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German Pages 300 Year 2009
Zeitgeschichtliche Forschungen
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Ernst-Wilhelm Bohle Gauleiter im Dienst von Partei und Staat
Frank-Rutger Hausmann
Duncker & Humblot · Berlin
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FRANK-RUTGER HAUSMANN
Ernst-Wilhelm Bohle
Zeitgeschichtliche Forschungen Band 38
Ernst-Wilhelm Bohle Gauleiter im Dienst von Partei und Staat
Von Frank-Rutger Hausmann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Umschlagbild: Drei Generationen Bohle gratulieren Hitler zum Geburtstag am 20. April 1938 in der Neuen Reichskanzlei (von links nach rechts: Gauleiter Ernst-Wilhelm Bohle, sein Vater Hermann Bohle und sein Sohn Hermann) (Foto aus: Hellmut Kirchner, Hermann Bohle. Leben, Kämpfen und Denken eines Auslandsdeutschen, ca. 1942) Alle Rechte vorbehalten # 2009 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1438-2326 ISBN 978-3-428-12862-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Ernst Wilhelm Bohle, 1933 mit 30 Jahren der jüngste Gauleiter der NSDAP und von 1938 bis 1941 Staatssekretär im Auswärtigen Amt, gehört zwar nicht zur obersten Ebene der Nazi-Hierarchie, sicherlich jedoch zur oberen. Die Geschichtswissenschaft hat sich bisher mit seiner Person nur am Rande beschäftigt und seinen Anteil am Aufbau der von ihm von 1933 bis 1945 geleiteten Auslandsorganisation der NSDAP (AO) und ihrer Propagandaarbeit herausgestellt. Hier sind insbesondere die Arbeiten von Louis de Jong (1959), Adolf Jacobsen (1968), Donald M. McKale (1977) und Jürgen Müller (1997) zu nennen, denen verschiedene, z. T. jüngere Untersuchungen zu einzelnen Ländergruppen der AO hinzuzufügen sind. Die einschlägigen Akten, soweit sie im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin, dem Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, den U.S. National Archives in Washington und dem Institut für Zeitgeschichte in München aufbewahrt werden (insgesamt handelt es sich um ca. 700 Faszikel, die sich direkt oder indirekt mit der AO befassen), sind von den genannten Forschern im Hinblick auf die AO bereits ausgewertet worden. Insbesondere Jacobsen hat eine akribische Grundlagenarbeit geleistet, die allerdings mit dem Jahr 1938 endet. Die von den genannten Forschern erzielten Ergebnisse müssen nicht noch einmal wiederholt werden. Die genauen Titelangaben können der Abschlußbibliographie entnommen werden. Da sich bisher niemand mit Bohles Persönlichkeit, seiner Herkunft, seiner Ausbildung, seiner Ideenwelt, seiner Motivation, sich dem Nationalsozialismus anzuschließen, und auch nicht mit seinem Schicksal nach der Haftentlassung aus Landsberg im Jahr 1949 befaßt hat, gibt es genügend neuen Stoff für eine Biographie, die Verlaufsgeschichte und reflexiver Akt zugleich ist. Die „nackten Tatsachen“ werden dabei auf ihre Inszenierungsbedingungen befragt. Monographien zu einzelnen Gauleitern, soweit sie nicht zugleich auch Minister (Goebbels, Ley, Rust) waren oder sonst ein wichtiges Amt bekleideten (Bürckel, Koch, Sauckel, Schirach, Streicher, Terboven), sind die Ausnahme. In den genannten Fällen haben sich die Biographen in erster Linie ihren Ministeroder Funktionärstätigkeiten als Reichskommissar, Generalbevollmächtigter, Jugendführer, Verleger und Redakteur gewidmet. Der Plan zu einer Bohle-Biographie beschäftigt mich seit langem. Im Hause meiner Großeltern hing bis zum 8. Mai 1945 ein gerahmtes Photo mit der Unterschrift „Drei Generationen Bohle gratulieren dem Führer zum Geburtstag am 20. April 1938 in der Neuen Reichskanzlei“. Es zeigt (von links nach rechts) Adolf Hitler, den Gauleiter Ernst Wilhelm Bohle (Vater), den Gauamtsleiter für
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Technik Prof. Dr. Ing. E.h. Hermann Bohle Sr. (Großvater) und den Hitlerjungen Hermann Bohle Jr. (Sohn). Meine Großmutter, Ida Hausmann geb. Bohle, war eine Schwester von Hermann Bohle Sr. Auch wenn das Verhältnis zu ihren Berliner Verwandten, die in der Familie wegen ihrer zeitweiligen Auswanderung nach Kapstadt „die Afrikaner“ hießen, nicht spannungsfrei war, kam im Aufhängen dieses Bildes ein unübersehbarer Stolz auf den Erfolg des Bruders und seiner Nachkommen zum Ausdruck. Hermann Bohle Sr., gelernter Elektriker, war Ordinarius für Elektrotechnik in Südafrika geworden, der Neffe hatte es zum Gauleiter und Staatssekretär gebracht, der Großneffe zum Gefolgschaftsführer der HJ, und jetzt durften alle drei dem allmächtigen ,Führer und Reichskanzler‘ Adolf Hitler persönlich zu seinem 49. Geburtstag gratulieren. Das Bild wurde 1945 abgehängt und verschwand auf dem Dachboden, „die Afrikaner“, die bei einem Besuch ein riesiges Springbockgeweih als Gastgeschenk hinterlassen hatten, wurden zu legendenumwobenen Personen der Familienmythologie, zu denen der Kontakt einschlief. Erst mit Erreichen des Ruhestandes im Herbst 2006 fand ich Zeit und Muße, mich intensiver den Recherchen über Ernst Wilhelm Bohle (EWB) zu widmen. Zwar waren die einst vorhandenen Briefe längst in alle Winde zerstreut und nur noch in Einzelstücken erhalten, aber es gelang mir, seinen Sohn, Hermann Bohle Jr. (Signy bei Genf), von meinem Projekt zu überzeugen. In persönlichen Gesprächen und intensiver Korrespondenz erfuhr ich viele Details über seinen Vater und seine Mutter, die sich mit den Quellen in Archiven und Bibliotheken zu einem Gesamtbild ergänzen. Zwar ist jede Biographie ein Kunstprodukt, da sie nur das wiedergeben kann, was dokumentiert ist, doch im Falle von EWB sind rekurrente Strukturen in seinem Denken und Handeln nachweisbar, die sich als grundlegend deuten lassen. Die folgende Lebensskizze Ernst Wilhelm Bohles will keine neue Geschichte der Auslandsorganisation der NSDAP, sondern eine politische Biographie ihres Ideengebers und Chefs sein. Eine Gesamtgeschichte der AO würde die Kräfte eines einzelnen übersteigen, da die meisten der über achtzig Landesgruppen ein Eigenleben führten, das individuell erforscht werden müßte, was bisher nur für wenige Länder geschehen ist. Für Bohles Biographie erweisen sich insbesondere die Prozeßakten des Wilhelmstraßen-Prozesses als ergiebig. Die ca. 1200 maschinenschriftlichen Seiten des „Falls Bohle“, die größtenteils im englischen Original bzw. einer deutschen Übersetzung vorliegen, sind eine so reichhaltige Quelle, wie sie ein Biograph oder Historiker nur selten vorfindet. Sie bestehen etwa zu gleichen Teilen aus Plädoyers der Anklage und der Verteidigung, aus in Verhören durch amerikanische Spezialisten gewonnenen Selbstaussagen Bohles, aus eidesstattlichen Erklärungen ehemaliger Vorgesetzter, Kollegen und Untergebener, die z. T. selber auf der Anklagebank saßen, sowie aus Akten des Auswärtigen Amtes und der Berliner Zentrale der Auslandsorganisation. Während die akkusatorischen oder apologetischen Tendenzen der ersten drei Quellengattun-
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gen evident sind, steht die letzte Gruppe nicht nur den inkriminierten politischen Handlungen und Ereignissen am nächsten, sondern ist auch am eindeutigsten, handelt es sich doch um Anfragen, Antworten, Auskünfte und Mitteilungen, Anordnungen, Erlasse und Verfügungen, Berichte, Protokolle oder Ausfertigungen, die entweder politisch-diplomatisch-administrativen oder parteiamtlichen Charakter haben. Dabei ist zu bedenken, daß die verschiedenen Ministerien, Kanzleien und Ämter, die mit Fragen der Auslandsdeutschen befaßt waren, keineswegs an einem Strang zogen, sondern im polykratischen Gefüge des NS-Staates spezifische Eigeninteressen vertraten und sich z. T. gegenseitig auszumanövrieren suchten, doch sind diese höchst unterschiedlichen Aktionsweisen gut erforscht und bekannt. Die Nürnberger Dokumente wurden nach Kriegsende von Ossip K. Flechtheim und seinem Stab in Berlin zusammengetragen. Die Polyphonie der vorliegenden Quellen fordert zwar vom Interpreten eine eigenständige Bewertung, nimmt diese aber bereits ein Stückweit voraus. Dennoch darf er hoffen, zu objektivierbaren Befunden zu gelangen, wenn er die einzelnen Aktenstücke kritisch liest, sie kontextualisiert und miteinander vergleicht. Neue Erkenntnisse ergeben sich, wenn man Beginn und Ende von Bohles Leben in den Blick nimmt. In der folgenden Darstellung werden erstmals sein Elternhaus und die in Südafrika verlebte Jugend, die in Nürnberg, Landsberg und diversen US-amerikanischen Internierungscamps verbrachte Haftzeit vor und nach dem Wilhelmstraßen-Prozeß sowie seine letzten Lebensjahre in Hamburg, in die seine Entnazifizierung und seine Tätigkeit als „Werbeberater für den englischen Sprachbereich“ für zahlreiche überregionale Industrieunternehmen fallen, beschrieben. Wie andere im Ausland aufgewachsene Deutsche seiner Zeit war EWB ein typischer Vertreter des nationalkonservativen Auslandsdeutschtums. Sein deutscher Patriotismus schliff sich in der fremden Umgebung nicht ab, sondern blieb ausgeprägt. Allerdings machte ihn die britische Erziehung, die er in Kapstadt genossen hatte, geschmeidiger als die Mehrzahl seiner deutschen Landsleute in der Heimat. Sie stattete ihn mit einem Gefühl für Fairness und einem Sinn für Pragmatismus aus. Die im Kontakt mit drei Kulturen – der deutschen, der britischen und der südafrikanischen – erworbene Weltläufigkeit prädestinierte ihn zum Diplomaten, und in einem anderen politischen System hätte er es vielleicht an die Spitze des Auswärtigen Amtes gebracht. Er wirkte unter seinen Gauleiterkollegen wie ein Paradiesvogel, was diesen nicht verborgen blieb. Die österreichischen Gauleiter nannten ihn halb ironisch, halb anerkennend den „Gentleman-Gauleiter“. Das Bild, das er von sich der Nachwelt hinterlassen hat, ist vor allem durch sein Zeugnis für Rudolf Heß im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozeß (1945/46) und sein Schuldbekenntnis im Wilhelmstraßen-Prozeß, bei dem er selber auf der Anklagebank saß, geprägt. Er erwies sich als eine Persönlichkeit, die sich im privaten und offiziellen Umgang durch Liberalismus und Großzügigkeit vom üblichen Profil der Mehrheit der Naziführer unterschied. Insofern liefert sein Porträt eine wichtige Kontrastfolie,
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an der andere Parteiführer und Staatsbeamte in ähnlicher Position gemessen werden können. Schon früh rückt sein älterer Halbbruder Heinrich ins Bild, den er 1941 in den diplomatischen Dienst holte und der nach dem Krieg in der Schweizer Industrie Fuß faßte. Heinrich Bohle bewunderte seinen jüngeren Bruder und eiferte ihm in vielen Dingen nach. Ihre deutschnationale Einstellung war jedoch nicht, wie man annehmen könnte, ein Ergebnis des Ersten Weltkriegs und des Versailler Friedensvertrags, Ereignisse, die sie als Jugendliche oder junge Erwachsene wahrnahmen, sondern vor allem der konsequenten Erziehung durch ihren Vater Hermann Bohle Sr. Ihm, einem aus dem Oberbergischen, der Landschaft zwischen Rheinland und Westfalen stammendem Elektrotechniker, der es in Kapstadt als Selfmademan zum ingenieurwissenschaftlichen Ordinarius gebracht und sich dort als Vorkämpfer des Auslandsdeutschtums betätigt hatte, kommt für die politische Ausrichtung der Söhne eine Schlüsselrolle zu. Seine prodeutsche Gesinnung war lange vor 1914 ausgeprägt und verfestigte sich im Lauf der beruflichen Tätigkeit in Großbritannien und seiner südafrikanischen Kolonie, da er sich, obschon britischer Staatsbürger, wegen seiner deutschen Herkunft benachteiligt fühlte. In süd- und südwestafrikanischen Archiven zutage geförderte Unterlagen differenzieren das Bild des Musterdeutschen, als den er sich selber darstellte. Wenn es ihn opportun dünkte, profitierte er von seiner Doppelstaatsangehörigkeit, indem er einmal die deutsche, ein andermal die britische Karte ins Spiel brachte. Da die meisten Überseedampfer, mit denen man vor dem Zweiten Weltkrieg von Deutschland nach Afrika und zurück reiste, in Hamburg abfuhren und anlegten, wurde diese Stadt zur zweiten Heimat der Kapstadter Familie Bohle. Hierhin zog es auch den jungen Diplomkaufmann Ernst Wilhelm nach Abschluß seines Studiums in Köln und Berlin Ende der zwanziger Jahre. Zahlreiche in- und ausländische Exportfirmen unterhielten in der Hansestadt Kontore und boten Berufsanfängern gute Arbeitsmöglichkeiten. EWB kam mit anderen „Afrikanern“ in Berührung, die sich 1931 entschlossen, eine Auslands-Abteilung der NSDAP zu gründen, die nicht mit dem von Alfred Rosenberg geleiteten ,Außenpolitischen Amt‘ (APA) der NSDAP verwechselt werden darf. Bohle schloß sich dieser Auslands-Abteilung als freiwilliger Mitarbeiter an. Auch als dieses Amt, das später in Auslandsorganisation (AO) umbenannt wurde, im März 1935 seine Zentrale nach Berlin verlagerte, kehrte er immer wieder nach Hamburg zurück. Hierhin zog es ihn folgerichtig auch nach seiner Haftentlassung, wobei private Gründe für diesen Entschluß den Ausschlag gaben. In seinem Prozeß hat er sich später darauf berufen, in Hamburg, das bis 1933 sozialdemokratisch regiert worden sei, bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme nie etwas von anti-jüdischen Ausschreitungen mitbekommen zu haben. Erst der reichsweite Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April 1933 habe ihn mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus konfrontiert.
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Wenngleich Bohle gelegentlich „liberaler“ als die meisten anderen Gauleiter agierte, darf man seine nationalsozialistische Grundeinstellung nicht unterschätzen. Er war ehrgeizig und wollte die Auslandsorganisation langfristig in ein eigenständiges Reichsministerium verwandeln. Als dies nicht glückte, visierte er das Außenministerium an. Anfangs 1935 brüstete er sich damit, die AO besitze im Ausland bereits 500 Ortsgruppen und beschäftige in der Hamburger Zentrale über 170 Funktionäre. Zwei Jahre später arbeitete in der Berliner Zentrale ein Stab von 800 Mitarbeitern, die etwa 30.000 im Ausland lebende Parteigenossen und 22.500 Seeleute zu betreuen hatten. Ihre Blütezeit hatte die zu einer eindrucksvollen Behörde angewachsene AO zwischen 1935 und 1938, als Hitlers Außenpolitik immer aggressiver wurde. Die Auslandsgruppen versuchten, die deutschen Gemeinden vor Ort zu unterwandern und der deutschen Außenpolitik Rückhalt zu verschaffen. Dies führte in Nord- und Südamerika, aber auch in Südafrika zu Konflikten, nicht nur innerhalb der auslandsdeutschen Gemeinden, sondern auch mit den einheimischen Behörden und einer immer größer werdenden deutschlandkritischen Öffentlichkeit. Dagegen gelang es den Landesgruppen der AO in China, Ägypten, Großbritannien, den Niederlanden und Spanien, die lokalen deutschen Gemeinden weitgehend ,gleichzuschalten‘. Die Landesgruppe der AO in Österreich hatte im Schulterschluß mit den österreichischen Nationalsozialisten einen nicht zu unterschätzenden Anteil am ,Anschluß‘ im März 1938, und auch die Schweizer Landesgruppe blieb trotz eines zeitweiligen Verbots bis zum Kriegsende aktiv. Bisher nie wirklich untersucht wurde die Rolle der AO und ihrer Landesgruppen als ausländische „Türöffner“ der deutschen Industrie und Bankenwirtschaft, zumal der I.G. Farben, der Dresdner und der Deutschen Bank. Während die I.G. Farben in Lateinamerika und Osteuropa zahlreiche nationale Tochterfirmen unterhielt, in denen einflußreiche Mitglieder der AO Schlüsselpositionen bekleideten, so daß nicht nur deutsche Produkte abgesetzt, sondern wichtige Informationen über die ökonomische und politische Lage der betreffenden Länder gewonnen und nach Deutschland weitergegeben wurden, stellten die genannten Banken Kredite zur Verfügung, garantierten den Geldtransfer und erwarben Anteile einheimischer Banken, wodurch sie fremde Wirtschaftssysteme den Zielen der nationalsozialistischen Politik dienstbar machten. Im Wilhelmstraßen-Prozeß spielten diese Tatsachen bei der Anklage und der Verurteilung Bohles erstaunlicherweise keine Rolle. Die Ermittlungen gegen die I.G. Farben, die Dresdner und die Deutsche Bank in den Nürnberger Nachfolgeprozessen belegen jedoch Bohles Mitgestaltung an den engen Verbindungen zwischen der AO und den genannten Unternehmen. Mit Kriegsbeginn wurde die überseeische Kommunikation zwischen der Berliner Zentrale und den ausländischen Landesgruppen zuerst erschwert, dann nahezu unmöglich. Ein überseeisches Land nach dem anderen ging für die AO verloren, vor allem nach der deutschen Kriegserklärung an die USA am
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11. Dezember 1941, als bis auf Argentinien und Chile die mittel- und südamerikanischen Länder ihre Neutralität aufgaben und Deutschland den Krieg erklärten. Das politische Interesse der NS-Führung hatte sich im übrigen längst auf Ost- und Südosteuropa konzentriert, wo die AO wegen der großen Zahl dort lebender Volksdeutscher keine besondere Rolle spielte. Diese Volksdeutschen sollten langfristig nach Deutschland umgesiedelt werden oder in den Reichskommissariaten Siedlungskerne wehrhafter Deutscher in slawischem Umland bilden, um im Verein mit Wehrmacht und SS die deutsche Zwangsherrschaft zu konsolidieren. Bohle hätte sich gerne die Betreuung der Volksdeutschen gesichert. Im Ringen mit ihren Vorkämpfern Karl Haushofer, Vordenker der deutschen Geopolitik und damit zusammenhängender Lebensraumkonzepte, sowie dem VDA-Bundesleiter Hans Steinacher erzielte Bohle zwar gewisse Anfangserfolge, mußte jedoch schon bald die Betreuung der Volksdeutschen der von der SS dominierten ,Volksdeutschen Mittelstelle‘ (VoMi) überlassen und sich auf die wesentlich geringere Zahl der reichsdeutschen Parteigenossen im Ausland konzentrieren. Ernst Wilhelm Bohle, der überzeugte Auslandsdeutsche, war seit 1933 einer der engsten Vertrauten eines anderen Auslandsdeutschen, des in Alexandria in Ägypten geborenen und aufgewachsenen Rudolf Heß. Zwei weitere Auslandsdeutsche, der Balte Alfred Rosenberg und der bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs aus Kanada nach Deutschland zurückgekehrte Joachim von Ribbentrop, machten Bohle als Rivalen um die Führung der Reichs- und Volksdeutschen im Ausland das Leben schwer. Doch solange Heß als Stellvertreter des ,Führers‘ und Vorgesetzter Bohles amtierte, konnte sich dieser sicher fühlen. Seine Übernahme als Staatssekretär z. b. V. ins Auswärtige Amt im Januar 1937 war ein wichtiger Karriereschritt. Durch den Englandflug von Rudolf Heß am 10. Mai 1941, von dem Bohle zwar nichts wußte, an dem er jedoch als Übersetzer wichtiger Dokumente ins Englische indirekt beteiligt war, erlitt er einen Karriereknick, der zu seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Amt führte. Seine Versuche, sich mit Himmler, Goebbels und Ley zu verbünden, um wieder an Einfluß zu gewinnen, hatten keinen durchschlagenden Erfolg. Bohle war ein gutaussehender Mann und vielbeschäftigter Redner, der in offizieller Mission gelegentlich ins Ausland reiste und dessen Auftritte auch international beachtet wurden. Mehrere seiner Reden und offiziellen Verlautbarungen aus den Jahren 1934 bis 1944 sind erhalten. Sie erlauben Einblicke in sein Denken und Trachten. Bohle lernte wichtige Regierungschefs einiger mit Deutschland befreundeter oder von ihm besetzter Länder kennen (Ion Antonescu, Horthy, Mussolini, Pavelic´, Quisling und Tiso). Sein von ihm immer wieder in Erinnerung gerufenes Treffen mit Churchill im Jahr 1937 galt ihm als Höhepunkt seiner Karriere. Bohles vollständig oder in Auszügen gedruckte Reden zeigen einen überzeugten Nationalsozialisten. Dies scheint in Widerspruch zu dem Bild zu stehen, das
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von ihm überliefert ist. Als Gauleiter und Staatssekretär war er einer ganz bestimmten Rhetorik verpflichtet und konnte dennoch später glaubhaft machen, daß er von den Verbrechen des Regimes nichts Genaues gewußt oder die Andeutungen, die ihm zu Ohren kamen, nicht wirklich verstanden hatte. Nachforschungen stellte er nicht an, denn sie wären höchst gefährlich gewesen. Sein Berliner Hausarzt Dr. Georg Groscurth, der auch die Familie von Rudolf Heß behandelte, war der Gründer der Widerstandsgruppe „Europäische Union“, was Bohle nicht wußte. Er wurde am 4. September 1943 verhaftet und am 8. Mai 1944 in Brandenburg-Görden enthauptet. Nach einem Konsultationsbesuch hörte Bohles Sohn Hermann Jr. den Vater sagen: „Groscurth redet sich noch um Kopf und Kragen“. Daß ein führender Mann des deutschen Widerstandes einem Spitzen-Nazi so weit vertraute, um sich offen mit ihm auszutauschen, spricht für EWB. Es kann jedoch keinem Zweifel unterliegen, daß er viele Jahre lang „fanatisch“ hitlergläubig war und zur Stärkung des NS-Regimes beigetragen hat. Daher ehrt es ihn, daß er sich als einziger von allen vor dem alliierten Tribunal in Nürnberg Angeklagten für schuldig erklärt, den verbrecherischen Charakter des Nazi-Regimes anerkannt und zutiefst bedauert hat. Er tat dies aus der Überzeugung heraus, daß die Vernichtung der europäischen Juden, deren unfaßbare Einzelheiten er erst in Nürnberg erfuhr, das schrecklichste Verbrechen der Menschheitsgeschichte sei und gesühnt werden müsse. Bohle wurde am 13. April 1949 zu fünf Jahren Haft verurteilt, mußte jedoch nur ein halbes Jahr davon absitzen, weil man stillschweigend seine seit dem 23. Mai 1945 dauernde Untersuchungshaft auf diese Strafe anrechnete. Er wurde am 21. Dezember 1949 von dem amerikanischen Hochkommissar John Jay McCloy begnadigt und auf freien Fuß gesetzt. Die ihm noch verbleibenden elf Jahre nutzte er, um als Kaufmann in der jungen Bundesrepublik eine eigene Beraterfirma aufzubauen. Dies wurde ihm nicht leichtgemacht, denn er hatte zwar in Nürnberg und Landsberg einige der führenden Industriemagnaten der NS-Zeit wiedergetroffen, die schon bald auch das Wirtschaftsleben der Bundesrepublik dominierten, doch für ihn fielen nur Brosamen ab. Andere nahmen ihm sein Schuldbekenntnis übel und brandmarkten ihn als Verräter oder Opportunisten. Als er am 9. November 1960 in Düsseldorf an einem Herzinfarkt starb, hatte er es zwar geschafft, seinen Lebensunterhalt als selbständiger Kaufmann zu verdienen, aber für jemanden, der einmal mit den Mächtigen der Welt verkehrt und einige Jahre lang eine glanzvolle Karriere gemacht hatte, bedeutete diese Existenz einen tiefen Fall. An der Wand seines Hamburger Büros hing bis zum Schluß sein „Hausiererschein“, der ihm 1950 den Verkauf von Herrenunterbekleidung erlaubt hatte. Zum Abschluß sollen noch zwei technische Hinweise mitgeteilt werden: Die nichtreformierte deutsche Rechtschreibung wurde beibehalten, um Konfusion zu vermeiden, denn in dieser Form wurde auch die Großzahl der benutzten Archivalien abgefaßt, die stets in ihrer Originalschreibweise zitiert werden. Nur evi-
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dente Schreibfehler wurden stillschweigend verbessert. Bei Literaturnachweisen wird der Verlagsnahme nur bei ausländischen Titeln genannt, die Abschlußbibliographie verzeichnet nur mehrfach benutzte oder besonders wichtige Titel. Die vorliegende Lebensskizze wäre nicht ohne die Hilfe von Bohles Sohn Hermann zustande gekommen. Er stellte mir die aus dem Nachlaß seines Vaters erhaltenen Dokumente zur Verfügung, erzählte mir zahlreiche Details aus dem Leben seiner Eltern und war der erste kritische Leser dieser Biographie. Auch vermittelte er den Kontakt zu seinem Vetter Immo Franke (Isernhagen), der weitere Ergänzungen beisteuerte. Zu danken habe ich für wichtige Auskünfte Anita Bohle (Bergneustadt), RA Dietrich Bohle (Güstrow), Dipl.-Volkswirt Frank Bohle (Bergneustadt), Dr. med. Stefan Bohle (Gummersbach), Prof. Dr. Hanns Axel Hausmann (Aachen) und J. Boris Hausmann (Bergneustadt). Den folgenden Archivaren und Bibliothekaren schulde ich ebenfalls Dank für vielfältige Hilfe: Anja Adelt (Landesarchiv Baden-Württemberg, Stuttgart), Michael Albrecht (Landesarchiv Berlin), Michael Becker (Wissenschaftskolleg Berlin), Catherina Amelia Brink (Durbanville Cape Town), John Brooker (Special Collections Librarian, J. B. Priestley Library, University of Bradford), Kerstin Brunner (Schweizerisches Bundesarchiv Bern), Alice Cullingford (Special Collections Librarian, J. B. Priestley Library, University of Bradford), Dr. Klaus Dettmer (Landesarchiv Berlin), Claudia Edler (Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg), Dr. Ingeborg Feige (Caritasbibliothek Freiburg i. Br.), Gunther Friedrich (Staatsarchiv Nürnberg), Dr. Martin Früh (Landesarchiv NRW – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf), Marion Gillum (Deutsches Rundfunkarchiv, Wiesbaden), Dr. Werner Hagmann (Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich), Lesley Hart (Special Collections, University of Cape Town Libraries Rondebosch), Johannes Hartmann (Stadtarchiv Sulzbach-Rosenberg), RA Anna Jungfer (Rechtsanwaltskammer Hamburg), RA Gerhard Jungfer (Berlin), Dr. Gerhard Keiper (Auswärtiges Amt, Politisches Archiv, Berlin), Dikeledi Khukhele (National Archives of South Africa, Pretoria), Dr. Peter Klefisch (Landesarchiv NRW – Hauptstaatsarchiv Düsseldorf), Corinna Knobloch (Landesarchiv Baden-Württemberg, Abt. Staatsarchiv Sigmaringen), Dr. Martin Kroeger (Auswärtiges Amt, Politisches Archiv, Berlin), Manuela Lange (Bundesarchiv Koblenz), Kerstin Letz (Archiv der Hansestadt Lübeck), Joachim Lilla (Stadtarchiv Krefeld), Prof. Dr. Donald M. McKale (Clemson University, South Carolina), Petra Mörtl, M. A. (Institut für Zeitgeschichte, München), Dr. Roland Müller (Stadtarchiv Stuttgart), Volker Reißmann (Staatsarchiv Hamburg), Dr. Klaus Schreiber (WLB Stuttgart), Christian Wagener (HMR Produktion, Mediapark Köln), Melanie Wehr (Bundesarchiv Ludwigsburg), Klaus Weichert (Archivar der JVA Landsberg), Torsten Zarwel (Bundesarchiv Berlin) und Stefan Zenker (Sollentuna).
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Abschließend möchte ich auch bei diesem Buchprojekt der ABH-Stiftung Freiburg i. Br. für ihre großzügige und unbürokratische Hilfe danken. Sie stellte mir einen erheblichen Betrag für Photokopien zur Verfügung, ersparte mit einige lästige Reisen und ermöglichte mir dadurch ein konzentriertes Arbeiten. Marion Konrad danke ich für eine kritische Lektüre des Manuskripts. Wasenweiler am Kaiserstuhl, 2008
Frank-Rutger Hausmann
Inhalt I.
Herkunft und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. „Sippe“ und Familie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jugend in Südafrika, Studium und erste Berufstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Im Dienst von Partei und Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abteilungsleiter oder Gauleiter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Schützling von Rudolf Heß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Theoretiker der Auslandsorganisation der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reichsdeutsche und Volksdeutsche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Übersiedelung nach Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . 7. Das Amt Seefahrt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Die Festigung der Auslandsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Die Reichstagungen der Auslandsorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Staatssekretär im Auswärtigen Amt und „Nebenaußenminister“ . . . . . . . . . 11. Vom „Anschluß“ zur „Reichskristallnacht“ – das Jahr 1938 . . . . . . . . . . . . 12. In Ungnade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Zusammenarbeit mit Himmler und Goebbels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14. Auslandsreisen im Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
53 53 64 69 76 87 97 108 111 120 133 153 163 176 187
III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zeuge der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß . . . . . . . . . . . . 2. Wilhelmstraßen-Prozeß und Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Landsberg und die vorzeitige Freilassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Exkurs: Heinrich Bohle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196 196 212 231 237
IV. Der mühsame Neuanfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Werbeberater in Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Ein früher Tod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 Anhang: Ernst Wilhelm Bohle: „Why Germany Failed“ (ca. 1946/1947) . . . . . 261 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 Mehrfach zitierte Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289
Verzeichnis der Abkürzungen AA ACLU ADAP AGO AMGOT APA APO BArch BBB BBC Bd., Bde BDA, B.D.A. BdA BHDAD Bl. BND BZ, B.Z. CBS CIC C-in-C, CINC DAAD DAF DAI, D.A.I. DB Dok. DP Dpa DRA DRK DSAG DUT DWD EGKS EK I ETH
Auswärtiges Amt American Civil Liberties Union Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik American Government Officer Allied Military Government for Occupied Territories Außenpolitisches Amt der NSDAP Army Post Office Bundesarchiv Büro Bohle Brüssel British Broadcasting Corporation Band, Bände Bund der Auslandsdeutschen Bund deutscher Arbeitgeberverbände Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes (bisher 3 Bde.) Blatt, Blätter Bundesnachrichtendienst Berliner Zeitung Columbia Broadcasting System Counter Intelligence Corps Commander in Chief Deutscher Akademischer Austauschdienst Deutsche Arbeitsfront Deutsches Ausland-Institut, Stuttgart Deutsche Bibliothek, Leipzig Dokument Deutsche Partei Deutsche Presse-Agentur Deutsches Rundfunkarchiv, Wiesbaden Deutsches Rotes Kreuz Deutsch-Südafrikanische Gesellschaft Deutsche Umsiedlungs-Treuhandgesellschaft Deutscher Wirtschaftsdienst, Köln Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl Eisernes Kreuz I. Klasse Eidgenössische Technische Hochschule, Zürich
Verzeichnis der Abkürzungen EU EWB EWG F.A.Z., FAZ FFKG FIR Fotok. FRH Gestapo HJ HStA IAI IBDCEE IfZ ILL IMT Jg. Jr. JVA KdF KV KVK LA LGL LKL LVM MA MaK MNN Ms. MZ NA NAMP NAN NARA NAREF NAREM NASA NEI NKWD
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Europäische Union Ernst Wilhelm Bohle Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Frankfurter Allgemeine Zeitung Friedrich Flick Kommandit-Gesellschaft, Berlin, später Düsseldorf Final Interrogation Report Fotokopie Frank-Rutger Hausmann Geheime Staatspolizei Hitlerjugend Hauptstaatsarchiv Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945 Institut für Zeitgeschichte, München Illinois, USA Internationales Militär-Tribunal, Nürnberg Jahrgang Junior Justizvollzugsanstalt Kraft durch Freude Kriegsverbrecher Kriegsverdienstkreuz Landesarchiv, Berlin Landesgruppenleiter Landeskreisleiter Landesvertrauensmann Mikrofilm-Archiv Maschinenbau Kiel Münchner Neueste Nachrichten Manuskript Mitgliederzahl National Archives National Archives (Washington), Microfilm Publications National Archives of Namibia, Windhoek National Archives and Records Administration, Washington National Archives Registers of Photographs National Archives Registers of Manuscripts National Archives of South Africa, Durban Netherlands East Indies Narodny Kommissariat Wnutrennich Djel (Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten)
18 NRW NS NSDAP NSKK NSRB N.Z. Z., NZZ OCCWC OG OGL OKW O.M.G.U.S., OMGUS ORR OSS PA PA AA Pg. P.O. ProMi RA RAD RAM RF RM, RM. RMVP, RMfVuP RPL RRG RSHA SA SD SPD SPD Sr. SRP SS StA STA stellv StGB TB TCR TWB
Verzeichnis der Abkürzungen Nordrhein-Westfalen Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps Nationalsozialistischer Rechtswahrerbund Neue Zürcher Zeitung Office of Chief of Counsel for War Crimes Ortsgruppe Ortsgruppenleiter Oberkommando der Wehrmacht Office of Military Government for Germany (U.S.) Oberregierungsrat Office of Strategic Services Pennsylvania Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin Parteigenosse Oberste Leitung der Parteiorganisation Propagandaministerium (s. auch: Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda) Rechtsanwältin, Rechtsanwalt Reichsarbeitsdienst Reichsaußenminister Rangfolge Reichsmark Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Reichspropagandaleitung Reichs-Rundfunk-Gesellschaft Reichssicherheitshauptamt der SS Sturmabteilung Sicherheits-Dienst der SS Subsequent Proceedings Division Sozialdemokratische Partei Deutschlands Senior Sozialistische Reichspartei Deutschlands Schutzstaffel Staatsarchiv Stadtarchiv stellvertretend Strafgesetzbuch Joseph Goebbels, Tagebücher Timecode recorder Technisch-Wirtschaftlicher Beratungsdienst
Verzeichnis der Abkürzungen UCT unnum. USB USFET USNAMS VB VDA VDV VLR VoMi VR WCPL WHW WIS WL z. b. V.
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University of Cape Town unnumeriert Universitäts- und Stadtbibliothek, Köln United States Forces European Theater U.S. National Archives Microfilm Series Völkischer Beobachter Verein für das Deutschtum im Ausland Verband Deutscher Vereine im Ausland Vortragender Legationsrat Volksdeutsche Mittelstelle Volksdeutscher Rat War Criminals Prison No. 1 Landsberg Winterhilfswerk Wisconsin, USA The Wiener Library Institute of Contemporary History, London zur besonderen Verwendung
I. Herkunft und Jugend 1. „Sippe“ und Familie Am 8. Mai 1933 wurde der am 28. Juli 1903 in Bradford (West-Yorkshire) geborene Ernst Wilhelm Hans Bohle zum Leiter der Auslandsabteilung der NSDAP ernannt; fünf Monate später, am 3. Oktober 1933, wurde ihm der Rang eines Gauleiters zugesprochen. Er war damit der zu diesem Zeitpunkt jüngste Gauleiter der NSDAP überhaupt.1 Als weitere Besonderheit konnte er vorweisen, nicht nur deutscher, sondern auch britischer Staatsangehöriger zu sein,2 ein Zustand, den er erst 1937 auf ausdrücklichen Wunsch Hitlers änderte.3 Hätte er dies nicht getan, hätte ihn 1945 das gleiche Schicksal wie William Joyce ereilen können, der unter dem Spitznamen Lord Haw-Haw für den Großdeutschen Rundfunk in englischer Sprache Nachrichten verlesen hatte: der Tod durch den Strang.4 Diese Vermutung ist nicht ganz abwegig. Der bis einige Monate vor
1 Karl Höffkes, Hitlers politische Generale. Die Gauleiter des Dritten Reiches. Ein biographisches Nachschlagewerk, Tübingen, 2. Aufl. 1997 (Veröffentlichungen des Institutes für deutsche Nachkriegsgeschichte; 12), S. 32–33. Später gab es noch jüngere Gauleiter als Bohle, z. B. den Gauleiter des Gaues Oberösterreich, August Eigruber (1907–1946), ebd., S. 63. Wilhelm Karpenstein, geb. am 24. Mai 1903, Gauleiter des Gaues Pommern vom 1.4.1931 bis zum 21.7.1934, war nur zwei Monate älter als EWB (ebd., S. 176). Nach dem ,Anschluß‘ wurden in der ,Ostmark‘ mehrere noch jüngere Gauleiter als er ernannt. – Eine knappe, aber detaillierte Biographie liefert Joachim Lilla unter Mitarbeit von Martin Döring [Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien], Statisten in Uniform: Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945; ein biographisches Handbuch; unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924, Düsseldorf, 2004 (Eine Veröffentlichung des Instituts für Zeitgeschichte und der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien), Nr. 91, S. 91–92. Lilla gibt im Anschluß an Jacobsen (s. u.) als Datum der Ernennung Bohles zum Gauleiter den 17.2.1934 an. – Vgl. auch: Robert Wistrich, Wer war wer im Dritten Reich: Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft. [Aus d. Engl. übers. von Joachim Rehork], München, 1983, S. 25–26. 2 Trials of War Criminals before the Nuernberg Military Tribunals under Control Council Law No. 10. Nuernberg October 1946–April 1949, „The Ministries Case“, Washington: US Government Printing Office, 1952, S. 1197: „Owing to my birth in England, my status was that of a natural born British subject; but I simultaneously derived German nationality from my father, who had been naturalized with the stipulation in his naturalization papers that he could retain his German citizenship when in Germany. I therefore had dual nationality“. 3 Zur Niederlegung der britischen Staatsangehörigkeit vgl. das Schreiben Bohles vom 17.8.1937 an Himmler (Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm); zu seiner Auswertung s. u., Kap. II.10.
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I. Herkunft und Jugend
der deutschen Kriegserklärung an die USA am 11. Dezember 1941 als CBSKorrespondent in Berlin akkreditierte Journalist Edwin Hartrich dämonisierte Bohle in der britischen Tageszeitung „News Chronicle“, die später im „Daily Mail“ aufging, als „Commander in Chief and real boss“ aller Quislinge, Musserts und Fritz Kuhns,5 der sich zwar harmlos gebe, aber die Fäden eines europaweiten Netzes von Verrätern und Kollaborateuren in der Hand halte und diese mit großen Summen ihm frei zur Verfügung stehender Geldmittel alimentiere.6 Sein Artikel spiegelt die Wut der britischen Öffentlichkeit auf ihren angeblich abtrünnigen Staatsbürger. Ernst Wilhelm Bohle hatte nach dem bei seiner Geburt in Großbritannien und seinen Dominions geltenden Ius-soli-Prinzip die britische Staatsbürgerschaft erworben. Diese behielt er auch, als die Familie im Jahr 1906 nach Kapstadt, der damaligen Hauptstadt der britischen Kapkolonie, übersiedelte. Die Gründung der Südafrikanischen Union im Jahr 1910, die durch den Zusammenschluß der Kapkolonie mit den Provinzen Natal, Transvaal und dem Oranjefreistaat entstand, änderte nichts daran. Obwohl Bohle und seine vier Geschwister nie eine deutsche Schule besuchten, wurden sie von ihren Eltern, Hermann Bohle Sr. und Antonie Bohle geborene Knode, bewußt deutsch erzogen. Deutsch war zu Hause die einzig erlaubte Sprache. Um dieses Bekenntnis zu Deutschland und zum Deutschtum zu verstehen, muß man die von Hermann Bohle Sr.7 als unbestrittenem Oberhaupt geprägte Familiengeschichte in Erinnerung rufen. Er wurde 1876 in der Kleinstadt Bergneustadt (bis 1884 Neustadt) im heutigen Oberbergischen Kreis (Regierungsbezirk Köln) geboren und hatte einen älteren Bruder Ernst Wilhelm (1871–1951) sowie eine jüngere Schwester Ida (1886–1955); ein weiterer Bruder und eine jüngere Schwester waren früh gestorben. Ihre Eltern waren Friedrich Wilhelm Bohle (1845–1918), der über fünf4 Mary Kenny, Germany calling: a biography of William Joyce, „Lord Haw-Haw“, Dublin: New Island, 2004 (rev. and updated). 5 Vidkun Quisling (1887–1945), norwegischer, Anton Adriaan Mussert (1894– 1946) niederländischer und Fritz Kuhn (1896–1951) US-amerikanischer Nazikollaborateur, letztgenannter deutscher Herkunft. 6 Edwin Hartrich, C-in-C of the Traitors. First of two important articles telling for the first time the story of the Yorkshire-born Nazi who has created the world-wide German system of traitors, in: NEWS CHRONICLE, 4.8.1941: „The world today realises how well these judicious investments in treachery have profited Hitler and his gang. Foreign propaganda work was transferred to Goebbels. Bohle’s Büro expanded in another direction. One by one his field agents took control of the German Bunds and other Teutonic social and fraternal organisations throughout the world“. Hartrich (1913–1995), der nach dem Krieg den Aufstieg der Bundesrepublik kritisch begleitete, hatte in der NS-Zeit zweimal vergeblich versucht, Ernst Wilhelm Bohle zu interviewen. Das Braune Haus habe die Ablehnung mit der Frage begründet: „Why do you want to see Herr Bohle, who is not an important Nazi?“ Dieser Satz forderte geradezu seine Neugierde heraus. 7 Hermann Bohle (4.10.1876 Bergneustadt–12.7.1943 Berlin).
1. „Sippe‘‘ und Familie
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zig Jahre lang in der Bergneustädter Textilfabrik Christian Müller als Weber gearbeitet und sich zum „Werkmeister“ emporgearbeitet hatte,8 und Ida Fernholz (1848–1926), die beide aus Bergneustadt stammten. Bergneustadt sollte für die nach Großbritannien bzw. Südafrika ausgewanderten Brüder Ernst Wilhelm Sr. und Hermann Sr. immer ein wichtiger Bezugspunkt bleiben, zu dem sie regelmäßig zurückkehrten, so lange die Mutter lebte. Sie starb am 23. März 1926; der Vater war bereits am 3. Juni 1918 vorangegangen. Die mit dem Versicherungskaufmann Fritz Hausmann verheiratete Schwester Ida erbte das Elternhaus und verwaltete die geschäftlichen Angelegenheiten der beiden ins British Empire verzogenen Brüder. Der jüngere Ernst Wilhelm Bohle (in der Familie der „kleine EW“ genannt) wird nach dem Ersten Weltkrieg zusammen mit seinem Halbbruder Heinrich eine Zeitlang in Bergneustadt als kaufmännischer Angestellter arbeiten. Die in Westfalen und im Rheinland verbreitete Familie Bohle hatte ursprünglich mehrere evangelische Pfarrer und Unternehmer hervorgebracht,9 aber der Bergneustädter Zweig bestand ausschließlich aus Fabrikarbeitern, Handwerkern und Kleinbauern. Das von Hermann Bohle Sr. geführte Familienwappen, das einen stehenden Löwen mit roter Zunge und roten Krallen zeigt, der von drei „Bohlen“ in der Mitte gekreuzt wird, ist ein Phantasieprodukt. Der Name Bohle hat nichts mit Bohlen und Balken zu tun, sondern kommt vom althochdeutschen Substantiv buole („naher Verwandter, Geliebter, Buhle“). Auch hätte sein nüchterner Vater, der „Werkmeister“, über einen derartigen Wappenschmuck nur den Kopf geschüttelt und ihn als seines Standes für unpassend erklärt. Sein Sohn Ernst Wilhelm Jr. verschmähte dieses Wappen ebenfalls, als der Reichsführer SS im Jahre 1939 die Wappen aller SS-Obergruppen- und Gruppenführer in der SS-Schule Wewelsburg anbringen lassen wollte. Er erklärte sich wahrheitsgemäß für wappenlos.10 Eigene Wohnhäuser mit Stallungen und Gemüsegärten, dazu ein kleiner Streubesitz an Wiesen- und Waldstücken in der näheren Umgebung, sorgten für einen bescheidenen Wohlstand bei den Bergneustädter Bohles. Durch die Fabrikarbeit wurde das nötige Bargeld hinzuverdient. Mehrere Mitglieder der Fa8 Ernst Branscheid, Beiträge zur Chronik von Bergneustadt, Waldbröl, 1937, Abb. zwischen den S. 96 u. 97 („Veteranen der Arbeit“). 9 Frank-Rutger Hausmann, Die evangelischen Pfarrer aus der Familie Bohle im Bergischen, in: Monatshefte für Evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 20, 1971/72, S. 284–294; Fritz Bohle, Chronik der Familie Bohle, Düsseldorf (Selbstverlag), 1986. 10 Berlin, BArch BDC/SSO-Bohle, Ernst Wilhelm, Schreiben vom 3.4.1939 bzw. 11.4.1939 (Bohle an SS-Gruppenführer Wolff, Chef des Persönlichen Stabes): „In Beantwortung Ihres Schreibens vom 3.4. d.J.s muß ich Ihnen mitteilen, daß ich Ihnen aus dem Grund mein Familienwappen leider nicht zur Verfügung stellen kann, weil ich es bei meiner bisherigen Ahnenforschung noch nicht entdeckt habe. Bis jetzt bin ich also ,wappenlos‘“.
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I. Herkunft und Jugend
milien Bohle und Fernholz zeichneten sich durch Strebsamkeit und rasche Auffassungsgabe aus, so daß ihnen, verbunden mit unternehmerischem Wagemut, ein gesellschaftlicher Aufstieg glückte. Hermann Bohle, der im Elternhaus nur Plattdeutsch hörte und sprach, sagte über die Menschen seiner Heimat: Die Bergneustädter sind eigentlich Sachsen, genau wie die Westfalen, und haben deshalb auch die Charakterzüge der letzteren. Der Fremde wird zuerst mit Mißtrauen betrachtet. Die Leute sind außerordentlich fleißig, aber auch gleichzeitig aufeinander eifersüchtig. Die Ehrlichkeit ging ihnen über alles. Rechnungen kannte man nicht. [. . .] Eine abgeschlossene Haustür, wenn man aus dem Hause ging, gab es nicht, oder man legte den Hausschlüssel so, daß ihn jeder sehen konnte. Neustadt hatte seinerzeit ungefähr 1.000 Einwohner, und da unsere Familie schon einige hundert Jahre ansässig war, waren wir fast mit der ganzen Stadt verwandt. Es gab kaum eine alteingesessene Familie, mit der wir nicht auf irgendeine Art und Weise versippt waren. Dies wurde uns Kindern immer recht augenscheinlich, wenn ein besonderes Ereignis eingetreten war und wir der ganzen Sippe mündlich Bescheid sagen mußten. Solche Gelegenheiten waren zumeist Begräbnisse, Geburten oder Verheiratungen.11
Nach der Volksschule in (Berg-)Neustadt kam Hermann Bohle als Klassenbester auf Rat seiner Lehrer auf die Realschule nach Hagen, wo er 1891 das ,Einjährige‘ (mittlere Reife) ablegte. Nach dreijähriger Tätigkeit als Monteur besuchte er von 1895 bis 1897 die Maschinenbauschule in Hagen (heute würde man sie eine Fachhochschule nennen), an der er das Ingenieursexamen ablegte. Danach zog es ihn auf den Spuren seines älteren Bruders Ernst Wilhelm nach England, möglicherweise, um einer Einberufung zum Militärdienst zuvorzukommen und für seine junge Familie bessere Verdienstmöglichkeiten aufzutun. Der Ältere hatte zusammen mit einem Kompagnon in Smethwick bei Birmingham die florierenden Fahrradfabriken J. A. Phillips (Manufacturers of Cycle Parts) bzw. The Rolfe Manufacturing Co. Ltd. (Manufacturers of Cycles and Cycle Frames) gekauft und es zu beachtlichem Wohlstand gebracht. Trotz seiner Liebe zu Deutschland gab es auch für Hermann Bohle Sr. gute Gründe für die Auswanderung: Die engere Heimat, das Oberbergische Land, war zwar altes Industrieland mit einer blühenden Eisen-, Stahl- und Textilindustrie. Doch die Fabriken waren fest in der Hand einiger reicher „Fabrikanten“ und boten einem strebsamen jungen Mann nur wenige Aufstiegsmöglichkeiten. Kapitalmangel und ein Überangebot an Waren führten zudem in den 1880er Jahren zu einem großen Spinnereisterben und wirtschaftlicher Depression.12 11 Hellmut Kirchner, Hermann Bohle. Leben, Kämpfen und Denken eines Auslandsdeutschen, Berlin [o. J., ca. 1942], S. 7–8. Diese „hagiographisch“ getönte Biographie ist nicht in den Buchhandel gelangt und daher nur in wenigen Exemplaren nachweisbar. Sie enthält zahlreiche Abbildungen von Hermann Bohle und seiner Familie. 12 Marlies Müller, Wirtschaftshistorischer Überblick über die Bergneustädter Industrie, in: Festbuch zur 650-Jahrfeier von Bergneustadt. Im Auftrag der Stadt hrsg. vom Heimatverein „Feste Neustadt“, Bergneustadt, 1951, S. 73–95, hier S. 77 f.
1. „Sippe‘‘ und Familie
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Hermann Bohle folgte deshalb seinem älteren Bruder, der ihm eine Stelle in seiner Firma anbot. Später war Hermann Bohle Sr. der Meinung, der Ältere habe sich allzu sehr vom Deutschtum entfremdet, obwohl dieser, der Gesinnung nach Buddhist, rührend für seine Verwandten in aller Welt sorgte, einigen das Studium finanzierte und auch den Bau des Bergneustädter Krankenhauses unterstützte. Die politischen und weltanschaulichen Differenzen können nicht der einzige Grund für die Entfremdung zwischen den Brüdern gewesen sein. Auch eine Bemerkung des Älteren, der Jüngere werde nie ordentlich Englisch lernen, eine Unterstellung, die dieser sofort durch die Tat widerlegte, reicht nicht als Erklärung aus. Konkurrenzneid kann es langfristig auch nicht gewesen sein. Denn wenn der Jüngere zunächst Minderwertigkeitskomplexe gehabt hatte, so gab es in Südafrika, wo er zur Elite gehörte, keinen Grund mehr dafür. Vermutlich ist die Ursache der Entzweiung in Hermann Bohles unübersichtlichen Familienverhältnissen zu suchen. Er hatte am 30. Dezember 1897, soeben volljährig geworden, ohne Wissen seiner Eltern in Aston bei Birmingham die fünf Jahre ältere Antonie Knode13 standesamtlich geheiratet, bei der er während seiner Hagener Zeit als Untermieter gewohnt hatte.14 Sie hatte aus einer früheren Verbindung einen Sohn Heinrich, der unter dem Namen Bohle aufwuchs, welchen er allerdings erst 1924 offiziell annehmen durfte. Das erste gemeinsames Kind Hermine15 war bei der Hochzeit knapp drei Monate alt. Hermann und Antonie Bohle führten eine harmonische Ehe, aus der drei weitere Kinder hervorgingen: Marianne [eigentlich Anna Maria],16 Ernst Wilhelm und Johanna, Hanny genannt.17 13
Antonie Bohle geb. Knode (16.8.1871 Hagen–1.8.1951 Hannover-Kirchrode). Eidesstattliche Erklärung von Antonie Bohle geb. Knode, Hannover-Kirchrode, 9.8.1946, in: Bern, BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956). Am 19.9.1946 schrieb Adele Bohle, eine Kusine von Hermann Bohle Sr., die als Hausdame eines großen Hotels in Cleveland Ohio arbeitete, an dessen Schwester Ida Hausmann: „Hermine schrieb, dass sie an Deinen Bruder [= Ernst Bohle in Birmingham] geschrieben habe, um evtl. eine Abschrift von Hermanns/Tonys standesamtlicher Trauung zu bekommen. Sie schreibt, dass Ernst ihnen nicht geantwortet habe. Allerdings ist das eine sehr schwierige Sache und Du und ich erinnern uns noch der inhaltsreichen Ansichtskarte, worin Deine Eltern von der bereits mehrere Jahre bestehenden Ehe benachrichtigt wurden. Das war Mitte der 90er Jahre. Ich war damals als Kind bei Euch zu Besuch. Ohne Zweifel habt Ihr doch auch von Hermine oder Marianne gehört? Mit regem Interesse verfolgen wir die Nürnb.[erger Prozesse] und wundern uns, was mit W.B. [= Ernst Wilhelm Bohle] geschehen wird. Ja, es ist doch ein Segen, dass es Hermann erspart geblieben ist“ (Original Privatarchiv FRH). 15 Hermine Franke geb. Bohle (16.10.1897 Hagen–28.2.1997 Hamburg). 16 Marianne Kohrs geb. Bohle (geb. 12.04.1899 Hagen). Das Sterbedatum konnte nicht ermittelt werden. 17 Hanny Krüger (2.5.1906 Bradford–28.7.1996 Burr Ridge, ILL). Vgl. auch das Photo aus dem Jahr 1929 bei Kirchner, Hermann Bohle, zu S. 78, das die versammelte Familie in Hamburg zeigt. Hermine und Marianne heirateten die beiden aus dem Ersten Weltkrieg miteinander befreundeten U-Boot-Offiziere und Ingenieure Karl 14
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I. Herkunft und Jugend
Hermann Bohle kam in einer elektrotechnischen Fabrik in Birmingham unter, in der es ihn allerdings nicht lange hielt. Er wanderte über Quebec und Montreal in die USA aus, wo er jedoch nur Arbeit als Kellner fand. Bei der erstbesten Gelegenheit kehrte er nach England zurück. Eine Rückkehr nach Deutschland kam für ihn nicht in Frage. Er hätte sie, ohne einen Pfennig Geld in der Tasche, als Scheitern empfunden. Jetzt zog er als Monteur durch Mittelengland, wo er in diversen Industriestädten Dynamos installierte. Aus dem Praktiker wurde ein Lehrer, zunächst an der Birmingham Municipal Technical School, wo er das erste elektrotechnische Laboratorium in Großbritannien einrichtete. Die fehlenden Kenntnisse in höherer Mathematik erwarb er sich als Autodidakt. Seine guten Lehrerfolge machten ihn bald bekannt: Am 1. Oktober 1902 wurde er mit einem Anfangsgehalt von £ 200 im ersten und £ 250 in den Folgejahren als Hauptlektor nach Bradford an das dortige Technical College geholt, wo er sich als Deutscher kurz nach Beendigung des Burenkrieges nur schwer durchsetzen konnte. Sein Department umfaßte 98 hauptamtliche und 512 Abendschüler.18 Hermann Bohle blieb vier Jahre in Bradford, bis die dortige Tätigkeit seinen Ehrgeiz nicht mehr befriedigte. 1906 bewarb er sich um Lehrstühle für Elektrotechnik in Manchester, Sidney (Australien) und Belfast – ohne Erfolg. Doch im gleichen Jahr wurde er zu seiner großen Überraschung als „Corporation Professor of Civil resp. Electrical Engineering“ an das gerade fertiggestellte South African College in Kapstadt (Cape Town) berufen. Das von ihm dort vertretene Fach hatte für die aufstrebende Kapkolonie und das durch den Burenkrieg von den Briten bezwungene Hinterland mit seinen reichen Minenschätzen entscheidende Bedeutung. Bohle mußte Mineningenieure unterrichten, sorgte aber auch für die Ausbildung von Elektroingenieuren und widmete den Abendschulen, den einzigen Fortbildungsstätten für die Bevölkerung, viel Zeit. Nach der Gründung der Union von Südafrika baute das Unterrichtsministerium die von Bohle initiierten Abendklassen zu einem Technikum, dem „Cape Technical College“, aus. Daneben arbeitete Bohle wissenschaftlich und spezialisierte sich auf Beleuchtungsfragen, Transformatorenbau und -konstruktion.19 Neben zahlreichen
Franke (27.7.1890 Duisburg–2.10.1946 Prag, in Gefangenschaft) und Heino Kohrs (18.11.1889 Gielde b. Goslar–19.8.1964 Kiel), Marineoberbaurat, Hanny den Chemiker Ted (Theodor) Krueger (20.9.1903 Sheboygan, WIS–15.12.1965 Chicago, ILL), einen amerikanischen Staatsangehörigen. Franke gehörte zur Besatzung des „Kleinen Kreuzers Dresden“, der 1914 in Chile interniert wurde. Er kehrte erst nach fünf Jahren nach Deutschland zurück, vgl. Maria Teresa Parker de Bassi, Kreuzer Dresden, Odyssee ohne Wiederkehr, Herford, 1993. 18 Ich danke Mr. John Brooker vom College Archive, Special Collections, University of Bradford, für die mir am 1.2.2008 auf Veranlassung der Sektionsleiterin, Ms. Allison Cullingford, zusammengestellten Unterlagen über Bohles Tätigkeit. Er gehörte als Mitglied der Technical College Teaching Staff Association an, in der er sich durch mehrere Eingaben zur Verbesserung des Unterrichts hervortat.
1. „Sippe‘‘ und Familie
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Einzelpublikationen entstanden zwei Lehrbücher, die rasch zu Standardwerken avancierten und ihn in der Fachwelt bekannt machten, „Electrical Photometry“ (London 1912; 21925)20 und, zusammen mit seinem Kollegen David Robertson, „Transformers“ (London 1911).21 Bereits 1908 wurde er Fellow of the Royal Society of South Africa. Er war der erste Ingenieur, dem diese Ehre in Südafrika zuteil wurde. 1918 wurde das „Cape Technical College“ zur Universität erhoben. Bohle gehörte zu den anerkanntesten Professoren dieser Einrichtung und genoß das Wohlwollen des Chemikers Sir Carruthers Beattie und seiner Frau, Lady Elizabeth (Paton).22 1929 verlieh die Technische Hochschule Hannover Hermann Bohle anläßlich einer Deutschlandreise mit südafrikanischen Studenten die Würde eines Ehrendoktors der Ingenieurwissenschaften. Bohle gehörte in Südafrika als Professor zur wohlhabenden weißen Oberschicht. Seine Tochter Hermine hat in einem als Privatdruck erschienenen Bändchen „Heino und Marianne“23 die erste Begegnung ihrer Schwester mit 19 Hinweise zu seiner südafrikanischen Lehrtätigkeit finden sich in: Men of the Times: Old Colonists of the Cape Colony and Orange River Colony, Johannesburg/ London: Transvaal Publishing Company, 1906, S. 19–20, sowie bei William Ritchie, The History of the South African College, 1829–1918, Cape Town: Maskew Miller, 1918 bzw. Howard Phillips, The University of Cape Town, 1918–1948: the formative years, Cape Town: UCT, 1993, S. 71–78. Ich danke Mrs Lesley Hart, Manager: Special Collections from Information Services, University of Cape Town Libraries, Rondebosch, South Africa, für diese Hinweise. 20 Electrical photometry and illumination. A treatise on light and its distribution, photometric apparatus, and illuminating engineering. By Hermann Bohle . . . with 200 illustrations and 35 tables, London, C. Griffin & Company, limited, 1912; 2. ed., rev. and enl., London: Griffin, 1925. 21 Transformers. A treatise on the theory, construction, design, and uses of transformers, auto-transformers, and choking coils. By Hermann Bohle, and David Robertson. With 18 plates and 332 figures in the text, London, C. Griffin & Company, limited, 1911. 22 Der 1946 in Offenbach von den Amerikanern inhaftierte Sohn Ernst Wilhelm wird sich Sir Carruthers erinnern, an den sich seine Schwester Marianne um Hilfe für ihre verwitwete Mutter wenden wollte, was der Bruder guthieß: „If Uncle Ernst does’nt [sic, fast durchgehend in allen seinen Briefen!] do anything for Mother and the rest of you he should be thoroughly ashamed of himself and I shall tell him so very plainly some day. I certainly neither desire nor expect any favours of him, but it is a matter of family decency for him to look after the women and children of his next-of-kin. I’m so glad you have written to Sir Carruthers Beattie; I also feel sure that he and Lady Beattie will help Mother“ (Kopie Privatarchiv FRH). Sir Carruthers (1866–1946) hatte in München, Wien, Berlin und Glasgow studiert, war 1897 nach Kapstadt berufen worden und amtierte mehrere Jahre als Vizekanzler und Rektor (Principal) der Universität, vgl. den Nachruf von Lawrence Crawford, in: Royal Society of Edinburgh Year Book 1947. Da er bereits am 10. September 1946 starb, konnte er der Familie Bohle nicht mehr helfen. 23 Hermine Bohle, Heino und Marianne, Hannover, Langelaube: Carl Ermacora, 1920. Das 29 S. starke Bändchen, ein Privatdruck, enthält Proben der „Dichtkunst“ der schon bald Verlobten, z. B. von Marianne, die mit ihrer Schwester Hermine im Januar 1919 in den Hafen eilt, als General Lettow Vorbeck einläuft, aber nicht an Land gehen darf. Die deutsche Kolonie ist vor Begeisterung aus dem Häuschen:
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I. Herkunft und Jugend
ihrem späteren Mann beschrieben. Heino Kohrs kam am 27. Januar 1914 als junger Schiffsingenieur-Aspirant (Offiziersanwärter) an Bord der „Straßburg“ nach Kapstadt. Das Leben der heranwachsenden Kinder wurde zwar vom Vater streng reglementiert, spiegelt aber mit Abiturvorbereitungen auch der Mädchen, rauschenden Festen und Tanzveranstaltungen ein gutbürgerliches Niveau. Hermann Bohle kannte viele der alten Pioniere und Minenbesitzer. Über den aus Hamburg stammenden ,Juden‘ Alfred Beit (1853–1906), einen Freund von Cecil Rhodes und Gold- und Diamantenmagnaten, der im Jahr seiner Ankunft am Kap starb, dem er aber noch persönlich begegnet war, äußerte er sich abschätzig, weil dieser den britischen Imperialismus unterstützt habe.24 Bohles finanzielle Position erlaubte ihm und seiner Familie einen behaglichen Lebensstil. Er konnte sich am Fuß des Tafelbergs eine Villa („Gladsheim“) mit Blick auf die Tafelbucht mieten. Vermutlich hätte er sich langfristig in die südafrikanische Gesellschaft integriert, so wie sein älterer Bruder Ernst Wilhelm in Birmingham ein überzeugter Brite geworden war. Doch der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte ihn, der trotz seiner Einbürgerung die deutsche Staatsangehörigkeit beibehielt und sich offen pro-deutsch äußerte,25 zum Paria, zumal er schon vor dem Krieg in zahlreichen englandkritischen Presseartikeln für die Buren eingetreten war. Jetzt verteidigte er offensiv die deutsche Sache und konnte sich 1915 nur mit Mühe der Internierung im Lager Roberts Height entziehen. Entsprechende Drohungen hatte es bereits kurz nach Kriegsausbruch gegeben, die jedoch mit Hinweis auf seine Naturalisierung und seinen guten Leumund abgewehrt werden konnten.26 Die südafrikanische Regierung konnte seine Lehrerfahrungen nicht missen, auch war er für den Bau von Kraftwerken im Lande, die die Stromversorgung garantierten, unentbehrlich.27 Bohle organisierte ein Hilfswerk für die Angehörigen der internierten Deutschen und Österreicher und „Doch oben an der Reeling, da steht ein einzelner Mann. / „Das ist, das ist von Lettow!“ so ruft der Offizier. / Die Mägdlein fall’n vor Wonne fast aus der Autotür! / Sie winken, blasen Küsse, mit freudetrunk’nem Blick; / Von Lettow auch nicht prüde, zahlt alles prompt zurück! / Bald steh’n sie alle drüben, die Helden alt und jung, / Der Mägdlein heiße Herzchen sind voll Begeisterung“ usw. (hier S. 26). 24 George Seymour Fort, Alfred Beit: a study of the man and his work. With a foreword by Lt.-General J. C. Smuts, London: Nicholson & Watson, 1932. 25 Ernst-Wilhelm Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse IV, Fall XI, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13509. 26 Vgl. den Briefwechsel, den sein Bekannter, der pensionierte Oberstleutnant der Highlanders Thomas W. Cairncross aus Graaff Reinet, am 25.9.1914 mit dem Verteidigungsministerium in Pretoria seinetwegen eröffnete (NASA, CES13/ES70/232/14). Er habe gehört, Professor Bohle solle als Kriegsgefangener behandelt werden. Er kenne ihn seit zehn Jahren: „He is a naturalised British subject, occupying a high position in educational circles. His attitude has always been one of absolute loyalty to the British Crown, and I am prepared to vouch to his unswerving observance of his oath of allegiance“. Der Commissioner Enemy Subjects antwortete Cairncross am 2.10. 1914: „I beg to inform you that if Professor Bohle is a British Subject, and is behaving as such, he should have nothing to fear“.
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brachte, besonders aus burischen Kreisen, große Summen auf. Nach Kriegsende setzte er diese Tätigkeit fort, nur daß diese Gelder jetzt nach Deutschland flossen. Zwar hatte er bereits 1920 versucht, wieder in Deutschland Fuß zu fassen, hatte seine Frau mit den Töchtern bereits vorausgeschickt, konnte jedoch wegen der herrschenden Arbeitslosigkeit keine adäquate Stelle finden und mußte am Kap bleiben. Seine britische Staatsangehörigkeit, die er bis zu seinem Tod nicht ablegte, betrachtete er als eine Formalität und verheimlichte sie im Unterschied zu seinem Sohn Ernst Wilhelm bei seinen etwa alle zwei Jahre stattfindenden Deutschlandaufenthalten.28 Sie sollte seiner Witwe später noch einmal gute Dienste leisten. Bei einem seiner regelmäßigen Deutschlandbesuche nahm er Ende der zwanziger Jahre auf Rat seines Sohnes Ernst Wilhelm, der die deutschnationalen Ideen seines Vaters teilte, in Hamburg an einer Versammlung der NSDAP teil. Er war tief beeindruckt, ohne der Partei schon beizutreten. Die ca. 40.000 Deutschen in der Südafrikanischen Union lebten über das ganze Land verteilt und waren als Akademiker, Kaufleute oder Farmer aus dem öffentlichen Leben nicht fortzudenken. Soweit sie auf dem Lande wohnten, waren sie naturalisiert, hatten jedoch in den Städten meist ihre deutsche Staatsangehörigkeit in Form einer Doppelstaatsangehörigkeit beibehalten. Viele bewahrten allenfalls eine entfernte und sentimentale Erinnerung an die Heimat. Das gesellschaftliche Leben spielte sich, wie in Deutschland auch, in zahlreichen Vereinen ab und bot kein einheitliches Bild. Hermann Bohle nahm sich Ende 1931 vor, alle national gesinnten Landsleute in Südafrika, deren Zahl auf etwa 2.100 geschätzt wurde, in einem ,Deutschen Verein‘ zusammenzuschließen. Als ihn der Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde Kapstadt bat, Vorträge über „Kommunismus und Hitlerbewegung“ zu halten, lehnte Bohle den ersten ab, sagte den zweiten 27 Vgl. die Liste in: National Archives of South Africa (NASA), National Archives Registers of Manuscripts and Photographs (NAREM and NAREF), National Archives’ cartographic and library material, microfilms and copies. 28 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0102: „Although his father had become a British subject, he continued to be a strong German nationalist and whenever he visited Germany, always claimed his German citizenship. In England or other countries his father asserted his British citizenship. The father always stressed with his son and three daughters the greatness of Germany and that Germany after the last war would rise again and find its place in the sun“. Vgl. auch die eidesstaatliche Erklärung von Antonie Bohle geb. Knode, Hannover-Kirchrode, 9.8.1946, abgegeben vor Notar Dr. Paul Langkopf: „Im Jahre 1906 erhielt mein Mann eine Professur für Electrotechnic an der Universität in Kapstadt, Südafrika, wo wir ununterbrochen als britische Staatsangehörige bis zur Pensionierung im Jahre 1936 verblieben. Wir übersiedelten in den Ruhestand nach Berlin [. . .]. In Berlin wurden wir deutscherseits nach Vorlage unserer britischen Pässe als britische Staatsangehörige polizeilich gemeldet. Eine Verzichtserklärung auf die britische Staatsangehörigkeit haben weder ich noch mein Mann jemals bis heute abgegeben“ [Kopie Bern BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956)].
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zu, konnte ihn aber wegen des Widerstands jüdischstämmiger Gemeindemitglieder nicht halten, zumal auch prominente deutsche Kaufleute drohten, aus der Kirche auszutreten, falls der Vortrag im Deutschen Gemeindesaal stattfinde. Darauf sprach er in einem Saal des „Royal-Hotel“ und gründete bei dieser Gelegenheit im Mai 1932 die Kapstadter Ortsgruppe der NSDAP.29 Schon bald schossen Stützpunkte bzw. Ortsgruppen in den wichtigsten Städten der Union wie Johannesburg, Pretoria, Durban, East London, Port Elizabeth und Bloemfontein, aber auch in einigen kleineren Städten im Nordosten von Transvaal, aus dem Boden. Ihre Hauptaufgabe bestand darin, die Nazi-Ideologie zu verbreiten, SA- und SS-ähnliche Formationen aufzubauen und das ökonomische wie das politische Leben des Landes zu beeinflussen. Angeblich wurden nach der sog. Machtergreifung aus dem Umfeld der Deutschen Botschaft die Ergebnisse von Bespitzelungen der NS-feindlichen Deutschen an die Gestapozentrale in Berlin gemeldet.30 Die südafrikanische Öffentlichkeit reagierte empfindlich auf die Nazi-Gründungen und forderte Hermann Bohles Ausweisung. Der amtierende Premierminister James „Barry“ Munnick Hertzog, ehemaliger General und politischer Führer der Buren im Oranjefreistaat, und sein deutschstämmiger Minister für Verteidigung, Handel und Industrie, Oswald Pirow, der in Kiel studiert hatte, waren jedoch deutschfreundlich und scheuten vor durchgreifenden Maßnahmen zurück. Erst nach Bohles Weggang 1935 ließen sie die Hitler-Partei laufend überwachen, da die nationalsozialistische Propaganda immer aufdringlicher wurde. Zu einem Parteiverbot wie in Südwestafrika (Namibia) reichten die gesetzlichen Grundlagen offenbar nicht aus. Seit der Gründung der NSDAP am Kap wurde in der Presse ein kontinuierlicher Kampf ausgetragen, in dessen Verlauf Bohle Sr. die Ziele der nationalsozialistischen Politik verteidigte. Er verwandte viel Zeit darauf, in Vorträgen Wesen und Absichten des Nationalsozialismus zu erläutern und die langsam wachsende Zahl der Parteimitglieder ideologisch zu schulen. Noch im Gründungsjahr 1932 sorgte er für den Zusammenschluß aller Ortsgruppen in Südafrika zu einer 29 Vgl. Hellmut Kirchner, Werden und Wirken der Landesgruppe Union von Südafrika der Auslands-Organisation der NSDAP, Kapstadt, 4.12.1937, in: Berlin, PA AA, Chef-AO Südafrika, Bl. 17837-872, hier Bl. 17844-845. 30 Patrick J. Furlong, Between Crown and Swastika. The Impact of the Radical Right on the Afrikaner Nationalist Movement in the Fascist Era, Hanover and London: Wesleyan University Press, Published by University Press of New England, 1991, S. 17–18. Der Verf. stützt sich auf den anonymen Bericht „Nazi Activities in the Union of South Africa Before and During the War“, December 1945 (UCT, Jagger Library). Weiterhin auf einen Bericht des deutschen Konsuls in Durban, Baron Otto von Stahl, der 1938 zu den Alliierten überging, weil er nicht der NSDAP beitreten wollte, mit dem Titel „Protect Your Home Country“, 18 July 1941 (ebd., Lawrence Papers, E 3.262) und, was Südwestafrika angeht, auf das von Prof. Eric Emmett, University of Cape Town, erstellte „Memorandum on German Activities in South-West Africa“ (Johannesburg, University of Witwatersrand, Cullen Library, Manuscripts Department, J. H. Fomeyer Papers, D: South-West Africa).
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Landesgruppe und wurde ihr erster Landesgruppenleiter. Vor der „Machtergreifung“ zählte sie lediglich 31 Mitglieder, danach 336.31 Die geringe Zahl der Anfangszeit hängt damit zusammen, daß die deutschen Geschäftsleute und Firmenvertreter darauf angewiesen waren, mit der englisch-jüdisch geprägten Geschäftswelt Südafrikas auszukommen und ein deutliches Bekenntnis zum Nationalsozialismus nicht geschäftsfördernd gewesen wäre. Im Dezember 1935 hielt es Hermann Bohle nach fast 40jähriger Tätigkeit im Ausland nicht mehr am Kap. Er nutzte einen Erholungsurlaub, um mit dem Dampfer „Watussi“ endgültig nach Deutschland zurückzukehren (Abb. 1). Das Ehepaar Bohle reiste mit südafrikanischen Pässen. Hermann Bohle kaufte im Berliner Grunewald in der Trabener Straße 51 eine behagliche Villa, die er nach seinen Wünschen umbauen ließ.32 Bis zum Kriegsausbruch erhielt er vom südafrikanischen Staat eine Professorenpension von jährlich £ 187.2.10, die über die Standard Bank in Hamburg angewiesen wurde. In der Kriegszeit wurde das Geld als feindliches Vermögen auf einem südafrikanischen Sperrkonto eingefroren, wo sich im Jahr 1948 £ 753.19.2 angesammelt hatten. Heinrich Bohle, inzwischen in Zürich lebend, schaltete die Anwaltskanzlei W. E. Moore & Sons in Kapstadt ein, die schon öfter für die Familie tätig gewesen war,33 um diese Summe, die der Custodian of Enemy Property beim südafrikanischen Finanzministerium in Pretoria verwaltete, seiner Mutter zukommen zu lassen. Da er durch Rückfrage in Birmingham nachweisen konnte, daß seine Eltern laut Einbürgerungsurkunde des Britsh Home Office Nr. 14547 vom 16. Juni 1904 britische Untertanen geworden waren und einen Erbschein seiner Mutter vorlegen konnte,34 wurde ihr das Geld tatsächlich zugesprochen. Ihr Tod verhinderte die Auszahlung. Das ganze Procedere – Vorlage eines neuen Erbscheins seitens der Kinder, Übersetzung aller Dokumente ins Englische, Bezahlung von Erbschaftssteuer und Gerichts- bzw. Anwaltsgebühren – mußte wiederholt werden.35 In einem Schreiben 31 Albrecht Hagemann, Südafrika und das „Dritte Reich“. Rassenpolitische Affinität und machtpolitische Rivalität, Frankfurt a. M./New York, 1989 (Campus Forschung; 628), S. 65–74. 32 Berlin, LA B Rep. 209 Nr. 2667 (Bauakte; Laufzeit: 1936–1939). Das Haus wurde im Krieg zerstört, vgl. Berlin, LA B Rep. 209-01 Nr. 2567 (Abräumakte; Laufzeit: 1956–1959); B Rep. 209 (2 Trümmerphotos, Laufzeit: 1955). 33 NASA, CSC 2/1/917/365 (Illiquid Case, Declaration of rights. Max Theodor Neugebauer versus James Luckhoff, Hermann Bohle, Ernst Schlengemann and Ludwig Jachens). Alle fünf hatten 1914 eine Schiffahrtsgesellschaft gegründet, doch kam es 1921 zu einem Streit, weil Schlengemann und Jachens ihre Einlage nicht pünktlich bezahlt hatten. Die Klage Neugebauers wurde kostenpflichtig abgewiesen. Die Beklagten wurden von W. E. Moore & Sons vertreten. 34 NASA, MOOC 6/9/16070/2675/49 (Bohle, Hermann, Estate Papers). Der Erbschein ist ausgestellt vom Amtsgericht Berlin-Charlottenburg 5, 18. Februar 1948. Die recht umfangreiche Akte, in der jeder Schritt genau dokumentiert ist, ist ein Muster feingesponnener britischer Jurisprudenz. 35 NASA, MOOC 6/9/19772/3300/52 (Bohle, Antonie, Estate Papers). Vgl. auch unten, Kap. IV.1 („Werbeberater in Hamburg“).
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vom 20. August 1948 hatte Heinrich Bohle alle Anschuldigungen, sein Stiefvater sei ein nationalsozialistischer Aktivist und Agitator gewesen, zurückgewiesen.36 Donald M. McKale, dem wir umfassende Informationen über die AO und ihre diversen Gruppierungen verdanken, vertritt die These, Hermann Bohle Sr. sei auf Druck Ribbentrops, eines notorischen Gegners seines Sohnes Ernst Wilhelm, nach Deutschland zurückgerufen worden.37 Belege bleibt McKale schuldig. Auch die von der Polizei aufgedeckte Agitation Bohles in Südwestafrika kann nicht der Grund gewesen sein, denn diese Angelegenheit lag zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre zurück,38 wenngleich Hermann Bohle auch noch im Jahr 1934 Kontakte zur Landesgruppenleitung in Windhuk unterhielt.39 In den erhaltenen Zeugnissen äußert er sich skeptisch über eine Rückkehr dieser ehemaligen deutschen Kolonie. Er macht sich damit die herrschende Meinung der Mandatsmacht Südafrikanische Union zu eigen, die sich das ehemalige Deutschsüdwestafrika einverleiben wollte. Immerhin kann man einem von Benjamin Bennett abgedruckten Brief Bohles entnehmen, daß er bei einem seiner 36 NASA, TES 2441J/F9/2306/6/44. Heinrich Bohle, Hofwiesenstraße 239 in Zürich, führt u. a. aus: „The Custodian’s case against my late father – and obviously also against my mother – is in all likelihood that Prof. Bohle was a member of the German national-socialist party. Incidentally, no charge to this effect has been made, neither has my mother been told why her money cannot be paid. The Custodian did state something about the Potsdamer Agreement but I submit, Sir, that this Agreement has long since at common international law been invalidated. Prof. Bohle’s ,crime‘ would appear to be: (a) his love of the country where he was born and (b) his membership of the German national-socialist party and nominal head of that party in South Africa from 1933 to 1936. Notwithstanding these facts, which were public property and which no one denies, the University of Capetown paid him his pension until the outbreak of war in 1939. Prof. Bohle’s ,crime‘, it would appear, has now been placed on the shoulders of his widow, and I must say that in South Africa there is much widespread surprise among old friends and former students at the absence of any specific indictment against either the late Prof. Bohle or his widow, and which would substantiate the Custodian’s charge and give my mother an opportunity to defend herself. – Today my mother, aged 78, is destitute, having fled in 1945 from the Russian zone in Germany leaving all her effects behind, including her South African passport with which she sailed for Hamburg in 1936, I do my best to support her from here“. 37 Donald M. McKale, The Swastika Outside Germany, Kent, Ohio: The Kent State University Press, 1977, S. 97. 38 Benjamin Bennett, Hitler Over Africa, London: T. Wener Laurie, 1939, S. 17, 19, 21–23, 27–35, 157–167. – Die „confiscated papers“ befinden sich heute in den National Archives of Namibia (NAN), A.221.192, Ref. 93/59/M/1933. Trotz vielfacher Bemühungen war es mir nicht möglich, Kopien zu erhalten. 39 Vgl. „A memorandum on the anti-Jewish movement in South Africa“, Kopie UCT Alexander Papers, Jewish Material List IV, File 24, S. 12 (Brief an Hermann Bohle vom 29.4.1934): „It may be possible for us to establish with the Grey Shirts, a united front based upon similar world views. [. . .] Perhaps it is possible for you to interview Weichardt in this connection and arrange that he send sufficient propaganda material to South West“. Louis T. Weichardt war deutscher Abstammung und führte das faschistische Grey Shirts Movement. Hermann Bohle muß ihn demnach gekannt haben.
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regelmäßigen Deutschlandbesuche mit Reichsaußenminister Konstantin Freiherr von Neurath über Südwest- und Südafrika diskutierte. Zwar amtierte Neurath von 1932 bis 1938 unter den Kanzlern von Papen, Schleicher und Hitler, doch ist in diesem Brief von „the Government of the New Germany“ die Rede, so daß eine Besprechung vom 2. Februar 1934 im AA gemeint sein dürfte, an der Vater Hermann und Sohn Ernst Wilhelm Bohle gemeinsam teilnahmen. Es ging darin um die Zulassung der NSDAP-Ortsgruppen in den Niederlanden und der Südafrikanischen Union. Beide Länder hatten sich zwar damit einverstanden erklärt, den deutschen Residenten Zusammenschlüsse zu erlauben, nicht jedoch, dies im Namen der NSDAP zu tun.40 Hermann Bohle hatte seine eigene Landesgruppe fest im Griff und kritisierte den Wankelmut der Deutschen im benachbarten Südwestafrika. Vermutlich war er hier bereits das Sprachrohr seines Gauleiter-Sohnes.41 Ein deutscher Besucher des Jahres 1934, der sich in Berlin mit EWB anfreundete, berichtet, Vater Bohle sei ein Mann von großer Charakterstärke und unbestechlichem Gerechtigkeitsgefühl gewesen, der auch für sachliche Kritik am allzu radikalen Auftreten seiner Parteigenossen ein offenes Ohr gehabt habe. Es handelt sich um den bekannten Psychologen und Therapeuten Karlfried Graf von Dürckheim-Montmartin, der 1934 in Südafrika an einer internationalen Erziehertagung der New Education Fellowship teilnahm und im Anschluß daran die Siedlungen des südafrikanischen Deutschtums besuchte.42 40 Berlin, PA AA R 77619, vertraulicher Bericht 4.2.1934, S. 2: „Herr Bohle [= EWB] erklärte, die gleichen Weisungen, die für die Landesgruppe Holland erteilt worden seien, seien inzwischen für sämtliche Auslandsgruppen der NSDAP ergangen. Sein Vater, Herr Professor Bohle, werde Anfang März wieder in Südafrika sein und dann Herrn Generalkonsul Wiehl persönlich im einzelnen hierüber unterrichten“. 41 Professor Dr. Hermann Bohle, Landesgruppenleiter, Kapstadt, 10.3.1934, an Major a.D. Weigel. Leider liegt nur eine englische Übersetzung in: Bennett, S. 168–169, vor: „I have had fairly lengthy discussions with Von Neurath about South-West and the Union but cannot say in a letter what transpired. I have always been of opinion that the colonial problem will ultimately be decided in Europe and not in the various Mandates Territories. – I, therefore, consider it wrong to broadcast that South-West must return to Germany. After all, ten years ago the people in South-West spoke to the contrary . . . There is mostly too much talk among the Germans and they give themselves away. – Therein lies the grave danger and the task of the Government of the New Germany is thereby not made easier. The present Government leaves none of its people in the lurch, but it would do no harm if the people of South-West were to take a broader view of matters . . . – Even among our Party members discipline is lacking very much and it will be my first duty to put the Party in order in this respect and to teach party members do keep quiet; or they will be ,chucked out‘. Half of all energy is otherwise wasted in talk . . . – With German Greeting and Heil Hitler“. – Zur Situation der NSDAP in Südwestafrika vgl. Heinrich Stuebel, Die Entwicklung des Nationalsozialismus in Südwestafrika, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 1, 1953, S. 170 ff.; Martin Eberhardt, Zwischen Nationalsozialismus und Apartheid. Die deutsche Bevölkerungsgruppe Südwestafrikas 1915–1965, Berlin, 2007 (Periplus Studien; 10), S. 347–384. 42 Prof. Dr. K. Graf von Dürckheim, Eidesstattliche Erklärung, Steingarden, Obb., 20.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 37, S. 70–77, hier S. 70–71 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3).
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Von diesen schwärmte er: „Die besten Leute hier sind die, die sich um die Partei gruppieren“, und hielt für erwähnenswert, daß selbst Personen, die nur gebrochen Deutsch sprächen, sich mit „Heil Hitler!“ begrüßten. Ein anderer Besucher von EWBs Eltern war der zunächst in Hannover, dann in Breslau lehrende Geograph Erich Obst, der schon bald im Auftrag des Propagandaministeriums eine Untersuchung über das Deutschtum in Südafrika verfaßte. Hermann Bohle kannte ihn möglicherweise aus Hannover.43 McKale behauptet weiter, Hellmut Kirchner, der spätere Verfasser einer Biographie Hermann Bohles, sei sein unmittelbarer Nachfolger als Landesgruppenleiter geworden. Er nennt ihn einen Ribbentrop-Mann, wofür es keine Beweise gibt.44 Wenn Bohle wirklich auf Betreiben Ribbentrops, zu diesem Zeitpunkt noch außenpolitischer Berater Hitlers, die Südafrikanische Union verlassen hätte, wäre es kaum verständlich, daß er sich Kirchner 1939 als Sekretär und Biographen ausgesucht hätte. In Wirklichkeit folgte ihm Bruno Stiller, Deutscher Konsul in Kapstadt, als Leiter der NSDAP-Landesgruppe am Kap nach und amtierte bis 1937. Bohle Sr. hatte ihm eine zwar kleine, dafür umso schlagkräftigere Landesgruppe hinterlassen.45 Es spricht deshalb mehr dafür, daß Hermann Bohle Sr. Südafrika verließ, um im wiedererstarkten Deutschland zu leben, wo er für sich und seinen Sohn eine politische Führungsrolle erhoffte. Er hatte seine Heimat stets idealisiert und seinen Kindern ein wenig realistisches Porträt gemalt. Als die beiden Söhne nach dem Ende des Ersten Weltkriegs nach Deutschland zum Studieren und Arbeiten gingen, waren sie enttäuscht und fanden Südafrika viel attraktiver. Erst nach der Machtübernahme durch die Nazis änderte sich ihr Deutschlandbild.
Zu seinem Aufenthalt in Kapstadt vgl. Gerhard Wehr, Karlfried Graf Dürckheim. Ein Leben im Zeichen der Wandlung, München, 1988, S. 125–126. Graf Dürckheim hielt vor der deutschen Gemeinde einen Vortrag über „Bindung und Freiheit im neuen Deutschland“, der sehr gut aufgenommen wurde. Vgl. auch Hagemann, S. 89–91. Vgl. die Korrespondenz des Deutschen Konsulats Pretoria mit Graf Dürckheim, in der dessen Bericht ausführlich kommentiert wird (Berlin, PA AA R 77619). 43 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0169. 44 Kirchner, Hermann Bohle, S. 97. Kirchner ist u. a. Verfasser der Broschüre: Erbeutung und Ausbeutung Südafrikas, Berlin, 1940 (Schriften des Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung und des Hamburger Instituts für Auswärtige Politik; 39) (Das Britische Reich in der Weltpolitik; 24) sowie diverser Aufsätze über Südafrika. Er hatte von 1935 bis 1939 als Grundschullehrer in Südafrika gelebt, kehrte dann nach Deutschland zurück und trat in das Propaganda-Amt der AO ein. Von 1940 bis 1944 war er Dozentenbundsführer der AO. Er ist 1944 gefallen. 45 Vgl. die Einschätzung seines Nachfolgers Stiller Ende 1936: „Die Parteiorganisation in der [Südafrikanischen] Union ist zahlenmäßig schwach und übt im Verhältnis zu ihrer geringen Zahl einen starken und großen Einfluß aus. Sie ist damit äußerste Spitze und Vorposten der Bewegung eines 70-Millionen Volkes und hat die Verpflichtung, jeden einzelnen ihrer Vertreter zu einem restlos zuverlässigen Werkzeug in der Hand des Führers zu schmieden“ (zit. nach Hans-Adolf Jacobsen, Nationalsozialistische Außenpolitik 1933–1938, Frankfurt a. M., 1968, S. 603–604).
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Hermann Bohle Sr. erreichte jedoch nicht mehr als die kommissarische Leitung des 31. Amtes der AO (,Amt für Technik‘) und die Präsidentschaft der ,Deutsch-Südafrikanischen Gesellschaft‘ (Sekretär: Hellmut Kirchner). Dieses Präsidentenamt, welches er durch Intervention seines Sohnes erhalten hatte, nutzte er dazu, die bisherigen Mitglieder Köcke und Heusler zu entlassen, was die Gesellschaft in eine schwere Krise stürzte.46 Das ,Amt für Technik‘, das eng mit dem Außenhandelsamt verbunden und der ,Dienststelle des Beauftragten der AO für Wirtschaftsfragen‘ angegliedert war, war nur ein unbedeutender ehrenamtlicher Posten.47 Immerhin durfte Hermann Bohle Sr. in Vertretung von Dr. Fritz Todt vom 19. bis 23. Mai 1937 nach Wien zur 15. Tagung für wirtschaftliches Bauen reisen.48 Am 10. April 1938 wurde er, erfolglos, auf der berüchtigten „Liste des Führers“ zur Wahl des Großdeutschen Reichstags vorgeschlagen, ein Zeichen, daß er als politisch zuverlässig galt.49 Für seine Tätigkeit als auslandsdeutscher Nationalsozialist verlieh ihm Hitler das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP und zeichnete ihn 1941 anläßlich seines 65. Geburtstags für seine Forschungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik mit der GoetheMedaille für Kunst und Wissenschaft aus.50 Angeblich litt Hermann Bohle in seinen letzten Lebensmonaten unter der Beschneidung der Pressefreiheit, denn ein Leserbrief, den er geschrieben hatte, wurde von einer nicht näher genannten Zeitung für nicht abdruckbar erklärt.51 Hermann Bohle Sr. starb am 12. Juli 1943 in Berlin und wurde am 17. Juli mit einer offiziellen Trauerfeier im Ehrensaal der AO gewürdigt. Hitler ließ sich durch NSKK-Brigadeführer A. B. Albrecht vertreten. Der Fascio Berlin war durch Ernst Wilhelm Bohles persönlichen Freund, Graf Paolo Ruggeri Laderchi, repräsentiert, doch von den führenden NS-Persönlichkeiten war niemand anwesend. EWB hielt persönlich die Trauerrede.52 Antonie Bohle, die den Tod 46 Vgl. den Protestbrief (17.6.1938) der in Berlin lebenden Südafrikanerin Katherine Vos an Reichsleiter Rosenberg. Sie hatte den Aufbau der 1934 gegründeten Gesellschaft ideell und finanziell unterstützt und Kontakte zwischen südafrikanischen und deutschen Wirtschaftsvertretern hergestellt. Hermann Bohle wolle ihrer Meinung nach lediglich seine persönlichen Machtinteressen durchsetzen. Über das Ergebnis ihrer Demarche ist nichts bekannt (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., PS-28). 47 Jacobsen (1968), S. 660. 48 Bohle (7.5.1937) an Botschafter von Papen, um den Besuch seines Vaters anzukündigen, den Papen im Jahr 1934 bei Staatsrat Helfferich in Hamburg kennengelernt habe (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 49 Erich Stockhorst, Fünftausend Köpfe. Wer war wer im Dritten Reich, Velbert und Kettwig, 1967, S. 69. 50 Oberbergischer Bote 1941, Nr. 232, 3. Oktober, S. 3; Rundschau Deutscher Technik Nr. 34, 9. Oktober 1941, S. 3. 51 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0105. 52 Vgl. Der Deutsche in Schweden 9, H. 15–16 (August 1943), S. 24–25; VB (Süddeutsche Ausgabe) Nr. 196, 17.7.1943, S. 2; Deutschtum im Ausland 26, 1943, S. 156–157.
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ihres innig geliebten Mannes nie verkraftete,53 zog zunächst zu ihrer jüngsten Tochter Hanny nach Budapest, wo deren Mann Theodor Krüger (Ted Krueger) als Chemiker für die I.G. Farben tätig war. Krüger hatte nach Kriegsende übrigens große Mühe, in die USA zurückkehren, weil er nach deren Kriegseintritt nominell zur deutschen Wehrmacht eingezogen worden war, um vor der Internierung geschützt zu werden. Wäre dies offenbar geworden, hätte er sich vor einem US-Gericht wegen Fahnenflucht verantworten müssen. Der Witwe von Hermann Bohle wurde zum Schutz vor den Bombenangriffen auf Berlin in Oberschlesien eine kleine Wohnung zugewiesen,54 doch zog sie es vor, zu ihrer Tochter Hermine nach Prag zu gehen, wo ihr Schwiegersohn Karl Franke als Wehrwirtschaftsführer eine Zuliefererfabrik für Flugzeuge leitete. Nach dem Krieg lebte sie bei ihrer Tochter Marianne Kohrs in Kiel, danach bei ihrer inzwischen verwitweten Tochter Hermine in Hannover. Die letzten Lebensjahre Hermann Bohles Sr. waren, wenngleich uneingestanden, eine Enttäuschung, denn wenn er mit seiner eigenen Statistenrolle zufrieden war, hätte er sich für seinen Sohn größeren Einfluß erhofft, z. B. den Rang des Außenministers. In seiner zeitweiligen Wahlheimat Südafrika nahm man erst drei Jahre nach Kriegsende Kenntnis von seinem Tod.55 Hermann Bohle Sr. war im Hörsaal inmitten seiner Studenten nicht anders als in seiner Familie ein unangefochtener Patriarch, der Widerspruch nur ungern hörte.56 Während seine Frau als Mutter, Hausfrau und Gastgeberin dem Hauswesen vorstand, wirkte er nicht nur als Hochschullehrer, sondern auch als poli53 E. W. Bohle (Justizpalast, Nürnberg, 6.5.1948) an Marianne Kohrs: „I can well imagine that it is a very strenuous business looking after the dear old girl and the whole family owes you a debt of gratitude for the wonderful way in which you and yours have done everything possible to humour her and make life as pleasant as possible for her. She will never understand present day conditions and we shall just have to let her continue to live in that old world of reminiscences in which alone she feels a bit happy. She will never get over Father’s death and the loss of her home and all we children can do is to show her our love and deep affection in every possible manner. The fact that I am causing her such a lot of worry in her old age often makes me quite sick, but it can’t be helped and that will be over and done with one day too“ (Kopie Privatarchiv FRH). 54 E. W. Bohle (1.3.1944) an seine Tante Ida Hausmann: „Mama wird Ende April ins Reich zurückkehren und bekommt eine kleine Wohnung in Oberschlesien zugewiesen, da an eine Rückkehr nach Berlin nicht zu denken ist. Es ist möglich, daß ich selbst im April nach Ungarn fahre und Mama dann mit zurückbringe“. 55 Transactions of the Royal Society of Africa Cape Town XXXI,5, 1948, S. xlvii; Dictionary of South African Biography, Bd. 2, ed. by Johannes Willem de Kock, Capetown: Tafelberg Uitg., 1972, S. 68. 56 Phillips (1993), S. 72: „In the lecture room Bohle was a martinet who liked to cover a lot of ground briskly and therefore welcomed neither questions nor discussion from his students. Dogmatic and opinionated, he expected them to write down precisely what he said and then to apply it to the letter. ,An engineer has to be exact‘, he told them in a lecture entitled ,The Importance of Paying Attention to Detail‘, ,and the sooner he applies himself in this direction the better‘“.
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tischer Redner und Pamphletist. Seine politischen Ideen waren für zahlreiche Auslandsdeutsche dieser Zeit symptomatisch. Sie lassen sich aus der Biographie Hellmut Kirchners ablesen, eines ehemaligen Mitglieds der Kapstadter Ortsgruppe, der Hermann Bohle häufig zu Wort kommen läßt und aus seinen Briefen und Schriften zitiert. Diese Aussagen werden durch literarische Versuche Bohles ergänzt, die so bezeichnende Namen wie „Walhalla“ (1911),57 „Weltanschauung, Begriffe und Ideen“ (1913),58 „Der Götterdämmer“ (1918), „Germania“ oder „Thekla“ tragen und meist unter dem Pseudonym Hans von der Dörspe erschienen. Dörspe ist der Name des durch Bohles Geburtsort Bergneustadt fließenden Baches. Diese im Selbstverlag erschienenen Schriften sind heute nur noch in wenigen Exemplaren erhalten. Ihr literarischer Wert ist gering, doch als Zeugnis prä-nationalsozialistischen Gedankenguts sind sie aussagekräftig. Einige Proben genügen, um Hermann Bohles Gedankenwelt zu charakterisieren. Zu seiner Ehre sei gesagt, daß er sich über die Qualität seines Dichtens keinen Illusionen hingab.59 Es zeigt sich, daß sein deutschnationales Weltbild unter dem Eindruck der in Großbritannien und den USA gemachten Erfahrungen bereits vor dem Ersten Weltkrieg festgefügt war. Im Vorwort von „Weltanschauung, Begriffe und Ideen“ gibt er sich als Idealist aus. Er verfolge mit seinem Gedicht den Zweck, „dem Menschen zur Zufriedenheit zu verhelfen, und sollte mir dies bei einem Einzigen gelingen, so weiß ich, daß die Arbeit nicht umsonst war“ (S. VII). Hermann Bohle Sr. war Antisemit,60 Gegner der Jesuiten61 und der christlichen Kirchen, nicht aber der christlichen Heilsbotschaft als solcher.62 Er leug57
Walhalla. Gedicht, Hannover: Selbstverlag, [1920] (vorh. USB Köln). Hermann Bohle, Weltanschauung, Begriffe und Ideen. Philosophische Gedichte eines Ingenieurs, Dresden-Leipzig: „Die Sonne“, Belletristische Verlagsanstalt, 1913 (vorh. USB Köln). Weitere „Werke“ konnten in öffentlichen Bibliotheken nicht nachgewiesen werden. 59 „Das Ausland ließ mich erst erkennen, / Wie sehr ich lieb mein Vaterland, / Und lichterloh die Flamm’ soll brennen: / Aus ihr die Muse kam zur Hand. / / Und sind die Verse klumzig, grobe, / Von Herzen kommet jedes Wort: / Zur Warnung, wenn’s nicht spricht zum Lobe, / Denn Heimat bleibt mein größter Hort“ (Kirchner, S. 87). 60 „Wie weit des Juden Macht heut reicht, / Hört man nicht Kön’ge, Kaiser klagen: / Dem Geld des Juden alles weicht. / Warum? Weil er den eignen Willen, / Die Willkür über alles setzt, / Um durch sie seinen Sack zu füllen, / Denn Geld ist Macht, und Macht verletzt / Das Höchste: Recht und ehrlich leben, / Wird skrupellos, denkt nur an sich: / So nur konnt’ Sem das Zepter heben, / Mit dem er leitet dich und mich“ (Kirchner, S. 95). 61 Er dichtet über Ignaz von Loyola: „So heißt die Lehre jenes Basken, / Der, rein, wurd’ unser größter Feind, / Nicht offen kämpfet, nur in Masken, / In denen er als Freund erscheint. / [. . .] Der Jesuit ist Staatsmann, Streiter, / Erzieher, Missionar, Zelot, / Gelehrter, Künstler, Kaufmann, Leiter, / Ein Kuppler, Fälscher, Freigeist rot, / Wohltäter, Held, Verderber, Engel, / Allüberall, wo’s sei, zuhaus, / Ein Teufel, Intrigant und Bengel, / Daheim im Kloster und beim Schmaus. / Fürwahr, er strebt nur für den Orden, / Er kennt sich selbst nicht, hat kein Sein, / Er lebt in Anstand und mit Horden: / Dem Orden setzt er alles ein! / Antigermane ist benamet / Der Ritter, der den Or58
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nete eine deutsche Mitschuld am Ersten Weltkrieg63 und kritisierte die Briten, die den Krieg hätten verhindern müssen64 und bereits einen zweiten vorbereiteten. Er glaubte nicht, daß Deutschland und Großbritannien jemals befreundet sein könnten. Komplementär zu seinem Antisemitismus fällt eine Überschätzung der germanischen Rasse65 und des Deutschtums66 auf. Auch die etablierten Kirchen und das Alte Testament fanden nicht seine Zustimmung.67 Rettung für Deutschland erhoffte er allein von einem starken Führer, der die Deutschen einen und ihre Zwietracht beenden solle.68 Eigenartigerweise waren ihm die Schwarzafrikaner keinen Gedanken wert. Offenbar lebte er in einer unhinterfragten Welt des Kolonialismus und der Apartheid. Sein Sohn Ernst Wilhelm war jedoch für die Probleme, die durch die rassisch begründete Abkapselung und die Benachteiligung der Schwarzen wie der Inder entstanden, sensibilisiert. Er spielte mit farbigen Kindern und hatte farbige Kindermädchen, wie auch die Dienstmädchen der Familie farbig waren. In der Kapprovinz sei, so Ernst Wilhelm Bohle, die Behandlung der „Negerfrage“ im Unterschied zu der alten Burenrepublik liberal gewesen. Der junge Ernst Wilhelm Bohle bescheinigte den Briten, sie hätten die Integration der Buren gut gelöst, indem sie die Burengeneräle Botha und Smuts bei Belassung ihrer Ränge in die Unionsarmee überführt hätten, so daß sie zu Säulen des Empire geworden seien.69 den schuf, / Des Kraft selbst heute nicht erlahmet, / Denn unaufhörlich schallt sein Ruf“ (Hermann Bohle, Weltanschauung, Begriffe und Ideen, S. 87–88). 62 „O nein! Der Mann von zwei Naturen / Gab uns die heut’ge Religion: / Ein Paulus hat sie uns erkoren, / Des Juden und der Griechin Sohn. / [. . .] Wo Arier und Juden paaren, / Da führt das Leben stets zum Streit, / Nur so erklärt sich das Gebaren, / Das Paul der Menschheit hält bereit“ (ebd., S. 73–74). 63 „Der Neid war’s, der den Weltkrieg brachte, / Die deutschen Greuel sich erdachte, / Er stand im Weg zum heil’gen Frieden; / Ihr ward zu stark, zu groß hienieden. / Die Hand, die eine Welt hielt auf, / Die fürchtet man im Daseinslauf“ (Kirchner, S. 106). 64 „Heilige Flamme glüh, und vergiß England nie! / Elender Krämerneid bracht meinem Volk das Leid . . . / Wie haß ich dich, du Land des Goldes, / Der Flachheit und der Heuchelei, / Mit Gott und Liebe auf den Lippen, / Im Herzen größte Schurkerei“ (Kirchner, S. 47). 65 „Germanentum hat einen Feind: sich selbst! / Die Welt wär sein, kämpft es vereint!“ (Kirchner, S. 43). 66 „Der Jüngling, der die Jungfrau freie, / sieht sich die Rasse meist nicht an, / sieht nicht, wie er sein Haus entweihe, / gedankenlos läuft seine Bahn“ (Kirchner, S. 88). 67 „Als Poesie kann mir’s gefallen, / Doch als ein Glaube nimmermehr. / Es läßt zuviel Materie schallen, / Bestärkt das Ich denn doch zu sehr. / Kein Funke Liebe in dem Buche, / Nur Furcht und Angst und Raub und Mord, / Beginnt’s nicht gleich mit einem Fluche? / Klingt’s so nicht stets von Ort zu Ort? / Und will das Buch den Geist nicht zwingen, / Der auf zum freien Lichte drängt?“ (Kirchner, S. 94). 68 „Von Gottes Gnaden werft hinaus: / Frei sei des Deutschen Land und Haus, / Der Beste soll der Führer sein, / Der Mann, der edel, stolz und rein, / Der mit Vernunft, Verstand regiert, / Der Rat erfrägt, den Demut ziert“ (Kirchner, S. 89). 69 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse, Militärtribunal IV, Fall XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13512.
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Auch von den südafrikanischen Nationalisten und ihrem prominentesten Führer, dem reformierten Pfarrer Daniel F. Malan, hielt Hermann Bohle Sr. nicht viel, desgleichen nicht von der Pro-Afrikaans-Bewegung, obschon diese Sprache seinem geliebten Deutsch ähnlicher war als das Englische.70 Malan war ein Nachbar der Bohles. Als er 1948 Premierminister wurde, wandte sich Marianne Kohrs an ihn, um eine Einreisegenehmigung in die Südafrikanische Union zu erhalten.71 Hermann Bohle erzog seine Kinder im Geist der von ihm verfaßten Schriften, und seine Gedanken zeigten Wirkung. Außer ihm wurden vier Angehörige seiner siebenköpfigen Familie bereits vor 1933 NSDAP-Mitglieder (seine Ehefrau, die beiden Söhne und die Tochter Hanny). Trotz der Reserve Hermann Bohles gegen die Kirchen wurden alle Kinder getauft. EWB wurde wie der Vater lutherisch, die Mädchen, wie die strenggläubige Mutter, katholisch.72 Hermann Bohle gab später an, er sei dabei keinem System gefolgt, sondern habe den am nächsten wohnenden Pfarrer aufgesucht. Die Familie war jedoch eher protestantisch ausgerichtet und praktizierte in religiösen Dingen Toleranz. Die Tochter Hermine konvertierte später zum Protestantismus, der Sohn Heinrich wurde Baptist. 2. Jugend in Südafrika, Studium und erste Berufstätigkeit Die Eheschließung von Hermann Bohle und Antonie Knode war für die damaligen Verhältnisse unkonventionell: Die Frau war fünf Jahre älter als der Mann und hatte bereits ein Kind, das Paar lebte vorehelich zusammen, sie war katholisch, er war protestantisch, seine Eltern waren gegen die Verbindung, und Geld war knapp. Diese Widerstände schweißten die Eheleute zusammen und 70 Hendrik B. Thom, Dr. D. F. Malan en koalisie, Kaapstad: Tafelberg, 1988; Furlong, S. 84. Der Verf. beruft sich dabei auf „Bemerkungen von H. Bohle“, 30.5.1939, Original USNAMS (U.S. National Archives Microfilm Series), T-120, Reel 317/ 241190. 71 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 6.5.1948) an Marianne Kohrs: „Yes, I read in the papers that Dr. Malan has at last managed to become the South African premier. I had clean forgotten that the Malans lived in Belmont Ave; after all, it’s 30 years ago. If I were you, I congratulate him on his appointment and remind him about that kiss. He might invite you to a trip to Sunny South Africa which would do you a lot of good, I should say. At any rate, there’s no harm in writing, so go ahead and do’nt be bashful. He is sure to remember the old man“ (Kopie Privatarchiv FRH). 72 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 13.7.1947) an Marianne Kohrs: „I was so sorry to hear that the visit of the Catholic priest excited Mother so much. I still believe, however, that she should have some spiritual aid, as she is at heart a devout Catholic. It is essentially a matter of knowing how to take the old girl, and I am sure you will find some clergyman who really can. So please keep the matter in mind“ (Kopie Privatarchiv FRH).
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ließen sie, gleichsam um die Verwandten von der Richtigkeit ihrer Entscheidung zu überzeugen, eine Musterehe führen. Der Biograph Kirchner schreibt im Stil der Zeit: Hermann Bohle hatte bereits mit 21 Jahren geheiratet, ohne natürlich zunächst einen eigenen Hausstand gründen zu können. Erst die Anstellung als Lektor in Birmingham versetzte ihn in die Lage, seine Familie zu sich kommen zu lassen. Selten wird es eine harmonischere Ehe geben. War der Mann hart und unbeugsam, so die Frau sanft und ausgleichend. Gegensätze mildernd und zum Frieden sprechend, aber doch Herrin im häuslichen Kreise. Sie war dem Manne zu jeder Zeit eine Gefährtin, die Freud und Leid mit ihm teilte und auch in den schlimmen Jahren des Weltkrieges bei ihm ausharrte, obwohl sie ja der verhetzten Bevölkerung noch schutzloser ausgeliefert war als der Mann, der überdies durch eine Vertiefung in die sachliche Arbeit weit eher Gelegenheit hatte, einmal für einige Stunden die Schwierigkeiten der damaligen Lage der Familie zu vergessen. Selbst in jener schweren Zeit wußte sie ihm ein gemütliches Heim zu erhalten, und auch in den späteren Jahren, da er wegen seiner Tätigkeit im Rahmen der Partei wiederum starken Anfeindungen ausgesetzt war und Verdruß und Ärger hatte, sorgte sie dafür, daß die trauliche Atmosphäre des Hauses gewahrt blieb. Auch der Gast hatte in solchen Augenblicken noch immer das Gefühl des Geborgenseins in einer Gemeinschaft und Häuslichkeit, die auf so sicherem Fundamente ruht, daß ihr von außen niemand etwas anhaben kann. Und dabei wird es wenig Familien geben, die im Laufe der Jahre so oft Gäste hatten, wie das Haus Bohle. Immer von neuem berührte es wohltuend, daß es hier mit der Gastfreundschaft nach altem deutschem Brauch gehalten wurde. Es gab in der Behandlung der Gäste keine Unterschiede, mochten sie nun kleine Angestellte oder Großkaufleute, Arbeiter oder Gesandte sein (S. 80 f.).
Der familiäre Zusammenhalt war wichtig: man lebte in einer als fremd, manchmal als feindlich empfundenen Umgebung, und man war sehr weit von Deutschland und Europa entfernt. Auch als Hermann Bohle Sr. dauernd nach Deutschland zurückgekehrt war und die Kinder längst eigene Familien besaßen, versammelte sich die Großfamilie alle vierzehn Tage zum Mittagessen im Haus der Eltern im Grunewald. Der erste Weihnachtsfeiertag wurde stets gemeinsam verbracht, unter dem Tannenbaum wurden die traditionellen Lieder gesungen. Die fünf Geschwister hingen, auch als sie längst eigene Familien hatten, so sehr aneinander, daß sie laufend miteinander telefonierten, allerdings nur auf Englisch, obwohl im elterlichen Haus in Kapstadt jedes englische Wort verpönt gewesen war.73 73 In seiner Preßburger Rede vom 20. April 1944 ging EWB ausführlich auf die Bedeutung des Auslandsdeutschtums und einer ,deutschen‘ Erziehung ein: „Es war auch nicht schwer, diese Auffassung in der Praxis durchzuführen, denn unsere Auslandsdeutschen pflegten zwar in unzähligen Vereinen und Clubs Geselligkeit, Gesang und Sport, aber nur in den seltensten Fällen den Gedanken an Deutschland. Selbst die deutsche Sprache wurde oft nur gepflegt und beibehalten aus einer gewissen Bequemlichkeit heraus und man ließ es oft geschehen, daß die eigenen Kinder die Muttersprache vernachlässigten oder ganz verlernten.“ (Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm, S. 9).
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Bohles Söhne besuchten in Kapstadt die „South African College School“ (Junior and High School). Ernst Wilhelm war in der Zeit des Weltkriegs der einzige Deutsche in seiner Klasse und mußte sich von seinen Mitschülern Hohn und Spott, gelegentlich sogar Prügel74 gefallen lassen. Nach der Versenkung des britischen Cunard-Passagierschiffes „Lusitania“ durch das deutsche Unterseeboot U-20 vor der irischen Küste (7. Mai 1915)75 fragte der Englischlehrer EWB, ob nun „The Kaiser“ den Krieg verlieren werde. Die Antwort des knapp Zwölfjährigen lautete: „Never, Sir“. Danach bezog er auf dem Schulhof Klassenkeile. EWB verteidigte den Kaiser und Deutschland stets mutig gegen alle Angriffe.76 Damals sei das Wort „Deutscher“ praktisch abgeschafft und durch das Wort „Hunne“ ersetzt worden. Man habe den Kaiser den „Oberhunnen“ oder „Kriegslord“ genannt und diese Schmähungen auf ihn, den man wegen seines zweiten Vornamens „Kaiser Will“ gerufen habe, übertragen.77 Die britischen Schüler seien antideutsch indoktriniert worden und hätten die von der alliierten Propaganda verbreiteten Greuelmärchen geglaubt, daß die Deutschen den belgischen Kindern die Hände abhackten und aus den Leichen von toten Soldaten Seife herstellten.78 Nach dem Ersten Weltkrieg änderte sich, wenn man Kirchner glauben darf, die Zusammensetzung der Schülerschaft, und der jüdische Anteil nahm zu.79 Hätte EWB das noch miterlebt, wäre es möglicherweise zu weiteren Reibereien gekommen. Bereits mit siebzehn Jahren legte er das Abitur mit Auszeichnung 74 Louis de Jong, Die deutsche fünfte Kolonne im Zweiten Weltkrieg, Stuttgart, 1959 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; 4), S. 260. Vermutlich gestützt auf Ernst Wilhelm Bohle, Germans abroad, S. 17: „After all, my whole childhood was spent among British boys and girls, and I was educated with them. During the terrible war years I attended an English grammar school and was the only German boy at the school. These facts, I think, enable me to see both sides of the question.“ 75 Laut „New York Times“ vom 8. Mai 1915 starben „wahrscheinlich“ 1.260 Zivilisten, die sich an Bord der „Lusitania“ befanden. Bis heute sind die Hintergründe des Zwischenfalls ungeklärt. Möglich sind ein Versehen oder Absicht der deutschen UBoot-Kriegsführung, oder das Schiff wurde von den Alliierten den deutschen Torpedos „geplant“ geopfert, um die Weltmeinung gegen Deutschland zu mobilisieren. 76 Donald M. McKale, Ernst Wilhelm Bohle – Chef der Auslandsorganisation (AO), in: Ronald Smelser, Enrico Syring und Rainer Zitelmann, Die Braune Elite, Bd. 2. 21 weitere biographische Skizzen, Darmstadt, 1993, S. 26–38, hier S. 27. 77 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13510. 78 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13511. 79 „Das älteste und bisher berühmteste Gymnasium Kapstadts, The South African College School, zählt heute mehr als 3/5 aller Schüler unter den Juden. Was hilft es den Lehrern, daß sie persönlich antijüdisch eingestellt sind, selbst den Engländern ist diese Schule zu verjudet, so daß sie ihre Kinder in andere Schulen schicken“. Vgl. Hellmut Kirchner, Erbeutung und Ausbeutung Südafrikas, Berlin, 1940 (Schriften des Deutschen Instituts für Außenpolitische Forschung; 39 – Das Britische Reich in der Weltpolitik; 24), S. 58.
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ab. Für seine hervorragenden Leistungen erhielt er ein Queen Victoria Scholarship zugesprochen. Unmittelbar nach dem Schulabschluß erreichte ihn das Angebot seines Onkels Ernst Wilhelm aus Birmingham, als Juniorpartner in das von ihm gegründete und geleitete Fahrradimperium einzutreten. Dieser Onkel, in der Familie „der große EW“ genannt, war der Patenonkel des „kleinen EW“ und hatte keinen Sohn, sondern nur eine Tochter. Die Verlockung für EWB war groß, doch Vater Hermann lehnte dieses Angebot für seinen noch minderjährigen Sohn rundweg ab. Er wollte nicht, daß dieser in das „perfide Albion“ ginge und ein britischer Kapitalist würde. An seiner Stelle wurde sein Halbbruder Heinrich nach Birmingham geschickt, der zwar den Namen Bohle führte, aber eigentlich mit dieser Familie nicht blutsverwandt war. Man mag darüber spekulieren, was Hermann Bohle Sr. bewog, seinen Pflegesohn an Stelle seines leiblichen Sohnes zu seinem Bruder zu schicken. Heinrich arbeitete bis 1915 in der Firma J. A. Phillips Co. in Birmingham und wurde mitten im Krieg nach einem Brand, der Teile der Fabrik vernichtete, nach Kapstadt zurückgeschickt. Dies verstärkte seinen Eindruck, er werde von seinem Stiefvater und dessen Verwandten schlechter behandelt als die leiblichen Kinder, zumal er nicht wie diese auf der Naturalisierungurkunde von 1904 figurierte.80 Möglich, daß er sich nach seiner Rückkehr nach Südafrika deshalb zweimal freiwillig zum Kriegsdienst gegen Deutschland meldete, wegen seiner schwachen Konstitution jedoch nicht genommen wurde. EWB, der seinen autoritären Vater als seinen besten Freund bezeichnete, entschied sich für ein Volkswirtschaftsstudium. Er studierte drei Semester in Köln, 80 Vgl. sein „Addendum to curriculum vitae“, Churwalden, Januar 1946, in: E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956): „I submit that a great wrong has been done to me either knowingly or unknowingly by the late Hermann Bohle, my foster-father. For well-nigh half a life-time he left me under the impression that I was his legitimate son and as such, a British subject duly appearing on his Certificate of Naturalization. [. . .] Hermann Bohle had an elder brother living in England and married to an English lady. This brother, Ernst Wilhelm, resident and naturalized in Birmingham before Hermann Bohle’s arrival from Germany, was the co-founder and later managing director of Messrs. J. A. Phillips Co. Ltd., Smethwick, Birmingham, manufacturers of cycle parts and accessories. [. . .] For reasons of his own he must also have opposed my inclusion on Hermann Bohle’s application for naturalization and yet he allowed me, contrary to law, to bear the name of ,Bohle‘ and accepted me at the same time as his lawful nephew. – In 1914, Hermann Bohle sent me to Birmingham where I became an employee-apprentice of Messrs. J. A. Phillips. [. . .] I remained at large in Birmingham until 1915. A fire at the factory had made a further stay impossible and as far as I can remember, E. W. Bohle negotiated with the Home or Foreign Office for a permit for me to return home to Cape Town. – I submit that now that Hermann Bohle is dead I am entitled to know something of the truth. The subject of my illegitimate birth and real nationality was taboo during Hermann Bohle’s lifetime. I have shown that I was jostled about at will – given British status and German status whenever it seemed to please Hermann Bohle, – or at a later stage, E. W. Bohle of Birmingham. I have tried from Switzerland to contact E. W. Bohle at his address [. . .], but he does not reply“.
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ein Semester an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität und zwei an der Berliner Handelshochschule. Er konnte das Studium aufgrund der in Preußen gültigen Bestimmungen erst mit achtzehn Jahren aufnehmen. Die Überbrükkungszeit verlebte er bei seiner damals noch in Hannover lebenden Schwester Hermine. Bereits zwei Jahre später schloß er (Dezember 1923) als DiplomKaufmann mit der Note „gut“ ab. Wenn er den Reichskanzler und Außenminister Gustav Stresemann seinen „Duz-Bundesbruder“ nennt,81 müßte er in Berlin der Reformburschenschaft Neo-Germania angehört haben, in der Stresemann „alter Herr“ war. Dies ist insofern bemerkenswert, als sich die Reformburschenschaften auf das liberal-demokratische Erbe der Ur-Burschenschaften beriefen. Nach anderen Angaben trat EWB jedoch 1922 in Köln der Allgemeinen Deutschen Burschenschaft Alemannia und noch im gleichen Jahr in Berlin der Burschenschaft Gothia bei.82 Er wurde in seiner Burschenschaft wegen seiner dandyhaften Kleidung „arbiter elegantiarum“ genannt. Da er sich mit einem auf englische Pfund ausgestellten Scheck seines Vaters finanzierte, lebte er in diesen von Inflation und Wirtschaftskrisen bedrohten Jahren für deutsche Verhältnisse luxuriös und konnte sich Reisen in die Kurorte der Nordsee erlauben. Bei Frauen hatte er, was Wunder, großen Erfolg. Die braunen Uniformen der Nazis fand er häßlich, der ,Führer‘, so sagte er später, sei immer schlecht angezogen und in diesem Punkt kein Maßstab. Sein Vater lobte ihn wegen seines burschenschaftlichen Engagements: „He was ,Burschenschafter‘, so that he knows how to deport himself and is of good 81 Ich entnehme dies einem Brief EWBs (4.3.1960) an seinen Vetter Dr. Hermann Fernholz (Original Privatarchiv FRH), in dem er diesem vorschlägt, für die Werksbücherei der von ihm geleiteten Grünzweig + Hartmann-AG in Ludwigshafen die in Vorbereitung befindliche Propyläen-Weltgeschichte zu subskribieren und durch EWBs Versandbuchhandlung Peters und Bohle anschaffen zu lassen: Er könne sich gut vorstellen, daß Fernholz „an diesem hervorragenden Werk persönlich Interesse haben“ könnte. „Auf der letzten Seite des Prospektes wirst Du Deinen Freund und meinen Duz-Bundesbruder Stresemann finden! [. . .] Du wirst natürlich die Verbindung der Namen Stresemann – Thomas Mann – Ullstein ausgerechnet mit mir sehr neckisch finden, aber da Mr. Ullstein, der amerikanischer Staatsbürger ist, auch gegen meine Aufnahme in die American Chamber of Commerce in Germany keine Einwendungen hatte – was ich sehr nett von ihm fand – bestanden auch keine Bedenken, daß ich seine Bücher verkaufe.“ 82 Lilla/Döring, S. 91. – In mehreren Briefen vom September 1939 bittet ihn sein Bundesbruder Dr. iur. Herbert Strempel, RA am OLG Hamm, er möge ihn Reichsminister Hans Frank als Oberverwaltungschef für die gesamte Zivilverwaltung in den besetzten ehemals polnischen Gebieten bzw. Staatssekretär Stuckart für einen Verwaltungsposten empfehlen, zumal er über polnische Sprachkenntnisse verfüge. Er schreibt u. a.: „Vor einiger Zeit waren wir mit einer Reihe Bundesbrüdern zusammen, darunter auch Paul Schröder, der z. Zt. Direktor eines grossen Walzwerkes der Fa. Hoesch A.G. in Hohenlimburg ist und eine ganz hervorragende Stellung bekleidet. Bei dieser Gelegenheit haben wir auch Deiner gedacht. Ich habe auch ausdrücklich Auftrag erhalten, Dir sowohl von Schröder als auch von Bernd Elsen herzliche Grüsse zu übermitteln“ (Original Berlin, AA PP 27262).
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appearance, being about six feet tall“.83 Von 1924 bis 1927 arbeitete der junge Bohle nacheinander als Volontär, Korrespondent, Prokurist und Abteilungsleiter in deutschen und ausländischen Exportfirmen. Von 1930 bis 1933 führte er eine eigene Großhandelsfirma für Autozubehör.84 Aus Enttäuschung über die politische und wirtschaftliche Situation Deutschlands trat er in den nationalen Wehrverband ,Jungdeutscher Orden‘ ein.85 Dabei handelte es sich um einen von dem konservativen Politiker Arthur Mahraun 1920 gegründeten Kampfbund mit antiparlamentarischen und antikapitalistischen Zielen. Trotz seiner völkischen Ausrichtung wurde er im Juni 1933 verboten, möglicherweise weil ihn die Nazis als Konkurrenz betrachteten.86 Nach dem Erwerb des Diploms arbeitete EWB zwei Jahre in dem Bergneustädter Exportgeschäft Gebrüder Bohle. Fritz Hausmann, der Schwager seines Vaters, hatte das Unternehmen im Jahr 1922 gemeinsam mit zwei angeheirateten Vettern, Eugen und Wilhelm Adolf (in der Familie Willy oder „WA“ genannt) Bohle, gegründet.87 Hausmann war der haftende Komplementär, die Vettern waren Kommanditisten. Das notwendige Gründungskapital war von Ernst Wilhelm Bohle aus Birmingham mit der Auflage zur Verfügung gestellt worden, möglichst viele Verwandte in die Firma einzubinden und in Lohn und Brot zu setzen. Am 1. Juli 1925 wurde mit den bereits genannten und zwei weiteren Vettern, Erwin und Rudolf Bohle, die Kommanditgesellschaft Rudolf Bohle u. Co. ins Handelsregister eingetragen und mit der ersten Firma zu einer Kommanditgesellschaft Gebrüder Bohle u. Co. (abgekürzt BOLCO) zusammengelegt. Sie unterhielt dreißig Filialen in Deutschland und verkaufte die in Birmingham produzierten Fahrräder. Eine angegliederte Abteilung „Stahlwaren“ produzierte in Bergneustadt und Solingen Zulieferteile. Der pompöse Kopfbogen der Firma weist auch ein Haupt-Kontor in Rotterdam aus. Wilhelm Adolf Bohle lebte eine Zeitlang in Japan und China, um den ostasiatischen Markt zu 83 NASA, 1/2401 PM 122/105 (Schreiben an Außenminister Dr. Bodenstein vom 1.7.1930). 84 Biographisches Handbuch des deutschen Auswärtigen Dienstes (BHDAD), Bd. 1, A–F, Bearbeiter: Johannes Hürter, Martin Kröger, Rolf Messerschmidt, Christiane Scheidemann, Paderborn [u. a.], 2000, S. 208–209; maschinenschr. Lebenslauf (Kopie Privatarchiv FRH). Genannt werden N.V. Baedekers Handels-Maatschappij, Rotterdam, Exporteure nach Fernost; Gebr. Bohle, Bergneustadt b. Köln, Exportfirma für Werkzeuge und Fahrradbestandteile; O. Meyer & Co., Hamburg; Oppenheimer Casing G.m.b.H., Hamburg-Chicago; Atkinson-Howell Merchandising Corporation, HamburgKanada; Fa. E. L. Quarles Corporation, New York, Niederlassung Hamburg; ChryslerGeneralvertretung für Deutschland, desgleichen Kissel Motor Car Company, Hartford WIS. 85 Trauerrede für Ernst Wilhelm Bohle von Pastor Kruse – St. Jacobi, Krematorium Hamburg-Ohlsdorf, 15.11.1960, S. 4 (maschinenschr., Kopie Privatarchiv FRH). 86 Heinrich Wolf, Der Jungdeutsche Orden in seinen mittleren Jahren 1922–1928, 2 Bde., München, 1972–1978. 87 Die ,Globalisierung‘ des Hauses Bohle: Eine Schwalbe macht noch keine Geschichte, in: RadMarkt 1997, Nr. 4 (April), S. 34–37.
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erschließen. Ein Photo zeigt ihn auf einer Fernreise bei einem Kunden in Mukolen (Nordchina), dem er offenbar einige Fahrräder verkauft hat.88 Die Firma BOLCO zahlte ansprechende Löhne und Gehälter, doch erwies sich das Leitungsgremium der Vettern als wenig effektiv, die persönlichen Bezüge der Firmengründer als zu hoch bemessen. Zwar erwirtschaftete die KG im Jahr 1927 1 Mio. Mark, konnte jedoch einen Kredit der Deutschen Bank in Höhe von 30.000 Mark nicht binnen zwei Tagen „abdecken“ und ging daher im August 1928 in Konkurs. In einem Vergleichsverfahren wurde der Firmenzusammenschluß aufgelöst. Fritz Hausmann schied aus der Firma aus. Die Fa. Gebr. Bohle existierte weiter und betrieb vor allem in der Vorkriegszeit einen lebhaften Exporthandel mit Asien, nicht nur mit Fahrradteilen. Diesen Aktivitäten setzte der Weltkrieg ein Ende. Als letztes Wetterleuchten dieser undurchschaubaren Geschäfte mag die Mitteilung des Hafenmeisters aus Bandar Abbas am Persischen Golf aus dem Jahr 1947 gelten, auf seinem Gelände befände sich eine unzustellbare Ladung von Karosserieteilen US-amerikanischer Luxuslimousinen, die den Absender Gebr. Bohle, Bergneustadt near Cologne, Germany, trügen.89 Ernst Wilhelm Bohle arbeitete zu diesem Zeitpunkt längst nicht mehr in Bergneustadt und war von dem Ruin der Großvettern nicht direkt betroffen. Immerhin hatte er bei BOLCO einen anderen Lehrling kennengelernt, der später für ihn wichtig werden sollte, seinen um ein Jahr jüngeren Vetter zweiten Grades Ernst Hermann Fernholz.90 Dieser hatte soeben mit einem Studium der 88
Ebd, S. 34. Freundliche Mitteilung von Herrn Dr. med. Stefan Bohle (Derschlag b. Gummersbach), der mir das Photoalbum seines Großvaters Adolf Wilhelm zur Verfügung stellte, in dem auch ein Photo aus den dreißiger Jahren mit der Unterschrift „Die Afrikaner auf Besuch“ zu sehen ist. Es zeigt u. a. Heinrich, EWB und Gertrud Bohle. 90 Ernst Hermann Fernholz (1904–1985) stammte aus Bergneustadt und studierte nach einer Lehre als Exportkaufmann in Köln Staats- und Sozialwissenschaften. Dort promovierte er 1929 mit einer preisgekrönten Arbeit über Walter Rathenau (Walther Rathenau als Nationalökonom, Berlin, 1930). Nach einer Tätigkeit für die „Reichsarbeitsgemeinschaft für deutsche Verkehrsförderung“ und die Telefunken AG in Berlin kam er 1942 nach Ludwigshafen a. Rh., wo er bis 1947 Mitglied und alsbald stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes der Halberg Maschinenbau & Gießerei AG wurde. Seine nächste Station war die Grünzweig + Hartmann GmbH, die zu Dreivierteln zerstört war. Diese Firma, die zur bedeutendsten europäischen Firma für Isolierstoffe wurde und nichtbrennbare Dämmstoffe aus Glas- und Steinwolle produzierte, verdankt ihm ihren Aufstieg. Er verwandelte sie 1952 in eine AG. Fernholz gehörte diversen Vorständen an, war Ehrenpräsident der Industrie- und Handelskammer für die Pfalz und Ehrensenator der Universität Mannheim. Er schied nach 23jähriger Tätigkeit 1970 aus der Firma aus. Vgl. Ehrung für einen dynamischen Wirtschaftler, in: Mannheimer Morgen Nr. 126, 4. Juni 1964 (Mannheimer Lokalnachrichten 2); Eng der pfälzischen Wirtschaft verbunden. Ernst Hermann Fernholz wird 80, in: Die Rheinpfalz Nr. 128, 2. Juni 1984 (Wirtschaftsteil); Gedanken über die posthume Periode des Managements, in: Mannheimer Morgen Nr. 130, 4. Juni 1984, S. 3; Ernst Hermann Fernholz, Reden, Ludwigshafen: Verlag der Werkszeitschrift G + H, 1970. 89
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Volkswirtschaft in Köln begonnen und sollte es einmal weit bringen. Zum damaligen Zeitpunkt hing er noch sozialistischen Ideen an und provozierte den deutschnational gesinnten Ernst Wilhelm beim gemeinsamen morgendlichen Gang zum Büro der BOLCO-Geschäftsführung mit dem Singen der Internationale. Bohle konterte mit dem Ehrhardt-Lied, das in rechten Kreisen populär war und in mehreren Versionen existiert. Die bekannteste lautet: Kamerad reich mir die Hände, fest wollen zusammen wir stehn. Mag man uns auch bekämpfen, der Geist soll nicht verwehn. Hakenkreuz am Stahlhelm, Schwarzweißrot das Band, die Brigade Ehrhardt werden wir genannt.
Da Bohle sein Wirkungsfeld schon bald nach Hamburg verlagerte, verloren sich die Vettern für viele Jahre aus den Augen. Erst fünfunddreißig Jahre später, am 11. August 1958, nahm Ernst Wilhelm aus noch zu erörternden Gründen wieder Kontakt zu Hermann Fernholz auf. Offenbar waren sie sich in der NS-Zeit in Berlin, wo der eine bei der Telefunken AG, der andere bei der Auslandsorganisation der NSDAP in der Tiergartenstraße 4a, danach am Fehrbelliner Platz arbeitete, aus dem Weg gegangen. Fernholz hielt aus Überzeugung Distanz zu den Nazis, und Bohle gehörte in seinen Augen zu den Mächtigen. Jetzt, im Jahr 1958, hatten sich die Verhältnisse umgekehrt: Fernholz war ein einflußreicher Industriekapitän, der längst seinen sozialistischen Idealen abgeschworen hatte, Bohle ein selbständiger Kaufmann, der dringend Aufträge benötigte. Aber immer noch trug ihm Fernholz die alten Streitigkeiten nach, die eigentlich eine Neckerei unter gleichaltrigen Verwandten gewesen war. Bohle schrieb Fernholz am 15. Januar 1959: Es lag mir daran, Dir mit diesen Zeilen zum Ausdruck zu bringen, dass ich zwar aufgrund meines glücklicheren Naturells nicht sehr viel Verständnis dafür haben kann, dass man einen Zwist zwischen 19-jährigen auch nach fast 40 Jahren aufrechterhält, dass ich es aber trotzdem imponierend finde, dass du mit bergischer Sturheit an einem einmal gefassten Standpunkt festhältst. Wäre ich nicht zufällig in England geboren und unter Engländern grossgeworden, vielleicht wäre ich auch so. So liegt mir aber mehr das ,fortiter in re, suaviter in modo‘.91
Diese Zeilen sind in mehrfacher Hinsicht aufschlußreich: Bohle war ein geborener Diplomat, der Konflikte elegant überspielen konnte. Wenn es ihm passend schien, berief er sich auf seine englische Erziehung, die ihm eine Weltläufigkeit antrainiert hatte, welche in Deutschland damals nicht häufig anzutreffen war. Ihr verdankte er ein Basisempfinden für Fairness92 und Zivilcourage. Radikalität war ihm suspekt. Als sein Sohn Hermann Jr. als gläubiger Jungvolk91
Original Privatarchiv FRH.
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Pimpf 1940 einem benachbarten jüdischen Arzt eine Tüte voll Sand ins Küchenfenster warf und dies seinem Vater strahlend berichtete, konterte der nur knapp: „Laß das in Zukunft – nur bei SS-Führern gehört Mut dazu“.93 In diesem Kontext verdient festgehalten zu werden, daß EWB, anders als sein Vater, das British Empire und seine Eliten auch noch als Nationalsozialist bewunderte. In einem 1938 von Joachim von Ribbentrop in London herausgegebenen Sammelband unter dem Titel „Germany speaks“ ist auch Bohle als „Head of the Foreign Organisation of the National Socialist Party and Secretary of State in the Foreign Office“ vertreten. Einundzwanzig NS-Führer aus Partei und Staat (z. B. Innenminister Wilhelm Frick, der Spezialist für Bevölkerungsund Rassenpolitik im Reichsinnenministerium Arthur Gütt, der Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP Walter Gross, Reichsjustizminister Franz Gürtner, Reichsfrauenführerin Gertrud Scholtz-Klink, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust, Reichsbauernführer Richard Walther Darré, der Führer der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley, Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht u. a.) kommen zu Wort, um in englischer Sprache die Grundlagen des ,Dritten Reichs‘ zu erläutern.94 EWB berief sich gleich zum Auftakt seines Beitrags auf seine englische Abstammung, die ihm eine für einen deutschen Politiker einmalige Kenntnis von Land und Leuten Großbritanniens ermögliche.95 Am Schluß bescheinigte er den auslandsdeutschen Nationalsozialisten eine besondere Sensibilität für Frieden und Verständigung.96 92 Vgl. z. B. Bohle, Germans abroad, S. 16: „There is an English word that has found its way into numerous languages in its original form and that is more appropriate than any other to serve as a basis for approaching all questions connected with our Foreign Organisation and the German communities. That word is ,fairness‘“. 93 Hermann Bohle Jr., Nachwort. Hermann Bohle bittet um das Vertrauen der Leserinnen und Leser“ (nicht veröffentl. Ms., Kopie Privatarchiv FRH). 94 Germany speaks: by 21 leading members of party and state, with a pref. by Joachim von Ribbentrop, London: Thornton Butterworth Ltd., 1938, S. 326. Von einer 1939 erschienenen erweiterten Ausgabe „Tyskland Talar“ (Stockholm, Medéns Förlag) berichtet der Aufklärungs-Ausschuß Hamburg-Bremen in einem Brief (11.12.1939) an Bohle (Berlin, PA AA R 27224). 95 Zit. wird nach einem undatierten Sonderdruck, vermutlich aus dem gleichen Jahr: „I was born at Bradford in Yorkshire, and spent the whole of my youth within the British Empire, partly in England and partly in South Africa. It is generally agreed that the impressions we receive during the first sixteen or seventeen years of our lives are particularly lasting in their effects upon our subsequent development. It is but natural, therefore, that my knowledge of Great Britain and the British should be more intimate and deeper than it would be had I acquired it in later life. In like manner, a British boy born and educated in Germany is certain to have a far better understanding of that country, and the national traits of the German people, than one born and bred in England, even though he may have made a profound study of our country and people when grown up“ (S. 3). 96 „We National Socialists from foreign countries do the work that the Führer wants us to do. We are his loyal and devoted followers because we know that by carrying out his instructions we shall ensure the peace and happiness of our own country, and
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I. Herkunft und Jugend
Bohle hatte am 14. November 1925 die Arzttochter Gertrud Bachmann97 aus Vollmerhausen, einem Vorort von Bergneustadts Nachbarstadt Gummersbach, geheiratet. Das Paar hatte sich auf Vermittlung von EWBs Studienfreund Carl Hundhausen, der später für die Firma Krupp arbeitete und ein anerkannter Public-Relations-Fachmann wurde, kennengelernt.98 Es war eine Liebesheirat, die in beiden Familien wegen des jugendlichen Alters der Brautleute auf wenig Begeisterung stieß. Der Vater der Braut, Dr. Fritz Bachmann (1876–1962), stammte aus Kassel-Wilhelmshöhe, die Mutter, Marie Nölting (gest. 1944), aus Mecklenburg. Im Ersten Weltkrieg war Dr. Bachmann, da er infolge einer Gasverletzung nicht mehr frontdiensttauglich war, in St. Goar als Standortarzt stationiert. Über Köln kam er nach Vollmerhausen, wo er sich neben der Trikotagenfabrik Leopold Krawinkel niederließ. Bereits um 5 Uhr 30 öffnete er frühmorgens seine Praxis, damit die Krawinkel-Beschäftigten vor Arbeitsbeginn ohne Lohnverlust „zum Doktor“ gehen konnten. Bachmann war ein angesehener Arzt, der es bis zum Vorsitzenden der Oberbergischen Ärzteschaft brachte. Als der als ,Frontkämpferbund‘ gleichgeschaltete ,Stahlhelm‘ 1934 aufgelöst wurde und man ihm nahelegte, in die SA einzutreten, weigerte er sich. Angesichts der deswegen drohenden Absetzung wandte er sich an seinen Schwiegersohn in Hamburg, der jedoch abwiegelte: „Bei einer großen Revolution gibt es immer Mißgriffe“.99 Sein Sohn Peter Bachmann trat nur vier Monate, nachdem sein Schwager Ernst Wilhelm Bohle Staatssekretär im AA geworden war, ebenfalls in den diplomatischen Dienst ein.100 EWB dürfte, wie in anderen Fällen auch, seine Hand über den neun Jahre jüngeren Schwager gehalten haben. Am 15. Juli 1928 wurde Hermann Friedrich (Rufname Hermann), der einzige Sohn von Gertrud und Ernst Wilhelm Bohle, in Vollmerhausen geboren. Er wurde später ein bekannter Journalist.101 Die Mutter war zur Entbindung, die ihr eigener Vater vornahm, kurzzeitig von Hamburg, wo die Familie lebte, nach Vollmerhausen zurückgekehrt. EWB war kein treuer Ehemann; seine Ehe wurde jedoch erst ein halbes Jahr vor seinem Tod geschieden, was er gerne wieder rückgängig gemacht hätte. Gerüchte, er habe später Dr. Elisabeth Gombel geheiratet, die Anwältin, die ihn im Wilhelmstraßen-Prozeß verteidigte, sind nicht assist in healing the wounds inflicted upon a distracted world that knows no peace“ (ebd., S. 19). 97 Gertrud Bohle geb. Bachmann (27.11.1904 Kassel–8.5.1998 Hamburg). 98 Peer Heinelt, „PR-Päpste“. Die kontinuierlichen Karrieren von Carl Hundhausen, Albert Oeckl und Franz Ronneberger, Berlin, 2003 (Rosa-Luxemburg-Stiftung). 99 Auskunft von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). 100 Peter Bachmann (1913–1942), 1.8.1934–30.9.1935 Volontär in der AO der NSDAP, 1.10.1935–31.1.1937 Angestellter des Reichsluftfahrtministeriums beim Luftattaché an der Londoner Botschaft, 13.5.1937 Einberufung in den Auswärtigen Dienst, ab dem 5.8.1940 mit Unterbrechungen Militärdienst, gefallen am 24.8.1942 auf dem Weg nach Stalingrad, vgl. BHDAD, Bd. 1 (2000), S. 59–60. 101 Zur Biographie s. u., Kap. IV.1.
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zutreffend.102 Nach der Haftentlassung war er allerdings ihretwegen nach Hamburg gezogen. Gertrud Bohle war eine völlig unpolitische Frau, die niemals der NSDAP oder einer ihrer Unterorganisationen beitrat. Als die Parteiführung EWB 1942 ansprach, warum seine Frau nirgends Mitglied sei, antwortete er: „1933 haben wir es vergessen, jetzt ist es uns zu albern!“ So blieb Gertrud Bohle „draußen“. Das NS-Regime nahm ein solches Verhalten nur in der „oberen Etage“ hin. Frau Bohle überlebte ihren Mann um achtunddreißig Jahre. EWB kam 1928 in Hamburg mit der NSDAP in Berührung, vermutlich im Vorfeld der Reichstagswahlen vom 20. Mai. Es gab keine Stadt, die Adolf Hitler so oft besucht hat wie die Hansestadt. Er soll insgesamt dreiunddreißigmal dorthin gekommen sein. Hamburg war eine der fünf ,Führerstädte‘ und sollte die „Hauptstadt der Schiffahrt“ werden. Seinem Nürnberger Ankläger Robert M. W. Kempner antwortete Bohle auf die Frage, warum er Nazi geworden sei: „Ich bin im britischen Weltreich aufgewachsen. Dort erlebte ich, wie geborgen sich jeder Brite fühlte als Bürger des Imperiums. Als ich 1928, damals 25 Jahre alt, in Hamburg Hitler erstmals reden hörte, dachte ich, er würde ein Reich aufbauen, in dem ich mich als Deutscher fühlen würde wie jeder Brite im Empire“.103 Angesichts der inneren Zerrissenheit Deutschlands und der hohen Zahl von Arbeitslosen habe er allein der NSDAP zugetraut, Recht und Ordnung wiederherzustellen und den Massen soziale Gerechtigkeit zu bescheren. Bereits damals plante er den Eintritt in die Nazi-Partei, wurde aber wegen seiner britischen Staatsbürgerschaft bzw. seiner Doppelstaatsangehörigkeit nicht aufgenommen. Zu Hamburg äußerte er sich wie folgt: Es ist kein Zufall gewesen, daß der Gedanke einer Werbung für die nationalsozialistische Idee unter den Deutschen im Auslande zuerst in Hamburg gefaßt wurde. Die alte Hansestadt verfügt seit Jahrhunderten über die mannigfaltigsten Beziehungen zu allen Teilen der Welt, insbesondere zu den großen deutschen Kolonien in Übersee. Wie kaum in einer zweiten Stadt Deutschlands trifft man in Hamburg immer wieder Fäden, die bis in die entlegensten Winkel der Erde führen.104
In der Hansestadt heuerten die meisten Seeleute an, hier gingen die meisten deutschen Rückwanderer aus Übersee an Land, wenn sie nach Deutschland zurückkehrten. Ein besserer Ort für die außerdeutsche Werbung der NSDAP konnte demnach nicht gefunden werden. Ganz so klar scheint dem jungen Bohle sein weiterer Lebensweg nicht gewesen zu sein. Als die Regierung der Südafrikanischen Union im Jahr 1930 beschloß, in Berlin eine Handelsmission zu eröffnen, bewarb sich im April zu102
So fälschlich McKale (1977), S. 35. Dies und das folgende laut Mitteilung von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). 104 Ernst Wilhelm Bohle, Die Auslandsorganisation der NSDAP, in: Almanach der nationalsozialistischen Revolution. Hrsg. von Oberpräsident Wilhelm Kube unter Mitarbeit von Willi Bischof und Dr. Heinz Weiß. Mit vergleichenden Bilddokumenten der Zeit, Berlin, 1933, S. 90–96, hier S. 90. 103
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nächst sein Bruder Heinrich um eine Mitarbeiterstelle. Im Juli reichte Hermann Bohle Sr. stellvertretend für seinen in Deutschland lebenden Sohn Ernst Wilhelm ebenfalls eine Bewerbung ein. Er wandte sich an den südafrikanischen Außenminister Dr. H. D. J. Bodenstein (Secretary of Foreign Affairs) persönlich und lobte die Qualifikation seines Sohnes in höchsten Tönen. Er verfüge über ein sicheres Auftreten, wisse sich zu benehmen und achte stets penibel auf sein Äußeres. Er habe, da er sein Examen so früh abgelegt habe, auch früh geheiratet, könne aber für sich und seine Familie aufkommen und bereite nebenbei an der Hamburger Universität ein Doktorat vor. „I understand that the Government contemplates the establishment of a legation at Berlin in the not too distant future. Such being the case it might be possible for you to make use of the services of my second son, who has always had a strong leaning towards the diplomatic service, and whose training has been suitable for such work“.105 Bodenstein formulierte am 17. Juli 1930 eine diplomatische Absage. Ganz geheuer scheinen ihm die Bewerbungen der Söhne eines notorischen Vorkämpfers für das Deutschtum nicht gewesen zu sein: „I have the honor to acknowledge the receipt of your letter [. . .], and to inform you that your son’s name has been duly recorded in this Department. I may mention, however, that there is at present no suitable vacancy to which he could be appointed, but his application will be duly considered in the event of a vacancy occurring in the near future“. Immerhin haben wir hier den ersten schriftlichen Beweis für die Absicht des jungen Bohle, einmal Diplomat zu werden. In seinem Hamburger Umfeld traf Bohle auf Gesinnungsfreunde, von denen einige ebenfalls über Afrika-Erfahrung verfügten, wie der Exportkaufmann Willy Grothe, ein bewährter SA-Mann, der zwanzig Jahre in Afrika gelebt hatte und jetzt vor allem im Afrikahandel tätig war. Der 1885 geborene Grothe war in der Anfangsphase der AO weltweit das älteste Mitglied. Ein anderer Bekannter war der Import-Export-Kaufmann Wilhelm Bisse, den EWB später mit der Leitung des Außenamtes der AO betraute.106 Wichtig war auch die Bekanntschaft mit Walther Hewel, der im allgemeinen als Ribbentrop-Mann gilt, obwohl er mehrere Jahre für die AO gearbeitet hatte. Seine Biographie weist große Ähnlichkeiten mit der Bohles auf: Beide waren fast gleichaltrig, hatten Wirtschaftswissenschaften studiert, standen Rudolf und Alfred Heß nahe, waren anglophil und verfügten über Auslandserfahrung. Hewel arbeitete von Februar 1925 bis März 1926 als Volontär bei einem Import- und Exporthaus in Hamburg, zu einem Zeitpunkt, als EWB ebenfalls in Hamburg eine ähnliche Position bekleidete. Hewel ging für ein Jahr nach England und wanderte 1927 nach Java aus, wo er bis 1936 blieb. Als Teilnehmer des Hitlerputsches hatte er von
105 Beide Anträge und die Antwortschreiben des Außenministeriums sind dokumentiert in: NASA, 1/2/41 PM 122/105. 106 Lilla/Döring, S. 76.
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Oktober bis Dezember 1924 eine Haftstrafe auf der Festung Landsberg verbüßt und stand Hitler und Heß besonders nahe. Ribbentrop scheint ihn der AO abgeworben zu haben, denn Hewel trat am 1. Februar 1937 in die ,Dienststelle Ribbentrop‘ ein, wo er das Englandreferat übernahm. Ribbentrop holte ihn am 16. Juni 1938 ins Auswärtige Amt und machte ihn zum Leiter seines persönlichen Stabes. Am 28. September 1939 wurde Hewel Gesandter I. Klasse, Ministerialdirigent und Ständiger Beauftragter des Reichsaußenministers beim ,Führer‘. Hewel hatte zwar bereits 1923 der alten und später aufgelösten NSDAP angehört, trat aber am 1. Juni 1933 in die Landesgruppe der AO in Niederländisch-Indien ein, in der er als ,Dezernent niederländisch-indische Außengebiete‘, ,Wirtschaftsstellenleiter für Bandoeng‘ und ,Pressereferent der Landesgruppe Niederländisch-Indien‘ fungierte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland scheint er kurzfristig Gau-Hauptstellenleiter im Ostasienreferat der AO gewesen zu sein. Welche Beziehungen er im einzelnen zu Bohle unterhielt, wissen wir nicht, doch betrachtete ihn dieser als Vorbild. Hewel wagte es als einer der wenigen, Hitler und Ribbentrop zu widersprechen und setzte sich, wie Bohle und Heß, für eine Verständigung mit Großbritannien ein.107 Die Idee, eine Auslandsabteilung der NSDAP zu gründen, ging angeblich auf Grothe, anderen zufolge auf den Brasiliendeutschen Dr. Hans Asanger,108 zurück. Grothe wandte sich an den jungen Reichstagsabgeordneten Hans Nieland. Dieser hatte ebenfalls Rechts- und Staatswissenschaften studiert, war aber bereits seit Janaur 1926 NSDAP-Mitglied. Er unterbrach seine Tätigkeit als kaufmännischer Angestellter in Hamburg im Jahr 1925, kehrte in seine westfälische Heimat zurück und begann dort eine Ausbildung in der Kommunal- und Staatsverwaltung. Im Dezember 1928 wurde er Referendar bei den Justizbehörden in Altona und gelangte am 14. September 1930 für die NSDAP im Wahlkreis Hamburg in den Reichstag. Reichsorganisationsleiter Gregor Straßer ernannte ihn am 1. Mai 1931 zum vorläufigen Leiter der in Hamburg gegründeten ,Auslands-Abteilung der Reichsleitung der NSDAP‘.109 Die Auslands-Abteilung wurde für alle außerhalb der deutschen Reichsgrenzen lebenden Parteigenossen zuständig, zunächst unter Einschluß von Österreich, Memel und Danzig. Die 107 Enrico Syring, Walther Hewel – Ribbentrops Mann beim ,Führer‘, in: Smelser, Syring, Zitelmann (wie McKale, 1993), Bd. 2, S. 150–165; BHDAD, Bd. 2 (2005), S. 300–301. 108 Asanger gründete angeblich am 1. Juli 1928 in Benedito Timbo in Südbrasilien die erste nationalsozialistische Ortsgruppe, weshalb die AO am 1. Juli 1943 ihr fünfzehnjähriges Bestehen feierte, vgl. Fünfzehn Jahre AO, in: Hamburger Fremdenblatt Nr. 181, 3.7.1943. Vgl. auch den englischen Bericht über die darauf bezogene Sendung im deutschen Auslandsrundfunk von Georg Schuster, Sozialismus und Auslandsdeutschtum, am 4.7.1943, in: London, WL 211A2. 109 Zu Nieland (1900–1976) vgl. Albert Krebs, Tendenzen und Gestalten der NSDAP. Erinnerungen an die Frühzeit der Partei, Stuttgart, 1959, S. 73, 101, 115; Christel Hermann, Oberbürgermeister der Stadt Dresden Hans Nieland und Stellvertreter Rudolf Kluge, in: Dresdner Geschichtsbuch Bd. 7, Altenburg, 2001, S. 181–200.
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I. Herkunft und Jugend
Binnengliederung der einzelnen Landesgruppen entsprach in etwa der der inländischen Partei: Block, Zelle, Stützpunkt, Ortsgruppe, Landesgruppe, mit den entsprechenden Leitern und Vertrauensmännern. In der Hamburger Zentrale gab es, wie in den Reichsgauen auch, nach Sachfragen benannte Abteilungen. Im Herbst 1931 war Nieland für 751 eingeschriebene Mitglieder, sowohl Auslandsdeutsche mit deutschem Paß wie Volksdeutsche mit fremder Nationalität, verantwortlich. Gegen die Mitgliedschaft von Volksdeutschen erhob sich schon bald parteiinterner Widerstand, denn sie hätte leicht zu internationalen Verwicklungen führen können. Der Konflikt sollte noch einige Jahre schwelen und Bohle häufig belasten. EWB hatte sich auf eine Zeitungsanzeige der Auslandsabteilung beworben, die einen Mitarbeiter für ihr Afrika-Referat suchte,110 und sich der AuslandsAbteilung im Dezember 1931 zunächst ehrenamtlich als Spezialist für Südafrika zur Verfügung gestellt. Sein Ansprechpartner war Willy Grothe.111 Am 1. März 1932 trat EWB in die NSDAP ein (Mitglieds-Nummer 999.185). Warum man jetzt keinen Anstoß mehr an seiner Doppelstaatsangehörigkeit nahm, ist unklar. Möglicherweise fragte niemand danach. In einer Broschüre von 1934 heißt es, ihm sei im Juli 1933 die Reichsangehörigkeit zuerkannt worden.112 Der Grund für Bohles Engagement gerade in der Auslandsabteilung dürfte mit seinem Status als Auslandsdeutscher, der vom Vater genossenen Erziehung, möglicherweise aber auch einem beruflichen Engpaß zusammenhängen. Infolge der Weltwirtschaftskrise war er arbeitslos geworden und konnte seine Familie nur mit Müh und Not ernähren. Wenn er seiner Frau eine Mark zum Einkaufen gab, ermahnte er sie: „Geh sparsam damit um!“ Später amüsierten sich beide über diese Zeit.
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De Jong, S. 260. Bohle (23.9.1938) an Gauamtsleiter Willy Grothe. Bohle dankt ihm für die Organisation der VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen und fährt fort: „Es sind jetzt bald sieben Jahre her, daß der damalige Nichtparteigenosse E. W. Bohle sich in Hamburg bei dem Herrn Dezernenten Willy Grothe meldete und ihm als kleiner Referent für Südafrika zugeteilt wurde. [. . .] Lassen Sie mich persönlich hinzufügen, daß ich ihr noch recht viele Jahre der Zusammenarbeit mit meinem ältesten Mitkämpfer zum Wohle der AO und damit des nationalsozialistischen Auslandsdeutschtums wünsche“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 112 Bohle, Die Entscheidung draussen, S. 4 („Geleitwort“, vermutlich von Pfarrer Friedrich Wilhelm Brepohl nach EWBs Angaben verfaßt). 111
II. Im Dienst von Partei und Staat 1. Abteilungsleiter oder Gauleiter? Schon bald stieg Ernst Wilhelm Bohle zum persönlichen Assistenten von Hans Nieland auf. Die ausländischen Landesgruppen wuchsen stetig und wurden zu einem wichtigen politischen Faktor, da sich ihre Mitglieder, obwohl EWB das in seinen Nürnberger Vernehmungen später bestritt, gelegentlich durchaus als ,Fünfte Kolonne‘ der Nazis verstanden und in ihren Gastländern für die Hitlerpartei agitierten. In seinen Rechenschaftsberichten stellte Nieland die Entwicklung der Auslands-Abteilung ausschließlich positiv dar. Bis zum 1. September 1932 seien bereits 10 Landesgruppen, 34 Ortsgruppen und 43 Stützpunkte errichtet worden.1 Sein Reichstagsmandat hinderte Nieland in Wirklichkeit daran, sich intensiv um seine Auslands-Abteilung zu kümmern. Bohle, der die Hauptarbeit leistete, bestritt ihm schon bald die nötige Kompetenz, da er keinerlei Auslandserfahrung habe. Auch die Tatsache, daß Nieland seine Schwester und seinen Vater beschäftigte, die anscheinend nicht besonders fähig waren, sorgte für Unruhe. Im Mai 1932 trat Bohle deshalb aus der Abteilung aus und arbeitete temporär für das Ägyptische Konsulat als Dolmetscher. Doch auf Drängen Nielands, der ohne ihn hilflos war, kehrte er im Herbst wieder in die Auslandsabteilung zurück. Zum Dank wurde er zum Gauinspekteur ernannt und erhielt endlich ein festes Gehalt. Seine Geschäfte als Autohändler und Ersatzteilbeschaffer waren nicht besonders profitabel, immer wieder wurde er arbeitslos, so daß er dieses Gehalt gut gebrauchen konnte. Die Stimmen mehrten sich, Nieland abzulösen. Noch einmal hatte dieser Glück, denn die AuslandsAbteilung wurde aufgewertet und zum ,Gau Ausland‘ hochgestuft, Nieland vom Abteilungs- zum Gauleiter befördert. Seine Freude währte nur kurz. Da sein Vorgesetzter Gregor Straßer nach dem Debakel der Reichstagswahl vom 8. Dezember 1932 aus allen Ämtern ausschied, wurde auch Nielands Position geschwächt. Ein Diadochenkampf um den Gau Ausland entbrannte, denn für diesen Sektor interessierten sich die Auslandsdeutschen Rudolf Heß und Alfred Rosenberg nicht minder als Robert Ley. Alfred Rosenberg hatte am 1. April 1933 in Konkurrenz zum Auswärtigen Amt (AA) das ,Außenpolitische Amt‘ (APA) der NSDAP begründet und wollte den Gau Ausland damit vereinigen, 1 Vgl. das knappe und präzise Kap. 2 „Die Auslandsorganisation in Deutschland“, in: Jürgen Müller, Nationalsozialismus in Lateinamerika: Die Auslandsorganisation der NSDAP in Argentinien, Brasilien, Chile und Mexiko, 1931–1945, Stuttgart, 1997 (Histoamericana; 3), S. 21–91.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
um seine Machtposition zu stärken. Das zumeist aus außenpolitischen Amateuren zusammengesetzte ,Außenpolitische Amt‘ vermochte nicht, sich gegen die konkurrierenden Parteidienststellen durchzusetzen, zumal Hitler keine entsprechende Direktive erließ.2 Seine selbstgesetzte Aufgabe bestand vor allem darin, gegen die Sowjetunion zu agitieren, die NS-Rassenideologie in Großbritannien und den skandinavischen Staaten zu verbreiten und Kontakte zu den faschistischen Parteien anderer Staaten zu pflegen.3 Robert Ley, von Nielands Berichten beeindruckt, sorgte für weitere Verwirrung, als er, inzwischen Straßers Nachfolger als Reichsorganisationsleiter, den ,Gau Ausland‘ in ,Abteilung für Deutsche im Ausland‘ umbenannte und ihn damit wieder zurückstufte. In dieser unübersichtlichen Situation schlug die Stunde für Heß und Bohle.4 Hitler schien es nicht opportun, die im Aufbau begriffene weltweite Organisation der Partei einem Mann wie Rosenberg anzuvertrauen, dessen doktrinäre Ansichten das ohnehin existierende Mißtrauen des demokratischen Auslandes gegenüber den neuen Nazi-Machthabern nur noch vergrößern mußten. Die Selbständigkeit der Auslands-Abteilung blieb erhalten. In mehreren Schritten wurde Bohle im April und Mai 1933 mit ihrer Leitung beauftragt, um sie in Hamburg neu aufzubauen. Nieland wurde von Ley gedrängt, die Geschäfte an Bohle zu übergeben und sich auf seine übrigen Aufgaben zu konzentrieren. Der ehemalige Gau Seefahrt mit seinen ca. 7.000 Mitgliedern wurde der neuen Abteilung eingegliedert, was kurzfristig zu Reibereien führte. Ende August legte Bohle auf der Sondertagung der Auslands-Abteilung während des „Reichsparteitags des Sieges“ in Nürnberg einen ersten Rechenschaftsbericht vor. Diese Rede mit dem Titel „Zukunftsaufgaben der Auslands-Abteilung der NSDAP“ wurde noch nicht wie die späteren im „Völkischen Beobachter“ (in Auszügen) abgedruckt und kommentiert, markiert jedoch das Debüt seiner politischen Karriere.5 Voller Stolz berichtete er, daß die „weltumspannende Organisation“, eine „Bewegung im besten Sinne des Wortes“, bereits über 230 Landesgruppen, Ortsgruppen und Stützpunkte umfasse, die seit 1929 systematisch aufgebaut worden seien. Die früheren Deutschtumsverbände im Ausland seien zwar wichtig und nützlich gewesen, doch hätte ihnen der Totalitätsgedanke des Nationalsozialismus gefehlt. Die Zusammenführung (sprich ,Gleichschaltung‘) aller Auslandsdeutschen, ob im ,Bund der Auslandsdeutschen‘ (BDA) organisiert oder nicht, solle nach den gleichen Gesetzen erfolgen 2 Einzelheiten bei Jacobsen (1968), S. 45–89; Martin Burkert, Die Ostwissenschaften im Dritten Reich. Teil I: 1933–1939, Wiesbaden, 2000 (Forschungen zur osteuropäischen Geschichte; 55), S. 402–403. 3 Karen Krieger, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 425–426; Thomas Marschner, Außenpolitisches Amt der NSDAP: Bestand NS 43, Koblenz, 1999 (Bundesarchiv: Findbücher zu Beständen des Bundesarchivs; 73). 4 Einzelheiten bei McKale (1977), S. 18–44. 5 Kopie Berlin, BArch, R 187/293 (Sammlung Schumacher), 6 S.
1. Abteilungsleiter oder Gauleiter?
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wie im Reich selber.6 Die Führer müßten höchsten moralischen wie weltanschaulichen Ansprüchen genügen, um die alten und neuen Mitglieder im Sinne des Nationalsozialismus schulen zu können. Allerdings müsse alles vermieden werden, was die Gastländer gegen die Auslandsabteilungen und ihre Mitglieder aufbringen könne.7 Bohles Rede war, wie seine späteren Reden, im Ton gemäßigt, doch verbargen sich dahinter durchaus ein unermüdlicher Wille zur politischen Gestaltung und ein unverkennbarer Machttrieb. Seine Ausführungen enthielten einen detaillierten Plan für alle einzurichtenden Abteilungen der Auslandsabteilung (Pressestelle, Propagandadienst, Schul- und Kirchenfragen, Rechtsstelle, Hafendienst, Arbeitsdienst, Jugend-Referat, Reichsfrauenschaftsabteilung, Schulungsabteilung) mit ihren Untergliederungen und eine Festlegung ihrer zukünftigen Tätigkeit. Der Aufruf zur Überwindung von Klassenunterschieden war Bohle besonders wichtig und war ihm auch bei der Erziehung seines eigenen Sohnes Maxime: Jeder Deutsche im Auslande gehört zu der Volksgemeinschaft, die wir als letztes Ziel unserer Arbeit betrachten müssen. Die heute noch vielfach [in] unseren reichsdeutschen Auslands-Kolonien bestehenden Vorurteile der Klassen und des Standesdünkels werden jedoch ebenso verschwinden müssen wie die oft beobachtete Tatsache, dass man grösseren Wert auf seine ,Verbindungen‘ zu einflussreichen ausländischen Kreisen legt als auf die Zugehörigkeit zum Deutschtum. Das Verdienst unserer Auslandsgruppen, hier bereits in vielen Teilen der Erde bahnbrechend gewirkt zu haben, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nur zu gut wissen wir aber, dass nur der Anfang gemacht ist und dass noch jahrelang, wahrscheinlich jahrzehntelang auf dieser Linie bis zur Erreichung des Endzieles weiter gearbeitet werden muss (S. 3).
Die Leitsätze, die jedem Parteigenossen und jeder Parteigenossin als Gebote auf dem ,Auslands-Ausweis‘ zur Mitgliedskarte der NSDAP ausgehändigt wurden, waren zwar bereits 1931 formuliert worden, wurden aber erst durch den Erlaß des ,Führers‘ vom 30. Januar 1937, mit dem Bohle zum Staatssekretär im
6 Vgl. die nicht datierte Anordnung Bohles an alle Auslandskommissare, Landes-, Ortsgruppen- und Stützpunktleiter im Ausland (vermutlich Ende 1933/Anfang 1934): „Nach einer Verfügung des Stellvertreters des Führers ist die Tätigkeit des Bundes der Auslandsdeutschen nunmehr auf Deutschland beschränkt worden, und zwar auf die Betreuung der nach der Heimat zurückgekehrten und wieder in Deutschland ansässigen ehemaligen Auslandsdeutschen. Die gesamte Arbeit nach dem Auslande, also insbesondre die Betreuung der im Auslande befindlichen Vereine, ist der Auslandsorganisation der N.S.D.A.P. unterstellt worden. Um die Betreuung dieser Vereine gründlich durchzuführen, habe ich den Leiter meiner Verbindungsstelle, Pg. Ruberg, ehemaliger Landes-Gruppenleiter von Kamerun beauftragt, einen ,Verband reichsdeutscher Vereine im Ausland‘ zu gründen und diesen als Vorsitzender zu übernehmen“ (Kopie London, WL, Document Collection No. 585 MF Doc 54/Reel 32 [Documents re Nazis in Spain 1933–1936, Documents authored by Ernst Wilhelm Bohle]). Der Verband nannte sich ,Verband Deutscher Vereine im Ausland‘ (VDV) und gab monatlich einen „Heimatbrief“ heraus. 7 Jacobsen (1968), S. 100–101.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
AA ernannt wurde, für alle Deutschen „draußen“ grundsätzliche Verpflichtung. Auch seinem Sohn schärfte er sie ein, als dieser 1943 eine Spanienreise unternahm: 1. Befolge die Gesetze des Landes, dessen Gast du bist. 2. Die Politik deines Gastlandes lasse dessen Bewohner machen. Dich geht die Innenpolitik eines fremden Landes nichts an. Mische dich nicht in diese, auch nicht gesprächsweise. 3. Bekenne dich stets und überall als Parteigenosse. 4. Sprich und handle stets so, daß du der nationalsozialistischen Bewegung und damit dem neuen Deutschland Ehre machst. Sei rechtschaffen, ehrbar, furchtlos und treu. 5. Sieh in jedem Deutschen draußen deinen Volksgenossen, einen Menschen deines Blutes, deiner Art und deines Wesens. Gib ihm die Hand ohne Ansehen seines Standes. Wir sind alle „Schaffende“ unseres Volkes. 6. Hilf von Herzen und unaufgefordert deinen deutschen Volksgenossen, wenn sie unverschuldet in Not geraten. 7. Sei nicht nur Mitglied, sondern auch Mitkämpfer in vorderster Linie. Unterrichte dich genau über Wesen, Inhalt und Ziel unserer Bewegung. 8. Werbe und kämpfe Tag für Tag um den Beitritt jedes ehrlichen Deutschen in unsere Bewegung. Überzeuge ihn von der Überlegenheit und Richtigkeit unserer Bewegung, von der Notwendigkeit unseres Sieges, auf daß Deutschland weiter lebe! Kämpfe mit geistigen Waffen! 9. Lies unser Parteiorgan, unsere Druckschriften und Bücher. 10. Schließe dich den Parteigenossen in deinem Aufenthaltsort an. Besteht dort ein Stützpunkt oder eine Ortsgrupe, so sei ihr ein disziplinierter und rühriger Mitarbeiter. Stifte nicht nur keinen Streit, sondern sei mit allen Kräften bemüht, aufkommende Unstimmigkeiten zu schlichten.8
Endlich interessierte sich auch die NSDAP-Führung nachhaltiger für die Auslandsabteilung, die am 3. Oktober 1933 Heß als dem Stellvertreter des ,Führers‘ zugeordnet wurde.9 Sie sollte ab sofort den gesamten Dienstverkehr mit den 8
Ehrich, S. 11. Vgl. „Rundschreiben Nr. 53 an sämtliche Auslandsgruppen der N.S.D.A.P.“, E. W. Bohle, Hamburg (3.10.1933), Kopie Berlin, BArch R 187/293 (Sammlung Schumacher); mit Bezug auf die ebd. in Kopie befindliche „Verfügung! Der Stellvertreter des Führers“, München, den 3. Oktober 1933: „Die Auslands-Abteilung in Hamburg wird mit sofortiger Wirkung als Hauptabteilung der Reichsleitung dem Stellvertreter des Führers unmittelbar unterstellt. Leiter ist Pg. Ernst Wilhelm Bohle = Hamburg. Die Auslands-Abteilung ist die einzige zuständige Parteidienststelle für alle Organisationen der Partei im gesamten Ausland (mit Ausnahme von Österreich, Danzig und Memel). Um die unbedingt notwendige Zentralisation in der Arbeit der Auslandsgruppen der N.S.D.A.P. zu sichern, verfüge ich, dass der gesamte Dienstverkehr aller Parteistellen mit den Gruppen im Ausland ausnahmslos über die Auslands-Abteilung zu leiten ist. Ebenso vollzieht sich der Dienstverkehr der Auslandsgruppen mit den Par9
1. Abteilungsleiter oder Gauleiter?
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Parteigenossen im Ausland abwickeln. Durch das ,Gesetz zur Sicherstellung der Einheit von Partei und Staat‘ vom 1. Dezember 1933 erhielt die NSDAP den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts mit eigener Disziplinargerichtsbarkeit und wurde offiziell zur staatstragenden Bewegung. Das galt auch für ihre Auslandsabteilung. Bohle leitete aus der neuen Gesetzeslage für sie den Anspruch ab, „die Trägerin des neuen Staatsgedankens im Auslandsdeutschtum“ geworden zu sein und „den Primat in der auslandsdeutschen Arbeit“ beanspruchen zu können, wobei er sich zunächst für Reichs- wie für Volksdeutsche gleichermaßen verantwortlich erklärte.10 Er faßte in dieser Situation sogar den ehrgeizigen Plan, für die derzeit im Ausland lebenden 35 Mio. [sic, diese Zahl ist viel zu hoch (FRH)] deutschen Volksgenossen ein eigenes ,Reichsministerium für Auslandsdeutschtum‘ zu schaffen, das, wäre es realisiert worden, ein wichtiges Machtinstrument dargestellt hätte. Der Plan richtete sich vor allem gegen das Auswärtige Amt (AA), dessen Angehörigen Bohle immer wieder die Fähigkeit absprach, Deutschland „kraftvoll und positiv im nationalsozialistischen Sinn“ zu vertreten. Die Diplomaten und Gesandten seien zwar „sehr charmante und gewandte Leute“, die sich Mühe gäben, Deutschland adäquat zu repräsentieren, aber sie seien keine wirklichen Nationalsozialisten.11 Bohles Demarche war ganz im Sinne Hitlers, obschon beide bis dahin noch nie miteinander gesprochen hatten. Doch es schien so kurz nach der ,Machtergreifung‘ nicht zweckmäßig, den Plan für ein eigenes Ministerium zu realisieren. Deshalb ist es unwahrscheinlich, daß Heß mit Hitler darüber diskutiert hat. Die zahlreichen Aufgaben, die die Auslandsabteilung jetzt zu erledigen hatte, bewirkten ihre Umbenennung und Höherstufung in der Parteihierarchie. Durch Verfügung des Führerstellvertreters vom 17. Februar 1934 führte sie den Namen ,Auslandsorganisation der NSDAP‘ (AO, A.O. oder AO.).12 Sie unterstand weiterhin Rudolf Heß. Die AO war damit die einzig zuständige Parteidienststelle für das gesamte Ausland. Alle Parteigenossen, die ihren ständigen Wohnsitz im Ausland hatten, gehörten zur AO, und zwar zur Ortsgruppe ihres Wohnortes, und durften in keinem innerdeutschen Gau geführt werden. Parteigenossen, die teistellen im Reich. Es ist ferner allen nationalsozialistischen Organisationen (Fachverbänden usw.) untersagt, sich direkt mit den Auslandsgruppen in Verbindung zu setzen“. 10 Dies und das Folgende nach Jacobsen (1968), S. 96–160, der gründlich und detailliert die Aufbauphasen der AO beschreibt. 11 E. W. Bohle (4.12.1933) an den Stellvertreter des Führers, Kopie Berlin, PA AA R 27246. 12 Alfred-Ingemar Berndt (Hrsg.), Max Junge (Bearbeiter), Das Archiv. Nachschlagwerk für Politik, Wirtschaft, Kultur. Nachtragsband III (November 1933 bis März 1934), Berlin, 1940, S. 1264: „Die durch meine Verfügung vom 3. Oktober 1933 mir direkt unterstellte Auslands-Abteilung der NSDAP führt künftig die Bezeichnung Auslands-Organisation der NSDAP. Der zu meinem Stabe gehörende Leiter der AuslandsOrganisation mit der Bezeichnung Gauleiter ist der Pg. Ernst Wilhelm Bohle, Hamburg“.
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kurzfristig im Ausland weilten, mußten sich bei der zuständigen Landesgruppe melden. Der Dienstverkehr aller Parteidienststellen mit den Organisationen der NSDAP im Ausland mußte ausnahmslos über die Hamburger, später die Berliner Zentrale der AO geleitet werden. Die AO. hat die Aufgabe, die Reichsdeutschen im Ausland und in der Seeschiffahrt zu erfassen, im Sinne der nationalsozialistischen Weltanschauung auszurichten und zu betreuen und den Volksgemeinschaftsgedanken über alle Klassen, Stände und Konfessionen hinweg in jedem einzelnen Auslandsdeutschen und Seemann lebendig zu erhalten. Von allen nicht deutschen Angelegenheiten hält sich die AO. fern. Die AO. ist allein zuständig für die Parteiarbeit im Ausland und an Bord der deutschen Schiffe. Der Leiter der AO. ist für alle in seinem Arbeitsbereich getroffenen Maßnahmen, Richtlinien und Anweisungen verantwortlich. Er trägt ferner die Verantwortung dafür, daß die fachlichen Anweisungen aller zuständigen Stellen der Reichsleitung in einer den Verhältnissen im Ausland und in der Seeschiffahrt Rechnung tragenden Form abgeändert werden, damit eine Gefährdung oder Schädigung deutscher Interessen unbedingt vermieden wird.13
Es ist später eine Diskussion darüber geführt worden, ob die AO als Gau mit den innerdeutschen Gauen zu vergleichen gewesen sei und ob und seit wann Bohle überhaupt den Titel Gauleiter habe führen dürfen. Frühe Photos zeigen ihn in der Uniform eines Amtsleiters. Erst ab Ende 1933/Beginn 1934 trug er die Uniform des Gauleiters mit dem doppelten goldenen Eichenblatt auf rotem Grund. Eine Ernennungsurkunde zum Gauleiter konnte nicht gefunden werden, doch hat Bohle in einigen Fragebögen als Datum seiner Ernennung den 8. Mai 1933 angegeben. Dem widerspricht die im Nürnberger Verhör abgegebene eidesstaatliche Erklärung, er sei erst am 3. Oktober 1933 zum Gauleiter ernannt worden.14 Am 8. Mai 1933 wurde Bohle von Reichsinspekteur Rudolf Schmeer zum Leiter der ,Abteilung für Deutsche im Ausland‘ und damit zum Abteilungsleiter ernannt.15 Dazu paßt auch die Uni13
Organisationshandbuch der NSDAP, S. 143. Ernst Wilhelm Bohle, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 7. November 1947, Interrogator Peter Beauvais (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage, Interrogations B-122, S. 2). 15 Vgl. Bohles Schreiben (Hamburg, 11.3.1933) an Reichsinspekteur Schmeer: „Ich beziehe mich auf meine kürzliche Unterredung mit Ihnen in Berlin und danke Ihnen nochmals für meine Ernennung zum Leiter der Abteilung für Deutsche im Ausland und das mir damit ausgesprochene Vertrauen. Ich habe die Geschäfte der Abteilung endgültig übernommen, bis auf die Kasse, deren Übergabe Pg. Dr. Nieland sich bis zum Eintreffen seiner Entlassung [sic, richtig wohl „Entlastung“] durch den Herrn Reichsschatzmeister vorbehält. Ich nehme an, dass diese Mitteilung in den nächsten Tagen eintreffen wird. Ich werde also in dem mit Ihnen besprochenen Sinne die weitere Ausgestaltung der neugebildeten Abteilung vornehmen und alles daransetzen, daraus einen Apparat zu machen, mit dem der Führer im Ausland rechnen kann. Ich bitte zu entschuldigen, wenn ich den neuen Organisationsplan nicht sofort einreiche, aber ich halte es für richtig, hier im Betrieb selbst erst Klarheit zu schaffen und vor allen Dingen die ungeheure Post, die durch das Ausscheiden verschiedener Parteigenossen 14
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form des Amtsleiters, in der er abgelichtet wurde. Da er der einzige von Rudolf Heß ernannte Gauleiter war und sich dieser am 3. Oktober 1933 die Auslandsabteilung in Hamburg als Hauptabteilung unterstellte, so daß Ley und Schmeer nicht länger mit der AO befaßt waren, ist der 3. Oktober das wahrscheinlichere Ernennungsdatum Bohles.16 Die Verwirrung erklärt sich möglicherweise daraus, daß Bohle gelegentlich als Abteilungsleiter „im Range eines Gauleiters“ bezeichnet wurde und Heß erst am 15. April 1935 eine Anordnung erließ, in der es hieß, daß die AO, die bis dahin als Abteilung der Reichsleitung geführt worden sei, entsprechend den Landgauen fortan als selbständiger Gau geführt werde. Bohles Gauleiter-Rang war demnach nicht an die Erhebung der AO zum Gau gebunden, die sozusagen als spätere Bestätigung seiner Aufbauarbeit erfolgte.17 Eine von Bohles ersten Amtshandlungen bestand darin, für die AO eine Ausnahmeregelung von dem am 1. Mai 1933 verfügten Aufnahmestop, der den Zustrom von Opportunisten in die Partei bremsen sollte und erst 1937 wieder aufgehoben wurde, zu erwirken.18 Während er seine Korrespondenz zunächst noch auf den von Nieland gedruckten Kopfbögen führte, die als Absender nur ein Postfach aufweisen, hatte die AO ab Juli 1933 eine feste Büroadresse (Harliegen geblieben ist, zu erledigen. [. . .]“ (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage, Umdrucke Deutsch, NG-5558). Vgl. ebenfalls die Anordnung Nr. 21/33, München, den 26.4.1933 (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]), mit der die Oberste Leitung der P.O. allen Amtsleitern und Gauleitern Bohles Ernennung mitteilt. Vgl. auch: Trials of War Criminals XIII, S. 1197. 16 Eine Kopie der entsprechenden Rundschreiben Bohles und Heß’ vom 3.10.1933 befindet sich in Berlin, BArch R 187/293 (Sammlung Schumacher). Jacobsen (1968), S. 107, geht davon aus, daß Bohle erst durch Verfügung Heß’ vom 17.2.1934 die Stellung eines Gauleiters erhalten habe, vermutlich, weil er die Rundschreiben eine Zeitlang noch als „Leiter der Auslands-Abteilung“ unterschrieb; Höffkes, S. 33, nennt den 8.5.1933. Für den 3.10.1933 spricht jedoch auch, daß dieses Datum durch Bohles SSPersonalbogen bestätigt wird (Berlin, BArch BDC/SSO-Bohle, E. Wilhelm, 1. Bl. der Akte), und weiterhin, daß er in einem Schreiben der Reichsleitung der Auslands-Abteilung vom 2.1.1934, welches auf eine Verfügung des Stellvertreters des Führers vom 15.12.33 Bezug nimmt, als Leiter der AO der NSDAP „im Range eines Gauleiters“ bezeichnet wird (Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm). 17 Kopien des Heß-Erlasses vom 15.4.1935 Berlin, BArch R 187/293 (Sammlung Schumacher). 18 Vgl. Bohles entsprechenden Antrag an Reichsschatzmeister Schwarz (12.5.1933) und sein Rundschreiben Nr. 54 „An die Leiter der Landesgruppen, Ortsgruppen und Stützpunkte im Ausland“, Hamburg, 10.10.1933 (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]): „Nie und nimmer dürfen Konjunkturritter in unseren Reihen Einlass finden, denn die Bewegung wurde gross durch die Gesinnung ihrer ältesten Mitkämpfer und nicht durch kalte Opportunität. Es eignet sich auch nicht jeder, der sonst ein anständiger Deutscher sein kann, zum Parteigenossen. Zugehörigkeit zur Partei bedingt restlose Hingabe an die Arbeit für Volk und Vaterland. Sie bedingt ferner – und dieses Moment spielt gerade beim Auslandsdeutschtum eine besondere Rolle – restlose Disziplin und Unterordnung. Parteigenosse kann nur sein, wer mitkämpfen will und bereit ist, für diesen Kampf sein Letztes zu opfern“ (S. 3).
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vestehuderweg 22 – unter dieser Adresse ist heute u. a. der Sitz der Firma Joop G.m.b.H. zu finden) – mit eigener Telefonnummer. Der Versuch Bohles, im Sprinkenhof, einem der großen Hamburger Kontorhäuser in der Nähe der Speicherstadt, ein Büro zu mieten, scheint von der ,Obersten Leitung der Parteiorganisation‘ in München nicht genehmigt worden zu sein, obwohl die ,Abteilung für Deutsche im Ausland‘ dort bereits ein kleines Büro unterhielt.19 Ein Gau war ein fest umrissenes Territorium, die Gauleitung die Organisation der darin lebenden Parteigenossen der NSDAP. Man versteht unmittelbar, daß die Auslandsorganisation, die am 30. Juni 1937 83 Länder- und sechs Einzelgruppen („Einzelne Mitglieder Rückwanderer“, „Sektion Auswärtiger Dienst“, „Leitung der AO“, „DAF-AO“, „Einzelmitglieder“, „Hagenbeck“) umfaßte, keine Gauleitung im herkömmlichen Sinne darstellte, weshalb ihr Amtsbereich auch nicht als solcher bezeichnet, sondern nur „organisatorisch als Gau geführt“ wurde.20 Ironisch verglich sich EWB manchmal mit Kaiser Karl V., in dessen Reich die Sonne auch niemals untergegangen sei. Insgesamt wurden in den Jahren 1937 bis 1939 ohne Einrechnung der Österreicher jeweils ca. 52.000 Mitglieder erfaßt, wobei sich die Ländergruppen und das Amt Seefahrt im Verhältnis drei zu zwei die Mitglieder teilten (30.6.1937: 28.012/23.356 = 51.368; 31.12.1937: 30.504/24.854 = 55.358; 30.6.1938: 30.648/22.016 = 52.664; 30.9.1938: 53.568; 31.3.1939: 30.792/21.956 = 52.748).21 Im „Handbuch der NSDAP-Gaue 1928–1945“ fehlt die Auslandsorganisation.22 Man kann diesem Repertorium jedoch die einzelnen Ämter entnehmen, die ein Gau in der Regel hatte. Sie decken sich in großen Teilen mit denen der AO, doch fallen Unterschiede auf, die deren spezifischen Struktur zuzuschreiben sind: Die AO umfaßte als erste Besonderheit acht Länderämter und das Amt Seefahrt, die Deutsche Arbeitsfront der AO, je ein Amt für Außenhandel, Rednervermittlung und Rückwanderung. Gerade das Amt für Rednervermittlung diente der Netzwerkknüpfung, da es interessante Auslandsreisen organisieren konnte. Bohle sorgte
19 Bohle (18.5.1933) an Reichsinspekteur Schmeer: „Gleichzeitig teilte ich Ihnen mit, dass ich ein zweckmässigeres Büro gemietet habe, dessen jährlicher Mietpreis sich um RM. 600 weniger als der bisherige stellte. Die neuen Büroräume befinden sich ebenfalls im Sprinkenhof, Hamburg 1“ (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]). 20 Übersicht bei Jacobsen (1968), S. 661–664, bzw. unser Kapitel II.6 „Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation“. 21 Jacobsen (1968), S. 667. 22 Michael Rademacher, Handbuch der NSDAP-Gaue 1928–1945. Die Amtsträger der NSDAP und ihrer Organisationen auf Gau- und Kreisebene in Deutschland und Österreich sowie in den Reichsgauen Danzig-Westpreußen, Sudetenland und Wartheland. With an English Glossary, Vechta, 2000; Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hrsg.), Die NS-Gaue: regionale Mittelinstanzen im zentralistischen „Führerstaat“, München, 2007 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte: Sondernummer).
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dafür, daß zahlreiche Gauleiter,23 Militärs, Professoren und Angehörige der nationalsozialistischen Nomenklatura als Redner angeheuert wurden. Ämter für Kultur, Kriegsopfer, Kommunalpolitik (Deutscher Gemeindetag), Volksgesundheit, Agrarpolitik und Rassenfragen entfielen. Die Ämter für Personal, Schulung, Volkswohlfahrt, Beamte, Erzieher, Inspektion, Recht, Technik, die Vertretung des Dozentenbundes, der Studenten, der Frauenschaft, der Rechtswahrer, das Schatzamt und das Gaugericht waren identisch mit denen der Reichsgaue.24 Alle politischen Leiter, meist als ,Hoheitsträger‘ (der Leiter der AO im Range eines Gauleiters, der Stellvertretende Leiter im Range eines Stellvertretenden Gauleiters, die Landesgruppenleiter, die Kreisleiter Seeschiffahrt, die Ortsgruppenleiter, die Zellenleiter, die Blockleiter) apostrophiert, trugen ein besonderes Abzeichen auf dem unteren rechten Uniformärmel, eine auf die Spitze gestellte schwarze, mit einer Goldschnur umrandete Raute (unteres Ende zwei Zentimeter über dem Ärmelaufschlag) mit den golden abgesetzten Buchstaben AO. Diese hatten sie abzulegen, sobald sie in die Heimat zurückkehrten und einer NSDAP-Ortsgruppe zugewiesen wurden.25 Die einzelnen Abteilungen hatten fest umrissene Aufgaben zu erledigen. Neben dem persönlichen Referenten Bohles waren die Länderamtsleiter seine engsten Mitarbeiter. Sie wurden meist zu grundsätzlichen Entscheidungen des Gauleiters oder Planungen der Sachämter herangezogen und gaben Stellungnahmen oder Vorschläge für die Ernennung der ,Hoheitsträger‘ im Ausland ab, waren für den Aufbau der Parteigruppen in den ihnen übertragenen Gebieten zuständig und mußten über alle Vorgänge, die deren Existenz betrafen, informiert sein. Von 1934 bis 1937 erschien monatlich ein gedrucktes „Mitteilungsblatt“, in dem alle wichtigen Anordnungen, Aufrufe, Bekanntmachungen, Veranstaltungen, Ernennungen, Parteinachrichten, Organisationsfragen, dazu Festtagsgrüße, Todesanzeigen, aber auch Buch- und Filmbesprechungen, die die AO und ihre Gliederungen betrafen, bekanntgemacht wurden.26 Eines der wichtigsten Ämter der AO war das für Außenhandel, welches für die Förderung der deutschen Wirtschaft im Ausland zuständig war. Zur Unter23 Der Gauleiter Friedrich Karl Florian (Düsseldorf) reiste 1937 im Auftrag der AO nach Südosteuropa, sein Kollege Hinrich Lohse (Schleswig-Holstein) im gleichen Jahr nach Spanien, Gauleiter Gustav Simon (Koblenz-Trier) nach Griechenland, Fritz Saukkel (Thüringen) in die Schweiz, Franz Schwede-Coburg (Pommern) nach Memel. Friedrich Hildebrand (Mecklenburg) und Sauckel wurden 1939 nach Holland, Alfred Meyer (Westfalen-Nord) nach Belgien entsandt (Berlin, PA AA R 27243). Bei genauer Recherche ließen sich sicherlich weitere Rednerfahrten nachweisen. 24 Berlin, BArch NS 22/361–363 (Reichsorganisationsleiter und Auslandsorganisation). 25 Organisationshandbuch der NSDAP, S. 144. 26 Benutzt wurde der Mikrofilm der UB Johann Christian Senckenberg Frankfurt a. M., MF 8604, der nach den Originalen in der WL London hergestellt wurde, aber, insbesondere was den Jg. 1936 angeht, lückenhaft ist.
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stützung der bilateralen Handelsbeziehungen wurden unter seiner Ägide und unter Federführung der bei den Landesgruppen eingerichteten Wirtschaftsstellen in London, Amsterdam, Stockholm, Kopenhagen und Lima deutsche Handelskammern aufgebaut.27 Die Leitung bereits bestehender Handelskammern wurde von bewährten Parteimitgliedern übernommen. Ein Schwerpunkt der Arbeit war die „Frage geeigneter Reichsdeutscher im Ausland“, deren Lösung sich gegen die Beschäftigung von jüdischen Mitarbeitern in deutschen Firmen, die im Ausland operierten, richtete. Das Reichswirtschaftsministerium wies mehrfach Forderungen der AO nach Maßnahmen gegen deutsche Firmen zurück, die sich von Juden im Ausland vertreten ließen.28 Auch das wird Bohle im WilhelmstraßenProzeß bestreiten. Im Juli 1934 unterzeichneten der Verband der Deutschen Handelskammern im Ausland und die AO gemeinsame Richtlinien, um ihre Zusammenarbeit zu intensivieren. 1935 konnte die AO sich mit der DAF dahingehend einigen, daß die noch bestehende Gauwaltung Seeschiffahrt und das Auslandsamt der Deutschen Berufsgruppen aufgelöst und in die neugeschaffene Auslandsorganisation der DAF überführt wurden.29 Alfred Leitgen, Heß’ ehemaliger Pressereferent, gab als Nürnberger Zeuge zu Protokoll, Bohle habe keine Hoheitsrechte, „die innerdeutschen Gauleitern eigentümlich waren“, besessen, „weil er keinen Gau im territorialen Sinne führte“. Die übrigen Gauleiter hätten seine Sonderstellung wohl erkannt, ihn nicht wirklich als einen der Ihren angesehen und die AO als ein Experiment betrachtet. „Sie werteten Bohle als einen Aussenseiter, von dem man erst noch sehen müsse, ob er zu einem Gauleiter in ihrem kämpferischen Sinne werden würde. Sie kritisierten auch mir gegenüber, dass Herr Bohle mit der Motivierung, er sei Auslandsdeutscher und betreue Auslandsdeutsche, es ablehnte, Massnahmen, die innerdeutsche Gauleiter in ihren Gauen trafen, in seinem Aufgabenbereich anzuwenden“.30 Das Jahr 1934, in dem Bohle in die Führungselite der NSDAP aufstieg und seinen Stab von zehn auf 150 Mitarbeiter vergrößern konnte,31 hätte im übrigen bereits das unerwartete Ende seiner rasanten Karriere markieren können. Am 27
Jürgen Müller (1997), S. 35–36. Willi A. Boelcke, Die deutsche Wirtschaft 1930–1945. Interna des Reichswirtschaftsministeriums, Düsseldorf, 1983, S. 124–126. 29 Jürgen Müller (1997), S. 64. 30 Alfred Leitgen, Eidesstattliche Erklärung, München, 25.6.1948, Dokumentenbuch IV, Nr. 67, Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, E-5, S. 10–10a. Erneut: Alfred Leitgen, Eidesstattliche Versicherung, Nürnberg, 26.10.1948, Bohle Defense Book VII, Sur-Rebuttal-Documents, Nr. 85, Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, E-8. Wenn es in einem Heß-Erlaß vom 1.4.1935 heiße, die AO werde entsprechend den Landgauen als selbständiger Gau geführt, so bedeute dies, daß sie bis dahin bloß eine Abteilung der Reichsleitung gewesen sei. 31 Stuttgart, STA Bestand 13, Bü 79 (Brief Bohles vom 9.10.1934 an OB Strölin). Beide vereinbarten wechselseitige Besuche in Hamburg und Stuttgart. 28
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12. Juli wurde sein Onkel Fritz Hausmann vom Amtsgericht Köln im beschleunigten Verfahren gemäß § 360 Ziffer 11 des StGB zu einer Woche Gefängnis (durch die Untersuchungshaft verbüßt) und RM 100 Strafe verurteilt, weil er am 2. Juli in einer Bergneustädter Gastwirtschaft „den Herrn Reichskanzler und die Reichsregierung“ schwer beleidigt hatte.32 Was war geschehen? Hausmann hatte das „Heil Hitler!“ des die Gastwirtschaft betretenden Ortsgruppenleiters, des Erbhofbauern Hermann B., mit einem höhnischen „Heil Du ihn!“ gekontert, wobei sich alles auf Plattdeutsch abgespielt hatte. Zwar findet sich in der Akte ein handgeschriebener Hinweis der Staatsanwaltschaft Köln „Für den Herrn Sitzungsvertreter: Bitte möglichst hohe Strafe beantragen!“, aber Hausmann kam mit einer Verurteilung wegen groben Unfugs noch einmal glimpflich davon. Er sann auf Rache, die sich ihm am 30. November des gleichen Jahres bot. In einem Waldstück bei Bergneustadt, das mit Christbäumen bestanden war, die Hausmann verkaufen wollte, traf er den Ortsgruppenleiter und stellte ihn erregt zur Rede. Allerdings gehen die Aussagen der Beteiligten und der Zeugen über den Ablauf ihres Streits weit auseinander. Dem Ortsgruppenleiter zufolge soll Hausmann ihn „Schweinehund“, „Drückeberger“ und „Kriegsschieber“, die Bergneustädter Ratsherren „Lausejungen“ und „Kommunisten“ genannt und das baldige Ende des Hitlerstaates prophezeit haben, wobei er persönlich mithelfen werde, die Genannten an Laternen aufzuknüpfen: „Hitler wird durch eine Militärdiktatur abgelöst, damit das Kapital wieder an die Macht kommt, und zwar die Deutschnationalen“. Deutschland sei unter den Nazis „der reinste Bonzenstaat“ geworden. Als Beispiel brauche er nur seinen Neffen, den Gauleiter Bohle in Hamburg, zu nennen, der zuständig für das Deutschtum im Ausland sei. „Ich kenne diese Person ganz genau. Wenn er auch im Augenblick so tut, als wäre er Nationalsozialist, so wird er doch, wenn eine andere Regierung an die Macht kommt, zu dieser übertreten“.33 Hausmann bestritt diese Angaben des Ortsgruppenleiters in den späteren Vernehmungen in allen Punkten. Der Ortsgruppenleiter, nicht er, habe seinen Neffen in Hamburg als erster erwähnt und als tüchtigen Mann bezeichnet. Hierauf habe er erwidert: „Ja, der hat 250 Mann auf dem Büro. Voriges Jahr hat der arme Kerl noch Oelfilter im Keller verkauft, jetzt geht es ihm aber besser.“34 Hausmann spielte damit auf EWBs zuvor erwähnte Tätigkeit in der Autobranche an. Er wurde am 6. Dezember von der Geheimen Staatspolizei Köln weiter verhört, festgenommen und ins Untersuchungsgefängnis der für Bergneustadt zuständigen Kreisstadt Gummersbach eingeliefert. Der Haftbefehl des Untersuchungsrichters datiert vom 11. De32 HStA Düsseldorf, Rep. 112, Nr. 840 (Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Köln). 33 HStA Düsseldorf, Rep. 112, Nr. 14978 (Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Köln), hier „Tatsachenbericht, Bergneustadt, 1.12.1934“, Bl. 4–5. 34 Ebd., „Verhörprotokoll und Gegenüberstellung, Einlassung zur Sache“, 6.12.1934, Bl. 6–8.
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zember und wurde mit der ,Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze von Volk und Staat‘ (Staatsnotstand gemäß Art. 48 der Weimarer Verfassung vom 28. Februar 1933, sog. Reichstagsbrandverordnung) begründet. Wegen der Höhe der zu erwartenden Strafe wurde Fluchtverdacht angenommen. Die Kreisleitung der NSDAP war bereits am 3. Dezember tätig geworden und hatte bei der Geheimen Staatspolizei in Köln sofortige „Inschutzhaftnahme“ beantragt. Die Kölner Staatsanwaltschaft hatte dem Amtsgericht Gummersbach vorsorglich mitgeteilt, „falls Haftbefehl nicht erlassen wird [. . .], den Beschuldigten der Staatspolizeistelle in Köln zur Verfügung zu stellen“. Hausmanns Anwalt bestritt die Glaubwürdigkeit des Ortsgruppenleiters, der in eigener Sache Strafantrag stellte und die Bergneustädter Ratsherren ebenfalls zu diesem Schritt bewegen konnte. Nach fünfwöchiger Untersuchungshaft wurde Hausmann am 10. Januar 1935 überraschend freigelassen. Der Oberstaatsanwalt bezog sich bei seinem Beschluß nicht mehr auf die Verordnung vom 28. Februar 1933, sondern die sog. Heimtückeverordnung vom 21. März 1933, die allerdings nicht erfüllt sei. Stattdessen wurde am 18. Januar Anklage wegen Vergehens gegen § 185 StGB (Beleidigung) erhoben. Die Sache wurde von der Staatsschutzkammer an das Schöffengericht Köln verwiesen. Der Ortsgruppenleiter trat als Nebenkläger auf. Das Gericht verurteilte Hausmann am 25. Mai 1935 erneut zu RM 100 Geldstrafe, ersatzweise 20 Tage Gefängnis, die durch die Untersuchungshaft als verbüßt galten. Er mußte die Gerichtskosten und die dem Nebenkläger entstandenen Anwaltskosten erstatten. Es erfolgte Eintrag ins Strafregister, der als politisches Delikt erst im Jahr 1949 getilgt wurde. Die Klage der Ratsherren wurde durch die Entscheidung in der Hauptsache als miterledigt betrachtet. Zeitzeugen vermuteten, wohl nicht zu Unrecht, daß eine Intervention des Gauleiter-Neffen aus Hamburg zu diesem glimpflichen Abschluß beigetragen habe, denn längst wurden deutsche Zeitgenossen wegen wesentlich harmloserer Kritik am NS-Regime und seinen Amtsträgern in ein Konzentrationslager eingewiesen. Schriftliche Quellen zu einer solchen Intervention sind jedoch nicht erhalten.
2. Der Schützling von Rudolf Heß Wie Rudolf Heß war auch Ernst Wilhelm Bohle Auslandsdeutscher. Heß war im britisch beherrschten Ägypten geboren und aufgewachsen, Bohle im britisch beherrschten Südafrika. Beide lernten die britische Kolonialherrschaft aus eigenem Erleben noch mit ihren Licht- und Schattenseiten kennen, auch wenn beide Territorien unmittelbar vor bzw. nach dem Ersten Weltkrieg eine gewisse Teilautonomie erlangten. Beide bewahrten ihr Leben lang eine nostalgische Sehnsucht nach den exotischen Orten ihrer Jugend. Bei Heß war es mehr die verlorene Kindheit in der prächtigen Villa in Alexandria am Meer mit ihrem schönen Garten am Zusammenstoß von Wasser und Wüste, einem wahren Paradies, wo Veilchen, Passionsblumen, Geisblatt, Ilang-Ilang, „die Wohlgerüche Arabiens,
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wie man sie sich eigentlich vorstellt, verbreitend“, wuchsen, so daß er noch viele Jahre später schwärmte, „[u]nd wie schön war es doch an unserem Strand – damals, als noch kein Quai entlang führte, sondern die herrliche Natur . . . uns umgab“.35 Bohle erinnerte sich gerne an das behagliche Elternhaus „Gladsheim“ am Tafelberg und träumte vom British Empire, das Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft eine Heimat bot und weltweiten Respekt genoß. Beide Männer wurden als Kaufleute ausgebildet, wobei Heß seine nach dem Besuch der École Supérieure Neuchâtel in Hamburg begonnene Ausbildung 1914 abbrach, um sich freiwillig zum Kriegsdienst zu melden. Trotz dieser Gemeinsamkeiten überwogen die Unterschiede. Heß war nicht nur neun Jahre älter als Bohle, er war persönlich verschlossen und in mancher Beziehung ein zu Hypochondrie neigender Sonderling mit ausgeprägtem Sendungsbewußtsein. Er litt an psychosomatischen Störungen, hielt auf eine strenge Diät, brachte selbst zu Abendeinladungen bei Hitler sein eigenes Essen in einem „Henkelmann“ mit und schwor auf alternative Heilmittel. In der Lebensführung spartanisch, war er neben Bohle einer der wenigen NS-Führer, der sich nicht bereicherte und einem strikten Sitten- und Ehrenkodex anhing. Dieser deckte sich mit den Vorstellungen des Wilhelminischen Zeitalters. Bohle war mit seiner offenen jungenhaften Art das genaue Gegenteil, dazu ein Frauenheld, gewandter Diplomat und Sunnyboy. Was jedoch seine Amtsführung anging, eiferte er Heß nach. Wie dieser übernahm er nach Kriegsende die volle Verantwortung für seine Handlungen und ging sogar noch einen Schritt weiter, indem er seinen Einsatz für den Nationalsozialismus bereute, was Heß ablehnte.36 Heß hielt Hitler für den gottgesandten ,Führer‘ des deutschen Volkes, der diesem eine glückliche Zukunft bescheren werde. Nach dem Scheitern des Hitler-Putsches am 9. November 1923, an dem sich Heß aktiv beteiligt hatte, wurde er zu einer geringen Strafe verurteilt, die er an Hitlers Seite in der Festung Landsberg verbüßte. Während der Haft übernahm er mehr und mehr die Rolle eines Sekretärs, und Hitler diktierte ihm große Teile von „Mein Kampf“. Später wurde er der erste Adjutant des ,Führers‘ (1931) und, ein gewaltiger Karrieresprung, sein Stellvertreter (1933).37 An seiner Loyalität ließ Heß nie einen Zweifel aufkommen, auch wenn sich Hitler und er nach der ,Machtergreifung‘ entfremdeten. Hitler bestimmte nicht ihn, sondern Göring zu seinem 35 Rudolf Heß (Spandau, 22.1.1951) an seine Mutter, zit. nach: Ilse Heß, Ein Schicksal in Briefen. England – Nürnberg – Spandau; Gefangener des Friedens; Antwort aus Zelle Sieben, Leoni a. Starnberger See, 1971, S. 220–221. 36 Eugene K. Bird, Hess. Der „Stellvertreter des Führers“ – Englandflug und britische Gefangenschaft – Nürnberg und Spandau, Herrsching, [1974], S. 59 u. 290. 37 Peter Longerich, Hitlers Stellvertreter: Führung der Partei und Kontrolle des Staatsapparates durch den Stab Heß und die Parteikanzlei Bormann; eine Publikation des Instituts für Zeitgeschichte, München [u. a.], 1992. Wichtige Hinweise auch bei Bird.
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Nachfolger, was Heß schmerzte. Von einer Freundschaft zwischen dem ,Führer‘ und seinem Stellvertreter kann keine Rede sein, da Hitler nur einseitige Beziehungen tolerierte, in denen er der Bewunderte, der andere der Bewunderer war. Heß war in seiner Aufrichtigkeit für die unteren Ränge der NS-Bewegung ein wichtiger Ansprechpartner. EWB nannte ihn im privaten Kreis das Gewissen der NSDAP. Allerdings konnte man den Eindruck gewinnen, daß er das Böse auf seinen ersten Mitarbeiter, seinen Stabsleiter Martin Bormann, delegiert habe.38 Wann Bohle und Heß sich erstmals begegneten, läßt sich nicht mehr feststellen. McKale vermutet im März 1933,39 Jacobsen nimmt an, daß Bohle zuerst mit Alfred Heß,40 dem jüngeren Bruder von Rudolf Heß, bekannt wurde. Dieser habe in der Krisenlage der Auslandsabteilung der NSDAP im März/April 1933 in einem Gespräch mit seinem Bruder dafür gesorgt, daß diese erhalten blieb. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, daß Bohle bei einem der früheren Hamburg-Besuche Hitlers dessen Begleiter Heß, mit dem er sich als Auslandsdeutscher verbunden wußte, kontaktiert hatte. In Frage kommt das WahlkampfJahr 1928, für das eine Anwesenheit Heß’ in Hamburg allerdings nicht belegt ist. Dies ist jedoch für den Deutschlandflug im Juni 1931 der Fall.41 Hitler übertrug Heß aufgrund seines biographischen Hintergrundes am 3. Oktober 1933 die Oberaufsicht über die Auslandsabteilung der Partei, so daß dieser Bohles unmittelbarer Vorgesetzter wurde.42 EWB wurde als einziger der 44 38 Dietrich Orlow, Rudolf Heß – ,Stellvertreter des Führers‘, in: Ronald Smelser/ Rainer Zitelmann (Hrsg.), Die Braune Elite, Bd. 1. 22 biographische Skizzen, Darmstadt, 31994, S. 84–97; Bird, Kap. 31 („Hitler – mit den Augen von Heß gesehen“), S. 259–269. 39 McKale (1977), S. 45. 40 Alfred Heß (29. März 1897 Alexandria–9. Juni 1963 Reicholdsgrün, Fichtelgebirge). 41 Heß schreibt am 11.6.1931 aus Hamburg eine Postkarte an seine Frau Ilse in München: „Über Würzburg, Kassel, Hannover sind wir mit ,dem Maschinerl‘ hierher geflogen – leider bei einem Sauwetter. Hier hab’ ich dienstlich zu tun, morgen soll’s über Berlin heimgehen“. Vom Jahr 1928 ist nur eine Postkarte an seine Eltern Klara und Fritz Heß in Alexandria erhalten, die nicht aussagekräftig genug ist: „Verzeiht das lange Schweigen. Aber: erst die Wahl (mit der wir übrigens, soweit sie uns betrifft, zufrieden sein können), und dann der Umzug“. Vgl. Wolf Rüdiger Heß (Hrsg.), Rudolf Heß – Briefe 1908–1933. Mit einer Einführung und Kommentaren von Dirk Bavendamm, München/Wien, 1987, S. 411 u. 392. 42 Vgl. den für Ribbentrop bestimmten vertraulichen Bericht (1.11.1938) mit der Schilderung des Verhältnisses von Heß zu Neurath („denkbar schlecht“), Ribbentrop („besondere Wertschätzung“) und Bohle („herzlich-gut“). Aufgrund von Heß’ spezifischem Interesse an Auslandsfragen wurde Bohle ihm, und nicht Bormann unterstellt: Original PA AA: DSt. Rib., Regest in: Peter Longerich (Hrsg.), Akten der ParteiKanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Regesten, Bd. 3, München [u. a.], 1992 (Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP Teil III), Nr. 32176, S. 247.
2. Der Schützling von Rudolf Heß
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Gauleiter von Heß, und nicht von Hitler ernannt. Beide hatten trotz ihres unterschiedlichen Temperaments Gefallen aneinander gefunden.43 Bohle wurde zusammen mit Alfred Leitgen Heß’ engster Vertrauter, ohne daß es zu Vertraulichkeiten gekommen wäre. Beide blieben beim distanzierten „Sie“, Briefe Bohles an Heß waren förmlich und beachteten die hierarchische Distanz.44 Bohles ehemaliger persönlicher Referent Dr. Emil Ehrich gab als Zeuge im Wilhelmstraßen-Prozeß zu Protokoll: Bohles Persönlichkeit war geprägt durch eigenes Erlebnis als Auslandsdeutscher, durch unsentimentale englische Erziehung, durch eine gewisse anglophile Einstellung. Er kam mit 29 Jahren, ein Neuling in der Partei – Eintritt 1932 – unkompliziert, unproblematisch, unerfahren in der großen Politik, mit einem guten Schuß Ehrgeiz, an die Verantwortung, wurde, weil er Hess gefiel und bei ihm verwandte Saiten anrührte, auf Anhieb Gauleiter, unbekannt in Partei und Staat, ohne Machtgrundlage im Inneren des Reiches. Sein Anlehnungsbedürfnis an starke Faktoren, sein Suchen nach dem Weg des geringsten Widerstandes, ergab sich als natürliche Abwehrstellung gegen Widersacher überall – im Auswärtigen Amt, in der Wirtschaft, in der Partei selbst. Die hohen Parteifunktionäre mochten ihn insbesondere auch deshalb nicht, weil er ihnen die interessante Möglichkeit zu Auslandsreisen und zu freier Betätigung im Auslande zu nehmen drohte. Ihm fehlte jede Anlage zum Verschwörer und bei seiner Offenheit jede Anlage zu Geheimnistuerei. Er wirkte oft dilettantisch und spielerisch, besaß aber ein beachtliches diplomatisches Geschick, mit widerstrebenden Personen und Tendenzen fertig zu werden oder sich über sie hingwegzusetzen. Bei seinen Untergebenen war er wegen seines geselligen und toleranten Wesens gern gesehen. An einer gewissen Publizität hatte er fast 43 „Hess war ein Auslandsdeutscher, er war in Aegypten geboren, auch sein Vater war im Ausland geboren, und er hatte zumindest mit Bezug auf meine Arbeit Gedanken, die vollkommen von den Gedanken der alten Kämpfer in der alten Partei verschieden waren, eine grosse Anzahl von Parteigenossen sahen ihn als Schwächling an, was sie einen Leisetreter nannten“ (EWB Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13604). 44 Bohle (23.12.1937) an Heß: „Lieber und sehr verehrter Parteigenosse Hess! Wenn das für die AO bisher erfolgreichste Jahr zu Ende geht, so weiss ich, dass dieser Erfolg niemals ohne Ihre verständnisvolle Förderung möglich gewesen wäre. Wenn ich Ihnen deshalb meine herzlichsten Grüsse zum Weihnachtsfest und meine allerbesten Glückwünsche für das neue Jahr übermitteln darf, so kommen diese Grüsse und Wünsche aus dankbarstem Herzen. – Die AO hat in diesem Jahre ihren Einzug im Auswärtigen Amt gehalten und in einem überwältigenden Rahmen die V. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart abhalten können. Ich selbst bin durch Ihre Fürsprache vom Führer mit der höchsten Auszeichnung des Dritten Reiches bedacht worden. Es ist mir nicht möglich, Ihnen am Abschluss dieses Jahres in Worten auszudrücken, wie von Herzen dankbar ich Ihnen für alle diese Beweise Ihres Vertrauens bin. Ich kann nur hoffen, dass Sie niemals, weder heute noch in der Zukunft, Veranlassung haben werden, dieses Vertrauen zu bereuen. – Dass ich mit allen meinen Kräften bestrebt sein werde, sowohl in meiner Parteiarbeit, wie auch in meiner Arbeit im Auswärtigen Amt dem Werk des Führers auf dem von Ihnen vorgezeichneten Wege zu dienen, ist das Versprechen, das ich Ihnen, lieber Parteigenosse Hess, an der Schwelle des neuen Jahres abgeben darf. In Treue und Verbundenheit und mit Heil Hitler! Ihr“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238).
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II. Im Dienst von Partei und Staat kindliches Vergnügen. In seiner privaten Lebensführung war er denkbar einfach und bewohnte bis zuletzt nur ein Mietshaus in Berlin. Er war sicher kein Bonze.45
Daß Ehrich hier ein zu positives Bild zeichnet, wird noch zu zeigen sein, wenn EWBs Bemühungen um enge Kontakte zu Himmler und Goebbels nach seinem Ausscheiden aus dem AA diskutiert werden. Sicherlich mußte Bohle im Ränkespiel der Nazihierarchen Lehrgeld bezahlen und wurde im Laufe der Zeit vorsichtiger und machiavellistischer als zu Beginn seiner Bekanntschaft mit Heß. Heß und seine Frau Ilse lebten sehr zurückgezogen, und so waren die Kontakte zwischen den Männern überwiegend dienstlich. Leitgen, zunächst Chef vom Dienst der „Nachtausgabe“ (Scherl-Verlag), hatte Heß 1933 interviewt, und dieser war von ihrer Begegnung so angetan, daß er ihn zu seinem Pressereferenten und später zu seinem persönlichen Adjutanten machte. Leitgen wurde nach dem Englandflug verhaftet, aus der Partei ausgestoßen, bis 1944 in ein KZ eingesperrt und danach zu einer SS-Bewährungseinheit versetzt.46 Nicht besser erging es dem zweiten Adjutanten, Karlheinz Pintsch. Bohle hatte großes Glück, daß ihm ein ähnliches Schicksal erspart blieb. Eine wichtige Rolle als Kontaktmann zwischen Heß und Bohle spielte stets Alfred Heß, der jüngere Bruder, den Bohle 1934 zu seinem Stellvertreter machte. Alfred Heß hatte der alten, 1923 aufgelösten NSDAP seit 1920 angehört, ohne jedoch eine politische Karriere anzustreben. Er kehrte zwischenzeitlich nach Ägypten zurück, um im Geschäft seines Vaters zu arbeiten. Im Jahr 1932, nach anderen Angaben im Herbst 1933, gründete er in Kairo die ägyptische Landesgruppe der NSDAP. In der AO baute er das Außenhandelsamt auf. Für den Fall des „Endsiegs“ war er als Gauleiter oder Generalgouverneur von Ägypten vorgesehen.47 Trotz angegriffener Gesundheit setzte er sich rastlos für die AO ein und war das, was man damals einen „fanatischen Nationalsozialisten“ nannte. Obwohl Bohle sich auch mit ihm nicht duzte, pflegten sie einen ironisch-kameradschaftlichen Umgang.48 Die Brüder Heß hatten ein ähnlich en45
Berlin, BArch NS 9/86, S. 3. Uwe Werner (unter Mitwirkung von Christoph Lindenberg), Anthroposophen in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1945), München, 1999, S. 469; Alfred Leitgen, Eidesstattliche Erklärung, München, 25.6.1948, Dokumentenbuch IV, Nr. 67, Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse IV, Fall 11, Rep. 501, E-5, S. 9. 47 Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker, Rudolf Heß. Der Mann an Hitlers Seite. Mit Beiträgen von Ted Harrison (Großbritannien), Peter A. Schupljak (Belorußland) und Robert G. Waite (USA), Leipzig, 1999, S. 133. 48 So schreibt Alfred Heß (12.4.1938) an Bohle, der noch nicht von den ,Anschluß‘-Feierlichkeiten aus Wien zurückgekehrt war, wo er die Auflösung der AO vorbereitete: „Das Presseamt hat sich mal wieder als unmögliches Gebilde in diesen Tagen der Abstimmung [= Wahl zum ersten Großdeutschen Reichstag, FRH] erwiesen. Ich möchte mich darüber jetzt nicht mehr verbreiten, damit nicht auch Ihnen der Hut nachträglich hoch geht. Wenn wir beide mit Ostereiern genug gestärkt sind, komme 46
3. Der Theoretiker der Auslandsorganisation der NSDAP
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ges Verhältnis wie die Brüder Bohle, und, mutatis mutandis, ähnliche Lebenswege. Alfreds Tod bekümmerte den in Spandau inhaftierten Bruder sehr.49 Nach 1941 gibt es keine Belege mehr für einen Kontakt zwischen Bohle und Heß, der ihn in Nürnberg nicht erkennen wollte und in seiner Haftzeit in Spandau nie von seiner politischen Vergangenheit sprach. Insofern teilte Bohle seine damnatio memoriae mit den anderen Weggefährten des einstigen Stellvertreters des ,Führers‘. 3. Der Theoretiker der Auslandsorganisation der NSDAP Die NSDAP mußte vor allem in ihrer Anfangszeit ihre Ideologie und ihr Führungspersonal bekannt machen, um Wähler zu gewinnen und damit dem Fernziel der Machtübernahme näherzukommen. Auf ihrem Weg kam der Propaganda eine zentrale Rolle zu. Hitler hatte bereits 1924 in „Mein Kampf“ deren Rolle umrissen. Er hielt – wie heute jede PR-Firma – die „richtige Verwendung von Propaganda für eine wirkliche Kunst“. Sie sei berufen, „die gefühlsmäßige Vorstellungswelt der großen Masse“ zu begreifen, um „den Weg zur Aufmerksamkeit und weiter zum Herzen der Masse“ zu finden.50 Hitler hatte dabei die zweckgebundene Kalkulierbarkeit der Menschen im Auge. Die am 30. Juni 1926 registrierte Satzung der NSDAP sah deshalb die Schaffung einer ,Reichspropagandaleitung‘ (RPL) innerhalb der Reichsleitung der Partei vor. Sie unterstand zunächst Gregor Straßer, der jedoch seinem Stellvertreter Heinrich Himmler viel Spielraum ließ. Dieser straffte die Verwaltungsarbeit und intensivierte das Bemühen der einzelnen Mitglieder um zentrale Anleitung. Als Wunschbild zeichnete sich ein professioneller, redegewandter Parteipropagandist ab, „im Wissen beschlagen“ und (falls das nicht schon Propaganda war) „innerlich sauber“. Im Dezember 1928 schlug Himmler ein Projekt konzentrierter Propaganda-Offensiven vor, um durch zahlreiche zeitgleiche Versammlungen in eiich wieder darauf zurück. Ich stelle Ihnen indessen anheim, falls Sie durch den Genuß von Grinzing-Wein und Grinzing-Madeln so beschwingt und fesch gestärkt sein sollten, den Parteigenossen Schnaus zu einem kleinen Bericht zu bestellen. Wenn wir irgendwo und irgendwie z. Zt. das Ansehen der AO stärken müssen, so in allererster Linie durch die Anstellung eines routinierten Pressefachmanns als Amtsleiter für das Presseamt. Gelingt uns das nicht, dann möchte ich aus Prestigegründen vorschlagen, diesen Pressesaftladen zu schliessen. Hobe die Ähre Herr Stootssekretär, in alter unverbindlicher Verbundenheit, zum Abschied leise Servus! Ihr A. H.“ (Original Berlin, PA AA R 27238). 49 Rudolf Heß (Spandau, 23.6.1963) an Ilse Heß: „Wie nah ich ihm stand, weißt Du am besten. [. . .] Ich hatte soo gehofft, das Brüderlein wiederzusehen“, zit. nach: Ilse Heß, Ein Schicksal in Briefen (1971), S. 493. 50 Winfried Ranke, Propaganda, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus. Hrsg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml u. Hermann Weiß (Hrsg.), München, 52007 (DTV), S. 27–45, hier S. 27 f.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
nem Gau die Aufmerksamkeit von Presse und Publikum gezielt herauszufordern. Infolge strittiger Kompetenzen kam es jedoch immer wieder zu Rückschlägen. Da sich der Berliner Gauleiter Joseph Goebbels als besonders erfolgreicher Agitator herausstellte, wurde er im April 1930 auf einer Führertagung der NSDAP in München zum Reichspropagandaleiter ernannt. Er konnte diesen Sieg („Goebbels triumphans“, notierte er in sein Tagebuch) jedoch noch nicht voll auskosten, da es ihm nicht gelang, der RPL die Zuständigkeiten für Pressearbeit, Film, Rundfunk und Volksbildung zu unterstellen. Dieses Ziel erreichte er schließlich am 13. März 1933, als er, was bis dahin einmalig in der deutschen Geschichte war, ein eigenes ,Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda‘ (RMVP, im damaligen „Jargon“ ProMi genannt) erhielt, das ihm die so lange ersehnte Kontrolle über alle Medien einräumte. Dennoch war der NS-Staat auch weiterhin auf Tausende von Propagandisten angewiesen, um seine Sache zu festigen. Jeder NS-Funktionär, vom Blockwart bis zum Gauleiter, sollte ein Propagandist des nationalsozialistischen Staates und seiner Machtausübung sein oder werden. Das Hauptmittel der Agitation war die unmittelbare Rede, sei sie im Saal oder im Freien vorgetragen, im Rundfunk gesendet oder in der Presse nachgedruckt. Wichtig wurden in dieser noch fernsehlosen Zeit auch reich bebilderte Broschüren, die für ein geringes Entgelt vertrieben wurden und den Bildhunger breiter Bevölkerungsschichten stillten. Bohle hatte seine rhetorische Begabung bereits als Schüler in Südafrika gefestigt, wo er im Ersten Weltkrieg Deutschland und den Kaiser verteidigt hatte. Die intensiven häuslichen Gespräche mit den Eltern und Geschwistern dürften ihn ebenfalls geschult haben. Er wird auch als Angehöriger der Hamburger Auslandsabteilung schon bald als Redner aufgetreten sein. Er hatte eine sonore Stimme, war jedoch kein besonders origineller Rhetoriker, sondern bevorzugte die ruhig-sachliche Darlegung. Pathetisch wurde er nur, wenn er später auf Wilhelm Gustloff und andere nationalsozialistische „Märtyrer“ zu sprechen kam. In Wortwahl und Diktion glich er sich so weit wie möglich Rudolf Heß an. Bis zum Ende des ,Dritten Reichs‘ war er regelmäßig in den Printmedien und im Rundfunk zu lesen und zu hören. Im Deutschen Rundfunkarchiv (Wiesbaden) ist die erstaunliche Zahl von 29 Rundfunkmitschnitten von Bohle-Reden aus den Jahren 1935 bis 1943 erhalten.51 Diese Ätherpräsenz Bohles lag nicht zuletzt an seinen guten Beziehungen zu Goebbels, der sein Organisationstalent lobte und ihn einen „unserer fähigsten Leute“ nannte.52 Angehörige der AO wie Hasenöhrl und Schmolz wurden ins Propagandaministerium berufen und sorgten für Austausch, den Goebbels wie Bohle gleichermaßen wünschten. Bereits seit Mitte 1933 arbeitete die AO mit dem nun dem ProMi unterstellten ,Aufklä-
51 Ich danke Frau Marion Gillum vom DRA für die Überlassung der Abstracts dieser Aufnahmen sowie für die Zurverfügungstellung von ausgewählten Tonkopien. 52 Einzelheiten bei Jürgen Müller (1997), S. 65.
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rungsausschuß Hamburg-Bremen‘ zusammen.53 Für ihre Auslandsarbeit erhielt die AO vom ProMi Filme, Bilder, Artikel und Finanzmittel, und Bohle erklärte Goebbels, es sei ihm eine „besondere Freude“, wenn die AO „mehr als bisher eingespannt werden könnte“.54 Die von Bohle überlieferten Stellungnahmen und Reden ermöglichen einen guten Einblick in seine Konzeption der Rolle einer Auslandsorganisation im nationalsozialistischen Staat. Einschlägige Texte liegen von ihm aus fast allen Jahren des ,Dritten Reiches‘ vor, sowohl auf Deutsch wie auf Englisch.55 Der „Völkische Beobachter“ berichtete regelmäßig über seine Auftritte. Häufig wiederholte er die gleichen Argumente, die sich im Lauf der Zeit zu Klischees verfestigten. Ein Wandel in der Argumentation läßt sich nur dann feststellen, wenn sich die außenpolitische Großwetterlage wandelte: In der Konsolidierungsphase der Auslandsorganisation (1931–1934/35) ermahnte er alle Auslandsdeutschen, sich dem Nationalsozialismus unverzüglich anzuschließen. Er forderte von ihnen einen jugendlichen revolutionären Schwung, um in ihren Ländern zu rebellieren, alle Landsleute zu einer Volksgemeinschaft zusammenzuschmieden und unter dem Banner Hitlers und des Nationalsozialismus zu vereinigen. In der zweiten Phase (1934/35–1937) ging es ihm darum, die Besorgnisse einzelner Gaststaaten wie der Weltöffentlichkeit insgesamt zu beruhigen, die die diversen Landesgruppen der AO mit ihrem Netz von Untergruppen als eine nationalsozialistische ,Fünfte Kolonne‘ betrachteten.56 Diese, so war vielfach zu hören, 53 Dieser Ausschuß war 1923 in Hamburg von Wirtschaftskreisen gegründet worden, um die Presse des Auslands in deutschfreundlichem Sinne zu beeinflussen. Nach der sog. Machtergreifung wurde er unmittelbar dem ProMi unterstellt, vgl. Engelbert Schwarzenbeck, Nationalsozialistische Pressepolitik und die Sudetenkrise 1938, München, 1979 (Minerva-Fachserie Geisteswissenschaften), S. 54–65. Für den vorliegenden Kontext sind wichtig: Hamburg, StA Aufklärungsausschuß Hamburg-Bremen 7 (Schriftwechsel mit der AO der NSDAP, 2 Bde., 1936–1937). Vgl. Paul Stoop, Niederländische Presse unter Druck: deutsche auswärtige Pressepolitik und die Niederlande 1933–1940, München, 1987 (Kommunikation und Politik; 17). 54 Berlin, BArch, BDC-Franz Xaver Hasenöhrl, darin: Bohle (3.10.1934) an Goebbels, zit. bei Jürgen Müller (1997), S. 65. 55 Ernst Wilhelm Bohle, Nationalsozialismus und Auslandsdeutschtum, in: Mitteilungsblatt der AO der NSDAP 2. Jg., Folge 18, Mitte Januar 1935, S. III–V; Rede aus Anlaß der Tagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart, 29. August 1937, in: Deutsches Nachrichtenbüro. Erste Morgen-Ausgabe, 4. Jg., 1937, Berlin, Montag, 30. August Nr. 1157–1159, nachgedruckt in: National Socialism. Basic Principles, their application by the Nazi Party’s Foreign Organization, and the use of Germans abroad for Nazi aims, by Raymond E. Murphy, Washington: Government Printing Office, 1943 (Department of State publication/United States; 1864), S. 321–344, hier S. 324–331; Ernst Wilhelm Bohle, Germans abroad (1938), im gleichen Jahr auch separat gedruckt; Ernst Wilhelm Bohle, Die Auslands-Organisation der NSDAP (Vortrag, gehalten vor der Ungarischen Gesellschaft für Außenpolitik in Budapest am 24. Januar 1938), in: Jahrbuch für auswärtige Politik 4. Jg., 1938, S. 14–29 (auch separat gedruckt). 56 Der Begriff wurde angeblich 1936 im spanischen Bürgerkrieg geprägt, aber zunächst nicht auf Deutschland gemünzt. Er bezeichnete die subversiven Anhänger der Aufständischen, die nach dem Putsch Francos gegen die Republik in den von der legi-
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verfolge das Ziel, ihre Gastländer zu unterwandern und auf einen deutschlandfreundlichen Kurs zu drängen. Bohle erklärte die AO für gesetzestreu und den Gastländern gegenüber für loyal. Die Dritte Phase (1937/38–1941) begann mit Bohles Eintritt ins Auswärtige Amt, wo ihm als Staatssekretär z. b. V. die amtliche Zuständigkeit für alle Auslandsdeutschen übertragen wurde. EWB betonte, daß er zugleich als Hoheitsträger der Partei wie als Inhaber eines Staatsamtes mit der Fürsorge für alle Auslandsdeutschen betraut sei. Eine Interessenkollision ergebe sich daraus nicht. Die Arbeit von Staat und Partei werde vielmehr gleichgerichtet, denn Reichsvertretungen und Parteidienststellen arbeiteten vertrauensvoll zusammen. In der letzten Phase (1942–1945) verbreitete er Durchhalteparolen, stilisierte die deutschen Eroberungsfeldzüge im Osten regimetreu zu einem europäischen Befreiungskampf gegen den ,Bolschewismus‘ und das ,Weltjudentum‘ und profilierte sich plötzlich als erbitterter Gegner Großbritanniens, dessen Elite er ,Verjudung‘ und Nähe zum ,Bolschewismus‘ vorwarf. Dabei hielt er privat den Germanenwahn und den Rassenkult der Nazis für lächerlich. Dazu trug sicherlich bei, daß er zusammen mit seiner Frau nach einem Kinobesuch auf dem Kurfürstendamm von einem SA-Mann wegen seines angeblich orientalischen Äußeren als Jude angepöbelt worden war.57 Er mokierte sich gerne über Goebbels’ „arisches Aussehen“, und wenn er mit seiner Familie einen Ausflug machte, lief er vorneweg und rief: „Mir nach, ich bin der nordische Gedanke!“ In keiner seiner Reden fehlten Hinweise auf die Aufbauarbeit der AO, die sich aus kleinen Anfängen zu einer weltweiten Bewegung entwickelt habe. Bohle hatte diesen rhetorischen Topos Hitler abgeschaut, der in jede seiner oft mehrere Stunden dauernden Reden derartige Passagen einbaute, die Max Domarus als „Parteierzählung“ bezeichnet hat.58 Bohles „Parteierzählung“ begann bei der Gründung der AO im Jahr 1929 (gelegentlich auch 1927), um dann weitschweifig den entbehrungsreichen Aufbaukampf und die erzielten Erfolge nachzuerzählen. Als Zeugnis der ersten Phase kann man die von dem deutschchristlich gesonnenen lutherischen Pfarrer Friedrich Wilhelm Brepohl (Jg. 1869) herausgegebene Rede Bohles, „Die Entscheidung draussen“, heranziehen, die 1934 zweimal aufgelegt wurde. Brepohl, Ehemann der Malerin Julie Ferdinandine Hoffmann, hatte eine Zeitlang in der Künstlerkolonie auf dem Monte Verità über timen Regierung kontrollierten Gebieten verblieben waren. Sie sollten dort losschlagen, sobald es militärisch geboten war. Der spanische General Emilio Mola, einer der Führer der Putschisten, wollte vier Kolonnen gegen Madrid führen, doch die ,fünfte Kolonne‘, die aus den Anhängern Francos in Madrid gebildet werden sollte, sollte mit der Offensive beginnen. Louis de Jong wandte den Begriff erstmals auf die AO an. 57 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0107–0108. 58 Max Domarus, Hitler, Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, 2 Bde., München, 1965; hier Bd. 1, 1, S. 49.
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Ascona gelebt, ehe er mit Frau und Kindern nach Brasilien auswanderte. Hier trat er schon bald als Pangermanist, Antisemit und Protonazi hervor, weshalb er nach dem Krieg in Porto Alegre eingekerkert wurde und seine Stellung als Pfarrer verlor.59 Die Bibliothekskataloge weisen ihn als einen aktiven Pamphletisten aus. Bei den zitierten Ausführungen Bohles handelt es sich um einen ursprünglich in der „Berliner Zeitung“ erschienenen Artikel, in dem die auslandsdeutschen Nazifreunde am 1. Mai 1934 zum Kampf gegen die Ewiggestrigen aufgerufen werden, die ihre Privilegien behalten wollten und als Feinde der neuen Volksgemeinschaft nach wie vor in einem rigiden Klassendenken verharrten. Zu Beginn betont Bohle, daß er selber Auslandsdeutscher sei und deren Probleme aus eigenem Erleben nachvollziehen könne. Von den alten Deutschtumskämpfern in Brasilien wurde Bohles Beitrag als „Hetzartikel“ aufgefaßt, mit dem er ihnen den Fehdehandschuh hinwerfe. Ihre Leistungen würden geschmälert, alle Erfolge zu Unrecht den Nationalsozialisten gutgeschrieben.60 Wenn McKale schreibt, EWB sei von einem fanatischen deutschen Nationalismus, verbunden mit einem tiefen Haß gegen die Juden beseelt gewesen und habe aus Kommunistenfurcht den ,Führer‘ verehrt,61 so ist diese Aussage zu extrem. Sie stützt sich auf gelegentliche Aussagen Bohles, die damals von einem Hoheitsträger im Range eines Gauleiters erwartet wurden, aber erst aus der Endphase des Krieges nachweisbar sind. Zutreffender ist der Hinweis, daß Bohle es als einen historischen Auftrag Deutschlands und später seiner eigenen Person ansah, die angeblich 2–3 Mio. Auslandsdeutschen zu einer weltweiten „Volksgemeinschaft“ zusammenzuschließen. Deren genaue Zahl ließ sich aber wegen des Fehlens der Konsulatsmatrikel, der zahlreichen Doppelstaatler und der häufig fälschlich dazugerechneten Volksdeutschen nicht feststellen.62 Ähnliches gilt auch für McKales Hinweis auf EWBs Kirchenfeindlichkeit, seinen Antikommunismus und seinen Antisemitismus.63 Entsprechende Äußerungen waren ebenfalls dem Zeitgeist geschuldet und kamen nur gelegentlich in seinen Reden aus der NS-Zeit vor, entsprachen aber nicht seiner innersten Überzeugung. EWB bezeichnete sich nach dem Krieg als von Pater Sixtus O’Connor im Nürnberger Gefängnis überzeugten Christen. Mit seinem Sohn Hermann Jr. hatte er in dessen Berliner Kindertagen regelmäßig ein allerdings 59 Vgl. den anonymen Beitrag „Ida Hoffmann e Henri Oedenkoven: do AvanteGarde anarquista aos Círculos Ocultistas“ im Internet, der der Zeitschrift Ordo Templi orientis, Representação Brasileira, entnommen wurde. 60 Jacobsen, Hans Steinacher, S. 218, 220. 61 McKale (1993), S. 27, stützt sich vermutlich auf die von Harold Deutsch, W. W. Blancke, Bruce L. Smith und Harry N. Howard vom 5.–8. September 1945 im G-2 Interrogation Center at Oberursel vorgenommenen Verhöre (NAMP 679/1 [Bohle Interrogation], Bl. 0106). 62 Emil Ehrich, Die Auslandsorganisation der NSDAP, Berlin, 1937 (Schriften der deutschen Hochschule für Politik; 13), S. 7. 63 McKale (1977), S. 47.
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nationalsozialistisch eingefärbtes Abendgebet („Segne unseren Führer und sein Volk dazu“) gesprochen. Aus seiner SS-Akte geht hervor, daß er sich im ,Dritten Reich‘ als „gottgläubig“ bezeichnete. Er erklärte dies damit, daß keines der Geschwister eine religiöse Erziehung außerhalb der Familie erhalten habe. Nie hätten sie eine Sonntagsschule oder einen Gottesdienst besucht, niemals die Bibel gelesen, nur die Bergpredigt gekannt und vom Christentum so gut wie nichts gewußt. Er selber habe zusammen mit den jüdischen Schülern bei Beginn des Religionsunterrichts die Klasse der „College High School“ verlassen. Alle Bohle-Kinder hätten sich dennoch als Christen bezeichnet, ohne einer bestimmten Konfession anzugehören, regelmäßig gebetet und versucht, ein anständiges Leben zu führen. Wenngleich er und seine Geschwister keinerlei Verbindung zu einer bestimmten Kirche gehabt hätten, seien sie alles andere als Atheisten gewesen. „Ich glaube, daß die Bezeichnung ,gottgläubig‘ der richtige Ausdruck für meine religiöse Einstellung sei“.64 Auch die These James Vincent Murphys, der als Übersetzer vom Englischen ins Deutsche im Propagandaministerium für Hitler-Reden zuständig war und Bohle gut kannte, dieser habe beim Aufbau der AO das Gefüge der ihm wohlvertrauten Katholischen Kirche imitiert, ist nicht haltbar.65 Seinem Sohn empfahl EWB nach dem Krieg übrigens Leopold von Rankes „Die Geschichte der Päpste“ als „bestes Lehrbuch für umsichtige, intelligente Politik“.66 64 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13597. 65 James J. Barnes/Patience P. Barnes, James Vincent Murphy. Translator and Interpreter of Fascist Europe 1880–1946, Lanham/New York/London: University Press of America, 1987, S. 182–183. Da es sich um einen der wenigen Texte zu Bohle und der AO aus der Feder eines britisch-irischen Zeitzeugen handelt, werden die entscheidenden Passagen mitgeteilt, auch wenn nicht alle Angaben korrekt sind, z. B. Bohles katholischer Hintergrund: „Bohle came of Roman Catholic stock. He remembered that the Catholic Church has shadow dioceses, with titular bishops, in what are called partibus infidelium, which means in heathen parts. The bishops of these dioceses do not reside in them, but they operate through missonaries. As soon as each ,infidel part‘ is won over to the Faith the bishop will be inaugurated. Of course we are all infidels in the Nazi vision of the world, the Weltanschauung. But there is a hope that we may be won over. So why not follow the lead of the Roman Catholic Church and create shadow dioceses of the National Socialist Party abroad? It would be a splendid way of organizing the work of proselytizing the heathen democrat and there might be worthwhile perquisites into the bargain. Eventually forty-four national parishes were set up and these operated as many as six hundred outlying missions or local groups, as they were called. Thus British headquarters of the Foreign Organization were established in London at Cleaveland Terrace, and local groups were set up in Birmingham, Liverpool, Glasgow, Belfast, Dublin, and so on. German citizens living abroad were forced to belong to the Foreign Organization. This meant that every domestic employee of German nationality and every German clerk employed in bank or counting-house or commercial office abroad was bound to register with the local Nazi group. Professors and students and merchants, even consular and embassy officials and German newspaper correspondents – in fact everybody carrying a German passport – were subject to this order“. 66 Hinweis von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf).
3. Der Theoretiker der Auslandsorganisation der NSDAP
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Bohles Reden der drei anschließenden Phasen von 1934/35–1944 werden in den nächsten Kapiteln behandelt. An dieser Stelle ist darauf hinzuweisen, daß zumindest ein Fall von Gegenpropaganda belegt ist, die sich der Aufmachung der Schriftenreihe des Deutschen Ausland-Instituts (DAI) in Stuttgart und des Verfassernamens Ernst Wilhelm Bohle bedient, aber vermutlich „rotspanischen“ Ursprungs ist.67 Die Pressestelle der AO warnte ihrer Mitglieder in einer Rezension vor diesem Tarnprodukt, das sie als dumm und ungeschickt und zugleich als einen neuen Beweis „für die geistige Armut judo-bolschewistischer Greuelhetzer“ abqualifizierte.68 Bohle knüpfte bereits früh Netzwerke und erwies sich als geschickter Überlebenskünstler im polykratischen NS-Staat. Die unterste Stufe waren Glückwünsche zum Jahreswechsel, zu Geburtstagen oder anderen Familienereignissen.69 Auf dem Propagandasektor verpflichtete er sich Geheimrat Walther Heide,70 indem er ihm Berichte seiner ausländischen Vertrauensleute, vor allem aus Tokyo, zukommen ließ, die dieser an Himmler weiterleitete. Bohle förderte Heides 67 Die undatierte und angeblich bei der Union-Druckerei Stuttgart verlegte Broschüre „Unsere Kulturarbeit im Ausland“ umfaßt 39 S. und dokumentiert die militärische Hilfe, die Hitler Franco angedeihen ließ. Benutzt wurde das Ex. der DB Leipzig [1939 A 10425], das unter der inhaltlich korrekten Titelangabe „Hitler führt Krieg gegen Spanien“ ausgewiesen ist. Dieser Titel kommt im Buch selber jedoch nicht vor. Das Vorwort „Zur Einführung“ ist angeblich von Gauleiter Bohle verfaßt und führt den Leser bewußt in die Irre: „Mit dem vorliegenden Büchlein beginnt das Deutsche Auslands-Institut [sic] die Veröffentlichung einer Schriftenreihe im handlichen Taschenformat über die Tätigkeit und Erfolge unserer Kulturarbeit im Ausland, die seit der Machtübernahme des Nationalsozialismus zu verzeichnen sind. Zersetzt durch das Gift des Marxismus-Liberalismus vermochte das Deutschtum im Ausland seine Aufgaben in der Vergangenheit nicht zu lösen. Der Wille des Führers und seine tatkräftige Entschlußkraft haben auch auf diesem Gebiet gründlichen Wandel geschaffen. Wir verzichten bewußt darauf, in diesem Büchlein den Lügen der liberalistischen Weltpresse entgegenzutreten. Überzeugender als Worte wirken Dokumente, mit denen in dieser Schrift die kulturellen Großtaten des Führers unserem Volk und der ganzen Welt verkündet werden. – Die Herausgabe der Schrift im Kleinformat dient dazu, ihre weiteste Verbreitung zu ermöglichen. Jeder wahre Deutsche wird die Verpflichtung in sich fühlen, dieses Büchlein an einen anderen Volksgenossen weiterzugeben“. 68 Nur mit der Feuerzange anzufassen!, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 1, S. 47. 69 Solche Schreiben sind erhalten an Martin Bormann, Richard Walther Darré, Hans Frank, Walter Funk, August Heißmeyer, Ilse Heß, Rudolf Heß, Karl Kaufmann, Martin Mutschmann, Baldur von Schirach, die Botschafter Wilhelm Faupel (Spanien), Eugen Rümelin (Sofia), Eberhard von Stohrer (Ägypten, Spanien), Johannes Graf von Welczeck (Paris) sowie SS-Obergruppenführer Kurt Daluege. 70 Walther Heide (1894–1957), von 1926 bis 1944 Mitherausgeber der „Zeitungswissenschaft. Monatsschrift für internationale Zeitungsforschung“, 1933 zunächst Stellv. Pressechef der Reichsregierung, seit 1933 Leiter der Ausland-Pressebüro GmbH, zugleich Honorarprofessor an der TH Berlin-Charlottenburg, Präsident des Deutschen Zeitungswissenschaftlichen Verbandes, 1935 Mitglied des Reichskultursenats, seit September 1945 in sowjetischer Haft, 1957 für tot erklärt, vgl. BHDAD, Bd. 2 (2005), S. 230–231; Lutz Hachmeister, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SSFührers Franz Alfred Six, München, 1998, S. 63–66, 77–81, 93–98 u. ö.
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Aufnahme in die Partei und schlug ihn für einen Orden vor (I. Klasse des Ehrenzeichens des DRK).71 Auch als auf Druck Ribbentrops die Sektion Auswärtiger Dienst der AO aufgelöst wurde und die Mitglieder den Ortsgruppen ihres Wohnsitzes zugewiesen wurden, bekräftigte Heide seine weitere Verbundenheit mit der AO.72 4. Reichsdeutsche und Volksdeutsche Der Begriff „Volksdeutsche(r)“ war eine nationalsozialistische Prägung. Damit wurden die Angehörigen fremder Staaten bezeichnet, die „deutschen oder artverwandten Blutes“ seien, die deutsche Sprache sprächen und sich willensmäßig zur deutschen Volks- und Kulturgemeinschaft bekennten.73 Langfristig plante Hitler, die europäischen Volksdeutschen „heimzuführen“ bzw. sie für seine Aggressionspolitik zu instrumentalisieren. Größere Gruppen von „Volksdeutschen“ lebten vor allem im Baltikum, in der Sowjetunion, Polen, Rumänien, der Tschechoslowakei, Ungarn und Jugoslawien, z.T seit Generationen. Bis 1918 waren viele habsburgische Untertanen und gehörten zum österreichischen Staatsvolk. Infolge der Bestimmungen des Versailler Vertrags und der Vorortverträge waren sie jedoch Angehörige der Nachfolgestaaten geworden und hatten eine neue Staatsangehörigkeit erhalten. Jetzt waren sie echte „Volksdeutsche“, deren Zahl auf realistische 10 Mio. geschätzt wurde. Bereits die Weimarer Republik hatte sich auf der Basis des vom Völkerbund formal garantierten, wenngleich nicht wirklich gewährleisteten Minderheitenschutzes um die Volksdeutschen gekümmert und sich dabei einer Vielzahl von Organisationen bedient. Streng von den „Volksdeutschen“ zu unterscheiden sind die „Auslandsdeutschen“, deutsche Staatsangehörige („Reichsdeutsche“), die auf Zeit oder auf Dauer außerhalb der deutschen Grenzen lebten und ihre deutsche Staatsangehörigkeit beibehielten. Auf Bitten des Chefs der Reichskanzlei Lammers formulierte Bohle die terminologischen Unterschiede und teilte sie den verschiedenen Reichsministerien und dem Reichspressechef mit: 71 Vgl. die Korrespondenz aus den Jahren 1937 und 1938 in: Berlin, PA AA R 27238. 72 Heide (24.9.1938) an Bohle: Es dränge ihn „mit diesen persönlichen Zeilen noch einmal zu sagen, dass auch durch die organisatorische Umänderung meine Verbundenheit mit der Auslands-Organisation und besonders mit Ihnen die alte bleibt. Sie resultiert nicht nur aus den vielen sachlichen und dienstlichen Beziehungen zur AuslandsOrganisation, sondern in erster Linie aus dem freundschaftlichen Verhältnis zu Ihnen, das mich veranlasst, Ihnen diese kameradschaftlichen Zeilen zu schreiben. Gehöre ich auch organisatorisch nicht mehr direkt zur Auslands-Organisation, so ändert das an der persönlichen Verbundenheit nichts“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 73 Gerhard Taddey, Lexikon der deutschen Geschichte. Ereignisse – Institutionen – Personen. Von den Anfängen bis zur Kapitulation 1945, Darmstadt, 31998, S. 1300.
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Wenn wir generell von Deutschtum im Ausland sprechen, so verstehen wir darunter sowohl die Auslandsdeutschen, wie auch die Volksdeutschen. Wir wissen aber ganz klar zu unterscheiden zwischen den Auslandsdeutschen, d.h. den Reichsdeutschen im Ausland, und den Volksdeutschen, die in Sprache und Kultur deutschen Stammes sind, nicht aber als Bürger zum Deutschen Reich gehören.74
Gegen diese Unterscheidung gab es jedoch erheblichen Widerstand, sowohl von den Volksdeutschen selber wie von den Juristen der Akademie für Deutsches Recht (Ausschuß für Nationalitätenrecht). 75 Am 25. Januar 1938 teilte der Chef der Reichskanzlei Lammers allen Obersten Reichsbehörden mit, der ,Führer‘ und Reichskanzler wünsche, daß künftig die Begriffe „Deutschtum im Ausland, Auslandsdeutscher und Volksdeutscher“ in allen offiziellen Verlautbarungen im Sinne Bohles verwendet würden. Einen Sonderfall für die nationalsozialistische Auffassung bildeten die Österreicher, Südtiroler, Sudetendeutschen und Luxemburger, die nach wie vor als Deutsche angesehen wurden, desgleichen die Bewohner der durch den Versailler Vertrag 1919 abgetretenen Reichsgebiete (Nordschleswig, Memelgebiet, Posen/Westpreußen/Oberschlesien, Hultschiner Ländchen, Eupen-Malmedy/Moresnet, Elsaß-Lothringen, Danzig). Sie wurden durch die im Lauf der von Hitler betriebenen Revision des Versailler Vertrags und der daraus resultierenden Annexionen bis zum Ende des NS-Staates wieder zu Reichsdeutschen mit allen Rechten und Pflichten gemacht. Diese definitorische Subtilität war nicht unerheblich und gab Anlaß zu manchen Differenzen, sowohl innerhalb wie außerhalb Deutschlands. Der Münchner Geographie-Professor Karl Haushofer76 gilt als Begründer einer deutschen Geopolitik, denn er hatte in mehreren Werken die Theorie der geographischen Abhängigkeit und Bezogenheit politischen Denkens und Handelns propagiert. Über seinen Schüler und Freund Rudolf Heß flossen diese Lebensraumkonzepte, die auch von Haushofers Sohn Albrecht, seit 1940 Professor für Geographie in Berlin, unterstützt wurden, in die Ideologie des Nationalsozialismus ein. Haushofer hatte Hitler zwar nie in Landsberg aufgesucht, wie eine Zeitlang kolportiert wurde, auch hatte er sich geweigert, „Mein Kampf“ in 74 Chef der AO (Berlin, 20.1.1938) an Reichsminister und Chef der Reichskanzlei, Dr. Lammers (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-3808). 75 Berlin, PA AA R 27268. Die jetzt als Volksdeutsche deklarierten Deutschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit fühlten sich ausgegrenzt und hätten eine terminologische Scheidung in ,Auslandsdeutsche‘ und ,Auslandsreichsdeutsche‘ bevorzugt. Die ,Akademie für Deutsches Recht‘ schlug eine Unterscheidung in ,Inlandsdeutsche‘ (Reichsangehörige und Nichtreichsangehörige) bzw. Auslandsdeutsche (alle Deutschen, die im Ausland leben, gleichgültig, ob sie Reichsangehörige oder Nichtreichsangehörige sind) vor. 76 Tilman Koops, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen. Hrsg. von Ingo Haar und Michael Fahlbusch, München, 2008, S. 235–238.
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seiner Zeitschrift „Geopolitik“ zu besprechen, aber man geht heute davon aus, daß Hitlers Lebensraumkonzept in seinen Grundzügen auf Haushofer zurückzuführen ist.77 Der wichtigste Verband für die Betreuung der in der NS-Zeit „Volksdeutsche“ genannten Personen war der ,Verein für das Deutschtum im Ausland‘ (VDA), der am Ende der Weimarer Republik nicht weniger als 3.000 Ortsgruppen und über 5.000 Schulungsgruppen umfaßte. Sein Leiter (Reichsführer) war seit 1933 der Kärntner Hans Steinacher.78 Dem nationalsozialistischen Drängen auf Zentralisierung wurde durch die Errichtung eines ,Volksdeutschen Rates‘ (VR) als Koordinierungsgremium entsprochen. In diesem Gremium dominierten zunächst noch die bewährten Experten der Weimarer Zeit, darunter Haushofer und Steinacher. Sie lehnten Gewalt als Mittel der Politik ebenso ab wie das Rassenprinzip und gingen von einem Miteinander unterschiedlicher Völker aus, wenn die Staatsvölker die deutschen Minderheiten respektierten. Steinacher unterschied zwischen „etatistischem“ und „volklichem“ Denken. Für Hitler, den Etatisten, hatte „die Macht des Mutterlandes“ zunächst Vorrang. Für die Rückführung von 7 Mio. Österreichern war er bereit, die 200.000 Südtiroler in Mussolinis Machtbereich zu belassen. Auf diese Weise konnte er aus dem Deutschen Reich das ,Großdeutsche Reich‘ machen und einen Konflikt mit dem Duce vermeiden.79 Das hinderte ihn allerdings nicht daran, seine spätere Aggressionspolitik mit dem Schutz deutscher Minderheiten zu begründen. Er überließ die Volkstumsarbeit zunächst seinem Stellvertreter Rudolf Heß, bis seine Herrschaft innen- wie außenpolitisch gesichert war. Heß hatte in dieser Anfangsphase dafür zu sorgen, daß die Außenpolitik des Regimes nicht durch irredentistische Forderungen von Vertretern der ,Volksdeutschen‘ gestört würde.80 Diese Auffassung, die auch von Ribbentrop geteilt wurde,81 gewährte dem VDA eine Zeit-
77 Othmar Plöckinger, Geschichte eines Buches: Adolf Hitlers „Mein Kampf“ 1922–1945, München, 2006, S. 143–146. 78 Wolfram Mallebrein, Hans Steinacher: ein Kämpfer für Freiheit und Selbstbestimmung; eine Biographie, Klagenfurt: Heyn, 1980; Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), Hans Steinacher: Erinnerungen und Dokumente; Bundesleiter des VDA 1933–1937, Boppard a. Rh., 1970 (Schriften des Bundesarchivs; 19); Hans-Werner Retterath, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften, S. 651–656. 79 Klaus Eisterer/Rudolf Steininger (Hrsg.), Die Option: Südtirol zwischen Faschismus und Nationalsozialismus, Innsbruck: Haymon, 1989 (Innsbrucker Forschungen zur Zeitgeschichte; 5). 80 Lothar Kettenacker, Volkstumspolitik, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 858–859; Jacobsen (1968), S. 160–251. 81 Der Volkstumspolitiker Robert Ernst, nach der Besetzung des Elsaß (1940) Oberstadtkommissar von Straßburg, suchte Ribbentrop kurz vor dessen Ernennung zum Außenminister auf und erhielt folgende Warnung: „Vergessen Sie im Rahmen der volksdeutschen Arbeit keinen Augenblick, daß der Führer die deutschen Minderheiten in Europa nicht als Zankobjekte zwischen dem Reich und den anderen Staaten betrachtet, sondern als Verbindungsklammern zwischen uns Deutschen und den anderen
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lang eine gewisse Schonfrist, die zunächst durch Einbindung Bohles und seiner AO, aber auch Ribbentrops erkauft wurde. Karl Haushofers Funktion bestand darin, ständig mit Rudolf Heß Kontakt zu halten und zwischen der immer ehrgeiziger werdenden AO unter Bohle, anderen NS-Potentaten, dem Volksdeutschen Rat und dem VDA zu vermitteln.82 Gauleiter Bohle, der eigentlich nur für die Reichsdeutschen im Ausland zuständig war, hätte seine Macht gerne auf die Volksdeutschen ausgedehnt, um die Bedeutung seiner Organisation zu vergrößern. Im Herbst 1934 hatte er ein erster Etappenziel erreicht: Zur gleichen Zeit wie Joachim von Ribbentrop gelang es ihm, Mitglied des Volksdeutschen Rates zu werden. Steinacher, von Haushofer unterstützt, jedoch von Bohle bekämpft,83 hatte vergebens versucht, Heß klarzumachen, daß die Maßstäbe, die bei der Betreuung und Indoktrinierung der Reichsdeutschen im Ausland angelegt würden, auf die volkspolitische Arbeit nicht anwendbar seien. Als der Vertreter Bohles im VR, Wolfgang Graf Yorck von Wartenburg, eine Entscheidung des alten Rates in Fragen der Unterstützung der deutschen Volksgruppen in Polen desavouierte, sahen sich Steinacher, Albrecht Haushofer, Robert Ernst, Ernst Helferich und Herman Ullmann gezwungen, Karl Haushofer mitzuteilen, daß eine weitere Zusammenarbeit mit der AO nicht möglich sei. Steinacher berief kurzerhand den VR nicht mehr ein, sondern erledigte alle anfallenden Arbeiten in direkter Aussprache mit seinen Freunden, bis eine Neuregelung in Kraft trat. Diese verlief in verschiedenen Phasen, die Jacobsen minutiös nachgezeichnet hat. Ein Vergleich der diversen Organigramme, die die wechselnden Zuständigkeiten in Sachen Volkstumspolitik dokumentieren,84 lehrt, daß vom 15. Oktober 1934 bis zum 15. Juli 1935 der Volksdeutsche Rat das Herzstück der Volkstumspolitik bildete und die AO bzw. Ribbentrop zunächst nur Randaufgaben wahrnahmen (AO: Betreuung der Reichsdeutschen im Ausland, jedoch ohne die USA; Dienststelle Ribbentrop: Außenpolitische Fragen).85 In der anschließenden Zwischenphase, die vom 16. Juli bis Anfang Oktober 1935 dauerte, teilten sich AO, VDA und Dienststelle Ribbentrop die Arbeit ohne klare Abgrenzungen.86 Von Oktober 1935 bis zum 9. Januar 1937 übernahm das neugegründete ,Büro von Kursell‘ unter dem zum Ministerialrat im Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und VolksbilVölkern“. Zit. nach Robert Ernst, Rechenschaftsbericht eines Elsässers, Berlin, 1954 (Schriften gegen Diffamierung und Vorurteile; 5), S. 211. 82 Hans-Adolf Jacobsen, Karl Haushofer – Leben und Werk. Bd. 1: Lebensweg 1869–1946 und ausgewählte Texte zur Geopolitik, Boppard a. Rh., 1979 (Schriften des Bundesarchivs; 24,1), S. 286 f. 83 Wolfgang Rosar, Deutsche Gemeinschaft. Seyß-Inquart und der Anschluß, Wien [u. a.]: Europa Verlag, 1971, S. 105. 84 Jacobsen (1968), Faltblatt am Ende des Bandes; weiterhin S. 185, 217, 223, 233, 245. 85 Jacobsen (1968), S. 217. 86 Ebd., S. 223.
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dung (REM) avancierten Professor Otto von Kursell, einem Baltendeutschen mit künstlerischen Neigungen, der sich früh zum Nationalsozialismus bekannt hatte, die Volkstumsarbeit. Kursell leistete mit seinen Mitarbeitern eine sachbezogene Arbeit. Die Auslandsorganisation und der in ,Volksdeutscher Arbeitskreis‘ umbenannte VDA hatten in Volkstumsfragen nicht mehr viel zu bestellen. Da Kursell jedoch bei Göring durchdrückte, daß auch die Devisenzahlungen der SS in volkspolitischen Angelegenheiten von seiner Dienststelle kontrolliert wurden, brachte er Himmler so sehr gegen sich auf, daß er Ende Dezember 1936/Anfang Januar 1937 seines Amtes enthoben wurde.87 Zwar hatte Karl Haushofer immer wieder versucht, Heß auf seine Linie, d.h. die Linie des VDA, zu bringen, doch befand sich dieser in einem Loyalitätskonflikt. Er hätte sich zwischen seinem alten Lehrer, seinem Freund Bohle oder dem von Hitler geschätzten Ribbentrop entscheiden müssen, eine Entscheidung, der er lieber auswich. Hitler sollte sie für ihn fällen. Als der ,Führer‘ 1937/38 seine Macht im Innern gefestigt hatte, in der Wirtschaft Schacht, in der Diplomatie Neurath und in der Wehrmacht Blomberg abgelöst und durch Walter Funk, Joachim von Ribbentrop (4. Februar 1938) und sich selber ersetzt hatte, konnte er auch die bürgerlichen Vertreter der Volkstumspflege nicht mehr gebrauchen. An die Stelle des Volksdeutschen Rates trat die auf bedingungslosen Führergehorsam eingeschworene ,Volksdeutsche Mittelstelle der SS‘ (VoMi) unter SS-Obergruppenführer Werner Lorenz.88 Diese Dienststelle war aus der von 1935 von Rudolf Heß gegründeten ,Volksdeutschen Parteidienststelle‘ hervorgegangen und koordinierte bereits seit 1936 die verschiedenen Organisationen und Aktivitäten der NS-Politik gegenüber den volksdeutschen Minderheiten im Ausland. Von da war es nicht mehr weit zur Berufung Himmlers zum ,Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums‘, die kurz nach dem Überfall auf Polen am 7. Oktober 1939 erfolgte.89 Auch die Volkstumsarbeit wurde im polykratischen Gefüge des NS-Staates zum Spielball miteinander rivalisierender Gruppen, wobei die Zuständigkeiten laufend wechselten und immer neue Verantwortliche das Heft in die Hand nahmen. Bohle mußte einsehen, daß er sich aus der Volkstumsarbeit zurückzuziehen und auf die Auslandsdeutschen zu konzentrieren habe, wollte er sich nicht mit der immer mächtiger werdenden SS anlegen. 87
Ebd., S. 233; Burkert, S. 641–643. Jacobsen (1968), S. 245; wenig Neues bietet die Zusammenfassung von Tammo Luther, Volkstumspolitik des Deutschen Reiches 1933–1938. Die Auslanddeutschen im Spannungsfeld zwischen Traditionalisten und Nationalsozialisten, Wiesbaden, 2004 (Historische Mitteilungen. Im Auftrage der Ranke-Gesellschaft; 55); Valdis O. Lumans, Werner Lorenz – Chef der ,Volksdeutschen Mittelstelle‘, in: Ronald Smelser/ Enrico Syring (Hrsg.), Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn [u. a.], 2000, S. 332–345. 89 Peter Widmann, Volksdeutsche Mittelstelle (VOMI), in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 854–855. 88
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Der Konflikt schwelte bis Kriegsende. Als Bohles „Duzfreund“ Lorenz,90 den er fachlich für „schimmerlos“ hielt, da er alle dienstlichen Dinge durch Brigadeführer Hermann J. H. Behrends erledigen ließ, im Jahr 1942/43 eine bestimmte Zahl von Volksdeutschen in Belgien und Nordfrankreich, welche im Gefolge der Kriegshandlungen die deutsche Staatsangehörigkeit erworben hatten, auch weiterhin der VoMi zuordnen wollte, beschwerte er sich bei ihm: Du kennst den alten Komplex bei den Volksdeutschen, dass sie sich leicht als Deutsche zweiter Klasse behandelt fühlen. Wenn jetzt wieder ehemalige Volksdeutsche, die heute mit allen Rechten und Pflichten Reichsdeutsche geworden sind, nicht zur Organisation der Reichsdeutschen im Ausland stossen, dann befürchte ich, dass diese Anschauung, die immer wieder in den Auslandsgruppen auftritt, neue Nahrung erhält. Jedenfalls werden durch Deinen Vorschlag zwei verschiedene Arten von Reichsdeutschen im Ausland geschaffen werden.
Im Falle der Luxemburger habe er sich bereits 1941 mit Gauleiter Simon dahingehend geeinigt, die im Ausland lebenden Luxemburger, soweit sie NSDAPMitglieder seien, in die Landesgruppen der AO zu überführen,91 da sie jetzt Deutsche geworden seien. Bohle leitete eine Kopie seines Schreibens an Himmler weiter.92 Dieser forderte offenkundig von der VoMi eine Stellungnahme an, die jedoch nicht Lorenz, sondern Obersturmbannführer Heinz Brückner (Abt. VI der VoMi) mit Datum vom 17. November 1943 formulierte: Es handele sich bei den Einzubürgernden um Personen, die der Wehrmacht, Waffen-SS, Polizei und Organisation Todt angehörten. Sie erhielten nur eine Staatsangehörigkeit auf Widerruf und würden erst nach zehnjähriger Bewährung und Überprüfung durch den Reichskommissar für die Festigung deutschen Volkstums (Himmler) endgültig deutsche Staatsangehörige. Die Sache gehe also weder die AO noch die EWZ (Einwanderungszentrale), sondern allein die VoMi und den Reichsführer SS an. Dieser werde Bohle den Standpunkt der VoMi in einem persönlichen Gespräch mitteilen. Über dessen Ausgang ist den Akten nichts zu entnehmen.93 Doch lenken wir den Blick wieder zurück. In einer auf Einladung der Ungarischen Gesellschaft für Außenpolitik in Budapest am 24. Januar 1938 gehalte90 In seinem Verhör durch Fred Rodell (10.7.1947) schildert Bohle die Umstände dieses Duzens, das er so weit wie möglich zu vermeiden suchte, auch mit „Parteigenossen“: „Ich duze mich sonst mit keinem Menschen, aber Lorenz ist mir einmal morgens um 4 Uhr im Alsterdorf begegnet und bot mir das Du an und da ich letzten Endes der Jüngere war, konnte ich es nicht ablehnen. Lorenz war in keinem nüchternen Zustand und so hoffte ich, dass er es vergessen würde, aber es war nicht der Fall“ (StA Nürnberg, KV-Anklage Interrogations, B-122), Nr. 1564, S. 7. 91 Die Feierlichkeiten aus diesem Anlaß wurden am 9.2.1941 im Reichsrundfunk übertragen, vgl. Wiesbaden, DRA B004625809 (2834007) (Dauer 72’00”). Bohle schilderte die Leistungen der luxemburgischen Parteigenossen, die von staatlicher Seite tyrannisiert worden seien. 92 E. W. Bohle (Berlin, 7.8.1943) antwortet auf eine Anfrage Lorenz’ vom 12.7. 1943 (Kopie StA Nürnberg, KV-Anklage Dok. Fotokop., NO-2547). 93 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4585.
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nen Rede über „Die Auslandsorganisation der NSDAP“, deren Tenor von ungarischen Kreisen begrüßt wurde,94 sagte Bohle unzweideutig: „Wenn wir generell vom Deutschtum im Ausland sprechen, so verstehen wir darunter sowohl die Auslandsdeutschen wie auch die Volksdeutschen. Wir wissen aber ganz klar zu unterscheiden zwischen den Auslandsdeutschen, d.h. den Reichsdeutschen im Ausland, und den Volksdeutschen, die in Sprache und Kultur deutschen Stammes sind, nicht aber als Bürger zum Deutschen Reich gehören“.95 Diese Unterscheidung wiederholte er mehrfach, und sie bildete einen wichtigen Punkt seiner Verteidigungsstrategie in Nürnberg. Durch sein Auftreten in Budapest festigte er sein Ansehen bei den Ungarn, was von Steinacher zwar bestritten,96 von Edmund Glaise-(von) Horstenau hingegen bestätigt wurde. Glaise traf Bohle am 11. Oktober 1940 bei einer Abendeinladung in der ungarischen Botschaft in Berlin, die Botschafter Döme Sztójay gab. Er wunderte sich „über das hochausgebildete Selbstbewußtsein Bohles“. Dieser sei, wie er sich nachträglich erinnerte, auch schon bei früheren Begegnungen sehr „gnädig“, sprich herablassend, zu ihm gewesen. Allerdings habe er sein Nichteinrücken zur Wehrmacht öffentlich als erklärungsbedürftig empfunden und mit seiner Blindheit auf dem linken Auge, einem Geburtsfehler, entschuldigt.97 Diese Behinderung Bohles war tatsächlich der Grund für seine Wehruntauglichkeit.
94 Brief des deutschen Gesandten Otto von Erdmannsdorff (Budapest, 17.2.1938) an Bohle (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-5161). Vgl. auch Wilhelm Staar, Ungarn stimmt zu, Bohle rechnet ab!, in: 8 Uhr-Abendblatt, Dienstag, 25.1.1938, S. 1; VB 25.1.1938 (mit Photo von der Ankunft Bohles und seiner Frau am Budapester Hauptbahnhof). Weitere Einzelheiten s. u., Kap. II.3 u. 11. 95 Jahrbuch für Auswärtige Politik 4, 1938, S. 15. Michael Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden, 1999, S. 104, gibt, gestützt auf PA AA Chef der AO/88, Lammers/Reichsbehörden und Reichspressechef der NSDAP v. 25.1.1938, an, Hitler habe die von Bohle vorgegebenen Begriffe „Deutschtum im Ausland“, „Auslandsdeutscher“ und „Volksdeutscher“ als synonym anzuwendende Begriffe im Sinne Bohles gutgeheißen. Bei dieser Behauptung Fahlbuschs muß es sich um einen Irrtum handeln, denn dies hätte eine internationale Provokation dargestellt, an der Hitler im Vorfeld des ,Anschlusses‘ Österreichs keinesfalls gelegen sein konnte. 96 Zur Kritik Steinachers an dieser Rede vgl. Jacobsen, Hans Steinacher, S. 558: „Diese Erklärung von Bohle wurde nicht bloß von Seiten des ungarländischen Volkstums als Phrasen bezeichnet, wie man sie von NS-Seite den Führern der volksdeutschen Bewegung gegenüber zu gebrauchen pflegte. Sie wurde vor allem von den Ungarndeutschen als das offene Eingeständnis dessen erkannt, daß das Reich nicht bereit war, sich für die Rechte der Ungarndeutschen einzusetzen, ,um die Freundschaft Ungarns nicht zu gefährden‘. [. . .] Das ungarländische Deutschtum hat schon das Auftreten des Gauleiters Bohle in Budapest als einen Dolchstoß in den Rücken empfunden. Noch bevor Ungarn an der Seite Hitler-Deutschlands in den Krieg zog, hatte es aus Ribbentrops Schiedssprüchen für seine ,Landesvermehrung‘ gierig Gewinne eingeheimst“. 97 Broucek/Glaise (1987), S. 547.
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Für unseren Zusammenhang sind die Briefe Karl Haushofers wie auch die Erinnerungen und Dokumente Hans Steinachers wichtige Quellen, die Hans Adolf Jacobsen in meisterlicher Weise erschlossen hat. Sie porträtieren Bohle als Politiker und Machtmenschen und zeigen einen aufstrebenden jungen Nationalsozialisten, dessen Energien sich nicht allein aus seinem Idealismus speisten. Dabei muß in Rechnung gestellt werden, daß Haushofer in dem 34 Jahre Jüngeren, der das gleiche Alter hatte wie sein Sohn Albrecht, einen Rivalen sah, den er nur allzu gerne neutralisiert hätte. Ähnliches gilt für Steinacher, der generationell zwischen Haushofer und Bohle stand und beide überlebte. In den Augen der VDA-Führer war Bohle ein Emporkömmling, der ihnen den verdienten Lohn für eine lebenslange Arbeit mit den Auslands- und Volksdeutschen streitig machte. Für sie gab es keinen Zweifel daran, daß er die Volksdeutschen zur Heimkehr ins Reich zwingen und sie dadurch aus ihren angestammten Lebensräumen vertreiben wollte, in denen sie seit Jahrhunderten wurzelten. Haushofer bezeichnet Bohle als „sehr glatt“98 und illoyal, da er diejenigen belohnen wolle, welche die Politik von Rudolf Heß sabotierten, hingegen die im Stich lasse, die zum Teil unter schweren persönlichen Opfern die im gesamtdeutschen Interesse für richtig gehaltene Politik betrieben hätten. Damit meinte er vor allem sich selber. Eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Bohle und seinem Stellvertreter Yorck von Wartenburg sei unter diesen Umständen unmöglich. Bohle erkenne allenfalls eine scharf gezogene Grenze an. Werde ihm diese nicht gezeigt, werde er schon bald das erreicht haben, was er von Anfang an zielbewußt angestrebt habe, nämlich ihn, Haushofer, auszuschalten, um so eine eigenständige Politik betreiben zu können, die nicht im Sinne Haushofers, aber auch nicht von Heß sei.99 Daß es sich hier gleichermaßen um einen Generationenkampf wie eine Auseinandersetzung um eine effektive Volkstumspolitik handelte, sieht man daran, daß Haushofer Heß gegenüber zwar nicht Bohle, aber seinen Mitarbeiter Spitzer als Agitator und Konjunkturpolitiker schalt. Er schlug den Sack und meinte den Esel.100 Haushofer bezeichnete Bohles Eindringen in die Volkstumspolitik als haßgeborenen Vernichtungsfeldzug, vor dem er kapituliere.101 Rache war nicht Haushofers Art, aber seine dem neuen Außenminister Joachim von Ribbentrop am 2. März 1938 übermittelte Beurteilung der Diplomaten des Auswärtigen Amtes war deutlich, zumal er Ernst Freiherr von Weizsäcker als Staatssekretär empfahl, da er „dem gegenwärtigen Staatssekretär an politischem Profil durchaus überlegen“ sei. Vermutlich
98
Jacobsen, Karl Haushofer, Bd. 2, S. 184 (Karl [21.1.1935] an Albrecht Hausho-
fer). 99
Ebd., S. 188 (Karl Haushofer [Anfang Februar 1935] an Rudolf Heß). Ebd., S. 193 (Karl Haushofer [19.2.1935] an Rudolf Heß). 101 Ebd., S. 199 (Karl Haushofer [4./5.6.1935] an Rudolf Heß). 100
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ist Bohle gemeint und nicht Mackensen, der am 19. März nach Rom (Quirinal) ging und dessen Abschied bereits beschlossene Sache war.102 Steinacher behauptete, Bohles Einfluß beruhe auf seiner wachsenden Freundschaft mit Martin Bormann, dem Leiter der Parteikanzlei,103 eine Verbindung, die EWB stets bestritt und für die es keine zwingenden Belege gibt, zumal EWB Bormann im Familienkreis „den bösen Geist an Hitlers Seite“ nannte. Ohnehin darf man das Bemühen um eine erträgliche Zusammenarbeit nicht mit Freundschaft verwechseln.104 Bohle, so Steinacher an anderer Stelle, wolle die Gelder des VDA in die Kassen der AO umleiten, mache ihn selbst für alle Schwierigkeiten bei der Auslandsarbeit verantwortlich und habe einen großen Zorn auf ihn, weil er kritische Berichte über die AO an Admiral Raeder und den Hamburger Gauleiter Kaufmann richte, die beide Gönner des VDA seien.105 Bohle könne nur „in starren Organisationsformen mit Kommandoverhältnissen denken, eine selbstlose Hilfe und eine Erziehung zur Selbstverantwortung in den Außengebieten“ sei ihm wesensfremd.106 Wenn es um seine eigenen Interessen gehe, könne er brüsk und autoritativ sein und breche, wenn es ihn opportun dünke, sein einmal gegebenes Wort.107 Er sei, obwohl jung an Jahren, ein Machtmensch, der von den Traditionen des europäischen Volkstumskampfes überhaupt keine Ahnung habe.108 Dies gelte auch für das Gros seiner Mitarbeiter.109 Hier prallten offenkundig zwei Temperamente aufeinander, die „völlig verschiedene Erlebnisgrundlagen“ hatten, wie Steinacher einmal treffend formulierte.110 Bohle hatte zunächst einen Sieg über Haushofer und den VDA errungen, den selbst die internationale Presse kommentierte,111 doch war dieser nur von kurzer Dauer. Mit dem Erstarken der VoMi mußte Bohle selber eine Niederlage ein102
Ebd., S. 342 (Karl Haushofer [2.3.1938] an Joachim von Ribbentrop). Jacobsen, Hans Steinacher, Nr. 31 („Der 15. Oktober 1934 und seine Folgen“), S. 162, vgl. auch S. 163, 164, 165, 166. 104 Vgl. Bohle (23.12.1936) an Bormann: „Es hat mir sehr leid getan, dass ich meinen Stabsleiter in der zweiten Hälfte des bald abgelaufenen Jahres kaum zu sehen bekommen habe, so dass ich diesen Anlass [i. e. das Weihnachtsfest, FRH] benutzen darf, um Sie herzlich zu bitten, bei Ihrer nächsten Anwesenheit in Berlin die AO doch einmal zu besuchen. Ich glaube, dass der Stellvertreter des Führers bei seinem kürzlichen Besuch gute Eindrücke bekommen hat, und würde mich sehr freuen, wenn ich auch Ihnen an Ort und Stelle etwas von unserer Arbeit zeigen könnte“ (Berlin, PA AA R 27238). 105 Jacobsen, Hans Steinacher, Nr. 53 („Klärung in den Fundamenten“, 1935), S. 236. 106 Ebd., S. 237. 107 Ebd., S. 238, 239. 108 Ebd., Nr. 66 („Aufgaben und Stellung des VR. Denkschrift Steinachers am 24.2.1935 fertiggestellt“), S. 276 f., 278. 109 Ebd., S. 279, 280. 110 Ebd., S. 375 (Ende Oktober 1936). 103
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stecken, ohne sich dessen sofort bewußt zu werden. Er hatte aufgrund seiner westeuropäischen, insbesondere britischen Orientierung die Brisanz unterschätzt, die in dem Gegensatz von Auslandsdeutschen (Reichsdeutschen) und Volksdeutschen lag. Das hatte damit zu tun, daß die Frage der Doppelstaatsangehörigkeit niemals ausdiskutiert worden war, weil sie in dem Hitler allein interessierenden Ostraum keine besondere Rolle spielte. Bohles Eltern, seine Geschwister und er selber waren sowohl Auslandsdeutsche (Reichsdeutsche) als auch Volksdeutsche, da sie zwei Staatsangehörigkeiten besaßen. Solange die Familie in Südafrika lebte, paßte sie sich den herrschenden Lebensbedingungen an, kehrte sie nach Deutschland zurück, war sie deutsch. In der heutigen Terminologie würde man sagen, daß sie sich in Südafrika integrierte, aber nicht assimilierte, und somit jederzeit wieder in Deutschland als deutsch auftreten konnte. Das in diesem Punkt liberale britische Staats- und Völkerrecht erlaubte dies. Selbst in der Zeit der durch den Ersten Weltkrieg bedingten antideutschen Polemik konnte Hermann Bohle Sr., von der Meinungsfreiheit beschützt, ein offensives Deutschtum vertreten, ohne sein Professorenamt zu verlieren. Für den Nationalsozialismus waren die Volksdeutschen trotz ihrer fremden Staatsangehörigkeit Bestandteil des deutschen Volkes, die es vor allem in Osteuropa gegen eine erzwungene Assimilierung zu schützen gelte. Unter diesem Vorwand wurden sie nach Kriegsbeginn umgesiedelt, häufig mehrfach, und sollten nach dem Überfall auf die Sowjetunion Neusiedler in den Reichskommissariaten werden, um dort Inseln des Deutschtums zu bilden. Bohle orientierte sich hingegen am British Empire, das von einem Staatsvolk, den Briten, geführt wurde, zu dem sich weiße Kanadier, Australier, Neuseeländer und Südafrikaner hinzuzählen konnten. Es war ein globales Kolonialreich, dessen Bestand noch weitgehend unbestritten war und das deshalb, darin dem Imperium Romanum vergleichbar, den in ihm lebenden Vielvölkern mit einer gewissen Toleranz begegnete. Bei anderen Unternehmungen, die darauf abzielten, seinen Einfluß und damit den der AO auf Bereiche auszuweiten, die sich mit dem Ausland beschäftigten, hatte EWB mehr Glück als bei der Vertretung der Volksdeutschen. Allerdings waren diese nicht so interessant und wichtig, als daß sie die Begehrlichkeit mächtiger NS-Rivalen geweckt hätten. Auch kamen ihm die umworbenen Einrichtungen entgegen. Das ,Deutsche Ausland-Institut‘ (DAI) in Stuttgart bestand seit 1917 (seit Ende 1918 unter diesem Namen) und erfreute sich von Anfang an höchsten Interesses. Der König von Württemberg hatte die Schirmherrschaft übernommen, der deutsche Kaiser großzügige Förderung zugesichert. Auch die Weimarer Republik subventionierte diese Einrichtung, die die Aufgabe hatte, 111 Jacobsen, Hans Steinacher, Nr. 126 („Flensborg Avis“, 28.10.1937), S. 453; Nr. 127 („Prager Presse“, 22.10.1937), S. 455; Nr. 132 („Polonia“, Kattowitz, 30.10. 1937), S. 463, 464.
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sich weltweit mit allen Deutschen im Ausland, den deutschen Staatsangehörigen wie den Volksdeutschen, zu befassen sowie ihre Einbindung in ihre andersnationale Umwelt zu untersuchen. Die Nazis schalteten auch das DAI gleich, ein Prozeß, der offiziell im September 1933 abgeschlossen war. Der NS-Oberbürgermeister von Stuttgart, Karl Strölin,112 wurde zum neuen Vorsitzenden (ab 1936 Präsidenten), der aus Siebenbürgen stammende Volkstumskämpfer Richard Csaki zum Leiter des Instituts bestimmt. Strölin berief einen neuen Vorstand. Das DAI nahm einen beachtlichen Aufschwung, nachdem kurzfristig sogar von Schließung die Rede gewesen war. Es bekam die Aufgabe zugewiesen, die gesamte Deutschtumsarbeit auf rassischer Grundlage zu betreiben und der Politik zuzuarbeiten. Auf der Jahrestagung 1934 nahm Hitler am 25. Oktober die höchste Auszeichnung des DAI, den ,Deutschen Ring‘,113 entgegen. Aus Selbsterhaltungstrieb knüpfte die Institutsleitung Kontakte zu anderen Einrichtungen, die sich mit Auslandsdeutschtums- und Volkstumsfragen befaßten.114 Bohle hat sich später geringschätzig über das DAI geäußert. Es sei für die AO unwichtig gewesen, und niemand in der Partei habe es ernst genommen. Strölin habe Stadtrat Eduard Könekamp zum Verbindungsmann zur AO ernannt, der sich jedoch als nicht besonders aktiv erwiesen habe.115 Die zwischen DAI und der Leitung der AO116 bzw. zwischen Bohle und Strölin117 geführte Korrespondenz spricht eine andere Sprache. Beide Institutionen waren im Unterschied zu den in erster Linie kontinentaleuropäisch denkenden NS-Einrichtungen global orientiert. Die AO interessierte sich allerdings weniger für die wissenschaftliche Arbeit des DAI als für sein weltweites Korrespondentennetz, über welches das Institut Informationen aus allen Ländern beschaffen konnte. Ähnlich verhielt es sich mit dem ,Deutschen Akademischen Austauschdienst‘ (DAAD), der mit der AO das Interesse an deutschen Austauschstudenten im Ausland teilte. Nachdem es zunächst zu Differenzen gekommen war, löste Re112 Walter Nachtmann, Karl Strölin: Stuttgarter Oberbürgermeister im ,Führerstaat‘, Tübingen, 1995, S. 179–205 (zu Bohle S. 185); Ernst Ritter, Das deutsche AuslandInstitut in Stuttgart 1917–1945: ein Beispiel deutscher Volkstumsarbeit zwischen den Weltkriegen, Wiesbaden, 1976 (Frankfurter historische Abhandlungen; 14), S. 120 f. 113 Einzelheiten in: Berlin, BArch R 43 II/14909b, Bl. 3–12 (es wurden ausführliche Richtlinien für Ehrungen erarbeitet). Bl. 8: „Die höchste Auszeichnung des Deutschen Ausland-Instituts ist der Deutsche Ring. Dieser Auszeichnung können nur Männer teilhaftig werden, denen das Auslandsdeutschtum Leistungen von geschichtlicher Bedeutung zu verdanken hat. Der Deutsche Ring wird immer nur einmal verliehen. Sein jeweiliger Träger ist der Schutzherr der Arbeit des Deutschen Ausland-Instituts“. Staatssekretär/Reichsminister Lammers nahm den Ring in Verwahrung und deponierte ihn im Tresor seines Amtszimmers (ebd., Bl. 73–79). 114 Martin Seckendorf, Deutsches Ausland-Institut, in: Handbuch der völkischen Wissenschaften, S. 140–149 (ohne Nennung Bohles oder der AO). 115 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0167–0168 („The Deutsche Ausland-Institut“). Nachtmann, S. 182 u. ö. beurteilt Könekamps Arbeit hingegen positiv. 116 Berlin, BArch R 57/171-40 u. 41; R 57neu/340 u. 1001. 117 Stuttgart, STA Bestand 13, Bü 79.
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gierungsrat Wilhelm Burmeister vom ,Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung‘ (REM) den Konflikt dadurch, daß er die AO an der Auswahl der Austauschstudenten beteiligte und Bohle im Sommer 1936 in das DAAD-Präsidium berief. Als es wegen der Gründung eines Deutschen Kulturinstituts in London Anfang 1937 zwischen Burmeister und Botschafter von Ribbentrop zu einem Konflikt kam, der sich daran entzündet hatte, daß Ribbentrop die Eingliederung der DAAD-Zweigstelle London in dieses Institut wünschte, wandte sich Burmeister an Bohle um Hilfe. Dieser hatte als Staatssekretär im AA bei Angelegenheiten des DAAD als zuständiger Leiter des Referates Kult W die letzte Entscheidung und konnte überzeugt werden, daß es besser sei, den umgekehrten Weg zu gehen: Die notorische Devisenknappheit erlaube es nicht, neue Kulturinstitute zu gründen, und es sei besser, organisch an die DAADZweigstellen anzuknüpfen. Bohle kam Ribbentrop durch diese Entscheidung in die Quere, der schon bald sein Vorgesetzter werden und alles daransetzen sollte, ihn kaltzustellen.118 5. Übersiedelung nach Berlin Im März 1935 wurde die Leitung der AO nach Berlin, Tiergartenstraße 4/4a, verlegt.119 Am 20. April 1939 zog die Dienststelle zum Fehrbelliner Platz 4 um, wo sie bis zu ihrer Auflösung im Mai 1945 blieb. Weiterer Büroraum wurde in unmittelbarer Nähe in der Westfälischen Straße 1–5 angemietet.120 Unter der bisherigen Adresse wurde noch im gleichen Jahr die berüchtigte EuthanasieZentrale „Aktion T 4“ untergebracht, die für tausendfachen Massenmord an wehrlosen Kranken verantwortlich war.121 Die Villa wurde im Krieg beschädigt 118 Volkhard Laitenberger, Akademischer Austausch und auswärtige Kulturpolitik. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) 1923–1945, Göttingen [u. a.], 1976 (Quellensammlung zur Kulturgeschichte; 20), S. 112–119. 119 Vgl. den Bericht Steinachers über seinen dortigen Besuch im Frühjahr 1935: „Bohle führte mich durch die Büroräume seines neuen Hauses, meist große, noch leere Säle, nach Staaten und Erdteilen eingeteilt, für jeden Staat der Erde ein Referat wie in einem Außenministerium. So bekam er leicht seine 600–800 Bearbeiter unter, von denen er sprach. Ich machte ein bedeutungsvolles Gesicht und – schwieg, weil da wirklich nichts zu loben war. Dann aß ich mit ihm in seinem Kameradschaftsraum einen Eintopf. Hinterher kam es zu einer stockenden Aussprache, bei der Einzelheiten berührt wurden“, zit. nach: Jacobsen, Hans Steinacher, S. 237. 120 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0112: „The main office of the AO was in Berlin-Wilmersdorf, Westfaelischestrasse 1–5. The offices occupied from 250 to 300 rooms. There was a staff in ordinary times of about 600 although this had been reduced to about 200 people toward the end since much of the work had been taken away. The AO had few connections with Latin America during the war, and there was no cooperation with the DAI except for occasional letters“. – Die DAF der AO war im alten Gewerkschaftshaus am Engelufer 24–25 untergebracht. 121 Götz Aly (Hrsg.), Aktion T 4: 1939–1945. Die „Euthanasie“-Zentrale in der Tiergartenstraße 4, 2., erw. Aufl., Berlin, 1989 (Reihe deutsche Vergangenheit: Stätten der Geschichte Berlins; 26); Johannes Heesch/Ulrike Braun, Orte erinnern. Spuren
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und später abgerissen. Ob Bohle und seine Mitarbeiter wußten, wem sie ihren Platz überlassen hatten? Bohle trat jetzt auch räumlich in den Bannkreis der Macht ein, denn seine AO wurde eine mächtige Behörde. Auf dem Höhepunkt ihrer Ausdehnung, kurz vor Kriegsausbruch, umfaßte die AO angeblich weltweit über 800 Mitarbeiter, wenngleich der von diesen verwaltete Auslandsgau ein virtueller war und sich aus fast 600 höchst individuellen Ortsgruppen zusammensetzte, die über den ganzen Erdball zerstreut waren. Der Plan, eine politische Partei global zu vernetzen, hatte etwas gleichermaßen Gigantomanes wie Gespenstisches. Dank Bohles Organisationsgeschick und Effektivität hatte seine Gauleitung den Umfang eines Ministeriums angenommen. Hinzu kamen noch mehrere Außenstellen im Reichsgebiet. In Hamburg wurde eine Zweigstelle errichtet, die die Verbindung zu den Hamburger Staats-, Rats- und Wirtschaftsstellen hielt, mit deren Leitung der Presseleiter der AO, Hans Zeberer, beauftragt wurde. Das Amt für Seeschiffahrt verblieb bis 1936 in der Hansestadt. Das Rückwandereramt in der Leitung der AO unterhielt Außenstellen in Breslau (bis 1942), Hamburg, Düsseldorf, Aussig, Gotenhafen [Gdingen] (bis 1940), Königsberg, München, Wien I, Graz (bis 1942), Am Brenner (Post Gries), Posen, Saarbrücken und Stuttgart.122 Es hatte bei der Rücksiedelung von Deutschen aus „Rotspanien“, Polen, Jugoslawien, Südtirol, dem Baltikum und der Sowjetunion eine wichtige Funktion. Generell mußten sich alle Auslandsdeutschen, die ins Reich zurückkehrten, nach ihrer Ankunft bei einer der Zweigstellen melden. Anhand einer Beurteilung ihrer politischen Zuverlässigkeit, die durch die Ortsgruppe des früheren ausländischen Wohnortes erfolgte, wurde ein sog. Rückwandererausweis ausgefertigt, ohne den die deutschen Arbeitsämter keine Stellen vermitteln durften. Bedürftigen Rückwanderern wurde in eigenen Heimen Unterkunft gewährt. Ziel war die möglichst rasche „Wiedereingliederung in den heimischen Arbeitsprozeß“.123 Die AO-Zentrale nahm nicht nur die Berichte ihrer ausländischen Landesgruppen entgegen und betreute diese. Sie produzierte auch selber große Mengen von Anordnungen, Erlassen, Verfügungen, Rundschreiben usw. und war selber Gegenstand von Hoheitsakten des ,Führers‘, der Parteikanzlei und einzelner Fachministerien. Alles als besonders wichtig Eingestufte wurde gedruckt.124 Der Ausstoß an Briefen an innerdeutsche Behörden, auswärtige Parteigenossen und Abteilungen im eigenen Haus wurde im Jahr 1939 auf 400 pro Tag geschätzt.125 Dabei ist eine offenkundige Überregulierung zu konstatieren, die der des NS-Terrors in Berlin. Ein Wegweiser. Hrsg. von Günter Braun, Berlin, 2003, S. 102–107. 122 Berlin, BArch NS 9/65–85. 123 Müller (1997), S. 36. 124 Vgl. z. B.: Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben Bd. 3. Hrsg. von der Partei-Kanzlei, München, 1942, S. 179–197 („Partei – Ausland“).
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heutigen Bürokratisierung aller Lebensbereiche in nichts nachsteht und sie vermutlich vorgeprägt hat. Selbst in Kriegszeiten, als es zunächst um den Sieg und später um das nackte Überleben ging, blieb offenbar genügend Zeit für feinziselierte bürokratische Reglementierungen selbst peripher erscheinender Sachverhalte.126 Davon zeugen zahlreiche Tagesbefehle, Mitteilungen, Anordnungen, Jahresberichte, Schulungsbriefe, Pressekonferenzen, Ausschußgründungen usw.127 Die Befugnis, das Leben und Wirken der der AO angehörenden Mitglieder bis ins Detail zu regeln und dabei selbst in ihr Privatleben einzugreifen, war ein Beweis der Macht und diente dazu, die Individualität auszulöschen und alle Deutschen in gleichgeschaltete Volksgenossen umzuwandeln. Was für die AO galt, galt natürlich auch für die anderen NS-Behörden. Das ausgeklügelte System von Diensträngen und Dienststellen mit ganz unterschiedlichen Aufgaben, Uniformen und Rangabzeichen stand dazu nicht im Gegensatz, denn es bildete mit seinen ständigen Abordnungen, Dienstreisen, Ver- und Entsetzungen, Beurlaubungen und Beförderungen ein wichtiges Antriebsmittel, um die ,Volksgenossen‘ auf Trab zu halten und ihren Ehrgeiz anzustacheln. Gleichzeitig wurde eine Abgrenzung von konkurrierenden Ministerien und Behörden angestrebt, vor allem vom Auswärtigen Amt. Tüchtige Juristen in der AO sorgten für die Abwägung aller Eventualitäten und bedienten sich einer zwar hölzernen, aber präzisen Ausdrucksweise. Aufgrund des auch in der AO geltenden ,Führerprinzips‘ liefen alle wichtigen Vorgänge über Bohles Schreibtisch, der sich die letzte Entscheidung vorbehielt und deswegen 1947/48 in Nürnberg die alleinige Verantwortung für alle Mitarbeiter übernahm. AO-Angehörige schildern ihn als Idealisten, der immer lebensbejahend, humorvoll und bescheiden geblieben sei. Sich niemals anbiedernd, habe er ohne Ansehen von Stand, Rang und Stellung in seiner Organisation mit allen Mitarbeitern einen kameradschaftlichen Umgang gepflegt, in Unglücksfällen Trost 125 Jürgen Müller, S. 34. Der Verf. stützt sich auf die Bestände Berlin, BArch, NS 9/264 u. 265, die die Durchschriften von Tagesausgängen der verschiedenen Abteilungen der AO vom 24. bis zum 26.4.1939 enthalten, wobei es sich meist um die Beantwortung eher banaler Fragen handelt. 126 Dafür ein Beispiel aus der Verfügung A. 159/39 vom 10.8.1939 („Vorübergehender oder längerer Aufenthalt von Parteigenossen im Ausland“), Abs. 2: „Parteigenossen, die sich im Ausland länger als drei Wochen an dem gleichen Ort aufhalten, haben sich nach Möglichkeit persönlich bei dem zuständigen Hoheitsträger zu melden, oder wenn räumliche Entfernungen eine persönliche Meldung erschweren, in jedem Falle ihre Anwesenheit dem zuständigen Hoheitsträger schriftlich anzuzeigen. Einladungen zu Veranstaltungen der Ortsgruppe ist schon deshalb möglichst nachzukommen, weil es gerade für solche Reichsdeutsche, die nicht allzu häufig Besuch aus Deutschland erhalten, ein großes Erlebnis sein kann, wenn ihnen jemand aus der Heimat vom Großdeutschen Reich und seinem Führer berichtet, ebenso wie umgekehrt der Parteigenosse aus dem Reich wertvolle Eindrücke und Kenntnisse über das Leben der Auslandsdeutschen gewinnen wird“ (Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben Bd. 3, S. 189–190). 127 Vgl. das Konvolut Berlin, BArch R 187/294 (Sammlung Schumacher).
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gespendet oder materielle Hilfe geleistet. Jeder habe, ohne bevormundet zu werden, seine Arbeit tun können. Parteimitgliedschaft habe in der Zentrale keine Rolle gespielt.128 Bohles Status als Amtschef bedingte die Übernahme gesellschaftlicher Verpflichtungen. Er mietete mit Frau und Sohn zunächst eine bescheidene Parterrewohnung in der Ahrweilerstraße im Stadtteil Wilmersdorf, da ihm jegliches Bonzentum fernlag.129 Einladungen, auch von Ausländern, hielten sich stets „in bürgerlichen Grenzen“.130 Bohles Tage waren prall gefüllt. Wenn er nicht auf Reisen war, hatte er einen vollen Terminkalender und mußte Leute unterschiedlichen Ranges mit jeweils wechselnden Anliegen empfangen: Da gibt ein Botschafter einem einfachen Rückwanderer aus Übersee die Tür in die Hand, da wechselt ein Offizier und Eichenlaubträger mit einem Schützen, der gerade von der Front hier weilt, da finden wir die Gattin eines gefallenen Kameraden neben dem Direktor einer grossen Verlagsanstalt, dort steht eine Hitler-JugendAbordnung neben dem Empfang ausländischer Offiziere, die in unseren Reihen kämpfen. Der gewöhnliche Betrachter der Dinge möchte in der dadurch bedingten Umstellung zu den Problemen jedes einzelnen eine enorme geistige Wendigkeit erblicken und damit hat er recht. [. . .] Eilige Telegramme oder dringende Auslandstelefonate, die in den arbeitsreichen Tag hineinplatzen, können diesen Mann nicht aus der Ruhe bringen. Mit grosser Sicherheit weiss er sofort das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und behält damit die Führung eisern in der Hand.131
Nicht minder häufig waren Anfragen, Bitten, Beschwerden, Empfehlungen, Glückwünsche, die eine schriftliche Antwort erforderlich machten.132 Wenige 128 Brigitte Reich, Eidesstattliche Erklärung, Hameln, 30.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 42, S. 90–92 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3). Die Zeugin war von Februar 1939 bis April 1943 als Sekretärin im Persönlichen Referat des Gauleiters tätig. 129 Prof. Dr. K. Graf von Dürckheim, Eidesstattliche Erklärung, Steingarden, Obb., 20.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 37, S. 70–77, hier S. 74 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3): „Die Einfachheit seiner persönlichen Lebensführung. Bohle besass im Unterschied wohl zu den meisten führenden Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Zeit meines Wissens weder ein eigenes Haus noch auch nur ein eigenes Auto und vermied überhaupt alles, was auch nur den Eindruck hätte erwecken können, dass er aus seiner Stellung irgendwelche materiellen Vorteile zog“. 130 Vicco von Bülow-Schwante, Eidesstattliche Erklärung, Düsseldorf, 21.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 38, S. 78–80 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3). 131 Felix Schmidt-Decker, Ernst Wilhelm Bohle zu seinem 41. Geburtstag, in: Der Deutsche in Schweden 10. Jg., Nr. 15–16, August 1944, S. 23–25, hier S. 25. Zu seinem 40. Geburtstag war ein Jahr zuvor ein ausführliches Porträt in der auf dem ganzen Balkan verbreiteten Donauzeitung (29.7.1943) erschienen. Über seine mediale Präsenz konnte sich EWB ohnehin nicht beklagen. 132 Vgl. Berlin, BArch NS 9/264, Kopien der ausgehenden Aprilpost des Jahres 1939. Zwar stammen keineswegs alle Schreiben von Bohle, doch belegt eine ansehnliche Zahl seinen Korrespondenzfleiß.
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Vorgänge waren wirklich bedeutsam, aber die AO entfaltete als Behörde eine nicht geringe Eigendynamik. Kurz nach dem Umzug der AO und damit Bohles, seiner Frau und seines Sohnes nach Berlin, kehrten auch seine Eltern aus Südafrika nach Deutschland zurück und ließen sich in Berlin nieder. Auch seine Schwester Hermine zog mit ihrer Familie von Hannover nach Berlin um. Das Haus der Eltern Bohle in Grunewald wurde zu einem sonntäglichen Treffpunkt der Großfamilie, was EWBs Frau Gertrud keineswegs gefiel. Sie fühlte sich durch den Bohleschen Clangeist in ihrer Unabhängigkeit gestört. Auf dem morgendlichen Weg zum Dienst besuchte EWB regelmäßig seine Mutter, die auf Zeitzeugen durch ihre Menschlichkeit, Wärme, Mütterlichkeit und tiefe Religiosität Eindruck machte. So bot sie Gräfin Charlotte Dürckheim, der Mutter des Psychologen Karlfried Graf Dürckheim, den sie von Kapstadt her kannte und die nach den jetzt gültigen Rassegesetzen ,Halbjüdin‘ war, ihre Freundschaft und ihren Schutz an.133 Einen Höhepunkt in Bohles Amtszeit bildete die Einladung zu Hitlers 49. Geburtstag am 20. April 1938 in die Neue Reichskanzlei, die durch ein Photo „Drei Generationen Bohle gratulieren dem Führer zum Geburtstag“ dokumentiert ist. Hermann Bohle Jr., damals knapp zehn Jahre alt, hat an diese Gratulationscour eine genaue Erinnerung. Seine Mutter habe ihn die falschen, vom ,Jungvolk‘ nicht erlaubten Strümpfe anziehen lassen und sein widerspenstiges Haar mit Pomade fixiert. Der ,Führer‘, dessen blaue Augen ihn fasziniert hätten, habe ihm in einer seiner (häufig beobachteten) Gesten die Hand auf den Kopf gelegt, sie aber bei der Berührung mit dem klebrigen Gel blitzartig zurückgezogen, was ihn und seinen Vater sehr belustigt habe. EWB bekam, solange er nur Parteifunktionär war, kein staatliches Gehalt, sondern wurde vom Reichsschatzmeister der NSDAP, Hauptamt IV des ZentralPersonalamtes in München (Braunes Haus), besoldet. Der einzige Luxus, den sich das Ehepaar Bohle leistete, waren zwei Reitpferde. Sie waren in einem Reitstall am Schlachtensee untergestellt. Die materielle Situation verbesserte sich 1937, als EWB Staatssekretär im Auswärtigen Amt wurde.134 Jetzt bezog er als politischer Beamter ein regelmäßiges Einkommen, das vom Reichsfinanzministerium angewiesen wurde. Er gehörte zur Besoldungsgruppe B (Beamte), und hier zur höchsten Gruppe 3a, für die ein Festgehalt von RM 24.000 pro Jahr vorgesehen war.135 Dieser Betrag entspricht, wobei Vergleiche wegen der 133 Prof. Dr. K. Graf von Dürckheim, Eidesstattliche Erklärung, Steingarden, Obb., 20.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 37, S. 70–77, hier S. 71 u. 74 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3). 134 Zu Einzelheiten vgl. Kap. II.10. 135 Schlag nach! Wissenswerte Tatsachen aus allen Gebieten. Ein umfassendes Nachschlagewerk, Leipzig: Bibliographisches Institut, 2., erw. u. verbesserte Auflage, 1939, S. 237 (Ein Staatssekretär erhielt das gleiche Gehalt wie der Reichsführer SS
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geänderten Lebensverhältnisse äußerst schwierig sind, gegenwärtig dem fünffachen Gegenwert in Euro. Bohle zählte somit nach den Ministern zu den höchstbezahlten Beamten des Deutschen Reichs. Solange er politischer Beamter war, wurde das Parteigehalt ausgesetzt. Von Hitler hat er nie – wie andere Minister, Feldmarschälle oder Spitzenfunktionäre – eine persönliche Gratifikation erhalten.136 Aufgrund von Abzügen wurden ihm zunächst nur RM 1.800 pro Monat ausgezahlt.137 Für den Zeitpunkt nach dem Ausscheiden aus dem AA liegt eine Gehaltsbescheinigung für 1942 vor, die ebenfalls ansehnlich ist. Demzufolge erhielt Bohle pro Monat von der Partei Gesamtbezüge in Höhe von RM 3.070, dazu kam eine Aufwandsentschädigung von RM 460, RM 540 Diäten des Reichstags plus RM 460 Aufwandsentschädigung sowie eine nichtanrechenbare Aufwandsentschädigung im Auftrag des ,Führers‘ für Repräsentationszwecke in Höhe von monatlich RM 1.400, insgesamt RM 5.930 und damit mehr als das Doppelte des vorherigen Einkommens. Dieser Betrag erlaubt den Rückschluß, daß Bohle vermutlich auch als Staatssekretär eine nicht auf das Gehalt anzurechnende Aufwandsentschädigung erhielt.138 Allerdings waren die seinem Amt geschuldeten Repräsentationspflichten aufwendig, und so konnte er keine Reichtümer anhäufen. Solange die AO in Hamburg residierte, vertrat Bohle als einer von zwölf Reichstagsabgeordneten den Wahlkreis 34 (Hamburg). Nach dem Umzug nach Berlin gehörte er ab 1936 zu den 31 Abgeordneten des Wahlkreises 31 (Land Württemberg und Regierungsbezirk Sigmaringen).139 Dieses Mandat verdankte er dem Württembergischen Gauleiter und Reichsstatthalter Wilhelm Murr, der sich mit seiner Nominierung für seinen Einsatz bei der Erhebung Stuttgarts zur ,Stadt der Auslandsdeutschen‘140 bedanken wollte. Diesen Titel führte die Stadt als Chef der Deutschen Polizei oder die Präsidenten der Reichsgerichte, des Rechnungshofs des Deutschen Reichs, des Reichsfinanzhofs oder der Generalinspekteur für das deutsche Straßenwesen). 136 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse Fall 11, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13617. 137 Berlin, PA AA Personalia 1369. 138 Hamburg, StA 221-11 Kat. 28229, Bl. 3b (Fragebogen des Staatskommissars für die Entnazifizierung und Kategorisierung): Hier gibt Bohle für die Jahre 1933 bis 1937 ein Jahreseinkommen von RM 2.000–10.000, für die Jahre 1937 bis 1941 RM 30.000 und 1942 bis 1945 RM 36.000 an, offensichtlich Beträge, in denen die Aufwandsentschädigungen nicht enthalten sind. Laut Angabe von Hans Schröder, bis 1945 Ministerialdirektor und Chef der Personalabteilung im AA, bekam Bohle RM 34.000 plus eine Zahlung von der Partei. Damit verdiente er wesentlich weniger als Weizsäcker (RM 74.100), Steengracht (RM 68.600), Woermann (RM 66.500), Ritter (RM 46.600) und Veesenmayer (RM 51.000), die mehr Dienstjahre aufzuweisen hatten (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4151). 139 Lilla/Döring, S. 91, 769 u. 771. In den zuständigen Staatsarchiven Ludwigsburg und Sigmaringen bzw. im Hauptstaatsarchiv Stuttgart konnten keine Unterlagen zu seiner Abgeordnetentätigkeit gefunden werden. 140 Nachtmann, S. 186.
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zwar auf Anregung Bohles schon seit 1934, doch die Offizialisierung erfolgte erst durch ein Telegramm Hitlers aus Berchtesgaden vom 27. August 1936. Bohle hatte sich nachdrücklich dafür eingesetzt, daß Hitler persönlich zur Einweihung des ,Ehrenmals der deutschen Leistung im Ausland‘ am 27. August käme,141 welches im Wilhelmspalais eingerichtet worden war,142 doch war der ,Führer‘ unabkömmlich. Immerhin sandte er das erwähnte Bestätigungstelegramm. Stuttgart war damit nach München und Nürnberg die dritte deutsche Großstadt, die einen Ehrentitel führen durfte.143 Zur Finanzierung des Ehrenmals hatten zahlreiche Wirtschaftsunternehmen beachtliche Summen in eine Stiftung eingezahlt, die von Professor Helmut Göring, einem Vetter des Reichsmarschalls, der an der Technischen Hochschule Stuttgart Geschichte unterrichtete, gegründet worden war. Eine Besichtigung dieses Ehrenmals wurde zum festen Bestandteil des Stuttgarter Besucherprogramms für Offizielle. Um Bohle als Gönner der Stadt nicht zu verlieren, wurden ihm noch andere Gefälligkeiten erwiesen. Murr übertrug ihm die Ehrenpatenschaft über die ,Stadt der Auslandsdeutschen‘. Die Stuttgarter Stadtverwaltung erfüllte seinen Wunsch, eine Straße nach dem in Davos ermordeten Landesgruppenleiter der AO in der Schweiz, Wilhelm Gustloff, zu benennen.144 Bohle hielt eine Dankesrede und pries sich und alle Auslandsdeutschen glücklich, daß sie hinfort, wenn sie nach Deutschland kämen, in Stuttgart eine Heimstatt fänden.145 Als Sitz des Deutschen Ausland-Instituts (DAI), als Standort des Ehrenmals und als ,Stadt der Auslandsdeutschen‘ war Stuttgart zum zentralen Platz für wichtige 141 Karl Strölin, Das Ehrenmal der auslandsdeutschen Arbeit, in: Heinz Otto (Hrsg.), Deutsche schaffen in aller Welt. Ein Bildband deutscher Leistung im Auslande. Geleitwort E. W. Bohle, mit Beiträgen von Dr. R. Csaki, Dr. K. Strölin, Berlin, 2 1942, S. 5–6. Dazu kritisch Rainer Eisenschmidt, Stuttgart – Stadt der Auslandsdeutschen. Die geplante ,Reichswichtigkeit‘, in: Anpassung, Widerstand, Verfolgung. Die Jahre von 1933 bis 1939. Projektleitung: Karlheinz Fuchs, Stuttgart: Projekt Zeitgeschichte im Kulturamt, 1984 (Ausstellungsreihe Stuttgart im Dritten Reich; 5), S. 62– 76. 142 Das Wilhelmspalais, 1834–1840 von dem italienischen Baumeister Giovanni Salucci im klassischen Stil erbaut, war bis 1918 der Wohnsitz des letzten Württembergischen Königs. Im Krieg zerstört, wurde es wieder aufgebaut und ist heute der Sitz der Stadtbibliothek. 143 Roland Müller, Stuttgart zur Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart, 1988, S. 223–234 (zu Bohles Reichstagsmandat vgl. STA Stuttgart HA 005. Bd. 35a: Bohle an Strölin, 6.4.1936; zum Ehrenmal vgl. den entsprechenden Faszikel in: HStA Stuttgart E 130 IV.Bü.1397, vor allem Bl. 121: Kultusministerium an Staatsministerium, 14.9.1934). 144 Bohle (17.2.1936) an Strölin: Nachdem die Reichshauptstadt auf Vorschlag des Staatskommissars Dr. Lippert den Dernburg-Platz und die Dernburgstraße in GustloffPlatz bzw. Gustloff-Straße umbenannt habe, würde es bei den 500 Ortsgruppen der AO im Ausland einen dankbaren Widerhall finden, wenn auch Stuttgart diesem Schritt folge (Original Stuttgart, STA Bestand 13, Bü 79). 145 Nachmittags- und Abendausgabe Deutsches Nachrichtenbüro 3. Jg., 1936, Nr. 1111 (27.8.1936).
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Veranstaltungen der Auslandsorganisation geworden. Die Reichstagungen der AO für 1937 und 1938 fanden dort statt (s. u., Kap. II.9). Von einer Betreuung des württembergischen Wahlkreises durch Bohle ist nichts bekannt. Immerhin übermittelte er Hitler nach der Wahl für den Großdeutschen Reichstag am 28. April 1938 in einem Schnellbrief das „eindeutige“ Ergebnis der Abstimmung der Auslandsdeutschen. In 108 Häfen hatten demnach auf 116 Seefahrzeugen 57.611 von 58.638 auslandsdeutschen Wählern und an den Reichsgrenzen 75.681 von 76.243 mit Ja gestimmt. Diese 133.292 JaStimmen bedeuteten zwei zusätzliche Mandate im neuen Reichstag.146 Es war also folgerichtig, daß Bohle selber ein Mandat erhielt. Durch das Verbot der Kommunistischen und der Sozialdemokratischen Partei (28. Februar bzw. 22. Juni) sowie die Selbstauflösung der bürgerlichen Parteien im Juni/Juli 1933 und das wenig später am 14. Juli verabschiedete „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“ hatte die NSDAP die Alleinherrschaft über den Reichstag übernommen. Dieser verkam zu einem reinen Akklamationsgremium, die ausschließlich männlichen Abgeordneten degenerierten zu „Statisten in Uniform“ (Joachim Lilla). Selbst Bohle witzelte im privaten Kreis, der Reichstag sei Deutschlands „größter Gesangsverein“. Außer dem Absingen der Nationalhymnen (Deutschland- und Horst-Wessel-Lied) hätten die Abgeordneten nichts zu tun. Die Hälfte der Abgeordnetenmandate blieb der Parteiorganisation vorbehalten, die Spitzenfunktionären weniger Gehalt zahlen mußte, wenn sie Diäten als Reichstagsabgeordnete bezogen. Hitler wies später dem Großdeutschen Reichstag die folgenden Aufgaben zu: „Formung des Volkskörpers, Gestaltung der Gemeinschaft, Erziehung zu wahrhaft nationalsozialischem Denken“. Dies hatte mit dem westlichen Parlamentarismus nichts mehr zu tun.147 Eine Berliner Etagenwohnung war für das Staatssekretärsehepaar Bohle nicht mehr standesgemäß, weshalb Mitte 1937 eine kleine Villa in der Schützallee 25 in Zehlendorf gemietet wurde. Die Villa besaß nicht einmal einen eigenen Luftschutzkeller. Bei Angriffen mußte der Keller im Nachbarhaus der Familie Obersteller mitbenutzt werden. Im Haus Bohles verkehrten vor allem die Mitarbeiter der AO, aber auch ausländische Gäste, vorzugsweise von befreundeten Verbänden. Frau Bohle führte den Haushalt zunächst mit einem Hausmädchen und sorgte für die Bewirtung. Besonders häufig waren die Leiter des Berliner Fascio Piero Parini, Della Morte und De Cicco bei Bohles zu Gast.148 Einen Höhe146 Peter Hubert, Uniformierter Reichstag: die Geschichte der Pseudo-Volksvertretung 1933–1945, Düsseldorf, 1992 (Beiträge zur Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien; 97), S. 51, Anm. 13; weiterhin S. 346, Anm. 42, zur vermittelnden Inanspruchnahme Bohles bei Ambitionen auf ein Reichstagsmandat, bzw. S. 353 zu den Hintergründen des Wechsels Bohles in den Wahlkreis 31. 147 Reiner Pommerin, Reichstag, in: Enzyklopädie des Nationalsozialismus, S. 759. 148 Vernehmung E. W. Bohle durch Fred Rodell, Nürnberg 10.7.1947, S. 8 (Kopie StA Nürnberg KV-Anklage Interrogations B-122).
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punkt bildete im Juli 1943 der Besuch der Führerin der spanischen Frauenfalange (Sección femenina), Pilar Primo de Rivera. Sie war die Schwester des Falangegründers Antonio Primo de Rivera und Tochter des Diktators Miguel Primo de Rivera. In den Jahren 1937 bis 1944 kam sie häufig nach Deutschland, hielt sich aber meist bei nationalsozialistischen Frauenverbänden auf.149 Bohle schloß mit ihr Freundschaft, eine Freundschaft, die den Krieg überdauerte.150 Als Gertrud Bohle im Winter 1942/43 vom Arbeitsamt zum Arbeitseinsatz in der Rüstungsindustrie angefordert wurde, weigerte sich EWB, irgendeine Sonderregelung zu erwirken. Als legale Lösung bot sich der Verzicht auf die Hausangestellte an. Frau Bohle versorgte hinfort den Haushalt alleine, wobei sie Mann und Sohn nach besten Kräften unterstützten und bei der Küchenarbeit gemeinsam die verbotenen Schlager der „Systemzeit“ sangen. Ein besonders enges Vertrauensverhältnis hatte EWB zu seinen persönlichen Referenten,151 insbesondere zu seinem letzten (März 1943 bis November 1944), Bolko Graf von Roedern. Er war ein langgedienter Mitarbeiter der AO und ehemaliger, mit dem Deutschen Kreuz in Gold ausgezeichneter Afrikakämpfer, der nach dem Krieg in leitender Funktion bei der Commerzbank tätig wurde.152 Bohle suchte sich nur besonders talentierte Männer als persönliche Referenten aus, die in der AO Karriere machen sollten. „If they succeeded, these young men could carve out good careers. [. . .] The Persoenliche Referenten learned the fundamentals about every office in the AO“.153 Mit den anderen Gauleitern hatte EWB kaum persönlichen Kontakt; sie waren ihm meist zu ungehobelt. Er bevorzugte die „eleganteren“ Österreicher. Während seine Familie nach Bad Schandau evakuiert war (1943–1945), machte er Gauleiter Mutschmann jedoch einen Höflichkeitsbesuch von fünfzehn Minuten.
149 Toni Morant i Arino, „In ehrlicher Kameradschaft“ – Francistische Jugendführerinnen in Deutschland, in: Bildungs(t)räume, Münster, 2007, S. 81–96. 150 Pilar Primo de Rivera (Madrid, 3.5.1952) an E. W. Bohle. Sie sei gerne bereit, seinem Sohn bei seinem geplanten Spanienaufenthalt zu helfen, ihn interessierende Gesprächspartner zu treffen: „No sabe con cuanto gusto he recibido su carta, porque muchas veces he pensado en qué sería de tantos buenos amigos como teníamos en Alemania. A mi tampoco se me olvida aquella temporada tan agradable que gracias a Vd. pude pasar en su patria. [. . .] No tengo que decirle con cuanto gusto haré esto recordando nuestra amistad“ (Kopie Privatarchiv FRH). 151 Diese waren nacheinander Emil Ehrich, Robert Fischer, Fritz Gebhardt von Hahn, Franz Joseph Spahn, Rudolf Tesmann, Karl Schneider, Wilfried von Selzam und Bolko Graf von Roedern. 152 Er ist bis zum Bd. 1969/70 in den verschiedenen Ausgaben von Wer ist wer? als Vorstandsmitglied der Commerzbank verzeichnet. Vgl. auch Graf von Roedern, Vernehmung vor der IMT-Kommission (S. 2573 f.), 13.3.1946, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 27, S. 47–51 (Kopie StA Nürnberg, KVProzesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3). 153 NAMP 679/1, Bl. 133.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Bohle wurde von einem Fahrer im großen Horch (I A 95), später im Mercedes ins Amt gefahren; seine Frau hatte einen kleinen Horch (I A 13) zu ihrer eigenen Verfügung. Frau Bohle, die keine Parteigenossin und nicht einmal Mitglied der NS-Frauenschaft war, gehörte nicht zu den Damenzirkeln, in denen sich die Ehefrauen der „Bonzen“ regelmäßig versammelten, z. B. dem von Viktoria von Dirksen geb. von Laffert, der Witwe des 1928 verstorbenen Gesandten Willibald von Dirksen.154 Ein Familienvergnügen der Bohles bestand darin, am Samstagnachmittag mit der U-Bahn in die Stadt zum Kinobesuch zu fahren. Der kleine Hermann, der hierzu allsamstäglich zwei telefonisch vorbestellte Karten, „möglichst Loge 5“, abzuholen hatte, bekam zudem seine Haare vom Friseur des Hotels Kaiserhof geschnitten. Seine Ein- und Umschulungen belegen den sozialen Aufstieg der Familie: 1936 wurde er in die 19. Volksschule in Berlin-Friedenau aufgenommen, 1940 in das Gymnasium Schadow-Schule in Zehlendorf-Mitte, das 1943 wegen der immer häufiger werdenden Bombenangriffe geschlossen wurde, 1943 in das Gymnasium Klein Machnow, das aus den gleichen Gründen seinen Unterricht einstellte. Danach wurden Gertrud Bohle und ihr Sohn nach Bad Schandau in Sachsen (Elbsandsteingebirge) evakuiert, wo sie sich im außerhalb des Ortskerns gelegenen Hillehof einmieteten. EWB pendelte zwischen Berlin und Bad Schandau, was zur Entfremdung des Ehepaars beitrug. Im Hillehof waren auch die Sekretärinnen Margarete Goebeler und Margarete Hammer, Dr. Hans Habermann vom Rechtsamt der AO und EWBs zweiter Referent Karl Schneider untergebracht. Andere Mitarbeiter wohnten in den Hotels der Stadt. Zudem hatte Bohle in der Endphase des Kriegs seine Mutter und seine Schwester Hanny mit ihren beiden Kindern nach Bad Schandau kommen lassen. Der Sohn Hermann erhielt Privatunterricht, da das nächstgelegene Gymnasium kriegsbedingt geschlossen war. Um Gefolgschaftsführer der HJ zu werden, besuchte er einen Führerkurs in Glauchau. Zu der dreiwöchigen Schulung 1944 gehörte eine intensive Lektüre von „Mein Kampf“. Als er mit seinem Vater darüber diskutieren wollte, entgegnete ihm dieser, dabei handele es sich, insbesondere bei den angesprochenen Rassefragen, um „Weltanschauung“. Da man dieses Wort nicht einmal ins Englische übersetzen könne, könne man damit auch keine Politik machen. Außerdem habe er „das Buch“ nie gelesen, eine Ausdrucksweise, die seinen Sohn als überzeugten Hitlerjungen in höchstem Maß erstaunte. Über den „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts“ des Chefideologen Alfred Rosenbergs urteilte er, dies sei nur „zusammengeschriebenes Zeugs“.
154 Zu Frau von Dirksen vgl. Anton Joachimsthaler, Hitlers Liste. Ein Dokument persönlicher Beziehungen. Mit 260 Abbildungen, München, 2003, S. 203–211.
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6. Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation Auf dem Höhepunkt ihrer Ausdehnung Ende 1937 zählte die Auslandsorganisation über 80 Landesgruppen mit einer nicht mehr genau festzustellenden Zahl von Ortsgruppen und Stützpunkten. Sie war damit in fast allen Ländern der Erde präsent, auch wenn manche Gruppen sehr klein waren, die Kommunikation sich schwierig gestaltete und häufig unterbrochen wurde, insbesondere in den Monaten nach der sog. Machtergreifung und nach Kriegsbeginn. Da mehrere ausländische Ortsgruppen und Stützpunkte auf sich alleine gestellt waren, betrieben sie eine Politik, die weniger an den Zielen des Nationalsozialismus als an ihren persönlichen Vorstellungen orientiert war. Um „restlose Disziplin und Unterordnung“ herbeizuführen, ernannte Bohle in der Aufbauphase für Brennpunkte Auslandskommissare, die an seiner Stelle in die „Unruheherde“ reisten und für Ordnung sorgten. Die wichtigsten waren Willi Köhn für Südamerika, Franz Xaver Hasenöhrl für Ost- und Südostasien, Friedhelm Burbach für die iberische Halbinsel und Major a.D. Arthur Reinhold Witte für Holland und Luxemburg. Die Auslandsabteilung bestellte für jedes Land zunächst einen Landesvertrauensmann, der die Verbindung zwischen den einzelnen Ortsgruppen und Stützpunkten gewährleistete und dem Auslandskommissar gegenüber verantwortlich war. Dieser war dem Gauleiter unmittelbar rechenschaftspflichtig und mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet. Ende 1935 waren die meisten Landesgruppen konsolidiert. Bohle versuchte, alle Landesgruppenleiter so häufig wie möglich nach Deutschland zu holen, um sie mit den Aufbauleistungen des Nationalsozialismus zu konfrontieren und sie im persönlichen Gespräch auf seine Linie zu verpflichten. Dies geschah vor allem bei den jährlichen Reichstagungen der Auslandsorganisation.155 Die Festigung der einzelnen Landesgruppen bedeutete paradoxerweise zugleich die Schwächung der AO, da sie in vielen Ländern als ,Fünfte Kolonne‘ verdächtigt wurden, das Mißtrauen der jeweiligen Regierungen weckten und von der politischen Polizei überwacht oder gar verboten wurden.156 Die von Hitler mehrfach verkündete Absicht, Deutschland wolle seine Kolonien wiederhaben, verstärkte das Mißtrauen gegen die AO. Vielfach wurden Landesgruppen schnell wieder verboten und führten dann, mehr schlecht als recht, ein halblegales Leben unter neuem Namen. Die erklärte Aufgabe der AO bestand darin, möglichst viele in einem Land lebende Reichsdeutsche unter dem Banner Adolf Hitlers zu versammeln. Zwar hatte der nationalsozialistische Staat auf alle im Ausland lebenden Bürger bei Paßverlängerung, Rückwanderung, Auftragsvergabe usw. Einfluß, indem er sie durch Paßentzug zu Staatenlosen machte, denen die Abschiebung drohte, oder 155
Jürgen Müller (1997), S. 40–43; vgl. unten Kap. II.9. Zu den heftigen Reaktionen z. B. sozialdemokratischer schwedischer Kreise („Im Reiche des König Bohle“) vgl. Berlin, PA AA R 27224 (Schweden). 156
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II. Im Dienst von Partei und Staat
sie wirtschaftlich boykottierte. Doch was ein Reichsdeutscher im Ausland von NS-Deutschland dachte und wie er sich ihm gegenüber verhielt, war nur durch Überwachung und Bespitzelung herauszufinden. Insgesamt betrug, bezogen auf die Gesamtzahl der Deutschen, der Anteil der AO-Mitglieder mit knapp 5% nur halb soviel wie die Zahl der NSDAP-Mitglieder im Reich. Bohle hat in den zwölf Jahren seiner Amtszeit kein einziges überseeisches Land besucht, europäische Länder zumeist bloß ein einziges Mal (Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kroatien, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Österreich, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Ungarn), so daß er von der Arbeit der Ländergruppen vor Ort nur eine begrenzte Kenntnis hatte. Allerdings scheint er Ferienreisen gelegentlich zu Visitationen genutzt zu haben.157 Dabei orientierte er sich an seinem reiseunlustigen ,Führer‘, der, wie einflußreiche Staatsmänner dies häufig handhaben, die Vertreter kleiner Länder zwar empfing, aber nur selten besuchte. So unterließ Bohle aus nicht geklärten Gründen eine Bulgarienreise, zu der ihn der mit ihm befreundete Botschafter Eugen Rümelin mehrfach einlud, und auch Spanien, wohin er enge Kontakte unterhielt, ließ er aus, desgleichen Dänemark und Finnland. Stattdessen schickte er einzelne Gauleiter auf Reisen, z. B. Rudolf Jordan, Gauleiter von Halle-Merseburg, der im Auftrag der AO in Rumänien, der Schweiz, Italien, Polen, Spanien und Großbritannien sprach, häufig am 1. Mai oder zum Erntedankfest.158 Einen gewissen Ersatz bildeten Gespräche mit ausländischen Botschaftern.159 John Perkins vertritt die Auffassung, Bohle habe sich mehr an Gründungszahlen und Berichten von Aktivitäten seiner Landesgruppen berauscht, als eine schlagkräftige Politik betrieben. Die Auslandsgruppen seien, zumindest in Übersee, Luftgebilde gewesen.160 Die Verwaltungsabläufe der AO waren zudem so geregelt, daß die eingehende Post immer an eines der acht Länderämter ging, das sie 157 Vgl. sein Urlaubsgesuch (9.6.1937) an Staatssekretär Lammers: Während seiner Urlaubsreise an die Adria wolle er unterwegs Prag, Wien, Budapest und Belgrad besuchen und dort bei den amtlichen Reichsvertretungen bzw. den Parteigruppen vorbeischauen. Seine Frau reiste 1938 mit der KdF nach Brasilien, 1939 nach Ägypten und wurde vor Ort von „Aoten“ (Vertretern der AO) betreut. 158 Jordan, S. 192–195. 159 Vgl. z. B. Antoine Fleury, La pénétration allemande au Moyen-Orient 1919– 1939: Le cas de la Turquie, de l’Iran et de l’Afghanistan, Leiden: A. W. Sijthoff, 1977 (Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales, Collection de Relations Internationales; 5), S. 339, 361 (über Gespräche des afghanischen Botschafters Abdul Medjid Khan). 160 John Perkins, The Swastika Down Under: Nazi Activities in Australia 1933– 1939, in: Journal of Contemporary History 26, 1991, S. 111–129, hier S. 111: „In other words, the recruitment of Germans living abroad, the formation of local NSDAP branches and the host of other activities carried out by the Foreign Organization (Auslandsorganisation) of the NSDAP is seen as an ,empire-building‘ exercise on the part of Gauleiter Bohle, the head of that organization. This, rather than ,a deliberate policy of establishing an organization for espionage and subversion in foreign countries‘, is viewed as being what the Auslandsorganisation was all about“.
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dann zur Erledigung, weiteren Veranlassung oder Stellungnahme an die Sachämter verteilte. Die Länderämter faßten eine Gruppe von Ländern zusammen (I: Nord- und Osteuropa; II: Westeuropa; III: Südosteuropa, Österreich und Naher Osten; IV: Italien, Schweiz, Ungarn; V: Afrika; VI: Nordamerika; VII: Iberoamerika; VIII: Ferner Osten, Australien, Großbritannien und Irland), um für diesen Kreis alle Fragen und Probleme zu erfassen, die sich aus dem Bestehen der Landesgruppen in diesen Staaten und aus dem Leben der dortigen Parteigenossen ergaben.161 Die Leiter der Länderämter spielten dadurch eine wichtige Rolle als Fachmänner und Spezialisten und speicherten ein Herrschaftswissen, über das der Gauleiter nicht selber verfügte, der die Organisation nach außen, vor allem gegenüber dem ,Stellvertreter des Führers‘ und den einzelnen Fachministern, vertrat. Es war keine Lüge, wenn sich EWB später als Angeklagter auf Unwissenheit berief, was die Interna der einzelnen Ländergruppen anging. Die Rolle der AO als ,Fünfte Kolonne‘ wurde übertrieben, wenngleich die große Zahl der Mitglieder des Amtes Seefahrt, die auf 70.000 geschätzt wurde, nicht zu Unrecht ausländische Bedenken weckte.162 Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß sich die Zahl der Ländergruppen nach Kriegsausbruch halbierte, um nach der deutschen Kriegserklärung an die USA auf ein Drittel ihrer ursprünglichen Zahl abzusinken. Damit reduzierte sich auch Bohles politisches Gewicht. Seit Juni 1940 gab es keine Kurierverbindungen mehr, und im April 1941 verfügte der Gauleiter, daß jeglicher Postverkehr zwischen Deutschland und Lateinamerika sofort einzustellen sei. Nur noch in wichtigen Fällen seien Nachrichten über die Reichsvertretungen mitzuteilen.163 Die überseeischen Landesgruppen waren, soweit sie nicht überhaupt verboten wurden, ganz auf sich gestellt. Im folgenden soll zwar keine neue Geschichte der AO geschrieben werden, jedoch ein bisher fehlender summarischer Überblick über die einzelnen Landesgruppen mitgeteilt werden, um Bohles „Gau“ zu konturieren:164 161 Hermann Erich Seifert, Die Länderämter der Auslandsorganisation, in: Jahrbuch der AO der NSDAP 3, 1941, S. 10–14. 162 Curt Riess, Total Espionage, New York: Putnam, 1941. 163 Berlin, BArch NS 9/15 (Anweisung vom 18.6.1940); Berlin, PA AA R 29760 (Runderlaß 13.4.1941), zit. auch bei Jürgen Müller (1997), S. 69–70. 164 Zu jedem Land werden die folgenden Angaben gemacht, soweit sie zu ermitteln sind: LA (zuständiges Länderamt der AO), OG (Ortsgruppe[n], nicht immer von Stützpunkten, der nächst kleineren Einheit, zu unterscheiden; von den weltweit insgesamt ca. 600 Ortsgruppen konnten immerhin 425 nachgewiesen werden); LGL/LVM (Landesgruppenleiter, Landesvertrauensmann), ggf. LKL (Landeskreisleiter) oder OGL (Ortsgruppenleiter); MZ (Mitgliederzahl) [wo nichts anderes vermerkt, gilt die Angabe für 1937], RF (Rangfolge, berechnet nach den Mitgliederzahlen). Die Mitgliederzahlen stammen aus dem Jahr 1937 und finden sich bei Jacobsen (1968), S. 661–663. Besonders hilfreich für die Ermittlung der immer mit einem gewissen Vorbehalt zu benutzenden Angaben zur Zusammensetzung der einzelnen Ortsgruppen und ihres Personals ist Berlin, PA AA R 27252. Ist hinter einem Namen nur ein Datum angegeben, han-
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Europa Albanien [1933–1945]: LA: III; OG: Tirana; LGL: Kons.-Sekretär Josef Merfels; MZ: 10; RF: 86 Belgien [1932–1945]:165 LA: II; OG: Brüssel; Antwerpen; Eisden; Lüttich; Mons; LGL: Martin Patzig; Adolf Schulze (1937–1941); J. Koch; MZ: 323; RF: 21 Bulgarien [1932–1944]: LA: III; OG: Sofia; Gradewo; Plovdiv; Rustschuck; Skopje (ab 1941); Varna; LGL: Dr. Karl Brausewetter (bis Oktober 1936); Karl Herold; Dr. Joseph Drechsel (1937–1944); MZ: 19; RF: 31 Dänemark [1931–1945]: LA: I; OG: Kopenhagen; Aarhus; Apenrade; Odense; Sonderburg; LGL (bis 1941 LKL): Ernst Schäfer (1930–1936 u. 1939–1941); W. Haupt (1936); Karl Friedrich Frielitz (1937–1939); Julius Dalldorf (1942–1945); MZ: 181; RF: 39 Estland [1932–1940]: LA: I; OG: Reval (bis 1941); LGL: H. Schiller; Johann Georg Brunner (1939–1940; LKL); Gnauck (für OG Reval); MZ: 73; RF: 57 Finnland [1932–1944]: LA: I; OG: Helsinki/Helsingfors; Abo; Tammersfors; Wiborg; LKL: Wilhelm Jahre (1937–1940); MZ: 102; RF: 49 Frankreich [1933–1939; 1940–1944]:166 LA: II; OG: Paris; Amiens; Bordeaux; Dünkirchen; Le Havre; Lille; Lyon; Metz; Nizza; Marseille; Nancy; Orléans; ParisBastille; Paris-Boulogne; Paris-Champs Elysées; Paris-Neuilly; Paris-Opéra; Paris-Villette; Rouen; Tours [insgesamt 45]; LGL: Rudolf Schleier (1935–1938); Emil Ehrich (1938–1939); Richard Ziessig (gef. 6.1.1942); Bolko Graf von Roedern (stellv.); Michael Neuendorf (1942–1944); MZ: 165; RF: 42 Griechenland [1932/34–1944]:167 LA: III; OG: Athen; Saloniki; LGL: Herbert Engelmann (1933–1935); Walther Wrede (1935–1944); MZ: 197; RF: 37 Großbritannien u. Irland [1931–1939]:168 LA: VIII; OG: London; London-Ealing; London-Mitte; Belfast; Birmingham; Bradford; Cardiff; Doncaster; Glasgow; Hull; Liverpool; Manchester; Newport; Sheffield; LGL: Otto Bene (1933–1937); Otto Karlowa (1937–1939, im Sommer 1939 wegen Spionage ausgewiesen)169; MZ: 328; RF: 12 [Irland wurde 1937 eine eigenständige Landesgruppe]
delt es sich in der Regel um das der Ernennung, in Einzelfällen um das einer aktenmäßigen Erwähnung. 165 Berlin, BArch NS 9/19–22; 108–179. 166 Berlin, BArch NS 9/18; 23–52. 167 Fedra Koutsoukou, Die deutsche Kulturpolitik in Griechenland in der Zeit des Nationalsozialismus (1933–1944), Berlin, 2008 (Dokumente-Texte-Materialien; 66), S. 47–53; 180–189. 168 Berlin, BArch NS 9/87–89. Barnes/Barnes (2005) liefern eine vollständige Geschichte der Londoner Ortsgruppe. Sie beruht vor allem. auf den Berichten des Scotland Yard (Special Branch) und des MI5, die die AO im Auftrag des Home Office überwachten. Sie sind im Public Record Office, Kew, UK, deponiert. Während alle Londoner Ortsgruppen 1931 zusammen nur 9 Mitglieder hatten, stieg diese Zahl bis 1939 auf 244. Ihre Namen werden auf S. 256–272 mitgeteilt. Vgl. im einzelnen „The Question of Espionage“, S. 227–250.
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Irland [1934–1939 (Selbstauflösung)]: OG: Stützpunkt Dublin; LGL (im Range eines OGL): Otto Bene; Fritz Brase; Dr. Adolf Mahr (ab Juni 1934); MZ: 31170 Island [1932–1939]: LA: I; OG: Reykjavik; LGL: Konsul Dr. Günter Timmermann (bis 1939); MZ: 11; RF: 84 Italien [1931–1943/45]:171 LA: IV; OG: Rom; Bergamo; Bologna; Bozen; Dervio/ Comersee (Lago di Como); Fiume-Abbazia; Florenz; Genua; Mailand; Meran; Messina; Neapel; Palermo; San Remo; Triest; Turin; Venedig; Verona; LGL: Heinrich Brand; Erwin Ettel (1936–1939); Emil Ehrich (1939–1940; 1941– 1944); MZ: 1076; RF: 9 Jugoslawien [1931–1941]: LA: III; OG: Belgrad (ab 1941 der AO unmittelbar unterstellt; Cilly [bis 1941]); Laibach (1941 zu Triest); Novi Sad; Sarajevo; LGL: Generalkonsul Franz Neuhausen (1933–1938);172 Mühlemann (1939); Rudolf Empting (1944); MZ: 236; RF: 30 Kroatien [1941–1945]:173 LA: III; OG: Zagreb; Esseg; Sarajevo; Banja Luka; Serbien (OGL Studiendirektor Müller); LGL: Rudolf Empting (1942–1943); Gerlach174 Lettland [1931–1939]: LA: I; OG: Riga; Libau; LGL/LVM: Neugebauer; Ernst Munzinger; Henry Esp (1934–1940); MZ: 173; RF: 40 Litauen [1932–1939]: LA: I; OG: Kaunas (bis 1941); LGL: Sommer; Stegmann (kommissarisch ab 1939 für OG Kaunas); MZ: 41; RF: 66 Luxemburg [1933–1941, dann in den Gau Koblenz-Trier integriert]: LA: II; OG: Luxemburg-Stadt; Esch; LGL: Major Arthur Reinhold Witte (1934); Eckhard Schöler (1934); Handelsattaché Dr. Heinrich Diehl (1938–1941); MZ: 488; RF: 18175 Malta [1933–1939]: LA: III; Stützpunkt: La Valetta; MZ: 7; RF: 87
169 Barnes/Barnes (2005), S. 165–176. Karlowas Ausweisung wurde von Lord Vansittart gegenüber Lord Halifax, dem British Foreign Secretary, wie folgt begründet: „Otto Karlowa, the Landesgruppenleiter in London, has been caught out trying to organise espionage and I always said that these German organisations would be used for that and sabotage. I think that we should be got rid of. Indeed I feel that the moment has come when as a matter of national precaution we should get rid of most of the dangerous people here“. Karlowa wurde weiterhin vorgeworfen, „[that he had] instructed a German employee in a London company, which is a subsidiary of a German company, to report to him regularly and bring ,any information of interest‘ to the German authorities“. 170 Hubert Sturm, Hakenkreuz und Kleeblatt. Irland, die Alliierten und das „Dritte Reich“, 1933–1945, Frankfurt a. M., 1984 (Europäische Hochschulschriften; III, 222), S. 192–198; A 20, A 26. 171 Berlin, BArch 9/18; 53; 1–11. 172 Alfred Kube, Pour le mérite und Hakenkreuz, Hermann Göring im Dritten Reich, München, 21987 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; 24), S. 179– 180. 173 Berlin, BArch 9/54. 174 München, IfZ NSDAP-AO E 13. 175 Bohle war bei der Auflösung persönlich zugegen, vgl. Der Auslandsdeutsche Jg. 29, H. 3 (März) 1941, S. 76. Bohle verlas ein Dankestelegramm Heß’. Unterlagen Berlin, BArch NS 9/55–64.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Memel: OG: Memel; OGL: Generalkonsul Alfred August Henry Schelmat (1934/37– 1939) Niederlande [1932–1933, danach weitergeführt als ,Reichsdeutsche Gemeinschaft‘ (RDG) bis 1940, dann Reichskommissar Seyß-Inquart unterstellt]:176 LA: II; OG: Amsterdam; Alkmaar; Amersfoort; Breda; Bussum; Den Haag; Dordrecht; Eindhoven; Enschede; Groningen; Haarlem; Heerlen; Heerlerheide; Helmond; Hengelo; Hertogenbosch; Leeuwarden; Leiden; Limburg; Lobith; Maastricht; Nijmegen; Rotterdam; Sittard; Speckholzerheide; Tilburg; Utrecht; Vlissingen (insgesamt 102); LGL: Martin Patzig; Major Arthur Reinhold Witte (ab 1934); Dr. Hans Göttling (1936); Burre (1936); Dr. Otto Butting (1938–1940); Fritz Schmidt (Leiter des ,Arbeitsbereichs der NSDAP in den Niederlanden‘); MZ: 1925; RF: 2 Norwegen [1932–1945]: LA: I; OG: Oslo; Bergen; Drontheim; Haugesund; Narvik; Kristiansand; Stavanger; LGL: Kern; Karl Spanaus (bis 1942); Hans Hendrik Neumann (1942–1944); MZ: 54; RF: 62 Österreich [1935–1938]: LA: IV; OG: Wien; Graz; Innsbruck; Klagenfurt; Kufstein; Linz; Salzburg; LGL: Hans Bernard (1935–1938); MZ: 1678; RF: 3 Polen [1931–1939]: LA: I; OG: Warschau; Bromberg; Kattowitz; Krakau; Lodz; Posen; Thorn; LGL: Hauptmann Hans Bernard (1934–1937); Vizekonsul Carl Bürgam (1937–1938); Ges.-Rat Dr. Ewald Krümmer (1938–1939); MZ: 1379; RF: 6 Portugal [1931–1945]: LA: II; OG: Lissabon; Funchal (bis 1936); Porto; Vigo; LGL: Robert Heidecke; Julius Claussen (1934–1941); Dr. Horst Lübbe (1941); Werner Pankow (1942–1945); MZ: 242; RF: 26 Rumänien [1933–1944]: LA: III; OG: Bukarest; Braila; Craiova; Czernowitz; Gallatz; Hermannstadt; Konstanza; Kronstadt; Mediasch; Mühlbach; Oradia; Ploes¸ti; Schaesburg; Temeschburg (insgesamt 20); LGL: Artur Konradi (Oktober 1941 ausgewiesen); Ludwig Kohlhammer (1941–1944); MZ: 242; RF: 27 Schweden [1932–1945]: LA: I; OG: Stockholm; Göteborg; Hälsingborg; Malmö; LGL: Heinrich Bartels (1934, ausgewiesen 1936); Wilhelm Stengel (1936–1942); Dr. Heinz Gossmann (1942–1945); MZ: 143; RF: 44 Schweiz und Liechtenstein [1930–1936; 1940–1945]:177 LA: IV; OG: Bern; Agra; Baden; Basel; Chur; Davos; Einsiedeln; Frauenfeld; Genf; Interlaken; Kreuzlingen; Lausanne; Leysin; Liechtenstein (OGL Hohmeier); Locarno; Lugano; Luzern; Montreux; Rheintal-St. Margrethen; Rorschach; Sankt Gallen; Solothurn; Tessin; Thun; Vaduz; Weinfelden; Zürich; Zug (insgesamt 45); LGL: Wilhelm Gustloff (bis 1936); Sigismund von Bibra (bis 1942); Generalkonsul Dr. Wilhelm Stengel (1943–1945); MZ: 1364; RF: 7 Slowakei [1941–1944]: LA: III; OG: Preßburg; Malacky; Neu-Sohl; Trentschin-Teplitz; Tyrnau; LGL: Kurt Rudershausen (1941–1945)
176 Bob Moore, Nazism and German Nationals in the Netherlands, 1933–40, in: Journal of Contemporary History 22, 1987, S. 45–70. 177 Lachmann, Der Nationalsozialismus in der Schweiz.
6. Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation
103
Sowjetunion [1933–1941]; OG: Moskau; OGL: Dr. Hensel; W. Stein Spanien [1931–1945]:178 LA: II; OG: Madrid; Barcelona; Bilbao; Cadiz; Granada; La Coruña; Las Palmas (Balearen); San Sebastián; Santa Cruz de Tenerife [Gründung der LG 1932]; Santander; Sevilla; Valencia; Vigo; Zaragossa; LGL: Walter Zuchristian (bis 1936); Friedhelm Burbach; Hans Hellermann (1936); Anton Leistert (bis 1937); Arthur Dietrich (1937); Hans Thomsen (1939); Rudolf Tesmann (1943); MZ: 542; RF: 17 Tschechoslowakei [1934–1939]: LA: III; OG: Prag; Brünn; Eger; Graslitz; MährischOstrau; Oderberg; Preßburg; Reichenberg; Teschen; LGL: Kons.-Sekr. Stechele; Richard Ziessig; MZ: 1006; RF: 10 Ungarn [1932–1945]:179 LA: IV; OG: Budapest; Großwardein; Kleinpest; Neuhäusl; Neupest; Neusatz; Ödenburg; Raab; Segedin; Sopron; LGL: Georg Wagner; Wilhelm Graeb (1937–1940); Henry Esp (1940–1944); MZ: 207; RF: 34 Asien Afghanistan [1931–1941]; LA: III; OG: Kabul; LGL: Dr. Martin Pauschard; MZ: 25; RF: 75 Algier [1933–1938] OG: Oran; OGL: Stockmann Britisch Indien [1932–1939]: LA: VIII; OG: Bombay; Colombo; Kalkutta; LGL: Dr. Otto Urchs; MZ: 130; RF: 47 China [1932–1944]:180 LA: VIII; OG: Hankau (Kankow); Hongkong; Kanton; Macau; Nanking; Shanghai; Tientsin; Tsingtau; LGL: Franz Xaver Hasenöhrl (1932– 1934);181 Siegfried Lahrmann (1934–1944); MZ: 700; RF: 13 Irak [1933–1943]: LA: III; OG: Bagdad; LGL/OGL: Prof. Dr. Julius Jordan; MZ: 14; RF: 80 Iran [1933–1941]: LA: III; OG: Teheran; Ispahan; Täbris; LGL: Erwin Ettel (1939– 1941); MZ: 116; RF: 48 Japan [1933–1945]: LA: VIII; OG: Tokio-Yokohama; Kobe-Osaka; LGL/LVM: Rudolf Hillmann (1935–1943); Franz-Joseph Spahn (1943–1945); MZ: 206; RF: 35
178
Berlin, BArch NS 9/92–104. Norbert Spannenberger, Der Volksbund der Deutschen in Ungarn 1938–1944 unter Horthy und Hitler, München, 2002 (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa; 22). 180 Karl Drechsler, Deutschland, China, Japan, 1933–1939: das Dilemma der deutschen Fernostpolitik, Berlin, 1964 (Schriften des Instituts für Geschichte: Reihe 1, Allgemeine und deutsche Geschichte); Mechthild Leutner (Hrsg.), Deutschland und China 1937–1949: Politik, Militär, Wirtschaft, Kultur; eine Quellensammlung. Bearb. von Wolfram Adolphi, Berlin, 1998; Astrid Freyeisen, Shanghai und die Politik des Dritten Reiches, Würzburg, 2000. 181 Zu Hasenöhrl vgl. Broucek/Glaise (1987), S. 488 f. Er war Kaufmann in Shanghai, ließ sich aber 1934 von Bohle nach Berlin locken, wo er Ministerialdirigent im „ProMi“ wurde. 179
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Mandschukuo [1932–1944]: LA: VIII, OG: Harbin; Dairen; Mukden; LGL: Hanns Günter von Kirschbaum (bis 1940 LKL, dann LGL); MZ: 60; RF: 59 Niederländisch Indien [1932–1944]: LA: VIII; OG: Batavia; Garoet Java; Sourabaja; LGL: Trautmann; William Wickel (1935); Otto H. Jaissle; MZ: 682; RF: 15 Palästina [1932–1939]:182 LA: III; OG: Jerusalem; Bethlehem; Haifa; Waldheim; Wilhelma; Sarona-Jaffa; LGL: Karl Ruff (bis 1935); Cornelius Schwarz (bis 1939); MZ: 228; RF: 31 Philippinen: LA: VIII; OG: Manila; LGL: Sakowsky; MZ: 53; RF: 63 Siam [1932–1944]: LA: VIII; OG: Bangkok; Singapore; LGL: Dr. Helmut Gerlach; Thomas Gühler; MZ: 28; RF: 72 Syrien-Libanon [1933–1939]: LA: III; OG: Beirut; LGL: MZ: 19; RF: 77 Türkei [1932–1945]: LA: III; OG: Ankara; Izmir; Konstantinopel (Istanbul); Trabzon; LGL: Dr. Viktor Friede; MZ: 238; RF: 29 Australien Australien [1932–1939]:183 LA: VIII; OG: Sidney; Adelaide; Brisbane; Melbourne; Perth; Tanunda; LGL: Johannes Frerck; Dr. Johannes Heinrich Becker (1932– 1936); Walter Ladendorff (1936–1939); Artur Wolf; MZ: 160; RF: 43 Neuseeland [1935–1939]: LA: VIII; OG: Auckland; Wellington; LGL: H. Kessels; MZ: 5; RF: 88 Samoa [1934–1939]:184 LA: VIII; OG: Apia; LGL: Walther Mattes; MZ: 11; RF: 85 Afrika Ägypten [1931/33–1939]: LA: III; OG: Kairo; Alexandrien; Port Said; LGL: Alfred Heß; Erwin Schwarz; Hans Schröder (1934–1936); Friedrich von Hohmeyer (1936); Hans Kisker (1937–1938); Otto Krahn (bis 1939); MZ: 214; RF: 33 Äthiopien [1934–1943]: LA: V; OG: Addis Abeba; Assab; Cheren; Chisismaio; Gura; Massaua; LGL: Apotheker Walt(h)er Zahn; MZ: 34; RF: 69 Angola (Portugiesisch Westafrika) [1931–1945]: LA: V; OG: Luanda; Lobito; Quela; LGL: Hermann Friedrich Schatteburg; Hans Kisker (1935–1938; LKL); Konsul Dr. Kurt Martin; MZ: 96; RF: 50 182 Francis S. Nicosia, The Third Reich and the Palestine question, Austin: Univ. of Texas Press, 1985; Ralf Paul Gerhard Balke, Die Landesgruppe der NSDAP in Palästina, Düsseldorf, Phil. Diss., 1997; Ders., Hakenkreuz im Heiligen Land: die NSDAP-Landesgruppe Palästina, Erfurt, 2001. 183 Perkins, S. 111–129; Gianfranco Cresciani, A not so brutal friendship. Italian responses to National Socialism in Australia. Paper given at the Conference on National Socialism in Australasia. University of Queensland, 25–26 September 2006 (Internet-Version). 184 Michael J. Field, Mau. Samoa’s struggle for freedom, Auckland: Polynesian Press, 1991.
6. Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation
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Französisch-Marokko: LA: II; OG: Rabat; MZ: 17; RF: 78 Goldküste [1933–1939]: LA: V; OG: Accra; MZ: 27; RF: 73 Kamerun und Fernando-Poo [1931]: LA: V; OG: Tiko; LGL: Bernhard Ruberg (1932–1933); Pflanzer Carl Luppe; MZ: 131; RF: 46 Kenia/Uganda [1934–1939]: LA: V; OG: Nairobi; Eldoret; Mombasa; LGL: Hermann Luedtke; Carl Hubl; MZ: 77; RF: 54 Liberia (Monrovia) [1933–1941]: LA: V; OG: Monrovia; LGL/OGL: Henri Höscher; Dr. W.O. Wehrle; MZ: 34; RF: 69 Libyen: OG: Tripolis; LGL/OGL: Heinrich Lepique (1939–1942) Nigeria [1933–1939]: LA: V; OG: Lagos; Victoria; MZ: 16; RF: 79 Portugiesisch-Ost-Afrika [1933–1945]: LA: V; OG: Maputo; Beira; Dagaba; Lourenço Marques; LGL: Richard Garlipp (1938); MZ: 77; RF: 45 Spanisch-Marokko [1932–1945]: LA: II; OG: Tetuán; LGL/OGL: Adolf Langenheim; MZ: 29; RF: 71 Südwest-Afrika [1932–1939]: LA: V; OG: Windhuk; Lüderitz; Otjiwarongo; Swakopmund; Walfisch-Bucht (Walvis Bay); LGL: Karl Schröder (bis 1932); Ernst Wandke; Major a.D. Heinrich Weigel (bis 1935); Voigts; Michael Neuendorf (bis 1939); MZ: 1127; RF: 8 Tanganjika (Ostafrika) [1932–1939]: LA: V: OG: Daressalam; Sansibar; Tanga; LGL: Missionar Ernst Dammann (1933–1936); Karl von Oeynhausen; Dr. Ernst Troost (1939); MZ: 688; RF: 14 Tunis: OG: Tunis; OGL: Schultheis Union von Südafrika [1932–1939]:185 LA: V; OG: Pretoria; Johannesburg; Bloemfontein; Durban; East London; Port Elizabeth; Kapstadt; LGL: Hermann Bohle (1932–1935); Ges.-Rat Bruno Stiller (1935–1937); Hellmut Kirchner (bis 1939); MZ: 336; RF: 19 Nord-Amerika Kanada [1931–1939]: LA: VI; OG: Ottawa; Montreal; Toronto; Winnipeg; LGL: Karl Gerhard Heß (1934); Wilhelm Rodde; Otto Janssen; MZ: 88; RF: 52 USA [1930–1933; 1937–1941]:186 LA: VI; OG: Washington; Chicago; Cincinnati, Detroit; Hudson Country; Los Angeles; New York; Paterson, NJ; San Francisco; 185 Furlong, Between crown and Swastika; Eberhardt, Zwischen Nationalsozialismus und Apartheid. 186 Alton Freye, Nazi Germany and the American hemisphere 1933–1941, New Haven [u. a.] : Yale Univ. Pr., 1967; Klaus Kipphan, Deutsche Propaganda in den Vereinigten Staaten: 1933–1941, Heidelberg, 1971 (Jahrbuch für Amerikastudien: Beihefte; 31); Sander A. Diamond, The Nazi Movement in the United States: 1924–1941, Ithaca [u. a.]: Cornell Univ. Pr., 1974; Cornelia Wilhelm, Bewegung oder Verein? Nationalsozialistische Volkstumspolitik in den USA, Stuttgart, 1998 (Transatlantische historische Studien; 9).
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II. Im Dienst von Partei und Staat Seattle; LGL: Heinrich Spanknoebel; Walter H. Schellenberg (bis 1941), Friedrich Mensing; Konsul Dr. Friedhelm Dräger (Juni 1941); MZ: 569; RF: 19
Latein-Amerika187 Argentinien [1931–1939/1943]:188 LA: VII; OG: Groß-Buenos Aires; Avellaneda; Belgrano; Flores; Florida; Hurlingham; Lomas de Zamora; Quilmes; Veronica; Villa Ballester; Zentrum; Inland: Rosario; Santa Fé; Córdoba; Mendoza; La Plata (B.A.); Campana (B.A.); Tornquist (B.A.); Tucumán; Concordia (E.R.); Villa Crespo (E.R.); Colonia Liebig (Cor.), Charata (Chaco); Posadas (Mis.); Eldorado (Mis.); Monte Carlo (Mis.); Leandro Alem (Mis.); LGL/LVM: Eckert (Eckard) Neumann (1932–1933); Dr. Gottfried Brandt (1933–1935); Fritz Küster (1935– 1938); Karl Klingenfuß (1939); Alfred Müller (1939–1940); Heinrich Volberg (1941–1943/1945); MZ: 1500; RF: 4189 Aruba (Niederländische Antillen) [1933]: LA VII; OG: Aruba; MZ: 11; RF: 82 Bolivien [1933–1941]: LA: VII; OG: La Paz; Oruru; LGL: Helmut Knips; Hauptmann Achim von Kries; Theodor Becker; Gesandter Dr. Ernst Wendler (1938–1941); MZ: 169; RF: 41 Brasilien [1931–1938/1942]:190 LA: VII; OG: Rio de Janeiro; Bahia; Belo Horizonte; Belem do Para; Blumenau; Curitiba; Florianapolis Santa Catarina; Marcelino Ramos; Nova Friburgo; Paraná; Porto Alegre; São Paulo; Timbo; Victoria; LGL: Attaché Hans-Henning von Cossel (bis 1942); Willi Köhn; MZ: 2903; RF: 1
187 Reiner Pommerin, Das Dritte Reich und Lateinamerika: die deutsche Politik gegenüber Süd- und Mittelamerika 1939–1942, Düsseldorf, 1977; Müller, Nationalsozialismus in Lateinamerika. 188 Arnold Ebel, Das Dritte Reich und Argentinien: die diplomatischen Beziehungen unter besonderer Berücksichtigung der Handelspolitik (1933–1939), Köln/Wien, 1971 (Lateinamerikanische Forschungen; 3); Günther J. Bergmann, Auslandsdeutsche in Paraguay, Brasilien, Argentinien, Bad Münstereifel, 1994; Brüstle, Das Deutsche Ausland-Institut und die Deutschen in Argentinien 1933–1945. – Die einzige bisher vorliegende Studie zu einer Landesgruppe stammt von ihrem ehemaligen Leiter: Heinrich Volberg, Auslandsdeutschtum und Drittes Reich. Der Fall Argentinien, Köln/ Wien, 1981. 189 Auf der panamerikanischen Konferenz von Rio de Janeiro vom 15. bis 21. Januar 1942 beschlossen zwanzig lateinamerikanischen Staaten den Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit den Achsenmächten; nur Argentinien und Chile widersetzten sich zunächst. Während die meisten mittelamerikanischen und karibischen Staaten Deutschland bereits nach dem 11.12.1941 aus Solidarität mit den USA den Krieg erklärten, warteten andere bis 1944. 190 Käthe Harms-Baltzer, Die Nationalisierung der deutschen Einwanderer und ihrer Nachkommen in Brasilien als Problem der deutsch-brasilianischen Beziehungen 1930– 1938, Berlin, 1970 (Bibliotheca Ibero-Americana; 14); Stanley E. Hilton, Hitler’s secret war in South America 1939–1945: German military espionage and allied counterespionage in Brazil, Baton Rouge [u. a.]: Louisiana State Univ. Pr., 1981; Dawid Danilo Bartelt, Fünfte Kolonne ohne Plan. Die Auslandsorganisation der NSDAP in Brasilien 1931–1939, in: Iberoamerikanisches Archiv (IAA) 19, 1–2, 1993; Jürgen Müller (1997), S. 284–316.
6. Die einzelnen Landesgruppen der Auslandsorganisation
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Chile [1931–1943]: LA: VII; OG: Concepción; Osorno; Puerto Montt; Santiago; Valparaiso; LGL: Willi Köhn (1931–1932); Richard Ziessig (bis 1935); Karl Hübner (1935–1936), Walter Böttger (ab 1939); MZ: 985; RF: 11 Costa Rica [1933–1942]: LA: VII; OG: San José; LGL [im Range eines OGL]: Karl Bayer (1942 über Japan repatriiert); MZ: 56; RF: 61 Curaçao: LA: VII; OG: Curaçao; MZ: 37, RF: 68 Dominikanische Republik [1933–1941]: LA: VII; OG: Ciudad-Trujillo (Santo-Domingo); Stützpunktleiter: Erwin Weisgerber (bis 1939); Kurt Timmermann (1939; MZ: 11; RF: 83191 Ecuador [1934–1941]: LA: VII; OG: Quito; Guayaquil; LGL (im Rang eines OGL): Walter Giese; MZ: 58; RF: 60 Guatemala [1932–1941]: LA: VII; OG: Guatemala; Coban; LGL: Otto Langmann (1931–1932); Gerhard Hentschke (1934, 1942 repatriiert); MZ: 260; RF: 25 Haiti [1932–1935; 1937–1941]: LA: VII; OG: Port au Prince (bis 1935); LGL: Kurt Sonn; Inspektor der Horn- und Hapaglinien Johannes Petersen (1937); MZ: 26; RF: 74 Honduras [1934–1941]: LA: VII; OG: Tegucigalpa; MZ: 41; RF: 65 Kolumbien [1932–1942]: LA: VII, OG: Barranquilla; LGL: Erwin Ettel (1933–1935); Emil Prüfert (in den USA interniert, 1942 repatriiert); MZ: 274; RF: 24 Kuba [1933–1939]: LA: VII; OG: La Habana; LGL: Tauchnitz; MZ: 42; RF: 64 Mexiko [1931–1942]:192 LA: VII; OG: Ciudad de Mexico; Ciudad Obregón; Culiacán; Guadalajara; Guaymas; Mazatlán; Monterrey; Orizaba; Posadas; Puebla; Tampico; Tapachula; Torreón; Vera Cruz; LGL: Kurt Zoepffel (bis 1938); Wilhelm Wirtz (bis 1939); Bork (1939–1942); MZ: 310; RF: 22 Nicaragua [1934–1941]: LA: VII; OG: Managua; LGL (im Range eines OGL): Hugo Danckers; MZ: 29; RF: 70 Panama [1933–1942]: LA: OG: Colón; LGL (im Rang eines OGL): Kurt Kuhn; MZ: 69; RF: 58 Paraguay [1929–1942]: LA: VII; OG: Asunción; Hohenau; LGL: Major a. D. Reitzenstein (1935–1936); Rainer Behrens; MZ: 240; RF: 28 Peru [1932–1942]: LA: VII; OG: Lima; Callao; LGL: Carl Dedering (bis 1942); MZ: 201; RF: 36 Puerto Rico: LA: VII; OG: San Juan; MZ: 3; RF: 89
191 Bohle gab bei seiner Vernehmung 1945 an, es habe in der Dominikanischen Republik und Haiti keine AO-Vertretung gegeben, weil die dort lebenden Deutschen sich mit Eingeborenen vermischt hätten. 192 Marianne Oeste de Bopp, Die Deutschen in Mexiko, in: Hartmut Fröschle (Hrsg.), Die Deutschen in Lateinamerika, Tübingen, 1979, S. 475–564; Jürgen Müller, El NSDAP en México, historia y percepciones, 1931–1940, in: E.I.A.L (Estudios interdisciplinarios de América Latina y el Caribe) VI, 2, 1995 (Sonderheft América Latina y la Segunda Guerra Mundial II).
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II. Im Dienst von Partei und Staat
San Salvador: OG: El Salvador, OGL: von Hundelshausen (bis 1941), Mitglieder danach von Guatemala aus betreut Surinam [1933–1939]: OG: Paramaribo Uruguay [1932–1940/42]: LA: VII, OG: Montevideo; LGL: Felix Schmidt-Decker (1932–1938); Julius Dalldorf (LKL; 1937–1942); MZ: 143; RF: 45 Venezuela [1933–1942]: LA: VII; OG: Caracas; LGL: Arnold de Margerie (LKL); MZ: 221; RF: 32 Westindischer Archipel, s. Haiti
7. Das Amt Seefahrt Der NS-Funktionär Kurt Thiele hatte 1925 in Bremerhaven eine Ortsgruppe der NSDAP gegründet und war 1932 zum Gauleiter des von Gregor Straßer eigenmächtig zum Gau erhobenen Amtes Seefahrt ernannt worden.193 Ziel war es, die deutschen Seeleute auf Parteikurs zu bringen, eine „Bordgemeinschaft im nationalsozialistischen Geiste“ zu schaffen und sie bei Abstimmungen und Plebisziten der NSDAP zuzuführen, getreu dem Dictum Hitlers, der Nationalsozialismus solle „in die letzte Hütte und in das letzte deutsche Schiff“ eindringen („Seefahrt ist not“, 1935).194 Viele Seeleute waren wegen der schlechten Unterbringungs-, Verpflegungs- und Arbeitsbedingungen an Bord unzufrieden und erhofften sich vom Nationalsozialismus diesbezügliche Verbesserungen.195 Wenige Wochen nach der ,Machtergreifung‘ hob Robert Ley den Gau Seefahrt wieder auf und überwies die etwa 7.000 Parteigenossen den Landgauen, eine Entscheidung, die wegen der Gefahr der Zersplitterung nicht praktisch und daher nicht von Dauer war. Im Juni wurden sie der von Bohle geleiteten ,Abteilung für Deutsche im Ausland‘ (Auslandsabteilung), der späteren AO, zugewiesen. EWB wurde dadurch zum ,Hoheitsträger‘ aller Seeleute, die außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets operierten. Zur Abteilung Seefahrt der AO gehörten alle Parteigenossen der Großschiffahrt (Überseefahrt), der Nord- und Ostseefahrt, der Hochsee- und Küstenfischerei einschließlich der deutschen Lotsenschaften sowie der Kriegsmarine. Die deutschen Gaue wurden aufgefordert, „alle zur Seefahrt gehörenden PG an die Abteilung Seefahrt der AO und deren Untergliederungen zu überweisen“. Ausgenommen blieben die deutsche Küsten193 Berlin, BArch NS R 187/291 (Sammlung Schumacher): Abt. Seefahrt. – Errichtung und Organisation der Abt. Seefahrt der AO zur Erfassung der zur See fahrenden Parteigenossen: Allgemeines, u. a. personelle und organisatorische Auseinandersetzungen, hierin: Pläne zur Schaffung eines selbständigen Gaues Seefahrt, 1932–1933. 194 Peter Kuckuk, Seefahrt unter dem ,Hungerhaken‘. Die Bemühungen der Nationalsozialisten um die politische Organisierung der deutschen Seeleute, in: Deutsches Schiffahrtsarchiv 21, 1998, S. 101–121. 195 Soziales aus der Seeschiffahrt, in: Jahrbuch der Auslandsorganisation der NSDAP für die Seeschiffahrt 1942, 4. Jg., 1942, S. 74–75.
7. Das Amt Seefahrt
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fischerei, die Binnenschiffahrt und der Wasserstraßenbau. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft war der Besitz eines Seefahrtbuchs.196 Da die Gewerkschaften 1933 gleichgeschaltet wurden, erhielt das Amt Seefahrt weiteren Zuzug und wurde organisatorisch in vier Abschnittsleitungen aufgeteilt (a. Weser-Ems, Bremen; b. Elbe, Hamburg; c. Westliche Ostsee, Kiel; d. Östliche Ostsee, Stettin; nach 1940 noch e. Rhein-Schelde in Rotterdam). Jeder Abschnitt sollte als Zentrum und „Trutzburg des nationalsozialistischen Geistes“ ein „Haus der Seefahrt“ erhalten. Das erste wurde offenbar erst 1942 in Stettin eingeweiht.197 In wichtigen ausländischen Häfen organisierten die Landesgruppen die Betreuung der einlaufenden deutschen Schiffe.198 Der 25. und 26. Mai wurde 1935 zum „Tag der deutschen Seefahrt“ bestimmt, um der deutschen Bevölkerung Gelegenheit zu geben, gemeinsam mit der Partei ihre Verbundenheit mit „den zur See fahrenden Volksgenossen“ zu bekunden.199 Joseph Goebbels ließ es sich nicht nehmen, zum ersten „Tag der deutschen Seefahrt“ nach Hamburg zu eilen und, von Bohle begleitet, in der (1943 ausgebombten) Hanseatenhalle, „dem größten Versammlungsraum der Welt“, vor 30.000 Zuhörern zu sprechen. Er legte seiner Rede als Leitwort zugrunde: „Wenn der Diplomat der Gesandte seines Reiches ist, dann ist der deutsche Seemann der Gesandte seines Volkes“. Am folgenden Morgen, der durch einen Kanonenschuß des Panzerschiffs „Deutschland“ als Signal für die Sirenen sämtlicher Schiffe begrüßt 196 Jacobsen (1968), S. 108. Vgl. Berlin, BArch NS 22/746 (Organisation der Betreuung der Ortsgruppen, Stützpunkte und Zellen der NSDAP sowie der Mitglieder der NS-Betriebszellenorganisation und Deutschen Arbeitsfront an Bord der Handelsflotte – Gemeinsame Anordnung des Stabsleiters der Obersten Leitung der PO und des Leiters der AO). 197 Vgl. Bohles Ansprache zur Einweihung des „Hauses der Seefahrt“ in Stettin (1942; nicht genau datierbar), Mitschnitt Wiesbaden, DRA B005184468: Der Seemann sei bisher ein Mensch zweiter Klasse gewesen und werde jetzt endlich sozial sichergestellt. Gleichzeitig werde den ausländischen Seeleuten bewiesen, „daß der nationalsozialistische Gemeinschaftsgeist nicht barbarisch, zerstörend und zersetzend ist, sondern schöpferisch“. 198 So schreibt der Ortsgruppenleiter von Kopenhagen, Ernst Schäfer, im Jahr 1937: „Kopenhagen ist einer der bedeutendsten Seehandelsplätze Nordeuropas. Daher sucht die Ortsgruppe neben der Verbindung mit allen Schichten des Deutschtums in Dänemark auch Verbindung mit den diesen Hafen anlaufenden deutschen Schiffen und deren Besatzungen. Der Hafendienst wird vom Leiter des Seemannsheimes versehen, der alle deutschen Schiffe regelmäßig besucht und einen Kreis von Arbeitskameraden von deutschen Schiffen, die häufiger nach Kopenhagen kommen, in seinem Heim versammelt. Zu allen größeren Veranstaltungen der Ortsgruppe werden die Seefahrer eingeladen, und es finden sich immer hilfreiche Spender, die die Valutaknappheit der Seeleute zu mildern bereit sind, so daß diese Männer, die im harten Dienst an Bord Tag für Tag ihre Pflicht tun, einen greifbaren Beweis von der Kameradschaft des Deutschtums draußen erhalten“ (zit. nach: V. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1937, unpaginiert [Mitte des Hefts, linke Seite]). 199 Veranstaltungen der Ortsgruppen der NSDAP an ausländischen Hafenplätzen zum Tag der deutschen Seefahrt am 25. und 26. Mai 1935, in: Mitteilungsblatt der AO der NSDAP 2. Jg., Folge 23, Anfang April 1935, S. 2–3.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
wurde, besuchten Goebbels und Bohle die Besatzung der „General Osorio“, eines Wohnschiffs der Kriegsmarine, um ihr stellvertretend für alle Angehörigen ihrer Waffengattung für ihre Einsatzbereitschaft zu danken. Am Nachmittag fand eine Massenkundgebung auf der Moorweide statt, wo Rudolf Heß sprach. Auch dieser Tag wurde in der vom Nationalsozialismus immer wieder eingeübten und zur Schau gestellten Ritualisierung festlich ausgestaltet.200 Die Gründung von Ortsgruppen gelang am ehesten auf den großen Passagierschiffen. Die „Europa“ war im Sommer 1933 das Schiff mit der stärksten NSDAP-Ortsgruppe und dem höchsten Organisationsgrad von fast 100% der Mannschaft. Als ein wirkliches Nazischiff galt die „Main“ des Norddeutschen Lloyd, auf der sogar in der glühenden Hitze des Roten Meers exerziert wurde. Eine bedeutende Position auf jedem Schiff nahm der ,Politische Leiter‘ ein, den die Auslandsorganisation bestimmte und der einen besonderen Dienstanzug zu tragen hatte. Ihm unterstand der SA-Führer an Bord. Er hielt außerhalb des Heimathafens Versammlungen und Schulungsabende ab und konnte zu seiner Unterstützung Zellen- und Kassenwarte einsetzen. Die außergewöhnliche Stellung des Kapitäns als des absoluten Inhabers der Schiffsgewalt wagten selbst die Nazis nicht anzutasten – der Kapitän blieb der „Master next God“. Waren die Seeleute für kürzere Zeit an Land oder hatten keine eigene Familie, wurden sie in Seemannsheimen der AO untergebracht, die auch ihre Freizeit gestaltete. Im Krieg wuchs die Zahl der Seeleute durch den Dienst in der Kriegsmarine beständig. Allein im Lauf des Jahres 1939 wurden die Schlachtschiffe „Scharnhorst“, und „Bismarck“, die schweren Kreuzer „Admiral Hipper“ und „Seydlitz“, dazu viele kleinere Schiffe in Dienst gestellt. Die Handelsschiffe mußten die Versorgung der Zivilbevölkerung leisten, aber auch Rohstoffe heranschaffen. Die deutschen Reeder ehrten und dankten Bohle für seinen Einsatz dadurch, daß sie einen Hochseefischdampfer nach ihm benannten. Ein Fangschiff der Reederei Hussmann & Hahn in Bremerhaven fuhr fortan unter dem Namen „Gauleiter Bohle“ (V 6101) in der Vorposten-Flottille Norwegen.201 Aus einem Geleitzug heraus wurde es am 25. September 1944 von russischen Jägern an der Polarküste versenkt. Das Amt Seefahrt betreute im Krieg besonders diejenigen deutschen Seeleute, die mit ihren Schiffen in neutralen Ländern festgehalten und von der Postverbindung mit der Heimat abgeschnitten wurden. Die AO sorgte für regelmäßige Rundfunksendungen als „Brücke“ zu den Internierten. Seit Juni 1940 wurde alle vierzehn Tage über den Deutschen Kurzwellensender die Sendung „Blinkfeuer Heimat“ ausgestrahlt, die neben Informationen über die allgemeine 200 Woldemar Troebst, Tag der deutschen Seefahrt, in: Mitteilungsblatt der AO der NSDAP 2. Jg., Folge 27, Anfang Juni 1935, S. 8–10. 201 Schiffstaufe in Bremerhaven, in: Deutsches Wollen 2, 1940, H. 5, S. 11.
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politische Lage auch persönliche Durchsagen ermöglichte.202 Um die zurückgebliebenen Seemannsfrauen kümmerte sich die „Arbeitsgemeinschaft der Seefahrerfrauen“ der AO.203 Bohle wandte sich an den nationalsozialistischen (Tag der Machtübernahme, Geburtstag des ,Führers‘, Heldengedenktag, Tag der nationalen Arbeit, Erntedankfest, 9. November) wie den christlichen Feiertagen über den Äther an „seine“ Seeleute und lobte sie für ihre entbehrungsreiche Arbeit.204 Deutschland müsse nach dem Endsieg ein Seevolk und die deutsche Handelsmarine die bedeutendste der Welt werden.205
8. Die Festigung der Auslandsorganisation Eine der aktivsten Landesgruppen der AO existierte in der Schweiz. Dort lebten ca. 120.000 deutsche Staatsbürger, von denen zwar nur 1.364 (gut 1%) der AO angehörte,206 die aber in 45 schlagkräftige Ortsgruppen gegliedert waren. Diese hatten eine HJ aufgebaut und gaben von 1933 bis 1935 eine eigene Zeitschrift heraus, die zunächst den Titel „Der Reichsdeutsche in der Schweiz“, später „Der Reichsdeutsche. Das deutsche Wochenblatt in der Schweiz – Parteiamtliches Organ der NSDAP“ trug. Die Schweizer AO hatte frontistische Verbände infiltriert, denunzierte Reichsdeutsche, die sich in der Schweiz nazikritisch äußerten, bei der Gestapo, so daß sie nach der Rückkehr nach Deutschland verhaftet wurden, und benutzte deutsche Studenten, die an Schweizer Universitäten studierten, als Spitzel. Deutschen Wissenschaftlern, die in der Schweiz lehrten, wurde die Mitgliedschaft in der Landesgruppe nahegelegt, z. B. Helmut de Boor, Hermann Conrad oder Richard Newald.207 Der von den Nazis verkündete Pangermanismus schürte die Schweizer Ängste vor einer Annexion, die auch durch die Beschwichtigungsversuche führender deutscher Politiker nicht ausgeräumt werden konnten.
202 Deutschland grüßt seine Seeleute in aller Welt. Zum 50. Male ,Blinkfeuer Heimat‘, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 110, 21.4.1942. 203 Einzelheiten in: Jahrbuch der Auslands-Organisation der NSDAP für die Seeschiffahrt 1941, das ganz diesem Amt gewidmet ist. 204 Vgl. seine Rundfunkansprache an die Auslandsdeutschen zum Totensonntag vom 19.11.1937, Wiesbaden, DRA B003738739 (2955877), bzw. Weihnachtsansprache an die Auslandsdeutschen und die „Kameraden der Seefahrt“ vom 26.12.1942, Wiesbaden, DRA B004623304 (2783627) u. B003859859 (2834001). Auch im Mitteilungsblatt der Leitung der AO der NSDAP erschienen regelmäßig derartige Grußbotschaften, desgleichen in den ,Tagesbefehlen‘ (vgl. Berlin, BArch NS 9/14 u. 15). 205 Vgl. seine „Ansprache auf einer Kundgebung der Gauwaltung der DAF und der AO der NSDAP in Stettin“ am 13.3.1941, Wiesbaden, DRA B004546741 (2976075). Nach ihm sprach Robert Ley. 206 Zahlen (für 1937) nach McKale (1977), S. 121. 207 Berlin, BArch NS 9/264, Bl. 168–171.
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Leiter der Schweizer Landesgruppe war der seit 1917 in Davos lebende Wilhelm Gustloff, der am dortigen Physikalisch-Meteorologischen Forschungsinstitut der Schweiz angestellt war. Er trat 1921 dem ,Deutsch-völkischen Schutzund Trutzbund‘ und 1929 der NSDAP bei. Das provozierende Auftreten seiner Landesgruppe erregte den Unmut der Öffentlichkeit und die Aufmerksamkeit der Behörden. Am 4. Februar 1936 wurde Gustloff, der dienstälteste aller Landesgruppenleiter der AO, von dem jüdischen Studenten David Frankfurter, einem jugoslawischen Staatsbürger, erschossen.208 Frankfurter hatte die Tat nach eigener Angabe begangen, um ein Fanal gegen die nationalsozialistische Judenpolitik zu entfachen. Die Nazis stilisierten Gustloff zu einem Blutzeugen der Bewegung. Nach ihm wurden eine Stiftung, ein KdF-Dampfer sowie mehrere Gebäude und Straßen in verschiedenen deutschen Großstädten benannt.209 Der sich zum Nationalsozialismus bekennende Schweizer Dichter Jakob Schaffner bedichtete Gustloff als Märtyrer.210 Das Schweizer Kantonsgericht in Chur verurteilte Frankfurter zwar zu achtzehn Jahren Haft,211 andererseits beschloß der schweizerische Bundesrat am 18. Februar 1936 einstimmig, die Landes- und Kreisleitungen der AO ab sofort zu verbieten. Die Ortsgruppen und Stützpunkte durften jedoch weiterarbeiten. Bundespräsident Giuseppe Motta faßte in einer Note vom 28. Februar alle Gründe für diese Entscheidung zusammen, die erst 1940 widerrufen wurde. Hitler antwortete nicht darauf, obwohl Bohle eine ausführliche Replik formuliert hatte. Sein Entwurf umfaßte fünf Punkte und forderte, den Landfremden in der Eidgenossenschaft im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die Pflege eigener vaterländischer Gesinnung zu garantieren. Beide Seiten seien sich einig, daß die Landesgruppe der AO in diesem Sinne 208 Günter Lachmann, Der Nationalsozialismus in der Schweiz 1931–1945. Ein Beitrag zur Geschichte der Auslandsorganisation der NSDAP, Phil. Diss., Berlin, 1962, S. 55–64; Emil Ludwig/Peter O. Chotjewitz. Hrsg. von Helmut Kreuzer, Der Mord in Davos: Texte zum Attentatsfall David Frankfurter, Wilhelm Gustloff, Herbstein, 1986 (dieser Bd. enthält vor allem einen Neudruck des Romans von Emil Ludwig, Der Mord in Davos, Amsterdam: Querido, 1936, 1945 erneut unter dem Titel „David und Goliath“, Zürich: Posen, erschienen; sodann Peter O. Chotjewitz, Mord als Katharsis, der Bohle auf S. 139 erwähnt). 209 Die ehemaligen Berlin-Suhler Waffen- und Fahrzeug-Werke Arthur Simon wurden ,arisiert‘ und in einen nationalsozialistischen Musterbetrieb umgewandelt, mit dem eine ,Stiftung‘ verbunden war, vgl. Die Wilhelm-Gustloff-Stiftung: Ein Tatsachen- und Rechenschaftsbericht über Sozialismus der Gesinnung und der Tat in einem Nationalsozialistischen Musterbetrieb des Gaues Thüringen der NSDAP. Hrsg. von Fritz Sauckel. [Gesamtgestaltung: Bruno Nowack], Berlin-Leipzig, 1938. 210 „Ich kenn’ dich nicht, und deine Blutsgemeine / Lebt fern von meiner an verwehtem Strand. / Doch webt viel Duft und Licht von Hain zu Haine, / Und Liebe spann uns manches frohe Band. / In meiner Heimat fielst du für die deine. / Von deinem Blut liegt Schuld in meinem Land. / Was sich die fremde Hand hier unterfangen, / Rief heiße Röte uns auf Stirn und Wangen“ (1. Strophe). 211 Vgl. das Plädoyer des deutschen Prozeßvertreters Prof. Dr. Friedrich Grimm, Essen: Der Fall Gustloff vor dem Kantonsgericht zu Chur, gesprochen am 12. Dezember 1936 im Namen der Zivilklägerin, Frau Wilhelm Gustloff, maschinenschr. Kopie.
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keinerlei Grund zur Beanstandung geliefert habe. Wenn das Verbot des Bundesrats erfolge, weil die NSDAP in Deutschland eine Körperschaft des öffentlichen Rechts darstelle, so vermöge die deutsche Regierung dies nicht nachzuvollziehen, da dies auch auf die landsmännischen Vertretungen anderer Völker zutreffe. Auch wenn die Schweizer Presse im allgemeinen deutschfeindlich eingestellt sei, befleißigten sich die Auslandsdeutschen größter Zurückhaltung und ließen sich nicht provozieren. „Die Deutsche Regierung hat mit Genugtuung von der Erklärung des Bundesrats Kenntnis genommen, dass die feige Mordtat an dem Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff weder unmittelbar noch mittelbar den Grund für die Verbotsmassnahme gebildet hat und dass Gustloffs Verhalten zu keiner Beanstandung Anlass gab“.212 Eine „diplomatische“ Lösung wurde dadurch erreicht, daß Sigismund Freiherr von Bibra213 Anfang August 1936 als Gesandtschaftsrat nach Bern versetzt wurde und Anfang November die Leitung des Landesgruppe in der Schweiz übernahm. Da er diplomatische Immunität genoß, konnte er unter deren Deckmantel mit stillschweigender Billigung der Schweizer Bundesregierung die Landesgruppe insgeheim weiterführen.214 Mit dieser Plazierung eines AO-Mannes im diplomatischen Dienst hatte EWB einen Coup gelandet, der wegweisend für seine eigene Karriere werden sollte. Nur ein Jahr später war er Gauleiter und Staatssekretär in einem und hatte sich damit eine führende Position zugleich im Dienst der Partei wie des Staates erkämpft. Die AO instrumentalisierte Gustloffs Ermordung zu einer Verteidigung ihrer angeblichen Harmlosigkeit, einem Angriff auf die deutschlandkritische Schweizer Presse und einer Anklage des „internationalen Judentums“. Gustloff wurde zum „Horst Wessel der Auslandsorganisation“ stilisiert. Bohle reiste nach Davos, um seinen Leichnam nach Deutschland „heimzuholen“. Bei einer ersten Trauerfeier in der Davoser Alexanderkirche sprach er einen Nachruf auf den Ermordeten. Die Schüsse hätten zugleich Adolf Hitler gegolten, doch laute die Losung „Über Gräber vorwärts“.215 Danach begleitete Bohle den Sarg nach Schwerin, der Heimatstadt des „Märtyrers“, wo dieser am 12. Februar in Gegenwart Hitlers beigesetzt wurde.216 Der ,Führer‘, der kurz vor der Rheinlandbesetzung stand, ließ es aus diesem Grund nicht zum Äußersten kommen, auch wenn er in seiner Rede die „haßerfüllte Macht unseres jüdischen Feindes“ für 212 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-1901 („An den Führer zur Rücksprache mit Reichsaussenminister“, E. W. Bohle, Notenwechsel mit der Schweiz, 3.6.1936). 213 Zu seiner Biographie vgl. Kap. II.10, Anm. 351. 214 Einzelheiten bei Jacobsen (1968), S. 509–517; McKale (1977), S. 98–99. 215 Wiesbaden, DRA 2733157 (Abspieldauer 3’47“). 216 Das Telegramm Hitlers an die Witwe Gustloffs und seine Schweriner Rede sind abgedruckt bei Domarus, Bd. 1, 2 (1935–1938), S. 572–575 (Original VB 44, 13.2. 1936).
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die Tat verantwortlich machte und keines der sonstigen Klischees aussparte: Nun habe jede Ortsgruppe des Auslandes ihren nationalsozialistischen Patron, ihren heiligen Märtyrer dieser Bewegung, und in jeder Geschäftsstelle werde hinfort sein Bild hängen, jeder Parteigenosse werde seinen Namen im Herzen tragen und ihn in alle Zukunft nimmermehr vergessen. Die Nazis nutzten das Attentat zu einer geschickt in Szene gesetzten Empörungsveranstaltung, was der deutschen Öffentlichkeit nicht verborgen blieb.217 Die leitenden Mitarbeiter der AO mußten bis zum 29. Februar Trauer tragen, auch flaggten alle ihre Dienstgebäude Halbmast. Bohle bezeichnete Gustloff als den neuen Typ des Deutschen, der stolz auf seine Heimat gewesen sei und sich diesen Stolz niemals habe rauben lassen. Er habe nie etwas anders gewollt und getan, als seine deutschen Landsleute in der Schweiz für den Staat Adolf Hitlers zu gewinnen. Dabei habe er das Gastrecht der Schweiz ebenso peinlich geachtet, wie es der ,Führer‘ von allen Auslandsdeutschen erwarte. Er habe sich als Patriot im besten Sinne dieses oft mißbrauchten Wortes erwiesen. Eigentlich hätten die Eidgenossen froh sein müssen, einen solchen Leiter einer ausländischen Vereinigung bei sich im Lande zu haben, doch hätten sie nicht verhindert, daß Gustloff bei jeder Gelegenheit mit Schmutz beworfen worden sei. Bohles Redetext wurde in eine Sammlung von Dokumenten zum Fall Gustloff aufgenommen, die der Blutordensträger, Gaupropagandaleiter und SS-Mann Wolfgang Diewerge zusammenstellte, aus dessen Feder zahlreiche nationalsozialistische Propagandapamphlete stammen. Möglich, daß Bohle ihn sogar persönlich kennenlernte. Diewerge überstand den Krieg und wurde eine Schlüsselfigur beim Versuch Ernst Achenbachs, die FDP mit ehemaligen NS-Funktionären zu unterwandern.218 Wichtig an Bohles Rede ist, daß er, wenngleich im Schatten Hitlers, vor ihm in einer Angelegenheit öffentlich sprach, die von höchster politischer Bedeutung war. Wenden wir uns einem anderen Schauplatz zu. Mitte des Jahres 1936 spielten Bohle und seine AO eine wichtige Rolle im Spanischen Bürgerkrieg. Es ist das einzige Mal, daß EWB in Darstellungen der großen Politik mit ihren Hauptund Staatsaktionen erwähnt wird. Dabei kann man gut beobachten, wie selbst namhafte Historiker voneinander abschreiben, aber stets andere Akzente setzen. 217 Sabine Behrenbeck, Der Kult um die toten Helden. Nationalsozialistische Mythen, Riten und Symbole, Vierow b. Greifswald, 1996 (Kölner Beiträge zur Nationsforschung; 2), S. 443–444 (mit Hinweis auf den zum Thema gedrehten Dokumentarfilm „Echo der Heimat“, Folge 4, 1936, Koblenz, BArch, Filmarchiv, Nr. 619). Die Verfasserin zitiert aus den „Deutschland-Berichten der Sozialdemokratischen Partei“ vom Februar 1936: „Arbeiter, über den Eindruck befragt, antworteten, daß dies ein richtiger Klamauk wäre, den man da mit dem Toten mache. Von Kleinbürgern wurde die Meinung geäußert, daß dieser Vorfall den Machthabern ganz gelegen komme, damit könne man das Volk mal wieder aufrütteln“. 218 Wolfgang Diewerge, Der Fall Gustloff. Vorgeschichte und Hintergründe der Bluttat von Davos, München, 1936, S. 51–52 (Rede Bohles).
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Während das AA einen Neutralitätskurs steuerte, setzte sich Bohle auf Drängen seiner spanischen Landesgruppe für eine offene Unterstützung General Francisco Francos ein. Am 17. Juli 1936 war in Melilla (Spanisch-Marokko) eine Militärrevolte ausgebrochen, deren Führung Franco übernahm und die später von adligen Großgrundbesitzern, der Großbourgeoisie, Teilen des katholischen Klerus, Monarchisten und Falangisten unterstützt wurde. Sie griff rasch auf das Festland über. Die spanische Volksfrontregierung, die die Wahlen vom 16. Februar 1936 gewonnen hatte, bat die französische Volksfrontregierung unter Léon Blum und Moskau um Unterstützung, Franco wandte sich mit identischer Absicht an Hitler und Mussolini.219 Die beiden Diktatoren hatten keinerlei Interesse daran, daß sich an ihrer Westflanke sozialistische Regimes festsetzten. Erich Schnaus und Heinrich Rodatz von der spanischen Landesgruppe der AO hatten Franco bereits Waffen und Munition besorgt. Rodatz, Vertreter der Junkers Luftfahrtwerke in Spanien, war mit dem General befreundet und setzte alles daran, ihm auch zu Flugzeugen zu verhelfen, welche ihm fehlten. Am 22. Juli 1936 sandte Franco Johannes Bernhardt und Adolf Langenheim von der NSDAP-Ortsgruppe Tetuan nach Berlin, wo Bohle und Heß ihnen sofort eine Audienz bei Hitler und Göring verschafften, die in Bayreuth bei den Wagnerfestspielen weilten. Wolfgang Kraneck und Robert Fischer vom Rechtsamt der AO begleiteten die Emissäre nach Bayreuth, und auch Reichsaußenminister von Neurath eilte dorthin, um Hitler vor einer Intervention zu warnen. Seine Bemühungen waren vergebens: Göring (Luftwaffe), Blomberg (Kriegsminister) und Admiral Canaris (Abwehr) argumentierten zu Francos Gunsten und plädierten für eine deutsche Anerkennung der Junta in Burgos, die im Oktober erfolgte. Hitler konnte für sich in Anspruch nehmen, die Entscheidung allein getroffen zu haben, Zeichen seines gewachsenen Selbstvertrauens. Es wurde zudem beschlossen, daß die militärische Unterstützung Francos durch eine halboffizielle Handelsgesellschaft, die Hisma (Compañia Hispano-Marroquí de Transportes) abgewickelt werden sollte, die sozusagen zur Dependance von Bernhardts Exportfirma Rowak (Rohstoff- und Wareneinkaufsgesellschaft) in Sevilla erklärt wurde. Am 2. August 1936 begann die Hisma mit dem Transport rebellierender Truppen von Marokko nach Sevilla. Auch Flugzeuge, mehr als Franco erbeten hatte, wurden nach Spanisch-Marokko und Cádiz überführt. Der Legion Condor, deren Führung General Hugo Sperrle am 1. November übernahm und die 219 Der Vorgang wird zunächst beschrieben von Manfred Merkes, Die deutsche Politik gegenüber dem spanischen Bürgerkrieg 1936–1939, Bonn, 1961, S. 14 f. Danach von Jacobsen (1968), S. 422–424; McKale (1977), S. 102–105; Hans-Henning Abendroth, Deutschlands Rolle im Spanischen Bürgerkrieg, in: Manfred Funke (Hrsg.), Hitler, Deutschland und die Mächte. Materialien zur Außenpolitik des Dritten Reiches, Düsseldorf, 1978, S. 471–488, hier S. 472 f.; Alfred Kube, Pour le mérite und Hakenkreuz. Hermann Göring im Dritten Reich, München, 1986; Paul Preston, Franco. A Biography, London: Harper Collins, 1993, S. 159; Ian Kershaw, Hitler. Aus dem Englischen von Klaus Kochmann, München, 2002, Bd. 2: 1936–1945, S. 46–51.
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von diesem Zeitpunkt an ständig über 100 Flugzeuge verschiedener Typen und 5.000 Mann verfügte, war der Weg bereitet.220 Diese gemischte Luftwaffeneinheit griff später in entscheidende Gefechte des Spanischen Bürgerkriegs ein und erlaubte die Erprobung von neuem Kriegsgerät unter Einsatzbedingungen, so daß beide Seiten von diesem Deal profitierten. Bekannt wurde die Legion durch die völkerrechtswidrige Bombardierung und Zerstörung der baskischen Stadt Guernica. Der Flüchtlingsausschuß der AO organisierte die Rückführung von Hunderten von Spanien-Deutschen, die von den Kriegswirren betroffen waren. Der Importkaufmann Hans Hellermann in Barcelona, seit mehreren Jahren Parteigenosse, leitete den Hilfsausschuß für die Flüchtlinge, die gleichmäßig auf das Reich verteilt wurden. Die Ernennung General Wilhelm Faupels, seit dem 1. April 1934 Präsident des ,Ibero-Amerikanischen Instituts‘ (IAI) in Berlin und seit dem 20. November 1936 Geschäftsträger bei der spanischen Nationalregierung in Salamanca, zum deutschen Botschafter in Spanien (9. Februar 1937), ging ebenfalls auf Heß, Bohle und Köhn, den früheren AO-Leiter in Chile und Mitarbeiter im Propagandaministerium, zurück. Wenngleich Karl Schwendemann, ein Berufsdiplomat, Faupel zur Seite gestellt wurde, konnte Bohle über Faupel, Köhn und den Landesgruppenleiter Arthur Dietrich Einfluß auf die spanische Politik ausüben. Immer, wenn Faupel auf den Widerstand des AA stieß, schaltete er Bohle ein. Da er sein Amt jedoch allzu stark militarisierte221 und militärische Karten, die den Frontverlauf zeigten, statt diplomatischer Akten seinen Schreibtisch bedeckten, war ein Konflikt mit der spanischen Regierung vorprogrammiert. Faupel blieb nur ein halbes Jahr im Amt (bis 27. August 1937) und kehrte nach Berlin zurück.222 Eine Zeitlang waren Bohles Beziehungen zu Faupel und dem Berliner IAI sehr eng, dessen Empfänge EWB regelmäßig besuchte. Hier gab es Gelegenheit, die lateinamerikanischen Diplomaten, Ge220 Als die Legion im Juni 1939 nach Deutschland zurückkehrte, wurde sie von Bohle in Hamburg feierlich begrüßt, vgl. Gauleiter Bohle empfing die Stabsoffiziere der ,Legion Condor‘, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 7, S. 25. (Die beigefügte Abb. zeigt den spanischen Botschafter in Berlin, Antonio Magaz, Bohle und den Kommandeur der Legion, Generalmajor von Richthofen). Die RRG übertrug am 3.6.1939 diesen Empfang, vgl. Wiesbaden, DRA B003500658 (2955720). 221 Ein Schreiben (8.1.1937) Faupels an Bohle ist diesbezüglich aussagekräftig: Faupel bittet um baldige Entsendung deutscher Militärberater, die in Döberitz geschult wurden. Zwei davon müßten an den in Spanien verwendeten Feldkanonen 16 a. A. (7,7 cm) und 1.M.W.16.n.A. ausgebildet sein. Es sei sinnlos, spanische Dienstvorschriften nach Deutschland zu senden, da diese völlig veraltet seien (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 222 Oliver Gliech, Wilhelm Faupel. Generalstabsoffizier, Militärberater, Präsident des Ibero-Amerikanischen Instituts, in: Reinhard Liehr/Günther Maihold/Günter Vollmer (Hrsg.), Ein Institut und sein General. Wilhelm Faupel und das Ibero-Amerikanische Institut in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M., 2003 (Bibliotheca Ibero-Americana; 89), S. 131–280, hier S. 208–212 (ohne Hinweis auf Faupel und die AO).
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schäftsleute und sonstigen Besucher zu treffen, die in die Reichshauptstadt kamen. Bohle konnte Faupel und seine Frau zum Parteieintritt bewegen, als dieser am 1. Mai 1937 wieder möglich wurde.223 Auch mit Faupels Nachfolger Eberhard von Stohrer verstand sich Bohle gut. Sein spanischer Landesgruppenleiter Friedhelm Burbach schrieb ihm am 11. Juni 1938, Stohrer beherrsche die Landessprache, kenne die spanische Mentalität und sehe die Dinge realistisch. Allerdings werde es selbst nach einem Sieg Francos in Spanien nie eine innenpolitische Entwicklung wie in Deutschland und Italien geben, doch werde das Land vom Bolschewismus freigehalten.224 Der Kontakt zu Stohrer schlief nach Heß’ Englandflug ein,225 als Bohle eine Zeitlang der Mitwisserschaft verdächtigt wurde, so daß sich viele ehemalige Bekannte von ihm zurückzogen. Nun zu Österreich. Drei Wochen nach der IV. Jahrestagung der Auslandsdeutschen in Erlangen (s. u., Kap. II.9) reiste Bohle vom 23. bis 25. Oktober 1936 zur Erntedankfeier nach Wien. Sie wurde im Konzerthaus vom ,Bund der Reichsdeutschen in Wien‘ veranstaltet. Etwa 2.500 Personen waren gekommen, darunter der österreichische Bundesminister Edmund Glaise-(von) Horstenau sowie der deutsche Botschafter Franz von Papen. Glaise hat in seinen Erinnerungen angegeben, er habe nur unter der Auflage teilnehmen dürfen, daß er nicht mit erhobener Hand grüße, was er auch nicht getan habe. Stattdessen habe er sein EK I angelegt. von Papen habe ihn irrtümlich als „bayrischen Staatsminister des Innern“ begrüßt, was er geistesgegenwärtig mit „noch nicht“ quittiert habe.226 223 Bohle (6.5.1937) an Faupel: „Wie Sie wissen, ist die Partei jetzt wieder offen. Obwohl es sonst nicht üblich ist, möchte ich Ihnen von mir aus vorschlagen, Ihre Aufnahme in die Bewegung zu vollziehen und mir die beigefügte Aufnahme-Erklärung ausgefüllt zurückzusenden. Ich könnte mir denken, so wie ich Sie kenne, dass Sie nicht nach vierjährigem Bestehen des nationalsozialistischen Reiches noch nachträglich in die Partei eintreten möchten, um nicht als Nachläufer zu gelten. Sie werden mich aber gut genug kennen, um zu wissen, dass ich von mir aus einen solchen Schritt wie den heutigen nur dann tue, wenn ich weiss, dass der Betreffende schon längst durch die Tat Nationalsozialist ist und es sich deshalb nur um die äusserliche Bestätigung einer inneren Überzeugung handelt. Wir alle kennen Sie als Nationalsozialisten und wissen, dass sie zu den treuesten Gefolgsmännern des Führers gehören. Gerade der Botschafter bei der Spanischen Nationalregierung sollte auch äusserlich durch das Tragen des Hoheitszeichens als Nationalsozialist erkennbar sein. Ich halte es auch für unmöglich, dass die Italiener Botschafter haben, die nicht der Faschistischen Partei angehören“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238). Da der erste Antrag auf dem Postweg verlorenging, stellte Faupel am 25.5.1937 einen zweiten (ebd.). Vgl. auch Bohles Brief vom 3.9.1937 (ebd.), in dem er sein Bedauern darüber ausdrückt, daß Faupel nicht mehr den Botschafterposten in Salamanca bekleide. 224 Kopie Berlin, PA AA R 27238. 225 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0167–0168 („General Faupel and the Ibero-Amerikanisches Institut“). 226 Peter Broucek (Hrsg.), Ein General im Zwielicht: die Erinnerungen Edmund Glaises von Horstenau. Bd. 2: Minister im Ständestaat und General im OKW, Wien/ Köln/Weimar: Böhlau, 1983 (Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs; 70), S. 173; vor allem S. 547.
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Bohle hielt eine Rede, in der er die Geschlossenheit der Auslandsdeutschen in Wien lobte und betonte, daß das ,Deutsch-österreichische Abkommen über die Wiederherstellung freundschaftlicher Beziehungen‘ vom 11. Juli 1936 (,Juliabkommen‘)227 eine Garantie der deutschen Nichteinmischung enthalte. Das Gegenteil war der Fall, denn gerade dieses Abkommen, durch das mit Glaise-(von) Horstenau und Guido Schmidt zwei Vertrauensleute der nazinahen Opposition in die Regierung aufgenommen wurden, bereitete den ,Anschluß‘ vor. Deutlichere Worte als Bohle fand von Papen: Die österreichische Bundesregierung habe selbst in Zeiten stärkster Spannung immer wieder betont, daß Österreich ein deutscher, ja kerndeutscher Staat sei. Nachdem das Juliabkommen geschlossen worden sei, könnten die Herzen wieder öffentlich zueinander finden. Die Anwesenheit Glaise-(von) Horstenaus, des heimattreuen Österreichers und zugleich überzeugten Deutschen, habe Symbolfunktion. Österreich habe eine eigene Sendung im Donauraum, die durch die jahrhundertelange geschichtliche Entwicklung bedingt sei. Der „Zusammenschluß“ – der Begriff ist verräterisch genug, soll aber hier nur so viel wie „Zusammenarbeit“ bedeuten – der beiden deutschen Staaten werde von der Notwendigkeit zur Abwehr der Gefahren, die dem Werk des ,Führers‘, dem gesamten Deutschtum und der abendländischen Kultur von allen Seiten drohten sowie zur Verteidigung gegen den Bolschewismus diktiert. Bohle praktizierte zu diesem Zeitpunkt nach außen eine strikte Aufgabenteilung zwischen diplomatischer und parteilicher Tätigkeit, die er erst nach seiner Ernennung zum Staatssekretär aufgeben konnte. Gerade in Österreich befleißigte er sich allergrößter Zurückhaltung und überließ dem schwankenden Franz von Papen den Vortritt, der sich in Ergebenheit gegenüber dem ,Führer‘ und der NSDAP überbot, wenn man dem Bericht der Bundespolizeidirektion in Wien vom 26. Oktober 1936 an das Bundeskanzleramt und das Amt für Auswärtige Angelegenheiten trauen darf.228
227 Franz Müller, Ein „Rechtskatholik“ zwischen Kreuz und Hakenkreuz: Franz von Papen als Sonderbevollmächtigter Hitlers in Wien 1934–1938, Frankfurt a. M. [u. a.], 1990 (Europäische Hochschulschriften; III, 446), S. 271–327; Gabriele Volsansky, Pakt auf Zeit: das deutsch-österreichische Juli-Abkommen 1936, Wien/Köln/Weimar: Böhlau, 2001 (Böhlaus zeitgeschichtliche Bibliothek; 37). 228 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-1948. Dem Bericht ist ein nicht gezeichneter Aktenvermerk vom 28.10.1936 angehängt, offenbar vom Wiener Amt für Auswärtige Angelegenheiten. Darin wird Bohles Zurückhaltung als Taktik bezeichnet: „Wenn heute kulturelle und wirtschaftliche Abmachungen im Vordergrunde stünden, dann seien das lediglich taktische Mittel der aussenpolitischen Strategie des Nationalsozialismus. Es sei begreiflich, dass nicht jeder einzelne, ja sogar recht viele Parteigenossen das nicht verstehen könnten. Diesen müsse man immer wieder sagen, was den alten Kämpfern in Fleisch und Blut übergegangen sei, dass das, was der Führer billige, richtig sei. Mit dieser Feststellung seien auch die ihm wohl bekannten Verdächtigungen und Anwürfe seitens vieler und wertvoller Parteigenossen gegen die Tätigkeit von Papens erledigt“.
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Wenn Papen in seiner Vernehmung durch Bevollmächtigte des IMT in Nürnberg am 10. September 1946 Bohle als „eine unerfreuliche Figur des Systems“ schilderte, mit der er in ständigem Kampf gelegen habe, weil dieser versucht habe, ihn wegen seiner delikaten Position in der Partei weiter zu schwächen, gibt es dafür keinen anderen Grund als den, sich selber zu entlasten. Papens Vorwürfe sind allgemeiner Art: Bohle habe eine schlechte Personalpolitik betrieben und Experten durch junge Parteileute, meist Nichtskönner, ersetzt. Er, Papen, habe daher zuerst in Wien und später in Ankara einen ernsten, langen Konflikt mit der AO gehabt. Was Wien angeht, nennt er Bohles Verbot an die Reichsdeutschen, die von ihm organisierten Vorträge des ,Europäisch-deutschen Kulturbundes‘ zu besuchen, weil die Sekretärin des Kulturbundes Jüdin gewesen sei.229 Im Vorfeld der Erntedankfeier war Bohle von Außenminister (Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten) Dr. Guido Schmidt empfangen worden, den man wegen seiner Deutschfreundlichkeit schon bald den „österreichischen Judas“ nannte.230 EWB erreichte, daß die AO für die in Österreich lebenden 1.200 Reichsdeutschen zugelassen wurde, während die österreichische NSDAP ,illegal‘ blieb.231 Ende November kam Schmidt als Beauftragter der österreichischen Regierung nach Berlin, um anstehende wirtschaftspolitische Fragen zu erörtern. Gleichzeitig wurde das Juliabkommen ausgestaltet. Das Hissen der deutschen Flagge, das Tragen des Parteiabzeichens und vor allem die Rückkehr österreichischer Nazis, die sich nach Deutschland abgesetzt hatten, wurden geregelt, nachdem Bohle bei seinem Besuch entsprechende Vorarbeit geleistet hatte.232 Bohle war noch am Abend des 22. Oktobers vom Wiener Südbahnhof nach Rom weitergefahren. Diese wichtige Reise führte ihn auf Einladung der Auslandsorganisation der Faschistischen Partei Italiens erstmals in die Ewige Stadt, wo er mehrmals von Mussolini empfangen wurde. Er konnte dem Duce den 229 „Vernehmung des Franz von Papen (in Gegenwart eines Anwalts) vom 10.9.1946, 14.00–16.00 Uhr, durch Mr. Fehl und Mr. Peiser. Weitere Anwesende: Mr. King und Mr. Beauvais. Stenograph: Herr Simon, Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Fotok. Dokumente, NO-165, S. 12–16. 230 Der Hochverratsprozeß gegen Dr. Guido Schmidt vor dem Wiener Volksgericht: die gerichtlichen Protokolle mit den Zeugenaussagen, unveröffentlichten Dokumenten, sämtlichen Geheimbriefen und Geheimakten, Wien: Verl. der Österr. Staatsdruckerei, 1947. 231 McKale (1977), S. 106; NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0074. 232 Vgl. einen langen Vermerk des AA (Berlin, 11. November), der in Kopie an das Innen-, Justiz-, Propaganda- und Wissenschaftsministerium, den Beauftragten des Führers für Wirtschaftsfragen Keppler, die AO, das Flüchtlingshilfswerk der NSDAP, das Hilfswerk Nordwest, die Gestapo und das Büro von Kursell weitergeleitet wurde (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4152). Einzelheiten auch bei Jürgen Müller (1997), S. 285–291. Der Verf. erwähnt Bohle nicht.
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neuen Landesgruppenleiter der AO, Erwin Ettel, vorstellen, der kurz zuvor zum Legationssekretär an der Deutschen Botschaft ernannt worden war.233 In einem Vieraugengespräch ging es um die wechselseitige Einschätzung des British Empire. Bohle warnte Mussolini, die Briten und ihre Empfindlichkeit wegen der Abessinien-Frage nicht zu unterschätzen.234 Durch Bohles Besuch erhielt die AO in Italien die offizielle Rückendeckung der Behörden, so daß sie fortan in der deutschen Kolonie nach Belieben schalten und walten konnte. Darunter hatten vor allem die jüdischen Emigranten zu leiden. Die Verbesserung der deutsch-italienischen Beziehungen war nicht zuletzt der staatlichen Toleranz den italienischen Fasci in Deutschland gegenüber geschuldet, die ungehindert agieren durften. Bereits im Februar 1936 war der italienischen Landesgruppe der AO das Zeigen von Parteiabzeichen, -emblemen und -uniformen in geschlossenen Veranstaltungen der deutschen Kolonie gestattet worden, wovon SA- und SS-Uniformen vorläufig noch ausgenommen waren. Bohle hatte im Juli das Berliner Haus des Fascio (Viktoriastraße 35) besucht und die Bindungen zwischen beiden Organisationen bekräftigt.235 9. Die Reichstagungen der Auslandsorganisation Die Reichstagungen der Auslandsorganisation waren sozusagen „kleine Reichsparteitage“, die alljährlich minutiös vorbereitet wurden. Programmatische Entscheidungen konnten nur von Bohle persönlich gefällt werden. Diese Tagungen dienten den Vertretern des Auslandsdeutschtums als Treffpunkt und waren zugleich eine Heerschau derjenigen Auslandsdeutschen, die die weite Reise nicht scheuten. Für sie war es eine Gelegenheit, einmal persönlich mit der Gauleitung zu sprechen, da die Kommunikation ansonsten mühsam war und sich vor allem die unteren Ränge im Ausland alleingelassen fühlten. Die Abhaltung der Reichstagungen mußte vom Propagandaministerium genehmigt werden, das auch die Kosten für Werbematerial (Programme, Broschüren, Abzeichen) bezahlte.236 Die Veranstalter vor Ort organisierten ein buntes Programm, in dem 233 Vgl. Bohles Schreiben (Berlin, 11.8.1937) an Lammers, mit welchem er bittet, den LGL des Fascio in Deutschland, Della Morte, nebst Gefolge zum Jahrestreffen der AO nach Stuttgart einladen zu dürfen, nachdem er „in Italien im letzten Jahr von der Auslands-Organisation der Faschistischen Partei in überaus herzlicher Form aufgenommen und mehrfach von Mussolini empfangen“ worden sei (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 3806). 234 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0073. Vgl. auch den Film „Echo der Heimat 4“ (aus: Ein Tatsachenbericht aus Deutschland 5, 1936, DVD 11; Auktion Starhammer 125020 „Kultur- & Dokumentarfilme des Dritten Reiches 1933–44“). 235 Klaus Voigt, Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933–1945, Bd. 1, Stuttgart, 1989, S. 68, 84, 490, 495. 236 Vgl. Bohles Antrag (11.11.1937) für die Genehmigung der V. Reichstagung in Stuttgart (Kopie Berlin, PA AA R 27238); ebd. Bohle (30.9.1936) an Walther Funk, damals noch nicht Reichswirtschaftsminister, sondern Staatssekretär im Propaganda-
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sich Reden, Arbeitstagungen, Aufmärsche, Appelle, Ausstellungen, Feuerwerk, Umzüge, Fahnenweihen, Platzkonzerte, Filmvorführungen,237 Zapfenstreiche, Stadtführungen, Besichtigungen, Ausflüge und Bälle abwechselten und Volksfestatmosphäre herrschte. Zwar ging es etwas bescheidener zu als bei den Nürnberger Reichsparteitagen, doch dürfte das kritische Urteil der Auslandspresse, die die Reichsparteitage als „den größten Jahrmarkt der Braunhemden“, „The World’s Greatest Political Show“ oder auch „Geprobte Mobilmachung, Possenreißerei und Rattengekreisch“ nannte,238 mit gewissen Abstrichen auch auf die Reichstagungen der AO zutreffen. Die aufgezeichneten Rundfunkberichte, die eine Auswahl der wichtigsten Reden und Manifestationen bieten, lassen an eine Mischung aus Landsmannschaftstreffen und Volksfest denken. Die erste Reichstagung fand am 31. August 1933 noch im Rahmen des Nürnberger Parteitags, des sog. „Reichsparteitags des Sieges“, der ersten Veranstaltung dieser Art überhaupt, statt.239 Ab 1935 verselbständigte sich die Veranstaltung der AO. Ihr Termin wurde jedoch stets unmittelbar vor den des Reichsparteitags der NSDAP in Nürnberg gelegt, so daß Interessenten ohne großen Aufwand beide Veranstaltungen besuchen konnten. Ab 1934 wurde das Nürnberg benachbarte Erlangen als Treffpunkt ausgewählt, da Nürnberg überfüllt war. Auch die III. Reichstagung 1935 (6. bis 9. September)240 und die IV. 1936 (2. bis 7. September)241 fanden in Erlangen statt, die V. 1937 in Stuttgart (29. August bis 5. September),242 die VI. 1938 abermals in Stuttgart (28. Auministerium. Für den Druck von 5.000 Exemplaren des Erinnerungsheftes der IV. Reichstagung in Erlangen wurde eine Gesamtsumme von RM 3.000 benötigt. 237 Die AO ließ 1937 einen Film herstellen, „Fern vom Land der Ahnen“. Der Titel ist dem sog. Lied für Auslandsdeutsche, einem schlichten Text von Julian Will, entnommen, dessen erste Strophe lautet: „Fern vom Land der Ahnen / gehen wir durch die Welt, / unter tausend Fahnen, / wie es uns gefällt. / Ist uns auch entschwunden / unsrer Ahnen Land, / hält uns doch verbunden / deutschen Blutes Band“. Regie führte der damals in Buenos Aires lebende Dokumentarfilmer Gerhard Huttula. Teile des Films wurden, von Ciril Vider bearbeitet, in einer Kollage des ZDF 1982 gezeigt, vgl. Lexikon des internationalen Films. Hrsg. vom Katholischen Institut für Medieninformation (KIM) und der Katholischen Filmkommission für Deutschland, Reinbek 1995, S. 1563–1564. Vgl. auch Andrea Brüstle, Das Deutsche Ausland-Institut und die Deutschen in Argentinien 1933–1945, Berlin, 2007 (Deutsch-Lateinamerikanische Forschungen; 3), S. 52–53. 238 Vgl. Friedrich Kiessling/Gregor Schöllgen, Bilder für die Welt. Die Reichsparteitage im Spiegel der ausländischen Presse, Köln/Weimar/Wien, 2006 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte; 61). 239 Domarus, Bd. 1, 1 (1932–1934), S. 296–299. 240 Vgl. Arbeitstagung der Politischen Leiter/Auslands-Organisation der NSDAP, Erlangen 6.–9. September 1935, darin vor allem: Ernst Wilhelm Bohle, Aus der Entwicklung der AO, S. 7–16. 241 Das Neue Deutschland grüßt die auslandsdeutschen Nationalsozialisten: IV. Reichstagung der Auslandsdeutschen, Erlangen, 2.–7.9.1936, Berlin, 1936. 242 V. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart, Auslandsorganisation 1937; Worte an die Auslandsdeutschen zur 5. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stutt-
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gust bis 4. September),243 die VII. und letzte 1939 in Graz (25. August bis 1. September).244 Über die erste Reichstagung, zu der 300 Auslandsdeutsche erschienen waren, sind nur spärliche Unterlagen erhalten. Über Bohles grundlegende Rede „Zukunftsaufgaben der Auslands-Abteilung der NSDAP“ wurde bereits berichtet (s. o., Kap. II.1). Sie wurde im Prunksaal des Nürnberger Rathauses gehalten und bildete den Rahmen für die Weihe der Fahnen der Ortsgruppen Rio de Janeiro, São Paulo, Bahia, Victoria und Nova Friburgo.245 Für die II. im darauffolgenden Jahr, die wiederum in den Reichsparteitag eingebettet war, liegt nur ein Bericht des „Völkischen Beobachters“ vor.246 Die AO-Leitung hatte ihr Tagungsbüro in der Nürnberger Altstadt am Hindenburgplatz aufgeschlagen. Angeblich waren diesmal 3.000 Auslandsdeutsche angereist. Bohle hielt eine Rede, in der er die großen Opfer, die die Teilnehmer auf sich nehmen müßten, hervorhob. So hätten deutsche Bergarbeiter aus dem Limburger Kohlegebiet (Niederlande) drei Feierschichten eingelegt, um per Bus nach Nürnberg zu gelangen. Die Auslandsdeutschen seien sicherlich die dankbarsten Gäste des Treffens. Die Weihe von 80 Fahnen diverser Ortsgruppen bildete abermals den para-liturgischen Höhepunkt der Veranstaltung. Die Rede gart, 29. August bis 5. September 1937, [s. l.]: [s. n.], 1937 [Auszug aus: Der Auslandsdeutsche Jg. 20, 1937, H. 10, Beil. (Enthält Reden von Gauleiter Bohle, Rudolf Heß, Frh. v. Neurath, Generaloberst Göring u. Dr. Goebbels)], dort auf S. 632–636 eigener Tagungsbericht; Stuttgarter Exportmusterschau anläßlich der 5. Reichstagung der Auslandsdeutschen: Amtlicher Führer durch die Musterschau; Gewerbehalle Stuttgart vom 28. Aug. bis 8. Sept. 1937 unter der Schirmherrschaft v. Reichsstatthalter u. Gauleiter Pg. Wilhelm Murr. Die Stadt der Auslandsdeutschen Stuttgart unter Mitwirkung des Gauwirtschaftsberaters und der Außenhandelsstelle für Württemberg und Hohenzollern, Stuttgart-W.: K. W. Munz, 1937; Berliner Illustrierte Zeitung 46. Jg., Nr. 36, 9. September 1937, S. 1306–1340: „Die V. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart: Der Stellvertreter des Führers, Reichsminister Rudolf Heß, begrüßt in der Stadthalle zu Stuttgart die Witwe Wilhelm Gustloffs (mit Abb.); Gauleiter Bohle ehrt die Toten der Auslandsorganisation und verliest eine Treuekundgebung an den Führer, die von den vielen Zehntausenden jubelnd bestätigt wird (mit Abb.)“. 243 Großdeutschland und Auslands-Deutschtum. VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1938, Auslandsorganisation der NSDAP, Berlin: Fritzsche-Ludwig KG, [1938]. Vgl. auch Filmdokumente zur Zeitgeschichte, Göttingen: Institut für den wissenschaftlichen Film G 49/1960: „Aus der Schlußansprache des Ministers Goebbels zur VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart: 28. Aug.–4. Sept. 1938, 1964; Friedrich Grimm, Politischer Mord und Heldenverehrung: Vortrag, gehalten auf der Arbeitstagung des Reichsamtes der Auslandsorganisation der NSDAP; aus Anlass der sechsten Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart am 27. August 1938, Berlin, 1938. 244 VII. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Graz, Berlin: Fritzsche-Ludwig KG, [1939]. 245 Bohle (Hamburg, 22.7.1933) an den Stabsleiter der P.O., Pg. Dr. Ley, Hotel Reichsadler, München (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]). 246 3.000 auslandsdeutsche Parteigenossen erleben Nürnberg – 400 Ortsgruppen und Stützpunkte aus aller Welt auf dem Parteitag vertreten, in: VB 8.9.1934, S. 5.
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Bohles bestand aus grundsätzlichen Bemerkungen zu Schwierigkeiten der Aufbauarbeit und Fernzielen einer Auslandsorganisation. Von der III. Tagung erfahren wir indirekt aus den Reihen des VDA. Die Landesleiterin für Mecklenburg, Marta Müller, schrieb am 20. September 1935 aus Rostock an Regierungsrat Dr. Karl Maßmann von der Bundesleitung des VDA, Bohle habe vor 4.000 politischen Leitern aus dem Ausland unter tosendem Beifall der Versammlung gegen den VDA polemisiert. Die Verächtlichmachung des VDA habe sich wie ein roter Faden durch alle Besprechungen hindurchgezogen, ohne daß eine Gegenmeinung laut geworden sei.247 Bohle habe Steinacher zum Reichsfeind Nr. 1 erklärt und dem VDA „Kampf bis aufs Messer“ geschworen.248 Wichtiger scheint in diesem Jahr jedoch die Sonderkundgebung des Auslandsdeutschtums im Rahmen des Nürnberger „Reichsparteitags der Freiheit“ gewesen zu sein, auf der Bohle am 13. September im Nürnberger Apollotheater eine flammende Rede mit dem Titel „Das Auslandsdeutschtum geschlossen hinter Adolf Hitler!“ hielt.249 Bohle verkündete stolz weitere Erfolge seiner Aufbauarbeit. Er sprach das zwar nicht aus, aber er fühlte sich deutlich als auslandsdeutscher ,Führer‘, der die gleiche Sisyphusarbeit zu leisten habe wie Adolf Hitler im Inneren des Deutschen Reiches. Die Auslandsdeutschen seien endlich aufgewacht, ein großer Teil von ihnen bekenne sich zum Nationalsozialismus. Die Einigkeit und Geschlossenheit aller seien greifbar nahe. Dieses Ergebnis sei jedoch nicht nur mit kühlem Verstand, sondern vor allem mit aufrüttelndem Aktivismus anzusteuern. „Unser Ziel ist erst dann erreicht, wenn jeder einzelne Deutsche draußen derartig von der nationalsozialistischen Weltanschauung innerlich gefangen gehalten ist, daß er niemals sein Deutschtum vergessen kann“ (S. 13). Dazu sei es nötig, den Gau Ausland mutatis mutandis wie einen deutschen Reichsgau auszugestalten und zu verwalten. Im übrigen gebe es für die Auslandsdeutschen nur noch eine Wahl, die sich mit der deutschen Situation vom 30. Januar 1933 vergleichen lasse: „Hitler-Deutschland oder bolschewistisches Chaos. So wie das Reich Bollwerk ist gegen bolschewistische Zersetzung und Weltvergiftung, so wird auch der Auslandsdeutsche seinem Führer zum Wohle der Menschheit Gefolgschaft leisten“ (S. 20). Bohle sprach zwanzig Minuten lang und schloß, es könne keine andere Bewegung geben als die nationalsozialistische, die allein den von der Heimat getrennten Deutschen zu befriedigen vermöge. Über die IV. Tagung in Erlangen 1936, die auf dem festlich geschmückten Puchta-Platz (heute Langemarck-Platz) stattfand, berichtete abermals der „Völ247
Jacobsen, Hans Steinacher, S. 319. Ebd., S. 332. 249 Abgedruckt in: Wir Deutsche in der Welt. Hrsg. von dem Verband Deutscher Vereine im Ausland e. V., Berlin, 1935, S. 9–20. Vgl. den Tonmitschnitt Wiesbaden, DRA B0048921270 (2590296). Die Eröffnungsworte sprach Stabsamtsleiter Bernhard Ruberg. Hitler wurde von Bohle persönlich begrüßt. 248
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kische Beobachter“250 und brachte Bohles Rede in Auszügen. Sie ist sehr allgemein gehalten und strotzt von Klischees, die sich in den folgenden Reden wiederfinden: Dank an den ,Führer‘, Gedenken der Blutzeugen der AO, vor allem Gustloffs, dem zu Ehren Erlangen eine Straße (heute: Theodor-Klippel-Straße) benannt habe, Beschwörung der Einheit des Auslandsdeutschtums. Der Nationalsozialismus habe die innere Zerrissenheit der Auslandsdeutschen überwunden, denn letztlich sei der Deutsche überall Deutscher: „Wer sich zum Reich bekennt und den Schutz dieses neuen Reiches genießt, muß ein Gefolgsmann unseres Führers sein“. Auffällig ist die Wir-Form, die alle Anwesenden, ob sie wollen oder nicht, mit einbezieht. Bohles Reden sind, wie die des Durchschnitts der nationalsozialistischen Führungskader, repetitiv. Sie sollen nichts Neues mitteilen, sondern dienen der ständigen Selbstvergewisserung. Dabei bestand sicherlich Informationsbedarf. Da hier Vertreter von über 400 Ortsgruppen aus allen Ecken der Welt zusammenkamen, wären ausführliche Länderberichte oder Hinweise auf außerordentliche Ereignisse im abgelaufenen Jahr durchaus willkommen gewesen. Auch die z. T. sehr aufwendig gedruckten und opulent bebilderten Berichte, die für einen geringen Preis vertrieben wurden, setzen zwar jeden halbwegs prominenten NS-Führer ins Licht und bringen seine Reden ganz oder in Auszügen, doch über das Leben der Auslandsdeutschen und ihre Arbeit vor Ort wird nur selten informiert. Das Auslandsdeutschtum diente offenbar als Staffage, um den Parteiführern jeglicher Couleur Gelegenheit zur Selbstinszenierung zu bieten. Immerhin ergriff der deutsche Konsul in Salzburg und inoffizielle Landesleiter für Österreich, Hans Bernard, auf der IV. Tagung das Wort und warb für die AO.251 Der Oberste Parteirichter der NSDAP, Reichsleiter Walter Buch, Himmlers Schwiegervater, referierte über „Recht, nicht Juristenrecht, sondern Lebensrecht; Recht, dass das deutsche Volk lebt“. Seine Ausführungen wurden vom Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, Dr. Walter Gross, ergänzt, der die Ziele der Rassenpolitik des ,Dritten Reiches‘ erläuterte.252 Ansonsten ist zu dieser Tagung zu bemerken, daß Bohle Himmlers Stellvertreter, den Polizeigeneral Kurt Daluege, um eine Grußadresse bat, die dieser auch beisteuerte.253 Es ist dies die erste dokumentierte Zusammenarbeit 250 Bedingungslose Treue zur Nation. Gauleiter Bohle vor den Auslandsdeutschen, in: VB 256, 12.9.1936, S. 9. 251 Vgl. den Bericht (19.1.1937) des österreichischen Botschafters in Berlin, Stephan Tauschitz, an Staatssekretär Dr. Schmidt über seinen Besuch bei Bohle, dessen Gegenstand die Rolle Bernards und seine eventuelle Ablösung bildete. EWB betonte, Bernard sei für die österreichische Regierung nur Ansprechpartner in konsularischen Fragen und habe sich als Parteimann allein um Reichsbürger zu kümmern. Im übrigen sei Dr. Schmidt über seine Ernennung im Bilde gewesen (Kopie Nürnberg, StA KVAnlage Dok. Fotok., NG 1994). 252 IV. Reichstagung der Auslandsdeutschen Erlangen 1936, in: Der Trommler 5, 1936, H. 91, S. 20–23. 253 „Vertreter unserer Weltanschauung außerhalb der Reichsgrenzen zu sein, häufig inmitten einer fremden Welt des Hasses und der Mißgunst, das erfordert einen ganzen
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zwischen AO und SS. Auch Alfried Krupp, mit dem Bohle 1949 gemeinsam in Landsberg einsaß, wurde um ein Grußwort gebeten, das er am 22. Juni lieferte. Er verglich das Auslandsdeutschtum mit einem zarten Pflänzchen, welches man nicht aus dem mütterlichen Boden der deutschen Bluts- und Volksgemeinschaft herausreißen dürfe.254 Da mehrere Führungspersonen der AO von Hause aus Kaufleute waren, was in gewisser Weise die Zusammensetzung der Landesgruppen widerspiegelte, dürfte Bohle über das Amt Seefahrt, die DAF der AO sowie das Außenhandelsamt enge Beziehungen zur deutschen Wirtschaft geknüpft und sie tatkräftig beim Export unterstützt haben. Im Vorfeld der IV. Jahrestagung hatte Bohle am 22. August 1936 mitsamt seiner engeren ,Gefolgschaft‘ dem DAI in Stuttgart einen Besuch abgestattet und alle Abteilungen des Instituts und das ,Ehrenmal der deutschen Leistung im Ausland‘ kennengelernt. Anlaß war eine Tagung der Auslandslehrer, an der er teilgenommen hatte. In einer Rede ging EWB auf Strölin als Stuttgarter Oberbürgermeister und DAI-Präsidenten zu und begrüßte die enge und freundschaftliche Zusammenarbeit zwischen AO und DAI, die noch vertieft werden solle. Beider Ziel sei die Schaffung und Erhaltung eines nationalsozialistischen Auslandsdeutschtums, „das unerschütterlich zu Adolf Hitler und seiner Bewegung steht“.255 Strölin fuhr jedoch schon bald zweigleisig. Csaki und er machten SS-Obergruppenführer Lorenz am 23. April 1937 ihre Aufwartung und boten der ,Volksdeutschen Mittelstelle‘ hinter Bohles Rücken die Dienste des DAI an. Sie hatten langfristig Erfolg, denn 1938 wurden sämtliche regionalen Forschungsstellen, die sich mit der Abstammung von Ausgewanderten beschäftigten, der Hauptstelle für Sippenkunde des DAI zugeordnet.256 Strölin bemühte sich auch um ein gutes Verhältnis zum AA, zu Rosenbergs APA, zur Dienststelle Ribbentrop, zum Reichskolonialbund und zur Wehrmacht. Möglich, daß Bohle von diesem Doppelspiel erfuhr und Gegenmaßnahmen traf. Die V. Jahrestagung der AO wurde 1937 in Stuttgart durchgeführt (Abb. 2).257 Die Stadtverwaltung ließ sich die erste von der ,Stadt des Auslandsdeutschtums‘ auszurichtende Jahrestagung mehr als RM 150.000 kosten. Den Gästen sollte etwas Besonderes geboten werden. Sechs Kastanienbäume und der MusikpavilMann! – Sich mit Umsicht und Tatkraft verteidigen gegen alle böswilligen Verleumdungen, sich durch nichts, weder durch nackten Terror noch durch Lüge und Hetze, in der Arbeit beirren lassen und endlich Kämpfer sein auf vorgeschobenem Posten für unser Deutschtum, das ist ein Kampf der Besten unseres Volkes wert“ (Berlin, 23.6. 1936) (Kopie Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm). 254 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NI-9137. 255 Der Auslandsdeutsche 19, H. 10 (Oktober 1936), S. 744. Diese Aussagen stehen in Widerspruch zu den Angaben, die Bohle den amerikanischen Verhörspezialisten gegenüber machte (s. u., Kap. III.1). 256 Ritter, S. 69 u. 84. 257 Vorläufiges und definitives Programm in: Berlin PA AA R 27270.
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lon vor dem Neuen Schloß mußten weichen, um für die AO einen würdigen Aufmarschplatz zu gestalten. Es herrschte ein großer Andrang an Rednern, so daß Bohle nicht alle Wünsche erfüllen konnte.258 Die Liste reichte von Heß über Himmler und Ley bis hin zu Rosenberg und Schirach; auch Stuttgarts Ehrenbürger Reichsaußenminister von Neurath fehlte nicht. Die Stadt geriet in einen materiellen Engpaß und hatte alle Mühe, während der Tagung eine ausreichende Lebensmittelversorgung zu garantieren. Bohle traf einige Tage vor Beginn in Stuttgart ein, um die letzten Vorbereitungen vor Ort zu überwachen. Er überreichte Strölin am 25. August eine Amtskette mit der Gravur: „Dem Oberbürgermeister der Stadt der Auslandsdeutschen gewidmet vom Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Gauleiter Bohle, im vierten Jahr der Regierung Adolf Hitlers“. Strölin revanchierte sich bei der Eröffnungsveranstaltung in der Stuttgarter Stadthalle mit der Ehrenplakette der DAI. Bei der Tagung selber jagte ein Event den nächsten. Die Stadt präsentierte sich in einem Meer von Fahnen, zahlreiche Gruppen von Auslands- und Volksdeutschen strömten zusammen. Am 29. August sprachen Heß, Neurath und Bohle in der Adolf-HitlerKampfbahn (später Neckarstadion, heute Gottlieb-Daimler-Stadion), einen Tag später Ley in der Stadthalle. Am 1. September trat Himmler vor den Auslandsdeutschen in der Liederhalle auf, während Baldur von Schirach in der Stadthalle zur HJ sprach. In der neuerbauten provisorischen Schwabenhalle auf dem Cannstätter Wasen fand am 2. September eine Großkundgebung mit Göring statt, dem am 4. September SA-Stabschef Lutze und Reichssportführer von Tschammer und Osten folgten. Hauptredner bei der Abschlußkundgebung im Hof des Neuen Schlosses war Goebbels, der sich in einen wahren Rederausch hineinsteigerte: Er habe vor 200.000 Menschen gesprochen, sehr drastisch und radikal. Er habe den Engländern eins ausgewischt, und der Hieb habe gesessen.259 Die Stuttgarter Offiziellen stöhnten über diese vielen Auftritte, doch insgesamt war die Bilanz für ihre Stadt positiv. Noch nie war so viel NS-Prominenz nach Stuttgart geströmt.260 Diesmal durften die Landesgruppenleiter von Italien (Ettel), Portugiesisch-Westafrika (Kisker), Britisch-Indien (Urchs), Uruguay (Felix Schmidt), Dänemark (Schäfer), Palästina (Schwarz) und Luzern (Ahrens) von ihrer nicht immer leichten Arbeit berichten (Abb. 4).261 Zu Ehren Gustloffs 258 Wiesbaden, DRA 2590316 (zusammenfassender Bericht von 81’32” mit ausgewählten Höhepunkten der Tagung). 259 Goebbels TB 6.9.1937 (alte Ausg. Bd. 3, S. 255). 260 Alle Details nach Roland Müller (1988), S. 225–226 (mit Bezug auf Stuttgart, HStA E 130 IV. Bü. 1399. Fasz. V. Reichstagung der AO./Bl. 15 bzw. HA 002. Bd. 7/Bl. 31: Besprechung Bohles mit Strölin in Anwesenheit von Könekamp und Csaki). Vgl. auch: Was soll die Partei bei den Auslandsdeutschen. Dr. Goebbels scharf gegen die Spionagemärchen, in: Der Angriff 7.9.1937; Germania Nr. 247, 6.9.1937; VB 6.9.1937 (alle Belege Berlin, BArch R 187/294 [Sammlung Schumacher]). 261 V. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1937, unpaginiert [Mitte des Heftes, linke Seite]. Zu den einzelnen Landesgruppen s. o., Kap. II.6.
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wurde der Bau eines „Wilhelm-Gustloff-Heimes für auslandsdeutsche Kinder“ geplant, das Gustloffs Witwe Hedwig, die Bohle für das goldene Ehrenzeichen der NSDAP vorgeschlagen hatte, leiten sollte. Sie konnte sich jedoch nicht von Stettin trennen.262 Für die Charakterisierung von Bohles Reden aus Anlaß der Reichstagungen eignet sich besonders die Rede der V. Tagung vom 29. August 1937.263 EWB begann wie so oft mit der „Parteierzählung“ der AO. Wesentliche Impulse zu ihrer Sammlung seien vom Ausland ausgegangen. Ohne die Idee des ,Führers‘ von einer alle Deutschen umfassenden Einigung hätte das Werk nicht gelingen können. Endlich gebe es keinen Unterschied mehr zwischen den Deutschen im Inland und ihren Landsleuten im Ausland. Daraus folge, daß alle Auslandsdeutschen überzeugte Nationalsozialisten werden müßten, weil alle Deutschen im Reich sich dem ,Führer‘ angeschlossen hätten und Deutschland ein Einparteienstaat sei. Die Begriffe „Deutscher“ und „Nationalsozialist“ seien längst identisch. Wenn sich ein Deutscher im Ausland als Nicht-Nazi bezeichne, werde man ihn nicht mehr ernst nehmen. Es sei also nur folgerichtig, wenn die NSDAP auch im Ausland alle Deutschen unter ihrem Dach versammle. Dabei handele es sich jedoch um einen freiwilligen Zusammenschluß, der nur die dort lebenden Deutschen angehe. Keineswegs sei daran gedacht, die Einheimischen zu indoktrinieren. Es sei völlig abwegig, die deutschen Parteigenossen im Ausland als Nazi-Agitatoren, Spione, Agenten der deutschen Geheimpolizei oder gar als ,Fünfte Kolonne‘ zu bezeichnen. Aufbau und Organisation der NSDAP im Ausland lägen klar und offen zutage. Es sei allen auslandsdeutschen Nationalsozialisten strengstens untersagt, sich in die inneren Angelegenheiten ihrer Gastländer einzumischen. Entsprechende Presseberichte entbehrten jeglicher Grundlage und sollten nur dazu dienen, die Auslandsdeutschen zu diskreditieren oder Unfrieden zwischen ihnen und den Einheimischen zu stiften. Ausländer, die in Deutschland lebten, genössen identische Freiheiten und könnten sich versammeln wo, wie und zu welchem Zweck auch immer sie dies tun wollten. Es sei eine allgemein anerkannte Pflicht, daß sich einzelne Nationen um ihre im Ausland lebenden Angehörigen kümmerten. Die Deutschen täten nichts anderes. 262 Vgl. die entsprechende Korrespondenz vom April/Mai 1937 (Kopie Berlin, PA AA R 27238). Desgl. Bohle (21.9.1936) an Strölin (Original Stuttgart, STA Bestand 13, Bü 79). 263 Rede aus Anlaß der Tagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart, 29. August 1937, abgedruckt in: Deutsches Nachrichtenbüro. Erste Morgen-Ausgabe, 4. Jg. 1937, Berlin, Montag, 30. August, Nr. 1157–1159; auch gedruckt als: Worte an die Auslandsdeutschen zur V. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart 29. August bis 5. September 1937, in: Der Auslandsdeutsche, 20. Jg., 1937, mit eigener Paginierung 1–8 zw. S. 630 und 631; nachgedruckt in: National Socialism. Basic Principles, their application by the Nazi Party’s Foreign Organization, and the use of Germans abroad for Nazi aims, by Raymond E. Murphy, Washington: Government Printing Office, 1943 (Department of State publication/United States; 1864), S. 321–344, hier S. 324– 331.
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Das faschistische Italien unterhalte bereits seit sechzehn Jahren eine Auslandsorganisation.264 Das gelte auch für Großbritannien, die Schweiz oder Polen, um nur einige Beispiele von vielen zu nennen, die Bohle im November 1937 durch eine systematische Umfrage bei allen deutschen Botschaften und Gesandtschaften hatte ermitteln lassen.265 Insofern fordere er für die Auslandsorganisation nichts anderes, als was andere Nationen besäßen und was ihnen anstandslos zugebilligt werde. Die friedlichen Absichten der Auslandsdeutschen ließen sich daran ablesen, welche Aufbauleistungen sie in ihren Gastländern erbracht hätten. Deswegen solle ihre Bespitzelung schleunigst eingestellt werden. Die Auslandsdeutschen stellten in jedem Gastland einen Stabilitätsfaktor dar. Sie würden niemandem zur Last fallen, denn es gebe entsprechende deutsche Hilfsorganisationen, z. B. das Winterhilfswerk (WHW), ,Kraft durch Freude‘ (KdF) oder Rückführungsausschüsse. Im übrigen habe es schon immer Auswanderungen gegeben. Die Auswanderer seien die geborenen Brückenbauer zwischen den Nationen. Es sei „unfair“, den Auslandsdeutschen ihre Loyalität gegenüber der Heimat und der NSDAP vorzuwerfen. Ein derartiges Verhalten werde auch von Adolf Hitler, dem ,Führer‘ aller Deutschen, eingefordert. Die Deutschen seien keine Pangermanisten. Sie hätten keinen sehnlicheren Wunsch, als in Ruhe und 264 Am 11.8.1937 hatte Bohle über Lammers beim ,Führer‘ anfragen lassen, ob er den LGL der italienischen Faschisten in Deutschland, Della Morte, mit anderen Faschisten zur Teilnahme an der Reichstagung einladen dürfe, nachdem er im letzten Jahr von den Fasci all’Estero so herzlich in Rom empfangen worden sei. Lammers reichte das Schreiben an den Adjutanten des Führers, SA-Obergruppenführer Wilhelm Brückner, weiter. Hitlers Antwort ist nicht überliefert (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 3806). 265 Berlin, PA AA R 1937 (Erlaß Bohles vom 26.11.1937). Da nicht nur „jüdische oder jüdisch verhetzte Kreise, die sich von ihrer anti-deutschen Wühlarbeit davon Erfolg versprechen, die nur der nationalistischen Ausrichtung der Reichsbürger draußen dienende Zusammenfassung in Auslandsgruppen als eine unmittelbare Bedrohung anderer Staaten“ hinstellten, wünsche er so umfassend wie nur möglich darüber informiert zu werden, „inwieweit der sicherlich auch dort lebendige nationale Gedanke, die Verbindung mit den im Ausland lebenden Staatsangehörigen aufrechtzuerhalten, Form angenommen“ habe und in die Praxis umgesetzt werde. Um den Wert und die Bedeutung derartiger Einrichtungen richtig einschätzen zu können, bedürfe es dabei der Feststellung, in welchem Maße sie im Inland organisatorisch oder ideologisch verankert seien und wie stark die staatliche Unterstützung sei. – In historischer, politischer und soziologischer Hinsicht höchst aufschlußreiche Antworten liegen vor von den Deutschen Botschaften resp. Gesandtschaften oder Generalkonsulaten in Paris, Reval, Kopenhagen, Oslo, Moskau, Tirana, Tetuan, Bukarest, Athen, Bern, Sofia, Bagdad, Budapest, Lissabon, Beirut, Washington, La Paz, London, Monrovia, Port-au-Prince, Caracas, Teheran, Den Haag, Montevideo, Bangkok, Luanda, Lima, Kopenhagen, Kabul, Lourenço Marques, Riga, Dublin, Luxemburg, Havana, Stockholm, Kowno, Salamanca, Singapore, Quito, Ankara, Wien, Bogotá, Brüssel, Helsinki, Santiago de Chile, Tokyo, Sydney, Buenos Aires, Kalkutta, México, Memel, Belgrad, Warschau, Shanghai und Pretoria. Demzufolge waren insbesondere die im Ausland lebenden Briten, Franzosen, Italiener, Japaner, Niederländer und Schweizer besonders gut organisiert und wurde die AO von faschistischen oder nationalistischen Staaten mit besonderem Wohlwollen behandelt.
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Frieden gelassen zu werden, um ihr Reich wiederaufzubauen. Es gebe keine deutsche Weltgefahr. Da man das neue Deutsche Reich mit Haß, Lüge und Verleumdung nicht erschüttern könne, halte man sich an den Reichsdeutschen im Ausland schadlos. Bohle wurde nicht müde zu betonen, daß er nur für die Auslandsdeutschen, nicht für die Volksdeutschen spreche. Die VI. Tagung 1938, abermals in Stuttgart, stand ganz im Zeichen „der Wiedervereinigung der deutschen Ostmark mit dem Reich“.266 Prominente Österreicher waren eingeladen worden, darunter der ehemalige Minister Edmund Glaise-(von) Horstenau.267 Die österreichische Landesgruppe war am 10. Mai unter Beteiligung Bohles in Wien aufgelöst und auf die sieben neuen österreichischen Gaue (Kärnten, Niederdonau, Oberdonau, Salzburg, Steiermark, Tirol-Vorarlberg, Wien) verteilt worden. Bohle hatte darauf bestanden, daß „während der AO-Tagung das DAI nicht in Erscheinung tritt. [. . .] Wir haben immer wieder feststellen müssen, daß eine Verquickung der volksdeutschen Aufgaben des DAI mit unserer Arbeit zu erheblichen Unzuträglichkeiten führt“. Die Tagung war noch prunkvoller gestaltet als im Jahr zuvor. Während der Festlichkeiten legte Bohle den Grundstein für ein Rückwandererheim am Weißenhof.268 Erstmals gab es eine AO-Leistungsschau, auf der von der DAF-AO „das jüngste Wunderwerk deutscher Technik, der KdF.-Volkswagen“, vorgeführt wurde. Die Wehrmacht war durch ein Truppenkontingent der 3. Marineunteroffizierslehrabteilung in Plön präsent, um die Verbundenheit zwischen Armee und Auslandsdeutschtum zu dokumentieren.269 Vierhundert ,Junker‘ der Ordensburg Crössinsee gestalteten eine nationalsozialistische Feierstunde. Bohles Rede klang optimistisch und patriotisch. Er bekundete seine große Freude über „diese erstmalige Teilnahme der Reichsbürger gewordenen Auslands-Österreicher“. Sie teilten hinfort das Schicksal der Auslandsdeutschen, die sich zwar in ihren Gastländern vorbildlich verhielten, aber, soweit sie Nationalsozialisten seien, als Spione verleumdet und beschimpft würden. Die in der AO zusammengeschlossenen Deutschen sollten sich nicht beirren lassen und stolz auf ihre Leistungen sein. Man dürfe nicht vergessen, „daß die Ostmark die Hei-
266 Vgl. den Aufruf Bohles „Auslandsdeutsche, Männer der Seefahrt“, in: Der Deutsche im Auslande, 26. Jg., H. 7 (Juli), 1938, S. 221; weiterhin: Gauleiter Bohle eröffnet die VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen, ebd., H. 9 (September), S. 294–296. Bohle hatte die Tagung am 8. August über den RRG-Kurzwellensender angekündigt, vgl. Wiesbaden, DRA 2733171. Das Tagungsprogramm findet sich in Berlin, PA AA R 27270. 267 Broucek/Glaise, S. 314: „Es gab große Veranstaltungen, Besichtigungen, Essen im Hotel Zeppelin, wo ich auch wohnte“. 268 Roland Müller (1988), S. 229 (Stuttgart, STA HA 005. Bd. 35a: Bohle an Strölin, 5.8.1938, 21.12.1938 u. 1.2.1939). 269 Vgl. die Korrespondenz zwischen EWB und Fregattenkapitän Voss, Berlin, PA AA R 27238 (19./21.9.1938).
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mat des größten Deutschen aller Zeiten“ sei, dem jetzt die ganze Nation gehöre. Die österreichischen Märtyrer Franz Holzweber und Otto Planetta zählten neben Horst Wessel, Herbert Norkus und Wilhelm Gustloff zu den nie zu vergessenden Vorkämpfern der ,Bewegung‘.270 Außer Heß, der sich vor allem an die Sudetendeutschen und die ,Ostmärker‘ wandte,271 sprachen Ley, Gertrud Scholtz-Klink, Schirach,272 Gauleiter Bürckel273 und Generaladmiral Raeder.274 Himmler und Frick gaben sich die Ehre. „Den Abschluß bildete am Abend die gewaltige Kundgebung auf dem weiten Hofe des Neuen Schlosses, die durch die packenden Worte des Parteigenossen Dr. Goebbels zu einem unvergeßlich schönen Ausklang wurde“.275 Am gleichen Tag zog ein bunter Festzug durch Stuttgart, an dem sich alle deutschen Gaue, insbesondere Württemberg und der Auslandsgau, mit Festwagen beteiligten.276 Der Nationalsozialismus nutzte dieses mediale Mittel der Selbstdarstellung, die unmittelbar auf den Diktator und die herrschende Ideologie bezogen war, besonders gerne. Er konnte dabei auf eine seit Beginn des 19. Jahrhunderts nachweisbare Tradition zurückgreifen, die entsprechend aktualisiert wurde.277 Der Wahlspruch dieses Festzugs lautete „Das ganze Deutschland soll es sein“. 270 Ernst Wilhelm Bohle, Auslandsösterreicher in unseren Reihen, in: Der Auslandsdeutsche 26, 1938, S. 258. 271 Vgl. die ausführlichen Rundfunkberichte in: Wiesbaden, DRA B004889284 (2935603). 272 Wiesbaden, DRA B005048312. 273 Wiesbaden, DRA B005041796. 274 Wiesbaden, DRA B005039954. 275 „Auslandsdeutsche, wir danken Euch!“ Dr. Goebbels beim Schlußappell auf dem festlich erleuchteten Schloßhof in Stuttgart, in: VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1938 – Auslandsorganisation der NSDAP, Berlin: Fritzsche-Ludwig K.G., 1938; vgl. auch die Tonaufnahme Wiesbaden, DRA B003494604 (2955723). 276 Karl Giselher Gößling, Festzug aller Gaue Großdeutschlands: 4. September 38 zur VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart, [Stuttgart]: Gaupropagandaleitung Württemberg-Hohenzollern der NSDAP, [1938] (Programm). 277 Vgl. Stefan Schweizer, „Unserer Weltanschauung sichtbaren Ausdruck geben“. Nationalsozialistische Geschichtsbilder in historischen Festzügen, Göttingen, 2007. Der Verf. wählt eine intermediale Vorgehensweise, die eine Brücke zwischen Kunstgeschichte und Geschichte schlägt und beide Disziplinen als „Legitimationswissenschaften“ des Nationalsozialismus deutet (S. 51). Es handelt sich zugleich um eine mikrohistorische Studie, die einen vergleichsweise schmalen empirischen Ausschnitt analysiert. Im Zentrum stehen vier historische Festzüge von eminent propagandistischer Bedeutung, die Schweizer multiperspektivisch vor dem Hintergrund der Makrohistorie des ,Dritten Reiches‘ auf ihre Entstehungsbedingungen hin befragt. Die vier dargestellten Festzüge fanden sämtlich in München zwischen 1933 und 1939 statt, und zwar jeweils am ,Tag der Deutschen Kunst‘. Sie waren als kulturelles Rahmenprogramm gedacht. Den offiziellen Anlaß lieferte der Bau des ,Hauses der Deutschen Kunst‘, das 1933 von Hitlers Lieblingsarchitekten Paul Ludwig Troost am südlichen Rand des Englischen Gartens geplant und nach Troosts Tod (24.1.1934) von seiner Witwe Gerdi im Verein mit dem Architekten Leonhard Gall 1937 fertiggestellt wurde. Analogien zum hier erwähnten Festzug drängen sich auf, doch kann dieser im Rah-
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Jeder Gau durfte einen Festwagen gestalten. Der Zug begann um 15 Uhr am Hauptbahnhof, folgte der Königs-, Tübinger, Paulinen-, Hauptstätter, Esslinger und Neckarstraße, um gegen 17 Uhr am Neckartor zu enden. Am Schluß des Zugs waren je ein Wagen Stuttgarts als der Stadt der Auslandsdeutschen und der Auslandsorganisation zu sehen, gefolgt von einem Hoheitsadler, den Hitlerjungen auf ihren Schultern trugen. Dahinter ordneten sich Marschkolonnen von Parteigliederungen und Waffenträgern. In Wirklichkeit bedeutete der hier so emphatisch gefeierte ,Anschluß‘ eine Schwächung der AO, denn die österreichische Landesgruppe wurde aufgelöst und ging in den sieben „ostmärkischen“ Gauen auf. Bohle blieben als Kompensation die in alle Welt zerstreuten Auslandsösterreicher, die jetzt zu Auslandsdeutschen geworden waren. Es ist anzumerken, daß es auch in der ersten österreichischen Republik seit 1926 eine hitlernahe NSDAP gegeben hatte. Sie wurde nach einem Attentat am 19. Juni 1933 verboten und tauchte in die Illegalität ab. Nachdem Deutschland im Juliabkommen 1936 seine Nichteinmischung in die österreichische Politik zugesagt hatte, wurde sie inoffiziell legalisiert. Weitgehend von Deutschland aus gesteuert, half sie, den ,Anschluß‘ vorzubereiten. Als dieser vollzogen war, wurden 38.000 Österreicher als „Illegale“ (illegale Parteimitglieder) anerkannt. Bohle hatte mit dieser Gruppierung nichts zu tun. Seine AO betreute nur die in Österreich residierenden, der NSDAP angehörenden Reichsdeutschen, deren Zahl im Juni 1937 1.678 Mitglieder (von insgesamt 44.000) betrug.278 Auf dem anschließenden Reichsparteitag „Großdeutschland“, der in einer Abrechnung mit der Tschechoslowakei kulminierte, wandte sich Hitler in der Abschlußrede am 12. September an das deutsche Volk und zählte dazu „sogar alle Angehörigen des Reiches, die sich in fremden Ländern befinden“, was offenbar auf die Mitglieder der AO gemünzt war und eine Anerkennung Bohles und seiner Arbeit bedeutete.279 Nach der glänzend verlaufenen Tagung des Jahres 1938 informierte Bohle Strölin, die Reichstagungen würden in Zukunft in einem Zweijahresrhythmus stattfinden. In den dazwischenliegenden Jahren sollten kleinere Tagungen in anderen Städten abgehalten werden.280 Strölin war höchst unzufrieden mit dieser men unseres biographischen Ansatzes nicht mit der Gründlichkeit Schweizers untersucht werden. 278 Bruce F. Pauley, Der Weg in den Nationalsozialismus. Ursprünge und Entwicklung in Österreich. [Aus dem Amerikanischen übers. von Gertraud u. Peter Broucek]. Vom Autor revidierte u. erg. Ausg., Wien: Bundesverlag, 1988; S. 142, 148. Zahlen nach McKale (1977), S. 121. 279 Freiherr von Bibra (Bern, 14.9.1938) an Bohle (Kopie Berlin, PA AA R 27238). Der Passus selber ist in den von Domarus, Bd. 1, 2 (1935–1938), S. 889–906, mitgeteilten Auszügen nicht enthalten. 280 Bohle (21.12.1938) an Strölin: „Es steht immer noch nicht genau fest, wo die VII. Reichstagung stattfindet. Fest ist aber, daß sie eine Arbeitstagung des auslandsdeutschen Führerkorps sein wird. Von Wien bin ich abgekommen, da die Stadt für die
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Entwicklung und versuchte mit allen Mitteln, sie zu konterkarieren. Er verstärkte seine Hinwendung zur Volksdeutschen Mittelstelle, um zu verhindern, daß Frankfurt am Main und Breslau, die sich um den Titel „Stadt des deutschen Volkstums“ bzw. „Stadt der Volksdeutschen“ bemühten,281 Stuttgart den Rang abliefen. Das DAI eröffnete in Berlin ein eigenes Büro, dessen Leitung Dr. Helmut Kruse übernahm, um so in der Nähe der wichtigsten Stellen von Staat und Partei zu sein und keine Entwicklung zu verpassen. Dafür kühlten sich die Beziehungen zu Bohle und der AO merklich ab, denn der Gauleiter konnte kein Interesse daran haben, daß Strölin mit einem seiner schärfsten Rivalen paktierte. Bohle hielt keine weitere Tagung in Stuttgart ab, woran nicht zuletzt der Krieg Schuld trug. Ein Gespräch zwischen Strölin und Bohle am 16. Januar 1941, das eine Wiederannäherung bewirken sollte, verlief ergebnislos.282 Beide sollten sich erst nach Kriegsende als Gefangene wiedersehen. Anders als Bohle, der dem ,Führer‘ bis zum Schluß treu blieb, schloß sich Strölin, der in Stuttgart häufig mit seinem Leipziger Amtskollegen Carl Goerdeler zusammentraf, der Widerstandsbewegung an. Sein Beitrag sollte darin bestehen, Feldmarschall Rommel zum Mitmachen zu bewegen. Die VII. und letzte Versammlung der Auslandsdeutschen wurde am Vorabend des Zweiten Weltkriegs in Graz, „der Stadt der Volkserhebung“, eröffnet. Außer Rudolf Heß und Bohle war nur Generalmajor Eduard Dietl von den Gebirgsjägern angereist. Der nahende Krieg setzte andere Prioritäten; kaum einem Landesgruppenleiter wurde die Reise nach Graz gestattet. Der Oberbürgermeister der Stadt eröffnete die Tagung, Bohle ehrte unter den Klängen des Liedes vom guten Kameraden die Toten der AO und schloß mit einem Gedenken an die Deutschen in Polen, „die gerade in diesen Tagen einen erschütternden Kampf um ihr Volkstum führen“.283 Angeblich hatten sich Zehntausende von Besuchern eingefunden. Heß machte Großbritannien für den Krieg verantwortlich, da es das großzügige Friedensangebot des ,Führers‘ ausgeschlagen habe. Es folgten die üblichen Aufmärsche und Fahnenappelle, und Gauleiter Sigfried Uiberreither und sein Organisationsleiter, Gaurichter Dr. Richard Koderle, schworen die Grazer auf den Krieg ein. Die Tagung endete im Rausch der ersten Sieverhältnismäßig wenigen politischen Leiter zu groß ist und sich für eine Arbeitstagung nicht so eignet, wie etwa Graz. Sobald ein definitiver Entschluß vorliegt, werde ich mich selbstverständlich mit Ihnen in Verbindung setzen“ (Original Stuttgart, STA Bestand 13, Bü 79). 281 Vgl. Berlin PA AA R 27268 (Brief Strölins [7.3.1938] an Bohle). Bohle antwortete (7.3.1938), er habe mit dem Breslauer OB, Dr. Hans Fridrich, gesprochen, der derartige Pläne nicht bestätige. Zwar wünsche Breslau auch einen Beinamen und habe „Stadt des deutschen Liedes“ erwogen. Doch dieser Name sei nicht mehrheitsfähig, weshalb man die ganze Sache vorerst ruhen lasse. 282 Nachtmann, S. 268–277. 283 Reichstagung der Auslandsdeutschen in ernster Zeit, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 9, S. 24–30.
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gesmeldungen.284 Auch Bohle mußte sich ab jetzt der Truppenbetreuung widmen. Im November 1939 übergab er die in Graz geweihten Fahnen ausgewählten Besatzungen der Kriegsmarine auf einer Wilhelmshavener Werft. Bei diesem Anlaß zeigte er, daß er die Kriegsrhetorik perfekt beherrschte. Er ermahnte die Seefahrer, mit der Übernahme der neuen Fahnen in noch größerem Maße als bisher die Verpflichtung auf sich zu nehmen, in eiserner Disziplin und Kameradschaft ihren Mann zu stehen: „Wir stehen zur Fahne des Führers, komme was da wolle!“285 Nach Kriegsausbruch fanden keine Reichsparteitage und keine Reichstagungen der AO mehr statt. Allerdings kamen jedes Jahr die Landesgruppenleiter und die Kreisleiter Seeschiffahrt, soweit sie reisen durften, nach Berlin, um von Bohle und anderen Hoheitsträgern auf Linientreue eingeschworen zu werden. Treffen sind für die Jahre 1941286 und 1942287 bezeugt. 10. Staatssekretär im Auswärtigen Amt und „Nebenaußenminister“ Für Eingeweihte kaum überraschend, wurde Ernst Wilhelm Bohle durch einen Erlaß des ,Führers‘ und Reichskanzlers Adolf Hitler vom 30. Januar 1937 zum Chef der AO der NSDAP im Auswärtigen Amt im Range eines Staatssekretärs (z. b. V.) ernannt.288 Allerdings empfing Hitler Bohle nicht persönlich, um die bei derartigen Ernennungen übliche persönliche Meldung entgegenzunehmen.289 Die ausländische Presse, soweit sie demokratisch war, kommentierte diese Beförderung kritisch. Die Trennung von Partei und Staat werde aufgehoben, die Gegner Hitlerdeutschlands würden bespitzelt und drangsaliert, ,Fünfte Kolonnen‘ könnten im Schutz der Diplomatie subversiv tätig werden. Die Ähnlichkeiten zwischen der AO und den Auslandsgruppen des Fascio seien zwar unübersehbar, aber da Italien den Hoheitsträgern des Fascio keinerlei diplomatische Tätigkeit gestatte, sei diese Regelung im Unterschied zur deut284
Wiesbaden, DRA B005039903. Gauleiter Bohle in Wilhelmshaven, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 12, S. 22. 286 Goebbels TB (22.5.1941): „Ich rede vor den Landesgruppenleitern der A.O. aus der ganzen Welt. Gebe ihnen einen Überblick über die Lage. Ich glaube, mit großem Erfolg. Jedenfalls herrscht nun absolute Klarheit“ (alte Ausg. Bd. 4, S. 654). 287 Vgl. z. B. 2. Kriegsarbeitstagung Berlin, in: Der Auslandsdeutsche 30. Jg., H. 3 (März), 1942, S. 43. Hier sprachen außer Bohle die Minister Todt, Ley, Goebbels und Funk sowie Wirtschaftsführer Prof. Heinrich Hunke. 288 Zum Wortlaut dieses Erlasses vgl. Reichsgesetzblatt 1937, Teil I, Nr. 18, S. 187– 188. Erstaunlich ist, daß EWB sogar aus Südafrika eine Gratulation von einem ehemaligen Nachbarn, William Leary aus Claremont, erhielt (4.2.1938): „I am enclosing a cutting taken out of today’s Cape Times which I was reading on the tram going up Orangezicht. What a schock [sic] it will be to some of your enemies around this district“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 289 Hans-Heinrich Lammers, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 14.4.1949, Hamburg, StA 221-11 Kat. 28229, [unnum. Bl.]. 285
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schen klar und eindeutig. Über die wirkliche Funktion der NSDAP im Ausland zerbreche man sich in allen Ländern den Kopf.290 Mit Runderlaß vom 26. Februar des gleichen Jahres291 unterrichtete Außenminister Konstantin Freiherr von Neurath alle deutschen Missionen und Berufskonsulate, daß Bohle seinen neuen Posten angetreten habe und ihm persönlich und unmittelbar unterstellt sei. Durch diese Ernennung werde Bohles Position als Leiter der AO der NSDAP und seine Unterstellung als solcher unter den ,Stellvertreter des Führers‘, Rudolf Heß, nicht berührt. In einem früheren Runderlaß an alle Arbeitseinheiten und Büros des AA vom 19. Februar 1937292 hatte Neurath Bohles Zuständigkeitsbereich innerhalb des AA definiert und seine Beteiligung an allen wichtigen Entscheidungen angeordnet, welche die Angelegenheiten der Reichsdeutschen im Ausland beträfen. Noch am gleichen Tag wandte sich Bohle über den Reichsrundfunk in einer siebenminütigen Rede an die Deutschen im Reich und im Ausland.293 EWB hat sich später gegen die Unterstellung, er sei eine bloße „NS-Korsettstange“ gewesen und habe auf seine Beamten Druck ausgeübt, daß sie in die AO einträten, verwahrt. Er sei auf ausdrücklichen Wunsch Neuraths ins Auswärtige Amt aufgenommen worden, was dieser bei der V. Reichstagung der Auslandsdeutschen im August 1937 in Nürnberg in öffentlicher Rede wie folgt begründet habe: „Die Ernennung ist eine Gewähr dafür, daß die von den verantwortlichen innerdeutschen Stellen für die Pflege des Auslandsdeutschtums aufgestellten Grundsätze und Richtlinien sich in den von mir (dem Reichsaußenminister) angegebenen Grenzen halten und von den auslandsdeutschen Organisationen selbst genau respektiert werden“.294 Nach Kriegsende hat Neurath allerdings bittere Klage über Bohle geführt: Die Vertreter der AO hätten sich in den Vordergrund gedrängt, sich in die Personalpolitik des AA eingemischt, in jedem Land, in dem die AO tätig gewesen sei, wirtschaftliche, politische und militärpolitische Nachrichten gesammelt und sie 290 Vgl. das Material in Berlin, PA AA Personalia 1367. Hier finden sich die folgenden Presseauszüge: Berner Tagwacht, Nr. 28, 4.2.1937; NZZ Nr. 194, 3.2.1937, S. 1; Luxemburger Volksblatt, 6./7.2.1937; Luxemburger Wort, 6./7.2. 1937; Escher Tageblatt, Nr. 30, 5.2.1937, sowie Nr. 33, 9.2.1937; Socialdemokraten (Stockholm), 13.2.1937; Arbeiderbladet (Oslo), 15.2.1937; Cape Times, 4.2.1937; Cape Argus, 3.2.1937; Republika (Lodz), 10.2.1937; Thurgauer Zeitung (Frauenfeld), 5.2.1937 sowie 6.2.1937; National-Zeitung, Morgenblatt, 8.2.1937; Bund (Bern), Morgenblatt, 8.2.1937; Tages-Anzeiger (Zürich), Nr. 31, 6.2.1937; Le Travail (Genf), Nr. 36, 12.2.1937; Berner Tagwacht, Nr. 36, 13.2.1937; Le Moment (Bucarest), Nr. 634, 31.3.1937. 291 Runderlaß Nr. Pers. M 694 (6715/E 509 629). 292 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 1988. 293 Wiesbaden, DRA B0048921270 (2590296). 294 Bohle, Alte und neue Diplomaten, Leserbrief an DIE ZEIT 49, 3.12.1953, S. 22. Der Verfasser reagierte damit auf den in der Nr. 45 vom 5.11.1953, S. 2 der gleichen Wochenzeitung erschienenen Artikel von Emil Rasche, Unsere alten und neuen Diplomaten, der eben dies bestritten hatte. Zu Emil Franz Rasche (1904–1958) vgl. BHDAD, Bd. 3 (2008), S. 574.
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hinter seinem Rücken direkt an Hitler, Heß und Bormann weitergeleitet, ohne das AA zu informieren. Auf diese Weise sei die deutsche Außenpolitik „von zwei Parallel-Organisationen“ vertreten worden, was zu erheblichen Spannungen geführt habe.295 Die Amtsbezeichnung Staatssekretär durfte Bohle erst ab dem 21. Dezember 1937 führen. Sie war offenbar nötig, um seiner Tätigkeit die gehörige Autorität zu verleihen.296 Bohle hatte seinen Eintritt ins AA anscheinend langfristig vorbereitet. Sein Vertrauensmann war Curt Prüfer, der Leiter der Abt. III (Britisches Reich, Amerika, Orient). EWB dürfte sich hinter den Kulissen dafür eingesetzt haben, daß Prüfer Nachfolger Grünaus,297 des Chefs der Personalabteilung, wurde, die die Schaltstelle für alle Personalentscheidungen des AA war. Im Jahr 1936 wurde der Wechsel vollzogen.298 Dieser Wechsel war nicht ohne Zustimmung Neuraths möglich, der glaubte, Bohle in seinem Sinne manipulieren zu können, wohingegen Bohle dachte, er könne den kurz vor Erreichen der Altersgrenze stehenden Minister für die Zwecke der AO einspannen.299 Prüfer, ein Konservativer, der seinen Antisemitismus und Antibolschewismus nicht verhehlte, wurde für Bohle zu einer Art Vaterfigur, deren Rat er immer wieder suchte.300 Obwohl Prüfer ihn im Innersten ablehnte, dürfte er an seiner Ernennung zum Staatssekretär mitgewirkt und Neurath für diese Ernennung gewonnen haben,301 die natürlich von Hitler gebilligt werden mußte. 295 Konstantin von Neurath, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 19.9.1946 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-163). 296 Trials of War Criminals XIII, S. 1199–1200: „I was appointed to the post of Chief of the Foreign Organization in the Foreign Office without the title of State Secretary at the time because Neurath said he wanted only one official with this title. That remained so, as you see from the distribution lists, in order to distinguish me from the State Secretary, as such. However, in the course of time, it was found difficult to find some appropriate title for me by which I could be addressed and in December 1937 I was given the personal title of State Secretary. It is a rather funny thing, but you are hardly considered a real human being in Germany unless you have some sort of a title by which you can be addressed“. 297 Werner Freiherr von Grünau (1874–1956) leitete die Abt. I des AA vom 8.10.1932 bis zum 30.4.1936. Zu diesem Zeitpunkt wurde er in den einstweiligen, drei Jahre später in den endgültigen Ruhestand versetzt, vgl. BHDAD, Bd. 3 (2008), S. 120–121. 298 Curt Prüfer (1881–1959) leitete die Personal- und Verwaltungsabteilung des AA vom 30.4.1936 bis zum 20.4.1939, vgl. BHDAD, Bd. 3 (2008), S. 525–526. 299 Donald M. McKale, Curt Prüfer. German Diplomat from the Kaiser to Hitler, Kent, Ohio/London: The Kent State University Press, 1987, S. 102–103, 130–137. 300 Donald M. McKale (Hrsg.), Rewriting History. The Original and Revised World War II Diaries of Curt Prüfer, Nazi Diplomat. Translated by Judith M. Melton, Kent, Ohio/London, England: The Kent State University Press, 1989, S. 111. 301 McKale (1987), S. 102: „Although Prüfer apparently viewed Bohle as an uneducated upstart and parvenu, Prüfer sought to use the AO leader to the advantage of the AA, the institution that had commanded his unswerving loyalty for over a quarter century. For his part, Bohle admired Prüfer, who became a kind of authority figure or
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Bohles Eintritt in das AA erfolgte in einer Phase der Neuorganisation der einzelnen Abteilungen. Hatte es ursprünglich nur einen Staatssekretär des Äußeren gegeben, wurden nach dem Tod Bernhard Wilhelm von Bülows im Juni 1936302 zunächst zwei, Mackensen und Bohle (Neuraths Schwiegersohn HansGeorg von Mackensen amtierte nur ein Jahr und wurde dann als Nachfolger Ulrich von Hassells Botschafter am Quirinal), 1938 sogar insgesamt drei ernannt. Zu Bohle traten am 19. März 1938 der Wirtschaftsfachmann Wilhelm Keppler als Staatssekretär z. b. V. unter Beibehaltung des Amtes des ,Präsidenten der Reichsstelle für Bodenforschung und vom Ministerium des Innern und dem Beauftragten für den Vierjahresplan bestellter Reichsbeauftragter für Österreich‘, und am 1. April 1938 der Karrierediplomat Ernst Freiherr von Weizsäcker (bis 1943) hinzu. Weizsäcker scheint nicht viel von Bohle gehalten zu haben, denn er erwähnt ihn in seinen Papieren nur ein einziges Mal: „Am 24.III.[1938] forderte mich Gauleiter Bohle auf, in die NSDAP einzutreten, um diesen ,Schönheitsfehler‘ zu beseitigen [Randbemerkung: Im Auftrag von Heß, ich sollte das Abzeichen alsbald tragen.].“303 Politisch dürfte Weizsäcker Bohle wegen seiner raschen Parteikarriere für einen Parvenü gehalten haben, weshalb er ihn nicht als Staatssekretär, sondern als Gauleiter bezeichnet. Bohle war seinerseits davon überzeugt, Weizsäcker sei ihm wohlgesonnen, was Zweifel an seiner Menschenkenntnis aufkommen läßt. Beider Laufbahn als Staatssekretäre weist im übrigen interessante Parallelen auf, was die Qualifikation, die Dauer im Amt, die Beziehung zu Ribbentrop, die Mitgliedschaft in der SS, die Kenntnis der NS-Verbrechen und den Wilhelmstraßen-Prozeß angeht. Wenn es in der jüngeren Forschung gelegentlich heißt,304 man dürfe Weizsäckers SS-Mitgliedschaft nicht auf den Ehrenrang reduzieren, seine Verurteilung wegen eines „Verbrechens gegen den Frieden“ sei zu Unrecht aufgehoben worden, diejenige wegen eines „Verbrechens gegen die Menschlichkeit“ jedoch vertretbar, so wird dies mit Aktenfunden begründet, die Weizsäckers Paraphe tragen. Die Beweis,father‘ to the party official. Prüfer’s political attitudes, especially his hatred of Bolshevism and the Jews, resembled Bohle’s, and Prüfer’s career and training – his position as an ,insider‘ in the AA – appeared to offer Bohle valuable assets for his ambition to head the ministry. Bohle’s attraction to the diplomat may also have resulted from the AO leader’s birth outside Germany and resulting lack of intimate friends, except for Hess, among the other party leaders.“ – Nach Kriegsende stellte Prüfer Bohle einen ,Persilschein‘ aus und bescheinigte ihm, mäßigend auf die Personalpolitik des AA gewirkt zu haben, vgl. Eidesstattliche Versicherung, Curt Prüfer, Genf, 7.6.1948, Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse Fall XI, Rep. 501, E-4, S. 53–55. 302 Bülow starb am 21. Juni 1936; kommissarischer Leiter vom 11.8.1936 bis 25.3.1937 wurde Hans Heinrich Dieckhoff. Mackensen wurde am 8.3.1937 ernannt und übernahm am 15.4. die Geschäfte. 303 Leonidas E. Hill (Hrsg.), Die Weizsäcker-Papiere: 1933–1950, Frankfurt a. M., 1974, S. 124. 304 Rolf Lindner, Freiherr Ernst Heinrich von Weizsäcker, Staatssekretär Ribbentrops von 1938 bis 1943, Phil. Diss., Bielefeld 1996, Lippstadt, 1997. Der Verf. erwähnt die beiden anderen Staatssekretäre Bohle und Keppler nicht.
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kraft dieser Dokumente ist umstritten, allerdings gibt es derartige Zeugnisse von Bohle nicht, der auch nicht als Stellvertreter Ribbentrops fungierte und „nur“ Staatssekretär z. b. V. war. Bohle bekam im AA lediglich einen kleinen Stab, der aus einem Legationssekretär oder Legationsrat, einer Büroangestellten und einem Stenographen bestand. Er habe, so gab er später an, seine Position als eine Art Nebenamt betrachtet und sei nur jeden Vormittag für einige Stunden ins AA gegangen, um an der regelmäßigen Zehnuhrbesprechung teilzunehmen. Den Rest des Tages habe er in der AO verbracht, doch habe es auch Tage gegeben, an denen man ihn überhaupt nicht in der Wilhelmstraße gesehen habe.305 Bohle ist nicht ganz präzise, denn die sog. Direktorenbesprechungen fanden jeden Morgen um 9.30 Uhr statt. Sie wurden vom Staatssekretär (Weizsäcker), in seiner Abwesenheit vom Unterstaatssekretär, gleichzeitig Direktor der politischen Abteilung, geleitet. Waren ausnahmsweise beide abwesend, übernahm ein anderer Beamter den Vorsitz. Bohle erschien in der ersten Zeit nach Kriegsausbruch noch häufig im AA, wenngleich nicht regelmäßig. Im Lauf des Jahres 1940 stellte er seine Besuche ganz ein.306 Immerhin erhielt er zu Beginn seiner Tätigkeit einen Geheimfonds „für besondere Zwecke auf dem Gebiete der Deutschtumsaufgaben“ in Höhe von zunächst RM 200.000 für das Jahr 1938, der in den beiden Folgejahren um jeweils RM 50.000 aufgestockt wurde. Damit hatte er ein doppeltes Ziel erreicht: Er konnte ohne Nachweispflicht selbständig über eine nicht unbedeutende Summe verfügen, was ihm eine Sonderstellung im AA verschaffte, und er konnte Aktionen, die im Geheimen stattfanden, frei finanzieren. Seine Begründung für die Bewilligung dieser Schwarzen Kasse ist aufschlußreich: Die AO müsse, um bei den Auslandsdeutschen Vertrauen zu schaffen, zu einem Organismus ausgestaltet werden, der seinen Einfluß auf weite Kreise der auslandsdeutschen Volksgemeinschaft ausdehnen könne. „Sie muss weiter dem Führer als wichtiges aussenpolitisches Instrument jederzeit scharf und schlagkräftig zur Verfügung stehen“. Die AO werde damit mangels anderer Organe im Ausland zum Träger staatlicher Aufgaben, die, abgesehen von der normalen Betreuung, aus Ressortmitteln weder des Reiches noch der Partei vorangetrieben werden können. Der Chef der AO im AA, dessen Wirken den Grad des Ansehens, den das Reich beim Auslandsdeutschtum geniesst, nicht unwesentlich mitbestimmt, muss also in der Lage sein, von Fall zu Fall ohne bürokratische und haushaltsrechtliche Hemmungen wirksam zu helfen, wenn eine individuelle Notwendigkeit vorliegt, und schnell zu disponieren und zu handeln, wenn ein
305 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111 (Kopie Nürnberg, StA S. 13613). 306 Eidesstattliche Erklärung, Ministerialdirigent a.D. Dr. Erich Albrecht, Nürnberg, 12. März 1948 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Umdrucke Deutsch, NG-5083).
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organisatorischer Einsatz den Belangen des Auslandsdeutschtums und damit des Reiches dienen kann.307
Das ist zwar wenig präzise, gestattet aber die Spekulation, daß mit diesem Sonder- oder Geheimfonds subversive Aktionen bezahlt werden konnten und sollten. Für EWBs Berufung ins AA sprachen mehrere Gründe: Hitlers prinzipielles Mißtrauen, ja seine Verachtung gegenüber den Diplomaten und Beamten der Wilhelmstraße,308 Neuraths fortgeschrittenes Alter und seine Amtsmüdigkeit – er wurde am 2. Februar 1873 geboren und war somit 64 Jahre alt – und nicht zuletzt die Bedeutung, die den Auslandsdeutschen zu diesem Zeitpunkt zugebilligt wurde. Noch Anfang 1942 nannte Hitler die deutsche Diplomatie weltfremd. Sie habe sich nicht um das Deutschtum im Ausland gekümmert, weshalb er zum Ärger des Auswärtigen Amtes die Auslandsorganisation habe schaffen müssen.309 Dies alles bewirkte, daß Bohle spätestens seit 1936 als eine Art „Nebenaußenminister“ figurierte, was er noch bis zur Ernennung Ribbentrops (4. Februar 1938) bleiben sollte, von dem er langsam aus seiner einflußreichen Position verdrängt wurde. Insider des AA konnten ihre Rivalität übrigens nicht verstehen, da sie Bohle unterschätzten und für einen „im Grunde ungefährlichen Rivalen“ des neuen Herrn der Wilhelmstraße hielten.310 Bohle und seine Mitarbeiter ihrerseits, die Ribbentrop spöttisch „Joachim“, „Ribbi“, „Rintintin“, „Tintin“ oder „R.“ nannten, nahmen ihren neuen Vorgesetzten nicht ernst genug. Bohle übte als Gauleiter, Staatssekretär und SS-General ehrenhalber gleichzeitig wichtige Funktionen in Partei, Staat und Schutzstaffel aus. Während Keppler mit seinen Wirtschaftsverbindungen die Berufsdiplomaten nicht weiter störte, wurde der Quereinsteiger Bohle von den Karrierediplomaten als Emporkömmling und Ignoramus betrachtet, auch wenn Neurath seine Ernennung nach außen befürwortet hatte.311 Immerhin hatte Bohle nominell einen Sitz im Kabinett, ein Privileg, welches er nach eigener Aussage nicht nutzte.312 Doch es war 307 Bohle (Berlin, 21.1.1938) an VLR Dr. Carl Dienstmann; Bewilligungen [mit unleserlicher Unterschrift] (Berlin, 23.1.1939 bzw. 16.2.1940) (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-2337). 308 Hitler soll Ribbentrop 1939 angeschrien haben: „Die Herren des AA. haben nur noch die Helfer der Soldaten zu sein“, so Emil Rasche, Unsere alten und neuen Diplomaten, in: DIE ZEIT 45, 5.11.1953, S. 2. 309 Henry Picker, Hitlers Tischgespräche im Führerhauptquartier. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Berlin, 21997 (Propyläen Taschenbuch bei Ullstein), S. 247 (im Register fälschlich S. 248). 310 Georg Vogel, Diplomat unter Hitler und Adenauer, Düsseldorf/Wien, 1969, S. 50. 311 Joseph Goebbels, Die Tagebücher. Hrsg. von Elke Fröhlich im Auftrag des Instituts für Zeitgeschichte und in Verbindung mit dem Bundesarchiv, Teil I: Aufzeichnungen 1924–1941, Bd. 3 (1.1.1937–31.12.1939), München [u. a.], 1987, S. 33:
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nur allzu deutlich, daß er im Auftrage der Partei das Verhalten der Beamten im AA überwachen sollte und eigene Ambitionen verfolgte.313 Neurath war es aus Bequemlichkeit vermutlich recht, sich auf sein Kerngeschäft, die internationalen Beziehungen, konzentrieren zu können. In einem (vom RAM am 27. Februar gegengezeichneten) Rundschreiben vom 1. März 1937 an alle deutschen diplomatischen und konsularischen Vertretungen legte Bohle sein Amtsverständnis offen.314 Gleichzeitig richtete er einen „Aufruf an das Auslandsdeutschtum“. Darin lobte er die Aufbauarbeit Hitlers, die alle Auslandsdeutschen, die ihm dienten, mit Stolz erfüllen müsse. Er rufe als Staatssekretär alle Parteigenossinnen und -genossen auf, freudig für die Stärkung Deutschlands in der Welt weiterzukämpfen.315 Bohle wiederholte dabei Argumente, die sich so oder ähnlich in seinen früheren und späteren Reden finden. Zunächst lobte er die Arbeit der AO seit 1931, die die Reichsdeutschen im Ausland an den „neuen Staat“ herangeführt und ihr Leben nach nationalsozialistischen Grundsätzen neu gestaltet habe. Seine Ernennung sei der Lohn für diese Mühen. Da die Partei das alleinige Recht der Menschenführung besitze und Trägerin der Weltanschauung des ,Dritten Reiches‘ sei, habe sie auch das Recht, das Auslandsdeutschtum zu führen. Es sei daher sinnvoll, die Arbeit der AO mit der des AA zu koordinieren. Diesbezüglich seien in den letzten Jahren gute Fortschritte erzielt worden: Die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse in den einzelnen Staaten läßt es noch nicht zu, für das Zusammengehen der Reichsvertretungen und der Parteistellen heute schon allgemeingültige Richtlinien zu erlassen, die jedoch für einen späteren Zeitpunkt in Aussicht genommen sind. Ich glaube aber, daß Meinungsverschiedenheiten durch die einheitliche Spitze im Reich heute schneller als zuvor beseitigt werden können, und insbesondere dadurch, daß als Basis für das Zusammenwirken die Tatsache der Einheit von Partei und Staat genommen wird. Diese Einheit muß auch im Ausland im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten ihren Ausdruck finden.316
„Bohle vom Führer zum Leiter der Auslandsdeutschen-Abtlg. im A.A. ernannt. Neurath begrüßt das sehr. Damit sind wieder viele Reibungen abgestellt“. 312 „Die einzige Verbindung, die ich mit dem Kabinett je hatte, war, dass ich am 4. Februar 1938 an einer Abschiedsfeier zugunsten meines damaligen Vorgesetzten im Auswärtigen Amt, Baron von Neurath, teilnahm, der von Ribbentrop abgelöst wurde. Ich nahm zu keiner Zeit an Diskussionen des Kabinetts teil“ (E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13605). 313 Karl Dietrich Bracher, Die deutsche Diktatur. Entstehung, Struktur, Folgen des Nationalsozialismus, Berlin, 71997, S. 463. 314 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918–1945. Aus dem Archiv des Auswärtigen Amts. Serie C: 1933–1937: Das Dritte Reich: Die ersten Jahre, Bd. VI, 1 (November 1935 bis März 1937), Göttingen, 1981, Nr. 237, S. 513–515. 315 Text in: Abend- und Nachtausgabe Deutsches Nachrichtenbüro 4, 1937, Nr. 236 (27.2.1937). 316 Ebd., S. 514.
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Die Unterführer der AO im Ausland seien streng gehalten, die Autorität der Mitglieder der diplomatischen Vertretungen als der offiziellen Vertreter des Reiches zu achten und zu ihrer Konsolidierung beizutragen. Dafür müßten die Reichsvertreter die Sonderstellung der Partei respektieren. Sie seien verpflichtet, bei örtlichen Veranstaltungen deutscher, aber auch ausländischer Stellen die Parteiführer zu verständigen und zur Geltung kommen zu lassen. Er gehe davon aus, daß Reichsvertretung und Parteiführung eine klare Einmütigkeit in allen Dingen erkennen lassen würden. Differenzen seien intern auszutragen und müßten der Umwelt unter allen Umständen verborgen bleiben. Zwar begegneten die meisten Karrierediplomaten EWB mit Reserve, doch einige bedrängten ihn, er solle ihnen den Eintritt in die NSDAP ermöglichen. Robert Kempner berichtet in seinen Erinnerungen, Bohle habe ihm erzählt, im AA seien Herren zu ihm gekommen und hätten ihm die Knie umfaßt, es solle ihnen doch nicht übel genommen werden, daß sie dann und wann mal ein schlechtes Wort über die NSDAP gesagt hätten. Sie bäten darum, auf alle Fälle in die Partei aufgenommen zu werden und Bormann zu sagen, sie seien gute Leute.317 Es waren übrigens nicht nur Männer, die bei Bohle vorstellig wurden, sondern u. a. auch eine später im Bonner AA als Vize-Protokollchefin prominente Frau wie Erica Pappritz, die nach eigenem Bekunden das Zeichen ihrer Treue zum Führer am Kleid tragen wollte.318 Diese plötzliche Beflissenheit hing damit zusammen, daß Bohle in der zweiten Jahreshälfte 1933 mit dem Personalchef des AA, Freiherr von Grünau, eine Abmachung getroffen hatte, die von Rudolf Heß und RAM von Neurath gegengezeichnet wurde. Sie sah vor, daß die Angehörigen des AA, die ihren ständigen Wohnsitz im Ausland hatten, ihre Aufnahme in die NSDAP nur über die AO beantragen konnten und als Parteimitglieder der AO unmittelbar unterstellt waren. Eine Einordnung in die jeweiligen Ortsgruppen im Ausland wurde, um mögliche Kompetenzstreitigkeiten zu verhindern, vorerst als unzweckmäßig abgelehnt. Bohle konnte durch diese Regelung Einfluß auf die Personalpolitik des AA nehmen, zumal seit 1935 alle Ernennungen und Beförderungen im AA dem Stellvertreter des ,Führers‘ zur Stellungnahme vorgelegt wurden, der sie durch die AO prüfen ließ. Am 1. Dezember 1937 gründete Bohle im Rahmen der AO eine eigene Ortsgruppe Auswärtiges Amt,319 in die nicht nur die bisher von der AO betreuten, im Ausland lebenden Parteigenossen des auswärtigen Dienstes, sondern nach 317 Robert M. W. Kempner, Ankläger einer Epoche. Lebenserinnerungen. In Zusammenarbeit mit Jörg Friedrich, Frankfurt a. M./Berlin/Wien, 1983, S. 91. 318 Mitteilung von Hermann Bohle (Signy b. Genf). Zu Pappritz vgl. BHDAD, Bd. 3 (2008), S. 436–437. Sie trat am 1.1.1940 in die NSDAP ein, als Bohle noch aktiver Staatssekretär war. 319 Rundbrief Bohles (19.1.1938), Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Fall XI, Fotok. Dok., NG-1979.
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Absprache mit Goebbels in seiner Eigenschaft als Gauleiter von Groß-Berlin auch die in der Reichshauptstadt ansässigen Beamten des AA aufgenommen wurden. Übernahm ein Diplomat eine Funktion bei einer der Auslandsgruppen, unterstand er organisatorisch und disziplinarisch dem zuständigen Landesgruppenleiter.320 Diese Regelung wurde jedoch bereits ein halbes Jahr später von RAM Ribbentrop wieder „gekippt“.321 Unabhängig davon holte Bohle möglichst viele AO-Mitarbeiter ins AA. Dadurch schuf er sich nicht nur eine eigene Hausmacht innerhalb dieser Behörde, sondern sicherte diesen Mitarbeiten diplomatische Immunität. Wenn, was gelegentlich vorkam, ausländische Regierungen die Aktivitäten der AO verboten, konnten die dem diplomatischen Dienst angehörigen AO-Männer ihre Parteiaktivitäten dennoch im Untergrund fortführen. Von seinem Schwager Peter Bachmann und seinem Bruder Heinrich war bereits die Rede. Andere Vertraute waren Friedhelm Burbach,322 Emil Ehrich,323 Robert Fischer,324 Heinz Gossmann,325 Fritz Gebhardt von Hahn,326 Karl Klin320
Jürgen Müller (1997), S. 54–57. Anordnung des ,Führers‘ 6/1938 vom 23.5.1938 (Druckversion Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]). 322 Friedhelm Burbach (Jg. 1893), kaufmännische Ausbildung in einer Werkzeugmaschinenfabrik, seit 1920 in Spanien und Portugal, Juni 1933 bis August 1934 hauptamtlich Auslandskommissar der AO für Spanien und Portugal, seit 1934 Gauamtsleiter in der Leitung der AO der NSDAP, seit 1936 Leiter des Länderamts II (Westeuropa) der AO, Juli bis Ende 1937 Geschäftsführer des Hilfsausschusses für die Spaniendeutschen, dann Beauftragter des Kuratoriums für Wiederaufbaudarlehen an Spaniendeutsche, 1.1.1931 Eintritt in die NSDAP, Februar bis August 1931 nebenamtlich Stützpunktleiter, dann OGL in Porto, Februar 1932 bis Juni 1933 LGL der AO in Porto, 10.12.1937 Legationssekretär im AA, 30.6.1938 Konsul in Bilbao, 15.7.1942 Konsul I. Kl., 12.1.1943 Generalkonsul (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 349). 323 Emil Ehrich (1908–1981), Studium des Lehramts in Göttingen, Bonn und London, Dr. phil. 1932, 1933–1937 Gauamtsleiter in der Leitung der AO, seit 1935 persönlicher Referent EWBs, Oberbereichsleiter und LGL der AO in Frankreich und Italien, 30.4.1937 Legationssekretär, 1938 Gesandtschaftsrat in Paris, 1939 Helsinki, 1939 Rom (Quirinal), 1941 Legationsrat I. Klasse, 1943 dem deutschen Bevollmächtigten bei der faschistischen Nationalregierung in Fasano zugeteilt, 1944 Kommandierung zur Parteikanzlei der NSDAP in München, Militärdienst bei der Waffen-SS, 1949–1951 Referent im Bundesministerium für Angelegenheiten des Bundesrates, 1956 ORR bei der Vertretung des Landes Niedersachsen in Bonn, zeitweise Geschäftsführer der Bundestagsfraktion der DP (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 492–493). 324 Robert Fischer (1904–1987), kaufmännische Lehre und Jurastudium, 1934 beurlaubt zur Beschäftigung in der AO, Kammervorsitzender am Gaugericht, 1936 Gerichtsassessor, 1.12.1931 Eintritt in die NSDAP, 1937 Legationsrat, 1938 persönlicher Referent Bohles, 1939 Legationsrat I. Kl., 1941 VLR, 1943 AA Gruppe Inland I, 1944 Generalkonsul in Toulouse, 1944 AA Gruppe Inland I, 1945 Botschaft Paris (Sigmaringen), nach dem Krieg Rechtsanwalt und Notar in Bremen, 1959–1975 Mitglied der Bremischen Bürgerschaft (DP, 1961/61 Gesamtdeutsche Partei, seit 1962 CDU) (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 569). 325 Heinz Gossmann (1905–n. 1948), Kaufmann und Jurist, Dr. iur., seit 1.7.36 hauptamtl. Mitarbeiter der AO, zuletzt Gauhauptstellenleiter; 1.4.1933 Eintritt in die 321
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genfuß,327 Willi Köhn328 und Heinrich Lepique.329 Mehrere Landesgruppenleiter oder Funktionäre der AO übten gleichzeitig diplomatische Funktionen aus, z. B. Otto Bene,330 Hans Bernard,331 Georg Böhme,332 Carl Bürgam,333 Otto SS, zuletzt Sturmbannführer, 1.3.1938 Eintritt in das AA, 1939 Legationssekretär, 1.12.39 beim Chef der AO im AA, 1940 Legationsrat, ab 1943 Gesandter in Stockholm (BHDAD, Bd. 2 [2005], S. 70–71). 326 Fritz Gebhardt von Hahn (1911–2003), Jurist und Nationalökonom, 1937 persönlicher Referent Bohles, 1.4.1933 Eintritt in die NSDAP, Gaustellenleiter z. b. V. in der Leitung der AO, seit Herbst 1933 Marine-SA, 1937 Attaché in der Kulturpolit. Abt. des AA, noch im gleichen Jahr Politische Abt., Ref. IV/Südosteuropa, 1938 Konsulat Genf, 1940 Militärdienst, 1943 AA, Abt. D, Ref. III/Judenfrage, später Ref. A/ Verbindung zum Reichsführer SS, 1943 Polit. Abt., Ref. III/Spanien, Spanisch-Marokko, Portugal, 1940 Legationssekretär, ab 1950 in verschiedenen Bundesministerien und Bundesämtern tätig, zuletzt in Range eines ORRs im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz, 1963 Eröffnung eines Verfahrens wegen Mordes an griechischen und mazedonischen Juden während des Zweiten Weltkriegs, Inhaftierung, am 19.8.1968 durch das Landgericht Frankfurt a. M. zu acht Jahren Haft und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrecht verurteilt (Prozeß Beckerle/v. Hahn), 1971 Bestätigung des Urteils durch den Bundesgerichtshof bei Belassung der bürgerlichen Ehrenrechte (BHDAD, Bd. 2 [2005], S. 175–176). 327 Karl Klingenfuß (1901–1990), Dr. phil. 1925, Spezialist für Minderheitenrecht und Volkstumspolitik, zeitweise am DAI in Stuttgart, seit Nov. 1934 bei der AO, Gaudozentenbundsführer und Gauobmann der NS-Kulturgemeinde, seit Nov. 1935 Leitung des Kulturamts der AO, 1937 Eintritt als Legationssekretär in das AA, 1938 Botschaft Buenos Aires, 1940 Gesandtschaft Montevideo, 1940 Gesandtschaftsrat, 1942 Kulturreferent Gesandtschaft Bern, 1943 Botschaft Paris, 1944 AA, Politische Abt./Ref. II (Wahrnehmung von Sonderaufgaben bei der Gauleitung von Baden, Vertreter des AA beim Reichsverteidigungskommissar Baden-Elsaß), 1951–1967 Geschäftsführer der argentinisch-deutschen Handelskammer in Buenos Aires (BHDAD, Bd. 2 [2005], S. 556). 328 Willi Köhn (Jg. 1900), Kriegsfreiwilliger, kaufmännische Ausbildung im väterlichen Geschäft und bei der Karstadt A.G., 1924/25 Kompanieführer in der Brigade Ehrhardt, 1928 Ausreise nach Chile, Bankangestellter, 1930 Eintritt in die NSDAP, 1931 OGL Santiago, 1932 LGL der AO in Chile, 1933 Auslandskommissar der AO für Südamerika, 1936 SS, 1938 SS-Oberführer, 1938/39 Generalkonsul in Salamanca, 1940 Ministerialdirigent im Reichspostministerium, vgl. Döscher, S. 169. 329 Heinrich Lepique (1892–1941), aufgewachsen in Ägypten, Leutnant im Weltkrieg, kaufmännische Tätigkeit für Baumwollfirmen in Ägypten, Prokurist in der Firma des Vaters, 1934 Eintritt in die NSDAP, 1937 Hauptstellenleiter und Referent für den Nahen Osten im Außenhandelsamt der AO, 1938 Eintritt in das AA, Konsul in Port Said, 1939 in Tripolis (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 54–55). 330 Otto Bene (1884–1973), Exportkaufmann in Hamburg und London, 1933–1934 LVM der AO, 1934–1937 LGL für Großbritannien und Irland, seit 1.6.1937 Gauamtsleiter z. b. V., SS-Mitglied, 1942 Brigadeführer, 1937 Generalkonsul in Mailand, 1939 zugleich Beauftragter der Reichsregierung für die Südtiroler Umsiedlung, 1940 Amtsbez. Gesandter, ab Mai 1940 Vertreter des AA beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete, Den Haag (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 102–103); James J. Barnes/Patience P. Barnes, Nazis in Pre-War London 1930–1939. The Fate and Role of German Party Members and British Sympathizers, Brighton-Portland: Sussex Academic Press, 2005, S. 18–31. 331 Hans Bernard (1892–1960), Berufsoffizier, Studium der Nationalökonomie, 1.9.1930 NSDAP, LGL der AO in Polen, später Österreich, Gauamtsleiter z. b. V. in
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Butting,334 Carl Dedering,335 Erwin Ettel,336 Wilhelm Graeb,337 Heinrich Hammersen,338 Friedrich Haus,339 Walter Hewel,340 Otto Langmann,341 Walter Lehne,342 Friedrich Franz Erbgroßherzog von Mecklenburg,343 Eduard Mider Leitung der AO, 1935 Vizekonsul Salzburg, 1936 Konsul II. Kl., 1938 Konsul in Laibach, 1938 Konsul I. Kl., 1939 Gesandter in Preßburg, 1940 kommissarischer Leiter des Generalkonsulats Mailand, 1942 Genua, 1943 Generalkonsul I. Kl., 9.1.1945 Gesandter beim Bevollmächtigten des Reichs in Dänemark (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 124–125). 332 Georg Böhme (1907–1982), Dipl.-Ing., 1933–1937 Assistent am Physikalischen und Meteorologischen Observatorium Davos, 1933 OGL der AO in Davos, 1937 kommissarischer Leiter des Konsulats in Davos, 1938 Vizekonsul, 1943 Wiss. Hilfsarbeiter in der Politischen Abt./Ref. II im AA (Westeuropa, Niederlande, Belgien, Schweiz, Liechtenstein und Monaco), 1943 kommiss. Leitung des Wahlkonsulats Odense (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 198). 333 Bürgam (Jg. 1895), 1938 suspendiert (BHDAD Bd. I [2002], S. 341). 334 Otto Butting (Lebensdaten fehlen), Dr. med., 1937–1937 LVM der AO in Österreich, ab 1938 LGL der Niederlande, Attaché bei der Gesandtschaft in Den Haag. 335 Carl Dedering (Lebensdaten fehlen), LGL der AO in Peru, Konsul in Lima. 336 Erwin Ettel (1895–1971), kaufmännischer Angestellter in Hamburg, später bei den Junkers Luftverkehrs- bzw. Flugzeugwerken, Hauptmann d. R. der Fliegertruppe, 1932 OGL in Barranquilla, 1933–1935 LGL der AO in Kolumbien, 1935/36 Gauamtsleiter z. b. V. in der Leitung der AO, 1936 bis 1939 LGL in Italien, 9.11.1937 Eintritt in die SS (zuletzt Brigadeführer), 1936 Legationssekretär, 1937 Gesandtschaftsrat II. Kl., 1938 Gesandtschaftsrat I. Kl., 1939 Gesandter in Teheran, 1941 Beauftragung mit der Behandlung aller Angelegenheiten der AO im AA (bis 21.1.1944), 1942 Wahrnehmung der Verbindung zum Großmufti von Palästina, 1943 Leitung der Informationsstelle III, ab 18.3.1944 Militärdienst (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 530–531). Von 1950– 1956 schrieb er unter dem Aliasnamen Ernst Krüger für DIE ZEIT über außenpolitische Fragen. 337 Wilhelm Graeb (1895–1958), kaufmännische Ausbildung, 1933 LKL der AO in Ungarn, seit 1937 mit dem Titel Konsul, zuletzt LGL, Wirtschaftsberater bei der deutschen Gesandtschaft in Budapest (BHDAD, Bd. 2 [2005], S. 75). 338 Keine Angaben. 339 Keine Angaben. 340 Walther Hewel (1904–1945), Studium der Wirtschaftswissenschaften, Teilnahme am Hitler-Putsch, 1927–1936 Pflanzer und Kaufmann auf Java, 1923 und (Neueintritt) 1933 Mitglied der NSDAP, Gau-Hauptstellenleiter im Ostasienreferat der AO, 1937 Eintritt in die SS, 1942 Brigadeführer, 1938 Legationsrat I. Kl., Leiter des persönl. Stabes des RAMs, 1939 VLR, 1940 Gesandter I. Kl., Ständiger Beauftragter des RAMs beim Führer, 1943 Botschafter z. b. V. (BHDAD, Bd. 2 [2005], S. 300–301). 341 Otto Langmann (1898–1956), zunächst ev. Pfarrer in Mecklenburg und Hamburg, dann in Guatemala, Mitbegründer der dortigen AO, 1937 Gesandter in Uruguay, ab 1942 im AA, zuständig für ausländische Kulturpolitik (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 22). 342 Keine Angaben. 343 Friedrich Franz Erbgroßherzog von Mecklenburg (1910–2001), Jurist, 1933 Arbeit bei der AO, 1934 Afrikareise im Auftrag der AO, 1.10.1936 Gauhauptstellenleiter, 1931 Eintrittt in die NSDAP, 12.5.1938 Eintritt in das AA, zunächst Politische Abt., Ref. X/Afrika, Legationssekretär, 1943 Militärdienst in der Waffen-SS, Untersturmführer, 1944 als „international gebundener“ Vertreter des Hochadels aufgrund des betr. Führererlasses in den Ruhestand versetzt, nach dem Krieg Industriekaufmann (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 211–212).
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II. Im Dienst von Partei und Staat
row,344 Walter Pausch,345 Karl Resenberger,346 Wilhelm Rodde,347 Erich Schnaus,348 Bruno Stiller349 und Rudolf Tesmann.350 Hinzugezählt werden können noch Sigismund von Bibra351 und Friedhelm Dräger,352 die zwar Funktionäre der AO waren, aber bereits vor 1933 dem AA angehört hatten. Wollte man kollektivbiographische Beobachtungen anstellen, könnte man festhalten, daß die meisten dieser AO-Mitarbeiter um 1900 geboren wurden, aus bürgerlichen Familien protestantischer Konfession stammten, Rechts- und Staats- bzw. Wirtschaftswissenschaften studierten, ein bis zwei Jahre vor der 344 Eduard Mirow (1911–1999), Jurastudium, 1931 Eintritt in die NSDAP, 1937 hauptamtlicher Gaustellenleiter der AO, 13.6.1938 Einberufung als Attaché in das AA, Ref. III/Spanien, Portugal, Heiliger Stuhl, 1938 Generalkonsul in Jerusalem, 1939 Politische Abt. AA, Militärdienst, Ende 1944 Generalkonsul in Zürich, 1957 reaktiviert im AA (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 265–266). 345 Walter Pausch (1905–2003), Jurastudium in München und Wien, Gauhauptstellenleiter der AO, SS-Obersturmbannführer, 1937 Legationssekretär bei der Botschaft Tokyo, Vizekonsul Kalkutta, 1940 Konsul in Bozen, 1941/42 in Triest, 1943 im AA, Abt. Deutschland, 1944 Konsul in Triest, vgl. Döscher (1987), S. 169; BHDAD, Bd. 3 (2008), S. 444–445. 346 Karl Resenberger, seit 1934 Resenberg (1900–1955), Studium Jura und Staatswissenschaft, 1923 Dr. oec. publ., 1.1.1932 Eintritt in die NSDAP, Gauhauptstellenleiter, OGL der Ortsgruppe AA, 1925 Eintritt in das AA, Konsulate Kattowitz, Genua, Brüssel, Luxemburg, 1937 Legationsrat, Leitung des Ref. Kult. Gen., 1938 Legationsrat I. Kl., Botschaft Washington, 1943 Generalkonsul Barcelona (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 627–628). 347 Wilhelm Rodde (1893–1949), Kaufmann, Offizier und Freikorpskämpfer, 1920– 1924 Teilhaber einer Weinhandlung in Hamburg, dann kaufmännische Tätigkeit in Brasilien, 1931 Rückkehr nach Deutschland, 1934 Dienststelle Ribbentrop, 1935 Eintritt in die SS, 1939 Oberführer, 1937 Konsul in Winnipeg, 1939 Generalkonsul in Kronstadt, ab 1943 Generalkonsul I. Klasse, in sowjetischer Haft verstorben (BHDAD, Bd. 3 [2008], S. 688–689). 348 Erich Schnaus (Jg. 1905), lebte einige Zeit in Spanien, trat vor 1933 in die NSDAP ein, Mitarbeiter der AO in Hamburg, 1938 Leiter des Personalamts der AO in Berlin, SS-Standartenführer, Verbindungsmann der AO zum Amt VI des SD und der Abwehr. 349 Bruno Stiller (Jg. 1885), LGL der AO in der Südafrikanischen Union, deutscher Konsul in Kapstadt, Gesandtschaftsrat I. Kl. (Berlin, PA AA Personalakten 14938– 14939). 350 Rudolf Tesmann (Jg. 1910), Corpsbruder von Emil Ehrich, 1938 sein Nachfolger als Adjutant des Gauleiters, stellv. LGL in Spanien, SS-Obersturmbannführer, hielt Verbindung zur Parteikanzlei (Bormann), 1945 interniert, seit 1948 Generalbevollmächtigter im Kaufhauskonzern Horten, Mitglied des Präsidiums des Wirtschaftsrats der CDU. 351 Sigismund von Bibra (1894–1973), 1922 Eintritt ins AA, für das er später in Rio de Janeiro, Prag, Bern und Madrid tätig war. Er war von 1933–1935 Kreisleiter, Oberbereichsleiter und OGL der AO in Prag, danach in Bern (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 151–152). 352 Friedhelm Dräger (1900–1993), amtierte 1935 als Kreisleiter für die konsularischen Amtsbezirke Boston, Cleveland, New York und Chicago und war von 1934– 1941 am Generalkonsulat in New York, danach in Kavalla und Paris tätig (BHDAD, Bd. 1 [2000], S. 459–460).
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sog. Machtergreifung in die NSDAP eintraten, entweder im Ausland geboren waren oder durch längere Aufenthalte Auslandserfahrung gesammelt hatten, in der Hamburger bzw. Berliner Zentrale und/oder in einer Landesgruppe für die AO arbeiteten und um 1937/38 in den Dienst des AA wechselten. Dieses Profil gilt natürlich auch für Ernst Wilhelm Bohle selber, der bei seiner Personalauswahl möglicherweise unbewußt solche Mitarbeiter bevorzugte, deren Werdegang seinem eigenen ähnelte. Zwar hatten fast alle in der SS gedient, gehören aber trotz ihrer Gleichaltrigkeit nicht zu jener „Generation des Unbedingten“, die Michael Wildt im SD und den Einsatzgruppen am Werk sieht.353 Man könnte, wenn man die Gruppe um Bohle betrachtet, von einer „Generation auslandsdeutscher Nationalsozialisten“ sprechen, die sich trotz ihres ideologischen Eifers durch ein nicht zu unterschätzendes Maß an Weltläufigkeit auszeichneten, das sie von den „Unbedingten“ unterschied. Zwar erreichten nur einige der hier Genannten Spitzenposten im auswärtigen Dienst (Langmann wurde Gesandter in Guatemala, Ettel in Teheran), aber sie bildeten ein Netzwerk, das Bohle dringend benötigte, um seine Position gegen Ribbentrop zu stärken. Bohle gelang es jedoch weder, das AA in eine Parteibehörde umzuwandeln, noch die Außenpolitik nachhaltig zu beeinflussen. Hitler, der sich häufig scheute, die von ihm verachteten Einrichtungen der geschmähten Weimarer Republik abzuschaffen und stattdessen eine Doppelung von Alt und Neu tolerierte, ließ auch das von ihm oft verhöhnte und kritisierte AA weiterbestehen. Möglich, daß er 1937 daran dachte, es mit der AO zu verschmelzen und langfristig den dynamischen Bohle an seine Spitze zu setzen, den er deshalb zum Staatssekretär und damit zu einer Art Koadjutor Neuraths machte. Aber ein Jahr später (4. Februar 1938) entschied er sich aus Loyalität für Ribbentrop als Reichsaußenminister, der ihm generationsmäßig näherstand und die NSDAP vor 1933 materiell unterstützt hatte. Außerdem schürte er gerne die Rivalität seiner Minister und Funktionäre untereinander, um sich als Schiedsrichter aufzuspielen und sie dadurch kleinzuhalten. Ohne den abenteuerlichen Heß-Flug hätte sich Bohle vermutlich dennoch bis zum Ende des NS-Regimes als Staatssekretär im Auswärtigen Amt halten können. Heß’ Pressereferent und Adjutant Leitgen erklärt die Differenzen zwischen Außenminister und Staatssekretär mit ihrer Altersdifferenz (Ribbentrop war zehn Jahre älter als Bohle), vor allem aber mit ihren unterschiedlichen Temperamenten: Der nicht nur an Jahren, sondern vor allem in seinem Wesen jüngere, beweglichere, frische und humorvoll tolerante Bohle war in seiner ganzen Persönlichkeit und in seinen natürlichen Umgangsformen das krasse Gegenstück zu Ribbentrop, dessen menschliche Starre ihn besonders für Bohle fast völlig unzugänglich machte und 353 Michael Wildt, Generation des Unbedingten: das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, 1. Aufl., durchges. und aktualis., Studienausg., Hamburg, 2003.
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dessen grundsätzliches Misstrauen und hohe Selbsteinschätzung ihn für die eigenen Mitarbeiter, wie Bohle es hatte sein sollen, ebenso schwierig machte, wie in der auswärtigen Politik.354
Das eigentliche Problem war in der für Hitlers Führungsstil typischen Kompetenzvermischung begründet. Angesichts des Totalitätsanspruchs des Nationalsozialismus war es auch oder gerade in der Außenpolitik unmöglich, Parteiarbeit und Hoheitsakte sauber voneinander zu trennen. Die daraus resultierenden Widersprüche irritierten vor allem die Experten, denn in der Außenpolitik waren Gradlinigkeit, Erfahrung und Geduld gefragt, um den deutschen Standpunkt auch in ganz anders geordneten Ländern durchzusetzen. Diesbezüglich überschätzte sich Bohle, der, wie die meisten seiner Mitarbeiter, rasch in der Partei aufgestiegen war und das Diplomatengeschäft nicht wirklich erlernt hatte. Dennoch entschied er häufig instinktsicher und agierte höchst erfolgreich. Nicht alle „alten“ Mitglieder des AA waren im übrigen Traditionalisten und damit seine Gegner. Eugen Rümelin, von 1922 bis 1939 Gesandter in Sofia, schlug sich ganz auf seine Seite, da er frischen Wind ins AA hineintrage.355 Er lud ihn mehrfach nach Sofia ein und wollte ihn mit König Boris III. bekanntmachen. Warum Bohle diese Einladung nicht realisiert hat, wissen wir nicht. Eine erste diplomatische Bewährungsprobe für Bohle bot sich bereits im Herbst seines Eintrittsjahres in das AA. Er bestand sie glänzend. Auf der V. Jahrestagung der Auslandsdeutschen in Stuttgart Ende August 1937 hatte er die Rolle des Auslandsdeutschtums herausgestrichen und angeregt, die Partei solle die Erlaubnis erhalten, Kulturattachés an die Deutschen Gesandtschaften zu entsenden, natürlich auch nach London. Heß und Goebbels hatten dem applaudiert, und der ,Führer‘ hatte Bohle in einem Telegramm beglückwünscht. Der englische Vollblutpolitiker Winston Churchill, seit 1931 wegen Differenzen mit seiner konservativen Partei in einer Art innerem Exil, fand immer noch Gehör 354 Alfred Leitgen, Eidesstattliche Erklärung, München, 25.6.1948, Dokumentenbuch IV, Nr. 67, Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse IV, Fall 11, Rep. 501, E-5, S. 11. 355 Rümelin (Sofia, 15.12.1936) an Bohle: „Einem meiner Beamten der auf Urlaub reist, habe ich für Sie einen kleinen Weihnachtsgruss mitgegeben, dem ich meine herzlichen Neujahrswünsche für Sie und Ihre Gattin, aber auch für die Auslandsorganisation anschliesse, der ich wünsche, dass sie auch 1937 unter Ihrer Führung weitere Erfolge haben wird, die sich den im Laufe dieses Jahres errungenen anschliessen mögen. Mir wird es immer eine Freude sein, an Ihrer Arbeit zu meinem Teile mitwirken zu können. Was diese Arbeit hier am Orte anlangt, so werden Sie sich hoffentlich noch persönlich überzeugen, dass die Dinge hier in jeder Weise vorwärts gehen. – Weniger erfreulich stellt sich für mich das Problem des Auswärtigen Amtes im Verhältnis zur Bewegung dar. Wenn ich auf diese Sache in letzter Zeit nicht mehr zurückgekommen bin, so ist das nicht deshalb, weil ich meine Ansichten von früher revidiert hätte, sondern weil ich selbst sehe, dass man zunächst die Entwicklung abwarten muss. Ich bin aber überzeugt, dass diese Entwicklung früher oder später zu einer ähnlichen Lösung führen muss, wie wir sie damals planten, denn nur dann ist ein Wiederaufbau des heute langsam Absterbenden möglich. Mit nochmaligem herzlichem Glückauf für 1937 und Heil Hitler! Ihr Rümelin“.
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in der englischen Öffentlichkeit, auch wenn er kein politisches Amt mehr bekleidete. Er beobachtete den Aufstieg Hitlers genau und registrierte kritisch jede Auslandsaktivität der Nazi-Partei. Seit geraumer Zeit ärgerte er sich über das Agieren der AO und bezeichnete es in einem Beitrag für den Londoner „Evening Standard“ vom 17. September 1937356 als eine ernste Belastung der deutsch-britischen Beziehungen. Es gebe eine „organisation of German residents in Britain into a closely knit, strictly disciplined body“, die den deutschbritischen Beziehungen schade und die auch Deutschland von Angehörigen anderer Nationen nicht bei sich dulden würde. In unnachahmlich ironischem Ton resümierte er: We have always been an asylum for refugees. It was only the other day that I was reading how in 1709 we gave refuge and shelter to a very large number of Germans from the Palatinate, which had been overrun by Marshall Villars with fire and sword. We could never allow foreign visitors to pursue their national feuds in the bosom of our country, still less to be organised in such a way as to affect our military security. The Germans would not tolerate it for a moment in their country, nor should they take it amiss that we do not like it in ours. I see Herr Bohle has expressed a wish to talk this over with me. I should be delighted to do so in the most friendly manner, and do anything in the power of a private member to remove this new embarrassment to Anglo-German goodwill (S. 156–157).
Botschafter Ribbentrop empfahl, Bohle solle zu Churchill reisen, um diesen von den lauteren Absichten der AO zu überzeugen. Er war vermutlich der Meinung, daß Bohle keinen Erfolg haben würde, zumal auch Hitler Bohles Mission nicht ernstnahm.357 Bohles Besuch fand am 1. Oktober 1937 in der Londoner Wohnung Churchills statt und dauerte über eine Stunde.358 Beide versicherten sich gegenseitig, sich in Zukunft nicht mehr anzugreifen. Bohle berichtet in seinem Zeugenverhör für Heß darüber:359 Ich hatte ausgiebig Gelegenheit, Churchill in dieser ungemein liebenswürdig verlaufenen Aussprache über die Arbeit der Auslandsorganisation zu unterrichten und seine Bedenken zu zerstreuen. Am Schluß geleitete er mich zu meinem Wagen und ließ sich mit mir photographieren, um, wie er sagte, der Welt zu zeigen, daß wir als Freunde geschieden seien. Eine Anfrage im Unterhaus unterblieb. Mit keinem Wort hat Churchill seit diesem Tage die Tätigkeit der Auslandsorganisation wieder beanstandet. Meine Rede vom gleichen Tage, die kurz darauf von einem englischen
356 Winston S. Churchill, Friendship with Germany, in: Evening Standard, zit. nach Churchill, Step by step 1936–1939, Long Acre, London: Odhams Press, 1947, S. 155– 158. 357 So Erich Kordt, Wahn und Wirklichkeit. Hrsg. unter Mitwirkung von Karl Heinz Abshagen, Stuttgart, 1947, S. 89. 358 McKale (1977), S. 130–131. 359 Der Nürnberger Prozeß, Hauptverhandlungen, Neunzigster Tag. Montag, 25. März 1946, Nachmittagssitzung, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, Nürnberg, 1947, Bd. 10, S. 7–43, hier S. 21.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Verlag in englischer Sprache als Broschüre herausgegeben wurde,360 fand eine durchaus günstige Aufnahme. Die Times brachte darüber einen längeren Auszug unter der Überschrift: ,Herr Bohle’s Plea for an Understanding‘ [sic]. Churchill schrieb mir nach der Unterredung einen Brief, in dem er seiner Befriedigung über das Ergebnis unserer Aussprache Ausdruck verlieh.361
Das aus diesem Anlaß geschossene Photo362 (Abb. 5) zeigt in der Tat einen gutgelaunten Churchill und einen strahlenden Bohle. EWB trägt Zivil, einen dunklen Anzug, und statt des Parteiabzeichens das wesentlich diskreter und eleganter wirkende Hoheitsabzeichen, eine Silbernadel mit dem Reichsadler. Möglich, daß EWB zu diesem Zeitpunkt hoffte, wenn schon nicht Außenminister, so doch deutscher Botschafter in Großbritannien zu werden.363 An anderer Stelle hat Bohle von seiner Unterredung mit Churchill berichtet, dieser habe sich verwundert gezeigt, daß er Nazi sei. „Sehen Sie, Sie sind in England geboren, in England und in einem britischen Dominion aufgewachsen, haben nur englische Schulen besucht und besitzen durch Ihre Geburt sogar einen englischen Paß. Danach sind Sie also Engländer und können kein Nazi sein“. Bohle konterte ironisch: Wenn Churchills Mutter bei seiner Geburt zufällig in Shanghai gewesen wäre, wäre er dennoch kein Chinese. Churchill habe die Meinung vertreten, ein Engländer sei selbstverständlich überall ein Engländer, und er habe ihm klargemacht, daß das jetzt auch für die Deutschen gelte.364 Diese Diskussion war deshalb besonders pikant, weil EWB auf Drängen Himmlers soeben erst (17. August 1937) seine britische Staatsangehörigkeit zurückgegeben hatte. Das war gar nicht so leicht, weil ein derartiger Vorgang nach englischem Recht nicht vorgesehen war.365 Es bedurfte der Intervention des früheren Botschafters Sir Eric Phipps, um zu diesem Ergebnis zu gelangen, obwohl Sir Eric absolut keinen Grund erkennen konnte, weshalb EWB seine britische Staatsangehörigkeit aufgeben wolle. Er habe es jedoch nach seiner Er360 Es handelt sich jedoch um keine wörtliche Übersetzung, sondern um eine Anpassung des deutschen Textes an die Erwartungen des britischen Publikums. 361 Der erwähnte Brief ist leider nicht erhalten. 362 Vgl. auch Heinz Bergschicker, Deutsche Chronik 1933–1945. Ein Zeitbild der faschistischen Diktatur. Wissenschaftliche Beratung: Dr. sc. Olaf Groehler, Berlin-Ost, 1981, S. 126. 363 NAMP 619/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0125. 364 Rede aus Anlaß von Führers Geburtstag am 20. April 1944 vor der AO in Preßburg (Kopie Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm, S. 19). 365 Ebd. Bohle berichtet, der britische Generalkonsul in Berlin, dem er seinen englischen Paß zurückgegeben habe, habe ihn als nicht normale Erscheinung betrachtet, obwohl er zu höflich gewesen sei, dies auszusprechen. Er habe sich einfach nicht vorstellen können, daß ein Mensch im Besitz seiner vollen geistigen Fähigkeiten freiwillig seinen englischen Paß abgebe. Vgl. auch Bohles Brief (17.8.1937) an Himmler, in dem er die Niederlegung seiner britischen Staatsangehörigkeit mitteilt. Er habe dies nicht eher tun können, „da England normalerweise eine Entlassung aus seinem Staatsverband nicht kennt. Durch eine besondere Vereinbarung mit der Britischen Botschaft ist mir dies nunmehr gelungen“ (Berlin, BArch BDC/SSO-Bohle, Ernst Wilhelm).
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nennung zum Staatssekretär für richtig gehalten, darauf zu verzichten, weil er nicht zwei Herren habe dienen wollen.366 Der irische Journalist James Murphy, der die Brüder Bohle gut kannte und in der AO-Zentrale in Berlin ein und aus ging, behauptet sogar, der Gauleiter habe sich während des sog. Röhm-Putsches an seinen britischen Paß geklammert, „in case there were an attempt to put him on the spot“.367 Der britische Diplomat Ivone Kirkpatrick, bis zum Kriegsausbruch Kanzleichef der britischen Botschaft in der Wilhelmstraße 70–71, schildert den Vorgang etwas anders und schreibt sich selber einen gewissen Anteil daran zu. Bohle habe es unter allen Umständen vermeiden wollen, das in der Botschaft untergebrachte Generalkonsulat zu betreten, doch sei er hart geblieben und habe ihm diesen Schritt nicht erspart. Kirkpatrick macht keinen Hehl daraus, daß er Bohles Organisation für subversiv hielt und froh war, daß er seine englische Staatsangehörigkeit niederlegte.368 Hitler wurde von Lammers über Bohles Vorgehen informiert.369 Über Bohles Gespräche in der Downing Street mit Unterstaatssekretär Sir Robert Vansittart im Vorfeld des ChurchillBesuchs war hingegen nichts in Erfahrung zu bringen.370 Angenehm kann die Atmosphäre nicht gewesen sein, denn im Anschluß an diese Begegnung nannte EWB ihn einen „Deutschenfresser“. 366 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13510. 367 James Murphy, Who sent Rudolf Hess?, London-Melbourne: Hutchinson, 1941, S. 21 u. 44. 368 Ivone Kirkpatrick, The Inner Circle. Memoirs, London: Macmillan Co., New York: St. Martin’s Press, 1959, S. 89–90: „Bohle was an interesting case: he was born in 1903 of German parents at Bradford. Shortly afterwards his father became a professor at Cape Town University and the young Bohle was educated in South Africa. He told me that during the war he had been beaten by the other boys for being a German; he did not complain, for he considered this an admirable expression of the national spirit which he intended to instil into German communities abroad. Owing to the accident of his birth at Bradford Bohle was a British subject and had a British passport. It was odd and indeed embarrassing that the apostle of Germanism abroad should be a British subject; so embarrassing, in fact, that Bohle asked me to arrange that he should divest himself of his British nationality. For this purpose he had to appear at our Consulate-General. He tried to evade this formality, but I was adamant and his need was so urgent that he complied. His organisation purported to be purely social, cultural and philanthropic, and Bohle proudly pointed to his statutes to prove that his activities were harmless. In fact, of course, his communities abroad were Nazi cells to be placed, if required, at the disposal of the Secret Service, the Gestapo and Himmler’s subversive organisations“. 369 Trials of War Criminals XIII, S. 1197. Mit Nachricht vom 4.10.1937 teilte Lammers Bohle per Adresse AA mit, er habe dem ,Führer‘ den Inhalt des Schreibens, in dem er von der Niederlegung seiner britischen Staatsangehörigkeit Mitteilung mache, vorgetragen (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 1974). 370 Jacobsen (1968), 527; NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0073: „Short talk with Sir Robert (now Lord) Vansittart in Downing St. Nothing special. Told me it would be useful to see Mr. Churchill, although he was at that time in the opposition, because of his powerful pen“. In: The Mist Procession. The autobiography of Lord Vansittart, London: Hutchinson, 1958, wird Bohle nicht erwähnt.
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Am Abend seiner Unterredung mit Churchill hielt Bohle auf Einladung Botschafter Ribbentrops371 in der Porchester Hall, einer 1929 erbauten Versammlungshalle, vor 1.200 geladenen Gästen, zumeist Deutschen, aber auch britischen Mitgliedern der nazifreundlichen ,Deutsch-englischen Gesellschaft‘, eine Erntedankrede. Er sorgte dafür, daß der Botschafter auch seinen Patenonkel Ernst Wilhelm aus Birmingham zum Abendessen einlud.372 Das Erntedankfest wurde bei den Auslandsdeutschen an jedem 1. Oktober feierlich begangen und war Anlaß für die Spitzenvertreter der AO, sich an ihre Mitglieder zu wenden. Bohle nutzte seinen Großbritannienbesuch, um nicht wie sonst über den Äther, sondern von Angesicht zu Angesicht zu einer großen deutschen Gemeinde zu sprechen.373 Die Rede enthielt keine neuen Gesichtspunkte, sondern deckte sich mit dem, was EWB bei solchen Anlässen zu sagen pflegte.374 Der wichtigste Passus dieser stark apologetischen Ausführungen war die Verpflichtung der Auslandsdeutschen zu politischer Zurückhaltung, was jedoch durch den Hinweis auf das Ziel eines auch im Ausland den Ansprüchen des Nationalsozialismus gehorchenden Lebens konterkariert wurde. Wenn Bohle auf die Vertretung der Auslandsvereinigungen anderer Länder hinwies, so verschleierte er die gleichmacherischen und aggressiven Absichten des Nationalsozialismus: Diese nationalsozialistischen Ortsgruppen im Ausland sind nichts anderes als Zusammenschlüsse von reichsdeutschen Menschen, die im Nationalsozialismus das Heil Deutschlands sehen und die durch ihren Beitritt zu den Ortsgruppen ihren festen Willen bekunden wollen, zu ihrem Teil am Aufbau des neuen Deutschlands mitzuarbeiten. Sie sind nicht Mitglieder einer von vielen politischen Parteien, sondern Mitglieder der einzigen Bewegung, die es heute in Deutschland gibt und die unser Deutschland trägt. Sie haben nicht die Aufgabe, Bürgern fremder Staaten nationalsozialistische Ideengänge zu vermitteln, sondern sind einzig und allein angehalten, dafür zu sorgen, daß das Leben der Reichsdeutschen im Auslande genau so nationalsozialistisch verläuft, wie das Leben der Deutschen im Reich.
371 Vgl. die Korrespondenz Berlin, PA AA R 27241 (26. u. 27.7.1937). Bohle versuchte, seine Rede mit Ribbentrop im Vorfeld abzustimmen. Die Reise wurde von Hitler, Heß und Neurath genehmigt. Mit seiner Zusage verband Bohle noch einmal eine Einladung Ribbentrops zur Reichstagung der AO nach Stuttgart. 372 Bohle (17.9.1937) an LGL Korvettenkapitän Rudolf Karlowa (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 373 Rede des Gauleiters Bohle bei der Feier des Erntedankfestes der Deutschen Kolonie zu London vom 1. Oktober 1937, in: Hans Volz (Hrsg.), Von der Großmacht zur Weltmacht 1937, Berlin, 1937 (Dokumente der deutschen Politik, hrsg. von Paul Meier-Benneckenstein; 5), S. 74–83. Vgl. auch die Originalversion in: NS-Dienst für auslandsdeutsche Blätter, Sonderdienst Erntedankfest 1937. – Ein Auszug der Rede ist abgedruckt im VB vom 2. Oktober 1937. Vgl auch den anonymen Bericht: What I saw at the London Nazis’ secret meeting, in: Evening Standard (London), 2 Oct. 1937. 374 Vgl. den Bericht in: TIMES Saturday, 2 October 1937, p. 14 („Herr Bohle pleas for understanding“).
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Und es ist deshalb ein Unding, davon zu sprechen, daß unsere Parteigenossen im Ausland ,Nazi-Agitatoren‘ oder ,Gestapo-Agenten‘ sind – um nur zwei von vielen unzutreffenden Ausdrücken zu gebrauchen –, die das nationalsozialistische Gift in fremde Völker hineintragen sollen.375
Die englische Fassung ist in dem von Ribbentrop im Mai 1938 bei Butterworth in London publizierten Band „Germany speaks“ nachzulesen.376 Die Veranstaltung endete mit dem Absingen des Deutschland- bzw. des Horst-WesselLiedes und der britischen Nationalhymne „God save the King“. Bohle nutzte seinen Englandaufenthalt, um die dortige Landesgruppe zu visitieren.377 Bohle hatte sich durch seine Englandreise so sehr hervorgetan, daß Hitler ihn noch drei Jahre später nach dem britischen Rückzug aus Dünkirchen für den Fall der schon bald erwarteten Eroberung Großbritanniens als Statthalter und Leiter einer deutschen Militärregierung ins Auge faßte. Einem Reporter zeigte EWB noch 1951 die rotgebundenen Anweisungen für die deutsche Besetzung Großbritanniens, die rigide Zwangsmaßnahmen vorsahen: Männer von 17 bis 45 Jahren sollten auf den Kontinent zur Arbeit geschickt werden; für Widerstand war Tod durch das Fallbeil vorgesehen.378 Langfristig konnte EWB die englischen Politiker, allen voran Churchill, nicht wirklich beruhigen, denn im Dezember 1937 wie auch im April 1938 wurde im englischen Parlament erneut über die deutsche Nazipropaganda geklagt: „Everybody knows that agents are here and that they are active“.379 Wenige Monate nach Bohles Englandbesuch wurde Ribbentrop (4. Februar 1938) Außenminister und setzte schon bald alles daran, Bohle aus dem AA zu 375
Erntedankrede Bohles vom 1. Oktober 1937, op. cit. (Anm. 373), S. 76. Bohle, Germans abroad (1938), im gleichen Jahr auch separat gedruckt. 377 Bohle (8.10.1937) an Generalkonsul Otto Bene in Mailand, den ehemaligen LGL der AO in Großbritannien: „Zunächst kann ich Ihnen mit ganzer Überzeugung zu dieser Landesgruppe meinen Glückwunsch aussprechen. Der nationalsozialistische Geist und die Kameradschaft, die ich dort angetroffen habe, sind vorbildlich: Pg. K.[arlowa], der es bekanntlich nicht so leicht hat und namentlich als Nachfolger eines so beliebten Landesgruppenleiters es schwer haben musste, hat bei diesem Besuch, wo ich ihn inmitten seiner eigenen Arbeit sah, einen ausgezeichneten Eindruck auf mich gemacht. Er ist seinen Leuten verbunden, ein guter Kamerad, umsichtig und vor allem ein treuer und anständiger Charakter. Seine Zusammenarbeit mit Rintintin [= Deckname Ribbentrops, ansonsten berühmter Schäferhund in Westernfilmen der Warner Brothers, FRH] wird künftig reibungslos verlaufen, wie überhaupt Rintintin sich ganz tadellos zur AO, namentlich während des Besuches eingestellt hat.“ (Kopie Berlin, PA AA R 27238). 378 Heidepost (Lüneburg), Nr. 9, 2.3.1951, S. 9. Beim Verhör im September 1945 bestritt EWB jedoch, als Gauleiter oder Gouverneur für Großbritannien vorgesehen gewesen zu sein: „Moreover, he denounces as utterly false ,propaganda stories‘ circulated in 1940 that he had been selected as Gauleiter for England, remarking that such nonsense would never have ,gone over‘ in Great Britain“ (NAMP 619/1 [Bohle Interrogation], Bl. 0125). 379 McKale (1977), S. 133. 376
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vertreiben. Ein sichtbares Zeichen des Stimmungsumschwungs war die Neuregelung der noch nicht lange bestehenden Zuordnung aller der Partei angehörigen AA-Beamten vom 23. Mai 1938, die auf Ribbentrops Druck erfolgt sein dürfte. Die zuvor erwähnte Ortsgruppe Auswärtiges Amt der AO wurde aufgelöst. Der Reichsminister des Auswärtigen und die Staatssekretäre wurden parteimäßig der Sektion Reichsleitung der NSDAP zugeteilt. Ribbentrop hätte es nicht ertragen, einer von Bohle abhängenden Ortsgruppe zu unterstehen. Die im Ausland befindlichen Behördenleiter vom Botschafter bis zum Konsul kamen zur Ortsgruppe ,Braunes Haus‘. Die in Deutschland ansässigen Beamten, Angestellten und Arbeiter des AA wurden den Ortsgruppen zugeteilt, innerhalb welcher sie ihren Wohnsitz hatten, und die Angehörigen der gleichen, aber im Ausland lebenden Gruppe wurden den ausländischen Ortsgruppen zugeordnet, innerhalb deren Bereich sie ihren Wohnsitz hatten.380 Ribbentrop ließ für seine Spitzendiplomaten eine eigene Uniform (einen grauen Dienstanzug für den Alltag und eine blauschwarze Galauniform für besondere Anlässe) entwerfen, so daß Bohle, der es eigentlich schlicht liebte, zwischen drei Kleiderformen wählen konnte: der des Gauleiters, der des SS-Führers und der des Diplomaten.381 Die Galauniform des Staatssekretärs entsprach der des Botschafters und hatte als goldenes Ärmelabzeichen drei achtzackige Sterne. Die Feldbinde (Gürtel oder Schärpe) war mit einer 44 mm breiten Gespinsttresse mit etwa 14 mm breitem goldenen Mittelstreifen, zwei 5 mm breiten schwarzen Streifen und etwa 10 mm breiten goldenen Außenstreifen geziert und mit schwarzem Tuch abgefüttert. Sie wurde mit einem goldenen Schloß innerhalb eines 1 cm breiten Lorbeerkranzes zusammengefügt. Die Mützenkordel war golden, der Mützenadler im Kranz in Gold gestickt, der Mantel hatte hellgraue Aufschläge. Wegen der reichlichen Eichenlaubstickereien hießen die Träger dieser „Admiralsuniform“ im AA „Menschen hinter Blättern“. Der dazugehörige Diplomatendegen war fest anmontiert, so daß man ihn auch in geschlossenen Räumen nicht ablegen konnte. Zu tragen war diese von dem Bühnenbildner Benno von Arent entworfene und von Frau von Ribbentrop maßgeblich begutachtete Fassung bei allen möglichen feierlichen Anlässen,382 so auch 380 Vgl. Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben, hrsg. von der Partei-Kanzlei der NSDAP, Bd. 3, München, ca. 1942, S. 124 (V.62/38). 381 Jill Halcomb, Uniforms and Insignia of the German Foreign Office & Government Ministries, 1938–1945, Overland Parks, Kansas, U.S.A.: Crown/Agincourt Pub., 1984. Ich danke Joachim Lilla (Krefeld) für eine Kopie des Runderlasses zur Dienstanzugfrage des AA vom 27.11.1942, der alle Einzelheiten regelt. Ergänzend sei auf die Uniform des deutschen Gesandten in der Türkei, Dr. Wilhelm Fabricius, aus dem Jahr 1938, hingewiesen, die vom Aktionshaus Andreas Thies in Nürtingen in der 32. Auktion vom 3.5.2007 als Los Nr. 423–425 angeboten wurde. – Eine Abb. Bohles in SSUniform befindet sich in: VI. Reichstagung (wie Anm. 243, unsere Abb. 3). 382 Einzelheiten bei Paul Schmidt, Statist auf diplomatischer Bühne 1923–45. Erlebnisse des Chefdolmetschers im Auswärtigen Amt mit den Staatsmännern Europas, Bonn, 1949, S. 382–385.
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beim Besuch ausländischer Gäste. Bohle hat die Uniform wahrscheinlich nur einmal getragen, und zwar beim Besuch des Grafen Ciano im Mai 1939, als der Stahlpakt geschlossen wurde. 11. Vom „Anschluß“ zur „Reichskristallnacht“ – das Jahr 1938 Das Jahr 1938 schien Ernst Wilhelm Bohles Karriere zunächst noch weiter zu festigen, denn es war von wichtigen Auslandsreisen und innenpolitischen Ereignissen geprägt. Sie gaben ihm Gelegenheit, durch seinen Charme und seine Rhetorik bei ausländischen Staatsoberhäuptern für die Auslandsorganisation zu werben und sich zugleich als getreuer Gefolgsmann des ,Führers‘ zu positionieren. Doch in Joachim von Ribbentrop, der am 4. Februar Neurath als Außenminister folgte, erwuchs ihm ein Vorgesetzter und Widersacher, der auf der strikten Trennung zwischen den eigentlichen Aufgaben des AA und den Belangen der Auslandsorganisation bestand und keinen „Nebenaußenminister“ Bohle tolerierte, der außenpolitische Alleingänge unternahm. Das Jahr begann für Bohle mit der Realisierung einer offiziellen Einladung des ungarischen Außenministers und der Ungarischen Gesellschaft für Außenpolitik. Bohle reiste in der Woche vom 22. bis zum 28. Januar in Begleitung seiner Frau nach Budapest. Er wurde wie ein Staatsgast empfangen. Höhepunkt seines Aufenthalts war eine Rede im Delegationssaal des ungarischen Parlaments, die Bohle am 24. Januar vortrug.383 Ziel des Besuchs war es unter anderem, eine Genehmigung der ungarischen Regierung zur Umwandlung der Ortsgruppe Budapest der AO in eine Landeskreisleitung zu erreichen, die bisher aufgrund des offiziellen Mißtrauens gegen jedwede Offizialisierung des Deutschtums unterblieben war. Zudem sollte der Redner die deutsche Volkstumspolitik erläutern. Es gab im Land 2.500 Reichsdeutsche, von denen allerdings nur 207 eingeschriebene Parteimitglieder waren. Ihnen standen ca. 550.000 bis 600.000 Volksdeutsche gegenüber, die 6,9% der ungarischen Gesamtbevölkerung ausmachten.384 Von ungarischer Seite nahmen Ministerpräsident Kálmán Darányi, Außenminister Kálmán Kánya und sein Nachfolger István Czáky, Innenminister Jószef Széll, Kultusminister Bálint Hóman, der deutsche Gesandte von Erdmannsdorff, Konsul Graeb sowie zahlreiche Ministerialbeamte und Vertreter des öffentlichen Lebens an der Veranstaltung teil. Die Rede wurde verschiedentlich gedruckt;385 383 Die Rede wurde vom ungarischen Rundfunk gesendet, vgl. Wiesbaden, DRA B004888497 (2884555). 384 Jacobsen (1968), S. 521–528. 385 Ernst Wilhelm Bohle, Die Auslands-Organisation der NSDAP (Vortrag, gehalten vor der Ungarischen Gesellschaft für Außenpolitik in Budapest am 24. Januar 1938), in: Jahrbuch für auswärtige Politik 4. Jg., 1938, S. 14–29 (auch separat gedruckt).
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der „Völkische Beobachter“ berichtete ausführlich und brachte Auszüge wichtiger Passagen.386 Bei seinem Besuch wurde Bohle von Reichsverweser Admiral Miklós Horthy in Privataudienz empfangen. Dieser habe, so Bohle später, seine Freundschaft zu Deutschland und seine uneingeschränkte Bewunderung Hitlers betont und aus seinem Haß auf Frankreich keinen Hehl gemacht.387 Bohle, der seine Doppelfunktion in Partei und Staat keineswegs verschwieg, begann mit Komplimenten an die ungarische Regierung und schilderte die deutsch-ungarischen Beziehungen als freundschaftlich und komplikationslos. Wichtig sei ihm eine klare Begriffsbestimmung: „Wenn wir generell vom Deutschtum im Ausland sprechen, so verstehen wir darunter sowohl die Auslandsdeutschen wie auch die Volksdeutschen, die in Sprache und Kultur deutschen Stammes sind, nicht aber als Bürger zum Deutschen Reich gehören“ (S. 17). Die Auslandsorganisation der NSDAP habe, wie er bereits wiederholt betont habe, nicht die Aufgabe, die Volksdeutschen zu organisieren. Ihr wichtigster Grundsatz sei es, sich nicht in die innenpolitischen Verhältnisse fremder Staaten einzumischen. Das Reich und die Partei erwarteten vielmehr von allen Reichsdeutschen im Ausland, daß sie vorbildliche und loyale Gäste der Staaten seien, in denen sie sich aufhielten. Die Organisation der Reichsdeutschen im Ausland sei der beste Garant für ihr Wohlverhalten. Reichsdeutscher und Nationalsozialist seien sozusagen identische Begriffe geworden, eine Behauptung, die nicht den Tatsachen entsprach. Auch andere Länder – Bohle nannte Frankreich und die Schweiz – unterhielten Auslandseinrichtungen zur Verbreitung ihrer Kultur oder zur Betreuung ihrer Staatsbürger. Die AO sei mitnichten, wie vor allem in Großbritannien in einer gezielten Verleumdungskampagne behauptet werde, eine Spionageorganisation.388 Auch die Beschwörung des deutschen Pangermanismus, der den Frieden bedrohe, entbehre jeglicher Grundlage. Mit Haß und Lügen könne man das Deutsche Reich nicht erschüttern. Die Deutschen seien ein diszipliniertes Volk, der Nationalsozialismus lege besonderen Wert auf Disziplin, und so sei er sicher, daß seine Landsleute in Ungarn niemals Anlaß zu Klagen geben würden. Bohle endete:
386
VB 24.1.1938. NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0074. 388 Vgl. dazu Bohles Beitrag „Weltspionage“, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 1, S. 2–4: „Unsere Auslandsdeutschen nur deshalb als Spione zu verdächtigen, weil sie Nationalsozialisten sind, würde uns das Recht geben, beispielsweise alle Engländer oder Amerikaner, die im Reich leben, genau so zu verleumden, nur weil sie ihrer Heimat und den Idealen ihrer Heimat treu sind. Wir haben das nicht getan, weil wir Deutsche ein sehr feines Empfinden für die Haltung haben, die in der ganzen Welt mit dem Wort fair play bezeichnet wird. Außerdem erwarten wir aus unserer eigenen nationalen Einstellung heraus, daß die Ausländer im Reich treue Bürger ihrer Heimatstaaten sind, wie wir beispielsweise von einem anständigen Italiener voraussetzen, daß er Faschist ist“. Bohle wiederholte hier und in anderen Beiträgen gebetsmühlenartig die gleichen Argumente. 387
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Ich habe versucht, Ihnen in großen Zügen die fundamentalen Gedanken aufzuzeigen, die mich von Anfang an in meiner Arbeit für das Auslandsdeutschtum geleitet haben. Es kam mir darauf an, darzulegen, daß der Reichsdeutsche im Ausland heute Bürger einer großen und stolzen Nation ist, deren glanzvolle Geschichte von einer jungen starken Generation in sichere Hände übernommen und mit dem kraftvollen Impuls der großen nationalsozialistischen Bewegung zur Sicherung der Zukunft Deutschlands vereinigt worden ist (S. 29).
Bohles Rede führte zum gewünschten Erfolg: Die Ortsgruppe Budapest wurde mit ungarischer Genehmigung zur Landeskreisgruppe (Landesgruppe) unter Leitung von Bohles ehemaligem Mitarbeiter Graeb erhoben. Bohle unterhielt sich mit Graf Csáky kompetent über die südosteuropäische politische Lage und das deutsch-ungarische Verhältnis und erstattete seinem Amtskollegen Makkensen nach seiner Rückkehr Bericht.389 Wenn es EWB gelang, die ungarischen Bedenken zu zerstreuen, so war das vor allem seinen Beteuerungen der Rechtstaatlichkeit der AO zuzuschreiben.390 Diesen Aspekt betonte er auch bei anderen Anlässen, am prononciertesten bei einem Vortrag auf der Sondertagung des Gaues Ausland des ,Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes‘ (NSRB) am 20. Juni 1939 in Leipzig.391 Diese Veranstaltung fand aus Anlaß des Tages des Deutschen Rechts statt. Der Gau Ausland habe, so führte Dr. Horst Lübbe vom Rechtsamt der AO aus, die Aufgabe, die deutschen ,Rechtswahrer‘ im Ausland „in die große Front des Rechtskampfes, den Deutschland heute führt“ einzugliedern bzw. den deutschen ,Rechtswahrern‘ im Inland bei der Verfolgung von Rechtsstreitigkeiten im Ausland sowohl durch allgemeine Auskünfte wie durch die Benennung geeigneter arischer Rechts- und Patentanwälte zu helfen (S. 5–6).
389 Aufzeichnungen über meine Reise nach Budapest vom 23. bis 27. Januar 1938, in: ADAP V (1918–1945), Nr. 173, S. 201–203. 390 Vgl. die dies bekräftigende Eidesstattliche Erklärung von Bohles Mitangeklagtem, dem (freigesprochenen) Gesandten Otto von Erdmannsdorff (Nürnberg, 1.4. 1949), die von Dr. Elisabeth Gombel beglaubigt wurde (Kopie Privatarchiv FRH). 391 Ernst Wilhelm Bohle, Das Auslandsdeutschtum im Dienste des Völkerrechts. Rede von Gauleiter E. W. Bohle auf der Reichstagung des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, in: Der Auslandsdeutsche 27, 1939, S. 221–223. Auch enthalten in: Drei Reden für das Auslandsdeutschtum gehalten auf der Sondertagung des Gaues Ausland des NSRB. Am „Tag des Deutschen Rechts“ in Leipzig 1939 von Reichsrechtsführer, Reichsminister Dr. Frank, Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP. E. W. Bohle, Gauleiter Reichsstatthalter Dr. Alfred Meyer, Gau WestfalenSüd der NSDAP, Berlin, 1939, S. 9–14 [der Titel ist insofern irreführend, als Hans Frank nur ein Schlußwort sprach und Dr. Horst Lübbe vom Rechtsamt der AO, dessen Name auf dem Titelblatt fehlt, die Gäste mit einer Ansprache begrüßte]. – Wenig zuvor hatte EWB der „B.Z. am Mittag“ ein Interview gegeben, in dem er die im Vorfeld des Krieges immer zahlreicher gewordenen Ausweisungen Reichsdeutscher aus Großbritannien, Frankreich und Polen für illegal erklärte: „Infolgedessen lassen die ergriffenen Maßnahmen der beteiligten Regierungen nur den Schluß zu, daß man die Auslandsdeutschen heute als Prügelknaben für den Haß betrachteten will, den man gegen das erstarkte und unangreifbare Reich empfindet“, vgl. Das Reich zum Schutz jedes Auslandsdeutschen entschlossen, in: Das Deutschtum im Ausland, 27, 1939, S. 196.
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Auch in diesem Vortrag, in dem Bohle auf seine Reden in London und Budapest Bezug nahm, wird der Doppelcharakter des NS-Staates deutlich, der nominell nach Recht und Gesetz, de facto aber durch ad hoc erlassene Verordnungen regiert wurde. Wie sich die Landesgruppen in Wirklichkeit verhielten, ob sie nicht doch spionierten und subversiv tätig waren, entzog sich häufig der Kenntnis der Berliner Zentrale, so daß Ideal und Wirklichkeit auseinanderklafften, ein Zustand, der, wenn nicht gar von der Gauleitung der AO gewollt, so doch zumindest nicht ungern toleriert wurde. Dies wird deutlich, wenn man Bohles Behauptungen bei der Leipziger Juristentagung denen seines rumänischen Landesgruppenleiters Artur Konradi gegenüberstellt. Konradi informierte am 25. Oktober 1939 Joachim Cropp, den Zellenleiter der AO in Konstanza, über eine Besprechung, die vom 9. bis 12. Oktober bei der Leitung der Auslandsorganisation mit den obersten Hoheitsträgern bzw. ihren Stellvertretern der Gruppen von Südosteuropa und Südeuropa stattgefunden hatte. Sie lassen an Deutlichkeit, was eine gezielte Spionagetätigkeit angeht, nichts zu wünschen übrig. Einschränkend muß man hinzufügen, daß die geplanten Aktionen kriegsbedingt waren. Das schließt jedoch nicht aus, daß es sie auch schon vorher gegeben hatte: Während des Krieges muß jeder Nationalsozialist im Ausland sich in den unmittelbaren Dienst der Heimat stellen, es geschieht dieses entweder durch Propagandatätigkeit für die deutsche Sache oder durch Abwehr der Feindmaßnahmen. [. . .] Wie überall, ist es entscheidend wichtig zu wissen, wo der Feind steht und was er tut. [. . .] Ein wichtiger Sektor Ihrer und Ihrer Kameraden Arbeit müssen Wirtschaftsbetriebe, Handelsunternehmungen usw. sein. Nicht nur, daß Sie auf diesem Wege gut Ihre Propaganda fortpflanzen können. Sie können gerade in solchen Unternehmungen leicht Nachricht über sonderbare Besucher erhalten.392
Das ist zwar noch keine unmittelbare Aufforderung zur Spionage, kommt dem jedoch bereits nahe. In den Landesleitungen und Ortsgruppen anderer Länder werden ähnliche Anweisungen verbreitet worden sein. Es ist angesichts der Brisanz von Konradis Zirkular kein Wunder, daß er Anfang 1942 aus Rumänien ausgewiesen wurde. Dies hängt aber auch damit zusammen, daß der Propaganda-Dienst der AO häufig in Zusammenarbeit mit Goebbels ohne Genehmigung von RAM von Ribbentrop im Ausland tätig wurde, obwohl die Auslandspropaganda Sache des AA war. Als Kompromiß wurden der AO nach dem Protest Ribbentrops zwar gewisse Propagandamaßnahmen erlaubt, aber nur nach Rücksprache mit den jeweiligen Missionschefs.393
392
Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., Nr. PS-3796. Rundschreiben, Auswärtiges Amt, Geheim, Pers. 415/43 g., Berlin, 25.6.1943, gez. Ribbentrop, an die Deutschen Botschaften, Gesandtschaften, Dienststellen des AA (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]). 393
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Die Zwiespältigkeit, um nicht gar von Irreführung der deutschen und ausländischen Öffentlichkeit zu sprechen, wird aus Konradis Vorgehen unmittelbar manifest. Bohle kann nicht so naiv gewesen sein, daß ihm diese Widersprüche verborgen blieben. Im besten Fall wollte er sie nicht wahrhaben, im schlimmsten sprach er selber mit zwei Zungen. Dabei war dem Redner von Leipzig vermutlich nicht einmal bewußt, daß die deutsche Justiz zu diesem Zeitpunkt in Theorie und Praxis längst überkommenen demokratischen und liberalen Rechtsprinzipien wie Teilung der Gewalten, Gleichheit vor dem Recht und Unabhängigkeit der Richter abgeschworen hatte:394 Ich kann es mir sicher ersparen, in längeren Ausführungen auf den fundamentalen Grundsatz der Auslandsorganisation der NSDAP. einzugehen, der es jedem Auslandsdeutschen auf das entschiedenste verbietet, sich irgendwie mit innerpolitischen Angelegenheiten fremder Staaten zu befassen. Wenn eine Durchbrechung dieses Grundsatzes vorkommen sollte, so wird ohne weiteres schon von deutscher Seite rücksichtslos eingegriffen. Das Auslandsdeutschtum ist aber heute kraft seiner nationalsozialistischen Haltung so diszipliniert, daß keinerlei Befürchtungen dieser Art gehegt werden können. Es ist und bleibt die ausschließliche Aufgabe der Auslandsorganisation, die Auslandsdeutschen im nationalsozialistischen Sinne zu betreuen und nicht die, fremde Völker im Sinne unserer Weltanschauung zu beeinflussen.395
Bohle hatte allenfalls bei enger Auslegung des Begriffs „sich irgendwie mit innerpolitischen Angelegenheiten fremder Staaten zu befassen“ recht. Versteht man darunter eine aktive Einmischung, so waren derartige Aktivitäten seitens der AO tatsächlich die Ausnahme;396 zählt man Informationsbeschaffung und Berichterstattung dazu, so waren sie die Regel.397 Bohle sagte im Nürnberger Zeugenverhör zu diesem Punkt: Natürlich ist bekannt, daß ebenso wie die Angehörigen der damaligen Feindstaaten auch Deutsche im Ausland zu Spionagezwecken und im Nachrichtendienst eingesetzt wurden. Diese Tätigkeit hatte aber mit der Zugehörigkeit zu der Auslandsorganisation nicht das geringste zu tun. Um den Bestand der Gruppen der Auslandsorganisation, die völlig öffentlich und legal wirkten, nicht zu gefährden, habe ich immer wieder verlangt, daß Mitglieder der Auslandsorganisation für solche Zwecke nicht
394 Grundlegend zu diesem Themenbereich ist immer noch Ernst Fraenkel, Der Doppelstaat: Recht und Justiz im „Dritten Reich“. [Aus d. Amerikan. rückübersetzt von Manuela Schöps in Zusammenarbeit mit d. Autor]. Ungekürzte Ausgabe, Frankfurt am Main, 1984 (Fischer-Taschenbücher; 4305). 395 Drei Reden für das Auslandsdeutschtum, S. 11. 396 Vgl. jedoch das in Kap. I.1 über EWBs Vater Hermann Bohle Gesagte, der sich aktiv in die südwestafrikanische Politik einmischte. 397 Vgl. auch: Konstatin von Neurath, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 19.9. 1946 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 163). Der ehemalige Außenminister qualifizierte diese Informationen als „illegal“; sie seien entweder von deutschstämmigen Staatsangehörigen des betreffenden Landes oder von einheimischen Kreisen, mit denen die AO-Mitglieder gesellschaftlichen oder beruflichen Kontakt hatten, beschafft worden.
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eingesetzt wurden, oder mir aber vorher Gelegenheit gegeben wurde, sie ihrer Funktionen innerhalb der Auslandsorganisation zu entheben.398
Kommen wir wieder auf das Jahr 1938 zurück. Nachdem am 11. März 1938 die Wehrmacht in Österreich einmarschiert war, Hitler und Seyß-Inquart am Abend des 12. März in Linz zusammengetroffen waren, die sofortige „Wiedervereinigung“ ohne die ursprünglich vorgesehenen Übergangsfristen beschlossen hatten und die Regierung Seyß-Inquart am Morgen des 13. März das „Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich“ verabschiedet hatte, galt der von den Nazis genannte ,Anschluß‘, der de facto eine Annexion war, als vollzogen. Im April liefen die Vorbereitungen für Hitlers Staatsbesuch in Italien auf Hochtouren, wobei es sich zwar um einen Gegenbesuch zu dem des Duce im September 1937 handelte, doch sollte er Mussolini auch wegen des ,Anschlusses‘ beruhigen und die deutsch-italienische Freundschaft weiter festigen. Es war das erste Mal, daß Hitler dem Staatsoberhaupt eines anderen Landes einen Staatsbesuch abstattete. Es entstand ein Gerangel darum, wer mitfahren durfte. Jeder, der im NS-Staat etwas auf sich hielt, wollte mit dem ,Führer‘ zum ,Duce‘ nach Rom reisen und möglichst von König Viktor Emanuel III. empfangen werden, dessen Autorität im Staat unbestritten war, wenngleich ihn Hitler als „König Nußknacker“ verspottete. Auf der Protokolliste standen bereits 350 Namen,399 als Annelies von Ribbentrop, die Gattin des kurz zuvor ernannten Außenministers, den Wunsch nach einem Damenprogramm äußerte. Sie setzte sich durch, auch wenn der Chef des Protokolls das nicht gerne sah. Am 2. Mai 1938 brach eine auf 600 Personen angeschwollene NS-Delegation vom Lehrter Bahnhof in Richtung Italien auf. Es war dies der einzige Staatsbesuch Hitlers vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, und er wirkte wie eine große Ausflugsfahrt. Die Stimmung war gelöst, denn durch den ,Anschluß‘ waren sich Italien und Deutschland räumlich so nahe gerückt wie noch nie zuvor. Sie hatten jetzt eine gemeinsame Grenze und mußten und wollten sich auch politisch ganz nahe kommen. Dies bedeutete für Hitler, jedweden Anspruch auf Südtirol aufzugeben. Der Besuch markierte einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum ,Stahlpakt‘ von 1939, der nicht nur die beiden Länder, sondern auch die beiden Führer untrennbar aneinanderschmiedete. Jede Etappe wurde medial gekonnt inszeniert: Es gab Paraden zu Wasser und zu Lande, Kranzniederlegungen, Museumsbesuche und gemeinsame Bankette. Hitlers Leibphotograph Heinrich Hoffmann schoß zahlreiche Bilder, von denen 126 in einem Bildband 398 Der Nürnberger Prozeß, Hauptverhandlungen, Neunzigster Tag. Montag, 25. März 1946, Nachmittagssitzung, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, Nürnberg, 1947, Bd. 10, S. 7–43, hier S. 23. 399 Bohle hatte Platz 15 vor Ministerialdirektor Friedrich Gaus (Nummer 16), vgl. E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13605.
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„Hitler in Italien“ publiziert wurden.400 Reichspressechef Dr. Dietrich verfaßte das Vorwort und nannte das Bündnis von Hakenkreuz und Liktorenbündel das leuchtende Symbol des Antibolschewismus am Himmel Europas. Ribbentrop wollte nicht dahinter zurückstehen und schrieb seinerseits ein Vorwort zu einem von Oberbereichsleiter Henrich Hansen401 herausgegebenen Bildband, der mehr Text enthält als der Dietrichs und den euphorischen Titel „Der Schlüssel zum Frieden“ trägt.402 Die Reise war äußerlich ein großer Erfolg, politisch bedeutungslos.403 Hitler wurde triumphal empfangen und gewann seinerseits durch eine psychologisch fein abgestimmte Rede im Palazzo Venezia viele Sympathien. Noch Jahre später schwelgte er in der Erinnerung an den „Zauber von Florenz und Rom“.404 Bohle gehörte zur offiziellen Regierungsdelegation, die sich aus den Ministern Ribbentrop, Heß, Goebbels, Frank und Lammers sowie Vertretern der Wehrmacht, der SS und des Auswärtigen Amtes zusammensetzte. Er wurde von neun Mitarbeitern der Berliner AO-Zentrale begleitet. Auf dem Bahnhof von Verona hatte die erste Gruppe von Auslandsdeutschen den ,Führer‘ bereits begrüßt, der ihr vom Wagenfenster aus dankte. Den Höhepunkt dieser Begegnungen bildete am 4. Mai um 18 Uhr eine Versammlung von 6.500 Auslandsdeutschen in der Basilika des Maxentius, einem der größten und höchsten Bauwerke des römischen Forums. Im Halbkreis umrahmten Bannerträger und Formationen der NSDAP die weite Apsis. Als der ,Führer‘ mit dem Duce an der Spitze eines Zuges von Würdenträgern erschien, erklang der Badenweiler Marsch, gespielt von der Standarte ,Feldherrnhalle‘. Bohle durfte die Eröffnungsansprache halten. Er betonte die nationalsozialistische Kameradschaft der Auslandsdeutschen und lobte das Verständnis des faschistischen Italien für deren Belange. Kein Terror, kein Zwang, keine lügenhafte Presse hätten es vermocht, die Auslandsdeutschen davon abzuhalten, Nationalsozialisten zu werden und sich mit aller Entschlossenheit zum neuen Reich zu bekennen.405 Mehrere Photos dokumentieren Ernst und Enthusiasmus der Versammlung. Hitler ergriff kurz das Wort
400
Heinrich Hoffmann (Hrsg.), Hitler in Italien, München, 1938. Henrich Hansen (Jg. 1895), stammte aus Wester-Ohrstedt/Nordfriesland, war Persönlicher Referent des Reichspressechefs und Verfasser zahlreicher Propagandabroschüren, vgl. Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 1943, Berlin, 1943, col. 389. 402 Henrich Hansen (Hrsg.), Der Schlüssel zum Frieden – Führertage in Italien, mit einem Geleitwort von Joachim v. Ribbentrop, Berlin, 1938. Weitere Abb. bei Halcomb, S. 47 403 Vgl. auch den Bericht bei Schmidt, S. 384–388. 404 Joachim Fest, Hitler. Eine Biographie, Berlin, 1998, S. 787–789, hier S. 788. 405 Auszüge der Reden Bohles und Hitlers bei Bernhard Ruberg, Vom Werden der Auslands-Organisation, in: Deutsches Wollen 1, Berlin 1939, H. 3, S. 10–11 u. 52; eine Tonaufzeichnung in: Wiesbaden, DRA B005055672 bzw. B004892929 (2590326) (Dauer 33’06”). Außer Bohle sprach sein alter Weggefährte Ettel. 401
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und sagte, nicht den Italiendeutschen allein gelte sein Gruß. Er wende sich an das Deutschtum der ganzen Welt: Ich bin zu euch gekommen, um euch dies in wenigen Worten zu sagen, um euch zu ermahnen, eine Volksgemeinschaft im kleinen hier in der Fremde zu sein, so wie es die ganze deutsche Nation in der Heimat ist, eine Volksgemeinschaft der gegenseitigen Hilfe und Unterstützung. [. . .] Ihr – das weiß ich – habt Deutschland nie vergessen. Deutschland freut sich darüber und vergißt euch auch nicht!406
Zum ersten Mal in der Geschichte sprach ein deutsches Staatsoberhaupt unter fremdem Himmel zu Auslandsdeutschen.407 Ein derartiger Auftritt war jedoch nur im befreundeten Italien möglich. Mussolini, mit dem sich EWB gut verstand, nannte ihn stets „Bolle“, ohne vermutlich das gleichnamige Berliner Milchmann-Original zu kennen. Die Begeisterung bei den Italiendeutschen war, soweit es sich nicht um Emigranten handelte, riesengroß. Die Menschenmasse war von Hitler wie hypnotisiert und jubelte ihm wie einem überirdischen Wesen zu.408 406 VB Nr. 126, 6.5.1938; Einzelheiten auch bei Domarus, Bd. 1, 2 (1935–1938), S. 857–858, der die gesamte Reise ausführlich dokumentiert. 407 Hansen, nicht paginierte Seite mit Photo des ,Führers‘ und Erläuterungen. 408 Der deutsch-schwedische Flugzeugingenieur Stefan Zenker (Sollentuna) hat unter anderen Familienunterlagen einen Brief (22.5.1938) seiner Tante Marianne Schweitzer geb. Zenker (1898–1993) an seine Großmutter Gundhild af Sillén ins Internet gestellt (http://www.zenker.se/Liber/Brev_1938/brev_1938.htm.#Maj1938). Darin berichtet die Tante, die politische Leiterin der NS-Frauenschaft in San Remo war, von ihrer Romreise. Der Brief ist insgesamt zu lang, um hier ganz abgedruckt zu werden, doch vermitteln einige Auszüge einen guten Eindruck der damaligen Stimmung: „Also 40 Mann hoch fuhren wir hier von San Remo los. 12 Braunhemden, Frau Blaser und ich in befohlener Dienstkleidung der pol. Leiterinnen der Frauenschaft (Schwarzes Smokingkostüm, weisse Bluse, weisse Handschuhe, schwarzer Hut) und dann Parteiund Frauenschaft. [. . .] In Genua mussten wir in einen Sonderzug, der die Deutschen von Turin und Genua noch mitnahm. Es wurde ein singender Zug; alle voll glücklicher Erwartung: wir fahren zum Führer! Ich habe in dieser Nacht oft daran denken müssen, dass nun aus allen Teilen Italiens Züge mit Italiendeutschen rollten, die zu ihrem Führer fuhren, und das Herz wurde weit bei diesem Denken. – In Rom auf dem kleinen Bahnhof Trastevere, wo wir ankamen, stand die Kapelle der S.A.-Standarte Feldherrnhalle München und spielte deutsche Märsche zum Empfang. Wir waren glücklich!! Am Bahnhof trennten Otto [= ihr Mann Otto Schweitzer, wie sie Landschaftsarchitekt, FRH] und ich uns gleich. Er kam in’s Männerlager: Deutsche Schule, wir in ein Frauenlager zu den Nonnen. Istituto Salesiane via Lungare, nicht sehr weit vom Petersdom. [. . .] Fahnen, Fahnen, Fahnen, Licht, Licht, Licht, Musik. Die Atmosphäre allein war berauschend. [. . .] Überall Erregung! Das Colosseum flammt von innen rot durchleuchtet auf. So sah’s wohl aus als Nero Rom anbrannte. Ungeheuerlich. Vom Monumento Nazionale winkte der blaue Strahlenkranz in den schwarzen Nachthimmel. – Und dann kamen die Wagen. Der Führer neben dem König. Leider sah er nach dem Colosseum hinüber. Das italienische Militär sang: Deutschland, Deutschland über alles auf deutsch! Alles war wie ein Traum, aber grandios. Nach 1/4 Stunde war alles vorbei. Die Minister, der Duce. [. . .] Nachmittags um 3 Uhr war dann Treffen aller Deutschen, gemeinsamer Marsch ins Forum Romanum, und dort in der Basilika Massenzio sollte der Führer zu uns sprechen. Das war glänzend organisiert. Jeder hatte einen guten Sitzplatz. 6.000! Die Standarte Feldherrnhalle spielte un-
11. Vom „Anschluß‘‘ zur „Reichskristallnacht‘‘ – das Jahr 1938
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Im Spätherbst dieses Jahres trat Bohle noch einmal auf die politische Weltbühne, jedoch wieder nur in der zweiten Reihe hinter seinem ,Führer‘. Am Morgen des 7. November 1938 hatte der 1921 in Hannover als Sohn polnischer Eltern geborene Herschel Feibel Grynszpan (Hermann Grünspan) in der deutschen Botschaft Paris (Rue de Lille) mit einem Revolver den dort Dienst habenden Legationssekretär Ernst vom Rath niedergeschossen und sozusagen das Gustloff-Attentat wiederholt. Es handelte sich um die Verzweiflungstat eines ärmlichen Exilanten, die als Protest gegen die Ausweisung seiner Eltern und weiterer 18.000 polnischer Juden gedacht war. Vom Rath erlag am Nachmittag des 9. November seinen Verletzungen, genau am fünfzehnten Jahrestag des Hitlerputsches von 1923. Zweieinhalb Jahre zuvor, als der jüdische Medizinstudent David Frankfurter den Schweizer Landesgruppenleiter Wilhelm Gustloff in Davos erschossen hatte, waren „wilde“ Reaktionen von Parteifanatikern in Deutschland aus Opportunitätsgründen verhindert worden. Jetzt, in einem durch die Sudetenkrise aufgeheizten Klima, war die Situation äußerst gespannt, eine Reaktion gegen das „internationale Judentum“ kam der Naziführung gut zupaß. Waren bereits am Abend des 8. November durch Agitation örtlicher Parteiführer pogromartige Ausschreitungen zu konstatieren, die sich in der Niederbrennung von Synagogen, der Zerstörung und Plünderung jüdischen Eigentums und schweren Mißhandlungen jüdischer Bürger entluden, brach jetzt reichsweit ein Sturm los, gesteuert von Goebbels und ausgehend von München, wo sich die Parteielite im Bürgerbräukeller versammelt hatte. Die Ereignisse sind als „Reichskristallnacht“ in die Geschichte eingegangen.409 Grynszpans Attentat lieferte den Vorwand zu den Ausschreitungen, denn es wurde von der deutschen Propaganda als Racheakt des „internationalen Weltjudentums“ herausgestellt, vom Rath als „neuer Blutzeuge des ewigen Deutschland“ zum Märtyrer stilisiert. Der Tote, NSDAP-Mitglied seit 1932, gehörte zur Pariser Ortsgruppe der AO und wurde im Botschaftsgebäude aufgebahrt, wo die in Paris lebenden Deutschen an seinem Sarg vorbeidefilierten. Landesgruppenleiter Gesandtschaftsrat Dr. Ehrich hielt im Deutschen Haus die Abschiedsrede, bevor der Leichnam durch die nächtlichen Straßen zum Nordbahnhof eskortiert wurde. Das Gebäude war von den Franzosen geschmückt worden, eine Kompanie franunterbrochen. [. . .] Und dann kam der Führer. Alle sahen wir ihn ganz nahe. Gross und ernst waren seine blauen Augen auf uns gerichtet und jeder Einzelne hatte bei seinem Rundgang das Gefühl: er schaut mir in die Augen! Und das vergessen wir unser Lebtag nicht. Da war es ganz still! Dann tobte der Jubel. Der Duce war mitgekommen, eine so freundliche Geste. Arm in Arm sahen wir sie die beiden grossen Männer. Erst sprach Bohle, dann sprach unser Ettel, unser Landesgruppenleiter. Hörtet Ihr das? Er sprach so zu Herzen gehend: Wo der Führer ist, da ist die Heimat und der Führer ist bei uns und wir sind in der Heimat. – Dann sprach der Führer, sehr sehr bewegt war er. Ihm liefen die Tränen, uns liefen sie. Es war ganz, ganz still. – So viel zu schnell ging er wieder von uns fort“. (Ich danke Herrn Zenker für die Abdrucksgenehmigung). 409 Einzelheiten bei Kershaw, Bd. 2, S. 194–202.
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zösischer Soldaten in Galauniform hatte Aufstellung bezogen. Noch in der Nacht erfolgte die Überführung vom Raths in seine Heimatstadt Düsseldorf. Dort fand am Nachmittag des 17. November in der Rheinhalle ein Trauerakt in Gegenwart Hitlers statt, bei dem Bohle und Ribbentrop sprachen. Den Trauergottesdienst hielt der deutschchristliche Bischof Peters. Hitler sprach nicht, er wollte nach außen hin die Version aufrechterhalten, nicht das mindeste mit dem Pogrom der ,Reichskristallnacht‘ zu tun zu haben.410 Wie Hitler, Goebbels, Ribbentrop und Bohle das Grynszpan-Attentat411 medial aufbereiteten, um es politisch ausschlachten zu können, kann man einem reich bebilderten ,Gelbbuch‘ entnehmen, das der SS-Mann und ,Reichsredner‘ Wolfang Diewerge, herausgab, der uns bereits im Fall Gustloff begegnet ist.412 Er druckte auch Bohles Rede ab, in der dieser vom Rath zum achten Blutzeugen des Auslandsdeutschtums, als „Opfer jüdisch-bolschewistischer Mordlist im Ausland“, stilisierte. Bohle sprach von „internationalem Untermenschentum“, das die Kräfte des wiedererstandenen Reichs verfolge, und erging sich in antisemitischen Tiraden. Der Attentäter habe „feige und hinterlistig seine Rachegelüste ausgetobt“, aber die Juden vergäßen dabei, daß tote Nationalsozialisten die Bewegung, die Deutschland wieder zur Weltmacht erhoben habe, niemals geschwächt, sondern immer nur stärker und zum Sieg entschlossen gemacht hätten.413 Zu Recht wurde Bohle diese Rede im Wilhelmstraßen-Prozeß angelastet. Aber da er sie mehr als eine Woche nach den Pogromen vom 9./10. November gehalten hatte, konnte sie dafür nicht als kausal gewertet werden.414 Dies, zusammen mit seinem Schuldbekenntnis, bewog später die Anklage in Nürnberg, ihn in diesem Punkt freizusprechen.
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Domarus Bd. 1, 2 (1935–1938), S. 978. Später befaßten sich kritische Juristen mit dem Fall, vgl. Friedrich Karl Kaul, Der Fall des Herschel Grynszpan, Berlin, 1965; Lutz van Dick, Der Attentäter: Herschel Grynszpan und die Vorgänge um die „Kristallnacht“, Reinbek b. Hamburg, 1989 (rororo-Rotfuchs); literarisierend Andreas Friedrich Bareiß, Herschel Feibel Grynszpan: der Attentäter und die „Reichskristallnacht“. Eine Tatsachenerzählung, Gießen, 2005. 412 Wolfgang Diewerge, Anschlag gegen den Frieden: ein Gelbbuch über Grünspan und seine Helfershelfer, München, 1939. Weitere Abb. bei Halcomb, S. 50 u. 52. 413 Diewerge, S. 57–58. Vgl. den Mitschnitt der Übertragung im Reichsrundfunk: Wiesbaden, DRA B003494604 (2783642) bzw. B003839733 (2955895) (Dauer 20’15”). 414 Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess. Der amtliche Wortlaut der Entscheidung im Fall Nr. 11 des Nürnberger Militärtribunals gegen von Weizsäcker und andere, mit abweichender Urteilsbegründung, Berichtigungsbeschlüssen, den grundlegenden Gesetzesbestimmungen, einem Verzeichnis der Gerichtspersonen und Zeugen, und Einführungen von Dr. Robert M. W. Kempner und Dr. Carl Haensel. Hrsg. unter Mitwirkung von Rechtsanwalt C. H. Tuerck, München-Schwäbisch Gmünd, 1950, S. 122. 411
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Ein letzter großer Auftritt vor Kriegsausbruch war in der (noch) Freien Stadt Danzig vorgesehen. Dort war für die Zeit vom 21. bis 25. August 1939 eine Osttagung der deutschen Rechtswahrer anberaumt, die im Magistratssitzungssaal des Rathauses durchgeführt werden sollte. Das war eine klare Provokation, wenn man die von Hitler betriebene „Eingliederung“ Danzigs in das Deutsche Reich und die Agitation des Danziger Gauleiters Albert Forster bedenkt.415 Bohle sollte auf dieser Tagung sprechen und wollte seine Rede „mit einigem Material über Ausschreitungen der Polnischen Regierung gegen deutsche Volksgenossen versehen“. Dieses Material wurde von der Politischen Abteilung des AA zusammengestellt, doch ehe Bohle es verwendete, wollte der zuständige Staatssekretär von Weizsäcker die Genehmigung Ribbentrops einholen.416 Die Tagung wurde wegen der drohenden Kriegsgefahr abgesetzt, so daß Bohle seine Rede nicht halten konnte. 12. In Ungnade Auch der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs war für Bohles politische Karriere wenig förderlich. Sein Aktionsradius wurde immer weiter eingeschränkt, denn nach Österreich und der ,Tschechei‘ (Protektorat)417 wurden Polen,418 die Ukraine,419 die baltischen Staaten, Luxemburg,420 die Niederlande421 und Nor415 Einige Unterlagen finden sich in: Berlin, PA AA R 27269. Das ,rechtspolitische Gemeinschaftslager für Rechtswahrer des deutschen Ostens‘ wurde vom Gauführer des Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes, Dr. Lübbe, vorbereitet. Ursprünglich sollte es vom 6 bis13. August 1939 in der Gau-Schulungsburg Wordel des Gaues Danzig für „führende Rechtswahrer“ aus Ostpreußen, Danzig, Memelland und eventuell Pommern durchgeführt werden. Das Lager sollte die Bedeutung des Rechts des ,Dritten Reiches‘ für den gesamten Osten unterstreichen. Als Redner waren Reichsminister Seyß-Inquart, Staatssekretär Stuckart, Brigadeführer Best, Reichsleiter Bouhler u. a. prominente Nationalsozialisten vorgesehen. Das definitive Programm vermerkt als Redner die Gauleiter Forster, Bohle, Henlein, weiterhin die Reichsminister Frank und Seyß-Inquart, Reichsleiter Bouhler, Franz Karmasin, Staatssekretär für deutsche Fragen in der Regierung der Slowakei, Oberbürgermeister Markmann, Magdeburg, Staatssekretär Dr. Freisler und Senatspräsident Greiser. 416 E. von Weizsäcker, Fernschreiben (Berlin, 16.8.1939) für Herrn Reichsaußenminister, Berghof (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG 2007). 417 Verfügung des Führers vom 21.3.1939, vgl. Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben, hrsg. von der Partei-Kanzlei der NSDAP, Bd. 3, München, [ca. 1942], S. 245 (V.59/39). Die Betreuung der Reichsdeutschen solle in Zukunft durch die Gaue Sudetenland, Bayreuth, Oberdonau und Niederdonau erfolgen. 418 Karl Hederich, Eidesstattliche Versicherung, Nürnberg, 19.6.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch III für E. W.Bohle, Nr. 52a, S. 39–40 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-4): „Mit der Errichtung des Generalgouvernements und der Aufteilung Polens wurde die Landesgruppe Polen der Auslandsorganisation der NSDAP aufgelöst, nachdem ihre Tätigkeit unter den Reichsdeutschen Polens bereits mit Kriegsausbruch automatisch ein Ende gefunden hatte. Die Aufgabe der NSDAP wurde sodann in den ehemals polnischen Gebieten unmittelbar von der Parteiführung selbst wahrgenommen“.
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wegen dem Einfluß der AO entzogen. Landesgruppen im Machtbereich Großbritanniens und Frankreichs wurden bei Kriegsbeginn ohnehin geschlossen. In mehreren lateinamerikanischen Staaten war bereits vor Kriegsausbruch ein Verbot politischer Betätigung erlassen worden. Die Kommunikation mit den überseeischen Ortsgruppen wurde durch den Krieg erschwert, Reisen außerhalb des europäischen Kontinents wurden nahezu unmöglich.422 In Osteuropa kümmerten sich die Wehrmacht, die SS und Alfred Rosenbergs am 17. Juli 1941 gegründetes Ostministerium um die wenigen dort noch verbliebenen Reichsdeutschen sowie das Gros der Volksdeutschen. Bohle konnte zwar nach wie vor auf Rudolf Heß zählen, doch auch der Stern seines Protektors war bereits seit langem im Sinken begriffen. Als Heß am 10. Mai 1941 überraschend nach Schottland flog, schwächte dies langfristig auch Bohles politisches Gewicht. Bereits am 22. Mai verschärfte Staatssekretär Luther die Überwachung der eingehenden Post des Chefs der AO im AA. Ende Juli verfügte Ribbentrop, daß alle Telegramme und Anordnungen Bohles als Staatssekretär und Chef der AO im AA vor ihrem Abgang von Luther zu bearbeiten und Staatssekretär von Weizsäcker vorzulegen seien.423 Wenn Bohle am 27. November 1941 auf eigenen wie auf Wunsch des Außenministers, wie es diplomatisch hieß, von seinen Dienstgeschäften entbunden wurde,424 aber bis Kriegsende den Titel eines Staatssekretärs im Auswärtigen 419 Verfügung des Führers vom 1.4.1942, vgl. Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben, S. 200 (V.3/42). In den Kommissariaten, die dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unterständen, solle ein ,Arbeitsbereich Osten‘ der NSDAP unter der Leitung von Reichsleiter/Minister Rosenberg errichtet werden, der die nicht der Wehrmacht angehörenden Reichsdeutschen betreuen solle. 420 Vgl. Kap. II.4. 421 Verfügung vom 7.10.40, vgl. Verfügungen, Anordnungen, Bekanntgaben, S. 198 (A.9/40): „Die Lage in den besetzten niederländischen Gebieten und die sich daraus ergebenden besonderen Aufgaben für die dort wohnenden Reichsdeutschen, vor allem für die Parteigenossen, machen eine Unterstellung der bisherigen Landesgruppe Niederlande der Auslandsorganisation unter den Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete notwendig.“ Die Landesgruppe der Niederlande der AO wurde zum 15.10.1940 aufgelöst, in ,Arbeitsbereich der NSDAP in den Niederlanden‘ umbenannt und dem Reichskommissar unterstellt. Die Übergabe an Fritz Schmidt, den Leiter des ,Arbeitsbereichs‘, erfolgte in Utrecht in Bohles Gegenwart am 27.10.1940, vgl. Wiesbaden, DRA B003500658 (2955720) (Übertragung der Kundgebung). 422 Vgl. das Schreiben (8.10.1941) des Gauschatzmeisters der AO, Theodor Leonhardt, an den Reichsschatzmeister der NSDAP in München, die Auflösung der AO in Kuba betreffend. Er ordnete an, alle 52 Mitglieder pro forma rückwirkend aus der Partei zu entlassen, um sie vor Verfolgung zu schützen (Berlin, BArch BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm). 423 Berlin, PA AA R 27653 (Luther für Krümmer, 22.5.41); R 27631 (Ribbentrop an Weizsäcker, 24.7.41; Ribbentrop an Bohle, 25.7.41). 424 Datum nach: BHDAD, Bd. 1 (2000), S. 209. Eine Kopie des entsprechenden Erlasses von Reichsminister Dr. Lammers (Berlin, 14. November 1941, z. Zt. FührerHauptquartier) in: Nürnberg, StA KV-Anklage Umdrucke Deutsch, NG-5511. Die
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Amt behalten durfte, so war dies indirekt eine Folge von Heß’ Englandflug. Dieser machte, ohne daß Bohle sich dagegen gewehrt oder sich darüber beklagt hätte, die Bahn endgültig frei für Ribbentrop, der sich schon lange über Bohles außenpolitische Aktivitäten geärgert hatte425 und seit langem eine personalpolitische Neuordnung unter den Parteigenossen im Auswärtigen Dienst durchsetzen wollte. Sie sollten wie zu Beginn von Bohles Tätigkeit zu einer eigenen Ortsgruppe zusammengefaßt werden, diesmal jedoch unter seiner Leitung. Durch diesen Schritt hoffte Ribbentrop, sich auch die Auslandsorganisation insgesamt zu unterstellen.426 Ribbentrop einerseits und Bohle und Bormann andererseits stritten im Sommer 1941 mehrfach über die Zukunft der AO und ihre Einbindung in das AA. Der Disput wurde Hitler vorgetragen und endete mit einer seiner üblichen Kompromißentscheidungen. Bohle verließ zwar das Auswärtige Amt, doch die Auslandsorganisation blieb vom AA unabhängig.427 Ribförmliche Aufhebung des Erlasses vom 30.1.1937 über die Einsetzung eines Chefs der AO im AA und Bohles „alsdann erforderliche Versetzung in ein anderes Amt oder in den Wartestand“ habe sich der Führer für die Zeit nach dem Krieg vorbehalten: „In der Zwischenzeit behalten Sie die Amtsbezeichnung Staatssekretär bei. Ob, in welcher Höhe und von welcher Stelle Ihre Beamtenbezüge solange fortzuzahlen sind, soll einer Vereinbarung zwischen dem Reichsaussenminister und dem Leiter der Partei-Kanzlei überlassen bleiben“. 425 Reinhard Spitzy, So haben wir das Reich verspielt. Bekenntnisse eines Illegalen, München, 1986, ad Indicem (S. 516). Spitzy war Sekretär Ribbentrops an der deutschen Botschaft in London. 426 Vgl. Goebbels, TB 13.8.41, Bd. 1, S. 227 (Alte Ausg.). Vgl. auch das Schreiben Bormanns (Führerhauptquartier, 30.7.1941) an Reichsleiter Ley: „Verschiedener Differenzen wegen hatte Reichsminister v. Ribbentrop den Standpunkt vertreten, der gegenwärtige Aufbau der Auslandsorganisation sei falsch: nach seiner Auffassung müsse der Aussenminister zugleich Chef der Auslandsorganisation sein und an jenen Orten im Ausland, an denen geeignete Botschafter, Gesandte usw. vorhanden seien, müssten diese nicht nur staatliche Hoheitsträger, sondern gleichzeitig auch die Hoheitsträger der zuständigen Parteiorganisation werden“ (Kopie Berlin, BArch R 187/293 [Sammlung Schumacher]; zit. auch bei Jürgen Müller [1997], S. 78). 427 Ein Schreiben Bormanns (Führerhauptquartier, 2.8.1941) an Ribbentrop scheint sich darauf zu beziehen: „Sehr geehrter Parteigenosse von Ribbentrop, Am 9.6. ds. Js. teilten Sie mir Ihre Auffassung bezüglich der Auslandsorganisation mit; Sie sagten mir dabei u. a., Sie hätten Ihre Auffassung auch bereits dem Führer vorgetragen und der Führer wolle mit mir über die ganze Angelegenheit sprechen. – Da dies bisher nicht geschah, habe ich am 30.7.1941 den Führer befragt. Der Führer sagte mir, er teile nicht Ihre Auffassung; die Auslandsorganisation solle in der bisherigen Weise weiterarbeiten. Eine Uebertragung von Aufgaben der Auslandsorganisation an die Aussenstellen des Auswärtigen Amtes komme nicht in Frage, denn die Aufgaben der Auslandsorganisation könnten nur unabhängig vom staatlichen Apparat des Auswärtigen Amtes durchgeführt werden. – Nur mit einer Massnahme sei der Führer einverstanden, nämlich mit dem Ausscheiden des Gauleiters Bohle als Staatssekretär aus dem Auswärtigen Amt. – Ich werde Herrn Gauleiter Bohle noch einmal eindringlich darauf hinweisen, dass die Auslandsorganisation sich ihrerseits keinesfalls mit aussenpolitischen Angelegenheiten befassen darf; sollten Sie irgendwelche Klagen über die Auslandsorganisation haben, erbitte ich sofortige Mitteilung“ (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, E-6, Nr. 77).
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bentrops Plan, Chef der AO zu werden, war gescheitert. Bohles Entlassung wurde nach außen hin geheimgehalten, um keine unliebsamen Diskussionen anzufachen.428 Änderungen in der Auslandsorganisation, wie sie der Außenminister wünsche, sollten, so der ,Führer‘, unterbleiben, denn die Aufgabe des Außenministers und seines Apparates sei Außenpolitik, die Organisation und Betreuung der Auslandsdeutschen gehöre in den Zuständigkeitsbereich der Auslandsorganisation der NSDAP, und diese Aufgabe könne keinesfalls von Beamten des Auswärtigen Amtes übernommen werden.429 Dies war allerdings aufgrund von Bohles Aktivitäten in den vorangehenden Jahren häufig der Fall gewesen. Bormann wies in einem fünfseitigen Rundbrief vom 20. Juni 1942 alle Reichsleiter, Gauleiter und Verbändeführer noch einmal auf die strikte Trennung von Außenpolitik und Parteiarbeit hin.430 Wäre Heß in Deutschland geblieben und hätte er seine Position als Stellvertreter des ,Führers‘ behalten, hätte es Ribbentrop kaum gewagt, sich derart massiv mit Bohle anzulegen. Jetzt wurde Bohle im AA durch SS-Brigadeführer Erwin Ettel, den ehemaligen Gesandten in Teheran und früheren Landesgruppenleiter der AO in Italien, ersetzt, der die Angelegenheiten der AO im Auswärtigen Amt zentral zu bearbeiten hatte. Ettel wurde dem Reichsaußenminister persönlich unterstellt und mußte Staatssekretär von Weizsäcker laufend über seine Tätigkeit berichten. Er verhielt sich aber auch seinem alten Chef Bohle gegenüber loyal und versuchte Anfang 1943 mit Zustimmung Bohles und Ribbentrops, die offenkundig beide des Streitens müde wurden, die Zusammenarbeit zwischen AA und AO im Bereich der Propaganda, vor allem der sog. Flüsterpropaganda, zu vertiefen.431 Bohle verwandte sich ohne Wissen Ettels bei Himmler für seinen früheren Mitarbeiter: Der Reichsführer SS möge ihn von 428 Peter Longerich, Propagandisten im Krieg. Die Presseabteilung des Auswärtigen Amtes unter Ribbentrop, München, 1987 (Studien zur Zeitgeschichte; 33), S. 122–123, mit Verweis auf den Schriftverkehr zwischen Lammers, Ribbentrop, Bohle und Bormann von August bis November 1941, in: Berlin, BArch, R 43 II/1133c, 124–138, sowie die diesbezüglichen publizierten Auszüge aus den Akten des AA: ADAP, D XIII, Bd. 2, S. 843. 429 Vgl. Döscher, S. 170–171 (mit Angabe aller wichtigen Quellen). McKale (1993) geht auf diese Vorgänge überhaupt nicht ein und schreibt (S. 34), Bohle habe sich nach Heß’ Verschwinden bei Goebbels und Himmler eingeschmeichelt und sich mit Ribbentrop versöhnt; BHDAD, Bd. 1 (2000), S. 209, gibt fälschlich an, Bohle sei am 27.11.1941 nicht nur von seinen Dienstgeschäften als Staatssekretär im AA entbunden worden, sondern auch als Chef der AO zurückgetreten. Weitere Einzelheiten bei Jürgen Müller (1997), S. 77. 430 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-1959. 431 Vgl. die Vermerke Ettels (9.4.1943) bzw. Erlasse Woermanns (15.5.1943) und Steengrachts (17.5. bzw. 16.6.1943), Kopien in: Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-3298. „Da der Feind in immer stärkerem Masse dazu übergeht, jeden seiner Staatsangehörigen als Träger seiner Flüsterinformationen einzusetzen, ist ein gleicher Einsatz der Angehörigen der Landesgruppe eine notwendige Gegenmaßnahme“ (ebd., KV-Anklage Umdrucke Deutsch, NG-5827).
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seiner Position als „Briefträger zwischen dem Auswärtigen Amt und der AO“ erlösen und ihm eine angemessene Position in der SS zuweisen.432 Was Ribbentrop wirklich von Bohle dachte, kann man seinen postum von seiner Frau herausgegebenen Erinnerungen entnehmen: Die Tätigkeit der AO habe ihm insbesondere im ersten Jahr als Außenminister erhebliche Schwierigkeiten bereitet, besonders in Südamerika.433 „Dort und auch in anderen Staaten gewann man den Eindruck, daß Deutschland mit Aufmärschen, Uniformen, Versammlungen usw. den Nationalsozialismus in fremde Länder tragen wolle. Die Folge war, daß der Begriff ,5. Kolonne‘ – obwohl sachlich völlig unbegründet – auf die Auslandsorganisation übertragen wurde“. Das habe dem USPräsidenten Roosevelt das groteske Propaganda-Argument in die Hand gegeben, Deutschland wolle sich in Südamerika festsetzen und von dort aus gegen sein Land vorgehen. Er, Ribbentrop, habe daher immer wieder betont, „daß das zweifellos richtige Zusammenhalten der Auslandsdeutschen durch die A.O. in keinem Verhältnis zu den außenpolitischen Nachteilen stand, die sich durch die Art des Auftretens der Auslandsorganisation ergaben“.434 Aber die AO sei ein „Lieblingskind“ von Rudolf Heß gewesen, und die deswegen entstandenen Meinungsverschiedenheiten hätten sein ursprünglich freundschaftliches Verhältnis zum Stellvertreter des ,Führers‘ erheblich getrübt, zumal die Zusammenarbeit mit Ernst Wilhelm Bohle schwierig gewesen sei. Er habe in der Praxis einige Male auf Veranlassung der Partei ernste Demarchen bei fremden Staaten durchführen müssen, um irgendeine Handlung eines Mitglieds der AO zu decken, was die deutsche Außenpolitik in überflüssiger Weise belastet habe.435 Das ist 432 Bohle (Berlin 20.9.1943) an Himmler (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4805): „Abgesehen von seiner wirklich fanatisch nationalsozialistischen Einstellung ist er als alter Offizier Soldat durch und durch und hat immer sehr darunter gelitten, daß das Auswärtige Amt ihn in diesem Krieg nicht zur Truppe freigab. [. . .] Ettel kennt Italien, hat gute Verbindungen zu den alten Faschisten, ist ein hervorragender Redner und Organisator und verfügt über ein einwandfreies und repräsentatives Auftreten“. 433 Ribbentrop konnte sich in diesem Punkt auf das Urteil der Botschafter Freiherr von Thermann (Argentinien), Freiherr von Schoen (Chile), Prüfer (Rio de Janeiro) sowie der Gesandten Dittler (Kolumbien), Röhrecke (Santo Domingo), Klee (Ecuador), Reinbeck (Guatemala), Freiherr von Rüdt (Mexiko), von Rinter (Panama), Büsing (Paraguay), Noebel (Peru), Langmann (Uruguay) und Poensgen (Venezuela) stützen, die am 12. Juni 1939 bei einer Ibero-Amerika Konferenz im Bundesratssaal des AA ihre Gravamina vortrugen und eine strikte Unterordnung der Parteivertreter unter die Missionschefs forderten (Kopie des Protokolls in: Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-2450). 434 Diese Aussagen Ribbentrops decken sich weitgehend mit der Kritik Steinachers, vgl. Jacobsen, Hans Steinacher, S. 592, 594, 600: Die AO habe nicht nur das Ansehen des Nationalsozialismus, sondern Deutschlands verspielt. Bohle habe seine „Machttendenzen und Auffassungen als Sprengsatz hinausgetragen“. 435 Joachim von Ribbentrop, Zwischen London und Moskau. Erinnerungen und letzte Aufzeichnungen. Aus dem Nachlaß hrsg. von Annelies von Ribbentrop, Leoni am Starnberger See, 1953, S. 127–128.
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immerhin ein Versuch der Objektivierung. In seiner Nürnberger Vernehmung durch Peter Beauvais, der bereits Neurath verhört hatte, hat sich Ribbentrop auffallend zurückgehalten und Bohle, anders als sein Vorgänger, nicht belastet. Es entsteht somit der trügerische Eindruck, daß ihrer beider Arbeitsverhältnis zwar nicht besonders eng, jedoch auch nicht besonders konfliktbeladen war.436 Bohle vertrat eine völlig andere Sicht der Dinge als sein ehemaliger Vorgesetzter: Ribbentrop sei arrogant und unverschämt aufgetreten, habe bei Besprechungen nur herumgebrüllt und sei völlig beratungsresistent gewesen. Er habe England gehaßt und sich in seiner Botschafterzeit unmöglich gemacht, indem er König Georg V. mit erhobenem Arm gegrüßt habe. Der unselige Krieg mit der Sowjetunion sei seine Idee gewesen. Er, Bohle, habe sich Ribbentrops rüde Art nicht gefallen lassen und sich als einziger dagegen aufgelehnt. Ribbentrop sei zudem Opfer seines eigenen Mißtrauens und eines tief sitzenden Minderwertigkeitskomplexes gewesen. Er habe nur sich selbst getraut und stets gefürchtet, jemand wolle ihm sein Amt fortnehmen. Er habe ihm das eines Tages offen ins Gesicht gesagt, als gleichzeitig in verschiedenen ausländischen Zeitungen zu lesen gewesen sei, Bohle sei ein vielversprechender junger Mann, „der eines Tages deutscher Aussenminister werden könnte“. Folglich habe Ribbentrop ihm den Informationsfluß im AA abgeschnitten und ihn nur noch mit AO-Angelegenheiten betraut.437 Nach seinem Ausscheiden sei er nur noch zweimal im AA zur Besprechung von Personalangelegenheiten gewesen.438 Doch zurück zu Heß’ Englandflug. Die wahren Motive, die Heß bewogen, sind bis heute noch nicht in allen Einzelheiten geklärt. Verwandte und Freunde waren und sind der Meinung, Heß habe mit Zustimmung Hitlers gehandelt. Die Forschung ist inzwischen jedoch mehrheitlich davon überzeugt, daß Hitler nichts von Heß’ Plan ahnte und ehrlich überrascht und entrüstet war, als er davon erfuhr. Auch die Annahme, Heß habe von dem bevorstehenden deutschen Überfall auf die Sowjetunion gewußt und Hitler durch ein Friedensangebot an Großbritannien den Rücken an der Westfront freihalten wollte, ist unbegründet, selbst wenn die Führer der Sowjetunion bis zu Heß’ Tod an dieser These festhielten. Ian Kershaw faßt die Argumente zusammen: Hitler sei zwar eine Spielernatur gewesen, habe aber seine Chancen stets einer kühlen Prüfung unterzogen. Er sei nur solche Risiken eingegangen, die er für kalkulierbar gehalten habe. Der längst festgesetzte Zeitplan für den Angriff gegen die Sowjetunion habe keinerlei Spielraum für sonstige Manöver gelassen. Hitler sei bewußt gewesen, daß es in Großbritannien immer noch Leute gab, die es vorzogen, sich 436 Joachim von Ribbentrop, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 27.9.1946 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-163). 437 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse Fall 11, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13614. 438 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse Fall 11, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13616.
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auf Friedensverhandlungen einzulassen. Er habe jedoch erwartet, daß sie dies nach, nicht vor dem Beginn des Unternehmens „Barbarossa“ tun würden.439 Heß mochte glauben, im Sinne Hitlers wie Großbritanniens zu handeln, wenn er der britischen Friedenspartei ein Angebot unterbreitete, und somit beiden Seiten einen Dienst zu erweisen. Von Hitler wußte Heß, daß er davon überzeugt war, Großbritannien habe den Krieg in Wirklichkeit bereits verloren, wolle sich dies jedoch nicht eingestehen, weil Churchill und seine Anhänger die Friedenspartei, zu der in Hitlers Augen Teile des britischen Hochadels und möglicherweise auch Mitglieder der königlichen Familie zählten, politisch entmachtet hätten. Wenn der Stellvertreter des ,Führers‘ nun persönlich komme und ein Friedensangebot mache, stünde dem Abschluß eines Friedensvertrages nichts mehr im Wege. Diese Überlegungen zeigen, wie naiv Heß war und wie weit er sich gedanklich von seinem Idol Hitler entfernt hatte. Sein Flug gilt bis heute als fliegerische Meisterleistung. Heß flog von Augsburg bis Schottland und sprang mit dem Fallschirm in der Nähe des Schlosses des Herzogs von Hamilton ab. Diesen Namen hatte er von Albrecht Haushofer, dem Sohn seines alten Lehrers Karl Haushofer, gehört. Der junge Haushofer hatte vor dem Krieg im Auswärtigen Amt gearbeitet und gute Kontakte zu Hamilton geknüpft, der die Verbindung zur zuvor genannten ,Friedenspartei‘ tatsächlich hätte herstellen können.440 Hitler und seine engste Umgebung wirkten einen Moment wie betäubt, als die Wahrheit über Heß’ unerklärbares Verschwinden ans Licht kam. Wäre diese Überraschung gespielt gewesen, müßte man Hitler einen Meister der Verstellungskunst nennen. Der zweithöchste Parteiführer war, aus welchen Gründen auch immer, ins Lager des Feindes übergewechselt! Als Erklärung für die deutsche Öffentlichkeit wurde eine psychische Störung angegeben, die sich schon seit längerem abgezeichnet habe, denn wie anders als die Tat eines Wahnsinnigen hätte man diesen Verrat erklären können? Selbst die Briten hatten offenbar kein Interesse an einer propagandistischen Ausschlachtung der Affäre, die auch für sie unerklärlich blieb. Die deutsche Bevölkerung reagierte mit Spott und Hohn auf Heß’ Flucht und nutzte sie zu heimlichen Witzen über das Regime. Am bekanntesten waren die Zeilen: „Es klingt und singt im ganzen Land: / wir fahren gegen Engelland, / doch wenn mal einer wirklich fährt, / dann wird er für verrückt erklärt“. Daß Heß noch drei Monate vor seinem Flug wie üblich die von den Rundfunksendern verbreitete Gratulationsrede zu Hitlers Geburtstag gehalten und niemand etwas von einer geistigen Verwirrung gemerkt hatte, machte die ganze Sache nur noch mysteriöser. 439
Kershaw, Bd. 2, S. 498–499. Dietrich Orlow, Rudolf Heß – ,Stellvertreter des Führers‘, in: Ronald Smelser/ Rainer Zitelmann (Hrsg.), Die Braune Elite, Bd. 1. 22 biographische Skizzen, Darm2 stadt, 1990, S. 84–97, S. 91 f.; Pätzold/Weißbecker, S. 261–296. 440
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Hitler rief am Nachmittag des 13. Mai alle Reichs- und Gauleiter auf dem ,Berghof‘ (Obersalzberg) zu einer Krisensitzung zusammen. Er wollte mit ihnen nicht nur die Lage besprechen, sondern vor allem in Erfahrung bringen, ob Heß Mitwisser gehabt habe. Die Teilnehmer mußten in Zivilkleidung anreisen, um alles Aufsehen zu vermeiden. Bohles späterer Ankläger Kempner hat ihn ausführlich zu diesem Treffen und seiner Vorgeschichte befragt.441 Aus Kempners Rekonstruktion ihrer Unterhaltung442 geht hervor, daß Bohle bereits am 9. Oktober 1940 von Heß durch einen persönlichen Anruf in seine Wohnung in der Wilhelmstraße 64 bestellt worden war. Er wurde sofort von Heß empfangen, der allein im Zimmer war und sich vergewisserte, ob die Tür zum Vorzimmer fest verschlossen war. Dann eröffnete er Bohle, er habe ihn für die Durchführung eines Sonderauftrags gerufen. Er dürfe mit niemandem darüber sprechen, nicht einmal mit seinem Bruder Alfred. Er habe Bohle ausgesucht, weil er vorzüglich Englisch spreche, die Engländer kenne, den Krieg mit England ebenfalls für ein großes Unglück halte und sein Vertrauen genieße. Er, Heß, wolle Schritte zur sofortigen Beendigung des Krieges mit Großbritannien einleiten und bitte Bohle dabei um Unterstützung. Als dieser sich zur Mitarbeit bereiterklärt habe, habe ihm Heß eingeschärft, sein staatlicher Chef, Reichsaußenminister von Ribbentrop, dürfe unter keinen Umständen etwas davon erfahren. Heß habe ihm erläutert, er wolle zur Vorbereitung eines persönlichen Treffens in der Schweiz ein ausführliches Schreiben an den Herzog von Hamilton richten, den er bei der Berliner Olympiade kennengelernt habe. Heß habe sich aber auch auf Vater und Sohn Haushofer berufen und ihn, Bohle, gefragt, ob er den Herzog kenne. Er habe ihm, als er verneint habe, den Entwurf eines Briefanfangs gegeben und ihn gebeten, diesen ins Englische zu übersetzen. Heß habe ihm untersagt, den Entwurf mit nach Hause zu nehmen und ihn gebeten, die Übersetzung gleich in eine bereitgestellte Schreibmaschine zu tippen. Dies habe er dann auch getan. Zweimal pro Woche habe Heß ihn zu sich gebeten, bis der Brief fertig gewesen sei. Nach dem 7. Januar 1941 habe er nichts mehr von der Sache gehört und vermutet, Heß habe seine Pläne begraben. Erst nach dem 10. Mai habe er erfahren, daß Heß Mitte Januar einen ersten Startversuch unternommen habe, der aus technischen Gründen mißlungen sei. Er habe nie eine Ahnung davon gehabt, daß Heß persönlich nach Großbritannien fliegen wolle. Er habe aus dem Brief vielmehr geschlossen, daß Heß den Herzog von Hamilton in der Schweiz treffen wolle. Deshalb habe er Heß im November oder De441
Vgl. auch: NAMP 619/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0115–0116. Robert M. W. Kempner, Das Dritte Reich im Kreuzverhör. Aus den unveröffentlichten Vernehmungsprotokollen des Anklägers Robert M. W. Kempner, München/Eßlingen, 1969, S. 101–110 („Der England-Flug von Rudolf Hess“). Darauf stützt sich auch Alfred Seidl, Der Fall Rudolf Hess 1914–1987. Dokumentation des Verteidigers, München, 31988, S. 149–155. Einen diesem vergleichbaren Bericht lieferte Bohle am 19. November 1942 auch seinem väterlichen Freund Curt Prüfer, vgl. McKale, Rewriting History, S. 148–149. 442
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zember 1940 gebeten, ihn als Dolmetscher mitzunehmen, denn dieser habe, obwohl in Ägypten geboren, damals nur mangelhafte Englischkenntnisse besessen und sich nicht auf Englisch unterhalten können. Er, Bohle, habe bereits früher bei einem Abendessen mit der Herzogin von Windsor, die mit Ex-König Eduard VIII. Gast im Hause Heß gewesen sei, gedolmetscht. Heß habe ihm zugesagt, ihn mitzunehmen, wenn er überhaupt einen Begleiter benötige. Für die Mitwisserschaft Hitlers spreche eine vierstündige Unterredung, die der ,Führer‘ und sein Stellvertreter Anfang Mai in der Reichskanzlei gehabt hätten, was nicht nur einer von Heß’ Chauffeuren, sondern auch ein Kriminalbeamter des Heß’schen Begleitkommandos bezeugt hätten. Als sich nach dem Gespräch die Tür geöffnet und Hitler seinen Stellvertreter hinausbegleitet habe, habe er ihm den Arm um die Schultern gelegt und gesagt: „Mein lieber Heß, Sie sind doch ein rechter Dickkopf“. Es müsse also davon ausgegangen werden, daß dies nicht die erste Unterredung in Sachen Englandflug gewesen sei.443 (Es kann jedoch keinesfalls ausgeschlossen werden, daß sich Hitler und Heß über etwas ganz anderes unterhalten haben). Die Teilnahme am Treffen der Gauleiter, Reichsleiter und engsten Hitler-Vertrauten auf dem Obersalzberg sei das einzige Mal gewesen, daß er, Bohle, an einer derartigen Besprechung teilgenommen habe. Nachdem sich das Führercorps im großen Zimmer des Berghofs versammelt habe, seien zunächst Göring und Bormann mit todernsten Gesichtern erschienen. Bormann habe den Abschiedsbrief von Heß an Hitler verlesen, den ein Adjutant überbracht habe. Dieser Brief habe im wesentlichen die Argumente enthalten, die ihm bereits aus Heß’ Schreiben an den Herzog von Hamilton bekannt gewesen seien, welches er übersetzt habe. Dann sei Hitler hereingekommen, habe eine Ansprache gehalten und erklärt, daß Heß ohne sein Wissen gehandelt habe, geisteskrank sei und das Reich in eine unmögliche Lage gegenüber den Bündnispartnern, vor allem Italien und Japan, gebracht habe. Er habe Ribbentrop sogleich zum Duce gesandt, um diesen ins Bild zu setzen und zu beruhigen. Heß sei seit längerem „spleenig“ gewesen, habe gegen sein ausdrückliches Verbot Flugübungen gemacht und eine Messerschmidt in der Zentrale der Firma in Augsburg mit Zusatztanks für einen weiten Non-Stop-Flug ausstatten lassen. Bohle resümiert: „Mein Gedanke dabei war, daß das für einen Irren eine fabelhafte Leistung war, zumal Heß, wie man später hörte, ungefähr genau da abgesprungen ist, wo er abspringen wollte, und zwar in der Nähe des Gutes des Herzogs. Ein Mann, der im Alter von etwa 47 Jahren zum ersten Mal einen Fallschirmabsprung macht, muß auch ziemlich gute Nerven haben. Es ist auch ziemlich rätselhaft, wieso er alle Luftsperren mitten im Kriege unbeanstandet passieren konnte“ (S. 109). Nachdem Hitler geendet hatte, habe er sich gegen den großen Tisch am Fenster gelehnt, wobei die versammelten Herren, etwa 60 oder 70, im Halbkreis 443
Seidl, S. 421.
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um ihn herumgestanden hätten. Daraufhin habe er, Bohle, sich nach vorne gedrängt, um Bormann zu sagen, daß er dem ,Führer‘ etwas zu melden habe. Dieser habe ihn, als er bis zur ersten Reihe vorgedrungen sei, angesehen und gesagt: „Sagen Sie mal, Herr Bohle, haben Sie denn nichts davon gewußt?“ Er habe geantwortet, daß er Heß geholfen habe, dem Herzog von Hamilton einen Brief mit Friedensvorschlägen zu schreiben. Darauf habe Hitler getobt: „Was haben Sie gemacht? Sind Sie auch wahnsinnig geworden, sind Sie verrückt?“ Göring habe ganz freundlich und leise gesagt: „Herr Bohle, ich glaube, es ist wohl das Beste, Sie erzählen dem Führer ganz ruhig, was Sie gemacht haben“. Hitler habe sich sofort beruhigt, und er habe ihm den genauen Sachverhalt geschildert. Hitler habe nachgehakt: „Haben Sie sich denn nichts dabei gedacht?“ Darauf habe er erwidert: „Doch, mein Führer, ich habe mir dabei sehr viel gedacht. Ich nahm als selbstverständlich an, Sie wüßten Bescheid, und außerdem haben Sie ein Zusammengehen mit England stets als eines Ihrer vornehmsten außenpolitischen Ziele bezeichnet“. Er habe noch hinzugefügt, daß er verpflichtet gewesen sei, dem von ihm, Hitler, bestimmten Vorgesetzten zu gehorchen, und der sei nun einmal Rudolf Heß gewesen. Es sei ausgeschlossen gewesen, diesen zu fragen, ob der ,Führer‘ in seine Pläne eingeweiht sei. Hitler habe ihn dann an den Tisch herangeholt, ihn aufgefordert, in dem Brief von Heß die Stellen zu zeigen, die auch in dem Brief an den Herzog von Hamilton vorkämen. Nachdem er das getan habe, habe sich Hitler nicht weiter mit ihm beschäftigt. Zu dem Inhalt des Briefes, der nie abgeschickt worden sei, könne er nur sagen, daß Heß einen Frieden mit Großbritannien auf der Basis des status quo ante vorgeschlagen habe. Der Brief habe Heß als Aide-mémoire dienen sollen. Diese Version erzählte Bohle später auch Goebbels.444 Wie wir heute wissen, waren die von Heß gemachten Vorschläge – Rückgabe der um den Irak erweiterten ehemals deutschen Kolonien, völliger Rückzug Großbritanniens vom Kontinent bei gegenseitiger Respektierung der jeweiligen Einflußsphären – für die britische Seite inakzeptabel. Hitler und die Anwesenden, so EWB weiter, hätten sich noch zwei Stunden unterhalten und die Lage diskutiert. Dabei habe er den Eindruck gewonnen, daß alle ihn mieden. Nur Himmler habe ihm einen Platz in seinem Dienstwagen angeboten und ihn mit nach Berlin zurückgenommen. Einige der anwesenden Gauleiter haben ausführlich über dieses Treffen berichtet, erwähnen Bohle jedoch nicht.445 Doch es gibt einen weiteren bisher 444 Goebbels TB 22.5.1941: „Mit Bohle nochmals Fall Heß besprochen. Er wäre beinahe in dem Glauben, daß das im Auftrage des Führers geschehe, mitgeflogen. Er hat auch die Unterlagen der Aktion in voller Unkenntnis übersetzt. Er glaubte, der Führer mache durch Heß Frieden mit England ohne Ribbentrop. Eine naive Annahme. Heß’ Bruder ist ganz zusammengebrochen. Er steht vor dem Nichts“ (alte Ausg. Bd. 4, S. 654–655). 445 Vgl. den Bericht des einstigen Gauleiters von Halle-Merseburg, Rudolf Jordan, Erlebt und erlitten. Weg eines Gauleiters von München bis Moskau, Leoni a. Starnber-
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nicht gehörten Zeugen, Bohles Bruder Heinrich, dessen Aussage dem Bericht des Gauleiters zwar in einigen Punkten widerspricht, aber die Hauptsache bestätigt. Heinrich Bohle hat am 2. Juli 1945 in Zürich ein ,Memo‘ für das US-Außenministerium (American Consulate-General, Zürich) aufgesetzt, in dem er schreibt, er sei im Jahr 1941 Übersetzer im Sprachendienst des Auswärtigen Amtes gewesen und eines Tages in das Büro seines Bruders gerufen worden. Dieser habe ihn zu absolutem Stillschweigen verdonnert und ihn gebeten, ihm bei der Übersetzung gewisser Abschnitte aus einem oder mehreren Briefen Heß’ ins Englische zu helfen. Er glaube nicht, daß Hitler davon gewußt habe. Die zu übersetzenden Briefstücke seien miteinander nicht verbunden gewesen. Vielleicht habe sein Bruder wichtigere Teile „with a direct bearing on AngloGerman policy“ zu übersetzten gehabt. Der Bruder und er selber hätten Heß’ Friedenspläne von ganzem Herzen unterstützt. Er habe Heß nur ein einziges Mal im Leben gesehen, als Ribbentrop ihn unter anderen für einen Sonderauftrag in den Niederlanden ausgewählt habe. „Being satisfied with my work as a translator in Berlin and having no stomach for adventure, I turned the offer down and asked Hess personally to support me, which he did“.446 Der einzige Widerspruch zu dem, was Ernst Wilhelm Bohle Robert Kempner berichtet hat, liegt darin, daß er seinen Bruder Heinrich nicht erwähnt und, wenn dessen Aussage stimmt,447 Heß-Briefe mit zu sich in sein Büro genommen hätte, was alle Beteiligten in höchste Gefahr hätte bringen können. James Murphy, ein ehemaliger Mitarbeiter des Propagandaministeriums, von dem wir bereits gehört haben und noch hören werden, vertrat übrigens nach seiner durch den Kriegsausbruch erzwungenen Rückkehr nach Großbritannien eine interessante These: Heß sei der Wortführer einer einflußreichen Gruppe von auslandsdeutschen Nationalsozialisten (Franz Xaver Hasenöhrl, Dr. Karl Markau, Hewel, Bohle u. a.)448 gewesen, die zwar die Revision des Versailler
ger See, 1971, S. 207–214, bzw. den Bericht des ehemaligen Gauleiters von Schwaben, Karl Wahl, Aus Liebe zu Deutschland. 17 Jahre als Hitlers Gauleiter, Kiel, 1997, S. 127–129. Beide Gauleiter verteidigen Heß. 446 NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946. 447 Diese Mitarbeit wird indirekt vom NKWD bestätigt, dessen Bericht zufolge auch Ministerialrat Eberhard von Jagwitz vom Reichswirtschaftsministerium an der Ausarbeitung wirtschaftlicher Vorschläge beteiligt gewesen sei, die Heß mit nach Großbritannien nehmen wollte, vgl. Henrik Eberle/Matthias Uhl (Hrsg.), Das Buch Hitler. Geheimdossier des NKWD für Josef W. Stalin, zusammengestellt aufgrund der Verhörprotokolle des Persönlichen Adjutanten Hitlers, Otto Günsche, und des Kammerdieners Heinz Linge, Moskau 1948/49. Aus dem Russischen von Helmut Ettinger, Bergisch Gladbach, 2005, S. 145. 448 Hasenöhrl und Hewel wurden bereits erwähnt; Markau war eine Zeitlang Leiter der Deutschen Handelskammer in London und wechselte dann zum Reichswirtschaftsministerium. Die ebenfalls genannten Auslandsdeutschen Major Yackwitsch, der aus Argentinien kam und im Reichswirtschaftsministerium tätig war, sowie Eisele, der in
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Vertrags gutgeheißen und damit die außenpolitischen und militärischen Aktionen gegen die Tschechoslowakei, Polen und selbst Frankreich unterstützt, aber keinen Krieg mit Großbritannien gewünscht hätten, das sie aufgrund ihrer im Ausland gemachten Erfahrungen für unbesiegbar hielten. Sie hätten auch Hitler von der Notwendigkeit eines Friedens im Westen überzeugen können, der in die Mission von Rudolf Heß eingeweiht gewesen sei. Murphy überschätzt zwar den Einfluß dieser Gruppe, aber es ist aufgrund seiner engen Beziehungen zu den Genannten gut möglich, daß er während seiner Tätigkeit für das Propagandaministerium entsprechende Äußerungen aufgeschnappt hatte.449 Die Briten zeigten im übrigen wenig Interesse an ihrem Gefangenen Heß, zumal sie feststellen mußten, dass er keine militärischen Geheimnisse preisgeben konnte. Schon bald wurde es still um den prominenten Gefangenen, der bis zu seinem Freitod im Jahr 1987 insgesamt 46 Jahre in Haft verbrachte. Am 15. Mai 1941 sandte Reinhard Heydrich Himmler ein Telegramm, in dem er sich auf eine Unterredung mit Bohle bezog, der Albrecht Haushofer beschuldigt habe, Heß’ Ideengeber gewesen zu sein. Es ist nicht auszuschließen, daß diese Denunziation, wenn Heydrich Bohle richtig zitiert, für die erste Verhaftung Albrecht Haushofers durch die Gestapo und seine Entlassung aus der Informationsabteilung des AA mitverantwortlich war.450 Heydrich dürfte allerdings die Auskünfte, die er von Bohle bezog und die gewiß nicht wohlwollend waren, soweit zugespitzt haben, daß er eine Festnahme Haushofers begründen konnte. Bohle selber war in Bormanns Auftrag von Heydrich und Müller vernommen worden, blieb aber unbehelligt. Er gab später im Verhör in Oberursel an, er sei im Anschluß an den Heß-Flug abgehört worden. Dies habe ihm, da er nichts zu verbergen gehabt habe, jedoch nichts ausgemacht, „and in any Brasilien gelebt hatte und in der Berliner Zentrale des Bundes der Deutschen im Ausland arbeitete, konnten nicht identifiziert werden. 449 Murphy, S. 46–48: „The foreign element in the Nazi party actively champions a peace policy now; but they are afraid that if the offer comes from their side it may be taken as an acknowledgement of their inability to carry on the war to a successful conclusion. That would lead to a disruption of the Nazi phalanx at home and would jeopardize the existence of the whole régime. [. . .] Hess came to save the National Socialist Party, which is his own creation more than that of any other Nazi. Despite all the talk about the consolidation of Europe under Nazi hegemony, the stark truth is that the existence of the Nazi régime is threatened by a growing movement inside Germany itself. It does not come within the scope of this pamphlet to speculate as to who are the leaders of that movement or likely to become its leaders, or what the probability is that it may eventually succeed in overthrowing Hitlerism“. 450 James Douglas-Hamilton, Motive for a Mission. The Story behind Rudolf Hess’s Flight to Britain. With a Foreword by Alan Bullock, London: Corgi Books, 1979, S. 233 (Quelle sind die National Archives of U.S.A., Washington, D.C., Record Group N ë 242, T175, Roll 128): „Gauleiter Bohle thinks that Haushofer junior in particular influenced Rudolf Hess in his evaluation of British neutrality. He [= Bohle] is also convinced that Haushofer junior is well able to supply possibly valuable information. I share this view and I would ask your permission to have Haushofer junior thoroughly interrogated about his knowledge of the matter“.
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case ,top shots‘ were not bothered by this kind of thing“.451 Bormann demonstrierte seinen Abscheu gegen Heß dadurch, daß zwei seiner Kinder, Rudolf und Ilse, bei denen das Ehepaar Heß Pate gestanden hatten, neue Namen erhielten (Herbert Gerhard und Eike).452 Als EWB am 28. Juli 1941 seinen 38. Geburtstag feierte, brachte ein Fahrer ein in schweres Silber gerahmtes Bild des ,Führers‘ mit handschriftlicher Geburtstagwidmung samt Unterschrift. Der Bilderrahmen war ca. 20 cm breit und 40 cm hoch und auf der Unterseite mit einem wuchtigen Reichsadler nebst Hakenkreuz dekoriert, unter dem „Der Führer“ eingraviert war.453 Hitler scheint Bohle tatsächlich nichts nachgetragen zu haben, denn am 9. November 1943, genau zwanzig Jahre nach dem gescheiterten Hitler-Putsch, der im Bürgerbräukeller zu München seinen Ausgangspunkt genommen hatte, empfing er ihn freundlich, um sich über Fragen seines Arbeitsgebiets berichten zu lassen. „Der Führer brachte hierbei seine Anerkennung für die stets bewiesene Treue des Auslandsdeutschtums zum Reich und für die vorbildliche Haltung der Auslandsdeutschen und der deutschen Seeleute im Schicksalskampf der Nation zum Ausdruck“.454 Bohle beschreibt seine Beziehungen mit Martin Bormann als genauso schlecht wie diejenigen mit Ribbentrop. Bormann habe alle verfolgt, von denen er glaubte, sie hätten in Heß’ Gunst gestanden. Die beiden Adjutanten Leitgen und Pintsch seien in KZs eingewiesen worden, die Sekretäre und Mitarbeiter ins Gefängnis, und sein eigener Stellvertreter, Alfred Heß, sei sofort seines Amtes enthoben worden, obwohl er überhaupt nichts mit dem Englandflug seines Bruders zu tun gehabt habe. Bormann habe ihn, Bohle, als den sog. Leisetreter der AO verachtet. Von 1941 bis 1945 habe er ihn nur zweimal getroffen. Bormann habe die schriftliche Kommunikation vorgezogen, Unterredungen nur auf schriftlichen Antrag und höchst ungern bewilligt. Die fast täglich von Bormann ausgestellten Erlasse seien ihm nur in den Fällen zugeleitet worden, wo sie unmittelbar das Auslandsdeutschtum und damit Belange der AO betroffen hätten. Bormann habe mehrfach gesagt, er habe „für Auslandsfragen kein Organ“ und sei „an Auslandsangelegenheiten nicht sehr interessiert“.455 Ganz so distanziert 451
NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0105. Jochen von Lang, Der Sekretär. Martin Bormann: Der Mann, der Hitler beherrschte, Stuttgart, 1977, S. 165–167, hier S. 167. 453 Mitteilung von Hermann Bohle (Signy b. Genf). 454 Das entsprechende Kommuniqué ist abgedruckt bei Domarus, Bd. 2, 2 (1941– 1945), S. 2059. 455 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13606; Rudolf Tesmann, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, Justizpalast, 30.3.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 26, S. 44–46 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3). Tesmann war ab März 1944 in der Dienststelle der Parteikanzlei in München tätig, um den Sachbearbeitern die Arbeitsvorgänge der AO zu erläutern. 452
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ist das Verhältnis zwischen Bohle und Bormann jedoch nicht gewesen, wie verschiedene Briefe und Erlasse Bormanns belegen. Bohles Charakterisierung ihrer Beziehung diente offenbar der Selbstfreisprechung. Man darf vermutlich von einem neutralen Arbeitsverhältnis ausgehen. 13. Zusammenarbeit mit Himmler und Goebbels Nach dem überraschenden Abgang seines Gönners Heß mußte sich Bohle neu orientieren, um im polykratischen Geflecht des NS-Staates überleben zu können. Dies galt umso mehr, als Hitler nach dem Angriff auf die Sowjetunion meist in seinen Führerbunkern im Osten hauste und sich kaum noch um die deutsche Politik kümmerte, soweit sie nicht die Kriegsführung und die Zusammenarbeit mit seinen Bündnispartnern betraf. Hans-Jürgen Döscher hat die These aufgestellt,456 Bohles wichtigster Patron sei in dieser Situation Himmler geworden. EWB habe deshalb die Zusammenarbeit mit der SS im allgemeinen und mit Himmler im besonderen kontinuierlich intensiviert. Dafür gibt es in der Tat einige Belege, wenngleich Bohle im Nürnberger Zeugenverhör (23. Juli 1948) angab, er habe Himmler ausschließlich als Vermittler benutzt, um über ihn Berichte von führenden deutschen Bürgern im Ausland, die gegen Ribbentrops „verheerende“ Außenpolitik gerichtet gewesen seien, an Hitler weiterzuleiten.457 Himmler interessierte sich zunächst für die ehemaligen deutschen Kolonien, möglicherweise, um für seine eigenen Kolonisierungspläne im Osten zu lernen. Bohle war bereits am 20. März 1941 mit ihm zusammengetroffen, um über Kolonialfragen, für die er als Experte galt, zu sprechen. Ein derartiges Treffen wiederholte sich am 6. Juli 1942.458 Dies könnte damit zusammenhängen, daß Hitler am 2. Mai 1941 offiziell die Schaffung eines Kolonialministeriums in 456 Döscher, Das Auswärtige Amt im Dritten Reich. – Eine nahezu vollständige Kopie der erhaltenen Bohle-Himmler-Korrespondenz enthält der Faszikel Berlin, PA AA Personalia 1368, der zweite Band von Bohles Personalakte. 457 Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse Fall XI, A-111, S. 13623. Vgl. Berlin, BArch NS 19/2029 (Korrespondenz Bohles mit Himmler über diese Berichtstätigkeit). 458 Peter Witte u. a. (Hrsg.), Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/1942. Im Auftrag der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von P.W. u. a. Mit einem Vorwort von Uwe Lohalm und Wolfgang Scheffler, Hamburg, 1999 (Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte; Quellen; 3), S. 137 bzw. 478 u. 479. Beim zweiten Treffen ging es darum, SS-Beförderungen von Angehörigen der AO, des diplomatischen Dienstes und des AA mit Bohle abzustimmen. Bohle informierte Himmler seinerseits, daß im Zuge der Kolonialplanung Einsatzstäbe für Ost- und Westafrika aufgestellt worden seien. Ersterer sollte von Reichsleiter Bouhler geleitet werden, was Bohle mißfiel, da er in dessen Ernennung „eine gewisse Gefahr für das ,Vorrecht‘ der AO, die Menschenführung in den Kolonien zu haben“, sehe. Vgl. auch Lang (1977), S. 181–182. Wichtig ist in diesem Zusammenhang Berlin, BArch NS 19/2506 (Juni 1942: Interessen des Leiters der Auslandsorganisation der NSDAP, Gauleiter Bohle, in der kolonialen Frage).
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Aussicht gestellt hatte, für dessen Leitung wahlweise Bohle, Ritter von Epp oder Reichsleiter Philipp Bouhler vorgesehen waren. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß Bohle, von Unterstaatssekretär Fritz von Jagwitz und Abteilungsleiter Betghe vom Reichswirtschaftsministerium begleitet, am 8. April auf Einladung des Hamburger Gauleiters und Reichsstatthalters Karl Kaufmann im Hotel „Atlantic“ vor der politischen und wirtschaftlichen Führerschaft der Hansestadt über die Bedeutung der AO, insbesondere für eine zukünftige Kolonialpolitik, referiert hatte:459 Das Kolonialreferat seiner Organisation leiste eine umfassende Planungsarbeit. Besondere Aufmerksamkeit beanspruche die Kolonialwirtschaft. Die Kolonien, von deren baldiger Wiedergewinnung die deutsche Führung fest überzeugt war, sollten kein Tummelplatz wirtschaftlicher Privatinteressen werden, sondern ein Arbeitsgebiet, welches das Reich seinen Wirtschaftlern zur Erschließung und Entwicklung zum Nutzen des gesamten deutschen Volkes anvertraue. Im gleichen Jahr hatte Bohle in weiser Voraussicht einen Bildband über die ehemaligen deutschen Kolonien mit einem Vorwort versehen. Darin schrieb er: „Trotz Versailles haben wir niemals den Glauben an Deutschlands koloniale Zukunft verloren und uns Jahr um Jahr für die Rückgabe der uns widerrechtlich genommenen Kolonien eingesetzt. Heute besteht das deutsche Volk siegreich den Kampf um sein Lebensrecht und damit auch um die Wiedererlangung seiner Kolonien“.460 Bohle schlug Ritter von Epp vor, das Kolonialpolitisches Amt unter die Fittiche der AO zu nehmen, um alle Kräfte für die zukünftige Administration der wiedergewonnenen Kolonien zu bündeln, stieß jedoch auf taube Ohren. Epp war der Auffassung, die Deutschen in den Kolonien würden Deutsche mit den gleichen Rechten wie im Mutterland sein. Die Zugehörigkeit zu einem ,Auslandsgau‘ würde von den meisten als Deklassierung angesehen werden.461 Im Jahr 1942 erklärte sich Bohle bereit, die AO dem Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zuarbeiten zu lassen, d.h. die Auslandsorganisation in verstärktem Maße personell und organisatorisch für nachrichtendienstliche Aufgaben einzusetzen. Das „roch“ nach ,Fünfter Kolonne‘, ein Vorwurf, den Bohle stets vehement zurückgewiesen hatte. Wie diese Zusammenarbeit aussah, belegt exemplarisch ein Bericht des bulgarischen Landesgruppenleiters Dr. Joseph Drechsel. Der Verfasser referiert seine zweistündige Audienz bei König Boris III. Bohle leitete den Bericht am 2. November 1942 an Himmler weiter.462 Solche Länder459 Planvolle Betreuung des Ausland-Deutschtums, in: Hamburger Fremdenblatt Nr. 99, 9.4.1941; Gauleiter Bohle sprach in Hamburg. Die Auslandsorganisation der Partei hat sich bewährt, in: VB, Nr. 100, 10.4.1941. 460 Hans Ernst Pfeiffer, Unsere schönen alten Kolonien. Mit einem Vorwort von Ernst Wilhelm Bohle, Gauleiter der Auslandsorganisation der NSDAP, Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Berlin, 1941, Vorwort. 461 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0170.
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berichte scheint er dem Reichsführer SS bis zum Kriegsende regelmäßig übermittelt zu haben.463 Als ihm die Anklage im Wilhelmstraßen-Prozeß vorwarf, er habe mit diesen Berichten entgegen seinen wiederholten Aussagen aktive Außenpolitik betrieben, verteidigte er sich: Exactly, but I was of the opinion that even if we were not active in foreign policy, which we were not allowed to be, it was our duty as German citizens abroad who knew more of what was going on in the world than those at home to bring their point of view and what they knew to the attention of the competent authorities in Germany. For that reason I occasionally sent reports from my men abroad to Himmler and other leading personalities with the object of possibly bringing them to the notice of Hitler, and thereby to counteract the disastrous consequences of Ribbentrop’s foreign policy.464
In einem anderen Schreiben vom 15. August 1942 an SS-Obergruppenführer Karl Wolff, den Chef des Persönlichen Stabes des Reichsführers SS, machte sich Bohle dafür stark, daß die im Reich befindlichen Palästinadeutschen möglichst bald auf der Krim angesiedelt würden. Ihr treuer Fürsprecher, Landesgruppenleiter Cornelius Schwarz, möchte dringend an der Umsiedlung beteiligt werden und biete Gewähr für Stabilität in der politischen Führung der Neusiedler.465 Im Februar 1943 übersandte Bohle Himmler einen Bericht über die propagandistische Tätigkeit der AO und ihrer Landesgruppen und schloß mit einer erneuten Klage gegen das Auswärtige Amt. Sie lief darauf hinaus, daß noch weit mehr auf diesem Gebiet geleistet werden könne, wenn die AO, statt behindert zu werden, die entsprechende Unterstützung des AA erhielte. Immerhin hatte die AO nach dem Vorbild des „ProMi“ ein eigenes ,Reichspropagandaamt Ausland‘ ins Leben gerufen, welches 40 Parteiblätter im Ausland und im Inland die repräsentative illustrierte Zeitschrift „Deutsches Wollen“ herausgab, die
462 Drechsels Bericht datiert Sofia, 19.10.1942, und wurde durch Kurier an den Gauleiter in Berlin gesandt. Boris III. erwies sich als bestens informiert und äußerte sich positiv über eine Begegnung von AO-Mitgliedern in Uniform mit bulgarischen Bauern, da dies zur Festigung und Vertiefung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Völkern beitragen werde (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-3664). Zu einem am 31.10.1942 weitergeleiteten Geheimbericht über politische und wirtschaftliche Probleme des unbesetzten Frankreich ist nur das Anschreiben erhalten (Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-2820). 463 Vgl. einen Bericht aus Lissabon über Haltung und Einstellung der englischen Labour Party, die keine echte Arbeiterpartei sei und deshalb nicht für ein vorzeitiges Kriegsende eintrete (Bohle, hier als SS-Obergruppenführer unterzeichnend, an den Reichsführer SS, Berlin, 6.1.1945); Antwort von dessen persönlichem Referenten, Standartenführer Rudolf Brandt (Feld-Kommandostelle, 20.1.1945) (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4809). 464 Trials of War Criminals XIII, S. 1202. 465 Bohle (Berlin, 15.8.1942) an Wolff (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4523).
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sich vornehmlich kolonialpolitischen, wirtschaftlichen, technischen und sozialen Fragen widmete.466 Deutliche Kritik übte Bohle an der konfessionellen Bindung und politischen Grundhaltung der Beamten im höheren Auswärtigen Dienst. Der von ihm behauptete Zusammenhang zwischen christlicher Religionszugehörigkeit und politischer Opposition oder gar Obstruktion entbehrt jedoch jeglicher Grundlage. Bohle dementiert zudem die zahlreichen Leumundszeugen, die ihm im Wilhelmstraßen-Prozeß ein kirchenfreundliches, ja geradezu tolerantes Verhalten attestierten. In diesen Kontext gehört auch ein Schreiben Bohles vom 30. September 1944 an Himmler, in dem bei der Hälfte von 57 Wehrdienstverweigerern der spanischen Landesgruppe entweder einer spanische Mutter oder eine spanische Ehefrau festgestellt wurden, was beweise, wie „unerwünscht fremdvölkische Ehen“ seien.467 Oder ein anderes vom 9. Oktober 1944 an Roland Freisler, den Präsidenten des Volksgerichtshofs, in welchem Bohle um die Überlassung der Akten derjenigen AA-Angehörigen bittet, die im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli verurteilt wurden, um Anhaltspunkte für die Beurteilung der Personallage des Auswärtigen Dienstes zu erhalten.468 Döscher vermutet, Bohle habe nach seiner Kaltstellung gehofft,469 Ribbentrop mit Himmlers Hilfe aus dem Amt zu drängen und möglicherweise zu beerben. Tatsache ist, daß er am 21. Juni 1943 zum SS-Obergruppenführer ernannt wurde und noch am gleichen Tag dem Reichsführer SS für seinen erneuten Vertrauensbeweis dankte. Bohle bekleidete zwar nur einen Ehrenrang in der SS, wurde aber zügig befördert.470 Bei seiner Aufnahme am 13. September 1936 466
Longerich, Propagandisten, S. 123. Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-4171. 468 Peter Longerich (Hrsg.), Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP. Rekonstruktion eines verlorengegangenen Bestandes. Regesten Bd. 4, München [u. a.], 1992, Nr. 45941, S. 641. 469 Döscher, S. 172–174. 470 Friedrich Karl Frhr. von Eberstein, ehemaliger SS-Obergruppenführer, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 12.4.1948: „Es gab im Rahmen der Allgemeinen SS die Einrichtung des Ehrenführers. Hierbei handelte es sich um solche Personen, die mit ihrer hauptberuflichen Stellung in Staat, Partei, Wirtschaft und im kulturellen Leben ein gewisses Ansehen besassen und an deren Einbeziehung in die SS-Sphäre Himmler ein Interesse hatte. Ihnen wurde von Himmler ein ihrer beruflich gesellschaftlichen Stellung entsprechender Ehrenführerrang verliehen bezw. angeboten. Rangerhöhungen wurden auch in diesen Fällen in gewissen Zeitabständen aus Courtoisie und Prestigegründen für die Betreffenden vorgenommen. [. . .] Himmler legte es darauf an, möglichst viele Gauleiter und Reichsleiter mit einem SS-Ehrenführerrang zu versehen. Insbesondere dieser Personenkreis hat nach meinem Wissen ausnahmslos die höchsten Ehrenränge innegehabt. In der Vergebung von Ehrenführerrängen hatte sich in früheren Jahren ein gewisser Wettstreit zwischen SS und SA ergeben. Auf diese Weise ist es auch zu erklären, dass einzelne Persönlichkeiten [. . .], um keine Gliederung zurückzusetzen, in beiden die höchsten Ehrenführerränge innehatten“ (Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch II für E. W. Bohle, Nr. 28, S. 52–53, Kopie StA Nürnberg, 467
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(Nürnberger Parteitag) wurde er bereits Brigadeführer (SS-Nr. 276.915; Mitgl.Nr. 999.185). Gruppenführer Wolff, der Adjutant Himmlers, der ihm diesen Rang antrug, kam der SA, die ähnliches im Sinn hatte, um wenig zuvor.471 Am 20. April 1937, dem Geburtstag des ,Führers‘, wurde EWB Gruppenführer und am 21. Juni 1943 Obergruppenführer, jeweils dem Stab des Reichsführers zugeordnet. Da er vor dem 30. Januar 1933 der NSDAP beigetreten war, war er ,Winkelträger‘ (Rangabzeichen, das den ,alten Kämpfern‘ vorbehalten war). Bohle war einer von sechzehn Gauleitern, die in den Jahren 1934 bis 1938 hohe SS-Führer-Ränge erhielten. Der Sinn dieser Auszeichnungen bestand nicht zuletzt darin, die beiden Gruppen, die Hitler als engste Kampfgefährten seit der Frühzeit der ,Bewegung‘ besonders nahestanden, eng aneinanderzubinden und eine mögliche Konkurrenz zwischen ihnen auszuschalten, die die Äquilibristik der Macht hätte stören können.472 Hans Steinacher spottete, Bohle habe sich sehr um einen Generalsrang in der SS bemüht, was zunächst an der fehlenden Zustimmung aller seiner Vorgänger im VDA, vor allem Lorenz’, gescheitert sei. Lorenz habe ihm das Ultimatum gestellt, „entweder Schluß mit der Befehdung des VDA oder kein SS-Gruppenführer Bohle!“473 Daraufhin habe Bohle nachgegeben. Hierbei dürfte es sich aber um eine der üblichen Aufschneidereien Lorenz’ handeln, denn es ist kaum vorstellbar, daß Himmler ihn bei einer so eminent politischen Ernennung nach seiner Meinung gefragt hätte. An weiteren Ehrungen Bohles durch die SS fehlte es nicht.474 Er trat dem Verein Lebensborn als förderndes Mitglied bei. Er erhielt den Totenkopfring KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-3); desgl. Eidesstattliche Erklärung des ehemaligen Chefs des Führungshauptamtes in der Obersten SA-Führung, Max Jüttner, ebd. Nr. 29, S. 54–55; desgl. Eidesstattliche Erklärung des ehemaligen Chefs des persönlichen Stabes des Reichsführers SS, Karl Wolff, ebd. Nr. 30, S. 56–57; Eidesstattliche Erklärung des ehemaligen SS-Obergruppenführers Udo von Woyrsch, ebd. Nr. 31, S. 58–59. In Dok. 32, S. 60–61, bekräftigt Woyrsch, daß Bohle nicht bei der berüchtigten Posener Rede Himmlers zugegen gewesen sei. In Dok. 33, S. 62–62a gibt der ehemalige Obersturmbannführer Werner Grothmann an, Bohle sei auch nicht in Charkow gewesen, als Himmler dort im Universitätsgebäude am 24.3.1943 seine Rede vor SS-Führern gehalten habe. 471 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13621. 472 Peter Hüttenberger, Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP, Stuttgart, 1969 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte; 19), S. 175. 473 Jacobsen, Hans Steinacher, Nr. 103 („Aus der VDA-Arbeit“, S. 391). 474 Goldenes Parteiabzeichen (vom Führer am 30. Januar 1937 verliehen); Dienstauszeichnung der NSDAP in Bronze (30. Januar 1941); Goldenes HJ-Abzeichen; KVK II. u. I. Kl. ohne Schwerter (30. Januar 1942), Olympia-Ehrenzeichen I. Klasse; Osteuropa- und Südeuropa-Medaille; Spange Prager Burg; Großkreuz der Krone von Italien; Ungarisches Verdienstkreuz I. Klasse; Großoffizier des Bolivianischen Ordens vom Condor der Anden (Condor de los Andes); Großkreuz von Joch und Pfeilen Spaniens. Den bolivianischen Orden verdankte EWB General Faupel, der den ihm bekannten bolivianischen General und zeitweiligen Berliner Botschafter Sanjinés gebeten
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(3. November 1937), den Ehrendegen, einen Julleuchter (Julfest 1936), durfte, wie auch seine Adjutanten (SS-Hauptsturmführer Hammersen und SS-Untersturmführer Landherr), die feldgraue Uniform mit den Rangabzeichen der Allgemeinen SS tragen, seine Gauleiteruniform mit dem SS-Zivilabzeichen in Silber und SS-Knöpfen schmücken und sich gegen Rechnung einen Stahlhelm anpassen lassen. Natürlich gratulierte er Himmler stets getreulich zum Geburtstag, doch das waren alles nur Äußerlichkeiten.475 Der Reichsführer nahm ihn vermutlich in die SS auf, um ausgewählte Mitglieder der AO im Ausland für die SS und den SD spionieren zu lassen.476 Eine Verpflichtung zum SS-Dienst war mit Bohles Ehrenführerschaft nicht verbunden. Von den Dienstbefehlen der Allgemeinen SS erhielt er keine Kenntnis. Er besaß keinerlei Befehlsgewalt und war bloßer Uniformträger. Persönlich wurde er nie von Himmler eingeladen. Dienstliche Belange trug er dem Reichsführer SS aus eigenem Antrieb jedoch gelegentlich vor. Über zwei im Dienstkalender Himmlers für 1941 und 1942 vermerkte Besprechungen von Kolonialfragen war bereits berichtet worden. Am 21. November 1942 reichte er über Bormann eine Denkschrift ein, die leider nicht erhalten ist. Sie wurde immerhin als Geheime Reichssache eingestuft, und Himmler bedankte sich ausnahmsweise persönlich, da die gemachten Mitteilungen „sehr interessant“ seien. Gleichzeitig lobte er den Bericht Bohles über die in Zürich am Erntedanktag 1941 durchgeführte Großkundgebung (s. u., Kap. II.14).477 Am 25. September 1944 beklagte sich Bohle beim Reichsführer SS, eine Durchsicht des augenblicklichen Standes der höheren Beamten des AA ergebe, daß 506 evangelisch, 119 römisch-katholisch, 64 gottgläubig und einer deutschgläubig seien. Diese konfessionellen Bindungen hätten nach seiner Erfahrung zur Ablehnung des nationalsozialistischen Staates sehr wesentlich beigetragen. „Daß solche Beamte entweder gar nicht, oder nur mit halbem Herzen der feindlichen Propaganda über die angebliche Knebelung der Kirchen in Deutschland entgegengetreten sind, liegt auf der Hand“. Auch diese Demarche ist eine der üblichen Spitzen gegen seinen Erzrivalen von Ribbentrop.
hatte, Bohle auszuzeichnen (NAMP 679/1 [Bohle Interrogation], Bl. 0167; Berlin, PA AA R 27238, Korrespondenz von September 1936 bis April 1937). Das goldene Parteiabzeichen, die höchste Parteiauszeichnung, die den alten Kämpfern vorbehalten war, wurde aus Anlaß der vierten Wiederkehr der Machtübernahme von Hitler allen Kabinettsmitgliedern verliehen. Bohle, der an diesem Tag zum Staatssekretär z. b. V. mit Kabinettsrang ernannt worden war, profitierte demnach doppelt von diesem Jubiläum, vgl. Joachim Petzold, Franz von Papen. Ein deutsches Verhängnis, München/ Berlin, 1995, S. 257. 475 Belege finden sich in der Akte Berlin, BArch BDC/SSO-Bohle, Ernst Wilhelm. 476 McKale (1977), S. 97. 477 Berlin, BArch NS 19/2029 (die Akte enthält nur zwei einseitige Briefkopien).
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Am 4. Januar 1945 bat Bohle, die in der Schweiz lebenden Deutschen im wehrfähigen Alter, die ihrer Einberufung zur Wehrmacht oder zum Reichsarbeitsdienst (RAD) nicht Folge geleistet hätten, nicht auszubürgern. Vermutlich stünden sie unter dem Einfluß ihrer Eltern, die von der AO auf ihre Gesinnung hin überprüft werden müßten. Himmler stimmte Bohle am 15. Januar 1945 zu und ordnete die Aussetzung einer automatischen Ausbürgerung an.478 Man wird in diesen kurz vor Kriegsende zu konstatierenden Aktivitäten kaum eine besonders große Nähe zu Himmler und seiner SS feststellen können, jedenfalls nicht, solange keine weiteren Dokumente aufgefunden werden. Sie werfen allerdings auch kein positives Licht auf EWB, der sich offensichtlich bei Himmler durch seine Zuträgereien einschmeicheln wollte. Dennoch bleibt unverständlich, daß er nur in diesem Punkt durch die Nürnberger Richter verurteilt wurde, auch wenn er sich selber für schuldig bekannte. Von den Verbrechen der SS hatte er, soweit ersichtlich, allenfalls gerüchteweise gehört. Allerdings lautet der ansonsten lakonische Urteilsspruch, er sei sich des verbrecherischen Charakters der SS bewußt gewesen und nach dem 1. September 1939 dennoch in der SS verblieben.479 Es wird allerdings noch zu zeigen sein, daß Bohle bei Kriegsende Himmlers Mitwirkung an der Regierung Dönitz verhinderte (s. u., Kap. III.1). Döscher hat möglicherweise die Bedeutung von Bohles Beflissenheit und Himmlers Protektion übertrieben, zumal er die nicht minder starke Anlehnung Bohles an Goebbels nicht zur Kenntnis nahm.480 Enge Verbindungen unterhielt Bohle übrigens auch stets zu Robert Ley, da die AO alle Angehörigen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) im Ausland und in der Seefahrt erfaßte und in sozialen und beruflichen Fragen betreute. Die DAF-AO gab mit „Der Deutsche im Ausland“ eine eigene Zeitschrift für das „schaffende Auslandsdeutschtum“ heraus. Auf der VI. Reichstagung der AO begrüßte Bohle Ley als „treuen Freund der Auslands-Organisation“.481 Auch mit dem Chef der Reichskanzlei, Hans Lammers, unterhielt Bohle gute Kontakte und sandte ihm regelmäßig ausgewählte Berichte seiner Landesgruppenleiter zur Information zu. Eine genaue Durchsicht der Tagebücher von Joseph Goebbels erlaubt neue Einsichten in das enge Verhältnis zwischen Bohle und dem Propagandaminister. Bohle hielt Goebbels für den fähigsten Parteiführer und sogar für einen geeig478
Berlin, BArch BDC-SSO-Bohle, Ernst Wilhelm. Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozeß, S. 271. 480 Döscher, S. 160–174, hier S. 174: „In der Bilanz bleibt festzuhalten, daß sich Bohle nach dem überraschenden Englandflug seines früheren Protektors Heß und nach dem Rücktritt vom Posten des Staatssekretärs im AA immer mehr zum Gefolgsmann Himmlers entwickelte in der Hoffnung, mit dessen Unterstützung die Nachfolge des Außenministers Ribbentrop anzutreten, auf dessen Ablösung er mit anderen führenden Nationalsozialisten hinarbeitete“. 481 Großkundgebung mit Dr. Ley, in: Der Auslandsdeutsche 26, 1938, H. 8, S. 297. 479
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neten Außenminister.482 Bereits 1935 hatte Goebbels Bohle und sein Amt nach der Besichtigung des Gaus Ausland gelobt,483 und dieser gute Eindruck blieb bestehen, auch wenn beide erst nach Bohles Ausscheiden aus dem AA enger miteinander kooperierten.484 Goebbels schätzte nicht nur Bohles Organisationstalent, das er als Redner der V. Reichstagung der AO kennengelernt hatte,485 sondern auch seine Rednergabe. Insbesondere die Reden in London und Budapest fanden seine volle Zustimmung. Bohle bombardierte den Propagandaminister nach seinem Ausscheiden aus dem AA mit Denkschriften und avancierte noch einmal zu einer Art „Nebenaußenminister“, diesmal jedoch im Geheimen. Besonders gerne berichtete er Goebbels über die angeblich verkorkste Personalsituation im AA, wobei er sich auf seine dort plazierten Mitarbeiter stützten konnte, die ihn mit Insiderwissen versorgten. Zudem lieferte er Berichte über die Goebbels interessierenden Länder, die ihm von seinen dortigen Vertrauensleuten übermittelt wurden. Nachweisbar sind solche aus Ungarn486, Dänemark487 und Spanien.488 Beide Gesprächspartner waren sich in ihrer Aversion gegen Ribbentrop einig. Als Goebbels an einem 30. April Auslandsjournalisten im Pressesaal seines Ministeriums empfing, begrüßte er sie wenig nazistramm: „Guten Tag, meine Damen und Herren, Heil Hitler! Heute hat ja unser Herr Reichsaußenminister Geburtstag, haben Sie dazu schon den Leitartikel der ,Berliner Börsenzeitung‘ gelesen? Seine Überschrift lautet: ,Von Bismarck bis Ribbentrop‘. Meine Damen und Herren, dann könnte man auch schreiben: ,Von Napoleon bis Seldte!‘“489 Der ehemalige Stahlhelmführer und spätere Reichsarbeitsminister Seldte galt in der NS-Hierarchie als völlig unbedeutend. 482
NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0078. Goebbels TB 7. November 1935: „Sehr umfangreiche und komplizierte Organisation. Gut geleitet von Bohle. Einer unserer fähigsten Leute. Macht alles einen guten Eindruck, nur etwas überorganisiert“ (alte Ausg., Bd. 2, Aufzeichnungen 1924–1941, München [u. a.], 1998, S. 536). 484 Goebbels vermerkt aber bereits am 8.3.1941 in seinem TB: „Die A.O. kann ich jetzt für meine Zwecke einsetzen. Ich habe sie ganz zur Verfügung“ (alte Ausg. Bd. 4, S. 530). 485 Goebbels TB 6.9.1937 (alte Ausg. Bd. 3, S. 255). 486 Goebbels TB 8.4.1943 (Bd. 22, S. 73): „Bohle schickt mir einen Bericht seines Landesgruppenleiters aus Ungarn. In Ungarn gehen die tollsten Gerüchte um. Man weiß gar nicht mehr richtig, ob Ungarn ein verbündeter oder ein feindlicher Staat ist. Wenn die Ungarn könnten, so würden sie lieber heute als morgen aus unserer Koalition ausspringen. Aber Gott sei dank haben wir die Hand an ihrer Gurgel“. 487 Goebbels TB 4.9.1943 (Bd. 23, S. 421): „Bohle gibt mir einen Geheimbericht seiner Vertrauensleute über die Lage in Dänemark. Daraus ist zu entnehmen, daß die schlappe Tour Bests zum Teil zu dieser Krise beigetragen hat“. 488 Goebbels TB 9.9.1943 (Bd. 23, S. 452–453): „Der Landesgruppenleiter der AO Tessmann [sic] erstattet mir Bericht über die Lage in Spanien [. . .] Bohle berichtet mir im Anschluß an die Unterredung mit Tessmann über sein Verhältnis zum Auswärtigen Amt, das sich in letzter Zeit wesentlich gebessert hat“. 489 Überliefert von Hermann Bohle (Signy b. Genf), der dies von seinem Vater hörte, welcher Augen- und Ohrenzeuge der geschilderten Begegnung war. 483
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Darf man Goebbels glauben, ging der Plan Bohles, das AA zu verlassen, ganz wesentlich auf seinen Rat zurück. Die AO könne keine freie Parteiorganisation sein, solange sie dem AA untergeordnet sei.490 Dieses wiederum könne gewisse Fragen nicht durch seine Diplomaten lösen, sondern bedürfe der Mithilfe der Reichsdeutschen im Ausland. „Wenn Ribbentrop geglaubt hat, daß ich mich mit ihm versöhne, damit wir gemeinsam gegen die Auslandsorganisation der Partei vorgehen, so hat er sich sehr geirrt. Ich werde jedenfalls hier zum mindesten objektiv bleiben, in den meisten Fällen die Rechte der Partei auch gegen unsere traditionelle diplomatische Außenpolitik verteidigen.“491 Das AA, und hier stieß Goebbels in das gleiche Horn wie Hitler, sei unfähig, eine effektive Auslandspropaganda zu betreiben.492 Immer wieder berichtete Bohle Goebbels über die Personalsituation des AA und machte ihm Personalvorschläge für sein eigenes Ministerium.493 Nach dem Putschversuch von Unterstaatssekretär Martin Luther, der in einem für Hitler bestimmten Papier im Januar 1943 seinen früheren Gönner Ribbentrop als geisteskrank und arbeitsunfähig geschildert hatte, erstattete Bohle Goebbels ausführlichen Vortrag über die Lage des AA und schloß, Ribbentrop habe mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Luther wollte sich offenbar selber an seine Stelle setzen, was jedoch mißglückte und ihm ab dem 16. Februar 1943 eine Einweisung in das KZ Sachsenhausen eintrug. Bohle meinte, er habe sich zwar formal ins Unrecht gesetzt, doch was er im einzelnen vorzubringen habe, sei für Ribbentrop alles andere als angenehm. „Wenn ich Außenminister wäre, würde ich jetzt von Hauptstadt zu Hauptstadt in den befreundeten Ländern fahren und gutes Wetter machen“. Ribbentrop sehe sich stattdessen amerikanische Filme an.494 Ein halbes Jahr später macht Goebbels eine Kehrtwende und bemerkt, 490 Goebbels TB 13.8.1941: „Ribbentrop hat auch verschiedentlich versucht, beim Führer vorzustoßen, aber er ist immer daneben gelandet. Auch im Fall Bohle, wie Bohle mir selbst in einer Unterredung im einzelnen darlegt. Ribbentrop wollte sich selbst zum Leiter der Auslandsorganisation emporschwingen und zudem seine Missionschefs im Ausland zu Leitern der einzelnen Landesgruppen machen. Der Führer hat diesen Vorschlag rundweg abgelehnt und ist bereit, dem Wunsche Bohles zu willfahren und ihn aus dem Auswärtigen Amt herauszunehmen. Das wäre wohl auch das Beste, und ich gebe Bohle den Rat, schleunigst diesen Schritt zu tun. Solange die Auslandsorganisation untergeordnet an das Auswärtige Amt angekoppelt wird, ist sie keine freie Parteiorganisation mehr. Eine Parteiorganisation aber kann sich nur aus ihrem eigenen souveränen Leben heraus entwickeln. Sie darf nicht als Appendix an den Staat angehängt werden“ (Bd. 15, S. 227). 491 Goebbels TB 24.12.1941 (Bd. 16, S. 572). 492 Goebbels TB 4.3.1943 (Bd. 21, S. 470). 493 Goebbels TB 14.9.1943 (Bd. 22, S. 507). Der Minister hatte den Plan, seinen Ministerialdirigenten Dr. Hans Draeger zum Leiter der Auslandsabt. des RMfVuP zu machen, mit Bohle besprochen, der sich brieflich dagegen gewandt habe. Goebbels sicherte ihm erneute Prüfung zu, da er mit der Arbeit seiner Personalabteilung schon seit langem nicht mehr zufrieden sei, doch erhielt Draeger 1944 dieses Amt dennoch. 494 Goebbels TB 23.2.1943 (Bd. 21, S. 400).
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daß sich die Zusammenarbeit zwischen AO und AA verbessert habe, weil Luther einer gedeihlichen Zusammenarbeit im Wege gestanden habe.495 Nach dem 20. Juli 1944 beklagte EWB den hohen Anteil von Mitgliedern des AA, die nicht dem Anforderungsprofil des NS-Staates entsprächen. Goebbels war empört oder mimte den Empörten und wollte diese Unterlagen bei seinem Vortrag beim ,Führer‘ dazu benutzen, ihm klarzumachen, daß im AA eine Reform an Haupt und Gliedern stattfinden müsse: „Diese Denkschrift ist geradezu erschütternd. Was im Auswärtigen Amt noch an Juden, an jüdisch Versippten, an Freimaurern, ehemaligen Zentrumsleuten und SPDisten herumläuft, spottet jeder Beschreibung“. Der Minister nutzte dies zu heftiger Kritik an Ribbentrop, dem es nicht gelungen sei, „einen Fonds von Personalbestand im Auswärtigen Amt zu schaffen, auf den man sich verlassen kann. Infolgedessen ist das Auswärtige Amt auch geradezu von einer Seuche von Hoch- und Landesverratsprozessen heimgesucht. Wenn man sich vorstellt, daß von diesen Kreaturen die deutsche Außenpolitik in diesem Kriege gemacht wird, dann kann man auch verstehen, warum unsere Außenpolitik so wenig Erfolge erreicht hat“.496 Noch am 7. März 1945 legte Bohle Goebbels eine Denkschrift zur Reform des diplomatischen Dienstes vor, die dieser Hitler weiterreichen wollte. Der Propagandaminister bemerkt, und darin kommt ansatzweise das Bewußtsein zum Ausdruck, daß die Tage des ,Dritten Reichs‘ gezählt sind: Unser diplomatischer Dienst hätte vor Jahren schon reformiert werden müssen. Daß das versäumt worden ist, das haben wir jetzt teuer zu bezahlen. Auf der anderen Seite aber haben wir jetzt sowohl in dieser wie in mancher anderen Frage nicht mehr Zeit genug, um uns mit langwierigen Reformen abzugeben. Wir leben sozusagen von der Hand in den Mund.497
Dieser letzte Satz deckt sich mit Bohles Einschätzung, der sich nach Stalingrad mit seinem Sohn über die allgemeine Lage unterhielt. Als Hermann Bohle Jr. einwarf, „wenn nicht bald etwas passiert“, fuhr sein Vater fort, „ist der Bart ab“, worauf beide das Gespräch in stillem Einverständnis beendeten.498 Bohle, so erfahren wir von Goebbels weiter, habe dem ,Führer‘ ein Exposé über die allgemeine Kriegspolitik vorgelegt. Darin stehe jedoch nichts Neues, doch sei charakteristisch, daß Bormann sich für die Zukunft weigere, dem ,Führer‘ solche Exposés überhaupt vorzulegen, da er sich nicht in außenpolitische Angelegenheiten einmischen wolle. Dafür sei Ribbentrop plötzlich für derartige Dinge zugänglich, so daß man sie ihm unmittelbar vortragen könne. Das habe jedoch keinen Sinn, denn Ribbentrop sei auf der Feindseite so weit abge-
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Goebbels TB 9.9.1943 (Bd. 22, S. 453). Goebbels TB 27.9.1944 (Bd. 27, S. 574–578). Goebbels TB 7.3.1945 (Bd. 29, S. 440). Mitteilung von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf).
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II. Im Dienst von Partei und Staat
schrieben, daß er vermutlich nicht dazu geeignet sei, nach London oder Washington Fäden zu spinnen. Diese Aussagen sprechen für sich. Sie belegen, daß EWB noch immer in der Politik mitmischte und zumindest zu Bormann und Goebbels bis zum Ende des ,Dritten Reichs‘ Zugang hatte.499 Fritz Hesse, einer von Bohles ehemaligen Vertrauten und Leiter des Englanddienstes der AO, der seit 1941 Vortragender Legationsrat im AA war und sich auf die Seite Ribbentrops geschlagen hatte, unternahm eine Sondermission zu Friedenssondierungen nach Schweden, die ergebnislos blieb.500 Bohle berichtete Goebbels über weitere gescheiterte Aktivitäten des AA in den neutralen Staaten (Schweden, Schweiz, Spanien). Diesen seien deshalb keine Erfolge beschieden, weil sich Churchill in den Kopf gesetzt habe, das Deutsche Reich zu zerstören und das deutsche Volk zu vernichten. Goebbels kommentiert: „Hier öffnet sich also nicht das geringste Hintertürchen“. Die Erkundigungen hätten ergeben, daß mit den USA eher etwas zu machen sei, vorausgesetzt, man räume ihnen wirtschaftliche Entfaltungsmöglichkeiten in Europa ein. Allerdings bedürfe es noch einer ganzen Reihe von Voraussetzungen, um mit den USA ins Gespräch zu kommen. Am ergiebigsten seien die Sondierungen der Sowjetunion gegenüber.501 Gerade diese letzten Eintragungen Goebbels‘ dokumentieren, wie realistisch er die Lage zu diesem Zeitpunkt einschätzte und sich, vielleicht gerade deswegen, an die aberwitzige Hoffnung klammerte, es könne doch noch einen Verhandlungsfrieden geben. Dabei hatte ihm Bohle am gleichen Tag eine schonungslose Denkschrift zur Lage in Großbritannien übermittelt, die Goebbels in seinem Tagebuch resümiert.502 Sie reflektiert die Beschlüsse von Jalta und ist bezüglich der alliierten Kriegsziele explizit: Wenngleich das englische Volk kriegsmüde sei, wolle die Regierung entgegen allen anderslautenden Stimmen eine deutsche Kapitulation erzwingen. Wie schon nach dem Ersten Weltkrieg setzten die deutschen Politiker angesichts der drohenden Niederlage statt auf die USA auf Großbritannien, dessen Nachgiebigkeit sie jedoch überschätzten: Alle Länder, die nicht in unmittelbarer Abhängigkeit von Rußland geraten sind, werden sich sowohl aus wirtschaftlicher Notwendigkeit wie aus politischer Angst vor Sowjetrußland an England anschließen. Das erwartet man sogar von einem geschlagenen Deutschland, falls es nicht noch im Zuge der von England gedachten Schlußphase des Krieges Sowjetrußland in die Klauen fällt. – Insgesamt ist man in 499
Goebbels TB 7.3.1945 (Bd. 29, S. 440). BHDAD, Bd. 2 (2005), S. 296. Goebbels TB 1.4.1945 (Bd. 29, S. 657): „Bohle berichtet mir von dem Mißerfolg, den Hesse in Stockholm erlitten habe. Hesse sei ein ausgesprochener Ribbentrop-Mann und genieße vor allem in englischen politischen Kreisen nicht das geringste Vertrauen. Die Engländer wollten, wenn überhaupt schon mit den Deutschen, dann bestimmt nicht mit Ribbentrop verhandeln. Infolgedessen sei die Entsendung Hesses nach Stockholm ein ausgesprochener diplomatischer Fauxpas gewesen“. 501 Goebbels TB 8.4.1945 (Bd. 29, S. 682). 502 Goebbels TB 7.3.1945 (Bd. 29, S. 437–440). 500
14. Auslandsreisen im Krieg
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London jetzt noch überzeugt, daß durch einen außenpolitischen Vergleich mit Moskau eine kommunistische Revolution in Westeuropa verhindert werden kann und dann mit Hilfe des demokratisch-parlamentarischen Systems die Kommunisten immer in der Minderheit gehalten werden können, vorausgesetzt, daß man aller sowjetischen Einflußnahme die jetzt angestrebten Grenzen setzen kann.503
Goebbels war in der Endphase des Krieges hinreichend informiert, um nicht wirklich an eine Friedensoption ohne bedingungslose Kapitulation zu glauben. Bohles Bericht charakterisiere die gegenwärtige Lage zutreffend: „Man kann aus ihm entnehmen, daß im Augenblick für uns politische Chancen nicht gegeben sind. Aber das kann sich ja von Tag zu Tag ändern, vor allem, wenn die Entwicklung in den von den Sowjets besetzten Gebieten weiter ein so rapides Tempo anschlägt wie in den letzten Tagen“ (ebd.). 14. Auslandsreisen im Krieg Wenngleich Bohles Bewegungsradius durch den Krieg fast ausschließlich auf das neutrale, verbündete oder von Deutschen besetzte Europa beschränkt war, unternahm er weitere Reisen und hielt vor Auslandsdeutschen und Einheimischen Festvorträge, getreu seinem Motto, daß die AO zum Stimmführer des Deutschtums in besonderer Weise bestimmt sei. Zu Konferenzen oder Besprechungen Hitlers und Ribbentrops mit ausländischen Regierungschefs und Staatsmännern wurde er nicht zugezogen, um keine Rivalität mit dem Außenminister aufkommen zu lassen und dem Ausland zu demonstrieren, daß die AO sich allein um die dort lebenden Reichsdeutschen zu kümmern habe.504 Möglicherweise lassen sich nicht mehr alle Reisen rekonstruieren. Als EWB 1950 im Rahmen seines vom ,Staatskommissar für die Entnazifizierung und Kategorisierung der Hansestadt Hamburg‘ durchgeführten Verfahrens den in fast allen Besatzungszonen mehr oder weniger ähnlichen Fragebogen ausfüllen mußte, bedauerte er, die Frage 34 nach Auslandsreisen mangels schriftlicher Unterlagen nach fast fünfjähriger Haft nicht mehr genau beantworten zu können. Er gab an, in London, Stockholm, Rom, Paris, Davos, Zürich, Bern, Zagreb, Budapest, Wien, Brüssel und Antwerpen gesprochen zu haben.505 In die Kriegszeit gehören die Reisen nach Brüssel,506 Paris, Zagreb und Zürich. Bohle „vergißt“ Reisen nach Bukarest, Den Haag, Luxemburg, Oslo und Preßburg.
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Goebbels TB 7.3.1945 (Bd. 29, S. 439). Otto Meißner, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 4.4.1949, Kopie Hamburg, StA 221-11 Kat. 28229 [unnum. Bl.]. 505 Hamburg, StA 221-11 Kat. 28229, Bl. 4a: „Ich habe in [. . .] gesprochen, und zwar ausschliesslich über Fragen des Auslandsdeutschtums oder der Seeschiffahrt. Meine Reden im Ausland fanden fast stets unter Kontrolle der fremden Polizei [sic] statt und sind nie von der betreffenden Regierung beanstandet worden, meist sogar günstig kommentiert worden, vor allem meine Reden in London (1937) und Budapest (1938)“. 504
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II. Im Dienst von Partei und Staat
Aus einigen den genannten Ländern wurden Vertreter der Parallelorganisationen nach Deutschland eingeladen. Mehrere dieser Veranstaltungen hatten symbolischen Charakter. Allerdings hat Bohle nie eine Reise nach „Osten“ unternommen, also weder ins Generalgouvernement noch nach Rußland. Ein einziges Mal machte er auf dem Weg zu einer Gauleiterversammlung im Führerhauptquartier Wolfsschanze in Posen Station.507 Bohle nahm am 30. November 1940 zusammen mit Baldur von Schirach als offizieller deutscher Vertreter an der Gedächtnisfeier für den Gründer der rumänischen Faschistenorganisation ,Eiserne Garde‘, Corneliu Codreanu, teil. Dies war seine letzte Reise vor seiner Kaltstellung infolge der „Heß-Affäre“. Er legte im Auftrag des Stellvertreters des ,Führers‘ einen Kranz an Codreanus Grab nieder.508 Codreanu war zwei Jahre zuvor bei einem angeblichen Fluchtversuch erdrosselt worden. Er war der Sohn eines aus der Bukowina stammenden Rumänen und einer Deutschen und hatte 1927 die nationalistische antisemitische ,Legion Erzengel Gabriel‘ gegründet, aus der 1930 als militanter Ableger die ,Eiserne Garde‘ (sog. Grünhemden) hervorging. Als König Carol II. Anfang 1938 das Land in einem Staatsstreich in eine Königsdiktatur umwandelte, ließ er die ,Eiserne Garde‘ verbieten, die bei den Parlamentswahlen 1937 die drittstärkste Kraft im Lande geworden war. Ob Bohle aus Anlaß seiner Reise eine Rede hielt, konnte nicht festgestellt werden. Er verhandelte mit Horia Sima, dem Nachfolger Codreanus, über eine Zusammenarbeit mit der AO. Dies machte Sinn, da Marschall Antonescu sich zunächst auf die ,Eiserne Garde‘ stützen konnte und, nach der erzwungenen Abdankung Carols II. zugunsten seines Sohnes Mihai I., am 6. September 1940 mit ihrer Hilfe als autokratischer ,Führer‘ (rum. conducaˇtorul) regieren konnte. Als die ,Eiserne Garde‘ im Januar gegen ihn putschen wollte, wurde sie entmachtet. Antonescu verlor jede Eigenständigkeit, wurde zur Marionette Hitlers und konnte sich nur noch auf das Militär stützen.509 Bohle wurde anläßlich seines Besuchs auch von Marschall Antonescu und anderen Regierungsmitgliedern empfangen.510 506 Hier sprach Bohle am 2. Dezember 1942 aus Anlaß der Zehnjahresfeier der AO über den Weg und die Aufgabe der Auslandsdeutschen, vgl. VB (Westdeutsche Ausgabe), 4.12.1942. 507 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13638. Dies ist übrigens ein Widerspruch zu seinen sonstigen Angaben, er habe außer nach dem Heßflug nie an einer Gauleiterbesprechung teilgenommen. 508 Diese Reise ist belegt durch ein Photo, das in DIE WELT Nr. 51, 1.3.1967, S. 5, erschien. Es ist überschrieben „Prominenz der ,Achsenmächte‘ in Bukarest“ und zeigt eine große Trauergemeinde. In der ersten Reihe sieht man Staatschef Ion Antonescu und Horia Sima, in der zweiten Bohle neben einem Vertreter Italiens und eines nicht identifizierten anderen Landes. 509 Vgl. McKale (1978), S. 174, mit unsinniger Chronologie der Ereignisse; Andreas Hillgruber, Hitler, König Carol und Marschall Antonescu: die deutsch-rumänischen Beziehungen 1938–1944, Wiesbaden, 1954 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz; 5), S. 116–119.
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Im Juni 1941 unternahm EWB eine Kroatienreise. Selbst Ribbentrop konnte ihm nicht verbieten, Gespräche über die politische Lage mit Präsident Ante Pavelic´, Marschall Slavko Kvaternik, dem Oberkommandierenden der kroatischen Streitkräfte, sowie Außenminister Mladen Lorkovic´ zu führen.511 Eigentlich hätte sich Bohle auf Angelegenheiten der AO beschränken müssen, was er bei den folgenden Reisen getan zu haben scheint. Am 27. Oktober 1941 reiste EWB zum drittenmal offiziell nach Italien, um diesmal Mussolini die Glückwünsche des ,Führers‘ zum 19. Jahrestag des faschistischen Marsches auf Rom zu überbringen. Er wurde vom Duce im Palazzo Venezia empfangen, der ihn zuvor bei der Parade beständig an seiner Seite gehalten hatte. Der Duce lobte die AO, die mit den Auslands-Fasci eng verbunden sei. Bohle weihte ein ,Deutsches Haus‘ in Rom als Sitz der AO ein.512 Am 31. März 1942 hielt sich EWB in Paris auf, um den stellvertretenden Landesgruppenleiter Bolko Graf von Roedern zur Armee zur verabschieden, den an der Front gefallenen Landesgruppenleiter Richard Ziessig zu ehren und Michael Neuendorf, einen südafrikanischen Kampfgefährten, als neuen Landesgruppenleiter in sein Amt einzuführen. Bohle sprach aus diesem Anlaß in der französischen Deputiertenkammer (Chambre des Députés) im Palais du Luxembourg.513 Da dieser Ort während der deutschen Besetzung funktionslos war, war er in eine Außenstelle des Gaupropagandaamtes verwandelt worden. An der gleichen Stelle, an der Édouard Daladier 1939 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt hatte, holte Bohle zu einem Rundumschlag gegen die westlichen Alliierten aus. Sodann erzählte er zu wiederholten Malen die Geschichte der AO, dank derer zum ersten Mal in der deutschen Politik den Auslandsdeutschen die gebührende Aufmerksamkeit gewidmet werde. Das Ausland fürchte das neue Großdeutschland. Churchill habe ihm 1937 in einem Privatgespräch gesagt, den Engländern habe das Deutschland vor 1933 viel besser gefallen als das ,Dritte Reich‘, „denn unter der Führung Adolf Hitlers werde Deutschland so stark werden, wie es England nicht zulassen könne“. Bohle warnte das „internationale Judentum“, das überall systematisch seine Hand bei der Verfolgung und Unterdrückung der Auslandsdeutschen im Spiel habe. Wo dies der Fall sei, arbeiteten meist Engländer und Juden Hand in Hand:
510
NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0074. NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0074. 512 Gauleiter Bohle in Rom, in: Der Auslandsdeutsche 29. Jg., H. 12 (Dezember), 1941, S. 235 (mit zwei Photos). 513 Auslandsdeutschtum im Krieg bewährt, in: Hamburger Fremdenblatt, Nr. 91A, 1.4.1942; engl. Resümee „The progress of the fifth columnists“ in: London, WL 211A. 511
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Weil es unseren Feinden nicht gelungen ist, die Haltung der Auslandsdeutschen zu brechen, glauben sie, ihren Haß gegen das Reich an wehrlosen Männern, Frauen und Kindern in ihrem Machtbereich austoben zu können. Sie schlagen das Auslandsdeutschtum, um das Reich zu treffen. Hier muß man ihnen zurufen: Laßt die Rechnung nicht zu hoch ansteigen! Wer sich an einem deutschen Staatsbürger im Ausland vergreift, beleidigt Großdeutschland! Was das heißt, dürfte die Welt wissen.514
Am Sonntag, dem 4. Oktober des gleichen Jahres strömten nach deutschen Schätzungen 12.000, nach Schweizer 8.000 Besucher, darunter 2.336 Reichsdeutsche von außerhalb Zürichs und eine nicht genannte Zahl von italienischen Sympathisanten, zur Feier des Erntedankfests in das Hallenstadion Zürich-Oerlikon, damals der größte Versammlungsraum der Schweiz. Die AO hatte ihn seit dem Vortag von einem privaten Sicherheitsdienst überwachen lassen. Wenn man in Rechnung stellt, daß die Schweizer Landesgruppe selbst in ihren besten Zeiten nie mehr als 1.350 Mitglieder hatte, dann erstaunt dieser Zulauf. Die Photodokumentation zeigt lange Kolonnen junger Männer, die, um das Uniformverbot zu umgehen, einheitlich weiße Hemden und schwarze Hosen tragen und mit geschulterten Spaten wie der Reichsarbeitsdienst oder mit Hakenkreuzfahnen wie Aufmarschkolonnen bei Reichsparteitagen durch das Stadion defilieren. Bohle hielt eine seiner üblichen Reden, in denen er die Rolle der Auslandsdeutschen herausstrich und ihre Einmütigkeit mit den Deutschen im Reich betonte. Die Gegner Deutschlands könnten es immer noch nicht fassen, daß Reichsdeutsche im Ausland, die aller Segnungen des Liberalismus und der Demokratie teilhaftig werden konnten, den Weg zum Nationalsozialismus gefunden hätten und mit allen Fasern ihres Herzens am ,Führer‘ hingen.515 Bohle dankte, vom genius loci inspiriert, dem ,Internationalen Komitee des Roten Kreuzes‘ in Genf für seine weltweit segensreiche Betreuung der deutschen Zivilinternierten, vor allem in den USA, wo man diesen sogar ansinne, Wehrdienst zu leisten.516 Zum Abschluß bezeugte der Gauleiter seine Siegeszuversicht: „In Europa siegt 514 Länder- und Gruppenberichte. Frankreich, in: Der Auslandsdeutsche 30, 1942, S. 79–80. Der Wortlaut der gesamten Rede, die am 5. April 1942 im Deutschen Rundfunk gesendet wurde, findet sich in Kopie London, WL Sign. 211 A 2. 515 Ein von der Stadtpolizei Zürich aus diesem Anlaß aufgenommenes Photo prominenter deutscher Teilnehmer zeigt v.l.n.r. Ernst Wilhelm Bohle, den deutschen Gesandten Otto Köcher, den Botschaftsangestellten Erich Alt sowie Sigismund Freiherr von Bibra, Botschaftsrat in Bern und LGL der AO in der Schweiz (V.E. c.63. Kriminalkommissariat III, Registratur 1). Das Photo ist Teil der von Trinidad Moreno gestalteten Ausstellung „Lebenszeichen“, die im Jahr 2004 vom Stadtarchiv Zürich veranstaltet wurde, und findet sich im Internet. Vgl. auch: Die Kundgebung der Zwölftausend in Zürich, in: Der Auslandsdeutsche 30, 1942, S. 168–169 u. 175–176. 516 Schicksale der Zivilinternierten. Gauleiter Bohle sprach in Zürich, in: MNN 6.2.1942. Vgl. auch den Bericht über einen Besuch von Dr. Marcel Junod (Delegation des Roten Kreuzes in Genf) bei Bohle (14.11.1939), bei dem es um die Verhaftung von 128 deutschen Frauen in England und die Möglichkeiten eines Austauschs von Zivilpersonen ging (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-1725).
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die Achse! Sie siegt zugleich auf den Weltmeeren und in Afrika, sie siegt mit den besseren Soldaten und sie siegt vor allem mit dem besseren Gewissen. Wir Deutsche sind Nationalsozialisten geworden, weil der Führer uns im letzten Augenblick vor dem Chaos und dem Zerfall unseres Volkes gerettet hat“.517 Abschließend fand in kleinerem Kreis ein Kameradschaftsabend statt. Die behördlich genehmigte Veranstaltung wurde von der Zürcher Kantonspolizei überwacht. Sie hatte im Vorfeld anti-deutsche Flugblätter der illegalen Kommunistischen Partei und der illegalen Sozialistischen Jugend der Schweiz eingesammelt und einen reibungslosen An- und Abmarsch der Besucher gewährleistet.518 Als EWB im Juli 1943 im Kursaal Schänzli den neuen LGL Dr. Wilhelm Stengel öffentlich „inthronisieren“ und mit den prominenten Mitgliedern der deutschen Kolonie der Schweiz bekanntmachen wollte, lehnte die Bundesanwaltschaft Bern dies ab. Sie stimmte jedoch der Einreise des Gauleiters zu, wenn Stengel zuerst in der Deutschen Botschaft in sein Amt eingeführt würde und Bohle im Anschluß daran zu einer Inspektionsreise in die Schweiz komme.519 Während seines Aufenthalts mußte EWB zur Kenntnis nehmen, daß die ,Abwehr‘ sämtliche Parteifunktionäre der AO in der Schweiz hinter seinem Rücken zu Agenten gemacht hatte. Er beschwerte sich darüber bei Bormann, der genüßlich bei Keitel protestierte und bei nächster Gelegenheit dafür sorgte, daß der SD unter Schellenberg das Spionage-Netz übernahm.520 Der überwiegende Teil der Schweizer Bevölkerung reagierte übrigens ablehnend auf den Aufmarsch und das Treffen so vieler Reichsdeutscher.521 Die Angelegenheit war für Bohle 517 Wir haben heute ein Auslandsdeutschtum, auf das unser Reich wahrhaft stolz sein kann. Das große Erntedankfest der Reichsdeutschen in der Schweiz, in: VB 6.10. 1942. 518 In der Akte Bern, BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-17795, Bohle, Ernst, 1903, Band 104, 1943–1959) finden sich Kopien der Berichte der Zürcher Kantonspolizei. 519 Aktenvermerk von Bundesrat Walther Stampfli in französischer Sprache (26.7. 1943): „Il nous paraît désirable que M. Stengel prenne contact avec sa colonie sous l’égide du Ministre d’Allemagne en Suisse et non sous celui du Secrétaire d’Etat. Une fois ce contact pris, il serait tout naturel que M. Bohle fasse un voyage d’inspection et réunisse à la Légation d’Allemagne et dans un cadre restreint M. Stengel et les principaux dirigeants de la colonie allemande en Suisse pour s’assurer que les contacts ont été bien pris. Actuellement, le voyage de M. Bohle paraît prématuré“. 520 Lang, S. 263. 521 Vgl. das Interview mit dem Zeitzeugen Hans Wunderli (Jg. 1919) aus Zürich, das seine Enkelin Patricia Jung im Jahr 1997 im Rahmen eines Oral History-Projekts mit ihm geführt hat: „Was den Nationalsozialismus in der Schweiz betraf, konnte er sich an ein bestimmtes Ereignis im Oktober 1942 erinnern. Damals hatten sich 12.000 Deutsche, die in der Schweiz lebten, im Hallenstadion in Zürich-Oerlikon versammelt. Sie feierten dort das ,Erntedankfest‘ und die Siege der deutschen Wehrmacht im Krieg. Man sah um diese Veranstaltung herum viele Fahnen, und nationalsozialistische Zeitungen wurden verkauft. Klar hatte man Angst vor diesen Veranstaltungen, doch konnte man ja nichts dagegen unternehmen. Auch sonst waren Zeitungen von NaziDeutschland an den schweizerischen Kiosken erhältlich, aber diese waren ein Tabu-
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nicht ungefährlich, da er Gefahr lief, sich persönlich einem Spionageverdacht auszusetzen. Dennoch wurde er bei seinen Auslandsreisen nicht müde, das korrekte Verhalten seiner AO-Mitglieder zu betonen und ihnen einzuschärfen, die Souveränität ihrer Gastländer zu respektieren. Drei Tage später feierte Bohle am 7. Oktober 1942 auf dem festlich geschmückten Platz vor der Osloer Universität mit Vertretern der deutschen Kolonie, in Norwegen stationierten Wehrmachtsangehörigen und norwegischen Deutschlandfreunden das Erntedankfest. Es war dies seine erste Reise nach Norwegen. Der norwegische Ministerpräsident Vidkun Quisling gehörte zu den Ehrengästen. Bohle machte dem norwegischen Volk Komplimente: Jeder Deutsche fühle sich ganz natürlich zu Norwegen hingezogen. Die dort lebenden Deutschen trügen eine große Verantwortung. Als Staatsbürger des Großdeutschen Reiches seien sie die Repräsentanten des Nationalsozialismus, und jeder Norweger werde in ihnen das Spiegelbild des nationalsozialistischen Lebens im Reich sehen. Eine Neuordnung Europas stehe unmittelbar bevor. Norwegen sei berufen, in der entstehenden großgermanischen Gemeinschaft eine herausragende Rolle einzunehmen und zum Mitträger einer gemeinsamen germanischen Ordnung zu werden. So wie die Deutschen seit der Machtübernahme gelernt hätten, nicht in der Dimension von Dörfern, sondern von Kontinenten zu denken, werde der Norweger als Ziel seiner Mitarbeit immer das neue Europa sehen. Es sei für jeden germanischen Menschen nicht nur eine Selbstverständlichkeit, sondern im Interesse Norwegens eine Notwendigkeit, sich in den anstehenden Geschichtsprozeß einzugliedern. Quisling und seine ,Nasjonal Samling‘ seien deshalb auf dem richtigen Weg. Auch für sie sei Hitler der Garant der Zukunft und des Friedens. Bohle gab der Hoffnung Ausdruck, daß möglichst viele Norweger sich der Quisling-Bewegung anschlössen.522 Diese Rede ist der erste Beweis dafür, daß auch Bohle sich am Diskurs über ein den Kontinent umspannendes Neu-Europa unter nationalsozialistischer Führung beteiligte. Dieser Plan war die Antwort auf die drohende Niederlage in Rußland und sollte eine militärische und ökonomische Front europäischer Bündnispartner schaffen, um das Blatt doch noch zu wenden. Im Mai 1943 reiste Bohle nach Schweden und sprach vor der deutsch-schwedischen Handelskammer in Stockholm. Der damalige deutsche Gesandte Hans Thomsen, ein bewährter AO-Mann, gab zu Protokoll, seine Ausführungen seien völlig frei von Nazipropaganda gewesen. Bohle habe mit großem Sachverstand über handelspolitische Probleme und Austauschmöglichkeiten im Krieg referiert und sich die Anerkennung seines Publikums verdient.523 Laut Aussage des ehethema; man beachtete sie nicht und sprach eigentlich auch nicht darüber“ (Quelle: http://www.kzu.ch/fach/g/chwk2/Jung7l.htm [7.3.2008]). 522 Länder- und Gruppenberichte. Norwegen, in: Der Auslandsdeutsche 30, 1942, S. 174–175 (Photo vom Platz vor der Osloer Universität).
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maligen Ministerialdirigenten (Unterstaatssekretärs) Friedrich Gaus hatte Bohle ursprünglich vor dem größeren Kreis der deutsch-schwedischen Gesellschaft eine politische Kriegsrede halten wollen, deren Wortlaut auf Wunsch Hitlers Ribbentrop vorgelegt werden mußte. Zu dieser Rede kam es aber nicht, weil Bohle für diese Reise kein schwedisches Einreisevisum erhielt.524 Die letzte bedeutende Auslandsrede Bohles wurde aus Anlaß von Hitlers Geburtstag am 20. April 1944 in der slowakischen Hauptstadt Preßburg gehalten. Sie wurde nicht gedruckt, doch ist eine maschinenschriftliche Kopie im Umfang von 39 Seiten erhalten, die Bohle dem Reichsschatzmeister der NSDAP, Franz Xaver Schwarz, zusandte.525 Zugegen waren Reichsdeutsche und Volksdeutsche, dazu Spitzen der slowakischen Regierung. Bohle hatte während seines Aufenthalts Gelegenheit, von dem Gesandten Hans Ludin begleitet, mit Staatspräsident Jozef Tiso, Innenminister Alexander Mach und Aladar Kocˇ isˇ, Generalsekretär der Hlinka-Partei und Unterrichtsminister, zu konferieren.526 Seine Geburtstagsrede dürfte eine gute Stunde gedauert haben und unterschied sich in wesentlichen Punkten von den früheren Reden. Bohle begann mit Komplimenten für seine Gastgeber, deren Land seine Existenz der von Hitler besorgten Zerschlagung der tschechoslowakischen Republik im Frühjahr 1939 verdankte, weshalb man den „Schutzstaat“ Slowakei auch den ersten Vasallen Hitlers nannte. Der Anlaß der Rede gab EWB Gelegenheit, die politischen Leistungen des ,Führers‘ zu feiern. Nicht ohne Eigenlob folgten sodann die „Parteierzählung“ der AO und die Herausstellung der Kämpfe der Auslandsdeutschen. Neu waren Bohles Bekenntnis zur Rassenlehre, seine Ausfälle gegen Großbritannien, die USA und die Sowjetunion und seine Beschwörung eines gemeineuropäischen Kampfes unter deutscher Führung gegen den Bolschewismus. Bohle prophezeite trotz der prekären militärischen Großwetterlage den Endsieg und erklärte die Absetzbewegungen der Wehrmacht für temporär und taktisch notwendig. Er machte den Alliierten wegen des Bombenterrors schwere Vorwürfe und stellte sie mit gemeinen Mördern auf eine Stufe. Es war dies eine zeittypische Durchhalterede, die Bohle als einen überzeugten Nazi-Hierarchen ausweist. Einige seiner antisemitischen, antibritischen, antiamerikanischen und antibolschewistischen Zitate sollen dies belegen. Von den Briten sagte er:
523 Affidavit, Dr. Hans Thomsen, 29.5.1948 Hamburg, Dokumentenbuch IV, Nr. 67, Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse IV, Fall 11, Rep. 501, E-5, S. 3. 524 Friedrich Gaus, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 22.8.1947, Bl. 7 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-2479). 525 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-2576; Berlin, BArch BDC/ PK-Bohle, Ernst Wilhelm. Auszüge wurden am gleichen Tag um 19.40 Uhr auch im Reichsprogramm des Großdeutschen Rundfunks gesendet, vgl. Der Führer und das Auslandsdeutschtum, in: London, WL 211A2. 526 Transcontinent Press (deutschsprachiger Südost-Nachrichtendienst), 20.4.1944, 21.43 Uhr.
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In ihrer nationalen Borniertheit, im Vollgefühl jahrhundertelang geglückter Raubzüge und gestützt auf das Talent, Volk gegen Volk aufzuwiegeln und zu verhetzen und andere für sich Krieg führen zu lassen, haben die verantwortlichen Männer des heutigen England nicht vermocht, die geschichtliche Größe des ,Führers‘ zu erfassen und in seinen so oft wiederholten Angeboten einer Verständigung mit England den wahren Segen für Europa zu erblicken (S. 17).
Da ist nichts mehr von Bewunderung und Ausgleichsstreben zu bemerken. Die einst so positiv beschriebene Unterredung mit Winston Churchill wird jetzt zum Beweis der britischen Borniertheit zitiert (S. 18–20), der Staatsmann selber als Kriegstreiber und Totengräber seines Landes angeklagt (S. 36). Den Bolschewismus bewertete EWB wie folgt: Heute weiß Europa, daß wir Nationalsozialisten keinen Bolschewistenschreck an die Wand gemalt haben, sondern daß wir in größtem Verantwortungsbewußtsein von Anbeginn die tödliche Gefahr des Bolschewismus und seiner weltrevolutionären, von Juden finanzierten Pläne erkannten. Wer es noch vor einem Jahr nicht wahrhaben wollte, weiß heute ganz genau, daß der Bolschewismus ganz Europa überrennen und damit jede nationale Eigenstaatlichkeit, jede Kultur und jedes Recht auf ein freies Leben auszulöschen beabsichtigt. Nur Narren und bestochene Judenknechte schließen ihre Augen vor der Erkenntnis, daß das rote Gift überall eingespritzt wird, wo auch nur eine Gelegenheit dazu vorhanden ist (S. 34).
Zu den USA merkt er an, daß sie „in echt angelsächsischer Bündnistreue einen Gebietszuwachs auf Kosten ihrer englischen Freunde erhofften“ (S. 38). Wer sich nicht auf die Deutsche Seite schlage, habe das Recht verwirkt, sich Europäer nennen zu dürfen und könne sich nicht beklagen, wenn nach dem Sieg „diejenigen die Früchte dieses Sieges ernten, die für ihn tapfer gekämpft haben“ (S. 36). Es dürfte Bohle nicht schwer gefallen sein, sich diese Topoi der nationalsozialistischen Endzeitrhetorik durch regelmäßige Zeitungslektüre so gut anzueignen, daß sie binnen kurzem zum festen Inventar seiner Redekunst wurden. Den Abschluß seiner Slowakeireise bildeten Besuche bei der deutschen Volksgruppe und ihrem Führer, Staatssekretär Franz Karmasin, der ihm die Sozialeinrichten der Volksgruppe vorführte, vor allem Siedlungshäuser und Wirtschaftsgenossenschaften. Bohle überschritt mit diesem Besuch die der AO gesteckten Grenzen, denn er war für die Betreuung der Volksdeutschen, die slowakische Staatsbürger waren, nicht zuständig.527 Obergruppenführer Lorenz, Leiter der VoMi, beschwerte sich prompt (28. April) bei Himmler: Bohle mische sich in letzter Zeit immer wieder in die Arbeit der deutschen Volksgruppen ein und legitimiere dies damit, daß diese später unbedingt mit der AO vereinigt werden müßten. Dies sei nicht hinzunehmen.528 527 Gauleiter Bohle bei der Volksgruppe. Besichtigung der Gemeinschaftswerke, in: Grenzbote (Preßburg), 20.4.1941. 528 Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage Dok. Fotok., NG-3425.
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Möglicherweise handelte Bohle im Einvernehmen mit seinem Vorgesetzten Bormann, der ihn am 23. April damit beauftragte, „die gesamte germanische Arbeit in die Hand zu nehmen“,529 wodurch er der SS in die Quere gekommen wäre. Was unter der „germanischen Arbeit“ zu verstehen ist, wird nicht gesagt, auch wissen wir nicht, ob Bohle in diesem Sinne aktiv wurde bzw. ob er sich mit seinem Gönner Himmler absprach. Wahrscheinlich ist dies nicht, wenn man seine Vorbehalte gegen die Rassenideologie bedenkt.
529 Schreiben von Obergruppenführer Gottlob Berger (Berlin-Grunewald, 23.4.1944) an den Reichsführer SS und Reichsminister des Inneren (Kopie Nürnberg, StA KVAnklage Dok. Fotok., NG-1961); Original Berlin, BArch NS 19/2185.
III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß 1. Zeuge der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß Hitlers Selbstmord am 30. April 1945 bedeutete nicht zugleich auch das Ende des ,Dritten Reichs‘. Der ,Führer‘ hatte Großadmiral Karl Dönitz testamentarisch zu seinem Nachfolger als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestimmt. Dieser hatte sich mit den noch verbliebenen Spitzen des NS-Staates aus dem völlig zerbombten und von Russen eingekesselten Berlin nach Flensburg geflüchtet und amtierte dort über die Kapitulation vom 8. Mai hinaus bis zum 23. desselben Monats. Albert Speer hat als Augenzeuge über die Aktivitäten dieser letzten Reichsregierung berichtet, die noch ganz den Vorstellungen des nationalsozialistischen Regimes verhaftet gewesen sei und mit ihren Formen und Zeremonien etwas Tragikomisches gehabt habe. Dönitz habe allerdings vernünftigerweise seine Aufgabe darin gesehen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und dann die Regierung aufzulösen. Nach der Kapitulation ließen die Briten und Amerikaner die Regierungsmitglieder noch eine Zeitlang gewähren, so als ob sie unschlüssig seien, was mit ihnen zu geschehen habe. Erst am 23. Mai wurden Dönitz, die Minister seiner Geschäftsführenden Reichsregierung sowie des Oberkommandos der Wehrmacht samt ihren Stäben von den Briten verhaftet, den Amerikanern übergeben und vorübergehend im luxemburgischen Kurort Mondorf-les-Bains (Bad Mondorf) im heute nicht mehr bestehenden „Palace Hôtel“ interniert, um im August ins Nürnberger Gerichtsgefängnis überführt zu werden.1 Das Mondorfer Hotel unterstand der Befehlsgewalt des bewußt militärisch auftretenden Obersten Burton C. Andrus, der ab August auch als Gefängniskommandant in Nürnberg fungierte.2 Er lief mit einer Reitgerte unter dem Arm herum und sagte einem Besucher, er halte alle Gefangenen für verrückt. Laut einem amerikanischen Ermittlerteam verstand er es meisterhaft, „wie man die ,Arschl. . .‘ auf Vordermann hält“, und sorgte dafür, „dass sie uns die Antworten gaben, die wir hören wollten“.3
1 Albert Speer, Erinnerungen, Frankfurt a. M./Berlin, 1989 (Bibliothek der Zeitgeschichte), S. 495–508 (Kap. 33 „Stationen der Gefangenschaft“). 2 Burton C. Andrus, I was the Nuremberg jailer, New York: Coward-McCann, 1969; Ders., The Infamous of Nuremberg, London: Frewin, 1969. 3 Richard Overy, Verhöre. Die NS-Elite in den Händen der Alliierten. Aus dem Englischen von Hans-Ulrich Seebohm und Udo Rennert, München/Berlin 2000, S. 64–70.
1. Zeuge der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß
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An besagtem 23. Mai wurde auch Ernst Wilhem Bohle festgenommen, der bis zum Schluß Optimismus verbreitet und seinen Glauben an den Endsieg verkündet hatte.4 In Wirklichkeit ahnte er schon seit längerem, daß der Krieg verloren und damit auch seine Karriere beendet war. Am 14. April 1945 hatte er Berlin in Richtung Bad Schandau verlassen. Zuvor hatte er die von Bormann stammende Anweisung weitergegeben, die in Berlin befindlichen Akten der AO zu vernichten.5 Seine persönlichen Unterlagen hatte er Erich Schnaus6 und ˇ erTheodor Leonhardt7 ausgehändigt, die sie nach Schloß Rothenhaus (heute: C veny´ Hrádek) bei Görkau nahe Komotau im Erzgebirge (heute: Chomutov) verbrachten, das den Fürsten Hohenlohe-Langenburg gehörte. Sobald Bohle über den Großdeutschen Rundfunk von Hitlers Tod und der Ersetzung Ribbentrops als Reichsaußenminister durch Graf Schwerin von Krosigk erfuhr, begab er sich zusammen mit Generalleutnant Oldwig von Natzmer, dem Chef des Stabes des Feldmarschalls Schörner, per Flugzeug von Dresden nach Flensburg und bot der Regierung Dönitz seine Dienste an. Natzmer sollte Dönitz persönlich über die Notwendigkeit des Rückzugs der Heeresgruppe Schörner und ihre Einbeziehung in die eingeleitete allgemeine Kapitulation informieren. Auch Bohle erhielt von Dönitz einen wichtigen Auftrag. Der Großadmiral teilte ihm mit, daß Himmler sich als Innenminister in seine Regierung dränge und zumindest Chef der Deutschen Polizei bleiben wolle. Dies sei jedoch nicht in seinem Sinne, da eine deutsche Regierung, in der Himmler sitze, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen werde und keinerlei Chancen für Verhandlungen mit den Alliierten habe. Deshalb bitte er ihn, Bohle, der Himmler gut kenne, er möge dem Reichsführer SS mitteilen, daß er nicht in der Regierung bleiben könne. Bohle informierte Himmler in Gegenwart Graf Schwerin
4 Mitteilung von Anita Bohle, einer Kusine EWBs, die von seinem Besuch in Bergneustadt im Spätherbst 1944 berichtet, anläßlich dessen er ihre skeptische Mutter in diesem Sinne beruhigt habe. Vgl. auch seinen Brief (1.3.1944) an seine Tante Ida Hausmann: „Sonst ist bei uns alles soweit in Ordnung und wir können, glaube ich, damit rechnen, daß dieser furchtbare Krieg in absehbarer Zeit und schneller zu Ende geht, als wir vielleicht ahnen. Ich habe sicher aufgrund meiner Stellung einen besseren Überblick als die meisten Leute und kann nur sagen, daß wir trotz allem Schweren jeden Grund haben, mit voller Zuversicht in die nächste Zukunft zu blicken“ (Kopie Privatarchiv FRH). 5 Berlin, BArch R 187/293 (Sammlung Schumacher) enthält einige wenige Photokopien, die auf der Rückseite den Vermerk „Eigentum der Auslandsorganisation der NSDAP. Berlin-Wilmersdorf, Westfälischestr. 1–3, Gauarchiv“ tragen. Offenbar scheint aber auch dieses Archiv im Frühjahr 1945 vernichtet worden zu sein, in dem vor allem Photos und wichtige, die AO betreffende Dokumente deponiert worden waren. 6 S. o., Kap. II.10, Anm. 348. 7 Von Franz Xaver Schwarz, dem Schatzmeister der NSDAP, als Schatzmeister der AO eingesetzt, verwaltete er dieses Amt von 1936 bis 1945. Er stammte aus katholischem Milieu an der Mosel.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
von Krosigks in diesem Sinn, doch zeigte sich Himmler uneinsichtig.8 Wenn er nur eine halbe Stunde mit General Eisenhower reden könne, so behauptete er vollmundig, garantiere er, daß dieser mit ihm zusammenarbeiten werde, denn er brauche ihn als ein Element der Ordnung im Reich. Bohle wies ihn zurecht: „Reichsführer, jeder Amerikaner oder Engländer, der auch nur 1/2 Sekunde erwägen würde, sich mit Ihnen zu unterhalten, würde durch die öffentliche Meinung in Amerika und in England im Laufe der nächsten 1/2 Sekunde hinweggefegt werden“. Daraufhin habe Himmler den Raum verlassen, und er habe ihn nie wieder gesehen.9 Da Himmler noch von seinem persönlichen SS-Begleitkommando beschützt worden sei und im Nordraum SS-Truppen zur Verfügung gehabt habe, die jeden seiner Befehle sofort ausgeführt hätten, sei diese Unterredung keinesfalls ungefährlich gewesen.10 In dem bereits erwähnten Interview aus dem Jahr 1951 mit der Lüneburger „Heidepost“ wiederholte Bohle, seine vornehmste Aufgabe sei es gewesen, Himmler unschädlich zu machen. Dies legt die Vermutung nahe, daß er möglicherweise mehr über die Nazi-Verbrechen und die tragende Rolle Himmlers wußte, als er später zugab. In seinem Prozeß hat er stets bekräftigt, nichts vom Ausrottungsprogramm der Nazis gewußt und nie ein KZ besichtigt zu haben.11 Als er später Einzelheiten erfuhr, wollte er sie nicht glauben, denn die Herrenvolkmentalität war ihm nach eigenem Bekunden fremd.12 Interessanterweise schreibt sich auch Speer, der Bohle nicht erwähnt, ein großes Verdienst an der Entmachtung Himmlers zu. So habe er insbesondere dessen Plan vereitelt, die Dönitz-Regierung von Flensburg nach Prag zu verlagern, der alten Kaiserstadt, die laut Himmler geeigneter sei, die Regierung zu beherbergen, als das geschichtlich unbedeutende Flensburg.13 8 Bohles Aussage wird von Lutz Graf Schwerin von Krosigk (1.4.1949) bestätigt. Er berichtet von einer Unterredung zwischen ihm, Bohle und Himmler in der Zeit um den 2. bis 4. Mai 1945, in der Himmler um Aufnahme in die Regierung Dönitz gebeten habe. Bohle habe kategorisch jede Mitarbeit Himmlers abgelehnt, vgl. München, IfZ ZS 145, Bd. I, Bl. 24–25; Trials of War Criminals XIII, S. 1202–1203. 9 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13624–25. 10 Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Eidesstattliche Erklärung, Nürnberg, 1.4.1949, Kopie: Hamburg, StA 221-11 Kat. 28229 [unnum. Bl.]. 11 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI; Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13632–33: „Ich wusste, dass Juden aus Deutschland, und von da und dort aus besetzten Gebieten nach dem Osten deportiert wurden. Ich wusste nicht, dass es ein Teil des Spezialprogramms war, weil die AO niemals in Beziehung zu diesen Dingen gebracht wurde, und die Parteikanzlei und besonders die SS-Offiziere taten alles, um uns gänzlich über diese Dinge im Dunkeln zu lassen, die wie sie fürchteten, durch unsere Dienstwege ins Ausland sickern könnten. [. . .] Ich dachte, man deportierte sie nach dem Osten in Arbeitslager, wo man sie zu Strassenbau und in der Rüstungsfabrikation verwendete“. – Bohle hatte allerdings 1934 das KZ-Außenlager Königs Wusterhausen bei Berlin besucht und den Eindruck gewonnen, es handele sich um ein Gefängnis für normale Strafgefangene (Mitteilung von Hermann Bohle Jr., Signy b. Genf). 12 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0108–109.
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Da Bohle nicht weiter gebraucht wurde, kehrte er um den 3./4. Mai nach Berlin zurück und fuhr weiter nach Bad Schandau. Bohles Frau und Sohn waren seit Oktober 1943 dorthin evakuiert. Bohle organisierte für seine Familie, seine Hausangestellte, seine Sekretärinnen und einen Mitarbeiter eine Mitfahrgelegenheit auf einem Militärlastwagen in Richtung Westen, wobei der Weg zunächst nach Osten (Aussig) über das Erzgebirge und den Böhmerwald führte. Der LKW wurde dicht hinter der tschechischen Grenze von Tieffliegern zerstört. Alle Insassen konnten sich retten und zu Fuß durchs Erzgebirge, Ortschaften meidend, nach Westen durchschlagen.14 Gertrud Bohle und ihr Sohn Hermann kamen am 30. Mai wohlbehalten in Vollmerhausen im Rheinland bei Frau Bohles Vater an. Bohle hatte sich nach Schloß Rothenhaus begeben. Als die Russen näherrückten, setzte er sich ab, nicht ohne Schnaus und Leonhardt zu bitten, seine Papiere zu vernichten.15 In seiner Begleitung befanden sich seine Mutter sowie seine Schwester Hanny mit ihren Kindern, die von Prag aus zu ihm gestoßen waren, wo sie zwischenzeitlich bei der Schwester Hermine und ihrem Mann Karl Franke Zuflucht gesucht hatten. Sie waren vor den Russen geflohen, um auf amerikanisch besetztes Gebiet zu gelangen. Die US-Amerikaner unter General Patton standen nicht allzuweit von Prag entfernt in Westböhmen. In Franzensbad16 trennte sich EWB von seiner Begleitung. Er wurde in Falkenau an der Eger nahe der bayrischen Grenze von amerikanischen Truppen (3rd Bn. 16th Inf.) verhaftet und der 1st Division des CIC überstellt. Er konnte oder wollte seine bis dahin erfolgreich erzählte Legende, er sei ein 1939 in Deutschland internierter britischer bzw. südafrikanischer Geschäftsmann, die ihn mehrfach beschützt hatte, nicht länger aufrechterhalten und gab sich als der zu erkennen, der er wirklich war. Angeblich mußte er die Amerikaner förmlich dazu überreden, ihn gefangenzunehmen, da er nicht auf ihrer Liste der Schwerkriegsverbrecher stand.17 Auf die spätere Frage seiner Verteidigerin im Wilhelmstraßen-Prozeß, Elisabeth Gombel, welche Absichten er bei Kriegsende gehabt habe, antwortete er: Am Schluss des Krieges bestanden für alle Deutschen, die in irgend einer führenden Stellung gewesen waren, vier Möglichkeiten. Erstens, sich zu verbergen, zwei13
Speer, S. 495–497. Frau Elisabeth Kaffka aus Lautawerk/Lausitz, die Mutter von Annemarie Kaffka, der Hausangestellten der Familie Bohle bei Kriegsende, wandte sich am 22.9.1947 an den Internationalen Militärgerichtshof, um Auskunft über den Verbleib ihrer verschollenen Tochter zu erlangen. 15 NAMP 679/1 (Bohle Interrogation), Bl. 0191. 16 Am 13.9.1945 schrieb EWB aus Nürnberg (International Security Detachment, US Army) eine Postkarte an seine Schwester Marianne Kohrs in Kiel: „Mama, Hanny u. Kinder sowie Frau Bulla waren Ende Mai in Franzensbad u. gesund. Von Trudel u. Hermann keine Nachricht, bin in furchtbarer Sorge“ (Kopie Privatarchiv FRH). 17 N.N., Hitlers Statthalter für England: Ernst Bohle. Chef der Auslandsorganisation der NSDAP will jetzt „denazifizieren“, in: Heidepost (Lüneburg), Nr. 9, 2. März 1951, S. 7. 14
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tens, Selbstmord zu begehen; drittens, nichts zu tun und auf die Verhaftung zu warten und viertens, sich freiwillig zu unterwerfen. Ich habe das letztere gewählt. [. . .] Es war jedermann ganz klar, dass nach solch einer Katastrophe die Tätigkeit jeder Regierungs- und Parteistellen in Deutschland einer strengen Prüfung unterzogen werden würde. Ich wollte nicht, dass Untergebene von mir für die A.O., deren Chef ich war, verantwortlich gemacht werden.18
Über seinen weiteren Aufenthalt sind wir durch einen dramatischen Bericht des „Stürmer“-Herausgebers Julius Streicher informiert, der selber keinerlei Mitleid bei seiner Juden-Hetze kannte, dieses aber für sich selber einforderte. Er war in der Nähe von Waldring bei Berchtesgaden von den Amerikanern verhaftet und zusammen mit Ritter von Epp im Lastauto über München nach Freising gebracht worden. Dort blieb er nach eigenem Zeugnis vier Tage halbnackt in einer ungeheizten Zelle und wurde dann zusammen mit Epp, Gauleiter Bohle und einem jungen Nationalsozialisten englischer Staatsangehörigkeit über Nürnberg und Frankfurt nach Wiesbaden abtransportiert. Der dortige stellvertretende Gefängnisdirektor, ein Zahnarzt, habe ihm auf Intervention Bohles die Fesseln gelöst. „Von den Gelenken lief Blut (und) Eiter. Ich konnte die Hände nicht mehr bewegen. Erst nach 1 Minute kam wieder Gefühl in sie und erst seit Wiesbaden sind sie wieder ganz gebrauchsfähig. Am nächsten Tag Verhör vor 20 Juden durch den Gefängnisdirektor (Jude)“. Trotz seines glühenden Antisemitismus, der die Glaubwürdigkeit dieses Berichts mit Vorbehalt versieht, lobt Streicher den Gefängnisdirektor. Er habe ihm Respekt entgegengebracht, weil er als einziger Gefangener zu seiner Sache stehe. Von Wiesbaden sei er nach Mondorf-les-Bains und Ende August weiter nach Nürnberg verlegt worden.19 Auch Bohle wurde zunächst nach Mondorf-les-Bains verbracht. Inzwischen waren dort außer ihm Dönitz, Göring, Rosenberg, Schwerin von Krosigk, Lammers, Seldte, Funk, Meißner, Ribbentrop, die Staatssekretäre Stuckart und Riecke, die Parteifunktionäre Franz Xaver Schwarz, Ritter von Epp, Ley und Streicher, sowie aus der Wehrmacht die Feldmarschälle und Generäle Kesselring, Jodl, Milch, Bodenschatz, Warlimont, Reinecke, Blaskowitz, Bötticher und Dethlefsen versammelt. Der britische Diplomat und spätere Bonner Hochkommissar (Sir) Ivone Kirkpatrick, der Mondorf im Juni 1945 besuchte, fand die Insassen „abstoßend und in jeder Hinsicht drittklassig“. Man solle die Häftlinge unter keinen Umständen daran hindern, sich umzubringen. „Es würde uns jede Menge Ärger ersparen“, schrieb er an Anthony Eden.20 Ausgiebig unterhielt er sich mit Göring, Ribbentrop und Bohle, von dem er nach wie vor keine gute Meinung hatte: 18 E. W. Bohle, Zeugenaussage, 23.7.1947, KV-Prozesse XI, Nr. A-111, Kopie StA Nürnberg, S. 13641. 19 Werner Maser, Nürnberg: Tribunal der Sieger, Düsseldorf [u. a.]., 1977, S. 81–82. 20 Overy, S. 66–70.
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The last man I saw in Ashcan [= „Mülltonne“, abschätziger Name, den die Amerikaner dem Gefängnis gaben, FRH] was Gauleiter Bohle, the Secretary of State in the Ministry of Foreign Affairs entrusted with the organisation of German Communities abroad, which were used not only to watch and persecute non-conformists but to give cover to sabotage and subversion. I asked Bohle about all this, but he was intelligent enough to realise that his best chance lay in remaining mute. By this time I was becoming oppressed by the atmosphere of a criminal lunatic asylum which pervaded Ashcan. I decided to go back to Frankfurt. As we left the building the prisoners were still sitting in the afternoon sun on the terrace. Once more the shabby crew was called to attention and I left them behind me with a sense of relief and a resolve never to see them again. I kept this resolution when I was invited the following year to attend the war crimes trial at Nuremberg.21
Hören wir noch einmal Speers Bericht: Wir hielten vor einem großen Gebäude, dem Palace-Hotel in Mondorf, und wurden in die Empfangshalle geführt. Draußen, durch die Glastüren, konnte man Göring mit anderen ehemaligen Führungsfiguren aus der Hierarchie des Dritten Reiches auf- und abwandeln sehen: Minister, Feldmarschälle, Reichsleiter der Partei, Staatssekretäre und Generale. Es war ein gespenstisches Bild, alle, die sich am Schluß verstreut hatten wie Spreu im Winde, hier wieder versammelt zu sehen. Ich hielt mich abseits, die Ruhe des Ortes soviel wie möglich in mich aufnehmend. [. . .] Bald setzten Differenzen und Rangfragen ein. Göring war der von Hitler proklamierte Nachfolger aus früheren Jahren, Dönitz der im letzten Moment von Hitler eingesetzte neue Staatschef; Göring als Reichsmarschall aber auch der ranghöchste anwesende Offizier.22
Residierten die „Gäste“ zunächst noch in einem Luxushotel, änderten sich die Verhältnisse schon bald. Die Zimmer wurden bis auf eine Sanitätstrage als Bett ausgeräumt, das Wasser abgestellt und die Fenster vergittert. Die Gefangenen mußten Brillen, Uhren, Hosenträger und Schnürsenkel abgeben. Schon bald setzten die Verhöre ein, die fast ausschließlich in amerikanischer Hand lagen. Während die späteren Hauptkriegsverbrecher nach Nürnberg transportiert wurden, brachte man Bohle ins Vernehmungslager Oberursel, wo ihn Robert Kempner zum ersten Mal verhörte.23 In Mondorf und Oberursel traf er den Stuttgarter 21
Kirkpatrick, S. 198. Speer, S. 503–504. 23 Bohle is indicted as a War Criminal, in: New York Times, 4 July 1945, S. 2; auch zit. bei McKale (1977), S. 250. Hier der volle Wortlaut: „Ernst Wilhelm Bohle director of the German world ,fifth column‘ and espionage network, has been indicted as a war criminal by the United Nations War Criminal Commission and his questioning by Allied Officials may reveal the extent of Nazi activities abroad, particularly in the United States and South America. – The War Crimes Commission indicted him for ,systematic terrorism and other crimes‘ and he is imprisoned in Germany awaiting trial. He undoubtedly will be a defendant in a forthcoming conspiracy trial of major war criminals. Bohle was a Minister of State in Adolf Hitler’s Cabinet and a general of the Elite Guard. When Hitler came to full power he named Bohle the head of all Germans abroad. Allied officials will question him shortly and learn from him the names of neutrals on Hitler’s payroll. 22
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
Ex-Oberbürgermeister Dr. Karl Strölin wieder, der mit ihm als Zeuge für Heß auftreten sollte.24 Wenn man bedenkt, daß andere Gauleiter einer derartigen Anklage entgingen, muß man in Rechnung stellen, daß Bohle als geborener Brite, Inhaber eines hohen Partei- und zeitweise auch Staatsamtes, zudem Ehren-Mitglied der SS im Generalsrang und nationalsozialistischer Reichstagsabgeordneter auf den ersten Blick besonders belastet schien. Die Anklage, die seine Bedeutung überschätzte, war der Meinung, einen „dicken Fisch“ gefangen zu haben. Sie warf ihm vor, eine ,Fünfte Kolonne‘ gegründet zu haben, die vor allem in den USA und Südamerika systematisch spioniert habe.25 Dieser Vorwurf sollte sich durch alle Verhöre ziehen. Zudem wollte man von ihm wissen, welche Vertreter neutraler Länder auf Hitlers Gehaltsliste gestanden hätten. Belastet wurde er eigenartigerweise von SS-Gruppenführer Karl Hermann Frank, der von 1939 bis 1944 Staatssekretär beim Reichsprotektor von Böhmen und Mähren und zugleich höherer SS- und Polizeiführer in Prag gewesen war. Gravierender war jedoch eine 1945 in Linz a.d. Donau erschienene Publikation des Journalisten Heinz Pol (Pollack), eines ehemaligen Redakteurs der „Vossischen Zeitung“, der „Literarischen Welt“ und der „Neuen Weltbühne“, dem 1933 über Prag die Flucht nach Paris und 1940 weiter nach New York geglückt war.26 Er war der Verfasser politischer Romane und Aufklärungsschriften und legte nun eine scharfe Abrechnung mit der AO und anderen NS-Stellen, die sich mit dem Auslandsdeutschtum befaßt hatten, vor.27 Seine Schrift verrät so viel Hintergrundwissen, daß er von den amerikanischen Justizbehörden und Nachrichtendiensten Informationen erhalten haben muß. Ohne seine Quellen anzugeben, entwirft er von der AO das Bild einer weltweiten Verschwörung, nennt Bohle einen zweiten Goebbels, Arrivisten und Hitlerliebling. Die AO habe unter seiner Ägide in wichtigen Ländern „Braune Häuser“ als Spionagezentren errichtet und die deutschen Handelskammern, Botschaften, Auslandsschulen, Reisebüros und Kulturinstitute zur systematischen Ausspähung benutzt: Und der Mann an der Spitze dieser Organisation, die nicht in letzter Linie daran schuld ist, daß Begriffe wie „Deutschtum“ und „Deutsche Kultur“ noch jahrzehntelang in der Welt einen verdächtig bitteren Beigeschmack haben werden – der Mann an der Spitze war ein junger Mensch, dem die englische Sprache fast geläufiger war als die deutsche, der Millionen mit vollen Händen aus dem Fenster warf und Karl Hermann Frank, former Nazi chief of Czechoslovakia, told war crimes questioners that Bohle established a fifth column in the United States and that his agents were active in South America.“ 24 Nachtmann, S. 356. 25 De Jong hat danach seine Studie benannt. 26 Herbert A. Strauss/Werner Röder (Hrsg.), Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben, München [u. a.], 1980, S. 568–569. 27 Heinz Pol, AO Auslandsorganisation. Tatsachen aus Aktenberichten der 5. Kolonne, Linz-Donau: Brücken-Verlag, 1945 (Die Weißen Bücher).
1. Zeuge der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß
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sich selbst dabei mit einem sogar im Dritten Reich ungewöhnlich protzigen Luxus umgab. Vor dem Krieg benützte er seine Stellung als „Führer aller Auslandsdeutschen“, um in Europa herumzureisen, Reden zu halten und leichtgläubige Fremde mit einer Flut von verlogenen Beteuerungen zu beschwichtigen. Er war tatsächlich ein Meister in dick aufgetragenen Lügen.28
Diese Urteile sind deutlich übertrieben, aber eine derartige Broschüre machte Stimmung gegen Bohle und belastete ihn. Wenn man die Verhörprotokolle liest, ist man hingegen von der Sachlichkeit und dem Geschick der Verhörspezialisten beeindruckt. Bohle, wie den meisten anderen Gefangenen, wurden zwar von unterschiedlichen Amerikanern immer wieder die gleichen Fragen gestellt, doch wurden sie stets variiert und anders akzentuiert. Die später abgetippten Protokolle wurden miteinander abgeglichen und den verschiedenen Abteilungen der militärischen und zivilen Abschirmdienste (12th Army Group Interrogation Center; Historical Interrogation Commission, War Department General Staff, Historical Branch; Headquarters US Forces European Theater Interrogation Center; State Department Special Interrogation Mission) übermittelt. Danach gingen sie an das Internationale MilitärTribunal. Die gerichtliche Auseinandersetzung war lediglich ein Baustein der von der amerikanischen Besatzungsbehörde, dem ,Office of Military Government for Germany, United States‘ (OMGUS), durchgeführten Entnazifizierungsund Umerziehungspolitik. Das für das IMT ermittelnde Team unter Telford Taylor war in ein Gefüge aus amerikanischen Regierungsbehörden sowie Militär- und Geheimdiensstellen eingebunden, die sich mit deutschlandpolitischen Fragen befaßten. Alle von diesen Einrichtungen gewonnenen Erkenntnisse flossen später in die Anklageschriften des IMT ein.29 Im Oktober wurde Bohle als Zeuge nach Nürnberg in den Zeugenflügel des Justizpalastes verbracht, der an den Haupttrakt in der Fürther Straße angrenzte, in dessen Ostbau im Sitzungssaal 600 am 21. November der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher begann.30 Bohle sollte im Prozeß gegen Rudolf Heß als Zeuge „für“ diesen aussagen, dem er viele Jahre besonders nahegestanden hatte. Bis zu seinem Lebensende 1960 war er stolz, 1945/46 Zeuge „für“ einen Nazi gewesen zu sein, „denn damals waren alle immer nur gegen das Regime gewesen, sagten in den KV-Prozessen gegen Angeklagte aus, auch wenn sie selbst im ,Dritten Reich‘ kräftig mitgemacht hatten – das aber angeblich nur, um 28
Ebd., S. 74–77. Axel Drecoll, Flick vor Gericht: Die Verhandlungen vor dem alliierten Militärtribunal 1947, in: Bähr (2008), S. 559–645, hat dieses komplexe Geflecht (bes. S. 571) entwirrt. 30 Abb. finden sich bei Drecoll, in: Bähr (2008), und zwar auf S. 623 („Nürnberger Justizgebäude“), S. 611 („Gefängniszelle in Nürnberg“) und S. 626 („Der kleine Sitzungssaal im Nürnberger Justizpalast“). Vgl. auch die Beschreibung des ehemaligen Augsburger Gauleiters Wahl, S. 177–178. 29
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
noch Schlimmeres zu verhindern“.31 Bohle hatte recht, denn es gab ansonsten fast nur Zeugen „gegen“ die damaligen Angeklagten. Robert Kempner erzählte Hermann Bohle Jr., der gemeinsam mit seiner Mutter den Vater Anfang Juni 1947 in Nürnberg besuchen durfte, EWB habe im Verhör die mehrmals wiederholte Frage, ob er Mitglied der NSDAP gewesen sei, stets bejaht. Während die meisten von Kempner verhörten Nazis behauptet hätten, sie seien schon immer „dagegen“ gewesen, habe sich Bohle als „überzeugten Nazi“ bezeichnet, der an Hitler geglaubt habe. Daraufhin habe er, Kempner, die amerikanischen Offiziere und Sekretärinnen im Zimmer aufgefordert, sich zu erheben: „Ladies and Gentlemen, heute haben wir den ersten Nazi in diesem Bau“.32 Diese Ehrlichkeit führte dazu, daß der protestantische Theologe Paul Tillich, der 1933 als „Religiöser Sozialist“ seinen Frankfurter Lehrstuhl verloren hatte und in die USA ausgewandert war, auf Empfehlung Kempners mit Bohle ein langes Gespräch führte, da er sich einmal mit einem „wirklichen Nazi“ unterhalten und dessen Motive kennenlernen wollte. Auch der Berliner Rabbiner Joachim Prinz, der Deutschland 1937 verlassen mußte und nach New York emigrierte, hatte ein solche Unterredung mit Bohle.33 Doch zurück zum Prozeß gegen Rudolf Heß. Das Verfahren dauerte nur eineinhalb Tage. Das lag einmal daran, daß Heß noch vor dem Überfall auf die Sowjetunion nach England geflogen und dort inhaftiert worden war, womit der mögliche Zeitraum für die Begehung von Kriegsverbrechen stark reduziert war, noch mehr jedoch an seiner Entscheidung, nicht in den Zeugenstand zu treten und sich nicht befragen zu lassen. Ursprünglich hatte Heß vorgehabt auszusagen, aber am 24. März teilte er auf dringendes Anraten Görings und seines Anwalts Dr. Alfred Seidl, des späteren bayerischen Staatsministers des Inneren, mit, er habe beschlossen, dies doch nicht zu tun, „weil er nicht der Peinlichkeit ausgesetzt sein wollte, die von der Anklage gestellten Fragen nicht beantworten zu können“. Seidl erklärte in Heß’ Namen, dieser bestreite die Zuständigkeit des Gerichtshofes, soweit andere Sachbestände als echte Kriegsverbrechen den Gegenstand des Verfahrens bildeten. Heß simulierte zudem erfolgreich einen Gedächtnisschwund und erkannte angeblich nicht einmal seinen langjährigen Vertrauten Bohle. Heß, so erklärte Seidl weiter, übernehme die Verantwortung für alle Befehle und Verfügungen, die er in seiner Eigenschaft als ,Stellvertreter des Führers‘ und als Reichsminister erlassen habe. Aus diesem Grunde wünsche er keine Verteidigung gegenüber Anklagen, die die inneren Angelegenheiten Deutschlands als eines souveränen Staates beträfen. Er werde, so Seidl, daher nur Beweismittel in bezug auf Fragen vorlegen, an deren Klarstellung die ande-
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Mitteilung von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). Hermann Bohle Jr., Hermann Bohle bittet um das Vertrauen der Leserinnen und Leser, Ms. (Kopie Privatarchiv FRH). 33 Mitteilung von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). 32
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ren Staaten ein berechtigtes Interesse haben könnten. Die beiden einzigen Zeugen waren daher Bohle und Strölin, beide mit Auslandsfragen befaßt.34 Am 90. Verhandlungstag, dem 25. März 1946, wurde EWB nachmittags in den Zeugenstand gerufen.35 Seidl, der auch den Generalgouverneur von Polen, Hans Frank, verteidigte, genoß nach anfänglichen Irritationen36 das besondere Vertrauen der Familie Heß.37 Bohle sollte zunächst nicht verhört werden, sondern es sollte eine von ihm aufgesetzte eidesstattliche Erklärung (Affidavit) verlesen werden. Damit war der stellvertretende britische Ankläger Sir Maxwell Fyfe nicht einverstanden. Er bestand auf einem Kreuzverhör, was vom Gerichtsvorsitzenden, Lord Justice Sir Geoffrey Lawrence, genehmigt wurde. Die Anklage wollte beweisen, daß Heß EWB benutzt habe, um die AO in eine ,Fünfte Kolonne‘ zu verwandeln, die den deutschen Angriffskrieg vorbereiten und unterstützen sollte. EWB wurde zunächst vereidigt und nach seiner Vita befragt. Er schilderte kurz und knapp die Funktion der AO, die er in gewohnter Weise herunterspielte: II. Zweck der Auslandsorganisation war, die bei der Machtübernahme außerhalb der Reichsgrenzen vorhandenen etwa dreitausenddreihundert Parteimitglieder organisatorisch zu erfassen. Darüber hinaus sollte durch sie das Auslandsdeutschtum, das nur eine sehr verschwommene Kenntnis von den politischen Vorgängen in der Heimat haben konnte, über das Ideengut und das politische Programm des neuen Staates unterrichtet werden.38
34 Telford Taylor, Die Nürnberger Prozesse. Hintergründe, Analysen und Erkenntnisse aus heutiger Sicht. Aus dem Amerikanischen von Michael Schmidt, München, 1992, S. 407–408. 35 Seidl, S. 114–120. 36 Anna Maria Sigmund, Ilse Heß. Die Frau des ,Führer-Stellvertreters‘ 22. Juni 1900–7. September 1995, in: dies., Die Frauen der Nazis. Die drei Bestseller vollständig aktualisiert in einem Band, München, 2005, S. 731–795. Sigmund zufolge wollte Seidl, der 1934 der SA als Rottenführer angehört und 1937 die Mitgliedschaft in der NSDAP beantragt hatte, die Verteidigung von Rudolf Heß zunächst nicht übernehmen, weil er befangen sei. Später verteidigte er auch Ilse Heß erfolgreich in ihrem Entnazifizierungsverfahren, meinte jedoch, er könne nicht verstehen, wie eine intelligente, groß- und gutgesinnte Frau zur Hitler-Bewegung habe stoßen können, die von Anbeginn an Gewalt und Ungeistigkeit auf ihre Fahnen geschrieben habe. 37 Hess, Ein Schicksal in Briefen, S. 105 f.; Charles A. Gabel, Verbotene Gespräche. Als Militärgeistlicher bei Rudolf Heß in Spandau 1977–1986, München/Wien, 1986, S. 47 f. u. ö. 38 Zit. nach Lawrence D. Egbert/Paul A. Joosten (Hrsg.), Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Gerichtshof Nürnberg, 14. November 1945– 1. Oktober 1946, [gemäß den Weisungen des Internationalen Militärgerichtshofes vom Sekretariat des Gerichtshofes unter der Autorität des Obersten Kontrollrats für Deutschland veröffentlicht], Nürnberg: Internat. Militärgerichtshof, 1947, Bd. 10, S. 7–43, hier S. 20.
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Die AO, so fuhr er fort, sei eine legale Organisation gewesen, habe sich von ähnlichen Organisationen anderer Länder in nichts unterschieden und sich nie an militärischen Aktionen beteiligt: VIII. Von der unbestreitbaren Legalität der Auslandsorganisation abgesehen, habe ich als deren Leiter immer wieder zum Ausdruck gebracht, daß die Auslandsdeutschen sicher die letzten seien, die sich zu einer Kriegshetze oder gar zu einer Verschwörung gegen den Frieden mißbrauchen lassen würden. Aus bitterer Erfahrung wußten sie, daß mit dem Ausbruch eines Krieges für sie zunächst Internierung, Verfolgung, Beschlagnahmung des Vermögens und Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz verbunden war. IX. Als Kenner der Verhältnisse im Ausland wußte niemand besser als der Auslandsdeutsche, daß irgendeine Tätigkeit im Sinne einer Fünften Kolonne ebenso sinnlos wie schädlich für die Reichsinteressen gewesen wäre. Der Ausdruck ,Fünfte Kolonne‘ stammt übrigens meines Wissens aus dem Spanischen Bürgerkrieg. Er ist jedenfalls eine ausländische Erfindung. Als Franco Madrid mit vier Sturmkolonnen angriff, wurde behauptet, daß eine Fünfte Kolonne, bestehend aus nationalen Elementen, sich innerhalb der belagerten Stadt unterirdisch und zersetzend betätigt habe. X. Die Anwendung der Bezeichnung ,Fünfte Kolonne‘ auf die Auslandsorganisation der NSDAP entbehrt jeder Begründung. Wäre die Behauptung wahr, so würde das bedeuten, daß Mitglieder der Auslandsorganisation in Verbindung mit oppositionellen einheimischen Elementen in einem oder in mehreren Staaten beauftragt worden seien oder von sich aus versucht hätten, diesen Staat von innen heraus zu unterhöhlen. Jede derartige Behauptung wäre völlig aus der Luft gegriffen. XI. Weder vom früheren Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, noch von mir als dem Leiter der Auslandsorganisation, hat diese Organisation oder haben Mitglieder dieser Organisation in irgendeiner Form Aufträge erhalten, die sie zu einer Tätigkeit im Sinne einer Fünften Kolonne hätten veranlassen [können].39
Ähnliche Argumente hatte er bereits 1937 in seiner in der Porchester Hall in London bzw. der 1938 in Budapest gehaltenen Rede vorgetragen. Schirachs Verteidiger Dr. Sauter richtete an Bohle die Frage, ob er es für möglich halte, daß eine nicht spezifizierte Auslands-HJ Greueltaten begangen habe, was Bohle für ausgeschlossen hielt. Sauckels Verteidiger Dr. Servatius wollte wissen, ob Hitler sich jemals mit Bohle über seine außenpolitischen Absichten unterhalten habe, was dieser ebenfalls verneinte. Griffith-Jones interessierte sich dafür, wie schnell der Informationsfluß zwischen den einzelnen Auslandsgruppen der AO gewesen sei und in welchem Umfang sie militärische oder halbmilitärische Informationen nach Berlin geliefert hätten. Bohle sagte, im allgemeinen seien Nachrichten von Kurieren überbracht und nicht drahtlos übermittelt worden. In Einzelfällen hätten auch militärisch relevante Informationen dabei sein können. Der Ankläger konfrontierte 39
Ebd., S. 22.
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Bohle mit dem amerikanischen Weißbuch „National Socialism. Basic Principles, their application by the Nazi Party’s Foreign Organization, and the use of Germans abroad for Nazi aims“ (Washington 1943) sowie dem „Jahrbuch der Auslandsorganisation“ für 1942 (S. 35; 67), aus denen hervorgehe, daß die Landesgruppenleiter der AO in den Niederlanden, Norwegen und Griechenland bestimmte Mitglieder zum Ausspähen militärischer Ziele ausersehen hätten, um so der Wehrmacht im Falle eines Einmarschs behilflich zu sein. Bohle leugnete das nicht, obwohl er den Eindruck erweckte, er wisse nicht genau, was in seiner Organisation vor sich gegangen sei: Es ist ganz klar, daß in einer so großen Organisation der Leiter, der in Berlin seinen Dienstsitz hat, nicht alles genau wissen kann, was draußen, vor allem auch gegen seine Anordnungen, gemacht wird. Ich hatte nicht dieselbe Disziplingewalt über meine Parteimitglieder im Ausland wie etwa ein Gauleiter im Inland. Das brauche ich nicht weiter auszuführen, weil es klar auf der Hand liegt. Es ist auch klar, und das ist mir bekannt, daß verschiedene Deutsche draußen, an die wegen ihres Vaterlandsgefühls appelliert wurde, sich ohne Wissen der Auslandsorganisation und gegen deren ausdrücklichen Befehl, in einzelnen Fällen für derartige Zwecke gebrauchen ließen.40
Nach Bohle wurde Karl Strölin vernommen, dessen Verhör keine neuen Erkenntnisse erbrachte, da er sich angeblich an nichts erinnern konnte. Er wurde, da er in Nürnberg nicht mehr benötigt wurde, in das Internierungslager Regensburg übergeführt, wo sein Entnazifizierungsverfahren ablaufen sollte.41 Bohles Aussagen nützten Heß zwar nicht viel, schadeten ihm aber auch nicht. Griffith-Jones für die britische und Oberst Amen für die amerikanische Delegation waren ohnehin mit anderen Dokumenten und Protokollen von früheren Vernehmungen der beiden Zeugen versehen, durch welche sie die Glaubwürdigkeit ihrer mündlichen Aussagen und ihrer eidesstattlichen Erklärungen in Frage zu stellen hofften. Die Auslandsorganisation war demnach nicht so harmlos, wie die Zeugen sie geschildert hatten. Schacht und Papen äußerten sich abfällig über Bohle, und die meisten Angeklagten waren sich darin einig, daß er als Zeuge ein Ausfall gewesen sei.42 Sein Stellvertreter Alfred Heß, der Bruder des Angeklagten, der sich in einem Gefangenenlager in Bad Mergentheim befand, gab eine schriftliche Erklärung im gleichen Tenor ab wie Bohle, die dem Gericht am 26. März 1946 verlesen wurde.43 Angeblich hatte Seidl alle Zeugen dahingehend instruiert, daß sie Heß als einen gutartigen Politiker charakterisieren sollten. Er habe alle von der Anklagevertretung gebotenen Möglichkeiten der Verteidigung genutzt, sei dem Gericht mit besonderer Aggressivität entgegengetreten und habe sich „als der Prototyp jener alsbald zu Millionen hervor40 41 42 43
Ebd., S. 35. Nachtmann, S. 357–358. Taylor, S. 409. Pätzold/Weißbecker, S. 315 (IMT X, S. 89 ff.).
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tretenden Nachkriegsdeutschen dar[gestellt], die keine Neigung zeigten, zu der von ihnen zumindest mitgestalteten Vergangenheit von Faschismus und Krieg eine kritische Distanz zu gewinnen“.44 Dieses Urteil der Heß-Biographen Pätzold und Weißbecker ist zu pointiert, denn Seidl kam nur seiner Aufgabe als Verteidiger nach. Es bedeutet eine Verkennung dieser Funktion, wenn man von ihm erwartet hätte, die Schuld seines Mandanten zuzugeben, was für diesen vermutlich die Todesstrafe bedeutet hätte. Richtig ist allerdings, daß Heß als Stellvertreter Hitlers und ranghöchster Funktionär der NSDAP für viele NS-Verbrechen eine hohe Mitverantwortung trug, wie sie auch Bohle in seinem Schuldbekenntnis übernahm. Nach seinem Kreuzverhör in Sachen Heß wurde Bohle nach einem Zwischenaufenthalt bei der ,Civil Censorship Division‘ in Offenbach am Main nach Oberursel bei Frankfurt in das Verhörlager ,Camp King‘ überführt. Das Lager wurde auch „The cage“ genannt, weil die Gefangenen in Drahtkäfigen saßen.45 Bohle blieb hier bis zum 25. Oktober 1946. In Oberursel und Wiesbaden wurde er vom 5. bis zum 9. September jeden Tag und erneut am 24. September von den Herren Harold C. Deutsch,46 W. Wendel Blancke,47 Bruce L. Smith48 und Harry N. Howard49 befragt.
44
Ebd., S. 311 f. Ursprünglich eine Landwirtschaftsschule, wurde hier im Zweiten Weltkrieg das Kriegsgefangenenlager „Dulag Luft“ untergebracht. Die Amerikaner übernahmen die Einrichtung und nannten sie zunächst nach General Edwin Sibert „Camp Sibert“, danach nach Colonel Charles B. King „Camp King“. 1953 ging diese Einrichtung an den BND (Amt Gehlen) über. Als Werner Lorenz und EWB sich dort beim täglichen Spaziergang auf dem Gefängnishof begegneten, rief Lorenz ihm spöttisch zu: „Bohle, kannst Du mir hier kein anderes Zimmer besorgen?“ (Mitteilung von Hermann Bohle Jr., Signy b. Genf). 46 Harold C. Deutsch, Geschichtsprofessor der University of Minnesota, hat seine Unterlagen den Alan Lathrop University of Minnesota Libraries hinterlassen. Die hier interessierenden Dokumente bestehen zumeist aus Declassified OSS Reports. 47 Blancke war später amerikanischer Generalkonsul in Frankfurt a. M. 48 Bruce Lannes Smith (Jg. 1909) war Professor für Politologie und Kommunikationswissenschaftler an der Michigan State University East Lansing. 49 Harry N. Howard war von August bis November 1945 als Verhörspezialist in Wiesbaden eingesetzt. Er hat seine persönlichen Aufzeichnungen der Harry S. Truman Library & Museum in Washington hinterlassen (Harry N. Howard Papers Box 1 Department of State Special Interrogation Mission in Germany [Wiesbaden], August 15– November 15, 1945). In einem von Richard D. McKinzie mit ihm geführten Oral History-Interview vom 5.7.1973 antwortete er auf die Frage, warum er sich für diese Tätigkeit zur Verfügung gestellt habe: „My friend, the late David Harris, of Stanford University, then in the Department of State, asked me to go particularly to inquire into German policy and interest in Southeastern Europe and Turkey and to learn both from documentary materials and the interrogation of German diplomatic and some high-ranking military prisoners what we could about Nazi-Soviet relations during the war“. Er interviewte Admiral Horthy, Edmund Veesenmeyer u. a., erwähnt aber Bohle nicht. 45
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Er arbeitete in dieser Zeit für Captain F. J. Trautmannsdorf und 1st Lt. Mass vom CIC als Übersetzer und war Hausältester von „Alaska House“. Am 25. Oktober 1946 wurde er in das ,Wannsee Internment Camp‘ (auch: Civilian Detention Camp) in Berlin-Wannsee, Königstraße/Ecke Endestraße, verlegt.50 Dort blieb er bis zum 20. April 1947. Er bezeichnet dieses Lager als das verrückteste, das er je gesehen habe. Dort habe er echte Mörder, keine „politischen“, getroffen, dazu kleine SS-Leute, Polizeibeamte, aber auch den Völkerrechtler Prof. Carl Schmitt,51 einen Freiherrn von Soden52 und einen Ingenieur Dr. Stebel.53 Der Lagerkommandant, 1st Lt. Gene H. Cartwright, bescheinigte Bohle später, daß er sich untadelig verhalten habe („he was above average as a model internee“).54 Bohles eigener Prozeß wurde am 19. Dezember 1947 in Nürnberg eröffnet. Zu diesem Zweck war er bereits im Mai erneut ins Nürnberger Gerichtsgefängnis überstellt worden,55 einen Sternbau mit vier Flügeln zu je hundert Zellen und einem fünften Kirchenflügel, in dem auch das Lazarett untergebracht war. Auch hier wurde EWB ein vorzügliches Leumundszeugnis ausgestellt.56 Die Haftbedingungen scheinen annehmbar gewesen zu sein. Die amerikanischen Gefängnisverwaltungen verloren den Gedanken einer Resozialisierung ihrer Häftlinge, sofern es sich nicht um Schwerverbrecher handelte, nie 50
Affidavit, Landsberg 9.8.1949 (Kopie Privatarchiv FRH). Schmitt erwähnt ihn in seiner Stellungnahme I, die er am 18.4.1947 in Nürnberg verfaßte und am 21.4.1947 Robert M. W. Kempner, der ihn mehrfach verhörte, überreichte, vgl. Carl Schmitt, Antworten in Nürnberg. Hrsg. u. kommentiert von Helmut Quaritsch, Berlin, 2000, S. 69 u. 78. 52 Es handelt sich vermutlich um den bis Kriegsende in Berlin lehrenden Assyriologen Wolfram Freiherr von Soden (1908–1996). 53 Vernehmung E. W. Bohles durch Dr. Robert Kempner, Nürnberg, 23.4.1947, KVAnklage Interrogations, B 122, S. 6, Kopie StA Nürnberg. Mit „Stebel“ ist vermutlich Oskar Stäbel (1901–1977) gemeint, von 1934 bis 1945 Reichsschulungsobmann des ,Nationalsozialistischen Bundes Deutscher Technik‘. 54 Schreiben Cartwrights (5.5.1949) an Dr. Elisabeth Gombel, Nürnberg (Kopie Privatarchiv FRH). 55 E. W. Bohle (Justizpalast, Nürnberg, 13.5.1947) an Marianne Kohrs, ausnahmsweise auf Deutsch: „Nichts von Mama, und gerade darauf warte ich mit Sehnsucht. [. . .] denn von der lieben Alten Dame selbst habe ich seit Jahresbeginn zwei ganze Briefe erhalten! Da sie sonst eine so selten treue Briefschreiberin ist, und ich nicht annehmen kann, dass sie ihren eingesperrten ,kleinen Willy‘ vergessen hat, mache ich mir sehr grosse Sorgen. [. . .] Mir geht es soweit recht gut, auch habe ich mich etwas an die Einsamkeit der Einzelhaft gewöhnt. Ich lese unheimlich viel und werde sehr gut mit Büchern, besonders mit neuesten amerikanischen Sachen, versorgt. Das Essen ist für mich ausreichend und gut zubereitet, zu rauchen habe ich genug. Da ich Pakete empfangen kann, würde ich gern auf Mamas Frage zurückkommen und die Socken erbitten, da meine reichlich mit Löchern gesegnet sind. Sie würde mir eine grosse Freude damit machen. In meiner Sache selbst habe ich noch nichts Definitives gehört und warte in Ruhe ab“ (Kopie Privatarchiv FRH). 56 Gefängnisdirektor Major Harry A. Richards (22.4.1949) bzw. Chief Prison Sergeant Sgt. Harrison Epps jr. (21.4.1949) (Kopien Privatarchiv FRH). 51
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
aus den Augen und wollten sie langsam an eine demokratische Gesellschaft gewöhnen. Bohle durfte, wie die anderen Gefangenen auch, lesen,57 schreiben und Pakete empfangen. Dennoch übte der ungewisse Prozeßausgang einen großen Druck auf ihn aus, der zu starkem Gewichtsverlust führte.58 Hinzu kamen die Sorgen, die er sich um das Wohlergehen seiner Mutter machte, deren Zustand ihn noch mehr bedrückte als der von Frau und Sohn. Dafür wurde er infolge der schmalen Gefängniskost seinen höchst schmerzhaften chronischen Hexenschuß los. Es ist möglich, daß er in seinen zensierten Briefen nicht die volle Wahrheit über seine Unterbringung sagt. Werner Maser hat die Haftbedingungen, die sich nur langsam besserten, drastisch beschrieben: Die Zellen waren seit Jahren offensichtlich nicht instandgesetzt, verkommen und kalt. Die zwei bis drei täglichen Heizstöße von jeweils nur wenigen Minuten Dauer waren so schwach, daß sie meist gar nicht bis in die Rohre der Zellen drangen. Die Fenster schlossen nicht; viele Scheiben waren zerbrochen. Für Reparaturen fehlten sowohl Arbeitskräfte als auch Material. Nicht einmal Pappe stand zur Verfügung. Zu der Kälte kam Zugluft. Die Wände, von denen der Kalk in Stücken herunterfiel, waren verschmiert und fleckig. In den großen Rissen hausten Mäuse. Die Spülklosetts waren nicht in Ordnung und verpesteten mit ihrem Gestank die ganze Gefängnishalle. Die Beleuchtung bestand in den meisten Zellen aus so schwachen Lampen, daß die Inhaftierten meist nur in den kurzen Mittagsstunden lesen und schreiben konnten.59
57 E. W. Bohle (Offenbach a. M., Civil Cens. Division, 26.8.1946) an Marianne Kohrs: „It’s awfully nice of you offering to send me cigarettes and books, but I really don’t need them, believe me. We have an excellent library of German, English and French books here. Lately I’ve read Oscar Wilde’s ,Picture of Dorian Gray‘, ,Lady Windermere’s Fan‘ and ,The Importance of being earnest‘ and am quite enthusiastic about them. Apart from the brilliant English style his books are so wonderfully impertinent and witty. I have just finished ,Diana Mallory‘ by Mrs. Humphrey Ward and enjoyed it very much indeed. We habe piano concerts and interesting lectures every week and I can assure you that I am not in the least lonely, especially as I do a fair amount of translation work and give English lessons“ (Kopie Privatarchiv FRH). 58 E. W. Bohle (Justizpalast, Nürnberg, 25.4.1948) an Marianne Kohrs: „Many thanks above all for those two big pieces of cake and for God’s sake don’t worry a minute about not having been able to send me any cake last week. Under no circumstances do I want you to use the little fat you get for me, as I am certainly not starving and better off as regards food than you probably are, old sport. I was thoroughly examined by several German and American doctors a couple of days ago to ascertain a possible reason for my underweight, but, thank goodness, I’ve been found physically absolutely O.K, and the loss in weight can be attributed only to emotional and environmental reasons, the natural consequence of a three years’ imprisonment. So I can assure you and Mother that there is’nt anything at all to worry about. The examination was a very efficient one, with X-rays, blood tests, blood sedimentation, and what not. Now please do not mention anything about this when writing to Vollmerhausen because you know how excitable Trudel is and she would probably think I was dying and it would take me a lot of writing to convince her that I am very much alive and kicking“ (Kopie Privatarchiv FRH). 59 Maser, S. 111–112.
1. Zeuge der Anklage im Nürnberger Kriegsverbrecherprozeß
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Der Gefängnisarzt Ludwig Pflücker erinnert sich: Die Internierten waren in Einzelzellen untergebracht, aus denen man alle Einrichtungsgegenstände und auch die Beleuchtung entfernt hatte. In jeder Zelle befand sich ein Spülklosett, eine eiserne Bettstelle war an der Wand befestigt. Jeder . . . mußte sich aus den Bekleidungsstücken ein Kopfpolster herrichten. Beim Herausreißen der Haken der Lichtleitung war sehr rücksichtslos verfahren worden, so daß im Putz tiefe Löcher entstanden waren. Der Kalkanstrich war sehr schadhaft und schmutzig, so daß die Zellen einen wenig schönen Anblick boten.60
Wie bei vielen Deutschen der unmittelbaren Nachkriegszeit, zumal wenn sie in einer bedrängten Situation waren, erwachte auch bei Bohle ein lebhaftes Interesse am Christentum, offenbar auch bei seinen Angehörigen. Daraus zog er Kraft und Zuversicht. So schickte er seiner streng katholischen Mutter zu Weihnachten 1947 einen kleinen Altar und beruhigte seine Schwester Marianne, daß er regelmäßig an Gottesdiensten teilnehme dürfe und für sein Seelenheil gesorgt sei.61 Er hatte Zeit, sich mit dem Katholizismus zu befassen, den er im Unterschied zu früher schätzen lernte, vor allem den Marienkult. Der Gefängnispfarrer, der amerikanische Franziskanerpater Sixtus R. O’Connnor, beeindruckte ihn als Persönlichkeit, zumal er Gertrud Bohle zu den Festtagen Trostbriefe schrieb. Der inhaftierte Bohle erweist sich als gläubiger Christ, und sein Austritt aus der (oder Nichteintritt in die) protestantische(n) Kirche,62 den er vermutlich jetzt wieder rückgängig machte, scheint nur ein Zugeständnis an den Nationalsozialismus gewesen zu sein.63 60
Pflücker in: Waldeckische Landeszeitung (11.10.1952), zit. nach Maser, S. 111. E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 10.12.1947) an Marianne Kohrs: „That little handcarved altar was admired here by everybody who saw it, especially by the Catholic chaplain, and really is a little work of art. Maria [i. e. seine Schwägerin, FRH] procured it for me somewhere in Baden. I’m afraid it must have been very expensive, but she won’t accept any money and gave it to me as a Xmas present. Is’nt that sweet of her? That little chest under the crucifix is intended to hold a rosary or some religious relic. I do hope Mother will like it. [. . .] Yes, there are Catholic and Protestant church services in a very nice prison chapel every Sunday, and Mass during the week on special Catholic religious holidays. The services are held by American army chaplains, both of whom have a pretty good command of the German language. There will naturally be special services on Christmas. The chapel is already very nicely decorated with an ,Adventskranz‘ and ,Tannengruen‘. Apart from that there will, of course, not be anything of what you call a Xmas celebration, old sport, because you are slightly overlooking the fact that we are regarded as criminals. However, that is’nt new to me and does’nt worry me, so don’t let it worry you either. I have developed successfully a life philosophy which upholds my serenity of mind even when depressive thoughts try hard to overthrow it, and which is based on my belief in God and ultimate justice“ (Kopie Privatarchiv FRH). 62 Bohle, aus Südafrika kommend, hatte sich offenbar nie als Kirchensteuerzahler registrieren lassen und konnte daher sagen, daß er auch nicht aus der evangelischen Kirche ausgetreten sei. 63 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 13.7.1947) an Marianne Kohrs: „It is really hard to express how moved I was when I received your package with that wonderful book of Father’s ,Worte Christi‘. In itself it is just what I have always wanted to 61
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
2. Wilhelmstraßen-Prozeß und Verurteilung Der Wilhelmstraßen-Prozeß, wegen der Unterschiedlichkeit der Angeklagten oft auch als „Ministerien-Prozeß“ oder „Omnibus-Prozeß“ bezeichnet, war der vorletzte, umfangreichste und am längsten dauernde der Nürnberger Nachfolgeprozesse.64 Bohle, in Sachen der Auslandsorganisation der einzige Angeklagte, wurde mehrfach vernommen, jeweils zwischen einer halben und einer ganzen Stunde, und zwar am 23. April 1947 (Dr. Robert Kempner), 26. April (Rudolph Pins),65 15. Mai (Rudolph Pins), 8. Juli (Dr. Robert Kempner), 10. Juli (Fred have, and Houston Stewart Chamberlain certainly has selected the most inspiring and wonderful words Jesus Christ ever spoke. It is a book one should always have near at hand; by no means not only in times of trial, but just as much in days of joy and happiness. I consider it so very wrong for people who profess to be Christians to appeal to Christ only in times of trouble and to forget all about Him and his teachings as soon as their worries are over. I firmly believe that it is a grave misrepresentation to depict the Christian belief as a religion solely for those in need; the wisdom of Christ’s teachings shows the way to earthly happiness just as well as to eternal salvation. It is, in part, this convincing viewpoint that has so greatly appealed to me in the course of my studies of the Catholic faith. There are very many things in the Catholic ritual that I do not understand and which fail to convey any meaning to me, as yet, but I have found out, to my own surprise, that the Catholic Church is far more broadminded than most of the Protestant denominations and gives more allowance to the undeniable fact that our nature is very human und correspondingly weak. One other point is that I cannot grasp why the Protestants ignore the Virgin Mary as the Mother of God so entirely. If they believe in Jesus, as they certainly do, they cannot possibly disregard His Mother. My love for my own mother tells me that if we profess to love Christ we cannot but love and worship His Mother. Nothing gives more happiness and peace of mind than a prayer for her intercession. It is like unburdening all your worries to somebody who understands as only a mother can. Because it is so very human and so very Christian, it is no wonder that the world’s immortal painters and sculptors chose the Virgin Mary and her Child as their most beautiful motif“ (Kopie Privatarchiv FRH). 64 Rainer Blasius, Fall 11: Der Wilhelmstraßen-Prozeß gegen das Auswärtige Amt und andere Ministerien, in: Gerd R. Ueberschär (Hrsg.), Der Nationalsozialismus vor Gericht. Die alliierten Prozesse gegen Kriegsverbrecher und Soldaten 1943–1952, Frankfurt a. M., 1999 (Die Zeit des Nationalsozialismus. Eine Buchreihe. Hrsg. von Walter H. Pehle), S. 187–198. 65 Rudolph Pins (Jg. 1920) stammte aus Höxter i.W. und lebt heute in New York. Er ist der Bruder des Malers Jacob (ursprünglich Otto) Pins (1917–2005), Ehrenbürger von Höxter, dem zu Ehren es dort eine ,Jacob Pins Gesellschaft‘ gibt. Rudolph Pins, der als 14jähriger in die USA emigrierte, kam 1946 als Vernehmungsoffizier der USArmy nach Deutschland, um bei den Nürnberger Prozessen mitzuhelfen. Er berichtet über diese Tätigkeit: „Es war merkwürdig. Ich saß diesen Leuten gegenüber, vor denen wir immer solche Angst gehabt hatten: Göring, von Ribbentrop, Veesenmayer, viele Staatssekretäre und Mitarbeiter von Eichmann. Und das Eigenartige war, dass das größtenteils sehr gelehrte Leute waren. Man hatte ja immer gedacht, das seien solche Bestien. Bei manchen, wie Hans Frank, dachte ich mir sogar: Der ist doch so nett, das kann doch kein Nazi gewesen sein! Andere waren ziemlich miese Kerle: Wilhelm Stuckart zum Beispiel. Der hat alles abgeleugnet. Obwohl er doch einer von denen war, die sich die Judengesetze ausgedacht hatten.“ Persönliche Gefühle durfte sich ein Interrogator bei den Nürnberger Prozessen nicht leisten, er hatte sachlich und
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Rodell),66 16., 22. und 27. Juli bzw. 1. November (Dr. Robert Kempner) und 12. Dezember (Fred Rodell).67 Die Fragen orientierten sich vor allem an dem der Anklage vorliegenden Belastungsmaterial. Dieses war von Ossip K. Flechtheim und seinem Stab (Bert Heilpern, Betty Richardson, Mark Shaffer, Herbert Steinitz) in Berlin zusammengetragen worden. Flechtheims Aufgabe bestand vor allem darin, Originaldokumente für die Nürnberger Nachfolgeprozesse zu sammeln. In Berlin konzentrierte er sich auf die noch vorhandenen Akten des Auswärtigen Amtes und des Justizministeriums. Vermutlich hat er vieles geborgen, was später in alle Winde zerstreut wurde oder verlorenging. Die einschlägigen Akten wurden in thematisch oder personell ausgerichteten Dokumentenbänden zusammengestellt, die auch der Verteidigung zugänglich gemacht und ins Englische übersetzt wurden.68 Nachdem der Chefermittler des Internationalen Militär-Tribunals (IMT), Robert H. Jackson, im Oktober 1946 zurückgetreten war, folgte ihm sein Stellvertreter Telford Taylor, der bis dahin die ,Subsequent Proceedings Division‘ (SPD) geleitet hatte. Sie bildete den strukturellen und personellen Unterbau des ,Office of Chief of Counsel for War Crimes‘ (OCCWC), das jetzt zur einzigen Institution der Anklage wurde. Die ,Subsequent Proceedings Division‘ umfaßte anfänglich 400 Mitglieder, die in sechs Teams aufgeteilt waren und die Prozesse inhaltlich vorbereiteten. Ihre Zahl stieg in der Hochphase auf 1.700, darunter viele Übersetzer, die von September 1947 bis September 1948 insgesamt 133.762 Seiten übersetzen mußten. Sie
objektiv zu bleiben: „Wir wollten ja Beweise sammeln“. Bis 1948 blieb Pins in Nürnberg, erlebte, wie einige der Täter hingerichtet wurden oder sich der Bestrafung durch Selbstmord entzogen (Fritz Ostkämper, 29.11.2007, Jacob Pins Gesellschaft, Kunstverein Höxter, Homepage). 66 Fred Rodell, offenbar nicht identisch mit dem gleichnamigen Juraprofessor an der Yale Law School: „Fred was a German Jew from Nürnberg. He left Germany in the mid 1930’s, came to the U.S., enlisted in the army, and became a German translator for one of George Patton’s division commanders. In this role Fred actually met and knew slightly my father’s brother, who was also a German translator under General Patch, another of Patton’s division commanders. Fred’s great moment came when he was hired by the OSS and later served as an interrogator at Nürnberg. Fred was credited with being the man who broke the silence of Hermann Göring. Since you speak Italian, I will send you a copy of an article Fred gave me entitled: ,Io, l’ebreo che piegò Goering . . .‘“ (so der Anonymus, der unter dem Namen Luther Hardy im Internet Kommentare zur amerikanischen Gegenwartspolitik abgibt). 67 Kopien StA Nürnberg, KV-Anklage, Interrogations, Nr. B-122; Koblenz, BArch N 1470/523. 68 Die Nürnberger Prozesse: Siegerjustiz oder Gerichtshof der Völker? Eine Diskussion über die Nachfolgeprozesse gegen die bürokratischen, militärischen und industriellen Eliten des Dritten Reiches, in: Jörg Wollenberg (Hrsg.), „Von der Hoffnung aller Deutschen“. Wie die BRD entstand 1945 bis 1949, Köln, 1991 (Nürnberger Beiträge zur Erwachsenenbildung), S. 95–125, hier S. 102–103. Für die vorliegende Untersuchung sind vor allem die Diskussionsbeiträge von Robert M. W. Kempner, Ossip K. Flechtheim und Hellmut Becker aufschlußreich.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
führten im Lauf des Prozesse 8.250 Interviews, d.h. 370 Interviews pro Befrager in nur fünfzehn Monaten.69 Die Anklage wurde am 15. November 1947 erhoben, die Verhandlung dauerte vom 6. Januar bis zum 18. November 1948, das Urteil wurde am 11. April 1949 verkündet, das Strafmaß am 13. April mitgeteilt. Es wurden 21 Personen angeklagt, die sich zunächst alle für unschuldig erklärten (Abb. 6). Von der Verteidigung bzw. der Anklage wurden 323 Zeugen aufgerufen.70 Die Anklage umfaßte sieben Punkte: Verbrechen gegen den Frieden (I), Gemeinsamer Plan und Verschwörung (II), Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Greueltaten und Vergehen gegen die Zivilbevölkerung, Verfolgung von Juden, Katholiken und anderen Minderheiten (V), Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Raub und Plünderung (VI), Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit: Sklavenarbeit (VII) sowie Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen (VIII). Die rechtlichen Grundlagen der Nürnberger Prozesse sind am Beispiel des Flick-Prozesses detailliert beschrieben worden.71 Während der Prozeß gegen die Hauptangeklagten einzig auf den Regeln des Londoner Statuts vom 8. August 1945 beruhte, waren für die Nachfolgeprozesse zwei Rechtsgrundlagen maßgeblich, das Kontrollratsgesetz Nr. 10 vom 20. Dezember 1945 für die materiellrechtliche Grundlage, und für das förmliche Verfahren die vom amerikanischen Militärbefehlshaber General McNarny erlassene Verordnung Nr. 7 vom 1. Dezember 1946 in der abgeänderten Fassung vom 18. Februar 1947.72 Das Kontrollratsgesetz fand seine Legitimation im allgemeinen Völkerrecht, denn in Art. II.1 listete es als zu ahnende Verbrechen solche gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Zugehörigkeit zu gewissen Kategorien von Verbrechervereinigungen auf. Sie bildeten die Punkte der Anklage gegen die einzelnen Beschuldigten. Da kein internationales Strafprozeßrecht existierte, hatte man sich in London bewußt für die Schaffung neuer Prozeßregeln entschieden, die ein Gemisch aus Elementen anglo-amerikanischer und kontinentaler Verfahrensregeln bildeten, wobei die auf anglo-amerikanischem Rechtsverständnis basierenden Vorschriften überwogen. Rechtlich offen blieben die Durchführung der Ermittlungen und die Modalitäten der Untersuchungshaft. Die Anklagebehörde war alleinige Herrin der Ermittlungen. Bereits diese Hinweise genügen, um die Problematik des Gesamtverfahrens zu benen69
Drecoll, in: Bähr (2008), S. 588–595. Dies und das Folgende nach: Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess. 71 Susanne Jung, Die Rechtsprobleme der Nürnberger Prozesse dargestellt am Verfahren gegen Friedrich Flick, Tübingen, 1992, weiterhin: Lothar Kettenacker, Die Behandlung der Kriegsverbrecher als anglo-amerikanisches Rechtsproblem, in: Ueberschär, S. 17–31. 72 Beide abgedruckt bei Jung, Anhang II, S. 226–239, bzw. Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess, S. 340–342; 343–346. 70
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nen. Es bestand der nicht unbegründete Verdacht, daß gegen den ehernen Grundsatz des nulla poena sine lege verstoßen werde. Das Gericht hielt dem entgegen, das Londoner Statut wie das Kontrollratsgesetz Nr. 10 beinhalteten nicht mehr „als eine Festlegung des bereits bestehenden Völkerrechts für Angriffskriege und Einfälle“.73 Auch das Argument des Tu quoque, der Vorwurf, daß die Alliierten selber Verbrechen, wie sie in Nürnberg verhandelt wurden, begangen hätten, wog schwer. So hatte beispielsweise die Sowjetunion im August 1939 mit Deutschland einen Vertrag geschlossen, aus dem sich eine Zustimmung zum deutschen Überfall auf Polen ablesen ließ, doch wurde dieser Einwand vom Gericht mit dem Argument zurückgewiesen, daß man Unrechtshandlungen nicht gegeneinander aufrechnen dürfe. Trotz dieser Ungereimtheiten haben alle Beteiligten eine Bestrafung nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 dann akzeptiert, wenn die Handlung schon bei Begehung der Tat als völkerrechtswidrig galt. Das war insbesondere der Fall, wenn sie gegen das Kriegsvölkerrecht, wie es sich im Zusammenhang mit den Gewohnheiten und Gebräuchen aller Kulturstaaten darstellt, verstieß. In diesen Fällen wurde auch nicht auf das nulla poena sine lege-Prinzip gepocht.74 Umstritten blieb die Frage der Bewertung im Falle völkerrechtswidriger Landesgesetze. Hier hatte der Abschnitt 4 des Kontrollratsgesetzes zwar die Verantwortlichkeit amtlicher Personen bekräftigt, aber aufgrund eines „entschuldigenden Notstandes“ die Möglichkeit von Strafmilderung eingeräumt, wovon das Gericht häufig Gebrauch machte. Festzuhalten ist auch, daß die Verteidigung zu keinem Zeitpunkt vom Gericht in ihren Rechten eingeschränkt und in gleicher Weise wie die Anklage behandelt wurde. Bohle äußerte später seinem Sohn gegenüber, die Verteidigung sei nicht so frei gewesen, wie es sich in einem ordentlichen Verfahren gehöre. Aber wenn er sie mit den Volksgerichtshofsprozessen, denen er nach dem 20. Juli 1944 einmal als Zuhörer beigewohnt habe, und Freislers Geschrei vergleiche, dann seien die Nürnberger Prozesse vorbildlich gewesen. Bohle wurde zunächst in den Punkten I, II, V, VI, VII und VIII angeklagt, wobei ihn Friedrich Gaus, ehemaliger Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt und Kronzeuge der Anklage, belastete. Er wurde nicht selber angeklagt, spielte aber für Kempner eine ähnliche Rolle wie Bohle. Er kannte wie sonst niemand die Entscheidungsprozesse des AA und avancierte im Urteil der einen zum „sachverständigen Zeugen“, der anderen zum „furchterregenden Gehilfen“, der für seine Auskunftsfreudigkeit damit belohnt wurde, daß er Nürnberg als freier Mann verließ und nicht an die Sowjetunion ausgeliefert wurde.75 Im Nürnberger Justizpalast hieß er mit Spitznamen 73
Das Urteil im Wilhelmstrassen-Prozess, S. 5. Jung, S. 192–194. 75 Zu Gaus (1881–1955) vgl. BHDAD, Bd. 2 (2005), S. 15–16; Gerhard Stuby, Vom ,Kronjuristen‘ zum ,Kronzeugen‘: Friedrich Wilhelm Gaus: ein Leben im Auswärtigen Amt der Wilhelmstraße, Hamburg, 2008, S. 417–454, bes. S. 447–449 seine Erklärung in „Die Neue Zeitung“ (München) vom 17. März 1947. Eigenartigerweise erwähnt Stuby Bohle nicht. 74
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der „Affidavit-Automat“. Seine gravierendsten Vorwürfe gegen Bohle lauteten, die AO habe systematisch auf die Entlassung jüdischer Auslandsvertreter deutscher Firmen hingewirkt, sie habe, ohne Außenminister Ribbentrop zu informieren, in Zusammenarbeit mit Goebbels Auslandspropaganda betrieben und durch einzelne Mitarbeiter Schiffahrtsbewegungen ausspionieren lassen. Gaus schränkte einige Vorwürfe zwar dadurch ein, daß er sie nur vom Hörensagen kenne, aber sie dürften dennoch in die Anklage eingeflossen sein.76 Im einzelnen lauteten die Vorwürfe zu Punkt I, Ziffer 8, Bohle habe sich als Leiter der Auslandsorganisation der NSDAP durch Propaganda, Spionage, Anwendung von Terror und Geldspenden an Quislinggruppen an der wirtschaftlichen Kriegsvorbereitung, dem nationalsozialistischen Infiltrierungsprogramm und der Bildung einer ,Fünften Kolonne‘ beteiligt und dadurch in Übereinstimmung mit den Angriffsplänen der deutschen Regierung die Position der zukünftigen Opfer unterhöhlt. Laut Ziffer 16 habe er die Auslandsorganisation dazu benutzt, die ,Fünfte Kolonne‘ in der Tschechoslowakei zu fördern; laut Ziffer 17 habe er unter Wiederholung des bei der Eroberung Österreichs und der Tschechoslowakei angewandten Täuschungsprogramms zusammen mit den Angeklagten Weizsäcker, Woermann, Keppler und Veesenmayer an einer Reihe diplomatischer und politischer Schachzüge gegen Polen teilgenommen, wobei unter Mißachtung kurz zuvor gegebener Versicherungen und Abkommen leitende polnische Persönlichkeiten nach Deutschland zitiert worden seien; laut Ziffer 18 habe er sich zusammen mit dem ebenfalls angeklagten SS-Obergruppenführer Gottlob Berger am Entwurf von Plänen für die Tätigkeit der ,Fünften Kolonne‘ an der Erfindung von angeblich gegen Volksdeutsche in Jugoslawien begangenen Greueltaten beteiligt, die in den dem ebenfalls angeklagten Reichspressechef Otto Dietrich unterstellten Presse- und Propagandaorganen als Vorwand für den Angriff breitgetreten worden seien. Weiterhin hätten die Genannten sich an der geheimen Rekrutierung von Volksdeutschen beteiligt, die nach dem Einfall am 6. April 1941 von Berger in militärische Divisionen der Waffen-SS eingereiht worden seien und dann bei der militärischen Eroberung Jugoslawiens durch die Deutschen mitgeholfen hätten. Laut Ziffer 20 habe die AO unter Bohles Leitung bereits mehrere Jahre vor Kriegsausbruch daran gearbeitet, ins wirtschaftliche und politische Leben der USA und anderer Länder der westlichen Halbkugel einzudringen und dadurch die Vorbereitung eines Angriffs gegen die USA unterstützt. Die übrigen Ziffern betrafen Bohle nicht. Unter Punkt II wurde Bohle vorgeworfen, er habe sich gemeinsam mit anderen Angeklagten während einer Reihe von Jahren vor dem 8. Mai 1945 als Führer, Organisator, Anstifter und Beihelfer an der Formulierung und Durchführung
76 Eidesstattliche Erklärung, Dr. Friedrich Gaus, Nürnberg, 22.8.1947 (Kopie Nürnberg, StA KV-Anklage, Dok. Fotok., NG-2479).
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eines gemeinsamen Planes und einer Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden im Sinne des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 zu begehen, beteiligt. Um die wahre Natur dieser Verbrechen zu verheimlichen, seien passende diplomatische Tarnungen vorgenommen worden. Ziffer 48 besagte: Da der weitaus größte Teil der insgesamt 11 Mio. für die Ausrottung vorgesehenen Menschen jüdischer Abstammung Staatsangehörige von Schein- und Trabantenstaaten gewesen seien, die vom ,Dritten Reich‘ beherrscht wurden, habe das deutsche AA durch die Angeklagten Weizsäcker,77 Steengracht, Keppler, Bohle, Woermann, Ritter, Erdmannsdorff und Veesenmayer sowie den Angeklagten Berger diese Regierungen gezwungen, Personen jüdischer Abstammung aus ihren eigenen Ländern nach deutschen Ausrottungslagern im Osten zu deportieren, und es habe die Ausführung dieser Maßnahme geleitet und beaufsichtigt. Die Punkte VI, VII und VIII wurden nicht weiter spezifiziert.78 Ursprünglich sollte Bohle von Rechtsanwalt Robert Servatius oder von Rechtsanwalt Ernst Achenbach verteidigt werden, der auch mit der Verteidigung begann. Er hatte dem AA von 1936 bis 1944 angehört, zuletzt im Range eines Gesandtschaftsrats. 1944 war er wegen seiner amerikanischen Ehefrau Margaret geb. Goodell aufgrund des Führererlasses vom 19. Mai 1943 über die „Fernhaltung international gebundener Männer von maßgebenden Stellen in Staat, Partei und Wehrmacht“ in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden und hatte 1946 in Essen eine Kanzlei eröffnet. 1947/48 war er kurzfristig auch Verteidiger von Fritz Martin Gajewski, Angeklagter im I.G. Farben-Prozeß. Achenbach mußte sein Mandat am 17. Januar 1948 niederlegen, als er in Verdacht geriet, in seiner Zeit als Bevollmächtigter des AA beim Militärbefehlshaber in Frankreich an der Deportation von Juden beteiligt gewesen zu sein und Haftbefehl gegen ihn erging.79 Er konnte sich der Vollstreckung durch überstürzte Flucht in die britische Besatzungszone entziehen. Achenbach war übri77 Weizsäcker war zunächst als Zeuge geladen und im „Zeugenhaus“ untergebracht, wurde aber dann verhaftet, vgl. Christiane Kohl, Das Zeugenhaus. Nürnberg 1945: Als Täter und Opfer unter einem Dach zusammentrafen, München, 2006, S. 148 ff.; 228 ff. In diesem Buch finden sich auch interessante Hinweise auf andere Angeklagte (Flick, Krupp usw.). 78 Auszug aus der Anklageschrift Fall Nr. 11 (undatierte Kopie, Privatarchiv FRH). 79 Zu Achenbach (1909–1991) vgl. BHDAD, Bd. 1 (2000), S. 3–4; Barbara Lambauer, Otto Abetz et les Français ou l’envers de la Collaboration. Préface de JeanPierre Azéma, Paris: Fayard, 2001, S. 699: „Initialement avocat de grandes entreprises allemandes de la Ruhr – notamment IG-Farben – et des accusés du procès de la Wilhelmstrasse devant le tribunal de Nuremberg (tâche à laquelle il doit finalement renoncer à cause de ses propres responsabilités du temps de la guerre)“. Ernst Klee, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?, Frankfurt a. M., 2003, S. 10, sagt (ohne Quellenangabe), Achenbach habe EWB verteidigt; desgl. Hachmeister, S. 306. Alle Daten der Anwaltstätigkeiten nach: Trials of War Criminals XIII, S. 49. Am 20.11.1947 hatte Gombel Achenbach entschuldigt, weil er einen Autounfall gehabt habe. Auf die Frage des Richters, ob sie ihn vertrete, antwortete sie: „Yes, I am his assistant defense counsel“ (ebd., S. 66).
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gens von Kempner vernommen worden.80 Bohle, völlig unerwartet ohne Rechtsbeistand, fand in Elisabeth Gombel, die zunächst mit Achenbach gemeinsam die Verteidigung begonnen hatte und diese am 3. Februar 1948 hauptamtlich übernahm,81 eine engagierte, allein an der Sache, nicht am Honorar interessierte Verteidigerin.82 Die Anwälte erhielten nämlich ein Honorar und, was wichtiger war, Lebensmittel und Zigaretten, und zwar alle zehn Tage eine Stange, die damals mehr wert war als Bargeld.83 Dr. Gombel wurde von ihren Assistenten Dr. Wilhelm Schmidt (ab 5. Februar 1948)84 und Klaus Mathy (ab 13. August 1948)85 unterstützt. Eine systematische Auswahl der Verteidiger konnte nicht festgestellt werden. Bohle hatte mit Gombel, die über keine nachweisliche Gerichtserfahrung verfügte und nicht einmal das Zweite Staatsexamen abgelegt, sondern in der Industrie als Syndica gearbeitet hatte, großes Glück. Sie wurde in Nürnberg wegen ihres rückhaltlosen Einsatzes schon bald die „Löwenmutter“, von Kempner „angel of prosecution“ genannt, weil es ihr gelang, EWB vor dem Schlimmsten zu bewahren. Obwohl sie stets eine glühende Nazigegnerin gewesen war, setzte sie sich sehr für ihn ein, da sie seine Tätigkeit in der AO für nicht besonders gravierend hielt.86 Sie genoß Bohles absolu80
Vgl. das Vernehmungsprotokoll im Staatsarchiv Nürnberg, Akte A 6. Dafür spricht das Photo auf S. XXIX in: Der Wilhelmstrassen-Prozess, das in der ersten Verteidigerreihe zwischen Hellmut Becker und Alfred Schilf Achenbach und Gombel zeigt. Leider ist das Photo nicht datiert. 82 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 22.4.1948) an Marianne Kohrs: „Dr. Gombel is very conscientious and reliable and in my opinion worth more than all the male lawyers put together. One nice thing about her is that she certainly does not regard her client merely as a money-making affair but as a human being in need of help. A number of the other attorneys here by no means seem to have grasped the ethics of their profession as they should be, but rather regard their work from the viewpoint of good fees and excellent cigarette rations. So you see I’ve been tremendously lucky in having Elizabeth Gombel as a defence counsel. We get on splendidly together“ (Kopie Privatarchiv FRH). 83 Hellmut Becker, in: Wollenberg, S. 115; Kempner, ebd., S. 100. 84 Nicht identifiziert. 85 Klaus Mathy (1918–1993), später bekannt als Presserechtler. Gertrud Bohle verdiente sich 1951 in Hamburg ihren Lebensunterhalt dadurch, daß sie sein Haus putzte. 86 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 6.5.1948) an Marianne Kohrs: „There is nothing new to report about the trial as far as I am concerned yet I am hoping, however, that things will get a move on in the very near future and clarify my situation once and for all. This waiting business is rather nerve-racking, of course, but it does’nt impede my usual cheerfulness much. Actually, it affects Dr. Elisabeth more than me, although, after all, it’s my neck and not hers. In spite of the fact that she is terrifically anti-Nazi and always has been, she seems to be convinced that that brother of yours evidently was’nt one of the big bad boys and that naturally gives her defence a tremendous momentum. Anyhow, it does a defendant a lot of good to know that his attorney does’nt consider him to be a blackguard. In contrast to that it is my impression that some of her male colleagues are chiefly concerned with cashing their money and their cigarette allowance. So you see I have every reason to be satisfied with having chosen the first and only lady defence counsel Nuernberg ever had“ (Kopie Privatarchiv FRH). 81
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tes Vertrauen und stärkte seinen Durchhaltewillen. Wer sie engagierte, läßt sich nicht mehr feststellen, auch nicht, was später beruflich aus ihr geworden ist.87 Sie arbeitete gemeinsam mit Kempner, dem stellvertretenden Hauptankläger, den Plan aus, Bohle solle sich schuldig bekennen. Dieser Schritt fiel ihm paradoxerweise leicht, weil er sich keiner anderen Schuld bewußt war, als der, dem NS-Regime an prominenter Stelle gedient zu haben.88 Im Gegenzug sollten die Anklagepunkte I, II und VI fallengelassen werden. Die Anklage sicherte sich in einer Erklärung gegenüber dem Gericht gegen den Vorwurf ab, sie habe mit einem potentiellen Kriegsverbrecher eine strafmildernde Absprache getroffen. Sie erklärte, die dem Angeklagten Bohle übermittelte Annahme von Frau Dr. Gombel, eine Strafmilderung als Belohnung für ein Geständnis zu erhalten, sei zwar irrig, weil sonst das Geständnis von falschen Voraussetzungen ausgegangen wäre, gab ihr aber dennoch statt. Das war eine äußerst feinsinnige juristische Verfahrensweise.89 87 Gombel (1912–1983) hatte in Kiel, Berlin und ihrer Heimatstadt Hamburg Jura studiert und nach dem Dr. iur. als Rechtsberaterin bei den Junkers-Werken gearbeitet, vgl. McKale (1977), S. 250. Er stützt sich auf die „List of German Defense Counsels, Cases I–XII“ (Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse, Generalia E 10). Nach 1951 verlieren sich Gombels Spuren (s. u.). Laut Auskunft (25.3.2008) des Bezirksamts Harburg, Freie und Hansestadt Hamburg, Fachamt Einwohnerwesen, ist sie am 20.12.1983 in Hamburg-Barmbek/Uhlenhorst verstorben. Ein Exemplar ihrer Dissertation, aus dem Thema und Ort hervorgingen, ließ sich trotz aufwendiger Recherchen nicht nachweisen. 88 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 3.9.1947) an Marianne Kohrs: „I have’nt heard anything further about my case yet, so I’ll just have to wait until something happens. That suggestive American army expression ,Hurry up and wait‘ seems to be applicable to me, too. I cannot tell who is going to defend me because you are not permitted to choose or get in touch with a lawyer until you have received your indictment. I shall never shirk responsibility for my deeds or for what I have ordered to be done; but although I have had ample time to think things over during 2 1/4 years of imprisonment, I have’nt come across anything of a criminal nature. Of course, interpretations of what is criminal and what is not, may be different, but I am glad to be able to say that my conscience is not burdened with activities that would cast a blot upon the high reputation for decency and respectability that Father acquired for the Bohle family not only in Germany, but likewise in England and South Africa. I do’nt want to dwell on this subject at any length, but I do want all of you, and especially Mother, to know that I shall never disgrace the family“ (Kopie Privatarchiv FRH). 89 Vgl. McKale (1977), S. 194–195; dort auch der Wortlaut des Textes der Anklage: „It has never been the policy of the Prosecution before any of the Nurnberg Tribunals to agree to dismiss charges appearing to the Prosecution to be well founded in return for a plea of guilty in response to other charges. However, it appears that during the conferences referred to above certain representations were made by members of the Prosecution staff on the basis of which counsel for the defendant Bohle may have been led to assume that the Prosecution would agree to dismiss Counts I, II and VI of the Indictment, and may have filed his plea of guilty on the basis of that assumption. Solely for that reason, and in order that the rights of the Defendant Bohle shall not be prejudiced in any manner by representations made by the Prosecution, the Prosecution herewith respectfully moves that the name of the defendant Bohle be withdrawn from Counts I, II and VI of the Indictment. The Prosecution will continue
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Am 27. März 1948 wurde der Presse die folgende Erklärung Bohles übergeben: Ich betrachte es als eine Angelegenheit meiner persönlichen Ehre und Selbstachtung, mich zu den Dingen zu bekennen, für die ich auf Grund meiner Stellung als Staatssekretär und Mitglied des Korps der Politischen Leiter, die Verantwortung hatte. Dies habe ich von Beginn des Nürnberger Verfahrens an gegenüber meinen Anklägern Dr. Robert Kempner und Mr. John Lewis offen erklärt. Nachdem mir jetzt das Anklagematerial während der letzten drei Monate präsentiert worden ist, will ich durch meine Schuldigerklärung zu einzelnen Anklagepunkten vor dem Nürnberger Gericht zum Ausdruck bringen, dass ich in keiner Weise davor zurückschrecke, die Verantwortung und ihre Folgen zu übernehmen. Damit übernehme ich gleichzeitig die Verantwortung anstelle meiner Mitarbeiter und Untergebenen, die lediglich meine Anordnungen in gutem Glauben ausgeführt haben. Die Nürnberger Gerichte und die Gerichte in der amerikanischen und britischen Zone haben in ständiger Rechtsprechung auch kleinere Parteiamtsträger und SSFührer, darunter sogar Untergebene von mir, für schuldig befunden. Deshalb wäre es unverantwortlich von mir gewesen, mich als unschuldig zu bezeichnen und damit die Last der Verantwortung und ihre Folgen auf andere abzuschieben. Ich habe mich ausserdem zu Punkt 5 der Anklageschrift – Verfolgung aus politischen und rassischen Gründen – für schuldig erklärt, weil ich nicht abstreiten will, dass ich mich mit dem Programm der früheren deutschen Regierung, Menschen jüdischer Abstammung aus dem Wirtschaftsleben auszuschliessen, identifiziert habe. Dass weder ich noch die AO mit der ,Endlösung‘ der Judenfrage und den damit verbundenen Verbrechen zu tun habe, haben die von der Anklage vorgebrachten Dokumente klar erwiesen.90
Führende Mitarbeiter der AO, die nach 1945 ebenfalls verhaftet worden waren, wurden aufgrund von Bohles Erklärung freigelassen.91 Seine Anwältin trug in ihrem Eröffnungsplädoyer vor, aus der Tatsache der Mitgliedschaft ihres Mandanten in verschiedenen NS-Organisationen könne nicht automatisch geschlossen werden, daß er ein Verbrecher sei. Dies sei ein
to press the charges set forth against the defendant Bohle in Counts V and VIII of the Indictment“ (zit. nach Answer of the Prosecution to the Motion of the Defendant Bohle to Change his Plea of Guilty to Counts V and VIII and to Dismiss Counts I, II and VI of the Indictment, 27.5.1948; Original Official Court File, Case 11/RG [Record Group, collection of documents in the National Archives, Washington, D.C.]). Vgl. auch die deutsche Version, Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse IV, Fall 11, Rep. 501, E-14. 90 Von Dr. Elisabeth Gombel unterzeichnete Kopie Nürnberg, 1.5.1948 (Privatarchiv FRH). 91 E. W. Bohle (Justizpalast Nürnberg, 4.4.1948) an Marianne Kohrs: „I am hoping that the remaining men of the AO will get out now and be reunited with their families after I have assumed full responsibility. This whole idea of locking up the small fry for years was a crazy and shortsighted policy and certainly has not tended to promote democracy. However, they seem to be getting more sensible now, especially in the British zone“ (Kopie Privatarchiv FRH).
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reduktionistischer Standpunkt, der sich von gewissen Vorurteilen der Nazis in nichts unterscheide. Sie schlug das Gericht sozusagen mit seinen eigenen Waffen: Entsprechend der Natur strafgerichtlicher Verfahren befassen sich diese jedoch nicht mit einer Mehrheit von Personen, sondern mit einem Individuum. Es würde daher höchst unbillig erscheinen, wenn in solchen Verfahren Prinzipien den Ausschlag geben würden, die nicht das Individuum und seine Taten zum Ausgangspunkt des Verfahrens machen, sondern an ihrer Stelle die Tatsache der Zugehörigkeit dieses Individuums zu irgendeiner politischen, ökonomischen oder sonstigen Kategorie. [. . .] Die Verteidigung E. W. Bohles vertritt daher den Standpunkt, dass das Individuum nach seinen Taten beurteilt werden sollte und nicht nach seinem Denken oder Glauben, weil das Recht auf freie Meinungsäußerung und politische Parteiwahl den Grundstein demokratischer Lebensweise bildet.92
Bohle trat am 23. Juli 1948 gemäß den anglo-amerikanischen Verfahrensregeln als Zeuge in eigener Sache auf, d.h. er wurde von seiner Verteidigerin als Zeuge vernommen, und unterstrich dieses Argument. Er habe nichts von Zwangsarbeit und Judenverfolgung gewußt, von der er sich deutlich auf Englisch distanzierte: „I believe that many of us who have no inmate [sic] antiJewish feelings should today frankly admit that the persecution of the Jews in Germany was not only, as we have seen, a terrible political error, but . . . that this persecution was an insult to human dignity and to the general honesty of character for which the Germans formerly were known“.93 Die von den Nazis praktizierte Geringschätzung des menschlichen Lebens entspreche nicht dem deutschen Charakter. Er nehme seine Schuld an und sei fest davon überzeugt, daß nur ein Geständnis die Grundlage für einen moralischen Wiederaufstieg Deutschlands bilden könne. „I think we leading men have this responsibility not only to the victims of these crimes but just as much to the German people, as such, who, with or without our participation, were misled and misguided and are today, without any fault of their own, outlawed in the world“.94 Dieses Geständnis stimmte das Gericht weiterhin milde. Es sprach ihn später bezüglich Punkt V für nicht schuldig. Im einzelnen war ihm zur Last gelegt worden, er habe mitgewirkt 1. an der „Ausscheidung der Juden aus dem wirtschaftlichen Leben und dem Kreise der deutschen Staatsangehörigen“, und 2. der „Rücksiedelung deutscher Staatsangehöriger aus den baltischen Staaten“. Auch sei er Mitwisser am kollektiven Abschiebungsverfahren für die im besetz92 Eröffnungsrede für Ernst Wilhelm Bohle, dem Militärtribunal IV in Nürnberg überreicht durch Dr. Elisabeth Gombel (Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse Fall 1, Rep. 501, Nr. E-1, S. 5; 6–7; undatiert). Vgl. die englische Version in: Trials of War Criminals XII, S. 269–277 („Opening statement for the defendant Bohle“), hier S. 273. 93 Zit. nach McKale (1977), S. 196 u. 250 (gestützt auf „Direct Examination [of Bohle]“, 23 July 1948, „Official Court Transcript“, Case 11/RG 238; abgedruckt in: Trials of War Criminals XIV, S. 80–81). 94 Ebd.
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ten Frankreich lebenden Juden gewesen. Botschafter Abetz habe zu diesem Zweck Listen im Einvernehmen mit den obersten Führern der Partei angelegt und im Oktober 1940 dem AA telegraphisch übermittelt. Bohle stand auf dem Verteiler des entsprechenden Telegramms. Gegen ihn sprach zudem, daß er in seiner Rede bei der Beisetzung Ernst vom Raths diesen zum achten Opfer der jüdisch-bolschewistischen Mordpläne erklärt hatte und als Zeuge in einem nicht durchgeführten Prozeß gegen den Attentäter Grünspan vorgesehen war. Auch habe sich die AO von Anfang 1937 bis März 1938 um die Kündigung der Haavara-Abmachung95 bemüht (und diese schließlich erreicht), die es nach Palästina auswandernden Juden erlaubte, unter gewissen Umständen ihr Vermögen zu retten, indem sie deutsche Waren zur Ausfuhr in die neue Heimat einkauften und den Kaufpreis von ihren Sperrkonten im Reich beglichen. Es könnte sein, daß sich Bohle in dieser Angelegenheit vom Landesgruppenleiter der NSDAP in Palästina, Cornelius Schwarz, beeinflussen ließ. Schwarz, der vor seiner Tätigkeit als LGL den Posten des Wirtschaftsstellenleiters der Partei innehatte und zudem als Volkswirtschaftsrat der Tempelgemeinde Jaffa tätig war, war einer der Hauptkritiker des Haavara-Transfersystems, da die Palästinadeutschen ihre Wareneinkäufe in Devisen bezahlen mußten.96 Auch warf man Bohle vor, die AO habe auf deutsche Firmen eingewirkt, ihre im Ausland arbeitenden jüdischen Mitarbeiter zu entlassen. Alle diese Punkte reichten jedoch für eine Verurteilung nicht aus und konnten in Teilen entkräftet werden.97 Bohle berief sich darauf, daß die Judenfrage vor 1933 keine Kernfrage gewesen sei. Im Parteiprogramm der NSDAP würden die Juden nur ein oder zweimal erwähnt. Es sei zunächst nur darum gegangen, sie der deutschen Staatsangehörigkeit zu berauben, nicht sie wirtschaftlich auszuschalten und sie zu deportieren. Er habe nie95 Avraham Barkai, German Interests in the Haavara-Transfer Agreement 1933– 1939, in: Yearbook of the Leo Baeck Institute 35, 1990, S. 245–266. 96 Balke, S. 171–173. 97 Vgl. Dokumentenbuch I (Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse IV, Fall 11, Rep. 501, E-2). Es handelt sich zunächst um 14 Affidavits von kaufmännischen Mitarbeitern großer deutscher Firmen im Ausland (I.G. Farben, Bayer, Mannesmann bzw. Mitarbeitern der AO), die darlegen, jüdische Mitarbeiter seien zwar langfristig entlassen worden, doch sei dies im Rahmen juristisch zulässiger Kündigungs- oder Abfindungsverfahren geschehen. Vgl. à titre d’exemple: Eidesstattliche Versicherung, Heinrich Volberg, Leverkusen, 19.4.1948, der seit 1928 als deutscher Kaufmann im chemischen und pharmazeutischen Geschäft in Argentinien tätig war. Er war seit 1935 Mitarbeiter des Wirtschaftsstellenleiters und später selbst Wirtschaftsstellenleiter der AO in Buenos Aires bzw. letzter LGL für Argentinien: „Soweit ich informiert bin, war die Ausschaltung jüdischer Vertreter keineswegs eine spezielle Aufgabe der Auslands-Organisation, sondern der vom Reichswirtschaftsministerium mit der Behandlung von Nichtarier-Fragen beauftragen Reichsstelle für den Aussenhandel [. . .]. Soweit mir Fälle der Entlassung jüdischer Vertreter oder Angestellter bekannt geworden sind, wurden diese Vertreter oder Angestellten nicht fristlos oder entschädigungslos entlassen, sondern man liess entweder die Kontrakte auslaufen oder zahlte entsprechende Entschädigung. Die Ablösung der jüdischen Vertreter und Angestellten erfolgte also, soweit mir Fälle bekannt geworden sind, in gesetzlicher Form.“ Vgl. auch Volberg, S. 56–59.
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mals antijüdische Reden gehalten, nichts von der ,Endlösung‘ gewußt und nie ein Vernichtungslager besucht. Der Name Auschwitz sei ihm unbekannt gewesen. Von Deportationen habe er allerdings „aus allgemeinem Partei- und Staatsinformationsmaterial und wahrscheinlich auch aus Gerüchten“ gehört. Er habe geglaubt, „man deportierte sie nach dem Osten in Arbeitslager“. Theresienstadt habe er „für eine Art Stadt, die für Juden hohen Alters reserviert war“, gehalten. Auf die Frage, wie ein so weitgehendes Programm wie die Ausrottung der Juden im Rahmen der sog. Endlösung ihm habe verborgen bleiben können, antwortete er, immer noch in englischer Sprache: Ich glaube, ich habe über diesen Punkt schon eine Information gegeben: Erstens, weil die AO, und zwar absichtlich, die am schlechtesten informierte Parteistelle in Deutschland war; und zweitens, weil Fragen dieser Art in keiner Weise etwas mit dem tatsächlichen Arbeitsgebiet der AO zu tun hatten; drittens habe ich in der Tat sehr wenig mit Hohen Parteimitgliedern in Deutschland zu tun gehabt. Ich möchte noch erwähnen, wie unglaublich das auch klingen mag, dass ich niemals in den zwölf Jahren des nationalsozialistischen Regimes in dem Haus eines deutschen Gauleiters eingeladen war. Ich hatte mein eigenes Arbeitsfeld, meine eigenen Mitarbeiter, und ich war, zwar nicht offiziell, aber praktisch aus der Parteihierarchie ausgeschlossen. [. . .] Nach den sogen. Jahren der Revolution, von denen ich vorher sprach, war es jedermann in Deutschland klar, dass der Antisemitismus nicht abebbte oder abnahm, dann glaube ich, dass es zweifellos einer der tragischsten und grundlegendsten Fehler von uns allen war, die wir führende Stellungen innehatten, gleichgültig, an welchem Platz wir standen, ausser Acht zu lassen oder die Augen zu schliessen gegenüber einer Entwicklung, die schliesslich zu solch furchtbaren Zuständen führte. Nach meiner Meinung sollten heute viele von uns, die keine angeborenen antijüdischen Gefühle hegen, offen zugeben, dass die Judenverfolgungen in Deutschland, wie wir gesehen haben, nicht nur ein furchtbarer politischer Fehler war, sondern gleichzeitig und vor allem im Hinblick auf alles, was Deutschland jahrhundertelang auf dem Gebiete der Zivilisation, Wissenschaft, Kultur und Humanität ohne Beleidigung der Menschenwürde und der allgemeinen Charakterfestigkeit, für welche die Deutschen früher bekannt waren, war. Es ist meine Überzeugung, dass die sogen. Judenfrage in Deutschland nur beigelegt werden wird, wenn wir, die wir damals führende Stellungen innehatten, gleichviel, welcher Art, offen zugeben, was geschehen ist, und wenn die sogen. Judenfrage eines Tages in dem Licht gesehen wird, dass sie garkein Problem oder Frage war.98
Man vermag nicht zu entscheiden, ob Bohle in allen Punkten aufrichtig ist oder ob er verdrängt, daß er mehr wußte, als er zugab. Auch kann nicht völlig ausgeschlossen werden, daß er als „Musterzeuge“ Kempners aussagte, der sich wenigstens einen reuigen und geständigen Nazihierarchen wünschte und in Ernst Wilhelm Bohle auch fand. Die Frage, warum er sein Amt nicht niederge98 E. W. Bohle, Zeugenverhör, Nürnberg, 23. Juli 1948 (Kopie Nürnberg, StA KVProzesse Fall 11, A-111, S. 13635–13636. Die deutsche Übersetzung ist flüchtig und fehlerhaft).
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
legt habe oder emigriert sei, wenn er spätestens nach Kriegsbeginn den Unrechtscharakter des Regimes erkannt habe, erklärte Bohle mit seinem Pflichtgefühl. Ein solcher Akt sei einer Desertion gleichgekommen. Im übrigen seien Bormann und Himmler in seinen Augen schlimmer gewesen als Hitler, dessen ganze Kraft vom Krieg absorbiert worden sei. Dies ist eine damals häufig anzutreffende Verharmlosung von Hitlers Hauptverantwortlichkeit.99 Frau Dr. Gombel argumentierte, die Anklagepunkte aufgreifend, die Repatriierung deutscher Staatsangehöriger aus den baltischen Ländern könne nicht bestraft werden, „weil es das souveräne Recht jeder Nation ist, ihre Bürger, wann immer sie es für richtig befindet, heimzurufen, und dass diese Handlungen nicht in die geringste Verbindung mit einem Verbrechen gebracht werden können“.100 Gefährlicher für Bohle war der Passus in seinem Schuldbekenntnis, in welchem er pauschal die Verantwortung für seine Mitarbeiter übernahm. Sein Untergebener George Christians war nämlich Mitglied des Aufsichtsrats der ,Deutschen Umsiedlungstreuhandgesellschaft m.b.H‘ (DUT) gewesen, die angeblich die Aufgabe hatte, „Polen und Juden ihres Besitzes zu berauben und die Beute für Umsiedlungszwecke den Reichs- oder Volksdeutschen zuzuwenden“.101 Zu Bohles Glück hatte das Gericht keine Beweise für eine aktive Teilnahme Christians’ an dieser Ausplünderung gefunden,102 was sonst zu einer Auslieferung Bohles an Polen hätte führen können. Verwunderlich ist in diesem Kontext, daß die in den Ermittlungen gegen die I.G. Farben, die Deutsche und die Dresdner Bank ermittelten Tatsachen, die auch Bohle und die AO belasteten, nicht gegen ihn verwandt wurden. Mehrere I.G. Farben-Mitarbeiter, die im Ausland politische und militärische Aktivitäten,
99 Trials of War Criminals XIII, S. 1204: „I never contemplated that. My country was at war and I do not believe in leaving or deserting one’s country in wartime. Apart from that, at that time I was firmly convinced that Hitler himself was so absorbed by his tremendous duties, as Supreme Commander in Chief of the Armed Forces, that he simply had to neglect his other duties; and I thought that Bormann especially, and possibly Himmler, were taking advantage of this almost total seclusion of Hitler in order to form Germany slowly but surely into a terroristic state; and it was the hope that I and many others had that, at the close of the war, Hitler would use the iron broom“. 100 Eröffnungsrede, S. 7. 101 Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozeß, S. 122–123. 102 George Christians, Eidesstattliche Erklärung, Hamburg, 10.4.1948, Militärtribunal IV, Fall XI, Dokumentenbuch I für E. W. Bohle, Nr. 16, S. 55–57 (Kopie StA Nürnberg, KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, Nr. E-2). Christians erklärte, daß er in der DUT allein die Interessen der AO wahrgenommen habe. Er habe dafür Sorge getragen, daß die aus den Baltenstaaten Litauen, Lettland und Estland umgesiedelten Reichsdeutschen bei der Gewährung von Darlehen finanziell nicht schlechter gestellt worden seien als die viel größere Zahl der Volksdeutschen. Nach Abschluß der Umsiedelung von Deutschen 1940 habe er nur noch nominell dem Aufsichtsrat der DUT angehört.
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insbesondere für das OKW, entfaltet hatten, bekleideten zugleich Führungspositionen innerhalb der AO, z. B. Rudolf Empting (Geschäftsführer Farbstoffe, LGL Jugoslawien u. Kroatien), Arnold de Margerie (Prokurist bei Bayer, LKL Venezuela), Dr. Otto Urchs (Geschäftsführer bei Bayer, LGL Britisch-Indien), Gerlach (Stellvertretender Geschäftsführer Farbstoffe, LGL Kroatien), Kurt Zoepffel (Verkaufsdirektor Farbstoffe, LGL Mexiko), Heinrich Volberg (Angestellter bei Bayer, LGL Argentinien) u. a.103 Bei der Rückkehr von einer Lateinamerika-Reise stellte I.G. Farben-Direktor Max Ilgner befriedigt fest, daß „insbesondere die Zusammenarbeit mit der Auslandsorganisation der NSDAP sich immer positiver entwickelt“, nachdem sich „die beiderseitige Betrachtungsweise“ in den ersten Jahren nicht immer gedeckt habe. Am 10. September 1937 wurde festgelegt, daß im Auslandsdienst der Firma nur Herren zum Einsatz kommen sollten, die der DAF angehörten und „deren positive Haltung zur neuen Zeit“ einwandfrei feststehe. Alle seien verpflichtet, sich sofort nach ihrem Eintreffen mit der Orts- bzw. Landesgruppenführung der AO in Verbindung zu setzen. Die Verbindungsmänner sollten monatlich Berichte über die wirtschaftlichen, politischen und militärischen Verhältnisse der jeweiligen Länder erstellen, die nach Deutschland weitergeleitet wurden. Die I.G. Farben unterstützte die AO auch materiell und beteiligte sich mit namhaften Beiträgen am Winterhilfswerk. Da die ausländischen I.G. Farben-Dependancen als inländische Unternehmen getarnt waren, konnten sie diese Beträge nicht unmittelbar auszahlen, um ihre Tarnung nicht auffliegen zu lassen. In Ausnahmefällen zahlten sie zwar direkt, ansonsten wählten sie den Umweg über die Deutschlandzentrale der I.G. Farben, die den Beitrag „kanalisierte“.104 Berührungspunkte zwischen der AO und den I.G. Farben gab es im übrigen beständig über ihre Auslandsniederlassungen, deren Mitarbeiter grundsätzlich Mitglieder der DAF-AO sein mußten.105 Als das Führungspersonal der AO im Jahr 1942 wegen Abbruch der diplomatischen Beziehungen aus Lateinamerika nach Deutschland repatriiert wurde, lud der Vorstand der I.G. Farben am 4. November eine ausgewählte Gruppe von AO-Männern im Hotel „Adlon“ zu einem Arbeitsessen ein, „as a special courtesy and also in order to improve the good relations with the Auslands-Organisation“.106 103
OMGUS, Ermittlungen gegen die I.G. Farben, S. 167–168. Ebd., S. 176–191. 105 Vgl. die Zeugenaussage von Direktor Dr. Julius Overhoff zu den Besprechungen der I.G. Farben-Vorstandsmitglieder Georg von Schnitzler und Hermann Waibel mit der AO (Nürnberg, StA KV-Prozesse, Fall 11, Rep. 501, Nr. E-6). 106 Vgl. Nuernberg Military Tribunal VII, S. 699 (Prosecution exhibit 802, Doc. NI-631), Letter of Farben’s Vorstand Member Waibel concerning a luncheon for members of foreign organization of the Nazi Party, 13 October 1942. Vom Vorstand der I.G. Farben sollten teilnehmen die Direktoren Dr. G. von Schnitzler, P. Haeflinger (der die Einladung als einziger ablehnte), Dr. M. Ilgner, W. R. Mann, Dr. H. Oster, W. Otto, E. Weber-Andreae, Dr. K. Krüger, Dr. G. Frank-Fahle, Dr. J. Terhaar, E. Müller, H. Gierlichs, von der AO Gauleiter Bohle, Stabsamtsleiter B. Ruberg, Gauhauptstel104
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Emil Meyer, Vorstandsmitglied der Dresdner Bank mit SS-Ehrenrang, bemühte sich noch im Mai 1944 darum, „eine engere Zusammenarbeit unserer Affiliationen im Ausland mit der Auslandsorganisation der NSDAP sicherzustellen“, und wies jedem Vorstandsmitglied ein spezifisches Auslandsreferat zu, um die Propagandatätigkeit der AO zügig zu finanzieren und die nötigen Finanzmittel zu transferieren.107 Eine Tochtergesellschaft der Deutschen Bank, die Deutsche Überseeische Bank in Buenos Aires, führte die Konten der deutschen Botschaft und der Landesgruppe der AO. Vom Parteikonto wurden die örtlichen Mitarbeiter der AO bezahlt, zudem flossen Geldmittel für die Winterhilfe und andere NS-Anliegen nach Deutschland.108 Was für Argentinien belegt ist, dürfte auch auf andere Länder zutreffen, denn die Deutsche Bank unterhielt ein weltweites Auslandsnetz. Hans Weidtmann, einer der beiden letzten Direktoren der Zweigstelle der Deutschen Bank in Istanbul, beriet die dortige Ortsgruppe der AO in Wirtschaftsfragen.109 Franz Neuhausen, Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft Serbiens und Mitarbeiter Görings, wirkte eine Zeitlang als Landesgruppenleiter der AO in Belgrad sowie als deutscher Generalkonsul. Er hatte diese offiziellen Funktionen nur deshalb erhalten, um der deutschen Wirtschaft besser dienen zu können.110 Friedrich Bethke, der dem Aufsichtsrat der Deutschen Bank für Ostasien als Vertreter der AO angehörte, vertrat seit Ende 1944 gleichzeitig auch das Reichswirtschaftsministerium.111 Diese Aktivitäten konnten keinesfalls ohne Bohles Wissen vonstatten gehen. Hätte nicht Kempner ein so großes Interesse an seinem Fall genommen, wäre Bohle sicherlich auch wegen seiner Industrie- und Wirtschaftsbeziehungen verurteilt worden. So blieb allein der Punkt VIII, die Mitgliedschaft in verbrecherischen Organisationen. Bohle war im September 1936 zum Brigadeführer, im April 1937 zum Gruppenführer, im Juni 1943 zum Obergruppenführer der SS ernannt worden lenleiter Spahn, die Gauinspekteure Hübner (Länderamt IV), Grothe (Länderamt VI), DAF-AO Gauhauptstellenleiter Ravens, die Gauhauptstellenleiter des Außenhandelsamtes Schleicher, Brehm, Christians, Rosenberg sowie die Landesgruppenleiter Müller (Argentinien), Prüfert (Kolumbien), Hentschke (Guatemala), stellv. Landesgruppenleiter Gödde (Brasilien), Kreisamtsleiter Thomsen (Uruguay) und Gauhauptstellenleiter Sandstede (Argentinien). 107 OMGUS, Ermittlungen gegen die Dresdner Bank, S. 97–98. Johannes Bähr, Die Dresdner Bank in der Wirtschaft des Dritten Reichs, München, 2006 (Die Dresdner Bank im Dritten Reich; 1), Kap. VI („Die Auslandsfilialen und die Deutsch-Südamerikanische Bank“), S. 255–294, behandelt kurz die engen Verflechtungen zwischen AO, Deutscher Orientbank bzw. Deutsch-Südamerikanischer Bank, vor allem S. 262 u. 286–289. 108 OMGUS, Ermittlungen gegen die Deutsche Bank, S. 71, 194–198, 244–246. Zu den Beziehungen der Deutschen Bank zur DUT ebd., S. 253. 109 Ebd., S. 404. 110 Ebd., S. 428. 111 Ebd., S. 430.
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und hatte damit, auch wenn er nur Ehrenränge bekleidete, die Äquivalente der Ränge eines Generalmajors, Generalleutnants und Generals der Waffen-SS erhalten.112 Seine Verteidigerin argumentierte, Bohle sei aufgrund seiner deutschnationalen Erziehung und seiner Herkunft als Auslandsdeutscher ein glühender Patriot. Nur deshalb habe er sich dem Nationalsozialismus angeschlossen. Von den Verbrechen des Regimes habe er keine wirkliche Kenntnis gehabt. Es sei im übrigen ein Trugschluß, einen nationalsozialistischen Spitzenpolitiker automatisch mit einem Verbrecher gleichzusetzen. Der Angeklagte Ernst Wilhelm Bohle hat offen und ehrlich sich hierzu schuldig bekannt. Er erkennt vorbehaltlos an, dass er durch seine fortgesetzte Dienstleistung, selbst nachdem er Kenntnis gewisser Verletzungen des Internationalen Rechts durch das Politische Leiterkorps oder die SS erlangt hatte, nach dem Gesetz schuldig geworden ist. Es wird jedoch das ernste Bestreben der Verteidigung sein, dem Gerichtshof ihre tiefe Ueberzeugung darzulegen, dass diese Dienstleistung zu keiner Zeit irgendeiner verbrecherischen Absicht Bohles entsprang, und dass diese Tatsache in Verbindung mit seiner freimütigen, in sein Schuldbekenntnis einbegriffenen Erklärung der Reue, die Zuerkennung mildernder Umstände verdient.113
In einem Abschlußbericht (Closing Brief) vom 20. Oktober 1948 versuchte die Verteidigung die Vorwürfe der Anklage insgesamt zu entkräften. Kempner, Direktor der Political Ministries Division, plädierte am 23. Oktober 1948 (Final Brief). Zunächst ließ er noch einmal Bohles Laufbahn Revue passieren und betonte seine dreifache hohe Stellung als Gauleiter, Staatssekretär und SS-Ehrenmitglied. Bezüglich Punkt V warf er ihm vor, mitgeholfen zu haben, ein jüdisches Heimatland der Juden in aller Welt und einen jüdischen Staat, der ihnen neue Pässe hätte ausstellen können, zu verhindern. Auch habe er dazu beigetragen, die ins Ausland geflüchteten Juden wirtschaftlich zu ruinieren. Zahlreiche diesbezügliche Dokumente aus dem AA trügen sein Namenskürzel, womit seine Kenntnis bewiesen sei. Außerdem habe sich die AO an den Umsiedlungs- und Germanisierungsaktionen im Baltikum, die von der DUT, einer Himmler-Behörde, organisiert worden seien, beteiligt. Als Mitglied des Führerkorps der NSDAP und SS-Angehöriger habe er weitere Schuld auf sich geladen. Kempner faßte zusammen: Bohle hatte wissentlichen Anteil an dem Programm und den Unternehmungen der Verfolgungen aus politischen, rassischen und religiösen Gründen, verübt an deutschen Untertanen und den Untertanen von Feindstaaten, Juden und anderen im Nazistaat unerwünschten Personen, und zwar 1. lieh er seine Hand zur Aberkennung der Bürgerrechte und Ungültigkeitserklärung der Pässe deutscher und österreichischer Juden, die so in die Hände der Nazihenker geliefert wurden, sobald das betreffende Land von den Nazis überrannt und kontrolliert wurde; 112 113
S. o., Kap. II.13. Eröffnungsrede für Ernst Wilhelm Bohle, S. 12.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
2. durch seine Mithilfe bei der Austreibung der deutschen staatenlosen und ausländischen Juden als Bettler wurde er mitschuldig an ihrer wirtschaftlichen Erdrosselung; 3. er half dazu, jüdische Angestellte und Händler aus ihrem Besitz zu vertreiben, dadurch, dass sie aus ihren Stellungen bei unter der Kontrolle oder dem Einfluss der Nazis stehenden Firmen entlassen werden mussten. 4. durch seine Beteiligung bei der Versklavung, Verschleppung und Austreibung der Zivilbevölkerung von Ländern, die im Laufe des Krieges besetzt wurden oder auf andere Art unter die Kontrolle Deutschlands kamen, im Zuge des sogenannten Eindeutschungsprogramms beging BOHLE unmenschliche Handlungen gegen die Zivilbevölkerung.114
Kempner zitierte abschließend aus Bohles Schuldbekenntnis, das dieser am 23. Juli 1948 in seinem Zeugenverhör gemacht hatte, und bemerkte: „Diese Erkenntnis und die Uebernahme seiner persönlichen Verantwortlichkeit zeigt deutlich, dass der Angeklagte BOHLE den Problemen dieses Prozesses ehrlich ins Auge schaut“. Mit diesem Satz versuchte er, die Schärfe seines Verdikts abzumildern und dem Gericht einen Hinweis für die Urteilsfestsetzung zu geben, was aber offensichtlich nicht gelang. Im Abschlußplädoyer vom 18. November 1948115 beantragte die Verteidigerin Bohles Freispruch bezüglich Punkt V und mildernde Umstände bezüglich Punkt VIII. Die hohe Haftstrafe von fünf Jahren, zu der Bohle am 11. April 1949 verurteilt wurde, überraschte selbst Kempner, da im allgemeinen die „feinen Herren aus dem Auswärtigen Amt mit den blutbesprenkelten weißen Westen“ wesentlich milder bestraft wurden als beispielsweise die aus der Wirtschaft. Der „Fall“ Bohle verwundert auch deshalb, weil Kempner und Dr. Gombel erwartet hatten, sein Geständnis würde honoriert werden, was jedoch nicht der Fall war. Der Satz, den laut Kempner der alte Berliner Landgerichtsdirektor Siegert zu Anfang der Verhandlung den Angeklagten mitgab, sie sollten die Wahrheit sagen, dann sicherten sie sich die Milde des Gerichts, bewahrheitete sich diesmal nicht.116 Bedenkt man jedoch, daß die beiden anderen Staatssekretäre von Weizsäcker zu sieben und Keppler zu zehn Jahren verurteilt wurden, dann war Bohles Strafmaß milde. Es ist abschließend auf Kempners „double-bind-Haltung“ hinzuweisen. Einerseits sympathisierte er mit Bohle und beeinflußte ihn zusammen mit seiner Anwältin, sich für schuldig zu erklären und Reue zu zeigen. Andererseits konnte er jemanden, der über so viele Jahre eine Spitzenposition im NS-Staat bekleidet hatte, nicht ungestraft davonkommen lassen. In sein Schlußplädoyer flossen 114 115 116
Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501 E-11, S. 27–27a. Kopie Nürnberg, StA KV-Prozesse Fall 11, Rep. 501, E-12. Kempner (1983), S. 347.
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sicherlich auch die Enttäuschung, der Zorn und der Schmerz darüber ein, daß er als deutscher Patriot aufgrund seiner ,Rasse‘ um seine berufliche Position gebracht und ins Exil gezwungen worden war. Kempner hatte, wie Zehntausende anderer deutscher Juden auch, am Ersten Weltkrieg teilgenommen und war für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Kreuz 1. Klasse ausgezeichnet worden. In Nürnberg verfaßte Bohle Ende 1946/Anfang 1947 in englischer Sprache eine Art politisches Testament, einen zehnseitigen Essay „Why Germany failed – Reflections of a German from abroad“.117 Dieser Text [s. Wiedergabe im Anhang], der mehrfach überarbeitet wurde und in einer Zeitung oder Zeitschrift erscheinen sollte (aber nicht erschien), ist Ausdruck einer Läuterung, wie wir sie nur von wenigen NS-Belasteten kennen. Er enthält zwar keine himmelstürzenden Einsichten, ist aber insgesamt betrachtet ein wichtiges Dokument aus den ersten Nachkriegsjahren. Der Verfasser analysiert scharfsichtig die Schwäche der Weimarer Republik und erklärt die überwiegende Zustimmung der deutschen Bevölkerung zu Hitlers Machtübernahme. Allerdings gibt sich der Autor unbeteiligt, so als ob er nicht selber ein wichtiges Mitglied der nationalsozialistischen Führungselite gewesen sei. Bohle schreibt auf Englisch, denn er wendet sich zunächst an die anglo-amerikanischen Sieger. Er kehrt somit wieder zu seiner doppelten Identität zurück. Die nationale Rhetorik und die fanatische Blindheit der nationalsozialistischen Propaganda, zu der sich auch der offizielle Bohle, der Gauleiter und Staatssekretär, bekannt hatte, sind überwunden. Das Bild des weltläufigen Auslandsdeutschen, das an ihre Stelle tritt und den bornierten Politikern in der Heimat den Blick für die Welt hätte öffnen können, entspricht nicht ganz der Wahrheit. Meist hatten sich die Auslandsdeutschen, die Bohle in seinen Reden erwähnt, erst in der Fremde auf ihre Nationalität besonnen und sie – häufig unkritisch – lieben gelernt. Vor diesem Hintergrund hatten sie sich gegen eine vermeintlich unverständige und ablehnende Umwelt das Recht erkämpft, ihr Deutschtum auch im Ausland zu leben.118 Bohle macht 117 Kopie Privatarchiv FRH. – In der Vernehmung durch Dr. Robert Kempner vom 23.4.1947 kam Bohle auf diesen Text zu sprechen: „Ich habe einen Artikel geschrieben im ersten Prozess, den ich hier umändern möchte. Ich habe noch ein Exemplar da“. Kempner bot ihm an, den geänderten Text für ihn abschreiben zu lassen. Bohle antwortet: „Ich möchte es selbst sehr gerne schreiben, da ich ihn stilistisch leicht verbessern möchte“. Kempner bat um Überlassung, um ihn auf diesen oder jenen Punkt aufmerksam zu machen (Kopie StA Nürnberg KV-Anklage Interrogations, B-122, S. 8; Koblenz, BArch N 1470/523). 118 Dazu noch einmal ein Bohle-Zitat aus dem Jahr 1939: „Gewiß war es für manche Kreise und für manche Zwecke bequemer, ein Auslandsdeutschtum zu haben, das in sich zerrissen und ohne innere Verbundenheit mit der Heimat war. Diese Auslandsdeutschen konnte man, namentlich nach dem Weltkrieg, fremden Interessen in meist unwürdigster Form dienstbar machen und zwar Interessen, die dem Reich oft schadeten. Diese Auslandsdeutschen konnte man auch bemitleiden, weil sie nach dem Krieg nicht stolz bekennen konnten, Deutsche zu sein. Heute aber, nachdem durch die Taten eines einzigen Mannes der gigantische Aufstieg des Reiches zur Weltmacht erfolgt ist, heute müßte es jeden anständigen Ausländer wundern, wenn die Auslandsdeutschen
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
den Begriff „Weltanschauung“, den man bezeichnenderweise nicht ins Englische übersetzen könne, für die politischen Sünden der Deutschen verantwortlich. Alles und jedes könne in Deutschland einen weltanschaulichen Rang zugesprochen bekommen und gewinne dadurch einen dogmatischen Charakter. Die Durchsetzung dieser Prinzipien werde zur Frage auf Leben und Tod, auch wenn es sich um Belanglosigkeiten handele. Diese Borniertheit isoliere die Deutschen in der internationalen Staatengemeinschaft, da anderen Völkern eine derartige Verbissenheit fremd sei. In einem historischen Exkurs, der auf die deutsche Kleinstaaterei, die Herzlage des Landes inmitten Europas und die Folgen des Vertrags von Versailles sowie dessen Überwindung durch Hitler abhebt, zeigt Bohle, wie der Nationalsozialismus vor und nach 1933 zur Weltanschauung des überwiegenden Teils der deutschen Bevölkerung werden konnte. Geistliche beider Konfessionen, die sich zunächst zum Nationalsozialismus bekannt hätten, trügen eine große Mitschuld. Bohle geißelt die Maßlosigkeit der deutschen Außenpolitik, die nach dem Münchner „Gipfel“-Abkommen von 1938 jeglichen internationalen Kredit verspielt habe. Nur die eiserne Disziplin der deutschen Bevölkerung habe sie alle Einschränkungen der Demokratie und alle materiellen Bedrückungen ertragen lassen, so daß es nicht zu offenem Aufruhr gekommen sei. Der Deutsche sei nicht schlechter als die Vertreter anderer Völker, aber er habe sich aufgrund seiner Geschichte von einem Regime verführen lassen, das unvorstellbare Verbrechen begangen habe. Es könne und dürfe sich niemals damit herausreden, daß auch andere Länder ein langes Sündenregister hätten oder daß es tatsächlich eine „Judenfrage“ gegeben habe. Die Deutschen hätten die schlimmste aller denkbaren Sünden begangen, indem sie sich an unschuldigen Menschenleben, die Geschöpfe des Allmächtigen seien, vergangen hätten. Es sei hinfort ihre Pflicht, alles in ihrer Macht Liegende zu tun, um ihren Namen von den Verbrechen reinzuwaschen, die ihn befleckten. Dabei könnten ihnen allein die Vereinigten Staaten helfen. Deutschland müsse zwar umerzogen werden, verdiene aber aufgrund seiner Kultur und seiner Vergangenheit, die nicht mit dem Nationalsozialismus gleichgesetzt werden dürften, eine Chance, geläutert in die Völkergemeinschaft zurückzukehren. Bohle traf mit seinen Ausführungen den rechten Ton. Was er sagte, war politically correct, da zu diesem Zeitpunkt erst ansatzweise das ganze Ausmaß der nationalsozialistischen Verbrechen erkennbar wurde. Er entwarf ein Bild von Deutschlands Zukunft, das dank den Amerikanern und ihrem Glauben an die Umerziehung der Deutschen zur Demokratie in den nächsten Dezennien Wirklichkeit werden sollte.
nicht unsagbar stolz darauf wären, diesem Reich anzugehören. Sie sind es und keine Zeitung der Welt wird diese Tatsache leugnen können“ (Bohle, Weltspionage, in: Deutsches Wollen 1, 1939, H. 1, S. 2–3, hier S. 3).
3. Landsberg und die vorzeitige Freilassung
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3. Landsberg und die vorzeitige Freilassung Nach seiner Verurteilung wurde Bohle zusammen mit anderen Gefangenen in Handschellen im Polizeiwagen in die Haftanstalt Landsberg am Lech überstellt.119 Dieses Gefängnis, in dem Adolf Hitler 1924 eine sechsmonatige Haftstrafe wegen Hochverrats (Hitlerputsch vom 8./9. November 1923) verbüßt hatte, war 1946 vom Oberbefehlshaber der Amerikanischen Streitkräfte in Deutschland zum ,War Criminals Prison No. 1‘ (WCPL) erhoben worden. Bei der Wahl dieses Ortes spielte die Inhaftierung Hitlers sicherlich eine Rolle, denn Landsberg sollte die dort eingesperrten Nazis stets an den Urheber ihrer Verstrickung erinnern und eine Kontinuität zwischen seinem und ihrem Leben herstellen. 110 Verurteilte aus den Nürnberger Nachfolgeprozessen, 1.416 Kriegsverbrecher aus dem Dachauer Prozeß und 18 des Schanghai-Prozesses verbüßten hier ihre Strafen. Bis zum Jahr 1951 wurden 284 Todesurteile, 259 durch den Strang, die übrigen durch Erschießen, vollstreckt. Sofern die Leichen der Hingerichteten nicht von ihren Angehörigen abgeholt wurden, wurden sie auf dem Kriegsverbrecher-Friedhof bei der Spöttinger Kapelle beigesetzt. Dieser Friedhof wurde 1988 unter Denkmalschutz gestellt. Im Mai 1958 wurden die letzten vier Häftlinge, hochrangige SS-Männer, die im Einsatzgruppen-Prozeß verurteilt worden waren, entlassen und das WCPL aufgehoben. Die Bayrische Staatsregierung beschloß 1951, daß die Insassen der Militärgefängnisse Landsberg, Werl und Wittlich als Kriegsgefangene anzuerkennen seien und daß das Bundesversorgungsgesetz, wenigstens in Bayern, auf sie anzuwenden sei.120 Anders als über Nürnberg und Spandau121 haben wir über Landsberg keine detaillierten Berichte von Inhaftierten, sieht man von den Gefängnisbriefen Ernst von Weizäckers einmal ab.122 Auch von EWB, der in Nürnberg ein eifriger Briefschreiber war, sind keine Briefe aus Landsberg erhalten. Die Unterlagen zu den deutschen Gefangenen wurden den Amerikanern übergeben, die sie in den ,National Archives Washington‘ so deponierten, wie sie sie erhalten hatten und bis heute nicht erschlossen haben. 119 Laut Auskunft (18. u. 22.1.2008) des Archivars der heutigen LVA Landsberg, Klaus Weichert, sind dort keine Unterlagen zu den „Nürnberger Gefangenen“ mehr erhalten. Das Stadtarchiv Landsberg a. L. hat meine Anfragen leider nicht beantwortet. 120 Solange eine fundierte Darstellung der Haftanstalt Landsberg a. L. fehlt, sei verwiesen auf: Von Hitlers Festungshaft zum Kriegsverbrecher-Gefängnis No. 1: Die Landsberger Haftanstalt im Spiegel der Geschichte, Landsberg/Lech: Bürgervereinigung „Landsberg im 20. Jahrhundert“, 1993. 121 Vgl. z. B. Albert Speer, Spandauer Tagebücher. Mit einem Vorwort von Joachim Fest, Berlin, 2005; weniger explizit sind die Selbstaussagen von Rudolf Heß in: Ilse Heß, Ein Schicksal in Briefen. Da Heß kaum über seine Vergangenheit spricht, kommt auch der Name EWB in diesem Band nicht vor. 122 Ernst von Weizsäcker: geboren 25. Mai 1882, gestorben 2. August 1951 in Lindau, aus seinen Gefängnisbriefen, 1947–1950. Als Ms. gedr., Stuttgart, [1951].
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
Von Weizsäcker erfahren wir, daß alle Insassen eine schwarze Montur mit den weißen Buchstaben WCPL auf dem Kleidungsstück trugen. Zwischen dem Wecken um 6 Uhr früh und der Nachtruhe ab 21 Uhr konnten die Gefangenen arbeiten; Weizsäcker flickte Polster, Unterhosen oder Hemden. Er berichtet am 24. Mai 1949: Man ist hier par inter pares, Kamerad, gleich angezogen, in gleichem Rhythmus tätig, denselben Regeln unterworfen. Gegen 6 Uhr wird aufgestanden, Bett säuberlich gemacht, Haferschleim usw. verzehrt, 1/2 oder 3/4 8 Unterricht oder Arbeit begonnen. Diese dauert je vier Stunden vor- und nachmittags. Ich kann noch herzlich wenig, bringe mir selbst empirisch das Nötigste bei und biete mich schon heute für später als Gehilfen beim Wäscheflicken an (S. 59).
Weizsäcker wunderte sich über die Unvergleichbarkeit der Schicksale der Inhaftierten: Nach dem Abendessen gehe ich ins Freie und versuche, bisher vergeblich, eine bessere Kategorieneinteilung der Menschen als die gebräuchliche zu finden. Wenn ich bei den in toto täglich eineinhalb Stunden Appellen und Schlangestehen (zum Essen) meinen Vordermann ansehe, so steht da auf dem Rücken und Hose immer WCPL (War Crimes Prison Landsberg [sic]). Das ist ein guter Start für die Betrachtung. Aber es sind auch solche dabei, die den Krieg nur in Konzentrationslagern eingesperrt gesehen haben. Auch Rotspanier sind dabei. Soll die Kategorie sein, daß sie mir spanisch vorkommen? Oder ist ,deutsch‘ eine Kategorie? Oder undemokratisch, ungläubig, altersschwach, schwerhörig? [. . .] Ich fühle mich in Landsberg somme toute keineswegs unter Verbrecher geraten, weder menschlich noch juristisch gesehen. Ich fühle mich vielmehr mit dem gros solidarisch und hoffe gerade dadurch, daß nun einmal mein Name etwas bekannter geworden ist, den Mitinsassen zu helfen (S. 61–62).
Es gab Gelegenheit zu Spaziergängen und Lektüre. Zweimal pro Woche fanden Gottesdienste und Konzerte des Gefängnisorchesters statt.123 Eine wichtige Quelle ist der von dem Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister gedrehte Dokumentarfilm „Landsberg – Das Gefängnis und die Entstehung der Republik“, der erstmals am 18. Januar 2002 ausgestrahlt wurde. Die „Neue Zürcher Zeitung“ urteilte darüber am 23. Januar 2002: „Lutz Hachmeister ist den verschiedenen Geschichten (der Stadt Landsberg) . . . nachgegangen. Er hat dazu Quellen und Filmmaterial ausgegraben und erstaunliche Zeitzeugen gefunden. Sein Film ist eine vielstimmige Rekonstruktion, die mit vielen suggestiven Bildern zu fesseln vermag: Der intelligente Schnitt stellt immer wieder die winterlich verschneite bayrische Kleinstadt von heute gegen Aufnahmen aus den Kriegsverbrecherprozessen und aus Lagern.“
123 Martin Wein, Die Weizsäckers. Geschichte einer deutschen Familie, Stuttgart, 1988, S. 330–332.
3. Landsberg und die vorzeitige Freilassung
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Für unsere Fragestellung sind die Aussagen von Carl-Heinrich Krauch, dem Sohn des im I.G. Farben-Prozeß zu sechs Jahren verurteilten Aufsichtsratsvorsitzenden des Unternehmens, Carl Krauch, besonders interessant. Über das Gefängnis berichtet der junge Krauch im Film: Ich habe dieses Landsberg bei den Besuchen als gemütlich, ländlich und eben bayerisch empfunden. Und man konnte da sehr günstig ein Bier trinken, eine Wurst essen und die Leute waren zurückhaltend, eher freundlich. Wenn sie wussten, dass wir da zu Besuch waren, dann waren sie sogar sehr freundlich. Also, sie waren Sympathisanten der Inhaftierten, das würde ich schon sagen.124
Nachdem er seine Betroffenheit über die Anklage gegen seinen Vater, die er im Kern für substantiell hält, artikuliert hat, fährt er fort: Landsberg war eine sehr offene Sache. Die Amerikaner waren sehr zuvorkommend, waren extrem rücksichtsvoll. Das war eigentlich wie ein Besuch im Krankenhaus. Es war überhaupt – man merkte die Bewachung gar nicht mehr. Die konnten sich untereinander treffen, fast wie sie wollten. Ich konnte direkt zu ihm hin, er saß da wie wir jetzt dasitzen und manchmal waren auch Freunde von ihm dabei und blieben einfach sitzen, wenn ich kam. Und dann hab ich mit ihm diskutieren können.125
Der Vorsitzende des Bürgervereins, Anton Posset, gibt zu Protokoll: Wir haben also dann festgestellt, dass die Häftlinge Fernsehen hatten – schon in den fünfziger Jahren, dass die Häftlinge Radio hatten, dass sie ein reiches kulturelles Angebot hatten. Aber jetzt net bloß aus Deutschland. Es gab einen berühmten Mann aus Schweden, der ihnen eine riesengroße Bibliothek besorgt hat. Also, wer hat in den fünfziger Jahren je einen Bischof zu Gesicht bekommen? Das Leben in diesem Gefängnis war mit Sicherheit etwas, was recht, recht außergewöhnlich kurios war.126
Hachmeister vertritt die These, daß die Haftanstalt eine Geburtsstunde der Bundesrepublik gewesen sei, eine Parallelwelt zum Parlamentarischen Rat in Bonn. Hier hätten die Überlebenden wichtige Verabredungen über die Zukunft Westdeutschlands getroffen. Dies belegt sein folgendes Statement: Das Know-How der deutschen Industriellen wird im westlichen Block dringend wieder gebraucht. Den in Landsberg einsitzenden Industrie-Managern von Flick, Krupp und IG Farben bleibt nicht verborgen, dass sich der Ost-West-Konflikt zusehends verschärft. ,Seit der Korea-Krieg ausgebrochen ist, sind die Amerikaner viel freundlicher zu uns‘, sagt Krupp-Direktoriumsmitglied Fritz von Bülow. Die Amerikaner erlauben den Konzernchefs Direktoriumssitzungen im Gefängnis, Krupp lernt
124 Ich zit. nach dem von Lutz Hachmeister erstellten Textbuch des Films. Ich danke Herrn Prof. Hachmeister und seinem Mitarbeiter Christian Wagener für die Überlassung des Scripts und die Genehmigung, daraus zu zitieren. Hier TCR: 33:49– 34:15. 125 TCR: 34:47–35:53. 126 TCR: 35:53–36:26.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
daneben auch Spanisch. In der Schule des War Criminals Prison, beim Skat- und Bridgespielen, besprechen die Krupp- und Flick-Leute neue Projekte.127
Konrad Kaletsch und Odilo Burkart, die sich auf freiem Fuß befanden, fungierten als Statthalter, so lange Flick in Haft war: Kaletsch in der Düsseldorfer Zentrale mit dem Anschluß an das Ruhrrevier, Burkart (und Alfred Rohde) an den wichtigsten verbliebenen eisenindustriellen Standorten. Dieses Modell hatte in den nächsten zwanzig Jahren Bestand. Ihre vordringlichste Aufgabe bestand darin, den nur noch auf dem Papier existierenden Konzern wieder entscheidungs- und handlungsfähig zu machen, was ihnen langfristig gelang. Die Nürnberger Prozesse sollten nicht nur der Entnazifizierung und politischen Umerziehung dienen, sondern große Konzerne, die Hitlers Kriegspolitik unterstützt hatten, entflechten, demontieren und sozialisieren. Als Flick im August 1950 wieder auf die Bühne der Nachkriegswirtschaft trat, hatten seine Platzhalter und Treuhänder das Schlimmste abgewendet. Die politische Großwetterlage arbeitete für sie. Das Stichwort hieß Westintegration, denn im Sommer 1950 hatte der französische Außenminister Robert Schuman seinen Plan zur Gründung einer ,Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl‘ (EGKS) vorgelegt, in die die Bundesrepublik eingebunden werden sollte. „Mit dem Ende 1952 erreichten Ergebnis konnte die FFKG-Führung zufrieden sein. Die mehrjährigen Bemühungen, die alliierten Demontage- und Dekonzentrationsprogramme abzuwehren, waren erfolgreich abgeschlossen worden. Dem Abbruch für Reparationszwecke fiel im Westen nicht ein einziger Konzernbetrieb zum Opfer, und die Kontrolle über die Einzelunternehmen lag seit 1950 wieder in Flicks Händen“.128 Die Maxhütte gehörte 1955 wieder zu 100% der FFKG.129 Schon früh wurden von verschiedenen Seiten Gnadengesuche eingereicht, die meist von den Verwandten der Verurteilten ausgingen, die sich vielfach großer Firmen und militärischer Vereinigungen bedienten. In der Sache wurde juristisch argumentiert, die Taten der Verurteilten seien, gemessen an denen anderer, halb so schlimm. Hochkommissar John J. McCloy befaßte sich persönlich mit diesen Eingaben, selbst wenn für „Endlöser“, die nur milde Strafen erhalten hatten, gebettelt wurde.130 127
TCR: 37:10–37:50. Vgl. dazu im einzelnen Kim Christian Priemel, Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen, 2007 (Moderne Zeit. Neue Forschungen zur Gesellschafts- und Kulturgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts; 17), S. 689. Der Flick-Prozeß ist auf S. 616–650 beschrieben, das „Comeback“ auf S. 651– 689; Bähr (2008), S. 559–645. 129 Dazu Dietmar Süß, Kumpel und Genossen. Arbeiterschaft, Betrieb und Sozialdemokratie in der bayerischen Montanindustrie 1945 bis 1976, München, 2003 (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte; 55), S. 26 f., 115. 130 Thomas A. Schwartz, Die Begnadigung deutscher Kriegsverbrecher: John J. McCloy und die Häftlinge von Landsberg, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 38, 1990, 3, S. 375–414. 128
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Der Gnadenapparat reichte bis ins Landsberger Gefängnis und ging durch die Hände Bohles, der Kempner darüber berichtete. Er, der reuige Sünder, mußte in den Vorzimmern des Gefängnisses arbeiten, weil einige ehemalige SS-Angehörige ihm mit Mord drohten und ihn während des Hofgangs belästigten. Sie verhielten sich so, weil er als einziger die schreckliche Wahrheit ausgesprochen hatte, daß die sog. Endlösung das furchtbarste Verbrechen des Jahrhunderts gewesen sei. Auf eigenen Wunsch wurde seine Zelle nachts verschlossen. „Er war nicht von ihrer Partei und wurde infolgedessen im Gefängnis als Verräter charakterisiert“.131 Diesen Vorwurf soll beispielsweise SS-Obergruppenführer Josias Prinz zu Waldeck und Pyrmont gegen ihn erhoben haben.132 Bohle hatte bereits in der Nürnberger Haft für die die Häftlinge bewachenden GIs Liebesbriefe übersetzt und dafür von ihnen mancherlei kleine, nicht von „oben“ genehmigte Hafterleichterungen erhalten. Er hatte das Recht, anderen Gefangenen morgens Kaffee in die Zelle zu bringen und durfte als einziger deutscher Insasse die Armeezeitschrift „Stars and Stripes“ lesen. Er hat seinem Sohn später erzählt, besonders habe ihn der ehemalige SS-Gruppenführer und Leiter der Einsatzgruppe D, Otto Ohlendorf, schockiert.133 Dieser habe in seiner Zelle ein Photo seiner fünf Kinder hängen gehabt. Eines morgens sei auf der Titelseite von „Stars and Stripes“ ein Bericht über Ohlendorf angekündigt worden, der ihm tausendfachen Massenmord vorwarf. Auf Bohles Frage, ob das stimme, habe Ohlendorf zugestimmt. Als Bohle nachfragte, wie er das habe verantworten können und ob er keine Skrupel gehabt habe, Kinder im Alter seiner eigenen töten zu lassen, habe Ohlendorf dies verneint, da es sich um „Untermenschen“ gehandelt habe. EWB erhielt bereits im Nürnberger Justizgefängnis Zigaretten und Schokolade für seine Dienste, die er zum Teil an andere Gefangene abgab. Dies änderte sich auch in Landsberg nicht, so daß Bohle mit Alfried Krupp und Friedrich Flick eine Art „kameradschaftlichen Miteinanders“ praktizierte, wie er später zu seinem Sohn sagte. Konrad Kaletsch und Günther Paefgen haben das bestätigt. Kaletsch, ein Vetter Friedrich Flicks, hatte nach Abschluß einer kaufmännischen Lehre auf Rat und mit dem Geld seines Verwandten Wirtschaftswissenschaften, Jura und technische Fächer studiert und 1937 als Generalbevollmächtigter das ,Berliner Büro‘ des Flick-Konzerns übernommen. Er war 1938 in die Partei eingetreten und 1941 Wehrwirtschaftsführer geworden.134 Auch er 131
Kempner, Ankläger, S. 389–390. Anke Schmeling, Josias Erbprinz zu Waldeck und Pyrmont. Der politische Weg eines hohen SS-Führers, Kassel, 21998 (Nationalsozialismus in Nordhessen – Schriften zur regionalen Zeitgeschichte, hrsg. von Dietfrid Krause-Vilmar; 16). 133 David Kittermann, Otto Ohlendorf – ,Gralshüter des Nationalsozialismus‘, in: Smelser/Syring, S. 379–393. Die Aussage Ohlendorfs berichtet Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). 134 Bähr (2008), S. 182–183; 1002. 132
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
wurde im Flick-Prozeß angeklagt, jedoch freigesprochen. Günther Paefgen hatte nicht auf der Anklagebank gesessen, obwohl er dem Flick-Management angehörte.135 Der Landsberger Gefängnisdirektor Oberst W. R. Graham beschäftigte EWB als Dolmetscher, Übersetzer und Bürohilfe und bescheinigte ihm bei seiner Entlassung eine vollendete Dienstauffassung.136 Bohle resümierte diese Zeit ironisch: „In Landsberg war ich in gemischter Gesellschaft: Fürsten, Bankiers, Feldmarschälle und Geldschrankknacker. Ich war das Vorbild eines Gefangenen. Man hat mir ein Jahr geschenkt. Ich bin mit einem ganz vorzüglichen Zeugnis entlassen worden“.137 Er ließ sich nach Hamburg entlassen, nicht nach Vollmerhausen, wo Frau und Sohn bei dem Schwiegervater wohnten. Als Heimatadresse gab er den Wohnsitz seiner Mutter in Hannover-Kirchrode (Ostfeldstraße 24) an. In Hamburg lebte Elisabeth Gombel, und dort war es leichter, sich eine neue Existenz aufzubauen.138 Hamburg scheint für viele ehemalige Nazis ein attraktiver Aufenthaltsort gewesen zu sein. Nicht nur der Hafen war für schnelle Fluchtmöglichkeiten offen, die Stadt war auch ein bedeutendes Pressezentrum, wo jemand mit publizistischer oder propagandistischer Erfahrung einen Neuanfang versuchen konnte.139 Bohle lebte mindestens bis 1951 mit Dr. Gombel zusammen, die ihn, wie sie 1951 dem Reporter der „Heidepost“ erzählte, zum „demokratischen Glauben“ bekehrte.140 135 Vgl. einen Brief von Günther Paefgen (2.6.1959), der in dieser Form an mehrere einflußreiche Wirtschaftsbosse geschrieben wurde: „Als Anlage übersende ich Ihnen Fotokopie eines an mich gerichteten Schreibens von Herrn Dipl.-Kfm. Ernst W. Bohle, Hamburg, vom 1. d. M. mit der Bitte um gefl. Kenntnisnahme. Herr Bohle ist Herrn Dr. Flick und den anderen Herren unserer Gruppe in der Nürnberger Zeit sehr behilflich gewesen. Sollten Sie deshalb eine Möglichkeit sehen, dem Wunsch von Herrn Bohle zu entsprechen, so wären wir Ihnen sehr dankbar“ (Kopie Privatarchiv FRH). 136 Zeugnis von Col. Inf. W. R. Graham (17.12.1949): „I have known Ernst W. Bohle since 14 June 1949. Since this time he has worked under my personal direction as interpreter, translator and secretary at this institution. In running my secretary’s office he has displayed high ability, organizational talent and tact. In his position of trust he never abused the confidence I placed in him. Due to his command of both the English and German languages he is an exceptionally skilled interpreter and translator. His manner of performance and conduct have at all times been superior, and he is definitely a model prisoner whose sincerity and spirit of co-operation are appreciated“ (Kopie Privatarchiv FRH). Ähnlich das Zeugnis von Deputy Prison Director Capt. T. M. Love (16.12.1949) (ebd.). 137 Heidepost (Lüneburg), Nr. 9, 2.3.1951, S. 7. 138 Die Registrierung in Hamburg erfolgte am 9.1.1950 (Kopie Privatarchiv FRH). DIE WELT vom 4.3.1950 meldet, EWB wohne zunächst bei Bekannten in Othmarschen, es sei jedoch noch nicht entschieden, ob er auf Dauer in Hamburg bleiben dürfe. 139 Hachmeister, Der Gegnerforscher, S. 305–306. 140 1951 plante sie, wie man einem Brief Gustav Adolf Steengrachts (Moyland, 25.9.1951) an EWB entnehmen kann, den Assessor zu machen. Sie scheint in dieser Zeit zwischen New York und Hamburg hin und her gependelt zu sein, wie man dem Brief eines sonst nicht zu identifizierenden „Bill“ entnehmen kann. Recherchen über
4. Exkurs: Heinrich Bohle
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Beileibe nicht alle Mitgefangenen waren EWB feindlich gesonnen. Der Nachfolger Weizsäckers als Staatssekretär, Baron Gustav Adolf Steengracht von Moyland,141 Bohles Zellennachbar in Nürnberg und Oberursel, der im Wilhelmstraßen-Prozeß zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war und im Januar 1950 freikam, schrieb ihm gelegentlich sehr freundschaftlich. Er hatte sich auf sein Schloß zurück gezogen und lebte als Landwirt.142 Auch ehemalige Mitarbeiterinnen aus der AO-Zentrale hatten sich nach Kriegsende wiedergefunden, trafen sich regelmäßig und schickten Bohle zu den Festtagen Grüße.143 Im öffentlichen Bewußtsein wurden die Verurteilten der Nürnberger Nachfolgeprozesse nicht als Kriminelle betrachtet und konnten ihre gesellschaftliche Position behaupten. „[I]hre zeitweilige Inhaftierung galt im Lande als eine Art Kriegsgefangenschaft, eine Kavaliershaft, die die Amerikaner seinerzeit aus längst hinfälligen Propagandagründen mit Schauprozessen verbunden hatten“.144 Einer gesellschaftlichen Reintegration stand demnach nichts mehr im Wege. 4. Exkurs: Heinrich Bohle Ernst Wilhelm Bohles Halbbruder Heinrich, von verschiedenen Personen bisweilen leicht abschätzig „Heini“ genannt, war bei Kriegsende Konsul I. Klasse (Oberregierungsrat) am deutschen Generalkonsulat in Zürich. Ihm drohte zu ihren weiteren Werdegang beim Bezirksamt der Freien und Hansestadt Hamburg, Bezirksamt Altona, Fachamt Einwohnerwesen, Abt. für Einwohnerdaten, blieben ergebnislos (Auskunft vom 17.3.2008). Gombel und Bohle wohnten in Hamburg-Othmarschen, Bernadottestr. 79a. 141 Joachim Lilla, Adolf Baron Steengracht von Moyland (1902–1969), letzter Staatssekretär des Auswärtigen Amtes im ,Dritten Reich‘; eine biographische Annäherung, in: Der Niederrhein 71, 2004, 3, S. 129–136. 142 Steengracht (Moyland, 21.12.1950) an EWB: „Von Landsberg höre ich wenig. Neulich besuchte ich Frau Pleiger in Buchholz. Damals hoffte sie noch auf eine Rückkehr von Paule [= Paul Pleiger, Reichsbeauftragter für Kohle, zu 15 Jahren Haft verurteilt, im März 1951 entlassen, FRH] vor Weihnachten, ebenso Frau Lorenz auf ein Wiedersehen mit Werner [= Werner Lorenz, SS-Obergruppenführer, zu 20 Jahren verurteilt, am 2.11.1954 entlassen, FRH] in Freiheit. Wissen Sie oder Bettyfrau [= Dr. Elisabeth Gombel] etwas, wie es mit den Verbliebenen aussieht? Rasche [= Karl Rasche, Bankier bei der Dresdner Bank und SS-Obersturmbannführer, zu 7 Jahren verurteilt, FRH] ist wieder sehr tätig in Düsseldorf. In seiner alten Sache aber hat er offenbar nicht wieder Fuss gefasst. – Meine Landwirtschaft geht sehr schleppend. Man hat halt doch durch die zu späte Rückkehr eine Menge Möglichkeiten verloren, vor allem hätte man rechtzeitig Ex- u. Import beginnen sollen. Jetzt ist es fast unmöglich Lieferungen zu bekommen. Ich habe mich nämlich mal ein bißchen auf diesem Gebiet betätigt“ (Kopie Privatarchiv FRH). 143 Erhalten sind Briefe mit den Unterschriften von Gertrud Kretzschmar, Grete Kiewiet, Hilde Schultze, Margarete Gerlach, C. Hansen, Margarete Neumann, Käte Kölsch-Hoffmann, Greta Marquart, Ursel Wildenham, Krenkel und Höbsch (Briefe Berlin, 18.10.1950 u. 20.12.1950, Kopien Privatarchiv FRH). 144 Jörg Friedrich, in: Wollenberg, S. 98.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
diesem Zeitpunkt wie allen deutschen Beamten und Diplomaten in der Schweiz die sofortige Ausweisung. Diese wurde vom Schweizerischen Bundesrat am 29. Mai 1945 tatsächlich beschlossen. Heinrich Bohle wandte sich in dieser Situation über die Politische Polizei in Zürich an die Schweizerische Bundesanwaltschaft in Bern, um ein Bleiberecht zu erwirken. Er begründete dies damit, daß er eigentlich britischer Staatsangehöriger sei, sich in der NS-Zeit völlig unpolitisch verhalten habe und aus gesundheitlichen Gründen in der Schweiz leben müsse, wo sein Lungenleiden bereits Besserung erfahren habe. Als die Schweizer Behörden ihn in den Interniertenheimen Bellevue-Speer in Weesen (Kanton St. Gallen) bzw. Krone in Churwalden festsetzten, schrieb er in seiner Verzweiflung an das US-amerikanische Generalkonsulat in Zürich, um den Amerikanern seine Dienste anzubieten. „I feel I could help materially in a liaison capacity between the AMGOT and the German authorities – by transmitting instructions and what is more, seeing to it that those instructions are carried out in the right spirit“.145 Er kämpfte drei Jahre mit der Bundesanwaltschaft um ein Bleiberecht, das der Schweizerische Bundesrat ihm und seiner jüngsten Tochter am 7. Januar 1947 gewährte, wenngleich nicht auf Dauer, so daß er immer wieder Verlängerungsanträge stellen mußte. Seine Frau und seine beiden Söhne mußten die Schweiz verlassen. Er selber erhielt eine Arbeitserlaubnis und machte sich als technischer und juristischer Übersetzer unentbehrlich. Zu seinen Gunsten sprach weiterhin, daß er von den Schweizer Justizbehörden mit dem Berner Vizekonsul und SD-Mann Hans Bohlen verwechselt worden war und daß er wichtige Informationen über ehemalige Nazis der deutschen Kolonie in der Schweiz mitteilen konnte.146 Heinrich Bohles Eingaben sind in mehrfacher Hinsicht interessant. Sie liefern Einblicke in die Mentalität der Auslandsdeutschen und dokumentieren zugleich, welche Schwierigkeiten diese Gruppe vor und nach dem Zweiten Weltkrieg sowohl beim Verbleib im Ausland als auch bei der Rückkehr nach Deutschland hatte. Ein Eintritt in die NSDAP, die ihnen Betreuung und Förderung versprach, schien für viele vor 1933 der naheliegende Schritt zu sein. Heinrich 145 H. Bohle, Memo, Zürich, 1.9.1945, Original NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946. – Die Personalakte des AA (Berlin, PA AA Personalia 1370–1372) ist unergiebig und enthält nur Anträge auf Gehaltserhöhung. Vgl. auch Bern, Bundesarchiv: E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956); E 2001 (E) (EPD, Abteilung für politische Angelegenheiten, 1967/113, Az. A.44.10.2, Bohle Heinrich, 1894, Zürich, Band 76, 1947). Diese etwa 400 ungezählte Bl. umfassende Akte dokumentiert Bohles Bemühungen, seine politische Harmlosigkeit, seinen prekären Gesundheitszustand wie den seiner Kinder sowie die Tatsache, daß er eigentlich Brite und nicht Deutscher sei, zu beweisen. Alle wichtigen Dokumente finden sich auch in NARA, RG 226 Records of OSS. 146 Vgl. Abhörungsprotokoll, Churwalden, 16.5.1946, in: E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956).
4. Exkurs: Heinrich Bohle
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Bohle war bereits am 1. März 1932 in Südafrika in die AO der NSDAP eingetreten, folgte aber im Jahr 1934 seinem Bruder nach Deutschland, der dort inzwischen die Führungsposition der AO erlangt hatte. Heinrich Bohle nutzte seine verwandtschaftliche Position zwar niemals aus, aber der Name Bohle dürfte ihm eine Anstellung erleichtert haben. Er kam im Sprachendienst des Propagandaministeriums unter und wechselte später in den diplomatischen Dienst über. Am Generalkonsulat in Zürich war er ab 1941 für die Ausstellung von Heimatscheinen zuständig und konnte aufgrund der gemachten Erfahrungen zunächst dem Auswärtigen Amt, später den Amerikanern einen höchst kritischen Insiderbericht über die Reibungen zwischen Berufsdiplomaten und Parteifunktionären liefern, da die letztgenannte Gruppe aus seiner Sicht für den diplomatischen Dienst völlig untauglich war. Sicherlich muß man seine Ausführungen, die in apologetischer Absicht geschrieben wurden, kritisch lesen, doch liefern sie zahlreiche, sonst nicht zu erhaltende Informationen. Heinrich Oskar Bohle wurde am 17. Oktober 1894 in Hagen als unehelicher Sohn von Antonie Knode geboren und führte zunächst den Namen seiner Mutter. Sie folgte ihrem späteren Ehemann Hermann Bohle, vermutlich im Jahr 1897, nach Birmingham, wo das Paar im Stadtteil Aston noch im gleichen Jahr standesamtlich heiratete. Heinrich Knode wurde in dem Glauben erzogen, Hermann Bohle sei sein leiblicher Vater, zumal er Heinrich Bohle genannt wurde. Hermann Bohle unternahm jedoch keine Schritte, um ihn zu adoptieren. Heinrich erfuhr erst mit 17 oder 18 Jahren die Wahrheit über seine Herkunft, was einen großen Schock in ihm auslöste.147 Da ihn in Südafrika und Großbritannien niemand nach einer Geburtsurkunde fragte, konnte er sich unter dem Namen Bohle in Kapstadt und Birmingham für ein Studium der Elektrotechnik einschreiben (1913–1916), sich mustern lassen (1914),148 heiraten (1916) und einem Beruf nachgehen (ab 1916). Erst 1924 erwarb er mit Hilfe des katholischen Pfarrers und des Zentrumsabgeordneten seiner Geburtsstadt Hagen in Deutschland käuflich das Recht, den Namen Bohle zu führen.149 Mit Hilfe von François Stephanus Malan, dem damaligen südafrikanischen Minister of Mines and Industries, von Sir Robert Kotze, Government Mining Engineer, und Prof. J. G. Lawn, Chairman of the Johannesburg Consolidated Investment and Mining Corporation, Bekannten seines Stiefvaters, wurde er im November 1916, obwohl er sein Studium nicht abgeschlossen hatte, als Bergwerksingenieur in den Johannesburger Goldminen angestellt. Hier arbeitete er bis 1923, als sich An147 Den Namen seines leiblichen Vaters – Peuther – erfuhr er erst, als er als Angestellter des Propagandaministeriums einen Ariernachweis erbringen mußte. 148 Personal Record Book – Persoonlik Zakboekte A 3870, ausgestellt am 22.4. 1914. Dieses und die folgenden Unterlagen in Kopie NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946. 149 Erlaß IIId 2711/24 des Preußischen Justizministers, Berlin den 21.6.1924, Zusatz zu Heinrich Bohles Geburtsurkunde. Dafür waren 300 Goldmark zu entrichten.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
zeichen einer Silikose (Staublunge) mehrten. Er beteiligte sich nicht am großen Streik der Minenarbeiter in Witwatersrand im März 1922,150 sondern hielt der Van Ryn Deep Ltd. in Benoni die Treue. Seine erste Frau, die englische Staatsangehörige Violet Vadasz, und seine Tochter Antonie wurden von den Rebellen verschleppt, später aber wieder freigelassen. Obwohl er bisher für den Militärdienst untauglich gemustert war, ließ er sich während des Streiks zum Special Constable ernennen.151 Im Jahr 1923 starb seine erste Frau. Heinrich Bohle kehrte nach 25jähriger Abwesenheit nach Deutschland zurück, ein Land, das ihm völlig fremd war. Er sprach besser Englisch als Deutsch und hatte trotz des deutschen Familienambientes als britischer Südafrikaner gelebt. Heinrich erwarb von seinen Ersparnissen (£ 1.000 in Gold) einen landwirtschaftlichen Betrieb bei Hamburg, wurde jedoch von dem angeblichen Verkäufer und dem Notar um sein Geld geprellt. Wie sein Halbbruder Ernst Wilhelm, mit dem er sich gut verstand, nahm er deshalb bei der Firma BOLKO in Bergneustadt eine Stelle als Handelskorrespondent für Englisch an. Im Jahr 1925 heiratete er Ilse Dick, ein Mädchen aus dem Ort. Diese Ehe wurde später geschieden. Nach nur vierjährigem Deutschlandaufenthalt kehrte er 1929 nach Kapstadt zurück, wo er als Vertreter für britische und deutsche Firmen arbeitete. Er wohnte wieder bei seinen Eltern. Nachdem Ernst Wilhelm Bohle in Hamburg 1931 in die Auslandsabteilung der NSDAP und ein Jahr später in die Partei eingetreten war, taten auch seine Eltern, seine Halbschwester Hanny und Heinrich diesen Schritt. I had had experience at first hand of post-war social and economic conditions in Germany. Reparations, the burden of the Treaty of Versailles, the occupation of the Rhine and Ruhr territories, a vast army of unemployed, starvation and distress everywhere, black troops (in South Africa we had a color bar) – disabled soldiers begging in public and last but not least, a core and more of political parties. All this chaos left a deep impression on my mind. South Africa with its peaceful and ordered social structure was indeed a haven of rest. I joined the NSDAP in the hope that my small financial support by way of subscriptions would in a small measure help to improve conditions in the land of my birth. No political office, however, has ever been attached to my membership.152
Nachdem er Mitte 1934 wieder nach Deutschland zurückgekehrt war, wurde er, wie gesagt, freier Mitarbeiter der Abteilung Ausland (offiziell: Ausland150 Thomas Karis/Gwendolen M. Carter, From Protest to Challenge. A Documentary History of African Politics In South Africa, 1882–1964, Vol. 1, Stanford: Hoover Institute Press, 1972. 151 South African Police – Certificate of Appointment, Benoni, 14.3.1922: „It is hereby certified that H. BOHLE has been appointed a Special Constable in the South African Police under the terms of and with the powers, functions, and privileges conferred by the South African Police Act, 1912, for a period of one month from this date“. 152 H. Bohle, Personal Record, Zürich, Im Schilf 10, 5.6.1945, Kopie NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946, hier S. 4–5.
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Pressebüro G.m.b.H Dr. James Murphy)153 des ,Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda‘, am 1. Juni 1938 Referent des England- und Dominionreferats in der gleichen Abteilung. Das Büro unterstand dem vortragenden Legationsrat a.D. Dr. Walther Heide, einem Bekannten seines Bruders Ernst Wilhelm.154 Murphy war ein irischer katholischer Priester, der sein Amt ohne Genehmigung der Kirchenoberen ruhen ließ und eine Familie gründete. Der irische Paß machte ihn zum Angehörigen eines neutralen Landes und erlaubte ihm Reisen auch in Kriegs- und Krisenzeiten. Er hatte nach dem Ersten Weltkrieg in den USA und Italien gearbeitet. Als er 1938 als angeblich politisch unzuverlässig in Ungnade fiel und Deutschland verlassen mußte, wurde seine Abteilung aufgelöst. Sein Urteil über Heinrich Bohle war ablehnend.155 Bohle übersetzte aus dem Deutschen ins Englische, vor allem offizielle Dokumente und Weißbücher für das eigene Ministerium und andere NS-Dienststellen (Terramare Office, KdF, NS-Frauenschaft, NS-Volkswohlfahrt usw.). Eine Zeitlang gehörte er zu einer Equipe unter Murphys Leitung, die „Mein Kampf“ ins Englische übertrug.156 Häufig dolmetschte Heinrich Bohle, wenn englische oder amerikanische Gäste der Reichsregierung nach Berlin kamen. Er begleitete Ehrengäste zu den Reichsparteitagen nach Nürnberg und war an Bord, als das Paradeschiff der KdF-Flotte, die „Wilhelm Gustloff“, ihre Jungfernfahrt nach Madeira antrat. Hier fungierte er als Dolmetscher und Begleiter für John Scanlon von der British Labour Party sowie für Archibald Crawford und Godfrey Turton von der BBC, die im Bush House (Strand) in London residierte. Bei anderer Gelegen-
153 Einzelheiten bei Pöckinger, S. 463–465 (mit Photo Murphys); James Barnes/ Patience P. Barnes, Hitler’s Mein Kampf in Britain and America: a publishing history 1930–39, Cambridge [u. a.]: Cambridge Univ. Press, 1980, S. 51–72. Murphys Sekretärin war Greta Kuckoff geb. Lorcke, die heimlich der Widerstandsgruppe ,Rote Kapelle‘ angehörte. Heinrich Bohle wird auf S. 59–60 erwähnt. Murphy war ohne Original oder Kopie seiner Übersetzung von „Mein Kampf“ aus Deutschland abgereist und schickte seine Frau nach Deutschland, um im Propagandaministerium eine Kopie zu besorgen. Dabei sollte ihr Heinrich Bohle helfen, der sich jedoch nicht einspannen ließ. Sie schreibt: „Heini was an ignoramus and drove James nearly mad“. 154 BHDAD, Bd. 2 (2005), S. 230–231. Vgl. Kap. II.3. 155 Barnes/Barnes (1987), S. 182: „In the spring of 1935 [. . .] Bohle was brought into the Ministry as James’ collegue. ,Heini‘, as James liked to call him, was the epitome of the self-serving fanatic with no qualifications for his job other than impeccable family connections and an unwavering loyalty to the Party. His brother was the director of the Nazi Party’s Foreign Organization (Auslands-Organisation), and it was he who was responsible for Heinrich’s being given the assignment of liaison officer between the AO and the Propaganda Ministry. Since this job entailed keeping both organizations in touch with each other, James quite naturally became acquainted with some of the leaders of the AO“. 156 Diese Übersetzung ist tatsächlich erschienen: Adolf Hitler, Mein Kampf: 2 vol. in one. Transl. and annotated by James Murphy. Unexpurgated ed., London: Hurst Blackett, 1939. Von James Vincent Murphy (1880–1946) stammen auch die Bücher: Adolph Hitler, the drama of his career, London: Champman Hall Ltd., 1934, bzw. Who sent Rudolf Hess?, London-Melbourne: Hutchinson, 1941.
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III. Der Wilhelmstraßen-Prozeß
heit führte er Sidney Taylor von der „Mail“ (Birmingham) und Norman Hillson (George Routledge & Sons, London) durch die Reichshauptstadt.157 1940 holte EWB seinen Bruder, der inzwischen wiederverheiratet war, ins Auswärtige Amt, zunächst als Wissenschaftlichen Hilfsarbeiter und Kurier, danach als Referenten in der englischen Abteilung des Sprachendienstes. Dieser unterstand dem Vortragenden Legationsrat Paul Gautier.158 Heinrich Bohle arbeitete mit britischen Internierten zusammen, deren Namen er 1945 dem britischen Generalkonsul in Zürich, Walker, mitteilen mußte.159 Bohle wurde zum Regierungsrat befördert, wechselte mit Erlaß vom 21. März 1943 aus gesundheitlichen Gründen als Konsul nach Davos und wurde noch im gleichen Jahr (10. Juni) Konsul 157
„Die Labour Kreise in England interessierten sich sehr für das Soziale in Deutschland und wünschten weitere Einzelheiten. Mich interessierte diese sozialpolitische Seite meiner Arbeit. Von Zeit zu Zeit hatte ich Gelegenheit, britische Autoren [. . .] herumzuführen. Nach Rückkehr des Herrn Dr. Murphy im Jahre 1939 nach England hatte ich eine wertvolle Stütze verloren. Ich wurde jetzt als Referent in der England-Sektion der Auslands-Abteilung des Propagandaministeriums übernommen. Dort war ich erstaunt über die Verständnislosigkeit meiner Umgebung gegenüber der englischen Mentalität. Die meisten Herren hatten England beziehungsweise das englisch sprechende Amerika überhaupt nie gesehen. Von einer gründlichen Kenntnis der englischen Sprache war überhaupt nichts zu merken. Solche Herren jedoch wollten ,aufklärend‘ wirken: Diese dadurch hervorgerufene unbefriedigende Zusammenarbeit veranlasste mich – nach knapp einjähriger Tätigkeit – zu kündigen und mich um eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter im Sprachendienst des Auswärtigen Amtes zu bewerben, welche Stelle ich am 1. Januar 1940 antreten konnte. Durch den Krieg wurden meine Verbindungen mit England abgerissen und als Leiter der englischen Sprachgruppe im Sprachendienst des Auswärtigen Amtes hatte ich mich, mit Hilfe eines Stabes von freigelassenen Engländern aus der Internierung, lediglich mit Uebersetzungen in die englische Sprache zu befassen“ (Anlage 16 zu ,Fragebogen und Lebenslauf‘, vermutlich der OSS-Sektion Zürich [Overseas Secret Service]), Kopie NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946. 158 Als gute Bekannte nennt Heinrich Bohle auch den Obmann der Französischabt., den belgischen Staatsangehörigen Henri Henquinez, sowie den Schweizer Rudolf Burckhardt, der bis 1943 mehrere Schweizer Tageszeitungen in Berlin vertrat und später in Zürich ein technisch-wissenschaftliches Übersetzungsbüro unterhielt, vgl. Heinrich Bohle an Herrn Fürsprech Amstein, Schweizerische Bundesanwaltschaft Bern, Zürich 21.8.1946, in: Bern, BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956). 159 H. Bohle, Zürich, 2.7.1945, H.M. Acting Consul-General, Zürich: „By revealing the names of the British co-workers attached to my staff, I hope I shall not be letting them in for any trouble. These poor chaps, scholars everyone of them, were summarily uprooted from their professions and interned at the outbreak of the war. I gathered from them that their lot in camp was anything but pleasant. Naturally they jumped at the idea of a clean bed, hot bath, better food and all the amenities of city life – despite war – when they were asked by the Auswärtiges Amt whether they would care to take on translation work. I did my best for them, – brought man and wife and children together again and had them properly housed in good flats or rooms. As the Swiss authorities have given me a few weeks grace to settle my affairs I shall be in a position to answer any questions which you or His Majesty’s Minister might care to submit“ (Kopie NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946).
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I. Klasse am Generalkonsulat in Zürich, wo er bis zu dessen Auflösung am 8. Mai 1945 blieb.160 Gerüchte, er sei in einem „Sonderauftrag“ seines Bruders gekommen, entbehren jeglicher Grundlage, da er als Beamter des Auswärtigen Amtes besoldet wurde. Bohle beschreibt die Zustände im Zürcher Generalkonsulat als desaströs. Das Publikum habe sich über die abweisende Behandlung beschwert, die z. T. auf das Ineinandergreifen von Staat und Partei zurückzuführen gewesen sei. Heinrich Bohle, der noch nie als Konsul gearbeitet hatte, überließ Vizekonsul Gerhard Graf den Platz des stellvertretenden Behörden-Leiters und übernahm die Heimatscheinabteilung, wobei er sehr großzügig verfuhr. Zu diesem Zeitpunkt reichte eine polizeiliche Anmeldung oder, im Ausland, die Anmeldung beim zuständigen deutschen Konsulat nicht, um ein Recht auf Arbeit und Sozialversorgung in Deutschland zu erhalten. Diese „Privilegien“ waren an den sog. Heimatschein gebunden, um den sich jeder Deutsche eigens bewerben mußte. Seine Vergabe oder Verweigerung diente aber auch zur Diskriminierung deutscher Juden. Die Leitung der AO in Bern war der Ansicht, daß Reichsdeutsche in der Schweiz, die nicht Mitglied der Partei oder einer ihr angeschlossenen Gliederung waren, nur kurzfristige Papiere erhalten sollten. Die Partei pochte wegen der Zuspitzung der militärischen Lage auf Rückführung aller deutschen Reichsbürger. Die im Bezirk Zürich lebenden Hausangestellten wurden vorgeladen, um Fragen des Arbeitseinsatzes und der Gesinnung zu prüfen. Insbesondere ,Halbjuden‘ wurden deutsche Papiere verweigert. „Und wenn ich nicht als ,Bruder des Gauleiters‘ eine gewisse – von mir durchaus nicht gewünschte – Immunität besessen hätte, wäre meine Abberufung längst Tatsache geworden“. Viele Besucher seiner Heimatscheinabteilung hätten sich über Mißwirtschaft, Großmannssucht und Verschwendung der Funktionäre der AO bei ihm beschwert. Sollte man sich wundern, dass ich mehrmals das Ansuchen des Herrn Stengel – sein Sorgenkind, die Reichsdeutsche Gemeinschaft und Ortsgruppe Zürich – zu übernehmen ausdrücklich abgelehnt habe. Wundert man sich ferner, dass ich mich fernhielt von den öfters in Bern stattfindenden ,Stabsbesprechungen‘ und niemals ein politisches Amt bekleidete? Wenn ich da und dort inoffiziell eingriff, um Ordnung zu schaffen, so waren es nicht Pflicht-, sondern rein menschliche Gründe, die der Ehre meines Landes – des Volkes – und nicht zuletzt mir selbst galten, weil ich eben unter einer solchen Unsauberkeit litt.161
Störend habe sich auch das Eingreifen von Sonderbeauftragten des SD der SS bemerkbar gemacht, die Kontakte zu ihren „Kollegen“ im Lande gesucht hätten. Die Schweizer Presse habe sich häufig über sie und ihre illegalen Aktivitäten 160 H. Bohle macht in seinem Personal record ungenaue Angaben. In Afrika war er von 1931 bis 1934 Werbeleiter der Landesgruppe der NSDAP gewesen und wurde in Berlin Gauhauptstellenleiter z. b. V. der AO, vgl. BHDAD, Bd. 1 (2000), S. 209–210. 161 H. Bohle, Memo, Zürich, 22.7.1945, Kopie NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946, S. 6.
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erregt. Besonders heftig kritisierte Heinrich Bohle die Amtsführung des Konsuls Georg Böhme, später Konsul in Odense,162 der ihm in Davos ein Chaos hinterlassen habe. Er könne nicht verstehen, daß Dr. Werner Best, Reichsbevollmächtigter für Dänemark, ihn empfohlen habe. Wenn im Amtsbezirk Zürich die Parteigenossen Jokisch, Ludwig, Strasser u. a. wegen nachrichtendienstlicher Tätigkeit verurteilt worden seien, so habe er eine derartige Tätigkeit der AO stets aufs schärfste verurteilt. „Die A.O. hat leider in den letzten Jahren ,Pannen‘ genug mit ihren in den Staatsdienst vorgeschlagenen Männern gehabt, sodass wir ein weiteres Risiko [. . .] nicht eingehen sollten“, lautete sein Resümee.163 Bohle wurde 1946 aus der Internierung entlassen und erhielt dank seiner Bekanntschaft mit Emil Georg Bührle eine Stelle als Chefdolmetscher und Ausbilder bei der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon, Bührle & Co. in Zürich. Hier waren seine Dienste schon bald unverzichtbar, da die Firma in den USA und Indien eigene Fabriken unterhielt und die gesamte diesbezügliche Korrespondenz auf Englisch geführt wurde.164 Als ihn jedoch sein Bruder Ernst Wilhelm am 27. September 1958 in Zürich besuchte und standesgemäß im „Plaza“ (heute „Central Plaza Hotel“) residierte, wurde er nach wenigen Stunden von der Schweizer Polizei aufgesucht und des Landes verwiesen. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hatte am 7. November 1953 wegen seiner Gauleiter-Vergangenheit eine lebenslange Einreisesperre verhängt, diese jedoch bei früheren Besuchen 1954, 1955 und 1957 nicht „eröffnen“ können, was jetzt nachgeholt wurde. EWBs Versuch, beim Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement einen Rekurs zu erwirken, wurde am 23. Juni 1959 definitiv abgelehnt. Er sei ein prominenter Nazi, und die Bundesanwaltschaft habe sich seit 1935 mit ihm und seiner Auslandsorganisation beschäftigt.165 162
Biographische Angaben s. o., Kap. II.10, Anm. 332. H. Bohle, Durchdruck an Gesandten Bergmann, AA Berlin, Zürich, 14.2.1945, in: NARA, RG 226 Records of OSS. Entry 190A. Box 19. Folder 5. Heinrich Bohle Correspondence dated 31 March 1946. 164 Schreiben der Eidgenössischen Fremdenpolizei (7.2.1950) an die Schweizerische Bundesanwaltschaft Bern, mit der Bitte um Prüfung, ob Heinrich Bohles Bleiberecht verlängert werden könne: „Die Firma Bührle scheint zurzeit im Hinblick auf den ihr seitens der indischen Regierung zugegangenen 95-Millionen-Auftrag auf die Dienste eines bestqualifizierten Englischübersetzers unbedingt angewiesen zu sein. Mit Rücksicht auf die zu bearbeitenden schwierigen maschinentechnischen, patentrechtlichen und kaufmännischen Texte kann jedoch dem Unternehmen zurzeit keine gleichwertige schweizerische Ersatzkraft vermittelt werden“ [Kopie Bern, BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-9722, Bohle, Heinrich, 1894, Band 36, 1942–1956)]. Am 14.7.1956 entließ das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement Heinrich Bohle aus der polizeilichen Kontrolle und stellte dem Kanton Zürich anheim, eine dauernde Niederlassungsbewilligung auszusprechen. 165 Bern, BA E 4320 (B) (EJPD, Polizeidienst der Bundesanwaltschaft, 1973/17, Az. C.02-17795, Bohle, Ernst, 1903, Band 104, 1943–1959). Zu Beginn dieser Akte findet sich eine Übersicht der verschiedenen Schweizer Polizeikommissariate und -direktionen (Zürich, St. Gallen), die sich seit 1935 mit EWBs Wirken befaßt hatten. 163
IV. Der mühsame Neuanfang 1. Werbeberater in Hamburg Bohle wurde wegen seines labilen Gesundheitszustandes und guter Führung,1 möglicherweise aber auch wegen seines Schuldbekenntnisses, nach nur sechsmonatiger Inhaftierung bereits am 21. Dezember 1949 im Rahmen der Weihnachtsamnestie aus dem Landsberger Gefängnis entlassen. Insgesamt war er 55 Monate lang in Haft gewesen. Zu seinen vorzeitigen Freilassung hatte auch die Intervention der 1920 gegründeten ,American Civil Liberties Union‘ (ACLU) beigetragen, einer Gesellschaft zum Schutz der Bürgerrechte, die ihn gegen die Anfeindungen seiner ehemaligen Genossen verteidigte.2 Bohle war zwar ein schwer herz- und kreislaufkranker, mitnichten jedoch ein „gebrochener“ Mann, wie Donald M. McKale schreibt.3 Er blieb nicht untätig, ließ kein Selbstmitleid aufkommen und versuchte, frühere Verbindungen zu aktivieren und sich als Industriekaufmann selbständig zu machen. Der Anfang war nicht leicht, denn er mußte sich zunächst mit einem Hausiererschein als Verkäufer von Oberhemden, Krawatten und Nachthemden durchschlagen. Die Ware fabrizierte die kleine Firma seines Studienfreundes und Mitburschen Hanns gen. Spunt Lehmann in Westerkappeln, Kreis Steinfurt.4 Als Lehmann später bei der Deutschen Bank in Wuppertal arbeitete, tauschte er mit EWB Aktientips aus, Zeichen ihres beiderseitigen Erfolgs. Aufgrund seiner vorzüglichen Englischkenntnisse wechselte Bohle schon bald ins Übersetzer- und Dolmetscherfach, wobei ihm die in den Gefängnissen von Nürnberg und Landsberg gemachten Erfahrungen zugute kamen. Er ließ sich bei allen englischsprachigen Generalkonsulaten und Konsulaten in Hamburg akkreditieren. Dies hatte ihm der SPD-Senat der Stadt Hamburg ermöglicht, und Bohle war sehr dankbar für die Fairness dieser Geste. Ein Brief seines Patenonkels Ernst Wilhelm Sr. aus Birmingham enthält den Hinweis, daß er bei seinen britischen und amerikanischen Partnern beliebt war und
1
DER SPIEGEL 48, 1966, S. 99. Hinweis in: Ernst Bohle, 57, Nazi aide, dead. Organizer of Fifth Columns Was Jailed for Being a Member of the S.S., in: New York Times, 13. November 1960. 3 McKale (1993), S. 36. 4 H. Lehmann, Nähereibetrieb (Westerkappeln, 25.4.1950) an E. W. Bohle: Er wolle ihm gerne auf die Beine helfen. „In meinen Artikeln ist noch allerhand zu machen [. . .] vom einfachen Zefiersporthemd bis zum besten Popeline Oberhemd ist bei mir alles zu haben. Ich pflege besonders das Versandgeschäft an Private. Mit Detaillisten kann man zu sehr reinfliegen.“ 2
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IV. Der mühsame Neuanfang
zu Beginn seiner Tätigkeit Zeitungsartikel übersetzte.5 Später wurde er freier Mitarbeiter der heute noch bestehenden Hamburger Dolmetscher- und Übersetzerzentrale Gerberding (Colonnaden 68). Voraussetzung für diese Tätigkeit war die erfolgreiche Entnazifizierung, die mit Beschluß des ,Staatskommissars für die Entnazifizierung und Kategorisierung der Hansestadt Hamburg‘ vom 16. Januar 1951 abgeschlossen wurde.6 Bohle wurde in die Kategorie III eingestuft, d.h. als Minderbelasteter. Damit verbunden waren der Ausschluß vom aktiven und passiven Wahlrecht, das Verbot einer Tätigkeit im öffentlichen oder halböffentlichen Dienst und der Verzicht auf Zahlung einer Pension oder sonstiger Versorgungsbezüge aus der Tätigkeit als Staatssekretär. Mitteilung dieses Urteils erging an das Statistische Landesamt, das Landesarbeitsamt, die Handelskammer und die Oberfinanzdirektion in Hamburg. Das Verfahren war im Mai 1950 eröffnet worden. Am 15. Oktober 1950 ordnete der Senat die Überprüfung von Bohles Unterlagen (Fragebogen, Nürnberger Urteil, eidesstattliche Erklärungen der Entlastungszeugen usw.) gemäß § 8 des Hamburger Gesetzes zum Abschluß der Entnazifizierung an. Staatssyndikus Dr. Wilhelm Drexelius wurde zum Berichterstatter ernannt. Am 16. Januar 1951 wurde Bohle persönlich angehört. Zu diesem Zeitpunkt wollte er sogar um die Welt reisen, um die Deutschen zu entnazifizieren, die er einst in der AO zusammengeschlossen hatte. „Sie würden auf mich hören“, sagte er einem Reporter.7 Anfang 1952 kontaktierte ihn das Münchner ,Institut für Zeitgeschichte‘, das 1949 unter dem Namen ,Deutsches Institut für die Erforschung der Geschichte des Nationalsozialismus‘ gegründet worden war. Der Institutsmitarbeiter Fritz Freiherr von Siegler interviewte Bohle in Hamburg zu seiner Tätigkeit im ,Dritten Reich‘ und fertigte ein Protokoll an, das Bohle durch seine Unterschrift authentifizieren sollte. Bohle lehnte dies ab. Er habe der Befragung nur zugestimmt, wenn sein Name nicht erwähnt werde und eine Publikation unterbleibe. Die Unterredung habe zudem auf rein gesellschaftlicher Basis stattgefunden und daher nur „Feuilletoncharakter“ gehabt. Auch halte er es für geboten, als verurteilter Kriegsverbrecher Zurückhaltung zu üben. „Die von Ihnen erbetene Mitarbeit von mir war zweifellos freundlich gemeint, sie führt aber nach meinen schlechten Erfahrungen fast immer dazu, dass uns Staatsbürgern zweiter oder
5 E. W. Bohle Sr. (Birmingham, 19.10.50) an seine Schwester Ida Hausmann: „Auch gab mir Hermann [= Fernholz] eine Auskunft über Ernst Wilhelm und sein jetziges Leben und sagte, daß er gehört habe, er und seine Frau in Vollmerhausen wollten wieder zusammenkommen. Ist das so? Durch Übersetzungen aus englischen und amerikanischen Zeitungen ins Deutsche und umgekehrt in’s Englische, scheint E. W. einen ehrlichen Lebens-Unterhalt zu finden und hierüber war ich froh und auch darüber, daß er gut mit Engländern und Amerikanern zusammenarbeiten kann und beliebt unter ihnen ist“ (Kopie Privatarchiv FRH). 6 Vgl. seine Entnazifizierungsakte im StA Hamburg, 221-11 Kat. 28229. 7 Heidepost (Lüneburg), Nr. 9, 2. März 1951, S. 7.
1. Werbeberater in Hamburg
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dritter Klasse nachher von irgendeiner mehr oder weniger massgeblichen Seite der Vorwurf gemacht wird, man hätte lieber schweigen sollen.“8 Mit Wirkung vom 1. Januar 1953 rückte Bohle automatisch in die Entnazifizierungs-Kategorie V (Entlastete) vor, allerdings ohne Rechtsansprüche. Das war angesichts der Verurteilung vom 11. April 1949 zu fünf Jahren Haft ein günstiger Bescheid, zumal die Konto- und Vermögenssperre für Hamburg aufgehoben und ihm ausschließlich untersagt wurde, sich politisch zu betätigen. Nicht nur wegen dieses Verbots lehnte er um 1950 ein Angebot Hamburger Neonazis ab, die ihn in die 1949 gegründete und am 4. Mai 1951 verbotene Sozialistische Reichspartei (SRP), einen NSDAP-Ableger, holen wollten. Seine kategorische Antwort lautete: „Wer sich politisch so geirrt hat wie ich, kann nie mehr das Vertrauen der Menschen erwarten“.9 Bei seiner Entnazifizierung hatte sich sein Ankläger Robert Kempner für ihn eingesetzt.10 Kempner hob vor allem sein Schuldbekenntnis im WilhelmstraßenProzeß hervor. Zu EWBs Gunsten hatte auch gesprochen, daß er in seiner Vernehmung angegeben hatte, der NSDAP allein aus Idealismus beigetreten zu sein. Durch sein Ausscheiden aus dem Auswärtigen Amt noch vor Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion, das, so die Kammer, als „Kaltstellung“ gewertet wurde, sei der Beweis dafür erbracht worden, daß er ab diesem Zeitpunkt kein „100%iger Verfechter der NS-Idee“ mehr gewesen sei und die Ziele des NSStaates innerlich verurteilt habe. Auch sei er voll und ganz für seine Handlungsweise eingetreten, wolle sich hinfort nicht mehr politisch betätigen und sich ausschließlich seinem Beruf in der freien Wirtschaft widmen.11 Kempner hatte betont, im Lauf seiner Ermittlungen in Nürnberg habe sich ergeben, daß Bohle nicht wie die meisten anderen Gauleiter an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen sei. Auch hätten die Akten der Reichskanzlei bestätigt, daß seine Tätigkeit seit dem Jahr 1941 wesentlich eingeschränkt gewesen sei, da er wegen seiner politischen Tendenz, mit England zu einer Verständigung zu kommen, von Hitler nicht mehr als persona grata betrachtet worden sei. Man habe ihm jedoch seinen Titel gelassen, „um im In- und Ausland nicht die Idee einer Splitterung im Gebälk des Dritten Reiches aufkommen zu lassen“.
8 E. W. Bohle (Hamburg, 10.3.1952) an das Institut für Zeitgeschichte, Betr. Tgb. Nr. 325/52 Bö (Kopie Privatarchiv FRH). 9 Hermann Bohle Jr. bittet um das Vertrauen seiner Leser, maschinenschr., S. 2 (Kopie Privatarchiv FRH). 10 Schreiben Kempners (Lansdowne, PA, 8.7.1950) an den Zentralausschuß für die Ausschaltung von Nationalsozialisten (Kopie Privatarchiv FRH). Kopie ebenfalls in der vorerwähnten Hamburger Entnazifizierungsakte, Bl. 9a–b. 11 Abschrift der Benachrichtigung über Kategorisierung (16.1.1951) (Kopie Privatarchiv FRH).
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IV. Der mühsame Neuanfang
Ganz war Bohles Entnazifizierung dennoch nicht abgeschlossen. Am 14. Juli 1956 wandte sich der Senator für Inneres des Landes Berlin an den Staatskommissar der Hansestadt und bat um Übersendung von Bohles Entnazifizierungsakte. Aufgrund von § 6 Abs. 2 des ,Zweiten Gesetzes zum Abschluß der Entnazifizierung‘ vom 20. Dezember 1955 hatte diese Behörde eigene Ermittlungen gegen zwei in Berlin lebenden ehemaligen Mitarbeiter der AO, Erich Schnaus (Leiter des Personalamtes) und Fritz Leissner (Leiter des Rückwandereramtes), eingeleitet und wollte sich an Bohles Hamburger Entnazifizierungsverfahren orientieren. Der Haupttreuhänder für NSDAP-Vermögen in Berlin prüfte zudem die Einleitung eines eigenen Sühneverfahrens gegen Bohle, weil auf seinen Namen auf einem Girokonto der Berliner Stadtbank in Wilmersdorf seit Kriegsende RM 30.373,20 in Bar und in einem Wertpapierdepot weitere RM 22.850,00 blokkiert lagen.12 Wertpapiere im Gesamtwert von RM 12.500,00 (4,25% Anleihe I.G. Farben von 1939, 4,5% Anleihe Eisen- u. Hüttenwerke von 1940 und eine nicht spezifizierte Anleihe der Mannesmann Röhrenwerke), die nicht dem westdeutschen Wertpapierbereinigungsgesetz unterlagen, waren am 18. September 1952 an die Hamburger Kreditbank transferiert worden. Sie waren freigegeben worden, weil Bohle in der Hamburger Entnazifizierung keine Vermögensauflagen gemacht worden waren. Der Berliner Haupttreuhänder wollte diese Entscheidung nicht anerkennen und die Freigabe von Bohles Vermögen vom Ausgang eines eigenen Sühneverfahrens abhängig machen. Am 19. September 1956 teilte der Berliner Innensenator dem zuständigen Hamburger Staatskommissar mit, nun sei auch in Berlin ein Ermittlungsverfahren gegen Bohle eingeleitet worden, welches die Grundlage für ein eigenes Sühneverfahren bilden solle. Zwar gälten die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland getroffenen Entnazifizierungsmaßnahmen im Prinzip auch im Lande Berlin, doch könne davon unabhängig dort ein eigenes Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet werden, was jetzt geboten scheine. Obwohl Bohle am 6. November 1956 sein Einverständnis zur Akteneinsicht in Berlin erteilte, lehnte der Hamburger Senatsbeauftragte dies zunächst ab, da das Verfahren aus seiner Sicht rechtskräftig abgeschlossen sei. Erst nach erneuter Nachfrage aus Berlin gingen Bohles Entnazifizierungsakten am 30. November 1956 nach dort und wurden bereits am 17. Dezember zurückgesandt. Da die beim ,Berlin Document Center‘ über Bohle eingeholten Auskünfte keine neuen Erkenntnisse erbracht hatten und Bohle sich von einer renommierten Hamburger Anwaltssozietät (Zahn, Bollmann, Kiesselbach, Siemers, Preyer, Hesselmann) vertreten ließ, die immer wieder in seiner Sache beim Innensenator vorstellig wurde, wurde das Verfahren mit Bescheid vom 12. März 1957 eingestellt und die Vermögenssperre auch für Berlin aufgehoben. Bohle erhielt aufgrund des im ,Vierten Gesetz zur Neuordnung des Geldwesens vom 4. Oktober 1948 in der Fassung vom 23. März 1957‘
12
Dies und das Folgende nach Berlin, LA B Rep. 031-02-01, Bl. 23.
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vorgesehenen Abwertungsschlüssels von 6,50 DM für 100 RM den Gesamtbetrag von 3.458 DM zur freien Verfügung. Niemand konnte angesichts dieser Zahl behaupten, daß er sich als Gauleiter und Staatssekretär bereichert habe, denn er hatte in Berlin auch keinerlei Grundbesitz erworben.13 Da EWB notgedrungen ein unstetes und ungesichertes Leben führte, mußten sich seine Geschwister um die verwitwete Mutter, die bei ihrer Tochter Hermine in Hannover-Kirchrode lebte, kümmern. Für juristische Probleme und „Afrikafragen“ wurde, wie bereits erwähnt, der Älteste, Heinrich, zuständig, der das Kriegende unbeschadet in der Schweiz überlebt hatte (s. o. „Exkurs“, Kap. III.4).14 Antonie Bohle setzte am 5. August 1949 ein Testament auf, in dem ihr Sohn Ernst Wilhelm als einziges ihrer Kinder nicht vorkommt. Frühere Testamente wurden widerrufen. Als es nach ihrem Tod im Jahr 1951 um die Verteilung des südafrikanischen Erbes ging, von dem nach Abzug aller Gebühren nur noch £ 653.3.5 übrig waren, erhielt EWB jedoch den gleichen Anteil von £ 125.12.0 wie seine vier Geschwister. Man mag spekulieren, warum die Mutter ihn nicht im Testament erwähnt hat: vermutlich, weil er zum Zeitpunkt der Aufsetzung noch in Landsberg inhaftiert war und den Erbgang der übrigen Geschwister blockiert hätte, wenn er als gleichberechtiger Erbe eingesetzt worden wäre. Nach dem Tod der Mutter und seiner Freilassung sorgten die Geschwister dafür, daß er mit ihnen gleichgestellt wurde.15
13
Ebd., Bl. 28. E. W. Bohle (Hamburg, 26.8.1958) an Dr. H. Fernholz, Mannheim/Ludwigshafen: „Von meinem Bruder Heini soll ich Dich vielmals grüssen. Er lebt seit 1942 in der Schweiz, wo er zuerst Konsul in Davos und anschliessend am Deutschen Generalkonsulat in Zürich war. Vor der Ausweisung 1945 haben ihn mehrere Juden gerettet, die ihm sein anständiges Verhalten ihnen gegenüber als Leiter der Heimatscheinabteilung des Generalkonsulats bescheinigten. Seit 1946 ist Heini Chefdolmetscher bei Bührle in Oerlikon. Infolge seiner Goldstaublunge – einer Reminiszenz an seine frühere Tätigkeit als Ingenieur in den Goldbergwerken Südafrikas – muss er vorsichtig leben. Augenblicklich ist er zur Erholung in Italien am Mittelmeer. Seine Frau stammt übrigens aus Wiesenthal in Baden, das meines Wissens nicht sehr weit von Mannheim ist. Er hat sich dort 1950 ein sehr schönes Haus gebaut, das aber jetzt an einen amerikanischen Offizier vom US-Hauptquartier in Heidelberg vermietet ist, weil die gesamte Familie in Zürich lebt und auch in absehbarer Zeit nicht nach Deutschland zurückkehren wird“ (Original Privatarchiv FRH). 15 NASA, MOOC 6/9/19772/3300/52 (Bohle, Antonie, Estate Papers). Vgl. vor allem das Schreiben der Hamburger Anwälte Dres. Zahn, Bollmann, Kiesselbach, Siemers, Preyer vom 19. Oktober 1953, in dem Dr. Theodor Kiesselbach dem Master of the Supreme Court in Kapstadt mitteilt, die Auszahlung eines Erbteils an E. W. Bohle sei mit dem deutschen BGB konform: „According to Section 1930 of the Civil Code all living descendants of the deceased are legal heirs of the first class. According to Section 1924, paragraph 2, of the Civil Code, a descendant living at the time of the succession excludes from the succession the descendants related to the deceased through himself. Furthermore, according to Section 1924, paragraph 4, of the above Code children inherit in equal shares. [. . .] There can therefore be no doubt that the distribution of the Estate to the descendants of the deceased in equal shares, as pro14
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IV. Der mühsame Neuanfang
Als sich 1951 die ,Deutsch-Südafrikanische Studiengesellschaft‘ (DSAG) in einigen deutschen Städten konstituierte, war EWB als treibende Kraft dabei.16 Er hielt diese Studiengesellschaft offenbar für unpolitisch. In Düsseldorf, wo er häufig geschäftlich zu tun hatte, war der ehemalige Reichspressechef Dr. Otto Dietrich der Gründer und Leiter des lokalen Kreises. Er war zusammen mit Bohle im Wilhelmstraßen-Prozeß angeklagt und am 11. April 1949 zu sieben Jahren Haft verurteilt worden. Nach Verbüßung eines Teils der Strafe wurde er am 25. August 1950 ebenfalls vorzeitig aus der Haft entlassen. Nach Dietrichs Tod am 22. November 1952 schliefen die Düsseldorfer Aktivitäten wieder ein. Bohles Intentionen waren vermutlich wirtschaftlicher Art. Bereits 1949 war in Johannesburg die ,Deutsch-Südafrikanische Industrie- und Handelskammer‘ wiedereröffnet worden. Nach der im selben Jahr erfolgten Gründung der BRD und der Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen mit der Südafrikanischen Union boten sich hier gute Möglichkeiten, ins Geschäft zu kommen, zumal Bohle Land und Leute kannte. Von späterer Mitarbeit in der DSAG ist jedoch nichts bekannt. EWB versuchte mehrfach, seine Ehe zu retten, die unter der vierjährigen Haft und der nahen Beziehung zu seiner Verteidigerin und anderen Frauen gelitten hatte. Es dauerte noch ein ganzes Jahr, bis seine Frau zu ihm nach Hamburg kam.17 Langfristig glückte die Versöhnung nicht. Gertrud Bohle bezog eine eigene Wohnung und blieb in Hamburg, wo sie ihren Mann, mit dem sie trotz der Trennung in enger Verbindung blieb, um 38 Jahre überlebte. Der Sohn Hermann Jr. war Journalist geworden, ohne das Gymnasium zu beenden. Er volontierte anfänglich als Lokalreporter der „Kölnischen Rundschau“ in Gummersbach. Als er 1950 kritisch über den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister Erik Nölting (SPD) berichtete, der Ludwig Erhard vorgeworfen hatte, mit seiner Wirtschaftspolitik Massenarbeitslosigkeit auszulösen, ließ ihn der damalige Landrat des Oberbergischen Kreises, Dr. August Dresbach (CDU), zu sich kommen. Er war bis 1933 als Redakteur der „Kölnischen Zeitung“ einer der zehn führenden deutschen Wirtschaftsjournalisten gewesen. Nach Hitlers Machtantritt gab er diese Tätigkeit freiwillig auf und ging in die vided for in the aforementioned Distribution Account is in conformity with the terms of the German Laws of Intestacy“. 16 Hannoversche Presse, 13. März 1951. 17 Vgl. Gertrud Bohle (Hamburg, 20.12.51) an Ida Hausmann: „Ich bin nun seit dem 15.XII. hier in Hbg. W.[illy] und ich wollen es nochmals miteinander versuchen, und so sehen wir mit viel Hoffnungen auf das Jahr 52. Natürlich fällt mir die Trennung von H.[ermann] furchtbar schwer, aber erst mal kommt er zu Weihnachten rauf, und wir feiern zum 1. Mal seit 7 Jahren wieder gemeinsam. W. geht es soweit gut, er schuftet wie ein Pferd und hat sich eine sehr angesehene Stellung bei seinem Chef geschaffen. Er ist als freier Mitarbeiter in einer Dolmetscherzentrale. Ich werde natürlich auch fleissig arbeiten, und so werden wir es schon allmählich schaffen“ (Original Privatarchiv FRH).
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Versicherungswirtschaft, um nicht „für die Nazis zu schreiben“.18 Er fragte den jungen Bohle, ob er „für alle Zeiten Lokalreporter“ bleiben wolle. Dieser bekundete sein Interesse am politischen Journalismus – aber mit „dem“ Vater? Dresbachs Antwort lautete: „Ich helfe Ihnen, denn Ihr Vater war ein anständiger Mann.“19 Er empfahl ihn dem Chefredakteur des „Kölner Stadt-Anzeiger“, Dr. Heinz Pettenberg, der Hermann Bohle Jr. sofort einstellte. Er begann am 1. Dezember 1950 im noch halb zerstörten Kölner Pressehaus als Nachrichtenredakteur. 1954 lud die amerikanische Regierung den Jungjournalisten im Rahmen des „Leader Program“ zu einer siebenwöchigen USA-Reise ein, nicht ohne zuvor bei Robert Kempner nachzufragen, ob man „den“ einladen könne. In den USA begriff Hermann Bohle die historische Bedeutung der europäischen Einigungspolitik des Gründungskanzlers Konrad Adenauer: Wenn man das mächtige Amerika erlebe und dann fern, am anderen Ende des Atlantik, an das zerstrittene Konglomerat europäischer Völker denke, wisse man, was die Europäer zu tun hätten: sich zu vereinen. So sagte er 1954 im Interview mit einer amerikanischen Zeitung.20 Zwei Jahre später schied er auf eigenen Wunsch beim „Kölner Stadtanzeiger“ aus, wo er inzwischen zum Chef der außenpolitischen Redaktion aufgestiegen war. Er wechselte zum ,Deutschen Industrieinstitut‘, dem heutigen ,Institut der Deutschen Wirtschaft‘, um sich der Wirtschaftspublizistik zuzuwenden, ohne die es keine gute Politik gebe. Im Jahr 1959/60 machte er sich selbständig, gründete am Sitz der EWG (heute EU) das „Büro Bohle Brüssel“ (BBB), 1964 ein Zweitbüro in Paris mit Repräsentanz in London. Mit seinen Mitarbeitern vertrat er dort drei Jahrzehnte lang bis zu sechzehn regionale Zeitungen Deutschlands, Österreichs, der Schweiz und Luxemburgs mit einer täglichen Gesamtauflage von 3,1 Mio., zudem die renommierten Wochenzeitungen „Die Zeit“ (Hamburg) und „Die Weltwoche“ (Zürich), schließlich den Bayerischen, den Süddeutschen Rundfunk und den Südwestfunk. Vierzehn Jahre lang (bis 2004) gab Hermann Bohle Jr. in dem von Ludwig Erhard gegründeten „Deutschen Wirtschaftsdienst“ (DWD/Köln) seinen „euro brief“ heraus. Brüssel-Pariser Kernthemen waren EWG bzw. EU-Fragen, besonders der deutschfranzösische Sonderbund für Europa, zudem die Nato, transatlantische und gesamteuropäische Zusammenarbeit. Bohle Jr. interessierte sich früh für Osteuropa und lernte Russisch.21 Zwei lukrative berufliche Angebote lehnte er ab, 18 Klaus Goebel/Gerhard Pomykaj, Ein unbequemer Demokrat: August Dresbach zum 100. Geburtstag. Hrsg. vom Oberbergischen Kreis, Gummersbach, 1994. 19 Mitteilung von Hermann Bohle Jr. (Signy b. Genf). 20 U.S. Tour Bolsters Reich – Newsman’s Belief in Union, in: Buffalo Courier-Express, Sunday, May 9, 1954, 4-B. 21 Vgl. zuletzt: Wer ist Wer? The German Who’s Who, Lübeck, 1995/96, S. 133; Hermann Bohle, Europa – Weltmacht auf der Startrampe. Mit England zur Einheit, Freudenstadt, 1972 (Rückenklappe). 1978/79 erschien zur ersten Direktwahl des Europaparlaments sein Buch „Europa vor der Wahl“ (Verlag Bonn-Direkt) mit einem Vorwort des Bundespräsidenten Walter Scheel, das mehrere Auflagen erlebte.
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IV. Der mühsame Neuanfang
weil er nicht Beamter werden wollte: die Position eines Repräsentanten der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BdA) beim Internationalen Arbeitsamt (ILO) in Genf (1957) und das Amt des Pressespechers von Dr. Hans von der Groeben, dem deutschen Mitglied der Kommission der ,Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft‘ (EWG) in Brüssel (1962). Auf seinem beruflichen Weg zog er die Lehren aus den Irrtümern seines Vaters, der ihm in mancher Hinsicht als Vorbild dienen konnte und stolz auf seine Karriere gewesen wäre. Doch zurück zu EWB. McKale irrt, wenn er behauptet, EWB habe keine Beschäftigung in der Industrie finden können, weil er den meisten deutschen Firmen entweder als Mitglied der NS-Elite oder als deren Verräter verhaßt gewesen sei. Natürlich dauerte es eine gewisse Zeit, bis er Tritt gefaßt hatte, doch 1957 hatte er sich eine gutgehende Agentur für Wirtschaftswerbung aufgebaut, die zentral im VI. Stock des Hamburger Ernst Klockmann-Hauses in der Kirchenallee 57/Ecke Steindamm untergebracht war. Das Bürogebäude war 1925 von dem Hamburger Architekten Ernst von Putlitz umgebaut worden und steht heute unter Denkmalschutz. Während Bohles offizielle Tätigkeit in den Jahren 1933 bis 1944 durch amtliche Archivquellen erschließbar ist, private Zeugnisse aber weitgehend fehlen, verhält es sich mit seinem Wiedereinstieg ins Wirtschaftsleben ab 1950 genau umgekehrt. Seinem bereits früher erwähnten Vetter Hermann Fernholz, inzwischen Generaldirektor der Isoliermittelfabrik Grünzweig & Hartmann in Ludwigshafen a. Rh., schrieb er: „Meine Beziehungen zur Industrie datieren natürlich aus der Zeit meiner Tätigkeit als Staatssekretär im Auswärtigen Amt beim alten Neurath und vor allem auch aus der gemeinsamen Haft mit Flick, den I.-G. [Farben]-Direktoren und vor allem auch Alfried Krupp in Landsberg“.22 In der NS-Zeit unterhielt Bohle über die zuvor beschriebenen Verbindungen hinaus (s. o., Kap. III.3) gute Kontakte zu Dr. Günther Frank-Fahle23 und Albert Oeckl, die der Direktionsabteilung der I.G. Farben angehörten. Bohle hatte Oeckl am 7. November 1939 bei einer Besprechung des ,Technisch-Wirtschaftlichen Beratungsdienstes‘ (TWB) beim ,Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit‘ kennengelernt. Diese Einrichtung hatte die Aufgabe, staatliche und industrielle Führungskräfte zusammenzuführen und die Wirtschaft der südosteuropäischen Staaten auf die Bedürfnisse der deutschen Wirtschaft auszurichten.24
22 E. W. Bohle (Hamburg, 11.8.1958) an Dr. H. Fernholz in Mannheim (Original Privatarchiv FRH). 23 Vgl. den Brief Frank-Fahles (30.9.1938) an Bohle (Kopie Berlin, PA AA R 27238). Frank-Fahle war nach dem Krieg Geschäftsführender Gesellschafter und zugleich Geschäftsführer der Deutschen Commerz GmbH, Frankfurt a. M. sowie Beirat der Deutschen Bank AG. 24 Heinelt, S. 97 (gestützt auf Berlin, BArch R 8128, A 103, Bl. 441 ff.).
1. Werbeberater in Hamburg
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Worin bestand nun Bohles Tätigkeit nach der Haftentlassung als Werbeberater „für den englischen Sprachbereich“? In dem vorerwähnten Brief an Hermann Fernholz führt er aus: Ich selbst habe eine Werbungsvermittlung und bin Repräsentant der Zeitschrift BANKER’S MONTHLY (Chicago) für Mitteleuropa und Generalvertreter von COMMERCE IN GERMANY, der offiziellen Zeitschrift der amerikanischen Handelskammer in Deutschland für Hamburg, Bremen und Schleswig-Holstein. Vor allem vermittele ich Finanzanzeigen für eine Reihe bedeutender Gesellschaften sowie auch Anzeigen allgemeiner Art in zahlreichen deutschen und ausländischen Publikationen.
Auf einer beigefügten Liste führt EWB acht namhafte Firmen auf, deren Finanzanzeigen er ganz oder teilweise vermittelt bzw. acht weitere, für die er allgemeine Anzeigen plaziert habe.25 Kontaktaufnahmen zu weiteren Firmen sind brieflich dokumentiert.26 Bohle kam dabei zugute, daß er Englisch sozusagen als Muttersprache sprach, die Mentalität der Angelsachsen kannte, als ehemaliger Diplomat seine Fähigkeiten als Verhandlungsführer geschult hatte, über Inund Auslandserfahrung verfügte und sich seit seiner Studienzeit mit Wirtschaftsfragen beschäftigt hatte. Außerdem besaß er Kenntnisse im englischen und amerikanischen Bilanzrecht und hatte mehrfach für amerikanische Firmen Gesellschaftsverträge von G.m.b.H.s und Satzungen von Aktiengesellschaften übersetzt. Aus den entsprechenden Briefen läßt sich der Eindruck gewinnen, daß Bohle langfristig eine Tätigkeit als Wirtschaftsberater deutscher Firmen für den anglo-amerikanischen Raum anstrebte, wodurch er ein wesentlich höheres Einkommen als durch die Provisionen aus der Plazierung von Anzeigen erzielt hätte.27 Aber er hoffte auch, amerikanische Firmen in Deutschland vertreten zu dürfen. Dies geht aus einem Brief des bekannten Wirtschaftsjournalisten Philip W. Whitcomb hervor, der in Paris residierte und Herausgeber von „Commerce in Germany. The American Chamber of Commerce in Germany: official monthly handbook for members“ sowie Wirtschaftskorrespondent des „Christian Science Monitor“ war. Er empfahl Bohle, sich an das Hamburger US-Ge25 I: Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte AG., Sulzbach-Rosenberg; DynamitActien-Gesellschaft vormals Alfred Nobel & Co., Troisdorf Bez. Köln; Orenstein & Koppel Lübecker Maschinenbau Aktiengesellschaft, Hauptverwaltung Dortmund; Buderus’sche Eisenwerke, Wetzlar; Norddeutscher Lloyd, Bremen; Dresdner Bank AG., Hamburg – Düsseldorf – Frankfurt/Main; Gelsenkirchener Bergwerks-AG, Essen; Metallhüttenwerke Lübeck AG., Lübeck. – II: AEG Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft, Frankfurt; SINALCO AG., Detmold; Holsten-Brauerei AG., Hamburg; Waggon- und Maschinenbau GmbH, Donauwörth; SIEMAG Siegener Maschinenbau AG., Dahlbruch; Bayerische Staatsbank, München; Brenberg, Gossler & Co. (Bank), Hamburg; Bayrische Vereinsbank, München. 26 August Thyssen-Hütte A.G.; Bankhaus C.G. Trinkaus; Victoria Werke A.-G. Nürnberg; Daimler-Benz-A.G., Stuttgart-Untertürkheim; Alluminiumwerke Göttingen; Krauss-Maffei München. 27 Vgl. den Brief Bohles (6.5.57) an den Flick-Vertrauten Konrad Kaletsch (Kopie Privatarchiv FRH).
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IV. Der mühsame Neuanfang
neralkonsulat, den Leiter der American Express-Niederlassung und die Hamburger deutsch-amerikanische Handelskammer zu wenden.28 Bohles Ansprechpartner in der Wirtschaft waren außer Konrad Kaletsch Direktor Dr. Ernst Fischer (Dynamit Actien-Gesellschaft vormals Alfred Nobel & Co, Troisdorf b. Köln), Generaldirektor Dr. Ing. e.h. Franz Grabowski (Buderus’sche Eisenwerke), Dr. Werner Henze (Auto-Union), Heinz Heudorf (Geschäftsführer der Siemag in Dahlbruch, Kreis Siegen), Wolfgang Hillebrand (Orenstein-Koppel und Lübecker Maschinenbau Aktiengesellschaft Dortmund), Artur J. Keser (Leiter der Presseabteilung der Daimler-Benz-Aktiengesellschaft), Pressechef Günther Paefgen (Friedrich Flick Kommanditgesellschaft Düsseldorf) sowie Generaldirketor Alfred Rohde (Metallhüttenwerk Lübeck und MaK Kiel).29 Ein besonders loyaler Gönner und Freund war der Flick-Vertraute und Generalbevollmächtigte Dr. Odilo Burkart, Vorstandsvorsitzender der Maxhütte. Der 1899 in Reutlingen geborene Jurist und Wirtschaftswissenschaftler war 1936 in den Flick-Konzern eingetreten und arbeitete zeitweise auch im „Berliner Büro“ der FFKG. Dort hatte ihn EWB kennengelernt. Er wurde 1940 Wehrwirtschaftsführer, ohne Parteimitglied zu sein. Im Nürnberger Flick-Prozeß mit angeklagt, war er freigesprochen worden.30 Burkart beauftragte EWB Ende 1955 mit der gesamten Werbung der Maxhütte, verfaßte für ihn zahlreiche Empfehlungsschreiben und bot ihm die Leitung einer mittelgroßen Fahrrad- und Motorrad-Fabrik im Nürnberger Raum an, wobei es sich offenkundig um die Victoria-Werke handelte. Bohle konnte dadurch ein immer dichteres Kundennetz knüpfen.31 Wenn man diese einflußreichen Namen insgesamt betrachtet, 28 Philip W. Whitcomb (Paris, 20.11.1958) an E. W. Bohle (Kopie Privatarchiv FRH). Vgl. Whitcombs Artikel Trade Allures Aid Hamburg, in: The Christian Science Monitor, 31. Oktober 1958, S. 10. 29 Diese Vorgänge sind durch ein Briefkonvolut aus dem NL von EWB belegt, das sich in Kopie im Privatarchiv von FRH befindet. Auch Rohde war ein alter Flick-Mitarbeiter, vgl. Bähr (2008), S. 1005. 30 Ebd., S. 187–189, 1000. 31 E. W. Bohle (Hamburg, 28.8.1959) an Dr. H. Fernholz: „Mein junges Unternehmen hat sich jetzt im dritten Jahr hervorragend entwickelt. Ich habe Dir ja seinerzeit eine Liste der immerhin bedeutenden Gesellschaften geschickt, für die ich ganz oder teilweise tätig bin. Sie muß jetzt ergänzt werden durch die Orenstein-Koppel und Lübecker Maschinenbau A.G., deren gesamten Anzeigenetat ich seit Anfang Juli übernommen habe. Die MaK Maschinenbau Kiel A.G. in Kiel betreue ich in dieser Beziehung ebenfalls ganz seit Dezember 1958, und von der Dir bekannten Maxhütte hatte ich am 4. August die Freude, den zweiseitigen Börseneinführungsprospekt in der WELT, im TAGES-SPIEGEL sowie im HANDELSBLATT und im INDUSTRIEKURIER wie auch in der Zeitschrift DAS WERTPAPIER zu veröffentlichen. – In der kommenden Ausgabe des SPIEGELs vom 2.9. ist die ganzseitige Anzeige der Maxhütte ebenfalls durch mich veröffentlicht worden. – Da Du Generaldirektor der von Dir geleiteten Aktiengesellschaft bist, ist es natürlich klar, daß Du bestimmen kannst, wer die Anzeigen vermittelt. Ebenso klar ist es natürlich, daß Du das nur kannst, wenn die betreffende Firma in der Lage ist, das Anzeigengeschäft einwandfrei und sorgfältig durchzuführen und Vorteile finanzieller Art bieten kann. Zu letzterem bin
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kann man in der Tat zu den von Lutz Hachmeister gezogenen Schlüssen kommen: In Landsberg wurden von Flick, Krupp und einigen ihrer Mitarbeiter Netzwerke gesponnen, die auch nach ihrer Freilassung tragfähig waren. Bedeutende westdeutsche Industrieunternehmen kooperierten, und auch EWB profitierte von alten Verbindungen. Allerdings fielen für ihn nur Brosamen vom Tisch der Reichen und Mächtigen ab, die ihm immerhin einen Neuanfang und ein wirtschaftliches Überleben sicherten. Während sein Anzeigenumsatz im Jahr 1957 47.000 DM betrug, erhöhte er sich 1958 auf 102.000 DM und 1959 auf knapp 300.000 DM. Da der erwirtschaftete Gewinn weder für ein sorgenfreies Leben noch für die Alterssicherung ausreichte, spekulierte EWB (höchst erfolgreich) an der Börse und engagierte sich besonders in Bayerischen Hypo-Aktien, von denen er 14% Dividende plus 4% Bonus erhoffte. Anfang 1960 beteiligte er sich zudem noch an der Versandbuchhandlung Adolf Peters, um bei den mit ihm geschäftlich verbundenen Firmen die Werksbüchereien aufzubauen oder Bücher als Werbegeschenke zum Verlagspreis zu besorgen.32 Großen Gewinn erzielte er durch die Partnerschaft mit Peters jedoch nicht. Nachdem er nach langen Jahren des Schweigens seinen Vetter Hermann Fernholz, der als Firmenchef in Ludwigshafen und Mitglied in zahlreichen Aufsichtsräten ein einflußreicher Wirtschaftsführer geworden war, kontaktiert hatte, bat er ihn, die Bilanzen seiner Firma im „Hamburger Abendblatt“, der „Welt“ und der „Zeit“, die alle ihren Sitz in Hamburg hätten, veröffentlichen zu dürfen, um die anfallenden Provisionen zu kassieren. Er schlug Fernholz vor, auch ich selbstverständlich bereit. Es kommt also darauf an, ob Du überhaupt in Erwägung ziehen möchtest, meine Annoncen-Expedition bei der Grünzweig & Hartmann A.G. einzuführen. – Hierbei kommt es darauf an, ob Ihr in Eurer Werbeabteilung eigene Graphiker und andere Werbefachleute beschäftigt oder ob Ihr diese Arbeiten von einer Werbeagentur machen laßt. Im ersteren Falle könnte ich ohne weiteres zu Eurem Vorteil eingeschaltet werden, während im zweiten Falle dies wohl nicht möglich ist, und die Vergabe von Anzeigen durch mich auf Finanzanzeigen und Stellenangebote (für die ich mich ganz besonders interessiere) beschränkt bleiben müßte“ (Original Privatarchiv FRH). 32 E. W. Bohle (Hamburg, 4.3.60) an Dr. H. Fernholz in Mannheim: „Du wirst natürlich erstaunt sein, ein Schreiben auf diesem Briefbogen von mir zu erhalten, aber da der Mensch nicht rasten und anschließend einrosten soll und ich neben meiner Anzeigen-Expedition für den sogenannten Lebensabend eine weitere Sicherung haben wollte, war ich schon seit einiger Zeit auf der Suche nach einer kleinen Beteiligung. Es ist mir vor kurzem gelungen, Teilhaber der Exportbuchhandlung Adolf Peters in Hamburg zu werden, die ihre Büroräume direkt neben meinen eigenen hat. – Herr Peters ist ein Buchhändler, der in Fachkreisen sehr hohes Ansehen genießt. Er war Prokurist bei der Union Deutsche Verlags-Anstalt in Stuttgart und gehörte später der Geschäftsleitung der weltbekannten Firma Philipp Reclam jr. in Leipzig an. Lange Zeit war er Vorsitzender des Verbandes der Versandbuchhändler Deutschlands. – Infolgedessen besitzt Herr Peters persönliche Beziehungen zu den ersten Verlegern und ist mit den meisten von ihnen befreundet. Ich glaube deshalb, daß ich gut daran getan habe, mich bei Herrn Peters zu beteiligen“ (Original Privatarchiv FRH).
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im englischsprachigen Raum aktiv zu werden, und ließ ihm ein Angebot des britischen Bankiers-Monatsmagazins „The Banker“ (Bracken House, 10, Cannon Street, London, E.C. 4), des ältesten der Welt, unterbreiten. 1957 hatte der Londoner „Economist“ ihn nach einem Besuch in der Fleetstreet zum Werbeberater für das deutschsprachige Westeuropa ernannt.33 Als die oppositionelle Labour Party im Unterhaus dagegen opponierte, daß ein „Kriegsverbrecher“ bei dieser urbritischen Institution tätig werden solle, wurde die Ernennung widerrufen. Diese Ablehnung war für EWB schmerzhaft,34 auch wenn es bei einer gleichartigen Beauftragung durch „The Banker“ blieb. Sidney Corbett, der PRund Werbechef dieses Magazins, wurde 1962 Pate von Hermann Bohles Sohn Sidney Ernst Wilhelm. Hermann Fernholz hielt jedoch prinzipiell nichts von Geschäftsbeziehungen unter Verwandten und ließ EWB nur kleine Aufträge zukommen. Er begründete dies damit, daß seine Firma für längere Zeit an eine Werbefirma in Mannheim gebunden sei. Eine Überlassung von Gratisaktien, die Bohle als möglichen Honorarersatz erbeten hatte, lehnte er rundweg ab. Im Frühjahr 1959 fuhr Fernholz erstmals nach Moskau, um Geschäftsbeziehungen anzubahnen. Im September 1955 war Konrad Adenauer auf Einladung der sowjetischen Regierung nach Moskau gereist, um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, die Rückführung der Kriegsgefangenen und die Möglichkeiten von Handelsbeziehungen zu besprechen. Fernholz profitierte von diesem Tauwetter und berichtete EWB enthusiastisch von seinen Eindrücken.35 Einige Monate später bot sich ihm EWB 33 Vgl. E. W. Bohle (30.3.1957) an Direktor Bernhard Weiß, Siemag Feinmechanische Werke GmbH. Eiserfeld/Sieg: „Ausserdem bin ich zu meiner grossen Freude am 1.2. d.J. zum Generalvertreter der ältesten Wirtschafts- und Finanz-Zeitschrift der Welt, THE ECONOMIST, London, bestellt worden und glaube, Ihnen mit gutem Gewissen eine Anzeigenwerbung in diesem international angesehenen Blatte empfehlen zu können. THE ECONOMIST hat eine Auflage von über 60.000 Exemplaren, von denen 40 v.H. ausserhalb Englands, vornehmlich in den traditionellen deutschen Export-Märkten in Übersee und in den sogenannten Entwicklungsländern gelesen werden. Sie erreichen mit einer Anzeige im ECONOMIST nur einflussreiche und kaufkräftige Wirtschaftskreise besonders auch in den Ländern, in denen Aufträge regierungsseitig vergeben werden“ (Kopie Privatarchiv FRH). Auch Weiß, Flicks Neffe, war im Flick-Prozeß angeklagt und zu zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden, vgl. Bähr (2008), S. 189–193, 1007. 34 Dr. Odilo Burkart (Sulzbach-Rosenberg Hütte, 18.4.1957) an E. W. Bohle: „Sie können sich nicht vorstellen, wie deprimiert ich über Ihre Nachricht war, dass der Economist sich aus den bekannten Gründen von dem Vertragsverhältnis mit Ihnen lösen wollte. Ich möchte aber doch noch hoffen, dass die englischen Herren sich davon überzeugen, dass Ihre frühere Tätigkeit in der Auslandsorganisation von keinem vernünftigen Menschen in Deutschland als eine Belastung angesehen wird. Ich bin überzeugt, dass nicht nur Herr Vogel von der Bayerischen Staatsbank Ihnen gerne Aufträge geben wird, sondern genau so auch die anderen Herren, die ich Ihnen seinerzeit angegeben habe, wie zum Beispiel Herr Dr. Bogner von der Süddeutschen Bank und Herr Dr. Schrempf von der Bayerischen Hypotheken und Wechsel-Bank. Meinen Sie nicht, dass Sie nochmals mit den massgebenden Leuten vom Economist sprechen sollten?“ (Kopie Privatarchiv FRH).
1. Werbeberater in Hamburg
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als Vermittler an.36 Bohle glaubte sich im Aufwind und bat seinen Vetter, sich für ihn bei seinem ebenfalls aus Bergneustadt-Wiedenest stammenden Klassenkameraden und Freund, dem Stahlmanager und Hoesch-Generaldirektor Dr. Ing. E. h. Willy Ochel, zu verwenden.37 Doch Fernholz erteilte ihm eine harsche Antwort, die Bohles Stolz so sehr verletzte, daß er die geschäftlichen Beziehungen abbrach.38 Dem einst einflußreichen und selbstbewußten Mann wurde deutlich gezeigt, daß er ein – zuweilen sogar lästiger – Bittsteller war. In einem letzten Brief, drei Monate vor seinem jähen Tod, schrieb EWB dem Vetter zu35 Dr. H. Fernholz (Ludwigshafen, 30.4.59) an E. W. Bohle, Hamburg: „Ich bin gerade von einer achttägigen Reise nach Moskau zurückgekehrt, und die Eindrücke, die ich dort erhalten habe, lassen mich weder im guten noch im bösen los. Im Juni muss ich voraussichtlich wieder hinfahren, denn es handelt sich um ein sehr grosses Geschäft, das ich an Land zu ziehen hoffe. Die Aspekte scheinen nicht ungünstig zu sein. Meine Neugier ist jedenfalls gestillt. Wenn auch niemand behaupten kann, dass er in acht Tagen genug sieht, so genügen mir die erhaltenen Eindrücke doch vollauf. Darüber müssen wir uns einmal mündlich unterhalten, und ich werde nicht versäumen, mich zu melden, wenn ich in Hamburg bin, was immerhin bis zu meiner Abreise in der zweiten Hälfte Juni im Bereich des Möglichen liegt, da sicherlich noch persönliche Verhandlungen mit der Hermes-Kredit nötig sein werden“ (Original Privatarchiv FHR). 36 E. W. Bohle (Hamburg, 5.1.60) an Dr. H. Fernholz, Mannheim: „Anbei übersende ich Dir eine Mappe über die Werbung im Osten von der Anzeigenring GmbH. in Hamburg, weil ich mir vorstellen könnte, daß Deine Gesellschaft eines Tages auf den Gedanken kommen wird, in den Oststaaten zu werben, zumal Du ja persönlich schon in Moskau geschäftlich zu tun hattest. Vielleicht wäre dies ein Einsatzpunkt für eine Zusammenarbeit mit meiner Firma“ (Original Privatarchiv FHR). 37 Zu Ochel vgl. Ferdinand Simoneit, Die neuen Bosse. So wird man Generaldirektor, Düsseldorf/Wien, 1966, S. 205–223; Wolfhard Weber (Hrsg.), Ingenieure im Ruhrgebiet, Münster, 1999 (Rheinisch-Westfälische Wirtschaftsbiographien; 17 – Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen; 17,B,17), Nr. 18. E. W. Bohle schreibt (18.7.1960) an Dr. Fernholz: „Hast Du etwas dagegen, wenn ich mich in einem Schreiben an Deinen Duzfreund Dr. Willy Ochel auch auf Dich beziehe. Ich beziehe mich außerdem auf das Vorstandsmitglied der Orenstein-Koppel und Lübecker Maschinenbau AG., Dortmund, Herrn Wolfgang Hillebrand, den ich seit 25 Jahren gut kenne und bei dem ich neulich in Dortmund zu Besuch war. Ochel stammt ja aus Wiedenest und ich erinnere mich noch sehr genau, daß mein Vater den Namen Ochel sehr oft erwähnte“ (Original Privatarchiv FRH). 38 Dr. H. Fernholz (Ludwigshafen, 4.8.60) an E. W. Bohle: „Es kann keine Rede davon sein, dass Du als ,Buchhändler‘ bei mir nicht angekommen bist, ich habe nur in den letzten Monaten wegen Auslandsreisen – in Moskau habe ich Anfang Juni den Vertrag über die Lieferung einer Steinwolle-Fabrik abgeschlossen – und Besuchen ausländischer Geschäfts- und Verhandlungspartner so wenig Zeit gehabt, mich um meine privaten Angelegenheiten zu kümmern, dass auch das Interesse an neuen Büchern nicht akut war. [. . .] Was Willy Ochel angeht, so ist er mein ältester und bester Freund, das heisst aber nicht, dass ich Geschäfte mit ihm mache. Ich kann Dir ganz freimütig sagen, dass vier meiner Konkurrenten im Hoesch-Konzern laufend tätig sind, nur ich nicht. Ich strapaziere meine Freundschaft in diesem Falle bewusst nicht. Du kannst also Willy Ochel gerne mitteilen, dass wir miteinander verwandt sind. Im übrigen aber bin ich in diesem besonderen Falle nicht bereit, etwas zu tun, und ich hoffe, Du hast Verständnis dafür. Ich könnte mir denken, dass Hillebrand eine weit bessere Vermittlungsmöglichkeit bietet als ich“ (Original Privatarchiv FRH).
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gleich versöhnlich und ironisch eine Art Schwanengesang. Er sei zwar untröstlich, sein Mißfallen erregt zu haben, aber eines müsse er richtigstellen: Besonders amüsiert hat mich Deine Annahme, daß ich an Minderwertigkeitskomplexen zu leiden scheine, weil es von mir in meinem ganzen bisherigen Leben oft hieß, daß ich eingebildet und selbstbewußt war. Insofern ist es eigentlich ganz angenehm für mich zu wissen, daß wenigstens ein Mensch mich für übertrieben bescheiden hält.39
2. Ein früher Tod Ernst Wilhelm Bohle war durch schwere Kreislaufstörungen und einen Kuraufenthalt vorgewarnt, seinen Zigarettenkonsum zu reduzieren und streßfreier zu leben. Offenbar war ihm dies nicht möglich. Er starb, erst 57 Jahre alt, am 9. November 1960 während einer Geschäftsreise in Düsseldorf an einem Herzinfarkt. Fünf Tage später wurde er im Krematorium Hamburg-Ohlsdorf eingeäschert. Um ihn trauerten seine Frau, sein Sohn, seine zwei Enkeltöchter, seine drei Schwestern und seine Schwägerin. Es ging zwar das Gerücht, er habe sich möglicherweise wegen des bevorstehenden Eichmann-Prozesses das Leben genommen, aber dafür gab es nicht den geringsten Grund. Bohle hatte nachweislich nichts mit der ,Endlösung‘ zu tun. Immerhin hatte er einem Verwandten, der ihn kurz vor seinem Tod in Hamburg aufsuchte, gesagt, er werde freiwillig nie wieder ins Gefängnis gehen und dabei auf eine Pistole gezeigt, die in seiner Schreibtischschublade lag.40 Bohle hatte keine Rente hinterlassen, so daß seine Witwe unversorgt war. Sie wurde lebenslang von ihrem Sohn unterstützt, um keine öffentliche Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen. In der in- und ausländischen Presse erschienen nur kurze Hinweise auf EWBs überraschenden Tod.41 Sie resümierten seine Stellung im Führercorps des ,Dritten Reichs‘ sowie seine Verurteilung im Wilhelmstraßen-Prozeß und waren, vermutlich als Folge einer dpa-Meldung, fast textgleich und frei von Polemik. Ausnahmen machen die Nachrufe Robert Kempners in der F.A.Z. und, in identischer Form, in der New Yorker Emigrantenzeitung „Aufbau“,42 die Boh39 E. W. Bohle (Hamburg, 17.8.1960) an Dr. H. Fernholz, Mannheim (Original Privatarchiv FRH). 40 Hinweis von Prof. Axel Hausmann (Aachen). 41 Erwähnt wurde Bohles Ableben am 14. November 1960 in: Wiesbadener Kurier, Augsburger Allgemeine, Westfälische Nachrichten, Volkszeitung Kiel, Stader Tageblatt, Harburger Anzeigen und Nachrichten, Frankfurter Neue Presse, Rheinische Post, Hessische Allgemeine Kassel, Westdeutsche Rundschau Wuppertal, Stuttgarter Nachrichten, Westdeutsche Allgemeine Zeitung Essen, Ruhrnachrichten Essen, Göttinger Tageblatt, Bergedorfer Zeitung, Stuttgarter Zeitung, Süddeutsche Zeitung, DIE WELT, F.A.Z., DER SPIEGEL (28.11.60), Industriekurier (12.11.60), LE MONDE (15.11.60). 42 Robert M. W. Kempner, Bohles Bekenntnis, in: F.A.Z. 2.12.1960; Ders., Zum Tode des Gauleiters E. W. Bohle, in: Aufbau, New York, 26.10.1960.
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les Schuldbekenntnis abdruckten. Es ist höchst ungewöhnlich, daß ein Ankläger einen Nachruf für einen von ihm Angeklagten schreibt. Die Londoner „Times“ erinnerte an Bohles Churchill-Besuch und seine Kaltstellung nach Heß’ Englandflug,43 die „New York Times“44 bezeichnete ihn als ehemaligen Leiter der ,Fünften Kolonne‘ und erwähnte, daß er 1940 im Falle eines deutschen Sieges zum Gouverneur Großbritanniens auserkoren und in Landsberg wegen Kooperation mit den Alliierten von seinen deutschen Mitgefangenen gemobt worden sei. Die N.Z. Z. rechnete noch einmal wegen der Gustloff-Affäre mit ihm ab, derentwegen die AO zwar für vier Jahre vom Bundesrat verboten worden sei, „womit jedoch das Wirken der Organisationen Bohles unter der Oberfläche in der Schweiz noch keineswegs ein Ende hatte“. Auch sei der Gauleiter für seine „Unterwühlungsarbeit“ als Staatssekretär ins AA berufen worden.45 Die Zeitgeschichte hatte sich schon einige Jahre zuvor mit Ernst Wilhelm Bohle und der Auslandsorganisation beschäftigt (Louis de Jong, 1953),46 aber erst nach seinem Tod wurde er zum Gegenstand historischer Forschungen, die im allgemeinen gnädig mit ihm verfuhren. Pastor Kruse von St. Jacobi, der den Trauergottesdienst leitete, stellte seine Predigt unter ein passendes Pauluszitat (1. Kor. 15, 42–43), das er jedoch abmilderte: „Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Schwachheit und wird auferstehen in Kraft“.47 Damit ging ein Leben mit Höhen und Tiefen, mit Licht und Schatten zu Ende. Der erfolgsgewöhnte, begabte und weltläufige Parteimann und Politiker büßte sein Engagement für den NS-Staat mit fünf Jahren Haft, der Vernichtung seiner bürgerlichen Existenz und zehn Jahren materieller Unsicherheit, in denen er bei Leuten als Bittsteller auftrat, die einst, als er noch Einfluß hatte, seine Gesellschaft gesucht hatten. Diese Wechselfälle waren nur mit viel Optimismus und Vitalität zu meistern, und an diesen hat es Bohle nicht gemangelt. Wie immer man sein Wirken einschätzt, er ist eine Gestalt der Zeitgeschichte, die sich von vielen Weggefährten in ähnlicher Position durch Eigenständigkeit und Originalität unterscheidet. Dies wurde auch von britischer Seite gewürdigt, z. B. von James Murphy, der Bohle und seine Familie in den dreißiger Jahren in Berlin gut kannte:
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Herr Ernst Bohle, in: THE TIMES, 14. November 1960. Ernst Bohle, 57, Nazi aide, dead. Organizer of Fifth Columns was jailed for being a member of the S.S., in: NEW YORK TIMES, 13. November 1960. 45 Tod eines Funktionärs der NSDAP, in: Neue Zürcher Zeitung, 14.11.1960. 46 Louis de Jong, De Duitse Vijfde Colonne in de Tweede Wereldoorlog, Arnhem: van Loghum Slaterus; Amsterdam: Meulenhoff, 1953 (dt. Übers. Stuttgart, 1959). 47 Der Luthertext lautet korrekt: „Es wird gesät verweslich, und wird auferstehen unverweslich. Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Armseligkeit und wird auferstehen in Kraft“. 44
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I have known Bohle intimately for several years and have always found him upright and honourable in his personal dealings; but, like other Nazis I know who are clean and straightforward in personal affairs, Bohle seems to be also a victim of the Nazi system. This is the vilest feature of the whole National Socialist movement – that it warps the conscience of otherwise decent men when it brings them into its service. It gives them a perverted sense of right and wrong; so that they think that whatever is done in the interests of the Party is justifiable. I am speaking, of course, of the naturally decent men who joined the movement in good faith and not of the born criminals who have blazed the trail for all the evil that has followed.48
Hans-Adolf Jacobsen, der sich vermutlich am intensivsten mit Bohle und der Auslandsorganisation befaßt hat, kommt zu dem folgenden Urteil, das diese Lebensskizze beschließen soll: Seine Mitarbeiter beurteilten Bohle als energievollen Vorgesetzten mit großen Fähigkeiten zur Organisation und Improvisation, der häufig intuitiv reagierte und keinen besonderen Hang zur Systematik zeigte. Was ihm vor allem fehlte, war die Beständigkeit. Er hatte nicht mühsam die Stufenleiter von Sprosse zu Sprosse emporklettern müssen, sondern alles war ihm mehr oder weniger leicht zugefallen. Das kam auch manchmal in seinem Charakter und in seiner Arbeitsweise zum Ausdruck. Literarische oder gar musische Neigungen besaß er nicht. In Grundsatz- und Kompetenzfragen im Inneren konnte er hart und kompromißlos sein. Bei aller Begeisterung für die Sache des Nationalsozialismus scheint er in weltanschaulichen Fragen toleranter gewesen zu sein als seine Gauleitergenossen. Dieser etwas liberalere Zug seines Wesens mag einmal auf seine Erziehung zurückzuführen gewesen sein, aber auch auf die wachsende Einsicht, daß allzu dogmatische Entscheidungen beim Auslandsdeutschtum einfach fehl am Platze waren. Nach einer Mitteilung seines persönlichen Referenten Tesmann ließ Bohle z. B. bei Schulungsarbeiten Rassen- und Religionsfragen nur am Rande behandeln. Unter seinen Mitarbeitern war er allseitig beliebt, zumal er sich unkonventionell gab und gute Kameradschaft hielt (S. 118).
Ernst Wilhelm Bohles Nürnberger Ankläger Robert M. W. Kempner widmete Hermann Bohle Jr. ein Exemplar seiner 1983 erschienenen Memoiren „Ankläger einer Epoche“ und schrieb auf das Titelblatt das folgende Iphigenie-Zitat: „Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt.“
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Murphy, S. 22.
Anhang Why Germany Failed Reflections of a German from abroad (ca. 1946/1947) By E. W. Bohle A German who undertakes the task of writing on the above subject must be fully aware of the fact that his work will be useless, and serve no purpose whatever, unless he is determined to state his opinions and reflections without reserve in as outspoken a manner as possible. Only then can he hope to be given a hearing by the enemies of his country and, simultaneously, to make evident to his compatriots several of the reasons why Germany, in May 1945, suffered a defeat unparalleled in modern history. The world as a whole has been telling Germany and her people ever since what mistakes they have been making and has given them a very vivid account of crimes committed. In short, the world has plainly stated why Germany has completely lost all international confidence. The writer now deems it the proper time for a German, and a former National Socialist, to state his views on the national policy that led to the catastrophic downfall of his country; and, in learning from errors and false judgments of given facts, to show some of the ways and methods Germany must relinquish in order to regain the confidence of the world and her place among the nations. In so doing, the writer fully appreciates the fact that he must have the moral courage to face both the scorn of those enemies of his country, who see fit to doubt his personal integrity in the writing of such an article, as well as – worse still – the contempt of some of his fellow countrymen who may as yet not have grasped the fact that this is definitely Germany’s last chance to pursue a national and international policy that will reinstate her as a nation, and gain her the goodwill of the people of the world. American and British authorities have stated repeatedly that Germany’s resurrection lies largely with herself. Germans, therefore, should be the first to do everything in their power to place their distressed country in line with those principals of national welfare and international goodwill, that are valid among the nations. One of the most tragic mistakes made in German political life was to disregard the sound and patriotic counsel presented to the authorities of the Reich by Germans living abroad. This was the case especially during the National Socialist regime. It was one of the most exasperating features of German foreign policy that such expert advice on political and economical affairs was hardly ever accepted and utilized. In the opinion of numerous leading German citizens abroad, and especially of those overseas, to which the writer as one of them emphatically agreed, the utter lack of knowledge of what the outer world was doing and thinking, found in even the highest German circles, was the fundamental reason for the innumerable miscalculations, underestimates as well as overratings, made in almost every sphere of international
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negotiation. Quite apart from Germany’s foreign policy as // [2] such, this naturally led to a complete misrepresentation, or even disregard, of the possible effects of inner-German legislation and other doings on the outside world. Any German who thinks it fit to deny this statement even today, after history itself has proved its truth, belongs to that class of arrogance and conceit which for decades past has neither desired nor been able to free itself from the notion that Germany is alone in the world, or at least does not need to consider the opinion of other people. Such harsh words are neither untimely nor uncalled for; every attempt possible has been made, on the one hand, to bring Germans from abroad, men of international reputation and longstanding connections in foreign parts, who knew what they were talking about, to political activities in the home country, as well as, on the other hand, to give those who were governing Germany or were designated for future leadership an unbiased view of their country from the outside. The acquisition of such knowledge was, however, deemed wholly unnecessary, and propositions of this nature invariably received the cold shoulder. It is the writer’s firm conviction that many grave and fateful mistakes might well have been avoided, had Germany lent her ear willingly to the warning voice of German citizens abroad; and thereby to those of her sons whose patriotism was certainly no less fervent than that of their brothers at home. It was, moreover, decidedly more realistic, and well-governed by an intimate knowledge of the mentality and ways of other peoples, and of the strength that at its free disposal and abundance of men abroad for every sphere of its activities with foreign countries, successful business men of international fame, scientists of renown, and many others. Bearing the defeat of 1918 and the terrible hardships of the years that followed in mind, these men, and with them the multitude of German citizens abroad, regarded Hitler’s rise to power in 1933 as the dawn of Germany’s reinstatement as a great, respected and powerful nation destined to a prosperous future. Experiences had taught them that the passport of the Weimar Republic was a visiting-card of no international weight. They had viewed with deep concern the disgusting strife between more than 40 political parties in the old country with all its dangerous consequences. It was, therefore, in a surge of truly national sentiment that Germans abroad applauded the decision of the venerable President of the Reich, Field-Marshal von Hindenburg, to give the reins of the Government into the hands of the leader of the national opposition. Very few of the hopes materialized which Germans abroad attached to the new regime with respect to their participation, advisory or otherwise, in matters pertaining to Germany’s foreign relations. The writer knows this from his own personal experience. In spite of a hard struggle to assert themselves which, in accordance with the strict discipline of a totalitarian system, naturally could not emerge into the public field, German citizens abroad remained, for all practical purposes, what they had been before in the eyes of German governments, namely, second-class citizens who were regarded politically as a negligible quantity. The writer’s oft-preached reference to the example of Great Britain which treats subjects of the Empire visiting the home country with exceptional deference, friendly understanding and incomparable courtesy, fully conscious and appreciative of their value, remained without any response // [3] worth mentioning. It often required utmost perseverance and tiresome argumentation to overcome that petit bourgeois way of thinking of certain German authorities who were evidently incapable of comprehending that Germans abroad were entitled to the
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same rights of citizenship as their brethren at home. It was, for that most part, an utter lack of interest that permitted the German communities in foreign countries to manage their own affairs to a certain extent. In the field of foreign relations, Germans abroad with the know-how on the subject at issue were hardly ever asked for their advice, although they never refrained from offering it through every possible channel. Their leading men, however, had not given up the hope that things would change in this respect as the years went on; but the greater the outward power of National Socialist Germany became the lesser was it deemed necessary to solicit, or even accept, the advice of her citizens abroad. When finally war broke out, it was thought that the good services of these men would have been more than gladly accepted; but when victory after victory followed in the first two years, the personnel required for the civil administration of numerous occupied territories was chosen from inland sources, resulting, as it did, in so many unnecessary and harmful blunders which Germans from abroad with their broad-minded and cosmopolitan way of thinking would never have made. This stressing of the importance of „Germandom“ abroad is neither a fixed idea nor a hobby of the writer. It is, and always has been, his deep conviction, for he has experienced only too often the inner helplessness and utter ignorance which characterize so many Germans in their dealings with foreign matters. For some reason or other, the average German does not seem to have the knack of getting on with foreigners, however ardent and honest his desire to do so may be. It is well known that the German who travels abroad for the first time either immediately tries to copy in every respect the natives of the country he is visiting, thereby losing all national dignity, or falls into the other extreme of loudly praising everything German as better. The latter category also seldom omits to give foreign acquaintances gratuitous advice on their own domestic affairs. In contrast with these short-stay travelers it must be said of hundreds of thousands of Germans who have taken their more or less permanent domicile abroad, that they are highly-esteemed and honored guests of the countries in question. Moreover, it is also undoubtedly true that in every country a large percentage of the people know little or nothing of foreign lands; but, in the first place, most other nations evidently have a greater adaptability to the understanding of foreigners, and how to get on with them; and secondly, some law unwritten and unspoken-of seems to ensure that only such men handle foreign relations who have either gained the necessary experience abroad, or have that indispensable spirit of cosmopolitanism in their very personality. It is one of the tragedies of German history that the average German lacks the gift of balanced judgment in foreign affairs. This undeniable fact will have to be accepted also by those who have failed to recognize it as the basic reason for so many grave errors of the past. The activities of German diplomacy, however efficient its general routine work may have been, have but seldom tended to counteract this national deficiency. It is known all over the world that the Germans are a hard-working and exceptionally industrious people, that they are excellent soldiers with a proud military history through many centuries // [4] past, that there are innumerable German names among the most famous scientists, musicians, engineers, explorers, philosophers, poets, colonizers, inventors, and other men of immortal fame. But there is very little mention in world history of outstanding German diplomats. If we except the Rhinelander, Prince Metternich, who achieved such fame in Vienna, the last centuries have
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given history only two German diplomats of renown – Frederick the Great and Bismarck – who, however, failed to train successors capable of upholding their reputation and tradition. It will seem queer to every student of history and foreign affairs that such a highly-gifted nation as the German should so conspicuously lack these faculties that make diplomats. It is, nevertheless, a truth that is all too obvious, and which coincides with what has been said about the general intercourse of the average German with other nationals. It cannot be assumed that the lack of this gift lies in the nature of the German race as such. The many millions of Germans who have become 100 percent Americans in the course of time, and are highly-respected and valued citizens of the United States, are a proof of the contrary. The writer has come to the conclusion, most probably arrived at to no small extent by having spent his youth and having received his upbringing in Anglo-Saxon surroundings that there must have been in the general political education of the German people something essentially wrong, which has been so detrimental to their contact with other nationals. The Austrians, for instance, who belong to the German race no less than the Bavarians, Prussians, Saxons, and others, have demonstrated throughout all their history, and up to the present day, that they understand excellently how to get on with foreigners; they have, in fact, always been decidedly popular everywhere in the world. They are charming people who let live and live, and well understand how to make the most of life. They are also very good soldiers and certainly clever diplomats. In Hamburg, Bremen, Berlin, Cologne, Munich, and some other cities one can meet many Germans who in this respect resemble the Austrians for the very simple reason that they have either been abroad themselves for some time, or have, through regular contact with the outside world, given their ways, homes, and families that touch of broadmindedness and internationalism which the Austrian seems to acquire by birth. In their feelings, in their sense of duty, and in their loyalty to the nation, all of them are just as staunch and patriotic Germans as any of the others. Only the petty blindness of narrow-minded ignoramusses can deny this and overlook the fact that Germans of this type could have served their country a good deal better in the past, than some of those men in responsible positions whose horizon reached no farther than the end of their own nose. The writer’s constant studies of this problem have always brought him to the use, or rather misuse, of a certain word in the German language which for decades past, in his opinion, has been mainly and basically responsible for the colossal damage to Germany’s international relations, the consequences of which we are facing today. This word – Weltanschauung – in its widespread distorted and nebulous interpretation, is typical of the German’s innate love of the problematic. Significantly enough, it is regarded as specifically German and has, therefore, not been translated. Literally translated it would mean the way of looking at the world, a kind of world eyeview, and as such would seem harmless enough. Thus regarded, it may be supposed that everybody on earth has some kind of a Weltanschauung with which he views his personal life and being // [5] within the framework of the universe. Why, then, should there be anything different, or even dangerous, if a German has a Weltanschauung? In the normal course of things there would be no difference and no danger, were it not for the fact that the German people, unconscious to themselves and by different methods at different times, have been educated to believe that a rigid Weltanschauung is the most important thing in life and, of course, something typically and exclusively German. It
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was by no means for the individual to choose his own Weltanschauung in conformity with his personal ideas and inclinations. The necessities of the Fatherland would dictate it to him; and everything in life, every phase of his daily activities – even of a private nature – would be subordinate to it. The Weltanschauung would show the way in which the individual could best serve his country. The logical and strict pursuance of this course, no matter what Weltanschauung happened to prevail, or by what party or individual it was preached, took such possession of and obscured the German mind that freedom and independence of thought, and even of personal life-building, naturally had to decay. This process passed unnoticed through many decades of German national life, intolerance, although seldom realised as such, increasing as time went on. A Weltanschauung was a doctrine, a dogma; never flexible and leaving no scope for selfreasoning and discussion, no matter how earnest and truthseeking this might be. The Weltanschauung reigned supreme over everything in political life; whatever seemed to be useful for the attainment of its aims was pressed into it. For example Bismarck’s „Blood and Iron“ saying was, certainly without his intention, grasped by enthusiastic German die-hards and made one of the maxims of a new Weltanschauung. They completely forgot that it was an expression inspired by the necessity of the moment and no new German intention, because quite a few other empires and states had been set up by nothing less than blood and iron. What they failed to comprehend most of all, however, was the enormous harm the preaching of such a theory was doing to Germany. There are other examples of the similar and wholly unnecessary raising of onetime famous sayings to national axioms, and their embodiment in a Weltanschauung, followed by an intoxication of the German mind that has to no small degree led to such national disaster. In the sphere of private life, the following one example of many, unimportant as it may seem at first, will serve to demonstrate how far the narrow-mindedness of a Weltanschauung could go. Some years after World War I, tens of thousands of German women and girls had taken to the habit of using lipsticks, rouge and other forms of make-up. These who had the know-how of a clever make-up suited to their type, looked very smart and chic; others looked like freaks. Some German men wanted their wives or girl friends to adopt it, others abhorred it. This was presumably the case in all countries; still is today; and will remain so in the future as a matter of personal taste, and of an essentially private nature. Not so in Germany. Here the question was raised to the level of a Weltanschauung, of patriotic feeling, of living up to what fanatics of both sexes termed „the nature of German womanhood“, or of gravely sinning against it.// [6] It is no simple matter for other people to understand fully what Weltanschauung has meant to Germans, and to what great measure it has influenced the whole German mind, although the overwhelming majority of the German people have hardly been conscious of the fact. It derived its power of mental domination primarily from the indisputable truth that few Germans, if any, were in a position to give a clear definition of what they actually understood by Weltanschauung. This will sound rather enigmatic to Anglo-Saxons, yet ist was virtually the haziness of a Weltanschauung that more often than otherwise appealed to Germans and held them spellbound. It is, therefore, no wonder that National Socialism, after having gained supreme power in a parliamentary system in a hard 14-year struggle with many ups and downs, was regarded
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by the masses as the incarnation of their one and only Weltanschauung, destined to fulfil the old German dream of a thousand years‘ Reich. Patriotic sentiment rose high in the first few years of the new regime. Germany was rapidly regaining the standard of a powerful nation; the unemployment evil had been banished from the homes of many millions of her citizens, and prosperity and progress were visible in other sectors of life as well. The success of what seemed a wise and cautious foreign policy, and the striking improvement of the general labor situation, served at first to distract public attention from certain other activities, which ultimately not only ruined the unity of the German people, but also defiled the German name in the world. The scope of a newspaper article does not permit the writer to deal at any length with all the grave mistakes and wrongs committed in the course of National Socialist government. It will, therefore, be possible to outline only some of them. The position Germany had achieved outwardly by the fall of 1938, surpassed by far even the hopes of the greatest of optimists. The Treaty of Versailles was, apart from some territorial questions, practically dead. An international plebiscite had returned the Saar territory to Germany, and the Rhineland was completely under German sovereignty. All restrictions against the building-up of Germany’s armed forces had been abolished. Austria was part of the Reich and, however reluctantly in some cases, accepted as such by the Powers. Munich had given Germany the Sudeten territory and with it another 3 1/2 million Germans. An agreement with Italy had settled the South Tyrol question; Alsace-Lorraine was not considered a casus belli between France and Germany. Germany’s shipping and foreign trade were flourishing as had not been the case for many years. The grand and efficient style of the Olympic Games held at Berlin in 1936 had impressed tens of thousands of foreigners who had come to the capital of the Third Reich and thereby into contact with National Socialist Germany. Mr. Winston Churchill had written his famous article in the London Evening Standard of 17 September 1937 entitled „Friendship with Germany“. In it he vigorously denied that he was, on principle, an enemy of Germany, but candidly stated what Britons thought objectionable about the regime. He lauded Hitler as the indomitable champion of the German people who had accomplished so much for his country that the world could only hope he would now become the Hitler of peace. In a 70 minute talk with Mr. Churchill in London a few weeks later the writer had the opportunity of frankly discussing with him in the most friendly manner several questions of Anglo-German relations. // [7] Germany’s rise from a defeated nation to a world power in the course of five years, was an unparalleled achievement that could well have satisfied in the least with public opinion abroad, it was clear that still more would mean too much. What then followed in the field of foreign policy, however, was a series of blunders and grave miscalculations which jeopardized all that had been won, confirmed the over-increasing and widespread doubts in Germany’s peaceful aims, and shattered whatever confidence she had enjoyed internationally. In the eyes of a watchful world studying the phenomena of so new a government system, the swordrattling and threats in the multitude of speeches held by German leaders naturally aroused considerable alarm and overshaded the declarations of peace with which they were strangely intermingled. The dismemberment of the Czechoslovakian state, no matter what the actual role of President Hacha was, indicated to the Powers a policy diametrically opposed to what had been said and done at the Munich conference with regard to Germany’s territorial
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claims. Not only that: the supporters of Munich in England and France, whose position had been difficult enough for that, felt themselves definitely fooled. The very unwise handling of the Danzig and Polish problems during the months that followed completely destroyed what was left of international confidence. Germany had thus, in the course of less than a year, forfeited all international credit by the wholly unnecessary and untimely attempt to force solutions, some of which, such as Danzig, might well have been arrived at in a non-arbitrary fashion in later years. Her great folly was, once again, her absolute misjudgment of the political situation and given possibilities, and her utter disregard of world opinion. Never did Germany require able leadership in foreign policy more than at this time. It is one of her greatest tragedies that she so visibly lacked it. In several spheres of domestic affairs National Socialism pursued a policy of gradually increasing intolerance that was bound to estrange, in time, millions of Germans who had been devoted followers of the new order. The suppression of freedom of speech and press was one of the features of this policy. Even if it may be admitted, as to a certain extent it must, that restrictions of such a nature were at first necessary, there was neither reason nor necessity for continuing this practice over many years. At heart the German is one of the most critical of persons and, unhappily for his government, often given to criticism for the sheer love of it. This, and his most unfortunate habit of analyzing and complicating each and every matter as much as possible, was the reason that Germany had far more political parties than any other country. It was understandable, therefore, that a new government backed by a clear majority of voters should think it conducive to the national interest to impose certain restrictions in order to be able to get to work. It was a great psychological delusion, however, to cut off altogether every form of criticism, and to make a permanent system thereof. Not only is freedom of speech and press a sovereign right of every modern nation, as well as a matter of human dignity; it is the only genuine way in which public opinion can be brought to the attention of the rulers. National Socialism always emphasized that it represented the people’s will; which was, at first, undoubtedly the case. The continued gagging of public opinion, however, even after the power of the government was consolidated, aroused // [8] the first opposition of many thoughtful Germans whose sound advice would have helped to avoid many serious mistakes and to uphold the popularity of the system. The ever-increasing censorship of speech and press, limited by no means to the public in general, but also rigorously applied within the party itself, gradually eliminated one possibility after another of constructive criticism and did excessive harm to the confidence of the people. Only the iron discipline exercised by a totalitarian government and long-cherished hopes – which unfortunately never materialized – that the reins would be loosened in time, prevented bitter outbursts of public dissatisfaction. However given to criticism at all costs the average German may be, his patriotic feelings and national discipline are such that a wise government will seek to retain his confidence by giving him every reasonable opportunity of frankly stating his mind. At heart the German is an idealist and a dreamer, and just as democratic as the Americans and Britons are. There are many incidents in history to demonstrate this. A characteristic one was the attempt at a democratic revolution in 1848. That it failed was not the fault of the many good patriots involved, such as Carl Schurz who emigrated to the United States, but simply because things were not yet ripe for democracy. An-
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glo-Saxons are apt to forget that the Germans were never really united, and that their unfortunate geographical position in the heart of Europe cannot be compared to the „splendid isolation“ of Great Britain and America. The Holy Roman Empire of German Nationality, of which a wit once said that it was neither holy, Roman, nor an empire, passed away almost unnoticed in 1806. It had been anything but a unity. For the next 60 or 70 years some 30 odd royal houses reigned over the German people, each looking to their own dynastic advantage. Bismarck’s Reich was a tremendous step toward unity and constitutional monarchy. The existence in this, the Second Reich, of several reigning kings, grand dukes, princes and other royalties, most of whom had by no means given up their old autocratic ideas, was however, anything but helpful to unity and certainly did not promote democracy. The republic of 1918, throttled by the Treaty of Versailles and treated with disdain by the western democracies, stood no chance, and completely failed to win the hearts of the German people. Had this been otherwise, and had republican leadership been more able, the two extremes, National Socialism and Communism, would never have gained the hold on the people that they actually did. Another grave offense against good morals of which National Socialism was guilty was that it permitted some of its influential leaders to interfere with matters of religion. Anybody who knows anything of German history must be fully conscious of the fact that religious intolerance is one of the things the German will not put up with. Deeply religious as the German is by nature, it will always be the wisest course for any government to win and retain the confidence of the churches in its rule. The attitude of National Socialism toward this vital question seems all the more incomprehensible, in as much as the party program expressly declared positive Christianity to be one of its aims. A great number of clergymen of both Christian churches were ardent supporters of the party in its fight for power; and with them, hundreds of thousands of voters regarded National Socialism as the most effective safeguard against the steady growth of atheism. There was no necessity-of-state to justify this attitude; no strong government supported by the // [9] confidence of its citizens need for the antagonism of some clergymen who are more given to politics than to the fulfillment of their spiritual duties. Ever since Christianity came to Germany she has been a stronghold of all the ethical values the Christian spirit embodies; any attempt to alienate the Germans from the Christian belief constituted nothing less than a sin against their very nature and was, therefore, doomed to failure. Had National Socialism kept to its programmatic pledge and learnt from the tolerance and broad-mindedness of Frederick the Great in religious affairs, there would have been at least one dark chapter less in the book of its rule. In the eyes of a civilized world, National Socialism, both as an ideology and as a system of government, will be marked by the ghastly atrocities committed in its name. These will forever overshadow all positive accomplishments during its 12-year regime, and they will likewise obscure the unmarred idealism which inspired countless of its followers. These crimes that have now been brought to light have horrified the German people no less than the other civilized nations. There is no conceivable excuse for the originators of the wholesale and coldblooded murder of innumerable human beings, men, women, and children. The German people should be, and the writer believes they are, too proud to vindicate their national honor solely by referring to crimes and misdeeds committed by other nations, some of which are at least on par
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with what National Socialism is accused of. The national honor of a country is an absolute quantity and possesses the ethical standard the people give to it; it cannot be made the subject of comparison. The question at issue is also not one of concentration camps as such, which have been employed by other countries long before they were introduced in Germany; nor is a question of whether there was, or was not, a Jewish problem in Germany. These crimes against Jews, Germans and others who were considered enemies of the state constitute the blackest of all sins, the sin against human life as the creation of the Almighty. A low estimate of human life and callousness to human suffering is not, and never has been, a trait of the German character. It must, therefore, be the solemn pledge and foremost duty of every German who loves his country to do all in his power to remove from the name of Germany the blot which the deeds of criminal brains have cast upon it. These reflections are naturally not exhaustive and can but give a general outline of some of the reasons which led to Germany’s catastrophe and have outlawed her in the eyes of the world. It is only just to add that in the past mistakes have certainly also been made by the Powers in the treatment of Germany. What Germany now needs is neither compassion nor mercy, but a fair and honest chance to set up a democratic house. With able leadership supported by a wise occupation policy, she will succeed, provided war feeling and national hatreds are superseded in time by a will to understand and to help an unhappy people to break with the past and build a new future. That they have suffered terribly, nobody will deny. Millions of their men fell in battle or are missing; their cities and homes are reduced to a shambles; hundreds of thousands of civilians, men, women, and children, were killed by the bombing raids; some 8 to 10 millions have been expelled from their native soil and pressed into other already overcrowded areas; innumerable families have been torn apart, some never to meet again; millions have lost everything they possessed. The whole nation is facing // [10] chaos, cold, hunger, and a hard and dismal future. All this has come upon a people who labored and suffered tremendously under the hardest of conditions for almost 6 years in fulfillment of what they had to consider their national duty. The writer has the fervent hope that a plan to the people of the United States of America to help this great, unhappy and misguided country in the heart of distressed Europe will receive a response. Only the practical wisdom of the greatest of democracies can give Germany the political guidance and moral support she needs. Let there be a stop to the talk of the militaristic German by educating him to realize that it is the only duty of a soldier to defend his country, his home, and his personal and national freedom, against aggression and encroachment; that an army, therefore, is a necessary evil and not in itself the noblest of professions; for, by nature, the German is no more war-loving than anybody else. Let there also be a stop to the myth of a „criminal“ German race. All that Germans have for centuries past given the world in so many fields of humanity, culture, and civilization, is an eloquent contradiction of such an assertion; this quite apart from the insult which such a myth hurls at some twenty million Americans of German descent. After the devastations and unspeakable horrors caused by two World Wars, humanity is today craving for peace. Europe is doomed to chaos without it. Her call for help and guidance goes to that great nation whose very population symbolizes so admirably how all the numerous European races can live together in a spirit of peace, understanding, and mutual goodwill. America has given her European parents a magnifi-
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cent display of her national unity and her international responsibility to the grand cause of human freedom and progress. May she now respond wholeheartedly to the appeal of distracted Europe and thus fulfil her sublime mission to history and humanity. [Original Privatarchiv FRH, # Hermann Bohle, Signy b. Genf]
Quellen- und Literaturverzeichnis Quellen Ungedruckte Quellen Berlin, Bundesarchiv (BArch) BDC/PK-Bohle, Ernst Wilhelm BDC/SSO-Bohle, Ernst Wilhelm BDC-Franz Xaver Hasenöhrl NS 9/14 (Anordnungen, Tagesbefehle der AO, 1939–1943) NS 9/15 (Anordnungen der Leitung der AO, 1942–1943) NS 9/65–85 (Rückwandereramt) NS 9/260 (Korrespondenz mit der AO, meist 1939) NS 9/264 u. 265 (Durchschriften von Tagesausgängen der verschiedenen Abteilungen der AO, 24.–25.4.1939; 26.4.1939) NS 9/266 (Tagesbefehle 1936) NS 9/268 (Korrespondenz mit diversen Stellen der AO, 1937–1942) NS 19/2029 (Korrespondenz Himmler-Bohle) NS 19/2185 (AO und die „gesamte germanische Arbeit“) NS 19/2506 (Juni 1942: Interessen des Leiters der Auslandsorganisation der NSDAP, Gauleiter Bohle, in der kolonialen Frage) NS 22/746 (Organisation der Betreuung der Ortsgruppen, Stützpunkte und Zellen der NSDAP sowie der Mitglieder der NS-Betriebszellenorganisation und Deutschen Arbeitsfront an Bord der Handelsflotte) R 42 II/1409b (Reichskanzlei, DAI und AO) R 57/171/1 (Korrespondenz 1940/41) R 57/181/40 (Korrespondenz DAI mit AO) R 57neu/340 (Unterlagen/Korrespondenz von Karl Götz) R 187/293 (Sammlung Schumacher) R 187/294 (Sammlung Schumacher)
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Abbildungsnachweis Umschlagbild: „Drei Generationen Bohle gratulieren dem Führer zum Geburtstag am 20. April 1938 in der Neuen Reichskanzlei“, in: Hellmut Kirchner, Hermann Bohle. Leben, Kämpfen und Denken eines Auslandsdeutschen, Berlin: Deutscher Verlag [ca. 1942], S. 86 # Hermann Bohle, Signy b. Genf Abb. 1: Hellmut Kirchner, Hermann Bohle. Leben, Kämpfen und Denken eines Auslandsdeutschen, Berlin: Deutscher Verlag [ca. 1942], S. 108 # Hermann Bohle, Signy b. Genf Abb. 2: Auslands-Organisation der NSDAP. V. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1937, Publikation der NSDAP-Auslands-Organisation, 1937, Bl. 3 # nicht feststellbar Abb. 3: Großdeutschland und Auslandsdeutschtum. VI. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1938, Berlin: Fritzsche-Ludwig KG, 1938, Bl. 5 # nicht feststellbar Abb. 4: Auslands-Organisation der NSDAP. V. Reichstagung der Auslandsdeutschen Stuttgart 1937, Publikation der NSDAP-Auslands-Organisation, 1937, Bl. 9v # nicht feststellbar Abb. 5: # The Daily Express, London Abb. 6: # US Army Photograph
Namenregister (Die häufig vorkommenden Namen Ernst Wilhelm Bohle, Rudolf Heß, Adolf Hitler und Joachim von Ribbentrop werden nicht eigens verzeichnet.) Abetz, Otto 222 Achenbach, Ernst 114, 217–218 Achenbach geb. Goodell, Margaret 217 Adenauer, Konrad 251, 256 Ahrens (OGL in Luzern) 126 Albrecht, A.B. 35 Albrecht, Erich 137 Alt, Erich 190 Amen, John Harlan 107 Andrus, Burton C. 196 Ansanger, Hans 51 Antonescu, Ion 10, 188 Arent, Benno von 152 Bachmann, Fritz 48, 199, 236 Bachmann, Gertrud s. Bohle geb. Bachmann, Gertrud Bachmann geb. Nölting, Marie 48 Bachmann, Peter 48, 141 Bartels, Heinrich 102 Bayer, Karl 107 Beauvais, Peter 58, 119, 168 Becker, Hellmut 213, 218 Becker, Johannes Heinrich 104 Becker, Theodor 106 Beckerle, Adolf-Heinz 142 Behrends, Hermann J.H. 81 Behrens, Rainer 107 Beit, Alfred 28 Bene, Otto 100, 101, 142, 151 Bennett, Benjamin 32 Berger, Gottlob 195, 216–217 Bergmann, Helmut 244 Bernard, Hans 102, 124, 142–143
Bernhardt, Johannes 115 Best, Werner 163, 183, 244 Bethge, Herbert 177 Bethke, Friedrich 228 Bibra, Sigismund Frhr. von 102, 113, 131, 144, 190 Bismarck, Otto Fürst 183, 264, 265, 268 Bisse, Wilhelm 50 Blancke, Wendel W. 73, 208 Blaskowitz, Johannes 200 Blomberg, Werner von 80, 115 Blum, Léon 115 Bodenschatz, Karl 200 Bodenstein, H. D. J. 44, 50 Böhme, Georg 142–143, 244 Böttger, Walter 107 Bötticher, Friedrich von 200 Bogner, Josef 256 Bohle, Adele 25 Bohle, Anita 197 Bohle, Antonie Jr. 240 Bohle geb. Knode, Antonie 22, 25, 27, 29, 32, 35, 36, 39, 91, 96, 199, 209– 211, 219, 239, 240, 249–250, 273 Bohle, Ernst Wilhelm Sr. 22–28, 42, 44, 150, 245–246 Bohle, Erwin 44 Bohle, Eugen 44 Bohle, Friedrich Wilhelm 22, 23 Bohle geb. Bachmann, Gertrud 6, 45, 48–49, 52, 82, 90, 91, 96, 98, 146, 153, 199, 204, 210–211, 218, 236, 246, 250, 258
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Namenregister
Bohle verh. Krüger (Krueger), Hanny (Johanna) 25, 36, 39, 96, 199, 240, 258 Bohle (Knode), Heinrich Oskar 8, 23, 25, 31–32, 34, 39, 42, 50, 141, 173, 237–244, 249, 272, 273 Bohle, Hermann Jr. 6, 11, 12, 46–47, 48–49, 55, 73–74, 90, 91, 95, 96, 140, 175, 183, 185, 198, 199, 204, 208, 210, 235, 236, 247, 250–252, 258 Bohle, Hermann Sr. 6, 8, 21, 22–39, 40, 42, 43, 44, 47, 50, 85, 91, 105, 149, 157, 219, 239, 240, 257, 273 Bohle verh. Franke, Hermine 25, 27, 36, 43, 199, 249, 258 Bohle geb. Fernholz, Ida 23 Bohle geb. Dick, Ilse 240 Bohle verh. Kohrs, Marianne (Anna Maria) 25, 27, 36, 39, 199, 209–220, 258 Bohle geb. Schuhmacher, Maria Theresia 211, 238, 249 Bohle, Rudolf 44 Bohle, Sidney Ernst Wilhelm 256 Bohle, Stefan 45 Bohle geb. Vadasz, Violet 240 Bohle, Wilhelm Adolf 44–45 Bohlen, Hans 238 Boris III., Kg. von Bulgarien 146, 177– 178 Bork (LGL in Mexiko) 107 Bormann, Ilse (Eike) 175 Bormann, Martin 66, 75, 84, 135, 140, 144, 165–166, 171–172, 174–176, 185–186, 191, 195, 197, 224 Bormann, Rudolf (Herbert Gerhard) 175 Botha, Louis 38 Bouhler, Philipp 163, 176–177 Brand, Heinrich 101 Brandt, Gottfried 106 Brandt, Rudolf 178 Brase, Fritz 101 Brausewetter, Karl 100 Brehm (Außenhandelsamt der AO) 226 Brepohl, Friedrich Wilhelm 52, 72–73
Brückner, Heinz 81 Brückner, Wilhelm 128 Brunner, Johann Georg 100 Buch, Walter 124 Bührle, Emil Georg 244 Bülow, Bernhard Wilhelm 136 Bülow, Fritz von 233 Bülow-Schwante, Vicco von 90 Bürckel, Josef 5, 130 Bürgam, Carl 102, 143 Büsing, Hans Carl 167 Burbach, Friedhelm 97, 103, 117, 141 Burckhardt, Rudolf 242 Burkart, Odilo 234, 254–256 Burmeister, Wilhelm 87 Butting, Otto 102, 142–143 Cairncross, Thomas W. 28 Canaris, Wilhelm 115 Carol II., Kg. von Rumänien 188 Carruthers Beattie, Sir John 27 Carruthers Beattie geb. Paton, Lady Elizabeth 27 Cartwright, Gene H. 209 Chamberlain, Houston Stewart 211–212 Chotjewitz, Peter O. 112 Christians, George 224, 226 Churchill, Winston S. 10, 146–151, 169, 186, 189, 194, 259, 266 Ciano, Galeazzo 153 Claussen, Julius 102 Codreanu, Corneliu 188 Conrad, Hermann 111 Corbett, Sidney 256 Cossel, Hans-Henning von 106 Crawford, Archibald 241 Cropp, Joachim 156 Csaki, Richard 86, 125–126 Czáky, István 153, 155 Daladier, Édouard 189 Dalldorf, Julius 100, 108 Daluege, Kurt 75, 124–125
Namenregister Dammann, Ernst 105 Danckers, Hugo 107 Darányi, Kálmán 153 Darré, Richard Walt(h)er 47, 75 de Boor, Helmut 111 De Cicco (Mitglied des Berliner Fascio) 94 Dedering, Carl 107, 143 de Jong, Louis 5, 259 Della Morte (Mitglied des Berliner Fascio) 94, 120, 128 Dethlefsen, Erich 200 Deutsch, Harold C. 73, 208 Diehl, Heinrich 101 Dienstmann, Carl 138 Dietl, Eduard 132 Dietrich, Arthur 103, 116 Dietrich, Otto 76, 159, 216, 250 Diewerge, Wolfgang 114, 162 Dirksen geb. von Laffert, Viktoria 96 Dirksen, Willibald von 96 Dittler, Wolfgang 167 Dönitz, Karl 182, 196–198, 200–201 Döscher, Hans-Jürgen 176, 179, 182 Domarus, Max 72 Douglas-Hamilton, Douglas, 14. Duke of Hamilton 169–174 Dräger, Friedhelm 106, 144 Draeger, Hans 184 Drechsel, Joseph 100, 177–178 Dresbach, August 250–251 Drexelius, Wilhelm 246, 248 Dürckheim-Montmartin, Charlotte Gräfin 91 Dürckheim-Montmartin, Karlfried Gf. 33–34, 90, 91 Eberstein, Karl Frhr. von 179 Eden, Anthony 200 Eduard VIII., Hg. von Windsor, Kg. von Großbritannien 171 Ehrhardt, Hermann 46, 142
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Ehrich, Emil 67–68, 73, 95, 100, 101, 141, 144, 161 Eichmann, Adolf 212, 258 Eigruber, August 21 Eisele (Bund der Deutschen im Ausland) 173–174 Eisenhower, Dwight D. 198 Elsen, Bernd 43 Emmett, Eric 30, 274 Empting, Rudolf 101, 225 Engelmann, Herbert 100 Epp, Franz Xaver Ritter von 177, 200 Epps, Harrison Jr. 209 Erdmannsdorff, Otto von 82, 153, 155, 217 Erhard, Ludwig 250, 251 Ernst, Robert 78–79 Esp, Henry 101, 103 Ettel, Erwin 101, 103, 107, 120, 126, 143, 145, 159, 161, 166–167 Fabricius, Wilhelm 152 Faupel, Editha 117 Faupel, Wilhelm 75, 116–117, 180 Fehl, Philipp (Pinhas) 119 Fernholz, Ernst Hermann 43, 45–46, 246, 249, 252–258 Fischer, Ernst 254 Fischer, Robert 95, 115, 141 Flechtheim, Ossip K. 7, 213 Flick, Friedrich 214, 217, 233, 235–236, 252, 254–256 Florian, Friedrich Karl 61 Forster, Albert 163 Franco y Bahamonde, Francisco 71–72, 75, 115–117, 206 Frank, Hans 43, 75, 155, 205, 212 Frank, Karl Hermann 202 Franke, Hermine s. Bohle verh. Franke, Hermine Franke, Karl 26, 36, 199 Frank-Fahle, Günther 225, 252 Frankfurter, David 112–114, 161
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Namenregister
Freisler, Roland 163, 179, 215 Frerck, Johannes 104 Frick, Wilhelm 47, 130, 159 Fridrich, Hans 132 Friede, Viktor 104 Friedrich II., der Große, Kg. von Preußen 264, 268 Friedrich Franz, Erbgroßhg. von Mecklenburg 143 Frielitz, Karl Friedrich 100 Funk, Walter 75, 80, 120–121, 200 Fyfe, Sir Maxwell 205 Gajewski, Fritz Martin 217 Gall, Leonhard 130 Garlipp, Richard 105 Gaus, Friedrich 158, 193, 215–216 Gautier, Paul 242 Gebhardt von Hahn, Fritz 95, 141–142 Georg V., Kg. von Großbritannien 168 Gerlach, Helmut 101, 104, 225 Gerlach, Margarete 237 Gierlichs, Hanns 225 Giese, Walter 107 Glaise-(von) Horstenau, Edmund 82, 117–119, 129 Gnauck (LGL in Reval) 100 Goebbels, Joseph 5, 10, 22, 68, 70–72, 109–110, 122, 126, 130, 133, 138– 139, 141, 146, 156, 161, 165, 172, 182–187, 202, 216 Goebeler, Margarete 96 Gödde (stellv. LGL Brasilien) 226 Goerdeler, Carl 132 Göring, Hermann 65, 80, 115, 122, 126, 171, 200, 201, 204, 212, 213, 226 Gößling, Karl Giselher 130 Goethe, Johann Wolfgang von 260 Göttling, Hans 102 Götz, Karl 271 Gombel, Elisabeth 48–49, 155, 199, 209, 217–230, 236–237, 250 Gossmann, Heinz 102, 141–142
Grabowski, Franz 254 Graeb, Wilhelm 103, 143, 153, 155, 183 Graf, Gerhard 243 Graham, Walter R. 236 Greiser, Arthur 163 Griffith-Jones, J. M. G. 206–207 Grimm, Friedrich 112–113, 122 Groeben, Hans von der 252 Groscurth, Georg 11 Gross, Walter 47, 124 Grothe, Willy 50–52, 226 Grothmann, Werner 180 Grünau, Werner Frhr. von 135, 140 Grynszpan, Herschel Feibel (Hermann Grünspan) 161–162, 222, 275 Gühler, Thomas 104 Gürtner, Franz 47 Gütt, Arthur 47 Gustloff, Hedwig 112–113, 122, 127 Gustloff, Wilhelm 70, 93, 102, 112–114, 124, 126–127, 130, 161, 162, 259 Habermann, Hans 96 Hácha, Emil 266 Hachtmeister, Lutz 232–234, 255 Haeflinger, Paul 225 Hammer, Margarete 96 Hammersen, Heinrich 143, 181 Hans von der Dörspe, Ps. für Hermann Bohle Sr. Hansen, Carl 237 Hansen, Henrich 159–160 Harris, Davis 208 Hartrich, Edwin 22 Hasenöhrl, Franz Xaver 70, 97, 103, 173–174, 271, 272, 275 Hassell, Ulrich von 136 Haupt, W. 100 Haus, Friedrich 143 Haushofer, Albrecht 77, 79, 83, 169– 174 Haushofer, Karl 10, 77–80, 83–85, 169– 174
Namenregister Hausmann, Hanns Axel 258 Hausmann geb. Bohle, Ida 6, 22, 23, 25, 36, 197, 246, 250 Hausmann, Friedrich (Fritz) 23, 44–45, 63–64 Hederich, Karl 163 Heide, Walther 75–76, 241 Heidecke, Robert 102 Heilpern, Bert 213 Heißmeyer, August 75 Helferich, Ernst 79 Helfferich, Emil 35 Hellermann, Hans 103, 116 Henlein, Konrad 163 Henquinez, Henri 242 Hensel, Herbert 103 Hentschke, Gerhard 107, 226 Henze, Werner 254 Herold, Karl 100 Hertzog, James Barry Munnick 30 Heß, Alfred 50, 66, 68–69, 104, 170, 172, 175, 207 Heß, Fritz 66–67 Heß, Ilse 66, 68–69, 75, 205 Heß, Karl Gerhard 105 Heß, Klara 66 Hesse, Fritz 186 Heudorf, Heinz 254 Heusler (Mitglied der DSAG) 35 Hewel, Walther 50–51, 143, 173–174 Heydrich, Reinhard 174–175 Hildebrand, Friedrich 61 Hillebrand, Wolfgang 254, 257 Hillmann, Rudolf 103 Hillson, Norman 242 Himmler, Heinrich 10, 21, 23, 68, 69– 70, 80, 81, 91–92, 124, 126, 130, 142, 148, 166–167, 172, 174–175, 176–182, 194, 197–198, 224, 227, 271 Hindenburg, Paul von 262 Höbsch (Mitarbeiterin der AO) 237 Höscher, Henri 105 Hoffmann, Heinrich 158–159
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Hoffmann, Julie Ferdinandine 72–73 Hohmeier (OGL von Liechtenstein) 102 Hohmeyer, Friedrich von 104 Holzweber, Franz 130 Hóman, Bálint 153 Horthy, Miklós 10, 154, 208 Howard, Harry N. 73, 208 Hubl, Carl 105 Hübner, Karl 106, 226 Hundelshausen, Baron Guillermo von 108 Hundhausen, Carl 48 Hunke, Heinrich 133 Huttula, Gerhard 121 Ilgner, Max 225 Jachens, Ludwig 31, 273 Jackson, Robert H. 213 Jacobsen, Adolf 5, 66, 79, 83, 260 Jagwitz, Eberhard von 173 Jagwitz, Fritz von 177 Jahre, Wilhelm 100 Jaissle, Otto H. 104 Janssen, Otto 105 Jodl, Alfred 200 Jordan, Julius 103 Jordan, Rudolf 98, 172–173 Joyce, William gen. Lord Haw-Haw 21 Jüttner, Max 180 Jung, Patricia 191–192 Junod, Marcel 190 Kaffka, Annemarie 199 Kaffka, Elisabeth 199 Kaletsch, Konrad 234–236, 253, 254 Kánya, Kálmán 153 Karl V., Dt. Kaiser 60 Karlowa, Otto 100–101, 150, 151 Karmasin, Franz 163, 194 Karpenstein, Wilhelm 21 Kaufmann, Karl 75, 84, 177
294
Namenregister
Keitel, Wilhelm 191 Kempner, Robert M.W. 49, 140, 170, 173, 201, 204, 209, 212–213, 215, 218–230, 235, 247, 251, 258–260, 274 Keppler, Wilhelm 136, 138, 216–217, 228 Kern (LGL in Norwegen) 102 Kershaw, Ian 168–169 Keser, Artur J. 254 Kesselring, Albert 200 Kessels, H. 104 Kiesselbach, Theodor 248–250 Kiewiet, Grete 237 King, Charles B. 208 King, Henry 119 Kirchner, Hellmut 34, 35, 37, 40, 41, 105 Kirkpatrick, Sir Ivone 148–149, 200– 201 Kirschbaum, Hans Günter von 104 Kisker, Hans 104, 126 Klee, Eugen 167 Klingenfuß, Karl 106, 141–142 Knips, Helmut 106 Koch, Erich 5 Koch, J. 100 Kocˇ isˇ, Aladar 193 Koderle, Richard 132 Köcher, Otto 190 Köcke (Mitglied der DSAG) 35 Köhn, Willi 97, 106, 107, 115, 142 Kölsch-Hoffmann, Käte 237 Könekamp, Eduard 86, 126 Kohlhammer, Ludwig 102 Kohrs, Heino 26, 27–28 Kohrs, Marianne s. Bohle verh. Kohrs, Marianne Konradi, Artur 102, 156–157 Kotze, Sir Robert 239 Krahn, Otto 104 Kraneck, Wolfgang 115 Krauch, Carl 233 Krauch, Carl-Heinrich 233
Krawinkel, Leopold 48 Krenkel (Mitarbeiterin der AO) 237 Kretzschmar, Gertrud 237 Kries, Achim von 106 Krüger, Hanny s. Bohle verh. Krüger, Hanny Krüger, Karl 225 Krueger (Krüger), Ted (Theodor) 26, 36 Krümmer, Ewald 102, 164 Krupp, Alfried 125, 217, 233–235, 252, 255 Kruse (Pfr. von Sanct-Jacobi in Hamburg) 259 Kruse, Helmut 132 Kruse, Wilfried 44 Kuckhoff geb. Lorcke, Greta 241 Küster, Fritz 106 Kuhn, Fritz 22 Kuhn, Kurt 107 Kursell, Otto von 79–80, 119 Kvaternik, Slavko 189 Ladendorff, Walter 104 Lahrmann, Siegfried 103 Lammers, Hans-Heinrich 76–77, 82, 86, 98, 120, 128, 133, 149, 159, 164, 166, 182, 200 Landherr (SS-Untersturmführer) 181 Langenheim, Adolf 105, 115 Langkopf, Paul 29 Langmann, Otto 107, 143, 145, 167 Lawn, James Gunson 239 Lawrence, Sir Geoffrey 205 Leary, William 133 Lehmann, Hans gen. Spunt 245 Lehne, Walter 143 Leissner, Fritz 248 Leistert, Anton 103 Leitgen, Alfred 62, 67–68, 145–146, 175 Leonhardt, Theodor 164, 197, 199 Lepique, Heinrich 105, 142 Lettow Vorbeck, Paul von 27–28
Namenregister Lewis, John 220 Ley, Robert 5, 10, 47, 53–54, 59, 108, 111, 122, 126, 130, 133, 165, 182, 200 Lilla, Joachim 94, 152 Lippert, Julius 93 Lohse, Hinrich 61 Lorenz, Werner 80–81, 125, 180, 194, 208, 237 Lorkovic´, Mladen 189 Love, T. M. 236 Luckhoff, James 31, 273 Ludin, Hans 193 Ludwig, Emil 112 Lübbe, Horst 102, 155, 163 Luedtke, Hermann 105 Luppe, Carl 105 Luther, Martin 164, 184–185 Lutze, Viktor 126 Mach, Alexander 193 Mackensen, Hans-Georg von 84, 136, 155 Magaz, Antonio 116 Mahr, Adolf 101 Mahraun, Arthur 44 Malan, Daniel F. 39 Malan, François Stephanus 239 Mann, Thomas 43 Mann, Wilhelm R. 225 Margerie, Arnold de 108, 225 Markau, Karl 173–174 Markmann, Fritz-August Wilhelm 163 Marquart, Greta 237 Martin, Kurt 104 Maser, Werner 210 Maßmann, Karl 123 Mathy, Klaus 218 Mattes, Walther 104 McCloy, John Jay 11, 234 McKale, Donald M. 5, 34, 66, 73, 245, 252 McKinzie, Richard D. 208 McNarny (US Militärbefehlshaber) 214
295
Medjid Khan, Abdul 98 Meißner, Otto 187, 200 Mensing, Friedrich 106 Merfels, Josef 100 Metternich, Klemens Wentzel Lothar von 263 Meyer, Alfred 61, 155 Meyer, Emil 226 Mihai I., Kg. von Rumänien 188 Milch, Erhard 200 Mirow, Eduard 143–144 Mola, Emilio 72 Motta, Giuseppe 112 Mühlemann (LGL in Belgrad) 101 Müller, Alfred 106, 226 Müller, Ernst 225 Müller, Heinrich 174 Müller, Jürgen 5 Müller, Marta 123 Munzinger, Ernst 101 Murphy, James Vincent 74, 149, 173– 174, 241–242, 259–260 Murr, Wilhelm 92, 122 Mussert, Anton Adriaan 22 Mussolini, Benito 78, 115, 119–120, 158–161, 171, 189 Mutschmann, Martin 75, 95 Napoleon Bonaparte, Kaiser von Frankreich 183 Natzmer, Oldwig von 197 Neuendorf, Michael 100, 105, 189 Neugebauer (LGL in Lettland) 101 Neugebauer, Max Theodor 31, 273 Neuhausen, Franz 101, 226 Neumann, Eckert (Eckard) 106 Neumann, Hans Hendrik 102 Neumann, Margarete 237 Neurath, Konstantin Frhr. von 33, 66, 80, 113, 115, 122, 126, 134–140, 145, 150, 153, 157, 168, 252 Newald, Richard 111 Nieland, Hans 51–54, 58, 59
296
Namenregister
Noebel, Willy 167 Nölting, Erik 250 Norkus, Herbert 130 Obersteller (Nachbarn der Familie Bohle) 94 Obst, Erich 34 Ochel, Willy 257–258 O’Connor, Sixtus R. (Pater Sixtus) 73, 211 Oeckl, Albert 252 Oeynhausen, Karl von 105 Ohlendorf, Otto 235 Oster, Heinrich 225 Otto, Wilhelm 225 Overhoff, Julius 225 Paefgen, Günther 235–236, 254 Pätzold, Kurt 208 Pankow, Werner 102 Papen, Franz von 33, 35, 117–119, 207 Pappritz, Erica 140 Parini, Piero 94 Patch, Alexander McCarrell 213 Patton, George S. 199, 213 Patzig, Martin 100, 102 Pausch, Walter 144 Pauschard, Martin 103 Pavelic´, Ante 10, 188 Peiser, Werner 119 Perkins, John 98 Peters (ev. Bischof) 162 Peters, Adolf 255 Petersen, Johannes 107 Pettenberg, Heinz 251 Pflücker, Ludwig 211 Phipps, Sir Eric 148 Pins, Jacob (Otto) 212 Pins, Rudolph 212 Pintsch, Karlheinz 68, 175 Pirow, Oswald 30 Planetta, Otto 130 Pleiger, Paul 237
Poensgen, Walter 167 Pol (Pollack), Heinz 202–203 Posset, Anton 233 Primo de Rivera, Antonio 95 Primo de Rivera, Miguel 95 Primo de Rivera, Pilar 95 Printz, Joachim 204 Prüfer, Curt 135–136, 167, 170 Prüfert, Emil 107, 226 Putlitz, Ernst von 252 Quisling, Vidkun 10, 21, 192 Raeder, Erich 84, 130 Ranke, Leopold von 74 Rasche, Emil Franz 134, 138 Rasche, Karl 237 Rath, Ernst vom 161–162, 222, 275 Rathenau, Walter 45 Ravens, Karl 226 Reich, Brigitte 90 Reinecke, Hermann 200 Reitzenstein (LGL in Paraguay) 107 Resenberger, Karl 144 Rhodes, Cecil 28 Ribbentrop, Annelies von 152, 158, 167 Richards, Harry A. 209 Richardson, Betty 213 Richthofen, Wolfram Frhr. von 116 Riecke, Hans-Joachim 200 Rinter (Deutsche Gesandtschaft in Panama) 167 Ritter, Karl 92, 217 Robertson, David 27 Rodatz, Heinrich 115 Rodde, Wilhelm 105, 144 Rodell, Fred 81, 94, 212–213 Roedern, Bolko Gf. 95, 100, 189 Röhrecke, Hans Felix 167 Rohde, Alfred 234, 254 Rommel, Erwin 132 Roosevelt, Franklin D. 167
Namenregister Rosenberg (Außenhandelsamt der AO) 226 Rosenberg, Alfred 8, 10, 35, 53–54, 96, 125, 126, 164, 200 Ruberg, Bernhard 55, 105, 123, 159, 225 Rudershausen, Kurt 102 Rümelin, Eugen 75, 98, 146 Ruff, Karl 104 Ruggeri Laderchi, Paolo Conte 35 Rust, Bernhard 5, 47 Sakowsky (LGL der Philippinen) 104 Salucci, Giovanni 93 Sandstede, Heinrich 226 Sanjinés, Alfredo 180–181 Sauckel, Fritz 5, 61, 112 Sauter, Fritz 206 Scanlon, John 241 Schacht, Hjalmar 47, 80, 207 Schäfer, Ernst 100, 109 Schaffner, Jakob 112 Schatteburg, Hermann Friedrich 104 Scheel, Walter 251 Schellenberg, Walter H. 106, 191 Schelmat, Alfred A. H. 102 Schilf, Alfred 218 Schiller, H. 100 Schirach, Baldur von 5, 75, 126, 130, 188, 206 Schleicher (Außenhandelsamt der AO) 226 Schleicher, Kurt von 33 Schleier, Rudolf 100 Schlengemann, Ernst 31, 273 Schmeer, Rudolf 58–60 Schmidt, Fritz 102, 164 Schmidt, Guido 118–119, 124 Schmidt, Wilhelm 218 Schmidt-Decker, Felix 108 Schmitt, Carl 209 Schmolz, Artur 70
297
Schnaus, Erich 69, 115, 144, 197, 199, 248 Schneider, Karl 95, 96 Schnitzler, Georg von 225 Schöler, Eckhard 101 Schoen, Wilhelm Frhr. von 167 Schörner, Ferdinand 197 Scholtz-Klink, Gertrud 47, 130 Schrempf, Kurt 256 Schröder, Hans 92, 104 Schröder, Karl 105 Schröder, Paul 43 Schultheis (OGL in Tunis) 105 Schultze, Hilde 237 Schulze, Adolf 100 Schuman, Robert 234 Schurz, Carl 267 Schwarz, Cornelius 104, 178, 222 Schwarz, Erwin 104 Schwarz, Franz Xaver 58, 59, 91, 164, 193, 197, 200 Schwede-Coburg, Franz 61 Schweitzer geb. Zenker, Marianne 160 Schweitzer, Otto 160 Schwendemann, Karl 116 Schwerin von Krosigk, Ludwig (Lutz) Gf. 197–198, 200 Seidl, Alfred 204–205, 207–208 Seifert, Hermann Erich 99 Seldte, Franz 183, 200 Selzam, Wilfried von 95 Servatius, Robert 206, 217 Seyß-Inquart, Arthur 102, 158, 163 Shaffer, Mark 213 Sibert, Edwin 208 Siegler, Fritz Frhr. von 246–247 Sillén, Gunhild af 160 Sima, Horia 188 Simon, Arthur 112 Simon, Gustav 61, 81 Smith, Bruce L. 73, 208 Smuts, Jan 38 Soden, Wolfram Frhr. von 209
298
Namenregister
Spahn, Franz-Joseph 103, 226 Stäbel, Oskar 209 Steengracht von Moyland, Gustav Adolf 212, 236–237 Steinitz, Herbert 213 Stengel, Wilhelm 102, 243 Stiller, Bruno 34, 105, 144 Stohrer, Eberhard von 75, 117 Straßer, Gregor 51, 53–54, 69, 108 Streicher, Julius 5, 200 Strempel, Herbert 43 Stresemann, Gustav 43 Strölin, Karl 62, 86, 93, 125–132, 202, 205, 207, 274 Stuckart, Wilhelm 43, 163, 200, 212 Szell, Jószef 153 Sztójay, Döme 82
Uiberreither, Sigfried 132 Ullmann, Herman 79 Ullstein, Frederick 43 Urchs, Otto 103, 126, 225
Tauchnitz (LGL in Kuba) 107 Tauschitz, Stephan 124 Taylor, Sidney 242 Taylor, Telford 203, 213 Terboven, Josef 5 Terhaar, Jost 225 Tesmann, Rudolf 95, 103, 144, 175, 183, 260 Thermann, Edmund Frhr. von 167 Thiele, Kurt 108 Thomsen, Hans 103, 192, 226 Tillich, Paul 204 Timmermann, Günter 101 Timmermann, Kurt 107 Tiso, Jozef 10, 193 Todt, Fritz 35, 133 Trautmann (LGL in Niederländisch Indien) 104 Trautmannsdorf, F. J. 209 Troebst, Waldemar 110 Troost, Ernst 105 Troost, Gerdi 130 Troost, Paul Ludwig 130 Tschammer und Osten, Hans von 126 Turton, Godfrey 241
Wagener, Christian 233 Wagner, Georg 103 Wahl, Karl 173 Waibel, Hermann 225–226 Waldeck und Pyrmont, Josias Erbprinz zu 235 Walker (britischer Generalkonsul) 242 Wandke, Ernst 105 Ward, Maria Augusta (Mrs. Humphrey Ward) 210 Warlimont, Walter 200 Weber-Andreae, Eduard 225 Wehrle, Walter Otto 105 Weichardt, Louis T. 32 Weichert, Klaus 231 Weidtmann, Hans 226 Weigel, Heinrich 33, 105 Weisgerber, Erwin 107 Weiß, Bernhard 256 Weißbecker, Manfred 208 Weizsäcker, Ernst Frhr. von 83, 92, 136–137, 163, 164, 166, 216, 227, 231–232 Welczeck, Johannes Gf. 75 Wendler, Ernst 106
Vansittard, Lord Robert Gilbert 101, 149 Veesenmayer, Edmund 92, 208, 212, 216–217 Vider, Ciril 121 Viktor Emanuel III., Kg. von Italien 158 Vogel (Direktor Bayerische Staatsbank) 256 Voigts (OGL in Südwest-Afrika) 105 Volberg, Heinrich 106, 222, 225 vom Rath, Ernst s. Rath, Ernst vom Vos, Katherine 35 Voss (Fregattenkapitän in Plön) 129
Namenregister Wessel, Horst 113, 130 Whitcomb, Philip W. 253–254 Wickel, Wilhelm 104 Wiehl, Emil 33 Wilde, Oscar 210 Wildenhalm, Ursel 237 Wildt, Michael 145 Wilhelm II., Dt. Kaiser 41, 70, 85 Wilhelm II., Kg. von Württemberg 85, 93 Will, Julian 121 Wirtz, Wilhelm 107 Witte, Arthur Reinhold 97, 101, 102 Woermann, Ernst 92, 166, 216–217 Wolf, Artur 104
299
Wolff, Karl 23, 178–180 Woyrsch, Udo von 180 Wrede, Walter 100 Wunderli, Hans 191–192 Yackwitsch, Major 173 Yorck von Wartenburg, Wolfgang Gf. 79, 83 Zahn, Walter 104 Zeberer, Hans 88 Zenker, Stefan 160–161 Ziessig, Richard 100, 103, 107, 189 Zoepffel, Kurt 107, 225 Zuchristian, Walter 103