl. Zaunstöck, Holger: Konstellationen des Öffentlichen und städtischer Raum. Pietismus, Studentenkultur und Disziplinarpolitik um 1700, in: Schwerhoff, Gerd (Hg.): Stadt und Öffentlichkeit‚ (15.–19. Jh.), Köln 2011 (Städteforschung, Reihe A, Darstellungen, Bd. 83), S. 159–178.

2. Umkämpfte Identität

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die Unterstellung der Studenten unter die Jurisdiktion der Universität und nicht unter die städtischen oder landschaftlichen Behörden. In diesem Sinn ist die Appellation von Hornemann an die Professoren zu verstehen. Hornemann war offenkundig von der Regierung der Vorwurf gemacht worden, Pietist zu sein bzw. ‚pietistisch’ zu reden, denn es wurde, so die Professoren am 5.3.1692, „daraus per consequentiam einen gefehrlichen Verdacht auff andere wegen des Pietismi“327 gemacht und die „Professoren [würden] selbst, als ob wider uns eine Inquisition angeordnet wäre, diffamiret.“328 Das war kein aus der Luft gegriffener Vorwurf. Zu erinnern ist an das sich aufheizende konfessionspolitische Klima angesichts der Imago Pietismi Rotths, und die Stadtgeistlichkeit hatte unmittelbar im Umfeld der Universitätsgründung vor einem Übergreifen pietistischer Inhalte nach Halle gewarnt. Am 16.11.1691 hatten sich alle hallischen Prediger an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium gewandt. Die Stadtprediger gaben sich zwar mäßigend im Ton, schließlich war ihnen am 8.10.1691 per Reskript verboten worden, von den Kanzeln gegen Pietisten zu predigen.329 Im Kern legten sie allerdings ein Vorwurfsprofil vor, mit dem sie die wesentlichen Aspekte der Leipziger und Erfurter Konflikte aufnahmen und als Bedrohung ihrer Deutung lutherischer Identität definierten: Separation durch Konventikel, Wiedergeburt, Perfektionismus und Spiritualismus.330 Wohlwissend, dass ihre Meinung und die Berufung auf das Gewissen in Berlin, denn man rechnete mit einer Weiterleitung,331 kaum Akzeptanz finden würde, verschoben sie die Argumentation gegen die pietistischen Akteure weg von theologischen Argumenten hin zum Bildungswesen, das bedroht sei, wenn: „dergleichen Leute sich allhier einfinden, und nicht allein dieser guten Stadt und dem biß dato berühmten Gymnasio, sondern auch der neuen Universität einen solchen bösen Nachruf ohnfehlbar geben würden, daß niemand in Zukunft seine Kinder anhero schicken dürfte“.332

Die städtischen Theologen hatten bereits die Erfahrung machen müssen, dass eine theologische Debatte gegen die Pietisten wenig erfolgversprechend war, vielmehr war durch das Edikt vom 8.10.1691 die Doktrin der Friedfertigkeit gesetzt worden. In der Folge kaprizierten sie sich auf die einschneidendste Neuerung in Halle, die Universität, und kristallisierten diese als einen Angelpunkt kurfürstlicher Politik in Halle heraus. Die Stadtgeistlichkeit hatte erkannt, wie entscheidend die Universität für die Berliner Politik war und benutzte dies für ihr Ziel, die innerkonfessionelle Deutungshoheit über die lutherische Identität gegenüber den pietistischen Akteuren zu bewahren.

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Vgl. Bericht von Thomasius, Breithaupt und Francke an den Kurfürsten am 5.3.1692 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), unpag. Vgl. ebd. Vgl. Reskript vom 8.10.1691 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 254r. Vgl. Memorial des Stadtministeriums an die Magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 16.11.1691, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 260r–260v. Vgl. ebd., Bl. 260v. Ebd.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Ganz ähnlich auf die Universität fokussiert, formulierte auch Thomasius seine im Namen aller drei Professoren abgefasste Argumentation für die universitäre Jurisdiktion über die Studenten. Er stellte zum einen die Friedfertigkeit der Universitätsangehörigen heraus, die sich nicht in einen Streit ziehen lassen wollten: „Gleich wie aber, großmächtigster Churfürst, unsere Intention jezo nicht ist wegen des hier unter versirenden Hauptwerks, nehml. des so genannten Pietismi uns mit jemand alhier in einen Streit einzulaßen, sondern zu Ew. Churfürstl. Durchl. das unterthänigsten zuversichtlichen Vertrauens leben“.333

Die Professoren forderten, die Jurisdiktion über die Studenten ihnen zu übertragen, und wiesen den Pietismusvorwurf zurück, denn ihnen war bewusst, dass der Vorwurf und die damit verbundene Unruhe den Erfolg und die Funktionsfähigkeit der Universität bedrohen konnten. Es ging nicht um den Nachweis, ob Universitätsmitglieder tatsächlich pietistisch gesinnt waren oder nicht. Es ging darum, die pietistischen Akteure und die Universität so scharf wie möglich voneinander zu trennen, denn allein aus dem Vorwurf würde der „angehenden Akademie ein großer Schandfleck angehenget […], daraus die übelgesinneten vielfältige gelegenheit nehmen werden, eins ums andere Unwahrheit in der Welt auszustreuen, und junge Leute sich hierher zu wenden abzuhalten.“334 Im Umkehrschluss heißt das: Wenn es in Berlin um die Errichtung einer pietistisch ausgerichteten Reformuniversität gegangen wäre, hätte man dort Unruhe in Kauf genommen und nehmen müssen, und es hätte neben der Frage nach der Rechtsgewalt der Universität über die Studenten keinen Grund für die Stellungnahme der Professoren gegeben, denn diese wären vor den Vorwürfen besser geschützt gewesen. Dass ihnen so viel daran lag, die Universität als frei von pietistischen Elementen darzustellen, spricht daher gegen ein Sicherheitsgefühl der Professoren und gegen die Grundidee einer politisch intendierten pietistischen Universität. Die Abgrenzung gegenüber den Pietisten, die seitens des traditionellen Luthertums vollzogen wurde, war dermaßen wirkmächtig, dass sie von den Angegriffenen nachvollzogen werden musste, egal, ob sie tatsächlich Pietisten waren oder nicht. Alle weiteren Argumente bezogen sich auf die Rolle der Studenten im Verhältnis zu den Stadtbürgern. So seien Studenten junge unerfahrene Leute, die zur Erziehung an die Universität geschickt würden. Diese einfach zu kriminalisieren, würde nicht zur Erziehung beitragen, vielmehr obläge es den Professoren, die Studenten „mit Lindigkeit auf einen beßeren Weg zu werfen, auch durch glimpfliche Untersuchung der vorfallenden Sachen in der Stille dieselben abzuthun und solcher gestalt alles ärgernis und Weitläuffigkeit der Wohlfahrt derer Studiosorum verhüten“.335

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Bericht von Thomasius, Breithaupt und Francke an den Kurfürsten am 5.3.1692 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1691–1762), unpag. Ebd. Ebd.

2. Umkämpfte Identität

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Die Eltern potentieller Studenten würde ein hartes Vorgehen davon abhalten, ihre Söhne nach Halle, „einen so gestrengen Ort“,336 zu schicken. Zu guter Letzt wurde der Vorwurf der Unruhestiftung gegen Hornemann implizit noch gegen die Stadtbürger gewendet. Denn wenn die Jurisdiktion nicht bei der Universität läge, würden „böse Leute […] animiert werden in öffentlichen Zusammenkünfften die Studiosos mit Durchhechelung ihrer Lehrer und Vorwurff der angestellten Inquisition immer mehr zu irritieren und etwas von ihnen heraus zu locken, sondern es wird auch die gesamte Bürgerschafft und Einwohner dieser Stadt wieder die Academie und Studiosos zu continuerl. Haß, Bitterkeit, Verachtung und Wiederwillen gereizt werden.“337

Es ging demzufolge über die Frage der Jurisdiktion hinaus um ein Schutzbekenntnis des Kurfürsten für die Universität und ihre Angehörigen mit dem Ziel, „daß Academie und Bürgerschaft in Liebe und guten Vernehmen mit einander bleiben.“338 Der Erfolg in Berlin wurde mit dem Schreiben vom 5.3.1692 umgehend erreicht. Bereits am 9.3.1692 erging ein Reskript, mit dem die Jurisdiktion über Hornemann auf die Universitätsprofessoren übertragen und ein Präzedenzfall geschaffen wurde.339 Dass das unkontrollierte Verhalten der Studenten in der Stadt sowohl für die Universität als auch für die Pietisten gefährlich sein konnte, warnte Spener, der, angesichts der nur knappen Notiz in einem Brief Franckes vom 15.3.1692,340 von Berliner Seite über den Vorfall informiert worden sein muss, am 19.3.1692 deutlich. Er hoffe, „es werden die studiosi beweglich zur Vorsichtigkeit vermahnet werden, alß die sonst zelo immoderato alles zu verderben capabel wären.“341 Der Insider Spener wies Francke zugleich noch auf eine wichtige Veränderung im Klima zwischen Berlin und Halle hin, denn der von Thomasius als Hauptinitiator des Ersuchens der Professoren ausgelöste Ausschluss des hallischen Konsistorialrats Ludwig Gebhard Kraut als Rechtsvertreter des Konsistoriums vom Prozess gegen Hornemann hatte in Berlin für Ärger gesorgt: „Herr Geh[eimer] Rat von Meinders war nechst nicht wol zufrieden, wegen exclusion Herrn Secr[etarii] Krauten […] Herr Cammer R[ath] Kraut [Christian Friedrich von Kraut] mag etwa fehlen, doch muß man ihm das zeugnis geben, das under menschen er was die Hallische sache anlangt, das meiste gethan, auch noch künfftig zu thun vermag, daher er in allem, so weit das gewißen nicht im weg stehet, billich von uns considerirt und mehnagi[ret] werden solle.“342

Für Francke brachte dies konkret zwei Probleme mit sich: Zum einen fiel Thomasius für ihn in nächster Zeit als Ratgeber aus, zum anderen besaß er in Christian Friedrich von Kraut einen nicht zu unterschätzenden Widerpart, als Franckes Wirken in Glaucha begann, für Unfrieden zu sorgen.343 336 337 338 339 340 341 342 343

Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. ebd. Vgl. Brief Nr. 22 Francke an Spener am 15.3.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 94. Brief Nr. 23 Spener an Francke am 19.3.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 101. Brief Nr. 27 Spener an Francke am 17.5.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 116. Vgl. Kapitel III.2.2.1.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Die Diffizilität des Falls Hornemann erwies sehr früh das Spannungsfeld, in dem die Universität gedeihen sollte: Ablehnende Stadtbürgerschaft und –geistlichkeit, unberechenbare Studentenschaft, Angreifbarkeit von Universitätsmitgliedern in der Frage der Rechtgläubigkeit, Friedenszwang, persönliche Interessen von Regierungsmitgliedern in Halle und Berlin, taktische Fragen des gemeinsamen oder getrennten Agierens von Universitätsmitgliedern. Insbesondere zeigte sich in der massiven Abwehrhaltung seitens der Landschaft, der Stadt und der Stadtgeistlichkeit eine bei diesen Gruppen vorhandene, wenn auch noch unscharfe, Antizipation des die intellektuellen wie rechtlichen innerlutherischen Gegebenheiten umgestaltenden Potentials, das die Universität mit ihrem Personal in die Stadt und das Land hinein entfalten würde. Mit dem Fall Hornemann war der Rechtsraum, den die Universität bildete, abgesteckt. 2.1.2. Universitätsfinanzierung und Besetzung des öffentlichen Raums Ein entscheidender strittiger Aspekt war die Finanzierung der Universität. Die Etatfestlegung auf die Einkünfte aus Akzisekasse, Landschaftskasse und hallischer Kammer im Edikt vom 27.8.1691344 führte zu einem Versuch der Stände,345 diese Gelder auf weitere Schultern zu verteilen und vor allem nicht anwachsen zu lassen. Am 16.9.1691 wandten sie sich mit einem Memorial an den Kurfürsten, in dem sie baten, man möge die landschaftlichen Kassen über die einmalig abgezogenen 2400 Taler hinaus – zusätzlich zu den 1200 Talern, die die Stadt Halle zu erbringen hatte – nicht weiter belasten.346 Die Stände schienen ferner keineswegs vom Erfolg der Universitätsgründung in Halle überzeugt zu sein, da „die Stadt Halle zwischen denen weltberühmten Universitäten, binnen wenig Meilen, belegen, und daß selbige mit vortrefflichen und allenthalben sehr renommierten Professorn sonderlich in der Juristen Fakultät besetzt [seien]“.347

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Vgl. Erlass zur Universitätsgründung am 27.8.1691 [Abschrift], LHASA, MD, Rep. A8, Nr. 1158, Bl. 23r–23v. Eine der treibenden Kräfte war die Stadt Halle, deren Ratsmeister Gueinzius sich am Vortag des Memorials, dem 15.9.1690, an die Landstände gewandt hatte; vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 44. Vgl. Memorial der Stände an den Kurfürsten am 16.9.1691, LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 669a, Bl. 16r. Der Kurfürst wurde gebeten: „Sie werden dabey die gnädigste Verfügung thun, daß zu solchen 2400 Thalern ein Beitrag von dem Uberschuß der Accise bey der alten Stadt Magdeburg geschehe, und das Jenige so von deren Einnahmen des hiesigen Neumarckts an der Accise biß anhero zur Casse in die alte Stadt geliefert werden müßen, hinführo dem Lande zu gute kommen, zur Landes-Casse geliefert, und zum Behuf der Universität in Halle angewendet werden möge, über angezogene Summe der 2400 Thaler aber das Land von fernerem Beytrag zu der Universität gnädigst befreyen, und nicht beschweren laßen“ Ebd. Ebd., Bl. 16v.

2. Umkämpfte Identität

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Mit der Anspielung auf Wittenberg und Leipzig erweiterte sich der Angriff auf die personelle Ebene und richtete sich fraglos gegen den bereits in Halle wirkenden Christian Thomasius und die weiteren beabsichtigten Berufungen: „Sollte nun dero gleichen [Berufungen] bey erst bezielter Facultät [Juristen] in Halle nicht erfolgen, und die Jenige, so zu derselben verordnet, die Professorn angezogener Universität an qualitäten und methodo docendi nicht übertreffen, hätten wir von der Gedeylichkeit undt Ausnehmung der Universität Hall wenig Hoffnung zumachen.“348

Eines der Prestigeprojekte Friedrichs III. wurde mit diesem Memorial komplett in Frage gestellt, und die planerischen Fähigkeiten des regierenden Gremiums in Berlin sowie die gesamte Berufungspolitik wurden angezweifelt. Dass ausgerechnet Thomasius als einziger in Halle vorhandener Professor an der juristischen Fakultät solcherart indirekt angegriffen wurde, verwundert nach den Streitigkeiten um die Vorlesungsorte und seine erste Disputation nicht. Möglicherweise hat aber auch eine gewisse Skepsis seitens der Landschaft gegenüber den akademischen Fähigkeiten des am 27.8.1691 mehrheitlich aus dem Reservoir der Stadt Halle ausersehenen Personals eine Rolle gespielt. Diskutiert wurde das Ersuchen der Stände seitens Berlins nicht, stattdessen erhöhte man den Etat der Universität bereits bis November 1691 auf insgesamt 5400 Taler, von allen drei Kassen zu gleichen Teilen zu leisten.349 Die Ausstattung der Universität war kein Punkt, an dem ein positives Verhältnis zu den Ständen gesucht wurde, zumal deren Mitbestimmungsrecht in Steuerfragen schon lange ausgehebelt war. Darüber hinaus sollte die Argumentation der Stände, die Universität sei zum Scheitern verurteilt, von ihnen selbst ad absurdum geführt werden: Wie Holger Trauzettel unlängst nachgewiesen hat, haben fast alle späteren studierten hallischen Ratsherren, die bis 1740 in den Rat gelangten, ihre Ausbildung in Halle erhalten, ein Ergebnis, welches sicherlich auch auf die Stände des Herzogtums übertragen werden kann. Praktische und finanzielle Gründe dürften die Wahl des Studienorts erheblich stärker beeinflusst haben, als konfessionspolitische.350 Die Besetzung des öffentlichen Raums durch die Universität und ihre Sichtbarwerdung in der Stadt vollzog sich rasch und gegen den Willen der Stadt. Nach der frühen Raumgreifung durch Thomasius351 wurde durch Erlasse vom 17.6.1692 und vom 14.1.1693 die Waage für akademische Zwecke der Universität übergeben.352 Immerhin erhielt die Stadt per Erlass vom 28.2.1694 für das mittlere und obere Stockwerk des Waagehauses eine Miete,353 so dass sich zumindest die wirtschaftlichen Vorteile der Universitätsgründung langsam zeigten: Die ökonomische Lücke in der jetzt seit mehr als einem Jahrzehnt ver348 349 350

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Ebd. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 91. Vgl. Trauzettel, Holger: Halle unter der Herrschaft Brandenburg-Preußens in der Zeit von 1680– 1740. Integration und Neuorientierung als dynamisch-kommunikativer Prozess [Diplomarbeit Man. masch. Halle 2012], S. 42. Vgl. Kapitel III.1.2. Vgl. zum Streit zwischen Thomasius und der Stadt im Jahr 1690 von Ludewig: Historie, S. 43f. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 89.

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III. Konfessionspolitik und Universität

lassenen Residenz konnte mittelfristig von der Universität auch mit Blick auf Arbeitsplätze neu gefüllt werden.354 Die Universität sorgte für Studenten und Professoren als Mieter und Hausbesitzer, Käufer und Kunden in der Stadt.355 Diese ökonomischen Reize für die Stadt sollten als Motive für die Universitätsgründung zumindest wahrgenommen werden. Allerdings spielten sie für die hier angeführten grundsätzlichen Erwägungen der Landschaft 1691 keine Rolle. Nachdem die erste Professorenliste kontinuierlich verändert worden war und sich ein völlig neues Personaltableau ergeben hatte, kam Stadt und Landschaft außer als Geldgeber und Ort der Universität keine Bedeutung mehr zu. Marian Füssel hat diesen Bedeutungsverlust in seiner Arbeit zur symbolischen Kultur der Gelehrtenpraxis anhand der Inaugurationsfeierlichkeiten der Universität Halle 1694 deutlich herausgearbeitet. Das gesamte Inaugurationsritual stellte ein entscheidendes konstituierendes Element für das Selbstverständnis der Universitätsangehörigen und ihr Verhältnis zu den Vertretern der Stadt sowie zur Landesherrlichkeit dar.356 Am Einzug in die Stadt waren Vertreter der Landstände und Halloren noch beteiligt, während die Bürgerschaft der Städte Glaucha, Halle und Neumarkt Spalier bildete.357 Im eigentlichen Inaugurationsritual am 1.7.1694 im Dom zu Halle symbolisierte sich die 1650 begonnene Politik, die Stände des Herzogtums aus politischen Prozessen und Ritualen hinauszudrängen ebenfalls deutlich. Die Vertreter der Stadt dienten nur als Publikum für das die symbolische Ordnung unter den Universitätsmitgliedern aller Hierarchieebenen herstellende und den Geltungsanspruch der Universität manifestierende Ritual.358 Die Stadt wurde nach Füssel zu „demjenigen sozialen Verbund, der die neue Korporation aufnahm und dem Akt durch seine Anwesenheit, wenn auch mitunter widerwillig, seine Zustimmung signalisierte“.359 Die veränderte Ordnung wurde auch im Erlass über die Privilegien der Professoren vom 12.11.1694 354

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Vgl. Freitag, Werner: Eine andere Sicht der Dinge. Die Entwicklung Halles im 18. Jahrhundert unter wirtschafts- und sozialgeschichtlichen Aspekten, in: Müller-Bahlke, Thomas (Hg.): Gott zur Ehr und zu des Landes Besten. Die Franckeschen Stiftungen und Preußen. Aspekte einer alten Allianz, Halle 2001 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen zu Halle, Bd. 8), S. 310f. Vgl. Freitag, Werner / Hecht, Michael: Verlassene Residenz und Konsumentenstadt an der preußischen Peripherie (1680–1806), in: Freitag / Ranft (Hgg.): Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, S. 424. Vgl. dazu insgesamt Füssel, Marian: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne), S. 134–149. Das kaiserliche Privileg für die Friedrichs-Universität war am 19.10.1693 ergangen. Vgl. Besser, Johann von: Beschreibung der Ceremonien, Mit welchen Die Neue Chur-Fürstl. Brandenb. Friedrichs Universität zu Halle im Herzogthumb Magdeburg, Den 1./11. Julii 1694 inauguriret worden, Halle: Salfeld 1694. Vgl. Füssel, Marian: Universität und Öffentlichkeit: Die Inaugurationsfeierlichkeiten der Universität Halle 1694, in: Freitag, Werner / Minner, Katrin (Hgg.): Vergnügen und Inszenierung. Stationen städtischer Festkultur in Halle, Halle 2004 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 4), S. 63–68. Ebd.

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deutlich, durch den die Professoren der vier Fakultäten den Ratsmeistern vorgeordnet wurden.360 Dass Friedrich III. der Inauguration an seinem Geburtstag persönlich beiwohnte und die Feierlichkeiten finanziell großzügig unterstützte, weist neben den Konfessionalisierungsbestrebungen noch auf ein weiteres zentrales Motiv der Universitätsgründung hin: Die Friedrichs-Universität Halle ordnet sich in ein grundsätzliches Prestige- und Repräsentationsstreben der brandenburg-preußischen Kurfürsten im 17. Jahrhundert vermittels der Einrichtung von wissenschaftlichen Institutionen ein. Die Linien der fürstlichen Selbstinszenierung als Schutzherr der Wissenschaften und der Friedfertigen und Verfolgten reichen dabei von der gescheiterten Universitätsgründung in Tangermünde 1666/67 bis hin zur Gründung der Sozietät der Wissenschaften in Berlin 1700. Der Tangermünder Gründungsplan unter Friedrich Wilhelm verblieb allerdings im Planungsstadium. Er trug bis hin zur baulichen Gestaltung deutliche Züge und Anleihen bei den bekannten Utopien der Zeit, wobei das bezeichnende Charakteristikum der geplanten Universität ihre überkonfessionelle Konzeption sein sollte.361 Die ebenfalls überkonfessionell angelegte Sozietät der Wissenschaften in Berlin reiht sich ein ins Umfeld der Standeserhebung 1701. Sie sollte auch dynastischen und machtpolitischen Zwecken dienen und die Potenz des neuen preußischen Staats deutlich machen.362 Mit Johann Franz Budde, Christoph Cellarius, Friedrich Hoffmann und August Hermann Francke waren vier ihrer Gründungsmitglieder zugleich Professoren der Fridericiana. Um das Prestige des Fürsten zu steigern, die wirtschaftliche Lage in Halle zu verbessern, die Stände zurückzudrängen und die Juristen- und Theologenausbildung auf ein neues konfessionspolitisches Fundament zu stellen, war es unvermeidlich, Diskussionen über die konfessionelle Verfasstheit der Universität hinsichtlich der Ortho- und Heterodoxie ihrer Professoren und Lehrinhalte, zu moderieren und anlassgebende Ursachen zu vermeiden oder zu unterdrücken. Damit besaß die Konfessionspolitik grundsätzlich eine grundierende Funktion für alle Facetten der Universitätsgründung. 2.1.3. Die Schulkirchennutzung als Zeichen konfessioneller Gemengelage Der Konflikt um die Schulkirche liefert ein weiteres Beispiel, wie hartnäckig in Halle die räumliche und intellektuelle Ausbreitung der Universität bekämpft wurde. Es sollten Universitätsgottesdienste und Gottesdienste zur homiletischen Übung stattfinden, für die es einen Ort benötigte. Dazu war zunächst der Dom ausersehen, Breithaupt sollte in Alter-

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Vgl. Erlass vom 12.11.1694, abgedruckt bei Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 442, Abschnitt 12. Vgl. Irrgang, Stephanie: Gründungsvisionen in der Frühen Neuzeit. Das gescheiterte Bemühen um eine Universitätsgründung in Tangermünde, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 9 (2006), S. 113–131. Vgl. dazu jetzt Joos, Katrin: Gelehrsamkeit und Machtanspruch um 1700. Die Gründung der Berliner Akademie der Wissenschaften im Spannungsfeld dynastischer, städtischer und wissenschaftlicher Interessen, Köln 2012 (Stuttgarter historische Forschungen, Bd. 13).

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nation mit Schrader dort predigen.363 Dagegen wehrte sich der reformierte Domprediger Jakob Merchier, indem er sich am 16.1.1692 über die Zwischenstation des Kanzlers des Herzogtums, der mit seiner Unterschrift die Eingabe unterstützte,364 an den Kurfürsten wandte und zunächst den Hinweis auf das Edikt vom 7.9.1680 gab, das zwar den Lutheranern ein exercitium im Dom zugestand, aber, „die Sache damals eine ganz andere Bewandnüs gehabt [habe], da keine eigene Reformierte Seele in gantz Halle, auch nicht zu vermuthen gewesen, daß in so kurtzer Zeit der Reformierte Gottesdienst hieselbst offentlich würde introduciert werden können, weit weniger daß diese Gemeinde zu so ansehnlichen Wachßtumb gedeyen würde“.365

In seiner weiteren Argumentation verfiel er, anders als Martin Gabriel schreibt,366 nicht in ein anti-lutherisches Polemisieren mit Hinweisen auf den Zwist zwischen beiden Konfessionen, sondern machte ausschließlich praktisch begründete Vorschläge, so dass ihm und der reformierten Gemeinde der Vorwurf des konfessionellen Streits nicht zu machen war. Er argumentierte, die reformierte Gemeinde würde durch einen weiteren lutherischen Gottesdienst im Dom zeitlich und organisatorisch in die Enge getrieben werden.367 Anschließend brachte Merchier als Alternative die Schulkirche ins Gespräch, die mit einer Kanzel, Orgel und Altar sehr schön sei, bequemer in der Stadt läge und mit Ausnahme des Gymnasiums nicht benutzt würde, so dass für die akademischen Gottesdienste mehrere Zeiten zur Verfügung stünden.368 Merchiers Worte besaßen Gewicht, denn am 1.3.1692 wurde per Reskript Breithaupt und auch Francke, der in einem Zug mit den (zukünftigen) weiteren Theologieprofessoren genannt wurde, die Schulkirche des lutherischen Gymnasiums zugewiesen.369 Gegen das faule Ei, welches die reformierte Gemeinde ihm ins Nest gelegt hatte – ob er es über Zuträger aus der Stadt wusste, kann nur vermutet werden –, protestierte nun der Rektor des Gymnasiums Johannes Prätorius massiv in Berlin und sprach sogar bei Spener vor, der zu beschwichtigen versuchte: „Der rector ist heute bei mir gewesen, klagt, das er an wenigsten orten alhier gehör gefunden, und meinets eine große ungerechtigkeit, und das verderben des gymnasii zu sein, wo die academia exercitia sub eodem tecto mit den scholasticis angestellet würden. […] Es ist ihm gnug gezeigt, das ihm und dem gymnasio an dem jenigen, worzu sie die kirche gebrauchen, das allergeringste nicht abgehen solle sondern die zeiten also eingerichtet werden können, das sich niemand zu beschwehren: Sollte aber das gymnasium, da bey zunehmender anzahl der studiosorum 363 364

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Vgl. Edikt am 3.12.1691 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 414r. Vgl. Merchier an den Kurfürsten am 16.1.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 420r. Ebd., Bl. 416r. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 76. Gabriel folgend vgl. auch Albrecht-Birkner: Der Berliner Hof, S. 114f. Vgl. Merchier an den Kurfürsten am 16.1.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52. Nr, 159 b (1531–1699), Bl. 417r, Bl. 418v. Vgl. ebd., Bl. 419r–419v. Vgl. Reskript an Breithaupt am 11.3.1692, UAH, Rep. 27, N. 1083, Nr. 1a, unpag.

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vielleicht die gymnasten weniger gelegenheit darzu finden möchten, müglich zu sein; komme solches nicht von dem gebrauch des templi Scholastici, sondern von der academia an sich selbs, es möge nun zu dero behuff diese oder eine andere kirche gewidmet werden.“370

Spener ging davon aus, dass die Verordnung bestehen bleibe, dennoch aber das Potential für weitere Unannehmlichkeiten geschaffen werde: „Ich will aber nicht zweiffeln, wie von 2 der Herrn geheimen räthen gehöret, man werde die Churf[ürstliche] verordnung nicht zurücke ziehen. Doch sehe ich vor mir ziemliche motus, in dem man den rath und die bürgerschafft auffwecken wird, sich bey dem Churfürsten zu beschweren.“371

Am 16.6.1692 wurde im Beisein der Stadtgeistlichkeit und der Magistratsvertreter ein Vergleich erreicht, nach dem die Schulkirche jeweils zu bestimmten Zeiten von den Parteien zu nutzen war.372 Darin hatte die Stadt eine Beschränkung ausschließlich auf Breithaupt und ausschließlich auf Gottesdienste durchgesetzt und einen Anlass für späteren Streit generiert. Probleme gab es zunächst aber anderweitig: Prätorius fühlte sich durch Breithaupt verunglimpft. Dieser habe verbreitet, Prätorius wiederum hätte vor seinen Schülern Breithaupts Predigtstil stotternd nachgeäfft und dabei den Heiligen Geist gelästert.373 Dies veranlasste Prätorius zu einer Injurienklage gegen Breithaupt, der sich seinerseits über Prätorius in Berlin beschwerte.374 Die Kommission des Jahres 1692 sollte den Konflikt im Sinne eines friedlichen Vergleichs mitentscheiden,375 allerdings ging dies wohl im Zuge des Todes von Seckendorffs unter, so dass eine weitere Eingabe von Prätorius erfolgte.376 Erst 1693 wurde auf Breithaupts Drängen hin ein endgültiger friedlicher Vergleich erreicht.377 Ein weiterer Konflikt betraf das Aufstellen zusätzlicher Bänke in der Kirche, welches der Magistrat zu verhindern versuchte.378 In der Nähe der großen Konflikte der Jahre 1692 und 1693 um die Frage, welche binnenkonfessionelle Gruppe die Deutungshoheit über die lutherische Identität in der Stadt und im Herzogtum besaß, 370 371 372 373

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Brief Nr. 25 Spener an Francke am 2.4.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 107f. Ebd., S. 108. Vgl. Rezess vom 16.6.1692 [Abschrift], UAH, Rep. 27, N. 1083, Nr. 3, unpag. Vgl. Bericht der Kommission am 27.11.1692 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 569r. So habe Prätorius Breithaupt „nahmentlich vor seinen Schülern geschmähet, gelästert, seine in der so genanten Schulkirche erst gehaltene Predigt gestottert, und sonsten wieder die Churfürstl. gedachte Kirchen halber ergangenen Rescripta ungebührlich geredet, zumahl aber den Nahmen des Heil. Geistes stotterisch lästerlich gemißbrauchet.“ Ebd. Vgl. ebd., Bl. 569v. Vgl. Anweisung an den Geheimen Rat am 16.11.1692 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), 4 unpag. Bl. zwischen Bl. 208 und 209. Vgl. Prätorius an den Kurfürsten am 8.3.1693 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 567r–568r. Vgl. Breithaupt an den Kurfürsten am 24.3.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689– 1731), Bl. 565r–565v. Vgl. Kurfürst an den Geheimen Rat am 1. Juni 1693 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1083, Nr. 5, unpag.

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III. Konfessionspolitik und Universität

und um die Rechtgläubigkeit der Universitätsmitglieder,379 stand die Auseinandersetzung um die Schulkirche des Jahres 1693: Am 29.7.1693 beschwerten sich der Direktor und die Universitätsprofessoren beim Kurfürsten darüber, dass vor einigen Wochen Frankke, den Breithaupt um eine Predigtvertretung gebeten habe, vom Stadtsuperintendenten Olearius unmittelbar vor dem Gottesdienst der Zutritt zur Kirche verwehrt und die Kirche geschlossen worden sei.380 Dabei beriefen sie sich auf das erste Edikt vom 1.3.1692, nach dem sowohl Breithaupt als auch Francke und den anderen Theologieprofessoren die Predigt erlaubt sei.381 Als Breithaupt seine Predigttätigkeit wieder aufnehmen wollte, sei ihm dies ebenfalls verboten worden. Dagegen protestierten die Universitätsmitglieder und beklagten, dass eine Notfallregelung bei Abwesenheit somit nicht möglich sei382 und forderten, dass „die Professores und Studiosi an den Predigten wie solche sowol dem Churfürstl. gnädigsten Reskript, als dem getroffenen Vergleich gemäß intendiret worden, in Zukunft nicht beeinträchtiget noch verhindert werden mögen.“383 Deutlich wird der unterschiedliche Ermessensspielraum zwischen den Universitätsmitgliedern, die sich auf das Edikt beriefen, und der Stadtgeistlichkeit, die den Rezess wortgenau zugrunde legte. Eine weitere Beschwerde folgte am 29.9.1693, nachdem am 11.9.1693 der Befehl an den Rat und das Ministerium ergangen war, die Kirche Breithaupt, „so oft es verlanget werden möchte“384, zur Verfügung zu stellen, hingegen die städtischen Vertreter bei der gefundenen Tages- und Stundenregelung zu bleiben beharrten. Im Umkehrschluss ersuchten die Professoren in Berlin um die Auflösung des temporalen Korsetts, beanspruchten mithin die Schulkirche vollkommen als Universitätskirche und versuchten, ein weiteres Stück des städtisch-kirchlichen Raums der Universität einzuverleiben.385 Im Gegenzug beharrten die Vertreter des Gymnasiums auf ihrem Recht, Hauptnutzer der Schulkirche zu sein und forderten vor allem, dass die homiletischen Veranstaltungen Breithaupts nach dem Rezess geschlossene Veranstaltungen der theologischen Fakultät zu sein hatten. Es möge ihm eröffnet werden, „daß niemand sonsten alß Studiosi Theologiae, bei Haltung derer Exercitiorum homileticorum, eingelaßen, und die Türen verschlossen gehalten werden“.386 Der Impetus war es, Breithaupts Predigten und theologisches Gedankengut so weit wie möglich von der städtischen und nicht-theologischen universitären Öffentlichkeit fern zu halten, ein Impuls, der sich aus den Konflikten um das Umsichgreifen der studentischen Ekstasen 1693 stärker erschließt387 und zugleich illustriert, inwieweit Breithaupt als Bedrohung für die Deutungshoheit lutherischer Identität durch die Stadtgeistlichkeit empfunden wurde. 379 380

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Vgl. Kapitel III.2.2.1. und III.2.2.2. Vgl. Direktor und Professoren der Universität an den Kurfürsten am 29.7.1693 [Entwurf], UAH, Rep. 3, Nr. 708, Bl. 4v. Vgl. ebd., Bl. 4r. Vgl. ebd., Bl. 4v. Ebd., Bl. 5r. Vgl. ebd., Bl. 6v. Vgl. ebd., Bl. 7r. Gymnasium an die Universität am 27.10.1693 [Abschrift], UAH, Rep. 3, Nr. 708 Bl. 8v. Vgl. Kapitel III.2.2.2.

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Hingegen war für die Universität die Raumgreifung noch nicht abgeschlossen, denn am 14.4.1694 erklärte man gegenüber Berlin, dass neben den Gottesdiensten und homiletischen Übungen die Notwendigkeit bestehe, Leichenpredigten in der Schulkirche abzuhalten. Dies sei bereits anlässlich des Todes von Seckendorffs geschehen. Auch damals hatte sich Merchier erfolgreich gegen die Benutzung des Doms durch die Universität zur Wehr gesetzt.388 Die Universitätsmitglieder gerierten sich besonders friedfertig, denn, „da dergleichen Leichenpredigt verlanget werden, dieserhalben neue difficultet gemachet wird, [habe man] zur Verhütung aller Weitläuffigkeit solches hirmit unterthänigst berichten und bitten wollen“389 und verlangten sowohl eine Genehmigung dieses Verfahrens als auch die Möglichkeit für Breithaupt, sich von Francke vertreten lassen zu können.390 Die Entscheidung fiel am 28.4.1694 in gewissem Sinne ausgleichend, als Leichpredigten für denjenigen, „so der Universität zugethan ist“391, in der Schulkirche gehalten werden sollten, allerdings von niemandem anderen als Breithaupt.392 Insofern wird das spätere Bestreben des Magistrats im Jahr 1698 deutlich, der Schulkirche aufgrund des Eigentumsvorbehalts ihren Namen zu erhalten und sich gegen die Bezeichnung Universitätskirche zu wehren.393 Auch der Streit 1699/1700, ob die Einnahmen aus dem Klingelbeutel der Schulkirche dem Magistrat oder der theologischen Fakultät zugutekommen sollten,394 kann ebenfalls in diesem Zusammenhang gesehen werden. Indem Francke versuchte, Paul von Fuchs für die Zuerkennung der gesamten Kollekte für die Fakultät zu gewinnen395 und dies von einem Gutachten Stryks flankiert wurde, indem dieser dem Kurfürsten die alleinigen Patronatsrechte über die Schulkirche zuschrieb,396 zeigte sich erneut der Versuch der Universität, sich die Schulkirche einzuverleiben. Auf diese kontroverse Argumentation ließ sich die Berliner Regierung allerdings nicht ein, ein Edikt vom 14.1.1700 regelte weiterhin die paritätische Aufteilung der Gelder.397

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Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 77. Direktor und Professoren der Universität an den Kurfürsten am 14.4.1694 [Entwurf], UAH, Rep. 3, Nr. 708, Bl. 10v–11r. Vgl. ebd., Bl. 11r. Reskript am 28.4.1694 [Abschrift], UAH Rep. 3, Nr. 708, Bl. 14r. Vgl. ebd. Vgl. Rat an die Universität am 8.8.1698, UAH, Rep. 27, Nr. 1083, Nr. 17, unpag. Die Argumentation wurde mit dem Hinweis geführt, „weil demnach höchst gedachter Sr. Churfürstl. Durchl. Selbst in dero gnädigsten Reskripten solche Benahmung der Schulkirchen gnädigst beybehält“. Ebd. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 85v–99r. Vgl. Francke an Paul von Fuchs am 9.1.1700 [Entwurf], AFSt/H D80, S. 605–608. Francke begründete die Veränderung mit der unzureichenden finanziellen Situation der Universität, die durch die finanzielle Enthaltung der Stadt verursacht werde. Vgl. Gutachten vom 9.1.1700 [Abschrift], UAH, Nr. 1085, Nr. 21, unpag. Vgl. Edikt am 14.1.1700 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 74r, Bl. 80v.

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III. Konfessionspolitik und Universität

2.2. Deutungskonflikte um konfessionelle Identität und Heterodoxie 2.2.1. Das binnenkonfessionelle Patt Die wesentlichen Konflikte der Jahre bis 1700 betrafen den Willen zur Umgestaltung lutherischer Identität durch die pietistischen Akteure an der Universität mittels neuer theologischer Schwerpunkte wie intensivierte Bibellektüre in collegia, verschärfte Kirchenzucht, Abschaffung von Riten und die daraus resultierende Auseinandersetzung um den Deutungsanspruch über die Rechtgläubigkeit als der zentralen Kategorie lutherischer Identität mit den traditionell geprägten Pfarrern in der Stadt. Wichtigstes Kampfmittel der traditionell-lutherischen Eliten war die Bezichtigung der neuen Theologen mit dem Separations- und Perfektionismusvorwurf. Wenn der theologischen Fakultät oder dem Pfarrer Glauchas allerdings Heterodoxie attestiert wurde, betraf dieser Vorwurf zugleich immer die Universität insgesamt. Als August Hermann Francke im Januar 1692 in Halle eintraf, war die Stimmung dort bereits stark gegen ihn voreingenommen, wie anhand des Memorials der Stadtgeistlichkeit vom 16.11.1691 aufgezeigt worden ist.398 Dazu kam die in Unlauf gebrachte Schrift Albrecht Christian Roths Imago Pietismi, mit deren Widerlegung man in Berlin bereits halboffiziell beschäftigt war.399 Auch Joachim Justus Breithaupt hatte bereits Schwierigkeiten erfahren müssen, war er nämlich in eine Auseinandersetzung mit Johann Christian Olearius um die Abhaltung seines exercitium sabbaticum geraten, mit welchem er als Universitätsprofessor umgehend wieder begonnen und das denselben Entwicklungen unterlegen hatte, wie vergleichbare Veranstaltungen zuvor in Leipzig und Erfurt, wovon Francke an Philipp Jakob Spener berichtete: „Das beste und gesegneste […] ist bißanhero gewesen des Herrn D. Breithaupts exercitium Sabbathicum, welches er vor meinem hieher kommen mit den studiosis nachmittags um 4 Uhr angefangen, nach der Zeit haben sich einige Bürger auch dabey eingefunden, welchen man ja die Thür nicht versperren können.“400

Olearius drängte Breithaupt zu einer Einstellung des collegium, ansonsten würde Klage in Berlin erfolgen, und machte Gründe des Bestandsschutzes der bisherigen kirchlichen Gegebenheiten geltend: „1. Das ministerium würde veracht. 2. Die predigten würden leicht versäümet, wenn die Leute meyneten, sie könten noch dahinein gehen. 3. Man habe keinen beruff dazu die bürger zu lehren.“401 Tatsächlich hatte Olearius sich bei von Kraut beklagt, dies blieb aber ohne Konsequenzen für das collegium.402 Spener versuchte zu vermitteln, indem er sich an Olearius 398

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Vgl. Memorial des Stadtministerium an die Magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 16.11.1691, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 260r–260v. Vgl. III.1.3.3. dieser Arbeit. Brief Nr. 21 Francke an Spener am [23.2.1692?], in: Spener: Briefwechsel, S. 88. Ebd., S. 89. Vgl. Spener: An D. Olearium wegen D. Breithaupts Übung, wobey sich einige bürger aus Halle

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persönlich wandte und für die gemeinsame Arbeit an der Kirche warb.403 Darüber hinaus sei Breithaupt auch als Prediger und nicht nur als Professor angestellt und könne deshalb Bürger nicht aus den Übungen ausschließen.404 Das Edikt vom 8.10.1691 verbot antipietistische Kanzelpolemik namentlich gegen Breithaupt,405 allerdings änderte dies nichts am Verhalten der Stadtgeistlichkeit, wie einer Äußerung Franckes zu entnehmen ist: „Die Prediger laßen hier das sticheln und schelten nicht in ihren predigen, nur daß sie den Namen pietisten nicht nennen.“406 Darüber hinaus war aber am 30.1.1692 ein Edikt erlassen worden, bei Beschwerden Beweise gegen die sogenannten Pietisten einzusenden.407 Für die weiteren Entwicklungen des Jahres 1692 war entscheidend, dass Francke selbst in mehrfacher Hinsicht Ursachen für solche Beweise lieferte. Wie Veronika AlbrechtBirkner herausgearbeitet hat, fiel Francke in Glaucha durch seine rigorose Kirchenzuchtpraxis auf. Der Streit darum mündete Ende 1692 letztendlich in eine Konfliktlösung, die nicht allein die Glauchaer Gemeinde, sondern auch die Stadtgeistlichkeit und die Universität betraf. In Glaucha hatte Francke sehr rasch begonnen, in seinen Augen unbußfertige Gemeindeglieder vom Abendmahl auszuschließen. Als direkte Reaktion auf einen Ausschluss am 18.6.1692 beschwerten sich der Glauchaer Goldschmied und Richter Jacob Vogler und der Schankwirt Elias Naumann beim Konsistorium und baten, einen anderen Beichtvater in der Stadt Halle aufsuchen zu dürfen.408 Dabei verwandten sie treffsicher ein Vokabular, welches teilweise dem klassischen Vorwurfsprofil gegen die pietistischen Akteure entnommen scheint, teilweise kehrten sie die Vorwürfe Franckes um: „Wir wollen nicht sagen, daß die Zeit über, so er bey uns gelebet, seine Pfarrwohnung einem öffentlichen Gasthoffe gleichgehalten worden, auch dato noch so viel Volcks darinnen hauset und lebet, als wohl der principalste Gasthoff nicht haben mag. Sagen auch nicht, daß in dem hause täglich conventiculn unter der benennung, daß es betstunden wären, gehalten werden, bey welchen sonderlich viel schönes junges Weibes Volck als simulacrum und idolum pietatis sich praesentiren […]. So sagen wir auch nicht, daß er, von fremden entlegenen Orten ankommenden Leuten in der Sacristey das hochwürdige Abendmahl, auf vorher abgelegte Beichte, reichet und mittheilet, und sich gegen solche so liberal damit erweiset, welches er doch seinen auf seine Seele ihm anvertrauten Pfarrkindern auch ohne uhrsache zuversagen gantz kein bedencken führet.“409

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eingefunden, 27.2.1692, in: Spener: Bedencken, Tl. 3, S. 507–511. Spener schrieb an Olearius: „Dann wie unsere einige absicht seyn muß den wachsthum unserer anvertrauten an ihrem inneren zu befördern, so kan uns ja nicht zuwider seyn, wann andere christliche mitbruder auch daran arbeiten.“ Ebd., S. 509. Vgl. ebd., S. 510. Vgl. Edikt am 8.10.1691 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 252r. Brief Nr. 22 Francke an Spener am 15.3.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 96. Vgl. Edikt am 30.1.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 257r. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 21. Die entgegengesetzte Deutung eines enormen Zulaufs von Gemeindegliedern aus Halle nach Glaucha, die zur Auseinandersetzung geführt habe vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 76. Elias Naumann und Jakob Vogler an das Konsistorium am 18.6.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 241r.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Analysiert man die jeweiligen Kommunikationsstrategien der beteiligten Konfliktparteien des Jahres 1692, sticht ins Auge, dass die Gegner Franckes immer den regulären Rechtsweg suchten, also Konsistorium oder magdeburgische Regierung anschrieben und sich erst im zweiten oder dritten Schritt nach Berlin wandten, während Francke, aber auch Breithaupt und Thomasius, direkt mit Berliner Beteiligten, mit Spener oder über Geheime Räte indirekt mit dem Kurfürsten korrespondierten. Damit waren sie im Kommunikationsprozess mit den entscheidenden Herrschaftsträgern im Vorteil.410 Zunächst gestattete ein Vergleich zwischen beiden Parteien vom 30.6.1692 den Ehefrauen der Kläger, einen anderen Beichtvater aufzusuchen, und forderte die Kläger selbst auf, weitere Zeugen für ihre Beschwerden zu benennen. Dies führte allerdings nicht zu einer Beruhigung der Angelegenheit, denn beide Parteien blieben unzufrieden.411 Francke wandte sich am 5.7.1692 an Franz von Meinders mit der Bitte um Beistand in der Auseinandersetzung mit den Gemeindegliedern und versuchte zu erwirken, nicht vom Konsistorium zur Absolution der Sünder entgegen seiner Gewissensentscheidung verpflichtet zu werden.412 Auch bat er Spener, mit von Meinders Kontakt aufzunehmen, und ihm persönliche Zeilen zu überbringen,413 was diesem jedoch erst am 10.7.1692 gelang. Von Meinders protegierte Francke auch weiterhin und empfahl ihm zum einen, in Zukunft solche Privatschreiben zu unterlassen und sich per offiziellem Memorial nach Berlin zu wenden: „Er meldete, das alle particulierbrieffe an ihn wären sofern vergebens, wo nicht ein memorial an Serenissimum beygeleget seye“.414 Zum anderen riet er zu einem weiteren Kontaktmann, nämlich Georg Rudolph von Schweinitz, ebenfalls Geheimer Rat und Domherr zu Magdeburg, mit welchem sich Spener anschließend beriet. Von Schweinitz gab ferner einen wichtigen strategischen Rat: „[…] geliebter Bruder habe ursach sich an Serenissimum zu wenden, weil er einige gravamina gegen das consistorium habe: Jedoch könnte die appellation nicht eben wegen der abhörung der zeugen geschehen. Dann solches seye keine eigentliche inqisition, alß welche fiscali anbefohlen würde, sondern eine anhörung des erweises, darzu die kläger wegen angegebener puncten gehalten seyen: So laße sich auch der respectus professorius nicht einmischen, in dem diese sache nicht von dem professione sondern pastorat dependire. Daher meinet er, das beste würde sein, sich an den Churfürsten eo nomine zu wenden, weil dergleichen dinge so prediger angiengen nicht ins weite und zu einem process zu gelangen gelaßen würden“.415 410 411

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Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 22. Die Situation verschärfte sich zusehends durch Franckes Predigt am 6. Sonntag nach Trinitatis 1692, dem 3.7.1692, die anschließend ohne sein Wissen nachgedruckt und in Umlauf gebracht worden war; vgl. Francke, August Hermann: Der Fall und die Wiederauffrichtung der wahren Gerechtigkeit: Am VI. Sontage nach Trinitatis, Jn einer Predigt Uber das Evangelium Matth. V, 20 - 26. Jn der St. Georgen Kirche zu Glaucha an Halle, Und nun Für dem Angesicht der gantzen Christlichen Kirchen, zu Ablehnung vieler bißheriger, und Abwendung fernerer ungegründeten Aufflagen, und besserem Unterricht, Vorgestellet Von M. August Hermann Francken, Gr. & Orient. Lingg. Prof. P. & Past. Glauch, Halle 1692. Außerdem beschwerten sich Vogler und Naumann am 5.7.1692 erneut über Franckes Beichtpraxis; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 23. Vgl. Francke an von Meinders am 5.7.1692 [Entwurf], AFSt/ H A135, Bl. 61r–61v. Vgl. Brief Nr. 28 Spener an Francke am 9.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 117. Brief Nr. 30 Spener an Francke am 12.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 124. Ebd., S. 125.

2. Umkämpfte Identität

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Hier begegnet erneut die Strategie, eine genuin innerstädtische bzw. innerstadtgeistliche Angelegenheit um des Erfolges eines positiven kurfürstlichen Entscheides willen in einen größeren Zusammenhang, nämlich das Wohl der Universität, zu stellen und die Autorität der Professoren ins Feld zu führen. Francke hatte diese Strategie längst verinnerlicht und bereits am 9.7.1692 bei seiner Beschwerde an das Konsistorium gegen eine Zeugenvernehmung verwendet, „daß durch diese ungegründete Inquisition die von Seiner Churfürstlichen Durchlaucht gnädigst-angefangene Academie in meiner Person bey denen exteris würde diffamiret werden“.416 Auf diese Art und Weise ließ sich auch in Berlin ein größerer Unterstützerkreis in Anspruch nehmen, da die Universität betroffen war und vom Verdacht der die pietistischen Akteure betreffenden Vorwürfe befreit werden musste. Wiewohl Spener Zurückhaltung in der eigentlichen Frage der Kirchenzucht übte,417 setzte er sich weiterhin für die Angelegenheit ein und traf sich am 14.7.1692 erneut mit von Schweinitz und dem in Universitätsangelegenheiten engagierten Christian Friedrich von Kraut. Letzterer beabsichtigte, in den nächsten Tagen nach Halle zu kommen418 und die Sachlage selbst zu begutachten. Außerdem wollte er versuchen, die Angelegenheit in Berlin solange aufzuhalten, bis Veit Ludwig von Seckendorff in Halle eingetroffen sei und sich der Sache annehmen könne.419 Damit kam die gemeindeinterne Auseinandersetzung, die systematisch mit dem Streit zwischen Francke, Breithaupt und der Stadtgeistlichkeit vermischt worden war, endgültig auf der Personalebene der Universität an. Ausgeschlossen war zu diesem Zeitpunkt allerdings eine juristische Unterstützung durch Christian Thomasius aufgrund der Nachwehen des Hornemann-Falls,420 wohingegen auf eine gute zukünftige Zusammenarbeit zwischen Stryk und von Seckendorff gehofft wurde.421 Zunächst kam Francke dem Anraten von von Meinders nach und wandte sich am 20.7.1692 mit einer Supplik um Beistand in der Auseinandersetzung mit dem Konsistori-

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Francke an das Konsistorium am 9.7.1692 [Abschrift] GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692– 1751), Bl. 248r. Spener äußerte verhaltene Kritik an Franckes harter Praxis und hielt die Wahl eines anderen Beichtvaters durchaus für legitim: „Was anlangt die verstattung andrer beichtväter, würde ich wo ich selb in dem Consistorio geseßen wäre, gern mit votirt haben, selbs um geliebten Bruder eine erleichterung zu geben“. Brief Nr. 31 Spener an Francke am 16.7.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 129. Francke hoffte auf ein persönliches Gespräch mit von Kraut; vgl. Brief Nr. 32 Francke an Spener am 19.7.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 135. Vgl. Brief Nr. 31 Spener an Francke am 16.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 129. Von Seckendorff war auf der Hin- und Rückreise von einer Teilnahme an einer Kommission zur Schlichtung pietistischer Streitigkeiten in Halberstadt bereits im Mai 1692 mit Francke und Breithaupt zusammengetroffen und entsprechend informiert. Im Juli 1692 erwartete man seine baldige Ernennung zum Kanzler der Universität in Halle; vgl. Brief Nr. 28 Spener an Francke am 16.7.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 118, Anm. 10. Seine Berufung zum Kanzler der Universität wurde am 30.8.1692 vollzogen. Vgl. Kapitel III.2.1.1. Vgl. Brief Nr. 31 Spener an Francke am 16.7.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 130.

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III. Konfessionspolitik und Universität

um direkt an den Kurfürsten.422 Die Kläger gerieten inzwischen in eine schlechte Position und erschienen nur noch als eine Minderheit in der Gemeinde, da diese am 20.8.1692 eine Supplik mit 120 Unterschriften nach Berlin sandte und darum bat, Francke als Pfarrer behalten zu dürfen.423 Zu diesem Zeitpunkt vermischte sich der Konflikt mit einem weiteren Problemstrang: Im August 1692 verschärfte sich die Haltung der Stadtprediger gegenüber Francke erneut, als die Eigentliche Nachricht von dreyen begeisterten Mägden erschienen war und Albrecht Christian Rotth, Christoph Schrader und der Diakon von St. Moritz Christian Nicolai424 dies zum Anlass nahmen, die Problematik auf Papier und Kanzel zu bringen.425 Als Reaktion auf Franckes Predigt Der Fall und die Wiederauffrichtung der wahren Gerechtigkeit vom 3.7.1692 verfasste Rotth eine später in Leipzig gedruckte Gegenschrift, sein Eylfertiges Bedencken, in dem er die alten Vorwürfe um den Perfektionismus, den Francke und auch Breithaupt angeblich lehrten, vorbrachte.426 Dass Francke Spener direkt von Rotths Eylfertigem Bedencken427 berichtete, und Spener dies an von Meinders weiterleitete, der sich wiederum zeitgleich stark für den Druck von Franckes Entdeckung der Boßheit engagierte, führte letztendlich zu einem Reskript vom 9.8.1692, welches das Verbot enthielt, etwas gegen Francke und Breithaupt zu schreiben. Dieses Verbot wurde insbesondere für Rotth noch einmal personalisiert erlassen.428 Es ging ab diesem Punkt nicht mehr um die Problematik der Kirchenzucht in Glaucha oder eine Auseinandersetzung mit Breithaupts collegium. Es wurde vielmehr versucht, eine grundsätzliche Auseinandersetzung um das Sünden-, Buß- und Bekehrungsverständnis als zentrale Merkmale lutherischer Identität analog zu den Vorgängen in Leipzig und in Erfurt zu führen.429 Von traditionell-lutherischer Seite wurde die Frage aufgeworfen, inwieweit die pietistischen Akteure sich noch an die konfessionellen Verbindlichkeiten hielten, und ob sie bereit waren, sich weiterhin theologisch in das Bedeutungsnetz einer gemeinsamen lutherischen Konfessionskultur zu integrieren. Es muss für Francke, Breithaupt und Spener damit ein Punkt erreicht gewesen sein, an dem ein rasche Zurückweisung dieser Vorwürfe notwendig wurde, sonst hätte man die pietistischen Streitigkeiten tatsächlich ‚erfolgreich’ nach Halle importiert. Wie die 422

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Vgl. Memorial Franckes an den Kurfürsten am 20.7.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 236r–237v. Vgl. Supplik der Gemeinde in Glaucha am 20.8.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692– 1751), Bl. 203r–205r. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 678f. Vgl. Brief Nr. 38 Francke an Spener am 6.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 152; vgl. Brief Nr. 39 Francke an Spener am [9.8.1692], in: Spener: Briefwechsel, S. 159. Vgl. Brief Nr. 44 Francke an Spener am 20.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 177f. [Rotth, Albrecht Christian]: Eylfertiges Bedencken über M. August Hermann Franckens, Pastoris zu Glauche vor Halle, seine Schutz-Predigt, ob er durch dieselbe seinen Zweck, den er auf dem Titul gedachter Predigt beruehret hat, erlanget oder nicht? Auf Begehren gestellet von einem Diener Gottes in Halle, An einem Seiner Beicht-Kinder, Anno 1692. d. 25. Julii, [s.l.] 1692. Vgl. Edikt am 9.8.1692 [Abschrift], AFSt/ H A108, S. 1f. Vgl. Brief Nr. 44 Francke an Spener, in: Spener: Briefwechsel, S. 177f., Anm. 25.

2. Umkämpfte Identität

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politische Seite in Berlin reagieren würde, konnte den Beteiligten nicht klar sein, denn pietistische Streitigkeiten hätten eminente Auswirkungen auf den Aufbau der Universität besessen. Gefährdete der Pietismusvorwurf die Universität und brächte sie in den Ruf, nicht traditionell-lutherisch zu sein, hätte die Folge in dieser Anfangszeit durchaus eine erneute Ausweisung der Pietisten sein können. Obwohl der Druck der Entdeckung der Boßheit in Berlin durch von Meinders gefördert wurde, konnte sich Francke nicht sicher sein, dass seine Kontakte zu den enthusiastisch-spiritualistischen Akteuren unter den Pietisten, namentlich der verschiedenen Ekstatikerinnen, nicht doch als zu gefährlich eingeschätzt werden würden, und er damit als unhaltbar sowohl für die Pfarrstelle als auch die Professur gelten würde. Franckes theologischer Weg, dies wurde im Zusammenhang mit seiner Berufung aufgezeigt, war 1692 längst nicht klar, aber im Unterschied beispielsweise zu Petersen, der ebenfalls in Brandenburg-Preußen untergekommen war, besaß er ein Pfarramt und ein Lehramt an der neugegründeten Universität. Dies konnte er nur behalten, wenn er durch Lehre und Verhalten dem Separatismus- und Pietismusvorwurf begegnen und den Heterodoxieverdacht beseitigen konnte. Francke muss dies, auch weil Spener es ihm wieder und wieder signalisierte, deutlich gewesen sein. Obwohl von Seckendorffs Eindrücke in Glaucha positiv gewesen seien, hielt Spener eine Untersuchungskommission größeren Umfangs inzwischen für unumgänglich, um den durch die Eigentliche Nachricht verstärkten Heterodoxieverdacht aufzulösen: „So ists bey mir auch eine außgemachte sache, daß ohne gründliche untersuchung, darzu eine dergleichen ahnsehnliche commission allerdings nötig, unmüglich eine beständige ruhe zuwege zubringen, oder deßen u. Herrn D. Breithaupts unschuld an den tag zulegen: Alle andre mittel sind curae palliativae, und reißet die zugetheilete wunde stracks oder doch nach einiger zeit immer wieder auf.“430

Francke versuchte zunächst, seine direkte Verbindung zu den ekstatischen Kreisen in Halberstadt und Quedlinburg durch die Entdeckung der Boßheit abzuschwächen. Im Sommer 1692 nahm er den Buchhändler Andreas Luppius als weitere Bedrohung wahr, der mystische und theosophische Schriften, darunter Paracelsus, Böhme, Weigel und Breckling, verlegte und diese unter den Studenten in Halle in Umlauf brachte.431 Prompt tauchten auf Schrader zurückgeführte Gerüchte auf, Breithaupt verbreite Böhmes Schriften.432 Auch Spener sah die Problematik der Angelegenheit433 und bot sofort an, in Berlin gegen Luppius vorzugehen: „Wegen Luppij bitte zuberichten, ob er selbs da? Oder ob er einen diner, laden, factor, da habe? u. wie die bücher debitirt werden? Sobald nachricht vorhanden, so wird rath geschafft werden.“434 Spener erwirkte tatsächlich mit einem Brief 430 431 432 433

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Brief Nr. 46 Spener an Francke am 23.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 184f. Vgl. Brief Nr. 32 Francke an Spener am 19.7.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 133. Vgl. Brief Nr. 43 Spener an Francke am 16.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 173. Zumal Spener ebenfalls involviert wurde, da Luppius ihm ein Gesangbuch widmete; vgl. Brief Nr. 39 Francke an Spener am [9.8.1692], in: Spener: Briefwechsel, S. 160. Brief Nr. 37 Spener an Francke am 2.8.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 150.

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III. Konfessionspolitik und Universität

an einen Geheimen Rat435 am 9.8.1692 ein Verkaufsverbot.436 Aufgrund der bisherigen Kontakte Speners kann vermutet werden, dass es sich dabei um von Meinders handelte. Andererseits lieferte Francke seinen Gegnern neue Munition, als er im Oktober 1692 sowohl die Visionärin Adelheid Sybille Schwarz, die in engem Kontakt mit den Petersens stand, als auch Anna Maria Schuchardt in Halle empfing und deren Ekstasen und Stigmatisierung miterlebte.437 Eine Begutachtung dieser Vorfälle wurde angeordnet und am 5.11.1692 Olearius und zwei Ärzten übertragen.438 Francke war zu diesem Zeitpunkt nur schwer in der Lage, sich von diesen Vorgängen zu distanzieren, anders als Spener es sich erhofft hatte.439 Im August 1692 begann Christian Friedrich von Kraut, der wohl noch immer wegen des Ausschlusses seines Bruders im Fall Hornemann verärgert war, Franckes Versetzung von Halle nach Calbe und dessen Bestallung als neuer dortiger Inspektor zu betreiben. Man kann vermuten, dass die Ungereimtheiten um Luppius und um die Ekstatikerinnen ihn bewegten, Francke für einen unsicheren Kantonisten sowohl für den kirchlichen Frieden als auch für die Universität zu halten, der besser zu entfernen sei. In der zweiten Jahreshälfte 1692 wuchs sich von Krauts Bestreben zu einer ernsthaften Gefahr für Francke aus. Erstmals wurde die geplante Versetzung von Spener am 16.8.1692 erwähnt, wobei ihn zuvor wahrscheinlich Francke in einem nicht überlieferten Brief davon unterrichtet hat.440 Von Kraut ging die Sache laut Francke energisch an: „Herr Kammerrath Kraut hat ziemlich an mich gesetzet wegen des inspectorats zu Calbe, so gar daß er auch gesaget, daß morgen schon leute von Kalbe mich zu hören da seyn würden.“441 Francke hoffte dementsprechend auf einen positiven Bericht von Seckendorffs und ein Einschreiten der Gemeinde zu seinen Gunsten, wie es dann auch stattfand. Nach einer kurzen Ruhephase wurde das Thema im November 1692 für Francke drängend.442 Immerhin versicherte Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann Spener, erst den Verlauf der Kommission abzuwarten, bevor er über Franckes Versetzung entscheiden würde.443 Auch der spätere für Francke und Breithaupt letztendlich positive Rezess der Untersuchungskommission im Streit mit der Stadtgeistlichkeit vom 27.11.1692 hatte die Gefahr noch immer nicht gebannt, so dass Spener massiver als bisher intervenierte: „Im übrigen kann nicht bergen, daß auff eines mannes stätes einblasen es alhier am nechsten darbey gewesen, geliebten Bruder und Herrn D. Breithaupten honeste zu translocieren, aber nun 435

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Vgl. Spener an einen Geheimen Rat ohne Datum, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 129 (1690–1700), Bl. 189r–189v. Vgl. Edikt am 9.8.1693 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 129 (1690–1700), Bl. 188r. Vgl. Brief Nr. 55 Francke an Spener am 25.10.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 211–213. Vgl. Gutachten an die magdeburgische Regierung am 18.11.1692 [Abschrift], AFSt/ H D92, S. 230–232. Vgl. Albrecht-Birkner / Sträter: Radikale Phase, S. 75–78. Vgl. Brief Nr. 43 Spener an Francke am 16.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 173 und Anm. 8. Brief Nr. 44 Francke an Spener am 20.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 176. Von Kraut hatte inzwischen auch von Seckendorff über die Versetzungsidee informiert; vgl. Brief Nr. 56 Francke an Spener am 5.11.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 216. Vgl. Brief Nr. 57 Spener an Francke am 8.11.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 221.

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hoffe, Gott werde es abgewendet haben: weswegen mit Herrn v. Danckelmann444 Sonnabends selbst geredet, sodann schriftlich wichtige rationes,445 so solchem vorschlag entgegen stehen, vorgestellet habe, welche reifflich erwogen hoffentlich noch vieles bedencken machen werden.“446

Sofern die Eingabe der Wichtigen ursachen von Spener stammte – das Schriftbild in Kombination mit dem oben zitierten Brief lassen darauf schließen –, argumentierte dieser mit dem Kern der brandenburgischen Konfessionspolitik. Einerseits konstatierte er das positive Ergebnis der Untersuchungskommission, welches zum Schutz der beiden Personen nicht in Frage gestellt werden dürfe.447 Andererseits argumentierte er universitäts- und konfessionspolitisch: Sie seien „capabel bey dem aufrichtenden Universität in Gottes Seegen, was rechtschaffendes außzurichten.“448 Dieses Rechtschaffende definierte Spener wie folgt: Beförderung der studierenden Jugend, Vorbildcharakter beider Professoren, Übung wahrer Pietät, keine Kontroverstheologie.449 Dann würden bald „Candidati Ministerii“ existieren, welche „so nun die rechte gründe der Theologiae beßer, alß die meisten auff anderen Universitäten pflegen, da man nun die bloße buchstäbliche Wißenschaft bemüht, und an die lebendige Erkentnus wenig gedenket, gefaßet haben, werden in Halle erzogen seyn, und mit demselben die Churfürstl. Kirchen ziemlicher maßen besetzt werden, daß als dem es um die Kirchen in S. Churfl. Durchl. Land viel beßer als jetzo stehen, und man von solchen ärgernußen, wie nun leider geschiehet, in dem Bestand nicht mehr hören wird.“450

Spener reflektierte deutlich die Intention der Theologenausbildung an der Universität, ging aber noch einen Schritt darüber hinaus: „Ja wo das Verlangen ist, beyder religionen mit einander zu vereinigen, zu deßen Vorschlag bey gegenwärtiger bewandnis vielleicht auch die bestgestimmte und klügste nicht rathen werden, so wäre dieses das einige sicherste mittel, so entlich allein dahin gesehen werde, solche lehre insgemein in das land zu bekommen, welche zuvor ohne hinlegung einiger Wahrheit, die Gott unserer Kirchen zu erkennen gegeben hat, getrachtet haben, die göttliche lehr in einer wahren Gottseligkeit zu faßen, und ihr amt darinnen zu führen.“451

Der Grat, auf dem Spener hier wandelte, war frappierend schmal. Er konnte und wollte die Unterschiedlichkeit der beiden Konfessionen keinesfalls in Frage stellen, doch für den Fall, dass eine Vereinigung angestrebt sei, – und damit las er die Konfessionspolitik 444 445

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Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann, vgl. Spener: Briefwechsel, S. 239, Anm. 18. Sehr wahrscheinlich handelt es sich dabei um „Wichtige ursachen [warum] so dem vorschlag H. D. Breithaupten und H. M. Francken, oder doch diesen letzten von Halle zu translociren, mögten entgegen stehen“ AFSt/ H D92, S. 396–401. Brief Nr. 61 Spener an Francke am 13.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 239. Wohin (ob) Breithaupt versetzt werden sollte, ist unbekannt. Vgl. „Wichtige ursachen [warum] so dem vorschlag H. D. Breithaupten und H. M. Francken, oder doch diesen letzten von Halle zu translociren, mögten entgegen stehen“, AFSt/ H D92, S. 396. Ebd., S. 397. Vgl. ebd. Ebd., S. 398. Ebd.

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III. Konfessionspolitik und Universität

richtig – sei diese nur und besser mit seinen Anhängern in Halle zu erreichen. Die Wichtigen ursachen lassen tief blicken, was die Not anbelangte, Francke in Halle zu halten, aber auch, was das Bestreben anging, kirchen- und konfessionsgestaltend zu agieren und die innerkonfessionelle Deutungshoheit über die lutherische Identität zu gewinnen bzw. gegenüber den reformierten Konfessionalisierungsbestrebungen zu bewahren, egal aus welcher Richtung der konfessionspolitische Wind wehte. Mit der Eingabe errang er zwar bei von Danckelmann einen Teilerfolg, allerdings war die Entscheidung nach wie vor so offen wie die Beteiligung weiterer Akteure unklar war, so dass Spener aus Vorsicht und Unsicherheit über die Fruchtbarkeit seiner eigenen Kontakte Francke bat, die Idee einer Versetzung zumindest noch einmal zu erwägen: „da er [von Danckelmann] dann sagte, es wäre zwahr eine signatur wegen gel[iebten] Bruders translocation vorhanden, er wollte aber Herrn von Seckendorff, den er als einen Vater ehrte, und mir nicht zuwider sein, u. also sollte es underbleiben. Gestern aber komt Herr Cammer R[ath] Kraut, von dem sorge diese machination den ursprung hat, u. zeigt mir ein rescript, da solches bereits geschloßen seye. […] Er hat sich endlich erklähret, das concept nach Halle mit zunehmen, und mit Herrn von Seckendorff u. geliebten Bruder selbs darauß zu communicieren, und dero meinung zu vernehmen. Heut aber wird mir von einem vornehmen Herrn per schedulam notificirt, das die translocation nicht anders beliebet worden, alß wo Herr von Seckendorff u. derselbe darmit friedlich, wie man sie dann vielmehr vor ein beneficium als straffe hielte, und auch so geachtet werden sollte. Ich bitte also geliebter Bruder überlege die sache vor Gottes angesicht hertzlich, wohin er deßen finger gehen sehet. Noch inclinirte ich auff die universität u. verharren in gegenwärtiger stelle. In dem ich Herrn D. Breithaupten einen parastatam und den studiosis als andern Christlichen hertzen eine fernere bekräfftigung in dem guten Anfang gönne.“452

Von Kraut sprach am 20.12.1692 mit Francke, wohingegen das Gespräch mit von Sekkendorff aufgrund dessen Todes am 18.12.1692 nicht mehr zustande kam. Es ist natürlich ungewiss, ob von Seckendorff tatsächlich in die Problematik zuungunsten Franckes eingegriffen hätte, angesichts seiner bisherigen positiven Einstellung gegenüber den pietistischen Akteuren erscheint dies nur dann wahrscheinlich, wenn er eine grundlegende Problematik für die Universität gesehen hätte. Auffällig ist allerdings, dass nach von Seckendorffs Tod die Angelegenheit nur noch wie ein Alleingang von Krauts anmutet:453 Bis zum Jahresende 1692 blieb die Versetzung zwar ein Thema des Briefwechsels, aber eher von Gerüchten als von Fakten begleitet.454 Wie schon im August 1692 begann die Gemeinde in Glaucha, sich erneut für Francke zu engagieren und sandte am 21.12.1692 452 453

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Brief Nr. 63 Spener an Francke am 17.12.1692, in Spener: Briefwechsel, S. 246f. Von Kraut hatte am Jahresende noch mit allen Mitteln versucht, die Versetzung zu bewirken, indem er sogar Franckes Einverständnis nach Berlin gemeldet hatte, wie der verständnislos an Spener mitteilte: „Wie ich das reimen soll, daß der Herr Cammerath Kr[aut] hergeschrieben haben solle, daß ich mit der vocation nach Calbe wol zu frieden seye, weiß ich nicht, denn ich mich ja dessen mit keinem worte jemahls vernehmen lassen.“ Brief Nr. 69 Francke an Spener am 31.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 260. Vgl. Brief Nr. 64 Francke an Spener am 20.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 248f; vgl. Brief Nr. 66 Spener an Francke am 24.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 253.

2. Umkämpfte Identität

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eine Supplik mit 120 Unterschriften für den Verbleib Franckes nach Berlin an Spener,455 die dieser am 27.12.1692 von Meinders übergab.456 Über den Jahreswechsel 1692 verlor sich das Thema der Versetzung im Briefwechsel zwischen Spener und Francke und in den Akten völlig. Die Erwägung von Krauts, die zwischenzeitlich in Berlin Kreise zog, Francke, und möglicherweise auch Breithaupt, zu versetzen, deutet zumindest darauf hin, dass es für die Obrigkeit durchaus darum ging, in den Gemeinden, unter der Geistlichkeit und an der Universität mit allen Mitteln Ruhe und Frieden zu bewahren. Mit dem Import pietistischer Streitigkeiten und Figuren nach Halle, die sich am Rand der innerkirchlich integrierten pietistischen Gruppen befanden, waren diese grundlegenden konfessionspolitischen Tugenden bedroht. Indem Francke sich schwer integrierbar zeigte, störte er zumindest für Christian Friedrich von Kraut den hallischen Frieden derart nachhaltig, dass eine Versetzung zum Wohle von Stadt und Universität stärker beitragen würde als ein Verbleib. Darüber hinaus zeigte die Versetzungsaffäre auch die Differenzen im Geheimen Rat zwischen von Meinders und von Danckelmann und dem untergeordneten von Kraut. Dies erklärt sich auch mit den Zuständigkeitsbereichen der Räte: Von Meinders war seit 1680 immer wieder mit den (konfessions-)politischen Fragstellungen in der Stadt und der Landschaft betraut gewesen; seine Linie, die Stadtgeistlichkeit zu disziplinieren, erklärt sich aus den Erfahrungen insbesondere der Zeit 1680/81. Dazu kam seine länger bestehende Verbindung mit Spener, die letzterer reichlich nutzte. Von Kraut hingegen war hinlänglich mit den Universitätsangelegenheiten vertraut, sein Bruder Ludwig Gebhard war Konsistorialrat und Universitätssekretär, seine Familie stellte eine „Dynastie erzstiftischer Amtsträger“457 dar und war in Halle verwurzelt. Auch neben dem persönlichen Konflikt um den Ausschluss seines Bruders von der Jurisdiktion legte er sein Augenmerk auf das Wohl und Wehe der Universität, die im Verlauf des Jahres 1692 aus seiner Sicht von Francke und in der Reaktion auf diesen von der Stadtgeistlichkeit bedroht war. Ein ähnliches Motiv hatte sicher auch Stryk, der von Francke als ein Unterstützer von Krauts Vorgehen genannt wurde.458 Am 26.7.1692 war der Befehl zur Einsetzug einer Untersuchungskommission erfolgt,459 der von Seckendorff und Gottfried von Jena vorstehen sollten, allerdings lehnte von Jena den Vorsitz am 8.8.1692 mit dem Hinweis auf Arbeitsüberlastung ab.460 Am 18.8.1692 unternahm von Seckendorff zunächst eine Befragung der Glauchaer Gemeinde, aufgrund derer er am 19.8.1692 einen Francke positiv gesinnten Bericht nach Berlin sandte.461 455

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Vgl. Supplik der Gemeinde in Glaucha am 21.12.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 347r–351v. Vgl. Brief Nr. 67 Spener an Francke am 27.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 256. Vgl. Thiele: Residenz, S. 444. Vgl. Brief Nr. 65 Francke an Spener am 24.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 251. Vgl. Einsetzung einer Kommission am 26.7.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 17r–17v. Vgl. von Jena an den Kurfürsten am 8.8.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 329r–330r. Vgl. Bericht von Seckendorffs am 19.8.1692, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699),

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III. Konfessionspolitik und Universität

Demnach habe Francke sich im Umgang mit seinen Beichtkindern und der verweigerten Absolution an die seit 1685 geltende Kirchenordnung gehalten.462 Vor allem aber mahnte von Seckendorff die aus dem Streit für die Stadt und die Universität erwachsene Problematik der Heterodoxie an, die eine baldige Schlichtung notwendig mache: „E. Churfürstl. Durchl. werden höchst erleuchtet weil beßer erkennen, ob durch diesen oder einen andern weg463 der großen zerrüttung hiesiger ganzer Stattgemeinde auch weit und breit zu merklichen nachtheil der neu angehenden Universitet alhier, erschollene Diffamation abgeholfen werden möge […], darauf wird hertzlich eine Comission von nöthen seyn, damit die Beschaffenheit der Sache mit Bestand und Grund an den Tag gebracht werde, H. D. Breithaupt und MM. Francke erweisen sich dabey so viel ich vermercken kan, getrost, und hoffen Ihre Orthodoxiam offenbahrlich zu behaupten auch alle andere anschuldigungen rechtmäßig abzulehnen und damit ruhe zu erlangen, welche sich sonst nicht zu versehen, auch wird hoffentlich Gott gnade verleihen die Harmonie bey der Stadt und die renommee der Universität zu manuteniren“.464

In Berlin brach sich tatsächlich die Einsicht Bahn, dass eine Untersuchungskommission nicht nur die Situation in Glaucha, sondern auch die Konflikte mit der Stadtgeistlichkeit untersuchen und den Deutungskonflikt beenden wollte.465 Spener als Patron Franckes und Breithaupts hatte ebenfalls energisch in diese Richtung gewirkt: „Ich habe auch gestern ein memorial Herrn Geh[eimen] Rath von Meinders praesentiret, da ich vorgestellt, daß es mit der bestimmung der commission zu beylegung der irrung wegen der beichtkinder noch nicht gnug, noch dieses die hauptsache seye, sondern, das dem schmähen und lästern auff den Cantzeln müße gewehret, und also eine commission zu völliger und gründlicher undersuchung aller differentien angeordnet werden, in dem sonst alles ehe man sichs versihet allmal recrudesciren werde, dabey auch die gefahr der großen zerrüttung vorgestellet.“466

Ein erster Schritt in die gewünschte Richtung war der, Albrecht Christian Rotth am 18.8.1692 zu einer Vernehmung am 22.8.1692 ins Konsistorium zu zitieren.467 Als am 6.9.1692 der kurfürstliche Befehl zur Einsetzung einer Kommission zur Untersuchung der grundsätzlichen Streitigkeiten erging,468 begann die Situation sich allerdings schon zu entzerren, da Rotth nach mehreren Verhören verständliche Bestrebungen zeigte,469 Halle

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Bl. 340r–345r. Vgl. ebd., Bl. 344v. Von Seckendorff hatte beiden Parteien die schriftliche Abfassung ihrer Position empfohlen; vgl. ebd., Bl. 342v. Ebd., Bl. 342v–343r. Vgl. Brief Nr. 41 Spener an Francke am 13.8.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 165f. Ebd. Vgl. Anweisung des Konsistoriums an Rotth am 18.8.1692 nach einem Edikt vom 9.8.1692 [Abschrift], AFSt/ H A108, S. 1f. Vgl. Einsetzung der Untersuchungskommission am 6.9.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 337r–338r. Vgl. Brief Nr. 49 Spener an Francke am 6.9.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 191f.

2. Umkämpfte Identität

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zu verlassen,470 obwohl ihm dies bereits am 3.9.1692 verboten worden war.471 Auch Domprediger Christoph Schrader entzog sich letztendlich dem Konflikt, der für ihn nur Höhepunkt einer seit 1680 unbefriedigenden Situation war,472 indem er das ihm angetragene Superintendentenamt an der Dresdner Kreuzkirche annahm.473 Francke hielt diese sich zu seinen Gunsten wendende Situation nicht davon ab, über Spener weiter massiv in Berlin einzuwirken, um die Klage gegen Rotth mit einer Untersuchung wegen der Eigentlichen Nachricht und gegen Christoph Schrader zu verbinden und aus seiner Sicht alle Probleme auf einmal aus der Welt zu schaffen. Spener wiederum riet inzwischen zur Vorsicht und zur sorgfältigen Trennung der einzelnen Bereiche, zumal Franz von Meinders im Geheimen Rat für einige Tage nicht anwesend sein würde, und er es nicht für ratsam hielt, einen anderen Rat einzuschalten.474 Auch Francke war inzwischen von Verhören vor dem Konsistorium bedroht. Doch gelang es ihm am 19.9.1692, sich dem Verhör mit dem Hinweis, er habe sich in der Sache mit Rotth an den Kurfürsten gewandt und noch keine Antwort erhalten, könne also nicht verhört werden, zu entziehen.475 Vom 17.11.1692 bis zum 26.11.1692 trat die Kommission ihre Arbeit in Halle an. Ihr gehörten der Hof- und Kammergerichtsrat Heinrich von Platen, der Landrat des Saalkreises Carl von Dieskau, der Berliner Propst Franz Julius Lütkens und als Vorsitzender Veit Ludwig von Seckendorff an.476 Der Verlauf der Untersuchungskommission illustriert deutlich, wie sich die Situation von einem Gemeindekonflikt um die Beichtpraxis zu einem Generalverdacht gegenüber Francke und Breithaupt gewandelt hatte. Zuerst übergab das Stadtministerium eine Liste mit 26 Anklagepunkten gegen Francke und Breithaupt, unter denen die mit Bezug auf die konkrete Gemeindesituation deutlich zurücktraten. Der Frontalangriff ging zunächst gegen Breithaupt mit dem klassischen Vorwurf gegen die Konventikel in Form des collegium biblicum (1), der mit dem Perfektionismusvorwurf und Böhmianismus verbunden wurde (2-5). Danach folgte die Auseinandersetzung mit Francke einerseits bezogen auf seinen Umgang, die Betstunden und den Parochialzwang (6-9), andererseits wurden Perfektionismus und damit verbunden Wiedergeburtslehre und Spiritualismus (10–12, 15–16), welche Francke öffentlich lehrte, 470

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Rotth teilte dem Kurfürsten am 22.9.1692 mit, dass er Halle verlasse, weil er am 25.9.1692 eine Antrittspredigt in Leipzig zu halten habe; vgl. Rotth an den Kurfürsten am 22.9.1692, AFSt/ H D92, S. 64–65. Das Leipziger Konsistorium weigerte sich in der Folgezeit, dem hallischen Konsistorium bei der Durchsetzung der Zitation Rotths zu helfen; vgl. Konsistorium in Leipzig an das Konsistorium in Halle am 11.11.1692, AFSt/ H D92, S. 88–91. Vgl. Befehl an Rotth am 3.9.1692 [Entwurf], GStA PK, I. HA., Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 208r. Vgl. Kapitel II.3.2.1. und II.3.2.2. Vgl. Abgangsgesuch Schraders vom 19.7.1692 und kurfürstlicher Bescheid vom 6.8.1692 [Entwurf] GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 601r–603r. Vgl. Brief Nr. 52 Spener an Francke am 24.9.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 201f. Vgl. Erklärung Franckes am 19.2.1692, AFSt/ H D92, S. 37f. Vgl. Bericht der Kommission in Abschrift vom 3.12.1692 AFSt/ H D92, S. 94–407.

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thematisiert. Außerdem spielte der Status der Studenten in der Stadt, welche von Francke und Breithaupt zu Unruhe angestachelt würden, eine wichtige Rolle (24–26). Insbesondere der Entzug der Gerichtsbarkeit im Fall Hornemann war für die Stadtgeistlichkeit noch nicht erledigt, da die Art ihrer Beilegung andere Studenten erst animiere (17).477 Die beiden Beklagten reagierten darauf mit einer Widerlegung am 19.11.1692 und am 21.11.1692. In beiden Texten kann inhaltlich und stilistisch genau unterschieden werden, welche Passagen auf Francke und welche auf Breithaupt zurückgehen.478 Im ersten Schriftstück ging es um die Abwehr der Vorwürfe. Zunächst wurde die mangelnde Kommunikation mit dem Stadtministerium und vor allem mit Olearius im Vorfeld des Konflikts beklagt.479 Breithaupt erklärte zu den Vorwürfen um das exercitium sabbaticum, dass an diesem nur sehr wenige Bürger teilgenommen hätten, und dass der Vorwurf, er hätte gegen bestehende Glaubenslehren gesprochen, „eine harte und dem von Sr. Churfstl Dchl. gndst mir aufgetragenen wichtigen Ambte bey hiesiger universitat sehr nachtheilig beschuldigung“480 sei. Wenn er Studenten in den Versammlungen das Wort gegeben habe, dann nur solchen, die entsprechend qualifiziert gewesen seien.481 Den Vorwurf des Perfektionismus wies Breithaupt ab. Er habe über die Wiedergeburt und die „Verscherzung der Gnade“482 gepredigt, und es sei wohl so, „daß ein übel gesinter eine redens art aufgefangen und appositam conditionem fahren laßen“.483 Im selben Zusammenhang stand der Vorwurf, über Luppius verbotene Bücher zu vertreiben, was Breithaupt ebenfalls von sich wies, vielmehr habe aber ein bei ihm wohnhafter Student ein luppisches Buch zur Verwahrung für einen Dritten genommen.484 Auch Francke stellte seine Sicht der Dinge dar und wehrte sich hauptsächlich gegen den vom Stadtministerium angestrebten Parochialzwang und seine angebliche Aufforderung an die Gemeindeglieder, nicht mehr bei anderen Pfarrern zu beichten.485 Dem Vorwurf, seine Bußpraxis sei das Resultat einer Vernachlässigung der Rechtfertigungslehre zugunsten der Heiligungstheologie, stellte er ein Bekenntnis zur Rechtfertigung nach Luther entgegen,486 beharrte aber darauf, „daß Christus uns nicht allein gemacht ist zur Gerechtigkeit, sondern auch zur Heiligung. Die Rechtfertigung und Heiligung sind zu distinguiren, aber nicht zu separieren.“487 Mit dem 477 478

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Vgl. Erinnerungen des Ministeriums am 18.11.1692 AFSt/ H D92, S.193–203. Vgl. Breithaupt und Francke an die Kommission am 19.11.1692, AFSt/ H D92, S. 205–218; vgl. Breithaupt und Francke an die Kommission am 21.11.1692, AFSt/ H D92, S. 273–288. Vgl. Breithaupt und Francke an die Kommission am 19.11.1692, AFSt/ H D92, S. 206. Ebd., S. 207f. Vgl. ebd., S. 208. Ebd., S. 209. Ebd. Vgl. ebd., S. 213. Die Passage lautet: „Frembdliche und reisende Persohnen, welche begehret bey mir zu beichten, und zu comuniciren, habe ich ohne Scrupel admittiret, aber kein einziges Exempel gehabt, da sich einer von seinem ordentlichen Pfarrer und Seelsorger hatte dadurch abweißen wollen, viel weniger ist solches von mir intendiret worden.“ Ebd., S. 214. Vgl. ebd., S. 214f. Ebd., S. 215.

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Bekenntnis zur lutherischen Rechtfertigungslehre anerkannte er sowohl den zentralen Inhalt als konsensual-verbindlich geltender lutherischer Theologie als auch dessen Fassung in einem zentralen konfessionellen Code, der CA invariata. In der Auseinandersetzung um die Rechtgläubigkeit im Zusammenhang mit dem Wohl der Universität konnte Frankke sich von diesem Aspekt der konfessionellen Mitte nicht entfernen und musste sich den traditionellen Codes verpflichtet zeigen, ohne vollends bereit zu sein, seine spezifische Theologie aufzugeben. Auch in der Auseinandersetzung mit der Kanzelpolemik und gegen den Vorwurf, er verwirre Studenten, rückte er nicht von seinem Standpunkt ab: „Daß ich […] den Studiosum zur rechtschaffenen bekehrung ermahnet, ist geschehen, und danke ich Gott dafür.“488 Seine Theologie und Gemeindepraxis waren für Francke trotz der Notwendigkeit, die traditionellen Codes nicht aufgeben zu dürfen, unabänderlich, und diese Haltung durchzog den ihn betreffenden Teil der Zurückweisungen, den er mit neuerlich kontroversen Standpunkterklärungen unterfütterte. Breithaupt hingegen hatte sich auf die reine Zurückweisung der Vorwürfe beschränkt. Diese Zweiteilung ist dermaßen auffällig, dass man geneigt ist, dahinter eine Konfliktstrategie Breithaupts und Franckes zu vermuten: Breithaupt stellte sich als der moderate dar, während es Francke zufiel, den Streit durchzufechten. Der Großteil des Textes vom 21.11.1692 bezog sich auf die Francke betreffenden Probleme, Breithaupt trat in den Hintergrund. Die Einzelfallanalyse von Studenten und Gemeindegliedern489 wurde auf die Berufungssituation – hier ist Franckes Denken unverkennbar – fokussiert. Alle Dinge seien so geschehen, „weil wir uns in unserem Gewißen nicht anders bewußt, als daß wir von Gott hieher beruffen, seines Heil. Nahmens Ehre und Christlichen Kirchen Erbauung unseren Zweck seyn laßen.“490 Explizit wurden Schrader, Olearius, Stisser und Nicolai der schweren Kanzelpolemik beschuldigt491 und der Zwang in der Verhörsituation von Anna Maria Schuchardt beklagt, in der versucht worden sei, Details aus Franckes Haus und Gesprächen zu erpressen.492 Die Abmahnungen der Gemeindeglieder durch die Stadtprediger transportierte der Text auf eine universelle Ebene, auf der das Anliegen Franckes und Breithaupts noch deutlicher wurde: „Ist es aber nicht ein großes und übergroßes Ärgerniß, daß, da ohne dem der wahre Fleiß der Gottseligkeit in der gantzen Christenheit so sehr verfallen, man nun auch nicht allein lehrende oder lernende Academicos, sondern auch andere Leute, welche anderen Fleiß zu ihremChristenthumb anlegen wollen, als sie vorhin gethan haben, selbst bekennen, mit dergleichen obberührten Schmähungen, oder sonst übler nachrede so fort verschmutzen will, damit vollends dem gemeinen Man alles ernstliche Christenthum stinkend und verdächtig gemacht wird.“493

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Ebd., S. 216. Vgl. Breithaupt und Francke an die Kommission am 21.11.1692, AFSt/ H D92, S. 273–277. Ebd., S. 277. Vgl. ebd., S. 279. Vgl. ebd., S. 287. Ebd., S. 279.

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Die Passage implizierte geschickt, dass eine Obrigkeit, die das Verhalten der Stadtprediger unterstützte, sich eines Vergehens am Seelenheil der Untertanen schuldig machte. Nicht umsonst drohte man mit dem Jüngsten Tag, an dem jeder Auskunft über jede Tat und jedes Wort werde geben müssen.494 Im Gegensatz zur Stellungnahme vom 19.11.1692, die eher der Verteidigung diente, formuliert das Schreiben vom 21.11.1692 Angriffe gegen die Stadtgeistlichkeit. Die theologische Handschrift Franckes ist im Zusammenhang mit der Berufungssituation in Halle und dem nur durch Buße aufzuhaltenden Verfall der Kirche deutlich ausgeprägt. Im Anschluss an die Stellungnahmen Franckes und Breithaupts ging die Kommission dazu über, zwischen dem 21. und dem 25.11.1692 ungefähr 25 Personen, darunter Studenten, Bürger und die Pfarrer aus Halle und Glaucha, als Zeugen zu befragen.495 Folgerichtig wurde dabei nicht nur nach der Problematik der Kirchenzucht oder den von den Angehörigen des hallischen Ministeriums vorgebrachten anti-pietistischen Vorwürfen gefragt, sondern auch, ob Francke und Breithaupt über Luppius’ Schriften mystisches oder theosophisches Gedankengut Böhmes unter der Studentenschaft verbreiteten.496 Dazu wurden die luppischen Bücher herbeigeholt und in einer Liste verzeichnet.497 Hier war der konkrete Angelpunkt für den Heterodoxienachweis, während man bei Fragen nach Konventikeln oder nach Predigtinhalten in einem weniger beweisbaren Bereich agierte. Insbesondere Christoph Schrader hatte seit dem Sommer zu beweisen versucht, dass Breithaupt Böhme-Literatur verbreite.498 Das Verhör mit Schrader am 18.11.1692 vor dessen Abreise nach Dresden war allerdings unerquicklich, da dieser hinter den schweren Vorwürfen des Sommers, was den Perfektionismus seiner Gegner anbelangte, zurückblieb499 und sich stärker auf die Situation an der Universität und den Vorwurf der Unruhestiftung seitens der Professoren kaprizierte, denn es ließe sich „auch bey angehender universitet […] finden, daß Z. E. diejenigen, welche in des einen Theils collegia gingen, der andern ihn gar nicht besuchen, und also zwey gespaltene hauffen enstehen würden.“500

Darüber hinaus verursachten die Pietisten die Unruhen selbst, „indem sie alles, was geprediget würde, auff sich zögen“,501 und sich dann im Gegenzug beschwerten. Auf Frankkes und Breithaupts Reaktion auf Schraders Vorwürfe vom 21.11.1692, in der sie diesen

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Vgl. ebd., S. 281. Vgl. Auszug des Protokolls vom 21.11.1692 (S. 122) bis zum 25.11. (S. 171), AFSt/H D92, S. 122–171. Vgl. ebd., S. 138, S. 142–154, S. 161. Vgl. „Verzeichnis der Bücher welche bey Christoph Wetterkamm, Buchbinder, alhier den 21.11. auff des Raths Verordnung abgeholete und zur Commission geliefert worden, die seinem veruff nach Andreas Lupper bey ihm deponirt“, AFSt/H D92, S. 316–326. Vgl. Aussage des Buchbinders Christoph Wetterkamm, AFSt/H D92, S. 143f. Vgl. Aussage Christoph Schraders am 18.11.1692, AFSt/H D92, S. 108. Ebd., S. 100. Ebd., S. 109.

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erneut der schweren Kanzelpolemik gegen sich bezichtigten,502 ließ der abgereiste Schrader durch seinen Bruder Gottfried Schrader503 übermitteln, dass er sich keinesfalls mit den Genannten einlassen könne.504 Das Stadtministerium fokussierte sich nun zunehmend auf den Versuch, Breithaupt durch die Erneuerung der Erfurter Vorwürfe zu beschädigen, wozu es eine Stellungnahme an die Kommission am 23.11.1692505 mit der Beilegung von Erfurter Schriftstücken armierte.506 Es handelte sich dabei um die Abschrift eines Berichts des Erfurter Rats über die Weigerung Breithaupts, seine Lehren einzustellen, weswegen die Spaltung in der Stadt sich weiter verschärft hätte. Breithaupt erschien jetzt als jemand, der den Aufforderungen der Obrigkeit nicht nachgekommen war und deshalb ein Unruhestifter und ein Spalter der Gemeinden gewesen war, was sich nun in Halle wiederholen würde. Die Brisanz dieser Wendung zeigte sich darin, dass Breithaupt sich nun gezwungen sah, zu reagieren. In einem Memorial vom 25.11.1692 differenzierte er sein Verhalten wie folgt: „[…] aber bey dem allen nicht unterlaßen jederzeit gebührenden Unterschied zu machen, und nicht sowohl wieder die Obrigkeit oder Rath gepredigt, sondern nur einige Persohnen im Rath Erwehnung gethan, deren boßheit der gantzen Stadt zur Genüge und Überfluß bekandt geweßen.“507

Der mangelnden Nachweisbarkeit der aktuellen Vorwürfe und der Devise der Unruhebekämpfung mag der letztendlich unspektakulär erscheinende Vergleich des 27.11.1692508 geschuldet sein, nachdem die Verhöre offenkundig zu keiner Richtungsentscheidung geführt hatten.509 Um in der Stadt und an der Universität die theologische Einvernehmlichkeit zu erhalten und dem Vorwurf zu begegnen, beide würden von einer heterodoxen Gruppe unterwandert werden,510 hatte man den Vergleich in vier Punkten getroffen. Der erste Punkt resultierte aus der Auseinandersetzung mit dem Heterodoxievorwurf im Allgemeinen gegen Breithaupt und Francke. Die Befragung der Ankläger aus dem Stadtministerium habe ergeben, dass

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Vgl. Beantwortung der Aussagen Schraders durch Breithaupt und Francke am 21.11.1692, AFSt/H D92, S. 223–225. Francke und Breithaupt machten ihre Aussagen nach dem Hörensagen von Schraders Predigten durch Dritte, „ob wir zwar selbst nicht unter den Auditoribus gewesen, so haben wir doch genug davon durch andere die einen greuel daran gehabt, erfahren müßen.“ Ebd., S. 224. Vgl. Dreyhaupt: Pagus neletici et nudzici, Tl. 2, S. 713. Vgl. Auszug des Protokolls vom 21.11.1692 (S. 122) bis zum 25.11. (S. 171), AFSt/H D92, S. 168. Vgl. Stellungnahme des Stadtministeriums an die Kommission am 23.11.1692, AFSt/H D92, S. 305–310. Vgl. Bericht des Rats der Stadt Erfurt am 22.8.1691 [Abschrift], AFSt/H D92, S. 311–314. Memorial Breithaupts an die Kommission am 25.11.1692, AFSt/H D92, S. 338f. Vgl. Rezess am 27.11.1692 [Abschrift], AFSt/H D92, S. 364–377. Dies gegen die Deutung Deppermanns einer unzweifelhaften Klärung für die Seite Franckes durch die Kommission vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 81f. Vgl. Rezess am 27.11.1692 [Abschrift], AFSt/H D92, S. 366f.

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„deren membra sambt und sonders […] ernante beyde Männer auff die auch vorige, wir mehrmahls münd- und schriftlich gethaner Erklärung und Betheurung von aller heterodoxia frey und unbefleckt erkennet [haben], auff das gedachte Ministerium aber obenannte D. Schrader […] sich vor unß weiter nicht herauß laßen noch etwas bescheinigen wollen. Und ist also dieser Haupt- und praejudicialpunct vor allen Dingen fest gestellet, und darauff das fundament Christlicher und resp. Ambtsbrüderlicher Einigkeit gesezet worden.“511

Weil die Kläger in den Verhören, vor allem Schrader, an den schwersten Vorwürfen nicht festgehalten hatten, kam die Kommission zu dem Schluss, dass bei den Beklagten keine Lehrabweichungen festzustellen seien. Das bedeutete allerdings nicht, dass die Kläger von der Kommission zu einer Erklärung über die Rechtgläubigkeit von Breithaupt und Francke gedrängt wurden. Von der Stadtgeistlichkeit sollte Breithaupt und Francke, so der Rezess, keine Heterodoxie mehr vorgeworfen werden. Allerdings wurden sie auch nicht gezwungen, eine Erklärung über die explizite Orthodoxie der beiden abzugeben. Die Kommission war mit der Beseitigung des Heterodoxievorwurfs zufrieden, wollte vielleicht auch die angespannte Lage nicht durch ein entsprechendes Zugeständnis der Stadtgeistlichkeit überreizen, sondern stellte die Herstellung von Frieden in einem status quo in den Mittelpunkt der Bemühungen.512 Dem folgte der zweite Punkt, dass alle Klagen über missverständliche Äußerungen der Professoren „in praeteritum gänzlich wegfallen, und mit ihrer beyderseits guten belieben abgethan worden.“513 Die Lösung für eventuell erneut aufkommende Missverständnisse sah der Rezess drittens in privaten Vermahnungen und, wenn diese wirkungslos blieben, einer Anzeige beim Konsistorium, aber eben nicht in der öffentlichen Polemik, denn es solle „bey dem allen nicht eigene, sondern Gottes Ehre gesuchet“514 werden. Der vierte Punkt befasste sich mit der Beteiligung dritter an der Problematik, also Studenten und Fremde sowie der Rolle von problematischen Büchern. Dabei wurde an die Sorgfaltspflicht aller appeliert, sie sollten „sambt und sonders auff keine andere principia die zuhörer und discipulos weisen, besonders auch, weil zu iziger Zeit sich allerley extraordinardinge und Entzückungen und Offenbarungen wegen, niemand in Lehrpuncten und Glaubensarticuln dahin, sondern allein auff Gottes Wort weisen, auch andre Dinge, wenn sie gleich großen Schein haben, mit Lob und applausu nicht unbedachtsam erheben, oder hingegen alsofort für Teufelswort außschreyn, sondern ein ieder mit seinem judicio sich dergestalt zurück halten und Acht nehmen, daß durch schnelles Vorurteil nicht Ärgerniß und Irrung entstehe.“515

Ebenso sollte mit den Büchern umgegangen werden, denn die Theologen sollten „der Jugend, auch dem gemeinen Mann keine ander, alß bewährte autores recommendiren, die aber zwar einiges gutes, doch mit unter rechte heterodoxia oder paradoxia, und unverständliche mißdeutige Redensarten [enthalten] keinem zu lesen rathen“.516 511 512 513 514 515 516

Ebd., S. 368f. Im Gegensatz dazu vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 84f. Vgl. Rezess am 27.11.1692 [Abschrift], AFSt/H D92, S. 371. Ebd., S. 372. Ebd., S. 374. Ebd., S. 375.

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Die Betstunde Franckes und das collegium Breithaupts waren nicht Teil des Rezesses, sondern wurden in einer separaten Übereinkunft geregelt: Breithaupt sollte sein collegium in eine Stunde, in der er verschiedenen Teilnehmern den Text erklärte, und in eine Stunde allein mit den Studenten teilen.517 Francke wurde angehalten, seine Betstunde vor dem Abendessen zu halten, so dass auch Bürger daran teilnehmen könnten und kein Anlass für Argwohn gegeben würde.518 Alle Parteien unterschrieben den Vergleich am 27.11.1692, und das Kommissionsergebnis wurde am 17.12.1692 von den Kanzeln verkündet. Francke zeigte sich am Ende enttäuscht, dass die Kommission verschiedene Themen nicht behandelt hätte, in denen Klarheit wünschenswert gewesen wäre, darunter der Streit mit seinen Gemeindegliedern und der Konflikt mit Rotth.519 Spener sah die Sachlage nüchterner und weiträumiger, denn er hielt die Abwehr der Heterodoxievorwürfe gegen die Beklagten für deren weiteres Wirken in Halle für entscheidend: „Indeßen haben wir gleichwol Gott dem Herrn vor dasjenige demütigen danck zu sagen, was gleichwol außgerichtet. Dann es schon vieles, das nun offenbahr, das das ministerium sie beide geliebte Brüder heterodoxiae zubeschuldigen nicht getrauet, viel weniger etwas darvon überzeuget hat, deßen publicum testimonium nun vorhanden ist: welches auch sie ins künfftige im zaum halten wird, das sie sich nicht mehr werden also dörffen bezeugen, wie sie vor dem gethan: sondern ihnen einhalt geschehen kann.“520

Mit dem Untersuchungsbericht war der Heterodoxievorwurf zunächst von der Universität gebannt, da Breithaupt und Francke für unschuldig befunden wurden. Der Rezess enthielt jedoch nur eine weiche Lösung, die bei neuen Streitfällen Anwendung finden sollte: Nicht Kanzelpolemik, sondern Moderation durch das Konsistorium sollte das Mittel der Wahl sein. Damit lag die Verantwortung bei der Sorgfaltspflicht des jeweiligen Theologen und seiner persönlichen Friedfertigkeit. Innerhalb des konfessionellen Gefüges in der Stadt ergab sich durch die Konfliktlösung dennoch eine Verschiebung zugunsten der Universitätstheologie und Franckes. Die Kommission als Vertreterin der Obrigkeit anerkannte Breithaupt und Francke an der Universität und im städtischen Gefüge als nicht heterodox und verlangte diese Bereitschaft auch von der Stadtgeistlichkeit. Sie entschied damit aber den binnenkonfessionellen Streit um die Deutungshoheit über lutherische Identität nur bedingt. Klar war, dass das traditionelle Luthertum der Stadt die Abgrenzung gegenüber den Pietisten nicht mehr wirksam durch den Heterodoxievorwurf vollziehen konnte. Die reformierte Gemeinde profitierte ebenfalls von den Streitigkeiten, denn durch den Abgang Schraders ging der Dom nun in ihre alleinige Nutzung über. Auffällig unauffällig war im gesamten Streitverlauf Breithaupt. Zwar wurde versucht, ihn durch die Erwähnung der Erfurter Streitigkeiten aus der Reserve zu locken, er wurde verhört und zur Widerlegung gezwungen. Dennoch exponierte er sich erheblich weniger als Francke, weder durch besonders schwere Vorwürfe gegenüber der Stadtgeistlichkeit 517 518 519 520

Vgl. „H. D. Breithaupts collegium betreffend“, AFSt/H D92, S. 404–407. Vgl. Brief Nr. 58 Francke an Spener am 26.11.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 227. Vgl. Brief Nr. 60 Francke an Spener am 10.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 233. Brief Nr. 61 Spener an Francke am 13.12.1692, in: Spener: Briefwechsel, S. 237.

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III. Konfessionspolitik und Universität

noch durch eine auf der eigenen Theologie beharrende Argumentation. Insofern kann sein Verhalten im Streitverlauf als eine Demonstration seiner Friedfertigkeit gewertet werden. Breithaupt und Francke markierten in ihrem Konfliktverhalten deutlich die beiden Extrempositionen unter den pietistischen Akteuren zwischen Einfügung in einen innerkonfessionellen Formationsprozess einerseits und schwankender, Radikalpositionen zuneigender Haltung andererseits. 2.2.2. Die Abgrenzung zum Spiritualismus Zwar war der Heterodoxievorwurf gegen Franke und Breithaupt mit der Kommissionsentscheidung vom November 1692 zunächst abgewiesen worden. Jedoch war noch nicht die Gefahr gebannt, die für die alma mater von Studenten ausgehen konnte, die ein nonkonformes Verhalten in Bezug auf die traditionelle Deutung lutherischer Identität zeigten. Dieser Fall trat im Frühjahr 1693 ein und lenkte den Blick erneut auf Francke und Breithaupt. Der Jurastudent Ernst Christoph Hochmann von Hochenau hatte im Februar 1693 begonnen, einen Kreis frommer Studenten um sich zu versammeln, dem auch der Theologiestudent Johann Christian Ernst Machenhauer und Christian Sigismund Sultzberger, der bei Breithaupt wohnte, angehörten. Breithaupt berichtete am 11.3.1693 an Spener, dass Hochmann Anfang März in eine geistliche Ekstase geraten sei, die mit stundenlangem lauten Gebet, öffentlicher Predigt und harter Kritik an der Geistlichkeit einherging. Eine Untersuchung durch das Konsistorium war ebenfalls anberaumt worden.521 Die Unruhe in der Stadt verschärfte sich, nachdem Hochmann und Machenhauer auf der Straße durch Bußrufe aufgefallen waren.522 Da die Angelegenheit durch den Status der Unruhestifter eng mit der Universität verknüpft war, berichtete Samuel Stryk am 4.4.1693 an die Oberkuratoren von Rhetz und von Danckelmann über „Dinge von einigen Studiosi Theologiae vorgenommen worden, welche sonder Zweiffel dieser angehenden Universität einen merklichen Stoß geben werden“.523 Stryk hatte deshalb sofort mit Breithaupt und Francke konferiert und diesen die Problemlage verdeutlicht, allerdings eine unbefriedigende Antwort erhalten: „Ich bekam aber zur Antwort, daß man in dieser Sache gar behutsam vorgehen müßte, eß mehr ein casus extraordinarius […], solches käme aus dem statu, welche man die geistliche Trunkenheit nennete, versprachen aber doch dabey, ihnen zuzureden.“524

Breithaupt und Francke versuchten offensichtlich, die Angelegenheit und ihren möglichen Anteil daran oder Einfluss darauf möglichst gering zu halten, um nicht erneut im Mittelpunkt eines Konflikts zu stehen. Hier wird insbesondere für Francke eine neue 521

522 523

524

Vgl. Breithaupt an Spener am 11.3.1693, AFSt/H D66, Bl. 191r–192v. Im Verhör durch Stisser hatte Hochmann diesem seine Laster vorgehalten. Vgl. Breithaupt an Spener am 25.3.1693, AFSt/H D88, Bl. 62v–63r. Stryk an die Oberkuratoren am 4.4.1693 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693– 1708), Bl. 703r. Ebd.

2. Umkämpfte Identität

215

Grundhaltung deutlich, nämlich die beginnende Distanzierung von problematischen Personen unter den pietistischen Akteuren.525 Das Ziel Stryks mit seinem Brief an die Oberkuratoren war es, sich abzusichern, indem er das Problem „dero hohen arbitrio überlassend, wie diesem allen zu begegnen, damit das sonst sehr nötige studium pietatis nicht gar auff Enthusiasterey bey unseren Studiosis Theologiae ausschlagen möge.“526

Stryk als Direktor der Universität verfolgte demzufolge eine andere Strategie als Breithaupt und Francke, was den Schutz der Universität und damit seiner eigenen Person betraf. Er erwartete rasche Maßnahmen und kein Aussitzen des Problems. Dies geschah gerade noch rechtzeitig, da am 8.4.1693 eine Eingabe des Stadtministeriums an den Kurfürsten – in den vorausgegangenen Konflikten hatte man gelernt, wohin man sich wenden musste – mit der Forderung, Francke und Breithaupt, die als die Impulsgeber für die Studenten bewertet wurden, dazu zu bewegen, ihre Zuhörer öffentlich abzumahnen, und eine Untersuchung der Vorgänge einzuleiten. Dabei benutzten die Stadtgeistlichen die Formel vom Wohl oder Nicht-Wohl der Universität, denn die Folgen für diese seien „fürchterlich“.527 Folgerichtig wurde Sultzberger am 1.5.1693 von einer Kommission, bestehend aus von Jena, Stryk und Olearius, verhört. Er erklärte u.a., dass er zusammen mit Hochmann an einem Abendmahl im Hause Petersen teilgenommen528 und ansonsten nur geistige Mahle im engsten Kreis eingenommen habe529 und wurde im Anschluss ebenso wie Hochmann arretiert. In den Berichten der Untersuchungskommission vom 2.5.1693 nach Berlin spielte das Abendmahlsverhalten folgerichtig eine zentrale Rolle.530 Die Tumulte um die Studenten waren nicht nur wegen der Ähnlichkeit mit der Spaltung unter den Pietisten in Frankfurt ausgehend von der Verweigerung des Abendmahls und der Separierung um Johann Jakob Schütz531 und Christian Fende in den 1680er Jahren, gefährlich. Vor allem wegen der Koinzidenz mit dem Auftauchen einer scharfen anti-pietistischen, auf Johann Benedikt Carpzov zurückzuführenden Schrift, der Außfuehrliche[n] Beschreibung Des unfugs, Welchen Die Pietisten zu Halberstadt im 525 526

527

528

529 530

531

Vgl. Albrecht-Birkner / Sträter: Radikale Phase, S. 78. Stryk an die Oberkuratoren am 4.4.1693 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693– 1708), Bl. 703r. Supplik des Stadtministeriums an den Kurfürsten am 8.4.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693–1708), Bl. 691v. Vgl. Bericht Ludwig Gebhard Krauts am 1.5.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693– 1708), Bl. 719r. Vgl. ebd., Bl. 721r. Vgl. Bericht der Kommission am 2.5.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693–1708), Bl. 724v–726r. Auch Breithaupt hatte Sultzbergers Verhalten wegen der Enthaltung vom Sakrament als problematischer und deshalb prioritär zu behandeln herausgestellt; vgl. Breithaupt an Spener am 19.5.1693, AFSt/H D66, Bl. 193r. Zu Schütz und der Frankfurter Separation vgl. Deppermann, Andreas: Johann Jakob Schütz und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 2002 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 119), S. 180–190.

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III. Konfessionspolitik und Universität

Monat Decembri 1692. ümb die heilige Weynachts-Zeit gestifftet,532 die durch die argumentative Verbindung mit Thomas Müntzer und dem Münsteraner Täufertum den Sektenvorwurf gegen die pietistischen Akteure erhob533 und unter anderem Spener zu einer gründlichen Widerlegung zwang,534 stellten sie ein Risiko dar. Die Schrift polemisierte: „Hat iemals der Teufel seine tausendkünstigen Rencke in Ausbreitung verderblicher Irrthümer, Ketzereyen, Rotten und Secten gebrauchet, So hat ers ietzt erwiesen, indem kein Evangelischer Ort fast übrig, an welchem dieses Pietistische Geschmeiß und Ungeziefer nicht umbherkrieche.“535

Indem hier der Sektenvorwurf gegenüber den Pietisten erhoben wurde und Personen aus dem weiteren Umkreis – Theologiestudenten Breithaupts und Predigthörer Frankkes – ein Verhalten zeigten, welches damit assoziiert wurde, nämlich Spiritualismus in Verbindung mit extremer Bußtheologie, Ekstasen und Enthaltung von den Sakramenten, und diese Personen zudem Universitätsmitglieder waren, bestand die große Gefahr einer Übertragung des Sektenvorwurfs auf die Universität.536 Für die Obrigkeit mussten Namen wie ‚Wiedertäufer’, ‚Müntzer’ und ‚Münster’ „Signalwörter“ sein, „die neue pietistische Bewegung zu beobachten und falls nötig gegen diese mit obrigkeitlichen Maßnahmen vorzugehen.“537 Denn nicht nur die pietistischen Akteure, sondern auch die Universität 532

533 534

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537

Vgl. [Carpzov, Johann Benedikt]: Außfuehrliche Beschreibung Des unfugs, Welchen Die Pietisten zu Halberstadt im Monat Decembri 1692. ümb die heilige Weynachts-Zeit gestifftet. Dabey zugleich von dem Pietistischen Wesen in gemein etwas gruendliche gehandelt wird, [s.l.] 1693. Vgl. ebd., S. A2v. Vgl. zum Konfliktverhältnis zwischen Carpzov und Spener Koch, Ernst: Johann Benedikt Carpzov und Philipp Jakob Spener. Zur Geschichte einer erbitterten Gegnerschaft, in: Michel, Stefan / Straßberger, Andreas (Hgg.): Eruditio – Confessio – Pietas. Kontinuität und Wandel in der lutherischen Konfessionskultur am Ende des 17. Jahrhunderts. Das Beispiel Johann Benedikt Carpzovs (1639–1699), Leipzig 2009 (Leucorea Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 12), S. 161–182. [Carpzov]: Außfuehrliche Beschreibung, S. A2r. Am 10.7.1693 wurde ein Verhör des nach Halle kommenden Vertreters der Lanckischen Buchhandlung angeordnet; vgl. Edikt am 10.7.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693– 1708), Bl. 736r. Der Wortlaut des Edikts entspricht passagenweise einem Brief Speners vom 7.7.1693 an einen unbekannten Adressaten, der Anrede nach („Hoher Patron“) an einen Geheimen Rat, womöglich Speners bisheriger Kontaktmann von Meinders. Er, Spener, habe aus Leipzig Berichte über die Lanckische Buchhandlung im Zusammenhang mit dem Druck der Außfuehrlichen Beschreibung empfangen (Ob der Informant Rechenberg war, war auf Nachfrage von der Spener-Arbeitsstelle in Halle bisher nicht zu klären.), und er leite die Bitte weiter, der Vertreter der Buchhandlung solle in Halle arretiert und über den bis dato anonymen Autor der Schrift befragt werden. Was ihn selbst, Spener, anginge, sei es ihm egal, ob der Autor justiziabel ausgemacht würde, weil er den Text schon auf Carpzov zurückgeführt habe und er eben „einem unbekannten antworte“ (Bl. 737v); vgl. Spener an einen Unbekannten am 7.7.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N7 (1693–1708), Bl. 737r–737v. Die Außfuehrliche Beschreibung wurde am 20.2.1694 in Brandenburg-Preußen verboten; vgl. Edikt am 20.2.1694 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 192r. Schuster, Susanne: Johann Benedikt Carpzov und August Hermann Francke: „Orthodoxe und „pietistische“ Grenzziehungen im Zusammenhang der „Leipziger Unruhen“, in: Michel / Straßberger: Eruditio, S. 197.

2. Umkämpfte Identität

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stünde dann in der Wahrnehmung des traditionellen Luthertums außerhalb dessen, was sich mit der traditionellen Deutung lutherischer Identität vereinbaren ließ. Dies illustriert, warum Breithaupt und v.a. Stryk bereits sehr früh alarmiert waren. Auch Speners Rat an Francke und Breithaupt, eine Schrift an die Kommission zum Beweis ihrer Unschuld abzufertigen, ist aus dem Antrieb heraus zu verstehen, sich endlich aktiv zu distanzieren.538 Die Angelegenheit wurde noch verschärft, als es um den 24.5.1693 zu Tumulten in der Moritzkirche kam, die von einem Ausgreifen des enthusiastischen Verhaltens zeugten. Ein bisher Unbekannter namens Johann Heinrich Siegfried hatte den Prediger Christian Nicolai während seiner Predigt mit dem Vorwurf, ein Falschprophet zu sein, unterbrochen. Als er ankündigte, das Reich des Teufels zerstören zu wollen, entstand Chaos, und Siegfried wurde letztendlich auf dem Rathaus gefangengesetzt.539 Francke benannte die Gefahr für sich und Breithaupt: „Der Mensch, der dem Nicolai widersprochen, heißet Siegfried, wir haben niemals von ihm etwas weder gesehen noch gehöret, doch soll es nun heißen er sey von Br[eithaupt] und Fr[ancke] also instigiret und informiret.“540

Die Berechtigung von Speners Rat zu einer Gegendarstellung zeigte sich in der Tatsache, dass die Angelegenheit dezidiert mit den Pietisten assoziiert und indirekt in Verbindung mit den Vorgängen von 1692 gesetzt wurde: „Die hiesigen Pietisten hören nicht auf zu schwärmen“,541 beginnt die anonyme Zusammenfassung der Vorgänge in der Moritzkirche. Breithaupt und Francke hielten sich jedoch mit Stellungnahmen zurück und ließen den Entscheidungen in Berlin ihren Lauf: Schon am 23.5.1693 mit Eingang in Halle am 27.5.1693 erfolgte die Relegation der Studenten von der Universität und der Landesverweis.542 Eine erneute Forderung des Stadtministeriums vom 20.8.1693, Francke und Breithaupt möchten die falschen Lehren der spiritualistischen Studenten doch öffentlich benennen und verwerfen,543 wurde am 8.10.1693 mit dem Hinweis, solches sei bereits geschehen und die Studenten hätten die Stadt verlassen, abschlägig beschieden.544 Hierin kann die Erfüllung einer Schutzfunktion gegenüber den Professoren gesehen werden. Ebenso konsequent, nur in umgekehrter Richtung, wurde eine Forderung der Universitätsmitglieder für die Übertragung der Jurisdiktion in kirchlichen Fragen über Studenten auf die Professoren am 10.8.1693 abgelehnt, die als ein Versuch zu bewerten ist, in ähnlich problematischen Situationen wie der um Hochenau und Sultzberger die Stadt, aber 538 539 540 541 542 543

544

Vgl. Brief Nr. 82 Spener an Francke am 20.5.1693, in: Spener: Briefwechsel, S. 307. Vgl. Schreiben (anonym) aus Halle am 23.5.1693, AFSt/ H D74, S. 303f. Brief Nr. 83 Francke an Spener am 24.5.1693, in: Spener: Briefwechsel, S. 311. Schreiben (anonym) aus Halle am 23.5.1693, AFSt/ H D74, S. 303. Vgl. Edikt am 23.5.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N 7 (1693–1708), Bl. 732r–733v. Vgl. Stadtministerium an den Kurfürsten am 20.8.1693, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 327r–328r. Vgl. Reskript des Kurfürsten am 8.10.1693 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531– 1699), Bl. 326r.

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III. Konfessionspolitik und Universität

auch den Kurfürsten möglichst nicht in das Verfahren involviert zu wissen.545 Die Devise Berlins war es, die gerade hergestellte Ruhe an der Universität nicht durch eine neuerliche Aufwärmung der Vorfälle in Gefahr zu bringen und sich von hallischen Protagonisten die Entscheidungsgewalt abnehmen zu lassen. Eine besondere Förderung der als pietistisch geltenden Professoren Francke und Breithaupt über den reinen Schutz hinaus lässt sich in der Haltung der Regierung noch nicht erkennen. 2.2.3. Der Umgang mit konfessionellen Codes in den Universitätsstatuten Die Rechtgläubigkeit in Halle war nicht nur von radikalen Segmenten bzw. dem Vorwurf der Radikalität bedroht, sondern nach Meinung des aus Jena nach Halle berufenen Theologen Johann Wilhelm Baier auch durch die binnenkonfessionelle Pluralität der Universitätstheologie. Bevor Baier in Halle eintraf, verlieh er seinen schweren Zweifeln an der Rechtgläubigkeit der neuen theologischen Fakultät, die sich auf seine Person auswirken könnten, in einem an den Kurfürsten gerichteten Brief aus Lauchstädt am 9.6.1694 Ausdruck. Sein Skrupel beim Wechsel nach Halle sei es, „ob die Theologische Facultät, auf die Lutherische Religion, allein und beständig, fundiret, auch mir, der ich der formulae concordiae, mit Pflichten verbunden, die freyheit des elenchi nominalis & doctrinalis, in docendo, disputando & scribendo gelassen, auch ich, wider alle Besorgnis, dabey geschützet werden würde“.546

Die Lösung des Problems ergab sich für Baier durch zwei Forderungen in Bezug auf die neu zu errichtenden Statuten der theologischen Fakultät im Rahmen der neuen Universitätsstatuten. Zum einen ging es um die Frage, welcher Bestand an Bekenntnissen und Bekenntnisschriften an der hallischen Universität gelten sollte: „Dannenhero ich allerdings, nöthig zu seyn, erachte, […], ob nicht die Theologische Facultät, bald anfangs durch ordentliche statuta, an eine sichere und zulängliche normam und eompendiariam [sic!] formam doctrinae, zu weisen und zu verbinden [sei], dergestalt, daß zwar zuförderst die heil. Schrifft Alten und Neuen Testaments, zu einer norma und Richtschnur gesetzt, zugleich aber die Haupt-Symbola, das Apostolische, Nycenische und Athanasianische, die anno 1530, den 25. Junii, Kayser Carl dem Fünfftem übergebene, Augsburgische Confeßion, wie auch andere übrige, im Herzogthum Magdeburg, einmahl angenommene symbola und confessiones derLutherischen Kirchen, worinnen die, nach der heiligen Schrift, zu lehren, nöthige Stücke deutlich erkläret, mit Auschliessung, aller anderen, dawider lauffenden, dogmatum und Meynungen, denen professoribus theologiae anbefohlen werde“.547

Baiers Aufzählung der verschiedenen Codes resultierte aus seinen Befürchtungen um den offiziellen traditionell-lutherischen Bestand des Herzogtums, zu dessen Veränderung er nicht bereit war, seine Person zur Verfügung zu stellen. Durch die Hintertür der im Herzogtum „einmahl angenommene[n] symbola und confessiones“ führte Baier auch die FC 545

546 547

Vgl. Reskript vom 10.8.1693 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), Nr. 35. Von Ludewig: Historie, S. 67, Anm. Ebd., S. 68, Anm.

2. Umkämpfte Identität

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in die Statuten und damit in die Ausbildung der Theologen ein, ein Vorgang von konfessionspolitischer Brisanz, denn in der Kirchenordnung Magdeburgs von 1685 wurde sie nicht genannt. Darüber hinaus verlangte Baier eine Entfernung von Theologen, die sich nicht an diese hergebrachten Grundlagen hielten: „Wer aber nicht zu obgedachten, in der Magdeburgischen Kirchenordnung, ernenneten, libris symbolicis, mit Hertz und Mund, sich bekennet und anderen fremden opinionibus renunciiret, soll, in das collegium der Theologischen Facultät, nicht recipiret noch darinnen geduldet werden.“548

Sowohl mit Blick auf den in Halle lehrenden Kollegen Breithaupt, dem dort der Perfektionismusvorwurf als Verstoß gegen CA invariata 4 (Von der Rechtfertigung) bereits gemacht wurde, als auch auf möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt installierte reformierte Fakultätskollegen nach Frankfurter Vorbild war Baiers Vorschlag hochproblematisch. Dass dieser die FC allerdings nur verklausuliert ansprach, zeigte, dass er das Problem erkannt hatte. In den Akten ist der von Baier im Anschluss an den Brief verfasste Vorschlag für die Statuten549 leider nicht nachweisbar. In Berlin wurde der Baiersche Vorschlag für die Statuten durch den Oberkurator von Rhetz dem reformierten Hofprediger Benjamin Ursinus vorgelegt.550 Nur aus Ursinus’ Anmerkungen können die Baiersche Variante einigermaßen rekonstruiert und Aussagen über ihr Zustandekommen getroffen werden. Ursinus erkannte die Brisanz der Baierschen Forderungen klar und warnte davor, bei den reformierten Untertanen Bitterkeit angesichts zu vieler Zugeständnisse gegenüber den Lutheranern auszulösen.551 Der Vorschlag Baiers sei nur dazu gemacht worden, „die reformierten zu intimidiren, daß sie zu Halle keinen Reformierten Professor Theologiae verlangen sollen“.552 Beigelegt hatte der Hofprediger eine ausführliche Stellungnahme, die sehr genau das Verhältnis der Konfessionen im Angesicht des „mir communicierten Project der Statutorum Facultatis Theologiae Academiae Fridericianae Hallensis, welche H. D. Bayer aufgesetzet, und H. D. Breithaupt dabei auff seine meinung gezogen“553 548 549

550

551 552

553

Ebd. Angeblich im Beisein von Stryk in Lauchstädt verfasst, vgl. „Notata auff die Articulos Facultat Theologiae zu Hall“ vom 16.9.1694, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 1r– 10v + 2 Bl. unpag., hier: Bl. 9r. Vgl. Ursinus an einen Unbekannten am 30.8.1694, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686– 1698), Bl. 11r. Von Rhetz als Oberkurator hatte folgerichtig den Vorschlag für die Statuten weitergeleitet. Ursinus wandte sich jetzt wiederum mit seinen Anmerkungen an einen „Hochwohlgeborenen Herrn“ und „Ew. Excell.“. Man kann dahinter entweder den zweiten Oberkurator von Danckelmann, wahrscheinlicher aber noch den Vertreter von Rhetz, der erkrankt war, von Fuchs vermuten, da Ursinus den Behördenweg zurückgehen musste und die Sache nicht einem anderen Rat oder Hofprediger angedeihen lassen konnte. Vgl. ebd., Bl. 18r; vgl. dazu auch Albrecht-Birkner: Der Berliner Hof, S. 110. Ursinus an einen Unbekannten am 30.8.1694, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686– 1698), Bl. 11v. „Notata auff die Articulos Facultat Theologiae zu Hall“ vom 16.9.1694, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 1r.

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III. Konfessionspolitik und Universität

reflektierte. Diese Überschrift erlaubt den Rückschluss, dass der eingesandte Vorschlag Baiers von Breithaupt geprüft, vielleicht auch kommentiert worden war, zumindest nahm Ursinus dies an. Im weiteren Textverlauf wird allerdings ausschließlich Baier als Urheber benannt, Breithaupts Name fällt nicht noch einmal. Man kann das vorsichtig als ein Indiz deuten, dass Ursinus eine unterschiedliche Einschätzung der transkonfessionellen Qualitäten Baiers und Breithaupts vornahm. Ebenfalls nicht zu verifizieren ist die Bemerkung, Baier hätte die private Meinung Christian Friedrich von Krauts für seinen Vorschlag genutzt: „Daß man eod. monito des H. Cammer Rath Krauten privatmeinung und guttüncken für ein Churfürstl. Rescript anzeucht [anzieht], als wenn dadurch obgemelter alles H. D. Bayern also einzurichten zugestanden, da doch Vielleicht S. Churfl. Durchl. noch auch dero Hn. Ministri und Ober-Curatores dieser Universität nichts davon wißen oder erfahren haben mögen.“554

Die gesamte Argumentation ist durch die Nennung der entsprechenden Paragraphen an den Vorschlag aus Halle angebunden, der als Quelle nicht vorliegt. Daneben wird auch Baiers Brief vom 9.6.1694 erwähnt.555 Auf mehr als zehn Blatt geht es um die geforderte Wiedereinführung der FC in den Statuten, die demnach im Vorschlag ebenfalls eine prominente Rolle über Baiers versteckte briefliche Andeutung hinaus gespielt haben musste. 1694 war diese Bekenntnisschrift noch immer der formale Gradmesser für das Verhältnis und die Abgrenzung der beiden protestantischen Konfessionen, an der beide Seiten sich gleichermaßen abarbeiteten. Ursinus sah aber bereits durch die geforderte Festschreibung der CA invariata von 1530 den alten Streit um die Varianten dieses Bekenntnisses wiederbelebt,556 die Reformierten verketzert und dem Kurfürsten in der Besetzungspolitik die Hände durch den faktischen Ausschluss der Reformierten und die Entlassung von Fakultätsmitgliedern, die gegen Bekenntnisgrundlagen verstießen, gebunden.557 Im Anschluss reflektierte er ausführlich den Umgang mit der FC in Brandenburg-Preußen seit 1614,558 um zu dem Schluss zu kommen, dass bei einer Einführung der FC in die Statuten „Se. Churfürstl. Durchl. alle dero Edicta vorher auffgeben [müsten], oder wenigst illudiren, und nach eines jeden belieben und passionem, kränken und beschimpfen laßen“.559 Für den Berliner Hofprediger war es eine Unmöglichkeit, die FC ausgerechnet durch einen reformierten Fürsten zu festigen,560 da man so die alten Streitereien wiederbeleben 554

555 556 557 558 559 560

Ebd., Bl. 2v. Möglicherweise war von Kraut in seinen Aufbaubemühungen erneut zu weit vorgeprescht, oder aber Baier hatten dessen Aussagen, ob bewusst oder unbewusst, fehlinterpretiert. In einem erwähnten Schreiben von Krauts an Stryk im Umfeld der Baier-Berufung hätte von Kraut allerdings die FC nicht besonders reflektiert; vgl. ebd, Bl. 9r. Vgl. ebd., Bl. 1v. Vgl. ebd., Bl. 1r. Vgl. ebd., Bl. 1v- 2v. Vgl. ebd., Bl. 3r–4v. Ebd., Bl. 5r. „Wie kann nun diese Vielgemeldte Formula Concordiae bey der Theologischen Facultät zu Halle durch eines Reformierten Churfürsten Autorität wieder eingeführet, etabliert, und gleichsam auff den Thron gesetzet werden?“ Ebd., Bl. 5v.

2. Umkämpfte Identität

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und aufgrund des Polemisierens gegen die Reformierten entlassenen lutherischen Predigern eine Beschwerdemöglichkeit offerieren würde. Die moderaten Theologen müssten sich verbergen, Lutheraner dürften keine Neigung zum Reformiertentum erkennen lassen, und es würde für Konsistorien kein Mittel gegen Polemik geben, da die FC Verdammungen ausdrücklich enthielte.561 Dazu käme als längerfristige Wirkung, „daß die Jugend in dergleichen bitterkeit gezogen und der lieben Posterität in diesen und andern Landen solcher gestalt, alle Hoffnung zu einem Christl. Kirchen Frieden zwischen den Evangelischen gäntzlich abgeschnitten würde, und dieses sollte alles von einem Reformierten, Gottseligen und recht exemplarisch Christlichen Churfürsten von Brandenburg Herrn Friedrich dem Dritten geschehen und herstammen?“562

Es wiederholt sich das bekannte Motiv vom Umgang mit der FC als friedens- bzw. unruhestiftender Grenze zwischen den Konfessionen, je nach Standpunkt zur Identitätsbeharrung oder -umprägung. Ursinus stellte die Rolle der Universitäten für die Konfessionspolitik noch einmal heraus, indem er mit viel Ironie meinte: „Wenn auch Se. Churfürstl. Durchl. das Zanken, Verketzern und Verdammen nach der Formula Concordiae hätten mehr etablieren wollen, wäre zu Halle keine friedliebende Universität zu stifften nöthig gewesen, man hätte nur Wittenberg in beßern Flor bringen helffen dörffen, und die daher kommenden Zeloten, wie sie in den Churfürstl. Edictis benannt werden, befördern und aufrischen mögen.“563

Baier, dem angesichts der Gnade des Kurfürsten, ihn nach Halle zu holen und dort alimentieren zu wollen, nun undankbaren Professor,564 kontrastierte Ursinus am Schluss des Schriftstücks „andere Gottesfürchtige, Christliche, fromme, friedliebende, Lutherische Theologos“, „die nicht unter dem bloßen schein einer affectirten moderation bey dem Pöbel oder andern passionirten und friedhäßigen Theologen […] nur den ruhm eines sonderbahren eyffers suchen, sondern vielmehr Gottes Ehre, und gemeiner Erbauung im Christenthumb von Hertzen Verlangen zu befordern.“565

In der Wahrnehmung Ursinus’ hatte Baier sich dementsprechend ins Aus manövriert. Inwieweit möglicherweise Breithaupt als Antipode wahrgenommen und mit den frommen und friedliebenden Theologen assoziiert wurde, bleibt auch hier offen, es gilt lediglich das Indiz der fehlenden Kritik an Breithaupt. Die konkreten Änderungsvorschläge von Ursinus am Text der Statuten fielen im Vergleich mit seinem ausführlichen Bedenken kürzer aus. Vor allem kaprizierte er sich erwartungsgemäß auf den Bekenntnisstand und schlug die Nennung der unbestimmten „Confessio Augustana imperatori Carolo V. exhibita“566 vor. Dem folgte der Statutentext 561 562 563 564 565 566

Vgl. ebd., Bl. 5r–6v. Ebd., Bl. 6r–6v. Ebd., Bl. 8v–9r. Ebd., Bl. 7r–7v. Ebd., Bl. unpag nach Bl. 10v. „Unmaßgebliche Erinnerungen wie das Project Statutorum Facultat Theolog. Hallensis, so Herr D.

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III. Konfessionspolitik und Universität

später nicht, sondern konkretisierte „Confessio Ao. 1530 Imperatori Carolo Vto Augustae exhibita“567. Die FC hingegen war in den offiziellen Statuten nicht enthalten. Dass diese allerdings ohne Ursinus’ Gegenreaktion hätte Eingang finden können, ist aufgrund der bisher aufgezeigten Konfessionspolitik im Herzogtum, die die FC ausgeschlossen hatte, auch nicht vorstellbar. Ursinus’ Reaktion war vielleicht überzogen, markierte aber den schlechten Stand der Annäherung zwischen den Konfessionen ebenso deutlich wie Baiers Skrupel. Letztendlich währte Baiers Wirken in Halle nicht lange. Der Konflikt um die Statuten und ein latentes Konkurrenzverhältnis mit Breithaupt, der immerhin knapp zweieinhalb Jahre allein in Halle gewirkt hatte und nun mit Baier einen Primarius, der auch noch Prorektor wurde, vorgesetzt bekam, führten zu Baiers raschem Abschied, um in Weimar Generalsuperintendent zu werden.568 Zu den Auseinandersetzungen um die Statuten kam für Baier noch ein Konflikt mit Thomasius um dessen Verteidigung Pierre Poirets.569 Im Ergebnis hatte man sich in Berlin bei der Berufung Baiers verkalkuliert, der abseits Wittenbergs stehende traditionelle Lutheraner hatte sich als traditionsverhafteter erwiesen als gedacht. Als Baier Halle Anfang 1695 verlassen hatte, fand man für die offene Stelle an der theologischen Fakultät den ehemaligen Rochlitzer Superintendenten und Eisenacher Hofprediger Paul Anton. Seit einer Studienreise nach Hessen 1681 stand er in Kontakt mit Spener, dem er als Hofprediger 1687 in Dresden wieder begegnet war, wenn auch nur kurz, da er mit dem sächsischen Kurprinzen Friedrich August ab Mai 1687 auf Bildungsreise nach Frankreich, Spanien, Portugal und Italien ging. Seine Studien in Leipzig und die Tätigkeit im collegium philobiblicum, dessen Mitgründer er gewesen war, hatte er dafür ausgesetzt. Nach seiner Rückkehr 1689 war ihm die Superintendentur im mittelsächsischen Rochlitz übertragen worden, vor deren Antritt im November des Jahres standen jedoch noch die Erlangung des Lizentiats in Leipzig und die Wiederaufnahme des collegium. Mit Antritt des Superintendentenamts entzog er sich im November desselben Jahres erfolgreich den Leipziger Unruhen. Eine Fortsetzung der Karriere erfolgte 1692 mit

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Bayer und H. D. Breithaupt, collegialiter eingeschickt, zu endern wäre.“, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N 3a (1686–1698), Bl. 19r. Hier werden Baier und Breithaupt analog zum Titel der Notata wieder zusammen genannt. Statuten der theologischen Fakultät am 1.7.1694, abgedruckt bei Schrader: Geschichte, Bd. 2, S. 398–408, hier: S. 399. Von Ludewig beschreibt die Situation an der theologischen Fakultät als gespalten: „Einige [Studenten] hiengen D. Breithaupten an; welcher die Einkünffte des seminarii in Händen und deswegen manchen Gutes thun konnte: andere hingegen hielten sich schlechterdinges an D. Beiern, mit dessen Lehren und Zeugniß sie, durch die gantze Evangelische Christenheit, zurechte kommen möchten. Diejenige, welche auf beyden Achseln tragen wollten, fuhren am übelsten dabey, weil sie von beyden verlassen wurden. Und in der That wurde, bey dieser Zerstreuung der Gemüther, viel Gutes gehindert. Besonders, da die Studenten, welche nicht fromm werden wollten, bey D. Beiern, Schutz sucheten; aber deswegen nicht funden; weil dieser, mit Mund und Hand, so vielfältig bezeuget: daß ein reiner theologus, in der Lehre so wohl; als in dem Leben, sich unbeflecket halten müßte.“ Von Ludewig: Historie, S. 69. Vgl. Kapitel IV. 2.1.

2. Umkämpfte Identität

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dem Wechsel nach Eisenach als Hofprediger und Konsistorialrat. Sehr wahrscheinlich ist es, dass Spener seinen Namen in Berlin ins Spiel gebracht hatte.570 Anton war durch seine Kontakte und das collegium philobiblicum einerseits mit den Zielsetzungen und Methoden spenerscher Prägung vertraut.571 Andererseits war er aufgrund seines bisherigen Lebenslaufs vonseiten der traditionell-lutherischen Geistlichkeit weniger angreifbar als Breithaupt und vor allem als Francke. In Berlin galt er als einer der „capablen gelehrten und moderaten“572 Theologen, über dessen Ruf man sich aber nach dem Desaster mit Baier noch einmal genau unterrichten wollte, bevor man ihn zum Mitglied der Fakultät ernannte. Informationen holten die Oberkuratoren beim reformierten Hofprediger in Halle, Jakob Merchier, ein, der aufgefordert wurde, ein Votum nach Berlin einzusenden, welches aber keinesfalls öffentlich bekannt werden sollte: „So verlangen höchstgedachte Se. Churfürstl. Durchl. von demselben Nachricht, Ob ihm besagter Mann bekand, und waß von seiner conduite ihme bewußt sey? Wir ersuchen darumb den Herrn Hofprediger unß solches förderlichst in geheim zu eröfnen.“573 Merchier antwortete am 25.5.1695 mit einem ausgesprochen positiven Votum. Er habe Anton als Reiseprediger in Frankreich kennengelernt574 und an ihm „eine feine erudition, ein gutes judicium so der Theologischen materien wichtigkeit zu unterscheiden wuste, eine Christl. moderation, ein gutherziges mitleiden gegen unsere dort verfolgete glaubens-genoßen, und sonst so viel ich habe urtheilen können, eine auffrichtige frömmigkeit gefunden.“575

Merchier habe Anton vor drei Jahren in Halle erneut gesprochen und Anton sich dabei unverändert gezeigt, hingegen der Domprediger zu dessen Fähigkeit „im Dociren, sonderlich in cathedra Academia aber nichts eigentliches zu sagen weis.“576 Für die vorherige Empfehlung durch Spener spricht, dass die Oberkuratoren über den Berliner Propst bei Anton vorfühlen ließen, inwieweit dieser gewillt war, nach Brandenburg-Preußen zu wechseln.577 Am 21.6.1695 berichtet Spener gegenüber von Rhetz und von Danckelmann von Antons positiver Entscheidung.578 570 571

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Vgl. Herzog, Johann Jakob: Art. „Anton, Paul“, in: ADB 1 (1875), S. 498. Anton hatte außerdem auf dieAngriffe der Außfuehrlichen Beschreibung mit einem Ausführlicher[n] Bericht an den Durchlauchtigsten Fuersten und Herrn Johann Georgen zu Sachsen reagiert und seine Rechtgläubigkeit herausgestellt. Von Rhetz an Jakob Merchier am 20.5.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 263r. Ebd., Bl. 263v. Merchier an die Oberkuratoren am 25.5.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686– 1698), Bl. 319r. Ebd., Bl. 319v. Ebd., Bl. 320r. Vgl. Spener an die Oberkuratoren am 21.6.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686– 1698), Bl. 317r–318v; vgl. auch Spener an die Oberkuratoren am 25.7.1695, GStA, I. HA, Rep. 52, Nr. 158 N3a, Bl. 321r–321v. Anton habe erklärt: „‚Nunmehro bin ich in meinem gemüth nach fleißigem gebet und gutem rath so weit gekommen, daß dafern von S. Churf. Durchlaucht eine ordenliche[?] vocation zur secunda

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III. Konfessionspolitik und Universität

Zur Beschleunigung erbat Anton sich ein Schreiben des Kurfürsten an seinen bisherigen Dienstherrn, auch um die hallische Vakanz nicht noch länger bestehen zu lassen.579 Darüber hinaus, so jetzt Spener, erbäte Anton sich dieselbe Besoldung und dieselben Ämter wie zuvor Baier: „Die art und weise, wie er gleich den vorigen professoribus vocirt zu werden hoffet, bestehet in dem, das er zu gleicher besoldung (die H D. Beyer auch gehabt.) und zur Consistorialstelle beruffen würde. Das erste hoffe ohne das EE. EExxcc. gütige intention zusein, soviel mehr weil in Halle mit geringerem ohne schwehre schulden nicht zuleben wäre, er auch ohne das bereits in Eisenach mehr zeitliche intraden hat, als er in Halle auch mit solcher condition hoffen kan: Das andre sehe auch in gutem Vertrauen leicht von S. Churf. Durchlaucht ihm gnädigst mitgegönnet zuwerden, nach dem er bereits in Consistorialibus wol geübet, und also auch darinnen sein pfund nicht ohne nutzen zu beforderung des guten anzuwenden gelegenheit bekäme.“580

Am 30.6.1695 erging in Berlin die Bestallung Antons zum zweiten Professor für Theologie in Halle mit Baiers Einkünften,581 demzufolge Breithaupt zum Primarius aufrückte, desgleichen erfolgte die Bestallung zum Konsistorialrat.582 Berlins Begehrlichkeit an Anton zeigte sich auch daran, dass ihm nach seinem Umzug vom 13.9.1695 sowohl die Marinegelder erlassen583 als auch die Umzugskosten, wenn auch mit Verzögerung,584 erstattet wurden.585 Auffällig an der Anton-Berufung war außerdem, dass der bisher oft als Zuträger in Erscheinung getretene Christian Friedrich von Kraut keine Rolle spielte. Ob dies mit seinem von Ursinus kritisierten Verhalten bei der Baier-Berufung zusammenhing oder eine Spätwirkung seiner Bemühungen von 1692, Francke zu entfernen, war, kann hier nicht geklärt werden. Jedenfalls gingen die Oberkuratoren im Fall Antons sehr sorg-

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profess. theologica auff der Fridericiana auff solche art und weise, wie bißher die professores theologiae daselbs gnädigst vociret worden, mir zukommen solte, ich solche im nahmen Gottes gehorsamst annehmen, und bey meiner ietzigen Hochfürstlichen Herrschafft um gnädigste dimission unterthänigst ansuchen, auch auff deroselben erhaltung mich ungesäumt zu denen neuen amts verrichtungen einstellen wolle.’“ Spener an die Oberkuratoren am 21.6.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 317r–317v. Anton hatte Spener geschrieben: „‚Da denen Hochverordneten(?) Ober-Curatoribus Academiae ichs zu bedencken anheim gebe, ob zu facilitirung und beschleünigung derer zusuchenden dimission (weil sonderlich in dem schreiben ein baldiger anzug von mir verlangt worden) von Churf. Brandenburg. seiten um dimissoriales an meins gnäd. Herrn Hertzog Joh. Georgen Hochf. Durchlaucht zuschreiben thunlich.’“ Ebd., Bl. 317v. Spener an die Oberkuratoren am 21.6.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 317v–318r. Vgl. Bestallung Paul Anton zum Professor für Theologie am 30.6.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 302r–303r. Vgl. ebd., Bl. 304r–305r. Vgl. Oberkuratoren an Anton am 31.12.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 314r. Vgl. Anton an die Oberkuratoren am 26.5.1696, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686– 1698), Bl. 76r–77v. Vgl. Oberkuratoren an Anton am 31.12.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 315r.

2. Umkämpfte Identität

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fältig vor. Das Wort Speners, wenn es denn eine Rolle gespielt hat und er nicht nur auf die Mittlerfigur reduziert werden darf, reichte nicht aus, sondern die reformierten Netzwerke wurden abgerufen. Letztendlich mag man es Ironie nennen: Für die voll-pietistische Besetzung der Fridericiana war nicht das kirchenreformerisch-kritische Potential der Pietisten relevant, sondern ihre vermutete irenische Haltung gegenüber den Reformierten und die damit verbundene Verstärkung der binnenkonfessionellen Pluralität im Luthertum des Herzogtums. Bei der Etablierung der Pietisten an der Universität waren reformierte Hofprediger federführend. 2.2.4. Die Eingriffe in die Ritual- und Zeremonialpraxis Francke und sein Adjunkt Johann Anastasius Freylinghausen586 unternahmen in Glaucha etliche Eingriffe in örtliche Gemeindetraditionen, von denen die Abschaffung des Taufexorzismus und der Messgewänder sich mit den Bestrebungen brandenburg-preußischer Konfessionspolitik zur mittelfristigen Veränderung identitätsstiftender Rituale und Zeremonien im Luthertum kreuzten. Albrecht-Birkner hat die Auseinandersetzungen um die Pfarramtspraxis in Glaucha beschrieben und dabei festgestellt, dass der Fokus der Eingriffe Franckes und seines Adjunkten auf der Kirchenzucht und maßgeblich auf der Sanktionierung von Unbußfertigkeit durch den Ausschluss vom Abendmahl lag.587 Insbesondere die Akten der Visitation von 1696 zeigen dies.588 Die Klagen aus der Gemeinde über die strenge Kirchenzucht, erneut vertreten durch die Glauchaer Richter, wurden flankiert durch Beschwerden über das Weglassen des Exorzismus und der Messgewänder.589 Eine Reflexion auf konfessionelle Sachverhalte fand dabei, anders als bei den Überlegungen der magdeburgischen Stände 1683 oder Auseinandersetzungen um den Exorzismus in Brandenburg-Preußen bis 1664, nicht statt. Francke und Freylinghausen reagierten auf die Beschwerden am 18.1.1700 mit einer Stellungnahme gegenüber dem Konsistorium, wobei sie sich auf die Kirchenzucht konzentrierten und ein Negativbild der Gemeinde entwarfen, das von langer Dauer bleiben sollte.590 Die Eingriffe in die Gemeindetradition 586

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Die Berufung Freylinghausens zum Adjunkt war gegen den Willen der Gemeinde erfolgt: Francke hatte mit Arbeitsüberlastung, die Gemeinde mit der hohen Belastung Franckes durch zusätzliche Arbeit, die nichts mit der eigentlichen Gemeindearbeit zu tun hatte, argumentiert. Letztendlich setzte Francke sich durch; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 30–35. Vgl. ebd., S. 61ff. Zur Visitation von 1696 vgl. ebd., S. 36–46. Die Visitationsakten und die beiden Berichte von 1697 und 1698 zeigen, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Glauchaer Gemeindegliedern von Francke vom Abendmahl ausgeschlossen worden war und dies nicht durch den Ortswechsel kompensierte (S. 40). Im zweiten Bericht von 1698 begegnet die Strategie Franckes, die sich widersetzenden Gemeindeglieder als böse und schlecht zu charakterisieren (S. 42f.). Vgl. Glauchaer Richter an das Konsistorium am 28.11.1699 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 284r–284v. Daneben wurde die Entfernung einer Statue aus der Kirche und die Ersetzung der Katechismuslese durch Schulknaben durch eine von den Pfarrern gehaltene beklagt. Vgl. dazu Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 3–9, S. 65, S. 71, S. 114.

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III. Konfessionspolitik und Universität

handelten sie dagegen nur kurz und mit Verweis auf eine vorher erfolgte Eingabe an das Konsistorium ab591 und stellten die Beschwerden als Lächerlichkeiten dar.592 Mehr Mühe verwandten sie darauf, die Angelegenheit beizulegen, indem sie das Vorgehen der Glauchaer Richter juristisch aushebelten. Dazu benutzten sie ein Gutachten der juristischen Fakultät vom 11.1.1700, in dem die Klage der Richter als Inquisitionsprozess und damit als Überschreitung ihrer Kompetenzen definiert wurde.593 Problematisch war dabei für die Juristen die mögliche Vorbildwirkung der Klage, „welches eine res pessimi Exempli ist, zudem dadurch andere boßhaffte Zuhörer, auch indem von dorth den Schulzen und Gerichten zu dergleichen Inquisitiones veranlassen, ja die gantze Gemeinde aufwiegeln“594 könnte. Die Angelegenheit hatte nun an Brisanz gewonnen, und am 17.2.1700 ging der Vorgang in Abschrift vom Konsistorium mit Unterstützung der magdeburgischen Regierung nach Berlin zum Kurfürsten.595 Beide Institutionen positionierten sich in einem Begleitschreiben eindeutig auf der Seite der Richter und thematisierten erheblich stärker, als das im bisherigen Konfliktverlauf der Fall war, die Frage des Liturgieeingriffs und zwar als einen Eingriff in das Recht des Kurfürsten und den kirchlichen Bestand des Herzogtums: „Gleichwohl es hierbey nicht alleine auf die Ceremonien sondern auch insonderheit darauf ankömmet, daß weder der Professor und Pastor H. Francke noch dessen Adjunctus Freylinghausen gewalt hatt, propria authoritate et de facto zum Nachtheil Ew. Churfl. Durchl. hohen Juris Episcopalis und des zu deßen verwaltung bestelten Consistorio, die Kirchen ceremonien, so weit sie in der Lutherischen Kirchen dieser Orthen jeder Zeith üblich gewesen, und von Ew. Churf. Durchl. nur dero Herrn Vaters Churf. Durchl. glorwürdigster Gedächtnis, in der Kirchen Ordnung und sonsten mehrfaltig in hohen Gnaden confirmiret worden, und vielweniger gar auf zu heben.“596

Francke selbst hätte auf Nachfrage die Weglassung zugegeben „unter dem vorwand, daß er solches jeder Zeith inter abusus Ecclesiae Lutheranae gerechnet“597 hätte. In dieser Argumentation zeigte sich der Zwiespalt in Bezug auf die Liturgieveränderungen. Man 591

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Francke und Freylinghausen hatten sich nach eigener Aussage bereits am 14.12.1699 vor dem Konsistorium geäußert; vgl. Stellungnahme Franckes und Freylinghausens am 18.1.1700 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 291r–299v, hier: Bl. 291v. Francke und Freylinghausen hoben die Richtigkeit ihres Vorgehens durch Belustigung hervor: „Ist ja wohl zu beschweren, daß alte und erwachsene Männer an dergleichen Kindischen Dingen und Puppenwerck nach hangen“. Ebd., Bl. 299r. Vgl. Gutachten der juristischen Fakultät am 11.1.1700 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 301r–302r. Ebd., Bl. 302v–303r. Undurchschaubar in dem Szenario ist die Unterstützung des Konsistoriums für die Richter: Konsistorialräte waren zu diesem Zeitpunkt Breithaupt, der Domprediger Merchier und der Jurist und Universitätsprofessor Heinrich Bode. Breithaupt und Merchier kann im Prinzip ein Interesse an der Abschaffung des Exorzismus und der Messgewänder unterstellt werden. Bode gehörte als Mitglied der juristischen Fakultät zu den Gutachtern, die die Klage der Richter als Inquisitionsprozess definiert hatten. Magdeburgische Regierung und Konsistorium an den Kurfürsten am 17.2.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 283r–283v. Ebd., Bl. 282v.

2. Umkämpfte Identität

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war sich im Klaren über den fakultativen Gebrauch des Exorzismus in der Kurmark, man wollte die Kirchenordnung bewahren und setzte an dem einzig möglichen Punkt an, wie Francke beizukommen war, nämlich an der Autorität des Kurfürsten in Kirchenfragen. Letztendlich war dies ein Lavieren zwischen dem ius circa sacra und dem ius in sacra: Man beharrte zwar auf der magdeburgischen Kirchenordnung, die man immer versucht hatte, vor der Erweiterung der Eingriffsrechte des Fürsten im Sinne eines ius in sacra zu schützen. Bevor aber ein Pfarrer wie Francke sich dieses Rechts bemächtigte, appellierte man doch lieber an die Herrschaftsgewalt des Fürsten in Kirchenlehrfragen. D.h. es sind zwei Problemkreise zu unterscheiden: Zum einen die Anmaßung eines sowieso schon als problematisch empfundenen Pfarrers, zum anderen der eigentliche Eingriff in die Ritual- und Zeremonialpraxis als solcher. Hingegen wurde die Nähe des Ergebnisses der Eingriffe zur reformierten Praxis nicht angesprochen. Sicher war dies taktisch bedingt, da man von Berliner Seite Unterstützung wünschte und ihr nicht Argumente für die Beschneidung eines identitätsstiftenden Codes liefern oder sich dem Vorwurf aussetzen wollte, reformiertenfeindlich zu sein. Francke musste die Gesamtproblematik des Vorgangs inzwischen aufgegangen sein, denn er wandte sich am 3.4.1700 direkt an Paul von Fuchs und legte ausführlich dar, warum er die Abschaffung für richtig und wichtig erachtete.598 Die Problematik seiner Bußpraxis thematisiert er nicht, was darauf hindeutet, dass er diesen Zusammenhang mit seiner Stellungnahme vor dem Konsistorium als erledigt ansah.599 Francke argumentierte dreigleisig: Erstens stellte er Freylinghausen als eigentlich treibende Kraft dar, der „durch solche päbstische Mißbräuche in seinem Gewißen öfters niedergeschlagen worden“600 sei. Zweitens argumentierte er in Sachen Messgewänder mit der Eitelkeit der Richter in Glaucha, die man nicht befriedigen wollte.601 Drittens erinnerte Francke an die Situation in der Kurmark, wo der Exorzismus fakultativ sei602 und

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Vgl. Francke an von Fuchs am 3.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 305r–307v. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 68f. Francke an von Fuchs am 3.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 305v. Freylinghausen war es auch, der am 26.4.1700 gegenüber dem späteren Visitationsvorsitzenden Johann Fischer seine Gewissensnöte erklärte und die Lösung durch eine Visitation durch den sich sowieso schon in Halle wegen der Untersuchungskommission zu Franckes Streitigkeiten mit der Stadtgeistlichkeit befindenden Fischer vorschlug; vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 70. Vgl. Francke an von Fuchs am 3.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 306r–306v. Francke war aktiv geworden, „da man mit den Meßgewandten, insonderheit an diesem Ort, nach hergebrachter väterlicher Weise die vanitas zu treiben genöthiget ward, daß wenn einer von uns Predigern, oder die Richter zum Abendmal gingen, daß beste Meßgewand angeleget werden mußte, [und die Richter] einen Ehrenpunct hieraus gemacht und ohnedem in großer Widrigkeit, vom Anfang her, gegen uns gestanden sind“. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 307r.

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III. Konfessionspolitik und Universität

„die hohe Landes-Obrigkeit aber welche nach deren hypothesibus ihrer Religion diese Stücke für Pabstische Mißbräuche erkennet, und also dieselben nicht anderes als mißbilligen kann, hat, kraft einer besonderen Churfl. gnädigsten Verordnung, welche denen so genanten 3 Confessionen der Reformirten beygefüget ist, und vor wenig Jahren allen Predigern, und darunter auch uns, zugeschicket worden, insonderheit den Gebrauch des Exorcismi, ohne daß man deswegen weitere Anfrage thun dürffe, frey gelaßen.“603

Die weitere Argumentation gegen den Exorzismus war nicht innovativ und konzentrierte sich auf dessen Missverständlichkeit, da die Kinder vor der Taufe nicht leibhaftig vom Teufel besessen seien. Daher müsse man den Exorzismus ähnlich wie eine Reliquie abschaffen.604 Das Problem, auf wessen Autorität hin diese Abschaffung geschehen sollte, wurde mit dem Hinweis auf die Regelung in Brandenburg abgehandelt.605 Der Brief wurde mit dem Lob der Gewissensfreiheit geschlossen und bekräftigte, „daß wir der gnädigst ertheilten Gewißens-Freiheit nicht weniger, als andere, S. Churfl Dhl. Unterthanen würden zu genißen haben, und dabey gnädigst geschütztet werden, die wir uns ja sonsten keinen guten und christl. Ordnungen zu entziehen begehren, auch unser Amt vor Gott und Menschen mit möglichster Treue zu führen uns befleißen.“606

Für die Geistlichen Glauchas, den Eindruck aus dem vorangegangenen Streit kann das Schreiben nicht kaschieren, ging es bei der Weglassung der Messgewänder und des Exorzismus um eine Maßnahme, die eine Begleiterscheinung ihres Kirchenzuchtprogramms war. Für sie bestand kein Problem hinsichtlich der Frage nach einer riskanten Öffnung gegenüber dem Reformiertentum, da die Abschaffungen für sie nicht die Beseitigung eines identitätsstiftenden konfessionellen Codes, sondern eines Adiaphorons darstellte. Deshalb und aufgrund ihres eigenen Deutungsanspruchs über die Codes lutherischer Identität benötigten sie anders als beispielsweise die Stände 1683 keinerlei Begründungsvorlagen traditionell-lutherischer Autoritäten, und schon gar nicht Wittenberger Provenienz. Gegenüber von Fuchs wurde im Gegenteil strategisch die brandenburg-preußische Regelung als Fortschritt dargestellt, denn man hätte dort Missbräuche römisch-katholischer Herkunft eliminiert und noch dazu Gewissensfreiheit in den eigenen Territorien etabliert. Die Taktik war nur teilweise wirkungsvoll, denn es erging zwar mit dem deutlichen Hinweis, dass beide Zeremonien „res adiaphores Ecclesiae“607 seien, am 29.4.1700 die Anweisung an das Konsistorium, dass der Exorzismus fakultativ, die Messgewänder aber 603 604 605

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Ebd., Bl. 306r. Vgl. ebd., Bl. 306v. Vgl. ebd., Bl. 307r. Francke argumentierte: „Nun möchte man zwar einwenden, man hätte es doch nicht privata autoritate thun, sondern erst am gehörigen Orte dazu die Freiheit decenter suchen sollen. Wir meynen aber, daß solches damit satsam entschuldiget werden könne, wenn man erweget, daß gleichwol in oberwehnter Churfl. Verordnung ausdrücklich enthalten ist, daß der Exorcismus ohne ferner Anfrage ausgelaßen werden könnte, dahero sich jemand darüber einen Scrupel machte.“ Ebd. Ebd., Bl. 307r–307v. Anweisung an das Konsistorium am 29.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 59, Nr. 128 a1 (1689– 1731), Bl. 281r.

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beizubehalten seien.608 Darüber hinaus wurde das Konsistorium aufgefordert, Francke und Freylinghausen über die Entscheidung zu belehren und darüber, dass „die abstellung derselben [Riten und Zeremonien] und anderer dergleichen enderung in ceremonibus ad iura Episcopalia gehören und der hohen Landes-Obrigkeit zukomen, also ist kein Prediger befuegt, solche für sein particulier vorzunehmen“.609

Für die Einschätzung der Haltung Franckes zu der Frage einer möglichen Öffnung gegenüber dem Reformiertentum durch Veränderung der Ritual- und Zeremonialpraxis ist die Reaktion von Spener auf Franckes Vorhaben wichtig, da sie den Blick auf die Bandbreite von Positionierungen unter den pietistischen Akteuren verdeutlicht. Der Brief an von Fuchs war von Francke zunächst an Spener gesandt worden mit der Bitte, ein besänftigendes Begleitschreiben zu verfassen.610 Spener hatte schon am 29.7.1699 mit dem Hinweis auf das Bestehen der Exorzismusregelung nur für die Kurmark reagiert.611 Jetzt fiel seine Kritik deutlich aus: „Das schreiben wegen der meßgewande und exorcismi anlangende, werden die rationes, die darzu anleitung gegeben, bey billichen gemüthern dieselbe wol deßen versichern, daß was geschehen, gute meinung gehabt habe, aber wer den gegenwärtigen zustand der menschen, mit denen mans zuthun hat, zeit und ort betrachtet, wird es gleichwol also ansehen, daß damit den widrigen die erwünschte gelegenheit zu schaden gegeben worden, und also billicher unterbleiben sollen, wie ich, damals befraget, es auffs hertzlichste mißrathen haben würde.“612

Spener kritisierte hier nicht den Inhalt an sich, sondern das Vorgehen Franckes und Freylinghausens. Unruhe hatte das Vorgehen in Glaucha nämlich schon bei dem Rat Georg Rudolf von Schweinitz erzeugt, die auch Spener nicht dämpfen konnte. Spener sorgte sich, dass von Schweinitz in der Lage war, alle Leistungen der Pietisten an der Universität in Frage zu stellen, ausgelöst durch die unbedachte Maßnahme in Glaucha.613 Bei Speners kritischer Reaktion muss in Betracht gezogen werden, dass er durch die Vorgänge des Berliner Beichtstuhlstreits um Johann Caspar Schade 1695–1698, bei denen es um die Abschaffung der Privatbeichte gegangen war, erfahren hatte, wie problematisch die (un-)freiwillige Kooperation mit dem reformierten Herrscherhaus für die eigenen reformerischen Anliegen werden konnte, wenn die eigene Haltung zu dem, was seitens 608 609

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Vgl. ebd., Bl. 281r und Bl. 312r–312v. Ebd., Bl. 281r. Bezeichnend ist, dass das Episkopalrecht auf die Einhaltung bzw. Abschaffung bestimmter Bräuche angewandt wurde. Bei der Frage, inwieweit Francke in Glaucha eigenmächtig die Kirchenzucht verschärfte, wurde dieses Recht von Berliner Seite nicht wahrgenommen, sondern Francke zugestanden. Vgl. Brief Nr. 205 Francke an Spener am [3.(?)] 4.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 726f. Vgl. Brief Nr. 172 Spener an Francke am 29.7.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 620. Brief Nr. 206 Spener an Francke am 10.7.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 729. Vgl. ebd. Spener schrieb: „Ich sorge, es bekräfftige ihn [Schweinitz] dieses mehr und mehr, nicht leicht einen studiosum von Halle, wo er zu sprechen hat, zu befordern, weil man von denselben immer sorgen müßte, das sie durch die exempel gewöhnet würden, sich an keine hergebrachte kirchenceremonien zu binden, darvon nachmal lauter zerrüttung u. folglich mehrere niderschlagung des guten zu sorgen.“ Ebd.

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der traditionellen Lutheraner als verbindlich lutherisch galt, von diesen angegriffen und diese gemeinsame, verbindliche Grundlage lutherischer Konfessionskultur hinterfragt wurde.614 Am 10.4.1700 wandte er sich an von Fuchs, allerdings nicht in besänftigendem Ton, stattdessen bezog er sich ausschließlich auf die Gewissensnöte Freylinghausens und fügte hinzu: „Ich wünschte, die Sache niemal geschehn zu sein, und wäre ich vorher von ihm gefragt worden, würde ich was drauß erfolget, gleich voran gezeiget, und daher omnibus modis mißrathen haben.“615 Spener schätzte die Situation richtig ein, denn von Fuchs ließ Francke über Spener vor unnötigen Neuerungen warnen.616 Exakt in dieser Spannung zwischen einer regierungsseits willkommenen Neuerung im Sinne der Annäherung der Konfessionen und der gefürchteten Unruhe, die in Halle schon zur Genüge herrschte, muss demzufolge die zweiteilige Anweisung am 29.4.1700 gesehen werden. Für Francke, dem es um die Zurückweisung der Richter ging, war das nur ein Teilerfolg. Anders lag der Sachverhalt in der Frage der rigorosen Kirchenzucht, denn diese wurde im Rahmen einer Gemeindevisitation zwischen dem 24. und dem 28.6.1700 nicht negativ bewertet.617

2.3. Orthodoxie und Umdeutung konfessioneller Identität 2.3.1. Die personalpolitische Nutzung konfessioneller Codes Schwer taten sich die Mitglieder der theologischen Fakultät mit jeder Form von Konkurrenz inner- und außerhalb der Universität. Den Hintergrund bildeten die in den Statuten getroffenen Regelungen, so Udo Sträter, denn es war „ein wesentliches Anliegen der Fakultätspolitik, das Lehrmonopol der theologischen Ordinarien zu wahren.“618 Das musste zuerst Johann Franz Budde erleben, der im Frühjahr 1696 als Lizentiat theologische Vorlesungen halten wollte. Die erste undatierte Eingabe der theologischen Fakultät gegen das Ansinnen Buddes, die wahrscheinlich auf Ende März oder Anfang April 1696 zu datieren ist,619 hatte eine Argumentation enthalten, die auf die Abgrenzung zwischen den 614

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Vgl. Drese: Beichtstuhlstreit, S. 75ff. Spener hatte versucht, den Streit um Schade so lange wie möglich vom Berliner Konsistorium fernzuhalten und war dafür von Julius Lütkens kritisiert worden. Spener an von Fuchs am 10.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 304r. Vgl. Brief Nr. 209 Spener an Francke, in: Spener: Briefwechsel, S. 737. Von Fuchs’ Warnung korrespondiert mit seiner zwischenzeitlichen Distanz zu Francke angesichts der Schulkirchenfrage; vgl. Kapitel III.2.1.3. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 71–85. Francke und Freylinghausen gelang es, durch ständige Präsenz während der Visitation und das Vorführen besonders problematischer Fälle das negative Glauchabild aufrecht zu erhalten und noch zu verstärken, um im Gegenzug die Notwendigkeit strenger Kirchenzucht zu bekräftigen. Sträter: Wolffs Gegner Lange, S. 88. Vgl. Supplik der theologischen Fakultät an den Kurfürsten [undatierter Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag.

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Fakultäten und damit auf eine Disziplinenabgrenzung zwischen Theologie und Philosophie hinwies und deshalb auf der Unmöglichkeit von Buddes Veranstaltung insistierte, wie es auch durch die Statuten geregelt sei.620 Da Budde sich ebenfalls in Berlin beschwerte, wurde die Fakultät am 24.4.1696 zu einer Stellungnahme aufgefordert, warum sie Budde das collegium versage.621 Die Fakultät erklärte daraufhin, dass dies nicht daran läge, dass Budde Baiers Compendium theologiae positivae traktiere, sondern dass er es in seiner „methodus scholastica“ an Behutsamkeit gegenüber den jungen Studenten fehlen lasse und „zwar junge und ungeübte Leute an sich ziehet, aber der Erbauung der Kirche Christi hinderlich ist. […] So giebt Er uns auch sonst nicht obscure zu verstehen, daß Er uns in Facultate Theologia zu wieder gesinnet sey, maßen er nicht einmal in unser Predigten ihmals kömmete“.622

Da Budde sich aber weiter beschwerte, schritt nun Breithaupt Anfang Februar 1697 über Spener ein und brachte die Personalstrategie der theologischen Fakultät als Argument an: „[…] so werden wir freilich göttlichem Verhängnis weichen müßen, indeßen unser Nothdurft solang beobachten, als wir können, kömpt Er [Budde] ad legendi, wird H. Prof. Francke gar nicht attendirt werden, sondern die Profeß. Ordinaria bald darauff ihm [Budde] conferiert werden.“623

Am 13.2.1697 wurde allerdings seitens der Regierung angeordnet, dass Budde das Leserecht zuzugestehen sei, er dies aber der theologischen Fakultät anzeigen sollte.624 Diese Entscheidung fällte der Kurfürst augenscheinlich entgegen der Meinung der Oberkuratoren, die bereits frühzeitig auf seiten der Fakultät argumentiert hatten.625 Zu einem unbekannten Zeitpunkt, das entsprechende Aktenstück ist undatiert, hatte sich außerdem der Syndikus der Stände Cortrejus ebenfalls nach Berlin gewandt mit der Bitte, Budde das theologische Leserecht zu gewähren, da dieser zu geringe Einkünfte besitze.626 Wenn Budde selbst sich die Stände als Unterstützer gesucht hatte, zeugt das von Ungeschick, war ihre Durchsetzungskraft in Universitätsangelegenheiten doch eher gering. War das Unterstützungsszenario umgekehrt angelegt, müssen die Stände in Budde eine Möglichkeit gesehen haben, die Universitätstheologie anzugreifen. Breithaupt jedenfalls hatte, wie er Spener mitteilte, Christian Friedrich von Kraut gegenüber nun schlagkräftigere Argumente ins Feld geführt, indem er auf den konfessionspolitischen Hintergrund verwies. Budde sei nicht geeignet, weil er „Wittenbergische 620

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Ebd. Es gehöre, „die paedia circa talia docenda nicht ad Facultatem Philosophicam, sondern Theologicam, und zwar umb soviel mehr, je gefährlicher der abusus ist. […]. Und ist in unseren Statutis heilsamlich verwiesen, daß wir die Studia Studiosorum Theologiae dirigiren, und also einrichten sollen, wie wir nach unserem besten Gewißen befinden.“ Ebd. Vgl. Oberkuratoren an die theologische Fakultät am 24.4.1696, UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag. Theologische Fakultät an den Kurfürsten [undatierter Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag. Breithaupt an Spener Ende Januar / Anfang Februar 1697, AFSt/ H D88, Bl. 124r. Vgl. Reskript an die theologische Fakultät am 13.2.1697 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 61r–61v. Vgl. Kurfürst an die Oberkuratoren am 16.5.1696, UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag. Vgl. Cortrejus an von Rhetz, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 62r.

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principia habe, und nur Uneinigkeit daraus entstehen werde, auch unsre Statua Academiae, da wir profectus Auditorium unterscheiden sollen, solches nicht leiden.“627 Über den eigentlichen, konfessionspolitischen Zweck der Hochschulpolitik war Breithaupt sich demzufolge im Klaren und nutzte den in Berlin negativ bewerteten konfessionellen Code ‚Wittenberg’, um Budde auszuschalten. Am 9.3.1697 sandte die Fakultät ein Votum ein, in dem einerseits die konfessionelle Karte gespielt wurde, weil Budde „seine studia […] eigentlich zu Wittenberg tractiret“628 habe und eine Einigung mit ihm „aber bey den offenbarten circumstantiis principorum Wittenbergensium“629 hoffnungslos sei. Zum anderen wurde auf die Statuten der theologischen Fakultät und auf das alleinige Leserecht der Universitätstheologen verwiesen.630 Der Doppelvorwurf ‚Wittenberg’ und ‚Zuwiderhandeln’ gegen die Statuten war ausschlaggebend, dass am 5.4.1697 das Reskript vom 13.2.1697 wieder aufgehoben und Budde das theologische collegium untersagt wurde.631 Seinen indirekten Abschluss fand der Prozess mit der Bestallung Franckes zum dritten Professor für Theologie am 24.9.1698.632 Inwieweit bei der Ablehnung Buddes die Veröffentlichung seiner Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann gewidmeten Elementa philosophiae practicae633 von 1697 eine Rolle gespielt hat, geht aus diesen Akten nicht hervor. Mit seinen naturrechtlich begründeten Vorstellungen von einer nicht näher definierten wahren christlichen Religion, deren Schutz die Hauptaufgabe des Herrschers sei, bei gleichzeitiger Duldung anderer

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Breithaupt an Spener am 20.2.1697, AFSt/ H D88, Bl. 126r. Darüber hinaus sei er Budde „nicht gehäßig, und wollte von hertzen wünschen, daß Er Gott von hertzen suchen möchte“. Ebd. Supplik der theologischen Fakultät an den Kurfürsten am 9.3.1697 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag. Ebd. Vgl. ebd. Die Fakultätsmitglieder schrieben: „Und was wir nach inhalt der statuorum mit wichtiger ordnung zu bauen meinten, von denen andern unumbgänglich zerrüttet sehen müßten: dannenhero wir gar nicht sehen noch absehen möchten, was maßen die nur gnädigst vertrauete statuta ihren vigorem und Zweck erhalten, und Ew. Churfl. Durchl. Höchstwol gemeinten intention, so wol was die Einigkeit der lehrenden als auch was denen die zum ministerio zuzubereiten sind, rechtschaffenden beschiedenen und erbauliche instruction betrifft, erreichet werden könnte, wenn neben nur privatim solche docirten, welche nicht allein und zuwidergesinnet seyen, sondern auch nicht anders, als beides den statutis und unserem methodo besagter maßen entgegen handeln, und zu lehren vermögen.“ Ebd. Vgl. Oberkuratoren an die theologische Fakultät am 5.4.1697, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N 3a (1686–1698), Bl. 63r. Am 2.4.1697 hatte Daniel Ludolf von Danckelmann Breithaupt noch zu mehr Zurückhaltung geraten; vgl. Daniel Ludolf von Danckelmann an Breithaupt am 2.4.1697, UAH, Rep. 27, Nr. 1029, unpag. Vgl. Bestallung Franckes am 24.9.1698 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N 3a (1686– 1698), Bl. 24r–26r. Budde, Johann Franz: Elementa Philosophiae Practicae: Quibus Ethica, Iurisprudentia Naturalis, Iurisprudentia Gentium, Et Politica, Tum Generalis, Tum Specialis Succincte Traduntur; In Usum Praelectionum Academicarum Edita, A Joh. Francisco Buddeo, SS. Th. Lic. Et Philos. Mor. Ac Civ. P.P.O., Halae Magdeburgicae: Zeidlerus 1697.

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Bekenntnisse zum Wohle des Staates,634 hätte Budde leicht zum schlechten Ansehen der Universität bei auswärtigen traditionell orientierten Lutheranern beitragen können. Indem die Fakultätsmitglieder gegen Budde agierten, konnten sie sich somit als Hüter der traditionellen Interpretation lutherischer Identität in Halle anstelle Wittenbergs inszenieren.635 Wesentlich härter für die theologische Fakultät nahm sich der Konflikt mit dem Pfarrer von St. Ulrich, Wolfgang Melchior Stisser, aus, wobei dies nicht an der fehlenden Unterstützung aus Berlin, sondern eher am Durchhaltevermögen Stissers lag. Am 28.6.1698 beschwerte sich Paul Anton beim Kurfürsten über Stisser, weil dieser, obwohl ihm das schon 1696 untersagt worden war,636 mit der Abhaltung theologischer Lehrveranstaltungen fortfuhr. Stisser sah sich dazu wohl durch seine 1694 zur Inauguration erfolgte Promotion berechtigt. Antons Beschwerdeschreiben macht in mehrfacher Hinsicht deutlich, worin das Problem der Fakultät bestand: Stisser war ein Vertreter der Stadtgeistlichkeit, der die Pietisten bekämpfte. Damit war er in der Argumentation Antons ein Feind des „Werks“, das von den Fakultätsvertretern errichtet wurde: „Wir hätten auch viel zu klagen, wie er öffentlich auff die Kantzel und sonst in der Bitterkeit gegen unser Amt fortfahren, daher seine intention keine andere ist, als uns in unseren besten Verrichtungen zu turbiren und die studiosis zu verlocken, auch mit Gewalt eine Spaltung zu machen, nicht aber mit uns zu bauen und zu arbeiten.“637

Indem er theologische Kontroversen auch in seinen Veranstaltungen erwähnen würde, agierte er damit gegen „Euer Churfürstl. Durchl. Christlöblichstkeit der Friedrichs-Universität führende intention, die ohne dem so wenig noch würden erkanndt“638 werden. Wirklich gefährlich aber wurde Stisser laut Anton, als er anfing, von der Kanzel einen Vorfall aus dessen Seminar auszubreiten, bei dem „ohne mein [Antons] Wißen und Willen […] de[r] locum biblicum von den tausend Jahren“639 behandelt wurde. Außerdem stellte Stisser wohl auch die Autorität der Universitätstheologen gegenüber den Studenten in Frage, die sich nicht kommentarlos pietistischen Lebensführungsidealen unterwerfen wollten. Anton hätte aus glaubhafter Quelle gehört, „wie sich studiosi gegen ihn [Stisser] beschweret, daß wir sie oft vor die Facultät citiren und ihres Studierens wegen befragten“.640 Damit träfe Stisser Dinge, 634

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Vgl. Fritsch: Religiöse Toleranz, S. 111ff. Nach Budde sei die Duldung verschiedener Bekenntnisse in einem Territorium ein Resultat politischer Klugheit, sofern das Wohl des Staats nicht bedroht sei, zumal Gewalt oder Zwang naturrechtlich sanktioniert waren. In späterer Zeit kam es zur Herstellung eines positiven Verhältnisses insbesondere zwischen Francke und Budde. So studierte Gotthilf August Francke bei Budde; vgl. Sträter, Udo: Spangenbergs Vertreibung aus Halle, in: Unitas Fratrum 61/62 (2009), S. 33. Vgl. Oberkuratoren an magdeburgische Regierung und Konsistorium am 6.12.1696 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 231r–231v. Anton an den Kurfürsten am 28.6.1698, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 49v. Ebd., Bl. 49r. Ebd., Bl. 49v. Ebd., Bl. 47r.

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III. Konfessionspolitik und Universität

„die nebst den nervum unseres Amtes, und das principaleste statutum, damit wir bis anhero der Jugend am besten haben verstehen können, in dem wir ihre studia exploriret, und nach ihrem Christenthum gefraget, höchlich afficiret, also gar daß wir nicht getrauten, etwas gutes hier auszurichten, wenn hierinnen die Studiosi dörffen abgeleitet und verlocket werden, nachdem gleichwohl schon die observantz solches Churfürstl. Statuti Theol. durch Gottes Gnade unter uns in guten Schwang kämen und offenbahren Seegen hat, der jedermann vor Augen ist.“641

Demzufolge forderten die Fakultätsmitglieder eine endgültige Verordnung gegen Stisser und die Durchsetzung der Ordnung, dieses Mal aber nicht durch eine Aufforderung an das Konsistorium, Stisser zu vermahnen,642 sondern an Gottfried von Jena. Dies war ein geschickter Zug, denn von Jena hatte Stisser bereits 1696 abgemahnt, weil in der Ulrichskirche gegen die Reformierten gepredigt worden war.643 Die Forderung der Fakultät lautete, Stisser solle sofort seine Veranstaltung aufgeben, sich aller Schmähungen enthalten und sich auf sein Pfarramt konzentrieren, mit dem er genug zu tun habe.644 Prompt erfolgte die entsprechende Anweisung ausschließlich an die Regierung am 30.7.1698, Stisser unter Strafandrohung abzumahnen.645 Proteste Stissers und der Regierung, die auf dem Leserecht eines Promovierten beharrten, wurden am 10.11.1698 endgültig abgewiesen.646 Dass die Fakultätsmitglieder in beiden Fällen massiv konfessionspolitisch argumentierten und zwar mit dem Hinweis auf Spaltungen und die Gefährdung des an der Universität angefangenen Werks, zeigt, wie offensichtlich diese konfessionspolitische Intention der Universitätsgründung und –stabilisierung für sie war und wie entschieden sie dies als Argument für die Durchsetzung ihrer Interessen, nämlich der Zurückweisung der stadtgeistlichen Deutungshoheit über lutherische Identität, nutzten.

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Ebd. Vgl. ebd., Bl. 50v. Die Fakultätsmitglieder forderten, sich „dieses mahl nicht an Dero hiesiges Consistorium [zu wenden], als dabey wir das vorige mahl vor zu lange vergeblich auffgehalten sind“. Ebd. Vgl. von Jena an Stisser am 5.3.1696, StA, Halle, Kap. XI, Abt. A, Nr. 4, Bl. 102r–103vr. Stisser solle „allen Predigern und Schulbedienten, so unter eurer Inspection stehen nachdrücklich ein[zu] binden, daß keiner sich von Ihnen gelüsten laße, wieder den Paßauischen Vertrag, Religionsfrieden und Instrumentum Pacis, auch Churfl. Edicta, zu handeln, die Reformirte alß Ihrer Neben Christen, welche nicht in allen puncten mit Ihnen einig seyn, zu verdamen […] oder Sie für Calvinisten, Zwinglianer und Syncretisten aus zu ruffen“. Ebd., Bl. 102v. Vgl. Anton an den Kurfürsten am 28.6.1698, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 51v. Stisser solle „in seiner Inspection und Predigt-Ampt bey seinem hohen Alter mehr zu thun finden, als Er bestreiten könne“. Ebd., Bl. 51r. Vgl. Oberkuratoren an die magdeburgische Regierung am 30.7.1698, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 45r–45v. Vgl. ebd., Bl. 27r–27v.

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2.3.2. Die Verlagerung der Deutungshoheit über die lutherische Identität zur hallischen Universitätstheologie Eine von Francke am 2.2.1699 gehaltene Predigt, in der er die Amtsführung der hallischen Stadtgeistlichkeit angegriffen hatte,647 nahm diese als letzte Gelegenheit war, einen Abwehrversuch gegen die zunehmende Bestrebung der Universitätstheologen zu starten, ihrerseits die Deutungshoheit über lutherische Identität zu gewinnen. Im Gegensatz zur Deutung Deppermanns erscheint Francke hier nicht als Getriebener,648 sondern als letztendlich erfolgreicher Provokateur in eigener Sache. Sein Erfolg war insofern überraschend, weil der Streitverlauf deutlich zeigt, dass das Klima in Berlin sich noch nicht derart zugunsten Franckes und seiner Mitstreiter verändert hatte, dass sie mit einem zügigen Durchmarsch zu ihren Gunsten hätten rechnen können. Das Stadtministerium reagierte zunächst auf die Vorwürfe Franckes mit einer Beschwerde an das Konsistorium am 15.3.1699 zur Erhaltung des Friedens.649 Das Konsistorium forderte Francke folgerichtig am 16.3.1699 zu einer Stellungnahme auf.650 Der reagierte mit einem ausführlichen Bekenntnis am 27.4.1699651 und baute seine Predigtvorwürfe von der Sündhaftigkeit der Stadtgeistlichkeit noch aus, indem er deren mangelnde apostolische Amtsführung652 und die gelehrten, doch wenig erbaulichen, Predigten Olearius’ und Stissers monierte653 und behauptete, „sie unterrichten wohl die Leute von der Unmöglichkeit der vollkommenen Haltung der Gebothe, aber nicht von der rechten Art und Weise, wie man sie doch halten könne, und wie man in der Kraft Christi täglich darinnen wachsen muß.“654

Stattdessen würde ihm, Francke, der Perfektionismusvorwurf gemacht. Darüber hinaus kritisierte er die Streitsucht der Stadtgeistlichkeit auch nach der Kommissionsentscheidung von 1692, insbesondere die Fortsetzung der Kanzelpolemik.655 Die ständige Beschimpfung als Pietisten habe es mit sich gebracht, dass „die Gottlosen Leute […] durch solch Schelten in ihrem Wesen gestärcket worden, daß sie sich sonderlich gratuliret, daß sie keine pietisten und Scheinheilige wäre.“656 Obwohl ‚Pietist’ in der Stadt ein Schimpfwort war, gelang es Francke an dieser Stelle, den Begriff von seiner pejorativen Konnotation als Kampfbegriff zu trennen und er setzte ihn, quasi ex negativo, dem Gottlosen 647

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Vgl. Francke, August Hermann: Ein Unterricht vom Kirchengehen, Predigt am 2.2.1699 über Lk 2, 22–32, in: Francke, August Hermann: Predigten, hg. v. Peschke, Erhard, 2 Bde., Bd. 2, Tl. 1, Berlin, New York u.a. 1987 (TGP, Abt. 2, Schriften und Predigten, Bd. 9), S. 603–630, bes. S. 618f., S. 629f. Vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 119f. Vgl. Stadtministerium an das Konsistorium am 15.3.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 2r. Vgl. Konsistorium an Francke am 16.3.1699 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 3r. Vgl. Bekenntnis Franckes am 29.4.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 13r–32v. Vgl. ebd., Bl. 14r. Vgl. ebd., Bl. 16r–17v. Ebd., Bl. 17r. Vgl. ebd., Bl. 18r. Ebd., Bl. 18v.

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III. Konfessionspolitik und Universität

als Opponenten gegenüber und verlieh ihm dadurch eine neue Qualität. Die Schuld für das Verhalten der Gottlosen und ihre Abwehr der Pietisten suchte er bei der Stadtgeistlichkeit. Francke stellte auf der Folie seiner Praxis in Glaucha die kirchliche Situation in der Stadt als katastrophal dar: Katechismusexamina würden anders als in Glaucha vernachlässigt,657 Erbauung und Bekehrung spielten keine Rolle658, die Absolution vor dem Abendmahl würde unbotmäßig häufig erteilt,659 hingegen Francke „mit großer Verwunderung angesehen, daß die Hn. Prediger in Halle, so viel unordentliches Wesen, Mißbräuche, Muthwillen, Boßheit und Gräuel dulden können, und nicht mit gesamter Hand die Sache angriffen und solche fürstellung thun, daß dergleichen gäntzlich abgestellet werden möge.“660

Die Stadtprediger machten sich demzufolge der Unterlassung schuldig, am Reich Gottes mitzubauen. Das implizierte eine Schuld der Obrigkeit, die solches zuließ, da damit das Seelenheil der Untertanen nicht gefördert, sondern gehindert würde. Francke verlagerte an dieser Stelle den Konflikt um die Deutungshoheit lutherischer Identität hin zu einer Diskussion um wahre christliche Identität und vollzog damit eine entscheidende Änderung, die seinen Anspruch verdeutlichte, die lutherische Konfessionskultur und ihre verbindliche Mitte auf spezifische Weise prägen zu wollen661 und sich nicht von traditionellen Lutheranern verdrängen zu lassen. Elemente dieser spezifisch christlichen Identität waren Buße, Bekehrung und Erbauung. Deren Auslegung durch Francke wurde von den traditionellen Lutheranern in Bezug auf CA invariata 4 (Von der Rechtfertigung), CA invariata 12 (Von der Buße), CA invariata 17 (Von der Wiederkunft Christi zum Gericht) und FC II (Vom freien Willen), FC III (Von der Gerechtigkeit des Glaubens) ob ihrer Rechtgläubigkeit bezweifelt und als Angriff auf die traditionelle Deutung lutherischer Identität aufgefasst. Hier wurde lutherische Identität als christliche Identität umgedeutet, bei der konfessionelle Abgrenzungen und konfessionelle Codes eine untergeordnete Rolle spielten. Vielmehr legte er den Schwerpunkt seines Programms darauf, durch Kirchenzucht, Ethisierung und nicht zuletzt Separation die unsichtbare Kirche in Glaucha sichtbar zu machen. Er verschob den Schwerpunkt der ordo salutis nachhaltig auf die Elemente der conversio, regeneratio und sanctificatio. Hier lag das herausragende Neue des pietistischen Angebots konfessioneller Identität in Halle, die nicht mehr zwangsläufig lutherisch-konfessionell gedeutet werden musste. Die forensisch-imputative Rechtfertigungslehre, zentrales Element der traditionell-lutherischen Identität trat in dieser Konzeption deutlich zurück. Franckes eigener Anteil an den Streitigkeiten wurde von ihm negiert und der Stadtgeistlichkeit zugeschoben: „Es möchte jemand gedenken, daß ich und anderer so zank

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Vgl. ebd., Bl. 19r–20r. Vgl. ebd., Bl. 20r–21r. Vgl. ebd., Bl. 21r–24r. Ebd., Bl. 24v. Vgl. Kapitel IV. 3.2.

2. Umkämpfte Identität

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und streitsüchtig wären, aber haben mich nicht die Hn. Ministeriales mit Schelten und Schmähen auff den Cantzeln empfangen, sobald ich herkommen!“662 Nach einer Phase des Hin- und Herschiebens der Vorwürfe im Juni und Juli 1699663 wurde eine weitere Ebene hinzugezogen, indem die theologische Fakultät, also Anton, Breithaupt und Francke, am 3.8.1699 eine Relation abließ, deren Ziel es war, die Angelegenheit ähnlich wie 1692 vom Konsistorium abzuziehen und der Berliner Obrigkeit anzutragen. Dazu beklagten sie, dass der Pietismusvorwurf gegenüber der Universität erhoben wurde, obwohl sie „doch beständig die in Gottes Wort gegründete und durch die Symbolische Bücher Evangelisch-Lutherischen Kirchen bezeugete Lehre getrieben, und denen studiosis includiret“.664 Es begegnet erneut die Notwendigkeit, den noch immer wirkmächtigen Pietismusvorwurf abzuweisen, der eine Entfernung von den konfessionellen Verbindlichkeiten beinhaltete. Die Professoren zeigten im Gegenzug die Übereinstimmung ihrer Lehre mit dieser konfessionellen Mitte auf, indem sie die praktizierte Lehre als mit den symbolischen Büchern, also den konfessionellen Codes, übereinstimmend, bezeichneten, ohne weitere Präzisierungen vorzunehmen. Damit konnten sie einen Mittelweg zwischen den beiden anderen Parteien gehen: Sie zeigten sich den traditionellen Codes verbunden, ohne die reformierte Obrigkeit zu verstimmen, weil sie beispielsweise die FC und damit einen für Berlin negativen Code nicht explizit erwähnten. Anschließend stellten sie den bisherigen Streitverlauf dar und bemängelten, dass die Angelegenheit „für dem Consistorio hanget, und wol so balde nicht ihr Ende erreichen möchte“665, weswegen die Übertragung an die kurfürstliche Obrigkeit überstellt werden solle. Diese werde bald merken, dass „die Sache allein viele eingewißene schwere abusus der Lehre und des Lehr-Amts betreffe, welchen Sr. Churfl. Durchl. durch heylsame Verordnungen von vollernachdrücklichsten und zu vieler Menschen Trost, die darüber seuffzen, werden abhelfen können.“666

Francke nutzte im Anschluss daran eine Berlinreise vom 21.8. bis zum 11.9.1699, um seine Anliegen zu forcieren, wo er wahrscheinlich auch mit Paul von Fuchs zusammentraf, der sich zunehmend zu seinem Förderer entwickelt hatte.667 Kurzfristig errang er damit tatsächlich einen Erfolg, denn am 8.9.1699 erging ein Edikt an das Konsistorium, 662 663

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Bekenntnis Franckes am 29.4.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 30r. Die Stadtgeistlichkeit hatte am 1.6.1699 eine neue Stellungnahme eingereicht und Francke aufgefordert, seine Beschuldigungen zu beweisen; vgl. Stadtministerium an das Konsistorium am 1.6.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 44r–49r. Francke hatte daraufhin am 22.6.1699 nur erklärt, es bedürfe wegen der Bekanntheit der Missstände keines Beweises und somit die Aufforderungen des Konsistoriums ignoriert; vgl. Francke an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 22.6.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 71r–72r. Relation der theologischen Fakultät am 3.8.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531– 1699), Bl. 1v. Ebd., Bl. 2r. Ebd., Bl. 2v. Vgl. Brief Nr. 175 Spener an Francke am 8.8.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 628 und dort auch Anm. 5.

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III. Konfessionspolitik und Universität

den Streit ohne eine weitere Untersuchung zu beenden und den Status quo von 1692 zu erhalten.668 Als Lösungsmittel wurden monatliche Konferenzen zwischen der Stadtgeistlichkeit und den Universitätstheologen angeordnet. Das widersprach fundamental dem Interesse der Landschaft, deren Vertreter Stößer in Berlin versucht hatte, die Angelegenheit weitgehend der Kompetenz der magdeburgischen Regierung zu übertragen. Spener befürchtete, „daß er die sache wegen des ministerii ihrer orts hier S[einer] Churf[ürstlichen] Durchlaucht und dero ministris sehr gefährlich machen wird, als einem Schismati, wo nicht mit mächtiger hand drein gegriffen, gantz nahe seye.“669

Die Vermeidung von Spaltung und Unfrieden und das Wohl der Universität waren mächtige Triebfedern für die Konfessionspolitik, die von allen Seiten als Argumente genutzt werden konnten. Auf die unbefriedigende Entscheidung vom 8.9.1699 reagierte das Stadtministerium am 16.10.1699 erneut mit einem Protest,670 so dass eine andere Konfliktlösung gefunden werden musste.671 Am 7.11.1699 reskribierte Berlin zunächst eine Lösung für den Konflikt unter Umgehung des regulären Rechtsweges: „Nun hätten wir wohl wünschen mögen, daß […] diese Sache ohne fernere Weitläuffigkeit durch eine zureichende Ehren Erklärung von Ma. Francken, und also gütlich hätten hingeleget werden können […], und die höchst nöthige Einigkeit in dem geistlichen Stande retabliret und beybehalten werden möchte.“672

Damit wäre für beide Seiten der Konflikt erneut erstickt, aber keine endgültige Entscheidung gefällt worden. Francke hingegen fühlte sich nach wie vor in einer starken Position, 668

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Vgl. Anweisung an das Konsistorium am 8.9.1699 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 6r–6v. Ein weiterer Erfolg war die Übertragung der Schulinspektion im Herzogtum Magdeburg an Francke, die der Kurfürst ihm in einer Audienz am 9.9.1699 versprochen hatte. Am 18.9.1699 wurde sie diesen und Cellarius sowie die Oberinspektion dem Regierungsrat Carl von Dieskau übertragen. Da von Dieskau Widerspruch einlegte, kam die Regelung aber nicht zustande; vgl. Berliner Regierung an magdeburgische Regierung und Konsistorium am 18.9.1699 [Entwurf], I. HA, Rep. 52, Nr. 128 a1 (1689–1731), Bl. 331r–331v; vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 124. Brief Nr. 620 Spener an Francke am 29.7.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 620. Vgl. Memorial der Stadtgeistlichkeit am 16.10.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 86r–93v. Spener gab sich bereits im Vorfeld skeptisch ob der Reaktion der Stadtgeistlichkeit: „Es ist mir lieb, das wegen abolirung des streits mit dem ministerio das Consistorium keinen scrupul movirt: verlange aber zu erfahren, wie sich das ministerium bezeugen und sonderlich zu den monatlichen conferentzen verstehen wird: welchen punct ihnen den schwehrsten zusein glaube“. Brief Nr. 177 Spener an Francke, in: Spener: Briefwechsel, S. 633. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der Konflikt auf anderer Ebene für Francke noch verschärft, weil die Landstände sich am 25.9.1699 mit einer Eingabe gegen Franckes Waisenhaus und ihre Zahlungen dafür eingeschaltet hatten; vgl. Stände an Kurfürst am 25.9.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 611r–614r; vgl. Kapitel IV. 3.1. Reskript an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 7.11.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1700–1712), Bl. 218r.

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lehnte die erneuten Aufforderungen zu Stellungnahmen durch das Konsistorium weiterhin ab und bat am 8.12.1699 um eine vierwöchige Frist.673 Spener neigte hingegen zu vorsichtigerem Agieren und riet Francke zur Zurückhaltung: „Dabey bitte aber hertzlich, stets zu gedencken, das wir zwahr nimmermehr wider die wahrheit etwas reden oder schreiben dörffen, aber auch nicht alle wahrheit zu allen zeiten zu sagen schuldig seyn, sondern auch von einigen zuweilen schweigen sollen, wann dero vortrag anderen guten mehr schaden thun kann.“674

Diese Haltung hinderte Spener allerdings nicht daran, in Berlin einen Vorstoß zu unternehmen, als am 9.12.1699 der Stadtsuperintendent Olearius verstarb und bei Francke der Vorschlag aufkam, Breithaupt auf dieser Position zu installieren und damit dem eigenen Deutungsanspruch auch äußerlich Gestalt zu verleihen. Franckes Wunsch, Breithaupt möge berufen werden, enthielt dabei eine wichtige Einschätzung für die bisherige Zögerlichkeit Berlins, den Streit zu entscheiden, nämlich die Spaltung unter den Theologen: „Ach möchte Elector die Stadt ihren Pastorem machen lassen, da ja ihr Recht nicht weiter gehet, und setzete Herrn Dr. Breithaupten zum Inspectoren, so könnte das ein Mittel seyn, alle Trennung, dafür man sich so sehr fürchtet zu vermitteln.“675

Die Trefflichkeit dieser Lageeinschätzung zeigte sich sogleich, nur anders, als Francke erwartet hatte, als nicht Breithaupt, sondern Stisser, nach Olearius ranghöchster Pfarrer in Halle, Stadtsuperintendent und auch Konsistorialrat wurde. Damit hatte ein ausgemachter Gegner der theologischen Fakultät dieses Amt inne, allerdings mit der Einschränkung der Übertragung nur für das Interim, in dem der Streit geschlichtet werden sollte.676 Den Hintergrund von Stissers Berufung bildeten Vorbehalte gegenüber der aktuellen Unruhe, die durch eine Versetzung Breithaupts anstelle Stissers zum Stadtsuperintendenten noch forciert worden wäre. Hier begegnet ein altes Motiv brandenburg-preußischer Konfessionspolitik: vorsichtiges Vorgehen und Vermeidung der Unruhe. Von Fuchs versuchte über Spener, Francke diese politische Vorgehensweise zu vermitteln: „[von Fuchs] klagte, das durch den unglückseligen streit mit dem ministerio nicht allein die regirung, die insgesamt Herrn D. Olearium aestimiret, sondern auch das land, so an jener hänget, dermaßen alarmiret, das man nicht thun könnte, was man gern wolle.“677

An anderer Stelle war Spener jedoch erfolgreicher, denn es war gelungen, den livländischen Generalsuperintendenten Johann Fischer als Schlichter im Rahmen der nun doch notwendig gewordenen Kommission in Vorschlag zu bringen.678 Fischer stand seit den 673

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Vgl. Francke an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 8.12.1699, UAH, Rep. 27, Nr. 1081, Bl. 97r–97v. Brief Nr. 185 Spener an Francke am 9.12.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 663f. Brief Nr. 186 Francke an Spener am 12.12.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 665. Vgl. Reskript am 19.12.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 81r–81v. Brief Nr. 188 Spener an Francke am 23.12.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 669. Vgl. ebd., S. 671. Da Francke der Aufforderung zu einer Ehrenerklärung nicht nachgekommen war, griff nun der zweite Teil der Verordnung vom 7.11.1699: „Sollte aber solches nicht verfangen, sondern sie darauf bestehen, daß die Sache untersuchet und ernstlich entschieden werden möchte,

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III. Konfessionspolitik und Universität

1670er Jahren mit Spener in Kontakt und hatte in Livland als Generalsuperintendent Forderungen der Pia Desideria durch Bibelübersetzungen und Gesangbücher sowie durch Schulgründungen realisiert.679 Francke war von dieser Möglichkeit weniger angetan und visierte noch immer die Berufung Breithaupts zum Stadtsuperintendenten an.680 Gegenüber Konsistorium und Stadtgeistlicheit gab er sich selbstbewusst. Seine Stellungnahme vom 21.12.1699 nahm die Vorwürfe des Bekenntnisses vom 27.4.1699 nicht zurück,681 sondern signalisierte gegenüber dem Konsistorium lediglich Versöhnungsbereitschaft, „damit ohne abbruch der Ehre Gottes und seiner Wahrheit, ohne Verletzung meines guten Gewißens, und ohne ärgerniß der Christlichen gemeinde dem Verlangen jezt gedachter Herren Ministerialium völlige satisfaction geschehen möchte.“682

Damit irrte er sich zu diesem Zeitpunkt allerdings deutlich in der Einschätzung seiner Position in Berlin: Paul von Fuchs entwickelte zunehmend Vorbehalte gegenüber Frankkes selbstsicherem Gebaren, nicht zuletzt wegen des Wiederaufflammens des Konflikts um die Schulkirche in der Frage der Kollektenaufteilung.683 In dieser Angelegenheit musste die theologische Fakultät zunächst eine Niederlage einstecken, als ein Edikt am 24.12.1700 die bisher geteilten Gelder aus dem Klingelbeutel ausschließlich der Stadt zusprach.684 Als Francke daraufhin am 9.1.1700 an Fuchs schrieb und sein Ersuchen, die Gelder der theologischen Fakultät zukommen zu lassen, mit einem Gutachten Stryks flankierte, das das Patronatsrecht der Stadt über die Schulkirche bestritt, reagierte von Fuchs am 14.1.1700 mit einer harschen Zurückweisung aus Sorge vor einem Eklat auf kirchenrechtlicher Ebene.685 Die kurfürstliche Regelung vom selben Tag entschied in der hergebrachten Weise zugunsten beider Parteien, „weil wir selber auch nicht ferner damit behelliget seyn wollen“.686 Francke bewegte sich zu diesem Zeitpunkt in der Gefahr,

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so können und wollen Wir solches nicht abschlagen, und habet Ihr solchen falls die Verfügung zu thun, daß beyde Theile ihre Nothdurfft jedoch mit abschneidung aller unnöthigen Weitläuffigkeit und Verbitterung schrifftlich bey Euch einbringen und usq [?] ad conclusionem in causa verfahren möge“. Reskript an die magdeburgische Regierung und das Konsistorium am 7.11.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1700–1712), Bl. 218r. Fischer hatte als Übersetzer von Richard Baxters „A Treatise of Self-Denyall“ 1665 einen Streit über die englische Erbauungsliteratur ausgelöst; vgl. Sträter, Udo: Sonthom, Bayly, Dyke und Hall. Studien zur Rezeption der englischen Erbauungsliteratur in Deutschland im 17. Jahrhundert, Tübingen 1987 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 71), S. 51–53. Vgl. Brief Nr. 189 Francke an Spener am 30.12.1699, in: Spener: Briefwechsel, S. 672. Vgl. Francke an das Konsistorium am 21.12.1699 [Abschrift], AFSt / H D95, S. 243–290. Ebd., S. 243. Vgl. Kapitel III.2.1.3. Vgl. Reskript an die magdeburgische Regierung am 24.12.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b, Bl. 85r–85v. Vgl. von Fuchs an Francke am 14.1.1700, SBB-PK, Berlin, Francke-Nachlass, Kapsel 9/16, Bl. 45. Von Fuchs warnte Francke, „wenn solches éclatieren solthe, würde nicht allein die Stadt Halle, sondern das gantze Land rege werden.“ Ebd. Vgl. Edikt am 14.1.1700 [Entwurf] , GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 74r.

2. Umkämpfte Identität

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durch unbesonnenes Vorgehen seinen wichtigsten Gönner in der politischen Sphäre Berlins zu verprellen. Da das Stadtministerium am 31.1.1700 in einer Stellungnahme an den Kurfürsten drängte, „M. Francken nachdrücklich anzuhalten, daß er muß die ihm auferlegten Ehren Erklärungen öffentlich thun […], dieses würde das einzige Mittel seyn, wodurch die geärgerte Gemeinde beruhiget, Gottes Ehre künfftig beförderten, und Frieden erhalten wird“,687

musste der Streit nun endgültig durch eine Kommission unter dem Vorsitz Johann Fischers geschlichtet werden.688 Aus Sicht der Universitätstheologie wurde die Schlichtung durch eine Kommission auch deshalb immer dringlicher, weil nun auch die Landstände sich einschalteten und auf der Seite der Stadtgeistlichkeit positionierten: Am 20.3.1700 beklagten die Stände die Anordnung, nach der kein Prediger in seinem Amt bestätigt wurde, sofern er sich nicht verpflichtet hatte, der Kanzelpolemik gegen die Universitätstheologen zu entsagen.689 Die Problematik des verordneten Stillschweigens hatten sie bereits versucht, am 12.7.1699 zu thematisieren, damals noch unter dem Aspekt der möglichen Heterodoxie, an der man sich dann mitschuldig mache, indem man die Bedrohung der lutherischen Identität durch die Veränderung von traditionellen konfessionellen Codes zulasse : „Wenn aber in diesem Herzogthum von einigen Theologen entweder in Schriften oder öffentlich auf denen Canzeln solche Dogmata izo oder künfftig geführet werden sollten, welche wieder die klare und unverenderliche Glaubens-Articul der Evangelisch-Lutherischen Kirchen und die Ausgburgische Confession lauffen, also daß auch die Einfältige es merken, und dadurch in Ihrem Glauben irrig gemachet werden könten, und die Inspectorn und Ihre untergebene Prediger solches mehr nehmen, so laßen Eur. Churfürstl Durchl. Dero höchsterleuchteten Verstande nach wir gnädigst urteilen, ob ein Kirchen-Inspector oder ander Prediger mit unbeflecktem Gewißen unterlaßen könne, der Ihm anvertrauten Gemeinde, sonder Bitterkeit und daß Sie Jemand Nahmhafft machen, den Gegensatz aus Gottes Wort und denen Symbolischen Büchern auf der Cantzel zu zeigen, und Sie vor den Irthümern zu warnen.“690

Die Stadtgeistlichen führten die Bedrohung ihres Wächteramtes, Irrlehren benennen und bekämpfen zu müssen, und das eigene Gewissen als Instanz ins Feld, um ihr Verhalten und ihr Drängen auf eine Lösung des Konflikts zu erklären. Insbesondere die Gewissens687 688

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Supplik des Stadtministeriums an den Kurfürsten am 31.1.1700 [Abschrift], AFSt/ H D95, S. 413f. Vgl. Anweisung an die Kommissare am 20.3.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531– 1699), Bl. 70r–73r; vgl. Spener: Briefwechsel, S. 707. Vgl. magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 20.3.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 121r–121v. Dies stand in Verbindung mit einem weiteren Memorial gegen das Waisenhaus und die Zahlung weiterer Gelder am 24.3.1700; vgl. magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 24.3.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (198–1755), Bl. 410r–410v. Abgelehnt wurde die geforderte Aufhebung des Kanzelparagraphen; vgl. Reskript am 10.6.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 127r–130v. Magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 12.7.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 182r–182v.

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III. Konfessionspolitik und Universität

berufung zeigt deutlich, wie existenzbedrohend für die traditionelle lutherische Identität das konkurrierende pietistische Identitätsangebot wahrgenommen wurde. Jetzt ergab sich die Schwierigkeit der Verbindung mit einer noch brisanteren Forderung: Am 24.4.1700 fragten die Stände nach einem Verbreitungsverbot für mystische und spiritualistische Literatur.691 Ähnlich wie 1692 ergab sich eine Situation, in der das Argument, die pietistischen Akteure förderten den Spiritualismus und andere Irrlehren und dies insbesondere über die Waisenhausdruckerei, als Waffe eingesetzt wurde. Darauf musste in Berlin reagiert werden, denn dieser Vorwurf war erneut geeignet, die Rechtgläubigkeit an der Universität in Frage zu stellen. Am 10.6.1700 wurde per Edikt erklärt, dass die von den Ständen genannten Schriften bereits verboten seien, man Gottfried Arnolds Kirchen- und Ketzerhistorie692 wegen ihrer Nützlichkeit allerdings nicht verbieten wolle.693 Zur Absicherung erfolgte am 25.6.1700 ein Edikt der Magdeburger Regierung, das die Verbreitung entsprechender Schriften verbot694 und die Konfiszierung solcher Bücher einleitete.695 Zur Entschärfung des Perfektionismusvorwurfs aus Stadt und Land riet Spener Frankke am 13.3.1700 zu einer positiven Darstellung seiner Buß- und Heiligungstheologie im Rahmen eines Vorwortes zu einer von der Waisenhausdruckerei herausgegebenen Ausgabe der CA invariata und deren Apologie, um deutlich zu machen, dass diese konfessionellen Codes von der hallischen Universitätstheologie anerkannt würden: „Ich habe aber auch gehört, das wehrter Herr Gevatter einmal in gedancken gefaßt, die A[ugsburgische] Conf[ession] und Apologie absonderlich trucken zu laßen: dieses hielte nun mit Herrn B[aron] von Schweinitz sehr dienlich und zwahr sie an die landstände des Hertzogthums zu dediciren, und eine praefation darzu zumachen mit einer recommendation der herlichen darinnen enthaltenen materien von der rechtfertigung und heiligung: doch müßte solche vorrede so stylisirt sein, daß der zweck der stifftung guten vertrauens erhalten werde.“696

Dass die FC fehlte, kann erneut als ein Hinweis darauf gesehen werden, wie die hallische Universitätstheologie ihren Deutungsanspruch geschickt positionieren wollte. Sie zeigte sich so nicht als Strömung mit vermeintlich heterodoxen Inhalten, sondern die Professoren versuchten, sich als traditionelle Lutheraner zu gerieren, da man die CA in691

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Vgl. magdeburgische Stände an den Kurfürsten am 24.4.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 124r–126v. Arnold, Gottfried: Gottfrid Arnolds Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie: von Anfang des Neuen Testaments biß auff das Jahr Christi 1688, Franckfurt am Mayn: Fritsch 1697. Vgl. Reskript an die magdeburgische Regierung am 10.6.1700, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 127v. Hier war der Weg bereitet, der es ermöglichte, Arnold ab 1705 in preußische Dienste aufzunehmen. Zu Arnold vgl. jetzt Mißfeldt, Antje (Hg): Gottfried Arnold. Radikaler Pietist und Gelehrter. Jubiläumsgabe von und für Dietrich Blaufuß und Hanspeter Marti, Köln 2011. Vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 132. Die brachte die Problematik mit sich, wie mit Vertrieb und Druck in der Waisenhausbuchhandlung und der Druckerei umzugehen sei; vgl. Brief Nr. 222 Spener an Francke am 19.6.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 773, Anm. 17. Brief Nr. 198 Spener an Francke am 13.3.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 701.

2. Umkämpfte Identität

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variata zu schützen beabsichtigte. Damit dachten die Professoren zu erweisen, dass sie die gemeinsame Grundlage lutherischer Konfessionskultur nicht in Frage stellten, sondern stattdessen zu bewahren versuchten. Gleichzeitig ignorierten sie aber diejenigen traditionellen Lutheraner, die für die tatsächliche Aufrechterhaltung der gemeinsamen Verbindlichkeiten auch die Anerkennung der FC einforderten. Zugleich erwiesen sich die Theologieprofessoren gegenüber der reformierten Obrigkeit als Vertreter der friedlicheren innerlutherischen Variante. Inzwischen war ab dem 13.4.1700 in Halle die Kommission unter Johann Fischer mit den weiteren Mitgliedern Stryk und Stößer von Lilienfeld, der als Vizekanzler des Herzogtums den Ständen verbunden war, zusammengetreten.697 Nebenschauplätze dieser Hauptvisitation waren die Gemeindevisitation in Glaucha und die Visitation des Waisenhauses im Oktober desselben Jahres. Die Anweisung an die Kommission gibt Auskunft über den Schutz, den die Universität und insbesondere die Theologie aufgrund ihres Stellenwertes für die Konfessionspolitik insgesamt genossen. Hier wurde die „erwünschte Harmonie“ als Ziel aller Bestrebungen genannt. Die Kommission wurde aufgefordert, „einen Christlichen Vergleich, und was Ihr zur beständigen Harmonie dienlich findet, nach aller Möglichkeit zu bewerckstelligen, daneben, und ferner wann das gesammte Ministerium auch etwas gegen die übrigen Theologen wegen ihrer Lehre und Anführung der Studiosorum, zu haben vermeynete, und insgesammt alles, was die erwünschte Harmonie gehindert haben, und der Universität einen üblen Nahmen machen würde, dasselbe nicht weniger zu untersuchen, diese darüber, wie auch wegen der Augsburgischen Confession, und deren Apologie, daran sie gewiesen, zu hören, und allen Fleiß anzuwenden, damit die Verlangte Einigkeit und gutes Vernehmen so wohl völlig wieder gebracht“.698

In ähnlichem Duktus wurde auch im Nachhinein die Intention für die Schlichtung bewertet, die „aus des Landes-Väterlicher Vorsorge vor das beste Dero Lande, Ruhe der Kirchen und Erhaltung Dero gestiffteten Friedrichs-Universität“699 angeordnet worden sei. Auffällig ist die Erweiterung des Motivs des Kirchenfriedens um die Motive der Ruhe und der Harmonie, also die Zusammenführung von Gegensätzlichem zu einem Einklang. Diese Forderung nach Harmonie war bereits 1692 angeklungen, aber nicht realisiert worden. Die Schwierigkeit bestand darin, dass die Bedeutung von ‚Harmonie’ über das bisher propagierte Friedens- und Friedfertigkeitsideal hinauswies. Es handelte sich jetzt um eine eindeutige Aufforderung seitens der Regierung, ein Ergebnis zu erreichen, das auch über die Schlichtung zum Patt von 1692 deutlich hinausging. Es ist darauf hinzuweisen, dass dieser Harmoniebegriff sich auf das Verhältnis der Universitätstheologie zu den Theologen in der Stadt und der Landschaft bezog. Es war 697

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Vgl. Reskript an die magdeburgische Regierung am 20.3.1700 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1531–1699), Bl. 73r. Bericht dessen, Was wegen der Zwischen den Evangelisch-Lutherischen Geistlichen, Von der Universität und Stadt-Ministerio in Halle, Eine Zeithero geschwebten Differentien, Durch Von Seiner Churfl. Durchl. zu Brandenburg, Gnädigst verordnete Commission abgehandelt, Und zu dero Beruhigung in Göttlichen Segen angerichtet worden, Cölln an der Spree: Liebpert 1700, S. 5. Ebd., S. 3.

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III. Konfessionspolitik und Universität

noch nicht an die „collegialische und beständige Harmonie“700 zwischen den Kollegen der theologischen Fakultät als Fakultätsprogramm gedacht. Diese Harmonie war eine universitäts- und fakultätsinterne und bezog sich auf das Recht der Angehörigen der theologischen Fakultät, als einzige an der Universität über theologische Themen zu lesen, wie es gegen Budde, Stisser701 und auch gegen Thomasius702 verteidigt worden war. Außerdem betraf sie das Vorrecht Breithaupts, da seine Dogmatik und kein anderes Compendium gelesen würde.703 Insofern bietet es sich an, die „erwünschte Harmonie“ mit der Stadtgeistlichkeit im Jahr 1700 als eine äußere Harmonie zu bezeichnen. Nach äußerer Harmonie sah es aber im Kommissionsverlauf zunächst nicht aus: Die Stellungnahme des Stadtministeriums vom 22.4.1700 hob die Vorwürfe, die bisher im Kern eine Angelegenheit zwischen Francke und der Stadtgeistlichkeit um die rechte Amtsführung war, auf die Ebene der Universität und verstärkte damit die Konfrontation, indem die als heterodox bewerteten Aussagen der Universitätstheologen aufgelistet wurden.704 Das ging maßgeblich auf Stisser zurück und war von fünf der neun Pfarrer Halles unterschrieben.705 Für Breithaupt ergab das Vorwurfsprofil eine erneute Konzentration auf Perfektionismus und Wiedergeburt.706 Anton wurde vorgeworfen, er bezichtige die Stadtgeistlichkeit der Falschprophetie und lehre in diesem Zusammenhang eine falsche Bußtheologie und Werkgerechtigkeit.707 700

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Lange, Joachim: D. Joachim Langens, Der Theologischen Facultæt zu Halle Senioris [...] Lebenslauf, Zur Erweckung seiner in der Evangelischen Kirche stehenden, und ehemal gehabten vielen und wehrtesten Zuhörer, Von ihm selbst verfaßet, und mit einigen Erläuterungen, auch eingeschalteten Materien, ausgefertiget: Nebst einem Anhange Väterlicher Warnung, an die der Theologie ergebene studirende Jugend, vor dem Herrenhutischen Kirchenwesen und Mißionswercke, Halle und Leipzig: Francken 1744, S. 83. Vgl. Kapitel III.2.3.1. Vgl. Kapitel IV. 2. In der Frage, über welche Dogmatik gelesen werden sollte, kam es ab 1728 zum Streit zwischen Breithaupt und Lange. Breithaupt hatte als Primarius im collegium theticum immer über seine eigene Dogmatik gelesen und auch nach seinem Amtsantritt als Abt des Klosters Berge 1709 darauf bestanden, dass sein Nachfolger Lange dasselbe tat. 1728 begann Lange zum Ärger Breithaupts, den Studenten seine eigenen dogmatischen Vorstellungen vorzutragen; vgl. Sträter: Wolffs Gegner, S. 88ff. Vgl. Stadtministerium an die Kommission am 22.4.1700 [Abschrift] AFSt/ H D95, S. 429–435. Wolfgang Melchior Stisser, Christian Nicolai, Johann Andreas Scheffer, Johann Nathanael Hübner, Johannes Michael Schumann. Vgl. Stadtministerium an die Kommission am 22.4.1700 [Abschrift], AFSt / H D95, S. 429–432, v.a. S. 431. Breithaupt lehre, dass „der eigentliche Schweck des Verdienstes Christi ist, daß der alte Mensch hin und gecreutziget werde, und wir der Sünde würklich absterben, und daß wir sonst Vergebung der Sünden nicht haben können, noch in einem neuen Leben wandeln, noch Christo angehören, wo wir nicht creutzigen das Fleisch samt den Lüsten und Begierden.“ Ebd., S. 431. Dies widerspräche fundamental Luthers Rechtfertigungslehre, nach der alle Glaubenden die Rechtfertigung als Verdienst Christi besäßen. Vgl. ebd., S. 432f. Anton habe gepredigt und „alß die Eigenschaften und tugenden eines treuen Seelehirten gefordert, 1. daß er Überfluß habe in guten Wercken. 2. daß er buße thue für die Sünde seines Volks.“ Ebd., S. 433.

2. Umkämpfte Identität

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Auch Francke habe Falschprophetie vorgeworfen und stattdessen selbst Spiritualismus und weltliche Askese gelehrt.708 Zur „Blame der löblichen Universität“ gehörte, „daß die Herrn Theologi geschehen laßen, daß allerhand verführerische Bücher hier verkauft werden“.709 Weitere Vorwürfe konzentrierten sich auf Neuerungen in der Amtsführung, nämlich das Weglassen des Katechismusgebets in der Kirche und das Absingen neuer unbekannter Lieder in den Schulkirchengottesdiensten.710 Persönlich motiviert war der Vorwurf, die theologische Fakultät erlaube niemand anderem als ihren Mitgliedern, theologische collegia zu halten.711 Dementsprechend unter Druck gesetzt äußerten sich am 26.4.1700 die Mitglieder der theologischen Fakultät in den Desideria der Theologischen Facultät in Ansehung des Stadt-Ministerii zu Halle712 vor der Untersuchungskommission, um zu zeigen, „wie wir uns dessen doch die Gnade Gottes von ganzem Hertzen befleißigen, als denn unter uns nichts anderes seyn könnte als alle erwünschte Einigkeit und große Erbauung sowohl in der Stadt, als auff der Universität.“713

Diese Darlegung lief auf einen ausführlichen Nachweis der Übereinstimmung der eigenen Sünden- und Bußtheologie mit der Rechtfertigungslehre, dargelegt von Luther selbst, in der CA invariata und der Apologie hinaus,714 hingegen die Stadtgeistlichkeit bei der Darstellung der Theologie Franckes, Breithaupts und Antons bewusste Verzerrungen vornähme: „auch berührt sie nicht allein auff der orthodoxia selbst, daß das Wort der Wahrheit nicht recht gethreibet wird, sondern auch auff ipsa orthodoxia, daß man von den Grund-articeln den recht ordentlichen Sinn des göttlichen Worts nicht allenthalber führen, als woraus die defectus orthodoxias eigentlich entspringen. Darumb können wir auch nicht anders sagen, als daß es allerdings schwer Irrthümer seyn, damit die Gemüther, welche also lehren, eingenommen und befaßt sind.“715

Außerdem wurde der Stadtgeistlichkeit vorgeworfen, Theologiestudenten aus Halle zu beschimpfen und in einem konkreten Fall gegen die Anstellung eines solchen in den Pfarrdienst, der sogar auch in Jena und Leipzig studiert habe, agitiert zu haben716 sowie die übliche Beschwerde über die Kanzelpolemik.717 Die Theologen stellten ihre Fried708

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Francke rede „den unmittelbaren Offenbahrungen das Wort.“ Ebd., S. 432. Tanzen, äußerer Standesdünkel durch prächtige Kleidung, Reichtum und das Streben nach einem höheren Stand seien verwerflich. Ebd., S. 434. Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 435. Desideria der theologischen Fakultät am 24.4.1700 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1082, Bl. 18r– 35v. Ebd., Bl. 19v. Vgl. ebd., Bl. 19r–32v. Ebd., Bl. 20r. Vgl. ebd., Bl. 33r. Vgl. ebd., Bl. 33v.

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III. Konfessionspolitik und Universität

fertigkeit und ihre persönliche Sorge um das Wohl der Universität heraus, so sei die Darlegung entstanden, um weitere Ärgernisse durch Mitglieder des Stadtministeriums zu vermeiden, die „mit den ihrigen für den augen auch hiesiger Universitet recht abthusam wandeln möchten und bedenken, welch ein großes Sorgen sie über sich bringen“.718 Darüber hinaus entspann sich ein intensiver Austausch durch kleinere Voten,719 bevor die Untersuchungskommission das Ergebnis am 24.6.1700 in einem Rezess verkündete, der von den Kommissaren, den Theologen der Stadt und der Universität unterschrieben worden war und per Druck und Kanzelabkündigung verbreitet wurde. Er bestand aus 15 Punkten, die sowohl die Streitigkeiten Franckes mit der Stadtgeistlichkeit, den Dissens zwischen Universitätstheologie und Stadtministerium und den Streit um die Kirchenzucht aufnahmen. Nach der Freundschaftsbekundung zwischen den Parteien (1.)720 und der Aufforderung, „Straff-Ampt und den Elenchum Christlich sanftmüthig, mit Liebe und ohne Bitterkeit [zu] verrichten“,721 bestanden die konfessionspolitische Brisanz und der Fortschritt in der Anerkennung der Rechtgläubigkeit der Theologen der Universität durch die Stadtgeistlichkeit (2.). Die pietistischen Akteure in Halle wurden als rechtgläubig akzeptiert und dieser Hauptstreitpunkt sei „pro orthodoxo erklähret worden, und im Nahmen Gottes völlig abgethan, und darauff das Fundament Christlicher und respective Ambts-Bruderlicher Einigkeit festgestellet“.722 Daraus ergab sich für die Theologen allerdings die Sorgfaltspflicht gegenüber den Studenten, auf andere heterodoxe Lehren und Formulierungen zu achten (3. und 5.).723 In diesen Zusammenhang wurde auch die Konfiszierung als heterodox klassifizierter Schriften und die Verwarnung und Entfernung von Personen, die mit solchen Lehren umgingen, gestellt (6.).724 Diese Passage rekurrierte gedanklich auf die Probleme mit den bußrufenden Studenten, möglicherweise sogar auf die Ekstatikerinnen. Als praktische Maßnahme zur Verhütung von neuem Streit wurde eine regelmäßige Konferenz aller Theologen „alle Monate, oder alle Quartal, oder auch alle Wochen“725 eingerichtet. Die weiteren Punkte beschäftigen sich mit den unterschiedlichen Gaben (10.)726 und theologischen Ansätzen beider Parteien, insbesondere was Bußpredigt und eigene Bußfertigkeit anbelangte (9.).727 Die Bußpredigt als essentieller Schritt zur Sün718 719 720 721 722

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Ebd., Bl. 34r–34v. Vgl. UAH, Rep. 27, Nr. 1082, Bl. 45r–127v. Vgl. Bericht dessen, Was wegen der Zwischen den Evangelisch-Lutherischen Geistlichen, S. 9. Ebd., S. 14. Ebd., S. 11. In gleichem Tenor war auch der vierte Punkt gehalten, nach dem alle Lehren und Aussagen der Professoren „d. H. Schrifft, denen Libris Symbolicis und der Lehr-Art Orthodoxorum Theologorum gemäß seien.“ Ebd., S. 12. Vgl. ebd., S. 11f. Vgl. ebd., S. 13. Ebd., S. 14. Vgl. ebd., S. 20. Vgl. ebd., S. 15–21.

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denvergebung wurde eindeutig mit der bestehenden Kirchenordnung bestätigt und eingefordert.728 Demzufolge müssten die Prediger ihre Gemeinden im Glauben und im Beten ernsthaft anleiten und sollten dabei „keine solchen Worte, die allerhand Verdacht machen, und ärgern können, als da sind Pietisten, Quäker, Scheinheilige, Gernheilige, Neuheilige, Sonderling, Perfectisten, und dergleiche einfließen lassen, sie sollen vielmehr ihre Zuhörer auff die guten werke, die Erneurung und Heiligung treiben“.729

Indem auch die pietistischen Akteure in Halle dem Kommissionsergebnis zustimmten, wurde an dieser Stelle von ihnen die notwendige Abgrenzung gegenüber denjenigen Segmenten vollzogen, deren theologische Konzepte keinesfalls in die in Halle verhandelten Deutungsmuster lutherischer Identität integrierbar waren. Außerdem sollten die Prediger sich untereinander nicht ihre Beichtkinder durch unterschiedliche Praktiken abspenstig machen (15.).730 Im elften Punkt fand ein Problem Anklang, dass später in der Auseinandersetzung zwischen Theologen der Universität und Thomasius zum Tragen kommen sollte, nämlich die Frage nach dem Decorum,731 hier theologisch als weltliche Adiaphora formuliert mit der Mahnung an die Theologen, wobei besonders Francke gemeint sein dürfte, Dinge wie Tanzen, Essen, auffällige Kleidung „in gebührenden Schranken“732 zuzulassen. An beide Parteien richtete sich die Aufforderung, die Perikopenordnung zu befolgen (12.),733 Katechismuserziehung sollte neben der Predigt das Mittel der Unterweisung sein, wobei den Studenten dabei eine Möglichkeit der Übung ihrer späteren Tätigkeit eingeräumt werden sollte. Die Fakultät sollte dem Konsistorium regelmäßig entsprechende Kandidaten vorschlagen, die die Katechismusexamina abnehmen durften.734 Darüber hinaus sollten beim Examen der Kandidaten der Theologie auch Mitglieder des Konsistoriums beteiligt werden. Dies war das entscheidende Einfallstor für die an der Fakultät ausgebildeten Theologen, Pfarrstellen in territorialer Breite zu beziehen, ohne dass ihnen ein Heterodoxievorwurf gemacht werden konnte.735 728

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Vgl. ebd., S. 15f. Es heißt, dass, „viele jetzund sagen allein von der Vergebung der Sünden und sagen nichts oder wenig von der Busse, so doch ohne Busse keine Vergebung der Sünden ist, es kann auch Vergebung der Sünden nicht verstanden werden ohne Busse, und so man die Vergebung der Sünden prediget ohne Busse, folget, daß die Leute wehnen, sie haben schon Vergebung der Sünden erlanget und werden dadurch sicher, furchtloß, welches dann der größer Irrthum und Sünde ist, denn alle Irrthümer vor dieser Zeit gewesen seyn, und fürwar zu besorgen ist, wie Christus spricht, Matth 12, V.10, daß das letzte ärger werde als das erste.“ Ebd., S. 16. Ebd., S. 219. Vgl. ebd., S. 24. Vgl. Kapitel IV.2.2. Bericht dessen, Was wegen der Zwischen den Evangelisch-Lutherischen Geistlichen, S. 21. Vgl. ebd., S. 22. Die Beibehaltung der Perikopenordnung überrascht insofern, als dass ihre Abschaffung ein deutliches Zeichen der Öffnung gegenüber dem Reformiertentum gewesen wäre. Offensichtlich sorgte erneut der Grundsatz der Friedensstiftung für die Beibehaltung dieses Elements ähnlich wie die Beibehaltung der Messgewänder. Vgl. ebd., S. 23. Vgl. ebd., S. 24.

248

III. Konfessionspolitik und Universität

Der Streit von 1699/1700 hatte folgende entscheidende Ergebnisse gebracht: 1. Die endgültige Anerkennung der Universitätstheologie als rechtgläubig seitens der Stadtgeistlichkeit im Unterschied zu 1692; 2. die Wegbereitung für eine umfassende Pfarrstellenbesetzung mit hallischen Theologen ohne Widerstandsmöglichkeit aus dem Territorium; 3. die Anerkennung der Pfarramtspraxis Franckes; 4. das Gebot der Mäßigung für alle Gruppen im Sinne von Frieden, Ruhe und Harmonie.736 Der Streit hatte aber auch gezeigt, wie federführend Francke inzwischen in der Phalanx der hallischen Theologen war. Breithaupt hatte immer zurückhaltend agiert, war 1692 und 1693 aber als Stratege im Hintergrund aufgetreten. 1699/1700 überragte Frankke in Angreifbarkeit und Konfliktmanagement seine Kollegen. Sicherlich war er über das Jahrzehnt prominenter in Erscheinung getreten und deshalb im Konflikt zentral. Dennoch kann man sich einem ähnlichen Verdacht wie schon bei der Analyse des Streitverlaufs 1692 nicht entziehen, Franckes Agieren sei Strategie gewesen. Nicht umsonst hatte Francke Breithaupt nun für kirchenleitende Ämter vorgeschlagen. Breithaupt konnte nach wie vor als der moderate – anders als Francke – und als der prominente – anders als Anton – Mann der Fakultät durchgehen, dem kirchenleitende Ämter durchaus zuzutrauen waren. 1699/1700 war man damit noch nicht erfolgreich. 1709 jedoch wurde Breithaupt Abt des Klosters Berge, dem Ort, an dem die FC ihre Form gefunden hatte. Wichtigstes Ergebnis für die Regierungsseite in Berlin war die Herstellung der „erwünschten Harmonie“ und die Anerkennung der Rechtgläubigkeit auch der Universität im Gegensatz zum Patt von 1692. Eine bereits im Herbst 1699 anonym erschienene und später auf den in Erfurt von seinem Pfarramt zurückgetretenen Gottfried Heinrich zurückgeführte Schrift mit dem Titel Besser Kein Christ, als Ein Pietist zeugte von der verbreiteten Wahrnehmung der Rolle, die die hallischen Universitätstheologen für die Berliner Konfessionspolitik spielen sollten. So würde man „auch, auser, was im Churfürstenthum Brandenburg seyn möchte, unter andern Herrschafften nicht eben so viel und hohe Favoriten dieser Secten antreffen. Weiß er aber auch, daß es bey denen Vornehmen in hochgemelden Churfürstlichen Landen eine politiq ist, daß sie so stille sitzen, und die Pietisten immer nach ihrem Gefallen hausen lassen? Sie thun es, weil die hohe Landes-Herrschaft sie duldet, und solches vielleicht deswegen, weil sie noch immer eine Vereinigung der Reformirten und Lutherischen Kirchen durch diese Leute geschmiedet zu werden hoffen mögen“.737 736

737

Eine Karriereveränderung brachte die erfolgreiche Kommissionsarbeit am Ende für Johann Fischer mit sich, der am 2.9.1700 zum Generalsuperintendenten und ersten Konsistorialrat des Herzogtums Magdeburg sowie zum Spezialsuperintendeten des Saalkreises ernannt wurde und damit die Nachfolge von Olearius antrat; vgl. Kurfürst am 2.9.1700 [Abschrift], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 129 (1701–1702), Bl. 469r–470v. [Anonym]: Besser kein Christ, als Ein Pietist, das ist: Christliches Bedencken über eine vorgelegte sonderbahre Frage, gestellet von einem, welcher der wahren Lutherischen Kirche von gantzem Herzen aufrichtig zugethan ist, [s.l.] 1699, S. B2v-B3r; vgl. zum Kontext Eißner, Daniel: „Besser Kein Christ / als Ein Pietist“ – Zur Kontextualisierung einer Streitschrift am Rande des Kampfes

3. Zusammenfassung

249

Dass auf der Basis der konfessionspolitischen Interessen man seine Argumente gegenüber der Berliner Regierung flexibel gestalten konnte, hatten die pietistischen Akteure längst begriffen. Dort musste man sich spätestens jetzt im Klaren darüber sein, dass man es bei den pietistischen Akteuren keinesfalls mit friedfertigen Theologen zu tun hatte, sondern diese stattdessen sogar bereit waren, Konflikte erst zu provozieren. Das galt auch für die, die sich in den von Spener forcierten Integrationsprozess insofern einfügten, als sie versuchten, den Anschein einer problematischen Entfernung von den Deutungen der lutherischen Identität durch traditionelle Lutheraner zu vermeiden. In Halle wurde trotz der Konflikte der Weg bereitet, durch die Ausbildung von Theologen an der Fakultät und entsprechende Pfarrstellenbesetzung die Pfarrerschaft im Herzogtum umzuprägen. Gegenüber den traditionell-lutherischen Theologen, wie sie in der Stadt Halle amtierten, waren die Universitätstheologen nach Abweisung aller Heterodoxievorwürfe aus Sicht der Regierung das geringere Übel. Dazu beigetragen hatte auch die Domestizierung Franckes: Ekstatischen Erscheinungen stand er inzwischen skeptisch gegenüber und war auf eine Vermeidung solcher in Glaucha und in seinen Anstalten bedacht.738 Zwar praktizierte er auch weiterhin Kirchenzuchtmaßnahmen zur Herstellung einer Gemeinschaft wahrer Christen im Sinne einer „umgekehrten Separation“.739 Mitstreiter Franckes in Halle wurden allerdings nur diejenigen Leipziger und Erfurter Weggefährten, die nicht für Separation oder Ekstasen standen.

3.

Zusammenfassung

Die Veränderung der konfessionellen Identität der Lutheraner durch die Verstärkung einer innerlutherischen binnenkonfessionellen Strömung, die auf die interkonfessionelle Friedfertigkeit ausgerichtet war, ließ sich mittelfristig nicht ohne die Sicherstellung der entsprechenden Theologenausbildung gewährleisten. Die Situation im Herzogtum Magdeburg ohne eigene Universität war in dieser Hinsicht unbefriedigend, weil die Untertanen zum Studieren auf die benachbarten Universitäten Leipzig und Wittenberg zogen, die vom traditionellen Luthertum geprägt waren. Dennoch entwickelte sich die Ausbildungssituation nur schleppend, und die hallischen Akademien wurden zunächst seitens der Berliner Regierung ohne besonderes Engagement begleitet. Dies änderte sich erst mit

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739

um die Durchsetzung des Pietismus in Halle, in: PuN 37 (2011), S. 20–35. Dies zeigte sich auch exemplarisch, als es nach dem Auftreten von Propheten der Camisardenmission in Glaucha 1713/14 bei der Tochter eines Famulus in den Stiftungen zu ekstatischen Erscheinungen kam. Francke war gegenüber den Oberkuratoren darauf bedacht, dass weder die Parochie noch die Anstalten öffentlich mit dem Phänomen in Verbindung gebracht wurden. Auf Betreiben des Dompredigers Theodor Knauth setzte er sich allerdings gleichzeitig für eine abwartende Beobachtung des Phänomens ein; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 125–134, bes. S 126–128. Albrecht-Birkner / Sträter: Radikale Phase, S. 65, S. 80.

250

III. Konfessionspolitik und Universität

dem Interesse des Leipziger Juristen Christian Thomasius an der hallischen Akademielandschaft im Jahr 1689/90. Thomasius befand sich aufgrund seiner Angriffe auf das traditionelle Luthertum durch seine dem naturrechtlichen Denken entspringende Forderung nach der äußeren Kirchenleitung des Territorialherren und nach der Beschneidung des Einflusses von Theologen auf die Gestaltung und Grenzziehungen dessen, was als spezifisch lutherisch galt, in der prekären Situation, Leipzig verlassen zu müssen. Er erkannte die Passgenauigkeit seines staatskirchenrechtlichen Denkens mit der Berliner Konfessionspolitik und adaptierte es situationsspezifisch, indem er für die gemischtkonfessionelle Ehe einer jüngeren brandenburgischen Prinzessin, die Abschaffung der FC und die uneingeschränkte Kirchenleitung des Fürsten eintrat. Es ist davon auszugehen, dass sein Ruf nach Halle wesentlich mit dieser Anpassung in Beziehung stand und für die Berliner Konfessionspolitiker sich eine Möglichkeit eröffnete, nicht nur durch Theologen-, sondern auch durch Juristenausbildung das spezifische Verständnis von Kirchenleitung im Territorialverbund Brandenburg-Preußen als zentralen Wert in die lutherische Konfessionskultur des Landes zu transplantieren. Dennoch oblagen die angedachten Erstberufungen an die 1691 begründete FriedrichsUniversität noch dem Kontinuitätsprinzip der Amtsträger, wie es bereits 1680 angewendet worden war. Nur Thomasius, Breithaupt und ein Sohn Speners fanden sich als NichtHallenser auf der Erstberufungsliste. Vor allem die Berufung einheimischer Theologen zeigte, dass die Theologenausbildung nicht vollkommen jenseits des traditionellen Luthertums gestaltet werden konnte, sondern vielmehr auf ein ausgleichendes Vorgehen gesetzt werden sollte, auch wenn diese erste Liste nicht zustande kam. Breithaupt gehörte als pietistischer Akteur in das Umfeld Speners, dessen Theologie als Ausdruck einer friedfertigen binnenkonfessionellen Strömung bereits von Thomasius, der mit ihr aus Leipzig vertraut war, ins Gespräch gebracht worden war. Der Erfurter Senior passte 1691 aber erheblich stärker als Angehöriger überlieferter calixtinisch-irenischer Strömungen in das konfessionspolitische Bild Berlins, da er in Helmstedt und Kiel, also abseits Wittenbergs, studiert und sich in den Erfurter Unruhen als kompromissfähig erwiesen hatte. Vergleicht man seine Berufung mit der umständlichen Berufung seines Erfurter Kollegen Francke nach Halle, zeigt sich, dass es bei den Berufungen nach Halle nur schwerlich um die intendierte Anstellung von pietistischen Akteuren gegangen sein kann. Dasselbe Bild ergibt sich für Speners Berufung 1691 zum Propst in Cölln, die wie im Fall Breithaupts eher seiner Moderation als seiner Innovation verpflichtet war. Man nahm in Berlin und Halle pietistische Akteure auf, weil ihre vermeintliche Friedfertigkeit mit den älteren Elementen irenischer Theologie zu harmonisieren und damit die reformierte Konfessionalisierungspolitik zu stützen schien. Die Aufsichtsorgane der Universität zeugten ebenfalls von den latenten konfessionspolitischen Absichten, denn die Oberkuratoren standen für reformierte Konfessionspolitik, während der Kanzler von Seckendorff als ebenso moderat und friedfertig wie Spener galt. Sowohl Thomasius als auch Breithaupt bekamen mit Stryk und Baier unverdächtige lutherische Fakultätskollegen an die Seite gestellt, die den Ruf der Rechtgläubigkeit der Universität sichern sollten. Auch dies spricht gegen den Charak-

3. Zusammenfassung

251

ter einer neugegründeten Reformuniversität. Bei der Berufung an die philosophische Fakultät scheiterte man weitgehend damit, berühmte Persönlichkeiten zu gewinnen, so dass sie mit Ausnahme von Cellarius ein Reservoir noch unbekannter akademischer Namen wurde, darunter auch Francke. An der medizinischen Fakultät kann der innovative Charakter angesichts der medizinischen Konzepte der beiden Ärzte Stahl und Hoffmann am ehesten belegt werden, ohne dass die These von der Reformuniversität besonders gestärkt würde. Es ergibt sich für das Zustandekommen und die Erstberufungen ein inhomogenes Bild: Thomasius’ naturrechtliche Neuerungen waren günstig für die Konfessionalisierungspolitik, Breithaupts vermutete Irenik sollte das interkonfessionelle Klima unter den neuen Theologen des Landes verändern, während Stryk und Baier für geregelten und mit den Codes des traditionellen Luthertums übereinstimmenden Lehrbetrieb sorgen sollten. Nimmt man die nicht zustande gekommene erste Liste mit in den Blick, ergibt sich keinesfalls ein innovativer Zug als Motiv für die Gründung der neuen Universität. Es ging um die konfessionspolitische Gestaltung von Bildungspolitik, die sich harmonisch in den weiterentwickelten konfessionspolitischen Handlungskatalog Berlins fügte. Die Mitglieder der Universität besetzten mit der Unterstützung der Berliner Regierung rasch die verschiedenen öffentlichen Räume: Die finanzielle Unterstützung der Universität durch die Mittel der Landschaft wurde gegen deren Proteste durchgesetzt. Das gleiche galt für die Besetzung des realen und symbolischen städtischen Raums in Gestalt der Universitätsräumlichkeiten und der Voranstellung der Universitätsmitglieder vor die Honoratioren der Stadt. Die Besetzung des juristischen Raums in Gestalt der Jurisdiktion der Universität über die Studenten wies darüber hinaus bereits in die Richtung der großen Konflikte über die Deutungshoheit lutherischer Identität zwischen den beiden binnenkonfessionellen Gruppen der eingesessenen traditionellen Lutheraner und der neuangekommenen pietistischen Akteure an der Universität bzw. in Glaucha 1692 bis 1700. Bezeichnend wurde der Versuch der traditionellen Lutheraner, die Universitätsmitglieder zu bezichtigen, pietistisch zu sein, worin der Vorwurf gegenüber den pietistischen Akteuren, außerhalb der gemeinsamen Verbindlichkeiten lutherischer Identität zu stehen, enthalten war und Misskredit der Universität bei den Untertanen, mithin also auch wirtschaftlichen Misserfolg generieren sollte. Diese Auslegungsvariante erschien dermaßen wirkmächtig, dass die Universitätsmitglieder sich gezwungen sahen, gegenüber Berlin ebenfalls scharf zwischen der alma mater und den Pietisten zu unterscheiden. Umgekehrt wurde seitens der traditionell-lutherischen Stadtgeistlichkeit versucht, das Eindringen pietistischer Theologie in die konfessionelle Sphäre der Stadt und der nicht-theologischen Universitätsöffentlichkeit zu verhindern, indem man die Schulkirche erst Breithaupt und dann zumindest Francke vorenthielt. Auf der dritten Seite stand die reformierte Gemeinde, die den Dom nach dem Abgang des lutherischen Dompredigers aus Halle nicht erneut mit Lutheranern teilen wollte, gleich welcher binnenkonfessionellen Strömung diese zuzuordnen waren. 1692 entstand um die Teilkonflikte der von Francke praktizierten rigorosen Kirchenzucht in Glaucha und des Eindringens von spiritualistischen Elementen in die Stadt

252

III. Konfessionspolitik und Universität

und die Universität ein breit angelegter Versuch seitens der Stadtgeistlichkeit, mittels des Heterodoxievorwurfs einen grundsätzlichen Streit um den Machtanspruch über die Auslegung lutherischer Identität zu führen. Dazu wurde das Sünden- und Bußverständnis von Breithaupt und Francke analog zu den Leipziger und Erfurter Streitigkeiten um den Perfektionismusvorwurf als mehrfache Verletzung des konfessionellen Codes der CA invariata und damit als heterodox bewertet. Somit wurde die Existenz einer gemeinsamen konfessionellen Identitätsgrundlage bestritten. Gegenüber Berlin setzte die Stadtgeistlichkeit auf die Hoffnung, die pietistischen Akteure für die lutherische Außenwahrnehmung in ihrer Rechtgläubigkeit soweit zu diskreditieren, dass sie aus Halle relegiert würden, um den Ruf der Universität, das Kernstück Berliner Politik in Halle, zu schützen. Diese Strategie funktionierte wegen des Grundsatzes der Friedfertigkeit und des Kirchenfriedens, dem die eingesetzte Untersuchungskommission verpflichtet war, nicht. Vielmehr wurde eine Kompromisslösung durchgesetzt, in der die gegenseitigen Vorwürfe abgetan wurden und die Stadtgeistlichkeit verpflichtet wurde, die Heterodoxievorwürfe in Zukunft nicht mehr vorzubringen. Die Doppelstrategie der Inszenierung Breithaupts als den moderaten und Franckes als den Streit führenden Part ging dabei auf. Dass das Ergebnis für die auf Umgestaltung bei Friedenserhalt drängende Berliner Konfessionspolitik allerdings unbefriedigend blieb, weil es einen Patt in der Frage, welche Gruppe die Deutungshoheit über die lutherische Identität besaß, erzeugte, stellte sich in den nächsten Jahren heraus. Dieses Patt zeigte sich auch innerhalb der theologischen Fakultät, als Baier sich nicht in der Lage sah, die konfessionellen Codes der Bekenntnisse der CA invariata, besonders aber der FC in den Statuten der theologischen Fakultät aufzugeben, und deshalb seine Professur aufgab. Bei der Diskussion über die Statuten und die Berufung des pietistischen Akteurs Paul Anton zeigten sich der Gestaltungswille und Machtanspruch der reformierten Hofprediger, die nach wie vor für eine aggressivere Variante reformierter Konfessionalisierungspolitik einstanden. Ihr Einfluss auf die Stellenbesetzung kann als ein wesentliches Element gegen die These von der Reformuniversität Halle ins Feld geführt werden. Die Erkenntnis aller Parteien, dass der Schutz der Universität ein inzwischen eminentes Anliegen der Berliner Konfessionspolitik darstellte, war ein wesentliches Argument für den Umgang mit Ekstasen unter den Studenten. Traditionelle Lutheraner grenzten sich von diesen Phänomenen ebenso ab wie Breithaupt und, zögerlich, auch Francke. Dass die Berliner Seite sich ebenfalls eindeutig von solchen Phänomenen abgrenzte, konnte den pietistischen Akteuren auch eine Warnung sein, wo die konfessionspolitische Duldungsgrenze lag. Die Frage nach der Gestaltung konfessioneller Codes entzündete sich erneut an der Frage des Umgangs mit dem Taufexorzismus, hinzu kam der Einsatz von Messgewändern im Gottesdienst. In Glaucha befanden Francke und sein Adjunkt Freylinghausen diese für Adiaphora, die folgerichtig weggelassen werden konnten. Das entsprach der Einschätzung reformierter Konfessionalisierungspolitik, hier für das traditionelle Luthertum wichtige identitätsstiftende Codes ausgemacht zu haben, deren Reduktion erst die Umgestaltung lutherischer Identität in interkonfessioneller Hinsicht möglich machte. Das Prinzip der Friedfertigkeit und der unklaren Auslegung der Autorität über das ius in sacra

3. Zusammenfassung

253

führte letztendlich wieder zu einer Kompromisslösung seitens Berlins. Dem Gewinn der Deutungshoheit diente die innere Abgrenzung der theologischen Fakultät gegenüber den Ansprüchen Buddes auf ein theologisches Leserecht. Da Budde naturrechtlich geprägte staatskirchenrechtliche Positionen vertrat, konnten sich die Fakultätsmitglieder durch seine Zurückdrängung als Hüter hergebrachter lutherischer Identität inszenieren. Gegenüber Berlin setzte man die umgekehrte Strategie ein: Indem man Budde der Zugehörigkeit zur Wittenberger Theologie bezichtigte, erschien die Fakultät als Ort derjenigen binnenkonfessionellen Ausrichtung, die für die Lösung vom traditionellen Luthertum und die Öffnung lutherischer Identität für neue Codes einstand. Dieser Strategie entsprach auch die Zurückweisung des Leserechts des Stadtpredigers Stisser. Einen letzten Versuch analog zu den Vorgängen des Jahres 1692, die Deutungshoheit über lutherische Identität zu sichern, unternahm die Stadtgeistlichkeit 1699/1700. Auslöser war eine neue Strategie Franckes, nicht eine spezifisch lutherische, sondern eine christliche Identität definieren zu wollen, außerhalb derer er die Stadtprediger setzte. Diese reagierten mit einem ähnlichen Vorwurfsprofil wie 1692, das auf den Nachweis von Heterodoxie hinauslief. Unterstützt wurde sie durch die magdeburgischen Stände, die sich rechtlich, finanziell und konfessionell mit den Glauchaschen Anstalten Frankkes auseinandersetzten. Eine den pietistischen Akteuren gewogene Untersuchungskommission führte eine Entscheidung herbei, die die binnenkonfessionellen Gegebenheiten gravierend umgestaltete: Unter dem Leitwort der „erwünschten Harmonie“ wurden beide Gruppen zusammengeführt, indem die Stadtgeistlichkeit nicht nur dem Heterodoxievorwurf abschwören, sondern die Orthodoxie der Universitätstheologen anerkennen musste. Damit war der Weg für eine pietistische Deutungshoheit über lutherische Identität frei. Sofern die Pietisten auf interkonfessionelle Friedfertigkeit setzten, konnte Berlin nun zum Kern der Konfessionspolitik zurückkehren, also die Öffnung der Lutheraner gegenüber dem Reformiertentum. Ob die Pietisten dafür wirklich die geeigneten Lutheraner waren, war allerdings aufgrund ihrer Streitbereitschaft und ihrer sehr bewussten Beibehaltung der CA invariata eine offene Frage.

IV. Misserfolg und Neuausrichtung

1.

Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713

1.1. Allgemeine Entwicklungen War es der theologischen Fakultät seit 1692 gelungen, den konfessionspolitischen Umgang Berlins mit den traditionellen lutherischen Eliten in ihrem Sinn zu beeinflussen und dadurch den eigenen Deutungsanspruch über lutherische Identität auszubauen, erfolgte im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts das, was Klaus Deppermann die „Krise des Verhältnisses zwischen dem halleschen Pietismus und dem preußischen Staat 1709–1713“1 nennt. Deppermann bezieht das angeschlagene Verhältnis vorwiegend auf die Person Franckes und den Fortgang seiner Anstalten,2 während in dieser Arbeit die Situation der Fakultät im Mittelpunkt steht. Deppermann datiert die Krise auf die Jahre 1709 bis 1713, sah allerdings die Anfänge bereits 1703 gekommen. Diese Bewertung erfolgt vor dem Hintergrund des gescheiterten collegium charitativum 1703. Es reihte sich als ein weiteres in die Abfolge der gescheiterten Religionsgespräche in Brandenburg-Preußen ein. Als treibender Akteur im Hintergrund gilt der Präsident der Preußischen Akademie der Wissenschaften Gottfried Wilhelm Leibniz. Leibniz gelang es, in Brandenburg-Preußen Partner für eine von den Ideen Calixts inspirierte Union zwischen Reformierten und Lutheranern zu finden, darunter Ezechiel von Spanheim und Eberhard Christoph Balthasar von Danckelmann.3 Mit den Verhandlungen wurden 1697 Philipp Jakob Spener und die reformierten Hofprediger Jablonski und Heinrich von Schmettau beauftragt. Jablonski, diese Haltung begegnete zeitgleich im Berliner Beichtstuhlstreit, äußerte sich in seinem Gutachten positiv zur Unionsfrage, wohingegen Spener sich reserviert verhielt.4 Die ei1 2 3

4

Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 155. Vgl. Kapitel IV.3.1. Vgl. Scheepers: Die gescheiterte Union, S. 139f. Leibniz förderte auch den Druck einer Neuausgabe von Calixts Consultatio tolerantia Reformatorum von 1650. Vgl. Scheepers: Die gescheiterte Union, S. 141.

256

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

gentlichen Unionsgespräche fanden erst 1703 unter der Leitung von Benjamin Ursinus mit den reformierten Teilnehmern Jablonski und Johann Samuel Strimesius von der Universität Frankfurt an der Oder und mit den Lutheranern Franz Julius Lütkens und Johann Joseph Winckler, Diakon am Magdeburger Dom, statt. Es fehlte Leibniz, es fehlten Vertreter aus Helmstedt, und es fehlte Spener. Letzterer hatte die Teilnahme abgelehnt,5 denn die Forderung nach Friedfertigkeit zwischen den Konfessionen zum Ziele des Bauens am Reich Gottes und ein grundsätzliches Interesse am Nachdenken über Vereinigungsfragen, wie es von Spener in Berlin bekannt war, hieß nicht, dass dieser automatisch auch den Forderungen nach einer Union nachkam. Das Gespräch missglückte aufgrund der Weigerung von Lütkens, sich mit der Überzahl der reformierten Theologen auseinanderzusetzen.6 Das erneute Scheitern eines innerprotestantischen Religionsgesprächs zeigt deutlich, dass die pietistischen Akteure als die vermeintlich Friedfertigeren unter den Lutheranern, die man in den anti-pietistischen Anfeindungen ein Jahrzehnt lang gefördert hatte, nicht bereit waren, den Schritt über die Konfessionsgrenze zu gehen. Umgekehrt war es für die Anerkennung ihrer Rechtgläubigkeit innerhalb des Luthertums unabdingbar, sich keinesfalls eine Nähe zum Reformiertentum nachweisen zu lassen, um keine erneute Diskussion über die Geltung konfessioneller Verbindlichkeiten zu provozieren. Dieses Problem wurde nach dem Unionsgespräch durch die von den Zeitgenossen auf Winckler zurückgeführte Schrift Arcanum Regium7 besonders virulent. Die Schrift postulierte ein uneingeschränktes Episkopalrecht des Königs8 und forderte die Wiederaufnahme des Unionsgesprächs. Darüber hinaus traktierte sie die aktuellen binnenkonfessionellen Konfliktfelder zwischen traditionellen und pietistischen Lutheranern, nämlich die Haltung zum Abendmahl, zum Exorzismus, zu den verbliebenen Festen altkirchlicher Herkunft und dem Einfluss der Wittenberger theologischen Fakultät.9 Als positives Gegengewicht zu den Wittenberger Theologen benennt der Text die Theologen in Halle.10 Als das entscheidende Übereinstimmungsmerkmal zwischen beiden protestantischen Konfessionen markierte die Schrift den protestantischen Christozentrismus. Daneben könnten unterschiedliche Meinungen unter den Theologen durchaus bestehen, dies spräche nicht gegen eine Vereinigung.11 Aus den zahlreichen Schriften gegen Arcanum Regi5 6 7

8

9 10 11

Vgl. Wallmann: Spener in Berlin, S. 304. Lütkens wechselte 1704 als Konsitorialrat und Theologieprofessor nach Kopenhagen. [Winckler, Johann Joseph]: Arcanum Regium, Das ist, Ein königlich Geheimniß Für einen regierenden Landes-Herrn, Darinen ihn entdecket wird, wie er sich bey seinen, über die Religion zertheilten Unterthanen nach Gottes Willen zu verhalten habe, damit er eine Gott wohlgefällige Vereinigung bey seinem Volcke unvermerckt stiffte und in kurtzer Zeit befordere, Ans Licht gestellet von Wincklero, Diacono an der Thum-Kirche zu Magdeb., Franckfurt 1703. Vgl. ebd., S. A3r. Für die Vereinigung der Konfessionen sei es nötig, „daß ein regierender LandesHerr sein Jus Episcopale wohl in acht nehme, nam quilibet Princeps in Religione sua Papa est, […], denn dadurch kan man denen Widersprechern das Maul stopffen, denen Gegenarbeitenden den Arm zerbrechen, und ohnzehlig viel gutes stifften.“ Ebd. Vgl. ebd., S. B1r-B2v. Vgl. ebd., S. A4r. Vgl. ebd., S. B2v-B3v.

1. Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713

257

um von traditionellen Lutheranern zur Verteidigung der Konfessionstrennung aufgrund zentraler Glaubenssaussagen beispielsweise zum Abendmahl und zur Prädestination ragte das Engagement des Leipzigers Valentin Ernst Löscher heraus.12 Dessen Allerunterthänigste Adresse13 war deswegen gefährlich für die hallischen Universitätstheologen, weil sie die Befürworter der Union unter den Lutheranern bewusst nicht differenzierte: In einer Montagetechnik setzte Löscher verschiedene zeitgenössische Personen, Schriften und Ereignisse, vor allem aber die zum radikalen oder zum kirchlich integrierten Segment gehörenden pietistischen Akteure miteinander in Beziehung oder verband sie mit Ideen und Schriften von Thomasius. Johann Konrad Dippel, Gottfried Arnold, Johann Wilhelm Petersen, Johann Caspar Schade, Joachim Lange und Christian Thomasius und ihre Schriften stehen derart beieinander14 als diejenigen, die vorgäben, „es sey keine Wahrheit im Verstand und Erkändtnuß, von göttlichen Dingen wisse man gar nichts, es sey kein Fundamental-Glaubens-Articul, sondern so viel Wahrheiten, so viel arten Menschen sind.“15 Die theologische Fakultät und die Universität in Halle wurden damit von Löscher implizit bezichtigt, die bisher verbindlichen konfessionellen Codes nicht anzuerkennen. Für die Professoren der theologischen Fakultät in Halle ergab diese Gemengelage eine Situation, in der eine etwaige Nähe zu den Reformierten unbedingt vermieden werden musste, wenn sie nicht erneut eine Infragestellung ihrer Rechtgläubigkeit erleben wollten. Es wurde bisher dargelegt, wie sehr Entwicklungen an der Friedrichs-Universität und besonders an der theologischen Fakultät sowie Franckes Angelegenheiten in Glaucha durch persönliche Kontakte zu Geheimen Räten und anderen Ansprechpersonen in Berlin beeinflusst worden waren, so dass das Fehlen solcher Verbindungen zwangsläufig Auswirkungen auf den Fortgang der Erfolgsgeschichte der theologischen Fakultät innerhalb der Universität haben musste. Exakt diese Situation war inzwischen durch eine Reihe von Todesfällen eingetreten: von Fuchs 1704, Spener und von Chwalkowski 1705 und von Schweinitz 1707. Der neue Oberkurator der Universität Marquard Ludwig von Printzen war zwar wie sein Vorgänger von Fuchs reformiert, seine Karriere war mittelfristig allerdings offensiver als die seiner Vorgänger mit dem konfessionellen Aspekt verknüpft, so wurde er beispielsweise 1713 Präsident des neu errichteten reformierten Oberkirchendirektoriums. Als Partner der Fakultät und Franckes in Berlin war Mitte der 1710er Jahre Carl Hildebrand von Canstein verblieben, dessen Freundschaft Spener vermittelt hatte.16 Auch General Gneomar Dubislav von Natzmer unterstützte die Anliegen Franckes in 12 13

14 15 16

Vgl. Scheepers: Die gescheiterte Union, S. 151ff. [Löscher, Valentin Ernst]: Allerunterthänigste Adresse an Ein Großmächtigstes Oberhaubt, In Nahmen der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Die Religions-Vereinigung betreffend: Nebst angehängter Recension derer dießfalß bißher edirten Schrifften, und Einen Christlichen Vorschlag Zum gesegneten Kirchen-Frieden, Leipzig: Joh. Grossens Erben 1704. Vgl. ebd., S. 51–58. Ebd., S. 51. Zu den Verbindungen zwischen von Canstein, Spener und Francke vgl. Schicketanz, Peter: Carl Hildebrand von Cansteins Beziehungen zu Philipp Jacob Spener, Witten 1967.

258

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Berlin.17 Die Fakultät selbst hatte sich durch die Ernennung Breithaupts zum Abt des Klosters Berge 1709 und die Wiederbesetzung der Professur durch Joachim Lange personell verändert. Lange war mit einem Studium in Leipzig ab 1689 und der Bekanntschaft mit Francke, Anton und Spener, einer ersten Anstellung in Berlin ab 1693 und der Teilhabe am Kreis um Spener, Schade und von Canstein der passende Kandidat für die BreithauptNachfolge.18

1.2. Die Errichtung einer gemischtkonfessionellen theologischen Fakultät Seit 1710 wurde seitens der Berliner Obrigkeit wieder versucht, den konfessionspolitischen Handlungskatalog um einen entscheidenden Schritt voranzutreiben. Das Mittel dazu war der Rektor des reformierten Gymnasiums illustre, das – dies war an sich bereits eine Maßnahme zur konfessionellen Auffächerung des Bildungswesens – 1709 in Halle etabliert worden war. Es handelte sich um den reformierten Professor der Theologie Johann Huldreich Heyden,19 einen gebürtigen Schweizer, der „‚so wohl [die] bey der Universität zu Halle, als auch in dem Gymnasium Illustri Studirende jugendt nicht allein publice, sondern auch privatim’ seinem ‚besten Wißen nach Treülich undt fleißig in Theologicis unterrichten, zu dem ende auch Collegia halten und publice undt privatim disputiren’“20

sollte. Heyden begann demzufolge sehr rasch nach seiner Berufung am 12.3.1710 seine Lehrtätigkeit auch auf die Universität auszudehnen und versuchte, seine Veranstaltungen am Schwarzen Brett anzubringen, was ihm ebenso wie die Beanspruchung eines Sitzes unter den Professoren seitens der Universität verwehrt wurde.21 Das konfessionspolitische Ziel war es, eine Verquickung zwischen lutherischer Fakultät und reformiertem Gymnasium durch Studentenaustausch herbeizuführen. Es ist nicht mehr vollkommen nachvollziehbar, wie lange es in Berlin möglicherweise schon im Vorfeld geplant war, eine vierte und dann reformierte Professur einzurichten. Dass dieser Plan bereits 1705 bestand, deutet zumindest eine umfangreiche Deduktion der Franckeschen Stiftungen aus diesem Jahr an.22 Die Hinweise auf den Verfasser sind spärlich, er sagt über sich lediglich, die Schrift sei von den Theologieprofessoren zum Teil nicht eingesehen worden.23 Die genaue Kenntnis der Verhältnisse in Halle deutet aber auf jemanden aus dem engeren Umfeld der Fakultät oder Franckes hin, Gustav Kramer schlussfolgert daher, es müsse sich um von Canstein gehandelt haben.24 17 18 19 20

21

22 23 24

Vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 165–171. Vgl. Sträter: Wolffs Gegner, S. 82f. Vgl. Wenneker, Erich: Art. „Johann Huldreich Heyden“, in: BBKL 19 (2001), Sp. 691f. Bestallungsurkunde Heydens am 12.3.1710, zitiert nach: Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 104. Vgl. dazu Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 104–115; vgl. auch Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 238f. Vgl. Deduktion von 1705, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 150r–165v. Vgl. ebd., Bl. 165v. Vgl. Kramer: Lebensbild, Bd. 2, S. 138.

1. Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713

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Der Verfasser beschrieb die Rolle der „Theologische[n] Facultät und denen mancherley Ordnungen und Einrichtungen daselbst“ als „Grund zu einer gewünschten Verbeßerung des allgemeinen Verderbens“.25 Dieser Verbesserung sei „das Concilium de quarto Professore Theologiae reformato“26 zuwider. Nach einer sündentheologischen Herleitung des gegenwärtigen Zustands der Welt und ihrer Verbesserungswürdigkeit27 wurde die Rolle der Pietisten an der Universität positiv gewürdigt. Es sei kein Wunder, dass die Pietisten in Leipzig zum ersten Mal ausgerechnet an einer Universität, „ein[em] Ort, wo die Quelle des Verderbens zu finden“28 sei, aufgetreten seien. Umso wichtiger sei es, dass zur Gründung der Universität Halle sich die richtigen Männer eingefunden hätten, um dem „Verderben des Lehrstandes“29 zu begegnen. Die Referenzen zu den Pia Desideria Speners sind damit unübersehbar. Im Anschluss wurden die positiven Merkmale in den hallischen Einrichtungen aufgezählt, also gleichsam alles, was in Halle durch das Wirken der Theologieprofessoren entstanden war, wobei Fakultät und Anstalten eng verknüpft wurden: die Collegia Breithaupts und Franckes,30 das Collegium Orientale Theologicum,31 das Seminarium Praeceptorum, das Paedagogium Regium, das Waisenhaus mit Apotheke und Buchdruckerei.32 In allen Einrichtungen würde eine „große Anzahl junger Leuthe zum Lehr Amt in Kirchen und Schulen wohl zu bereitet werden, von welchen viele, theils in Predigt Amt, theils in Universitäten und Schulämtern gar gesegnete Früchte ihrer genoßenen Anführung an den Tag geleget, an allen Orthen wo sie hin gekommen, das Exempel derer, bey der Universität ihr Amt mit gehörigem Ernst zu führen trachten, alß auch anderer manche in sich gehen gemacht, und den ihnen gegebenen Exempel von Hertzen nach zueiffern.“33

Die argumentative Nähe zu Franckes Project34 und dem Bild des Pflanzgartens mit dem hier verwendeten Bild der fruchtbringenden, von Halle ausgehenden Tätigkeit einer neuen Generation von Amtsträgern ist augenfällig. Auch der wirtschaftliche Nutzen von Universität und Stiftungen wurde in der Denkschrift nicht außer Acht gelassen, insbesondere die Auswirkungen auf die Akzise durch die Studentenfrequenz wurden ausführlich dargestellt und mit Zahlen unterlegt.35 Mit der hohen Zahl der Studenten in der Theologie und in dem schlechten Bildungs- und Frömmigkeitszustand, in dem diese nach Halle kämen, obläge den Theologieprofessoren 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34

35

Deduktion von 1705, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 150r. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 150r–152r. Ebd., Bl. 152r. Ebd., Bl. 152v. Vgl. ebd., Bl. 154r. Vgl. ebd., Bl. 154v. Vgl. ebd., Bl. 155v. Ebd., Bl. 156r. [Francke, August Hermann]: Project. Zu einem Seminario Universali oder Anlegung eines PflantzGartens, von welchem man eine reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Teutschlands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten, AFSt/ W II/-/10, Bl. 33r–42v. Vgl. Deduktion von 1705, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 157r–159v.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

jedoch dermaßen viel Arbeit, dass eine vierte theologische Professur dringend von Nutzen sei.36 Erst an dieser späten Stelle wird das Gerücht, es gäbe hierfür bereits einen Plan, allerdings für eine reformierte Professur, kritisch kommentiert: „Wenn aber, wie verlauten will ein ordentlicher Professor Theologiae reformatus zu Halle gesetzet werden sollte, so würde dieses alles auff einmahl auffhören und also der bißhero beschriebene Segen gantzlich abgebrochen werden […]. Sobald ein Professor Theologica reformatus, daselbst dociret, verliehret die Academie den Nahmen einer Lutherischen Schule und unrein gehaltener Lehr verdächtigt; ja öffentlich geruffen werden wird“.37

Die Furcht innerhalb der Gemeinden im Lande und außerhalb vor einer solchen verdächtigen Universität und der dadurch verursachte Studentenabgang würden das gesamte Werk gefährden.38 Dann fehlten wiederum im Lande die in Halle ausgebildeten Theologen, und es müssten „feindselige, zänkische, schädliche Männer wieder Gottes Wort und Wahrheit, auch wieder das gute Gewißen zum öffentlichen verderben so vieler 1000 Seelen zu den Kirchen und Schul Amte zu bestallen“39 sein. Ohne dass im Vorlauf der Denkschrift die Friedfertigkeit als die eigentliche Quintessenz der hallischen Theologenausbildung besonders herausgestellt worden wäre, wird hier durch den Negativkontrast das positive Image Halles für die Konfessionspolitik beschworen. Deshalb bat der Verfasser der Denkschrift um den Bestandsschutz des Gegenwärtigen, „daß so lange dieselbige Ihre Friedrichs Universität je länger je kräfftiger schützen werden, daß der jetzige schöne Zweig noch ein großer Baum werde, welcher Früchte und Schatten dem Lande gebe“.40 Bei den ersten Maßnahmen rund um die Einrichtung einer reformierten Professur ab 1710 schien es allerdings zunächst eher um eine unmerkliche Vermischung von Universität und reformiertem Gymnasium zu gehen, die erst im Verlauf des Konflikts zum Plan der Errichtung einer echten reformierten Professur anwuchsen. Von der theologischen Fakultät wurde das Vorgehen Heydens allerdings von Anfang an als ein Abzielen auf die Professur aufgefasst und entschieden bekämpft. Erste Protestnoten sowohl des reformierten Presbyteriums als Träger des Gymnasiums als auch der Universität wurden über den Sommer 1710 und den Jahreswechsel 1710/11 ausgetauscht, in denen die eine Seite auf der Freiheit der öffentlichen Bekanntgabe von Lehrveranstaltungen und die andere Seite auf der strikten Abgrenzung zwischen Universität und Gymnasium beharrte.41 Konfessionelle Argumente wurden zunächst nicht angeführt. Das änderte sich am 10.2.1711, als das Presbyterium sich an den König wandte und Heydens Vorlesungen als eine Notwendigkeit für reformierte Theologiestudenten der Universität beschrieb, die an der alma mater nach dem Grundstudium an der philosophischen Fakultät nicht ausschließlich an der lu36 37 38 39 40 41

Vgl. ebd., Bl. 161v. Ebd., Bl. 162v–163r. Vgl. ebd., Bl. 163r–164v. Ebd., Bl. 164r. Ebd., Bl. 165v. Vgl. Fakultät an die Oberkuratoren am 21.1.1711, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1700– 1712), Bl. 17r–17v; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 104f.

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therischen theologischen Fakultät studieren könnten und daher über die alternativen Veranstaltungen Heydens informiert werden müssten.42 Dies war ausschlaggebend für eine scharfe Antwort aus Berlin an die Universität am 18.2.1711, in der Heyden ausdrücklich bestätigt und befohlen wurde, „Euch dergleichen bey Vermeidung unaußbleiblicher Straffe-Ahntung, ins künftige nicht mehr gelüsten zu laßen, sondern dem Professori Heyden sowohl, als andern die affigirung seiner Programmatum an denen gewöhnlichen Ortern zu verstatten, auch diejenige, welche boshafftiger Weyse die Studiosos von der Universitaet, welche des Professoris Heydens Lectiones frequentiren, beschimpfungs Weyse vor Gymnasiasten außzuruffen, sich unterstehen werden, gehörig anzusehen und nachdrücklich zu bestraffen.“43

Am 7.10.1711 protestierte die theologische Fakultät bei den Oberkuratoren Printzen und Johann Moritz von Blaspiel, da die reformierte Gemeinde nun verlange, Heyden „mitten unter dem Corpore selbst sessionem zu geben […] als wenn er bey uns ultimus Professor Theologia ordinarius wäre.“44 Die Fakultätsmitglieder betonten wohlwissend ihr „Hertz in Liebe und Friedfertigkeit“,45 bevor sie zur eigentlichen Klageerhebung kamen und die Perspektive auf die gesamte Universität lenkten. Es könne „unserer Universitaet nicht zuträglich geachtet werden […], wenn einem Evangl. Reformirten Theologo locus in Corpore der hiesigen Academie assigniret würde: dazu mal weder die Reformirte Kirche insgemein, noch der Reformirte Theologus insonderheit den allergeringsten Vortheil davon haben, hingegen der Universitaet damit empfindlich geschadet und unser Amt und Arbeit der Jugend niedergeschlagen und weit und breit verwerflich werden müßte.“46

Die Fakultät argumentierte nicht mit der bedrohten Rechtgläubigkeit an sich, sondern mit der Bedrohung des Flors der Universität durch eine von außen angezweifelte Rechtgläubigkeit. Nicht die Fakultät, sondern die Gegner der Universität und der Reformierten außerhalb waren in dieser Darstellung die eigentlichen Gegenspieler Heydens. Manifestiert wurde diese Sicht durch die Beilegung eines ausführlichen Katalogs von Quaestiones, „Ob es der Friedrichs-Universitaet zuträglich sey, daß nebst den Evangelisch-Lutherischen Theologis auf derselben auch einem Evangelisch-Reformirten Theologo ein locus in corpore Academico assigniret werde.“47 So hätten sich die Universitätsprofessoren und besonders die Theologen bisher gegenüber den Reformierten vorbildlich friedlich verhalten.48 Insbesondere an der Universität hätte dies unter den Hörern Wirkung gezeigt.49 Der 42

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Vgl. Supplik des Presbyteriums am 10.2.1711, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 b (1700–1712), Bl. 18r–21r, bes. Bl. 19r–19v. Reskript am 18.2.1711, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 3r–3v. Theologische Fakultät an die Oberkuratoren am 7.10.1711 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091– 1092, Bl. 12r–12v. Ebd., Bl. 12v. Ebd., Bl. 12v–13r. Ebd., Bl. 24r–27r. „Ob es der Friedrichs-Universitaet zuträglich sey“ [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 24r. Die Universität habe „sämtlichen Einwohnern der Stadt Halle, ja der gantzen EvangelischLutherischen Kirchen ein Exempel zur guten Nachfolge gegeben.“ Ebd. Vgl. ebd.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

„christlichen Vereinigung beyderseits Evangelischen“, der „nebst dem publiquen Unterschied gewißer Dogmatum, nichts mehr entgegen stehet, als heftigkeit und bitterkeit der affecten in Worten und Schriften“, stünden die Professoren nicht entgegen, „sondern [seien], so viel von ihnen nach der erkanten Wahrheit immermehr hat geschehen können, vielmehr beförderlich gewesen“.50 Das Problem sei nicht, dass man Heyden den Sitz nicht zukommen lassen wolle, sondern dass „nechst den benachbarten Sächßs. Universitaeten, mit welchen wir hie umgeben sind, bey anderen Praesentibus und Auditoribus angesehen und gehalten wird für ein Zeichen einer unter ihnen aufgerichteten Vereinigung in Glaubens-Sachen, oder der zwischen beyderseits Kirchen noch bishero strittigen Puncten, so fragt sich, ob solches Beysitzen, von Consessibus mere Academicos verstanden und das daher unausbleibliche entstehende Aufsehen der EvangelischenLutherischen Auditorum der Löblichen Friedrichs-Universitaet und folglich der Christlichen Kirche von beyderseits Confessionen zuträglich sey oder nicht?“51

Den auswärtigen Theologen, den Kirchenobrigkeiten und den Hörern wurde damit ein Status des mangelnden konfessionellen Fortschritts attestiert, hingegen die Fakultät sich diesen zuschrieb. Dem König wurde versucht aufzuzeigen, dass alle Entwicklungen an der Universität und insbesondere an der theologischen Fakultät zum konfessionspolitisch Positiven verlaufen seien, außerhalb der alma mater aber die Dinge noch nicht entsprechend bestellt wären, um den konfessionspolitischen Forderungen Berlins nachzukommen. Damit zeigt sich an dieser Stelle auch erstmals innerhalb der zwanzigjährigen Universitätsgeschichte gegenüber der Obrigkeit eine sehr klar formulierte offene Wahrnehmung der tatsächlichen reformiertenbegünstigenden und auf Vereinigung abzielenden Konfessionspolitik und ihres Fokus’ auf die Universität. Der Grat für die Theologen war schmal, sie mussten einerseits die Gunst des Königs in einer schwierigen Situation bewahren, andererseits aber ihre eigene Rechtgläubigkeit im lutherischen Lager ausweisen. Neun „Momenta Quaestiones“ der Fakultät an die Oberkuratoren wurden subsumiert. Zum ersten sei die bisherige Situation eines status quo geeignet, innerhalb der Lutherischen Kirche die Vereinigung positiv als eine „re[s] laudabil[is]“52 darzustellen. Veränderungen hingegen würden als „verwerflich angesehen werden […], zumal es unmöglich ist, allen andern Leuten ihr concept nach dem hiesigen zu reguliren, da der größte Hauffe aus solchen Leuten bestehet, die nur nach dem äußerlichen urtheilen.“53 Leute, die an solchen Auseinandersetzungen ihre Freude hätten, würden sich zweitens herausgefordert fühlen.54 Dies kann als eine Anspielung auf die bisherigen Gegner der Fakultät wie die Stadtgeistlichkeit Halles verstanden werden. Vorwürfe würden zum dritten nicht nur die Universität und die Fakultät betreffen, sondern die reformierte Kirche und somit das Klima in der Stadt und darüber hinaus stören.55 Der Schutz einerseits der Reformierten 50 51 52 53 54 55

Ebd., Bl. 24r–24v. Ebd., Bl. 24v–25r. Ebd., Bl. 25r. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 25v. Vgl. ebd.

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und andererseits die Sorge um das Wohl der Stadt und des Landes, beides Hauptanliegen königlicher Politik, die man keinesfalls durch unüberlegte Maßnahmen bedrohen dürfe, wurden von den Professoren auf diese Art miteinander argumentativ verwoben. Schlussendlich galt: „[Am] allerwenigsten aber würden beyderseits Kirchen dadurch zu einer christl. Vereinigung näher kommen wegen der daher zu entstehenden unausbleiblichen Vorwürffe.“56 Die Mitglieder der theologischen Fakultät nutzten das Spiel auf der Klaviatur Berliner Interessen – Schutz der Universität und der Reformierten – als Fassade, um ihre eigenen Ziele zu verteidigen: Es ging um den Erhalt der aus ihrer Sicht eindeutig lutherischen Fakultät. Ihnen genügte ihre bewiesene Offenheit, und es ging ihnen, ähnlich wie zuvor den Theologen des traditionellen Luthertums, um die Bewahrung lutherischer Identität und Rechtgläubigkeit an der Fakultät und im Herzogtum, auch wenn sie diese Identität letztlich anders deuteten. Die Universität würde durch den reformierten Schulrektor „in Kürtze desolat werden“ und es seien „künftig keine Gelegenheiten mehr […] alhier auch für fremde und auswärtige Provinzen friedfertige Gemüther zu erziehen.“57 Nicht nur die Strahlkraft der bisher friedfertigen Fakultät, sondern auch der Prestigeverlust der Universität als ein Prestigeverlust Preußens wurde prognostiziert, denn dann fehlten die Studenten aus Schweden, Dänemark, Franken, Schwaben, Westfalen, Ungarn und Siebenbürgen, wo darauf gesehen würde, „ob auch die theologi Lutherani allein gelaßen werden“.58 Nicht nur auswärtige Universitäten, auch andere Länder im Reich und darüber hinaus wurden in dieser Sichtweise konfessionspolitisch als rückständiger als Preußen beschrieben, so dass eine Rücksichtnahme erforderlich sei, um die Universität nicht zu gefährden. Unterschlagen wurde dabei selbstverständlich, dass Topoi der eigenen theologischen Lehrart – erinnert sei an die Perfektionismusstreitigkeiten und die Buß- und Heiligungstheologie Franckes – umstritten und ebenso geeignet gewesen waren, den Flor der Universität zu stören, Zweifel an der Rechtgläubigkeit der Fakultätsmitglieder aufgekommen waren. Ganz im Gegenteil, diejenigen, die schon länger gegen die Universitäten agierten, würden aus „solche[n] Gelegenheiten an Hetz-Schreiben und auch alle andere ihnen mögliche und nach ihrer Meynung berechtigte Art und Weyse ihren meisterlichen Nutz machen“.59 Auch diese Strategie erscheint klar, es handelte sich um die Erinnerung an den gemeinsamen Feind – das traditionelle Luthertum –, dem nicht in die Hände gespielt werden dürfe. Die Oberkuratoren gingen in ihrer Antwort am 30.10.1711 in keiner Weise auf die Argumente der Fakultät ein, entschieden aber zunächst ausgleichend zugunsten beider Parteien: Heyden sollte nicht an den internen Zusammenkünften der Fakultät, aber bei den öffentlichen Veranstaltungen wie Promotionen und Disputationen teilnehmen dürfen. Darüber hinaus wurde die Fakultät angewiesen, Heyden „keine ferner difficultät darunter [zu] machen, und Ihre löbliche und zu beybehaltung der bißherigen 56 57 58 59

Ebd. Ebd., Bl. 26r. Ebd. Ebd., Bl. 27r.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

gutten harmonie gerichtete intention auch hierinnen nach der Uns gegebenen Versicherung [zu] bezeugen.“60 Der Protest der Fakultät war somit ins Leere gelaufen, so dass sie sich gezwungen sah, am 7.11.1711 erneut gegen Heydens Platz unter den Fakultätsmitgliedern bei akademischen Veranstaltungen zu protestieren. Ausschließliches Argument war der bedrohte Flor der Universität. Beinahe eine Drohung war damit verbunden, „denn unseres Orts sol es ein übriges daran nie ermangeln, daß wir gegen denselben in aller Freundschaft und guter harmonie uns befinden“.61 Über den Winter 1711/12 tat sich in der Angelegenheit nichts, so dass sich die reformierte Gemeinde am 7.4.1712 bei den Oberkuratoren beschwerte, nun endlich das Reskript vom 18.2.1711 gegenüber der Universität durchzusetzen.62 Jetzt sah sich auch wieder die theologische Fakultät in Zugzwang und versuchte es mit Unverständnis bzw. Unwissenheit. Sie stellte gegenüber dem Senat die Sachlage ihrer Schreiben am 7.10. und am 7.11.1711 dar und erklärte, dass sie aufgrund fehlender weiterer Anweisungen aus Berlin davon ausgegangen sei, „es sey die auf unserer Pflicht beruhende Vorstellung angenommen worden, und werde es nun sein Bewenden unserer Vorstellung gemäß dabey haben.“63 Hauptgrund des Schreibens war aber, die gesamte Universität auf die Konfliktlinie der Fakultät einzustimmen und alle brieflichen Unterlagen dem Senat zur Einsicht bereitzustellen.64 Dies war insofern vorausschauend, als Thomasius tatsächlich im August desselben Jahres offen Partei für die reformierte Gegenseite ergreifen sollte.65 Das Presbyterium verstärkte die Forderung nach der Stärkung Heydens durch eine entsprechende Eingabe am 6.9.1712. Vor allem sei das Argument der Fakultät nicht nachvollziehbar, wie die Universität durch eine reformierte Professur „mit dem Calvinismo oder syncretismo werde infiltriret und bey auswärtigen deshalb berüchtiget werden“.66 Des Weiteren gäbe es an der Universität ja auch noch eine juristische und eine medizinische Fakultät, an denen sicherlich keine Auswirkungen durch einen reformierten Professor zu beobachten sein würden. Der Fakultät wurde absichtliche Vergesslichkeit unterstellt, denn als „der Ruff und Verdacht des so genandten Pietismi, welcher auff die hiesige Theologische Facultaet gefallen“ sei, hätte das „der Universitaet geringsten Nachtheil zugezogen.“67 Dieses Schreiben fruchtete in Berlin, und am 19.9.1712 erging ein scharfes Reskript an die Universität, nach dem 60 61

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Reskript der Oberkuratoren am 30.10.1711, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 32v. Supplik der theologischen Fakultät am 7.11.1711 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 35r–35v. Vgl. Supplik der reformierten Gemeinde am 7.4.1712 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 38v. Theologische Fakultät an den Senat am 27.5.1712, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 43v. Vgl. ebd., Bl. 43v–44r. Dort heißt es, dies geschähe zu „sämtlichen Herren Collegen des ergebenen und Collegialischen Vertrauens“. Ebd., Bl. 43v. Vgl. Kapitel IV.2.2. Presbyterium an von Printzen am 6.9.1712, PfA, DG, Nr. 601/6, Bl. 41r. Ebd., Bl. 43v.

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„Eure interpretation auch Unserer allergnädigsten Willens-Meynung e diametro zu wider ist, und über den von Euch angeführte Ursachen auch gar schlechten Grund berufen: Also laßen Wir es auch allen Eures unerheblichen Einwandes ungeachtet, bey dem, dem Dr. Heyden einmal zu gelegten Rang und praerogation lediglich bewenden, und wollen denselben als ultimum Professorem ordinarium Theologiae gehörig […] geschützet wißen“.68

Dieses Ergebnis markierte für die Fakultät die schlechteste Variante: Heyden sollte nicht nur Platz unter den Fakultätsmitgliedern nehmen, sondern er wurde auch als Fakultätsmitglied bezeichnet. De facto wurde mit diesem Reskript eine reformierte Professur an der Friedrichs-Universität geschaffen. Alle Gegenargumente der Fakultät wurden negiert, stattdessen wurde sie zu größter Friedfertigkeit gegenüber Heyden und allen, die dessen Veranstaltungen besuchten, vermahnt.69 Dass keine ordentliche reformierte Professur an der Universität eingerichtet wurde, lag wohl ausschließlich am Tod des Königs am 25.2.1713 und den seit 1711 wachsenden Beziehungen Franckes zum zukünftigen König Friedrich Wilhelm I.70 Unmittelbar vor dessen Besuch in Halle in den Anstalten am 12.4.1713 richtete die Fakultät am 7.4.1713 ein dringendes Memorial in der Professur-Frage an ihn, um „in geziemender Submission und Ordnung darzulegen, was dem höchsten Haupte die schwere Regirungs-Last ins künftige etwas erleichtern kann.“71 Zunächst wurden die positiven Wirkungen der theologischen Fakultät – nicht etwa der gesamten Universität – beschrieben: Ausländische Studenten seien in Halle, arme Studenten würden finanziell unterstützt.72 Zwei Schwierigkeiten hätten sich aber nun für die theologische Fakultät gezeigt: Die eine war das Problem mit Heyden, wobei ausschließlich auf die Problematik des Sitzes unter den Professoren und den zu erwartenden Verlust an Studenten rekurriert wurde. Neue Argumente wurden dabei nicht eingeführt. Zum Zweiten wurde mit dem Problem der sogenannten Hillerslebischen Revenuen ein ökonomischer Konflikt mit den Reformierten angesprochen.73 Dahinter stand ein komplexes Problem aus der Anfangszeit der theologischen Fakultät und ihrem Annexum, dem Theologischen Seminar.74 Unter Breithaupts Direktion sollten die Studenten der Theologie im Theologischen Seminar geregeltes, frommes, von klösterlicher Gemeinschaft abgeleitetes gemeinsames Leben und Arbeiten pflegen, wozu Stun68 69

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Reskript am 19.9.1712, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092 Bl. 45v. Vgl. ebd., Bl. 45v–46v. Das Gegenargument des abnehmenden Flors sei „um so weniger relevant […], da auf andern Universitaeten, als zu Marburg, ohne daß dadurch einiger Abgang der Studenten veruhrsacht wird, dergleichen ebenfalls geschiehet“. Ebd., Bl. 46r. Zur Gewinnung des Kronprinzen/Königs vgl. nach wie vor Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 165–171. Memorial der theologischen Fakultät am am 7.4.1713 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 47r. Vgl. ebd., Bl. 47r–47v. Vgl. ebd., Bl. 47v. Dies soll hier nur knapp angesprochen werden, da sich derzeit Veronika Albrecht-Birkner in ihrer kurz vor dem Abschluss stehenden Habilitationsschrift mit dieser Thematik des Dreiecksverhältnisses zwischen Fakultät, Seminar und Franckeschen Stiftungen im 18. Jahrhundert auseinandersetzt; vgl. Albrecht-Birkner: Norm, Kapitel 2.2.: Das Theologische Seminar.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

dengebete, Bibelarbeiten, Erbauungsübungen und Sprachübungen gehörten. Das Seminar wurde seit Anfang 1692 aus den an die Universität verlegten Einkünften des Klosters Hillersleben finanziert und konnte regelmäßig bis zu 150 Studenten unterstützen. Erste Probleme traten auf, als am 16.9.1697 per Reskript angeordnet wurde, dass Christoph Cellarius als Ephorus des Seminars 100 Taler aus der Seminarkasse erhalten sollte. Nach Abzug aller Kosten sollten darüber hinaus die übrigbleibenden Hillerslebischen Gelder den Studenten anderer Fakultäten zugutekommen. Albrecht-Birkner deutet sowohl diese finanzielle Teilung als auch die veränderte intellektuelle Orientierung des Seminars als einen Bedeutungszuwachs der philosophischen Fakultät, aus dem eine Brisanz für die Gestaltung der Theologenausbildung resultierte. Bis zum Tode Cellarius’ 1707 blieb es bei dieser Aufteilung, danach schlief sie wohl ein, und die Gelder wurden wieder komplett von den Theologen genutzt. Als 1712 Christian Wolff als Dekan der philosophischen Fakultät erneute Forderungen erhob, entspann sich ein neuer Konflikt, und es wurde die Einsetzung einer Kommission notwendig, die aus dem Kanzler des Herzogtums Magdeburg Nikolaus Bartholomäus von Danckelmann, Christian Thomasius und Samuel von Cocceji, Professor in Frankfurt an der Oder, bestand. Das Memorial der theologischen Fakultät am 7.4.1713 enthielt demzufolge nicht nur die Forderung nach einem Reskript an Heyden, sondern auch nach einer positiven Lösung für die Hillerslebischen Revenuen: „allergnädigste Versehung zu thun, daß so wol wegen D. Heydens an das hiesige Presbyterium rescribiret würde, wolermeldten D. Heyden dahin anzuweisen, daß er bey Actibus publicis Academicis sich mit dem sonst gewöhnlichen Sitz vornehmer anwesenden Hospitum vergnügen laße; als auch wegen des Hillerslebischen Seminarii, an die bißherige Commission anhero königl. Befehl ergehen möchte, mit Vollstreckung deßen, worüber wir uns und unsere Arme höchst beschwert befinden, bis auf fernere Verordnung innezuhalten.“75

Den Druck auf den König verstärkte die Fakultät durch ein weiteres Memorial an die Oberkuratoren am 24.4.171376 und Franckes persönliche Anwesenheit in Berlin Ende April 1713. Am 29.4.1713 lieferte Anton August Hermann Francke das wichtigste Argument für den Kampf gegen Heyden: Indifferentismus sei „zu unvermeidlichen Schaden des Christl. Glaubens und Schwächung der religion. Liesse man uns dann aber den geraden Weg gerade in Friede ferner fortgehen, so würde Gott seinen Segen im Lande weiter ausbreiten können, zu beider Theile gewisser Beruhigung. Wo aber ein Theil dem andern sich einigerley maßen aufdringe, so müsten wir nothwendig untereinander gerathen, und in Verwirrung kommen.“77

Der Erfolg der Fakultät nach einer Audienz Franckes zeigte sich in einem Reskript am 15.5.1713, in welchem Heyden der Sitz unter den Gästen angewiesen wurde.78 Martin 75

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77 78

Memorial der theologischen Fakultät am 7.4.1713 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 48r. Vgl. Memorial der theologischen Fakultät an die Oberkuratoren am 24.4.1713, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 460r–460v. Anton an Francke am 29.4.1713, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 140r–140v. Vgl. Reskript am 15.5.1713, UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 63r. Nach Gabriel erreichte

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Gabriel deutet dieses Einzelergebnis zunächst als das Ende einer Auseinandersetzung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, nicht unter konfessionspolitischen: So hätte das reformierte Gymnasium, um wirtschaftlichen Erfolg durch florierende Schülerzahlen zu generieren, einen anerkannten Professor an der Spitze benötigt. Im Umkehrschluss hätte die Fakultät genauso mit dem wirtschaftlichen Wohl der Universität argumentiert.79 Die hier dargelegte Konfliktanalyse zeigt aber eher, dass die Argumente vom Flor der Universität und des Landes Besten in universitätsinternen Auseinandersetzungen altbekannt waren, mit denen sich die problematischen konfessionellen Standpunkte gut tarnen ließen. Der Fakultät ging es um die Reinhaltung ihrer Institution, denn ihre Mitglieder verstanden an der Grenze zur Transkonfessionalität innerhalb der Fakultät jede Annäherung Heydens als große Gefahr für die lutherische Identität, die Identität der Universität und des Landes und für ihre Deutungs- und Schutzfunktion darüber. In der Frage der Hillerslebischen Revenuen kam das wirtschaftliche Argument allerdings stärker zum Tragen. Für die Fakultät erwuchs in diesem Zusammenhang mit den Reformierten ein neuer Gegner um die Gelder, denn in einem weiteren Reskript am 15.5.1713 wurden anstelle der Studenten der philosophischen Fakultät nun die reformierten Studenten als Begünstigte der Einkünfte genannt,80 nachdem Heyden für 30 seiner Studenten am Gymnasium am 4.2.1713 finanzielle Unterstützung gefordert hatte.81 Francke war es noch gelungen, auszuhandeln, dass jährlich 160 Taler aus der Waisenhauskasse anstelle der Revenuen für 25 Studenten gezahlt werden sollten.82 Am 29.8.1713 versuchte er,83 die Forderung der Reformierten nach einer günstigeren Aufteilung der Gelder abzuweisen. Seine Argumentation war gewissermaßen eine Umkehrung der in der Heyden-Sache angewendeten: Wurden dort die konfessionellen Argumente eher hinter dem ‚Flor der Universität’ versteckt, kaschierte Francke jetzt das starke finanzielle Interesse der Fakultät mit dem konfessionspolitischen: Die Versorgung meist auswärtiger reformierter Studenten aus Geldern, die dem lutherischen Theologischen Seminar zuständen, widerspräche der Stiftungsintention, „eine allein Evangelisch-Lutherische Universitaet“84 einzurichten. Es entspann sich ein langwieriger Konflikt um die Auszahlung der Gelder, den AlbrechtBirkner bis in die 1720er Jahre nachweist. Erst 1721 erhielt die reformierte Gemeinde die Summen, die ihr 1713 zugesprochen worden waren.85

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Heyden das Reskript, nachdem er zweimal den falschen Platz bei Veranstaltungen eingenommen hatte, so dass das Presbyterium erst aufgrund dieser Proteste der Fakultät in Berlin nachfragte; vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 114. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 114. Vgl. Reskript am 15.5.1713, UAH, Rep. 27, Nr. 750, unpag. Vgl. Supplik des Presbyteriums am 4.2.1713, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 451r–452r. Vgl. Francke an den König am 11.5.1713, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 463r–464r. Vgl. Memorial Franckes am 29.8.1713 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl.118r–127v. Ebd., Bl. 120v. Vgl. Albrecht-Birkner: Norm, Kapitel 2.2.: Das Theologische Seminar. Die Problematik ver-

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Eine weitere Vermischung des konfessionspolitischen und des wirtschaftlichen Felds lässt sich bei der Problematik der reformierten Freitische feststellen. An der Universität bestanden 1696 zwei magdeburgische und ein halberstädter Freitisch mit insgesamt 36 Plätzen, deren Zahl sich bis 1708 auf dreizehn Freitische vergrößerte und durch eine vierteljährliche Gemeindekollekte unterhalten wurde.86 An jedem Tisch standen den reformierten Studenten drei Plätze offen, und diese wurden nun von den Studenten des reformierten Gymnasiums bezogen.87 Über die Finanzierung der Plätze je nach Konfession durch Kollektengelder der Gemeinden entstand Streit, weil die Einnahmen aus den reformierten Gemeinden geringer als die aus den lutherischen waren. Daraus resultierte die Forderung der Fakultät nach einem eigenen reformierten Freitisch, finanziert durch die reformierten Gemeinden.88 Dem kam der König ebenfalls am 15.5.1713 nach, und ein reformierter Freitisch unter der Aufsicht von Sperlette wurde eingerichtet. Das Presbyterium protestierte am 26.6.1713, dies sei eine Maßnahme, durch die reformierte Studenten erneut „als Gymnasiasten tractiret und angesehen würden werden, welches Anlass zu vielen Zäckereyen zwischen den Studiosis beyderley confessionem geben würde.“89 Darüber hinaus seien in der Frage der von Francke vorgeschlagenen jährlichen Ersatzleistung für die Hillerslebischen Revenuen zugunsten der reformierten Gymnasiasten mindestens 325 Taler notwendig anstelle der angebotenen 160.90 Francke ging in seinem Memorial wegen der Hillerslebischen Revenuen am 29.8.1713 ebenfalls auf die Freitische ein. So sei es nach außen nicht zu vermitteln, wieso arme einheimische lutherische Studenten hinter reformierten Studenten zurücktreten müssten, weil für erstere kein Platz sei.91 Darüber würden die reformierten Studenten schließlich nicht durch das Sitzen an den lutherischen Freitischen als Mitglieder der Universität definiert:

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90 91

schärfte sich bis 1720, als der König Hillersleben in ein königliches Amt umzuwandeln beschloss und der Fakultät anstatt der laufenden Einkünfte 30000 Taler Barvermögen zur Anlage übergeben werden sollten. Die Reformierten erhielten ab 1721 die jährlich zugesprochenen 160 Taler und sollten am Ende der Anlagezeit 4000 Taler erhalten. Unwägbarkeiten bei der Anlagestrategie führten schlussendlich 1726 zur Auszahlung dieser Summe. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 92f. Vgl. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 116. Vgl. ebd., S. 116f. Supplik des Presbyteriums am 26.6.1713, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 466r–466v. Vgl. ebd., Bl. 468r. Vgl. Memorial Franckes am 29.8.1713 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 121v. Francke schrieb: „Denn auch schon bey iezigem Zustande ist dieses die Noth und Gelegenheit zum Klagen der Studiosorum, daß, wenn von meistentheils ausländischen Reformirten sich ein Expectant findet, hingegen von einheimischen Lutherischen wol 30. bis 40. auf eine Stelle warten. Je mehr nun von diesen, die vergeblich darauf gewartet, wieder nach Hause kämen, und sich beklagen, daß sie von der in Lutherischen Kirchen gesamleten Collecte nichts genoßen, hingegen die Reformirte und meistentheils auswärtige zu den Tischen gekommen, so kans nicht anders seyn, als daß man immer weniger im gantzen Lande wird dazu geben wollen.“ Ebd.

1. Fortsetzung des konfessionspolitischen Handlungskatalogs 1700–1713

269

„Die Studiosi Reformati sind ja als Cives Academici immatrikuliret und frequentiren auch Lectiones Philosophicas und Philologicas der Professorum Academicorum; daß also das Sitzen an den Tischen sie nicht erst zu Academicis machen darff; der Studiosorum Juris und Medicinis zu geschweigen.“92

Gegen den möglichen Vorwurf, die Verweigerung von Freitischplätzen für die Reformierten bedeute, „daß wir dem Exempel der Liebe, so am Joachimschen Gymnasio und der Frankfurtischen Universitaet den Lutheranis erwiesen würde, nicht nachfolgeten“,93 beharrt Francke auf dem Almosencharakter der Zahlungen für die Freitische, während sie in Frankfurt und Joachimsthal auf königlichen Stiftungen beruhten.94 Vielmehr seien durch Almosen finanzierte reformierte Plätze an lutherischen Tischen nur ein Mittel, durch das „die Wunden der Protestierenden Kirchen aufgerißen und die Kluft zwischen beyden vergrößert würde.“95 Dadurch würde das große Ganze bedroht werden: „Die Reformirte Kirche würde davon in der That keinen Vortheil gewinnen, als welche ohne dem schon 2 Universitaeten im Lande hat, daß die ohne ihren Schaden, diese, wie sie dazu gestiftet, dem allergrößten Theil der Evangelisch-Lutherischen Unterthanen als eine bloßlutherische Universitaet laßen können. Da hingegegen man durch diese Veränderung den Riß der Protestierenden Kirchen wie zuvor gedacht, bey auswärtigen, und zwar gantz ohne Noth, vermehrte; wir aber würden in unseren Ämtern die Gott gleichwohl aus Gnade zum Flor der Universitaet so augenscheinlich gesegnet hat, merklich gehindert, und bey vielen verwerflich gemachet.“96

Wenn man zu dem Hauptkonflikt um den reformierten Rektor die Auseinandersetzungen um die Freitische und die Hillerslebischen Revenuen addiert, ergibt sich der Gesamteindruck eines noch immer stärker von konfessionspolitischen als nur von ökonomischen Gesichtspunkten bestimmten Streits. Auch Gabriel bringt, anders als bei seiner Deutung der Angelegenheit um Heyden, eine solche Interpretation auf den Punkt: „Der reformierte Professor des Gymnasiums saß bei feierlichen Anlässen unter den vornehmen Gästen der Universität, der reformierte Freitisch war vom lutherischen separiert worden, und die Ansprüche der Reformierten an die Einkünfte des Theologischen Seminars hatten mit jener Abfindung als ‚ein vor allemahl’ befriedigt zu gelten. Die Fakultät hatte ihren Bekenntnisstand zäh und beharrlich und mit Erfolg zu behaupten gewußt.“97

Der Konflikt macht des Weiteren deutlich, wie problematisch das Verhältnis zwischen der Fakultät und Berlin in den letzten Lebensjahren Friedrichs I. war, und wie anschließend der persönliche Kontakt von Francke zu Friedrich Wilhelm I. zum Tragen kam. Hier wird eine deutliche Veränderung markiert: Die Beziehungen zu Räten wurden jetzt durch die Beziehung zum König ersetzt.

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Ebd., Bl. 122r. Ebd., Bl. 124r–124v. Vgl. ebd., Bl. 124v. Ebd. Ebd., Bl. 126r. Gabriel: Die reformierte Gemeinde, S. 123.

270

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Die Fakultät erwies sich in ihrem Kampf gegen Heyden nicht nur als wenig friedfertig, sondern in keiner Weise bereit, konfessionelle Grenzen zu überschreiten. Die pietistischen Theologen hatten damit die mit ihrer Berufung verbundene Prognose einer besonders irenischen Haltung nicht eingelöst. Die konfessionspolitischen Hoffnungen zugunsten der Reformierten, die mit der Gründung der Universität verbunden gewesen waren, wurden seitens der Fakultät jetzt erstickt. Dies war aber zunächst nicht problematisch für die Fakultät und die Universität an sich, da Friedrich Wilhelm I. unmittelbar nach dem Regierungsantritt offensichtlich eine partielle Bereitschaft zeigte, das tiefgreifende konfessionspolitische Konzept in Bezug auf die Universität durch die weniger umstürzende Idee der bloßen Friedfertigkeit ohne dezidierte Unionsbestrebung dominieren zu lassen und auf diese Art zeitweise aus dem konfessionspolitischen Muster seiner Vorgänger auszubrechen. Die Unterstützung der Fakultät gegen die Reformierten durch den König bedeutete eine zwischenzeitliche Veränderung in der Konfessionspolitik, denn der Erwartungshorizont, also das Maximalziel der Vereinigung beider protestantischer Konfessionen, wurde durch die Verweigerung der Fakultät nachjustiert und an das Prinzip der Friedfertigkeit angepasst. Allerdings bezog sich die Unterstützung des Königs gegen die Reformierten nur auf die reine Hochschulpolitik in Sachen Fakultät und Freitische. In der Frage der Hillerslebischen Revenuen, in der es um große finanzielle Summen ging, zeigte der König weiterhin eine die Reformierten begünstigende Haltung. Dass der Schutz der Reformierten nach wie vor ein Ziel der Konfessionspolitik darstellte, illustriert auch eine andere Episode: Francke und die Fakultät hatten in ihren Schreiben an beide Könige immer wieder das erneute Auseinanderdriften der beiden protestantischen Kirchen im Land durch die die Reformierten begünstigenden Vorgänge beschworen. In Berlin bestand dieselbe Sorge, jedoch wurde der Auslöser nicht in der Reformiertenbegünstigung, sondern noch immer bei den Lutheranern gesehen. Nur so ist die Re-Publikation der Edikte der Jahre 1662 und 1664 gegen anti-reformierte Polemik und für die Anerkennung des besonderen Bekenntniskanons der Kurmark zu erklären.98 Anton riet am 29.4.1713 dem in Berlin weilenden Francke zu einer lavierenden Strategie, sollte die Sprache auf die Edikte kommen: „Weil nun ohnedem dieser Punct [der Neudruck der Edikte] provinciam Magdeb. betrifft u. an Facultatem nostram nicht iehmals hievon gebracht: als achte vor gut, dessen nirgends Meldung zu thun, oder sich darauf irgendswo einzulassen. Sollte aber K. M. davon sprechen, so kann man mit gutem Gewissen antworten, daß wir gegen solche Edicta nicht im geringsten gehandelt, oder handeln würden, weil darinnen nur eigentlich Lästern u. falsches imputiren verboten würde.“99

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Vgl. Edikt am 25.1.1713, abgedruckt bei: Mylius, Christian Otto: Derer Königlichen Preußl. und Churfürstlichen Brandenburgischen Im Hertzogthum Magdeburg und Graffschafft Manßfeld publicirten Ordnungen, Edicten, Mandaten und Rescripten Erster Theil: Von Consistorial- KirchStiffter- Universität- Schul- Hospitalien- und Ehe- auch andern geistlichen Sachen, Magdeburg: Seidel; Halle: Renger [1714], S. 177–184. Anton an Francke am 29.4.1713 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 141r.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

271

Dass die Edikte nicht nur eine Maßnahme gegen die traditionellen Lutheraner in der Kurmark, sondern auch ein Warnschuss für die theologische Fakultät in Halle und die pietistischen Akteure darstellte, wurde in Halle demzufolge deutlich wahrgenommen. Jürgen Luh hat gezeigt, wie die Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms I. in den 1720er Jahren wieder deutlicher zum Maximalziel der Konfessionsvereinigung zurückkehrte.100 Der Erfolg des Jahres 1713 muss demzufolge als ein Intermezzo bewertet werden.

2.

Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie gegenüber Christian Thomasius 1693–1713

2.1. Ordnungskonflikte Eine maßgebliche Veränderung der auf Konfessionalisierung zielenden Religionspolitik Berlins an der Friedrichs-Universität wurde durch den Kampf der theologischen Fakultät gegen den reformierten Rektor Heyden eingeleitet. Äußere Gegner reformierter oder lutherischer Konfession wurden von der Fakultät bekämpft, das gleiche galt für universitätsinterne Gegner in der Frage der Disziplinenabgrenzung. Darüber hinaus setzte um 1700 eine neue Frontenbildung zwischen theologischer Fakultät und dem Vertreter naturrechtlicher Staats- und Kirchentheorie Christian Thomasius ein, der von Ordnungsvorstellungen innerhalb der Universität und der Abwehr möglicher Heterodoxie motiviert war. Der Konflikt begann früh in den 1690er Jahren und spiegelte sich in einem nur auf den ersten Blick skurril anmutenden Streit des Jahres 1695 wider: Am 11.2.1695 beschwerte sich Christian Thomasius bei der magdeburgischen Regierung über administrative Mängel an der Universität. Im Konzil würden nur wenige und auch nur die den Professoren genehmen Angelegenheiten zu einem Abschluss gebracht, andere hingegen verschleppt, nachlässig notiert oder gar nicht in den Akten abgelegt, darunter auch die Disziplinarsachen.101 Thomasius sah sich durch diese Praxis in seiner Meinungsäußerung und Entscheidungsteilhabe benachteiligt.102 Die Person des Universitätssekretärs betreffend bemängelte Thomasius, man habe „offenbahr untäthige Personen ad functiones

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Vgl. Luh: Zur Konfessionspolitik der Kurfürsten, S. 318ff. Vgl. Thomasius an die magdeburgische Regierung am 11.2.1695, LHASA, MD, Rep. A5, Nr. 1309, Bl. 1r–1v. Dort heißt es, dass „die Sachen, die ad disciplinam Academicum und zu ausübung des Duell Edicts gehören, sehr nachlästig testantibus Actis et Protocollis tractiret werden“. Ebd., Bl. 1r. Vgl. ebd., Bl. 1v. Thomasius teilte mit, dass der „Secretarium Academie manches mir mundiren laßen, und […] wahrscheinlich beybrieffe denen Actis in favorem aut odium unius partis angefüget [hat], indem man […] bey denen zurückgekommenen und in consilio eröffneten Actis, die auch solchen beybrieffen beygelegte Antwort verstecket und nicht ad Actis gegeben.“ Ebd.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

publicas recommendirt.“103 Damit war Ludwig Gebhard Kraut gemeint, den Thomasius schon 1692 im Visier gehabt hatte. Problematisch für Thomasius war, dass der Sekretär den Votenumlauf beschleunigte, indem er Thomasius die Voten der anderen Professoren mündlich überbrachte und diesen damit unter Druck setzte, seine schriftlichen Voten entsprechend schnell zu verfassen. Eine Bitte um Aufschub und die Beschwerde von Thomasius bei seinen Kollegen, die Vorgänge seien nicht statutengemäß, hätte die Antwort gebracht, „man ließe sich durch Statuta nicht binden.“104 Gegenüber der Regierung hob Thomasius die Problematik auf die höhere Ebene, denn er sah die Universität durch willkürliche Verfahrensweisen bedroht: „Und ist leider Stadt, ja Landkundig, daß wenn der bey unserer universität überhandt nehmende miserie nicht schleunige Hülffe geschehe, dieselbige in kurtzen, ehe sie noch recht feste gesetzt, nothwendig zu Trümmern gehen müste“.105

Insbesondere bemängelte Thomasius die gegen seinen Willen erfolgte Ernennung Ernst Heinrich Knorres zum Syndikus der Universität, während er zusammen mit anderen Professoren, deren Voten ebenfalls übergangen worden seien, einen Kandidaten Schubart präferiert und Knorre für ungeeignet gehalten hatte.106 Thomasius hatte diesem „attentat“107 auf die Statuten nicht beigewohnt, sondern es stattdessen den Behörden kommuniziert. Er appellierte nun, dass „in causis ubi periculum in mora die hochlöbliche regierung derer vorfallenden Sachen sich annehmen sollten.“108 Die Regierung in Halle gab den Bericht nach Berlin weiter. Dort wurde er allerdings gegen Thomasius verwandt, dem die Oberkuratoren am 12.3.1695 mitteilten, er habe „an statt die Einigkeit zu erhalten und zu befordern sich sehr unwürdig“109 erwiesen. Er habe den Prorektor Baier und die übrigen Professoren verdächtigt und sich über einen Majoratsbeschluss im Konzil beschwert. Es seien Klagen der Professoren gegen ihn eingetroffen,110 jedoch verlangten die Oberkuratoren keine Entschuldigung, sondern dass er die Angelegenheit auf sich beruhen lasse.111 Thomasius wurde deutlich gemacht, „wie sehr nachtheilig er der Universität und Ihn zu dieser Zeit seyn werde, wan die zwischen derselben und Ihm hinc inde ergangenen Schreiben und memorialien beyden theils communiciret, und sie darüber gehöret werden sollten. Weßhalb wir Ihn dann auch aus gutem gemüth nochmahls vermahnen, er wolle doch alle entstandene Mißhelligkeit so weit an Ihm, hinlegen, mit seinen Collegen und jederman veträglich leben.“112 103 104 105 106 107 108 109

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Ebd. Ebd., Bl. 2r. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 2v–3r. Ebd., Bl. 3v. Ebd. Oberkuratoren an Thomasius am 12.3.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), Bl. 243r. Vgl. ebd. Es heißt dort: „Was aber die übrige vom Prorectore und übrigen Professoribus wieder denselben geführten beschwerden betrifft“. Ebd. Vgl. ebd., Bl. 244v. Ebd., Bl. 244r.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

273

In Zukunft möge er sich direkt an die Oberkuratoren wenden, wenn es Probleme gäbe. Die Universität wurde am selben Tag ebenfalls zum Frieden vermahnt und ihr der Bescheid an Thomasius mitgeteilt.113 Der Konflikt wurde durch die Friedensvermahnung mit der Begründung, dies sei zum Wohl der Universität, die nach den unruhigen Jahren 1691-94 in der Tat in ruhiges Fahrwasser kommen musste, per Verordnung beigelegt. Damit gab sich mindestens ein Teil der Professoren offenbar nicht zufrieden, sondern reichte eine weitere Beschwerde gegen Thomasius ein. Auch dies fruchtete nichts, am 25.4.1695 wurde die Aufforderung zum friedlichen Zusammenleben renoviert.114 Dieser Streit um Universitätsinterna stellte allerdings nur das universitätspolitische ‚Hintergrundrauschen’ für den längst aufgebrochenen Konflikt zwischen Thomasius und den Mitgliedern aller Fakultäten, aber insbesondere der theologischen dar. Martin Gierl hat in einer kommunikationshistorischen Untersuchung deutlich gemacht, in welcher Weise das Verhältnis zwischen Thomasius und theologischer Fakultät in Halle zunehmend belastet wurde.115 Thomasius wurde zu einem Gegner, den die hallischen Theologen aggressiv bekämpften, wie der oben analysierte Streit aus dem Jahr 1695 bereits andeutete. Thomasius war in zweierlei Hinsicht schon früh eine Belastung in den Augen der Universitätstheologen: Zum einen engagierte er sich stark in der Auseinandersetzung mit traditionellen Lutheranern um den Deutungs- und Machtanspruch über lutherische Identität. Er war in der Lage, Vorwürfe aus dem traditionellen Luthertum auf die Universität zu ziehen, zum anderen hatte sein forsches Vorgehen im Fall Hornemann einflussreiche Kreise verärgert.116 1695 versuchte die theologische Fakultät, Thomasius ernsthaft zu beschädigen, indem der dritte Band von dessen 1693 herausgegebener Vierteljahresschrift Historia Sapientiae et Stultitiae117 auf Anweisung der Oberkuratoren von ihr begutachtet118 und mit einem problematischen Votum versehen wurde.119 Quellenkritisch ist zu bemerken, dass das Gutachten die Unterschrift „Prorector und Professores dero Friedrich-Universität“120 trägt, es inhaltlich, entsprechend dem Charakter des Untersuchungsgegenstands, einer philosophie- und kirchenhistorischen Zeitschrift, ein philosophisch-theologisches, aber weniger ein juristisches oder medizinisches Gutachten ist. Dem Inhalt nach saßen die Gegner des Thomasius erwartungsgemäß in der theologischen, aber auch in der philo113 114 115 116 117

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Vgl. ebd., Bl. 245r–246r. Vgl. ebd., Bl. 251r–251v. Vgl. Gierl: Pietismus, S. 437ff., bes. S. 451–469. Vgl. Kapitel III.2.1.1. Thomasius, Christian: Historia sapientiæ et stultitiæ, collecta a Christiano Thomasio, JCto, Tomus 3. continens Sex Menses posteriors Anni 1693. Contenta istendet pagina fequens, Halæ Magdeburgicæ: Salfeld 1693. Vgl. Universität an die Oberkuratoren am 18.6.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692– 1716), Bl. 256r. Vgl. ebd., Bl. 258r–262v. Ebd., Bl. 262v.

274

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

sophischen Fakultät.121 Da die Historia Sapientia et Stultitiae unter anderem eine Verteidigung von Jakob Böhme und dessen Trinitätsinterpretation als Mysterium der Liebe enthielt,122 war es für die Gutachter leicht, Thomasius eine Nähe zum Sozinianismus zu unterstellen. Noch wurde jedoch subtil argumentiert, äußere Kritiker könnten Thomasius Anti-Trinitarismus unterstellen: „dannenhero wenn schon H. Thomasius in Behauptung einer gewißen Meinung de Trinitate und anderen Antitrinitaribus different seyn mag, ist doch allerdings ärgerlich, daß er sich deroselben Künste und argumenta in öffentlichen Schriften gebraucht.“123

Schwer wog für die Gutachter der Kontrast der Überlegungen von Thomasius zu CA invariata 1 (Von Gott)124 und der daraus resultierenden Gefahr für die Universität, dass „solches an andern Orten dahin gedeutet werden dürffte, alß ob man nun allhier dergleichen attentata wieder die gemeine und alte Symbolische Lehr-Arth approbirte, wodurch die universität nur mehr blamirt werden mögte.“125

Die alma mater nach dem Streit um die Kirchenzucht in Glaucha, die vorgeworfene Heterodoxie Breithaupts und Franckes, studentische Disziplin und Enthusiasmus sowie die Statuten jetzt verdächtig als Ort des Anti-Trinitarismus – das sollte in Berlin kritisch betrachtet werden, so die Intention der Begutachtenden. Von Danckelmann und von Rhetz taten das Gutachten am 25.6.1695 allerdings ab und hielten die „Sache nicht von der wichtigkeit […], daß deshalb unter den Professoribus fernere mißhelligkeiten geheget werden.“126 Außerdem erging die Anweisung, alle den Streit betreffenden Dokumente zu versiegeln, „damit es von niemand mehr gelesen, und alle anlaß zu fernerm Zanck verhütet werden möge.“127 In Halle musste ankommen: Thomasius mochte als Unruhestifter Probleme machen, doch wegen eines für die Theologen problematischen Buchs ließ man ihn nicht fallen.128 Der innere Frieden an der Universität war wichtiger, das Gleiche galt auch für Thomasius’ Rolle für die Universität. Problematisch für die hallischen Theologen wurde nun Thomasius’ Verteidigung theosophischer und mystischer Autoren, namentlich von Jakob Böhme129 und Pierre Poiret 121

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Ausgangspunkt war, dass Thomasius um eine Aufhebung der Konfiskation der Schrift gebeten hatte; vgl. ebd., Bl. 256r. Vgl. Gierl: Pietismus, S. 447, S. 476; vgl. Thomasius: Historia sapientiae, S. 58–112. Universität an die Oberkuratoren am 14.6.1695, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692– 1716), Bl. 258v–259r. Die Kritiker stellten fest, dass, „wenn jemand Hn. Thomasii Worte wie sie vor Augen liegen, ansiehet, und sich deß angeführten Articuls Augsburg. Confession erinnert, oder deßen erinnert wird, er nicht anderst denken kann, alß daß einer dem andern gerade entgegen steht.“ Ebd., Bl. 259r. Ebd., Bl. 261r. Oberkuratoren an die Universität am 25.6.1695 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N1 (1692–1716), Bl. 254r. Ebd., Bl. 254v. Vgl. Schrader: Geschichte, Bd. 1, S. 124. Thomasius, Christian: In Academia Fridericiana Celeberrimi Autoris, De Ratione Status Dissertationem V. & VI. De Revelatione Arcanorum Et De Exploratoribus, Cum adiuncta Quaestione

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

275

gegen den Heterodoxievorwurf.130 Thomasius brachte sich in die Gefahr, durch die Verteidigung solcher als heterodox klassifizierter Gedanken und Vorstellungen selbst als heterodox bezeichnet zu werden. Mitte der 1690er Jahre war für die Fakultät entscheidend, dass Thomasius sich mit seinen Schriften enorm exponierte und dadurch den Verdacht der Heterodoxie erneut auf Halle ziehen konnte. Die oben schon erwähnte Beschwerde gegen die Historia Sapientiae et Stultitiae zielte exakt in die Richtung, Thomasius’ Gefährlichkeit und Streitlust zu illustrieren. Für die theologische Fakultät in Halle, zu diesem Zeitpunkt also Baier und Breithaupt, war es von Bedeutung, sich und die Universität bereits in der Frühzeit – die Schriften Thomasius’ zugunsten von Böhme und Poiret fallen in die Jahre 1693 und 1694 – von theosophischem Gedankengut freizuhalten. Es war daher nicht zuletzt reiner Selbstschutz, sich gegen Thomasius’ mögliche Heterodoxie zu positionieren. So publizierte Baier noch 1695 eine anti-antitrinitarische Dissertation.131 Thomasius setzte sich gegen die Abgrenzung durch die Universitätstheologie zur Wehr, indem er, wie oben geschildert, Baiers Auslegung des Prorektorats als Kompetenzenüberschreitung kritisierte, also letztendlich auch auf die Wahrung der Ordnung rekurrierte: Baier habe ihn in Berlin angezeigt, er würde über theologische Fragen lesen. Diesen Vorwurf müsse er, Thomasius, sich gefallen lassen, sei aber bereit, „von dergleichen Theologicis sowohl in collegiis publicis als privatis zu abstrahiren, auch durch offentlichen Druck ferner weit dergleichen nicht zu publiciren“.132 Nicht hinnehmbar sei aber, dass Baier ihn in Halle darüber hinaus denunziere, denn es sei geschehen, „daß der Herr Pro Rector nicht nur alhier gegen unterschiedenen Personen besagte meine Dissertation [Dissertatio Ad Petri Poiret Libros] als ein scriptum darinnen formalis Enthusiasmus und Quackerey und solche Sachen die den Grund des Christenthums übern Hauffen stießen, enthalten weren diffamiret, sondern auch zu Leipzig und hier der Gerüchte erschollen, als wenn ich von ihm ob haeresin bey Seiner Churfl. Durchl. verklaget werden.“133

Thomasius erwartete demzufolge eine Richtigstellung darüber, dass er ausschließlich aufgefordert worden sei, sich des theologischen Lehrprogramms zu enthalten, dass jedoch in Berlin keine Ketzereiklage anhängig sei. In Berlin wurde die Angelegenheit jenseits der statutengemäßen Zurechtweisung auf eine bereits bekannte Art geklärt, nämlich

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Au Sutor possit esse Philosophus? Publice ventilabunt Die X. Aug. MDCXCIII. horis matutinis ab 8. ad 12. Christianus Thomasius, ICtus & Prof. Publ. & Respondens Jacobus Conradus Keeß/ Lindaviensis, [s.l] 1693. Es handelte sich um: Thomasius, Christian: JCTI Dissertatio Ad Petri Poiret Libros De Eruditione Solida, &c., 1694 im Anhang der von Thomasius besorgten Neuausgabe von Poirets De Eruditione Solida. Wahrscheinlich Baier, Johann Wilhelm: Dissertatio qua Concilii Nicaeni primi et oecumenici auctoritas atque integritas à criminationibus Danielis Zvickeri et Christophori Sandii defenditur, Jenae: Ehrt 1695. Thomasius an die Oberkuratoren am 3.11.1694, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3b (1690– 1719), Nr. 3, unpag. Ebd.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

mit der Anweisung, solche Vorwürfe zu lassen und „in Vergeßenheit zu stellen.“134 Für Baier mag diese Auseinandersetzung mit Thomasius zusätzlich zu seiner Entscheidung, Halle wieder zu verlassen, beigetragen haben.135 Das Problem der Disziplinüberschreitung durch Thomasius, wie es im Konflikt mit Baier bereits angedeutet wurde, zeigte auch die Kritik Friedrich Hoffmanns in der Dissertation Theoremata Physica Convellentia fundamenta novae hypotheseo,136 die die von Thomasius getroffene anti-cartesianische Verhältnisbestimmung von Körper, Seele und Geist problematisierte.137 Martin Gierl pointiert: „Thomasius sollte die Physik den Physikern überlassen, hieß es von seiten Hoffmanns. Thomasius mische sich unbefugt in theologische Fragen, lautete der Vorwurf der Theologischen Fakultät. In gefährlich breiter Front hatten sich Forderungen, die Kompetenzen zu wahren, gegen Thomasius erhoben“.138 Davon zeugt auch eine Beschwerde der philosophischen Fakultät am 14.11.1696, dass Thomasius sich als ein „Professor[e] superiorem facultatum“139 verstehe und als solcher die Studenten abziehe. Dies sei ein unerhörter Vorgang, denn „auff keiner universität in Deutzschland gelitten wird, daß solch eine Unordnung und confusio Facultatum geschieht, sondern überall observanz, daß ein ieder bey seiner Facultät verbleibet“.140 Das Argument, die Universität gerate in Unordnung und ihr Ansehen sei bedroht, zeigte in Berlin Wirkung, denn am 6.12.1696 wurde Thomasius angewiesen, sich entsprechend den Statuten auf juristische Lehrveranstaltungen zu beschränken.141 Diese Entscheidung stand in Kongruenz zu den Verweisen an Budde und Stisser zwischen 1696 und 1698 aus dem theologischen Lehrbetrieb. Die philosophische Fakultät griff Thomasius noch dazu an einer psychologisch wichtigen Stelle an, nämlich bei seiner Eitelkeit. Er bezöge sich auf ein kurfürstliches Privileg, seine Vorlesungen frei gestalten zu dürfen. Dieses sei aber zu einer Zeit seine Aufgabe gewesen, als er „auch damahls die universität allein praesentiret, solches alles biß zu eingerichteten Facultäten sich erstrecket, absonderl. weil auf deßen vorgegebenen Privilegii in denen Statutis nicht die geringste Meldung geschehen ist.“142 Thomasius erschien als derjenige, dem an den Statuten gelegen war, wenn es ihm 134

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Oberkuratoren an Thomasius [undat. Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3b (1690– 1719), Nr. 4, unpag. Vgl. Kapitel III.2.2.3. Hoffmann, Friedrich: Theoremata Physica Convellentia fundamenta novae hypotheseos: Omnia Corpora Naturalia Constare Ex Materia & Spiritu, Praeside Dn. Friderico Hoffmanno, D. Medico Electorali Brandenburgico [...] Publicae Submittit Die 24. Novembr. A.O.R. MDCXCIV. Hor. antemerid. a IX. ad XII. Johannes Nicolaus Röper/ Halberstad. Saxo, Halae: Salfeldius 1694. Vgl. Gierl: Pietismus, S. 448f. Ebd., S. 452. Philosophische Fakultät an den Kurfürsten am 14.11.1696, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 227r. Ebd. Vgl. Reskript am 14.11.1696 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 225v. Philosophische Fakultät an den Kurfürsten am 14.11.1696, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3a (1686–1698), Bl. 227v.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

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nützte, sich aber ansonsten darüber hinwegsetzte und nicht von seiner Rolle der Jahre 1690/91 lassen konnte. Eine Gefährdung der Universität durch Thomasius stand wahrscheinlich auch im Hintergrund der Aufforderung an Stryk am 31.1.1694, Thomasius zu überwachen und im Zweifelsfall abzuhalten, sich weiter in die zeitgleich ablaufenden Hamburger pietistischen Streitigkeiten143 einzubringen und literarisch gegen Johann Friedrich Mayer vorzugehen.144 Zu Thomasius’ Interpretation seines eigenen Streitverhaltens gehörte auch die selbstauferlegte Zurückhaltung im Streit. Die Rolle als geradezu in den Streit Gezwungener nahm er beispielsweise im Konflikt mit Carpzov für sich in Anspruch, als er auf eine heftige Antwort auf dessen Außfuehrliche Beschreibung verzichtete, weil er es für richtig ansah, sich „in diesem Stücke nicht zu übereilen, sondern zuförderst meiner Pflicht, und dem mir auffgetragenen Ambt eines Professoris bey dieser neu-angehenden Universität, obzuliegen“.145

2.2. Identitätskonflikte Ab 1697/98 verschärfte die theologische Fakultät ihre Vorwürfe gegen Thomasius. Sie versuchte, ihn nicht nur als Gefahr für die äußere Ordnung der Universität darzustellen, sondern verdächtigte ihn der Heterodoxie bzw. des Atheismus und beabsichtigte, ihn damit existentiell zu schädigen. Die Dauerauseinandersetzung zwischen Thomasius und der theologischen Fakultät setzte sich aus sechs Schritten zusammen. 1. Ausgehend vom Recht evangelischer Fürsten entwickelte Thomasius seine naturrechtliche Auffassung von der zu beschränkenden Macht der Theologen146 in Bezug auf das Ketzerwesen weiter in dem Versuch, Ketzerei den Straftatbestand abzuerkennen.147 Erkennbar ist dabei eine Änderung der Strategie: Er wandte sich ab von einer metaphysischen Argumentation, wie er sie in der Verteidigung Böhmes und Poirets geübt hatte, und setzte konsequent auf einen juristischen Zugang, um den Theologen die Möglichkeit zu Repliken zu beschneiden.148 143

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Vgl. Brecht, Martin: Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S. 344–351. Vgl. Stryk an den Kurfürsten am 10.2.164, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 130 (1692–1751), Bl. 196r–196v. Dies war insofern ambivalent, als sich wahrscheinlich Stryk und nicht wie vermutet Thomasius zuvor schon in die Streitigkeiten eingebracht hatte; vgl. Gierl: Pietismus, S. 439f. Thomasius, Christian: Christian Thomasens JCti und P. P. Kurtze Abfertigung Derer in der Ausführlichen Beschreibung Des Pietisten Unfugs enthaltenen Lästerungen, Halle: Sallfelden [1693?], S. A2v. Erkennbar ist diese Argumentation bereits 1695 in der Dissertation De iure principiis Adiaphora. Der Antwort auf diese Schrift von Carpzov replizierte Thomasius mit dem Recht evangelischer Fürsten; vgl. Gierl: Pietismus, S. 452. Vgl. ebd. Relevant sind die Dissertationen An haeresis sit crimen? Und De iure Principis circa Haereticos. Vgl. Gierl: Pietismus, S. 454. Eine ähnliche Argumentation begegnete bereits 1695 in der Disser-

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

2. Zum Bruch kam es 1699, als Francke Thomasius um ein Gutachten für die neu gegründeten Anstalten bat. Thomasius reagierte mit einer aus Fragen bestehenden Kritik, die Franckes Intentionen zuwiderlief und deren Veröffentlichung auch eine Gefahr für seine Reformpläne bedeuten konnte.149 So bezweifelte Thomasius grundsätzlich den Segen der Anstalten und ihre Erziehungsfunktion zur Herstellung eines Christen und fragte, „ob sich die wahre Gottseligkeit durch tägliches und continuirliches Erbauen, des Verstandes und Schul-Arbeit erlernen lasse, und dadurch der Grund wahrer Gottseligkeit geleget werden könne?“150

Daran schloss sich eine detaillierte Kritik an dem durchorganisierten System der Anstalten an, das die Kinder einer Art von Sklaverei151 und die Entwicklung des Verstandes einem strikten Lernsystem unterwerfe, anstatt das freie Denken zu fördern.152 Ein Teil der Kritik war von Thomasius’ Nachdenken über die Fragen des Decorums geprägt und leitete gedanklich bereits in diese Auseinandersetzung 1700/1702 über. Thomasius kritisierte die Art, wonach Mitteldinge klassifiziert wurden, fragte also implizit nach dem Recht der Theologen, Verhaltensweisen zu gestatten oder zu limitieren, wie dies in den Anstalten praktiziert wurde: „Wer das Criterium solcher Mitteldinge sey? Und ob davon gewisse und allgemeine Regel gegeben werden können?“ […] Ob zum Exempel, das Wachen, Arbeitsamkeit, Stillschweigen, den Ehr- und Geld-Geitz nicht auf gleiche Weise stärcken, als das Faullenzen, Müssiggehen, Plaudern, die Wollust?“153

Diese Kritik an der Erziehungskonzeption im Waisenhaus bedeutete aber noch mehr: Es handelte sich zugleich um eine Kritik an einem zentralen Element der pietistischen Identitätskonstruktion, nämlich der zentralen Rolle der Ethik und der Kirchenzucht, um die unsichtbare Kirche in der Welt sichtbar zu machen. Er kritisierte diejenigen Theologen, die einerseits die Erziehung zur wahren Gottseligkeit propagierten und sich in der Ablehnung der Mitteldinge auf die Ablehnung von Äußerlichkeiten konzentrierten, wobei sie aber andererseits das Innere des Menschen, also seine Herzensfrömmigkeit, nicht mit in Betracht zogen: „Ob es nicht bey solchen Mittel-Dingen allenthalben auf das Herz des Jenigen, der sie thut, ankomme? […] Was für ein Unterscheid der Belustigungen, wenn einer drechselt oder in der Mahlerey und Music sich übet, oder spazieren gehet: und der andere mit der Charte oder Würffel jedoch ohne Gewinnsucht, und bloß sich wieder zu erquicken spielet? Und ob nicht gnugsame

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tation De iure principiis Adiaphora. [Thomasius, Christian]: Bericht von Einrichtung des Pædagogii zu Glaucha an Halle: Nebst der Von einem gelehrten Manne verlangten Erinnerung über solche Einrichtung, Franckfurt, Leipzig: 1699; ein Abdruck des Gutachtens befindet sich bei Nebe, August: Thomasius in seinem Verhältnis zu A.H. Francke, [ca.1930], S. 413–419. [Thomasius]: Bericht, S. 6. Vgl. ebd., S. 16, S. 29. Vgl. ebd., S. 23f., S. 27f. Ebd., S. 10.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

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Fälle und Umstände gefunden werden können, daher dieser letztere so ruhig in seinem Hertzen seyn könne, als der erste?“154

3. Weil die Frage nach der gesellschaftlichen Sitte, nach dem Decorum, mit dem insbesondere von Francke propagierten Frömmigkeits- und Askeseideal der Ablehnung weltlicher Mitteldinge wie Tanz, Spiel, Geselligkeit kollidierte,155 war der Konflikt unausweichlich. Thomasius setzte das Decorum 1700156 und 1702157 als Thema seiner Lektionen an. Die Kritik an den Theologen war unüberhörbar: „Spannet man es [das Decorum] zu eng ein, so werden die Länder von denen Universitäten mit Leuten besetzt, die man zu gar nichts gebrauchen kann, die sich selbst und andern eine Last sind, die weder Gott noch Menschen Nutzen, die alles reformiren und bessern wollen, und für sich selbst die elendesten Leute sind, mit denen man nicht vernünfftig umgehen kann, indem sie alle Vernunfft mit Füssen treten, und mit einem unvernünfftigen Gewissen sich selbst und andere quälen“.158

1702 verschärfte sich Thomasius’ Kritik an der reglementierten Glaubens- und Frömmigkeitspraxis der zeitgenössischen Reformatoren noch einmal, indem er mit dem Konzept Franckes den damit verbundenen theologischen Deutungsanspruch über eine wahre christliche Identität in Frage stellte: „Ich habe weder in den alten Geschichten, noch in denen Zeiten die ich erlebet, niemahlen einen eintzigen Menschen gefunden, ob ich gleich viele Jahre gesucht, der vermittelst solcher reformation und Anstalten [der vorgegebene Glaube] von dem Laster-Weg nur auff den Tugend Weg warhafftig wäre, geschweige denn, daß er zu einen warhaftig honeten Menschen, noch vielweniger aber zu einem wahrhafftigen Christen gemacht worden.“159

Noch einen Schritt weiter ging er, als er das Waisenhaus und die landesherrliche Unterstützung dafür massiv kritisierte: „Ein eintziges Zucht-Hauß thut einer Rebublique 1000 mahl mehr Nutzen als 1000. Hospitale oder Weisen-Häuser. […] Wenn ich ein großer Herr wäre, und hätte mit einem solchen refor-

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Ebd. Vgl. Francke, August Hermann: Oeffentliches Zeugnis vom Werck, Wort und Dienst Gottes, 3 Teile, Tl. 3, Halle: In Verlegung des Wäysen-Hauses 1703, S. 250ff. Dort heißt es: „Ja mancher begehet wol keine böse That, und lässet keine böse Worte von sich hören; aber ärgert doch mit seinen Geberden einen andern; zum Exempel, mit äußerlicher Kleider-Pracht, oder andern unanständigen und unchristlichen Sitten.“ Ebd., S. 250. Thomasius, Christian: Errinnerung Wegen deren über seine Grund-Lehren, Bißher gehaltenen Lectionum privatissimarum und deren Verwandelung in Lectiones privatas: Absonderlich aber wegen zweyer instehenden Collegiorum de fundamentis jurispublici und de Synopsi jurisprudentiæ publicæ, Ingleichen Wegen neuer Lectionum publicarum de jure decori oder von Recht derer Sitten und Gewohnheiten, Halle: Renger [1700]. Thomasius, Christian: Erinnerung Wegen Seiner künfftigen WinterLectionen, So nach Michaelis Dieses 1702. Jahres ihren Anfang nehmen werden Halle: Renger 1702; vgl. dazu Gierl: Pietismus, S. 458–460. Thomasius: Errinnerung Wegen deren über seine Grund-Lehren, S. 26. Thomasius: Erinnerung Wegen Seiner künfftigen WinterLectionen, S. 37.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

matore zuthun, wollte ich es erstlich versuchen, ob ihm […] sein Irrthum könte gezeiget und er disponiret werden, dem gemeinen Wesen mit seinem talent sonst nützlicher zu dienen.“160

Einen derartigen öffentlichen Angriff konnte die theologische Fakultät nicht über sich ergehen lassen. Die ganze Fakultät wandte sich jetzt an die Oberkuratoren.161 Die genaue Argumentation lässt sich allerdings wegen fehlender Akten nicht mehr nachvollziehen. Es existiert nur die Zusammenfassung eines Schreibens Breithaupts am 8.10.1702, in dem dieser meldete, Thomasius habe „heterodoxias docirt, was vor apprehension hievon entstehen werde.“162 Spener wurde von der Fakultät ebenfalls in Stellung gebracht und schrieb am 12.10.1702 an einen Geheimen Rat.163 Er argumentierte mit einem schlagenden ekklesiologischen Argument, nämlich dem Erhalt des Protestantismus insgesamt und legte dar, wie Thomasius den Wert der Reformation Luthers negiere und den Katholiken eine gutes Argument an die Hand gäbe, „unsere Kirchen einer höchst sträfflichen trennung zu beschuldigen, und also mit großem schein wieder zu der rückkehr zu zwingen.“164 Das bekannte Argument, ein gefährlicher Verdacht würde auf die Universität gelenkt werden, verwandte er ebenfalls, allerdings trat es hinter dem ekklesiologischen deutlich zurück.165 Im Gegensatz zur Klage 1695 hatten die Theologen diesmal raschen Erfolg, Thomasius wurde am 27.10.1702 angehalten, ausschließlich juristische Vorlesungen zu halten.166 Er musste sich darüber hinaus ernsthaft verwarnt sehen, denn durch seine Lehren habe er „Lutherum, welchen doch gott mitt sonderbahren Gaben ausgerüstet hatt, offentlich [ge]schmäht und dadurch das gantze corpus Ecclesiae Lutheranae wieder die hallische Universität versetzet und auffbringet, da doch Wir nichts mehr verlangen, als daß eine gute Einigkeit, oder, zum wenigsten, Christliche Verthräglichkeit zwischen der gesambten Evengelischen Reformirten und Lutherischen etabiliret werde. Ja, es lauffe endlich seine Sceptische Principia und maximen auff einen puren Atheismum aus: Weshalb dan auch die hallische Universität überal in einen bösen Ruff kommet, und frome gottsfürchtige Leute sich schemen, Ihre Kinder und angehörige an einen solchen Ort zu schicken, alwo dergleichen lästerliche Dinge, und atheistische prinzipia, welche allerdings wieder das Decorum, so wohl in Religions- als Staatssachen lauffen, offentlich dociret werden.“167 160 161 162

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Ebd., S. 39f. Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 378. Extrakt eines Schreibens Breithaupts am 8.10.1702, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N10 (1691– 1782), Bl. 655r. Vgl. Spener an einen Geheimen Rat am 12.10.1702, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N10 (1691–1782), Bl 654r–654v. Bienert datiert den Brief auf den 20.10.1702 und gibt als Adressaten den König an, zu dem Spener aber gar keinen direkten Zugang besaß; vgl. Bienert, Walther: Der Anbruch der christlichen deutschen Neuzeit dargestellt an Wissenschaft und Glauben des Christian Thomasius, Halle 1934, S. 173. Spener an einen Geheimen Rat am 12.10.1702, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N10 (1691– 1782), Bl. 654r. Vgl. ebd., Bl. 654v. Vgl. Reskript am 27.10.1702 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N10 (1691–1782), Bl. 651v–653v. Ebd., Bl. 652v.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

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Die Berliner Regierung kam an diesem Punkt nicht umhin, als Schutzherrin der durch den Atheismus bedrohten lutherischen Konfession auftreten zu müssen, weil der Angriff an dem Ort geschehen war, an dem eine Umdeutung lutherischer Identität ohnehin bereits versucht wurde und genügend andere Konflikte produzierte und produziert hatte. Das genügte für die Berliner Seite, am Horizont erneut die Gefahr innerlutherischer Angriffe gegen die Universität heraufziehen zu sehen, während man mit der „erwünschten Harmonie“ und der Friedfertigkeit gegenüber den Reformierten eigentlich einen anderen, schon genügend problembehafteten konfessionspolitischen Schwerpunkt gesetzt hatte. Man kam gar nicht umhin, den Wert der lutherischen Reformation und Luther gegenüber Thomasius als essentielle Bestandteile einer wie auch immer gelagerten lutherischen Identität zu benennen und Verteidigungsbereitschaft zu zeigen. 1702 war die Bereitschaft in Berlin, den Atheismusverdacht, den die theologische Fakultät ja bereits 1695 versucht hatte, Thomasius anzuhängen, zu sanktionieren, spürbar ausgeprägter als in den 1690er Jahren. Hintergrund kann zum einen die gestärkte Stellung der Fakultät ab 1700 und ihr Deutungsanspruch über die lutherische Identität gewesen sein. Eine Parallele zu den Vorgängen um die Heterodoxie oder Orthodoxie der theologischen Fakultät und insbesondere Franckes wird deutlich: 1695 ging es der Berliner Regierung vorrangig darum, Ruhe herzustellen und Streit zu unterdrücken. 1702 hatte die seit 1700 erstarkte Fakultät alle Unterstützung auf ihrer Seite. Aber auch der erhöhte Schutzbedarf der Universität und der Glauchischen Anstalten mag zum anderen beim Vorgehen gegen Thomasius eine Rolle gespielt haben: Es gab in Halle schlicht mehr zu protegieren als Anfang der 1690er Jahre, weil man entsprechend investiert hatte. Der Befehl an Thomasius, nur über juristische Themen zu lesen, ging folgerichtig mit der Warnung einher, „daß, wan Er abermahln dawieder handeln würde, Er alsdan so fort von der Profession und Universität removiret seyn solle.“168 4. Noch in Verbindung mit dem Konflikt 1700–1702 stand wahrscheinlich der Versuch der Theologen, zu verhindern, dass Thomasius 1710 Nachfolger des verstorbenen Stryk als Direktor der Universität wurde. Das Amt hatte er bereits 1691 für sich gefordert. In diesem Konflikt begegnen noch einmal die starken Ordnungsvorstellungen als Argumente. Am 30.8.1710 beschwerten sich die Universitätstheologen, dass Thomasius das Direktorenamt für sich reklamiere und fürchteten, ihnen könne der erste Rang und das erste Votum nach dem Prorektor genommen werden.169 Hier zeigte sich auch das Problem der unklaren Kompetenzenverteilung zwischen Prorektor und Direktor. Aufgaben des Prorektors waren die Aufsicht über die Universität, die Amtsführung der Professoren, die Einschreibung der Studenten und die Aufsicht über die Disziplin. Die Aufgaben des Direktors waren dagegen nicht klar definiert. Stryk hatte die Funktion nach von Seckendorffs Tod in Ermangelung eines Kanzlers vorwiegend als Rechtsbeistand des Prorektors

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Ebd., Bl. 653r. Vgl. Theologische Fakultät an die Oberkuratoren am 30.8.1710 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 13r.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

erfüllt.170 Für die Argumentation der theologischen Fakultät wurde diese Zweiteilung und die Tatsache, dass Stryk den Direktorentitel nach der Einrichtung des Prorektorats zur Inauguration 1694 nicht mehr genutzt habe,171 entscheidend, denn eine „solche allgemeine Observantz der Ordinarius Iudiciae Facultatis“172 schade der Universität, daher solle Thomasius sich mit seiner juristischen Professur begnügen.173 Von Printzen, den Carl Hinrichs sicherlich mit Recht als den wichtigsten Unterstützer Thomasius’ und als einen Gegner der einflussreichen theologischen Fakultät bewertete,174 teilte Thomasius am 4.9.1710 die Beschwerde der theologischen Fakultät mit, denn er sah die Sachlage anders: „So haben Wir das zuversichtliche Vertrauen zu Unserem hochgeehrten H. Geh. Rath bekannten prudentz, daß der derselben bißher so lobl. Eyfer bezeuget die universitat in flor zu bringen, undt bey derselben friede undt Einträchtigkeit zu conserviren“.175

Thomasius sollte also nach wie vor neuer Direktor werden. Printzen musste deutlich sein, dass er damit nicht zum Frieden an der Universität beitrug, allerdings war der Auftrag an Thomasius genauso deutlich: Der neue Direktor sollte trotz aller Probleme für Frieden sorgen. Dieselbe Mitteilung ging an die theologische Fakultät.176 Thomasius wiederum konnte den Angriff der Fakultät nicht einfach hinnehmen, sondern erkundigte sich am 11.9.1710, „ob sich die löbliche Theologische Facultät an meiner als Directori Academie primo loco et voto noch ärgere? Oder ob Sie von ferneren Klagen abstehen werde.“177 Die Anfrage von Thomasius zirkulierte daraufhin zwischen Johann Heinrich Michaelis, Francke, Anton, und auch Breithaupt war in den Strategiefindungsprozess involviert.178 Von Joachim Lange, seit 1709 ebenfalls in Halle, stammt keines der vorgefundenen Zirkulare, und er wird in keinem explizit erwähnt. Francke riet zu Zurückhaltung, es bei einem Memorial an die Oberkuratoren zu lassen und nicht an den König zu schreiben, denn „vielleicht geschiehet was von der Universitaet, so hats mehr nachdruck, aber es zeiget sich sonst in kurtzem, was ohne verstoß weiter zu thun.“179 Aus dem Schreiben spricht Unsicherheit über das Vorgehen der Berliner Akteure und das Bewusstsein, mit dem Angriff gegen Thomasius auf einem schmalen Grat zu wandeln und sich im Zweifelsfall den Unmut der Regierung zuzuziehen. Nachdem Thomasius am 20.9.1710 an 170 171

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Vgl. Schrader: Geschichte, S. 76f. Vgl. Supplik der theologischen Fakultät am 13.9.1710, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3b (1690–1719), Bl. 63v–64r. Theologische Fakultät an die Oberkuratoren am 30.8.1710 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 13r. Vgl. ebd. Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 381. Von Printzen an Thomasius am 4.9.1710, UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 8v. Vgl. von Printzen an die theologische Fakultät am 4.9.1710 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 8v–9r. Thomasius an die theologische Fakultät am 11.9.1710, UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 14r. Vgl. Zirkular Michaelis am 12.9.1710, UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 15r. Zirkular Francke am 15.9.1710, UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 16r.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

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die Oberkuratoren mit der Bitte, die Fakultät zurechtzuweisen oder sie zumindest nicht anzuhören,180 herangetreten war, rang sich die theologische Fakultät am 23.9.1710 doch zu einem Memorial an den König durch. Es zeigte ansatzweise, wie sich die Argumentation der Professoren jetzt gewandelt hatte. Den größeren Teil des Textes nahm die Klage über die gestörte Ordnung an der Universität ein.181 Anschließend wurde, immer noch vorsichtig, angedeutet, welche Gefahr Thomasius für das Wohlergehen der alma mater bedeute: „Bekanndt ist auch überall, was nicht nur der unruhige D. Mayer und andere mehr, auch unsere nachbarn zu Wittenberg, uns beständig reden“.182 Es kämen keine Studenten mehr, „weil es umb einige Sätze und Lehr Weise des Geh. R. Thomasii uns und die gesambte Universität sogleich mit verdächtig hält.“183 Der Heterodoxieverdacht klang an dieser Stelle deutlich durch, aber man wagte es nicht, ihn offen auszusprechen. Anders und eindrucksvoller sah es in einem undatierten Memorial an die Oberkuratoren kurz vor oder parallel zu diesem Schreiben an den König aus.184 In diesem Entwurf wurde Thomasius aus mehreren Gründen negativ bewertet und des Titels ‚Geheimer Rat’ für nicht würdig befunden. So „sind bald nach dem Anfangen der universität in puncto heterodoxia viel Mißhelligkeiten zwischen dem Herrn Thomasio und der Theologischen Facultät vorgefallen. Daher auch mehrmahlen ernstliche königliche inhibitoria wieder denselben ergangen, daß er sich der Lehrart, pro et contra principia Theologica gebrauchet enthalten solle.“185

In verschiedenen Glaubensfragen seien Fakultät und Thomasius unterschiedlicher Ansicht. Auf Thomasius zurückgehende Schriften haben „in der gelehrten Welt und gantzen Evangelischen Kirchen zum gar großen praejudiz hiesiger universität viel aufsehens und lermens gemacht“.186 Zum Beispiel wäre „hiesige ganze universität dergestalt verdächtigt worden, daß es allen schwedischen Unterthanen mit wiederholten Edictis ernstliche untersaget [sei], auf die verdächtige hiesige Friedrichs universität zu ziehen.“187

Dabei ‚vergaß’ die theologische Fakultät, dass die Charakterisierung ihrer Mitglieder als Pietisten in der Anfangszeit genauso dafür geeignet gewesen war, Misstrauen gegenüber der gesamten Universität zu produzieren. Die Gegner aus der Stadtgeistlichkeit hatten exakt so versucht zu argumentieren, wie es die Fakultät nun mit Thomasius praktizierte. 180

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Vgl. Thomasius an die Oberkuratoren am 20.9.1710, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 159 N3b (1690–1719), Bl. 77v. Vgl. Memorial der theologischen Fakultät am 23.9.1710 [Entwurf], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, Bl. 17r–18r. Ebd., Bl. 18v. Ebd., Bl. 19r. Vgl. ebd., Bl. 18r. Memorial an die Oberkuratoren [undat. Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, unpag. (fehlerhafte Paginierung im Zusammenhang mit dem Memorial vom 23.9.1710 auf Bl. 17r–19r.). Ebd. Ebd.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Aus der Sicht von Thomasius mussten die pietistischen Theologen inzwischen längst sein Negativideal von den ketzermachenden Theologen erfüllt haben. Das hatten für ihn anfänglich die stadtgeistlichen Vertreter verkörpert, wie er es 1696 im Recht evangelischer Fürsten In Theologischen Streitigkeiten beschrieben hatte. Der Unterschied zwischen den pietistischen Theologen und Thomasius bestand darin, dass erstere den Anspruch der traditionell-lutherischen Theologen über die Deutung lutherischer Identität zurückwiesen und versuchten, ihn zu ersetzen. Thomasius dagegen wandte sich gegen jede Form eines Deutungsanspruchs von Theologen, weil dabei das Mittel des Heterodoxievorwurfs willkürlich eingesetzt werde. Das ius in sacra, Rechtgläubigkeit, also Dogmen und Rituale zu definieren und zu verteidigen, sah er nicht in der Hand von Theologen, sondern in der des Fürsten. Ein weiterer, eher verworrener Vorwurf der Fakultät war der, Thomasius zwinge aus Sicht der Gegner aus dem traditionellem Luthertum die theologische Fakultät geradezu zu einer Widerlegung, wollte sie ihre 1700 anerkannte Rechtgläubigkeit bewahren. So habe Johann Friedrich Mayer die Fakultät beschuldigt, „daß sie wieder des Herrn Thomasii und einiger seiner discipulorum principia nicht in öffentlichen Schriften mehr protestirrten und nie wiederlegeten, welches doch von uns einigemahl hierbevor würcklich geschehen ist.“188 Auch die Wittenberger Fakultät mache beständig solche Vorwürfe. Für die Fakultät war es in der Tat ein Problem, einerseits die eigene Rechtgläubigkeit, die mühsam errungen worden war, zusammen mit der an der Universität erwünschten Harmonie zu bewahren. Dazu kam dann der nicht nur äußerliche, sondern existentielle Konflikt zwischen der eigenen Theologie und Thomasius’ Lehrart. Nicht sehr subtil fragen die Theologen die Oberkuratoren, „ob es hiesiger universität bißherigen Flor zuträglich seyn könne, wenn ein Mann von dem die exteri größtentheils solche widrige impressiones haben, und es der Theologischen Facultät höchstens verargen, daß sie nicht in öffentlichen Schriften sich wieder ihn mehr setzen wollen, gar zum Directore und Aufseher wie der gantzen universität, also folglich auch der Theologischen Facultät bestellet werden sollte?“189

Alle Beschwerden nützten jedoch erneut nichts, am 6.10.1710 wurde Thomasius vom König in seinem Amt als Direktor bestätigt.190 Die Kritik an der Fakultät war eindeutig: „Wir sehen auch eben nicht, warum ihr auch mehr darüber zu beschweren, daß gedachter Thomasio, der gleichwol auch ein berühmter, um die dortige universitaet wol meridirter und von Uns über dem mit dem Character eines Geheimen Raths erfahrener Mann ist, das Directorium anvertrauet worden, als da der Geheime Rath Stryck solches geführt“.191

5. Es wird deutlich, dass Thomasius 1710 gegenüber der theologischen Fakultät an Boden gewonnen hatte. Die Bedrohung der Universität durch eine etwaige Heterodoxie Thoma188 189 190

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Ebd. Ebd. Vgl. Reskript an die theologische Fakultät am 6.10.1710 [Abschrift], UAH, Rep. 27, Nr. 1035, unpag. Ebd.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

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sius’ war kein Argument, das in Berlin auf fruchtbaren Boden fiel. Dort ging man zeitgleich bereits mit der Idee um, den reformierten Rektor gegenüber der theologischen Fakultät ins Spiel zu bringen, und konnte deshalb mit erheblich stärkeren Protesten seitens der Fakultät rechnen.192 In dieser Auseinandersetzung positionierte sich auch Thomasius entsprechend seiner kirchenrechtlichen Vorstellungen aufseiten der Regierung. Im Universitätsarchiv existiert unter den zu der Auseinandersetzung gehörenden Schriftstücken der Entwurf eines Briefes oder ein Zirkularoriginal von Thomasius für den universitätsinternen Gebrauch, datiert auf den 4.8.1711, also zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Diskussion. Auf den Prorektor Johann Samuel Stryk als Adressaten kann geschlossen werden, da Thomasius Wert darauf legte, „nicht als Ord. In Fac Iur, sondrn als Geh. R. u. Director“193 zu schreiben und im Text einen Herrn mit „E. Magnif.“194 anredet. Es handelt sich also um ein konsularisches Schreiben für den Prorektor, wie in der Sache vorzugehen sei. Dies ist insofern logisch, weil als Heydens Gegner zwar die theologische Fakultät auftrat, diese aber immer reklamierte, für die Universität bzw. deren Wohl zu sprechen. Reskripte aus Berlin gingen immer an die Universität, die für die ordnungsgemäße Positionierung Heydens zu sorgen hatte. Aus Thomasius’ Sicht benötigte der neue und unerfahrene Prorektor Stryk jun. dabei Beratung. Thomasius forderte auf, zu prüfen, ob nicht ein feindseliger Hass gegen die Reformierten anstatt der Warnung vor Gefahr die Motivation für die Angriffe bildete und man den König durch eine solche Strategie nicht in Irritation gegenüber der Universität brächte.195 Er nannte eine Reihe von Gründen pro Heyden, die den gemeinsamen Gegnern den Wind aus den Segeln nehmen sollten, indem das Argument, die Universität sei in Gefahr, ausgehebelt wurde. Er hielt den Theologen den Spiegel vor Augen: „Schadet es der universitaet nicht, wenn unsere Hn. Theologi für Pietisten, Enthusiasten und d. gl. ausgeschrien worden, so wird es ihr auch nicht schaden, wenn sie für Syncretisten ausgeschrien werden.“196 Außerdem sei es unklar, inwiefern Synkretismus aus der Tatsache geschlossen werden könne, dass ein reformierter Theologe Mitglied der akademischen Korporationen sei. Vielmehr sah er die Vorteile im Sinne der Friedfertigkeit, so würden die Studenten durch das Kennenlernen zur Friedfertigkeit erzogen, und es sei der Universität in Gestalt der Einnahmensteigerung zuträglich, denn durch die Friedfertigkeit und die reformierte Professur würden Studenten aus allen Reichsteilen angezogen.197 Und zu guter Letzt erfolge „pro ipsa Reformata ecclesia dieser reale Nutz, daß zu einer wahren gottgefälligen Friedfertigkeit an Seiten der Ev. Lutherischen, der Weg immer besser gebahnet, die Leute aber nicht mit Aversion und Haß imbuiret und erfüllet werden.“198 Diese 192 193

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Vgl. IV.1.2. Thomasius an Johann Samuel Stryk am 4.8.1711 [Entwurf oder Zirkularoriginal], UAH, Rep. 27, Nr. 1091–1092, Bl. 6r. Ebd. Vgl. ebd. Ebd. Vgl. ebd. Ebd., Bl. 5v.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Positionierung, geht man davon aus, dass sie bekannt wurde, bedeutete keine Verbesserung von Thomasius’ Verhältnis zur Universitätstheologie. 6. Ins Straucheln brachte Thomasius der Einfluss der hallischen Fakultät und ihrer Berliner Partner auf den König nach der Veröffentlichung der Dissertation De concubinatu199 1713. Die Verneinung der Monogamie als eine biblische Einrichtung bedeutete die Relativierung der Offenbarungstheologie, wobei der Gegenstand der Schrift noch dazu ethisch anstößig war. Zwangsläufig sah die theologische Fakultät sich aufgefordert, dagegen vorzugehen. Der Kampf gegen Thomasius spielte sich dabei wesentlich in Berlin ab und wurde vom Kreis um von Canstein und von Natzmer geführt, wie Carl Hinrichs dargestellt hat.200 Da Thomasius sich im Laufe der Auseinandersetzung ebenfalls nach Berlin begab und dort über von Printzen agierte, ergibt sich durch die anzunehmende Kommunikation unter Anwesenden das Problem mangelnder Quellen. Schon Hinrichs konnte nur auf die Briefwechsel zwischen von Canstein und Francke und zwischen Franckes in Berlin befindlichem Mitarbeiter Georg Heinrich Neubauer und dem Leiter der Waisenhausbuchhandlung Heinrich Julius Elers zurückgreifen, wahrscheinlich auf der Basis von Kramers Francke-Biographie, die im Wortlaut passagenweise nahezu identisch ist.201 Die entscheidenden Briefe sind in den Franckeschen Stiftungen inzwischen aber nicht mehr nachweisbar. Das Ergebnis der Vorgänge ist bekannt: Thomasius’ überstürzte Abreise aus Berlin Anfang Januar 1714, wobei er alle Ämter in Halle behielt, seine Zurückhaltung im akademischen Diskurs im Frühjahr 1714 und die Versöhnung mit Francke 1716.202 Zwei Aspekte fallen bei der Betrachtung der Vorgänge auf: Zum einen gelang es Thomasius, trotz der positiven Einstellung des Königs für die theologische Fakultät in der Heyden-Sache, die sich mit der Diskussion um De concubinatu überschnitt, persönlich in Berlin die Einsetzung einer Untersuchungskommission gegen die theologische Fakultät im November 1713 zu erreichen203 und eine fiskalische Anzeige, die aus Halle gegen ihn eingereicht worden war, abzuwenden. Dabei nutzte er systematisch die Unterstützung von Printzens und der reformierten Hofprediger, denen er seine Disputation zur Begutachtung vorlegte.204 Bis zu diesem Zeitpunkt war es also unklar, welche Fraktion sich am 199

200 201 202 203

204

Thomasius, Christian: Dissertatio Inauguralis Juridica De Concvbinatv, i.e. Von dem unehlichen Beyschlaff, Quam [...] Praeside, Dn. Christiano Thomasio, […] Ad D. VIII. April. Anno M. DCCXIII. [...] publico eruditorum examini submittit Erhardvs Jvlivs Kiechel/ Ulmensis, [s.l.] 1713. Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 382–387. Vgl. Kramer: Francke, Bd. 2, S. 151–155. Vgl. Hinrichs: Preußentum, S. 386f. Vgl. Brief Nr. 632 von Canstein an Francke am 21.11.1713, in: [Canstein, Carl Hildebrand von]: Der Briefwechsel Carl Hildebrand von Cansteins mit August Hermann Francke, hg. v. Schicketanz, Peter, Berlin u.a. 1972, (TGP, III, Bd. 1), S. 619. Von Canstein schrieb: „Sonsten habe erfahren, daß H. Thomasius eine Commission ausgewircket, welche bestehet aus dem H. v. Blaspiel, H. von Creutz, H. hofrath Cuno, welcher letztere secretarius bey dem H. v. Printz, diesselbige soll des H. Thomasii vorschläge annehmen und zwar, daß darüber auch der anderen facultäten desideria gehört werden sollte.“ Vgl. Brief Nr. 605 von Canstein an Francke am 17.6.1713, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 592.

2. Abgrenzungsbemühungen der Universitätstheologie

287

Hof würde durchsetzen können, da der König bisher keine Neigung zeigte, ein Reskript in der Angelegenheit abzulassen. Dies stand in Kontrast zu der schnellen Lösung der Heyden-Sache ein halbes Jahr früher. Zum anderen wurde der Konflikt mit Thomasius weniger von Halle und Francke als von von Canstein und von Natzmer ausgetragen. Erst als beide ab Anfang Dezember 1713 eine gezielte Kampagne gegen Thomasius aufbrachten, und der König mehrfach Stellung bezog, schwächte sich der Einfluss der Gegenpartei ab. Von Cansteins Überlegungen zielten auf mehrere Eingaben der theologischen Fakultät und eine erneute Reise Franckes nach Berlin, die allerdings nicht stattfand.205 Kurz nach Weihnachten reiste von Natzmer von Halle nach Berlin, weil er „durch eine stafette vom konig hieher gefordert worden“,206 so dass er die Gelegenheit hatte, Post aus Halle dem König direkt zu übermitteln. Dessen persönliches Gespräch mit dem König – ein Verfahren, das Thomasius, der nur über Gewährsmänner agierte, nicht offenstand – gab den Ausschlag für den Stimmungsumschwung. Von Canstein meldete am 2.1.1714: „daß der k. [König] als N. [Abk. Natzmer] mit ihm desfals gesprochen, ich will den NB. [Abk. Thomasius?] wegjagen, so das erstere in dem verstand genommen, als wollte Er ihn gar aus dem lande jagen; er hatt aber sich hernach so expliciret, daß Er nur von hier nach Halle soll. Weiter hat er sich hernach diesesmahl nicht ausgelaßet. Allem ansehen nach hatt die Commission ihr Ende, und der wiedersacher hatt diesesmahl seinen Zweck nicht erreichet, sondern vielmehr in ein sehr bosen concept sich gebracht.“207

Folgerichtig war es ebenfalls nicht Francke, sondern von Canstein, der nach der Abreise von Thomasius im Januar 1714 auf dessen Vernichtung zielte: „an meinem Ort halte ich für sehr gefährlich auch nur das geringste durch Thomasium tractiren zu laßen. Seine und seiner patronen absicht dem R. [Rex] damit zu erkennen zu geben, er sey kein solcher gefährlicher mann, sondern auch der universität nützlich. Viel beßer ist, sich seiner gantz zu entschlagen. Der krieg ist weit beßer, als ein solcher simulirter friede und wann man sich von ihm entfernet hält, und zwar die gantze universität.208

Im Februar setzte bei von Canstein bereits das Nachdenken über einen Nachfolger für Thomasius ein. Doch fand sich in Halle niemand, „der einen kurtzen aufsatz machete von seinen wunderlichen sätzen, die in seinen schriften enthalten mit allegirung der stelle daraus“,209 so dass es zu keiner Lösung im Sinne von Cansteins kam. Die Frage nach dem fehlenden Engagement der Fakultät gegen Thomasius kann vielleicht in die Richtung beantwortet werden, dass sie zwar den König 1713 zweimal auf ihre Seite ziehen konnte, es beide Male aber zugleich mit einer einflussreichen Gegenpartei zu tun bekommen hatte, 205

206 207 208 209

Vgl. Brief Nr. 635 von Canstein an Francke am 2.12.1713, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 620; vgl. Brief Nr. 636 von Canstein an Francke am 5.12.1713, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 622. Brief Nr. 643 von Canstein an Francke am 26.12.1713, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 627. Brief Nr. 645 von Canstein an Francke am 2.1.1714, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 629. Brief Nr. 648 von Canstein an Francke am 13.1.1714, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 631. Brief Nr. 657 von Canstein an Francke am 20.2.1714, in: [von Canstein]: Briefwechsel, S. 639.

288

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

die nicht leicht auszuschalten war. Unklar war, ob dies ein drittes Mal gelingen würde. Thomasius zu disziplinieren war das eine, ihn zu vertreiben das andere. Außerdem war die Angelegenheit der Hillerslebischen Revenuen im Gegensatz dazu nicht im Sinne der Fakultät gelöst worden, sondern bestand als problematischer Konflikt weiter, in dem man auf die Unterstützung des Königs hoffte. Darüber hinaus scheint die Vertreibung von Thomasius eher das Anliegen von Cansteins als das der Hallenser geworden zu sein. Die Anzeige von De concubinatu stand zunächst ja eher im Zusammenhang mit früheren Anzeigen gegen Schriften, bei denen es der Fakultät um Zurechtweisung, nicht um Vertreibung gegangen war. Es könnte zudem auch für ein entsprechendes Selbstbewusstsein der Universitätstheologen angesichts der eigenen Stellung sprechen, mit Thomasius in Zukunft zurechtzukommen, da dieser in die Schranken gewiesen war. Franckes neue Kontakte in Berlin funktionierten jedenfalls gut. Vor allem von Canstein, sofern man ihm auch die Deduktion von 1705 zuschreibt, engagierte sich auf ganzer Linie gegen die vermeintlichen Feinde der Fakultät und der Stiftungen. Der Streit mit Thomasius darf, das zeigt der Streitverlauf, keineswegs nur auf Thomasius und Francke zugespitzt werden, auch wenn einzelne Konfliktlinien stark personengebunden waren. Gegner des Thomasius war ebensowenig ausschließlich die theologische Fakultät, da es um die Wahrung der Ordnung an der Universität ging. Wenn die gesamte theologische Fakultät der Hauptgegner in Fragen der Lehre war, dann nicht allein wegen der inhaltlichen Differenz zunächst in kirchenrechtlicher und dann grundsätzlicher Hinsicht, sondern auch deshalb, weil sich ihre Mitglieder in den 1690er Jahren immer wieder selbst in prekären Situationen aufgrund von Heterodoxieverdacht und Ähnlichem befanden und sich von der zusätzlichen Gefahr in dieser Hinsicht, die Thomasius als Universitätskollege für sie darstellte, abgrenzen mussten.

3.

Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

3.1. Die Glauchischen Anstalten Nachdem sich in den Streitigkeiten der 1690er Jahre bereits die unterschiedlich und insgesamt eher schwach ausgeprägte Bereitschaft der Universitätstheologen zur Friedfertigkeit erwiesen hatte, war spätestens in der Auseinandersetzung mit dem reformierten Rektor und mit der Zurückdrängung von Thomasius deutlich worden, dass die offene reformiertenfreundliche, auf Transkonfessionalität zielende Konfessionspolitik an der theologischen Fakultät keine Unterstützung finden würde. In dieser Situation war es gut, dass Francke dem Kurfürsten längst ein anderes Angebot gemacht hatte, dass dieser nicht abschlagen konnte. Indem die Berliner Regierung parallel zu allen Konflikten in Halle die Glauchischen Anstalten Franckes unterstützte, wurde der bildungspolitische Fokus zunehmend von der Universität auf die Anstalten transferiert und schrittweise von der

3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

289

hergebrachten Konfessionspolitik abgetrennt. Ausgangspunkt war die Gründung einer Armenschule an Ostern 1695. Die Darstellung Franckes in der Historischen Nachricht, nachdem er vier Taler und sechzehn Groschen in der Sammelbüchse gefunden habe, und nach Eröffnung der Armenschule die Spenden genauso wie die Schülerzahl angewachsen seien, diente der Sichtbarmachung des Segens Gottes, der als über den Anstalten liegend in Anspruch genommen wurde.210 Der Beginn der Glauchischen Anstalten war eng mit der Universität verflochten, denn als Präzeptoren wurden von Francke von Anfang an Studenten eingesetzt. Sehr früh begann Francke, seine Gründung Regierungsmitgliedern zur Förderung anzutragen: „Ich habe mit unserem lieben Herrn von Schweinitz vieles wegen der Armen Versorgung geredet, und finde sein Herz, so viel seine Schwachheit zulaßen möchte, begierig in der Sache zu arbeiten. […] Weswegen ich dann hiermit ersuchen wollen, wenn es nur immer müglich ist, dahin zu sehen, daß die direction der gantzen Sache ihm möchte committiret oder, wenn ja einer von den würcklichen geheimten Räthen die direction des gantzen Armen-Wesens in allen Churfürstlichen Landen sollte übernehmen, als etwa der Herr General Krieges-Commissarius [Daniel Ludolf von Danckelmann], daß er doch demselben möchte adjungiret werden.“211

Darüber hinaus entwickelte Francke grundlegende Vorstellungen über gelingende Armenfürsorge, denn „ein größer Theil der höchst nöthigen reformation, so viel das äußere verderbte Wesen betrifft, würde damit gehoben, wenn man alles wie es wol müglich ist, in die Ordnung brächte, daß den armen an Leib und seel wol gerathen, den müssiggängern aber das betteln gewehret, und ihre Arbeit angewiesen würde.“212

In der Franckeschen Lesart war Armenfürsorge nicht mehr nur eine Aufgabe des Landesherrn zur Aufrechterhaltung der Ordnung, sondern eine Pflicht der Obrigkeit im Rahmen der inneren Reformation in allen Lebensbereichen. Die Anstalten entwickelten sich eben gerade nicht zu einem Instrument klassischer Armenfürsorge, sondern in Gestalt der Schulstadt zu einer pädagogischen Einrichtung, in der der Anteil der Waisenkinder verschwindend gering war.213 Darüber hinaus ist die Frage nach dem Träger des Waisenhauses ambivalent zu beantworten, da Francke zwar die Unterstützung des Kurfürsten 210

211 212 213

Vgl. Francke, August Hermann: Historische Nachricht, Wie sich die Zuverpflegung der Armen und Erziehung der Jugend in Glaucha an Halle gemachte Anstalten veranlasset, eines aus dem andern gefolget, und das gantze Werck durch Göttlichen Segen von An. 1694. biß A. 1697 im Monath Junio fortgesetzet und eingerichtet sey, Zum Preiß der treuen Vorsorge Gottes, zur Erweckund Stärckung des Vertrauens auf Gott und wahrer Christlicher Liebe, Frankfurt a. d. O.: Schrey 1697, S. 8ff; vgl. Francke, August Hermann: Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes, [...] Durch den Ausführlichen Bericht Vom Wäysen-Hause, Armen-Schulen und übrigen Armen-Verpflegung Zu Glaucha an Halle, Wie selbige fortgesetzet biß Ostern Anno 1701, Halle: In Verlegung des Wäysen-Hauses 1701, S. 13–24. Brief Nr. 124 Francke an Spener am 28.9.1696, in: Spener: Briefwechsel, S. 465. Ebd., S. 466. Vgl. Sträter, Udo: Pietismus und Sozialtätigkeit. Zur Frage nach der Wirkungsgeschichte des „Waisenhauses“ in Halle und des Frankfurter Armen-, Waisen- und Arbeitshauses, in: PuN 8 (1982), S. 220.

290

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

suchte, die Verwaltung jedoch immer in Händen behielt und eine Basis privater Gönner aufbaute.214 Es ging ihm um die Privilegierung seiner Anstalten, bei deren Sicherstellung Francke Christian Friedrich von Kraut nutzte, der ihm zu einem Memorial an den Kurfürsten, flankiert von einem Schreiben der theologischen Fakultät und des Konsistorialrats Heinrich Bode, riet, die allerdings nicht überliefert sind.215 Außerdem forderte Francke Spener am 22.12.1696 auf, sich in der Angelegenheit an Paul von Fuchs zu wenden. Spener waren zu diesem Zeitpunkt jedoch wahrscheinlich durch die Hochphase des Beichtstuhlstreits die Hände gebunden,216 so dass sich die Thematik des Waisenhauses im Briefwechsel zunächst verlor. Erst am 29.6.1697 teilte Spener mit, dass er den Druck von Franckes Historischer Nachricht als Beilage zum Druck einer eigenen Predigt über die Armenfürsorge aus dem Jahr 1695 nach einigen Schwierigkeiten in die Wege geleitet habe.217 Am 17.8.1698 berichtete er Francke, dass er von Fuchs ein Schreiben aus Halle bezüglich des Waisenhauses übermittelt habe.218 Das muss als ausschlaggebend für die Privilegierung des Waisenhauses als Annexum der Universität am 19.9.1698 bewertet werden. Der Aufbau der Anstalten war in Glaucha von Anfang an umstritten. Das begann bereits beim Erwerb des Bauplatzes in Konkurrenz zu den Glauchaern, denen der Akziseeinnehmer Johann Wilhelm Öse an gleicher Stelle – dem Goldenen Adler vor den Toren Halles auf dem attraktivsten Platz in Glaucha – in dem dort von ihm geplanten Akzisehaus eine Ratsstube einrichten wollte. Öse besaß dafür eine Zusage des Amts Giebichenstein, zu dem Glaucha gehörte.219 Die Auseinandersetzung des Jahres 1698 um den Bauplatz verlief gewissermaßen in Analogie zu der des Jahres 1692, auch wenn die Themenlage eine andere war. Auf der einen Seite standen die Glauchaer, allen voran die Richter, auf der anderen Seite Francke, der die Kontakte nach Berlin nutzte, diesmal jedoch ohne Spener als Mittler zu aktivieren. Am 13.5.1698 wandte er sich über den Oberkurator von Rhetz an den Hofkammerpräsidenten und Oberdirektor des Domänen- und Finanzwesens von Chwalkowski und bat um die Unterstützung des Kurfürsten, denn er würde durch Öse „an meiner guten intention, die ja nicht auff meinem privat-nutzen sondern auff der Stadt und des gantzen Landes besten gerichtet ist, gäntzlich gehindert.“220 Dem Appell an die 214 215

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Vgl. ebd., S. 221ff. Vgl. Brief Nr. 130 Francke an Spener am 22.12.1696, in: Spener: Briefwechsel, S. 485, Anm. 12–15. Vgl. Drese: Beichtstuhlstreit, S. 72ff. Vgl. Brief Nr. 139 Spener an Francke am 29.6.1697, in: Spener: Briefwechsel, S. 516f. Vgl. Brief Nr. 147 Spener an Francke am 17.8.1698, in: Spener: Briefwechsel, S. 547. Bei dem Schreiben handelte es sich wahrscheinlich um „Wie seine Churfürstliche Durchlaucht ohne einigen Schaden alle zu Glaucha an Halle zu Erziehung der Jugend, und verpflegung der Armen, gemachte Anstalten secundiren, und also das Interesse dero Regiment und Landen, und insonderheit hiesiger Stadt und Universität dadurch befördern können“. GStA PK, II. HA, Rep. 15, Tit. 113, Sect. XII, Nr. 1, Bl. 5r–22v. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 47–58. Glaucha besaß kein eigenes Rathaus. Francke an von Chwalkowski am 13.5.1698 [Abschrift], AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 79.

3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

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landesväterliche Fürsorgepflicht der Obrigkeit stellte er außerdem wohlweislich seine Überlegungen zum Wohl der Universität anbei. So sei seine Intention „zu unserer Universitaet nicht geringen interesse […] gekränket und gehindert worden“.221 Ein erwähntes Begleitschreiben der Universität ist aber nicht überliefert.222 Am 14.5.1698 forcierte Francke den Druck noch einmal und schrieb direkt an den Kurfürsten, wobei er seine „auf nichts anderes, als die Ehre Gottes, und das bonum pub. Gerichtet[e]“ Intention betonte.223 Francke appellierte an die „angebohrene clementz und höchstrühmliche LandesVäterliche Liebe und Vorsorge, auf die gnädigste Verfügung ergehen zu lassen, daß mir von Dero hochlöbl. Regierung allhier der streitige Platz zu meinem Bau“224 überlassen werde. Diese Intensivierung war notwendig geworden, weil Öse ebenfalls nicht nachließ, die Vorteile seines Baus der Landesregierung und dem Kurfürsten vorzutragen.225 Zu diesem Zeitpunkt konnte Francke sich der Unterstützung der Berliner Regierung noch nicht sicher sein, wie ein Schreiben aus Berlin am 30.5.1698 beweist, in dem der Auftrag an den hallischen Rat Johann Viktor König und den Akzisedirektor Johann Christian Tentzel erteilt wurde, das betreffende Gelände zu begutachten und in Erfahrung zu bringen, wie Francke zu seinem Anspruch käme.226 Die Glauchaer Richter wandten sich am 3.6.1698 direkt an den Kurfürsten und legten besonders ihre finanziellen Interessen an dem Bau dar, nämlich die Einsparung für den Bau eines Rathauses bzw. die Pacht für die Anmietung einer Ratstube in einem Haus an diesem Platz.227 Francke stand unter Zugzwang und nutzte nun alle seine Berliner Möglichkeiten und kontaktierte am 7.6.1698 verschiedene Räte,228 wahrscheinlich von Rhetz, von Chwalkowski, von Fuchs und von Danckelmann, und zwar noch bevor er von der Verschärfung durch das Reskript am 30.5.1698 wusste. Francke deklassierte darin Glaucha als eine Vorstadt, die weder ein Akzise- noch ein Rathaus benötige.229 Der Umschwung in Berlin erfolgte am 11.6.1698, an dem die kurfürstliche Regierung die magdeburgische an221 222 223

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Ebd., S. 81. Vgl. ebd., S. 80. Francke an den Kurfürsten am 14.5.1698, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 641r. Francke stellte taktisch geschickt die bisherige Situation, in der die Akziseeinnahme in Glaucha geschah, dar, um die Unnötigkeit eines neuen Akzisehauses zu illustrieren, da „die Accise so viele Jahre hero in einem kleinen privat Hause zu Glaucha eingenommen“ worden sei. Ebd., Bl. 641v. Ebd. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 50f. Vgl. Reskript an König und Tentzel am 30.5.1698 [Abschrift], AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 96. In der Anordnung, die erst am 10.6.1698 in Halle einging, heißt es, es solle herausgefunden werden, „woher der Professor Francke sich des Baues auf besagter Stelle anzumaßen und zu unternehmen vermeinet“. Vgl. Glauchaer Richter an den Kurfürsten am 3.6.1698, GStA PK, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698– 1755), Bl. 678r–678v. Vgl. Francke an Geheime Räte am 7.6.1698 [Abschriften], AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 81–85, S. 101f. Vgl. ebd., S. 84.

292

IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

wies, Francke den Platz zu überlassen.230 Von Chwalkowski, von Danckelmann und von Fuchs teilten mit Francke die Bereitschaft, „die bewußte Angelegenheit möglichst [zu] secundiren“.231 Nun zeigte sich die 1692 bekanntgewordene Frontstellung zur Gänze: Obwohl damit das Reskript vom 30.5.1698 wirkungslos geworden war, beauftragte die magdeburgische Regierung die Begehung des Bauplatzes und lud Francke vor.232 Dies reichte, Francke erneut nervös zu machen, und er zitierte der Landesregierung gegenüber am 25.6.1698 aus den für ihn positiven Anweisungen.233 Am 27.6.1698234 erging die letzte Anweisung in dieser Angelegenheit: Von Danckelmann schrieb, von Fuchs und er hätten es „dahin dirigiret, daß die verlangte gnädigste resolution erfolget, u. an die dortige Regierung rescribiert worden, daß es bey ihrem Abschied sein verbleiben habe, u. der Accise Einnehmer zu Glauche mit seinem unzeitigen Suchen abgewiesen werden solle.“235

Die Auseinandersetzung zeigte nach Albrecht-Birkner, „inwieweit Franckes Beziehungen zum Berliner Hof zu diesem Zeitpunkt tragfähig waren: Der ‚Stimmungsumschwung’ erfolgte deutlich erst während der Auseinandersetzung.“236 Der Aufbau der Stiftungen rief sehr schnell den Widerstand der Stände hervor, da diese durch das Privileg vom 19.9.1698 zu finanzieller Unterstützung der Einrichtung gezwungen wurden, indem aus jeder Kirche des Herzogtums Magdeburg und des Fürstentums Halberstadt jährlich ein Taler an das Waisenhaus gezahlt werden sollte.237 Die Stände protestierten dagegen bereits am 17.6.1699 und baten um Rücknahme der Verordnung, denn „Waysen- und Armen-Häuser zubauen ist zwar von Ihm selbst ein Christlich Werck, es muß aber durch solche Mittel geschehen, welche anderen nicht zur Beschwerde gereichen, insonderheit Ius Socis et Causis unnachtheilig seyend.“ 238 Dies wurde vom Kurfürsten am 26.7.1699 unter Androhung der Ungnade zurückgewiesen.239 Am 25.9.1699 bestanden die Landstände darauf, dass das Waisenhaus Franckes Privateinrichtung sei und nichts mit der Landschaft zu tun hätte. Sie schlugen stattdessen ein landschaftliches Waisenhaus unter Aufsicht der magdeburgischen Regierung vor, für

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Vgl. Reskript am 11.6.1698, AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 98f. Von Chwalkowski an Francke am 18.5.1698 [Abschrift], AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 102; vgl. auch von Fuchs und von Danckelmann an Francke am 17.6.1698 [Abschriften], AFSt/ W Rep. 1, II/-/1, S. 102. Vgl. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 54f. Vgl. ebd., S. 55. Francke nutzte eine Uneinigkeit der Räte, die die Begehung unternommen hatten: Bastineller, der die Vorladung Franckes nicht unterschrieben hatte, wurde von Francke nun für eine neue Kommission in der Frage vorgeschlagen. Vgl. von Danckelmann an Francke am 27.6.1698 [Abschrift], AFSt/ W Rep. 1, II, /-/1, S. 102. Ebd. Albrecht-Birkner: Francke in Glaucha, S. 57. Vgl. Privileg des Waisenhauses am 19.9.1698, §14, AFSt/ W Rep. 1, II/-/6, unpag. Supplik der Stände am 17.6.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 606v. Vgl. Reskript am 26.7.1699, LHASA, MD, Rep. A6, Nr. 655, unpag.

3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

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das sie bereit seien zu sammeln.240 Diese Eingabe wurde am 9.11.1699 abgelehnt und die Unterstellung des Waisenhauses unter die Ägide des Kurfürsten betont.241 Auf diese Art und Weise erhielt Francke auf diesem zweiten Konfliktfeld neben der Auseinandersetzung mit der Stadtgeistlichkeit, die im Herbst 1699 an Fahrt aufnahm, freie Bahn. Die Unterstützung durch von Fuchs, dessen Unterschrift der Entwurf des Reskripts trägt, kontrastierte allerdings mit dessen Zurückhaltung in der Schulkirchenfrage.242 Von Fuchs trennte im Umgang mit Francke zwischen den beiden Feldern Waisenhaus und Stadtgeistlichkeit, die Stände taten es nicht, als sie am 24.4.1700 ein Verbreitungsverbot mystischer Schriften forderten und damit indirekt auch die Waisenhausdruckerei angriffen und der Auseinandersetzung mit der Stadtgeistlichkeit um die Rechtgläubigkeit neue Nahrung gaben.243 Kein Angriff gegen Franckes Rechtgläubigkeit, aber gegen seine Ehrbarkeit, stellte die Forderung vom 24.3.1700 dar, die Waisenhausrechnungen sollten immer durch die magdeburgische Regierung kontrolliert werden, wenn die Stände für das Waisenhaus zahlen sollten.244 Francke schätzte dies als große Gefahr für das Waisenhaus ein: „Es ist solches auch den privilegiis schnur stracks zu wider; und wenn nur einmal christliche Wolthäter im geringsten mercken, daß andere die Hände mit drinnen haben möchten, wird niemand mehr etwas darzu geben wollen.“245

Das Problem löste sich für Francke durch die Einberufung einer Kommission zur Untersuchung des Waisenhauses als einem Nebenstrang zu der großen Untersuchung des Jahres 1700. Auf die Bildung und den Modus der Kommission wurde Francke durch von Fuchs voller Einfluss zugestanden: „Herr von Fuchß verlangt, daß ich selbst die commissarios vorschlagen und den modum tractandi wie ichs verlangete, determinieren möchte, und hielte demnach es könten der Herr Cammer Praesident von Danckelmann, der Herr Geh[eime] Rath von Schweinitz, der Herr Geh[eime] R[ath] Stryck, der Herr Rath Stisser246 und der Herr Rath Hoffmann247 zu Commissariis ernennet werden.“248

Die Verfahrensweise der Untersuchung zielte nicht auf eine Rechnungsprüfung, sondern auf den Nachweis der mangelnden Unterstützung durch das Herzogtum und das 240

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Vgl. Supplik der Stände am 25.9.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 611r–614r. Vgl. Reskript am 9.11.1699 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 609v. Vgl. Kapitel III.2.1.3. Vgl. Kapitel III.2.3.2. Vgl. Supplik der Stände am 24.3.1699, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 410r–410v. Brief Nr. 218 Francke an Spener am 22.(?)5.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 759. Wahrscheinlich der aus Halle stammende brandenburgische Kammerrat Johann Kilian Stisser; vgl. Brief Nr. 218 Francke an Spener am 22.(?)5.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 760, Anm. 16. Der Sohn des Mediziners Friedrich Hoffmann, vgl. Brief Nr. 116 Francke an Spener am 7.3.1696, in: Spener: Briefwechsel, S. 437, Anm. 36. Brief Nr. 218 Francke an Spener am 22.(?)5.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 760; zur Auseinandersetzung um die Strafgelder vgl. Deppermann: Der hallesche Pietismus, S. 111–113.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

Fürstentum, wobei private Schenkungen ausgeklammert wurden.249 Dass das Untersuchungsergebnis bei diesen Voraussetzungen bezweifelt werden konnte, muss Francke bewusst gewesen sein und kann deshalb als eine der Triebfedern bewertet werden, warum Francke später in den Fußstapffen die Schenkungen von Privatpersonen als einen Teil des Wirkens Gottes in Glaucha thematisierte.250 Im Unterschied zu den theologischen Auseinandersetzungen der Jahre 1699/1700 kostete es Francke in der Auseinandersetzung um das Waisenhaus erheblich weniger Mühe, in Berlin Unterstützer für die Anstalten zu gewinnen. Um den Bauplatz musste Francke noch kämpfen, über die Durchsetzung der Privilegien des Waisenhauses gab es keine Zweifel mehr. Anscheinend zeichnete sich für die prominenten Unterstützer unter den Räten, allen voran Paul von Fuchs, hier eine neue Möglichkeit ab, den pädagogisch-theologischen Einfluss im Herzogtum Magdeburg durch die protegierte Person Francke jenseits von konfrontativer Konfessionspolitik zu stärken. Es stellte sich vergleichsweise einfach dar: Engagement für die Armenfürsorge und Schulbildung konnte für eine Zurückdrängung des landschaftlichen Einflusses sorgen, ohne Heterodoxievorwürfe wie bei der Universitätsetablierung zu erzeugen.

3.2. Der Wandel der Konfessionspolitik durch die ‚Besserung der Welt’ Wegweisend für die zunehmende Unterstützung der Anstalten durch die Berliner Obrigkeit war, dass Francke sich in der Hochzeit der Streitigkeiten des Jahres 1700 von der Umgestaltung der Glauchaer Gemeinde und dem daraus resultierenden Streit mit der hallischen Stadtgeistlichkeit abzuwenden begann und seine Konzentration zunehmend auf die ‚Besserung der Welt’ fokussierte. Am 1.5.1700 teilte er Spener mit, dass er zu schreiben begonnen habe, „wie nach Endigung der Commission was sehr heylsames S[eine]r Churfürstlichen Durchlaucht könne an Hand gegeben werden 1. für das ministerium. 2. für diese Stadt. 3. für die universität. 4. für das Land. 5. für ganz Teutschland und angränzende Länder und Reiche“.251

Dabei handelte es sich wohl um die Ersterwähnung seines Universalprojekts.252 Im 249

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Vgl. Befehl an die Kommissionsmitglieder am 12.6.1700 [Entwurf], GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b2 (1698–1755), Bl. 411r–414r. Vgl. Weniger, Peter: Anfänge der „Franckeschen Stiftungen“. Bemerkungen zur Erforschung der Geschichte der Glauchischen Anstalten in ihrem ersten Jahrzehnt, in: PuN 17 (1991), S. 98–102. Brief Nr. 213 Francke an Spener am 1.5.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 744. [Francke, August Hermann]: Project. Zu einem Seminario Universali oder Anlegung eines PflantzGartens, von welchem man eine reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Teutsch-

3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

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Rahmen der 1700er-Kommission übergab Francke die Projektschrift an Stryk, in der Hoffnung, dieser würde mit Fischer darüber sprechen und sie könnte so an den Kurfürsten gelangen.253 Francke arbeitete in der Schrift mit dem Bild eines Pflanzgartens und einer Baumschule, aus der „man von Zeit zu Zeit Pflantzen […] heraus nehmen, an andere Orte, und in andere Länder, ja alle theile der Welt, und unter alle Nationes versetzen, und von Ihnen ihre völligen Früchte erwarten, und mit Freuden genießen könnte.“254 Die bestehenden Anstalten sollten hinter dem neu zu gründenden Seminar als ein Erziehungsinstitut stehen. Standortvorteile wurden argumentativ genutzt, wenn er schrieb, „daß an demselbigen Orte, wo diese seminaria schon zu einem so feinen Anwachß gedyen, auch andere getreue Leuthe Gottes sich befinden, welche zwar nicht eigentlich an diesem Werke mit arbeiten, sondern in andern wichtigen Ämbtern stehen“.255

Neben dieser Anspielung auf die Universität und seine Fakultätskollegen betonte Francke vor allem das Potential der Studenten für das Seminarium, das gleichzeitig Nutzen für die Landschaft bringen würde: „Viele studiosi kommen hieher, an denen man wohl ein gutes Talent mercket, welche aber genöthiget werden wiederumb hieweg zu ziehen, weil man Sie hier nicht zu accommodiren weiß: worauff Sie denn öffters an solche Orte gerathen, da sie vielmehr im Grunde verderbet, als zu Gefässen des Hauses Gottes praepariret werden.“256

Udo Sträter hat gezeigt, inwieweit sich dieser Plan Franckes in die zeitgenössischen Utopiepläne einer ‚Generalreformation der ganzen Welt’ als Referenzrahmen fügen lässt, die bei Francke tatsächlich erst nach der Anfangsphase in Glaucha und dem letztendlichen Scheitern seiner dortigen Bemühungen zur Geltung kamen. Allerdings bedarf es noch der Erforschung, wie und wann genau sich bei Francke diese neuen Pläne entwickelten.257 Deutlich scheint, dass die Idee der ‚Besserung der Welt’ mit der Ausbildung der iden-

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lands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten, AFSt/ W II/-/10, Bl. 33r–42v; vgl. zum Projekt Sträter, Udo: August Hermann Francke und seine „Stiftungen“ – einige Anmerkungen zu einer sehr bekannten Geschichte, in: Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke. Der Stifter und sein Werk, Halle 1998 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen, Bd. 5), S. 15–31; vgl. Sträter, Udo: Der hallische Pietismus zwischen Utopie und Weltgestaltung, in: Ders. (Hg.): Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen, Bd. 17, 1), S. 19–36. Vgl. Brief Nr. 218 Francke an Spener am 22.(?)5.1700, in: Spener: Briefwechsel, S. 758. Vgl. [Francke, August Hermann]: Project. Zu einem Seminario Universali oder Anlegung eines Pflantz-Gartens, von welchem man eine reale Verbesserung in allen Ständen in und außerhalb Teutschlands, ja in Europa und allen übrigen Theilen der Welt zu gewarten, AFSt/ W II/-/10, Bl. 33r–33v. Ebd., Bl. 35r. Ebd., Bl. 36v. Vgl. Sträter, Udo: Aufbruch um 1700, in: Zaunstöck, Holger (Hg.): Gebaute Utopien. Franckes Schulstadt in der Geschichte europäischer Stadtentwürfe, Halle 2010 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen, Bd. 25), S. 19ff.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

titätsstiftenden Vorstellung von wahrer Christlichkeit in den Streitigkeiten 1699/1700 korrespondierte.258 Für den brandenburgischen Kurfürsten und König bestand hier eine Möglichkeit,259 publikumswirksame Bildungspolitik zu betreiben und sich gleichzeitig als ein Herrscher zu inszenieren, dem die Fortsetzung der Reformation als Intensivierung der Frömmigkeit jenseits von konfessionspolitischen Auseinandersetzungen ein wichtiges politisches und landesväterliches Ziel im Sinne eines „realen Veränderungsvorhabens“260 war. An die zusätzliche Rolle ökonomischer Argumente für die Förderung der Stiftungen soll an dieser Stelle zumindest erinnert werden: Francke selbst hatte dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm diese Vorteile der Stiftungen aufgezeigt: Die Anstalten sorgten für Arbeit und Einnahmen in Halle, sei es durch Baumaßnahmen, Steuereinnahmen oder die besondere Ausbildung im handwerklichen und akademischen Bereich.261 Dass Francke dabei auf jegliche konfessionspolitische Stellungnahme verzichtete, ließ ihn auf diese Art und Weise dem Friedfertigkeitsideal für lutherische Theologen wieder deutlich näher kommen. Die erneute Privilegierung des Waisenhauses am 10.5.1713 und die spätere Bestallung als Pfarrer von Halles Ulrichskirche 1715 illustrieren diesen Durchbruch Franckes nicht nur im Sinne der Durchsetzung gegen das traditionelle Luthertum, sondern auch im Sinne einer Anpassung an Regierungsinteressen jenseits seines Kampfes gegen die Begünstigung von Reformierten an der Universität. Ausgangspunkt aller zukünftigen Bemühungen in Halle sollte die Universität sein, wie die Darlegung des Großen Aufsatzes262 zeigt: „[…] so hat es der Weisheit und Liebe Gottes gefallen, eine neue Universitaet auffrichten zu laßen […]. Kaum aber war diese neue Universitaet inauguriret, so gefiel es der Güte Gottes, eben daselbst noch eine gar sonderbare Thür auffzuthun, dadurch man noch viel näher zum Zweck der gesuchten Beßerung treten könnte.“263

Der Entwurf des Jahres 1711 Was noch aufs Künftige projectiret ist264 verdeutlicht ebenfalls die bleibende zentrale Rolle der Universität bei Franckes Plänen: „Der Zweck ist, daß man bei hiesiger Universität eine Universal-Einrichtung mache zum allgemeinen 258 259

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Vgl. Kapitel III.2.3.2. Neben der Universitätsgründung und der Etablierung der Sozietät der Wissenschaften in Berlin im Jahr 1700; vgl. Sträter: Aufbruch um 1700, S. 22. Zaunstöck, Holger: Gebaute Utopien – Franckes Schulstadt. Zur Einführung, in: Ders.: Gebaute Utopien, S. 10. Vgl. Denkschrift zum Nutzen des Waisenhauses am 23.8.1711, GStA PK, I. HA, Rep. 52, Nr. 131 b1 (1680–1790), farbige Einlage. Francke, August Hermann: [Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts.] Der Große Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung, hg. v. Podczeck, Otto, Berlin 1962 (Abhandlung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, philol.-hist. Klasse, Bd. 53, 3). Ebd., S. 89. „Was noch auf das künftige projectiret ist“ (1711), abgedruckt bei Kramer: Francke, Bd. 1, S. 498–503.

3. Konfessionspolitische Neujustierung um 1700

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Nutzen der gantzen Christenheit, ja der ganzen Welt.“265 Auf diese Weise wurden die Initiative zur Universitätsgründung und ihr Erhalt in die Perspektive einer neuen, modellhaften Zukunft und des realen Bauens an dieser eingebettet und ihr ein neuer Sinngehalt zugeschrieben, der in Berlin als eine Alternative zur Konfessionalisierungspolitik begriffen werden und als christliche Untertanenbildung einen neuen politischen Erwartungshorizont nach den Erfahrungen mit der Abwehrhaltung der theologischen Fakultät gegenüber transkonfessionellen Entwicklungen bilden konnte. Innerhalb der Universität wurde Franckes Vorstellung durchaus rezipiert, nämlich von Johann Samuel Stryk in dessen Universitätsprogramm 1702, der laut Francke das Universalproject bereits früh kannte. Allerdings berief Stryk sich in seiner Ankündigung nicht auf Francke, sondern auf einen prominenteren Gewährsmann idealer gesellschaftlicher Entwürfe: Er habe Seckendorffs Christen-Staat behandelt und wolle das begonnene Werk nun fortsetzen.266 Dabei sei er auf Comenius’ Pläne zur Verbesserung der Welt hingewiesen worden, der „in seinem schönen Büchlein de Uno Necessario zeuget, und ihn so wohl sein eigenes als das allgemeine Verderben hatte erkennen, auch einen Blick thun lassen, wie demselbigen könnte abgeholfen werden, […]. Daher er es auch Consultationem Catholicam und Excitatorium universale, desgleichen Invitationem omnium hominum nennet, dieweil er dadurch alle zu erwecken suchet, das Verderben in allen Ständen zu erkennen, und die Hand anzulegen, solches zu verbessern.“267

Die Verderbnis der Welt war nach Stryk auch von den Gelehrten mitverursacht worden, so dass es nach ihm darum ging, die neue hallische Universität als einen Ort darzustellen, an dem mit rechter Gelehrsamkeit die Missbräuche dargestellt und analysiert wurden: „Und weil auf Universitäten die Gelehrsamkeit fortgepflantzet wird, so wird dahero zugleich von denen auf denselben insgemein im Schwange gehenden groben Fehlern, und wie solche zu verbessern seyn möchten, etwas ausführlich, doch nach Gelegenheit der Zeit, könne discoutiret werden. Denn es ist ja hochnöthig, daß auch wir bey dieser neuen Universität solches recht erkennen lernen, damit wir uns von solchen Mißbräuchen reinigen, und nicht gleiches Gerichte mit denen andern mögen zu gewarten haben.“268

Es sei sonst unmöglich, Amtsträger für den akademischen Dienst bzw. andere Berufe auszubilden, „wenn sie nicht vorher wohl angewiesen worden, und sowohl die Fehler so eingeschlichen, als auch wie solchen zu steuren und das verdorbene zu bessern, haben erkennen lernen“.269 Stryk wurde auf diese Art und Weise zum Multiplikator von Frankkes Idee der besonderen Ausbildung in Halle und der Sendung in die Welt, indem er die Universität als einen Teil des praktischen Handlungsraums betrachtete, den Francke im Universalproject aus Anstalten und Universität konzipiert hatte. In Halle konnte in der Verbindung von Universität und Anstalten eine „kohärente Er265 266

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Ebd., S. 500. Vgl. dazu Drese, Claudia: Auf dem Weg ins Universelle. August Hermann Franckes Erfahrungshorizont und die Formung eines Ideals, in: Zaunstöck: Gebaute Utopien, S. 73ff. Stryk, Johann Samuel: Programma von der höchstnöthigen Verbesserung in allen Ständen. Darin zugleich ein neues Collegium über Io. Amos Comenii Excitatorium universale, eröffnet wird, Halle: Wäysen-Hauß 1702, S. B2. Ebd., S. B2v-B3r. Ebd., S. B3v.

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

ziehung von der Schule bis zum Universitätsabschluß“270 gewährleistet werden. Dies kam insbesondere dort zum Tragen, wo Studenten im Waisenhaus und im Paedagogium Regium als Aufseher eingesetzt wurden, vor allem aber auch im Seminarium Praeceptorum und im Seminarium Praeceptorum Selectum, in denen hallische Studenten zu Lehrern von Kindern und Jugendlichen wurden, die dann womöglich wieder in Halle studierten.271 Geprägt waren die Studenten vom Lehrbetrieb der theologischen Fakultät, in dem als Besonderheit der von Spener in den Pia Desideria geforderten Studienreform die paränetischen Vorlesungen Franckes, entwickelt auf der Basis der akademischen collegia in Leipzig, eine wichtige Rolle spielten.272 Daneben wurden selbstverständlich auch Vorlesungen in thetischer und polemischer Theologie angeboten.273 Die Pointe an dieser Verquickung von Universität und Anstalten für die Absichten der Berliner Konfessionspolitik war, dass bei der Ausbildung solcher neuen Multiplikatoren für die beiden Handlungsfelder Lehramt und Pfarramt sehr wohl konfessionelle Grenzen verwischt werden konnten: Im Paedagogium Regium wurden die Schüler nach Freylinghausens Grundlegung Der Theologie von 1703 unterrichtet,274 die bis in die 1730er Jahre hinein ein maßgebliches Lehrbuch an der theologischen Fakultät blieb.275 Die Passagen zur Abendmahlslehre waren zumindest uneindeutig verfasst und ließen Interpretationsraum: „Es ist der Zweck/Nutz und Frucht des H. Abendmahls […] die lebendige und kräfftige Erneuerung des Gedächtnißes des Todes und Blutvergießens unsers Herrn Jesu Christi […]. Die Schenckung und Versiegelung der Vergebung der Sünden“.276 Hier schließt sich gewissermaßen der Kreis, der mit der öffentlichen Anzeige der Konversion Johann Sigismunds durch die Einnahme des Gedächtnismahls begonnen hatte und den Plan, die Umdeutung lutherischer Identität zugunsten der Öffnung gegenüber dem Reformiertentum eingeleitet hatte, auch wenn die erwünschte Harmonie weder unter den verschiedenen Lutheranern, innerhalb der Universität oder gar zwischen den beiden Konfessionen erreicht worden war.

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Sträter: Wolffs Gegner, S. 79. Zur Struktur der Lehrerausbildung vgl. Oberschelp, Axel: Das Hallesche Waisenhaus und seine Lehrer im 18. Jahrhundert. Lernen und Lehren im Kontext einer frühneuzeitlichen Bildungskonzeption, Tübingen 2006 (Hallesche Forschungen, B. 19). Vgl. dazu de Boor, Friedrich: Die paränetischen und methodologischen Vorlesungen August Hermann Franckes (1693–1727) [Habil. Man. masch. Halle 1968]. Vgl. Sträter: Wolffs Gegner, S. 86f. Freylinghausen, Johann Anastasius: Joh. Anastasii Freylinghausens, Past. Adj. zu Glaucha an Halle, Grundlegung Der Theologie: Darinn die Glaubens-Lehren aus Göttlichem Wort deutlich fürgetragen, Und zum Thätigen Christenthumb, wie auch Evangelischen Trost angewendet werden; Zum Gebrauch des Pædagogii Regii daselbst, Halle: Waisenhaus 1703, Nachdruck: Hildesheim u.a. 2005. Vgl. Paul, Matthias: Einleitung, in: Freylinghausen: Grundlegung, S. XXf. Freylinghausen: Grundlegung, S. 281. Hervorhebung im Druck.

4. Zusammenfassung

4.

299

Zusammenfassung

Im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts veränderten sich die Kontakte der theologischen Fakultät Halle nach Berlin entscheidend: Der Tod wichtiger Unterstützer der Entwicklungen an der hallischen Fakultät bewirkte zunächst ein Übergewicht von Entscheidungsträgern im Geheimen Rat, die die reformierte Konfessionalisierungspolitik wieder stärker forcierten und weniger auf die Herstellung der innerlutherischen Harmonie setzten. Dieses Problem zeigte sich deutlich in dem Versuch, dem Rektor des reformierten Gymnasiums in Halle die Möglichkeit zu geben, seine Veranstaltungen auch an der Universität bekannt zu geben und selbst an akademischen Veranstaltungen teilzunehmen. Was 1710/11 noch wie eine Maßnahme zum reinen Studententransfer zwischen beiden Einrichtungen ausgesehen hatte, entwickelte sich durch die Proteste der theologischen Fakultät, die für sich in Anspruch nahm, für die gesamte Universität zu sprechen, und durch die Proteste des reformierten Presbyteriums zu der Absicht, eine vierte reformierte Professur an der theologischen Fakultät einzurichten. Damit wäre die Universität Halle dem Vorbild der Viadrina gefolgt. Die theologische Fakultät sah sich dadurch gezwungen, sich binnenkonfessionell als Hüterin lutherischer Identität darzustellen, auch wenn man diese in wichtigen Details anders als traditionelle Lutheraner deutete. Gegenüber Berlin wandte sie unterdessen die Strategie an, ihre eigene Friedfertigkeit gegenüber den Reformierten herauszustellen, den Lutheranern außerhalb hingegen konfessionspolitische Rückständigkeit zu bescheinigen. Ein ähnliches Vorgehen, sich als Hüterin lutherischer Identität zu gerieren, wurde gegenüber Christian Thomasius praktiziert, den man seit 1693 in Fragen der Universitätsordnung und ab 1695/1702 wegen Heterodoxie und Kritik an den Glauchischen Anstalten bekämpfte. Die pietistischen Universitätstheologen übernahmen im Rahmen dieses Konflikts gegenüber Thomasius die Rolle, die die Stadtgeistlichkeit zuvor ihnen gegenüber eingenommen hatte, was von Thomasius deutlich erkannt und im Rahmen seiner eigenen Konfliktstrategie gegenüber Berlin verwendet wurde. Dies ging soweit, dass er sich in den Konflikt um den reformierten Rektor einschaltete und für die Schaffung einer entsprechenden Professur argumentierte. Die Fakultät profitierte beim Ausgang des Konflikts vom Herrscherwechsel, denn der Oberkurator von Printzen verlor an Einfluss, im Gegenzug war der neue König Francke gewogen. Die These von der besonderen Verbindung zwischen der theologischen Fakultät und dem Kurfürsten bzw. König, die zu schnellen Entscheidungen zugunsten der Fakultät geführt haben soll, bestätigt sich damit erst für das Jahr 1713, dann allerdings deutlich. Dass der konfessionspolitische Grat für die Fakultät dennoch ein schmaler war, beweist die Tatsache, dass Friedrich Wilhelm I. in der Frage der finanziellen Unterstützung der reformierten Gemeinde nicht zu Zugeständnissen an die pietistischen Akteure bereit war. Darüber hinaus wurde die problematische Argumentation gegen den reformierten Rektor kritisch wahrgenommen, und es kam zur Re-Publikation der Edikte von 1662 und 1664. Trotzdem ist mit der Unterstützung Friedrich Wilhelms I. gegen die Errichtung einer reformierten Professur an der Universität ein Einschnitt in der Konfessionspolitik

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IV. Mißerfolg und Neuausrichtung

zu verzeichnen, nämlich die zeitweilige Aufgabe der Reformiertenbegünstigung als unabänderlicher Teil des konfessionspolitischen Handlungskatalogs. Eine mögliche Erklärung dafür kann die Verlagerung des Schwerpunkts von der Universität auf die mit der theologischen Fakultät verknüpften Glauchischen Anstalten sein, deren Gründung und Aufbau zwar auch umstritten, von Berlin allerdings erheblich konsequenter als die Durchsetzung der Universitätstheologie gestützt worden waren. Der Grund dafür lag im Potential der Anstalten und in Franckes Konzept von der ‚Besserung der Welt’ für die Herrschaftsinszenierung des neuen Königs: Francke unterbreitete dem König, sich durch die Förderung der Anstalten konsequenter als bisher als christlicher Herrscher zu inszenieren, dessen Augenmerk die Fortsetzung der Reformation nicht durch die Mittel reformierter Konfessionalisierungspolitik, sondern durch Armenfürsorge, Bildung und Intensivierung der Frömmigkeit bildete. Heterodoxieprobleme und Streitigkeiten zwischen binnenkonfessionellen Gruppen waren in diesem Kontext weniger als bisher zu erwarten. Die Schaffung eines kohärenten Erziehungssystems und die Besonderheiten der in Halle gelehrten Theologie, die Interpretationsraum zwischen lutherischen und reformierten konfessionellen Codes bot, erlaubten jedoch weiterhin Hoffnungen auf eine von Transkonfessionalität geprägte Zukunft in Brandenburg-Preußen.

V. Schluss

1.

Fazit

Der Etablierung der pietistischen Akteure August Hermann Francke, Joachim Justus Breithaupt und Paul Anton sowie Christian Thomasius’ als ein Vertreter naturrechtlicher Vorstellungen an der 1691/94 gegründeten Friedrichs-Universität in Halle lag kein auf Pietismus und Frühaufklärung zielendes, von höchster Stelle durchgeplantes, reformpolitisches Programm zugrunde. Genauso wenig verdankte die Universitätsgründung und -etablierung sich eines Prozesses, der mit der Metapher einer ‚invisible hand’ zu beschreiben wäre. In dieser Arbeit konnte gezeigt werden, wie sehr solche Deutungen der Gründung der Friedrichs-Universität als Verknüpfungen ex post in das Reich der Legenden gehören. Die hallische Universitätsgründung muss vielmehr als Glied einer langangelegten Reihe konfessionspolitischer Maßnahmen in Brandenburg-Preußen im 17. Jahrhundert mit dem Ziel der durchgehenden reformierten Konfessionalisierung der mehrheitlich lutherischen Untertanen identifiziert werden. Sie entsprach der Logik eines seit 1613 entwickelten konfessionspolitischen Handlungskatalogs, der auf die Selbst-Reformation der Lutheraner bei zeitgleicher Förderung der Reformierten durch die Erhöhung der Anzahl dieser Bekenntnisträger setzte. Die Förderung der innerlutherischen Vielfalt an der Friedrichs-Universität durch eine vermeintlich innovative, auf Pietisten und Frühaufklärer ausgerichtete Personalstrategie war nur ein Umweg zum Erreichen dieses Ziels. Denn die Berliner Religionspolitiker funktionalisierten seit dem gescheiterten Konfessionalisierungsversuch unter Kurfürst Johann Sigismund diejenigen konfessionellen Strömungen im Luthertum, denen eine besondere Friedfertigkeit gegenüber der reformierten Konfession zugeschrieben wurde: Das war zunächst die irenische Theologie des Helmstedter Professors Georg Calixt. Seitens des traditionellen Mehrheitsluthertums wurde auf Calixts dogmatische Vorstellungen zur friedlichen Annäherung der Konfessionen mit dem Vorwurf des Synkretismus reagiert und sich von der irenischen Theologie abgegrenzt, weil sein dogmatischer Reduktionismus auf die altkirchlichen Symbole für diese Lutheraner die Aufhebung der entscheidenden konfessionellen Verbindlichkeiten darstellte. Die innerlutherischen Diskussionen um die Theologie Calixts und seiner Anhänger wurden in Brandenburg-Preußen durch den reformierten Konfessionalisierungsanspruch

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V. Schluss

der Kurfürsten als Katalysator verschärft, denn es drohte durch die Förderung der irenischen Theologie seitens der Regierung nicht allein eine Aufhebung der gemeinsamen lutherischen Verbindlichkeiten, sondern dazu die latente Überführung der Lutheraner in das Reformiertentum durch flankierende landesherrliche Maßnahmen. In den konfessionspolitischen Konflikten der 1660er Jahre zwischen dem Kurfürsten und seiner Regierung auf der einen Seite und den verschiedenen Landständen und der lutherischen Geistlichkeit auf der anderen Seite erwies sich, wie entscheidend konfessionelle Codes, v.a. das Bekenntnis der Confessio Augustana (CA) invariata und die Bekenntnisschrift der Konkordienformel (FC), für die Bewahrung der unverfälschten lutherischen Identität gegenüber Abweichlern innerhalb der eigenen Konfession und gegenüber dem äußeren, anderskonfessionellen politischen Druck waren. Lutherische Identität war für die Mehrheit der Lutheraner ohne Geltung dieser Texte nicht vorstellbar. Nach dem Selbstverständnis der traditionellen Lutheraner musste, um dem reformierten Konfessionalisierungsdruck durch die Berliner Regierung zu widerstehen, zunächst gegen diejenigen Lutheraner, die die zentralen konfessionellen Codes negierten, vorgegangen werden, um die gemeinsamen konfessionellen Verbindlichkeiten der lutherischen Konfessionskultur zu bewahren. Aus der Sicht von Konfessionspolitikern, die auf eine Öffnung lutherischer Identität zugunsten reformierter Konfessionskultur bedacht waren, bildeten diese dogmatischen Texte demzufolge zentrale negative konfessionelle Codes, die es abzuschaffen galt. Dabei unterschätzten sie sowohl das konfessionelle Beharrungsvermögen der lutherischen Untertanen als auch die politische Abhängigkeit der brandenburgischen Kurfürsten von den Ständen, die sich auch in konfessionspolitischen Zugeständnissen niederschlug. Der Versuch der 1660er Jahre, mittels kurfürstlicher Edikte die Theologenbestallung ohne die CA invariata und die FC in der Kurmark einzuführen, scheiterte zwar, kann aber als Fanal gesehen werden, wie seitens der Konfessionspolitiker in Berlin versucht wurde, die Idee der Irenik zur friedlichen Annäherung der verschiedenen Konfessionen umzudeuten und einseitig auf die Lutheraner anzuwenden, die sich anzupassen und friedlich zu verhalten hatten. Diese pervertierte Irenik wurde somit ein wesentliches Schlagwort der auf reformierte Konfessionalisierung drängenden Konfessionspolitik in Gestalt einer „erwünschten Harmonie“. Die entscheidende Rolle der Codes zeigte sich auch 1680 in den Verhandlungen um die Huldigung der magdeburgischen Stände anlässlich des Anfalls des Territoriums an den brandenburgischen Kurfürsten. Wie schon bei der Eventualhuldigung von 1650 ging es den lutherischen Ständen um die Bewahrung der konfessionellen Gegebenheiten ihres Landes in Gestalt der codierten Texte und des ständischen Einflusses auf die Pfarrstellenbesetzung. Die entstehenden Konflikte um die Eingriffe des neuen Landesherrn in die kirchlichen und konfessionellen Gegebenheiten des Herzogtums Magdeburg – die Schaffung des Konsistoriums, die Kirchenordnung von 1685 ohne FC und das Simultaneum am Dom und in der Stadt Halle – erwiesen erneut die Resistenz der Untertanen und erzwangen die Notwendigkeit, neue Wege in der bisher beschrittenen Konfessionspolitik zu entwickeln.

1. Fazit

303

Die Selbst-Reformation von Lutheranern war offensichtlich nicht durch Zwangsmittel, die Auslassung von lutherischen Codes oder die Besetzung vereinzelter Pfarrstellen mit friedfertigen Lutheranern zu erreichen, sondern es bedurfte mittelfristig einer eigenen Ausbildungsstätte für friedfertige Lutheraner, die dann als Pfarrer und Lehrer im Land die Öffnung zum Reformiertentum in der Breite begünstigten. Benötigt wurde eine lutherische Universität, theologisch derart ausgerichtet, dass sie einerseits dem Friedfertigkeitsprinzip genügte, andererseits aber keine Abgrenzungsbemühungen seitens der lutherischen Untertanen hervorrief. Von außen musste sie als rechtgläubig wahrgenommen werden. Die bestehenden brandenburg-preußischen Universitäten Frankfurt an der Oder, Duisburg und Königsberg konnten dies nicht leisten, waren sie doch entweder reformiert oder unter traditionellen Lutheranern als synkretistisch diskreditiert. Bei allem konfessionellen Veränderungswillen, der von der Berliner Regierung mit der Universitätsgründung verbunden wurde, bestand an diesem Punkt zugleich die Achillesferse, denn die Universität war auf die Anerkennung durch das traditionelle Luthertum, nicht zuletzt auch aus wirtschaftlichen Gründen, angewiesen. Die Instrumentalisierung der Irenik im Sinne der Konfessionalisierung erwies sich bei der hallischen Gründung nach wie vor als die Leitlinie der Konfessionspolitik, als Christian Thomasius’ staatskirchenrechtliche Vorstellungen von der Aufsicht des Landesherrn über die Kirchen nicht in einem aufklärerischen Sinn zur Stärkung individueller religiöser Rechte oder gar zur Trennung von Staat und Kirche genutzt wurden, sondern, um die Gründung der Friedrichs-Universität in Halle konfessionspolitisch fruchtbar zu machen. Nicht ein Interesse an den Ideen der Frühaufklärung, sondern ein erheblich älteres konfessionspolitisches Element führte 1690 zu seiner Bestallung in Halle, die zur Initialzündung der Universität wurde. Die Untersuchung sowohl der Berufungsgeschichte als auch der ersten Aktivitäten von Thomasius in Halle hat erwiesen, wie die Gründung der Friedrichs-Universität als Mittel reformierter Konfessionalisierungspolitik gedacht war. Thomasius war zugleich der erste Vertreter einer neuen lutherischen intellektuellen Elite in Halle, die die konfessionspolitische Agenda der Berliner Regierung und des Kurfürsten genau wahrnahm und sie sich zunutze machte, um ihre Interessen durchzusetzen. Denn die Passgenauigkeit seiner staatskirchenrechtlichen Vorstellungen zur Konfessionspolitik seines neuen Brotherrn versetzte ihn in die Situation, weiterhin gegen das traditionelle Luthertum publizieren zu können, ohne das die Unterstützung einer dezidiert reformierten Konfessionspolitik im genuinen Interesse des Lutheraners Thomasius gelegen hätte. Gleiche konfessionspolitische Motive wie bei der Berufung von Thomasius führten 1691 zur Berufung von Joachim Justus Breithaupt. Mit ihm bestallte man einen Theologen, der formal fern des traditionellen, an der Universität Wittenberg verorteten Luthertums stand und in Helmstedt und Kiel studiert hatte. Er galt als moderat und friedfertig, ebenso wie sein Briefpartner Philipp Jakob Spener, der im selben Jahr Propst und Konsistorialrat in Berlin wurde. Der Idee der Umprägung lutherischer Identität durch Bildungspolitik bei gleichzeitiger innerlutherisch anerkannter Rechtgläubigkeit folgte die weitere Besetzung sowohl der juristischen als der theologischen Fakultät mit Samuel

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V. Schluss

Stryk und Johann Wilhelm Baier, die in der Außenwahrnehmung als unverdächtig galten. Macht man sich bewusst, dass Baiers Berufung nur eine Notlösung war, da Breithaupt eigentlich an der Seite der hallischen Stadtgeistlichen Christoph Schrader und Johann Christian Olearius bestallt werden sollte, die den Ruf aber abgelehnt hatten, kann man keinesfalls von einer intendierten pietistischen Reformuniversität sprechen. Vielmehr sollte das vermeintlich friedfertige Element Breithaupts das traditionell-lutherische Element der Stadtgeistlichen ausgleichen, so wie Baier wiederum der in Berlin vermuteten Irenik Breithaupts, welche möglicherweise Heterodoxievorwürfe provozieren würde, die Waage halten sollte. Nachdem Baier sich nicht in der Lage gesehen hatte, an einer Fakultät, in deren Statuten die FC nicht enthalten sein sollte, zu wirken, begann erst 1695 mit der Berufung Paul Antons die Entwicklung einer dezidiert pietistischen Fakultät und ihre Durchsetzung nach außen und nach innen. Die Situation einer nach wie vor latenten reformierten Konfessionalisierungspolitik wirkte im Zusammenhang mit der Universitätsgründung erneut wie ein Katalysator für bereits bestehende innerlutherische Konflikte um die Deutungshoheit über lutherische Identität und um die Abgrenzungsbemühungen traditioneller Lutheraner gegenüber anderen von ihnen als heterodox klassifizierten binnenkonfessionellen Strömungen. Solche Identitätskonflikte hatten von den nach Halle berufenen Professoren bereits Thomasius in Leipzig, Breithaupt in Erfurt und Francke in Leipzig und Erfurt betroffen, und sie wurden nun nach Halle transportiert und dort forciert. Die besondere Gemengelage in Halle ermöglichte es einzelnen Akteuren an der Universität und in der Stadt nun, Identitätszuschreibungen und Argumentationsreservoirs flexibel zu nutzen, um ihre eigenen theologischen oder juristischen Interessen durchzusetzen. Gerade weil die konfessionspolitischen Intentionen der Berliner Regierung durchschaubar waren, wurden die Akteure und Gruppen in die Lage versetzt, ihre konfessionelle Haltung passend zur geforderten Friedfertigkeit zu inszenieren und sich dadurch gegenüber anderen innerlutherischen Gruppen durchzusetzen. Diese Strategie durchzog die wesentlichen Konflikte innerhalb der Universität und zwischen Stadtgeistlichkeit und Universitätstheologie der 1690er Jahre, in deren Mittelpunkt zunehmend die pietistischen Akteure August Hermann Francke und Joachim Justus Breithaupt standen. Zur entscheidenden Frage entwickelte sich dabei, wie sich die Berliner Regierung in diesen Auseinandersetzungen zwischen alteingesessenen traditionellen und neuangekommenen pietistischen Theologen um die Deutungshoheit über die lutherische Identität in der Stadt und an der Universität positionieren würde. Denn ihr musste es um die Vereinbarkeit von Friedfertigkeit, Öffnung gegenüber den Reformierten und gleichzeitig um die Außenwahrnehmung einer dezidiert lutherischen, d.h. als rechtgläubig und keinesfalls als pietistisch geltenden Universität gehen. Eine allzu weite Entfernung einzelner Universitätsmitglieder von den Codes des traditionellen Luthertums konnte daher nur schwerlich akzeptiert werden, wenn die Universität Bestand haben sollte. Die Analyse des ersten Hauptkonflikts zwischen Stadtgeistlichkeit und Universitätstheologie von 1692 erwies dieses Dilemma der Konfessionspolitik deutlich:

1. Fazit

305

Mit den Hauptvorwürfen gegen Francke und Breithaupt, Perfektionismus und Chiliasmus zu lehren und Separatismus zu praktizieren, wurden für traditionelle Lutheraner zentrale Topoi lutherischer Identität berührt, die die Pietisten anders interpretierten, nämlich CA invariata 4 (Von der Rechtfertigung), 7 (Von der Kirche), 12 (Von der Buße) und 17 (Von der Wiederkunft Christi zum Gericht) sowie FC II (Vom freien Willen) und III (Von der Gerechtigkeit des Glaubens). Die Stadtgeistlichkeit hatte die universitätsund konfessionspolitische Achillesferse der Universität – der Zwang zu Rechtgläubigkeit – erkannt und armierte sich nun entsprechend argumentativ: Schwere Heterodoxievorwürfe wurden gegen Francke und Breithaupt ins Feld geführt und mit dem Schutz der Universität begründet, weil deutlich war, dass diese nur bis zu einer bestimmten Grenze mit solchen Vorwürfen belastet werden konnte, bis es zu einer Relegation der betroffenen Personen kommen musste. Angesichts der Tatsache, dass Francke beinahe aus Halle versetzt wurde, und am Ende nur die Abweisung der Heterodoxievorwürfe gegenüber der Universitätstheologie erreicht wurde, um die Ruhe einigermaßen zu wahren, allerdings kein Dekret über die dezidierte Orthodoxie der Universitätstheologen abgefasst wurde, zeigt sich deutlich, wie schmal der Korridor einer praktikablen Konfessionspolitik für die Berliner Regierung zu dieser Zeit war. Die Grenzen der Konfessionspolitik der Förderung bestimmter binnenkonfessioneller Strömungen, von denen man sich Friedfertigkeit und eine Weiterentwicklung des Luthertums erhoffte, waren durch die Frage nach der Rechtgläubigkeit schnell erreicht. Umgekehrt nutzte auch die theologische Fakultät das Dilemma der Konfessionspolitiker, als sie gegen die theologischen Vorlesungen des Stadtpredigers Wolfgang Melchior Stisser mit der Gefahr der Spaltung und der Unruhe an der Universität argumentierte und ein Reskript gegen Stisser erreichte. Dass die Universitätstheologen darüber hinaus die Konfessionalisierungspolitik und die Rolle der Codes klar erkannt hatten, bewiesen sie, indem sie Johann Franz Buddes Leserecht durch einen expliziten Hinweis auf dessen verdächtige Wittenberger Herkunft verhinderten. Sie zeigten sich damit Mitte der 1690er Jahre als ebenso lernfähig, auf der konfessionspolitischen Klaviatur zur Durchsetzung ihrer eigenen Interessen zu spielen, wie Thomasius dazu schon 1689/90 fähig gewesen war. 1699/1700 veränderte sich der innerlutherische Konflikt um die Auslegung lutherischer Identität entscheidend. Die Schlichtung in dem zweiten Hauptkonflikt zwischen pietistischen Akteuren an der Universität und traditionellen Lutheranern der Stadtgeistlichkeit durch eine Kommission ergab jetzt nicht nur die Abwehr der erneut konzertierten Heterodoxievorwürfe, sondern die Bekräftigung der Orthodoxie der theologischen Fakultät. 1700 war die Universität in der Wahrnehmung der Berliner Konfessionspolitiker offensichtlich soweit gefestigt, dass man auf innerkonfessionelle Ausgleichsbemühungen verzichten und die „erwünschte Harmonie“ per Dekret herstellen konnte. Der Konflikt der Jahre 1699/1700 zeitigte aufseiten August Hermann Franckes außerdem eine neue Strategie, um den innerlutherischen Deutungskonflikt um die Rechtgläubigkeit der pietistischen Akteure und deren Passfähigkeit zu den von den traditionellen Lutheranern verteidigten konfessionellen Verbindlichkeiten in Gestalt von CA invariata

306

V. Schluss

und FC zu seinen Gunsten zu entscheiden. Im Unterschied zum Konflikt des Jahres 1692 hatte diese Auseinandersetzung nämlich nicht mit einer Beschwerde der Stadtgeistlichkeit über Franckes theologische Praxis begonnen, sondern wurde von diesem bewusst provoziert, indem er die Stadtprediger der Sündhaftigkeit, mangelnder apostolischer Amtsführung und schlechter Vorbildwirkung bezichtigte. Deutlich wurde jetzt, wie Francke auf der Folie seiner eigenen Amtsführung in Glaucha eine neue Definition dessen, was lutherische Identität ausmachen sollte, zu entwickeln begann: Seine Konzentration auf die Sünden- und Bußtheologie führte umgekehrt zum Fokus auf Fragen der Ethik und der Frömmigkeit im Sinn einer wirklichen oder wahren Christlichkeit. Auffällig ist die zeitliche und inhaltliche Koinzidenz dieses Streitarguments zu Franckes Vorstellung zur ‚Besserung der Welt’ mittels des Universalprojekts. Bemerkenswert ist außerdem, dass er dezidiert den Begriff des Pietisten aus der Abgrenzungsbemühung der Stadtgeistlichkeit als Argument extrahierte und offensiv als Bezeichnung für die Opponenten der städtischen Theologen benutzte. Auf wichtige konfessionelle Codes konnte allerdings auch bei dieser beginnenden Umprägung lutherischer Identität nicht verzichtet werden, so wurde beispielsweise ein Neudruck der CA invariata von den pietistischen Akteuren als beschwichtigendes Mittel gegenüber den traditionellen Lutheranern eingesetzt. Dennoch gewann hier im Unterschied zur Auseinandersetzung 1692 eine tiefgreifende Veränderung dessen, was als gemeinsame konfessionelle Verbindlichkeiten zwischen pietistischen Akteuren und traditionellen Lutheranern als notwendig erachtet wurde, fassbare Gestalt. Für Francke spielten Fragen der Ethik und der Frömmigkeit eine weitaus größere Rolle als dogmatische Texte. Zudem kehrte sich der Abgrenzungskonflikt von 1692 in den Jahren 1699/1700 deutlich um und mündete in einen eindeutigen theologischen Formierungsprozess bei Francke. Insofern wird hier die Grenze der Anwendung des Begriffes der Konfessionskultur erreicht, denn für Francke und die pietistischen Akteure einerseits und die traditionellen Lutheraner andererseits bestanden nur noch bedingt gemeinsame konfessionelle Verbindlichkeiten und die Einsicht in die Notwendigkeit, diese zu erhalten. Die wahrnehmbare, sich jetzt massiv verstärkende binnenkonfessionelle Pluralität setzte der Anwendung der Rede von einer gemeinsamen lutherischen Konfessionskultur an dieser Stelle deutliche Grenzen, denn den unterschiedlichen innerkonfessionellen Gruppen lagen jetzt erkennbar unterschiedlich ausgeformte theologische Bedeutungsnetze zugrunde. Beide Gruppen verstanden sich zwar selbst als Lutheraner, aber sie definierten die konfessionelle ‚Mitte’ deutlich unterschiedlich. Angesichts einer gestärkten und inzwischen offensiv pietistischen Fakultät innerhalb der nach wie vor vom traditionellen Luthertum geprägten Stadt und Landschaft stellte sich für Berliner Konfessionspolitiker im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts die Frage, inwieweit die pietistischen Theologen zur Öffnung der Lutheraner insgesamt gegenüber den Reformierten beitragen würden und sich die „erwünschte Harmonie“ interkonfessionell ausweiten ließ. Die Nähe der pietistischen Akteure zu reformierten theologischen Elementen war in Halle durch den Exorzismusstreit in Glaucha, durch Franckes theologi-

1. Fazit

307

sche Praxis und in Berlin im Beichtstuhlstreit zwar offensichtlich geworden. Der Beichtstuhlstreit und das gescheiterte Religionsgespräch 1703 hatten allerdings auch erwiesen, dass die pietistischen Theologen, die in offiziellen kirchlichen oder akademischen Ämtern bestallt waren, mehrheitlich nicht zu einer bewussten, die Konfessionsgrenzen überschreitenden Entwicklung zu bewegen waren, es blieb bei vereinzelten interkonfessionellen Übernahmen. Hier zeigten sich die Grenzen, jenseits derer die pietistischen Akteure nicht bereit waren, sich noch auf die konfessionspolitische Agenda der Berliner Regierung einzulassen. In Halle wurde diese Problematik ab 1710 äußerst virulent, als die landesherrliche Regierung mit der Aufwertung des Rektors des reformierten Gymnasiums und der Entwicklung einer reformierten Universitätsprofessur zu den Motiven der eigentlichen Konfessionalisierungspolitik zurückkehrte und sich nicht nur auf die Schlichtung von Konflikten zwischen innerlutherischen Gruppen beschränkte. Die Universitätstheologen befanden sich jetzt in einem ähnlichen Dilemma wie die Konfessionspolitiker zur Zeit der Universitätsgründung: Sie mussten die geforderte Friedfertigkeit mit der nach außen notwendigen Rechtgläubigkeit der Fakultät vereinbaren. Die theologische Fakultät übernahm in ihrer Abwehrreaktion gegen das Bestreben der Regierung diejenige Argumentation, die zuvor die Stadtgeistlichkeit bei der Bekämpfung der pietistischen Akteure gebraucht hatte. Die Universitätstheologen argumentierten mit dem Wohl der Universität, wobei sie sich selbst als durchaus friedfertig und offen darstellten. Das Problem für die Universität sahen sie in Gestalt von auswärtigen Lutheranern, die allzu sehr im traditionellen Luthertum verhaftet seien und sich daher von der hallischen Universität als Ort der Heterodoxie abgrenzen würden. Nach der anfänglichen Öffnung gegenüber den Belangen reformierter Konfessionalisierungspolitik setzte auf diese Weise zwischen 1710 und 1713 eine erneute Abgrenzung der hallischen Fakultät gegenüber den Reformierten ein, die im Übrigen mit der Ablehnung der reformierten Gemeinde koinzidierte. Die Reformierten nahmen die Universitätstheologen dezidiert als Lutheraner wahr, ohne binnenkonfessionelle Nuancierungen vorzunehmen. Dem entsprach die zunehmende Inszenierung der Fakultätsmitglieder als lutherisch und der Fakultät als Hüterin lutherischer Identität. Damit begannen sie, diejenigen Argumentationsmuster zu übernehmen, die vor ihnen traditionelle Lutheraner im Konflikt mit ihnen genutzt hatten, nämlich die Bedrohung der Rechtgläubigkeit und die Gefahr der Spaltung durch die Veränderung an der Universität, um das, was als lutherisch galt, gegen innere und äußere Gegner zu verteidigen. In Kenntnis der konfessionspolitischen Agenda Berlins und unter Druck innerhalb der eigenen Konfession erwiesen sich die pietistischen Akteure in Halle jetzt als flexibel, die hergebrachten Argumentationsreservoirs situativ angepasst zu nutzen und die eigene Identität zwischen pietistisch und traditionell lutherisch in ein Fluidum zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung zu verwandeln: Galten sie in Wittenberg oder Leipzig als heterodox, hielt man sie in Berlin vielleicht (noch) für moderat, nahmen sie sich selbst als Verteidiger des Luthertums wahr.

308

V. Schluss

Die fluide Übernahme traditionell lutherischer Argumentationsmuster zeigte sich auch bei der Bekämpfung von Thomasius durch die theologische Fakultät. Gerade weil sie nicht von 1691 an in Halle akzeptiert und seitens der Regierung nicht vollkommen vorbehaltlos unterstützt worden war, sondern sich in zehn Jahren erst Akzeptanz verschaffen musste, war es für die Universitätstheologen unumgänglich, Thomasius zurückzudrängen: Mit seinen Angriffen gegen traditionell-lutherische Codes und die Beschäftigung mit theologischen Entwürfen, die innerhalb des traditionellen Luthertums als heterodox galten und deren Verwendung auch den pietistischen Akteuren nachgesagt wurde, schien er gefährlich für die Etablierung und Durchsetzung der theologischen Fakultät und erzeugte parallel zu den Auseinandersetzungen mit der Stadtgeistlichkeit eine zusätzliche Spannung. Nach 1700 weitete sich der Konflikt aus, als Thomasius die Deutung lutherischer Identität durch Francke zunehmend bestritt und gleichzeitig durch den Umschwung innerhalb der Berliner Konfessionspolitik aufgrund des Todes der verschiedenen Unterstützer der theologischen Fakultät Anklang fand. So unterstützte Thomasius beispielsweise die Einrichtung der reformierten Professur, die wesentlich von dezidiert reformierten Räten betrieben wurde, und zeigte damit erneut seine Fähigkeit, auf die spezifischen konfessionspolitischen Interessen in Berlin zu reagieren, um sich selbst zu profilieren. Die Besonderheiten der Situation in Halle um 1700 lagen in der Überlagerung zweier grundlegender konfessioneller Konflikte: Zum einen ging es um die Durchsetzung reformierter Konfessionalisierungspolitik in einem mehrheitlich lutherischen Territorium. Diese Strategie wirkte mitten hinein in einen massiven Deutungskonflikt zwischen verschiedenen innerlutherischen Gruppierungen um lutherische Identität und konfessionelle Verbindlichkeiten, der durch das Universitätspersonal nach Halle getragen wurde. In der Wahrnehmung dieser sich überlagernden Konflikte und ihrer Beschleunigung durch den Mikrokosmos der Universität und der Stadt können situativ wandelbare innerlutherische Identitäts- und Gruppenzuschreibungen und Argumentationsstrategien wahrgenommen werden, die jenseits der Großbegriffe ‚Pietismus’, ‚Aufklärung’ und ‚Orthodoxie’ liegen. Lutherische Konfessionskultur um 1700, das zeigt das Beispiel Halle deutlich, war ein Fluidum, und die ihr zugrunde liegenden gemeinsamen konfessionellen Verbindlichkeiten unterlagen einer enormen Spannung durch die jeweilige Ausprägung der binnenkonfessionellen Pluralität. Das hatte der brandenburg-preußischen Konfessionspolitik durchaus als Grundlage für die gewünschten Veränderungen gedient. Als die binnenkonfessionelle Gruppe, die man für den Veränderungsprozess auserkoren hatte, sich allerdings nur zeitweise den durchsichtigen Berliner Vorgaben anpasste und stattdessen eine eigene innerkonfessionelle Agenda zu verfolgen begann, erschöpfte sich das Konzept der ‚erwünschten Harmonie’ in Halle.

2. Ausblick

2.

309

Ausblick

Die Haltung der Fakultät, sich als Hüterin lutherischer Identität zu inszenieren, durchzog, wie Albrecht-Birkner gezeigt hat, das 18. Jahrhundert. Hinter der Selbstwahrnehmung als unverfälscht lutherisch wurden jedoch zunehmend die Abgrenzungsbemühungen der Fakultät gegenüber dem eindringenden aufklärerischen Denken verborgen, indem gegenüber Berlin weiterhin erfolgreich die Taktik benutzt wurde, den Gegner als expliziten Feind der Reformierten darzustellen, indem z.B. der Code ‚Wittenberg’ verwendet wurde. Auf diese Weise gelang es, den von Christian Wolff vorgeschlagenen Theologen Johann Martin Chladenius 1750 als Fakultätsmitglied abzulehnen, obwohl es den Hallensern gar nicht um dessen Wittenberger Herkunft, sondern um seine Nähe zu Wolff ging.1 Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Darstellung Halles als Ort eines unverfälschten Luthertums durch die grundsätzlichen Anfechtungen der Theologie noch in erheblich stärkerem Maß provoziert. Die beschworene Nähe verstorbener Fakultätsmitglieder zu Martin Luther, Johann Arndt und Philipp Jakob Spener, die Darstellung der hallischen Universität als diejenige, die Luthers Wittenberger Reformen in Halle fortsetzte, sowie die Herausstellung der Bedeutung der CA invariata waren noch immer die Mittel, sich der eigenen Identität zu versichern und gegenüber äußeren Veränderungen abzugrenzen.2 Insbesondere die Verwendung der Person Luthers als Code und als Mittel der erinnerungskulturellen Identitätsstiftung muss als ein Unterschied zu der in dieser Studie untersuchten Zeit begriffen werden, in der der Reformator kaum als explizites Argument genutzt wurde. Eine Untersuchung, wie die Person Luthers als Argument in Halle Einzug hielt und zur weiteren Stilisierung der Fakultät als Hüterin lutherischer Identität und zur Imagebildung verwendet wurde, könnte daher eine Aufgabe zukünftiger Forschung sein. Der Fall von Thomasius und die Zurückdrängung des reformierten Rektors koinzidierten mit dem neugewonnenen Verhältnis Franckes und der Fakultät zum König 1713 und dem direkten Zugang neuer Unterstützer zu diesem. Die Konfliktlösungen wurden wesentlich durch das persönliche Eingreifen Friedrich Wilhelms I. erreicht. Sich anschließende Untersuchungen zur hallischen Universitätsgeschichte müssen die Frage stellen, inwieweit das Eingreifen des Königs ein charakteristisches Element von Dauer darstellte und sich damit in den Kontext einer in der Forschung vielfach benannten autokratischen Regierungsweise dieses Königs einfügt,3 oder ob ein Eingriff dieser Stärke auf den Regierungsantritt beschränkt blieb. Darüber hinaus wären etwaige Ergebnisse in den Rahmen von allgemeinen, bisher noch immer ausstehenden Untersuchungen zur Regierungszeit und -weise Friedrich Wilhelms I. einzuordnen, um beurteilen zu können, ob der Umgang mit der hallischen theologischen Fakultät eine Besonderheit darstellte oder nicht.4 Für 1 2 3

4

Vgl. Albrecht-Birkner: Der Berliner Hof, S. 122–123. Vgl. ebd., S. 124–126. Vgl. z.B. Neugebauer, Wolfgang: Die Hohenzollern, 2 Bde., Bd. 1: Anfänge, Landesstaat und monarchische Autokratie bis 1740, Stuttgart u.a. 1996, S. 204. An dieser Stelle sei auf die derzeitigen Forschungen Benjamin Marschkes zum Berliner Hof unter

310

V. Schluss

das Umbruchsjahr 1713 bleibt festzuhalten, dass Friedrich Wilhelm I. selbst die Konfessionspolitik entscheidend und in einem bisher unbekannten Maß zumindest zeitweise variierte. Der Schwerpunkt hatte sich zu diesem Zeitpunkt allerdings bereits stark auf die Unterstützung der Glauchischen Anstalten Franckes verlagert, und diese Entwicklung wurde von Friedrich Wilhelm I. mehr aufgegriffen als initiiert. Mit den Stiftungen hatte sich die Möglichkeit ergeben, christliche Untertanenbildung freier von Identitäts- und Abgrenzungskämpfen zu gestalten, weswegen der Aufbau der Anstalten auch konsequenter gefördert wurde als die innerlutherische Durchsetzung der Fakultät, obwohl beides eng verbunden war. Die Fakultät war das Außenschild, das möglichst unverdächtig erscheinen musste. Die Stiftungen bildeten das Innenleben, in dem die Multiplikation der geeigneten und gewünschten lutherischen Untertanen eher gewährleistet werden konnte. Zwar lehnte die Fakultät transkonfessionelle Bestrebungen ab, interkonfessionelle theologische Öffnungen jedoch, wie sie ähnlich schon in der Glauchaer Gemeinde erprobt worden waren, fanden in der Erziehungskonzeption der Anstalten Anklang. Inwieweit das Konzept der auf die reformierte Konfessionalisierung ausgerichteten Konfessionspolitik in den Anstalten seinen schleichenden Anfang vom Ende nahm bzw. in welcher Form diese weiter existierte, muss ebenfalls zukünftigen Forschungen vorbehalten bleiben. Angesichts des Aufkommens aufgeklärter theologischer bzw. geistesgeschichtlicher Strömungen erscheint die Rückkehr der Konfessionspolitik Friedrich Wilhelms I. zu Intentionen reformierter Konfessionalisierung in den 1720er Jahren anachronistisch. Insbesondere der Umgang der theologischen Fakultät mit Wolff und seinen Schülern sollte aber gerade deswegen noch einmal auf ein konfessionspolitisches Hintergrundrauschen untersucht werden. Ein erster Überblick über die Vorgänge, die zu Wolffs Vertreibung geführt haben, zeigt, dass zum einen der König in der Zeit um 1723 in seiner Haltung stärker beeinflussbar war als unmittelbar nach Regierungsantritt. Darüber hinaus fällt auf, dass die theologische Fakultät nach der Missstimmung zwischen ihr und dem Geheimen Rat von Printzen zwischen 1712 und 1713 diesen Kontakt nun erfolgreich nutzte.5 Angesichts des gewählten Themas aus dem Bereich der Konfessionalisierungsforschung liegt die Frage auf der Hand, ob sich von Halle ausgehend eine Art von pietistischer Konfessionalisierung in Preußen entwickelt hat.6 Das Konzept der Konfessionskultur und der binnenkonfessionellen Pluralität lässt es zu, binnenkonfessionellen Gruppen konfessionalisierende Kraft zuzusprechen. Indem das traditionelle Luthertum als die einflussreichste Strömung im Luthertum des 17. Jahrhunderts angesehen wird, ergibt sich, dass der Begriff der lutherischen Konfessionalisierung von der Forschung auf

5

6

Friedrich Wilhelm I. verwiesen. Vgl. dazu insgesamt Beutel, Albrecht: Causa Wolffiana. Die Vertreibung Christian Wolffs aus Preußen 1723 als Kulminationspunkt des theologisch-politischen Konflikts zwischen Halleschem Pietismus und Aufklärungsphilosophie, in: Ders.: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, S. 125–169. Vgl. Sträter: Wolffs Gegner, S. 79.

2. Ausblick

311

diese Teilgruppe bezogen wurde. Insofern kann ‚Konfessionalisierung’ im Prinzip auch auf andere binnenkonfessionelle Strömungen angewendet werden. Wichtig erscheint die konsequente Verbindung mit der landesherrlichen Obrigkeit im Sinn einer Verflechtung, um dem Konzept Heinz Schillings gerecht zu werden. Der Landesherr förderte die theologische Fakultät in Halle zunächst nicht in dem Sinn, lutherische oder gar pietistische Konfessionalisierung zu unterstützen, sondern einen Zwischenschritt auf dem Weg zur reformierten Konfession zu erreichen. Deshalb kann für die hier untersuchte Zeitspanne keinesfalls die Rede von pietistischer Konfessionalisierung Brandenburg-Preußens sein. In späterer Zeit legitimiert sich der Begriff zumindest in quantitativer Hinsicht, als mit dem Edikt von 1727/37, dass alle Theologen für eine Anstellung in Brandenburg-Preußen in Halle studiert haben müssen, versucht wurde, den konfessionellen Code ‚Halle’ zu befördern. In eine ähnliche Richtung geht das Ergebnis der militärgeschichtlichen Studie von Benjamin Marschke7 zum Feldpredigerwesen, nach der pietistische Patronage das gesamte Feldpredigerwesen personell und strukturell umgestaltete, hier allerdings auch ein Raum entstand, den der König nicht oder nur wenig kontrollierte, sondern die Kontrolle den Hallensern überließ. Insofern bietet Marschkes Studie auch Anregung, die Frage nach der Herrschaftspraxis am Beispiel des Umgangs mit den hallischen Pietisten zu verfolgen. Ungeklärt ist allerdings nach wie vor, wie pietistische Theologie über die Pfarrstellenbesetzung qualitativ und quantitativ in das Territorium eindrang.8 Auch gilt es zu untersuchen, welches Ziel erreicht werden sollte, wenn es denn aus landesherrlicher Sicht nicht mehr um reformierte Konfessionalisierung ging. Es bleibt zudem als entscheidende Frage bestehen, was das qualitative und identitätsstiftende Element pietistischer Theologie jenseits der Auslassung bestimmter traditioneller Codes darstellt, das eine Rede von pietistischer Konfessionalisierung rechtfertigt. Hochproblematisch dürfte vor allem das Fehlen jeglicher alternativer Bekenntnisbildung sein. Inwieweit Gemeinschafts- oder Frömmigkeits- und Bildungsideale als Charakteristika ausreichend sind, eine besondere Theologie, die in Codes gefasst werden kann, zu generieren, die dann wiederum pietistischer Konfessionalisierung zugrunde liegt, ist ungeklärt und bedarf einer systematisch-theologischen Studie. Am ehesten erfüllte sich der Anspruch bei der Wahrnehmung der Verbindung quantitativer und qualitativer Elemente in der Festlegung für die hallischen Theologiestudenten ab 1718, Testimonien der Fakultät und nicht des Konsistoriums über die Lebensführung der Studenten zu verlangen. Erinnert sei auch an die Ausgangsdefinition, die pietistischen Akteure als Vertreter unterschiedlicher theologischer Positionen wahrzunehmen. Zwar erwies die vorliegende 7

8

Vgl. Marschke, Benjamin: Absolutely Pietist. Patronage, Factionalism, and State-Building in the Early Eighteenth-Century Prussian Army Chaplaincy, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen, Bd. 16). Eine solche Studie wird durch das Fehlen eines neueren märkischen Pfarrerbuchs erschwert. Hier liegt ein Defizit der kirchenhistorischen Arbeit sowohl der EKBO als auch der Berliner Universitäten, das nicht allein für die Pietismusforschung ärgerlich ist.

312

V. Schluss

Analyse, dass die Fakultät in den Kommunikationsprozessen und ihrer Außendarstellung nach 1692 relativ geschlossen wahrgenommen werden kann, auch wenn sich eine Dominanz Franckes herauskristallisierte. Der Nachweis einer inhaltlichen Einheit in der Theologie wäre aber notwendig, um der Anwendung des Konfessionalisierungsbegriffs eine gemeinsame charakteristische pietistische Theologie unterlegen zu können. Noch fehlen dafür ausführliche Studien zur inneren Differenzierung bzw. Einheit der Fakultät jenseits der Inszenierung einer ‚inneren Harmonie’.9 Insgesamt scheint es angesichts dieser Forschungssituation geraten, die Rede von pietistischer Konfessionalisierung bis zur Klärung solcher Fragen zu vermeiden.

9

Wichtige Hinweise auf die inneren Spannungen und ihre Auswirkungen auf die Berufungssituation gibt Sträter für die 1730er Jahre; vgl. Sträter: Spangenbergs Vertreibung, S. 23–42.

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

Der Literaturnachweis erfolgt in den Anmerkungen bei der Erstnennung vollständig, anschließend mit Kurztiteln. Die Abkürzungen richten sich nach dem Abkürzungsverzeichnis der TRE, zusammengestellt v. Siegfried Schwertner, Berlin u.a. 21994.

1.

Quellen

1.1. Ungedruckte Quellen Der Einzelnachweis aus den nachstehenden Signaturen erfolgt in den Anmerkungen. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz (GStA PK) I. HA, Rep. 52 Nr. 128 a1 (1543–1688) Nr. 128 a1 (1689–1731) Nr. 129 (1690–1700) Nr. 129 (1701–1702) Nr. 130 (1692–1751) Nr. 131 b1 (1680–1790) Nr. 131 b2 (1698–1755) Nr. 175 b–177 (1683–1801) Nr. 159 b (1531–1699) Nr. 159 b (1700–1712) Nr. 159 N1 (1531, 1690–1698) Nr. 159 N1 (1692–1716) Die Datierung war vormals 1693–1716 und wurde seitens des GStA PK geändert. Nr. 159 N3a (1686–1698) Nr. 159 N3b (1690–1719) Nr. 159 N7 (1693–1708) Nr. 159 N10 (1691–1782) II. HA, Rep. 15 Tit. 113, Sect. XII, Nr. 1 X. HA, Rep. 8 Nr. 414

314

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg (LHASA, MD) Rep. A5 Nr. 1309 Rep. A6 Nr. 73 Nr. 107 Nr. 110 Nr. 111 Nr. 113 Nr. 554 Nr. 556 Nr. 655 Nr. 669a Rep. A8 Nr. 1158 Rep. A12 Nr. 1633 Universitätsarchiv Halle (UAH) Rep. 1 Nr. 4607 Rep. 3 Nr. 315 Rep. 27 Nr. 750 Nr. 1029 Nr. 1035 Nr. 1081 Nr. 1082 Nr. 1085 Nr. 1091–1092 Archiv der Franckeschen Stiftungen (AFSt) AFSt/H A108 A135 C65 a–1 D66 D74 D80 D81 D88 D89 D92 D95

1. Quellen

315

AFSt/W Rep. 1, II/-/1 Rep. 1, II/-/6 II/-/10 XXI/-/1 Stadtarchiv Halle (StA, Halle) Kap. XI, Abt. A Nr. 4 Kap. XI, Abt. B Nr. 10 Archiv der Mariengemeinde (PfA, Marien) A III A, Nr. 6 Controversiae pietisticae Archiv der reformierten Domgemeinde Halle (PfA, DG) Nr. 601/6 Krakow, Biblioteka Jagiellonska Berol. Autographen-Sammlung (ehem. Radowitz) Christian Thomasius an Johann Christoph Becmann am 15.3.1690, (Original); jetzt auch: DFGProjekt: „Vollständige Edition und Kommentierung sämtlicher Briefe von und an Christian Thomasius (1655–1728)“ unter der Leitung von Dr. Frank Grunert. Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (SBB-PK) Thomasius an Becmann am 18.6.1692, (Original); jetzt auch: DFG-Projekt: „Vollständige Edition“. Francke-Nachlass, Kapsel 9 Francke-Nachlass, Kapsel 11

1.2. Gedruckte Quellen Arnold, Gottfried: Gottfrid Arnolds Unparteyische Kirchen- und Ketzer-Historie: von Anfang des Neuen Testaments biß auff das Jahr Christi 1688, Franckfurt am Mayn: Fritsch 1697. Baier, Johann Wilhelm: Compendium Theologiae Positivae: Cum Notis, Quibus Doctrina orthodoxa, ad paideian Academicam uberius explicatur, atque ex Scriptura Sacra, eique innixis rationibus Theologicis, confirmantur: allegatis subinde scriptis dictisque B. Joh. Musaei, & plurium Theologorum orthodoxorum consentientium, Ienae: Oehrlingius; Gollnerus 1686. Ders.: Dissertatio qua Concilii Nicaeni primi et oecumenici auctoritas atque integritas à criminationibus Danielis Zvickeri et Christophori Sandii defenditur, Johannes Guilielmus Bajerus, Jenae: Ehrt 1695 Baumgart, Peter (Bearb.): Erscheinungsformen des preußischen Absolutismus, Nördlingen 1966, (Historische Texte der Neuzeit, Bd. 1). Bericht dessen, Was wegen der Zwischen den Evangelisch-Lutherischen Geistlichen, Von der Universität und Stadt-Ministerio in Halle, Eine Zeithero geschwebten Differentien, Durch Von Seiner Churfl. Durchl. zu Brandenburg, Gnädigst verordnete Commission abgehandelt, Und zu dero Beruhigung in Göttlichen Segen angerichtet worden, Cölln an der Spree: Liebpert 1700.

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VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

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1. Quellen

317

Croon, Helmuth (Bearb.): Die kurmärkischen Landstände 1571–1616, Berlin 1938 (Brandenburgische Ständeakten, Bd. 9,1). Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche, hg. im Gedenkjahr der Ausgburgischen Konfession 1930, Göttingen 121998. Die politischen Testamente der Hohenzollern, bearb. v. Dietrich, Richard, Köln 1986. Dreyhaupt, Johann Christoph von: Pagus Neletici et Nudzici, Oder Ausführliche diplomatisch-historische Beschreibung des zum ehemaligen Primat und Ertz-Stifft, nunmehr durch den westphälischen Friedens-Schluß secularisierten Herzogthum Magdeburg gehörigen Saal-Creyses und aller darinnen befindlichen Städte, Schlösser, Aemter, Rittergüter, adelichen Familien, Kirchen, Clöster, Pfarren und Dörffer, Insonderheit der Städte Halle, Neumarckt, Glaucha, Wettin, Löbejün, Cönnern und Alsleben, 2 Theile, Halle: Schneider 1749/50, Nachdruck: Halle 2002. [Anonym]: Eigentliche Nachricht von dreyen begeisterten Mägden, Der Halberstädtischen Catharinen, Quedlinburgischen Magdalenen, und Erffurtischen Liesen, Aus Zehen unterschiedenen eingelauffenen Schreiben zusammen getragen von M. August Herman Francken, der Zeit der Pastore zu Glauche in Halle, [s.l.] 1692. Erdmannsdörfer, Bernhard (Hg.): Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm, 23. Bde., Berlin, Leipzig 1864–1930. Fabronius, Hermann: Concordia Lutherano-Calvinistica oder Vereinigung der Lutheraner und Calvinisten: Darinnen begriffen wird: Erst: Ein christliche Warnung vorm Spruch: Lieber bäpstisch als calvinisch; darnach: Christliche Widerantwort Harminii de Mosa auff die genante Widerlegung Hutteri Vom politischen Hoff-Calvinisten; beyde dahin gerichtet: das die Lutheraner unnd Calvinisten sich billich in der Religion mit einander vergleichen, dieweil sie im Fundament einig seyn; Vor die brandenburgische Reformation publiciret, Schmalkalden: Ketzel 1616. Förster, Johann Christian: Uebersicht der Geschichte der Universität Halle in ihrem ersten Jahrhunderte, Halle: Kümmel 1794. Francke, August Hermann: Der Fall und die Wiederauffrichtung der wahren Gerechtigkeit: Am VI. Sontage nach Trinitatis, Jn einer Predigt Uber das Evangelium Matth. V, 20 - 26. Jn der St. Georgen Kirche zu Glaucha an Halle, Und nun Für dem Angesicht der gantzen Christlichen Kirchen, zu Ablehnung vieler bißheriger, und Abwendung fernerer ungegründeten Aufflagen, und besserem Unterricht, Vorgestellet Von M. August Hermann Francken, Gr. & Orient. Lingg. Prof. P. & Past. Glauch, Halle 1692. Ders.: Entdeckung der Boßheit, So mit einigen jüngst unter seinem Nahmen fälschlich publicirten Brieffen von dreyen so benahmten begeisterten Mägden zu Halberstadt, Quedlinburg und Erffurt begangen, Cölln an der Spree: Schrey; Meyer 1692. Ders.: Historische Nachricht, Wie sich die Zuverpflegung der Armen und Erziehung der Jugend in Glaucha an Halle gemachte Anstalten veranlasset, eines aus dem andern gefolget, und das gantze Werck durch Göttlichen Segen von An. 1694. biß A. 1697 im Monath Junio fortgesetzet und eingerichtet sey, Zum Preiß der treuen Vorsorge Gottes, zur Erweck- und Stärckung des Vertrauens auf Gott und wahrer Christlicher Liebe, Frankfurt a. d. O.: Schrey 1697. Ders.: Ein Unterricht vom Kirchengehen, Predigt am 2.2.1699 über Lk 2, 22–32, in: Francke, August Hermann: Predigten, hg. v. Peschke, Erhard, 2Bde., Bd. 2, Tl. 1, Berlin, New York u.a. 1987 (TGP, Abt. 2, Schriften und Predigten, Bd. 9), S. 603–630. Ders.: Die Fußstapffen Des noch lebenden und waltenden liebreichen und getreuen Gottes, [...] Durch den Ausführlichen Bericht Vom Wäysen-Hause, Armen-Schulen und übrigen Armen-Verpflegung Zu Glaucha an Halle, Wie selbige fortgesetzet biß Ostern Anno 1701, Entdecket von August Hermann Francken, Halle: In Verlegung des Wäysen-Hauses 1701. Ders.: Oeffentliches Zeugnis vom Werck, Wort und Dienst Gottes, 3 Teile, Tl. 3, Halle: In Verlegung des Wäysen-Hauses 1703.

318

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

Ders.: [Schrift über eine Reform des Erziehungs- und Bildungswesens als Ausgangspunkt einer geistlichen und sozialen Neuordnung der Evangelischen Kirche des 18. Jahrhunderts.] Der Große Aufsatz. Mit einer quellenkundlichen Einführung, hg. v. Podczeck, Otto, Berlin 1962 (Abhandlung der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, philol.-hist. Klasse, Bd. 53, 3). Freylinghausen, Johann Anastasius: Joh. Anastasii Freylinghausens, Past. Adj. zu Glaucha an Halle, Grundlegung Der Theologie: Darinn die Glaubens-Lehren aus Göttlichem Wort deutlich fürgetragen, Und zum Thätigen Christenthumb, wie auch Evangelischen Trost angewendet werden; Zum Gebrauch des Pædagogii Regii daselbst, Halle: Waisenhaus 1703, Nachdruck: Hildesheim u.a. 2005. Friedenburg, Walter (Hg.): Urkundenbuch der Universität Wittenberg, 2 Bde, Bd. 2, Magdeburg 1927 (Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und des Freistaates Anhalt, NR, Bd. 4). Gerhard, Johann: Locorum theologicorum cum pro adstruenda veritate, tomus 4, Genevae: Gamonetti 1629. Graevius, Johann Georg: Lukianu Samosateos Apanta. Luciani Samosatensis Opera, 2 Teile, Amstelodami: P. & I. Blaev 1686, Tomus 1. Hering, Daniel Heinrich: Historische Nachricht von dem ersten Anfang der evangelisch-reformierten Kirche in Brandenburg und Preußen, Halle: Curt 1778. Hoffmann, Friedrich: Theoremata Physica Convellentia fundamenta novae hypotheseos: Omnia Corpora Naturalia Constare Ex Materia & Spiritu, Praeside Dn. Friderico Hoffmanno, D. Medico Electorali Brandenburgico [...] Publicae Submittit Die 24. Novembr. A.O.R. MDCXCIV. Hor. antemerid. a IX. ad XII. Johannes Nicolaus Röper/ Halberstad. Saxo, Halae: Salfeldius 1694. Hoffmann, Friedrich: Medicina rationalis systemica, Halle: Renger 1718. Hunnius, Nikolaus: Epitome crendentorum oder Kurtzer Inhalt dessen, was ein Christ von Göttlichen unnd Geistlichen Dingen zu wissen und zu glauben bedürfftig, Wittenbergk: Helwig; Hake 1625. Hutter, Leonhard: CALVINISTA Aulico-Politicus Alter. Das ist: Christlicher vnnd Nothwendiger Bericht, von den fürnembsten Politischen Heubtgründen, durch welche man, die verdampte Calvinisterey, in der Hochlöbl. Chur vnd Marck Brandenburg einzuführen, sich eben starck bemuehet. Allen Eifferigen Lutheranern zu bestendigem Unterricht, Wittenberg: Helwig 1614. Kirchen- policey- und procesz Ordnungen Deß Hochwürdigsten, Durchläuchtigsten. Hochgebornen Fürsten und Herrn Herrn, Augusti, Postulirten Administratoris des Primats und Ertz-Stiffts Magdeburg, Hertzogens zu Sachsen [...]: Darnach in J. Fürstl. Durchl. ErtzStifft Magdeburg sich männiglich zu achten. Publiciret auff dem allgemeinen Land-Tage zuHall. den 6. Julii, 1652, Halle: Rappoldt 1652. Klinkenborg, Melle (Hg.): Das Archiv der Brandenburgischen Provinzialverwaltung, 2 Bde., Bd. 1: Das Kurmärkische Ständearchiv, Strausberg 1920. Küster, Georg Gottfried (Hg.): Collectio opusculorum historiam Marchicam illustrantium, 2 Bde., Berlin 1727–53. Lange, Joachim: D. Joachim Langens, Der Theologischen Facultæt zu Halle Senioris [...] Lebenslauf, Zur Erweckung seiner in der Evangelischen Kirche stehenden, und ehemal gehabten vielen und wehrtesten Zuhörer, Von ihm selbst verfaßet, und mit einigen Erläuterungen, auch eingeschalteten Materien, ausgefertiget: Nebst einem Anhange Väterlicher Warnung, an die der Theologie ergebene studirende Jugend, vor dem Herrenhutischen Kirchenwesen und Mißionswercke, Halle und Leipzig: Francken 1744. Leyser, Polykarp: Ein Christliches Bedencken, was von dem Exorcismo bey der Tauff, vnd abschaffung desselben zu halten sey. Auf begeren etlicher guthertzigen vnd fürnemen vom Adel, gestelt, Durch Polycrapum Leisern, der H. Schrift Doctorem vnd Superintendenten zu Braunschweig. Wegen embsigen anhaltens vieler bestendiger fromen Christen, in Druck verfertiget, Magdeburg: Johann Francken 1591.

1. Quellen

319

[Löscher, Valentin Ernst]: Allerunterthänigste Adresse an Ein Großmächtigstes Oberhaubt, In Nahmen der Evangelisch-Lutherischen Kirche, Die Religions-Vereinigung betreffend: Nebst angehängter Recension derer dießfalß bißher edirten Schrifften, und Einen Christlichen Vorschlag Zum gesegneten Kirchen-Frieden, Leipzig: Joh. Grossens Erben 1704. Ludewig, Johann Peter von: Historie der Friedrichs-Universität Halle. Vom Jahr 1531, so dann 1692 und dero Einweyhung 1694 biß auf jetzige Zeiten. 1734 überhaupt sowohl, als auch vornehmlich der Juristen-Facultät; statt eines Vorberichtes in dem II. Theil der Rechtlichen Gutachten der Hallischen Rechtsgelehrten, aus eigener Erfahrung beschrieben von dero Cantzlern Johann Peter von Ludewig, [Halle] 1734. Lütkemann, Joachim: Der Vorschmack göttlicher güte, durch Gottes gnade, Von Joachimo Lütkeman vorgetragen, Wolffenbüttel: Bißmarck 1653. Luther, Martin: Das Taufbüchlein aufs Neue zugerichtet (1526), in: D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1897, Nachdruck: Weimar 2004, WA 19, 2, S. 531–542. [Breithaupt, Joachim Justus]: Memoria Caplatoniana, Oder: Lebens-Beschreibung zweener Breithaupten […], [Quedlinburg] 1725. [Müller, Philipp:] Der Fang des edlen Lebens durch frembde Glaubens-Ehe, [s.l.] 1689. Mylius, Christian Otto: Derer Königlichen Preußl. und Churfürstlichen Brandenburgischen Im Hertzogthum Magdeburg und Graffschafft Manßfeld publicirten Ordnungen, Edicten, Mandaten und Rescripten Erster Theil: Von Consistorial- Kirch- Stiffter- Universität- Schul- Hospitalienund Ehe- auch andern geistlichen Sachen, Magdeburg: Seidel; Halle: Renger [1714]. Petersen, Johann Wilhelm: Das Leben Jo. Wilhelmi Petersen, [...] Als Zeugens der Warheit Christi und seines Reiches, nach seiner grossen Oeconomie in der Wiederbringung aller Dinge. [...], [Halle: Renger] 1717. Pufendorf, Samuel von: Gesammelte Werke, hg. v. Schmidt-Biggemann, Wilhelm, bisher 6 Bde. ersch., Bd.1: Briefwechsel, hg. v. Döring, Detlef, Berlin 1996. [Rotth, Albrecht Christian]: Imago Pietismis, hoc est, Brevis delineatio abusuum et errorum, qui Pietismum, barbare quidem, sed fortassis jure sic dictum, constituere dicuntur: Hunc in finem conscripta, ut habeant Pietistae, si pii sunt, in quo detestando innocentiam suam declarent, sin mali, ut id tacendo approbent […], [s.l.] 1691. [Ders.]: Eylfertiges Bedencken über M. August Hermann Franckens, Pastoris zu Glauche vor Halle, seine Schutz-Predigt, ob er durch dieselbe seinen Zweck, den er auf dem Titul gedachter Predigt beruehret hat, erlanget oder nicht? Auf Begehren gestellet von einem Diener Gottes in Halle, An einem Seiner Beicht-Kinder, Anno 1692. d. 25. Julii, [s.l.] 1692. Seckendorff, Veit Ludwig von: Teutscher Fürsten-Stat, Oder: Gründliche und kurtze Beschreibung, Welcher gestalt Fürstenthümer, Graff- und Herrschafften im H. Römischen Reich Teutscher Nation [...] beschaffen zu seyn, Regieret [...] zu werden pflegen: Zu beliebigem Gebrauch und Nutz hoher Standspersonen [...] abgefasset, F.a.M: Götze 1656. Ders: Christen-Stat in drey Bücher abgetheilet. Im Ersten wird von dem Christenthum an sich selbst und dessen Behauptung wider die Atheisten und dergleichen Leute, Im Andern von der Verbesserung des Weltlichen und im Dritten des geistlichen Standes nach dem Zweck des Christenthums gehandelt. […], Leipzig: Gleditsch 1686. Ders.: Bericht und Erinnerung, Auff eine neulich in Druck Lateinisch und Teutsch ausgestreuete Schrifft, im Latein Imago Pietismi, zu Teutsch aber Ebenbild der Pietisterey, genannt: Gedachte Schrifft, oder so genanntes Ebenbild, ist in gegenwärtigem Tractat von Worte zu Worte Stückweise eingerücket, die Beantwort- und Erinnerung aber, mit anderen Litern darunter gesetzt, zu befinden. Abgefasset Anno 1692 im Monat Januario, Sambt Einer Vorrede D. Philipp Jacob Speners, Darinnen sonderlich die Historie und was in der Sache bisher vorgegangen, enthalten ist, [s.l.] 1692.

320

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

Spener, Philipp Jakob: Pia Desideria oder Hertzliches Verlangen, Nach Gottgefälliger Besserung der wahren Evangelischen Kirchen, sampt einigen dahin einfaeltig abzweckenden Christlichen vorschlägen, Franckfurt am Mayn: Zunner 1676, Nachdruck: Berlin 31964 (KlT 170). Ders.: Letzte Theologische Bedencken und andere Brieffliche Antworten, 3 Teile, Halle: Waisenhaus 1711, Nachdruck, eingel. v. Blaufuß, Dietrich / Schicketanz, Peter, Hildesheim u.a. 1987 (= Spener, Philipp Jakob: Schriften, hg. von Beyreuther, Ernst, Bd. XV, 2 Bde.). Ders.: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686, 5 Bde., Bd. 2: 1675–1676, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit Matthias, Markus / Friedrich, Martin, Tübingen 1996. Ders.: Briefe aus der Dresdner Zeit, 2 Bde, Bd. 1: 1686–1687, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit Friedrich, Martin / vom Orde, Klaus / Blastenbrei, Peter, Tübingen 2003. Ders.: Briefwechsel mit August Hermann Francke (1689–1704), hg. v. Wallmann, Johannes / Sträter, Udo, in Zusammenarbeit mit Albrecht-Birkner, Veronika, Tübingen 2006. Ders.: Briefe aus der Frankfurter Zeit 1666–1686, 5 Bde., Bd. 5: 1681, hg. v. Wallmann, Johannes in Zusammenarbeit mit vom Orde, Klaus / Blastenbrei, Peter, Tübingen 2010, S. 405–410. Stahl, Georg Ernst: Theoria medica vera. Physiologiam et Pathologiam, tanquam doctrinae medicae partes vere contemplativas, e nature er artis veris fundamentis, intaminata ratiuone, et inconcussa experientia sistens, Halle: Waisenhaus 1708. Stryk, Johann Samuel: Programma von der höchstnöthigen Verbesserung in allen Ständen. Darin zugleich ein neues Collegium über Io. Amos Comenii Excitatorium universale, eröffnet wird, Halle: Wäysen-Hauß 1702. Stryk, Samuel: Samuelis Strykii, JC. Specimen Usus Moderni Pandectarum, ad Libros V. Priores In Academia Francofurtana Publicis Disputationibus Exhibitum, Francofurti; Witebergæ: Schrey; Meyerus 1690. Thomasius, Christian: Rechtmäßige Erörterung der Ehe- und Gewissens-Frage: Ob zwey Fürstliche Personen im Römischen Reich, deren eine der Lutherischen, die andere der Reformirten Religion zugethan ist, einander mit guten Gewissen heyrathen können? Auff Veranlassung Einer famosen Schrifft derer Titul: der Fang des edlen Lebens durch frembde Glaubens-Ehe zu seiner Wahrheit entworffen von Christian Thomasius, Halle: Salfeld 1689. Ders.: Christian Thomas eröffnet der studirenden Jugend in Halle in einem gemischten Discurs Fünff neue Collegia, die er nach der Leipziger Oster-Meße daselbst anzufangen gesonnen, Halle 1691. Ders.: Christian Thomasens JCti und P. P. Kurtze Abfertigung Derer in der Ausführlichen Beschreibung Des Pietisten Unfugs enthaltenen Lästerungen, Halle: Sallfelden [1693?]. Ders.: Historia sapientiæ et stultitiæ, collecta a Christiano Thomasio, JCto, Tomus 3. continens Sex Menses posteriors Anni 1693. Contenta istendet pagina fequens, Halæ Magdeburgicæ: Salfeld 1693. Ders.: In Academia Fridericiana Celeberrimi Autoris, De Ratione Status Dissertationem V. & VI. De Revelatione Arcanorum Et De Exploratoribus, Cum adiuncta Quaestione Au Sutor possit esse Philosophus? Publice ventilabunt Die X. Aug. MDCXCIII. horis matutinis ab 8. ad 12. Christianus Thomasius, ICtus & Prof. Publ. & Respondens Jacobus Conradus Keeß/ Lindaviensis, [s.l] 1693. Ders.: Dissertatio Ad Petri Poiret Libros De Eruditione Solida, [s.l.] 1694. Ders. (Praes.), Brenneysen, Enno Rudolph (Resp.): Das Recht evangelischer Fürsten In Theologischen Streitigkeiten, gründlich ausgeführet, und wider die Papistischen Lehrsätze eines Theologi zu Leiüzig vertheydiget […], Benebst einer Summarischen Anzeige und kurtzen Apologie wegen der vielen Anschuldigungen und Verfolgungen, damit etliche Chur-Sächsische Theologen zu Dresden, Wittenberg, und Leipzig nun etliche Jahr besagten D. Thomasen beleget und diffamiret, Halle: Salfeld 1696. [Ders.]: Bericht von Einrichtung des Pædagogii zu Glaucha an Halle: Nebst der Von einem gelehrten Manne verlangten Erinnerung über solche Einrichtung, Franckfurt, Leipzig 1699.

2. Literatur

321

Ders.: Errinnerung Wegen deren über seine Grund-Lehren, Bißher gehaltenen Lectionum privatissimarum und deren Verwandelung in Lectiones privatas: Absonderlich aber wegen zweyer instehenden Collegiorum de fundamentis jurispublici und de Synopsi jurisprudentiæ publicæ, Ingleichen Wegen neuer Lectionum publicarum de jure decori oder von Recht derer Sitten und Gewohnheiten, Halle: Renger [1700]. Ders.: Erinnerung Wegen Seiner künfftigen WinterLectionen, So nach Michaelis Dieses 1702. Jahres ihren Anfang nehmen werden Halle: Renger 1702. Ders. (Praes.), Ramm, Friedrich Emich (Resp.): Felicitas Subditorum Brandenburgicorum Ob Emendatum Per Edicta Electoralia Statum Ecclesiasticum Et Politicum, [s.l.]: Salfeldius 1690; dt. Übersetzung: Doppelte Glückseligkeit Brandenburgischer Untertanen, in: Thomasius, Christian: Auserlesene und in Deutsch noch nie gedruckte Schriften, Erster Theil, Halle: Renger 1705, Nachdruck: Hildesheim 1994, S. 1–75. Ders.: Dissertatio Inauguralis Juridica De Concvbinatv, i.e. Von dem unehlichen Beyschlaff, Quam [...] Praeside, Dn. Christiano Thomasio, […] Ad D. VIII. April. Anno M. DCCXIII. ... publico eruditorum examini submittit Erhardvs Jvlivs Kiechel/ Ulmensis, [s.l.] 1713. Ders.: Vernünfftige und Christliche aber nicht scheinheilige Thomasische Gedanken und Erinnerungen Uber allerhand Gemischte Philosophische und Juristische Händel, 2. Theil, Halle 1724, V. Handel: Letzte Verfolgung wegen der von mir publicirten Ehe- und Gewissensfrage, S. 492–558. [Winckler, Johann Joseph]: Arcanum Regium, Das ist, Ein königlich Geheimniß Für einen regierenden Landes-Herrn, Darinen ihn entdecket wird, wie er sich bey seinen, über die Religion zertheilten Unterthanen nach Gottes Willen zu verhalten habe, damit er eine Gott wohlgefällige Vereinigung bey seinem Volcke unvermerckt stiffte und in kurtzer Zeit befordere, Ans Licht gestellet von Wincklero, Diacono an der Thum-Kirche zu Magdeb., Franckfurt 1703. Ziegler, Caspar: De Juribus Majestatis: Exercitatio V. quae est De Jure Circa Sacra Et Religionem, Wittenbergae [1660].

2.

Literatur

2.1. Gedruckte Literatur Albertz, Hugo: Der Dom und die Domgemeinde zu Halle a. S. , Halle 1888. Albrecht-Birkner, Veronika: Reformation des Lebens. Die Reformen Herzog Ernst des Frommen von Sachsen-Gotha und ihre Auswirkungen auf Frömmigkeit, Schule und Alltag im ländlichen Raum (1640–1675), Leipzig 2002 (Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, Bd. 1). Dies.: Francke in Glaucha. Kehrseiten eines Klischees (1692–1704), Tübingen 2004 (Hallesche Forschungen, Bd. 15). Dies. / Sträter, Udo: Lutherische Orthodoxie in Halle – theologische Profile, Frömmigkeit und die Auseinandersetzung mit den Pietisten, in: Freitag, Werner / Ranft, Andreas (Hgg.): Geschichte der Stadt Halle, 2. Bde., Bd. 1: Halle im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Halle 2006, S. 333–349. Dies. / Sträter, Udo: Die radikale Phase des frühen August Hermann Francke, in: Breul, Wolfgang / Meier, Marcus / Vogel, Lothar (Hgg.): Der radikale Pietismus. Perspektiven der Forschung, Göttingen 2010 (AGP, Bd. 55), S. 57–84.

322

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

Dies.: Der Berliner Hof und die Theologische Fakultät Halle. Konfessionelle Aspekte eines spannungsvollen Verhältnisses (1690–1790), in: Freudenberg, Matthias / Plasger, Georg (Hgg.): Kirche, Theologie und Politik im reformierten Protestantismus. Vorträge der 8. Emder Tagung zur Geschichte des reformierten Protestantismus, Neukirchen-Vluyn 2011, S. 107–127. Appold, Kenneth G.: Orthodoxie als Konsensbildung. Das theologische Disputationswesen an der Universität Wittenberg zwischen 1570 und 1710, Tübingen 2004 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 127). Asch, Ronald G. / Emich, Birgit / Engels, Jens Ivo: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Integration – Legitimation – Korruption. Politische Patronage in Früher Neuzeit und Moderne, F.a.M. u.a. 2011, S. 7–32. Asche, Matthias / Ilg, Matthias (Hgg.): Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001. Ders.: Neusiedler im verheerten Land. Kriegsfolgenbewältigung, Migrationssteuerung und Konfessionspolitik im Zeichen des Landeswiederaufbaus. Die Mark Brandenburg nach den Kriegen des 17. Jahrhunderts, Münster 2006. Assmann, Jan: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992. Assmann, Aleida / Friese, Heidrun: Einleitung, in: Dies. (Hgg.): Identitäten, F.a.M. 1999 (Erinnerung, Geschichte, Identität Bd. 3), S. 11–23. Bahl, Peter: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft BrandenburgPreußens, Köln u.a. 2001 (Veröffentlichungen aus den Archiven preußischer Kulturbesitz, Beiheft 8). Balbach, Anna-Maria: „Hier ruhen wir in dieser Grufft, biß Unser Herr uns zu sich rufft“ – Grabinschriften der Frühen Neuzeit als Spiegel sprachlicher Konfessionalisierung? Das Beispiel der Stadt Augsburg, in: Elspaß, Stephan / Negele, Michaela (Hgg.): Sprachvariation und Sprachwandel in der Stadt der Frühen Neuzeit, Heidelberg 2011 (Sprache – Literatur – Geschichte, Bd. 38), S. 239–251. Baumgart, Peter: Zur Geschichte der kurmärkischen Landstände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Gerhard, Dietrich (Hg.): Ständische Vertretungen in Europa im 17. und 18. Jahrhundert, Göttingen 2 1974, S. 131–161. Ders.: Zur Geschichte der kurmärkischen Stände im 17. und 18. Jahrhundert, in: Büsch, Otto / Neugebauer, Wolfgang (Hgg.): Moderne Preußische Geschichte Eine Anthologie, 3 Bde., Bd. 2, Berlin, New York 1981, S. 509–540. Ders.: Brandenburgische Kongreßdiplomatie und ihre Ergebnisse, in: Duchhardt, Heinz (Hg.): Der Westfälische Frieden. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, München 1998 (HZ, Beihefte, NF, Bd. 26), S. 469–484. Bautz, Friedrich Wilhelm: Art „Elers, Heinrich Julius“, in: BBKL 1 (1990), Sp. 1486. Beeskow, Hans-Joachim: Der Konfessionswechsel des brandenburgischen Kurfürsten Johann Sigismund im Jahre 1613, in: Herbergen der Christenheit 14 (1983/84), S. 7–18. Beintker, Michael (im Namen des Herausgeberkreises): Einleitung, in: Jerouschek, Günther / Sames, Arno (Hgg.): Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694–1806), Hanau 1994, S. 14–16. Berthold, Benjamin: Kritik an der lutherischen Beichtpraxis in Gottfried Arnolds Unparteiischer Kirchen- und Ketzerhistorie (1699/1700) am Beispiel von Peter Moritz aus Halle, in: PuN 36 (2011), S. 11–48. Beutel, Albrecht: Causa Wolffiana. Die Vertreibung Christian Wolffs aus Preußen 1723 als Kulminationspunkt des theologisch-politischen Konflikts zwischen Halleschem Pietismus und Aufklärungsphilosophie, in: Ders.: Reflektierte Religion. Beiträge zur Geschichte des Protestantismus, Tübingen 2007, S. 125–169.

2. Literatur

323

Ders.: Paul Gerhardt und der Große Kurfürst, in: Wendebourg, Dorothea (Hg.): Paul Gerhardt – Dichtung, Theologie, Musik. Wissenschaftliche Beiträge zum 400. Geburtstag, Tübingen 2008, S. 159–173. Bienert, Walter: Der Anbruch der christlichen deutschen Neuzeit dargestellt an Wissenschaft und Glauben des Christian Thomasius, Halle 1934. Biereye, Johannes: August Hermann Francke und Erfurt, in: ZVKGS 21 (1925), S. 31–82. Blaufuß, Dietrich: Spener-Arbeiten: Quellenstudien und Untersuchungen zu Philipp Jacob Spener und zur frühen Wirkung des lutherischen Pietismus, Bern u.a. 1975. Ders.: Concordia – Confessio – Conversio. Königsberger Synkretismus und Kryptokatholizismus im Urteil Philipp Jakob Speners, in: Marti, Hanspeter / Komorowski, Manfred (Hgg.): Die Universität Königsberg in der Frühen Neuzeit, Köln 2008, S. 224–246. Böttingheimer, Christoph: Zwischen Polemik und Irenik. Die Theologie der einen Kirche bei Georg Calixt, Münster 1996 (Studien zur systematischen Theologie und Ethik, Bd. 7). Ders.: Das Unionskonzept des Helmstedter Irenikers Georg Calixt (1586–1656), in: Klueting, Harm (Hg.): Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert, Hildesheim u.a. 2003 (Hildesheimer Forschungen, Bd. 2), S. 55–70. Ders.: Das konfessionelle Zeitalter 1525–1648, Stuttgart 1989. Brademann, Jan: Autonomie und Herrscherkult. Adventus und Huldigung in Halle (Saale) in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Halle 2006 (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 14). Ders.: Integration einer Residenzstadt? Politische Ordnung und Kultur der Stadt Halle an der Saale im 16. und 17. Jahrhundert, in: ZHF 34, 4 (2008), S. 569–608. Ders.: Die Sakralisierung der Ordnung. Prozessionen im Kirchspiel Ascheberg in der Konfessionalisierung, in: Freitag, Werner / Helbich, Christian (Hgg.): Bekenntnis, soziale Ordnung und rituelle Praxis. Neue Forschungen zu Reformation und Konfessionalisierung in Westfalen, Münster 2009 (Westfalen in der Vormoderne, Bd. 4), S. 279–298. Ders.: Reformierte Konfessionalisierung oder konfessionelle Koexistenz? Eine andere Sicht auf die Religionsgeschichte Anhalts im 17. und 18. Jahrhundert, in: Auf dem Weg zu einer Geschichte Anhalts. Wissenschaftliches Kolloquium zur 800-Jahrfeier des Landes Anhalt vom 29. Bis 31. März 2012 in Dessau-Roßlau, hg. v. Stadtarchiv Dessau-Roßlau, der Anhaltischen Landesbücherei Dessau und LHASA, Abt. Dessau, Köthen 2012, S. 159–192. Brecht, Martin: Das Aufkommen der neuen Frömmigkeitsbewegung in Deutschland, in: Ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S.113–203. Ders.: Philipp Jakob Spener, sein Programm und dessen Auswirkungen, in: Ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S. 279– 389. Ders.: August Hermann Francke und der Hallische Pietismus, in: Ders. (Hg.): Der Pietismus im siebzehnten bis zum frühen achtzehnten Jahrhundert, Göttingen 1993 (GdP, Bd. 1), S. 439–539. Bremer, Kai: Konversionalisierung statt Konfessionalisierung. Bekehrung, Bekenntnis und das Politische in der Frühen Neuzeit, in: Jaumann, Herbert (Hg.): Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit, Berlin u.a. 2011, S. 369–408. Breul, Wolfgang: Johann Arndt und die konfessionelle Entwicklung Anhalts, in: Otte, Hans (Hg.): Frömmigkeit oder Theologie. Johann Arndt und die „Vier Bücher vom wahren Christentum“, Göttingen 2007 (Studien zur Kirchengeschichte Niedersachsens, Bd. 40). Brunert, Maria-Elisabeth: Der Mehrfachherrscher und das politische System des Reiches. Das Ringen um Pommern auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Kaiser, Michael / Rohrschneider, Michael (Hgg.): Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640–1688), Berlin 2005 (FBPG, NF, Beiheft 7).

324

VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

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2. Literatur

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2. Literatur

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VI. Quellen- und Literaturverzeichnis

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2. Literatur

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Ders.: August Hermann Francke und seine „Stiftungen“ – einige Anmerkungen zu einer sehr bekannten Geschichte, in: Vier Thaler und sechzehn Groschen. August Hermann Francke. Der Stifter und sein Werk, Halle 1998 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen, Bd. 5), S. 15–31. Ders.: Der hallische Pietismus zwischen Utopie und Weltgestaltung, in: Ders. (Hg.): Interdisziplinäre Pietismusforschungen. Beiträge zum Ersten Internationalen Kongress für Pietismusforschung 2001, Tübingen 2005 (Hallesche Forschungen, Bd. 17, 1), S. 19–36. Ders.: Spener und August Hermann Francke, in: Wendebourg, Dorothea (Hg.): Philipp Jakob Spener – Leben, Werk, Bedeutung. Bilanz der Forschung nach 300 Jahren, Halle 2007 (Hallesche Forschungen, Bd. 23), S. 89–104. Ders.: Wolffs Gegner Joachim Lange im Kontext der Theologischen Fakultät Halle, in: Stolzenberg, Jürgen / Rudolph, Oliver-Pierre (Hgg.): Christian Wolff und die europäische Aufklärung. Akten des 1. Internationalen Christian-Wolff-Kongresses, Halle (Saale), 4. - 8. April 2004, Tl. 3, Hildesheim u.a. 2007, S. 77–95. Ders.: Przez Gdańsk do Wittenbergi: Abraham Calov (1612–1686) jako teolog luterańskiej ortodoksji, in: Zapiski Historyczne 73 (1008), S. 37–56 (mit dt. Zusammenfassung). Ders.: Spangenbergs Vertreibung aus Halle, in: Unitas Fratrum 61/62 (2009), S. 23–42. Ders.: Aufbruch um 1700, in: Zaunstöck, Holger (Hg.): Gebaute Utopien. Franckes Schulstadt in der Geschichte europäischer Stadtentwürfe, Halle 2010 (Kataloge der Franckeschen Stiftungen, Bd. 25), S. 17–23. Thadden, Rudolf von: Die Brandenburg-preußischen Hofprediger im 17. und 18. Jahrhundert, Berlin 1959 (Arbeiten zur Kirchengeschichte, Bd. 32). Thiele, Andrea: Halle in der Zeit des Administrators August von Sachsen-Weißenfels (1638–1680), in: Freitag, Werner / Ranft, Andreas (Hgg.): Geschichte der Stadt Halle, 2 Bde., Bd. 1: Halle im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Halle 2006, S. 141–148. Dies.: Residenz auf Abruf? Hof- und Stadtgesellschaft in Halle unter dem letzten Administrator des Erzstifts Magdeburg, August von Sachsen (1614–1680), Halle 2011 (Forschungen zur hallischen Stadtgeschichte, Bd. 16). Tholuck, Friedrich August Gottreu: Vorgeschichte des Rationalismus, Tl. 1: Das akademische Leben des siebzehnten Jahrhunderts. Abt. 1–2, Halle 1853/54; Tl. 2: Das kirchliche Leben des siebzehnten Jahrhunderts. Abt. 1–2, Halle 1861/62. Tollin, Henri: Geschichte der französischen Colonie von Magdeburg, 3 Bde., Halle 1886ff. Treue, Wilhelm: Wissenschafts- und Technikgeschichte Preußens, Berlin 1984 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission, Bd. 56). Wall, Heinrich de: Art. „Landesherrliches Kirchenregiment“, in: Heun, Werner / Honecker, Martin / Morlok, Martin / Wieland, Joachim (Hgg.): Evangelisches Staatslexikon, Stuttgart 2006, Sp. 1380–1386. Wallmann, Johannes: Der Theologiebegriff bei Johann Gerhard und Georg Calixt, Tübingen 1961 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 30). Ders.: Philipp Jakob Spener und die Anfänge des Pietismus, Tübingen 1970 (Beiträge zur historischen Theologie, Bd. 42). Ders.: Zweite Reformation und Humanismus. Eigenart und Wirkungen Helmstedter Theologie unter besonderer Berücksichtigung Georg Calixts, in: ZThK 74 (1977), S. 344–370. Ders.: Art. „Georg Calixt“, in: TRE 7 (1981), S. 552–559. Ders.: Der Pietismus, Göttingen 1990 (Die Kirche in ihrer Geschichte, Bd. 4). Ders: Erfurt und der Pietismus im 17. Jahrhundert, in: Weiß, Ulman (Hg.): Erfurt 742–1992. Stadtgeschichte. Universitätsgeschichte, Weimar 1992, S. 403–422. Ders.: Was ist Pietismus?, in: PuN 20 (1994), S. 11–27. Ders.: Philipp Jakob Spener in Berlin 1691–1705, in: Ders.: Theologie und Frömmigkeit im Zeitalter des Barock. Gesammelte Aufsätze, Tübingen 1995, S. 295–324.

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2.2. Ungedruckte Literatur Albrecht-Birkner, Veronika: Erbe – Norm – Tagesthemen. Hallesche Theologen im Spannungsfeld von Universität, Waisenhaus und Berliner Hof (1750–1794) [Habil. Man. masch.], Kapitel 2.2.: Das Theologische Seminar. de Boor, Friedrich: Die paränetischen und methodologischen Vorlesungen August Hermann Franckes (1693–1727) [Habil. Man. masch. Halle 1968]. Drese, Claudia: Das Problem des Perfektionismus im frühen Pietismus [Diplomarbeit Man. masch. Halle 2008]. Gabriel, Martin: Die reformierte Gemeinde am Dom zu Halle von ihren Anfängen bis in die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts (1688–1750). Ein Beitrag zur Geschichte der reformierten Gemeinden in Mitteldeutschland [Diss. Man. masch. Halle 1957]. Trauzettel, Holger: Halle unter der Herrschaft Brandenburgs-Preußens in der Zeit von 1680–1740. Integration und Neuorientierung als dynamisch-kommunikativer Prozess [Diplomarbeit Man. masch. Halle 2012].

3. Digitale Medien

3.

335

Digitale Medien

http://uni-helmstedt.hab.de/?cPage=3&sPage=vorlesung [Zugriff 22.9.2010]. http://www.theologie.uni-halle.de/81_235651/ [Zugriff am 26.1.2012]. http://webdoc2.urz.uni-halle.de/izea/cms/de/personen-profil/kurzpraesentation.html [Zugriff am 26.1.2012]. http://webdoc2.urz.uni-halle.de/izea/cms/de/personen-profil/kurzpraesentation.html [Zugriff am 26.1.2012]. http://de.wikipedia.org/wiki/Reformuniversität [Zugriff am 28.1.2012]. http://www.preussen-chronik.de/episode_jsp/key=chronologie_001910.html [Zugriff am 28.1.2012]. http://www.ekd.de/aktuell/52930.html [Zugriff am 4.2.2012].

Orts- und Personenregister

A Albrecht von Brandenburg 89 Anhalt 51, 64, 88, 106, 112ff., 132, 137 Anhalt-Zerbst 106 Anna von Preußen 47 Anton, Paul 11f., 20, 69, 121f., 154f., 162, 164, 222ff., 233f., 237, 244f., 248, 252, 258, 266, 270, 282, 301, 304 Arndt, Johann 51, 143, 309 Arnold, Gottfried 242, 257 Asseburg, Rosamunde Juliane von der 165f. Augier, Jacques (?) 140 August von Sachsen-Weißenfels 12, 20, 22f., 34, 37f., 43, 69–73, 75, 78, 80, 86, 88f., 94, 96, 105, 108, 113f., 120, 134, 136f., 143f., 146, 150, 154, 156, 163, 165–168, 173, 183, 191, 196, 198, 200, 202, 204, 216, 222, 233, 235, 259, 264, 266, 278f., 286, 289, 295–298, 301, 304f.

B Baier, Johann Wilhelm 152ff., 172, 176f., 218–224, 231, 250ff., 272, 275f., 304 Becmann, Johann Christoph 129f., 142, 165, 169 Berghorn, Anton Günter von 121f., 130, 140 Bergius, Johann 50f., 53, 56f., 114 Berlin 9, 12f., 16ff., 20ff., 27, 29, 41f., 45f., 50ff., 54, 59f., 62, 64, 66, 68ff., 80, 83ff., 87f., 91–104, 113, 117, 122f., 126–133, 135–139, 142, 144, 146f., 149ff., 157–160, 162, 164, 166f., 169f., 173ff., 177, 179, 181, 185–189, 191–196, 198– 201, 204– 207, 215, 217ff., 222ff., 226, 231ff., 235, 237–242, 248, 250–253, 255–258, 261f., 264, 266f.,

269–272, 274ff., 281, 285–288, 290ff., 294, 296f., 299f., 302ff., 307ff. Beuther, Georg 94 Bielefeld 66 Blaspiel, Johann Moritz von 261 Bode, Heinrich 172, 226 Bogislaw XIV. 69 Böhme, Jakob 201, 210, 274, 275 Böttiger, Johannes 78 Brandenburg 11–20, 22–25, 29, 33, 36, 37, 40f., 45ff., 49–53, 55ff., 59–62, 65, 68–73, 77–80, 84f., 88, 91f., 94f., 104, 112, 117, 123, 125f., 128, 130–133, 142, 144, 147, 151f., 155, 159, 165f., 177, 189, 201, 216, 220–225, 228, 243, 248, 250, 255, 300f., 311 Brandenburg-Preußen 11, 13f., 17ff., 22–25, 29, 33, 36f., 40f., 46, 50f., 60f., 68, 70, 84, 91, 92, 95, 104, 112, 123, 128, 130ff., 144, 147, 152, 159, 165f., 189, 201, 216, 220, 223, 225, 250, 255, 300f., 311 Brehm, Michael 57 Breithaupt, Joachim Justus 11f., 20, 23, 30, 97, 140–160, 163, 170, 172f., 177f., 184ff., 191–203, 205–224, 226, 231f., 237, 239f., 244f., 248, 250ff., 258f., 265, 274f., 280, 282, 301, 303ff. Brunnemann, Johann 107, 171f. Budde, Johann Franz 156, 176ff., 191, 230–233, 244, 253, 276, 305 Burgsdorf, Konrad von 73

C Calbe 202, 204 Calixt, Friedrich Ulrich 145 Calixt, Georg 55–59, 64, 78f., 117, 145f., 255, 301

338 Calov, Abraham 57f., 79 Calvin, Jean 48, 52, 112f. Canstein, Carl Hildebrand von 147, 257f., 286ff. Carpzov, Johann Benedikt 35, 124, 215f., 277 Cellarius, Christoph 176f., 191, 238, 251, 266 Chemnitz, Martin 111f., 148 Chladenius, Johann Martin 309 Christian I. von Sachsen 51 Christian Wilhelm von Brandenburg 69, 80 Chwalkowski, Samuel von 257, 290f. Coburg 176 Cocceji, Samuel von 266 Cölln 11, 13f., 52, 167, 243, 250 Cortrejus, Adam 92, 99, 231 Crell, Wolfgang 50 Crocius, Johannes 56

D Danckelmann, Daniel Ludolf von 135, 168, 178f., 232, 289 Danckelmann, Eberhard Christoph Balthasar von 122, 135, 137, 156f., 159f., 163f., 168, 178f., 202–205, 214, 219, 223, 232, 255, 274, 291ff. Danckelmann, Nikolaus Bartholomäus von 266 Danzig 55, 57f. Dätrius, Brandanus 146 Deutschmann, Johannes 79 Dieskau, Carl von 207 Dippel, Johann Konrad 257 Dreier, Christian 57, 59 Dresden 124, 159, 171, 210, 222 Duisburg 120, 122, 178, 303 Dürfeld, Heinrich 95

E Eisenach 223f. Elers, Heinrich Julius 286 Elrichs, Magdalena 167, 173 Elsner, Bartholomäus 148 Erfurt 39, 147–150, 156f., 167, 174, 196, 200, 211, 248, 304 Ernst August von Braunschweig-Lüneburg 70, 73 Ernst I. von Sachsen-Gotha 180, 182

VII. Orts- und Personenregister

F Fehrbellin 81 Felde, Ernst Adolph von 114 Fende, Christian 215 Finck, Johann 51 Finck, Salomo 50 Fischer, Johann 88, 227, 239ff., 243, 248, 295 Fleur, Jean Michel [Milié] la 114, 120ff. Francke, August Hermann 11–14, 19f., 22ff., 30, 37f., 43, 120, 143f., 146, 148–151, 153–160, 163–168, 170, 173f., 177ff., 181, 183–187, 191–218, 223–233, 235–242, 244–253, 255, 257ff., 263, 265–270, 274, 278f., 281f., 286–301, 304ff., 308ff., 312 Franck, Gregor 50 Frankfurt am Main 144, 160, 215 Frankfurt an der Oder 50, 63, 107, 120f., 128ff., 165, 169, 171, 177f., 256, 266, 269, 289, 303 Freylinghausen, Johann Anastasius 174, 178, 225ff., 229f., 252, 298 Friedrich August I. von Sachsen 222 Friedrich II. in Preußen 91 Friedrich III. von Brandenburg 15, 18, 23, 121f., 126, 131, 135, 189, 191 Friedrich I. in Preußen 19, 269 Friedrich Madeweis 140 Friedrich von Jena 82, 84, 88, 94 Friedrich Wilhelm I. in Preußen 18, 265, 269f., 299 Friedrich Wilhelm von Brandenburg 16–19, 41, 46, 54, 58–62, 65ff., 69, 72f., 77f., 81, 84f., 87, 89, 91, 96, 98, 100, 117, 120ff., 125, 161, 178, 191, 265, 269ff., 296, 299, 309f. Fromhold, Johann 73 Fuchs, Paul von 12, 14, 19, 82, 85, 125, 163, 166, 178f., 195, 219, 227–230, 237, 239f., 257, 290–294

G Georg Wilhelm von Brandenburg 14, 51, 53f., 59f. Gerhard, Johann 55, 58, 65, 111, 145, 172 Gerhardt, Paul 58, 65, 323 Gladebeck, Bodo von 80 Glaucha 21, 23, 154f., 157ff., 170, 174, 178, 187, 190, 197f., 200f., 204ff., 210, 225, 227, 229f., 236, 243, 249, 251f., 257, 274, 278, 289–292, 294f., 298, 306

339 Göbel, Sebastian 93f., 103 Gotha 51, 147f., 157, 174, 180 Gouret, Isaak du Plessis 80 Graevius, Johann Georg 121f. Gröningen 72 Groß Salze 78 Grumbkow, Joachim Ernst von 122 Gueinzius, Johann Christian 92

Johann Adolf I. von Sachsen-Weißenfels-Querfurt 80 Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar 174 Johann Georg II. von Anhalt-Dessau 132, 137 Johann Sigismund von Brandenburg 14ff., 18, 20, 45–50, 52–55, 59f., 63ff., 67, 298, 301

H

Kammin 69 Karlsbad 135 Kiel 143, 146f., 250 Kleve 121 Knesebeck, Thomas von dem 80 Knorre, Heinrich 272 Knyphausen, Dodo von 165 Kolberg 66 König, Johann Viktor 291 Königsberg 58f., 67, 120, 132, 161, 177, 303 Kortholt, Christian 143, 146f. Kraut, Christian Friedrich von 140, 151, 157, 170f., 175, 187, 196, 199, 202, 205, 220, 224, 231 Kraut, Ludwig Gebhard 170, 187, 272

Halberstadt 66, 69f., 158, 166f., 173, 183, 199, 201, 215f., 292 Heiler, Günther 12 Heinrich, Gottfried 248 Helmstedt 55, 59, 78, 97, 145ff., 173, 176, 250, 256, 303 Herold, Johann Christoph 94, 102 Herzogtum Magdeburg 27, 42f., 69f., 83, 85, 93f., 97, 100, 104f., 113, 117, 119, 126, 128, 163, 238, 248f., 266, 292, 294 Hessen 222 Hessen-Kassel 14, 56, 173 Heyden, Johann Huldreich 258, 260–267, 269ff., 285ff. Hochenau, Ernst Christoph Hochmann von 214, 217 Hoenegg, Matthias Hoe von 56 Hoffmann, Friedrich 156, 173f., 176f., 191, 251, 276 Hoffmann, Johann Conrad 106 Hogel, Zacharias 149f. Hondorff, Friedrich 94 Höpffner, Heinrich 56 Hornemann, Johann 170f., 184f., 187f., 199, 202, 208, 273 Hülsemann, Johannes 57 Hunnius, Nikolaus 111

J Jablonski, Daniel Ernst 11–14, 19f., 177, 179, 255f., 330 Jena 145, 152f., 172f., 176, 218, 245 Jena, Friedrich von 82, 84f., 88, 92, 94, 140, 155, 178, 215 Jena, Gottfried von 94, 128, 170, 205, 234 Joachim Friedrich von Brandenburg 46, 70 Joachimsthal 269

K

L Lange, Joachim 141, 230, 244, 257f., 282 Latermann, Johann 58f. Leibniz, Gottfried Wilhelm 11, 20, 181, 255f. Leipzig 23, 35, 39, 62, 64, 68f., 105, 107, 119f., 124, 126–133, 142, 148f., 155ff., 160, 164, 169, 177f., 180f., 189, 196, 200, 207, 216, 222, 244f., 249f., 257ff., 275, 278, 296, 298, 304, 307 Lentz, Salomo 80 Leopold Wilhelm von Österreich 69 Leyser, Polykarp 56, 111f. Lilienfeld, Gottfried Stößer Edler von 140 Lindow 52 Löscher, Valentin Ernst 146, 257 Loß, Hans Caspar von 80 Lüders, Justus 12 Luppius, Andreas 201f., 208, 210 Luther, Martin 9, 13, 31, 36, 46, 48, 51, 62, 79, 106, 108f., 111f., 120, 127, 148, 181, 208, 244f., 280f., 309 Lütkemann, Joachim 146 Lütkens, Franz Julius 13, 207, 230, 256

340

M Machenhauer, Johann Christian Ernst 214 Magdeburg 9, 21, 27, 36, 42f., 64, 69ff., 73, 75–80, 83, 85, 88, 91–97, 99f., 103ff., 112f., 117, 119, 121f., 126, 128, 163, 188, 190, 198, 218f., 238, 248f., 266, 270, 292, 294, 302 Malchow 166, 179 Maria Amalia von Brandenburg 126 Masius, Hector Gottfried 129f. Mayer, Johann Friedrich 277, 284 Meinders, Franz von 82, 88, 92, 135, 162f., 167f., 187, 198–202, 205ff. Melanchthon, Philipp 48 Memel 67 Mengering, Arnold 80 Merchier, Jakob 97, 114f., 173, 192, 195, 223, 226 Merseburg 47, 113, 176 Merula, Georg 51 Meuselwitz 164, 181 Meyfarth, Johann Matthäus 147 Michaelis, Johann Heinrich 282 Minden 66, 69f., 173 Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz 126, 131 Müller, Philipp 126, 150 Müntzer, Thomas 216 Musäus, Johann 145, 152f., 177

N Natzmer, Gneomar Dubislav von 257, 286f. Naumann, Elias 197 Neubauer, Georg Heinrich 286 Neuberger, Theophil 56 Neumarkt 190 Nicolai, Christian 200, 209, 217, 244

O Olearius, August Johann, d. J., 96 Olearius, Gottfried 79f, 101 Olearius, Johann Andreas 96 Olearius, Johann Christian 97, 103f., 140ff., 151ff., 194, 196f., 202, 208f., 215, 235, 239, 248, 304 Olearius, Johann Gottfried, 101 Olearius, Johann, d. Ä., 79, 96

VII. Orts- und Personenregister Olearius, Johannes, d. J., 79f. Öse, Johann Wilhelm 290f. Ostpreußen 60, 91 Ostrowski, Martin von 177

P Pelargus, Christoph 50 Petersen, Johanna Eleonora 38, 143, 165 Petersen, Johann Wilhelm 38, 143, 147, 152f., 165ff., 179, 201, 215, 218 Platen, Heinrich von 207 Poiret, Pierre 274f. Polen 57, 66 Pouchen, Levin 57 Prätorius, Johannes 121, 140, 192f. Preußen 11, 13f., 16–20, 22–25, 29, 33, 36f., 40f., 45ff., 50f., 60f., 66ff., 70, 81, 84f., 91ff., 95, 104, 112, 117, 123, 128, 130ff., 144, 147, 152, 159, 161, 165f., 174, 189f., 201, 216, 220, 223, 225, 250, 255, 263, 300f., 310f. Printzen, Marquard Ludwig von 135, 257, 261, 264, 282, 286, 299 Pufendorf, Samuel von 40f., 62, 122, 127–131, 135, 159ff., 165, 168–172, 175f., 178

Q Quedlinburg 143, 158, 166f., 173f., 201

R Rechenberg, Adam 129, 161, 164, 172 Reich, Johann Jakob 15, 22, 24, 26, 33, 54, 70, 73, 114, 126, 134, 180, 217 Reinecke, Catharina 167 Rhetz, Friedrich von 128ff., 165, 171, 178f., 214, 219, 223, 231, 274, 290f. Richter, Johann 158 Rixner, Heinrich 145 Röber, Paul 80 Rochow, Wolf-Dietrich von 50 Rotth, Albrecht Christian 136–139, 158, 164, 169, 181, 185, 200, 206, 207

341

S Sachse, Karl 50 Sachsen 9, 54, 64, 69f., 78f., 89, 105, 113, 126, 131, 148, 180, 223 Sachsen-Zeitz 126, 131, 163, 180 Schade, Johann Caspar 13, 164f., 181, 229, 257 Schmettau, Heinrich von 255 Schrader, Christoph 21, 69f., 96ff., 102f., 105, 114ff., 140ff., 145f., 151f., 155, 179, 192, 200f., 207, 209–213, 304 Schrader, Gottfried 211 Schubart, Andreas Christof 97, 101, 103f., 272 Schuchardt, Anna Maria 167, 202, 209 Schulenburg, Gustav Adolf von der 80 Schurtzfleisch, Konrad Samuel 175, 177 Schütz, Johann Jakob 215 Schwarz, Adelheid Sybille 202 Schweinitz, Georg Rudolph von 198f., 229, 242, 257, 289, 293 Schwerin, Otto von, d. J., 122 Scriver, Christian 78 Scultetus, Abraham 49 Seckendorff, Veit Ludwig von 155, 163–166, 176, 179–183, 193, 195, 199, 201f., 204–207, 250, 281, 297 Siegfried, Johann Heinrich 217 Simon, Johann Georg 172 Spanheim, Ezechiel von 176f., 255 Spener, Philipp Jakob 11–14, 23f., 37, 43, 120, 125f., 140, 142, 144f., 147, 149ff., 153ff., 157–168, 170, 172ff., 177–181, 183, 187, 192f., 196–207, 213–217, 222–225, 229–232, 237–242, 249f., 255–259, 277, 280, 289f., 293ff., 298, 303, 309 Sperlette, Johann 177f., 268 Stahl, Georg Ernst 156, 173f., 176, 251 Stargard 66 Stendal 51f., 78 Stenger, Johann Melchior 148 Stisser, Wolfgang Melchior 101, 140, 209, 214, 233f., 239, 244, 253, 276, 293 Stosch, Bartholomäus 66 Stößer 140, 238, 243 Straßburg 58, 144 Strimesius, Johann Samuel 256 Stryk, Samuel 42, 107, 128, 156, 171f., 177f., 184, 195, 199, 205, 214f., 217, 219, 220, 240, 243, 250f., 277, 281f., 285, 295, 297, 303

Sturm, Johann Christoph 175ff. Sultzberger, Christian Sigismund 214f., 217

T Tentzel, Johann Christian 291 Thomasius, Christian 21ff., 30, 41, 119f., 122–137, 139f., 142, 144f., 149f., 154–158, 163, 165, 168–172, 175–179, 184–187, 189, 198f., 222, 244, 247, 249ff., 257, 264, 266, 271–299, 301, 303ff., 308f. Thorn 57, 64, 68 Tilsit 67 Titus, Gerhard 145

U Ursinus, Benjamin 97, 115f., 219–222, 224, 256

V Vogler, Jacob 197

W Weigel, Erhard 152 Weißenfels 69, 78, 89, 96, 105, 176 Winckler, Johann Joseph 256 Wittenberg 9, 20, 34ff., 47, 49, 57, 59, 64, 78, 105, 107, 112, 119, 120f., 124f., 127, 136, 144, 147, 149, 152f., 171, 175ff., 189, 221f., 232f., 249f., 283, 303, 307, 309 Wladislaus IV. 57 Wolfenbüttel 55, 121, 143, 146f. Wolff, Christian 141, 177, 230, 244, 258, 266, 298, 309f.

Z Zeidlers, Melchior 59 Zeitz 126, 131, 163, 176, 180 Ziegler, Caspar 107, 171