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German Pages 649 [747] Year 2017
ERNST HAECKEL AUSGEWÄHLTE BRIEFWECHSEL
HISTORISCH-KRITISCHE AUSGABE
BAND 1
Familienkorrespondenz Februar 1839 - April 1854
Franz Steiner Verlag
Ernst Haeckel Ausgewählte Briefwechsel Band 1: Familienkorrespondenz Februar 1839 – April 1854
Ernst Haeckel Ausgewählte Briefwechsel Historisch-kritische Ausgabe Im Auftrag der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina Nationale Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Thomas Bach
Ernst Haeckel Ausgewählte Briefwechsel Band 1: Familienkorrespondenz Februar 1839 – April 1854
Herausgegeben und bearbeitet von Roman Göbel, Gerhard Müller und Claudia Taszus unter Mitarbeit von Thomas Bach, Jens Pahnke und Kathrin Polenz
Franz Steiner Verlag
Im Gedenken an
Olaf Breidbach (1957–2014)
Umschlagabbildung: Ernst Haeckel mit seinen Eltern, Fotografie, Berlin 1854 (Ernst-Haeckel-Archiv Jena) Covergestaltung: André Karliczek Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017 Druck: Hubert & Co., Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-11290-1 (Print) ISBN 978-3-515-11292-5 (E-Book)
Inhalt
Vorwort Einleitung Überlieferung und Druckgeschichte Grundsätze der Edition
VII XIII XXXIX XLIII
Verzeichnis der Briefe
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briefe und kommentar
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Anhang Siglen und Abkürzungen
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Kritischer Apparat
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Quellen- und Literaturverzeichnis
566
Bildnachweise
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Register
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Danksagung
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Ernst Haeckel, Fotografie von Georg Jakob Gattineau (Erlangen), 1853
Vorwort Pro captu lectoris habent sua fata libelli. (Terentianus Maurus) Je nach Auffassungsgabe des Lesers haben die Büchlein ihre Schicksale.
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icht nur „Büchlein“, auch editorische Großprojekte haben ihre Geschichte. Dieses Diktum bestätigt das seit dem 1. Januar 2013 von der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften geförderte Langzeitprojekt „Ernst Haeckel (1834– 1919): Briefedition“, das von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften betreut wird und am Ernst-Haeckel-Haus der Friedrich-Schiller-Universität Jena angesiedelt ist. Verantwortlich für die bisherigen Geschicke des Forschungsvorhabens sind jedoch nicht so sehr die potenziellen Leser und ihre Auffassungsgabe als vielmehr die wahrlich stattliche Anzahl von über 44.300 Briefen, die innerhalb von 25 Jahren der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden sollen. Diese große Menge von Briefen stellt für das Editionsprojekt eine besondere Herausforderung dar: Um in der verfügbaren Zeit die berechtigten Forderungen nach einer sowohl vollständigen als auch kommentierten Edition miteinander in Einklang zu bringen, werden deshalb in einer vollständigen Online-Ausgabe sukzessive die Transkriptionen sämtlicher Briefe veröffentlicht. Die kommentierte PrintAusgabe bietet darüber hinausgehend eine historisch-kritische Edition thematisch ausgewählter Briefwechsel in 25 Bänden, die mit dem vorliegenden ersten Band der Familienkorrespondenz im Zeitraum zwischen 1839 und 1854 eröffnet wird. Die außerordentlich umfangreiche sowie thematisch breit gefächerte Korrespondenz Ernst Haeckels ist ohne Frage einer der zentralen und aussagekräftigsten Quellenkomplexe für die Geschichte der Biowissenschaften von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis ins beginnende 20. Jahrhundert hinein. Der im Vergleich zu Charles Darwin 25 Jahre jüngere, im kontinentalen universitären Betrieb sozialisierte und etablierte Haeckel verkörpert dabei aber eine neue Generation von Evolutionsbiologen. Schon seine Schrift über Die Radiolarien (1862) verschafft ihm eine so ausgezeichnete Reputation als Zoologe, dass er 1865 einen Ruf an die Universität Würzburg erhält, dem in den 1870er Jahren weitere nach Wien, Straßburg und Bonn folgen. Insgesamt beschreibt er in seinen meeresbiologischen Arbeiten inklusive der vier voluminösen Bände des Challenger-Reports (1882 ff.) mehr als 4.000 neue Arten und leistet damit einen einzigartigen Beitrag zur Erforschung der niederen Meerestiere. Als Wegbereiter Darwins wagt er sich mit seiner Generellen Morphologie (1866) im Alter von nur 32 Jahren an eine umfassende Reform der Biologie, deren Terminologie er mit zahlreichen Neologismen bereichert. Auskunft über die Anwendung der Evolutionstheorie auf die Stammesgeschichte gibt dabei auch seine dreibändige Systematische Phylogenie
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(1894–1896), welche die, mit den berühmten Stammbaumdarstellungen der Generellen Morphologie begonnene, Systematisierung der Organismenwelt zusammenfasst. Mit seinen fach- und populärwissenschaftlichen Schriften, wie etwa der Natürlichen Schöpfungsgeschichte (1868) und der Anthropogenie (1874), nimmt er nicht nur Einfluss auf die disziplinäre Ausdifferenzierung der Biowissenschaften, sondern auch auf die soziale und kulturelle Konsolidierung der Naturwissenschaften überhaupt. Und nicht erst mit den Welträthseln (1899) und Lebenswundern (1904) bezieht er im „Weltanschauungskampf“ zwischen Naturwissenschaft und christlichem Glauben eindeutig Position, so dass sein Leben exemplarisch für die mit einer monistischen Naturerklärung einhergehende Aufkündigung einer Harmonisierung von exakter Naturerkenntnis und christlichen Glaubenswahrheiten stehen kann. Sichtbarer Ausdruck der damit verbundenen weltanschaulichen Verankerung naturwissenschaftlichen Denkens ist schließlich der 1906 in Jena gegründete Deutsche Monistenbund. Die Korrespondenz Ernst Haeckels gibt in einzigartiger Weise Auskunft über die Vielfalt der Beziehungen und die Vernetzung seiner Aktivitäten. Sie dokumentiert die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte seiner wissenschaftlichen Publikationen und populären Schriften, thematisiert die unterschiedlichsten Motive und Themen seiner Forschungsarbeiten, erschließt das Material zu seinen (Forschungs-)Reisen und erlaubt die Rekonstruktion seiner familiären, wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Kontakte. Darüber hinaus gewährt sie detaillierte Einblicke in zeitgeschichtliche Ereignisse und weltgeschichtliche Verwerfungen wie z. B. die 1848er Revolution, den Italienischen Befreiungskrieg (1859), den Deutsch-Österreichischen Krieg (1866), den Deutsch-Französischen Krieg mit der sich anschließenden Reichsgründung (1870– 1871), die Politik des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck (1871–1890), die Weltausstellung in Paris (1900), die Jahre des Imperialismus nach der Jahrhundertwende und den Ersten Weltkrieg (1914–1918). Ungeachtet der enormen Bedeutung der Korrespondenz, sowohl für das Verständnis des Werdegangs Ernst Haeckels als auch für die Wissenschafts- und Kulturgeschichte des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wurde bislang noch nicht der Versuch unternommen, diesen Briefbestand im Ganzen zu veröffentlichen. Einige wenige Briefwechsel wurden schon zu Lebzeiten Haeckels aufgelegt, der auch selbst Projekte zur publizistischen Verwertung seiner Briefe initiierte und andere tatkräftig unterstützte, ansonsten aber in den Jahren nach 1909 die angemessene Unterbringung seines Nachlasses betrieb, wobei der krönende Abschluss der 1918 erfolgte Verkauf seines Wohnhauses und die damit verbundene Gründung des Ernst-Haeckel-Hauses war. Die Auswertung der Korrespondenz begann erst nach Haeckels Tod in dem am 31. Oktober 1920 feierlich eröffneten Ernst-Haeckel-Memorialmuseum unter dem Direktorat von Heinrich Schmidt und setzt sich fort bis in die jüngere Vergangenheit. Jede Zeit trug dabei ihr je eigenes Erkenntnisinteresse an den Briefbestand heran. Grosso modo lassen sich drei Phasen der publizistischen Aneignung voneinander abgrenzen. Von den 1920er bis in die 1950er Jahre hinein dominierte das biographische Interesse an der Person Ernst Haeckels und der ihm nahestehenden Menschen. Unter der Herausgeberschaft von Heinrich Schmidt erschienen im Verlag K. F. Koehler mehrere Briefbände, in welchen insbesondere die im Kreis der Familie zirkulierenden Briefe Ernst Haeckels publiziert wurden. Der erste Band mit dem bezeichnenden Titel Entwicklungsgeschichte einer Jugend (Leipzig 1921) enthielt die an die Eltern
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gerichteten Briefe aus der Würzburger Studienzeit in den Jahren 1852 bis 1856, die folgenden Bände decken die Biographie Haeckels bis in die 1880er Jahre ab. Diese und andere Editionen ähnlichen Zuschnitts bieten den Lesern eine Art Biographie in Briefen ( Jena 1983), wie Georg Uschmann später treffend die Neuausgabe seiner mehrfach aufgelegten Briefanthologie Ernst Haeckel. Forscher, Künstler, Mensch ( Jena 1954) betitelte. Neben diese überwiegend biographisch ausgerichteten Editionen traten seit dem Ende der 1940er Jahre bereits vereinzelt Briefeditionen, welche die Korrespondenz mit Schülern und Wissenschaftlern dokumentierten. Diese Tendenz setzte sich in den 1950er Jahren fort und wurde prägend für die 1960er bis 1990er Jahre. Die in diesem Zeitraum edierten Briefe wurden vor allem in Zeitschriftenartikeln veröffentlicht und deuten damit schon vom Erscheinungskontext her darauf hin, dass es in ihnen um eine wissenschaftliche Aufarbeitung und Auswertung der Korrespondenz geht. In der darauffolgenden letzten Phase standen wiederum verstärkt Briefeditionen in monographischer Form im Vordergrund. So legte Rosemarie Nöthlich im Rahmen zweier von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderter Projekte zwei umfangreiche und aufwändig kommentierte Bände zu den beiden Wissenschaftspopularisatoren Wilhelm Bölsche (Berlin 2002) und Wilhelm Breitenbach (Berlin 2009) vor und griff mit diesen Editionen Impulse auf, die Andreas Daum mit seiner Monographie über die Wissenschaftspopularisierung im 19. Jahrhundert (München 1998) gesetzt hatte. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, alle inzwischen vorliegenden Editionen im Einzelnen vorzustellen oder auch nur zu erwähnen. Insgesamt kann man festhalten, dass bereits Briefwechsel der Haeckel-Korrespondenz im Rahmen der Briefausgaben seiner berühmten Korrespondenzpartner oder in separaten Einzelbänden veröffentlicht wurden. Daneben wurden einige kleinere Briefkonvolute in diversen Zeitschriftenartikeln ediert. Diese verschiedenen und zum Teil sehr verstreut publizierten Editionen werden in den jeweiligen Bandeinleitungen und Kommentaren sowie in den Metadaten der Online-Ausgabe angemessene Berücksichtigung finden. Insofern diese Editionen modernen Editionskriterien entsprechen, werden sie von der Print-Edition ausgeklammert. Summa summarum konnten trotz intensiver Recherchen aber nur für weniger als 10% der über 44.300 Briefe Drucknachweise (darunter eine große Zahl von Teildrucken) ermittelt werden, wobei der Anteil der edierten Haeckel-Briefe bei rund 30% liegen dürfte. Das Projekt „Ernst Haeckel (1834-1919): Briefedition“ ist damit hinsichtlich des Umfangs und der Dauer sowie des Stands der Vorarbeiten sehr anspruchsvoll. Der größte Teil der Briefe wird erstmals überhaupt oder erstmals vollständig publiziert werden. Während die Online-Edition bis Ende 2037 die gesamte Korrespondenz über die Bereitstellung der Briefmetadaten und Brieftranskriptionen erschließen wird, wird die fünfundzwanzigbändige Print-Edition zentrale Brief- und Schriftwechsel in kommentierter Form verfügbar machen. Die Edition beginnt mit der Herausgabe der Familienkorrespondenz in sechs Bänden. Gleichfalls sechs Bände sind für die Wissenschaftskorrespondenz vorgesehen, und auch die Amts- und Verlagskorrespondenz inklusive der Schriftwechsel mit Mäzenen und Förderern ist auf sechs Bände angelegt. Die restlichen sieben Bände werden die weltanschaulichen, künstlerischen und literarischen Korrespondenzen enthalten. Je nach Umfang der Briefe können damit
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im Rahmen der Print-Edition insgesamt bis zu maximal 9.000 Korrespondenzstücke veröffentlicht werden. Es ist eine glückliche Fügung, dass die Ernst-Haeckel-Briefedition von der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina – Nationale Akademie der Wissenschaften betreut wird, war doch Ernst Haeckel selbst über ein halbes Jahrhundert lang Mitglied der Kaiserlich Leopoldino-Carolinischen Deutschen Akademie der Naturforscher. Aufgenommen am 20. Dezember 1863 unter der Präsidentschaft von Carl Gustav Carus, erhielt er bereits an seinem 30. Geburtstag, dem 16. Februar 1864, die begehrte, von der Akademie vergebene Cothenius-Medaille als Auszeichnung für seine Monographie der Radiolarien (Berlin 1862). Die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina war deshalb von Anfang an dem Vorhaben einer Edition der Haeckel-Korrespondenz gegenüber aufgeschlossen und in jeder erdenklichen Weise bei der Antragstellung behilflich. Treibende Kraft und Spiritus Rector des Brief-Projekts war Prof. Dr. Dr. Olaf Breidbach (seit 2004 Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina). Schon Ende der 1990er Jahre warb er, unterstützt von der damaligen Kustodin des Ernst-Haeckel-Hauses, Dr. Erika Krauße, bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft Mittel zur Erfassung der Haeckel-Korrespondenz ein. Als eine wichtige Vorarbeit für das Editionsprojekt publizierten er und PD Dr. Uwe Hoßfeld eine Übersicht über den Briefbestand des Ernst-Haeckel-Archivs (Berlin 2005). Gemeinsam mit dem Kustos des Ernst-Haeckel-Hauses, AR Dr. Thomas Bach, legte Olaf Breidbach 2010 der Sektion für Wissenschafts- und Medizingeschichte der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina eine erste, zusammen mit Dr. Claudia Taszus und Roman Göbel ausgearbeitete Antragsskizze vor. Diese wurde von Prof. Dr. Eve-Marie Engels (Tübingen) und Prof. Dr. Robert J. Richards (Chicago) begutachtet und im Februar 2011 von dem Präsidenten der Akademie, Prof. Dr. Jörg Hacker, bei der Akademienunion für das Akademieprogramm 2012 eingereicht. In der Sitzung der Wissenschaftlichen Kommission am 6./7. April 2011 wurde der Forschungsgegenstand als hochrelevant eingestuft und auch das zeitgeschichtliche und wissenschaftspolitische Forschungsinteresse hervorgehoben. Der Antrag selbst wurde aber mit der Empfehlung zurückgestellt, die ursprünglich als Teil des Projekts vorgesehene Briefrecherche vor der erneuten Antragstellung abzuschließen. Zur Anschubfinanzierung der von der Kommission angeregten Vorbereitungsphase stellte daraufhin der Kanzler der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Dr. Klaus Bartholmé, Mittel für eine volle Mitarbeiterstelle bereit, auf der Dr. Claudia Taszus die erforderlichen Briefrecherchen durchführen konnte. Anfang 2012 wurde der entsprechend den Empfehlungen der Akademienunion überarbeitete und um 1.700 Briefnachweise ergänzte Antrag erneut von dem Präsidenten der Akademie für das Akademienprogramm 2013 eingereicht. Wie empfohlen, waren die externen Recherchen zu den Gegenbriefen Haeckels weitgehend abgeschlossen und der Antrag dahingehend konzeptionell überarbeitet worden, so dass jetzt keine Briefregesten, sondern die Volltexte der Briefe über das elektronische Repertorium abrufbar sein sollten. Für das Projekt wurden vier Mitarbeiter- und zwei wissenschaftliche Hilfskraftstellen bei einer Laufzeit von 25 Jahren bis Ende 2037 beantragt.
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Das Akademienvorhaben wurde in der Sitzung der Wissenschaftlichen Kommission am 27. März 2012 genehmigt. Bereits am 4. April 2012 sagte MR Dennys Klein aus dem Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur die Bereitstellung der anteiligen Landesmittel zu. Ab April übernahm die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina die Finanzierung der für den Abschluss der Vorarbeiten erforderlichen Mitarbeiterstelle von Dr. Taszus. Insgesamt wurden in der Vorbereitungsphase nahezu 500 für den Besitz von Haeckel-Autographen in Frage kommende Institutionen angeschrieben. Auf diese Weise konnten über 100 neue Standorte von Haeckel-Briefen außerhalb des Ernst-Haeckel-Archivs ermittelt und der Anteil der nachweisbaren Briefe von Haeckel um fast zwei Drittel, von 3.700 auf über 6.000, gesteigert werden. Zum 1. Januar 2013 wurde im Ernst-Haeckel-Haus eine Arbeitsstätte für das Projekt eingerichtet, für welche einschlägig ausgewiesene Mitarbeiter gewonnen werden konnten, die neben ihrer editorischen Kompetenz über unterschiedliche Profile in den Bereichen Wissenschafts- und Biologiegeschichte, Philosophie- und Kulturgeschichte, Verlags- und Buchgeschichte sowie Universitäts- und Landesgeschichte verfügen. Neben Dr. Claudia Taszus und Roman Göbel M. Sc., die bereits während der Vorbereitungsphase zum Projekt beigetragen hatten, wurden Dr. Kai Torsten Kanz (bis zum 31.12.2015); Dr. Gerhard Müller und Dr. Jens Pahnke (ab 1. Februar 2016) in dem Projekt angestellt. Die Projektleitung lag zunächst in den Händen der beiden Antragsteller, Prof. Dr. Dr. Olaf Breidbach und AR Dr. Thomas Bach. Nachdem Olaf Breidbach am 22. Juli 2014 einer schweren Krankheit erlag, übernahm Thomas Bach in Rücksprache mit der Leopoldina die alleinige Projektleitung. Verschiedene Institutionen und Personen haben das Projekt schon bei der Antragstellung und in den letzten drei Jahren kontinuierlich begleitet und werden es weiter begleiten. Zuerst und insbesondere ist dem Präsidenten der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina Prof. Dr. Jörg Hacker sowie deren Vizepräsident Prof. Dr. Dr. Gunnar Berg und deren Generalsekretärin Prof. Dr. Jutta Schnitzer-Ungefug zu danken, die das Editionsvorhaben von Anfang an mit wissenschaftlichem Interesse begleitet und in der Vorbereitungsphase finanziell abgesichert haben. In gleicher Weise haben der damalige Rektor und der Kanzler der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Prof. Dr. Klaus Dicke und Dr. Klaus Bartholmé, das Projekt in der kritischen Phase der Antragstellung unbürokratisch durch die Bereitstellung von Personalmitteln unterstützt. Ein besonderer Dank geht an Prof. Dr. Eve-Marie Engels und Prof. Dr. Robert J. Richards für die Begutachtung der allerersten Antragsskizze sowie an Prof. Dr. Volker Gerhardt (Vorsitzender) und die Mitglieder der Wissenschaftlichen Kommission der Union der Akademien, die den Antrag zum richtigen Zeitpunkt mit ihrer konstruktiven Kritik weiter vorangebracht haben. Namentlich zu danken ist auch den Mitgliedern des wissenschaftlichen Beirats der Leopoldina, der sich am 18. Februar 2014 konstituierte und seither dem Projekt mit Rat und Tat zur Seite steht: Prof. Dr. Dr. Heinz Schott (Vorsitzender), Prof. Dr. Dietrich von Engelhardt (Karlsruhe), Prof. Dr. Eve-Marie Engels (Tübingen), Prof. Dr. Heiner Fangerau (Ulm), Prof. Dr. Dr. Kristian Köchy (Kassel), Prof. Dr. Irmgard Müller (Bochum) und Prof. Dr. Robert J. Richards (Chicago). Ein persönlicher Dank gilt dem Leiter des Studienzentrums
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der Leopoldina, Prof. Dr. Rainer Godel, für die stets gute Zusammenarbeit und Aufrechterhaltung des Austauschs zwischen der Arbeitsstätte, der Akademie, dem Beirat und der Akademienunion. Zu danken ist auch Susanne Dressler (Halle), Franziska Dorbert (Halle, bis 2015), Peggy Glasowski (Halle) sowie Linda Eckey ( Jena), Heike Möckel ( Jena) und Karola Schrader ( Jena), in deren Händen die Verwaltung des Projektes liegt. Zahlreiche Institutionen im In- und Ausland haben auf unser Anschreiben geantwortet und uns hilfsbereit Kopien und Scans zur Verfügung gestellt. Diejenigen, die uns bei der Arbeit an diesem ersten Band unterstützt haben, werden am Ende des ersten Bandes gebührend Erwähnung finden. Schließlich sei Dr. Thomas Schaber, dem Geschäftsführer des Steiner Verlags in Stuttgart, gedankt, der unsere Edition in das Verlagsprogramm aufgenommen hat. Sein Entgegenkommen in der Gestaltung des Vertrags macht es möglich, dass künftig die in der Print-Edition abgedruckten Brieftexte zeitnah in der Online-Edition der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können. Abschließend sei noch einmal auf die Leistungen und Verdienste des verstorbenen Projektleiters Professor Dr. Dr. Olaf Breidbach hingewiesen. Dass das Projekt in so kurzer Zeit Aufnahme in das Akademienprogramm gefunden hat, wurde in erster Linie durch seinen umsichtigen Tatendrang und seine ansteckende Begeisterung für die Sache möglich. Im Gefühl bleibender Dankbarkeit sei seinem Andenken im Namen aller Mitarbeitenden der erste Band dieser Briefedition gewidmet. Jena, den 15. April 2016 AR Dr. Thomas Bach Kustos des Ernst-Haeckel-Hauses Projektleiter
Viele Menschen brauchen längere Zeit, ehe sie über sich ins Klare kommen und es ist kein Zeitverlust, wenn dieses nicht sofort geschieht. […] Manche, bei denen sich nichts regt, sind freilich bald im Klaren, aber sie sehen auch herzlich wenig. Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, Berlin, 30. Dezember 1852
Einleitung Biographischer Hintergrund Ernst Philipp August Heinrich Haeckel, geboren am 16. Februar 1834 in Potsdam, entstammte einer preußischen Beamtenfamilie. Sein Vater Carl Gottlob Haeckel war 1816 als Regierungsrat in das Kollegium der preußischen Regierung zu Potsdam eingetreten und im Jahr nach Ernsts Geburt als Oberregierungsrat an die Merseburger Regierung versetzt worden, wo er bis zu seiner Pensionierung im Juli 1851 tätig war.1 Der Sohn des Besitzers einer Leinwandbleiche im niederschlesischen Hirschberg hatte die Umbruchsjahre der preußischen Reformzeit erfolgreich als Chance zum Aufstieg in den höheren preußischen Verwaltungsdienst genutzt, nachdem er sich in den Jahren der Freiheitskriege als Offizier im Stab der Schlesischen Armee Blüchers an der Seite August Neidhardt von Gneisenaus hervorgetan und als Organisator der Nachschubtransporte sein bedeutendes logistisches Talent unter Beweis gestellt hatte.2 Ernst Haeckels Mutter, Charlotte Auguste Henriette Haeckel, geb. Sethe, kam hingegen aus einer Familie, die dem preußischen Staate schon mehrere Generationen von Beamten und Richtern gestellt hatte. Charlotte war die zweite Frau von Carl Gottlob Haeckel. Er heiratete sie 1822, fünf Jahre nach dem Tod seiner ersten Frau Henriette Emilie, geb. Lampert, aus Hirschberg. Kennengelernt hatten sie sich im Hause seines Förderers, des Regierungspräsidenten von Potsdam und Oberpräsiden1
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Vgl. die Personalakte Carl Gottlob Haeckels (LHA Sachsen-Anhalt, Dienststelle Merseburg, Rep. C 48 I a I H Nr. 3) sowie ausführlich zur Biographie Kornmilch, Ernst Ekkehard: Die Ahnen Ernst Haeckels. Darstellung der wichtigsten Personen und Familien, einer Ahnenliste bis zur XV. Generation und einer Nachkommenliste (Ernst-Haeckel-Haus-Studien. Monographien zur Geschichte der Biowissenschaften und der Medizin; 12). Berlin 2009. S. 11–17; Müller, Gerhard: Carl Gottlob Haeckel. Innensichten eines preußischen Beamtenlebens. In: Gerber, Stefan / Greiling, Werner / Kaiser, Tobias / Ries, Klaus (Hrsgg.): Zwischen Stadt, Staat und Nation. Bürgertum in Deutschland. 2. Teil, Göttingen 2014, S. 515–528. Vgl. [Haeckel, Carl Gottlob:] Mittheilungen über Gneisenau. In: Preußische Jahrbücher. 11. Bd., Berlin 1863, S. 82–90, 181–188.
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ten der Provinz Brandenburg, Friedrich Magnus von Bassewitz. Mit dieser Heirat hatte Carl Gottlob Anschluss an den Familienverband Sethe-Sack gefunden, eine jener alten rheinpreußischen Bürgerdynastien, aus denen sich seit Generationen der Kern des liberalen preußischen Beamtentums rekrutierte. Neben Ernst Haeckels Großonkel Johann August Sack, der nach dem Zusammenbruch Preußens 1806 maßgeblich an der Verwirklichung der Stein-Hardenbergschen Reformpolitik beteiligt gewesen war und nach 1813 zunächst als Oberpräsident der neugegründeten Rheinprovinz und 1816 als Oberpräsident der Provinz Pommern Spitzenfunktionen in der preußischen Verwaltung bekleidet hatte,3 war sein Großvater Christoph Wilhelm Heinrich Sethe die bedeutendste Persönlichkeit der Familie.4 Sethe, dem Gustav Freytag in seinem Werk Bilder aus der deutschen Vergangenheit als „Musterbild altpreußischer Beamtenehre“ ein literarisches Denkmal setzte,5 begann seine Juristenkarriere an den preußischen Regierungen in Kleve und Münster, um dann im Großherzogtum Berg, einem der nach dem Tilsiter Frieden 1807 neugebildeten und seit 1808 vom Kaiser der Franzosen persönlich regierten napoleonischen Modellstaaten in Deutschland, zum Generalprokurator und Staatsrat aufzusteigen.6 Sethe hatte damals großen Anteil an der Einführung des Code Napoléon, der Beseitigung des Feudalwesens und der Durchsetzung bürgerlicher Rechtsverhältnisse in diesem kurzlebigen Staatswesen.7 Nach dem Ende der napoleonischen Ära setzte er seine Karriere unter der wiedererrichteten preußischen Herrschaft fort. 1816 wurde er zum Leiter der Rheinischen Immediat-Justiz-Kommission berufen, die die Rechtsverhältnisse in den rheinischen Provinzen mit denen der altpreußischen vergleichen und Vorschläge für gegebenenfalls einzuführende Neuregelungen erarbeiten sollte. Sethe nutzte die Möglichkeit, sich für die Beibehaltung des erheblich moderneren französischen Zivilrechts und der nach dem Vorbild Frankreichs gestalteten Gerichtsverfassung einzusetzen. Die rechtliche Sonderstellung des Rheinlands, wo der Code Napoléon bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich im Jahr 1900 in Kraft blieb, machte die Errichtung eines eigenen Obergerichts für die Rheinprovinz, des Rheinischen Revisions- und Kassationshofes (RKH) in Berlin,8 3
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Zu Johann August Sack vgl. Romeyk, Horst: Die leitenden staatlichen und kommunalen Verwaltungsbeamten der Rheinprovinz 1816–1945 (Publikationen der Gesellschaft für Rheinische Geschichte; 69). Düsseldorf 1994. S. 707 f.; Dahle, Wolfgang: Ein preußischer Reformer in Pommern. Johann August Sack. In: Pommersches Heimatbuch 2008. Lübeck 2008, S. 41–46. Vgl. die von Carl Gottlob Haeckel verfasste Gedenkschrift: Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, wirklicher Geheimer Rath und Chef-Präsident des Rheinischen Revisionshofes. Nekrolog. Berlin 1855. Freytag, Gustav: Gesammelte Werke. 2. Serie, Bd. 7: Bilder aus der deutschen Vergangenheit. 4. Teil, Leipzig 1920, S. 393. Vgl. Sethes Autobiographie: 1770–1815. Weltgeschichte am Rhein erlebt. Erinnerungen des Rheinländers Christoph Wilhelm Heinrich Sethe aus der Zeit des europäischen Umbruchs. Hrsg. von Adolf Klein und Justus Bockemühl. Köln 1973. Vgl. ebenda, S. 57–227. Sethes reformerische Tätigkeit im Staatsrat des Großherzogtums Berg ist ausführlich dokumentiert in: Regierungsakten des Großherzogtums Berg 1806–1813. Bearbeitet von Klaus Rob (Quellen zu den Reformen in den Rheinbundstaaten; 1). München 1992. Seynsche, Gudrun: Der Rheinische Revisions- und Kassationshof in Berlin (1819–1852). Ein rheinisches Gericht auf fremdem Boden (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte; 43). Berlin 2003.
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erforderlich, dessen Chef-Präsident Sethe wurde. Diese Funktion übte er bis zu seiner Pensionierung aus. Die Bedeutung des RKH wird von der rechtsgeschichtlichen Forschung weniger auf juristischem, als auf politischem Gebiet gesehen. Seine Rolle bestand darin, über die Beibehaltung des rheinischen Rechts zu wachen, die Integrität der rheinischen Rechtssphäre gegen die Einbruchsversuche des preußischen Rechts zu verteidigen und Strategien zu entwickeln, um den Einfluss des preußischen Rechts auszuschließen oder zurückzudrängen.9 Da das rheinische Recht für die Einwohner der Rheinprovinz die Rolle eines Verfassungsersatzes spielte, erscheint der RKH, an dessen Spitze Sethe für drei Jahrzehnte stand, mit einem Verfassungsgericht vergleichbar und lässt sich als Gericht beschreiben, das als Rechtsmittelgericht zum Schutze dieser „Verfassung“ tätig war.10 In Haeckels Elternhaus herrschte eine christliche Frömmigkeit, in der die calvinistisch geprägten Wertvorstellungen der Bürgerfamilien in den altpreußischen Rheinlanden mit der lutherischen Tradition verschmolzen, die Carl Gottlob Haeckel aus seinem Hirschberger Elternhaus mitbrachte. Ihre Heimat war die 1817 von König Friedrich Wilhelm III. eingeführte „unierte Kirche“, ihr maßgebliches Leitbild die Theologie Friedrich Schleiermachers.11 Carl Gottlob Haeckel und seine Frau Charlotte, die 1822 von Schleiermacher getraut worden waren, verehrten diesen wie einen neuen Reformator.12 Alljährlich nahm Carl Gottlob Haeckel wie auch später Haeckels älterer Bruder Karl an der Feier von Schleiermachers Geburtstag teil, und die Vorträge des „Berliner Unionsvereins“13 sowie die Predigten der Schleiermacher-Schüler Adolf Sydow und Ludwig Jonas wurden von den Haeckels regelmäßig besucht. Weltsicht, Ethik und Wertvorstellungen von Schleiermachers liberaler Theologie, die sich jeglicher anthropomorphen Gottesvorstellung verweigerte und in der mit dem Göttlichen schlechthin gleichgesetzten Unendlichkeit alles Seienden eine Grundformel 9 10 11 12
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Vgl. ebenda, S. 445. Vgl. ebenda, S. 446. Schon einige der Vorfahren Ernst Haeckels aus der Familie Sack waren an der Errichtung der unierten Kirche in Preußen führend beteiligt gewesen, vgl. Die Taube. Familienblatt für die Mitglieder der Hofrat Sack’schen Stiftung, Nr. 94, Oktober 1933, S. 1025-1027. Carl Gottlob Haeckel kommentierte den Tod Schleiermachers in einem Brief an seine Mutter mit den Worten: „Vor einigen Tagen hatten wir großen Schmerz durch die Nachricht von dem Tod unseres lieben Schleiermacher! Wie oft hat er nicht durch seine Predigten erbaut, ich habe ihn sehr oft gehört und wenn wir Sonntags in Berlin waren, haben wir ihn selten versäumt; dabei war er ein herrlicher Mensch von vortrefflichem Gemüth! Der wird mir sehr fehlen! Er gehörte zu meinen Herrlichkeiten, die ich in Berlin besaß und die mich dahin zogen […]. Was ist das für ein Leben gewesen, was der Schleiermacher gelebt hat, Tausende hat er erleuchtet und erbaut, durch die Klarheit seines Geistes hat er Unzähligen vorgeleuchtet. Was ist das aber auch für ein Begräbniß gewesen, 20–30000 Menschen auf den Beinen, nicht aus Neugier sondern aus Theilnahme, wahrer inniger Theilnahme, sie fühlten alle, daß sie etwas verloren hatten! Sehn Sie, liebste Mutter, solche Menschen erhalten in uns den Glauben an die höheren menschlichen Kräfte […].“ (Carl Gottlob Haeckel an Johanna Regina Haeckel, 17.2.1834, EHA Jena, A 44310). Zur Wirkung Schleiermachers auf seine Zeitgenossen und seine Nachwirkung im kollektiven Gedächtnis vgl. Kirchhof, Tobias: Der Tod Schleiermachers. Prozess und Motive, Nachfolge und Gedächtnis. Leipzig; Berlin 2006. Zur Tätigkeit des Berliner Unionsvereins vgl. dessen Publikationsorgane: Monatsschrift für die unirte evangelische Kirche. Berlin 1846–1848; Zeitschrift für die unirte evangelische Kirche. Potsdam 1848–1853.
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der romantischen Naturphilosophie formulierte,14 prägten Ernst Haeckels Jugendzeit. Die hier angelegte Idee von Religion, die nach Schleiermacher „das unmittelbare Bewußtsein von dem Sein alles endlichen im unendlichen und durch das unendliche, alles zeitlichen im ewigen und durch das ewige“, sowie „das suchen und finden in allem, was lebt und sich regt, in allem Werden und Wechsel, in allem Thun und Leiden“ ist,15 blieb für ihn zeitlebens bestimmend.16 die frühen Jahre in Merseburg Ernst Haeckels Erziehung, auf die auch sein zehn Jahre älterer, von ihm scherzhaft als „Hofmeister“ titulierter Bruder Karl in hohem Maße einwirkte, war zwar streng, aber auch fürsorglich und liebevoll. Noch im hohen Alter gab Haeckels Mutter ihrem Sohn Ernst die Lebensregel für die Erziehung der eigenen Kinder mit auf den Weg: „[…] seid nicht zu nachsichtig in den ersten Jahren, haltet auf pünktliche Folgsamkeit, dressirt und sagt nicht zu viel, aber was ihr aussprecht, darin seid fest, ihr erspart dadurch dem lieben Kinde viel Unannehmlichkeiten.“17 Soziale Schranken wurden Ernsts Umgang mit den Merseburger Spielgefährten nicht gesetzt, gehörten doch zu diesen auch der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Schneiderssohn Ludwig Finsterbusch oder die zahlreiche Kinderschar der Hauswirtin der Haeckels, Christiane Merkel, Witwe eines 1847 verstorbenen Merseburger Maurermeisters. In der „Merkelschen Hütte“ in der Großen Rittergasse bewohnten die Haeckels die obere Etage.18 Ein weiträumiger Garten und die angrenzenden Ufer des Baches, der, vom Gotthardteich kommend, hinter dem Grundstück vorbeifloss und nördlich der Stadt in die Saale mündete, boten dem wilden, draufgängerischen und nicht im Zimmer zu haltenden Knaben und seinen Spielgefährten einen „Tummelplatz“, dessen Radius sich durch häufige Wanderungen und Exkursionen immer mehr erweiterte. Ernst Haeckels ausgeprägter, schon frühzeitig erkennbarer Sinn für die Beschäftigung mit der Pflanzen- und Tierwelt stieß auf einen Lehrer, der ihn systematisch zu fördern verstand, den Pädagogen Karl Friedrich Heinrich Gude. Gude wollte das Volksschulwesen wissenschaftlich fundieren, im Ansehen der Öffentlichkeit aufwerten und zur anerkannten Grundlage des gesamten, organisch begriffenen Systems der Volksbildung machen.19 In seiner Vorstellung eines wahrhaft „vaterländischen“ 14 15 16
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Vgl. Kleeberg, Bernhard: Theophysis. Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen. Köln; Weimar; Wien 2005, S. 34. Vgl. Friedrich Schleiermacher’s sämmtliche Werke. 1. Abtheilung: Zur Theologie. 1. Bd., Berlin 1843, S. 185. Vgl. Wedekind, Kurt: Die Frühprägung Ernst Haeckels. In: Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften in Jena. Jena 1976 (Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Mathematisch-Naturwissenschaftliche Reihe, 25. Jg., 1976, H. 2), S. 133–148, hier S. 134–136. Charlotte Haeckel an Ernst und Agnes Haeckel, Berlin, 21.9.1871 (EHA Jena, A 36423). Die „Merkelsche Hütte“ – der Name leitete sich von einer Salpeterhütte ab, die ehemals dort betrieben wurde – ist heute nicht mehr vorhanden, doch ist das Grundstück (Große Ritterstraße 5) mit dem großen Garten, wenngleich teilweise überbaut, noch erkennbar. Vgl. die Schilderung der Merseburger Schulverhältnisse in: Aus meiner Schulzeit. Biographische
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Elementarunterrichtes bildete die „Naturgeschichte“ die Ausgangsbasis, auf der Geschichte, Literatur und andere Fächer aufbauten.20 Er unterrichtete Haeckel zunächst privat, nachdem dieser im Elternhaus Lesen und Schreiben gelernt hatte. Im Alter von sechs Jahren wurde Haeckel in die Merseburger Bürgerschule aufgenommen.21 Als Lehrer an der Mädchenschule war Gude zwar für den Schulunterricht seines Zöglings nicht mehr zuständig, begleitete dessen Entwicklung aber auch weiterhin. Auf vielfältige Weise machte er ihn mit der Tier- und Pflanzenwelt vertraut und führte ihn in die systematische Pflege der Botanik ein, die er selbst mit Leidenschaft betrieb. Häufig begleitete der junge Haeckel Gude auf seinen Wanderungen und botanischen Exkursionen. So lernte er die heimische Flora kennen und prägte sich die damals gebräuchliche Terminologie ein.22 − Gleichsam spielend eignete er sich umfassende Kenntnisse über die heimische Flora sowie die Techniken des botanischen Sammelns und Präparierens an. Haeckels später von vielen Kollegen und Zeitgenossen bewunderte Fähigkeit, auf seinen Wanderungen die Beschaffenheit der jeweiligen Flora rasch bis ins letzte Detail zu erfassen und selbst im üppigsten Pflanzendickicht gleichsam intuitiv die Standorte seltener Arten aufzuspüren, ist in den Kindertagen bis zur Perfektion ausgebildet worden. Gegen Ende der Elementarschulzeit nahm ihn Gude mit auf eine mehrtägige Wanderung durch den Harz, um ihm die Schönheit der Gebirgslandschaft um den Brocken, in der er aufgewachsen war, nahezubringen.23 Haeckel blieb zeitlebens mit Gude in Verbindung, und wo immer sich die Gelegenheit bot, besuchte er seinen alten Lehrer, der seit 1848 in Magdeburg lebte. Unter seiner Leitung übte sich Haeckel auch im Zeichnen. Später erhielt er systematischen Zeichenunterricht bei dem Rechnungsrat Oscar Naumann, der als Zeichenlehrer des
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Notizen von A. W. Grube in Bregenz. In: Pädagogische Blätter für Lehrerbildung und Lehrerbildungsanstalten. 8. Bd., Gotha 1878, S. 124–136. Vgl. Gude, Carl / Gittermann, Louis: Vaterländisches Lesebuch. Magdeburg 1863. Hier waren seine Zensuren insgesamt zufriedenstellend; vgl. Schulzeugnisse Ernst Haeckels aus der IV. und III. Klasse der Merseburger Bürgerschule (EHA Jena). Zu der von Haeckel in seinen Jugendjahren benutzten botanischen Standardliteratur zählten Kappe, Ernst: Der kleine Botaniker oder Anleitung, die vornehmsten Gattungen und Arten der nord- und mitteldeutschen Flora nach eigner Anschauung selbst zu bestimmen. Meurs 1839 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 37=66); Kittel, Martin Balduin: Taschenbuch der Flora Deutschlands zum Gebrauche auf botanischen Excursionen. Nürnberg 1844; Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Taschenbuch der Deutschen und Schweizer Flora, enthaltend die genauer bekannten Pflanzen, welche in Deutschland, der Schweiz, in Preussen und Istrien wild wachsen und zum Gebrauche der Menschen in grösserer Menge gebauet werden, nach dem De Candollischen Systeme geordnet, mit einer vorangehenden Uebersicht der Gattungen nach den Classen und Ordnungen des Linnéischen Systemes. 2. Aufl., Leipzig 1848 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 40=69); ders.: Synopsis der Deutschen und Schweizer Flora, enthaltend die genauer bekannten Pflanzen, welche in Deutschland, der Schweiz, in Preussen und Istrien wild wachsen und zum Gebrauche der Menschen in grösserer Menge gebauet werden, nach dem De Candollischen Systeme geordnet, mit einer vorangehenden Uebersicht der Gattungen nach den Classen und Ordnungen des Linnéischen Systemes. 2. Aufl., 1. und 2. Teil, Registerband, Leipzig 1848 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 41=70–71); Haeckels persönliche, mit seinen handschriftlichen Ergänzungen und Kommentaren versehene Exemplare der beiden letztgenannten Werke befinden sich im Museum des Ernst-Haeckel-Hauses Jena. Vgl. Gude, Carl: Der Brocken und seine Wälder. Eine Schilderung des Lebens an und auf dem Brockengebirge. Magdeburg 1855.
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Merseburger Domgymnasiums fungierte.24 In Haeckels früher Lektüre dominierten Reisebeschreibungen, darunter auch bereits Charles Darwins Naturwissenschaftliche Reisen25, und mit nachhaltiger Begeisterung las er die Werke von Humboldt und Schleiden.26 Unter Gudes Anleitung vollzog sich Haeckels Einstieg in die Naturwissenschaften nicht über die Zoologie, sondern über die Botanik. Schon in den frühen Kinderjahren besaß er im Garten der „Merkelschen Hütte“ sein eigenes Refugium, das er eifrig bestellte und pflegte. In den 1840er Jahren begann er auch ein umfangreiches Herbarium anzulegen. Diese Tätigkeit verschlang einen großen Teil seiner Freizeit und schien Haeckel noch in der Retrospektive seiner 1918 begonnenen autobiographischen Notizen eine Erklärung zum „Nutzen“ des „Heusammelns“ abzuverlangen.27 Die erhaltenen Herbarien der Jugendzeit bezeugen den schrittweisen Wandel von „Botanischen Kinderstudien“ zum professionellen, auf Systematik und Vollständigkeit zielenden Sammeln am Ende der Gymnasialzeit.28 Der Schüler bemühte sich, die Arten genau zu bestimmen und zu ordnen, legte aber angesichts der großen Formenvielfalt mancher Arten ein Nebenherbarium an.29 Auch Haeckels Briefe und Tage24 25
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Vgl. Taszus, Claudia: Jena und Umgebung im künstlerischen Werk Ernst Haeckels. In: WeimarJena. Die große Stadt. Reihe: Das kulturhistorische Archiv. 8. Jg., 3. Heft, Jena 2015, S. 238–253, hier S. 239. Charles Darwin’s, Secretair’s der geologischen Gesellschaft in London, Naturwissenschaftliche Reisen nach den Inseln des grünen Vorgebirges, Südamerika, dem Feuerlande, den FalklandInseln, Chiloe-Inseln, Galapagos-Inseln, Otaheiti, Neuholland, Van Diemen’s Land, KeelingInseln, Maritius, St. Helena, den Azoren etc. Deutsch und mit Anmerkungen von Ernst Dieffenbach. 2 Teile, Braunschweig 1844 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 109=169). Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 4 Teile, Tübingen 1845–1858 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 1=1–4); ders.: Ansichten der Natur. 2 Teile, Tübingen 1849 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 2=5–6); Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848 (siehe Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 30=56); ders.: Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik nebst einer methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze. 1. Teil, 3., verb. Aufl., Leipzig 1849 (siehe HaeckelJugendbibliothek, Nr. 29=55). Autobiographie „Lebenswege von Ernst Haeckel“ (Mskr., Beginn der Niederschrift am 1.1.1918, EHA Jena, B 312), Bl. 21r: Botanische-Kinderstudien: „Der Ausbau meines Herbariums stand während meiner ganzen Schulzeit so sehr im Vordergrunde meines Interesses und absorbirte so sehr den größten Teil meiner freien Zeit, daß ich hier einiges Allgemein über den Nutzen dieses systematischen Sports sagen möchte […]“; modifizierter Teilabdruck auch in: Schmidt, Heinrich: Ernst Haeckel. Leben und Werke. Berlin 1926, S. 53–55. Autobiographie, Bl. 22v: „Wie bei allen solchen systematischen Sammlungen, war natürlich auch bei meinem Herbarium ein Hauptwunsch, die gesuchten und schwer erreichbaren Seltenheiten zu erlangen und möglichste Vollständigkeit zu erreichen. Diese letztere bezog sich zunächst auf die Flora von Halle, zu deren Bezirk Merseburg gehörte.“ Autobiographie, Bl. 22v–23v: „Ich war 12 Jahre alt, als ich auf diese weitgehende Variabilität bei Rosen und Disteln, Weiden und Brombeeren aufmerksam wurde. Anfangs ärgerte ich mich über die vielen variabeln und ‚schlechten Arten‘ dieser Gattungen, die Goethe als die ‚charakterlosen oder liederlichen Geschlechter‘ bezeichnet hat. Dann aber kam mir der kritische Zweifel, ob denn überhaupt die ‚guten Arten‘ in der Natur so scharf getrennt seien, als sie in den systematischen Büchern so schön glatt neben einander stehen. In Folge dessen legte ich mir neben dem officiellen Haupt-Herbarium, das die ‚guten Species‘ in typischen Exemplaren schön geordnet und etikettirt zeigte, noch ein geheimes kleines Neben-Herbarium an, das in einer langen Reihe von verliederten
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bücher aus dieser Zeit belegen sein geradezu fanatisches Pflanzensammeln, das nicht immer das Wohlwollen der Eltern fand. Der „philiströse, stubenhockende Pflanzenmensch“ ließ sich jedoch in seiner Sammelleidenschaft nicht beirren.30 Unermüdlich unternahm er mit seinen Eltern, den Lehrern Gude und Gandtner oder mit seinen Schulfreunden Weiß, Hetzer und Weber z.T. weite Exkursionen, um sein Herbarium zu vergrößern.31 Die eingebrachten Pflanzen wurden oft zu begehrten Tauschobjekten.32 Mit dem Hallenser Botaniker August Garcke knüpfte Haeckel sogar einen seiner ersten wissenschaftlichen Kontakte.33 Haeckel konnte Garcke die Standorte selte-
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Zwischenformen den allmähligen Übergang der variablen ‚schlechten Species‘ in einander zeigte. Ich habe im Vorwort zur ‚Generellen Morphologie‘ (S. XVI) diese kindlichen Bedenken am constanten Species-Begriff erwähnt, die schon 1846 in mir auftauchten und später eine so beträchtliche Rolle in meiner Lebensarbeit spielten.“ Vgl. Haeckel, Ernst: Generelle Morphologie. Berlin 1866, S. XVI–XVII: „Rubus, Salix, Verbascum, Hieracium, Rosa, Cirsium etc. Hier zeigten Massen von Individuen, nach Nummern in eine lange Kette geordnet, den unmittelbaren Uebergang von einer guten Art zur andern. Es waren die von der Schule verbotenen Früchte der Erkenntnis, an denen ich in stillen Mussestunden mein geheimes, kindisches Vergnügen hatte.“ Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 8.2.1851: „Große Verfolgung wegen der Beschäftigung mit den Pflanzen.“ Andeutungen in den Briefen lassen erahnen, welchen „Verfolgungen“ der junge Haeckel zu Hause ausgesetzt war, siehe u. a. Br. 140 in diesem Band. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851, Eintrag v. 5.4.1849: „Schon in früher Jugend zeigte ich sehr große Lust und Neigung zur Naturwissenschaft und zum Reisen. Das Letztere kam besonders daher, daß meine Eltern mich alle mal mit auf ihre großen Reisen nahmen. So kam ich in meinen ersten 7 Jahren 6 mal nach Hirschberg in Schlesien, wo mein Vater das Gut oder vielmehr die Bleiche seines Vaters liegen hatte. 1842 reiste ich nach Bonn, wo ich ein Vierteljahr blieb; 1845 eben dahin, jedoch über Heidelberg und Frankfurt und zurück über Köln und Münster. 1845 verlebte ich noch vor der großen Rheinreise die Hundstage zu Hasserode im Harz bei den Eltern meines ersten Lehrers Gude und 1847 durchreiste ich mit meinem Lehrer Gandtner und 3 Mitschülern den Unterharz bis zum Brocken über Falkenstein, Selkethal, Victorshöhe, Bodethal, Regenstein, Rübeland (wo ich die beiden Höhlen sah) und Rothehütte.“ Vgl. Br. 58 in diesem Band: „Auch an Herrn Gandtner haben ich und Weiß geschrieben um einen Pflanzenaustausch zu beginnen.“ Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Eintrag v. 18.5.1851: „Mit Botaniker Dr. A. Garcke Bekanntschaft.“; Autobiographie, Bl. 22v: „Der Verfasser der ‚Flora Hallensis‘, August Garcke […] hatte von meinem eifrigen Botanisiren gehört, suchte mich auf und war erfreut, von mir viele Angaben über neue, ihm unbekannte Standorte in der Umgegend von Merseburg zu erhalten. Sehr stolz war ich, als ich ihm zwei Compositen: Senecio saracenicus und Centaurea solstitialis, als neue Bürger unserer Flora zeigen konnte.“ – Garcke erwähnt Dr. [!] Haeckel im ‚Nachtrag zu den Phanerogamen‘ des zweiten Teils (Kryptogamen) seiner „Flora von Halle“ (Halle 1856), S. 181: „So wurden für die Merseburger Umgebung von Herrn Dr. Haeckel namentlich durch die Entdeckung zweier Salzstellen die in der Halleschen Flor überhaupt zahlreich vertretenen Salzpflanzen auch in der unmittelbaren Nähe dieser Stadt aufgefunden, was um so erfreulicher war, da die nächste Umgebung von Merseburg an seltenern wildwachsenden Pflanzen eine der ärmsten im ganzen Gebiete ist.“ Im Nachtrag wird Haeckel sonst nicht explizit genannt: „Senecio saracenicus L. findet sich […] bei Merseburg am Saalufer im Weidengebüsch zwischen Arnimsruh und der Steckner’schen Fabrik häufig zugleich mit Brassica nigra“ und „Centaurea solstitialis L. […] ebenso wurde sie bei Merseburg an der Chaussee nach Schkopau, wo die Eisenbahn dieselbe schneidet, einzeln beobachtet; […]“, ebenda, S. 207; vgl. Hecht, Gerhard: Botanische Tätigkeit Ernst Haeckels in der Teplitzer Gegend 1852. Ein Beitrag zur Biographie eines fortschrittlichen deutschen Wissenschaftlers. (Oblastni muzeum, Hrsg.). Teplice 1974, S. 55. – Garcke und Haeckel blieben weiterhin in botani-
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ner Pflanzen der Merseburger Umgebung nennen, die dieser in seine Flora von Halle übernahm. Am Ende seiner Schulzeit besaß Haeckel ein Herbarium, das die Flora der engeren Heimat weitgehend repräsentierte.34 Wie seine Kontakte mit Garcke oder mit dem ebenfalls in Halle wohnenden Mineralogen August Liebgott Sack, genannt „Stein-Sack“, einem entfernten Verwandten seiner Familie, den er oft besuchte, zeigen, hielten seine botanischen Kenntnisse durchaus dem Vergleich mit denen von anerkannten Fachwissenschaftlern stand. Zudem stieß Haeckel mit dem Sammeln von Übergangsformen offenbar schon zur Jugendzeit ein Problem an, das ihn im weiteren Verlauf seiner wissenschaftlichen Laufbahn nicht mehr loslassen sollte: das Verhältnis von Konstanz und Veränderlichkeit der Arten. Im Alter von 15 Jahren ließ er sich während eines Aufenthalts in Berlin von dem berühmten Zoologen Christian Gottfried Ehrenberg die damals neuen achromatischen Mikroskope vorführen, von denen auch sofort eines als Geschenk zu seinem 16. Geburtstag angeschafft wurde.35 Auch auf dem Merseburger Domgymnasium fand er, obwohl dessen Ausrichtung dem damaligen Zeitgeist gemäß eine humanistisch-altsprachliche war, verständnisvolle und sein Talent fördernde Lehrer wie den Philologen Robert Heinrich Hiecke36 und den Mathematiker Otto Gandtner. In besonderem Maße prägend für Haeckel wurde der erst 1850 in den Lehrkörper des Domgymnasiums eingetretene Philologe, Germanist und Dichter Karl Wilhelm Osterwald.37 Der liberale Freigeist
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schem Kontakt: „Zuletzt besuchte ich noch Dr. A. Garke in der Potsdamerstr. Nr. 104 dem meine Mittheilungen über die Teplitzer Flora sehr erwünscht schienen. Er gab mir dafür noch einige seltene Pflanzen aus der Flora hallensis.“ (Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Eintrag v. 22.9.1852). Hecht konnte neun von Garcke geschenkte Pflanzen ermitteln, vgl. Hecht (wie oben), S. 62 f. 1912 übergab Haeckel sein Herbarium an die Herbarium-Haussknecht-Stiftung in Weimar. Dies betraf allerdings nur das „Große Herbar“, dessen Bestand im Umfang von 4367 Einzelblättern, deren Herkunft exakt protokolliert ist, heute in das Herbarium Haussknecht der FriedrichSchiller-Universität Jena eingeordnet ist. Mehrere kleinere Herbarien behielt Haeckel weiterhin in seinem Besitz. Im Ernst-Haeckel-Archiv sind überliefert: ein „Herbarium primum“ aus der Schulzeit mit 137 Arten (Ernesti Haeckelii Herbarium primum collectum annis 1840–1843 et 1846–1850, EHA Jena, E 1), ein Herbarium aus dem Jahr 1851 mit 100 Arten (Centuria plantarum Thuringiacarum anno 1851 p.l.m. collecta et secundum systema linnaei sexuale distributa ab Ernesto Haeckel, EHA Jena, E 2), ein Herbarium mit Kryptogamen, das er seiner ersten Frau Anna Sethe zur Verlobung schenkte (25 Deutsche Farrnkräuter. Anna Sethe. Haeringsdorf. Am 14ten September 1858. Zum 23.sten Geburtstage meiner lieben Braut. Ernst Haeckel, EHA Jena, E 3), sowie ein Herbarium mit 200 Arten, ein Weihnachtsgeschenk für Anna (Flora Germanica 200 Species Anna Sethe Weihnacht 1858 Ernst Haeckel, EHA Jena, E 4). Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851, Einträge v. 4.1., 8.2. und 16.2.1851. Vgl. Abels, Kurt: Zur Geschichte des Deutschunterrichts im Vormärz. Robert Heinrich Hiecke (1805–1861). Leben, Werk, Wirkung. Köln; Wien 1986; ders.: „Tretet ein, denn auch hier sind Götter!“ Robert Heinrich Hiecke (1805–1861) und die Aufnahme Goethes in den Literaturkanon der Schule. In: Detlev Kopp (Hrsg.): Goethe im Vormärz. Bielefeld 2004, S. 141–170. Hieckes in wiederholten Auflagen erschienenes Werk „Deutsches Lesebuch für obere Gymnasialclassen, enthaltend eine auf Erweiterung des Gedankenkreises und Bildung der Darstellung berechnete Sammlung auserlesener Prosastücke“ (2. Aufl., Leipzig 1847), erhielt Haeckel, wie das in seiner Jugendbibliothek (Nr. 155=276) überlieferte Exemplar ausweist, als Geschenk zu seinem 14. Geburtstag am 16.2.1848. Baumgarten, Werner: Karl Wilhelm Osterwald. In: Mitteldeutsche Lebensbilder. 1. Band: Lebensbilder des 19. Jahrhunderts. Magdeburg 1926, S. 252–257.
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Osterwald, ein Freimaurer, dichtete Kirchenlieder und widmete sich der Wander-, Natur- und Liebespoesie, betätigte sich aber hauptsächlich als Forscher und Herausgeber auf dem Gebiet der altdeutschen Sage und Dichtung.38 Die für Haeckel zeitlebens charakteristische Ästhetisierung der Natur, die ihren Höhepunkt in der Publikation der Kunstformen der Natur (1899/1904) fand, könnte im Einfluss dieser Lehrerpersönlichkeiten, mit denen er auch weit über seine Schulzeit hinaus Kontakte pflegte, eine ihrer Wurzeln haben. Zwar nicht mehr zu Haeckels Lehrern, wohl aber zu seinem engeren Merseburger Bekanntenkreis, zählte auch der 1850 als Rektor der Bürgerschule in die Saalestadt gekommene August Heinrich Philipp Lüben, ein Pädagoge, der seine Laufbahn als Zeichenlehrer begonnen und sich dann als Verfasser mehrerer naturkundlicher Lehrbücher zu einem engagierten Vorkämpfer des naturwissenschaftlichen Unterrichts an den Volksschulen profiliert hatte.39 In Lüben fand der junge Haeckel nicht nur einen Förderer, sondern auch einen kundigen Partner, mit dem er sich über botanische Themen austauschen konnte, und in Lübens Sohn Friedrich Eduard Christian einen Freund und Begleiter auf seinen botanischen Exkursionen.40 Der junge Lüben, nur wenig älter als Haeckel, teilte mit ihm die Verehrung für den Jenaer Botaniker Matthias Jakob Schleiden. Als Lüben nach Jena ging, um dort Naturwissenschaften zu studieren und Schleiden zu hören, wollte Haeckel ihm nach dem Abitur dorthin folgen. Ein Anfall von Gelenkrheumatismus im Januar 1852 verhinderte jedoch die Ausführung dieses Plans, wozu Lüben in Jena bereits erste Vorbereitungen getroffen hatte. In Haeckels letzten Gymnasialjahren in Merseburg bildete sich um ihn ein Freundeskreis, zu dem außer Friedrich Eduard Christian Lüben und Ludwig Finsterbusch der ein Jahr jüngere Ernst Weiß, Victor Weber sowie Wilhelm Hetzer gehörten. Vor allem das „Kleeblatt“ (Weiß, Weber, Hetzer, Haeckel) unternahm häufig gemeinsame botanische Exkursionen in die Merseburger Umgebung, und man wetteiferte regelrecht darin, die seltensten Pflanzen aufzufinden.41 Die in dieser Zeit geknüpften Freundschaftsbande rissen mit dem Wechsel auf die Universitäten keineswegs ab, sondern wurden in der gemeinsamen Erinnerung an die in der Rückschau zunehmend zur Idylle verklärten Gymnasialzeit sogar noch enger und intensiver. Das verbindende Element dieser Freundschaften war das gemeinsame Interesse an Natur 38
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In Haeckels Jugendbibliothek sind von Karl Wilhelm Osterwald die Werke „Im Grünen. Naturbilder, Märchen und Arabesken“ (Berlin 1853, Nr. 125=199) und „Rüdiger von Bechlaren. Ein Trauerspiel“ (Halle 1849, Nr. 124=198) sowie die vom Verfasser geschenkten „Homerischen Forschungen“ (1. Bd., Halle 1853, Nr. 152=272) und die „Erzählungen aus der alten deutschen Welt“ (Halle 1851, Nr. 153=273) verzeichnet. Vgl. Biographie in: Pfeiffer, Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Die Volksschule des XIX. Jahrhunderts in Biographieen hervorragender Schulmänner. Nürnberg 1872, S. 209–376. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Einträge v. 19.10.1851 und 13.3.1852. Vgl. ebenda, insbesondere die Einträge über die Exkursion auf die Unstrut-Saale-Platte bei Bad Kösen zum Mordtal bei Freyburg (Unstrut) mit Ernst Weiß und dem jungen, gerade erst an das Merseburger Gymnasium gekommenen Lehrer Friedrich Christian Traugott Buchbinder vom 11.5., die Exkursionen in die Umgebung von Halle mit Victor Weber und Ernst Weiß am 17.5. und 13.6. und mit Weber nach Allstedt und Umgebung am 14.6., die Wanderung zum Kyffhäuser mit Victor Weber vom 14.–18.7., die Exkursion mit Lüben und Weiß nach Dürrenberg zur Suche nach Salzpflanzen am 19.10.1851.
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und Naturforschung,42 obwohl neben Haeckel nur Weiß, ein Neffe des mit Carl Gottlob Haeckel befreundeten Berliner Mineralogen Christian Samuel Weiß, später eine Berufslaufbahn als Naturwissenschaftler einschlug. Ernst Weiß wurde 1859 zu einem kristallographischen Thema promoviert, war seit 1860 Dozent an der Bergschule in Saarbrücken und seit 1872 Professor an der Freiberger Bergakademie. Seine Fachgebiete waren die Mineralogie und Geologie, doch blieb er auch zeitlebens seiner einstigen Leidenschaft für die Botanik treu, was seine bedeutenden phytopaläontologischen Arbeiten belegen. Weber, Hetzer und Finsterbusch hingegen wurden Lehrer, während Lüben schon 1854 starb. Ernst Haeckel blieb mit ihnen allen zeitlebens verbunden. Während über die Kindheit und Jugend Ernst Haeckels bis zum 17. Lebensjahr nur sporadische Briefe und die seit 1849 geführten Tagebücher informieren, begann im Oktober 1851 eine kontinuierliche Korrespondenz mit seinen Eltern. Diese entstand, nachdem Carl Gottlob Haeckel im Juli 1851 pensioniert worden und mit seiner Frau nach Berlin übergesiedelt war. Dort bezog die Familie eine Wohnung in der Schifferstraße 6, in unmittelbarer Nachbarschaft zum Domizil von Großvater Christoph Wilhelm Heinrich Sethe. Haeckels Mutter Charlotte konnte sich nun mit um den Haushalt ihres Vaters und ihre ebenfalls dort lebende, damals mit einer schweren Erkrankung ans Bett gefesselte Schwester Bertha Sethe kümmern, deren Pflege bis dahin allein auf Haeckels Tante Gertrude, der ältesten der Sethe-Schwestern, gelastet hatte. Carl Gottlob Haeckel genoss es, wieder in der Metropole des preußischen Staates zu leben und, nachdem er sich an die großstädtischen Verhältnisse gewöhnt hatte, auch aktiv am gesellschaftlich-politischen Leben teilnehmen zu können, was ihm in seiner Merseburger Dienstzeit als Regierungsbeamter nicht möglich gewesen war. Wie die Briefe der Eltern an Ernst vermelden, verging kaum ein Tag, an dem die Haeckels nicht Gäste empfingen oder alte Bekanntschaften wieder anknüpften, kulturelle, wissenschaftliche oder kirchliche Veranstaltungen besuchten oder bei den vielen in Berlin wohnenden Verwandten anklopften. Besonders wichtig waren Carl Gottlob Haeckel die Versammlungen der Berliner Gesellschaft für Erdkunde, die er niemals versäumte. Darüber hinaus besuchte er gelegentlich auch die Sitzungen der „Gesetzlosen Gesellschaft“, in die ihn sein Schwager Julius Sethe einführte. Politisch war Carl Gottlob Haeckel liberal-konstitutionell orientiert und stand der liberalen Opposition im preußischen Landtag nahe. Gelegentlich berichtete er über Besuche von Sitzungen der preußischen Kammern, seine Teilnahme an den Versammlungen des Constitutionellen Clubs und sein Engagement für die liberalen Kandidaten bei den Versammlungen zu den preußischen Kammerwahlen in den Berliner Wahlbezirken. Immer wieder zeigte sich Haeckels Vater in seinen Briefen tief beeindruckt von dem rasanten Wachstum des einst so beschaulichen Berlin der Biedermeierzeit, das er aus seinen Dienstjahren im Potsdamer Regierungskollegium gekannt hatte, als er für die Kommunalsachen und damit auch für die Residenzstadt Berlin zuständig gewesen war. Die gewaltigen Fortschritte in Industrie, Handel und Verkehr, deren Dynamik er in Berlin jetzt erleben konnte, begeisterten ihn, ohne dass er die damit einhergehenden sozialen Verwerfungen verkannte. Gleichzeitig schöpfte er daraus die Zuversicht, 42
Vgl. dazu die Briefe von Ernst Weiß (42), Victor Weber (26), Wilhelm Hetzer (14) und Ludwig Finsterbusch (66) an Ernst Haeckel (EHA Jena).
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dass die ihn verbitternden Bestrebungen der politischen Reaktion in Preußen, die Errungenschaften der Jahre 1848/49 zu revidieren, nicht von langer Dauer sein konnten. Erfuhren die Eltern nach ihrem Umzug vom ländlichen Merseburg in die preußische Metropole noch einmal eine beträchtliche Erweiterung ihres Lebenshorizonts, so musste der Gymnasiast Ernst Haeckel allein zurückbleiben, um zu Ostern sein Abitur am Merseburger Domgymnasium abzulegen. Nachdem die Haeckels aus ihrer Wohnung in der „Merkelschen Hütte“ ausgezogen und die zurückgelassenen Möbel verauktioniert waren, wurde Ernst zur Pension in das Haus seines Lehrers Osterwald gegeben.43 Der Trennungsschmerz war anfangs stark, doch eröffnete ihm seine neue Existenz als „Pensionsviertel“, wie er und die drei weiteren bei Osterwald wohnenden Mitschüler aus dem Domgymnasium genannt wurden,44 auch Freiräume, die er im Elternhaus nicht gehabt hatte. Der Umstand, dass Merseburg an einer der frühesten deutschen Eisenbahnlinien lag, ermöglichte ihm, den Aktionsradius seiner botanischen Exkursionen relativ weit auszudehnen. Mitte Januar 1852 musste Haeckel allerdings wegen seines Gelenkrheumatismus im rechten Knie wochenlang das Haus hüten, und nur die Fürsorge der Osterwalds, Besuche der Merseburger Freunde und Bekannten, und nicht zuletzt die von Osterwald über das Thema „Der Einfluss deutscher Pflanzenformen auf den Charakter der Landschaft“ aufgegebene schriftliche Arbeit, vermochten ihn über das heftige Heimweh hinwegzutrösten, das ihn jetzt wieder befiel.45 Diese Arbeit veranlasste ihn, sich auch wieder eingehend mit dem Studium der Werke Schleidens und Alexander von Humboldts zu beschäftigen. Überhaupt war Haeckels Verhältnis zu Osterwald ein sehr herzliches, bemühte sich dieser doch nach kräften, seinen jugendlichen Pensionsgästen das Internatsdasein durch heitere literarische Leseabende und die Einbeziehung in das Leben seiner Familie zu erleichtern. Als den Osterwalds am 29. Februar 1852 ein Junge geboren wurde, übernahm Ernst Haeckel die Patenstelle für den kleinen Ernst Wilhelm Hermann Osterwald.46 In der letzten Januarwoche 1852 begannen die schriftlichen Arbeiten für das Abiturientenexamen, die sich bis Mitte Februar hinzogen.47 Am 12. März fand schließlich die mündliche Abiturprüfung statt, und Haeckel konnte endlich sein „sehr wohl verdientes“ Reifezeugnis erhalten.48 Schon am Tag darauf reiste er nach Berlin ab. Nun schien für ihn eine „herrliche und selige Zeit“ zu beginnen, wobei er glaubte, „allen Lieblingsbeschäftigungen frei und sorglos“ nachgehen zu können.49 Doch schon am 43 44
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Es handelte sich um die sogenannte Vikariatskurie „trium regum“, eines der Domherren- und Personalwohnhäuser des Merseburger Domstifts, heute Domstraße 5. Ernst Weiß, Johannes Donatus Wolfgang Zierhold, Karl Ludwig Wilhelm Eichhoff. Eichhoff studierte Jurisprudenz und wurde später Journalist. Wegen seiner kritischen Veröffentlichungen über die preußische Polizei in den Reaktionsjahren nach 1848/49 wurde er zu Gefängnis verurteilt und floh nach London, wo er die Bekanntschaft von Karl Marx und Friedrich Engels machte. 1866 amnestiert, kehrte er nach Deutschland zurück und wurde Mitbegründer der Internationalen Arbeiter-Assoziation, schrieb für diverse sozialdemokratische Zeitungen und war 1868/69 an der Gründung der Sozialdemokratischen Deutschen Arbeiterpartei beteiligt. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Einträge vom Januar 1852. Vgl. ebenda, Eintrag v. 8.4.1852. Vgl. ebenda, Einträge v. 25.1.–14.2.1852. Vgl. ebenda, Eintrag v. 12.3.1852. Vgl. ebenda, Einträge v. 13./14.3.1852.
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20. März zwang ihn ein erneuter Schub seiner Rheumaerkrankung für drei Wochen ins Bett. Sein Reifezeugnis schickte ihm Osterwald zu; sein Schulkamerad Eichhoff überbrachte es ihm am Gründonnerstag 1852.50 Den ihm von seinem Freund Lüben übersandten Jenaer Lektionskatalog musste er wehmütig zur Seite legen, da die Erkrankung seinen Plan, im Sommersemester 1852 ein Studium an der Jenaer Universität aufzunehmen und den „göttlichen Schleiden“ zu hören, durchkreuzte. das erste studiensemester in Berlin Am 25. April 1852 wurde Haeckel im Senatszimmer der Berliner Friedrich-WilhelmsUniversität als Student der Medizin und Naturwissenschaften immatrikuliert.51 Doch erst nach Pfingsten begann er, offensichtlich immer noch durch seine Erkrankung behindert, die Lehrveranstaltungen zu besuchen. Am Pfingstsonntag, dem 30. Mai 1852, kommentierte er in seinem Tagebuch den Beginn seines neuen Lebensabschnitts mit dem Vermerk: Heute erst […] habe ich wieder Muth, Kraft und Lust gewonnen, das unterbrochene Tagebuch fortzusetzen, nachdem ich endlich den Schmerz über die Zerstörung aller meiner, Jahrelang genährten, auf Jena und Schleiden gerichteten Hoffnungen (namentlich in Hinsicht auf die Naturwissenschaften) überwunden zu haben glaube, obgleich ich mich noch immer nicht ganz in die Nothwendigkeit des Bleibens in Berlin und in dem (sonst so lieben) Älternhaus (Schifferstrasse 6) finden kann und nur apathische Ruhe habe.
Es war seine Intention gewesen, sich mit der Aufnahme des Studiums der Verwirklichung seines Lebensplans, Naturforscher zu werden, zu widmen. Dies war damals nur möglich durch ein Studium der Medizin. Immerhin war dies ein Studienfach, das die Möglichkeit einer gesicherten künftigen Existenz bot, wenngleich ihn seine Eltern freilich lieber, ähnlich wie seinen Bruder Karl, der Familientradition entsprechend, als Juristen gesehen hätten.52 Für Ernst Haeckel war die Medizin indes zunächst nur ein notwendiges Übel, das er akzeptieren musste, um überhaupt naturwissenschaftliche Vorlesungen hören zu können, die zum Curriculum der akademischen Medizinerausbildung gehörten. Das Berliner Semester, in dem er sich zunächst auf die naturwissen50
51 52
Die Originalausfertigung von Ernst Haeckels Reifezeugnis vom 24.3.1852 ist nicht nachweisbar. Im EHA Jena, Best. F 1, befindet sich jedoch eine Abschrift von Charlotte Haeckels Hand. Nach einer ausführlichen Beurteilung seines Verhaltens sowie seiner Kenntnisse und Fertigkeiten in den einzelnen Fächern heißt es darin: „Die unterzeichnete Prüfungscommission hat ihm daher, da er jetzt das Gymnasium verläßt, um Medicin und Naturwissenschaft zu studieren, das Zeugniß der Reife ertheilt, und entläßt ihn zufolge des besonderen Interesses, welches ihr seine geistigen und sittlichen Eigenschaften eingeflößt haben, mit dem herzlichen Wunsche, daß es ihm unter Gottes gnädigem Beistand gelingen möge, alle an ihn geknüpften Hoffnungen und Erwartungen zu erfüllen.“ Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Eintrag v. 25.4.1852. „Es ist doch mit der Individualität eine wahrhaft räthselhafte Sache, nie hätte ich mir träumen laßen, daß ich grade einen Naturforscher zum Sohn haben würde.“ (Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Hermine Haeckel, Berlin, 29./30.12.1853, Br. 201 in diesem Band).
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schaftlichen Fächer konzentrieren konnte, schob die Diskussion über die endgültige Entscheidung für die Medizin noch um ein halbes Jahr hinaus. Nach Haeckels Tagebuch gestaltete sich sein Studienplan wie folgt:53 Stunden: Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Sonnabend
30
7-8
Botanik H. Professor Braun
Botanik
Botanik
Botanik
Botanik
Botanik
6
8-9
Experimental- Chemie chemie H. Professor Mitscherlich
Chemie
Chemie
Chemie
Chemie
6
Schwere- und WaermeLehre H. Dr. Wiedemann
Naturgeschichte der Krebse und Spinnen H. Dr. Schaum
Schwe3 re- und WaermeLehre H. Dr. Wiedemann
11-12
Geschichte der Physik H. Prof. Poggendorf
Geschichte der Physik H. P. P.
3
12-1
Optik (publ.) H. Professor Dove
Optik (publ.) H. Prof. Dove
2
9-10 10-11
1-2 2-3 3-4 4-5
Entomologie H. Professor Klug
Systeme der Botanik H. Prof. Braun
Entomologie H. Prof. Klug
5-6
Physik H. Prof. Dove
Geographie v. Africa H. Prof. Mueller
Physik H. Prof. Dove
3
6-7
Physik
Geographie v. Africa
Physik
3
53
Botanische 4 Demonstration H. Prof. Braun
Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Eintrag v. 26.4.1852.
XXVI
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Da über das Berliner Semester keine Briefe Haeckels vorliegen, informiert ausschließlich sein Tagebuch über diese Zeit. Botanik hörte er bei Alexander Braun, war aber von ihm enttäuscht, weil die behandelten Gegenstände ihm bereits vertraut waren und Braun zudem immer wieder gegen den von ihm so verehrten Schleiden polemisierte.54 Interessant fand er dagegen die Demonstrationen im Botanischen Garten. Darüber hinaus hörte er als Privatvorlesungen Experimentalchemie bei Eilhard Mitscherlich und Experimentalphysik bei Heinrich Wilhelm Dove, dessen durch „herrliche Apparate“ unterstützter Vortrag ihm besonders gefiel.55 Die übrigen öffentlichen Collegia, besonders die mittwochs und sonnabends gelegenen, hörte er nicht kontinuierlich, da er, wie er in seinem Tagebuch schrieb, sein Knie noch schonen musste und besonders in den ersten Wochen fast gar nicht zur Universität gehen konnte. Im Sommer 1852 fand Haeckel auch Anschluss an einen von Arthur Wilde, dem Famulus des Berliner Zoologen Johannes Müller, initiierten Freundeskreis aus naturwissenschaftlich interessierten Studierenden. Dieses „naturwissenschaftliche Kränzchen“, das Haeckels Tagebuch ausführlich schildert und das eine „äußerst liebenswürdige und nette Zusammenkunft“ gewesen sein soll,56 kam einmal wöchentlich zu einem gemeinsamen Abend zusammen, den die Mitglieder turnusmäßig auszurichten hatten. Bei Tee, Butterbrot, Käse und Schinkenwurst hatte jeder der Reihe nach einen freien Vortrag über ein naturwissenschaftliches oder geographisches Thema zu halten.57 Gelegentlich machte man auch Ausflüge, Kahnpartien oder besuchte ein Berliner Gartenlokal. Dem Kränzchen gehörten außer Wilde und Haeckel noch fünf Mitglieder an.58 Am 24. Juli 1851 luden Haeckels Eltern diese zum Abendessen ein, um sie kennenzulernen, und am 3. August gab Haeckel ihnen bei Butterbrot mit Wurst, Schafszungen und Apfelsinenbowle einen vergnügten Abschiedsschmaus, bei dem er mit ihnen Schmollis (Brüderschaft) trank und studentische Trinkrituale einübte.59 Am 9. August 1851 schloss er sein erstes Semester ab.
54 55 56 57
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Vgl. ebenda, Eintrag v. 28.4.1852. Vgl. ebenda, Einträge v. 29./30.4.1852. Vgl. ebenda, Eintrag v. 3.8.1852. Vgl. ebenda. – Ernst Haeckels Tagebuch verzeichnet folgende Vorträge: Über das System der Zoologie der Säugetiere (Wilde), Über die Strömungen der Ebbe und der Flut (Althans), Über die Redukionstheorie in der Optik (Wittgenstein), Über die Vorzüge der geographischen Lage Europas (Hauchecorne), Über die ästhetische Physiognomik norddeutscher Pflanzenformen (Haeckel), Über das Gehörorgan (Bertheau), Über das Gehirn (Neuhaus), Über die mathematische Grundlage und Gesetzmäßigkeit in der Morphologie des Tierreichs: „Alle Gestalten sind ähnlich, doch keine gleichet der anderen, und so deutet der Chor auf ein geheimes Gesetz“ [Goethe, Schleiden] (Wilde), Über die Systeme in der Kristallographie (das reguläre, irreguläre System usw.) (Althans), Über die menschliche Seele, als qualitativ und nicht bloß quantitativ von der menschlichen unterschieden (Wittgenstein). Neben Carl Neuhaus aus Stargard und Joseph von Wittgenstein aus Köln waren dies Ernst Friedrich Althans aus Sayner Hütte bei Koblenz, der später eine Karriere als preußischer Bergbeamter machte, Wilhelm Hauchecorne aus Aachen, später Geologe und Präsident der Preußischen Geologischen Landesanstalt in Berlin, George Bertheau aus Mannheim, nach dem Medizinstudium in Würzburg praktischer Arzt in Mannheim. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852, Eintrag v. 3.8.1852.
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So rasch die wenigen Monate von Ernst Haeckels erstem Berliner Semester auch vergingen, so scheinen sie doch für seine künftige Entwicklung weichenstellend gewesen zu sein. Jedenfalls verfolgte er den Gedanken, in Jena Naturwissenschaften zu studieren und Schleiden zu hören, nicht mehr weiter. Es ist zu vermuten, dass es außer der Enttäuschung über Alexander Brauns botanische Kollegien60 der Einfluss seiner Freunde aus dem naturwissenschaftlichen Kränzchen gewesen ist, der ihn zur Abkehr von der Botanik bewog. Auch sein Vater und andere Bekannte der Familie wie Samuel Christian Weiß oder der Hausarzt Hermann Quincke legten ihm dringend ans Herz, zunächst doch wenigstens den Kursus der Medizin zu absolvieren, ehe er sich für eine künftige Laufbahn als Naturwissenschaftler entscheiden würde. Vom 10. August bis 22. September 1852 absolvierte Haeckel mit seinen Eltern einen Kuraufenthalt im böhmischen Teplitz, über den er ein gesondertes Tagebuch führte.61 Das Naturerlebnis dieser Reise, das ihm auch manche botanische Entdeckung brachte,62 stachelte seine botanische Passion wieder stark an. Dies änderte zwar nichts mehr an seiner Entscheidung für das Studium der Medizin, erklärt aber zum Teil auch die Stärke der Stimmungsschwankungen und Selbstzweifel, die ihn in den ersten Monaten seines Würzburger Aufenthaltes befielen. die studienzeit in würzburg Nachdem Ernst Haeckel am 24. Oktober in Stettin an der Hochzeitsfeier seines Bruders Karl mit der Cousine Hermine Sethe teilgenommen, sich am folgenden Tag von seinen Berliner „Kränzchenfreunden“ verabschiedet und auf der Reise nach Würzburg noch einen gemeinsamen Abend in „sentimentaler Zärtlichkeit“ mit seinen alten Merseburger Freunden Weiß, Weber und Hetzer verbracht hatte, kam er am 27. Oktober morgens 7 Uhr in Würzburg an. Da Haeckel während des Sommersemesters 1852 bei seinen Eltern in Berlin wohnte, liegen für diesen Zeitraum keine Familienbriefe vor, aus denen man die Gründe für den Wechsel nach Würzburg erfahren könnte. Wohl aber werden diese in der Korrespondenz mit seinen Jugendfreunden erörtert. Vor allem Georg Bertheau, Mitglied des Berliner naturwissenschaftlichen Kränzchens und seit dem Sommer 1852 mit Haeckel eng befreundet, lenkte dessen Wahl auf Würzburg, indem er ihn 60 61
62
„Im ganzen muß ich gestehen, daß bei ihm die 2 Fritzen [Friedrichs d’or – d.V.] soviel wie weggeschmissen waren, da ich, außer seinen verrückten Blattstellungsgesetzen, wirklich fast gar nichts neues bei ihm gehört habe“ (ebenda, Eintrag v. 9.8.1852). Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a) sowie Hecht, Gerhard: Botanische Tätigkeit Ernst Haeckels in der Teplitzer Gegend 1852. Ein Beitrag zur Biographie eines fortschrittlichen deutschen Wissenschaftlers. (Oblastni muzeum, Hrsg.). Teplice 1974. So z. B. die Entdeckung des Vorkommens der Eichenmistel (Loranthus europaeus) in der Umgebung von Teplitz, wo sie nach dem Kompendium von Koch (vgl. Anm. 17) gar nicht vorkommen sollte; vgl. Haeckel: Teplitzer Tagebuch (wie Anm. 61), Eintrag v. 21.9.1852; vgl. Hecht (wie Anm. 61), S. 70–77; Hecht ermittelt 58 Pflanzenarten als „Herbarausbeute“ Haeckels. Die botanischen Ergebnisse der Teplitzer Reise teilte Haeckel auch Garcke mit, vgl. ebenda, S. 72 f.
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von den dortigen berühmten Professoren Albert Kölliker, Franz Leydig und Johann Joseph Scherer sowie den Vorzügen jener kleinen, aber gut ausgestatteten Universität zu überzeugen suchte.63 Die medizinische Fakultät der Universität Würzburg hatte mit dem Dekan und Professor für Arzneimittellehre Franz von Rinecker, dem Chemiker und Begründer der Klinischen Chemie Johann Joseph Scherer sowie den auf Rineckers Vorschlag im Jahre 1847 dorthin berufenen Professoren Albert Kölliker (Anatomie) und Rudolph Virchow 1849 als Nachfolger von Bernhard Mohr (Physiologie) einen entscheidenden Generationswechsel vollzogen. Dieser Wechsel markierte den Übergang von einer naturphilosophisch geleiteten Naturforschung hin zu einer sich rein empirisch verstehenden und alle Lebensprozesse auf physikalisch-chemische Vorgänge zurückführenden Naturwissenschaft. Mit den beiden Schülern von Johannes Müller, dem Histologen Kölliker und dem Zellularpathologen Virchow, stand auch die Würzburger Schule für eine Reform der medizinischen Ausbildung. Die mikroskopische Anatomie und Histologie traten gleichberechtigt neben die Anatomie der Organe und Organsysteme. Mit seinem „Handbuch der Gewebelehre des Menschen“ verfasste Kölliker 1852 ein erstes richtungsweisendes Lehrbuch über diese neue Disziplin der Histologie.64 Virchow dagegen konzentrierte sich in seinen zellularpathologischen Arbeiten ganz auf die medizinische Ausdeutung der Zelltheorie.65 Dabei galt auch gerade für Würzburg: „Medizinischer Materialismus, zumindest als modus operandi und manchmal als metaphysisches System, war die Frucht des physiologischen Labors.“66 Die Strahlkraft der Vertreter dieser Neuausrichtung, und nicht zuletzt die verbesserten Studienbedingungen durch die Errichtung eines neuen Hörsaalgebäudes für die Anatomie, hatten der medizinischen Fakultät der Universität Würzburg zur Mitte des 19. Jahrhunderts einen hervorragenden Ruf eingebracht.67 1849 gründeten Kölliker, Rinecker, Virchow, Scherer und Rotterau die PhysikalischMedizinische Gesellschaft (Societas Physico-Medica), welche einen institutionellen Rahmen und ein Forum für die Verbindung von Naturwissenschaft und Medizin, sowie die Einbindung von Medizinstudenten in die naturwissenschaftliche Forschungspraxis bilden sollte. Die von der Gesellschaft veranstalteten Vortragsreihen verfolgte Haeckel mit großem Interesse. Hier referierte Kölliker beispielsweise über seine zusammen mit Carl Gegenbaur unternommene Reise nach Süditalien, auf der er einen gewaltigen Ausbruch des Ätna erlebte und von der er zwei neu entdeckte Siphonophoren (Forskalia edwardsii und Vogtia pentacantha) aus der Meerenge von Messina mitgebracht hatte. Kölliker verkörperte für Haeckel auf eindrucksvolle 63 64 65 66 67
Vgl. Georg Bertheau an Ernst Haeckel, 9.10.1852 (EHA Jena, A 7486). Vgl. Lawrence, Susan C.: Anatomy, Histology, and Cytology. In: The Cambridge History of Science. Vol. 6. Ed. by Peter J. Bowler; John V. Pickstone. Cambridge 2009, S. 265–284, hier S. 279 f. Vgl. ebenda, S. 276 f. Porter, Roy: Die Kunst des Heilens. Eine medizinische Geschichte der Menschheit von der Antike bis heute. Aus dem Engl. übersetzt von Jorunn Wissmann. Heidelberg; Berlin 2000, S. 323-336, hier S. 332 f. Weis, Eberhard: Bayerns Beitrag zur Wissenschaftsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. In: Handbuch der bayerischen Geschichte. Bd. 4, Teil 2: Das neue Bayern. 1800–1970. Hrsg. von Max Spindler. München 1975, S. 1034–1088, bes. S. 1047.
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Weise den Typus des Forschungsreisenden und zugleich streng empirisch arbeitenden Wissenschaftlers.68 Mit seinen detaillierten Beschreibungen der Meeresorganismen eröffnete er Haeckel den Formenreichtum der maritimen Fauna, von dem er so beeindruckt war, dass er sich nunmehr neben der Botanik auch leidenschaftlich für die Anatomie der Wirbellosen zu interessieren begann. Die Medizinische Therapie und Chirurgie dagegen hatten diesen Generationswechsel noch nicht vollzogen und wurden auch von den Studenten als rückständig angesehen. So bemerkte Haeckel in diesem Zusammenhang, dass die meisten Studenten in erster Linie wegen Virchows Physiologie und Köllikers Anatomie nach Würzburg kämen, während die Medizinische Therapie und Chirurgie dagegen Grund genug seien, um der Universität fernzubleiben.69 Carl Friedrich von Marcus, der Ordinarius der Medizinischen Klinik des Juliusspitals, dessen hervorragende medizinhistorische Vorlesungen Haeckel durchaus anzogen, war schon nahezu erblindet und ließ sich daher am Ende des Wintersemesters 1853/54 emeritieren. Sein Nachfolger in der Speziellen Pathologie und Medizinischen Praxis wurde Heinrich von Bamberger. Neben diesem lehrte ferner Textor von Cajetan die Chirurgie, der damals schon 75 Jahre alt war und von den Studenten auch der „alte Staberle“ genannt wurde. Nachdem schon dessen Berufung zu politischen Auseinandersetzungen geführt hatte, trat er 1852 zeitweilig zurück und wurde Ende 1853 letztlich des Amtes enthoben. Seine Nachfolger wurde der junge Chirurg Adolph Moravek aus Prag.70 Am 28. Oktober 1852 schrieb sich Haeckel zum Wintersemester 1852/53 in Würzburg ein und bezog dort zunächst Quartier im District I, No. 293 (später Bohnesmühlgasse 22) bei dem praktischen Arzt Dr. Anton Altheimer und dessen zweiter Ehefrau Margarethe, geb. Bottler. Diese Unterkunft hatte ihm sein Freund Bertheau besorgt, der drei Wochen vor Haeckel in Würzburg eingetroffen war, ihm auch sonst hilfreich zur Seite stand und in die wichtigen Gelehrtenkreise einführte. Im ersten Würzburger Semester besuchte Ernst Haeckel die Kollegien von August Schenk (Entwicklungsgeschichte der Pflanze und mikroskopische Demonstrationen pflanzlicher Gewebe / Gefäßsystem und Zellen der Kryptogamen), Johann Nepomuk Narr (Enzyklopädie und Methodologie der Medizin in Verbindung mit Literaturgeschichte), Albert Kölliker (Anatomie des Menschen, der Muskeln, des Darmkanals, der Sinnesorgane und des Gefäßsystems), Heinrich Müller (Anatomie der Knochen, Bänder und Sinnesorgane) und dem Privatdozenten Franz Leydig (Mikroskopische Anatomie / Histologie des Menschen). Kölliker folgte in seinen anatomischen Kollegien der Systematik der Zoologischen Briefe Carl Vogts.71 Diese diente Haeckel als Referenz für die Nachbereitung, und ungeachtet der Tatsache, dass ihn der radikale Materialismus Vogts abstieß, erkannte er deren grundlegende Bedeutung.72 In diesem Kolleg wurde Haeckel auch Zeuge von 68 69 70 71 72
Über Haeckels Verhältnis zu Kölliker vgl. auch Schmidt, Heinrich: Ernst Haeckel. Leben und Werke. Berlin 1926, bes. S. 88–94. Vgl. Br. 183. Vgl. Br. 223. Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Naturgeschichte der lebenden und untergegangenen Thiere, für Lehrer, höhere Schulen und Gebildete aller Stände. 2 Bde., Frankfurt a. M. 1851. Vgl. Br. 157 und 159.
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Köllikers leidenschaftlich geführter Polemik gegen Christian Gottfried Ehrenberg, der bei den Infusorien analog zu den höheren Tieren Organanlagen unterschied, die nach Auffassung der Würzburger Materialisten bestenfalls als Bestandteile der Zelle galten.73 Mit der Aussicht auf eine Assistenz bei dem Botaniker August Schenk ließ zunächst auch Haeckels frühere Begeisterung für den in Jena wirkenden Matthias Jakob Schleiden nach, dessen Schriften er zunehmend als einseitig und polemisch empfand.74 Aber auch die von Schenk gelesene medizinische Botanik vermochte Haeckel nicht durchweg zu begeistern, was ihn jedoch nicht davon abhielt, während des Sommersemesters 1853 in Würzburg intensiv Pflanzen zu sammeln. Darüber hinaus nutzte Haeckel den engen Kontakt zu Schenk, der ihm Zugang zum Botanischen Garten verschaffte. Er unternahm viele kleinere Exkursionen in die Würzburger Umgebung und konnte sein Herbarium noch einmal beträchtlich vergrößern.75 Seine „leidenschaftliche Zuneigung zur Scientia amabilis“76 hatte Haeckel niemals zum bloßen „Heusammler“ gemacht. Schon während der späten Gymnasialzeit war ihm der Zwiespalt zwischen einer rein auf Sammeln ausgerichteten Naturgeschichte und einer Gesetze und Ursachen erforschenden Wissenschaft bewusst geworden; er war kein „Mann, der Blumen pflückt, sie benennt, trocknet und in Papier wickelt und dessen ganze Weisheit in Bestimmung und Classification dieses künstlich gesammelten Materials aufgeht“77. Obwohl Haeckel Köllikers wissenschaftliche Leistungen auf dem Gebiet der vergleichenden Anatomie höher schätzte als die von Johannes Müller, bereute er es, nicht zum Sommersemester 1853 zu Müller nach Berlin gegangen zu sein, um dort die Vorlesungen bei dem in seinen Augen besseren Physiologen und zugleich „größten und erhabensten“ Mann hören zu können.78 Ausschlaggebend für seinen Entschluss, doch noch ein weiteres Semester in Würzburg zu bleiben, waren sowohl die Vorfreude auf den Mikroskopischen Kurs bei Kölliker als auch die Aussicht auf Virchows Allgemeine Pathologie und Pathologische Anatomie im Wintersemester, beides Veranstaltungen, die beliebt waren und derentwegen viele Studenten eigens nach Würzburg kamen. Im Sommersemester 1853 besuchte Ernst Haeckel die Kollegien von Johann Joseph Scherer (Organische Chemie), Franz Leydig (Entwicklungsgeschichte des Menschen), Albert Kölliker (Physiologie des Menschen, Vergleichende Anatomie der wirbellosen Tiere, Vergleichende Anatomie der Fische und Amphibien sowie den mikroskopischen Kurs zur Anatomie tierischer Gewebe) und Heinrich Müller (Physiologie des Auges im gesunden und kranken Zustand). Köllikers Kolleg „Physiologie des Menschen“ besuchte er sehr gern, jedoch befremdete ihn dessen Theorie der Nervenphysiologie, nach der „der ganze wunderbare 73 74 75 76 77 78
Vgl. Br. 159. Vgl. u. a. Br. 223. Vgl. Br. 169 und Br. 181. Haeckel, Ernst: Generelle Morphologie der Organismen. 1. Bd., Berlin 1866, S. XXII. Schleiden, Matthias Jakob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848, S. 1. Vgl. Br. 157.
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menschliche Geist […] nichts als ein Stückchen graue Nervenmasse“ sei, „von der weiße Fäden mit Knoten, deren jeder eine besondere Verstandesfunction oder wenigstens Sinnesfunction besitzt, nach allen Richtungen in den Körper ausstrahlen!“79 Ebenso galt in den Würzburger Kreisen die von Hermann Helmholtz konsequent betriebene Mathematisierung der Physiologie als Leitbild der exakten Lebenswissenschaften überhaupt.80 Auch die Entwicklungsgeschichte bei Leydig fand Haeckel sehr anziehend. Er schätzte diesen als einen „sehr talentvollen, tüchtigen, netten und liebenswürdigen jungen Privatdocenten, der sich fast nur mit microscopischen Beobachtungen, namentlich der Gewebelehre und Entwicklung der Thiere, namentlich Salamander, beschäftigt“.81 Von ihm inspiriert, sammelte und präparierte Haeckel während eines Aufenthalts in Ziegenrück im Herbst 1853 Dutzende der dort in großer Zahl vorkommenden Feuersalamander.82 Überhaupt spielte die preußische Enklave Ziegenrück, eine idyllische, von Wäldern umgebene Kleinstadt im oberen Saaletal, für Haeckel eine wichtige Rolle als Rückzugs- und Erholungsort von den Strapazen des Würzburger Studiums. Sie war zugleich ein vorzüglicher Ausgangspunkt zahlreicher botanischer und zoologischer Exkursionen.83 Er nutzte fast jede Reise in das elterliche Haus nach Berlin, um auf dem Hin- oder Rückweg für längere Zeit in Ziegenrück Halt zu machen. Hier fand er im März und Oktober 1853, sowie im April 1854 liebevolle Aufnahme bei seinem Bruder Karl, der seit Sommer 1852 dortiger Kreisgerichtsassessor und später Kreisrichter war, und dessen Ehefrau Hermine, geb. Sethe. Bei Heinrich Müller, „einem jungen, sehr schüchternen, aber tüchtigen extraordinarius, der zusammen mit Kölliker das Kränzchen dirigirt“84, besuchte Haeckel eine anregende Vorlesung zur Physiologie des Auges. Die Organische Chemie hörte er bei Scherer, der Assistent bei Justus von Liebig in Gießen gewesen war und in Würzburg als einer „der berühmtesten organischen Chemiker“85 galt. Allerdings zog ihn dessen inhaltlich knappgehaltener Vortragsstil nicht sonderlich an. Neben diesen regelmäßigen Kollegien hörte er sporadisch auch Analytische Chemie, Magnetismus und Elektrizität, und insbesondere die Geschichte der Medizin bei Marcus, die ihm sehr gut gefiel. Im Wintersemester 1853/54 besuchte Ernst Haeckel die Kollegien von Franz von Rinecker (Sezierübungen und Heilmittellehre), Johann Joseph Scherer (Chemisches Laboratorium und Physiologische Chemie), Rudolf Virchow (Allgemeine Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf Pathologische Anatomie), Friedrich Wilhelm Scanzoni (Theoretische Geburtshilfe) und Albert Kölliker (Mikroskopischer Kurs zur Anatomie tierischer Gewebe und Sezierübungen). Die Sezierübungen und die Heilmittellehre bei Franz von Rinecker hatte Hae79 80 81 82 83 84 85
Vgl. Br. 176. Vgl. Br. 180. Vgl. Br. 181. Vgl. Br. 179. Von seinen Exkursionen in der Ziegenrücker Gegend sind noch zahlreiche Herbarbelege überliefert, vgl. Anm. 33. Vgl. Br. 181. Vgl. Br. 186.
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ckel zwar zu hören begonnen, aber bereits nach kurzer Zeit wieder abgebrochen. Er vermisste an der praktischen Medizin im Allgemeinen und an der Vorlesung von Rineckers im Besonderen eine kohärente wissenschaftliche Methode. Die ganze praktische Medizin erschien ihm in ihrer therapeutischen Anwendung allein von Versuch und Irrtum geleitet und ihre Erfolge oder Misserfolge mehr dem Zufall unterworfen zu sein,86 auch steckte damals die chemische Heilmittellehre in Würzburg noch in den Kinderschuhen.87 In Rinecker jedenfalls sah Haeckel nur den „vollkommnen und ausgebildeten Hampelmann, Hanswurst, Charlatan […] oder Raisonneur mit den komischsten Declamationsbewegungen seinen schauerlichen Vortrag begleitend.“88 Sehr anziehend, wenn auch schwer verständlich, fand Haeckel dagegen den Vortrag Virchows in dessen Kolleg zur Allgemeinen pathologischen Anatomie, in welchem dieser die Grundgedanken zur Zellularpathologie entwickelte, die er erst 1855 publizieren sollte.89 In Virchows Ansichten zur Zelltheorie fand sich Haeckel mit einem konsequent materialistischen Lebensbegriff konfrontiert, der auf der Ebene der Zellen ansetzte. Virchow begriff die Zelle als kleinste lebende Einheit – analog zum Atom, das als kleinste Einheit der Materie betrachtet wurde. Lebende Organismen waren nichts anderes als aus Zellen zusammengesetzte mehr oder weniger komplexe Zellgefüge („Omnis cellula a cellula“)90. Obgleich ihn die mit einer äußeren formalen Ästhetik einhergehende Stringenz dieser Analysen tief beeindruckte, hielt der junge Haeckel an dem Konzept eines weisen Schöpfers fest, dessen Wirken auch aus den noch so feingliedrigen, mikroskopisch freigelegten Bauplänen elementarer Zellverbände sprach. Für ihn verkörperte die gesamte Zelltheorie das größte Schöpfungswunder überhaupt,91 und die Vorstellung, dass das Leben nur eine bloße Ansammlung von Zellbausteinen zu einem chemisch-physikalischen Verbund sei, konnte er nicht vollständig akzeptieren. Hierin war er sich mit seinem Vater einig, der ihn nicht nur ideell und materiell unterstützte,92 sondern auch jede Gelegenheit nutzte, um seinen Sohn in Briefen, die dieser ironisch auch als politisch-religiöse Leitartikel bezeichnete, in seinem christlichen Glauben zu bestärken.93 Im Rahmen verschiedener mikroskopischer Kurse entdeckte Haeckel sein Talent für die mikroskopische Anatomie. In seinen Arbeiten nahm er sich Theodor Schwann, Schleiden, Koelliker, Virchow, Hugo von Mohl und Hermann Schacht zum Vorbild. Dabei stellte gerade die kühle analytisch-abstrakte Sicht Virchows auf pathologischkrankhaftes Gewebe für Haeckel die nötige Distanz her, um seinen anfänglichen Ekel vor jedweder Art krankhafter Erscheinung zu vergessen. Dessen Versuch, die Medizin 86 87 88 89 90 91 92 93
Vgl. ebenda. Johann Joseph von Scherer galt als Begründer der Klinischen Chemie und hatte erst 1859 sein „Lehrbuch der Chemie. Mit besonderer Berücksichtigung des ärztlichen und pharmaceutischen Bedürfnisses“ herausgegeben. Vgl. Br. 186. Vgl. Virchow, Rudolf: Cellular-Pathologie. In: Archiv für pathologische Anatomie und für klinische Medicin. Hrsg. von R. Virchow. 8. Bd., 1. Heft, Berlin 1855, S. 3–39; vgl. weiter Br. 186. Ebenda, S. 23. Vgl. Br. 195. Seine Eltern finanzierten ihm nicht nur sein Studium, sondern gaben auch bei Schieck ein teures Mikroskop in Auftrag, das Haeckel sich für seine mikroskopischen Arbeiten gewünscht hatte. Vgl. Br. 184 und 199.
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als Wissenschaft zu begründen, beeindruckte ihn nachhaltig. Unter der Annahme, dass krankhaftes Gewebe nur fehlgeleitetes, übertriebenes Zellwachstum sei, konnte Haeckel sich voll und ganz auf die mikroskopische Pathologie einlassen.94 Dessen ungeachtet wurde in Haeckel immer stärker der Wunsch rege, eine akademische Laufbahn einzuschlagen. Obwohl Haeckels Vater von der Notwendigkeit der Fortführung des Medizinstudiums überzeugt war und seinen Sohn stets ermahnte, dieses erst zu beenden, nutzte er seine Beziehungen in Berlin, um für die weitere Laufbahn seines Sohnes Wege zu ebnen und die notwendigen Weichen zu stellen. Eine der Schlüsselfiguren war hier der mit den Haeckels eng befreundete Professor der Mineralogie und Kristallographie Christian Samuel Weiß.95 Mit diesem besprach er auch die in den Briefen mitgeteilten Erkenntnisse seines Sohnes zur Zelltheorie. Weiß, der Kristallisationsprozesse der Mineralien erforscht hatte, regte an, nach den naturphilosophisch zu entwickelnden Bildungsgesetzen dieser Zellen und Zellverbände zu fragen.96 Damit gab er eine wichtige Anregung für Haeckels späteren, in seinen promorphologischen Studien ausgeführten Ansatz, aus der geometrischen Kristallographie heraus nach den Bildungsgesetzen der Baumuster von Individuen zu suchen.97 Gegen Ende des Wintersemesters 1853/54 fasste Haeckel kurzerhand den Entschluss, seinem Freund Reinhold Hein für drei Semester nach Berlin zu folgen98 und dort die langersehnten Kollegien zur Physiologie und Anatomie bei Johannes Müller, die Botanik bei Alexander Braun und weitere Vorlesungen bei Christian Samuel Weiß, Eilhard Mitscherlich und Christian Gottfried Ehrenberg zu hören. Im Anschluss an diesen Studienaufenthalt in Berlin beabsichtigte er, wieder nach Würzburg zurückzukehren, um bei Virchow und Kölliker weiterzustudieren und dort vielleicht sogar seine Dissertation auszuarbeiten.99 Diesen Entschluss teilte er Kölliker mit, der Haeckel vor seiner Abreise noch verschiedene Schriften für Johannes Müller und Alexander Braun mit auf den Weg gab.100 Zu Haeckels engerem Freundeskreis in Würzburg zählten neben Georg Bertheau bald auch der aus der Gegend von Köln stammende und später in Bonn als ordentlicher Professor für Anatomie wirkende Adolph Freiherr La Valette von St. George, der ebenfalls Medizin nur aus naturwissenschaftlichen Interesse zu studieren gedachte und sich später als Privatdozent verdingen wollte.101 Daneben pflegte Haeckel freundschaftlichen Umgang mit dem aus Greiffenberg in Schlesien stammenden Herrmann Steudner, der bereits 1850 in Berlin Naturwissenschaften zu studieren begonnen und 1852 nach Würzburg gewechselt hatte. Steudner wurde später als Afrikaforscher 94
Vgl. Br. 186. u. 195, weiter dazu: Kleeberg, Bernhard: Theophysis. Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen. Köln; Weimar; Wien 2005, bes. S. 31–102. 95 Vgl. Br. 206. 96 Vgl. Br. 199. 97 Krauße, Erika: Ernst Haeckel: Promorphologie und „evolutionistische“ ästhetische Theorie – Konzept und Wirkung. In: Engels, Eve-Marie (Hrsg.): Die Rezeption von Evolutionstheorien im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 1995, S. 347–394, hier S. 348. 98 Vgl. u. a. Br. 174 und 217. 99 Vgl. Br. 227. 100 Vgl. Br. 231. 101 Vgl. Br. 149.
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bekannt und publizierte einige wichtige botanische Arbeiten. Reinhold Hein, dem Haeckel besonders nahestand,102 wurde Arzt, Anatom und Assistent am Danziger Stadtlazarett. Auch mit dem Botaniker August Schenk, durch den Haeckel unbeschränkten Zugang zum Botanischen Garten und der dazugehörigen Bibliothek erhielt, knüpfte er ungeachtet der zwischen ihnen bestehenden politischen und weltanschaulichen Differenzen rasch eine enge Beziehung.103 Der in Bayern katholisch sozialisierte Schenk sympathisierte mit den konservativen Kräften und sprach sich offen gegen den Materialismus seiner Kollegen aus. Letzteres begrüßte Haeckel zwar, billigte jedoch nicht dessen katholisch-konservative Grundhaltung. Im Hause Schenks verkehrte auch der Philosoph Franz Hoffmann, den Haeckel bereits in einem Vortrag anlässlich der Stiftungsfeier der Universität am 3. Januar 1853 kennengelernt hatte.104 Hoffmann, ein Spätromantiker und Schüler Franz von Baaders, war 1835 als Professor für Theoretische und Praktische Philosophie nach Würzburg berufen worden und dort auch Rektor gewesen. In ihm fand Haeckel einen strengen Kritiker der „unphilosophischen Atomistik“ der Würzburger Naturforscher.105 Der Theismus, den Hoffmann nach Franz von Baader in Anlehnung an Jacob Böhme entwickelt hatte, sprach den jungen Haeckel durchaus an. Schließlich trat er auch mit dem ihm besonders sympathischen Franz Leydig in ein kameradschaftliches Verhältnis. Dass der aus armen Verhältnissen stammende, finanziell vollkommen vom Wohlwollen Köllikers abhängige Leydig,106 von diesem herablassend behandelt und ausgenutzt wurde, führte schließlich dazu, dass Haeckel sich moralisch von Kölliker distanzierte.107 Als die Professoren am 10. Juli 1853 zum großen Sommerfest der Medizin und Naturwissenschaft in den Guttenberger Wald bei Würzburg einluden,108 wich Haeckel vor dem Studententrubel zum Botanisieren in den Wald aus. Dabei lernte er in ungezwungener Atmosphäre sowohl Rudolf Virchow als auch Carl Gegenbaur näher kennen, die beide ebenfalls botanisierten. Dieses Ereignis blieb ihm auch nach Jahren in Erinnerung, so dass er es später in einem seiner Lebensabrisse hervorhob.109 Als Gegenbaur sich am 28. Januar 1854 in Würzburg als Privatdozent habilitierte, be-
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Vgl. Br. 213. Vgl. u. a. Br. 149, 151, 155 und 223. Vgl. Br. 137 und 203. Vgl. Br. 203, Anm. 48. Sein Vater war Salzamtsdiener. Vgl. Br. 223. Vgl. Br. 173. Haeckel, Ernst: [Biographischer Überblick] (EHA Jena, C 1), S. 44, Eintrag v. 10.7.1853: „Im Guttenberger Walde bei Würzburg. Großes Sommerfest der Professoren der Medizin und Naturwissenschaft. Ich war von Kölliker als Gast eingeladen und machten zum ersten Male die Persönliche Bekanntschaft von Rudolf Virchow und von Carl Gegenbaur; (Als ich allein im Walde botanisirte (Rosa arvensis und Campanula cervicaria zum ersten Male!), begegnete ich an einer einsamen Waldquelle, Erdbeeren pflückend, Carl Gegenbaur (der im Frühjahr aus Messina zurückgekehrt war), ebenfalls botanisirend.“; vgl. dazu auch Br. 173, in dem Gegenbaur aber unerwähnt bleibt.
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richtete Haeckel seinen Eltern, dass dieser ein „recht gescheuter und geschickter Kerl, der hübsch zeichnet“, sei.110 Auch im dritten Würzburger Semester plagten den jungen Studenten immer wieder tiefe Zweifel über seine Tauglichkeit zum praktischen Arzt, ja zum Wissenschaftler überhaupt. Sein schwankender Gemütszustand schlug sich in vielen seiner Briefe nieder, in denen er sich einmal sogar als „unselbstständiger, charakterloser und unbedeutender Schwächling“ bezeichnete, der heute „himmelhoch jauchzt“ und „morgen zum Tode betrübt“ sei.111 In dieser Situation diente ihm das innige Verhältnis zu seinen Eltern als ein fester Halt.112 Die Selbstzweifel Haeckels gipfelten zwischenzeitlich sogar in dem Wunsch, das Medizinstudium ganz abzubrechen und statt dessen Mathematik zu studieren, um entweder Hochschul- oder Schullehrer zu werden; ein Rat, den ihm sein ehemaliger Lehrer und Quartiervater Wilhelm Osterwald als ultima ratio gegeben hatte. Sein Vater überzeugte aber seinen Sohn von der Notwendigkeit des Studiums der Medizin als Grundlage für seine weitere akademische Laufbahn. Argumentative Unterstützung erhielt er dabei von Hermann Quincke und dem Anatomen Johannes Müller sowie dem Geologen Christian Samuel Weiß. Unversehens stand Haeckel zwischen zwei Lagern: einerseits seine ehemaligen Schulfreunde Victor Weber und Wilhelm Hetzer, die mit Osterwald für ein Umsatteln auf die Mathematik und eine Laufbahn als Universitäts- oder Schullehrer plädierten, und andererseits die gelehrten Freunde seines Vaters, die sich entschieden für ein Fortführen des medizinischen Studiums aussprachen. Die Aussicht, sich später auf unkomplizierte Weise an einer Philosophischen Fakultät zu habilitieren, schien sich vorerst zu zerschlagen, als Haeckel von einem im Dezember 1853 erlassenen Reskript des preußischen Kultusministers erfuhr, das eine offenbar ausufernde Habilitationspraxis an den preußischen Universitäten durch die Einführung verschärfter Zulassungsbestimmungen einzudämmen suchte. Aufgrund der hervorragenden Kollegien in Würzburg und sehr zur Freude seines Vaters entschloss sich Haeckel schließlich, das Medizinstudium fortzuführen. Sein Ziel war es jedoch, die praktische Medizin nach dem Studium aufzugeben und nur noch reine Naturwissenschaft zu treiben.113 In seiner freien Zeit setzte sich Haeckel auch mit den Würzburger Lebensverhältnissen auseinander. Der von katholischer Liturgie und Frömmigkeit geprägte städtische Alltag in Würzburg kontrastierte augenfällig mit der selbstbewusst im Stadtbild auftretenden Professoren- und Studentenschaft der Mediziner und verstörte den zum liberalen Protestantismus erzogenen Ernst Haeckel.114 Als besonders befremdlich empfand er die großen Prozessionen zu Fronleichnam und anderen katholischen Feiertagen. Als die große Volksmissionskampagne des Jesuitenordens im Februar 1853 in Würzburg Station machte, wohnte Haeckel einigen Predigten der Patres bei und empörte sich über deren Suaden gegen Aufklärung, Rationalismus und Naturwissen110 Vgl. Br. 210; Gegenbaur, Carl: Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung bei Medusen und Polypen. Mit zwei Tafeln. [Habilitationsschrift.] Würzburg 1854 (ThULB Jena, Haeckel 321). 111 Vgl. Br. 195. 112 Vgl. Br. 167. 113 Vgl. Br. 186. 114 Vgl. Br. 169.
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schaft.115 Haeckel schrieb seinen Eltern, dass sich unter den Missionspredigern auch der künftige General der Jesuiten befunden hätte. Dies gab 1921 nach der Publikation des Briefes Anlass zu einer heftigen publizistischen Kontroverse, in der behauptet wurde, dass der betreffende Brief eine Fälschung sei, weil Haeckel unmöglich hätte voraussehen können, dass der damals anwesende Anton Maria Anderledy tatsächlich später Ordensgeneral werden sollte. Tatsächlich hat Haeckel aber nur ein damals umlaufendes Gerücht kolportiert.116 Die Widersprüche zwischen der katholisch geprägten Lebenswelt Würzburgs und der aufgeklärten Studentenschaft führten zwangsläufig zu Auseinandersetzungen mit den Behörden. Trotz aller Duellverbote und Relegationsandrohungen kam es immer wieder zu gegenseitigen Provokationen und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Studierenden und Angehörigen des in Würzburg stationierten bayerischen Militärs. Diese häufigen Duelle interpretierte Haeckel als „pure Opposition gegen die ungeheure, wahrhaft schauderhafte Frömmigkeit“.117 Als sich die Würzburger Studentenschaft zu Beginn der 1850er Jahre in zunehmendem Maße dem Druck der Obrigkeit und polizeilicher Willkür ausgesetzt sah, zeigte Haeckel sich mit seinen Kommilitonen solidarisch. Zu besonderer Erbitterung führte die Affäre um den tätlichen Angriff des Unterleutnants Friedrich Lissignolo auf einen Studierenden. Als Haeckels Freund Steudner und andere Würzburger Medizinstudenten eines Abends von der Polizei verhaftet und schikaniert worden waren, forderte Haeckel gemeinsam mit ca. 450 Unterzeichnern einer Studentenpetition, dass die hergebrachten studentischen Rechte geschützt und Studenten bei Disziplinarverstößen künftig wieder statt im Polizeigefängnis nur noch im Universitätsgewahrsam festgesetzt werden dürften. Die Aktion hatte Erfolg: Lissignolo wurde versetzt und der Stadt- und Universitätspolizeidirektor Wilhelm von Branca seines Amtes enthoben. Die Briefe aus der Studienzeit zeigen, auf welche Weise Haeckel mit der Würzburger Schule rund um Kölliker, Virchow, Leydig und Scherer in Berührung trat und versuchte, sich in jenem neuen wissenschaftlichen und zugleich auch weltanschaulich-philosophischen Gefüge zurechtzufinden. Seine einstige Hoffnung, im Rahmen des Medizinstudiums verstärkt Naturwissenschaften, insbesondere wissenschaftliche Botanik, zu studieren, zerschlug sich sehr schnell. Zum einen ließ ihm das enorme Arbeitspensum für die Vor- und Nachbereitung der Kollegien und Kurse nur wenig Freiraum, zum anderen konnten ihm die botanischen Kurse in Würzburg nur wenig Neues bieten. Zwischen der ihm vertrauten Naturforschung, die sich einerseits in Anlehnung an Alexander von Humboldt als anschauend-beschreibend verstand, und der in Würzburg gelehrten, streng empirisch und unter Bezugnahme auf Helmholtz in letzter Konsequenz auch analytisch-mathematisch zergliedernden Physiologie bestand ein großer Gegensatz. An letzterer vermisste Haeckel eine allgemeine naturphilosophische Begründung und eine Einbindung der beobachteten Einzelbefunde in einen größeren Zusammenhang. Diese methodische Diskrepanz verwies in letzter Konsequenz auf einen tiefen metaphysischen Bruch: Der in der Tradition Schleiermachers erzogene Protestant Haeckel erblickte in allem, was er fand, ein Schöpfungs115 Vgl. Br. 149. 116 Vgl. ebenda, Anm. 18 und 19. 117 Vgl. ebenda.
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wunder und den weisen Bauplan Gottes. Nun sah er sich aber mit Theorien konfrontiert, die das Leben auf rein materielle Wirkungszusammenhänge reduzierten.118 Angekommen in der akademischen Realität Würzburgs, musste Haeckel auch seine Ansicht über den von ihm verehrten Idealtypus des die Natur anschauenden Forschungsreisenden revidieren.119 Als er aufgefordert wurde, einen Vortrag in dem kleinen Studentenkreis um Kölliker zu halten, plante er zunächst noch unter expliziter Bezugnahme auf Alexander von Humboldt über die Pflanzengeographie Norddeutschlands zu referieren. In diesem Zusammenhang interessierten ihn u. a. die Auswirkungen der Ausrottung der Wälder auf das Klima und die Ansiedlung neuer Vegetationsformen in den entstehenden Kulturlandschaften.120 Er erkannte aber bald, dass die Forschergemeinschaft in Würzburg nicht an Naturanschauung in der Tradition von Alexander von Humboldt interessiert war. Deshalb verwarf er diesen Plan sehr schnell zugunsten einer Arbeit über Kryptogamen, deren Faszination August Schenk in ihm geweckt hatte.121 Den disziplinären Übergang von der Naturwissenschaft zur Medizin vollzog er unter großem, wie er selbst oft sagte, „moralischen Katzenjammer“. Aber so sehr er auch wankte und zweifelte, letztlich fügte er sich doch in das Curriculum der anatomisch-physiologischen Ausbildung. Den methodischen Übergang von der anschauend-deskriptiven Naturforschung zur empirisch-analytischen Naturwissenschaft vollzog er mit rasch wachsender Begeisterung für die Ästhetik der mikroskopischen Strukturen. Den von Kölliker und Virchow vertretenen Materialismus in der Naturbetrachtung lehnte er jedoch entschieden ab. Zu stark wirkte in ihm noch die religiöse Prägung des Elternhauses und damit die Suche nach einer theistischen Begründung allen Seins, Handelns und Erkennens. Haeckel stimmte mit seinem Vater darin überein, dass Naturerkenntnis ein Weg zur Gotteserkenntnis ist. Die Annahme unabhängig von Gott wirkender autonomer Naturgesetze, denen der menschliche Geist erkennend gegenübertritt, müssten nach der Auffassung seines Vaters zwangsläufig zu einer absurden Vielgötterei führen.122 Die Konfrontation mit den weltanschaulichen Grundkonflikten seiner Zeit und die damit einhergehenden inneren Zerwürfnisse seiner Würzburger Studienzeit blieben für Haeckels gesamte weitere philosophische Entwicklung bestimmend.123 Neben 118 Vgl. Kleeberg, Bernhard: Theophysis. Ernst Haeckels Philosophie des Naturganzen. Köln; Weimar; Wien 2005. 119 Vgl. Br. 207. 120 Vgl. Br. 210. 121 Vgl. ebenda. 122 Vgl. u. a. Br. 76. 123 Lange nach Haeckels Tod schrieb Wilhelm Bölsche dazu sehr treffend an den Haeckel-Biographen Gerhard Heberer: „Wie er ausgesprochen von Goethe kam, den ja auch Joh. Müller so schätzte und sein Leben lang eigentlich nur Goethische Naturphilosophie auszuführen glaubte. Wie ihn aber zu gewisser Zeit Vogts ‚zoologische Briefe‘ (heute noch ein interessantes Buch mit Anklängen an das Biogenetische Grundgesetz) und zum Teil damals auch gerade Virchow’s Einfluss stark ins Stockmaterialistische zogen von dem er fast wider Willen doch auch nie wieder los kam, – sodass sein philosophisches Denken stets den Januskopf des unmaterialistischen Goethe und der Vogtschen grossen Doktrin behalten hat, ohne dass er aus dem Gegensatz her-
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dieser weltanschaulichen Prägung waren die Semester in Berlin und Würzburg aber auch in der Hinsicht bedeutsam, dass Haeckels akademische Lehrer, die in ihren jeweiligen Disziplinen zu den führenden Wissenschaftlern der Zeit gehörten, ihn nicht nur ausbildeten, sondern auch die für sein weiteres Leben entscheidenden Weichen stellten. Die zentrale, zunächst im Hintergrund stehende Forscherpersönlichkeit war dabei Johannes Müller, denn Kölliker und Virchow hatten beide bei Müller gearbeitet und Haeckel für diesen begeistert. In Müller sollte Haeckel später jene akademische Leitfigur finden, die seinen „göttlichen Schleiden“ ablöste. Hatten schon Kölliker, Leydig und Virchow den in seinen Zukunftsplänen oft labilen Studenten stabilisiert und für die vergleichende Anatomie, Gewebelehre und Zellphysiologie bzw. -pathologie begeistert, knüpfte Haeckel selbst im Rückblick den entscheidenden Wendepunkt von der Botanik zur Zoologie an den gemeinsam mit Müller auf Helgoland verbrachten Forschungsaufenthalt im Sommer 1854. Es war dann aber Karl Gegenbaur, den Haeckel im Sommer 1853 kennengelernt hatte, der diesem 1858 nach dem überraschenden Tod von Johannes Müller eine Perspektive aufzeigen und seine professionelle Karriere fördern sollte und dabei nicht nur die für Haeckel äußerst wichtige Italienfahrt anregte, sondern ihn auch dazu überredete, sich 1861 in Jena zu habilitieren.
aus kam.“ Vgl. Wilhelm Bölsche an Gerhard Heberer, Oberschreiberhau, 29.3.1934 (EHA Jena, A 44354).
überlieferung und druckgeschichte
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as Ernst-Haeckel-Archiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena verwahrt den persönlichen, wissenschaftlichen und künstlerischen Nachlass Haeckels, zu dem neben seinen Manuskripten, Vorlesungsnachschriften, Zeichnungen und Aquarellen sowie anderen Dokumenten auch seine umfangreiche Briefsammlung gehört. Der ursprünglich darin überlieferte Anteil von Haeckel-Briefen war im Verhältnis zu der immensen Zahl der an ihn gerichteten Schreiben vergleichsweise gering, da Haeckel in der Regel von seinen eigenen Briefen weder Konzepte aufbewahrte noch von ausgehenden Briefen Abschriften anfertigte. Auch erhielt er zu seinen Lebzeiten nur gelegentlich Originalbriefe seiner verstorbenen Briefpartner zurück. Wesentlich ausgeglichener war das Verhältnis von Brief und Gegenbrief innerhalb der Familienkorrespondenz. Vor allem die Briefwechsel mit seinen Eltern und seinen beiden Ehefrauen Anna Sethe und Agnes Huschke sind nahezu vollständig überliefert.1 In den 1920er Jahren schrieb der Leiter des Ernst-Haeckel-Archivs, Heinrich Schmidt, gezielt die Verwandtschaft und mehrere Briefpartner Haeckels um die Mitteilung und Bereitstellung von Haeckel-Autographen an und veröffentlichte auch Aufrufe, in denen die Besitzer von solchen gebeten wurden, diese dem Archiv im Original oder in Abschrift zugänglich zu machen.2 Obwohl der Rücklauf auf diese öffentlichen Aufrufe zunächst gering ausfiel, konnten im Laufe der Jahre zahlreiche Briefe im Original oder als Abschrift sowie später auch als Kopien erworben und der Bestand an Haeckel-Briefen deutlich vermehrt werden. Schließlich wurden im Zuge der Vorbereitung des Antrags für diese Briefedition noch einmal über 500 Institutionen kontaktiert, um gezielt Kopien und Scans von Haeckel-Briefen aus Fremdbeständen einzuholen. Durch diese systematische Recherche konnte die Zahl der verfügbaren Briefe Ernst Haeckels verdoppelt werden: Aktuell sind in der Datenbank über 6.500 verzeichnet. Das sind ca. 15% der überlieferten Korrespondenz. Dass der Anteil 1
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Ende der 1870er Jahre bestimmte Haeckels Mutter bei der Durchsicht der von ihr aufbewahrten Briefe, dass diese als Nachlass nach Jena gehen. Vgl. Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, o. O. [Berlin], [15.2.1877]: „Von Deinen Briefen habe ich auch die aufgehoben, wovon ich denke, daß sie Dich interessieren werden, wenn ich noch Reiseberichte darunter finde, so bezeichne ich sie besonders. Ich wünsche, daß Du nach meinem Tode diese wie auch die Bücher, Zeichnungen und sonstigen Sachen, die ich von Dir habe, an Dir nimmst […].“ – Die an seine Frauen gerichteten Briefe gingen nach deren Ableben als Erbschaft in seinen Besitz über. Vgl. Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung), Morgen-Ausgabe Nr. 23, 15.1.1921, S. 2: „Veröffentlichung von Haeckel-Briefen. Das Ernst-Haeckel-Archiv in Jena bittet alle Besitzer von Briefen Ernst Haeckels, ihm diese Briefe im Original oder in Abschrift zugänglich zu machen, da, dem Wunsche Haeckels entsprechend, die Veröffentlichung einer Reihe von Briefbänden geplant ist.“
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der Briefe von Haeckel so gering ausfällt, hat neben der Überlieferungssituation auch strukturelle Gründe: Aufgrund seiner großen Bekanntheit erhielt Haeckel spätestens ab den 1890er Jahren wesentlich mehr Briefe, als er selbst schrieb. Bei diesen aus allen sozialen Schichten der Bevölkerung stammenden Schreiben handelt es sich oftmals um einmalige, entweder zustimmend oder ablehnend formulierte Reaktionen auf seine populären Schriften, welche die große Breitenwirkung seiner Werke dokumentieren. Ungefähr 60% der Briefschreiber schickten nur einen bis maximal zwei Briefe an Haeckel. Die historisch-kritische Edition der Ausgewählten Briefwechsel Ernst Haeckels beginnt mit der Familienkorrespondenz. Sie deckt insgesamt den Zeitraum von seiner frühen Kindheit bis hin zu seiner Anstellung in Jena ab. Die Briefe geben Einblicke in die Erziehung bzw. Prägung im Elternhaus sowie die schulische und universitäre Ausbildung; darüber hinaus dokumentieren sie seinen Eintritt in die akademische Welt und den Entstehungsprozess seiner ersten eigenständigen wissenschaftlichen Arbeiten. Der vorliegende erste Band (Februar 1839 bis April 1854) enthält 231 Briefe. Davon stammen 86 von den Eltern, 84 von Haeckel (darunter ein Selbstzeugnis) und 61 von anderen Familienangehörigen. Von Haeckels Jugendbriefen wurden bereits 44 in der von Heinrich Schmidt herausgegebenen Edition Ernst Haeckel. Entwicklungsgeschichte einer Jugend. Briefe an die Eltern 1852/1856 (Leipzig: K. F. Koehler, 1921) abgedruckt; jeweils einen Brief der Mutter und des Vaters publizierte Schmidt in dem Aufsatz „Wie Ernst Haeckel Monist wurde“.3 Nur vier dieser insgesamt 46 Schreiben wurden bislang im vollständigen Wortlaut ediert, die restlichen Briefe sind alle mehr oder weniger stark gekürzt.4 Insgesamt kann man festhalten, dass in der Entwicklungsgeschichte einer Jugend bis auf den in der Einleitung abgedruckten frühen, an den Großvater gerichteten Kinderbrief 5, nur Briefe aus der Würzburger Studienzeit abdruckt wurden.6 Haeckels Briefe aus der Merseburger Zeit blieben ebenso von der Edition ausgeklammert wie sämtliche Briefe der Eltern und anderer Familienangehöriger. Die Projektierung einer Ausgabe seiner Würzburger Briefe geht dabei wohl auf Haeckel selbst zurück, der am 7. Juni 1915 den ersten Teil des Würzburger Briefkonvoluts seinem langjährigen Assistenten und späteren Nachlassverwalter Hein3
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Br. 14 (von Charlotte Haeckel, 24.2.1842) und Br. 83 (von Carl Gottlob Haeckel, 14.2.1852) sind als Druck bzw. Teildruck veröffentlicht in: Schmidt, Heinrich: Wie Ernst Haeckel Monist wurde. Ernst Haeckels Entwicklung vom Christentum zum Monismus (Monistische Bibliothek; 49/49a). Hamburg: Hamburger Verlag, [1930], S. 5 und 7. Vollständig abgedruckt wurden Br. 5, 14, 95 und 216; vgl. zu den Ganz- oder Teildrucken die Angaben im kritischen Apparat im Anhang dieses Bandes. Br. 5. Aus dem Zeitraum von Oktober 1852 bis April 1854 veröffentlicht Heinrich Schmidt insgesamt 49 Briefe, denen in unserer Edition 46 Briefe entsprechen, da Schmidt in drei Fällen Briefnachschriften als separate Briefe abgedruckt hat. Vgl. Br. 95=Br. 1, 100=2, 103=3, 107=4, 110=5, 111=6. 114=7, 118=8, 119=9, 124=10, 127=11, 129=12, 137=13, 140=14+15, 143=16, 145=17, 151=19, 153=20, 155=21, 157=22, 159=23, 161=24+25, 163=26, 165=27, 167=28, 169=29, 173=30, 176=31, 177=32, 178=33, 179=34, 180=35, 181=36, 183=37+38, 186=39, 189=40, 191=41, 195=42, 203=43, 210=44, 216=45, 217=46, 223=47, 226=48, 227=49. Nicht berücksichtigt wurden von Schmidt acht Briefe (Br. 134, 154, 174, 184, 200, 207, 209, 231).
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rich Schmidt zur Bearbeitung übergab.7 Dies deutet darauf hin, dass die Ausgabe der Jugendbriefe noch in erheblichem Maße von Haeckel selbst vorangetrieben wurde. Dafür sprechen auch die vereinzelten Randbemerkungen, die Haeckel im Zuge der Durchsicht seiner Briefe vornahm. Bei der Gelegenheit nummerierte er auch verschiedene lose Blätter, die er bestimmten Briefen zuordnete und wenn nötig auch mit einem Datum versah. Dabei unterliefen ihm einzelne Datierungsfehler, die von Schmidt übernommen wurden und sich anschließend weitertradierten. Die Kriegsjahre erwiesen sich hier für das Projekt aber als nicht günstig und im Nachhinein wird deutlich, dass Haeckel und Heinrich Schmidt während dieser Jahre einen großen Teil ihrer Energie auf die adäquate Unterbringung des „Phyletischen Archivs“ verwendeten. Während dieser Zeit sichteten sie mehrfach die gesamten Archivbestände von der Archivbibliothek über die Manuskripte, Zeichnungen, Aquarelle und Fotosammlungen sowie anderen persönlichen Hinterlassenschaften. Erst im Oktober 1916 begann Haeckel im Zuge der Vorbereitung seiner Autobiographie mit der endgültigen Ordnung seiner Briefsammlung.8 Die Schmidt noch nicht übergebenen Jugendbriefe aus den Jahren 1840 bis 1852 unterzog er aber erst im Januar 1918 einer Revision.9 Der größte persönliche Erfolg des letzten Weltkriegsjahres und krönender Abschluss seines Engagements für das „Phyletische Archiv“ und die damit verbundene Unterbringung seines Nachlasses war die Umwandlung seiner Villa Medusa in ein „Ernst-Haeckel-Museum“.10 Nach Haeckels Tod am 9. August 1919 gingen die Rechte an seinem Nachlass auf seinen Sohn Walther Haeckel in München über, der mit dem Verlag K. F. Koehler in Leipzig einen Exklusivvertrag über die Veröffentlichung der Briefe abschloss. Mit dem 1920 eröffneten Ernst-Haeckel-Haus waren dann endlich die institutionellen Rahmenbedingungen gegeben, um die Arbeit an den Jugendbriefen wiederaufzunehmen und abzuschließen. Im Frühjahr 1921 – die Einleitung datiert auf Haeckels Geburtstag, den 16. Februar – publizierte Heinrich Schmidt, der nun als Direktor das
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Vgl. Schreib-Almanach für das Großherzogtum Sachsen auf das Jahr 1915 (EHA Jena, B 265): Eintrag v. 7.6.1915: „Vm. 10-1 Dr. Heinrich Schmidt Übergabe meiner ersten Serie Würzburger Briefe an die Eltern (Octob. 1852 bis März 1854) (3 Semester bei Kölliker u. Leydig.)“. Vgl. dazu auch Ernst Haeckel an Wilhelm Breitenbach, 8.6.1915. In: Nöthlich, Rosemarie: Wilhelm Breitenbach (1856–1937). Zoologe, Verleger und Monist. Eine Analyse seines Wirkens. (ErnstHaeckel-Haus-Studien; 11), Berlin: VWB, 2000, S. 491: „Dr. Heinrich Schmidt ist gegenwärtig mit Bearbeitung meines Würzburger Briefwechsels mit meinen Eltern (1852–1856) beschäftigt.“ Vgl. Schreib-Almanach für das Großherzogtum Sachsen auf das Schaltjahr 1916 (EHA Jena, Bestand B 266), Eintrag v. 1.10.1916: „Beginn der endgiltigen Ordnung meiner Brief-Sammlung in Villa Medusa, behufs Autobiographie.“ Vgl. Schreib-Almanach für das Großherzogtum Sachsen auf das Jahr 1918 (EHA Jena, Bestand 269), Eintrag v. 18.1.1918: „Revision der Jugendbriefe von E. H. (1840–1852) an die Eltern.“ Vgl. Schreib-Almanach für das Großherzogtum Sachsen auf das Jahr 1918, Eintrag v. 30.6.1918: „Letzte Ordnung (mit Walter) des realen Projektes der Verwandlung von Villa Medusa in ein ‚Ernst-Haeckel-Museum‘, Berggasse 7.“ Eintrag vom 10. Juni 1918: „Hkl-Archiv Gründung. Ernst-Haeckel-Archiv-Jena. Carl-Zeiss-Stiftung kauft Villa Medusa (– als „Haeckel-Archiv = Phylet. Archiv“) und übergiebt sie als Geschenk der Univ. J.“
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Museum und Archiv leitete, mit der Entwicklungsgeschichte einer Jugend 11 den ersten von mehreren Briefbänden und Reiseskizzen. 12 Diese als populäre Leseausgabe konzipierte Edition von Haeckels Jugendbriefen erhebt von sich aus keinen wissenschaftlichen Anspruch, sondern steht vielmehr in der literarischen Tradition der Erzählung denkwürdiger Beispiele aus dem Leben ihres Protagonisten. Sie möchte die „Entwicklungsgeschichte“ Haeckels in seiner Jugend dokumentieren und dabei seine Persönlichkeit, d. h. den „ganzen Haeckel in werdender Vollkommenheit“ abbilden. Es sei, so der Herausgeber, alles aufgenommen worden, worin sich „das eigenartige Wesen dieses heranreifenden Mannes“ offenbare.13 Unter dieser Prämisse erschienen zahlreiche Passagen, die insgesamt etwa die Hälfte der überlieferten Brieftexte ausmachen, entbehrlich und wurden deshalb weggelassen. Betroffen waren neben den generell gestrichenen Anrede- und Schlussformeln vor allem verschiedene aufschlussreiche Äußerungen Haeckels über seine Ausbildung und seine akademischen Lehrer. Dazu gehören beispielsweise die Begründung, warum er bei August Schenk nicht mehr die Botanik hören wollte (14. Mai 1853) oder seine zunehmend kritischer werdenden Bemerkungen über Albert Kölliker (26./27. Oktober 1853). Es fehlen ferner Haeckels ausführliche Mitteilungen über einen Vortrag Köllikers in der Physikalisch-Medizinischen Gesellschaft (10./11. Januar 1853), die Berichte über die Benutzung naturhistorischer Prachtwerke in der Universitätsbibliothek (17./18. Februar 1854, 20. März 1854) und den Prozess gegen Haeckels Kommilitonen, den späteren Afrikareisenden Herrmann Steudner (23. Februar 1854), sowie die Schilderung von Haeckels Besuch bei diesem während seiner Haft auf der Veste Marienberg (9./10. April 1854). Ausgelassen wurden neben zahlreichen Mitteilungen familiären Inhalts auch viele Bemerkungen über seine Merseburger Jugendfreunde sowie etliche Briefpassagen zur Würzburger Stadt- und Universitätsgeschichte.
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Vgl. Haeckel, Ernst: Entwicklungsgeschichte einer Jugend. Briefe an die Eltern 1852/1856 [Eingeleitet und hrsg. von Heinrich Schmidt]. Leipzig: K. F. Koehler, 1921, S. VIII. Vgl. Haeckel, Ernst: Italienfahrt. Briefe an die Braut 1859/1860. Leipzig: K. F. Koehler, 1921; ders.: Von Teneriffa bis zum Sinai. Reiseskizzen von Ernst Haeckel. Leipzig: K. F. Koehler, 1923; ders.: Berg- und Seefahrten 1857/1883. Leipzig: K. F. Koehler, 1923. Haeckel, Entwicklungsgeschichte (wie Anm. 11), S. VII.
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ie editorischen Richtlinien erscheinen nur am Beginn des ersten Bandes der Korrespondenzausgabe. Gegebenenfalls werden in den folgenden Bänden Hinweise zur Benutzung des jeweiligen Bandes mitgeteilt. Aufnahmekriterien Aufgenommen werden von und an Ernst Haeckel eigenhändig geschriebene oder diktierte Texte, die nachweislich oder durch die Absicht der Zustellung die Funktion von Briefen erfüllen. Dazu gehören Briefe i.e.S., Briefkarten, Postkarten, Ansichtskarten, Telegramme und beschriftete Visitenkarten. In wenigen Ausnahmen finden auch nicht an Haeckel adressierte Briefe aus dem familiären Umfeld Aufnahme, die einen inhaltlichen Bezug auf Haeckel nehmen und dabei von besonderem Aussagewert sind. Hinzu kommt die Eigenart, dass diese Briefe ohnehin im Familienkreis kursierten und damit auch von Haeckel zur Kenntnis genommen wurden. Singulär für den ersten Band ist zudem die Aufnahme eines für die Persönlichkeitsentwicklung Haeckels bedeutenden Selbstzeugnisses. Amtliche Schriftstücke gelten als Briefe, auch wenn sie keine persönlichen Mitteilungen enthalten, und werden in die Ausgabe in gesonderten Bänden aufgenommen. Anweisungen, Rechnungen, Quittungen, Verzeichnisse und ähnliche Schriftstücke werden nur dann aufgenommen, wenn sie durch ihre Form (z. B. Gruß- und Schlussformel mit Unterschrift) und ihre Funktion briefähnlichen Charakter tragen oder wenn sie als Beilagen zu Briefen überliefert sind. Gedichte werden aufgenommen, wenn sie anstelle eines Briefes nachweislich zugestellt wurden oder zugestellt werden sollten, wenn sie in den Brieftext integriert sind oder wenn sie als Beilagen zu Briefen überliefert sind. Visitenkarten, Stammbucheintragungen und Widmungen werden nicht aufgenommen, sofern sie nicht inhaltlich wesentlich über ihre eigentliche Funktion hinausgehen und briefähnlichen Charakter tragen. Der Abdruck der Briefe erfolgt vollständig einschließlich ihrer Illustrationen. Überlieferte Beilagen (z. B. Zeichnungen, geographische Skizzen und Karten, Herbarblätter, Dokumente), die zweifelsfrei zugeordnet werden können, werden ebenso abgedruckt, wenn es deren Art und Umfang erlauben. Ist dies nicht möglich, werden sie im Apparat vermerkt und beschrieben. Adressaten bzw. Empfänger können Privatpersonen und Körperschaften (Firmen, Institutionen oder Organisationen) sein.
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Anordnung der Briefe Die für den jeweiligen Band ausgewählten Briefe sind chronologisch angeordnet und werden fortlaufend nummeriert, bandweise jeweils mit 1 beginnend. Für die Anordnung von Briefen, die über einen Zeitraum von mehr als einem Tag niedergeschrieben wurden, ist das späteste Datum maßgebend. Briefe gleichen Datums werden in der Reihenfolge der Niederschrift abgedruckt. Konnte keine Reihenfolge festgestellt werden, sind sie nach den Namen der Adressaten alphabetisch geordnet. Dabei stehen jedoch Briefe an Haeckel hinter denen von Haeckel. Briefe an Unbekannt werden ans Ende gestellt. Undatierte oder unvollständig datierte Briefe werden so genau wie möglich datiert und in die chronologische Folge eingeordnet. Bei längeren Zeiträumen stehen sie grundsätzlich am Ende des möglichen Entstehungszeitraums (z. B. erschlossener Monat und Jahr immer am Ende des Monats; erschlossenes Jahr immer am Ende des Jahres). Die Einordnung undatierter Briefe wird im Apparat (Abschnitt „Datierung“) begründet. Das erschlossene Datum undatierter Briefe steht im Briefkopf in eckigen Klammern. textgrundlage Textgrundlage sind die handschriftlich oder typographisch überlieferten Originale oder, wenn diese verschollen bzw. nicht zugänglich sind, die Drucke, auch Teildrucke, die als die zuverlässigste Wiedergabe der entsprechenden Brieftexte ermittelt werden konnten. Unvollständige Handschriften werden durch eventuell vorhandene alte Drucke oder Faksimile ergänzt. Abschriften können Textgrundlage sein, wenn sie der verschollenen Handschrift näherstehen als ein Druck. Ist der Brief nur als Konzept überliefert, bildet dies die Grundlage des edierten Textes. Teildrucke, handschriftliche oder gedruckte Fragmente aus Korrespondenzstücken Haeckels bilden dann die Textgrundlage, wenn sie die einzigen überlieferten Textzeugen eines Briefes sind. Die jeweilige Vorlage wird als Textgrundlage im Apparat ausgewiesen (H = Handschrift, D = Druck, A = Abschrift, K = Konzept) und in der Textwiedergabe wie die handschriftliche Ausfertigung behandelt. Ist die Handschrift nicht überliefert, wird die Textgrundlage im Apparat mit den notwendigen Erläuterungen versehen. textkonstitution Der Text wird buchstaben- und zeichengetreu nach der zugrunde liegenden Vorlage abgedruckt. Der edierte Text erscheint in der Grundschrift recte, alle Zusätze des Editors (dazu zählen auch die aus Auktionskatalogen übernommenen indirekten Briefzitate oder Regesten) erscheinen in eckigen Klammern und kursiv. Fehlende Wörter und Buchstaben (auch die durch Beschädigung fehlenden, aber zweifelsfrei bestimmbaren) werden kursiv ergänzt. Verschleifungen am Wortende
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werden grundsätzlich aufgelöst und in Kursivdruck ergänzt. Bei mehrdeutigem Befund werden die ergänzten Endungen in Winkelklammern gesetzt, z. B. bei Singularoder Pluralsuffixen. Durch Abbruchzeichen verkürzte Wörter werden kursiv aufgelöst (z. B. Wohlgebℓ → Wohlgeboren, Hℓ → Herr), Abbruchzeichen in Währungen/Maßeinheiten werden beibehalten und im Abkürzungsverzeichnis ausgewiesen (z. B. rℓ, fℓ). Beibehalten werden die spezifischen Groß-, Klein-, Getrennt- und Zusammenschreibungen, historische Orthographie und Interpunktion des Schreibers. Lässt der graphische Befund eine Unterscheidung von Groß- und Kleinbuchstabe nicht zu (z. B. D-d, F-f ), werden der semantische Kontext wie auch zeit- und autorspezifische Schreibgewohnheiten für die Entscheidung herangezogen. Auch grammatische und orthographische Fehler und uneinheitliche Schreibweisen werden nicht korrigiert sowie fehlende Umlautstriche, Satzzeichen und Akzente nicht hinzugefügt. Ausnahmen bilden die häufiger fehlenden abschließenden Zeichen bei Klammern und Anführungen sowie Interpunktionszeichen am Satzende, die stillschweigend ergänzt werden. Dittographien bei Seitenwechsel werden ausgeschieden. Der Geminationsstrich (n, m) wird zur Doppelschreibung aufgelöst; der doppelte Binde- und Trennungsstrich einheitlich als einfacher Binde- oder Trennungsstrich wiedergegeben. Alle Formen der Texthervorhebung werden beibehalten: Unterstrichene Wörter erscheinen im Text unterstrichen, doppelt unterstrichene Wörter werden als doppelt unterstrichen wiedergegeben, hochgestellte Buchstaben oder Wörter werden hochgestellt usw. Allgemein übliche Abkürzungen werden im edierten Text nicht ergänzt. Währungsangaben werden buchstaben- oder zeichengetreu wiedergegeben (auch unterschiedliche Schreibungen beibehalten). Häufig verwendete Abkürzungen und Zeichen werden in einem separaten Verzeichnis aufgelöst, wohingegen vereinzelt gebrauchte Abkürzungen oder Zeichen im Kommentarteil erklärt werden. Nicht eindeutig zu entziffernde Buchstaben und Zahlen werden interpungiert, unlesbare Buchstaben und Zahlen durch liegende Kreuze [X für Majuskel, x für Minuskel], unleserliche Wörter durch drei liegende Kreuze markiert [Xxx oder xxx]. Textverlust der Vorlage, z. B. durch beschädigtes Papier, wird durch ein Spatium in Winkelklammern [ ] wiedergegeben und in der Handschriftenbeschreibung nachgewiesen. Absätze im Text werden, außer am Beginn des Briefes, durch Einzug markiert. Der in den Briefen anzutreffende Wechsel zwischen Kurrentschrift und lateinischer Schrift der Vorlage wird im edierten Text nicht berücksichtigt. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts etabliert sich parallel zur Kurrentschrift die lateinische Schrift als Verkehrsschrift. Hinzu tritt häufig auch schon die Verwendung von Maschinenschrift mit lateinischen Lettern, so dass die noch im 18. Jahrhundert gebräuchliche spezifische Verwendung lateinischer Buchstaben für Fremdwörter bzw. wissenschaftliche Termini, die teilweise auch noch in der Haeckel-Korrespondenz anzutreffen ist, in den Hintergrund tritt.
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Muss die Textwiedergabe nach einem Druck erfolgen, werden eindeutige Druckfehler der Vorlage im edierten Text emendiert. Vom Verfasser selbst durchgestrichene oder anderweitig verbesserte Textstellen werden mit hochgestellten Kleinbuchstaben im Text gekennzeichnet und im textkritischen Teil erläutert, da sie den gedanklichen Prozess des Briefschreibers nachvollziehbar werden lassen. Auch die Angaben von Adressen, Vordrucken, Siglen oder sonstigen Vermerken werden möglichst vollständig wiedergegeben. Hochgestellte arabische Zahlen weisen auf den dem Brieftext unmittelbar folgenden inhaltlichen Kommentar hin. Briefanfänge wie Briefabschlüsse orientieren sich an der Schreibweise im Original, so dass der Zeilenfall weitestgehend gewahrt wird. Die meist komplexe räumliche Anordnung von Anrede- und Schlussformeln wird jedoch aus typographischen Gründen standardisiert. Seitenwechsel sind durch || gekennzeichnet. Zeilenwechsel bei Datumsangaben und bei den im Apparat aufgeführten Adressangaben sind durch | gekennzeichnet. zur textgestaltung
Briefkopf Der Abdruck beginnt einheitlich mit einem linksbündigen Briefkopf (Editortext), der die grundlegenden Daten des Briefes beinhaltet. Hier wird zunächst die Briefnummer aufgeführt, gefolgt vom Adressaten mit Vornamen (wenn bekannt nur der Rufname) und Familiennamen ohne Amtsbezeichnungen. Adlige Personen werden ab Graf mit Titelzusatz geführt. Adelsprädikate (von, von und zu usw.) werden nicht abgekürzt. Personennamen werden nach dem jeweils gültigen Familienstand angegeben (z. B. Frauen werden bis zu ihrer Eheschließung unter ihrem Mädchennamen geführt, mehrmals verheiratete Frauen unter ihrem jeweils gültigen Familiennamen). Sind mehrere namentlich bekannte Personen Schreiber oder Adressaten eines Briefes, werden im Briefkopf alle Namen angegeben und gegebenenfalls gekennzeichnet, ob es sich dabei um Nach- oder Beischriften handelt.Bei Firmen, Institutionen oder Organisationen gilt der zur Entstehungszeit des Briefes übliche Name. Wechselt die Namensorthographie im Lauf der Korrespondenz, so wird für die Überschrift eine einheitliche Form gewählt. Berufsbezeichnungen oder Titel stehen nur dann im Briefkopf, wenn keine Vornamen ermittelt werden konnten. Den Beschluss bilden Abfassungsort und Datum des Briefes, wobei der Monatsname ausgeschrieben wird. Bei der Angabe des Absendeorts wird die historische Namensform beibehalten, aber in heutiger Orthographie mitgeteilt. Erschlossene Angaben werden in eckige Klammern gesetzt, nicht ermittelte Angaben mit „o. O.“ bzw. „o. D.“ wiedergegeben. Fraglich erschlossenen Angaben wird ein Fragezeichen nachgestellt. Datierungen, die aus dem Poststempel entnommen werden, gelten als erschlossen. Brieftext Nach dem Briefkopf (Editortext) und einer Leerzeile beginnt der Brieftext linksbündig in der Grundschrift recte. Das Datum wird rechtsbündig gesetzt. Die räumliche Textanordnung wird in struktureller Entsprechung wiedergegeben. Nachschriften auf
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dem Rand der Vorlage erscheinen im Druck am Ende des Briefes nach der Unterschrift. Einfügungen mit oder ohne Verweiszeichen erscheinen im edierten Text an der Stelle, zu der sie gehören, und werden im textkritischen Teil des Apparates vermerkt. Die teilweise vorhandenen Adressangaben sind ebenfalls im Apparat aufgeführt.
Kommentar und Anlage der Register Die im Band abgedruckten Briefe werden durch Stellenkommentare erschlossen, die im Anschluss an den jeweiligen Brief, abgehoben vom Brieftext durch einen Teilstrich und in der Grundschrift recte erscheinen. Diese haben die Aufgabe, die Lektüre der Briefe zu unterstützen, indem sie diejenigen Passagen der Brieftexte erläutern, die nicht aus sich selbst heraus oder durch Konsultation allgemein üblicher Lexika und Nachschlagewerke verständlich sind. Dies betrifft insbesondere kultur-, politikund wissenschaftsgeschichtliche Zusammenhänge, Personen, Sachverhalte, Orte und sprachliche Besonderheiten. Die Stellenkommentare enthalten lediglich die zur Identifikation oder für das Sachverständnis unbedingt notwendigen Informationen und erheben keinesfalls den Anspruch, wissenschaftliche Analysen, Beschreibungen oder Untersuchungen zu ersetzen. Wo es zweckmäßig erscheint, wird auf ggf. weiterführende Literatur verwiesen. Die Kommentare stehen im Zusammenhang mit den Registern und ergänzen deren Angaben. So werden z. B. Personen im Personenregister mit Angabe von Namen, Vornamen, Geburts- und Sterbejahr, Titel und/oder Berufsbezeichnung und Wohn- bzw. Wirkungsort angeführt, soweit diese Angaben für die Biographie Ernst Haeckels relevant sind. Im Stellenkommentar werden Personen nur dann angeführt, wenn die Angaben im Brieftext nicht eindeutig, unvollständig oder unkorrekt sind oder bestimmte im Brief genannte Kontexte zu erläutern sind. Personen, die nicht namentlich erschlossen werden können, wie z. B. Dienstboten, Gastwirte und Kutscher, erscheinen unter ihren im Brief genannten Namen und Berufsbezeichnungen im Personenregister. Das Sachregister verzeichnet alle relevanten in den Brieftexten vorkommenden Sachbegriffe. Biologische, medizinische und sonstige naturwissenschaftliche Fachtermini werden im taxonomischen Register verzeichnet. Im Stellenkommentar erscheinen sie nur, um eine eindeutige, dem wissenschaftlichen Standard entsprechende taxonomische Identifikation des im Brieftext genannten Objekts zu ermöglichen. Ortsnamen und andere topographische Bezeichnungen werden durch ein Ortsregister erschlossen. Maßgebend für den Registereintrag ist der jeweilige zeitgenössische Name. Heute nicht mehr existierende Orte oder topographische Objekte sowie Namensänderungen infolge von Eingemeindung oder veränderter staatlicher Zugehörigkeit werden durch Verweise gekennzeichnet. Erläuterungen topographischer Begriffe im Stellenkommentar werden ebenfalls nur dann vorgenommen, wenn dies zur eindeutigen Identifikation oder für eine weiterführende Erklärung notwendig ist. Sprachliche Erläuterungen von Wörtern oder Redewendungen werden nur dann im Stellenkommentar vorgebracht, wenn sie nicht mehr im DUDEN verzeichnet sind. Fremdsprachige Wörter werden übersetzt. Bei Lehnwörtern, die in den deutschen Sprachgebrauch übergegangen sind, erfolgt ebenfalls nur dann eine Erläuterung, wenn diese nicht im DUDEN angeführt sind. Bücher, Zeitschriftenaufsätze oder andere Publikationen werden mit vollständigen bibliographischen Angaben im Kommentar bzw. im Literaturverzeichnis nachge-
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wiesen. Wenn es anhand des Brieftextes nicht möglich ist, auf die jeweilige Ausgabe zu schließen, wird die Erstausgabe verzeichnet. Zitate oder Paraphrasen aus Büchern werden im Kommentar mit Seitenangabe anhand der vom Briefschreiber selbst benutzten Ausgabe nachgewiesen. Ist das nicht möglich, wird ersatzweise eine moderne Edition herangezogen. Publikationen aus dem Besitz Ernst Haeckels im Museumsbestand des Ernst-Haeckel-Hauses Jena bzw. Werke, die im Verzeichnis seiner Jugendbibliothek aufgeführt sind, werden mit Signatur angegeben. Quellen- und Literaturnachweise werden in die Kommentare aufgenommen, wenn Primärquellen oder Publikationen der Forschungsliteratur mit Ausnahme allgemein zugänglicher Lexika oder Internetquellen zitiert werden bzw. auf deren Inhalt Bezug genommen wird. Das Quellenverzeichnis verzeichnet alle im Text edierten und in den Kommentaren benutzten Briefe und anderen ungedruckten Primärquellen nach Fundort und Signatur. Das Literaturverzeichnis erfasst alle im Text und in den Kommentaren genannten gedruckten Quellen (zeitgenössische Publikationen mit Quellencharakter, Werkausgaben, Nachschlagewerke usw.) und die Forschungsliteratur (Monographien und Aufsätze). Eine gesonderte Rubrik erfasst Beiträge in Zeitungen, Zeitschriften und anderen Periodika.
Kritischer Apparat Es wurde darauf verzichtet, den Bezugs- und Antwortbrief im textkritischen Apparat auszuweisen, da Ernst Haeckels Briefe an die Eltern oder andere Familienmitglieder in der Regel einen ostensiblen Charakter besaßen. Sie wurden meist im Familienkreis vorgelesen bzw. an andere Familienmitglieder oder Bekannte weitergeschickt, die dann mitunter ihrerseits mit einem Brief an Haeckel reagierten oder dem Antwortschreiben der Adressaten eine Beischrift beifügten. So gibt es auf manche Briefe Haeckels mehrere Bezugs- oder Antwortbriefe, wie auch Haeckel selbst gelegentlich auf ihm zugleitete Korrespondenzstücke Dritter reagierte. Auf vorhandene Bezugsoder Antwortbriefe wird in den Anmerkungen hingewiesen. Der im Anhang befindliche kritische Apparat gliedert sich in: 1. Briefkopf (Editortext) Der Briefkopf des Kommentarteils entspricht dem des Textteils. 2. Überlieferung und Handschriftenbeschreibung a) Textvorlage mit Standort und Signatur, als Siglen für textkritisch relevante Zeugen werden verwendet: H (Originalbrief ), K (Konzept), D (Druck), A (Abschrift), R (fotomechanische Reproduktion von H oder K) b) Angaben über die Quellen für erschlossene oder korrigierte Datierungen c) Adresse, Poststempel, Empfangs-, Antwort- oder sonstige Vermerke, Besitzstempel d) Angaben über den Schreiber (egh./diktiert), die Materialart (Brief/Postkarte o. Ä.), mit/ohne Unterschrift e) Verwendung von Vordrucken, Siegel, Brieffaltung/frankierter Umschlag f ) Umfang (Dbl., Bl., S.) und Format (Breite x Höhe) g) Briefzustand (wenn auffällig, z. B. Textverlust durch schadhaftes Papier, Schimmel, Wasser, Ausriss etc.) h) Bemerkungen zu den Beilagen
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i) Bibliographischer Nachweis des gegebenenfalls vorhandenen Druckes (D), bei mehreren Drucken D1 (Erstdruck) und eventuell weitere, über den Erstdruck hinausgehende maßgebliche Drucke (z. B. vollständigere Drucke, Übersetzungen, Faksimile). – Sind im Druck Auslassungen vorhanden (Anrede, Gruß, Bemerkungen, Textabschnitte o. Ä.) so wird dieser zusätzlich als (Teildruck) bezeichnet. In der Forschungsliteratur mitgeteilte Zitate aus Briefen gelten, auch wenn diese länger sind, nicht als Teildruck, sofern nicht die Intention einer Edition des Briefes erkennbar ist. 3. Textkritischer Teil Im Originaltext sind die textkritischen Anmerkungen durch hochgestellte Kleinbuchstaben markiert. Vermerkt werden im textkritischen Kommentar u. a. Korrekturen Haeckels (z. B. „gestrichen“, „eingefügt“, „eingefügt für“, „korrigiert aus“), eventuelle Textvarianten, Notizen von fremder Hand, Präsentats- und Antwortvermerke, fremde Schreiberhand etc. Wenn in der Handschrift keine Korrekturen vorkommen und auch sonst nichts zum Text anzumerken ist, entfällt dieser Abschnitt. 4. Übersetzung Bei den fremdsprachigen Briefen (englischen, italienischen, französischen etc.) folgt deren Übersetzung.
Verzeichnis der Briefe 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. 25. 27. 28. 29. 30. 31. 32. 33. 34. 35. 36.
Von Marie Sethe, Berlin, 14. Februar 1839 .................................................. Von Karl Haeckel, [Berlin, Ende 1839]....................................................... Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1840................................................. Von Marie Sethe, Berlin, 15. Februar 1840 .................................................. An Christoph Sethe, Merseburg, 22. Mai 1840 .......................................... Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Ernst Haeckel, Karlsbad, 27. Juni 1840 ................................................................................ Von Bertha Sethe, Berlin, 8. Februar 1841................................................... An Karl Haeckel, Berlin, 22. April 1841 ...................................................... Von Marie Sethe, Berlin, 7. Juni 1841 .......................................................... Von Bertha Sethe, Berlin, 21. Juni 1841 ....................................................... Von Bertha Sethe, Berlin, 29. Juni 1841 ...................................................... Von Heinrich Christoph Moritz Hermann Sethe, Münster, 18. November 1841 ...................................................................................... Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1842 ................................................. Von Charlotte Haeckel, Merseburg, 24. Februar 1842 ................................ An Charlotte Haeckel, Bonn, 17. – 24. September 1842 .............................. An Charlotte Haeckel, [Bonn], 27. September 1842 ................................... An Charlotte Haeckel, Bonn, 12. Oktober 1842 ......................................... An Karl Haeckel, Bonn, 23. Oktober 1842.................................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 1. Januar 1843.......... Von Bertha Sethe, Berlin, 14. Februar 1843 ................................................. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 17. Januar 1844..................................... Von Karl Haeckel, Berlin, 11. Februar 1844 ................................................. Von Bertha Sethe, Berlin, 11. Februar 1844 ................................................. Von Karl Haeckel, Heidelberg, 13. Februar 1845 ........................................ Von Karl Haeckel, Heidelberg, 23. Juni 1845 .............................................. Von Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 27. Juli 1845 .................................. Von Charlotte Haeckel, Merseburg, 27. Juli 1845 ........................................ An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Hasserode], 31. Juli 1845 .......... Von Karl Haeckel, Berlin, 15. Februar 1846................................................. Von Bertha Sethe, [Berlin, 16. Februar 1846] .............................................. Von Heinrich Georg Christoph Sethe, Berlin, 9. Juli 1846 ......................... Von Theodor Bleek, Bonn, 29. Dezember 1846 ........................................... Von Bertha Sethe, Berlin, 30. Dezember 1846 ............................................ Von Bertha Sethe, [Berlin, 16. Februar 1847] .............................................. Von Hermine Sethe, Berlin, 15. Juli 1848 ....................................................
1 3 4 5 6 6 9 9 10 10 10 11 12 12 13 14 15 16 16 17 17 18 19 20 22 26 27 28 29 31 31 32 32 33 34
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37. 38. 39. 40. 41. 42. 43. 44. 45.
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Von Friederike Kalisky, Dresden, 3. Oktober 1848 ...................................... 34 Von Hermine Sethe, Merseburg, 18. Oktober 1848..................................... 35 Von Hermine Sethe, Frankfurt (Oder), 15. Februar 1849 ............................ 36 Von Bertha Sethe, Berlin, 3. April 1849 ...................................................... 37 Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1850 ................................................. 39 Von Hermine Sethe, Frankfurt (Oder), 15. Februar 1850 ............................ 40 Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1851 ................................................. 41 Von Hermine Sethe, Berlin, 15. Februar 1851 .............................................. 42 Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5./6. Oktober 1851, mit Nachschriften von Carl Gottlob Haeckel, Hermine Sethe und Karl Haeckel ................... 43 46. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel sowie an Karl Haeckel und Hermine Sethe, Merseburg, 7. Oktober 1851 ....................................... 46 47. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 10. Oktober 1851 ................................. 49 48. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 10. Oktober 1851, mit Nachschrift von Karl Haeckel .............................................................. 50 49. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 11. [Oktober 1851] ..................................... 52 50. An Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, [15. Oktober 1851].......................... 53 51. An Charlotte Haeckel, [Merseburg, 15. Oktober 1851] ............................... 54 52. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 18. Oktober 1851 .................................. 56 53. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 25./26. Oktober 1851 ........................... 58 54. Von Carl Gottlob Haeckel, [Berlin], 28. Oktober 1851, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 61 55. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 2. November 1851 ... 63 56. Von Carl Gottlob Haeckel, [Berlin], 8. November 1851.............................. 66 57. Von Charlotte Haeckel, [Berlin], 10. November 1851 ................................. 67 58. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 12. November 1851.. 68 59. Von Hermine Sethe, Stettin, 12. November 1851 ........................................ 72 60. Von Carl Gottlob Haeckel, Stettin, 15. November − Berlin, 16. November 1851 ...................................................................................... 73 61. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 17. November 1851 ............................... 76 62. Von Charlotte Haeckel, [Berlin], 21. [November] 1851............................... 77 63. An Carl Gottlob Haeckel, [Merseburg, 22. November 1851] ...................... 78 64. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23. November 1851, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 80 65. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 27. November 1851.. 83 66. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 2./3. Dezember 1851 .................................. 85 67. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 3. Dezember 1851................................. 86 68. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 8. Dezember 1851 ................................ 89 69. An Karl Haeckel, [Merseburg], 8. – 10. Dezember 1851 .............................. 90 70. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 8. Januar 1852 ......... 91 71. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 14. Januar [1852]........................................ 93 72. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 15. Januar 1852 ..................................... 94 73. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 22./23. Januar 1852, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 95 74. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 24. Januar 1852 ....... 98 75. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 26. Januar 1852] ....................................... 100
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76. Von Karl Haeckel, Berlin, 26. Januar 1852, mit Beischrift von Carl Gottlob Haeckel .......................................................................... 77. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 31. Januar 1852 ........ 78. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. Februar 1852, mit Nachschriften von Karl und Carl Gottlob Haeckel ........................................................... 79. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 7. Februar 1852 ....... 80. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. Februar 1852 ........................................ 81. Von Karl Haeckel, Berlin, 13. Februar 1852 ................................................. 82. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1852 ................................................. 83. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 14. Februar 1852 ................................... 84. Von Friederike Kalisky, Dresden, 15. Februar 1852 ...................................... 85. Von Hermine Sethe, Stettin, 15. Februar 1852 ............................................ 86. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 17. Februar 1852 ...... 87. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 20. Februar 1852, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 88. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23. Februar 1852, mit Nachschriften von Karl und Charlotte Haeckel ................................................................ 89. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, nach dem 27. Februar 1852 .......................................................................... 90. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 2. März 1852, mit Nachschriften von Charlotte und Karl Haeckel ................................................................ 91. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 5. März 1852 ........... 92. Von Bertha Sethe, Berlin, 30. August 1852 ................................................. 93. Von Bertha Emilie Maria Anna Sophie Sethe, Heringsdorf, 31. August 1852 ........................................................................................... 94. Von Karl Haeckel, Naumburg, 3. September 1852 ...................................... 95. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. Oktober 1852 ..... 96. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 29. Oktober 1852 ................................. 97. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. Oktober 1852....................................... 98. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 31. Oktober 1852 .................................. 99. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 31. Oktober 1852] .................................... 100. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 31. Oktober – 1. November 1852 ................................................................. 101. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 4./5. November 1852 ................................. 102. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 5. November 1852 ................................ 103. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 6./7. November 1852 ................................................................................... 104. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 8. November 1852, mit Nachschrift von Hermine Haeckel................................................................................. 105. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 9. November 1852 ..................................... 106. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 10./11. November 1852, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel ..................................................... 107. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 14. November 1852 ...................................................................................... 108. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 17./18. November 1852 .............................. 109. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 19. November 1852 ..............................
101 104 107 110 111 113 113 115 117 118 120 122 124 127 128 131 132 133 134 136 139 140 141 143 144 150 151 153 159 161 162 165 171 173
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110. 111. 112. 113. 114. 115. 116. 117. 118. 119. 120. 121. 122. 123. 124. 125. 126. 127. 128. 129. 130. 131. 132. 133. 134. 135. 136. 137. 138. 139. 140. 141. 142. 143. 144. 145. 146. 147.
An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 19. November 1852 .......................... An Charlotte Haeckel, Würzburg, 19. November 1852 ............................... Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23./24. November 1852 ........................ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 24. November 1852.................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. November 1852 ...................................................................................... Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 1. Dezember 1852 ................................ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. November − 2. Dezember 1852 ........... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 3. Dezember 1852...................................... An Charlotte Haeckel, Würzburg, 5. Dezember 1852 ................................. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 5. Dezember 1852............................ Von Bertha Sethe, Berlin, 27. November – 6. Dezember 1852 .................... Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 8. Dezember 1852 ................................ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 8. Dezember 1852...................................... Von Hermine Haeckel, Ziegenrück, 9. Dezember 1852 .............................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 11./12. Dezember 1852................................................................................. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 17. Dezember 1852, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 18. Dezember 1852 .................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 21. Dezember 1852 ...................................................................................... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 21. Dezember 1852 .................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25. Dezember 1852 ...................................................................................... Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 29. Dezember 1852, mit Nachschrift von Hermine Haeckel ................................................................................ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 28. – 31. Dezember 1852 ............................ Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 30./31. Dezember 1852......................... Von Bertha Sethe, [Berlin, ca. Ende 1852] .................................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 1. Januar 1853 ........... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5./6. Januar 1853 ........................................ Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 6. Januar 1853....................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 10./11. Januar 1853 ... Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 17. Januar 1853 ..................................... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 17. Januar 1853 ........................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 20./21. Januar 1853 ...................................................................................... Von Hermine Haeckel, Ziegenrück, 24. Januar 1853 ................................... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 26. Januar 1853 .......................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 30. Januar 1853 ........ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 6. Februar 1853 .......................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 8. Februar 1853 ........ Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 11. Februar 1853, mit Nachschrift von Hermine Haeckel................................................................................. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. Februar 1853 ........................................
lIII
175 177 178 182 183 187 191 192 193 197 198 201 203 204 205 212 215 216 221 222 226 228 230 233 234 240 241 244 249 252 253 261 263 264 267 268 273 275
lIV
148. 149. 150. 151. 152. 153. 154. 155. 156. 157. 158. 159. 160. 161. 162. 163. 164. 165. 166. 167. 168. 169. 170. 171. 172. 173. 174. 175. 176. 177. 178. 179. 180. 181. 182. 183. 184. 185. 186. 187. 188.
V Er zEIcH n Is dEr Br IEfE
Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1853 ................................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 17. Februar 1853 ....... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 16. – 21. Februar 1853 ................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. Februar 1853 ....... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5. März 1853 .............................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 10. März 1853 .......... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Ziegenrück, 16. März 1853, mit Nachschrift von Hermine Haeckel ...................................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25./26. April 1853 .... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. April 1853, mit Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel .......................................................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 4. Mai 1853 .............. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 7. – 10. Mai 1853 ....................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 14. Mai 1853 ............ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 18. Mai 1853 .............................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 23. Mai 1853 ............ Von Charlotte Haeckel, Berlin, 22. – 27. Mai 1853...................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 1. Juni 1853 .............. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 7. Juni 1853 ................................................ An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 18. Juni 1853............. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 23. Juni 1853 .............................................. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 27. Juni 1853 ......................................... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. Juli 1853 ............................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 8. Juli 1853 ............... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 12./13. Juli 1853.......................................... Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 27. Juni – 17. Juli 1853 ................................ Von Hermine Haeckel, Ziegenrück, 17. Juli 1853 ........................................ An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 18. Juli 1853 .............. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 22. Juli 1853 ............. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 24./25. Juli 1853 ......................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 28. Juli 1853 ............. An Carl Gottlob, Karl und Hermine Haeckel, Rehme, 18. August 1853 ..... An Carl Gottlob Haeckel, Rehme, 30. August 1853 ................................... An Charlotte Haeckel, Ziegenrück, 4. Oktober 1853 .................................. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Ziegenrück, 13. Oktober 1853 ......................................................................................... An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 26./27. Oktober 1853 ................................................................................... Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. November 1853.................................. An Karl und Hermine Haeckel, Würzburg, 1. – 5. November 1853............. An Charlotte Haeckel, [Würzburg, 12. November 1853] ............................ Von Hermine Haeckel, Ziegenrück, 12. November 1853............................. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 16. – 19. November 1853.................. Von Karl Haeckel, [Ziegenrück], 20. November 1853, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ Von Charlotte Haeckel, Ziegenrück, 29. November 1853 ...........................
275 276 281 282 286 287 289 295 299 302 306 307 312 312 316 317 324 325 328 329 331 333 336 338 340 342 346 348 349 355 360 362 364 369 374 375 381 382 382 395 396
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189. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 4. Dezember 1853 ................................. 190. Von Charlotte Haeckel, [Ziegenrück, 7. Dezember 1853], mit Nachschrift von Karl Haeckel ........................................................................................ 191. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 10. Dezember [1853] ............................ 192. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 14. Dezember 1853 ............................... 193. Von Bertha Sethe, [Berlin], ca. 10. – 16. Dezember 1853............................. 194. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 16. Dezember 1853, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 195. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 21. Dezember 1853 ......................... 196. Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Hermine Haeckel, Berlin, 22. Dezember 1853 .......................................................................... 197. Von Charlotte Haeckel, Ziegenrück, 25./26. Dezember 1853 ..................... 198. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 25./26. Dezember 1853 .............................. 199. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 26./27. Dezember 1853 ........................ 200. An Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 27. Dezember 1853 ....................... 201. Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Hermine Haeckel, Berlin, 29./30. Dezember 1853 .................................................................... 202. Von Hermine Haeckel, [Ziegenrück, Ende Dezember 1853], mit Nachschrift von Charlotte Haeckel ..................................................... 203. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 1. Januar 1854 ....................................... 204. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 9. Januar 1854 ............................................ 205. Von Charlotte Haeckel, Ziegenrück, 10. Januar [1854] ............................... 206. Von Carl Gottlob Haeckel, Ziegenrück, 20. Januar 1854, mit Nachschrift von Adolph Schubert.................................................................................. 207. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 26. Januar 1854 ........ 208. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 1. Februar 1854 ..................................... 209. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 1. Februar 1854] ....................................... 210. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 7. Februar 1854 ........ 211. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 8. – 12. Februar 1854 .................................. 212. Von Hermine Haeckel, Ziegenrück, 12. Februar [1854] .............................. 213. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 12./13. Februar 1854] ................................ 214. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 13. Februar 1854 ................................... 215. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1854 ................................................. 216. An Ernst Haeckel (Selbstzeugnis), Würzburg, 16. Februar 1854 ................. 217. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 17./18. Februar 1854 ..................................................................................... 218. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 16. – 20. Februar 1854 ............................... 219. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 23. Februar 1854 ...... 220. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 27. Februar 1854 ................................... 221. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 1. März 1854] ........................................... 222. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 3. März 1854.............................................. 223. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 9. März 1854 ............ 224. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 13. März 1854....................................... 225. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. März 1854 ............................................ 226. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 20. März 1854 .......... 227. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25. März 1854 ..........
lV
396 401 402 403 406 408 409 415 419 420 422 428 429 435 436 442 443 444 447 450 453 454 458 461 462 464 467 468 471 477 478 481 484 485 486 495 498 499 504
lV I
V Er zEIcH n Is dEr Br IEfE
228. Von Karl Haeckel, Ziegenrück, 28. März 1854............................................ 229. Von Hermine Haeckel, Berlin, 28. März.1854, mit Nachschrift von Karl Haeckel ........................................................................................ 230. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 29. März 1854, mit Nachschrift von Charlotte Haeckel................................................................................ 231. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Ziegenrück, 9./10. April 1854 ....
507 509 510 512
Tafelteil I
TA F ELT EI L I
Abb. 1: Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Fotografie von Pflaum & Co. (Berlin), um 1860
P O RT R A I T S D E R B R I EF S C H R EI B ER
Abb. 2: Karl Haeckel, Fotografie von C. Brasch (Berlin), 1852
TA F ELT EI L I
Abb. 3: Hermine Haeckel, Fotografie von C. Brasch (Berlin), 1852
P O RT R A I T S D E R B R I EF S C H R EI B ER
Abb. 4: Bertha Sethe, Fotografie von Max Pflaum (Berlin), um 1865
TA F ELT EI L I
Abb. 5: Christoph Sethe, Lithografie von Friedrich Jentzen nach einem Ölgemälde von Adolph Henning (Berlin), um 1840
P O RT R A I T S D E R B R I EF S C H R EI B ER
Abb. 6: Theodor Bleek, Fotografie von Philipp Graff (Berlin), um 1850
TA F ELT EI L I
Abb. 7: Heinrich Sethe, Fotografie der Gebr. Radtke (Berlin), 1858
S C H R I F T P RO B EN
Abb. 8: Ernst Haeckel an seine Eltern, 27. Oktober 1852 (Br. 95), erste Seite
TA F ELT EI L I
Abb. 9: Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel, 15. November 1851 (Br. 60), erste Seite
S C H R I F T P RO B EN
Abb. 10: Charlotte Haeckel an Ernst Haeckel, 29. November – 2. Dezember 1852 (Br. 116), erste Seite
TA F ELT EI L I
Abb. 11: Karl Haeckel an Ernst Haeckel, Ende 1839 (Br. 2), erste Seite
S C H R I F T P RO B EN
Abb. 12: Hermine Sethe an Ernst Haeckel, 15. Juli 1848 (Br. 36), erste Seite
TA F ELT EI L I
Abb. 13: Bertha Sethe an Ernst Haeckel, 30. Dezember 1846 (Br. 34), erste Seite
1.
Von Marie Sethe, Berlin, 14. Februar 1839
Mein lieber Ernst!
Berlin, den 14ten Februar | 1839.
Dieser Brief soll Dir meinen herzlichsten Glückwunsch bringen zu Deinem Geburtstag, den Du am Sonnabend feierst. Da wirst Du nun schon fünf Jahre alt, Junge fünf Jahre!1 und kannst noch so unartig sein? Aber nicht wahr Du willst von jetzt an ein recht lieber, artiger Junge werden, damit wir und alle Menschen Dich lieb haben? Dann brauchst Du auch nicht mehr zu sagen: Ich war ein Mal artig von 6–8 Uhr, dann sagst Du: „Ich bin jetzt immer artig!“ Recht leid hat es uns Allen gethan, daß Du krank warst, ich sage warst, weil ich hoffe, daß Du jetzt wieder ganz gesund bist. Du kleiner, armer Schelm; hier bei uns warst Du so vergnügt, und in Merseburg mußt Du gleich wieder krank werden. Was sagst Du zu solchem großen Brief mit dem schönen Bilde darüber? Das ist der Gensdarms Markt2, über den bist Du ein Mal mit mir gegangen, wie wir auf den Weihnachtsmarkt gingen, und von dort in einer Droschke zu Hause fuhren. Da kamen wir auch bei dem Palais vorbei wo der König wohnt.3 Auf diesem Bilde steht nun in der Mitte das Schauspielhaus4, was Dir so gut gefiel, weil obena drauf ein Pferd steht. Das Pferd kannst Du nun freilich hier nicht sehen, weil das auf der anderen Seite ist, aber dafür siehst Du einen Wagen; Dein Bruder Karl5 kann Dir das Alles erklären. || Am Sonntag ist der Geburtstag von Deinem Vetter Theodor Bleek6 in Bonn,
2
BR I EF E 1–2
da habe ich gestern auch an den geschrieben, und auch auf einem Bogen Papier mit einem Bilde drüber; das war aber das Schloß zu Charlottenburg, denn der arme Junge kennt Berlin garnicht; der wohnt gar zu weit von uns, wenn Du aber ein Mal mit ihm zusammenkommst, so könnt Ihr recht hübsch spielen, er ist nur ein Jahr älter wie Du, ebenso wild, und kann auch tüchtig schreien, nicht ganz so stark wie Du, aber nicht wahr Ihr Beide werdet Euch es abgewöhnen? Ich habe den Theodor auch darum gebeten. Die kleine Helene7 ist seit Eurer Abreise schon öfter bei uns gewesen, aber denke ein Mal, ihre beiden niedlichen Kaninchen hat ein großer, grauer Kater aufgefressen, erst ist Seidenhaase verschwunden, und ein Paar Tage drauf b findet Helenchens Großmutter8 den grauen Kater, wie er gerade dem Fuchs den Kopf abbeißt; das arme Thierchen hat gewiß rechte Schmerzen dabei gehabt. Lenchen war recht betrübt, wie sie es uns erzählte, Du hast die schönen Thierchen garnicht gesehen, der Fuchs war gar zu hübsch. Der Schnee ist jetzt ganz hart, da sieht man auch garkeine Schlitten mehr. Ein Mal war aber eine Hofschlittenfahrt, die wollte ich hätte mein Ernst gesehen, lauter schöne Vorreiter und elegante Schlitten, und vorher kam ein sechsspänniger Schlitten mit Garde du Corps9, die Musik machten, das wäre für den kleinen Ernst gewesen! Nun lebe wohl, mein lieber Ernst! grüße Deine Eltern und Bruder Karl, Dich grüßen Großvater10, Tante Gertrud11, Bertha12, und die große Tante Bertha13. Die kleine wollte Dir auch schreiben, sie mußte aber in die Warteschule14. Behalte lieb Deine treue Tante Marie. 1 2 3 4
5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Ernst Haeckel wurde am 16.2.1834 in Potsdam geboren; siehe Abb. 14 und 15. Der Gendarmenmarkt im Zentrum von Berlin mit Schauspielhaus, Deutschem und Französischem Dom. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. wohnte bis zum Ende seines Lebens im Kronprinzenpalais am Beginn der Straße Unter den Linden in Berlin. Der Figurenschmuck am Königlichen Schauspielhaus am Gendarmenmarkt in Berlin einschließlich der beiden in Kupfer getriebenen Dachfiguren (auf der Vorderseite die Figur des Apollo in einem von Greifen gezogenen Wagen, auf der Rückseite ein Pegasus) wurde von Christian Friedrich Tieck geschaffen. Haeckel, Karl Heinrich Christoph Benjamin. Bleek, Ernst Theodor. Naumann, Helene Charlotte Gertrude. Naumann, Christine Dorothea Charlotte, geb. Spengler. Das Kürassierregiment in der Gardekavallerie galt als das vornehmste Regiment der preußischen Armee. Sethe, Christoph Wilhelm Heinrich. Sethe, Gertrude Henriette Wilhelmine. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Soziale, meist kirchlich unterstützte Einrichtung des späten 19. Jahrhunderts, die Kinder im Vorschulalter ohne pädagogische Zielsetzung betreute.
F E BRUA R — E n dE 1839
2.
3
Von Karl Haeckel, [Berlin, Ende 1839]
Lieber Ernst. Zunächst danke ich nochmals für Deinen lieben Brief1; der mich sehr erfreut hat. Schreibe mir nur recht oft, wie es Dir geht, was etwa Neues passirt und was Dir sonst einfällt. Vergiß aber besonders nicht, mir über den Zustand Deines Betragens Rechenschaft zu geben, ob Du auch noch immer so hitzköpfig und unartig bist, ob Du noch immer kein Grünes ißt, und drgl. – Du würdest Dich freuen wenn Du manchmal auf einige Augenblicke hier sein könntest. Oft zieht bei der Universität vorbei die Artillerie mit ihren großen Kanonen, und mit der schönsten Musik. Neulich war ich mit Richter2 auf dem Kreuzberge, – ich glaube, es war an dem Tage, als ihr von hier fuhret – , wir genossen von dort die schönste Aussicht über Berlin und besahen uns in Muße das a Denkmal welches zum Andenken an die Jahre 1813, 14 und 15 errichtet ist.3 – Es ist ziemlich hoch und ganz von Gußeisen. Auch sahen wir von dort den großen Exercierplatz an der Hasenheide, wo viele Regimenter zu Pferde u. zu Fuß ihre Uebungen hatten und hörten die Artillerie in dem Gehölz selbst schießen. In diesen Tagen ist hier das Modell zur Statue für Friedrich den Großen4, welches b in der Nähe von der Universität errichtet werden soll, im Lagerhause5 zu sehen. Ich werde mit Tante Bertha wohl hingehen. – Diese Reiterstatue soll um Vieles größer werden als die von Kreuzberg, das Pferd allein wird gegen 20 Fuß hoch. Nun leb wohl und behalte lieb Deinen Karl. 1 2 3
4
5
Nicht überliefert. Richter, August Ferdinand. Auf dem damaligen Tempelhofer Berg (später umbenannt in Kreuzberg) bei Berlin in Form eines gotischen Tabernakels gestaltetes, ca. 19 m hohes gusseisernes Denkmal für die Gefallenen der Befreiungskriege 1813–1815, errichtet 1818–1821, entworfen von Karl Friedrich Schinkel und Johann Heinrich Strack, Figuren von Christian Daniel Rauch, Christian Friedrich Tieck und Ludwig Wichmann; vgl. Nungesser, Michael: Das Denkmal auf dem Kreuzberg von Karl Friedrich Schinkel. Berlin 1987. Das Reiterstandbild des preußischen Königs Friedrich II., das den Auftakt der Allee Unter den Linden bildet, ist das Hauptwerk des Bildhauers Christian Daniel Rauch. Rauchs Modell der Reiterstatue wurde 1839 öffentlich vorgestellt und von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen genehmigt, so dass 1840 die Grundsteinlegung des schließlich 1851 fertiggestellten Monuments stattfinden konnte; vgl. Denkmal König Friedrichs des Großen. Enthüllt am 31. Mai 1851. Berlin 1851 (ein Exemplar der Schrift aus Haeckels Besitz im EHA Jena). Das „Lagerhaus“ (ehemals Hohes Haus) in der Klosterstraße, ab 1819 Rauchs Werkstatt und damit Keimzelle der Berliner Bildhauerschule; vgl. Bloch, Peter / Grzimek, Waldemar (Hrsgg.): Die Berliner Bildhauerschule im neunzehnten Jahrhundert. Das klassische Berlin. Durchges. Aufl., Berlin 1994.
4
BR IEFE 3–4
3.
Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1840
Mein lieber Ernst!
Berlin den 15ten | Februar 1840.
Recht von Herzen wünsche ich Dir Glück zu Deinem morgenden Geburtstage, bleibe gesund, und werde fromm und gut; daß Deine Eltern und wir alle, die wir Dich so lieb haben, viele Freude an Dir erleben. a Am liebsten hätte ich mich selber in das Kistchen gepackt, und Dich an Deinem Geburtstage überrascht, aber es war mir Weniges zu klein, und dann wäre ich auch am Ende verhungert, denke Dir einmal 2. 3 Tage || in einem zugemachten Kistchen eingepackt zu liegen. Kannst Du Dir das hübsch denken? ich gar nicht. Was wäre Dir aber lieber gewesen, wenn ich drin eingepackt wäre oder der Kuchen? Diesen Winter war hier eine große, große Schlittenfahrt, das hättest Du einmal mit ansehen sollen, die Studenten hatten sie veranstaltet. Da waren Bärn Hunde, Katzen ja sogar welche hatten sich als Hähne verkleidet. Ein großer Student hat sich als Wickelkind machen lassen und lag quer im Schlitten, einen großen Lutschbeutel im Munde, und lag auf dem || Schooß von andern Studenten, von denen einer die Kinderfrau vorstellte, eine große Flasche mit Milch in der Hand, ein anderer die Mutter mit einer Düte Bonbons, und der dritte der Vater, eine große große Ruthe, so groß wie ein Besen, in der Hand. Du kannst Dir denken, was es da zu lachen gab, Du hättest wohl hier sein mögen? Hättest auch gelacht? Könntest Du nur einmal an einem Sonntage hier sein, da sind immer Helene1 und Heinrich2 hier, es würde || Dir gewiß Freude machen mit ihnen b zu spielen. Komm nur einmal, dann lasse ich Kinderschokolade kochn und vom Conditor Kuchen holen. Dann gehen wir auch einmal herunter in den Conditorladen, da sollst Du Dir etwas aussuchen; wenn Du aber alle die schönen Sachen siehst, möchtest Du sie gewiß alle haben; wollen wir lieber nicht hingehen? Nun kommt bald der Sommer, da kannst Du wieder tüchtig im Garten spielen, und die Blumen säen und pflanzen.3 Grüße Alle, Alle von mir, und vertheile hübsch die Briefe, für wen sie bestimmt sind. In Liebe Deine Tante Bertha. 1 2 3
Naumann, Helene. Sethe, Heinrich Georg Christoph. Haeckels Mutter Charlotte hatte auf dem von der Familie bewohnten Merseburger Grundstück die Erlaubnis erhalten, einen Teil des Gartens zu nutzen. Dazu Haeckel rückblickend: „Von den sechs Beeten desselben wurde eines mir zur Bebauung überlassen, was mir zur größten Freude gereichte. Hier machte ich mit 6 Jahren meine ersten Beobachtungen über Entwicklungsgeschichte: ich legte Samen von Winden, Wicken, Bohnen und anderen Rankengewächsen in die Erde und bewunderte die Keimpflänzchen, die sich im Frühjahr rasch daraus entwickelten, nicht weniger als die Ranken, die an den stützenden Stäben heraufkletterten und die bunten Blumen die sie schmückten […].“ Vgl. Haeckel, Ernst: Lebenswege (egh. Mskr., EHA Jena, B 312), Bl. 11r–v.
F E BRUA R 18 4 0
4.
5
Von Marie Sethe, Berlin, 15. Februar 1840
Mein lieber Ernst!
Berlin, den 15ten Februar 1840a
Den herzlichsten Glückwunsch zu Deinem morgenden Geburtstag und denb innigsten Wunsch daß Du ein recht braver Junge werden möchtest, und alle Unart, Dein wildes ungestümes Wesen ablegen möchtest, damit nicht bloß Deine Eltern, sondernc auch alle gute Menschen Dich lieb haben. Tante Bertha und ich hatten uns vorgenommen Du solltest diese Zeilen an Deinem Geburtstage selbst bekommen, allein es geht nicht immer Alles so, wie man gerne möchte, das wirst Du mein lieber, kleiner Mann auch noch erfahren, wenn Du erst älter bist. Ich habe Dich nun schon so lange nicht gesehen, da bist Du wohl so gewachsen, daß ich Dich am Ende nicht mehr erkenne. Wenn Du jetzt zu uns kommst findest Du alle Mittwoch und Sonnabend Heinrich Sethe1 und Helene Naumann hier, die spielen recht hübsch zusammen, und sind recht artig, wenn es dann gutes Wetter ist, gehe ich auch etwas mit ihnen spazieren, so waren vergangenen Mittwoch || Tante Bertha und ich mit ihnen bis nach dem Schloßplatz gegangen, und von dort in einer Droschke zu Hause gefahren. Als wir unter den Linden gingen, da lief Helene immer voraus und jubelte laut auf vor Lust, so freute sich das kleine Mädchen, daß sie im Freien war. Der Heinrich geht alle Tage, dem ist es nichts Neues. Der arme, kleine Ernst2 kann nicht mitgehen, der ist immer krank und sieht recht elend aus. Wenn Du herkommst sollst Du all die schönen Spielsachen sehen, die die Kinder haben, aber Ruthen giebt es auch hier, eine liegt auf dem Schrank in der Esstube, und die hohlt Großvater so wie die Kinder unartig sind. Zuweilen besucht uns auch Max Mollard3, der ist aber auch wild, fast so wie unser lieber Ernst Häkel. Von Deiner Mutter habe ich gehört, daß Du jetzt bei einem Lehrer4 lernst,5 was weißt Du denn schon? Weißt Du auch an welchem Fluß Berlin liegt? – Dein lieber Großvater wird heute beim Prinzen August6 essen, da zieht er seine blan-||ke Uniform an. Denke ein Mal, wie Heinrich ihn neulich sah, da kroch er hinter mich, und wollte Großvater keine Hand geben, wie er aber seinen alten Rock wieder anhatte gab er ihm einen Kuß. Heinrich nennt Lene7 immer seine siebe Sene! er kann das L. noch nicht aussprechen. Gehst Du denn bei dem schönen Wetter fleißig in den Garten? – Schnee wird es nun in diesem Jahr wohl nicht mehr geben. Nun lebe wohl, lieber Ernst! und behalte lieb Deine treue Tante Maria. Grüße Deinen lieben Vater, Mutter und Bruder Karl. 1 2 3 4 5
Sethe, Heinrich Georg Christoph. Naumann, Ernst Carl Berthold Heinrich. Mollard, Maximilian Carl Philipp. Gude, Karl Heinrich Friedrich. Nachdem Ernst Haeckel von seiner Mutter im Lesen und Schreiben unterrichtet worden war, erhielt er im Alter von sechs Jahren den Pädagogen Karl Gude als Privatlehrer. Vgl. dazu auch Haeckel, Ernst: Lebenswege (egh. Mskr., EHA Jena, B 312), Bl. 13r; siehe Abb. 16 und 17.
6
BR IEFE 4– 6
6 7
Friedrich Wilhelm Heinrich August, Prinz von Preußen. Naumann, Helene.
5.
An Christoph Sethe, Merseburg, 22. Mai 1840
Mien liber Großvater!
Merseburg den 22. Mei 1840.
Was machst Du? a Den 15 Mei waren wir in Leipzig; ich und Mutter waren b in einer Thierbude wir, c sahen d da: 1. 4 Pelikane, 2. 1nen Tiger, 3. Affen, 4. 1 Waschber, 5. 1 Wolf und 1 Ber zusam in 1 Kefig, 6. 1 Bär, 7. 1 Löwe 8. 1 Dachs, 9. 1 Kakadu 10. Papagei 11. 1 Riesenschlange Dein Ernst 6.
Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Ernst Haeckel, Karlsbad, 27. Juni 1840
Meine theure Lotte!
Carlsbad 27 Juni 40
Vorgestern habe ich Deinen ersten Brief1 erhalten. Herzlichen Dank dafür, er hat mir große Freude gemacht. – Diese Zeilen sollst zu Deinem Geburtstage2 erhalten, den Du, wie immer, wahrscheinlich ganz im Stillen hinbringen wirst. Mein stilles Gebet zu Gott geht dahin, daß er mir Dich erhalte und uns in häuslichem Glück, wenn es sein Wille ist, noch eine Reihe Jahre erleben lasse, daß er uns mäßige Gesundheit gebe und daß unsre Kinder gedeihen mögen. Vereinige Dein Gebet mit dem meinigen und laß uns still und ina Ergebung das Weitere erwarten. Ich lese hier die Kirchengeschichte von Haase3 die ich mir mitgenommen und bewundere den Gang, den die christliche Religion genommen. Der Finger Gottes ist nicht zu verkennen und der beseeligende Glaube, den sie gewährt, das höchste Gut, was wir hier auf Erden haben. In diesem Glauben können wir der weitern Entwiklung der Welt ruhig zusehen, und doch jeder nach seinen geringen Kräften daran Theil nehmen. So hat sich Gott auch während der Regierung des verstorbenen Königs4 mächtig offenbart. Große Weltereigniße haben stattgefunden, sichtbar ist das Menschengeschlecht fortgeschritten und diejenigen Einrichtungen, welche hiezu nothwendig waren oder daraus hervorgingen, haben sich aufgedrängt, man hat sie angenommen, als sie nicht mehr zu vermeiden waren. So wird es auch künftig gehn! Wie kleinlich erscheint dagegen das Treiben aller derjenigen, welche die Welt regieren wollen und dabei nur vonb persönlichem Eigennutz und Intereße getrieben werden! Gott regiert die Welt, die irdischen Regierungen befördern seine Zweke oft am besten dadurch, daß sie das ganz Entgegengesetzte wollen! – So wollen wir denn auch ruhig das Weitere erwarten, Gott aber bitten, daß er den jetzigen König mit seinem Geist erleuchten und ihn darnach führe und leite! – Es ist wirklich etwas überraschendes, wenn man sieht, wie unter dem verstorbenen Könige Dinge und Einrichtungen zu Stande gekommen sind, von denen er gar nichts verstanden hat, wie eigentlich doch Gott durch die Zeitereigniße c regiert
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und die Sachen dahin geführt hat, wohin er sie haben wollte. || Man hätte glauben sollen, nur die höchste menschliche Weisheit d habe den preußischen Staat durch diese Krisen führen und erhalten können, Gott hat es gethan. Das Gefühl, was sich beim Tode des Königs für ihn gezeigt hat, war die Achtung vore seiner Frömmigkeit und Redlichkeit, f vor seinem guten Willen, immer das zu thun, was er für das Beste für sein Volk hielt. Er hat darin manchmal geirrt, mancher geistigeg Druk hat unter ihm statt gefunden, dennoch meßen wir ihm denselben nicht bei, weil er nach seiner besten Erkenntniß handelte. Seine Regierung zeigt, daß nicht Talent und Genie allein die Staaten regieren, h Sittlichkeit und Frömmigkeit sind ebenso große Mächte, freilich darf die richtige Einsicht i nicht fehlen, um die Völker weiter zu entwikeln, sie herrscht aber nicht immer oben, sondern wird von unten herauf den Obern oft aufgedrungen und so werden diejenigen Einrichtungen zu Stande gebracht, welche das Volk weiter fördern. – Ich lebe hier so ganz auf meine Art, gehe viel allein spatzieren und hänge dann meinen Gedanken nach, angeregt durch j Lektüre und durch Gespräche, doch meide ich die Menschen nicht. Ich spreche diesen und jenen am Brunnen, bei Tisch, meine Wanderungen mache ich nicht allein. Wir haben seit 4–5 Tagen viel schlechtes Wetter, Regen und Kälte. Ich vermiße meinen warmen Oberrock zum Gehen oder den Makintosh5. Mittags eße ich mit Wachsmuths6, die Dich grüßen. Das Wetter ist in den letzten Tagen sehr störend gewesen. Diesen Morgen ging ich eine Weile mit dem Landrath v. Bose7 aus Torgau, der sich ziemlich erholt hat. Seine Frau8 (eine Niece der Frau von Bodenhausen9) ist auf die Nachricht, daß er krank geworden, mit Schnellpost hieher gereist und hat ihn unvermuthet überrascht, sie wird in einigen Tagen nach Hause zurükkehren, er selbst wird nach Franzensbrunn gehen. Er erzählte mir, daß der Assessor von Trotha10 (der aus Stettin hier ist) k auf einmal auf einem Auge sehr krank geworden, so daß er schleunig gestern nach Berlin abgereist ist, um dort die Hülfe der Augenärzte zu suchen. Der Brunnen wirkt bei den verschiednen Menschen sehr wunderbar, bei dem einen so bei dem andern so. Ich bin sehr vorsichtig, || doch bekam ich gestern Nachmittag Schwindel, nachdem ich 5–6 Tage nichts verspürt. Ich kam sehr schwindlich hier an. Ich lebe sehr Diät, trinke keinen Wein und trinke blos Theresienbrunn11, was mir auch Mitterbach12 zur Pflicht gemacht hat. Dieser ist zum Theil selbst sehr krank an Kopfgicht und wird künftige Woche abreisen. Gestern besuchte mich Herr Partei13 (sein Schwager) auf ein Stündchen, der mir sehr wohl gefallen hat, ein in den Wißenschaften sehr wohl unterrichteter, gebildeter Mann, mit dem man sich sehr gut unterhalten kann. Nachmittag Heute früh unterbrach mich der Besuch des D. Mitterbach und eines Superintendent Schulz14 aus Berlin (ich glaube an der Sophienkirche) der mit seiner Tochter15 hier ist. Ich eße mit ihm und Wachsmuths immer zusammen. Die schwierigste Aufgabe sind die ersten Stunden nach Tisch, wo man ganz vegetiren und auch nicht schlafen soll. Ich schlendre gewöhnlich umher, komme dann nach Hause und mache dann gegen Abend noch einen 2ten Spaziergang. Ich bin gut auf die Beine, l übernehme mich aber nicht. Langeweile habe ich eigentlich noch nicht gehabt, da schlimmstenfalls die Bücher aushelfen. Unendlich oft denke ich an Euch, meine Lieben, an denen ich mit zärtlicher Sehnsucht hänge. Das gewöhnliche Treiben der Welt läßt mich gleichgültig, aber die weitere Entwikelung der Menschengeschichte, m Staaten und Völker intereßirt mich ungemein. Mit großem Intereße lese ich, wie sich das Christenthum in den ersten
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Jahrhunderten entwikelt hat. Der Glauben an Gott, an deßen Kraft und Weisheit wird durch das Studium der Geschichte immer größer. In welcher Verderbniß hat sich das Menschengeschlecht schon befunden und immer hat Gott geholfen. Wie glüklich sind wir in einer Zeit zu leben, wo das Christenthum auf der Erde schon so tiefe Wurzel geschlagen, seine seegnenden Wirkungen schon so weit verbreitet hat! Wie viel gebildete Menschen trift man überall, die von der aus dem Christenthum ausgegangenen Bildung durchdrungen sind! Es ist ein ganz andres Leben als vor Tausend oder 2000 Jahren! Wie mächtig endlich, wächst jetzt inn uns die Hoffnung eines dereinstigen beßern Lebens, ohne daß unso deshalb das gegenwärtige Leben abstößt oder anekelt, nein, wir erkennen schon hier den Keim des Göttlichen, nur die Unvollkommenheit der irdischen Erscheinungen deutet uns sicher auf jenes Leben. || Daß das Quartier während meiner Abwesenheit in Ordnung gebracht wird, ist mir sehr lieb, ich werde sehr froh sein, wenn ich wieder in meinen 4 Pfählen bin und so wieder mit Euch lebe. – Ich bin jetzt heiterer als in den ersten Tagen. Grüße die Freunde und Bekannten herzlich und schreibe fleißig Deinem Haeckel Mein lieber Carl! Es ist ein ganz richtiges Gefühl, was Du bei dem Lesen des Testaments des verstorbenen Königs16 gehabt hast. Durch seine religiösen und sittlichen Tugenden hat er einen großenp Einfluß auf sein Volk gehabt und ich habe mich über den tiefen Eindruk gefreut, den sein Tod auf das Volk gemacht hat, so wie auch q mich selbst dieser Tod innerlich sehr ergriffen hat. Lerne hieraus, daß Tugend und Frömmigkeit die festesten Stützen in diesem Leben sind und danke Gott, daß Du unter einem Volke r lebst und zu einem Volke gehörst, wo Tugend und Frömmigkeit als solche Stützen erkannt werden und vielfältig einheimisch sind. – Vernachläßige die körperlichen Uebungen nicht, das Reiten erfordert viel Uebung, ehe man schließen (fest sitzen) lernt, ich denke du sollst es fortsetzen und vielleicht läßt es sich einrichten, daß wir manchmal zusammen reiten. Mein liebes Ernstchen! Ich küße Dich in Gedanken und bin überhaupt mit meinen Gedanken täglich vielfältig bei Dir, Mutter und Bruder Carl. Ich hoffe, daß Du recht artig sein und der lieben Mutter recht viele Freude machen wirst. Denke oft fleißig Deines Dich liebenden Vaters! Nun lebt alle recht wohl. Ich hoffe bald wieder etwas von Euch zu sehen und zu hören Euer Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Nicht überliefert. Charlotte Haeckels Geburtstag war am 1. Juli. Hase, Karl August: Kirchengeschichte. Lehrbuch für akademische Vorlesungen. Leipzig 1834. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen. Er war am 7.6.1840 gestorben. Macintosh oder Mackintosh, gummierter, wasserdichter Regenmantel. Wachsmuth, Gotthelf; Wachsmuth, Ehefrau, geb. Sonnekalb. Bose, Karl Eduard von. Bose, Ida Wilhelmine Louise Sophie Henriette von, geb. von Oberg. Bodenhausen, Louise Wilhelmine Friederike von, geb. von Oberg. Trotha, Franz Ulrich von.
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Ehemals „Gartenbrunn“, seit 1571 angewendete Heilquelle, die zu Ehren der Kaiserin Maria Theresia in „Theresienbrunn“ umbenannt wurde. Mitterbacher, Karl. Parthey, Gustav Friedrich Constantin. Schultz, Ernst Sigismund Ferdinand. Schultz, Sophie. Das Testament Friedrich Wilhelm III. und die Thronreden Friedrich Wilhelm IV. bei der Huldigung zu Königsberg und Berlin. Sechs Staats-Urkunden für das Preußische Volk. Angefügt die beiden Eröffnungsreden des Herrn Staatsministers von Rochow und der Huldigungseid. Aus der Königl. Staatszeitung abgedruckt und herausgegeben von G. Eichler in Berlin. 1840.
Von Bertha Sethe, Berlin, 8. Februar 1841
Mein lieber Ernst!
Berlin den 8ten | Februar 1841.
Wie leid thut es mir daß Du krank bist, aber hoffentlich geht es Dir jetzt wieder ganz gut, und wirst nun recht artig, und machst Deinen Eltern und uns Allen, die wir Dich so lieb haben rechte Freude. || Ich danke dir auch schön für Deinen Brief1, den Du ja recht hübsch und wichtig geschrieben hast. Möchtest Du denn wohl, daß ich einmal wieder zu Euch käme? Du weißt aber ich necke Dich tüchtig. Was macht denn Dein Bruder? oder sagst Du jetzt Carl. || Beikommende Bonbons hat Großvater neulich vom König2 mitgebracht. Die schmecken gewiß noch einmal so gut. Schreibe mir bald einmal wieder und behalte lieb Deine Tante Bertha. 1 2
Nicht überliefert. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen.
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An Karl Haeckel, Berlin, 22. April 1841
Mein lieber Bruder Karl
Berlin den 22 April 1841
Was machst Du? Denke Dir nur, die kleine Prinzessin von Preussen ist vom Fenster rausgefallen ein Junge hat sie gefangen aber er hat sie wieder fallen lassen.1 Ich habe die Fürstin von Lignitz2 gesehen. adjö Dein Ernst. 1
Am 18.4.1841 stürzte Luise Marie Elisabeth, Tochter des Prinzen Wilhelm von Preußen und spätere Großherzogin von Baden, beim Spiel aus dem Fenster und wurde von einem vierzehnjährigen Laufburschen aufgefangen, der daraufhin eine reiche Belohnung erhielt und das Versprechen, dass künftig für ihn gesorgt werde. Das Ereignis bildete über Tage hinweg Gesprächs-
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stoff und spiegelte sich vielfältig in der Presse wider; vgl. u.a. Der Bayerische Volksfreund. 18. Bd., Nr. 98, 29.4.1841, Sp. 779; Schimmer, Karl August: Geschichts- und Erinnerungs-Kalender auf das Jahr 1842. Wien 1842, S. 42. Harrach, Auguste Gräfin von.
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Von Marie Sethe, Berlin, 7. Juni 1841
Mein lieber Ernst!
Berlin, den 7ten Juni | 1841.
Das wäre ein Mal schön gewesen wenn Du mit Deinem Bruder wieder gekommen wärst, da hättest können fleißig Feuerwerk sehen, es waren in dieser Woche zwei große hier, wir haben sie aber nicht gesehen nur davon gehört. Bald reise ich nun auch fort, willst Du wissen, wo ich bleibe, so nimm die Landkarte, suche Nassau, und in diesem Ländchen, mehr bei der Stadt Nassau, und nicht weit von Koblenz liegt an der Bahn Ems, und da bleibe ich, aber auch noch da werde ich an meinen lieben Ernst denken, vergiß Du auch || nicht Deine treue Tante Maria. 10. Von Bertha Sethe, Berlin, 21. Juni 1841
Berlin den 21ten Juni | 1841. Wenn ich einmal nach Merseburg schreibe, muß ich doch auch für meinen alten Schlingel Ernst einen Brief mitschicken. Wir haben uns sehr gefreut, daß wir Deinen lieben Bruder Carl hier bei uns gehabt haben. Wenn Du nur erst größer bist, wirst Du || uns doch auch wohl einmal besuchen, da mußt Du freilich noch sehr artig werden, und nicht mehr so schreien. Denke nur oft an mich, dann kannst Du denn doch nicht unartig sein. Wenn ich nun bald wieder zu Euch komme, || so werde ich Dich gewiß recht artig geworden finden. Grüße alle Bekannte und schreibe mir auch ein Mal bald. Deine Tante Bertha. 11. Von Bertha Sethe, Berlin, 29. Juni 1841
Berlin den 29ten Juni | 1841. Da ich ein Kistchen nach Merseburg schicke, muß ich doch auch einige Zeilen an meinen lieben Unband, der auch wohl Ernst genannt wird, mitschreiben. Du bist einige Tage nicht wohl gewesen, was machst Du denn für dummes Zeug, so etwas muß man gar nicht anfangen.
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Heinrich1 läßt Dich grüßen, der hat jetzt 4 Vettern aus || Schwaben2 zum Besuch hier, und denke Dir einmal an, die wollen es gar nicht zugeben, daß ihr Großvater Reimer3, auch Heinrichs Großvater wäre, sie behaupten Heinrichs Großvater wohnte in der Luisenstraße,4 und ihrer wäre nicht seiner. Bist Du denn auch in der Schule wieder heraufgekommen, oder am Ende wieder herunter? In der Nacht vom Sonnabend auf den Montag [!] haben wir ein furchtbares Gewitter, da || dachte ich recht, wie das Hasenherz in Merseburg sich wird gebährdet haben; weißt Du wohl, wer das ist? wenn nicht so ziehe nur ein bischen an Deiner Nase, dann wirst Du es wohl wissen. Ich gehe alle Tage spazieren mit Großvater, da möchtest Du wohl auch mitgehen. Komme nur bald wieder her. Grüße Alle von mir und behalte lieb Deine Tante Bertha. Großvater grüßt dich vielmals. 1 2 3 4
Sethe, Heinrich Georg Christoph. Die hier genannten vier Vettern Haeckels aus Schwaben waren die vier ältesten Söhne von Albert und Marie Zeller, geb. Reimer: Ernst, Max, Karl und Georg Zeller; vgl. [Reimer, Karl Friedrich:] Reimer’scher Familien-Kalender. 7., stark verm. Aufl., Berlin 1929, S. 19. Reimer, Georg Andreas. Vermutlich war der Viktualienhändler W. Reimer gemeint, der in der Louisenstraße 43 in Berlin wohnte.
12. Von Heinrich Christoph Moritz Hermann Sethe, Münster, 18. november 1841
Lieber Vetter Ernst!
Münster d 18ten November 1841
Du hast mir mit dem kleinen Briefchen1 viele Freude gemacht. Es tutha mir sehr leid, daß Dein Vater wieder so krank ist. Wie geht es getzt2 mit Deinem Fuße. Es war Dir wohl recht unangenehm daß Du den schlimmen Fuß gehabt hast. Du bist wohl wenig in Schlesien herumgegangen.3 Wie hat es Dir dort gefallen. Ich habe hier sehr schöne Tauben bekommen. Hast Du auch welche? Es sind recht niedliche Thierchen. Kannst Du auch schon Schlittschuh laufen? Das ist hier ein sehr großes Vergnügen für uns Knaben. Das wird bald b kommen. Hast Du auch schon den c großen Adler abgeschossen, welchen wir zusammen schießen wolten? Du warst wol sehr betrübt, daß wir nicht wieder zu Euch kamen und Mutter Dir die schönen Gewinste nicht geben konnte. Mutter hat aber gesagt, Du bekämst sie doch. Du weist doch wohl daß ich in Nordernei4 gewesen bin. Dort war [es] so schön daß ich noch einmal gern hinwollte. Aber ich kann es nicht weil ich in die Schule muß. Den ganzen Tag war ich and der See und spielte da, und ließ meine Korkschiffe segeln, die ich mir gemacht hatte. Grüße Karl und Deine Eltern von Deinem Vetter H. Sethe.
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Nicht überliefert. Ugs. für: jetzt. Haeckel reiste bis zu seinem siebenten Lebensjahr sechsmal nach Hirschberg in Schlesien, der Heimat seines Vaters; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 5.4.1849. Norderney.
13. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1842
Mein lieber Ernst,
Berlin den 13ten Februar | 1842.
Wie gern wäre ich zu Deinem Geburtstage bei Dir, und [!] Dir selbst meinen Glückwunsch zu sagen. So kann es aber nicht sein, und da muß ich es denn schriftlich thun, und wünsche Dir also recht von Herzen Glück, daß Du ein braver Mensch wirst, und mit jedem Jahre, das Du älter wirst, immer verständiger und artiger wirst, daß Deine || Eltern und wir Alle, die wir Dich so lieb haben, recht viel Freude an Dir erleben. In der Bibel gibt ein Vater seinem Sohn nur eine Ermahnung mit auf den Weg, aber auch diese Eine faßt alles Andere in sich, er sagt: „Dein Leben lang habe Gott vor Augen und im Herzen.“1 Daran halte auch Du Dich, mein lieber Herzensjunge, und Du wirst es selbst empfinden, wenn || Du Gott immer im Herzen trägst, kannst Du kein Unrecht thun. Du hast wieder Husten gehabt, da schicke ich Dir etwas Bonbons mit, die wirst Du Dir wohl gefallen lassen, und gegen den Husten sind sie gut. Aus der Tasse mußt Du viel trinken, es soll mich freuen, wenn Du dabei auch dann zurück an mich denkst. Hier geht es uns Allen gut, Großvater ist wieder wohl. || Ich danke Dir auch noch schönstens für das hübsche Bild2. Halte dich gesund, und behalte lieb Deine treue Tante Bertha. 1 2
Buch Tobias 4, 6. Nicht nachweisbar.
14. Von Charlotte Haeckel, Merseburg, 24. Februar 1842
Habe immer Gott vor Augen und im Herzen, daß Du in keine Sünde willigst.1 Wenn Du, mein lieber Ernst, dies immer befolgst, so wirst Du auch immer zufrieden und glücklich sein, und die Freude Deiner Dich so herzlich liebenden Mutter. Merseburg | d. 24sten | Februar 1842. | C. Häckel geb. Sethe. 1
Buch Tobias 4, 6; vgl. dazu Br. 13, Anm. 1.
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15. An Charlotte Haeckel, Bonn, 17. – 24. September 1842
Meine liebe Mutter!
Bonn, den 17. September 1842.
Vorgestern waren wir auf dem Ennert1, wo wir mit a der fliegenden Brücke2 über fuhren, und auf dem Berg Apfel-Brötchen aßen; es ist dortb eine herrliche Aussicht. Wir ließen uns mit einem Nachen wieder im Mondschein über fahren. Gestern waren ich, Wilhelm3, Theodor4, Johannes5, Hedwig6 und Mariechen7 in Poppelsdorf8 bei Herr Weller9, und heute bin ich, Philipp10 und Wilhelm auf den Venusberg11 eingeladen worden wo ein Feuer angemacht, und und Kaffe gekocht werden soll; die Mädchen gehen wahrscheinlich auch hin. den 19ten. Liebe Mutter! Bitte einmal Vater, ob ich bei der Schule auch noch bei Wilhelm lateinische Stunde haben soll.12 Heute habe ich ein großes Feuer 4 Stunden von hier gesehen, wir haben bei Tante Bleek13 jetzt täglich biblische Geschichte. den 21sten. Gestern war Frau Generalinn Grollmann14 hier, und On-||kel und Tante Bleek15 waren auf einer Hochzeit bei Nassens16. den 24sten.c Gestern liebe Mutter bekam ich deinen lieben Brief es ist ja recht betrübt, dass Vater wieder gar nicht wohl war wenn ihm die Kur nur recht gut bekommt; ich freue mich sehr auf die Kastanien, schicke sie nur recht bald, wenn es möglich ist. Gestern waren wir bei Arndts17 zum Kaffee gebeten, es waren noch zwei Mädchen da wir spieltend sehr schön; morgen geht die Schule wieder an, wo ich auch mit hinein gehen werde. Es war ja recht schade das Karl noch nicht zu seinem Geburtstage bei euch war, ihr hättet ihn sehr schön dort feiern können; ich denke sehr oft an euch, nun Adjeus; in aller Liebe dein e Sohn Ernst Haeckel.
es war der junge f Albert Delbrück18 aus Halle hier er erkundigte sich sehr nach Karl. 1 2
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Knapp 200 m hoher Höhenzug in Beuel auf der Bonn gegenüber gelegenen Seite des Rheins. Als „Fliegende Brücke“, „Gierfähre“ oder „Gierponte“ wird eine Fähre bezeichnet, die mit der Kraft der Strömung an das andere Ufer bewegt wird. Eine solche verkehrte von 1673 bis zum Bau der Rheinbrücke 1898 zwischen Bonn und Beuel. Dabei handelte es sich um eine sog. Rollfähre, die zwei auf Laufkatzen an einer über den Fluss gespannten Stahltrosse laufende Seile benutzte, und mit Hilfe eines Ruders gesteuert wurde; vgl. Kuhn, Hans Wolfgang: Frühe Gierponten. Fliegende Brücken auf dem Rhein im 17. und 18. Jahrhundert. In: Deutsches Schiffahrtsarchiv. Wissenschaftliche Zeitschrift des Deutschen Schiffahrtsmuseums. 6. Jg., Oldenburg 1983, S. 25–64. Bleek, Wilhelm Heinrich Immanuel. Bleek, Ernst Theodor.
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Bleek, Johannes Friedrich. Bleek, Hedwig Bertha Emilie. Bleek, Marie Charlotte Helene. Ort südlich von Bonn, seit 1904 Stadtbezirk von Bonn. Vielleicht der Postsekretär Friedrich Weller in Poppelsdorf. Bleek, Philipp Christian. Ein 176 m hohes Hochplateau oberhalb der Stadt, heute Ortsteil von Bonn. Von September bis Oktober 1842 befand sich Ernst Haeckel in der Obhut der Familie seiner Tante Auguste Bleek, geb. Sethe, in Bonn, wo er auch die Schule besuchte. Grund seines Aufenthaltes war die Abwesenheit seines Vaters, der wegen einer Leber- und Gallenerkrankung in Dürkheim in der Pfalz zur Kur weilte. Carl Gottlob Haeckel berichtet darüber an seinen Vorgesetzten, den Merseburger Regierungspräsidenten Friedrich von Krosigk (1784–1871): „In der 3ten Woche nun brauche ich hier die Traubenkur und gedenke Montag den 17ten hier abzureisen, meinen Sohn in Bonn, wo er bei meiner Schwägerin geblieben, abzuholen, dort 8–10 Tage (indem ich mich bei der Herreise nur sehr kurze Zeit dort aufhielt) zu verweilen und dann über Frankfurt a/M nach Haus zurückzukehren, wo ich circa den 3ten Novemb. einzutreffen gedenke.“ (Carl Gottlob Haeckel an Friedrich von Krosigk, Dürkheim, 12.10.1842, in: LHA Sachsen-Anhalt, Abt. Merseburg, Rep. C 48 I a I H Nr. 3, Bl. 30r.) – Das Leiden linderte sich, nachdem Carl Gottlob Haeckel im November 1842 mehrere Abgänge von Gallensteinen gehabt hatte, doch war er erst im Herbst 1843 nach einer sechswöchigen Reise in die Tiroler und Schweizer Alpen wieder dienstfähig. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Grolman, Hedwig von. Bleek, Friedrich; Bleek, Auguste, geb. Sethe. Nasse, Christian Friedrich; Nasse, Henriette, geb. Weber. Arndt, Ernst Moritz; Arndt, Anna Maria, geb. Schleiermacher. – Arndt war aufgrund der Demagogenverfolgungen nach den Karlsbader Beschlüssen von 1819 gezwungen gewesen, sein Professorenamt niederzulegen, wurde jedoch 1840 rehabilitiert und 1841 zum Rektor der Bonner Universität gewählt. Delbrück, Gottlieb Adelbert.
16. An Charlotte Haeckel, [Bonn], 27. September 1842
Meine liebe Mutter!
Dienstag den 27ten September 1842.
Wie geht es dir, und wie Vater; es wär ja recht schade wenn er wieder einen Krampfund Fieber-Anfall gekriegt hätte. Heute ging ich zum ersten mal in die Schule, vormittag haben wir immer von 8 bis 11, und nachmittag von 2 bis 4 Uhr. Vorgestern waren Theodor und Johannes1 bei Nordens2, ich ging auch mit; Abends kamena Nassens, Nordens, Arndts, Brandis3, Sacks4, Ibels5, der englischeb Prediger Major6 (wird ausgesprochen Metzscher) und noch viele andere. Ist denn [mein] Bruder noch nicht da? Das letzte mal schriebst du mir ja, er wäre den 20ten noch nicht bei euch gewesen, ich wollte er käme recht bald hier an. Denk dir nur einmal an, was für ein großes [Unglück] der Stadt Kasan in der Provinz Kasanc welche in Rußland liegt, widerfahrend ist, 1620 Häuser und 12e Kirchen abgebrannt;7 was in diesem Jahre für Brandunglücke8 geschehen, das ist doch ja toll. Nun, Adjeus liebe Mutter, dein lieber Sohn Ernst Häckel.
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Bleek, Theodor; Bleek, Johannes. Noorden, Johannes Heinrich Georg von; Noorden, Hilda, geb. Nasse. Brandis, Christian August; Brandis, Caroline, geb. Hausmann. Sack, Carl Heinrich; Sack, Bertha Carolina Franziska, geb. Jacobi. Ibell, Karl Rudolph von; Ibell, Berta von, geb. Gutike. Major, Carl Forsyth. Kasan, russische Gouvernementshauptstadt an der mittleren Wolga, heute Hauptstadt der Republik Tatarstan, fiel am 10.9.1842 einem verheerenden Stadtbrand zum Opfer. Das Jahr 1842 ging als Katastrophenjahr (u.a. Stadtbrand von Hamburg) in die Geschichte ein.
17. An Charlotte Haeckel, Bonn, 12. oktober 1842
Meine liebe Mutter!
Bonn den 12 October 1842.
Vorgestern waren wir spazieren gegangen, das heißt: nicht mit Onkel und Tante1 sondern mit der Schule. Ich danke dir sehr für das Zuckerwerck, es soll verloosta werden und auch für die Kastanien, welche sehr schön schmecken. Gesternb ist ein Packet aus Merseburg angekommen, Karl schickte mir darin mein Winterröckchen und ein sehr niedliches Briefchen2; ich werde dir hier einmal ein kleines bischen schreiben was er mir geschrieben hat: Er fragte mich ob ich recht fleißig latein lernte? Wie es mir hier gefiel? Wie ich mich mit meinen Herrn Vettern3 vertrüg? Ob ich hier turnte? und ob ich auch recht artig nach Merseburg zurück käm? Er schrieb mir auch || daß meine Schule vorgestern vor 8 Tagen wieder angefangen hatc nachdem wir 8 Tage Ferien gehabt haben; Hier in der Schule gefällt es mir sehr gut aber ich habe schon ein mal Kloppe auf den Zeigefinger gekrigt weil ich ihn beim Schreiben immer krumm halte. Sonntag vor 8 Tagen war Onkel August Sack4 hier angekommend er kam auch sogleich zu uns, heute vor 8 Tagen war er wieder hier und gestern Abend auch wo er Abschied von uns nehmen wollte, er zeigtee uns auch einen sehr schönen Hyacinth5 wo der Ritter Georgf wie er den Drachen bekämpft6 drauf ist. Heute früh um zehn Uhr ist er abgereist. Grüße Vater herzlich. Adjeus Dein lieber Sohn Ernestus Haeckelius. 1 2 3 4 5 6
Bleek, Friedrich; Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Nicht überliefert. Bleek, Wilhelm, Philipp, Theodor und Johannes. Sack, August Liebgott. Mineral, gelbrote bis braune Varietät des Zirkons. Der heilige Georg kam als Märtyrer während der Christenverfolgung unter dem römischen Kaiser Diocletian um etwa 303 an einem 23. April zu Tode. In der Legenda Aurea des Jacobus de Voragine wird Georg als Drachentöter dargestellt. Er rettet eine Jungfrau vor dem Drachen, tötet ihn mit einer Lanze und befreit das Land vom Bösen. Das Motiv vom Drachenkampf fand in der Kunst eine vielfache Darstellung.
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18. An Karl Haeckel, Bonn, 23. oktober 1842
Mein lieber Bruder!
Bonn den 23ten October 1842.
Ich danke Dir sehr für Dein niedlich Briefchen1; wie geht es Dir? aDienstag den 18ten sind Vater und [Mutter] wieder hier angekommen aber erst um 11 Uhr Nachts sie haben Unglück gehabt als es b sehr starcker Nebel war fuhren sie zu nah an’s Land und das Rad zerbrach. Ich will Dir nun auch einmal schreiben was die Kinder und ich von Tante Marie2 und Mutter gekriegt haben. Von Tante Marie hat Wilhelm3 und Philippc4 eine Uhrkette, Auta5 ein Futral6 mit Stickmusterchen, Theodor7 und ich d ein Petschaft, Johannes8 ein Calaidoscop, Hedwig9 ein Futral mit Stricknadelne, Mariechen10 ein Umschlagtuch und Hermännchen11 einen Hampelmann bekommenf. Von Mutter und Vater hat Wilhelm ein Glas und eine Bürste, Philipp ein Glas und ein Paar Socken, Auta ein Futral mit Stricknadeln und Baumwolle, Theodor ein Spazierstöckchen, 4g Stahlfedern und ein Stambüchelchen, ich ein Spazierstöckchen, 5h Stahlfedern und ein Federmesser, Johannes ein Bund Federni, 4 Stahlfedern und einen Gürtel, Hedwig eine Puppe j und ein Nähkästchenk und Mariechen eine Puppe und ein Körbchen bekommen. Leb wohl! Adjeus Dein lieber Bruder Ernst Häckel. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Br. 17, Anm. 2. Sethe, Marie Louise Henriette Friederike. Bleek, Wilhelm. Bleek, Philipp. Bleek, Auguste Gertrude. Futteral, Hülle. Bleek, Theodor. Bleek, Johannes. Bleek, Hedwig. Bleek, Marie. Bleek, Hermann Christoph.
19. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 1. Januar 1843
Theuerste Eltern! Mit innigem, herzlichem Gruß komme ich Euch heute an der Grenze zweier Jahre fröhlich entgegen, um Euch zu sagen, was mein Herz an diesem wichtigen Tage empfindet. Groß war im verflossenen Jahre das Maaß der mir gespendeten Wohlthaten; groß die Sorge und Mühe für mein geistiges und leibliches Wohl; aber auch unbegränzt Eure aufopfernde Liebe. Dank, herzlicher Dank sei Euch dafür. Möge Euch der liebe Gott im neuen Jahre mit Kraft und Gesundheit ausrüsten und Eure Arbeit und Mühe, mich für das Zeitliche und Ewige zu erziehen, segnen, wie auch recht || oft noch den Jahreswechsel erleben lassen. Ich will es keinen Tag vergessen, ihn darum zu bitten und mich bestreben, Euch nach Kräften Eure Sorge zu erleichtern und durch Gehorsam,
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Fleiß und sittliches Betragen Euch Freude zu machen. Nehmt, theuerste Eltern, diese Versicherungen eines kindlichen Herzens mit Wohlgefallen auf von Eurem gehorsamen Sohne Ernst Häckel. Merseburg den | 1sten Januar 1843. 20. Von Bertha Sethe, Berlin, 14. Februar 1843
Berlin 14/2 43. Meinem lieben Ernst muß ich doch wenigstens noch einen herzlichen Glückwunsch und Liebesgruß mitschicken. Was der || Kuchen sagt, sage auch ich aus ganzem Herzen. Vivat Ernst. Was das heißen soll, weißt Du mein lieber Junge, daß Gott wolle in Dir alles Gute und Herrliche leben lassen, daß Du immer mehr und mehr aufwächst zu Deiner || Eltern Segen, und zur Ehre Gottes, auf daß wir Alle, die berufen sind Dich zu Ihm zu führen, ein aufrichtiges Bekenntniß ablegen können, daß Du einen guten Weg gewandelt hast. Gott segne Dich und Deine treue Tante Bertha. Tante Gertrude1 und Großvater grüßen und wünschen Glück.a 1
Sethe, Gertrude.
21. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 17. Januar 1844
Liebe Mutter!
Merseburg den 17/1 1844.
Bei uns ist es bis jetzt sehr kalt gewesen, heute jedoch hat es sehr gethaut. Im ganzen geht es jetzt recht gut mit mir, auch nach der Schule, zuhause macht mir vorzüglich viel Spaß das Ausgeben und für Vater das Theekochen und einschenken. Bitte a bringe, wenn Du einen Pfefferkuchenmann, wie ich in Berlin zu Weinachten gekriegt habe, mir einen mit, indem Vater mir meinen gäntzlich aufgegessen hat. Ich beschäftige mich jetzt meistens, wenn ich Nachmittags aus der Schule komme, mitb Schrittschuhlaufen1, welches ich jetzt schon recht gut kann. Gestern wahrlich war ich mit Vater draußen, der gerne auch einmal sehen wolltec, wie ich könnted, ich hatte Karls alte Schrittschuh an, an welche e Iftiger2 das Lederwerck von meinen dran gesetzt, und es ging schon viel besser und ich mußte hinter meinem Stuhlschlitten fahren. Heute Nachmittag war ich bei Willi Koch3, wo es recht hübsch war; f Für dies mal lebewohl, schreibe mir bald, und behalte lieb Deinen Dich Liebenden Sohn Ernst Haeckel. 1 2 3
D. i. Schlittschuhlaufen. Iftiger, Heinrich Eduard. Koch, Johannes Friedrich Wilhelm.
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22. Von Karl Haeckel, Berlin, 11. Februar 1844
Lieber Bruder,
Berlin den 11. Febr. 1844.
Du trittst nun in dieser Woche in ein neues Lebensjahr ein, und nicht bloß das; ein größerer Abschnitt Deines Lebens liegt damit zugleich schon hinter Dir, das erste Decennium – denn darnach werden ja, wie Du weißt auch die größeren Lebensabschnitte gezählt – hast Du zurückgelegt und aus dem Kinde wird der Knabe. Wenn ich Dir nun dazu von ganzem Herzen Glück wünsche, so treibt es mich doch zugleich, Dir einige Ermahnungen an’s Herz zu legen, deren Wichtigkeit ich in meinem eigenen Leben erfahren habe und die Du, wie ich glaube, schon recht gut fassen und Dir tief in’s Herz schreiben kannst. Die Zeit der Schule ist ein wichtiger Zeitabschnitt im Leben; es soll hier der Grund gelegt werden zur Erlangung der Kenntnisse, die jeder gebildete Mensch besitzen muß, und wenn der Grund nicht fest ist, wenn der Knabe denkt, erst der Jüngling habe die Hand an das Werk der Ausbildung des Geistes zu legen, und desswegen sorglos spielend die Jahre dahin bringt; dann ist es meist unmöglich, immer wenigstens schwer, nachher das versäumte nachzuholen, und das auf lockerm und unsicherm Grund errichtete Gebäude der geistigen || Ausbildung steht schwankend da und droht von jedem Sturm des äußern Lebens zertrümmert zu werden. Darum benutze mit Ernst Deine Schulzeit; Du hast in dieser schon Pflichten zu erfüllen, die die Schule von Dir fordert, Dir ista in diesem Zeitabschnitt schon eine bestimmte Aufgabe gestellt. Schon seit langer Zeit nämlich hat man eingesehen, daß es keine bessere Grundlage zur Ausbildung des jugendlichen Geistes giebt, als die Beschäftigung mit den größesten Schriftstellern des Alterthums, der Griechen wie der Römer, mit der Geschichte, und vor allem mit der christlichen Religion. In diese drei Hauptgebiete sollt ihr in eurem Alter eingeführt werden, und da kommt es nun darauf an sich drin einzuleben und lieb zu gewinnen die
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dargebotenen Gegenstände. – Du hast immer gern die Aufgaben für die Religionsstunden gemacht; lies fleißig in der Bibel und werde heimisch in diesem köstlichsten aller Bücher, höre gern die Auslegung des Wortes Gottes in der Kirche. Du liest gern einzelne Geschichten; lerne nun auch gern das Gebiet der großen Geschichte der Völker kennen und bemühe Dich den Gang der Geschichte Dir fest einzuprägen; Du wirst noch die Wichtigkeit davon im späteren Alter einsehen lernen. Und endlich treibe gern das Lesen der alten Autoren, von denen Du jetzt schon einzelne Bruchstücke kennen lernst || und die Dir später in ihrem Zusammenhange werden zu lesen gegeben werden; sie führen uns am lebendigsten in das zweite Feld, das der Geschichte, ein. Um aber dies Alles ordentlich zu erlernen, mußt Du vor allem in der Schule gespannt aufmerken und zu Haus mit Fleiß und Sorgfalt, nicht aber mit Unlust und flüchtig, die aufgegebenen Arbeiten machen dann werden deine Lehrer Freude an Dir haben, und Du wirst ein guter Schüler heißen. Um aber ein guter Mensch zu sein, gehört vor Allem, daß man seine Leidenschaften bezähme, und darum lege ich es Dir zuletzt besonders an’s Herz, Deine Hitze zu mäßigen und Dich in Allem als einen guten und folgsamen Knaben zu erweisen. Dies sind die herzlichsten Wünsche Deines Bruders für Deine Zukunft. Als Angebinde schenke ich Dir meine silberne Uhrkette, die Du von nun an Sonn- und Feiertags tragen magst. Sie wird von Graf Keller1 mitgebracht werden. Sei recht fröhlich an Deinem Geburtstage, lebe wohl und behalte lieb Deinen Dich herzlich liebenden Bruder Karl. 1
Keller, Gustav Ludwig Emil Graf von.
23. Von Bertha Sethe, Berlin, 11. Februar 1844
Berlin 11/2 44.a Dem lieben Geburtstagskind muß ich doch auch meinen herzlichsten Glückwunsch senden. Was soll ich Dir wohl Bessres wünschen, mein lieber Ernst, als daß Du ein frommer, braver Mensch werden möchtest, der da lebt in der Furcht Gottes und in der Liebe zu allen Menschen. || Wie das Schifflein, was oben über diesem Briefe steht, Länder und Menschen verbindet, die durch weite Meere von einander getrennt sind, so gibt es auch etwas, was Herzen verbindet, die durch Räume von einander getrennt sind. Und weißt Du wohl, mein lieber Ernst, was das ist? Das ist die Liebe die wir || zu unserm Vater im Himmel haben, zu Seinem Sohne, der uns Alle so lieb gehabt hat
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und noch hat, die Liebe, mit der wir uns auch Alle untereinander lieben. Wie wir aber, wenn wir Gott fürchten und lieb haben uns hüten nichts zu thun, was ihn betrüben könnte, so müssen wir auch uns bemühen, immer das zu thun, was die gern sehen, || die uns, und die wir lieb haben. Und so lege ich es Dir denn recht an dein Herz, mein lieber Junge, daß Du Dich recht bemühst, immer nur das zu thun, was der liebe Gott gern hat, ihn zu fürchten und zu lieben. Sieh wenn Du das thust, dann habe ich Dichb immer lieber, und Gott wird dann unser Gebet erhören, und Dich brav werden lassen. Dann freue ich mich stets über Dich, auch wenn ich nicht mehr lebe, nehme ich die Freude mit mir in den Himmel. Gott sei mit dir. Deine treue Tante Bertha. 24. Von Karl Haeckel, Heidelberg, 13. Februar 1845
Lieber Bruder.
Heidelberg | 13. Febr. 45.
Auch diesmal wieder kann ich Dir nur aus der Ferne meine innigsten Wünsche zu Deinem Geburtsfeste zusenden, so sehr ich mich, persönlich dran Theil zu nehmen, freuen würde. Fahre fort, Deinen Ältern und uns allen, die wir Dich lieb haben, in jeder Beziehung Freude zu machen, und bedenke, daß die gute Aufführung in der Schule nur eines von dem Vielen ist, was man von Dir fordert, und daß Du Dich ebensosehr bemühen mußt, Dich zu Hause artig und gut zu betragen und Deine Nei-
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gungen und Begierden zu zähmen. Glaube mir, die Unarten, welche man sich in dieser Zeit nicht abgewöhnt hat, sind späterhin nocha weit schwerer auszurotten. Für Deine Beschäftigung, die Du doch nie verabsäumen magst – denn nichts ist schrecklicher als müßiges Träumen, und über nichts ärgert man sich mehr, als wenn man dahinein verfällt – || möchte ich Dir hier noch zweierlei anrathen: Nimm nicht zu viel auf einmal vor, besonders auch bei dem Lesen zur Belehrung und Unterhaltung. Lies nicht so viel dummes Zeug, was einem ja immer so leicht in die Hände kommt und überb welches man in Deinem Alter nur zu leicht herfällt, um den Lesedurst zu befriedigen. Grade Du, der Du viel und rasch liest, mußt Dich davor in Acht nehmen. Nimm daher öfter dasselbe Buch wieder zur Hand und lies mit Aufmerksamkeit Dir schon Bekanntes durch. Was den Gegenstand betrifft, so lies doch besonders geschichtliche Bücher, Reisebeschreibungen u. dergl.; es wird Dir später einmal sehr lieb sein, wenn Du bei Deinem guten Gedächtniß vielen Stoff dieser Art in demselben aufgenommen hast, und wird Dir die Geschichtsstunden in der Schule um so nützlicher machen. – Dann aber vergiß nicht, Dein Gedächtniß zu üben; man muß später so manches lernen, was man auf andre Weise gar nicht behalten kann, als indem man es fest sich im Gedächtniß eingeprägt hat durch stetes Wiederholen; das erleichtert man sich aber bedeutend, wenn man sich viel übend auch leichter und sicherer das Gelernte behalten kann. – Doch nun genug hiervon. Ich denke, Du wirst das Gesagte verstanden haben und beherzigen. Ich will hier nicht mich zu Deinem Schulmeister machen und Dich an Deinem Geburtstage mit langweiligen Lebensregeln überhäufen, sondern ich habe Dir nur geschrieben, was mir selbst in meinem || eigenen Leben sich als Erfahrung herausgestellt hat. Daß Du Dir einige Freunde unter Deinen Schulkameraden ausgesucht hast, ist recht gut. Ist der Hetzer1 nicht ein Sohn von dem verstorbenen Kalefaktor2? – Wie ist es denn mit dem Turnen? – Habt ihr vielleicht auch jetzt einigen Apparat in einem Zimmer, um auch bei der Kälte fortturnen zu können? – Wir haben uns hier zwei Barren und ein Reck in einem kleinen Saale aufgestellt und c turnen fleißig, obgleich es draußen jetzt tüchtig kalt ist. Besonders in den letzten Tagen ist auch einiger Schnee gefallen, so daß auch mehre Studenten Schlittenfahrten gemacht haben. Ich bin jedoch noch nicht hier Schlitten gefahren. Aber benutzt Du nicht, außer dem Schlittschuhlaufen, von dem Du mir schreibst, auch das fahren auf dem kleinen Handschlitten über die Berge herab zu Deinem Vergnügen? – Ich bin früher sehr viel gefahren und wurde jetzt sehr viel dran erinnert durch die vielen Knaben, die hier des Nachmittags auf den Bergwegen aufs Rascheste herabfahren. – Du hast ja einen recht reichlichen Weihnachten bekommen, und nun bringt am Ende der Geburtstag auch noch Einiges. Ich schenke Dir dazu ein sehr schönes Buch3 was Du besonders späterhin recht sehr wirst schätzen lernen; jetzt kannst Du freilich nur Einiges verstehen, || was Dir dann Vater oder Mutter vorher aussuchen werden. Lies doch wo möglich vorher die betreffenden Stellen in Becker’s Weltgeschichte4, die Du überhaupt viel benutzen solltest. – Du wirst wohl zum Feste wieder eine Schaar Jungens zur Visite haben, dazu trifft sich’s recht glücklich, daß grad Sonntag ist. Sei recht fröhlich dabei und denke auch an Deinen Dich herzlich liebenden Bruder Karl.
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NB. Wer hat denn zu Weihnachten die Prämie5 bekommen? – Du schreibst mir6 wer dazu vorgeschlagen sei und vergißt doch ganz zu sagen, wer sie bekommen hat. – Wer ist denn jetzt zum Diaconus am Dom7 ernannt? – Wann habt ihr Examenarbeiten? Was hast Du jetzt in der Geschichte in den Lectionen gehabt? – Das Buch von Grotefend8 besitze ich nicht. Was übrigens die Adresse Deines letzten Briefes9 betrifft, so hast Du da einen schönen Bock geschossen u. Domini Haeckelio10 geschrieben. Du wirst ein schöner Gärtner werden; mache nur nicht etwa in den Examensarbeiten ähnliche Schnitzer. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Hetzer, Friedrich August Wilhelm. Der Hausmeister der Schule, Johann Daniel Hetzer. Schlosser, Friedrich Christoph: Weltgeschichte für das deutsche Volk. Unter Mitwirkung des Verfassers bearbeitet von Dr. G. L. Kriegk. Bd. 1, Frankfurt a. M. 1844 (mit egh. Besitzvermerk „E. Häckel. 16/2 1844.“). Becker, Karl Friedrich: Weltgeschichte für Kinder und Kinderlehrer. 9 Bde., Berlin 1801–1805. Wie die Merseburger Schulprogramme ausweisen, wurden am Domgymnasium aus dem jährlichen Etat ca. 6 Taler für Leistungsprämien an Schüler verwendet. Nicht überliefert. Seit 1845 war Jakob Carl Wilhelm Bernhard Simon Diakon am Dom zu Merseburg. Vermutlich Grotefend, August: Lateinisches Elementarbuch für die unteren Gymnasialklassen. Hannover 1834. Der Brief mit der Anfrage ist nicht überliefert. Im Lat. wird der Dativ in der Adressangabe verwendet, richtig wäre daher gewesen: Domino Haeckelio.
25. Von Karl Haeckel, Heidelberg, 23. Juni 1845
Lieber Ernst.
Heidelberg | den 23 Juni 1845.
Diesmal habe ich Dich lange auf Antwort warten lassen. Es freut mich sehr, daß Du mir mehrere so lange und ausführliche Briefe geschrieben hast.1 Dadurch weiß ich doch auch, was Du zu Hause treibst und wie es Dir in der Schule gefällt. Daß es Dir in Quarta bei Herrn Magister Steinmetz2 so gut gefällt, ist mir sehr lieb. Fange nur gar nicht erst an, in die Unaufmerksamkeit u. die Spielereien, welche wohl oft bei ihm getrieben werden, zu verfallen; dann wirst Du schon bei ihm etwas lernen und bald weiterrücken können. Hast Du denn auch noch bei Herrn Musikdirector Ritter3 Stunden? – Das Singen übe nur fleißig, es wird Dir später, besonders auch in der Studentenzeit einmal sehr lieb sein. Wie oft wünsche ich, mehr Stimme u. Gehör zu haben, wenn die Andern so schöne Lieder singen! Aber willst Du nicht auch Klavier dazu lernen? – Jetzt im Sommer hast Du gewiß recht vielfache Vergnügungen; Du botanisirst, badest, turnst, gehst wohl auch mit Vater spazieren u.s.w. Der neue Turnplatz muß in so fern sehr angenehm sein, als er sehr schattig ist.4 Habt ihr denn aber genug Raum zum Turnspielen?5 – Wir haben hier einen freilich auch etwas kleinen, aber ganz wunderschön gelegenen Platz dazu, bei dem Wirthshause „Zum Hausacker“6, welches vor dem Karlsthore (dem östlichsten) a hart am
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Neckar || von der Chaussee und hohen Felsen mit Gebüsch auf der anderen Seiteb begrenzt ist. Du kannst es vielleicht auf dem Bilde7 finden. Grad gegenüber (auf der Seite, von wo das Bild aufgenommen ist) cich habe noch nachgesehen, aber gefunden, daß der Platz viel weiter links liegt, als der äußerste Punkt auf dem Bilde, der nur das Karlsthor darstellt, d erhebt sich eine felsige mit dem schönsten Grün bedeckte, durch die vielen Schluchten und Spalten noch reizendere Bergwand, und stromabwärts sieht man rechts von der Stadt die schöne Neckarbrücke, hintere welcher die rheinbaierschen Berge8 hervorragen. Mit dem Baden hat man es hier weniger angenehm der Neckar ist obgleich viel breiter als die Saale, doch viel seichter, durchschnittlich 4–5 Fuß tief und hat ein sehr felsiges Flußbett, so daß man gar nicht gut weit schwimmen kann, sondern, wenn man gutes Schwimmwasser haben will, in dem Bassin der Anstalt welches etwa 40 Fuß lang ist bleiben muß. Was machen denn Deine Schwimmübungen? setzt Du sie in diesem Sommer fleißig fort? – Pflanzen habe ich für Dich noch nicht sammeln können, ich verstehe zu wenig davon, um seltene von gewöhnlichen zu unterscheiden; Du solltest selbst mit Vater herkommen u. Dir welche hier suchen! – Ich denke immer an unsern lieben Hans9, wenn ich Jungen in Deinem Alter mit einer Botanisirbüchse auf dem Rücken begegne. Noch gestern traf ich im (siehe an der Seite)f Odenwald einen Lehrer mit 20 Schülern vom Mannheimer Gymnasium, die zum Samstagsvergnügen diese Tour unternommen hatten. Was machen denn Deine Spielkameraden von denen Du früher schriebst? Bist Du noch viel mit ihnen zusammen? – g Grüße Herrn Freyer10 u. H. Gude11 recht schön von mir. Bist Du auch schon einmal zu Fuß nach Halle gewesen. Schreibe mir doch auch einmal von Deiner Reise nach Freiburg.12 Leb wohl Dein Karl. 1 2 3 4
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Die hier genannten Briefe Ernst Haeckels an seinen Bruder sind nicht überliefert. Steinmetz, Karl August. Ritter, August Gottfried. Der neue Turnplatz war am 28.5.1845 eingeweiht worden und befand sich südlich der Stadt ungefähr zwischen Sixtiberg und Stadtfriedhof. Für Turnübungen in den Wintermonaten war zu Haeckels Schulzeit kein Raum vorhanden; vgl. dazu Wiese, Ludwig Adolf: Das höhere Schulwesen in Preussen. Historisch-statistische Darstellung. 2. Bd., Berlin 1869, S. 235. Gemeint sind Lauf- und Ballspiele mit viel Raumbedarf, wie beispielsweise Schlag-, Prell-, und Faustball. Das Ausflugslokal „Zum Hausacker“ vor dem Karlstor in Heidelberg wurde 1716 gegründet und stellte erst 1868 seinen Wirtschaftsbetrieb ein. Verweis auf die lithographierte Ansicht von Heidelberg, siehe Br. 24, Briefkopf. Der Odenwald mit dem Heiligenberg, neben dem gegenüberliegenden Königstuhl einer der Hausberge Heidelbergs, und dem südlich vorgelagerten Michelsberg. Kosename von Ernst Haeckel. Freyer, Johann Gottfried. Gude, Karl; siehe Abb. 17. Wahrscheinlich Freyburg an der Unstrut. Ernst Haeckel unternahm gelegentlich botanische Exkursionen in die Umgebung dieses Ortes, vgl. dazu u.a. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 7v.
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26. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Hasserode, 22. Juli 1845
Liebe Eltern!
Hasserode d. 22/7 1845.
Sonnabend um 9 Uhr kamen wir glücklich in Magdeburg an. Hier gingena wir erst zu Herr Gude1 seinem Bruder2, der seine Dienstjahre3 jetzt abmacht. Dann nahmen wir ein kleines Frühstück ein und besuchten den Dom, der sehr prächtig in gothischen Stÿle gebaut.4 Herr Gude ging, als er das Schiff5 besehen hatte wieder weg, weil er seinen Bruder in einen Gasthof bestellt, und überdies den Dom schon sehr oft gesehen hatte; ich und H. Böhm6 aber gingen noch auf die Gallerie7, von wo aus man eine wunderschöne Aussicht hat, nur war das Wetter, wie alle Tage jetzt, sehr trübe. || Um 3 Uhr Nachmittags fuhren wir mit der Eisenbahn nach Halberstadt,8 wo wir bis Oschersleben sehr angenehme Gesellschaft hatten, nehmlich einige Wagen voll – hannöverscher – Torfstreicher9. Diese waren nach Stettin gereist und hatten dort nach holländischer Manier Torf gestrichen.10 Wir fragten sie, ob es die Stettiner ihnen nicht ablernten? worauf einer antwortete: „Wie kann m’r det lernen, wot m’r nit sieht.“ Es warenb dies die vierschrötigsten, breitschultrigsten und stärcksten Kerle, welche ich je gesehn habe. Von Halberstadt fuhren wir mit der Post nach Wernigerode, und von da zu Fuß nach Hasserode. Sonntag früh gingen wir auf das Wernigeröder Schloß11, von wo aus man || eine ganz hübsche c Aussicht hat. Nachmittag gingen wir nach der steinernen Renne12, dem schönsten Waßerfall des Harzes, etwa d 1600 Fuß über dem Merre [!], und von da nach dem Karlshäuschen13 1900 Fuß ü. d. M. In der steinernen Renne tranken wir auch Kaffee14 und waren sehr lustig. – Gestern früh um 9 marschirten wir nach Rübeland 1200‘ und dann in die Baumannshöhle15, gegen 500' unter der Erde. Herr Gude kaufte mir einige Mineralien. Wir sind wohl gegen 10 Stunden gestern marschirt. Heute wollen wir auf die Plessburg.16 – Du glaubst gar nicht, lieber Vater! was für schöne Luft hier ist, man wird gar nicht müde, und ich wünsche immer, daß ich hier mit dir spatzieren gehen könnte. – Ich bin gesund und munter. || Ich finde hier recht viele u. schöne Blumen, unter anderem rothen und gelben Fingerhut17 u. einige Farrnkräuter. Es giebt hier sehr viele, aber nur Tannenwälder. – Hat denn Bruder geschrieben? Wenn du mir schreibst, so richte es nur so ein, daß der Brief vor Mittwoch ankommt, weil der Briefträger nur Mittwochs hier Briefe abgiebt. Ich habe recht gut gehen gelernt. – Nun grüße alle u. s. w. Lebe wohl und behalte lieb deinen Ernst Herr Gude und Herr Candidat Böhm und H. Cantor18 und Frau Cantorin Gude19 und fast alle andern laßen schön grüßen!!! e Dienstag. d. 22sten | Juli 1845. 1 2 3
Gude, Karl. Gude, Wilhelm Ludwig. Das 1813 in Preußen (Magdeburg war Hauptstadt und Regierungsbezirk der preußischen Pro-
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vinz Sachsen) eingeführte System der allgemeinen Wehrpflicht ermöglichte es Wehrpflichtigen unter 25 Jahren, die mindestens den Schulabschluss der mittleren Reife erworben hatten, ihren Militärdienst als sogenannte Einjährig-Freiwillige abzulegen. Deren Dienstzeit betrug nur ein Jahr statt der sonst vorgeschriebenen zwei oder drei Jahre, doch mussten sich Einjährig-Freiwillige auf eigene Kosten ausrüsten und versorgen. Am Ende der Dienstzeit wurden sie in der Regel zu Offizieren der Reserve befördert. Der Dom St. Mauritius und Katharina zu Magdeburg, die Kathedrale des ehemaligen Erzbistums Magdeburg, ist das älteste deutsche gotische Bauwerk. Hervorgegangen aus einer 946 erfolgten Klostergründung Kaiser Ottos I., war der Dom zunächst im romanischen Stil errichtet, aber 1207 durch Brand zerstört worden.1209 begann ein spätromanischer Neubau, der im hochgotischen Stil fortgeführt wurde. Der Dombau wurde 1520 mit der Fertigstellung der beiden Türme abgeschlossen; vgl. Brandl, Heiko / Forster, Christian: Der Dom zu Magdeburg. 2 Bde., Regensburg; Halle 2011. Das Kirchenschiff des Magdeburger Doms, in dessem Chor sich das Grabmal Kaiser Ottos I. befindet. Böhme, August Jakob. Die Aussichtsplattform auf dem Nordturm des Magdeburger Domes hat eine Höhe von 81,5 m und ist über 430 Stufen zu ersteigen. Die 58 km lange Eisenbahnstrecke Magdeburg-Oschersleben-Halberstadt war am 15.7.1843 in Betrieb genommen worden; vgl. Illustrirte Zeitung. Leipzig, Nr. 13, 23.9.1843, S. 196 f. Das Handwerk der Torfstreicher bestand im Herstellen und Brennen (Verkohlen) von Ziegeln aus Torf. Der Torf wurde auf einer ebenen Fläche zum Trocknen ausgebreitet, mit unter die Füße geschnallten Tretbrettern breitgetreten, entwässert und nach dem Trocknen in Ziegelform geschnitten. Diese Ziegel wurden in Meilern zu Torfkohle gebrannt und dienten als Brennmaterial beim Schmieden oder in der Metallverhüttung. Die berufserfahrenen Torfstecher aus dem Königreich Hannover, wo sich die bedeutendsten deutschen Torfvorkommen befinden, verdingten sich als Wanderarbeiter im gesamten norddeutschen Raum. Das Verfahren zur Herstellung von Torfkohle durch Erhitzen bei unterbrochener Sauerstoffzufuhr wurde aus den Niederlanden übernommen, wo es zur Selbstversorgung der Bevölkerung mit Brennmaterial mit kleinen Brennöfen in vielen Haushalten praktiziert wurde; vgl. Krünitz, Johann Georg: Ökonomisch-technologische Encyklopädie, oder allgemeines System der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirthschaft, und der Kunstgeschichte, in alphabetischer Ordnung. 186. Theil, Berlin 1845, Art. Torf und Torfgräberey, S. 186–283, hier S. 240–250. Das Schloss Wernigerode, der Herrschaftssitz der Grafen von Stolberg-Wernigerode, befindet sich auf einer Anhöhe ca. 100 m oberhalb der gleichnamigen Stadt. Im 18. Jahrhundert wurde die Burganlage zum Barockschloss umgebaut. Sein heutiges, stark verändertes Aussehen erhielt das Schloss erst durch einen Umbau im ausgehenden 19. Jahrhundert. Vgl. Jacobs, Eduard: Die geschichtliche Entwicklung von Stadt und Schloss Wernigerode und dem Flecken Nöschenrode. Wernigerode 1912. Steinerne Renne, südwestlich von Hasserode gelegener, ca. 2,5 km langer, schluchtartiger Talabschnitt des Bergbachs Holtemme mit zahlreichen Wasserfällen, eine der meistbesuchten Naturschönheiten des Harzes. Wanderhütte nahe dem Ottofelsen oberhalb von Hasserode. Das Waldgasthaus „Steinerne Renne“ ist ca. 5 km von Wernigerode entfernt und liegt unmittelbar am Anfang der gleichnamigen Wasserfälle. Zentral im Harz gelegener ehemaliger Bergbauort, in dessen Nähe der Bergmann Friedrich Baumann im 16. Jahrhundert die nach ihm benannte Tropfsteinhöhle entdeckte. Diese entwickelte sich rasch zu einer der bekanntesten Touristenattraktionen des Harzes. Plessenburg, 1775 erbautes Jagdhaus der Fürsten von Stolberg-Wernigerode auf dem Königskoll im Ilsenburger Forst, benannt nach Prinz Friedrich Erdmann von Anhalt-Köthen-Pleß. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kam ein Forsthaus hinzu, das zu einer beliebten Ausflugsgaststätte wurde. Digitalis purpurea L., Roter Fingerhut, und Digitalis lutea L., Gelber Fingerhut, Familie: Plantaginaceae (Wegerichgewächse).
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BR IEFE 26–28
Gude, Johann Heinrich. Gude, Johanne Sophie Friederike, geb. Freyer.
27. Von Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 27. Juli 1845
Mein liebes Ernstchen!
Merseburg 27 Juli 45.
Deinen Brief1 haben wir erhalten und uns sehr gefreut, daß es Dir wohl geht und daß Du Dich in der schönen Natur so umsiehst. Da wirst Du uns, wenn Du zurückkehrst, recht viel erzählen können. Wir denken hier Deiner unendlich oft und fragen uns täglich vielmahl: „Was wird unser Ernstchen machen? Was wird er heute besehen? Wird er auch gut Wetter haben? Werden seine Beine auch das Marschiren aushalten?“ Die liebe Mutter zählt alle Tage: wie lange Du schon weg bist? und wann Du wiederkehren wirst? Bruder Karl hat geschrieben, er wünscht daß ich mit ihm nach der Schweitz und von da nach Meran in Tyrol zur Traubenkur2 reisen soll. Ebenso wünscht Tante Bleeck3, daß Mutter sie besuchen und Dich mitbringen soll. Wir werden es erst noch näher überlegen und dann beschließen. Wir haben hier fast alle Tage etwas Regen und wohl auch Gewitter, aber es ist warme Luft dabei. Heute Vormittag hat Herr Diakonus Simon seine Antritts Predigt4 gehalten, die mir wohl gefallen hat. Dann wurde er von Herrn Frobenius5 öffentlich mittelst einer hübschen Rede in sein Amt eingewiesen. Daß du so tapfer marschiren kannst, freut mich sehr. Nimm Dich nur recht in Acht, daß Du nicht trinkst, wenn du warm bist und sei auch hübsch artig, daß Du uns keine Schande machst und daß Du die wohlwollende Freundlichkeit mit der Du aufgenommen wirst, nicht durch unangenehmes Wesen mit Undank belohnst. Denke fleißig an deine Eltern, sei heiter und genieße die schöne Natur so gut Du kannst. An einigen raren Pflanzen wird es wohl auch nicht fehlen. Kehre sodann in 8 Tagen wieder mit heiler Seele zu uns zurück und empfiehl mich bestens Herrn Gude6, seinen Eltern7 und Herrn Böhm8. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8
Nicht überliefert. Die sog. „Meraner Kurtraube“ zeichnet sich durch ihre Größe, dünne Haut und einem hohen Wasseranteil, dem besondere physiologische Eigenschaften nachgesagt werden, aus. Sie wird bis heute in der Taubenkur eingesetzt. Bleek, Auguste, geb. Sethe. 1845 wurde der bis dahin in Hackpfüffel als Pfarrer tätige Jakob Carl Wilhelm Bernhard Simon als Diakon nach Merseburg berufen. Frobenius, Hermann Theodor Wilhelm. Gude, Karl. Gude, Johann Heinrich; Gude, Johanne Sophie Friederike, geb. Freyer. Böhme, August Jakob.
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28. Von Charlotte Haeckel, Merseburg, 27. Juli 1845
Lieber Ernst!
Merseburg d. 27ten July 1845.
Wie sehr, mein lieber Ernst, habe ich mich gefreut, als Dein Brief kam, und ich daraus sah, daß Du gesund und munter bist. Gott erhalte Dich auch ferner so; daß Du frisch zu uns zurückkehrst.1 Daß Du so viel Schönes und Herrliches in Gottes Natur siehst, freut mich recht; genieße es dankbar; nimm Dich aber auch recht in Acht; daß Du vor allem nie trinkst, wenn Du warm bist. Denkst Du denn auch fleißig an uns, und || an die Ermahnungen, die ich Dir beim Weggehn gab; daß Du immer recht aufmerksam auf Dich und Dein ganzes Betragen bist; dadurch kannst Du auch nur Deinen Dank beweisen für die Güte des H. Gude2, daß er Dich mitgenommen, und seiner Aeltern3, daß sie Dich so freundlich bei sich aufgenommen; ich hoffe, daß wird mein lieber Ernst recht erkennen. Mir fehlt mein alter Junge sehr, in den ersten Tagen Deines Wegseins war mir es immer, als wärst || Du in der Schule, und müßtest zu Hause kommen. Nun freue ich mich schon recht auf Deine Heimkehr. Von Karl haben wir einen Brief gehabt, er ist gesund, läßt Dich grüßen und dankt Dir für Deinen Brief. Karl war in Mainz gewesen um einer Assisensitzung4 beizuwohnen, da hat er auch Tante Minchen5 in Wisbaden6 besucht. Vorigen Mitwoch waren Dryanders7 bei uns, und hatten beide Kinder8 mit, Friedrich fragte gleich nach Dir. Deine Blumen habe || ich orndlich besorgt, wie Du es wünschest. Vater wird wohl Dienstag a in Geschäften nach Magdeburg reisen, da wird mir es recht einsam sein. Empfiehl mich unbekannter Weise den Eltern von H. Gude, wie auch H. Gude und H. Kandidat Böhme.9 Nun, lebe wohl, mein lieber, alter Junge, kehre gesund zu uns zurück, sei heiter, und denke fleißig an Deine Dich so herzlich liebende Mutter L. Häckel. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Ernst Haeckel hatte im Juli 1845 gemeinsam mit seinem Lehrer Karl Gude eine Reise in den Harz unternommen. Gude, Karl. Gude, Johann Heinrich; Gude, Johanne Sophie Friederike, geb. Freyer. Sitzung eines Schwurgerichts. Sethe, Wilhelmine Sophie Friederike Juliane Theodore, geb. Bölling. Wiesbaden. Dryander, Hermann Ludwig; Dryander, Franziska Maria, geb. Delbrück. Dryander, Friedrich; Dryander, Ernst Hermann. Böhme, August Jakob.
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29. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Hasserode], 31. Juli 1845
Liebe Eltern!
Donnerstag d. 31/7 1845
Vorgestern vor 8 Tagen wollte ich, wie ich schon geschrieben habe, auf die Pleßburg1, und wir gingen auch wirklich gleich nach dem Eßen über das Öhrenfeld, wo ein sehr schönes Echo ist,2 das 4 Sylben wiedergiebt, dahin. Es ist dort eine recht hübsche Schenke, woneben ein Jagdhaus, sonst ist weiter nichts dort zu sehen. Aber kannst Du Dir wohl denken, wen ich dort traf ? Tante Jacobi mit Lucie3 u. noch einem Fräulein4, was ihr sehr ähnlich sah, auf deren Namen ich mich aber nicht besinnen konnte. Sie erkundigten sich nach euch, ließen auch schön grüßen und sagten, ich sollte sie doch in Ilsenburg, wo sie sich jetzt einige Zeit aufhalten, aufsuchen, wozu ich aber wahrscheinlich keine Zeit haben werde. – Von da gingen wir auf den Weißenstein5, wovon ich euch, wie überhaupt von allem, noch mehr erzählen werde wenn ich wieder bei euch bin. – || Mittwoch, Donnerstag, Freitag u. Sonnabend machten Hr. Gude6 u. Böhme7 1 Toura in den Oberharz nach Goslar Harzburg, und Clausthal, in welchem letztern sie 1½ Tage blieben und in einen Schacht fuhren. Als sie Sonnabend Abend zurückkehrten, sagten sie ich hätte diese Tour unmöglich mitmachen können. Sonntag predigte H. Böhme, sehr schön über das cananäische Weib und ihre kranke Tochter,8 überb welche Predigt alle entzückt waren. Nachmittag ging ich u. Hr. Gude nach der steinernen Renne9, der Waßerfall war diesmal viel schöner u. größer. Als wir zurückkamen, waren Buchhalter Peters10 aus Merseburg bei Gudens11. Montagc früh fuhren wir auf einem Leiterwagen nach Ilsenburg. 18 an der Zahl, wovon 6 noch gehen mußten. Von hier aus gingen wir um 10 Uhr auf den Brocken12, wo wir auf der Spitze ¾2 Uhr anlangten. Wir waren sehr vergnügt und der Brocken war sehr sehr heiter, was er jetzt nicht häufigd ist, da es fast alle || Tagee regnet, was wir auch erfuhren, als wir um 4 den Brocken verließen. Es war ein tüchtiger Platzregen und er dauerte bis wir nach Ilsenburg kamen, von wo wir wieder nach Haus fuhren. Dienstag ausgeruht. Mittwoch früh reiste Herr Böhme ab und wir gingen zu dem Haushofmeister des Grafen Stollberg13, Hr. Fiedler14, deßen Bruder15 ein Schwager von Hr. Gude ist. Wir blieben dort (auf dem Schloße16) zu Mittag und gingen Nachmittag nach dem Neschenröder Freischießen17. – Heute Mittag werden wir wahrscheinlich nach Ilsenburg laufen u. uns die Eisenhämmer und Hüttenwerke ansehn. – – – – Ich bin hier sehr freundlich aufgenommen worden, obgleich das ganze Haus voll Besuch ist. Daß ich immer an euch denke, werde ich nicht erst zu versichern brauchen. – Du schreibst mir, liebe Mutter, Karl hätte sich über meinenf Brief gefreut, ich weiß gar nicht, daß ich einen geschrieben habe?18 || Die frische, gesunde Bergluft hier bekommt mir sehr gut, und ich bin immer sehr vergnügt und springe im Garten herum. Nächsten Mittwoch werde ich zu euch kommen u. ihr könnt mir daher nicht noch einmal schreiben, was auch nicht nöthig ist. – Ich finde hier sehr viele u. schöne Blumen auf den Wiesen u. in den Wäldern und gehe viel mit dem jungen Bruder von Hr. Gude, Franz19, der bei dem Hofgärtner20 in der Lehre ist, um. – Ich habe bis jetzt etwa(s) (über) 5 rℓ verbraucht u. komme mit meinem Gelde ganz gut aus. – Alle laßen euch grüßen!
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Nun lebt wohl und behaltet lieb euren Ernst
Ich habe hier gar keine lange Weile. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20
Vgl. Br. 26, Anm. 16. Oehrenfeld, am Eingang eines Tals liegende Aue nahe Darlingerode mit einem Jagdhaus und einem bemerkenswerten Naturecho, heute Ortsteil von Ilsenburg. Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann; Jacobi, Lucie Johanna Marie Elisabeth. Nicht ermittelt. Der Weiße Stein, eine 700 m hohe Anhöhe bei Bad Harzburg. Gude, Karl. Böhme, August Jakob. Jesus heilt die besessene Tochter einer kanaanäischen Frau, vgl. Matthäus 15, 21–28. Vgl. Br. 26, bes. Anm. 12 und 14. Peters, Anton Heinrich; Peters, Christiane Emilia, geb. Ludwig. Gude, Johann Heinrich; Gude, Johanne Sophie Friederike, geb. Freyer. Der Brocken, mit 1141 m höchster Berg des Harzes. Stolberg-Wernigerode, Graf Henrich zu. Fiedler, Carl Ludwig Wilhelm Alexander. Nicht ermittelt. Vgl. Br. 26, bes. Anm. 11. Nöschenrode, Ort am Fuße des Harzes, heute Ortsteil der Stadt Wernigerode. Die Nöschenröder Schützengesellschaft, die regelmäßig Schützenfeste und das sogenannte Freischießen durchführte, wurde 1451 gegründet. Vorgang nicht rekonstruierbar. Gude, Ernst Friedrich Franz. Kunicke, Carl Gottlieb.
30. Von Karl Haeckel, Berlin, 15. Februar 1846
Lieber Ernst.
Berlin den 15 Febr. 46.
Gott schenke Dir zu dem morgenden Tage seinen reichlichen Segen u. lasse Dich in dem neuen Jahre zu unsrer Ältern und Verwandten Freude weiter gedeihen. Von mir erhältst Du hiermit einen herzlichen Wunsch dazu und die Hoffnung ausgesprochena,
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daß sich das enge Band, was uns beide umschlingt, mit den zunehmenden Jahren und dem immer mehr eintretenden geistigen Austausch, immer mehr befestigen möge. Hoffentlich wirst Du in diesem Jahre wohlbestallter Tertianer || da wünsche ich denn vor allem, daß Du mit dem Vergnügen dieser höheren Bildungsstufe nicht auch die meist damit verbundenen Mucken annehmest, denn bekanntlich steht grad diese Klasse überall in dem Ruf, daß sich in ihr die derbsten u. gröbsten Ausbrüche der so genannten Flegeljahre äußern. Wiewohl nun ein jeder Junge diese Periode durchmachen muß, so hat doch auch jeder darnach zu streben, diesen Hang zur Flegelei u. übermüthigen Streichenb so viel als möglich in sich zu unterdrücken. Das hoffe ich denn auch von || Dir. – Dann aber erwarte ich auch, daß Du in diesem Jahre bei den neu angefangenen Uebungen im Klavierspielen mit Eifer treibest, indem ich Dich nochmals bitte, Dich nicht etwa durch die Anfangs damit verbundene Mühe und Unannehmlichkeit des häufigen Wiederholens weniger angenehmer, aber desto nothwendiger Uebungen, von dem Erlernen der Musik abschrecken zu lassen, durch die Du Dir später so herrliche Genüsse verschaffen kannst. Ich hätte Dir gern etwas mit geschickt, aber mir viel [!] gar nichts ein; zudem || dachte ich auch, der Vater hat ja genug Bücher, die Du jetzt schon lesen kannst u. Du hast ja noch immer neue Lieferungen der großen Naturgeschichte1 so wie der Schlosser’schen Weltgeschichte2 zu verwerten. Da fällt mir aber eben ein, daß Dir vielleicht ein kleines Büchlein: Leben Dr. Martin Luther’s nach Johann Matthesius von J. von Schubert3 (von dem auch die „Erzählungen“4 c sind, die ich habe) Freude machen wird, welches ich Dir dann zugleich zur Erinnerung an den nahen 18. Febr. 1546, Luther’s5 Todestag schenken will. Vater bitte ich daher, es für Dich bald aus Leipzig kommen zu lassen. Das lies dann fleißig u. präge dir recht das Leben unsres großend Reformator’s ein, dessen Wirken füre unsre u. alle folgenden Zeiten vonf so großer Bedeutung gewesen ist. In Liebe Dein Dich herzlich liebender Bruder Karlg h Sei recht vergnügt morgen! – 1 2 3
4 5
Poeppig, Eduard: Illustrirte Naturgeschichte des Thierreichs. Anatomie, Physiologie und Geschichte der Säugethiere, der Vögel, der Lurche, der Fische und der wirbellosen Thiere. 4 Bde., Leipzig 1847–1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 100 (=152–155). Schlosser, Friedrich Christoph: Weltgeschichte für das deutsche Volk. Unter Mitwirkung des Verfassers bearbeitet von Dr. G. L. Kriegk. Erste bis neunte Lieferung. Frankfurt a. M. 1844– 1846 (10 Bde., Frankfurt a. M. 1844–1857); s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 145 (=255–264). Mathesius, Johann: Das Leben Dr. Martin Luthers, mit einem Vorwort von Gotthilf Heinrich von Schubert. 6., unv. Aufl., Stuttgart 1843; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 149 (=268). Das Buch befindet sich heute im ehem. Arbeitszimmer Haeckels (Ernst-Haeckel-Museum Jena) und ist mit folgender Widmung versehen: „Ernst Haeckel. | von | seinem lieben Bruder Karl 1846.“ Bei der im Brief genannten Angabe „J. von Schubert“ handelt es sich um einen Irrtum Karl Haeckels. Schubert, Gotthilf Heinrich von: Erzählungen. 4 Bde., Erlangen 1840–1850. Luther, Martin.
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31. Von Bertha Sethe, [Berlin, 16. Februar 1846]
Ein Blumenpapier sollte doch zu Deinem Festtage für Dich sein, mein lieber Ernst, mögen die Blumen beredter sein, als meine Feder. Die Rosen sind die Blumen der Liebe, mögest Du recht tief meine Liebe dabei empfinden, die Dich so ganz von Herzen umfaßt, die sich mit innigem Gebet und Flehen zu Gott || richtet, daß Du mein liebes Kind, ein frommer, braver Mensch wirst, daß Du Dich ganz und freudig Ihm hingibst, in kindlichem Zutrauen das was Er schätzt heimnimmst, und treu bleibst Ihm und Seinem heiligen Willen in aller Noth und Trübsal, und freudig Seinen Willen thust, wenn || er auch noch so schwer ist, dann wird Dir auch Sein Segen nicht ausbleiben; Du wirst Ihn und alle Deine Lieben, die Gott Dir gegeben hat, immer lieber haben, Du wirst immer lieber und freudiger Gottes Gebote erfüllen, und immer mehr Freude daran haben, ein frommer Mensch zu werden. Sein Segen wird Dir dann nicht ausblei-||ben, das ist die Freude mit Ihm in unseren Herzen. Weißt Du, was man dann wird? Ein rechtes Kind Gottes. Sieh je älter Du auch a wirst, je mehr und mehr, wirst Du dann ein Kind Gottes. Gott sei mit Dir, mit der Liebe, die nimmer in uns aufhört, drücke ich Dich an mein Herz. Deine treue Tante und Pathe Bertha. Ernst Naumann1 grüßt u. wünscht Glück. 1
Naumann, Ernst.
32. Von Heinrich Georg Christoph Sethe, Berlin, 9. Juli 1846
Lieber Ernst!
Berlin den 9/7 46
Ich freue mich sehr daß Du herkommst. Gestern war Herminens1 Geburtstag. Da haben wir auch ein Spiel gespielt wo jeder ein Thier a vorstellte, und wenn man aufgerufen wurde, mußte man nach einem andern Stuhl laufen und dabei den Ton des Thieres welches man vorstellte nachahmen. Den Dienstag war ich mit unsrer Schule in Tegel wo wir botanisirten, da || fanden wir eine Ringelnatter welche wir lebendig in einer Botanisirtrommel mit nach Hause nahmen. Ich schreibe diesen Brief bei Großvater, wo ich öfters nachb der Schule hingehe. Hast Du in diesem Jahr schon gebadet? Hermine ist jetzt c Großvaters Pflegekind. Bist Du wohl? In welcher Klasse bist Du jetzt? Zu Pfingstend war ich in Frankfurt2, wo es sehr schön ist. Grüße Deine Eltern.
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Dein Vetter Heinrich Georg Christoph Schubersack Klapperstorch Sethe 1 2
Sethe, Hermine Elise Eleonore Sophie. Frankfurt/Oder.
33. Von theodor Bleek, Bonn, 29. dezember 1846
Lieber Ernst
Bonn den 29 Dezember 46
Wie geht es Dir? Bist Du schon aufgestanden oder mußt Du noch zu Bett liegen? Hoffentlich aber bist Du an Heiligabend a aufgestanden. Es thut Dir wohl sehr leid, daß du Weihnachten nicht in Berlin bei Großvater zubringen konntest; aber Du hättest b überhaupt wegen Deiner Krankheit1 nicht reisen können. Ich habe zu Weihnachten, einen Gummiball, ein Buch: „Tausend || und eine Nacht“ 2, eine Hose, Jacke eine Stahlfeder, zwei Bleistifte, und ein Reißzeug bekommen. Wir Kinder schenken Dir das Musikchor3; wir hätten Dir gerne noch einen Trupp Soldaten geschenkt, aber leider waren dazu keine Soldaten mehr vorhanden. Daher mußt Du Dich dießmal mit dem Musikchor allein begnügen; hoffentlich werdenc eind Andermal die Soldaten nachfolgen. Spielst Du noch oft an dem Bache4, mit dem Rheinschiff ? Ist der Damm noch ganz, oder hat e das || Eis wenn welches da gewesen ist, ihn zerstört? Hier, bei uns ist schon sehr viel Schnee gefallen, und wir haben uns schon tüchtich im Schlitten gefahren, welchen wir voriges Jahr zu Weihnachten bekommen, aber gar nicht gebrauchen konnten. Johannes und ich fuhren Hedwig, Mariechen und Hermann5 immer in und aus der Schule. Auf dem Poppelsdorfer Weiher6 kann man schon Schlittschuh laufen, aber ich bin noch nicht da gewesen. Grüße Deinen Vater; Mutter, Carl wenn er da ist, Friedrich7 und Christel8 von Deinem Dich liebenden Vetter Theodor Bleek. 1 2 3 4 5 6 7 8
An welcher Krankheit Haeckel Ende 1846 litt, konnte nicht ermittelt werden. In zahlreichen Ausgaben und Übersetzungen veröffentlichte Sammlung orientalischer Märchen; die hier genannte Ausgabe ist nicht nachweisbar. Gemeint sind Spielzeugsoldaten eines Musikkorps. Der Bachlauf der Geisel, die nördlich von Merseburg in die Saale mündet, verlief hinter dem Garten, der zum Grundstück Große Ritterstraße 5, „der Merkelschen Hütte“, Wohnsitz der Familie Haeckel, gehörte. Bleek, Johannes, Hedwig, Marie und Hermann. Rest des ehemaligen Wassergrabens am Schloss in Bonn-Poppelsdorf. Heimstädt, Friedrich Wilhelm. Zwarg, Friederike Christiane, geb. Neumann.
34. Von Bertha Sethe, Berlin, 30. dezember 1846
Berlin 30/12 46. Meinem lieben Ernst noch in aller Eile einen Gruß. Das Bild1 muß heute das Beste thun, die Kiste muß zu. –
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Du erinnerst dich wohl noch des Hauses in Bonn2, dann denke auch zurück an die schöne Zeit unsres Zusammenseins dort, ich freue mich noch oft daran. Wie Luthern ein großer Mann war, so strebe auch Du darnach der Menschheit viel zu leisten, mit den Kräften, die Dir Gott verliehen, und die nun auszubilden das ist jetzt das was Gott von Dir fordert, das laß Dir denn für das neue Jahr an’s Herz gelegt sein. Habe mich lieb, mein alter Junge, und denke jetzt in Deiner Krankenstube auch oft an mich, wie ich im Herzen Dich halte treu und warm. Deine Tante Bertha Noch besonderen Dank für die netten Zeichnungen3, die mir viel Freude gemacht haben, laß Dir die Apfelsinen gut schmecken. 1 2 3
Nicht nachweisbar. Das Wohnhaus der Familie Bleek in Bonn, In der Sürst 71½; Haeckel war dort mehrfach zu Besuch, u.a. im Herbst 1842, vgl. Br. 15–18. Nicht nachweisbar.
35. Von Bertha Sethe, [Berlin, 16. Februar 1847]
Wenn ich auch heute nur in wenigen Worten meinem lieben Ernst, meinen Glückwunsch sagen kann, so muß ich doch meinem innern Herzenswunsch folgen. Gottes reicher Segen, sei mit Dir mein liebster Junge, und gebe Dir immer mehr und mehr was zu || Deiner innern Entwicklung beiträgt. Mögen Dich immer Seine Engel umschwebena, warnend und helfend, tröstend und erhebend. Habe ihn, der mit jedem Tage Seine Liebe und Vatertreue uns offenbar macht, habe ihn vor Augen und im Herzen, das sind Seine Engel, die uns begleiten, und immer zu Ihm führen. – Glaube nicht, daß [sie] bloß die Wiege eines großen, ausgezeichneten Menschen, umschweben. Nein der kleinste und geringste Seiner Schöpfung ist von Ihm gesehen und erkannt, und wenn uns auch die Nachwelt kein Denkmal von Erz oder Stein setzt, wir können uns Alle selbst ein Denkmal setzen, nicht von Menschenhänden gemacht, und der Vergänglichkeit unterworfen, ein Denkmal in den Herzen Anderer, ein Denkmal in der innigsten || und heiligsten Liebe, die wir üben können ohne Maaß, wenn wir treu und wahr den lieben, der die Liebe selber ist. So sei Gott mit dir, mein liebster Ernst, habe Ihn lieb und auch Deine treue Tante und Pathe Bertha
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Dies kleine Instrument, um Bleistifte, Kreide usw. anzuspitzen, hoffe ich gefällt dir. 36. Von Hermine Sethe, Berlin, 15. Juli 1848
Berlin d. 15ten Juli | 1848
Lieber Bruder Ernst!
Ganz überraschenda kam mir Dein Brief1, wußte ich ja doch gar nicht, daß Du Schlingel etwas von unserm Verhältniß2 wußtest. Du mußt nur hübsch schweigen und Niemanden etwas davon sagen, da es noch ganz geheim bleiben soll, meine Geschwister3 wissen noch Nichts davon. Willst Du, lieber Junge, denn mich als Deine Schwester wohl haben und mich ein bischen lieben? Etwas bekomme ich ab, liebst Du doch Deinen Bruder sehr, und da der mir gehört, so gehört auch die Liebe die ihm wird mir zu. Ich danke Dir recht recht herzlich für Deinen lieben Brief, fahre nur fleißig fort; wohl kenne ich das Gesicht4, aber nicht oberflächlich und nicht ganz so dumm; es hat mir große Freude gemacht. Was machst Du Schlingel denn für Streiche mit Deinem Fuß? 5 Kourire ihn nur bald wieder, damit Deine Mutter her kann. Adieu mein lieber Ernst, schreibe mir bald einmal wieder. Deine Dich herzlich liebende Schwester Mimmi in spe. Die Aprikosen von Deinem Baume schmecken vortrefflich. 1 2 3 4 5
Nicht überliefert. Die offizielle Verlobung Hermines mit Haeckels Bruder Karl fand erst Ende April 1849 statt; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 2r, Eintrag v. 28.4.1849. Sethe, Robert Julius Carl; Sethe, Anna Auguste Friederike; Sethe, Helene Hermine Henriette; Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann; Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Vermutlich nicht überlieferte Zeichnung Haeckels. Genauere Informationen über Haeckels Fußverletzung sind nicht überliefert.
37. Von Friederike Kalisky, dresden, 3. oktober 1848
Mein herzlich geliebter Ernst!
Dresden den 3ten October 48.
Du kannst Dir wohl vorstellen, mit welcher Hast das werthvolle Kistchen geöffnet wurde, um nur so schnell als möglich das liebe, liebe Bild zu erblicken und dabey Deine Geschicklichkeit zu bewundern.1 Empfange meinen innigsten Dank für diese schöne Arbeit, Du guter lieber Ernst und sey überzeugt, daß Du mich dadurch unendlich beglückst, obgleich das liebe Bild mich viel ernster anblickt, als das Original. Aber leider siehst Du Deinen guten Vater immer in so ernster und trüber Stimmung, daß trotz aller angewandten Mühe sich ein gutes Theil davon Deiner Zeichnung mit-
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theilte; doch daran werde ich mich bald gewohnen und ich küße Dich in Gedanken auf das zärtlichste für dieses höchst erwünschte Geschenk und bekenne mich zu Deiner großen Schuldnerin. Als diesen Morgen meine älteste Enkelin2 ins Zimmer trat, (die einige Tage verreist war,) rief sie ganz entzückt „o! welche angenehme Aehnlichkeit spricht aus diesem Bilde, was mit so viel Fleiß gearbeitet ist!“ Sieh mein Ernst, nicht allein || Deine so partheiische Tante ist entzückt über Deine Arbeit, es werden noch viele sachkundige Personen Deinen lobenswerthen Fleiß anerkennen. Denke nur ferner zuweilen an die alte Tante Kalisky, auch wenn Du keine Arbeit für sie im Sinn hast, denn ich liebe Dich wie meinen eigenen Sohn und bitte Gott, daß Er Dich in Seinen besonderen Schutz nehme, damit Du Deinen geliebten Eltern nur Freude bereitest. Mit der innigsten Theilnahme erfahre ich den Unfall Deines guten Bruders. Ich weiß aus Erfahrung, wie schmerzhaft solch vertreten des Fusses ist und wie lange man sich damit quälen muß und wünsche von Herzen, daß der liebe Patient nicht durch Ungeduld sein Uebel noch verschlimmre. – Dem schlechten Wetter sind bald schöne Tage gefolgt und so hast Du die angenehme Tour nach Naumburg und Cösen gewiß noch vollbracht. Das Fluß-Baden hast Du nachgrade wohl aufgegeben und so sehr ich bedaure Dich eines so großen Vergnügens beraubt zu sehen, so gereicht es mir auf der andern Seite wieder sehr zur Beruhigung, denn in dieser Jahreszeit kann es nur üble Folgen für die Folgezeit haben. Nun bitte ich Dich, meinen guten Carl auf das zärtlichste zu grüßen und nicht zu vergessen Deine treue Tante Kalisky geb. Thomann. Bitte lieber Ernst, sage dem guten Friedrich3 auch meinen freundlichen Gruß, und eben so der Christel4, denn gute treue Dienstboten ehre ich hoch.a 1 2 3 4
Ernst Haeckel hatte 1848 eine Porträtzeichnung seines Vaters angefertigt, die vervielfältigt wurde und im großen Familienkreis kursierte. Zwei Jahre später folgte sein Porträt der Mutter. Beide Zeichnungen sind im EHA Jena überliefert; siehe Abb. 18 und 19. Vermeil, Emilie Friederike Margarethe, geb. von Lengerke. Heimstädt, Friedrich. Zwarg, Christiane, geb. Neumann.
38. Von Hermine Sethe, Merseburg, 18. oktober 1848
Ein Recept, wie man Heiterkeit erlangt. 1. So höre denn, und gieb wohl acht, Wie man die Heiterkeit baut und macht; Denn nicht ein jede ist ächt und rein, Doch diese hier hilft bei jeglicher Pein.
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2. Zuerst schau ins Herz und spühl es wohl aus Und wasche alle Selbsucht tüchtig heraus, Dann nimm Geduld und Nachsicht zur Hand Und schüttle sie um mit ein bischen Verstand. 3. Ein Tröpfchen Bethe thu auch dabei Es macht von vergangenem Weh Dich frei, Nicht Leichtsinn, doch leichten Sinn rühre dareina Ein bischen Witz, doch gerieben fein. 4. Viel guten Willen und feste Kraft, Und Menschenliebe, die hilft und schafft, Ein wenig Selbstvertraun und Muth, Bescheidenes Hoffen und ruhiges Blut. || 5. Dies rühre zusammen fein, Und nimm es mit reinem Herzens ein; Und schlägt es nicht an, und führt es nicht zur Ruh, So blicke bittend nach Oben dazu. 6. Du wirst es sehen, dann kommt Dir der Muth, Und Alles andere wird wieder gut, Die Thräne trocknet, die Lippe lacht, Und doch weiß Keiner, wie Du es gemacht.
Mimmi Sethe
Merseburg d. 18ten Oktober 1848 39. Von Hermine Sethe, Frankfurt (oder), 15. Februar 1849
Frankfurt d. 15ten Februar 1849
Mein Puttchen!
Mein lieber kleiner Professor! Wenn nicht morgen ein Festtag in der Häckelschen Familie wäre, würdest Du am Ende noch nicht einmal einen Brief von Deinem ungezogenen Schwesterchen1 be-
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kommen. Doch nimms nicht so genau und nimm meinen recht herzlichen Glückwunsch zu Deinem Geburtstag von der Mimmi freundlich auf und erfülle meine Bitte und glaube Du habest schon einen Brief von mir. Mit meinen Gedanken werde ich morgen recht viel bei Euch sein, einmal, Deines Geburtstags wegen, und dann auch weil Karl wahrscheinlich dort sein wird, dem nun einmal meine Gedanken angehören. Sollte er nicht da sein, bitte so schickst Du ihm wohl beifolgenden Brief2 gleich nach Naumburg. Wie gern ich selbst || Dir mündlich meinen schwesterlichen Glückwunsch sagte, brauch ich Dir wohl nicht zu sagen. Deinen Freund Küntzel3 wirst Du wohl bei Dir haben, aber an Deinem Geburtstag dürft Ihr nicht in Euren gelehrten Büchern sitzen, da müßt Ihr fidel und munter sein, so wie wir es hier zu Weihnachten waren hörst Du? Das Pecus4 steht wieder so spät auf, da sind jetzt keine so zeitigen Wecker. Du hast Dich besonders verdient darum gemacht, das schreibe ich aber auch allein Deiner großen unüberwindlichen Liebe für Deinen hübschen Vetter zu.5 Meinen Dank für Deinen Brief6 und besonders für das Kapitel aus der Naturgeschichte, statte ich Dir hiermit meinen besten Dank ab; es hat mich sehr amüsirt. Wenn Ihr morgen Abend recht vergnügt zusammen seid, werde ich mich in einer Gesellschaft entweder mit Anstand langweilen, oder, was ich glaube und hoffe, mich auch recht amüsiren. Adieu, Herr Professor, denkt morgen an mich und behalte lieb Deine Hermine 1 2 3 4 5 6
Selbstbezeichnung der Briefschreiberin; vgl. Br. 36, Anm. 2. Nicht ermittelt. Künzel, Heinrich Edmund. Lat.: Vieh. Zum Vorgang liegen keine Informationen vor. Nicht überliefert.
40. Von Bertha Sethe, Berlin, 3. April 1849
Mein lieber Ernst!
Berlin 3/4 49.
Das kleine Buch, was ich Dir hier mitschicke, sollte Dir sagen, was ich für Dich auf dem Herzen habe; vielleicht kann es auch das viel besser, ist es doch geschöpft aus der unaussprechlichen Fülle der göttlichen Offenbarungen, aus denen immer und immer
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wieder, uns Trost, Kraft und Erhebung zufließt.1 Aber ich muß Dir auch noch meinen besondern Liebesgruß senden. Wie gerne wäre ich an Deinem Festtage bei Dir, könnte ich nur, wie gerne ginge ich mit Euch Lieben zum Abendmahl, ach welche reiche Fülle an Kraft und Trost würde ich mir da holen, aber so ist mir das Alles versagt, und ich kann nur mit meinem heißen und innigen Gebete bei Dir sein. Gott wolle Dir herrliche Freude, reichen Segen und seligen Frieden in Deine Seele geben, auf daß Du tüchtig seist und bleibest. Das Ja, was Du an heiliger Stätte aussprichst vor Gottes Angesicht, zur That und Wahrheit werden zu lassen; zur lebendigen That, daß Du fortan alle Deine Werke in Gott thust, || zur Wahrheit, daß alles in Deinem innern Sinn und Wesen so durchdrungen sei von dem, was Christus in Dir lebt, daß in Allem eben sein Leben in Dir offenbar werde. Für mich ist Deine Einsegnung2 noch ein besonders ernster, feierlicher Tag. Ich habe für Dich, als du noch Kind warst, vor Gott gelobt, Dich ihm und dem Leben in Christo zuzuführen, wenn wir nun im äußern Leben auch fast immer getrennt waren, so habe ich doch oft zu Gott gebetet, daß Er mich für Dich erhören möchte, habe wohl danach gestrebt, Dir durch meinen Sinn und Wesen den Eindruck dessen zu geben, was von Christo in mir lebt, denn ich nähere mich dessen, weil ich es von Gott habe, ich nähere mich dessen, weil mir daran meine eigene Schwachheit und mein Unvermögen am meisten offenbar wird; ich weiß auch, daß Du in dieser Beziehung mich erkannt, und em-||pfunden hast, ich habe es Deinem ganzen Wesen mit mir durchgefühlt: Jetzt soll ich nun die Zuversicht haben, daß Christus angefangen hat in Dir Gestalt zu gewinnen, daß all Dein Leben u. Sein, in Gott, mit Gott gelebt sein soll. Du sollst nun selbstständig für Dich das Ja wiederholen, und bekräftigen, was ich damals für Dich gesprochen habe. Ich weiß es, mein lieber Ernst, daß Du es aus Deiner wärmsten Seele heraus, in heiliger ernster Wahrheit sprechen wirst, weil es eben in Dir Wahrheit ist. Aber sieh’ ich kann noch nicht von Dir lassen, sondern jetzt fühle ich mich noch mehr zu Dir gezogen, weil nun unser a Arbeiten und Wirken ein gegenseitiges wird, weil wir auf einem Grunde miteinander stehen, auf dem gebaut, wir die herrliche und köstliche Behausung im Geiste und in der Wahrheit seien. So halte denn fest an mir, wie ich an Dir, auf daß das || Band immer fester und inniger werde, was uns beide an einander knüpfet. Gehe frisch und muthig ins Leben hinein, werde ein treuer Haushalter b über die Gaben, die Gott Dir gegeben, und wie Du Ihn schon erkennen und lieben gelernt hast in seiner wundervollen Schöpfung, so möge Er immer und mehr sich in Dir offenbaren und verherrlichen. Gottes reichen Segen über Dich, Freude mit Euch Lieben Allen und mit Deiner treuen Tante Bertha, die Du lieb haben mußt auch wenn der Tod sie heimgerufen: denn die Liebe hat den Tod überwunden.
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Vermutlich Spitta, Carl Johann Philipp: Psalter und Harfe. Eine Sammlung christlicher Lieder zur häuslichen Erbauung. 14. Aufl., Leipzig 1847; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 135 (=242). Ernst Haeckels Konfirmation fand am 5.4.1849 in der Dom- und Schlosskirche zu Merseburg statt. Mitkonfirmand war sein Schulfreund Wilhelm Hetzer. Der ihm vom Domdiakonus Jakob Bernhard Simon überreichte Denkspruch zur Einsegnung lautet: „Erbaue Dich auf unseren allerheiligsten Glauben, durch den heiligen Geist, und bete, und behalte Dich in der Liebe Gottes, und warte auf die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesu Christi, zum ewigen Leben. – Jud. 20. u. 21.“ (EHA Jena; siehe Abb. 20); ausführlicher zum Vorgang vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 2v-r.
41. Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1850
Mein lieber Ernst!
Berlin 15/2 50.
Wenn ich Dir auch nur kurz und flüchtig schreiben kann, so muß ich Dich doch mit wenigen Worten zu Deinem Festtage1 begrüßen. Gott sei mit Dir, und gebe Dir Kraft und Muth alle Deine guten Vorsätze durchzuführen, vor Allem immer die Sicherheit über Dich selbst, daß Du reiner Deines Genusses werdest, und das abstreifst, was Dich so sehr an Deiner inneren Entwicklung hindert. Doch müßtest Du am ersten damit anfan-||gen, Dich selbst zu vergessen, und dann Dir mehr leben zu können. Ich denke, Du verstehst mich, ich will es nicht Selbstsucht nennen, und doch ist es ein gut Theil davon, was Dich nicht zu dem kommen und werden läßt, was in Dir liegt, und wozu Du volle Gaben hast. Ich muß Dir das sagen, weil ich Dich so von Herzen lieb habe, und ich weiß auch, daß Du dessen gewiß bist, und meine Liebe doch darin erkennst. Wie gern || will ich Dir helfen wo ich kann, mir sind nur leider jetzt fast alle Fäden abgeschnitten, die mich hier an das Leben und den Verkehr von und mit Andern a binden, aber ein warmes liebes Herz, ein tiefes Empfinden in inniger seliger Liebe habe ich doch mit meinen Lieben, wenn Gott mir auch Alles genommen und versagt hat, was uns mit so innigen, lieblichen Banden hier an das Leben knüpft, die geistige Gemeinschaft, die herzinnige Liebe, die hier die aneinander knüpft, die eines sind in Gott durch Christo, die kann mir nicht genommen werden, die ist und || bleibt unser köstliches Erbtheil; in der halte auch Du mich fest, und in der Auß uns Alles lebe, tragen b und schaffen, was hier von uns gefordert wird, und was sich durch uns, in uns und an uns offenbaren soll. Gott segne Dich. Deine alte treue Tante Bertha. 1
Ernst Haeckels Geburtstag, der 16. Februar.
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42. Von Hermine Sethe, Frankfurt (oder), 15. Februar 1850
Lieber Ernst!
Frankfurt d. 15ten Februar 1850
Hätte ich mir nicht ein Buch für alle Geburts- und besondern Familientage eingerichtet so wärea mir der 16te, als Dein Geburtstag ganz ohne Alles erinnern vorüber gegangen, da ich mir ganz fest einbilde, Du seiest erst am 26sten geboren. Ich denke aber der liebe Herr Bruder werden mir verzeihen, gelt1 alter Junge, und auch meinen recht von Herzen kommenden Glückwunsch liebevoll aufnehmen, wenn er auch leider durch meine Schuld etwas später kommt. Weißt Du wodurch Du mich noch besser an Dich denken machen kannst? wenn Du Dein Versprechen hältst und recht oft an mich, an Deine Dich herzliebende Schwester schreibst. Ja, ja das thue, versprichs und ich werde dann nächstens recht hübsch zu rechten Zeit denken, daß am 16ten Februar || Familie Häckel ihres jüngsten Sohnes Geburtstag feiert und zwar wie auch hoffentlich b dieses Jahr in Beisein meines Karls. In dieser Voraussicht lege ich einen Brief an Karl mit ein;2 sollte er aber schon wieder fort sein, so schicke ihn wohl nach.3 Deiner Mutter werde ich auch recht bald schreiben, jetzt komme ich nicht mehr dazu. Grüße sie so wie den lieben alten Papa aufs allerherzlichste von ihrer Tochter. Haben Dir neulich nicht die Ohren geklungen, da sprachen wir von Deinem Doktor Beruf und Deiner Lieblingsidee, des Naturreisens. Ich hatte doch Recht, wenn ich sagte, Du würdest sehr wahrscheinlich wohl das Erste ergreifen, wenn Du auch lieber Naturforscher würdest. Wenn ich aber denke wie lange Zeit Du dann immer fort sein müßtest, ohne Dich zu sehen, das würde der kleinen, jungen Familie Häckel || doch sehr eigen vorkommen; freilich aber könntest Du dann aber auch nach zurück gelegter Reise an traulichen Winterabenden von all Deinen interessanten Reisen erzählen und uns vergessen machen, daß wir nicht in solch schönen Gegenden wohnen können. Die ganze Frankfurter Weltc spatzirt jetzt womöglich täglich zur Oder, die bis zu 12 Fuß gewachsen ist, ohne daß Katzbacher4 und eigentliche Oderwasser, was uns also noch bevorsteht. Das Eis war neulich los gegangen setzte sich aber plötzlich vor der Brücke und zwar so fest, daß d alle Versuche es wieder ins Treiben zu bringen witzlos waren. Der Strom hat sich einen Weg gebannt, hat das leichte Eis der überschwemmten Wiesen gesprengt und kommt nun von der Seite mit solcher Gewalte gegen das letzte Joch5 der Brücke, daß dasselbef immer während hin und her gerüttelt wird, und man fürchtet daher vorzugsweise für dieses Joch. Morgen sollen Pionire6 aus Küstrin7 versuchen was sie beim Eis ausrichten. || Von Berlin und speziel von Tante Bertha kann ich Euch Nichts mittheilen, da ich lange Nichts gehört habe, ich vermuthe und hoffe daher das es dort gut geht. Mutter8, die Geschwister9, auch Vater10 lassen Dich bestens grüßen und gratuliren. Von mir so wie von uns Allen die herzlichsten Grüße an Deine Eltern. Und ich bitte nochmals um einen baldigen Brief mit versöhnender Nachricht. Leb wohl, lieber Ernst und behalte Karls Mimmi lieb. Sollte Karl diesen Brief sehen, so werde [ich] gewiß nächstens wieder ein Strafkapitel, von wegen der vielen ausgelassenen Worte bekommen, nur gut wenn [man] etwas davon weiß, so kann man sich darauf vorbereiten.
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Kennst Du Fritz Gillet?11 Du würdest Dich amüsiren über das übrigens ganz glückliche Brautpaar12, wie sie so enorm zärtlich miteinander sind, daß sie es selbst in Conzerten und Gesellschaften nicht lassen können. Im Mai heirathen sie, die Glücklichen und bleiben hier wohnen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Ugs. und vor allem im süddt. Raum für die rhetorische Wendung „nicht wahr“, die eine Bekräftigung des vorher Gesagten ausdrückt. Nicht überliefert. Haeckels Bruder Karl kam zusammen mit Adolph Schubert zum 16. Geburstag in Merseburg zu Besuch; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 8r, Eintrag vom 16.2.1850. Katzbach, heute Kaczawa, linker Nebenfluss der Oder in der polnischen Woiwodschaft Niederschlesien. Unter Joch versteht man hier den sich zwischen zwei Brückenpfeilern spannenden Teil einer Brücke. Pioniere: Truppengattung der neupreußischen Armee mit besonderer technischer Ausbildung und Ausrüstung, u.a. für den Brückenbau. Küstrin an der Oder, heute Kostrzyn nad Odra, ein Standort preußischer Pionier-Bataillone. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Anna, Heinrich, Bertha und Carl. Sethe, Christian. Gillet, Friedrich August Ernst. Im Mai 1850 fand die Hochzeit von Friedrich Gillet und Frederice Emilia, geb. Spiegelberg, statt.
43. Von Bertha Sethe, Berlin, 15. Februar 1851
Berlin 15/2 51. Dem lieben Geburtstäger in aller Eile einen herzlichen Glückwunsch, der Vieles, Vieles in sich faßet, was ich für Dich auf dem Herzen habe, ich glaube aber ich brauche es Dir nicht erst zu sagen, Du weißt es, was ich meine. So möge Dir denn nun oft viel Beständigkeit werden, das was Du als recht erkannt hast, auch durchzuführen. || Ich muß so viel daran denken, ob nun bald Dein Microskop1 ankommen wird, dann möchte ich Dich wohl ein Mal darüber sitzen sehen, verbiestert und für die übrige Menschheit unbrauchbar. Was treibst Du denn jetzt, und denkst Du auch wohl manchmal daran, daß auch etwas andres zu dieser a innern Ausbildung gehört, als Phlegmathicus u.s.w.? sogleich erinnre ich Dich hiermit an das, was wir hier miteinander besprochen haben. Grüße Alle und Mutter nochmahlen von Deiner alten Pathe Bertha. 1
Haeckel hatte sein erstes Mikroskop, vermutlich ein Gerät von Friedrich Wilhelm Schieck, am 8.2.1851 erhalten. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 19r, Eintrag v. 4.1.1851: „Früh durch Hr. Prof. Weiß bei Hr. Dr. Ehrenberg. Derselbe zeigt mir die neu erfundenen achromatischen Microscope, wundervoll klar und schön, für 10 rℓ wovon ich
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auch 1 bekommen sollte“; weiterhin Karl Gude an Ernst Haeckel, Magdeburg, 1.2.1851 (EHA Jena, A 248): „Dein Mikroskop ist wohl schon angekommen. Ich habe mir auch eiligst eins bestellt, bin auch selbst den Tag vor meiner Abreise aus Berlin bei Ehrenberg gewesen, und habe in dem Professor einen sehr gefälligen und freundlichen Mann gefunden. Übrigens wird hier in Magdeburg eine Niederlage von jenen Mikroskopen eingerichtet werden, und schon sind viele Bestellungen darauf eingelaufen. […]“; vgl. auch Gerlach, Dieter: Geschichte der Mikroskopie. Frankfurt a.M. 2009, S. 262–264; Rosenbauer, Karlheinz A.: Mikroskopische Präparate: Hersteller und Lieferanten; eine Zusammenstellung aus zwei Jahrhunderten. Bd. 1. Darmstadt 2003, S. 80 f.
44. Von Hermine Sethe, Berlin, 15. Februar 1851
Lieber Ernst!
Berlin 15ten Februar 1851
Zu allererst meinem lieben Schwager einen recht herzlichen Glückwunsch von seiner Schwester. Den wievielsten Deiner Geburtstage Du morgen feiern wirst, weiß ich augenblicklich selbst nicht, dasa aber weiß ich, daß so oft er kommt er auch mir ein Freudentag sein wird und wir mit jedem Neuen uns inniger nähern und || lieben möchten, das ist mein Wunsch zunächst für uns. Daran reihen sich eine Menge Andere, deren Erfüllung ich nicht minder vom lieben Gott erbitte. Morgen früh werdet Ihr wohl Alle, Karl mit, wenn er schon da ist in die Kirche gehen. Ich hatte es mir auch vorgenommen, kann es aber nicht ausführen, da Tante Bertha unter Quinckes1 Aufsicht aufstehen soll; da bleibe ich mit tausend Freuden aus der Kirche, und will Gott danken, daß ich Ihr in all ihrem Elend kann behülflich sein, und daß sie || sich von mir mit so viel Liebe und Nachsicht pflegen läßt. Ich glaube ich könnte Alles bei Seite setzenb um ihr zu helfen, / nur Karl nicht /; das kann man überhaupt bei Allen Menschen, die man wahrhaft liebt und ebenso von ihnen wiedergeliebt wird. Wo komme ich hin, wenn Karl es lesen sollte wird er gewiß lachen, über seine ins philosophiren gerathene Mimmi; Schad nichts, es kam so in meine Gedanken und Du wirst mich verstehen. Gieb Karl einen herzlichen [Kuß] von mir, aber auf den Mund und verlangt er mehr, so will ich Dir || keine Schranken setzen. Deinen lieben Papa grüße herzlichst von mir und sage ihm, wie sehr ich mich für ihn und auch für Großvater u. Tante Bertha freue, daß Ihr herziehtc, thuts nur sobald wie möglich, wer weiß wie kurze d Zeit Ihr es noch genießen könnt und daß jeder Tag kostbar ist. Dir, geliebter Ernst, noch besondern Gruß und Kuß von Deiner Schwester Mimmi. Grüße Christel2 und Friedrich3 auch Merkels4 in die Geheime.5 1 2 3 4 5
Quincke, Hermann. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Heimstädt, Friedrich. Merkel, Johanne Christiane Marie, geb. Leißring; Merkel, Karl August; Merkel, Ernst Karl. Der Hintergrund dieser Bemerkung ist unklar.
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45. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5./6. oktober 1851, mit nachschriften von Carl Gottlob Haeckel, Hermine Sethe und Karl Haeckel
Mein lieber, lieber Ernst!
Sonntag Nachmittag
Obgleich ich Dir versprochen hatte, erst nach einigen Tagen zu schreiben, wenn wir etwas mehr in Ordnung und Ruhe sein würden, so wirst Du doch nicht böse sein, wenn ich schon heute, Dich begrüße. Was wird unser Ernst machen? – So haben wir uns schon oft befragt. – Wir kamen hier gestern wohlbehalten an; in Wittenberg kam noch H. v. Kathen1 an den Wagen, was uns große Freude machte. Großvater und Tante Gertrud 2 fanden wir wohl, Tante Bertha leidlich. Der dritte Wagen || mit unseren Sachen kam gestern Nachmittag und mußte noch bei Licht abgepackt werden. Auch machten wir gleich die Betten zurecht, so haben wir schon in unserer Wohnung geschlafen. Zum Frühstück sind wir beim Großvater gewesen, und haben auch heute da gegessen, was wir auch morgen thun werden, da die beiden Mädchen3 noch beschäftigt sind, die Küche rein zu machen, die schrecklich aussieht, wie es überhaupt an Schmutz nicht fehlt. Morgen kann der Tisch-||ler erst kommen, die Schränke aufzustellen; also wird da auch das eigentliche Auspacken erst loos gehen. – Vater ist mit Karl spaziren, beide wollen Dir noch schreiben; ich habe so keine Ruhe dazu. Grüße H. u. F. Osterwald4, Karos5, Wiecks6, Simons7, Kathens8 und wen Du von unseren Freunden und Bekannten siehst. – Schreibe uns bald, wie es Dir geht? und was Du treibst, morgen fängt ja die Schule wieder an, da denke ich a wird Dir die Trennung von uns leichter, wenn Du Deine gewohnte || Arbeit hast. – Leb wohl, mein Herzens Sohn, Gott sei mit Dir; halte Dich gesund und denke fleißig an Deine Mutter. Hast du wohl den Brief an den D. v. Basedow9 gebracht? – [Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel] Lieber Ernst! Wir fuhren gestern unter sehr feuchtem Wetter hieher, gegen Mittag wurde es beßer und meine Einfahrt bis in meine Wohnung hat einen sehr angenehmen Eindruck auf mich gemacht. Die schönen Häuser längs dem Thiergarten10, die (durch den tüchtigen Regen) sehr schönen Rasenplätze umgeben von schönen Alleen sprechen sehr an, auch der Exercirplatz, an dem wir wohnen, hat noch ein sehr schönes Grün und dabei sehr fest gebahnte Wege, auf denen ich gestern Abend in der Dunkelei11 (während abgeladen wurde) bis abends 7 Uhr spatzieren gegangen bin. Ich wohne also hier wie in einem großen schönen Park mit großen Rasenplätzen, das Krollsche Etablissement und vis-a-vis das Corneliussche und Radzynskysche Gebäude geben dem Platz ein schönes Relief.12 Unsere Dienstmädchen rißen gewaltig die Augen auf, als sie (s. das andre Blatt) || die schönen Straßen, Häuser und Plätze sahen, auch das Innere der
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Häuser imponirt ihnen sehr. Mit unserer Wohnung sind wir, so weit wir es jetzt übersehen können, zufrieden. Die eigentlichen Wohnungs- und die Schlafzimmer sind ausreichend und gewähren einen angenehmen Eindruck. Mutters Zimmer ist sehr hübsch das Schlafzimmer sehr geräumig, mein Kabinetchen, wo ich arbeite, gemüthlich und Karls Zimmer bequem u. angenehm, eben so sein Schlafzimmer, wo auch für Dich ein Bett steht, wenn Du hier bist. Das Fremdenstübchen ist winzig klein, aber doch zum Schlafen ausreichend. Morgen (Montag) und die folgenden Tage wird es nun an ein Auspacken gehen und wir werden wohl die ganze Woche bedürfen, ehe wir etwas eingerichtet sind. In den Zimmern sieht es jetzt aus, als ob ein Erdbeben alles umher geworfen hätte. Gegeßen und getrunken wird bei Großvater.13 Heute habe ich Visite bei Herrn v. Bassewitz14 und Julius15 gemacht. Großvater und Bertha sind sehr erfreut, uns hier zu haben. Auch Gertrud hat uns sehr freundlich aufgenommen. Nun mein lieber Ernst! Nimm Dich in aller Art recht zusammen, vor allem schnüre fortdauernd Deinen Fuß, damit er im Gelenk Festigkeit erhält, gehe Nachmittag um 4 Uhr fleißig spatziren, das regellose Leben, was immer zwischen den Extremen schwankt, mußt Du Dir abgewöhnen, es muß eine gewiße Ordnung in Deiner Lebensweise einheimisch werden, dadurch || gedeiht Leib und Seele, der Körper muß durchaus mit einer gewißen Sorgfalt behandelt werden, damit er gesund bleibe, es muß eine gewiße Eintheilung der Zeit stattfinden, damit Studiren und Geschäfte in geregeltem Gange vorschreiten. Göthe war ein großes Genie, soviel mir bekannt ist, fand aber auch in seinem äußern Leben eine große Sorgfalt und Ordnung statt. Die Menschenscheu mußt Du allmählich ablegen und nicht blos dem nachgehen, was Dich amüsirt, sondern b Du mußt Dich in das schicken lernen, was ein geordnetes Leben mit sich bringt. Besuche also auch unsre Freunde zuweilen, denen allen wir uns bestens empfehlen. Ich gedenke Dir fleißig zu schreiben. Nach 8 Tagen, wenn wir etwas eingerichtet sind, sollst Du wieder etwas erfahren. Dein Dich liebender Vater Haeckel [Nachschrift von Hermine Sethe] Montag d. 6ten früh – Lieber Ernst! Als Stückchen der Häckelei flicke ich mich auch in diesen Brief an Dich den großen Schwager ein, um Dir einen herzlichen Gruß zu schicken in Deiner ersten Alleinherrschaft. Die ersten schweren Tage hast Du nun schon überwunden, so wird’s weiter gehen bis Weihnachten heran. Wenn Du erst recht bei Osterwalds eingelebt bist, wirst Du weniger das Haus vermissen, und was die Eltern und besonders die Mutter betrifft so kannst Du ja durch recht fleißiges Briefschreiben, Dich mit ihnen unterhalten. Vielleicht fällt da auch mannigmal ein Stückchen Zeit für die zwar nur künftige Schwester, aber dennoch Schwester ab. – Wie Du denken kannst sieht es sehr bunt aus, der Alte16 hat natürlich sehr viel zu thun und lamentirt entsetzlich, geht schon tüchtig spatzieren. Morgens, Abends u. Mittags kommen sie noch her. Auf der Eisenbahn hat der Alte sich mit einem Offizier über unsere Politik gezankt, es wurde etwas heftig, da Letzterer es für Unrecht hielt, daß wir nicht schon lange mit Rußland
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und Österreich gegangen wären.17 Ich werde nicht mit ihnen gehen, sondern zunächst nur mit Karl. Ade, laß bald von Dir hören. Von Herzen Deine Schwester Mimmi || cGrüße Alle, die sich meiner erinnern, besonders Karo’s. Gestern Abend haben mir Großvater und Tanten den Pokal18 gezeigt u. Cenons Rede19 dazu vorgelesen. Heute Abend kommt Heinrich20 aus Stettin. dPauline21 will nicht wieder von hier fort. Nachmittag geht sie mit Julie22 in die Stadt. – Großvater ist sehr wohl, er stellte mich dem Vater als seinen Bibliothekar u. Archivar vor, auf diese Titel kann ich stolz sein; wie gefällt Dir das. [Nachschrift von Karl Haeckel] Lieber Nachtwächter Du sollst auch von mir einige Zeilen in Deiner Aeltern-Verlassenheit erhalten, einen Trostbrief, wie der Deutsche sagt, der Dir aber vornehmlich sagen soll, daß man sich in das Unvermeidliche schicken muß, und daß nun einmal die Zeit erscheinen mußte, wo Du aus dem Aelternhause scheidest. Dafür bleibst Du aber, denk’ ich, desto mehr im Herzen bei uns. Schreib’ auch fleißig, wenn Dir’s bange ums Herz ist, und geh’ in die freie Natur [ ] Dir die Sehnsucht [ ]. Und drittens setz Dich tüchtig hinter die Examens-Präparation namentlich die Geschichte. Denke, daß ich diesen Winter || auch tüchtig arbeiten muß. Uebermorgen hoffe ich mit meiner Stube so weit zu sein, daß ich zu arbeiten anfangen kann. Was ist denn aus meinem Schirm geworden? Kommt er, so mußt Du etwa 5 Sgr. in eine Büchse zum Unterstützungsfond thun. Nun lieber Bruder, Gott schicke Dir Kraft, das Heimweh zu überwinden. Schreibe bald Deinem Karl 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
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Kathen, Eduard Karl Heinrich Theodor von. Sethe, Gertrude. Auguste und Luise, Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin. Osterwald, Karl Wilhelm und Marie Auguste, geb. Schröder. Karo, Johann Adalbert und Emilie Henriette Auguste Margarethe, geb. Schäffer. Wieck, Karl Gottlob Ferdinand und Sophie Marianne, geb. Kuss. Simon, Jakob Bernhard. Kathen, Eduard Karl Heinrich Theodor von; Kathen, Bertha von, geb. von Dewitz. Basedow, Carl Adolph von. Tiergarten, heute Ortsteil im Bezirk Berlin-Mitte. Dial. schlesisch für: Abenddämmerung; Haeckels Vater stammte aus Hirschberg in Schlesien. Die erste Wohnung der Familie Haeckel befand sich in Berlin, Schifferstraße 6. Diese Straße führte im Bereich der heutigen Konrad-Adenauer-Straße als Verlängerung der Unterbaumbrücke (heute Kronprinzenbrücke) zum Exerzierplatz (später Königsplatz, heute Platz der Republik) am Tiergarten. Gegenüber befanden sich damals seit den 1830er Jahren errichtete repräsentative Gebäude wie die Krolloper (auch als Krollsches Etablissement bezeichnet) und das wegen seiner Gemäldegalerie bekannte Raczynskische Palais (heute Standort des Reichstagsgebäudes). Haeckels Großvater, Christoph Sethe, wohnte in Berlin, Schifferstraße 8. Diese Wohnung bezog
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er im August 1850; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 14v, Eintrag v. 15.8.1850) und bewohnte sie bis zu seinem Tod 1855 gemeinsam mit seinen unverheirateten Töchtern Bertha und Gertrude. Zuvor hatte er in Berlin, Luisenstraße 25, gewohnt. Haeckels Eltern bezogen im Oktober 1851 eine Wohnung im Nachbarhaus, Schifferstraße 6. Bassewitz, Friedrich Magnus von. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. In der Familie Haeckel gebräuchliche liebevolle Anrede für Carl Gottlob Haeckel. Mit der Punktation von Olmütz vom 29.11.1850 zwischen Preußen, Russland und Österreich wurde der Konflikt über die sog. Unionspolitik, mit der Preußen die Schaffung eines kleindeutschen Bundesstaates ohne Österreich angestrebt hatte, beigelegt. Preußen wurde damit gezwungen, seine nationalpolitischen Projekte aufzugeben und der Wiederherstellung des im März 1848 aufgelösten Deutschen Bundes zuzustimmen. Dieser Schritt, der die Aufhebung der Revolutionserrungenschaften von 1848 einleitete, wurde in Preußen verbreitet als politische Demütigung („Schmach von Olmütz“) empfunden. Pokal zum 50-jährigen Dienstjubiläum von Christoph Sethe; vgl. Anzeige des Dienstjubiläums, Separatdruck (EHA Jena), Berlin, den 28. Dezember 1837, S. 3: „[…] Die Mitglieder und der General-Prokurator des Gerichtshofes überreichten ihm [d.i. Christoph Sethe] als Zeichen ihrer Verehrung einen silbernen Pokal, woran das Bild der Justitia nach der Darstellung Raphael’s und die Dedications-Inschrift in erhabener Arbeit befindlich ist, nebst einem Festgedichte. […].“ Zenon von Kition, hellenistischer Philosoph (um 333/332 – 262/261 v.u.Z.), Begründer der frühen Stoa. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Dienstmädchen bei Christoph Sethe. Dienstmädchen bei Christoph Sethe.
46. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel sowie an Karl Haeckel und Hermine Sethe, Merseburg, 7. oktober 1851
Liebste Ältern und Geschwister!
Merseburg, den 7ten October 1851 Dienstag.
Da ich unter den bis jetzt verlebten heute den leidlichsten Tag habe, nachdem gestern der unerträglichste war, so setze ich mich sogleich hin, um euch auf alle eure Briefe, die mir die gröste Freude gemacht haben, mit einem zu antworten. Als ihr am Sonnabend früh fortfuhrt, war mirsa, als führe alles, was ich hier bis jetzt liebes und gutes gehabt, für immer fort, und als bliebe ich allein in einer ganzen Welt von Feinden zurück. Das düstre Wetter paßte recht zu meiner Stimmung und ich schaute, als ich zu Hause in meiner Stube war, noch lange aus dem Fenster auf unserb altes Haus, das mir ganz vereinsamt vorkam.1 Jedoch besann ich mich und las hintereinander ein ganzes Buch Ilias2, was mich etwas umstimmte. Sonntag ging es auch leidlich. Früh ging ich bei Braun3 in die Kirche, der am Erntefest über die vierte Bitte4 predigte, besonders gegen den aufkommenden Getreidewucher und die Unzufriedenheit mit der Ernte. Nachmittags nahm ich von Zurmeyers5 (Hulda reist Montag, sie selbst heute früh weg) Abschied und ging dann mit Finsterbusch6 über Meuschau7 spazieren. Abends kam Weiß8 von Schkeuditz zurück. Gestern Montag war ich in einer schrecklichenc Stimmung d die Weiß, der ziemlich unartige Laune hatte, noch vermehrte, und obgleich noch frei war, konnte ich doch den ganzen Tag nichts arbeiten, obwohl ich mich hinsetzte und mir
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alle Mühe gab. Es war mir grade als könnte ich hier gar nicht mehr bleiben und leben, und beständig war ich bei euch. || Endlich ging iche mit Lüben9 nach Zscherben10 spazieren wo ich eine neue Chenopoden11 fand, die mich auf etwas andre Gedanken brachte. Gestern Regen, heute Sonnenschein. Glaubte ich gestern alles mögliche Unglück zu haben, so hatte ich heute ziemliches Glück. Früh beim Schulanfang wurden die Censuren vertheilt, wobei ich selbst die nebenstehende12, von mir selbst als Wieck13 beglaubigte erhielt, mit der ihr hoffentlich leidlich zufrieden sein werdet. Censur: Ernst Häckel Recht gut: Deutsch, Naturwissenschaft, Anlagen, Aufmerksamkeit, Fleiß Sehr wohl zufrieden: Religion Wohlbefriedigend: Verhältniß der Leistungen des Schülers zu dem Klassenziel Gut: Griechisch, Geschichte, Betragen Gut, aber der schriftl. Ausdruck muß noch gewinnen: Latein. Im Ganzen Gut: Französisch, Mathematik. Wieck.14 Sodann bekam ich die lateinische Arbeit15 zurück, „die zwar die nöthige logische Schärfe und Präcision vermissenf läßt, sonst aber Fortschritte bekundet“ und der alte Wieck hielt dann eine große Paucke über den Schüler, wie er sein soll, daß nur durch fortwährende logische Recapitulation man den römischen Geist in sich aufnehmen könne, daß nur, wenn man den Tacitus16 auswendig wisse, man lateinisch schreiben könne, daß, wenn nur einer in der Klasse aufpaßte er um dieses einen willen recapituliren und die andern sitzen lassen würde (Seitenhieb für mich und Karl) und was dergleichen oft abgedroschner Kohl mehr ist. Auf der Schule ist heute ein neuer Kandidat der Mathematik und Physik, Puls17, angekommen, der Sexta mit übernehmen wird. Mit meinen Stubenkameraden18 bin ich übrigens ziemlich zufrieden. Ernst Weiß ist zwar ein bischen eigensinnig und öfter unerträglich aber doch gutmüthig und oft recht trocken u. komisch. Eichhoff19 ist ein merkwürdiger Mensch, über den ich auch nächstens weiters schreiben will. Er hat eine der besten Censuren bekommen. Zierhold,20 ein gutmüthiger || etwas schwärmerischer Jüngling, hat so heute, wie ich gestern, schreckliches Heimweh und miseria felina moralis (auf Deutsch: geistigen Katzenjammer). Am meisten Laune in unser sonderbares vierblättriges Kleeblatt bringt Osterwalds drolliger schwarziger Pudel, unsre beständige Gesellschaft der aber auch alle unsre Dummheiten und Launen ertragen muß. – Die Bestellung und den Brief zu Basedow21 habe ich besorgt. Als ich von ihm wegging, lief ich in Gedanken bis zu Wiegners Haus,22 dann merkte ich erst, daß ich in der Rittergasse auf falschem Wege sei, ging nun aber doch bis zur Hütte23, g besuchte Merkels und trank von unserm köstlichen Brunnenwasser (das bei Osterwalds ist sehr schlecht). Überhaupt werde [ich] öfter hingehen und noch den Garten besuchen. || Doch für heute genug, da der Briefbogen alle ist; das nächstemahl mehr. Dabei fällt mir ein, daß ich wohl kein Postpapier hier behalten habe; diesen Bogen habe ich geborgt. Wenn Mutter einmal schickt, kann sie mir ein paar Bogen schicken, und auch Nähzeug. Euch allen, dem lieben, treuen Papa, dem ich versichern kann, daß ich den Fuß jetzt ordentlich wickele, meiner einzigen, guten Mutter, dem theuren alten Hofmeister24 und, wie ich, an Examenfieber leidenden Karl Benjaminh, sowie der Staatsrath
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Setheschen Archivarin und Bibliothekarin Eleonora Arminia25, die herzlichsten Grüße und Küsse. Auch Großpapa und die Pathentante26 grüßt recht herzlich und wen ihr sonst wollt. Schreibt mir recht bald wieder. Ich will euch auch gleich antworten. Wenn ihr das nächstemal wieder alle 4 schreibt, so sollt ihr auch alle einzeln ein Briefstückchen bekommen. Ernst H. 1
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Ernst Haeckel verblieb nach dem Umzug seiner Eltern nach Berlin bis Ostern 1852 in Merseburg, um dort das Gymnasium abzuschließen. Er wohnte in dieser Zeit in Pension bei einem seiner Lehrer, dem Konrektor Wilhelm Osterwald (siehe Abb. 21), in dessen Haus in der Domstraße 5 in Merseburg, einem der alten Kurienhäuser (curia trium regum) am Fuß des Merseburger Domberges. Seine Stube befand sich im oberen Stockwerk des Gebäudes mit freiem Ausblick nach Westen, so dass er von dort aus das frühere Wohnhaus der Haeckels in der Großen Rittergasse (vgl. Anm. 23) sehen konnte; siehe auch der gemeinschaftlich an Ernst Haeckel verfasste Br. 45. Die Bücher VI bis X von Homers „Ilias“ waren Schullektüre im Fach Griechische Sprache; vgl. Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 24. Braune, Karl. Die vierte Bitte des Vaterunsers: Unser täglich Brot gib uns heute. Zurmeyer, Hulda; Zurmeyer, Frau. Finsterbusch, Ludwig. Ort nordöstlich von Merseburg, heute Teil der Stadt Merseburg. Weiß, Christian Ernst. Lüben, Friedrich Eduard Christian. Ort westlich von Merseburg, heute zum Ortsteil Geusa der Stadt Merseburg gehörend. Gattung: Chenopodium L., Gänsefuß, Familie: Chenopodiaceae (Gänsefußgewächse), in Deutschland kommen etwa 16 verschiedene Arten vor; Kochs „Synopsis“ führt zehn Arten und mehrere Kleinarten auf. Haeckels Abschrift seiner Zensuren steht im Original neben der entsprechenden Bemerkung auf der gegenüberliegenden S. 3 oben. Wieck, Karl Ferdinand. Siehe Anm. 12. Vgl. die Liste der lateinischen Themata der Primaner im Schuljahr 1851/52; in: Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 27. Tacitus, Publius Cornelius. Puls, Karl Robert. Außer Ernst Haeckel wohnten noch drei weitere Mitschüler in Pension bei Wilhelm Osterwald. Seine Stube teilte er mit dem befreundeten Ernst Weiß. In der Nachbarstube wohnten Karl Ludwig Wilhelm Eichhoff und Johannes Donatus Wolfgang Zierhold. Eichhoff, Karl Ludwig Wilhelm. Zierhold, Johannes Donatus Wolfgang. Basedow, Carl Adolph von; vgl. Br. 45, Anm. 9. Wiegner, Carl Wilhelm Ferdinand Heinrich Otto. – Er wohnte in Merseburg, Entenplan, nahe der früheren Wohnung der Familie Haeckel in der Großen Ritterstraße. Ritterhof oder Salpeterhütte in Merseburg, Große Ritterstraße 5, Haus von Johanne Christiane Merkel, geb. Leißring, Witwe des Maurermeisters Christian Andreas Merkel. Hier bewohnte die Familie Haeckel von 1835 bis 1851 eine im ersten Stock gelegene Mietwohnung. Das Haus ist heute nicht mehr vorhanden; vgl. dazu auch Schulze, Dietrich: Ernst Haeckel (1834–1919) – Kindheit und Jugend in Merseburg. In: Merseburger Kreiskalender 2004, S. 32–38, hier S. 33; siehe Abb. 22. Haeckel bezeichnete seinen Bruder Karl humorvoll als seinen „Hofmeister“, da dieser ihn be-
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ständig mit Ratschlägen und Ermahnungen versah; vgl. u.a. Br. 22 und 24, sowie Br. 48, S. 51, in dem sich Karl selbst als „Hofmeister“ bezeichnet. Sethe, Hermine; vgl. dazu die Nachschrift Hermines im Br. 45, S. 45. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie.
47. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 10. oktober 1851
Liebste Mutter.
Merseburg den 10ten October 1851.
Da die Consistorialräthin Frobenius1 mich heute fragte, ob ich nicht etwas mit nach Berlin zu nehmen oder zu bestellen hätte, so konnte ich a doch nicht umhin, euch wenigstens einen herzlichen Gruß mitzuschicken. b Ach, liebe Mutter, ich denke fast immer an euch. Ich dachte, je länger ihr fort wärt, desto leichter würde mir es werden; aber es ist leider grade umgekehrt. Mir ist es alle Tage, besonders aber Abends, wenn ich die Sonne untergehen sehe (was ich von meinem Zimmer ganz herrlich kann) oder wenn ich in der Dämmerung nach unserm alten Haus hinübersehec, als müßte ich grades Wegs zu euch gehen und doch kann ich es nicht. Aber Weihnachten!! – Jedoch sind die Schularbeiten, die jetzt wieder haufenweis kommen und die Präparation zu der fatalen Größe des Examens erfolgreich bemüht mir die Zeit zu verkürzen, und besonders fließen beim Tacitus2 und der Ilias3 die Stunden so rasch hin, daß ich gar nicht weiß, wod sie hinkommen. Auch sonst giebt es vielerlei hier im Hause zu thun, wobei sich besonders meine practischen Anlagen herrlich || entwickeln. Da das aufwartende Dienstmädchen4 äußerst unreinlich und faul ist, so muß ich mir selber e Hosen und Rock bürsten, Waschbecken, Glas u. s. w. ausspülen, und was dergleichen langweiliges Zeug mehr ist. Auch wasche ich mir jetzt alle Morgen die Hände und bin bei Tisch sehr manierlich (was allerdings sehr langweilig ist.) Gestern hat mir die Secretär Reuter5 9 rℓ 17 Sgr 6 d gebracht für Leinwand, die ich quittirt habe. Von der Auction6 habe ich noch nichts näheres gehört; nur daß sie bis 5 Uhr Nachmittags dauerte und daß von zur Megedes7 und unsern Sachen zusammen etwa 50 rℓ herausgekommen sind. Von Karls Regenschirm habe ich nichts gehört; der Inspector8 schien mir auchf keine Lust zu haben, einen Laufzettel nachzuschicken. – Wenn du einmal herschickst, kannst du auch als Ballast einen alten Lappen zum Wischen mitschicken, da ein solcher hier im Haus nicht existirt. – Die Osterwald9 ist heute auf ein paar Tage nach Zörbig gereist – Sind denn die Sachen alle glücklich g angekommen? Und wie geht es dir. Tausend Grüße an alle, besonders an meinen lieben Papa und das Brautpaar10. Wird denn Schifferstraße 611 wirklich auch aufs Examen losgearbeitet.12 Schreibe mir recht bald Dein treuer Ernst. 1 2 3
Frobenius, Maria Josephine Auguste, geb. Gottschalk. Tacitus, Publius Cornelius; vgl. Br. 46, Anm. 16. Vgl. Br. 46, Anm. 2.
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Nicht ermittelt. Reuter, Luise, geb. von Henning. Versteigerung von Möbeln und Hausratsgegenständen, die Ernst Haeckels Eltern nach ihrer Übersiedlung nach Berlin in Merseburg zurückgelassen hatten; vgl. die Anzeige im Merseburger Kreisblatt. Nr. 78, 27.9.1851: „Auction. Mittwoch den 8. October currentis, von Vorm. 9 und Nachm. 2 Uhr an, sollen in der seitherigen Wohnung des Herrn Ober-Regierungsrath Häckel, im Hause der verwittw. Frau Maurermeister Merkel in hiesiger Rittergasse – Hütte – 1 Treppe hoch, versch. Mobilien, als: 2 Kleider- u. 2 Wirthschaftsschränke, 6–8 diverse Tische, 3 Kommoden, 1 Sopha, mehrere Bettstellen, Stühle, Waschtische etc., sowie auch Gartenbänke, Wasch Geräthe und dergl. Sachen mehr, meistbiethend gegen gleich zu leistende baare Zahlung versteigert werden. Merseburg, den 25. September 1851, Rindfleisch, Auct. Comm.“ Megede, Hans zur; Megede, Friederike zur, geb. von der Osten-Sacken. Rindfleisch, Friedrich August. Osterwald, Marie Auguste, geb. Schröder. Haeckels Bruder Karl heiratete Hermine Sethe am 24.10.1852 in Stettin. Erste Wohnung der Familie Haeckel in Berlin. Anspielung auf die Vorbereitung von Haeckels Bruder Karl auf das juristische Staatsexamen.
48. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 10. oktober 1851, mit nachschrift von Karl Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlina 10 October 51.
Aus Deinem Briefe1 haben wir erfahren, daß Dir die Trennung von uns sehr schwer geworden. Das finde ich auch ganz in der Ordnung. Auch mir ist das erste halbe Jahr, nachdem ich das väterliche Haus verlaßen, unendlich schwer geworden. Aber es muß durchgemacht sein, damit sich der Jüngling zum Manne ausbilde. Das Leben ist nun einmal zu unsrer nothwendigen Entwikelung eine fortlaufende Kette von Prüfungen und diese ist nun die erste, welche Dir auferlegt wird. Aber beruhige Dich, diese Unbehaglichkeit des Daseins wird verschwinden, wenn Du erst länger an die Trennung gewöhnt sein wirst, ohne daß Du die Liebe und Anhänglichkeit an die Eltern verlierst. Sie ist mir immer geblieben, solange ich auch aus dem väterlichen Hause war und sie wird auch Dir bleiben. Gleichzeitig mit dem Ausscheiden aus dem väterlichen Hause mußt Du Dich nun auch an fremde Menschen gewöhnen und unter ihnen zu leben lernen und der Uebergang für Dich in Merseburg ist noch immer einer der leichtesten, dabei hast Du die Aussicht, uns immer wieder von Zeit zu Zeit zu sehen. Mir wurde es nicht so leicht, ich kam unter ganz fremde Menschen und sah mein väterliches Haus erst nach 2½ Jahren wieder. Befleißige Dich in diesem halben Jahre noch recht des Lateinischen und der Geschichte und besuche Abends nach Deinen Arbeiten unsereb Freunde recht fleißig. Mache Dir fleißig körperliche Bewegung und nimm insbesondre Deinen Fuß recht in Acht, wikle ihn noch einige Monat, damit die Gelenke rechte Festigkeit gewinnen. – Hier bei uns war es bis gestern sehr unheimlich, Dein Zimmer stand voll Kisten, nun sind diese weggeräumt und die Zimmer nehmen sich nunmehr sehr freundlich aus. Ich gehe an den Nachmittagen im Thiergarten und längst der Spree fleißig spatziren. Gestern Abend waren wir in einer sehr hübschen Gesellschaft bei dem OberPräsident v. Bassewitz2, c wo ich mehrere alte
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Freunde und Bekannte fand. So wird sich hier unser Leben zwischen Selbstbeschäftigung und Umgang mit Verwandten und Freunden theilen. Auch fängt das Wetter an etwas besser zu werden, als es zuletzt in Merseburg war. Grüße mir ja den Professor Wieck recht herzlich und sage ihm, daß ich von Zeit zu Zeit Dir, Herrn Karo3 u. Herrn Simon4 Nachricht von uns geben und diese bitten werde, ihm weitere Mittheilung zu machen, daß ich ihmd aber, wenn ich erst einige Zeit hier sein werde, ordentlich schreiben e und ihn in meinem herzlichen Andenken behalten werde. Dein Dich liebender Vater Haeckel Herrn Osterwald bitte ich mich bestens zu empfehlen. || [Nachschrift von Karl Haeckel] Lieber Bruder.
Berlin 10 October 51.
Gestern endlich kam Dein Brief, auf den Mutter schon mehrere Tage lang sehnsüchtig gewartet hatte. Du mußt ihr ja oft schreiben, denn ihr machen Deine Briefe große Freude. – Und im Vertraun gesagt, uns auch ein Bischen, d.h. Vater und mir und Deinem zukünftigen Schwesterchen. Wir alle haben uns recht über Deinen gestrigen Brief gefreut, wenn er auch Zeugniß davon giebt, daß f ohne einigen Jammer das Haussöhnchen sich nicht an die neuen ungewohnten Verhältniße gewöhnen kann. Nun dafür läßt ja auch der liebe Herrgott seine Trostkräutlein in der Gegend von Scherbau5 wachsen. Als guter Hofmeister6 muß [ich] Dir übrigens rathen, an solchen Tagen lieber in Göthe sich zu vertiefen, als ein Buch Ilias7 zu verschlingen. Ich kann mir nicht denken, daß Du das Letztere mit allen seinen grammatischen Formen und antirealen Conditionalperioden sonderlich verdaut haben wirst. Ein verbiesterter und verkümmerter Magen verdaut meist schlecht. – Ich hoffe in der neuen Woche nun auch mit dem Jus8 wieder anzufangen. Bescheid aus Naumburg habe ich noch nicht bin aber der guten Hoffnung daß er günstig ausfällt. Freund Ruts9, der geistige Vater des Don Folinsky,10 hat immer noch nicht seine vor nun bald 14 Tagen abgeschickten Sachen. Sie sollen aus Versehen nach Leipzig gegangen sein. Aegidi11 besuchte mich gestern. Heut war ich mit Donna Eleonora12 bei Wartenberg’s um Frau Etats-Räthin Esmarch13 zum Geburtstage zu gratulieren. Sie hatte sehr nette Briefe vom Manne und dem Sohn. Sie, g die Wartenberg, ist krank, war aber doch sichtbar. Auch unsre Mise (die Wartenberg wird ebenso genannt) keucht immer noch und muß sich für gewöhnlichh in der Stube halten. Der Schnupfen will nicht weichen. Heute Nachmittag geht Vater mit mir ins SymphonieConcert in den Hennigsschen Wintergarten14, wo es für 5 Sgr. u. a.i 2 Symphonie und Tabacksqualm in Fülle giebt. Die Concerte sollen übrigens sehr gut sein, und würden vielleicht auch einem Menschen, der gar nicht gern Clavier spielt, zusagen. Ade. Immer Dein Karl.
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N. B. Das Attest nach Glogau15 ist nicht recht gewesen laßt daher das anliegende von Wieck unterschreiben u. siegeln und schicke es her. Vater muß dann noch darunter bemerken, daß u. welche Privatstunden Du hast. Das Datum ist auch noch einzurücken!j 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15
Br. 46. Bassewitz, Friedrich Magnus von. Karo, Johann Adalbert. Simon, Jakob Bernhard. Zscherbau, Dorf westlich von Merseburg, später durch Braunkohlenabbau verschwunden; Anspielung auf Br. 46, in dem Haeckel von den gefundenen Chenopoden berichtet. Vgl. Br. 46, Anm. 24. Vgl. Br. 46, Anm. 2. Recht, d. h. Rechtswissenschaft, Jurisprudenz. – Gemeint ist die Vorbereitung auf das juristische Staatsexamen. Rüts, Leopold Karl Franz Friedrich von. Vielleicht eine Anspielung auf Karl Haeckel als „Aktenmensch“, abgeleitet von „Foliant, großformatiges Buch“. Aegidi, Ludwig Karl James. Sethe, Hermine. Esmarch, Anna Maria, geb. Prehn. Lokalität und Versammlungsort vor dem Oranienburger Tor in Berlin-Neukölln. In Glogau war der Sitz der Sackschen Familienstiftung, von der Ernst Haeckel ein Stipendium erhielt. Nach den Satzungen der Stiftung waren zwei Drittel der Revenüen des Stiftungskapitals für Benefiziaten und Stipendiaten aus dem Kreis der männlichen Glieder der bezugsberechtigten Familien vorgesehen. Diese Summe war wiederum zu je einem Drittel für Schul- und Universitätsstipendien sowie für allgemeine Unterstützungen vorgesehen. Die Schulstipendien wurden für 3 Jahre in Höhe von 100 Talern jährlich an Knaben vom 15. bis zum 18. Lebensjahr ausgereicht, die eine nicht am Wohnort ihrer Eltern befindliche zum Abitur führende Schule besuchten. Hierzu war ein Attest des Direktors der betreffenden Schulanstalt beizubringen, aus dem hervorging, „daß sich der Benefiziat in einer der beiden obersten Klassen der Lehranstalt befindet, und daß diese ihre Schüler zur Universität reif entläßt.“ Vgl. Reglement für die von dem Hof- und Jusitz-Commissions-Rath Simon Heinrich Sack zu Glogau in seinem Testamente vom 18. November 1789 et publ. den 9. Dezember 1791 errichtete Familienstiftung, § IV. In: Das Silberne Buch der Familie Sack. 2., vervollst. Aufl., Wiesbaden 1900, S. 78–72. Zum Vorgang vgl. GStAPK Berlin, FNL Sack, Nr. 4, Bd. 16 (Benefizien und Stipendien 1851–1853). Ernst Haeckel erhielt auch während seiner Studienzeit Stipendien aus der Sackschen Familienstiftung, vgl. ebd., Nr. 4, Bd. 17 (1853–1857) und 18 (1856–1858). Diese Stipendien sind auch für seinen Bruder Karl nachweisbar, vgl. ebd., Nr. 4, Bd. 11 (1843–1844), Bd. 12 (1844–1846), Bd. 13 (1846–1848) und Bd. 14 (1848–1849).
49. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 11. [oktober 1851]
Mein lieber, lieber Ernst!
Freitag d. 11.
Mit großer Sehnsucht hatte ich Nachricht von Dir erwarttet, und freute mich daher sehr, als ich gestern Deinen Brief1 bekam. Daß Dir die Trennung von uns so schwer wird thut mir leid; und wenn Du mir auch immer fehlst und es mir auch sehr schwer ist, so ist es wohl für mich in der Art anders, da ich schon mehr an Entbehrungen
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gewöhnt bin; Nun nimm Dich nur recht zusammen, mein Herzens Junge; denke daß Du mir eine Freude machst, wenn || Du heiter und zufrieden bist, denke daß wir ja immer in Liebe mit einander verbunden sind, wenn wir uns auch nicht sehen; und freue Dich auf Weihnachten, das ist ja nicht mehr lange, dann haben wir ja die Freude, Dich bei uns zu sehen; halte Dich nur hübsch gesund, und schreibe uns fleißig. Ueber Deine Censur2 habe ich mich herzlich gefreut, fahre fort mein lieber Ernst, wenn Du erst recht an regelmässige Arbeit || gewöhnt bist, wird es Dir auch auch besser gehn, und das Heimweh wird Dich weniger quälen. Daß Du die Lerchen geschickt hast, war mir ganz lieb, Christel3 soll nur auch Rebhühner schicken, auch wenn sie 5 bis 6 sg. kosten; und immer nur mehrere zusammen. Du hast ihr doch die Lerchen bezahlt und schreibe alles orndlich an. – Auch wenn sie mal Suppenhühner kaufen kann, soll sie welche mitschicken. || Du kannst wohl denken, daß ich noch immer viel zu thun habe; endlich ist es so weit, daß Kisten, Heu und Stroh aus den Stuben ist; aber zu ordnen und zu sorgen giebt es noch genug, so daß mir der Kopf noch ganz wüst ist, und ich nicht orndlich zum Schreiben kommen kann. Grüße unsere Freunde alle aufs herzlichste; sage dem Karo4, daß ich schreiben würde sobald es mir möglich sei. – 1 2 3 4
Br. 47. Vgl. Br. 46, S. 47. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Karo, Johann Adalbert.
50. An Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, [15. oktober 1851]
Mein Lieber, lieber Papa!
Merseburg, am Friedrich Wilhelm IV. Geburtstag.1
Da ich 2 so nette Briefe2 von Dir erhalten habe, so muß ich Dir doch wohl einmal speciell antworten, obgleich alle meine Briefe an euch zusammen gerichtet sein sollen und ein jeder a vom (vierblättrigen? – Eleonore!3) Häckelschen Kleeblatt sich herauslesen kann, was er will. Zunächst will ich Dich jetzt mit meiner Alltäglichkeit unterhalten. Früh stehen ich und mein Contubernalis4 Weiß5 nicht nach 6½ Uhr auf und mitb Anziehen Fußwickelnc u. dgl. wird bis 7 Uhr gedämmert, wo der (einem nicht allzustarken Tränklein von Runkelrübe, Cichorie, Mohrrübe allerdings sehr ähnliche) Kaffee kommt. Wenn dieser echte Moccatrank d durch Qualität ersetzte, was er an Quantität besitzt, so wäre er vortrefflich zu nennen. Neben vorbenanntem Getränk liegt ein Gewächs, das fabelhaft einem Franzbrod im verjüngten Maaßstabe gleicht. Nach diesem Genusse arbeite ich noch bis 8 Uhr. Dann nehmen wir vereint um 9 Uhr jeder 2 gute Klappbutterstullen ein. Von 8–12 hören wir im Collegium die edlen Lehren der „wahren Logik und Latinität“ und daß: „wer keine gute lateinische Arbeit macht, nicht selig werden kann“ (wie gestern der alte Wieck sagte, und dabei bemerkte, daß dies zwar paradox klinge, aber nichts desto weniger wahr sei). Um 12 Uhr wird zu Mittag gegessen und zwar meistens Rind-
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fleisch mit irgendeiner Kohlart. (Kartoffeln werden selten gegessen, da sie sehr wässrig sind.) Hierauf folgt um 1 Uhr das Nachmittagsgetränk, das sich vom Frühtrank meist nur dadurch unterscheidet, daß es gewärmt und gekocht ist. || Von 2–3 Schule. Um 4 Uhr kommen wieder 2 Butterschnitten. Von 4–5 wird meist klaviergespielt. Um 5 Uhr im Dämmerlicht mach’ ich Besorgungen, Bestellungen u. s. w. oder gehe ein wenig spazieren. Von 6–9 Uhr wird e stark geochst, was nur durch das Abendbrod, das meist in einer Suppe besteht, unterbrochen wird. Um 9 Uhr f bekomme ich ein schwaches Viertelstündchen, wo ich, wenn nicht beständig meine neckischen Kameraden oder eine Arbeit mich wach erhielteng, einschlafen würde (was zuweilen auch geschieht). Dann arbeite ich noch weiter bis 10, 10½, selten 11 Uhr, wo dann perpetuirlich bis 6 Uhr geschlafen wird. Was nun meine menschlichen Hausgenossen anbetrifft, so sind Osterwalds sehr freundlich, gemüthlich und nett, meine 3 Kameraden leidlich, der eine mehr, der andre weniger liebenswürdig. Unter die letztern möchte ich den Stubengenossen Weiß rechnen, der, ich mag anfangen was ich will, unerträglich hofmeistert, raisonnirt, aufpaßt und alles besser machen will, mit einer so trocknen, altklugen und hochweisen Miene, daß einem Angst und Bange wirkt. Vorzüglich geht er darauf hinaus, in allem zu widersprechen. Das Dienstmädchen6 ist sehr unordentlich und unreinlich, so daß ich die meisten kleinen Geschäfte selbst thun muß. Die magre Kost scheint mir übrigens gut zu bekommen, und obgleich ich die Rippen zu zählen anfange, so kommt mir doch mein durch Mutters Küche allzu wohl genährter cadaver ordentlich leichter und wohler vor. Besonders bekömmt mir das frühe Mittag und Abendessen. Übrigens habe ich mich kühn in den Strudel der menschlichen Gesellschaft gestürzt. Sonnabend war ich Mittags bei Karos7, Nachmittags mit Osterwald und Karos in Wallendorf8; Sonntag Mittag bei Merkels auf eine Gans, und abends bei Simons9 mit Karos und Triebels10 zusammen. Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen Dein alter treuer Ernst Häckel. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, wurde am 15.10.1795 in Berlin geboren. Vgl. Br. 45 (Nachschrift) und 48. Sethe, Hermine. Lat.: Zimmergenosse. Weiß, Ernst. Nicht ermittelt. Karo, Johann Adalbert; Karo, Emilie Henriette Auguste Margarethe, geb. Schäffer. Wallendorf, nördlich von Merseburg gelegen, heute Ortsteil von Schkopau. Simon, Jakob Bernhard; Simon, Dorothea Regine, geb. Baum. Triebel, Richard; Triebel, Anna, geb. Fuß.
51. An Charlotte Haeckel, [Merseburg, 15. oktober 1851]
Liebste Mutter!
Mittwoch Mittag
Da ich bis jetzt gewartet habe, ob Christel1 noch Federvieh brächte, sie aber heute doch keins gekriegt hat,2 so schicke ich die Briefe so ab, damit der an Tante Bertha
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noch zu ihrem Geburtstag ankömmt3 und auch ihr nicht so lange ohne Nachricht seid. Den Geburtstagsbrief bitte ich Dich Tante Bertha an ihrem Geburtstag mit den getrockneten Pflanzen zu übergeben, die Du für sie noch dort hast. – Mir geht es schon etwas besser, liebe Mutter, und obgleich ich noch recht viel trübe, sehnsuchtsvolle Stunden habe, in denen mir zu Muthe ist, als müßte ich gleich augenblicklich zu euch hinfliegen, so sehe ich doch ein, daß mein Hiersein in vieler Hinsicht recht gut ist. Ich arbeite viel beständiger, als zu Hause, wo ich immer den schönen Garten hatte, der mich ins Freie lockte; hier gucke ich höchstens zum Fenster hinaus. – Zu dem Stipendienzeugniß4 kann Vater doch wohl nur die eine wöchentliche lateinische Privatstunde bei Herrn Kollaboratora Goram5 zuzählen, da die Klavierstunde hier doch wohl nicht mitzählt. – Die Giesel6 bitte ich herzlich zu grüßen. Wozu ist sie denn in Berlin. – b Beim Friseur Naumann7 habe ich für die 3 noch übrigen Marken ½ rℓ bezahlt. – Die Berliner Bonbons schmecken mir ganz vortrefflich. Ich esse gewöhnlich nach Mittag eins, wenn ich Rindfleisch mit Kohl gegessen habe. Sie sind noch zu ⅔ vorhanden. Die Osterwald8 ist vor ein paar Tagen nach Zörbig verreist. Papa sage doch noch, wenn ihr einmal schickt, daß er mir ein paar interessante Zeitungen mitschickt. Mir ist noch gar keine zu Gesicht gekommen und man muß doch von Zeit zu Zeit wissen, wie es in der Welt aussieht. – Heute zu Königs Geburtstag haben Hetzer9 (über Albrecht Achilles10) und Wiegner11 (über den Segen der Hohenzollern) Reden gehalten.12 Wiegners war schrecklich gesinnungstüchtig affectvoll und ¾ Stunden lang. Alles sehr erbaut. Tausend Grüße auch besonders den treuen Geschwistern. Ade Dein Ernst. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Vgl. Br. 49, S. 53. Bertha Sethes Geburtstag war am 20. Oktober; der genannte Brief ist nicht überliefert. Vgl. Br. 48, Anm. 15. Goram, Georg Otto. Giesel, Auguste, geb. Lampert. Naumann, Louis Hermann. Osterwald, Marie Auguste, geb. Schröder. Hetzer, Wilhelm. Albrecht III. Achilles, Kurfürst von Brandenburg. Wiegner, Carl Wilhelm Ferdinand Heinrich Otto. Zum Geburtstag (15.10.) von Friedrich Wilhelm IV. fand jährlich eine Feier am Domgymnasium Merseburg statt, bei der freie Vorträge von Primanern gehalten wurden. 1851 sprachen Hetzer über „Albrecht Achilles der Heros der Brandenburgischen Kurfürsten“ und Wiegner über „Die Hohenzollern auf dem preussischen Königsthron ein Segen und eine Zierde ihres Volkes“; vgl. Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 30.
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52. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 18. oktober 1851
Mein liebster Ernst!
Berlin 18 October 51.
Aus Deinem letzten Briefe1 habe ich ersehen, daß das Heimweh schon etwas nachgelassen hat und daß Du fleißig bist. Das Heimweh wird allmählich schwinden und Du wirst doch die Anhänglichkeit an das väterliche Haus behalten, so muß es auch sein, da der Mann sich selbständig im Leben zu bewegen bestimmt ist und selbst die Frau ihrem eignen Haushalt folgen soll. Bruder Carl neben meinem Zimmer ist auch sehr fleißig, ihr steigta beide auf diesenb Examenberg, und da keucht man zuweilen unterwegs. Wie schön aber, wenn man die Höhe erstiegen hat! Du blickst dann in das Land der freien Studien, Carl in das etwas dürre Land der Akten, aber auch der Sandboden nährt seinen Mann, wie die Mark2 zeigt und er wirft sogar ein häusliches Leben ab. – Wir richten uns hier nur allmählich ein, es geht langsam, erst vor wenigen Tagen sind in unsern Zimmern die Bilder aufgehangen, so daß sie sich nun in diesem Kleide zeigen können. Eben diese häuslichen Besorgungen haben verhindert, daß wir noch wenige Antrittsbesuche gemacht haben. Vorgestern Abend waren wir beim Herrn Präsident v. Grollman3, wo auch Frau v. Braunschweig4 war die nach Erfurt zurückgereist ist. c Auch besuchte uns die Giesel5 aus Hirschberg mit Laura6 und ihrem Bräutigam7, die aus der Priegnitz8 kamen und denen die Mutter entgegen gekommen ward. Gestern war Herr Frobenius und Frau bei uns, die Dir diesen Brief mitbringen. Sonst werden wir, wie es das Ansehn hat, unser hiesiges ländliches Leben (denn ein städtisches kann ich es kaum nennen, noch heißt es immer, wenn wir ausgehen, „wir gehen in die Stadt“) ziemlich ruhig zubringen, was auch in unsern Wünschen liegt. Ich gehe fleißig in und um den Thiergarten spatzieren, der für mich ein großer Gewinn ist. Abends halb 9 Uhr geht es in der Regel (wenn wir nicht ausgegangen sind) zum Papa9 wo wir bis halb 10 Uhr zu bleiben pflegen. Carl geht oder steht vielmehr auf seinem eignen Wege, er ist seit ein paar Tagen ganz in das Land des römischen und Landrechts10 gezogen. Ich selbst kann mit meinen Studien noch nicht recht in Zug kommen, gegen Mittag (von 12–2 Uhr) mache ich öfters Antrittsbesuche, Nachmittag von halb 5 bis halb 7 oder 7 Uhr gehe ich spatzieren, ist es finster und trübes Wetter, so gehe ich auf der Charlottenburger Chaussee, wo ich eine Stunde lang hinwärtse unter gut erleuchtetenf Laternen gehe und eben so zurück. So gut würde es mir wo anders kaum werden. In wissenschaftlichen Verkehr bin ich noch nicht getreten, das wird sich erst allmählich finden. Es ist doch ganz in der Ordnung, || daß ich mich für meine letzten Lebensjahre zurückgezogen habe. Der Körper leistet nicht mehr das, was er in frühern Jahren geleistet und auch meinen alten Freunden geht es so, auch der Geist hat nicht mehr die frühere Agilität, das Gedächtniß, die Darstellungsgabe nehmen ab, das Sprachorgan wird steifer und ungelenkiger. Aber etwas hat g doch das Alter voraus, eine ruhigere, klarere Uebersicht der Dinge. Ich habe h zwar noch meine hitzigen, lebendigen Stunden, besonders in der Politik, aber im Ganzen und wenn das Aufbrausen vorüber ist, tritt doch die ruhigere Ansicht hervor. Man findet sich zuförderst darein, nicht alles erleben zu können, man sieht aber, was für den Augenblick zu thun ist, und gewöhnt sich daran, das Leben eines Volks nach Generationen zu meßen. Ist man jung, so will man alle diese Generationen selbst durchlaufen. Das ist gegen die
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göttliche Ordnung. – So finde ich es in ruhigen Stunden ganz in der Ordnung, daß jetzt das Verkehrte und Falsche in Religion und Politik erst durchgemacht werden muß, bis das Richtige an die Reihe kommt. Es wird noch viel schlimmer werden, als es jetzt schon ist. Das Verkehrte muß sich noch viel mehr in seiner ganzen Blöße offenbaren, das deutsche Philisterthum, was ein sehr dickes Fell hat, muß noch vielmehr geängstigt und gepeinigt werden, bis das Gesunde und Frische wieder hervortreten und gedeihen kann. Aber es giebt freilich Stunden, wo man beim Zusehn ganz außer sich wird. Also Geduld! Ich für mein Theil suche mir nur die Aussicht auf eine beßere Zeit offen zu erhalten, um nicht das Intereße an der Gegenwart zu verlieren. – Vorgestern war ich beim Profeßor Weiss11, dem es doch noch gelungen ist, die Gletscher und Alpenstöcke um den Mont Rosa12 zu schauen. Er ward sehr zufrieden mit seiner Reise, obwohl er viel schlechtes Wetter gehabt hat. Er meint, die Entstehung und die Verwandlung der Gletscher sei ihm dort ganz klar geworden und man habe hierüber viel zu viel theoretisirt. Dabei habe er einen großen Genuß mitten in einer großen Welt von hohen Alpenstöcken a 10–12000 Fuß gehabt, von denen viele noch keinen besondern Namen haben. Die Bildung dieser Welt sei außerordentlich intereßant und für den Naturforscher in geognostischer, mineralogischer und botanischer Hinsicht von höchster Bedeutung. Das werde einmal ein rechter Genuß für Dich sein. Dazu wirst Du aber freilich noch einer großen universellen Vorbildung || bedürfen. – Philipp13 aus Bonn ist in diesen Tagen hieri angekommen, um hier sein Staatsexamen als Arzt zu machen. In dem ersten halben Jahr muß der angehende Arzt auf der Universität Botanik, Zoologie, Mineralogie und Chemie hören, im 2ten Anatomie etc. Du kommst also grade im ersten Jahre in Deine Lieblingsstudien, mag Dich auch vorläufig die Botanik vorzugsweise intereßiren, so wirst Du hoffentlich nicht dabei stehen bleiben, sondern universeller werden. Für jetzt aber die Vorstudien: Alte Sprachen, Geschichte, Dichter etc. Die neueren Sprachen, ohne welche Du durchaus nicht fertig werden kannst (französisch, englisch, italienisch) kommen später dran und sie werden Dir sehr leicht werden, wenn Du einen recht tüchtigen Grund im lateinischen gelegt haben wirst. Darum recht fleißig in dieser Sprache, worin ich aus andern Gründen Herrn Wieck14 beistimme. – Was die Zeitungen betrifft, so wende Dich nur an Caro15. Er wird sie Dir wohl geben, wenn sie erst circulirt haben (z. B. die Constitutionelle16). Ich lese sie nur bei Papa, dem ich sie immer bald zurückgebe. Beigehenden Schuldschein, den ich der dortigen Armenkaße cedirt17 habe, gieb an Herrn Rechtsanwalt Grumbach,18 mit dem ich hierüber gesprochen habe. Nun lebe wohl mein lieber Ernst, sei fleißig und heiter und theile das, was aus diesem Briefe Intereße für meine Freunde, denen ich mich herzlich empfehle, haben kann, denselben mit und schreibe uns bald wieder. So wirst [Du] hoffentlich alle 8 Tage einen Brief von mir erhalten. Dein Dich liebender Vater Haeckel Heute ist ein merkwürdiger Tag: der 18te October!19, der vor 38 Jahren den Grund zur Befreiung Deutschlands legte. Hätten wir nicht den 7jährigen Krieg und die Befreiungskriege gehabt, 20 so würde ich an Preußen und Deutschland verzweifeln. Grade diese Kriege geben mir aber eine sichere Hoffnung für die Zukunft. Wie gesagt, man
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muß nach Generationen meßen. Soeben kommt Mimi und schickt Dir einen herzlichen Gruß zu! Mein Körper macht mir viel [zu] schaffen, viel Andrang des Bluts nach dem Kopf und Unterleibsbeschwerden, darum ist mir eine ganz regelmäßige Lebensart und viel Bewegung durchaus nöthig. 1 2
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Br. 50. Die Mark Brandenburg galt wegen ihrer Sandböden und sumpfigen Niederungen als wenig fruchtbar („Streusandbüchse des Reichs“). Unter den Hohenzollern wurden diese Flächen durch großangelegte Meliorations- und Kultivierungsmaßnahmen für die Landwirtschaft erschlossen. Grolmann, Wilhelm Heinrich von. Braunschweig, Emilie Helene von. Giesel, Auguste, geb. Lampert. Schubert, Laura. Nicht ermittelt. Landschaft im Westen der preußischen Provinz Brandenburg. Sethe, Christoph. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794 eingeführtes Gesetzbuch, das eine zusammenhängende Kodifikation von Zivilrecht, Strafrecht und Teilen des öffentlichen Rechts enthielt. Weiß, Christian Samuel. Monte Rosa, Gebirgsmassiv in den Walliser Alpen, zu einem Drittel zur Schweiz und zu zwei Dritteln zu Italien gehörend. Der höchste Gipfel des Monte Rosa-Massivs, die Dufourspitze (Erstbesteigung 1855), ist 4632 m hoch. Bleek, Philipp. Vgl. Br. 50, S. 53 („wer keine gute lateinische Arbeit macht, nicht selig werden kann“). Karo, Johann Adalbert. Gemeint ist die von 1815–1870 in Paris erscheinende Tageszeitung „Le Constitutionnel. Journal politique, litteraire, universel“. Lat. cedere: zedieren, übereignen, eine Forderung an einen Dritten abtreten. Grumbach, Wilhelm Bernhard. Jahrestag des in der Völkerschlacht bei Leipzig am 17.–19. Oktober 1813 erkämpften Sieges der Verbündeten über Napoleon. Der Siebenjährige Krieg von 1756–1763 war ein Krieg Preußens und Großbritanniens gegen die anderen europäischen Großmächte, bei dem es zum einen um die Vorherrschaft in Mitteleuropa, zum anderen aber auch zwischen Frankreich und Großbritannien um die Vorherrschaft in Nordamerika und Indien ging. Im Ergebnis des Krieges konnte sich Preußen endgültig als fünfte Großmacht in Europa etablieren. – Als Befreiungs- oder Freiheitskriege werden die Kriege zwischen dem Frankreich Napoleons und der von Russland, Österreich und Preußen geführten Mächtekoalition in den Jahren 1813–1815 bezeichnet.
53. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 25./26. oktober 1851
Liebste Mutter!
Merseburg Sonnabend 25/10 1851.
Schon gestern hatte ich einen Brief1 von euch sehnlichst erwartet, und als ich heute früh in die Schule ging, sagte ich zu meinen Kameraden: „Heute bekomme ich ganz
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bestimmt einen Brief.“ Du kannst Dir also denken, wie groß meine Freude war, als ich aus der Schule kam und meine Prophezeiung bestätigt fand. Ich war um so gespannter, als ich dachte, der Brief mit dem Stipendienzeugniß2 wäre verloren gegangen, da Du nichts davon in dem durch die Frobenius gekommnen Brief erwähntest. Das ihr nun schon etwas in Ordnung seid, freut mich sehr, und besonders, daß es Dir besser geht. Mir geht es leidlich, so so la la; die zu einem ängstigenden und drückenden Berge aufsteigenden Examenarbeiten erdrücken jede andre in des Menschen brust sich auflehnen wollende Empfindung. Die aufgetragenen Besorgungen habe ich alle gemacht. Grumbach wußte nichts davon, daß Vater mit ihm über die Schuldverschreibung gesprochen hätte; jedoch wollte er es besorgen.3 Der Laufzettel nach Karls Schirm ist abgeschickt, denselben aber nicht gefunden.4 Die 2 fehlenden Nummern der Gesetzsammlung5 sind nachgeliefert worden. Sage doch Karl, er möchte sich einmal nach einer Denkmünze auf Humboldt6 || umsehen, auf deren Rückseite Pflanzen abgebildet sind.7 Der alte Henkel8 sagte, sie wäre erst ganz neuerlich geprägt, hat sich auch umsonst danach viel umgethan und wünscht sehr, eine zu besitzen. Falls Karl a sie irgendwo in einem Laden auftreibt (jedoch braucht er nicht zu sehr danach herumzulaufen) und sie nicht zu theuer ist, so kann er gleich eine schicken. Im andern Fall gebt mir aber Nachricht, wo und für wieviel sie zu haben ist. Er glaubte, sie sei von Lohsé9 geprägt. – Kannst Du vielleicht Dich unter meinen frühern Gespielen auch noch eines gewissen Karl Apel10, eines guten Jungen, jetzt Kaufmannsdiener, erinnern? Sein Vater11, ein höchst rechtlicher und achtbarer Ehrenmann, Kassenbeamter, dessen sich Vater gewiß noch erinnert, hat sich dieser Tage bloß aus Gram über seine Frau12, einen fast immer betrunkenen Hausdrachen, ersäuft. – Daß Philipp Bleek den Winter in Berlin bleibt freut mich sehr; ich bin recht begierig, zu Weihnachten über unser Studium mit ihm zu sprechen. Grüße ihn recht herzlich, sowie Karl, Mimi, Papa, Großpapa, Tante Bertha und wenn du sonst willst. – Am vergangenen Sonnabend wollteb ich mit Weiß13 bei dem herrlichen warmen wolkenlosenc Wetter nach Döllnitz14 gehen; wegen ausgetretnen Wassers kamen wir aber bloß bis an den Waldrand. Am Sonntag war ich mit Weiß und Lüben15, dem stud. math. et natur. in Jena, mit dem ich schon viel über mein Kommen nach Jena16 spreche, in Dürrenberg17, wo ich noch nie gewesen war. Es war recht hübsch, nur fanden wir die Salzpflanzen18 nicht, die wir suchten. – || Nur noch 2 Monate!! Einer ist überstanden! Sonntag Abends war ich mit Osterwalds und Ernst Weiß, bei Weißens19, wo auch Grubers20 und Braunes21 waren. – Morgen essen wir Gänsebraten (allgemeines großes Fest!) Für die Wurst danke ich Dir herzlich; sie hat mit vortrefflich geschmeckt, besonders die delicate Schlackwurst. Eichhoff sagte, die beste Schlackwurst in Berlin sei in Charlottenburg auf dem Platz vor dem Schloß bei Lejeune22 zu haben; da könnte Vater auf seinen Charlottenburger Spaziergängen was mitbringen. – Karl kann mir einmal schreiben, was Krukenberg23, Ägidi24 u. s. w. machen und wie der Königsberger Besuch25 war. Ist denn nun Alles ausgepackt und glücklich angekommen? Wie benehmen sich die Mägde, besonders die neue angekommne?26 Friedrich27 habe ich besucht und bestellt, mir manchmal die Lampe zu scheuern und die Kleider gründlich zu bürsten. Er besorgt jetzt das Pferd eines jungen Steuercontrolleurs, den er auch öfter fährt und bekommt monatlich 2 rℓ 10 Sgr und früh Kaffee. Grüße meinen treuen
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Papa und Karl. Den Titul-Zettel28 der mich als gesittet und höflich zeigt, giebt [!] an die Liebe Miese. Schreibt recht bald Dein treuer Ernst. 1 2 3 4 5 6 7
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Br. 52. Vgl. Br. 48, S. 52 und Anm. 15. Vgl. Br. 52, S. 57 und Anm. 18. Vgl. Br. 45, S. 45. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten 1851, Berlin, Nr. 33–38, S. 607– 702. Humboldt, Friedrich Wilhelm Heinrich Alexander von. Es handelt sich um die Medaille, die um 1850 auf den 80. Geburtstag Alexander von Humboldts von der Berliner Medaillen-Münze von L. Ostermann vormals G. Loos nach dem Stempel von Heinrich Bubert sowohl in Silber als auch in Bronze hergestellt und vertrieben wurde. Vgl. http://www.dhm.de/datenbank/dhm.php?seite=5&fld_0=98001531 (letzter Zugriff: 7.12.2015). Diese Medaille zeigt allerdings kein Pflanzenmotiv, sondern auf der Vorderseite das Kopfbild Humboldts und auf der Rückseite eine allegorische Darstellung, wo der auf einem Thron sitzende Gelehrte von der Muse Urania bekränzt wird, während ein Zwerg einen Mineralbrocken darreicht und ein geflügelter Genius die in einem Meer zu Füßen des Gelehrten schwimmenden Meerestiere zu fangen versucht. Auf beiden Seiten befindet sich eine Randleiste mit Adlern und Schlangen. Der Hinweis auf das vermeintliche Pflanzenmotiv könnte auf eine Verwechslung mit einer anderen, 1847 auf das Erscheinen von Humboldts „Kosmos“ geprägten Medaille des Medailleurs Friedrich Karl Fischer zurückgehen, die von dem Berliner Hofjuwelier Wagner hergestellt wurde und auf der Rückseite ein ähnliches Motiv (Figur der Isis vor einem Meer mit Meerestieren sitzend und die Geheimnisse der Natur enthüllend) zeigt, das von einem Kranz aus Blumen, Blättern und Früchten umgeben ist. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Offensichtlich die mit der Punzierung „G. Loos“ firmierende Berliner Medaillen-Münze von L. Ostermann vormals G. Loos. Apel, Karl Friedrich. Apel, Johann Daniel. Apel, Amalie Marie Christiane, geb. Mennicke. Weiß, Ernst. Ort ca. 5 km nordöstlich von Merseburg. Die südlich des Ortes gelegene Flussaue der Weißen Elster ist heute ein Landschaftsschutzgebiet. Lüben, Friedrich Eduard Christian. Haeckel plante nach dem Abiturientenexamen an der Universität Jena bei dem Botaniker Matthias Jacob Schleiden (1804–1881), dessen Werke er mit Begeisterung gelesen hatte, ein Studium der Naturwissenschaften aufzunehmen. Heute Bad Dürrenberg, Kleinstadt an der Saale ca. 8 km südöstlich von Merseburg, seit 1765 Soleförderung und Siedesalzproduktion. Aufgrund des durch die Soleförderung verursachten Salzeintrags in die umgebende Landschaft kommen in der Saaleaue bei Bad Dürrenberg salztolerante Pflanzen (Halophyten) vor. Weiß, Christian; Weiß, Friederike Wilhelmine. Gruber, Julius Albert; Gruber, Johanne Marie, geb. Hübler. Braune, Karl; Braune, Johanna Concordia, geb. Tänzer. Fleischerei E. Leujeune in Charlottenburg. Krukenberg, Gustav. Aegidi, Ludwig Karl James. Zum Königsberger Besuch sind keine Informationen überliefert. Nicht ermittelt. Heimstädt, Friedrich. Vgl. dazu die Abschrift des Zeugnisses in Br. 46, S. 47.
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54. Von Carl Gottlob Haeckel, [Berlin], 28. oktober 1851, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Merseburga 28. Octob. 51.
Unser Briefwechsel wird sich wohl so einrichten, daß Du gewöhnlich Sonnabend oder Sonntag schreibst und wir Dir dann einige Tage danach antworten. Es freut mich, daß Du Dich allmählich in die Entfernung aus dem älterlichen Hause ohne Schmerz finden lernst, ohne Deine Anhänglichkeit an Deine Eltern und Bruder zu verlieren. So soll es sein, so verlangt es die göttliche Einrichtung dieser Welt. – Mimmi reist in diesem Augenblick nach Stettin zurück und Carl begleitet sie auf den Bahnhof. Carl ist übrigens sehr fleißig in seinem Jus1 und gefällt sich sehr in seinem Zimmer. Er lebt sehr zurückgezogen. Was mich und Mutter betrifft, so müßen [wir] uns nun allmählich in unsern neuen Verhältnißen orientiren und festsetzen. 2 Sachen fallen uns hauptsächlich auf, die hiesige große Theuerung der täglichen Lebensbedürfniße im Vergleich mit Merseburg und die große Weitläuftigkeit der Stadt, die das gesellige Leben, so wie wir es in Merseburg geführt haben, so sehr erschwert. Die Theuerung macht es nöthig, sich möglichst einzuschränken, eine Geselligkeit wie in Merseburg würde schon des Geldpunkts wegen nicht durchzuführen sein, aber auch die große Entfernung der Freunde und Bekannten, die in der Stadt zerstreut wohnen, macht sie unmöglich, wir müßen also anfangen, ein ganz anderes Leben zu führen, ähnlich dem, wenn man auf dem Lande wohnt und seine Bekannten und Freunde ½ bis 1 Stunde weit aufsuchen muß. Nur den Umgang mit Großvater und Bertha pflegen wir sorgfältig, wir gehen in der Regel Abends gegen 9 Uhr auf eine Stunde hin und plaudern zusammen, nachdem wir vorher zu Hause ein kleines Abendbrod zu uns genommen haben. Ich bin schon öfters Mittags und Abends aus und in Männergesellschaften gewesen, Sonnabend Mittags in der gesetzlosen2, gestern Abend im Montagsklub im englischen Hause3, wo ich recht intereßante Männer gefunden habe. Aber auch meine Freunde kann ich nicht so oft sehen, als ich mir es dachte. Sie wohnen zu zerstreut und wenn ich sie einzelnb aufsuche und so die Runde mache, so dauert es lange genug ehe ich herum komme. Die schon länger hier wohnen, finden es ganz in der Ordnung. Ich habe manche alte Bekannte noch gar nicht gesehn und werde erst allmählich mit meinen Besuchen herum kommen. An den Vormittagen bis gegen 12 Uhr bleibe ich zu Hause, lese, studire, schreibe. Dann gehe ich in die Stadt, Nachtisch [!] lese ich Zeitungen und mache gegen halb 5 Uhr Besuche und dann meine Hauptpromenade. Dann lese ich wieder von 7–9 Uhr und dann zu Grospapa. Vorige Woche war ich an einem sehr schönen Tage in Potsdam, fand von den Bekannten das Schleinitzsche Ehepaar4 und Madame Hildebrand5 zu Hause, besuchte Nachmittags den Babelsberg bei sehr schönem Wetter, wo ich in dem schön angelegten Park eine schöne Aussicht genoß. Die Landschaft mit ihren Anhöhen, Waßerspiegeln und Gebüschen ist reitzend. Sonst komme ich mir doch ziemlich fremd in Potsdam vor, da eine neue Generation herangewachsen ist. Es hat sich aber sehr verschönert, manche neue schöne Gebäude, besonders aber die Umgebungen. Nach Sans-Souci etc. bin ich nicht gekommen. Mutter ist noch wenig ausgekommen, || sie ist noch mit ihren häuslichen Einrichtungen beschäftigt, mit denen es sehr langsam vorwärts geht. Heute ist
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Wäsche, in den nächsten Tagen sollen die Gardinen aufgemacht werden, auch fehlt es noch an manchen Möbeln, die erst allmählich eingekauft werden sollen. Vor einigen Tagen waren wir Abends bei Unzers6. Tante Sack7 ist unwohl. Daß ich an den Vormittagen so meinen Studien nachgehen kann, thut mir ganz wohl, aber meine Meditationen über die Gegenwart machen mich oft trübe, diese Gegenwart lastet mit Centnerschwere auf mir, obwohl ich den Glauben an die Zukunft nicht verliere. Diese fast allgemeine Apathie c der Gegenwart ist wahrhaft erdrückend und ich muß alle meine Kräfte zusammennehmen, um den Glauben an die Zukunft nicht zu verlieren. Ich studire jetzt mit großem Intereße Schleiermachers Ethik8. Am Sonntag hörte ich eine Predigt von Krummacher9, die mir wohl gefallen hat. Sonst spüre ich noch hin und her, um die rechten Orte zu finden, wo man sich wißenschaftlich und politisch orientiren kann. In einer kleinen Stadt hat man doch alles mehr beisammen und der Ideenaustausch wird dadurch sehr erleichtert. Ich will indeß über Berlin noch nicht absprechen, ich bin noch zu neu und muß mich erst zu orientiren suchen. – Von meinem gastrischen Fieber sind allerlei Unbequemlichkeiten zurückgeblieben, ich leide ins besondere an erschwerter Verdauung nach Tische. Da muß ich viel spatziren gehen. Wir haben hier im October viel schöne Tage gehabt. Jetzt scheint es zu Ende [zu] sein. Gestern regnete es furchtbar, so daß ich nicht spatziren gehen konnte. – Auch Lichtenstein10 habe ich gesprochen, er meinte, du müßtest durchaus die Medicin in ihren Grundzügen, besonders auch in chirurgischer Hinsicht kennen lernen, das habe seinem Neveu in Indien11 außerordentlich genützt und er habe besonders durch Curen wegen körperlichen Verletzungen großen Zuspruch gehabt. – Vor einigen Tagen sprach ich H. v. Buch12 und zwar wie ich mich ausdrückte über seine großen Reisen, er meinte: er habe dergleichen nicht gemacht, denn die nach Teneriffa sei nicht dazu zu rechnen. Gestern Abend traf ich ihn zum 2ten Mahl und zwar in dem stärksten Regenwetter in Schuhen. General Scharnhorst13 (deßen Gast ich war), meinte, da würde er sich die Füße sehr naß machen; er entgegnete, am Leibe trockneten die Kleider am besten, wenn man sie ausziehe und hinter den Ofen hänge, schrumpften sie zusammen. Du siehst: noch immer das alte Original! – Daß Du so fleißig in Deinen Studien bist, freut mich, Carl ist es auch, ihr habt beide das Examenfieber. Nur immer muthig zu, auch dieser Berg wird überstanden werden! Ich werde Dich manchmal durch Charlottenburger Schlagwurst erquicken. – Der Tod des alten Apel14 hat mich sehr geschmerzt, er war ein sehr braver Mann. Hätte er doch den alten unverbesserlichen Drachen15 lieber zum Teufel gejagt!16 – Grüße die Freunde aufs herzlichste und theile Ihnen meine Briefe, so weit sie für sie von Intereße sind, mit. Dein Dich innigst liebender Vater Haeckel eDie Akten vermiße ich gar nicht.
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[Fragment einer Nachschrift von Charlotte Haeckel] [ ] gesagt, die 8 Th. sollten der Kleinkinderschule, worauf Karl meinte, er möge es der Armenkasse anweisen, weil die keine Gerichtskosten zu zahlen habe. 1 2
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Vgl. Br. 48, Anm. 8. Gesetzlose Gesellschaft zu Berlin, noch heute bestehende Honoratiorengesellschaft zum gegenseitigen Austausch über Gegenstände der Kunst, Wissenschaft und Kultur, die außer einigen Bestimmungen über die Aufnahme von Mitgliedern keine Statuten besitzt. Die Zusammenkünfte der Gesellschaft, die ihren Höhepunkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte, fanden in der Regel vierzehntäglich sonnabends statt und waren mit einem festlichen Essen verbunden. Auch Montagsgesellschaft, 1749 gegründeter bürgerlicher Geselligkeitsverein in Berlin, wo sich ab 1789 Staatsmänner, Beamte, Wissenschaftler und Künstler regelmäßig montags im „Englischen Haus“, einem Gesellschaftslokal in der Mohrenstraße 49, zur Pflege des zwanglosen geselligen Austauschs über alle Gebiete der Wissenschaften und Künste zusammenfanden. Schleinitz, Georg von; Schleinitz, Constanze von, geb. von Hopfgarten. Nicht ermittelt. Untzer, Gustav Friedrich von; Untzer, Juliane von, geb. Bölling. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Schleiermacher, Friedrich: Grundriß der philosophischen Ethik. Berlin 1841. Krummacher, Friedrich Wilhelm. Lichtenstein, Martin Hinrich Carl. Vermutlich der Sohn von Johann Nicolas Heinrich von Lichtenstein, Dr. med., Bruder von Martin Hinrich Lichtenstein. Buch, Christian Leopold von. Scharnhorst, Wilhelm von. Apel, Johann Daniel. Apel, Amalie Marie Christiane, geb. Mennicke. Vgl. Br. 53, S. 59.
55. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 2. november 1851
Liebste Ältern.
Merseburg 2/11 1851.
Ich benutze die Sonntagsfrühe, um euch auf euren Brief der mich sehr erfreute, da ich so früh noch keinen erwartet hatte, zu antworten. Mir geht es jetzt ganz leidlich und ich habea so knapp die Zeit abgemessen, daß ich kaum zur Besinnung kommen kann; eine deutsche, eine lateinische, eine mathematische Arbeit, das soll ich noch alles morgen und übermorgen in den beiden freien Jahrmarktstagen machen. Gestern Nachmittag waren wir 4 „Pensionsviertel“1 (wie uns die Schüler betiteln) mit Osterwald und Engel2, der vorgestern von seiner großen, halbjährigen russischen Reise zurückgekehrt ist, in Wallendorf3. Letzterer erzählte viel von Rußland. Es muß wirklich schrecklich dort sein; ein Druck und eine Willkühr, wie man sie sich nicht ärger denken kann; und dabei doch alles durch Bestechung erreichbar. Besonders arg ist dies mit dem Paß-Wesen an der Grenze und den Zeitungen, in denen alles, was nur irgend Bezug auf Politik hat, sogleich von den censirenden Postmeistern schwarz
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überpinselt, und der Redacteur, ist er ein Ausländer, über die Grenze, ist er ein Russe, nach Sibirien gebracht [wird]. Auch von Eisenbahnunglücken u. dergl. darf nie etwas gedruckt werdenb. – Gestern Abend waren wir 4 den ganzen Abend nach dem Essen noch unten, wo uns Osterwald mit dem köstlichsten Humor den Don Quixote4 vorzulesen anfing. Er ist wirklich ein köstlicher Mann; wir werden von jetzt an wöchentlich einen Unterhaltungsabend haben. || Heute haben wir zum zweiten mal eingeheizt, aber nicht viel, da auch Weiß5 lieber etwas kalt, als zu warm sitzt. Auch hat es den Vortheil, daß die beiden andern, die sehr frostig sind, nun nicht so viel herüberkommen. – Die Pfefferminze aus unserm Gärtchen hatte ich schon längst abgeschnitten. Sie ist auch schon ganz trocken, aber es ist freilich nicht viel. Der Garten ist sehr verändert, da Madam Merkel (die sich über deine Briefe sehr freute) ihn an den jungen Dill in der Ressource6 ganz verpachtet hat. Alles ist umgegraben. – Läßt Du, liebe Mutter, denn auch die Blumen ordentlich besorgen und besonders die Töpfe, in denen die Liliaceen7 Zwiebeln sind, ordentlich begießen? Saget meinem lieben Karl, den ihr mir herzlich grüßen und küssen müßt, daß ich von der Gesetzsammlung No 33–388 und von dem Ministerialblatt No 40–439 nun richtig bekommen habe, aber die Gesetzsammlung nicht c in zwei Exemplaren, wie Karl schreibt, sondern einfach. – Brauchitschens10 haben einen kleinen muntern Jungen11 bekommen; sonst hab’ ich von den Bekannten nichts wieder gehört; ich werde aber wohl bald einmahl wieder zu Karos gehen müssen. Ich habe nun auch Friedrichs12 (den ich neulich in seiner d ganz kleinen Kneipe besuchte) neue Ehehälfte13 kennen gelernt; es ist ein höchst gutmüthigdumm aussehendes Gestell von 4' Fuß Höhe und 3' Breite. – Es ist schon halb 10 Uhr, und ich muß mich rasch anziehen, um noch bei Braun14 in die Kirche zurecht zu kommen – || Sonntag Nachmittag. Braun hielt wieder eine schöne, offne und herzliche Rede, über den Text: „Suchet in der Schrift“15, wobei er, indem er über das Warum, Wo und Wie des Suchens sprach, daraufhin wies, wie es erst dadurch im Staate besser werden würde, wenn die Leute sich mehr mit der Bibel beschäftigten und dadurch das Familienleben besserten. – Abends Schon wieder unterbrochen! Als ich dies eben schrieb, kam Finsterbusch von Halle mich besuchen und ich ließ mir viel von ihme über das Studentensein erzählen wobei ich natürlich wieder sehnsüchtigst der schönen kommenden Zeiten, aber auch grauenvoll des Examens gedachte, zu dem noch so unmenschlich viel in den Kopf gepfropft werden soll und wenn ich mich am Schluß der Woche frage, was ich gethan, so ist es doch nichts! O Gymnasium! o tempora, o mores!16 – Heute aßen wir Gänsebraten; f mache Dir aber, liebe Mutter, ja keine Illusionen von dem einstigen Mutter-schen Gänsebraten auf der Hütte17! Es war nichts, als etliche mächtige hohle Knochen, mit zähem, trocknen, alten, saft- und fett-losen Fleisch sparsam überzogen. Dabei erfuhr ich auch die allerneuste Neuigkeit, nämlich die Verlobung des Grafen von Zech (Herrn von Goseck pp) mit Frl. Thekla von Krosigk.18 || Nachdem Finsterbusch weg war, ging ich mit meinen 3 Pensionscollegen19 auf den Exercirplatz zu dem berühmten Athleten und Gymnastiker Kolter,20 der schon die
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ganze Woche hier Vorstellungen gegeben hatte. Kolter selbst spielte nur noch ganz weniges, aber sein Haupt-Matador, Weitzmann21, vollbrachte wirklich außerordentliches. Er sprang von einem hohen Schwungbrett über einen mit 2 Pferden bespannten Wagen der Länge nach weg, dann über 6 nebeneinanderstehende Pferde, dann über die gekreuzten Bajonette 8 ihre Gewehre grade abfeuernder Soldaten, und zwar alle Sprünge, indem er sich überschlug; dann ging er, als es schon ganz dunkel war, als Galeerensclave gekettet, die Hände gebunden, ein thurmhohes Seil hinauf und hinunter u. s. w. – Übrigens bin ich diese Woche nicht viel herausgekommen, da es meistens trübes, neblichtes Wetter und die letzten Tage auch recht naß-kalt war. – In der vergangenen Woche verheirathete sich auch die Schwester von Frau Thielemann mit einem Magdeburger Kaufmann,22 wozu Osterwald wieder viele komische Sachen gedichtet hatte. – Abends arbeite ich jetzt immer bei Vaters gelber Stellampe, die mir sehr zu Statten kommt. Weiß hat auch eine; die andern beiden müssen aber bei Licht arbeiten. – Nun viele tausend Grüße und Küsse an Alle, besonders meinen alten Karl, dem ich nächstens besonders schreibe,23 und Tante Bertha. Euer alter, treuer Junge Ernst Häckel. – || Was Papa mir von Leopold von Buch schrieb24, hat mich höchlich amüsirt, das von Lichtenstein25 sehr interessirt. Das ich neben der Naturwissenschaft tüchtig Medicin studiren muß, weiß ich wohl und ich freue mich auch sehr darauf. Was aber aus dem ausstudirten Mann wird, weiß der liebe Himmel. Zum practischen Arzt zu ungeschickt, zum Reisenden zu unpractisch, zum Professor zu schlecht, zum Provisor und Kräutermann zu gut; g Vorerst weiß ich nur, daß ich mit ganzer Seele studiosus medicinae et naturalium werde. Für das weitere wird schon Gott sorgen. Bis dahin euer alter Naturmensch! 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Vgl. Br. 46, Anm. 18. Engel, David Hermann. Gemeinde nordöstlich von Merseburg, heute Ortsteil von Schkopau, vgl. Br. 50, Anm. 7. „El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha“, Roman des span. Nationaldichters Miguel de Cervantes Saavedra, die hier benutzte Übersetzung ist nicht zu ermitteln. Weiß, Ernst. Dille, Carl Friedrich. – Die „Ressource“ war das Gesellschaftshaus der gleichnamigen Merseburger Gesellschaft, das sich Am Neumarktstor 2, später Brauhausstraße 2 befand. Familie: Liliaceae Juss. (Liliengewächse), Pflanzenfamilie der einkeimblättrigen Pflanzen. Vgl. Br. 53, Anm. 5. Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege. Hrsg. im Bureau des Justiz-Ministeriums. 13. Jg., Berlin 1851, Nr. 40, 3.10.1851 – Nr. 43, 24.10.1851, S. 317–340. Brauchitsch, Gustav Carl Sylvester von; Brauchitsch, Emma von, geb. von Oertzen. Brauchitsch, Hans Karl Eduard von. Heimstädt, Friedrich. Heimstädt, Johanne Marie, geb. Walther. Braune, Karl. Johannes 5, 39. Lat. O tempora, o mores!: O Zeiten, o Sitten! (Cicero: Catilina, 1, 1, 2).
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Das Wohnhaus der Familie Haeckel in Merseburg. Julius Graf von Zech-Burkersroda heiratete am 16.12.1851 in Merseburg Thekla Marie Anna von Krosigk. Vgl. Br. 46, Anm. 18. Kolter, Wilhelm. – Die Koltersche Seiltänzergesellschaft war zwischen 1818 und 1860 eine der berühmtesten Artistenfamilien Europas. Aus ihr ging später der Zirkus Malmström hervor. Weißmann, Robert. Schwester von Bertha Thielemann, geb. Schulenburg. Überliefert ist erst wieder Br. 70, Ernst Haeckel an Karl Haeckel, 8.–10.12.1851. Vgl. Br. 54, S. 62. Ebenda.
56. Von Carl Gottlob Haeckel, [Berlin], 8. november 1851
Mein lieber Ernst!
Merseburg1, 8. Novemb. 51.
Deinen lieben Brief vom vorigen Sonntag2 haben wir erhalten und daraus ersehen, daß Du wohl bist. Das schlechte Wetter wird Deine Studien sehr begünstigen, sowie denn auch Carl ganz in sein Landrecht3 versunken ist. Mutter hat große Wäsche gehabt und ist immer noch mit den Einrichtungen des Quartiers und der Wirtschaft begriffen, auch ist sie bei dem schlechten Wetter wenig ausgegangen, wogegen ich täglich meine starken Touren mache. An den Vormittagen bin ich mit Lesen beschäftigt, gegen Mittag mache ich einige Besuche oder Besorgungen ab. Die Akten vermiße ich nicht. Ich lese jetzt ein Werk über Rußland, worin der rußische Despotismus vollständig und gründlicher auseinandergesetzt ist, als ihn H. Engel4 kennen gelernt hat. Es heißt: Rußland und die Gegenwart.5 – Ich sehne mich öfters nach dem Cirkel meiner a alten Freunde in Merseburg. Die hiesigen Freunde kann ich nicht so vereint sehen, wie dort. Sie wohnen zu zerstreut und sind schwerer zusammen zu bringen. Doch sind wir schon 2 Mahl im freundschaftlichen Abendcirkel gewesen. Gegen 9 Uhr Abendsb wird fast täglich zu Grospapa gegangen, und dort bis halbc 11 Uhr geblieben, was dem alten Herrn sehr convenirt. – Studire nur immer fleißig fort und lerne etwas Tüchtiges, das Uebrige wird sich dann schon finden. Nur ein ernsthaftes Streben, ein tieferes Eindringen in die Wißenschaft, ein geistvolles Auffaßen derselben, das ist die Hauptsache. Wir denken Deiner fleißig undd oft, insbesondere auch wenn es einen guten Bißen giebt, den wir Dir aber doch selten mittheilen können, solange nicht noch neue Erfindungen gemacht sind. – Vorgestern war Krukenberg6 hier, er geht vorläufig auf 6 Monat nach Wreschen im Herzogthum Posen. Auch Richter läßt sich gewöhnlich Montags sehen. e Im Anfang dieser Woche sind wir einen Abend bei Tante Jacobi7 gewesen, wo der alte und junge Saluskovsky8 waren. Heute Mittag gehe ich als Gast von Julius9 in die gesetzlose Gesellschaft10. Mutter ist in die Stadt gegangen, einzukaufen. Es hat hier schon tüchtig geschneit, der Schnee ist aber wieder geschmolzen. Mimi ist wieder in Stettin und leidet noch am Schnupfen, sie wird Dir nächstens schreiben. Carl ist manchmal ein bischen hypochondrisch wegen des Examens wie Du, ihr müßt euch aber alle Beide keine graue [Haare] darüber wachsen lassen. Man thut das Seine, übrigens Gott befohlen. Empfiehl mich Herrn Osterwald
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bestens und danke ihm in meinem Namen, daß er Euch Abends manchmal etwas vorliest. Das erheitert das Leben. Vernachläßige die Bewegung nicht, wenn es gutes Wetter ist. Der schlechten Tage sind so in jetziger Jahreszeit genug. – Mutter gedenkt Dir nächstens zu schreiben. Denke fleißig Deiner Eltern Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8
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Irrtüml. für: Berlin. Br. 55. Vgl. Br. 52, S. 56, bes. Anm. 10. Engel, David Hermann, vgl. Br. 55, S. 63. Buddeus, Aurelio: Rußland und die Gegenwart. 2 Bde., Leipzig 1851. Krukenberg, Gustav. Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann. Zaluskowski, Friedrich Leopold von; Zaluskowski, Conrad August Otto oder Zaluskowski, August Friedrich Wladislaw. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Vgl. Br. 54, Anm. 2.
57. Von Charlotte Haeckel, [Berlin], 10. november 1851
Mein lieber Ernst!
Montag | d. 10ten November | 1851
Als Vater Dir Sonnabend schrieb,1 konnte ich nicht mitschreiben weil ich Besorgungen zu machen hatte. Daß Du nun schon so bald von mir wieder Nachricht erhälst, hat eine traurige Veranlassung: Tante Sack2, die schon seit 3 Wochen krank war ist gestern früh gestorben. So beginnt unser hiesiges Leben || gleich mit einem miesen Ereigniß. Die Leiche wird nach Tantens Wunsch nach Stettin gebracht um neben Onkel3 beerdigt zu werden. Onkel Julius4, Deina Vater und ich glaube auch, Brunnemann5 und Mollard6 werden nach Stettin fahren, um der Beerdigung bei zu wohnen. Uebrigens ist Tante ganz sanft einge-||schlafen. – Hoffentlich bist Du, mein lieber Ernst, ganz gesund, und giebst uns bald mal Nachricht über Dein Befinden. Wir sind gesund; auch Großvater, der zwar sehr bewegt über Tantens Tod ist. – Tante Bertha geht es leidlich. Vater und Karl, die Dich herzlich grüßen, fahren heute nach Mariendorf zu Richter. || Osterwald und wen Du sonst von unsern Freunden siehst, grüsse aufs herzlichste von uns. Gott sei mit Dir, mein Herzens Sohn, halte Dich gesund, und denke fleissig an Deine Dich so innig liebende Mutter. Bei Onkel Julius haben die Kinder Stickhusten; und der kleine Paul7 von G. Reimer8 ist sehr krank, so daß keine Hoffnung zur Besserung ist. –
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Br. 54. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann; sie starb am 9.11.1851 in Berlin. Sack, Johann August. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Brunnemann, Wilhelm Eduard. Mollard, Carl Julius Alexander. Reimer, Paul; er starb zehnjährig am 29.11.1851. Reimer, Georg Ernst.
58. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 12. november 1851
Liebe Ältern
Merseburg, Dienstag 12/11 1851 Mittag
eigentlich sollte mein heutiger Brief nur Vorwürfe enthalten, daß ihr mich so lange habt warten laßen; fast 14 Tage! Ich dachte wirklich ganz ernstlich bange, ob einem von euch was zugestoßen wäre, und wenn mich nicht heute um 12 Uhr als ich aus der Schule kam, Vaters und Mutters Briefe1 zugleich überrascht hätten so hätte ich auch ohnedieß einen Schelt-Brief an euch Ungetreue geschickt, die ihr in eurem Berliner Wohl-sein euren armen in den Merseburger Gefängnißen schmachtenden Jungen vergeßt. Wir haben ueberdieß jetzt auf einmal wieder recht viel zu thun gehabt. Gestern früh in der Schule, als die gewöhnlichen Lectionen statt finden sollten, trat auf einmal um 8 Uhr Osterwald in die Klasse, und verkündete uns einen sofort zu machenden 4stündigen deutschen Aufsatz, den er als a Vorarbeit zum deutschen Abiturientenaufsatz betrachten wolle, und um uns einen desto genauern Vorgeschmack hiervon zu geben, stellte er die 4 Themata, die Finsterbusch und seine Genossen bearbeitet hatten: 1) Göthe als Gelegenheitsdichter 2) Göthe und Schiller als Ergänzung 3) Klopstock, Lessing und Göthe im Verhältniß zur Antike und 4) eine Sentenz über den Menschen aus Herrmann u. Dorothea.2 Obgleich wir alle natürlich einen tüchtigen Schreck bekamen, so waren wir doch mit den Themata sehr zufrieden und wünschten uns zu Ostern gleiche. Die meisten bearbeiteten das 1te, ich allein das 3te, über das ich kurz zuvor etwas gelesen hatte, und was, wie ich glaube, ziemlich gut gelungen ist, da ich Lust dazu hatte und den Morgen grade ziemlich munter war. Ich schrieb einen Bogen ganz eng voll. || Sonntag (vorgestern) Abend ging ich „halb von freien Stücken!!“ zu Karos wo auch Kathens, Simons und Braunes waren. Es war recht hübsch. Lottchen Dewitz3 war glücklicherweise nicht da, und ich habe auch jetzt zu meiner großen Freude keine Stunde bei ihr gehabt,4 da sie fortwährend mit Frau v. Brauchitsch5 beschäftigt ist, der es übrigens außerordentlich gutb geht; auch der Junge6 ist sehr munter. Sonst weiß ich von hiesigen Neuigkeiten nur, daß Zech schon nächsten Sonntag mit Thecla Krosigk in größtem Pomp getraut wird,7 und daß sie sogleich dann nach Italien reisen. Daß das arme Italien auch alle langweiligen Leute geistreich machen soll! – Sontag Mittag war ich bei Merkels, wo ich mit Hasenbraten und Apfelmus tractirt wurde und dann die 48 rℓ 17 Sgr von der Auction und die 2 rℓ 12 Sgr von dem Klingel pp. Verkauf erhielt; ich werde dies Geld außerordentlich gut verwenden kön-
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nen, denn: hört! hört!! Bekanntlich findet am 24sten die Linksche Bücherauction8 in Leipzig statt, wo die bis jetzt gröste botanische Bibliothek (11 000 Bände) versteigert wird. Da habe ich nun von den allerschönsten, wichtigsten und nothwendigsten Büchern (darunter auch Gervinus Literaturgeschichte9) Auftrag an den Buchhändler gegeben, und zwar zusammen für c über 30 rℓ! Aber lacht nicht! und werdet auch vor allem nicht böse! Zur Beruhigung mag euch die Versicherung dienen, daß ich im günstigsten Fall höchstensd für 6-10 rℓ bekommen werde, und dies kann dann aus meiner Bücherkasse e bezahlt werden. Dabei wollte ich euch sagen, daß ihr zu Weihnachten ja nicht Berghaus Atlas10 kauft, da ich ihn vielleicht in dieser Auction bekomme, oder auch auf der Nees von Esenbeck’schen,11 die im Februar stattfinden wird. Unter den angegebnen Büchern habe ich auch u. a. 8 rℓ! für Lindleis Orchideen12 angesetzt, die nur 83⅔ rℓ kosten. || Daß ich es für diesen Preis nicht kriege, ist so gut, wie gewiß. Es ist dies eins der herrlichsten f Prachtwerke und enthält colorirt die sämmtlichen bekannten Orchideen auf 50 feinsten Englischen Kupfertafeln in Folio maximo!! Ferner ist darunter eine geognostische Karte Deutschlands von Buch13 (neu 40 rℓ) für die ich 6 rℓ angesetzt habe und lauter andre klassische Sachen. Ich werde wohl nichts bekommen. – Sontag, wo ich mich mit diesem Catalog abgab, hatte ich überhaupt einen sehr heitern Tag. Früh nahm ich die letzten Pflanzen aus der Presse,14 und führte letztere in die 3monatlichen Winterquartiere, aus denen auferstehend sie hoffentlich den Studenten begrüßen wird. Dann ging ich in deng Dom, wo ich von Simon eine ganz außerordentlich schöne, energisch-ergreifende, wirklich reformatorische Predigt hörte. h Bei jedem Wort liebe Mutter, dachte ich besonders an Dich, da es Dir wie aus der Seele gesprochen war. Der Text war: Bewahret euch die Freiheit, zu der Christus euch befreit hat und sinkt nicht wieder in die alte Knechtschaft (Evangelium Johannes)15. Die ganze Predigt war direct gegen das Papstthum und die katholische Kirche, besonders aber gegen diejenigen Protestanten (Pietisten und Ultramontanen) gerichtet, die dem Papst in die Hände arbeiteten. Simon führte sehr schön und wahr durch, wie diejenigen den Katholicismus beförderten, die die christliche Freiheit dadurch zu knechten suchten, daß sie strebten nach 1) der Herrschaft des Buchstabens und des todten Gesetzeswortes, 2) nach einer äußerlichen Herrschaft bestimmter Menschen und Persönlichkeiten in der evangelischen Kirche 3) nach einem äußeren Schmuck, Prunk und Glanz der Kirche und insbesondre des feierlichen Gottesdienstes, des Gebetes, der Predigt, des Liedes u. s. w. || Besonders den dritten Theil führte er mit dem Eifer und der Entrüstung eines echt christlichen und deutschen Mannes durch, und zeigte aufs schönste, die so einfache, reine, edle Seele eines wahren Gottesknechts, der zum Dienst nicht bunten Schmuck brauche. Frobenius, der nicht weit von mir saß, mochte die Predigt wenig behagen; besonders zuckte er sehr mit den Achseln, als Simon von dem leeren, hohlen Wortgeklingel und Bilderspielen in der Predigt sprach, dasi kaum besser sei, als das gedankenlose Herplappern in den katholischen Kirchen, und daß man durch künstliche Musikstücke, festlichen Schmuck u. dergl. die „nackte“ Predigt einschränken wolle. Aber nicht nur mich hatte die herrliche Predigt, an deren Schluß er auf die schweren, drohenden Kämpfe hinwies und gegen sie ermuthigtej, aufs tiefste bewegt, auch Karos und Kathens waren entzückt davon und wir sagten ihm Abends alle zusammen herzlichen Dank dafür. Leider waren wegen des schlechten Wetters (es schneite zuerst ein wenig mit Regen; sonst haben wir noch keinen
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Schnee gehabt) wenig Leute in der Kirche. Dies schlechte Wetter hält mich auch in der Stube. Ich gehe sehr wenig aus. – Der alte Henkel16, der zur Linkschen Auction nach Leipzig reist und für einige 100 rℓ kaufen will, läßt Vater bestens grüßen, und fragt nach der Humboldtsmünze17. – Tante Sacks Tod18 hat mich sehr überrascht; was hat ihr denn gefehlt; nun wirds wohl große Erbschaftsgeschichten geben. – Ist denn Vetter Theodor19 durchs Examen gekommen und was und wo studirt er? – Ist Rüts jetzt in Berlin? – Was macht die liebe Tante Bertha. Ihr und Karl 1000 Grüße. Auch euch schicke ich k viele herzliche Grüße und Küsse mit. Bleibt recht gesund und schreibt recht bald wieder an euren treuen, alten Jungen Ernst Haeckel. –|| Dienstag Abends Noch einmal, liebe Eltern, kann ich euch versichern, daß ihr euch über die 30 Thaler zur Bibliothek nicht die geringste Sorge zu machen braucht, indem ich von Lüben20 gehört habe, daß eine solche Unmasse Buchhändler und Bücherwürmer nach Leipzig kommen, daß wohl nicht daran zu denken sein wird, daß ich etwas bekomme; zumal da ich die meisten unter ⅓ des Werths angesetzt habe. Nur einige, die ich auch so ganz nothwendig haben wollte, habe ich höher angeschlagen z. B. Schleidens wissenschaftliche Botanik21 eine Flora Thüringens und eine geognostische Karte Thüringens v. Cotta22 (neu 8⅔ rℓ). Ferner ist auch Leopold v. Buchs geognostische Karte Deutschlands darunter, die neu 40 rℓ kostet, und viel andres klassisches mehr. Und wie gesagt, bedenkt meinen Atlasfond! Gestern habe ich Herrn Gude23 auf sein Verlangen geschrieben und ihm die beiden ersten Bände meiner illustrirten Naturgeschichte, Vögel und Säugethiere24 geschickt, was er zur Herausgabe eines Lesebuchs benutzen will.25 Auch an Herrn Gandtner26 haben ich und Weiß27 geschrieben28 um einen Pflanzenaustausch zu beginnen. 1 2
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Br. 56 und 57. Die erwähnten deutschen Themata der Primaner von 1851 waren: 1) „Mit welchem Rechte können Göthes Gedichte Gelegenheitsgedichte genannt werden?“, 2) „Göthe und Schiller, einer des andern Ergänzung“, 3) „Lessing, Klopstock und Göthe in ihrem Verhältnis zur Antike“ und 4) „Erst verlangt er das Neue, / Suchet das Nützliche dann mit unermüdetem Fleisse, / Endlich begehrt er das Gute, das ihn erhebet und werth macht. (Göthe Hermann und Dorothea Iste Gesang)“; in: Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 28. Dewitz, Charlotte von. Nachdem Haeckel zunächst Klavierunterricht bei dem Domorganisten und Musiklehrer am Domgymnasium Merseburg, David Hermann Engel, hatte, wurde Anfang 1851 die Stiftsdame Charlotte von Dewitz seine Klavierlehrerin; vgl. dazu Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Bl. 19v, Eintrag v. 25.1.1851: „Klavierstunde bei Engel aufgehört, bei Lottchen v. Dewitz angefangen.“ Brauchitsch, Emma von, geb. von Oertzen. Brauchitsch, Hans Karl Eduard von. Vgl. Br. 55, Anm. 18. Link, Heinrich Friedrich; vgl. Verzeichniss der von dem Herrn Dr. Heinrich Friedrich Link [...] hinterlassenen Bibliothek, welche am 24. November 1851 durch den verpflichteten Proclamator Herrn F. Förster zu Leipzig im T. O. Weigel’schen Auctions-Locale gegen baare Zahlung versteigert werden soll. Leipzig 1851.
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Gervinus, Georg Gottfried: Historische Schriften. 6 Theile, Leipzig 1833–1842, hier 2.–6. Theil: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Leipzig 1835–1842. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas oder Sammlung von Karten, auf denen die hauptsächlichsten Erscheinungen der anorganischen und organischen Natur nach ihrer geographischen Verbreitung und Vertheilung bildlich dargestellt sind. 2 Bde., Gotha 1837–1848, 2. Aufl., 1849– 1863; vgl. Br. 129, Anm. 2. Vgl. Catalogus bibliothecæ Chr. Godofr. Nees ab Esenbeck, Dr. Academiæ Caesareæ Leopoldino-Carolinæ Naturæ Curiosum Præsidis, Professoris Vratislaviensis. Verzeichniss der Bibliothek des Professors Dr. Christ. Gottfr. Nees von Esenbeck, Präsidenten der k. LeopoldinischCarolinischen Akademie der Naturforscher, welche am 1. März 1852 – zu Breslau – versteigert werden solle. Mit einer Vorrede von Nees von Esenbeck und der Uebersicht seines gleichfalls ankäuflichen Herbarii. Breslau [1852]. – Zu den Hintergründen der Versteigerung vgl. Bohley, Johanna: Christian Gottfried Nees von Esenbeck. Ein Lebensbild (Acta historica Leopoldina; 42). Halle 2003, S. 133–139. Lindley, John: The Genera and Species of Orchidaceous Plants. VII Parts, London 1830–1840. [Buch, Leopold von]: Geognostische Karte von Deutschland und den umliegenden Staaten in 42 Blättern. Nach den vorzüglichsten mitgetheilten Materialien hrsg. von Simon Schropp & Comp. Berlin 1826. Haeckel sammelte von früher Kindheit an systematisch Pflanzen und besaß ein umfangreiches Herbarium, das er am 6.6.1912 dem Herbarium Haussknecht in Weimar (heute Jena) schenkte; vgl. Haeckels Eintrag gleichen Datums in seinem Schreibalmanach (EHA Jena, B 260).– Im Bestand des EHA befinden sich noch einige kleinere Herbarien, die Haeckel vermutlich als persönliche Erinnerungsstücke behielt, z. B. ein 25 Belege umfassendes Farnherbarium, das er anlässlich des 23. Geburtstags von Anna Sethe, dem Tag ihrer offiziellen Verlobung, als Geschenk zusammengestellt hatte („25 Deutsche Farrnkräuter. Anna Sethe. Haeringsdorf. Am 14ten September 1858. (Zum 23.sten Geburtstage meiner lieben Braut) Ernst Haeckel.“ (EHA Jena, E 3) und ein Jugendherbarium („Ernesti Haeckelii Herbarium primum collectum annis 1840–1843 et 1846– 1850.“ (EHA Jena, E 1). Vgl. Brief des Paulus an die Galater, 5.1 „So bestehet nun in der Freiheit, zu der uns Christus befreit hat, und lasset euch nicht wiederum in das knechtische Joch fangen.“ Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Vgl. Br. 53, S. 59. Vgl. Br. 57, Anm. 2. Bleek, Theodor. Lüben, August Heinrich Philipp. Schleiden, Matthias Jacob: Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik nebst einer methodologischen Einleitung als Anleitung zum Studium der Pflanze. 2 Theile, Leipzig 1842–1843. Cotta, Carl Bernhard von: Geognostische Karte von Thüringen – als Fortsetzung der von der Königlich Sächsischen Regierung herausgegebenen geognostischen Karte von Sachsen […]. – Blatt Rudolstadt 1844 [erschienen 1847] – Blatt Meiningen [1847] – Blatt Weimar-Gotha 1846 [erschienen 1847]. Dresden; Leipzig. Gude, Karl. Poeppig, Eduard Friedrich: Illustrirte Naturgeschichte des Thierreichs. Bd. 1: Naturgeschichte der Säugethiere. Bd. 2: Naturgeschichte der Vögel, Leipzig 1847/48; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 100 (=152–153). Vgl. dazu Gude, Carl / Gittermann, Louis: Vaterländisches Lesebuch in Bildern und Musterstücken für Schule und Haus. Magdeburg 1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 156 (=276; Vermerk Haeckels: „Geschenk des Verfassers“); weiterhin Gude, Carl / Grube, August: Unterhaltungen und Studien aus dem Natur- und Menschenleben. Ein Almanach für die Jugend. Magdeburg 1852 (beide Titel in zahlreichen Aufl. erschienen). Gandtner, Johann Otto. Weiß, Ernst. Verbleib unbekannt.
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59. Von Hermine Sethe, Stettin, 12. november 1851
Lieber Ernst!
Stettin d. 12 Oktober1 1851
Längst schon habe ich versuchen wollen Dir Deinen Brief2 zu beantworten, ähnlich dem Deinen, aber je länger man wartet, desto schlechter geht es, wie figura3 zeigen wird. Wenn ich also wage meinem geliebten Schwager in spe ehrfurchtsvoll einen Dank zu sagen, so werden meine paar Worte nicht im Stande sein, die große Freude, diea mir Dein Brief gemacht hat zu beschreiben. Ich war gerade zum Essen in N: 64, las Deinen Brief vor, als der Alte5 in sehr guter Laune, b ein Gewisser6 dagegen, wie Du denken kannst, vergraben im Landrecht und sehr pensiv7! Das glaubst Du Alles, aber nicht wenn ich Dir mittheile, daß er in dieser kurzen Zeit singen gelernt hat; leider beschränkt esc sich nur auf 4 Strophen, die er aber ganz perfeckt || auswendig gelernt und trug sie sehr ausdrucksvoll seiner Erwählten vor wie folgt: „Üb immer Treu und Redlichkeit, bis an Dein kühles Grab, und reise dann sobald Du kannst, in Gottes Namen ab.“ Was sagt Dein brüderliches Herz dazu? Ich habe durch die That geantwortet und bin seit 14 Tagen hier, aber leider immer noch mit Schnupfen und Husten, der trotz aller Sorgfalt und Mittel nicht weichen will, zu meinem großen Kummer. Jetzt bin ich nun so weit gekommen, daß ich seit beinah 3 Wochen keinen Schritt vor die Thür gehe, ja kaum einmal des Tags in die Küche komme. Daß es je soweit mit Deiner Landplage kommen würde, hätte ich mir nie gedacht; trotzdem bin ich vergnügt und munter und wünsche mir Nichts mehr, als daß Karl, das Examen glücklich möge bestanden haben. Morgen werde ich Deinen und meinen || Papa8 sehen und heute den 14 ist er schon einen Tag hier. Wenn die Veranlassung auch eine traurige war, so freue ich mich doch ihn hier zu sehen und daß so wohl und munter. Gestern früh 10¾ Uhr kamen die Herren9 von Berlin hier [an], rassirten sich und frühstückten und fuhren dann zum Bahnhof von wo um 12½ Uhr die Leiche der guten Tante Sack10 zum Kirchhof gebracht wurde, und neben dem Onkel11 in die Gruft gesenkt wurde. Nachher waren Alle zu Mittag und Abend hier, Dein Vater, Onkel Julius12, August Jacobi, der Landrath v. Reiman aus Aachen13, die beiden jungen Saluskowski’s14 und Karl Düring mit Frau15. So eben ist ein Theil wieder abgereißt, August, Hr. v. Reiman und die beiden Saluskowski’s; um 4 Uhr wird Onkel Julius reisen so daß dann das Haus wieder leer ist bis auf meinen Schwiegerpapa, der so liebenswürdig ist bis Sonntag früh zu bleiben. Da muß ich ihm doch nothwendig an meinen lieben Schatz einen Brief mitgeben, der ihn hoffentlich ein wenig nach seinem Landrecht aufkratzen wird. Denke Dir daß Meier16, der so lange Nichts von sich hören ließ seit ¾ Jahren verlobt ist und nächstens || auch zum großen Examen nach Berlin kommt. Karl freut sich sehr darauf. Die ersten Tage wird er bei Deinen Eltern wohnen; ich möchte ihn gern einmal wieder sehen, es war ein sehr netter Mensch. Ob er sich auch gewundert hat daß Karl sich mit seiner Cousine17 mit der langen Nase verlobt hat, wie Esmarch18? Hat Dir Karl erzählt, daß wir zusammen der Frau Esmarch19 einen Besuch gemacht haben und sie uns sehr wohl gefallen hat? Was übrigens meine Titel20 anbetrifft, so mache Dir darüber nur ja nicht lustig, darum würden mich gewiß sehr Viele beneiden. Die Titel lasse ich mir schon gefallen;
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Dein Brief ware mir übrigens ein Beweis Deiner munteren Laune; wenn es auch oft Kohl giebt so giebts doch auch was anderes, darüber gräme ich michf noch nicht, dazu kommt denn manchmal ein Pflästerchen von der Mama –––– ! nicht wahr? und von der Schwägerin nur ein herzlicher Gruß mit dem Wunsch, daß es Dir gut bekommen möge. Die Merseburger Bekannten, worunter Karos nicht zu vergessen sind, auch den Diakonus Simon und die Tochter21, ebenso Merkels bitte ich schön von mir zu grüßen, wenn sie sich meiner noch erinnern. Was macht der Fuß von Marie Simon? Dich besonders grüßend bleibe ich Deine Schwägerin, aber keine Landplage. Mimmi. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21
Irrtüml. Oktober statt November, datiert nach dem Todestag (9.11.1851) von Marianne Gertrude Johanna Sack, geb. von Reimann. Nicht überliefert. Die Form bzw. Gestalt des vorliegenden Briefes. Schifferstraße Nr. 6, Wohnung von Charlotte und Carl Gottlob Haeckel. Haeckel, Carl Gottlob; vgl. Br. 45, Anm. 16. Haeckel, Karl. Versonnen, nachdenklich; zum Landrecht vgl. Br. 52, Anm. 10. Sethe, Christian. Haeckel, Carl Gottlob; Haeckel, Karl. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Sack, Johann August. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Reimann (Reiman), Eugen Carl Thomas August von. Zaluskowski, Conrad August Otto; Zaluskowski, August Friedrich Wladislaw. Düring, Julius Friedrich Carl Freiherr von; Düring, Emma Henriette Philippine Freiin von, geb. Sack. Meyer, Friedrich Heinrich. Die Briefschreiberin selbst. Esmarch, Karl Bernhard Hieronymus. Esmarch, Anna Maria, geb. Prehn; vgl. Br. 48, S. 51, bes. Anm. 13. Vgl. dazu die Nachschrift Hermines im Br. 45, S. 45, und Br. 46, Anm. 25. Simon, Louise Marie.
60. Von Carl Gottlob Haeckel, Stettin, 15. november − Berlin, 16. november 1851
Lieber Ernst!
d. 15. November 51 | (Sonnabend)
Ich schreibe Dir hier in Stettin bei einer freien Stunde. Vorgestern fuhren Jacobi1, Julius2, Reimanna3, die beiden jungen Saluskowsky4 und ich hierher, um die Tante Sack5 hier zu Grabe zu begleiten, nachdem ihre Leiche die Nacht vorher per Eisenbahn hierher gebracht war. Ihre Leiche ruht nunmehr in der nehmlichen Gruft neben ihrem früher verstorbenen Gatten. Ich habe dieses sehr paßend gefunden, da der verstorbene Oncle Sack6 hier 15 Jahr als Oberpräsident amtirt hat und hier also sein eigentlicher Wohnsitz war, wo man sich noch heute seiner mit vielem Dank für alles,
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was er für Stettin und die Provinz Pommern gethan hat, erinnert. Wir kamen früh um 11 Uhr an und begleiteten um halb 1 Uhr die Tante vom Bahnhof bis zur Gruft. Hierauf wurde bei Oncle Christian7 im Familienkreise zu Mittag gegeßen. Die Tante Sack hat seit 20 Jahren das von ihrem Ehegatten hinterlaßene Vermögen inclusive ihres eignen, (beides war zusammen in Einen Topf geworfen) aufs gewißenhafteste verwaltet. Sie hat es als ein anvertrautes Familiengut betrachtet und das schon vor 20 Jahren bedeutende Vermögen ist hierdurch wohl beinah noch einmal so groß geworden, so daß die jetzige Erbschaft höchst bedeutend ist. Sie zerfällt in 2 Hälften, die eine an ihre Verwandten (zu denen Jacobi gehört) die andere an die Sackschen Geschwister oder deren Kinder.8 Die Erbtheile, inb welche die erste Hälfte zerfällt, werden sehr bedeutend sein, da sie nur in 4 Theile zerfällt. Die Erbtheile dagegen, welche an die Sackschen Geschwister fallen, werden sich unter die vielen Kinder sehr zersplittern. Die große Gewißenhaftigkeit, mit der die brave Frau das große Vermögen, was ihr zur freien Disposition stand, verwaltet hat, ist im höchsten Grade lobenswerth und achtungswerth und so haben wir sie denn mit wahrer Theilnahme für ihren sittlichen Werth beerdigen können. Gestern und heute habe ich mich hier etwas umgesehn, ungeachtet gestern das Wetter sehr schlecht war und morgen früh denke ich nach Berlin zurückzukehren. Ich will Dir nun von dem, was ich hier gesehn und gehört etwas erzählen. Stettin, welches längst der Oder an dem Abhange einer Anhöhe liegt, trägt ganz das Ansehn und Gepräge || einer alten Handelsstadt. Die Straßen der Stadt gehn zum Theil bergauf, haben meist hohe Häuser und sind nicht breit, wie dieses bei alten Städten meist der Fall ist. Die Stadt liegt längst der Oder, hat aber auch eine hübsche Tiefe, und ist von außen durch Festungswerk umgeben. An dem einenc Ende der Stadt befindet sich ein ziemlich ansehnlicher Park, für die städtischen Spatziergänger eingerichtet, um dort frische Luft zu schöpfen. Daran schließt sich der Kirchhof. Ohngefähr in der Mitte der Stadt (der Länge nach an der Oder gerechnet) geht eine Brücke über die Oder und am Ende dieser Brücke liegt der Packhof am rechten Oderufer, auch liegt an dieser Seite noch ein Theil der Stadt (circa ⅓ der ganzen Stadt). Auf diesem Packhof wohnt Oncle Christian. Die Wohnung ist sehr hübsch und geräumig und enthält zugleich das ganze Lokale der Provinzialsteuerdirektion. Sie liegt unmittelbar an dem Oderstrom, der hier größtentheils mit Schiffen bedeckt ist und die Aussicht aus den Fenstern der Wohnung auf diese Schiffe ist ungemein belebt. Den ganzen Tag über wird ein- und ausgeladen, während die Matrosen, je nachdem das Wetter ist, d mit dem Reinigen des Schiffs und dem Einziehen und Ausspannen das Segele beschäftigt sind. Regnet es, so werden die Segel eingezogen. Kommt die Sonne, so werden sie ausgespannt, um sie zu trocknen. Es sieht sehr hübsch aus, wenn die Matrosen an den hanfnen Leitern so heraufkriechen und an den Verbindungsseilen wie die Schwalben am Dach hängen, um die Takelage und Segel in Ordnung zu bringen und zu erhalten. Unten im Schiff wird unter Aufsicht des f Steuermanns und eines SteuerControlleurs fortdauernd aus- oder eingepackt. Es liegen vielleicht 30 Schiffe vor den Fenstern und dies giebt ein großes Leben. Dabei ist die Passage über die unmittelbar vor den Fenstern liegende Brücke ungemein lebhaft und man kann den ganzen Tag zusehn, ohne lange Weile zu haben. || Diesen Nachmittag habe ich bei schönem Wetter mit Oncle Christian und Tante Minchen9 einen Spatziergang nach Fraundorf10 gemacht, eine Stunde von hier, die
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Oder abwärts, wo ich ein Bild von der Gegend bekommen habe. Der Spatziergang führt über Hügel und Thäler, zur rechten, wie man nach Fraundorf geht, liegt die Oder und der große Dammsche See. Im Hintergrund nach Süden zu eine Hügelkette mit Wald bewachsen, welche das Ganze schließt. Im Ganzen eine sehr hübsche mannigfaltige Landschaft, von mehrern Stunden im Umfang. Dabei ist der Boden des Landes meist gut und fruchtbar, die Menschen sehr körnigt, und körperlich sehr kräftig, die Sprache schon halb platteutsch, Tante Minchen findet eine Aehnlichkeit zwischen hier und Westphalen, alles norddeutsches Gepräge, während die Provinz Sachsen11 und Thüringen den Uebergang zu Süddeutschland macht. An Geisteskultur steht die Maße des Volks gegen den Sachsen und Thüringer sehr zurück, ist aber sehr derb und kräftig. Der Märker steht zwischen dem Pommern und Sachsen zwischen inneg. Auch die politische Kultur ist hier noch sehr zurück. Kein Wunder! wie die Provinz Pommern sehr reaktionair ist. Auch das Klima scheint hier schon etwas rauher zu sein wie in Sachsen. – Das wären so meine Hauptbetrachtungen von dieser Reise, die ich Dir habe mittheilen wollen. Wir haben in diesen Tagen sehr traulich hier in der Familie gelebt, die sehr liebenswürdig ist. Mimi kann noch immer ihren Husten und Schnupfen nicht los werden. Sie hat meist das Zimmer gehütet, da über dem das Wetter sehr schlecht war. Sie grüßen Dich alle herzlich. || Berlin Sontag Vormittag den 16. November. Soeben bin ich hier von Stettin angekommen und habe Deinen Brief gefunden, der mich sehr gefreut hat, besonders, was Du über Simons Predigt schreibst.12 Grüße alle Freunde recht herzlich, insbesondere auch Wieck, dem ich für seinen lieben Brief sehr danke und bald antworten werde. Ueber die Linksche Bücherauktion13 werde ich Dir noch schreiben, ich gehe heute Mittag zu Weiss14 Eßen und werde mit ihm darüber sprechen. Ich glaube, Du kannst für ausgezeichnete Werke, die Du später brauchst, höher gehen. h Du erhältst noch in dieser Woche Antwort. – Seit gestern ist es kalt geworden und gefroren. Für heute weiter nichts. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8
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Jacobi, August Johann Georg Friedrich. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Reimann, Eugen Carl Thomas August von. Zaluskowski, Conrad August Otto; Zaluskowski, August Friedrich Wladislaw. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Sack, Johann August. Sethe, Christian. Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen der Famile Sack vgl. Das Silberne Buch der Familie Sack. Herausgeber: Der Familienrat der Hofrat Simon Heinrich Sack’schen Familienstiftung. 4. Aufl., Band „Genealogie“ [Sonderdruck aus: Deutsches Familienarchiv; 73]. Neustadt a. d. Aisch 1980. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Frauendorf. Provinz Sachsen: 1815 aus den vom Königreich Sachsen an Preußen abgetretenen Landesteilen sowie den preußischen Gebieten in Thüringen (Eichsfeld, Erfurt) und nördlich des Harzes (Magdeburg, Halberstadt, Altmark) gebildete preußische Provinz in Mitteldeutschland, bestehend aus den Regierungsbezirken Magdeburg, Merseburg und Erfurt. – Carl Gottlob Haeckel
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war bis zu seiner Pensionierung im Sommer 1851 als Oberregierungsrat für das Kirchen- und Schulwesen des Regierungsbezirks Merseburg zuständig gewesen. Simon, Jakob Bernhard; zur Predigt vgl. Br. 58, S. 69. Vgl. Br. 58, S. 69 f. Weiß, Christian Samuel.
61. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 17. november 1851
Liebe Mutter!
Merseburg Mittwoch d. 17/11 1851
Eure Briefe haben mich sehr gefreut, auch besondersa daß sich Papa in Stettin so wohlbefunden hat und mir einen Brief von Mimmi mitgebracht.1 Lasse b ihr durch Karl recht schönen Dank und Grüsse sagen. Auch meinen lieben Bruder selbst grüsse recht schön, und den 70jährigen Jüngling2 küsse recht ab von mir. Mir ist jetzt hier jetztc niemals recht wohl. D. h. nicht physisch (obwohl mir die Frostballen an den Füßen und die durch die Kälte geschwollnen Fingergelenke oftd tüchtig weh tun, zumal da ich keine Handschuhe hierhabe) und ich sehne mich je länger, je mehr fort aus diesem langweiligen Merseburg und der trüben Schule, und zu euch hin. – Die 100 rℓ von Tante Sack3 werde ich als stud. med. recht gut brauchen können und sie sollen ganz der Naturwissenschaft geweiht werden. Dabei fällt mir noch eine Bitte ein, um die euch zu bekümmern ich recht sehr bitte. Vielleicht || erinnerst Du Dich noch daß über Tante Sacks Sopha ein Bild von dem berühmten Botaniker Willdenow4 und eins von Alexander von Humboldt5 hing; seht doch, ob ihr diese beiden Kupferstiche nicht auf der Auction oder sonst erwerben könnt; es läge mir außerordentlich viel daran sie zu erhalten; besonders wäre es Schade, wenn das letztere in Hände käme, die es nicht zu schätzen wissen; es stellt Humboldt e jung (sehr ähnlich!) in Hemdsärmeln dar, wie er im Schatten eines Baumes (einer Palme?) eine Pflanze untersucht; es ist ein sehr schönes und seltenes Bild und jetzt gar nicht mehr im Buchhandel zu haben; nicht einmal der alte Henkel6, der Bildnisse der meisten Botaniker hat, besitzt es. Seht euch doch ja danach um! Die beiliegende Quittung brachte mir ein Regierungsbote, damit ich sie Vater zuschicken sollte. Osterwalds, Henkel und die Wiecks lassen schön grüßen. Vorgestern abends aß ich bei Merkels, die geschlachtet hatten, frische Wurst und Wurstsuppe. Sie übergab mir auch beifolgende Rechnung von Pfündtner7, die sie ihm bald nach eurer Abreise bezahlt hatte. || Als Neuigkeit kann ich auch die Verlobung des Dr. Brettner mit Betty Basedow schreiben; ich weiß aber nicht, ob man schon öffentlich davon sprechen darf.8 – Noch eins muß ich Dir erzählen, was mir große Freude macht; Abends nach 10 Uhr kömmt nämlich immer eine Post vorbei, deren Postillon jedesmal sehr schön und lange bläst, und mit der ich dann in Gedanken fortwandre und in der Welt umherkutschiere. Sonst ist mein Leben jetzt recht einförmig geworden und wenn nicht bald tüchtiger Frost kömmt der Schlittschuhbahn macht, so komme ich kaum mehr aus der Stube; bis jetzt haben wir sehr gelindes Wetter. Da noch Platz in der Kiste ist, so schicke ich gleich die Pfeffermintze aus unserm
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Gärtchen und den Auctionszettel9 mit. Die Äpfel soll sich das Geburtstagskind wohl schmecken lassen und dabei an seinen Jungen denken, der sie aus seiner großen „Privat Chatulle“ bezahlt. Die Rebhühner bekam Christel10 erst, als sie die Hasen schon hatte. Sie kosten 7 Sgr, die beiden kleinen Hasen jeder 14 gute Gr und der große 17 gute Groschen. Laßt euch alles wohl schmecken. Den Brief an Wieck habe ich soeben erhalten. Lindleys Orchideen11 habe ich abbestellt. || Macht euch also keine Sorge darüber. Tausend Grüße und Küsse von eurem alten Jungen Ernst Häckel N. B. Als ich eben zur Merkel kam, die mir die Kiste gepackt hat und überhaupt immer sehr freundlich und gefällig ist, fand ich sie bei dem Brief, den sie Dir f schrieb in Thränen, der schönen alten Zeit, als ihr noch dawart gedenkend. Also bin ich doch nicht der einzige, der hier an euch denkt! – 1 2 3 4
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Vgl. Br. 59 und 60. Carl Gottlob Haeckel wurde am 22.11.1851 70 Jahre alt. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Ernst Haeckel hatte aus ihrem Nachlass 100 Taler geerbt. Willdenow, Carl Ludwig von. – Ein Kupferstich von Franz Joseph Leopold, der als Gedenkblatt nach dem Tod Willdenows 1812 von Ernst Haeckels Großonkel Karl August Sack, Oberpräsident der preußischen Provinz Pommern und Ehemann der verstorbenen Großtante, in Auftrag gegeben worden war. Ein im Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik der Humboldt-Universität Berlin überliefertes Originalexemplar ist unterzeichnet: „Der nur sey unser Freund, welcher die göttliche Natur liebt! Dem Andenken seines Lehrers und Freundes C. L. Willdenow Dr. med. und Prof. der Natur und Kräuterkunde bey der Akademie der Wissenschaften und Universität zu Berlin, Mitglied mehrerer Akademien und gelehrten Gesellschaften, Ritter des Rothen Adler Ordens, Geb. 22. Aug. 1765 gest. 10. July 1812. Gewidmet vom Oberpraesident Sack gezeichnet und gestochen von Franz Leopold.“ Der Kupferstich von Johann Joseph Freidhof (1768–1818): „A. v. Humboldt. Berlin, bei J. J. Freidhof. 1808.“ nach dem Original von Friedrich Georg Weitsch (1758–1828): „Alexander von Humboldt“. Öl auf Leinwand, 1806, ist im EHA Jena überliefert. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Pfündtner, Johann Friedrich; Beilagen nicht überliefert. Henriette Elisabeth von Basedow heiratete nicht den hier genannten Paul Oscar Theodor Brettner, sondern Otto Paul Emil Neumann aus Dresden. Vgl. Br. 47, S. 49, bes. Anm. 6. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Vgl. Br. 58, S. 69, bes. Anm. 12.
62. Von Charlotte Haeckel, [Berlin], 21. [november] 1851
Mein Herzens Ernst!
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Heute früh erhielt ich Deine Kiste, und danke Dir herzlich für die pünktliche Besorgung.1 Die Äpfel etc. werde ich Vater morgen aufbauen. Wohl wirst Du uns morgen2 recht fehlen, wie wir ja täglich in Liebe Deiner gedenken, und Dich bei jeder Gelegenheit zu uns wünschen, doch es muß ja wohl so gut sein; sind und bleiben wir uns
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doch immer || im Geiste nah. Ach und wie freue ich mich zu Weihnachten, welche Freude wird es mir sein, wenn ich Dir so alles in unserer hiesigen Wohnung werde zeigen können. Deine Versicherung, daß Du gesund bist, freut mich, aber daß Du Frost in den Händen und Füßen hast, ist recht fatal, laß das ja nicht einreissen, gehe gleich zu Basedow3, grüße ihn schön von uns, und || frage ihn, was Du machen sollst, dann kaufe Dir gleich bei Magschens4 oder Prall5 ein paar dicke lederne Handschuh, Du mußt aber Hirschlederne nehmen, wenn sie auch etwas theurer sind, schlechtere sind gleich verdorben. Sage doch auch Basedow, daß Du oft an den Augen leidest; und schone mir nur Deine Augen recht, weine || nicht, und nimm bei Lichte nichts vor, was die Augen angreift, denke doch, daß es meine Guckel sind. – Ich werde sehn, ob wir die beiden Bilder, die Du Dir aus Tantens6 Nachlaß wünschst bekommen können.7 Tante Bertha ist mehrere Tage recht leidend gewesen, heute hat sie wieder baden können, ich bin viel bei ihr gewesen. – [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7
Vgl. Br. 61, S. 76 f. Am 22. November feierte die Familie Haeckel den Geburtstag von Carl Gottlob Haeckel. Basedow, Carl Adolph von. Magschen (Magsch?), vermutl. Handschuhmacher oder Kaufmann in Merseburg. Prall, A. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Vgl. Br. 61, S. 76.
63. An Carl Gottlob Haeckel, [Merseburg, 22. november 1851]
Liebster Vater! Wenn jetzt ein Paar Tage Ferien gewesen wären, etwa wegen Jahrmarkts, so würde nicht viel gefehlt haben, daß ich Dich selbst in Berlin überrascht und Dir persönlich die herzlichsten Glückwünsche zu Deinem Geburtstag dargebracht hätte. So aber muß ich mich freilich beschränken, Dir zum erstenmal schriftlich meine innigen Wünsche für Dein Leben, Wohlergehn und Glück zu senden, die Du ja wohl kennst und fühlst. Es ist Dein siebzigster Geburtstag und da müssen wir ja Gott noch einmal so viel für seine Wohlthaten, und besonders, daß er Dich noch so frisch und munter erhalten hat, danken, und noch einmal so innig auch um seinen Seegen flehen, als sonst. Dabei muß ich Dich aber auch erinnern, daß Du von a nun an Dich ja nicht mehr so über die verwünschte Politik ärgern und hypochondrisch an Deinen so gesunden Körper denken b sollst, wie Du das bisher gethan, sondern immer vertrauensvoll den Muth oben behalten und daranc denken mußt, daß Du noch in 10 Jahren Deine Herrn Söhne, den Appelrath senior1 und den Doctor junior2 besuchen sollst. || Den Gedanken, Dich persönlich am 70sten Geburtstag zu überraschen faßte ich so plötzlich und malte ihn mir so hübsch aus, d besonders da meine Hausgenossen mich dazu noch ermunterten, daß ich ordentlich erschrak und traurig wurde, als ich auf einmal wieder die absolute Unmöglichkeit einsah. Die Schule, ihre Arbeiten, die große Zeitbeschränkung und vor allem der Gedanke an das schreckliche Examen selbst
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sind aber recht geeignet, einen bitter und hart aus jedem schönen Traum zu erwecken. Und doch hege ich jetzt fast noch mehr schöne Träume, von denen vielleicht keiner in Erfüllung geht, als je vorher. Aller Augenblicke kömmt mir die herrliche Zeit in den Sinn, die ich nach dem Examen bei euch verbringen will, wie ich malen, zeichnen, lesen, botanisiren und die andern Zweige der Naturwissenschaft hegen will, wie ich in die Museen und den zoologischen Garten gehen und mich dort freuen will; dann kommt wieder das ersehnte Jena mit seiner herrlichen Muschelkalkflora, mit dem göttlichen Schleiden3 und den blumenreichen Wäldern, und dann! ja dann kommt wieder unmittelbar || daran gereiht, das Ziel der irdischen Wünsche die Reise in die Alpen und ich klettre schon im Geist an den himmelfarbenen Gletschern und küsse die niedlichen, kleinen Alpenpflänzchen mit der reinen großen, duftenden Blume, die auf schwarzen Basalt den weißen Schnee begränzen oder ich zeichne die kolossalen Felsen ab und strecke mich auf den herrlichen Matten. Und dann dieser trostlose Abstand wenn ich mich auf einmal wieder in der von Tag zu Tag unerträglichern Schule oder in der dumpfen Arbeitsstube finde mit den Stubengenossen die doch so wenig mit mir harmoniren, oder zum Fenster hinaussehe und die ganze triste StoppelfeldEbene, auf der der Novembersturm herumjagt betrachte; es ist mir immer, als müßte ich unmittelbar zu euch fliegen, oder auch nur den Wanderstab ergreifen und mich einmal in der Welt umsehen. Das Sitzfleisch wird, je nöthiger ich es jetzt brauche, fast nur desto rarer unde unbeständiger und die edle Geduld nimmt ab, statt zu wachsen. Indessen in einem Vierteljahr wird ja wohl hoffentlich das Schreckniß überstanden sein; || und dazwischen liegt ja noch das herrliche Weihnachtsfest, zu dem ich mich jetzt schon alle Tage freue. Ja, lieber Vater, heute über fünf Wochen werde ich ja wohl jedenfalls mich mit euch freuen. − Die f geringen Zeichnungen, die ich Dir als mein ganzes Geschenk schicke, werden Dich an und für sich wohl wenig interessiren; Sie sollen Dir nur zeigen einmal meine innige Liebe zu Dir, mein theurer Vater, und dann, daß ich das Zeichnen keineswegs g ganz vergessen und verlernt habe, und dasselbe, wenn ich erst ein freier Mann bin, tüchtig wieder treiben werde. Die 3 kleinen Baumskizzen4 sind von einem höchst genialen Landschaftsmaler, Krüger5 aus Stendal, entworfen der sie, als er neulich hier war, seinem Jugendfreund Osterwald schenkte. Ich habe sie als characteristische Skizzen möglichst treu copirt. Die andre Zeichnung die die ohnmächtige Andromache, von ihren Gefährtinnen aufgefangen, darstellt,6 habe ich aus den berühmten Umrissen des Engländers Flaxmann zur Odyssee und Ilias copirt.7 Mögen sie Dir ein kleiner Beweis sein, daß stets liebend an Dich denkt Dein treuer, alter Junge Ernst Haeckel. 1 2 3 4 5 6 7
Der (zukünftige) Appellationsrat Karl Haeckel. Ernst Haeckel. Schleiden, Matthias Jacob. Nicht überliefert. – Auf vielen Bildern Haeckels ist das Baummotiv zentral; siehe u.a. Abb. 24. Krüger, Carl Johann Heinrich. Andromache, Gestalt aus der griechischen Mythologie und Tradition, Frau des trojanischen Helden Hektor, in der „Ilias“ von Homer Mutter des Astyanax, Sinnbild für eine von vielen schweren Schicksalsschlägen getroffene Frau; Zeichnung nicht überliefert. Der Bildhauer John Flaxman hatte ab 1793 Umrißzeichnungen zu Homers „Ilias“ und später zur „Odyssee“ angefertigt, die sich über England hinaus großer Popularität erfreuten und stilbildend
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für zeitgenössische klassizistische Darstellungen wirkten. Vgl. Homer: „Ilias“ und „Odyssee“. Die Zeichnungen von John Flaxman. Mit einer kunsthistorischen Einleitung von Anja Grebe. Darmstadt 2013.
64. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23. november 1851, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin, 23. November 51
Für Deinen lieben Brief zu meinem Geburtstage1 meinen herzlichsten Dank, Du mein lieber, lieber Ernst! Er hat mir große Freude gemacht. Allerdings muß ich Gott für das mir verliehene noch ziemlich rüstige Alter sehra dankbar sein. Ich habe ihm auch für alles Gute, was er mir auf dieser Erde geschenkt, aufs innigste gedankt und gebeten, mich, wenn es sein Wille ist, noch einige Jahre auf dieser Erde zu laßen, um mit meiner Frau und Kindern noch zusammen zu sein, um zu sehen wie die letztern fortgedeihen, wie sie gute, fromme, gottesfürchtige, brauchbare, für das Leben und die Welt tüchtige Menschen werden, b ihren Beruf c mit Treue und Eifer erfüllen und auf diese Weise ihr Schärflein zum Wohl der Welt beitragen. Immer mehr wird es mir klar, wie die Wahl des Ganzen auf dem sittlich religiösen Halt und Ernst in der Familie beruht, hier muß der innere Kern mit Sorgfalt gepflegt und entwikelt werden. Wenn der sittlich religiöse Sinn, durch welchen die Leidenschaften im Zaum gehalten werden, aus der Welt weicht, dann ist diese verloren, sie versinkt in Demoralisation und die Entwikelung des Menschengeschlechts nach Gotteswillen, als Vorbereitung für ein beßeres Leben wird dann unmöglich. Verstand und Talent giebt es genug in der Welt und sie tragen auch das ihrige zu Beherrschung der Erde durch den Menschen bei, aber Religion und Sittlichkeit geben ihnen erst Direktion, Leitung und Weihe; stehen sie im Dienste niedriger Leidenschaften, dann wirken sie nicht beglükend, sondern verderblich und zerstörend. So danke ich denn Gott, daß er mich in ein Familienleben versetzt hat, wo d jene großen Autoritäten noch gelten und wirken, so erfreue ich mich ins besondere und hauptsächlich unsers alten verehrungswürdigen Papas2, es ist eine wahre Freude, ihn noch so frisch und lebendig in den alten Tagen zu sehen. Er ist Exekutor testamenti3 der e verstorbenen Tante Sack4, ihre Verwandten sind jetzt in größerer Anzahl hier versammelt und da habe ich den alten Mann in seiner Klarheit und Lebendigkeit bewundert. Das Detail besorgt Julius5. Die Frauen waren in diesen Tagen mit Inventionen beschäftigt und gestern Abend im kleinen Cirkel f wurde mein Geburtstag gefeiert in unsrer Wohnung. Professor Weiss nebst Frau,6 die Geheim-Räthin Jacobi mit Lucie,7 August Jacobi mit Helene,8 Hr. v. Reimann aus Aachen, Mutter Reimer mit Siegfried Reimer,9 Julius mit Frau,10 Philipp aus Bonn11 waren bei uns und wir waren recht vergnügt. Guido Sack12 ist schon vorgestern nach Breslau zurück. Der Mineraloge Sack aus Halle13 ist noch nicht hier eingetroffen. Die Regulirung der Erbschaft, die für manchen einzelnen sehr bedeutend ausfallen wird (z. B. für Herrn von Reimann u. August Jacobi), für die Sackschen Linien sich aber sehr zersplittern wird, nimmt uns sehr in Anspruch, insbesondere Julius, auch den Papa beschäftigt sie
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sehr und ich gebe denn mein Wörtchen auch dazu, die gewünschten Bilder14 wirst Du wohl erhalten. Was nun Dein dortiges Leben betrifft, so mußt Du schon aushalten, treibe tüchtig Geschichte und Latein, letzteres wird Dir bei Erlernung der neuern Sprachen sehr zu statten kommen, die Geschichte mußt Du als ein gebildeter Mensch kennen, auch Mathematik wirst Du zu Deinen künftigen Studien brauchen, alles hat seine Zeit und so mußt Du auch vorläufig in den sauren Apfel beißen. In 3-4 Monat ist ja die schlimmste Zeit || vorüber. Dabei mußt Du aber zuweilen unsere dortigen Freunde besuchen. Der Umgang mit Menschen gehört auch zu diesem Erdenleben, wir sollen uns nicht als Einsiedler verschließen, sondern zu gegenseitiger Ausbildung mit den Menschen verkehren. Dabei meinen es unsere dortigen Freunde so gut mit uns und es hat mich und Mutter wahrhaft gerührt und ergriffen, daß sie in diesen Tagen unsrer so gedacht haben, wir haben gestern 4 Briefe bekommen, die alle von großer Anhänglichkeit zeugen. Sie ist aber auch von unsrer Seite vorhanden und wir werden an unsern dortigen Freunden g in unveränderter Anhänglichkeit beharren. Wenn ein Verhältniß erst recht im Herzen Wurzel gefaßt hat, so ist es nicht mehr zu vertilgen, so leben z. B. meine verstorbenen Freunde aus der Landshuter Zeit15 noch so lebendig in meinem Herzen, als ob ich sie erst kürzlich verloren hätte. – Was Deine Zukunft betrifft, so wollen wir Gott walten laßen; folge Deinem innersten wahrhaften Triebe, in so fern erh Dich zu einem wahrhaften tüchtigen Beruf füri Wißenschaft und Leben führt, Deine Eltern werden Dir aus allen Kräften dazu behülflich sein und Dich nicht im Stich laßen. Es wird auch Rath zu einer Alpenreise werden. Also nur immer tüchtig vorwärts. Auch für Deine hübschen Zeichnungen16 danke ich Dir recht herzlich, wir freuen uns sehr auf die Zeit, wenn Du bei uns sein wirst. Carl ist fleißig, sieht doch aber auch seine Freunde, in diesen Tagen ist Meier17 aus Danzig hier angekommen um hier ebenfalls sein 3tes Examen zu machen, auch Egidi18 ist hier. Richter kommt alle Monate einmal her, so fehlt es also Carln, der Dich herzlich grüßt, nicht an Berührung mit Freunden. – Das Zeichnen soll Dir auf Deinen künftigen Reisen, wenn es Gott gefällt, sie Dir zu gestatten, sehr zu statten kommen. – Was die Politik betrifft, so glaube und erwarte ich nur eine allmähliche Entwikelung des constitutionellen Lebens, unser Volk ist noch sehr zurück, es wird aber durch die Manövers der Absolutisten,19 um es zu unterdrüken, immer mehr heranreifen. Der Stunden, wo ich mich wirklich ärgere, sind nur wenige. – Meinen Körper führe ich jetzt in den Abendstunden hauptsächlich auf der Charlottenburger Chaussee spatzieren, wo es sich sehr gut geht und zugleich Erleuchtung ist. So bin ich vor einigen Tagen bei dem großen Schneegestöber ganz geschützt am Abend gegangen, als ich aus einer Mittagsgesellschaft von D. Partei20 kam, die sehr intereßant war und wo ich unsern Weiss21, Ehrenberg22 und den Bildhauer Rauch23 fand, der sehr viel Intereßantes aus seinem Umgang mit Göthe erzählte, wodurch man den Göthe immer lieber gewinnt. Es ist doch eine außerordentlich begabte Natur gewesen. Grüße unsre Freunde aufs herzlichste ins besondere auch Kathen und Karo, ich habe sie alle lebendig in meinem Herzen und werde ihnen nächstens schreiben. Für dieses Mahl genug. Dein Dich liebender Vater Haeckel.
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[Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Ernst, wie sehr Du uns gestern gefehlt hast weißt Du, wir haben aber alle in Liebe Deiner gedacht. Hierbei erhältst Du etwas zum Schmausen, vom Hasen ist nicht mehr übrig geblieben, von Näscherei werde ich nur einpacken was geht. Das kleine Stück Kuchen gieb der Madam Merkel, und sag ich ließe sie schön grüßen, so bald ich könnte, würde ich ihr schreiben; den übrigen Kuchen habe ich Dir ganz geschickt, ich dachte, da könntest Du Deinen Hausgenossen allen ein Stückchen geben. Leb wohl mein Herzens Junge, behalte lieb Deine Mutter. Mimi ist angekommen. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19
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Vgl. Br. 63, S. 78. Sethe, Christoph. Testamentsvollstrecker; zum Testament vgl. Br. 60, S. 74. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann; Jacobi, Lucie. Jacobi, August; Jacobi, Helene, geb. Sethe. Reimer, Wilhelmine Charlotte Susanne Philippine, geb. Reinhardt; Reimer, Siegfried Johannes. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Bleek, Philipp. Sack, Ferdinand Guido Carl Julius. Sack, August. Vgl. Br. 61, S. 76. Carl Gottlob Haeckel war von 1805 bis zu seinem Eintritt in das preußische Militär 1813 Stadtsyndikus in Landeshut (Niederschlesien) gewesen; seine Freunde wurden nicht ermittelt. Vgl. Br. 63, S. 79. Meyer, Friedrich Heinrich. Aegidi, Ludwig Karl James. Aufgrund der Olmützer Punktation vom 28.11.1850 waren die in der Erfurter Union unter preußischer Führung zusammengeschlossenen deutschen Staaten im Mai 1851 dem im September 1850 reaktivierten Deutschen Bund beigetreten. Durch die Bundesbeschlüsse vom 23.8.1851 waren die von der deutschen Nationalversammlung beschlossenen Grundrechte außer Kraft gesetzt und die Beseitigung der in den Verfassungen der Bundesstaaten enthaltenen „bundeswidrigen“ Bestimmungen verfügt worden. Damit wurden die politischen Errungenschaften der Märzrevolution von 1848 fast vollständig wieder aufgehoben. Parthey, Gustav Friedrich Constantin. Weiß, Christian Samuel. Ehrenberg, Christian Gottfried. Rauch, Christian Daniel.
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65. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 27. november 1851
Liebe Eltern!
Merseburg a Donnerstag | den 27sten November 51.
Ich will auch diesmal gar nicht erst anfangen für eure Geschenke zu danken, da ich dann wohl nicht eher fertig werden würde, als bis die überschickten Vorräthe selbst aufgezehrt sind; und das hat noch lange Zeit. Ich kam mir wirklich, als ich diese Herrlichkeiten alle nach einander enthüllte, wie eine belagerteb Stadt vor, der ganz unerwartet reichlich auf lange Zeit guter Proviant zugeführt wird, und zwar von Freunden, deren Umgang sie so lange entbehrt hat. Dieß hinkende Gleichniß mag wenigstens in so fern richtig sein, als wir ärmsten Abiturienten gewiß nicht weniger Kummer, Angst und Noth haben, als die Einwohner einer solchen belagerten Stadt. Indeßen lasse ich mich dadurch nicht abhalten, die kostbaren Leckereien mit gutem Appetit und steten Gedanken an euch zu verzehren; und die eigentliche Geburtstagstorte naht bereits ihrem Ende. Meine Hausbewohner haben sämmtlich ein Stück abbekommen und lassen schönstens danken; auch Friedrich1, meinc Leib-Flickschneider, Kleiderausbürster und Kummertröster, der ganz selig darüber war, und euch alle tausendmal grüßen läßt. Ich kann euch gar nicht sagen, wie ich mich freute, als Montag früh plötzlich um 6 Uhr mich Richter aus dem Bett holte und mir erzählte wie er euch noch gestern (Sonntag) Abend alle munter gesehen hätte, und daß er mir ganz frische, warme Grüße mitbringe. || Ich war nun den ganzen Tag lebhaft bei euch und freute mich aufs neue von Herzen auf Weihnachten; in 4 Wochen bin ich ja nun bestimmt bei euch, wenn auch die Schule wohl leider erst den Tag vor Heilig Abend geschloßen werden wird. An Papas Geburtstag2 war ich natürlich fast stets in Gedanken bei euch, wie ihr ja wohl auch an mich gedacht haben werdet. Mittags war ich bei Karos, wo wir den 70 jährigen patriotischen Jüngling3 von Herzen d (und Karo in Versen) leben ließen. Abends sollte ich bei Kathens sein, konnte aber nicht hingehn, da wir Betstunde hatten, indem wir Sonntag zusammen zum Abendmahl gingen. Simon hielt eine recht gute Predigt über das Todtenfest, eine Feier des Gedächtnisses, des Trostes, des Gottvertrauens, der Zuversichtsstärkung. Osterwald konnte nicht mit uns zum Abendmahl gehen, da er schon seit 8 Tagen wegen Grippe das Haus hüten mußte. Sonntag Abends war ich bei Kathens, wo auch Karos waren. Ihr seht also, daß ich sehr viel aus bin.− Zeitungen lese [ich] gar nicht und habe jetzt auch kein besondres Verlangen danach. Zufällig habe ich aber doch erfahren, daß heute wohl wieder die e Kammern4 zusammenkommen; da habe ich wieder recht an Dich gedacht f, lieber Vater, und wie interessant das für Dich sein g wird; ärgern darfst Du Dich aber gar nicht; das muß ich Dir als privilegierter Hausarzt in spe äußerst streng verbieten! − Habt ihr denn schon von dem Unglück gehört, das den Director Niemeyer in Halle getroffen hat; sein Sohn, der stud. jur. in Jena, der (glaube ich) bald das Examen machen sollte, und von dem Osterwald uns sagte, daß er unter die hoff-||nungsvollsten und liebenswürdigsten Schüler gehört, die er je h gehabt habe, ist gestorben, und der alte Niemeyer selbst, in Folge des angestrengtesten Überarbeitens, äußerst bedenklich erkrankt.5 − Unterdessen bin ich auch mit meinem Stubengenossen Weiß6 etwas näher bekannt geworden. Freitag Abends nämlich, als die andern beiden Kameraden auf einem Ball waren, lasen wir beide mit Osterwald, dem ich meinen Schleiden7 gegeben
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und dem dieser außerordentlich gefallen hatte, etwas über Pflanzengeographie und unterhielten uns noch sehr nett über Botanik. Alsj wir darauf wieder heraufgegangen waren, nahm ich Stöckhardts Handbuch der Chemie8 und ließ mir von Weiß der, diese viel getrieben hat, mehreres erklären (N. B. Wir hatten schon die Tage vorher uns mit Chemie beschäftigt und namentlich unter dem Microscop herrliche Kristallisationen beobachtet, die ich mich schon jetzt lebhaft freue euch zu Ostern zeigen zu können). Endlich gingen wir zu Bett, sprachen aber auch dann noch immer äußerst lebhaft fort. Von der Chemie gingen wir zu Verherrlichung der gesammten Naturwissenschaft überk, besonders aber auch ihres Verhältnisses zum Christenthum, und hier freute ich mich außerordentlich, daß Weiß grade dieselben Ansichten hatte, wie ich. Seitdem ist er mir noch einmal so lieb, obgleich er, noch immer dieselbel, finstere, mürrischem wortkargen Außenseite zeigt und oft nicht grade sehr liebenswürdig ist. Wie eifrig wir übrigens ins Gespräch kamen, könnt ihr daraus schließen, daß wir nach 10 Uhr zu Bett gingen, und noch weit über 12 Uhr hinaus schwatzten, ohne müde zu werden! − Meinen lieben alten Karl grüßt recht herzlich, auch Tante Bertha und Großpapa, und wen ihr sonst von den Freunden sprecht, z. B. Meyer9, der sich meiner vielleicht noch erinnert, Egidi10, Ruts11 u. s. w. Noch einmal den herzlichsten Dank für den Kober12! Laßt bald wieder etwas von euch hören; Papa kann mir auch etwas von den Kammern schreiben. Simon, den ich heute sprach, läßt auch herzlich grüßen. Ist denn sein Brief angekommen? – Nun lebt wohl und denkt zuweilen an euren alten Jungen Ernst Haeckel. – 1 2 3 4
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Heimstädt, Friedrich. Vgl. Br. 62, Anm. 2. Haeckels Vater war im Freiheitskrieg 1813 Mitglied des Lützower Freikorps gewesen. Nach Einführung der oktroyierten, 1850 nochmals abgeänderten Verfassung Preußens vom 5.12.1884 gab es ein Zweikammerparlament, das aus einer Ersten (ab 1855: Herrenhaus) und einer Zweiten Kammer (ab 1855: Abgeordnetenhaus) bestand. Die Mitglieder der Ersten Kammer wurden teilweise vom König ernannt, die Zweite Kammer indirekt und nach dem Dreiklassenwahlrecht gewählt. Im Januar 1851 bestand die Zweite Kammer aus insgesamt 352 Abgeordneten, wobei 70 Liberale 8 Konstitutionellen, 114 Alt- und sonstigen Konservativen, 15 Polen und 68 Fraktionslosen gegenüberstanden. – Die dritte Session der II. Legislaturperiode des preußischen Landtages (1849–1852) wurde am 27.11.1851 eröffnet. Niemeyer, Hermann Agathon. – Sein zweiter Sohn Hermann Anton erlag am 20.11.1851 einem Nervenfieber, er selbst starb kurz darauf am 6.12.1851. Weiß, Ernst. Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 30 (=56). Stöckhardt, Julius Adolph: Die Schule der Chemie oder erster Unterricht in der Chemie versinnlicht durch einfache Experimente. 4., verb. Aufl., Braunschweig 1849; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 51 (=87). Meyer, Friedrich Heinrich. Aegidi, Ludwig Karl James. Rüts, Leopold Karl Franz Friedrich von. Dial. ostmitteldt.: Tragekorb.
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66. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 2./3. dezember 1851
Mein lieber Ernst!
Berlin d. 2ten Dezember
Gestern erhielt ich durch Richter Deinen lieben Brief, der mir große Freude macht, da ich sehe daß Du doch anfängst immer mehr auch das Gute, was Dein jetziges Lebensverhältniß Dir bietet, zu erkennen. Wie freute ich mich von Richter zu hören, daß er Dich so frisch und wohl gesehn hat. – Ich freue mich recht, daß ich Dich nun bald bei mir haben werde, so Gott will, wollen wir die Zeit recht traulich miteinander verleben. Kannst Du || denn nicht schon Sonnabend oder Sonntag vor dem Fest herkommen, und bleib mir nur ja so lange als es angeht. Bringe ja Dein Mikroskop mit, Tante Bertha will es gerne sehen. Seit einigen Tagen geht es Tante Bertha doch etwas besser, sie war mehrere Tage leidend, da wieder Fontanellen1 im Rücken gesetzt wurden. Auch Großvater leidet seit einigen Tagen an Erkältung, doch fängt es auch an besser zu werden. Onkel || Julius2 darf auch nicht ausgehn wegen einer Erkältung, seine kleinen Mädchen3 haben auch noch einen Hausarrest wegen Stickhusten. Von G. Reimer4 ist der Paul5, 10 Jahr alt, gestorben, der arme Junge ist 12 Wochen krank gewesen, und da es unheilbar war, ist es wohl ein Glück, daß er erlöst ist. Am Tage wo er gestorben, erhielten die Eltern einen Brief mit guten || Nachrichten von Ernst6 aus Walparaiso7, wenn ich nicht irre. Unter anderm schreibt er, er habe dort einen jungen Deutschen getroffen, den Sohn eines Doctors, der seine erste Seereise mache, und sei mit ihm viel geritten. Ich dachte nun gleich an John v. Basedow8; es thut mir nur leid, daß Ernst den Namen nicht dazu geschrieben. Ist es nicht eine göttliche Schickung, daß Reimers grade als sie über den Tod des einen Sohns || so betrübt sind, durch gute Nachricht vom andern erfreut werden; Ernst Reimer ist jetzt 1½ Jahre weg, und das ist erst der dritte Brief, den die Eltern erhalten. Zur rechten häuslichen Ruhe und Ordnung bin ich eigendlich noch nicht gekommen; wonach ich mich doch recht sehne. Vorigen Freitag waren Abends Hauptmann von Warttenberg mit Frau9, (Esmarchs10 Schwester), Meier11, Aegidi, Karl v. Rütz12 hier, Mulder13 hatte abgesagt. Sontag zu Mittag waren Fräulein v. König14 und Wilde15 hier. || Gestern blieben Richter und Meier hier. Gestern Abend waren wir beim Präsident von Grolmann16, wo die Gräfin Keller17 ist. Vater ist diesen Abend in der Constitutionellen18, Karl in der Arbeit, und ich will zu Vater und Bertha gehn. Gute Nacht, mein Herzens Junge. – Den 3ten Guten Abend, mein lieber Ernst! Bei dem eingetretenen starken Frost bitte ich Dich noch dringend, ja beim Schlittschuhlaufen Dich in Acht zu nehmen; gehe || nicht so ganz alleine. Hast Du Dir wohl Handschuh gekauft? Sonst thue es ja gleich. Hast Du wohl Madame Merkel das Geld wieder gegeben, was sie an H. Pfündner19 bezahlt hat, sonst thue es ja. – Wie sehr habe ich mich gefreut, daß Du zu Vaters Geburtstag bei Karos gewesen bist; so viel ich an dem Tage an Dich dachte, war es mir lieb, daß ich glaubte die
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Freunde werden sich wohl meines einsamen || Jungen annehmen; und so hast Du ja auch Abends bei dem treuen Kathen sein sollen. Ich bin allen recht dankbar für jede Freundlichkeit, die sie meinem lieben Jungen erzeigen. Grüsse mir alle recht herzlich; sage Simon, ich hätte Nitzsch20 schon gesagt, daß wir sie mit einander bekannt machen wollten, wenn Simon herkäme; Nitzsch sagte mir, daß ihm Simons Schriftchen21 sehr wohl gefallen habe. Lebe wohl, mein lieber Sohn, und denke fleißig an Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
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Ein Naturheilverfahren, bei dem schlechte Körpersäfte durch Eitern einer künstlichen Wunde ausgeleitet werden sollen. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Auguste Gertrud Adelheid; Sethe, Adelheid Elisabeth. Reimer, Georg. Reimer, Paul. Reimer, Ernst Heinrich. Valparaíso. Basedow, John Bernd Henning von. Wartenberg, Karl Eduard von; Wartenberg, Marie von, geb. Esmarch. Esmarch, Karl Bernhard Hieronymus. Meyer, Friedrich Heinrich. Rüts, Leopold Karl Franz Friedrich von. Mulder, Lodewijk. König, W. von. Wilde, Wilhelm Oskar. Grolmann, Wilhelm von. Keller, Mathilde Gräfin von, geb. von Grolmann. Constitutioneller Club zu Berlin, 1848 gegründete Gesellschaft mit gemäßigt liberaler Ausrichtung, hier vgl. Notiz in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 282, 2.12.1851: „Die Linke unserer beiden Kammern hat eine ständige Kommission gebildet, welche in den Fragen, die ein gemeinsames Auftreten der Opposition in beiden Häusern wünschenswerth erscheinen lassen, diese Gemeinschaftlichkeit herbeiführen soll.“. Pfündtner, Johann Friedrich; vgl. Br. 61, Anm. 6. Nitzsch, Karl Immanuel. Simon, Jakob Bernhard: Die apostolische Gemeine- und Kirchen-Verfassung, nach der Heiligen Schrift gezeichnet, zum Vorbilde für die Gegenwart. Ein Wegweiser für Freunde der Kirche in allen Ständen. Potsdam 1851.
67. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 3. dezember 1851
Liebster Ernst!
Berlin, 3 December 51.
Suche Dich nur so einzurichten, daß Du gewiß 14 Tage hier bleibst. Der Weihnachtsabend fällt mitten in der Woche. Komm Du nur den Sonntag vorher und bitte die Lehrer in meinem Namen, Dir ein paar Tage vor Anfang der Ferien Urlaub zu geben. Ich will auch Adolph Schubert1 einladen; ob er kommen wird weis ich nicht. Wir haben nun unsre Antrittsvisiten ziemlich abgemacht, worüber ich sehr froh bin. Ich habe viel Zeit verlaufen und sehne mich mehr nach Ruhe, um zugleich etwas
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Ordentliches studiren zu können. Ich sehe wohl, daß ich mit vielen meiner Bekannten hier wenig zusammen kommen werde, denn der Ort ist zu weitläuftig und es fällt zu schwer, sie auf einen Punkt zusammen zu bringen. Läuft man aber zu viel herum, so ist das zu zerstreuend und man kann sich innerlich nicht recht sammeln, was mir doch Bedürfniß ist. Am Sonnabend war ich in einem großen Concert im Opernhaus, wo der Domchor sehr schön sang und eine große Symphonie von Beethoven mit Chören zu Schillers Gedicht „an die Freude“ gegeben wurde.2 Die Musik ist höchst originell und ich wünschte sie nur noch öfter zu hören, um sie allmählicha ganz zu verstehen. Man frägt sich, wie eine Parthie anfängt, wo das hinaus will? bis endlich eine Stimme und ein Instrument zu dem andern sich gesellt und endlich doch eine schöne Harmonie herauskommt. Es war mir, als ob die verschiedenen Instrumente eine große Gesellschaft bildeten und ein wechselseitiges Gespräch mit Ausdruck ihrer innersten Empfindung führten. Dabei waren die Singchöre sehr vollständig besetzt, wohl an 300 festlich gekleidete Damen der Singakademie3, was zugleich einen sehr angenehmen Anblik gewährte. – Auch b Lichtenstein habe ich besucht. Er meinte Du solltest in Jena auch zugleich Zoologie von Oscar Schmid4 (einem seiner Schüler) hören, der dort liest. Daß der junge Niemeyer gestorben, dauert mich außerordentlich, auch des Vaters wegen,5 den ich sehr lieb habe. – Daß Du Dich mit Weiss6 im Gespräch über die Naturwißenschaftenc zugleich über das Christenthum verständigt hast, freut mich sehr.7 Hat d uns erst das Christenthum auf den richtigen Weg über die Erkenntniß Gottes geführt, dann sind die Naturwißenschaften eine zarte Pflanze dieser Erkenntniß, statt uns, wie es bei manchen Einzelnen geschieht, e zum Polytheismus zu führen. Während uns die Natur die Weisheit Gottes zeigt, führt uns der sittliche Theil des Christenthums auf die göttliche Liebe und auf die göttliche Vergeltung, auf welche letztere insbesondre wir durch die Naturwißenschaften nicht hingeführt werden. Dagegen lernen wir inf ihnen die göttliche Allmacht und diese führt uns wieder auf die Ausgleichungen, die in jener Welt statt finden werden. Hat man erst die Weisheit Gottes in den Tiefen der Natur erkannt, dann wird der Glaube an eine einzige Weltordnung und eine Allmacht, die Millionen von Welten schafft, um so unerschütterlicher. Man staunt und verehrt und nichts erscheint uns dann unmöglich.|| Die Politik verfolge ich zwar immer fort, aber mit einer gewißen Ruhe. Es ist hier ebenfalls ein allmähliches Fortschreiten nach einem großen Weltplan, wozu Gott auch die verkehrten Leidenschaften der Menschen zu benutzen weis! Diese müßen zuletzt die Nichtigkeit ihrer Zweke zeigen, auch wenn sie eine Weile diese Zweke zu erreichen scheinen. – So jetzt der Kampf um das constitutionelle System. Eine große Republik ist, wie die Welt jetzt liegt, in Europa eine Tollheit das werden die Franzosen jetzt noch einmal erfahren. Ich habe schon vor 50 Jahren in Halle von dem verstorbenen Napoleon8 g ziemlich daßelbe Manöver machen sehen, was sein Neffe9 jetzt noch macht. Da es mit der Republik nicht geht, so wollen sie beide die absolute Monarchie, sie meinen, ohne die gehe es nun einmal nicht, die Menschen vertrügen keine Freiheit, man müße sie also in den Käfig sperren. Sie verkennen aber das Göttliche im Menschen, was trotz seiner Verirrungen immer wieder zum Vorschein kommt und das Volk wird nicht aufhören, seine Rechte gegen die Krone geltend zu machen und diese daran zu erinnern, daß sie über keine willenlose Heerde zu gebieten hat. Aber die Freiheit ist, solange sich die Menschen nicht zu mäßigen verstehen, nur annähernd zu erreichen. Die Fürsten sündigen nicht minder, wie das Volk, wie wir
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in den letzten Jahren besonders in Deutschland erlebt haben und sie überliefern sich häufig eben so ihren Leidenschaften, wie die Demokraten. Es kommt also darauf an, daß sichh die Fürsten mit einer gemäßigten Macht und die Völker mit einer gemäßigten, ihrem Kulturgrad angemeßnen Freiheit zufrieden stellen lernen. Damit aber die Krone Ansehen behalte und garantire, muß sie vor allen Dingen offen und redlich sein, das Volk muß sehen, daß die Krone einen sittlichen Zweck um des Volkes willen verfolgt, das ist die beste Stärke für die Kronen. Wenn diese letzterni aber durch allerlei hinterlistige Künste und Ränke ihre Macht stärken wollen, so daß sie eine blos äußere wird, dann gehen sie einen falschen Weg. Der redlichste König, der dem Volk giebt, was ihm gebührt und was seinem Kulturgrade angemeßen ist, wird auch der mächtigste sein. Louis Philipp10 verfolgte keinen sittlichen Zweck, es galt ihm nur um Uebung äußrer Gewalt, darum ist er untergegangen. Vielleicht haben sich seine Brüder eine Lehre davon genommen. Frankreich wird zuletzt der beherrschen, von dem das Volk die Ueberzeugung gewonnen hat, daß es ihm nicht um seine Macht an und für sich, sondern um ledigliche Benutzung derselben zu einer sittlichen und menschlichen Volksentwikelung zu thun ist. – Carl lebt seinem Landrecht.11 Auch diese Periode, so unangenehm sie ist, muß durchgemacht sein. Grüße meine Freunde aufs herzlichste und besuche sie zuweilen in den spätern Abendstunden. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8
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Schubert, Ernst Adolph. Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie in d-Moll, op. 125, war am 29.11.1851 im Königlichen Opernhaus Berlin in einem Konzert zum Besten des Kölner Dombaus aufgeführt worden; vgl. Anzeige in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 283, 3.12.1851. Sing-Akademie zu Berlin, gegründet 1791, älteste gemischte Chorvereinigung der Welt. Schmidt, Eduard Oscar. Vgl. Br. 65, S. 83. Weiß, Ernst. Vgl. Br. 65, S. 83 f. Napoleon I., Kaiser der Franzosen. – Carl Gottlob Haeckel hatte in den Freiheitskriegen 1813 als Mitglied des Lützower Freikorps gegen Napoleon gekämpft; vgl. dazu Haeckel, Carl Gottlob: Aus den Jahren 1906 bis 1815. In: Die Taube. Familienblatt für die Mitglieder der Hofrath Sack’schen Stiftung, Nr. 28, Juli 1900, S. 249–251; ebd., Nr. 29, Januar 1901, S. 261–263; ebd., Nr. 30, Juli 1901, S. 278–279; ebd., Nr. 31, Januar 1902, S. 285–286; ebd., Nr. 33, Januar 1903, S. 308–312; ebd., Nr. 34, Juli 1903, S. 323–326; ebd., Nr. 35, Januar 1904, S. 331–333; ebd., Nr. 26; Juli 1904, S. 350–352; ebd., Nr. 37, Januar 1905, S. 357 f. Napoleon III., Kaiser der Franzosen. Louis Philippe I., König der Franzosen. Vgl. Br. 52, S. 56, bes. Anm. 10.
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68. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 8. dezember 1851
Liebe Mutter!
Merseburg, Mittwoch 8/12 1851.
Wie sehr ich mich jetzt täglich, ja stündlich auf Weihnachten freue, kann ich euch kaum sagen. Es wird wohl der [!] schönste Weihnachten werden, den ich erlebt habe, und die herzliche Freude drängt sogar die Examensorgen in den Hintergrund. Leider werde ich wohl erst Dienstag kommen können, weil wahrscheinlich erst dann geschlossen wird. Jedenfalls werde ich aber a 14 Tage bleiben. b Dabei will ich Dir auch gleich einen Wunsch schreiben: Du wirst Dich wohl erinnern daß ich von der Schulbibliothek ein schönes großes Pflanzenwerk geborgt hatte, ein dickerc Band, mit über 1000 Seiten Text und ein ebensolcher mit 282 feinsten Kupfertafeln. Das Werk kostete bunt 33⅓ rℓ und schwarz 14½ rℓ; ist jetzt aber zu dem äußerst niedrigen Preis von 4⅔ rℓ herabgesetzt. Der Titel ist: Das Pflanzenreich von Petermann Mit 1600 Pflanzenabbildungen Preis neu 14½ rℓ Leipzig 1845 bei Eduard Eisenach1 jetzt 4⅔ rℓ d Es
ist ein sehr gutes Werke und ich hatte mir es schon längst gewünscht; bitte kauft es nur doch ja bald, es möchte sonst vergriffen werden. Ich freue mich schon darauf, nach bestandenem Examen es nach dem bunten Exemplar der Schule bei euch coloriren zu können.2 – || Dann kannst Du mir auch zu Weihnachten einen Regenschirm schenken, aber einen baumwollnen, keinen seidnen! Von Kleidungsstücken brauche ich gar nichts! Sodann will ich f Dir auch ein Weihnachtsgeschenk für Karl oder Vater sagen, was auch Tante Bertha sehr interessiren wird. In der Gselliusschen Buchhandlung3 in der Kurstrasse ist nämlich Gervinus Nationalliteratur4, die eigentlich 16 rℓ kostet, elegant gebunden und ganz neu, für 5–6 rℓ zu haben. Laßt diese beiden Werke ja nicht vorbeigehen. − Habt ihr denn schon gehört daß der arme Niemeyer nun auch, 14 Tage nach seinem Sohn, kaum 50 Jahr alt, gestorben ist; und zwar auf schrecklich quälende Weise, an Magenerweichung.5 Osterwald, der jetzt wieder besser ist, ist sehr betrübt darüber; er meint, er hätte sich rein überarbeitet. Auch für die Frankeschen Stiftungen6 ist es ein großer Verlust. − Daß ihr immer die Bekannten hier antreibt, mich einzuladen, und mich ermahnt, sie Abends zu besuchen, ist gar nicht recht. Ich bin so schon zu viel aus. Auch sind die spätern Abendstunden die einzige Zeit, wo ich zusammenhängend arbeiten kann, da sich die Tageszeit meist gänzlich zersplittert, und ich früh bei Licht meiner Augen wegen weder arbeiten kann, noch will. Ich bleibe deßhalb jetzt meist bis gegen oder über 11 Uhr auf und stehe erst um ½8 Uhr auf. Neulich war ich auch des Nachmittags bei Merkels, wo des kleinen Ernst7 Geburtstag mit Chocolade gefeiert wurde. – Viele Grüße und Küsse von Deinem alten Ernst.
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1832 gegründete Verlags- und Sortimentsbuchhandlung, die 1856 an Julius Werner weiter verkauft wurde; vgl. Schmidt, Rudolf: Deutsche Buchhändler. Deutsche Buchdrucker. Beiträge zu einer Firmengeschichte des deutschen Buchgewerbes. Bd. 3, Berlin 1905, S. 548. Petermann, Wilhelm Ludwig: Das Pflanzenreich in vollständigen Beschreibungen aller wichtigen Gewächse dargestellt, nach dem natürlichen Systeme geordnet und durch naturgetreue Abbildungen erläutert. Mit 282 Tafeln, die Abbildungen von 1600 Pflanzen und der wichtigsten Theile jeder derselben, sowie 426 erläuternden Figuren auf den Einleitungstafeln (No. 1–10) enthaltend. 2. Aufl., Leipzig 1847. – Haeckel bekam das Buch zu Weihnachten 1851 geschenkt, vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 15v; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 33 (=59–60). – Das im EHH befindliche Exemplar der 2. Aufl. weist im Tafelband (282 Tafeln mit 1600 Figuren) folgende Kolorierungen von Haeckel auf: Tafel 38 (Fig. 235), 41, 51 (Fig. 293), 88 (Fig. 480), 113–114, 115 (Fig. 649, 652), 132–134, 138 (Fig. 783), 142 (Fig. 802, 805), 154–156, 160–164, 165 (Fig. 953), 166, 167, 185, 193, 197, 211, 220, 221, 225, 227, 228, 237–239, 245 (Fig. 1374, 1375), 250–253, 254 (Fig. 1431), 259, 261, 267–275, 278, 280, 282. 1737 gegründete Verlagsbuchhandlung in Berlin; vgl. 200 Jahre Gsellius 1737–1937. Geschichte der Gsellius’schen Buchhandlung. Berlin 1937. Gervinus, Georg Gottfried: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. 5 Bde., 2. umgearb. Aufl., Leipzig 1840–1844. Vgl. Br. 65, S. 83, bes. Anm. 5. Komplex von Bildungs-, Wissenschafts-, Sozial- und Wirtschaftseinrichtungen, der nach und nach im Anschluss an das 1695 von dem protestantischen Pfarrer und Theologen August Hermann Francke (1663–1727) in Halle gegründete Pädagogium herum errichtet und im Geist pietistischer Frömmigkeit betrieben wurde, in ihrer Art einzigartige, im 19. Jahrhundert weiter ausgebaute Schulstadt und zugleich Ausgangs- und Mittelpunkt weltweiter evangelischer Mission. Merkel, Ernst.
69. An Karl Haeckel, [Merseburg], 8. – 10. dezember 1851
Lieber Bruder!
Montag 8/12 1851
Ich muß Dir armen, examenbedrückten, trostbedürftigen nun auch einen herzlichen Gruß schicken, obwohl ich mich in gleichem Falle befinde. Ich habe vorgestern die Ilias1 vollendet; nachdem ich in etwa 14 Tagen die 10 letzten Bücher gelesen; ich las dabei zuletzt in der Stunde 200–300 Verse, als ich von meinem Stubengenossen2 die Crusiussche Ausgabe3 geborgt hatte. Geschichte treibe ich jetzt nur a sehr wenig, da ich sie mir bis Weihnachten aufspare. Ich will dann bei euch nur Jahreszahlen auswendig lernen und in Tacitus Annalen4 lesen, der mir sehr gefällt. Die Botanik schläft jetzt gänzlich; dagegen treibe ich zuweilen etwas Chemie. So machten ich und Weiß gestern mehrere Experimente mit Sauerstoff, die sehr schön ausfielen. Mit prächtig sprühenden Funken verbrannte darin Eisendraht, und b verbrennender Phosphor verbreitete ein Licht, das fast das Sonnenlicht an Intensität erreichte. In der Schule haben wir jetzt bei Buchbinder5 etwas Geognosie und Geologie, die mich gleichfalls sehr interessirt. Ich freue mich sehr, in Jena allen diesen Disciplinen mich hingeben zu können. –
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Papa grüße recht herzlich, auch deine Freunde, die ich mich gleichfalls zu Weihnachten wiederzusehen sehr freue. (Was machen denn die Kammern6)? Immer Dein alter Paucker Ernst 1 2 3 4
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Vgl. Br. 46, Anm. 2. Weiß, Ernst. Homeri Ilias. Mit erklärenden Anmerkungen von Gottlob Christian Crusius. Heft 1–6, 2., vielfach verb. Ausgabe, Hannover 1845–1849. Tacitus, Publius Cornelius: Ab excessu divi Augusti (Annales) – das zweite, aus 16 Büchern bestehende große Geschichtswerk des Tacitus. Welche Ausgabe der „Annales“ Haeckel benutzt hat, ist nicht überliefert. Als damals aktuelle Ausgabe kann gelten: Cornelii Taciti Annales = Cornelii Taciti Opera. Ad Codices Antiqvos Exacta Et Emendata Commentario Critico Et Exegetico Illvstrata Edidit Franciscvs Ritter, Westfalvs Professor Bonnensis. Tomvs 1–2, Lipsiae 1848. Buchbinder, Friedrich Christian Traugott. Die Erste und Zweite Kammer des Preußischen Landtages, vgl. Br. 65, S. 83, bes. Anm. 4.
70. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 8. Januar 1852
Liebste Ältern!
Merseburg Donnerstag Abends 8/1 1852.
Ich muß euch doch wohl gegen mein Versprechen noch diese Woche schreiben und benachrichtigen, daß ich die Reise1 sehr wohl und glücklich vollbracht habe. Es war eine ganz wunderschöne, taghelle Nacht und obgleich es ziemlich kalt war, habe ich auf der ganzen Fahrt, besonders an die Füße, gar nicht gefroren. Bis Luckenwalde fuhr ich mit 2 Herren allein, und jeder schlief schön in seinem Viertel; dort aber stiegen 2 Fleischer mit ihren Jungens ein, und da es enge, unbequeme Wagen waren saßen wir wie die Häringe zusammengepreßt was grade nicht angenehm war, aber wenigstens das Coupé erwärmte. In Merseburg kam ich um 5 Uhr an, und zwar grade zur rechten Zeit, um noch die große, totale Mondfinsterniß2, mit Weiß3 ihrem ganzen Verlauf nach (bis um 8 Uhr) beobachten zu können. Bei dem klaren Wetter und strahlenden Vollmond sahen wir sie außerordentlich gut; als aucha der letzte Schimmer der Sichel verschwunden war, sahen wir den Mond als dunkelrothbraune Scheibe. Um 8 ging die alte Schule, hoffentlich zum letzten Mal an, und hat mir bis jetzt sehr schlecht geschmeckt. Ich befinde mich in einer ganz scheußlichen, zerstreuten Stimmung, die ich vergebens loszuwerden suche; zu gar nichts habe ich Lust, nicht die mindeste, nicht einmal zur Botanik. Nur nach der Schifferstrasse sehne und denke ich mich hin; und die beiden Tage kamen mir 50 mal länger vor, als die 18 Tage bei euch. || Die Geschenke habe ich noch gestern ausgetheilt; alles war sehr glücklich, und läßt tausendmal danken. Nun habe ich aber noch etwas entdeckt, worüber Du mir baldigst schreiben mußt. Als nämlich die Karo in meiner Gegenwart das Paket für Helene4 aufmachte, fand sich 1) Ein Stück blau und braun karirtes dunkles, wollnesb Zeug, von dem die Karo meinte, daß es zu dem „Gingan-Kleidchen“5 viel zu groß wäre; und dann ein kleineres Paket, worinn 2) 1 Paar lederne Kinderstrumpfbänder, 3)
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ein paar schwarzwollne Strümpfe, gezeichnet J R, c 4) 4 Antimacassars6 und 5) 1 Paar gestrickte Pulswärmer. Wem sind die Sachen und was soll damit geschehen? Im nächsten d Brief bitte ich dich, liebe Mutter, mir dessen Bestimmung zu schreie ben . Den nächsten Brief von mir wirst du wohl Sonnabend über 8 Tage durch Eichhoff erhalten. Heute sagte Osterwald, er hätte darauf angetragen, daß wir unsre Arbeiten recht bald schrieben. Abends 10 Uhr Heute Abends war ich bei Kathens, wo auch Brauchitsch7 und Karos waren, und wo ich sehr viel von euch erzählen mußte. Sie lassen Alle herzlichst grüssen. Daß Braune als Generalsuperintendent nach Altenburg kommt, ist wahr; Karos ziehen auch aus, und zwar in das Haus, wo Huguenell8 wohnte. Simon sprachf ich auch. Er g wäre sehr gern und ganz bestimmt zu euch gekommen, wenn nicht sein Vater9 von Magdeburg gekommen wäre, nun wird er zu Ostern kommen. || Bei Karo sah ich auch ein Buch: „Walddrossel“ von Heinrich Pröhle10, einem Schulkameraden Karls11 wodrin die ganzen Geschichten vom alten Domherrn v. Brandenstein12 und von unsrer ollen Schule, sowie auch von dem Betrug mit den Abiturienten Themas durch Manari13 offenbart ist; auch der alte Wieck wird sehr richtig charakterisirt. Die Wieck, bei der ich heute war, läßt Dich, liebe Mutter, fragen, wie Dir der ächte chinesische Karawanen-KaiserThee geschmeckt hat, den h sie Dir geschickt hat. − Mit Louisen, Christels Schwester,14 ist es noch gar nicht besser, Basedow15 behandelt sie nicht ordentlich; jetzt kommt nur noch Dürbeck16. – Die kleine Marie17 hat sich über die Puppe außerordentlich gefreut. Nun, liebe Ältern, muß ich aber schliessen, weil ich gar zu müde bin. Tausend Grüsse an Alle, an mein lieben Brummbär18 und an Tante Bertha. Schreibt recht bald wieder eurem alten armen Jungen Ernst Häckel. P. Sc. Der Öconom Wirth19 hat die 26 rℓ an Osterwald schon während der Ferien bezahlt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Ernst Haeckel hatte die Weihnachtsferien bei seinen Eltern in Berlin verbracht und reiste in der Nacht vom 6. zum 7.1.1852 wieder nach Merseburg zurück. Die Mondfinsternis am frühen Morgen des 7.1.1852 war die einzige des Jahres 1852, die in Deutschland sichtbar war. Vgl. Lamont, Johann (Hrsg.): Annalen der Königlichen Sternwarte bei München. Bd. 4, München 1850, S. LVII. Weiß, Ernst. Karo, Helene. Gingan, meist einfarbig kariert gemustertes Baumwollgewebe in Leinenbindung, Webart, charakteristisch für die Innendekoration von bäuerlichen Wohnräumen. Schonüberzüge, meist für Sitze und Lehnen von Polstermöbeln. Brauchitsch, Gustav Carl Sylvester von. Huguenel, Wege-Bauinspektor in Merseburg, wohnte Vor dem Sixtitor 475. Simon, Moses. Pröhle, Heinrich: Walddrossel. Ein Lebensbild. Dessau 1851. – Christoph Ferdinand Heinrich Pröhle hatte zu Michaelis 1843 nach einjährigem Besuch der Prima am Merseburger Domgymnasium das Abitur abgelegt. Haeckels Bruder hatte zu Ostern 1843 das Abitur am Merseburger Domgymnasium abgelegt und gemeinsam mit Christoph Ferdinand Heinrich Pröhle die Prima besucht.
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Brandenstein, Carl Friedrich Alexander Heinrich von. Über den Vorgang sind keine Akten überliefert, zur Erzählung vgl. Pröhle, Walddrossel (wie Anm. 10), S. 17–20. Neumann, Louise. Basedow, Carl Adolph von. Dürbeck, Carl Wilhelm. Wieck, Marie. Haeckel, Karl. Wirth, Heinrich Wilhelm.
71. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 14. Januar [1852]
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin d. 14ten Januar
Den Brief an Frau Doctor Freier1 kann ich nicht abgehn lassen, ohne einen freundlichen Gruß an meinen lieben Jungen beizufügen, der sich hoffendlich nun wieder ganz eingelebt hat; uns fehlst Du freilich sehr, aber wir denken täglich Deiner mit Liebe und sprechen viel von Dir. Vorigen Sonnabend war ich mit Vater in der Academie zur Vorlesung2, || und da wünschten wir beide, daß Du meine Stelle einnehmen solltest, denn erstens hätte Dich wohl die Vorlesung interessirt, und dann hauptsächlich hättest Du Dich wohl gefreut, Humbolt3 so nahe zu sehen, der in der königlichen Loge war. – Das Buch4, welches Du bestellt hast, ist fertig, ich werde es Dir gelegentlich schicken; schreibe || nur in Deinem nächsten Briefe, wann Du es haben mußt. Vorigen Mittwoch hatten wir die Gesellschaft bei uns, Grollmanns5, Brauchitschs6, Bassewitzs7, Holzbrinks8 etc. – Uebermorgen werden wir wieder eine geben, Brunnemanns9, Mollards etc. – es kommt mir nicht recht gelegen, da ich Mitten in der Wäsche bin, allein ein Rehbock, den wir Sonntag von der Kalisky10 bekommen haben, will sich bei dem feuchten Wetter nicht halten. Leb wohl, lieber Junge, und laß uns bald etwas von Dir hören. – Denke fleissig an Deine Mutter. 1 2
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Ehefrau von Freyer, Johann Gottfried. An jenem Tag hatte Ernst Curtius, der später wichtige Ausgrabungen in Olympia tätigte, im Wissenschaftlichen Verein zu Berlin einen Vortrag über die Olympischen Spiele in Athen gehalten. In dem mehrfach abgedruckten und für die spätere Wissenschaft und die Turnerbewegung leitenden Vortrag fasste er den gesamten zeitgenössischen Forschungsstand zum Thema „Olympia“ zusammen. Vgl. dazu: Curtius, Ernst: Olympia. Ein Vortrag im wissenschaftlichen Vereine zu Berlin am 10. Januar gehalten. Berlin 1852, sowie: Wacker, Christian: Athlet und Altis – Die antiken Olympischen Spiele in der deutschen Fachliteratur. In: Court, Jürgen / Müller, Arno / Wacker, Christian (Hrsgg.): Jahrbuch 2007 der Deutschen Gesellschaft für Geschichte der Sportwissenschaft e.V. Sport – Körper – Religion. Berlin 2008, S. 47–61, hier S. 52. Humboldt, Alexander von. Vgl. Br. 74, S. 99, bes. Anm. 15. Grolmann, Wilhelm von; Grolmann, Malwine Marie von, geb. Eimbeck. Brauchitsch, Gustav Carl Sylvester von; Brauchitsch, Emma von, geb. von Oertzen.
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Bassewitz, Friedrich Magnus von; Bassewitz, Henriette Adelheid von, geb. von Gerlach. Vermutlich die Brüder Arnold Ludwig und Heinrich Wilhelm Holtzbrinck. Brunnemann, Auguste Marie Charlotte Henriette, geb. Sack; Brunnemann, Wilhelm Eduard. Kalisky, Friederike Amalie, geb. Thomann.
72. An Charlotte Haeckel, Merseburg, 15. Januar 1852
Liebe Mutter!
Merseburg | Donnerstag 15/1 52
Schon ehe mich Sonntag früh Dein Brief überraschte, hatte ich mich auf meinen Irrthum oder vielmehr Faselei besonnen. Richters a hatte ich ganz vergessen (weil ich die Papiere gleich beim raschen Auspacken von Allem abmachte) und sein Paket an die Karo gegeben, während ich den Gingant1 für die Karo als Christels2 Schürze angesehen hatte. b Nun ist aber Alles wieder in Richtigkeit, und Christel hatte den Gingan schon zurückbringen wollenc, weil sie gleich dachte, daß ich Confusion gemacht hätte. Schon Sonnabend Nachmittag, als ich trotz aufmerksam seind sollender Arbeit viel an euch dachte, fiel mir plötzlich ein, daß es nun grade 8 Tage her war, daß ich den Sonnabend bei euch war, und Frl. Richter3 das Paket brachte. Ich lief nun gleich zu Christel und brachte den Gingant e zu Karos, das Paket aber zu Wiecks, wo es Richter am Mittwoch abgeholt hatf. Papa wird wohl wieder recht über den unpraktischen Menschen gescholten haben; nach Ostern mag er es nur thun und mich noch g tüchtig ermahnen, practisch und menschlich zu werden; jetzt aber h bin ich wirklich halb unzurechnungsfähig, weil ich überaus zerstreut und wüsti im Kopf bin. Übrigens bin ich schon so ziemlich wieder in die alte Lebensordnung hinein; um 7 wird aufgestanden, um 11 zu Bett gegangen. Karl sage, daß ich heute auch noch die letzten Ministerialblätter (51-52)4 und Gesetzsammlungen (41-43)5 von der Post geholt habe. Wir Abiturienten müssen jetzt unser curriculum vitae, und das Anhalteschreiben6 zum Examen schreiben. || Ferner haben wir einen freien deutschen Aufsatz über 1 beliebiges freies Thema zu machen, wozu ich das Stück der mit Karl zu Pfingsten 1851 gemachten Reise vom Schwarzathal bis Kloster Banz7 gewählt habe. Erst will ich diej Reise selbst schildern und daran eine Vergleichung der norddeutschen Gebirgsbewohner und der mehr südlichen Bayern anschließen. – Vorgestern habe ich auch Nachricht erhalten von den auf der Linkschen Auction8 bestellten Büchern. Ich habe weiter nichts erhalten, als die gute „Flora berolinensis von Kunth“9 die ich zu Ostern fleißig benutzen will. Neu kostet sie 3 rℓ 22½ Sgr; ich habe sie für 1½ rℓ bekommen. Vorn hat Link10 in beide Bände seinen Namen eingeschrieben; nun sage nur Karl, daß er immerhin einen guten Plan der Umgegend von Berlin (etwa 3 Meilen) ankaufen kann, damit ich dann Ostern die Flora von Berlin ordentlich brauchen kann. Doch kann er auch warten, bis ich selbst komme und einen mit aussuche. An Frau Naumann11 habe ich 1 rℓ gegeben, und ebenso an Christel. Gestern Abend haben wirk mit Osterwald angefangen Terentii Andria12 mit vertheilten Rollen zu lesen. Neulich haben wir auch an einem Abend mit ihm Fouqué’s Undine13 gelesen (dein Unding, liebe Mutter!) – Friedrich14 lässt sich noch besonders schön für
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die blaue Weste von Vater, die ihm von jeher so gefallen, und nach der er so gestrebt hätte, bedanken. – Mit den schönsten Grüßen an Alle bleibe ich euer treuer Junge E H. N. B. Die 5 Blätter15 für Karl folgen durch Eichhoff mit. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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Vgl. Br. 70, S. 91. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Richter, Frl., vermutlich Verwandte von August Ferdinand Richter in Berlin. Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege. Hrsg. im Bureau des Justiz-Ministeriums.13. Jg., Berlin 1851, Nr. 51, 19.12.1851, S. 381–384, Nr. 52, 26.12.1851, S. 385–388. Gesetz-Sammlung für die Königlichen Preußischen Staaten. Berlin 1851, Nr. 41, 42 und 43, S. 719–760. Lebenslauf und Gesuch um Zulassung zur Abiturprüfung, das Dokument ist nicht überliefert. Die Reise fand vom 3.–11.6.1851 statt; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 4v–7v. Vgl. Br. 58, S. 69. Kunth, Carl Sigismund: Flora Berolinensis sive enumeratio plantarum circa Berolinum sponte crescentium secundum familias naturales disposita. 2 Bde., Berlin 1838. – Das von Haeckel erworbene Exemplar dieses Werks befand sich in seinem persönlichen Besitz, bis es 1912 durch Schenkung in den Bestand des Herbariums Haussknecht der Friedrich-Schiller-Universität Jena gelangte (Sign.: M8Kunth:1 und M8Kunth:2). Link, Heinrich Friedrich. Naumann, Marie, geb. Glass. „Andria“, Komödie des altrömischen Dichters Publius Terentius Afer, möglicherweise handelte es sich um: P. Terentii Andria. Cum scholiis aeli donati et eugraphi commentariis. Edidit Reinholdus Klotz. 2 Vol., Lipsiae 1838. [Fouquè, Friedrich de la Motte]: Undine, eine Erzählung vom Verfasser des Todesbundes. In: Die Jahreszeiten. Eine Vierteljahresschrift für romantische Dichtungen. Frühlings-Heft, Berlin 1811, S. 1–189 (1848 erschien bereits die 7. Aufl.). Heimstädt, Friedrich. Siehe Anm. 4 und 5.
73. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 22./23. Januar 1852, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin 22 Januar 52.
Durch Eichhof1 haben wir Deinen neuesten Brief erhalten. Er reist heute ab, da er aber nicht direkt nach Merseburg geht, sondern erst in einigen Tagen dahin kommt, so antworten wir direkt. In der schönen mondhellen Nacht, in welcher Du zurückreistest, haben wir Deiner recht gedacht, auch wie Dir die Wiedereinrichtung schwer werden würde. Nun wird es wohl überstanden sein. Das Thema zu Deiner deutschen Arbeit2 ist ja recht hübsch. Da kannst Du allerlei ausführen. Wir leben hier im alten Zuge fort, sind zum Theil Abends bei den Verwandten ausgebeten, besuchen Abends regulair Papa und die Schwägerinnen3; ich sehne mich nach Ruhe (das Alter meldet sich doch) und bleibe an den Nachmittagen, die bei den noch immer kurzen Tagen
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kurz genug, zu Hause und lese seit einigen Tagen, nachdem ich die Dokumente der Tante Sack4 vollständig durchgesehen habe. Gegen Abend gehe ich spatziren und besuche dann einen Freund. Gestern Abend war ich bei Ribbeck5, der die Gicht hat. Nach Tisch lese ich Zeitungen und ärgere mich über die erbärmlichen Kammern6, die entweder ganz zum alten Feudalismus zurückwollen, oder sich lasterweise ganz dem des politischen Ministerio hingeben. Statt die Sachen zu ordnen, werden sie immer tiefer in die a Verwirrung hineingeschoben; immer in die Extreme hinein, wie im Jahr 1848, nur zuletzt von der b gouvernementalen und rechten Seite. Wo bleibt der redliche Wille, welcher der Regierung allein Achtung und Anhänglichkeit erschaffen kann! Die Junkers gehen im Sturmschritt auf ihr Ziel los, wie im Jahr 48. die Demokraten, bis der Herr von oben richten wird! Einen solchen Despotismus, ein solches blindes fanatisches Eifern von Seiten der Rechten, die alles gegebne feierliche Versprechen ignoriren und sich schrankenlos in ihren Gelüsten gehen laßen, ist mir in den letzten 40 Jahren noch nicht vorgekommen. In diesen Tagen treffen mehrerec alte Verwandte hier ein, um der Auktion des Mobiliars der Tante Sack beizuwohnen, die Sonnabend und die folgenden Tage hierd sein wird. August Sack aus Halle wird hier erwartet, sein Schwager Vink und Frau7 sind schon hier, Guido8 aus Breslau wird kommen, Minchen9 aus Stettin wahrscheinlich auch. Da werden wir wohl unruhige 8 Tage haben. – Ich bin mit Mutter mehrmals Sonnabends in den wißenschaftlichen Vorlesungen gewesen,10 die uns wohl gefallen. Vor 14 Tagen wurde über Olympia und die Olympischen Spiele11, vor 8 Tagen von dem jungen Diterici12 über die Wüste von Sinai, (wo er selbst gewesen) und die Feste Petra gelesen. Sonst habe ich keinen wißenschaftlichen Zusammenkünften beigewohnt, wir sind mehr in der Familie ausgebeten gewesen. Einmal haben wir die Sacksche Familie13 bei uns gehabt. Auch bei Reimers14 sind wir einige Mahle gewesen. In diesen Tagen habe ich Simons Schrift über die katholische Kirchenverfaßung15 gelesen, die mir wohl gefallen hat, nun sollen die Vorlesungen von Eltester über die Gestaltung der evangelischen Kirche16 folgen. So denke ich allmählich in das Lesen hineinzukommen, woran ich bisher verhindert worden bin. – Karl lebt in seinem Examinationstrain17 fort und grüßt Dich herzlich. Mache Dir Dein Examen nicht zu schwer und vernachläßige die Bewegung nicht ganz. – Wir haben in den letzten zehn Tagen sehr schlechtes Wetter gehabt, jetzt scheint es sich zu beßern. Tante Kalisky18 hat aus Dresden geschrieben und uns einen schönen Rehbock geschickt, der bald verzehrt ist.19 Ihre Tochter20 hat wegen der großen Kälte Nizza verlaßen und ist nach Palermo gegangen. eHerr v. Lengerke21 ist an Weihnachten nach Italien nachgereist. Der Winter ist ganz abnorm, in Deutschland warm, in Italien kalt, er treibt sich in den Extremen herum, wie dief Politik, und hat dieser wahrscheinlich den Kopf mit verdreht. – Laß bald etwas von Dir hören, grüße unsere Freunde und denke unser. Dein Dich liebender Vater Haeckel ||
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[Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Herzens Junge!
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Gestern war mir es nicht möglich zu schreiben, und heute wird auch nicht viel werden, ich muß schon um 9 Uhr in der Wohnung der Tante Sack sein, weil noch Sachen zu ordnen sind; aber ohne den herzlichsten Gruß kann ich doch Vaters Brief nicht abgehn lassen. Ich habe mich sehr gefreut, durch Eichhoff von Dir zu hören, und ich bitte Dich, ihn meinen schönsten Dank zu sagen, daß er vor seiner Abreise noch mal hier war, wo ich ihn nicht gesehen habe; weil er nicht direct reist habe ich ihm das Buch22 etc. nicht mitgegeben, sondern werde es bald schicken. – Mit herzlicher Liebe Deine Mutter. || Philipp23 hat vorgestern ein anathomisches Examen glücklich bestanden, heute hat er wieder eins. Grüße Osterwalds und alle Freunde herzlich.g 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
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Eichhoff, Karl Ludwig Wilhelm. Vgl. Br. 72, S. 94. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie; Sethe, Gertrude Henriette Wilhelmine. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann; vgl. Br. 64, S. 80. Ribbeck, Ernst Friedrich Gabriel. Vgl. Br. 65, Anm. 4. Vinke, Karl von; Vinke, Philippine Charlotte Wilhelmine von, geb. Sack. Sack, Guido. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Die Vorträge im Wissenschaftlichen Verein zu Berlin, vgl. u.a. Br. 76, Beischrift von Carl Gottlob Haeckel, S. 102, bes. Anm. 17. Vgl. Br. 71, Anm. 3. Dieterici, Friedrich Heinrich. – Dieterici bereiste ab 1847 Ägypten sowie den Vorderen Orient und veröffentlichte seine Reiseberichte unter dem Tiel „Reisebilder aus dem Morgenlande“ (Berlin 1853). Siehe Br. 60, Anm. 8. Reimer, Georg; Reimer, Marie geb. Stavenhagen. Vgl. Br. 66, Anm. 21. Vgl. Eltester, Heinrich: Vorträge über Wesen und Gestaltung der evangelischen Kirche, mit Rücksicht auf die in Preußen ihr bevorstehende Neugestaltung, nebst einem Anhange, enthaltend: Vorschläge zu einer Verfassung für die evangelische Landeskirche Preußens. Potsdam 1851. Hier für: Prüfungsbelastung. Kalisky, Friederike, geb. Thomann. Vgl. Br. 71, S. 93. Lengerke, Louise Friederike von, geb. Kalisky. Lengerke, Hermann Friedrich von. Vgl. Br. 74, S. 99. Bleek, Philipp.
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74. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 24. Januar 1852
Liebste Ältern!
Merseburg, Sonnabend | Vormittag, 24/1 1852
In dem Augenblick, ehea ich euren sehnlichst erwarteten Brief1 erhielt, war ich schon im Begriff, euch zu schreiben, und nur der Gedanke hielt mich zurück, daß Eichhoff, der wohl heute oder morgen kommen wird, mir einen mitbringen könnte. Ich habe unterdeß eine der gräßlichsten Wochen meines Lebens hinter mir gelassen. Zur Beruhigung will ich euch im Voraus schreiben, daß ich heute, Sonnabend, wieder ganz wohl und munter bin. Gestern Nachmittag vor 8 Tagen reiste Eichhoff, wie ihr wißt, von hier nach Berlin ab. Wie ich ihn beneidete, könnt ihr euch denken; b ich ging auch nicht mit auf den Bahnhof, um mir das Herz nicht noch schwerer zu machen, und in Versuchung zu kommen, mitzufahren. Als ich aber nun in der Dämmerung so am Fenster stand und den Zug fortfahrn sah, bekam ich so schreckliches Heimweh, daß ich mich aufs Sopha hinlegte, und bitterlich und recht von Herzen mich ausweinte. Darüber schlief ich endlich ein. Als aber Weiß2 und Zierhold Abends zu Haus kamen und ich darüber aufwachte, fühlte ich Schmerzen im rechten Knie;3 auch war es c links nach Innen zwischen dem Rand der patella4 und der linken Seite der femur5 etwas geschwollen. Da ich mich den Tag vorher etwas daran gestoßen und diesen Schmerz auch sonst schon öfter gehabt hatte, dachte ich, es würde vorüber gehn. Den andern Morgen aber, als es noch dicker geworden || ging ich zu Basedow6, der ein sehr bedenkliches Gesicht machte und mir 3 mal täglich 15 Tropfen Colchicum7 in Madeira einzunehmen und eine Ammoniakauflösung zum Einreiben verschrieb. Auch sollte ich mich gleich zu Bett legen. Sonntag früh kam er her und verordnete kalte Wasserumschläge um das Knie, durch die es zum Schwitzen gebracht werden sollte; diese habe ich auch bis gestern gebraucht und sie haben wohl vorzüglich die Genesung mit herbeigeführt. Seit gestern muß ich Jodtinctur auf das Knie pinseln, um die etwaigen Reste noch zu vertheilen. Wie schrecklich mir Sonnabend und Sonntag zu Muthe war, könnt ihr kaum denken. Erstens war Sonnabend Schlachtefest bei Osterwalds, und die Mädchen die auch sonst so unordentlich und faul sind, hatten nun vollends keine Zeit. Mein Stubenbursche Weiß, ein an und für sich vielleicht recht guter Mensch, aber wenigstens ein halb gefühlloser Sack und Holzklotz that kaum das, worum ich ihn bat, geschweige daß er mir von selbst einen Gefallen gethan hätte. Ich mußte also alles womöglich selbst thun. Dabei war ich schrecklich hypochondrisch, dachte mir, es würde dieselbe Geschichte, wie bei Finsterbusch werden,8 vielleicht würde ich gar nicht wieder gesund, ich könnte jetzt das Examen nicht mit machen, und dann hatte ich mir vorgenommen, Apotheker zu werden, u. s. w. Kurz, ich war bis Montag früh in völliger Verzweiflung. d Montag aber überfiel mich eine solche Apathie, daß mir nun alles völlig einerlei war, und ich mich, indem ich Tante Berthas Beispiel9 vor Augen hatte, jetzt ohne Weiteres in Alles ruhig hätte fügen können. || Seit Montag ging es aber immer besser. Osterwald war sehr freundlich; auch Basedow war sehr sorgsam und kam fast täglich. Gestern war er voller Freude und sagte ich sollte euch nur schreiben, daß er vom Schiffseigenthümer Nachricht erhalten, daß Johns Schiff10 glücklich in Lima angekommen; er selbst wollte euch erst schreiben wenn e er von John selbst einen Brief bekommen hätte.
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Unsern Freunden hatte ich nichts sagen lassen, daß ich krank wäre. Zuerst erfuhr es Madam Merkel, die außerordentlich sorgsam war und mich alle Tage treulich besuchte und mir zu helfen bemüht war. Simons, Kathens und Karos erfuhren es erst vorgestern. Namentlich waren Karos sehr böse, daß ich nichts hätte sagen lassen; sie sagte, wenn sie es nur gewußt hätte, würde sie mich gleich zu sich haben hinbringen lassen, um mich ordentlich zu pflegen. Sie die Osterwald selbst war zu schüchtern, um heraufzukommen; und so war die Pflege allerdings fast gar nicht vorhanden. Alle, Osterwald, Basedow, u. s. w. riethen mir übrigens, euch nicht eher zu schreiben, als bis g ich entschieden genau wüßte, ob es noch lange dauern h würde oder ob ich bald wieder heraus könnte. Im erstern Falle, liebe Mutter, würdest Du Dich wohl von mir haben erbitten lassen, herzukommen und deinen alten Jungen selbst zu pflegen?! Nun ist es aber, Gott sei Dank! seit gestern schon wieder so gut, daß ich heute bei dem schönen Wetter ausgehe und die steifen Glieder wieder etwas in Bewegung bringen soll. Dein Herkommen wäre daher eben so unnütz, meine liebe Alte, als wenn Du Dich jetzt noch ängstigen wolltest. Du würdest mich dadurch höchstens noch stören, da entweder schon übermorgen, oder Montag über 8 Tage die schriftlichen Examen Arbeiten statt finden sollen. || Ich soll übrigens den Winter über noch Leberthran trinken. Basedow meinte, zumal da ich auch im anderen Knie und sonst in den Gliedern und Gelenken etwas Schmerzen hatte, es würde wohl mit von meinem raschen Wachsthum hergekommen sein, weil die Gelenke sich nicht gleich so rasch i und stark ausbildeten, als die Glieder lang würden. – Daß Philipp11 den Theilj seiner Examina glücklich bestanden, freut mich außerordentlich, ich grüße ihn herzlich, sowie Tante Bertha, meinen lieben Karl (an den ichk erst zuerst schreiben wollte, um euch nicht direct zu erschrecken) u. s. w. Übrigens ist mir die Zeit seit Montag nicht lang geworden; namentlich habe ich einen großen freien Aufsatz gemacht (er ist im Concept 5 Bogen lang) „über den Einfluss der größern norddeutschen Pflanzenformationen auf den Charakter der Landschaft“, wobei ich Humboldts Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse (Ansichten der Natur Band II)12 zu Grunde gelegt habe.13 Sonst hab ich noch mit Hetzer, der immer sehr freundlich und sorgsargsam [!] mich besuchte und pflegte, Sophoclis Οιδίπους τύραννος14 privatim gelesen. Den Schleiden15 brauchst Du erst später zu schicken, da Osterwalds Geburtstag erst den 26ten Februar ist. – Nun bitte ich euch nur, liebe Eltern, daß ihr euch nicht mehr um mich ängstigt, zumal, da ich l aus euren Briefen sehe daß ihr Trübsal genug habt; thätet ihr es, so würde es mich reuen, euch geschrieben zu haben. Sollte es, was Gott sei Dank nicht zu befürchten steht, wieder schlimmer werden, so schreibe ich euch alsbald. – Du, lieber Vater, kannst mir einmal ordentlich von den akademischen Vorlesungen schreiben. Mit 1000 Grüßen und Küssen euer alter EH. N. B. Ist denn Petermann16 und Örsted17 zum Buchbinder besorgt worden? m || Papa soll nur nicht vergessen, am 29/1 nach Dresden zu schreiben. Ich denke dann auch an ihn!n18 1
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Weiß, Ernst. Haeckel erkrankte 1852 an Gelenkrheumatismus. Lat. patella: Kniescheibe. Lat. femur oder os femoris: Oberschenkelknochen. Basedow, Carl Adolph von. Colchicum autumnale L., Herbstzeitlose, Familie: Colchicaceae (Zeitlosengewächse). Der aus den Zwiebeln der Herbstzeitlosen gewonnene und hier in Madeira aufgelöste Extrakt wird als Naturheilmittel unter anderem bei Rheuma, Gicht und Gelenkproblemen eingesetzt. Dazu folgende Bemerkung Haeckels: „Finsterbusch äußerst bedenklich am rechten Fuß krank; Dr. erst Gruber, dann Basedow, welcher den Fuß schnitt; täglich liefen große Massen Eiter heraus; ich besuchte ihn sehr oft und schickte ihm häufig Erquickungen.“ (Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 8.4.1850). Haeckels Tante Bertha litt an einer chronischen Erkrankung des Bewegungsapparats, die dazu führte, dass sie gehbehindert und häufig ans Bett oder ihre Wohnung gefesselt war. Basedow, John Bernd Henning von. – Er unternahm 1851/52 als Schiffsjunge auf der 1838 vom Stapel gelaufenen Segelfregatte „Pauline“, die als Paket- und Auswandererschiff für eine Bremer Reeederei fuhr, eine Weltreise; vgl. Broghammer, Herbert: Sanitätsrat Dr. Karl Adolf von Basedow (28.3.1799 – 14.4.1854). Kreisphysikus von Merseburg. Herbolzheim 2000, S. 51 f. Bleek, Philipp; vgl. Br. 73, Nachschrift von Charlotte Haeckel. Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen. 2 Bde., 3. verb. und verm. Ausgabe, Stuttgart; Tübingen 1849; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 2 (=5–6). Vgl. Br. 72, S. 94. „König Ödipus“, Drama des Sophokles. Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Leipzig 1848; vgl. Br. 65, S. 83 f.; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 30 (=56). Vgl. Br. 68, S. 89. Oersted, Hans Christian: Gesammelte Schriften. 3 Bde, 3. unv. Aufl., Leipzig 1850–1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 85 (=133–135). Friederike Kalisky, geb. Thomann, lebte in Dresden und feierte am 29.1. Geburtstag.
75. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 26. Januar 1852]
Montag | früh Wie sehr es mich betrübt, daß mein lieber Herzens Junge, unwohl war, kannst Du wohl denken; und ich habe Dich nicht pflegen können! Doch das sind nun einmal Dinge in die wir uns beide fügen müssen. Mein lieber Ernst muß nur nicht gleich so muthloos sein; nur immer sorgsam das Unsrige gethan und dann voll || Gottvertrauen der Zukunft entgegen gehn; solche Lebenserfahrungen müssen auch dazu dienen, uns innerlich zu entwickeln. Hoffentlich bist Du, mein lieber Sohn, nun wieder ganz besser, auf jeden Fall bitte ich Dich aber dringend Basedows1 Vorschrift pünktlich zu folgen. Grüsse Basedow herzlich von mir, und sage ihm, ich bäte ihn || dringend, doch ja recht für Dich zu sorgen, und wenn Du mit dem Essen Dich in acht nehmen müßtest, möchte er es nur ja der Frau Konrector Osterwald sagen, was sie Dir geben könnte; frage auch Basedow ob Du den Lebertran in Merseburg wohl frisch und gut bekommst, oder ob Du ihn Dir durch die Bothen-||frau aus Leipzig sollst bringen lassen, oder ob ich ihn Dir von hier schicken soll. Brauche ihn aber ja orndlich, lasse Dir von Heine2 ¼ gezuckerte Orangenschalen holen, und iß immer ein kleines Stückchen nach, dann wird Dir es leichter. – Denke Du mußt meine Stelle beim Pflegen ersetzen. Sei ja recht sorglich.
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Basedow, Carl Adolph von. Heyne, Franz Robert.
76. Von Karl Haeckel, Berlin, 26. Januar 1852, mit Beischrift von Carl Gottlob Haeckel
Lieber alter Junge.
Berlin | 26/1 52.
Dein gestern angekommener Brief,1 der uns Dein Fußleiden meldet, hat uns alle mit lebhafter Theilnahme für unsern armen, einsam in Merseburg zubringenden Jungen erfüllt. Gott sei Dank, daß es ja nun wieder besser zu sein scheint. Nimm Dich nur ja recht in Acht mit Laufen, Springen und Erkältung, und laß, wenn es noch Schlittschuhbahn geben sollte, Dir lieber das Gelüste darnach vergehen. Also Leberthran nimmst Du? Sieh, da sympathisirst Du ja recht mit meiner Mimmi, ohne es zu wissen; der Arzt hat ihr es jetzt verordnet und sie soll gar wunderliche Gesichter schneiden, wenn sie das Zeug nimmt. Thust Du das auch? – Im Uebrigen geht es ihr jetzt wieder gut und sie ist munter und heiter, wie es die Braut eines Examinanden nur sein kann. Tante Minnchen2 ist seit Freitag Nachmittag zur Auktion3 hier zu der mehrere Verwandte gekommen sind. Heute wird wohl der letzte Auktionstag sein. Das schöne Sopha haben wir bekommen, u. ½ Dutzend Stühle, einen großen Tisch, auf den Mutter spekulirte, aber nicht. || Nun bekomme ich Mutters schwarzes Sopha zu mir herüber und meine Stube wird weit gemüthlicher dadurch werden. Mutter ist gestern u. vorgestern von früh 9 Uhr bis 4 Uhr Nachmittags zur Auktion gewesen. Heut wird es wohl auch noch lange dauern; deshalb kann sie Dir heut nicht mit schreiben. Vater ist bloß Stundenweise zu seinem Amüsement hingegangen. Mir geht es, wie immer; ich werde a noch tüchtig zu thun haben, wenn ich mit meiner Vorbereitung bis Ende März fertig werden will. Abends gehe ich gar nicht aus. Nur des Sonntags Nachmittags bin ich gewöhnlich mit Meyer4 u. Aegidi5 zusammen, welcher letztre uns gestern viel von dem Festmahle der Linken an Friedrichs des Großen Geburtstage6 erzählt hat. Denke Dir, die Polizei hatte der Musik verboten, das Arndt’sche Lied7 dazu zu spielen. Aber Schwerin8 hat es doch durchgesetzt, und auf seine Verantwortung hin haben sie es spielen müssen. Bei Deinem deutschen Aufsatz über die Pflanzen fällt mir ein, daß du doch ja den früheren über Fichte, Tanne pp von Osterwald Dir zurückerbitten mußt.9 Nun, liebster Bruder, nimm mit diesen || Zeilen vorlieb, die ich Dir zwar nicht bei Morgenroth aber doch bei frühem Sonnenschein geschrieben habe. Das jus10 ruft zur Arbeit. Ade Dein treuer Karl. [Beischrift von Carl Gottlob Haeckel] Mein lieber Ernst! Was Dir in den letzten 8 Tagen begegnet ist, bildet einen kleinen
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Anfang der Lebensprüfungen: diese Verlaßenheit, dieses Zurückgewiesensein auf sich selbst, dieses Ertragen eines körperlichen Leidens, wobei die häusliche Pflege fehlt. Das alles soll Deinen Willen und Charakter stählen helfen, denn Du hast viel Anlage dazu, den Muth zu verlieren und Dich ganz dem Schmerz hinzugeben, das darf nicht sein. Gott ist überall bei Dir und hilft auch wieder, wenn man auch verlaßen zu sein glaubt. Auch ist Deine Phantasie, wie ich schonb früher bemerkt habe, immer beschäftigt, Dir das schlimmste vorzustellen und Dir allen Muth zu benehmen; dagegen kann man durch ernsten Willen viel thun. Wie gesagt, Du bist durch das lange Verbleiben im elterlichen Hause sehr verwöhnt und noch nicht geübt, allein dazustehen und Dich zu faßen. Das wirst Du allerdings lernen müßen und dazu ist Dein Unwohlsein die erste Einleitung gewesen. So bilden die Lebensvorgänge eine Schule für den Menschen. Hier in der Familie ist es seit einigen Tagen wegen der Auktion sehr unruhig. Guido11 ist hier, August Sack aus Halle nebst seinem Schwager dem Major Vink und seiner Frau12, der ein sehr vernünftiger solider Mann zu sein scheint. Da sind denn die Verwandten täglich von 9 bis 3, 4 Uhr in der Wohnung der verstorbenen Tante13 beisammen, heute wird die Auktion enden, es geht ganz munter dabei zu und mitunter auch spashaft, wenn sie bei einzelnen Gegenständen sich so jagen. Heute wird Mutter wahrscheinlichc für Dich die beiden Bilder erstehen (Humbold u. Wildenow)14 auf die August Sack auch bieten wollte, die er Dir aber überlaßen will. August ist ausge||zogen in Halle d und wohnt jetzt in der Nähe der 3 Schwäne in der Straße nach dem Pädagogio zu.15 Er hat auf der Auktion allerlei gekauft und gedenkt nun die Zinsen des ererbten Kapitals jährlich zu verreisen. Am Sonnabend waren wir in der wißenschaftlichen Vorlesung, welche ganz für Dich gemacht war. Der Profeßor Braune16 las über das „rechts und links“ in der Natur. Die Vorlesung war mehr für Liebhaber der Naturwißenschaften, doch bin e auch ichf sehr aufmerksamg gewesen und besonders der Schluß, der eine sehr ernste religiöse Färbung bekam, hat mich sehr angezogen. Er sucht die Verschiedenheit der Bildungen auf der rechten und linken Seite der Pflanzen, Thiere und Gewächse nachzuweisen, h die doch zusammen wieder eine Symmetrie bilden und wies so ein Naturgesetz in dieser Bildung nach. Beim menschlichen Körper z. B. die Verschiedenheit der rechten und linken Seite, die rechte geschikter und befähigter zum Handeln, die linke die Ausströmungen des Bluts aus den Herzkammern und das Zurükströmen zu denselben darstellend, die Verschiedenheit der Gewinde bei den Stengeln der Pflanzen nach links und rechts und auf den Blättern. Mein Gedächtniß reicht nicht aus, um Dir etwas Vollständigeres wieder zu geben. Vielleicht wird die Spenersche Zeitung hierüber etwas liefern.17 Zuletzt frug er nach dem Warum? und dem Zwek dieser Erscheinungen und dieses führte ihn auf die göttliche Kraft, die dieses alles gebildet hätte und auf die göttliche Liebe zurük. Nach der Vorlesung gingen wir sogleich zu Weissi18, wo wir auch zuerst etwas von Deinem Unwohlsein, was aber schon größtentheils vorüber sei, erfuhren. Herr v. Buch war auch drinn gewesen und hatte sich mit dem Schluß nicht zufrieden gezeigt, da sei der Vorleser sehr links gewesen. Die Naturforscher sollen größtentheils sehr rationalistisch sein, auch Schleiden und Burrmeister19, von dem Giesner Voigt20 gar nicht zu reden, der völlig irreligiös ist. – Das || begreife ich nicht. Die Erkenntniß der Naturgesetze müßte m. E. immer religiöser machen. Ein solches Compendium von Naturgesetzen der Materie einverleibt hat für mich gar keinen
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Reitz, wenn sie nicht einen Beweis für die Weisheit Gottes bilden; und wo kommen denn die Gesetze her, sind sie ein für sich bestehender unabhängiger Geist? Das führt gar zur Vielgötterei, erst der menschliche Geist, für sich u. aus sich da stehend, dann der Naturgeist und wer weis wie viel Geister noch mehr! Da wurde ich gestern Vormittag in der schönen Predigt von Sydow21 grade auf das Entgegengesetzte geführt. Er sprach von dem ächten christlichen evangelischen Glauben, wie er sich hauptsächlich in Luther gezeigt und setzte das Wesen des Glaubens auseinander, hervorgehend aus dem Gefühl der Hülfsbedürftigkeit gegen die Sünde, aus dem Gefühl der Schwäche und der Demuth und der Sehnsucht und wenn diese recht stark und innig wird, aus dem Einströmen des göttlichen Geistes in das sehnsuchtsvolle Herz und Stärkung deßelben zur Tugend, was die moralische Lehre als Rechtfertigung durch den Glauben „durch den Glauben gerecht werdend“ bezeichnet. Es war eine sehr schöne Predigt, sehr klar und anschaulich. Die Veranlaßung dazu aus dem Evangelio vom Hauptmann zu Capernaum22 hergenommen, wo Christus sagt: Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden. Er setzte dabei aus einander, wie die Geschichte des äußern Wunders dabei Nebensache sei gegen dasj, was im Gemüth des heidnischenk Hauptmanns vor sich geht, der auch schon längere Zeit im Judenthum die Einheit Gottes erkennt und sich im Vorfahr des rechten Glaubens gefunden, der nun bei dieser Gelegenheit entschieden hervorgetreten sei im Glauben an die Göttlichkeit des Erlösers. – Diese Glaubenssachen werden nur für den verständlich, welcher innerlich die Hülfsbedürftigkeit gegen die Sünde erkannt und indem er Stärkung bei Gott nach der Anweisung Jesu Christi nachgesucht, dieselbe gefunden hat. Vor Christo kannte man dieses Verhältniß zu Gott nicht, „niemand kommt zum Vater denn durch mich“ sagt Christus. Das wahre Ver-||hältniß des Menschen zu Gott, die göttliche Liebe ist uns erst durch Christum klar geworden, in welchem sich Gott auf das vollständigste geoffenbart hatte, in welchem die vollständigste Vereinigung mit Gott war und durch welchen wir erst zu dieser Grundanschauung Gottes, zur Hingebung an denselben und zur Erkenntniß der göttlichen Liebe gelangt sind. – Das alles will innerlich ererbt sein, und die Ereigniße und Prüfungen des Lebens führen uns zu Gott, den einen früher, den andern später. Vielen aber bleibt dieses Verhältniß verborgen, es gelangt nicht zu ihrem Bewußtsein, weil sie nicht aufmerken auf die Stimme, durch welche siel zu Gott gerufen und zu ihm hingezogen werden; weil sie leichtsinnig in die Welt hineinleben.m Wer aber mit Besonnenheit und Ernst durchs Leben schreitet, der vernimmt diese Stimme und wird zu Gott geführt. – Wir haben hier sehr viel schlechtes Wetter gehabt, fast jeden Tag viel Regen; von Winter ist nicht die Rede, sondern nur von Regenzeit, während sich die Kälte nach dem Süden gezogen hat. Frau v. Lengerke23, (die Tochter der Kalisky24) ist deshalb von Nizza nach Palermo gegangen. – Ich werde nicht unterlaßen, in diesen Tagen (zum 29sten) n an die Kalisky zu schreiben.25 Solltest du noch Pflege brauchen, so wende dich an Christel26, die wird es gern thun. Sei nicht verzagt und brauche ja recht ordentlich den Leberthran. – Schreibe uns bald wieder. Dein Dich liebender Vater Haeckel Berlin 26/1 52
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Br. 74. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Vgl. u.a. Br. 73, S. 96. Meyer, Friedrich Heinrich. Aegidi, Ludwig Karl James. Am 24.1.1852 wurde der 140. Geburtstag von Friedrich dem Großen, König von Preußen, begangen; vgl. Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 22, 27.1.1852, S. 5: „Bei dem Festmahle der Linken beider Kammern, am vorigen Sonnabend, das dem Geburtstage Friedrichs des Großen galt, fungierte Hr. von Vincke als Festredner. Graf Schwerin brachte den Toast auf Se. Majestät den König in kurzen kräftigen Worten aus, der Abg. v. Brünneck den auf Se. Königl. Hoheit den Prinzen von Preußen […]. Als Toaste sind noch zu nennen der des Abg. Simson auf Carmer und Suarez, die Helfer des großen Königs in seinem gesetzgeberischen Werke; des Abg. Baumstark auf den Gr. Schwerin und dieses auf die wahrhaft conservative Partei, die zugleich liberal und constitutionell mit gleichem Rechte sich nenne; des Abg. v. Auerswald auf Kühne und dieses auf den Zollverein; endlich Wentzels Toast auf die früheren Landräthe v. Hilgers und Delius.“ Das „Vaterlandslied“ von Ernst Moritz Arndt (inc. „Der Gott, der Eisen wachsen ließ“). Schwerin-Putzar, Maximilian von. Haeckel, Ernst: Der ästhetische Einfluß der norddeutschen Pflanzenformationen auf den Charakter der Landschaft; vgl. Br. 74, S. 99; ders.: Föhre, Tanne, Knieholz (EHA Jena B 387a–b). Vgl. Br. 48, Anm. 8. Sack, Guido. Vinke, Karl von; Vinke, Philippine Charlotte Wilhelmine von, geb. Sack. Sack, Marianne Gertrude Johanna, geb. von Reimann. Vgl. Br. 61, S. 76. Halle, Rannische Straße 539. Braun, Alexander Carl Heinrich. Vgl. den Bericht über den Vortrag „Rechts und Links in der Natur“ von Alexander Braun am 24.1.1852 im wissenschaftlichen Verein zu Berlin, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 21, 25.1.1852. Weiß, Christian Samuel. Burmeister, Carl Hermann Conrad. Vogt, August Christoph Carl. Sydow, Karl Leopold Adolf. Matthäus 8, 5–13. Lengerke, Louise Friederike von, geb. Kalisky. Kalisky, Friederike, geb. Thomann. Vgl. Br. 74, Anm. 18. Zwarg, Christiane, geb. Neumann.
77. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 31. Januar 1852
Liebste Ältern
Merseburg 31/1 1852 | Sonnabend Abend
Obgleich meine armen Finger vom Schreiben so lahm und steif, wie Krückstöcke, sind, muß ich euch doch noch heute Abend die wichtigsten Ereignisse der verflossnen Woche mittheilen die vielleicht eine der bedeutendsten und schrecklichsten meines bisherigen Lebens zugleich ist. Soviel kann ich euch sagen, daß ich heute Abend wie neugeboren bin und mir eine schreckliche Last vom Herzen ist. Am Montag
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früh war ich wieder so weit, daß ich mit dem Stock a die Schule besuchen konnte. Wir hatten die erste Stunde bei Osterwald. Als er fertig war, fragte er, ob wir morgen (Dienstag) die Abiturientenarbeiten machen wollten. Das traf uns alle, wie ein Blitz aus heiterm Himmel; Wir sagten natürlich nicht: nein! und so ist es denn diese Woche losgegangen. Dienstag, Donnerstag und Sonnabend von 8–1 Uhr und von 3 – 6. Dienstag schrieben wir die deutsche Arbeit, zu der wir 3 Themata1 bekamen: 1) Die italienische Reise übte auf Göthes Leben einen gleichen Einfluß aus, wie die jenaische philosophisch-historische Periode auf Schillers Entwicklung, 2) Der Einfluß göthischer Denkweise auf Schiller an dessen Balladen nachgewiesen, 3) Wie theilen sich die Richtungen Klopstocks in die Mitglieder des Göttinger Dichterbundes. Ich hatteb das erste, wie Osterwald sagt, schwächste Thema gewählt. || Montag Nachmittag machten wir die griechische c Arbeit, die in der Übersetzung von 70 Versen aus Euripides Hekuba2 bestand. Donnerstagd war die mathematische Arbeit, wobei e wir jeder 3 verschiedene Aufgaben bekamen: 1 geometrische, 1 trigonometrische und 1 Gleichung.3 Ich löste alle. Nachmittag übersetzten wir ein Stück aus dem Segür4 aus dem französischen: der Einzug Napoleons in Moskau. Heute endlich machten wir früh die so allgemein gefürchtete, schreckliche, lateinische Arbeit. Wieck gab uns aber ein recht hübsches und leichtes Thema: Cur Vitellius Vespasiano necessario succumbere debuerit5. Nachmittag hatten wir ein leichtes lateinisches Extemporale aus dem Livius6. f Obgleich ich es von den 3 ersten Arbeiten schon weiß, daß sie genügend sind und es von den übrigen zu hoffen wage, so habe ich dochg schrecklich viel Angst ausgestanden; und namentlich dachte ich, die Arbeiten würden recht schlecht werden, weil mir der Kopf in dieser Woche so verwirrt war, und ich besonders recht viel Heimweh wieder hatte. Gott sei Dank, daß es nun vorüber ist. Nun noch circa 6 Wochen und ich hoffe bei euch die seligsten Tage zu erleben. Mit dem Fuß will es noch nicht recht gehen; ich habe noch öfter Schmerzen in beiden Knieen; die Sache ist wohl entweder rheumatisch oder scrophulös7. Jetzt trinke ich täglich 3 mal 1½ Eßlöffel Leberthran, den ich aus Leipzig habe kommen lassen; schöne Delikatesse! || Den Schleiden8 brauchst Du mir jetzt gar nicht zu schicken. Meine andern 3 Stubengenossen baten mich, ich möchte doch lieber mit 2–3 Thaler mit ihnen geben, um Göthes Reinecke Fuchs von Kaulbach9 zu kaufen, den sich Osterwald schon lange gewünscht hath. Sie haben ihn nun schon auch bestellt, und ich hoffe, ihr werdet nichts dagegen haben, wenn ich mit dazu beisteure. Den Schleiden kann ich ihm dann entweder zu Ostern schenken, wenn ich weggehe, oder Karl kann ihn Mimmi zum Geburtstag schenken, oder ich behalte ihn auch selbst, und schenke meinen alten Schleiden an einen meiner Freunde (z. B. Hetzer, Weber, oder Weiß10) – Vorgestern brachte mir auch Christel11 mehrere Dutzend gelbe hölzerne Zwirnwickeln. Sie kosten 1 rℓ. Soll ich sie Dir, liebe Mutter, schicken, oder zu Ostern mitbringen. Mit Louisens12 Fuß geht es noch nicht besser; sie liegt nun schon 3 Monate. Finsterbusch soll es recht gut gehen; er ist in Halle von einem Magnetiseur13, der sich ihm freiwillig und unentgeldlich anbot, plötzlich so geheilt worden, daß er munter ohne Krücken herumlaufen kann. || Daß ich beim Leberthrannehmen, den ich übrigens ganz lakonisch und heroisch, ohne Gesichterschneiden herunterschlucke (ausgenommen, daß er zuweilen, wenn er schon halb unten ist, von selbst wieder i aus der Kehle kommt) mit meiner geliebten
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Schwägerin sympathisire, freut mich sehr. Mein lieber Bruder, dem ich für seinen Brief14 herzlich danke, und ihm viele Grüsse schicke, kann ihr das schreiben, und zugleich, daß ich ihr nach glücklich bestandnem Examen auch einmal schreiben werde. – Dir, lieber Vater, danke ich recht herzlich für j Deinen Bericht aus der Braunschen Vorlesung15; er hat mich sehr interessirt und gefreut, namentlich freue ich mich sehr, daß ich ganz mit Dir einer Ansicht bin; aber Schleiden kannst Du in Hinsicht des Rationalismus nicht mit Burmeister zusammenstellen; lies nur einmal seine 3 letzten Vorlesungen in der „Pflanze“16, namentlich die elfte geologische. – Habt ihr denn auf der Auction die Bilder von Willdenow und Humboldt und die beiden WasserfallLandschaften17 bekommen? ich hoffe stark. – Morgen Mittag bin ich bei Karos. Ich besuchte sie heute Abend; sie läßt Mutter recht schön grüßen und ihr sagen, sie wird recht bald schreiben. Ebenso Madam Merkel, die in Folge einer Erkältung zu Bett liegt. Nun ade, liebe Eltern, schlaft recht wohl, ich bin heute recht herzlich müde. 1000 Grüße an alle Euer alter Ernst H. 1
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Die Themata lauteten: „Wie theilten sich die Dichter des Göttinger Hainbundes in die Richtungen Klopstocks?“, „Der Einfluss Göthischer Anschauungsweise auf Schillers Dichten an den Romanzen nachgewiesen“ und „Mit welchem Rechte lässt sich behaupten, dass die Jenaische Periode auf Schillers geistige Entwickelung einen gleichen Einfluss ausgeübt hat, wie die italien. Reise auf Göthe?“, in: Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 28. „Hekabe“ ( lat. „Hecuba“), Tragödie von Euripides, entstanden ca. 424 v. Chr. Tagebucheintrag Ernst Haeckels, 28.1.1852: „Donnerstag früh 8–12 Uhr mathematische Arbeit. Jeder einzelne bekam auf einem Zettel eine arithmetische (Gleichung), eine trigonometrische (∆slösung) und eine geometrische Aufgabe zu lösen. – Die meinigen waren: I. (11.) Ein Geflügelhändler kauft 15 Enten u. 12 wälsche Hühner für 26¼ rℓ, als er Hühner für 10 rℓ erhält. Was kostete eine Ente u. 1 Huhn? II. (11) Ein Dreieck zu berechnen, wenn der Radius des eingeschriebenen Kreises = 975843‘, < α = 127° 29‘ 46“ u. γ = 21° 16‘ 56“ ist. III. (5) In einem Kreise sind 2 senkrechte Radien ot, os gezogen, es soll diejenige Sehne kx eingetragen werden, welche durch die Radien in 3 gleiche Theile getheilt wird.“ – Die Aufgaben stehen auf einem in das Tagebuch eingeklebten Zettel, auf dem Haeckel nachträglich auch die Lösungen eingetragen hat; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 19v. Ségur, Louis-Philippe de: Histoire de France. 9 Teile, Paris 1824–1830. Lat. Übs.: Warum wird Vitellius dem Vespasian notwendig unterliegen müssen? Vgl. Jahresbericht über das Domgymnasium zu Merseburg, womit zum Osterexamen MDCCCLII ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck, Rector und Professor. […]. Merseburg [1852], S. 27. Titus Livius: Ab urbe condita libri CXLII. Lat.: chronisch entzündlich. Vgl. Br. 65, S. 83 f., bes. Anm. 7; Br. 74, S. 99, bes. Anm. 15. Möglicherweise die folgende Ausgabe: Reineke Fuchs von Wolfgang von Goethe mit Zeichnungen von Wilhelm von Kaulbach. München 1846. Weiß, Ernst. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Neumann, Louise. Magnetiseure praktizierten ein Verfahren, dessen heilende Wirkung auf Übertragung von menschlichen Magnetströmen, z.B. durch Handauflegen, beruhte. Br. 76. Vgl. Br. 76, S. 102.
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Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge, Leipzig 1848, S. 209– 329; Zehnte Vorlesung: Die Pflanzengeographie, Elfte Vorlesung: Geschichte der Pflanzenwelt, Zwölfte Vorlesung: Die Ästhetik der Pflanzenwelt. Vgl. Br. 76, S. 101.
78. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. Februar 1852, mit nachschriften von Karl und Carl Gottlob Haeckel
Mein geliebter Ernst!
Berlin d. 1sten Feb.
Mit recht großer Sehnsucht habe ich von einem Tage zum andern auf Nachricht gehofft; bis jetzt leider vergebens, und doch möchte ich täglich wissen, was mein lieber Junge macht, ob sein Knie wieder ganz gut ist. Ich kann Dir nicht sagen, wie schwer es mir ist, daß ich Dich nicht pflegen, daß ich nicht bei Dir sein kann. Ach bitte mir zur Liebe nimm Dich nur recht in Acht, || thue nur pünktlich was Basedow1 verordnet. Hast Du wohl Basedow drauf aufmerksam gemacht, daß Du schon früher oft Schmerzen am Knie gehabt hast, und daß Basedow es schon öfter untersucht hat, aber damals immer sagte es sei nichts. Vater sagt wohl Du könntest jetzt nicht schreiben, da Du mitten in Examenarbeiten seist; nach || einem Briefe, den Vater heute von Land Rent Meister Wiegner2 erhalten, müßt Ihr ja nun mit den schriftlichen Arbeiten jetzt wohl durch sein; wenn Du auch nicht Zeit hast, viel zu schreiben, o bitte, so sage mir nur mit wenigen Worten, wie es Dir geht. – Ich hatte mir fest eingebildet, wir würden vorigen Freitag, den 29sten von Dir einen Brief || erhalten, weil es da 50 Jahr war, daß Vater sein Geschäftsleben begonnen,3 Du hast wohl nicht dran gedacht, wir haben viel an Dich gedacht, und Dich zu uns gewünscht. Nun, daß hat nicht sein können. – Zu Mittag war Meier4, der mit Karl repetirte, heute bei uns, und dann kam noch Frl. von König5 und lud sich ein. a Karl bestand drauf der schöne Pokal6 müsse || eingeweiht werden, und holte dazu eine Flasche Johannisberger. Abends, wo wir mit den Mitgliedern der Sackschen Familie7 bei Julius8 waren wurde [auf] Häckels Gesundheit mit Punsch getrunken. – Für mich hatte der Tag viel Wehmüthiges, doch habe ich dem lieben Gott von Herzen b gedankt, daß er uns so reich gesegnet hat. Seine Vaterhand leite uns ferner nach seinem Wohlgefallen. – – || Von Herzen wünsche ich Dir Glück, mein lieber Ernst, daß Du die Examenarbeiten hinter Dir hast, nun habe nur frischen Muth, dann wird es auch mit Deinen Knieen bald hoffendlich besser. Grüsse alle herzlich von Deiner Mutter
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[Nachschrift von Karl Haeckel] Lieber Hans9.
Berlin 2/2 52.
Es freut mich sehr, daß es mit Deinem Knie besser geht u. daß Du die Examensarbeiten schon hinter Dir hast. In der letzten Woche habe ich viel Unruh gehabt. Denn: Freund Richter hat sich plötzlich verlobt, mit einem Frl. Maywald10; Tochter eines Buchhalters11 in der hiesigen Porzellain-Manufactur. Er hat sie bei Aegidi’s12 kennen gelernt. Gestern war die Familie der Braut draußen in Mariendorf, ich auch, und wir waren recht vergnügt. Richter läßt Dich schön grüßen er ist sehr glücklich; die Braut gefällt mir sehr wohl. Ade lieber Junge, ich will wünschen, daß alle Arbeiten gut ausgefallen sind. Schreib uns, sobald Du davon gewisse Nachricht hast. Von uns Juristen geht Wilde13 in der 2ten Hälfte des Monats zuerst ins Feuer. Ich werde vor Ende März nicht dran kommen. Ade. In alter Liebe Dein Karl. NB. Die Bücher sind alle gebunden.14 [Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel] Mein lieber Ernst! Zum Frühstück heute, nachdem Carl vorstehendes geschrieben, kam Dein Brief15 von vorgestern an, aus dem wir ersehen haben, wie Du nun Deine Examenarbeiten hinter Dir hast was uns sehr freut. Es wird hoffentlich alles gut gehen. Wegen Deinem Knie sind wir sehr besorgt gewesen. Da es aber beide trifft, so muß es doch wohl eine Krankheit sein, die sich heilen läßt. Brauche nur recht fleißig die Medicin. In den Jahren des Wachsthums tritt manches hervor, das, wenn es auch eine Zeit lang anhält, doch auch wieder verschwindet. Aengstige Dich also nicht zu sehr. Es ist beßer, als wenn sich die Folgen des schnellen Wachsthums auf die Brust geworfen hätten. – Vorige Woche haben wir es unruhig gehabt, zuförderst die Auktion,16 auf welcher Mutter ein Sopha, sechs Stühle, einige Kleiderschränke, Wäsche, Gläser etc. erstanden. Auch Deine beiden Bilder Humbold und Wildenow haben wir gekauft,17 aber keine Waßerfallandschaften, weil sie zu hoch bezahlt wurden.18 Wir waren auf einige Mahl ausgebeten, die Verwandten sind nun wieder abgereist. Sodann war ich zwei Mahl in der 2ten Kammer, um die Diskussionen über den Beslerschen Antrag wegen des Verhältnißes Preußens zum Deutschen Bunde19 zu hören. Das Ministerium hat nur mit sehr wenigen Stimmen den Sieg davon getragen und die Gefahren, in welche die Selbstständigkeit Preußens und seiner Verfaßungc durch die Bundestagsbeschlüße gerathen könnten, sind von der Opposition sehr stark und vollständig hervor gehoben worden. Wenn auch das Ministerium gesiegt hat, so bleiben doch die öffentlichen Diskussionen über diese Gegenstände immer ein großer Gewinn und die Wahrheit bricht sich allmählich immer mehr Bahn und klärt das Volk auf. Diese politische Ausbildung des Volks durch die öffentli-
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chen Kammerverhandlungen bleibt für jetzt die Hauptsache. Je mehr diese Ausbildung wächst desto mehr gewinnen die Kammern an Kraft und man muß sich dadurch, daß jetzt ein Theil des Volks sich noch in großer Unmündigkeit befindet und durch seine Wahlen das Ministerium unterstützt, vom parlamentarischen System durchaus nicht abschreken laßen. Manche verzweifeln an diesem System, weil das Volk noch zu unreif ist. Allein England hat beinah 2 Jahrhunderte gebraucht, ehe es reif geworden. || Gestern früh habe ich wieder Sydow angehört. Er sprach über das Evangelium des ungerechten Haushalters20, über die Schwierigkeit es zu verstehen und über die wahre Bedeutung deßelben, die er dahin auslegte, daß Christus an dem ungerechten Haushalter die Consequenz eines den irdischen Interessen mit allen seinen Kräften dienenden Menschen habe darstellen wollen, der durch diese Consequenz seines Handelns seinen Zwek erreicht. In dieser Consequenz, Kraft und Eifer sollten sich die Menschen des Lichts, die dem Höhern dienen, jene irdischen Menschen zum Muster nehmen, um auch ihrerseits dadurch das Reich Gottes um so sichrer zu fördern. Daßelbe meint Christus, wenn er sagt: Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben21. Die Predigt war sehr gedacht und consequent vom Anfange bis zu Ende durchgeführt. – Man kann diese Lehre auch auf die Politik anwenden. Die einem gebildeten Volk nothwendige Freiheit läßt [sich] nicht erringen, wenn man die Hände in den Schoos legt, sondern wenn man sie auch unter den ungünstigsten Umständen mit Wahrheit, Beharrlichkeit und Eifer zu fördern sucht. Das System der bloßen Herrschsucht, die sich durch Unwahrheit, Lüge und dadurch daß sie die Menschen bei ihren schwachen und schlechten Seiten zu faßen sucht, d stützen will, kann auf die Länge gegen die Absichten der Vorsehung, die das Menschengeschlecht weiter fördern will, nicht anhalten. Die Kämpfer für Wahrheit und Recht müßen aber durch ihr Beispiel, den Sinn dafür aufrecht halten und ihm endlich unter Gottes Hülfe den Weg bahnen. – Am Sonnabend waren wir in der wißenschaftlichen Vorlesung, wo über den christlichen Bilderkreis, bevor die christliche Kunst im Lauf des 13ten Jahrhunderts begann, recht hübsch gesprochen wurde.22 || 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Basedow, Carl Adolph von. Wiegner, Carl Wilhelm Ferdinand. Carl Gottlob Haeckel hatte seine Beamtenlaufbahn am 29.1.1802 als Referendar beim Oberlandesgericht Breslau begonnen. Meyer, Friedrich Heinrich. König, W. von. Vermutlich ein Geschenk zum 50-jährigen Amtsjubiläum Carl Gottlob Haeckels. Vgl. Br. 60, Anm. 8. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Kosename für Ernst Haeckel, vgl. Br. 25, Anm. 9. Richter, Bianca, geb. Maywald. Maywald, Vater der Vorigen. Aegidi, Karl Julius; Aegidi, Jemina, geb. Kenworthy. Wilde, Wilhelm Oskar. Vgl. Br. 74, S. 99, Postskriptum. Br. 77. Vgl. Br. 73, S. 96, Br. 76, S. 101. Vgl. Br. 61, S. 76. Vgl. Br. 76, S. 101, Br. 77, Anm. 17.
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Vgl. Protokoll der 15. und 16. Sitzung, 29. und 30. Januar 1852, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 4. November 1851 einberufenen Kammern. Zweite Kammer. Erster Band, Berlin 1852, S. 201–218 und 219–242. Der Antrag Beseler forderte eine Erklärung der Zweiten Kammer, „daß durch die Theilnahme der Preußischen Regierung an der zu Frankfurt a. M. zusammengetretenen Bundes-Versammlung die Souverainetät der Krone Preußen und die Wirksamkeit der Preußischen Verfassung in keiner Weise beschränkt werden können; daß insbesondere die Beschlüsse dieser Bundes-Versammlung insoweit sie eine Abänderung der Verfassung oder der Gesetze Preußens enthalten, dem Staate Lasten oder einzelnen Staatsbürgern Verpflichtungen auferlegen sollten, ohne die Zustimmung der Kammer für Preußen unwirksam sind“ (ebd., S. 202). Er scheiterte in der namentlichen Abstimmung an dem mit 139 gegen 133 Stimmen angenommenen Beschluss, über den Antrag Beseler und Genossen zur Tagesordnung überzugehen. Lukas 16, 1–13. Matthäus 10, 16. Vgl. Bericht über den 5. Vortrag im wissenschaftlichen Verein von Prof. Piper, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 27, 1.2.1852; erschien später gedruckt: Piper, Ferdinand: Ueber den christlichen Bilderkreis. Ein Vortrag, gehalten im wissenschaftlichen Verein zu Berlin am 31. Januar 1852. Berlin 1852.
79. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 7. Februar 1852
Liebste Ältern!
Merseburg den 7/2 1852 | Sonnabend Mittag
Ich habe bis heute immer gedacht, wir würden noch etwas näheres von den ExamenArbeiten hören und deßhalb mit dem Briefe gewartet. Dieß ist nun zwar nicht geschehen, weil die Lehrer mit dem Corrigiren von den 11 x 6 = 66 Arbeiten noch nicht fertig sind; aber ich habe durch Osterwald erfahren, daß meine 6 Arbeiten alle wenigstens genügend sind. Die deutsche, von der ich dachte sie würde recht schlecht geworden sein, ist „vollkommen genügend“ und auch die lateinische, vor der wir uns am Meisten gefürchtet hatten, ist gut. Mit meinem Knie geht es leidlich, jedoch ist es noch immer nicht wieder im alten Stand. Ich habe schon fast eine ganze Flasche Leberthran gebraucht. Übrigens habe ich diese Woche viel gefaullenzt, und recht, recht viel an euch gedacht, und mich auf Ostern gefreut. Daß ihr Papas Jubiläum1 so nett gefeiert, hat mich recht gefreut; ich habe wohl recht viel an euch gedacht und hätte auch gewiß geschrieben, wenn wir nicht grade in den verwünschten Arbeiten drinn gesessen hätten, die einem nichts andres als lateinisches denken, sprechen, lesen und schreiben ließen. Möge mein lieber Herzensvater noch recht oft zu unsrer Freude diesen Tag erleben! – Zu Richters Verlobung2 gratulire ich von Herzen. Als ich a sie Wieck mittheilte, sagte dieser ganz verwundert: I, der Sapperloter hat sich ja hier davon gar nichts merken lassen. – || Daß ihr auf der Auction3 die schönen Wasserfall-Landschaften nicht gekriegt, ist recht schade. Wer hat sie denn bekommen? Die andern beiden Bilder4 könnt ihr mir recht bald einmal schicken, bei Gelegenheit! Da ich sie ja doch mit nach Jena nehme. Dann kannst Du mir auch, liebe Mutter, die letzte Buchhändlerrechnung mitschicken, wenn Du sie nämlich noch hast, und wenn darauf unten ein Stück botanische Zeitung quittirt steht, von der der Buchhändler behauptet, sie wäre noch nicht bezahlt. –
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Nun habe ich noch eine Bitte an Dich, lieber Karl: wie Du aus dem vorigen Brief weißt, wollten wir 4 Pensionäre5 Osterwald zu seinem Geburtstag „Reinecke Fuchs von Göthe mit Kaulbachschen Kupferstichen“ b schenken.6 Nun behauptet der hiesige Buchhändler, c die Auflage sei vergriffen, kann aber wohl wegen seines geringen Kredits kein Exemplar schaffen; (oder sie ist bloß in Leipzig vergriffen). Nun d lassen wir 4 Dich bitten, Dich in mehreren Buch- und Kunsthandlungen, wo gewiß noch ein Exemplar aufzutreiben ist, danach umzusehen, es sofort, ungebunden, zu e kaufen (es kostet ungefähr 10 rℓ) und es uns noch vor dem 23ten Februar zu schicken. Sollte Dir es nicht glücken, ein Exemplar davon aufzutreiben (was wir nicht hoffen) so schickt mir den Schleiden7, den ich dann mit Weiß8 zusammen schenke. || Diese Woche bin ich auch mehrere mal ausgewesen. Sonntag Mittag bei Karos, Abends bei Weiß9, der selbst herkam und mich einlud. Mittwoch Mittag war ich bei Merkels. Gestern Abend lasen wir mit Osterwald Peter Schlemihl von Chamisso10, wonach wir uns noch recht hübsch unterhielten. – Wenn Karl an Mimmi schreibt, soll er sie grüssen. Auch Tante Bertha u. s. w. bitte ich herzlich von mir zu grüßen. Euer alter Ernst Haeckel. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Br. 78, S. 107. Vgl. Br. 78, S. 108, Nachschrift von Karl Haeckel. Vgl. Br. 78, Anm. 17. Vgl. Br. 61, S. 76; Br. 78, S. 108, bes. Anm. 17. Vgl. Br. 46, Anm. 18. Vgl. Br. 77, S. 105, bes. Anm. 9. Vgl. Br. 65, S. 83 f., bes. Anm. 7. Weiß, Ernst. Christian Weiß, der zu diesem Zeitpunkt schon fast erblindet gewesen war. Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte mitgetheilt von Adelbert von Chamisso und hrsg. von Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Nürnberg 1814.
80. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. Februar 1852
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin, d. 13ten
Gottes beßten Seegen wünsche ich Dir zu Deinem Geburtstage; was er giebt, wird für uns immer das Beßte sein, wenn wir auch hier in unserer Kurzsichtigkeit oft seine Wege nicht verstehen. Dies ist nun der erste Geburtstag an dem wir nicht zusammen sein können; und doch sind wir uns nahe in der innigen Liebe zu einander, und Du machst mir eine große Freude, || wenn Du Dir Mühe giebst recht heiter und frisch zu sein, wenn Du die Wehmuth wacker bekämpfst, die Dich beschleichen will, weil Du nicht mit uns zusammen bist. Ich danke Gott so recht von Herzen, daß er Dich mir gegeben hat, daß es mit Deinem Knie besser geht, und daß Du die schriftlichen Arbeiten hinter Dir hast. Möge er auch mein Gebet erhören, Dich bald wieder ganz gesund machen, und || Dich ferner mit seiner Vaterhand leiten.
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Ein wichtiger Lebensabschnitt beginnt für Dich, Du mußt nun immer mehr lernen, auf eigenen Füssen zu stehen. Quälle Dich aber nun auch nicht mehr mit den Arbeiten zum Examen, die schriftlichen sind vorüber, und das mündliche wird besser gehn, wenn Du Dich frisch und fröhlich hälst, als wenn Du Dich so abmangelst1. Dein Geburtstagsgeschenk besteht diesmal in einem neuen Koffer, || den ich aber erst bestellen will, wenn Du hier bist, damit wenn Du irgend in der Einrichtung desselben was zu bestimmen hast; dann bekommst Du die beiden Bilder2 von Humbold und von dem andern Naturforscher3, ich habe sie schon aufgehängt; eigendlich war mir es nicht recht, daß Vater Dir neulich schrieb, daß wir sie bekommen haben, ich wollte Dich damit überraschen; aber Vater meinte, Du ängstigtest Dich unnöthig. || Die beiden Landschaften, die Du Dir wünschtest, gingen zu theuer weg, für 11½ Thaler, und das sollen sie lange nicht werth sein; übrigens hat Tante Minchen4 in Stettin sie gekauft, Du kannst sie also dort abzeichnen, wenn Du mal zum Besuch dort bist. – Ferner schicken wir Dir 3 Medallien5, eine auf Heim6, eine auf Wellington7 und eine silberne auf Leidenfrost8, ein berühmter Naturforscher. Ich packe Dir unsern porcelanenen Einnehm-||löffel mit ein, weil ich mir denke er reinigt sich besser als ein Metallener, wenn Du Deinen Lebertran eingenommen; auch schicke ich Dir in der Büchse englische Pommeranzenmarmelade, wovon Du immer etwas nach dem Thran nehmen kannst; die englischen Bonbons verschmähst Du hoffendlich auch nicht. – Diesmal kann ich Dir den Geburtstagskuchen nicht mit Lichter schmücken, und || schneiden, aber ich schicke ihn Dir ganz, ich denke mir es macht Dir Freude, Deine Hausgenossen zu traktieren, und Du kannst ja auch sonst mittheilen a an wen Du gerne willst. – Die Briefe an Frau Regierungs Rat Karo und an Frau Rechts Anwalt Grumbach9 gieb sicher ab, in beiden ist Geld; in dem blauen Paket sind die Sachen für die Armenlotterie, die giebst Du auch an Frau Rechts Anwalt Grumbach. || Uebrigens kannst Du für 1 Th. sechs Loose nehmen b wenn Du willst, ich glaube es macht Madam Merkel Spaß, wenn Du sie von ihr nimmst. – Für heute sage ich Dir gute Nacht, mein lieber Herzens Ernst, vielleicht kann ich morgen noch ein paar Zeilen zufügen. Heute früh kam Dein Brief, worüber wir uns sehr gefreut haben. Mit der herzlichsten Liebe Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Abmangeln: gehörig, fertig mangeln; hier in übertragener Bedeutung für: sich abplagen, abquälen (Campe, Joachim Heinrich: Wörterbuch der deutschen Sprache. Teil 1, Braunschweig 1807 (Nachdruck Hildesheim 1969), S. 37). Vgl. Br. 61, S. 76. Willdenow, Carl Ludwig von. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Personenmedaillen wurden überwiegend zu Ehren von Personen geprägt, die sich auf dem Gebiet der Medizin besonderes verdient gemacht hatten. Heim, Ernst Ludwig. – Personenmedaille auf das 50-jährige Doktorjubiläum, entworfen von Henri François Brandt, Bronze, Berlin 1822. Wellington, Arthur Wellesley. – Personenmedaille 1815. Leidenfrost, Johann Gottlob. – Personenmedaille 1790. Grumbach, Charlotte, geb. Wetzel.
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81. Von Karl Haeckel, Berlin, 13. Februar 1852
Mon cher Frère!
Berlin 13/2 52.
Was kann wohl ein trübseliger Examinando1 dem andern Besseres wünschen, als ein glückliches Examen. Das soll denn auch mein Wunsch zu Deinem Geburtstage sein, lieber Bruder. Sei nur guter Dinge und büffle nicht zu viel zum mündlichen. Die schriftlichen Arbeiten sind doch immer die Hauptsache. Träume Dich zum 16ten recht aus voller Lust in die schöne Zukunft hinein || die jetzt vor Dir liegt und verscheuche die Examengrillen mit dem Gedanken, daß wir vielleicht über’s Jahr an diesem Tage uns ein heitres Rendez-vous in irgend einem Gerichtskommissionsneste2 Sachsens an dem gastlichen Tische unsres Miesekätzchens geben können! – Ja, siehst Du, zu so kühnen Wünschen schwingt sich selbst ein Landrechts- Examen- Mensch auf, der in Arbeiten dick drin sitzt. Vor Ostern werde || ich kaum Termin haben; glücklichstenfalls kurz vor Ostern. Du triffst mich also jedenfalls noch in meinem – ich hätte bald gesagt: thierischen, jedenfalls nur halbmenschlichen Zustande an, wenn Du mit einem kräftigen I–a, I–a! – als glückliches Maulthier3 in einigen Wochen, hoffentlich recht bald, in unsre Wohnung trittst. Ja, mein altes liebes Haus, ich werde mich von || ganzem Herzen freuen, Dich in der neuen thierischen Würde hier zu sehn; nur wünsche ich zu meinem eigenen Wohle, daß der Maulthierstall doch stets so gehalten werden, daß andre Unthiere sich darin noch mit Heu und anderen schätzenswerthen Gegenständen unterhalten und vollpfropfen können. Ade, lieber Junge, sei recht fröhlich zu 16ten und gedenke dann Deines treuen Bruders Karl. 1 2
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Hier: Examenskandidat. Anspielung auf die im preußischen Justizwesen übliche Praxis, dass Juristen ihre Karriere als Richter in der Regel als beauftragte Richter (Gerichtskommissare) eines Landgerichts an einem entlegenen Ort beginnen mussten. Karl Haeckel trat seine Richterlaufbahn als Gerichtskommissar des Kreises Ziegenrück an der Saale, einer preußischen Exklave im Thüringer Schiefergebirge, an. In der Studentensprache der Gymnasiast, der das Abitur abgelegt, aber noch nicht mit dem Studium begonnen hat und analog zum Maultier, das weder Esel noch Pferd ist, eine zwitterhafte Existenz führt.
82. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1852
Berlin 13/2 52. Wie ich mich bei Deinem letzten Unwohlsein1 mit meinen Gedanken, meinem Herzen, mit Wünschen, Hoffnungen für Dich und Erwartungen von Dir beschäftigt habe, so möchte ich doch gern zu Deinem Geburtstage Dir einen festlichen Gruß und rein materielle Gedanken senden.
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Mit Gedanken und reinen Herzen habe ich mich an Dein einsames, verlassenes Lager, und mit dem Herzen in Deine Stimmung versetzt, mit den Wünschen und Hoffnungen, daß es einerseits bald vorübergehen, daß anderseits Du es Dir zu einem recht reichlichen neuen Segen und einer Förderung in der Entsagung und Bekämpfung des alten Menschen möchtest geruhen lassen, denn ina den Erwartungen, daß Du es Dir aber zu einer reichen Quelle würdest werden lassen, aus der Du Kraft gegen die Selbstsucht, den individuellen Egoismus, und die Nichtbeachtung andrer Wesen und andrer Eigenthümlichkeiten || immer von Neuem schöpfen könntest. Ja Ernst etwas andres will Gott mit dieser Zeit Leiden nicht, als daß das Herz fest werde: Wenn der Christ leidet, so muß er immer, wenn auch der willkürliche Mensch mit Allem in uns, dagegenkämpft, der Christ muß dieses Leiden doch, so schwer und bitter es manchmal sein kann, als die Läuterung als den ihm nothwendigen Weg, ansehn, um immer mehr und mehr das Bild des Herrn in Geist und Wahrheit zu erklären, wie es von Gott durch Christi Lehre u. Tod in uns aufgerichtet ist, so daß wir der rechte Tempel des heiligen Geistes, die rechte Behausung Gottes sind. Ja wir sind es auch, wir werden es uns immer inniger und wahrer bewußt, je mehr in Leid und Kummer Gott uns heimsucht. Das ist nun auch mein Herzenswunsch für Dich an Deinem Geburtstage, daß, was Dir auch Gott in || Seiner Weisheit vorbehalten und verordnet hat, Alles Schweres, bittres Leid Weh in uns oder an uns, köstliche Erfüllung Deiner innersten liebsten Wünsche, Gewöhnung von Neigung und Trieb in Dir, Befriedigung zum höchstem Streben nach Beruf und Wirksamkeit, Alles auch Entbehren, Versagung dessen, Alles Alles ist nur ein Mittel in Gottes Hand, um Dich selbst zu verleugnen, damit Du dann immer inniger und tiefer Dich versenken kannst in das Leben in Ihm, das uns erklärt zu dem vollkommnen Ebenbilde nach Ihm geschaffen. Daß Du die fatalen Examenarbeiten nun schon so weit hinter Dir hast, hat mich recht gefreut, nun noch etwas Geduld, dann bist Du ja über dem Berg. Wenn ich Dir auch nicht Verlängerung Deines jetzigen Aufenthaltes wünsche, so || halte Dir nur eines vor Augen, daß es Dir so heilsam und gut wie Du es gewiß selbst noch einsehn wirst. Dann wird Dir die noch übrige Zeit vergehen, besser als Du denkst. Wie es uns geht u.s.w. werden sie Dir aus No 82 schreiben, und Dir von Begebenheiten u.s.w. zu schreiben mußt Du nicht von mir verlangen, die ich außerhalb des Lebens und Treibens der Welt stehe Amen Ich lese jetzt: Psychologische Briefe von Erdmann3, die mich sehr interessieren. Neulich habe ich auch etwas in Deinen Oersted4 hineingekuckt, und große Lust bekommen, es ordentlich vorzunehmen. Nun zum Schluß noch einen herzlichen Gruß u. Wunsch zu Deinem Geburtstage, halte mich fest in der Liebe, wenn ich Dich auch manchmal etwas derb anfasse, ich thäte es nicht, wenn ich Dich weniger lieb hätte. Von Herzen Deine alte Tante Bertha. || Wenn Du den Thaler auch nicht aufißst, so mache damit, was Du willst. Materiell genug ist doch das Geschenk? −b
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Ernst Haeckel litt seit Mitte Januar 1852 an einer schmerzhaften Entzündung des Kniegelenkes, vgl. Br. 74, S. 98. Irrtümlich für Schifferstraße 6, Wohnung der Eltern von Ernst Haeckel; vgl. Br. 45, Anm. 13. Erdmann, Johann Eduard: Psychologische Briefe. Leipzig 1852. – J. E. Erdmann (1805–1892), seit 1836 Professor in Halle, war ein Philosophiehistoriker aus der Hegelschen Schule; vgl. ders.: Versuch einer wissenschaftlichen Darstellung der Geschichte der neuern Philosophie. 3 Bde. (=7 Bücher), Leipzig; Riga; Dorpat 1834–1853. Vgl. Br. 74, Anm. 17.
83. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 14. Februar 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 14 Febr 52.
Zu Deinem bevorstehenden Geburtstage bitte ich Gott um seinen göttlichen Seegen. Er wolle Dich führen und leiten auf seiner Bahn, damit Du zu seiner Ehre lebst und ihm wohlgefällig seist. Du trittst nun selbständiger in das Leben hinaus und bedarfst um so mehr seines Schutzes und seiner Hülfe, damit Du nicht auf Abwege gerathen mögest. Halte Dich immer an die Vorschriften des Christenthums und bitte selbst Gott um seinen Beistand, damit Du die richtigen Wege wandeln mögest. Sei unverzagt und hüte Dich vor Kleinmuth, der Deine Kräfte lähmen könnte. Unternimm alles im Vertrauen auf Gott und wenn sich Dir auf Deinem innerna Lebenswege auch Hinderniße und Schwierigkeiten entgegenstellen, so laße nicht ab, sie muthig zu bekämpfen und der Verführung auszuweichen. Was Dein äußeres Leben und Deine Studien betrifft, so setze Dir, wenn Deine Eigenthümlichkeit, Deine Anlagen, Deine wißenschaftlichen Bestrebungen [sich] noch mehr entwikelt haben werden, ein festes Ziel, was Du mit Ernst verfolgst. Frage hierbei nicht blos Deine Neigungen und Wünsche, sondern prüfe Dich genau, auf welchem Wege Du ein brauchbares Mitglied für die menschliche Gesellschaft werden kannst, was zugleich Deinen Anlagen am meisten entspricht. Du wirst an Deinen Eltern, soweit ihre Kräfte reichen, immer hülfreiche Liebe finden, welche Du ihnen dadurch vergelten magst, daß Du ein recht ordentlicher, brauchbarer und tugendhafter Mensch wirst. || In den letzten 8 Tagen ist Herr Pastor Naumann1 aus Langendorf hier gewesen und hat mehrere Mahle bei uns gegeßen, er hat sich tüchtig umgesehen, ist auch in Potsdam gewesen. Seit einigen Tagen hat es hier nicht geregnet, was in diesem Winter eine große Seltenheit ist, dabei ist es aber doch trübe. Das Spatzierengehen ist mir dadurch erleichtert worden, denn der ewige Regen war mitunter unerträglich. Die Politik hat mich in diesen Tagen etwas in Bewegung gesetzt, da in der ersten Kammer Anträge zu Bildung einer Pairie2 von den Herren Alvensleben3, Stahl4 und Genoßen5 eingebracht worden sind, die, wenn sie durchgehen sollten, uns auf lange Zeit rükwärts bringen und nur neuen Hader und Zwietracht unter b unser Volk säen würden. Du kannst in der gestrigen Spenerschen Zeitung (vom 13. Febr.) sowie in dem heutigen Preußischen Wochenblatt das Nähere hierüber finden.6 Der ursprüngliche Hefftersche Antrag7 wird dadurch ganz entstellt und die Vorschläge jener Partei gehen eigentlich nur dahin, die Ritterschaft in die Pairie einzuschmuggeln und ihr das Uebergewicht darin zu verschaffen. Im Hintergrunde aber stekt die Absicht, den größten Theil des grö-
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ßerenc Grundbesitzes in den Junkerfamilien zu fixiren und die Bürgerlichen von dem Erwerb der Rittergüter möglichst auszuschließen, dieses ist die verstekte aber eigentliche Absicht, auf diese Art soll eine Adelskammer aus Junkersfamilien gebildet werden, die allem Fortschritt entgegen ist, während die von Heffter und Genoßen vorgeschlagene Pairie8 sich stets aus den ausgezeichnetsten Männern des Staates rekrutiren und so immer jung bleiben sollte. Es ist überhaupt sehr || zweifelhaft: ob eine Pairie bei uns in ähnlicher Art, wie in England d möglich ist? Für jetzt gewiß nicht. Mehrere aber meinen, man müße mit unabhängigen großen Grundeigenthümern und ausgezeichneten unabhängigen Männern (denn die Unabhängigkeit ist ein Haupterforderniß) die der König ernennt, einen Anfang machen, und so der künftigen Pairie die Bahn brechen. Sie soll ein Gegengewicht gegen zu starken demokratischen Andrang und zugleich eine Schutzwehr gegen den Absolutismus sein, also ein vermittelndes Glied zwischen dem Volk und der Krone. So viel ist gewiß, man kann keine Pairie auf dem Papier schaffen. Sie muß sich selbst durch Verdienste um den Staat in der vorangedeuteten eigenthümlichen Art erste Bedeutung und Geltung im Volke erwerben. Sie muß also durch ihre eigenthümlichen anerkannten Leistungen sich erst ihren Platz erringen und f sich im Laufe der Ereigniße erst Bahn brechen. Ich lese jetzt Neander über die Stiftung der ersten christlichen Kirche durch die Apostel,9 was mich ungemein intereßirt und anzieht. Grüße meine Freunde aufs herzlichste und bringe Deinen Geburtstag recht heiter und vergnügt zu. Wir werden Deiner in Liebe gedenken und auf Dein Wohl trinken. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2
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Naumann, Hermann. In der ersten Legislaturperiode 1850/51 war in zwei Anträgen (dem Antrag Heffter und Genossen und dem Antrag Graf von Alvensleben und Genossen) die Umwandlung der Ersten Kammer in eine Pairkammer nach dem Vorbild des House of Lords in Großbritannien gefordert worden. Daraufhin hatte der preußische König Friedrich Wilhelm IV. mit Verordnung vom 22.11.1852 der Ersten Kammer einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Außerkraftsetzung der Artikel der Verfassung vom 31.1.1850 über die Bildung der Ersten Kammer enthielt und bestimmte, dass die Erste Kammer künftig durch Königliche Verordnung gebildet werden solle (vgl. Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Ersten Kammer, Dritte Legislatur-Periode. Bd. 1, Berlin 1853, Nr. 10). Der zu diesem Gegenstand eingesetzten Kommission ging zugleich ein Gesetzesvorschlag der Regierung (vgl. ebd., Bd. 2, Berlin 1853, Nr. 81) zu, der ein Oberhaus mit erblichen, mit von Städten, Universitäten und anderen Institutionen zu präsentierenden sowie mit auf Lebenszeit zu ernennenden Mitgliedern vorsah (vgl. ebd., Nr. 85, 86, 90–94, 97). Die Erste Kammer wurde in dieser Form durch Königliche Verordnung vom 12.10.1854 eingeführt und 1855 in Herrenhaus umbenannt. Alvensleben, Albrecht Graf von. Stahl, Friedrich Julius. Der Antrag Graf von Alvensleben, Stahl, Freiherr von Gaffron und Genossen (vgl. Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Ersten Kammer. Zweite Legislatur. Zweite Sitzungs-Periode. Bd. 3, Berlin 1852, Nr. 113) forderte die Abänderung der Verfassungsartikel über die Bildung der Ersten Kammer dahingehend, dass 1. an die Stelle der Bildung der Ersten Kammer durch Wahlen die Königliche Verordnung treten, und 2. die in dem Heffterschen Antrag angeführten Mandatskategorien noch durch Abgeordnete der korporativen Verbände des alten und befestigten Grundbesitzes sowie solche von Städten und Universitäten bestehen solle. Die Verhandlung darüber fand am 9.2.1852 statt (vgl. Sitzungsprotokolle der Ersten Kammer. Zweite Legislatur. Zweite Sitzungsperiode. Berlin 1852, 21ste Sitzung, 9.2.1852, S. 165–167).
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Zum Antrag Alvensleben und Genossen in der Ersten Kammer, betr. die Errichtung einer Pairkammer, in: Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen. Berlin. Jg. 1, Nr. 11, 14.2.1852, S. 131–133; weiterhin Artikel: „Kammerverhandlungen“ in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 37, 13.2.1852. Heffter, August Wilhelm. – Der Antrag Heffter und Genossen hatte lediglich gefordert, dass die Kammer aus den großjährigen königlichen Prinzen, den Häuptern des Hohenzollernschen Hauses, den Häuptern der ehemals reichsunmittelbaren Häuser in Preußen, den Häuptern der Familien, denen ein erblicher Sitz verliehen wurde und aus auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern bestehen sollte (vgl. Sammlung sämmtlicher Drucksachen der Ersten Kammer. Zweite Legislatur. Zweite Sitzungs-Periode. Bd. 3, Berlin 1852, Nr. 113). Vgl. Anm. 5. Neander, August: Geschichte der Pflanzung und Leitung der christlichen Kirche durch die Apostel, als selbstständiger Nachtrag zu der allgemeinen Geschichte der christlichen Religion und Kirche. 2 Bde., Hamburg 1847.
84. Von Friederike Kalisky, dresden, 15. Februar 1852
Herzinnig geliebter Ernst!
Dresden den 15ten Febr. | 1852.
Daß ich seit unserer Trennung recht oft und stets mit den besten Wünschen Deiner gedachte, bedarf wohl keiner Versicherung und wenn ich mir Deinen Schmerz bey der Trennung von den theuren Eltern, so recht lebhaft vorstellte, da hätte ich zu Dir eilen mögen, um Dich mit den süssesten Trostworten an mein Herz zu drücken. Du hast männlich überwunden und mit doppelter Seeligkeit die Weihnachtsfreuden in der neuen Elterlichen Wohnung genoßen. Der morgende Tag1 wird auch viel Wehmuth in Deine Freuden mischen, aber Du wirst Dich überwinden und mit Dank erkennen, daß Gottes Gnade Dich vor Vielen auszeichnet, indem er Dich in eine Lage versetzte, wo Du ohne alle Sorgen Dich nur der Ausbildung Deines Geistes und Deinen Lieblingsbeschäftigungen widmen kannst. Nun wünsche ich nur von ganzem Herzen, daß der gütige Gott auch im neuen Lebensjahr Deine kräftige Gesundheit beschützen möge, und welche Freude sollte es mir gewähren wenn ich Dich im Laufe des Sommers einmal hier in Dresden begrüßen könnte. Das kleine Geschenk,2 welches diese Zeilen begleiten sollte erhältst Du später durch Deine lieben Eltern, denn ich leide eben an einem Reuhmatischen Brustfieber, und habe mein Bett nur ver-||lassen um diese wenigena Zeilen zu schreiben. Darum entschuldige auch freundlichst die Unreinlichkeit des Briefs, aber es war unmöglich für mich, denselben zu koppiren, denn meine Mattigkeit ist allzu groß. Hoffentlich hat Mutterchen meinen Wunsch erfüllt, und Dir eine Keule von dem schönen Rehbock geschickt, den mein Neveu Balde3 vorigen Monat für Deine lieben Eltern nach Berlin senden mußte. Haasen sind gar keine zu bekommen sonst begleiteten ein Paar diesen Brief. Nun lebe wohl Du guter lieber Ernst und denke zuweilen mit Liebe Deiner armen alten Tante Kalisky
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N.B. In Berlin findest Du ein amerikanisches seidenes Taschentuch zum täglichen Gebrauch von Deiner Tante Deinen verehrten Pflege Eltern4 meine herzliche Empfehlung und die besten Wünsche für ihr Wohlbefinden. 1 2 3 4
Ernst Haeckels Geburtstag war am 16. Februar. Vgl. Postskriptum und Br. 86, S. 121. Balde, Sohn von Karoline Christiane Johanne Balde, geb. Thomann (Schwester von Friederike Kalisky); zum Vorgang vgl. Br. 71, S. 93, Br. 73, S. 96. Osterwald, Wilhelm; Osterwald, Marie Auguste, geb. Schröder.
85. Von Hermine Sethe, Stettin, 15. Februar 1852
Lieber Ernst!
Stettin 15ten Februar | 1852.
Zum Letztenmal sage ich Dir, Schüler des Gymnasiums zu Merseburg, meinen herzlichsten Glückwunsch zum Geburtstag, den Du hoffentlich künftiges Jahr als wohlbestellter Studiosus in Jena feiern wirst. Das wünsche ich Dir vor allen Dingen, neben der gänzlichen Wiederherstellung Deines Knie’s.1 Was hast Du denn aber eigentlich angefangen. Bist Du so viel herumgesprungen, vielleicht aus Freude noch ina dem schönen Merseburg leben zu können!!!!! Das für Dich ja immer so unendlich viel Reize besaß. So göttlich Dein Verehrter Herr Schleiden auch sein mag, so weißt Du doch nicht, ob Du bei Jena auch Salzpflanzen2 || finden wirst; und was wolltest Du wohl in einer Stadt machen, bei der es keine Salzpflanzen giebt! Karl hat mir übrigens in seinem letzten Brief die frohe Nachricht mitgetheilt, daß Deine schriftlichen Arbeiten Alle das Examen bestanden haben. Erlauben der Herr
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Schwager, daß ich ihm dazu Glück wünsche und ein Gleiches zu dem vielgefürchteten mündlichen beifüge? Vielleicht kommst Du schon als halber Student nach Berlin, um dort die schlimme Zeit des 3ten Examens mit Deinem Bruder durchzumachen. Denn im letzten Brief schreibt er, daß er kaum glaube vor Ostern noch den Termin zu bekommen. Das wäre nun sehr unangenehm, wenn er das Fest über ohne b alle menschlichen Gedanken sein sollte, und dann könnte er ja auch nicht einmal herkommen. Nein, dann wäre ich ganz unglücklich, Weihnachten und Ostern nicht herzukönnen, das wäre doch zu hart. || Mutter3 die in Berlin krank war, ist auch hier noch einmal nicht ganz wohl, obgleich es ihr viel besser geht. Einmal ist es überhaupt unangenehm wenn die Mutter krank ist und noch ganz besonders jetzt für Bertha4 und mich, da jetzt viel Gesellschaften auch Bälle sind, die wir mit Vater5 besuchen müssen. Ich wollte, das hörte bald auf; dabei herrscht hier ein ungeheuer großer Luxus, den wir nie mitmachen, dadurch denn auch immer amc Einfachsten angezogen sind. Heute Abend ist Thee und Tanz beim Präsident Selbstherr6, auf den wir uns unbeschreiblich freuen?? – Spazieren gehen wir viel, aber botanisirt habe ich noch gar nicht, das liegt aber nur in der Jahreszeit, nicht wahr? Da könnte ich doch Nichts finden. Wenn Du oben das kleine Bildchen ansiehst, glaubst Du nicht lebhaft einen jungen Naturreisenden vor Dir zu sehen, wie erd unter dem, gegen die heißen Sonnenstrahlen aufgespanten Sonnenschirm sitzt, und eine Abhandlung oder auch nur Notizen aufschreibt über die vor ihme sich ausbreitente, reizend lachende Gegend? Anfangs glaubte ich mein geschickter Herr Schwager hätte sich selbst so gezeichnet und mir den Bogen zart verehrt. Aber bittere Täuschung, er stammt aus einer || Lotterie. Das mußt Du aber doch anerkennen, ich hätte keinen passenderen Bogen für Dich wählen können. Hoffentlich beantwortet mir der Schwager meinen Brief und erzählt mir dann auch, wie er den Geburtstag verlebt hat. Wenn ich nicht irre ist [es] wohl der Erste, denn Du ohne Deine Eltern feierst7. Da mag Dir gewiß schwer ums Herz geworden sein; Du armer Schelm. Gut aber daß Du die schriftlichen Arbeiten bereits glücklich hinter Dir hast8, da wirst Du doch fidel und glücklich sein. Die vielen Freunde Deiner Eltern werden f Dir gewiß an dem Tage irgend eine Freude bereitet haben. Daß mein Brief noch zur rechten Zeit zu Dir kommen wird, wage ich kaum zu hoffen, dag es zu spät geworden ist, so daß er heute nicht mehr nach Berlin kommt. Was sagst Du denn zu Richters Verlobung?9 ich habe mich sehr darüber gefreut. Vorgestern bekam ich einen sehr glücklichen Brief von ihm; worin erh mich auch zum Polterabend einladet. Nun leb wohl, i sei herzlich gegrüßt. Allen die sich meiner noch erinnern schönen Gruß. Deine Schwägerin Hermine. 1 2
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Vgl. Br. 74. Salzpflanzen oder Halophyten bilden eine ökologisch abzugrenzende Gruppe unter den Höheren Pflanzen, die an erhöhte Gehalte von leicht löslichen Salzen an ihrem Standort angepasst sind und sich unter diesen Bedingungen fortpflanzen können; vgl. dazu auch Br. 53, S. 57, bes. Anm. 18. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Sethe, Christian.
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Selbstherr, Wilhelm Gustav Ferdinand, Chefpräsident des Oberlandesgerichts in Stettin. Am 16.2.1852 feierte Ernst Haeckel seinen Geburtstag allein in Merseburg; vgl. Br. 80, S. 111. Laut Haeckel hatten vom 25. Januar – 14. Februar die schriftlichen Examensarbeiten begonnen, vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 18v-20r. Vgl. Br. 78, S. 108, Nachschrift von Karl Haeckel.
86. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 17. Februar 1852
Herzliebe Eltern!
Merseburg 17/2 1852
Daß mein gestriger Geburtstag nicht, wie sonst, ein Fest- und Freuden-Tag für mich war, brauche ich euch nicht auseinanderzusetzen. Er wurde dies in den frühern Jahren doch nur durch das herzliche, innige Zusammensein mit euch; und da dies diesmal, wenigstens äußerlich fehlte, so konnte ich schon voraussehen, daß der ganze Tag ein fortlaufender „moralischer Katzenjammer“, gemischt mit Heimweh, Ärger über unvollendete gute Vorsätze u. s. w. sein würde. Jedoch habe ich, was mir äußerlich fehlte, innerlich zu ersetzen gesucht, und bin den ganzen Tag recht mit Herz und Sinn bei euch gewesen, wie ihr wohl auch bei mir gewesen seid; namentlich habe ich eure lieben Briefe1, die mir außerordentliche Freude gemacht haben, recht oft mit ganzer Seele a gelesen und michb daran erquickt; freilich war das Resultat meiner Betrachtungen undc Gedanken d dabei in der Hauptsache doch nur das, daß ich die herzliche Liebe solcher guter Eltern noch gar nicht verdient habe, und daß, je öfter und ernster ich den Vorsatz gefaßt habe, mich eurer recht würdig und werth zu bezeigen, desto weniger daraus geworden ist. Aber deßenungeachtet habe ich auch gestern wieder recht von Herzen den ernsten Vorsatz gefaßt, mich nun an doppelt fest zu bestreben, immer mehr euer guter Sohn zu werden, an dem ihre Freude haben mögt, || und Gott recht gedankt, daß er mir so gute Eltern geschenkt, und mir überhaupt so gnädig bis jetzt geholfen hat. Die ganze äußere Feier des Geburtstags bestand darin, daß Osterwald früh heraufkam, mir gratulirte und den 4ten Band seiner altdeutschen Erzählungen (König Rother und Engelhard)2 schenkte, daß Mittag auf meine und eure Gesundheit getrunken wurde, und daß ich Nachmittag Weber, Hetzer und Weiß3 mit einer schönen Torte und Apfelsinen tractirte; mit denen ich dann auche spatziren ging, und zwar nach Arnimsruh4, bei sehr stürmischen, unfreundlichen, trüben Wetter, das mir aber lieber war, als wenn die Sonne geschienen hätte. Außerdem haben auch Zierhold, Eichhoff und Osterwalds große Stücke vom Kuchen bekommen, so daß er nun schon fast ganz alle ist. f Recht herzlich danke ich euch auch für die andern Geburtstagsgeschenke, namentlich für die schöne Medaille von Heim5, die mir außerordentliche Freude gemacht hat, sowie für die Bilder von Humboldt und Willdenow. Die beiden Landschaften sind ja schrecklich hoch weggegangen und es ist recht gut, daß ihr sie nicht dafür genommen habt, obwohl ich sie mir sehr gewünscht hätte.6 Außer euren schönen Geschenken und Briefen, g an denen ich mich wieder recht über eure herzliche Liebe habe freuen können, erhielt ich auch einen netten Brief von Hermine7, einen von Finsterbusch, und einen sehr zärtlichen von Tante Kalyski, die mir ein ame-
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rikanisches, seidnes Taschentuch8 schenken will; sie leidet übrigens wieder an einem rheumatischen Brustfieber. Von Weiß9 habe ich ein selbstgefertigtes Löthrohr10 zu chemischen Versuchen bekommen, das ich mir schon längst gewünscht hatte. || Den Abend war ich ganz allein und habe, wie jetzt gewöhnlich, bis nach 11 Uhr, geochst und zwar Kirchengeschichte, von der wir heute Repetition hatten. Überhaupt muß ich noch tüchtig auf das Examen losarbeiten, namentlich Geschichte, in der ich alle Jahreszahlen wieder vergessen habe. Wollte Gott, das verwünschte Examen wäre vorbei! In 3 Wochen werde ich hoffentlich bei euch sein. Am Sonnabend wurden uns auch die Erfolge des schriftlichen Examens mitgetheilt, wobei der alte Wieck eine große Pauke über das Lateinschreiben hielt (N. B. Nach dem Examen werde ich ihm den Aufsatz über die Wichtigkeit des Studiums des Lateinischen in Örsteds vermischten Schriften11 zu lesen geben!) Die deutschen Aufsätze waren alle genügend, bis auf meinen, der „vollkommen genügend“ war („der Aufsatz liefert einen erfreulichen Beweis von der Reife des Urtheils des Verfassers u. s. w.“). Die besten lateinischen Aufsätze waren die von Wiegner12, Gasch13 und Koch14; dann folgt meiner („genügend; sowohl in Hinsicht aufh Leichtigkeit der Darstellung und logische Ordnung, als historische Anschauungsweise; zu wünschen blieb festere Verknüpfung der Gedanken; grammatische Verstöße und Germanismen sind nicht darin“). Meist schlechte Arbeiten hatten geliefert Henkel15 (der allen sehr leid thut) Nägler16, und Schröder17; von denen die beiden erstern gleich freiwillig zurücktraten, der letztre aber trotz aller Ermahnungen und Drohungen der Lehrer doch das mündliche Examen mitmachen will. – || Die Besorgungen von Dir, liebste Mutter, habe ich alle bestellt; Madam Merkel, die Karo und die Grumbach lassen alle herzlich danken; die Grumbach war über die Lotteriegeschenke ordentlich gerührt; bei der Merkel habe ich ein halbesi Dutzend Loose genommen. Die ersten Veilchen, die ich Dir mitschicke, sind aus der Ecke unsers alten, kleinen Gärtchens. – Hattest Du denn die Kiste schon bezahlt? ich habe hier noch 13 Sgr dafür bezahlen müssen. – Die schöne Pomeranzenmarmelade werde ich nächste Tage versuchen, bis jetzt habe ich immer ein Stückchen Chocolade auf den Thran gegessen. Die englischen Bonbons schmecken delicat; auch der porcellanene Medicinlöffel ist mir für den Thran sehr lieb; ich hatte mir ihn schon lange dazu hergewünscht; tausend Dank dafür. Auch Dir liebster Vater, danke ich noch herzlich für Deinen schönen Brief;18 er hat mich ordentlich in meinem traurigen Alleinsein getröstet, und die guten Regeln und Ermahnungen, die Du mir so väterlich gibst, will ich von nun an alles Ernstes zu befolgen und mit Gottes gnädiger Hülfe auszuführen mich bestreben. Es bedarf ja nun der Vorsicht und des festen, starken Willens doppelt, da ich doch nun erst eigentlich in die Welt hinaustrete. Besonders, was Du über meine Verzagtheit und j geringe Festigkeit, sowohl im Willen, als in der Empfindung sagst ist sehr wichtig; ich will mir aber recht fest vornehmen, sie zu überwinden und dadurch ein guter, ordentlicher und brauchbarer Mensch zu werden, der Dir Freude macht und die Sorgen, die Dir Politik und andre Dinge bereiten, erleichtert. Dein treuer Sohn Ernst Haeckel
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Tante Bertha dankt noch tausendmal für ihren herrlichen Brief19 der mich ordentlich gestärkt hat. –k Die beiden Register zu dem Ministerialblatt und der Gesetzsammlung20 für Karl habe ich auf der Post abgeholt.l 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Br. 80 und 83. Osterwald, Wilhelm: Erzählungen aus der alten deutschen Welt für die Jugend. Theil 4: König Rother. Engelhard. Halle 1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 153 (=273). Weiß, Ernst. Als Wanderziel beliebte Quellenanlage im Norden von Merseburg, benannt nach Heinrich Graf von Arnim, 1838–1841 Regierungspräsident in Merseburg. Vgl. Br. 80, S. 112. Über den Bilderkauf insgesamt vgl. u.a. Br. 61, S. 76, Br. 80, S. 112. Br. 84 und 85 sowie Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 14.2.1852 (EHA Jena, A 2306). Wahrscheinlich ein seidenes Einstecktuch, wie sie seit ca. 1830 in der Männermode aufgekommen waren. Weiß, Ernst. Metallrohr mit einer Düse zum Einblasen von Luft zur Untersuchung von Mineralien über einer Flamme, wird zur Vorprobe bei der qualitativen Analyse in der anorganischen Chemie benutzt. Oersted, Hans Christian: Ist die Fertigkeit Lateinisch zu schreiben und zu sprechen als ein Hauptbestandtheil der allgemeinen gelehrten Bildung zu betrachten? In: Gesammelte Schriften. Bd. 6: Vermischte Schriften über allgemein menschliche Verhältnisse. Leipzig 1851, S. 165–192; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 85 (=135; mit der Widmung von Karl Haeckel: „Seinem geliebten Bruder Ernst Haeckel zum 16. Februar 1852.“). Wiegner, Otto. Gasch, Julius Friedrich. Koch, Johannes Friedrich Wilhelm. Henckel von Donnersmarck, Friedrich Otto Maximilian. Nägler, Friedrich Franz. Schröder, Karl Otto. Br. 83. Br. 82. Register zum dreizehnten Jahrgang des Justiz-Ministerial-Blatts. Berlin [1851]; Sachregister zur Gesetz-Sammlung. Jg. 1851. Berlin [1851].
87. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 20. Februar 1852, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin den 20 Febr. 52.
Heute erhältst Du nur wenige Zeilen. Herr Doctor v. Basedow hat mich über Dein Unwohlsein1 sehr beruhigt. Es liegt im Wachsthum und Du wirst nur Deine Lebensart darauf einrichten und die vorgeschriebenen Mittel gehörig brauchen müßen, bis sich Deine Gelenke gestärkt haben. Es freut mich, daß Du die schriftlichen Examenarbeiten hinter Dir hast, das mündliche wird wohl auch überstanden werden. Dann kommst Du zu uns. Bruder Carl setzt sein Examenleben unausgesetzt fort, ich wollte, es nähme bald ein Ende, denn er ist gar nicht zu brauchen.
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Am Sonnabend war ich in der litterarischen Vorlesung über die Mormonen in Nordamerika, eine fanatische Sekte in der Nähe von Californien, die die Vielweiberei gestattet und von dem furchtbarsten Priesterdespotismus beherrscht wird.2 Sodann ging ich mit Herrn v. Scharnhorst3 in die geographische Gesellschaft4, wo mancherlei Intereßantes vorkam. Ein Missionär5, der von der Ostseite von Afrika (von Montbazás6 aus) in das Innere eingedrungen, hat durch die Hülfe eines Fürsten, der ihn herumgeführt, die Nilquellen entdeckt. Sie sind zu einem hohen Schneeberge gekommen, an deßen Fuß sich ein kleinera See befindet, aus dem b ein Fluß nach einem größern See führt und dieser letztere soll die Nilquellen enthalten.7 Dieses sind die vorläufigen neuesten Nachrichten, deren Vervollständigung man noch erwartet. – 2 junge Naturforscher aus München8, die bei Weiss9 introducirt sind und vorigen Sommer den Monte Rosa10 bestiegen haben, theilten ihre Reisebeobachtungen mit. Ein junger Reisender Namens Blum11, der im Birmanenlande12 in Hinterindien gewesen, beschrieb ein feierliches Todtenfest daselbstc || was vielmehr das Ansehn eines Hochzeitsfestes hat, großes Gepränge, lärmende Musik, und zuletzt das Verbrennen des Todten, was ihm so gefallen hat, daß er äußerte, er wolle nach seinem Tode viel lieber verbrannt als beerdigt sein. Sonntagd früh haben wir Jonas in der Klosterkirche13 gehört, gestern haben wir Besuche gemacht bei Herrn v. Wartenberg in der Alexanderstraße, bei der Präsidentin Eimbeck14, deren Enkelsohn, der junge Doktor Klatsch15 eben hier ist. Er hat sich ein halbes Jahr in Wien aufgehalten, wo für die Medicin sehr viel gethan ist und geht jetzt nach Paris, von da nach Neapel, im Anfang hat er Professor werden wollen. Die praktische Medicin spricht ihn aber so an, daß er nunmehr zu ihr übergehen wird. Du siehst hieraus, wie sich die jungen Leute jetzt in der Welt umsehen müßen, nimm Dir eine Lehre daraus und lerne tüchtig, englisch und französisch wirst Du auf der Universität lernen müßen, ohne das kannst Du nicht reisen. – Endlich machten wir noch einen Besuch bei Richters Braut. Die wir aber nicht zu Hause fanden, sondern nur ihre Mutter16. Die Braut ist ein hübsches angenehmes Mädchen, und allem Anschein nach hat Richter eine gute, für ihn sehr paßende Wahl gethan. Vorige Woche war kirchliche Verlobung,17 der auch Carl und Aegidis18 beigewohnt haben. Nun für heute genug. Denke fleißig an uns. Dein Dich liebender Vater Haeckel || Wenn ich, meinen lieben Jungen auch heute nur flüchtig begrüssen kann, so soll doch des Vaters Brief nicht ohne ein Wort von mir abgehn. Wie sehr freue ich mich mein lieber Ernst, daß es Dir wieder besser geht und Du auch die schriftlichen Examenarbeiten hinter Dir hast; bekomme ich die dann auch zu lesen? Nächstens werde ich Dir einige Kleinigkeiten für die Merseburger Armenlotterie19 schicken, die du an Frau Justiz Rätin Grumbach bringen || kannst. Grüsse den Doctor v. Basedow herzlich von mir, und sage ihm, ich sei ihm sehr dankbar, daß er uns Nachricht20 von Dir gegeben. Herr Pastor Naumann aus Langendorf ist hier, er war Freitag bei uns zu Mittag, und heute erwartte ich ihn auch; weiß aber nicht ob er kommt. Von Hermine hatte ich heute ein Briefchen, sie läßt Dich schön grüssen. Brauche ja ordentlich den Leberthran. Denke fleißig an Deine Mutter.
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Vgl. Br. 74. Vgl. den Bericht über den 6. Vortrag im wissenschaftlichen Verein zu Berlin von Dr. Brandis „über die Mormonen in Nordamerika“, in: Königlich Privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Erste Beilage zu Nr. 33, 3.2.1852, S. 7. Scharnhorst, Wilhelm von. Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, auch Geographische Gesellschaft, 1828 gegründete Vereinigung zur Unterstützung geowissenschaftlicher Forschungen, die sich besonders der Förderung junger Forschungsreisender widmete. Krapf, Johann Ludwig. Mombasa. Vgl. Protokoll der 10. Sitzung am 7. Februar 1852. In: Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Hrsg. von T. E. Gumprecht. N. F., Bd. 9, Berlin 1852, S. 410–412, hier S. 412.– Johann Ludwig Krapf entdeckte nicht die Nilquellen, sondern einen der großen Seen im Quellgebiet des Nils. 1859 hatte Krapf als zweiter Europäer den Kilimandscharo gesehen, nachdem ihn sein Gehilfe, Johannes Rebmann, ein Jahr zuvor entdeckt hatte; vgl. Krapf, Johann Ludwig: Die Entdeckung der „Schneeberge“ Afrikas 1849–1852. In: Zwischen Kap und Kilimandscharo. Reisen deutscher Forscher des 19. Jahrhunderts durch Südostafrika. Ausgewählt und eingeleitet von Herbert Scurla. Berlin 1973, S. 273–379, hier S. 304–309. Schlagintweit, Hermann von; Schlagintweit, Adolf; vgl. Protokoll der 10. Sitzung am 7. Februar 1852. In: Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Hrsg. von T. E. Gumprecht. N. F., Bd. 9, S. 410–412, hier S. 411. Weiß, Christian Samuel. Gebirgsmassiv in den Walliser Alpen. Der Grenzgipfel Schweiz–Italien erreicht eine Höhe von 4618 m. Der höchste Punkt des Massivs, die Dufourspitze, ist mit 4634 m die höchste Erhebung in der Schweiz. Vermutl. Blume, F.; vgl. ders.: Die Insel Pulo Pinang und die Provinz Tenasserim in Hinter-Indien. In: Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Hrsg. von T. E. Gumprecht. N.F., 9. Bd., Berlin 1852, S. 100–119. Birma, veraltet für Myanmar, Königreich in Südostasien, seit 1826 teilweise unter britischer Kolonialherrschaft. Jonas, Ludwig. – Die Kirche des Grauen Klosters in der Berliner Klosterstraße geht auf das Jahr 1250 zurück, wurde in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts u.a. von Karl Friedrich Schinkel umgebaut und am 3.4.1945 durch Bomben zerstört, heute Ruine. Eimbeck, Marie Christiane, geb. Heim. Klaatsch, August Hermann Martin. Richter, Bianca, geb. Maywald; Mutter nicht ermittelt. Vgl. Br. 78, S. 108, Nachschrift von Karl Haeckel. Aegidi, Ludwig Karl James; Aegidi, Jemina, geb. Kenworthy; Aegidi, Ludwig Karl James. Die Haeckels waren in Merseburg Mitglieder eines Wohltätigkeitsvereins gewesen, der u.a. Lotterien für karitative Zwecke veranstaltete. Nicht überliefert.
88. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23. Februar 1852, mit nachschriften von Karl und Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin 23 Febr. 52.
Deine letzten Briefe1 über Deinen Geburtstag haben uns sehr erfreut. Bewahre Deinen kindlichen, reinen Sinn, Dein liebendes Gemüth, Deine religiöse Ansicht der
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Welt und Deiner Verhältniße, sei fleißig und brav, dann wird sich das übrige von selbst finden. Die Liebe Deiner Eltern wird sich dann nie von Dir wenden und Dua wirst immer bei ihnen Hülfe und Unterstützung finden. Du athmest nun schon etwas leichter, seitdem Du weißt, daß Deine schriftlichen Examenarbeiten approbirt sind, das mündliche wird sich auch machen, ängstige Dich nur ja nicht ohne Noth. Carl hier pisackt in einem fort in seinem Jus2, er sieht schmal aus und der Bart wächst ihm, er sieht mitunter aus wie ein Gefangener, der lange keine frische Luft genoßen. Er wird sich nun wohl in 8 Tagen zum Examen melden und es dann wahrscheinlich anfangs April machen. Das ist eine schwere Zeit für ihn, die aber durchgemacht werden muß. Wir haben vorige Woche allerlei gehört und gesehn, die Antigone3, die uns sehr gefallen hat, am Sonnabend eine Vorlesung von Direktor Ranke über Sophokles4, die auch recht intereßant war. Am Freitag eine Vorlesung von Sydow über den reformatorischen Beruf Christi.5 So giebt es hier mancherlei geistige Erquickungen. Ich selbst lese die philosophischen Schriften von Cicero in der Uebersetzung6, Neanders Geschichte der Gründung der christlichen Kirche durch die Apostel7. Daneben mache ich Besuche bei meinen Freunden und bespreche mit Ihnen Politik, Philosophie, Religion, so daß es mir an geistiger Erfrischung nicht fehlt. Jetzt, da die Tage länger geworden sind, kann ich meine Promenaden schon bei Tage vollenden, was mir sehr angenehm ist. Vor 14 Tagen war Pastor Naumann aus Langendorf hier, der mehrmals bei uns gegeßen b und der sich hier sehr umgesehen hat. Nun sehen wir bald Deiner Ankunft entgegen und freuen uns sehr darauf. Dann wollen wir recht zusammen spatzieren gehen und allerlei zusammen sehen. Den beiliegenden Brief an Wiek8 kannst du erst lesen, dann siegeln und ihm sodann einhändigen. Grüße Osterwalds recht herzlich von uns, auch Karos und Kathens. Der böse schlechte Winter wird nun wohl bald überstanden sein. Dein dich liebender Vater Haeckel || [Nachschrift von Karl Haeckel] Lieber Bruder. Schönsten Dank für Deinen Brief u. für Besorgung der Gesetz Sammlung pp. Sieh doch einmal zu, ob Du das Inhaltsverzeichniß und ein ausführliches Sachregister von beiden erhalten hast. Ich glaube letztres kommt erst noch heraus für die Gesetzsammlung9 – Du mußt dann noch, ehe du abreist, bei der Post Dich erkundigen ob es erschienen ist. Auch vergiß nicht, vor der Abreise die ausgeliehenen Bücher einzufordern und Deine Pflanzenarbeit10, die Osterwald verschickt hat. Die beiden Schweizerbilder11 bringst Du wohl mit hierher. Der Preis des Reineke Fuchs12 ist Netto Preis Du hast also keinen Rabatt abzurechnen bei Einzahlung des Betrags. Ade. Komm recht bald. Dein Karl
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[Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Herzens Sohn! Da ich Wäsche habe, wie Du weißt ein großer häuslicher Actus, so kann ich Dir heute nur mit flüchtigen Worten sagen, wie sehr ich mich über Deinen || Brief gefreut habe. Da ich doch hörte wie Du Deinen Geburtstag verlebt hast; ich war in Gedanken recht bei Dir. Nun freue ich mich schon recht auf die Zeit, wo ich Dich wieder bei uns habe. Gott gebe uns ein fröhliches Wiedersehn; nimm Dich noch ja recht mit dem Knie in Acht, wenn es noch bei dem jetzt eingetretenen Winter sollte Eisbahn geben, so gehe lieber nicht hin, du mußt sorg-||sam jede Erkältung meiden. – Tante Bertha geht es leidlich, im Ganzen in den letzten Tagen nicht sonderlich. – Solltest Du nach Halle kommen oder sonst August Sack treffen, so bedanke Dich bei ihm, daß er nicht auf die beiden von Dir gewünschten Bilder13 geboten hat, sonst hättest Du sie schwerlich bekommen, denn der hätte mehr geben können als ich. – Mit herzlicher Liebe umarmt Dich Deine Mutter. 1 2 3 4
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Br. 86; weitere Briefe sind nicht bekannt. Vgl. Br. 48, Anm. 8. Am 17.2.1852 fand auf der königlichen Bühne in Berlin die 29. Aufführung der „Antigone“ von Sophokles statt. Es war die letzte Aufführung vor der Schließung des Theaters, das am 25.8.1852 mit der 30. Aufführung des Stücks wiedereröffnet wurde. Ranke, Carl Ferdinand; vgl.: Sophokles. In: Jahresbericht über die Königliche Realschule zu Berlin, womit zu den öffentlichen Prüfungen, welche am 5ten und 6ten April im Hörsaale der vereinigten Anstalten gehalten werden sollen, ehrerbietigst einladet der Direktor Ranke. Vorausgeschickt ist ein Vortrag über Sophokles. Berlin 1852, S. 3–20. Carl Gottlob Haeckel besuchte regelmäßig die Versammlungen des Berliner Unionsvereins (eigtl.: Verein für evangelische Kirchengemeinschaft). Der Unionsverein war eine 1848 entstandene Organisation liberal-protestantischer Ausrichtung, die mit ihren wöchentlichen Vortragsveranstaltungen eine Plattform zur Diskussion theologischer und kirchenpolitischer Zeitfragen bot und für die Vereinigung der protestantischen Kirchen im Geist Friedrich Schleiermachers eintrat. 1865 ging der Unionsverein im Deutschen Protestantenverein auf. – Sydows Vortrag wurde angekündigt in: Der Protestant. Ein Kirchenblatt für das evangelische Volk. Hrsg. im Auftrage des Unionsvereins von H. Krause. Nr. 5, Potsdam, 31.1.1852, Sp. 48: „Der Unionsverein versammelt sich Freitag den 6. Februar Abends 6 Uhr im Hörsal [!] des Werderschen Gymnasiums Kurstraße 52. [...] Prediger Sydow: über die reformatorische Thätigkeit Christi.“ Welche der zahlreichen philosophischen Schriften Ciceros hier konkret gemeint sind, ist nicht zu ermitteln. Vgl. Br. 83, S. 116, bes. Anm. 9. Wieck, Karl Gottlob Ferdinand. Vgl. Br. 86, S. 122, bes. Anm. 20. Vgl. Br. 74, S. 99. Haeckel hat die beiden aufgrund des hohen Preises von seiner Mutter nicht ersteigerten Schweizer Landschaftsbilder aus dem Nachlass von Marianne Gertrude Johanna Sack später mehrfach kopiert und diese Kopien auch verschenkt, beispielsweise an seinen Lehrer Wilhelm Osterwald; vgl. u.a. Br. 79, S. 110, Br. 80, S. 112; Br. 149, S. 275. Vgl. Br. 77, S.105, bes. Anm. 9. Vgl. Br. 61, S. 76, Br. 79, S. 110.
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89. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, nach dem 27. Februar 1852
Liebe Eltern!
Merseburg Sonnabend | 21/2 18521
Die Briefe, die ihr nun noch von dem „Schüler“ Ernst Häckel bekommt, und von denen dieser hoffentlich einer der letzten ist, werden alle an großer Kürze und Confusion leiden, wie dies schon dieser zeigt. Ihr müßt es aber eurem armen Examinanden nicht zu sehr verargen, wenn er in seiner großen Noth, in der nun noch alles nicht Gelernte nachgeholt werden soll, etwas confus ist und meist nicht weiß, wo ihm vor lauter Arbeiten der Kopf steht. Das Examen wird in der Woche des 18ten März sein, und heute über 3 Wochen bin ich hoffentlich als mulus perfectus2 bei euch. Daß auch Karl sein Examen noch vor Ostern macht, ist recht gut. Wir haben hier jetzt ausgezeichnete Eisbahn, indem die ganze Aue hoch überschwemmt und dann bei der seit 8 Tagen eingetretnen Winterkälte dick gefroren ist. Wegen mir braucht ihr gar keine Sorge zu haben, indem ich, auch abgesehen von dem || Knie, schon wegen der Examenarbeiten nicht ans Schlittschuhfahren denken kann. Übrigens geht es hier diesen Winter mit großen Gesellschaften und Bällen außerordentlich üppig her; Es sind schon allein nicht weniger als 5 Maskenbälle gewesen. Osterwalds Geburtstag3 haben wir ganz still für uns gefeiert; nur Abends waren mehrere Lehrer da. Über unsern Reinecke Fuchs4 hat er sich außerordentlich gefreut; es konnte ihm wirklich keine größere Freude gemacht werden. Am 27ten war auch Finsterbusch’s Geburtstag, zu dem ich ihm einen Thaler geschickt habe. Er war in Halle einem Magnetiseur in die Hände gefallen5, der ihn völlig zu heilen versprach; da aber nichts daraus wurde, so hat er sich an Blasius6 gewandt, der seinen Fuß zu heilen gedenkt, ihm aber gerathen hat, Philologie zu studieren, was er nun auch thut. || Daß Du, lieber Vater, endlich einmal ordentlich zum Studiren gekommen bist freut mich; aber statt Ciceros philosophische Schriften7 würde ich Dir lieber rathen, den Plato zu lesen, da die Römer doch alle Wissenschaft erst von den Griechen erlernt und erhalten haben. Hast Du, liebe Mutter, denn den Brief an Dich aus Minden8 erhalten? Es wurde mir einer hier zugeschickt und da habe ich ihn nach Berlin addressirt. Schreibe mir doch im nächsten Brief; genaua wie ich es mit meinen Sachen halten soll, ich dachte b die nach Berlin bestimmten, nun nicht c mehr nöthigen Sachen (Bücher pp) sofort nach dem Examen einzupacken und zu euch zu schicken. Soll ich dies per d Post oder direct per Eisenbahn thun? Oder soll ich sie als Überfracht mitnehmen? || Dann frage auch Karl, ob ich den Passow9, den Thibaut10 und den Kraft11 mit nach Jena nehmen soll, der letztre ist wohl überflüssig. – Was meine jetzige Existenz betrifft, so bleibt nichts zu wünschen übrig, als daß sie baldmöglichst aufhört. e Spazierengehn giebt es nun schon seit Weihnachten nicht mehr, und auch sonst komme ich wenig aus, nicht einmal zu Lüben12. Der junge Lüben13 hat geschrieben, es stände in Jena eine sehr hübsche für mich passende Wohnung offen. Sonntag Mittag war ich bei Karos und Fastnacht Abends bei Madam Merkel, die mich sehr tractirte. –
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Der H. Generalsuperintendent Braune ist von der Leipziger Facultät honoris causa zum Dr. theol. kreirt worden.14 – Viele Grüße an Karl, Mimi, Tante Bertha u. s. w. Mit treuer Liebe euer alter E. H. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Der Brief wurde vermutlich falsch datiert; er konnte nicht vor dem 28.2.1852 geschrieben worden sein, da Osterwalds und Finsterbuschs Geburtstage vom 23. und 27.2. als vergangen erwähnt werden. Vgl. Br. 81, Anm. 3. Mulus perfectus, lat.: Maultier; vgl. Br. 81, Anm. 3. Wilhelm Osterwald hatte am 23. Februar Geburtstag. Vgl. Br. 77, S. 105, bes. Anm. 9. Vgl. Br. 77, Anm. 13. Blasius, Ernst Carl Friedrich. Vgl. Br. 88, S. 125, bes. Anm. 6. Nicht ermittelt. Vermutlich Passow, Franz: Handwörterbuch der Griechischen Sprache. 2 Bde., 5. Aufl., Leipzig 1841–1847. Vermutlich eine der zahlreichen Auflagen des Werkes „Vollständiges Wörterbuch der französischen und deutschen Sprache“, das ursprünglich auf Johann Gottfried Haas (1737–1815) zurückgeht, der unter dem Pseudonym „M. A. Thibaut“ veröffentlichte. Vermutlich Kraft, Friedrich Carl: Deutsch-Lateinisches Lexikon, aus den römischen Classikern zusammengetragen und nach den besten neuern Hülfsmitteln bearbeitet. 2 Bde., Leipzig; Merseburg 1820–1821 (in vielen Aufl. erschienen). Lüben, August. Lüben, Friedrich Eduard Christian. Vgl. Hermann, Gotthelf Theodor: Leben und Wirken von Dr. Karl Braune. Altenburg 1880.
90. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 2. März 1852, mit nachschriften von Charlotte und Karl Haeckel
Lieber Ernst!
Berlin 2 Merz 52.
Aus Deinem letzten Briefe1 vom [28. Februar] haben wir ersehen, daß Du wohl und fleißig bist und in circa 3 Wochen hier zu sein gedenkst. Du befindest Dich mit Deinem Bruder in ähnlicher Situation, er schwitzt gewaltig über dem jus2 und hat sich vor einigen Tagen in Naumburg zum Examen gemeldet, so daß er in einigen Wochen seine Vorladung erwartet. Es wird mir sehr lieb sein, wenn ihr beide diesen Berg überstanden habt, um so mehr, da ihr ihn euch so schwer macht. Inzwischen tritt das Frühjahr näher und die längeren Tage erleichtern das Leben. Ich kann nun schon am Tage spatzieren gehn und die Dunkelfahrten a nehmen allmählich ein Ende. – Du räthst mir, statt des Cicero den Plato zu lesen,3 dabei bin ich schon, ich hatte den Plato nicht vollständig, habe ihn nun aber complettirt und bin nun also nicht mehr an der Auswahl der Gespräche gehindert. Ich lese jetzt das Gastmahl4, was schon mit dem Phaidon5 in Zusammenhang steht, finde aber in Form und Inhalt manches Fremdartige. Ich muß mich erst mehr in den Plato hineinlesen. Darauf werde ich Neanders Geschichte der Gründung der 1sten christlichen Kirche6 lesen, worin
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die verschiedene Auffassung des Christenthums durch die Apostel enthalten ist und die wesentlichen Grundsätze des Christenthums auseinandergesetzt sind. So bringe ich die Vormittage und auch einen Theil des Abends mit Lesen zu, auch gehe ich schon an den Vormittagen zur Erfrischung meiner Nerven, die mich mitunter inkommodiren, etwas aus. Vorige Woche habe ich bei gutem Wetter weite Spatziergänge durch und um die Stadt gemacht, ich bin durch das Köpenicker Feld7 nach Bethanien8 und am andern Tage die große Linienstraße nach dem || Friedrichshain9 gegangen. In den letzten Tagen hat es viel geschneit und seit gestern ist auch der Schnee liegen geblieben. Wir bekommen also noch einen Nachwinter. Am Sonnabend waren wir zuerst in der Vorlesung (über die Adonissage10) und dann im Concert. Gestern Mittag waren wir bei dem Geheimen Rath Kühne11 (dem jungen im Finanzministerium) den wir schon von Potsdam her kennen, ausgebeten. Vorige Woche war ich mehrmals in der ersten Kammer12, deren Majorität aus Junkern vom reinsten Waßer besteht und, wodurch die GemeindeOrdnung13 ganz entstellt wird. Sie kommen mir vor wie Puppen, die am Draht gezogen werden, so daß sie nach dem Zuge ihres Führers b bald aufstehen, sich bald wieder setzen, die meisten, ohne etwas von der Sache zu verstehen. Es ist traurig, solchc eine Kammer zu sehn. Wahrscheinlich gehn die ärgsten ihrer Beschlüße in der 2ten Kammer nicht durch. Die Kammern werden noch lange beisammen bleiben, da noch die Aenderung der Zusammensetzung derd ersten Kammer berathen werden soll. Aengstige Dich nicht so sehr wegen des Examens und gieb uns bald wieder Nachricht. Grüße die Freunde herzlich. Es ist traurig zu sehn, wie die Menschen ganz gedankenlos nur dem Vergnügen leben, als ob in den letzten 4 Jahren gar nichts geschehen wäre oder vielmehr nur ein raptus statt gefunden, den man sobald als möglich vergeßen machen müße. Als ob nicht auch den ärgsten Verirrungen doch ein innres Bedürfniß zum Grunde gelegen hätte, was man nicht anerkennen will. Dieses ins Gelag Hineinleben ist sehr betrüblich. Gott muß am besten wißen, wie er die Sache weiterführen will. Dein Dich liebender Vater Haeckel [Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Ernst! Zuerst meine Bitte mache Dir das Examen nicht so schwer; vor allen Dingen halte Dich geistig frisch. Das unvernünfthige Eintrichtern führt zu nichts, da kommt der Mensch um seinen gesunden Verstand; und wer kommt darüber, was ihm Gott gegeben hat. – Wir wollen uns beide nun schon darauf freuen, daß wir uns so bald wiedersehn werden und daß wir dann unser || Zusammensein recht traulich geniessen. Deine Sachen hierher schicke durch die Eisenbahn. Was Du nach Jena mitnimmst, das schickst Du von Merseburg hin. Wenn der junge Lüben14 für Dich eine passende Wohnung weiß, so laße sie Dir durch ihn nur miethen, vor allem muß er aber Rücksicht nehmen,
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daß es gute Wirthsleute sind, und die Wohnung gesund ist, sehr gut ist es wenn sie Sonnen-||seite hat.e [Nachschrift von Karl Haeckel] Laß sie Dir nur dann miethen, wenn sie auch nett und freundlich ist. In Jena wird stets auf halbe Jahre vermiethet, Du mußt falso in dem gemüthlichen Neste jedenfalls ½ Jahr aushalten. Hältst Du die Wohnung nicht für besonders gut, so laß es lieber mit dem Miethen, bis Du selbst kommst. Wohnungen sind gewiß immer genug zu haben Dein Karl, der Dich herzlich grüßt. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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Br. 89. Vgl. Br. 48, Anm. 8. Vgl. Br. 89, S. 127. „Symposion“, um 380 v. Chr. entstandener Dialog des griech. Philosophen Platon, der zur dritten Tetralogie der platonischen Werke gehört. „Phaidon“, zwischen 385 und 378 v. Chr. entstandener Dialog des griech. Philosophen Platon, der zur ersten Tetralogie der platonischen Werke gehört und das letzte Zusammentreffen des Sokrates mit seinen Freunden schildert. Vgl. Br. 83, S. 116, bes. Anm. 9. Links der Spree gelegene, unbebaute Ackerfläche am südöstlichen Stadtrand von Berlin, seit 1845 Ausbau zu Wohn- und Gewerbegebiet (Luisenstadt), heute Teil der Berliner Stadtbezirke Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg. 1845 bis 1847 von dem Architekten Ludwig Persius errichtetes Diakonissen-Krankenhaus auf dem Köpenicker Feld, das sich zu einem Krankenhauskomplex mit einem nach Plänen von Peter Joseph Lenné angelegten Park, heute Künstlerhaus und kulturelles Zentrum im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Linienstraße, 2 km lange Straße im Berliner Stadtbezirk Mitte, die 1705 im Osten Berlins entlang der Zollmauer angelegt wurde; Friedrichshain, rechts der Spree gelegenes Garten- und Ackerland zwischen den Zollstationen Frankfurter Tor und Oberbaumbrücke im Südosten Berlins und dem Fischerdorf Stralau, heute zum Berliner Stadtbezirk Friedrichshain-Kreuzberg gehörig. Vgl. den Bericht über den 9. Vortrag im Wissenschaftlichen Verein zu Berlin am 28.2.1852, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 51, 29.2.1852; abgedruckt in: Brugsch, Heinrich: Die Adonisklage und das Linoslied. (Vorlesung gehalten am 28. Februar im wissenschaftlichen Verein in der Königl. Singakademie zu Berlin). Berlin 1852. Kühne, Ludwig Samuel Bogislaw. In der letzten Februarwoche 1852 fanden täglich Sitzungen der Ersten Kammer statt, in denen über Anträge zur Reform der Kommunalverfassungen der Städte und Gemeinden verhandelt wurde; vgl. 27. Sitzung vom Montag, 23.2.1852 bis Sonnabend, 28.2.1852. In: Sitzungsprotokolle der Ersten Kammer. Zweite Legislatur, Zweite Sitzungsperiode. Berlin 1852, S. 199–206. Durch Königlichen Erlass vom 11.3.1850 der Gemeinde-Ordnung für den Preußischen Staat war eine Gemeindeverfassung verabschiedet worden, die im gesamten preußischen Staatsgebiet eingeführt werden und anstelle unterschiedlicher regionaler Gemeindeverfassungen Schritt für Schritt eine einheitliche Kommunalstruktur schaffen sollte. Damit sollte die Zusicherung der Verfassung vom 31.1.1850, dass alle Gemeinden eine selbständige Verwaltung ihrer Gemeindeangelegenheiten erhalten sollten, verwirklicht werden. Das Projekt scheiterte jedoch am Widerstand der konservativ-junkerlichen Mehrheiten in den beiden Kammern des preußischen Landtages, die am überkommenen System der kommunalrechtlich autonomen Gutsbezirke in den ostelbischen Provinzen festhalten wollten. Zunächst wurde die Einführung der Gemeinde-Ordnung von 1850 im Juni 1852 ausgesetzt, und am 24.5.1853 wurde sie unter gleichzeitiger Änderung der Verfassung gänzlich wieder aufgehoben. An ihre Stelle sollte eine stadt- und provinz-
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weise erfolgende Fortbildung des bestehenden Kommunalverfassungsrechts treten. Eine durchgreifende Reform der Gemeindestruktur in Preußen erfolgte erst 1929. Lüben, Friedrich Eduard Christian.
91. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Merseburg, 5. März 1852
Liebe Eltern!
Merseburg 5/3 1852
Diesmal nur noch flüchtig ein paar Zeilen. Die wichtigste Nachricht ist diesmal, daß bei Osterwalds in der Nacht vom Sonntag zum Montag – um 11½ Uhr – also grade am Ende des 29sten Februars, des Schalttags – ein muntrer, gesunder Junge1 angekommen ist. Mutter sowohl als Kind a geht es ganz gut. Wie sehr Osterwald sich freute, könnt ihr kaum glauben. Heute sehen wir das kleine dickeb Sonntagskind zum erstenmal. Eine Verwandte aus Halle führt unterdeß die Wirthschaft. – Vorgestern Abend war ich bei Simons, wo auch Karos, Dr Braunes2, Brettner und Lepsius3 waren. Der Dr Brettner geht auf ca. 4 Monat jetzt weg, um eine medicinische Reise nach Wien und vorzüglich nach Prag zu machen. Lepsius erzählte mir von einem höchst merkwürdigen medizinischen-botanischen „Kreuterbuche“ mit Bildern,4 das Pertz5 jetzt von unsrer Regierungsbibliothek für die königliche nach Berlin citirt hat und das diese Tage dahin abgeht; Schade, daß ich von dem höchst interessanten, schon im Jahre 1485 gedruckten Buche nicht eher Kenntniß gehabt habe; ich habe es mir heute angesehn. – Das Gratulationsschreiben6 bittet Simon an Richter bei Gelegenheit zu besorgen. Er läßt schön grüssen. – Karl grüßt schön von mir. Das specielle Sachregister von der Gesetzsammlung7 habe ich gestern von der Post abgeholt. || Nur noch 1 saure Woche, dann ist meine Noth bald überstanden. In 14 Tagen bin ich wohl, so Gott will, bei euch! Und dann! welche Freude. In Betreff meiner nach Berlin mitzunehmenden Sachen glaube ich doch, es ist besser, ich nehmec sie als Überfracht auf der Eisenbahn mit, da wohl kaum (außer der Wäsche u. s. w.) 40 ∏f herauskommen werden. Soll ich denn auch die schmutzige Wäsche, deren ich jetzt sehr viel habe, mitbringen, oder soll ich sie derweiln hier von Christel waschen lassen. Die Armenlotterie wird Sonntag über 8 Tage sein. Als neulich die Grumbach deine Sachen, liebe Mutter, in den Verein gebracht hat, ist allgemeine Bewunderung, Erstaunen u. s. w. ausgebrochen und alle haben sich darüber ausgesprochen, wie sehr du stets vermißt wurdest! – e Herzliche Grüße an Tante Bertha u. s. w. Euer alter Junge Ernst Haeckel 1 2 3 4
Osterwald, Ernst Wilhelm Hermann. Braune, Karl; Braune, Johanna Concordia, geb. Tänzer. Lepsius, Karl Martin Gustav. Cuba, Johannes de: Gart der Gesundheit. Mainz 1485. – Eines der ersten gedruckten Kräuterbücher; vgl. den Eintrag Nr. 4322 in: Katalog der Königlichen Regierungs-Bibliothek zu Merseburg. Merseburg 1838, S. 126: „Ein Herbarium mit ausgemalten, in den Text gedruckten Kup-
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fern (Der Titel fehlt. Am Ende des Registers steht: ‚Disser Herbarius ist tzu mentz gedruckt vnd geendet uff dem XXVIII. dage des mertz. Anno M. CCCC. LXXXV.‘) 4.“ Pertz, Georg Heinrich. Gemeint sind die Glückwünsche zur Verlobung Richters; vgl. Br. 87, S. 123. Vgl. Br. 72, S. 94.
92. Von Bertha Sethe, Berlin, 30. August 1852
Lieber Ernst!
Berlin 30/8 52. | Abends.
Wenn ich auch weiß, daß meine Briefe a so gut wie für die ganze Häckelei sind b deren einzelne Mitglieder an ihres Theils auch freilich schlecht wegkommen würden, es wäre so als wenn man einen Krammetsvogel1 in Achtel theilen wollte, aber es ist doch nun einmal nicht anders; mein einsames stilles Leben ist so arm an Begebenheiten und Erlebnissen, und ich selber bin am Ende noch ärmer; also ich möchte Dir erstlich recht besonders bedanken für Deine treuen Berichte, und dann möchte ich Dir gern auch ein Mal sagen, was ich wohl schon oft mit Händedruck und Blick ins Auge ausgesprochen habe. Sei nicht bange, daß ich mit Ermahnungen und einem langen Sermon Dich langweilen werde, ich hoffe nicht, aber es liegt mir so sehr am Herzen, daß Du zu Ruhe und Freude in Dir kommst, über das, was Dir Gott auferlegt hat. Halte Dich wach und Deine Augen offen, daß Du erkennen mögest, was nun eben Gottes Wille an Dir durch diese Schickung ist; und sieh, ich hätte da gleich, mancherlei Art, was für Dich, ich glaube aber immer, Du gibst sie Dir selber, meine ganze Aufgabe dabei ist es, daß Du wieder fester in Dir werden möchtest. Nicht wie || ein leichtes Rohr von jedem Winde hin und her bewegt, sondern wo es Dir an fehlt, ein selbständig ausgeprägter Charakter, das sollst Du werden, durch dieses, was Dir nun auferlegt ist. Das halte fest, und eigne es Dir so an, daß Du es eben in Dein Leben und Sein aufnimmst. Das ist nicht Feststehen in Gott, und Alles sein unter sich, und das was man soll, wenn wir gleich umgeworfen sind, und nicht wissen was wir sollen, wenn es nur ein Mal anders geht, als wie wir dachten. So wie es geht, so ist es das Rechte, und wenn es uns auch wohl oft nicht klar werden will, wenn wir nur auf Gott, als den Vater der Liebe bauen, dann sehen wir es doch eher ein, als wir dachten, daß Seine Wege, die Er uns führt, doch die allein wahren und rechten sind. Und so, mein alter lieber Junge, sei stark und männlich, schaue um Dich u. in Dich, wie viel Segen, wie viel Köstliches hat Gott Dir gegeben, und Du willst nun in dieser Zeit der Prüfung gleich verzweifeln, u. immer halte die Zuversicht fest, und hoffe auf Ihn, Er wird es wohl machen, wenn sie vorüber ist die Zeit der Prüfung, Du wirst sie noch segnen viel tausendmal; das sind die Mittel, deren Gott sich bedient, auf daß wir lernen uns selbst verleugnen, stark c in der Liebe und treu werden an Ihm, dessen Eigenthum wir sind; so schlage denn ein in meine Hand und versprich es mir, daß Du künftig sein und verbunden sein willst an Dir, dann wird die Friede Gottes Dein Theil sein. Habe lieb Deine alte Tante Bertha. 1
Wachholderdrossel, eine große Drosselart, die früher gefangen und verspeist wurde.
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93. Von Bertha Emilie Maria Anna Sophie Sethe, Heringsdorf, 31. August 1852
Sehr wohlgezogener Zögling!
Heringsdorf d 31ten August | 1852.
Die Nachricht von Deiner sichtlich zunehmenden Gesittung und Bildung habe ich mit großer Freude vernommen, wünsche jedoch sehr, daß es nicht nur „studentische“ sei. Daß ich Dir nicht eher für Deinen Brief1 gedankt, hast Du Deiner einzigen Schwägerin zuzuschreiben, die so lange gezögert. Sonst hätte ich Dir schon lange gesagt, daß ich mich zwar sehr über Deinen Entschluß, nach Würzburg zu gehen gefreut habe, und Dir recht viel Glück und Vergnügen beim dortigen Studium wünsche, dieses indeß keineswegs für einen genügenden Grund ansehe, Dich von den Vorbereitungen zur Hochzeitfeier2 zu dispensiren, vielmehr angelegentlich hoffe und wünsche, daß Du die ganze Kraft Deines Geistes und Witzes anstrengen und etwas recht Schönes zu Tage fördern mögest. Da Anna3 und ich hier allein sind und wir Mädchen uns einmal || nicht zu dergleichen Arrangements eignen wirst Du wohl einsehen, daß wir uns auf die Güte und Freundlichkeit Anderer verlassen müssen, und da denke ich doch wird der theure Vetter (wenn auch nicht Schwager) nicht der Letzte sein. Hiermit bitte ich Dich also recht herzlich, Dich als „galanter“ Vetter für uns mit zu bemühen; vielleicht kannst Du etwas im Verein mit Karl’s Freunden Aegidi4, Esmarch5 etc. fabriciren, wünschest Du dazu einige Notizen von komischen Situationen aus Herminens Leben, so bitte ich mich es wißen zu lassen, wira werden uns darauf besinnen. Sollten sich nun kleine Rollen in Bildern etc. für uns finden, so sind wir natürlich sehr gern dazu erbötig nur bitte ich zu bedenken, daß wir Beide eigentlich noch nie gespielt und ich ganz besonders mich nicht zu schwierigen Rollen eigne. – So weit das. Daß es uns hier recht gut geht, wird Hermine wohl Deiner Mutter schreiben. Die Natur ist aber gar zu köstlich. Gestern Abend war Vollmond, den herrlichen Anblick hätte ich Jedem gewünscht, der Sinn und Herz für Natur Schönheiten hat. Es beschreiben zu wollen wage ich gar nicht, es war magisch, man hatte das Gefühl von etwas Höherem Überirdischen; Anna und ich waren noch um 10 Uhr am Strand, nachdem wir || eben von einer Parthie zurückgehet waren, wohin wir den Morgen um 10 Uhr mit mehreren Bekanntenb ausgegangen waren, nach einem Försterhause, gut 1½ Stunde zu gehen, aber fast ununterbrochen durch Wald, abwechselnd Fichten und Buchen. Das Försterhaus selbst liegt an einem schönen See, der rings vom dunklen Walde umgeben ist. So haben wir den ganzen Tag im Walde verlebt. Ach was geht über einen schönen Wald! Da wird dem Menschen so ganz anders um Herz und Sinn, man fühlt sich so frei, aller Fesseln enthoben und doch wird man nur zu bald inne, wie man stets an der Erde klebt. – und nicht kann, wie man gern möchte −−− Ich wünsche Euch nun in Töplitz6 so gutes Wetter, denke doch, daß wir in beinah 4 Wochen erst einen Tag etwas Regen gehabt haben, und dabei nie schwül und drückend, da die köstliche frische Seeluft gekühlt. Wald und Seeluft so vereint ist zu schön, wie wird uns das wieder in Stettin behagen, jeden Augenblick, gehen wir nach Belieben in den Wald den wir so ganz nahe haben. Morgens mit fliegenden Haaren; das ungenirte Leben behagt uns sehr. – Wir haben uns bei Tante Bertha immer über den Sternenhimmel gefreut, es ist aber doch nichts gegen denselben über der See, sich im Sande auszustrecken und in den Himmel zu blicken, ist ein wonniges Vergnügen,
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was wir uns zuweilen bereiten. Der Sonnenuntergang auf der Moabiter Brücke7 war zwar sehr schön, aber ein Mondaufgang aus der See, unvergleichlich. −−− Deine Pflanzenwünsche befriedigte ich sehr gern, die Vegetation im Walde scheint sich indeß nur auf Heidekraut, Preißel und Blaubeeren und blauen Glockenblumen zu beschränken. – Im Sande || wächst zwar viel, vorherrschend natürlich Seegras, da ich aber schon im Voraus weiß, daß es nur „ganz gemeines Zeug“ ist, pflücke ich es nicht erst. So habe ich denn bis jetzt nur einige Pflänzchen vom Meeresgrund, die das Meer ausgeworfen, wovon ich hier kleine Proben schicke. Das Grüne ist eine Röhre8 also jetzt doppelt gepreßt. Die Größeren lassen sich natürlich jetzt nicht schicken. – Grüß mir Deine lieben Eltern recht herzlich. Alle grüßen Dich und besonders Deine Schwägerin. Schließlich wünscht die besorgte Gouvernante ihrem cultivirten Zögling, daß die Bäder recht gut auf das böse Knie9 einwirken und vor allen Dingen die Grillen und Launen aus Deinem Kopf mit nehmen, wodurch Du Dir und Andern nur das Leben verbitterst. Deine gestrenge Gouvernante Bertha 1 2 3 4 5 6
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Nicht überliefert. Die Hochzeit von Haeckels Bruder Karl mit seiner Cousine Hermine Sethe fand am 24.10.1852 in Stettin statt; vgl. die Beschreibung in: Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 37v–38v. Sethe, Anna. Aegidi, Ludwig Karl James. Esmarch, Karl Bernhard Hieronymus. Ernst Haeckel war im August und September 1852 gemeinsam mit seinen Eltern zu einem Kuraufenthalt in Teplitz in Böhmen, vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a). Brücke über die Spree zwischen dem Hanseviertel und dem Stadtbezirk Moabit in Berlin, wegen ihrer Bärenskulpturen auch Bärenbrücke genannt. Vermutlich Polysiphonia elongata (Hudson) Sprengel, Langfädiger Röhrentang, Familie: Rhodomelaceae, eine Familie der Rotalgen. Vgl. Br. 74.
94. Von Karl Haeckel, naumburg, 3. September 1852
An meinen lieben Bruder.
Naumburg 3 September 52
Heute muß ich doch noch einige Zeilen unmittelbar an Dich beilegen, damit ich bei der nächsten Sendung wieder das Vergnügen haben kann, etwas von Dir mit zu erhalten. Dein neulicher Brief1 hat mich recht erfreut; jetzt weiß ich nun auch, daß die Kur Dir im Ganzen gut bekommt. Nach Würzburg wirst Du wohl jedenfalls gehen. Ich wünsche es Dir sehr. Bekommst Du dort gute Wirthsleute, so können die Dich ja auch ordentlich pflegen, wenn Dir etwas zustößt, außerdem hast Du ja dort das berühmte Julius-Hospital2 als Rückhalt. Das längere Verbleiben in Berlin ist für Dich
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nichts, so wohl es Dir auch im Kränzchen3 gehen mag. Außerdem hast Du ja auch an Berteau4 gleich einen alten Bekannten in Würzburg und andre finden sich gewiß bald hinzu. Daß ich von Althanns5 und dessen Familie in Sayn6 sehr freundlich aufgenommen wurde und dort Gelegenheit hatte, mich recht genau umzusehen, habe ich schon früher geschrieben. Ihn und Hauchecorne7 sah ich nachher nicht in Bonn, weil sie beide bald darauf direkt nach dem Harz abgegangen sind. Die Bonner erinnerten sich Deiner sehr oft,8 namentlich Theodor9, der nun zum Winter nach Berlin geht. Auch der alte Arndt10 fragte nach Dir. Er war an dem Abend, wo ich ihn bei Dahlmann’s11 sah, prächtig munter und erinnerte sich mit großer Lebendigkeit der alten Zeiten. So erzählte || er Vaters Duellgeschichte in Landeshut und verglich ihn mit Moses wie er aus Aegypten fliehen mußte.12 – Den Wein habe ich unterwegs gar ordentlich probirt, es thut mir nur leid, Dich nicht darauf einschulen zu können. Dagegen sind mir seltene Pflanzen (die ich wenigstens dafür gehalten hätte) gar nicht unter die Hände gekommen. Steine mitzuschleppen, war aber doch zu unbequem, sonst hätte ich Dir dahier noch eher etwas auffinden können. Die Formation der Gebirge und die verschiedenen Proben gothischer u. byzantinischer Bauart, waren die einzigen mehr wissenschaftlichen Partien auf die ich bei der Tour mein Augenmerk richtete. Es hätte mich daher auch sehr interessirt hätte ich die Tour mit einem Geologen zusammen machen können. Mach, daß Du bald einer bist dann gehen wir einmal zusammen, alter Junge. Wenn die Hochzeit13 überhaupt noch im Herbst ist, so wird sie, denke ich, doch jedenfalls noch im Oktober sein, wenn auch gegen Ende desselben. Dann kannst Du immer noch nach Würzburg gehen, gieb also deshalb Deinen Plan nicht auf. Ade, alter lieber Junge. Dein treuer Bruder Karl. 1 2 3
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Nicht überliefert. 1579 von dem Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn gestiftetes Spital. Das 1685 errichtete Spitalgebäude war der erste moderne Hospitalbau Deutschlands. Die Stiftung Juliusspital Würzburg existiert noch heute. 1851 entstandener Zirkel von Studenten naturwissenschaftlicher Fächer in Berlin, der sich zu gemeinsamen Kaffeerunden, Ausflügen und Bierabenden traf und dem außer Ernst Haeckel noch Wilhelm Arthur Wilde, Carl Neuhaus, Joseph Karl Heinrich Jacob von Wittgenstein, Ernst Friedrich Althans, Heinrich Lambert Wilhelm Hauchecorne und Georg Gotthilf Heinrich Bertheau angehörten. Das Kränzchen wurde gelegentlich auch von Haeckels Eltern zu Abendgesellschaften gebeten. Bertheau, Georg Gotthilf Heinrich. Althans, Ernst Friedrich. Althans, Ludwig Karl; Althans, Charlotte, geb. Schenck. Hauchecorne, Heinrich Lambert Wilhelm. Haeckel war mehrfach bei seiner Bonner Verwandtschaft, der Familie von Friedrich und Auguste Bleek, geb. Sethe, zu Besuch, so u.a. für drei Monate im Herbst 1842 sowie im Herbst 1845, vgl. dazu auch Br. 15–18. Bleek, Theodor. Arndt, Ernst Moritz. Dahlmann, Friedrich Christoph; Dahlmann, Louise, geb. von Horn. Am frühen Morgen des 3.10.1808 trug Carl Gottlob Haeckel, damals Stadtsynikus in Landeshut im Riesengebirge, ein Pistolenduell mit einem Husarenwachtmeister eines in der Stadt
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einquartierten französischen Regiments aus, bei dem dieser schwer verletzt wurde. Um nicht vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden, floh Haeckel in das Grenzdorf Königshain auf der böhmischen Seite des Riesengebirges. Erst nach dem Abzug der Franzosen konnte er wieder zurückkehren. Vgl. Kornmilch, Ernst-Ekkehard: Die Ahnen Ernst Haeckels. Darstellung der wichtigsten Personen und Familien, einer Ahnenliste bis zur XV. Generation und einer Nachkommenliste (Ernst-Haeckel-Haus-Studien; 12). Berlin 2009, S. 12; Moses flieht aus Aegypten: Buch Exodus 1–5. Vgl. Br. 93, Anm. 2.
95. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. oktober 1852
Liebste Eltern!
Würzburg 27/10 52 | Abends
So eben habe ich das erste Menschenblut von meinen Händen, in die ich mich merkwürdiger Weise nicht geschnitten habe, abgewaschen, und beeile mich nun, euch die erste Nachricht von hier zu geben. Meine Reise ging glücklich von Statten. Von Berlin bis Jüterbogk, awo die Wagen gewechselt wurden, saß ich allein im Coupée, und b hatte Zeit, den mächtigen, moralischen Katzenjammer, der mich beic der Abreise überfallen hatte, durch verschiedene verzweiflungsvolle Reflexionen zu unterdrücken. In Köthen mußten wir 1½ Stunden warten. Von dort bis Halle fuhr ich mit 2 jungen Ehepaaren, von denen das eine eben von der Hochzeit kam, sich von den schönen Polterabendgeschenken unterhielt, und sehr zärtlich und glücklich schien. Das andre hatte ein kleines Kind bei sich, das viel schrie, und die Mutter weinte sehr betrübt. Ich mußte viel an unser Pärchen1 denken, und wie Freud und Leid an einandergränzen. In Halle empfingen mich Weber, Hetzer und Weiß2 (der, um mich zu sehen, aus Merseburgd herüber gelaufen war!!!) am Bahnhof.3 Ich ließ die Sachen auf dem Bahnhof, und ging mit e ihnen auf ihr Dachstübchen, wo ich || erst mit ihnen feine Schlackwurst verzehrte. Dann parirte ich sie noch in eine Konditorei g auf 1 Tasse Chocolade. Um 11 Uhr gingen wir wieder auf ihre Kneipe, die Weber mit komischen Wandgemälden, deren Refrain „Willkommen!“ war, verziert hatte. Dort plauderten wir nach Herzenslust sehr vergnügt, und schütteten namentlich unser botanisches Herz für den ganzen Sommer aush. Um 3½ Uhr gingen wir, trotz Weißens Widerstreben, der mich durchaus mit nach Merseburg nehmen wollte, nach dem Bahnhof, von wo ich i nach Leipzig absegelte. Dort war nur 1 einzige Droschke, mit der ich nach dem Bairischen Bahnhof4 fuhr. Die Fahrt von dort war ziemlich langweilig; nurj später, nach dem Fichtel- und Erz-gebirge zu, wurde sie interessanter; namentlich die beiden colossalen Viaducte, deren einer über den Plauenschen Grund führt, sind höchst merkwürdig. Sie bestehen aus 3 über einandergelegten Stockwerken, jedes etwa 30 Fuß hoch, mit einigen 50 Bogen.5 In Hof hielten wir von 12 bis 1½ Uhr Mittag. Leider regnete es, so daß ich mich nicht umsehen konnte. Je weiter wir nun in das Mainthal hereinkamen, desto schöner wurde die Gegend. Namentlich Kulmbach und die esk beherrschende Plassenburg6, liegt sehr schön. Das herrliche Kloster Banz7, wo ich Pfingsten vorm Jahr mit Karl war,8 erblickten wir nur noch im letzten Schimmer der Abendsonne. Um 6½ Uhr kamen wir in Bamberg an; da die Post hieher erst um 10 Uhr abgeht, machte ich mich mit einem jüdischen
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Mediciner9, der auch hieher ging, auf, um während dessen noch etwas von der Stadt zu sehen. || Die Luft war sehr kalt und klar; dabei herrlicher Vollmondschein. Die Stadt schien sehr interessant, alterthümlich und hügelig gebaut, besitzt viele Brücken (über die Regnitz) und eine Masse Kirchen (wie auch Würzburg). Von letztern ist der Doml die schönste und größte, auf einem erhabenen freien Platze.10 Sie ist im reinsten byzantischen Styl gebaut und von wahrhaft riesigen Verhältnissen. Das prachtvolle Portal besitzt 11 herrliche, einander nach außen überragende, höchst kunstvoll und mannichfaltig geschnitzte Bogenm. nAuch außerdem waren viele herrliche, große Gebäude da; aber alle Straßen waren, trotzdem o Messe war, wie ausgestorben und wir liefen aufs geradewohl herum, weil niemand da war, den wir fragen konnten. Plötzlich, als wir an einer sehr großen, hellerleuchteten Kirche11 vorbeikamen, stürzte aus dieser einp ungeheurer Menschenstrom, vermischt mit einer Menge Mönche, Nonnen und Geistliche, die sich zu einer Procession ordneten, die singend und tobend die Straßen durchzog. Von einem Bürger, bei dem wir uns nach dem Weg erkundigten, erfuhren wir, daß so eben hier wieder die Jesuiten12 gepredigt hätten, wie sie dies täglich viermal thäten. Er raisonnirte schrecklich über diesen Unsinn, und behauptete, daß die Jesuiten nur das Volk verführen und verdummen wollten. Mein israelitischer Reisegefährte schien hiermit gar nicht einverstanden zu sein. Er bedauerte, nicht eher gekommen zu sein, um sie predigen zu hören. Ich saß nachher auch mit ihm auf der Post in einem Cabriolet, wo wir es uns sehr bequem machten und fast die ganze Nacht herrlich schliefen. Übrigens bestehen hier die Postwagen nur aus 2 hintereinander liegenden Cabriolets, und werden schlecht genug gefahren. || Heute früh um 7 Uhr kamen wir hier an. Bertheau empfing mich auf der Post und nahm mich mit sich in seine Wohnung, wo ich mit ihm frühstücken mußte. Dann gingen wir in die meinige, die höchstens 30 Schritt davon und ebenso weit von der neuen und der alten Anatomie liegt. Die Wirthsleute13 empfingen mich sehr freundlich. Hier ist aber auch alles freundlich und q dabei schrecklich geschwätzig und neugierig, wodurch die Leute meist unendlich lästig werden. Über die Wohnung und die Wirthsleute das nächstemal ausführlicher, heute will ich einmal ordentlich schlafen, und morgen früh muß der Brief gleich fort, damit ich zu rechter Zeit meinen Paß bekomme. Als ich nämlich die Sachen ausgepackt, und mich etwas ausgeruht, ging ich mit Bertheau der überaus freundlich und gefällig ist, sogleich aus, um mich immatriculiren zu lassen. Dort erfuhr ich, daß ich hiezu einen Reisepaß vom Berliner Polizeipräsidio unbedingtr nöthig habe. Vater ist also wohl so gut, mich baldmöglichst auf der Polizei abzumelden, mir einen Paß zu verschaffen und diesen sogleich herzuschicken, da ich ihn in 12 Tagen (von heute an) haben muß. ‒ Dann bummelten wir noch etwas in der Stadt umher, gingen auf die schöne Mainbrücke, und dann mit Bertheau zu Tisch, wo ich für 21 xr recht gut aß. Hierauf führte mich Bertheau in ein Kaffehaus (man trinkt hier den Kaffee übrigens aus Gläsern) und stellte mich seinen Mannheimer Bekannten14 vor, die recht nette Leute zu sein scheinen. Um 3 Uhr gingen wir auf die Anatomie; daß ich bei den verschiedenen Anblicken daselbst ein etwas heftiges Kanonenfieber15 bekam, könnt ihr euch denken. Indeß nahm ich michs zusammen, hütete mich, viel umherzukuckent und ging frisch dran. || Für 4 fl mußte ich mir eine Secirkutte kaufen. Es wäre doch gut gewesen, wenn ich einen alten Rock mitgenommen hätte. Um 5 Uhr war ich mit der Präparation
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des musculus cucullaris16 fertig, wobei mir auch Bertheau wieder wesentlich geholfen hatte. Ich kann wirklich recht froh sein, daß ich an Bertheau gleich einen Freund gefunden der mir so behülflich in Allem ist, und so tüchtigen Beistand in Allem leistet. Wenn es morgen wieder schönes Wetter ist, wollen wir zusammen einen Spaziergang machen; die Umgebung scheint zwar bergig, aber ganz waldlos zu sein. Es sind meist Weinberge. Die Citadelle17 liegt sehr schön und fast uneinnehmbar fest an einer sehr steilen, hohen Stelle des Mainufers. Übrigens ist die Stadt wenig befestigt, besitzt aber eine Masse Kirchen und Klöster. Wenn ihr den Paß schickt, kannst du, liebe Mutter, auch wohl etwas Zwirn und Nähnadeln beipacken. Die Konfusion des Briefes rechnet meiner gewaltigen Reisemüdigkeit, die schlechte Handschrift der ganz schauderhaft blassen und kleksigen Tinte zu Gute. Herzliche Grüße in No 618 und an unser junges Ehepaar, das Gott ferner schützen und segnen möge. In alter treuer Liebe euer u Ernst H. Bertheau läßt schön grüßen, und auch versichern, daß er mich schon gehörig bemuttern werde. 1 2 3 4 5 6 7 8
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Die Hochzeit von Ernst Haeckels Bruder Karl und Hermine Sethe hatte am 24.10.1852 stattgefunden. Weiß, Ernst. Vgl. dazu auch Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 25.–27.10.1852 (EHA Jena, A 16195), S. 1. Bayerischer Bahnhof in Leipzig, 1841–1844 erbauter Kopfbahnhof, nördlicher Endpunkt der Sächsisch-Bayerischen Staatseisenbahn. Die Eisenbahnbrücken über das Tal der Göltzsch bei Reichenbach, sowie über die Elster nahe Plauen wurden von 1846–1851 erbaut und gelten als höchste Ziegelsteinbrücken der Welt. Ihre Inbetriebnahme am 15.7.1851 machte die Bahnstrecke Leipzig–Hof durchgängig befahrbar. Die Plassenburg über der Stadt Kulmbach, Festungs- und Schlossanlage aus dem 16. Jahrhundert. Benediktinerkloster bei Staffelstein nördlich von Bamberg, erbaut um 1799. Das 1803 säkularisierte Kloster war seit 1813 Wohnsitz einer Nebenlinie des bayerischen Königshauses. Ernst Haeckel hatte das Kloster Banz während seines Pfingstausflugs durch den Thüringer Wald und Franken gemeinsam mit seinem Bruder Karl und anderen Reisegefährten am 7.6.1851 besucht; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 6v. Eventuell der im folgenden Brief genannte Max Weill. Der Dom St. Peter und St. Georg zu Bamberg. Die St. Martins-Kirche zu Bamberg, erbaut 1686–1693 als jesuitischer Kirchenbau, nach der Säkularisation 1804 Pfarrkirche. Der Jesuitenorden war seit 1611 im Hochstift Bamberg ansässig. Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Vgl. Br. 100, Anm. 6–8. Angstzustand bei extremer psychischer Belastung. Lat. musculus cucullaris: Mönchskappenmuskel. Die Festung Marienberg oberhalb von Würzburg. Wohl irrtümlich für Schifferstraße 8 in Berlin, wo Haeckels Großvater und seine beiden Tanten Bertha und Gertrude lebten, während in der Schifferstraße 6 seine Eltern wohnten.
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96. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 29. oktober 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 29 Octob. 52.
Ich kann Dir die große wehmüthige Leere nicht beschreiben, die bei uns herrscht, seitdem Ihr, Carl, Mimmi und Du abgereist seid. Aber wir müßen uns darein finden, denn die Sache ist ganz in der Ordnung. Sobald die Kinder großgezogen sind, müßen Sie das väterliche Haus verlaßen und in die Welt gehen, um selbständig zu werden und dem Ganzen zu dienen. Aber Eure Eltern, die Euch aufs innigste lieben, sind mit ganzen Herzen bei Euch und bitten Gott, daß er Euch in seinen Schutz nehmen und behüten möge. Wir haben, mein lieber Ernst, stündlich Deiner gedacht, auch Grosvater hat sich immer erkundigt, wo Du nun sein möchtest. Carl und Mimi sind gestern (Donnerstag) früh abgereist und werden morgen Vormittag in Ziegenrück1 ankommen. Das Wetter ist in diesen Tagen schön gewesen und Du wirst es auch gut gehabt haben. Wir erwarten nun recht bald Nachricht von Dir und wie Dich Dein Eintritt || in Würzburg angesprochen hat? Hoffentlich gut, da diese Stadt gut liegt und schon ein südliches Wesen hat. Mutter ist diese Woche sehr beschäftigt gewesen mit Einpaken, Absenden etc. und mich haben die Wahlangelegenheiten2 beschäftigt und auf die Beine gebracht. – Wenn Du das Pflaster3 abnimmst, dann mußt Du ehe Du das neue auflegst,a das Knie, insbesondere die Stellen, die noch nicht in Ordnung sind, stark mit dem Daumen streichen, denn das Pflaster löst auf und zertheilt und das Streichen mit dem Daumen soll die Zertheilung des aufgelösten noch vollständiger machen. Merke Dir das. Laß uns recht bald etwas von Dir hören. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3
Haeckels Bruder Karl hatte in der seit 1815 zu Preußen gehörenden Kleinstadt an der oberen Saale eine Stelle als Kreisrichter erhalten. Die II. Legislaturperiode des preußischen Landtages (1849–1852) hatte am 19.5.1852 geendet. Die Urwahlen für die III. Legislaturperiode fanden am 25.10., die Wahlen der Abgeordneten am 3.11.1852 statt. Seinerzeit verstand man unter Pflaster ein pharmazeutisches Präparat, das aus Verkochen von Bleioxid, Olivenöl und Schmalz unter Zugabe von Wasser gewonnen wird. Das anschließende Kneten der Masse lässt ein weiches, aber nicht schmieriges Gemisch von Glyzerin sowie stearin-, olein- und palmitinsaurem Blei entstehen, das auf der Haut haftet. Das Pflaster sollte Haeckels rheumatische Beschwerden im Knie kurieren; vgl. dazu auch Br. 106, Anm. 8.
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97. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. oktober 1852
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin, d. 29 | October 1852.
Da Du Deine Schwämme vergessen hast und gewiß nicht gerne ungewaschen umhergehst, so beeile ich mich, sie Dir nachzuschicken, zugleich mit Freuden die Gelegenheit benutzend, Dich in Würzburg zu begrüßen. Unsere Gedanken haben Dich auf der ganzen Reise begleitet; und ich hoffe, Du bist frisch und fröhlich an den || Ort Deiner Bestimmung gekommen. Ich hatte sehr darauf gerechnet, heute ein paar Zeilen von Dir zu erhalten. Leider a ist aber nichts eingetroffen. Hoffentlich bist Du aber glücklich angekommen. – Nun, mein lieber Ernst, will ich versuchen Dir von den letzten Tagen zu berichten: Montag assen wir zusammen beim Großvater, und sprachen alle || viel von Dir; auch den Abend blieben wir dort. – Dienstag waren wir auch zu Mittag bei dem Großvater; Theodor Bleek kam Montag Abend von Stettin, Tante Gertrud1 Dienstag. – Dienstag Abend waren wir bei Onkel Julius2, wo ausser der Reimerschen Familie3, Quinkes4, die Jacobi mit Lucie5 und M. v. Grollman6 waren. – Mittwoch zu Mittag waren Richter mit Frau und || Marie7 bei uns, und Heinrich Sethe8, der den Morgen von Stettin gekommen war. Dienstagb Vormittags war ich noch per Droschke mit Hermine in der Stadt, da sie noch allerlei Besorgungen hatte. Auch Mittwoch Nachmittag desgleichen Abends waren wir noch beim Großvater; dem so wie Tante Bertha wurde der Abschied vom jungen Paar sehr schwer. – || Gestern früh reisten sie ab und zwar nach Erfurth9, wo cKarl nach einem Briefe des Präsidenten von Brauchitzsch, d der sie auch eingeladen hat, bei ihnen zu wohnen, heute als Assessor dem Koleg vorgestellt werden soll;10 um 1 Uhr wollten sie heute abreisen bis Saalfeld, und denken morgen Vormittag in Ziegenrück einzutreffen. Mit Karls Gesund-||heit ging es besser; auch Hermine hustete etwas. Gott schenke beiden Gesundheit, dann werden sie gewiß recht glücklich. – Die Tage waren so unruhig, und auch jetzt habe ich noch immer so viel zu packen und zu besorgen, daß ich nicht recht zur Besinnung komme, und doch fehlen mir meine geliebten Kinder Tag und || Nacht. – – Nun wenn es ihnen nur immer gut geht. Dase ist ja mein tägliches Gebet zum lieben Gott, daß er Euch gnädiglich führe, und seine Vaterhand Euch behüte. – Schreibe mir nur ja sobald Du kannst, was Du machst und wie Du lebst. – – Geniesse die schöne Zeit, die Du jetzt vor Dir hast, recht un-||getrübt, und denke wie glücklich es Deine Mutter macht, wenn Du zufrieden und heiter bist. – Sorge auch für Deine Gesundheit, Abends laß Dir ja eine Suppe machen oder, iß sonst etwas, was Dir gut ist, nur nicht bloß von Brot leben. f Bekommst Du gute Milch, so kannst Du die ja zum Abend essen. || Auch giebt es dort gewiß schönes Obst, da laß Dir nur öfter etwas holen, das ist gesund. – Vergiß auch nicht Dir ein Klavier zu miethen; in solchen Dingen kannst Du ja von Berthau11 Rath erhalten oder von Deiner Wirthin12. Grüsse Deinen Freund13 von mir, ich freue mich daß Du dort mit ihm leben kannst. || Gestern brachte G. Quinke14 mir für Dich 4 Bücher Lehrbuch der Chimie, ich habe ihm 6 Thaler dafür bezahlt; ich schicke sie Dir nicht mit, weil ich nicht weiß ob Du sie gleich haben willst, schreibe
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mir nun ob ich sie gleich schicken soll, oder ob es Zeit hat, bis mal mehr zusammen kommt, || daß ich es dann als Frachtgut schicken kann. – Eben ist ein Brief von der Kalischky15 angekommen, die Dich sehr grüssen läßt, und Deine Adresse haben will. Sie hat sich sehr über das Glas16 etc. gefreut. – Karl meinte die Fechthandschuh brauchtest Du, ich solle sie Dir gleich schicken, sie kommen also bei, und Du bist wohl nicht böse, daß ich einige || Kleinigkeiten zum Schmausen beipacke. Nun lebe wohl, mein Herzens Sohn! Wenn noch kein Brief von Dir unterwegs ist, so schreibe bald. Gott behüte Dich! Halte Dich gesund und denke fleissig an Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Sethe, Gertrude. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Reimer, Marie, geb. Stavenhagen; Reimer, Georg. – Julius Sethes Ehefrau Adelheid war eine geborene Reimer. Quincke, Hermann; Quincke, Louise Jeanne Marie, geb. Gabain Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann; Jacobi, Lucie. Grolman, Malwine, geb. Eimbeck. Vermutlich Grolmann, Marie Charlotte von. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Erfurt. Haeckels Bruder Karl besaß als Kreisrichter in Ziegenrück den Status eines Assessors beim Kreisgericht Erfurt, zu dessen Zuständigkeitsbereich Ziegenrück gehörte. Bertheau, Georg. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Wie Anm. 11. Quincke, Georg Hermann. Kalisky, Friederike, geb. Thomann. Nicht ermittelt.
98. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 31. oktober 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 31 Octob. 52.
Gestern Nachmittag bekamen wir Deinen ersten Brief aus Würzburg,1 der uns sehr viel Freude gemacht hat. Wir haben Deiner unendlich oft gedacht und uns immer gefragt: wo wird Ernst nun sein? Nun wißen wir, daß Du glücklich angekommen bist und haben Deine Entrée erfahren, die ja recht angenehm gewesen ist. Wie schön ista es doch, daß Du Deinen Freund Bertheau2 gefunden hast. Sage ihm unsern herzlichsten Dank für seine Fürsorge, es ist ungemein wohlthuend in einem fremden Land einen Freund zu finden, der uns aufnimmt und uns zum Orientiren in den neuenb Verhältnißen behülflich ist und dem man überhaupt vertrauen kann. Du wirst nun den Süden Deutschlands kennen lernen, den ich noch sehr wenig kenne. Meine Absicht ist, Dich künftigen Sommer zu besuchen und bis Nürnberg zu gehen. Bamberg soll sehr schön liegen. Der Süddeutsche ist viel gemüthlicher als der Norddeutsche, der sich nicht so gleich giebt, wie er ist, wenn auch in ihm ein tiefer Fond wohnt.
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Meine Schlesier gleichen viel mehr den Süddeutschen und es hat lange gedauert, ehe ich mich in der Mark eingewohnt habe. Es kam mir alles so steif und verschloßen vor, das wirst Du dort nicht finden. Der Süddeutsche ist viel liebenswürdiger als der Norddeutsche. Schon die Kargheit der undankbaaren Natur macht diesen letzternc härter. Dabei ist er weniger lebendig, sondern phlegmatischer. Da darfst Du Dich über die Geschwätzigkeit und Neugier der Süddeutschen nicht wundern – Der Profeßor Weiss3 ist nun wieder angekommen, er hat über 4 Wochen in Linz krank gelegen und ist in soweit wiederhergestellt, daß ihm nur noch die Kräfte fehlen. Ich traf d bei ihm den Profeßor Lichtenstein, der mir aufgetragen hat, Dich an einen dortigen Studiosus med. Lachmann aus Braunschweig4 zu weisen, diesen von ihm (Lichtenstein) zu grüßen und ihm zu sagen, daß er (Lichtenstein) Dich an ihn gewiesen habe. Es soll ein tüchtiger junger Mann sein (äußerlich schlicht und einfach), e zugleich ein großer Freund der Botanik. Versuche nun das Weitere. Er ist verwandt mit dem hier verstorbenen Professor Lachmann5, dem großen Forscher der altdeutschen Antiquitäten. – Ich habe mich vorige Woche viel mit den Wahlen zur 2ten Kammer6 beschäftigt, welche künftigen Mitwoch erfolgen sollen. Es sind hier in Berlin doch mehrere sehr gute Kandidaten aufgestellt worden, die wahrscheinlich auch durchgebracht werden, z. B. der Generalsteuerdirektor a. D. Kühne. Herr v. Patow7 etc. Das gebildete Publikum ist hier durchaus nicht theilnahmslos; auf dem Lande werden die Junker viele Kandidaten durchbringen und wir werden eine 2te Kammer erhalten, bestehend aus Reaktionairs, Ministeriellen (Absolutisten) und Constitutionellen (im weitesten Sinn). Die letztern werden wahrscheinlich in der Minorität sein. Das darf sie aber nicht abhalten, ihre Sache zu verfechten, die früher oder später nach vielen schweren Kämpfen durchdringen wird. – Karl ist mit Mimmi Donnerstag abgereist, wir haben noch keine Nachricht von ihm. Die Tage bis zu ihrer Abreise waren sehr unruhig. Nun ihr alle fort seid, ist es bei uns und Grosvater8, wie ausgestorben. Grosvater nimmt an Euch Abwesenden viel Theil und läßt Dich herzlich grüßen. – Wir werden nun allmählich unser reguläres Winterleben beginnen. Ich habe gestern schon angefangen || im schlechten Wetter und im Finstern bei Laternenschein herumzupanschen. Ich gieng nehmlich auf das PolizeiPräsidium und besorgte Dir einen Paß9, wobei ich dann Deine Person beschreiben mußte. Sie haben Dich mit einer Größe von 6 Zoll und dann wieder „mittlerer Statur“ bezeichnet10. Das ist eigentlich ein Widerspruch; wer 6 Zoll hat, ist schon ein großer Mensch, (denn ich sagte: Du wärest „lang“ und ein Stück größer als ich.) Sie scheinen in den Kategorien der Länge aber nicht sehr fest zu sein. Ferner bezeichnete ich: „reguläres Gesicht“. Das haben sie auch nach ihrer Art verdollmetscht. Die Paßextrahirungsgeschichte dauerte über ½ Stunde. Alle Polizeinotizen über die Haeckelsche Familie wurden herbeigeholt. Dort fand sich denn keine über Deine hiesige Studienzeit und da mußte endlich der Katalog der Studirenden,11 in welchem Du richtig verzeichnet warst, aushelfen. Dieser galt als authentisch und nun folgte die Paßausfertigung. Diese Polizeigeschäfte gehören zu den Errungenschaften. Vielleicht notiren sie in Würzburg, wie viel Kadaver jeder Student secirt? Heute war wieder ein Schutzmann da und verlangte noch nähere Nachricht über unser Hausmädchen Emma12, das nimmt kein Ende. Sie werden zuletzt noch jeden Tag Nachfrage halten: wie so einer politisch gesinnt ist? Denn es könnte doch über Nacht anders geworden [sein]. Diese polizeilich politischen Aerzte sind unermüdlich und es wäre nur zu wünschen, daß auch jeder andre Arzt so wäre.
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Wilhelm Bleek orientirt sich auch herum. Ich will ihm gern behülflich sein, ihm auf die rechte Fährte zu helfen. Die orientalischen Sprachen werden jetzt in England sehr getrieben (ihrer Kolonien wegen) und die Deutschen stehn jetzt in London an der Spitze der orientalischen Philologie. Theodor13 hat nun auch seinen Kursus begonnen und eben so Heinrich14. An jungen Studiosen in unsrer Familie fehlt es also nicht. Schreibe uns recht fleißig, Du sollst auch von uns fleißig Briefe erhalten. Lege Deine Menschenscheu ab und bedenke, daß Dich Gott f unter die Menschen versetzt hat, nicht um Dich von ihnen zu isoliren, sondern um mit ihnen und für sie zu leben und mit ihnen das Menschengeschlecht auszubilden. Die Geselligkeit wird freilich von Manchen zu weit getrieben. Aber das übertriebene Isoliren ist ebenfalls tadelnswerth. Auch kannst Du einen selbstständigen Karakter nur dadurch erhalten, daß Du unter den Menschen und mit ihnen lebst, nicht aber in der Isolirung. Daß Du Dich zur Bummelei und zum unordentlichen Leben nicht hinreißen laßen wirst, dafür ist uns weniger bange. – Nun für dieses Mahl genug. Dein Dich innigst liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Br. 95. Bertheau, Georg. Weiß, Christian Samuel. Lachmann, Karl Friedrich Johannes. Lachmann, Karl Konrad Friedrich Wilhelm. Die Wahlen fanden am 3.11.1852 statt. Patow, Erasmus Robert Artur Paul Freiherr von. Sethe, Christoph. Vgl. Br. 95, S. 137. Eigentl. 5 Fuß 6 Zoll (ca. 1,73 m), nach weiterer Angabe 5 Fuß 8 Zoll (ca. 1,78 m); vgl. Reisepaß von Ernst Haeckel vom 20.8.1856 bzw. vom 5.4.1855 (beide EHA Jena). Vgl. den Eintrag zu Ernst Haeckel in: Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden auf der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Auf das Sommerhalbejahr von Ostern bis Michaelis 1852. Berlin 1852, S. 11. Nachname nicht ermittelt. Bleek, Theodor. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann.
99. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 31. oktober 1852]
Herzlichen Dank, mein lieber Herzens Junge, für Deinen Brief. Mir ist es eine große Beruhigung, daß ich nun weiß, Du bist glücklich angekommen; und Dein Freund Bertheau sich Deiner annimmt, sage ihm meinen herzlichsten Dank. Auch war es mir lieb zu hören, daß Dein erster Besuch der Anatomie glücklich vorüber ist. Hoffentlich lebst Du Dich nun bald ein in Deinen neuen || Verhältnissen und fühlst Dich bald heimisch. Du hast jetzt eine schöne Zeit, die Jahre der Universität vor Dir geniesse sie recht ungetrübt. Wie ist es denn ist in Würzburg auch eine evangelische Kirche? Wir waren heute in der Klosterkirche, wo Johnas1 eine kraftvolle herzliche Predigt über den Text: Behalte was Du hast, und laß || Dir die Krone nicht rauben;2 in Beziehung
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auf das heutige Reformations Fest hielt. Gestern hat Regenbrecht3 Vater besucht, ich konnte ihn nicht sehen, denke ihn aber nächstens mal einzuladen. – Auch Max und H. v. Brauchitsch4 machten heute hier Besuch werend [!] ich in der Kirche war. Nach der Bestellung, die Heinrich5 an Emma6 gemacht, würde unser Paar7 erst heute nach || Ziegenrück kommen. Da das Schicken des Passes8 als Brief viel Porto machen würde, so packe ich a lieber gleich ein Paket, und schicke Dir einen Deiner alten Röcke, den ich noch habe reinigen lassen, sollte es der sein, den du nicht mehr tragen wolltest, so schenke ihn nur an Deinen Stiefelputzer, und wenn Du willst, so schicke ich Dir den andern, es ist aber nur noch einer hier, ein sehr schlechter brauner. || bGroßvater und Tante Bertha grüssen Dich schön. Schreibe uns bald wieder mein lieber Ernst! Halte Dich munter und denke fleissig an Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8
Jonas, Ludwig. Offenbarung 3, 11. Regenbrecht, Siegesmund Bernhard. Brauchitsch, Max Karl Ludwig von; Brauchitsch, Adolph von. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin. Haeckel, Hermine, geb. Sethe; Haeckel, Karl. Vgl. Br. 95, S. 137.
100. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 31. oktober – 1. november 1852
Meine lieben Eltern!
Würzburg den 31sten October 1852.
Indem ich so den Sonntag Abend hier ganz allein sitze (Bertheau und meine andern Bekannten sind trotz des schauderhaften Regenwetters ausgegangen, um den Festlichkeiten zum Empfang des Königs von Bayern1 beizuwohnen) und daran denke, wie froh ich sonst, und in specie2 vor acht Tagen, den Sonntagsabend mit euch zubrachte, fällt mir meine plötzliche Entfernung von euch wiedereinmal recht schwer, und ich denke, das Heimweh wird wohl am ersten vergehen, wenn ich mich mit euch, wenn auch nur in Gedanken und brieflich, unterhalte. Ich habe mich nun hier schon etwas orientirt und eine vorläufige Tagesordnung festgesetzt. Doch erst will ich euch erzählen, was ich hier bis jetzt angefangen. Von Donnerstag bis Sonnabend habe ich die Muskeln des Arms präparirt, sowie die der Schulter und des Nackens. Die erste Scheu beim Seciren war bald überwunden; aber einen rechten Geschmack kann ich der Sache doch nicht abgewinnen. Donnerstag früh ließ ich mich immatriculiren,3 was hier, wie Alles, mit unendlicher Pomade und Langsamkeit, vor sich geht. Übrigens geschah es bloß „vorbehaltlich der Beibringung einer polizeilichen Legitimation innerhalb 12 Tagen“, die ihr mir also, wie ich schon in meinem ersten Brief schrieb,4 bald von der Polizei besorgen müßt. – Donnerstag Nachmittag führte mich Bertheau auf das „Käppele“5, ein herrlich auf einem steilen Weinberg am linken Mainufer gelegenes Kapuzinerkloster von dem man eine sehr schöne Aussicht auf die ganze umliegende Gegend, namentlich auf das
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massenhafte Häuserlabyrinth der jenseitigen (auf dem rechten Ufer gelegenen) Stadt selbst mit ihren ringförmig sie umgebenden Promenaden und der Unmasse von Thürmen und Kuppeln genießt. Noch schöner und großartiger nimmt sich die diesseitige, sehr feste Citadelle der Festung aus die man von hier aus ihrer ganzen Länge und Breite nach übersieht. Im Übrigen ist die Gegend sehr einförmig, nichts als Weinberge, kein Kartoffel-, kein Roggenfeld, und kaum auf den entferntesten Anhöhen eine Spur vom Wald. Der schönste Punkt bleibt noch die Mainbrücke, wo man wenig von den kahlen Bergen, dagegen die Veste von der schönsten Seite erblickt. – Freitag war Fasttag, und ich ging deßhalb Abends mit Bertheau und seinen Freunden a in eine kleine Kneipe, um gebackenen Karpfen zu essen, der übrigens ziemlich groß, schlecht und billig war. Bertheau’s Bekannte, denen er mich auch vorstellte, und b die ich gegen meine Erwartung sehr solid und anständig (hier zu Land eine große Seltenheit) fand, sind drei Mannheimer: 1) ein Jude (für seine Nation sehr angenehm und vernünftig) mit Namen Weyl6 2) ein Wallone, Dyckerhoff7 (ein sehr hübscher und netter Mensch) 3) Zerroni8, aus einer italienischen Familie, gescheut und amüsant. Mit diesen beiden letztern rühmt sich Bertheau (als französisches Blut) die 3 in Mannheim herrschenden Volksstämme (Elsasser, Wallonen und Lombarden) zu repräsentiren. – Sonnabend Nachmittag kamen meine beiden Kisten endlich an. Heut früh habe ich alles ausgepackt; zerbrochen ist nichts, als die Lampenglocke und ein Cylinder von Stobwasser9, dagegen ist manches vergessen, als z. B. alle Schwämme, meine gewöhnliche Scheere; statt meiner kleinen Scheere ist Papas mitgekommen. Papa kann nun ja meine bekommen. Die Schwämme, den Seiflappen, und was Mama sonst noch nothwendiges findet, kann sie mir ja mit Regnaults Chemie10, die ich noch von Georg Quinke bekomme, nachschicken. Mein Zimmer ist nun vollständig eingerichtet. Es ist ungefähr 16‘ lang, ebensoviele breit und 8‘ hoch, unregelmäßig viereckig und besitzt als Eckzimmer 4 Fenster, je zwei nach den beiden an einanderstoßenden Strassen. Da diese sehr eng und finster sind, überdieß 2 Fenster nach Norden, 2 nach Osten, wo hohe Gebäude sindc, liegen, so kommt den ganzen Tag kein Sonnenstrahl herein. Auch ist es ziemlich kalt; der Ofen ist klein, ganz eisern, und erhitzt als guter Wärmeleiter die Stube sehr schnell und ¼ Stunde lang sehr heiß, worauf es wieder kalt wird. Das Mobiliar besteht aus Bett, Kleiderschrank, Sopha, 3 Stühlen, 1 Spiegel und einer Kommode mit einer kleinern offnen und 2 verschließbaren Laden. Um euch einen rechten Begriff von der Höhle eures Jungen zu geben, mache ich hier 1 Grundriß: Der Waschtisch hat einen Quadratfuß Oberfläche. Ein Secretär fehlt mir eigentlich sehr, da ich zum Verschließen bloß die beiden Laden habe. Es kommt mir deßhalb sehr die Bettkiste mit dem Schloß zu Statten, in die ich alle Pflanzen, Sommersachen u.s.w. gepackt habe. Auch in das [!] Koffer habe ich noch vieles packen müssen. Die Bücher stehen in einer Reihe auf der Kommode. Übrigens liegt die Stube 6 Stufen über dem Boden.
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Die Wirthsleute sind, wie ich euch schon das vorige Mal schrieb, äußerst zuvorkommend und sorgsam, oft bis zum Übermaaß höflich. Der Hr. Dr.11 (den ich, beiläufig, auch nicht zum practischen Arzt haben möchte) ist ein dicker, sehr gutmüthiger Bayer, mit unten breitem, oben spitzem Kopf, der fast ebensoviel schwatzt, wie seine wohl 15 Jahr jüngere (etwa 35jährige) breitschultrige, aber auch sehr gutmüthige Frau12; man muß sich ordentlich hüten, mit diesem guten Ehepaar zu sprechen anzufangen; denn der Strom ihrer Rede und ihres Wohlwollens ist, einmal durchbrochen, nicht zu hemmen. || Was meine materiell-physische Existenz anbetrifft, so friste ich diese 1) früh durch eine riesige Tasse leidlichen Kaffee mit 2 kleinen Milchbrödtchen, 2) und hauptsächlich durch das Mittagessen auf der „Harmonie“13, wo außer Bertheau und mir noch 4 Officiere und 6 Studenten speisen. Wir bekommen dort für 18 xr (7 Kreuzer = 2 Sgr) 5 Gerichte, nämlich: 1) Suppe, 2) Rindfleisch mit Sauce, 3) ein andres gekochtes Fleisch mit Gemüse (Kohl meistens), 4) eine Art Mehlspeise, Nudeln oder so etwas, und 5) Weintrauben. Hierauf folgt ein Glas Kaffee für 4 xr im Caffée Oben, wo sich sehr viel Studenten, meist zum Billard, oder Kartenspiel, versammelnd. Zum Abendessen hatte ich mir Anfangs „vernünftigerweise“ (?) eine Suppe zu Haus bestellt. Da mir diese aber sehr gewürzhaft, fett und schwer, auch nicht grade wohlschmeckend erschien, so habe ich es vorgezogen, so lange es noch frische Weintrauben giebt, diese zum Abendbrot zu verzehren. Sie sind hier ganz vortrefflich und sehr billig; jede Traube kostet etwa durchschnittlich 1 Pfennig; wenn sie mir so recht munden, möchte ich immer gar zu gerne auch euch davon abgeben; schade, daß ich euch keine schicken kann. Auch der Wein selbst soll hier zugleich äußerst billig und gut sein. Von der besten Sorte (Steinwein14 und Bocksbeutel15) die dem Rhein- und Mosel-Wein vorgezogen wird, kostet 1 Schoppen, der größer als Großvaters gewöhnliches Weinglas ist, nur 6 xr. Heute e Nachmittag habe ich auch zum erstenmal (mit Bertheau und seinen Kameraden) süßen Most gekneipt, der mir sehr delikat süßsäuerlich schmeckte. Auch von ihm kostet 1 niedriges Wasserglas nur 6 xr. Sonst will mir die hiesige Kost nicht besonders behagen; namentlich die Kartoffeln, die hier gar nicht gegessen werden, fehlen mir sehr. Es werden hier überhaupt keine Kartoffeln gebaut; fast die ganze Bevölkerung nährt sich vom Weinbau. Es giebt deßhalb auch f, da dieser sehr einträglich ist, kein eigentliches Proletariat, wie g andrerseits großer Reichthum selten sein soll; die Hauptklasse ist ein wohlhabender Mittelstand, der indessen in moralischer Beziehung sehr auf den Hund sein soll; wie behauptet wird, durch die Überzahl von Officieren und studiosis medicinae16. Diese beiden Klassen von Leuten haben übrigens eine ziemlich sonderbare Stellung zu einander; es ist nämlich vor nicht gar langer Zeit ein decretum des vorigen Königs Ludwig17 erneuert worden, worin mit trocknen Worten gesagt wird, daß jeder Student, bei Strafe der Relegation, weder einen Officier mit Wort oder That beleidigen dürfe, noch auch, von einem solchen beleidigt, diesen zum Duell herausfordern dürfe.18 Von den Einwohnern (deren Hauptrenten nächst dem Weinbau die Studenten sind) werden diese übrigens sammt und sonders überall Doctores titulirt und als solche tractiert; sogar in officiellen Sachen, auf der Matricel u.s.w. heißt es nie: studiosus medicinae, sondern immer candidatus medicinae (Kandidat! Sehr richtig –). Auch ich werde nicht nur von der Wirthin, sondern von dem wirklichen Dr. med. stets „Herr Doctor“ titulirt! – ||
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Am Montag früh: „Fest aller Heiligen“. Ja! Armer Dr. med! ärmerer cand. med! ärmster stud. med. Wenn ihr wüßtet, wie es mit diesem aussieht. Ich will euch gleich ganz offen und rundheraus sagen, daß mir der stud. med. noch niemals so leid gewesen ist, wie jetzt. Ich habe jetzt die feste Überzeugung (die auch schon andere, klügere vorher hatten) daß ich nie practischer Arzt werden, nicht einmal Medicin studiren kann. Glaubt nicht, liebe Eltern, daß ich zu dieser Einsicht etwa durch den ersten Ekel bei den Secirübungen, durch die „mephitis des Secirsaals und cadaverum sordes“19 gelangt bin. Das Unangenehme dabeih ist schon großentheils überwunden, und würde sich auch weiterhin überwinden lassen können und müssen. Aber etwas ganz anderes ist es, den gesunden, etwas anderes ist es, den kranken Körper, die Krankheit selbst zu studiren. Vor diesem habe ich einen unüberwindlichen Abscheu (woran wohl schwache Nerven und Hypochondrie mit Schuld sein mögen) und werde mich damit nie befreunden können. Schon im vorigen Sommer habe ich oft mich mit dem Gedanken gequält, diesen Kranken-Ekel überwinden zu müssen; und habe es zu können geglaubt; ich war damals noch mit den Verhältnissen zu unbekannt; jetzt, hier, wo ich ausschließlich mit Medicinern umgehe, wo ich ihre pathologisch-therapeutischen Gespräche fortwährend genieße, ist mir die Unmöglichkeit völlig klar und gewiß geworden. Nie werde ich Pathologie mit Lust und Liebe hören, nie Chirurgie practisch ausüben können. Um mich vollständig und unumstößlich davon zu überzeugen, werde ich in den verschiedenen specicifisch [!] medicinischen, namentlich i pathologischen und therapeutischen Kollegien hospitiren. Im Übrigen will ich mir Mühe geben, daß dieser Winter so wenig als möglich verloren sei. Die Anatomie bei Kölliker20 (die übrigens, wie fast alle andern Kollegien, noch nicht einmal angekündigt ist, also wohl erst in einer der nächsten Wochen anfangen wird) werde ich trotzdem hören, auch die Secirübungen fleißig fortsetzen. Ich betrachte so die Anatomie rein vom naturhistorischen (nicht medicinischen!) Standpunkt, als Naturgeschichte des Menschen, und als solche kann sie mir, wenn ich später Mathematik und Naturwissenschaften studire, vielleicht noch einmal zu Statten kommen. Vielleicht höre ich auch noch nächsten Sommer „Physiologie“ und „vergleichende Anatomie“, eben von diesem Standpunkt aus. Im übrigen werde ich keine Kollegien weiter annehmen, da die naturhistorischen eigentlich sehr wenige, und nicht besonders sind; das sehr gute chemische Laboratorium („practischchemische Übungen in Untersuchung j organischer und anorganischer Stoffe“) bei Scherer21, ist grade von 10–1 Uhr privatissime, während Kölliker die Anatomie liest k (von 11–1 Uhr). Doch da kommt mir wieder ein andrer Gedanke. Soll ich vielleicht dies chemische l privatissimum annehmen? und Kölliker sein lassen?! – Wenn ich dies thäte, so würde ich so gut wie gar keine Zeit (und Mühe) verlieren, vorausgesetzt nämlich den Fall, daß ich (wie ich und vielleicht auch andre hoffen) Naturwissenschaften und Mathematik studiren kann (d. h. wenn ich genug capée22 und mathematischen Sinn habe, was jedoch auch noch zweifelhaft ist?). Sprecht doch baldmöglichst mit Quinke23 darüber, der ja immer so gütig gewesen ist, mich mit seinem Rath zu unterstützen. Du liebster Vater, bist dann wohl so gut, mir umgehend, eure und Quinkes Meinung zu schreiben. Fragt doch auch Tante Bertha darüber, was sie dazu meint. – Indem ich dieses wohlerwogen niederschreibe (d. h. m wohlerwogen, insoweitn es die knapp zugemessene und zum Entschluß und zur raschen Entscheidung drängen-
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de Zeit erlaubt) ist es mir ordentlich, als fiele mir ein Stein vom Herzen, als athmete ich nach langer Zeit zum erstenmal frei auf. Ich glaube wirklich, daß ich mich auch in dem ärztlichen Beruf nie glücklich fühlen würde. Ich hatte erst mir vorgenommen, euch noch diesen ganzen Kampf von Gefühlen und Stimmungen zu verschweigen, und frisch drauf los medicin zu treiben; nachdem ich indessen wieder gestern Abend und Nacht mich damit herumgeschlagen, hielt ich doch für besser, euch ganz unverhohlen zu schreiben und um Rath und Hülfe zu bitten. Hält Quinke es für besser, daß ich doch noch die Anatomie höre, so ist damit auch nicht viel verloren. Ich würde dann außerdem für mich Chemie, Physik und Zoologie treiben. (N.B. Fest belegt habe ich bei Kölliker noch nicht.) Die Anatomie an sich ist gewiß höchst interessant. Um mich vorläufig in der Mathematik etwas zu orientiren, schickst du, liebste Mutter, mir wohl mit den andern Sachen ein in blaues Papier eingeschlagenes Buch, welches in meinem Glasschränkchen in der Schlafstube auf dem ersten oder zweiten Brett steht, betitelt: „Elemente (oder Lehrbuch?) der Mathematik“ (oder Geometrie?) von „van Swinden, übersetzt von Jacobi“.24 Es hat jedoch keine Eile. Kann ich die Mathematik nicht capiren (was ich nicht hoffen will) so müßte ich wohl schon aus Nothwendigkeit mich zur Jura wenden, zu der wohl eigentlich Niemand rechte Lust hat. Doch das würde sich dann Alles zu Ostern finden. – || Mag ich jetzt nur die Anatomie, oder die Chemie hören, so habe ich auch in pecuniärer Rücksicht keinesfalls viel verloren, da die Kollegien hier, wie alles, sehr billig sind. So kostet ein Kolleg von 3o, 4, 5–6 Stunden wöchentlich nach Reglement: respective 5, 7, 9 fl. Von den Secirübungen hab ich klüglicherweise vorläufig nur 1 Theil, die Muskellehre, belegt, welche nur 10 fl kostet; so daß auch hier nicht viel verloren wäre. – Nun vor allem noch die herzliche Bitte, daß ihr mir nicht böse seid, daß ich euch so offen und unverhohlen das, was mich fortwährend bewegt und beschäftigt, dargelegt habe. Ich glaube, wie gesagt, bestimmt, schon meiner schwachen Nerven wegen nie Arzt werden zu können. Bertheau, der sich übrigens sehr herzlich, freundschaftlich und nett gegen mich benimmt, versichert mir zwar fortwährend, daß ich auch den lebendigen Menschen, ebenso wie den cadaver, mit der Zeit würde „nicht als Menschen“, sondern als etwas anorganisches oder wenigstens vegetabiles ansehn und behandeln lernen würdep, daß er und q viele seiner Bekannten anfangs noch viel zaghafter und schwächer sich benommen hätten, ja sogar mancher bei den ersten Sectionen in Ohnmacht gefallen s wären, daß es mit mir schon ganz vortrefflich gehe und was dergleichen mehr ist. Ich glaube, nie dahin zu kommen. Beste Eltern, zürnt mir nur nicht wegen meines Wankelmuths, meiner Unentschlossenheit, meiner Characterlosigkeit, oder, wie ihr es sonst nennen wollt. Ich möchte mir ja so gern einen recht festen Character erwerben, und werde mich immer bestreben, euch Freude zu machen. In alter, kindlicher Liebe euer treuer Sohn Ernst Haeckel. – Die herzlichsten Grüsse an Tante Bertha, Großvater; auch an Quinke und Weissens25. Vielleicht sprichst Du, lieber Vater, auch einmal mit Weiß über meine Karriere.t || N.B. Die Hauptfrage, auf die Alles ankommt, und um deren Beantwortung ich Quinke bitte, ist: ob die Mathematik mit gewöhnlichen Fähigkeiten erlernbar ist, oder ob besondere Talente dazu gehören? – u ||
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Mein Hr. Doctor läßt sichs übrigens besonders ausbitten, daß inskünftige auf die Briefadresse nicht die Hausnummer, sondern nur: „bei Hn. Dr. Altheimer“ (nicht Altheim!) gesetzt wird, „da er doch überall bekannt und genannt sei!“ – v 1 2 3
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Maximilian II. Joseph, König von Bayern. Lat.: besonders. Der genannte Tag der Immatrikulation war der 28.10.1852. Matrikel sind im UA Würzburg nicht überliefert. Außer dem Eintrag im gedruckten Personalverzeichnis (vgl. Amtliches Verzeichniss des Personals und der Studirenden an der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg für das Winter-Semester 1852/53, Würzburg 1852, S. 28) liegt lediglich Ernst Haeckels eigenhändiger Eintrag im Inscriptions-Buch zu den Vorlesungen der Medicinischen Facultät an der Universität Würzburg im Winter-Semester 1852/53, Bl. 12v-13r, vor. Vgl. Br. 95, S. 137. Wallfahrtskirche Mariae Heimsuchung in Würzburg. Weill, Max. Dyckerhoff, Ludwig. Zeroni, Heinrich. Lampenfabrik Stobwasser in Berlin, seit 1849 unter der Leitung von Gustav Stobwasser, der sich u.a. auf Ölgas-Lampen spezialiserte und die Fabrik zu einer der führenden in der deutschen Lampenindustrie ausbaute. Regnault, Victor: Lehrbuch der Chemie für Universitäten, Gymnasien, Real- und GewerbSchulen, sowie für den Selbstunterricht. Uebers. von Boedeker. 4 Theile. Berlin 1849–1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 54 (=90–93). Altheimer, Anton. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Seinerzeit das angesehenste Speiserestaurant in Würzburg in der Hofstraße 3. Weinsorte aus dem im Norden Würzburgs gelegenen Weinberg „Stein“. Nur die besten Weine aus fränkischen Anbaugebieten wurden in charakteristisch geformten Flaschen in Form einer auf zwei Seiten abgeflachten Kugel verkauft. Lat.: Medizinstudenten. Ludwig I., König von Bayern. Es handelt sich um das Reskript des Königs Ludwig I. von Bayern an die Kuratel der Universität Würzburg, die Beseitigung der Zwistigkeiten zwischen Militärpersonen und Studierenden betr., München, 2. November 1826, in: UA Würzburg, Nr. 2864 (unpag. Abschrift). Das Reskript verordnete, dass gegen Studierende, die sich „Unbilden irgendeiner Art“ gegen Militärpersonen zu Schulden kommen ließen oder solche zum Duell forderten bzw. sich fordern ließen, nebst angemessenem Arrest Dimission für ein Jahr und im Wiederholungsfall Relegation von allen Studienanstalten verfügt werden sollte. Lat. mephitis: übler Gestank; lat. cadaverum sourdes: Leichenschmutz. Kölliker, Rudolf Albert. Scherer, Johann Jakob Joseph von. Begriffsvermögen, Ableitung von lat. capere: begreifen. Quincke, Hermann. Swinden, Jan Hendrik van: Elemente der Geometrie aus dem Holländischen übersetzt und vermehrt von C. F. A. Jacobi. Jena 1834; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 63 (=104). Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt.
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101. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 4./5. november 1852
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin, 4/11 52.
Gestern erhielten wir Deinen Brief vom Sonntag,1 wofür ich Dir herzlich danke, und ich denke es wird immer zwischen uns so bleiben, daß wir uns offen aussprechen, auch dann wenn unsere Ansichten verschieden sind. Daß Dein Brief mich zweifach bewegt hat, kann ich nicht leugnen, erstens weil es Dir noch schwer wird, Dich in dem Alleinsein zu finden, und || dann zweitens hauptsächlich, daß Du so manchen innern Kampf zu bestehn hast; doch nur weiter, mein lieber Ernst, muthig und voll Gottvertrauen gekämpft, ist doch unser Erdenleben ein ewiges Ringen und Kämpfen. Meine Ansicht ist die, daß Du jetzt gar nicht zu entscheiden hast und es auch nicht kannst, welches mal Dein Lebensberuf sein || wird; Du kennst ja die Lebensverhältnisse noch gar nicht, Du hast Dir einmal vorgesetzt Medicin zu studieren, dasa mußt Du jetzt consequent durchführen; alle Kolegien besuchen, die dazu gehören, Dein Examen machen; und dann erst kann es sich entscheiden, ob Du praktischer Arzt wirst oder nicht, jetzt mußt Du Dir denken, Du willst es werden; || sonst kommst Du nicht zur ruhigen Freudigkeit, wenn Du immer hin und her wankst, Du Dich von augenblicklichen Empfindungen und Gefühlen beherrschen und leiten läßt; so wirst Du nie die Karakterstärke erringen. Also nur muhtig dran gegangen. Dasb kannst Du um so mehr, da auch alle Männer vom Fach, wie Weiß2, || Lichtenstein, Ehrenberg gesagt haben; auch wenn Du Naturforscher würdest, müßtest Du Medicin studieren. Also mein Herzens Sohn quäle Dich nicht mit Zweifeln und Grübeleien; studiere wacker drauf loos, Dir den Titel zu erwerben, den die Würzburger Dir beilegen; denke dran wie Du mir schon früher gesagt hast: Schwierigkeiten giebt es in jedem Beruf ! || Von Karl habe ich einen Brief gehabt, den ich Dir mitschicke,3 damit Du doch auch siehst, daß sie glücklich angekommen sind. Mir ist es schon so lang, daß meine Kinder weg sind, und wenn es Ihnen nur wohl geht, und alles zu ihrem Heile dient. Gott wolle sie beschützen, sein reicher Seegen sei auch mit Dir mein lieber, lieber Ernst. – Schreibe uns nur ja immer ausführlich, was Du machst und wie Du lebst. – || Du hast doch nicht vergessen in Halle das Geld an Weber Hätzer4 und Finsterbusch zu geben? – Freitag Guten Morgen, mein lieber Herzens Sohn! Wie geht Dir es? Schreibe mir doch mal, was Dein Knie macht? – Noch, mein lieber Ernst, muß ich Dich dringend bitten, nimm nicht zu vielerlei vor und strenge Dich nicht zu sehr an, damit Deine Gesundheit nicht leidet. Gönne Dir auch mit unter || eine Erholung, dann kannst Du auch wieder mit mehr Frische und Lust Deine Studien treiben. Du erhältst hiebei die Bücher welche Georg Quincke Dir besorgt hat. Ist denn beim Glaser hier das Einrahmen der Bilder bezahlt? Ich glaube nicht, die waren ja wohl gekommen, als wir nicht zu Hause waren; schreibe mir doch hierüber, damit ich es in Ordnung bringe. – – || Nach Deiner Zeichnung kann ich mir Deine Stube nicht eben sehr reizend denken, am wenigsten gefällt es mir aber, daß sie nach Norden liegt, und daher kalt ist,
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daß ist besonders im Sommer nicht gut, wenn man aus der warmen Luft in eine eisige Stube kommt. Suche Dir zum Frühjahr lieber eine andre Wohnung mit Sonnenseite und Stube mit besonders Kabinet zum Schlafen. – || Nun leb wohl, mein lieber Ernst! Geh mit Muth und Ernst an Dein medicinisches Studium, laß alle Grübeleien über Deinen spätern Lebensberuf, und denke fleissig an Deine Dich so innig liebende Mutter Grüße Bertheau. 1 2 3 4
Br. 100. Weiß, Christian Samuel. Brief nicht überliefert. Hetzer, Wilhelm.
102. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 5. november 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 5 November 52.
Habe Dank für Deinen letzten mit aller Offenheit geschriebenen Brief1 und sei auch ferner gegen Deine Eltern, denen Du alles, was Dein Herz bewegt, anvertrauen kannst, immer ganz offen. Dein Zustand hat mich nicht überrascht. Er erklärt sich aus den ganz neuen Verhältnißen, aus Deinem Streben, etwas Ordentliches zu werden und aus Deiner Gewißenhaftigkeit. a Ich habe Quincke2 gesprochen, er läßt Dir sagen: so wie Dir sei es vielen jungen Leuten gegangen, die hernach ganz tüchtige Aerzte geworden sind. Du mögest nur also getrost in derb betretenen medicinischen Bahn fortschreiten bis zum Doktor. Dann werde es sich ja zeigen, ob Du in das ärztliche praktische Leben übergehen oder c ganz den Naturwißenschaften folgen werdest. Ganz daßelbe haben mir schon früher Ehrenberg, Weiss3 und Lichtenstein gesagt, sie haben selbst diesen Weg durchgemacht und es ist auch zur Ausbildung Deines Charakters nothwendig, daß Du diesen Weg folgst. Ich kenne recht gut Deine Bedenken von Zeit- und Geld-Verlust, wenn Du auf diese Weise fort und endlich doch zu den Naturwißenschaften übergehst. Aber auch in diesem letztern Fall sind Dir die medicinischen Kenntniße höchst nützlich. Ich habe als ich von der Juristerei zum Kameralfach übergieng, auch manches vergeßen müßen und doch ist mir das juristische Vorstudium mein ganzes Leben hindurch sehr nützlich gewesen. Was ferner den Geldverlust betrifft, so ist es eben aus dem angeführten Grunde kein wirklicher und wenn Du länger studiren mußt, ehe Du einen Broderwerb findest, so haben wir, Gott sei Dank die Mittel dazu. Gehst Du endlich zu den Naturwißenschaften ganz über, so steht Dir schlimmstenfalls immer noch der Wegd der praktischen Chemie offen. Für jetzt thue aber, als ob Du wirklich Arzt werden wollest und mache diesen Kursus durch; zum praktischen Arzt, wenn Dir dann die Sache zuwider ist und Du dazu
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nicht paßest, sollst Du auf keinen Fall gezwungen werden. Aus dem, was sich Dir jetzt darstellt, kannst Du durchaus noch nicht auf diese Unfähigkeit schließen. Quincke hat mir e mündlich noch viele Beispiele, die dieses bewahrheiten, vorgeführt. Also nur immer auf der begonnenen Bahn frisch und vorwärts weiter. Zersplittere Deine Zeit nicht auf zu viele Gegenstände, dazu bist Du sehr geneigt und übernimm Dich überhaupt nicht im Arbeiten, das schwächt die Nerven, mache Dir ja täglich Bewegung. Theile mir auch etwas mit über das dortige Studentenleben und wie sich die süddeutschen Naturen gegen die Norddeutschen ausnehmen? An Wißenschaftlichkeit werden die süddeutschen Katholiken den norddeutschen Evangelischen nachstehen. An deutscher Gemüthlichkeit und Natürlichkeit aber gewiß nicht. Die Gegend um Bamberg soll eine schönere sein als die um Würzburg, aber wohlfeiler scheint es dort zu sein als in Norddeutschland. So hat alles seine Eigenthümlichkeit. – Die große Leere hierf, seitdem Du und Karl fort seid, ist uns sehr unangenehm. Es kann aber nicht anders sein und wir müßen uns so gut darein finden als Du in Deine dortigen Verhältniße. Zudem sind jetzt durch die Eisenbahn und Posten die Berührungen und Annäherungen so leicht, daß man sich gar nicht als geschieden betrachten darf. Weiss war hier ziemlich wohl angekommen, g hat sich aber wahrscheinlich unterweges erkältet und isth noch nicht gesund. Sein Bruder der alte Weiss4 in Merseburg ist krank, wie es scheint, an beginnender Waßersucht und wird wohl nicht mehr lange leben. Er ist 79 Jahr alt; ein Ehrenmann und eine streng sittliche Natur, wie es deren wenige giebt. || Ich vergleiche jetzt den Mohamedanismus und das Christenthum, wie sie sich im Mittelalter in der Geschichte gezeigt haben. Die Araber nahmen ihre Kultur von den byzantinischen Griechen, auch aus Indien und Persien und brachten sie durch die Kreuzzüge und Saracenen in Spanien und Sicilien nach Europa. Mahomed wollte die Anschauung der Einheit Gottes, wie sie unter Abraham gewesen wieder herstellen, er war der entschiedenste Feind alles Götzendienstes. Aber er brachte sehr viel Sinnliches in sein künftiges Leben und durch die unbedingte Ergebung in ein angenommenes Fatum hemmte er die Entwikelung des menschlichen Geistes und Charakters. Darum unterliegen die Muhamedaner der Apathie (besonders die Türken) und in der Bekämpfung der Sinnlichkeit bleiben sie hinter den Christen zurük. Das Christenthum ist der Freiheit günstig und darum der Entwikelung des menschlichen Geschlechts, der Muhamedanismus dagegen i dem Despotismus durch seine Ergebung ins Fatum und dadurch tödtet er zuletzt alle Kultur. – Ich habe mich in den letzten Wochen sehr für die Wahlen zur 2ten Kammer intereßirt.5 Durch solche Wahlen fühlt man dem Volk an den Puls, ob es Sinn für Freiheit hat? und da sieht es noch ziemlich schlecht aus. So weit man die Sache übersehen kann, ist der Sinn für constitutionelles Leben in den größern Städten vorhanden, der Bauer ist noch zu dumm und erkennt deßen Bedeutung noch nicht, darum ist er bei den Wahlen meist ein Spiel der Junker und der Regierung durch die Landräthe gewesen. Selbst hier in Berlin hat sich die Regierung Einschüchterungen erlaubt, die ans Gemeine grenzen. Doch sind hier die Wahlen zur Hälfte constitutionell ausgefallen und es hat sich mehr Theilnahme für die Verfaßung gezeigt, als man erwartet hat. Wir erwarten nun in diesen Tagen die Nachrichten über den Ausfall der Wahlen in den Provinzen. Hier in Berlin sind der GeneralSteuerdirektor Kühne, der OberPräsident a. D. v. Patow und der Archivarius Riedel6 aber auch Herr v. Manteufel7 und
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einige Ministerielle gewählt worden. j In dem Bezirk, wo Manteufel gewählt wurde, k rivalisirte Patow mit ihm und es gab einen sehr heftigen Wahlkampf, ehe Manteufel die absolute Majorität erhielt. Patow wurde aber gleichzeitig in einem andern Wahlbezirk gewählt. Diese Wahlen haben das Publikum sehr beschäftigt und in Spannung erhalten und da manche Doppelwahlen eingetreten sind (z. B. für Kühne) so wird an manchen Orten noch einmal gewählt werden müßen, was die Spannung noch eine Zeit lang unterhalten wird. Für heute genug, mein lieber Ernst. Dein Dich liebender Vater Haeckel Grüße Herrn Bertheau. Wo wirst Du denn das Klavier in Deiner Stube placiren? 1 2 3 4 5 6 7
Br. 100. Quincke, Hermann. Weiß, Christian Samuel. Weiß, Christian; er starb am 10.2.1853. Vgl. Br. 98, S. 142. Riedel, Adolph Friedrich Johann. Manteuffel, Karl Otto Freiherr von.
103. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 6./7. november 1852
Innigst geliebte Eltern!
Würzburg den 6/11 1852 Sonnabend Abend.
Wenngleich ich Gefahr laufe, mit diesem Briefe wieder einen von euch zu kreuzen, wie es uns bisher mita den beiden ersten beiderseits ergangen ist, so kann ich doch nicht länger mich enthalten, einmal wieder mein Herz (und zwar diesmal ein frohes) euch auszuschütten. Schon seit ein paar Tagen wollte ich euch immer schreiben, habe aber bis heute abend gewartet, weil ich immer glaubte, es würde von euch ein Brief ankommen. Vor allen also muß ich euch sagen, daß ich seit Mitte dieser Woche, seit Anfang der Kollegien, wie neu aufgelebt, und so munter bin, wie seit langer Zeit nicht. Ich hätte wirklich kaum geglaubt, daß ein dreimonatliches Bummeln einen solchen mißmuthig machenden und abspannenden Einfluß auf den Menschen haben könnte, wie ich es jetzt von der Zeit vom 1ten August bis 1ten November gesehen habe. Abgerechnet das bischen Heimweh, was sich noch regelmäßig, besonders Abends (auch oft noch recht heftig) einstellt, bin ich jetzt einmal wieder recht froh auf, und schreibe dies hauptsächlich der Lectüre von Humboldts Kosmos1 und dem prächtigen Kolleg v. Kölliker2 zu. Ich entschloß mich nämlich schon 2 Tage darauf, als mein großer lamento-Brief vom 1sten3 an euch abgegangen war, die Anatomie bei Kölliker anzunehmen, und habe es noch keinen Augenblick bereut. Die Materie, der Vortrag, die ganze Auffassung Köllikers ist so entzückend schön, daß ich euch gar nicht sagen kann, mit welchem Vergnügen ich und viele andere die Anatomie hören. Bis jetzt hat er uns einen histo-
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rischen Abriß der Anatomie, eine Übersicht über die || verschiedenen animalen und vegetativen Systeme des menschlichen Körpers gegeben, und heute auch eine „äußere Betrachtung“ desselben angefangen, die höchst anziehend und interessant ist. Kölliker selbst ist ein äußerst liebenswürdiger und interessanter Mann; dabei von einer vollendeten männlichen Schönheit, wie ich sie selten gesehn habe; besonders seine schwarzen Augen sind ganz prächtig. (Um euch eineb schwache Idee davon zu geben, folgt anbei der Abriß nach der Natur, wie ich ihn gleich in der ersten Stunde gemacht habe).4 Was das Schereresche Laboratorium betrifft, so erfuhr ich schon den folgenden Tag nach Abschickung des Briefes, auf genauer Erkundigung, daß es gar nicht so empfehlenswerth sei, daß Scherer sich wenig selbst darum bekümmere, und das meiste seinem ziemlich unerfahrenen Famulus5 überlasse. Ich war also des Zweifels und Schwankens bald genug überhoben. Mitc dem Köllikerschen Kolleg, wozu ich noch glücklicherweise einen der besten Plätze bekam, höre ich im Ganzen nun folgende Kollegien6: 1) A. Kölliker, Anatomie des Menschen, täglich von 11–1 Uhr, kostet 20 fl 2) H. Müller7, Anatomie der Knochen, Bänder und Sinnesorgane,8 4mal von 9–10 Uhr kostet 8 fl 3) F. Leydig9, Microscopische Anatomie oder Histologie des Menschen, 3mal von 5–6 Uhr kostet 8 fl 4) Prosector Siebold10, Secirübungen, beliebig, kostet 11 fl Außer diesen werde ich noch ein 3stündiges Publikum über deutsche Alterthumskunde11 und vielleicht noch die Kryptogamen-||kunde12 hören, wenn sie zu Stande kommen. Dann will ich ab und zu in dem einzigen mathematischen Kolleg13, das hier gelesen wird, und in Scherers „Chemie mit Rücksicht auf Physiologie“ hospitirend. Die Osteologie u.s.w. ist langweilig, aber genau, und ich bekomme dabei alle Knochen einzeln in die Hand, was ich benutze, um sie von vorn und hinten abzuzeichnen. Die Histologie bei Leydig, einem jungen, gescheuten Privatdocenten habe ich auf specielles Anrathen Köllikers angenommen. Die Secirübungen werde ich vorläufig liegen lassen, bis Kölliker e die betreffenden Muskeln durchgenommen hat; mit den Armmuskeln war ich übrigens fertig. – Köllikers Kolleg ist übrigens diesmal glücklicherweise nicht so überfüllt, weil viele sich durch das Gerücht der Überfüllung haben abschrecken lassen, hieher zu gehen. – f Meine Tageseintheilung hat sich nun schon etwas geändert: Um 7 aufgestanden und Kaffee getrunken; gelesen bis 9. 9–10 Osteologie 10–11 Knochen gezeichnet, 11–1 Anatomie 1–2 gegessen 2–3 Uhr Kaffee getrunken oder hospitirt. 3–5 Uhr gebummelt oder secirt, oder spazieren 5–6 Histologie 6–9 das Nachgeschriebene bei Kölliker ausgearbeitet 9–10 Kosmos gelesen, der mich wirklich mächtig anzieht, so daß ich mich ärgere, nicht eher an ihn gedacht zu haben. – Was im übrigen die Universität anlangt, so ist Philosophie und die andern, nicht medicinischen Wissenschaften, sehr schwach vertreten. Auch das Gebäude selbst ist ein komisches altes Ding.14 Meine Vorlesungen werden alle im g anatomischen Hörsaal15 gelesen, welcher barbarisch nach faulem Fleisch riecht und ganz außerordentlich klein und eng ist, so daß wir wie die Häringe geschachtelt sitzen, daß selbst der Tisch, an dem Kölliker liest, so dicht umstellt ist, daß er fast gar nicht heraus kann.
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Diese Übelstände werden jedoch alle durch den || Bau der neuen Anatomie beseitigt werden, die wahrscheinlich noch in diesem Monat eröffnet werden wird.16 Die Lage derselben ist folgende:
Ihr seht also, daß ich zu der neuen Anatomie noch viel näher, als zur alten habe, zu der ich erst durch den vordern Eingang des überaus großen und schönen Hospitalgebäudes hindurch muß. Wenn ich übrigens nicht auf der Anatomie schon genug Düfte genösse, so würde der Leimsieder mir gegenüber, und der Seifensieder nicht weit davon mir genug h dergleichen Genüsse darbieten, wie sie es in der That auch thun. Überhaupt ist die ganze Stadt ein furchtbar stinkiges Nest, wo man überall, besonders Abends, seine Geruchsnerven höchst verschiedenartig unangenehm irritirt sieht; vielleicht heißt es deßhalb „Würzburg“! – Das Hospital17 ist sehr schön und umfangreich und wird in ausgezeichnetem Stand erhalten; es soll aber auch 6 Millionen!! Gulden Revenuen18 haben. Außer der Unzahl Kranker in den 4 Etagen der vordern großen Front, wird noch eine kaum geringere Anzahl Pfründner19 in dem halb so großen Hintergebäude unentgeldlich versorgt. Der Gründer dieser schönen Stiftung ist i ein früherer Fürstbischof v. Würzburg, Julius v. Mespelbrunn20, dessen schönes eigenes Standbild vor dem Hospital (+) steht.21 || Was mein medicin-Studium anbetrifft, so werde ich tagtäglich von der Unausführbarkeit desselben gewisser überzeugt; um mich noch einmal zu versuchen, wohnte ich heute der chirurgischen Klinik im Hospitale bei, wo eine Krebsgeschwulst unter der Schulter operirt wurde; ich habe nicht nur für dies Semester, sondern für mein ganzes Leben genug davon. – Daß es übrigens nicht bloß j Hypochondrie ist, die mich davon abhält, könnt ihr z. B. daraus sehen, daß in den ersten Tagen meines Hierseins im Hospitale stark der Typhus herrschte, und ich nicht krank geworden bin, obwohl selbst der Mann, dessen Arm ich secirte, am Typhus gestorben war. – Die Anatomie
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für sich ist, wie gesagt, wunderschön, – aber nur keine Pathologie, keine Krankheitsgeschichten! – Ich komme nunmehr zur Beantwortung eurer lieben Briefe,22 über die ich mich, wie ihr euch denken könnt, herzlichstk gefreut habe; auch für den Inhalt der beiden Pakete habt herzlichen Dank, insbesondere Du liebste Mutter für deine mütterliche Sorgfalt und Güte, mit der Du wieder meine Wirthschaft ausgestattet hast. Die Würste und die anderen Leckereien schmecken vortrefflich. – Daß Du, lieber Vater, soviel l Weitläufigkeiten mit meinem Paß gehabt hast, thut mir recht leid; es sind eigentlich recht unsinnige Scheerereien. Mit den Kammerwahlen23 wirst du wohl auch wieder viel zu thun gehabt haben, und der Ärger wird nicht ausgeblieben sein. Nimm dir nur solche Sachen nicht zu Herzen; denn sonst ärgere ich mich darüber, daß du es thust. Soviel ich in der Zeitung24 gestern gesehen habe, sind die Wahlen ziemlich schlecht ausgefallen, wie z. B. in Erfurt Du Vigneau25 in Potsdam Jacobs26; nur am Rhein scheinen sie liberaler zu sein, da Kamphausen27, Hollweg28 u. a. gewählt worden sind. Hier hält man allgemein von Preußen und seinen Kammern gar nichts, fast ebenso wenig aber vom bayerischen König29 und Ministerium. || Sonntag früh. Was unsre gegenseitige Korrespondenz betrifft, so müssen wir mit dieser noch in Ordnung, da sich unsre Briefe bis jetzt gekreuzt haben, indem jeder mindestens 2 volle Tage geht. Ich gedenke euch immer am Ende der Woche über das in derselben erlebte und gethane zu schreiben. Dein erstes Paket, liebe Mamma, kam am Montag Abend an, nachdem ich früh meinen Brief abgeschickt. (N. B. Montag war hier außerordentlich hoher Festtag: aller Heiligen. Wir gingen Nachmittag auf den Kirchhof, wo alle (sehr zahlreiche) Gräber mit geschmacklosem Putz und Flitter geziert, oder vielmehr bis zum Quellen überladen waren. Das beste war noch eine große farbige Lampe, die über jedem Grabe neben 1000 andern Zierrathen hing). Das zweite Packet erhielt ich erst Donnerstag. Der alte Rock war übrigens das Porto kaum werth; ich hatte mir hier schon eine kattunene Kutte zum Seciren für 4 fl gekauft. Den alten, braunen Rock, den Du noch dort hast, kannst Du beliebig verschenken; ich trage ihn nicht m mehr. Für das niedliche Nadel- und Zwirn-täschchen den besten Dank; bei allen diesen Kleinigkeiten gedenke ich Deiner zärtlichen mütterlichen Sorgfalt; gestern habe ich es zum erstenmal angewandt, um 1 Kollegien-Heft zu heften. Georg Quinke grüße schön und sage ihm meinen herzlichsten Dank für die Besorgung des chemischen Buches30 (hast Du ihm wohl sein Moosherbarium31 wiedergegeben?). Die Bücher können übrigens warten, bis Du einmal per Fracht schickst; Du kannst dann später zugleich das mathematische Buch32 und den Echtermayer33 mitschicken; sowie auch „Trösteinsamkeit in Liedern“34. Letztere beiden Bücher n muß noch, zusammen mit Auerbachs Dorfgeschichten35, Emma36 (wenn ich nicht irre) haben. || Mit dem Schicken einzelner Packete per Post sei o nicht so splendid, da das Porto sehr theuer ist. Ich habe hier für den kurzen Transport auf bayrischem Gebiete noch 25 xr (7 ½ Sgr) nachzahlen müssen. Meine Briefe hebt ihr mir übrigens wohl auf, da sie zugleich mein Tagebuch sind; da ich euch doch alles schreibe, so will ich, um nicht doppelt zu schreiben, das besondere Tagebuch nicht mehr fortsetzen.37 Zugleich mit eurem ersten Brief kam auch ein Paket von Weber mit Pflanzen an, und einem sehr
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lieben herzlichen Brief.38 Es ist doch ein prächtiger Mensch, ein rechter gemüthvoller Norddeutscher, bei dem das Herz tief sitzt, und gegen so einen sind doch alle gemüthlichen Süddeutschen mit ihrer Offenheit und oberflächlichen Zuthulichkeit gar Nichts. – Meine Betten hätte ich übrigens füglich auch in Berlin lassen können, da meine Wirthin39 mir, ehe sie ankamen, sehr gute Matratzen geliehen hatte, und mir diese umsonst lassen wollte. Überhaupt bekommen hier die „HH. Doctoren“ auch außerdem noch manches von den Wirthsleuten in die Wohnung mit eingerechnet, z. B. Handtücher; meine Fr. Wirthin wunderte sich sehr, daß ich welche mitbrachte. – Nun noch eine Frage wegen des Öls. Meine Lampe brennt nämlich vortrefflich, kostet aber schrecklich viel Öl, jeden Abend etwa 1½–2 Sgr (6 xr); das ist freilichp sehr fein raffinirtes; soll ich vielleicht lieber eine gröbere Sorte nehmen, und wieviel? Soll ich immer einzeln ½ ∏f (kostet 18 xr) oder gleich einen halben Centner nehmen? Antworte mir doch hierauf genau. – In der Harmonie40 gab es vorigen Freitag wieder Dampfnudeln, die ich mir vortrefflich schmecken ließ. Soviel vom Materiellen! – || Das Local der Harmonie q (wo ich esse) gehört einer Gesellschaft41 r an (etwa wie unsre Ressource42 oder Casino43). Wenn man in diese eingeführt wird, kann man für 6 fl pro Semester s jederzeit das ganze Local mit seinen zahlreichen Zeitschriften, Billard u.s.w. benutzen, auch auf die sämmtlichen dort gegebnen Bälle gehen, die sehr großartig sind. Kölliker bot mir seine Empfehlung dazu an; ich habe es aber natürlich abgelehnt. – Wenn ihr von meinem lieben Ehepaar Nachricht bekommt, so theilt mir diese doch mit. Ich bin sehr begierig etwas von ihnen zu hören, besonders wie Mimmi Ziegenrück gefallen hat. Ich glaube, daß es ihnen dort recht gut gehen wird, und daß sie, wenn Gott sie ferner segnet, ein außerordentlich glückliches und schönes Leben führen werden; ich wünsche es ihnen von Herzen. Grüßt sie inzwischen recht herzlich von mir; sobald erst die ersten unruhigen Wochen vorbei sind, werde ich an sie schreiben, dasselbe an Tante Bertha. Auch meine Berliner Freunde grüßt, wenn ihr sie seht, namentlich das Kränzchen,44 auch Brauchitsch45 und Regenbrecht. Hat denn letzterer „Hackländers Soldatenleben“46 wieder gebracht? – Gestern Nachmittag habe ich bei Scherer in der medicinischen Chemie hospitirt; im Ganzen wird sie sich von der organischen, besonders von der Anthropochemie wenig unterscheiden. Sein Vortrag ist sehr anziehend, Scherer ist, wie auch Virchow47 und Kölliker, mit denen er das berühmte Würzburger Kleeblatt bildet, noch sehr jung. Alle 3 stehen noch im Anfang der Dreissiger. Und was werde ich in diesem Alter gethan haben? Wahrscheinlich nichts! Doch bis dahin ist noch lange Zeit, und vielleicht wird doch noch etwas aus eurem treuen alten Jungen Ernst Haeckel, stud. phil. 1 2
Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 5 Bde., Stuttgart; Tübingen 1845-1862; s. Haeckel- Jugendbibliothek, Nr. 1 (=1–4), hier Bd. 1–3, Stuttgart; Tübingen, 1845–1850; Bd. 5 nicht in der Haeckel-Jugendbibliothek nachweisbar. Rudolf Albert Kölliker las „menschliche Anatomie mit Ausschluss der Lehre von den Knochen, Bändern und Sinnesorganen“; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1852/53 gehalten werden. Würzburg 1852, S. 6; vgl. dazu Haeckel, Ernst: Anatomie des Gefaessystems und des
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Nervensystems vorgetragen im Winter 1852/53 von Professor Albert Koelliker; ders.: Anatomie von Koelliker, enthaltend die menschliche Myologie und Splanchnologie, und Abbildungen zur Angiologie und Neurologie; ders.: Anatomie der Muskeln, des Darmkanals, der Respirationsorgane im Winter 1852/53 vorgetragen von Professor A. Koelliker (egh. Vorlesungsnachschriften, EHA Jena, B 283, B 283b und B 284). Br. 100. Haeckel fertigte verschiedene Porträtskizzen von Kölliker an, von denen sich zwei (eine undat., eine vom 5.11.1852) in Vorlesungsnachschriften befinden; vgl. EHA Jena, B 284 und B 284b. Zwei weitere sind auf separate Blätter gezeichnet, wobei die auf den 3.11.1852 datierte Skizze vermutlich die im Brief genannte Beilage ist (siehe Abb. 25 und 26). Die ausgeführteste Skizze mit Köllikers Namenszug vom 5.11.1852 ist bereits gedruckt bei: Lerner, Reinhold: Haeckel zeichnet Kölliker. In: Mitteilungen aus dem Institut für Geschichte der Medizin an der Universität Würzburg. Bd. 4, Würzburg 1959, S. 1–4, hier S. 3. Die Skizze Köllikers übersandte Haeckel erst im folgenden Brief vom 14.11.1852; vgl. Br. 107, S. 169. Broili, Carl. Vgl. Verzeichniss der Vorlesungen 1852/53 (wie Anm. 2), S. 6–7. Müller, Heinrich. Vgl. Haeckel, Ernst: Anatomie des Gehörorgans vorgetragen im Winter 1852/53 von Professor Heinrich Müller (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 283). Leydig, Franz. Siebold, Gottfried. Friedrich Anton Leopold Reuss bot „Geschichte der deutschen Literatur (nach Wackernagel) verbunden mit deutscher Altertumskunde (nach Klemm)“ an; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen 1852/53 (wie Anm. 2), S. 9. Kryptogamen, nach der Linneischen Taxonomie die Pflanzenklassen (Bakterien, Algen, Moose, Flechten, Farne, Pilze), die keine Blüten bilden, d.h. deren sexuelle Vermehrung im Verborgenen stattfindet. Die Kategorie wird in der modernen Taxonomie nicht mehr verwendet. Die Vorlesung „Kryptogamenkunde“ wurde von August Schenk angeboten; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen 1852/53 (wie Anm. 2), S. 5; Haeckel, Ernst: Vortraege ueber die Kryptogamen im Wintersemster 1852/53 zu Wuerzburg gehalten von Professor Dr. August Schenk (EHA Jena, B 287b). „Elemente der gesammten Mathematik“, angeboten von Aloys Mayr; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen 1852/53 (wie Anm. 2), S. 8. Gebäude der „Alten Universität“ in Würzburg, 1582–1591 erbaut, heute Sitz der Juristischen Fakultät. Von 1723 bis 1853 fanden die anatomischen Vorlesungen im Gartenpavillon des Juliusspitals, der als anatomisches Theater eingerichtet war, statt. Das neue Anatomiegebäude (später Medizinisches Kollegienhaus) an der Nordseite des Juliusspital-Gartens war von 1853 bis 1883 Sitz des Anatomischen Instituts. Es wurde zum Sommersemester 1853 in Betrieb genommen; vgl. Br. 155, S. 297 f., bes. Anm. 36. Juliusspital zu Würzburg, der Spitalbau wurde 1576 von Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn aus dessen Privatvermögen gestiftet und 1585 fertiggestellt. Die Stiftung besteht noch heute. Frz.: Einkünfte. Inhaber einer ererbten oder erworbenen Stelle in einem Stift mit Anspruch auf unentgeltliche Wohnung und Versorgung. Echter von Mespelbrunn, Julius. Das Denkmal des Fürstbischofs Julius Echter von Mespelbrunn gegenüber dem Juliushospital, ein Werk des Münchner Bildhauers Max von Widmann, wurde 1847 aufgestellt; Verweis auf Standort in der Zeichnung „(+)“. Vgl. Br. 96–99. Die Wahlen der Abgeordneten zu den beiden Kammern zur III. Legislaturperiode des preußischen Landtags hatten am 3.11.1852 stattgefunden; vgl. Br. 98, S. 142, Br. 102, S. 152 f. Welche Zeitung Haeckel vorlag, ist nicht bekannt, doch ist anzunehmen, dass er die Ergebnisse der preußischen Kammerwahlen vermutlich dem von ihm gelesenen „Würzburger Abendblatt“
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entnahm, wo die Meldung über den Ausgang der Wahlen in Preußen am 9.11.1852 (Nr. 268, S. 1122) abgedruckt war. Du Vigneau, Justus Wilhelm. Jacobs, Ludwig. Camphausen, Otto von. Bethmann-Hollweg, Moritz August von. Maximilian II. Joseph, König von Bayern. Vgl. Br. 97, S. 140 f. und Br. 101, S. 150. Musterherbarium (Exsikkatensammlung) aus dem Besitz von Georg Quinke: Laub-Moose der Mittelmarck oder Sammlung der Laub-Moose, welche in der Flora Berolinensis des Herrn von Schlechtendal aufgeführt sind. Von F. L. Thiele, Berlin MDCCCXXVII (EHA Jena, E 5). Vgl. Br. 107, S. 165, bes. Anm. 6. Echtermeyer, Theodor: Auswahl deutscher Gedichte für gelehrte Schulen. Dritte, verb. und verm. Aufl., Halle 1842; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 131 (=238). Wackernagel, Philipp: Trösteinsamkeit in Liedern gesammelt. Frankfurt a. M. 1849; s. HaeckelJugendbibliothek, Nr. 130 (=237). Auerbach, Berthold: Schwarzwälder Dorfgeschichten. Bd. 1 und 2, N. F., Mannheim 1848/49; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 143 (=250–251). Dienstmädchen der Familie Haeckel. Ernst Haeckel führte während der Merseburger und Berliner Zeit sowie in Teplitz Tagebuch (alle EHA Jena). Seit dem Studienbeginn in Würzburg sollten seine Briefe an die Eltern die Funktion des Tagebuches erfüllen. Nur auf einzelnen Reisen (z. B. Rhönexkursion 1855, Alpenreise 1855, Nizza 1856, Ungarn 1857) führte er noch besondere Tagebücher. Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 25.–27.10.1852 (EHA Jena, A 16195). Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Vgl. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. Das ehemalige Adelspalais war auch Sitz der gleichnamigen Würzburger Bürgervereinigung „Harmonie-Gesellschaft“; vgl. Bandorf, Franz: 200 Jahre Harmonie-Gesellschaft Würzburg. Älteste Bürgervereinigung Würzburgs (Mainfränkische Hefte; 103). Würzburg 2003. Vgl. Br. 55, Anm. 6. Geselliger Verein mit Lesekabinett, dessen Lokal sich am Sixtitor in Merseburg befand. Vgl. Br. 94, Anm. 3. Brauchitsch, Max von. Friedrich Wilhelm Hackländer hat in seinen Werken mehrfach das Soldatenleben beschrieben. Vermutlich handelt es sich hier um den Roman „Bilder aus dem Soldatenleben im Kriege“, 2 Bde. Stuttgart; Tübingen 1849. Virchow, Rudolf Ludwig Karl.
104. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 8. november 1852, mit nachschrift von Hermine Haeckel
Liebster Bruder.
Ziegenrück 8 November 52.
Trotz meiner vielen Arbeiten läßt es mir keine Ruhe; ich muß an meinen lieben Hans1 einige Zeilen schreiben. Er muß wissen, daß sein Karl mit seiner Mimmi nun schon seit 8 Tagen glücklich in Ziegenrück2 hauset und daß es eine ganz besonders schöne Sache ist, mit einem geliebten Wesen in der eignen Haushaltung so innig zusammen zu leben. Die Reise ging glücklich von Statten. Am Donnerstag den 28st. bis Erfurt. Unterwegs in Merseburg Karo, mit Gedicht u. Blumenstrauß, und Simon3, am Bahnhofe; in Naumburg Frau GeheimRäthin Luther u. Frl. Luther.4 Zu Erfurt bei Herrn v. Brau-
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chitsch5 logirt u. sehr freundlich aufgenommen. Freitag, 29st., früh meine Einführung in das Kreisgerichts-Kollegium; dann mehrere Besuche (Heydloff ’s6, Keller’s7, Plonsky’s8) und Besorgungen. Nachmittag auf der Bahn bis Apolda, dann mit Post noch den Abend bis Kahla, wo wir, als beiderseits etwas erkältet, übernachteten. Sonnabend Vormittag auf direktem Wege || mit einem Hauderer9 bis Ranis dort bei Lindig’s Schwiegermutter10 zu Mittag. Nachmittags 3 Uhr etwa, bei leidlichem Sonnenschein, dera zwischen einigen Regenhuschen mitten inne lag, in Ziegenrück angekommen. Mimmi kriegte doch, wie sie mir nachher gestand, einen gelinden Schreck als sie das alte gelbe Nest b mit dem kolossalen Spitzdache zuerst von Ferne sah. Und der grandiose Eingang ins Schloß und Treppenaufgang verminderte diesen Horror nicht. Desto angenehmer war sie durch das Innere unsrer Wohnung überrascht. Die neutapezirten Räume mit der herrlichen Aussicht und den schönen neuen Möbles machen sich wirklich recht gut, und wir fühlten uns schon in den ersten Tagen ganz behaglich. Die Sachen sind sehr gut angekommen, vom Möblestransport nicht das geringste beschädigt. Die Wäschkisten aus Stettin, die Kiste mit Hochzeitsgeschenken u. meine Bücherkisten sollen erst noch kommen. Ja, mein lieber Junge, nun hätten wir’s endlich erreicht, einen eignen Heerd uns gegründet zu haben. Wie viel das für den jungen Mann werth ist, wirst du späterhin, hoffentlich nicht zu spät, selbst einsehen. Eine Jungesellenwirthschaft ist und bleibt ein trauriger Nothbehelf und giebt zu vielfachen || üblen Angewohnheiten Anlaß, die einem die Frau nachher abgewöhnen muß. Solltest mal sehen wie ich schon gezogen werde! Gefrühstückt u. gegessen wird in meiner Stube. Auch beim Arbeiten sitzt mein liebstes Wesen gewöhnlich des Abends mit dem Nähzeug neben mir, was ihr sehr gefällt. Einmal ist sie schon Strohwittwe gewesen, als ich Lokaltermin in Goessitz hatte, Mittwoch ist sie es wieder. Dann ist’s aber nachher auch eine um so größre Freude, wenn man wieder bei einander ist. Gestern haben wir die Visiten bei den Honoratioren der Stadt und in der Lämmerschmiede11 (wo ein Hammerwerks-Inspector Redtel12 lebt), abgemacht. Das Wetter begünstigte uns sehr, wie denn überhaupt in diesen 8 Tagen sehr gelind war. Deinen ersten Brief13 nach Berlin hat uns Mutter, zu unsrer großen Freude hergeschickt. Es wäre uns aber sehr erwünscht, wenn Du bald mal direkt schriebst. Mich interessirt sehr wie es Dir dort geht. c Du kannst ja manchmal die Briefe, wenn sie keine Eile haben, und doppeltes Schreiben Dir zu viel Zeit raubt, über hier nach Berlin schicken. Nun ade, alter liebster Junge: Wir haben schon oft in dem Gedanken geschwelgt, Dich Weihnachten bei uns zu sehen. Du mußt es möglich zu machen suchen. Grüße Bertheaud14 schönstens von mir und ich ließe || dfragen, wie sich der Fuchs15 aufführe. Hieher schreib: Ziegenrück in Thüringen, per Hof. Ade liebster alter Junge. Immer dein treuer Bruder Karl. || [Nachschrift von Hermine Haeckel] eEinen
herzlichen Gruß muß ich meinem lieben Bruder doch selbst sagen und ihn bitten uns recht bald einmal zu schreiben uns Weihnachten zu besuchen, um zu sehen wie glücklich wir uns fühlen. H. H.
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Kosename für Ernst Haeckel; vgl. Br. 25, Anm. 9. Karl Haeckel war im Oktober 1852 zum Assessor im Bezirk des Appellationsgerichts Naumburg ernannt und mit der Wahrnehmung der Kreisgerichtskommission zu Ziegenrück beauftragt worden. Vgl. Justiz-Ministerial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege hrsg. im Bureau des Justiz-Ministeriums. 14. Jg., Berlin 1852, Nr. 44, 29.10.1852, S. 373. Simon, Jakob Bernhard. Luther, Auguste, geb. Pinder; Luther, Henriette Sophie Emilie Magdalene. Brauchitsch, Adolph von. Heydloff, Carl Reinhold; Heydloff, Johanna Dorothea, geb. Krüche. Keller, Gustav Ludwig Emil Graf von. – Die Familie lebte auf dem Rittergut Stedten bei Erfurt. Plonski, Karl Friedrich Max von; Plonski, Auguste Marianne Friederike Luise, geb. Freiin von Düring. Lohnfuhrwerk, Mietkutscher. Schwiegermutter von Ernst Adolph Lindig. Die Hütten- und Hammerwerksanlage war 1849 von dem Schleizer Unternehmer Gustav Adolph Weisker an der Lämmerschmiede, einer Schneide- und Ölmühle an der Saale nahe Ziegenrück, wo bereits früher ein Hammerwerk bestanden hatte, errichtet worden. Sie erhielt den Namen Ludwigshütte, heute Ortsteil von Ziegenrück, war mit einem Hochofen, einer Dreherei, zwei Frischfeuern sowie 2 Stab- und 2 Schwanzhämmern ausgestattet und wurde durch 6 oberschlägige Wasserräder getrieben. Hierzu war die Krone des vorhandenen Saalewehres um 3 Fuß ¾ Zoll erhöht worden; vgl. Ziegenrücker Kreisblatt, Nr. 23, 9.6.1849, S. 104. – Ernst Haeckel hatte die Lämmerschmiede bereits bei seinem Aufenthalt in Ziegenrück im Sommer 1850 besucht; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 23.9.1850. Redtel, Rudolph Eduard Friedrich. Br. 95. Bertheau, Georg. In der Studentensprache Bezeichnung für: Neulinge, Studienanfänger.
105. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 9. november 1852
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 9/11 52
Heute erhielten wir Deinen lieben Brief1, den ich recht sehnsüchtig erwarttet hatte. Wie sehr freue ich mich, daß Du Dich nun schon besser gewöhnst, und frischer und lebensfroher bist. Die Bücher habe ich schon abgeschickt, wie Du jetzt bereits wissen wirst, ich werde das jetzt bestellte immer an einen bestimmten Ort legen, damit es nicht vergessen wird, wenn mal später was geschickt wird. – – Deine Briefe werde ich aufheben. Daß Du || einen lieben Brief von Weber2 erhalten hast, freut mich. Du mußt ihn Dir doch später mal nach Berlin kommen lassen. Zur Lampe mußt Du ja reines a raffinirtes Oehl nehmen, bei gewöhnlichem Oehl siehst Du schlecht, und verdirbst Dir Deine Lampe, übrigens glaube ich Du thust am beßten wenn Du Dir es von Deiner Wirthin3 besorgen läßt. – Damit bin ich aber gar nicht einverstanden, daß Du nicht Mitglied der Harmonie4 werden willst, Du mußt || unter Menschen, und mit ihnen leben lernen, da solltest Du das gütige Anerbieten von Professor Kölliker annehmen, und Dich dazu empfehlen lassen. –
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Ich denke bald schreibst Du uns wie es Dir b in der Harmonie gefällt. Uebrigens war in deinem Briefe nicht die versprochene Zeichnung von Professor Kölliker. – Heute hat Tante Bertha einen ausführlichen Brief5 von Hermine gehabt, worin sie viel von ihrem dortigen Leben schreibt, die Aussicht gefällt ihr sehr; und beide sind seelig, daß sie || sich, und ihre eigne Häuslichkeit haben. – So bald ich kann, denke ich Deine Freunde mal einzuladen, und werde Deine Grüsse bestellen, bis jetzt hat es sich nur noch nicht thun lassen. – Gestern Abend hatten wir eine kleine Gesellschaft bei uns, c veranlaßt durch die Anwesenheit des Frl. Schulz6 aus Bonn. Ihr Onkel, H. Pütmann, Lehrer im Kadettenhaus, mit Frau und 2 Töchtern,7 Brunnemanns, Julius und Adelheid und Heinrich8, Wilhelm u. Theodor9 waren hier. – Nun leb wohl Herzens Sohn, denke fleissig an Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6
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Br. 103. Vgl. ebd., Anm. 37. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Vgl. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. Nicht ermittelt. Schultz, Eugenie oder Schultz, Ottilie. Sie waren Töchter des preußischen Staatsrats Christoph Ludwig Friedrich Schultz, mit dem Carl Gottlob Haeckel seit dem Winter 1810/11 befreundet gewesen war. Beide lebten gemeinsam in Bonn. Vgl. Düntzer, Heinrich (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrath Schultz. Neue wohlfeile Ausgabe, Leipzig 1853, S. 38–41, 47 f. Püttmann, Marcellius F.; Püttmann, geb. Schultz, Ehefrau; Püttmann, Töchter, Namen nicht ermittelt. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Adelheid, geb. Reimer; Sethe, Heinrich Georg Christoph. Bleek, Wilhelm; Bleek, Theodor.
106. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 10./11. november 1852, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin 10 November 52.
Deinen lieben Brief1 vom 6ten/7ten haben wir den 9ten (früh) erhalten und daraus ersehen, daß Du nunmehr in eine heiterere beßere Stimmung gerathen bist, was uns sehr freut. Aller Anfang ist schwer und so soll es Dir auch gehen. Mir ist es auch so gegangen. Ich hatte in dem ersten halben Jahr in Halle furchtbares Heimweh, um so mehr, da ich nicht Aussicht hatte, meine Eltern vor 3 Jahren wieder zu sehn. Diese Entbehrungen sind aber die Einleitungen zur Bildung eines selbst ständigen Lebens und sie treffen nicht allein Dich, sondern auch uns, denn wir sind, nachdem nun unsre beiden Kinder das Haus verlaßen haben, wie verwaist und würden es noch mehr sein, wenn wir nicht Grosvater und Bertha in der Nähe hätten. Dazu kommt jetzt die traurige Jahreszeit, kurze Tage, trüber Himmel und viel Regen. Was mich noch etwas zerstreut hat, sind die Wahlangelegenheiten2 zum Landtage, die mich sehr mobil gemacht haben und eben so ist Mutter mit dem Einpaken von Carls Sachen noch sehr beschäftigt gewesen (Bücher etc.), so daß das Zimmer, was ihr bewohnt habt, erst
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vor kurzem etwas in Ordnung gekommen ist; da wird dann aber auch, wenn 8 Tage vorüber sind, mita großer Sehnsucht der Ankunft der Briefe von den Kindern entgegengesehn und wenn sie dann eingehn, dann ist große Freude, die dann sogleich dem großväterlichen b Hause mitgetheilt wird. So sind wir denn kaum zur Ruhe gekommen. Was die Wahlangelegenheiten betrifft, so kann man sagen, daß durch dieselben dem Volke an den constitutionellen Puls gefühlt wird; und so hat sich denn ergeben, daß die Bauern auf dem Lande in der Regel vom constitutionellen Leben noch wenig Ahndung haben, sondern noch ganz dem alten absolutistischen Royalismus ergeben, und in den Händen der Landräthe und Junkers sind. Das wundert mich auch gar nicht, da die Bauern unter dem Absolutismus der Könige ihre Freiheit erlangt c und den Königen viel zu verdanken haben. Auch sind sie zu unwißend und mit dem Terrain eben zu unbekannt, um einzusehn, daß ihre Freiheit unter dem Absolutismus keinesweges gesichert ist und daß dieser eben so gut d dazu benutzt werden kann, sie wieder in Sklaverei zu bringen. (Ist es denn in Frankreich etwa anders?) Anders ist es freilich in den größern Städten, wo man den Constitutionalismus zu begreifen anfängt und gegen die Verfaßung keinesweges gleichgültig ist. Dies hat sich auch hier in Berlin gezeigt, wo die Wahlen der Deputierten constitutionell und die Ministeriellen meist nur durch starke Einschüchterungen durchgekommen sind. Denn der Hof hat hier durch die vielen Beamten und die vielen Gewerbetreibenden und Handwerker, die hier leben, großen Einfluß und an Drohungen von seiner Seite hat es nicht gefehlt. Die constitutionelle Parthei wird in der nächsten Kammer nur schwach vertreten sein und die Ministeriellen und Junker werden das entschiedne Uebergewicht haben. Das wird dann auch Beschlüße zur Folge haben, die endlich der unwißenden Maße wohl fühlbar werden und ihr vielleicht die Augen öffnen dürften. Inzwischen ziehen die Gewitterwolken in Frankreich3 allmählich herauf und da wird es dann in einigen Jahren heißen: „Volk vor! vertheidige das Land, gieb Gut und Blut her!“ und da wollen wir dann sehen, wie sich das durch die Junker und den Absolutismus bedrükte Land nehmen wird? Große Ideen, wie die der constitutionellen Freiheit arbeiten sich nur unter schweren Kämpfen durch, sie dringen aber endlich doch durch, und die Vorsehung geht ihre || eignen Wege bei der geistigene Entwikelung des Menschengeschlechts. Ein Paar Tage habe ich mich über den Ausfall der Wahlen schwer geärgert, jetzt bin ich wieder ruhiger geworden und ich hoffe nun bald wieder meinen Studien zu leben. Was nun Dich betrifft, mein lieber Ernst, so wirst Du inzwischen unsern Brief4 erhalten haben, worinn wir Dich zum medicinischen Studio ermuntern. Du kannst nun um so mehr ganz ruhig darin fortschreiten, als wir Dich so nicht zum Beruf eines praktischen Arztes zwingen wollen, wenn es sich wirklich auf die Länge ergeben sollte, daß er Dir nicht zusagt. Daß Du aber den medicinischen Cursus durchmachen mußt, darüber sind auch alle Deine sachkundigen Freunde einig. – Profeßor Weiss5 hatte nach seiner hiesigen Ankunft einen Rükfall bekommen, ist aber in der Beßerung, auch er ist der Meinung Deiner übrigen Freunde. Daß Du ein so geistreiches Collegium über die Anatomie hörst, ist ja sehr schön. (NB. Der Abriß von Kölliker6 den Du uns schicken wolltest, hat dem Briefe nicht beigelegen). Du scheinst ja mit Kölliker bekannt geworden zu sein. Schreibe uns doch etwas darüber und folge seiner Offerte, die Bälle der dortigen Harmonie7 zu besuchen; Du brauchst ja nicht zu tanzen. Ich selbst nehme ohne zu tanzen, recht gern einige Stunden an einem Balle Theil. Vergiß ja nicht, Dir täglichef Bewegung zu machen, das verlangt auch Dein Knie,
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sonst kommt es nicht ins Gelenk; das verordnete schon der alte Rosener Schulze8. Du brauchst Dich ja nicht zu übernehmen. Wie bekommt Dir denn das Pflaster?9 Du wirst nicht sogleich, sondern erst allmählich Wirkung spüren. Auch das Billard ist bei schlechtem Wetter eine sehr gute Bewegung. Ich setze überhaupt voraus, daß Du Dich (um auch Zeitschriften etc. zu lesen) in die Harmonie hast aufnehmen laßen. – Der 2te Theil von Humbolds Kosmos10 hat mich ebenfalls sehr angesprochen. Vorigen Sonnabend war ich [in] der geographischen Gesellschaft11 in welcher Ritter12 wieder manche intereßante Mittheilungen machte, besonders einen Brief über Südafrika. Wilhelm Bleek sucht die Notabilitäten fleißig auf. Ich glaube, er traut sich zu viel zu, er möchte Dir etwas von seiner Ueberschätzung und Du ihm etwas von Deiner Unterschätzung abgeben, da würde sich die Sache ausgleichen. Ich will deshalb nicht sagen, daß er ohne Kenntniße und Talent sei. Ob er aber die rechte Bahn, die er gehen soll, treffen und darin aushalten wird, ist eine andre Frage. – Schreibe uns nur immer, wie in Deinem letzten Briefe, wie Du lebst und was Du treibst, recht ausführlich. Wir werden Deine Briefe als Tagebuch aufheben; und Du sollst auch alle Wochen von uns einen Brief haben. Ich habe ja Zeit zum Schreiben und rekapitulire auch gern meine Beschäftigungen und was ich erlebt habe. Diesen Winter bin ich nun schon orientirt und weis, was ich zu thun habe und wie ich meine Zeit eintheile. Nun meine lieben Jungens aus dem Hause sind, möchte ich gerne noch ein Paar Jahre leben, um zu sehen, wie sich ihr weiteres Leben entwikelt. In Euch Kindern leben wir ja, g mit Euch und in Euch und Ihr seid unser schönstes Besitzthum. Gott nehme Euch in seine Obhut und erhalte Euch zu Eurem Gedeihen und zu unsrer Freude. Dein Dich liebender Vater Haeckel Hast Du denn Lachmanns Bekanntschaft gemacht, den Dir Lichtenstein empfohlen hat?13 [Nachschrift von Charlotte Haeckel] 11/11 Guten Morgen, lieber Ernst Daß Du siehst, daß wir Dir auch alles aufrichtig schreiben, muß ich Dir noch sagen, daß ich gestern unwohl war und bis 1 Uhr im Bette bleiben mußte, heute bin ich wieder ganz gesund. – Heute zu Mittag sind Anna und Karl Benecke aus Frankfurt (Oder)14 u. Heinrich15 bei uns, wir lassen noch Regenbrecht bitten. hGrüße Bertheau. 1 2 3 4 5 6 7 8
Br. 103 Vgl. ebd., S. 156, bes. Anm. 23. Die Großmachtpolitik des 1851 an die Macht gekommenen Kaisers Napoleon III., die in Deutschland die Befürchtung eines erneuten Krieges mit Frankreich anheizte. Br. 101 und 102. Weiß, Christian Samuel. Eine Porträtskizze von Rudolf Albert Kölliker; vgl. Br. 103, S. 154, bes. Anm. 4. Vgl. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. Vielleicht Simon Schultz († 1679), Stadtphysikus von Thorn.
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Eventuell Emplastrum miraculosum Schultzii, nach dem Mediziner Simon Schultz benanntes ‚Wunderpflaster‘, welches neben Campheröl auch Seife enthielt. Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. Bd. 2. Stuttgart; Tübingen 1847. Vgl. Protokoll der 7. Sitzung am 6. November 1852. In: Monatsberichte über die Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Hrsg. von T. E. Gumprecht. N. F., Bd. 10, Berlin 1853, S. 208 f. Ritter, Carl. Vgl. Br. 98, S. 142. Bennecke, Anna; Bennecke, Carl Ludwig. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann.
107. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 14. november 1852
Meine lieben Eltern!
Sonntag 14/11 52 früh.
Ich benutze die Sonntagsfrühe, da ich doch bei dem ganz schauderhaft stürmischen und regnerischen Wetter nicht auskomme, um euch auf eure beiden Briefe,1 denen ich mit Sehnsucht entgegengesehen hatte, zu antworten. Den ersten erhielt ich richtig mit den Büchern, wie ich mir gedacht hatte, als ich meinen letzten an euch eben auf die Post getragen. Der zweite überraschte mich gestern Nachmittag zugleich mit einem von Karl, der mit seiner Mimi ganz selig zu seina scheint, worüber ich mich v. Herzen freue. Als ich Sonntag um 10 Uhr mit dem Brief auf der Post war, dachte ich: „du willst doch einmal versuchen, ob du nicht eine evangelische Kirche findest“, und kam grade richtig noch zum letzten Verse, ehe die Predigt anging, hin. Der Text war das Evangelium von dem Knechte, dem der Herr seine ganze Schuld erließ, und der dann seinen Mitknecht einer kleinen Schuld wegen ins Gefängniß werfen ließ;2 der Prediger, ein lebendiger, junger Mann,3 sprach zuerst von der unendlichen Gnade Gottes, und dann, wie wir uns ihrer würdig zeigen müßten und könnten. Die Predigt gefiel mir außerordentlich, theils an und für sich, theils auch wegen der schönen, großen Gemeinde, die wirklich etwas zur Andacht stimmendes hatte. Die Kirche4 war ziemlich schmucklos, ein einfaches, sehr hohes Schiff von der Breite des Merseburger Doms, aber mindestens noch einmal so lang. Dieser ganze ungeheure Raum war so dicht mit Menschen besetzt (wenigstens 800–900), da es die einzige evangelische Kirche hier ist, daß die Leute im eigentlichsten Sinne des Worts bis an die Thür standen. Ihr braucht deßhalb nicht auf eine Analogie mit Friedrich5 zu schließen, daß ich die Predigt schön gefunden hätte, weil viele Leute darin waren; aber ich hatte noch nie eine so große Gemeinde gesehen, und mitten in einem katholischen Lande ist b ein solcher Anblick mit seiner feierlichen Ruhe wirklich erhebend. || Als ich nach Hause kam, fand ich euer Bücherpacket vor; sehr lieb wäre es mir gewesen, wenn auch „van Swindens“ c Elemente der Mathematik6 dabei gewesen wären; doch diese kann, nebst dem Echtermayer7, nun warten, bis ihr mal gelegentlich was zusammen schickt. Daß Ihr doch meint, ich sollte den Dr. medicinae durchführen, darüber bin ich, ehrlich gestanden, etwas erschrocken; ich glaube, daß ich noch eher Dr. philosophiae (erschrick nicht, liebes Mutterchen! mit der Philosophie selbst ist es so
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ernst nicht gemeint!) werde. Doch verspare ich alle Auseinandersetzungen über diesen wichtigen Punkt auf die mündliche Besprechung d zu Ostern. Ich bin wenigstens froh, daß ich weiß was ich den Winter zu thun habe; und will mir die Anatomie, so e gut es geht, f tüchtig einpauken, wozu mir durch das vortreffliche Kolleg und die guten Seciranstalten aller Vorschub geleistetg ist. – Da es Sonntag sehr schönes Wetter war (das entgegengesetzte von dem heutigen) so machte ich mit Bertheau und mehreren Freunden desselben Nachmittags einen Spaziergang nach Dürrbach8, einem Dorfe, was jenseits der nächsten Weinberge auf dem diesseitigen (rechten) Ufer liegt (¾ Stunden weit). Auf der Höhe des sehr steilen Bergrückens (siehe unten die Figur) genießt man eine herrliche Aussicht auf die Stadt und Veste; am schönsten aber erscheint der Main, der hier in einer anmuthigen Biegung am Fuß der Höhe hinströmt, und weiter oben zwischen höheren Ufer in der Ferne durchblickt. Grade gegenüber dem Berg, auf dessen Höhe wir standen, liegt im Thale höchst romantisch ein Kloster9; mehrere andere weiter unten, wie man hier überhaupt überall auf Kirchen und Klöster in Menge stößt. || Im übrigen ist diese Woche ziemlichh ruhig und alltäglich für mich verflossen, da ich nun schon mehr ins Arbeiten hereinkomme, was anfangs gar nicht ging; besonders schön ists jedoch auch jetzt noch nicht gegangen; denn das Heimweh, von dem ich vor 8 Tagen schon glaubte, es überwunden zu haben, stellte sich wieder recht heftig ein; besonders, wenn ich Abends so allein da sitze, lauft ihr und mein Ziegenrücker Pärchen mir immerfort über das Papier; und trotz aller Mühe, die paar Gedanken, die ich noch von allen Sorgen und Grübeleien behalten habe, recht zusammen zu halten, kann ich doch keine 2 oder 3 Sätze, selbst im Schleiden10 oder Humboldt11, im Zusammenhang lesen, ohne daß sie mir wieder weglaufen, besonders nach Berlin. Ich glaubte, es würde hier nicht so schlimm, wie in Merseburg, wo mir jeder Ort und Gegenstand das Zusammenleben mit euch zurück rief, werden; aber es stellt sich nun eine ganz andere, ich möchte sagen idealere, Art von Heimweh ein. Indeß glaube ich doch, daß es auch so gut ist, und lerne schon etwas den Nutzen des Alleinseins einsehn. Ich war auch ein paar mal Abends mit Bertheau und seinen Bekannten in einer Kneipe; allein es will mir nicht recht gefallen; nicht, daß i sie etwa roh wären; im Gegentheil, sie sind viel solider, als ich gedacht hatte; aber die einzige Unterhaltung fast, die sie kennen, ist Kartenspielen, besonders Whist12, wozu ich eben keine Lust habe;
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und die Gespräche handeln fast nur von medicinischen Fachgegenständen, namentlich chirurgischen Operationen, die ich nun so ziemlich satt bin. Dagegen habe ich eine sehr nette Bekanntschaft aus Berlin erneuert; es ist dies ein Kölner „de la Valette Saint George“13 den ich auf einer Excursion in Berlin, obwohl bloß dem Äußern nach kennen lernte. Er ist auch bekannt mit Wittgenstein14, und studirt gleichfalls bloß Naturwissenschaften; wirdj sich jedoch hier mehrere Semester aufhalten, da er sich nebst || Chemie und Botanik hauptsächlich auch auf vergleichende Anatomie, den Hauptzweig der Zoologie, werfen will, und hierzu die menschliche Anatomie gleichfalls braucht. Auch er ist kein besondrerk Freund von Mathematik und will später den Dr. philosophiae machen, wozu man sich, wie ich von ihml gehört habe, in 4 Fächern (z. B. Botanik, Chemie, Physik, Zoologie) examiniren m lassen muß, jedoch bloß in einem vollständig beschlagen sein muß. Dann will er sich vielleicht als Docent habilitiren; dies geht auch recht gut, da er von seinen Renten leben kann. Er sagte mir übrigens, daß auch Wittgenstein im Begriff wäre, umzusattlen, wahrscheinlich auch bloß zu den Naturwissenschaften. Wenn ihr diesen seht, sprecht doch mit ihm darüber, und fragt ihn, wie er es zu halten gedenkt. – Gestern n habe ich einen höchst genußreichen Abend gehabt. Ich war nämlich in der „physikalischen Gesellschaft“15,o deren Präsident jetzt Virchow ist, und p deren Mitglieder sämmtliche hiesige Notabilitäten, auch naturforschende Nicht-Notabilitäten sind. Jedoch erhalten auch Studirende Zutritt; ich erlangte ihn durch meinen Nachbar im Köllikerschen Kolleg, einem Schweizer, bekannt mit Kölliker, Dr. phil., mit Namen „Gsell-Fels“16, der sehr freundlich und gefällig q gegen mich ist. Wie ich gestern hörte, ist er schon verheirathet, und noch nicht lange hier; was er treibt, habe ich nicht erfahren. Die physikalische Gesellschaft setzt r ihre Thätigkeit, wie die meisten derartigen (auch die geographische in Berlin) außer in Korrespondenzen, Austausch u.s.w. hauptsächlich in freie Vorträge, deren gestern 3 gehalten wurden, die von 6–9 Uhr Abends dauerten. || Den ersten Vortrag hielt Professor Schenk17, der hiesige Botaniker, bei dem ich wohl auch noch hören werde, ein sehr geistreicher und geschickter junger Mann, der leider einen etwas holprigen, schlechten Vortrag hat, über seine botanische Ferienreise in die untern Donaugegenden, die Wallachei, Ungarn Siebenbürgen und die Karpathens. Die Flora dieser Gegenden stimmt in der Ebene fast durchaus mit der Steppenflora von Südrußland, im Gebirge mit der Alpenflora des Kaukasus überein. Wälder giebt es wenig, da sie meist abgeholzt, oder abgebrannt werden, um Schafweiden zu gewinnen, dagegen viel undurchdringliches Unterholz. Die Gebirgsgegenden sind meist sehr öde; oft tagereisenlang nur 1 einzige Grasart (Agrostis rupestris)18 in der Steppenebene oft nur Poa glauca19. An manchen Strecken, besonders um die Natronseen Salzpflanzen. Kulturpflanzen ausschließlich: Wein, Weizen, Mays. t Außer diesen und vielen andern speciell botanischen Ergebnissen, theilte er auch noch viele höchst interessante geologische und oryktognostische20 Notizen mit; z. B. über das Vorkommen bedeutender Schlammvulkane in Ungarn, von denen noch Niemand bis jetzt etwas gewußt hat. Sodann erzählte er viel von den Sachsen in Siebenbürgen, was besonders Dich, liebes Väterchen, sehr interessirt haben würde. Die Sachsen haben sich bis jetzt noch sehr rein erhalten, sprechen das alte plattsächsisch (während ihre Kinder jetzt hochdeutsch gelehrt werden) haben noch alle deutschen Sitten und Gewohnheiten behalten, und hängen noch sehr an Deutschland. Von ihren slawischen Nachbarn, die auch keine Stiefel oder Schuhe tragen, || unterscheiden sie sich äußerlich sogleich durch ihr langes
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Hemde, während diese ein kurzes dito über den Hosen tragen. Höchst merkwürdig ist, daß sie auf alle Fragen über ihre Herkunft steif und fest behaupten, wie dies auch in ihren alten Urkunden steht, von dem Rattenfänger aus Hameln dorthingeführt zu sein, welche Sage bekanntlich auch in Deutschland ganz allgemein ist.21 – Den 2ten Vortrag hielt Professor Virchow u gleichfalls über seine Ferienreisev, die allerdings einen etwas andern Gegenstand zum Zweck hatte, nämlich den Cretinismus22 in Unterfranken. Er theilte darüber gleichfalls eine Menge, für Mediciner höchst interessante, Data mit, die auch in socialer Hinsicht sehr wichtig sind; mit deren Wiedererzählung ich jedoch euch und mich nicht amüsiren will; z. B. empfahl er uns, eine Reise in die cretinreichsten Districte zu machen, weil man dort erst dahinter komme, wasw die Natur für Karrikaturen aus dem Menschen zu machen vermöge. Unter anderem habe er eine 21jährige Cretine von 84 Centimeter (2½ Fuß) Höhe gesehen, deren Kopf 54 Centimeter Umfang hatte, und deren Fuß 17 Centimeter lang war, u. dergl. mehr. Übrigens ist es wirklich erstaunlich, was für eine Masse Cretins es hier giebt; in einem kleinen Orte fand er deren über 20. Besonders häufig sind sie am Abhang des Gebirgs, in der Nähe des Flusses. In den trocknen Ebenen, und im Gebirg selbst fehlen sie. Er meint, daß der Cretinismus hauptsächlich von localen Ursachen, von miasmen23 oder so etwas herrühre. || Den dritten Vortrag hielt Professor Osann24, der hiesige Physiker, über einige seinerx Arbeiten im Gebiet der Electricität. Unter anderm hatte er ein neues Electrometer25 construirt. Erst hielt er eine langweilige mathematische Explication, von der ich nicht viel verstand, weil er ein sehr schlechtes Organ hat; dann zeigte er einige sehr interessante Experimente; das erste war: Wenn man Zink in verdünnter Schwefelsäure hält, entwickelt sich, wie bekannt, Wasserstoff; wenn man nun das Zink, von dem die Gasentwicklung allmählich vor sich geht, mit Platin in Berührung bringt, steigt von diesem plötzlich ein höchst intensiver Strom von Wasserstoffgas in die Höhe.26 Dann zeigte er noch einen sehr starken, inductorischen Rotationsapparat27, und experimentirte damit an sich selbst und an Prof. Kölliker. Bei Schließung der Kette bekam man sogleich die heftigsten Krämpfe und Gliedverdrehungen. – Die ordentlichen Mitglieder blieben nun noch zur Soiree, wo es sehr nett her gehen soll, da; wir, Lavalette und ich, drückten uns. Was mir besonders an der Zusammenkunft angenehm auffiel, war die ungeheure Gemüthlichkeit und Zwanglosigkeit, mit der die Professoren sowohl untereinander als mit den andern Leuten verkehrten, und von der man in Berlin, namentlich unter Professoren, keinen Begriff hat. – Doch nun zur Beantwortung eurer Anfragen und Bemerkungen, wie sie mir grade durcheinander unter die Hand kommen. In Halle habe ich die 15 rℓ an Weber u.s.w. gegeben, wie dankbar sie waren, kannst Du Dir denken.28 Den alten Rock habe ich dummer Weise vergessen, abzugeben; ich will ihn aber morgen noch nachschicken. Was das Einrahmen der Bilder betrifft, so sind sie || glaube ich, nicht bezahlt, wenn es nicht durch Emma29 geschehen ist, während wir ausgegangen waren. – An ein Klavier in meiner Stube ist vorläufig nicht zu denken, da jeder Platz so dicht besetzt ist, daß ich mich selbst kaum umdrehen kann, besonders da ich nun außer dem großen runden noch einen kleinen viereckigen Tisch bekommen habe. Ihr müßt nuny nicht vergessen, daß ich im Grundriß meiner Stube die Dicke der meubles nicht mitgezeichnet habe. Mir gegenüber wohnt aber ein Freund von Bertheau, der mir erlaubt hat, so oft ich will, auf seinem schönen Klavier zu spielen.30 –
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Mit meinem Knie geht es jetzt ganz leidlich, obgleich es nach wie vor knackt. In den 2ten Acht Tagen meines Hierseins hatte ich ziemlich arge Schmerzen zuweilen, vielleicht in Folge des Pflasters31; ich werde nun bald ein neues streichen. – Die Bekanntschaft Lachmanns werde ich nächstens machen, ich habe mir ihn vorläufig von La Valette zeigen lassen, und daraus gesehn, daß ich ihn schon in Berlin, wahrscheinlich auf der Excursion mit Braun32, zugleich mit la Valette, gesehn habe. – Eine große Freude muß ich euch noch erzählen, die ich vorgestern gehabt habe. Ich ging nämlich in der Dämmerung auf dem Platz am Main spatzieren, wo die Schiffe abladen; plötzlich erblicke ich am Ufer zwischen Gestrüpp die seltne Kohlart (Brassica nigra)33 die ich in Merseburg zuerst gefunden hatte. Als ich sie nun abpflücke, entdecke ich am Boden unter ihr eine merkwürdige, sehr nette, ihr verwandte, mir noch ganz unbekannte, gleichfalls gelbblühende Crucifere34. Als ich sie zu Haus bestimme ist es die seltne Diplotaxis muralis35: Ungeheure Freude! || Mit Kölliker bin ich nicht näher bekannt geworden. Was er mir anbot, und sagte, war bloß, als ich mir den Platz holte. Übrigens soll er seine Empfehlung für die Harmonie36 fast jedem anbieten. Es ist auch schon ganz überfüllt, und wird wohl Niemand mehr aufgenommen. Übrigens ist es mir auch gar nicht leid, da man in solchen Zusammenkünften nur unter Umständen Genuß hat. Ich für meine Person bin auf jedem Ball bis jetzt traurig und düster geworden; ich weiß nicht, warum? Es geht mir, wie dem in Wallenstein: (ich glaube es ist Max Piccolomini): „Ihr wißt, daß groß Gewühl mich immer still macht!“37 – Die Skizze von Kölliker hatte ich vergessen. Sie folgt anbei.38 Er sieht aber viel edler, sinniger und feiner aus; dazu kommt noch seine sehr schöne, zierliche und doch kräftige Gestalt. – || Daß Du, liebste Mutter, krank gewesen, thut mir sehr weh; halt dich ja recht munter; sonst werde ich hier nicht einmal ruhig eurer gedenken können. Ich freue mich jetzt schon auf Ostern (resp. Ziegenrück und euch). Das wird diesmal ein schönes Weihnachten werden; o jemine, so ganz allein! – z Morgen will ich auch an Karl schreiben.39 – Bewegung habe ich übrigens genug, schon durch die bloßen Wege nach der Universität, die sehr weit ist, u.s.w. – Nun für diesmal lebt recht wohl. Herzliche Grüße an alle Verwandte und Freunde. Innigen Gruß und Kuß von eurem treuen alten Jungen E. H. 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Br. 105 und 106. Matthäus 18, 23–35. Wahrscheinlich Friedrich Fabri. Nach der Inkorporation des Bistums Würzburg in das Königreich Bayern 1803 war erstmals auch die evangelische Konfession in Würzburg zugelassen worden. Als Pfarrkirche erhielt die evangelische Gemeinde die bisherige Benediktiner-Abteikirche St. Stephan. Vermutlich Friedrich Heimstädt, der Lohndiener der Familie Haeckel in Merseburg. Swinden, Jan Hendrik van: Elemente der Geometrie aus dem Holländischen übs. und verm. von C. F. A. Jacobi. Jena 1834; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 63 (=104); vgl. Br. 100, Anm. 24. Echtermeyer, Theodor: Auswahl deutscher Gedichte für gelehrte Schulen. Dritte, verb. und verm. Aufl., Halle 1842; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 131 (=238). Ober- und Unterdürrbach (heute Stadtteile von Würzburg), nordwestlich der Innenstadt gelegen.
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Kloster Oberzell. Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 30 (=56). Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 5 Bde. Stuttgart; Tübingen 1845–1862; s. Haeckel-Jugendbbliothek, Nr. 1 (=1–4), hier Bd. 1–3, Stuttgart; Tübingen 1845–1850. Kartenspiel für vier Personen, aus dem das Bridge-Spiel hervorgegangen ist. La Valette St. George, Adolph Freiherr von. – Er hatte zu Michaelis 1851 ein Studium der Medizin an der Universität Berlin aufgenommen und war zum Winterhalbjahr 1852/53 nach Würzburg gewechselt. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Physikalisch-medizinische Gesellschaft in Würzburg, eine medizinisch-naturwissenschaftliche Gelehrtengesellschaft. Sie ermöglichte es auch interessierten Praktikern und Studenten, an ihren Vorträgen und Forschungsaktivitäten teilzunehmen. Gsell-Fels, Johann Theodor. Schenk, Joseph August. – Zum Gegenstand seines Vortrages vgl. Grisebach, August / Schenk, August: Iter hungaricum a. 1852 susceptum. Beiträge zur Systematik der ungarischen Flora. In: Archiv für Naturgeschichte. 18. Jg., Bd. 1, Berlin 1852, S. 291–362. Agrostis rupestris All., Felsen-Straußgras, Familie: Süßgräser (Poaceae). Poa glauca Vahl., Blaugrünes Rispengras, Familie: Süßgräser (Poaceae). Oryktognosie, ältere Bezeichnung für Mineralogie. Grimm, Jacob / Grimm, Wilhelm (Hrsgg.): Deutsche Sagen. Bd. 1, Berlin 1816, S. 330–333 (Nr. 244: Die Kinder von Hameln). Rudolf Virchow hatte nach seiner Berufung nach Würzburg umfangreiche empirisch-statistische Untersuchungen über das Vorkommen des Kretinismus in Unterfranken angestellt und darüber am 13.11.1852 in der physkalisich-medizinischen Gesellschaft berichtet; vgl. Virchow, Rudolf: Ueber die Verbreitung des Cretinismus in Unterfranken. In: Verhandlungen der physikalisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg. 3. Bd., Würzburg 1852), S. 247–276. – Der Begriff Kretinismus bezeichnet in der medizinischen Pathologie eine durch körperliche und geistige Zurückgebliebenheit charakterisierte Entwicklungsstörung, die durch eine unzureichende Hormonproduktion der Schilddrüse verursacht wird. Die hormonellen Ursachen des Kretinismus wurden erst um die Wende zum 20. Jahrhundert entdeckt. Ausdünstungen, die als Ursache von Infektionskrankheiten galten. Osann, Gottfried Wilhelm. Osann, Gottfried Wilhelm: Neue Versuche, angestellt mit dem Zinkagometer. (Vorgetragen in der Sitzung vom 13.11.1852.) In: Verhandlungen der Physicalisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg. 3. Bd., Würzburg 1852, S. 312–316. Osann hatte ein Gerät zum Messen elektrischer Ströme (Elektrometer) konstruiert, bei welchem statt Metall Wasser als Leiter zum Einsatz kam, welches er Zinkagometer nannte. Die stromdurchflossenen Leiter in herkömmlichen Elektrometern erhitzten sich in Abhängigkeit von der Stromstärke und zeigten dann unterschiedliche Wiederstandsverhalten, die im Nachgang als Störgrößen kompensatorisch herausgerechnet werden mussten. Wasser zeigte ein solches Verhalten nach seinen Experimenten nicht. Vgl. Osann, Gottfried Wilhelm: Erfahrungen in dem Gebiete des Galvanismus. Für Physiker, Chemiker und Techniker. Erlangen 1852, S. 31–45. In Anlehnung an Johann Wolfgang Döbereiner hatte sich Osann auch mit elektrochemischen und katalytischen Vorgängen beschäftigt. Im Zusammenhang mit den Experimenten zu seinem Zinkaganometer stellte er fest, dass bei Kontakt des zuvor in Salzsäure getauchten Zinkbleches mit Platin, die Zersetzung des Zinks schneller verlief und der Wasserstoff in größerer Menge am Platin austrat. Er sah darin einen Übergang rein chemischer (nur Zink mit Schwefelsäure) und elektro- oder galvanochemischer Reaktion (Zink mit Schwefelsäure unter Kontakt mit Platin), wobei das Zink und das Platin bei Kontakt eine galvanische Kette bildeten und die Reaktionsprodukte (Wasserstoff und Chlor) zu den elektrischen Polen gezogen würden. Diese Polarisierung begünstigte für ihn die Reaktion entsprechend der chemischen Wahlverwandschaften. Da
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nun der Wasserstoff zum Platin und das Chlor zum Zink gezogen wird, konnte das Chlor das Zink um vieles schneller zersetzen als zuvor. Vgl. Osann, Erfahrungen (wie Anm. 25), S. 42 f. Neben weiteren anderen Geräten hatte Osann nach dem Vorbild von Neef auch einen sog. Hammerinduktionsapparat gebaut. Durch Anlegen eines Stromes an ein mit Draht umwickeltes Bündel Eisenstäben wird ein Magnetfeld induziert, welches den federnden Kontakt zur Ladungssäule unterbricht. Läßt dieses wieder nach, stellt sich der Kontakt zurück und der Stromkreis ist wieder geschlossen. Das Öffnen und Schließen des Kontakts, welcher als Hämmerchen ausgeführt war, verursachte je nach angelegter Stromstärke unterschiedliche Geräusche, weshalb Osann den so konstruierten Apparat als ein Instrument zum akkustischen Messen von Strömen ansah. Vgl. Osann, Erfahrungen (wie Anm. 25), S. 73 f. Vgl. Br. 101, S. 150. Dienstmädchen der Familie in Berlin. Wahrscheinlich der Schweizer Johann Theodor Gsell-Fels, im Winter 1852/53 Ernst Haeckels „Nachbar“; vgl. Br. 111, S. 177. Er war sehr vermögend und hatte sich in Würzburg zusammen mit seiner seiner Frau einen aufwendigen Hausstand eingerichtet. Haeckel gestattete er auch die Benutzung seiner gut sortierten Bibliothek; vgl. Br. 181, S. 371. Vgl. Br. 106, Anm. 9. Braun, Alexander. Brassica nigra (L.) W. D. J. Koch., schwarzer Senf, Familie: Brassicaceae (Kreuzblütler). Crucifere, eigentl. „Kreuztragende“, alter Name für die Pflanzenfamilie der Brassicaceae. Der Name Kreuzblütler leitet sich von den vier über Kreuz stehenden Blütenkronblättern ab. Die Familie umfasst wichtige Kulturpflanzen, wie z. B. Senf, Kohl, Radieschen, Raps und Meerrettich; siehe Abb. 26. Diplotaxis muralis (L.) DC., Mauer-Doppelsame, Familie: Brassicaceae (Kreuzblütengewächse). Vgl. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. „Du weißt, daß groß Gewühl mich immer still macht.“ (In: Schiller, Friedrich von: Werke. NA. 8. Bd., Teil I: Wallenstein, Text I. Hrsg. von Norbert Oellers. Weimar 2010, S. 157). Vgl. Br. 103, S. 154, bes. Anm. 4. Vgl. Br. 111, Anm. 1.
108. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 17./18. november 1852
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 17/11 52.
Habe Dank für Deinen lieben Brief, der heute früh kam.1 Daß Du gesund bist, freut mich, aber bekämpfe nur wacker das Heimweh; wenn man sich so recht innig liebt, und so gewohnt ist alles mit einander gemeinschaftlich zu erleben, dann tritt wohl beim Entferntsein eine große Sehnsucht oft ein; und mir geht es ja auch nicht anders, ich entbehre das Zusammensein mit meinen geliebten Kindern sehr; aber das Gefühl der || zu großen Wehmuth lasse ich nicht aufkommen; ich denke dann immer wie ich mich darüber freuen muß, daß es ja zu ihrem Wohle ist; und erfreue mich auch in der Ferne der innern Gemeinschaft. So war es mir eigen als ich aus Deinem Brief sah, wie Du erbaut von Deinem Kirchgang warst, den selben Sonntag haben Vater und ich um 10 Uhr in der Neuen Kirche von Sydow2 || eine sehr schöne Prädigt über den selben Text3 gehört; und auf dem Wege, sagte ich noch zu Vater: ob unser Ernstchen auch wohl eine evangelische Kirche in Würzburg hat. Sieh nun freue ich mich daß ich es weiß und kann nun oft Sonntags denken, wenn ich zur Kirche gehe, unser Junge ist auch drin. – Den 18ten. Daß du solchen interessanten Abend in der Gesellschaft verlebt hast, freut mich herzlich; siehst Du, mein lieber Sohn, || es giebt auch eine edele Art der
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Geselligkeit, einen hohen Genuß [!] liegt im geistigen Austausch, und deshalb wünsche ich es auch, daß Du Deiner Neigung, Dich von den Menschen zurückzuziehen nicht folgen sollst. Es wird mich freuen wenn Du oft solche Abende mit erleben kannst; aber auch von Deinen jungen Freunden mußt Du Dich nicht zurückziehen. Wenn Dir die Zusammenkünfte || in der Kneipe nicht behagen, was ich mir wohl denken kann, so suche Dir eine andere Geselligkeit zu schaffen; bitte Deine Bekannte, daß sie Dich zuweilen auf Deiner Stube besuchen; und sprich mit Bertheau ob Ihr nicht Euch solche Abende einrichtet als Ihr hier das Kränzchen hattet. Sieh, mein lieber Ernst, dazu mußt Du auch selbst, was thun; mache zum Beispiel den Anfang, daß Du Dir an Vaters Geburtstag4 ein paar || Freunde zu Dir bittest; und sei dann recht fröhlig, danke Gott, daß er Euch bis jetzt den geliebten Vater erhalten hat, und gräme Dich nicht daß Du an dem Tage nicht bei uns sein kannst; wenn ich weiß, daß Du heiter sein wirst, dann bin ich es auch. So mußt Du Dich auch besprechen, wie Ihr gemeinschaftlich den Weihnachtsheiligabend verleben wollt, da müsst Ihr nicht einzeln || bleiben. Das Leben auf der Universität mit vielen jungen Leuten soll Dir hoffentlich recht lieb werden. Du brauchst ja dabei Deine Aeltern nicht zu vergessen. – – Ich glaube ich schrieb Dir schon neulich, daß wir Regenbrecht zu Mittag bitten wollten, der war auch hier, grüßt Dich herzlich, er wird Dir nächstens schreiben, v. Witchenstein5 und Wilde6 machten Sonntag hier auch Besuch, sie grüssen Dich schön. v. W. sagte mir auch, er würde Naturwissen-||schaft studieren, er wollte Dir auch schreiben. Tante Bertha ist am vorigen Montag wieder gebrannt,7 sie hat viel Schmerzen gehabt, aber es geht ihr sonst gut, auch Großvater hat etwas Schnupfen, sonst sind wir alle wieder wohl. – Vater und ich gehen heute Abend zur Mutter Reimer8, wir werden dort mit Jonassens9 zusammen sein; ich muß mich anziehen, und wünsche Dir eine gute Nacht. Wenn Du Dich Abends schlafen legst, so denke Deine Mutter sagt: Gottes reicher Segen sei mit Dir! 1 2 3 4 5 6 7
Br. 107. Barockes Kirchengebäude, 1701–1708 als Simultankirche für die deutsch-reformierte und die lutherische Gemeinde der Friedrichstadt erbaut, bei der Neugestaltung des Gendarmenmarktes unter Friedrich Wilhelm II. entstand der Kuppelturm („Deutscher Dom“). Matthäus 18, 23–35; vgl. Br. 107, S. 165. Der Geburtstag von Carl Gottlob Haeckel war am 22. November. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Wilde, Wilhelm Arthur. Das Brennen oder Kauterisieren war eine noch im 19. Jahrhundert in der medizinischen Praxis angewandte chirurgische Operationsmethode, mit der rheumatische oder arthritische Beschwerden, Krämpfe, Lähmungen, aber auch Infektionskrankheiten, Hundebisse, Krebsgeschwüre, Zahnbeschwerden, Wundinfektionen, Parasiten, Warzen und sogar psychische Erkrankungen behandelt oder Blutungen gestillt wurden. Durch das Brennen wurde ähnlich wie durch das Setzen von Fontanellen (chirurgischen Schnitten) mit Hilfe eines stark erhitzten Gegenstandes (z.B. Glüheisen, Brennglas, glühende Kohlen) oder eines Ätzmittels (z. B. Schießpulver) ein starker Hautreiz oder ein künstliches Geschwür erzeugt, wodurch krankhaftes Gewebe zerstört, schädliche Substanz ausgeleitet und die vegetative Tätigkeit des Organismus gesteigert werden sollte. Vgl. Encyklopädie der gesammten medicinischen und chirurgischen Praxis, mit Einschluss der Geburtshülfe, der Augenheilkunde und der Operativchirurgie, bearb. und hrsg. von Georg Friedrich Most. 1. Bd., 2. Aufl., Leipzig 1833, S. 368–374.
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Reimer, Wilhelmine Charlotte Susanne Philippine, geb. Reinhardt. Jonas, Ludwig; Jonas, Elisabeth, geb. Gräfin von Schwerin-Putzar.
109. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 19. november 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 19 November 52
Wir haben aus Deinem letzten Briefe1 ersehen, daß Du wohl bist und Dich dort immer mehr orientirst, die Collegien mit Intereße hörst, die Kirche besuchst, Bekanntschaften machst etc. auch noch vom Heimweh geplagt wirst. Diese Plage schwindet nur allmählich, bis man sich an die Welt und ein selbständiges Leben gewöhnt, ohne die Liebe zu den Seinigen und das, was man Heimath nennt aufzugeben, die das ganze Leben hindurch einen gewißen Zauber ausübt und das Gemüth frisch erhält. Suche nur einen kleinen Zirkel von Freunden zu gewinnen, mit denen Du lebst. Das gehört durchaus zum Leben, wenn man nicht ganz schroff und einseitig werden will und das Herz nicht in den Hintergrund gestellt werden soll. Ich habe auf diese Art (in einem kleinern Zirkel) fern von dem Studententroß sehr glüklich in Hallea gelebt und zum großen Vortheil für meine Geistesbildung und habe meine dortigen Freunde zeitlebens lieb behalten. Diese Freundschaften ziehen sich wie eine erneuernde und zugleich durch ihren jugendlichen idealen Reitz erfrischende Luft durch unser ganzes Leben. In diesen Jahren lebt man noch rein den Ideen, man wird noch nicht durch die Bedürfniße des Lebens in die nüchterne Prosa und Praxis herunter gezogen, in der die meisten den geistigen Fortschritt verlieren. Ich habe diesen Fortschritt festzuhalten gesucht und es ist mir, wenn auch nicht in großer Extension, doch in einer gewißen Intension gelungen, so daß ich die frische Empfänglichkeit für ein wahrhaftes geistiges Leben bis in mein Alter behalten habe. Ohne diese Empfänglichkeit kann man auch das Staatsleben nicht richtig auffaßen und sich nicht lebendig dabei betheiligen; man wird dann ein Philister, der sich mit einem gemächlichen Geschäftsleben begnügt und keine höhern Forderungen an das öffentliche Leben, an die Entwikelung des Volkslebens macht, was den Mann immer auf der geistigen Höhe erhalten soll, und der höchstens noch durch das Familienleben so weit lebendig erhalten wird, daß dieb Flamme des Gemüthslebens nicht erlischt. Der eigentliche Gelehrte hat allerdings den großen Vortheil voraus, daß er täglich durch seine Studien und Beschäftigungen geistig aufgerüttelt wird und daß sich ihm der göttliche Geist und die göttlichen Kräfte der Welt im Menschen und der Natur täglich vergegenwärtigen. Aber auch dazu bedarf es einer gewißen Frische. Wie viele Philologen sind nicht inc eine unerquikliche Silbenstecherei der Sprache hinein gerathen und haben den Geist des Lebens verloren. Auch ind die Philologie ist in den letzten 50 Jahren ein neues Leben gedrungen und siee hat den Geist des Alterthums lebendiger aufzufaßen versucht. Ich habe die Morgenröthe dieses Lebens in Halle von Wolf2 anbrechen sehen, der uns die römischen Antiquitäten mit einem Geist und einem Intereße vortrug, daß wir ganz hingerißen waren. In diesen Tagen habe ich die Rede von f Böhck3 zur Feier des königlichen Geburtstages an der Universität gelesen, die ganz vortreflich ist und die Bestimmung Preußens als Beschützer der Reformation und aller Geistesfreiheit
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in Deutschland scharf heraushebt. Sie hat Aufsehn gemacht. Er setzt aus einander, wie die Weltgeschichte und die Entwikelung der Völker und Staaten kein Zufall sei, sondern || nach ewigen Gesetzen und dem Princip der menschlichen Freiheit gemäß erfolge, so daß allerdings von den Völkern selbst ihr Gedeihen und ihre Entwikelung, ihr Bestehen und ihr Untergang abhänge und daß jedes Volk und jeder größere Staat zuförderst eine Bestimmung in der Weltgeschichte zu erkennen habe, die ihm die Norm seines Lebens und Wirkens vorzeichnen müße, welcher er zu folgen habe und so sei die g Bestimmung Preußens mit der Reformation gegeben, es sei erst durch die Reformation möglich geworden und es habe diesen Geist der Freiheit h und der Erkenntniß des Wahren zu pflegen und lebendig zu erhalten, darin liege sein Beruf und wenn es diesen verkenne und aus den Augen laße, werde es untergehn, so lange es ihm aber folge, werde es bestehn. Die Rede ist also eigentlich eine Mahnung an Sr. Majestät an deßen Geburtstage4 über die Bestimmung Preußens, die leider in neuester Zeit höchsten Orts nicht immer erkannt worden und welche deni Junkern und Pfaffen oft sehr zuwider ist und diese gern abläugnen möchten. – In den letzten Tagen haben hier die Nachwahlen für die Doppelwahlen5 gespielt. Sie gehen morgen zu Ende. Im 1sten hiesigen sehr großen Bezirk,6 wo auch viel intelligente Leute aber auch viele Beamte (das ganze Anhaltsche Viertel) wohnen, war mit Mühe Manteufel7 durchgekommen, der aber eine andere auf ihn gefallene Wahl bei Lukau8 angenommen und vorgestern als Wahlmann bei den Vorwahlen den Justizminister9 empfohlen hat. Die constitutionelle Parthei hat nun hiebei das Princip aufgestellt, daß man keinen Minister (auch bei aller Achtung seiner Persönlichkeit) wählen müße, da die Kammern ja dazu da seien, das Land über das Verfahren und die Vorschläge der Minister und ihre Verwaltung zu hören. Hiebei hat sich denn gezeigt, in welcher Kindheit des politischen Lebens wir uns noch befinden. Bei der frühern Wahl schlug nehmlich Herr v. Manteufel den General Steuerdirektor Kühne, dieser aber obigem Princip gemäß den Herrn v. Patow vor. Da meinten denn die Philister: das sei von Kühne sehr unartig gewesen, er hätte nun Herrn v. Manteufel zum Deputirten vorschlagen sollen. Als ob es bei solchen politischen Akten auf Artigkeiten ankomme!!! Auch manches Lächerliche ist in diesen Tagen vorgekommen. Herr v. Hinkeldey10 soll dem König gesagt haben: Er (Hinkeldey) glaube sehr populär zu sein und gewiß gewählt zu werden, wenn er beij seiner amtlichen widersprechenden Stellung darum ambiren dürfe. Der König: „Das möge er thun, den Wahlbezirk wolle er (der König) aber freßen, der ihn (den Hinkeldey) wähle. Hinkeldey ist nunmehr in der Vorwahlversammlung erschienen, hat sich als Kandidaten präsentirt und sichk mit großer Sicherheit als künftigen Deputirten dargestellt. Gestern ist nun die Wahl gewesen und er ist mit 88 Stimmen gegen 147 (dem Candidaten der Hollwegschen Parthei,11 GeheimRath Mathés)12 durchgefallen zum großen Jubel der Anwesenden. Es sind jetzt bei den Nachwahlen mehrere höherel Beamte a. D., tüchtige Leute, gewählt worden, und man kann mit den Berliner Wahlen einige wenige abgerechnet sehr zufrieden sein. Ich selbst habe mich in den letzten 10-12 Tagen mit Revision der Wirthschaftsrechnungen m meiner Lotte13 beschäftigt und mit großem Intereße wahrgenommen, wie sich allmählich durch Ersparungen unser kleines Vermögen gebildet hat. – Für dieses Mahl genug! Dein Dich liebender Vater Haeckel
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Br. 107. Wolf, Friedrich August. Boeckh, August. – Vgl. Festrede auf der Universität zu Berlin am 15. October 1852 gehalten von August Böckh. Berlin 1852, bes. S. 12–14. In Haeckels Nachlass befindet sich offensichtlich das Exemplar der Schrift aus dem Besitz seines Vaters (EHA Jena). Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. – Sein Geburtstag fiel auf den 15. Oktober. Nach der Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer vom 30.5.1849 erfolgte die Wahl indirekt und öffentlich, so dass zunächst in den Urwahlbezirken die Wahlmänner durch die wahlberechtigten Wähler und anschließend die Abgeordneten durch die Wahlmänner gewählt wurden. Die Urwahlen wurden nach den Grundsätzen des Dreiklassenwahlrechts in drei Abteilungen durchgeführt, in welche die Wahlberechtigten nach ihrem Anteil am Steueraufkommen der Gemeinde resp. des Urwahlbezirks eingeteilt wurden. Die Wahl der Wahlmänner für die Wahl der Abgeordneten zur Zweiten Kammer für die III. Wahlperiode 1852–1855 fand am 25.10., die der Abgeordneten am 3.11.1852 statt. Vgl. Preußens Volksvertretung in der Zweiten Kammer und im Hause der Abgeordneten vom Februar 1849 bis Mai 1877. Alphabetisches Namensregister der Mitglieder, sowie Verzeichniß der Wahlkreise nach Provinzen und Regierungsbezirken. Zusammengestellt vorzugsweise auf Grund amtlicher Materialien von Franz Lauter. Berlin 1877, S. III– VIII. Wahlbezirk Berlin 1 (linkes Spreeufer, untere Stadt). Manteuffel, Karl Otto Freiherr von. Wahlbezirk Frankfurt an der Oder 9 (Luckau, Lübben, Calau). Simons, Ludwig Benjamin. Hinckeldey, Karl Ludwig Friedrich von. Bethmann-Hollweg, Moritz August von. – Die Fraktion Bethmann-Hollweg, nach der von Moritz August von Bethmann-Hollweg herausgegebenen Zeitschrift „Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen“ auch als „Wochenblattpartei“ bezeichnet, zählte in der III. Legislaturperiode des preußischen Abgeordnetenhauses (1852–1855) 17 Abgeordnete, die liberalkonservative Positionen vertraten. Vgl. Fesser, Gerd: Wochenblattpartei (WB) 1851–1858 (Partei Bethmann-Hollweg). In: Fricke, Dieter / Fritsch, Werner (Hrsgg.): Lexikon zur Parteiengeschichte 1789–1945. 4. Bd., Leipzig 1986, S. 496–498. Mathis, Ludwig Emil. – Er wurde im Wahlbezirk Berlin 4 (rechtes Spreeufer, obere Stadt) gewählt. Haeckel, Charlotte, geb. Sethe.
110. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 19. november 1852
Innigst geliebter Vater!
Würzburg 19/11 1852
Auch in diesem Jahr kann ich Dir meinen innigsten Glückwunsch und herzlichsten Gruß zu Deinem Geburtstag1 nur schriftlich bringen. Möge Dich Gott uns noch lange, lange so frisch und munter erhalten; mögst Du vor allen rechte Freude an Deinen Kindern erleben; an Deinem einen Jungen2 hast du nun schon die feste Gewähr, daß er immer gut und glücklich sein wird. Der andere hat zwar bis jetzt leider noch wenig genug Aussicht blicken lassen, seinem Bruder bald, namentlich, was Ordnung, Ausdauer und Charakterfestigkeit a betrifft, nachzukommen; indessen kannst du fest versichert sein, daß er sich aufs ernstlichste angelegen sein lassen wird, ein braver Mensch zu werden, und gleichfalls seiner Eltern werth, und ihre Freude zu werden.
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Er wird sich gewiß alle mögliche Mühe geben, seine Schwächen mehr und mehr zu überwinden. || Wie gern ich an unserm größten Familienfesttag bei euch wäre, brauche ich euch nicht erst zu versichern; gar zu gern hätte ich Dir auch etwas geschenkt, wenigstens eine ordentliche Zeichnung; namentlich da ich jetzt grade mit dem Zeichnen wieder recht im Zuge bin, und es beinah meine einzige rechte Freude ist, die mir jederzeit böse Gedanken vertreibt. Allein die Zeit war grade diese Woche sehr beschränkt, und eine Skizze im Freien von der Gegend aufzunehmen, b ist es schon zu herblich3 und kahl draußen. Daß es nicht am guten Willen fehlte, kannst Du aus dem beifolgenden Schattenriß4 abnehmen, den ich gestern Nachmittag bei dem schauerlichsten Herbstwetter an dem Landungsplatz der Dampfschiffe, zum Schutze gegen den heftigen Wind hinter einem Holzblock, wie er unten links in der Ecke steht, hingekauert, in etwas unbequemer Stellung hinwarf. || Das große Schloß oben rechts ist ein Theil der Citadelle. Weiter links herunter, zwischen ihr, und der uralten Kirche unten über der Brücke, liegt das „Käppele“, das Kloster, nach dem ich in den ersten Tagen meines Hierseins den schönen Spaziergang gemacht hatte; es führt eine Allee von kleinen Kapellen herauf, in denen die Leidensgeschichte bildlich dargestellt ist.5 Unterhalb der Citadelle, auf dem linken Ufer, liegt die Vorstadt: das Mainviertel. Gegenüber, links von der Brücke, auf dem rechten Ufer, liegt Würzburg selbst, das Du Dir hinzudenken mußt. Übrigens macht die Skizze weder Ansprüche auf künstlerischen Werth, noch auf getreue Ausführung. Es soll Dir bloß als Bote von der Liebe erzählen, mit der Dein Kind jederzeit an Dich denkt, und namentlich an Deinem kommenden Feste sehnsüchtig nach Berlin hinüber träumen wird, wo auch seine Lieben seiner nicht vergessen. || Die vergangene Woche war hier in meteorologischer Hinsicht sehr merkwürdig; die 3 ersten Tage war es regnerisch und sehr kalt. Trotzdem war den Dienstag am ganzen Abend mehrere Stunden lang anhaltendes Wetterleuchten und Mittwoch Abend zog ganz plötzlich ein sehr heftiges Gewitter über die Stadt weg, das aber keine ¼ Stunde dauerte. Gestern war es wieder ganz regnerisch und kalt. Der Main ist in Folge der starken Regengüsse sehr angeschwollen, und die Stadt eine halbe Pfütze. Die Hälfte der „Herren Doctoren“ (candidati medicinae) läuft deßhalb in hohen Wasserstiefeln umher, die undurchdringlich sind und bis über die Knie gehen. Die Dinger sind sehr practisch, und ich schaffe mir vielleicht auch ein Paar an; sie kosten freilich 12 Gulden. Sonst ist mir diese Woche sehr still vergangen. Lachmanns Bekanntschaft habe ich gemacht; er scheint sich mit so einem jungem Fuchs6, wie ich bin, aber nicht viel abgeben zu wollen, was ich ihm auch gar nicht verdenken kann. Übrigens kommt man schon recht in den Winter herein. Ich komme bloß Abends dazu, etwas zu thun. Du wirst Deine Tagesordnung wohl auch schon winterlich einrichten: Abends spazieren gehen, mit Mamma lesen u.s.w. Deinen Geburtstag werdet ihr wohl zum Theilc bei Großvater feiern; das wird Dir dies mal auch sonderbar vorkommen; voriges Jahr hattest Du doch wenigstens Deinen einen Sohn bei Dir. Nun seid nur recht froh und heiter; und wenn ihr den entfernten General7 „que nous aimons“8 leben laßt, denke an Deinen treuen alten Jungen Ernst Haeckel.d 1 2
Carl Gottlob Haeckel beging am 22.11.1852 seinen 71. Geburtstag. Haeckel, Karl.
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Im Sinne von: rau, kühl. Nicht überliefert. Der Stationsweg zum Käppele wurde von 1761 bis 1799 errichtet; vgl. Br. 100, Anm. 5. Vgl. Br. 104, S. 160, bes. Anm. 15. Die Bemerkung bezieht sich vermutlich auf den Geburtstag Friedrich Schleiermachers am 21. November, der im Berliner Unionsverein am 24. November 1852 gefeiert wurde (vgl. Einladungsanzeige in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Beilage zu Nr. 272, 19.11.1852). Frz.: den wir lieben.
111. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 19. november 1852
Meine liebe Mamma!
Würzburg 19/11 52.
Einen besondern, innigen Gruß an dich muß ich doch den Zeilen an unsern liebes Geburtstag [!], den theuren Papa, noch beifügen. Ihr werdet euch wohl recht einsam fühlen; denkt aber, daß es euren Kindern, wenigstens dem jüngern, nicht besser geht; denkt auch zugleich daran, daß er immer im Geist bei euch ist, und wenn er kleinmüthig und verzagt wird, der Gedanke an seine Eltern ihm frischen Muth giebt. Ich habe jetzt ziemlich viel zu thun, da ich wieder secirt habe; Kölliker hilft auch hiebei dem einzelnen sehr, und sucht es ihm || möglichst angenehm zu machen; dabei unterhält er sich auch sehr freundlich mit den Studenten. Die zweite Frage, die er an mich that, nachdem ich ihm die erste beantwortet hatte, war: „Sie sind wohl aus Sachsen?“ – !! – Diese Woche hat auch das privatissimum bei Professor Schenk: „Microscopische Demonstrationen pflanzlicher Gewebe“ begonnen. Ich habe mich außerordentlich gefreut, daß ich es damit so gut getroffen habe. Außer mir nehmen nur noch 2 daran Theil, und ich habe alle Aussicht, einmal ordentlich mit einem eigentlichen Botaniker bekannt zu werden, was so lange mein sehnlicher Wunsch war. Diese Stunden sind Dienstags und Donnerstags von 6–8 Uhr Abends. || Wir bekommen dabei jeder ein schönes Microscop, unter das er uns selbstgefertigte schöne Präparate legt. Diese zeichnen wir dann ab, er erklärt sie uns, und wir können ihn dabei so viel wir wollen, fragen, bis uns alles deutlich ist. Welche Freude mir das macht, und wie wichtig das für mich werden kann, könnt ihr euch denken. – „Schenk ist sehr liebenswürdig und man kann ihm viel ablernen; er ist ein ganz ausgezeichneter Pflanzenforscher; nur nicht sehr bekannt, weil er zu faul ist, etwas Ordentliches, ein größres Werk zusammen zuschreiben, was er recht wohl könnte; auch giebt er sich nicht gleich so wie er ist, man muß erst tiefer [in] ihn dringena; schlimm ist es, daß er so wenig bestimmtes in seiner Methode und seinem Character hat, und in mancher Hinsicht noch, wie ein Kind, ist.“ – Diese im letzten Satz enthaltene Characterschilderung, die mir b || mein Nachbar, der nette Dr. Gsell-Fels gab, der ihn sehr gut kennt, habe ich vollkommen bestätigt gefunden, und sie erinnerte mich gleich lebhaft an einen gewißen E. H. – Nun, wenn dieser es nur einmal so weit, wie Schenk, bringt! –
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Wenn ihr von den Ziegenrückern, meinen lieben Geschwistern, was hört, schreibt es mir nur gleich; c habe diese Woche an sie geschrieben.1 – dNun lebe wohl und denk an unserm Familienfeste an Deinen treuen alten Jungen, der recht bei euch sein wird, leider nur in Gedanken. – Schreibt bald mal wieder eurem alten E H. Die herzlichsten Grüße in No 82. 1 2
Der Brief Haeckels ist nicht überliefert, wohl aber der Antwortbrief von Hermine Haeckel, siehe Br. 123. Berlin, Schifferstraße 8, die Wohnung von Haeckels Großvater und den beiden Tanten Bertha und Gertrude, vgl. Br. 45, Anm. 13.
112. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 23./24. november 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin, 23 November 52.
So eben habe ich einen Brief an Carl und Mimi geschrieben, nun kommst Du als jüngster an die Reihe. Mein größtes Geschenk gestern1 waren die Briefe aus Ziegenrück und Würzburg.2 Ich habe im eigentlichsten Sinn den ganzen Tag gestern in Gedanken mit Euch Kindern verlebt. Abends hatten wir nur eine kleine Gesellschaft, Julius und Frau3, Mutter Reimer4, Frau Jacobi5 und Quincke und Frau. Mutter und ich sind ganz bei Euch gewesen. Ihr seid unser schönstes Besitzthum. Auch an die Merseburger Freunde haben wir gedacht, wir haben doch dort einen sehr lieben Freundes Cirkel gehabt. Wir leben hier, seit Ihr weg seid, sehr still und fühlen uns sehr vereinsamt. Großvater war einige Tage unwohl an Husten und Schnupfen, ist aber wieder beßer. – Wir freuen uns, daß es Dir im Ganzen wohl geht und daß Du auch wißenschaftliche Genüße hast. Großvater hat sehr gelacht, daß Kölliker gleich den Sachsen in Dir erkannt hat.6 Er will immer Neues aus Ziegenrück und wie sich Mimi dort einrichtet, hören, und wir erzählen ihm so viel wir können. Der alte prächtige Mann! Gott wolle ihn nur noch einige Zeit frisch und munter für uns erhalten. Er wird mir, wenn ich ihn überleben sollte, sehr fehlen, und es gereicht mir zur großen Genugthuung, daß Mutter unda ich etwas für seine Unterhaltung thun können. – Mache Dir nur nicht zu viel Skrupel über das, was einmal aus Dir werden soll, und folge Deinen wißenschaftlichen Bedürfnißen. Den Ekel vor der Praxis sollen im Anfange viele junge Aerzte haben, er muß von den meisten erst überwunden werden. Sollte er aber bei Dir nicht zu überwinden sein und Du vorherrschend u. fortdauerndb den Trieb zur Wißenschaft behalten, so wollen wir Dir nicht entgegen sein. Deine Briefe machen uns sehr viel Freude und die Briefe von den Kindern sind jetzt unser Hauptgenuß. Wir haben wenig Menschen bei uns gesehen und sind wenig ausgegangen, dazu die trübe schlechte Witterung und die kurzen Tage, so daß wir wirklich hier in dem großen Berlin sehr einsam leben. Die Politica haben mich einige Wochen beschäftigt, jetzt bin ich wieder ruhigc. Die Kammern7 werden wohl wieder einiges Le-
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ben bringen und das französische Kaiserthum8 wird uns wohl nicht ganz einschlafen laßen und manches zur Entwikelung bringen. Wenn ich so Abends im Finstern spatzieren gehe, dann rekapitulire ich mir das Getriebe der Welt und bei ruhiger Betrachtung werde ich dann auch ruhiger und verlange keinen schnellern Entwikelungsgang als er von jeher in der Geschichte gewesen ist. Die weltbeherrschenden Ideen können sich nun nur unter harten Kämpfen Bahn brechen. – Daß Du eine volle evangelische Kirche und gute Prediger gefunden hast, ist recht schön. Der Besuch derselben wird Dich immer wieder aufs innre Leben zurückweisen und Dir gegenwärtig erhalten, was so viele jetzt vergeßen haben, was wir dem Christenthum schuldig sind. Ich habe in den letzten Wochen einige schöne Predigten von Sydow gehört und vorigen Freitag hat Richter in den Unionsvorträgen einen Vortrag über den römischen d Katechismus gehalten9, klar und übersichtlich, um uns die Hauptprincipien der römischen Kirche zur Anschauung zu bringen. Morgen Abend werde ich einer Gesellschaft beiwohnen, in welcher der Geburtstag Schleiermachers10 gefeiert wird. – Für Deine Skizzen über die Mainbrüke11 danke ich Dir recht sehr. Die Gegend muß doch nicht so übel sein und auch Quincke meinte, daß sie sich im Sommer recht gut ausnehme. Daß Dir das Privatissimum bei Schenk12 so viel Freude macht, ist ja recht schön, so wie daß das Verhältniß der Profeßoren zu den Studenten so gemüthlich und freundlich ist. Berlin bildet grade den Gegensatz, so wie denn überhaupt diese Stadt eine große Kompilation der verschiedenartigsten Elemente ist, die eigentlich wenig genug in Berührung kommen, Hofleute, Militärs, höhere Beamte, Gelehrte, große Gewerbetreibende, Handwerker und dann der Troß von Gesellen, Fabrikarbeitern und endlich von Bummlern. Die vielen Fremden bilden auch eignes Element und füllen eigentlich die Theater und Restaurationen. So ist das ganze Berlin eigentlich eine bunte Musterkarte, die eigentlich nur durch das Staatsleben und die daraus hervorgehenden Kämpfe einen Zusammenhang erhält. Wie kann bei diesen Kämpfen und Abstoßen, bei der Verschiedenartigkeit der Elemente ein gemüthliches Leben gedeihen? – Und wollte man es auch, da laßen die großen Entfernungen nichts zusammen kommen. Für heute genug mein lieber Ernst noch meinen innigsten Dank für Dein Andenken zu meinem Geburtstage. Dein dich innigst lieben Vater Haeckel Verte || Den 24sten früh. So eben kam ein Brief von Simon13 aus Merseburg, der uns recht viel Freude gemacht hat und uns Nachrichten über Merseburg giebt. Marie Wieck, die sich doch seit einigen Jahren ganz der Musik gewidmet hat und Aussichten auf ein festes Engagement hatte, ist mit einem Mahl wieder sehr krank geworden und hat ihre frühern krampfhaften Zufälle wieder bekommen, so daß sie jetzt bei den Eltern ist, aber sich wieder zu erholen anfängt. Der alte Weiss14 ist auch krank, wahrscheinlich Ansatz zur Waßersucht, er soll sich in den letzten Tagen etwas gebeßert haben. e Karo15 war auf Reisen, sie16 ist an der Grippe bettlägrig. Sie wollen auch alle Nachrichten von Dir haben und ich halte es für angemeßen, daß Du einmal an Karo schreibst und ihn um Mittheilung Deines Briefes an die übrigen Freunde bittest. Denn f wir
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haben doch einen kleinen sehr lieben Cirkel herrlicher Freunde in Merseburg um uns gehabt, den ich noch immer fest in meinem Herzen trage und auch Du hast Deiner dortigeng wißenschaftlichen h und religiösen Vorbildung viel zu verdanken. – Bei den Wahlen17 ist [es] sehr lebhaft hergegangen und die Bauern haben sich sehr tapfer gehalten. Es sind von der Regierungs- und rechten Seite alle möglichen Mittel angewendet worden, um ihre Candidaten durchzusetzen und es ist ihnen nur mit großer Mühe nur mit Einem (in dem vereinten Merseburger und Mansfeldschen Seekreise),18 gelungen. „Keinen Edelmann und keinen Beamten“ ist das Losungswort der Bauern gewesen. i Die Leute von der Rechten sind nicht allein in der äußersten Verblendung begriffen, sie benehmen sich auch häufig j unehrenhaft und scheuen auch keine gemeinen Mittel, um zu ihren Zweken zu gelangen. Da giebt es denn doch Tage, wo Einem die Galle überläuft und nur der Rükblik auf die Weltgeschichte bringt wieder die Ruhe zurük. Die Wahlen hier in Berlin sind fast durchgängig gut ausgefallen, noch vor einigen Tagen ist in dem Wahlbezirk, k wo früher nur mit vieler Mühe Manteufel19 durchgebracht wurde, der aber in Lukau, wo er gleichzeitig gewählt wurde, die Wahl angenommen hat, jetzt Georg Reimer zum Deputirten gewählt worden.20 Der Buchhändler Veit21 (ein Gothaer) ein sehr tüchtiger und gebildeter Mann war auch l unter den Candidaten, konnte aber nicht durchgebracht werden, da er jüdischen Glaubens ist. Die constitutionelle Parthei22 wird in den Kammern in der Minorität sein, das darf sie aber nicht niederschlagen, ihr gehört die Zukunft. Welche Schlangenwindungen aber die Geschichte noch durchmachen wird, ehe die Sache den Durchbruch erreicht, das weis Gott allein. – Heute Abend wird Schleiermachers Geburtstag gefeiert, ich werde auch in die Versammlung23 gehen. Ob zwar schon seit Deiner Geburt zu den Vätern gegangen,24 ist er dennoch auch jetzt der Mann der Zukunft und er wirkt mächtig fort. Man muß im Christenthum seine Hülle und den Kern unterscheiden, jene wechselt nach den verschiedenen Zeiten, dieser bleibt immer ein und derselbe und das Wort Gottes, was uns Christus in göttlichem Auftrage verkündigt hat, ein und daßelbe in Ewigkeit. – Bei der Wahlversammlung in Lauchstaedt25 hat der Diakonus Hartung26 aus Merseburg gegen die Union27 sprechen wollen, er ist aber mit einem wahren Sturm von den Wahlmännern zurükgewiesen worden. – Die Ideen keimen im Stillen und empfangen von den Weltereignißen ihre Nahrung und wenn dann die rechte Stunde gekommen ist, dann brechen sie mit verjüngter Kraft wieder hervor, bis sie auch äußerlich ihr Terrain gewonnen haben. Noch habe ich Dir für Mimis Bild28 zu danken, was mir vorgestern Mutter in Deinem Namen überreicht hat. Es ist sehr ähnlich und macht mir viel Freude. Wenn Du auch kein Meister in der Kunst werden wirst, so ist doch deine Anlage zum Zeichnen eine sehr angenehme, verschönernde Zugabe für Dein Leben, was Dir manche schöne Stunde bereiten wird. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3
Am 22. November war der Geburtstag von Carl Gottlob Haeckel. Br. 110. – Der Brief aus Ziegenrück ist nicht überliefert. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Adelheid, geb. Reimer.
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Reimer, Wilhelmine Charlotte Susanne Philippine, geb. Reinhardt. Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann. Die Sprache des in Merseburg aufgewachsenen Ernst Haeckel wies eine ugs. als „Sächsisch“ bezeichnete Mundartfärbung auf, die der thüringisch-obersächsischen Dialektgruppe zuzurechnen ist und der Hallischen Mundart nahesteht. Die erste Session der III. Legislaturperiode des preußischen Landtages (1852–1855) wurde am 29.11.1852 eröffnet. Am 21.11.1852 hatte der 1848 zum Präsidenten der Französischen Republik gewählte CharlesLouis-Napoléon Bonaparte eine Volksabstimmung über die Wiederherstellung des Kaisertums durchführen lassen, in deren Ergebnis er am 2.12. als Napoléon III. zum Kaiser der Franzosen ausgerufen wurde. Die Ankündigung von August Ferdinand Richters Vortrag „Über den römischen, den lutherischen und den Heidelberger Katechismus“ in: Der Protestant. Ein Kirchenblatt für das evangelische Volk. Hrsg. im Auftrage des Unionsvereins von H. Krause. Potsdam, Nr. 46, 13.11.1852, Sp. 414. Schleiermachers Geburtstag wurde auch im Unionsverein begangen; vgl.: Der Protestant. Ein Kirchenblatt für das evangelische Volk. Herausgegeben im Auftrage des Unionsvereins von K. Krause. Potsdam, Nr. 42, 16.10.1852, Sp. 368: „Schleiermachers Geburtstag wird dies Jahr, weil der 21. November auf einen Sonntag fällt, von Freunden und Verehrern am 24. November (Mittwoch) gefeiert werden. [...]”. Vgl. Br. 110, Anm. 4. Vgl. Br. 111, S. 177. Simon, Jakob Bernhard. Weiß, Christian. Karo, Johann Adalbert. Karo, Emilie Henriette Auguste Margarethe, geb. Schäffer. Hierzu und für die folgenden Bezüge auf die preußischen Wahlen vgl. Br. 109, S. 174. Wahlbezirk Merseburg 7 (Merseburg mit Mansfelder Seekreis). Gewählt wurde der Landrat Karl von Helldorf. Manteuffel, Karl Otto Freiherr von. Georg Reimer war von 1852 bis 1861 Abgeordneter für den Wahlbezirk Berlin 1 (linkes Spreeufer, untere Stadt) im preußischen Abgeordnetenhaus. Veit, Moritz. Als „Konstitutionelle Partei“ wurde nach der Revolution von 1848 die gemäßigt liberale Fraktion („Fraktion Vincke“) in der Zweiten Kammer bzw. dem preußischen Abgeordnetenhaus bezeichnet. Seit 1861 bürgerte sich für sie der Name „Altliberale“ ein. In der „Ära Manteuffel“ 1850– 1858 standen die „Konstitutionellen“, die für die Beibehaltung der Errungenschaften von 1848 eintraten und eine Einigung Deutschlands durch Preußen anstrebten, in scharfer Opposition zur Regierung. In der Zweiten Kammer erhielten sie bei den Wahlen von 1852 über 60 Mandate. Vgl. Fesser, Gerd (Hrsg.): Altliberale. In: Lexikon zur Parteiengeschichte 1789-1945. Bd. 1. Leipzig 1983, S. 59–65. Vgl. Einladungsanzeige von Bonnell, Ludwig Jonas, Pischon und Adolf Sydow zur Feier von Friedrich Schleiermacher am Mittwoch, dem 24.11.1852, im Englischen Haus in Berlin; in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Beilage zu Nr. 272, 19.11.1852. Friedrich Schleiermacher starb am 12.2.1834 in Berlin, vier Tage vor Haeckels Geburt. In einem Brief an seine Mutter stellte Carl Gottlob Haeckel damals die Geburt seines Sohnes Ernst mit der Persönlichkeit des gerade verstorbenen Schleiermacher in einen geistigen Zusammenhang: „Ich denke jetzt oft so im Stillen, was aus meinen beiden Jungens werden wird, wenn sie Gott erhält […] Könnten Sie einmal mehr wirken für die Welt als ich, so sollte das meine größte Freude sein. Denn das ist doch die höchste Wonne für uns Männer, wenn wir das Bewußtsein haben, etwas Tüchtiges vollbracht zu haben! Was ist das für ein Leben gewesen, was der Schleiermacher gelebt hat, Tausende hat er erleuchtet und erbaut, durch die Klarheit seines Geistes hat er Unzähligen vorgeleuchtet. Was ist das aber auch für ein Begräbniß gewesen, 20-30000 Menschen auf den Beinen, nicht aus Neugier sondern aus Theilnahme, wahrer inniger Theilnahme, sie
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fühlten alle, daß sie etwas verloren hatten! Sehn Sie, liebste Mutter, solche Menschen erhalten in uns den Glauben an die höheren menschlichen Kräfte […]“ Carl Gottlob Haeckel an Johanna Regina Haeckel, Potsdam, 17.2.1834 (EHA Jena, A 44310). Wahl des Abgeordneten für den Wahlbezirk Merseburg 5 (Mansfelder Seekreis und Merseburg) am 3.11.1852, gewählt wurde der zur Fraktion der Linken gehörende Abgeordnete Dr. Friedrich August Eckstein, Kondirektor der Franckeschen Stiftungen in Halle an der Saale. Hartung, Friedrich Albert. Die „unierte Kirche“ in Preußen entstand infolge des Aufrufs des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. an die Konsistorien, Synoden und Superintendenturen der lutherischen und der reformierten Kirchen in Preußen, sich zu einer neuen evangelisch-christlichen Kirche zusammenzuschließen, vom 27.9.1817 („Unionsurkunde“). Daraufhin kam es zu einem Zusammenschluss der reformierten und lutherischen Kirchen in Preußen, der aber nur die Verwaltung, nicht das Bekenntnis betraf. Es entstanden aber vielerorts auch Gemeinden, die die Union nicht nur als organisatorische, sondern auch im Sinne einer Bekenntniseinheit verstanden und praktizierten. Vgl. Wappler, Klaus: Der theologische Ort der preußischen Unionsurkunde vom 27.9.1817 (Theologische Arbeiten; 35). Berlin 1978, S. 9 f. Nicht überliefert.
113. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 24. november 1852
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin, 24/11 52.
Einen schönen guten Morgen! Viel kann ich Dir heute nicht schreiben; da ich wenn Vater gefrühstückt hat, an welchem großen Geschäft er eben ist, gleich in den Keller muß, da ich heute ein Ohm1 Moselwein abziehen muß; aber ganz ohne einen Gruß von mir kann das Kistchen für Dich doch nicht abgehen. Ich habe || diesmal zu Vaters Geburtstag einen Baumkuchen, wie Du ihn gerne ißt, backen lassen, damit die Kinder auch ein Stückchen bekommen, und so wird dann heute ein Kistchen nach Ziegenrück und eins nach Würzburg [abgeschickt]. Nun, mein lieber Ernst, wünsche ich recht zu hören, wie Du Deines Vaters Geburtstag zugebracht hast? Ob Du Dir, || wie ich es Dir vorschlug Freunde gebeten hast? Ueber Deine beiden Zeichnungen, die von Hermine und die Skizze von Würzburg hat sich Vater sehr gefreut.2 Ich sorge aber, daß Dir das lange Sein im Freien geschadet hat. Ueberhaupt sorge nun ja für Deine Gesundheit. – Lege auch das Pflaster3 ja auf. Gott sei mit Dir. Denke fleissig Deiner Mutter || Großvater und Tante Bertha grüssen Dich herzlich. Ich muß Großvater immer viel von Dir erzählen. – Leb wohl, mein Herzens Kind. – Nächste Woche denke ich Deine Freunde einzuladen. 1 2 3
Maßeinheit für Flüssigkeitsvolumina, das in Preußen 137,4 Litern entsprach. Es bezog sich auf die Menge, die ein Pferd tragen konnte. Vgl. Br. 110, Anm. 4 und Br. 112, Anm. 28. Vgl. Br. 106, Anm. 9.
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114. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. november 1852
Liebste Eltern.
Würzburg Sonnabend 27/11 52
Gestern erhielt ich eure liebevolle Sendung, deren materieller Inhalt mir kaum weniger Freude gemacht hat, als der geistige, obwohl ich mich schon recht sehr nach Nachricht von Euch, und wie ihr unsers Familienhauptes Geburtstag gefeiert hattet, gesehnt hatte, und für die ich euch den herzlichsten kindlichen Dank sage. Ich für meine Person habe das Fest meines lieben Alten viel glänzender gefeiert, als ich selbst und ihr alle gewiß gedacht habt; rathet einmal, wie? – Denkt euch – mit Champagner!! Die Sache verhält sich folgendermaßen: Ich hatte mir anfangs vorgenommen, den 22sten ganz still dadurch zu feiern, daß ich Abends in eine beliebige Kneipe ging, und dort ein Beafsteak mit einem Schoppen „Steinwein“1 auf meines Papas Wohl verzehrte. Dabei hatte ich schon im Voraus auf eine gute Portion Heimweh gerechnet, und wie ich mich so recht vergeblich nach euch sehnen würde; das letztere kam denn natürlich auch etwas; aber im Übrigena kam es doch ganz anders. Als ich nämlich Sonntag Nachmittag b euren lieben Brief2 erhielt, in dem Du, liebe Mutter, mich auffordertest, mir ein paar Bekannte zu bitten, faßte ich einen raschen Entschluß, und lud gleich den folgenden Morgen Bertheau und Lavalette ein, meine Gäste zu sein. Da ich nicht recht wußte, wo ich den Wein hernehmen sollte, erbot sich Bertheau mir ihn zu besorgen, und brachtec dann richtig Abends angeschleppt – – – 2 Flaschen Schalksberger3 à 24 xr und eine Flasche fränkischen Champagner à 1 fl 45 xr (= 1 rℓ)!! || Daß ich aus verschiedenen Rücksichten ein wenig erschrak, könnt ihr denken; doch faßte ich Muth, begab mich mit meinen beiden Freunden, die sichs gleichfalls trefflich schmecken ließen, frisch ans Werk, und um 12½ Uhr Nachts waren die 3 Flaschen geleert, bis auf den letzten Tropfen!! – Ich sehe dich im Geiste vor mir, liebe Mutter, wie Du erschrickst, und die Hände über dem Kopf zusammenschlägst; Du siehst gewiß schon da eine Menge Katzenjammer u.s.w. und bedauerst deinen armen jungen Jungen, den man so schrecklich mit Wein tractirt hat; aber von dem allen erfolgte auch nicht das Mindeste; höchst vergnügt und gemüthlich saßen wir 3 zusammen in meiner Kneipe (N.B. eigentlich waren es 4, da Bertheau seinen Hund, einen graulichen, häßlichen, aber sehr possirlichen Pudel mithatte, der auch auf meines Papas Wohl die Wurstschalen fressen und die Neige leeren mußte!) und unterhielten uns und schwatzten nach Herzenslust. Natürlich wurde der Berliner viel gedacht, und mein Alterchen recht lange und hoch leben gelassen. Nachmittag hatte ich mit meiner Frau Wirthin4 zusammen Würste eingekauft, die mit Butterbrod trefflich zum Wein schmeckten, und zur Vervollständigung der Fete hatte ich noch beim Konditor eine halbe Brodtorte für 30 xr geholt. Lavalette, der überhaupt sehr besonnen und gemäßigt ist, trank am wenigsten; Bertheau am meisten; ich hielt die edle Mittelstrasse, trank aber wenigstens 1 gute Flasche; und zwar, ohne den geringsten Einfluß, d zum höchsten Erstaunen meiner Freunde, die nichts weniger, als ein solches Talent in mir vermuthet hatten; sie glaubten, ich würde nach dem 3ten || Glas unter den Tisch sinken, und als sie mich ganz unangefochten sitzen bleiben sahen, priesen sie den Vater glücklich dessen Sohn an seinem Geburtstage eine solche herrliche Waffenprobe, so tüchtige primitiae armorum5, so tapfer
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bestand. Ich selbst war noch viel mehr verwundert, und kann mir mein neuerdings bewiesenes Trinktalent einzig und allein dadurch erklären, daß ich in allen Stücken der ächte Sohn einer braven Rheinländerin bin (sit venia verbo6, liebste Mamma!). Ich beobachtete mich dabei selbst ganz genau, und fühlte die ganze Zeit auch nicht die geringste Unpäßlichkeit; erst nach dem dritten Glase „moussirender Frankenwein“ fühlte ich ein klein wenig die arteria temporalis7 pulsiren, was aber sogleich wieder aufhörte, als ich 1 Schluck Wasser dazwischen nahm. Bertheau hat den andern Tag bis 10½ Uhr geschlafen; ich schlief zwar auch prächtig, nachdem ich endlich um 1½ Uhr zu Bett gegangen war; stand aber doch den andern Morgen, wie gewöhnlich, um 7 auf, und war den ganzen Tag sehr froh und munter. Nie in meinem Leben hätte ich gedacht, daß eine solche Kneiperei so gute Folgen haben könnte, und bin noch jetzt ganz stolz auf meine erste Trinkprobe. Übrigens braucht ihr nicht die geringste Angst zu haben, daß ich etwa solchen Geschmack daran gefunden hätte, daß ich jetzt öfter Wein kneipen würde; im Gegentheil ich habe mir vorgenommen, nun zu fasten (schon um den großen Riß in meinem Beutel zu heilen, der außerdem noch durch ein paar Schoppen Eierbier8 vermehrt worden ist) und werde den Anfang damit machen, daß ich morgen das Fläschchen „Leistenwein“9, das jeder Mittagsgast der Harmonie Sonntags bekömmt, und das nur 6 xr kostet, nicht trinken werde. – || Im übrigen habe ich diese Woche wieder manche schöne Stunde gehabt; Schenk hat nämlich sein andres Kollegium über Kryptogamen (das sind die niedern Pflanzen ohne Blüthen: „Farrnkräuter, Moose, Flechten, Pilze u.s.w.“)10 angefangen und da es nur 2 Stunden sind (Dienstags und Donnerstags von 4–5) habe ich es noch angenommen; außer mir und la Valette sind nur 3 noch da. Welche Freude mir das macht, brauche ich euch nicht erst auseinanderzusetzen; u. a. führt er uns in die Gewächshäuser und demonstrirt uns dort die schönsten tropischen Farrnkräuter u.s.w. Ich habe nun aber auch genug Kollegien: 30 Stunden, und dazu noch mindestens 18 Stunden Präparirübungen. Letzere frequentire ich jedoch nicht sehr fleißig. Diese Woche konnte ich schon nicht, weil ich mich wieder einmal ein bischen in den Finger geschnitten hatte. Übrigens war auch in dieser Woche völliger Mangel an Kadavern; in Folge dessen grosser Unwille der Studenten (die sich nur dadurch beruhigen liessen, daß man, um zu seciren, doch nicht geradezu die Leute vergiften könne!) und große Verlegenheit der Professoren; selbst Kölliker konnte uns bei den Vorlesungen über die Kopf- und HalsMuskeln nur Spirituspräparate zeigen. Nächst diesem und dem botanischen Kollegium macht mir noch besondere Freude die mikroscopische Anatomie des Menschen, welche im höchsten Grade interessant ist, und von dem jungen Privatdozenten11 sehr schön vorgetragen wird. Auch sehr schöne microscopische Präparate zeigt er vor. Ich habe mir dazu noch „Köllikers Gewebelehre“12 angeschafft, ein herrliches und höchst wichtiges Buch. (Außerdem habe ich mir noch ein Handbuch der Anatomie13 für 8 fl kaufen müssen!) – || Vorigen Sonntag war ich wieder in der Kirche; allein es predigte dies mal ein älterer, ziemlich salbungsvoller Mann,14 der mir viel zu viel Worte und Redensarten machte. Noch dazu war es eine specielle Erndtefestpredigt. Morgen hoffe ich wieder den ersten anzutreffen.15 Sonntag Nachmittag war trüb; erst war ich mit Bertheaus Freunden in „Smolensk“16 einem Kaffeehaus am Fuß der Weinberge; dann ging ich noch auf die Turnanstalt, diee [ich] nah hinter meiner Wohnung entdeckt habe, und wo ich jetzt zuweilen meine
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schwachen Armmuskeln übe (namentlich mein triceps brachii17 ist sehr schwach, und der biceps flexor18 nicht viel stärker). f Dienstag ging ich Abends mit la Valette ein großes Stück den Main herauf am rechten Ufer; es war schon ziemlich dunkel, der Main sehr hoch vom vielen Regen angeschwollen, und die Höhen ringsum höchst kahl und herbstlich öde; am Himmel nur eine zusammenhängende Wolkenmasse; das ganze sehr anziehend wild und düster, namentlich, da kein lebendes Wesen die Ruhe der Natur störte. Vorgestern Abend war gänzlich verschieden; rein wolkenloser Himmel, der schönste Vollmond, wahrhaft ätherische Luft, und ein zarter Nebelschleier über Berg und Thal gebreitet. Erst um 8 Uhr kam ich aus dem Kolleg, und um 9 wollte ich noch mit la Valette einen Spaziergang auf das schön gelegene Kloster, das Käppele, machen; allein als wir glücklich am Ende der Stadt waren, und eben durch das Thor heraus den Berg besteigen wollten, hielt uns die Festungswache an, und wir mußten nolens volens umkehren. Wir kletterten nun noch aufs Gradewohl an dem Citadellenberg,19 über 1 Stunde, herum, und kamen auch glücklich bis an die höchste Stelle, auf die man, ohne von den Festungswachen zurückgewiesen zu werden, || gelangeng kann, von wo wir noch eine prächtige Aussichth über die in Nebelduft zu unsern Füßen todtenstill liegende, dunkle, nur durch einzelne Lichter erhellte, Stadt, den rauschenden Strom steil unter uns, und die mondbeschienenen Höhen ringsum, in vollen Zügen genossen. Ich kann euch gar nicht sagen, welche große Freude mir ein solcher Naturgenuß, mag er nun lachend und schön, oder trübe und düster sein, gewährt. Ich fühle mich dann mit einmal alle der Sorgen enthoben, mit denen ich mich oft den ganzen Tag quäle; es ist, als kehrte der Friede Gottes und der Natur mit einemmale in meine Brust ein, den ich sonst oft vergeblich in mir suche. Was Dir, lieber Vater, die Betrachtung der Weltgeschichte und des allgemeinen Menschenschicksals im großen und ganzen ist, das gewährt mir in noch höherm Grade sowohl die allgemeine, als specielle Naturbetrachtung. Ich glaube, ich bin schon viel zu egoistisch, um an politischen Betrachtungen Interesse haben zu können. Dagegen finde ich wieder einen andern hohen Genuß und Trost in der Poesie. Diese habe ich erst in der letzten Zeit so recht schätzen lernen, seitdem ich so in die Welt hinausgetreten bin. Sie ists, die den Menschen über den Staub und die Sorgen des Alltagslebens hinweghebt und ihm die bösen Gedanken verscheucht. – Was habt ihr denn für Nachricht von meinem Ehepaar20? Schreibt mir doch im nächsten Brief einmal, was sie machen. Daß Du lieber Vater, auch von Merseburg einen Geburtstagbrief bekommen hast, freut mich sehr; wenn du antwortest, grüße sie21 schönstens von mir. || Sie werden unterdeß wohl schon durch Ernst Weiß22 von mir gehört haben, an den ich einen ausführlichen Brief mit in das Paket an Weber23 gelegt habe, das ich vorige Woche nach Halle schickte. – Daß Tante Bertha wieder gebrannt worden ist,24 thut mir recht leid; sagt ihr einen ganz besondern innigen Gruß von ihrem treuen Pathen, und daß er doppeltes Mitgefühl mit allen durchi Operationen gequälten armen Kranken hätte, seitdem er in dies medicinische Getreibe hinein gekommen, aus dem er hoffentlich bald genug wieder heraus kommt. – So eben fällt mir ein, daß ich auch in meinem ersten Briefe25 von hier wohl zu schreiben vergessen habe, daß der erste, den ich in Halle am Bahnhof nächst meinen 3 Freunden26 antraf, Langer27 war, der grade nach Zörbig zurückfahren wollte. Erj freute sich außerordentlich über die Neuigkeiten, die ich ihm mittheilen konnte, und läßt euch alle tausendmal herzlich grüßen und gratuliren. –
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Ihr schreibt mir, daß Hartung28 in der Wahlversammlung in Lauchstädt so abgefallen ist; – vorgestern las ich im „Frankfurter Journal“ folgendes: „„Aus der Provinz Sachsen“ – Den Diaconus Hartung in Merseburg, der in einer Predigt Gott gebeten hatte, den evangelischen Oberkirchenrath und das Konsistorium zu stürzen, und eink wahrhaft lutherisches Kirchenregiment einzusetzen, ist suspendirt worden.“29 – !!! – Jetzt hätte ich sehr gute Gelegenheit gehabt, mit Kölliker genau bekannt zu werden. Er suchte nämlich einen Kommilitonen „der im Falle wäre, einige anatomische Zeichnungen für ihn anfertigen zu wollen“. Ich hatte Anfangs Lust || mich zu melden. Nun hat er einen ziemlich ungeschickten bekommen, mit dem er aber doch zufrieden ist. – Das Zeichnen macht mir übrigens einmal wieder sehr viel Freude, und in Ermangelung eines bessern Gegenstandes, zeichne ich flott Knochen nach der Natur. – Durch den Brief von Weber30 habe ich erfahren, was ich euch auch wohl noch nicht geschrieben habe, daß mein früherer Schulkamerad, Dorendorf31 (jetzt studiosus in Halle), eigentlich ein recht guter und netter Mensch, an der Kehlkopfschwindsuchtl32 gestorben ist; der arme! glückliche – Wenn ihr nächstens meine Freunde einladet, so grüßt sie herzlichst von mir und Bertheau; besonders fragt den lieben Wittgenstein etwas aus, wie er es mit seiner naturwissenschaftlichen Karriere zu halten gedenkt, und was er jetzt zunächst studiren will. – Wenn ihr Georg Quinke33 seht, grüßt ihn gleichfalls recht schön von mir. Nochmals, liebste Eltern den herzlichsten Dank für die gütigen Briefe und Geschenke; der Makronenkuchen und der treffliche Braten haben mir schon heute und gestern ein vortreffliches Abendbrot geliefert; morgen kommt auch der Baumkuchen dran; das soll schmecken! Auf euer Wohl!!! Innig umarmtm euch Euer alter treuer Junge E. H. Auch noch besondere Grüße an den lieben Großvater. Bist du, mein liebstes Mutterchen, denn ganz wieder wohl?n 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
Vgl. Br. 100, Anm. 14. Br. 112 und 113. Schalksberger, ein weißer Frankenwein. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Lat., wörtlich: Erstlinge der Waffen, im übertragenen Sinn: erstes Gefecht, Waffenprobe oder Feuertaufe. Lat.: Man möge mir diese Ausdrucksweise nachsehen. Schläfenarterie, hier wohl die Arteria temporalis superficialis gemeint, die oberflächlich tastbare Arterie an der Schläfe. Biersuppe oder Warmbier mit Zusatz von Eiern und Gewürzen, regional vielfältig variierend. Weinsorte aus der Gegend von Würzburg, galt als die vorzüglichste. Vgl. Br. 103, Anm. 12. Leydig, Franz (von Haeckel zu einem späteren Zeitpunkt eingefügt: „Leydig“). Kölliker, Albert: Handbuch der Gewebelehre des Menschen für Aerzte und Studirende. Leipzig 1852; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 12 (=22). Hollstein, Lion: Lehrbuch der Anatomie des Menschen. 2., umgearb. und verm. Aufl. der Bearbeitung von E. Wilson’s anatomischem Vademecum. Berlin 1852; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 15 (=25); der Band wurde von Ernst Haeckel an das Zoologische Institut geschenkt und befindet sich heute im Bestand der ThULB Jena, Sign. Haeckel 121 (egh. Vermerk Haeckels auf dem Vorsatz: „Wuerzburg, Winter 1852/53“).
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Es handelt sich entweder um den zweiten Stadtvikar Georg Reusch oder den dritten Stadtvikar Christoph Carl Andreas Neubig. Vgl. Br. 107, S. 165. Das „Smolensk“ war ein Vergnügungslokal in Grombühl bei Würzburg. Der Name sollte an die Schlacht bei Smolensk in Napoleons Russland-Feldzug 1812 erinnern, an der auch das Rheinbundkontingent des Königreichs Bayern beteiligt gewesen war. Lat. triceps brachii: Dreiköpfiger Muskel an der Rückseite des Oberarms. Lat. biceps flexor: Zweiköpfiger Muskel an der Vorderseite des Oberarms. Der Marienberg im Westen Würzburgs, auf dem sich die gleichnamige Festung befindet; zum Käppele vgl. Br. 100, Anm. 5. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Vgl. Br. 112, S. 179; insbesondere Jakob Bernhard Simon, Karl Ferdinand Wieck, Johann Adalbert Karo, Wilhelm Osterwald sowie Christian Weiß und deren Familien. Weiß, Ernst. Nicht überliefert. Vgl. Br. 108, Anm. 7. Br. 95. Weber, Victor; Weiß, Ernst; Hetzer, Wilhelm. Langer, Friedrich Wilhelm. Hartung, Friedrich Albert; zum Vorgang vgl. Br. 112, S. 180. Frankfurter Journal. Erste Beilage zu Nr. 281, 24.11.1852: „Aus Halle vom 17. Nov. meldet die ‚Magdeb. Ztg.“ die erfolgte Suspension des Predigers Hartung in Merseburg wegen einer Predigt, worin er Gott gebeten, die Kirche von dem jetzigen Consistorium und dem Oberkirchenrathe zu erlösen und dafür ein ächt lutherisches einzusetzen.“ Victor Weber an Ernst Haeckel, Kyhna, 15.10.1852 (EHA Jena, A 16198): „Als ich am 22/9 in Merseburg war u. Dich erwartete, erfuhr ich, daß Dorendorf Nachts vorher nach mehrwöchentlicher Krankheit (Kehlkopfschwindsucht) gestorben sei.“ Dorendorf, Friedrich Herrmann. Tuberkulose im Bereich des Kehlkopfs. Quincke, Georg.
115. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 1. dezember 1852
Berlin 1 December 52 Gestern früh, lieber Ernst, erhielten wir Deinen lieben Brief, worin Du uns die Feier meines Geburtstags beschreibst.1 Da hast Du allerdings sehr tapfer getrunken und wenn Du sonst zu Ausschweifungen im Trinken geneigt wärest, könnte uns bange werden. Wir betrachten es aber nur als ein zufälliges Ereigniß und sind bei Deiner Individualität deshalb unbesorgt. Daß Deine Kameraden eben bei Deiner Eigenthümlichkeit über diese Prästation gestaunt haben, kann ich mir wohl denken. Aus Deinem Schreiben geht ferner hervor, daß sich die Poesie bei Dir regt. Dieses freut mich, auch ich fand in frühern Jahren viel Geschmack an der Dichtkunst. Die Zeit der Jugend ist die Zeit der Poesie und man kann es unnatürlich nennen, wenn sie sich dann nicht im Menschen regt. Denn jedes Lebensalter hat seine Eigenthümlichkeit und macht seine eignen Forderungen. Im männlichen Alter stellen sich andre Forderungen heraus, da will man schaffen und wirken und in der Wißenschaft Resultate erzielen. Im spätern Alter nimmt die Produktivkraft im Denken und Handeln ab, man wird ganz objektiv und beschaulich, aber auch viel nüchterner und unbefangener und
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das Urtheil reifer und unpartheiischer, eben weil man nicht mehr aktiv ist, sondern den Zuschauer macht. Damals als ich in Halle war, wirkten die beiden Schlegels2 sehr anregend in der Litteratur und machten ins besondere auch auf das Wesen der Dichtkunst aufmerksam, welches bisher sehr philiströs aufgefaßt worden war. Seitdem ist man in jener Bahn fortgegangen, und unsre großen Dichter sind viel richtiger aufgefaßt und erkannt worden. Schiller hat in seinen großen Tragödien schon a den großen Styl der Griechen vor Augen und Göthe machte ins besondere auf Shakespeare aufmerksam, der seitdem von den Deutschen viel tiefer aufgefaßt worden als von den Engländern und er spricht durch seine großen Dramas auch im Alter an. Der Kampf der Leidenschaften tritt im Shakespeare aufs großartigste hervor aber auch das Weltgericht, das Böse kommt zuletzt immer vor den Fall, b die Vergeltung bleibt nicht aus und der Dichter lebt im Tiefsten in ganz christlicher Weltanschauung. c Eben so deuten auch Schillers Tragödien d auf eine Ausgleichung jenseits (Wallenstein3, die Jungfrau von Orleans4) und ruhen in so weit ebenfalls auf christlicher Weltanschauung, denn der Glauben an die Ausgleichung jenseits ist uns erst durch das Christenthum geworden, durch die sichere Aussicht auf eine künftige beßre Welt. Göthe ist mehr Grieche, er sucht seine Befriedigung in der edelsten, herrlichsten Verschönerung des irdischen Lebens, wie dieses bei den Griechen der Fall war und führt uns die herrlichsten irdischen Gestalten vor (Iphigenie5, die schönen Charakter im Wilhelm Meister6). Im Faust7 aber wird er christlich, hier schildert er die Verführung eines ursprünglich edlen das höhere suchenden Geistes durch den Teufel, deutet aber auch die Vergebung jenseits an. Da Göthe häufig mehr in dieser Welt ist, als auf das Jenseits deutet, so konnte ich ihn in meinem tiefsten Schmerz nach Emiliens Tode8 nicht lesen, während ich im tiefsten Schmerz Linderung in der Anschauung der Natur fand, eben weil sie auch (z. B. beim Anblik des Sternenhimmels) auf die Ewigkeit verwies. Daß die Naturerscheinungen Dich so feßeln, ist sehr schön, der innerste Mensch wird dadurch angesprochen und e über das gemeine Treiben der Welt erhoben. Wenn ich die Schneekoppe9 in Schlesien ansehe, da wandelt mich immer ein Gefühl der Erhabenheit an. Wie viele Tausend Generationen hat sie vielleicht schon vor sich vorüber gehen sehen, während sie unveränderlich, wenigstens nach unsrer gewöhnlichen Auffaßungsweise, da steht und allem Vergänglichen Troz zu bieten scheint. Wie klein erscheint da der Mensch mit seinem Getreibe und doch sollen auch inf diesem Getreibe die wenigen göttlichen Anlagen des Menschen durchscheinen und durchbliken. Denn auch dieses menschliche Leben soll in seinem geschichtlichen Verlauf eine gewiße Vollendung erhalten, das Reich Gottes soll wenigstens bis auf einen gewißen Grade schon in diesem Leben verwirklicht werden. Dieses ist nach meiner Ansicht nur durch das Christenthum möglich; wie denn auch schon die christliche Kultur eine menschliche Vervollkommnung erzeugt hat, wie sie die ältere Geschichte nicht kennt, denn noch nie ist die Veredelung der ganzen Menschheit, als Ziel dieses Lebens, der Menschheitg so ins Bewußtsein getreten wie in der christlichen Zeit, und wenn [man] die neuere Geschichte auf diesen Spuren verfolgt, so bekommt man immer wieder Hoffnung und Ruhe, wenn es auch für den Augenblik noch so schlecht geht. Dieses ist ins besondere || jetzt bei uns in Deutschland der Fall, wo gegenwärtig die rohe Gewalt regiert und in den leitenden Staatsmännern auch nicht eine Ahnung von der Entwikelung der Menschheit, ihrem gegenwärtigen Stadio und wie sie aus demselben, der höhern Fortentwickelung entgegen zu führen sei? vorhanden ist. Die karicaturar-
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tigen Ausbrüche der innern Sehnsucht nach beßern Zuständen werden zum Vorwand genommen, um sich auf die roheste und frechste Weise h wieder in den Besitz der unumschränkten Gewalt zu setzen und keine Lüge und Betrug wird unversucht gelaßen, um wieder dahin zu gelangen. In den verschiedenen Klaßen der Gesellschaft herrscht theils Verblendung und roher Eigennutz und Herrschsucht i theils eine jämmerliche Apathie, die nur nach dem Genuß der nächsten Stunde fragt und unbekümmert um das Wohl des Ganzen sich zufrieden stellt, wenn sie nur in Ruhe gelaßen wird. Da gehört ein starker Glaube an die göttliche, die Menschheit einem sichern Ziel entgegen führende Vorsehung dazu, um nicht ganz irre zu werden. In ruhigern Stunden finde ich diesen Glauben immer wieder, aber ich habe oft schwere Stunden des Grams und der Niedergeschlagenheit. Ich habe sie ins besondre gestern seit dem Lesen der Thronrede10 gehabt, wo unverhüllt die Absicht ausgesprochen ist, die Theilung der Gewalten (d. i. die constitutionelle Verfaßung) zu beseitigen. Dabei hat man die Frechheit, von sittlicher Pflege des Volks zu sprechen, während man es durch einen Haufen von Regierungsmasregeln demoralisirt und über die geleisteten Eide hinwegspringt.j Nun, es ist Gottes Wille, daß auch diese Prüfungen durchgemacht werden sollen. Die Nemesis wird nicht ausbleiben. Wir haben, lieber Ernst, vorgestern Abend drei Freunde bei uns gehabt und einen recht schönen Abend erlebt, auch Deiner aufs lebhafteste gedacht. Sonst leben wir sehr still, wir fühlen uns sehr verwaist durch die Entfernung unsrer Kinder und leben eigentlich nur mit Papa11 und Bertha12. Ich habe mich viel zu Hause mit ökonomischen Angelegenheiten beschäftigt und gehe dann von 4–6 Uhr spatzieren, so dann bleibe ich meist zu Hause, schreibe oder lese, am meisten sind wir mit unsern Gedanken bei den Kindern, und ich suche k alle Kräfte zusammen zu nehmen, um zur politischen Ruhe zu gelangen. Es gehen immer mehr Nachrichten ein, wie schändlich es bei den Wahlen zugegangen ist. Dafür sind auch aus diesen Wahlen Kammern hervorgegangen, daß sichl Gott erbarmen möge. Eine Menge roher Junker vom gröbsten Eigennutz und Herrschsucht und eine Menge serviler Beamten, die sich zu allem brauchen laßen! – Wie soll das werden, wenn der Staat m von außen gedrängt wird und alle Kräfte des Volks zu seiner Vertheidigung in Anspruch genommen werden!! – Inzwischen gehe Du mein lieber Ernst, Deinen Studien nach, die von der Politik nicht angefochten werden und Dir die Natur immer mehr aufschließen sollen. Sei fröhlich und heiter und verzweifle nicht an Dir selbst. Ich kenne diese Zustände auch aus meiner Universitätszeit, wo mir alle Aussicht verschwunden schien, etwas Tüchtiges zu leisten. Du bist eben in den ersten Anfangsgründen der Wißenschaft, da wird einem oft ganz bange. Aber allmählich wird es lichter und die Finsterniß verschwindet. Höre nur jetzt immerfort tüchtig medicinische Kollegien und sei unbesorgt über das, was aus Dir werden soll. Nur tüchtig in die Wißenschaften hinein, das übrige wird sich finden. Daß Du Dich Kölliker nicht zum Zeichnen angeboten hast, ist sehr unrecht, Du mußt diese Scheu zu überwinden suchen. Es ist auch eine große Lebenslehre für unsre Entwikelung, die sich darbietenden Gelegenheiten zu benutzen und nicht vorüber gehen zu laßen. Sie sind wie ein Ruf der Vorsehung zu betrachten, den wir beachten sollen. Merke Dir dieses für die Zukunft. – Es ist doch eine trostlose Jahreszeit jetzt, immer trübe, neblich und feucht, dabei die kurzen Tage! Nun man muß aushalten. Ich hoffe, Du wirst zum Sommer die Umgegenden von Würzburg noch sehr hübsch finden. Quincke13 wenigstens hat sie sehr
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hübsch gefunden. Was macht denn Dein Knie? Wenn Du das Pflaster14 abnimmst, so streiche ja die betreffenden Stellen stark mit dem Daumen, als wolltest du etwas hart gewordenes zerdrüken. Ueberhaupt versäume nicht, Dir Bewegung zu machen. Das erfordert die Gesundheit. Nun a Dieu, mein lieber Ernst, schreibe uns bald wieder. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6
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Br. 114. Schlegel, Friedrich; Schlegel, August Wilhelm. Schiller, Friedrich: Wallenstein ein dramatisches Gedicht. 2 Theile, Tübingen 1800. Schiller, Friedrich: Die Jungfrau von Orleans. Eine romantische Tragödie. Berlin [1801]. Goethe, Johann Wolfgang von: Iphigenie auf Tauris. Ein Schauspiel. Leipzig 1787. Goethe, Johann Wolfgang von: Wilhelm Meisters Lehrjahre. Ein Roman. 1. Bd., Berlin 1795, 2.–4. Bd., Frankfurt; Leipzig 1795–1796; ders.: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder Die Entsagenden. Ein Roman. 1. Theil, Stuttgart; Tübingen 1821; ders.: Wilhelm Meisters Wanderjahre oder die Entsagenden. 3. Bücher. In: Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 21.–23. Bd., Stuttgart; Tübingen 1829. – Zu Goethe und den Griechen vgl. Düntzer, Heinrich: Goethe als Dramatiker. Leipzig 1837, S. 218–247. Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Ein Fragment. Leipzig 1790; ders.: Faust. Eine Tragödie. Tübingen 1808; ders.: Faust. Der Tragödie zweyter Theil in fünf Acten. (Vollendet im Sommer 1832). In: Goethes Werke. Vollständige Ausgabe letzter Hand. 41. Bd., Stuttgart; Tübingen 1832. Haeckel, Henriette Emilie, geb. Lampert, Carl Gottlob Haeckels erste Frau. Schneekoppe, mit 1602 m höchste Erhebung im Riesengebirge, bildet die Grenze zwischen Schlesien und Böhmen. Carl Gottlob Haeckel war in seinem Geburtsort Cunnersdorf bei Hirschberg am Riesengebirge aufgewachsen. Die Thronrede zur Eröffnung der III. Legislaturperiode des preußischen Landtages war von dem Ministerpräsidenten Freiherr von Manteuffel verlesen worden; vgl. Eröffnungs-Sitzung der beiden vereinigten Kammern am Montag den 29. November 1852. In: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 13. November 1852 einberufenen Kammern. Zweite Kammer. Erster Band, Berlin 1853, S. 1 f. – Die erwähnte Passage der Rede kündigte die Gesetzesvorlage über die Umbildung der Ersten Kammer an, aus der 1854 das Preußische Herrenhaus hervorging: „Zugleich wird Ihnen ein Gesetzesvorschlag über die Bildung der Ersten Kammer zugehen, welcher den Zweck hat, die Krone in dieser Beziehung von Beschränkungen zu befreien, die in den Interessen des Landes keine hinreichende Begründung finden. – Durch die Untrennbarkeit dieser Interessen von denjenigen der Krone ist der Regierung Sr. Majestät überhaupt die Richtung bezeichnet, welche sie bei der Entwickelung der Verfassung der Monarchie verfolgen und festhalten muß. Die Regierung ist weit davon entfernt, Freiheiten in Frage zu stellen, deren weisen Gebrauch sie für die sittliche Entwickelung des Volkes selbst für nöthig erachtet, aber die Geschichte des Landes, so wie seine gegenwärtigen Verhältnisse machen es unzweifelhaft, daß die Königliche Gewalt in Preußen durch Theilung nicht gelähmt und geschwächt werden darf. Die Einheit von Thron und Land, der Beruf einer von Partei-Bestrebungen unabhängigen Regierung zur Gerechtigkeit gegen Alle, die Eintracht aller Theile des Volkes in der Hingebung an das Vaterland, diese Grundlagen der Wohlfahrt Preußens im Innern und der Erhaltung seiner europäischen Stellung müssen vielmehr durch die Verfassung der Monarchie neue und sichere Bürgschaften empfangen.“ Sethe, Christoph. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Quincke, Hermann. Vgl. Br. 106, Anm. 9.
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116. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. november − 2. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 29/11 52.
In diesen Tagen habe ich so besonders viel an Dich gedacht, daß es mir Bedürfniß ist, einen Brief an Dich anzufangen noch ehe wir wieder Nachricht von Dir haben. Eben habe ich alles fertig gemacht, und erwartte nun Deine Freunde,1 die wir zu heute Abend eingeladen haben; mir ist es zwar wehmüthig, daß ich Dich nicht hier habe, und doch macht es mir Freude, es ist mir als erzeigte ich Dir meine Liebe. Einge-||laden sind: Hauchekorne, Althans, v. Witchenstein2, Wilde3, Regenbrecht, Max Henkel4 und die 3 Neffen5; doch nun für heute gute Nacht, ich muß noch die Bole zurecht machen; morgen schreibe ich mehr. – – Donnerstag den 2ten December. Erst heute, mein lieber Herzens Ernst, komme ich zum schreiben; und Dir zu berichten wie Montag der Abend vergangen. Deine Freunde kamen alle, und waren heiter; natürlich sprachen wir viel von Dir, alle || trugen mir Grüsse an Dich auf, und v. Witchenstein wollte Dir selbst schreiben. – Ich hatte den Abend den großen Tisch in die große Stube getragen, wir tranken daran gleich Thee, wozu ich Zwieback und Kuchen gab; dann zum Abendbrot hatte ich Haasenbraten mit Fischsaalat, gekochte Pflaumen, Aepfelchen in Wein gekocht und eingemachte Kirschen; dann eine tüchtige Schüssel mit Baumkuchen (den Rest von Vaters Geburtstag) dazu hatte ich eine Bohle || gemacht, die Beifall hatte; und gab noch Birnen; alles mundete und sie schienen vergnügt; ich dachte viel an meinen Herzens Jungen. – Deine frischen Grüsse habe ich Deinen Freunden nicht bringen können, da Dein lieber Brief6 erst Dienstag früh ankam, indeß habe ich sie von Dir gegrüßt, und ihnen gesagt, daß Du geschrieben habest, ich solle sie einladen. – Max Henkel sprach doch etwas, meinte aber er möchte auf keiner anderen Universität studiren als in Berlin!!! || Daß Du, mein lieber Ernst, an Deines Vaters Geburtstag so heiter gewesen bist, freut mich; aber mein lieber Ernst, so viel Wein mußt Du nie wieder auf einmal trinken; wenn man auch eben nicht davon betrunken wird, so schadet es doch der Gesundheit, und kann Dein Knieübel sehr verschlimmern. Ich habe nichts dagegen wenn Du mitunter ein paar Gläser Wein trinkst, im Gegentheil es ist mir unbedingt lieber als wenn Du Bier trinkst; aber nie viel || lieber öfter, so ist das Unsinn, daß Du deshalb Sonntags den dort gewöhnlich von den Gästen getrunkenen Wein nicht trinken willst, weil Du vorher so viel getrunken hast. Ich muß Dich um so dringender bitten, ja auf Deiner Hut zu sein; weil ich den Gedanken immer nicht loos werden kann, daß mein verstorbener geliebter Bruder7 seiner Gesundheit dadurch geschadet hat; er war so kräftig als er das älterliche Haus || verließ. Er hat sich gewiß nie betrunken also nach Deiner Meinung nicht das Maaß überschritten, und doch hat es ihm sicher geschadet. Also, mein lieber Ernst, wenn Du es von meiner Seite übertriebene Aengstlichkeit nennen willst, dagegen habe ich nichts; nur thue es mir zu Liebe; und trinke nie viel Wein auf einmal. Ich hoffe ja so sehr meinen alten Jungen nach dieser Trennung körperlich und || geistig frisch und gesund in meine Arme zu schliessen. Daß Du Dich beim Professor Kölliker nicht zum Zeichnen gemeldet hast, ist unrecht gegen ihn und gegen Dich, er hätte die Zeichnungen besser bekommen und Du wärst
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dadurch mit ihm näher bekannt geworden. Wenn sich Dir so etwas wieder bietet, dann sei nicht so blöde. – Montag früh ana Vaters Geburtstag haben wir die letzte Nachricht aus Ziegenrück gehabt. Hermine war wohl, Karl hatte Zahnschmerz. || Nun leb wohl, mein lieber Junge! Gott behüte Dich, sei heiter und frisch und denke an Deine Mutterb 1
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Während Haeckels erstem Studiensemester in Berlin im Sommer 1852 hatte sich ein aus naturwissenschaftlich Interessierten bestehendes „naturwissenschaftliches Kränzchen“ formiert, das neben seiner Person 7 „eigentliche“ Mitglieder hatte: Wilhelm Arthur Wilde, Carl Neuhaus, Joseph Karl Heinrich Jacob von Wittgenstein, Ernst Friedrich Althans, Heinrich Lambert, Wilhelm Hauchecorne und Georg Bertheau. Das Kränzchen unternahm Ausflüge und Kahnpartien, traf sich in Gastwirtschaften und wurde gelegentlich auch von Haeckels Eltern zum Abendessen eingeladen. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 32r–33r. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Wilde, Wilhelm Arthur. Henckel von Donnersmarck, Maximilian. Bleek, Theodor; Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann; Bleek, Wilhelm. Br. 114. Sethe, Karl Johann Ernst Heinrich.
117. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 3. dezember 1852
Berlin 3/12 52. Guten Abend, mein lieber Herzens Sohn! Eben hat Vater den Brief an Dich mitgenommen, und doch setze ich mich schon wieder hin, um etwas mit Dir zu plaudern, da mir nach Durchlesen Deines Briefes1, (was ich oft thue, wenn ich so allein sitze) noch allerlei eingefallen ist, was ich Dir noch schreiben wollte. Hauchekorne, der Montag Abend bei Tische neben mir saß, meinte Wittchenstein2 würde nun praktischer Bergmann werden. Mit ihm selbst habe ich nicht davon gesprochen. Hauchcorne sagte || mir ferner wenn Du Dich mal ganz für die Botanik entscheiden würdest, so würden in dem Fache grade tüchtige Leute gesucht, er war aber auch der Meinung daß Du Medicin dabei studieren müßts, und dasselbe Urtheil hört man doch von allen; also mein lieber Ernst, nur muthig aufa dem angefangenen Weg weiter marschirt. Heute Mittag hat Frau Thym3 bei uns gegessen, sie sagte || ihrem Sohn sei Reme4 sehr gut bekommen; ich hörte von ihr erst das ihr Sohn das Leiden am Knie schon 12 Jahre gehabt habe b da können wir ja um so mehr Zuversicht haben, daß es mit Dir wieder ganz gut werden wird. Heute Abend sind wir bei Brunnemanns5. Im Ganzen gehen wir wenig aus; ich gehe so oft als möglich zu Vater, und spiele mit ihm u. Bertha Tarock6. || Großvaters Erkältung ist vorüber, oft ist es aber als fühle er sehr das körperliche Schwächerwerden. – Ich bin auch wieder gesund; Dein Papa ist auch ganz wohl. Emma7 habe ich gestern abziehen lassen, sie war zu schwach, zu Neujahr bekomme ich ein neues Mädchen, bis dahin will ich sehn mit Minna8 allein fertig zu werden. Nun gute Nacht, mein lieber Sohn, behalte lieb Deine Mutter
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Br. 114. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Thiem, Frau, Vorname(n) nicht ermittelt. Bad Rehme, heute Ortsteil von Bad Oeynhausen in Nordrhein-Westfalen, Kurort mit Thermalheilquelle. Brunnemann, Wilhelm Eduard; Brunnemann, Auguste, geb. Sack. Kartenspiel, in dem es neben im üblichen Kartenspiel vorhandenen vier Farben noch 21 durchnummerierte Tarock- oder Trumpfkarten gibt. Es handelt sich um ein Geschicklichkeitsspiel, das europaweit in einer großen Vielzahl regionaler Varianten und mit einer jeweils unterschiedlichen Anzahl von Tarockkarten praktiziert wird. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin.
118. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 5. dezember 1852
Meine liebe Mamma!
Würzburg den a 5/12 52.
Der diesmalige Brief ist zunächst speciell an Dich gerichtet, als den geheimen OberFinanzrath des Häckelschen Hauses. Schon so bald wirst Du eine solche Rechnung mit schwarzem Rand wohl ebenso wenig, als ich b selbst, erwartet haben. Ich kann Dir versichern, daß, als ich am ersten meine Börse geöffnet hatte, um die verschiedenen Rechnungen, in specie die für den Mittagstisch und für die Wirthsleute1, zu bezahlen, ich selbst nicht wenig erschrak, als sich der gesammte Rest, nach Abzug der summa summarum, nur auf 3½ fl belief. Indeß so oft ich auch die ganzen Geschichten nachrechnetec und durchsah; immer blieb es so, wie es war und ist; und mein einziger Trost über diese schreckliche Abzehrung meiner Kasse ist, daß ich auch grade in diesem Monat sehr viel extraordinäre Ausgaben, als z. B. die Reise hieher, die Einrichtung hieselbst, die Kollegiengelder u.s.w. nothwendig thun mußte. Wie sich dies alles zusammen gesummt hat, wirst du aus der beiliegenden Specialrechnung ersehen. Mitgenommen hatte ich 50 rℓ Gold und 50 rℓ Silber; das macht zusammen 187½ Gulden. Da nun die d Ausgaben 184 fl betragen, bleiben || mir nicht mehr, als 3½ Gulden, und bleibt weitere mir nichts übrig, als der feste Vorsatz, von nun an sparsamer zu wirthschaften, und mich in mancher Hinsicht mehr einzuschränken. So will ich z. B. Nachmittags keinen Kaffee mehr trinken; auch Abends nicht mehr aus gehen (denn wenn ich dann Bekannte treffe, komme ich nichtf unter 10–15 xr weg) sondern mir zu Haus von meiner Wirthin (o theure Wirthin!) eine Suppe machen lassen (obwohl diese es auch nicht unter 6–8 xr thut). Ferner könnte ich auch billiger zu Mittag essen, wenigstens für 18 xr, während es auf der Harmonie2 21 kostet. Allerdings würde ich dann die Gesellschaft von Bertheau und la Valette entbehren; doch am Ende muß alles gehen. Die Rechnung von der Frau Doctorin3 ist viel theurer ausgefallen, als ich erwartet hatte; sie behauptet zwar immer sehr naiv, sie beherberge ihre Miether durchaus nicht um ihres Vortheiles willen, sondern blos zu ihrem Vergnügen; indeß beklagen sich auch meine Hausgenossen über ihre große Theuerung. Das Bett, das ich mitgebracht hatte, hat sie für 30 xr. abgerechnet! Außerdem habe ich auch einen sehr wichtigen Grund, auszuziehen. Meine Stube ist nämlich hellgrün tapezirt, was mir gleich an-
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fangs nicht wohl gefallen wollte. Nun habe ich || jetzt mit meinen beiden Hausburschen (2 Brüdern, nette, ältere Leute, aus Wiesbaden, von Franque)4 eine chemische Analyse (die sogenannte „Marsh’sche Arsenikprobe“ mit Wasserstoffgas)5 der Farbe angestellt, und gefunden, daß es Schweinfurter oder Mineral-Grün ist,6 in welchem großentheils Arsenik enthalten ist. Sprich doch darüber mit Quinke7 und frage ihn, ob es deßhalb allein nöthig wäre, auszuziehen; Du wirst Dich wohl erinnern, welchen Werth Basedow8 darauf legte;9 dann laß es mich bald wissen, denn ich müßte dann bis zum 12ten oder 15ten kündigen. Auch meinen meine Bekannten, ich wohnte sehr theuer; ich glaube nicht, daß ich viel verlieren würde, wenn ich umziehe; außerdem ist die Stube sehr kalt, und ich glaube, ich habe mich schon jetzt tüchtig darin erkältet, falls dies nicht von einem ziemlich frostigen Spaziergang am vorigen Sonntag herrührt. Ich habe nämlich einmal wieder Zahnschmerzen, Schnupfen, Husten und Halsweh, auch etwas Ziehen in den Gliedern gehabt; Jedoch ist es schon wieder fast ganz vorüber und ich tröste mich mit meinem lieben Bruder10, der ja auch die rauhe Gebirgsluft Ziegenrücks hat fühlen müssen. Hoffentlich geht es ihm auch wieder besser. Möglich ist es auch, daß die Erkältung von dem || schauerlichen Regen-Nebel-Wind-Wetter mit seiner nassen Kälte, und von der wirklichen Londoner Nebelatmosphäre herrührt, in der wir hier seit 8 Tagen leben, und ing der ich doch meistens täglich 1 Stündchen mit la Valette spazieren gegangen bin. Diesem trüben Wetter schreibe ich auch zum großen Theile die düstre Stimmung zu, die ichh in dieser Woche wieder mal gar nicht habe los werden können. Es ist mir so traurig, daß ihr euch so einsam fühlt, und doch bin ich selbst noch viel einsamer und verlassener; ich habe hier ja keine Seele, der ich mich so recht mittheilen könnte. Wenn [ich] dann so an euch und mich denke, wird mir mein Hiersein oft recht schwer und ich denke: Wie schön hättest du nun den Winter in Berlin bei deinen Alten zubringen können; wäre es Sommer, dann ginge es noch viel eher; aber es ist ja doch einmal alles verfehlt, was ich anfange; nächsten Sommer möchte ich doch wieder, trotz deri schauerlichen Residenzstadt selbst, in Berlin sein; inzwischen freue ich mich herzlich auf Ostern und rechne die Zeit bis dahin aus. Nun ist ja schon bald ein Drittheil dieses schweren Winters überstanden, und dann: was wird das für eine herrliche Wiedersehnsfreude sein! Anfang März wird hier schon geschlossen und dann solls auch gleich fortgehen. Was ich künftigen Sommer anfange, weiß ich noch nicht; indeß mache ich mir darüber schon mehr Scrupelj, als vielleicht gut [ist.] || Daß Du Dich so über das Renomistenstück11 von mirk an Papas Geburtstag betrübt hast, liebe Mutter, ist mir recht leid; ich verspreche Dir aber, nie wieder eine solche Extravaganz, sollte sie auch noch so gut ablaufen, zu begehen. Das Weintrinken ist überhaupt ein überflüssiges Ding und man profitirt nie dabei, selbst wenn der Wein so billig ist, wie hier. Nun wirst du wohl wieder betrübt sein, daß mein Geld schon alle ist; indeß bedenke nur, daß Du mir selbst eingeschärft hast, liebste Mamma, ich sollte nicht geizig sein, wozu ich große Anlage hätte, und ich sollte euch gleich offenl schreiben, wenn meine m Kasse geleert ist, auf daß ich keine Schulden machen lerne. So habe ich es denn auch gleich gethan, verspreche aber (neben der Bitte um baldigen Succurs12) von nun an gewiß recht ordentlich und sparsam zu wirthschaften. Du kannst mir glauben, daß mir ein solcher Bettelbrief wie ich ihn jetzt zum Theil wenigstens im Sinn gehabt habe, recht schwer geworden ist; indeß das Geld ist einmal ausgegeben und ihr werdet
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aus der Rechnung sehen, wie wenig ich dafür kann, daß dies so rasch gegangen ist. Ich wollte wahrlich 10mal lieber, meine liebe Alte führte mir die Wirthschaft, als daß ich mich selbst um Einnahmen und Ausgaben zu bekümmern brauche. Doch das sind die Freuden der Junggesellenwirthschaft! || Recht gefreut habe ich mich, daß ihr meine Freunde Abends bei euch gehabt habt.13 Hatte denn Max Henkel14 wirklich vorher Besuch bei euch gemacht? Bei wem ist er denn so quasi in Pension? Und wo ist sein Vater15 hingezogen, oder ist er noch in Merseburg? Du schreibst mir, Du hättest sie mit Baumkuchen von Papas Geburtstag tractirt; der, den ihr mir geschickt habt, existirt auch immer noch, trotzdem daß ich ihn mir fast täglich trefflich schmecken lasse. Ich denke dann immer recht sehnlich an meine lieben Alten, und wie viel besser es mir noch schmecken würde, wenn ich ihn mit ihnen verzehren könnte. Doch die Zeit wird hoffentlich auch baldn wieder kommen! – Wie geht es denn Großpapa und Tante Bertha? Grüße sie recht schön von mir und sage ihnen, daß ich neulich Abend wieder von ein paar Studenten als Sachse an der Sprache erkannt worden bin. Es waren dies Danziger16, die auch Meyer17 kannten. Die Ziegenrücker grüße gleichfalls herzlich, und sage ihnen, daß sie ihren armen Bruder in ihrem Glück nicht ganz vergessen sollten. Endlich laß dich selbst, meine liebe Alte, noch herzlich küssen und umarmen von deinem alten Ernst – || [Beilage: Abrechnung auf separatem Blatt] Transport
Gulden 134
Papas Geburtstagsfeier 3 Kaffee Nachmittags 2 Mittagsessen auf der Harmonie jedesmal 21 Kreuzer 11 Abendessen außerhalb, Spaziergänge und andre Kleinigkeiten, chemische Reagentien u.s.w. 9 Hausrechnung 25 ------------------------------------------------------------Summa summarum 184 fl Specialia der Hausrechnung: Kaffee früh, jedesmal 7 xr zusammen 4½ ∏f Öhl Holz Miethe Außerdem Suppe Abends, Obst Groschensbrödchen, Wichse, Talglichte, Postporto u.s.w. u.s.w.
4 fl 1 fl 9 fl 7 fl
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Mitgenommen hatte ich Bleiben mir noch
187½ fl 3½ fl
O gerum, o gerum, quae permutatio rerum!!!18 ||
Gulden Herreise (mit 24 ∏f Überfracht und Aufenthalt in Halle) – 23½ Transport für die Kisten – 9½ Immatriculation – 5 Collegien Koelliker – 20 Mueller – 8 Leydig – 8 Schenk (Cryptogamen) – 5 – privatissimum) – 12 Secirübungen – 11 Bücher: Hollsteins Lehrbuch d. Anatomie19 7¾ Köllikers Gewebelehre20 6⅓ 1 Secirkutte. – 4 1 Streichriemen und 1 Schleifstein 1⅔ 13 Freimarken – 2 Lampenglocke – ¾ Uhrmacher (für 1 zersprengte Feder) 1⅔ Wäscherin 2⅓ 1 Mütze – ¾ Einband obiger Bücher 1½ Porto für 1 Paket nach Halle ¾ 3 Notizbücher fürs Kolleg, 1 Federn, Tinte, rothe Tinte 1½ Kleinigkeiten ⅔ ---------------------------------------------------------------Summa 134 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Vgl. Br. 100, Anm. 13. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Franqué, Arnold von; Franqué, Otto von. Marshsche Probe, chemische Nachweisreaktion für Arsen, Antimon und Germanium. Schweinfurter Grün (Kupfer(II)-arsenitacetat), eine Malerfarbe mit starker Giftwirkung. Quincke, Hermann. Basedow, Carl Adolph von. Vgl. Basedow, Carl Adolph von: Fernere Beobachtungen über die gesundheits-nachtheiligen Ausdünstungen der Zimmerfarben aus arseniksaurem Kupferoxyd. In: Wochenschrift für die gesammte Heilkunde. Berlin. Nr. 27, 1.7.1848, S. 417–429, 436–448, 453–462. Haeckels Bruder Karl litt auch unter Zahnschmerzen; vgl. Br. 116, S. 192.
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Gemeint ist Haeckels Prahlerei mit dem Gelage anlässlich des Geburtstages seines Vaters; vgl. Br. 114, S. 183 f. Lat.: Beihilfe, Unterstützung. Vgl. Br. 116, S. 191. Henckel von Donnersmarck, Maximilian. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Außer Reinhold Hein war im Wintersemester 1852/53 nur noch ein einziger Danziger, Ernst Schönbeck, ein Student der Medizin, an der Universität Würzburg immatrikuliert. Außer den beiden Danzigern gab es noch einen Studierenden aus Elbing und zwei aus Königsberg. Meyer, Friedrich Heinrich. Eigentlich ‚O jerum, o jerum‘; mit einer Anspielung auf das Klagelied der Alumni über die verflossene Studienzeit im Lied „O Alte Burschenherrlichkeit“ (vgl. Schauenburg, Hermann / Schauenburg, Moritz (Hrsgg.): Allgemeines Deutsches Kommersbuch. 11. Aufl., Lahr [1867], S. 239 f.) beklagt Haeckel hier den Rückgang seines pekuniären Vermögens. Vgl. Br. 114, Anm. 13. Vgl. Br. 114, Anm. 12.
119. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 5. dezember 1852
Lieber Vater!
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Vor allem muß ich Dir ein Kapitel lesen, daß Du Dichb wieder so über die Politika geärgert hast. Das ist, mein liebes Alterchen, fast ebenso schlimm, als wenn ich mich so unnütz und vergeblich um meine Zukunft gräme. Gott wird auch ohne unsre Sorge die Angelegenheiten des Einzelnen sowohl als des Staats, gut zu Ende führen. Je bunter es jetzt hergeht, desto eher muß es ja besser c werden, und die Krisis eintreten. Freilich kann ich mir recht gut denken, wie Dir die Kammern1 mit ihrem dummen Zeuge in so unmittelbarer Nähe d viel zu schaffen machen; ich würde mich aber bei der ganzen Sache auf einen viel objectiveren Standpunkt stellen. Du schreibst mir, Du fühltest die Last des Alters, zugleich aber auch seine andern Eigenschaften indem es uns zu einer ruhigern, objectivern Betrachtung hinführe, und in derselben Zeile fährst Du mit der ganzen Gluth eines jugendlichen Patriotikers über die armen Kammern und den „juten“ König2 her! Denke doch, daß Dir Deine Frau und Deine Kinder viel näher stehen, und daß Du diesen Wehe thust, wenn Du durch Ärger Deiner Gesundheit schadest! Mache es lieber, wie wir hier, die weder nach den preußischen noch nach den bayrischen Kammern fragen, || sondern höchstens Kladderadatsch3 und fliegende Blätter4 lesen, und uns über „Napoleon den Kleinen“5 amüsiren. Nun ist doch grade eingetroffen, was wir Adolph Schubert prophezeiten: Daß er zur Kaiserkrönung6 nach Paris kommen würde. Habt ihr vielleicht etwas von ihm gehört? – Die langen Abende so allein hier kommen mir recht spanisch vor. Ich denke dann immer, wie meine lieben Alten sich jetzt vielleicht etwas zusammen vorlesen: Sheakspeare [!] von Gervinus7, oder Vilmars Literaturgeschichte8, oder ein anderes historisches schönes Werk; zuweilen ängstigt sich auch wohl Mama, wenn Du im Dunkeln spaziren gehst, und nicht zu rechter Zeit nach Hause kommst? – Bei den Büchern fällt mir [ein], daß jetzt hier „Immanuel Kants sämmtliche Werke“ welche neu 25 fl kosten, für 8 Gulden zu kaufen sind. Freilich ist es nicht die gute
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Ausgabe von Rosenkranz9, sondern die von Hartenstein10; aber noch ganz neu und gut erhalten. Anfangs wollte ich es für Dich kaufen; dann fiel mir aber ein, daß es ja Großvater wohl schon hat? Wenn Du es doch zu haben wünschst, so schreibe es mir. Ich glaube, ich werde auch noch tüchtig Kant studiren müssen.11 Nun noch einmal die Bitte, daß Du Dir die politica nicht so zu Herzen nimmst, und daß Du lieb behältst Deinen alten, treuen Jungen E. H. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Vgl. Br. 115, S. 188 f. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. Kladderadatsch. Organ für und von Bummler. Berlin 1848; Kladderadatsch. Humoristisch-satirisches Wochenblatt. Berlin 1849–1910; Kladderadatsch. Berlin 1911–1944. Fliegende Blätter. München 1845–1944. Spottname für Louis Napoleon Bonaparte, der am 2.12.1852 als Napoléon III. zum Kaiser der Franzosen ausgerufen worden war. Napoleon III., vgl. Br. 106, S. 163. Gervinus, Georg Gottfried: Shakespeare. 4 Bde., Leipzig 1849–1850. Vilmar, August Friedrich Christian: Geschichte der deutschen National-Literatur. Dritte verm. Aufl., 2 Bde. in einem Bd., Marburg; Leipzig 1848; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 148 (=267). Kant, Immanuel: Sämmtliche Werke. 12 Theile. Hrsg. von Karl Rosenkranz und Friedrich Wilhelm Schubert. Leipzig 1838–1842. Kant, Immanuel: Werke, sorgfältig revidirte Gesammtausgabe in zehn Bänden. Hrsg. von G. Hartenstein. Leipzig 1838–1839. Haeckels Kant-Lektüre ist erst für das Jahr 1862 in Jena sicher belegt, wo er die Vorlesungen von Kuno Fischer besuchte; vgl. Ernst Haeckels Kollegheft: „Kant. Kuno Fischer. Jena Sommer 1862“ (EHA Jena, B 404).
120. Von Bertha Sethe, Berlin, 27. november – 6. dezember 1852
Berlin 27/11 52. Daß ich dünnes Papier aus der Mappe hervorgesucht habe, ist immer ein gutes Zeichen, man nennt es auch Naglers Verdruß,1 der gute selige Herr würde sich aber jetzt über Vieles verdrießen; aber was ist das für ein Anfang? so höre ich Dich fragen, oder sehe es in Deiner Mine an. Eigentlich ist es auch wohl so Styl mit einer langen Entschuldigung wo möglich in logischer Form den Brief zu beginnen, ein Mal bin ich aber gar keine Freundin und noch weniger Kennerin der Logik, und dann ebenso wenig Künstlerin in schönen Redensarten, zum Dritten hätte ich nöthig gehabt „dünnes Postpapier“ zu nehmen wenn ich damit den Brief hübsch lang machen wollte und zum vierten und letzten denke ich, wo Dir rechte Liebe ist, da ist auch Verständniß und Vertrauen, und nun wäre ich denn glücklich da angelangt, wo ich hin wollte: also: Lieber Ernst! Ja lieber Ernst mit rechter Freude habe ich immer Deine Briefe an die Eltern gelesen, und im Herzen Dich zu Deinem neuen Leben und Wirken getragen und gehalten, und Dich in Allem verfolgt und begleitet, was Du treibst und lebst. Ich kann es mir recht denken, wie alle die neuen Eindrücke, äußerlich und innerlich Dich bewegen,
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wie Alles || Dich berührt. Das Unangenehme und Schwere, das Freudige, Erhebende, das Interessante und Abstoßende in Deinem Leben und Deinem Studium. den 6ten December So geht es, wenn man in’s Verschieben und Trödeln kommt, heute soll aber der Brief bestimmt fort, noch dazu, da mir Deine Mutter noch einen Nachzügler zum Einlegen gebracht hat. Unterdessen ist nun schon wieder ein Brief von Dir da,2 das ist immer eine rechte Freude, und ich bekomme auch immer so recht davon ab; es ist gar hübsch, daß Du uns so Theil nehmen (ich bilde mir nämlich ein, daß Deine Briefe auch für mich ein wenig mit geschrieben sind) a läßt, äußerlich und innerlich. Thue das ja immer, ein Mal ist es so köstlich wenn wir auch unter so mannigfachen verschiedenen äußeren Verhältnissen doch immer in stetem Geistes- und Seelenverkehr und Austausch mit denen bleiben, mit denen wir in enger Gemeinschaft des Geistes oder besser zusammen in Gott stehn. – Wie Dich Deine Studien lebendig anregen und anziehen kann ich mir wohl denken, daß Du aber nichts mit den Kranken Kursen zu schaffen haben willst, habe ich von Dir nicht anders erwartet, dennoch möchte ich Dir aber eine dringende Bitte ans Herz legen; nicht jetzt gleich nur Dir einen festen Entschluß über Deinen künftigen Beruf, über Deine Laufbahn zu fassen, es ist nie gut, wenn wir uns selbst etwas eingeredet haben, das geben wir am wenigsten wieder auf, sondern da ist der innerliche Eigensinn und Trotz immer ein hemmendes Element. Ich dächte, es wäre auch noch gar nicht nöthig, eine bestimmte Entscheidung zu fassen; Dintefaß geh’ in die Schule und lerne was, und wenn Du was gelernet hast, dann komm nach Haus, und sag mir was;4 wenn’s kindisch ist, so ist es doch ganz gut, und faßt eine große Wahrheit in sich. – Vor Allem möchte ich Dir es hier noch ein Mal so recht an’s Herz legen, daß Du mit Ernst und Kraft an Dir arbeitest, daß Deine Empfindungen und Leidenschaften nicht Herr über Dich werden, halte Dich selbst in Ordnung, gewinne die Herrschaft über Dich selbst, dann wirst Du mit hellem klarem Auge, die Gaben erkennen, die Gott Dir verliehen, und mit ihnen, als einem teuren Pfande Seiner Vaterliebe, haushalten. || Eine Prüfung und Erkenntniß der uns von Gott gegebnen Kräfte und Anlagen ist nimmermehr eine Ueberschätzung oder Ueberhebung, sondern eine b schwere Pflicht, die aber Gott von uns fordert. Wenn wir dabei in Demuth und Dankbarkeit Gott vor Augen und im Herzen haben, dann wird niemals eine Ueberschätzung oder ein Uebermuth daraus entstehen. Und so ist Viel, was Gott Dir gegeben hat, und damit Dir ein groß Stück Arbeit auferlegt; ich habe das volle Vertrauen zu Dir, Du werdest ein treuer Haushalter sein über Gottes Geheimnisse. Denn das ist Dir jetzt eben auch noch ein Geheimniß was Gott mit Dir vor hat. Kommt die rechte Zeit und Stunde, Er wird es Dir schon zeigen und in’s Herz sagen, was Er von Dir will. Ich möchte Dich aber doch ein Mal in dem Secirkittel sehen; überhaupt denke ich so oft, wenn ich nur ein Mal unsichtbar bei ihm sein könnte. Dich sehen wie und was Du treibst, wie Du mit Menschen verkehrst, das ist es eben, was Dir bisher gefehlt hat, glaube mir nur im Verkehr mit Menschen werden wir über uns und das Leben klar. – Von unserem Leben und Treiben werden Dir wohl Deine Eltern berichtet || haben, oder vielmehr von ihrem Leben u. Treiben, denn ich habe kein Leben, wenigstens ist bei mir c Athmen nicht allein schon Leben; denn mit mir geht es immer so auf und ab, wann es abgehen wird, das weiß Gott allein, das schwache Herz sehnt und
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bangt sich manchmal recht sehr darnach, es hat aber noch gar nicht den Anschein dazu, ich habe so etwas von einem Regenwurm in mir. Heute vor 3 Wochen bin ich nun zum fünften Male gebrannt worden,3 und wann werde ich sagen können zum letzten Mal? Aus Ziegenrück haben wir seit dem 22ten keine Briefe, die Familie Miesekatze5 könnte nun wohl bald ein Mal schreiben, kommt morgen kein Brief, dann soll ein Mahnbrief abgehen, aus dem pp. Glaubst Du, daß es stark werden wird? – Im letzten Brief schrieb Hermine sehr vergnügt, und mit Allem zufrieden. Unser lieber Alter6 hält sich doch eigentlich recht gut, doch nimmt die Schwerhörigkeit und die Schwäche in den Füßen zu. Deine Mutter und ich, wir spielen jetzt fast alle Abende || Tarock7 mit ihm, es ist dies das Einzige, womit wir ihm angeblich die Zeit vertreiben können. Es ist mir manchmal für Deine Mutter leid, aber ich denke dann auch wieder, es ist ihr dies so gegeben, und wird ihr später immer eine köstliche Erinnerung sein, daß sie ihm noch seine letzte Lebenszeit hat erheitern können. Weiß ich es doch an mir selber, wie bitter es ist, so Allem entsagen zu müssen, was man sich noch als Lebens-Zweck und Ziel gesetzt hatte. Unsre Älteste8 ist noch immer die Alte, zu Zeiten unerträglicher, dann wieder so passabel, im Ganzen aber doch der Hemmschuh für Alles und Jedes, wodurch das Leben schwer und bitter ist. In der Wilhelmstraße9 geht es gut. Georg Quinke läßt Dich grüßen, war vor etwa 14 Tagen ein Mal hier, um seine Mutter abzuholen.10 Da trug er mir die Grüße auf, (Du mußt wissen, daß ich damals schon an Dich schreiben wollte, aber – aber?!). Wir haben jetzt des Mittags, Wilhelm, Heinrich und Theodor hier,11 da ist es ganz lebendig, sie lassen Dich alle grüßen. Daß Du mit Theodor nicht zusammen hier bist, thut mir immer noch leid, je mehr ich ihn näher kennen lerne. Bei seiner großen jugendlichen Frische und Heiterkeit hat er ein tief innerliches Empfinden, daß ich ihn schon recht lieb gewonnen habe; ich denke nur immer, Ihr würdet Euch Beide recht gut miteinander verstanden haben, und gegenseitig ergänzend auf einander eingewirkt haben. Doch es ist nicht, und muß also auch so wohl gut sein, wie ja denn überhaupt ja Alles, was ist, gut ist, wenn es uns auch oft ganz anders dünckt, und gar nicht behagt. Deine Eltern sind Beide recht frisch, der Alte, wie Du Dir denken kannst, ganz verbiestert in den Kammern,12 möchte gelegentlich ein Schock Junker massakriren, man kann es ihm aber auch nicht verdenken, || es geht auch gar zu toll her. Aber ja aber es ist so, und muß so gut sein. Des Abends nach ihrem Abendbrot kommen die Eltern gewöhnlich her, da wird denn wie immer geplaudert, gegähnt, geschimpft, auch gebrummt; die Stelle übernimmt aber eigentlich nur Gertrude.13 Du schreibst daß Du Dich für Poesie interessiertest, wie wäre das schön, wenn wir so etwas zusammen treiben könnten; ich bin so jetzt so dünn und ledern, und werde wohl immer lederner werden, bis ich ganz Leder bin, das will so viel sagen als nichts. Doch da sage ich etwas, was ich doch nicht glaube, etwas ist in uns und lebt hell und klar in uns fort, da mag alles verdorren oder zu Grunde gehen, das ist die Liebe, diese Kraft des göttlichen Lebens, die immer wieder klar und hell hervorbricht, wenn auch die Wolken sich schwarz und immer schwärzer um uns und in uns thürmen, und daran wollen wir uns halten, mag auch dieser elende Körper in Staub zerfallen, ich bin immer in dieser Liebe, Deine alte Bertha.
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Friedrich von Nagler, preußischer Generalpostmeister und Reformer des Postwesens, führte ab 1.1.1825 eine neue Postgebührenordnung ein, bei denen sich das Briefporto progressiv nach Gewichts- und Entfernungsklassen steigerte. Dies führte dazu, dass man für Briefsendungen zur Einsparung von Portokosten vorzugsweise extrem dünnes Papier, das sogenannte Postpapier, verwendete. Br. 117 und Br. 114. Vgl. Br. 108, Anm. 7. Abgewandelter Kinderreim. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Sethe, Christoph. Vgl. Br. 117, Anm. 6. Sethe, Gertrude. Die Familie von Ernst Haeckels Onkel Julius Johann Ludwig Ernst Sethe und dessen Frau Adelheid, geb. Reimer, wohnte im Haus der Verlegerfamilie Reimer in Berlin, Wilhelmstraße 73. Quincke, Georg; Quincke, Marie, geb. Gabain. Bleek, Wilhelm; Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann; Bleek, Theodor. Haeckels Vater Carl Gottlob verfolgte regelmäßig die Verhandlungen der Ersten und Zweiten Kammer des preußischen Landtages, denen er häufig auch persönlich als Zuschauer beiwohnte. Nach den Wahlen vom Herbst 1852 (III. Wahlperiode, 1852–1855) waren die beiden Kammern von einer konservativ-junkerlichen Mehrheit dominiert; vgl. Br. 115, S. 189. Sethe, Gertrude.
121. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 8. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 8 December 52.
Ich komme eben aus der Stadt zurük, wo ich meine Pension geholt habe und also wieder Geldvorrath vorhanden ist. Das kommt gerade zur rechten Zeit, da Du in Geldnoth bist. Befolge nur alles, was Dir Mutter über Oekonomie und Quartier etc. geschrieben hat. Noth sollst Du nicht leiden und Dich auch nicht zu sehr von den Menschen zurükziehen. Der Umgang mit Menschen thut grade Dir sehr noth. – Was die Politik betrift, so nehme ich mich möglichst zusammen. Aber es geht jetzt so her, daß alle vernünftigen irgenda unbefangenen Männer über den jetzigen Gang der Dinge empört sind. Ruhiger werde ich allerdings immer wieder, wenn ich mich auf den historischen Standpunkt stelle. Wir vermißen unsere Kinder jetzt gewaltig und haben seit Ende October im Ganzen sehr still und zurükgezogen gelebt. Vater und Bertha sind unser täglicher Umgang und auch bei ihnen geht es sehr ruhig zu. Dazu kommt dies ganz traurige Wetter, fast nichts als Nebel, Regen und Frost. Dazu fallen meine Spatziergänge fast immer in die finstern Stunden (von halb 5 bis halb 7 Uhr). Auch habe ich wenig gelesen, da ich viel mit Oekonomicis beschäftigt gewesen bin. So ist uns also die Zeit ziemlich einförmig und traurig vergangen und wir sehnen uns recht nach frischer heller Witterung. Seit 14 Tagen haben wir aus Ziegenrück keine Nachricht. Carl wird wohl viel Arbeit haben, bis er in Ordnung sein wird und Mimi noch sehr mit der häuslichen Einrichtung beschäftigt sein. – Da Du Kants [Werke]1 so wohlfeil haben || kannst, so schaffe sie nur an, vorausgesetzt daß die Ausgabe auch treu und richtig ist, wornach Du Dich noch näher erkundigen magst. Wenn man sich auch auf sein Hauptwerk, die Critik der reinen Vernunft2, nicht einlaßen will, da dies
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zu viel Zeit kostet, so sind doch sehr viel hübsche Schriften unter seinem Werken, z. B. seine Theorie des Himmels3 (Entstehung der Weltkörper), seine Antropologie4, die Critik der Urtheilskraft5 etc. Es b herrscht durchaus ein erhabener sittlicher Sinn in seinen Schriften. – Mit Mutter habe ich jetzt gelesen und lese noch Colombo’s Entdeckung von America6. Papa kann an den langen Abenden nicht lesen, sondern nur am Tage, so daß Mutter öfters schon gegen 6 bis 8 Uhr herum [hingeht,] um Tarock7 zu spielen. Ich komme erst nach 7 Uhr vom Spatziergang, schreibe dann Briefe und lese dann und eße Abendbrod von 8 bis halb 10 Uhr, wo wir noch auf eine Stunde zum Großvater gehen. Seine körperlichen Kräfte laßen doch nach, geistig ist er für seine Jahre noch munter genug. Der Vormittag ist jetzt sehr kurz, da es vor 9 Uhr kaum Licht wird und wir erst gegen halb 8 Uhr aus dem Bett kommen. Mit einem Wort: Die Jahreszeit ist sehr unangenehm, da fast alles bei Licht und in der Nachtzeit abgemacht werden muß und wir sehnen sie uns alle sehr nach längeren Tagen und frischerem, heiterem Wetter, da das jetzige so trübe stimmt, wozu noch kommt, || daß das fanatische Partheiwesen der Junker8 sehr störend auf die Geselligkeit wirkt, indem bei der wachsenden innern Erbitterung jeder allen Umgang zu meiden sucht, durch den er nur irgend mit diesem Wesen in Berührung kommen kann. – Großvater hat Kants Werke nicht, er meinte, das tiefere Studium der Philosophie habe zu viel Zeit gekostet! Sonst ist es bewundernswerth, was der Mann alles gelesen hat und mit welch frischem Geiste. – Heute begegnete ich Max Henkel, er ist ganz liberal und ärgert sich auch über die jetzigen Vorgänge. Sein Vater9 wird erst zu Ostern herziehen. Nun mein lieber Ernst bleibe gesund, gräme Dich nicht innerlich über Deine Zukunft ab, das wird sich alles zu seiner Zeit aufklären. Trägst Du auch das Pflaster10 fortdauernd? Thue das ja, es wird Dir gewiß sehr gut thun. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
Vgl. Br. 119, S. 197 f. Kant, Immanuel: Critik der reinen Vernunft. Riga 1781. [Kant, Immanuel:] Allgemeine Naturgeschichte und Theorie des Himmels, oder Versuch von der Verfassung und dem mechanischen Ursprunge des ganzen Weltgebäudes nach Newtonischen Grundsätzen abgehandelt. Königsberg; Leipzig 1755. Kant, Immanuel: Anthropologie in pragmatischer Hinsicht abgefaßt. Königsberg 1798. Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin; Libau 1790. Nicht ermittelt. Vgl. Br. 117, Anm. 6. Vgl. Br. 115, S. 189. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Vgl. Br. 106, Anm. 9.
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122. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 8. dezember 1852
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 8/12 52.
Nachdem ich heute und gestern früh vergebens wie gewöhnlich Deinen lieben Brief erwartet hatte kommt er eben jetzt nach 12 Uhr, und da Häckel1 schon aus ist, so fange ich doch an ihn zu beantworten. Daß Du auch eine Erkältung hast, thut mir leid, pflege Dich nur recht, wenn der Husten noch da ist, trinke früh im Bette etwas Selterswasser mit Milch. Denke nur wenn Du Dich gesund erhältst, so machst Du Deiner Alten die || größte Freude. Und dann mein Herzens Junge, bekämpfe das Heimweh wacker; wir müssen uns ja auch in die Trennung von unsern lieben Kindern finden, und so sauer es uns auch ankommt, so habe ich doch entschieden das Gefühl, daß es für Dich jetzt gut ist, daß Du lernst a allein im Leben zu stehn, und selbstständig handeln mußt. Daß Deine Kasse bald zu Ende sein würde habe ich || erwarttet, anfangs braucht man zu allem mehr. Was nun Deine oeconomischen Vorschläge anbelangt, so bin ich nicht damit einverstanden, denn wenn Du auch ganz unnöthige Ausgaben meiden sollst, so wünsche ich doch entschieden, daß Du auch die Studentenzeit im guten Sinne geniessen sollst, Du mußt Umgang haben, also ist es mir auch lieber Du gehst mit Deinen Freunden Abends aus, als daß Du allein zu Hause sitzt, auch wünsche ich daß Du den Mittagstisch || auf der Harmonie beibehältst, wo Du mit Bertheau u. la Valette zusammen bist. Nach Deiner Beschreibung hat mir Deine Stube nie gefallen, und ich wünsche entschieden, daß Du ausziehst. Beim Miethen einer andern Wohnung sieh b darauf, daß sie wohmöglich Sonnenseite hat, nicht feucht ist und keine grüne Farbe hat, kann es sein, so wäre es mir sehr lieb, wenn Du eine Stube mit Kammer fändest. || Du erhältst hierbei 50 Thaler; wirthschafte vernünftig, und schreibe nur immer offen, was Du brauchst. Max Henkelc hatte hier Besuch gemacht; sein Vater2 ist noch in Merseburg, zieht aber zu Ostern her. – – Tante Bertha geht es jetzt leidlich gut; Großvater ist jetzt gesund, mir ist es aber als nehmen seine Kräfte ab. || Aus Ziegenrück3 haben wir seit Vaters Geburtstag4 keine Nachricht, das sind faule Schreiber. – – Hier hat auch fast jeder mehr oder weniger an Erkältung zu leiden, Heinrich aus Stettin5 durfte gestern auch nicht ausgehen, Theodor6 war auch nicht gutd ist aber wieder besser. Beide erkundigen sich immer nach Dir, und || lassen Dich herzlich grüssen. Ich glaube mit Theodor würdest Du gerne zusammensein, er kommt fleissig her und spielt Klavier. In unserer Häuslichkeit ist auch eine Veränderung eingetreten, seit dem ersten habe ich nur ein Mädchen, Emma7 habe ich ziehen lassen, zu Neujahr bekomme ich erst die neue. Heute Abend gehe ich mit Vater ins || Koncert in der Singakademie, wo das Auratorium des Paulus8 aufgeführt wird; ich wollte mein Herzens Junge könnte für mich hingehn. Nun für heute e Lebewohl, Gott behüte Dich. Sei heiter und denke an Deine Dich so innig liebende Mutter.
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Haeckel, Carl Gottlob. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Vgl. Br. 112, S. 178. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Bleek, Theodor. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin. Mendelssohn Bartholdy, Felix: Paulus. Oratorium nach den Worten der heiligen Schrift. Opus 36. Bonn [1836] (Mendelssohn-Werkverzeichnis, 14); vgl. Anzeige „‚Paulus‘. Oratorium von F. Mendelssohn-Bartholdy, Aufführung in der Berliner Singakademie am Mittwoch, 8.12.1852, abends 6.30–9.00 Uhr, für numerierte Billets à 1 Taler“, in: Berlinische Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen. Nr. 288, 8.12.1852. – Am Donnerstag, dem 9.2.1852, fand keine Aufführung statt.
123. Von Hermine Haeckel, ziegenrück, 9. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Ziegenrück d. 9ten Dezember | 1852
Das Loos aller Frauen, die Correspondenz zu führen ist auch jetzt Deiner Schwägerin zugefallen; ich wollte ich hätte lauter solche Correspondenten wie Dich, geliebtes Bruderwesen, dann ließe ich mir es gefallen. Also zur Sache, die darin besteht Dir zuerst unsere Freude mitzutheilen die Dein lang ersehnter Brief1 hervorgerufen. Briefe sind überhaupt ein Fest in der Kreisrichterlichen Familie2, noch mehr aber die Ankunft Deiner Geburtstagskuchen-Sendung, die Du ja auch kennst. Heute haben wir den letzten Rest vertilgt, so sparsam sind wir damit umgegangen, es war unser erster Kuchen und wird für ein Weilchen auch wohl der Letzte gewesen [sein]. Dafür kann ich Dich aber mit ganz neubackenen Semmeln || bewirthen! Denke Dir. Ja überhaupt was das betrifft, so führt man hier ein herrliches Leben, ganz genau weiß man wenn ein Vieh geschlachtet wird, öfter sogar schon ehe es geschlachtet ist wer von demselben bekommt. Das ist richtig etwas beschwerlich wirthschaften ist hier, man lernt keine Ansprüche machen und wie Du sehen wirst leben wir sehr glücklich und vergnügt dabei. Karl hat jetzt auch etwas weniger zu thun wie anfangs, wo es sehr arg war; wir können doch spazierengehen, auch im schönsten Regen wie heute z. B. Das Wetter ist hier so wunderlich, glaubst Du, daß wir schon Frost gehabt hätten, einmal nur wenig Schnee. Das ist nun insofern sehr schön, als noch Zeit ist die Fußwege vom Schloß3 herunter zu verbeßern, was denn auch mit Macht geschieht. Die Chaussee ist leider noch nicht bis Unten fertig, aber schon recht vorgeschritten und ein wahres Prachtwerk. Der Ort ist rechtsschaffen schmutzig und Deine Lieblings-||plätze vor den Häusern füllen sich bereits. Doch das wirst Du Alles selbst sehen. Was nun Dein Kommen zum [Weihnachtsfest] betrifft, so nehmen wir das als ganz gewiß an, da Du gar Nichts davon schreibst. Wir bitten Dich aber noch einmal, lieber Bruder, komme ja, denke wie einsam wir das Fest hier verleben werden; wenn Du wüßtest wie wir alle Tage davon sprechen, wie nett es sein wird, wenn Du erst hier bist. Über die Art zu reisen haben wir uns bereits erkundigt und kann ich Dir Folgendes mittheilen. Du fährst bis Hof, setzt Dich dort auf die Post4 bis Schleiz
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über Gefella /: nichtb wie Dein Brief über Leipzig, Erfurt gegangen ist, volle 5 Tage :/ In Schleiz steigst Du in der Sonne5 ab und nimmst Dir von dort einen Zweispänner über Krispendorf hierher, falls wir Dich dort in der Sonne nicht erwarten. Wir haben nämlich immer schon einmal nach Schleiz gewollt, ist es nun nicht zu schlechtes Wetter, so haben wir große Lust Dich von dort abzuholen. Natürlich mußt Du uns vorher genau den Tag Deiner Abreise und den Zug schreiben mit dem Du in Hof anlangst. Vielleicht kannst Duc so lange hier bleiben um am 6ten || Januar den größten Ziegenrücker Ball mitzumachen, der unstreitig an Pracht Alles übertrifft was bisher dagewesen ist. Karl und ich freuen uns schon darauf, es mit anzusehen. Sonst scheinen die Festlichkeiten sich auf das Rathhausgehen der Männer, das allwöchentliche Kränzchen der Frauen, und das gegenseitige Besuchen nach dem Abendbrod, zu beschränken. An meines Schwiegervaters Geburtstag6 war die grade Anwesende Deputation7, Rechtsanwalts8 u. Kreisphysikus‘9 den Abend bei uns. Aus Berlin hatte ich neulich sehr lange Briefe, leider geht es der armen Tante Bertha gar nicht gut, sie schreibt zwar selbst, aber ziemlich trostlos und niedergedrückt. Den Eltern geht es gut, fühlen sich aber sehr einsam. Daß Wilhelm10 noch dort ist weißt Du wohl, Großvater kann ihn gar nicht verdauen. Da hat Tante Bertha einen schweren Stand zwischen Beiden. In Stettin und Posen ist Alles wohl bis auf Mutter, die sehr viel angegriffen ist. Denke Dir Großvater erkundigt sich nach Allem von uns, sogar ob die Zwiebäcke hier zu haben wären. Und leb wohl, verehrter Menschschneider11, erfreue uns bald mit der Nachricht, daß Du u. wann Du kommst. Von Herzen Deine Schwägerin. 1 2 3 4 5 6 7
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Nicht überliefert. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Schloss Ziegenrück, Sitz des Kreisgerichts und Wohnsitz von Karl und Hermine Haeckel. Per Postkutsche. „Die Goldne Sonne“, Gasthof in Schleiz. Vgl. Br. 112, S. 178. Kollegialische Session der Kreisrichter des Ziegenrücker Kreises zur Entscheidung über Rechtsfälle, die über die Kompetenz des Einzelrichters hinausgingen. Hierzu mussten die Kreisrichter aus Ranis und Gefell nach Ziegenrück kommen: Ferdinand Voigt, Kreisgerichtsrat in Gefell, und Ernst Adolph Lindig, Kreisrichter in Ranis. Harras, Wilhelm Gottlob; Harras, Ehefrau. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Bleek, Wilhelm. Ironisierend für Ernst Haeckels anatomische Studien.
124. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 11./12. dezember 1852
Innigst geliebte Eltern!
Würzburg Sonnabend 11/12 1852 | 5 Uhr Nachmittags
Was gäbe ich darum, wenn ich euch jetzt in meine Arme fassen und mein übervolles Herz euch so recht ausschütten könnte; es durchkreuzen mein armes Hirn jetzt mit einem Male wieder so viele ermuthigende und frische Gedanken, daß ich mich trotz
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der Zahnschmerzen, die mich diese ganze Woche gequält haben, und noch quälen, wieder ganz neugestärkt und lebensmuthig fühle. „Auf Regen folgt Sonnenschein“ und auf großes Leid immer große Freud; das ist ein Satz, den ich jede Woche an mir bestätigt sehe. Gestern war der Leidenstag, wo ich mich weder körperlich noch geistig recht wohl fühlte; dafür habea ich mich ordentlich ausgeschlafen, b habe heute Vormittag mit dem größten Vergnügen flott gezeichnet, dann ein prächtiges Kolleg gehört und als ich Nachmittags aus einem Kaffeehaus, wo ich mit Bertheau und la Valette mit großem Vergnügen den Kladderadatsch1 gelesen hatte, nach Hause kam, fand ich auf meinem Tisch – rathet! – ein dickes Paket aus Merseburg. Dasselbe enthielt außer einer Menge getrockneter Pflanzen eine solche Masse von Briefen, daß ich mit deren Durchlesen noch nicht zur Hälfte fertig warc, als vor ½ Stunde euer sehnlichst erwarteter lieber Brief mich überraschte. Habt dafür den herzlichsten Dank, sowie auch für die Geldsendung, mit der ich noch einmal so lange zu reichen gedenke als mit der vorigen Summe, die ihr mir mitgegeben hattet. Um 6 Uhr gehe ich nun, um das Glück des heutigen Tages zu vollenden, wieder in die physikalisch-medicinische Gesellschaft,2 welche heute zum erstenmal, seitdem ich da war, ihre Sitzungen hält; vor 14 Tagen war zwar auch d Sitzung; aber geheime, indem das Jahresfest gefeiert und Rechnung abgelegt wurde. Doch ich sehe, daß es Zeit ist. Adieu bis nachher! Sonntag Abend. 12/12 Jetzt erst komme iche dazu, meine liebsten Alten, den angefangenen Brief von gestern fortzusetzen. f Der gestrige Abend war wieder sehr interessant. Namentlich hielt Kölliker einen sehr schönen, klaren und g interessanten Vortrag über die Ergebnisse seiner Ferienreise, die er, zusammen mit Prof. Müller und Dr. Gegenbauer3 von hier (Zoologen und Anatomen) nach Sicilien gemacht hatte.4 Der Zweck derselben war hauptsächlich auf Erforschung niederer Seethiere gerichtet, deren Anatomie, Morphologie und Physiologie höchst anziehend und wichtig ist. Zu diesem Zwecke hatten sie sich sehr lange an der Meerenge von Messina aufgehalten. Zuerst theilte Kölliker einiges Allgemeine über die letztere, namentlich über die Scilla und Charybdis mit, deren Wogen auch bei größter Windstille in fortwährender heftiger Bewegung begriffen ist. || Er schreibt dies hauptsächlich einer starken Meeresströmung zu, welche einmal von Süden nach Norden, und dann umgekehrt geht.5 Sodann beschrieb und zeichnete er viele neue Polypen, Medusen (Quallen) Mollusken und anderes dergleichen kleines Viehzeug, h auch merkwürdige kleine, höchst niedrig organisirte Fische, welche er theils neu entdeckt, theils genauer beobachtet hatte.6 Eine wichtige Entdeckung davon hatte er jetzt gleichzeitig mit unserm Johannes Müller7, seinem Lehrer, gemacht, der zur nämlichen Zeit (in Begleitung von Lachmann) am adriatischen Meer, bei Triest, ähnliche Forschungen anstellte.8 Lachmann scheint sich nicht wenig hierauf zu Gute zu thun! – Nun zu meinem gestern erhaltenen Briefschatz: Der erste und größte (4 Bogen lange!) ist von Ernst Weiß,9 der auch die Abschickung des Pakets besorgt hatte. Es ist mir wahrhaft rührend, mit welcher treuen Anhänglichkeit der alte Junge mir alles berichtet und mittheilt, i wie er dabei, im Kampfe mit seinem trocknen Stoicismus, sein tiefes ernstes Gemüth offenbart, und wie er mir dann seinen Freundesrath erteilt und mich über meine Scrupel tröstet. Auch schüttet er sein Herz aus über den Materialismus seiner Mitschüler, und über seine Verlassenheit, indem Webers Besuche von
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Halle aus das einzige seien, was ihn an unser früheres Zusammensein erinnerej und ihm theilweise ersetze. Besonders entbehrt er, wie auch ich, sehr jemanden, dem er sein naturwissenschaftliches und in specie botanisches Herz ausschütten könnte. Diesem angehängt ist ein Brief von Osterwald, den ich euch hier wörtlich mittheilen will: „Nur ein paar Zeilen, liebster Gevatter,10 damit Sie nicht glauben, ich hätte Sie ganz vergessen. Zu einem ausführlichen Briefe habe ich leider noch immer keine Zeit, da mich eine größere wissenschaftliche Arbeit über die Odyssee11, in der ich jetzt lauter Frühling sehe, in Anspruch nimmt. Weiß hat mir schon ihre Scrupelk wegen ihrer Zukunft mitgetheilt. Ich habe es Ihrem Herrn Vater lange vorhergesagt, daß ich den Mediciner in Ihnen nicht glaube, und bin daher durch Ihren Entschluß, umzusatteln, durchaus nicht überrascht. Wenn der Entschluß nun reif ist, so führen Sie ihn ohne Melancholie aus. Mathematik werden sie schon genug lernen, und die Naturwissenschaften können ja die Hauptsache bleiben. Verschließen Sie sich nicht gegen humaniora, halten Siel sich den Sinn offen für „Allgemeines“, und steuern dann auf die akademische – und geht das nicht – auf die Schulmeistercarriere los. Schulmeister sein ist freilich ein saures Brod; aber man hat doch viel mehr Freude, als etwa ein Steinklopfer, zumal wenn man solche treffliche Leute, wie Sie, mein lieber Gevatter, zu Schülern hat, oder gehabt hat. Es wäre schön, wenn Siem einmal in Merseburg das Probejahr machen müßten! Adieu für heute! Meine Frau12 grüßt herzlich, Minchen13 ist sehr drollig und Ernst14 ganz allerliebst. Adieu. In alter Freundschaft der Ihrige Osterwald.“15 – Ihr könnt kaum glauben, liebste Eltern, was diese paar Zeilen in meinem Innern rumort, und zu einer zufriedeneren Stimmung beigetragen haben. Es war mir fast grade so froh und ruhig, so still in Gott, zu Muthe, als wie ich Tante Berthas || herrlichen Brief16 erhielt. Es ist dies wirklichn das Einzige, was mich noch aufrecht erhält und nicht ganz an mir selbst verzweifeln läßt, daß solche prächtige Leute, wie Osterwald, wie Tante Bertha, wie ihr selbst, liebste Eltern, wie mein trefflicher Bruder und meine tüchtigen alten Freunde, Weber und Weiß, mich nicht aufgeben, sondern an mir fest halten und mit Liebe und Theilnahme meiner gedenken. Fast noch inniger und herzlicher, als die vorigen, ist der Brief von meinem treuen, lieben Weber,17 der mir auch ganz sein herrliches Gemüth, sein tiefes volles Herz, das für die Außenwelt so ganz verborgen und abgeschlossen liegt, aufschließt. Er tröstet mich zunächst über das Heimweh, und schildert mir in einer wahrhaft poetischen, sinnig-einfachen Weise, wie er davon fast 6 Jahre lang, so lange er auf der Schule war, so oft er in den Ferien nach Hause ging, gequält worden sei, wie er es jetzt endlich überwunden und sich einen stetig stilleno, durch nichts zu störenden, auch durch die engsten Verhältnisse nicht zu unterdrückenden Frohsinn erworben habe. (Ach, wann werde ich es einmal so weit gebracht haben!!) – Sodann giebt er mir ganz speciellen Rath über das Studium der Mathematik, wie ich es betreiben solle, und wie es ihm selbst (der es eigentlich ja auch nur um der Natur willen treibt) gefallep. Diesem köstlichen Brief sind allerliebste Skizzen beigefügt (besonders schöner Baumschlag), dann getrocknete Pflanzen und auch ein Brief von Gandtner an Weber,18 den jener diesem geschrieben hatte, als er ihn Ostern 52 wegen des zu ergreifenden Studiums um Rath fragte. Auch Gandtner ist entschieden der Meinung, daß Weber (und also auch ich jetzt) nur getrost Mathematik und Naturwissenschaft studiren sollen. – Ich werde übrigens nächstens an Gandtner schreiben.19
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Der 5te Brief ist von Finsterbusch,20 gleichfalls sehr herzlich-freundschaftlich, aber mit einem Gefühl geistiger Überlegenheit und erlangten Characters, das ich längst in ihm vermuthetq, und das mich für ihn sehr freut, wenngleich es mich tief schmerzen muß, wenn ich mich mit ihm vergleiche, und sehe, wie es mit mir doch gar nichts wird und werden kann. Er warnt mich mit Recht vor allem „vor einem kränkelnden, süßlichen Zustande, in welchem man sich leicht so sehr gefälltr und, sonderbar genug, mit Wollust sein Leben sich versauert, und so recht ungenutzt dahingehen läßt“ –. Sehr wahr ist ferner folgendes: „sIch hatte, wie auch du, auf der Schule eine falsche Ansicht vom Studium. Ich sah das Hineinversenken in dieselbe als Spitze des Studiums an, und mit Recht in gewisser Beziehung. Nur verwechsele man dies nicht mit dem darin versunken bleiben!“ – Zugleich räth er mir dringend, mich unter den Leuten umzusehn, Bekanntschaften anzuknüpfen, einen Freund zu suchen; dazu keine Mühe zu scheuen, u.s.w. Das ist wohl alles sehr wahr, aber ebenso leicht gesagt, als schwer gethan. Ich wenigstens sehe, || daß t , je mehr ich mir Mühe gebe, mich zusammen zu nehmen, es mir desto weniger gelingt. Endlich bittet er mich, auch den wärmsten Dank für die 5 rℓ zu sagen, da ihm dadurch der längstgehegteu Wunsch, sich den zum Studium ganz unentbehrlichen Pape21 anzuschaffen, gewährt worden sei. Wie glücklich ist so einer doch durch seinen selbstständigen Character! – Endlich liegt noch ein Brief von Hetzer bei,22 in gewohnter sarkastisch gutmüthiger Manier. Was nun die Hauptfrage betrifft, die in allen diesen trefflichen Briefen ausführlich und mit großer Theilnahme behandelt ist, (N.B. Ihr müßt wissen, daß auch ich in einem Brief von hier an Weber und Weiß mein Herz ausgeschüttet und mir Rath erbeten hatte)23 mein künftiges Leben und Studium anbelangend, so ist darüber, bei ihnen allen nur 1 Stimme, die ihr in Osterwalds Zeilen kurz ausgesprochen findet. Namentlich ist es der kleine Weiß, der mit ordentlichem Ungestüm in mich dringt, seinemv, seiner Freunde und aller Vernünftigen Rath zu folgen, und mich nicht durch Zweifel zu quälen. Es ist ordentlich komisch rührend, wie er bestimmtw behauptet, ich würde noch Professor, und wahrscheinlich der Botanik.24 Daß ein practicus in mir nicht verloren gehe, darüber ist und war er von je mit mir und allen einverstanden. – Das Buch über die Odyssee betreffend, an dem Osterwald arbeitet,25 so schreibt mir Weiß, daß es wahrscheinlich Epoche machen wird. Er führt in neuer und großartiger Anschauungsweise darin die Idee aus, daß der ganzen Odyssee, wie auch unserm Niebelungenliede26, ein Mythus zu Grunde liege, der auf tiefe und sinnige Naturanschauung gegründet ist: z. B.: Odysseus als Frühlings-Gott bringt mit der tellurischen Gottheit (Penelope, Cyrce, Calypso u.s.w.) den x Frühlingspflanzensegen hervor u.s.w.27 – Ich bin sehr gespannt darauf ! – Wenn ich euch nun berichten soll über die vergangne Woche, so finde ich, daß sie ziemlich viel Abwechslung geboten hat. Wenigstens bin ich einen Abend (hört, hört!!) in Gesellschaft (!) gewesen. Es kam dies so; als ich Abends mit Schenk aus dem microscopischen Curs nach Hause ging, fragte er mich, ob ich die Musik liebe? Als ich dies halb und halb bejahte, lud er y mich zu Mittwoch Abend zu sich ein. Als „junger Mann von Lebensart“ (!) ging ich nun Mittwoch früh in schwarzem Frack, Hosen (die so zum ersten mal auskamen, und wenigstens nicht ganz umsonst mitgenommen wurden, wie die weißen nach Teplitz28) und Handschuhen (Bertheau wollte mir auch z durchaus seinen schwarzen Hut appliciren; indeß ließ ich mir solchesaa
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nicht gefallen) hin, um der Frau Professorin Schenk29 meine Aufwartung zu machen. Glücklicherweise war sie nicht zu Hause. Abends war es rechtbb nett und gemüthlich; und in mancher Beziehung that es mir einmal recht wohl. || Außer mir, Wirth und Wirthin, waren noch da: ein netter Student aus Danzig, Namens Heim30, ferner der Assistent von Kölliker (ein noch junges Genie, zugleich großer Botaniker)31 und 2 ältere Damen (Schwestern)32 von denen die eine allerliebste, naiv-naturwüchsige, bayrische Oberlandslieder im Gebirgsdialekt sang, und auf dem Klavier begleitete. cc Die Unterhaltung drehte sich meist um musikalische Gegenstände, dd sodann auch oft um Berlin, das ich ihnen nicht allzu reizend schilderte. Die Frau Professorin ist eine höchst einfache und anspruchslose, nette Frau, wie auch er. Sie war früher sehr arm und gab hier Musikstunden. Als ich wegging, lud sie mich ein, bald wieder zu kommen; was soll ich nun machen? ee muß ich von selbst wieder Besuch machen? – Sehr leid thut es mir, daß ich nicht an einem Kränzchen Theil nehmen kann, das sich hier unter Köllikers specieller Leitung ff constituirtgg hat.33 Es findet einmal wöchentlich von 8 Uhr an Statt; es hat jetzt jeder Zutritt, der Mediciner ist. Von hh 9–10 wird 1–2ii Vorträge gehalten, von da an bis spät in die Nacht gekneipt, gesungen, mit einem Wort, ein höchst gemüthliches, lustiges Zusammensein gefeiert. Kölliker bezweckt dadurch einmal wissenschaftliche Ausbildung, auch im freien Vortrag; er dirigirt das Ganze. Sodann will er uns mit einander und mit sich bekannt machen. Nun hat mich Bertheau, dem er die Sache mit zuerst sagte, vorgeschlagen, und || Kölliker mich auch auffordern lassen; allein ich kann aus folgenden handgreiflichen Gründen unmöglich beitreten: Der erste und handgreiflichste, auch ganz unabweisliche ist ein physischer: Es herrscht nämlich bei der ganzen Geschichte ein solch erstickender Tabaksqualm, daß man den gegenüber am Tische sitzenden kaum erkennt, und in einem Husten begriffen ist.34 Namentlich aber können es meine schwachen Augen unmöglich aushalten; sie werden von dieser Tabaks und Zigarren-Beize so angegriffen, daß ich alle 5 Minuten hinaus an die freie Luft, und mir die Thränen auswischen muß. Die andern Gründe sind moralische; erstens nämlich jj wäre ich der jüngste und somit dümmste von allen; die andern sind alles Leute, die wenigstens ihre 4–5 Semester auf dem Rücken haben, namentlich sehr nette Schweizer (Köllikers Landsleute)35. Zweitens fühle ich mich gänzlich unfähig, einen genügenden Vortrag zu halten, schon wegen der vielen und bedeutenden Critici, die einen fürchterlich blamiren können. kk Es wird ll nämlich nach Abhaltung des Vortrags derselbe kritisirt und darüber disputirt. Die beiden Abende, wo freier Zutritt war, war ich da bis 12½ Uhr, wo erst Kölliker fortging; jetzt ist der Eintritt nur denen gestattet, die sich verpflichtet haben, einen Vortrag zu halten; auch war mir das Biertrinkenmüssen (z. B. wenn Salamander36 ausgebracht werden) nicht gerade sehr angenehm! Also wie gesagt, ist es mir leider ganz unmöglich. || In der Anatomie hat Kölliker diese Woche den bei weitem interessantesten Theil angefangen, die Eingeweidelehre, die entschieden nirgends so vollendet gelesen wird, und gelesen worden ist, als hier von ihm. Es ist dies nämlich sein Hauptfach, indem er hierbei alle seine mikroscopischen Originalforschungen vorträgt, die weltberühmt sind. Nachdem er mit den circa 300 Muskeln des menschlichen Körpers (die am Ende uns und ihm selbst doch etwas langstielig wurden) vorige Woche fertig war, hat er in dieser mm mit dem Munddarmkanal angefangen, und in 12 Stunden bloß die Mund-
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höhle (d. h. Lippen, Zähne, Zunge, Gaumen und Backen) abgehandelt, und namentlich lauter microscopische Untersuchungen und Abbildungen gegeben, die über alle Beschreibung interessant und oft wirklich entzückend sind. Übrigens könnt ihr schon hieraus, sowie aus dem besondern Vergnügen, das mir seine allgemeinen Vorträge, (z. B. allgemeine Betrachtung des Körpers, seiner Theile, und Systeme) verursachen, und der Langeweile, die nn mir die Specialbeschreibungen oo z. B. der Muskeln (die aber vom höchsten practischen Interesse, nur nicht für mich, sind) pp verursachen, sehen, daß ich kein rechter Mediciner, wie meine meisten Kommilitonen hier sind, bin. Diesen ist nämlich grade das mich interessirende langweilig, und umgekehrt die praktischen Specialitäten interessant. – || Bei dem Kapitel über den feinern Zahnbau konnte ich übrigens anqq mir selbst am besten studiren, da ich grade den Tag heftige Zahnschmerzen hatte; jetzt geht es jedoch viel besser; indeß rr ist die gingiva (das Zahnfleisch) der beiden Augen-37 und zweier Backenzähne in der maxilla superior38 noch bedeutend entzündet und geschwollen. – Meine Wohnung habe ich heute gekündigt; indeß wollen mich meine Wirthsleute39 partout nicht ziehen lassen; was soll ich nun machen? Mein[t] denn Quincke40, daß ich wegen der allerdings stark arsenikhaltigen Tapete allein ausziehen soll? – Noch wollte ich Dich, liebes Mutterchen bitten, mir zu schreiben, was ich meinen Mädchen41 zu Weihnachten oder Neujahr, geben soll? – Da die Bedienung monatlich mir 30 xr kostet, kann es nicht gut mehr als 1 fl sein; auch weiß ich nicht, welcher ich was geben soll. Die mich bis jetzt bedient hat, ein gutmüthiger Dragoner, ist nämlich krank geworden und ins Spital geschafft. Soll ich nun der heute neu angekommnen was geben, oder dem Kinder- und KüchenMädchen, die in der zwischenzeit die Bedienung verrichtet hat, aber ein schauderhafter Besen ist. Oder willst Du 1 Tuch oder so was für sie kaufen? – Der liebsten Tante Bertha sage für ihren Brief42 vorläufig den herzlichsten und innigsten Dank. Ich kann euch gar nicht sagen, wie er mich erquickt und erfreut hat; ss im Kopf trage ich die Antwort längst fertig herum. Am liebsten hätte ich sie gleich frisch niedergeschrieben und abgeschickt. Sobald es mir irgend die jetzt sehr knapp zugemessne Zeit erlaubt, thue ich es. Auch an Großvater die schönsten Grüße.tt Zu Weihnachten möchte ich gerne Weiß und Weber jedem: „Die Pflanzenzelle von Mohl“43 ein ganz classisches Werk, das 1 rℓ kostet, schenken (vielleicht auch mir selbst!);44 habt ihr was dagegen? –uu Von Ziegenrück45 noch keine Antwort! Herzliches Ade von eurem alten Jungen.vv N.B. Wenn ihr mal wieder was schickt, so schickt doch auch die Odyssee46 mit; ich glaube, sie steht in meinem Glasschränkchen auf dem 2ten Brett; ich habe oft große Sehnsucht danach! –ww 1 2 3 4
Vgl. Br. 119, S. 197. Vgl. Br. 107, Anm. 15. Gegenbaur, Carl. Der Vortrag wurde später mehrfach abgedruckt; vgl. u. a.: Kölliker, Albert / Gegenbaur, Carl / Müller, Heinrich: Bericht über einige im Herbste 1852 in Messina angestellte vergleichendanatomische Untersuchungen. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Hrsg. von Carl Theodor v. Siebold und Albert Kölliker. 4. Bd., Leipzig 1853, S. 299–370.
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Das Aufeinandertreffen der Strömungen in der Meeresenge von Messina zwischen Sizilien und Kalabrien wurde in der griechischen Mythologie mit dem Ringen zwischen Scilla und Charybdis versinnbildlicht. U.a.: Forskalia Edwarsii; Agalmopsis Sarsii; Agalmopsis punctata; Physophora Philippii; Vogtia pentacantha; Diphyes Sieboldii, vgl. u.a.: Kölliker, Albert: Die Schwimmpolypen oder Siphonophoren von Messina. Leipzig 1853. Müller, Johannes Peter. Vermutlich Aeginopsis mediterranea, welche Kölliker 1848 bereits gesichtet und Müller 1851 beschrieben hatte. Vgl. hierzu: Kölliker, Albert / Gegenbaur, Carl / Müller, Heinrich: Bericht über einige im Herbste 1852 in Messina angestellte vergleichend-anatomische Untersuchungen. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Hrsg. von Carl Theodor v. Siebold und Albert Kölliker. 4. Bd., Leipzig 1853, S. 320; zur Reise vgl. Müllers Reisebriefe aus Triest im Herbst 1852, in: Haberling, Wilhelm: Johannes Müller. Das Leben des rheinischen Naturforschers (Große Männer; 9). Leipzig 1924, S. 368–380. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 8.11.–6.12.1852 (EHA Jena, A 16619). Ernst Haeckel hatte im Februar 1852 die Patenschaft für Wilhelm Osterwalds Sohn Ernst Wilhelm Hermann übernommen; vgl. Br. 91, S. 131. Osterwald, Karl Wilhelm: Homerische Forschungen. Erster Theil: Hermes – Odyseus. Mythologische Erklärung der Odyseussage. Halle 1853. – Haeckel bekam ein Exemplar dieses Werkes vom Verfasser geschenkt; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 152 (=272). Osterwald, Marie Auguste, geb. Schröder. Osterwald, Marie Henriette. Osterwald, Ernst Wilhelm Hermann. Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Beischrift in: Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 8.11.–6.12.1852 (EHA Jena, A 16619). Br. 120. Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 28.11.1852 (EHA Jena, A 16194). Nicht überliefert. Nicht überliefert. Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 30.11.1852 (EHA Jena, A 2311). Vermutlich Pape, Wilhelm: Handwörterbuch der Griechischen Sprache. In vier Bänden. Braunschweig 1842–1845. Nicht überliefert. Nicht überliefert. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 8.11. – 6.12.1852 (EHA Jena, A 16619): „Wenn ich sagen soll, als was ich mir Dich immer gedacht habe, ist: als Professor – wahrscheinlich der Botanik.“ Vgl. Anm. 15. Wilhelm Osterwald beschäftigte sich lebenslang mit dem Nibelungenlied; vgl. Osterwald, Karl Wilhelm: Rüdiger von Bechlaren. Halle 1849; ders.: Erzählungen aus der alten deutschen Welt für Jung und Alt. 3. Aufl., Halle 1865; dass., Gesamtausgabe in drei Bänden. Halle 1879; ders.: Die Nibelungen. In: Sang und Sage. Erzählungen aus Deutschlands Vorzeit. Erster Theil, Berlin [um 1880], S. 3–34. Siehe Anm. 11, S. 1–9; vgl. dazu auch Weiß an Haeckel (wie Anm. 24), S. 11. Vgl. Br. 93, Anm. 6. Schenk, Antonia, geb. Seliger. Hein, Reinhold. Gerhardt, Carl Jakob Adolf Christian. Nicht identifiziert. Mit den Mitgliedern der Physikalisch-medizinische Gesellschaft in Würzburg waren die Studierenden durch ein medizinisch-naturwissenschaftliches Kränzchen verbunden, dem sich auch Ernst Haeckel anschloss. Zur Gründung der Kränzchens siehe Würzburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 18, 21.1.1853, S. 69: „In einem Gasthofe der Stadt hat sich unter Studierenden der Medizin ein wis-
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senschaftliches Kränzchen gebildet, an dessen Versammlungen auch zeitweise Professoren Theil nehmen.“ Vgl. hierzu auch die spätere Feststellung Haeckels: „Ich habe in meinem Leben den Tabak nur als Botaniker, aber niemals durch Gebrauch als Genussmittel kennen gelernt. Ich habe aus Princip (oder Eigensinn!) niemals geraucht, oder auch nur den Versuch dazu gemacht; auch mein Vater war absoluter Nichtraucher. Da unser Culturleben uns ohnehin mit einem Uebermass von Bedürfnissen belastet, scheint es mir ein Vortheil ‚im Kampf um’s Dasein‘, ein grosses Bedürfniss (wie den Tabakgenuss) überhaupt nicht zu kennen.“ (Lewinstein, Gustav (Hrsg.): Für und wider den Tabak. Aussprüche deutscher Zeitgenossen über den Tabakgenuss geschrieben für die Deutsche Tabakzeitung. Berlin 1890, S. 95). Kölliker stammte aus Zürich, wo er 1844 auch seine wissenschaftliche Karriere als a.o. Prof. für Physiologie und vergleichende Anatomie begann. Welche der 16 aus der Schweiz stammenden Würzburger Medizinstudenten des Wintersemesters 1852/53 dem Kränzchen Köllikers angehörten, ist nicht zu klären; eines seiner Mitglieder war Johann Theodor Gsell-Fels. Ritualisierte Form des Toastes in der studentischen Trinkkultur, bei der zunächst der Bierkrug auf der Tischplatte „gerieben“, d. h. geräuschvoll im Kreis bewegt, und dann auf ein Kommando möglichst in einem Zug geleert wird. Anderer Name für: Eckzähne. Lat. maxilla superior: Oberkieferknochen. Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Quincke, Hermann. Die Namen der Dienstmädchen in Haeckels Studentenquartier konnte nicht festgestellt werden. Br. 120. Mohl, Hugo von: Grundzüge der Anatomie und Physiologie der vegetabilischen Zelle. Braunschweig 1851. S. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 32 (=58); Haeckels eigenes Exemplar befindet sich heute in der ThULB Jena, Sign. Haeckel 1189. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Homer: Odyssee; in Haeckels Jugendbibliothek nicht nachgewiesen.
125. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 17. dezember 1852, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Lieber Ernst!
Berlin 17 December 52.
Ich lese so eben wiederholt Deinen Brief1, den wir vor einigen Tagen erhalten und fange gleich mit der Hauptsache an, nehmlich mit Deinem Kummer, was aus Dir werden soll? Zuförderst hast Du das große Glück, daß Deine Eltern Dich zu nichts forciren wollen, sondern nur verlangen, daß Du Dich gründlich prüfst, d. i. nicht vorn weg einen übereilten Entschluß faßest. Diese Prüfung ist freilich schwer, denn sie enthält die Anmuthung, daß man es auch eine Zeit lang mit dem versucht, wozu man keine Neigung zu haben scheint und zwar ernstlich, um endlich dahinter zu kommen, ob die Abneigung nicht etwa oberflächlich ist oder ob sie wirklich aus dem Innersten der Eigenthümlichkeit hervorgeht? So theilen sich die Rathschläge, die Dir gegeben werden, in 2 Lager, in das, was Dir Deine Freunde aus Merseburg und Halle rathen2 und in das der hiesigen Männer3, die da meinen, solche Aversion gegen die Medicin finde sich anfänglich bei vielen jungen Männern und verliere sich dann; oder die meinen, Du müßest jedenfalls Deiner künftigen Existenz wegen den medicinischen Cursus durchmachen, um später desto freier
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zu sein, wenn Du auch zu den Naturwißenschaften übergiengst. Die Aussicht, die Dir Osterwald schlimmstenfalls eröffnet, daß Du nehmlich Gymnasiallehrer werden solltest, spricht mich am wenigsten an, der ich die elende äußere Existenz dieser Lehrer, die eine ununterbrochene Gewohnheit von Jugend auf erfordert, so vielfältig kennen gelernt habe, wozu noch kommt, daß daßelbe Wiederkäuen derselben Sachen an die immer neu auftretenden Schüler doch geistig sehr ermüdet und zum eigentlichen Studio wenig Zeit übrig läßt, so daß ich einen praktischen Chemikerberuf in einer Fabrik etc. noch immer vorziehen würde. Aber, wie gesagt, Dein Kummer über Deine Wahl ist noch zu früh, da Dir Deine Eltern die Universitätszeit gern verlängern wollen. Auch wird der fernere Zustand Deines Knies und ob Du Reisen machen kannst? mit in die Wagschale zu legen sein. Du schreibst uns gar nichts über Dein Knie, woraus wir hier wenigstens so viel abzunehmen glauben, daß es Dich nicht wesentlich inkommodirt. Das Rosener Schulzenpflaster4 mußt Du auf die Dir beschriebene Art den ganzen Winter tragen und dann wollen wir sehen: wie Ostern die Sache sein wird. Schreib uns im nächsten Briefe, wie es Dir mit dem a Knie geht? – Also für jetzt nur ja nicht zu viel Angst und Kummer in die Zukunft! Du beklagst Dich über Deinen Mangel an Charakter! Es ist wahr, daß auch hiezu der eine mehr natürliche Anlage hat als der Andere. Aber in diesem Punkt kann sich jeder Mensch wesentlich verbeßern, denn die Kraft des Willens hat Gott keinem Menschen versagt und in diesem Punkt können wir Eltern an Dich allerdings die Forderung machen, daß Du Deinen Willen kräftigst! Dieses kenne ich aus eigner Erfahrung, denn ich habe von Jugend auf mit Neigungen zu kämpfen gehabt, die in mir sehr vorherrschend und keines Weges lobenswerth waren, aber da muß der Wille, gekräftigt durch die Wendung zu Gott helfen und wenn man ihn braucht, so stärkt man ihn und man kann sich dadurch krankhafte Zustände vom Halse schaffen und andere Stimmungen und dauernde Zustände, die man bedarf, herbeiführen. Die Klage allein, daß man so schwach sei, und die Trauer hierüber führt zu nichts. Gedenke an die Aeußerung von Finsterbusch,5 die Du mir mittheilst. Was hat der schon durchmachen müßen! Aber grade dadurch scheint sich seine Kraft sehr gestärkt zu haben. Für jetzt höre also Deine Collegien mit Freuden fort. Wenn du Ostern herkommst, wollen wir das Weitere besprechen. – Ziehe aus der ungesunden Wohnung und sage bdeinen Wirthsleuten6, daß Deine Eltern es verlangten, die über diesen Punkt (den Arsenik in der Tapete) in Merseburg schlagende Erfahrungen gemacht hätten. – Auch darum hat Finsterbusch ganz recht, daß Du mehr unter Menschen gehen mußt. Frequentire also das Haus von Schenk und mache dort Besuch. Es ist ferner Unrecht, daß Du die Aufnahme in das Kränzchen von Kölliker7 von Dir gewiesen hast. Von dem Biertrinken werden sie Dich schon dispensiren, den Tabakrauch mußt Du ertragen lernen und daß Du einen Aufsatz liefern mußt, grade daran geschieht Dir ganz recht. Ich habe daßelbe auch in Halle durchmachen müßen. Suche also noch in das Kränzchen zu kommen. Auch Bertha8 ist dieser Meinung. Deine Einbildung, keinen Vortrag halten zu können, ist nicht begründet. Dazu aber gehört „Willen“ ihn zu halten und wenn der Tabakdampf zu toll ist, so bitte Dir die Erlaubniß aus, später zu kommen und früher wegzugehn. Hier wolltest Du auch keinen Vortrag halten und doch sagte mir Hauchecorne noch in diesen Tagen, der Vortrag sei recht nett, Du aber viel zu schüchtern gewesen. Ich habe in Halle einen solchen naturrechtlichen Vortrag vor 40 Studenten gehalten und ihn gegen die Kritiker verteidigen müßen. Auch darin gewinnt man Fertigkeit und Uebung! Also frisch ans Werk! || Ich hatte vorige Woche wieder ein Zahngeschwür, wie in Teplitz9 und an dersel-
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ben Stelle. Da bin ich gestern zum Zahnarzt Franz10 gegangen und habe mir 4 Stifte ausziehen laßen. Nun werden hoffentlich die Zahngeschwüre nicht wiederkommen. Wir leben sehr still, gehen Abends zu Vater, Mutter 2 Mahl, von 6–8 Uhr, um mit Vater zu spielen, sodann mit mir nach 9 Uhr. Früh wird erst gegen halb 8 Uhr aufgestanden, da es zu finster ist. Ich sehne mich innigst nach längeren Tagen. Abends nach 4 Uhr gehe ich im Finstern spatzieren. Vorige Woche hörten wir von Sydow einen Unionsvortrag über die Lehre vom Teufel.11 Er meinte: sie sei nicht althebräisch, die Juden hätten sie aus dem Exil von den Persern (die Lehre von Ormuzd und Arrihmann12) mitgebracht und ausgebildet. Christus habe sie als eine jüdische Vorstellungsart vorgefunden und seine Ideen von der Kraft des Guten und Bösen darin niedergelegt. „Es kommt der Fürst dieser Welt und hat nichts an mir.“13 Das Böse sei allerdings eine Macht in der Welt, die dadurch zu bekämpfen sei, daß man Christum, die ganze Quinteßenz seines Wesens und die Kraft seiner Lehre in sich aufnehme. Der Vortrag war sehr historisch und sehr anziehend. – Sonst spreche ich hin und wieder Kammerdeputirte, die mich auch zum Theil besuchen. Es ist kein redlicher Wille oben für das constitutionelle Leben, man möchte es gern aus der Welt schaffen oder so verhunzen, daß es sich nicht regen kann. Aber es ist einmal da und sie werden es nicht wieder todt machen. Denn es ist jetzt sein Entwikelungsmoment in der Weltgeschichte und alle Verfolgungen werden nur dazu dienen, es um so kräftiger zu heben. Die Junker in der 2ten Kammer bilden ziemlich die Majorität und benehmen sich so verblendet und bornirt, daß c es wahrhaft ekelhaft anzusehen ist. Sie verlaßen sich auf ihren Protektor14. Ich bin noch nicht in der Kammer15 gewesen. Heute ist der Kaiser von Oesterreich hier angekommen.16 Morgen wird große Parade, Diner, Oper etc. sein. Man kennt den Grund dieses Besuchs noch nicht recht, wahrscheinlich eine Annäherung, um dem erneutend Umsichgreifen Frankreichs zu begegnen. – Bei der Schwäche und Erbärmlichkeit unsrer Regierung erregt jede solche Zusammenkunft den Verdacht, daß wir aufs neue hintergangen werden. – Adolph Schubert hat uns kürzlich aus Paris geschrieben,17 wo es ihm sehr gefällt. Er ist zwölf Tage in London gewesen, zwar sehr frappirt über die Großartigkeit des dortigen Lebens, aber nicht erbaut von dem äußern Wesen der Engländer. Auch Belgien und Holland hat er besucht, beide Länder haben ihn intereßirt. Nach Neujahr will er weiter, wahrscheinlich ins südliche Frankreich. Nun mein lieber Ernst! Für heute genug. Schreibe uns bald wieder. Dein dich liebender Vater Haeckel [Nachschrift von Charlotte Haeckel] Suche Dir ja eine andere Wohnung. Großvater und Tante Bertha grüssen schön. 1 2 3 4 5 6 7
Br. 124. Vgl. ebd., S. 206–208. Gemeint sind u.a. Hermann Quincke und Christian Samuel Weiß. Vgl. Br. 106, Anm. 9. Vgl. Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 30.11.1852 (EHA Jena, A 2311). Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Vgl. Br. 124, Anm. 33.
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Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a), Eintrag v. Freitag, 20.8.1852: „Freitag konnten wir leider keine größere Parthie machen, da Vater durch ein heftig schmerzendes Zahngeschwür zu Hause gehalten wurde.“ Franz, Robert Adolf Ludwig. Sydow hatte im Unionsverein über mehrere Treffen hinweg eine Vortragsreihe zum Thema: „Die Lehre vom Teufel“ gehalten. Den Auftakt bildete der Vortrag am Freitag den 10.12.; vgl. Der Protestant. Ein Kirchenblatt für das evangelische Volk. Potsdam, Nr. 49, 4.12.1852, Sp. 438. Die Vorträge führten zu einer Verwarnung durch das königliche Konsistorium zu Berlin; vgl. Sydow, Marie / Sydow, Adolf, in: ADB 37 (1894), S. 275–279. Ormuzd und Ahriman, Gestalten der altpersischen Mythologie, wonach Ormuzd der Weltschöpfer und Beherrscher der Lichtwelt ist, und sein Gegensatz Ahriman, der Feindselige, Unreine, in der Urfinsternis herrscht. Johannes 14, 30: „Ich werde nicht mehr viel mit euch reden, denn es kommt der Fürst dieser Welt, und hat nichts an mir.“ Manteuffel, Otto Theodor Freiherr von, der preußische Ministerpräsident. Die erste Session der III. Legislaturperiode der Zweiten Kammer (Abgeordnetenhaus) war am 29.11.1852 eröffnet worden. Franz Josef I., Kaiser von Österreich. – Haeckels Vater spielt auf die nach einem Plebiszit am 2.12.1852 erfolgte Ausrufung des französischen Präsidenten Charles Louis-Napoléon Bonaparte zum Kaiser der Franzosen (Napoleon III.) an. Der Monarchenbesuch diente der Verständigung darüber, wie auf diesen Schritt reagiert werden sollte. Vgl. Adolph Schubert an Carl Gottlob Haeckel, Paris, 9.12.1852 (EHA Jena, A 16190).
126. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 18. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 18/12 52.
Diesmal wirst Du unsere Antwort wohl etwas später erhalten, da mancherlei häusliche Unruh mich nicht zum Schreiben hat kommen lassen, und auch heute werde ich auch wohl nur ein paar flüchtige Zeilen schreiben können, da ich Berkens1 erwartte, die ich zu Weiß2 führen will, um von dort die Parade zu sehen. Denke Dir Deine Mutter geht zur Parade, das ist noch nie vorgekommen. Beim Empfang Deines Briefes3 freute ich mich || sehr daß Du heitrer und zufriedner bist, halte Dich nur auch hübsch so. Wirst Du am Weihnachtsheiligabend mit Deinen Freunden zusammen sein. Ich denke ein Kistchen mit Naschwerk schon Montag früh für Dich abzuschicken, da ich nicht weiß wie lange es unterwegs bleibt, da packe es erst Heiligabend aus, baue Dir auf, und denke, daß Deine Eltern in Gedanken mit der innigsten || Liebe bei Dir sind; und Gottes reichen Seegen auf Dich erflehen. Er gebe es, daß Du immer auf seinen Wegen gehst. Ich werde Dir 3 Schürzen von Berliner Gingang4 mit einpacken, da kannst Du wenn Du willst jedem der drei Mädchen eine geben; und brauchst Du sie nicht alle 3, so hebe sie auf; ich werde Dir dabei schreiben was sie gekostet haben. Bei Deinen Freunden kannst Du Dich ja erkundigen || ob sie auch noch Geld dazu geben. – Zunächst bitte ich Dich aber dringend nimm eine andere Wohnung; wenn Deine Wirtsleute5 Dich nicht gerne wollen ziehen lassen, und Du auch bleiben willst, so
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mögen sie Dir eine andre gesundere Stube geben, übrigens siehe Dich vor, daß sie das auch wirklich ist; auf keinen Fall bleibe mir in der jetzigen, wir haben schon zu schlimme Er-||fahrung darin gemacht; selbst, wenn Du Verlust dabei haben solltest, so ziehe aus, jetzt laß nur immer gut heizen daß die Stube trocken ist; aber gegen den Frühjahr wird’s schlimmer. Wenn es sein kann, suche Dir eine Stube nach Süden; vielleicht ist die Frau Prof. Schenk so freundlich, Dir dabei behülflich zu sein. Hauchekorn6 war hier, bat Dich von ihm und dem ganzen Kränzchen7 zu grüssen, Du möchtest doch mal an das Kränzchen schreiben. – Wir haben nichts dagegen wenn Du Weiß8 und Weber das Buch schenkst, wovon Du schreibst, und Dir selbst auch!9 a Zu dem Kuchen, den ich Dir von hier schicke denke ich die Odisse10 und was noch von Wäsche von Dir hier ist zu schicken. – Beurtheilen kann ich es nicht, ich bin aber der Meinung daß Du doch dem Kränzchen11 || beitreten solltest; wenigstens ist es kein Grund daß Dein Vortrag kritisiert werden würde; daß mußt Du lernen ertragen; Du machst es so gut Du kannst und prüfst den Tadel, wo er gerecht ist, belehrst Du dich draus; auch muß man lernen ungerechten ertragen. Auf jeden Fall wünsche ich es sehr, daß Du den Umgang nicht meidest. – Du mußt auch suchen mehr Selbstvertrauen || zu gewinnen. Daß Du immer klagst, daß Du zu wenig siehst führt zu nichts, und ist undankbar gegen Gott, benutze nur die Gaben, die Du empfangen hast, und die Gelegenheit die Dir gegeben ist; studiere wacker, sei frisch und fröhlich, und behalte lieb Deine alte Mutter Die beiden Berkens werden heute mit Unzers12 bei uns sein. Aduje mein Herzens Sohn. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Berken, Heinrich Wilhelm von den; Berken, Emilia Dorothea von den, geb. Bölling. Weiß, Christian Samuel. – Er wohnte im Gebäude der Berliner Universität. Br. 124. Grobes, gestreiftes Baumwollgewebe. Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Hauchecorne, Heinrich Lambert Wilhelm. Vgl. Br. 94, Anm. 3. Weiß, Ernst. Vgl. Br. 124, S. 210, bes. Anm. 43. Vgl. Br. 124, Anm. 46. Vgl. Br. 124, Anm. 33. Untzer, Gustav Friedrich von; Untzer, Juliane von, geb. Bölling.
127. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 21. dezember 1852
Liebste Eltern!
Würzburg, 21a/12 1852
Gestern (Montag) Nachmittag erst erhielt ich euren lieben Brief1, den ich sehnlichst erwartet hatte. Eure Sorgen in Betreff der Wohnung sind dadurch überflüssig geworden, daß ich schon vorige Woche eine neue gemiethet hatte. Sie befindet sich im I. Distr. No 358b, nicht sehr weit von der jetzigen und besteht aus einer zwar kleinen,
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aber sehr gemüthlichen Stube, mit einer Kammer daneben, die fast ¾ so groß ist. Sie hat zwei Fenster und ein nettes Ameublement; die Miethe beträgt nur 5 fl. da sie mir das Mitbringen des eignen Bettes für 1 fl angerechnet haben. Die Aussicht ist freilich nicht sehr schön, auf ein enges und finstres Gässchen, so daß ich fast (wie in der alten Reichsstadt Frankfurt) meinem Nachbar gegenüber die Hand reichen kann. Aber nach freier und reiner Luft sucht man in ganz Würzburg vergebens, außer im Hofe des Hospitals, im botanischen Garten und im Mainviertel drüben, wo die armen Schiffersleute wohnen, das aber auch sehr entlegen ist. Die Fenster liegen gegen Westen. Es ist freilich eine Treppe hoch; aber an Parterrewohnungen ist hier auch, jetzt zumal, nicht zu denken. Ich habe über ein Dutzend Wohnungen, fast alle, die grade frei waren, angesehen; sie gefielen mir aber alle weit weniger. Die Wirthin ist Rentsamtsdienerswittwe und heißt „Mueller“ (schon ein gutes Omen!)2 sie scheint sehr ordentlich,c wirthschaftlich und sorgsam zu sein. Auch zeigte sie mir in ihrem Zimmer ein paar Dutzend Silhouetten von Studenten, die während einiger 20 Jahre hier gewohnt hätten. Sie scheint auch schon einige 50 Jahre alt zu sein. || Bei dem Herumlaufen nach den Wohnungen habe ich auch gesehen, daß ich meinem Knie noch gar nicht viel bieten darf. Ich hatte nämlich am folgenden Tage fast bei jedem Schritte Schmerzen unterhalb der Kniescheibe, (an dem ligamentum patellae proprium3), worüber ich einen heidnischen Schreck bekam. Da ich aber den Fuß nun sehr schonte, und möglichst ruhen ließ, waren die Schmerzen schon am 2ten Tage danach ganz verschwunden. Im übrigen incommodirt er mich nicht; nur daß ich ihn, wie gesagt, noch gar nicht anstrengen darf. Ich trage jetzt das 2te Pflaster4 und werde bald das dritte auflegen; Musik macht das Knie nach wie vor. – Was meine „Lebensfrage“ betrifft, so denke ich, wir wollen uns das weitere Hin- und Herschreiben darüber ersparen und es auf die mündliche Besprechung zu Ostern verschieben. Die Hälfte der sauren Trennungszeit ist ja nun schon vorbei. Was übrigens den Gedanken des Schulmeisterns betrifft,5 so finde ich denselben gar so übel nicht wie du, lieber Vater! Einmal sind wir ja doch nicht auf dieser Erde, um ein anmuthiges und angenehmes Leben zu führen. Wenn man nur sein tägliches Brod hat, kann man sich genügen lassen. Das Wiederkäuen ein- und desselben Gegenstandes vor den immer neu auftretenden Schülern ist allerdings auf die Dauer eine traurige Sache; aber bedenke nur, daß die akademischen Lehrer fast in demselben Falle sind. Und dann, wie ungewiß und zweifelhaft ist eine d akademische Karriere, wenn einer nicht entweder ausgezeichnete Talente oder bedeutende Mittel hat! Sodann hat mir aber Lavalette eine ganze Reihe von Beispielen aufgeführt, von solchen Lehrern, welche fast nur || in ein paar naturwissenschaftlichen Fächern, z. B. Botanik und Zoologie, oder Chemie und Physik, gut beschlagen waren, und alsbald an rheinischen Realschulen, wo solche sehr gesucht werden, eine sehr angenehme und dabei nichts weniger, als dürftige Stellung bekamen. An eine praktisch chemische Laufbahn ist bei meiner ganz antipractischen Anlage dazu nichte zu denken. O gerum praxis!!6 Den noch übrigen Theil dieses Semesters werde ich übrigens noch ganz der Anatomie widmen, da neben dieser doch keine Zeit zu was Anderm übrig bleibt, und dann wollen wir zu Ostern sehen! Wenn mir die praktische Richtung nicht gänzlich abginge, so blieben mir in unserm practischen Zeitalter viele Wege offen! – Wie ich aus eurem Briefe ersehe, scheint ja das ganze männliche Kleeblatt der Häckelei mit seinen Zähnen zu thun zu haben. Das jüngste treibt es aber doch am
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ärgsten und hat dabei auch die meiste Aussicht auf fernere Zahnleiden; Du, mein lieber Alter, wirst Dir wohl nicht viel Zähne mehr herausnehmen lassen zu brauchen; aber was steht mir noch Alles bevor. Fast die ganze, vorige Woche haben mich meine Kiefer in gelinder Verzweiflung erhalten; Sonnabend ging ich endlich zum Zahnarzt9 und ließ mir die 4te und hoffentlich letzte Wurzel von dem alten, untern, linken Backzahn ausziehen, an dem schon Dürbeck7 vergeblich, und Franz8 mit halbem Erfolg seine Kräfte probirt hatte. Nun gab sich zwar die eine untere Geschwulst, aber es blieben noch 2 harte im Oberkiefer. Da ist nun heute auch der dritte (mittlere) Backzahn im linken Oberkieferf ausgezogen worden, ein riesiger Kerl mit gewaltigen g Wurzeln, von denen die eine (ein seltner und merkwürdiger Fall!) an ihrer Spitze, am Ende cariös angefressen war. || Schon seit mehr, als einem Jahr hatte ich an diesem Zahn in Perioden fast täglich ein neues, kleines Geschwür gehabt. Das wird h nun wohl auch Ruhe haben! Endlich schnitt mir der Herr Zahnarzt noch mit einem Messer in das Zahnfleisch des rechten Oberkiefers, weil er dachte, es sollten Abscesse aus der Geschwulst herauskommen; es fand sich aber merkwürdiger weise nichts, die harte Anschwellung blieb, und er weiß noch nicht, was er damit anfangen soll; der schöne Schnitt war vergeblich! (N.B. Solche naturhistorische Merkwürdigkeiten sind noch das Beste an mir; wie z. B. auch, daß ich mit dem linken Auge in das Microscop sehen kann, während ich mit dem rechten das Gesehene abzeichne, worüber neulich (in der microscopischen Anatomie) der Docent, Herr Leydig, mitten im Kolleg, in das höchste Erstaunen gerieth, weil er das noch nie gesehen; auch sehen die allermeisteni nur mit dem rechten Auge in das Microscop.10 Übrigens fühle ich doch auch wie esj, namentlich Abends, die Augen angreift.) Je mehr ich natürlich bei den bösen Zahngeschichten standhaft und ruhig erscheinen mußte, desto mehr jammerte ich verzweiflungsvoll im Innern, wie ihr leicht denken könnt; gut, daß es vorüber ist! – N.B. Bei „Microscop“ fällt mir ein, daß eure Kasse sich am Ende schon nächstes Jahr gefaßt machen muß, einen schönen Schück11 oder auch (dies jedoch weniger; zwar sind sie billiger, aber nicht so solid) Oberhäuser12 für die kleine Summe von circa 50 Thälerchen (wenigstens!) anzuschaffen!! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– –––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––––– Doch über diesen Gegenstand später mündlich mehr; jetzt nicht davon! – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – || Die Anwesenheit des Kaisers von Östreich13 wird Dir grade auch nicht sehr angenehm sein, mein liebes Alterchen; Du möchtest ihn lieber, wie auch die gesammten Junker, auffressen; es ist aber unverdauliches Zeug, wie geronnenes Eiweiß; nimm dich damit in Acht! Und was höre ich; Mammachen ist bei der Parade gewesen? Das ist wohl auch das erste und letzte Mal. Wir hören, sehen und lesen hier von solchen Dingen fast gar nichts. Nur heute hörte ich zufällig, daß unser jelübter König14 dem Kaiser bis Jüterbogk entgegengefahren. – Dagegen k haben wir hier in voriger Woche einen Hauptspectakel gehabt, von dem ihr vielleicht in den Zeitungen15 gelesen habt. Eines schönen Abends gehen ein paar Studenten Melodien summend und pfeifend vor dem Theater16 auf und ab. Plötzlich kömmt ein Herr Lieutenant, Lissignolo17 mit Namen, bezieht das Pfeifen auf sich und ruft: „Hee! Hee! Lausbuben, leckt mich am –ern.“ Hierauf sagt ganz ruhig ein dabei stehender Rechtspraktikant18: „Sie elender Tropf, Sie!“ Worauf mein Monsieur Officier ohne Weiteres den Degen zieht, erst
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den letztern tief in den Arm, dann auch einen der Studenten gefährlich in den Kopf verwundet, bis er von einem herbeikommenden andern Officier19 entwaffnet wird. Dieser Vorfall versetzte natürlich die ganze Stadt insbesondre aber die gesammte Studentenschaft (selbst mich nicht ausgenommen!) in die höchste Aufregung, und in den folgenden Tagen wurden mehrere Studentenversammlungen abgehalten, an denen alle 725 Kommilitonen theilnahmen. Hier ging es äußerst stürmisch her; unter anderm wurden auch viele verrückte Vorschläge gemacht: z. B. alle Studenten zu bewaffnen, oder in choro20l aus Würzburg auszuziehen. Endlich wurden 2 große, von allen unterzeichnete Adressen21, an den Senat, aufgesetzt, in deren ersten er um sofortige Entfernung || des Lieutenant Lissignolo dringend gebeten wurde (diese ist dann auch geschehen, nachdem er noch vorher in einem Duell mit einem andern Officier einen tüchtigen Hieb über den Kopf bekommen hatte! Es ist übrigens derselbe, scandalöse Mensch, der vor 2 Jahren eine ähnliche Geschichte hier machte, als er dann von einem Studenten gefordert wurde, diesen denuncirte, worauf er relegirt, und ein altes Gesetz wieder aufgefrischt wurde, nach welchem ein Student bei Strafe der Relegation weder einen Officierl beleidigen, noch auch, von ihm beleidigt, ihn zum Duell fordern darf !)22 Die zweite Adresse an den Senat betraf die Restitution alter Privilegien, namentlich der Legitimationskarten, welche Rechte neuerdings vielfach, besonders durch Polizeisoldaten, beeinträchtigt worden waren. – Es hat dies zur Folge gehabt, daß sogleich eine Deputation des Senats (an ihrer Spitze Scherer) nach München geschickt wurde.23 Sie soll indeß wenig ausgerichtet haben, weßhalb noch immer ungeheure Aufregung herrscht, namentlich da die Stadt stillschweigend in halben Belagerungszustand versetzt wurde; ich bin neugierig, wie das endet! – Nun noch ein Paar Worte über das Weihnachtsfest; feiert dasselbe recht vergnügt beim Großpapa, den ich sowie Tante Bertha, herzlichst grüssen lasse. Denkt dabei auch an euren armen, einsamen Jungen, der in Gedanken stets bei euch ist. Was die einliegenden Bilder betrifft, so ist das von Würzburg allerdings nichts weniger als schön; aber ich konnte trotz alles Suchens kein andres bekommen. Es ist gesehen von einem Hügel aus, der grade über dem herrlich gelegenen Kloster „das Käppele“ liegt, dessen 3 Thürme man rechts in der Ecke sieht. Links im Vordergrund liegt die Citadelle.24 || Das Bild von Alexander von Humboldt25 ist allerdings lange nicht so schön und fein, namentlich nicht so ruhig, wie das Original, geworden; indeß wünsche ich mir, daß ihr die unendliche Liebe herauserkennt, mit der ich bei jedem Strich eurer gedacht habe. Sehr m gern hätte ich auch für Großvater und Tante Bertha was gezeichnet; allein die Zeit war wirklich in den letzten Wochen so arg beschränkt daß ich Mühe hatte, mit dem Humboldt fertig zu werden. Sagt ihnen, daß ich auch an sien dabei gedacht habe! – Sehr leid thut es mir, daß ich mein Ziegenrücker Päärchen nicht habe zu Weihnachten besuchen können; ich hätte das gar zu gern gethan, namentlich, da sie mich noch sehr freundlich dazu eingeladeno hatten. Die Hinderungsgründe habe ich Tante Bertha geschrieben.26 So werde ich das Fest sehr einsam und still für mich feiern, aber recht in Liebe eurer gedenken und im Geiste bei euch sein; Bertheau und viele andere reisen nach Hause; o die Glücklichen! – Morgen wird Bertheau seinen Vortrag im Kränzchen27 halten und mich noch einmal mitnehmen. –
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Nun nochmals die herzlichsten Grüße! Auch an Weißens28, das Kränzchen!29p, an die Vettern (namentlich Theodor!)30 u.s.w. Wenn Berkens31 noch da sind, grüßt sie auch recht schön, namentlich meine Pseudo-Braut Hermine32! – Wenn ihr noch vor Mitte nächster Woche schreibt, so addressirt den Brief nur noch q wie bisher, da ich wahrscheinlich erst den 29sten (trotz alles Sträubens meiner Wirthsleute33, die mich partout behalten wollen) umziehen werde. Von da an ist die Adresse: District I No: 358.34 Nochmals tausend Grüsse und Küsse von eurem treuen alten Jungen E. H. Recht frohes Weihnachtsfest! 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
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Br. 125 und 126 (zusammen in einer Postsendung abgeschickt). Müller, Katharina. – Hier Anspielung auf Johannes Müller. Lat. ligamentum patellae proprium: Kniescheiben- oder Patellarsehne. Vgl. Br. 106, Anm. 9. Es handelte sich um eine Empfehlung Wilhelm Osterwalds, vgl. Br. 124, S. 207. Eine von Haeckels wiederholten Bekundungen seiner tiefen Abneigung gegen die medizinische Praxis. Dürbeck, Carl Wilhelm. Franz, Robert. – Zu Haeckels Zahnbehandlung vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851(egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 2.1.1850. Welchen Zahnarzt Haeckel hier aufsuchte, ist nicht bekannt. Zu Haeckels Spezialbegabung vgl. Br. 134, S. 234 f., Abb. und Deutung. Friedrich Wilhelm Schieck, dessen Firma in Berlin Mikroskope herstellte; zu Haeckels großem Schieck-Mikroskop, das er im August 1853 als Geschenk seiner Eltern erhielt; vgl. Br. 176, S. 351. Oberhäuser, Georg Johann (frz.: Oberhaeuser, Georges), dessen Firma in Paris Mikroskope herstellte. Franz Joseph I., Kaiser von Österreich. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. Der Vorfall hatte sich am Abend des 12. Dezember 1852 ereignet; vgl. Würzburger Abendblatt, 12. Jg., Nr. 297; 13.12.1852, S. 1239; ausführlicher auch Bericht in: Ansbacher Morgenblatt. 8. Jg., Nr. 279, 19.12.1852, S. 1047 f. Würzburger Stadttheater, es befand sich gegenüber dem Ludwigsbahnhof, das Gebäude brannte 1945 ab. Lissignolo, Friedrich. – Im August 1852 hatte zwischen den Studenten Carl Schmitt und Philipp Lenk und Friedrich Lissignolo, einem Unterlieutenant des Würzburger Jägerregiments, eine verbale Auseinandersetzung stattgefunden, aufgrund derer die beiden Studierenden wegen Beleidigung eines Offiziers mit dem Consilium abeundi belegt worden waren. Begnadigungsgesuche blieben erfolglos (vgl. UA Würzburg, Nr. 2885, unpag.) Seitdem war Lissignolo unter den Würzburger Studenten verrufen, und selbst kleinste Anlässe führten bei Begegnungen in der Öffentlichkeit zu Auseinandersetzungen. Nicht ermittelt. Nicht ermittelt. Lat.: im Chor, hier: geschlossen, alle zusammen. Die im Zusammenhang mit der Lissignolo-Affäre entstandene Adresse, die in zwei Exemplaren unter den Studierenden kursierte, protestierte gegen das willkürliche und brutale Vorgehen der Polizei gegen Studierende. Bereits bei geringfügigen Anlässen wurden Studenten auf der Straße festgenommen und im Polizeigefängnis inhaftiert, wobei Beschimpfungen und in einzelnen Fällen sogar körperliche Misshandlungen vorkamen. Die Studierenden forderten die Anerkennung ihrer Legitimationskarten als Indentitätsnachweis und anständige Behandlung durch die Polizei. Die Adresse war von zahlreichen Studierenden, darunter auch von Ernst Haeckel, unterzeichnet
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worden. Vgl. Adresse der Studierenden an den Senat der Universität Würzburg, 14. Dezember 1852 (UA Würzburg, Nr. 2864, unpag.). Vgl. Br. 100, Anm. 18. Am Abend des 15. Dezember reiste eine Deputation der Würzburger Universität, bestehend aus den Professoren Carl Franz Wilhelm Edel und Joseph von Scherer in Hochschulangelegenheiten nach München, vgl. Würzburger Stadt- und Landbote. 5. Jg., Nr. 300, 16.12.1852, S. 1427. Nicht überliefert. Ernst Haeckel besaß ein Bildnis Humboldts aus dem Nachlass seiner verstorbenen Großtante Marianne Gertrude Johanna Sack, das er sich nach deren Tod 1851 erbeten hatte und in der Folge wiederholt kopierte; vgl. Br. 61, Anm. 5. Bilder nicht überliefert; zum Käppele vgl. Br. 100, Anm. 5. Vgl. Br. 124, Anm. 33. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Vgl. Br. 94, Anm. 3. Bleek, Wilhelm; Bleek, Philipp; Bleek, Theodor; Bleek, Johannes. Berken, Wilhelm von den; Berken, Emilia von den, geb. Bölling. Berken, Hermine von den. Altheimer, Anton; Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Spätere Bezeichnung: Pleichacher Kirchgasse.
128. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 21. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 21/12 52
Da ich wegen allem Packen nicht zum Schreiben kommen kann, so sage ich Dir für heute nur, daß Du das Weihnachtsfest heute begrüssen sollst und Gott danken für das viele Gute, was er Dir gegeben. Eben ist hier die Nachricht aus Posen eingegangen, daß gestern früh bei Jacobis ein Töchterchen1 angekommen ist. Tante Minchen2 wird wohl gleich hingereist sein und nun wird Onkel Christian mit den Kindern3 wohl herkommen und das Fest hier zubringen. Da werdena wohl Onkel und Karl4 bei mir wohnen, und da ich Emma5 nicht mehr habe giebt || es für mich doppelt zu thun. Großvater ist wohl, Bertha abwechselnd. Das Taschentuch hat Tante Bertha selbst für Dich gemacht, die Nadel von Großvater mußt Du hübsch tragen, sein Haar ist darin. Mit der innigsten Liebe umarmt Dich Deine Mutter 1 2 3 4 5
Jacobi, August; Jacobi, Helene Hermine Henriette, geb. Sethe; Jacobi, Susanne Wilhelmine Agnes Marianne Clara. – Clara Jacobi wurde am 20.12.1852 geboren. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Christian Sethe mit seinen Kindern Heinrich Christoph Moritz Hermann, Bertha, Anna und Carl. Sethe, Carl. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin, das vor Weihnachten 1852 abgegangen war.
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129. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25. Dezember 1852
Innigst geliebte Eltern!
Würzburg 25/12 1852
Hoffentlich habt ihr meine kleine Sendung ganz ebenso zur rechten Zeit erhalten, wie ich eure große; daß ihr euch aber auch nur halb so sehr über die meinige gefreut habt, als ich über die eurige, muß ich mit Recht bezweifeln, da ich kaum glauben kann, daß jemand ein schöneres und erwünschteres Geschenk bekommen hat, als ich von euch, und sich mehr darüber freuen kann. Da Du, liebste Mutter, mir in Deinem letzten Brief geschrieben hattest, Du würdest sie schon Montag abschicken, so hatte ich ein wenig Angst und Unruhe, namentlich da sie auch gestern den ganzen Vormittag nicht erscheinen wollte. Als ich nun gestern Nachmittag mit la Valette von einem Spatziergang zurückkomme, oktroyiren wir vor dem Hospital den Postboten, der einen großen Karren mit Weihnachtskisten und kasten vor sich herschiebt, und zu alleroberst liegt – Ober Regierungs Rat Haeckel!1 – Natürlich nahmen wir ihn nun gleich mit und packten unter a großem Jubel die Kiste aus. Zuerst erschrak ich allerdings etwas; der Deckel war nehmlich eingedrückt und obenauf ein großer leerer Raum; namentlich, als ich aus Deinem oben aufliegenden Brief ersah, daß sogar was Goldnes mitkomme; indeß kann höchstens etwas von dem oben auf gelegenen Naschwerk weggekommen sein; ein Brief von Papa war nicht dabei. Nun wieder denn ein „Victualien“paket nach dem andern, die unendliche Reihe der Pfefferkuchen, Würste, Zuckerbäckereien u.s.w. enthällt, wobei mich la Valette viel neckte. Dann kam das niedliche Schachspiel, das uns sehr erwünscht kam, ebenso wie das liebe Teplitzer Domino2! Wir werden sie bald einweihen. || Doch nun – was soll ich vom Berghaus3 sagen? – Als ich zuerst das dunkle große Buch unten im Grunde der Kiste durchschimmern sah, errieth ich wunderbarer Weise sogleich im ersten Augenblick das Rechte! Während ich eilig die Hindernisse, die noch darauf lagen, wegräumte, kam mir dieser Gedanke aber doch viel zu kühn vor, und ich schämte mich fast, einen so unbescheidnen und doch so herzlichen, alten Wunsch wieder auszusprechen, meinte dann, es wäre Reinecke Fuchs von Kaulbach4, oder so was ähnliches. Doch wie soll ich euch mein Erstaunen und Entzücken schildern, als ich das verwirklicht sah, was ich kaum zu hoffen gewagt. Es wäre überflüssig, euch meine unendliche Freude und meinen innigen Dank dafür zu schildern. Ihr wißt selbst, meine besten Eltern, wie sehr der Besitz dieses classischen Werks ein wirklicher Lebenswunsch für mich von jeher gewesen, und noch ist. Nur daß will ich euch gestehen, daß ganz besonders in der letzten Zeit, seit sich der traurige und doch b nothwendige Gedanke des Umsattelns weiter ausgebildet hatte, und mir c in Bildern der Zukunft das Studium der Mathematik, insbesondre aber der Physik, sowie der künftige Lehrerberuf, vorschwebte, Berghaus physikalischer Atlas einer der wichtigsten Brennpunkte war, auf welchen sich meine nächsten Wünsche für die Zukunft concentrirten, und auf den ich immer wieder zurückkam. Oder habe ich gar in einem meiner letzten Briefe den alten, lieben Wunsch wieder ausgesprochen? || Soviel mir erinnerlich, habe ich ihn nur im Stillen genährt, da ich in meiner Niedergeschlagenheit an die Erfüllung dieses Wunsches ebensowenig, wie an diejenige andrer Hoff-
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nungen zu denken wagte. Noch heute früh, als ich erwachte, mußte ich mich vom Neuen besinnend, ob es nicht nur eine schöner Traum sei, und als ich mich dann von der wirklichen Anwesenheit des geliebten Buchs überzeugt, stürzte ich mich mit erneutem Entzücken hinein. Doch ich versuche vergeblich euch meine Freude und die Hoffnungen, die ich von dem Gebrauch des Meisterwerks, von dem Genuß, den es mir gewährenf wird, hege, zu schildern; viel besser werdet ihr dies selbst fühlen, meine einzigen Eltern, da ihr ja meine kleine Seele durch und durch versteht und erkennt. Nur das muß ich euch noch sagen, daß ich ganz insbesondre für meine Persönlichkeit den größten Nutzen und Genuß davon haben werde. Es steckt in mir ein, so zu sagen, reales, sinnliches g Element, das mich Gedanken und Thatsachen viel leichter auffassen und behalten, dieselben viel fester einprägen läßt, wenn sie durch Bilder versinnlicht, als wenn sie bloß in Worten trocken und nackt hingestellt werden. Ich sehe diesh z. B. sehr deutlich in der Anatomie, wo ich mühsam auswendig gelernte Sachen in ein paar Tagen verschwitzt habe, dagegen das, i wovon uns Kölliker eine, wenn auch noch so flüchtige, Zeichnung gegeben hat, ganz fest sitzen habe und behalte. Wie mir in dieser Beziehung der ausgezeichnete, physikalische Atlas zu Statten kommen, und wie er mir wirklich „etwas fürs ganze Leben“ im eigentlichen Sinne des Worts werden wird, könnt ihr kaum denken. || Eine große, große Freude wird es mir auch sein, wenn ich mit Dir, liebster Vater, die prächtigen Tafeln der Geographie durchgehen, und Dir dazu (das klingt freilich viel hochtrabender, als es gemeint ist!) physikalische Erläuterungen geben kann. Das wird eine rechte Freude sein, wenn wir dann so gemeinschaftlich studiren; hoffentlich geschieht das recht bald! Vorläufig ist es mir sehr lieb, daß die Herren Professoren, wider Alles Erwarten und ganz unverhofft (dies Jahr zum ersten mal!) die nächste Woche in 1 Ferienwoche umgewandelt haben. Da kann ich mich dann schon tüchtig darin umsehen! – Auch für die andern Geschenke seid schönstens bedankt! Die Mundvorräthe werden mir trefflich zu Statten kommen, und wieder für mehrere Wochen Abendbrot liefern. Ich habe sie mir aber auch schon vortrefflich (noch jetzt eben wieder mit meinen beiden Hausgenossen, den v. Franqués5 aus Wiesbaden) schmecken lassen, namentlich, da ich am Donnerstag (vorgestern) Fasttag gehalten hatte. Ich habe nämlich vor, von Zeit zu Zeit Fastübungen, zum bloßen, puren Spaß, anzustellen, als Vorbereitung, theils zu dem künftigen Real- oder Gymnasial-lehrerberuf, theils zu etwa (jedoch nicht wahrscheinlich!) zu machenden Reisen (N.B. letzterer Gedanken kommt mir jetzt manchmal wieder der Quere, besonders, wenn ich in meinem Berghaus schwärme!) Weber hat es in solchen Hungerübungen schon ziemlich weit gebracht; er fastet jetzt öfter regelmäßig 36 und mehr Stunden, und das zum bloßen Vergnügen, selbst wenn er genug zu essen im Schranke hat und es gar nicht nöthig hätte. || Ich habe es übrigens vorläufig j bloß mit 24 Stunden versucht, indem ich von Donnerstag früh (nach Genuß des Morgenkaffees) bis Freitag zu derselben Stunde weder einen Bissen Speise, noch einen Schluck Trank (nicht einmal Wasser!) genossen habe, wobei ich mich sehr wohl befand, zu geistiger Thätigkeit angeregt fühlte, und keine weitern Folgen verspürte, als etwas gesündern Appetit am folgenden Tag. – Tante Bertha und Großvater sagt vorläufig den herzlichsten Dank und die innigsten Grüße; ich werde nächstens an sie selbst noch schreiben.6 Die niedliche Brieftasche kommt mir als Notizbuch sehr zu statten (Sachen, die ich auch erst jetzt schätzen gelernt!) und ist mir natürlich durch die eigne Stickerei der sehr, sehr lieben Hand doppelt
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werth. Das Andenken von Großvater ist mir natürlich auch sehr werth; namentlich sind mir die Haare seines theurenk Hauptes eine sehr liebe Erinnerung; was das Gold betrifft, so kennt ihr meine Meinung darüber; es hat für mich stets etwas sehr ängstliches. Um jedoch gehorsam zu sein, und das kostbare Geschenk nicht unnütz liegen zu lassen, habe ich esl gleich gestern Abend und heute früh gebraucht, und die Nadel vorn unter dem Halstuch angesteckt, was meinen Bekannten gleich auffiel. Dabei schielte ich aber immer von Zeit zu Zeit beklommen herunter, um zu sehen, ob sie noch dasitze. – Die Schürzen für die beiden Mädchen haben ungeheures Furore gemacht, und selbst den allerhöchsten Neid der Frau Doctorin7, ihrer Frl. Tochter8, und des grade anwesenden Nähmädchens9 erregt, wie ich nachher von meinem Stuben-||besen10 erfuhr, wegen einer besondern Naht oder eines Saumes, der unten daran war, und wie man sie hier gar nicht bekäme. Das Nähmädchen wollte sie ihnen gleich durchaus abkaufen, worauf sie, wie ich von ihr immer hören konnte, antwortete: „S’ isch als en Gedenken, und das isch halt vor kein Gold nich feil!“ – worüber ich mich natürlich sehr geehrt fühlte! – Überhaupt hat mir das naive und treuherzige Wesen der Leute hier bei der Bescherung viel Spaß gemacht. Mein Stubenmädchen konnte des Danks gar nicht satt werden, läßt Dich, liebe Mama, besonders grüßen und ergoß sich, als ich ihr auch meine Geschenke zeigte, in einer langen Lobrede auf euch, wobei sie mich unendlich glücklich pries, daß ich so gute liebe Eltern hätte. Diese letztere Wahrheit hatte aber auch etwas sehr wehmüthiges für mich, wenn ich denke, wie wenig ich mich ihrer bis jetzt werth gezeigt habe! Ich will mir aber auch rechte Mühe geben eurer immer mehr würdig zu werden und euch Freude zu machen! – – Den heiligen Abend selbst brachte ich viel netter zu, als ich erwartet hatte. Der Professor Schenk lud mich nämlich im Kreis am Abend vorher ein, zu ihm zu kommen. Ich traf dort nun wieder die beiden Damen11 vom vorigen Mal, und deren uralte Mutter12. Um den Tisch, auf dem aufgebaut war, waren Blumen (Calla13 u.s.w.) sehr nett gruppirt; m die Damen und das Professor-ehepaar beschenkte sich gegenseitig (N. B. ich habe mir noch Scrupel darüber gemacht, daß ich nichts geschenkt habe; meine Bekannten meinten aber alle, das würde sehr unpassend sein); || für mich kam eine große, versiegelte und addressirte Kiste herein. Unter vielem Lachen und Necken mußte ich sie aufmachen und fand darin – nichts als Heu und Stroh! – Natürlich wurde nun tüchtig gelacht; das half aber nichts; ich mußte weiter nachsuchen, und fand dann zuletzt ganz unten drin einen niedlichen Briefbeschwerer von Steinpappe (oder Porcellan) stecken, den ich hier zum erstenmal gebrauche und einweihe. Dann plauderten wir noch sehr vergnügt bis 11 Uhr, wobei Schenk viel von seiner letzten Reise14 (die in mancher Hinsicht mich lebhaft an unsre schöne Sechsgroschensreise erinnerte)15 erzählte. Natürlichn war ich trotzdem viel im Geiste bei euch; wenn ich dies nicht so schon gethan hätte so würden mich die kleinen runden Theekuchen, die ganz den Deinigen, liebe Mamma gleichen, mich stets daran erinnert haben, oder auch der delikate Braten (der erste, den ich hier esse, da die im Wirthshause grade wie die Teplitzer, und ohne Butter gebraten sind.). Als ich dann nach Hause kam, habe ich noch bis gegen 1 Uhr im Berghaus geschwelgt, und konnte dann doch noch kaum einschlafen. Heute früh habe ich eine recht gute Predigt von einem ältern Pfarrer16, der mich im Äußern, wie im Vortrage sehr an unsern lieben Onkel Bleek17 erinnerte, gehört. Er stellte das Weihnachtsfest uns als einen Tag des Wunders, der Ehre und der Gnade für uns dar. Sie hat mir recht gefallen und war sehr einfach und eindringlich.
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In den katholischen Kirchen soll in dieser Nacht sehr viel Spectakel los gewesen sein, Musik, Aufzüge und dergleichen mehr. || Nach der Kirche ging ich im Hofgarten, welcher einem Merseburger Schloßgarten im vergrößerten Maasstabe gleicht, und sich längs der Wälle hinzieht, spatzieren. Die Luft war so mild (es weht hier schon mehrere Tage ein ganz warmer Südwest; von Schnee noch keine Spur), die Bäume begannen schon so hübsch auszuschlagen (sogar die Gageen18 guckten mit ihrem linealen saftgrünen Keimblatt schon ¾ Fuß aus der Erde heraus), daß es mir fast ganz heimisch war, und in meinem Innern einmal wieder rechter Frühling wurde. Da habe ich denn Gott recht innig gedankt, daß er mir o so vortreffliche Eltern und Verwandte geschenkt, und habe auch wieder rechtes Vertrauen gefaßt, daß er es noch gut mit mir machen wird. In mancher Hinsicht fange ich doch den Nutzen an, einzusehen, den meine Trennung von euch trotz alles schweren hat. Man wird viel eindringlicher und öfter auf sich selbst an-, und dadurch zu Gott hingewiesen; der Glaube wächst dadurch unwillkührlich und überwindet den Kleinmuth, der zur Verzweiflung hinführen will. Auch die heutige Predigt wies darauf schön hin, wie man nur durch den rechten Glauben an das Fleisch gewordene Wort zum eigenen Frieden gelangen kann. – Sonntags werde ich jetzt leider meist nicht mehr die Predigt besuchen können, da grade um diese Zeit Demonstration der Cryptogamen im botanischen Garten ist, wozu keine andre Stunde aufzufinden war. Übrigens habe ich in der Kirche auch Professor Müller19 und Kölliker gesehen. [Nach der Kirche traf ich auch Lothar v. Wurmb20, der hier seine Braut21 besucht.]p || Im Ganzen ist also das Weihnachtsfest, das erste, was ich nicht bei euch, liebste Eltern, zubringen konnte, doch viel angenehmer und froher geworden, als ich hoffen durfte. Als vorgestern Bertheau und andre Bekannte, so voll Freude und Hoffnung nach Hause abfuhren, wurde mirs allerdings etwas schwer und trübe ums Herz, und ich konnte mich wieder ein paar Stunden gar nicht recht in meine Lage finden. Dann tröstete ich mich damit, daß ich so auch den um so schwerern Abschied zu Neujahr nicht hätte, und daß das Wiedersehen zu Ostern dann um so schöner sein würde. Die Hälfte des Winters ist ja vorbei, und die andre wird noch rascher vergehen, obwohl Kölliker jetzt erst mit dem Gedärm fertig ist, und noch die Respirationsorgane, das Gefäß- und Nervensystem durchzunehmen hat. Es ist fortdauernd sehr interessant. Schreibt mir doch, wie ihr das Fest zugebracht habt; hoffentlich recht froh und gesund. Auch wenn ihr von unsern lieben Ziegenrückern was hört, schreibt es mir.q An Onkel Christian22 und seine Kinder23, wenn sie noch da sind, r herzliche Grüße; ebenso an die Vettern24.s Den nächsten Brief addressirt: Distr. I. 358t Nochmals den herzlichsten Dank und die innigsten Grüße (auch in No 825) von eurem treuen dankbaren Ernst H.u Die eine feingestreifte Schürze habe ich noch behalten und kann sie vielleicht später noch verschenken.v 1 2 3
Dem Paket lag Br. 128 bei; zur Ankündigung der Sendung siehe Br. 126, S. 215. Vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a), u.a. Eintrag v. 20.8. und 12.9.1852. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas. Eine, unter der fördernden Anregung Alexander’s von
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Humboldt verfasste, Sammlung von 93 Karten, auf denen die hauptsächlichsten Erscheinungen der anorganischen und organischen Nautur nach ihrer geographischen Verbreitung und Vertheilung bildlich dargestellt sind. 2 Bde. 2., grösstentheils umgearb. und verbess. Aufl., Gotha 1849– 1852; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 97 (=148–149). Reineke Fuchs von Wolfgang von Goethe. Mit Zeichnungen von Wilhelm Kaulbach. München 1846; vgl. auch Br. 77, S. 105, bes. Anm. 9. Franqué, Arnold von; Franqué, Otto von. Nicht überliefert. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Altheimer, Susanna oder Altheimer, Henriette. Nicht ermittelt. Stubenmädchen, nicht ermittelt; vgl. Br. 124, S. 210. Vgl. 124, S. 209. Nicht ermittelt. Die Bezeichnung „Calla“ kann sich sowohl auf Calla palustris L., Sumpfcalla, oder die mehrere Arten umfassende Gattung Zantedeschia Spreng., beide Familie: Araceae (Aronstabgewächse) beziehen. Besonders die Gattung Zantedeschia wird in vielfältigen Züchtungen als Zierpflanze in Gestecken verwendet. Schenks Reise in die Walachei, Donaugegenden, Ungarn, Siebenbürgen und Karpaten; vgl. Br. 107, S. 167 f. Vielleicht die gemeinsam mit den Eltern vom 10.8. bis 22.9.1852 unternommene Badereise nach Teplitz; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a). Wahrscheinlich Fabri, Ernst Friedrich Wilhelm. Bleek, Friedrich. Gattung: Gagea Salisb., Gelb- oder Goldsterne, weltweit etwa 200 Arten, Familie: Liliengewächse (Liliaceae); siehe Abb. 28. Müller, Heinrich. Wurmb, Günther Karl Lothar von. Wurmb, Emma Freiin von Gleichen genannt von Rußwurm; die Hochzeit fand am 6. 6.1854 in Rudolstadt statt. Sethe, Christian. Vgl. Br. 128, Anm. 3. Bleek, Wilhelm, Theodor, Philipp und Johannes. Berlin, Schifferstraße 8, die Wohnung von Haeckels Großvater und den beiden Tanten Bertha und Gertrude; vgl. Br. 45, Anm. 13.
130. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 29. dezember 1852, mit nachschrift von Hermine Haeckel
Lieber Bruder.
Ziegenrück den | 29 December 52.
Wenn Du heut nur einen kurzen Brief erhältst, so mußt Du die Schuld darauf schieben, daß ich allzusehr mich für Deine Geschmacksnerven interessire. Die eigengebackene Ziegenrücker Stolle, die Du mit dem Kistchen erhalten wirst, wird sonst gar zu alt. Unendlich leid hat es uns gethan, daß Du nicht kommen konntest. Wir hatten es uns so fest eingebildet, daß wir durch Deinen Brief1 recht unangenehm aus unsern Träumen aufgerüttelt wurden. Wie wirst Du, armer Junge, nur das Fest zugebracht
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haben? Gewiß nicht so fröhlich, wie sonst. Wie wir dieser Tage gelebt haben, wird Dir Mimmi schildern. Jetzt lebe ich wieder sehr in den Akten. Von Posena erfreute uns am 23ten die Nachricht, daß Helene2 glücklich mit einem Töchterchen3 niedergekommen ist. Es ging bis dahin recht gut. Mutter Minnchen4 ist gleich hingereist und die andern Stettiner5 zum Fest nach Berlin. Von Stettin und Berlin haben wir noch nichts zu Weihnachten erhalten. Ist es mit Fracht zugeschickt, wird es wohl spät kommen. Eben sagt mir Mies, sie müsse heut früh nach Stettin schreiben; da bin ich denn genöthigt, doch || noch Einiges hinzuzufügen damit Du nicht gar zu leer weg kommst. Heilig Abend wurde in der großen Eckstube aufgebaut. Kurz vorher hatten wir beiden uns einen Baum, eine schöne Tanne, mit Aepfeln, Nüssen und Kuchenzeug hübsch angeschmückt. Er prangte in der hellsten Beleuchtung. Für Mimmi war auf dem Spiegeltischchen, in der Ecke zwischen beiden Fenstern, aufgebaut: ein Album, in das die Aegidische Zeichnung6 hineingewandert ist, ein Kalender, eine einfache weiße Fußbank für die Kirche, und eine nettere polirte, mit Sammetüberzug, die sie in meiner Stube braucht. Für mich auf einem Tischchen daneben die beiden ersten Hefte des neuen illustrirten Faust in folio7. Wir hatten sie zur Ansicht gehabt und sie hatten mir sehr gefallen, das hatte sie, die liebe Seele, mir abgemerkt und gleich beschlossen, mir dies zu schenken. Außerdem baute ich mir selbst einen Holzkorb für meine Stube und ein Paar große Wasserstiefel auf. Den 1. Feiertag waren wir früh in der Kirche Abends bei Doctors8, mit Rechtsanwalts9, dem Baumeister10 und Inspektors aus der Lämmerschmiede11 zusammen. Mit Ausnahme des letzteren war dieselbe || Gesellschaft am 2ten Feiertag bei Harras. Den 3ten Vormittags machte ich mit Mimmi bei Herrn Heckel12 in Cülmla13 Besuch. Seit gestern bin ich wieder unter das Alltagsjoch gekrochen. Du wirst nun auch schon umgezogen sein. Hoffentlich trifft Dich doch das Kistchen, das ich nach der alten Wohnung dirigiere. Ade, alter Junge. Mimmi grüßt bestens. Wir danken Dir noch recht für Deinen letzten Brief,14 den wir in noch nicht 48 Stunden hatten. In alter Liebe Dein Karl [Nachschrift von Hermine Haeckel] Ganz ohne einen Gruß Deiner Frau Schwester kann der Brief doch nicht abgehen und einen herzlichen Glückwunsch zum neuen Jahr füge ich gleich bei; mögtest Du dasselbe wohler und nicht so bekümmerten Herzens verleben, wie Du es beschließt. Das beste Mittel nicht so schwerb lastende Gedanken zu haben, ist ein frisch u. thätig ergreifen einer Sache. Das rathe ich Dir recht sehr an, und glaube fest, daß es Dich über all die Grillen fortbringen wird. Wo wir Dir helfen können, werden wir herzlich gern dazu bereit sein. Schreib doch, wenn Du das Kistchen erhalten.c Das Kistchen gehört Deiner Mutter, hast du mal etwas || zu schicken, so nimm das, da sie gern bei Gelegenheit die Kistchen wieder hat. Der Inhalt ist außer dem Zucker Deiner Schwester eignes Backwerk, der Stollen hat den neuen Backofen ein-
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geweiht. Hoffentlich schmeckt er Dir so gut wie uns. Eigentlich sollte derselbe zum Fest bei Dir sein, ich konnte aber erst am Donnerstag backen. Und nun leb wohler in der neuen Wohnung, denke aber in alter Liebe an Deine Schwester. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14
Nicht überliefert. Jacobi, Helene, geb. Sethe. Jacobi, Clara. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Vgl. Br. 128, Anm. 1. Nicht überliefert. Goethe’s Faust mit Zeichnungen von Engelbert Seibertz. 1. und 2. Lieferung. […] Stuttgart 1852. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Harras, Wilhelm Gottlob; Harras, Ehefrau. Reissert, Hugo. Redtel, Rudolph Eduard Friedrich. Heckel, Franz Gottlob, Rittergutsbesitzer in Külmla. Külmla, heute Ortsteil von Schöndorf. Nicht überliefert.
131. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 28. – 31. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
Berlin 28/12 52.
Herzlichen Dank für Deinen lieben Brief und die schöne Zeichnung,1 beides hat mir große Freude gemacht; ja um so mehr, da ich wirklich schon recht in Sorge war, weil wir so lange keine Nachricht von Dir hatten. In Gedanken waren wir in den Tagen immer mit unseren lieben Kindern beschäftigt; aus Ziegenrück kam Donnerstag ein kleines Kistchen an mit Briefen2, und von Hermine für mich ein paar gestickte Aermel, für Tante Bertha einen Stich, und selbst gebackene Moppen3. Nun dachte ich || bestimmt Heiligabend einen Brief von Dir, mein lieber Herzens Sohn, zu bekommen, der blieb aber aus, und ich hörte, daß in Würzburg zwischen Studenten und Officieren was vorgefallen wäre,4 da machte ich mir freilich große Sorge; um so froher war ich nun als am ersten Feiertag früh Dein lieber Brief mit der Zeichnung ankam. Es ist ja recht fatal, daß die Zähne Dir soviel zu schaffen gemacht haben; da Du in dem heute angekommenen Brief nichts davon erwähnst, so hoffe || ich es ist nun ganz gut. – Daß Dir Berghaus Physikalischer Atlas5 Freude machen würde, dachte ich mir wohl, Du hast es aber in keinem Briefe gesagt, daß Du ihn Dir wünschtest, ich wußte es nur von fern her; Hauchekorn6 hat ihn uns besorgt; und als ich im dankte für seine viele Mühe, meinte er, es sei ihm eine große Freude, daß er etwas für Dich thun könne. – Ich habe nun schon zu Vater gesagt das Geld, was Du schon zu dem Zweck gesammelt hast, kann nun zur || Anschaffung eines Mikroskops später verwendet werden. Wie sehr freute es mich, daß Du Heiligabend beim Professor Schenk warst; die sind wirklich recht artig gegen Dich. Nun muß ich Dir doch berichten, wie wir hier
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das Fest verlebt haben. Freitag den 21sten kamen die Stettiner7 (da fällt mir eben ein, ich glaube wir haben es Dir noch gar nicht geschrieben, in Posen ist ein Töchterchen8 angekommen, Helehne9 und das Kind sind wohl, Minchen10 reiste hin, und so entschloß sich Christian11 mit den Kindern12 her zu kommen. || Nachmittags [kamen sie] hier an, und nachdem sie bei uns Kaffee getrunken hatten, überraschten sie Vater13, Christian und Karl wohnen bei uns, Bertha und Anna bei Vater. – Abends baute ich hier für Mine14 auf, dann ging ich zu Vater, baute für alle etwas auf, Theodor15 hatte den Baum ausgeputzt. Zum Abendbrot hatte ich kalten Hecht mit Sauce, Kuchen und Punsch; alle waren sehr vergnügt; als wir am Abendbrot waren, kam noch ein kleines brennendes Bäumchen, woran für jeden ein Scherz aus der Groschensbude mit einem Vers hing, Theodor und Heinrich16 hatten es mit Tante Bertha fabricirt. || Den ersten Feiertag aß Christian mit seinen Kindern, Bleeks und er Naumann17 hier, Tante Adelheid18 u. Elise19 wie Gertrude20 hatten es abgesagt. – Den 2ten Feiertag hörten wir um 11 Uhr eine sehr gute Predigt von Jonas in der Klosterkirche; zu Mittag waren wir bei Vater; Abends waren wir alle bei Julius21. – Montag aßa Christian mit seinen Söhnen hier, und gestern Mittag alle. – Heute den 30sten b sind wir alle zu Mittag bei Naumanns, Ernst22 ist auch hier, und erkundigte sich sehr nach Dir. – || Morgen Mittag werden alle bei uns essen, und Abends wird der Aufbau beim Großvater sein. – Freitag früh. So gerne ich noch mehr mit Dir geplaudert hätte, so kann ich doch nicht mehr ich erwartte meine Gäste. || Gott gebe, daß das heranrückende Jahr für Dich reich an seinem Seegen sei, er schenke Dir Gesundheit und frischen frohen Muth, und Vertrauen zu den Dir von Gott verliehenen Gaben, behalte lieb Deine Mutter 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22
Br. 127; Haeckels Zeichnung von Alexander v. Humboldt; vgl. ebd., S. 219. Nicht überliefert. Lebkuchen. Vgl. Br. 127, Anm. 15. Vgl. Br. 129, Anm. 3. Hauchcorne, Wilhelm. Sethe, Christian; von seinen Kindern waren anwesend Heinrich, Bertha, Carl und Anna. Jacobi, Clara. Jacobi, Helene, geb. Sethe. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Christian. Siehe Anm. 7. Sethe, Christoph. Auch Minna genannt, Dienstmädchen bei der Familie Haeckel in Berlin. Bleek, Theodor. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Naumann, Friedrich Gustav. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Naumann, Elisabeth Philippine Luise Christiane, geb. Sethe. Sethe, Gertrude. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Naumann, Ernst.
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132. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 30./31. dezember 1852
Mein lieber Ernst!
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Nun haben wir 2 Briefe1 von Dir einen vom 20sten, den andern vom 25sten December. Wir haben daraus mit Freuden ersehn, daß Du den heiligen Abend doch nicht ganz verwaist gewesen sondern in guter Gesellschaft zugebracht und auch grade am heiligen Abend unsre Sachen erhalten hast, und daß Dir unsre Sachen besonders der physikalische Atlas2 viel Freude gemacht haben. Hauchecorne hat ihn besorgt und Du mußt ihm dafür danken. Ich habe den Atlas durchlaufen und ihn auch sehr intereßant gefunden; ich sagte schon zu Mutter, die 2te Hälfte wäre auch etwas für mich. Sie meinte aber (und damit war ich ganz einverstanden): es müßte alles fort, zu Dir! Nun wirst [Du] auf längere Zeit Materialien zu Studien haben. Die Charten entsprechen doch sehr dem, was ich in Humbolds Kosmos (ich glaube im 3ten Theil)3 gelesen und ich bedauere immer, so unwißend in der Physik geblieben zu sein. Meine Physik sind freilich die Völker mit ihren Naturanlagen und politischen Organisationen und wie sie (die Völker) sich zu einander verhalten. Da wirst Du mir späterhin auch behilflich sein können. Jetzt lese ich viel biblische Geschichte, besonders Geschichte der Juden (auch von Dunker)4 und mein Hauptintereße bleibt immer das für die Entwikelung der Menschheit auf Erden, daran knüpft sich wieder mein deutscher und mein preußischer Patriotismus. Das deutsche Volk darf in der Welt nicht fehlen! Wenn man nun sieht, wie das Fortschreiten der Menschheit aus rein egoistischen Intereßen und aus Bornirtheit von so vielen bekämpft wird, dann bekommt man allerdings nicht viel Respekt vor den Menschen, aber desto mehr Ehrfurcht vor Gott, der alles zu seinem Ziele zu führen weis. Denn es ista alles Widerstrebens der Menschen ungeachtet jetzt viel beßer als vor ein Paar Tausend Jahren und die wahrhaft menschliche Kultur wird sich immer mehr über die Erde verbreiten, dafür bürgt uns Gottes Wille und die neuern Erscheinungen der Zeit, die neuen Erfindungen, Eisenbahn, Dampfschiffarth deuten immer mehr darauf hin, daß diese Entwikelung jetzt schneller vor sich gehen wird. So fand ich im Jahr 1848. ehe die Tollheiten ausbrachen, einen Fingerzeig, daß nun auch die slavischen Völker größerer Kultur entgegen geführt werden sollen und sehn auch jetzt noch in dem Bestreben Oesterreichs, seine verschiedenen Völker zu einem Staat zusammen zu schmelzen, einen Fortschritt, wogegen seine Tendenz, Deutschland blos zu seinem Fußschemel zu brauchen, wahrhaft unvernünftig ist, und eben darum auch sein erbärmliches Streben, Preußen zu annulliren.5 Aber in den Kabinetten regiert blos die Frage der Macht und der Furcht. Von einer Weltentwikelung wißen sie nichts, sie, die Leiter, die vor allem klar sehen und einen freien Blik in die Weltgeschäfte thun sollten. Da hadern sie sich lieber mit ihren Völkern um jedes Quentchen Macht und vergeßen völlig, daß ihnen die Macht blos verliehen worden, um allmählich Freiheit zu schaffen. Denn je weiter die Völker in Kultur vorschreiten, desto mehr bedürfen sie der Freiheit! Nun der oberste Lenker wird alles zu seinem Ziele führen. Wenn man aber den Egoismus und die Schlechtigkeit und die Dummheit so täglich operiren sieht, dann kann man es doch nicht laßen, sich mitunter tüchtig zu ärgern. Komme ich auf den geschichtlichen Standpunkt, so werde ich immer ruhig. –
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Was Dich betrifft, mein lieber Ernst, so mache Dir nur ja nicht zu viel Kummer, was aus Dir werden soll. Zuförderst beurtheilst Du Dich selbst viel zu einseitig und nach dem, was sich grade in Dir regt und nicht regt. Viele Menschen brauchen längere Zeit, ehe sie über sich ins Klare kommen und es ist kein Zeitverlust, wenn dieses nicht sofort geschieht. So auch bei Dir! Manche, bei denen || sich nichts regt, sind freilich bald im Klaren, aber sie sehen auch herzlich wenig. Zu Deiner geistigen Gährung kommt nun noch das Knieübel6, was Dich stutzig macht, und Dir allerdings viel entziehen würde, wenn es sich nicht sollte heben laßen. Aber ich hoffe zu Gott, daß er Dir auch diese Prüfung grade in Deiner jetzigen Entwikelungsperiode nicht umsonst schikt und daß sie zu Deinem Besten dienen soll. Harre also nur aus, hoffe auf Gott und verliere den Muth nicht, er wird Dein redliches Streben doch endlich segnen. – Oncle Christian nebst Kindern7 ist diese Feiertage bei uns, da Tante Minchen8 bei Helene in Posen ist, die Gott mit einem Mädchen gesegnet hat.9 Wir sind also viel zusammen mit ihnen und Papa10 und Bertha11 und verleben diese Tage recht gemüthlich. – Den 31sten. Heute Abend wird bei Großvater12 beschert. Der alte Mann ist sehr glüklich, daß er jetzt so viele der Seinigen um sich hat. Mutter spielt fast täglich mit ihm von 6-8 Uhr Tarok. Dann kommt sie zu mir und nach 9 Uhr gehen wir noch einmal zum Großvater. Ueberhaupt haben wir uns seit Du und Carl fort seid, fast ausschließlich auf unsern Familienkreis beschränkt, wozu auch noch die kurzen Tage und das viele schlechte Wetter beitragen. Gestern Mittag waren wir bei Naumann, der uns mit einigen jungen Gänsen und gutem Wein regulirte. Uebermorgen will Oncle Christian (der sich hier mahlen läßt)13 mit den Kindern wieder abreisen. Carl und Hermine laßen wenig von sich hören. Carl ist sehr beschäftigt und die Freistunden gehören Hermine, diese aber wirdb in ihrer neuen jungen Wirthschaft sehr in Anspruch genommen. Wenn wir klagen, daß sie wenig schreiben, so entschuldigt Grospapa regelmäßig seine Hermine. – Ich selbst sehne mich sehr nach längeren Tagen und frischem Wetter. Ich gehe diesen Winter viel weniger aus zu meinen Freunden als vorigen. Frühc gegen 9 Uhr wird es erst Licht, dann lese ich bis gegen Mittag. Gegen Abend und am Abend mache ich meinen Spatziergang und wenn ich dann schmutzig geworden und naß bin, kehre ich am liebsten nach Hause zurük. Mutter und ich denken täglich, ja fast stündlich unsrer lieben Kinder und sagen dann: was werden sie jetzt machen? Wenn es Dienstag oder Mittwoch früh klingelt, dann läuft Mutter schnell zur Thür, denn dann muß ein Brief von Ernst kommen. Und wenn dann die Briefe gelesen sind, so gehen sie zu Grosvater und Bertha. Das Zusammenleben mit diesen beiden erfreut uns sehr, um so mehr, da wir sehen, wie sie dieses beglükt. Profeßor Weiss14 suche ich öfters auf, seine Krankheit hat immer noch einige Schwäche zurükgelaßen, ich theile ihm dann öfters Nachrichten von Dir mit. Dein Kränzchen15 ist von seinen Vorträgen sehr erbaut und bedauert nur, daß er seine Ansichten und Anschauungen nicht in ein Werk systematisch zusammengefaßt hat. Der alte Weiss in Merseburg hat für seine Freunde sein Leben aufgesetzt und geschrieben.16 Ich habe es mit Mutter gelesen. Am Schluß, wo er über sein baldiges Abscheiden spricht, wird er wirklich erhebend religiös, obwohl er sich sonst einen Rationalisten nennt. Der rechte Rationalismus führt aber unausbleiblich zur Religion. Sein Befinden ist erträglich und hat sich gegen das vom Herbst sehr gebeßert; ob er aber ganz gesund werden wird, ist sehr zweifelhaft. –
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Adolph Schubert ist jetzt in Paris, wo er sich sehr gefällt. Carl wird Dir wohl seinen Brief schiken.17 – Nun, mein lieber Ernst, quäle dich ja nicht zu sehr mit Zweifeln über Deine Zukunft, betrachte diesen kleinen Durchgangsgrenzpunkt Deiner Entwikelung gerade in ihrer Eigenthümlichkeit als eine Dir von Gott gegebene Aufgabe, um Deine Ausdauer und Dein Selbstvertrauen zu stärken, Deinen Willen zu kräftigen und Dich so zu stählen, daß Du mit Ruhe Deine weitere Zukunft erwartest. Wenn Du fortdauernd fleißig bist und an Kenntnißen, Selbstvertrauen und klarer Besonnenheit zunimmst, so wird alles zu einem guten Resultat führen. Du bist nicht der erste, der gerade diesen Entwickelungsgang zu gehen hat. Es haben ihn viele gehen müßen. – Schone deine Augen möglichst besonders Abends vermeide anhaltendes Sehen durch das Mikroskop. Deine hübsche und sehr wohl gelungene Zeichnung von Humbold18 ist schon eingerahmt und hängt in Deiner Stube. Sie soll heute Mittag, wo Christian’s19 u. Bleeks20 bei uns eßen, unser Gesellschafter sein. Und nun für dieses Mahl genug! Dein Dich innigst liebender Vater Haeckel Das Ausziehen einiger Zahnwurzeln hat mir gut gethan, ich hoffe daßelbe von Dir. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
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Br. 127 und 129. Vgl. Br. 131, S. 228. Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physikalischen Weltbeschreibung. Bd. 3, Stuttgart;Tübingen 1850; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 1 (=3). Sein persönliches Exemplar mit egh. Namenseinträgen befindet sich im EHA Jena, Sign. XIII, 93. Duncker, Max: Geschichte des Alterthums. Bd. 1, Berlin 1852. Vgl. Br. 151, S. 282 f. Vgl. Br. 74, Anm. 3. Vgl. Br. 131, Anm. 7. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Helene Jacobi hatte am 20.12.1852 ein Mädchen namens Clara geboren. Sethe, Christoph. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Sethe, Christoph. Bild nicht ermittelt. Weiß, Christian Samuel. Vgl. Br. 94, Anm. 3. Christian Weiß litt bereits ab 1838 an einem Augenleiden und ließ sich deshalb im Juni 1843 pensionieren; vgl. dazu Br. 98, S. 142. Seit 1850 völlig erblindet, diktierte er seine im November 1850 begonnenen Lebenserinnerungen seiner Tochter. Ein Teil (Bl. 1–65) des im September 1852 fertiggestellten Manuskripts „Bruchstücke aus meinem Leben. Wahrheit ohne Dichtung“ (4°, 339 S.), wurde 1887 von Gustav Wustmann abgeschrieben und befindet sich heute im Bestand der UB Leipzig, Depositum der Stadtbibliothek Leipzig, Rep. VI 25q. Adolph Schubert an Carl Gottlob Haeckel, Paris, 9.12.1852 (EHA Jena, A 16190). Vgl. dazu auch Br. 127, S. 219, bes. Anm. 25. Vgl. Br. 131, Anm. 7. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe; Bleek, Friedrich.
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133. Von Bertha Sethe, [Berlin, ca. Ende 1852]
Zu den verpönten Dingen des gewöhnlichen Lebens, gehört es, daß der Topf dem Kessel vorwirft, daß er schwarz ist; mir kommt das ganz unrichtig und falsch vor; weiß doch der schwarze Topf am Besten, wie dem schwarzen Kessel zu Muthe ist; weiß er es doch am Besten, wie und wo ein Fleckchen Blankes zum Vorschein gekommen ist, weiß er es doch am Entschiedensten, wodurch nun hie und da ein Fleckchen Ruß entweder abgeschummt, abgestoßen oder gerieben worden ist; weiß er es doch am || Besten, welche Art seinem Organismus am Zuträglichsten, seiner Eigenthümlichkeit am Entsprechendsten ist. Nun könnte freilich der Kessel wohl sagen, ja warum müssen wir denn überhaupt schwarz werden, wie herrlich und glänzend bin ich nicht im vollen Strahl, blank und hell, daß es eine Lust ist? Glänzend und rein, brechen sich die Strahlen an mir und kehren doppelt und dreifach wieder von mir zurück? Hast du eine Antwort auf dies Warum? – || Willst Du nun der Topf oder der Kessel sein, mir ist es gleich, aber das mach Dir klar und deutlich, wie köstlich es sein muß, wenn ein Fleckchen Ruß nach dem andern, bald mehr bald weniger vom Kessel geht oder genommen wird, und er zu seiner Zeit, wieder hell und blank, wie ehedem dasteht, ja wohl heller und fester und stärker, denn er hat sich bewährt in der Glut des Feuers, und hat sein Wesen und Sein bewahrt, und aus Allem Schönen und Glänzenden leuchtet die Kraft und Festigkeit hervor. So der Kessel, wenn er stille || ist, wenn er schwarz wird, wenn er wartet bis er wieder blank wird, wenn er arbeitet a ohn Unterlaß, den häßlichen Ruß fortzunehmen von sich, wenn er auch nur oben auf sitzt, er möchte leicht auch in seine innersten Adern dringen. Wenn nun ein Kessel zum ersten Male Ruß bekommt, es mag ihm wunderlich vorkommen, und schwer ankommen, wie sollte es aber sein, wenn wir dann ihn wegwerfen wollten, er wird noch oft schwarz werden, denn nur wenn er aufgehört hat als Kessel gebraucht zu werden, nur dann hört das Schwarzwerden auf. Dies schrieb ein Kessel, so ganz geschwärzt und voll Ruß, daß Du b von seinem Wesen nichts mehr erkennen kannst, ob er noch einmal blank wird, und als Kessel gebraucht wird, wer weiß es; aber als Kupfer zerschlagen, und mit andern zerschmolzen und gereinigt nur Theil eines andern Dinges zu werden, das ist ihm bestimmt, wann? und wie? Tante Bertha Sethe
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134. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 1. Januar 1853
Meine geliebten Ältern!
Würzburg, am Neujahrsabend 1853!
Nachdem ich bis heute Abend, den ich als letzten Wartetermin mir festgesetzt hatte, vergeblich auf einen Brief von euch gewartet, benutze ich die Zeit, wo meine sämmtlichen commilitones auf dem großen Neujahrsballe auf der Harmonie eifrig beschäftigt sind, um euch meine innigsten kindlichen Glückwünsche zum neuen Jahr darzubringen. Der Brief1 müßte eigentlich heute schon bei euch eingetroffen sein, allein da ich von Stunde zu Stunde immer noch dachte, es würde eine Antwort auf meine beiden letzten Briefe2 erscheinen, wurde es so spät. || Unter den vielen Herzenswünschen, die ich stets, ganz besonders aber am Anfange dieses Jahres für Euch und Euer Wohlergehen hege, ist wohl der innigste und einer der am tiefsten gefühlten derjenige, daß ihr an eurem Jungen noch rechte Freude erleben möget! Das könnt ihr versichert sein, daß er seinerseits alles, was in seinen Kräften steht, aufbieten wird, um dieser Pflicht möglichst nachzukommen und eurer noch recht würdig zu werden! Bis jetzt habe ich euch freilich noch viel Sorge gemacht, und blicke noch selbst mit ebensoviel Sorge in die Zukunft. Allein ich fühle doch, daß ich in der letzten Zeit wenigstens etwas an Muth und Gottvertrauen zugenommen habe,
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und das wird mir ja schon weiter helfen! Wenn ich freilich am Schluß des vergangenen Jahres auf mein Leben zurückblicke, möchte ich || gleich allen Muth für die weitern Schritte in die Zukunft verlieren! Wie wenig hat das doch den tausend Erwartungen und Hoffnungen entsprochen, die ich von ihm, namentlich anfangs hegte. Ich dachte einmal wieder recht lebhaft an die Neujahrsferien des vorigen Jahres, die ich in eurem Kreise verlebte. Da steckte ich noch in der heißen Examennoth,3 welche ich aber durch die blühendsten sanguinischen Hoffnungen von Studentenleben, Studium der Naturwissenschaften u.s.w. mir zu versüßen suchte. Und wie sind nun diese eine nach der andern zerronnen und zerschellt; wie ist auch nicht eine einzige so recht in Erfüllung gegangen, und welche Aussichten habe ich nun für die Zukunft? – Doch es ziemt sich ja nicht und am allerwenigsten am Anfanga eines neuen Jahres, daß der Mensch mit seinem Schicksal und mit Gott hadre; ich will lieber mit Dank das Gute erkennen, was mir Gott noch gelassen, wohin vor allen ihr selbst, meine liebsten Ältern, gehört, ihn bitten, mich dies auch ferner genießen lassen, und dann vorzüglich mir Muth und Kraft zu schenken für meinen fernern Lebensweg, dessen Richtung er mir recht klar zeigen möge! Ja, ich habe den festen Vorsatz gefaßt, mich nicht von jeder Schicksalswendung gleich umwerfen zu lassen, sondern mich zu bestreben, immer männlicher und fester zu werden, und stillen, aber sichern und getrosten Schrittes auf mein Ziel los zu gehen. Ich habe ja an euch eine Stütze, auf die ich mich stets verlassen kann. – Wie wird es wohl heute überm Jahr mit mir aussehen? – || Das Titelbildchen dieses Briefes stellt Ernst Haeckel ungefähr so dar, wie er sich selbst vergangene Nacht in einem Traume – ob wirklich der wahren Zukunft? – erschienen ist. Ihr werdet euch über den Wirrwarr und die sonderbare Komposition wohl nicht wenig wundern! – Soviel ich daran ersehen kann, liegt die b Medicin im Winkel, hinter dem Baum verborgen. „Des Lebens goldner Baum“4 ist und bleibt aber doch die Botanik! Er befindet sich grade in seinem classischen Momente, indem er mit dem rechten Auge und der rechten Hand das zeichnet, was er in dem Mikroscop mit dem linken Auge (vor das er die Hand hält, um das Nebenlicht abzuhalten) sieht.5 Vor ihm auf dem Tische steht außerdem eine galvanische Batterie, Magnet, Pincette, Deckgläser, chemische Reagenzgläser und dergleichen naturwissenschaftlicher Hausrath mehr. Hinten links steht das Schreckbild der Zukunft, eine schwarze Schultafel mit einer ellenlangen mathematischen Formel, die noch auszurechnen ist. Im Vordergrund Berghaus physikalischer Atlas,6 der überhaupt jetzt den ganzen Vordergrund von Ernst Haeckel selbst bildet! – Ach wenn es doch einmal in Vollkommenheit so aussähe! – Daß ich gestern nicht bei euch sein konnte, wollte mir gar nicht recht eingehen, und weckte in dieser Beziehung noch viel traurigere Gedanken und Rückerinnerungen, als das Weihnachtsfest selbst. Es war mir immer, als müßte ich gleich zu euch hinfliegen, und doch ging das nicht. Desto mehr aber war ich auch in Gedanken und Sinn bei euch! || Sogar das kam mir so sonderbar und unnatürlich vor, daß ich nicht einmal den Sylvesterabend mit Punsch, Kartoffelsalat und gebratenen Kastanien, wie in allen vorigen Jahren mit euch, feiern sollte, und wie ihr es auch wohl diesmal bei Großvater thatet. Zum Ersatz dafür gönnte ich mir um 6 Uhrc ein saftiges Beafsteak mit Kartoffeln, und sogar einen Schoppen Wein (für lange Zeit den letzten!) Allein es wollte mir doch nicht recht munden und gar nicht, wie im lieben Elternhaus schmecken!
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– Vorher um 5 Uhr war ich in der hellerleuchteten Kirche, wo eine d kurze und einfache, aber recht passende Sylvesterpredigt gehalten und dann die Kirchennachrichten der evangelischen Gemeinde für das verflossene Jahr vorgelesen und durchgenommen wurden. Obschon ich gleich nach Voll kam, war doch der ganze ungeheure Raum schon so voll, daß iche mit vielen andern draußen vor der Thür bleiben mußte. – Nachdem ich um 7 Uhr zu Hause gekommen, nahm ich meinen geliebten, alten Faust7 einmal wieder her und las ihn mit immer erneutem und vermehrtem Vergnügen, zugleich auch mit wachsendem Verständniß, zum Xten Male durch. Ich kann euch gar nicht sagen, wie die Lectüre dieses größten Dramas mich allemal wunderbar umwandelt, und aus dem Wust der Alltagsgedanken „zu den Gefilden hoher Ahnen“8 hebt. Es ist wirklich ganz einzig in seiner Art und regt in dem Leser allemal eine ganze Welt von Gedanken auf. Auch gestern überließ ich mich noch f lange Zeit diesen mannichfaltigen und doch so harmonischen und tiefen Ideen. Dann schwelgte ich noch kurze Zeit in meinem theuersten Berghaus, der mir jetzt meistens Tag und Nacht im Sinne liegt, und ging gegen 12 Uhr auf die Mainbrücke, wo ich es wider Erwarten ganz leer und still fand. Dagegen war in allen Kneipen ein ganz schauderhaftes Toben. || In der düstern Stille, welche auf dem Flusse und dem jenseitigen Mainviertel gelagert war, und welche prall mit dem Tosen und Schreien in der Stadt abstach, machten die Kanonenschüsse, welche von 12–12¼ Uhr ununterbrochen von der Veste herabdonnerten, einen ganz imposanten Eindruck. Da die Nacht stockfinster war, und nur zuweilen die Wellen des Mainstroms durch den ziemlich dichten auf ihnen gelagerten Nebel hindurchblickten, oder g einzelne Lichter der am Ufer stehenden Häuser wiederspiegelten, so ergoß sich bei jedem Schuß aus den Kanonenröhren ein sprühender und funkelnder Feuerregen, der in der dicken Finsterniß sehr glänzend erschien. Der Pulverdampf zog sich in dichten Nebelwolken herab, und breitete sich über Stadt und Strom aus; wenn man nun h noch den vielfach im Thalkessel widerhallenden Donner des Geschützes hinzunimmt, so kam wirklich ein magischer und erschütternder Effect heraus. – Heute früh hörte ich wieder eine gute Predigt bei demselben alten Pfarrer, den ich schon am ersten Weihnachtsfeiertag gehört hatte.9 Er wandte den Text „Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir –“10 auf die christliche, und insbesondere protestantische Kirche, auf das Vaterland (unter der Voraussetzung, daß dieses Gott nicht verließe) und endlich auf die einzelnen christlichen Brüder und Schwestern der Gemeinde an. Ich kann wohl sagen, daß dadurch wieder mancher erneute gute Vorsatz in mir weiter bestärkt und befestigt i wurde, und ich in meinem festen Willen noch mehr beschloß, gewiß dieses Jahr mit mehr Charakterstärke und Gottvertrauen, wenn selbst unter noch ungünstigeren Verhältnissen, als das vorige, durchzuführen. || Heute Nachmittag machte ich, da es ganz außerordentlich mildes und warmes Mai-Wetter war, allein einen ziemlich großen Spaziergang. Ich ging über die Brücke und dann auf einen ziemlich hohen Berg südwestlich von der Veste gelegen, (nach Zell11 zu) von wo ich bei schönem Abendroth eine herrliche Aussicht über das Mainthal genoß und zwar über die Krümmung des Stroms, welche von der Stadt abwärts sich ganz westlich erstreckt, und einen länglich ovalen Thalkessel bildet. Zu meiner Rechten lag hoch die Veste, und weiter unten das Mainviertel, vor mir grade gegenüber ein bedeutender Höhenzug (auf dem rechten, jenseitigen Ufer), der an einer Stelle mit dunkelm Kiefernwald und einer alten Burgruine geziert war. Ganz links,
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wo der bedeutende Fabrikort Zell liegt,12 macht der Strom eine anmuthige Krümmung wieder nach Norden und verliert sich dann in blauer Ferne, (die mir immer das liebste ist, und die ich minutenlang sehnsüchtig ansehen muß) zwischen noch höhern Bergen. j Die zwischenliegende Thalsohle war schon ganz grün von junger Saat, wie auch die Bäume die schönsten Knospen haben und die Haselnüsse schon blühen. Es mochte ungefähr +8o R.13 sein. Hätte man nicht ausdrücklich gewußt, daß es Neujahr wäre, so würde man eine April- oder Mai-Landschaft vor sich zu sehen geglaubt haben. Der Rasen ist überall schon ganz von Cotyledonen14 grün. Einen höchst anziehenden Eindruck machte die Ruhe, die über der ganzen Landschaft ausgebreitet lag, und nur zuweilen durch das Läuten der Klosterglocken unterbrochen wurde. Was überhaupt zusammengeläutet wird, das glaubt ihr gar nicht. Von früh 6 – Abends 6 jede Viertelstunde, und zwar meistens 5 Minuten lang. Wahrscheinlich stammt daher das Lied: Würzburger Glöckli15 – || Seit vorgestern befinde ich mich nun in meiner neuen Wohnung: District I 358, die mir außerordentlich gefällt. Im allgemeinen zeigt sie folgende Einrichtung:
Die eigentliche Wohnstube ist 15‘ breit, mit 2 Fenstern Front, und 12‘ breit; sehr nett meublirt und eingerichtet; die nebenanliegende sehr frische und luftige Schlafkammer ist ebenso lang, aber nur 10‘ breit. Fast das einzige k zu tadelnde ist die Dunkelheit, indem sehr nah gegenüber ein ziemlich hohes Haus steht. Dagegen ist die Wirthin16 ganz vortrefflich; und so thätig und sorgsam, wie eine Mutter, daß es oft ganz rührend ist, und ich in dieser Beziehung nichts mehr wünschen kann. Es ist [eine] alte, höchst gutmüthige und freundliche, sehr fleißige, aber einäugige, überhaupt nicht sehr schöne Frau, sehr reinlich und ordentlich. Sie lebt nur mit ihrer einzigen 30 Jahr alten Tochter17 zusammen, welche durch Gicht an den Füßen ganz gelähmt ist, und nur Stricken, Nähen und dergleichen verrichten kann. Der Preis der Wohnung (alles im Allem nur 5 Gulden) ist sehr billig, und ich denke den Leuten, da sie sehr arm und ordentlich sind, auch so manchmal was zu kommen zu lassen. Unter andern wird sie mir waschen, flicken u.s.w. || Nun mußl ich Dir noch vor allen Dingen, meine liebste Mama, den Dank für die Herrlichkeiten alle wiederholen, die Du mir zum Weihnachten geschickt hast. Als ich
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am ersten Feiertag nur rasch den ersten flüchtigen Dank abschickte, hatte mich noch mein theuerster Berghaus so in Anspruch genommen, daß ich die Einzelnheiten der andern Geschenke alle noch gar nicht erforscht hatte. Sie sind erst nach und nach ans Licht gekommen und haben mir dann immer neue Freude gemacht. Die delikate Leberwurst hat mir bereits, in Verbindung mit je 2 xr Brot, Abendbrot für die ganze vergangene Woche geliefert. In dieser kommt nun die andre dran. Das Pflaumenmuß habe ich erst heute geöffnet und gekostet, wobei ich mit Betrübniß bemerkte, daß es wohl nicht lange sein Leben fristen wird, da es dazu viel zu gut ist. Das schöne Zuckergebäck hat seine Dienste großentheils auch schon mir und meinen Freunden geleistet. Den grösten Beifall fanden aber Deine selbstgebackenen trefflichen Theekuchen, weshalb sie auch zuerst alle waren. Nochmals den herzlichsten Dank für Deine mütterliche Sorgsamkeit und Zärtlichkeit. Das Schachspiel ist gleichfalls schon eingeweiht: ich habe Lavalette 2 Parthien (die eine nur mit großer Mühe) abgenommen. Außerdem werde ich öfter mit einem netten, sehr gemüthlichen Schlesier spielen, welcher || aus Goerlitz ist, Steudner18 heißt, und die Medicin bloß um der Botanik willen treibt, auch später große Reisen, namentlich nach Ostindien, machen will. Er hat sehr viel in der Botanik los, namentlich bedeutend in den Kryptogamen19. – Im übrigen habe ich, mit Ausnahme des tollen Umzugs, wobei ich mich noch über meine alte Frau Wirthin20, eigentlich 1 rechte böse 721, tüchtig geärgert habe, diese Woche sehr still verlebt. Die meiste und liebste Beschäftigung ist immer der physikalische Atlas, mit dem ich nun allmählich auch in den Einzelnheiten vertrauter werdem. Nur eine Karte ist darin, die meinem anti-medicinischen Herzen nicht recht gefallen will, nämlich diejenige über die Verbreitung der hauptsächlichsten Krankheiten!22 – Habt nochmals den besten Dank für das herrliche Geschenk. Im microscopischen Cours habe ich diese Woche eine große Freude gehabt, nämlich lange eine Pflanze beobachtet, welche heißt: Navicularia.23 Sie n erscheint bei 300maliger Vergrößerung so: und besteht aus einer einzigen Zelle mit kieselschaliger Wandung und deutlichem Zellenkern, und ist in fortwährender mannichfaltiger und oft sehr lebhafter Schwimmbewegung begriffen! Ist das nicht höchst merkwürdig? – Nun noch die herzliche Bitte, recht bald zu schreiben; ist denn meine Zeichnung richtig Heiligabend angekommen?24 Ich hatte es wenigstens so berechnet. Wie habt ihr denn das Fest verlebt? Herzliche Grüße an alle Freunde und Verwandte; die besten an euch selbst, von eurem alten Ernst Haeckel. P. S. Indem ich Euch um Zusendung des Homer25 bat, hatte ich das griechische Original gemeint, das einen ganz andern Genuß gewährt, als die Übersetzung. Indeß lese ich ihn auch so einmal wieder ganz gern.o 1 2 3
Br. 129. Br. 127 und 129. Ernst Haeckel legte Ostern 1852 das Zeugnis der Reife am Domgymnasium zu Merseburg ab. Das mündliche Examen fand am 12.3.1852 statt; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 21v-23r. – Das Abiturzeugnis war ihm am 8.4.1852 durch seinen Mitschüler Karl Ludwig Wilhelm Eichhoff nach Berlin überbracht worden, begleitet von einem langen Glückwunschschreiben seines Lehrers; vgl. Wilhelm Osterwald
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an Ernst Haeckel, Merseburg, 4.4.1852 (EHA Jena, A 23797). Das Reifezeugnis und eine von Haeckels Mutter angefertigte Abschrift sind überliefert (EHA Jena, F 1). „Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, / Und grün des Lebens goldner Baum.“ Vers des Mephisto in der Schüler-Szene von Goethes Faust. In: Goethe, Johann Wolfgang von: Faust. Texte. Hrsg. von Albrecht Schöne (Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. Bd. I 7/1). Frankfurt a. M. 1999, S. 87. Vgl. Br. 127, S. 218. Vgl. Br. 129, Anm. 3. Das im Ernst-Haeckel-Haus überlieferte Verzeichnis der Jugendbibliothek Haeckels enthält mehrere Ausgaben des „Faust“, s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 127 (=204) und Nr. 128 (=221). „Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, / Die eine will sich von der andern trennen; / Die eine hält, in derber Liebeslust, / Sich an die Welt mit klammernden Organen; / Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust / Zu den Gefilden hoher Ahnen.“ Monolog des Faust in der Szene vor dem Tor, Faust I. In: Goethe: Faust (wie Anm. 4), S. 57. Wahrscheinlich Fabri, Ernst Friedrich Wilhelm. Jesaja 41, 10 „Fürchte dich nicht, ich bin mit dir“. – Der Vers ist in Haeckels persönlichem Exemplar der Bibel angestrichen, vgl. Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des alten und neuen Testaments nach der deutschen Übersetzung Dr. Martin Luthers. Hannover 1838, S. 703 (ErnstHaeckel-Bibliothek, Sign. XIII, 73). Der Bd. trägt auf der Vorderseite in Goldprägung die Aufschrift: „Ernst Heinrich Philip August Haeckel.“ sowie auf einem auf der inneren Einbandseite eingeklebten Zettel die Widmung: „Meinem lieben Enkel Ernst Haeckel diese Bibel zu Weihnachten 1841 geschenkt. Sethe.“, die ihn als Geschenk seines Großvaters Christoph Wilhelm Heinrich Sethe ausweist. Zell am Main liegt etwa fünf Kilometer nordwestlich von Würzburg. Dort war 1817 die Firma Koenig & Bauer, die älteste Druckmaschinenfabrik der Welt, gegründet worden. Réamur, ca. 10° Celsius. Cotyledonen, wissenschaftliche Bezeichnung für: Keimblätter. „Die Würzburger Glöckli“, im 19. Jahrhundert sehr populäres Volkslied, das als Ausdruck der lokalen Identität der Würzburger galt (vgl. Tobias Widmaier in: Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon. Für das Zentrum für Populäre Kultur und Musik der Alber-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau hrsg. von Eckhard John, http://www.liederlexikon.de/lieder/und_die_wuerzburger_gloeckli; letzter Zugriff: 05.06.2015). Müller, Katharina. Müller, Anna. Steudner, Carl Julius Theodor Herrmann. Vgl. Br. 103, Anm. 12. Altheimer, Margarethe, geb. Bottler. Ugs. für: böse, zanksüchtige Frau. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas. Bd. 2, 7te Abtheilung: Anthropologie, No. 2: Planiglob zur Uebersicht der geographischen Verbreitung der vornehmsten Krankheiten, denen der Mensch auf der ganzen Erde ausgesetzt ist. Gotha 1852; vgl. dazu auch Br. 129, Anm. 2. „Navicularia“, vermutlich die Gattung: Navicula Bory de Saint-Vincent, Familie: Naviculaceae, eine Familie der Kieselalgen. Vgl. Br. 127, Anm. 24. Gemeint ist Homers „Odyssee“, vgl. Br. 124, S. 210, Postskriptum, bes. Anm. 46 und Br. 126, S. 216, bes. Anm. 10.
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BR I EF E 135–136
135. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5./6. Januar 1853
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin 5/1 53.
Tausend Dank für Deinen lieben Brief,1 den wir gestern früh erhielten; und der uns große Freude macht. Wie freue ich mich, daß Du nun einea bessere Wohnung hast; Deine frühere war mir gar nicht behaglich; ich wünsche nur, daß die jetzige Dir auch immer angenehmer wird; mir ist es schon sehr lieb, daß Du eine besondere Schlafkammer hast. Wie viel ich beim Wechsel des Jahrs an Dich gedacht habe, davon bist Du überzeugt. Ich habe Gott recht innig ge-||dankt für das Glück, das er mir in meinen Kindern gegeben, und ihn um seinen Seegen auch ferner gebeten, er muß ja zu allem Guten das Wollen und Vollbringen geben; und so möge er Dir auch beistehn, daß Du bei der Wahl Deines Berufes das Rechte findest; auf ihn und seinen Beistand wollen wir vertrauen, und mit frischem Muthe das unsere thun. – Von unserm Ziegenrücker Pärchen haben wir auch Briefe ge-||habt, sie sind gesund und munter, haben unsere Weihnachtskiste, die ich zugleich mit der für Dich zur Eisenbahn brachte, noch immer nicht erhalten. – Onkel Christian2 ist mit Bertha und Anna3 Sonntag Nachmittag nach Stettin gereist; Karl4 ist bis heute noch bei Julius Kindern5 geblieben. – Wie Hermine mir schreibt, so hat sie für Dich eine Weihnachtsstolle gebacken, das hat Dir gewiß Freude gemacht. – – – || 6/1. Tante Gertrude6 giebt heute einen Damenthee, und leider hat sie die Güte gehabt, mich dazu zu bitten, weit lieber spielte ich mit Vater und Bertha Tarock7, doch ich muß hin und will nur noch schnell die paar freien Augenblicke benutzen, etwas mit Dir zu plaudern, es ist mir so als hätte ich in meinem vorigen Brief sovieles vergessen zu schreiben. Zunächst wollte ich Dich bitten, solche Fastenübungen8, wie Du sie angestellt hast, zu unterlassen; zur Gesundheit gehört auch das man regelmässig lebt, also auch täglich || ißt und trinkt; kommt bei späteren Reisen es zu Zeiten der Noth, wo Du nicht so regelmässig leben kannst, dann wirst Du es auch zu entbehren wissen ohne jetzt schon Uebungen dazu zu machen; immer die goldene Mittelstraße. Bertha ist schon seit längerer Zeit immer viel leident, gestern hat sie sich müssen schröpfen lassen.9 Gestern Abend konnte ich auch nicht bei Vater sein, wir waren bei Grolmans,10 Häckel11 war vorher ein halbes Stündchen bei Bertha, und hatte Jonas bei ihr gefunden, das ist mir recht lieb, der wird || ihr wohl Trost zugesprochen haben, sie war in den letzten Tagen oft muthloos. – Ueber Deine Briefe freut sie sich immer mit uns herzlich. – Die Zeichnung, die Du uns von Humbolt gemacht hast,12 habe ich einrahmen lassen, sie hängt jetzt gegen Wildenau13 über. – Freitag. Guten Morgen, mein lieber, alter Junge. Gestern Abend ließ Vater mich bald nach 8 Uhr aus dem Damenthee holen, weil Regenbrecht gekommen sei, er aß mit uns, erkundigte sich sehr nach Dir, und läßt Dich herzlich grüssen. || Sein künftiger Schwager14 ist doch noch Bürgermeister in Hirschberg geworden, worüber er sich sehr freut. – Er kennt den Schlesier15, den Du hast kennen lernen, sie haben sich vorig Jahr im Riesengebirge getroffen, und sind zusammen gereist. Haben wir im vorigen Mai den Kosmuß16 von Reimer vielleicht zwei mal genommen? Hast Du oder hat Karl
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vielleicht einen verschenkt? Bitte schreibe darüber; Diederich17 hat von den 2 auf der Rechnung stehenden nur eins bezahlt genommen; aber || es wäre mir doch sehr unangenehm, wenn wir doch zwei erhalten hätten. – Wie hübsch ist es daß Du am Sylvester eine Prädigt gehört hast, überhaupt freut es mich, daß Du daß in Würzburg öfter kannst, ich hatte schon Sorge, daß dort gar keine evangelische Gemeinde sein mögte, und nun ist es grade so schön. – Nun leb wohl, mein lieber Herzens Junge, Gott sei mit Dir. Halte dich gesund und munter, und denke fleissig an Deine Mutter 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Br. 134. Sethe, Christian. Sethe, Bertha und Anna. Sethe, Carl. Sethe, Heinrich Georg Christoph; Sethe, Julius Carl; Sethe, Bertha Philipine; Sethe, Marie Wilhelmine; Sethe, Auguste Gertrud Adelheid; Sethe, Adelheid Elisabeth. Sethe, Gertrude. Vgl. Br. 117, Anm. 6. Vgl. Br. 129, S. 223. Beim Schröpfen sollen durch Erzeugung eines Unterdruckes auf Partien der Hautoberfläche schädliche Körpersäfte ausgeleitet werden, dazu verwendet man häufig sog. Schröpfgläser. Grolmann, Wilhelm von; Grolmann, Malwine von, geb. Eimbeck. Haeckel, Carl Gottlob. Vgl. Br. 127, S. 219 und Br. 132, S. 232. Willdenow, Carl Ludwig von; vgl. Br. 61, S. 76. Meitzen, August. Steudner, Carl Julius Theodor Hermann; er stammte aus Greiffenberg (Schlesien). Humboldt: Kosmos, vgl. Br. 132, Anm. 3. Reimer, Dietrich Arnold.
136. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 6. Januar 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 6 Januar 53
Deinen Gratulationsbrief1 zum neuen Jahr mit der Vignette vorn haben wir erhalten und uns herzlich darüber gefreut. Sehr lieb ist es uns, daß Du jetzt ein beßeres Quartier hast. Es ist doch bedeutend geräumiger und sehr angenehm, in der Wohnstube nicht schlafen zu dürfen. Nun wirst Du Dich schon wieder im Zuge nach Deinen Kollegien befinden, und Deine Bekannten, die verreist waren, werden wohl wieder zurük sein. Wir haben hier die Feiertage auch hinter uns. Durch die Anwesenheit von Christian nebst deßen Kindern2 hatte sich hier ein recht vollständiges Familienleben gebildet. Am Sylvester waren wohl 20 Enkelkinder3 beim Großvater a und wir waren recht heiter zusammen. Bald aßen Christian’s bei uns, bald aßen wir beim Großvater, auch Julius und die Seinigen4 waren öfters da und auch mit Naumann’s5 waren wir mehrere Mahle zusammen. Nun geht es wieder den alten einförmigen Gang, ich sage einförmig, denn an den Zerstreuungen Berlins nehmen wir wenig oder gar keinen
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Theil und unsre Freunde sindb bei der Zerstreutheit ihrer Wohnungen schwer zusammen zu bringen, so daß ich sie seit Deiner Abreise wenig gesehen habe. In den letzten Wochen habe ich viel morgenländische Geschichte gelesen, besonders die der Juden. Diese sind doch ein eigenthümliches zähes Volk, sie haben zwar ihre Mission nicht ganz verstanden, denn der Messias, den sie erwarten ist seit beinahe 2000 Jahren erschienen. Aber noch vor seiner Erscheinung tauchte doch der Monotheismus immer wieder bei ihnen auf und in ihren Propheten, Psalmen und Liedern herrschen doch schon erhabene Vorstellungen von der Gottheit. Die Juden waren doch in frühern Zeiten noch sehr roh, wie etwa die germanischen Stämme. Ihre Kriege wurden mit großer Rohheit geführt, die Milde und Liebe sind erst in Christo hervorgetreten, und sie haben unsre Sitten erst gemildert, uns humanisirt. Der unsichtbare Einfluß des Christenthums auf unsre ganzen politischen und Kulturverhältniße wird viel zu wenig erkannt, denn er liegt dem gewöhnlichen Auge nicht so sichtbar da und vielen Rationalisten bleibt er verborgen. Sie stellen unsre jetzige Kultur neben die griechische und meinen, das Christenthum habe daran keinen direkten Antheil. Aber schon allein die ganze Anerkennung der menschlichen Würde auch im geringsten Menschen ist eine Frucht des Christenthums, welche die Griechen noch nicht kannten. Auch sehnt sich das Gemüth in seinen besten Stunden nach einer unmittelbaren göttlichen Offenbarung und es findet dieselbe in Christo. Durch ihn werden alle Zweifel gelöst und über die allerhöchsten Dinge haben wir durch ihn Gewißheit gewonnen. Durch den Einblik in jene Welt lernen wir unsern irdischen Beruf erst recht c erkennen und wir beruhigen unsd, wenn es um uns herum brennt und toll zugeht. Gott weis die Dinge immer wieder ins rechte Gleis zu lenken, und er wird sie zu dem Ziele führen, zu welchem sie auf dieser Erde gebracht werden sollen. Da thut es nun Noth, sich zu orientiren in welchem Stadio wir stehen, damit wir nicht von der Gegenwart zu viel verlangen. || Du bist mit deinen Studien in ein recht intereßantes Stadium getreten. Vor 50 Jahren waren diese Wißenschaftene noch sehr zurük, sie sind inzwischen sehr weit vorgeschritten und die Mittel zur Erforschung der Natur haben sich sehr vervollkommnet. Vor 8 Tagen traf ich den jungen Schlagintweit6 bei Weiss7, er begleitete mich bis zum Brandenburger Thor und erzählte mir, wie er mit seinem Bruder8 14 Tage lang an der Spitze des Mont Rosa campirt,9 um dort Beobachtungen, ins besondere über die Luft anzustellen. Zuerst hätten sie die Wolken tief unter sich (etwa 6000 Fuß über dem Meere) gehabt. So dann hätten sich dieselben allmählich gehoben und seien endlich zu ihnen gekommen. Die Luft sei dadurch verhältnismäßig nicht viel schwer geworden, etwa das 3-4 fache. Am Tage hätten sie (bei 12000 Fuß und mehr Höhe) sehr gefroren, da sie um ihre Beobachtungen und Bestimmungen zu machen, kein Feuer hätten anzünden dürfen. Erst am Abend und in der Nacht hätten sie sich erwärmt u. s. w. Da dachte ich recht an Dich, er hätte Dir recht erzählen können. Nun kommt Zeit, kommt Rath! Quäle Dich nur gar nicht zu sehr mit dem Gedanken praktischer Unbrauchbarkeit. Diese letztere ist sehr partieller Natur. Ich bin in vielen Dingen sehr unpraktisch, aber in gewißen Geschäften war ich sehr praktisch, viel praktischer als die meisten Akten Leute. Und so wird sich dieses auch bei Dir zeigen. Vertraue auf Gott, der wird alles zu seiner ordentlichen Entwikelung führen. Wie im Kleinen so im Großen. Der Finger Gottes in der Weltgeschichte ist ganz fühlbar und auff die wunderbarste überraschendste unverhoffteste Weise weis Gott die Dinge zum
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Ziele zu führen. Alles muß ihm dienen, die Thorheit, der Unverstand, die Leidenschaften und selbst die Schlechtigkeit. Was wird sich in den nächsten 50 Jahren in der jetzigen Geschichtsepoche aufklären. – Carl und Mimi haben unsre Weihnachtskiste noch nicht erhalten, sie muß in Weimar liegen geblieben sein, was uns sehr unlieb ist. Das junge Ehepaar lebt übrigens ganz sich selbst und schreibt nicht oft. In der Buchhändlerrechnung vom vorigen Jahr kommt der 3te Theil vom Kosmos10 2 mahl vor. Hast Du Dir ihn 2 Mahl geben laßen oder hast Du ihn erst gehabt, dann wieder zum Binden hingebracht, so daß dadurch der Irrthum entstanden ist? Gieb hierüber im nächsten Briefe Auskunft. Der Diener11 bei Reimer war seiner Sache nicht gewiß und Dietrich12 wollte den 2ten Ansatz sogleich abschreiben. – Daß Dich der Faust von Göthe so anspricht,13 kann ich mir denken. Es ist das Ringen des menschlichen Geistes nach Klarheit und Gewißheit. Diese letztere gewährt aber in seinem höchsten Stadium nur der Glaube. Die Erkenntniß allein genügt uns nicht und ist auch in dem Maaße, wie wir sie suchen, nicht zu erfahren. Wenn wir uns aus dem Gewirr des Lebens nicht herauszufinden vermögen, dann versenken wir uns in die Religion. Statt sich in dieses Gebiet zu begeben, will Faust seinen Durst dadurch stillen, daß er sich vom Teufel in das Gebiet des Sinnengenußes führen läßt, wo ihm dann endlich im Bilde der Verführten und ihrer Leiden die Thüre aufgeschloßen wird, zu der er sich vorn weg hätte wenden sollen. Ein warnendes Beispiel für alle, die im dunkeln Drange ihres Innern den rechten Weg verfehlen und sich vom Teufel blenden laßen. Zuletzt, bei vielen erst auf dem Sterbebette, kommt die rechte Erkenntniß und die Reue. Der falsche Weg muß erst durchgemacht werden, ehe der rechte eingeschlagen wird. Aber was geht hiebei alles verloren! – Nun mein lieber Ernst, Gott befohlen, schreibe uns bald wieder. Dein Dich liebender Vater Haeckel. 1 2 3
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Br. 134. Vgl. Br. 131, Anm. 7. Zu den verwandtschaftlichen Beziehungen der Famile Haeckel vgl. Das Silberne Buch der Familie Sack. Herausgeber: Der Familienrat der Hofrat Simon Heinrich Sack’schen Familienstiftung. 4. Aufl., Band „Genealogie“ [Sonderdruck aus „Deutsches Familienarchiv; 73]. Neustadt a. d. Aisch 1980. Vgl. Br. 131, Anm. 21. Naumann, Elisabeth, geb. Sethe; Naumann, Friedrich Gustav. Schlagintweit, Adolf. Weiß, Christian Samuel. Schlagintweit, Hermann von. Vgl. Br. 87, S. 123. Humboldt: Kosmos; vgl. Br. 132, Anm. 3. Handlungsdiener der Reimerschen Buchhandlung nicht ermittelt. Reimer, Dietrich Arnold. Vgl. Br. 134, Anm. 7 und 8.
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137. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 10./11. Januar 1853
Meine geliebten Eltern!
Würzburg 10/1 1853. / Montag Abend 10 Uhr.
So eben komme ich aus der medicinisch-physikalischen Gesellschaft1 wo ich einen sehr interessanten Vortrag von Kölliker gehört habe, und finde euren sehnlichst erwarteten Brief2, für den ihr den herzlichsten Dank haben sollt. Der Vortrag Köllikers bezog sich wieder auf die Reise nach Sicilien, die er in den letzten Herbstferien mit Prof. H. Mueller und Dr. Gegenbauer von hier unternommen hatte,3 und zwar diesmal auf eine Excursion, welche sie auf den Etna, während der letzten Eruption desselben (von der wir auch in Teplitz in den Zeitungen lasen)4 gemacht hatten. Er zeichnete dabei zur Orientirung nebenstehenden Plan.
Zaffarana5 ist das letzte Dorf dort, in welchem sie eben angelangt waren, als eine ungeheure Masse Neugieriger, mit allen möglichen Vehikeln, Maulthieren, Wagen, Eseln, Pferden u.s.w. dort in der größten Bewegung war, um das seltne Naturwunder in Augenschein zu nehmen. Es war nämlich seit ein paar Tagen in Folge der Eruption 2er Seitenkegel des Etna ein Lavastrom von etwa 4 Stunden Länge und 40 Minuten – ½ Stunde Breite in dem Ochsenthal (Val del bove) einem kleinen Seitenthale des Bergs heruntergeflossen, hatte sich in 2 Arme getheilt und der eine war bis auf 10 Minuten an das Städtchen herangekommen, dann aber stillgestanden und erkaltet. Der andere nördliche, a den sie zunächst ganz in der Nähe besuchten
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und sich ansahen, war dagegen noch in stetem Vorrücken begriffen, obwohl auch er schon im Absterben begriffen war. || Die Lava war bereits nicht mehr flüssig, aber noch durch und durch rothglühend, und aus einer Masse Blöcke, von der Größe eines Hauses bis zu feinen Aschenmassen, zusammen b gewürfelt. Das untere Ende des Stroms war auch hier schon schwarz geworden, aber noch sehr heiß; von Zeit zu Zeit öffneten sich dann große Spalten, aus denen eine glühende Masse mit großer Gewalt hervorströmte, die aber gleichfalls nicht mehr flüssig war, sondern aus rothglühenden, meist hausgroßen, und darüber, Lavablöcken bestand, welche dann in riesigen, weiten Sätzen im Thal heruntersprangen und alle Gegenstände z. B. hohe Bäume, auf welche sie trafen, im Sturze zerschmetterten und anzündeten, wobei das bläulichweiße Licht der letztern schön mit dem pupurnen Glühen der Lava contrastirte. So zeigte sich hier das merkwürdige Phänomen, das c sehr an das Fortrücken der Gletscher, und noch mehr an das der Gerölllawinen in der Schweiz erinnert, daß der Lavastrom, obwohl nicht mehr flüssig, doch in stetem Herabfließen, wenn auch langsam und sprungweise, begriffen war. (Kölliker zeigte uns auch ein großes Stück solcher Lava, das er glühend aufgehoben und an dem er seine Cigarre angesteckt hatte. Es war jetzt sehr schwer, hart, kohlschwarz und von deutlich kristallynischem Gefüge, dabei noch von eigenthümlichem Geruch). Natürlich bekamen sie nun auch Lust, die beiden feuerspeienden, noch immer in Thätigkeit begriffenen Krater, aus denen dieser Lavastrom hergeflossen kam, zu sehen und in der Nähe zu untersuchen. Trotz aller Widerreden der Bevölkerung, die ihnen dies Unternehmen als tollkühnes und lebensgefährliches Wagniß || darstellte, überredeten sie doch einen Arzt6 und den protestantischen Geistlichen aus Messina (einen geborenen Hessen)7 sie zu begleiten und so machten sie sich eines schönen Abends nach 10 Uhr in Begleitung 2er Führer auf, um einen Gipfel zu erklimmen, der vor den Kratern gelegen, aber noch viel höher, als diese war. Schon um 1½ Uhr hatten sie diesen glücklich erreicht, sich dabei aber von Hast und Ungeduld trotz des schrecklich steilen und ungangbaren Weges, über lauter Felsblöcke und Lavafelder hin, oft fast senkrecht in die Höhe kletternd, so übereilt und zu wenig Zeit genommen, daß sie oben fast ohnmächtig zusammensanken. Dafür wurde ihnen aber auch, als gerechter Lohn solcher Anstrengungen, ein Schauspiel zu Theil, wie dies nur wenige genossen haben. Als sie nämlich den letzten steilsten Gipfel, den Monte Cassone erklommen, während dessen sie schon fortwährend einen beständigen fernen Donner gehört, und den ganzen Himmel von
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Glut geröthet gesehen hatten, erblickten sie nun plötzlich zu ihren Füßen, ungefähr ¼, allerhöchstens ½ Stunde entfernt, die beiden neu entstandenen ziemlich niedern Kratern, welche in der lebhaftesten Thätigkeit begriffen waren, dicht nebeneinander. Aus dem größerend erhob sich, wie ein glühender Springbrunnen, eine riesige, schlanke Feuersäule ungefähr 500–600 Fuß hoch, wie sie aus den emporgeschleuderten großen Massen schließen konnten, welche 7–8 e Secunden || brauchten, um wieder niederzufallen. Aus dem kleinen, vom Etna selbst entfernteren Krater, welcher unmittelbar neben dem größern stand, erhob sich gleichfalls senkrecht eine prachtvolle, weißglühende Feuergarbe, welche aber etwas niedriger und bedeutend breiter war; beide schleuderten riesige Massen mit sich empor, erleuchteten den ganzen Himmel, so wie alle umliegende Gegenden, auf höchstwunderbare Weise und verursachten ein lautes Getöse, das abwechselnd einer Reihe heftiger plötzlich auf einander folgender Kanonenschläge, und dann wieder dem Toben und Zischen der wildesten, durch Sturm gepeitschten Brandung glich. Außerdem floß aus beiden Kratern ein glühender, breiter, wirklich geschmolzen flüssiger Lavastrom herab, der sich weiter unten vereinte, und die das Thal schon halb erfüllenden, erstarrten Massen vor sich hertrieb. Übrigens waren weder an diesem Lavastrom, noch an den überaus prachtvollen Feuersäulen, die sich am ersten noch einem feurigen, colossalen und starken Springbrunnen vergleichen ließen, irgend eine eigentliche Flamme, etwa entstanden durch das Verbrennen von Gasen oder andern Eruptionsstoffen zu sehen; das Ganze war nur einef homogene, weiß- und rothglühende Masse. Leider mußten sie nach einer Stunde schon, dem einzigen, erhaben-großartigen Schauspiel Adieu sagen, weil ihre Führer nicht länger in so gefährlicher Nachbarschaft verweilen wollten, und konnten so keine weitern Untersuchungen anstellen; wahrscheinlich sind sie die einzigen Reisenden gewesen, welche diese Eruptionen damals beobachtet haben. Ach Gott, wer doch einmal so ein Glück hätte! – || Dienstag früh. Gestern Abend war ich zu müde, um meinen Brief fortzusetzen und ließ auch meine Phantasie zu sehr in den herrlichen Gemälden schwelgen, die Kölliker uns so verführerisch hingestellt hatte. Was ich euch übrigens da von seiner Erzählung mitgetheilt habe, sind nur einige trockne Data, gleichsam das Gerüste, auf dem er seine herrliche, höchst anziehende Schilderung ihrer Excursion erbaut hatte. Auch sein Kolleg war in dieser Woche ganz prächtig, indem er mit der größtmöglichsten Ausführlichkeit (12 Stunden) die mikroscopisch-anatomischen Verhältnisse der Leber abhandelte, wohl das interessanteste Kapitel der Eingeweidelehre und mithin der ganzen Anatomie. Die Leber gleicht nämlich in ihrem ganzen Bau sowohl, als ihren Lebensfunctionen und der Art ihrer Thätigkeit ganz auffallend einer Pflanze! während sie von allen andern thierischen Drüsen durchaus verschieden und ganz eigenthümlich ist. Es ist wirklich höchst merkwürdig! – Heute früh vor 8 Tagen erhielt ich zu meiner größten Freude und Überraschung noch das Kistchen aus Ziegenrück, das der Briefträger noch g in der alten Wohnung, und zwar ohne Adresse, abgegeben hatte, was ich ganz zufällig im Kolleg durch meine frühern Hausburschen8 erfuhr, worauf ich natürlich eiligst hineilte, um mich als rechtmäßigen Eigenthümer zu legitimiren. Es enthielt außer verschiedenem selbstgebackenem || kleineren Naschwerk eine sehr schöne, gewürzige, gleichfalls selbst gebackne Stolle, die mir jetzt zum Kaffee täglich ein treffliches h Frühstück liefert und
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lebhaft an die schöne alte Zeit in Merseburg erinnert, wo die Weihnachtsstollen, wie Milch und Honig, flossen.i Karl schreibt mir auch,9 daß ihm Mimmi die neue illustrirte Prachtausgabe vom Faust10 geschenkt habe, worüber ich mich natürlich, zum Theil aus sehr egoistischem Interesse, sehr gefreut habe. Den Brief von Adolph Schubert haben sie nicht mitgeschickt.11 Aus eurem vorigen Brief12, den der Briefträger, wie auch den gestrigen13, ziemlich spät erst abgegeben hatte, habe ich ersehen, daß ihr das Weihnachtsfest recht nett und fröhlich im Familienkreise verlebt habt; nun wird es wohl wieder stiller und einsamer geworden sein. Sehr leid thut es mir, daß mein Brief14 nicht Heiligabend eingetroffen ist, wie ich es so hübsch glaubte berechnet zu haben. Die Posten gehen doch sehr unregelmäßig. – Mit dem dritten Theil vom Kosmos15 verhält es sich allerdings so, wie Du, lieber Vater, schreibst.16 j Karl hatte ihn erst von D. Reimer17 geholt, und dann noch einmal zum Einbinden (zusammen mit der ersten Abtheilung des dritten Theils, die wir schon vorher in Merseburg gekauft hatten) hingebracht, woraus wohl der Irrthum entstanden ist, daß wir 2 Exemplare genommen hätten! – Dein Gespräch mit dem jungen Schlagintweit18 ist gewiß sehr interessant gewesen und ich beneide dich darum; es sollen beides sehr tüchtige Physiker sein.19 – || Gestern vor 8 Tagen, am Montag den 3ten, war die Stiftungsfeier der Universität, welche im Jahre 1582 von dem Stifter des Juliushospitals, Bischof Julius Echter von Mespelbrunn gegründet worden war.20 Es wurden die Bearbeitungen der Preisaufgaben des vorigen Jahres bekannt gemacht. Die theologische und juristische waren gar nicht bearbeitet worden; die einzige Abhandlung, welche mit einem Preise gekrönt wurde, war eine medicinische: „Über die Lehre vom Soor des menschlichen Körpers“21 – Dann hielt der alte Rector, Dr. Hoffmann,22 Professor der Philosophie, eine Rede über die „Bedeutung der Facultäten für die Entwicklung der Wissenschaft“, die mir sehr gefallen hat, und die du auch noch erhalten sollst.23 Er faßt darin hauptsächlich das Verhältniß der Philosophie zur Theologie ins Auge, und beweist, daß allein ein auf k tiefsinnigen Christianismus gegründetes System des Theismus, wie es erst in neuster Zeit von Franz Baader (N.B. Ich hatte den Namen noch nie gehört!) mit viel Glück, aber wenig Anerkennung versucht worden sei,24 für die Philosophie und die Menschheit selbst von wahrem Heil sein könne, und auch das allein Rechte und Wahre sei. Namentlich beweist er von Anfang bis Ende die Inconsequenz und Nichtigkeit des Spinozismus, obwohl man dem Stifter dieser Schule selbst seine Achtung nicht versagen könne.25 Hegel und Fichte, sowie Schelling, selbst Kant werden auch nicht als consequent und unbefangen betrachtet. Was mich noch am meisten in der Abhandlung, || die mir ihrem größten Theile nach ganz richtig und gut zu sein scheint, frappirt hat, ist, daß er Schleiermacher mit den oben genannten Pantheisten zusammenstellt, und ihm einen idealistischen Pantheismus26 (!) zuschreibt, während er allerdings zugiebt, daß die großen und bedeutenden Schüler desselben nicht auf dem Boden des Pantheismus stehen geblieben seien, wie auch von jenen andern Schelling selbst sich noch bis zum Theismus erhoben habe, und dies fastl von allen Schülernm derselben in der Neuzeit mehr oder weniger gelten könne. Die Haupttendenzn ist, wie gesagt, Widerlegung des Pantheismus. – In Bezug auf Deine jetzigen geschichtlichen Studien über die Juden wirst Du, lieber Vater, auch ein Paar hübsche Karten im ethnographischen Theil von Berghaus27 finden, wo man sieht, wie dies sonderbare Volk wirklich all und überall auf der Erde zerstreut ist. –
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Was Du mir über den Werth und die Bedeutung über die Allmacht, und den großen Einfluß schreibst, den das Christenthum auf unsre jetzige hohe Culturstufe ausübt, und zu deren Erreichung es beigetragen, so bin ich damit vollkommen einverstanden. Noch am Sonntag Abend las ich in dem Hieckeschen Lesebuch für obere Gymnasialklassen28 auch einen ganz vortrefflichen Aufsatz29, in dem das nämliche Thema berührt wurde. (Überhaupt enthält diese Hieckesche Sammlung einen wahren Schatz der trefflichsten Aufsätze, die auch Dich sehr interessiren werden, und die Du noch lesen mußt. Für Gymnasien sind sie meiner Ansicht nach noch zu schwer!) [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4
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Vgl. Br. 107, S. 167. Br. 135 und Br. 136, zusammen in einer Postsendung verschickt. Vgl. Br. 124, S. 206, bes. Anm. 4. Zum Teplitzer Badeaufenthalt Haeckels im August/September 1852 vgl. Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a). – Ein Eintrag über das genannte Ereignis ist darin nicht vorhanden. Zafferana Etnea, ital. Ort am westl. Fuße des Ätna. Vielleicht Carlo Gemmellaro; vgl. Gegenbaur, Carl: Erlebtes und Erstrebtes. Leipzig 1901, S. 64 f. Lindenkohl, Georg Stephan; vgl.: „Den geistigen Zusammenhang mit dem Vaterlande leistete mir die Allgemeine Zeitung, die mir der deutsche Pastor Lindenkohl zu vermitteln die Freundlichkeit hatte.“ (wie Anm. 6, S. 71). Gemeint sind Haeckels Hausgenossen in seinem ersten Würzburger Quartier, die Gebrüder Arnold und Otto von Franqué; vgl. Br. 129, S. 223, bes. Anm. 5. Br. 130. Vgl. Br. 130, Anm. 7. Der Brief wurde als Beilage zu Br. 141 übermittelt. Br. 135. Br. 136. Br. 127. Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 3 Bde. Stuttgart; Tübingen 1845–1850; s. Ernst-Haeckel-Bibliothek, Sign. XIII 31–33; vgl. Br. 132, Anm. 3. Br. 136. Reimer, Dietrich Arnold. Schlagintweit, Adolf. Schlagintweit, Adolf; Schlagintweit, Hermann von. – Unter dem Begriff Physiker sind hier Geographen zu verstehen, die die physische Beschaffenheit der Erde erforschen. Zur Jubiläumsfeier am Vormittag des 3.1.1853 vgl. Würzburger Stadt- und Landbote. 6. Jg., Nr. 2, 3.1.1853, S. 5. Reubold, Wilhelm: Beiträge zur Lehre vom Soor. In: Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medicin. Hrsg. von R. Virchow. 7. Jg., 1. Heft, Berlin 1854, S. 76– 114. – Mit der gekrönten Preisschrift wurde Reubold 1854 an der Universität Würzburg promoviert. Hoffmann, Franz. Hoffmann, Franz: Ueber die Bedeutung der Facultäten für die Entwickelung der Wissenschaft. Rede zum Antritte des Rectorats [...] gehalten am 3. Januar 1853 in der Universitäts-Aula. Würzburg [1853]; zum Bericht über die Rede vgl. Würzburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 2, 3.1.1853, S. 5. – Aus den Briefen geht nicht hervor, ob Haeckels Vater diese Rede zu einem späteren Zeitpunkt erhalten hat. Benedict Franz Xaver von Baader entwickelte in Anlehnung an Jakob Böhme ein System des
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Theismus, in welchem in Abgrenzung zu Schellings Naturphilosophie die Natur nicht ohne die Weltseele Gottes zu denken sei und versuchte damit, den sich verselbständigenden Naturalismus wieder in den Theismus zurückzubinden. Der Begriff Spinozismus verweist auf die Lehre des niederländischen Philosophen Baruch de Spinoza, nach der es nur eine einzige absolute Substanz gibt, die zugleich Gott und Natur (lat. Deus sive natura) ist. Da es außerhalb von dieser Substanz nichts gibt, und Gott folglich in allem Seienden vorhanden ist, werden die Begriffe Spinozismus und Pantheismus (von altgriech. pan „alles“ und theos „Gott“) oft synonym verwendet. Die damit verbundene Ablehnung eines personifizierten, allmächtigen Gottes widerspricht sowohl der katholischen Lehre als auch der lutherischen Orthodoxie, welche gegen den Spinozismus deshalb den Vorwurf des Atheismus erheben. Dieser Kritik stimmt Haeckel 1853 noch zu, später wird er sich aber bei der Ausarbeitung seines Monismus auf den monistischen Substanzbegriff Spinozas beziehen. Im idealistischen Pantheismus ist die in der Natur anzutreffende Allgegenwärtigkeit Gottes nur ideal und nicht real zu verstehen. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas. Bd. 2, 8te Abtheilung: Ethnographie, No. 2: Planiglob zur Übersicht der Verbreitung der Indo-Germanen und Semiten über die gesammte Erdfläche. Gotha 1852; vgl. dazu auch Br. 129, Anm. 3. Hiecke, Robert Heinrich: Deutsches Lesebuch für obere Gymnasialclassen. Enthaltend eine auf Erweiterung des Gedankenkreises und Bildung der Darstellung berechnete Sammlung auserlesener Prosastücke. Zweite, sehr verm. und verbess. Aufl., Leipzig 1847. Vermutlich Fichte, Johann Gottlieb: Ueber Belebung und Erhöhung des reinen Interesse für Wahrheit. In: Hiecke, Deutsches Lesebuch (wie Anm. 29), S. 454–462.
138. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 17. Januar 1853
Lieber Ernst!
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Deinen letzten Brief1 vom 10ten und 11ten haben wir erhalten. Er hat uns sehr intereßirt und zwar alle Parthien darin; die Beschreibung aber der Aetnabesteigung2 besonders Großvater. Auch habe ich sie gestern a Weiss3 und Ehrenberg mitgetheilt, (die Explosion des Aetna4 nehmlich). Ehrenberg ist nicht auf dem Aetna gewesen, auch Weiss nicht. b Diese Explosion muß aber ein ungemein schönes Schauspiel gewesen sein und ich wünschte Dir künftig wohl ein ähnliches mitanzusehn. Was Du sonst schreibst, führt uns recht in die gegenwärtigen Bewegungen der Zeit hinein, und man kommt immer auf die Betrachtung ihrer Eigenthümlichkeit zurük, um sie recht verstehen zu lernen. Da ich schon 60 Jahre rükwärts rechnen und vergleichen kann, so schwebt mir noch der Abendschimmer des vorigen Jahrhunderts vor, das freilich ganz anders aussah, als das gegenwärtige. In Litteratur unsre großen Dichter, in der Philosophie Kant, in der Religion der aufkommende Rationalismus,5 in der Maße aber noch viel alte Rechtgläubigkeit, wovon unsere prächtige Mutter6 und deren Mutter7 rechte Repräsentanten waren, so daß sie noch in ihrem letzten Lebensjahr bei uns in Merseburg äußerte, ihr Christenthum und das unsrige wären doch sehr verschieden! Allerdings in der äußern Anschauungsweise, nicht aber dem Wesen nach, denn da kann es nur immer nur eins und daßelbe sein, weil etwas Ewiges in ihm ist. Aber die Anschauungsweise hat sich allerdings sehr geändert. Dies ist eine Folge der steigenden Kultur, die sich im gebildeten Europa und besonders in Deutschland sehr verbreitet hat und die religiöse Anschauungsweise ist c viel zu verständig geworden, sie hat alles Phantastische und alle Mytho-
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logie abgestreift. Da aber der Kern der Religion eben keine Verstandes sondern eine Gemüthssache ist, so kann sich jener Rationalismus auf die Länge nicht halten und er hat schon kulminirt. Die Anschauung des Christenthums wie sie sich in Zukunft gestalten wird, keimt d bereits in Schleiermacher und seinen Schülern, von denen ich hier nur Sydow und Jonas nennen will. Wir hören auch diesen Winter die Unionsvorträge und Sydow sprach vor vorige Woche über die Person Christi und wird diesen Vortrag diesen Freitag fortsetzen.8 Was die Person Christi betrifft, so meinte er, komme es vor allen Dingen darauf an, was Christus selbst von sich gesagt und welches Bewußtsein er über seine eigne Person in sich getragen habe. An diese seine Aussprüche müße man glauben, sie seien nicht etwa ein e philosophisches System, was sich durch seine innre Consequenz empfehle und wobei am Ende die Person des Autors gleichgültig sei. Bei Christo sei es umgekehrt, hier sei grade die Persönlichkeit von der höchsten Bedeutung, Christus sei sich deren bewußt und innerlich davon überzeugt gewesen und diese Göttlichkeit Christi müße man anerkennen, an sie glauben, Christus sei das Ideal der Menschen gewesen, alles, was andre Menschen Göttliches nur theil- oder stükweise in sich hätten, sei in Christo in der höchsten Vollendung vorhanden gewesen, aber er sei Mensch gewesen. Die Streitigkeiten in den frühern Jahrhunderten über seine doppelte Natur || seien unnütz gewesen und eben so sei auch das Dogma über die Dreieinigkeit zwar tiefsinnig aber nicht wesentlich. Sydow wird Freitag fortfahren und insbesondre auch über die Sündlosigkeit Christi sprechen und ich werde Dir den weitern Verlauf schreiben. Der Saal war gedrängt voll, auch weit mehr Männer darin als sonst und man erkennt in diesem Besuch offenbar das Bedürfniß der gebildeten Menschen, sich über das Wesen des Christenthums und die Person Christi aufklären zu wollen in der Weise, wie es gebildeten Menschen jetzt möglich ist. Sydow ist sehr begabt, hat die Sprache ganz in seiner Gewalt und ist zu einem solchen Vortrag sehr geeignet. Das Resultat meines Lebens geht dahin, daß ich einer Autorität über das Wesen Gottes und die göttlichen Dinge bedarf, einer Autorität, die ich als von Gott geordnet anerkenne, um die Menschen zu erleuchten und sie über alle Zweifel hinwegzuheben und die Anschauung, die wir jetzt von Gott und unserm Verhältniß zu ihm haben, verdanken wir lediglich dem Christenthum, die Griechen sind dahin nicht gelangt und sie wird weltherrschend werden, das Christenthum allgemeine Weltreligion im Lauf der Zeiten. Die Aufgaben, welche uns das Christenthum auflegt, sind so groß, daß wir sie immer nur unvollständig erreichen werden. Sie waren nur in Christo vollständig gelöst. Er ist und bleibt das Ideal, dem wir nachzustreben haben und das Wesen Gottes, so weit wir es auf dieser Erde zu faßen vermögen, hat sich nur in ihm vollständig geoffenbart. Es liegt über alle Zweifel erhaben, vor uns aufgefaltet da. – Unsre vorgeschrittne Bildung kann sich mit der alten Orthodoxie nicht mehr vertragen, sie war den frühern Zeiten ein Bedürfniß, den unsrigen nicht mehr und die Parthei, die sie uns gernf wieder bringen möchte, macht vergebliche Anstrengungen. Dagegen wird der Kampf des Menschen gegen die Sünde hier auf Erden ein ewiger bleiben, er wird nie aufhören, denn in jedem neugebornen Menschen keimt die Sünde aufs neue auf und jeder ist auf die Anschauung Gottes und seines Verhältnißes zu ihm und auf die daraus fließende göttliche Hülfe gewiesen, um den Kampf mit der Sünde bestehen zu können, wie es in g jenem Leben sein wird, müßen wir abwarten. Aber dieses Erdenleben hat seine besondre Bestimmung, seine besondre Entwikelung und alle in uns gelegten innern und äußern Kräfte sollen dazu dienen, diese Ent-
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wikelung wirklich zu machen. Wir können und sollen uns von dem äußeren irdischen Leben nicht lossagen, sondern es der innern Würde des Menschen gemäß gestalten. Dazu soll uns ins besondre der Staat behülflich sein und Gott hat besondre Völkerindividuen geschaffen, um sichh zu ergänzen, mit einander zu verkehren, und auf einander einzuwirken, sich gegenseitig zu erziehen. Dieses zeigt uns die Weltgeschichte, sie stellt uns den Entwikelungsgang des Menschengeschlechtes, die verschiedenen Kämpfe der Völker und wiederum der einzelnen Elemente in jedem Volk dar und wir befinden uns jetzt eben in dem Uebergange zu einem neuen Stadio, welcher i seit 60 Jahren begonnen hat. Gervinus schreibt jetzt die Geschichte des 19ten Jahrhunderts und hat jetzt die besondre Einleitung9 hierzu (sie ist 181 Seiten lang) besonders herausgegeben, worin er den Gang der europäischen Geschichte seit dem Anfange des 16ten Jahrhunderts in großen Zügen auffaßt, || die Gesetze, nach denen sie sich entwikelt, anspricht und wo erj ins besondre den Charakter der gegenwärtigen Zeit zuletzt darzustellen sucht. Die Schrift heißt: „Einleitung in die Geschichte des 19. Jahrhunderts von Gervinus, Leipzig bei Engelmann“. Man hat in den Zeitungen von ihrem Verbot gesprochen, was indeß nicht stattfinden wird. Denn die Schrift ist rein wißenschaftlich historisch und es wäre eine wahre Raserei sie verbieten zu wollen, wenigstens in Preußen. – So theile ich hier meine Zeit zwischen Lektüre, Besuch von Vorträgen und der Kirche und wirk leben übrigens ganz zurükgezogen, nur mit unsrer Familie und hin und wieder in kleinen Familien Zirkeln. Wir hatten vor etwa 10 Tagen beinah 8 l schöne Tage. Seit 5–6 Tagen ist aber das Wetter wieder grund schlecht, regnerisch und trübe, ohne Frost, nur die Tage nehmen etwas zu. Die Gervinussche Schrift entwikelt ganz den Standpunkt, auf welchen ich mich zu stellen suche, sie ist sehr beruhigend und hält man diesen Standpunkt fest, dann können einem alle Tollheiten der Gegenwart und des Augenbliks nichts anhaben, sie werden von selbst in Nichts zerfließen. – Carl und Hermine laßen wenig von sich hören. Sie leben sich selbst und richten sich in ihr eheliches Leben ein. – Simon10 in Merseburg erhält die gute Pfarre m in Mötlich11 bei Halle und der alte Geh. Justizrath Simon12 hier heirathet zum 3ten Mahl in seinem 73sten Jahre, worüber sich alle Welt wundert. Der alte Weiss13 in Merseburg geht langsam seiner Ruhe entgegen. Ich habe ihm kürzlich geschrieben. Er hat sein Leben aufgesetzt und ich habe es mit Mutter gelesen es hat uns sehr intereßirt.14 – Julius15 ist Oberstaatsanwalt beim Obertribunal geworden; er verbeßert sich wesentlich im Gehalt, seine künftige Stellung ist aber weniger intereßant, als seine jetzige. Der junge Dietrich Reimer16 ist sehr leidend. Der hiesige Weiss17 ist wieder hergestellt. Ich theile ihm aus Deinen Briefen mit, was ihn etwa intereßiren kann und er und seine Frau18 laßen Dich herzlich grüßen. – Musik habe ich diesen Winter noch wenig gehört und im Theater sind wir noch gar nicht gewesen. Das viele schlechte Wetter hat auch dazu beigetragen. Nun, mein lieber Ernst, für dieses Mahl genug. Laß bald wieder etwas von Dir hören. Dein Dich liebender Vater Haeckel 1 2 3
Br. 137. Vgl. ebd., S. 244. Weiß, Christian Samuel.
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In der Nacht vom 20. auf den 21.8.1852 ereignete sich einer der größten Ausbrüche in der neueren Geschichte des Ätna, infolgedessen das Valle del Bove überflutet wurde; vgl. Lyell, Charles: Ueber die auf steilgeneigter Unterlage erstarrten Laven des Aetna und über die Erhebungskratere. In: Zeitschrift der deutschen geologischen Gesellschaft. Bd. 11, Berlin 1859, S. 149–192, hier S. 171–176. Anspielung auf den sog. theologischen Rationalismus, eine Phase innerhalb der deutschen Aufklärungstheologie, in der, oft im Anschluss an Immanuel Kants Schrift „Die Religion innerhalb der Grenzen der Vernunft“ (1793), die Vernunft der Offenbarung übergeordnet und alles Wunderbare oder Übernatürliche in der Religion zurückgewiesen wurde. Haeckel, Johanna Regina, geb. Rilke. Rilke, Anna Rosina, geb. Heydrich. Sydows Vorträge wurden angekündigt in: Der Protestant. Ein Kirchenblatt für das evangelische Volk. Hrsg. im Auftrage des Unionsvereins von H. Krause. Potsdam. Nr. 1, 1.1.1853, Sp. 8: „Der Unionsverein versammelt sich Freitag, den 7. Januar Abends 6 Uhr (…) Pred. Sydow: Die Person Jesu Christi.“, weiterhin ebd., Nr. 3, 15.1.1853, Sp. 24: „Der Unionsverein versammelt sich Freitag den 21. Januar Abends 6 Uhr im Hörsal der Gewerbe-Schule, Niederwallstraße 12. Der Zutritt steht jedem frei. Prd. Sydow: Die Person Jesu Christi.“ Gervinus, Georg Gottfried: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1853. – Aufgrund dieses Werkes wurde Gervinus aus dem Universitätsdienst entlassen und wegen Hochverrats zu zwei Monaten Festungshaft verurteilt, doch wurde dieses Urteil im Revisionsverfahren wieder aufgehoben. Simon, Jakob Bernhard. Mötzlich, heute Stadtteil im Nordosten der Stadt Halle. Simon, August Heinrich. Weiß, Christian. Vgl. Br. 132, Anm. 16. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Reimer, Dietrich. Weiß, Christian Samuel. Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt.
139. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 17. Januar 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 17/1 53.
Diesmal hast Du gewiß lange unseren Brief erwarttet, aber ich konnte nicht früher schreiben; ich war so viel als möglich bei Tante Bertha. Die ärmste hat schwere Tage gehabt; Gott Lob, daß jetzt an der Besserung ist. Am vorigen Donnerstag wurde sie wieder gebrannt1 und kloriformirt2, Quincke3 hatte Langenbeck4 mitgebracht um dessen Gutachten auch zu haben; und da hatte sie die Beine gestreckt; dies und das Kloriformieren hatten sie noch mehr angegriffen || als das Brennen selbst. Gestern hatte sie noch Wundfieber, heute geht es ihr besser. Nun zunächst meinen schönsten Dank, lieber Junge für Deinen lieben Brief; wie sehr erfreut es mich immer, daß Du uns so hübsch alles mittheilst, was Dich interessirt, da kann ich, wenn auch entfernt mit meinem alten Jungen alles durchleben. Mir ist es als wäre es für Dich recht nett, daß Du in Würzburg so viel junge Professoren hast; das muß ein recht frisches geisti-||ges Leben sein. Bist Du auch mit Kölliker persöhnlich bekannt geworden? Wenn die Gelegenheit dazu sich findet, mußt Du es nicht von der Hand weisen. –
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Ich habe auch schon daran gedacht für ein Pathengeschenk für Ernst Osterwalt5, und wollte Dir vorschlagen; ob ich nicht sollte einen hübschen nicht zu leichten silbernen Löffel nehmen und ein Kleidchen dazu. (ein silbernes Besteck, wie man es gewöhnlich nimmt, finde ich nicht passend Gabel und Messer werden fast nicht gebraucht.) || oder wolltest Du vielleicht eine Biebel schenken?, ich werde Dir besorgen, was Du wünschst. – Ich dächte aber ihm Osterwalt6 schenkst Du zum Geburtstag nichts, es wird daraus so leicht dann eine Gewohnheit, willst Du ihm später was schenken, so könntest Du es ja thun, wenn Du mal wieder hinkommst. – Nun leb wohl, mein Herzens Sohn. Gott sei mit Dir, sei frisch und fröhlich und denke an Deine Mutter 1 2 3 4 5 6
Vgl. Br. 108, Anm. 7. Chloroformieren: mit Chloroform narkotisieren. Quincke, Hermann. Langenbeck, Bernhard Rudolf Konrad von. Osterwald, Ernst; vgl. Br. 91, S. 131. Osterwald, Wilhelm.
140. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 20./21. Januar 1853
Liebste Eltern!
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Obgleich noch immer kein Brief von euch da ist, fühle ich doch heute ganz besondre Lust an euch zu schreiben. 1) ist heute nach 14tägigem beständigem Regen- oder vielmehr Sündfluthwetter (so daß ich z. B. am Sonntag deßwegen allein nicht zu Tische gehen konnte) heute der erste schöne Tag – aber auch 1 wahrer Frühlingstag, wo einem die verwünschte Wanderlust wieder durch alle Glieder zieht, wenn sie auch noch so a krank sind; der Himmel ist schön blau und wolkenlos, die Luft rein und frisch, der Rasen herrlich grün und im botanischen Garten blühen schon mehrere Frühlingspflanzen u.s.w. – 2) fiel mir heute früh plötzlich, als ich aus dem Colleg1 kam der Beweis eines ziemlich einfachen geometrischen Satzes ein, mit dem ich mich schon mehrere Tage vergeblich herumgetragen und abgequält hatte (was immer ein schreckliches Vergnügen ist!) – 3) endlich bekam ich heute wieder ein MerseburgHallisches Paket von meinen lieben, alten Freunden, indem allein so viel Briefe waren, daß ich 2 Stunden daran zu lesen hatte. Weber und namentlich Weiß2 sind ganz entzückt über den Mohl3. Letzterer schickt mir auch eine Parthie allerliebster, von ihm selbst bestimmter und auch auf geklebter Moose mit, die wirklich reizend sind. Außerdem schreibt er auch einiges, was euch vielleicht interessirt, z. B. Es werden jetzt auf Möllers Veranlassung, der ein betreffendes Ministerialrescript veranlasst hat, sämmliche Merseburger Gymnasiasten von einem Lehrer in die b Kirche geführt,4 eine Maßregel, || die, wie Weiß ganz richtig bemerkt, nur geeignet ist, alle etwane noch vorhandene Religiösität zu unterdrücken. Weiß schreibt dazu: Mir selbst wird
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das Kirchengehen dadurch verleidet; am meisten dauern mich noch die Lehrer, die nun, wenigstens abwechselnd, gezwungen sind, die Kirche zu besuchen! – Sehr wahr! – Mit seinem Onkel5 geht es übrigens nicht gut. – Simons6 kommen zu Ostern fort, nach einem Neste, eine Stunde von Halle. – Übrigens träumt auch Weiß von Reisen; namentlich möchte er mit mir in den nächsten Hundstagsferien7 eine Riesengebirgsreise machen8 (Ich – und Reisen?!) – Weber schreibt mir9 von sehr interessanten Halleschen Collegien, namentlich Burmeisters „Vorträge über den Character der Tropenzone“, die ganz herrlich sein sollen (die möchte ich hören! – nein, doch lieber nicht, sonst kommen wieder zu viele und dumme katzenjämmerliche Gedanken in den Kopf, die nichts thun, als Zeit kosten!) Die Chemie ist dort auch sehr interessant (bei Heintz10.). Neulich haben sie nicht nur 20 Loth11 flüssige Kohlensäure dargestellt, sondern diese sogar zum Frieren gebracht, wozu eine Kälte von nicht weniger als –70° gehört. Bis vor wenigen Jahren kannte man die Kohlensäure nur als Gas.12 Es ist dies Experiment zwar höchst interessant; aber auch eben so gefährlich; weshalb es Mitscherlich13 unterließ. Sie haben übrigens dazu nicht weniger als 7200 Radumdrehungen und Kolbenhübe (an der Luftpumpe) gebraucht, was von 10–2 Uhr Nachmittags gedauert hat!14 – Weber klagt auch, daß ihm die reine Mathematik nicht recht in den Kopf wolle und daß er lieber Bergmann würde. Humoristisch-tragisch setzt er hinzu: c„Dieser Jammer scheint übrigens nicht bloß bei uns, sondern in ganz Deutschland zu herrschen; wenigstens d hat Weiß auch so was Ähnliches“15 – Ja wir armen Naturwissenschaftler! – Finsterbusch schreibt wieder einen sonderbar pathetisch-didactische-moralischen Brief16, in dem er mir den Kopf zurechtsetzt, und an dem allerdings Viel, sehr viel Wahres ist. Dann liegt endlich noch ein Brief von Hetzer17 dabei, der wieder so naivdrollig geschrieben ist, daß er mich in ein wahrhaft herz- und nieren-erschütterndes Lachen (das erste nach langer Zeit!) versetzt hat, und daß man den komischen Kerl leibhaftig raisonniren zu hören glaubt. – Das ist doch was schönes, so eine Freundschaft; ich bilde mir immer ein, es sei sowas von platonischer Liebe dabei! – An Gandtner18 habe ich vorige Woche auch einen Brief geschrieben, über 2 volle, große Bogen lang, und warte nun f sehnlichst auf Antwort; ich bin auf seinen Rath sehr gespannt.19 – Jetzt aber paß auf, lieber Alter! – Weißt Du denn schon, daß Du mit unserm gelübden Manteuffel! verwandt bist?! Hört! Hört! – Ich habe dies g gewiß für Dich höchst erfreuliche Factum, auf welches hin Du nicht unterlassen wirst, Dich baldigst deinem geistig und leiblich verwandten Ministerpräsidenten vorzustellen, auf folgende Weise in Erfahrung gebracht: – oder besser, ich schreibe Dir gleich mathematisch die Verwandtschaftsreihe hin: – Häckel – Weissig – Morgenbesser – Steudner – Manteuffel!20 Reimt sich das nicht hübsch zusammen. || Mein lieber Schlesier nämlichh, der Urbotanikus und Hauptkryptogamist21 Steudner i (beiläufig ein noch viel botanischereres Urthier als ich, und das will was sagen!) mit dem ich jetzt öfter zusammen bin, ist mit Manteuffel verwandt,22 was für ihn von großer Wichtigkeit ist; da ihm jener j einst sehr behülflich bei den großen Reisen sein kann, die er machen will (namentlich nach Ostindien). Nun brachten wir neulich bei einem Gespräch über Schlesien heraus, daß die Steudnersche Familie, die
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hauptsächlich in und um Greiffenberg ihren Sitz hat, nah mit Weissigs (in Hirschberg und Marklisse23) verwandt ist. „Ein Vetter von Steudner hat eine Tochter von Morgenbesser geheirathet“. Sind wir denn mit diesen eigentlich verwandt? Jedenfalls hoffe ich, daß die Entdeckung dieser hohen Verwandtschaft Dich höchlichst amüsiren wird! – Diese Woche habe ich auch noch eine anderweitige Entdeckung gemacht, die fruchtbarer sein kann. Ganz zufällig erfuhr ich nämlich, daß hier jeden Mittwoch und Sonnabend von 4–6 Uhr das ganze Jahrk hindurch öffentlich ein „Musikinstitut höherer Art“24 seine Stücke producirt und zwar ganz ausschließlich die klassischen Symphonien von Beethoven, Mozart und Haydn, zuweilen auch etwas von Mendelssohn. Der Direktor ist der eigens dazu angestellte Universitätsprofessor Fröhlich25. Natürlich ging ich gleich hin und es gefiel mir sehr (d. h. natürlich so weit mir Musik überhaupt gefallen kann!). Der sehr große Saal wimmelte von Commilitonen; ich will auch öfter hingehen. || Nun hätte ich Euch noch eine Hauptgeschichte zu erzählen, nämlich von dem großartigen solennen Fackelzug, den wir Mittwoch am 12ten Januar dem hochgefeierten Virchow gebracht haben. Der Grund dazu war theils eine Anerkennung seiner ausgezeichneten, wissenschaftlichen Wirksamkeit überhaupt, theils ein Dank dafür, daß er einen ehrenvollen Ruf nach Zürich (der ihm auch viel materielle Vortheile geboten hätte) nicht angenommen hatte.26 (N.B. Da er in Folge dessen um eine Gehaltserhöhung von 400 fl wenigstens angetragen hatte, erhielt er von der königlich bayrischen Regierung – : 200 fl! Ihr seht also, daß man hier noch lumpiger sein kann, als bei uns! Dasselbe Schicksal theilte auch der Rector27, der gleichfalls nur die Hälfte der erbetenen Zulage erhielt! –). Vorher waren natürlich mehrere Große Studentenversammlungen, in denen l die Sache berathen und arrangirt wurde, und wo es sehr toll und lustig zuging, auch wieder viele tolle Vorschläge gemacht wurden. Übrigens betheiligten sich nur 150 am Fackelzug; die meisten andern wollten nicht soviel Geld opfern. (Es kostete jedem 1½ fl). Wir hatten 2 große Musikchöre; das eine von der Festungsartillerie kostete 50 fl, das andere von der Landwehr (d. h. was man hier so nennt; m es hieße besser Nationalgarden oder Bürgerwehr oder Philistergarde; am besten lassen sich diese tapfern Krieger mit den Merseburger Schützen vergleichen) kostet 44 fl. 24 xr. (allgemeines Gelächter!). – Der Zug fiel übrigens ganz prächtig aus; die Umstände waren sehr günstig: die Nacht stockfinster, und ein frischer Wind, in dem die Flammen herrlich hin- und herflackerten. || Und was glaubt ihr, daß euer „philiströser, stubenhockender Pflanzenmensch“ (wie mein officieller Titel lautet) dabei für eine Rolle spielte? – Ich sage euch: eine Hauptrolle! (hört, hört!) und zwar vermöge eines einzigen gescheuten Einfalls, der von meinen Herrn Commilitonen als überaus geistreich und classisch gepriesen wurde. Ich zog nämlich über Karls alten Rock meine – glanzkattunene Secirkutte! – Da ich auch ein bischen Furcht vor Erkältung hatte, namentlich da meine Zähne wieder etwas unartig waren, so zog [ich] über meine dicken carirten Hosen noch Vaters alte inexpressibles28; da aber diese viel kürzer waren, so ragten jene ein gut Stück drunter hervor. Nun denkt euch dazu noch die große alte Mütze, die weißgrauen klobigen Gummischuhe über den schwarzen Stiefeln, die Pelzhandschuhe, in der linken Hand die riesige Fackel, in der rechten den knotigen Stock und das höchst gelungene, echt poetische Bild in dem romantisch-klassischen Anzuge steht im rothen Fackelglanze vor euch. Dazu kommt nun noch der herrliche
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Rußüberzug, der schon nach den ersten Minuten, als die Fackeln angezündet waren, sich einstellte und mit dem Schweiß im Gesicht eine innige, Druckerschwärzen ähnliche Verbindung einging, so daß ich wirklich, wie ein leibhaftiger Köhler oder Teufel oder sonst was aussah.
Der Effect dieser gelungenen Figur ist kaum zu beschreiben. Die Kinder nahmen schreiend reißaus, die Frauen und Jungfrauen bildeten, wo wir stehen blieben, einen förmlichen Zuschauerkreis unter Kichern und Staunen, trotzdem wir unsre Fackeln ihrem Gesicht möglichst näherten; die Männer blickten mir fast bedenklich nach und meine Commilitonen selbst bewunderten in mir den „wahren Jünger der Wissenschaft“, den „Anatomen, wie er sein soll“, und das alles machte die schöne Secirkutte, deren einfarbiges Schwarz durch braune Blutflecken, kleine Fettklümpchen und dergleichen angenehm unterbrochen war. Natürlich fühlte sich auch der Geist, der in einer so reizenden Hülle steckte, entsprechend erhoben; ich schwang meine Fackel trotz
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Einem [!], und als wir nach fast 2stündigem Umzuge (von 8–¾10) auf dem o Domplatze den Rest der Fackeln zusammen warfen und einen tollen Hexentanz um diesen Scheiterhaufen ausführten, spielte meine Anatomische Figur wieder eine Hauptrolle. Dieser letzte Moment gehörte übrigens zu den schönsten. Zuerst wurde ein großer Ring gebildet und „gaudeamus igitur“29 gesungen und dann flogen mit einen Male alle 150 Fackeln hoch, hoch in die Luft und beschrieben, wie Raketen, eine schöne Parabel, worauf sie in weitem Bogen niederfielen. Einige besonders Geschickte schleuderten die ihrige noch ein paarmal in die Höhe und zwar mit einem solchen Schwunge, daß die Fackel während des Wurfs sich mehreremale um ihre eigene Axe drehte, was einen prachtvollen Effekt machte. Überhaupt war der ganze Fackelzug sehr glänzend und fiel weit großartiger aus, als wir gedacht hatten. || Bezüglich des Wegs (der euch freilich nicht interessirt) wäre noch zu erwähnen, daß wir erst die Spitalpromenade herunter, dann durch die Bankgasse und die von der Mainbrücke grade heraufführende Dammstraße zogen. Vor Virchows Haus30 standen wir fast eine Stunde. Erst wurde eine Deputation, die in einer besondern Kutsche fuhr, zu Virchow herreingeschickt, um ihm unsre Sympathien (die bei mir grade nicht sehr groß sind, obwohl ich seinen kalten, festen, fast starren Character sehr bewundre) auszudrücken; dann kam er selbst heraus und hielt eine ziemlich lange Rede, voll edlem Selbstgefühl und Eifer für die Wissenschaft, der er ganz angehöre! Ich hätte den Fackelzug lieber Kölliker gebracht! Als ich voll Übermuth und p Lustigkeit nach Hause kam, empfing mich meine gute Frau Wirthin31 gleich mit einem „Jesses, Maria, Juseph, wie schähe sa ausch (wie sehen Sie aus), Herr Doctor?“ q Ich sah auch wirklich allerliebst aus, namentlich im Gesicht, wo ein Stückchen Haut en profil gering vergrößert etwa wie beifolgende Figur aussah; wie anr einem Magnet, der in Eisenfeilspähnen gelegen hat, war die ganze Haut mit einem dichten Barte von schwarzen Fäserchen und Ruß überzogen, so daß ich mich selbst kaum kannte. Unsern vereinigten Bemühungen mit warmem Wasser, Butter und Bimssteinseife gelang es jedoch bald, diesen Überzug bis auf schwarze Ringe um die Augen und die Stirn, die noch ein paar Tage blieben, zu entfernen. Übrigens bekam mir die Geschichte vortrefflich; die Zahnschmerzen sind dadurch vollends vergangen und mein Secirrock besitzt noch jetzt einen kräftigen Kienrußgeruch, der mir unter dem exquisiten Fleischgeruch beim Seciren sehr wohl thut und mich immer an einen schönen märkischen Kiefernwald erinnert. || Um 11 Uhr ging ich noch eine Stunde lang auf die große Kneiperei, wo fast die gesammte medicinische Studentenschafts zusammen war (denn hier fehlten auch die nicht Fackeltragenden nicht!); und wo zugleich mit mir fast t alle medicinische Docenten, Virchow selbst an der Spitze, eintraten. Anfangs war es recht nett; es ging sehr lustig her und wurde tüchtig musicirt und Burschenlieder gesungen. Bald fing aber die Sache etwas gar zu toll und bunt zu werden an, und selbst bei den Professoren stellten sich gelinde Begriffsverwirrungen ein. Kölliker, der immer der Gescheuteste ist, drückte sich deßhalb nach einem Stündchen und ich folgte seinem Beispiel. Die andern sind noch bis zum andern Morgen beisammen geblieben, bis sich zuletzt der ganze Wirrwarr in einem allgemeinen Katzenjammer aufgelöst hat. Virchow selbst ist nach 3 Uhr zu Hause gekommen; wie? weiß er wohl selbst am Wenigsten! Die nächste Folge war, daß am nächsten Tage kein Kolleg gelesen wurde, außer bei Kölliker wo
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nur 25 da waren. Virchow ist 8 Tage wegen „Grippe“ zu Haus geblieben. Das ist das End vom Lied! – Mir hat übrigens der Fackelzug die größte Freude gemacht. Ihr wißt, wie gern ich immer einmal einen mitgemacht hätte (z. B. den für Hiecke) und wie dies immer vereitelt wurde. Diesmal ist endlich mal was daraus geworden und auch was Rechts! An Theodor Bleek, Weißes32, Großvater, vor allen an Tante Bertha die herzlichsten Grüße. Ich wünsche ihr recht von Herzen baldigst Linderung der Schmerzen. 1000 Grüße E. H.u Freitag 21/1 53 Endlich, endlich ist heute früh euer lieber Brief33 angekommen. Habt schönen Dank dafür. Die traurige Ursache der Verzögerung aber, daß es unserer liebsten Tante Bertha so schlecht geht, hat mich sehr, sehr betrübt. Da möchte man wirklich oft Gott fragen, wie er die beste Seele so unschuldig könne leiden lassen? Ja, da giebt es eine Masse Räthsel, über die wir nicht hinauskommen. In Bezug auf Deine religiösen Ansichten bin ich sonst ganz mit Dir, mein lieber Vater, einverstanden; nur ist mir Vieles noch nicht so klar. – Aus Deinem Brief ersehe ich auch, daß ihr manches von dem schon wißt, was ich euch hier durch Weiß mittheile. – Hinsichtlich des Pathengeschenks für Ernst Osterwald (nicht Osterwalt!) bin ich vollkommen Deiner v Meinung liebe Mutter! Sei Du nun so gut und besorge ein nettes Kleidchen und einen recht schweren schönenw silbernen Löffel.34 Ich dächte, wir ließen auch den Namen (wenn auch nicht ganz) eingraviren, und auch den Geburtstag, den 29sten Februar. Was meinst Du dazu? Sein vollständiger Name ist: „Ernst Wilhelm Hermann“. Macht es nur recht schön und werthvoll und denkt, ihr schenktet es mir selbst! – Heute sind es grade 1 Jahr weniger 4 Tage, daß die Abiturientenarbeiten anfingen und zugleich, grade 1 Jahr plus 4 Tage, daß meine böse Kniegeschichte anfing.35 Und wann werde ich sagen können: „Es ist ein Jahr her, daß mein Knieübel aufhörte? Wahrscheinlich nie? – Das Wetter ist heute wieder so traurig, wie nur je vorher. Es gießt in Strömen!x || Der Aufsatz war von Carl Zell, betitelt: „Vorzüge der antiken Bildung vor der modernen.“36 Als solche stellt er hin 1) Harmonie, d. h. Gesundheit des Leibes und der Seele, Gleichgewicht in der Sphäre des Geistigen, indem der logische Verstand und die Philosophie der Poesie und der mannichfaltigen Phantasie die Waage hält 2) Form, d. h. kräftige und schöne Erscheinung und Offenbarung des Wesens, wie sie sich vor allen in den herrlichen Kunstwerken, dann in der bildenden und formenden Sprache zeigte, welche den Inhalt vollkommen ausspricht 3) Einfachheit, d. h. Stätigkeit und Einheit in allen Productionen, welche sich z. B. in allen ihren Poesien, auch in der andern wissenschaftlichen Thätigkeit, so wie wiederum hauptsächlich in den Werken der bildenden Kunst zeigte, so daß sie Gemeingut des ganzen Volkes waren, 4) Energie, die große innere und äußere Thätigkeit und Kraft, welche sich in dem ganzen öffentlichen, wie privaten Leben der Alten zeigt, welche der Grund ihres Republikanismus war, und allein die großen Charactere erzeugte, welche wir an ihnen bewundern. (Es hat mich diese Auffassung namentlich deßhalb sehr angesprochen, weil ich mir selbst ein solches Bild vom Alterthum geschaffen hatte, ohne mir aber darüber klar zu sein; wenn man
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nun so seine eigenen Gedanken schön ausgesprochen und dargestellt findet, interessirt einen dies doppelt!) Namentlich hebt er an diesen Vorzügen des klassischen Alterthums dann hervor, daß sie, wenn wir sie uns aneignen, und in unsre jetzige Bildung aufnehmen könnten, das wahrhaft y und eigentlich Vollkommene, das Ideal, erreicht werden würde. Dies ist aber schon zum Theil durch die Richtung unsrer Bildung selbst unmöglich. || Als Gegenseiten und eigenthümliche Vorzüge unsrer Bildung werden dann vorzüglich, und mit vollem Recht, hingestellt: vor allem das Christenthum, dessen veredelnder und vervollkommnender Einfluß von der größten Bedeutung ist, dann die hohe und außerordentliche Ausbildung der Naturwissenschaften, die darauf beruhende, z sehr bedeutende Anwendung der Wissenschaft auf technische und industrielle Zwecke und endlich eine umfassendere, allgemeinere Auffassung politischer Ansichten und Systeme. Das letzte ist mir zweifelhaft und ich verstehe davon zu wenig, das andere scheint mir aber alles vollkommen richtig und gut ausgesprochen. – Noch wollte ich euch erinnern, liebe Eltern, daß ihr mir bald an ein schönes Pathengeschenk für mein Pathchen denken müßt. Auch möchte ich Osterwald37 selbst noch zu seinem Geburtstage, am 23sten Februar, ein hübsches Andenken, etwa ein schönes Buch schenken; ihr könntet dann beides von Berlin aus hinschicken und ich würde von hier aus bloß dazu schreiben. Überlegt euch die Sache einmal ordentlich. Vielleicht aa zeichne ich ihm auch noch etwas – Nun adieu, habt noch herzlichen Dank für eure beiden lieben Briefe und behaltet lieb euren alten Jungen E. H. Herzliche Grüße in No. 8.38 1 2 3
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Vermutl. das mathematische Kolleg von Alois Mayr; vgl. Br. 103, Anm.13. Weiß, Christian Ernst. Mohl, Hugo von; zu dessen Werk vgl. Br. 124, Anm. 43. – Vgl. dazu auch Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Eilenburg/Merseburg, 28.12.1853–16.1.1853 (EHA Jena, A 16620): „Ich habe schon etwas in den Mohl hineingekostet: da merke ich freilich, daß die schöne Wissenschaft nicht so leicht zu genießen ist, als z.B. populäre Vorträge über die Pflanze und ihr Leben. Doch nach dem Vorgeschmack, den ich jetzt bekommen habe, zu urtheilen ist das Buch wie etwa eine Caviar- als Sardellen-Semmel: es schmeckt um so besser, je mehr man genießt und es läßt Einen die andern Speisen (als da sind: Cicero; Tacitus; Cornel; Demosthenes; Oller, Thielemann etc.) besser bekommen; es ist gleichsam die Würze der ganzen Mahlzeit, das Salz derselben, – kurz – – ein gefundenes Fressen!“ Am 30.8.1852 hatte der Merseburger Generalsuperintendent Johann Friedrich Möller eine Visitation des Religionsunterrichtes im Domgymnasium durchgeführt, in deren Ergebnis das genannte Ministerialreskript erlassen wurde. Der Wortlaut des Reskripts, das Bemerkungen und Ratschläge für die künftige Einrichtung des Religionsunterrichts enthielt, ist nicht überliefert; zur Visitation Möllers vgl. Jahresbericht über das Gymnasium zu Merseburg womit zum Osterexamen 1853 ergebenst einladet Carl Ferdinand Wieck […]. Halle [1853], S. 71. Weiß, Christian. Jakob Bernhard Simon war als Pfarrer nach Mötzlich bei Halle versetzt worden; vgl. Br. 138, S. 251. Sommerferien, auf den preußischen Gymnasien gab es zweiwöchige Hundstagsferien. Vgl. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Eilenburg/Merseburg, 28.12.1852–16.1.1853 (EHA Jena, A 16620): „Noch einmal las ich Deinen Brief durch; da fällt mir ein bei „dem Träumen von großen Reisen“, daß es mir jetzt ähnlich geht; zwar träume ich nicht bei Nacht, sondern, was für mich freilich auch ungeheur ist, vom Riesengebirge. Wenn ich nur einen botanischen Freund fände, der geneigt wäre, mit mir langweiligen Menschen so etwas gemeinsam zu wagen: ich glaube, ich brächte es diesmal fertig; […]“.
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Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle 11./12.1.1853 (EHA Jena, A 16207). Heintz, Heinrich Wilhelm. Lot, Maßeinheit für Gewichte vor der Umstellung auf das metrische System. Im preußischen Reich entsprach 1 Lot 14,606g, dementsprechend hier 20 Loth = 292,12g. Michael Faraday hatte 1823 erstmals Kohlendioxyd verflüssigt; vgl. Mitchell, J. K.: Beschreibung eines Apparates, um das kohlensaure Gas in flüssigen und festen Zustand zu versezen, in: Journal of the Franklin Institute, Nov. 1838, S. 239. Mitscherlich, Eilhard. Vgl. Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 11.1./12.1.1853 (EHA Jena, A 16207): „Am Sonntag haben wir von 10 –2 Uhr Nachmittag gepumpt. Heintz wollte nehmlich flüssige Kohlensäure darstellen und wir mußten um sie gehörig zu verdichten 7200 Kolbenhübe machen. Dies ist der Apparat. Links wird aus 2H [Loth] kohlensaurem Natron und Schwefelsäure, Kohlensäure entwickelt diese geht durch das Clorcalciumrohr [als Trockenrohr] in den Schlauch und tritt dann in die Pumpe ein. Durch das Schwungrad wird einfach der Stempel auf und runter gebracht und so die CO² verdichtet. In dem weitern Gefäß ganz oben ist Wasser oder Kältemischung um eine niedrige Temperatur fest zu halten und die Kohlenssäure ist erst in dem ganz obersten dem Recipient. Wir hatten nachdem wir also das Rad 7200 mal umgedreht hatten 20 Loth flüssige CO². [...] Gestern machte er [Heinrich Wilhelm Heintz] diese [die Kohlensäure] in einem geeigneten Apparat fest. Es ist dann eine weiße (wie frischer Schnee) weiche Masse. […].“; siehe Abb. 29. Victor Weber an Ernst Haeckel (wie Anm. 14): „Zur Vermehrung dieses Jammers, der übrigens in ganz Deutschland jetzt zu herrschen scheint, denn Weiß hat ihn auch […].“ Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 12.1.1853 (EHA Jena, A 2312). Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 12.1.1853 (EHA Jena, A 21557). Der erwähnte Brief ist nicht zu ermitteln. Nicht überliefert. Ein Teil der hier geschilderten Verwandtschaftsverhältnisse läßt sich wie folgt rekonstruieren: Die Eltern von Carl Julius Hermann Theodor Steudner waren Carl Theodor Hermann Steudner und Juliane Louise Mathilde Steudner, geb. von Münsterberg. Die Großeltern waren Carl Theodor Steudner und Charlotte Friederike Henriette Steudner, geb. Weissig. Die Eltern der Großmutter waren Melchior Christian Weissig und Maria Magdalena Weissig, geb. Rülke, Tochter von Christan Benjamin Rülke. Die Großmutter Ernst Haeckels, Johanna Regina Haeckel war eine geborene Rilke und es gibt Anlass zu der Vermutung, dass die beiden Familien über diese Verzweigung zusammenhängen (Lautverschiebung). Vertreter der Kryptogamenkunde, vgl. Br. 103, Anm. 12. Vgl. Anm. 20, die Verbindung zu Manteuffel ist nicht nachvollziehbar. Marklissa. „Das kgl. Musik-Institut ist am Paradeplatze, hinter dem Dom, in dem ehemaligen Kapitelhause, wo im Saale auch noch die Wappen der alten Domherren an den Wänden sichtbar sind. Das kgl. Musik-Institut hat den Zweck, den Studierenden, wie auch den jungen Schullehrer-Seminaristen, Gelegenheit zur Ausbildung in der Musik zu bieten; wöchentlich, gewöhnlich am Mittwoch Nachmittags 4 Uhr, findet eine öffentliche Produktion statt, die immer sehr zahlreich vom Publikum besucht wird; die Vorträge bestehen in Symphonien und Ouverturen.“ (F. N.: Neuester Fremdenführer von Würzburg und dessen nächsten Umgebungen. Würzburg 1865, S. 42). Fröhlich, Franz Joseph. Zu Virchows Verdiensten vgl. Braun, Gustav: Rudolf Virchow und der Lehrstuhl für pathologische Anatomie an der Universität Zürich. Zürich 1925; zum Fackelzug vgl. Würzburger Abendblatt, 13. Jg. Nr. 8, 10.1.1853, S. 29; Nr. 9, 11.1.1853, S. 29; Nr. 11, 13.1.1853, S. 41. Albrecht, Joseph Ambros Michael von. Engl.: die Unaussprechlichen, scherzhaft für eng anliegende, an der Seite zugeknöpfte Beinkleider, da die engl. Entsprechung „breeches“ im Singular „Steiß, Hinterteil“ bedeutet. Weltweit bekanntes lat. Studentenlied („Lasst uns also fröhlich sein!“). Ludwigstraße 1 in Würzburg. Müller, Katharina.
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Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Br. 138 und 139. Vgl. Br. 139, S. 253. Vgl. Br. 74, S. 99. Zell, Karl: Vorzüge der antiken Bildung vor der modernen. In: Hiecke, Robert Heinrich: Deutsches Lesebuch für obere Gymnasialclassen. Enthaltend eine auf Erweiterung des Gedankenkreises und Bildung der Darstellung berechnete Sammlung auserlesener Prosastücke. Zweite, sehr verm. und verbess. Aufl., Leipzig 1847, S. 139–146; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 155 (=275). Der erwähnte Brief Ernst Haeckels an Wilhelm Osterwald ist nicht ermittelt. Vgl. Br. 45, Anm. 13.
141. Von Hermine Haeckel, ziegenrück, 24. Januar 1853
Lieber Schwager,
Ziegenrück d. 24ten Januar | 1853
Da ich nicht wieder Bruder sagen darf, weil sonst vielleicht wieder eine ähnliche Sprühteufelgeschichte1 aus Ziegenhügel2 passiren könnte. Die Geschichte ist köstlich, das Einzig Schlimme dabei war, daß Dua noch länger auf das Bischen Kuchen hast warten müssen. Du armer Schelm, hast mühsam genug das Fest und das neue Jahr zugebracht, das ist uns klar geworden aus Deinem Brief3, wer aber die beiden räthselhaften Damen4 beim Professor Schenk waren mußt Du uns noch sagen, war die Eine vielleicht gar aus Kaffern5? hoffentlich hatte Wilhelms Erziehung6 sichb noch nicht an ihr bewiesen, sonst sollte sie mir || leid thun. Was Du uns sonst von Deinem Leben, der Stadt u.s.w. schreibst, hat uns sehr interessirt. Wie sich Ersteres noch gestalten wirdc ist allerdings noch ziemlich dunkel, nach Deinem Briefe zu urtheilen, sei aber getrost, es wird schon helle werden, vielleicht so helle, daß wir Alle nicht hineinsehen können, ohne uns zu verbrennen. Kommst Du erst im März zu uns, dann wollen wir uns recht ausplaudern, ohne Zweifel weißt Du dann auch bereits mehrd wie jetzt. Wir leben hier einen Tag so glücklich wie den Andern, sind öfter mit Doktors7 u. Haras8 zusammen, lesen mit Doktors Sonntag Abends Onkel Tom’s Hütte9, in dem Dich einige ausgelassene schwarze Kinder amüsiren würden. Das Buch übrigens reizend geschrieben und interessirt uns ungemein. Übermorgen giebt das Junggesellen-Mitglied unseres Kränzchens, der Kreisbaumeister Reissert, dasselbe bei der Gastwirthin Weise10. Neulich haben wir uns einen neuen Tanz eingeübt, unter vielem || Gelächter, Karl war Tanzmeister. Überhaupt sind wir meistens recht vergnügt zusammen, was gewiß auch darin seinen Grund hat, daß lauter glückliche Menschen beisammen sind. Hierbei erhälst Du den Brief von Adolph an Deinen Vater,11 den ich Dir mit dem besten Willen nicht früher schicken konnte da er in der Weihnachtskiste lag und selbige nur 1 Tag vor Ankunft Deines Brief uns zu Händen kam. Und was kam aus [der] Kiste: wie bei Dir Pfefferkuchen Tütene in Menge, Pflaumen, Zucker, Seife, Kafe12, Chocolade war zu meiner großen Freude durch die liebevolle Fürsorge der lieben Mutter recht ansehnlich vertreten. Außerdem noch einige andere Geschenke
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von den Eltern, Großvater u.s.w. und 1 Riesenknäul von Tante Bertha, an dem ich sehr fleißig stricke, aber dennoch Nichts von Abnahme bemerke. Die Herrn sind Alle rasend neugirig auf den Inhalt. Wie hübsch der Mensch sich etwas vormachen kann, hat Jeder Gelegenheit von Louis Napoleon13 zu lernen, der sich so erstaun-||lich viel Mühe giebt, sich klar zu machen, wie er rein aus Herzensneigung jetzt heirathe. Daß der Mensch aber nicht immer seiner Herzensneigung folgen darf, siehst Du an uns Beiden Leutchen. Wollten wir ihr folgen so gingen wir hier nie in die Kirche, da wir uns die Bibel ohne Stottern vorlesen können, und uns besser erbauen als in der Kirche, wo ich gestern fast Nichts gehört habe, alsf die Danksagung für ein 2 Groschenstück, das am vergangenen Sonntag im Klingelbeutel sich gefunden hat. – d. 24sten. Die Nacht hat es stark gefroren und jetzt schneit es immerfort, so daß wir am Ende doch noch Winter bekommen. Nachmittag bin ich zum Kafe in der Lämmerschmiede14, werde dabei wohl das Abstechen aus dem Hochofen15 sehen. Seit 3 Wochen nämlich ist der Hochofen am Brennen, worin sie selbst jetzt das Roheisen schmelzen. – Karl läßt Dich recht herzlich grüßen, ich natürlich auch. Karl bittet Dich trotz des Umsattelns Dir ja zu überlegen, ob Du nicht den Sommer noch in Würzburg bliebst, sofern dort gute Kollegien seien. – Adolph schrieb neulich an Karl,16 daß er bei seiner Rückkehr im April oder Mai uns besuchen wolle. Nun ade, lieber Ernst, halte Dich recht tapfer, denke oft an uns und schreibe bald wieder einen so netten Brief. In herzlicher Liebe Deine Hermine. 1 2 3 4 5 6
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Eigtl. kleiner Feuerwerkskörper, Häufchen angefeuchteten Schießpulvers, das zur Belustigung angezündet wird, hier: lustige Geschichte oder Begebenheit. Spöttisch für: Ziegenrück. Br. 129. Nicht ermittelt; vgl. Br. 129, S. 224. Ugs. abwertend für Völker aus den südafrikanischen Kolonien. Wilhelm Bleek war 1851 in Bonn als Sprachwissenschaftler mit einer Arbeit über die afrikanischen Sprachen promoviert worden und 1853 nach Kapstadt (Südafrika) gereist, wo er eine Stelle als Bibliothekar annahm, sich der Erforschung der Bantu- und anderer afrikanischer Sprachen sowie der Lebensweise und Folklore der afrikanischen Stämme widmete und dabei auch zeitweise mit diesen zusammenlebte. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Harras, Wilhelm Gottlob; Harras, Ehefrau. Möglicherweise folgende Ausgabe: Beecher Stowe, Harriet: Onkel Tom’s Hütte. Eine Negergeschichte. Berlin 1852. Nicht ermittelt. Adolph Schubert an Carl Gottlob Haeckel, Paris, 9.12.1852 (EHA Jena, A 16190); vgl. dazu auch Br. 132, S. 232. Kaffee. Am 29./30.1.1853 heiratete Napoleon III., Kaiser der Franzosen, die spanische Gräfin Eugénie de Montijo, nachdem eine vorhergehende Brautwerbung um Prinzessin Adelheid zu Hohenlohe-Langenburg u.a. am Widerstand von deren Tante, der englischen Königin Victoria, gescheitert war. Seine Erklärung anlässlich der Verlobung, dass er eine auf Liebe beruhende Verbindung einer solchen vorziehe, die neben Vorteilen auch Opfer bedeutet haben würde, erregte europaweites Aufsehen.
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Eisenhammerwerk bei Ziegenrück (heute Ludwigshütte); vgl. Br. 104, Anm. 11. Beim sogenannten Abstechen werden die mit Tonpfropfen verschlossenen Ablaufröhren eines Hochofens aufgestochen, durch welche dann das flüssige Metall in die Form fließt. Nicht ermittelt.
142. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 26. Januar 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 26/1 53.
Das war eine rechte Sonntagsstunde für uns als Dein Brief1 gestern ankam. Wie sehr freut es mich daß Du wohl und munter bist, nimm Dich mit dem Knie in Acht vor Erkältung, sonst mache Dir weiter keine Sorge, Du wirst sehn, das wird noch ganz gut, solche Prüfungen kommen ja öfter im Leben, die dürfen uns nicht niederwerfen. Tante Bertha geht es nun auch etwas besser, und so wollen wir hoffen, || daß es ihr bald wieder so gehen möge, wie es ihr nur jetzt gehen kann. – Gestern brachte mir Therese Kisselung2, die von Merseburg kam, ein Briefchen von der Wieck3, Marie4, die sehr bedenklich erkrankt war, ist wieder wohl, und wieder in Leipzig. Therese erzählte mir auch, daß die Schüler Wiecken5 zu seinem 71sten a Geburtstag einen Fackelzug gebracht hätten, das wird Dich amüsiren, daß Deine Freunde in Merseburg also || auch einen Fackelzug mit gemacht haben. Ich denke auf den Löffel für den kleinen Osterwald ließ ich bloß Ernst gravieren, das bezeichnet den Gevatter und das Pathchen; wünschst Du es anders, so schreibe es, vielleicht noch d. 29sten Februar 1853 oder vielleicht 29/2 53. ?? Theodor6 und Heinrich7, die Dich herzlich grüssen lassen, kommen öfters zum Kaffe zu uns; auch Tante Bertha grüßt Dich schön, ich habe ihr nicht || gesagt, daß ich Dir heute schreibe, sonst hätte sie vielleicht ein paar Worte zu schreiben wollen, und das Schreiben wird ihr noch zu schwer. Du hast nichts von Geld geschrieben, da ich aber nicht wünsche, daß Du knauserst, bei Deinem Lebensunterhalt, so schicke ich Dir 50 Thaler hier mit; wir haben das Vertrauen zu Dir, daß Du, wenn auch sparsam doch orndlich mit dem Gelde umgehst. – Nun, lebe wohl, mein Herzens Sohn, halte Dich gesund, und denke fleissig an Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7
Br. 140. Kisseling, Therese. Wieck, Sophie Marianne, geb. Kuß. Wieck, Marie. Wieck, Karl Ferdinand. Bleek, Theodor. Sethe, Heinrich Georg Christoph.
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143. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 30. Januar 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 30/1 1853
Eure Geldsendung, die ich gestern erhalten habe, kam mir eben so überraschend und unerwartet, als sie im Grunde unnöthig ist. Der Umstand nämlich, daß ich euch gleich im ersten Monate meines Hierseins fast an 100 rℓ gekostet habe, hat mir einen solchen Schrecken eingejagt, daß ich mir vorgenommen habe, in den 3 übrigen nur 50 zu kosten. Ich habe nämlich ein paar Kameraden gesprochen, die mir versicherten, mit 150 rℓ per Semester ganz bequem auszukommen; und ich sehe gar nichta ein warum ich es besser haben soll als andere, namentlich, wenn ich dabei an meine Halleschen Freunde1 denke, die noch nicht 50 rℓ brauchen. Zu diesem Zwecke habe ich nun verschiedene Reductionen vorgenommen und durchgeführt in meinem état! – Abends gehe ich höchstens 1 mal die Woche aus, und esse zu Hause für 2 Kreuzer Brod und dazu das delicate Pflaumenmuß und die treffliche Wurst, die Du, liebe Mutter, mir zu Weihnachten geschickt. Trotzdem ich von letztern beiden Victualien seit Neujahr fast jeden Abend gelebt, sind sie doch erst zu 3 Viertheilen vertilgt. Zu Mittag esse ich auch nicht mehr für 21 xr., sondern für 15 xr. Dieser edle Mittagstisch erinnert mich immer an den, von dem Papa oder Großpapa während ihrer Studentzeit in Halle erzählten; in manchen Stücken übertrifft er sie wohl noch. Das Beste ist noch, daß man eine tüchtige Portion Suppe bekömmt, die ihr mir ja zum besondern Studium empfohlen habt, und die auch leidlich gut ist; dafür ist nachher das Rindfleisch, aus dem sie gekocht wurde, desto trockner, der reine Faserstoffb! Die Delicatesse des Sonntagsbratens zu beschreiben, ist meine Feder zu schwach; nur das will ich || erwähnen, daß er stets aus einem Stück „Hasenrippchen“ besteht, das in allen möglichen Regenbogenfarben opalisirt, und an dem selbst ein Schiecksches Microscop kein Fetttröpfchen nachweisen könnte. Das Gemüse dazu besteht aus angesäuertem Kohl (N.B. an dem einige Mediciner immer den spezifischen Geruch der Hippursäure2 erkennen wollen!), der einem namentlich behagt, wenn man vorher 2 Stunden Eingeweidelehre bei Kölliker gehört und selbst secirt hat. Übrigens muß ich doch diesem trefflichen Tische auch seine c wahren Verdienste anerkennen und gebührend würdigen, dazu gehört vor allen, daß er euer verwöhntes Leckermaul in einen „Allesdurchesser“ verwandelt hat, über den ihr euch freuen werdet (nur saure Nieren und Buttermilchsuppe sind noch ausgeschlossen!) und der das Motto „Hunger ist der beste Koch“, bewahrheitet. Zweitens dient er aber auch wesentlich dazu, meine hoffende Freude auf Ostern zu vermehren. Jedesmal, wenn d ein saurer Bissen nur mit Widerstrebene herunter will, denke ich: „habe nur Geduld, lieber Magen, wie trefflich wird dann Mammas Küche zu Ostern schmecken!“ und dann träume ich mich so in diese Schlaraffenzukunft hinein, daß ich mit der Portion, wenn mein Verdauungsapparat sich auch noch so sehr dagegen sträubte, im Umsehn fertig bin. Endlich werden diese Tafelfreuden auch noch durch ein in demselben Saal speisendes Studentenchor, die Rhenania3, erhöht, welche alle unangenehmen Eindrücke durch ein überlautes Schreien, Toben Brüllen, Singen u.s.w. übertäubt, das seines Gleichen sucht. Uns andre Studenten („Kamele“)4 die nebenan am Trompetertische5 sitzen, ignoriren sie völlig, und strafen uns mit f ihrer Geringschätzung, was uns ganz lieb ist.
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|| Übrigens geben sie uns auch viel zu lachen durch ihre barokken und komischen Streiche. U. a. haben sie den gesammten Hühnerhof des Wirths so abgerichtet, daß dieser während des Essens zum Fenster, über das Dach hereinkömmt, und sich selbst sein Theil holt, wobei es köstliche Scenen giebt. – Endlich fühle ich auch wirklich, daß mir diese magere Kost recht gut bekömmt, und daß ich eigentlich gar nicht zu meinem Vortheil verwöhnt bin. Außerdem habe ich auch noch andre kleine Ersparnisse eingeführt (z. B. seit Weihnachten keinen Tropfen Wein getrunken u.s.w.), so daß ich wirklich hoffe, mit den 50 rℓ, die ihr mir Anfang December geschickt habt, ganz gut auszukommen; indeß würde ich zur Reise Ostern doch noch Geld gebraucht haben und dazu kann das g jetzt überschickte dann verwandt werden; habt h also den besten, herzlichsten Dank dafür! N. B. Wenn ich viel davon erspare, so würde ich euch vorschlagen, dies Ersparte zu der Summe zu schlagen, von welcher das große i Schiecksche Microscop6 angeschafft werden soll! Wie wäre das?! Übrigens macht euch vorläufig noch keine Sorgen darüber; ich will erst selbst noch mit Ehrenberg, Weiß7 u.s.w. darüber sprechen, und mir dann selbst ein passendes aussuchen. Bertheau hat auch von seinen Eltern zu Weihnachten Geld zur Anschaffung eines solchen bekommen. Wenn ihr vielleicht ein Kränzchenmitglied8 sehen solltet, so läßt er durch mich anfragen, ob ihm nicht vielleicht Wilde ein Schiecksches Microscop verschaffen könne? Wir lassen übrigens beide herzlich grüßen, namentlich die lieben rheinischen Bergleute9 und Wilde! – Daß mein Microscop völlig unzureichend ist, sehe ich immer mehr ein; vergangene Woche hatte ich es auch mit im Cours und zeigte es Schenk, welcher es ganz unbrauchbar fand und mich j sogar vor vielem Gebrauche ernstlich warnte. || Daß es die Augen angreift, (was wirklich gute, größre Microscope gar nicht thun) ist allerdings wahr. Wenn ich jetzt öfter auch nur wenig damit gearbeitet habe, so habe ich doch fast den ganzen, folgenden Tag ein lebhaftes, unangenehmes Zucken im obern Augenlide verspürt, während mich das Sehen durch das große Schenksche Microscop, trotzdem es 2mal wöchentlich 2 Stunden hintereinander und noch dazu Abends geschieht, gar nichtk angreift. l Mein kleines Ding vergrößert zwar ziemlich gut und stark (obwohl lange nicht für eigne Untersuchungen ausreichend) aber es giebt ein außerordentlich schwarzes und dunkel contourirtes, kein klares und durchsichtiges Bild. – Jedoch von diesem Gegenstande wollen wir lieber mündlich zu Ostern, sprechen und dann das Nähere berathen und um Rath fragen. – Diese Woche habe ich übrigens sehr still verlebt; den Tag über habe ich secirt; den Abend blieb mir kaum so viel Zeit, um das Heft bei Kölliker auszuarbeiten, was mir ebenso viel Freude macht, als Zeit kostet.10 Übrigens hatte ich diese Woche ein sehr poetisches (?) Präparat, nämlich den Rücken eines jungen Postillons, eines außerordentlich schön gebauten und hübschen Kerls, der sich selbst erhängt hatte.11 Da die Muskeln außerordentlich schön waren, so riß sich alles ordentlich darum; das giebt überhaupt famose Scenen, die wirklich mit Auctionen große Ähnlichkeit haben; wenn nämlich publicirt ist, daß eine Leiche da ist, so werden die einzelnen Glieder förmlich verauctionirt, wobei die einen diese, die andern jene Kunstgriffe anwenden, um ein Präparat zu bekommen. Morgen werde ich wieder ein anderes anfangen. || Am 25sten Januar hat es hier zum ersten Male geschneit; es fror auch etwas und war ein paar Tage sehr schönes klares Wetter; jetzt ist es wieder die alte Sudelei: Londoner Nebelatmosphäre; heute war z. B. den ganzen Tag nur beständiger feiner und
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dichter Niederschlag. Ich bin deshalb den ganzen Tag zu Hause geblieben und habe eine Zeichnung für Osterwaldm12 (der schon längst eine wünschte) zu seinem Geburtstag n beendigt, die mich schon 3 Sonntage beschäftigt hat. Ich habe nämlich wieder das Bild von Humboldt13 copirt, aber grade um die Hälfte verkleinert, was eine sehr lehrreiche Übung ist. In Betreff des Löffels für meino kleines Pathchen14 bin ich ganz mit Dir einverstanden, liebe Mutter; laß ihn nur recht schön und schwer machen, und bloß „Ernst“ darauf graviren; aber das Datum „29/2 1853“ geht doch wohl nicht gut, da ja dies Jahr kein Schaltjahr ist! Eher dächte ich: 29/2 1852. Ad vocem15 Geburtstag habe ich noch eine inständige Bitte an euch: nämlich nur nichts zum 16ten Februar her zuschicken. Erstens bin ich so reichlich beschenkt und mit allem versorgt, p namentlich seitdem ich nun auch meinen geliebtesten Berghaus16 besitze, daß ich vorläufig durchaus nichts mehr bedarf (etwa mit Ausnahme des Microscops, das ihr aber ja nicht ohne qmein Beisein anschaffen sollt!) und 2tens habe ich so r schrecklich viel Kisten und Kasten hier herum stehen, daß ich gar nichts weiß, wie ich sie alle wieder nach Berlin schaffen soll. Solltet ihr mir doch noch eine Kleinigkeit, einen Geburtstagskuchen oder so etwas schenken wollen, so wartet lieber, bis ich zu Ostern zu euch komme, wo wir ihn dann meinetwegen noch nachfeiern können; hier bin ich ohnehin gar nicht aufgelegt dazu; und wie nahe rücken schon die ersehnten Ferien! nur noch 5 Wochen; ihr glaubt gar nicht, wie ungeheuer ich mich darauf freue! Das wird eine Freude sein! – || Dir, lieber Vater, noch meinen besondern Dank für Dein Referat über Sydows Unionsvorträge.17 Ich bin im Ganzen ganz mit diesen Ansichten einverstanden; jedoch habe ich mir ein Bild von der Persönlichkeit Christi entworfen, daß doch gewissermaßen noch göttlicher ist, indem ich ihn mirt eher als das Wesen Gottes, in menschliche Hülle eingekleidet, damit er uns dadurch zugänglicher werde, denke. Indeß glaube ich, daß uns dies hier noch ein Räthsel ist, was erst jenseits gelöst wird, und lege auch deßhalb kein Gewicht auf die verschiednen kleinen Unterschiedeu und Differenzen, welche sich bei den wahren Christen hinsichtlich der Ansichten über die Person Christi finden; im Grund haben doch kaum 2 Menschen ganz dieselbe Vorstellung davon; v sie wird sich immer immer nach der Individualität modificiren. – Daß dich Gervinus18 sehr interessiren würde, habe ich gleich gedacht, wie ich davon hörte; hier w wird die Schrift eifrig verfolgt; wie ich gestern las, ist sie aber sogar in Königsberg verboten worden; wie geht das zu?!19 – Gestern früh habe ich einen Brief von Miesekätzchen20 bekommen, welchem auch Adolph Schuberts Brief21 beigelegt war; der mich sehr interessirt hat. Sie schreibt ganz allerliebst, äußerst munter und nett und sprudelt von Frische, Naivität und Munterkeit. Meine geliebten Geschwister scheinen wirklich sehr glücklich zu sein, was mich außerordentlich freut. Da ich vorläufig ihr wohl kaum gleich werde antworten können, so grüßt sie und Karl recht herzlich von mir; ich laßx ihr recht schön für den Brief danken. Tante Bertha geht es hoffentlich besser. Grüßt sie recht herzlich; ebenso Großvater, Theodor22 u.s.w. Nochmals 1000 Dank und Grüße von eurem alten Ernst H. 1 2
Hetzer, Wilhelm; Weber, Victor; Weiß, Ernst. Organische Carbonsäure, deren Name sich von ihrem Vorkommen im Harn von Pferden (griech. hippos) ableitet. Ihr Geruch wird als „Heugeruch“ oder nach Bittermandelöl beschrieben.
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Landsmannschaftliche Studentenverbindung bayerischer Studierender an der Universität Würzburg. Die Studenten aus Bayern bildeten die mit Abstand größte Gruppe der Studierenden in Würzburg. In der Studentensprache Bezeichnung für: Studenten, die keiner Studentenverbindung angehören. Ursprünglich ein Tisch abseits der Festtafel für die Musiker; hier ein kleiner, abseits einer Festtafel stehender Tisch. Vgl. Br. 127, Anm. 11; zu Haeckels erstem Mikroskop vgl. Br. 43, Anm. 1. Weiß, Christian Samuel. Gemeint ist das naturwissenschaftliche Kränzchen, das sich in Ernst Haeckels erstem Semester in Berlin zusammengefunden hatte; vgl. Br. 94, Anm. 3; dazu auch Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 31r–33v. Von den Mitgliedern des Berliner naturwissenschaftlichen Kränzchens bereiteten sich Joseph Karl Heinrich Jacob von Wittgenstein, Ernst Althans und Wilhelm Hauchecorne auf eine Laufbahn als Bergbeamte vor. Die sehr sauber ausgearbeitete Vorlesungsnachschrift umfasst 96 S. und zahlreiche Zeichnungen Haeckels; siehe Abb. 46, S. XX; vgl. Haeckels, Ernst: Allgemeine Pathologie und allgemeine pathologische Anatomie vorgetragen zu Würzburg im Winter 1853/54 von Professor Virchow (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 289). Ein ehemaliger Kutscher und Postillon aus Karleburg, Name nicht ermittelt; zum Vorgang vgl. Würzburger Abendblatt, 13. Jg., Nr. 20, 24.1.1853, S. 77. Osterwald, Wilhelm. Vgl. Br. 127, Anm. 25. Osterwald, Ernst; vgl. Br. 140, S. 258, bes. Anm. 34. Lat.: zu dem Wort [ist zu bemerken]. Vgl. Br. 129, Anm. 3. Vgl. u.a. Br. 138, S. 250. Gervinus, Georg Gottfried: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Leipzig 1853, vgl. Br. 138, Anm. 9. Zum Zensurfall Gervinus in der zeitgenössischen Presse vgl. u.a.: Würzburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 15, 18.1.1853, S. 57; ebd., Nr. 23, 27.1.1853, S. 89; ebd., Nr. 22, 28.1.1853, S. 102; ebd., Nr. 30, 4.4.1853, S. 117; ebd., Nr. 31, 5.2.1853, S. 121; ebd., Nr. 32, 7.2.1853, S. 126. Br. 141. Adolph Schubert an Carl Gottlob Haeckel, Paris, 9.12.1852 (EHA Jena, A 16190). Bleek, Theodor.
144. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 6. Februar 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 6/2 53.
Unsere Antwort hat sich auch diesmal wieder etwas verzögert; gestern wollte ich schreiben; aber Vater wollte Dir noch von der gestrigen Geographischen Gesellschaft erzählen.1 – Gestern kam Osterwald hier an, wir luden ihn ein bei uns zu wohnen, das nahm er auch an, und schläft in Deiner Stube. – || Wie sehr freue ich mich, daß die Zeit heranrückt, wo ich Dich, mein Herzens Junge wieder hier haben werde. – Ich habe auch schon dran gedacht, daß es am vernünftigsten ist, wenn wir Dir nichts zum Geburtstage schicken. Ich wollte an Deinem Geburtstag Deine Freunde zu uns bitten, || und ihn so feiern, wenn ich aber wüßte, daß Deine Freunde noch hier sind, wenn Du kommst, so möchte ich lieber damit warten, und wir
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feiern ihn dann zusammen nachträglich. Aus Ziegenrück haben wir auch vor einigen Tagen Nachricht gehabt, sie2 sind gesund und munter. – || Schreibe mir doch mal, wann Du denkst her zu kommen? Bringe dann nur das nöthigste von Kleidungsstücken mit, und was irgend zu Nähen ist, im ganzen läßt Du Deine Sachen dort. – Wenn Du Platz hast kannst Du wohl einige kleine Kistchen mitbringen, die ich Dir geschickt habe. – || a Donnerstag besuchte uns Steinbach3, der trug mir besonders herzliche Grüsse an Dich auf. Er hofft nach Ruppin4 zu kommen und denkt dann zu heirathen. – Unserer lieben Bertha5 geht es noch immer nicht gut, Sie hat viel Schmerz, ist sehr matt und sehr muthloos. Gebe Gott uns bald bessere Tage. || Soviel ich kann bin ich bei ihr, deshalb gehe ich auch heute nicht mit Vater in Fidelio6. Wenn Du hier bist, will ich mit Dir mal ins Theater gehen; wenn es dann hoffentlich besser ist. – – Daß Du nicht mehr da ißt, wo du Anfangs aßtb, ist mir hauptsächlich unlieb, || weil Du da doch bessere Gesellschaft hattest, und auch den Sonntagstisch hättest Du nicht aufgeben sollen. Es ist wohl gut wenn der Mensch entbehren lernt; aber deshalb brauchst Du Dir nicht etwas zu versagen, die Gaben Gottes sollen wir geniessen, nur mit Vernunft und Maaß; sonst kommt man ja auf allerlei Irrwege. || Nun mein Herzens Junge, muß ich Dir für heute Lebewohl sagen. Gott behüte Dich. Sei heiter und fröhlich, und denke an Deine Dich so innig liebende Mutter. Großvater ist gesund, und freut sich immer, wenn ich ihm von Dir erzähle. – – 1 2 3 4 5 6
Nicht überliefert; vgl. Br. 145, S. 269. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Steinbach, Karl. Neuruppin. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Vgl. Anzeige: „‚Fidelio‘, Oper in zwei Abteilungen von Ludwig van Beethoven, 18. Vorstellung im Berliner Opernhaus am 6. Februar 1853“, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Nr. 31, 6.2.1853.
145. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 8. Februar 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 8/2 1853. | Dienstag: Fastnacht
So eben erhielt ich euren lang erwarteten Brief1 der mich sehr erfreut hat. Namentlich hat es mich sehr überrascht und gefreut, daß Osterwald euch besucht und bei uns logirt hat. Schade, daß ich nicht da war; wie gern hätte ich mit ihm einmal die Merkwürdigkeiten Berlins besucht, da er einen gleich schönen und innigen Sinn für Natur und Kunstschätze hat. Wie hübsch wär das gewesen, wenn er zu Ostern mit mir dagewesen wäre. Was ist denn aber eigentlich der Grund dieses Besuchs? Davon schreibt ihr mir gar nichts? Osterwald hatte zwar schon lange nach Berlin kommen
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wollen, aber jetzt sind ja keine Ferien und er schrieb mir, er hätte sehr wenig Zeit.2 Jetzt ist er wohl schon wieder fort, nicht wahr? – Sodann hat mich besonders das interessirt, was Du, lieber Vater, mir aus der geographischen Gesellschaft erzählst.3 Ich habe Dich schon lange bitten wollen, mir einmal darüber zu referiren. Die interessante Geschichte mit den großen, menschenähnlichen Affen, die die Karthager im Innern Afrikas fanden,4 kannte ich schon. Afrika ist doch ein höchst interessantes und durchaus eigenthümliches Land, dessen Erforschung vielleicht grade wegen der Schwierigkeiten, die sie darbietet, von höchstem Interesse ist. Wer weiß, was es da noch für Merkwürdigkeiten zu entdecken und zu bewundern giebt! Die Eigenthümlichkeit dieses abnormen Erdtheils zeigt sich nicht nur in der ganz besondern Bodenbeschaffenheit, sondern auch in der ganzen höchst eigenthümlichen organischen Welt. || Aus dem Berghaus habe ich auch gesehen, daß Südafrika das gesündeste Klima von der ganzen Erde besitzt.5 Wer weiß, was uns Barth6 und Overweg7 noch für Entdeckungen bringen werden; so weit sind wohl noch keine Reisenden vorgedrungena. Ich begleite sie mit dem höchsten Interesse; sogar die Engländer scheinen dies zu thun. – Hier ist seit 8 Tagen so ein toller Trubel, daß man (d. h. die andern Leute) gar nicht zur Besinnung kommt. Bei uns in Norddeutschland hat man wirklich gar keine Idee, was so eine schöne Faschings- und Fasten-Zeit zu bedeutenb hat. Seit Weihnachten ist hier wenigstens jeden dritten Tag ein Ball gewesen und namentlich in den letzten Wochen waren die meisten meiner Herren Commilitonen buchstäblich fast jeden Tag mit einem Ball oder einer großen Kneiperei beschäftigt, so daß sie in der letzten Zeit ordentlich zu jammern anfingen und meinten: „solche Strapatzen könnten doch auch den stärksten Helden auf den Hund bringen.“ Dienstags war wöchentlich beim Regierungspräsidenten8 große Soirée, Mittwochs im Theater, Donnerstag wieder wo anders, Sonnabends auf der Harmonie u.s.w. u.s.w. Die Krone aller dieser Geschichten sind aber c die sogenannten „Bevölkerungsbälle“, welche unter diesem höchst zweideutigen Namen, den sie leider nur mit zu viel Recht führen, sowohl in den niedrigsten, als in den höchsten Kreisen bekannt sind. Es sind dies Maskenbälle, wel-||che in dem grösten Locale der Stadt statt finden, und deren männliches Personal außer einigen Ladenbengels und Referendarien u.s.w. hauptsächlich vom größten Theil der Studentenschaft (über 400!) gebildet wird, über deren weibliches Personal sich aber nichts weiter sagen läßt, als daß das Nobelste davon Köchinnen, Dienstmädchen u.s.w. sind. Wie toll es hier zugehen muß, konnte ich daraus entnehmen, daß meine sorgsame Wirthin9 mit wahrhaft mütterlicher Ängstlichkeit und Sorglichkeit mich warnte und bat, doch um keinen Preis dahin zu gehen. Mich tangiren natürlich alle diese Geschichten gar nicht, ebensowenigd als alle andre Soireen, Bälle, Saufereien, Mummereien u.s.w., die jetzt an der Tagesordnung sind. Jedoch habe ich mich heute sehr über einen Maskenzug amüsirt, der von einem Studentenchor, der Bavaria10, arrangirt, und wirklich ausgezeichnet gut ausgedacht war. Die Kerle, lauter hübsche, stämmige Burschen, dem Äußern nach in der ganzen Stadt bekannt, sahen in ihren Vermummungen wirklich äußerst possirlich und barrok aus. Den Vortrab bildeten mehrere als Narren e oder Pajazzos11 verkleidete, welche mit ihren Fächern und Narrenkappen tüchtig und zum allgemeinen Jubel das Volk durchpeitschten, welches alle Straßen bis zum Ersticken gedrängt erfüllte, und so dem eigentlichen Zuge Platz machten. Dieser bestand zunächst aus 4 ganz kostbarf angeputzten Musikanten, von denen 2 als Cithermädchen12 || eine höchst anmuthige Rolle spielten, und die eine
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wahrhaft herz- und ohrenzerreißende Katzenmusik aufführten. Diesen folgte ein als Stiefelfuchs13 verkleideter, welcher den Leuten tüchtig mit der Wichsbürste im Gesichte herumfuhr und auf diesen kam der Held des Zuges, Don Quixote, wortgetreu nach Cervantes ausstaffirt und auf einer Rozinante die ihres Gleichen suchte, sitzend, gefolgt von einem ebenso getreug conterfeiten Sancho Pansa, auf einem Esel sitzend, und endlich einer gleichfalls auf so einem Grauschimmel reitenden Dulcinea.14 Dies zarte Frauenzimmer wurde von dem stärksten und vierschrötigsten Burschen des ganze Chors dargestellt, dessen Gesicht Kreuz- und Querhiebe von allen Gattungen aufzuweisen hatte, und dessen 6½ Fuß langer Cadaver bis auf die Erde herabreichte. Sodann folgten mehrere Notabilitäten der Stadt, namentlich der kürzlich wegen der Officiergeschichte abgesetzte Universitätspolizeidirector15, welche ganz köstlich naturgetreu nachgeahmt waren. Sodann folgte der 2 Akt; wie Don Quixote verwundet ist und von 2 Dirnen seines Dorfes nach Hauseh geschafft wird; auch dieser Don Quixote, der in einem Bette, mit einem Lutschbeutel im Munde, von 2 derben, nach der hiesigen komischen Landestracht i der Bauernmädchen angeputzten Burschen, j auf einer Karre gezogen wurde, war ganz vortrefflich. Es folgte nun noch || eine Masse anderer, nicht minder köstlicher und hochkomischer Gruppen, unter denen sich namentlich der Gott des k Bieres, zusammen mit der Bierkönigin und einem besoffenen Trunkenbold auf einem großen Fasse reitend, sehr gut ausnahm. Das Faß wurde von 2 alten Gäulen gezogen, dabei aber fortwährend abgezapft, und dabei das Bier entweder gleich hinuntergestürzt oder den Leuten über die Köpfe gegossen. Zuletzt folgte noch ein Wagen, in dem eine kostbar ausstaffirte, wirklich prächtig ausstaffirte und persiflirte Familie reisender Engländer und Engländerinnen saß; auf dem Bocke der eigentliche Stiefelfuchs der Bavaria, höchst naturgetreu einen Pavian vorstellend, und hintendrauf 1 ganz schwarzer Teufel mit einem langen Schwanz und einer Mistgabel, mit welchen Instrumenten er tüchtig die hinternach folgende Menge tractirte, und so den Zug schloß. Mit welchem Jubel und wahrhaft betäubenden Wonnegeschrei übrigens der ganze Zug von der gesammten Bevölkerung begleitet wurde, ist kaum zu beschreiben. Da sah man einmal recht den lebhaften süddeutschen, schon recht eigentlich an den Süden erinnernden, Volkscharacter. Noch jetzt tönt selbst bis zu meiner stillen Klause ein Toben und Lärmen, der gar nicht endet, und wohl diesel ganze Nacht nicht enden wird. Morgen ist dann aber dafür auch Aschermittwoch. Da gehen, wie mir meine fromme Wirthin erzählt, alle Leute in die Kirche und lassen sich Asche aufs Haupt streuen und von Geistlichen auf alle Weise heruntermachen und malträtiren, um dadurch ihre Frömmigkeit zu beweisen! Das ist überhaupt hier eine schöne Frömmigkeit! Hauptsächlich besteht sie darin, daß jede Viertelstunde fast 5 Minuten lang alle Glocken || geläutet werden, so daß einem oft vor lauter Bimmeln Hören und Sehen vergeht, und man meint, die Leute hätten nichts anderes zu thun, als Glocken zu ziehen. Solche Frömmigkeit ist aber den Pfaffen grade recht und die suchen sie auf alle Weise zu m fördern. So bekomme ich hier jetzt öfter den „Münchner Volksbot“16 in die Hand, das eigentliche Organ der Hierarchie Baierns, in welchem alle Sachen so jesuitisch verdreht und aus Schwarz Weiß und aus Weiß Schwarz gemacht wird, daß ich mich ganz schrecklich ärgere und das Ding oft zerreißen möchte. So stand z. B. letzthin drin, „es wäre für jeden Christen eine wahre Gottesfreude, zu sehen, wie auch das preußische Königshaus sich immer mehr von der ketzerischen zur allein wahren Religion bekehre; dies sehe man schon daraus, daß die ganze Umgebungn des
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Prinzen17 und der Prinzessin von Preußen18 sowie auch der künftige König19 selbst, in Koblenz20 eifrige Zuhörer und warme Bewunderer der Jesuiten seien!!21 Als wenn man diese Teufelsbrut nicht hören könnte, ohne ihre Anhänger und Jünger zu sein!! In dieser Art wird alles verdreht und die Pointe von allem ist immer, daß auf alle Weise o zum Kriege und Hasse gegen die norddeutschen Ketzer (p Protestant und radicaler Rationalist ist ihnen dasselbe!) angefeuert wird. Das Schlimmste dabei ist, daß dieses Schandblatt durch eine eigenthümliche populäreq Handhabung des Tons und der Thatsachen sich sehr weit verbreitetes Ansehn und Anhang verschafft hat. Übrigens sollen die „heiligen patres et fratres Jesu“ nächstens auch hier ihr Wesen treiben wollen; natürlich auch hier mit großem Erfolge! || Schenk, der selbst Katholik ist, dem aber der Unsinn und die Nichtswürdigkeit des katholischen Pfaffenthums höchst zuwider ist, und der so gleichsam nothgedrungen Rationalist ist, (was er gewiß nicht sein würde, wenn er Protestant wäre) hat einen ganz vortrefflichen Ausdruck für ihr Treiben erfunden; wie es überhaupt wahrhaft ergötzlich ist, ihn über das hiesige Pfaffenthum raisonniren zu hören. (So fragt er mich z. B. oft: „Nun Herr Häckel, der Sie aus dem gottlosen, ketzerischen Norddeutschland kommen, haben Sie hier noch nicht die wahre Frömmigkeit gelernt?!“) Als ich nämlich Mittwochr früh bei ihm war, kam eine große Procession mit Fackeln vorbei (Mariä Lichtmeß!), in deren Mitte der Bischof22, oder s was er sonst ist, t ein dicker, feister, wohlgenährter, in Gold und Silber gekleideter, Pfaffe ging, über dem 4 Chorknaben einen großen, sammtenen Baldachin trugen. Als ich von ferne das Bimmeln und Singen hörte, fragte ich, was das wäre, worauf Schenk ganz trocken antwortete: Ach, da kommt wieder einmal der Bonze! (ganz kostbar gewählter und trefflich bezeichnender Ausdruck!) – Ich selbst habe in dieser Woche einmal wieder 2 recht glückliche Pflanzentage gehabt, Mittwoch und Sonntag, wo ich von früh 9 Uhr – Abends 9 Uhr in nichts anderm, als in Pflanzen, gelebt habe. Ich habe nämlich mit Steudner Schenku die Doubletten seines Herbariums (namentlich sehr schöne (monocotyledon) Pflanzen23 v von seiner letzten wallachisch-siebenbürgischen Reise) aussuchen und verpacken helfen, wobei für uns auch mancher gute Brocken mit abgefallen ist. Die Flora w ist hier selbst auch sehr schön; wie soll das aber im Sommer werden, wenn ich nicht laufen kann?! – || Schenk erzählt mir jetzt im Cours auch immer viel von den Montenegrinern, für die er sich sehr interessirt, da er durch ihr Ländchen x gekommen ist. Es ist noch ein recht kräftiges und kerniges Gebirgsvolk, griechischer Religion. Er meint, daß die Geschichte zu einem allgemeinen europäischen Kriege führen könne, und daß die sehr verhaßten, nichtswürdigen Türken dabei gänzlich zu Grunde gehen würden. Übrigens habe ich auch aus Berghaus gesehen, daß die Zahl der türkischen Kolonien in der Türkei und Griechenland äußerst gering ist, und daß sie eigentlich lediglich auf die größeren Militärstationen beschränkt sind.24 Wenn Östreich nur wollte, (meint Schenk) so würde in einem Tage die ganze Wallachei und Moldau25, und in einer Woche die ganze Türkei in seinen Händen sein – vorausgesetzt, daß Rußland (welches die Montenegriner unterstützt) damit einverstanden wäre, und daß Frankreich nicht für die Türken einen Rückhalt böte. Das letztere, was jetzt wirklich geschehen soll, ist übrigens eine höchst interessante Thatsache, die sich in der Geschichte oft wiederholt hat. Man braucht nur an y Franz I von Frankreich zu denken, welcher die Türken gegen Karl V unterstützte. Es war dies immer eine lieblings Idee des alten Wieck, die er oft bis zum Ekel verfolgte und breit trat; ich möchte 1000 gegen 1 wetten, daß er jetzt
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seine geliebten Primaner wieder durch Parallelen rangirt, die er zwischen damals und jetzt zieht, und die er wieder ins Unendliche Grenzenlose ausspult. – Ich freue mich doch zu Zeiten, daß ich nicht mehr das Glück genieße, in Merseburg Gymnasiast zu sein; ein Mann, wie Gandtner, fehlt doch ganz, und Osterwald, der der einzig trefflich brauchbare und passende ist, verhält sich wohl zu passiv. Der alte Wieck passt nicht fürs Gymnasium, am wenigsten als Director. [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10
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Br. 144; Brief von Haeckels Vater nicht überliefert. Vgl. Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Merseburg, 16.2.1853 (EHA Jena, A 23799). Vgl. den Bericht über die Feier zum 125jährigen Gründungsjubiläum der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin am 24.4.1853, bei der Prinz Adalbert von Preußen und Alexander von Humboldt anwesend waren, in: Erste Beilage zur Königl. Privilegirten Berlinischen Zeitung, Nr. 95, 26.4.1853, S. 5 f. Zur Begegnung des karthagischen Seefahrers Hanno mit afrikanischen Primaten vgl. Bayer, Karl: Periplus Hannonis. In: Gaius Plinius Secundus d.Ä. Naturkunde (Historia naturalis), lateinisch-deutsch. V. Buch. Zürich; München 1993, S. 346–353. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas. Bd. 2, 7te Abtheilung: Anthropologie, No. 2, Planiglob (wie Br. 134, Anm. 24), darin eine Karte: „Südafrika’s Klima eins der gesündesten auf der Erdfläche“; vgl. dazu auch Br. 129, Anm. 3. Barth, Heinrich. Overweg, Adolf. Zu Rhein, Friedrich Freiherr von. Müller, Katharina. Das Corps Bavaria, gegründet 1815, eine der bedeutendsten landsmannschaftlichen Studentenverbindungen an der Universität Würzburg; vgl. Studentenschaft und Korporationswesen an der Universität Würzburg. 1582–1982. Hrsg. zur 400 Jahrfeier der Alma Julia Maximiliana vom Institut für Hochschulkunde an der Universität Würzburg, red. von Rolf Joachim Baum [et. al.]. Würzburg 1982, S. 222–229. Bajazzo, ital.: Clownsfigur. Zithermädchen, Figur aus Theodor Storms „Immensee” (Berlin 1852). Lohnbediente in Universitätsstädten, die für die Studenten die Reinigung der Schuhe und andere Dienstleistungen besorgten. Don Quijote, Rosinante, Sancho Panza, Dulcinea: Figuren aus Cervantes’ Roman „Don Quijote” (El ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, 1605/1615). Branca, Wilhelm von. Der Volksbote für den Bürger und Landmann. München 1848–1872. Das Blatt bediente sich einer volkstümlichen Sprache mit bayerischer Mundartfärbung. Wilhelm Friedrich Ludwig, Prinz von Preußen. Augusta, Prinzessin von Preußen, geb. Prinzessin von Sachsen-Weimar-Eisenach. Gemeint ist hier vermutlich der Sohn der beiden vorigen, Friedrich Wilhelm Nikolaus von Preußen, der sich zu diesem Zeitpunkt mit seinen Eltern ebenfalls in Koblenz aufhielt, wo er studierte und eine auf seine künftige Thronfolgerrolle bezogene Ausbildung erhielt. Der Prinz Wilhelm Friedrich Ludwig von Preußen residierte von 1850 bis 1858 in Koblenz. Nicht korrekte Wiedergabe von Pressemeldungen in: Der Volksbote für den Bürger und Landmann, Nr. 21, 26.1.1853, S. 86 und Nr. 27, 2.2.1853, S. 110. In den betreffenden Zeitungsnotizen war lediglich berichtet worden, dass der preußische König versichert habe, den Beschwerden der katholischen Kirche in Preußen vollständig nachgehen sowie beim zuständigen Ministerium einen besonderen Beauftragten für die Angelegenheiten der katholischen Kirche einsetzen zu wollen, und dass Mitglieder des Hofstaats des Prinzen und der Prinzessin von Preußen in Koblenz in den Missionspredigten der Jesuiten gewesen seien. Stahl, Georg Anton von. Pflanzengruppe, deren Samen nur ein Keimblatt enthalten. Berghaus, Heinrich: Physikalischer Atlas. Bd. 2, 8te Abtheilung: Ethnographie, No. 19: Ethno-
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graphische Karte des Osmanischen Reichs europäischen Theils, und von Griechenland. Gotha 1852; dort sind einige wenige „Türkische Colonien“ rot markiert; vgl. auch Br. 129, Anm. 3. Walachei und Moldau, ehemals selbständige Fürstentümer, 1859 vereinigt, heute zu Rumänien gehörig.
146. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 11. Februar 1853, mit nachschrift von Hermine Haeckel
Lieber Bruder.
Ziegenrück | 11 Februar 53.
Bei dem schneckenartigen Postenlauf zwischen hier und Würzburg muß ich mich schon heut dran machen, Dir zum 16t zu schreiben.1 Erhältst Du den Brief früher, so mag er eine kleine Vorfreude für dich sein. Vor allem, liebster Bruder wünsche ich Dir einen frischen Muth, mit dem Du Deiner Zukunft entgegengehen magst. Es ist in der That bei Dir, der Du Dich wahrlich nicht beklagen kannst, von der Natur verwahrlost zu sein, ein krankhafter Zug Deines Geistes, Dir stets Gespenster vorzumachen, über das, was in Zukunft aus Dir werden soll. Verbittre Dir doch nicht dadurch die Gegenwart, die Du grad ganz besonders benutzen mußt, um eben etwas Tüchtiges dereinst zu leisten. Glaube ferner nicht, daß Du der Einzige [bist], den die Maße des Stoffes, der in jeder Wissenschaft zu überwältigen ist, oft in || Schrecken a setzt. Je länger man in seinem Fach arbeitet, desto mehr lernt man einsehen, daß es im richtigen Leben uns immer nur annährungsweise gelingt, die von uns gesteckten Ziele zu erreichen. Es tritt daherb bei einem Jeden mit der Zeit c eine Art Resignation in dieser Beziehung ein, die, wenn sie uns auch nicht abhalten darf, nach dem Höchsten zu streben und nie aufzuhören, das Ziel vor Augen zu haben, wenn es auch nicht erreicht wird, – doch uns die nöthige Ruhe und Zufriedenheit in unsrer Thätigkeit giebt und jene hindernde Angst von uns hinweg nimmt, die uns sonst wegen der Unvollkommenheit unsres Thuns quälte. Also mehr Muth und mehr Selbstvertrauen, lieber Bruder, möge Dir Gott im neuen Jahre Deines Lebens schenken, dann wirst Du auch zu einer mehr nüchternen und verständigen Betrachtung Deiner selbst gelangen. Du hast dich bisher || in deinen Leistungen gewöhnlich unterschätzt, – das wirst Du selbst zugestehen, damit wird es dann anders werden. Weiter möchte ich Dir auch dringend ans Herz legen, es Dir wohl zu überlegen, ob es gut ist, wenn Du jetzt von Würzburg fortgehst. Meiner Ansicht nach solltest Du dort noch die Kollegien, die recht gut sind, und die Du doch hören willst, forthören. Schleiden läuft Dir ja nicht fort. Ein So häufiger Wechsel der Universität ist nicht gut; man profitirt dann weniger von dem angeknüpften belehrenden Umgang der Dozenten. Solltest Du nicht durch eine fortgesetzte längere Bekanntschaft mit Prof. Schenk vield profitiren können? – Ueberlege Dir das mal. – Ich kenne natürlich nicht all die Umstände genau die Dich zum Bleiben oder Gehen bestimmen, f || will deshalb auch keinen bestimmten Rath ertheilen, möchte Dir aber doch dringend empfehlen, den Schritt ohne Uebereilung zu thun. Hoffentlich hören wir nach dem 16t wieder was von Dir. Den letzten Brief, von Mimmi allein, hast du doch erhalten.2 Wirst Du denn wenn Du auch nach Jena gehst,
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uns auf der Ferienreise nach Berlin zuerst besuchen? Mimmi u. ich streiten uns darüber. Ich behaupte: er kommt erst her. Wenn es auch jetzt mit der Jahreszeit noch nichts ist zum Botanisiren, so sieht er doch, wie wir hier leben, und kann dann davon recht nett in Berlin erzählen. Mimmi meint, Du hieltest das nicht aus und müßtest gleich direkt zur Mamma. Unkosten würde der Umweg über hier nicht viel machen Du fährst mit der Bahn bis Hof, dann per Post bis Gefell und Schleizg und so weiter hieher. Wenn Du etwa so reisest, daß du den 13t Märzh Abends in Gefell bist, so kannst Du recht || bequem am 14t früh mit Herrn Kreis Gerichts Rath Voigt,3 dem dortigen Richter, der dann zu Sitzung herfährt, mitfahren. Ueberlege Dir das einmal. Sonst nimmst Du Dir von Schleiz aus Geschirr. Schreib mir darüber im nächsten Briefe. Von Berlin aus hörst du gewiß zum 16t. Der alte Junge4 ist recht munter und schreibt mir sehr nette Briefe über Gervinus Buch,5 daß ja im Baierlande verboten ist! – Ich lese es jetzt mit vielem Interesse. Ade lieber Junge, sei zum 16t recht vergnügt und denke auch an Ziegenrück. Dein treuer Bruder Karl. [Nachschrift von Hermine Haeckel] Lieber Ernst! Als unterwürfige Ehefrau schreibe ich hinter meinem Herrn u. Gebieter den allerherzlichsten Glückwunsch für Dich mein lieber Schwager. Möge Dir das neue Lebensjahr i Alles das bringen was Dir noch fehlt und dadurch all Deinen Kummer || und Deine Skrupel genommen werden. Schneide nur immer tüchtig zu, da kannst Du künftig Deiner Kaffernfrau6 das Tranchiren abnehmen, das allein müßte Dich schon so anspornen, daß Du es mit Freuden betreiben wirst. Nicht wahr, und dann kannst Du auch Deiner Schwägerin den Sonntagsbraten tranchiren, wenn Du uns im März besuchst, auf welche Zeit wir uns sehr freuen. Derj Winter mit Schnee ist noch jetzt bei uns eingekehrt, hat die Wege so glatt gemacht, daß ich k wirklich bergab gefallen bin. Aus Berlin hören wir leider von Tante Bertha immer nur schlechte Nachrichten, die arme Seele muß viel leiden. Aus Posen auch Schlechtes, Mutter7 hat in Folge der angestrengten Pflege 6 Tage krank gelegen. Helene hat nämlich eine schlimme Brust nach der Andern bekommen, die Beide durchgegangen sind, so daß eine Amme hat angenommen werden müssen.8 Seitdem habe ich noch keine Nachricht wieder. Wir sind hier ganz wohl, munter, und sehr glücklich und vergnügt, freuen uns aber ungemein Jemand Verwandten wiederzusehen. Ade, in alter Liebe Deine Hermine. 1 2 3 4 5 6 7
Ernst Haeckels Geburtstag am 16. Februar. Br. 141. Voigt, Ferdinand. Haeckel, Carl Gottlob. Vgl. u.a. Br. 138, Anm. 9 und Br. 143, Anm. 18 und 19. Vgl. Br. 141, S. 261. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling.
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Helene Jacobi, geb. Sethe, litt nach der Geburt ihrer Tochter an einer schweren Wochenbetterkrankung, vermutlich einer Mastitis.
147. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. Februar 1853
Berlin 13/2 53. Gottes Auge sei mit meinem geliebten Kinde! So mein lieber Herzens Ernst habe ich jeden Geburtstag von Dir begrüßt, und auch in der Ferne weiß ich Dir nichts besseres zu wünschen als, daß unser himmlischer Vater Dich in seinen besonderen Schutz nehmen möge. Und das wird er gewiß, wenn wir nur immer kindlich ihm vertrauen; und die Gewißheit festhalten, daß es zu unserem wahren Heile ist, wie er uns || führt, und so mein lieber Ernst, mußt Du es auch betrachten, wenn es mit deinem Knie noch immer nicht so gut ist wie Du und ich es wünschen; aber so niedergeschlagen mußt Du nicht sein. Gott gebe Dir im neuen Lebensjahr auch frischen Muth und Freudigkeit; kümmere Dich auch nicht immer so sehr mit der Frage: was wird aus mir werden? || Das kann sich jetzt schon unmöglich zeigen, Du mußt die Lebensverhältnisse noch aus eigener Anschauung genauer kennen lernen, ehe Du über [eine] solche wichtige Sache eine entschiedende Entscheidung faßt. Kultiviere nur die Geistesanlagen, die Dir Gott gegeben, benutze die Gelegenheit zu Deiner Entwickelung, die Dir geboten wird durch Menschen und durch die Lebensverhältnisse, || wie Du lebst; suche geniesse auch dankbar das Schöne, was Gott Dir gegeben hat. – Eben aus der Kirche gekommen, beeile ich mich rasch einzupacken, damit Du an Deinem Geburtstage unsere Briefe bekommst, und etwas zu schmausen. – Zum Geburtstagsgeschenk werde ich Dir 10 Thaler in Deine Kasse zum Mikroskop legen. 148. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 13/2 53.
Die kleine bescheidene Arbeit1, die Dich bei Deinen botanischen Freuden und Leiden begleiten a, und auch an die erinnern soll, die mit Herz und Geist in Allem, was Dich äußerlich und innerlich bewegt, den lebendigsten vollsten Theil nimmt, möge Dir mein Herzenswunsch zu Deinem Festtage sein. Gott sei mit Dir, und gebe Dir in Dir Freude und Festigkeit. Alles Andre mündlich, nun ja bald! – Ich kann nicht mehr, ich schreibe diese Zeilen sitzend auf dem Stuhl, es sind dies die ersten die ich so schreibe, ich sage Dir || das, da ich denke, das ist Dir auch ein Geburtstagsgeschenk, nicht wahr, meine Seele ist tief bewegt, und doch ruhig, Gott möge Alles lenken. Deine alte Tante Bertha. 1
Neue Riemen an der Botanisiertrommel, vgl. Br. 157, S. 304.
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149. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 17. Februar 1853
Innigst geliebte Eltern!
Würzburg den 17ten Februar 1853
Habt vor allen den herzlichsten, besten Dank für eure Liebe, die mir stets eine Stütze und Ermunterung auf meinem Lebenswege ist, und mit der ihr mich gestern wieder so erfreut habt. Die Beweise Deiner mütterlichen Fürsorge, liebste Mama, überraschten mich um so mehr, als ich durchaus nichts erwartet hatte, und ordentlich erschrak, wie das Paket ankam. Ich erhielt es grade gestern früh, als ich zwischen 2 Kollegien nach Hause eilte, in der festen Erwartung, Briefe von euch zu finden.1 Die Ausstattung meiner Speisekammer kommt mir trefflich zu Statten, indem sie jetzt grade sehr auf den Hund gekommen war, und nur noch aus einem Stückchen Weihnachtswurst von 3“ Länge bestand. Das schöne Pflaumenmus, sowie auch das letzte Stückchen Pfefferkuchen von Weihnachten, war erst vorvor gestern alle geworden, nachdem es mir die trefflichsten Dienste geleistet hatte. Soll ich Dir denn, liebe Mutter, das große Einmachglas wieder mitbringen, oder soll ich es meiner Wirthin2 lassen? – Die größte Freude hat mir aber die Nachricht gemacht, daß es Tante Bertha so gut geht; das ist ja prächtig. Wenn sie nur so in der Besserung fort fährt! Das gebe Gott! – Meinen Geburtstag habe ich übrigens so still für mich verlebt wie alle andern Tage; es wußte es auch keiner meiner Bekannten; sonst hätte ich wahrscheinlich kneipen müssen. – Meine gute Wirthin, die sich gestern vergeblich den Kopf zerbrach, a als sie die Anstalten sah, die ich traf, || (ich hatte nämlich meine Stube sehr hübsch aufgeräumt, meinen guten Rock, den ich sonst nur Sonntags trage, angezogen, auch einmal den grauen Hut aufgesetzt u.s.w.) errieth es erst heute früh, daß mein Geburtstag gewesen wäre, als ich ihr die schönen Geschenke zeigte, die ich erhalten hatte. Sie war ordentlich ungehalten, daß ich es ihr nicht gesagt hatte und sagte, sie müßte b ihn nun noch nachfeiern; hätte sie das gewußt, dann hätte sie „Krumpiern in dr Schole“ (Grundbirnen, Kartoffeln) gekocht, was sie als mein Lieblingsgericht kennt. Es ist überhaupt eine seelensgute Frau, die wahrhaft mütterlich für mich sorgt. Wenn ich weggehe, denke ich ihr die Schürze zu geben, die ich noch von den 3 zu Weihnachten geschickten übrig habe. Das Quartier werde ich wohl auch kündigen, da ich, auch wenn ich wieder her komme, doch den ganzen April wegbleibe. Auch ist es mir etwas gar zu dunkel, und scheint meinen Augen nicht gut zu thun. Sonst bin ich allerdings vollkommen zufrieden. Die Sachen will ich alle so einpacken, daß sie mir ohne weiteres nachgeschickt werden können. Sie können ganz gut hier bei meiner Wirthin stehen bleiben. Das Abiturientenzeugniß hatte ich mir schon vorige Woche hier copiren lassen, wegen meiner Militärgeschichte3. Nun bin ich aber noch ungewiß, wie ich reise; ob ich erst die lieben Ziegenrücker besuche, oder gleich zu euch komme. Denn wenn ich den Sommer in Berlin bliebe, was mir allerdings nicht wahrscheinlich ist, dann würde ich sie ja gar nicht vor dem Herbste zu sehen bekommen. Ebenso ist es mit den Merseburgern. Mein lieber Bruder, dessen Geburtstagsbrief, so wie der von seiner lieben || Ehehälfte,4 mich schon vorgestern überraschte, räth mir ja, schon auf dem Hinwegc sie zu besuchen. Jedenfalls werde ich die 2te Hälfte der Charwoche
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dann bei euch sein. Zunächst wird es sich darum handeln, wann die Kollegien aufhören. Der Brief aus Ziegenrück hat mir viel Freude gemacht; ihr glaubt gar nicht, wie es mich freut, daß ich meinen Bruder so glücklich weiß; es ist mir, als sei mir das Glück selbst beschert. Von Finsterbusch erhielt ich heut früh einen sehr herzlichen Brief,5 ebenso heut Nachmittag von Weber6, Weiß7 und Hetzer8. Weiß schreibt mir nur ganz d kurz; er ist sehr betrübt über den Tod seines Onkels. Was Du mir über Leben und Character des letztern schreibst, lieber Vater, ist vollkommen richtig.9 Ich finde alle diese Seiten im kleinen in seinem Neffen, meinem Freunde, wieder. Auch bei ihm liegt unter einer starren, und oft abstoßenden Hülle, ein sehr gutes und liebes Herz, und ein ebenso streng sittlicher Character verborgen. Es ist dies wirklich, als wäre es in der Familie so erblich. Weber hofft noch immer, im Sommer mit mir nach Jena zu gehen; jedoch muß ich gestehen, daß ich für Herrn Schleiden, obwohl er ein tüchtiges Genie und ganz eigenthümlich ist, doch nicht so blind begeistert mehr bin, wie früher; er ist doch schrecklich einseitig, absprechend, und vor allen sehr negativ. Dagegen hätte ich unter Umständen nicht übel Lust, doch noch den Sommer hier todt zuschlagen, und den classischen, microscopischen Cursus bei Koelliker10 durchzumachen, namentlich wenn e ich Assistent bei Schenk würde, was sehr leicht möglich ist, und was er mir nächstens wohl anbieten wird. Jedoch werde ich dies wegen meines Fußes11 nicht annehmen können. || Mein Pathengeschenk für den kleinen Ernst Osterwald schickt doch ja so ab, daß es den (22 oder) 23sten, wo f Osterwalds12 Geburtstag ist, ankömmt. Ich werde ihm dazu von hier aus schreiben und ihm dazu eine um die Hälfte verkleinerte Kopie von Humboldt,13 sowie noch 2 andre Zeichnungen, Kopieen der beiden Schweizerlandschaften,14 schicken. Hier fällt nicht viel neues vor, außer daß täglich im Durchschnitt ½ Dutzend Duelle vorkommen, die jedoch meistens ziemlich unblutig enden. Meistens gehen diese Pauckereien von den verschiedenen Korps aus; das schlimmste dabei ist, daß sie viel schöne Zeit und Geld kosten, und nichts, als zerfetzte Gesichter einbringen. Vorige Woche haben auch 2 meiner Bekannten,15 sehr nette Leute, kurz nach einander ein Duell mit einem und demselben unverschämten Judenjungen aus Frankfurt a/M,16 einem ekelhaften, frechen Menschen gehabt, und ihm dabei sein Judengesicht tüchtig verhauen, ohne selbst etwas abzukriegen. Der Jude hat übrigens schon wieder contrahirt17. Zum großen Theile mag dieser edle Paukereieifer auch pure Opposition gegen die ungeheure, wahrhaft schauderhafte Frömmigkeit sein, die sich hier jetzt überall breit macht, und alle Straßen erfüllt. Seit vorigem Sonntag predigt hier nämlich eine Mission „der heiligen Väter“, bestehend aus 6 Mann e societate Jesu18, worunter sich auch der künftige General der Jesuiten, ein höchst beredter, schlauer und kenntnißreicher Fuchs, der in 7 Sprachen predigt, befindet.19 || Der Zudrang ist so ungeheuer zu diesen Jesuitenpredigten, daß die beiden größten von den unzähligen Kirchen der Stadt, in denen sie predigen, den ganzen Tag buchstäblich nicht leer werden, g während die andern Kirchen ganz verwaist sind. Schon stundenlang vorher, ehe die Predigt angeht, ist der ungeheure Dom20 so gefüllt, daß die Leute bis auf die Straße hinaus stehen. Vom Lande werden die einzelnen Gemeinden förmlich durch bischöfliche Sendschreiben21 hereincommandirt und müßen nolens volens wenigstens 3 Predigten [hören]. Da ist dann das ganze Nest so überfüllt, daß ein ewiges Gesumme und Gebrumme der zahllosen Menschen, die meilenweit hergekommen, die Straßen den ganzen Tag erfüllt und belebt. Das beste sind dabei die wirklich
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äußerst eigenthümlichen und barocken Volkstrachten aus den verschiednen Kreisen und Districten, die man so zu sehen bekommt. Namentlich zeichnen sich die Bauernweiber, deren Tracht an die der Altenburgerinnen22 erinnert, durch eine fabelhafte Geschmacklosigkeit und grelle Buntheit des Putzes aus, mit dem sie überladen sind und paradiren; Namentlich Roth und Gelb ist überall in den schauerlichsten Combinationen. Die Jesuiten predigen täglich wenigstens 6mal, und viele Leute kommen den ganzen Tag nicht aus der Kirche. Auch halten sie besondre Standespredigten, z. B. für Kinder, Gymnasiasten, Handwerker, Eheleute; nächstens wird auch eine für die Studenten kommen, auf die ich sehr gespannt bin. Ich habe gleich am Sonntag Abend die dritte gehört, die sie hielten. Der Prediger23 war ein junger hübscher Mann, der mit viel Beredsamkeit, Feuer und Ausdruck sprach; namentlich interessirte mich sehr die eigenthümliche Logik, welche das Gerüste der ganzen Predigt ausmachte. || Zuerst erklärte er als „Gut“ das, was seinem Zweck entspreche. Der Mensch sei von Gott bestimmt, gut zu sein, und darauf wolle die Mission hinarbeiten, den Menschen zu dieser seiner Bestimmung hinzuführen. Dann kam er auf Gott zu sprechen, suchte dessen Existenz und Wesen nachzuweisen, und stellte seine Gnade und Güte mit unsrer Sünde in Gegensatz, wobei er zuletzt ganz in Feuer kam, und zur Buße in den heftigsten Ausdrücken ermahnte. Obgleich ein gründliches und geistreiches Studium der Philosophie und namentlich der Logik in der ganzen Durchführung nicht zu verkennen war, so fehlten doch auch zahlreiche Sprünge und Trugschlüsse nicht. Im Ganzen konnte ich gegen die Predigt auch nicht das Geringste sagen; obwohl ich sehr aufpaßte, und mir alle Mühe gab, etwas Anstößiges zu finden. Dafür war es aber auch eine der ersten, in denen sie die schlaue Politik verfolgen, erst ganz allgemeine, allen plausible Sachen vorzutragen, und erst allmählich immer weiter und specieller in ihre Lehre eingehen. So habe ich schon jetzt gehört, daß sie wirklich arges Zeug vorbringen sollen. So eifern sie h gegen die Naturforschung (und alle andre Aufklärung natürlich auch) und sollen namentlich mit dem höllischen Feuer immer bei der Hand [sein]. So soll gestern einer ihrer die Hölle als einen 8eckigen Pfuhl dargestellt haben, wo aus allen Ecken und Enden höllischei Qual und Spuk hervorkämen, und dies ganz genau ausgemalt haben. Dann hat er auf einmal geschrien, er wüßte es wohl, es wären 2 unter seinen Zuhörern und Zuhörerinnen, welche zu den ärgsten Teufeln gehörten. Da ist denn allgemeines Schluchzen und Seufzen unter den zahllosen Weibspersonen ausgebrochen, weil jede geglaubt hat, sie sei es. – || Am meisten Vorteil verspricht sich von der ganzen Geschichte die psychiatrische Klinik, und da die heiligen Väter 14 Tage so fort wirken werden, und es je länger, je ärger machen, so ist allerdings alle Aussicht vorhanden, daß sich die Irrenabtheilung des Hospitals24 ansehnlich bereichern wird. – Die Predigt, die ich hörte, war übrigens für die plebs25, welche doch die Hauptmasse bildete (obgleich alle Stände äußerst zahlreich vertreten sind) viel zu hoch, in viel zu philosophischer Weise und Ausdruck abgefaßt, enthielt schon viel zu viel unverständliche Fremdwörter, als daß sie nur halb hätte verstanden werden können. Grade hierin liegt aber auch zum Theil der Effect, indem der Pöbel die erhabne Sprache, die er nicht versteht bewundert, sich durch rhetorische Kunstgriffe und vor allem durch die äußerst lebhafte, fast theatralische Aktion hinreißen läßt. Nächsten Sonntag werden hier überall Missionskreuze26 errichtet werden, worauf ich auch sehr neugierig bin. Mit dem Hauptthema jener Predigt, worin er die Existenz Gottes mathematisch
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zu beweisen suchte, war ich übrigens eigentlich nicht einverstanden, indem ich hier ganz dieselbe Überzeugung habe, die Du, lieber Vater mir auch schön aussprichst, daß sich dies eben nicht mit unserm beschränkten menschlichen Verstande begreifen läßt, sondern daß dazu unbedingt der Glaube gehört. In dieser Beziehung hörte ich auch am Sonntag eine sehr schöne Predigt von dem protestantischen Kirchenrathe27; der Text war: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden u.s.w.“28 So habe ich mir denn auch an meinem Geburtstag recht fest vorgenommen, j immer mehr den neuen Menschen anzuziehen und im Glauben zu wachsen und zuzunehmen. || Die äußere Feier meines Geburtstags habe ich diesmal für mich allein in aller Stille abgemacht. Sie bestand allein darin, daß ich zu Mittag mich einmal ordentlich und gut satt aß, und dazu einen Schoppen Wein (den ersten in diesem Jahre, und wahrscheinlich auch den letzten, wenigstens hier) trank. Nachmittags machte ich mit Schenk und mit Steudner bei dem herrlichsten, klarsten Wetter eine Excursion, oder vielmehr einen Spaziergang da die Phanerogamen29 noch gar nicht blühten, und nur hie und da eine zarte Moosblüthe unter dem Schnee hervorguckte. Als wir an dem eigentlichen Ziele, dem ¾ Stunden entfernten Guttenberger Wald30 (hier dem nächsten!) angelangt waren, mußte ich jedoch wieder k allein umkehren, da es mir zu weit wurde, und mich namentlich das Bergsteigen etwas anstrengte. Übrigens ist mir der Spaziergang, wie überhaupt nach dem vielen Stubensitzen, so auch meinem Knie ganz gut bekommen. Abends schwelgte ich einmal wieder in Poesie und Berghaus31, und habe mir wieder einmal eins meiner Lieblingsgedichte: „Herrmann und Dorothea“32 gelesen. Dann schrieb ich noch spät an Tante Bertha33 und habe dann Gott noch recht innig gedankt, daß er mich mitl so lieben guten Eltern, Verwandten und Freunden beschenkt hat. Wie sehr ich mich auf Ostern freue, brauche ich euch nicht erst zu versichern; ich fange nun schon an, die Tage zu zählen. Gebe Gott uns ein recht liebes und frohes Wiedersehn. Nochmals den innigsten Dank, und herzliche Grüße an Tante Bertha, Großvater, Weißens34, Theodor35, meine Freunde u.s.w. Es umarmt euch mit der innigsten Liebe euer alter Ernst H. 1 2 3
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Br. 147 und 148. Müller, Katharina. Original des Abiturzeugnisses nicht überliefert, Abschrift vgl. Br. 134, Anm. 3, Druck in: Schmidt, Heinrich: Ernst Haeckel. Leben und Werke. Berlin 1926, S. 78. – Ernst Haeckel musste sich nach dem preußischen Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht nach Erreichen des 20. Lebensjahres einer Militärtauglichkeitsuntersuchung stellen. Als Akademiker hatte er das Privileg, seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger abzuleisten. Aufgrund der rheumatischen Kniegelenkserkrankung, an der er seit Januar 1852 litt, war es jedoch wahrscheinlich, dass er aus gesundheitlichen Gründen als nicht diensttauglich befunden und vom Militärdienst freigestellt werden würde. Hierzu musste er ein entsprechendes ärztliches Attest beibringen, das er sich von dem mit der Familie Haeckel bekannten Merseburger Regimentsarzt Erich Schwarz ausstellen lassen wollte; vgl. auch Br. 26, Anm. 3. Br. 146. Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 13.2.1853 (EHA Jena, A 2313). Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 13.2.1853 (EHA Jena, A 16242). Weiß, Ernst. – Der erwähnte Brief ist nicht überliefert. Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle 14.2.1853 (EHA Jena, A 21558). Weiß, Christian; vgl. Br. 132, S. 231. Kölliker gab einen „mikroskopischen Kursus in der normalen Geweblehre gemeinschaftlich mit Dr. Leyding, wöchentlich 2 mal, je 2 Stunden“. In: Verzeichniss der Vorlesungen welche an der
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Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853/1854 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 6. Haeckels rheumatische Kniegelenkserkrankung vom Januar 1852; vgl. dazu auch Hecht, Gerhard: E. Haeckel in Merseburg (EHA Jena, Sign. XXXVIII 99, Typoskript, vor 1984), S. 4; vgl. Br. 74, Anm. 3. Osterwald, Wilhelm. Vgl. Br. 61, S. 76; vgl. Br. 127 Anm. 25. Vgl. dazu auch Br. 88, S. 125, bes. Anm. 11. Hein, Reinhold; zur Duellgeschichte Heins vgl. Br. 217, S. 473, bes. Anm. 4; der andere Bekannte nicht identifiziert. Nicht identifiziert, auch erwähnt in Br. 217, S. 473, bes. Anm. 4. In der Studentensprache für: jemanden zum Duell fordern. Lat.: Aus der Gesellschaft Jesu, d. h. den Jesuiten. Die sechsköpfige Abordnung der Missionsprediger der Gesellschaft Jesu bestand aus den Patres Roder, Zeil und Pottgeißer, die im Dom, und den Patres Haßlacher, Anderledy und Fruzzini, die in der Stiftskirche im Würzburger Stadtteil Haug predigten. Eine Sammlung von Missionsvorträgen erschien 1852; vgl. Missions-Vorträge der hochwürdigen Väter Roder, Schlosser und Werdenberg. Mit Sorgfalt gesammelt und aufgezeichnet von einem Freunde der Mission. Stuttgart 1852. Anderledy, Anton Maria, einer der sechs Jesuitenpatres, die im Februar 1853 in Würzburg missionierten, wurde 1887 tatsächlich General der Gesellschaft Jesu. Ob Haeckel mit der Bemerkung im vorliegenden Brief ihn gemeint hat, muss allerdings offen bleiben. Nach Haeckels Tod entstand eine Kontroverse, in der Heinrich Schmidt, dem Herausgeber von Haeckels Jugendbriefen, vorgeworfen wurde, den Text dieser Briefstelle gefälscht zu haben. Vgl. Wasmann, Erich: Zu Ernst Haeckels Jugendbriefen und ihrer Echtheit. In: Stimmen der Zeit. Jg. 52, Heft 3, Freiburg i. Br. 1922, S. 237; Schmidt, Heinrich: Haeckel-Legenden. II. Ernst Haeckels Jugendbriefe und die Jesuiten. In: Monistische Monatshefte. Jg. 7, Heft 12 (1.12.1922), S. 368–372; siehe dazu jedoch Abb. 30). Der St. Kiliansdom zu Würzburg, die Bischofskirche des Bistums Würzburg. Vgl. Circulare an den ehrwürdigen Curatclerus der Dekanate Würzburg usw., Abhaltung der Mission betr. Würzburg, 8.2.1853, und Programm über die Abhaltung der 14tägigen Mission in Würzburg, Würzburg, 11.2.1853, in: Archiv und Bibliothek des Bistums Würzburg, Mandate und amtliche Rundschreiben, D III/171 und D III/171a. – Zu den die Missionskampagne der Gesellschaft Jesu 1853 betreffenden bischöflichen Fastensendbriefen und Hirtenschreiben im Februar 1853 vgl. Duhr, Bernhard (Hrsg.): Aktenstücke zur Geschichte der Jesuiten-Missionen in Deutschland 1848–1872. Freiburg 1903, S. 186–190; Berichte über die 1853er Kampagne in Würzburg in: ebd., S. 196–198. Die Altenburger Bauerntracht war wegen ihrer Farbenpracht und reichen Gestaltung berühmt. Vermutlich Ernst Friedrich Wilhelm Fabri. Im Juliusspital war 1833 eine Psychiatrische Klinik eingerichtet worden. Lat.: das Volk, hier in pejorativem Sinn gemeint. Missionskreuze wurden zur Erinnerung an frühere Volksmissionen errichtet. Fabri, Ernst Friedrich Wilhelm. 2. Korinther 5, 17: „Darum, ist jemand in Christo, so ist er eine neue Creatur; das Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden.“ (EHA Jena, Haeckels persönliche Bibel, Das Neue Testament. Hannover 1838, S. 217). Phanerogamen, ältere Bezeichnung für Samenpflanzen (Spermatophyta). Ein im Südwesten Würzburgs gelegenes großes Waldgebiet. Vgl. Br. 129, S. 222 f. In Haeckels Bibliotheksverzeichnis ist folgende Ausgabe nachweisbar: Goethe, Johann Wolfgang von: Herrmann und Dorothea. Neue Ausgabe mit vier Kupfern nach Kolbe von Esslinger. Braunschweig 1829; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 127 (=222). Nicht überliefert. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Bleek, Theodor.
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150. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 16. – 21. Februar 1853
Mein lieber Herzens Junge!
Berlin 16/2 53.
Soviel habe ich heute schon an Dich gedacht, daß ich wenigstens einen Brief anfangen muß, wenn auch nicht viel daraus wird; es that mir so leid, daß ich Sonntag nur so wenig schreiben konnte,1 und Du daher heute nur ein paar Wortte von Deiner Mutter bekommen hast; aber ich weiß es, Du hast es doch empfunden wie lieb Dich Deine Alte hat. Möge || Gott mein Gebet erhören; dann wird Dirs recht wohl gehn. Heute früh fanden wir auf dem Frühstückstisch einen kleinen Kuchen mit einem Sträuschen von Mirthe und Lorbeer, darauf von Tante Berthas Hand: es lebe das Geburtstagskind! – Dann kamen Briefe aus Ziegenrück2; das war wohl eine schöne || Geburtstagsfeier. – Unsere lieben Ziegenrücker sind gesund und munter. – d. 18ten An Deinem Geburtstage waren Vater und ich in der Singakademie3, wo wir die Jahreszeiten4 hörten. Als wir zu Hause kamen machte ich rasch Punsch, und wir nahmen die Bohle und Pflaumenkuchen mit zum Großvater, und verzehrten es gemeinschaftlich auf Dein Wohl; wie sehr wir unsern Herzens Jungen zu uns wünschten || kannst Du denken. Zunächst muß ich Dir nun sagen, daß es mit unserer lieben Bertha gut geht, sie sitzt nun täglich ein bis 2 Stunden in ihrem Stuhl, wie glücklich Großvater darüber ist, kannst Du denken. Vater hat Dir wohl geschrieben,5 daß Osterwald Freitag Abend erst abgereist ist, und er sich also früh noch mit uns über Deinen Brief freute.6 Für Dein || Pathchen7 werde ich alles besorgen; aber wir wollen es dann erst abschicken, wenn Du hier bist. den 21/2. Mein lieber Ernst! Gestern erfreute uns Dein lieber Brief8, hab herzlichen Dank dafür; dennoch wünschst Du ich solle Dein Pathengeschenk schon bald abschicken, doch dagegen habe ich viele Gründe, die ich Dir mündlich auseinandersetzen werde. – Schon ehe Dein Brief kam, waren Vater und ich beide der Meinung, es würde wohl für Dich am zweckmäßig-||sten sein, daß Du den Sommer in Würzburg bliebest, darin stimmen wir mit einander überein; aber ich wünsche, daß Du Deine Wohnung nicht aufsagst, sondern behältst, da Du eine orndliche Wirthin9 hast, und auch sonst zufrieden bist, Du meinst die Wohnung sei etwas dunkel, wird das aber im Sommer nicht besser sein? Dann meinst Du es sei für Deine Augen nicht gut, wenn das etwa ist daß Du ein blendendes helles Haus gegen über hast, so können wir dem dadurch abhelfen, dass ich Dir kleine grüne Gardinchen mitgebe die Du anmachst. Dann bitte ich Dich sehr, es nicht auszuschlagen, wenn Schenk Dich zum Assistenten haben will, Du kannst es ja versuchen, siehst Du daß es des Knies wegen nicht geht, so kannst Du es dann immer wieder || aufgeben; doch wollen wir das alles mündlich besprechen; es läßt sich ja dadurch manches erleichtern, wenn Du zum Beispiel zu den entfernteren Orten, wo botanisirt werden soll, führest. – Das Einmachglas kannst Du Deiner Wirthin lassen. Ich denke aber, Du kommst nach dem Schluß der Kollegien gleich her, dann triffst Du noch hier Deine Freunde, und auf der Rückreise ist die Jahreszeit besser für Merseburg u. Ziegenrück. || PS. Deine Zeichnungen10 kannst Du an Osterwald schicken.a
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Br. 147. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Die Sing-Akademie ist der älteste gemischte Chor der Welt und wurde 1791 als „Kunstverein für heilige Musik“ gegründet. (www.sing-akademie.de/198-0-Ueber+uns.html, letzter Zugriff: 17.2.2016). Die Jahreszeiten, Oratorium aus vier Teilen (Frühling, Sommer, Herbst, Winter) von Josph Haydn (HOB. XXI: 3), Erstaufführung: Wien 1801. Nicht überliefert. Osterwald beendete seinen Berliner Besuch bei Haeckels Eltern am 11. Februar und nahm während seines dortigen Aufenthalts Notiz von zwei ankommenden Briefen Ernst Haeckels (Br. 143 und 145), vgl. dazu auch Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Merseburg, 16.2.1853 (EHA Jena, A 23799). Osterwald, Ernst. Br. 149. Müller, Katharina. Vgl. Br. 149, S. 277, bes. Anm. 13 und 14.
151. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 27. Februar 1853
Liebste Ältern!
Würzburg 27/2 53 | Sonntag Abend.
Nachdem ich heute buchstäblich den ganzen Tag kaum vom Stuhl aufgestanden und a nicht einmal zum Essen gegangen bin, weil ich bei Kölliker fast noch von der ganzen Woche Arterien nachzuzeichnen hatte, soll es heute Abend mein Sonntagsvergnügen sein, mit euch ein bischen zu plaudern, was mir doch immer die größte Freude ist. Viel wirds zwar nicht werden, weil mein Postpapier alle ist, und der Brief sonst auf diesem dicken Papier zu schwer würde. Heute Abend vor 8 Tagen war ich bei Professor Schenk; es war nur noch Steudner da. Anfangs amüsirten wir uns sehr gut, sprachen, wie gewöhnlich von Pflanzen und andern botanicis1, schimpften auch über die Jesuiten u.s.w. Allmählich kam aber ganz unversehens die Rede auf die Politik; und da hätte ich vor allen Dich, lieber Papa, herbeigewünscht; Du hättest Deine Freude an Deinem Jungen berlebt! Ich hätte wirklich in meinem Leben nicht gedacht, daß solche patriotische Talente in mir schlummerten! Schenk ist nämlich, so liebenswürdig und gescheut er sonst ist, in politischer Hinsicht gänzlich vernagelt; er vertritt vollkommen die absolutistische und undeutsche Richtung des österreichischen Kabinets und behauptet, zu dieser Ansicht, durch seine Reisen in den östreichischen Staaten gekommen zu sein. Natürlich war nun das erste, daß ein ganz fürchterliches Schimpfen auf Preußen losging, auf sein perfides Benehmen gegen Deutschland, wie anno 18052, so auch jetzt; dann solche Redensarten, als z. B.: „der Olmützer Vertrag3 ist die einzige kluge und ehrenvolle That Preußens; c natürlich auch Manteufel4 der einzige gute Minister, von dem noch zu hoffen ist, daß er etwas für Deutschland thut! Preußen hat von jeher nichts gewollt, als Deutschland unterdrücken; es hat mit der Revolution cocettirt; wenn der einig werden soll, so ist das erste, das Preußen || eine östreichische Provinz wird, so gut wie d Ungarn, Siebenbürgen und die andern slawischen Staaten, welche alle in den deutschen Bund5 aufgenommen werden müssen!! Östreich hat von jeher eine viel zu nachsichtige und milde, gutmüthige und offne
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Politik gehabt; es hätte viel energischer und schlauer auftreten müssen! – Ferner: die Rheinlande seien ursprünglich bairisches Eigenthum und von den ländergierigen ungerechten Preußen halb mit Gewalt ane sich gerissen!6 (Schenk ist selbst in Kleve geboren, wie er behauptet, als es noch bairisch war,7 nebst dem Großherzogthum Berg8 u.s.w.)!! und was dergleichen Unsinn mehr ist. Steudner und ich blieben natürlich keine Antwort schuldig, wir zankten uns tüchtig herum, rückten Bayern und Österreich alle seine Sünden vor und ich fing zuletzt mit einer Hitze und Galle an zu raisonniren, die meinem lieben urpatriotischen Papa alle Ehre gemacht hätte. Zuletzt kam es soweit daß ich aufsprang, mir die Ohren zuhielt, und laut ein paar mal in der Stube auf- und ab-trappte, worüber die gute Frau Professorin9 höchlichst erschrack und mich gütlich zu beruhigen suchte; sie schlug sich zuletzt ins Mittel, verbot alle Politik, und lenkte das Gespräch auf ein andres Thema, wobei es aber fast wieder zum Zank gekommen wäre; es wurden nämlich die Vorzüge Nord- und Süddeutschlands abgehandelt, und daß wir da natürlich unser nordisches Vaterland nicht im Stich ließen, könnt ihr denken. Nachher plauderten wir aber doch noch recht nett und vergnügt bis gegen 1 Uhr. Als ich wegging, sagte ich noch Schenk, daß ich mich nur damit trösten könnte, daß die Botaniker, wie alle Naturwissenschäftler, je tüchtiger in ihrem Fach, desto erbärmlichere Politiker wären, worüber er sehr lachte, und es zurückzuschieben suchte, indem er den Satz auf mich anwenden wollte. || Daß er mir übrigens meine norddeutschen Grobheiten nicht übelgenommen hat, kann ich daraus schließen, daß er mich am folgenden Tag sehr freundlich mit allerliebsten Moosen (Doubletten seines Herbariums) beschenkte, um meinenf preußischen Patriotenzorn zu besänftigen, und noch zuletzt sagte: „Ich würde aber an Ihrer Stelle die Moose nicht nehmen, sie kommen ja aus dem schlechten Bayern!“ – Gestern hat er mir auch prachtvolle, ganz herrliche Pflanzen gezeigt, die der Botaniker Preiss10 in Neuholland11 gesammelt hatte. Die Dinger tragen alle einen höchst eigenthümlichen Character, der ganz den sonderbaren wüsten südlichen Character des Landes besitzt. Ein frisches Grün sucht man vergebens; alles ist graugrün oder ganz grau, und meist mit langen zottigen Haaren bedeckt, die Form ist aber höchst eigenthümlich und barock; so haben z. B. die Blätter sehr oft die nebenstehende sonderbare Form. Die Blüthen sind meist höchst intensiv und ganz prachtvoll gefärbt; der Character der ganzen Pflanze
ist höchst gedrungen, stämmig, und trocken (z. B. die ganz characteristischen Proteaceen12), überhaupt g sind es meistens Pflanzen, die die Landschaft zu verschönern gar nicht geeignet, für sich aber prächtig sind. Ja wenn man einmal da botanisiren könnte. – Ich glaube nun doch nicht, daß ich den Sommer hier bleiben werde; der Katalog der Vorlesungen ist nun erschienen, für mich aber gar nicht günstig. Kölliker wird
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nicht microscopischenh Kursus halten, worauf ich mich vorzüglich gespitzt hatte.13 Da es so ungewiß ist, ob ich wiederkomme, werde ich doch wohl am besten meine Wohnung kündigen. Sie i ist allerdings sehr gut und läßt, mit Ausnahme des schwachen Tageslichts, nichts zu wünschen übrig; aber wenn ich auch den Sommer hier bliebe, würde ich doch schwerlich ordentlich darin miscroscopiren können. || Wann Kölliker schließen wird, ist noch unsicher, wahrscheinlich erst den 19ten, vielleicht aber auch schon den 12ten; ich denke in jedem Falle direct zu euch zu kommen und nicht erst nach Merseburg oder Ziegenrück zu gehen, sondern diese auf der Rückreise zu besuchen. Freilich hat mich Osterwald noch in einem nachträglichen Geburtstagsbriefe14, den ich Sonnabend nachher erhielt, sehr freundlich eingeladen, doch ja schon auf der Hinreise bei ihm einzukehren; er wollte mir dann auch seinen neusten Arbeiten, die gewiß höchst interessant sind mittheilen; das kann aber auch bis zur Rückreise warten; zunächst muß ich doch zu euch, liebste Eltern, worauf ich mich ungeheuer freue. Daß es Tante Bertha so gut geht, freut mich außerordentlich; sagt ihr doch die herzlichsten Grüße! – In den Kollegien ist jetzt hier schon die schöne Endzeit eingetreten, wo nach Möglichkeit gejagt und womöglich alles nachgeholt wird, was bei gehöriger Zeiteintheilung längst hätte abgemacht sein sollen. Kölliker hat seine Stunde verdoppelt und geht dabei so rasch, daß einem die Finger beim Nachschreiben lahm werden; so hat er z. B. jetzt die gesammtej Gefäßlehre in 14 Tagen durchgenommen, so daß ich mit Ausarbeiten meines Heftes (das wirklich 1 illustrirtes Prachtwerk wird) gar nicht mehr nachkommen kann.15 Übrigens bleibt es immer noch höchst interessant. – Heute haben hier zum letzten Male die Jesuiten gepredigt, und zwar unter einem solchen allgemeinen Schluchzen, Seufzen, in Ohnmacht fallen, Blumen streuen, Kränze winden, u.s.w. daß sie kaum ihr eignes Wort haben verstehen können. Schon stundenlang vorher ist der große Dom ganz überfüllt gewesen; das „Gedrängele“ soll schrecklich gewesen sein. || Gestern Abend habe ich auch einen „Vater der Mission“ noch einmal predigen hören, und zwar grade über einen sehr interessanten Punkt, k nämlich die Heiligenverehrung in der katholischen Kirche; ich bin übrigens dadurch nichts weniger als damit ausgesöhnt worden. Das Haupträsonnemant war ungefähr folgendes: Es giebt 2 Arten von Verehrung: 1 bedingte und eine unbedingte. Letztere erweisen wir z. B. dem Könige, l erstere sind wir seinen Freunden, Verwandten und Dienern schuldig. Ebenso ist es mit Gott, den wir allein absolut verehren sollen. Ebenso müssen wir aber auch relativ seine besten Freunde, m welches eben die Heiligen sind, und vor Allem die Mutter Gottes, Maria, die wirkliche Jungfrau, und doch unser aller Mutter, verehren. – Hieran schloß sich eine Parallele zwischen Eva und Maria, (wonach jene das Vorbild, diese das vollendete und verwirklichte Ideal derselben sei) und dann n eine weitläufige Auseinandersetzung des Mariencultus, wie man ihn treiben müsse, wie nothwendig und heilsam derselbe sei, wie sie durch ihre Fürsprache alles bei Gott vermöge, und wie sie allein ganz uns in unsrem Thun und Leben begleite und schütze, zur Reue und Besserung führe u.s.w. Ein Hauptmoment bildeten dabei rührende Bilder; z. B. wurde das Leiden Mariä ausgemalt, wie sie ihren einzigen Sohn Christus ermordet und doch schuldlos in ihren Armen halte, dann ihre Reinheit, Unbeflecktheit u.s.w., wodurch wirklich viele zu Thränen gerührt wurden. Ich muß gestehen, || daß ich mich jetzt noch weniger, als vor-
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her mit dem Mariencultus und dem Heiligendienst überhaupt befreunden kann. Einen sehr unangenehmen Eindruck machte auch 1 gleichzeitiges Geplapper von mehrern 1000 Stimmen, das grade im besten Gange war, als ich in die Kirche trat; es ging ohne allen Ausdruck, wie Trommelschlag nach dem Tackt, und war der sinnlose Lippendienst in seiner nackten Gestalt. Man wurde wirklich lebhaft an eine Judenschule16 erinnert, oder auch an eine Klippschule17, wo die Kinder buchstabiren lernen. – Seit ich mein neues Lebensjahr angetreten habe, schneit und friert es hier in einem fort; während vorher das mildeste und wärmste Wetter war; schade, daß ich nicht Fritzchen18 da habe, der würde mir gewiß eine gute Auslegung davon geben. Vielleicht könnte er auch die sonderbaren Träume deuten, die ich jetzt habe, einmal anatomische, ganz schauerliche, dann wieder botanische oder gar Reiseträume. Mein Hauptgedanke ist aber jetzt im Schlafen, wie im Wachen unser baldiges Wiedersehn, worauf sich herzlich freut euer alter treuer Junge Ernst H. 1 2
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Lat.: botanische Sachen. Preußen hatte sich im dritten Koalitionskrieg der europäischen Mächte Österreich, Großbritannien, Russland und Schweden gegen Napoleon neutral erklärt und damit eine wesentliche Vorbedingung für dessen Sieg bei Austerlitz am 2.12.1805, wo die russisch-österreichische Armee vernichtend geschlagen worden war, geliefert. Olmützer Punktation, Vertrag zwischen Preußen und Österreich vom 29.11.1850, in dem Preußen sich unter dem diplomatischen Druck Österreichs und Russlands bereit erklärte, die österreichischen Bestrebungen zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes so, wie er bis zur Revolution von 1848 bestanden hatte, zu unterstützen. Mit der Unterwerfung unter den Vertrag von Olmütz vollzog Preußen eine grundlegende Wende, indem es auf seine bisher verfolgten Bestrebungen zur Errichtung eines von ihm geführten deutschen Bundesstaates (sog. Erfurter Union) verzichtete und die Einheit Deutschlands als politisches Ziel aufgab. Der Olmützer Vertrag leitete den Übergang zur Reaktionspolitik der 1850er Jahre ein. Manteuffel, Karl Otto Freiherr von. Der Deutsche Bund war ein mit der Deutschen Bundesakte vom 8.6.1815 ins Leben gerufener Staatenbund von 37 souveränen deutschen Königreichen, Fürstentümern und freien Städten. Von Preußen und Österreich waren diejenigen Territorien Bestandteile des Bundes, die vormals zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation gehört hatten, ebenso das mit dem Königreich der Niederlande in Personalunion verbundene Großherzogtum Luxemburg. Seit 1849 hatte Österreich mehrfach Projekte zu einem Gesamtbeitritt seiner Territorien zum Bund vorgeschlagen, zuletzt auf der Dresdener Ministerialkonferenz von 1850/51, die nach der Olmützer Punktation einberufen worden war und die Modalitäten zur Wiederherstellung des Deutschen Bundes aushandelte. Da Preußen diese Pläne nicht mittrug, wurde der Bund im Sommer 1851 in seiner alten Form wiederhergestellt. Die Herzogtümer Jülich, Kleve und Berg waren im 17. Jahrhundert zwischen den Kurfürstentum Brandenburg und dem wittelsbachischen Herzogtum Pfalz-Neuburg geteilt worden. Nach mehrfachem Besitzwechsel in verschiedenen Linien des Hauses Wittelsbach wurden die wittelsbachischen Teile dieser Herzogtümer mit Kurbayern vereinigt. 1801 mussten die linksrheinischen Gebiete an Frankreich abgetreten werden, während die Gebiete rechts des Rheins zu dem 1807 neu geschaffenen Großherzogtum Berg kamen. 1813 wurden die gesamten Rheinlande nach der Völkerschlacht bei Leipzig durch Preußen besetzt und nach dem Wiener Kongress 1815 in den preußischen Staat eingegliedert, der sie 1822 zur Rheinprovinz zusammenfasste. Hier handelt es sich offenbar um ein Missverständnis Haeckels. August Joseph Schenk wurde nicht in Kleve, sondern in Hallein in Salzburg geboren. Er wuchs in München auf, wo sein Vater, Johann Carl Friedrich (seit 1820: von) Schenk (1785–1866), Beamter in der bayerischen Bergund Salinenverwaltung war. Dieser allerdings war gebürtiger Rheinländer und stammte, wie be-
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reits sein Vater, der mit Friedrich Heinrich Jacobi (1749–1819) befreundete Johann Heinrich Schenk (1748–1813), aus Düsseldorf. Von Kaiser Napoleon I. geschaffener, 1806–1813 existierender Staat, dessen Regentschaft zunächst Napoleons Schwiegersohn Joachim Murat und seit 1807 Napoleon selbst führte. Er gehörte zu den sog. Napoleonischen Modellstaaten, welche die Verfassung, Verwaltung und Gesetzgebung Frankreichs übernahmen und so als Vorbild und Anstoß für die Reformpolitik in den anderen deutschen Rheinbundstaaten wirken sollten. Schenk, Antonia, geb. Seeliger. Preiss, Johann August Ludwig. Historischer Name für: Australien. Familie: Proteaceae (Silberbaum- oder Proteusgewächse). Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Sommer-Semester 1853 gehalten werden. Würzburg 1853; zum Kurs von Kölliker vgl. Br. 149, Anm. 10 Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Merseburg, 16.2.1853 (EHA Jena, A 23799). Vgl. Haeckels Vorlesungsnachschrift: Anatomie von Koelliker, enthaltend die menschliche Myologie und Splanchnologie, und Abbildungen zur Angiologie und Neurologie (EHA Jena, B 283b). Die Nachschrift enthält auch einen ausführlichen, mit Zeichnungen versehenen Abschnitt über das Gefäßsystem. Im Mittelalter waren die Synagogen zugleich Orte des Toraunterrichts, so dass der Begriff „Judenschule“ häufig damit gleichbedeutend gebraucht wurde. Da das Ritual der jüdischen Religion vorsieht, dass Gebete oder gelesene Toratexte laut ausgesprochen werden und jeder Gläubige dabei individuell mit Gott kommuniziert, was meist mit großer Leidenschaftlichkeit geschieht, entsteht für den damit nicht vertrauten Außenstehenden der Eindruck eines chaotischen Lärms. Der Begriff „Judenschule“ bildet im deutschen Sprachraum eine heute noch anzutreffende, allgemein verbreitete Redewendung, die lärmendes Durcheinandersprechen bezeichnet, aber auch eine abwertende Haltung gegenüber der jüdischen Kultur artikuliert. Winkelschulen, auch Heck- oder Klippschulen genannt, waren privat organisierte Schulen, die vor der Einführung des staatlichen Volksschulunterrichts allgemein verbreitet waren. Später stand der Begriff sinnbildlich für pädagogisch unqualifizierten Unterricht auf niedrigem Niveau. Vermutlich Friedrich Heimstädt.
152. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 5. März 1853
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 5/3 53.
Fast möchte ich Dir gar nicht mehr schreiben, so sehr sehne ich mich danach, Dich zu sehn, und freue mich, daß es nun bald in Erfüllung gehn wird. Komme nur ja so bald Du kannst, aber hülle Dich recht ein und nimm den Pelz um die Füsse, zieh Dich auf der Reise auch recht warm an. Wie wohl wird es uns sein, wenn wir wieder recht traulich miteinander plaudern können. – So Gott will, werden wir die Zeit recht nett miteinander verleben. || Tante Bertha läßt Dich auch schön grüssen, sie versparte alles zur mündlichen Mittheilung, sie sitzt jetzt täglich mehrmals eine Stunde auf. Wenn es so fort geht, wirst Du Deine Freude dran haben. – Sonst haben wir in der Familie einige Unannehmlichkeiten gehabt, Julius Sethe1 hat sich den Fuß umgeknickt, als er Schlittschuh laufen wollte; es wird dem Wildfang schwer nun so ganz ruhig zu liegen. –
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Dann ist vor acht Tagen || Karolinchen Naumann2 auf der Straße gefallen, und durch ein Pferd beschädigt, der Arm ist etwasa gedrückt am Auge hat sie einen kräftigen blauen Fleck, und das Schlimmste war eine Wunde oben auf dem Kopf vom Hufeisen des Pferdes. Das gab Sorge für schlimme Folgen; doch heilt die Wunde gut, das Kind ist munter und ohne Fieber, so denkt man wird es gut vorüber gehn. – || Auch ist Agnes Focke3 gestorben, so wehmüthig es sonst ist, so war es hier doch eine Wohlthat, da sie schon längere Zeit sehr krank war, und in einer Anstalt bei Enndenich für Geisteskranke4. – Dein nächster Brief, mein Herzensjunge wird mir wohl sagen, welchen Tag ich Dich erwartten kann. – Halte Dich gesund und frisch, strenge Dich nicht zu sehr an, und hungere nicht! – Gott gebe uns ein frohes Wiedersehn, worauf sich sehr freut Deine Mutter. 1 2 3 4
Sethe, Julius Carl. Naumann, Caroline Friederike Pauline. Focke, Gertrude Juliane Agnes, geb. Sack. Endenich, heute Stadt Bonn, hier eröffnete 1844 der Psychiater Frank Richarz eine private Heilanstalt für Gemüts- und Geisteskranke.
153. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 10. März 1853
Liebste Eltern!
Würzburg 10/3 53.
Der Mensch ist eigentlich doch nichts „als ein zweibeiniger, ausgerupfter Hahn“ (wie Plato sagt; ich dächte wenigstens),1 der in allen seinem Thun und Denken sich nach dem Wetter richtet. Wenigstens ist das jetzt bei mir so der Fall. Seit meinem Geburtstag war der Winter bei uns eingekehrt; wir hatten Kälte, ellenhohen Schnee u.s.w., wie ihr in Berlin. In dieser Periode habe ich denn riesig geochst, ich habe gesessen und gesessen und geochst, daß ich selbst zuletzt kaum begriff, wie ichs aushielt und dachte, ich würde ganz versessen werden. Seit 3 Tagen haben wir nun gründliches Thauwetter und heute so einen schönen, sonnigen Frühlingstag, wie man ihn sich nur wünschen kann. Aller Schnee ist zu Wasser geworden, zugleich aber auch alle Geduld, alles Sitzfleisch, alle Arbeit und wie diese löblichen Tugenden alle weiter heißen. Das alte Quecksilber jagt einmal wieder durch alle Adern, so daß ich trotz aller Anstrengung kaum soviel Ruhe und Gedanken sammeln kann, um nur halbvernünftig an euch zu schreiben. Letzeres ist auch wohl kaum mehr nöthig, da ja nun doch mit nächster Zukunft wieder der heißersehnte und vielgehoffte Zeitpunkt eintritt, wo ich euch, meine geliebten Eltern, in meine Arme schließen kann. Ich möchte auch wohl Recht haben, wenn ich der schrecklichen Ungeduld, || mit der ich das Wiedersehn hoffe und mir ausmahle, einzig und allein meine collossale Unstätheit, Unruhe u.s.w. zuschreibe. Wenn ich mich frage, warum ich denn auf einmal so „unwirsch“ geworden, so ists doch weiter nichts, als die alte Liebe a und Sehnsucht nach dem Elternhaus und die Wanderliebe (oder wenns nicht Wanderlust sein kann – [leider!], wenigstens Reiselust) die mir durch alle Glieder
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zieht und alles Sitzen zu Hause und im Kolleg verleidet. Das Schlimmste ist nur, daß Kölliker nicht nur diese, sondern auch wohl noch die ganze nächste Woche lesen wird und ich dann doch nichtb gut anders kann, als geduldig abwarten, bis er c zu schließen geruht. Die andern haben alle geschlossen; überdies ist das Kapitel, was Kölliker jetzt durchnimmt, die topographische Schilderung der peripherischen Nervenausbreitung, zugleich so schrecklich schwer und langstielig und er geht so fabelhaft rasch, daß man (wenigstens ich) kaum nachdenken und nachzeichnen (geschweige nachschreiben) kannd. Es dürfte daher euch keineswegs Wunder nehmen und ich möchte keinem Menschen dafür stehen, wenn Ernst Haeckel eines schönen Morgens sich aufsetzte und dem schönen Würzburg (vielleicht für immer) ebenso wie aller Medicin Ade sagte. Nun mußt Du Dich nur nicht wundern || liebes Mamachen, wenn Ende nächster Woche eine lange dürre (vielleicht ausgehungerte!) Latte mit struppigen blonden oder vielmehr gelbbraunen (ξανθός)2 Haaren und ebensolchem Bart (sowohl Schnurr-, als Backenbart, letztrer jedoch erst 3–4 Linien3 lang) und eine lange Pfeife im Munde (das Rauchen mußte ja doch früher oder später kommen, namentlich da ihr mich partout zum Mediciner stempeln wollt!)4 bei euch eintritt und sich für euren Jungen ausgiebt; erschrick nur nicht! – Mit der Zeit wirst Du ihn doch bald wiedererkennen, wenigstens an seinem menschenfreundlichen feinsittigen Benehmen, das noch immer das alte geblieben ist (wie denn überhaupt der ganze Junge, mit Ausnahme des neuen Barts und der Tabackspfeife, noch der alte ist!). Und Du, lieber Papa, darfst mir wieder meine große, angestammte Stube ausräumen (falls Du sie nämlich bewohnt hast) denn ein schöner Heuschober von 1 Fuß Durchmesser kommt auch wieder mit und wird ein angenehmer Zuwachs für meine vereinsamte Scheune sein.5 Dae wird denn wieder der große Tisch aufgepflanzt und im Heu geschwelgt, das es eine Lust ist! – Steudner ist schon am Mittwoch fort. Ich habe noch mit ihm und mit Lavalette am Abend vorher bei Bertheau gekneipt, und auch mit den beiden erstern schmollirt6, wobei wir sehr vergnügt waren. Bertheau und meine andern Freunde gehen Sonnabend auch fort. || Da ich nun so allein bin, ists wohl natürlich, wenn ich keine Lust habe zu warten bis Kölliker schließt; vom Kolleg profitire ich f doch nichts, da ich dazu viel zu zerstreut bin, bald in Berlin, bald im Guyana, bald in Ziegenrück, bald am Kap der guten Hoffnung herumstreiche u.s.w. Also wie gesagt wundert euch nicht, g wenn ich die h letzte Hälfte nächster Woche gradezu schwänze; spätestens würde ich Freitag den 18ten kommen; schreibt mir aber keinenfalls mehr vorher. Einen Tag werde ich wohl unterwegs in Halle bleiben. Alles andere verspare ich mir auf mündliche Mittheilung; ich könnte euch heute so nicht viel mehr erzählen, als höchstens von der letzten physikalischen Gesellschaft,7 wo es sehr interessant war (u.a. hielten Scanzoni8, Virchow, Osann, vor allen aber Kölliker, Vorträge9; letzterer hat in einem Polypen (oder eine Qualle) „Guanin“ entdeckt (den Stoff, aus dem der Guano besteht) und zwar in einem eigenthümlichen Organ, das er für eine Niere hält; es sind sehr schöne Drüsen von rhombischen Krystallen).10 Doch ich muß schließen, da mein letztes Stückchen Postpapier zu Ende geht (das ich noch in einer Ecke zufällig aufgetrieben) ebenso wie zu Ende gegangen ist mein Öl, meine Butter, mein Siegellack, mein anatomisches Heft, vor allen aber meine Geduld! Ein recht, recht frohes und schönes Wiedersehen. Zum letzten mal umarmt euch schriftlich euer alter Ernst.
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Es war nicht Platon, sondern Diogenes, der dies vom Menschen sagte. Platon unterscheidet bei den zweifüßigen Landtieren nur zwischen Nackten und Gefiederten (vgl. Politikos 266d). Um diese Einteilung ad absurdum zu führen, hatte Diogenes einem Hahn die Federn ausgerupft und ihn in Platons Schule mit den Worten gebracht: „Das ist Platons Mensch“ (vgl. Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übers. und erläutert von Otto Apelt. Erster Band: Buch I–VI, Leipzig 1921, S. 276). Altgriech. ξανθός: gelbbraun, blond. Linie, historisches Längenmaß, ca. 2 mm (Pariser ligne: 2,2558 mm, rheinische Linie: 2,18 mm; polnische Linia: 2,0 mm), das hauptsächlich bei der Kalibrieriung von Uhrwerken und Messgeräten verwendet wurde. Entgegen dieser provokativ zugespitzten Aussage vgl. Br. 124, Teil 2, S. 209. In Anlehnung an Adelbert von Chamissos Gedicht „Aus der Beeringstraße“, Erstdruck 1818 unter dem Titel „Aus einem Gedichte an ***, Behringstraße im Sommer 1816“, 3. Strophe: Das tat ich sonst, das tu ich annoch heute, | Ich pflücke Blumen und ich sammle Heu; | Botanisiren nennen das die Leute, | Und anders es zu nennen trag ich Scheu; […] bezeichnete Haeckel seine Botanisiertätigkeit selbstironisch als „Heu sammeln“; vgl. dazu Motto (Schleiden) und „ContraMotto“ (v. Chamisso) von Haeckels Hand eingeschrieben in seinem annotierten Exemplar von: Koch, Wilhelm Daniel Joseph: Synopsis der deutschen und Schweizer Flora, […]. Erster Theil, 2. Aufl., Leipzig 1846, Vortitel; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 41 (=70). Einen vertrauten Umgang pflegen, von Schmollis (auch: Smollis, Schmolles), in der Studentsprache Aufforderung, Brüderschaft zu trinken. Physikalisch-medizinische Gesellschaft in Würzburg, 7. Sitzung vom 5.3.1853; vgl. Sitzungsberichte für das Gesellschaftsjahr 1853. In: Verhandlungen der Physicalisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg. 4. Bd., Würzburg 1854, S. III–XIV, hier S. VI–VII. Scanzoni, Friedrich Wilhelm von. Scanzoni, Friedrich Wilhelm von: Ein neues Verfahren zur Einleitung der Frühgeburt. In: Verhandlungen der Physicalisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg. 4. Bd., Würzburg 1854, S. 11–21; Virchow, Rudolf: Ueber die Involutionskrankheit (Malum senile) der platten Knochen, ebd., S. 354–369; Vortrag von Osann nicht nachweisbar. Kölliker hatte aufgrund chemischer Analysen angenommen, dass es sich bei den Kristallen um Guanin handelt, welches er als Stoffwechselprodukt der Niere des Polypen ansah, vgl. dazu u.a.: Kölliker, Albert: Die Schwimmpolypen oder Siphonophoren von Messina. Leipzig 1853, S. 63.
154. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, ziegenrück, 16. März 1853, mit nachschrift von Hermine Haeckel
Liebste Eltern!
Schloß Ziegenrück 16/3 1853
Ich kann mir lebhaft euer Erstaunen denken, wenn auf einmal statt eures Jungen, den ihr vielleicht jede Stunde erwartet, ein Brief von ihm bei euch ankömmt und zwar aus Ziegenrück! Ich selbst dachte noch vor 5 Tagen, noch als ich den letzten Brief an euch schrieb,1 nichts weniger, als daß ich jetzt in Ziegenrück sitzen würde! Es ist dies der erste Brief, den ich von diesem Sitze des Glücks der Herrlichkeit (sowohl in Hinsicht auf die Natur, a als auf die Menschen) an euch schreibe, und dadurch allein hoffe ich schon euren Unwillen zu besänftigen, falls ihr einen solchen über mein nun verspätetes Kommen zu euch hegen solltet. Völlig verzeihen werdet ihr mir aber, wenn ihr die Gründe meinerb Reiseplanveränderung, und meine Erlebnisse in den letzten Tagen vernehmt, durch die ich in mancher Hinsicht viel gelernt habe, vor allem aber
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Geduld. Die letztere (die liebe Geduld nämlich!) war mir am Donnerstag (10ten), als ich zuletzt an euch geschrieben, so völlig bis auf den letzten Rest ausgegangen, daß ich eine ziemlich schlaflose, aberc traumreiche Nacht hatte, in Folge derer ich zuletzt beschloß, mir alle Grillen in dend Wind zu schlagen, und e Sonnabend (12.) Abend von hier nach Halle abzureisen, dort eine Nacht und einen Tag zu bleiben, und dann Montag Abend euch zu überraschen. Ich packte also möglichst rasch mit meiner Wirthin2 meine Siebensachen zusammen und schreibe nach Merseburg, daß Weiß3 sich Sonntag Abend in Halle einstellen möge. Kaum ist dieser Brief fort, als ein Brief || von unsern liebsten Ziegenrückern kommt, worin mich vor allem Karl dringend ersucht, wenn es nur irgend möglich wäre, sie doch ja schon auf der Hinreise, wenn auch nur auf einen Tag zu besuchen, um meine Berufsangelegenheit vorher noch gründlich durchzusprechen, ehe ich in Berlin einen Entschluß faßte.4 Am Besten wäre es, wenn ich am 13ten Abends in Gefell sein und mich dort an den Kreisrichter Voigt, der am 14ten früh herführe, anschließen könnte. Da dies f mir so herrlich paßte, beschloß ich sofort, Karls Bitten nachzugeben, 2–3 Tage hier zu bleiben und dann nächsten Freitag in Berlin einzutreffen. Ich schrieb also Weiß gleich wieder ab5 und erkundigte mich in der ganzen Stadt, wanng ich wohl am besten von Würzburg abfahren könnte. Hier liegt nun der Anfangh und Ursprung alles des Pechs, das mich in den letzten Tagen geärgert hat. Es war nämlich in dem ganzen Nest kein Coursbuch, kein Fahrplan zu haben und ich mußte mich lediglich auf die ungenauen und falschen Angaben der Postbeamten verlassen. Wäre ich nur, wie ich erst nachher in Hof, zu spät erfuhr, Sonnabend Abend um 6 Uhr mit der Post direct nach Bamberg, statt Nachts um 3 Uhr erst nach Schweinfurt und von da per Dampf nach Bamberg, gereist, so wäre der ganze wohlberechnete Reiseplan vollständig geglückt. So aber folgte immer Pech auf Pech; ein Unglück auf das andere. Den Sonnabend verlebte ich übrigens noch recht hübsch. Früh hatte ich noch 5 Stunden bei Kölliker, die ganz herrlich waren: i in der ersten demonstrirte er die 12 Hirnnervenpaare, in der letzten den sehr interessanten situs viscerum6, mit besonderer Rücksicht auf das peritoneum7. Dazwischen gingen die meisten andern weg; nur ich blieb || zufällig mit noch einigen andern da und nun zeigte er uns eine Reihe der kostbarsten, herrlichsten und subtilsten microscopischen Präparate, die ihm aus allen Weltgegenden waren zugeschickt und dedicirt worden; besonders unübertrefflich waren Schliffe von verschiedenen thierischen Knochenund Horntheilen, sowiej von einer großen Seemuschel (pinna)8, auch von vielen fossilen Knochen, ferner verschiedene Harnsedimente (reizende kleine Salzkrystalle) und viele andere Herrlichkeiten. Nachmittag packte ich noch meine 3 Kisten fertig. (N.B. Freitag Nachmittag hatte ich zum Abschied von der schönen Gegend noch einen herrlichen Spaziergang auf das „Käppele“9 gemacht, wo ich mein erstes Lebermoos (Madotheca platyphylla)10 in Blüthe fand). Sonnabend Abend war ich bei Schenks allein, wo wir noch sehr heiter und lustig zusammen waren. Schon um ½ 3 Uhr ging ich nach rührendem Abschied von meiner guten Wirthin (die ganz trostlos war) auf die Post; diese ging aber erst um ¾4 (das ist bairische Ordnung!) ab und so kamen wir auf der schlechten Chaussée, von der noch kein Schnee weggeschaufelt war, beinah zu spät für den Zug nach Schweinfurt. Von Bamberg aus bekamen wir einen gräulich schleppenden Güterzug, der an jeder kleinen Station wenigstens ¼–½ Stunde anhielt. Um die Geduldsprüfung voll zu machen, fing in einem kleinen Neste lange vor Lichtenfels, in „Burgkunstadt“ die Axe des vor uns gehenden Waggons zu brennen
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an. Kaum war dieser Schaden geheilt und der Zug aus dem Bahnhof heraus, als eine Röhre an der Locomotive sprang und eine andere citirt11 werden mußte; da hatte ich dann mehrere Stunden Zeit, mir etwas Geduld zu kaufen, was mir auch durch Hülfe des trefflichen Mittels oder Geduldsrecepts, || das der Apotheker in „Herrmann und Dorothea“12 angiebt, und das wirklich unfehlbar ist, trefflich gelang, wenn auch mit einiger Anstrengung. Meine Reisegesellschaft bestand nur aus oberbayrischen Auswanderern, die ebenso unverständlich als dumm waren, und so war ich gänzlich auf mein bischen Phanthasie angewiesen, die sich vergeblich bemühte, aus dem jämmerlichen Neste, um das ein paar Tannen herumstanden, sonst ringsum nur kahle Kalkfelsen, etwas zu machen. Statt um k 6 Uhr, kamen wir so um 8 in Hof an, wo ich mich rasch entschloß, da die einzige Post nach Gefell erst um 2 Uhr Mittags abgeht, noch mit einem Wagen nach Gefell zu fahren, das nur 2 Meilen entfernt ist. Unglücklicherweise gab ich diese Idee aber wieder auf, weil der Wagen um 9 Uhr (Abends) noch nicht angespannt war und ich glaubte, ich würde nun den Kreisrichter nicht mehr treffen, und dieser könnte mir früh vor der Nase wegfahren. Wie ich jetzt erfahre, ist er aber erst am Montag l früh um ½7 abgereist, so daß ich ganz gut mit ihm um 11 Uhr hätte hier sein können. Statt dessen übernachtete ich nun in Hof (im schwarzen Adler, eine Fuhrmannskneipe, die aber recht gut ist) und vertrieb mir am andern Vormittag Unmuth und Ungeduld sogut als möglich durch die Lectüre von Regnaults Chemie13. Als ich um 2 Uhr Nachmittags in den Postwagen einstiegm, erkannte ich in dem Conducteur sogleich den alten mir wohlbekannten Merseburger Unterofficier14 wieder, welcher mit uns zusammen im Schiringschen Hause15 wohnte und mir nicht genug von dem kleinen Wildfang16 mit den herrlichen, langen blonden Locken zu erzählen wußte. Wir unterhielten uns sehr nett und gemüthlich über alte und neue Merseburger Verhältnisse. || Der Weg von Hof über Gefell nach Schleiz ist sehr interessant. Man fährt über einen der höchsten Theile des Mittelgebirgs zwischen Thüringer und Frankenwald, oft durch den schönsten dichtesten Wald von Weiß- und Roth-tannen, die überall dicht von einem Flechten- und Moospelz (vermutlich Usnea barbata)17 überzogen sind. Dazwischen öffneten sich immer rechts und links herrliche Durchblicke in schöne anmuthige, flache Thalkessel und Gründe in denen dunkle Nadelwälder anmuthig mit den beschneiten Bergabhängen contrastirten. Durch zusammenhängende Dörfer (ausgenommen Gefell selbst) kamen wir nicht. Die Hütten liegen einzeln zerstreut, hölzernen Blockhäusern gleich, wie überall in den nordischen Gebirgsgegenden. Um 6 Uhr kamen wir in Schleiz an, einem ganz erbärmlichen Neste, das ich n kurz nicht besser bezeichnen kann, als wenn ich o es mit einer etwas verbesserten und vermehrten Auflage von unserm theueren Schkopau vergleiche. Die erbärmlichen Lehm- und Stroh-hütten dieser „deutschen Residenz“18 der Schmutz, der nicht minder auf den Gesichtern der schielenden und schreienden Kinder, als im ganzen habitus der Naturund Kunstproducte sichtbar war, erinnerten mich wirklich lebhaft daran. Nun kommt aber erst das Pech der Peche, die mich auf dieser abentheuerlichen Reise begleiteten. Von Schleitz nach Ziegenrück geht keine Post und trotzdem die beiden Löcher nur 3 Stunden entfernt sind, und ich bis 3 rℓ bot, wollte sich doch niemand finden, der mich heute Abend noch dahingefahren hätte und ich war also zu meinem grösten Ingrimm und Wiederwillen gezwungen, noch einmal zu übernachten und zwar ebenso schlecht, als theuer. Ich hatte mich nun den ganzen Tag darauf gefreut, wie hübsch das
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sein würde, wenn ich meine lieben || Ziegenrücker Abends spät auf ihrem Schlosse überraschte, und nun mußte ich, so nah dem Ziele, darauf verzichten. Immer kamen mir die Worte in den Sinn: „da lieg’ ich rettungslos und muß verschmachten; das nahe Rettungsufer im Gesichte“19 und was dergleichen Blödsinn mehr ist. Das einzige, was ich von dieser höchst ärgerlichen und fatalen Geschichte gehabt habe, ist, daß ich eine Nacht im Deutschen Reiche: sage: im einigen Deutschland!! übernachtet habe; wenn ihr dies Wunder nicht begreifen solltet, so brauche ich euch bloß zu sagen, daß an allen Gränzen und Zollämtern des Schleizer Fürstenthums20 schwarzrothgoldene Schlagbäume in der schönsten Blüthe prangten. Gestern (Dienstag, an des „Märzen idus“21) früh endlich hatte ich das kaum glaubliche Glück, vermittelst eines 2 rℓ kostenden Zweispänners (ebenfalls schwarzrothgolden!) wirklich nach Ziegenrück zu gelangen, und zwar um 8 Uhr. Der Weg dahin ist aber wirklich auch im höchstenp Grade romantisch, und ich kann es den Schleizern nicht verdenken, wenn sie ihrem Leben zu Liebe, die Abendfahrt verweigerten; jedenfalls kömmt man rascher zu Fuß, als zu Wagen hin. Meist führt die Spur (denn Weg kann mans eigentlich nicht nennen) durch dichten Tannenwald, und abwechselnd mit diesem über tiefes Bruchland und mit Moos verdeckten Sumpfboden, dann wieder durch enge, ganz verschneite Hohlwege, längs hoher Felswände hin, wo an der andern Seite 1 wilder Bergbach hinrast, Bergauf, Bergab, kurz, wie sichs q ein Abenteurer nur wünschen kann. Trotzdem r 2 starke Bauernpferde die leichte „Kibitka“22 fuhren, blieben wir doch ein paar Mals vollständig in tiefem Schlamme stecken, und 17 mal || (sage: siebenzehnmal) waren wir dem Umschmeißen so nahe, daß ich ganz zum Sprunge mich bereitet und nur durch Herüberwerfen des schweren Koffers auf die andere Seite das Gleichgewicht erhalten konnte. Da es übrigens eint herrlicheru, ganz klarer Winterfrühlingsmorgen war, machte mir die ganze halsbrechende Tour doch viele Freude und v [ich] fühlte mich vollständig im Deutschland vor 1000 Jahren, in einen Urwald mit seinen Wundern und Abenteuern, versetzt. Auch fand ich am Wege in großer Menge eine niedliche, rosenfarbene Flechte, die schöne Baeomyces rosea23, die meist grade an den gefährlichsten Stellen dieser Bergstraße, w gegen die wirklich „ein Studenten- und Schweine-Weg“ nichts ist, wuchs. An den tiefsten Sumpfstellen, über die eine zarte Eiskruste nächtlich hingefroren war, waren ganz einfach ein Dutzend Tannen mitsammt allen Ästen und Zweigen abgebrochen und über den Weg quer herübergelegt, so daß der Wagen ganz elastisch über sie wegschwebte. Obgleich so die ganze Tour sehr interessant und die Krone von der ganzen mislungenen Reise war, war ich doch herzlich froh, als mir um 8 Uhr früh die Zinnen des Ziegenrücker Schlosses entgegenschimmerten und ich dankte meinem Gott, daß ich mit gesunden Gliedern das Ziel glücklich erreicht hatte. Übrigens bin ich durch x meine Aufnahme hier bei meinen liebsten Geschwistern und durch unser äußerst glückliches und nettes Zusammensein vollständig für alle Unannehmlichkeiten und Geduldsprobe der Herreise entschädigt und bereue sie keinen Augenblick. Ihr werdet es daher gewiß auch vollkommen billigen und begreiflich finden, liebste Eltern, wenn ich nun noch einige Tage hier bleibe, || und erst Mittwoch (heute über 8 Tage) y oder Gründonnerstag bei euch eintreffe. Ich bleibe dann natürlich um so länger bei euch, werde mich aber auf der Hinreise in Halle gar nicht aufhalten, sondern erst die letzten 8 Tage für Halle und Merseburg aufsparen. Für Berlin behalte ich so 4 Wochen. Meine Bekannten werde ich nun leider freilich großentheils nicht mehr sehen; aber es ging nun doch nicht anders; grüßt sie recht herzlich von mir und sagt ihnen, wie leid
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es mir thäte, daß ich sie nicht mehr sähe; aber, item24, es ist so! Karl werde ich erst von Freitag an genießen und mich mit ihm ordentlich besprechen können; jetzt hat er noch den ganzen Tag Sitzung. Wie glücklich wir 3, und insbesondere mein liebstes Ehepaar ist, kann ich euch nicht beschreiben; wir sind in höchstem Grade vergnügt und selig zusammen, mir thut die Ausspannung und Muße nach dem langen anhaltenden Sitzen, besonders den Anstrengungen der letzten Wochen, sehr wohl; alle Bücher liegen in der Ecke; höchstens wird ein bischen Gervinus25 angesehen, und dann miscoscopirt, besonders Moose, deren es hier ganz allerliebste giebt. Gestern fand ich reizende Polytricha26 und Hypna27 in dem wunderhübschen Sornitzthale28, einem wilden, romantischen Waldthale mit übermüthigem brausendem Bergbache, in dem ich mit Mimmi spazieren ging. Alles tönt hier: „Wald, Berg, Wasser, Luft“ kurz alle Elemente in der schönsten Harmonie. Die Gegend ist wirklich über alle Beschreibung; ebenso unübertrefflich nett und reizend ist aber auch die ganze Einrichtung von Kreisrichters29. Beschreiben läßt sich das nicht, ihr müßt selbst kommen und sehen! Wie unzähligemal haben wir euch und Tante Bertha schon hergewünscht; am leidsten thut es uns, daß letztre nicht auch dies himmlische Glück mit genießen kann. Ich hoffe immer noch, daß sie wieder so weit besser wird, daß sie auch noch herfahren kann (zumal da nun die Chaussée nach Pösneck30 fertig ist, und dann! --------- Grüßt sie aufs herzlichste von unserm netten, geschwisterlichen Trio, in dem wir stets eurer und ihrer gedenken, und in dem auch ich stets bleibe, euer treuer alter Junge Ernst Haeckel. – Alles andre und ausführlicher mündlich; beschreiben läßt sich die hiesige Herrlichkeit zu schwer, namentlich schriftlich. Mit dem schönen Wetter scheint es gestern alle geworden zu sein. Diese Nacht hat es wieder alles dick beschneit. Aber auch im Schneekleid ist die Gegend ganz reizend.z [Nachschrift von Hermine Haeckel] Herzlichen Gruß von Karl und mir Euch, Ihr lieben Eltern. Ernst ist so selig, daß er nun doch der Erste ist der uns besucht. Er sieht sehr wohl aus und behauptet er sei entsetzlich leichtsinnig geworden.aa 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Br. 153. Müller, Katharina. Weiß, Ernst; Brief an ihn nicht ermittelt. Brief nicht überliefert. – Es war schon seit längerem verabredet, dass Ernst Haeckel seinen Bruder und dessen Familie im März 1853 in Ziegenrück besuchen sollte; vgl. Br. 147. Brief nicht ermittelt. Lat. situs viscerum: Lage der Eingeweide im Körper. Lat. peritoneum: Bauchfell. Gattung: Pinna L., Familie Pinnideae (Steckmuscheln). Vgl. Br. 100, Anm. 5. Porella platyphylla (L.) Pfeiff., Syn.: Madotheca platyphylla (L.) Dumort., Breitblättriges Kahlfruchtmoos, Familie: Porellaceae, eine Familie der Lebermoose. Verkürzt für: herzitieren, herbeirufen. „Laßt uns auch diesmal doch nur die Mittelstraße betreten! Eile mit Weile! das war selbst Kaiser Augustus Devise.“ (Goethe, Johann Wolfgang: Hermann und Dorothea. Kapitel 6: Polyhymnia. Der Weltbürger. In: Ders.: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Abteilung 1: Sämtliche Werke; Bd. 8: Die Leiden des jungen Werther, Die Wahlverwandtschaften, Kleine
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Prosa, Epen. In Zusammenarbeit mit Christoph Brecht hrsg. von Waltraud Wiethölter. Frankfurt a. M. 1994, S. 807–883; hier S. 839–847); vgl. auch Br. 149, Anm. 40. Regnault, M. Viktor: Lehrbuch der Chemie für Universitäten, Gymnasien, Real- und GewerbSchulen, sowie für den Selbstunterricht. Uebersetzt von Boedeker. 4 Theile, Berlin 1849–1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 54 (=90–93). Nicht identifiziert. Haus der Familie von Johann Christoph Spiering in Merseburg in der Unteraltenburg 4, wo die Familie Haeckel zuerst wohnte. Ernst Haeckel als Kind. Usnea barbata Dill. ex Adans., Bartflechte, Familie: Parmeliaceae. Fürst Heinrich LXII. Reuß (1785–1854), Fürst von Reuß-Schleiz, hatte 1848 nach der Abdankung des Fürsten Heinrich LXXII. Reuß (1797–1853), Fürst von Reuß-Ebersdorf, im Jahr die Regentschaft der bisherigen drei Fürstentümer Reuß-Gera, Reuß-Lobenstein und Reuß-Ebersdorf übernommen. Als Alleinregent des dadurch entstandenen Fürstentums Reuß jüngerer Linie hatte er seine Residenz von Schleiz nach Schloss Osterstein in Gera verlegt. Die Stelle aus dem Hilfeflehen des Konrad Baumgarten in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“ ist von Haeckel nur sinngemäß zitiert und lautet im Original: „So muß ich fallen in des Feindes Hand, | Das nahe Rettungsufer im Gesichte! | – Dort liegt’s. Ich kann’s erreichen mit den Augen, | Hinüberdringen kann der Stimme Schall, | Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge, | Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen!“ (Schiller, Friedrich: Wilhelm Tell. Erster Aufzug, 1. Szene. In: Schillers Werke. NA. 10. Bd., hrsg. von Siegfried Seidel. Weimar 1980, S. 137). – Die in Haeckels Besitz befindliche Ausgabe: Schillers sämtliche Werke. 13 Bde., Stuttgart; Tübingen 1817–1819 (s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 128 (=223–235) enthält den „Wilhelm Tell“ nicht. Es handelt sich um das Fürstentum Reuß jüngerer Linie, vgl. Anm. 22. – Die schwarz-rot-goldenen Landesfarben der beiden Reußischen Fürstentümer waren von den Farben des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation abgeleitet, dessen Reichsfürstenwürde das Gesamthaus Reuß noch 1805 erhalten hatte, abgeleitet. Das Zeigen der Reichsfarben war im Vormärz verboten gewesen. Auf Beschluss der Deutschen Nationalversammlung waren sie durch das Reichsgesetz vom 13.11.1848 als offizielle Farben der deutschen Kriegs- und Handelsflagge eingeführt worden. Dieses Gesetz wurde zwar niemals formell aufgehoben, doch war es spätestens seit der Auflösung der deutschen Reichsflotte 1852 obsolet. 15. März, römischer Feiertag, der Idus des März des Jahres 44 v. Chr. war der Tag der Ermordung Gaius Julius Caesars. Überdachter russischer Bretterwagen oder Schlitten. Dibaeis baeomyces (L. f.) Rambold & Hertel, Rosa Köpfchenflechte, Syn.: Baeomyces roseus Pers., Familie: Icmadophilaceae. Lat.: ebenso, ferner, desgleichen. Zur Lektüre von Gervinus vgl. Br. 143, Anm. 18. Gattung: Polytrichum Hedw., Widertonmoose, Familie: Polytrichaceae (Frauenhaarmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Gattung: Hypnum Hedw., Schlafmoose, Familie: Hypnaceae (Schlafmoosgewächse), eine Familie der Laubmoosgewächse. Sornitztal, auch Sornitzgrund, Tal links der Saale nordwestlich von Ziegenrück. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Zwischen 1852 und 1860 wurde die Chaussee von Pößneck über Ziegenrück nach Lobenstein ausgebaut. Auf den preußischen Kreis Ziegenrück entfiel dabei die Strecke von Moxa über Ziegenrück und Liebengrün bis zur Reußischen Landesgrenze. Besonders bedeutsam war dabei der Bau der 238 m langen Elisabethbrücke in Ziegenrück, einer fünfbogigen Steinbrücke über die Saale, deren Grundstein am 26.6.1854 gelegt und die am 19.11.1855 eingeweiht wurde.
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155. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25./26. April 1853
Liebste Eltern!
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Ich benutze den Abend von Großvaters1 Geburtstag, wo ihr wohl recht traulich und freudig bei unserm großen Familienhaupt beisammensitzt und vielleicht auch zuweilen meiner gedenkt, um euch meine glückliche Ankunft hierselbst zu melden, und etwas von meiner Herreise zu erzählen. Die Nacht bis Halle legte ich prächtig schlafend und bis Köthen ganz allein in einem Coupé für „Nichtraucher“ zurück. In Halle kam ich nach 3 Uhr an und stöberte dann Weber, Hetzer und Weiß2, welcher Tags zuvor von Merseburg herübergegangen war, aus dem Bette. Mit letzterm machte ich während des Vormittags eine größere Excursion nach Giebichenstein, Kröllwitz u.s.w. Alles war aber noch außerordentlich zurück, so daß wir selbst von der Anfang März zu allererst blühen sollenden Gagea saxatilis3 am Ochsenberge4 fast noch gar keine blühenden Exemplare fanden. Dafür beglückten uns ein paar niedliche Moose; Guembelia ovata5 und Polytrichum piliferum6; letzteres sehr schön roth gefärbt und mit reichlichen männlichen Blüthen, was ich noch nie gesehen. Übrigens gingen wir immer im furchtbarsten Sturm und Regen. Mittags aß ich in einer Studentenkneipe, wo ich mehrere Merseburger Freunde traf. Nachmittags besuchte ich Finsterbusch. Er sah sehr munter aus, aber sein eines Bein ist krumm und bedeutend kürzer, als das andere. Dann ging ich zu Schlechtendal7, der mich grade nicht sehr erbaute, namentlich als ich das Gespräch auf mein Berufskapitel brachte. Er rieth mir, die Botanik lieber ganz aufzugeben (wozu ich wohl auch den Willen, aber nicht die Kraft hätte); später erfuhr ich aber von Henkel8, daß er überhaupt sehr egoistisch in Bezug auf jüngere Leute ist, sie nicht unterstützt und von der Botanik ganz abzubringen sucht. Es war mir ziemlich einerlei. Donnerstag den 21sten Abends fuhr ich mit Weiß und Weber nach Merseburg und zwar in einem Coupee 2ter Klasse auf Billets für die dritte, da diese ganz voll war. Dies machte ihnen viel Spaß. Osterwaldts empfingen mich sehr freundlich; er läßt sich vielmals entschuldigen, daß er noch nicht geschrieben und gedankt habe. Er hätte soviel zu thun. Mein Pathchen9 war krank und sah sehr blaß aus. Dagegen war „Minchen“10 sehr gewachsen und sah viel besser und gesünder aus. Über die Geschenke freuten sie sich sehr. Freitag früh experimentirten Weiß und ich mit Bertheau’s neuem Mikroskop, das ganz vortrefflich ist und mir die Sehnsucht nach meinem neuen wieder recht erweckt hat. Nachmittag ging ich zu Karos, denen es leidlich wohl geht. Sie empfingen mich, wie auch die andern Freunde, sehr liebevoll und freundlich. Kathens habe ich nicht gesprochen; er war verreist, und sie unwohl. Dann ging ich zum alten Wieck, den ich sehr schwach und alt geworden fand. Er las grade den Koran. Als ich zufällig erzählte, wie Du Gervinus Einleitung pp studirt,11 fing er heftig an zu eifern gegen einen solchen Republicanismus und radicalen Demokratismus! – || Dann ging ich zu Lüben12, der mich sehr freundlich empfing, und bei dem ich über 4 Stunden verweilte, wobei wira gegenseitig einmal recht gründlich unser naturhistorisches und insbesondere botanisches Herz ausschütteten. Hatten wir doch die Erlebnisse eines ganzen Jahres auszutauschen! Er meinte, wie auch alle andern Freunde, die ich sprach (namentlich Weiß, der ganz bestimmt daran glaubt, Osterwald u.s.w.), daß ich eigentlich zu nichts anderm, aber auch zu nichts mehr tauge, als
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zum Professor Botanices! – O! O! O! – O scientia amabilis; Quando tandem tecum in aeternum conjungas13?!!! – Das setzte mir dann wieder so tolle Gedanken in den Kopf, daß ich bis hieher sehr vergnügt und munter war! – Der junge Lüben14 (der bereits in Jena studirte), ist übrigens wieder in Merseburg auf der Schule und wird erst zu Michaelis das Examen machen. Das ist auch traurig. – Den Abend machten Osterwaldts mir zu Ehren einen trefflichen Stahlpunsch (alias Konsistorialpunsch)15 ein ganz herrliches Getränk, das ich euch nur zur Nachahmung empfehlen kann, und das bereitet wird auf folgende einfache Weise: Man erwärmt den Wein (Rothwein) mit der gleichen Quantität Wasser, und hält, wenn diese Mischung etwa 40° R16 warm ist, einen rothglühenden Stahl etwa ½ □ Fuß b groß und 1 Zoll dick (z. B. 1 Pletteisen) hinein, während man gleichzeitig den in Rum gelösten Zucker hinzugießt. Das Gebräu wallt dann ein paar Minuten heftig auf und der herrlichste aromatische Punsch ist fertig. Wir waren dabei sehr vergnügt. Am folgenden Morgen ging ich zu Christel17 und ihrem Mann18. Sie schienen sehr glücklich und munter zu leben; ihre kleine Emma19 ist ein dickbackiges munteres Kind. Dann war ich bei Friedrich20, der jetzt gleichfalls glückseliger zärtlicher Familienvater ist. Sein kleiner Junge, ein derbes, leidlich hübsches Bürschchen, heißt mir zu Ehren Ernst!!21 (Also schon das zweite Pathchen! zu viel Ehre für einen solchen Taugenichts, wie ich doch einmal einer zu werden scheine!). Aus dieser Hütte der Armuth gings direct zum Palast des Reichthums und des Glücks, zu dem von mir um seine botanischen Schätze und Muße recht beneideten, immer noch sehr muntern alten Grafen Henkel22, der mich fast so zärtlich, wie seinen Sohn empfing. Er arrangirte mir zu Ehren ein delicates Frühstück im höheren Stiel: Fischpastetchen, die ich mir trefflich schmecken ließ und eine Flasche „echten alten Xeressekt“23. Besagter alter Wein und eine andere c Bouteille noch älteren und schwerern (dessen Namen ich vergessen) machten uns äußerst aufgeräumt und liebenswürdig. Nach ein paar Stunden hatten auchd wir unser botanisches Herz für das ganze Jahr ausgeschüttet. Dann gings noch zu Thielemanns24, die recht munter waren, und zu || Basedows25. John26 ist trotz seiner großen Reise27 (auf der er nur 3 Tage am Lande gewesen ist, und von der er nichts weniger als erbaut ist, vielmehr sehr ungern davon erzählt) noch immer der alte kleine Knirps. Er wird Forstmann, ist aber sehr zurückgekommen und muß wenigstens noch 4 Jahr auf der Schule bleiben. Auch die beiden Töchter28 sind weder liebenswürdiger, noch hübscher geworden. Übrigens wird von den Verlobten Hanny allgemein noch mehr bedauert, als Elsner29. Des Mittags war ich bei Merkels. Sie sind immer noch dieselben herzlichen Leute und wissen nicht genug zu erzählen, wieviel sie an euch verloren haben. In den alten vertrauten Räumen lebten so recht die alten Erinnerungen wieder auf und mein ganzes dortiges Jugendleben ging in lebhaften Bildern, die mich oft traurig genug stimmten, wenn ich dachte, wie schlecht ich diese schöne Zeit benutzt habe, an meiner Seele vorüber. Ich durchstrich das Haus und namentlich die Gärten, wo mir jeder Fleck so lieb geworden war, wo sich an jede Erdscholle, an jeden Baum und Stein eine besondere Erinnerung knüpfte, mit dem Gefühle der innigsten und tiefsten Wehmuth, und der Abschied wurde mir sehr schwer. Ich ging noch einmal zu Karos, wo ich Lottchen Dewitz und Brettner sprach, welcher mir entschieden das Studium der Medicin wiederrieth, falls ich nicht besondere Neigung dazu hätte.
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Nun ists einmal geschehen. Endlich war ich noch bei Simons, die mich, wie auch alle andern Freunde, sehr herzlich aufnahmen und euch viel 1000mal grüßen lassen. e Den Rest des Tages war ich noch bei Osterwaldts, wo noch einmal mir zu Ehren Stahlpunsch gebraut wurde, und zwar halb weißer, halb rother Wein (nach Weißens Angabe) was auch sehr gut mundete. Gegen 8 Uhr fuhr ich nach Halle herüber, wo mich Hetzer, Weber und Finsterbusch empfingen. Wir gingen gleich zusammen in die Halloria30, die einzige Kneipe, wo unser Lieblingsgetränk, das angenehm säuerliche Lichtenhainer Bier31 (das einzige, was ich trinke) dessen Heimath Jena ist, gebraut wird, und wo wir uns es rechtf wohl sein ließen. Sehr munter und aufgeräumt gingen wir dann noch auf Webers Stube, wo wir uns noch lange recht herzlich und freundschaftlich unterhielten. Um 3 Uhr fuhr ich wieder ab nach Leipzig, von 6 Uhr von dort nach Hof (wobei wir wieder über die 2 gigantischen berühmten Viaducte32 kamen) und um 1 Uhr von hier nach Bamberg, g wo wir Abends um 7 ankamen. Die ganze Tour geht meist durch herrliche oft höchst anmuthige Berggegenden namentlich kurz vor und hinter Hof. Die Steigung der Bahn daselbst ist sehr bedeutend und ebenso nachher der Abfall. Hier geht ein paar Stationen vor Kulmbach die Bahn ziemlich steil bergab und zwar höchst malerisch in der Mitte einer halbkreisförmigen hohen Gebirgswand, wo der Schienenweg einige 30 Fuß hoch aufgemauert und in den Felsen eingearbeitet werden mußte. || Auf der andern Seite gießt ein wilder Bergbach herab. Eine große Strecke lief hier der Zug von selbst, ohne Thätigkeit der Locomotive bergab, so daß sogar gehemmt werden mußte. Während das Wetter früh sehr regnerisch und stürmisch war, klärte es sich Nachmittag auf, so daß wir die Lichtenfelser und Bamberger Gegend in der schönsten Beleuchtung sahen. Auch war die Vegetation hier schon sehr weit vorgerückt, während um Hof noch tiefer Schnee gelegen hatte. Die Saaten waren schon herrlich grün und üppig; und überall blühten zwischen ihr niedliche kleine Gelbsterne33. Den Abendh sah ich mir wieder (wie am 26sten October vorigen Jahres) die schöne alte Stadt Bamberg mit ihren alten Häusern, Brücken und Kirchen an.34 Um 10 Uhr fuhr ich mit der Post ab, und war am andern Morgen früh um 7½ Uhr (Montag den 25sten, heute) wieder in dem alten Würzburg, wo mich meine Wirthin35 überaus herzlich empfing. Um 8 Uhr saß ich bereits im Kolleg, bei Schenk, in der medicinischen Botanik, die für mich eigentlich (ausgenommen die schönen Pflanzen, die man bekömmt) herzlich wenig Nutzen hat. Indeß höre ich sie aus „Anstand“ und mehr aus Rücksicht für ihn als für mich, da er es mir halb und halb angeboten hatte. Ich bleibe so wenigstens in gutem Verkehr mit ihm. Mit den botanischen Kollegien habe ich aber wirklich noch am allerwenigsten Glück, da ich eigentlich noch keins gehört habe, was mich ganz befriedigt hätte. Schenk ist übrigens der erste, der heute schon zu lesen anfängt; die andern beginnen alle erst nächsten Montag, den 2ten Mai und zwar zu meinem nicht geringen Verdruß, da mir es hier nicht eher wieder behagen wird, als bis ich ordentlich im Zuge bin. – Dienstag den 26sten Abends. Gestern Abend schlief ich ein, als ich mich ein wenig hinlegte, um über das, was ich euch noch schreiben könnte, nachzudenken, und gewißermaßen ist es mir lieb, daß der Brief erst jetzt fortkommt, da ich euch nun wenigstens schreiben kann, daß die bösen trüben Gedanken, die mich gestern und heute früh wieder mit Centnerlast darniederdrückten, besonders als ich heute früh die i neue Anatomie36 (die heute be-
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zogen und eröffnet wurde) besuchte, einem etwas hellern und hoffnungsvollern Sinn gewichen sind, besonders da ich Nachmittag bei meinen Freunden, Schenk, dem Dr. Gsell-Fels, und Lavalette die herzlichste Aufnahme fand. Es wurde mir meine ganze Existenz gestern wieder einmal plötzlich so ungeheuer schwer und alle Aussicht in die Zukunft schien mir so gänzlich getrübt und vernichtet zu sein, daß ich heiße Thränen hätte weinen mögen und nichts konnte, als still zu Gott seufzen und ihn um seinen gnädigen Beistand bitten. Vergebens versuchte ich die trostlose und verzweiflungsvolle Stimmung durch angestrengtes Studium der schwierigen Cerebralnerven zu verscheuchen; nur meine Augen waren es, die in dem anatomischen Buche lasen. Mein Herz war ganz bei meinen Lieben schweifte bald hier, bald dort in meinem düstern und verfehlten Leben herum. Die ganze Zukunft stieg immer wie ein finstres kaltes Todesverhängniß vor meinen trüben Blicken herauf, und ganzj vergebens rief ich mir die guten Vorsätze ins Gedächtniß zurück, welche ich in Berlin, fern von k all dem gräulichen medicinischen Treiben gefaßt hatte, und die bei seinem Anblick, wie immer, im Nichts zerfließen mußten.l Ich glaube übrigens diese unglückselige Stimmung, die mich wirklich zu allem unfähig macht, großentheils auf m meine gänzliche Isolirtheit hier schieben zu müßen, die zu sehr mit dem vorherigen liebevollen Freundesleben contrastirt.n Wenn ich erst mit dem Arbeiten wieder ordentlich im Zuge bin, denke ich, soll es viel besser gehn; wie es ihm aber auch gehen mag, immer umfaßt euch mit der herzlichsten alten Liebe euer treuer Sohn Ernst Haeckel.o || Gestern Abend habe ich ganz besonders viel an euch gedacht: das ist wohl noch einmal ein recht schönes Zusammensein der ganzen Familie gewesen, bei dem lieben, herrlichen Großvater. Wie glücklich wird er gewesen sein mit seiner lieben genesenden Bertha, seinem Goldtöchterchen Hermine, der lieben Tantep Auguste37 und all den andern zahlreichen Kindern und Enkeln. Es thut mir auch recht bitter leid, daß ich dies schöne große Familienfest nicht mitfeiern konnte. Aber über das, was nicht sein kann, soll man nicht klagen (Und doch hätte es am Ende sein können!) Nun grüßt alle aufs beste, besonders Tante Bertha, Mimi, Theodor38, Tante Auguste u.s.w. auch meine Freunde, wen ihr seht. Großvater bringt noch insbesondere meine besten und innigsten Grüße und Glückwünsche für sein Geburtstagsfest.39 Gott erhalte uns den prächtigen alten Mann noch recht lange frisch und munter zu aller Freude und Erbauung. Und wenn ihr so recht traulich im lieben Verwandtenkreise zusammen sitzt, so vergeßt auch nicht euren fernen einsamen, in Liebe eurer gedenkenden Jungen E. H. So eben sehe ich, daß ich aus Versehen Mamas Papierscheere mitgenommen habe; bei Gelegenheit schicke ich sie wieder.q Meine Wirthin läßt sich aufs beste für das schöne Kleid bedanken; sie war ganz selig.r 1 2 3 4 5 6
Sethe, Christoph. Weiß, Ernst. Gagea bohemica (Zauschn.) Schult. & Schult. f., Syn.: Gagea saxatilis (Mert. & W. D. J. Koch) Schult. & Schult.f., Böhmen-Gelbstern, Familie: Liliengewächse (Liliaceae). Erhebung in Kröllwitz, 120 m ü. NN. Guembelia ovata (Hedw.) Müll. Hal., Syn.: Grimmia ovalis (Hedw.) Lindb., Eifrüchtiges Kissenmoos, Familie: Grimmiaceae, eine Familie der Laubmoose. Polytrichum piliferum Schreb. ex. Hedw., Glashaar-Haarmützenmoos, Familie: Polytrichaceae (Frauenhaarmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose.
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Schlechtendal, Diederich Franz Leonhard von. Henckel von Donnersmarck, Maximilian. Osterwald, Ernst. Osterwald, Marie Henriette. Vgl. Br. 138, S. 251, bes. Anm. 9. Lüben, August. Lat.: O liebenswerte Wissenschaft, wann endlich verbinde ich mich mit Dir auf ewig. Lüben, Friedrich Eduard Christian. Ein Punsch, der durch Eintauchen einer erhitzten Kugel oder erhitzter Stäbe zubereitet wird. Entspricht 50° C. Zwarg, Christiane, geb. Neumann. Zwarg, Johann Gottfried August. Zwarg, Emma Marie. Heimstädt, Friedrich. Heimstädt, Ernst Karl Friedrich. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Spanischer Wein, in England dann unter dem Namen „Sherry“ eingebürgert. Thielemann, Carl Heinrich; Thielemann, Bertha, geb. Schulenburg. Basedow, Carl Adolph von; Basedow, Friederike Louise, geb. Scheuffelhuth. Basedow, John Bernd Henning von. Vgl. Br. 74, S. 98. Neumann, Henriette Elisabeth, geb. von Basedow, gen. „Betty“; Elsner, Johanna Carolina, geb. von Basedow, gen. “Hanny”. Elsner, Hugo Alexander Ferdinand. Die „Halloria“, Studentenkneipe in der Brüderstraße 2. Zwischen 1850 und 1900 sehr beliebte Biersorte, die aus Lichtenhain südlich von Jena, eines der berühmten Bierdörfer der Jenaer Studenten, stammt. Es handelte sich um ein leichtes, säuerliches und helles Bier, das durch die Verwendung von Rauchmalz ein besonderes, schinkenartiges Aroma erhielt. Vgl. Br. 95, Anm. 5. Vgl. Br. 129, Anm. 18. Vgl. Br. 95, S. 136 f. Müller, Katharina. Vgl. Br. 103, S. 154 f. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Bleek, Theodor. Christoph Sethes Geburtstag war am 25. April.
156. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 29. April 1853, mit nachschrift von Carl Gottlob Haeckel
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 29/4 53.
So muß ich nun wieder Dir schreiben, da ich Dich nicht mehr bei mir habe; was mir recht schwer wird, es war doch gar hübsch, daß ich Dich mal wieder hier hatte. Nun wir wollen uns jetzt auf Rehme freuen, und uns vornehmen dort recht traulich miteinander zu leben.1 Wie Du mir hier bei allem fehlst, brauche ich Dir nicht erst zu sagen. – Wir haben Deiner viel gedacht und mir thut es so leid, daß Du an Vaters Geburtstag2 nicht || mehr hier warst. Der alte Mann war gar lieb und prächtig.
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Sonnabend Mittag kam Tante Bleek mit Mariechen3 an; Sonntag Nachmittag unsere Hermine mit ihren Eltern4; leider brachte unsere Kleine einen bösen Finger mit, der noch immer nicht gut ist. Sonntag war ich zu Mittag mit Vater in der geographischen Gesellschaft,5 wo über 360 Personen waren; viel Reden wurden gehalten; vona Ritters gefiel mir der An-||fang, dann war sie aber zu lang und breit, Humbold sprach kurz und gut, Dieterizie6 langweilig und süßlich, Lichtenstein sehr holprig. Zuletzt sprach der Bergrat Kramer7 sehr witzig und amüsant. Montag den 25sten assen die Geschwister mittags bei uns; Abends bei Vater8 war es recht nett ausser den Kindern waren die Mutter Reimer9, Siegfried10, Quinke u. Frau11 und Minchen Cockeril12 da, in der weißen Stube wurde an 2 Tischen gegessen, || und wir alle freuten uns, daß Tante Bertha so wohl neben dem lieben Papa saß; für den das das schönste Geschenk war. – Mittwochb waren wir zu Mittag beim Onkel Julius13, c Abends beim Großvater zur Feier von Tante Gertrudens Geburtstag14. – Unser Mitzelchen15 läßt Dich vielmals grüssen; sie kann nicht mit schreiben, da der kranke Finger an der rechten Hand ist. || In N: 816 ist alles gesund; ich habe ihnen Deinen Brief noch nicht mittheilen können; weil Vater ihn hier behalten wollte, um gleich zu antworten, sonst hätten sie mir gewiß Grüsse an Dich gegeben, der alte Großvater hat schon oft gefragt: hast Du noch keine Nachricht von Ernst? – – Wie freute ich mich heute früh als Dein Brief ankam; aber nun, mein Herzens Junge, muß ich Dich auch dringend bitten, || geh mit frischem Muth und Heiterkeit an Dein Tagesgeschäft, d vermeide nicht so den Umgang mit andern Studenten, und auch wenn es sich macht mit Professoren; grüsse Gottes schöne Natur, wozu Du ja in Würzburg Gelegenheit hast; ich denke mir, der Sommer wird Dir viel leichter werden. Schreibe uns nur immer recht fleissig, || was Du treibst, und was Dich bewegt, Du weißt ja wie Dein Vater und ich immer gerne alles mit Dir durchleben. So habe ich in Gedanken Dich in Merseburg begleitet, und mir war es, als wäre ich mit Dir dort. – Gestern Abend waren wir bei Unzers, und heute sollen wir mit Brunnemanns, Mollards, Sethes17 etc. beim Großvater sein; wozu ich mich noch || putzen muß. e Heute war ich mit Tante Minchen18, die Möbel für Häringsdorf19 kaufen wollte im Möbelmagazin etc. Da habe ich mir bei einem Trödler eine schöne Serviettenpresse gekauft, wobei ich dachte, daß Du sie auch mitunter zu Blumen brauchen wirst. Nun lebe wohl, mein Herzens Junge, Gott sei mit Dir, behalte lieb Deine alte Mutter. [Nachschrift von Carl Gottlob Haeckel] Ein Paar Worte muß ich Dir doch auch schreiben. Ich habe seit Deiner Abreise tief in Ritters Geographie über Asien20 gesteckt. Es ist doch ein merkwürdiger Erdtheil. Er besteht aus großen verschloßenen Maßen von Ländern, welche durch große Gebirge oder Wüsten so von einander getrennt sind, daß sie obwohl doch ganz nahe liegend doch nichts von einander wißen und wenig mit einander verkehren. Als Hauptglieder kann man betrachten: 1) Vorder Indien, 2) Hinterindien mit den malaiischen Inseln, 3) die Wüste Gobi mit der Mongolei, 4) die freie Tartarei (Oxus u. Jaxartes Gebiet)21, 5) das eigentliche China, 6) Vorderasien, was sich schon ganz Europa zuneigt und mit dem übrigen Asien in geringer Verbindung steht. Besonders abgeschloßen ist Vorderindien durch den Indus,f von wo aber durch Clima und Volk eine ganz neue Welt
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beginnt, aus der sich das höchste Gebirge Asiens, der Himalaya hervorhebt. Auf der westlichen Seite des Himalaya ist es ganz heiß, auf der östlichen das hoheg kalte Tibet. Hinter ihnen folgt dann 7) das eigentliche h China, welches wieder eine Welt für sich ist, desgl. 8) Arabien. Da hat Europa eine ganz andre Communikation unter seinen verschiedenen Ländern, welche die Kultur sehr fördert. Die Tage werden nun länger, ich komme Abends gewöhnlich erst gegen 8 Uhr vom Spatziergang zurük und gehe dann gleich zu Mutter, wo wir ein Stündchen zusammen lesen und dann unser Spielchen machen. Wir haben in diesen Tagen wieder kaltes Wetter. – Uebernimm Dich nicht, gehe täglich spatziren und schlafe dann von 10–4 Uhr. Mitte Mai denken wir in Landsberg zu sein. Dein Dich liebender Alter Haeckel 1
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Rehme, Kurort an der Weser, seit 1973 Stadtbezirk von Bad Oeynhausen. Ernst Haeckel und seine Mutter planten für den Sommer 1853 dort einen gemeinsamen Kuraufenthalt. Der Kurort entstand nach der Entdeckung einer heilkräftigen Thermalsolequelle unter dem Namen „Neusalzwerk bei Rehme“ und wurde 1848 durch Verfügung des preußischen Königs in „Königliches Bad Oeynhausen“ umbenannt, gehörte aber zunächst weiterhin zur Gemeinde Rehme, aus der es 1860 ausgegliedert wurde; zum Aufenthalt vgl. Br. 178. Vgl. Br. 155, Anm. 39. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe; Bleek, Marie. Sethe, Christian; Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Am Sonntag, den 24.4.1853, hatte die Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin im Mäderschen Saal ihr 25-jähriges Stiftungsfest gefeiert; vgl. Königlich privilegirte Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Erste Beilage zu Nr. 95, 26.4.1853, S. 5 f. Dieterici, Friedrich Heinrich. Kramer, Gustav. Sethe, Christoph. Reimer, Wilhelmine Charlotte Susanne Philippine, geb. Reinhardt. Reimer, Siegfried. Quincke, Hermann; Quincke, Marie, geb. Gabain. Cockerill, Wilhelmine, geb. Maassen. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Gertrude Sethe hatte am 27. April Geburtstag. Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Schifferstraße Nr. 8 in Berlin, Nachbarhaus der Wohnung der Familie Haeckel in Nr. 6. Hier wohnte Haeckels Großvater gemeinsam mit seinen beiden unverheireteten Töchtern Bertha und Gertrude; vgl. Br. 45, Anm. 13. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Adelheid, geb. Reimer; Sethe, Christian; Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Das Fischerdorf Heringsdorf wurde um 1818 nach der Eingliederung Schwedisch-Pommerns in den preußischen Staat gegründet. Das wirtschaftliche Entwicklungskonzept für Pommern, in dessen Umsetzung der Ort entstand, war maßgeblich von dem Reformpolitiker Johann August Sack, Oberpräsident der Provinz Pommern, einem Großonkel Ernst Haeckels, entworfen und vorangetrieben worden. Nach ihm ist noch heute ein Wasserbauwerk bei Heringsdorf, der 1,6 km lange, mit Schöpfwerken versehene Sack-Kanal, der den Wasserstand des Gothensees und des Thurbruchs reguliert, benannt. Vgl. Gadebusch, Wilhelm Ferdinand: Chronik der Insel Usedom. Anclam 1963; Dahle, Wolfgang: Ein preußischer Reformer in Pommern. Johann August Sack. In: Pommersches Heimatbuch. Lübeck; Travemünde 2008, S. 41–46. Ritter, Carl: Die Erdkunde im Verhältniß zur Natur und zur Geschichte des Menschen, oder allgemeine, vergleichende Geographie, als sichere Grundlage des Studiums und Unterrichts in
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physikalischen und historischen Wissenschaften. 2 Theile, Berlin 1817–1818. – Carl Gottlob Haeckel hörte regelmäßig die Vorlesungen Ritters an der Universität Berlin. Im Altertum Bezeichnung der Flüsse Amudarja und Syrdarja, die beide in den Aralsee münden.
157. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 4. Mai 1853
Liebe Eltern!
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Seit Anfang dieser Woche befinde ich mich nun wieder in meinem alten esse1 und mir ist dabei schon bedeutend wohler. Die vorige Woche habe ich noch recht traurig verlebt, da außer einer Stunde früh bei Schenk noch kein Kolleg angegangen und auch keiner meiner Bekannten da war. Ich wußte so, besonders da es so schönes Wetter war, eigentlich nicht, was ich anfangen sollte, obwohl ich den ganzen Tag fast mit dem festen Vorsatz, mir die Anatomie der Nerven (von der ich noch keine Idee habe) einzuprägen an meinem Schreibtisch vor den Lehrbüchern der Anatomie saß und mit meinen Augen darin las, auch wirklich das Ding so durchmachte. Als ich mich aber schließlich besann, was ich denn eigentlich dabei gelernt, so fanda sich’s, daß dies gar nichts war. Denn trotz der größten Mühe, die ich mir gab, recht aufzumerken und die Gedanken nicht wie gewöhnlich durchgehn zu lassen, thaten sie dies doch und saßen bald im traulichen Verwandten- und Freundeskreis in No 6, und No 82 bald machten sie in Merseburg Visiten, bald thronten sie auf dem herrlichen Ziegenrücker Schloß und schwärmten im romantischen Sornitzgrund, bald botanisirten sie das sonnige Mainthal hinab und fanden die schönsten Kalkpflanzen, die mir mein unglückliches [ϕαιδιμον γυιον]3 zu holen verbietet, bald liefen sie gar in das Land davon, wo der Pfeffer wächst, nach Indien, oder sonst wohin, wohin sich die Gedanken eines abstrusen Mediciners nie verirren sollten. || Das ist aber eben das Schlimme, daß ich zu gewissen Zeiten (und zwar leider sehr oft) meine bischen dummen Gedanken trotz der ernstlichsten Bemühung nie recht zusammenhalten kann. Übrigens verging mir so die Woche noch rasch genug, obwohl ich mich schmählich geärgert habe, und auch noch ärgere, daß ich sie nicht bei euch zugebracht habe. Wie viel habe ich dadurch verloren. Ich hätte das herrliche große Familienfest4 miterlebt, hätte Tante Bleek5 und Mariechen6 noch gesehen, hätte beim Zweckessen in der geographischen Gesellschaft7 Humboldt gesehen (was längst mein sehnlichster Wunsch war), hätte mein Schwesterchen noch genossen, hätte in Halle und Merseburg schon manches schöne blühend gefunden, hätte mich hier nicht 1 ganze Woche mit melancholischen Gedanken und Grillen gefüttert, und was dergleichen verwünschte „hätt’ ich“ mehr sind. Aber es muß einmal Alles, was ich anfange verfehlt sein! Der größte dumme Streich, den ich jetzt wieder gemacht habe, ist, daß ich nicht diesen Sommer in Berlin geblieben bin. Grade die Collegien, die ich jetzt höre, hätte ich nirgends besser hören können, als in Berlin, und da es grade die wichtigsten und interessantesten sind, da ich sie dort bei einem der größten und erhabensten Männer, bei Johannes Mueller, der auf mich einen ganz besonders fesselnden Eindruck gemacht hat, gehört hätte, ist mir dies doppelt und dreifach leid. Grade Physiologie und vergleichende Anatomie (die beiden interessantesten Gegenstände, die es giebt)
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liest er unvergleichlich besser, als Kölliker, obwohl er diesem in der Anatomie selbst nachsteht (Mueller wird mit Aristoteles verglichen!).8 || Übrigens gefallen mir diese beiden Kollegien trotzdem außerordentlich; näheres kann ich euch erst später berichten, da ich erst 6 Stunden gehabt habe. Heute erzählte uns z. B. Kölliker von Infusionsthierchen Sachen, daß wir Maul und Nase aufsperrten und uns ins Reich der Mährchen versetzt glaubten, als z. B. daß beib gewissen Thierchen (Actinophrys)9 2 Individuen vollständig zu einem einzigen verschmelzen, etwa so:
und daß dann c in der Mitte dieses Doppelthiers 1 Ei entsteht, aus dem viele neue hervorkommen u.s.w.! In der Physiologie hielt er eine sehr anziehende philosophische Einleitung, worin er sehr klar und scharf den Standpunkt des Naturforschers feststellte und ihn vollständig von dem des Menschen trennte. Der Naturforscher muß rein empirischkritisch verfahren; er darf nur objective Forschungen, Beobachtungen und Versuche anstellen und höchstens aus den gefundenen Resultaten allgemeine Gesetze aufstellen und ableiten. Nie darf er teleologisch, nie idealistisch oder dynamistisch, nie, mit einem Wort, naturphilosophisch werden. Obgleich ich diese real-empirische Forschungsweise in ihrer absoluten Objectivität wohl auch als richtig anerkennen muß, so will sie mir doch nicht recht gefallen und eine allgemeine naturphilosophische Ansicht und Überblick des Ganzen nach Erforschung des Einzelnen sagt mir ganz besonders zu und ist mir Bedürfniß. – Heute hat er mit der Lehre von der Verdauung angefangen. Physiologie ist überhaupt die Lehre vom Leben, von allen einzelnen Thätigkeiten und Verrichtungen des Organismus! Was kann es wohl Anziehenderes geben. || Diesen Sommer will ich nun noch recht in diesen alleranziehendsten Materien, auf deren genaues Studium ich mich schon längst gefreut hatte, schwelgen. Dann aber, wehe! ist es vorbei mit der Naturwissenschaft und es kommt die schreckliche praxis, für alle andern die ersehnte aurea10, nur für mich die gefürchtete cinerea11! Dann kommt die unnatürliche Krankheitslehre, die Pathologie und Therapie u.s.w. Hea Hea!! – Das Colleg bei Schenk, die medicinische Botanik welche ich vorige Woche hörte, habe ich zu meinem großen Nutzen und zu seinem großen Ärger, wieder aufgegeben. Ich für meine Person hatte darin wirklich nicht die Spur zu profitiren, obwohl die Anderen, die auch wirklich nicht eine Klette von einer Orchidee, höchstens ein Veilchen von einem Apfelbaum unterscheiden können, es sehr rühmen. Das Einzige, was ich dabei gewonnen hätte, wären ein paar seltne Pflanzen gewesen, die mir noch fehlen. Aber auf ein bischen Heu12 mehr oder weniger d darf es einem Mediciner am Ende nicht ankommen. Ich bin also zu Schenk hingegangen und habe ihm auseinandergesetzt, der Wille meines Vaters und meine eigne Überzeugung geböten mir practischer Arzt werden wollen zu sollen, und da müßte ich diesen Sommer präpariren und könnte mich nicht mit dem nutzlosen Pflanzenzeug abgeben, worauf er erwiederte, daß
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mein Vater allerdings ganz Recht habe, wenn er mich zugleich Medicin studiren lasse, daß ich aber dabei doch medicinische Botanik hören könne. || Das half aber alles nichts; ich e wollte partout seciren, und will mich auch nun wirklich nächstens wieder in den lieblichen Secirsaal hinsetzen und meine feinen nervus Olfactorius (Geruchsnerven)13 wieder etwas mit Magensaft, Dünndarminhalt und anderm Eingeweidezeug tractiren und abstumpfen. Beiläufig ist es mir recht lieb, daß ich noch auf so gute Art von dem botanischen langstieligen Kolleg losgekommen bin. – Am vergangenen Sonnabend Nachmittag stellte Schenk mit einigen 20 Zuhörern die erste Excursion an, der ich auch beiwohnte; mit welchem Gefühle könnt ihr euch denken, da meine liebe alte Botanisirtrommel (die jetzt neu in Tante Berthas schönen Riemen paradiert) nun über 1½ Jahr pensionirt gewesen war! Trotzdem die Excursion, welche in den Zellerwald14 (eine herrliche Gegend) gerichtet war, 4 Stunden, von 2–6 dauerte, ist sie mir doch recht gut bekommen. Das Knie musicirte, wie gewöhnlich nach starken Bewegungen am selben Tage gar nicht mehr, desto stärker am folgenden, jedoch ohne Schmerzen. (Wir fanden außer Helleborus foetidus15 und Scilla bifolia16 mehrere Moose fructificirend, z. B. Leucodon sciuroides17, Hypnum triquetrum18, Fissidens taxifolius19 und einen seltnen Pilz: Tulostoma fimbriatum20). Morgen macht Schenk mit Steudner eine große Excursion nach ein paar prächtigen Alpenpflanzen, die ich leider nicht mitmachen kann, da sie den ganzen Tag dauern wird. Sonst war Himmelfahrt immer grade der Tag, wo wir die schönsten Excursionen machten, nach Halle und Naumburg.21 || An einem andern schönenf Nachmittag machte ich mit jenem netten Freundeskreis (Gerhard22, der Assistent von Kölliker, Lachmann, Hein, Meier23, u.s.w.) dessen Mitglied ich gar gerne werden möchte, aber nicht kann, (leider!), mit denen ich jetzt auch zusammen esse, einen Kneipspaziergang nach Versbach, der sehr nett war. Überhaupt will ich das herrliche Frühlingswetter, das wir seit 8 Tagen haben recht ordentlich zu kleinen Ausflügen in die Umgegend benutzen, die doch viele schöne anmuthige Parthien hat. – Meine Bekannten, namentlich Steudner träumen jetzt schon viel von den Alpenreisen, die sie in den Herbstferien machen wollen, g und ich dagegen – von einer Badereise!24 – Das ist wohl ein kleiner kleiner Unterschied. Trotzdem freue ich mich doch recht auf die schöne Zeit, die ich dort mit Dir, liebe Mutter, recht schön zu genießen denke. – Da fällt mir ein, daß ich fast eine Hauptsache vergessen hätte, die vielleicht Dir, lieber Vater, zum Trost gereichen wird. Eins der ersten einleitenden Worte Köllikers war nämlich das, daß die Physiologie, diese Wissenschaft der Wissenschaften, ihre Erfahrungen, Kenntniße und Erfolge größtenteils der Pathologie verdankt, und daß nur durch genaue Kenntniß der kranken abnormen Zustände das normale gesunde Leben erkannt werden könne. Dies hat mich wirklich sehr getröstet und mit der Medicin in etwas ausgesöhnt, so daß ich doch wenigstens etwas Hoffnung und Muth fasse, medico-botanicus oder botanico-medicus werden können glauben zu dürfen, als welcher, jedoch immer mehr als Pflanzenmensch, als als Menschenmensch, ich zu verbleiben geruhe euer alter treuer Junge E. Haeckel! Dto.h || Meine Kiste ist noch nicht angekommen; ich vermisse sie schmerzlich.i
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Lat.: Sein, Befinden. Die Wohnungen der Familie Haeckel und des Großvaters Christoph Sethe in Berlin, Schifferstraße 6 und 8; vgl. Br. 45, Anm. 13. Altgriech. ϕαίδιμον γυῖον (phaidimon guion): stattliches Glied; epische Formel aus Homers „Ilias“ (insgesamt sieben Nachweise, z. B. Gesang 6, 27), hier: dickes Knie in ironischer Anspielung auf Haeckels rheumatische Knieerkrankung. Die Formel wird von Homer allerdings nur im Plural ϕαίδιμα γυῖα (phaidima guia) verwendet. Nach dem Lexikon des frühgriechischen Epos (LfgrE, Bruno Snell (Begr.). 2. Bd., Göttingen 1982, Sp. 183 f.) werden mit γυῖα „Glieder, sofern sie durch Gelenke bewegt werden“ bezeichnet, ϕαίδιμος wird als Formelepithet mit „strahlend, stattlich“ übersetzt (ebd., 4. Bd., Göttingen 2008, Sp. 797 f.). Haeckel hatte sich für sein Osterexamen am Domgymnasium in Merseburg intensiv mit Homers „Ilias“ beschäftigt (siehe Br. 46, 47, 48, 63 und 69). Die Feier des 86. Geburtstages von Haeckels Großvater Christoph Sethe; vgl. Br. 156, S. 299 f. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Bleek, Marie. Vgl. Br. 156, Anm. 5. Vgl. dazu auch Mazzolini, Renato G.: Müller und Aristoteles. In: Hagner, Michael / WahrigSchmidt, Bettina (Hrsgg.): Johannes Müller und die Philosophie. Berlin 1992, S. 11–27. Actinophrys sol Ehr., Sonnentierchen, einzellige Lebewesen, die mit anderen Artgenossen zu sog. Fressgemeinschaften (Kommensalismus) fusionieren, um gemeinsam größere Beuteobjekte einzufangen. Auf diese Weise können Sonnentierchen große Kolonien bilden. Die Beute wird in einer großen Nahrungsvakuole eingeschlossen und anschließend gemeinsam verdaut. Danach lösen sich die Individuen wieder voneinander. Vgl. Kölliker, Albert: Das Sonnentierchen, Actinophrys sol [ist Actinosphaerium Eichhornii Ehr.]. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Hrsg. von Carl Theodor von Siebold und Albert Kölliker. 1. Bd., Leipzig 1849, S. 198–217. Lat.: das Goldene, die Herrlichkeit. Lat.: das Aschgraue. – Für Haeckel eine Umkehrung des Ausspruches: „Grau, theurer Freund, ist alle Theorie“. Sinngemäß war für ihn die Naturwissenschaft die helle Freude, während ihm entgegen der Erwartungshaltung seiner Kommilitonen die medizinische Praxis grau und trübe erschien; vgl. dazu auch Br. 134, Anm. 4. Vgl. Br. 153, Anm. 5. Lat. nervus olfactorius: Geruchsnerv. Westlich der Stadt Würzburg und südlich des Mains gelegenes Waldgebiet mit der Zeller Waldspitze als höchster Erhebung. Helleborus foetidus L., Stinkende Nießwurz, Familie: Ranunculaceae (Hahnenfußgewächse). Scilla bifolia L., Zweiblättriger Blaustern, Familie: Hyacinthaceae: Hyacinthengewächse; zu Haeckels früheren Scilla-Exkursionen; vgl. Hecht, Gerhard: Botanische Tätigkeit Ernst Haeckels in der Teplitzer Gegend 1852. Ein Beitrag zur Biographie eines fortschrittlichen deutschen Wissenschaftlers. (Oblastni muzeum, Hrsg.), Teplice 1974, S. 57 f.; siehe Abb. 32. Leucodon sciuroides Schwägr., Eichhörnchenschwanz-Weißzahnmoos, Familie: Leucodontaceae (Weißzahnmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Hypnum triquetrum Hedw., Dreiseitiges Astmoos, Familie: Hypnaceae (Schlafmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Fissidens taxifolius Hedw., Eibenblättriges Spaltzahnmoos, Familie: Fissidentaceae (Spaltzahnmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Tulostoma fimbriatum Fr., Gewimperter Stielbovist, Familie: Sclerodermataceae. Zur gemeinsamen Exkursion an Himmelfahrt 1852; vgl. auch Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 6.7.1852 (EHA Jena, A 16209); siehe Abb. 31. Gerhardt, Carl Jakob Adolf Christian. Meier, Victor. Vgl. Br. 156, Anm. 1.
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158. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 7. – 10. Mai 1853
Mein lieber, lieber Ernst!
Berlin 7/5 53
Als ich früh Hermine auf den Bahnhof gebracht hatte, fand ich als ich zurück kam, Deinen lieben, so sehnlichst erwartteten Brief.1 Hab herzlichen Dank mein lieber Junge für die Freude, die Du mir dadurch gemacht. Dein Brief sagt mir, das Du gutes Muthes bist, und dabei möge Dich Gott erhalten. Wie sehr freut es mich auch, daß Du die bothanische Parthie2 mitgemacht hast, bei dem nun zu erwarttenden Frühling || lebe nur ja auch recht in der Natur, geniesse die schöne Gegend, in der Du lebst. Aber warum kannst Du an dem Kränzchen3, der jungen Männer, die Dir gefallen nicht Theilnehmen?? – Wahrscheinlich hast Du aus Furcht sie würden es Dir abschlagen, nicht den Muth sie zu fragen; das ist unrecht, auf die Gefahr hin, mußt Du es wagen, Du hast dann das Deinige gethan. || Die Zeit, die Du mit ihnen leben kannst, vergeht so rasch, und dann ärgert es Dich, daß Du es nicht genossen hast. Dienstag früh. Bis heute habe ich den Brief absichtlich liegen lassen, ich dachte heute Nachricht aus Ziegenrück zu erhalten, und wollte Dir gleich schreiben. Da dies aber nicht geschehen, und wir heute nach Potsdam fahren, so beeile ich mich, diese Zeilen noch schnell zu schliessen. || Tante Auguste4 und Tante Bertha haben mir die herzlichsten Grüsse an Dich aufgetragen, und letztere läßt Dir sagen: sie freue sich sehr von Dir gehört zu haben, daß man aus dem kranken Körper am besten den gesunden beurtheilen könne. Frau v. Massenbach ist Freitag gestorben, deshalb fahren wir heute nach Potsdam. Der große Familienkreis von Bassewitz5 ist sehr klein geworden. –|| + Ueber Auctions Kataloge. Ein Beitrag zur botanischen Bücherkunde. Soll ich es aufheben oder gelegentlich schicken. – – Morgen Nachmittag werde ich bei Richters Kindchen6 Gevatter stehen. – Julchen Bessel7 war hier, und grüßt Dich herzlich. – Wenn weitere Ausflüge gemacht werden, die für Dein Knie zu groß sind, so suche es doch so einzurichten, daß Du eine Strecke || fährst; und dann mit den Uebrigen zusammen triffst. Wie ist es? hast Du Dir ein Klavier gemiethet? Daß Du wieder mit andern zusammen ißt, freut mich. Unsere Kleine8 hatte leider noch immer den schlimmen Finger.9 – Als sie noch hier war, sind wir zusammen einen Abend bei Onkel Julius10 und einen bei || Quinkes11 gewesen. Nun mein Herzens Junge, muß ich schliessen. Gott behüte Dich, erhalte Dich gesund, und denke fleissig an Deine Mutter, die Tag und Nacht bei Dir ist, und sich freut, wenn Du gutes Muths bist. – – 1 2 3 4
Br. 157. Vgl. Br. 157, S. 304. Vgl. Br. 124, Anm. 33. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe.
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Das Todesdatum der Adelheid von Massenbach, geb. von Bassewitz, ist Freitag, der 6.5.1852; die Angabe 6.5.1862 in: Gothaisches Genealogisches Taschenbuch. Uradelige Häuser. 1. Jg., Gotha 1900, S. 51, ist offensichtlich unrichtig. Zum Bassewitzschen Familienkreis in Potsdam gehörten u.a. Friedrich Magnus und Henriette Adelheid von Bassewitz, geb. von Gerlach. Richter, Marie. Bessel, Julie. Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Vgl. Br. 156, S. 300. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Quincke, Hermann; Quincke, Marie, geb. Gabain.
159. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 14. Mai 1853
Liebe Eltern!
Würzburg den 14/a5 53
Ich schreibe euch heute zu einer so ungewöhnlichen Zeit, nämlich 5 Uhr früh (jetzt meiner gewöhnlichen Aufstehstunde) daß ihr euch nicht wundern dürft, wenn der Brief noch so schlaftrunken, wie meine Augen, ist. Euren sehnlichst erwarteten Brief1 erhielt ich vorgestern. Zugleich kam ein großer, sehr leichter Zigarrenkasten aus Merseburg von Weiß2 an, in dem es sonderbar rappelte und rüttelte. Höchst neugierig öffnete ich schnell und was fiel mir entgegen: ein riesiger Strauch (sage Strauch!) von Viscum album3, mit ein paar 100 Blüthen, von etwa 1 Kubikfuß Umfang. Es ist dies ein allerdings sehr sonderbarer Schmarotzerstrauch, der auf Pappeln, Kiefern und Obstbäumen wächst (nah verwandt mit dem von mir bei Teplitz entdeckten Loranthus)4, den wir immer bei Halle gesucht, aber nie gefunden haben; hier ist er gar nicht selten. Trotzdem amüsirte mich der Spaß sehr und der ganze große Mistelstrauch ist jetzt als Surrogat eines Kronleuchters in der Mitte meiner Stube aufgehängt. Außerdem enthielt das Kistchen ein paar Versteinerungen (Blätter einer Weide), die ersten, die bei Merseburg bis jetzt gefunden wurden, und einige hübsche Moose. – Ich b selbst habe die Botanik jetzt so ziemlich an den Nagel gehängt (N.B. so weit dies möglich ist!) und secire dafür nach Leibeskräften. Dieser Tage habe ich Lungen und Herz präparirt und zwar in dem schönen neuen Secirsaal der neuen Anatomie,5 der aber trotz seiner Freundlichkeit und Größe schon ganz wieder jenen fatalen specifischen Geruch angenommen hat. Mit meinen Collegien6 bin ich jetzt endlich auch im Reinen; es sind nicht so viele geworden, als ich anfangs gedacht hatte. Ich höre jetzt: || 1. Physiologie7 7mal; täglich von 11–12 und Sonnabends von 8–9; in letzterer Stunde werden chemische und physiologische Experimente an Leichen und lebenden Thieren gemacht; c obgleich Kölliker die Physiologie nicht besonders gut vorträgt, so interessirt sie mich doch an und für sich im höchsten Grade. Wir haben jetzt das Kapitel von der Verdauung vor, und ich habe natürlich meinen Speisezettel ganz physiologisch-medicinisch eingerichtet; so esse ich z. B. Abends meistens Milch. 2. Vergleichende Anatomie8 3mal von 12–1, und 2mal von 6–7 Uhr. Dies ist wirklich das Interessanteste, was man hören kann, obgleich grade die medicinischen practici sehr dagegen eifern. Diese Woche sind die Infusionsthierchen beendigt worden und
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die Polypen und Korallen angefangen. Wenn übrigens Ehrenberg9 über Kölliker böse ist, so kann man dies ersterem gar nicht verdenken. Denn wenn Kölliker auch meistens Recht hat, so nimmt er ihn doch zu schonungslos mit; z. B. sagte er zu uns: „Wenn Herr Prof. Ehrenberg nicht Professor in Berlin und dortiges Mitglied der Akademie wäre, so würde man ihn schon längst der Geschichte (i. e. der Vergessenheit) anheim gegeben haben. Ich begreife nicht, wie man das, was man unter dem Microscop sieht, grade so auf die aller willkührlichste und unangemessensted Weise deuten kann“! Der Hauptunterschied ist der, daß Ehrenberg in den Infusionsthierchen allee die vollkommenen Organe-Werkzeuge zu entdecken glaubte, die auch die höhern Thiere besitzen z. B. Magen, Darm, Lunge u.s.w. während von allem dem keine Rede ist, und alle diese Thiere, wie alle neuen Forscher einstimmig zugeben, nichts als eine einfache Zelle sind, wie auch die niedersten Pflanzen, von denen sie sich nur durch die contractilef Membran unterscheiden. || Wenn dies auch richtig ist, so muß man doch, meine ich, den Fleiß und die Ausdauer anerkennen, mit der Ehrenberg diese Thierchen verfolgt und entdeckt hat. – Als Leitfaden habe ich mir „Vogts zoologische Briefe“10 angeschafft, nach denen auch Kölliker sich bei seinem Vortrage richtet und die zu gleich die Zoologie (d. h. die systematische Seite) und die vergleichende Anatomie (d. h. die höhere wissenschaftliche) behandeln. Denn die vergleichende Anatomie g (von Johannes Mueller gegründet) ist eigentlich nichts als, Zoologie, in Verbindung mit Anatomie und Physiologie, also im höchsten wissenschaftlichen Sinn.11 Das Buch ist im Ganzen sehr anziehend, klar und übersichtlich geschrieben. Zu bedauern ist es nur, daß viele Stellen durch den wahnsinnigen Radicalismus des Verfassers ganz verhunzt sind, so daß man gleich schwarzes Papier darüber kleben h möchte. Der Verfasser ist nämlich jener berüchtigte Carl Vogt aus Gießen, „der deutsche Reichsvogt“, und „Exmonarch des Deutschen Reichs“, wie er sich selbst nennt.12 Ihr werdet euch seiner wohl noch von anno 48, 49, 50 her erinnern; namentlich in der Paulskirche war er höchst frech und unleidlich. Jetzt lebt er verbannt in der Schweiz und „freut sich, daß das deutsche Volk seine Bücher kauft, während es auf den Verfasser selbst schimpft.“13 Auch ich habe nicht umhin gekonnt, ihm dies Vergnügen zu bereiten, da das Buch wirklich sehr geistreich und klar namentlich die so höchst interessanten wirbellosen Thiere behandelt. Was soll man aber sagen, wenn man solche Stellen liest: „Die fortschreitende Ausbreitung des Christenthums tödtete, wie jede andere Wissenschaft, so auch vor allem die Naturlehre, welche ihm nothwendig feindlich gegenübertreten mußte!“14 oder wenn der Verfasser von dem kindischen Mährchen des Christenthums spricht u.s.w. Anfangs ärgerte ich mich i darüber; das ist er aber nicht werth; man kann ihn eigentlich nur bedauern. || Das dritte Kolleg, das ich höre, ist 3mal von 10–11 3. Entwicklungsgeschichte bei Dr. Leydig, einem talentvollen jungen Privatdocenten, bei dem ich schon im Winter microscopische Anatomie hörte. Eine nette Vorlesung, worin auch viel, namentlich vergleichend anatomisch, gezeichnet wird.15 4. Physiologie des Auges bei Heinrich Müller, 2mal von 10–11; eine interessante Vorlesung, wobei viel Optik vorkömmt.16 5. Organische Chemie bei Professor Scherer, 2mal von 3–4 Scherer ist zwar ein berühmter Chemiker, hat aber einen unangenehmen, auch nicht tief eingehenden Vortrag, so daß mich dieses Kolleg viel weniger anzieht, als ich gehofft hatte; auch sind 2 Stunden wöchentlich viel zu wenig.17
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Im Ganzen habe ich also äußerst wenig eigentliche Collegia angenommen. Dafür will ich die Anatomie ordentlich repetiren, viel seciren, und überhaupt noch vieles Versäumte nachholen. Außerdem werden noch ein paar Collegia von allen Ausländern (also auch von mir) geschossen, wenigstens periodisch: als z. B.: Analytische Chemie, Magnetismus und Electricität, Geschichte der Medizin (bei Marcus18; sehr gut!), chirurgische Instrumentenlehre (das gräulichste, was man sich denken kann) und noch ein paar andere, welche wir als publica betrachten, da hier fast gar keine eigentlichen publica gelesen werden. Überdies kommt noch im Sommer das Baden und Spaziergehen (respective Botanisiren) dazu, so daß die Zeit knapp genug eingetheilt ist; der Sommer geht ohne dies so rasch dahin; es sind kaum 3 Monate. – Die hiesige Gegend fängt allmählich an, sich ganz nett zu machen; wenn es nur endlich einmal ordentlich warm werden wollte; seit 8 Tagen frieren wir hier wieder so arg, daß ich ein paar Mal aus Verzweiflung in meiner kühlen Bude den Pelz angezogen habe. || Im Ganzen ist die Pflanzenwelt um 3–4 Wochen zurück. Bei einer vorigen Sonnabendj (den 7ten) unternommenen Excursion, die wieder 4 Stunden dauerte, in einen Wald bei Gerbrunn19, fanden wir fast gar nichts, aus dem einfachen Grunde, weil noch nichts blühte; die Moose und Pilze bleiben so jetzt mein einziger Trost. Jene Tour bekam mir übrigens ganz gut, obwohl ich schrecklich caput und ermüdet nach Hause kam. Wenn das Wetter zum Pfingstfest gut wird, so will ich mich einmal recht gemüthlich in dem schönen Guttenberger Wald20 (so ziemlich der nächste; 1 Stunde entfernt) niederlassen und mich der herrlichen Bäume, der niedlichen Moose und des muntern Vogelgesangs (der hier sehr anmuthig ist) freuen, auch einmal wieder Naturscizzen zeichnen. An Nachtigallen ist hier Überfluß, sogar in den schönen Anlagen, die rings außerhalb um das Glacis21 herumgehen und die ganze Stadt mit einem grünen Kranze umgeben. Ich wünschte euch oft her, um es mitzugenießen. – Meine Kiste ist endlich angekommen, nachdem sie über 8 Tage hier gestanden hatte; auf dem Bahnhofe hatten sie die Adresse falsch: „Henkel“ abgeschrieben. – N. B. die Schrift vom alten Henkel behaltet meinetwegen bis „in die aschgraue Pechhütte“ (wie man hier sagt) hinein bei euch. Ich trage kein besonderes Verlangen, die Sache zu lesen!22 Überhaupt habe ich der Botanik jetzt auf eine Zeitlang (halb aus Trotz) Ade gesagt. Wir wollen sehn, wie lange es dauert. – Georg Quinke laßt doch recht herzlich durch seine Eltern grüßen; ich habe ihn schon oft hergewünscht. Wie gefällt es ihm denn in Königsberg? – || Was hat denn Miesekätzchen eigentlich an ihrem Finger gefehlt?23 Ihr vermißt sie wohl alle recht, besonders Großvater! Wenn ihr nach Ziegenrück schreibt, so schickt vorläufig die schönsten Grüße mit. Da Karl nun Herminen wieder [hat], so wird ihnen vorläufig nichts an einem Briefe von mir liegen; ich will aber doch bald mal hinschreiben. Sie werden sich gewiß recht des prächtigen Frühlings im Gebirge freuen; ich wünsche mich oft recht sehnlichst auf ein paar Tage dahin! – Das Universitätszeugniß24 schick ich nächstens. – Habt ihr einmal was von Adolph Schubert gehört? – Daß es Tante Bertha wieder schlechter gegangen ist, thut mir sehr leid; wenn nur erst wieder warmes Frühlingswetter kömmt; das wird ihr schon gut thun. Ich schicke ihr ein paar von den herrlichen Anemonen25 mit, die hier auf allen Hügeln blühn und bei uns ganz fehlenk. Überhaupt scheint die Flora recht schön zu werden und ich will sie recht genießen. –
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Nun feiert ein recht vergnügtes Pfingstfest und denkt dabei an euren alten Jungen E. H. lHerzliche
nicht. Adieu! – 1 2 3 4
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Grüße an alle Bleeks26, Großvater, Weißes27, Quinkes28 u.s.w. vergeßt
Br. 158. Weiß, Ernst. Viscum album L., weißbeerige Mistel, parasitische Pflanze, Familie: Santalaceae (Sandelholzgewächse). Loranthus europaeus Jacq., Eichenmistel oder Riemenblume, parasitische Pflanze, Familie: Loranthaceae (Riemenblumengewächse); zu Haeckels Teplitzer Fund der Pflanze vgl. Hecht, Gerhard: Botanische Tätigkeit Ernst Haeckels in der Teplitzer Gegend 1852. Ein Beitrag zur Biographie eines fortschrittlichen deutschen Wissenschaftlers. (Oblastni muzeum, Hrsg.), Teplice 1974, S. 81.– Nach seinem Teplitzer Reisetagebuch hat Haeckel die Pflanze zunächst von dem Naturalienhändler Franz Tannenberger gekauft: „Ich kaufte mir Loranthus europoaeus, die er auf einer Eiche im Galgenbusch nahe bei Teplitz gefunden haben wollte, während sie nach Koch gar nicht in Böhmen vorkömmt […]“; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med. (et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a), Eintrag v. 6.9.1852. Ein weiteres Exemplar erwarb er am 21.9.1852 bei Tannenberger im Tausch gegen Doubletten aus seiner eigenen Sammlung, fand aber die Pflanze noch am gleichen Tag bei einem Spaziergang: „Gleich als wir unten in den Galgenbusch getreten waren, erblickte ich zu meinem größten Erstaunen, zugleich aber auch zu meiner tiefsten Betrübniß, da ich ihn nicht erreichen konnte, den merkwürdigen und seltenen Schmarotzerstrauch Loranthus europaeus, der nach Koch gar nicht in Mitteldeutschland (und Böhmen) vorkömmt, rechts vom Wege auf den Gipfelästen mehrerer sehr alter und hoher Eichen. Er bildete mächtige, kugelige, 3–5' im Durchmesser haltende Sträucher, die sich zwischen dem Eichenlaub mit ihren schmalen gedrängten Blättern höchst merkwürdig ausnahmen, und durch ihre tief in die Eichenäste eingreifenden Wurzeln mächtige, wulstartige Höcker auf ihnen hervorgebracht hatten. Es war mir in vieler Beziehung sehr interessant.“ Vgl. ebd., Eintrag v. 21.9.1852. Vgl. Br. 103, S. 155. Im Folgenden vgl. auch Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Sommer–Semester 1853 gelesen werden. Würzburg 1853, S. 5–7. Vgl. Haeckel, Ernst: Physiologie des Menschen vorgetragen zu Würzburg im Sommer 1853 von Professor Dr. A. Kölliker (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 287). Vgl. Haeckel, Ernst: Vergleichende Anatomie der Fische und Lurche vorgetragen im Sommer 1853 von Professor Albert Koelliker; ders.: Vergleichende Anatomie der wirbellosen Thiere nach Vorträgen von Professor Dr. A. Koelliker im Sommersemester 1853 und nach Carl Vogts zoologischen Briefen ausgearbeitet und mit Handzeichnungen versehen; ders.: Vergleichende Anatomie der Wirbellosen Thiere vorgetragen im Sommer 1853 von Professor Albert Koelliker (egh. Vorlesungsnachschriften, EHA Jena, B 283, B 285 und B 285a) Ehrenberg, Christian Gottfried. Vogt, Carl: Zoologische Briefe. Naturgeschichte der lebenden und untergegangenen Thiere, für Lehrer, höhere Schulen und Gebildete aller Stände. 2 Bde., Frankfurt a. M. 1851; s. HaeckelJugendbibliothek, Nr. 22 (=46–47). Zum Verhältnis von Zoologie, vergleichender Anatomie und Physiologie vgl. Carl Vogt: „Die Zoologie begnügt sich nicht mehr mit jenen Kenntnissen, welche die systematische Zoologie bilden, sie bleibt nicht mehr bei Haaren und Zähnen, Klauen und Federn, Beinen und Kiemen stehen, zufrieden Kennzeichen entdeckt zu haben, welche die Einreihung in das System möglich machen; sie verlangt von der vergleichenden Anatomie die Zerlegung des Thierleibes, die Kenntniß der einzelnen Organe und ihrer feinern Structur; von der vergleichenden Physiologie die
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Ergründung der Functionen, welche diese Organe ausüben und der Art und Weise, wie diese verschiedenen Functionen zu einem Ganzen zu der Erhaltung des Lebens zusammenwirken; sie will durch die vergleichende Entwickelungsgeschichte erfahren, welche Reihen von Umwandlungen jedes Thier durchlaufen muß, welche verschiedene Formen es nacheinander annimmt, bis es das Ziel seines Lebens erreicht hat.“ In: wie Anm. 10, Bd. 1, S. 6; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 22 (=46–47). Carl Vogt war Mitglied des sog. Vorparlaments von 1848 und des anschließenden „Fünfzigerausschusses“ in Frankfurt a. M., der die Deutsche Nationalversammlung bis zu deren Eröffnung interimistisch repräsentieren sollte. In der Nationalversammlung gehörte er der Fraktion Deutscher Hof an, die radikal demokratische Positionen vertrat und eine demokratische Republik anstrebte. Nach der Auflösung der Nationalversammlung war er Abgeordneter des vom 6. bis 18.6.1849 in Stuttgart tagenden sog. Rumpfparlaments, das die Tätigkeit der Nationalversammlung weiter fortzusetzen suchte. Als dieses die Regierung der Provisorischen Zentralgewalt für abgesetzt erklärt und eine provisorische Reichsregentschaft eingesetzt hatte, wurde Vogt zu deren Mitglied gewählt. Diese Reichsregenten erhoben den Anspruch, die Hoheit über alle deutschen Bundesstaaten auszuüben. Als das Rumpfparlament am 18. 6.1849 des Landes verwiesen wurde, floh Vogt mit den anderen Reichsregenten nach Freiburg und anschließend in die Schweiz. Zunächst in Bern lebend, wurde Vogt 1852 als Professor der Geologie, später auch der Zoologie und vergleichenden Anatomie an die neu errichtete Universität in Genf-Plainpalais berufen, wo er bis zu seinem Tod 1895 wirkte. Vgl. auch Vogt, Carl: Erinnerungen an die deutsche Nationalversammlung 1848/49. Bearb. von Günter Klaus Judel. (Berichte der Justus-Liebig-Gesellschaft zu Gießen; 6). Gießen 2002; ders.: Erinnerungen an die deutsche Nationalversammlung 1848/49. Briefe aus dem Exil. Hrsg. von Günter Klaus Judel. Frankfurt a. M. 2005. Vogt, Carl: Bilder aus dem Thierleben. Frankfurt a. M. 1852, Vorwort (unpag.): „Ich dachte nicht an Deutschland, noch an seine Gelehrten – zuweilen nur an das deutsche Volk, das jetzt so gutmüthig ist, wenigstens meine Bücher zu kaufen, nachdem es verschmäht hatte, mir meine Politik abzunehmen. – –“. Vogt, Carl: Zoologische Briefe (wie Anm. 10), Bd. 1, S. 10. Vgl. Entwicklungsgeschichte des Menschen im Sommer 1853 zu Würzburg vorgetragen von Dr. Franz Leydig, nachgeschrieben von Ernst Haeckel (EHA Jena, B 287b). Vgl. Physiologie des Gesichtsorganes im Sommer 1853 zu Würzburg vorgetragen von Professor Dr. Heinrich Mueller. nachgeschrieben von Ernst Haeckel (EHA Jena, B 287b). Vgl. Haeckel, Ernst: Organische Chemie (Sommer 1853) […] vorgetragen zu Wuerzburg von Prof. Scherer (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 292). Marcus, Carl Friedrich von. Forstrevier südöstlich von Würzburg. Vgl. Br. 149, Anm. 30. Ebene, freie Fläche vor den Mauern von Festungen, hier eine flache Erdanschüttung vor den Festungsmauern von Würzburg, auf der später der Würzburger Stadtpark angelegt wurde. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf: Ueber Auctions-Kataloge. Ein Beitrag zur botanischen Bücherkunde. In: Jahresbericht des Naturwissenschaftlichen Vereins in Halle. 5. Jg., Berlin 1853; vgl. Br. 158, Anm. 9; Redensart: bis in die aschgraue Pechhütte, d. h. unendlich lange. Vgl. Br. 156, S. 300. Das Abgangszeugnis über Haeckels Studium der Medizin an der Universität Berlin im Sommersemester 1852 (Immatrikulation: 24.4.1852) ist überliefert (EHA Jena; siehe Abb. 33) und dokumentiert die von ihm besuchten Kurse: Allgemeine und spezielle Botanik (Prof. Braun), Experimentelle Chemie (Prof. Mitscherlich), Experimentalphysik und Optik (Prof. Dove) sowie System der Botanik (Prof. Braun). Vermutlich Anemona nemorosa (Buschwindröschen), eine für die Würzburger Gegend typische Bodenpflanze. Bleek, Friedrich; Bleek, Auguste, geb. Sethe; Bleek, Auguste Gertrude; Bleek, Theodor; Bleek, Hedwig; Bleek, Hermann; Bleek, Johannes; Bleek, Marie; Bleek, Anna Elisabeth.
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Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Quincke, Hermann; Quincke, Marie, geb. Gabain; Quincke, Georg Hermann.
160. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 18. Mai 1853
Berlin 18/5 53
Mein lieber Ernst!
An den Pfingsttagen habe ich so besonders viel an Dich gedacht. Wenn die Sonne so freundlich schien, so war mir es als müßte rechte Frühlingswonne in Dein Herz sein durch Gottes schöne Natur. Montag beim Frühstück, sagte ich zu Vater: ich hatte so bestimmt gehofft zum Feste durch Nachricht von unseren lieben || Kindern erfreut zu werden, doch scheints vergebens. Kaum das gesagt, so kam Dein lieber Brief,1 hab herzlichen Dank dafür Du, lieber alter Junge! Heute früh erhielten wir einen Brief aus Ziegenrück;2 wonach sie beide ganz frisch und muntera sind; einige Tage war ich recht besorgt, da die ersten || Nachrichten nicht gut waren, weil Hermine auf der Rückreise in Jena unwohl geworden war, nun ist sie aber wieder ganz besser und es geht ihnen gut. Auch ihr Finger ist wieder gut, den schlimmen Finger brachte sie aus Stettin mit, und der hat sie hier sehr gequält.3 – A. Schubert ist || in Ziegenrück gewesen; wie Karl schreibt ist er gesund und frisch gewesen. Er ist jetzt nach Schlesien, wo er sich wohl ankaufen wird.4 Tante Auguste5 ist noch hier, und wird wohl noch 8 Tage hierbleiben. Philieb6 reist Sonntag von Bonn nach Haven7, von wo er als Schiffsarzt mit nach Amerika geht. [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7
Br. 159. Nicht überliefert. Vgl. Br. 156, S. 300. Schubert erwarb 1853 im schlesischen Nieder-Schönau ein Rittergut. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Bleek, Philipp. Kopenhagen.
161. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 23. Mai 1853
Liebe Eltern!
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Erst jetzt kann ich euch auf euren lieben Brief1, der mir viele interessante Nachrichten gebracht hat, antworten, da ich bis jetzt immer auf das Universitätsattest2 gewartet habe. Es wird jedenfalls ausreichen; ein anderes ist nicht zu bekommen, da hier gar keine eigentlichen Matrikeln3 ausgegeben werden. – Das schöne Pfingstfest habe ich auf meine Weise, d. h. traurig und fröhlich zugleich zugebracht. Am Sonntag wollte ich in die Kirche; trotzdem ich aber schon 5 Minuten vor voll da war und noch kein Orgelton zu hören war, standen doch die Leute vor den geöffneten Thüren bis auf die Straße hinaus, so daß an Hören nicht
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zu denken war. Dafür hörte ich den andern Morgen eine recht gute Frühpredigt. Da es so schönes Wetter war, hätte ich auch gar zu gern einen ordentlichen Ausflug gemacht. Meine Bekannten hatten sämmtlich eine größere 3tägigea Tour nach dem schönen unterhalb gelegenen Wertheim bunternommen, an der ich aus verschiedenen Gründen, schon weil es zu weit war, nicht Theil nehmen konnte. Ich mußte mich also begnügen, in Erinnerungen an die früheren Pfingstferien zu schwelgen, die ich immer in schönen Gegenden verbracht hatte, namentlich die vor 2 Jahren, wo ich mit Karl in Coburg war.4 Die schöne Sonne, welche nach vielen Regentagen zum erstenmal wieder in ganzem Glanze erschien, lockte mich aber doch gar zu sehr hinaus und so entschloß ich mich, auf eigne Faust in den 1 Stunde entfernten Zeller Wald5 zu wandern. Schon auf dem Hinweg hatte ich einen großen Triumph; ich fand nämlich an einer alten Weinbergsmauer ein seltnes, merkwürdiges Farrenkraut, Ceterach officinarum6, für das bisher nur ein einziger || unsichrer Standort in der hiesigen Flora bekannt war. Auf der Höhe vor dem Wald hat man eine herrliche Aussicht auf das ganze Mainthal mit Stadt und Festung. Leider konnte ich nicht zeichnen, da es sehr windig war. Im Walde drin war es ganz herrlich, so windstill und ruhig und doch so sonnig und wonnig unter den schönen alten Buchen, daß ich mir aus schönem Moos (wovon 1 Exemplar beiliegt) am Fuße eines uraltenc Baums ein förmliches Lager bereitete und dann – (hört! hört!), mir selbst sehr komisch vorkommend, mit wahrem innigen Vergnügen ein paar Bücher Odyssee7 im Urtext las! Von Zeit zu Zeit streckte ich mich dann recht träumerisch aus, und dachte mit inniger Sehnsucht an meine fernen Lieben. Jetzt wurde mir aber auch recht schmerzlich klar, wie sehr mir ein intimer Freund fehlt, dem ich so recht mein Innres erschließen könnte. Es gehört auch mit zu meinem Pech, daß ich wohl nie so einen finden werde. Ich kenne hier zwar viele sehr nette Leute; diese bilden aber einen abgeschlossenen Kreis für sich, in den ich kurioses Kraut nicht eintreten kann und darf. Daß dieses schmerzliche Entbehren nicht an mir liegt, könnt ihr daraus abnehmen, daß ich wirklich ganz ernstlich darauf ausgehe, mir einen Herzensfreund zu erjagen, fast wie Diogenes8 mit der Laterne.9 Doch was kohle ich da wieder für Zeug; lieber zu unserm Wald zurück, der wirklich ganz herrlich war, und in dem es mir (wirklich fast sentimental-graulich!) bei Vogelgesang und Windesrauschen so herrlich wohl gefiel, daß ich erst spät am Abend mich davon trennend konnte und mit meiner Trommel10 voll schönem Epheu, mit dem ich dann Humboldts Bild11 bekränzte, am Main nach Hause wanderte, und mich noch am Anblick eines ganz mit Studenten bepflanzten Dampfschiffes ergötzte, die eine Tour gemacht hatten. || Solche kleine Dampfschifftourene wurden an den Feiertagen mehrere und werden, wie ich höre, den ganzen Sommer hindurch an jedem schönen Sonn- und Feiertag (deren es wöchentlich 1–2 giebt!) von geschlossenen Gesellschaften und publice unternommen, und zwar sowohl von dem sehr vergnügungssüchtigen Volk, als von den nicht minder ihr Leben genießenden Studenten. Auch ich nahm am 2ten Feiertag Mittag mehr Spaßes halber, als aus wahrer Lust (da ich ja allein war) an einer solchen Theil, und fuhr um 2 Uhr f auf einem mit Blumen und Fahnen geschmückten Dampfer, dem bald 2 andere nachfolgten, den Main hinunter nach dem 1½ Stunden entfernten Veitshöchheim. Die Fahrt selbst auf den mannichfachen Windungen des schönen Mains, abwechselnd zwischen Rebenhügeln und Wäldchen hin, machte mir viele Freude, und erinnerte mich sehr an unsere letzte Rheinreise12, wo ich zum
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letzten mal auf einem Dampfschiffe gefahren war. Am Bestimmungsort angelangt, stürzte Alles sogleich in den fürstlichen Park, von dem mir meine Wirthin13 nicht genug hatte erzählen und vormahlen können, wie herrlich und prächtig es dort sei.14 Ich hatte schon an einem einzigen Blick genug, als ich, kaum eingetreten vor mir eine lange Allee von grauenhaft verstümmelten Buchen sah, die eine wie die andere zu regelmäßig 4seitigen Pyramiden zugestutzt waren. Als ich nun vollends sah und hörte, wie sowohl die „haute volée“,15 als das „profanum vulgus“16 von Würzburg in den tönendsten Phrasen laut diese gräulichen altfranzösischen Geschmacklosigkeiten, steinerne Liebesgötter, verschnittene Buchsbaumfiguren, chinesische Pavillons u.s.w. bewunderte, machte ich sogleich linksum kehrt und lief schnurstracks in den ¾ Stunden entfernten Edelmannswald17, einen berühmten botanischen Standort, wo ich zwar keine Menschen (leider!?) || aber desto herrlichere Waldbäume fand, g zwischen denen ich mich ein paar Stunden planlos herumtrieb. So kam ich auch unvermuthet auf eine kahle Waldecke, von der aus man einen herrlichen Blick das ganze Mainthal hinunter hat, der mir sehr überraschend war. Es standen zwar schöne seltne, auch neue Pflanzen dort, aber alles noch nicht blühend, da die ganze Vegetation wenigstens 3–4 Wochen zurück ist, wegen der großen Kälte. Um 7 Uhr trat ich die Rückfahrt an, auf welcher mir das Beobachten des Bier- und Liebe-seligen Volks, das in dem „herrlich kunstbaren“ Garten seine südlichen Gefühle noch um einige Procent erhöht hatte, viel Spaß [machte]. Da alles, vom Kapitän bis auf den Heizer hinunter, ziemlich stark angesäuselt war, so kamen wir erst sehr spät nach Würzburg, unter fortwährendem Böllerschießen, Schreien, Jubeln, Jauchzen, Singen und grauenhafter Production einer Musikbande, die den ganzen Nachmittag ihre Talente hatte spielen lassen. So oft sich ein paar Menschen am Ufer, oder eine lustige Dorfgesellschaft zeigte, schrie die ganze, mehrere 100 Personen starke Schiffsgesellschaft laut ein Vivat hoch! hinüber, wehte mit den Tüchern und ließ sich von den Dorfmusikanten mit einem Tusch antworten. Obgleich ich auf der ganzen Fahrt kein bekanntes Gesicht sah und kein Wort sprach, machte sie mir doch bei dem herrlichen Wetter viel Freude. Nun folgte bis gestern aber wieder ein wahrhaft sündfluthliches Regenwetter, das nur an einem Tage aussetzte. An diesem machte ich solo eine Excursion über die nördlichen Weinberge nach Versbach18, wobei ich die schöne Traubenhyacinthe (Muscari racemosum)19, die wir in unserm Gärtchen hatten, blühend fand, nach einem schönen Moose aber vergeblich suchte. Sonst ist mir diese Woche sehr still und einsam vergangen. || In der vergleichenden Anatomie haben wir jetzt die Polypen vor. Ich halte mir in einem Gläschen eine kleine Kolonie von diesen allerliebsten Thierchen, und zwar vom grünen Wasserpolypen (Hydra viridis)20 die nur stecknadelknopfgroß sind und bei 120facher Vergrößerung etwa so:
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fast wie Seesterne aussehen und die sonderbarsten und merkwürdigsten Lebenseigenschaften haben. Sie sitzen mit dem Stiel unten fest auf können ihre Arme lang ausstrecken und ganz einziehen, fressen Infusorien, und pflanzen sich wie Pflanzen fort, indem sie seitlich Knospen treiben. Wenn man ein Thierchen in beliebig viele Stücke zerschneidet, so wird aus jedem wieder 1 Thier. Überhaupt kann man mit ihnen die interessantesten und schönsten Experimente anstellen, auf sehr einfache Art.21 In der Physiologie haben wir ein paar Hunden Speicheldrüsenfisteln und Magenfisteln angelegt. Man erhält so reinen parotis22 Speichel und reinen Magensaft unmittelbar aus dem lebenden Thiere, was zwar sehr graulich ist, womit aber dann sehr wichtige Experimente über die künstliche Verdauung gemacht werden. Sonst gefällt mir der Köllikersche Vortrag, obgleich der Stoff an sich viel interessanter ist, lange nicht so gut, als in der Anatomie; es ist alles nur angelernt. – Daß Philipp Bleek nach Amerika geht, hat mich sehr überrascht; in mancher Hinsicht könnte ich ihn sehr beneiden. Sehr leid thut es mir, daß ich nur nicht früher an ihn geschrieben habe. Ich wollte ihn noch in so vieler Hinsicht, namentlich wegen meiner künftigen Studien, um Rath fragen und hatte viel von seinem guten Rathe gehofft. Nun ist es leider zu spät. So schickt ihm wenigstens durch Tante Auguste23 die herzlichsten Grüße und innigsten Wünsche für sein Wohlergehn, an dem ich sehr viel Theil nehme. Laßt ihm auch sagen, er möchte doch einmal eine Kiste voll Heu24 herüber schicken; das Porto will ich bezahlen! Auch an die andern Bleeks25 bestellt die besten Grüße, sowie euch selbst und alle andere lieben Verwandten, Tante Bertha u.s.w. herzlich grüßt euer Ernst H. N.B. Schreibt mir doch ausführlich, wie sich das mit Philipp so rasch und merkwürdig gemacht hat. || 1 2 3
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Vgl. Br. 160. Vgl. Br. 159, Anm. 24. Mit der Aufnahme in die Matrikel erlangte man bis zum Beginn des 19. Jahrhundert den Rechtsstatus als Glied einer privilegierten Korporation, wozu u.a. gehörte, dass man nicht mehr den jeweiligen Orts- und Landesbehörden, sondern der akademischen Gerichtsbarkeit und den akademischen Gesetzen unterstellt war. Als diese Privilegien mit dem Wandel der Universitäten von ständischen Korporationen zu Staatsanstalten entfielen, war auch die Ausstellung von Matrikelscheinen nicht mehr erforderlich. In Würzburg wurden die Studierenden stattdessen in die gedruckten Personalverzeichnisse aufgenommen. Während des gemeinsamen Pfingstausflugs mit seinem Bruder Karl und dessen Freunden besuchte Ernst Haeckel am 6.6.1851 Coburg; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851– Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 5v. Vgl. Br. 157, Anm. 14. Asplenium ceterach L., Syn. Ceterach officinarum Willd., Milzfarn, Familie: Aspleniaceae (Streifenfarngewächse). Homer: Odyssee; die Ausgabe nicht ermittelt. Diogenes von Sinope. Die bei Diogenes Laertius (Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Übers. und erläutert von Otto Apelt. Erster Band: Buch I–VI, Leipzig 1921, VI, 40; hier S. 276) überlieferte Anekdote von Diogenes von Sinope, der bei Tage ein Licht anzündete und damit auf dem Marktplatz einen Menschen suchte, wurde bereits in früher Neuzeit in Anekdotenform in humanistischen Schulbüchern popularisiert. Botanisiertrommel; vgl. Br. 157, S. 304.
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Zu Alexander v. Humboldts Porträt vgl. Br. 61, S. 76. Haeckel war im Herbst 1845 gemeinsam mit seinen Eltern nach Bonn und Heidelberg gereist; vgl. Haeckel, Ernst: [Lebensabriss 1834–1914] (egh. Manuskript, EHA Jena, C 1), S. 25. Müller, Katharina. Der Veitshöchheimer Park wurde 1760 im französischen Rokokostil angelegt. Er enthält zahlreiche Brunnen und Wasserspiele, Lauben, Rondells und künstliche Ruinen sowie 300 Sandsteinskulpturen der Hofbildhauer Johann Wolfgang van der Auvera, Ferdinand Tietz und Johann Peter Wagner. Frz.: vornehme Gesellschaft. Lat.: das gemeine Volk. Etwa drei Kilometer nördlich von Veitshöchheim gelegenes Waldgebiet, heute Naturschutzgebiet. Gemeinde (seit 1978 Stadtteil) nördlich von Würzburg. Muscari neglectum Guss. ex Ten., Syn.: Muscari racemosum (L.) Mill., Weinbergs-Traubenhyazinthe, Familie: Asparagaceae (Spargelgewächse), spezielle Form der Traubenhyacinthe, die erst später in Süddeutschland eingebürgert wurde und häufig an Weinbergen zu finden ist. Hydra viridissima Pallas, Grüne Hydra, Familie: Hydridae (Süßwasserpolypen). Aufgrund dieser Eigenschaften war Hydra seit dem 18. Jahrhundert ein Lieblingsobjekt der experimentellen Biologie. Lat. Parotis, Glandula parotis oder Glandula parotidea: Ohrspeicheldrüse. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Vgl. Br. 153, Anm. 5. Bleek, Friedrich; Bleek, Auguste Gertrude; Bleek, Theodor; Bleek, Hedwig; Bleek, Hermann; Bleek, Johannes; Bleek, Marie; Bleek, Anna.
162. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 22. – 27. Mai 1853
Mein lieber, lieber Ernst!
Berlin 22/5a 53.
Eben aus der Kirche gekommen, muß ich ehe wir zum Großvater zum Essen gehn, Dir doch noch einen Sonntagsgruß schicken. Gestern und heute habe ich mich in Gedanken viel mit Dir beschäftigt; ich habe nämlich sehr den Wunsch, daß Du nächsten Winter hier in Berlin studieren möchtest, wenn die Kolegien für Dich hier gut sind; ach, wie schön wäre das! – –|| 27/5 53.b Für Deinen lieben Brief1, mein Herzens Junge, meinen schönsten Dank. Wie leid thut es mir aber, daß Du Dich so einsam fühlst; ich denke es ist doch mit Deine Schuld, Du klagst keinen Freund zu haben, aber den kannst Du doch nicht so auf einmal bekommen, das kann sich doch erst durch nähere Bekanntschaft und Umgang bilden; Du mußt Dich nicht so absondern; anfangs ist doch Bertheau so freund-||lich gegen Dich gewesen; siehst Du Dich denn mit ihm nicht mehr? Siehe doch, daß Du die Spaziergänge mit andern machst; und daß Du an solchen Orten ißt, wo Du auf gute Gesellschaft triffst; das giebt dann Gelegenheit zum Gedankenaustausch und dadurch bildet sich ja Umgang und Freundschaft; Du mußt nur nicht so kleinmüthig sein, und fröhlich das Gute geniessen, was Gott Dir gegeben hat. || Auf Rehme2 freue ich mich recht, da wollen wir recht nett miteinander leben; ich habe schon dran gedacht ob ich nicht zum gemeinschaftlichen Lesen von den Schriften von Gotthilf3 was mitbrächte von Tante Bertha. Ueberlege Dir auch recht wo für Dich künftigen Winter die beßten Kolegien sein werden. Vater meint Du hättest gesagt,
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künftigen Winter wäre es gut für Dich in Würzburg, aber kannst Du was Du zu hören hast, nicht eben so gut hier hören, || ich finde es gar zu nett wenn Du den Winter mit uns leben könntest, dann feierten wir Vaters Geburtstag, Weihnachten, Deinen Geburtstag etc mit einander. Ich würde schon Sorgen, daß Du möglichst ungenirt leben könntest, und in Deinen Studien nicht gestört würdest. – Künftigen Sommer gingst Du dann nach Heidelberg oder Bonn. Nun wir können es ja mit einander berathen. – || Aus Ziegenrück haben wir gute Nachricht. Tante Bertha grüßt Dich vielmals, ich fand sie eben sehr angegriffen, ich denke das macht der Abschied von Tante Bleek4. – Großvater ist gesund. Wenn es erst Obst giebt, mußt Du es recht geniessen, das ist gewiß in dortiger Gegend recht schön. – Hier waren bei der Ausstellung die schönsten Erdbeeren, Kirschen u. Weintrauben etc. Nun lebe wohl, mein Herzens Junge. – Gott sei mit Dir. Behalte lieb Deine alte Mutter. 1 2 3 4
Br. 161. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Jeremias Gotthelf (eigtl. Albert Bitzius, 1797–1854), schweizerischer Pfarrer und Schriftsteller, dessen das bäuerliche Milieu schildernde sozialkritische Novellen und Romane den in der Mitte des 19. Jahrhunderts verbreiteten Pauperismus aus christlich-humanistischer Perspektive thematisieren. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe.
163. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 1. Juni 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 1/6 1853
Erst heute komme ich dazu, euch einmal wieder zu schreiben, da die wundervollen Polypen, Quallen, Korallen u.s.w. mich die ganze vorige und jetzige Woche von früh 5 bis Abends 10 beschäftigt und mir das größte Vergnügen gemacht haben. Meine zoologische Passion, die mich schon als kleinen Jungen die Naturgeschichte der Thiere noch vor der dera Pflanzen mit ganz besonderm Interesse treiben ließ und meine Lieblingsbeschäftigung war, ist jetzt wieder recht lebhaft erwacht und bereitet mir nun natürlich einen weit höhern Genuß, da mir durch Kenntniß der Anatomie nun auch der Weg zur Erforschung des wundervollen innern Baues der Thiere geöffnet hat. Man wird wirklich ganz unwillkührlich bei jedem Schnitt von Erstaunen und Bewunderung der göttlichen Güte und Allmacht hingerissen, und ich kann es nicht begreifen, wie grade Leute die sich mit diesen herrlichen Wundern beschäftigen und ihren Einzelnheiten nachgehen, die schaffende weisheitsvolle Gotteskraft bezweifeln und ganz wegläugnen können.1 Außer der vergleichenden Anatomie beschäftigt mich auch die Physiologie sehr, so daß ich, obwohl weniger Kollegien, als je, doch auch fast ebenso wenig freie Zeit habe. Das schlechte Wetter, das die ganze Zeit in strömenden Regengüssen sich Luft machte, kam mir so sehr zu Statten, indem es mich nicht in die schöne Frühlingsnatur hinauslockte, die ich sonst mit ganzer Wonne genieße. || Vorigen Sonnabend nahm ich wieder an einer botanischen Excursion Theil, die ungefähr 5 Stunden dauerte und mein Knie doch etwas anstrengte, was es ein paar
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Tage durch starkes Musiciren kund gab; jetzt ist es wieder auf dem alten Punkte. Wir suchten in einem Walde hinter Versbach die schönste deutsche Orchidee, das herrliche Cypripedium Calceolus2; ich war so glücklich, von den 4 Exemplaren, die von dieser außerordentlich schönen und seltenen Pflanze nur gefunden wurden, 2 zu finden. Eine einzige, höchstens 2 sehr große Blumen stehen einzeln am Ende des schlanken, vielblättrigen Stengels. Vier Blumenblätter sind schön dunkelpurpurroth, schmal und wellig, und stehen in Form eines Kreuzes einander gegenüber (a in der Figur). In der Mitte zwischen diesen sitzt ein kleines 5tes, meistens kahnförmiges Blumenblatt (c) und darunter ein sehr großes 6tes (b), das prächtig goldgelb gefärbt, hohl, und ganz wie ein Holzschuh oder ein rundlicher Nachen gestaltet ist. Deshalb b heißt diese herrliche Pflanze auch „Frauenschuh“. Wie ich mich über diesen längstersehnten Fund freute, könnt ihr euch kaum denken. Auch außerdem fanden wir eine der schönsten und größten Orchideen, die dunkelbraune,
weiß punktirte Orchis fusca3 und ich war noch so glücklich, von einer sehr gemeinen Wickenart (Vicia sepium)4 die immer blau blüht, Exemplare mit gelben Blüthen zu finden. Auf dem Rückweg fanden wir noch eine reizende, kleine Primel mit weißen Blüthen: Androsace septentrionalis.5 || Vorigen Montag machte ich aus selbst gesammelten Maikräutern eine ausgezeichnete Maibowle, wozu ich meinen Danziger Freund, Hein, und einen Stralsunder Bekannten desselben, Ziemssen6, der mir sehr wohl gefällt, eingeladen hatte. Wir waren sehr vergnügt, ich trank mit beiden Schmollis7, und mir fehlte nichts weiter, als meine lieben Eltern und Ziegenrücker8, deren ich herzlich gedachte, und auf deren Wohl ein „Salamander“9 getrunken wurde. Auch meine gute Wirthin10, die ich neulich sehr in Schrecken setzte, als ich c einen selbst scelettirten Arm mitbrachte, und noch dazu von einem, wegen unglücklicher Liebe sich selbst ertrunken habenden Dienstmädchen, das sie unglücklicherweise kannte, wurde d mit ein paar Gläsern Maitrank tractirt, versöhnt und konnte nicht genug das waldduftende „herzige Tränkle“ rühmen, das sie noch nie gekostet hatte. – Mit Bertheau, Lavalette und Steudner, die jetzt täglich zusammen Whist11 spielen, komme ich jetzt wenig zusammen aus verschiednen Gründen. Sie sind mir im
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Ganzen gar zu üppig, und wenn ich mit ihnen kneipen gehe, thun sie nichts, als mich ermahnen, Bier zu trinken, und mich zu verlieben, was sie für das einzige Rettungsmittel halten, mich zum Menschen zu machen, und wovon mir eins so gräulich und überflüssig erscheint, wie das andre. Auch bei Schenk bin ich ziemlich in Ungnade gefallen, da ich sein langstieliges Colleg nicht angenommen hatte, worauf er sich sehr gespitzt haben muß. – || Am vorigen Donnerstag war hier „Fronleichnamsfest“, wirklich ein Hauptspectakel, von dem mir meine Wirthin schon wochenlang vorher nicht genug zu erzählen wußte, und das mir fast gräulich großartig vorkam. In meinem Leben hatte ich noch keine solche Procession gesehen. Sie dauerte von 8–12. Das Landvolk der ganzen Umgegend war dazu herbei geströmt, die ganze Stadt war festlich mit Guirlanden und Fahnen geschmückt, alle Straßen mit Blumen bestreut, e die Halle des Juliusspitals in einen Tempel mit Altären verwandelt, das ganze Militair in Galla consignirt12, dazu auch noch die sogenannte „Landwehr“, etwa das, was Berliner Bürgerwehr und Merseburger Schützen zusammen sind, nur noch 10mal unmilitärischer, spießbürgerlicher und lächerlicher. Es fanden sich darunter wirklich die allerkomischsten und groteskesten Figuren, die sich in der himmelblauen Uniform mit dem schweren Czako13 ganz einzig machten; z. B. Schneidermeister mit langen Bärten, Tischler mit Bärenmützen als „Beilesleut“14 u.s.w. Der Zug selbst f war das bunteste und abenteuerlichste, was man sich nur denken kann; in vieler Hinsicht vom Erhabnen zum Lächerlichen und Verächtlichen nur ein Schritt. Die verschiedenen Aufzüge mit ihrer äußern Pracht, ihrem eigenthümlichen Character, boten soviel Auffallendes dar, daß man ein ganzes Buch darüber schreiben könnte. Unter andern zogen alle Gewerke mit ihren Fahnen, Insignien und Standarten auf, dann alle Schulen in besondern Festkleidern, der Magistrat und die Regierung in Civiluniform, || Kapuziner in ihrer braunen Eremitentracht, allerlei Mönchsvolk, die große Zahl der katholischen g studiosis theologiae, dann lange Reihen kleiner und großer Mädchen in weißen Kleidern und mit Blumen geschmückt. Dazwischen überall singende und schreiende Gruppen von Priestern, welche mit Glöckchen klingelten, Weihrauch räucherten u.s.w. Von Zeit zu Zeit wurde an gehalten und an eigens dazu errichteten Altären Messe gelesen, wobei alles auf die Kniee fiel und wir sehr scheel angesehn wurden, daß wir nicht das Gleiche thaten. Unter einem Baldachin gingen oder wurden vielmehr getragen der Bischof15 und andere höhere Geistliche, glanzvoll in Gold und Purpur gekleidet, dann nicht minder wohlgenährte, fettglänzende, fortwährend Prisen schnupfende, violette Domherrn, die mich lebhaft an Merseburger dito16 Individuen erinnerten.17 Dazwischen kam dann von Strecke zu Strecke eine goldne Madonna, oder 1 silberner Heiliger in Lebensgröße, mit allerlei Kettchen und Ringelchen und Kleinödchen behangen, wie ein Kinderspielzeug klingend und rasselnd, getragen von vier weißgekleideten Jungfrauen (ja nicht oder auch im wahren Sinne des Worts zu nehmen!); dann wieder lange Reihen Andächtiger, die einem wie 1 Marktschreier sich gerirenden Vorbeter nachsangen, sich dabei aber ganz gemüthlich unterhielten, lachten und sich an der Pracht des Zugs ergötzten. Auf einmal kam auch eine sehr lange und weite Lücke im Zuge und in menschenleerer Öde wanderten ganz allein die beiden „Unglückschwestern“18, von denen ich eine Skizze im Beiblatt mitschicke, und denen alle Menschen scheu auswichen, die aber von uns Studenten mit lautem Hurrah! empfangen wurden. ||
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Sehr gut machten sich auch die Professoren in ihren Facultätsh-Talaren, die Mediciner grün, die Juristen roth u.s.w. Die Katholischen müssen sämmtlich mitgehen, weshalb Schenk ein paar Tage vorher bedenklich „erkrankt“, viele andere Mediciner verreist waren. i Zu all ? dieser Augenlust sollte man auch was Ordentliches hören, weshalb den ganzen Vormittag von der Festung herab die Kanonen gelöst wurden, was sich von unten ganz prächtig ausnahm. Kurz es war 1 Getümmel und Spectakel, wie er sich gar nicht beschreiben läßt. Ich sah die ganze lange Geschichte mit ein paar netten j Holsteinern19 an, welche so was auch noch nie gesehn hatten, und ebenfalls mehr empört, als erbaut davon waren. Es machte wirklich müde. Um Eure große Viehausstellung bei Krolls20 beneide ich euch; die hätt ich sehn mögen, lieber, als diesen Jahrmarkts- oder Fastnachtsspectakel von Procession.k Nun noch ein Wort zu Dir, meine liebste Mutter, wegen Deines Wunsches, mich den Winter in Berlin zu haben. Wie sehr dies auch mein eigner Wunsch ist, so kann derselbe doch unmöglich schon nächsten Winter erfüllt werden. Ihr wißt selbst, liebste Eltern, wie außerordentlich gern ich einmal wieder ganz mit euch lebte, die ihr ja meine einzige Liebe und Sehnsucht seid; auch grade nächsten Winter könnten wir so nett zusammen leben. Ihr seid ja das Einzige, was mir hier so sehr fehlt. Wenn ich euch hier hätte und mit euch alle meine wissenschaftlichen und Natur-Genüsse so theilen könnte, wie ich wollte, so lebte ich l jetzt glücklicher und gesünder, als je. Ich denke, ich brauche euch dies nicht erst zu m versichern; ihr wißt ja selbst, wie ich fast zu sehr an euch gewachsen bin und immer bei euch sein möchte. || Allein grade nächsten Winter werde ichn hier die Collegia zu hören haben, um derentwillen die meisten allein herkommen, und die überhaupt sonst fast gar nicht, und nirgends so classisch, wie hier, gelesen werden. Hieher gehört vor allen der mikroscopische Kursus bei Kölliker, auf den ich schon jetzt brenne; sodann die allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie von Virchow21, für die die andern schwärmen. Endlich sollen noch 2 junge, sehr tüchtige Professoren herkommen, an Stelle des alten Pathologen23, und des alten Chirurgen24, die jetzt pensionirt werden. Außerdem habe ich auch schon auf das Praepariren der Arterien und Nerven für den Winter abonnirt, was man [!] in Berlin nur äußerst schlecht und unbequem geht. Es würde also, wenn ich nächsten Winter nach Berlin ginge, wo ich von allen diesem nichts habe, wieder ein neuer Mißgriff rücksichtlich meiner Collegia sein, wie ich deren schon so viele gethan habe. Viel besser wäre ich diesen Sommer dort geblieben und hätte den klassischen Johannes Mueller gehört, was mich ewig reuen wird. Viel wahrscheinlicher ist es daß ich nächsten o Sommer zu euch komme, da ich wohl keinesfalls nach Heidelberg oder Bonn gehen werde. Doch das Nähere hierüber läßt sich ja alles viel besser mündlich auseinandersetzen. Wenn ich einmal wieder nach Berlin jetzt gehe, gehe ichp wohl nicht wieder fort. Überdies wird der nächste Winter verschwunden sein, ehe wir uns umsehn. Es sind bloß 4 Monate. Und die Hälfte davon, 2 ganze Monate und noch mehr, || sind wir ja vorher in Rehme25 und Ziegenrück26 zusammen. Wie ich mich schon jetzt auf dieses herrliche Herbstleben freue, ganz besonders in Ziegenrück, könnt ihr euch kaum denken. In Betreff der Bücher, die wir dort zusammen lesen wollen, liebe Mutter, hatte ich mir folgendes gedacht: Ich bringe Humboldts Ansichten der Natur27, Schuberts Spiegel der Natur28 (der Dir ja so sehr gefiel), und Schleidens Pflanze29 (vielleicht!) mit; Du, dachte ich, solltest Göthes Wahrheit und Dichtung30, noch was von Schiller, Göthe oder Les-
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sing (vielleicht Laokoon31) mitbringen, und Immermanns Münchhausen32, falls Du ihn irgendwo auftreiben kannst. Ich möchte ihn sehr gern einmal lesen, da er q als der klassischste und beste deutsche Roman allgemein gepriesen wird. Außerdem bringe ich auch Vogts zoologische Briefe33 mit, die Dich gewiß auch stellenweis interessiren werden. Solltest Du hiermit nicht einverstanden sein, r so schlage mir andres vor; ich würde dann Reisebeschreibungen vorschlagen, auf die ich jetzt auch periodisch versessen bin, und die ich mit Leidenschaft schmökern würde, wenn ich Zeit hätte. Vielleicht könntest du irgendwo die ausgezeichneten Reisen, von Darwin34, Poeppig35, Tschudi36 oder Humboldt37 geborgt bekommen, oder was von Kohl38. Vielleicht könnte Vater so was von Karo mitbringen, der z. B. Tschudis Reise nach Peru39, auch Münchhausen, hat. – Nun, ihr könnt das ja noch lange überlegen. – Die herzlichsten Grüße an No 640 und an alle meine Freunde. Ich bleibe immer mit derselben innigen Liebe euer treuer alter Junge Ernst H. || N.B. Diese sogenannten „Unglücksschwestern“ sind die Töchter eines verstorbenen Obersten41. Sie kennen keine Menschen; und gehen den ganzen Tag miteinander lautlos und still spaziren, immer in der bezeichneten Tracht, mag es stürmen und schneien und regnen, oder lieblicher Sonnenschein sein. Alle Leute gehen ihnen aus dem Wege, weil sie den bestimmten Glauben haben, daß ihnen, wenn sie an ihnen vorbeigehen, etwas Unglückliches an selbem Tage passirt. Nun kann ich mir auf einmal erklären warum ich ein solcher Pechvogel bin; ich habe nämlich das Glück ihnen alle Tage unweit meiner Wohnung zu begegnen. Ich hatte mir schon längst über diese bizarren Figuren den Kopf zerbrochen und erfuhr jetzt durch meine Wirthin, daß es früher ihrer 3 Schwestern42 waren. Die dritte war noch länger, dürrer und skeletartiger, als die zweite, welche halb blind ist. Sie war stocktaub. Meine Wirthin kennt sie bereits seit 25 Jahren, und sieht sie immer im nämlichen Anzuge, auf dieselbe Weise, wie ewige Juden, herum wandern. Sie verdienten wirklich einmal ordentlich abgemalt zu werden. H. || 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Offensichtlich eine Polemik gegen Carl Vogt; vgl. Br. 159, Anm. 12. Cypripedium calceolus L., Gelber Frauenschuh, Familie: Orchidaceae (Orchideengewächse). Orchis purpurea Huds., Syn.: Orchis fusca Jacq., Purpur-Knabenkraut, Familie: Orchidaceae (Orchideengewächse). Vicia sepium L., Zaun-Wicke, Familie: Fabaceae (Schmetterlingsblütengewächse). Androsace septentrionalis L., Nördlicher Mannsschild, Familie: Primulaceae (Primelgewächse). Ziemssen, Richard Ludwig Wilhelm Franz. In der Studentensprache für: Brüderschaft trinken. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Vgl. Br. 124, Anm. 36. Müller, Katharina. Leidensweg Christi dargestellt, wobei die „Beilesleut“ die den Zug begleitenden Liktoren (Soldaten, die fascies, d. h. Beil und Rutenbündel trugen) symbolisieren. Vgl. Br. 107, Anm. 12. In Galauniform auf Abruf bereitgestellt.
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Tschako; militärische Kopfbedeckung von zylindrischer oder konischer Form, meist mit Augenschirm. Das katholische Fronleichnamsfest ist der Feier des lebendigen Gottes (eucharistisches Brot und Wein als Leib und Blut Christi) gewidmet, die in einer Prozession als Bekenntnis der Gläubigen öffentlich zelebriert wird. Dabei werden Figuren und Fahnen mitgeführt und häufig auch der Stahl, Georg Anton von. Lat.: ebenso; hier im Sinne von: dieselben, ebensolche. Auch nach der Säkularisierung während der Reformation blieb das Domstift Merseburg erhalten. Seine Domherrenstellen wurden an Angehörige der traditionell dazu berechtigten regionalen Adelsfamilien vergeben. Die Merseburger Domherren trugen ebenfalls violette Talare. Merz, Therese Karoline Franziska von; Merz, Adelheid Friederike von. Möglicherweise Strube, Georg Ernst; Hass, Carl Wilhelm; Mannhardt, Julius; Schumacher, Georg Friedrich. Das 1844 eröffnete Krollsche Etablissement, eines der bekanntesten Vergnügungslokale in Berlin, befand sich am Tiergarten unweit der Wohnung der Haeckels; vgl. Br. 45, Anm. 12. Vgl. Br. 143, Anm. 10. Marcus, Carl Friedrich von. Textor, Cajetan (Ritter) von. Vgl. Br. 117, Anm. 4. Vgl. Br. 178 und 179. Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen. 2 Bde., 3. verb. und verm. Aufl., Stuttgart; Tübingen 1849; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 2 (=5–6). Schubert, Gotthilf Heinrich von: Spiegel der Natur ein Lesebuch zur Belehrung und Unterhaltung. Erlangen 1845; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 87 (=137). Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 30 (=56). Goethe, Johann Wolfgang von: Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 2 Bde. Tübingen 1811–1822. Lessing, Gotthold Ephraim: Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie. Mit beyläufigen Erläuterungen verschiedener Punkte der alten Kunstgeschichte. Berlin 1766. Immermann, Karl Leberecht: Münchhausen: Eine Geschichte in Arabesken. 4 Bde., Düsseldorf 1838–1839. – Haeckel besaß eine spätere Ausgabe (Berlin 1858); s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 142 (=249). Vgl. Br. 159, Anm. 10. Darwin, Charles: Naturwissenschaftliche Reisen nach den Inseln des grünen Vorgebirges, Südamerika, dem Feuerlande, den Falkland-Inseln, Chiloe-Inseln, Galapagos-Inseln, Otaheiti, Neuholland, Neuseeland, Van Diemen’s Land, Keeling-Inseln, Mauritius, St. Helena, den Azoren etc. In zwei Theilen. Deutsch und mit Anmerkungen von Ernst Dieffenbach. 2 Bde., Braunschweig 1844; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 109 (=169). Vermutlich Poeppig, Eduard: Reise in Chile, Peru und auf dem Amazonenstrome, während der Jahre 1827–1832. Zwei Bände, nebst einem Atlas von 16 Blättern in Royalfolio und einer Reisekarte. Leipzig 1834–1837. Johann Jakob von Tschudi verfasste zahlreiche Reiseberichte; vgl. u.a. Anm. 38. Humboldt, Alexander von: Vues des Cordillères, et monumens des peuples indigènes de l’Amérique. Paris 1810; Humboldt, Alexander von / Aimé Bonpland: Voyage de Humboldt et Bonbland. Première partie, relation historique. Atlas pittoresque. Paris 1810. – Haeckel sah dieses Werk erst im Frühjahr 1854 auf der Würzburger Universitätsbibliothek ein; vgl. Br. 217, S. 474. Kohl, Johann Georg, Geograph und Reiseschriftsteller. – Er veröffentlichte zahlreiche Reiseberichte, u.a. über Reisen nach Russland, Polen, Österreich, Bayern, Dänemark, Großbritannien, der Niederlande, Istrien, Dalmatien und Montenegro. Tschudi, Johann Jakob von: Peru. Reiseskizzen aus den Jahren 1838 bis 1842. 2 Bde., St. Gallen 1846. Irrtüml. für Schifferstraße 8 in Berlin, die Wohnung von Haeckels Großvater und seinen beiden Tanten Bertha und Gertrude; vgl. Br. 45, Anm. 13.
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Karl Albert Heinrich Johann Nepomuk Ritter Merz von Quirnheim war von 1815 bis 1830 Kommandeur des Königlich Bayerischen 12. Infanterieregiments im Rang eines Obersten in Würzburg, wechselte von dort zum Königlich Bayerischen 5. Infanterieregiment „Erzgroßherzog von Hessen“ nach Bamberg und war anschließend bis zu seiner Pensionierung Kommandant der Stadt Passau und der Veste Oberhaus. Anders als Haeckel schreibt, lebte er zu dem Zeitpunkt noch. Er starb erst 1857 in Nürnberg. Die dritte Schwester, Anna Katharina Therese Franziska, verstarb bereits 1832; vgl. Anm. 18. Die drei Schwestern waren Kinder aus erster Ehe mit Antoinette Therese Freiin von Brandenstein.
164. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 7. Juni 1853
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin 7/6 53.
Hab herzlichen Dank für Deinen lieben Brief,1 durch den Du mich so sehr erfreut hast, da ich sehe, daß Du heiter und zufrieden bist, und Deine Studien Dir Freude machen. Gott erhalte Dich ferner so. Wenn es den Winter für Dich in Würzburg besser ist als hier, so ist es mir natürlich auch ganz recht. Um so mehr wollen wir aber dann das Zusammenleben in Reme2 u. Ziegenrück3 geniessen. – – || In Ziegenrück sind sie4 gesund; in der vorigen Woche kam ein Fäßchen mit Forellen an, leider aber alles zu Muß gerüttelt auf der Fahrt, das ist recht schade. Seit Donnerstag ist Madam Merkel hier, Vater geht fleissig mit ihr umher, ich darf nicht, da ich bis jetzt auf dem Sopfah5 habe liegen müssen um einer dummen Kleinigkeit wegen, heute || vor 8 Tagen war ich mit Vater im Opernhaus, wo wir die Ifigenie von Gluck6 hörten. Da es stark regnete, fuhren wir hin, und beim Aussteigen rutschte ich vom Tritt der Droschke und wurde durch den Tritt etwas geschunden am Fuß. Ich legte zu Hause gleich Arnika auf; da aber Vater es Siegfried Reimer gesagt (Quincke7 ist in Karlsbad), so bestand der darauf ich solle liegen, da das Loch aber jetzt zugeheilt ist, werde || ich wohl wieder Freiheit bekommen, schon seit Vorgestern durfte ich zu Bertha gehn. Mit Tante Bertha geht es jetzt gut, sie genießt recht die schöne Luft, und lebt fast nur auf dem Balkon; sie läßt Dich herzlich grüssen; sie würde Dir nächstens schreiben, heute ging es nicht, weil sie nach Bonn schreiben müsse. Großvater ist geistig frisch, aber auf den Beinen wird er immer schwächer. [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7
Br. 163. Vgl. Br. 117, Anm. 4. Haeckel besuchte nach dem Kuraufenthalt in Rehme seinen Bruder Karl in Ziegenrück; vgl. u.a. Br. 178, S. 360 und Br. 179, S. 362. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Irrtüml. für: Sopha. Iphigenie in Aulis, Oper von Christoph Willibald Gluck (Uraufführung 1774). Quincke, Hermann.
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165. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 18. Juni 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 18/6 53
Ich sollte euch zwar eigentlich diesmal noch später antworten, weil ihr mich so schrecklich lange auf einen Brief1 hattet warten lassen, indeß will ich doch nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Ich hatte wirklich schon ordentliche Sorge gehabt, daß es euch nicht gut ginge und erschrack nun recht, wie ich das Pech las, das Du, liebes Mutterchen, mit Deinem Fuße gehabt hast. Hoffentlich ist er wieder ganz gut; nimm Dich nur recht in Acht. Mein Fuß hat sich aus Sympathie auch in dieser Woche a nicht grade sehr wohl befunden. Wir machten nämlich vor 8 Tagen eine Excursion nach Veitshöchheim, dem Orte, wo ich zu Pfingsten per Dampf gewesen war.2 Nun fuhren wir zwar alle zusammen in einem Kahn den Main herunter, was sehr nett war, gingen dann aber spät Abends zu Fuße zurück, nachdem wir dort tüchtig herumgeklettert und über Stock und Stein, durch Weinberge und Wälder gelaufen waren, auch manche schöne Sachen gefunden hatten, z. B. Rosa pimpinellifolia3, Stipa pennata4, Dictannus5 etc). Diese Tour war aber doch für mein Knie etwas zu stark gewesen; es musicirte an den folgenden Tagen ganz schrecklich laut und war etwas mehr geschwollen und schwächer. Jedoch ist es jetzt ganz wieder gut, nachdem ich einmal auf eigne Verordnung geschröpft6 habe. Vielleicht werde ich dies noch öfter thun, da wir Studenten (respective „Harrn Doctersch“) dies Vergnügen ganz umsonst haben können, so oft wir wollen. Es bezahlt nämlich jeder Student bei der Immatriculation einen Gulden „Spitalgeld“, und kann sich dann nachher dort gratis aufs beste verpflegen und behandeln lassen, so lange er will. Viele werden oft nur deßhalb 8 Tage krank, um einmal recht gutes Essen, unter Umständen sogar Wein (zur Stärkung!) gratis zu bekommen. || Manche lassen sich auch Syrupus cerasorum nigrorum (d. i. auf deutsch Kirschextract)7 oder Selterwasser etc. verschreiben; auch Douche- und andre Bäder werden ebenso verabreicht. Fragt doch einmal Quinke8 oder b Siegfried Reimer, ob ich die Flanellbinde immer noch um das Knie tragen soll; es wird jetzt danach oft sehr heiß und die Wade wird so dick, wenn ich es fest gebunden habe. Im übrigen befindet sich mein corpusculum9 sehr wohl und läßt sich namentlich das Mainbaden vortrefflich behagen. Dies hat nämlich schon seit 14 Tagen begonnen und macht mir sehr viel Vergnügen, besonders, da ich voriges Jahr das Flußbad fast ganz habe entbehren müssen. Ich gehe fast alle Abend mit meinem Danziger Freunde Hein, einem sehr netten Menschen, der mir nur fast zu verständig klar und besonnen ist, heraus über die Brücke, ein Stückchen oberhalb der Stadt, wo die Badeanstalt sehr hübsch grade am Fuße der Festung liegt. Dann stürzen wir uns mit wahrer Wonne in die (vorläufig noch sehr lehmgelben, und c an die Unstrut10 erinnernden, später vielleicht einmal grünen) Mainfluthen, douchen tüchtig und gehen nachher nach Sibirien! Dies ist einer der wenigen Orte, wo man hier kein Bier, sondern Milch in allen Gestalten (wir halten uns vorzüglich an die saure,d wie man hier sagt: „gestöckte“ Milch) bekommt; man sitzt in einem am Bergabhang gelegenen Grasgarten, in einem Seitenthale, südlich von der Festung, dieser grade gegenüber, und das beste ist, daß fast gar keine Menschen hinkommen, und man höchstens 1 paar Vögel singen hört. Es ist dies ganz allerliebst und mein Hauptvergnügen. Weitere Spaziergänge mache ich jetzt nicht,
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da es so lange dauert, ehe man über die heißen Kalkberge in Schatten kömmt, und dies auch meinem Knie nicht gut zu thun scheint. || Auch bin ich mit der Zeit sehr beschränkt; namentlich bei der vergleichenden Anatomie vergeht einem der Nachmittag, man weiß nicht, wie —– . Köllikere hat jetzt die Seesterne und Seeigel durchgenommen und ich habe auf einmal schreckliche Lust bekommen, an die See zu gehen, um diese prächtigen Beester11 zu untersuchen und ihren herrlich künstlichen Bau in natura kennen zu lernen. Das ist doch immer noch was anderes, als die Abbildungen, obwohl diese auch sehr gut sind. In meinem Heft steigen sie schon wieder in die Hunderte.12 Wenn ich nur erst mein Microscop hätte! Jedenfalls ist es jetzt hohe Zeit, Herrn Schiek13 einmal zu treten. Du bist wohl einmal so gut, liebes Väterchen, und fragst ihn, „ob mein Microscop in Arbeit sei, und bittest daß er es nur ja bis Anfangs August fertig f mache, wie er versprochen hat. Ich brauche es den Winter bei Virchow im Cours ganz nothwendig!“ Sage ihm dies ausdrücklich; sei aber sehr höflich und bewundere auch recht die prachtvollen, ausgesuchtesten Original-Kupferstiche, mit denen der originale Mann sein ganzes Zimmer austapeziert hat, und die sein einziger Stolz und Steckenpferd sind. Sei aber so gut und gehe selbst hin, da ich ihn gebeten habe, Dir das Microscop zu geben, wenn es fertig ist. Mutter soll g es dann ja mit nach Rheme bringen.14 – In der Physiologie werden jetzt viel Experimente gemacht, die aber meistens mißlingen, zum Theil durch die Schuld des Anatomiedieners15, wobei es oft sehr lustige und lächerliche Scenen giebt. So hatte er neulich eine Katze mit Milch füttern sollen, weil uns Kölliker das Übergehenh des Milchsafts in die Chylusgefäße des Darms zeigen || wollte; er behauptete auch das gethan zu haben, hatte aber statt dessen die Milch selbst getrunken; als nun die Katze geöffnet wurde, waren im Darme bloß etwas Brod und Kartoffeln, kein Tropfen Milch, was sehr lustigei Scenen gab. Außerdem fanden wir noch einen Bandwurm von einer Elle Länge16. Trotzdem j dies eigentlich ganz hübsche Thierchen sind, so glaubte ich doch am selbigen Abend noch deutlich das Knabbern eines solchen Beestes in meinem eigenen tractus17 zu fühlen. Dies dürft ihr jedoch als eine hypochondrische Anspielung annehmen. – Vorige Woche mußte auch mein armer Leib zu einem Experiment in der Physiologie herhalten. Kölliker wollte nämlich zeigen, wie rasch der Speichel die Stärke (Mehl) in Zucker umwandle und spuckte deßhalb ein Probirgläschen halb voll; zugleich ersuchte er einen von uns, auf dieselbe Weise ein zweites Probirgläschen zu füllen, und da ich grade am nächsten saß, traf mich dies edle Loos. Kaum war nun der Speichel ein paar Minuten mit dem Kleister in Berührung gewesen, so hatte die „Saliva Haeckeliana“18 wie sie Kölliker nannte, die ganze Stärke in Zucker verwandelt, während sein eigner Speichel viel schwächer gewirkt hatte (À propos! das wäre was für Tante Gertrude19 gewesen!); natürlich gab es nun wieder viel zu Lachen und zu Necken. – Da fällt mir bei der Medicin eben ein: „Hat denn Tante Bleek20 Philipp21 noch in Bonn getroffen, und wo wollte er zunächst hingehen? || Ich habe in dieser Woche 2 Briefe bekommen. Der erste war sehr nett, von Georg Quinke, der mir von Königsberg und seinem Leben dort erzählt.22 Er kam mir sehr überraschend und soll [die] nächsten Tage beantwortet werden; ich hatte schon immer einmal k an ihn schreiben wollen.23 Der zweite Brief, mir nicht minder erfreulich, war von l Ernst Weiß;24 er enthält fast nur den Ausdruck seiner Seeligkeit
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über die Erlaubniß (respective Geldbeiträge), die ihm sein Onkel25 und sein Bruder26 zu einer Reise ins Riesengebirge, seinem längstersehnten Reiseziele, gewährt haben. Hauptsächlich aber dankt er mir dafür, indem ich eigentlich der erste Anstoß war. Ich äußerte nähmlich seinen sehnlichen Wunsch gegen die Berliner Weißens27, was er selbst nie gewagt haben würde. Ich möchte Dich, lieber Vater, nun bitten, ihm die kleine Karte vom Riesengebirge, die wir in Warmbrunn kauften, und die in der Schublade Deines großen Schreibpults liegt, zu borgen; ebenso, m vorausgesetzt, daß Du es finden kannst (vielleicht hilft Dir Theodor28 beim Suchen) das kleine dünne grüne Büchelchen: „Das Riesengebirge in der Brusttasche von Edwin Mueller“,29 das wenn ich mich recht erinnre, auf dem kleinen Bücherreck, gleich rechts beim Eintritt in meine Schlafstube, steht. Jedoch weiß ich dies nicht gewiß; vielleicht hat es auch Karl. Dann bringst Du wohl beides zu den Berliner Weißens, denen ich mich herzlich zu empfehlen bitte, und bittest sie, es an den Merseburger zu besorgen. Er kann dann beides Dir, lieber Vater wieder überliefern, wenn Du auf Deiner Reise nach Ziegenrück durch Merseburg kommst, wo Du auch gleich das von ihm für mich gesammelte Heu30 mitnehmen kannst. || Bei „Heu“ fällt mir ein: Ja wenn ihr nur den schönen Heuhaufen (von ein paar Fuß im Durchmesser) sehen könntet; den ich hier allbereits sowohl aus dem freien, als aus dem botanischen Garten, zusammengeschachert habe. Ihr würdet euch wirklich darüber freuen. Ich glaube, ich muß noch eine besondere Kiste haben, um die Schätze alle nach Berlin zu transportiren, eine Probe der seltensten und niedlichsten, über die ich mich am meisten gefreut habe, folgt anbei;31 hebt sie aber ordentlich auf ! Sind sie nicht reizend? – Eine traurige, sehr traurige Nachricht, die mir Weiß aus Merseburg mittheilte, muß ich euch doch noch melden. Im Laufe der letztverflossenenn Zeit ist nämlich mein Dompfaffe32, dieser hoffnungsvolle, hanffressende, pfaffenartige, liebenswürdige, vielversprechende, natursingende, rothgebrüstete, schwarzgehaubte, aschgraubemäntelte, muthig-furchtsame Heldenjüngling den Weg des Fleisches gegangen und hat das Irdische gesegnet! Aber glanzvoll, wie sein Leben, ist auch sein Tod gewesen! Nicht ruhmlos, wie ein Spieß oder Philister, auf dem einsamen Krankenbette ist er verschieden; nein, seines edlen Characters würdig, den Heldentod – durch! – eine Katze! – † Friede seiner Asche † – Hätte ich das zu Ostern gewußt, so würde ihm die Ehre des Todes des Strangulirens durch meine Hand zu Theil geworden sein; ich würde ihn secirt und ausgestopft haben! Die herzlichsten Grüße an alle in No 833, an Theodor, Heinrich34, Madam Merkel, wenn sie noch da ist, und die besten an euch selbst von eurem Ernst H. – P.S. Fragt doch Quinke auch einmal, ob ich nicht das Knie einmal wieder mit Jod pinseln35 soll. Mir haben dies hier viele gerathen; ich glaube auch, daß es gut ist.o || Georg Quinckes intimster Freund ist Carlp Slevogt36 dessen Mutter37 Du ja wohl kennst.p 1 2 3 4
Br. 164. Vgl. Br. 161, S. 313 f. Rosa spinosissima L., Bibernell-Rose, Familie: Rosaceae (Rosengewächse). Stipa pennata L., Echtes Federgras, Familie: Poaceae (Süßgräser).
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Dictamnus albus L., Diptam, Familie: Rutaceae (Rautengewächse). Vgl. Br. 135, Anm. 9. Lat.: Kirsch- oder Weichselsirup. Quincke, Hermann. Lat. Diminutivform zu corpus: Körperchen. Die charakteristische Flussauenlandschaft der Unstrut, eines 192 km langen Flusses im Thüringer Becken, der bei Naumburg in die Saale mündet, hatte Ernst Haeckel auf einer Exkursion in der Unstrut-Kyffhäuser-Region vom 14.–18.7.1851 durchwandert; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 8v–10r. Die Lautform ‚Beest‘ (für ‚Biest‘) kommt im Nord- und Neumärkischen vor (Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. Begr. und angelegt von Anneliese Bretschneider. 1. Bd., Berlin 1976, S. 598) und bezeichnet meist Hornvieh, hier allgemein für: Tier. Haeckel, Ernst: Vergleichende Anatomie der Wirbellosen Thiere, vorgetragen im Sommer 1853 von Professor Albert Kölliker (Vorlesungsnachschrift von Ernst Haeckel, EHA Jena, B 285). Schieck, Friedrich Wilhelm; zu Haeckels Schieck-Mikroskop vgl. Br. 176, S. 351, bes. Anm. 14. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Oefelein, Georg. Längenmaß, in Bayern betrug eine Elle 0,833 m. Magen-Darm-Trakt. Lat.: Haeckelscher Speichel. Sethe, Gertrude. Bleek, Auguste Charlotte Marianne Henriette, geb. Sethe. Philipp Bleek beabsichtigte nach Südamerika auszuwandern. Georg Hermann Quincke an Ernst Haeckel, Königsberg, 4.6.1853 (EHA Jena, A 22842). Nicht ermittelt. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 24.5. – 7.6.1853 (EHA Jena, A 16624). Weiß, Christian Samuel. Weiß, Christian Carl. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Bleek, Theodor. Müller, Edwin: Das Riesengebirge in der Brusttasche. Der sichere und kundige Führer zu einer Lustreise durch Schlesiens Gebirge und Thäler. Mit einem Panorama von der Schneekoppe und einer Charte von Schlesien. Leipzig 1850. Vgl. Br. 153, Anm. 5. Die Pflanzen-Beilagen wurden nicht mit dem Brief überliefert. Pyrrhula pyrrhula L., Gimpel oder Dompfaff, Familie: Fringillidae (Finken). Vgl. Br. 45, Anm. 13. Sethe, Heinrich Georg Christoph. Jodtinktur, eigtl. zum Desinfizieren von Wunden. Slevogt, Carl. Slevogt, Mutter von Slevogt, Carl; Vorname nicht ermittelt.
166. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 23. Juni 1853
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 23/6 53
Diesmal hast Du uns recht lange auf Nachricht1 von Dir wartten lassen; so daß ich wirklich recht besorgt war, es wäre Dir was zugestossen. Um so mehr freute ich mich, daß Dir es doch im Ganzen gut geht. Hoffentlich ist Dein Knie nun auch besser.
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Quinke2 wird Montag Abend zurückkommen. Sobald ich in sehe werde ich ihn fragen ob Du das Knie mit Jot pinseln sollst. – Wenn Du von uns nicht immer gleich Antwort erhältst, so darf Dich das nicht befremden. || Vater schreibt nur gern wenn er grade dazu aufgelegt ist, und ohne ihn will ich nicht schreiben, weil Vaters Brief doch immer die Hauptsache ist. – Vorgestern Abend ist bei Tante Adelheid3 ein gesunder Knabe4 gebohren; bis jetzt haben wir noch recht Sorge um Tante Adelheid. Da die Niederkunft sehr schwer war, ist sie noch sehr krank. Gott gebe daß sie bald besser werde. Bertha und Mariechen5 wohnen || beim Großvater. – Madam Merkel ist heute vor 8 Tagen wieder abgereist; sie war hier sehr vergnügt, und mir hat es auch Freude gemacht, sie hier zu haben. – Sobald Du weißt wann wir uns in Rheme6 treffen können, mußt Du es mir schreiben, damit ich meine Einrichtung darnach treffen kann; ich denke wir wollen gleich abreisen, wenn Du aus Würzburg kommen kannst, damit Du sobald als möglich baden || kannst. – Wenn ich von hier noch was mitbringen soll, so schreibe es mir, ich werde sehn was ich von den Büchern, die Du wünschst mitbringen kann. Vergiß Du nicht das Schachspiel u. das Dominospiel. Beide werden wir brauchen. In N. 87 ist alles gesund, auch mein Fuß ist wieder besser. In diesen Tagen bin ich sehr mit der Wäsche beschäftigt, deshalb habe ich auch keine orndlichen Gedanken zum Schreiben; aber doch hat Dich sehr lieb Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7
Br. 165. Quincke, Hermann. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Der Junge verstarb namenlos vor der Taufe; vgl. Br. 158, S. 306. Sethe, Bertha Philippine; Sethe, Marie. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Vgl. Br. 45, Anm. 13.
167. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 27. Juni 1853
Innigst geliebtes Geburtstagskind! So kann ich denn auch bei Deinem Geburtstage1, meine theuerste Mutter, nicht gegenwärtig sein und muß ihn, wie schon öfters Vaters und meinen eignen Geburtstag, einsam und still für mich feiern. Nicht kann ich diesmal, wie sonst, mich froh und freudig an Deinen Hals hängen und in einem Kusse Alles das Dir sagen und mittheilen, was mein innerstes Herz bewegt. Es ist mir jetzt oft recht weh geworden, wenn ich denke, wie Du sonst an diesem Deinem Festtage Deine beiden Jungens (oder gar alle 3 Kinder)2 bei Dir hattest und mit ihnen Gott für alle seine Güte und Gnade danktest, und wie Du dagegen diesmal keins von allen dreien herzen und küssen kannst. Aber wenn wir auch äußerlich diesmal weit von Dir getrennt sind, und ich noch dazu zum erstenmal, so sind wir innerlich im Geiste nur um so inniger und trauter beisammen und bei Dir und bitten Gott recht herzinniglich, daß er uns Dich noch recht, recht lange und gesund als unsern theuersten Schatz erhalten möge. Ja, meine liebe Herzensmutter, es ist dies wohl eine der größten und bedeutendsten Wohlthaten
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Gottes, die er mir erwiesen, und wofür ich ihm täglich nicht genug danken kanna, daß er mir eine so gute, fromme Mutter geschenkt hat, die mich von Kleinauf an in der Gottesfurcht erhalten, die ersten und festesten Grundlagen zu meiner geistigen und sittlichen Bildung gelegt, die edle Zeit zu nützen und das Böse, in welcher Gestalt es auch entgegen treten mag zu, meiden gelehrt hatb. || Es wird mir diesc erst jetzt recht klar und ist mir erst in der letzten Zeit recht offenbar geworden, wo ich doch mehr selbstständig in die Welt hinausgetreten, vielfachen und neuen Versuchungen ausgesetzt worden bin, wo ich das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens aus eigner Anschauung tiefer habe kennen lernen, von welchem ungeheuren Einfluß die erste mütterliche Erziehung gewesen ist und wie ihre Wirkung im ganzen Leben fortdauert; und dann habe ich Gott recht innig gedankt und ihn gebeten, mir meine einzige Mutter noch recht lange zu meinem Troste und meiner Freude zu erhalten. Doch Du weißt ja selbst am besten, meine liebste Mutter, was ich Dir verdanke, wie unendlich d ich Dich liebe und was Du mir bist, und Du verstehst mein Herz, was in dieser Liebe stets dasselbe bleibt, auch ohne viele Worte. Dieses innige innere Verständniß, was zwischen uns herrscht, und, wie ich denke auch ewig fortdauern soll, erleichtert mir auch das Getrenntleben von Dir sehr, weil ich weiß, wie wir stets im Geiste beisammen sind und einander verstehen. So soll es mir auch an Deinem diesmaligen Geburtstage, dem ersten, an dem ich nicht auch leiblich bei Dir sein kann, mein Alleinsein erleichtern! Verlebe ihn recht vergnügt und in Gedanken bei Deinem Jungen, an den Dich außerdem noch das beifolgendee Kistchen erinnern soll, dessen Zusammenbringung mir die größte Freude gemacht hat. Die Blumen durften nie an Deinem Geburtstag fehlen; also mußte auch diesmal die Flora von Würzburg ihre Repräsentanten schicken, die freilich weniger schön, als auserlesen selten sind. Die meisten werden || freilich für Dich kein Interesse, und die Standorte, da Du sie nicht kennst, keine Bedeutung haben; aber ich denk, Du kannst so doch Deinen Jungen bei seinen botanischen Wanderungen in Gedanken begleiten. Auch bei den beiden Zeichnungen mußt Du den Willen für die That nehmen und die innige kindliche Liebe, mit der ich bei jedem Strich Deiner gedacht habe, als das beste ansehen. Die Skizze von der Festung Marienberg3, welche ich oberhalb meines Lieblingsorts „Sibirien“4, in dem einsamen Thale am Nikolausberg von der Südseite her aufgenommen habe, ist der Repräsentant eines Albums von Skizzen aus der Umgegend Würzburgs, welches bis zu Deinem Geburtstage fertig werden sollte, bis jetzt aber nur aus angefangenen Schattenrissen besteht, deren Ausführung theils durch Zeitmangel, theils durch Regenwetter verhindert wurde. Auch diese einzige fertig gewordene ist im schönsten Landregen unter einer Weinbergshütte als Regenschirm fertig geworden. Beim ersten Anblick der Zeichnung geht es Dir vielleicht, wie meiner Wirthin5, welche, als ich sie ihr zeigte, verwundert ausrief: „Jesses Maria, Harr Doctor, sein Sie nit e gschickter Harr! Ihre Frau Mutter muß Sie lieb hae, auch wenn s’ nit wollt! Ne, ist der Main natürlich getroffen und die Dampfschiffe darauf, als wenn’s lebte!!“ Den runden Thurm links unten hielt sie für den Krahn, und die beiden Weinbergsmauern für dessen Arme. Wahrscheinlich hielt sie die Weinbergef selbst für den Main, was natürlich meinem künstlerischen Selbstbewußtsein sehr angenehm war! || Aber wie soll man auch die verwünschten einförmigen Weinberge anders zeichnen, als immer einen Strich neben dem andern. Höchstens könnte man statt den g parallelen Strichen lauter Reihen von grünen Punkten hinklecksen. –
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Der Mutter mit den beiden Knaben wirst Du es kaum ansehen, daß es eine Madonna nach Raphael6 ist! Ich habe auch in der That beim Zeichnen weniger an die Jungfrau Maria, als an meine liebe Mutter gedacht, und so kannst Du es nicht als ein Madonnenstück, sondern als ein Familienstück mütterlicher Liebe ansehen, was es auch wirklich ist. – Die beiden echten alten Würzburger „Bocksbeutel“7 wird Dein rheinischer Weinmund hoffentlich auch nicht verschmähen. Wahrscheinlich sind sie grad an der Seite des Festungsbergs gewachsen, die ich gezeichnet habe. Laßt sie euch recht munden; hoffentlich sind sie gut! – Im Übrigen habe ich nichts hinzuzufügen, als den Wunsch, daß Du Deinen speciellen Festtag recht, recht freudig und heiter feiern mögst und dabei in Liebe Deines treuen, alten Ernsts gedenkst, der auch in Gedanken ganz bei Dir sein wird. An Vater und Tante Bertha hatte ich noch schreiben wollen, allein es ist nun mit dem Packen so spät geworden, daß ich machen muß, das Kistchen auf die Post zu bringen, damit es Dirh grade am Freitag früh einen herzlichen, innigen Geburtstagsgruß von Deinem jüngsten Jungen bringt, der gar zu gerne selbst statt des Kistchens nach Berlin führe! Würzburg 27/6 1853. Die besten Grüße! Die Madonna habe ich nach dem kleinen halbgypsnen, halb thönernen Haut-relief8 gezeichnet, das ich von Tante Bertha habe.i 1 2 3 4 5 6
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Der Geburtstag von Ernst Haeckels Mutter war am 1. Juli. Ernst Haeckel selbst sowie sein Bruder Karl und dessen Frau Hermine. Die erwähnte Zeichnung ist im EHA Jena überliefert; siehe Abb. 34. Vgl. Br. 165, S. 325. Müller, Katharina. Die seinem Vorbild, Raffaello Santis berühmtem Renaissancegemälde „Sixtinische Madonna“ (Staatliche Kunstsammlungen Dresden), nicht sehr ähnliche Zeichnung ist im EHA Jena überliefert; siehe Abb. 35; Haeckel hatte auch das Original selbst bei seinem Besuch der Dresdener Gemäldegalerie 1850 bestaunt; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 17.7.1850. Vgl. Br. 100, Anm. 15. Nicht überliefert.
168. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. Juli 1853
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin 1/7 53
Wenn ich Dich auch heute nicht bei mir haben kann,1 so weiß ich doch, daß wir im Geiste aufs innigste vereint sind, und es ist mir Bedürfniß Dir ein paar Worte zu schreiben, und Dir meinen herzlichsten Dank zu sagen für die vielen Liebeszeichen, die ich von Dir erhalten. Schon gestern kam Dein Kistchen an, ich packte es nicht aus, nahm mir nur Deinen lieben, herzigen Brief2 heraus. Zürne nicht, daß ich ihn schon gestern gelesen; das war eine schöne Freude; || daß ich mich den ganzen Tag mit Dir
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beschäftigt. Ich habe viel Ursache zum Dank gegen Gott für viele gute Gaben; aber zu meist danke ich ihm, daß er mich durch so liebe Kinder beglückt hat, und bitte ihn um Seegen für sie. – – Den 2ten Gestern konnt ich nicht weiter schreiben, nun muß ich Dir zunächst sagen wie wir den Tag verlebt haben. Gleich nach dem Aufstehn packte ich mit Vater Dein Kistchen aus; und wir || freuten uns recht über alles. Daß Du an den Wein gedacht machte uns Spaß; am meisten freuten wir uns aber über die netten Zeichnungen3. Auch die Blumen machen mir Freude; es waren die ersten, die ich gestern bekam; Tante Bertha schickte mir als wir beim Frühstück saßen durch Bertha4 und Mariechen5 2 Töpfchen. Als Vater vom Wassertrinken kam, baute er orndlich auf: von sich und Karl eine sehr schöne Biebel mit Erklärungen6; || von Tante Bertha einen Kragen mit Nadeln, ein paar weiße und 1 paar schwarze Aermel und gebratene Mandeln; von Tante Gertrude7 auch 1 Kragen und 1 paar Aermel. Dann ging ich zu Tante Bertha um zu danken; unterdessen war das Kistchen aus Ziegenrück angekommen, ausser lieben Briefen bekam ich von Mies ein paar gestickte Schuh und selbst gebacknen Kuchen. Karl u. Hermine sind gesund u. munter. || Heinrich und Theodor8 kamen gratulieren, und nachmittags Lehneke Naumann9 mit einem großen Blumenstrauß; Bertha u. Mariechen brachten von ihrer Mutter auch einen sehr hübschen Strauß in einer kleinen Tonvase. Die drei Mädchen tranken hier Kaffee. Abends spielte Tante Bertha und ich mit Großvater Tarock10; dann kam Vater, Onkel Julius mit seinen beiden Söhnen11 und Theodor hin; ich hatte eine von den beiden Weinflaschen mitgenommen, und da || wurde dein Geschenk versucht und sehr gut befunden; Großvater machte es viel Spaß. Man kann aber nicht viel davon trinken, der Wein ist sehr stark; ich nahm die Flasche wieder mit zu Hause und heute Mittag hat Vater sich wieder ein halbes Glas gut schmecken lassen. Tante Adelheid12 bessert sich, seit gestern ist sie aus dem Bette; ihr Kindchen13 ist aber leider schon heute vor 8 Tagen gestorben || und Dienstag früh begraben. Das ist wohl recht traurig, aber wir müssen ja Gott danken, daß Tante Adelheid wieder besser wird. Wenn Du nicht früher abreisen kannst, so bleibt es eben hoffe ich beim 13ten August, soviel ich bis jetzt habe erfahren können, wirst Du dann am 14ten in Rheme14 eintreffen, ich werde dann mich auch so einrichten, daß ich den 14ten in Rheme ankomme; wir || treffen uns dann auf dem Bahnhof. Dabei fällt mir ein, hast Du auch wohl zur Reise Geld genug oder soll ich Dir noch was schicken? Mußt Du auch noch Kleidungsstücke besorgt haben, dann schreibe nur was? Ich werde Vaters Mantel für Dich mitbringen; und von den Büchern15 wovon Du schreibst, die ich auftreiben kann. – Wie sehr freue ich mich auf die Zeit, die ich mit Dir verleben werde. 1 2 3 4 5 6 7 8
Ernst Haeckels Mutter Charlotte hatte am 1. Juli Geburtstag. Br. 167. Vgl. Br. 167, S. 330 f. Sethe, Bertha Philippine. Sethe, Marie Wilhelmine. Vgl. Br. 171, Anm. 11. Sethe, Gertrude. Sethe, Heinrich Georg Christoph; Bleek, Theodor.
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Naumann, Helene. Vgl. Br. 117, Anm. 6. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Heinrich Georg Christoph; Sethe, Carl. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Vgl. Br. 166, Anm. 4. Bad Rehme; vgl. Br. 117, Anm. 4. Vgl. Br. 163, S. 321 f.
169. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 8. Juli 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 8/7 53
Ich benutze den Abend von Mimmis Geburtstag,1 um wieder ein Stündchen mit euch zu plaudern. Die ganze Feier dieses Familienfestes hat für mich darin bestanden, daß ich heute Mittag mit meiner Wirthin2 deren vielgeliebte Gans verspeist habe, welche sie Wochenlang für den heutigen Tag genudelt hatte. Es ist nämlich heute zugleich hier der letzte (wirklich der letzte, schade! schade!) Feiertag in diesem Sommer, das Fest des heiligen Kilianus, für die hiesige Stadt ein Hauptfest.3 Besagter Heiliger hat nämlich einmal seine Füße in einer hiesigen Quelle gewaschen, und seitdem springt diese Quelle, über welcher nachher eine große Kirche erbaut wurde, alle Jahr nur einmal und zwar am heutigen Tage! während sie sonst das ganze Jahr versiegt ist!! Und diese Quelle besitzt an diesem Tage die wunderbarsten Eigenschaften, macht Sehende blind (oder vielmehr umgekehrt!) u.s.w.!!! Da ist denn wieder einmal das ganze Landvolk von Unterfranken in großen Processionen in die Stadt gezogen und bietet alles auf, um ein Fläschchen dieses köstlichen Heilwassers (nämlich abgestandenen Regenwassers, welches der Küster tags zuvor in das sonst leer stehende Wasserbecken gefüllt hat) zu erangeln. Es ist wirklich ein ergötzlicher, und doch trauriger Anblick, dies verdummte Bauernvolk, wie es sich mit dem andern Pöbel um ein paar Tropfen Wassers drängt, stößt, schlägt u.s.w. und überseelig ist, wenn es damit ein Kreuz auf die Stirne machen und sich die Augen einreiben kann. Diese Macht der Pfaffen und des Aberglaubens ist hier noch fabelhaft. || Zu diesem großen Fest also opferte meine Wirthin ihre theure Gans, die ich mir auch vortrefflich schmecken und wozu ich eine Flasche Wein für 15 xr (4 Sgr) holen ließ, mit der wir auf die Gesundheit meiner geliebten Schwester anstießen. Ich hatte anfangs einen lange beabsichtigten Spaziergang heute machen wollen; aber bei einer beständigen Hitze von 25°4 den ganzen Tag, wobei kein Wölkchen den ganzen Himmel trübte, mußte ich diesen kühnen Plan wohl aufgeben und mich damit begnügen, heute Abends die Hitze und den Schweiß des Tages etwas in den kühlen Mainfluthen abzuwaschen. Aber gedacht habe ich heute recht viel an mein liebes Ziegenrücker Geschwisterpaar, und mich mit euch Lieben in No 6 und 85 über ihr Glück gefreut, und Gott um seinen fernern Segen für sie gebeten! Sie werden gewiß heute recht glücklich und seelig sein; es ist ja das erstemal, daß Mimmis Geburtstag am Ziel ihrer Wünsche gefeiert wird, und daß ich von einem Geburtstage meiner Schwägerin nicht bloß in spe sprechen kann.6 Deßhalb habe ich auch mir das Vergnügen machen zu dürfen geglaubt, auch meinem Ziegenrücker Pärchen in seiner Waldeinsamkeit ein
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paar Bocksbeutel7 zu schicken. Ihr seid doch nicht böse darüber? Ich selbst trinke ja nie welche, und da darfa ichs wohl einmal wagen, mit dem Verschicken an Andere etwas üppig zu sein; besonders, als ich hörte, daß er bei euch gut angekommen ist, und euch Freude gemacht hat! – || Deinen Geburtstag, mein liebes Mutterchen,8 habe ich still für mich, im Geiste bei euch, gefeiert; Nachmittag machte ich einen Spaziergang auf die höchste Spitze des Nikolausbergs, auf welchem das Käppele9 steht, und welcher der höchste Punkt in der ganzen Umgegend ist. Ich war noch nie so hoch herauf gelangt und wurde nun durch eine ganz prachtvolle Aussicht fast über ganz Franken und weiter, namentlich b den Main hinunter, herrlich überrascht. Nach Norden erschien am Horizont der Spessart, nach c Westen die Rhön mit ihren höchsten Spitzen, nach Osten die Fränkischen Gebirge. Ganz herrlich machte sich das Mainthal mit seinen unzähligen Windungen und Biegungen, die ich weit hinunter übersehen konnte; ach wie sehnlich wünschte ich euch her, um mit mir den herrlichen Genuß zu theilen. Wenn d man so etwas allein genießt, ist es doch immer nur die halbe Freude. Auch die Beleuchtung war ganz einzig, gigantische Wolkenschatten über die Berge verstreut. Und zu allen diesem kamen nun noch reizende botanische Bescheerungen, wie ich sie lange nicht genossen. Zuerst fand ich einen niedlichen Waldmeister mit blauer Blüthe (Asperula arvensis),10 dann eine schöne, ebenfalls noch nie gefundene Doldenpflanze (Turgenia latifolia),11 dann ein sehr merkwürdiges Farrnkraut (Botrychium Lunaria)12 mit einer Fruchtähre oder Traube, und endlich einen reizenden, wilden, rosenrothen Flachs (Linum tenuifolium)13. Soviel Schätze auf einmal waren mir lange nicht geboten worden! Ich war ganz selig. Ich verlief mich übrigens in dieser Seeligkeit, diesem Suchen, Schauen und Bewundern ziemlich weit, in eine mir vorher ganz || unbekannte Gegend und bekam schließlich ein tüchtiges Gewitter auf den Hals, dessen donnernder Widerhall in den Schluchten und Thälern sich gar nicht übel machte. Aber auch diese Durchnässung sollte nicht umsonst für mich sein. Als ich wieder auf den Gipfel des Nikolausbergs gelangte, breitete sich vor mir und zu meiner Rechten (nach Süden und Osten) ein prächtiger doppelter Regenbogen aus, dessen unteres Ende tief zu meinen Füßen hinabreichte und auf der Mainbrücke zu stehen schien. So hatte ich vom Berge aus den Anblick eines Regenbogens im Thal, hinter dem in weiter Ferne wiederum blaue Berge als Hintergrund dienten, ein merkwürdiges Schauspiel, das ich erst einmal und zwar auf dem Inselsberg14 im Thüringer Wald gehabt hatte. Wenn ihr noch mit mir diese Freuden hättet theilen können, so wäre dieser Nachmittag der vergnügteste hier verlebte gewesen! Aber das beste kommt noch. Als ich seelensvergnügt nach Hause sang und sprang, sah ich, an einer Mauer der Vorstadt angekommen, wie die Sträflinge die Fläche derselben von Unkraut säuberten. Unter diesem war mir schon lange ein schönes großes schwefelgelb blühendes Fingerkraut aufgefallen dase ich gar zu gern in der Nähe beschaut hätte, und als ich jetzt eins herunterholen konnte, fand sichs: || denkt euch meine freudige, staunende Überraschung! daß es Potentilla recta15 war, die Schenk in der ganzen Flora von Wuerzburg vergeblich gesucht zu haben angiebt,16 und an der er so schon oft genug, ohne es zu ahnen, vorbeigelaufen war. Natürlich lief ich schnurstracks mit meinem köstlichen Funde zu ihm und theilte ihm meine Entdeckung mit. Das Gesicht hättet ihr sehen sollen! Anfangs schien er stumm überrascht; dann sagte er halb ärgerlich, halb freundlich: „Sie sind doch halt n Teufelskerl; wo habn ’s das wieder aufgegabelt?“ – – – Meinen Stolz und meine Freude könnt ihr euch denken! –
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Schon am Sonntag wanderten wir mit einem netten Schweizer (Kaufmann17, den ich schon in Berlin kennen gelernt hatte)18 hinaus und ich mußte ihm meinen neu entdeckten Fundort zeigen; dann gingen wir noch einmal auf den Nikolausberg, wo ich noch eine, mir ganz neue, große Seltenheit, die langbegehrte Althaea hirsuta19, fand. O gaudium! – Ich habe übrigens jetzt ein nettes Paket Heu, das ungefähr 4 Bänden meines Herbariums entspricht, zusammengebracht, theils aus der Flora Herbipolitana20, teils aus dem hiesigen botanischen Garten, und bekomme oft ordentlich Angst vor dem Transport desselben nach Berlin! – Aber diese pflanzlichen Genüsse werden zum Theil noch durch die thierischen überwogen. Hierunter verstehe ich die vergleichende Anatomie, welches wirklich eine einzige Wissenschaft ist! Wir seciren jetzt tüchtig Schnecken, Muscheln u.s.w. || Im Übrigen ist von meinem Leben und Treiben nicht viel Neues mitzutheilen, als das die Zeit immer kürzer zugemessen wird. Es geht auf das Ende des Semesters los; die Professoren verdoppeln, da sie keine Möglichkeit sehen, fertig zu werden, ihre Stunden u.s.w. Übrigens muß ich Dich, liebe Mutter, noch um einen Tag Reiseaufschub bitten. Den 13., Sonnabend, nämlich wird bei Kölliker experimentirt, was ich keinenfalls verlieren möchte, so daß ich erst Sonntag, den 14ten früh von hier abreisen kann. Du bist wohl damit einverstanden? Von Büchern nimm nicht zu viel mit, höchstens Göthes Wahrheit und Dichtung21 und Immermanns Münchhausen22. Ich bringe ja von hier auch noch mehrere mit! – Für Deinen Bericht über Deine Studien, die geographische Gesellschaft etc, lieber Vater, den besten Dank.23 Wenn Herr Diezel in Stuttgard in seiner Schrift über Frankreich24 die Franzosen so herunter macht, so bin ich ganz mit ihm einverstanden. Ich kann das übermüthige, glatte Volk nicht ausstehen und zanke mich immer mit Schenk darüber, der sie in Schutz nimmt. Ich kann mich nicht mit ihrem falschen geschliffenen Wesen befreunden, obwohl ich voriger Tage von einem sehr höflichen französischen Schweizer (Marcel Chiffele de Fribourg)25 ein hübsches Geschenk bekommen habe, das ich lange vergeblich zu erwerben gesucht. Ich hatte ihm nämlich ein paar anatomische Zeichnungen gemacht, wofür er mir ein sehr seltnes Bild von Kölliker26, das sehr schön und natürlich ist, schenkte! – || 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Hermine Haeckel, geb. Sethe, hatte am 8. Juli Geburtstag. Müller, Katharina. Der heilige Kilianus ist Schutzherr der Winzer in Franken und Schutzpatron der Stadt Würzburg. 25° Réaumur, entspricht 31,25° Celsius. Vgl. Br. 45, Anm. 13. Die Hochzeit hatte am 24.10.1852 stattgefunden. Vgl. Br. 100, Anm. 15. Haeckels Mutter hatte am 1. Juli Geburtstag. Vgl. Br. 100, S. 144 f. Asperula arvensis L., Acker-Meier, Familie: Rubiaceae (Rötegewäche); vgl. Br. 58, Anm. 14. Turgenia latifolia (L.) Hoffm., Turgenie, Familie: Apiaceae (Doldengewächse). Botrychium lunaria (L.) Sw., Echte Mondraute, Familie: Ophioglossaceae (Natternzungengewächse), 1. Herbarblatt (ohne Nummer) im Geburtstags-Herbarium für Anna Sethe mit handschriftlichem Zusatz E. Haeckels: „Botrychium Lunaria. Rundblättriger Mondrauten-Farrn. Am Käppele auf dem Nikolausberge bei Würzburg. Juni 1853.“; siehe Abb. 36.
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Linum tenuifolium L., Schmalblättriger Lein, Familie: Linaceae (Leingewächse). Haeckel war erstmals im Juli 1849 auf dem Inselsberg; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 18.7.1849. Potentilla recta L., Aufrechtes Fingerkraut, Familie: Rosaceae (Rosengewächse). Schenk, August: Flora der Umgebung von Würzburg. Aufzählung der um Würzburg vorkommenden phanerogamen Gefässpflanzen. Ein Beitrag zur Flora von Bayern. Regensburg 1848, S. 55: „P. recta L., welche Koch in seiner Synopsis (I p. 236) bei Würzburg angibt, kommt in unserm Gebiete sicher nicht vor.“ Kaufmann, Franz Joseph. Im Sommersemester 1852, Näheres nicht ermittelt. Althaea hirsuta L., Rauhaariger Eibisch, Familie: Malvaceae (Malvengewächse). Lat.: Die Flora von Würzburg. Vgl. Br. 163, Anm. 29. Immermann, Karl Leberecht: Münchhausen. Eine Geschichte in Arabesken. 4 Bde., Düsseldorf, 1838–1839; vgl. Br. 163, Anm. 31. Bezugsbrief nicht überliefert. Diezel, Gustav: Frankreich, seine Elemente und ihre Entwicklung. Mit einer Einleitung über Form und Freiheit in der Geschichte. Stuttgart 1853. Chiffele, Eduard Marcel. Nicht überliefert.
170. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 12./13. Juli 1853
Mein lieber Herzens Sohn!
Berlin 12/7 53.
Herzlichen Dank für Deinen sehnlichst erwartteten Brief,1 der gestern früh hier ankam, was mich um so mehr freute, da Vater ihn noch lesen konnte, der gestern Nachmittag über Potsdam nach Petzow zum Herrn v. Kähne2 gereist ist, wo er bis Donnerstag bleiben wird. Daß Du gesund und heiter bist freut mich sehr; auch hat || es mir viel Spaß gemacht, daß Du gerade an meinem Geburtstage Blumen gefunden hast, die Dir lieb sind. Daß Du den Ziegenrückern auch Wein geschickt hast ist ja ganz nett, ich sagte es schon an Mimis Geburtstag, daß Du es wohl thun würdest; siehst Du ich kenne meinen Jungen wohl besser als er denkt. – Du sollst aber selbst || Dir auch nicht zu viel versagen, besonders Sorge mir für Deine Gesundheit, iß nur fleißig reifes gutes Obst, ich denke mir das müßtet Ihr dort recht schön haben, vorzüglich Erdbeeren. – Mußt Du auch zur Reise noch Geld haben, dann schreibe es ja in Zeiten. Wegen den Büchern die Du bestellt hast ist Vater gestern gleich bei Diedrich Reimer3 gewesen; || Du wirst sie bekommen. Die Hefte über Friedrich den Großen4 sind alle vollständig Vater hat es gestern nachgesehen. – Diesmal erhältst Du von Vater keinen Brief mit, er läßt Dich aber herzlich grüssen. Tante Adelheid5 geht es immer besser, sie ist sehr betrübt, aber doch wieder gesund, Bertha und Mariechen6 wohnen noch beim Großvater. Heinrich und Julius7 werden in den || Ferien wohl eine Reise durch die Sächsische Schweiz mit Theodor8 machen. –
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Hannchen und Lischen Weiß9 sind seita einigen Tagen hier, eben besuchten sie mich, sie werden übermorgen wohl abreisen. – – Etwas Hauskreuz habe ich jetzt auch: Auguste10 ist am 2ten abgezogen, und ich habe mir keine Köchin gemiethet, weil ich mit Luise11 || bis zur Reise allein fertig werden wollte, nun hat Luise aber seit einigen Tagen Fieber, da plagt es etwas. Dabei erwartte ich Besuch: Freitag kommt Emilie v. Brauchitz12 zu uns auf ein paar Tage; und später erwartte ich Helehne mit ihrem Kindchen13 und Amme14; nun hoffentlich geht das Fieber bei Luise bald vorüber. || Da Du erst den 14ten August abreisen kannst, so werde ich den 15ten reisen, wir treffen dann wohl am selben Tage in Rehme ein. Vater denkt schon den 3ten August zu reisen; weil dann Karls Ferien sind und sie zusammen mit H. Lindig15 nach Nürnberg wollen. Tante Bertha geht es fortwährend gut, sie ist jetzt den || ganzen Tag auf dem Balkon. – Mittwoch Ich weiß nicht, lieber Ernst, ob ich es Dir schon geschrieben habe, daß neulich bei Tante Bertha die Königin der Nacht geblüht hat, und der König schon gestern zum drittenmal, und der hat noch 2 Knospen.16 Eben ist ein Brief aus Ziegenrück angekommen, unser Pärchen ist an Mimmis Geburtstag sehr seelig gewesen, namentlich schreibt mir Hermine wie sehr || sie sich über Deinen Brief, die Zeichnung17 und den Wein gefreut habe. Auch schreibt sie daß Karl nun die Ernennung zum Kreisrichter18 erhalten habe. Vater denkt am 3ten August nach Ziegenrück abzureisen, ich werde mich mit meiner Abreise ganz nach Dir richten; lieb ist es mir wenn es nicht gar zu spät wird; Quinke19 der eben hier war, und sich nach Dir erkundigte, meinte auf 2 bis 3 Tage || früher oder später komme es nicht an; also sage mir nun im nächsten Briefe genau, wann Du reisen kannst; und wenn ich Dir von hier noch was mitbringen soll; Vaters Mantel werde ich mit bringen, wenn Du ihn etwa beim Baden brauchst. Vergiß Du nicht Schach- und Dominospiel. Ich freue mich recht, daß ich einige Wochen mit Dir || werde leben können, und wie schön wird es sein, wenn wir zusammen in Ziegenrück sein werden. – – Dann wollen wir uns mal recht nach Herzenslust ausplaudern, Deine Alte kann sich schriftlich so immer nicht recht aussprechen. – Tante Gertrude20 wird auch verreisen, und zwar von hier nach Bonn, wo sie mit Loui || und dessen Frau21 zusammen sein wird, mit denen sie den Rhein hinaufreisen wird, und dann sie auch in Holland besuchen wird. Denke Dir die Wichtigkeit, und welche Vorbereitungen das erfordert. – Nun, leb wohl, mein Herzens Ernst, halte Dir frisch und gesund, und denke zuweilen an Deine alte Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8
Br. 169. Kaehne, Carl Friedrich August von. Reimer, Dietrich Arnold. Nicht ermittelt. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Sethe, Bertha Philippine; Sethe, Marie. Sethe, Heinrich Georg Christoph; Sethe, Julius Carl. Bleek, Theodor.
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Bekannte der Familie Haeckel aus Merseburg. Dienstmädchen der Familie Haeckel. Dienstmädchen der Familie Haeckel. Brauchitsch, Emilie von, geb. von Braunschweig. Jacobi, Helene, geb. Sethe; Jacobi, Clara. Nicht ermittelt. Lindig, Christian Karl. Selenicereus grandiflorus (L.) Britton & Rose, Großblütiger Mondkaktus, Familie: Cactaceae (Kakteengewächse), Kakteenart mit großen und wohlriechenden Blüten. Brief und Zeichnung nicht überliefert. „Zu Kreisrichtern sind ernannt: […] der Gerichts-Assessor Häckel in Ziegenrück bei dem Kreisgericht in Erfurt, mit der Funktion als Gerichts-Kommissarius in Ziegenrück […]“ ( JustizMinisterial-Blatt für die Preußische Gesetzgebung und Rechtspflege. Hrsg. im Bureau des Justiz-Ministeriums. 15. Jg., Berlin 1853, Nr. 29, 15.7.1853, S. 242. Quincke, Hermann. Sethe, Gertrude. Mulder, Lodewijk; Mulder, Aldegonde, geb. de Villeneuve.
171. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 27. Juni – 17. Juli 1853
Mein liebster alter Junge,
Ziegenrück | 27 Juni 53.
glaube nicht etwa, daß wir Deiner nicht viel, sehr viel gedenken, weil wir selten schreiben. Grad jetzt, wo die Natur um uns herum so schön ist, streifst Du oft in meinen Gedanken mit mir durch die herrliche Gegend und findest hier oder dort eine seltne Pflanze die Dir unser Ziegenrück um so lieber macht. So sehe ich grad unter den Fenstern unsrer Eckstube, in der ich jetzt schreibe eine Menge von Deinen geliebten „Schotenbiestern“1 an dem Rande der neuen Straße stehen. Bei meinen Lokal-Expeditionen suche ich stets nach Moosen und lege Dir zum Beweis dafür einige von den gefundenen bei: Das eine nicht bezeichnete nennen sie hier Waldgerste2. In den letzten Wochen habe ich ein unruhigeres Leben geführt, als sonst. Ende Mai war zuförderst eine lange Deputations-Sitzung. Dann reiste ich zum 9t Juni nach Jena, um Krukenberg’s Hochzeit3 mit zu feiern. Weiter mehrere Lokal-Termine, Pösnecker Jahrmarkt, auf dem ich mir mit eigenen Füssena eine Mütze holte, in der jüngst vergangenen Woche endlich b das Vogelschießen, das uns stets Gäste von außerhalb zuführt. Diesmal || c kam gleichzeitig der Oberpräsident von Witzleben4, der bei mir eine Tasse Kaffe zu trinken u. mich um die schöne Aussicht zu beneiden geruht hat, und mein Regierungs Assessor Butze5 aus Zeitz, der als Spezial-Kommissarius in Ablösungssachen6 hier in der Gegend zu thun hat, und mit dem ich viel über alte Heidelberger Zeiten geplaudert habe. In 14 Tagen haben wir wieder Sitzung und einige Wochen später kommt dann der liebe Alte aus Berlin.7 Du glaubst gar nicht wie wir uns darauf freuen. Recht von Herzen gratulire ich Dir dazu, daß Du endlich den Zustand des Schwankens zwischen Naturwissenschaften (d oder vielmehr Mathematik) und Medizin überwunden hast und jetzt frisch an letztere herangehst. Die schönen Kollegien, die Du jetzt hörst, werden e Dich mit ihr noch mehr aussöhnen. Aber schreibe uns
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doch, mit wem Du nähere Bekanntschaft gemacht hast. Nach Deinem Briefe8 u. nach dem, was Du nach Berlin geschrieben,scheinst Du Dich doch enger an einige Commilitonen angeschlossen zu haben.9 den 14 Juli. Nach dem heute zu Ende gegangenen Deputationstrubel dieser Woche will ich nun auch gleich frisch ans Werk gehen und Dir || auf Deinen netten Geburtstagsbrief antworten. Die Adresse zum Kistchen faßte ich glücklich ab als der Bote sie am 6ten zu Mimmi hinauf bringen wollte. Die beiden trullen Dinger10 haben uns viel Spaß gemacht. Ist’s nicht eigen, daß beide Brüder ganz dasselbe Geschenk an ihre Mutter und meine Mies gemacht haben. Ich habe beiden eine Hirschberger Bibel11 gegeben. Wie wir hier zum 8ten gelebt haben, wird Dir wohl Mimmi erzählen. Deine beiden Flaschen sind noch intacti (oder ae?) weil Erdbeerbowle getrunken wurde, dazu aber der Steinwein12 natürlich zu schade war. Nun, Du sollst sie dafür auch noch selbst mit austrinken helfen. Etwas dürfte jedenfalls gar noch von den Köstlichkeiten des Tages zu erwähnen sein: daß der Hund „Flink“13, unser schwarzer Köter, von seiner zahlreichen Schar zwickender Flöhe durch Absuchen eines Gefangenen gründlich befreit wurde. So wird der Namenstag-||f tag einer leutseligen Hausfrau gefeiert!! Unser Thiervolk hat sich nun auch durch einen Kanarienvogel vermehrt, der allerliebst singt. Von der Gegend sage ich Dir nichts, die ist wirklich wunderschön, wie sie jetzt nur sein kann. Zum Beweise, daß ich sehr oft an Dich denke lege ich zwei Moosarten bei die hier sehr häufig sind und die ich im Juni vor 5 Wochen gesammelt habe. Das Größere heißt ich weiß nicht wie; das Kleinere nennen sie „Waldgerste“. – Ist das größere nicht dasselbe mit dem, was Du mir geschickt hast. Besagte zwei Moose fand ich bei einer Verscharrung eines 3 Monate im Freien gebaumelt habenden Menschen, der so im Walde gefunden war und dessen Leiche nun von Gerichts wegen aufgehoben werden mußte. Du kannst Dir denken, daß das vollständige Todtengesichte mit seinen Käfer- und Fliegenbewohnern einen schönen Anblick darbot. Auch Schotenbeest14 wächst, nebst Bilsenkraut15 massenweis an der neuen Straße um das Schloß herum. Unten auf dem Schießstande sind jetzt einige Turngerüste aufgebaut und 2mal in der Woche wird dort mit || g 12–18 Stück Stadtjugend geturnt. Den Jungens macht die „Springstunde“, wie sie es nennen, viel Freude. Von Aegidi erhielt ich neulich sein Buch das er zur Habilitation geschrieben, ein gelehrtes Ding, das Aufsehen erregt.16 Er erkundigt sich sehr nach Dir. den 17 Juli. Der Brief soll nun mit fort, da Mimmi endlich geschrieben hat. Ich kann nur noch weniges dazu schreiben. Die ersehnten Ferien sollten eigentlich schon am 21t anfangen, allein ich werde wohl erst 8 Tage später frische Luft schnappen können. Vater wird wohl den 4t oder 3t August mit Frl v. Grolmann von Erfurt her kommen was uns sehr freuen wird. Wir zählen schon jeden Tag. Am 8t August etwa denken wir (d.h. Vater Lindig17, Voigt, Harras, u. ich) eine Excursion nach Nürnberg anzutreten, wo wir uns 2 Tage aufhalten wollen. || Auf dem Rückwege soll Kloster Banz besucht und über Coburg, Suhl, Ilmenau, Koenigssee, Saalfeld heimgekehrt werden. Mit meiner Mies lebe ich wie immer vergnügt. Gestern haben wir einen über 2 Std. langen Spaziergang auf den Berg hinter dem Schießhause, und durchs Plotenthal
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zurück gemacht, und sind sehr befriedigt; unser Flink ist jetzt der stete Begleiter auf unseren Spaziergängen. Ade, liebster Junge mehr kann ich nicht schreiben, wenns auch Sonntag ist. In alter Liebe Dein Karl. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Vermutlich Vicia cracca L., Vogel-Wicke, Familie: Fabaceae (Schmetterlingsblütengewächse). Hordelymus europaeus (L.) Jess. ex Harz, Waldgerste, Familie. Poaceae (Süßgräser). Hochzeit von Gustav Krukenberg mit Agnes Sophie Kieser. Witzleben, Hartmann Erasmus von. Butze, Gottfried Wilhelm. Nach Aufhebung der Lehnrechte wurden in Preußen landesweit Ablösungskommissionen gebildet, welche die Aufgabe hatten, vor Ort die überall durchzuführende Ablösung der Feudallasten auf bäuerlichen Grundstücken durch Geldzahlungen zu regulieren. Haeckel, Carl Gottlob. Nicht überliefert. Br. 165, S. 325. Die von Ernst Haeckel mitgeschickten fränkischen Bocksbeutel. Wegen ihres praktischen Formats beliebte Handausgabe: Die Bibel, oder Die ganze Heilige Schrift Alten und Neuen Testaments, nach der deutschen Uebersetzung D. Martin Luthers; mit jedem Capitel vorhergesetzten kurzen Summarien, sorgfältigst ausgesuchten, und zahlreich beigefügten Real- und Verbal-Parallelstellen und vornemlich schweren von Spöttern gemißhandelten oder sonst zweifelhaft scheinenden Stellen mit möglichst kurz gefaßten Anmerkungen nach und aus dem Grundtexte […] erläutert. Ans Licht gestellet durch Ehrenfried Liebich, Evangelischen Pastor zu Lomnitz und Erdmannsdorf bei Hirschberg. Mit einer Vorrede […] von D. Johann Friedrich Burg […]. 3 Teile in einem Band. 2. sorgfältig durchges. Aufl., Hirschberg 1844. Vgl. Br. 100, Anm. 14. Name des Familienhundes. Wie Anm. 1. Hyoscyamus niger L., Schwarzes Bilsenkraut, Familie: Solanaceae (Nachtschattengewächse). Aegidi, Ludwig Karl: Der Fürsten-Rath nach dem Lüneviller Frieden. Eine reichsrechtliche Abhandlung. Berlin 1853 [Habilitationsschrift, Göttingen]. Lindig, Christian Karl.
172. Von Hermine Haeckel, ziegenrück, 17. Juli 1853
Geliebter Schwager med.!
Ziegenrück d. 17ten Juli | 1853
Entschuldigen wegen unseres Nichtschreibens will ich mich gar nicht, weil ich nur zu wohl längst eingesehen habe, wie Unrecht es war und wie es eigentlich nur ein Verschleppen genannt werden kann. Also davon still, sondern Dir von ganzem Herzen gedankt für Deinen Brief,1 der uns ungemein viel Freude macht und Karl ganz besonders entzückt, weil er Deine brüderliche Liebe zu seiner kleinen Frau ausspricht. Daß mich selbst diese sehr erfreut und beglückt brauche ich Dir nicht zu sagen, wohl aber, daß Du dadurch mich für geschaffen hälst Deinen einzigen Bruder, meinen lieben Karl glücklich zu machen. Das Bewußtsein, den Mann glücklich zu wissen war mir am 8ten das schönste Gefühl. Den Tag waren wir sehr vergnügt und || glücklich, einmal über uns selbst und dann auch über all die Liebe, die mir von
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so vielen Seiten zuströmte; auch von Deinem Alten2 kam ein sehr lieber Brief; Geschenke reichlich, darunter Dein Steinwein3, den wir noch unberührt gelassen /: ich fürchte mich vor einem Haarbeutel4 :/ Karl hat mir einen sehr schön schlagenden5 Kanarienmatz geschenkt, der im Fenster nach der Sornitz aufgehängt, recht tapfer seiner neuen Herrin vorpfeifft. Daß ich im Sommer jetzt täglich die hübsche Stube bewohne kannst Du denken, täglich ergötze ich mich an der herrlichen Aussicht und möchte, daß sie noch mehr Menschen genießen könnten. Was gebe z. B. unsere liebe Tante Bertha darum, wenn sie einmal an meinem Fenster sich über die Aussicht freuen könnte. Daß es mit ihr noch fortwährend widera alles Erwarten so gut geht, weißt Du wohl. Sie schickte mir ein sehr gelungenes, leider etwas sehr krank aussehendes Daguerotyp6 von sich, in vollem Staat am Nähtisch sitzend; wie ich mich darüber gefreut ist begreiflich. – Am 8ten Abends || waren die Bekannten bei uns im Garten, herrliches Wetter, bis spät mit der Lampe im Garten gesessen, umschwärmt von Glühkäfern, die es am Schloßberg fast mehr als Schotenbiester7 giebt. Kalte Mehlspeise, Erdbeerbowle und Baumtorte von Deiner und meiner lieben Mama, da hast Du die Feier. Und nun will ich versuchen Dir zu erzählen was Du nicht weißt: daß ich sehr glücklich in Berlin u. Stettin war trotz eines plötzlich sich einfindenden bösen Fingers,8 der mir viel zu schaffen machte; jetzt erst ist der neue Nagel ganz wieder da, – in Stettin mit Erfolg Tisch gerückt u. geklopft; glücklich den 7ten abgereißt, in Apolda vonb Mann und Adolph Schubert abgeholt, der aus Spanien kommend 4 Tage bei uns blieb und sich zu gefallen schien, sehr wohl aussah und sich jetzt in Schlesien angekauft9 hat. Seitdem leben wir ruhig weiter, bestellen den Garten, sehnen uns nach frischem Gemüse und Obst, das bis jetzt nur in Walderdbeeren besteht, die aber sind ganz herrlich und werden in großer Menge vertilgt. Abwechselnd schönes und sehr stürmisches Wetter, immer herrliche Aussicht, und im Hause wie in der Natur Frieden. Karl war zwischendurch in Jena zu Krukenbergs Hochzeit10, von der er sehr vergnügt heim || kam. Das hiesige Schützenfest ist abgehalten und so wäre der Glanzpunkt der Ziegenrücker Festlichkeiten längst vorbei, auf das die guten Bürger sich das ganze Jahr freuen, obgleich das ganze Fest selbst mit Wurstbuden sehr harmlos verstreicht. An einigen Tagen finden sich die hohen Honoratioren auch ein, natürlich versäumten wir nicht zu erscheinen. Jetzt sprechen wir viel von der baldigen Ankunft des Schwiegerpapas11, die für mich doppelt erfreulich ist, weil er, einen Tag nach Erfurt reißt und von dort Marie v. Grolmann mitbringt, die uns auch besuchen will. Vielleicht kommt im Herbst Vater12 auch noch, sicher steht uns Deine u. der Mutter Ankunft bevor, sodaß der Herbst sehr reizend zu werden verspricht, besonders wenn der Schwager alle Grillen abgewaschen hat, wozu er jetzt schon einen löblichen Anfang gemacht hat. Kurz nach Ankunft des Alten wird Karl mit, Harras Reißert, Lindig13, und dem Rath Voigt eine Reise ins Bairische bis Nürnbergc [machen], worüber ich mich Karls wegen außerordentlich freue. – Die Meinigen14 sind seid 8 Tagen Alle im schönen Heringsdorf und stürzen d sich täglich in die Wellen, möchte das auch wohl, aber nicht wenn Karl nicht mit könnte, also tauche [ich] in die Saale und singe das Oberonsche Meerlied15. – Ade leb wohl, behalte uns lieb und komme recht gesund her, wo dann Deine Schwägerin schon für Stillung des Hungers sorgen wird.
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Nicht überliefert. Haeckel, Carl Gottlob. Vgl. Br. 100, Anm. 14. Eigentlich ein Beutel, in den lange Haare eingebunden werden; hier rdal. für: Rausch (wg. des Gefühls eines schweren Hinterkopfes beim Tragen eines Haarbeutels). Bei Vögeln: singen Daguerreotypie: Fotographisches Verfahren des 19. Jahrhunderts auf der Basis von Silberplatten, benannt nach dessen Entwickler Louis Jacques Mandé Daguerre. Vgl. Br. 171, Anm. 1. Vgl. u.a. Br. 156, S. 300. Schubert hatte in Hirschberg (Schlesien) ein Rittergut gekauft; vgl. Eintrag in: Deutsches Geschlechterbuch. 42. Allgemeiner Bd., Limburg a. d. Lahn 1970, S. 49. Vgl. Br. 171, Anm. 3. Haeckel, Carl Gottlob. Sethe, Christian. Lindig, Christian Karl. Sethe, Christian; Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Vermutlich das Lied der Meermädchen aus Carl Maria von Webers Oper „Oberon“ (dt. Erstaufführung: Leipzig 1826).
173. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 18. Juli 1853
Würzburg 18/7 53 Herzlichen Dank, meine liebe Herzensmutter, für Deinen ausführlichen Brief1, der mich sehr erfreut hat. Daß Du im Hause so viel Noth und Arbeit hast, thut mir recht leid; strenge Dich nur nicht zu sehr an, sondern schone Dich gehörig; denn die liebenswürdigen Nerven, weißt Du, lassen bei uns beiden nicht viel mit sich spaßen, sondern werden leicht unartig! Hoffentlich bekommst Du bald wieder freie Luft; und dann kannst Du Dich in Rheme2 recht erholen. Ich denke bestimmt Sonntag den 14.8. von hier abzureisen, wo ich dann Abends in Frankfurt ankomme und vielleicht schon am nächsten Tage in Rheme. Geld werde ich nicht mehr brauchen, da ich noch sehr viel habe; bestimmt weiß ich es freilich noch nicht, da ich noch nicht bestimmen kann, wie groß die Monatsrechnung wird. Wieviel denkst Du denn, daß ich zur Reise brauchen werde? Etwa 10 rℓ? Schreibe mir doch, was Du denkst, und dann, mit welcher Münzsorte ich am besten durchkomme; ich glaube, mit Gulden. Schach und Domino werde ich mitbringen; sorge nur ja, daß auch das Microscop mitkömmt. Noch muß ich um ein sehr gutes und nothwendiges Buch bitten, das Du wohl so gut bist, bei Dieter Reimer3 zu bestellen, und in Halbfranz4 binden zu lassen, so daß Du es fertig mit nach Rheme bringen kannst. Dies ist: „Schloßbergers Lehrbuch der organischen Chemie. Stuttgart. 1852.“5 Ich brauche es ganz nothwendig! || Ich freue mich sehr auf unser nettes Zusammensein, namentlich auch auf Ziegenrück. Daß mein Geburtstagskistchen dort richtig angekommen ist, war mir sehr lieb von Dir zu hören. Ich hatte schon rechte Angst, es wäre verloren gegangen, zumal da es die Postbeamten hier anfangs gar nicht annehmen wollten, weil sie behaupteten, a in keinem Coursbuche auffinden zu können, wo das Nest liege. Von den Ziegenrückern selbst habe ich noch keine Antwort, wie sie überhaupt in diesem ganzen Semester noch nicht ein einziges mal an mich geschrieben haben. Ich
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fange wirklich darüber böse zu werden an. Sei doch so gut und rüffle sie deswegen im nächsten Briefe ordentlich; wenn sie so faul sind, kriegen sie auch keinen Brief wieder von mir! – Daß Du, mein lieber Vater, Dich bei uns in Süddeutschland umsehen willst, hat mich sehr überrascht und erfreut. Daß Du nur einen kleinen Seitenabstecher nach Würzburg machst, versteht sich natürlich von selbst! Der Umweg nach Nürnberg beträgt nur wenige Meilen. Ich freue mich ungeheuer, euch hier herumführen zu können. Kommt aber nur ja recht bald, und gleich auf dem Hinwege. Am Besten werdet ihr thun, die Nachtpost von Bamberg hieher zu benutzen, die Abends um 10 dort weggeht und früh um 7 hier ist. Die b Eisenbahn bis Schweinfurt ist zwar fertig;6 allein meines Wissens existirt auch jetzt || noch nicht ein directer Anschluß, so daß ihr wahrscheinlich in Schweinfurt übernachten müßtest [!]. Schreibt mir nur bestimmt vorher den Tag, wo ihr zu kommen gedenkt, damit ich euch früh auf der Post empfangen kann. Ich freue mich ungeheuer darauf ! Werdet ihr denn auch nach München und von da vielleicht eine kleine Sprütze in die Alpen machen? Die Reise wird jedenfalls sehr nett! – Da fällt mir eben ein: weißt Du denn schon, daß Ägidi in Göttingen als Privatdocent ein publicum über die deutsche Verfassung liest, welches schon in den ersten Stunden so überfüllt mit Zuhörern gewesen ist, daß er das größte Auditorium hat nehmen müssen! Das freut mich sehr. Mir hat die Nachricht ein hiesiger Freund7 von ihm mitgetheilt. – Unter den netten Schleswig-Holsteinern, die ich hier habe kennen lernen, ist auch ein Vetter von Esmarch8, mit Namen: Ove Jeppe Prehn9; sein Onkel, der Prehn10, bei dem Karl war und der nachher nach China ging. – Aus meinem gewöhnlichen stillen Alltagsleben bin ich vorige Woche ganz unvermuthet einmal in die große Menschen Welt hineingerathen. Wie ich dazu gekommen bin weiß ich selbst noch nicht. Am Sonntag den 10ten nämlich veranstaltete die Krone der hiesigen Professoren: Virchow, Koelliker, Mueller, Scanzoni, Scherer u.s.w. eine große Landparthie in den Guttenberger Wald11. Jeder derselben hatte einige Freunde, namentlich junge Doctoren und besonders begünstigte Studenten dazu eingeladen, welche er als seine Gäste dort abfütterte u.s.w. || Da ist nun Koelliker, weiß Gott auf welche Weise, auf den Gedanken gerathen, auch mich unter seinen Gästen einzuladen; wie ich erschrocken bin, könnt ihr euch denken. Indeß lief die Geschichte doch besser ab, als ich dachte. Früh um 7 Uhr brach die Parthie auf, etwa 75 Personen stark, worunter zu meinem noch größern Schrecken wenigstens ⅓ junge Mädchen waren. Indeß habe ich auch diese Klippe (nämlich die Aufgabe, diese Damen zu unterhalten) glücklich zu umsegeln gewußt, so daß ich den ganzen Tag mit keiner ein Wort gesprochen habe. Gleich anfangs hatte ich ziemliches Schwein. Während nämlich die andern meist zu Fuße bei großer Hitze nach dem c gegen 3 Stunden entfernten Versammlungsort liefen, hatte ich das Glück, von Hrn. Dr. Gsell-Fels, dem Schweizer, der im Winter mein Nachbar war eingeladen zu werden, seinen Omnibus12 zu benutzen, in welchem außer ihm nur noch ein paar Studenten saßen. So genoß ich unterwegs noch ein langes Sermon über Philosophie gratis! Im Walde selbst war es sehr nett. Da es ein sehr besuchter Hauptvergnügungsort der Würzburger ist (erst gestern war wieder eine Partie von 1000 bis 1100 Personen dort!), so sind dort verschiedene Hallen, Bänke und Tische mitten im Walde errichtet auf einem freien etwas erhöhten Platz,
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der rings von prächtigen alten Bäumen umgeben ist. Auf einem der größten ist oben eine Gallerie angebracht, zu der man auf Treppen hinaufsteigt, und von der man eine weite Fernsicht über den sehr großen Wald hat. || Da packten nun denn die respectiven Professorenfrauen die sämtlichen Schätze ihrer Küche und Speisekammer vor den schmachtenden Gaumen aus und suchten diese zu erquicken, wobei eine die andere Professorin zu übertreffen suchte. Nur Frau Prof. Kölliker13, übrigens eine sehr schöne und noble Dame, hatte in diesem Wettstreit sich nicht hervorzuthun gesucht. Es ist nämlich eine der sehr wenigen, aber darum desto mehr, schlimmen und schwachen Seiten Köllikers, daß er etwas sehr knickerig ist (horridum exemplum!!)14 und so kam es, daß wir Gäste Köllikers (unter denen auch meine meisten Bekannten, Bertheau, Hein, Gerhard, Passow15, Lavalette u.s.w. waren, was nachher zu manchen Späßen Veranlassung gab) mitten in diesem Schlaraffenleben der Andern, wo es von Milch und Honig träufte, ziemlich im Trockenen saßen; namentlich muß ich gestehen, daß durch die schmalen Kosthäppchen und Nippchen mein Appetit eher gesteigert, als verringert wurde; und doch nahm ich mir noch weniger, als die andern! Indeß wurden diese kleinen Leiden bald vergessen, als ich nachher eine klare Quelle im Walde, prächtige Erdbeeren fand, und dann ein paar schöne, mir ganz neue Blumen, Rosa arvensis16 und Campanula Cervicaria17. Nach dem Frühstück sowie auch nach dem Mittagessen, suchte das junge Volk sich die Zeit auf die leidlichste Weise mit allerlei Spielen und Belustigungen zu vertreiben, als da sind: Blindekuh, Plumpsack, Tanzen, Singen, Schießen, Kegeln, Spazieren u.s.w. Daß ich grade keine Rolle dabei spielte, werdet ihr mir wohl glauben. Indeß habe ich doch mein möglichstes gethan, um nicht zu sehr hinter den Andern zurückzubleiben. || Jedoch war ich schließlich herzlich froh, als endlich um 8 Uhr Abends d 4 verschiedene Omnibusse und mehrere andre Wägen Anstalt zur Rückfahrt machten. Fast hätte ich einem Freiburger Schweizer18 beigestimmt, der das Bummeln den ganzen Tag so satt hatte, daß er sagte: er möchte lieber 8 Tage Anatomiediener sein, als alle Sonntage so schmählich todtschlagen. Das Beste von der ganzen Geschichte war noch, daß ich dabei Virchow kennen lernte, dem ich noch alte Grüße von Georg Reimer19 bestellte, an den er e mir herzliche Gegengrüße bestellt hat. Dann amüsirte mich der herzliche offne, gemüthliche, süddeutsche Ton, der auf der ganzen Parthie herrschte, bei der die zarten jungen Damen mit den Herren Bier tranken, schossen, kegelten u.s.w. Übrigens merkte ich erst am andern Tage, daß ich auch eine zoologische Bekanntschaft gemacht hatte; ich verspürte nämlich heftiges Jucken unter der linken Achselhöhle und schließlich fand sichs, daß dies von einem Holzbock (oder Zecke, Ixodes) herrührte, den ich, als ich mit ausgezogenem Rock im Walde spazierte, aufgelesen haben mußte, und den mir meine Bekannten Abends auf dem Badeplatz mit Messer und Pincette unter vielem Lachen herausoperirten.20 – Am letzten Sonntage (gestern) war ich zum erstenmal f auf der Festung oben. Dieselbe ist nämlich nur an 2 Festtagen jährlich dem publicum geöffnet; gestern war die Ursache dazu das „ewige Gebet“21, eine sonderbare Einrichtung der katholischen Kirche, wonach das ganze Jahr || ohne irgend welche Pause in ganz Baiern an irgend einem Orte gebetet werden muß (d.h. Worte ohne Sinn abgeleiert) wobei natürlich ein Ort nach dem andern an die Reihe kömmt. Dies ewige Gebet kam nun gestern auch auf die Festung herauf. Ich hatte eine sehr schöne Aussicht oben erwartet, sowie
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ich auch die interessante Einrichtung der Festungswerke zu sehen dachte, sah aber von allem diesem nichts, aus dem einfachen Grunde, weil überall Wachen ausgestellt waren, welche einen hinderten, anderswohin als nach der schauerlich schön verzierten Kapelle – oder aber nach dem Bierkeller beim Hausmeister – seine Schritte zu lenken. Der letztere zog auch mit seinem ausgezeichnet gut sein sollenden Biere g die meisten Leute herauf. Ich danke ergebenst für diesen Genuß! – Das herannahende Ende dieses Sommersemesters, welches mir rascher, als je ein andres vergangen ist, giebt sich schon jetzt auf eine grauenhafte Weise zu erkennen. Die Professoren, die bis jetzt noch nicht den 4ten Theil des Pensums durchgenommen haben, verdoppeln ihre Stunden und nehmen doch den Rest äußerst flüchtig und ungenau durch; dies gilt namentlich auch von Kölliker, der sich bei den niedersten Thieren, was mir allerdings sehr lieb war, so lange aufgehalten hat, daß er jetzt noch nicht einmal zu den Insecten gekommen ist. Von eigentlichem Fertigwerden ist daher keine Rede. Ich bin jetzt auch mit Koelliker etwas näher bekannt geworden. Ich brachte ihm nämlich vorige Woche Eier von einer Maulwurfsgrille (Gryllotalpa)22, die ich im Botanischen Garten || h aufgegabelt hatte. Er forderte mich auf, dieselben sowie die Entwicklung der jungen Thierchen aus dem Ei zu untersuchen, und stellte mir dazu ein Microscop zur Verfügung, mit dem ich jederzeit auf seinem Zimmer in der Anatomie arbeiten könne. Das thue ich denn jetzt auch täglich früh ein paar Stunden. Die Geschichte ist höchst interessant und könnte zu Resultaten führen; wenn ich nur nicht so schrecklich ungeschickt, auch im Präpariren, wär!23 – Vorige Woche habe ich wieder einen Geburtstag gefeiert, nämlich den meines Freundes Hein (am 13ten Juli) den ich nebst seinem Stubenburschen Gerhard (Köllikers Assistenten) zu einem großartigen Erdbeertractement eingeladen hatte, das trefflich mundete. – – Ich habe vorige Woche mehreremal Kirschen und Erdbeeren zum Abendbrod gegessen, was mir sehr gut schmeckte, namentlich da die Berliner Schlackwurst, die ich immer Abends zum Butterbrod aß, bereits seit 3 Wochen verschieden ist. Das Erdbeeressen ist nur eine etwas theure Sache und kommt jedesmal auf 8–10 xr. Es sind aber auch prächtige Walderdbeeren und ich wollte, ich könnte euch einmal daraus tractiren! – Daß es Tante Bertha fortdauernd so gut geht, freut mich außerordentlich. Grüßt sie recht herzlich, sowie auch euchi selbst den besten Gruß schickt euer alter Ernst H. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Br. 170. Zum gemeinsam geplanten Kuraufenthalt in Rehme vgl. Br. 156, Anm. 1. Reimer, Dietrich Arnold. Form des Bindens von Büchern, bei der nur der Buchrücken (manchmal auch die Buchecken) aus Leder besteht. Schlossberger, Julius Eugen: Lehrbuch der organischen Chemie mit besonderer Rücksicht auf Physiologie und Pathologie, auf Pharmacie, Technik und Landwirthschaft. 2., durchaus rev. und vielfach verm. Aufl., Stuttgart 1852; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 56 (=95). Die Eisenbahnverbindung von Bamberg nach Würzburg wurde erst am 1.7.1854 mit der Fertigstellung des Streckenabschnitts von Schweinfurt nach Rottendorf bei Würzburg durchgängig befahrbar. Nicht identifiziert. Esmarch, Karl Bernhard Hieronymus. Prehn, Jeppe Ove Gottlob.
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Prehn, Onkel von Jeppe Ove Gottlob. Vgl. Br. 149, Anm. 30. Ein für die Beförderung einer größeren Anzahl von Personen geeignetes Pferdefuhrwerk. Kölliker, Maria, geb. Schwarz. Lat.: erschreckendes Beispiel. Passow, Wilhelm. Rosa arvensis Huds., Feld-Rose, Famile: Rosaceae (Rosengewächse). Campanula cervicaria L., Borstige Glockenblume, Familie: Campanulaceae (Glockenblumengewächse). Chifelle, Eduard Marcel. Reimer, Georg Ernst. Vermutlich meint Haeckel mit „Zecken“ die Art Ixodes ricinus L., Gemeiner Holzbock, Familie: Ixodidae (Schildzecken). Durch einen Zeckenbiss können, wenn die Zecke infiziert ist, Krankheitserreger wie Lyme-Borreliose und die Frühsommer-Meningoenzephalitis übertragen werden. – Zu den hier genannten Bekannten zählten u.a. Georg Bertheau, Reinhold Hein und Adolph Baron de La Valette St. George. Ewiges Gebet, eine Form der katholischen Frömmigkeitspraxis, bei der die konsekrierte Hostie ausgesetzt, d. h. auf den Tabernakel gestellt wird, um ganztägig angebetet zu werden. Es wird in den sog. Anbetungsklöstern praktiziert, doch gibt es seit dem 18. Jahrhundert auch die Form des wandernden ewigen Gebets, bei dem die konsekrierte Hostie nacheinander in allen Pfarrei-und Klosterkirchen eines Bistums ausgesetzt wird. Gryllotalpa gryllotalpa L., Europäische Maulwurfsgrille, Familie: Gryllotalpidae (Maulwurfsgrillen). Seine Forschungsergebnisse fasste Haeckel in folgender kleiner Abhandlung zusammen: Skizzen aus der Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille Gryllotalpa vulgaris von Ernst Haeckel. Juli 1853. Wuerzburg (EHA Jena, egh. Mskr., 8 S., 10 Abb.); siehe Abb. 37.
174. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 22. Juli 1853
Liebe Ältern!
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Da mein Freund Hein, derjenige von meinen hiesigen Bekannten, der mira noch am nächsten steht, ein sehr lieber und trefflicher Mensch, heute nach Berlin reist, um von dort seine Mutter (eine Dr. med. aus Danzig)1 abzuholen, die er nach Teplitz begleitet, so kann ich nicht umhin, euch einen recht herzlichen Gruß mitzuschicken. Hoffentlich überbringt ihn mein Freund euch selbst; ihr könnt diesen dann zugleich kennen lernen und von ihm hören, wie es mir geht. Es ist recht schade, liebe Mutter, daß wir nun dies mal nicht nach Teplitz2 gehen; dann fänden wir beide recht nette Gesellschaft. Von mir selbst wüßte ich nichts Neues zu berichten. Gestern ist endlich einmal ein Brief aus Ziegenrück angekommen, über den ich mich sehr gefreut habe.3 Ich bin sehr glücklich daß meine Geschwister so glücklich und schön zusammen leben. Wie prächtig die Briefe sind, geht schon aus dem ersten naiven Satz in || Mimmis Brief hervor: „Lieber Schwager med! Entschuldigen wegen unseres Nichtschreibens will ich mich gar nicht, weil ich nur zu wohl längst eingesehen habe, wie Unrecht es war und wie es eigentlich nur ein Verschleppen genannt werden kann! Also still davon! etc“4! – Wie ich gestern gehört habe, schließt Kölliker vielleicht schon am 14ten oder
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15ten, so daß ich dann vielleicht noch früher fortkönnte; indeß muß ich doch erst sehen, wannb die andern schließen. – Die Bevölkerung meiner Stube hat sich jetzt um 5 allerliebste grüne Laubfröschchen5 vermehrt, von denen einige noch einen Schwanz haben, und die ich in dem großen Glase halte, worin du mir Pflaumenmuß schicktest. – Herzliche Grüße in No 66, und an alle Freunde. Theodor7 lasse ich um ein Lectionsverzeichniß8 vom letzten oder dem vorhergehenden Winter bitten. Du bist dann wohl so gut, es mitzubringen, liebe Mutter. Wann reist denn Papa ab? Karl schreibt erst vom 8ten August ungefähr. – Herzliche Grüße von eurem Ernst. || Post Scriptum. So eben fällt mir noch einiges ein, was ich noch schreiben wollte. – Obgleich die Collegien erst am 20sten August geschlossen werden und namentlich Kölliker so lange liest, was mir sehr leid ist, so denke ich doch bereits am 13ten von hier abzusegeln, da es ihr wohl nicht anders werdet haben wollen. Wann ich dann nach Rheme9 komme, weiß ich nicht. Ich fahre früh um 6 hier mit dem Dampfschiff weg, bin dann Abends um 7 in Frankfurt und kann dann vielleicht von dort gleich damit weiter. Das Nähere könnt ihr vielleicht eher erfahren, als ich. – Wie ist Quinke10 Karlsbad bekommen. An Georg11 (wie auch an Weiß12) habe ich geschrieben.13 – Wie geht es Tante Adelheid14 und dem Kindchen15? Hoffentlich besser! – An Papa die herzlichsten Grüße und den schönsten Dank für seinen Brief16, der mich sehr interessirt hat, sowie auch dafür, daß er bei Schieck17 gewesen ist. || Von mir selbst wüßte ich eigentlich diesmal nichts zu schreiben, da es mir ganz so leidlich, wie jetzt fast immer geht. Ich habe von früh bis Abend alle Hände voll zu thun und bin dabei sehr froh. Herausgekommen bin ich in dieser Woche fast gar nicht, da wir schon seit 14 Tagen ein perpetuirliches, vorsündfluthliches Regenwetter haben, über das alle Welt außer sich ist, und das die Brodpreise über die Hälfte erhöht hat! – Das Interessanteste ist, daß ich in dieser Woche bei der Präparation der Leber eine Gallenblase mit 15 Gallensteinen gefunden habe, die völlig gleich groß und gleich geformt, die schönsten, regelmäßigsten 4seitigen Pyramiden oder Tetraeder waren, etwa so geformt:
Leider habe ich bloß einen behalten, da Virchow sich die andern aneignete. – Sonst ist nichts passirt. ! Nochmals die herzlichsten Grüße von eurem alten Jungen. 1 2
Mutter von Reinhold Hein, Vorname(n) nicht ermittelt. Zum Teplitzaufenthalt vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch einer im Sommer 1852 von dem stud. med.
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(et nat.) Ernst Haeckel mit seinen Eltern unternommenen Badereise nach Teplitz in Boehmen (egh. Mskr., EHA Jena, B 309a). Br. 171 und 172. Br. 172, S. 340. „Laubfröschchen“, Hyla arborea L., Europäischer Laubfrosch, Familie: Hylidae (Laubfrösche i.w.S.). Irrtüml. für: Berlin, Schifferstraße 8, wo Haeckels Großvater und seine beiden unverheirateten Töchter Bertha und Gertrude lebten; vgl. Br. 45, Anm. 13. Bleek, Theodor. Verzeichniss der Vorlesungen, welche von der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Winterhalbenjahre vom 15. October 1852 bis zum 19. März 1853 gehalten werden. [Berlin 1852]. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Quincke, Hermann. Quincke, Georg. Weiß, Ernst. Briefe von Ernst Haeckel an Georg Hermann Quincke und Ernst Weiß nicht ermittelt. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Adelheid Sethe gebar am 21.6.1853 einen Sohn, der jedoch bereits am 25.6. verstarb; vgl. Br. 166, Anm. 3. Nicht überliefert. Haeckels Vater sollte sich bei Schieck nach dem bestellten Mikroskop erkundigen bzw. dieses abholen; vgl. u.a. Br. 176, Anm. 14.
175. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 24./25. Juli 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 24/7 53.
Diesmal hast Du lange auf Antwort warten müssen; doch würdest Du es natürlich finden, daß ich nicht zum Schreiben kommen konnte; wenn Du sähst, wie es a in unserem Hause in der letzten Zeit warb, wie in einem Gasthof, Besuch auf Besuch, dabei nur ein Mädchen, die nicht ganz gesund war und ist; doch ich will versuchen, Dir || eine kleine Skize der letzten Tage zu geben: Donnerstag vor 8 Tage kam Vater Abends von Petzow sehr befriedigt zurück; er hatte in Potsdam noch einige alte Bekannte aufgesucht unter anderem auch Schleinitz1, von denen er aber nur die Frau2 gesehn da er krank lag, seine Todesnachricht3 haben wir auch vor einigen Tagen erhalten. – || Freitagvormittag kam Emilie von Brauchitsch hier an und blieb bis Sonnabend Abend. Dienstag früh um 6 Uhr kamen Jacobis: August4 wohnte bei Vater und Helenchen mit ihrem allerliebsten Klärchen5 und der Amme6 bei uns. Dienstag Abend wurden wir überrascht durch den Besuch des D. Neubert, der mit seiner Frau7 von Salzbrunn || kommend, hier durch nach Hamburg reiste. Sie hatte sich Kopfweh wegen zu Bette legen müssen. Häckel ging mit ihm durch den Thiergarten zur Statue des Königs, nahm am Hofjäger8 eine Droschke und fuhr mit ihm um den Kanal, ihm eine Ansicht von Berlin zu verschaffen. D. Neubert || erkundigte sich sehr nach Dir, und trug die herzlichsten Grüsse an Dich auf; sie assen vorgestern zu Mittag bei uns. Donnerstag Abends kam Klara v. Brauchitsch9 hier an, die nach Schlesien ging und bei
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uns übernachten sollte. Da nun alles besetzt war, machte ich ihr ein Bett auf Häckels Sopha; den Abend war der General Fromm10 bei Vater, Quincke11 hatten wir dazu gebethen. – || Jacobis werden wohl morgen früh abreisen, so wird wohl für mich etwas mehr Ruhe kommen, daß ich dann das nöthige besorgen kann, noch einige Einkäufe besorgen, damit die Wiege etc was für Ziegenrück bereit steht, dahin abgehn kann; und dann werde ich nach und nach mich zur Reise bereiten. Ich bin mit Häckel bei Herrn Schieck gewesen, er hat || mir versprochen, daß ich das Mikroskop für Dich den 12ten August bestimmt erhalten soll, ich bringe es Dir dann mit.12 Montag. Als ich gestern so weit am Schreiben war kam Dein Freund Hein, der uns Dein Briefchen13 brachte, ich freute mich sehr jemand zu sehn, der von Dir kam, leider konnte ich ihn nur einen Augenblick sehen, da Besuch von Auguste Eichmann14 kam. Heute früh sind Jacobis abgereist nach Ilsenburg. Kaum || waren sie weg, so kam ein Briefchen worin sich Frau v. Bassewitz mit Marie15 auf ein paar Tage anmeldet, sie werden morgen Abend kommen. Ich werde mich so einrichten daß ich vor Dir in Rheme16 bin, also erwartte ich Deine Bestimmung wann Du abreist. Gestern meinte Vater es so einzurichten, daß er mit Karl Dich in Würzburg besuchte, doch würde das grade den 12ten oder 13ten treffen, wo Du mit der Abreise be- [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16
Schleinitz, Georg von. Schleinitz, Constanze von, geb. von Hopffgarten. Georg von Schleinitz starb am 16. Juli 1853. Jacobi, August. Jacobi, Helene, geb. Sethe; Jacobi, Clara. Nicht ermittelt. Nicht ermittelt. Ursprünglich als Wohnhaus des Hofjägers am preußischen Königshof in Berlin errichtetes Gebäude im Tiergarten, gelegen am südlichen Ende der nach ihm benannten Hofjägerallee, die vom Großen Stern zum Südrand des Tiergartens führt, später Ausflugslokal mit Biergarten. Brauchitsch, Klara Karoline Hedwig von. From, Friedrich Wilhelm Theodor. Quincke, Hermann. Vgl. Br. 173, S. 342. Br. 174. Eichmann, Auguste Emilie Adelheid. Bassewitz, Henriette Adelheid von, geb. von Gerlach; Bassewitz, Marie von. Vgl. Br. 156, Anm. 1.
176. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 28. Juli 1853
Liebe Eltern!
Würzburg 28a/7 53.
Euer letzter inhaltschwerer Brief1 hat einen solchen Wirrwarr von Ideen, Wünschen, Plänen etc in meinem ohnehin schon haltlosen Gehirn angeregt, daß selbiges nun vollständig mitb mir durchging, und ich nicht nur die darauf folgende Nacht kaum schlafen konnte, sondern auch jetzt noch beim Wachen beständig von Ziegenrück,
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Bonn, Rheinreise etc etc träume und im Geiste die Reisestiefeln schon angezogen habe. Welche von den zahllosen Neuigkeiten, die ihr mir mittheilt, soll ich nun zuerst beantworten? Ich denke die, die die Reise betreffen, da diese doch wohl die wichtigsten sind. Also ad acta! Fürs erste kriegte ich da keinen kleinen Schreck, sage Schreck, als ich von einer Rheinreise las, die ich machen sollte, während mein Ideenkreis sich bis dahin immer nur auf der Eisenbahn Frankfurt, Kassel, Paderborn, Minden etc bewegt hatte. Als ich diesen Schreck aber bei Lichte betrachtete, verwandelte er sich in pure Freude, die mir noch jetzt den ganzen Tag den Kopf erfüllt. Ich finde den Gedanken, über Bonn zu reisen, sehr nett und bin ganz damit einverstanden; nur 2erlei wäre dagegen; erstens, daß ich dann von Köln nach Minden fast soweit mit der Eisenbahn zu fahren hätte, als von Frankfurt nach Minden; oder wenigstens ⅔ so weit, und zweitens den Geldpunkt. Wird dieser Umweg nicht zu theuer werden? Die Reise von hier bis Köln wird freilich nur 6 (sechs!) Gulden kosten. || Wenn ihr bei eurer Meinung bleibt, daß ich über Bonn reise, statt direct über Kassel, wo ich allerdings von hier aus nur 2 Tage brauchte, so würde mir das sehr viel Freude machen, da ich selbst schon längere Zeit diese kühne Idee hatte, aber sie kaum mir selbst zu gestehen, geschweige denn euch zu schreiben wagte. Ich freue mich ungeheuer, die herrlichen Rheinufer und die lieben Bonner2 einmal wieder zu sehen! Nur schade, daß es so kurze Zeit ist. Indeß muß ich euch gestehen, daß ich in diesem Falle große Lust hätte, die letzten Collegientage, von denen man so nichts mehr profitirt, zu schwänzen, und lieber diese Zeit in Bonn bei den lieben Verwandten zuzubringen, namentlich da ich fast ganz allein hier so lange aushalten werde, und die meisten meiner Bekannten schon morgen, oder am 7ten wegreisen. Was meint ihr dazu? – Ich habe heute schon den ganzen Tag bei c Dottendorf die Erica cinerea3, bei Godesberg die Vesicaria utriculata4 gesammelt, bin auf dem Venusberg5, Drachenfels6 etc gewesen und habe alle schöne Erinnerungen des frühern Bonner Aufenthalts7 wieder heraufgezaubert. Das einzig Schlimme wär dann freilich, lieber Vater, daß ich dann Dich und Karl nicht hier herum führen könnte, worauf ich mich außerordentlich gefreut hatte; allein, wie ich aus Karls Briefe8 sehe, würde daraus auch so schwerlich etwas geworden sein, da ihr ja nicht allein sondern noch mit mehrern Ziegenrückern die Reise macht. || Auch reise ich doch jedenfalls allerspätestens Sonntag den 14 oder Sonnabend den 13ten August hier fort. Da es mir die letzten Tage ohnehin so schrecklich unruhig und ungemüthlich ist, da ich alle Hände voll mit Abschluß der Collegien, Fertigmachen eines großen anatomischen Arterienpräparats von Brust, Arm und halbem Kopf, sowie mit meinen Gryllotalpa9 Eiern zu thun habe, so wird es allerdings wohl das Vernünftigste sein, wenn ich diesmal auf das Vergnügen, Dich und Karl hier zu sehen und herum zuführen, was ich mir allerdings schon so sehr lange und nett in der Phantasie ausgemalt hatte, verzichte, wie sehr schwer mir dies d auch wird. Indeß „aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben.“ Überdies wirst Du an der hiesigen Gegend nicht viel verlieren, da Du ja nach Coburg kommst, welches im Ganzen der hiesigen Lage nicht unähnlich, aber ungleich schöner, lieblicher und großartiger ist. Kölliker wird wohl den 13ten schließen. Wenn ihr nun nichts dagegen habt, richte ich mich auf jedenfall so ein, daß ich Dienstag am 16ten August Abends in Rheme10 eintreffe, sei es nun, daß ich erst am 14ten früh hier fort kann, was allerdings auch möglich ist, oder daß ich,
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was mir itzo viel wahrscheinlicher ist, es nicht so lange aushalte, sondern etwa schon am 11ten oder 12ten hier durchbrenne und 1 bis 2 Tage in Bonn bleibe. Sehr viel Lust hätte ich auch, einen Tag in Frankfurt zu bleiben, nicht sowohl || um dort ein Paar sehr merkwürdige Pflanzen zu holen und mir die beinah ebenso merkwürdige Stadt anzusehn, als vielmehr, um einen gesprengten Schädel11 zu kaufen, die man dort sehr gut bekommen soll und den ich nothwendig brauche. Indeß das kann sich alles noch finden. Großentheils kommt es auch aufs Wetter an. Sollte dasselbe ganz schlecht sein, so ist es doch wohl das Beste, ich fahre direct über Kassel und Paderborn, wozu ich erst sehr viel, jetzt aber gar keine Lust mehr habe. Wenn ich am 17ten zu baden anfange, so ist das noch lange lange Zeit genug. Wenn Du mir also keine Contre-ordre12 mehr giebst, liebe Mutter, so treffe ich am 16ten in Rheme ein! … Du kannst ja so auch nicht gut früher weg, da Schieck das Microscop erst bis zum 12ten fertig macht.13 Wie ich mich darauf freue, kann ich euch gar nicht sagen! Überhaupt, liebe Eltern, muß ich euch schon jetzt meinen innigsten Dank für das herrliche Geschenk sagene, sowie für die ebenso nützlichen als ausgezeichneten Bücher, die ihr mir bewilligt habt, endlich auch für den Genuß, den ihr mir durch diese Reise machen wollt, sowie ich euch ja täglich für alle eure Liebe im Geiste danke und glücklich bin. Wie sehr ich mich freue, wieder mit Dir zusammenzuleben, liebe Mutter, brauche ich Dir nicht erst zu sagen! – || Mit Schrecken sehe ich, daß ich in meinem Reiseeifer schon einen halben Bogen voll gekohlt habe; also zu etwas anderm. – Über den Artikel „Wiege für Ziegenrück“ in eurem Brief14 habe ich mich fabelhaft gefreut. Nun ist doch das Herbarium auf dem Boden in Berlin nicht umsonst so nett verpackt. Wenns nur ein Junge wird, das ist ein Hauptwunsch von mir. Ich setze schon jetzt immer in Gedanken einen codex15 auf, nach welchem ich meinen Neffen als eine Art naturhistorisches Ideal (hört, hört!!) erziehen will. Er soll in meine Herbarien, meine Bibliothek, ja sogar in mein Schieck16, vollkommne Freiheit haben und es, wie das seinige benutzen dürfen, was sonst niemandem gestattet ist; ja wenn es nur erst so weit wäre! ach ja!! Dann will ich auch für ihn sparen, daß er ein große Reise machen und alle die naturhistorischen Genüsse in vollen Zügen sich aneignen kann, welche mir das neidische Schicksal versagt hat. Ja, wenns nur ein recht naturliebender und naturgeschichte liebender Neffe würde; dann sollte schon was Ordentliches aus ihm werden; ich hoffe das auch sehr stark, da er ja in Ziegenrück geboren wird, und da kann das nicht anders sein! Ich weiß nicht, ob es euch die Ziegenrücker geschrieben haben, daß ich ihnen zum 8ten auch eine Visitenkarte17 von mir mitschickte, auf der außer einer Menge andrer Titel (als da sind: Professor der Physiologie, vergleichenden Anatomie, wissenschaftlichen Botanik und Zoologie, practischer Arzt auf dem Antisana18 etc etc und andrer solcher Blödsinn) auch zu lesen war: „Onkel in spe“19 – Ha, wie stolz ich darauf sein werde. || Ich sehe schon im Geiste, wie mein geliebter Neffe ein zweiter Humboldt oder so etwas wird, wie er mir seine erste Abhandlung „über vergleichende Anatomie, Physiologie der natürlichen Pflanzenfamilien“ dedicirt, und wie es dann einst in seiner Biographie heißen wird: „Die erste Anleitung, gleichsam den ersten Stachel zu seinen naturhistorischen Forschungen erhielt er von seinem Onkel, einem übrigens leidlich unbrauchbaren Institute, an dem noch das Beste war, daß er die reine Natur mehr liebte, als die sie verunzierenden Menschen etc etc etc!“ –
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Ich sehe schon euren Schreck, liebe Eltern, wenn ihr diesen Blödsinn da lest und vielleicht gar denkt, ich bin schon halb überstudirt; indeß seid ganz ohne Sorge; das sind nur solche kleine Excursionen der Ideenassociationen, wie meine Phantasie sie jetzt öfter anstellt, um die Theorieen, welche wir bei f Kölliker in der Nervenphysiologie g durchnehmen, zu realisiren; diese Nervenphysiologie ist wirklich eine schnurrige und bunte Sache, aber höchst interessant; nur Schade, daß man da wirklich manchmal zu der Überzeugung kommen muß oder müßte (eigentlich sollte), der ganze wunderbare menschliche Geist sei nichts als ein Stückchen graue Nervenmasse, von der weiße Fäden mit Knoten, deren jeder eine besondere Verstandesfunction oder wenigstens Sinnesfunction besitzt, nach allen Richtungen in den Körper ausstrahlen! – Ich bin noch nicht soweit – davon mündlich mehr. – || Vorigen Sonnabend, am 23sten, machte das medicinische Kränzchen20 auf Anregung und unter Anführung der Präsidenten, des Professor Kölliker und Müller, einen größern Spaziergang auf einen alten Wartthurm, das sogenannte Schenkenschloß,21 der auf dem rechten Mainufer, grade über dem Steinberg liegt, und von wo man eine schöne Aussicht hat. Das Wetter war sehr heiß und etwas zweifelhaft, weshalb nur 10 Mitglieder mitgingen, unter welchen auch ich mich als außerordentliches befand. Wir trafen es sehr schön. Von da gingen wir durch den einzigen hier existirenden Kiefernwald, der mich lebhaft an die theure Mark22 erinnerte, aber sehr schöne Erdbeeren enthielt, die wir uns trefflich schmecken ließen, nach h Oberdürrbach23, wo wir grade rechtzeitig eintrafen, als eben ein colossales Gewitter mit wahrhaft südlichem Temperament sich zu entladen anfing. Ich hatte vorher noch eine interessante, d.h. kuriose Zwischenscene. Ich hatte mich nämlich im Walde beim Aufsuchen der Pyrola umbellata24 von den andern entfernt und als ich diese wieder aufsuchte, trat ich unvorsichtiger Weise in ein Nest mit Erdwespen. Mochten diese liebenswürdigen Thierchen keinen Spaß verstehen, oder von mir als leidenschaftlichen Zootomen Kunde erhalten haben, kurz der ganze helle Schwarm stürzte sich mit einer verzweiflungsvollen Wuth auf mein Unschuldiges Haupt und verfolgte mich trotz dem ich wie toll mit Stock, Tuch, Mütze etc um mich schlug, wie rasend zwischen den Bäumen durchjagte, über Gebüsch und Hecken sprang, eine ganze halbe Stunde weit, bis nahe an das Dorf, wo sie es endlich für gut befanden, umzukehren. || Aber es war auch hohe Zeit, denn seit 2 Jahren, als ich gesund in Merseburg herumlief, war ich nicht so in Karriere über Stock und Stein bergab gejagt, und jetzt fingen meine dessen ganz ungewohnten Kniee dermaßen an zu zittern und zu wanken, daß ich mich kaum zu dem nahen Wirtshaus schleppen konnte, wo meine anderen Gefährten schon beim Wein saßen. Anfangs hatte ich tüchtige Angst, daß die tolle Parthie meine Kniee sehr übel genommen haben möchten; diese waren aber sehr artig, muxten gar nicht und musicirten sogar weniger, als sonst. Auch hat es keine weiteren Folgen gehabt. Es scheint also doch, daß ihnen eine solche Anstrengung nichts schadet. – Wir waren übrigens dort nachher noch sehr vergnügt, sangen, erzählten Geschichten, aßen selbstgesammelte Erdbeeren und tranken dazu sehr guten Wein, die Flasche zu 24 xr, und scherzten viel. Meine Bekannten wollten mich auch aufziehen, indem sie mich um den Namen einer Pflanzei fragten, der sie die Blume von einer andern aufgesetzt hatten, worauf aber Kölliker den Herrn Botanikus hoch leben ließ (worauf ich natürlich sehr stolz war!) und was dergleichen mehr ist. Solche Parthieen
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sind wirklich sehr nett und man hat in Berlin keine Idee davon, wie „jemeen“ oder „niederträchtig“, i. e. herablassend die Professoren dabei sind. – In den Berliner Hörsälen würde man auch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn die Studenten sich auf solche Weise, wie hier, die Hitze zu erleichtern suchen wollten. || Kölliker hat uns nämlich ersucht „bei die jroße, jroße Hitze“ uns nicht zu geniren, sondern in den heißen Hörsälen ganz wie zu Hause zu thun und uns den übermäßigen Schweiß durch Ablegen von Kleidungsstücken zu ersparen. Diese Bewilligung wird nun natürlich im ganzen Umfange benutzt und wir sitzen z. B. in der vergleichenden Anatomie äußerst gemüthlich ohne Rock, Weste, Halstuch, ja zum Theil selbst halb ohne expressibles25, beisammen; der Vortrag hört sich dann noch einmal so interessant an. Im Übrigen ist mir die horrible Hitze sehr lieb; einmal denke ich, es soll dadurch ein Theil der überflüssigen und unnützen Gedanken und Grillen ausschwitzen; dann ist sie mir aber besonders wegen meinen Pflanzen lieb, die auf dem Boden, wo die Hitze bis 30°26 steigt, dann so rasch trocknen, daß ich fast täglich nun Heuladungen aus dem botanischen Garten mir holen kann. Mich solls nur wundern, wie ich diese Pflanzenschaar gesund nach Berlin transportiren werde! – Wie ich aus eurem Briefe, der mich in allen seinen Theilen so interessirt hat, daß ich ihn jetzt fast auswendig kann, sehe, ist es ja in der letzten Woche äußerst unruhig zugegangen in unserm Hause; das wird Deinen Nerven, liebe Mutter, wohl wieder was zu schaffen gegeben haben. Nun, ich denke Du kannst Dich bei der Muße in Rheme genügend wieder erholen. Zu viel Bücher bring nicht zum Lesen mit, etwa nur Göthes Leben27 und Münchhausen28, da ich selbst noch mehrere zu unsrer gemeinschaftlichen Lectüre mitbringe. – Auch ich habe in der letzten Woche viel Unruhe gehabt, wenn auch nicht in der Weise, wie ihr, sondern mehr äußerlich. Es war jetzt hier nämlich die große 14tägige Sommermesse, wo || nicht nur das höchst sonderbar ausgeputzte Landvolk von weit und breit in Masse hereinkömmt, sondern auch eine Menge Meßbuden, Welttheater, Menagerien, dem schaulustigen Publikum sich öffnen, die grade am Ende der Spitalpromenade aufgepflanzt sind und von denen aller Lärm unmittelbar in meine Wohnung dringt. So mußte ich z. B. täglich Abends eine ganze Stunde schießen hören, weil im theatrum mundi29 die Düppeler Schanzen gestürmt wurden!30 Ich selbst war einmal im Affentheater (aus Amsterdam)31 und wollte so den Genuß nachholen, den bei Herrn Schreier32 zu haben, ich als Kind so sehr wünschte. Es ist j aber mehr traurig, als amusant, die erbärmlich zugestutzten und hypercultivirten Thiere zu sehen; nur ganz kleine, 2 Fuß hohe Schottische Ponys, welche auf den Hinterbeinen tanzten, marschirten etc waren sehr niedlich. Mehr amusirte mich eine ganz südliche Erscheinung, die ich wenigstens in k Norddeutschland nie gesehen hatte, l nämlich die ganz volksmäßigen, auf offner Strasse sich ohne entrée33 producirenden Policinelltheater,34 die von ganz ungebildeten Bummlern dirigirt (nämlich mit sehr wohl eingerichteten Drahtpuppen) und arrangirt wurden. So roh und unvollkommen die ganze Ausführung auch war, so steckten zwischen den rohen Späßen und handgreiflichen Scherzen doch auch viele sehr gute Witze und feine Anspielungen. Übrigens blieb das ganze vorübergehende Publikum, sowohl hohes, als niederes, besonders Abends oft stundenlang vor diesen Boutiken stehen. – Doch ich habe euch wohl schon zu viel vorgeschwatzt und muß machen, daß ich schließe. Dir, mein liebster Vater, wünsche ich eine recht, recht glückliche und
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vergnügte Reise, wie das ja nicht fehlen kann. Grüße mir meine lieben Ziegenrücker aufs Allerherzlichste. Denkt an mich in dem schönen Coburg und Suhl. Daß es Großvater und Tante Bertha so gut geht, freut mich sehr. Grüßt sie recht herzlich. In alter Liebe und Dankbarkeit euer treuer Ernst H. – m 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
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Br. 175. Die Familie von Auguste und Friedrich Bleek in Bonn. Erica cinerea L., Graue Heide, Familie: Ericaceae (Heidekrautgewächse). Vesicaria utriculata (L.) Lam., Syn.: Alyssoides utriculata (L.) Medik., Blasenschötchen, Familie: Brassicaceae (Kreuzblütengewächs). Venusberg, Hochplateau westlich des Rheins bei Bonn. Drachenfels (321 m) am Rhein, mit seiner markanten Burganlage, ein verbreitetes Sujet der Rheinromantik. Zu Ernst Haeckels erstem Aufenthalt in Bonn vgl. Br. 15–18. Br. 171. Vgl. Br. 173, Anm. 22. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Anatomisches Lehrpräparat des menschlichen Schädels, das in seine Einzelteile zerlegt werden kann und so montiert ist, dass alle Knochen freigelegt und studiert werden können. Frz.: Gegenbefehl. Das von Schieck in Berlin gefertigte Mikroskop befindet sich im Bestand des EHH Jena. Es trägt die Herstellergravur: „Schieck in Berlin No. 668“. In dem fehlenden Briefschluss von Br. 175 war wohl die Information über die Schwangerschaft von Haeckels Schwägerin Hermine. Lat.: Gesetzbuch. Vgl. Anm. 13. Nicht überliefert. Vulkan in Ecuador, der u.a. von Alexander von Humboldt bestiegen wurde. Haeckel war der Antisana durch die Beschreibung Humboldts bekannt; vgl. Humboldt, Alexander von: Ansichten der Natur, mit wissenschaftlichen Erläuterungen. Erster Band. 3. verbess. und verm. Ausgabe. Stuttgart; Tübingen 1849, bes. S. 32 und 226; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 2 (=5, lt. Eintrag in Haeckels Besitz seit 1850). Lat.: in der Hoffnung, hier: bald. Lockerer Zusammenschluss von medizinisch-naturwissenschaftlich interessierten Hochschullehrern und Studenten in Anlehnung an die Würzburger Physikalisch-medicinische Gesellschaft; vgl. Br. 124, Anm. 33. Anlage über dem Dürrbachtal nahe Würzburg. Mark Brandenburg. Vgl. Br. 107, Anm. 8. Pyrola umbellata (L.), Syn.: Chimaphila umbellata (L.) W.P.C.Barton, Dolden-Winterlieb, Familie: Ericaceae (Heidekrautgewächse). Beinkleider; vgl. Br. 140, Anm. 28. Réaumur, d.i. 37,5° C. Vgl. Br. 163, Anm. 29. Vgl. ebd., Anm. 31. Lat.: Welttheater. Die Düppeler Schanzen waren ein militärisches Befestigungswerk am Übergang zur Insel Alsen und zu der Stadt Sønderborg in Dänemark. Im deutsch-dänischen Krieg 1848–1850 wurden sie am 13.4.1849 von sächsisch-bayrischen Truppen eingenommen. Der Krieg um Schleswig-Hol-
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stein endete jedoch 1850 mit einem Friedensschluss, der den status quo ante wiederherstellte. Im deutsch-dänischen Krieg von 1864 wurde die verlustreiche Erstürmung der Düppeler Schanzen kriegsentscheidend. Bei dem niederländischen Affentheater handelte es sich vermutlich um das von Louis Broekmann aus Amsterdam inszenierte Schauspiel, bei dem dressierte Affen in menschlicher Verkleidung auf Ponys ritten. Besagtes Affentheater gastierte vom 10. – 20.7.1853 anlässlich der sogen. Killiansmesse in Würzburg. Vgl. Ankündigungen im Würburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 161, 8.7.1853, S. 695; Nr. 171, 20.7.1853, S. 705. Heinrich Schreier hatte bereits 1847 im Wiener Prater ein Affentheater eröffnet. Vgl. Czeike, Felix: Historisches Lexikon der Stadt Wien. 1. Bd., Wien 1992, S. 25. Frz.: Eintritt, hier: Eintrittsgebühr. Ein nach der auffällig gekleideten Figur des Pulcinell aus dem süditalienischen oder neapolitanischen Volkstheater benanntes Theater. Der Pulcinell „trägt weißwollene Beinkleider u. gleiches Oberkleid mit weißen Ärmeln, eine große Leinwandkrause u. eine weiße, wollene, in einer Spitze mit rothem Büschel endigende Mütze; das Viertel des Gesichts ist mit einer schwarzen Maske bedeckt, die Nase ist lang u. gleich einem Vogelschnabel gekrümmt; vorn u. hinten hat er einen Buckel. Diese Maske ging auch auf andere Theater Italiens über u. figurirt bes. im Puppenspiel.“ Vgl. Pierer, Heinrich A.: Universa f.–143, Art. „Italienisches Theater“.
177. An Carl Gottlob, Karl und Hermine Haeckel, Rehme, 18. August 1853
Meine lieben Ziegenrücker!
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Hoffentlich trifft euch dieser Brief in fröhlichem und munterm Beisammensein an, indem Papa und Karl nun doch wohl zu der vereinsammten kleinen Mimmi zurückgekehrt sind. Ich will euch deßhalb ausführlich von meinen Abenteuern1 berichten, in der Erwartung, daß ihr beide Reisende ein Gleiches thun werdet. Zunächst muß ich euch sagen, daß es doch recht gut war, daß ihr mich nicht in Würzburg besuchtet; ich hatte mich nämlich Anfang voriger Wochea tüchtig erkältet, bei Gelegenheit einer am 6ten veranstalteten Schwimmfahrt, dem sogenannten „durch’s Loch Schwimmen“, wozu die Würzburger Schwimmschule2 nur einmal jährlich Erlaubniß erhält und wobei sämmtliche Mitglieder derselben, vor allen Studenten, durch die ganze Stadt hindurch und unter der Brücke weg schwimmen. Wir hatten hiebei viel Spaß, aber ich erkältete mich doch tüchtig und bekam heftiges Zahnweh, so daß ich euch nur wenig in Würzburg, wozu ich mich eigentlich sehr gefreut hatte, hätte herumführen können, und daß ich kaum am Donnerstag den 11t abreisen konnte. Die Fahrt an diesem Tage, den Main herunter nach Frankfurt (von früh 5 bis Abends 9 Uhr) war sehr angenehm. Die Mainufer sind zwar etwas einförmig, aber doch sehr lieblich und mit schönen tannenbewachsenen Sandsteinabhängen, dazwischen Weinbergen und vielen alten Ruinen und Schlössern geziert. Namentlich liegt Werthheim und Miltenberg sehr schön von hohen grünen Bergen eingeschlossen. Einige langweiligere Parthieen brachte ich mit mehreren Commilitonen sehr vergnügt in der b ersten Kajüte zu (obwohl wir nur 2ten Platz bezahlt hatten; es ist dies ein altes Privilegium der Studenten). Am selbigen Tage wurden übrigens auch die letzten Collegien geschlossen, so daß ich vom ganzen Semester nur 3 Stunden bei Koelliker versäumte. || Den Freitag (12) Vormittag verbummelte ich in Frankfurt c (wo wir im „grünen
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Baum“, nahe der Brücke, in der specifischen Studentenkneipe, sehr gut logirten) auf die allerangenehmste Weise, und zwar mit einem sehr netten Stud. med. aus der Gegend von Wiesbaden „Börner“3, den ich erst in den letzten Tagen in Würzburg näher hatte kennen lernen. Zuerst besahen wir die schöne Aussicht von der Mainbrücke und dem untern Quai den Main hinab, gingen dann in den botanischen Garten4 und das anatomische Theater5, die Paulskirche und den Römer, dann durch die Promenaden zum Denkmal der gefallenen Hessen6, und endlich zu der mit Recht weltberühmten „Ariadne“ von Danneker7 im Bethmannschen Garten8. Dies überaus herrliche und erhabene Kunstwerk fesselte uns so, daß wir kaum noch Zeit behielten, uns das bronzene Goethedenkmal von Schwanthaler9 und Goethes Geburtshaus10 anzusehen; dann gingen wir um 10 Uhr in das „Städelsche“ Institut11, wo außer einem noch nicht vollendeten Gutenbergsdenkmal12 von Bronze viele prachtvolle neue Bilder ausgestellt waren, namentlich herrliche Gemälde von dem Düsseldorfer Lessing13 (Huß vor dem Kostnitzer Concil,d Ezzelin im Kerker, herrliche Landschaften u.s.w.)14. Von da besuchten wir das nicht minder berühmte, für uns noch viel interessantere e Senkenbergische Museum,15 was in seinem zoologischen Theile ganz ausgezeichnet ist und zumal in der Vögelsammlung das Berliner zoologische Kabinet16 fast übertrifft. Mit Schmerz trennten wir uns um 1 Uhr von diesen herrlichen Schätzen und fuhren auf der Taunusbahn 4ter Klasse nach Mainz. || Hier bestieg ich allein das Rheindampfschiff, um noch am selben Abend Bonn zu erreichen. Erst als ich schon eine Strecke gefahren war, erfuhr ich, daß der Steamer17 heute nicht bis nach Bonn führe, sondern in Coblenz übernachtete. Anfangs war ich hierüber sehr ärgerlich, was indeß sehr überflüssig war, da mir dieser Aufenthalt viel Genuß gebracht hatf. Ich beschloß ihn wenigstens möglichst zu benutzen und stieg deßhalb in Bingen aus. Hier machte ich noch einen schönen Abendspaziergang auf den Rochusberg, wobei ich zu meiner größten Überraschung 2 mir ganz neue sehr seltne Pflanzen fand: Heliotropium europaeum18 und Lepidium graminifolium19. Dann übernachtete ich in einer Schifferkneipe sehr gut und billig (für 42 xr) und machte am andern Morgen früh 5 Uhr eine sehr schöne Nachenfahrt nach Rheinstein, zusammen mit einem Bürgermeister Petri20 aus Lemgo, nebst Tochter21. Nachdem wir die innere sehr nette Einrichtung des Rheinsteins22 besichtigt, fuhren wir nach Aßmannshausen über g bestiegen dann den Niederwald23 (mit Zauberhöhle, Tempel h, Rossel etc) und beschlossen endlich die sehr nette Waldparthie mit einer ausgezeichneten Flasche Bischofsberger24 in Rüdesheim. Von hier fuhr ich um 11 Uhr weiter, durch die allerschönsten Rheinparthieen, bis Coblenz, wo ich um 2 Uhr nochmals ausstieg und den Ehrenbreitenstein mit seiner herrlichen Aussicht besuchte. Dann saß ich noch ein paar Stunden am Rhein und fuhr um 5 Uhr weiter nach Bonn hinab. In Remagen traf ich unerwartet Theodor25, der eine Parthie nach der Apollinaris Kirche26 gemacht hatte. || Von der weitern Rheinfahrt brauche ich euch nichts zu sagen, da ihr ja selbst diese überaus herrlichen und unvergleichlichen Gegenden genugsam kennt, und den Genuß, den sie gewähren. Sehr erhöht wurde dieser noch durch das schönste und herrlichste Wetter, reinen wolkenlosen Himmel und doch kühle Luft, welche ich während der ganzen Reise genoß. Dabei hatte ich den schönsten Platz auf dem ganzen Schiff, den ich keinen Augenblick verließ, nämlich die Spitze eines hohen Haufens von Tabaksballen, welche ganz vorn an der Spitze aufgethürmt waren, und von dem
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aus ich alles übersehen konnte. Ich war in diesen 3 Reisetagen so froh und munter, wie den ganzen Sommer nicht. Ebenso machten mir auch die beiden folgenden Tage in Bonn sehr viel Freude. Ich kam daselbst am i Sonnabend Abend an, nachdem die Stunde vorher auch Auta27 aus Pyrmont zurückgekehrt war. Die lieben alten Bonner sind noch ganz die Alten und empfingen mich mitj derselben Liebe und Herzlichkeit wie damals.28 k Ich war sehr heiter und munter in ihrem Kreise. Namentlich gefiel mir Johannes29 sehr, der ein sehr netter Junge geworden ist. Auch Karls Pathchen, die kleine Anna30, ist ein sehr nettes und verständiges Kind geworden. Das Bleeksche Haus31 ist sehr zu seinem Vortheil verändert und hat jetzt viel schöne neue und freundliche Stuben. Am Sonntag l (14) Vormittag war ich mit Johannes auf dem alten Zoll32 und nahm dann mit ihm ein prächtig erfrischendes Rheinbad. Nachmittag machte ich mit allen Kindern einen sehr netten Spaziergang über den Venusberg und Müllers Häuschen33, mit prächtiger Aussicht, || nach der Dottendorfer Höhe, wo wir die berühmte dort allein wachsende Erica cinerea34 nicht fanden, trotz langen Suchens, dafür aber eine schöne Kryptogame Lycopodium Chamaecyparissus35, und noch dazu eine sehr seltene Misgeburt, mit 2–3fach gespaltenen Ähren. Am folgenden Tag trat statt eines unvergleichlichen Reisewetters andauernder Landregen ein, weshalb ich nur mit den Vettern36 das Poppelsdorfer naturhistorische Museum37 besah. Nachmittags machte ich noch einen kleinen Spaziergang mit ihnen auf den sehr schönen Kirchhof und von da an den Rhein, wobei ich die seltne Parietaria diffusa38 und Diplotaxis tenuifolia39 fand. Den Abend waren wir noch alle zusammen sehr vergnügt und erinnerten uns recht der alten Zeiten und meines vorigen Hierseins,40 wobei viel gescherzt wurde. Am andern Morgen war wieder schönes Wetter. Nach herzlichem Abschied von den lieben Leuten fuhr ich mit der Eisenbahn nach Köln, begleitet von Johannes, Theodor und dem jungen Engländer, Mr. Vallack41, der jetzt bei Bleeks in Pension ist, um Deutsch zu lernen. Es ist der reine Prototyp eines langstieligen Beefs, der z. B. alle Orte bloß besucht, um dort seinen Namen einzukritzeln und sagen zu können, er sei dagewesen. Wir besuchten zusammen den Kölner Dom, dessen Bau jetzt rüstig fortschreitet,42 auch dessen obere Gallerie mit weiter Rundsicht und besahen dann noch das Modell des Doms, welches allerliebst, von Papier Mager,43 ist. Dann bestieg ich schließlich um 11 Uhr die Köln Mindener Eisenbahn und fuhr nach schwerem Abschied von dem lieben Rhein ab. || In Düsseldorf traf ich wieder Herrn Petri, mit dem ich die Bingen-Rüdesheimer Parthie gemacht hatte, nebst seinem Sohne44, der in Bonn Philologie studirt. Mit diesen netten Leuten und mehrern westphälischen Studenten fuhr ich bis Herford, der letzten Station von hier. Um 7½ Uhr Abends traf ich hier ein und wurde von Mutter und Hrn. Korthüm45 am Bahnhof empfangen. Mamma finde ich sehr wohl und munter und wir leben hier in einem sehr ländlichen Hause sehr nett still und häuslich zusammen, was mir außerordentlich wohl thut. Überhaupt ist das hiesige Bad46 noch sehr natürlich „uncivilisirt“ wie ihr es nennt, zwar gar nicht hübsch, auch bezüglich der Gegend ziemlich trist, aber sehr zum gemüthlichen Stilleben geschaffen. Dies genießen wir denn auch von ganzen Herzen und [ich] lebe sowohl mit der lieben Mamma, als für mich sehr nett. Der ganze Vormittag ist m meinem theuersten anorganischen Schatze, meinem unvergleichlichen Microscop gewidmet, wie es in Wuerzburg höchstens bei Virchow ein zweites giebt. n Mit welcher überirdischen Seeligkeit [ich] darin schwelge, könnt ihr euch gar nicht entfernt denken. Viel hunderttausend Dank für den Lebenswunsch
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den Du mir durch das Geschenk erfüllto hast, lieber Papa. Auch für die Reise, die mir außerordentlich viel Freude gemacht (übrigens kaum mehr gekostet hat, als wenn ich direct hieher gereist wäre) den herzlichsten Dank. Der Raum ist alle. Das Nächstemal von unserm hiesigen Leben. Nochmals die herzlichsten Grüße von eurem Ernst. 1 2
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Haeckel hatte den Weg von Würzburg nach Rehme zu dem geplanten Kuraufenthalt genutzt, um einige kleinere Abstecher zu machen. Insgesamt dauerte die Reise mit Umwegen über Frankfurt a. M. und Bonn vom 11.8.1852 bis zu seiner Ankunft in Rehme am 17.8.1852. 1824 auf Initiative des bayerischen Kriegsministeriums gegründete Militärschwimmanstalt in Würzburg, die neben einer gleichartigen Anstalt in Regensburg als Modell für künftig in allen Garnisonsstandorten zu errichtende Militärschwimmschulen dienen sollte. Im Sommer wurden die Soldaten dort täglich vier bis fünf Stunden im Schwimmen unterrichtet. Schon 1825 fand erstmals ein großes Schauschwimmen statt, bei dem 400 Soldaten den Main schwimmend durchquerten. Da sich die Anstalt bei der Bevölkerung großer Beliebtheit erfreute, wurden sie bald auch von Zivilpersonen und Schulen zum Schwimmunterricht genutzt. Vgl. Frey, Manuel: Der reinliche Bürger. Entstehung und Verbreitung bürgerlicher Tugenden in Deutschland, 1760–1860. (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft; 119). Göttingen 1997, S. 244 f. Börner, Johann. Der alte botanische Garten in der Mainmetropole Frankfurt war Teil der von Johann Christian Senckenberg initiierten Stiftung und folgte in seiner Anlage dem Vorbild des Gartens von Carl von Linné in Uppsala. Als Hortus Medicus diente er bis 1867 vorwiegend der Zucht, Kultur und dem Studium von Heilpflanzen für die Anwendung im nahegelegenen, ebenfalls zur Stiftung gehörigen Bürgerhospital. Das ebenfalls zur Senckenbergischen Stiftung gehörende Anatomietheater war mit seiner Gründung 1770 das erste überhaupt in Frankfurt. Das Hessendenkmal wurde 1793 vor dem Friedberger Tor in Frankfurt am Main zum Andenken an die hessischen Soldaten errichtet, die am 2.12.1792 beim Sturm auf die von der französischen Armee besetzte Stadt gefallen waren. Dannecker, Johann Heinrich. – Seine berühmte Marmorskulptur „Ariadne auf dem Panther“ entstand 1814 und befindet sich heute im Bethmann-Museum in Frankfurt a. M. Der Bethmannpark ist eine ca. 3 ha große Grünanlage im Osten des Stadtteils Nordend von Frankfurt a. M. Der Name leitet sich von der Frankfurter Bankiersfamilie Bethmann ab, die auf dem Grundstück am Friedberger Tor ihren Sommersitz hatte. Schwanthaler, Ludwig Michael von. – Sein Goethe-Denkmal war 1844 auf dem Goetheplatz aufgestellt worden. Goethes Geburtshaus: Großer Hirschgraben 23, Frankfurt a. M. Kunstmuseum in Frankfurt a. M., das 1815 von dem Frankfurter Bankier und Gewürzhändler Johann Friedrich Städel gestiftet wurde. Das Gutenberg-Denkmal auf dem Roßmarkt in Frankfurt a. M., 1840 von dem Bildhauer Eduard Schmidt von der Launitz in Gips modelliert und aufgerichtet; 1858 erfolgte die Aufstellung des eigentlichen Denkmals, einer Galvanoplastik. Lessing, Carl Friedrich. Es handelt sich um folgende Bilder Lessings: Hus vor dem Concil zu Konstanz (1842), Ezzelino da Romano im Kerker (1838) (beide: Städelsche Kunstsammlung, Frankfurt a. M.). Die 1817 gegründete Senckenbergsche Gesellschaft für Naturforschung hatte Teile der Bibliothek und der Naturhistorischen Sammlung aus der von ihrem Namensgeber zu Lebzeiten gegründeten Dr. Senckenbergischen Stiftung übernommen und zu Beginn der 1820er Jahre das sogenannte Senckenberg-Museum errichtet. (http://www.senckenberg.de/root/index.php?page_ id=29; letzter Zugriff: 25.11.2015). Die Naturaliensammlung des Zoologischen Museums Berlin verfügte Mitte des 19. Jahrhunderts bereits über eine immense Anzahl von Objekten, welche durch Schenkungen namhafter Forschungsreisender wie etwa Friedrich Wilhelm Hemprich oder Christian Gottfried Ehrenberg Exemplare aus aller Welt repräsentierten.
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Engl.: Dampfschiff, Dampfer. Heliotropium europaeum L., Europäische Sonnenwende, Familie: Boraginaceae (Raublattgewächse). Lepidium graminifolium L., Grasblättrige Kresse, Familie: Brassicaceae (Kreuzblütengewächse). Petri, Diedrich Moritz. – Über ihn und seine Familie vgl. Petri, Wolfgang: Diedrich Moritz Petri. Ein lippisches Beamtenleben in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts im Spiegel von alten Familienpapieren. In: Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde. 48. Jg., 1979, S. 189–225. Petri, Anna. Rheinstein, auch Voitsberg oder Vaitzburg, eine mittelalterliche Burganlage im oberen Mittelrheintal. Abschnitt des Hohen Taunus bei Rüdesheim. Weinsorte vom Bischöflichen Weingut Bischofsberg, heute Teil von Rüdesheim. Bleek, Theodor. Apollinariskirche, Wallfahrtskirche bei Remagen. Bleek, Auguste Getrude. Vgl. Br. 94, S. 135. Bleek, Johannes. Bleek, Anna. Die Familie Bleek wohnte in Bonn, In der Sürst Nr. 71½. Am Rheinufer gelegene bis 15 m hohe Bastion der ehemaligen Stadtbefestigung in Bonn unterhalb des kurfürstlichen Schlosses, des heutigen Hauptgebäudes der Universität Bonn. Hier wohl das ehemalige Wohnhaus von Johannes Müller in Bonn gemeint, wo er bis 1833 Professor war. Vgl. Br. 176, Anm. 3; Wirtgen, Philipp: Prodromus der Flora der preussischen Rheinlande. Erste Abtheilung: Phanerogamen. Bonn 1842, S. 108: „E[rica] cinerea L[inné]: im Herb[st] v[on] der Dottendorfer Höhe b[ei] Bonn“. Lycopodium chamaecyparissus A. Braun ex Mutel, syn.: Diphasiastrum tristachyum (Pursh) Holub, Zypressen-Flachbärlapp, Familie: Lycopodiaceae (Bärlappgewächse). Bleek, Wilhelm; Bleek, Philipp; Bleek, Theodor; Bleek, Johannes. 1818 im Poppelsdorfer Schloss eingerichtetes Museum der Universität Bonn, das Abteilungen für Zoologie, Mineralogie und Botanik umfasste, seit 1881 Mineralogisches Institut und Museum der Universität Bonn. Parietaria diffusa Mert. & W. D. J. Koch, Syn.: Parietaria judaica L., Ausgebreitetes Glaskraut oder Mauer-Glaskraut, Familie: Urticaceae (Brennesselgewächse). Diplotaxis tenuifolia (L.) DC., Schmalblättriger Doppelsame, Wilde Rauke, Stinkrauke oder Rucola, Familie: Brassicaecae (Kreuzblütengewächse). Vgl. Br. 161, Anm. 12. Nicht ermittelt. Der Kölner Dom, dessen Vollendung 1842 begonnen und 1880 abgeschlossen wurde. Pappmaché. Petri, Hermann. Kortüm, Carl Wilhelm Christian. Die Thermalquelle von Rehme wurde im 18. Jahrhundert erschlossen.
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178. An Carl Gottlob Haeckel, Rehme, 30. August 1853
Mein lieber Vater!
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Wenn Du auf Deinem sehr lieben und ausführlichen Brief,1 der uns viel Freude gemacht hata, eine entsprechende Antwort erwartest, so ist das eine sehr unbillige Hoffnung. Du in dem paradiesischen Ziegenrücker Schloße und Umgegend hast freilich Stoff und Gelegenheit genug zur Mittheilung. Wir aber hier in dem traurigen Badenest sind aus Mangel an Stoff schon längst versiegt und auf oder in uns selbst zurückgekrochen. Wir könnten Dir also nur von unserm eigensten Selbst und seiner Thätigkeit erzählen, die Du selbst hinlänglich kennst. Langeweile haben wir gar nicht, obgleich hier die herrlichste Gelegenheit dazu wäre. Die Gegend ist höchst einförmig und gleicht ganz dem Merseburger Ackerland. Der einzige leidliche Anblick ist die Hügelkette der porta Westphalica,2 aber auch das einzige. Promenaden giebt es hier ebenfalls nur 1 einzige, einen schattigen Weg von ½ Stunde, zwischen Gebüsch längs eines kleinen Baches, nach dem Siehl.3 Wir sind zwar jetzt täglich nach allen Himmelsgegenden planlos auf Entdeckung ausgelaufen, haben jedoch auch nicht nur die allermindeste Schönheit der Gegend entdeckt. Noch weniger ist an der Flora. Außer einem einzigen Salzgras (Poa distans)4 an den Salinen habe ich auch nicht das Geringste Neue oder nur Bemerkenswerthe gefunden. Desto [mehr] wird secirt und microscopirt, namentlich Frösche, Mäuse, Schnecken, Heuschrecken und andre Insecten. Die Seligkeit des Microscops brauchtb nicht weiter beschrieben zu werden. Es ist wirklich die höchste die ich kenne. || Unser Lebenslauf ist demnach höchst monoton, doch eben nichts weniger, als langweilig und folgendermaßen eingerichtet: Um ½6 Uhr aufgestanden, um 7 gebadet, um 8 Kaffee getrunken. Das Bad ist sehr angenehm, 26½°5 warm, sehr reich an Kohlensäure, Natronsalzen, Brom und etwas Jod und braust immer sehr schaumig sprudelnd, von wegen der Kohlensäure. Den übrigen Vormittag wird secirt und microscopirt, O Wonne! – Um 1 Uhr essen wir (seit heute nicht mehr table d’hote6, sondern zu Hause). Dann lese ich für mich den Nachmittag chemische und physiologische Schriften. Um 5 oder 6 gehen wir spazieren, c etwa 1–1½ Stunden, essen dann deliciöse Milch mit Heidelbeeren, oder saure Milch mit Pumpernickel und lesen dann noch ein paar Stunden zusammen, was oft auch schon am Tage geschieht. Wir sind heute mit Immermanns Münchhausen7 fertig geworden, der uns außerordentlich interessirt und amüsirt hat. Sollen wir euch denselben auch noch nach Ziegenrück mitbringen oder können wir ihn von hier gleich nach Berlin schicken? Botanik treibe ich fast gar nicht; ausgenommen ist microscopische Phytotomie8 und Ansicht eines Herbarium Constantinopolitanum von Noë9, welches d eine russische Fürstin, Handjeri10, die hier in der Nähe ein Gut hat,11 und mit Korthüms12 bekannt ist, auf die mir unbegreiflichste Weise mir zur Ansicht geschickt hat. Bekannte haben wir glücklicherweise jetzt gar nicht mehr hier, seitdem Rathgen13 gestern abgereist ist, der übrigens ein sehr netter Mann ist und Dir sehr wohl gefallen wird. || Wir haben uns jetzt schon viel über den Weg berathen den wir nach Ziegenrück nehmen sollen und bitten euch darum noch um genaue Auskunft und Rath. Rathgen hat uns gesagt, daß die Post von Apolda Morgens 8 Uhr und Nachmittags 4 ½ abgehe. Hierauf kommt alles an und mußt Du uns dies noch genau schreiben. Dann können
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wir doch wohl nur mit der um 8 Uhr fahren, weil wir das Nachtreisen möglichst meiden müssen. Wenn wir dann nicht entweder wenigstens eine Nacht durch mit der Eisenbahn fahren, oder 2 Nächte im Gasthaus (entweder in Cassel oder in Minden oder in Apolda oder Halle) übernachten wollen, so bleibt uns als kürzester und bequemster Weg nur eine Tour übrig. Wir fahren danach hier früh um 9 weg und sind (über Hamm, Paderborn etc) um 9 Abends in Cassel. Von dort geht der Zug Abends 10 weg und ist früh um 4 in Apolda. Von da können wir dann früh mit der Post weiter. (Außerdem geht von Cassel um 8 früh 1 Zug nach Apolda, wo er um 2 Mittags ankommt). Dagegen meinten die andern Leute hier, wir führen viel besser über Halle, als über Cassel. Es ergeben sich dann folgende 3 Möglichkeiten: aus Rehme: Nachts ½ 3, 10 Vormittags, 7 ¾ Abends in Halle: Mittags 1, 8 Abends, 8 ½ Morgens Das ist aber immer das Schlimme, daß wir sowohl in Apolda, als in Halle übernachten müßten, oder mitten in der Nacht nach Apolda fahren, was Mutter nicht will. Es geht e nämlich früh kein Zug von Halle, welcher noch vor 8 Uhr Morgens in Apolda ankäme. Jene Route über Cassel scheint also das beste zu sein. Dabei könnten wir uns auch vielleicht 1 Tag in Cassel um sehn. || Nun sind noch 2erlei Umstände reiflich zu erwägen, I. Wir denken unsre Reise am 14ten (vorläufig) anzutreten. Du weist nun, daß wir bloß bis Erfurt führen und dann noch eine Parthie in den Schwarzagrund und nach Rudolstadt machten. Nur ist es die Frage, ob wir gleichzeitig in Erfurt eintreffen und dann, ob es nicht zu spät wird. (Vielleicht reisen wir auch erst paar Tage später). Am 20sten müssen wir doch jedenfalls in Ziegenrück sein. Auch genießt Mutter sonst Ziegenrück so wenig, da sie am ersten October in Berlin sein muß. Ich bin hierbei neutral. Mutter meint auch daß, namentlich bei dem schlechten Wetter, eine Landparthie uns gar nicht gut sein würde. II. Dagegen spricht für die Fahrt über Halle ein Umstand. Ich könnte mich nämlich vielleicht dort oder in Merseburg wegen meines Militärdiensts14 untersuchen lassen, da ich auf keinen Fall in den nächsten Osterferien nach Berlin kommen kann. Ich muß diese nämlich außschließlich verwenden, um endlich einmal mit den Nerven- und Arterienpräparaten zu Ende zu kommen. Und hiezu sind die nächsten Osterferien die einzige Zeit, da ich höchstens noch inclusive nächsten Sommer in Wuerzburg bleibe. Mündlich werde ich Dir das ausführlich demonstriren. Da ich also keinenfalls nächste Ostern von Würzburg fort kann, ist mir der Gedanke gekommen, ob ich mich nicht jetzt wegen des Militärs von Schwartz15 in Merseburg untersuchen lassen könnte. f Muß denn das von einem Militärarzt oder kann es auch von einem andern geschehn? Sonst könnte es vielleicht auch Heidloff16 in Erfurt thun, den ich so gern einmal sprechen möchte. In Erwägung aller dieser Umstände bitten wir euch nun ausführlich eure Meinung über die Art unserer Reise zu sagen. An Karl und Mimmi, an die Ziegenrücker Personen und Localitäten, endlich an Dich selbst den besten Gruß von Deinem Sohne Ernst.g 1 2 3
Nicht überliefert. Porta Westfalica, Durchbruchstal der Weser zwischen Wiehengebirge und Wesergebirge. Zu den lokalen Verhältnissen vgl. Lehmann, Louis: Bad Oeynhausen (Rehme) für Aerzte und Laien. Leipzig 1863, hier bes. S. 147.
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Puccinellia distans ( Jacq.) Parl., Syn.: Poa distans L., Gewöhnlicher Salzschwaden, Familie: Poaceae (Süßgräser). Réaumur, ca. 33° Celsius. Frz.: Tisch des Gastgebers; im Gegensatz zur Speisekarte besteht hier nur eine beschränkte Speiseauswahl. Vgl. Br. 163, Anm. 31. Lehre von der Anatomie des inneren, zellulären Aufbaus von Pflanzen, die mit der Entwicklung mikroskopischer Praxis einherging. Schleiden hatte auf diesem Gebiet gearbeitet und nachgewiesen, dass Pflanzenteile aus Zellen bestehen. Vgl. Schleiden, Matthias Jacob: Beiträge zur Phytogenesis. In: Archiv für Anatomie, Physiologie und wissenschaftliche Medicin. Hrsg. von Dr. Johannes Müller. Berlin, 38. Jg., S. 137–176. Der Botaniker Friedrich Wilhelm Noë hatte Pflanzen aus der Balkanregion, Kleinasien und dem ehemaligen Mesepotamien gesammelt. Nach seinem Weggang aus Fiume lebte und wirkte er von 1844 bis 1858 in Konstantinopel. Die Fürstin Caroline von Handjery, geb. von Glasenapp lebte mit ihrem Ehemann, dem russischen Staatsbeamten Fürst Telemach Handjery vermutlich bis 1846 in Konstantinopel, wohin Friedrich Wilhelm Noë nach seinem Aufenthalt in Fiume bis 1844 gegangen war. Offenbar hatte es eine Verbindung zwischen Noë und den Handjerys gegeben. Handjery lebte von 1846–1865 auf Wasserschloß Ulenburg in Lohne (Westfalen). Kortüm, Carl Wilhelm Christian; Kortüm, Emilie, geb. Weber. Rathgen, Bekannter der Familie Haeckel, nicht identifiziert. Vgl. Br. 149, Anm. 3. Schwarz, Erich. Heydloff, Carl Reinhold.
179. An Charlotte Haeckel, ziegenrück, 4. oktober 1853
Meine liebste Alte!
Ziegenrück 4/10 53.
So ist denn die schöne Zeit unseres Zusammenseins einmal wieder vorbei und ich muß wieder an Dich schreiben, was mir anfangs immer recht schwer wird, weil ich Dir alles gar zu gerne gleich direct mittheilen möchte. Indeß hat mir doch das Zusammensein mit meinen beiden lieben Geschwistern die schwere Trennung von euch diesmal etwas erleichtert, und es ist ja auch nett, wenn wir uns brieflich einander mittheilen können. Die ersten Tage nach eurer Abreise wollte alles gar nicht recht gehen; ihr fehltet uns überall; jetzt haben wir uns schon etwas wieder eingelebt. Der a Tag Eurer Abreise war für uns ein wahrer Pechtag. Nichts wollte recht gehen. Wir beide waren von dem kleinen Stückchen mit gehen bis zum Kreuz1 so total naß geworden, daß meine Haare (die sehr hygroskopisch2 sind) und unsre Röcke erst gegen Mittag trockneten. Übrigens beneideten wir euch nicht im Mindesten um eure Fahrt; ihr müßt ja in der engen Karrete3 wie die Heringe eingepöckelt gesteckt haben. Zu Mittag freuten wir uns recht, daß ihr nun behaglich in den schönen Waggons stecken würdet. Flink4 war so betrübt über Eure Abreise, daß er Mimmi 2mal etwas in die Eckstube bescheerte, worüber sie sehr ärgerlich wurde. Noch mehr Ärger hatte Karl, der, ehe er sich um 4 wieder zu Bett legte, Kaffee trank und nun nicht mehr schlafen konnte, dann einige verdrießliche Termine abzuhalten hatte und über das scheußliche Wetter schimpfte. Den meisten Kummer und das größte Pech hatte aber ich. Denn
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erstens waren über Nacht wieder 2 von meinen so glücklich || vermittelst künstlicher Frühgeburt ans Licht der Welt beförderten Salamänderchen gestorben, so daß ich von jenen 30 Embryonen nur noch 9 lebend habe. Zweitens hatte der eine Krebs während derselben Nacht seine edle Seele ausgehaucht und der zweite folgte ihm am Vormittag nach. Drittens endlich quälte ich mich den ganzen Vormittag vergeblich mit der Bestimmung eines allerliebsten Mooses ab, dessen Namen ich heute noch nicht weiß. Was war nun da zu machen? Brummend b kamen wir alle 3 zu Tisch und suchten jeder seine Verdrießlichkeit durch Raisonniren über den andern auszubaden. Ich bekam c natürlich das Meiste dabei ab, wie ich ja stets der Sündenbock der Häckelei gewesen bin; denn warum? Einer muß der wie [es] heißt?d Sündenbock sein. Indem daß nun Karl ein „Schatzchen und Mannchen“, Mimmi aber „ein nettes Frauchen“ ist, auf wen kann anders die Last des Unmuths fallen, als auf mein unschuldiges „unveröhlichtes“5 Haupt? – Also kam es denn auch, und namentlich in Rücksicht darauf, daß wir zu Mittag nicht die „fernerweite gute Verköstigung“ sondern nur Allerlei Reste und Aufgewärmtes von den vorigen Tagen bekamen, gehörte dieser Mittag zu den Brummigsten. Ebenso ging es Nachmittag, wo wir im scheußlichsten Kothe (der Regen hatte bis Mittag immer fort gedauert) einen gemeinschaftlichen Spaziergang in das Dorf machten und auf dem Rückweg noch tüchtig naß wurden. Zu Hause angekommen gähnten wir und sahen uns gegenseitig recht langweilig an, bis endlich der Genuß einer starken Wassersuppe der Tragödie ein Ende machte, indem Karl gleich darauf auf dem Sopha, trotz aller Mühe, uns etwas vorzulesen, selig entschlummerte, und dann um 8 Uhr zu Bett ging. Mimmi folgte um 8½ ich um 8¾! – || Ihr seht also, wie die Entfernung von euch beiden lieben alten Leuten uns zunächst einen recht gräulichen Tag brachte. Den folgenden Tag ging es schon besser. Er fing gleich für mich mit einem sehr freudigen Ereigniß an. Der Doctor6 schickte mir nämlich eine allerliebste Schlange, die er unterwegs gefangen hatte. Der Thierchen ist allerliebst und wird schon ganz zahm, säuft z. B. beim Kaffeetrinken sehr nett Milch aus der Untertasse. Nachmittag fand ich selbst auf einem Spaziergang in der Sornitz7 viele Salamander, so daß ich jetzt das ganze Waschbecken voll habe. Nach dem Regen kommen sie massenweis hervor. Wenn ich erst ein paar Dutzend voll habe, will ich sie einmachen (nämlich in Spiritus, um sie mitzunehmen). e Am Sonntag fand ich wieder ein Paar in der 3ten Biegung des Saalthals nach der Linkenmühle zu. Es war Nachmittags sehr schön und ich machte mit Karl einen sehr weiten Spaziergang, in die Windungen desf Saalthals hinter dem Conrod8, wo unten die Fischerhütte liegt. Wir genoßen ganz prachtvolle Blicke, wurden aber tüchtig naß, als wir unten weiter gehen wollten, da die Saale ausgetreten war. Als wir dabei über Felsen kletterten verloren wir unser treues Hausthier, das uns jetzt immer beim Spazierengehen begleitet. Denke Dir aber unsere Freude, als es uns, zu Hause angekommen munter entgegen sprang! Überhaupt beginnt Flink jetzt, da Mimmi täglich von seiner Abschaffung redet, immer mehr Talente zu entwickeln. So lernt er jetzt bei mir apportiren, auf den Hinterbeinen gehen, leblose Gegenstände anbellen etc. Am putzigsten macht er sich, wenn ich Salamander ihm vorsetzeg und er sie dann nur von ferne anbellt, aber nicht im Mindesten anzurühren wagt. – || Gestern Abend war ich mit Mimmi bei Doctors9, während die Männer der gesammten Stadt sich über ihre Zusammenkunftstage im Winter vereinbarten. Es wurde beschlossen (hört, hört!!) daß sie (die Männer) viermal wöchentlich im Rathhause zusammen kommen wollten! (ungezwungen!) Den 15ten zu Königs Geburtstag10
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wird hier großes Souper mit Tanzvergnügen sein, wozu auch ich als Prima donna11 „ankaschirt“12 bin. Das wird großartig! – Die täglichen Spaziergänge bekommen mir sehr gut. Ich fühle mich jetzt eigentlich sehr wohl, selbsth abgesehen von dem allerliebsten Leben hier, dessen Herrlichkeit ihr selbst nun kennen gelernt habt. Es sollte mir ordentlich Leid thun, wenn die Lieben nun schon so bald wieder aus Ziegenrück, diesem Urparadies der „uncivilisirten Menschheit“, fortkommen sollten, wie es bei dem schönen Anerbieten, das Karl heute erhalten hat,13 gar nicht unmöglich ist. Mimmi und mir scheint diese ihm so wie eine gebratene Taube zugeflogene Stellung eine sehr angenehme zu sein. Er versauert und verphilistert dabei nicht ganz hinter dem Aktentisch, i hat auch einj viel mannichfaltigeres und anziehenderes Feld für seine Thätigkeit. Die Beschäftigung dort würde ihm gewiß sehr zusagen, selbst abgesehen von der unabhängigen Stellung und den 1100 rℓ die er als Kreisrichter nach seiner eignen Meinung nie erdingen14 wird. Ich will euch hier nur das mittheilen, was der vortreffliche Cannabich in seiner 1829 erschienenen Geographie15, die wir gleich nachsahen, von Stollberg sagt: [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
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Vermutlich das sog. Külmlaer Kreuz; vgl. Br. 181, Anm. 26. Wasseranziehend. Ostmitteldt.: schlechter Wagen. Name des Familienhundes; vgl. Br. 171, Anm. 13. Unverehelichtes, unverheiratetes. Krüger, Gustav Adolph. Sornitztal bei Ziegenrück. Hügel auf einer Saaleschlinge südwestlich von Ziegenrück. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen, sein Geburtstag war der 15.10.1795. Ital.: erste Dame. Ironisierende Nachahmung der mundartlichen Aussprache von „engagiert“. Das Angebot betraf die Stelle eines Oberbeamten in der Grafschaft Stolberg-Stolberg, die 1853 vakant war. Die Stolberger Grafschaften waren Mediatherrschaften, die innerhalb des preußischen Staates noch bestimmte hoheitliche Reservatrechte besaßen. Hierzu gehörte auch die Wahrnehmung der Polizeiverwaltung durch „besondere, vom Landrat unabhängige und unmittelbar unter der Regierung stehende Ober-Beamte“ (Königlich Preussischer Staats-Kalender für das Jahr 1853, Berlin 1853, S. 435), während die Verwaltung der Finanz- und Militärangelegenheiten in der Kompetenz des Landrats des Kreises Sangerhausen lag. Vereinbaren, aushandeln. Cannabich, Johann Günther Friedrich: Lehrbuch der Geographie nach den neuesten Friedensbestimmungen. 8. berichtigte und verm. Aufl., Sondershausen; Nordhausen 1821, S. 438.
180. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, ziegenrück, 13. oktober 1853
Liebe Eltern!
Ziegenrück 13/10 53.
Hoffentlich habt ihr beide euch jetzt von euren abentheuerlichen Reisen hinlänglich erhohlt, und namentlich wünsche ich, daß Mammas Rücken von dem bösen Falle sich wieder ganz a recreirt hat. Wir befinden uns hier fortdauernd sehr munter und vergnügt; ich fühle mich jetzt gesünder und sorgloser, als seit langer Zeit, wovon die
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Ursache gewiß ebenso sehr in der Abgeschlossenheit von allem wüsten Menschentrouble, als in der unerschöpflichen Herrlichkeit der Natur in dem hiesigen Bergparadies liegt; ja die Hypochondrie ist jetzt stellenweis so in den Hintergrund gedrängt, daß ich wieder mitb einer sonderbaren Art von Lebenslust und Sinn für die Zukunft in mein künftiges Leben, mag es nun fallen, wie es will, neugierig hineinzublicken wage, was mir seit langer Zeit vergangen war. Item, es ist hier mein Tusculanum1! Wir haben nach eurer Abreise, je nachdem die undurchdringlichen Nebel in den Thälern sich Morgens senkten oder aufstiegen, abwechselnd noch mehrere wunderschöne Herbsttage, die sich von denen während eures Hierseins nur durch größere Kälte, bunte Wälder und Herbstlichkeit unterschieden, und gelinden Landregen gehabtc. An einem der erstern Tage, der wirklich ganz frühlingsmäßig war, machte ich mit Karl einen Ausflug nach der Hakenmühle2, nach der wir Papa so gern ein mal hingebracht hätten. Es ist allerdings etwas weit (wir gingen um 3 Uhr Nachmittags aus und kamen erst Abends 7 wieder) aber der Weg dahin (über das Conrod3 und den Lasterberg4, immer weiter westlich in die Schluchten hinein, längs der Saale hin) ist auch überaus lohnend; und wie herrlich liegt erst die Mühle selbst! in einer ganz engen, beiderseits von hohen Waldwänden eingeschlossenen, ganz einsamen Schlucht der Saale, über welche ein schwindlicher Steg zu den Felsen des andern Ufers hinüberführt! Es ist ein sehr ansehnliches hohes und mit vielen Nebengebäuden versehenes Haus, das einen in dieser Einsamkeit sehr überrascht. || Der reiche und industriöse Besitzer, Hr. Herold5, ein sehr netter Mann führte uns in dem ganzen neuen Bau herum und zeigte uns die sehr industriöse Einrichtung. Es befand sich in dem Bau außer einer gewöhnlichen Wassermühle, Säge-Mühle, Öl Mühle etc noch eine sehr kunstreiche und zierliche neue amerikanische Dampfmühle. – Eine fast noch entzückendere Parthie, als diese (vorigen Sonnabend) machte ich vorgestern (Dienstag den 11ten). Carl hatte nämlich früh Termin in „der Liebsten“ (Liebschütz). Ich begleitete ihn früh um 7 über die Hemmkoppe6 und die Liebschützer Höhe (wo Papa ja wohl auch die schöne Aussicht nach Süden und Osten, namentlich in das Saalthal nach Lobenstein zu gesehen hat), auf welcher ich noch lange allein gemüthlich herumbummelte und Moose und Flechten suchte. Dann ging ich auf dem alten Weg zurück und rutschte (halb kullerte ich) den nördlichen, der Hemmkoppe zugekehrten steilen Abhang hinunter, wo ich unten an einen allerliebsten Bach gelangte, der sich hier in die Saale ergoß. Auf der beiliegenden Skizze ist dieser Bach mit B bezeichnet. Dann kletterte ich den steilen mit D bezeichneten Abhang längs der Saale hin und gelangte so nach 2 Stunden an den Anfange des überaus herrlichen Ottergrunds7 (ganz oben rechts in der Ecke, südsüdwest vom Schloß gelegen) dessen Pracht mir schon Karl so schön geschildert hatte, der aber noch alle meine Erwartungen übertraf und sich dreist mit den schönsten und wildesten Bergbächen8 des Thüringer Waldes, ja sogar des Harzes vergleichen kann. Denn abgesehen von derd reichen Flora der zierlichsten Moose, die mir den ganzen folgenden Tag Material fürs Microscop lieferten, besitzt dieser überaus schöne Ottergrund, der alle andern Naturschönheiten Ziegenrücks in sich vereint, eine solche Fülle und Abwechslung von prachtvollen Bäumen, düstern Bergabhängen, lieblichen Wiesengründen und romantischen Felsparthien an dem Ufer seines wild über Blöcke dahin tosenden und niedliche Cascaden bildenden Bergbachs, daß iche mich kaum nach mehreren Stunden davon trennen konnte. ||
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Wie schade, daß ihr ihn nicht besucht habt; das nächste Mal dürft ihr dies ja nicht versäumen. Der einzige schlimme Umstand ist, daß er etwas abgelegen ist. Am nächsten würde man noch hinkommen, wenn man über das ganze Conrod quer wegging und dann durch die Saale watete. Letzteres versuchte ich auf dem f Rückweg, da ich Karls große Wasserstiefeln anhatte, kam aber nicht ganz durch, da das jenseitige Drittheil der Saale etwas zu tief war. Als ich Mittag nach Hause kam, sah ich wie der höhere Waldstrolch aus, so daß Mimmi die Hände über dem Kopf zusammenschlug und ich selbst mich im Spiegel bewunderte. Die ganze Tour machte mich sehr müde und vergnügt zugleich. – Am Sonntag haben wir mit Doctors9 Steins Leben10 zu lesen angefangen. Vorgestern Abends waren wir unten, da der Frau Doctorin Geburtstag war. Wir waren sehr vergnügt. Es sind doch ganz umgängliche Leute. Ich werde jetzt viel von ihnen mit meiner Mysogynie11 aufgezogen. So veränderte der Dr., als er mich gestern in Moose ganz vertieft fand, die Schöpfungsgeschichte folgendermaßen: „Und Gott sprach: Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; und er schuf um ihn Laubmoose und Lebermoose und Flechten und 1 Microscop!“ – Ich habe jetzt mit sehr viel Interesse und Nutzen die populäre Astronomie von Rauch,12 die Du, liebe Mutter, mir mitbrachtest, gelesen. Es ist ein sehr lehrreiches, vor allen sehr faßlich und verständlich für Laien geschriebnes Buch, das gewiß auch Dir, lieber Vater, die Hauptzüge der Astronomie vollkommen klar machen wird, was Du ja immer gewünscht hast. Lies es nur einmal. Ich hatte vorher auch kaum eine Idee davon, und bin durch einmaliges Lesen dieses Buchs sehr aufgeklärt worden. – – Wenn Ihr Georg Quinke13 noch seht, so grüßt ihn herzlich und sagt ihm, er möchte doch, wenn es anginge, in Königsberg Physiologie bei Helmholtz14 hören. Er gilt in Würzburg für den exaktesten der jetzigen Physiologen, der namentlich alle in das Gebiet der Physik schlagenden Capitel der Physiologie mit großer mathematischer Genauigkeit behandelt hat. || Die Hefte von Pouillet-Mueller15 und den dritten Band von Lehmann16 schickt mir ja recht bald mit der Hose mit, per post, da ich den 23sten abreisen werde. Wenn ihr es mit der Eisenbahn, auch als Eilfracht, schickt, kommt es zu spät. – Mimmi ist ein paar Tage unwohl gewesen, jetzt aber wieder besser. Ich habe mich eigentlich etwas über das kleine Ding geärgert, da sie in manchen Dingen gar zu unvorsichtig ist. So hat sie z. B. von Diät auch nicht die geringste Spur von Idee. Sie meint immer, wenn sie von allen Sachen nur ein ganz klein bischen äße, könnte das gar nichts schaden. Als sie den ersten Tag Diarrhoe17 gehabt hatte, aß sie zu Mittag Gurkengemüse, Äpfel etc alles durch einander und trank dazwischen Wasser!! So kann sie auch jetzt, da ihr der Dr.18 strenge Diät verordnet hat, noch gar nicht darein finden und meint, das wäre nur alles übertriebene Ängstlichkeit, ihr schadete Nichts. Fast wäre es gut, wenn ihr Mama einmal einen ordentlichen diätarischen Speisezettel g sendete! – Aber, abgesehen davon, „ist es nicht ein gar zu nettes Frauchen?“ Papa?? – Im übrigen leben wir sehr vergnügt und neckisch zusammen. Sehr viel haben wir an unsre arme, arme Tante Bertha gedacht, und ihre Leiden von Herzen bedauert. Aber wenn ihr das nur etwas hülfe! Es ist doch gar zu hart und grausames Leid, nachdem es ihr im Sommer so viel besser gegangen, nun wieder ganz elend und flach dazuliegen. Da möchte man wirklich oft den lieben Gott fragen, wie er so etwas zugeben kann! –
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Wir grüßen sie alle recht von Herzen und lassen ihr baldigste Linderung der Qual wünschen, wozu Gott helfen möge! Auch an Großvater, Bertha (Cousine)19, Heinrich20 und Theodor21, der nun auch wohl wieder eingetroffen sein wird, die besten Grüße von eurem alten Ernst H. — In Betreff der Stollbergschen Angelegenheit22 triumphirten Mimmi und ich sehr über euren Brief23, gegenüber unserm schwarzkuckerigen24 Karl, der bestimmt gehofft hatte, ihr würdet ihm davon abrathen! – Da übrigens Wachsmuth25 nicht wieder geschrieben hat, so scheint Steinbach26 die Stelle angenommen zu haben. Das hätte Karl wieder von seiner übertrieben aufopfernden Freundschaft.h ||
Schöne, zum Theil seltne, Cryptogamen Laub- und Lebermoose im Ottergrund habe ich gefunden: Mnium punctatum27 ein allerliebstes Moos.
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Ferner Racomimitrium aciculare28 Fontinalis antipyretica29 Fegatella conica30 etc etc.i 1
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Tusculanum, hier als Synonym für einen Ort anspruchsvoll-geistiger Geselligkeit in ländlicher Idylle; Anspielung auf das Landgut des Marcus Tulliis Cicero bei Tusculum (dem heutigen Frascati) unweit Rom, das ihm als Lieblingsaufenthalt und Rückzugsort diente, berühmt durch seine ausgesuchte Bibliothek und die hier veranstalteten gelehrten Unterhaltungen (Disputationes Tusculanae). Wassermühlenanlage bei Gössitz. Vgl. Br. 179, Anm. 8. Am Saaletal gelegene Erhebung nahe Ziegenrück (ehem. Opferstätte und vorchristlicher Gerichtsplatz). Herold, Ferdinand. Nahe Ziegenrück gelegener steiler Bergrücken, an dem die Saale eine Schleife bildet („Zweisaaleblick“). Tal zwischen Alten-/Neuenbeuthen und Ziegenrück. Der südwestlich in die Saale mündende Otterbach.
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Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Pertz, Georg Heinrich: Das Leben des Ministers Freiherrn vom Stein. 6 Bde., Berlin 1849– 1855; zum hier genannten Zeitpunkt waren die ersten vier Bände erschienen. Griech.: Frauenhass. Rauch, Christian: Populäre Astronomie für Schule und Haus. Lübeck 1853; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 93 (=143). Quincke, Georg. Helmholtz, Hermann von. Pouillet, Claude Servais Mathias: Lehrbuch der Physik und Meteorologie, für deutsche Verhältnisse frei bearbeitet von Dr. Joh. Müller. 2 Bde., 4. umgearb. und verm. Aufl., Braunschweig 1852; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 60 (=100–101). Lehmann, Carl Gotthelf: Lehrbuch der physiologischen Chemie. 3 Bde., 2. Aufl. (2. Umarbeitung), Leipzig 1853; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 58 (=97–98, Bd. 1 und 2 in einem Band), später Geschenk Ernst Haeckels an die Bibliothek des Zoologischen Instituts, heute ThULB Jena, Haeckel 166. Durchfall. Krüger, Gustav Adolph. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Bleek, Theodor. Ernst Haeckels Bruder Karl hatte das Angebot erhalten, eine Gräflich-Stolbergische Kreisrichterstelle zu übernehmen; vgl. Br. 179, Anm. 13. Nicht überliefert. Hier im Sinne von: schwarzseherisch, pessimistisch. Wachsmuth, Gotthelf. Steinbach, Karl Gottfried. Mnium punctatum Hedw., Punktiertes Wurzelsternmoos, Syn.: Rhizomnium punctatum (Hedw.) T.J.Kop, Familie: Mniaceae (Sternmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Racomitrium aciculare (Hedw.) Brid.; Syn.: Codriophorus aciculare (Hedw.) P. Beauv., Nabelschnäblige Zackenmütze, Familie: Grimmiaceae, eine Familie der Laubmoose. Fontinalis antipyretica Hedw., Gewöhnliches Quellmoos, Familie: Fontinalaceae (Quellmoosgewächse), eine Familie der Laubmoose. Conocephalum conicum (L.) Dum., Syn.: Fegatella conica (L.) Corda, Kegelkopfmoos, Familie: Conocephalaceae (Kegelkopfmoose), eine Familie der Lebermoose.
181. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 26./27. oktober 1853
Liebste Ältern!
Würzburg 26/10 53.
Obwohl ich eigentlich Nichts Neues oder Wichtiges habe, daß ich euch schreiben könnte, kann ich doch nicht umhin, mich hinzusetzen, um an euch nicht bloß zu denken, sondern auch zu schreiben. Es ist heute der erste Tag, den ich wieder hier in meiner trüben Klause verlebe, und er kömmt mir recht nüchtern und traurig vor. Es will mir noch gar nicht wieder in den Sinn, daß ich jetzt, nachdem ich so schöne, sorglose und freudenvolle Zeit mit Euch Lieben verlebt habe, wieder ganz allein und getrennt von euch sein muß. Es waren doch schöne, schöne Tage, die ich erst mir Dir, liebste Mutter, in a Rheme1 und dann mit Allen meinen Lieben in dem einzigen Ziegenrück zubrachte. Wie kahl und dürftig erscheint mir dagegen mein hiesiger Aufenthalt! Nun, ich denke, es soll schon besser werden, wenn nur erst die ordentliche regelmä-
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ßige Thätigkeit wieder anfängt. Dies ist leider erst in 8 Tagen der Fall da die Herrn Professoren diesmal noch länger, als sonst, zu bummeln belieben. Ich werde diese Woche damit zubringen, b mich wieder in die Präparirübungen einzugewöhnen, und dann meine sämmtlichen Pflanzenstöße in ihr Winterquartier zu verpacken, sowie auch mich selbst in mein neues Quartier überzusiedeln. Von meinen Bekannten ist noch Niemand wieder da, außer Hein, den ich heute besucht habe. Mehrere kommen auch nicht wieder. Die letzten Wochen in Ziegenrück haben wir noch recht nett und glücklich zusammen verlebt. Ich bin lange nicht so vergnügt gewesen. || Es ist doch herrlich, daß mein lieber Bruder seinen Hausstand so glücklich und zufrieden gegründet hat. Ich freue mich darüber, wie über mein eignes Glück. Gott gebe, daß alles so fort geht. Das einzige Schlimme ist nur, daß Karl so sehr Viel zu thun hat. Grade in der letzten Woche wurde ihm die Masse der Arbeit sehr drückend und deßhalb freute ich mich so über das Stolbergsche Anerbieten.2 Da das aber eine so sehr abhängige Stellung sein würde, ist es doch besser, er harrt noch eine Zeit lang in Ziegenrück aus. Die Arbeitslast wird sich ja auch mit der Zeit vermindern. Die Gegend ist aber doch gar zu schön. Mir ging es grade wie euch. Alle Gegenden mit Bergen, durch die ich reiste, kamen mir so klein und niedrig gegen jene Höhen vor. Das herrliche Herbstwetter habe ich c auch noch recht benutzt. Die tägliche Bewegung im Freien hat meinem Körper sehr wohl gethan. Auch zur Reise hatte ich noch recht schönes Wetter. Ich fuhr d vorgestern (24, an Karls Hochzeitstag, wo er grade den ganzen Tag unten Sitzung hatte) Mittag von Ziegenrück ab, mit dem Wagen des Rath Voigt aus Gefell, wo ich Abends um 7 ankam. Ich besuchte erst den dortigen Apotheker, Warnekros3, einen sehr netten und gebildeten jungen Mann, an den mir der Doctor4 einen Brief mitgegeben hatte. Dann ging ich auch zur Frau Rath Voigt, welche mich ganz schrecklich freundlich aufnahm und verpflegte, auch partout wollte, daß ich zu Bette gehen sollte, was ich natürlich nicht annahm, da die Post um 1 weiter ging. Ich verdämmerte die Nacht sehr gemüthlich in der warmen Stube (während es draußen fror) bei einer hellen Lampe und einem werthvollen || botanischen Werk (Krombholtz Abbildungen der Schwämme5 und Reichenbachs Abbildungen der deutschen Gräser6) das mir der Apotheker geliehen hatte. Früh um 4 kam ich in Hof an, von wo der Zug um 6 abging. Die ganze Reise verlief ohne weitere Merkwürdigkeiten, ausgenommen daß ich zu derselben Strecke zu der ich zu Ostern 2 Tage und 3 Nächte gebraucht, jetzt nur 1½ Tage nöthig hatte. Ich war bereits um 11 in Bamberg, um 1 in Schweinfurt und Nachmittags um 6 Uhr hier. Meine Wirthin7 empfing [mich] natürlich mit aller Zärtlichkeit und Freude, die ihrer e echt bairischen gemüthlichen Gutmüthigkeit zu Gebote stand. Sie hatte schon seit 14 Tagen jeden Tag mich erwartet, mir schönes Obst gekauft und unter anderm alle Schränke etc. mit den üppigsten Äpfeln und Weintrauben garnirt, die ich mir nebst herrlichen Pflaumen heute bereits trefflich habe schmecken lassen. Das Obst ist hier ganz ausgezeichnet, wie alle Jahre und ich will es f recht genießen. Wie schade, daß Ihr es nicht mit genießen könnt; es würde mir dann noch einmal so delicat schmecken. Ich schickte euch gar zu gerne ein Kistchen mit Weintrauben, wenn nur nicht das Porto so excessiv theuer wär; auch würden sie wohl etwas zu sehr durch einander gerüttelt werden. Eins der ersten Worte meiner Wirthin war: O, Herr Doctor, über Ihre Kinderle werden Sie sich recht freua! Es ergab sich daß sie darunter meine Laubfroschfamilie verstand, deren Mitglieder
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von ½“ Länge auch wirklich zu recht stattlichen Burschen von 1–1½“ herangewachsen und eine den ganzen Tag tönende helle Stimme erhalten hatten. Dafür hatten sie aber auch täglich Fliegen bekommen, die apart für sie en gros vom Bäcker geholt wurden! || 27/10. Gestern Abend war ich zu todtmüde, um den Brief zu Ende zu bringen. Auch dachte ich es wäre netter, wenn ich ihn Freitag früh fortschickte, wo er euch dann Sonntag früh einen freundlichen Sonntagsgruß von eurem Jungen bringen könnte. Mein gestriger moralischer Katzenjammer hat schon heute einige Linderung erfahren, wovon zum Theil die heute gemachten Antrittsvisiten g Ursache sind. Es waren deren nicht weniger als 5, und zwar: 1) bei Hr. Professor Schenk, der mich wider Erwarten sehr freundschaftlich und wohlwollend empfing; 2) bei H. Professor Kölliker 3) bei H. Professor Müller (einem jungen, sehr schüchternen, aber tüchtigen extraordinarius, der zusammen mit Kölliker das Kränzchen8 dirigirt) 4) bei H. Dr. Gsell-Fels, einem sehr reichen jungen Schweizer, Dr. philos, der jetzt Medicin studirt, verheirathet9 und Büchernarr in einer Extension ist, wie ich sie noch nie gesehen. Alle neusten und kostbarsten Werke muß er gleich haben. Ich suche mir auch sein Wohlwollen möglichst warm zu halten, um seine excellente Bibliothek h benutzen zu können, die er mir ganz zur Disposition gestellt hat. 5) bei H. Dr. Leydig, einem sehr talentvollen, i tüchtigen, netten und liebenswürdigen jungen Privatdocenten, der sich fast nur mit microscopischen Beobachtungen, namentlich der Gewebelehre und Entwicklung der Thiere, namentlich Salamander, beschäftigt. || Mit diesem Dr. Leydig stehe ich auf einem sehr freundschaftlichen Fuße, was wohl daran liegen mag, daß unsere Naturen manch verwandte Seiten zeigen; auch haben wir uns schon mehreremal unser Herz (nämlich das naturwissenschaftliche) ausgeschüttet. So ist er z. B. (trotzdem er in seinem Fach ein sehr tüchtiger und geschickter Beobachter ist) in seinem Äußern, namentlich hinsichtlich seines Umgangs mit Menschen, ziemlich unbeholfen und nicht selten so täppisch fast, wie ich, (woran auch wohl die überlangen Knochen seiner Extremitäten Schuld sein mögen); ferner zeigt er gegenüber einer ungeheuren Liebe und Hingebung zur reinen Naturwissenschaft, namentlich der Anatomie und Physiologie, einen eben so großen Abscheu gegen die Medicin überhaupt, vor allem aber gegen die ärztliche Praxis (er ist übrigens auch Dr med). Ferner liebt er ebenso wenigj wie ich den trouble und die Faxen der civilisirten Menschheit, ist am seligsten bei seinen Beestern10 und seinem Microscop, ist auch hypochondrisch, etc etc etc. So schimpfte er z. B. heute, wo ich ihn unwohl antraf, sehr über die Charlatanerie der Medicin, die andern Leuten zu helfen verspreche, aber sich selbst nicht einmal helfen könne. Er ist der Sohn ganz armer Eltern11 und hat sich aus den dürftigsten Verhältnissen so tüchtig herausgearbeitet; er war so arm, daß er während seiner Studienzeit ein ganzes Jahr nur von Brod hat leben müssen. In Folge dessen ist auch seine Stellung sehr abhängig; um nur nicht zu verhungern, muß er vor mehrern Professoren, die nicht halb so tüchtig, als er, sind, ergebene Kratzfüße machen und mühvolle Arbeiten für sie ausführen. Auch Kölliker (der überhaupt in vieler Beziehung der höhere Egoist ist,) || gebraucht ihn auf eine sehr egoistische und unnoble Art zu seinen Arbeiten, k läßt z. B. von ihm „unter seiner Leitung“ einen microscopischen Cours halten, zu dem Kölliker seinen Namen hergiebt, und dafür das Geld zu 4/5 einnimmt12, und verhindert deßhalb auf alle Weise, daß er Professor wird. Auch heute klagte er mir wieder sein Leid, und wie sehr abhängig doch die Stellung eines armen Privatdocenten sei. Als ich ihn heute
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verließ, schenkte er mir 2 von seinen kleineren neuesten Abhandlungen, über die Anatomie und Histologie eines Fisches (Polypterus bichir)13 und einer Blattlaus (Coccus hesperidum)14, wie er mir auch schon vor meiner Abreise die Beschreibung eines von ihm neu entdeckten niedlichen Schmarotzerkrebses (Doridicola agilis)15 geschenkt hatte. Ich denke, mit diesem netten Mann noch recht bekannt zu werden und viel von ihm zu lernen. – Mit Verpackung und Einwicklung meiner gesammelten Herbarschätze, von diesem Sommer bin ich heute fertig geworden. Es sind mindestens ebensoviel Pflanzen, wie ich in Berlin habe, und füllen eine ganze, große Kiste aus (O Wonne!). Dazu kommt noch eine sehr nette und reichhaltige Sammlung zierlicher Riesengebirgspflänzchen von Ernst Weiss, die ich noch in Ziegenrück erhielt, aber leider wegen Mangel an Platzes (alle Ecken waren vollgepfropft und der Koffer wog allein 80 ∏f) nicht mitnehmen konnte. Du, liebe Mutter bist nun wohl so gut, dies Paket von Ziegenrück mit nach Berlin zu nehmen, und es recht sorgfältig zu dem andern Heu16 in || den blauen Schrank zu verpacken. Für die Sendung der Bücher und Hosen von Berlin habt den besten Dank. Die grauen inexpressibles17 sind ganz nach meinem Geschmack, nur zu fein. – Hat denn Tante Bertha zu ihrem Geburtstag unsere Briefe18 erhalten; wie habt ihr ihn gefeiert, und wie geht es der ärmsten, lieben Tante? Ich habe so viel an sie denken müssen. Grüßt sie recht herzlich, sowie auch Großvater, Cousine Bertha19 und die andern Freunde, auch Weissens20, Quinkes21 etc. Theodor22 ist nun auch wohl wieder eingetroffen; was sind denn für speciellere Nachrichten von Philipp23 da? Ist denn die „allveröhrte, jelübte“ Tante G+++24 wieder eingetroffen? sie hat gewiß viel Merkwürdiges zu erzählen! Da fällt mir eben ein, daß ich euch noch von der Feier des Geburtsfestes unseres theuren wahren Landesvaters25 in der Kreisstadt Ziegenrück berichten wollte. Eigentlich ists nun zu spät. Mit kurzen Worten bestand diese darin, daß Nachmittags die Ziegenrücker Schuljugend unter Anführung des Rectors, auf das Külmlaer Kreuz26, die l Bergspitze, Karls Arbeitszimmer gegenüber, wallfahrtete und von dort „Heil Dir im Siegerkranz!!“27 in das Thal hinab, über die friedliche Stadt ertönen ließ. Darauf wurden von 5–7 Uhr 12 Kanonenschüsse vom Schloßberg gelöst, welche ein famöses Echo im Trebengrund28 hervorlockten und schließlich vereinten sich die sämmtlichen Honoratioren (wozu ich als Ehrenmitglied gehörte) und Nicht Honorationen des [Ortes in]m dem auf + 30° R29 erhitzten Rathaussaal zu einem eben so n dürftigen, als langstieligen Festessen, o an welchem Karl (durch Landwehruniform30 den obersten Platz einnehmend und alle Blicke auf sich ziehend) zwar keinen Toast ausbrachte, aber für die Invaliden des Kreises von anno 13–1531 sammelte. || Die meisten, aber ziemlich ungehobelten Späße, brachte noch der zu Ehren Sr. Majestät total betrunkene Kantor32 hervor, welcher zu seiner Geige „sang manch Lied, das Stein erweichen etc“. So sang er z. B. viele Geschichten von den „Grünern“, den Bewohnern von Liebengrün, einer ganz eigenthümlich altwendischen Ortschaft, die als Schilda oder Schöppenstädt für den Ziegenrücker Kreis gilt.33 Eine dieser zum Theil höchst komischen Geschichten war z. B. die „Bürgermeisterswahl“, die angesehensten p Männer des Orts legen sich mit ihren Köpfen und Bärten rund um und auf einen Tisch, in dessen Mitte q ein kleines, weißes, krabbelndes Insect, pediculus hominis34 genannt, gesetzt wird. In wessen Bart dieselbe dann kriecht, der wird Bürgermeister!!! –
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Meine Wenigkeit hatte sich übrigens zu Ehren Sr. Majestät in Karls alten schwarzen Frack und inexpressibles35 geworfen, die mir fast bis auf die Knöchel, wie auch die Ärmel des Fracks, noch über den Ellbogen herabreichten. Es ist doch hübsch, wenn man seine schwarzen Galla-Sachen mit hat!! Nicht wahr, liebe Mutter? – Heute habe ich bei den Visiten wirklich wieder in meinen paradirt, auch dazu 2 Handschuhe von verschiedenen Paaren (da r sich die zusammen gehörigen nicht finden wollten) angezogen, sowie einen noblen alten grauen Hut aufgesetzt! – – Ehe Du abreist, liebe Mutter, erkundigst Du Dich wohl bei Hrn. Schieck, den Du auch schön [grüßen]s kannst, mit wast ich das Microscop (welches, sowie auch das [Glas mit den]u eingemachten Salamandern ganz wohl erhalten, hier angekommen sind) putzen und schmieren soll.36 Es macht hier großen Effect, und ich werde darüber immer glücklicher. – Den nächsten Brief erhältst Du, liebe Mutter, wohl schon in Ziegenrück. Vorher will ich nicht an das liebe Ziegenrücker Pärchen schreiben. Grüße sie inzwischen herzlich von mir und sage ihnen meinen schönsten brüderlichsten Dank für ihre Briefe!v – Karl wünscht noch ein Dutzend Bleistifte: „Regensburg No 9, Mittelweich“ besorgt zu haben, von Bormann unter der Stechbahn37. Mutter bringt sie ihm wohl mit.w Morgen fängt das Seciren wieder an, wovor ich doch wieder ein heimliches Grauen habe!x Mit den herzlichsten Grüßen und Küssen euer treuer alter Ernst H.y Meine neue Wohnung, die ich Montag beziehe, ist: Distr. II, No: 13738.z 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Vgl. Br. 156, Anm. 1 und Br. 178. Vgl. Br. 179, Anm. 13 und Br. 180, Anm. 22. Warnekros, Ludwig Gustav Bernhard. Krüger, Gustav Adolph. Krombholz, Julius Vincenz von: Naturgetreue Abbildungen und Beschreibungen der essbaren, schädlichen und verdächtigen Schwämme. 10 Hefte nebst Atlas. Prag 1831–1846. Reichenbach, Heinrich Gottlieb Ludwig / Reichenbach, Heinrich Gustav: Agrostographia germanica sistens icones graminearum quas in flora germanica. Die Gräser der deutschen Flora. Editio secunda emendata et aucta. Lipsiae 1850. Müller, Katharina. Das naturwissenschaftliche Kränzchen, eine lockere Vereinigung von Medizinern und Naturwissenschaftlern, die sich an die Physikalisch-medizinische Gesellschaft zu Würzburg anlehnte; vgl. Br. 124, Anm. 33. Gsell-Fels, Louise Carolina, geb. Fels. Vgl. Br. 165, Anm. 11. Leydig, Melchior; Leydig, Barbara, geb. Wittmann. – Der Vater war Salzamtsdiener in Würzburg. Kölliker gab den Kurs gemeinsam mit dem Privatdozenten Franz Leydig; vgl. Br 149, Anm.10. Leydig, Franz: Ein neuer Bandwurm aus Pollypterus bichis[!], beobachtet. In: Archiv für Naturgeschichte. Hrsg. von F. H. Troschel. 19. Jg., 1. Bd., Berlin 1853, S. 219–222. Leydig, Franz: Zur Anatomie von Coccus hesperidum. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Hrsg. von Carl Theodor v. Siebold und Albert Kölliker. 5. Bd., Leipzig 1854, S. 1 f. Leydig, Franz: Zoologische Notizen. In: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. Hrsg. von Carl Theodor v. Siebold und Albert Kölliker. 4. Bd., Leipzig 1853, S. 377–387, hier S. 377–382: Neuer Schmarotzerkrebs auf einem Weichthiere. Vgl. Br. 153, Anm. 5. Eng anliegende Beinkleider; vgl. Br. 140, Anm. 28.
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Nicht überliefert. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Quincke, Hermann; Quincke, Louise Jeanne Marie, geb. Gabain. Bleek, Theodor. Bleek, Philipp. Gertrude Sethe war von einer Reise in die Niederlande zurückgekehrt. Feier anlässlich des 58. Geburtstages von Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen am 15.Oktober 1853. Ca. 400 m hoher Bergsporn oberhalb der Stadt Ziegenrück zwischen Dreba- und Plothenbachtal, über den die alte Straße nach Külmla verlief. Ein Steinkreuz oder eine ähnliche Landmarke, worauf die Bezeichnung hinzudeuten scheint, ist allerdings dort nicht nachweisbar. Das Lied „Heil dir im Siegerkranz“ war von 1795 bis 1871 die preußische Volkshymne. Drebagrund, ein nordöstlich des Ziegenrücker Schlossberges verlaufendes Tal. Réaumur, ca. 37,5° Celsius. Karl Haeckel war Sekonde-Lieutenant im 31. Landwehrregiment, 1. Bataillon Erfurt. Opfer der Befreiungskriege gegen die Vorherrschaft Napoleon Bonapartes von 1813 bis 1815. Barth, Johann Gottfried. Der Ort Liebengrün wurde 1317 erstmals urkundlich erwähnt. Der Ortsname deutet nicht auf eine altslawische Siedlung hin, sondern auf ein im Zuge der mittelalterlichen Binnenkolonisation angelegtes Rodungsdorf. Die Tradition des Schildbürgertums wird im Heimatvereinswesen des Ortes heute noch gepflegt. Pediculus humanus capitis De Geer, Kopflaus, Familie: Pediculidae (Menschenläuse). Vgl. Anm. 17. Haeckels Mutter plante wegen der bevorstehenden Niederkunft ihrer Schwiegertochter Hermine im November 1853 nach Ziegenrück zu reisen; zum Mikroskop vgl. u.a. Br. 176, S. 351, Anm. 13. G. Bormann, Kaufmann und Farbenfabrikant in Berlin, Materialienmagazin für Maler, Zeichner, Architekten, Kupferstecher und Lithographen, Berlin, Stechbahn 6 und Niederwallstraße 5. Adresse (spätere Bezeichnung: Innerer Graben 31) bestätigt durch den Eintrag in der Inskriptionsliste vom Wintersemester 1853/54, Bl. 12r–v.
182. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 1./2. november 1853
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 1/11 53.
Mit wahrer Sehnsucht sah ich der ersten Nachricht von Dir aus Würzburg entgegen; und freute mich recht, als ich Sonntag früh Deinen lieben Brief1 erhielt, wofür ich Dir herzlich danke. Wie freut es mich daß Du gesund bist; aber nun bitte ich Dich dringend lebe auch so daß Du es bleibst; sorge daß Du einen gesunden Mittagstisch hast; mache Dir täglich Bewegung und iß reifes schönes Obst, was Du ja da so gut haben kannst. Mir ist es ganz eigen, daß ich nun wieder || getrennt von Dir leben soll; es war doch recht schön, daß wir uns mal so nach Herzens Lust haben ausschwatzen können. – Zu meiner großen Freude kann ich Dir doch nun berichten, daß es seit ein paar Tagen mit Tante Bertha etwas besser geht, sie hat wieder etwas Schlaf und Appetiet und erholt sich sichtbar. Gott gebe, daß es so fortschreitet, dann kann ich doch ruhiger abreisen. Wenn nichts dazwischen kommt, so denke ich den nächsten Sonnabend ||
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hier früh abzureisen, und zwar über Leipzig, Altenburg, wo sich gleich die Post an den Bahnzug anschließt; ich werde dann Sonntag früh um 6 Uhr in Pöseneck2 sein, und dann in wenigen Stunden bei unserm Pärchen. – Ich denke Du schickst Deinen nächsten Brief nach Ziegenrück, und ich befördere ihn dann an Vater, eben so wird Vater mir schreiben und ich schicke Dir den Brief; so denke ich werden wir es halten so lange ich in Ziegenrück bin. || Donnerstag Guten Morgen lieber Ernst! Gestern habe ich absichtlich den Brief an Dich nicht abgeschickt, weil ich dachte Dir etwas von Deinen Freunden berichten zu können, wir hatten nämlich v. Wittchenstein3 zum Abend eingeladen, und er hatte es auch früh, wo Theodor4 ihm die Einladung überbrachte, angenommen, kam aber nicht; ich weiß nicht warum. v. W. soll wie Theodor sagt, jetzt Jura studieren, und fängt von forne an. – [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4
Br. 181. Pößneck. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Bleek, Theodor.
183. An Karl und Hermine Haeckel, Würzburg, 1. – 5. november 1853
Meine lieben Eheleutchen!
Würzburg 1/11 53.
Da die herrlichen Wochen,1 welche ich bei euch lieben Geschwistern in dem einzigen Ziegenrück verlebt habe, diese schöne, selige Zeit des ungestörten Schwelgens in allen Naturherrlichkeiten, diese Tage wohlthuenden Sichfallenlassens, mir immer noch bei Nacht und bei Tag mir im Sinne liegen, und da ich alle diese Freuden im Grunde doch nur einer liebevollen Aufnahme verdanke, so hätte ich eigentlich längst schon, nämlich heute vor 8 Tagen, die Nachricht von meiner glücklichen Ankunft und den schriftlichen Ausdruck meines innigsten Dankes für eure Liebe an euch absenden können. Indeß, denke ich, erlaßt a ihr mir eine Entschuldigung darüber, daß ich jetzt erst ein Lebenszeichen von mir gebe, eben so, wie auch die Dankesäußerungen selbst, die ihr ohne Worte selbst besser versteht, als wenn ich viele Worte dazu aufböte. Wie glücklich ich bei euch war, wißt ihr selbst, und würdet es noch besser sehen, wenn ihr dagegen als Kontrast meinen jetzigen moralischen Katzenjammer sehen könntet, der sich bei Anfang jedes Semesters einfinden zu wollen scheint. Diesmal war er jedoch ganz besonders eklich, da es jetzt ernstlich heißt: „Grau, theurer Freund, ist alle (rein naturwissenschaftliche) Theorie, grün ist b der (chirurgisch medizinischen) Praxis goldner Baum!“ O, jemine ja, wie grün ist mir die Praxis!2 – || Als ich herkam, fand ich noch keinen meiner Bekannten hier, außer Hein. Auch meine Frau Wirthin3 war noch nicht ausgezogen, sondern hat dies große Werk erst am Montag (gestern) gethan. Da endlich auch heute erst das erste Colleg angefangen hat (Pathologie bei Virchow)4 so hätte ich allerdings noch ein paar Tage in Ziegenrück bleiben und die Einsamkeit des kleinen Schwesterchens etwas vertreiben helfen kön-
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nen. Indeß habe ich die freien Tage hier doch noch recht gut benutzen können, um mich wieder etwas einzuleben, namentlich in die Secirübungen, und andrerseits hätte ich später auch den Wagen des Hrn. Rat Voigt nicht so schön benutzen können, wie es diesmal geschehen ist. Die abenteuervolle Reise von Ziegenrück hierher ging diesmal recht angenehm, rasch und billig von statten, nämlich in noch nicht 30 Stunden, und trotz der 80 ∏f Gewicht meines Koffers für noch nicht 6 rℓ! – Ein kleiner Unterschied gegen Ostern, wo ich das Doppelte an Geld und Zeit brauchte! Wenn Karl an Hrn. Voigt schreibt, so kann er ihm nochmals meinen respectvollsten Dank für seine gütige Erlaubniß ausdrücken, sowie aber namentlich für die fast unangenehm und ganz erschrecklich freundliche Aufnahme, welche mir Frau Rat Voigt angedeihen ließ. Diese c unbändig gutmüthige Frau, welche die „gute Schulz“5 und die gute „Hahnewald“6 an „Güte“ noch weit übertraf, ging nämlich in ihrer Sorgsamkeit soweit, daß sie partout wollte, ich sollte zu Bette gehen, während sie aufbleiben wollte, um mich zu rechter Zeit || zu wecken. Natürlich nahm ich das nicht an, ließ es mir jedoch auf ihrem Sopha, nachdem sie zu Bett war, bei der hellen Lampe in der warmen Stube und ein paar herrlichen botanischen Prachtwerken vom Apotheker7 recht sehr wohlgefallen. Dies Wohlgefallen steigerte sich noch, als ich nachher noch kurze Zeit in der Gefeller Passagierstube8 warten mußte, die so ziemlich einem Pferde- wo nicht Schweinestall glich und wo ich ohne die Güte der Frau Voigt von 7–1 hätte warten müssen. Auch Apothekers9 waren ungeheuer freundlich; es sind sehr nette junge Leute. Er speiste mich, wie erwähnt, mit botanischen Schätzen, sie dagegen mit einer ungeheuren Portion delicaten Heringssalats, den ich trotz vieler Remonstration10 verzehren mußte. So verbrachte ich die Nacht wider Erwarten sehr gut. Zum Postillon von Gefell nach Hof bekam ich denselben Kutscher, welcher mich vorher von Ziegenrück abgefahren hatte, und der vermittelst eines blanken Guldens11 Trinkgeld von mir so entzückt war, daß er die ganze Strecke unaufhörlich seine Lunge durch Production schöner Volkslieder auf dem Posthorn anstrengte, z.B. Schier dreißig Jahr12 etc, Wohlauf Kameraden13 etc, Ich hatt einen Kameraden14 etc etc, was mir viel Spaß machte. In Hof mußte ich noch 2 ganze Stunden warten. Dann ging aber die weitere Fahrt so rasch und ununterbrochen von Statten, daß ich schon Abends 7 in Würzburg war. Unterwegs begegnete mir weiter nichts Erwähnenswerthes, außer einem Zug von 700 Östreichern die nach Böhmen gingen, wüstes, wildes Volk, ungefähr so wie man sich die Kroaten gewöhnlich vorstellt. || Meine neue Wohnung (No 137 im II. District)15 gefällt mir sehr gut. Das Zimmer ist allerdings etwas klein, indeß habe ich doch meine Sachen alle darin placiren können und sogar eine Kiste noch unten behalten können. Um euch eine genaue Vorstellung davon zu geben, füge ich einen Plan vom ganzen Ameublement16 mit bei, woraus ihr sehen könnt wie nett gemüthlich klein mein jetziges Nest ist. Besonders gefällt mir darin, daß die liebe warme Sonne fast den ganzen Tag von früh 9 bis Nachmittags 3 mit ihren besten Strahlen zu beiden Fenstern hereinscheint da das gegenüber stehende Haus klein ist und weit absteht. Dagegen habe ich in dem vorigen trüben und finstern Loche, das ich eigentlich in einem Anfall von Melancholie bezog, den ganzen Sommer auch nicht eine Stunde die liebe Sonne gesehen. Auch zum Microscopiren habe ich jetzt schönes Licht. Mein Microscop17 hat hier riesigen Effect gemacht und ich muß es aller Welt produciren. Natürlich werde ich auch tüchtig darum beneidet. Die meisten meinen aber doch: d Wenn sie ein ganzes Semester so hundemäßig leben sollten, wie
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ich gethan, um dadurch ein Microscop von solchem Werthe zu ersparen, so wollten sie lieber darauf verzichten! – Zur Beruhigung muß ich euch übrigens sagen, daß das Hundeleben jetzt aufgehört hat, und daß ich mit beiden Franques jetzt auf der Harmonie18 esse, obwohl es da für den hohen Preis (21 xr) ziemlich schlecht ist, und nur wenig andere (12–14) daselbst essen – || Hast Du denn gelesen, daß in Nürnberg 2 bleierne Löwen von dem schönen Brunnen19 gestohlen sind und beinah auch das Gänsemännchen weggekommen wäre?e Das Glas mit den Salamandern ist ganz unversehrt angekommen, wie auch das Microscop.f Da fällt mir eben ein: Hast Du dem Grudig20 was gegeben, für das Abholen meiner vergessenen Uhr?g Mein liebes Pärchen! Mit Schrecken sehe ich jetzt, am Sonnabend Abend, daß der angefangene Brief nunmehr fast eineh Woche seiner Vollendung harrt. Es hat diese Zögerung ihren Grund darin, daß ich von einem Tag auf den andern auf einen Brief von Berlin wartete, jedoch bis heute Nachmittag vergeblich. Vor einer Stunde nun ist dieser ersehnte gekommen,21 und [ich] beeile mich nun, den eurigen fertig zu machen, und zugleich die liebe Mutter in Ziegenrück zu begrüssen. Wie ihr durch sie erfahren haben werdet, werdet ihr jetzt öfter von mir zu hören bekommen, da alle sonst direct nach Berlin gesandten Briefe nun über Ziegenrück gehen. Nun laßt aber ihr auch bald mal was von euch hören, damit ich weiß, wie es euch geht, und wie es in Ziegenrück seit meiner Abwesenheit gegangen ist. Gewiß recht ruhig, still, manirlich und ordentlich. Hoffentlich hat sich auch Misekätzchens Speisekammer wieder etwas erhohlt. Von meiner Wenigkeit ist jetzt nicht viel Neues zu berichten, ausgenommen, daß ich mich schon etwas wieder mehr eingelebt habe und daß meine neue Bude mir mit ihrer gemüthlichen Enge oder engen Gemüthlichkeit immer besser gefällt und so recht zum Ochsen22 eingerichtet ist. Von Würzburger Neuigkeiten könnte ich euch manches erzählen, was euch aber wenig interessiren wird, wie z.B. daß der alte Fechtmeister23 sich erschossen hat, i dito ein vornehmer Schleswigholsteiner Student24 (wegen Spielschulden!), ferner daß am Dienstag und Mittwoch den ganzen Abend der hiesige Kirchhof (es ist nur einer, aber ein ungeheurer) aufs glänzendste und prunkvollste illuminirt, illustrirt und ausgepuzt war (Allerheiligen und Allerseelen), was, abgesehen von dem allzuvielen und kunklichen25 Putz und Zierrath einen großartigen und eigenthümlichen Eindruck machte etc. || Die Würzburger sind im Allgemeinen schon außer sich, daß in diesem Semester so schrecklich wenig „Herrn Docters“ kommen, kaum halb so viel, als im vorigen Semester, nicht einmal 300 Mediciner! Es liegt dies daran, daß die beiden Hauptstellen im Juliusspital, die Professuren der Therapie und Chirurgie und der damit verbundenen Kliniken immer noch von den alten ziemlich untauglich gewordenen Leuten, dem stockblinden Marcus26 und dem kindischen Textor27, besetzt sind, welche jetzt endlich ganz abgesetzt werden sollten. Nun haben diese aber doch noch bleiben müssen, da Dietrich28 aus Erlangen und Ried29 aus Jena die Stellen abgelehnt haben. Deshalb kommen die Leute jetzt nur noch her, um Virchow (der wirklich in seiner
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Art ganz einzig und isolirt dasteht) und höchstens Kölliker zu hören, nicht aber wegen des schlechtbesetzten Juliusspitals, das sonst die allermeisten anzog. Auch von meinen Bekannten sind viele nicht wieder gekommen, z. B. Bertheau, Zerroni etc. dagegen habe ich an Hein mit dem ich alle Collegia gemeinschaftlich höre, und meist neben ihm sitze, sowie an dem älterern Arnold von Franque einen ziemlich nahen und netten Umgang, sowie eine Masse äußerlicher Bekannte. An einem rechten Intimus, den ich so sehr wünsche und vermisse, fehlt es mir dagegen noch gänzlich und ich werde wohl nie einen finden. Franque hat eine sehr schöne Tyroler Reise gemacht, und mir dabei mit seinen Erzählungenj wieder eine solche unruhige Reiselust und Alpensehnsucht, die ohnehin schon in den ganzen Ferien in mir rumorte, erweckt, daß ich thörichter weise mir vornahm, es koste was es wolle, nächsten Herbst, ehe ich für immer nach Norddeutschland zurückkehre, die Alpen sehen zu müssen, und wäre es auch nur aus der Ferne, wie Moses das gelobte Land! – || Hier habe ich noch keinen größern Spaziergang gemacht, da ein dichter undurchdringlicher, schon 3–4 Wochen lang (während in Ziegenrück das schönste Herbstwetter war) auf der hiesigen tiefen Gegend lastender Mainthalnebel einem alle Lust benimmt, das Haus zu verlassen. Jedoch vermuthe ich, daß es morgen schön wird, da mein prächtiges, schmuckes Laubfroschmännchen den ganzen Abend allerliebst gesungen und getrompetet hat, wobei er seine Kehle so aufblies, daß sie wenigstens ¼–⅓ seines Volumens einnahm. – Vorgestern war ich längs des Mains herabgegangen, um mir die großartigen Eisenbahnbauten am Stein30 anzusehen, die schon sehr weit vorgerückt sind und contractlich bis Ostern fertig sein müssen.31 Jedoch meint man, es würde ihnen, wie der Ziegenrücker Amtsstube32 gehen und sie würden erst weit später fertig werden, etwa gegen den Juli hin. k Also werde ich doch noch per Dampf von hier absegeln und erlebe hoffentlich auch noch die Freude, meine lieben Alten, und vielleicht auch euch, liebe Geschwister, hier herumzuführen, wenn ihr mit der Eisenbahn so bequem hieher kommen könnt. Die Bahn wird übrigens ganz prächtig und schlängelt sich immerfort am Mainufer, am Abhang hoher Berge, durch reiche Thäler, hin. – Mit dem Moose sammeln ist es jetzt für einige Zeit vorbei. Die vielen Collegien33 werden jetzt kaum Zeit genug bekommen können. In dieser Woche haben schon mehrere angefangen; die eigentliche Masse, und zwar das Grauenhafteste (nämlich spezielle Pathologie34, materia medica35 und Geburtshilfe36) beginnt aber erst am nächsten Montag, wo ich auch anfangen werde im chemischen Laboratorium bei Scherer practisch zu arbeiten, d. h. zu kochen, Kleider anzubrennen, zu ätzen, zu explodiren etc. || Was macht denn aber nun eigentlich Ziegenrück? Wahrscheinlich sieht es schon recht winterlich aus. Ich denke noch täglich viel, viel an die seligen, mit euch verlebten Stunden zurück. Selbst an das treue Hausthier, die zierliche, pulicifera Fräulein Flink37, mußte ich jetzt viel denken, da der jüngere Franque38 sich einen neugeborenen Köter von 3 Fuß Höhe angeschafft hat, der ausgewachsen ein wahrer Riesenjagdhund werden muß, aber an täppischer Ungeschicklichkeit, Stubenvollmachen etc alles übertrifft, was noch dagewesen. Wenn Mimmi diesen Spectakel ansähe, würde sie sich gewiß mit dem niedlichen, reinlichen Flinkchen sogleich aussöhnen! – Auch Mimmis vortreffliche Kochkunst und Backtalent kam mir jetzt wieder in den Sinn, als meine Wirthin mich mit selbstgebackenem Pflaumenkuchen tractirte, der dem Ziegenrücker lange nicht gleichkam!
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– An Doctors39 und die andern Ziegenrücker Freunde40 die herzlichste Grüße. Seid selbst recht herzlich umarmt und geküßt von eurem treuen, dankbaren Bruder Ernst. Da fällt mir eben eine Nachricht wieder ein, die Weiss mir in einem netten, vor ein paar Tagen gesandten Brief41 mittheilte und die Karl vielleicht interessirt. Auf dem Merseburger Gymnasium ist nämlich urplötzlich eine ganz spartanische Zucht eingeführt worden, deren übertriebene Strenge theils ins Lächerliche, theils ins Unzweckmäßige fällt. So muß jeder Schüler schriftlich Rechenschaft ablegen von dem, was er den ganzen Tag über treibt! – „Oh selig, ja nicht mehr ein Pennal zu sein!“ – Der Brief schließt: „ Zierhöldchen tanzt schon wieder flott, will auch nicht mehr Theologie studiren!?42 – 1 2 3 4
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Ernst Haeckel hatte sich im Oktober 1853 für mehrere Wochen in Ziegenrück bei seinem Bruder Karl und dessen Frau Hermine aufgehalten; vgl. Br. 179–181. Vgl. Br. 134, S. 235, Anm. 4 und Br. 157, S. 303, Anm. 10 und 11. Müller, Katharina. Virchow las im Wintersemester 1853/54 wöchentlich 5 mal „allgemeine Pathologie und Therapie in Verbindung mit allgemeiner patholgischer Anatomie“; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im WinterSemester 1853/54 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 6; vgl. dazu auch Br. 186. Schulz, Clara, geb. Lepsius. Hanewald, Therese. Warnekros, Ludwig Gustav Bernhard; vgl. Haeckels Angaben darüber in Br. 181, S. 370. Post-Passagierstube, öffentlicher Aufenthaltsraum für Reisende auf Poststationen. Nach dem für Preußen geltenden Poststandard musste die Passagierstube im Winter beheizt und bei Dunkelheit beleuchtet sein. Außerdem musste dort ein Beschwerdebuch ausliegen. Falls es eine gastronomische Bewirtschaftung gab, musste in der Passagierstube eine verbindliche Preisliste aushängen. Warnekros, Ludwig Gustav Bernhard; Warnekros, Therese Agnes Emilie, geb. Hain. Begriff des deutschen Beamtenrechts, der einen gegen die Weisung eines Vorgesetzten eingelegten Widerspruch bezeichnet, hier ironisierend verwendet. Nach dem Münchner Münzvertrag von 1837 als gemeinsame Währung der süddeutschen Staaten umlaufende Silbermünze mit einem Feingewicht von 9,545 g (Rauhgewicht 10,606 g) einheitlichem Prägebild auf der Rückseite (Wertangabe im Eichenlaubkranz). Wegen der Nähe zu Bayern war die Guldenwährung auch in den südthüringischen Fürstentümern und den preußischen Enklaven des Kreises Ziegenrück in Gebrauch. „Schier dreißig Jahr bist du alt“, deutsches Volkslied. „Wohlauf Kameraden, auf ’s Pferd, auf ’s Pferd“, deutsches Soldaten- und Volkslied aus dem 18. Jahrhundert. Volksweise, Text von Ludwig Uhland. Vgl. Br. 181, Anm. 38. Nicht überliefert. Das Schieck-Mikroskop, das Ernst Haeckel im August 1853 als Geschenk von seinen Eltern erhalten hatte; vgl. Br. 176, Anm. 14. Vgl. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. Der Gänsemännchenbrunnen auf dem Hauptmarkt in Nürnberg mit der 1550 entstandenen Plastik von Pankraz Labenwolf, die einen Bauern mit zwei Gänsen unter dem Arm darstellt. Nicht ermittelt. Br. 182. In der Schülersprache Ausdruck für angestrengtes, mechanisches Lernen vor Prüfungen, analog zu „büffeln“.
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Bündgens, Jakob; entgegen Haeckels Bericht war der Selbstmordversuch jedoch gescheitert; vgl. Würzburger Abendblatt, 13. Jg., Nr. 263, 4.11.1853, S. 1077; Nr. 264, 5.11.1853, S. 1081. Nicht ermittelt. Eigentlich: nachlässig, schlampig; vgl. Brandenburg-Berlinisches Wörterbuch. 2. Bd., Berlin 1985, S. 1260; hier mehr im Sinne von: geschmacklos, unästhetisch. Carl Friedrich von Marcus hatte sich nach dem Wintersemester 1853/54 aufgrund zunehmender Erblindung als Ordinarius der Medizinischen Klinik emeritieren lassen. Vgl. dazu auch: Kahle, Erhart: „Marcus, Carl Friedrich von“, in: NDB 16 (1990), S. 135. Textor von Cajetan war bereits vor 1834 aus politischen Gründen von den Reaktionären seiner Ämter an der Universität Würzburg enthoben. 1834 wurde er zurückberufen, um Ende 1853 erneut aufgrund einer Regierungsanordnung abgesetzt zu werden. Dessen ungeachtet gab er weiter Lehrveranstaltungen mit theoretischen Inhalten und feierte 1858 sogar noch sein 50-jähriges Doktorjubiläum. Vgl. dazu auch: Pagel, Julius Leopold: „Textor, Cajetan von“, in: ADB 37 (1894), S. 628–630. Textors Nachfolge trat der junge Chirurg Adolph Morawek aus Prag an. Dittrich, Franz von. Ried, Franz Jordan von; zu Rieds Ablehnung vgl. Würzburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 248, 18.10.1853, S. 1011. Weinberg im Norden Würzburgs. Die Eisenbahnstrecke Schweinfurt-Würzburg wurde am 1.7.1854, die Strecke WürzburgAschaffenburg bis zur Landesgrenze bei Kahl und von da über Hanau nach Frankfurt am 1.10.1854 fertiggestellt, nachdem die Strecke Bamberg-Haßfurt bereits im Frühfahr 1852 in Betrieb gegangen war. Damit erhielt Würzburg Anschluss an die Nord-Süd-Verbindung zwischen Augsburg und Hof; vgl. dazu aus Haeckels Besitz: Panorama der königl. bayerischen Ludwigs-West-Bahn […] nebst einem Anhange enthaltend die neueste Fahrordnung vom 1. April 1855. Würzburg [o.J.]. (EHA Jena). In Karl Haeckels Wohn- und Amtssitz im Ziegenrücker Schloss fanden 1853 Um- und Ausbauarbeiten statt. Zum medizinischen Vorlesungsangebot vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853/54 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 5–7. Zu Haeckels Lektionsplan vgl. Br. 186, S. 385 f.; das Würzburger Studienzeugnis Haeckels ist im EHA Jena überliefert. Zum Studium der Medizin gehörige Arzneimittellehre vgl. Haeckel, Ernst: Materia medica der Metalle von Prof. Rinecker. Würzburg Winter 1853/54 (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 292). Vgl. Anm. 34. Name des Familienhundes; vgl. Br. 171, S. 339. – Puli, ungarischer Hütehund; cifra/cefera (ungar. für: merle), bezeichnet eine genetisch bedingte Farbvariation des Fells von Hunden, bei der die schwarze Farbe unregelmäßig aufgehellt ist. Franqué, Otto von. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. U.a. die Familien Harras und Lindig. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 28.10.1853 (EHA Jena, A 16628). In seinem Brief aus Merseburg vom 10. – 12.10.1853 (EHA Jena, A 16627) schreibt Ernst Weiß an Ernst Haeckel, dass es ihrem gemeinsamen Freund Johannes Donatus Wolfgang Zierhold wieder besser ginge und im darauffolgenden vom 28.10.1853, dass Selbiger nicht mehr verlobt sei und auch nicht Theologie studieren wolle.
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184. An Charlotte Haeckel, [Würzburg, 12. november 1853]
Liebste Mutter! Diesmal sende ich Dir nur einen herzlichen, innigen Kindesgruß mit, da ich Alles, was [ich] Dir sonst noch mitzutheilen hätte, bereits an das hochedle Kreisrichterpaar1 geschrieben habe, deren Brief2 auch für Dich mit bestimmt ist. Nur noch den herzlichsten Dank für eure lieben Briefe,3 die mich sehr erfreut haben. Derjenige des lieben Alten4 ist zwar ganz erschrecklich politisch und klingt eher wie ein religiös politischer Leitartikel oder eine Zeitpredigt, hat mir aber docha viel Freude gemacht. Da er jetzt den Gervinus (Literaturgeschichte)5 liest, so sollte er eigentlich gleichzeitig als Gegenstück die vom ganz entgegengesetzten Standpunkt geschriebene Literatur Geschichte von Vilmar6 lesen. Ich glaube, sie steht || in meinem gläsernen Bücherschränkchen. Schreibe ihm das doch und schicke ihm b dabei die schönsten Grüße von mir. Dein Vorschlag, meine Briefe, so lange Du in Ziegenrück bist, indirect, über Ziegenrück nach Berlin gehen zu lassen, ist mir ganz recht. Ich schreibe also jetzt nicht mehr direct an den lieben Alten. – Was macht denn Deine Gesundheit, mein liebstes Mütterchen? Du bist doch hoffentlich von Deinem bösen Fall7 ganz wieder gesund? Schreib mir doch, wie es Dir geht? – Das Wetter ist heue Abend so schauerlich, daß ich Dich recht bedaure, da Du gewiß grade, während ich dies schreibe, eine unangenehme Nachttour8 machst. Mir geht es so so, la la! Wegen meiner Verpflegung sei ganz ruhig. Ich esse jetzt auf allgemeines Verlangen auf der Harmonie und lasse mir das theure Essen nach meiner „Schindungstheorie“9 aufs trefflichste munden! In meiner neuen Stube sitze ich sehr warm und nett!! – Nochmals die innigsten Grüße und Küsse von Deinem treuen Ernst. 1 2 3 4 5 6 7 8
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Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Br. 183. Vgl. Br. 182. Ein Brief von Carl Gottlob Haeckel an Ernst Haeckel ist aus diesem Zeitraum nicht überliefert. Gervinus, Georg Gottfried: Historische Schriften. 6 Theile, Leipzig 1833–1842, hier 2.–6. Theil: Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen. Leipzig 1835–1842. Vilmar, August Friedrich Christian: Geschichte der deutschen National-Literatur. 2 Bde., 5. verm. Aufl., Marburg 1852. Vgl. Br. 164, S. 324. Vgl. Br. 182, S. 374 f., in dem Haeckels Mutter Charlotte schrieb, dass sie den „nächsten Sonnabend“, also am 12.11.1853, früh aus Berlin abreisen und am Sonntag um 6 Uhr in Pößneck ankommen werde, von wo die Fahrt nach Ziegenrück in der Kutsche fortgesetzt werden sollte. Daraus leitet sich zugleich die Datierung des vorliegenden Briefes ab. Charlotte Haeckel hatte Ernst mehrfach ermahnt, seine aus finanziellen Gründen selbst auferlegten Fastenbestrebungen einzustellen und ihm daher mehr Geld zur Verfügung gestellt. Haeckel schreibt später, dass er gehungert habe, um sich das Mikroskop kaufen zu können; vgl. dazu auch Br. 183, S. 376 f.
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185. Von Hermine Haeckel, ziegenrück, 12. november 1853
Lieber Bruder Doktor!
Ziegenrück 12ten November | 1853.
Wie froh wir sind die liebe Mutter1 hier zu haben, kannst Du denken; Alles wird revidirt und in Ordnung gebracht, und die arme kleine Frau2 entsetzlich liebevoll tyranisirt. So darf ich z. B. gar nicht mehr in die reizende Stadt herunter, kann Dir aber berichten von meinem gestrigen Dortsein, daß das Nest noch eben so aussieht wie Du es verlassen hast. Die Düngerhaufen zieren die Straßen und erfreuen die Vorübergehenden durch balsamische Düfte. Dagegen als neu zu betrachten ist der bodenlose Schmutz. Gestern machte ich mit der Alten Besuch bei der Frau Superintendentin3, Frl. Hartmans4, Frau Diakonus5 || und Doktors6 bei denen es sehr wohlschmekende Äpfel gab. Wir leben sehr still und gleichmäßig, lesen wohl zusammen, wenn der Mann nicht Oben ist, oder wir im Eckzimmer hausen, und sehen Alle Drei mit großer Freudigkeit in diea Zukunft, die Dich so Gott will zum Onkel, vielleicht eines Nichtchens macht. Heute Nacht hat es recht ordentlich gefroren, so daß wir dem Winter entgegen gehen, wenn er nur nicht so kalt werden möchte. Daß Du Dich bei uns so glücklich gefühlt macht uns große Freude, komm nur bald wieder und hilf die durch Frau Mutter wieder gefüllte Speisekammer leeren, wovon mir sehr wenig wird zu Theil werden. Karl ist sehr wohl und munter und sieht bei dem enorm zunehmenden Bart sehr stattlich aus, erlaubt aber kein Zupfen. Sei Du nur hübsch munter und vergnügt ohne jede Grille. Wie sehr haben wir uns über den guten Fortschritt der lieben Tante Bertha gefreut, gebe Gott solchen Fortgang. Karl grüßt Dich mit mir herzlich. In Liebe Deine Schwester. 1 2 3 4 5 6
Haeckel, Charlotte, geb. Sethe. Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Gerischer, Luise Amalie Friederike Therese, geb. Junker. Hartmann, Frl.; Vorname(n) nicht ermittelt. Starke, Ernestine Therese, geb. Richter. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau.
186. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 16. – 19. November 1853
Mein liebster Vater!
Würzburg Mittwoch 16/11 1853.
Dem Wunsche Mutters gemäß, die gern alles liest, was ich schreibe, und die mir schrieb, ich möchte alle nach Berlin an Dich gehenden Briefe über Ziegenrück schicken, erhältst Du auch Deinen Geburtstagsbrief1 diesmal nicht direckt von hier aus.
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Es ist dies nun schon das dritte Mal, daß ich an diesem Hauptfeste der Häckelschen Familie persönlich nicht theilnehmen kann, Dir selbst, mein liebster Vater, nicht mit einem Kuß und einem Händedruck a alles das sagen kann, was ich für Dich in Herz und Sinn trage und was noch so viele Worte doch nicht hinlänglich ausdrücken können. Aber auch so, denk ich, brauche ich nicht viel Worte zu machenb über die innigen und treuen kindlichen Gesinnungen der herzlichsten Kindesliebe, die ich für Dich hege zu machen, und die grade an Deinem Geburtstage, als unserm höchsten Freudenfeste, sich zu besonderer Innigkeit steigern. Du weißt selbst wie sehr ich mit euch liebsten Eltern, mit meinen lieben Geschwistern, mit unserm ganzen theuren Familienleben innig verwachsen bin, ja wie ich vielleicht zu einseitig und weltscheu im Zusammenseinc mit Euch mein höchstes Glück finde. Bei jeder neuen Trennung von euch muß ich auch diesen Trennungsschmerz immer neu empfinden. Ich hatte nun gehofft, das Heimweh würde sich allmählich ganz geben. Aber immer und immer wieder, wenn ich diesen engen, heimischen Familienkreis verlassen habe, wird mir so weh ums Herz, ich bekomme eine so kindische und unnütze Furcht und Scheu vor der Außenwelt, daß ich mich oft selbst darüber schämen muß. So muß ich auch jetzt, nach diesen seligen ungetrübten Tagen der Freude, die ich in seliger Stille mit euch verlebte, oft so sehnsüchtig nach diesem Elysium zurückdenken, obwohl mir der Trubel und die Ruhlosigkeit meiner neuen Zeiteintheilung auch kaum einen Augenblick zum Bewußtsein meiner Einsamkeit kommen lassen. O, wie schön ist doch das Familienleben, durch Nichts zu ersetzen. Ich habe das jetzt so recht wieder bei meinem lieben glücklichen Bruder gesehen, über dessen Glück (auch über das Kommende) ich mich wirklich mehr freue, als ich es über mein Eignes thuen könnte. Was für eine hohe Freude muß es auch für Dich jetzt sein, noch hoffentlich glücklicher Großvater zu werden;2 ich gratulire Dir dazu noch ganz besonders zu Deinem Geburtstag, und wünsche recht von Herzen, daß Du noch an Deinen Enkeln die Freude Deines Alters erlebst, und zur Freude der Enkel so wohl, wie der Kinder, noch recht lange und glücklich als jugendlich frisches und muntres Familienhaupt fortlebst. – Das einzige schmerzliche Gefühl (was mir aber auch oft sehr bittre und düstre Gedanken macht) das ich beim Ausspruch dieses Wunschs, daß Du noch rechte Freude an Deinen Kindern erleben mögst, empfinde, ist das, daß ich selbst, mein lieber Vater, Dir bis jetzt noch so wenig Hoffnung und Freude verursacht habe und daß mir dies wirklich um so weniger zu gelingen scheint, je mehr ich d mir dazu alle mögliche Mühe und Sorge mache. Dessen kannst Du versichert sein und weißt es auch, daß es mein aufrichtigstes und beständiges Streben ist, ein recht tüchtiger und braver Mann zu werden. Aber grade je mehr ich mit allen Sinnen und Gedanken darauf bedacht bin, desto weniger sehe ich irgendeinen Erfolg oder 1 Aussicht dazu. Grade in dem wichtigsten Punkte, in der Einrichtung und Ausführung meines ganzen Lebensplanes stehe ich jetzt noch so rathlos und tathlos da, wie nur je. Es wird jetzt, wie Du Dich vielleicht erinnerst, grade ein Jahr sein, daß ich Dir in der ersten Abneigung, die mir die Einsicht in das Studium der Medizin einflößte, in einem langen Briefe die Unmöglichkeit, Arzt zu werden und Medicin zu studiren, auseinander setzte. Du suchtest mich damals mit mancherlei, zum Theil auch wohl ganz richtigen Gründen, zu beschwichtigen und diese hielten auch den Sommer über, wo ich mich mehr mit der reinen Naturwissenschaft beschäftigte, vollkommen vor. Ich hatte den bestimmten Vorsatz, das Studium, wie schwer es mir auch werden würde, durchzusetzen. Jetzt aber,
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lieber Vater, stehe ich wieder ganz auf demselben Standpunkt, wie vor 1 Jahr, wenn auch aus andern Gründen. Es liegt dies einfach daran, daß ich erst jetzt, wo ich 1 tiefern Einblick in das Wissen und Treiben der practischen Medicin zu thun anfange, die wahre Natur dieser edlen Kunst zu begreifen anfange. Früher war es, ich gestehe es gern zu, mehr ein äußerer, von reizbarer Nervene Schwäche herrührender Ekel, der mir diese Seite des ärztlichen Lebens so traurig erscheinen ließ. Jetzt ist dieser zum größten Theil überwunden und würde sich vielleicht mit der Zeit noch mehr geben, wenngleich ich glaube, daß ich eine unbesiegbare Scheu vor vielen Krankheitsäußerungen nie überwinden würde; – || Aber eine ganz andere Ursache ist es, die mir jetzt mit voller Gewißheit die Unmöglichkeit als Arzt zu wirken, vor Augen stellt. Dies ist nämlich die ungeheure Unvollkommenheit, Unzuverlässigkeit und Ungewißheit der ganzen Heilkunst, die es mir diesen Augenblick (es mag allerdings zu einseitig sein) fast unglaublich erscheinen läßt, daß 1 gewissenhafter, sich selbst überall zur strengsten Rechenschaft ziehender Mann mit dieser „Kunst“, die in 100 Fällen diese Wirkung, in 100 gleichen die grade entgegengesetzte hervorbringt, seinen Nebenmenschen quälen und mit ihnen gleichsam ins Blaue hinein experimentiren könne. In dieser Beziehung verhält sich die Medicin extrem entgegengesetzt der Mathematik. Hier ist alles in bestimmte, unveränderliche, ausnahmslose Formeln gebannt: dortf ist von alledem Nichts; jeder handelt nach seinem eignen Gutdünken; dem einen fällt dies, dem andern jenes ein; dort stirbt vielleicht ein Patient einem wissenschaftlich höchst ausgebildeten Arzte unter der Hand, während er hier von 1 Quacksalber curirt wird. Ich frage Dich selbst: Muß so nicht jeder Arzt in jedem Augenblick, wenn er an seine Pflicht und an sein Thun denkt, mit sich selbst in schweren Konflikt, in traurigen Zweifel gerathen? – Wenn ich meinen Bekannten dies exponire, so lachen sie mich aus! Frage ich sie, was sie dagegen meinten, so sagen sie, ich sei nur tauglich, um natürliche Pflanzenfamilien zu schaffen oder Moose zu microscopiren, oder Infusorienkrankheiten zu behandeln etc. Überhaupt scheinen auch sie sämmtlich darüber einig zu sein, daß ich zu nichts weniger als zum Arzte passe. Schon das ist 1 großer Nachtheil für mich, daß ich nicht von Jugend auf medicinische Gespräche etc angehört, mit einem Worte, mich in diese ganze Sphäre etwas hineingelebt habe, in welchem Falle sich meine meisten andern Bekannten, überhaupt fast alle Studenten der Medicin befinden, sollten sie sich dies medicinische Begriffs- und Denk-Vermögen auch erst in den Kneipen erworben haben. Dadurch, daß ich viele Ausdrücke, die hier gang und gebe sind, und die die andern verstehen, ohne doch auch Pathologie gehört zu haben, ganz und gar nicht kenne, und g mit den gewöhnlichsten medicinischen Redensarten etc noch gar nicht vertraut bin, geht mir z. B. 1 großer Theil des Virchowschen Collegs3 verloren. Frage ich über so etwas andere, um mir Auskunft zu holenh, so meinen sie, daß mir das doch nichts hülfe; ich könnte doch höchstens Professor werden; zu was Ordentlichem tauge ich gar nicht etc. Andre sind dabei wenigstens aufrichtiger und meinen: „wenn du Professor werden willst, ist das grade, wie wenn ein kleiner Junge König werden will etc“. Dabei spreche ich gar nicht von „Professor werden“ und denke auch nicht daran. Nur kein Arzt! Lieber will ich den kleinen Jungens in der Klippschule das 1 x 1 lehren. Eine andre Frage ists freilich, ob ich das einmal begonnene Studium der Medizin auch trotz der gewissen Aussicht, es nie practisch verwerthen zu i können, fortführen soll. Fast bleibt mir nichts andres übrig, da ihr es einmal durchaus wünscht, und da es zu einer
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Umkehr, etwa zur Mathematik, um diese als Hülfswissenschaft der Naturwissenschaft zuj treiben, fast wohl schon zu spät ist. Wenn ich ganz frei über mich selbst jetzt zu disponiren hätte, würde ich doch vielleicht noch das Letztere thun, oder noch lieber mich mit allen mir zu Gebote stehenden Kräften einzig und allein auf das Studium der reinen Naturwissenschaft werfen, alle Zeit die mir außer Essen, Trinken, Schlafen, und Denken an Euch noch übrig bleibt, einzig und allein darauf verwenden, mich ganz ex fundamento4 in ihnen heimisch zu machen; und dann, denke ich, müßte ich, bei der größten Liebe und Lust, und der mir möglichsten (was freilich nicht viel sagt) Ausdauer es doch zu etwas Tüchtigem bringen. Die einzige Frage und zwar die sehr schwere, wäre freilich, ob meine Kräfte dazu ausreichten. Nun bedenke aber dazu das ganze Feld der angewandten medizinischen Wissenschaft in seiner ungeheuren Ausdehnung, welches in der neusten Zeit so ungeheuer ausgebildet und erweitert ist, daß die meisten in 4 Jahren sich nur einen ganz oberflächlichen Überblick davon erwerben können, bedenke den fabelhaften Wust von barbarischen Mitteln, Formen etc, die an sich schon fast ein Gedächtniß in Anspruch nehmende Masse rohen, halb unnützen, halb zweifelhaften, empirischen Materialsk – mir nebeln wirklich die Sinne, wenn ich daran denke, daß ich diesen ganzen, ungeheuren, wüsten Kram, der noch dazu für mich speciell so manches Ekelhafte und Widerliche besitzt, zu dessen Aneignung ein halbes Leben gehört, wenn ich bedenke, daß ich dieses ganze, ungeordnete, Chaos mir ganz zu Eigen machen soll – und zwar wozu? – Um nichts und l wieder Nichts!! Denn was wird mir das jemals helfen? Wenn ich noch irgend Aussicht hätte, einmal als Naturforscher große Reisen zu machen, hätte die Sache noch einigen Sinn. Aber so?! – Schade, schade, daß ich Dir nicht mündlich dies und vieles Andre expliciren kann, schriftlich läßt sich die Sache nur so halb und unvollkommen darstellen! – || Nun vor allem 1 herzliche Bitte, liebster Vater. Sei nicht im Geringsten unwillig oder betrübt darüber, daß ich Dir so ganz offen und unverhohlen meine ganzen Empfindungen und Gedanken über diesen höchst wichtigen Gegenstand offenbart habe. Ich denke doch, es ist besser, ich spreche die Gesinnungen ganz offen aus, wenn sie Dich auch eben nicht erfreuen können (was mir herzlich leid und wehe thut) als daß ich sie Dir von Anfang an verberge und nachher Dir plötzlich andere zeige. Wenn Du es für das Beste hältst, will ich ja gerne, mit allem mir m möglichen Fleiße (wenn auch ohne Lust und Aussicht auf Erfolg) das Studium der Medizin weiter forttreiben. Nur muß ich mich dann später, wenn es zu meinem entschiedenen Nachtheil ausschlägt vor jeder Verantwortung und jedem Vorwurf verwahren. Daß ich es mir übrigens angelegen sein lasse, die bestimmte Zeit gehörig zu benutzen, kannst Du aus folgendem Lectionsplan5 ersehen (pro Woche gerechnet): von 8–10 Secirübungen (12n), 10–11 materia medica6 (5), 11–1 practisch (!) chemische Arbeiten im Laboratorium (8), 1–2 Mittagessen auf der Harmonie (auf Deinen ausdrücklichen Befehl; das Essen ist zwar theuer (21 xr.), aber sehr gut und ich lasse es mir so vortrefflich schmecken, daß meine Freunde meinen, der Wirth profitirte an mir keinen Kreuzer). 2–3 physiologische Chemie (2), 3–4 allgemeine Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf pathologische Anatomie, bei Virchow (5); 4–5 theoretische Geburtshilfe bei Scanzoni (dem ersten deutschen Geburtshelfer) (5); von 5–6 ist die einzige freie Stunde am Tage; von 6–8 habe ich noch microscopischen Cursus in der Untersuchung normaler thierischer Gewebe bei Koelliker, Freitags und Samstags, an sich zwar höchst interessant und mir ganz besonders, jedoch aus dem Grunde weniger, weil ich fast alle die Sachen schon selbst mit meinem
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Microscop präparirt habe. Auch ist die Anleitung ohne systematische Regel und Ordnung; ich werde dabei Nicht viel Neues profitiren. Alle diese Collegia kosten zusammen bloß 78 florins. Davon allein 25 für das Laboratorium, 15 für das Praepariren der Arterien, 12 für den microscopischen Cours etc. Über die einzelnen werde ich Dir später noch ausführlicher schreiben. Sehr geistreich ist die Vorlesung von Scherer (einem der berühmtesten organischen Chemiker) über medicinische Chemie, wo er die auffallendsten physiologischen und pathologischen Vorgänge im Leben des menschlichen Körpers auf die anorganischen, Chemischen Gesetze zurückführt.7 Die materia medica (das einzige und erste Colleg, das ich systematisch schieße, weil es gar zu schlecht ist) o oder Heilmittellehre höre ich bei 1 gewissen Rinecker8, einem vollkommnen und ausgebildeten Hampelmann, Hanswurst, Charlatan oder wie du sonst willst, dabei 1 gräßlicher, oft ganz sinnloser Schwadronneur, Schwafler und Raisonneur mit den komischsten Declamationsbewegungen seinen schauerlichen Vortrag begleitend.9 Das Einzige Gute an dem Colleg ist, daß es sogleich in der ersten Stunde vollkommen geeignet ist, dem künftigen Arzte vollständig alle etwaigen, wenn auch nicht rosenfarbenen, Illusionen zu vertreiben, die er sich etwa über seinen künftigen Beruf als Messias der leidenden Menschheit, über die Medicin als Kunst zu heilen, machen könnte. Hr. Rinecker erklärt gleich bei Eröffnung des Collegs mit einer wirklich erstaunlichen oder lächerlichen Naivetaet und Offenheit, daß sich doch Niemand einbilden möge, die Ärzte seien dazu da, oder beschäftigten sich damit, die Zahl der Krankheiten zu vermindern und sie zu vertreiben. Im Gegentheil, je höher die Medicin rationell steige, desto mehr vermehrten und vergrößerten sie sich. Die ganze Behandlung der Kranken sei eigentlich nur 1 ganz unsystematisches Experimentiren, 1 irrationelles Versuchen mit dem menschlichen Organismus, 1 unnützes oder wenigstens höchst zweideutiges Probiren, Hin- und Her-Rathen etc., „Gehts mit dem Mittel nicht, gehts mit dem!“ u.s.w. Dabei erzählt er die gräulichsten Zoten und Geschichten, wie junge oder nicht ganz sattelfeste Ärzte durch unüberlegte Dosen gesunde Leute krank und unglücklich gemacht haben, kurz, daß mir Herz und Gewissen schlägt, wenn ich daran denke. Daß 1 solche Vorlesung geeignet ist, auch einen, der vonvornherein mehr Neigung zur Medizin hat, als ich, dieselbe gänzlich zu vertreiben, kannst Du mir glauben. Mir ist dabei manches Neue Licht aufgegangen. Ich begreife jetzt wenigstens, wie die meisten Ärzte die Chirurgie, die mir früher das Schrecklichste war, wegen ihrer materiellen Sicherheit bei weitem diesem planlosen Spielen mit dem menschlichen Leben vorziehen können. Und diese materia medica, diese Heilmethode ist es, auf die ich noch am Meisten bei meiner ärztlichen Wirksamkeit gehofft hatte!! || Das Hauptcollegium in diesem Semester ist die allgemeine pathologische Anatomie bei Virchow, weswegen (sowie wegen der Seciranstalten) ich auch allein hier geblieben bin. Dies Colleg ist so einzig in seiner Art,10 daß ich Dir unmöglich jetzt schon 1 vollständiges Bild davon geben kann. Jetzt nur einiges Äußerliche darüber. Das Colleg behandelt größtentheils Sachen, die noch gar nicht gedruckt sind und die von Virchow selbst erst neu entdeckt sind. Aus diesem Grunde ist auch der Andrang dazu 1 ganz ungeheurer. Der sehr große amphitheatralische Hörsaal mit weit über 100 Plätzen ist vollständig gefüllt. Während die andern Collegia meist periodisch geschwänzt werden, sucht hier jeder womöglich hier auch nicht 1mal zu fehlen, weil er hier eben Dinge hört, die er sonst nirgends erfährt oder liest. Trotzdem aber fast alle hier anwesende Mediciner das Colleg fleißig besuchen, möchte ich doch dreist behaupten,
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daß kaum der 10te Theil ihn nur einigermaßen versteht. Wenigstens gilt dies von der überschwänglich philosophischen Einleitung, die er jetzt gegeben hat und die die Phänomene des Lebens, der Krankheit, und des Todes behandelt.11 Der Vortrag Virchows ist nämlich schwer [aber] außerordentlich schön; ich habe noch nie solche prägnante Kürze, gedrungene Kraft, straffe Consequenz, scharfe Logik, und doch dabei höchst anschauliche Schilderung und anziehende Belebung des Vortrags gesehen, wie sie hier vereinigt ist. Aber andrerseits ist es auch, wenn man nichtp die gespannteste Aufmerksamkeit, eine gute philosophische und allgemeine Vorbildung mitbringt, sehr schwer, ihm ganz zu folgen den rothen Faden, der sich so schön durch Alles hindurchzieht, zu behalten; namentlich wird das klare Verständniß sehr erschwert durch eine Masse dunkler, hochtrabender Ausdrücke, gelehrter Anspielungen, allzuhäufigen Gebrauch von Fremdwörtern, die oft sehr überflüssig sind u.s.w. Die meisten der Commilitonen schauen nur starr und wie vernichtet dieses Wunder an; freilich fällt von so einem Reichthum wohl für jeden 1 Bissen ab; aber wie viel Kleinodien gehen da verloren. Mir selbst wird es nur mit der größten Anstrengung und auf 1 Weise möglich, das in der Stunde mit fast stenographischer Eile (daß mir nachher die Hand ganz lahm ist) Wort für Wort fast sinnlos und mechanisch Nachgeschriebene Material nachher einigermaßen zu ordnen, zu verdauen und anzueignen. Ich setze mich nämlich, sowie ich um 5 aus dem Colleg komme, hin und suche mit Anspannung aller mir zu Gebote stehenden Geisteskräfte durch sorgsames Durchdenken und Ausarbeiten des empfangenen Stoffs mir Verständniß und Vertrautheit mit diesem Reichthum tiefer Gedanken zu erwerben. Freilich kostet das viel Schweiß und Zeit; unter 3–4 Stunden werde ich nicht mit der 1 Stunde fertig, und oft kaue und verdaue ich den ganzen Abend bis um 11 daran. Aber dann merke ich auch den sichtbarlichen Nutzen.12 Übrigens scheint mir nur der Anfang so unendlich schwer gewesen zu sein. Jetzt, wo er mehr ins Specielle, namentlich in die microscopische Betrachtung der Veränderungen, die die Gewebe des Körpers durch die Krankheiten erfahren, kömmt, wird er weit angenehmer und leichter verständlich, als in der wirklich ganz philosophisch gehaltenen, aber gedankenschweren Einleitung, die das Wesen des Lebens, der Krankheit und des Todes behandelte und mich im höchsten Grade interessirte, wenngleich ich keineswegs ganz damit einverstanden bin. Virchow ist nämlich durch und durch Verstandesmensch, Rationalist und Materialist; das Leben13 betrachtet er als die Summe der Functionen der einzelnen, materiell, chemisch und anatomisch verschiedenen Organe. Der ganze lebende Körper zerfällt danach in 1 Summe einzelner Lebensheerde, deren specifische Thätigkeiten an die Beschaffenheit ihrer Elementartheile, also in letzter Instanz an die Zellen, aus denen der ganze Körper besteht, gebunden ist. So ist die Seelenthätigkeit die inhärirende Eigenschaft der lebenden Nervenzelle, die Bewegung das Resultat des Baues der Muskelfaserzelle u.s.w. Mit der normalen physikalischen und chemischen Beschaffenheit dieser feinsten mikroskopischen Formelemente ist also ihre gesunde Lebensthätigkeit unabänderlich gebunden. Mit ihr steht und fällt sie. Die von diesen Zellen als selbstständigen, aber einfachsten organischen Wesen ausgehende Lebenskraft ist es, welche die todten oder vielmehr latenten Kräfte der Materie, die schlummernden Kräfte der feinsten materiellen Theilchen, der Molecüle, zur Thätigkeit erweckt, erregt, gleichsam in ihren Dienst nimmt, um den Organismus zu bauen. Das Leben ist also das Resultat der einzelnen Zellenkräfte und der mit ihnen verbündeten Molecularkräfte u.s.w. – ||
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Wie leid thut es mir, daß ich Dir nicht diese ganze, wirklich höchst geistreich durchgeführte Ansicht mittheilen und vollständig exponiren kann. Aber schriftlich geht das eben nicht. Du findest übrigens diese durchaus materialistische Anschauung jetzt ziemlich allgemein unter den ersten Naturforschern Deutschlands verbreitet.14 Mich interessirte sie in der Schärfe und Klarheit, mit der ich sie hier durch und durch erkennen lernte, außerordentlich, und wenngleich ich namentlich ihre Consequenzen nicht alle theilen kann, so frappirte mich doch eben die Consequenz, mit der die Schlüsse durchgeführt waren. Übrigens ließ sich Virchow grade über den Hauptpunkt, nämlich das Verhältniß der Seele zu diesem organisirten Komplex selbstständiger, aber an die Materie gebundner Lebensheerde, nicht näher aus. Jedoch werde ich dabei nicht viel verloren haben. Nach seiner Betrachtungsweise des Lebens und Todes kann man freilich mit der Seele bis jetzt nicht viel anfangen. Den Tod definirt er nämlich als „das Zurückkehren der chemischen Elemente, welche sich bei der Konstitution des Organismus zu den complicirtesten, zusammengesetztesten, feinsten und höchsten Atomenkomplexen vereinigt haben, zu den höchst einfachen, binären Verbindungen (Wasser, Kohlensäure, Ammoniak etc) der anorganischen Natur“.15 Diese rationalistisch materielle Anschauungsweise der ganzen Lebenserscheinungen ist übrigens durch und durch aus Virchows ganzem Wesen entsprungen. Überall tritt in seinem ganzen Wort und Werk dir der absolute Verstandesmensch mit klarer, schneidender Schärfe entgegen; tiefe Verachtung und höchst fein witzige Verspottung Andersdenkender, religiöser Rationalismus oder noch mehr, politischer Radikalismus etc (bekanntlich ist Virchow wegen seiner radicalen politischen Ansichten aus Berlin, wohin er sehr gern möchte, förmlich verbannt!)16 dabei außerordentliche Festigkeit des Characters. Mich erinnert er mit seiner klaren, logischen Schärfe, mit dem feinen aber beißenden Witz, mit dem hohen Selbstbewußtsein oft sehr an Hiecke. In der Ausführung des Vortrags übertrifft er ihn fast noch. – Außerordentlich hat mich die Definition der Krankheit angesprochen, die Virchow in der Einleitung gab.17 Er betrachtet nämlich alle pathologischen Erscheinungen als durchaus nicht specifisch oder qualitativ, sondern vielmehr nur quantitativ von den normalen physiologischen verschieden. Das Außerordentliche, scheinbar Naturwiedrige (praeter naturam18 liegende) der erstern besteht entweder nur darin, daß normale Vorgänge sich übermäßig vergrößern und erweitern, oder darin, daß eine Bildung an einem q andern Orte des Körpers und zu einer andern Zeit auftritt, als sie es normal eigentlich sollte. Das Pathologische, Krankhafte ist also durchaus nicht etwas Besonderes, Eigenthümliches, sondern vielmehr nur ein Überhandnehmen, die Grenzen des gewöhnlichen Überschreiten des Normalen,19 Heterotopieen20 oder Heterochronieen21 desselben. Grade mich spricht diese Auffassung sehr an, weil ich bisher immer das Gegentheil davon geglaubt, nämlich die Krankheiten für etwas ganz Abnormes, für sich bestehendes, als besondre feindliche Kräfte angesehen hatte, woher sich auch zum Theil mein übergroßer Ekel und Abscheu dagegen datirt. Dies sind sie nun aber nach Virchows überzeugender Argumentation nicht. Keine eigenthümlichen Kräfte walten in ihnen. Die äußern Krankheitserscheinungen sind vielmehr nur die Äußerungen der normalen Lebenskraft, welche sie als Reaktion gegen die von außen einwirkenden, ihr entgegentretenden äußern Krankheitsreize (noxae22) ausübt.23 Übrigens darfst du ja nicht denken, daß ich dadurch, und daß ich r mit dem Begriff der Krankheit nun etwas mehr ausgesöhnt bin, etwa nur im Geringsten mehr Lust hätte, mich mit ihnen abzugeben.
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Davor muß ich mich eifrigst verwahren. Auch wird das schöne Virchowsche Colleg wenig dazu beitragen, da es sich fast gar nicht mit den Krankheiten selbst beschäftigt, sondern nur mit den chemischen und physikalischen Veränderungen, namentlich aber (was mir immer das Interessanteste ist) mit den histologischen, microscopischen Formveränderungen, welche die Gewebe des menschlichen Körpers und ihre Elemente durch allgemeine Krankheitsreize erleiden (wie z. B. Entzündung etc). Also wird das Colleg 1 sehr interessantes, naturwissenschaftliches, aber durchaus eigentlich nicht medicinisches, wie denn Virchow auch durchaus kein Arzt oder Freund der Ärzte und ihrer Praxis ist, sondern nur 1 sehr tüchtiger Naturforscher, Chemiker, Anatom, Mikrokopiker etc. || Nächst diesem in seiner Art einzigen Collegium, das es wohl werth ist, daß man ganz allein um seinetwillen ein ganzes Semester hierbleibt, sind es vorzüglich die practischen anatomischen und chemischen Arbeiten, die mich viel beschäftigen. An dem Seciren habe ich jetzt sehr viel Geschmack gewonnen, da ich jetzt erst die feinern Gegenstände, nämlich die Arterien, Venen und Nerven an Spirituspräparaten ausarbeite. Bis jetzt hatte ich bloß Muskeln, Eingeweide und dergleichen präparirt, was ziemlich grob und langweilig ist. Diese feinen Bauverhältnisse des menschlichen Körpers, welche durch die höchste Weisheit, womit sie in und durcheinander gefügt sind, die größte Bewunderung erregen, sind dagegen höchst interessant. Auch ist die ganz genaue und sorgfältige Präparation derselben, das einzige Mittel, um sich eine topographie [!] Kenntniß des Körperbaues (was grade das Wichtigste ist) zu erwerben. Ich nehme mich daher jetzt sehr zusammen, um meine Flüchtigkeit und Ungeduld zu überwinden und habe auch (freilich mit viel Zeitaufwand (seit 14 Tagen täglich 2 Stunden)) wider mein eignes Erwarten mit Geduld und Sorgfalt ein so schönes Präparat eines Arms zu Wege gebracht, daß meine Bekannten sich ebenso wie ich selbst darüber wunderten, und daß Koelliker sagte: „Sie verfolgen ja die Nerven bis in die feinsten Primitivfasern“ (die man nämlich nur bei 300maliger Vergrößerung sehen kann). Kein einziger Nerv, keine Arterie ist durchschnitten worden und das Ganze so übersichtlich, daß ich Lust hätte, es als Andenken in Spiritus aufzubewahren. Dabei habe ich noch 1 specielle Freude gehabt. An der Hand findet sich nämlich eine sehr merkwürdige Varietaet, die Kölliker selbst noch nie gesehen hatte. (Der ramus dorsalis nervi ulnaris24 fehlt ganz und wird durch den ramus superficialis nervi radialis25 vollkommen ersetzt, der quer über die Hand wegläuft und alle 5 Finger versorgt.
Gleichzeitig hört die Vena basilica26 über die Hand auf und wird durch die Vena cephalica27 vertreten). Auf diese Art bekomme ich jetzt eine ganz genaue Kenntniß des menschlichen Körpers, wie man sie durch keine Vorlesung und kein Buch sich erwerben kann, und wie sie mir als Naturwissenschaftler von höchstem Interesse ist, wenn ich sie auch keineswegs praktisch zu verwerthen wünsche (etwa als Chirurg etc). Auch macht es die Hand viel geschickter. –
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Viel Freude macht mir auch das chemische Arbeiten in Scherers Laboratorium.28 Bis jetzt analysire ich nur unorganische Stoffe. Da mische, menge, mansche, plansche, glühe, sprühe ich denn so, daß es nur eine Art hat. Als chemisches Habit ist dabei der alte Überrock, den ich von Dir mitgenommen hatte, wieder zu Ehren gekommen. Auch in der Chemie kann man nur Wenig aus Büchern lernen; man muß selbst durch Experimente und Analysen in sie eindringen, wenn man den wahren Zusammenhang dieser merkwürdigen Wissenschaft ganz erfassen will. Daß ich übrigens bei dieser Menge des zu bewältigenden Materials, das mich buchstäblich von früh 8 bis Abends 8 beschäftigt, keine Zeit zu andern Beschäftigungen, auch nicht einmal zu meinen liebsten Lieblingsstudien, Zeichnen, Mikroscopieren, Malen, Botanisiren etc behalte, kannst Du Dir leicht selbst denken. Der Abend der auf diesen Tag voll Trubel und Mischmasch folgt, ist dann ohnehin noch mit der Ausarbeitung der Virchowschen Stunde besetzt, so daß ich eigentlich schrecklicheren Zeitmangel, als je, leide, gar nicht zur Besinnung komme, und mich, wenn ich Abends nach 11 Uhr zu mir selbst komme, ich kaum noch zu fragen Zeit habe, was ich denn nun eigentlich im Laufe des Tages gethan. Jedoch hat auch grade diese perpetuirliche, angestrengte Beschäftigung ihre sehr guten Seiten. So zwingt sie mich z. B., meine Aufmerksamkeit einmal ganz auf andre Gegenstände zu richten, bewahrt mich vor allzu genauem, und doch im Grunde fruchtlosem Grübeln und Nachdenken über mich selbst, und meine Zukunft und schützt mich auch, wenigstens etwas, vor Hypochondrie, zu der ich sonst jetzt, da ich mit den Krankheiten mich zu beschäftigen anfangen muß, mehr Neigung als je habe, weshalb mich meine Bekannten oft tüchtig herunter machen. (So hat z. B. neulich in der propaedeutischen Klinik29 einer (F.30) auf die Frage des Professors den Studiosus Haeckel als Beispiel eines Urhypochonders angeführt! Denk Dir nur einmal! || Samstag 19/11. Wie du aus dem Eingang dieses Briefes siehst, lieber Vater, wollte ich ihn Anfangs über Ziegenrück schicken, damit unsre dortigen Lieben auch einmal was ordentliches von mir hörten. Nun erhielt ich aber am 16ten Abends einen Brief, welcher von Ziegenrück am 12ten abgegangen war.31 Bei dieser Unzuverlässigkeit der Postverbindungen hielt ich es für das Beste, den Brief direct von hier aus nach Berlin zu schicken, damit er Dir grade an Deinem Geburtstagsmorgen einen recht herzinnigen Gruß von deinem treuen filius minor32 bringt. Gar sehr gern hätte ich ihm eine Zeichnung beigefügt; s auch hatte ich schon längst ein paar Objecte dafür ausgesucht. Ich wollte Dir nämlich ein paar ganz hübsche Ansichten von Athen, die ich hier auf der Messe in 1 alten Kramladen für 3 Kreuzer erhandelt habe, abzeichnen; allein es fand sich dazu zwar alles andre, was zu 1 Zeichnung gehört, aber grade das Nothwendigste nicht, nämlich die Zeit. In den letzten Tagen wollte ich Dir wenigstens noch 1 Skizze von Virchow entwerfen, aber auch damit bin ich nicht fertig geworden. So mußt Du Dich denn diesmal ohne Geburtstagszeichnung begnügen, mit dem guten Willen. Jedenfalls trage ich diese Schuld später noch ab, aber wohl schwerlich vor Ostern. Da der Zeitmangel jetzt wirklich zu groß ist, so daß mir jeder Augenblick leid thut, den ich zum Essen, Trinken, Schlafen etc verwenden muß. Übrigens brauchst Du nicht zu denken, daß ich eigentlich übermäßig viel Collegia hätte. Wenn es lauter theoretische wären, könnte das allerdings der Fall sein, aber so! – Auch haben die meisten meiner Bekannten noch viel mehr Stunden (wenn sie freilich auch viele schwänzen). Diese
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haben nämlich in diesem 1 Semester alle noch übrigen theoretischen (namentlich specielle Pathologie und Therapie, Chirurgie etc) Collegia angenommen, um diese nur mit einemmal los zu werden, und dann gleich in die medicinische Praxis (Cliniken, Curse etc) ganz hineinzukommen. Ich kann weniger sagen, daß ich mich dazu sehr beeilte! Im Gegentheil! – Mutter schickte mir auch Deinen Brief33 mit, der mich sehr interessirt hat, namentlich die Nachricht von der Entdeckung einer Durchfahrt um die Nordwestecke Amerikas.34 Hat man denn von Franklin35 was gefunden? – Wie Du wohl erfahren haben wirst, geht es in Ziegenrück zu unsrer aller Freude sehr gut! Wie allerliebst wäre es, wenn mein erstgeborner Neffe36, der Stolz und Stammhalter des Haeckelschen Hauses, grade an Deinem Geburtstage das Licht dieser Welt erblickte! Aber 1 Neffe muß es sein!! sonst – ? || Außerordentlich hat mich die frohe Nachricht erfreut, daß es unsrer lieben Tante Bertha endlich einmal wieder besser geht, das ist ja prächtig! Gebe Gott daß die Besserung so fortschreitet! Aber wie Schade, daß sie grade während der Abwesenheit des HausEngels37 in No 8 so krank werden mußte!! – Was erzählt denn Tante? G+++38 von ihren Abenteuern und Fahrten? – Ich hatte immer noch im Stillen gehofft, sie würde in Holland39 irgendwo ganz hängen bleiben und in einen reinlichen Holländer, der nie frischgescheuerte Stuben mit schmutzigen Füßen betritt (wie das z. B. hier bei mir immer der Fall ist!) auch hübsch phlegmatisch und bedächtig, aber ja nicht so ungestümen Willens ist, sich mal ….. pstststststst!!! – Brrrrrr! Ein ander Bild!! Hier ist seit 8 Tagen große Aufregung unter dem studirenden Publico. Hr. Steudner nämlich (der auf seiner 6wöchentlichen Alpenreise wieder alles mögliche Glück gehabt hat, und mit seinen Erzählungen t wieder schreckliche Alpensehnsucht und botanischen Katzenjammer (eine specifische Art des moralischen, die nur bei mir vorkömmt!)) in mir erweckt hat, hat neulich eines schönen Abends, als er nebst einem Kameraden (Hn. Clarenbach40 aus Düsseldorf ) etwas stark angesäuselt aus der Kneipe kam und dann einigen Blödsinn verübte (z. B. das Faß eines Meßverkäufers 1 große Strecke fortrollte) eine großartige Keulerei mit ein paar Stadtsoldaten gehabt, wobei diese mit ihren Säbeln, jene mit ihren Fäusten um sich geschlagen haben. Vorläufig sitzen sie nun beide in Untersuchungsarrest, werden nun gegen 1000 fl. Caution losgelassen und man spricht von ½–1 Jahr in Aussicht stehender Festung!41 – Für diesmal glaube ich Dir genug mitgetheilt zu haben. Sonst wirds am Ende gar ein doppelter Brief. Nach Ziegenrück kann ich in den nächsten 8 Tagen noch nicht wieder schreiben, ich möchte Dich deßhalb bitten einen Theil dieses Briefes (etwa die beiden letzten Blätter II und III, da sie durch das I doch nichts Neues erfahren) nach Ziegenrück an unser liebes Kleeblatt42 (das nur bald hoffentlich 1 recht glückliches 4blättriges ist) zu schicken und dabei noch die herzlichsten Grüße an alle 3 von mir beizufügen. Auch an Tante Bertha, Bertha minor43, Großvater, Theodor44 etc den schönsten Gruß. Nun ade, mein liebster Vater, tritt Dein neues Lebensjahr, zu dem Gott noch viele hinzufügen möge, zu unser aller Freude, recht munter und gesund an und denke an Deiner Geburtstagsfeier, die ohne Mutter freilich Dir etwas sonderbar vorkommen wird, auch rechtschaffen an Deinen treuen alten Jungen Ernst Haeckel, der am Dienstag mit ganzem Herzen und ganzer Seele bei Dir sein wird und gar gern auch noch mit seinem Körper da wäre.u
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Der Geburtstag Carl Gottlob Haeckels war am 22. November. Hermine und Karl Haeckel erwarteten die Geburt ihres ersten Kindes, das am 7.12.1853 geboren wurde. Haeckel, Ernst: Allgemeine Pathologie und allgemeine pathologische Anatomie, vorgetragen zu Würzburg im Winter 1853/54 von Professor Virchow (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 289). Lat.: von Grund auf. Zum Lehrangebot der medizinischen Fakultät der Universität Würzburg im Wintersemester 1854/55 vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853–1854 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 5–9. Arzneimittellehre; vgl. Br. 183, Anm. 35. Vgl. Haeckel, Ernst: Medizinische Chemie (Winter 1853/54) vorgetragen zu Wuerzburg von Prof. Scherer (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 292). Rinecker, Franz von. Zur Vorlesungsnachschrift vgl. Br. 183, Anm. 35. Virchow konzipierte in den sieben Jahren seiner Tätigkeit in Würzburg 1849 bis 1856 die Zellularpathologie, die von der Auffassung ausgeht, dass die zelluläre Organisation des Organismus die Grundlage aller Lebensäußerungen und damit auch der pathologischen Erscheinungen sei. Erstmals publiziert wurden die Grundgedanken der Zellularpathologie 1855; vgl. Virchow, Rudolf: Cellular-Pathologie. In: Archiv für pathologische Anatomie und für klinische Medicin. Hrsg. von R. Virchow. 8. Bd., 1. Heft, Berlin 1855, S. 3–39. Eine Sammlung seiner Berliner Vorlesungen über die Zellularpathologie publizierte Virchow erst 1858; vgl. Virchow, Rudolf: Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Zwanzig Vorlesungen, gehalten während der Monate Februar, März und April 1858 im pathologischen Institute zu Berlin. Berlin 1858. Virchows Würzburger Zellularpathologie-Vorlesungen sind lediglich durch studentische Vorlesungsnachschriften bekannt; vgl. Rössle, Robert: Rudolf Virchows Vorlesung über Allgemeine Pathologische Anatomie und Allgemeine Pathologie im Jahre 1852. Zur Erinnerung an Virchows Todestag vor 50 Jahren (5. September 1902) nebst Bemerkungen über die wahre „Geschichte der Krankheit“. In: Virchows Archiv für pathologische Anatomie und Physiologie und für klinische Medizin. 322. Bd., Berlin; Heidelberg 1952, S. 233–239. Einige dieser Vorlesungen wurden inzwischen auch publiziert; vgl. Schweers, Hans Friedrich: Nachschriften Virchowscher Vorlesungen aus der Würzburger Zeit (Diss. Med.). Mainz 1974; Rudolf Virchow, Vorlesungsund Kursnachschriften aus Würzburg. Wintersemester 1852/53 bis Sommersemester 1854. Bearb. von Christian Andree (= Rudolf Virchow, Sämtliche Werke, Bd. 21, Abt. I: Medizin). Berlin; Wien 2000. – Die Vorlesungsnachschriften Haeckels, die im EHH Jena überliefert sind, sind dagegen, mit einer Ausnahme, bisher noch nicht publiziert. Ediert ist lediglich das erste der beiden Hefte zur pathologischen Histologie (Haeckel, Ernst: Mikroskopischer Atlas der Praeparate aus der pathologischen Histologie gefertigt und gezeichnet in dem „practischen Cursus“ der pathol. Histol. des Prof. Virchow zu Wuerzburg im Winter 1855/56, EHA Jena, B 300c; ders.: Virchow. Demonstrativer Cursus der pathologischen Anatomie und Histologie. Privatissime. Wuerzburg. Winter 1855/56, EHA Jena, B 300b). In: Belloni, Luigi: Haeckel als Schüler und Assistent von Virchow und sein Atlas der pathologischen Histologie bei Prof. Rudolf Virchow. Würzburg, Winter 1855/56. In: Physis. Rivista internazionale di storia della scienzia. 15. Bd., Firenze 1973, S. 5–39. Vgl. Haeckel, Ernst: Allgemeine Pathologie und allgemeine pathologische Anatomie, sowie Virchow, Rudolf: Cellular-Pathologie (wie Anm. 3). Vgl. den Abschnitt „Leben und Krankheit“ in Ernst Haeckels Vorlesungsnachschrift (wie Anm. 3), S. 3–11. „Die letzten Elementartheile des menschlichen Organismus sind die Zellen […] In jenen Zellen nun haben die wirksamen Kräfte, welche als Grund aller Lebenserscheinungen auftreten, ihren Sitz, und man [kann] daher ohne Weiteres in den Zellen selbst den Sitz, den letzten Grund alles Lebens suchen […] Die Zell Genese […] tritt nicht als 1 anhaltende Erscheinung des Materials auf, sondern als eine durch einen Komplex äußerer und innerer Bedingungen modificirte Lebensform. Allerdings mögen die letzten, moleculären Elemente der Zelle selbst irgendwie krystalli-
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nischer Natur sein. Allein diese feinsten Bestandtheile sind darin jedenfalls nur potentiell vorhanden, während sie dagegen in den Krystallen selbst materiell auftreten. Der Begriff des „Lebendigen“ kann daher nur allein jenen organischen zelligen Elementen zukommen, die immer und überall den Charakter der Theilbarkeit, Vermehrung und Fortpflanzung (mit einem Wort: Tomia) an sich tragen.“ (ebd., S. 5–7). „Alle unsere Erfahrung weist darauf hin, dass das Leben sich nur in concreter Form zu äussern vermag, dass es an gewisse Heerde von Substanz gebunden ist. Diese Heerde sind die Zellen und Zellengebilde […] Aber innerhalb dieses Heerdes ist es die mechanische Substanz, welche wirkt und zwar nach chemischen und physikalischen Gesetzen wirkt. Um daher die Erscheinungen des an sich cellularen Lebens zu begreifen, müssen wir die Zusammensetzung der Zellensubstanz, ihre mechanischen Eigenschaften, ihre Veränderungen bei der Function feststellen […] Rücken wir bis an die letzten Grenzen vor, an denen es noch Elemente mit dem Charakter der Totalität oder wenn man will, der Einheit gibt, so bleiben wir bei den Zellen stehen. Sie sind das letzte constante Glied in der grossen Reihe einander untergeordneter Gebilde, welche den menschlichen Leib zusammensetzen. Ich kann nicht anders sagen, als dass sie die vitalen Elemente sind, aus denen sich die Gewebe, die Organe, die Systeme, das ganze Individuum zusammensetzen.“ Virchow, Cellular-Pathologie (wie Anm. 10), S. 18–20. „Allerdings scheiden sich so die animalen Organe mit ihren unsichtbaren, dynamischen Veränderungen, scharf und reell von den vegetativen Organen, deren weit gröbere Veränderungen palpabel und anatomisch nachweisbar sind. Allein wenngleich uns jene dynamischen, animalen Erscheinungen vollständig entgehen, so darf man doch keineswegs an ihrer Existenz zweifeln oder sie als Aberrationen von der Lebenskraft betrachten. Sondern auch bei ihnen, wie überall, muß man zur Erklärung auf mechanische und chemische Veränderungen der Elemente recurriren, ihnen den letzten Grund vindiciren, denn am Ende sind doch alle Lebenserscheinungen an die Materie und ihre Elemente geknüpft. Mag man immerhin der Medicin und Naturwissenschaft den Vorwurf des Materialismus machen; es ist für sie kein Vorwurf […] Ohne diesen Succurs auf mechanische und chemische Grundursachen kann man keine einzige Lebenserscheinung erklären.“ Virchow, Cellular-Pathologie (wie Anm. 10), S. 9. Vgl. Bayertz, Kurt / Gerhard, Myriam / Jaeschke, Walter (Hrsgg.): Der Materialismus-Streit (Philosophische Bibliothek; 618). Hamburg 2012. Vgl. das Kapitel „Tod“ in Ernst Haeckels Vorlesungsnachschrift (wie Anm. 3), S. 12–17. Die im Brief zitierte Passage ist in der überlieferten Vorlesungsnachschrift nicht enthalten, wiewohl die Prozesse, die mit dem Tod lebender Zellen, Organe und Organismen verbunden sind, sehr detailliert abgehandelt werden. Virchow war in den Revolutionsjahren 1848/49 mit scharfer Kritik an der preußischen Gesundheitspolitik hervorgetreten, hatte sich an den Straßenkämpfen im März 1848 beteiligt und im Oktober 1848 am Berliner Demokratenkongress teilgenommen. 1849 wurde er seiner Stelle als Prosektor an der militärärztlichen Akademie zu Berlin (Pépinière) zeitweilig enthoben und musste gegenüber dem preußischen Kultusministerium die Erklärung abgeben, künftig auf politische Auftritte in der Öffentlichkeit zu verzichten. Da eine Berufung auf einen medizinischen Lehrstuhl in Berlin in dieser Situation aussichtslos erschien, nahm Virchow 1850 einen Ruf nach Würzburg an. Vgl. Andree, Christian: Virchows Weg von Berlin nach Würzburg. Eine heuristische Studie zu den Archivalien der Jahre 1848 bis 1856. Würzburg 2002. Vgl. das Kapitel „Leben und Krankheit“ in Ernst Haeckels Vorlesungsnachschrift (wie Anm. 3), S. 3–11. Nach Virchow „existirt […] überhaupt gar keine feste absolute Grenze zwischen Physiologie und Pathologie; alles Pathologische ist ursprünglich ganz und gar physiologisch.“ (ebd., S. 4). Lat.: außerhalb der Natur, naturwidrig. Vgl. Vorlesungsnachschrift Ernst Haeckels (wie Anm. 3), S. 9–11. Auch Dystopie, funktionelles Gewebe, das sich nicht an der anatomisch normalen Stelle des Organismus befindet. Zeitliche Abweichungen der Entwicklung von Teilen eines Organismus vom regulären (orthochronen) Verlauf. Lat: Schadstoffe, Gifte. Vgl. Ernst Haeckels Vorlesungsnachschrift (wie Anm. 3), S. 11: „In der That existirt nie und nir-
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gends im Körper 1 Kraft, die außerhalb der ganzen physiologischen Hergänge läge. Dieselbe Kraft vielmehr, welche die normalen Vitalerscheinungen bewirkt, ist es auch, welche in den Krankheiten (als Reagens) auftritt, und dieselbe wiederum, welche (als supponirte Naturkraft, welche erst nach Einbruch der Krankheit sich geltend machen sollte und der man zu Hülfe kommen zu müssen glaubte) die quantitativ excentrischen Pathologischen Erscheinungen auf das rechte Normalmaß zurückzuführen strebt. Gegenüber den verschiedenen Störungsmöglichkeiten steht also 1 gewisse Reihe Ausgleichungs-, Regulations-Möglichkeiten, und auf ihrer richtigen Beurtheilung und practischen Anwendung beruht die Therapie.“ Siehe dazu auch Virchows Definition von Pathologie: „Weil jedes Geschöpf ein in sich zusammenhängendes und abgeschlossenes System darstellt, so gibt es auch nur eine bestimmte Reihe typischer Formen oder besser Formbestandtheile, welche es hervorzubringen vermag. Ob es seine Formbestandtheile unter günstigen (physiologischen) oder ungünstigen (pathologischen) Verhältnissen hervorbringt, ändert in der Sache nichts […] Alle pathologischen Formen sind entweder Rück- und Umbildungen oder Wiederholungen typischer, physiologischer Gebilde.“ (Virchow, Cellular-Pathologie (wie Anm. 10), S. 13 f.). Lat. ramus dorsalis nervi ulnaris: Hinterer Ast des Ellennervs, entlang des Unterarms zur Hand verlaufend. Lat. ramus superficialis nervi radialis: Oberflächlich verlaufender Ast des Speichennervs im Armnervengeflecht. Lat. vena basilica: Oberflächliche Vene des Arms, die an der Ellenbeuge beginnt. Lat. vena cephalia: Oberflächliche Vene an der Außenseite des Oberarms. Joseph von Scherer veranstaltete täglich von 10–13 Uhr „practisch-chemische Uebungen in Untersuchung organischer und anorganischer Stoffe“; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853/ 1854 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 6. Einführungskurs in die medizinische Praxis. Vermutlich einer der mit Haeckel befreundeten Gebrüder Arnold und Otto von Franqué. Vgl. Br. 185. Lat.: kleiner (jüngerer) Sohn. Nicht überliefert. 1845 war eine Expedition unter dem britischen Marineoffizier Sir John Franklin mit dem Ziel aufgebrochen, die Nordwestpassage zu finden. Um das Schicksal dieser lange Zeit als verschollen geltenden Expedition aufzuklären, wurden mehrere Folgeexpeditionen ausgesandt. Erst 1859 fand man bei der King-Williams-Insel im arktischen Archipel Überreste, die darauf hinwiesen, dass Franklins Schiffe im Eis eingefroren und die Expeditionsteilnehmer ums Leben gekommen waren. Das Wrack der HMS Erebus konnte im September 2014 aufgefunden werden. Im September 2016 gelang es, auch das Wrack des zweiten Expeditionsschiffes HMS Terror südlich von King William Island und 60 Seemeilen nördlich von der HMS Erebus zu orten und durch einen Tauchroboter zu untersuchen. Vgl. Süddeutsche Zeitung Online: http://www.sueddeutsche.de/wissen/arktis-verschollenes-schiff-aus-arktis-expedition-entdeckt-1.3161424; letzter Zugriff: 27.10.2016). Franklin, Sir John. Carl Christian Heinrich Haeckel, der am 7.12.1853 geboren wurde. Ironisierend für Ernst Haeckels älteste, unverheiratete Tante Gertrude Sethe, die im Haushalt des Großvaters im Nachbarhaus der Haeckels, Berlin, Schifferstraße 8, lebte und sich zu dieser Zeit auf einer Reise in die Niederlande befand. Ernst Haeckels Verhältnis zu seiner Tante Gertrude war distanziert, war er doch bei Aufenthalten in Berlin während seiner Kindheit von ihrer „Tyrannei gepeinigt“ worden (vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 4.8.1849. Da sowohl der Großvater als auch Tante Bertha pflegebedürftig waren, mussten sie während Gertrudes Abwesenheit von Ernst Haeckels Mutter betreut werden; vgl. auch Br. 45, Anm. 13. Sethe, Gertrude; siehe Abb. 38. Vermutlich besuchte sie Lodewijk Mulder in Amsterdam, einen Nachkommen des verstorbenen Bruders von Christoph Sethe. Clarenbach von Hückeswagen, Alexander. Vgl. Br. 219, Anm. 6.
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Haeckels Mutter Charlotte, Karl und Hermine sowie deren erstes Kind, dessen Geburt nahe bevorstand. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Bleek, Theodor.
187. Von Karl Haeckel, [ziegenrück], 20. november 1853, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Lieber Bruder.
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Du denkst gewiß, ich vergesse Deiner ganz. Aber seit Du fort bist, habe ich so fleißig in restibus1 gemacht, daß ich nicht viel an andre Dinge habe denken können. Daß wir die liebe Alte2 wieder hier haben freut uns sehr. Sie ist aber doch ein gar zu aufopferndes Wesen. Soll vorgelesen werden, so liest sie stets; ist sie unwohl, so sagt sie’s nicht; soll etwas geholt werden, ist sie die erste. Wir suchen es ihr hier nach Möglichkeit abzugewöhnen, so lange wir noch in statu quo3 sind, id est4 so lange homunculus5 noch nicht da ist. Mutter behauptet, es (er?! sie?!) käme zum 22st.! – Nun, es weiß keines woher! Mimmi befindet sich überhaupt ganz wohl und ist sehr galant im Domino-Spiel, das beinahe täglich eine halbe Stunde lang gespielt wird. Sie verliert immer u. da wir stets um ein „Mittagsessen“ spielen, muß sie allemal den folgenden Tag eines bereiten. Gestern wurde Deiner bei einem delikaten Apfelkuchena viel gedacht. Wir haben überhaupt sehr schönes Obst aus Gertewitz. Unserm lieben Vater geht es ja ganz gut in Berlin und Bertha6 hält ihm ganz wohl || Haus. Er liest Dir in der Beilage zu seinem langen Briefe7 eine Epistel die Du wohl beherzigen magst. Er weißt doch sehr richtig darauf hin, daß eine solche Sonderlingslebensweise namentlich auch nicht mit den Grundsetzen der Religion in Einklang steht. Mach, liebster Bruder, daß Du diese Zurückgezogenheit aufgiebst, sei weniger verschlossen weniger [un]zugänglich für Andere, so wirst Du auch eher einen recht innigen Freund finden. Doch genug. Die Termine rufen. Mit herzlicher Liebe und Freundschaft Dein Karl [Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Ernst! so lieb es mir ist, daß Deine Stube Sonne hat, so wünschte ich doch, Du hättest eine besondere Schlafstube. Kannst Du die nicht etwab noch miethen? Sonst bringe nur keine zu starken Gerüche in Deine Stube, mache darin keine Experimente, lüfte vor Schlafengehn. – 1 2
Lat.: in den Seilen, im Geschirr; hier sinnbildlich für: pausenlos mit Dienstgeschäften beschäftigt sein. Haeckels Mutter Charlotte war im November 1853 nach Ziegenrück gekommen, um ihrer Schwiegertochter in den Wochen vor ihrer Niederkunft zur Seite zu stehen.
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Lat.: im gegenwärtigen Zustand. Lat.: das heißt. Lat.: Menschlein; in der Alchemie Bezeichnung für einen künstlich erzeugten Menschen, hier sinnbildlich für das von Karl Haeckel und seiner Frau erwartete erste Kind, das am 7.12.1853 zur Welt kam. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Nicht überliefert.
188. Von Charlotte Haeckel, ziegenrück, 29. november 1853
Mein lieber Herzens Ernst!
Ziegenrück 29/11 53.
Gestern erhielt ich endlich von Vater beifolgenden Brief1 und den von Dir2. Diesmal hatte ich von Euch beiden so lange gar nichts gehört, daß ich mit wahrer Sehnsucht, täglich Nachricht erwarttete. Hier ist noch immer alles beim Alten, und wer weiß wie lange wir noch wartten müssen; indeß ist ja Mimmi gesund, und ich hoffe es geht alles gut. || Nun mein lieber Herzens Ernst, verfolgea nur muthig und mit Vertrauen die angefangene Bahn; Du treibst ja dabei nichts, was nicht auch das Studium der Naturwissenschaft berührt; zu einem bestimmten Beruf sollst Du nie gezwungen werden, ich wünschte nur daß Du die verschiedenen Zweige der Wissenschaft gründlich || kennen lernst, damit Du später, selbstständig wählen kannst; wir wollen Dich ja gerne länger studieren lassen; ich habe doch die Zuversicht daß Du Deinen Platz im Leben finden und ausfüllen wirst; quälle Dich nur nicht mit Bedenklichkeiten. Auch laß den Gedanken fahren, Du könntest nie eine Reise machen, das wird sich alles finden. – – || Ich habe schon öfter bei Dir angefragt, ob Du nicht einen Rock zum Winter brauchst, darauf hast Du nie geantworttet; es scheint ein kalter Winter zu werden, und ich dächte da müßtest Du einen warmen Rock haben, Karl läßt sich jetzt einen Ueberzieher von ganz dickem Zeuge machen. Kannst Du Dir dort einen kaufen oder machen lassen oder soll ein [Briefschluss fehlt] || Karl und Hermine grüssen mit mir Dich herzlich.b 1 2
Nicht überliefert. Br. 186.
189. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 4. dezember 1853
Meine liebste Mutter!
Würzburg Sonntag 4/12 53
Ich benutze heute gleich die erste Sonntagsfrühe, um Deinen lieben sehnlichst erwarteten Brief1, den ich gestern Abend erhielt, zu beantworten. Auch wenn er nicht gekommen wäre, hätte ich doch am heutigen Tage geschrieben, da ich mir diesen als letzten Termin gesetzt hatte, bis zu welchem ich mit dem Antworten warten wollte,
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immer jede Stunde der frohen Hoffnung lebend, durch eine „Entbindungsanzeige“ überrascht zu werden.2 Wie ich aber aus Deinem gestrigen Briefe sehe, macht das liebe kleine Balg (oder vielmehr Bälglein) schrecklich lange und ist auch noch nicht in nächster Zeit zu erwarten. Also habe ich bis jetzt vergeblich jeden Tag 100 + x mal gedacht: „Heute gewiß erblickt auf dem Ziegenrücker Bergschlosse mein erster Neffe das Licht der Welt!“ und bin also auch vergeblich in voriger Woche fast in jeder Zwischenstunde von der Anatomie nach Hause gelaufen, um dort möglicherweise die frohe Botschaft von der endlichen Erscheinung des Stammhalters der Haeckelei vorzufinden. Nun, das lange Warten, was freilich dem Ungeduldigen etwas schwer wird, macht nichts, wenn das so lange auf sich warten lassende Munkelchen (homunculus)3 nur 1 recht tüchtiger, fester, männlicher Kerl wird (was sein Onkel leider nicht immer ist!). Ich tröste mich immer mit dem Spruch: „Was lange währt, wird gut!“ Ein paar Mal habe ich sogar schon von meinem kleinen, allerliebsten Neffen höchst lebhaft geträumt, das einemal sah [ich] ihn in seiner ganzen Lebensgröße leibhaftig vor mir, wie er grade mit meinem Schatz (das ist mein Microscop) die Zellentheorie studirte und glaubte in seinem Antlitz die unverkennbare Anlage zu einem großen Naturforscher zu erkennen (was er hoffentlich auch wirklich wird), das andremal vermischten sich im Traume auf höchst komische Art verschiedene Begriffe, nämlich meine jetzigen chemischen Beschäftigungen im laboratorio und eine Stelle aus dem zweiten Theile des Faust, wo Wagner (wenn ich nicht irre) einen homunculus künstlich durch allerlei chemische Operationen (Kochen, Destilliren, Filtriren, Mischen etc) darzustellen sucht.4 Indem nun der phantastische Traumgott diese und mehrere anderea Reminiscenzen in meinem Gehirn zusammen brachte, schuf er durch Mischung derselben wirklich 1 lustiges und komisches Bild: – || Ich sah mich nämlich selbst im Traum in Scherers Laboratorio lebhaft und erfolgreich damit beschäftigt, durch chemische Operationen aus kohlensaurer und phosphorsaurer Kalk- und Talkerde, aus Kochsalz, Glaubersalz etc, aus Faserstoff, Eiweißstoff, Käsestoff, Leim etc einen künstlichen homunculus darzustellen, der schließlich, durch allerlei Niederschläge, Destillationen, Krystallisationen etc geläutert und rectificirt5, als mein allerliebster Neveu vor mir stand und mich mit seinen holden Kindesaugen gar lieblich anlächelte. Dies Alles träumte ich so lebhaft, daß ich den andern Morgen beim Erwachen wirklich glaubte, mein Neffe sei schon angekommen und heute werde ich die Nachricht erhalten! Ich schreibe Dir diesen Kohl, der mich höchlich amüsirt hat, nur, damit Du siehst, daß ich nicht nur im Wachen bei Tage jede Stunde, sondern auch im Traum mit meinen Gedanken bei euch Lieben bin und allezeit euch in Herz und Sinn habe. Nun wünsche ich mir, daß der erste Traum recht bald und glücklich in Erfüllung geht, und wir alle durch die Geburt eines kleinen Haeckelius erfreut werden, der ein tüchtiger Mann, ein genialer Naturforscher und ein glücklicher Reisender wird (das trefflichste Gemüth natürlich nicht zu vergessen!).6 Was nun meine eigne Wenigkeit anlangt, so ist von dieser, trotzdem sie so lange nichts von sich hat hören lassen, eigentlich nichts Neues Merkwürdiges zu berichten und wird auch dies wohl den ganzen Winter so alltäglich fortgehen. Was mir jetzt hauptsächlich fehlt (obwohl ich eigentlich im Überfluß davon gehabt habe) sind 3 Dinge: nämlich I Zeit und II Zeit und III Zeit!!! – Ja, wenn ich Zeit hätte, was b wollte ich da alles anfangen! Wenn man wenigstens keine Zeit mit Schlafen, Essen, Trinken, Umgang mit Menschen, die einen eigentlich
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nichts angehen, verwenden müßte – wie wollte ich die so ersparte Tageshälfte herrlich benutzen. Ganz abgesehen von allen gräulichen rebus medicinalibus7, in die ich mich dann auch allenfalls hineinzugraben versuchen würde, wie wollte ich da microscopiren, seciren, analysiren, Zeichnen, Malen etc – ! Das sollte eine Lust sein! – Aber so, wie es jetzt ist, ja, so, da ist wirklich schon merkwürdig, wenn man nur mit Mühe sich so viel von der theuren Zeit an den Fingern abspart, um just einen kleinen Schreibebrief zu verfertigen, geschweige denn anderes treiben zu können. – || Ich lebe jetzt wirklich im Ganzen ungefähr so wie der ewige Jude: „Keine Ruh bei Tag und Nacht, Nichts was mir Vergnügen macht“8 – ausgenommen etwa das chemische Laboratorium, wo mir das practische Chemiciren, (ebenso wie jetzt das „höhere Seciren“) c außerordentlich Freude macht, und etwa den microscopischen Cours bei Koelliker.9 Letzteren könnte ich mir freilich, abgesehen von einigen kostbaren Präparaten die ich nicht besitze, ebenso gut oder besser selbst geben, als ihn dort hören. Es ist auch eigentlich mehr ein Rücksichts- oder Anstandscolleg, wegen Kölliker – Aber das übrige Leben ist noch in diesem Winter wirklich ziemlich jammervoll: „7–8 Aufstehen und zur Besinnung kommen; 8–1 auf der Anatomie arbeiten, 1–2 auf der Harmonie essen, 2–5 (an 2 Tagen selbst bis 8) wieder Colleg, 5–6 wieder zur Besinnung kommen, 6–11 das Virchowsche Colleg10 sich vergeblich klar zu machen und auszuarbeiten suchen – –“ !! Das ist der nette Lebensplan, den ich diesen Winter führe, und der, abgesehen davon, daß er wirklich oft unerträglich wird und einem keine Minute frei läßt, doch auch sein Gutes hat; und dies ist das, daß er mich gar nicht eigentlich recht an mich selbst und meine bei Licht betrachtet wirklich verzweiflungsvolle und zwischen Wollen und Müssen eingeklemmte Lage denken läßt. Ich komme wirklich nicht einmal dazu, hypochondrischen Ideen nachzuhängen, obwohl ich jetzt die schönste Gelegenheit dazu habe, da ich sowohl durch meine jetzt zu practiciren anfangenden Bekannten, als durch das Colleg über specielle Pathologie11 weiß, daß abgesehen von einer etwas abnormen Blutmischung und einem chronischen Kniegelenkrheumatismus, an meinem corpusculum noch verschiedene andre Abnormitäten geringerer Bedeutung vorhanden sind. Jedoch glaube ich höchstens zum Spaß daran, nicht eigentlich im Ernst, obwohl z. B. durch eine Insufficienz der linken Herzklappe (valvula mitralis)12 meine eigenthümliche Idiosynkrasie13 einigermaßen zu erklären wäre. Aber, wie gesagt, vorläufig denke ich noch nicht daran, die verschiedenen pathologischen Zustände meines Körpers zu erkennen und zu behandeln, sondern begnüge mich mit der einfachen Gewißheit, daß ich gegenwärtig an einer „affectio catarrhalis membranae Schneideri“14 (auf deutsch gesagt: 1 tüchtigen Schnupfen) laborire, welcher bald vorüber ist. || Dieser allgemeine Zeitmangel erlaubt mir z. B. auch nicht, die herrlichen, mich speciell ungemein ansprechenden Ideen, welche der Urquacksalber, Charlatan und Hampelmann, Prof. Dr. Rinecker, in seinem Colleg (materia medica)15 über die edle Heilkunst im Allgemeinen und im Besondern äußert, weiter zu verfolgen und auszubrüten, obwohl sie sehr geeignet sind, meine Liebe zur ärztlichen Praxis ins Unendliche zu steigern, und als solche sehr nützlich wären. Dieser edle Menschenfreund beginnt fast jede Stunde mit einer ähnlichen Apostrophe, wie die folgende (fast wörtlich nachgeschriebene): „Meine Herren! Wir kommen heute zur constitutionellen Anwendung des Quecksilbers! Auch hier, wie überall in der Heilmittellehre, fehlt es durchaus an bestimmten Vorschriften, und an gewissen Erfahrungen über die Anwen-
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dung, den Gebrauch und Nutzen desselben. Jeder Arzt macht sich vielmehr seine Regeln erst selbst und probirt erst an seinen Kranken heraus, wie viel von dem und dem er grade geben kann, ohne grade diee Krankheit bis zum Tode zu verschlimmern. Ja, meine Herren, das ist grade f das Schöne und Anziehende an der ärztlichen Kunst, daß sie so ganz ohne feste, allgemein gültige Basis, Regel und Ordnung dasteht, daß jeder Arzt seine Kranken behandeln und ruiniren kann, wie es ihm beliebt. Gäbe es ein corpus materiae medicae (analog dem corpus juris)16 wonach jeder Dr. seine Kranken unfehlbar curiren könnte, dann möchte ich umg Himmelswillen, bei Leibe kein Arzt werden. Das wäre wirklich langweilig und die Krankheiten h verschwänden am Ende ganz, oder vielmehr die edle Zunft der Ärzte, weil dann jeder Kranke nach solchen allgemeinen Vorschriften sich selbst heilen könnte! Aber so! wie schön ist das! Kein Arzt kann den andern zur Rechenschaft ziehen, da nie 2 oder 3 über eine Behandlungsweise einig sind, sondern jeder auf seine Faust curirt. Der eine giebt das, der andre das! Man schreibt ellenlange Recepte, welche nach etwas aussehen und im besten Falle nichts schaden, und schließlich, wenn der Kranke trotz der Apotheke durch seine eigne Naturheilkraft wieder gesund wird, wer hat die Ehre und den Nutzen davon? – Allein der Arzt, der doch im Grunde meistens nicht weiß, mit was für 1 Krankheit er es zu thun hat, was er geben soll etc. Ist so die Arzneikunst nicht 1 schöne Wissenschaft?!“17 – –!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!! ??????? || Sonntag Abend. Die Ausrufungs- und Frage-Zeichen am Ende des vorigen Blattes, liebe Mutter, versetzten mich heute früh dermaßen in Nachdenken über das, was sie eigentlich bedeuten sollten und könnten, daß ich schließlich in den gewöhnlichen Jammer von wegen des Medicinstudirens verfiel, von welchem ich Dir, da es nun ein ziemlich abgedroschenes und trauriges (aber leider wahres!) Thema ist, weiter nicht berichten will, da es doch zu nichts führen würde. Um mich also etwas zu zerstreuen, nahm ich mein schatziges Microscöpchen vor und habe mich heute wieder einmal nach Herzenslust satt daran gesehen. Es ist doch ein gar zu herrliches Ding! Ich sehe es wenigstens für dies Jahr zugleich als Weihnachtsgeschenk an und bitte Dich, mir nicht etwa mit noch einem andern Ding eine Weihnachtsfreude machen zu wollen. Nun ich das Microscop habe, bin ich wirklich in mehr als 1 Hinsicht vollständig befriedigt und wünsche mir vorläufig gar nichts Anderes. Auch habe ich soviel zum Theil selbst überflüssige Sachen hier, daß es wirklich sehr üppig wäre, wenn Du mir noch etwas schicken wolltest, als z. B. Proviant (obwohl mein Magen mit diesem stets zufrieden ist). Den „warmen Überrock“, den Deine übergroße mütterliche Zärtlichkeit und Sorgsamkeit mir wieder einmal, ohne daß das geringste Bedürfniß dazu vorhanden ist, zu Gute kommen lassen will, brauche ich wirklich gar nicht. Allerdings scheint der Winter auch hier sehr kalt werden zu wollen; dafür trete ich ihm aber meinerseits auch mit nicht weniger als 6 Röcken (schreibe: sechs) entgegen. Diese sind: 1) der Paletot,18 noch ganz gut, ohne Loch oder Flicken, warm gefüttert und noch wärmer haltend 2) der neue braune Rock, sehr noble und fin19, ganz unversehrt, wie der Paletot, und meist nicht getragen werdend 3) der ebenfalls noch anständige und (nach meiner Ansicht) neumodische blaue Rock, den ich täglich trage und noch lange tragen werde 4) der noch gar nicht getragene schwarze Frack, nur selten bei feierlichen Gelegenheiten gebräuchlich (z. B. heute Abend vor 14 Tagen i bei Prof. Schenk, wo ich mit Hein und Gerhard war, N.B. wieder zu Gnaden angenommen) 5) ein noch brauchbarer Rock von Vater (im
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Laboratorium benutzt werdend) und endlich 6) die schöne schwarzbraunmelirte Secirkutte. Von diesen 6 Stück kann ich mindestens 5, nach aller andern Leute Urtheil aber 4 Stück auf die Straße anziehen, so daß also einj 7ter Rock vollständig überflüssig ist. Ich habe an 6 vollständig genug. || Selbst wenn ich im Fall wäre, noch einen Überrock k anzuschaffen, brauchte er nicht in Berlin gemacht zu werden; ich würde mir dann hier eine braune, filzhaarige Kapuzinerkutte kaufen, die sehr warm halten, und jetzt von sehr viel Studenten hier getragen werden. Also sorge dafür ja nicht! – Das Einzige, was ich etwa bei Gelegenheit von Berlin mitgeschickt haben möchte, sind: 1 Dutzend Bleistifte: „Regensburg No 9, Mittelweich“ (nicht Weich) welche vielleicht Schwägerin Bertha20 so liebenswürdig wäre bei Bormann21 zu holen. Sonst brauche ich gar nichts! – Von meiner speciellen Chronik fällt mir jetzt nichts Erwähnenswerthes mehr ein, während der letzten 14 Tage, ausgenommen, daß ich einen sehr netten Brief von dem lieben Georg Quinke bekommen habe.22 Doch ja – eben fällt mir eine große Merkwürdigkeit ein: Am Sonnabend vor 14 Tagen haben mich nämlich meine Bekannten nolens volens auf den großen Harmonieball (zu Ehren Sr. Majestät Geburtstag)23 geschleppt!24 Was ich da für eine durch und durch passive traurige Figur gespielt könnt ihr euch denken; zum großen Glück verschwand ich ganz unter der großen Menschenmasse und den andern Studenten, die fast sämmtlich da waren. Ich habe mir dabei eigentlich nur das mir noch unbekannte, wirklich sehr schöne, Local angesehen, und mich über die ganz tanzverrückten Menschen amüsirt, namentlich über die bodenlos poussirenden Studenten, welche bei den Damen (jungen, wie alten) alles andere Männervolk, als z. B. Officiere (die hier einen weit niedern Rang einnehmen) Beamte, Referendare etc ausstachen und sie ganz allein beschäftigten. Nichts sieht sich aber komischer und verrückter an, als 1 Tanz, wenn man sich dabei die Ohren zuhält, so daß man die Musik nicht hört und Leute so tactmäßig, wie von einem Geiste besessen, herumspringen sieht. Ich machte dies alte Experiment mit dem schönsten Erfolge, und ergötzte mich lange an den komischen, umher hüpfenden Figuren. – Im übrigen hat mich der Ball so wenig angesprochen, daß ich für lange Zeit genug habe und mich auch nicht auf der Harmonie abonniren werde, was ich Anfangs in diesem Semester zu thun Lust hatte, wegen der zahlreichen (ein paar Hundert) Zeitungen und Zeitschriften, die dort zu lesen sind. Ein solches cursorisches Lesen nimmt einem auch zu viel Zeit. – || [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5 6
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Br. 188. Ernst Haeckels Neffe, Carl Christian Heinrich Haeckel, wurde am 7.12.1853 geboren. Vgl. Br. 187, S. 395, bes. Anm. 5. Faust II. Zweiter Akt, Laboratorium. In: Goethe, Johann Wolfgang von: Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche. I. Abt., Bd. 7/1, Faust. Texte. Hrsg. von Albrecht Schöne. Frankfurt a. M. 1999, S. 278–284. In der Chemie: wiederholter Destillation unterzogen. Der Lebensweg Carl Christian Heinrich Haeckels läßt sich nicht exakt rekonstruieren. Von 1865–1869 hatte er ein Schulstipendium der Sackschen Familienstiftung erhalten, erkrankte allerdings früh schon an psychischen Störungen und starb 1918 in der 1908 gegründeten Landesirrenanstalt Teupitz. Lat.: medizinische Sachen.
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„Keine Ruh bei Tag und Nacht, nichts was mir Vergnügen macht“, Arie des Leporello in der Oper „Don Giovanni“ von Wolfgang Amadeus Mozart, Libretto von Lorenzo da Ponte, zurückgehend auf die Offenbarung des Johannes 14, 11: „Und die das wilde Tier anbeten, haben tags und nachts keine Ruhe“. Die mittelalterliche Legende vom ewigen Juden wird u. a. auf diese Bibelstelle zurückgeführt. Vgl. auch Anderson, George K.: The Legend of the Wandering Jew. Hanover, New Hampshire 1991. Vgl. Br. 149, Anm. 10. Vgl. Br. 186, Anm. 3. Virchow: Allgemeine Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf pathologische Anatomie; vgl. Br. 186, S. 384 und Anm. 3 sowie Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853/1854 gelesen werden. Würzburg 1853, S. 5 f. Lat. valva mitralis: Mitralklappe. Überempfindlichkeit. Lat.: katarrhalische Entzündung der Schneiderschen Membrane (respiratorisches Epithel der Kieferhöhle). Vgl. Br. 183, Anm. 35. Es gibt verschiedene Gesetzessammlungen, die als corpus juris bezeichnet werden, das corpus juris Fridericianum etwa regelt die preußische Zivilprozessordnung; ein corpus juris medicae wäre demnach eine medizinische Gesetzessammlung, nach der dann die Krankheiten zu behandeln wären. Allerdings greift die Analogie von Rinecker zu kurz, denn so wie es ja zur Auslegung der Gesetze Juristen gibt, wären auch noch Ärzte oder Mediziner nötig, um diese medizinischen Gesetze auszudeuten. Nicht in der Vorlesungsnachschrift Haeckels nachweisbar; vgl. Br. 183, Anm. 35. Doppelreihiger Herrenmantel. Frz.: erstklassig, erlesen. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Vgl. Br. 181, Anm. 37. Georg Hermann Quincke an Ernst Haeckel, Königsberg, 16.11.1853 (EHA Jena, A 22841). Maximilian II. Joseph, König von Bayern war am 28.11.1811 geboren worden. Der Harmonieball fand am 19.11.1853 statt; vgl. Würzburger Abendblatt. 13. Jg., Nr. 27, 14.11.1853, Sp. 2018: „Harmonie. Unter Bezugnahme auf das Ausschreiben vom 12. October ds. Js. wird hiemit bekannt gemacht, daß zur Feier des allerhöchsten Namens- und Geburtstages JJ. k.k. Majestäten Samstag, den 19. ds. Mts. ein Fest-Ball stattfindet. Anfang 6 Uhr. Die außerordentlichen Mitglieder haben sich durch ihre Eintrittskarten zu legitimiren. Würzburg, den 14. November 1853.“
190. Von Charlotte Haeckel, [ziegenrück, 7. dezember 1853], mit nachschrift von Karl Haeckel
Lieber Onkel! So begrüßt Dich Deine alte Mutter, seit einer Stunde ist die neue Würde Dein; danke mit uns Gott für den starken und anscheinend gesunden Jungen1; auch Hermine ist bis jetzt wohl; Gott helfe weiter. Beifolgender Brief2, mein lieber Ernst, ist gestern angekommen; ich sehne mich sehr || nach Nachricht von Dir. – Für heute kann ich nicht weiter schreiben. Gott sei mit Dir. Denke an Deine Mutter.
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[Nachschrift von Karl Haeckel] Hurah! ein Junge! Also sehe ich Dich doch bald in diesen Mauern wieder. Wir können Gott nicht genug danken, daß die Sache bis dato so gut abgelaufen ist. Um 1 Uhr Nachts fing die Sache an, nachdem wir nun so lange schon gewartet. Es ist doch ein ganz eigen Gefühl, nun Papa zu sein. Mehr kann ich Dir nicht schreiben, der Brief muß mit || vielem anderm fort. Mimi u. ich sind mit der neuen Großmamma sehr glücklich. Der kleine Bunke3 hat schon Kamillenthee getrunken, am Daumen gelutscht und gehörig geschrien. Hoffentlich kann Mimi selbst nähren. Dein Karl. 1 2 3
Haeckel, Carl Christian Heinrich. Nicht ermittelt. Dial. preußisch: kleiner Junge (Riemann, Erhard (Hrsg.): Preußisches Wörterbuch. 1. Bd., Neumünster 2005, S. 1037).
191. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 10. dezember [1853]
Herzliebe Mutter!
Würzburg Sonnabend 10/12 Abends
Die herzlichen Glückwünsche, welche ich gleich nach Empfang von der freudigen längstersehnten Nachricht von der Geburt meines Neffen1 (die ich in Folge der hiesigen Postbummelei erst heute Abend erhielt) an mein liebes Ehepaärchen niederschrieb2, kann ich unmöglich abgehen lassen, ohne auch Dich in Deiner neuen schönen Würde als „Großmutter“ zu begrüßen. Die ganze Titulatur in der Häckelei ändert sich nun mit einem Mal. Ich selbst komme mir a als Onkel nun plötzlich so alt und verständig vor, daß ich wirklich den guten Vorsatz zu fassen im Stande wäre, mich von diesem Tage an wirklich als Mann zu betragen. Aber welcher Tag ist es denn eigentlich, der mich zu dieser Würde erhoben hat? Ihr habt b in eurem ersten Entzücken mir nicht einmal die allernothwendigsten Data von dem wichtigen Ereigniß mitgetheilt. So steht z. B. weder auf Karls, noch auf Deinem Brief3 irgend ein Datum, da noch dazu die Postzeichen auf dem Couvert ganz unleserlich sind, so weiß ich jetzt nicht, ob das liebe kleine Wesen am 5, 6, 7, 8, oder 9 in diese Welt eingetreten ist. Schreibe mir doch bald etwas Näheres, hoffentlich geht es Mutter und Kind fortdauernd gut! Das helfe Gott! Nun strapsire4 Du Dich nur nicht gar zu sehr ab, liebste Mamma, sondern bedenke, daß wir Dich auch gerne mit den 3, nunmehr 4 andern Haeckels ganz gesund wissen wollen! || Meinen letzten Brief,5 liebe Mutter, welchen ich am Montag früh hier abschickte, wirst du wohl grade am Mittwoch erhalten haben, nachdem Du die Entbindungsanzeige6 abgesendet hattest. In meinem status quo hat sich seitdem, wie zu erwarten, noch nichts geändert, wozu auch keine Aussicht vorhanden ist. Allerdings läßt einem dieses Collegienlaufen den ganzen Tag über auch nicht die geringste freie Zeit zur
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eignen Verfügung; auf der andern Seite ist es aber auch sehr wohlthuend, indem es die beständige c gährende Hypochondrie und Melancholie gar nicht zum Ausbruch kommen läßt und ganz zurückdrängt. 1 Tag verstreicht wie der andere, aber so rasch wie weggeblasen. Noch nie ist mir die Zeit so riesig rasch vergangen; was mir sehr angenehm ist, da ich doch sehr gern einmal wieder bei euch sein möchte. d So bemerkte ich z. B. heute, daß ich bereits 1½ Monate aus Ziegenrück weg bin, und doch kömmt es mir kaum wie 1½ Wochen vor. Der Sonntag ist immer da, ehe ich noch daran denke und so alles. – In Berlin bestelle die herzlichsten Grüße, namentlich an meinen lieben Papa, dem seine neue Großvaterwürde auch sehr wohlthuend vorkommen muß, Tante Bertha etc. Vater bitte ich auch Wilde7 herzlich von mir zu grüßen, sowie andere von meinen Bekannten, welche er vielleicht sieht. Sobald ich Zeit und Stoff habe, werde ich auch an ihn wieder einmal schreiben.8 Nochmals 1000 herzliche Grüße und Küsse an das ganze liebe Ziegenrücker Kleeblatt, nun 4blättriges9! – Von Deinem alten treuen Ernst.e Meine ungeheure Freude hat sich sogar meinem lieben Laubfröschchen mitgetheilt, der während ich dies schreibe, zum ersten Mal seit langer Zeit wieder zu quaken und zu singen angefangen hat.f 1 2 3 4 5 6
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Haeckel, Carl Christian Heinrich. Nicht überliefert. Br. 190. In Berliner Mundart ironisierend für: strapaziere. Br. 189. Anzeige: „Heute früh 8 Uhr wurde meine liebe Frau Hermine, geb. Sethe, von einem gesunden Knaben glücklich entbunden, was ich Verwandten und Freunden, statt jeder besonderen Meldung, hiermit anzeige. Ziegenrück, den 7 Dezember 1853, Haeckel, Kreisrichter“, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Beilage zu Nr. 289, 10.12.1853; sowie in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Zweite Beilage zu Nr. 289, 10.12.1853, S. 4. Wilde, Wilhelm Arthur. Br. 195. Vgl. Br. 186, Anm. 43.
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Mein lieber Ernst!
Berlin 14 December 53.
Gestern schikte mir Mutter Deinen Brief vom 4ten,1 woraus ich ersehe, daß Du Deinen Studien fortlebst. Laß Dich durch Rienekers Geschwätz2 nicht irre machen, und studire nur ruhig fort. Wenn ich täglich sehe, wie so vielen Menschen durch das rechte Dazwischentreten der Aerzte geholfen wird, so steigert der Rienecker eine an sich nicht ganz unrichtige Ansicht doch bis zum Extrem. Die Dinge so auf den Kopf zu stellen, das ist nicht selten auch Deine Sache und Du magst Dich wohl in Acht
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nehmen, daß Du auf diese Weise nicht irre geführt wirst. So ist Dir’s z. B. mit dem Ball auf der Harmonie ergangen. Der Tanz im Ganzen ist etwas naturgemäßes für die Jugend, er soll der Ausdruck innerer Seelen Bewegungen sein und ist es auch, wenn er gut getanzt wird. Alle Völker haben ihre Tänze. Ich erinnere mich noch dieses Masurek3 den 4 polnische Paare vor 50 Jahren in Flinsberg4 tanzten. Er drükte so ganz den polnischen Nationalkarakter aus, daß ich ganz davon entzükt war. So soll auch der ernstere und ruhigere Deutsche seinen Tanz haben und er findet sich in dem Walzer und einigen andern Tänzen. Die zierliche Menuet ist ihm auch nicht fremd, sie ist aber wegen ihrer Zierlichkeit, die dem Deutschen nicht angeboren ist, doch auch etwas Französisches. Die Musik darf beim Tanz nicht fehlen, sie giebt ihm erst den a Rithmus und was beim Menschen die Gestalt und Bewegung im Tanze ausdrüken soll, soll die Musik in Tönen ausdrüken. Sie sind die unentbehrlichen Begleiter des Tanzes. Daß nun die Sache häufig zur Karikatur gemacht wird, ändert nichts im Wesen ihrer Bedeutung. Den Mädchen aber in ihrer höchsten Blüthe ist der Tanz ein Bedürfniß, sie tanzen um des Tanzes wegen, bei den Männern aber, die schon im Beginn einer ernsten Lebenslaufbahn sind, ist dies weniger der Fall. Die Mädchen sind schon ihrer Natur nach leichter, gewandter, zierlicher. Die aufblühende Knospe will sich frei bewegen, in schöner, zierlicher Darstellung, wozu ihr der Tanz die beste Gelegenheit bietet. So soll es sein und so hat der Tanz seine Bedeutung. Daß diese häufig verkannt, daß das Tanzen ein tolles Herumspringen wird, ist eben das karikaturartige von der Sache. Daß der Jüngling einer schönen, zierlichen Erscheinung huldigt, das Belebende derselben anerkennt, ist ebenfalls naturgemäß. Denn das Schöne ist nun einmal ein wesentlicher Bestandtheil dieses Erdenlebens, es soll sich in schönen Formen zeigen und dadurch das ganze Leben verschönern. Schon bei den Thieren findet sich dieses, die schönste Kuh in den Alpen wird, wenn sie das erste Mahl zu Berge geht, geschmükt und die Kuh hat ein bestimmtes Gefühl von ihrer Zierde, eben so die Pferde, wenn sie bei feierlichen Gelegenheiten geschmükt werden. Diesen Sinn für’s Schöne mußt Du ja in Dir ausbilden, da Du Anlage zum Cynismus hast, wodurch man den Menschen unangenehm wird. Mit den Menschen aber soll und muß man leben, jeder Umgang mit Menschen bildet mittelbar oder unmittelbar aus, trifft man auf Rohheit und Schlechtigkeit, so wird eben dadurch das Zarte und Gute zum Bewußtsein gebracht durch den Gegensatz. Eben so wirkt man ohne es zu wißen durch das Zusammensein mit ihnen auf sie ein. Der Umgang mit Menschen schleift ab, die || Eken, das Anstößige, was man hat, wird abgeschliffen, denn auch die äußerenb Sitten sollen anmuthig und schön sein, sie sind der äußere Ausdruk der Humanität, d. i. der Anerkennung des Menschlichen im Andern, dem man sich nicht unangenehm [machen] soll und will. Daß auch die feine Sitte häufig zur Karrikatur wird, ändert nichts in der Sache, alles Gute in der Welt kann gemißbraucht und zur Karrikatur gemacht werden. Also gehe von Zeit zu Zeit in Gesellschaft, Du mußt Dich sogar dazu zwingen, wenn Du häufig keine Lust hast. – Heute erhielten wir keine guten Nachrichten von unsrer Mimi, sie scheint eine Unterleibsentzündung oder etwas Aehnliches, als Folge der Niederkunft gehabt zu haben, gebe Gott, daß die Beßerung in der sie sich befindet, anhält. Auf den kleinen Karl bin ich sehr begierig, er soll tüchtig schrein und ungeduldig sein. Was nun Gott in sein menschliches Dasein gelegt hat, müßen wir ruhig erwarten. Ich hätte wohl nicht geahndet, in Dir einen Naturforscher aufleben zu sehen und erinnere mich sehr
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wohl, wie Du als 2 oder 3jähriger Knabe schon die Thiergestalten, wenn wir Dir Spielsachen gaben, in besondre Affektion nahmst, sie von allen Seiten beschautest und herumdrehtest. Der Mensch ist und bleibt ein Räthsel, denn woher sind ihm nun grade diese und keine andre Gaben geworden? Am Sonntag Mittag war ich mit Nichte Bertha5 c Mittags bei Weiss6, wo mehrere Naturforscher waren, Schlagintweit7, Ewald8, Beyrich9. Da wurde viel von der Schweitz und Italien erzählt. Beyrich hat Schlesien und die Grafschaft Glatz geognostisch genau untersucht, der Sandstein fängt schon bei Grüssau an, zieht sich von da nach Adersbach und von da durch die ganze Grafschaft Glatz. Der OberbergRath Böcking10 war vorigen Winter in Italien gewesen und konnte mir die Verderbtheit der Pfaffen nicht genug schildern, sie werden auf das furchtbarste gehaßt. – Die Geographische11 giebt jetzt eine d Zeitschrift für allgemeine Erdkunde12 heraus, die Du bei mir finden wirst, und worin viel Intereßantes enthalten ist. Sonst lebe ich in meiner alten Art fort, an den Vormittagen lese und schreibe ich und gehe vor Tisch etwas spatzieren. Die Vormittage sind jetzt, da es so spät Tag wird, sehr kurz. Gegen 5 Uhr gehe ich nochmals eine Stunde spatzieren, mache dann öfters einen Besuch und gehe dann Abends zu Großvater. Wir waren bis jetzt über die glükliche Entbindung von Mimi sehr glüklich, gebe Gott, daß die Attaque (sie hat sehr große Leibschmerzen gehabt und es haben warmee Umschläge und Blutigel angewendet werden müßen) ganz vorüber ist. Tante Bertha befindet sich in fortdauernder Beßerung. Nichte Bertha ist ganz munter und für mich eine ganz angenehme Umgebung. Vor Mitte Januar werde ich wohl nicht nach Ziegenrück gehen. Fahre fort in Deinem Fleiß und laß immer etwas Intereßantes von Deinen Kollegien hören, ich lese es mit großem Intereße. A Dieu mein lieber Ernst. Dein Dich liebender Vater Hkl 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
Br. 189. Vgl. Br. 189, S. 398 f. Mazurek, Mazurka, aus Masowien stammender polnischer Volkstanz. Bad Flinsberg (Świeradów-Zdrój). Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Weiß, Christian Samuel. Schlagintweit, Adolf. Ewald, Julius. Beyrich, Heinrich Ernst. Böcking, Heinrich. Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Zeitschrift für allgemeine Erdkunde. Hrsg. von Dr. T. E. Gumprecht. Bd. 1–6, Berlin 1853– 1856, N. F. Hrsg. von Dr. K. Neumann. Bd. 1–9, Berlin 1856–1860, N. F. Hrsg. von Prof. Dr. W. Koner. Bd. 10–19, Berlin 1861–1865.
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193. Von Bertha Sethe, [Berlin], ca. 10. – 16. dezember 1853
Mein lieber Ernst. Im Gedanken und im Herzen habe ich geschrieben, und schreibe so viele Briefe; aber wie ich so lange gebunden gewesen bin durch körperliches Leiden und Schwäche, so wollte es auch zu gar keinem Schreiben kommen. Wenn ich mich auch noch immer nicht so erholt habe, wie ich es wohl möchte, so kann ich doch nun wenigstens wieder etwas schreiben; und so sitze ich denn in einer stillen Stunde in meiner Krankenstube und lasse die Feder zu Dir spazieren. Mir ist es recht eigen, daß ich Dir so lange nicht geschrieben, und doch habe ich mich grade mit Dir so vielfach in mir beschäftigt. Dir macht die Gestaltung Deines Lebens usw. so vielfach zu schaffen, und Du kannst darüber mit Dir nicht in’s Reine kommen, das ist mir leid, denn ich finde es fast das Hemmendste für unsre ganze Entwickelung, wenn wir über uns, und das, was wir sollen und können im Un-||klaren sind. Wenn ich irgend nur etwas dazu beitragen könnte, Dich über Dich und Dein Sein und Wesen in’s Reine zu bringen, so sollte mir ja keine Arbeit zu schwer sein; ich habe Dich nicht allein von Herzen lieb, sondern trage ich Dich in der Liebe im Herz, die da nimmer müde wird, und die Alles trägt, glaubt, hofft und duldet, in der Liebe, die uns Christo in sich offenbart hat. Er dessen ganzes a Sein der Ausdruck seines Gehorsams gegen Seinen himmlischen Vater war; dem nachzustreben, auch an uns die Forderung gestellt ist, und der wir auch genügen können, so wir nur uns selbst überwinden, uns verleugnen in Allem, was in uns wider Gott und das Leben in Ihm und aus Ihm ist. Und siehe das ist es, wohin ich Dich haben möchte; Du verarbeitest Dich zu sehr in Deine Eigenheiten, Fehler usw., und deren sind nicht wenige; statt daß Du wohl sie klar erkennen, und ihnen mit der ganzen Kraft Deines inwendigen Menschen entgegenarbeiten sollst, aber dabei und hauptsächlich, mit Dank, mit kindlichem, einfältigem Danke, das reiche köstliche Pfund, das der Herr Dir gegeben hat, anerkennen sollst, und es hegen und pflegen, mit Allem, was Du bist und lebst in Dir mehr und mehr entwickeln und wuchern lassen sollst. Wenn Du Dich mit der vollen Kraft Deines innersten Wesens darauf wirfst, so kannst Du gar nicht dazu kommen, auch nur über Deine Fehler usw. nachzudenken, geschweige gar sie irgend wie aufkommen zu lassen. – Ich meine das einfach so: treibe doch Deine Studien ruhig fort, und wie leicht wird Dir das, denn welch einen Reichthum hast Du in Dir von Gott dazu bekommen, Nicht allein, daß sich Dir bestimmt und klar ein innerer Beruf zu einer Wissenschaft gebildet hat, sondern neben all der köstlichen Gabe dazu, ist Dir ein so recht müheloses, köstliches Streben danach gegeben, daß Du ja nur zuzufassen brauchst, und es fällt || Dir zu, was Deinem ganzen Wesen eigenthümlich ist. Also studiere doch ruhig weiter, lege in Alles, was Dir geboten wird Dich mit Deiner ganzen Individualität hinein, und wenn Du dann die Fülle des Neuen und Herrlichen in Dich aufgenommen hast, verarbeite es, und bringe es mit den schönen Kräften und Gaben in Dir immer mehr zur Klarheit und Leben. Wenn Du so in Dich aufgenommen und verarbeitet hast, dann wird Dir Gott, dem Du kindlich Dich und die Entwickelung Deines Lebens und Wirkens anvertraut hast, dann wird Dir Gott schon den rechten Weg zeigen, und Dich in die Bahn leiten, die Er Dir geordnet und geebnet hat. Erkenne es doch dankbar und froh an, daß Du von Gott in b solche Verhältnisse gestellt bist, die Dir nur förderlich für
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Deine Eigenthümlichkeit geworden sind. Du hast Eltern, die Dich mit einer Liebe tragen, wie sie selten Kindern c wird; sie hemmen Dich in keiner Weise in Deinem innersten Sinn und Wesen, sie haben die äußern Mittel und wollen sie Dir geben, um Dich in Deiner ganzen Eigenthüm-||lichkeit zu entwickeln, und Alles was Dir an Talent, Anlage, Trieb und Hang gegeben ist, in Dir zu fördern und zu pflegen. Nun so thue das, benutze das, wie und wo Du kannst, und wenn Du dann in Dich aufgenommen, und es in Dir zu Sein und Leben geworden ist, dann muß es auch aus Dir heraustreten, und eine Gestalt annehmen, und sich zur äußeren Darstellung bringen; sei es nun als Doktor (praktischer Arzt?!) oder als Naturforscher, in welcher Form Du nun willst, oder als Lehrer, oder als Apotheker, oder als Kräuterfrau, oder als usw. usw. was es denn alle ist, was Deine Phantasie, oder vielmehr die Phantasie Deines verkehrten Ichs Dir ausmalt. den 14ten Wieder eine Zeit ist vergangen, ehe ich zur Vollendung dieses Briefes kam, und jetzt kann ich Dir zu Deiner neuen Würde als Onkel1 Glück wünschen. Ja ich bin recht mit meinen Gedanken bei Dir gewesen, wie Du Dich gefreut hast habe ich tief mit Dir empfunden, denn ich weiß es ja, wie lieb Du die Geschwister hast. Heute hat sich trüber Schatten, über unser Aller Freude gelegt, aber ich hoffe bestimmt, daß wir morgen gute Nachrichten bekommen werden, wenigstens war es ja nach dem Briefe Deiner Mutter schon so viel besser, daß wir allen Grund haben dies für morgen zu hoffen, ich will darum diesen Brief auch erst morgen abschicken um Dir gleich die morgenden Nachrichten mitzuschicken, denn sonst möchtest Du doch zu lange in Regen unnd Draufe sein. den 16ten Gestern sind ja recht gute Berichte über unsere liebe Mimi eingelaufen. Sonntag war sie erkrankt, die Nacht hatte sie aber recht gut geschlafen, und am Montag || Mittag hatte der Arzt sie recht gut und am Dienstag früh ganz fieberfrei gefunden, so daß wir gewiß allen Grund haben das Beste zu hoffen. Heute soll nun aber auch bestimmt der Brief fort, und Dir zu gleicher Zeit einen herzinnigen Gruß zum Feste bringen, das Du nun dies Mal wieder allein zubringen wirst; mein lieber Ernst, ich weiß keinen besseren Gruß zum Fest und Neujahre als: Friede sei mit Dir! Ja Frieden suche in Dir zu bekommen, und das kann ja nur sein, wenn Du mit Dir ins Klare kommst, das ist es allein, was ich Dir so von ganzer Seele wünsche, dann kannst auch Du mit der Engel Chöre einstimmen, und: Ehre für Gott in der Höh, Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen,2 ja Ernst, so schwer uns auch oft das Leben und seine Entwicklung uns darniederbeugt, stehen wir nur in Gott, und zu Gott, so können wir trotz allem Schweren ja Bitterem doch mit heller klarer Stimme Hosianna! rufen. Deinem Vater geht es gut, ich glaube, er bekommt schon tüchtig Ungeduld nach Ziegenrück hin; Gott gebe, daß es da nun alles gut bleibt, dann wird ja auch die Zeit nicht mehr gar zu fern sein. Ich bin mit meinen Gedanken und meinem Herzen so viel bei den Liebsten, daß ich schon ganz heimisch dort bin, auch mit dem lieben kleinen Jungen. – Von Vater erhältst Du 3 rℓ in der Kiste als Weihnachten, kaufe Dir dafür, was Du willst. Ich hätte Dir so gern etwas gearbeitet, ich kann aber noch nicht,
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meine Kräfte wollen noch immer nicht wieder kommen. – Von Herzen Gruß und alles Liebe und Gute von Deiner alten Tante Bertha Vater3 und Theodor4 grüßen bestens.d 1 2 3 4
Vgl. Br. 189, Anm. 2 und Br. 190, S. 401. Lutherisches Kirchenlied nach Lukas 2, 14. Sethe, Christoph. Bleek, Theodor.
194. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 16. dezember 1853, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Liebster Bruder.
Ziegenrück 16/12 53 Abends
Herzlichen Dank für Deinen Gratulationsbrief1. Aber ein ander Mal versichere erst das Leben der unter Dir wohnenden Hausgenossen, ehe Du auf sie vor Freuden die Decke auf sie heruntertrampelst, oder trample erst hier nachträglich, da fällt der Kalk Niemand auf den Kopf. Dies zur Lehre für die Zukunft. Ja, geliebtes Onkelwesen, auch wir sind sehr froh, namentlich, seit zwei heftige Entzündungs − respektive Fieberattacken am 11t und 13t –, glücklich vorüber sind. Sie machten uns mehr Angst, als die ganz normale Entbindung. Mimmi hatte am 11ten plötzlich eine ganz gehörige Unterleibs- (respektive Gebärmutter-) Entzündung bekommen, die jedoch durch rasche Blutentziehung (21 Blutsauger) am Montag schon gehoben schien, aber am Dienstag in Gestalt eines schwächeren Anfalls wiederkehrte. Jetzt ist Doctor2 wieder zufrieden mit ihrem Befinden und sie hat heut die erste Hühnerbrühe genossen. Uebrigens fühlt sie sich jetzt recht munter. Das Jüngelchen3 habe [!] auch schon ärztliche Hülfe gebraucht. Es hatte ein Geschwür an einem Fingerchen, dasselbe ist heut aufgeschnitten worden. Die Unart kommt || bei ihm früh heraus. Uebrigens gedeiht es sonst prächtig und macht uns schon viel Spaß. Nun ein Vorschlag, Du hörst jetzt grad ein Kolleg über Wochendiätetik4 und Kinderbehandlung. Willst du nicht zwischendurch eine praktische Anwendung in Ziegenrück machen. Wahrlich, es wäre sehr nett, wenn Du auf einige Tage zu Weihnachten herkämest. Ich würde mich ungemein darüber freuen. Was meinst Du dazu? Thue es doch wenn es irgend geht. Schnee ist jetzt genug da und bleibt hoffentlich liegen, Du rutschest dann leicht von Schleiz hirher – Antwort bedarf es nicht. Alles ist zum Empfange bereit. Du würdest uns allen, vor allem aber der neuen Großmutter sehr große Freude damit machen, und sähest dabei zuerst von allen Verwandten den kleinen Puffel. Faße rasch einen Entschluß – die kurze Pause wär’ Dir gewiß heilsam und zur Taufe (circa Mitte Januar) kannst Du doch am Ende noch weniger abkommen. Also komme! Deine Kollegien werden doch um Weihnachten ausgesetzt. Es bittet Dich inständig darum Dein Karl.
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[Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mit herzlicher Liebe umarmt Dich Deine Mutter.a Vaters Briefe hebe mir alle auf.b 1 2 3 4
Gratulationsbrief nicht überliefert; vgl. dazu Br. 191, S. 402. Krüger, Gustav Adolph. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Ernährungslehre für Wöchnerinnen und Schwangere.
195. An Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 21. Dezember 1853
Lieber Vater!
Würzburg 21/12 53
Ich begrüße Dich in diesem Briefe zum erstenmale als Großvater, über welche nun erlangte Würde Du vermuthlich eben so viele Freude haben wirst, wie ich über meine neue Onkelwürde. Man kommt sich wirklich ganz verändert, und mit einem Stück eine große Stufe höher gerückt vor. Ich wenigstens fühle mich dadurch um Vieles älter, erwachsener, respectgebietender geworden, sei es auch nur in komischer Art. Du kannst gewiß auch, wie ich, die Zeit nicht erwarten, wo du den jungen Sprößling und Stammhalter der Haeckelei1 zu sehen bekommst. Fast wäre ich aus lauter Neugier und Sehnsucht jetzt ganz de improviso2 nach Ziegenrück herüber gerutscht; ich war schon auf dem Sprung, diesen Geniestreich zu machen. Bei näherer Überlegung schienen aber doch zu viele gewichtige Gründe dawider, und nur wenige dafür zu sprechen, besonders da ich jetzt in einer so schrecklichen Zeitklemme bin, und mir jede freie Stunde äußerst willkommen und werthvoll ist. Nun ich muß mich vertrösten auf den Sommer. Dann sieht mich mein Neffe auch schon als Erwachsener (indem ich dann das 20ste Jahr zurückgelegt haben werde) und ich werde ihm dann doppelt ehrfurchtsvoll erscheinen. Aber sehr begierig bin ich auf ihn. Gott sei Dank, daß es bis jetzt alles so gut gegangen, und auch Mimmis Fieberanfälle, die leicht sehr gefährlich werden können, vorüber sind. Hoffentlich geht es nun alles recht gut und glücklich fort; das Büble gedeiht prächtig und wird 1 tüchtiger, charactervoller Kerl, am liebsten 1 Naturforscher, der weite Reisen machen kann, wie mein Ideal. Dir wird inzwischen wohl auch die Zeit ein wenig lang, daß Mamma so lange fort ist, und Du wirst Dich recht freuen, wenn Du sie Dir erst wieder holen kannst. Wie gut ist es aber doch gewesen, daß sie dort war und so treulich hat pflegen können, wie das ja immer ihr treffliches Amt ist, das sie mit beispielloser Aufopferung und Selbstverläugnung versieht. Anfangs dachte ich, Du würdest schon zu Weihnachten kommen und dann die Taufe sein; dann wäre ich jedenfalls auch gekommen, hätte es kosten mögen, was es wollte. Nun das aber nicht der Fall ist, habe ich doch meine Reiselust wieder niedergeschlagen. Außer vielen andern Arbeiten, die ich für die Weihnachtsferien aufgespart hatte, werde ich auch das Anerbieten Köllikers benutzen, auf seinem Zimmer zu microscopiren, wobei man sehr viel Material bekömmt. || So sind jetzt mehrere Engländer3 (junge Dr. med.) hier, welche den ganzen Tag nichts thun als in Köllikers Zimmer auf
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der Anatomie a sitzen und microscopische Anatomie studiren. Sie haben dabei den Vortheil, daß ihnen alles mögliche Material, was sie irgend brauchen und wünschen, sofort direct zu Gebote steht, und daß sie in Allem, wo sie irgend zweifelhaft sind, Kölliker, als den größten Histologen, gleich um Rath und Auskunft fragen können. Wie Du denken kannst, beneide ich diese Leute schrecklich und wagte dies auch gegen Koelliker zu äußern, als ich vorigen Sonntag Vormittag auf seinem Zimmer mit ihm microscopirte und ihm 1 microscopisches Praeparat (Querschnitt durch den Nervus opticus4) abzeichnete. Hierauf entgegnete er, daß b mir diese Gelegenheit ja eben so gut geboten sei. Wenn ich nur Zeit hätte, sollte ich immer kommen. Freilich könne man diesen Zweig der Naturgeschichte (die Gewebelehre des Menschen und der Thiere) nur ex fundamento5 (wie eigentlich auch alle andern) inne bekommen, wenn man sich längere Zeit (etwa 1 Semester) ganz ausschließlich und ununterbrochen damit beschäftige (wie es diese Engländer in der That auch thun). – Ich habe nun dadurch den kühnen Gedanken bekommen, dieses freundliche Anerbieten anzunehmen und nicht nur nächste Weihnachts- und Oster-Ferien, sondern auch den ganzen Nächsten Sommer Nichts als microscopische Anatomie zu treiben, höchstens dabei noch Chemie und die pathologische Anatomie bei Virchow (welche ebenfalls zum größten Theil microscopisch tractirt wird); wie gefällt Dir dieser Vorschlag? Ich würde es dann wenigstens in einem einzigen Fache zu was Ordentlichen bringen, und jedenfalls abgesehen von dem ungeheuren Vergnügen, den größten Nutzen davon haben. Ich glaube, daß grade das einer meiner Hauptfehler im Studienplan ist, daß ich mich mit zu vielerlei zugleich abgebe und alle möglichen Branchen gleich zusammen ganz erfassen möchte. Diesem Vorwurfe würde ich dann in jenem Falle wenigstens 1mal entgehen. Ich glaube, das Semester würde nicht nur nicht verloren, sondern besser angewandt sein, als alle bisherigen. Ich erwarte sehr viel davon! – || Du wünschst auch etwas von meinen übrigen Collegien zu hören! Da ist freilich nicht viel zu sagen; das geht so richtig seinen Gang fort, einen Tag, wie den andern. Die Zeit verstreicht mir dabei colossal rasch, ich weiß gar nicht wie. Kaum kann ichs glauben, daß Weihnachten schon vor der Thür ist; es ist mir jetzt, als wäre ich erst 8 Tage aus dem lieben, lieben Ziegenrück, wo ich so eine selige, sorgenfreie Zeit genossen, fort. Wenn das so fort geht, so wird mir die lange Zeit, bis zu welcher ich Euch liebe Alten, meine Geschwister, die liebe Tante Bertha und den prächtigen Großpapa wiedersehn soll, im Umsehn vorbei sein, was mir nichts weniger, als unangenehm ist, da ich mich eigentlich periodenweis mal wieder recht herzlich nach Hause sehne. Nun die schöne Zeit wird rasch genug da sein. Daß mir die Zeit hier nicht lang wird, dafür ist gesorgt. Ich gehe jetzt täglich um 8 Uhr früh von zu Haus fort und komme erst um 5 Uhr (und wenn ich Cours bei Kölliker habe, gar erst um 8 Uhr Abends) nach Hause, was mir, wenngleich ich mehr freie Stunden am Tage wünschte, doch auch ganz recht ist, da es mir zu Haus meist so schrecklich einsam vorkommt, ausgenommen, wenn ich bei meinem Schatz (das ist mein göttliches Microscop) sitze, oder Briefe an euch schreibe. Die Abende verbringe ich mit Ausarbeiten des geistreichen Virchowschen Collegs6, welches mir aber lange nicht mehr so schwer wird, wie anfangs. Wenn ich behaupten wollte, daß ich für den Stoff, alle die verschiedenen pathologischen Neubildungen, Geschwülste, Entartungen etc, irgend ein Interesse hätte, so müßte ich dick lügen. Aber mit dem sensiblen Ekel davor macht es sich jetzt. Was soll man sich auch vor einem Geschwür, einer Eiterung, etc noch ekeln
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oder sie verabscheuen, wenn man erfährt, daß diese schreckliche krankhafte Bildung doch nur einfach auf der Bildung und Vermehrung von Zellen c in einem flüssigen Blastem7 beruht, was eigentlich 1 höchst interessante Sache ist, wie das ganze Zellenleben. Ja, über die Zellentheorie geht mir nichts. Ich weiß nicht, was für eine sonderbare Anziehungskraft diese sonderbare Thatsache, daß die Zelle Ursprung und Constituens8 aller organischen Körper ist, für mich speciell hat; aber es ist factisch, ich betrachte dies || wirklich als das größte Schöpfungswunder, über das ich mich gar nicht satt wundern und freuen kann. Eigentlich ist auch diese Zellengenese das, was alle Menschen am nächsten angeht, denn wir alle, wie alle Pflanzen und Thiere, bestehen und entstehen ja nur aus Zellen. Das Ei ist ja nur 1 einfache Zelle. Wie unbegreiflich stumpf und gleichgültig verhalten sich die meisten Menschen gegen diese wunderbare Thatsache, dies Wunder aller Wunder. Für mich ist [es] das anziehendste, was es giebt, und dem Studium und der Erforschung der Zelle möchte ich alle meine Kräfte widmen. Diese Neigung erscheint vielleicht allzu kühn, aber wenn ich mir nur in irgend einem Punkte selbst vertrauen darf, so sagt mir 1 geheimer dunkler Instinkt „dies Feld ist das Einzige, wo du es zu etwas bringen kannst!“ Dieser Instinkt ist es, welcher mich von jeher so ungemein und extravagant zu den microscopischen Studien hinzog, welcher mir die Beschäftigung mit dem Microscop als das größte Glück und Vergnügen sein läßt. Und sonderbar, diese microscopische Anatomie, Gewebelehre, oder wie Du es sonst nennen willst, ist gerade das, was die meisten Mediciner als eine lästige, schwere, und unfruchtbare, wenngleich nöthige, Disciplin verabscheuen und froh sind, d wenn sie das Colleg darüber los sind und in dem Cours ungefähr gesehen haben, wie die Dingerchen aussehen. Und was das Sonderbarste ist, sie halten es für eine schwere Disciplin; das will mir aber nun erst gar nicht in den Sinn, denn mir erscheint es zugleich als die angenehmste und als die leichteste Sache. Ich weiß nicht, wiee es kommt; aber ohne daß ich bis jetzt eigentlich nur irgendwie microscopische Anatomie ordentlich geochst oder nur einmal Koellikers classisches Buch9 danach durchgelesen hätte, weiß ich doch die Hauptsachen davon, als wären sie mir angeboren, als hätte ich sie im Kinderspiel erlernt. Es ist sonderbar aber wahr! Trotz meiner großen Ungeschicklichkeit, die mir auch hier beim feinen Präpariren oft sehr lästig wird, kommt mir doch im Ganzen nichts leichter und lustiger, als die Microscopie vor, während die andern darüber stöhnen und seufzen. Nein, über meine Zellen geht mir Nichts! || Halte diese Worte nicht für Eitelkeit oder Hochmuth, lieber Vater! Wenn ich es mir in andern Stunden ruhig und kalt überlege, erscheint mir freilich diese ganze sanguinische Hoffnung, als Microskopiker (sei es nun der Pflanzen oder der Thiere; eher glaube ich noch letzteres!) dereinst was leisten zu können, als thörichte Vermessenheit. Denn wieviel der tüchtigsten Männer treiben dieses herrliche Fach! Verdanken doch Schwann10, Schleiden, Koelliker, Virchow, Mohl11, Schacht12, dieser köstlichsten aller Wissenschaften ihren ganzen Ruhm. Wie viel tüchtige Männer der jüngsten Epoche sind jetzt wieder an allen Orten mit der feinsten und sorgfältigsten Microscopie beschäftigt! Betrachte ich mir deren Leistungen, so sehe ich wohl bei ruhiger Überlegung ein, daß ich nie einen Platz neben ihnen werde gewinnen können; denn was wird so ein unselbstständiger, charakterloser und unbedeutender Schwächling, wie ich leider bin, der heut „himmelhoch jauchzt“ „morgen zum Tode betrübt ist“13, was werde ich gegen und neben jener Unzahl ausgezeichneter sorgfältiger Forscher
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zu Wege bringen! Sei dem, wie ihm will; jetzt will ich f wenigstens den Rausch dieser Wonne ganz austrinken und mich in jeder Hinsicht in der Microscopie sattelfest machen. Ich will euch wenigstens zeigen, daß ihr das herrliche, kostbare Microscop keinem geschenkt habt, der es nicht zu schätzen wüßte. Mache ich damit auch keine neuen Entdeckungen, so gewährt es mir doch die seligsten Freudenstunden, Stunden, in denen ich mich ganz dem einen geliebten Objecte hingeben könnte! – Sehe ich g mir morgen früh diese eben hingeworfenen Herzensergießungen an, so muß ich vielleicht wieder einsehn, daß eigentlich hinter all diesem Enthusiasmus für das Microscop und die Zelle nichts steckt, als Lust und Freude an jener unermeßlichen wunderbaren Welt des Kleinen, in der der große Schöpfer seine herrlichste Macht und Weisheit offenbart hat, eine Lust und Freude wie sie am Ende jeder haben kann! – Nimm aber diese Worte für das, was sie sind, lieber Vater, für den Hauch einer, vielleicht übertriebenen, Begeisterung, welche mir von Zeit zu Zeit alle Glieder wie verzehrendes Feuer der Leidenschaft durchzieht, daß unwillkürlich meine Muskeln in tonische Contractionen14 gerathen und ich in jauchzende Freudenrufe ausbreche, wie das z. B. der Fall vor ein paar Tagen war, als ich Abends || um 8 Uhr aus dem Cours nach Hause kam, mit meinem prächtigen Schieck15 einen sehr merkwürdigen, ganz durchsichtigen Hautbrustmuskel vom Frosch untersuchte, und darin die schönsten NervenEndigungen (eins der subtilsten und feinsten Objecte) theils in Gestalt von Schlingen, theils feinen Spitzen, fand. Ich war über dies Bild so entzückt, daß ich noch bis Mitternacht in der eiskalten Stube (wobei ich mich nebenbei noch etwas erkältete) microscopirte und zeichnete. – Solche herrliche Augenblicke, worin ich die ganze edle Wissenschaft mit meinem ganzen Sein und Wesen umfassen, in mich aufnehmen möchte, und wie sie mich jetzt öfter beglücken, sind wahre Sonnenblicke in meinem düstern Leben. Wie traurig und dunkel erscheint mir dagegen am andern Tage wieder das medicinische, practische Treiben, die Behandlung der Menschen in den Cliniken etc, und wie sinkt mir da wieder aller und jeder Muth, und ich finde h mit Nichts, als mit verzweifelten Aussichten, die Zukunft herannahen. Der einzige Trost ist dann der verrückte Gedanke, mich schlimmstenfalls mit meinem Microscop, das ich nicht mehr von der Seite lasse, in 1 beliebigen Urwald von Guyana zurückzuziehen und i dort nach Herzenslust Natur zu studiren. Vorige Woche machten so z. B. mehrere Besuche in der Klinik, und zufällig dabei stattfindende Vorgänge einen so heftigen und widerwärtigen Eindruck auf mein äußerst reizbares Nervensystem, daß ich mich ein Paar Tage äußerst unwohl fühlte, und wirklich ernstliche Angst hatte, ich würde 1 nervöses Fieber bekommen, was sich indeß als überflüssige Hypochondrie herausgestellt hat. Und diese Cliniken, und diese schreckliche specielle Pathologie und Therapie sind es, die die meisten meiner Bekannten nächsten Sommer hören, und die ich eigentlich dann auch anfangen müßte. Wie glücklich wäre ich, könnte ich dafür 1 Semester bei Koelliker ganz allein privatissime microscopiren. Mit dem letztern würden auch die Virchowschen Collegia ganz harmoniren! Nein, noch einmal! Es geht mir doch nichts über die Zellentheorie und ihr Studium! Vivant cellulae!!16 Vivat Microscopia!17 || Von den übrigen Beschäftigungen machen mir die practischen chemischen Arbeiten in Scherers Laboratorio18 den meisten Spaß und sind auch, wie ich glaube, von größ-
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tem Nutzen. Die Chemie kann man nicht aus Büchern lernen, man muß sie sich selbst erst durch Experimente neu und selbstständig construiren. – Ich betrachte jetzt diese anorganischen Analysen als eine gute Vorübung, um nachher zu Haus in Berlin die organischen Körper studiren zu können. Ich binj jetzt mit der Prüfung des Verhaltens der Körper gegen Reagentien sowie mit den 40 Analysen einfacher anorganischer, sowohl in Wasser löslicher, als unlöslicher (z. B. Cu2O, SO3; Sb S3; KO, C2O3 etc) 19 Körper fertig und habe jetzt die zusammengesetzten Verbindungen (z. B. BaCl + HgCl; CuO, SO3 + ZnO, SO3)20 angefangen, was freilich etwas schwerer ist und langsam geht.21 Überhaupt geht es mir dabei immer etwas zu langsam und jede Stunde muß ich mir sagen lassen, ich solle ruhiger und langsamer arbeiten „nur mehr Ruhe, Herr Haeckel, Ruhe, langsam, Ruhe!!“ Von den übrigen Collegien ist nicht viel Neues zu sagen. Herr Rinecker fährt noch fort, uns jede Stunde die Lichtseiten der Medicin anzuführen und zu versichern: „Das ist grade das Herrliche, Schöne, meine Herren, daß jeder Arzt auf einem eignen Standpunkt steht, seine eignen Ansichten hat, die er mit keinem andern theilt!“ etc. Man wird dieser traurigen Wahrheiten allmählig wirklich müde! – Von der Geburtshilfe k habe ich noch keinen rechten Nutzen; ich nahm sie eigentlich bloß an, weil es meine andern Freunde alle auch thaten, und weil Scanzoni22 einer der berühmtesten Geburtshelfer ist. Jedoch macht es mir insofern Spaß, als zufällig alle einzeln Capitel, die hier theoretisch abgehandelt werden, gleichzeitig practisch in Ziegenrück geschehen. So nahm Scanzoni z. B. in der Woche des 7ten December grade die Physiologie der Geburt, in der letzten Woche die Physiologie des Wochenbettes durch, welches Zusammentreffen mit meiner Praxis in Ziegenrück mich sehr amüsirte. Da übrigens, wie Du leicht denken kannst, das Colleg mit einer Masse Anectoden, Zoten (woran man sich als Mediciner wirklich, wie ans liebe Brod, gewöhnt) und schlechten Witzen gewürzt ist, welche Scanzoni noch dazu sehr trocken und komisch erzählt, so ist es ungeheuer besucht, fast so wie das Virchowsche, von den meisten hiesigen Medicinern. || – An Tante Bertha bestelle vorläufig die herzlichsten Grüße und den schönsten Dank für ihren lieben Brief23, der mich sehrl getröstet und gestärkt hat. Ich werde nächste Woche an sie schreiben, wo ich mehr Ruhe habe, als jetzt. 1 Stückchen Brief24 war schon fertig, ich will ihn aber nicht mit einlegen, damit die 4 kleinen Landschaftszeichnungen25 noch mitkommen. Es sind meine ersten Versuche mit schwarzer Tusche. Sie sollen Dir nur zeigen, daß ich die edle Zeichnenkunst, sowie Lust und Liebe dazu nicht ganz verlernt habe; wenn ich nur mehr Zeit dazu hätte! Ursprünglich waren die 4 Dingerchen (welche ich aus dem Album meines vielgereisten Freundes A. v. Franqué26 abgepinselt habe) für Mimmis Album bestimmt; da ich sie aber heut früh, als ich 1 kleine Weihnachtsschachtel nach Ziegenrueck absandte, nicht gleich finden konnte, mußte ihre Sendung unterbleiben. Ich fand sie zufällig heute Abend wieder und schicke sie nun Dir mit, als Substitut einer größern Weihnachtszeichnung, welche ich aus Mangel an Zeit nicht fertig bringen konnte. Vielleicht gefallen sie auch Deiner lieben jungen Haushälterin27 (welcher ich gleichfalls herzliche Grüße bestelle); sie kann damit vielleicht 1 Seite ihres Album bekleben, vorausgesetzt, daß sie diese ersten Pröbchen solcher Ehre werth hält. – Nun lebe recht wohl, mein lieber Papa, nunmehr auch Großpapa, feiere recht vergnügte und frohe Weihnachten mit den Lieben in No 828 und vergiß dabei neben
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den Ziegenrücker Lieben auch nicht Deinen Dich herzlich liebenden alten Jungen Ernst H. Onkel, Dr. phil. et med. Privatdocent der Microscopie. Auch Quinke29 und Weißens30 grüße von mir, wenn Du sie siehst. Von meinem lieben Ernst Weiß31, sowie von den beiden Halensern, Weber32 und Hetzer33, auch von Osterwald34, habe ich vorigen Sonntag 1 sehr nette Briefsendung bekommen, auch Zeichnungen, Pflanzen etc. Hetzer hat eine köstliche Geschichte35 mit A. v. Humboldt gehabt, welche ein sehr schönes Licht auf dessen Character wirft. Ich will sie Dir das nächstemal mittheilen. Hic spatium deficit!36 – Recht fröhliches Weihnachtsfest! Auch an Theodor37 und Großpapa sind Grüße nicht zu vergessen.m 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
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Haeckel, Carl Christian Heinrich. Lat.: unvermutet. Nicht identifiziert, nicht im Personenverzeichnis der Universität Würzburg. Lat. nervus opticus: Sehnerv. Lat.: von Grund auf; vgl. Br. 186, Anm. 4. Vgl. Br. 186, Anm. 3. Frühembryonale Keimzellen der späteren Organentwicklung. Von lat. constituere: begründen, hier: das Begründende. Kölliker, Albert: Handbuch der Gewebelehre des Menschen für Ärzte und Studirende. Leipzig 1852. Schwann, Theodor Ambrose Hubert. Mohl, Hugo von. Schacht, Hermann. Goethe, Johann Wolfgang: „Freudvoll | und leidvoll, | gedankenvoll sein. | Langen | und Bangen | in schwebender Pein, | Himmelhoch jauchzend | zum Tode betrübt | glücklich allein | ist die Seele die liebt.“ (Egmont, 3. Akt, Klärchens Lied.) In: Ders: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche. Abt. 1: Sämtliche Werke; Bd. 5: Dramen 1776–1790. Unter Mitarbeit von Peter Huber hrsg. von Dieter Borchmeyer. Frankfurt a. M. 1988, S. 459–551; hier S. 505. Anhaltende, krampfartige Kontraktionen. Zu Haeckels Schieck-Mikroskop vgl. Br. 176, Anm. 14. Lat.: Es leben die Zellen! Lat.: Es lebe die Mikroskopie! Scherer veranstaltete „practisch-chemische Uebungen in Untersuchung organischer und anorganischer Stoffe“; vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen JuliusMaximilians-Universität zu Würzburg im Winter-Semester 1853/54 gehalten werden. Würzburg 1853, S. 6. CuOSO3 Kupfersulfat; SbS3 Antimonsulfid; KO Kalziumoxid; C2O3 Oxalsäure. BaCl + HgCl Bariumchlorid + Quecksilberchlorid; CuO, SO3 + ZnO, SO3 Kupfersulfat + Zinksulfat. Haeckels Grundkurs zur anorganischen Analyse wurde nach dem System von Remigius Fresenius durchgeführt. Ernst Haeckel kaufte sich dazu dessen Lehrbuch „Anleitung zur qualitativen chemischen Analyse“ (8., verb. Aufl., Braunschweig 1853); s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 55 (=94). Scanzoni bot Kollegien über „geburtshülfliche Klinik, verbunden mit Vorträgen über Gynäkopathologie“ und „theoretische Geburtshülfe“ sowie einen „geburtshülflichen Operations-Cursus“ an; vgl. Verzeichnis (wie Anm. 18), S. 6.
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Br. 192. Nicht überliefert. Nicht überliefert. Franqué, Arnold von. Während der Abwesenheit von Mutter Haeckel, die in Ziegenrück weilte, führte Ernst Haeckels Cousine Bertha den Haeckelschen Haushalt in Berlin. Vgl. Br. 45, Anm. 13. Quincke, Hermann. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 14.12.1853 (EHA Jena, A 16629). Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 7.12.1853 (EHA Jena, A 16239). Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 7.12.1853 (EHA Jena, A 21559). Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Merseburg, 15.12.1853 (EHA Jena, A 23800). Hetzer hatte Alexander von Humboldt in einem Bittbrief um ein Exemplar des „Kosmos“ gebeten, das ihm Humboldt unentgeltlich zusandte; vgl. Anm. 33. Lat.: Hier fehlt ein Zwischenraum!– Sinngemäß für: Hier ist nicht genügend Platz dafür! Bleek, Theodor.
196. Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Hermine Haeckel, Berlin, 22. dezember 1853
Meine Lieben!
Berlin 22 December 53
Diese Zeilen sollt Ihr zum heiligen Abend erhalten. Zuförderst sei Gott gedankt, daß Mimi wieder beßer ist, wie ich aus Deinem liebe Lotte so eben eingegangenen Schreiben von Vorgestern ersehen habe. Nun können wir schon unsre Eintheilungen und Berechnungen von Januar machen. Es wird freilich hauptsächlich auf Christian1 ankommen, wann und wie lange der fortkann. Doch ich will jetzt nicht zu lange wegbleiben und die Mädchen2, die Dich herzlich grüßen, sehnen sich sehr nach Dir. Nichte Bertha3 geht übermorgen auf 4 Tage nach Stettin, weil es Christian ausdrücklich wünscht, das kann ich ihm auch nicht verargen, er will die Kinder möglichst um sich haben und Hermine wird ihm so schon sehr fehlen. Heinrich4 kommt aus Posen hin und Jacobis5 sind schon da, sie sind jetzt hier und gehen mit Bertha übermorgen zurük. Heinrich dient beim 2ten Leibhusaren Regiment, bei dem ich gestanden habe. Er muß tüchtig reiten lernen und hat schon ein Paar mahl auf der Erde gelegen (oder auf der Reitbahn im weißen Sande) was auch ganz in der Ordnung ist. Die Mutter6 weis es nicht.a Kein Meister fällt vom Himmel und sie müßen zuerst auf der bloßen Deke oder Sattel ohne Steigbügel reiten, was nicht leicht ist. Das gehört alles zum Leben. Mir hat Minchen7 und Nichte Bertha sehr zugesetzt, ich soll mitb nach Stettin kommen, allein ich will einmal Vater8 und Bertha9 nicht allein laßen und dazu leide ich noch immer etwas an Rheumatismus von Brust und Naken und will mich ganz gesund zu erhalten suchen, damit ich nach Ziegenrück reisen kann. Denn das ist jetzt die Hauptsache, ich muß die Kinder und den Kleinen sehn. – Du schreibst, ich solle mit der Einholung der Coupons warten, bis Du zurükkommst. Das geht aber nicht, denn ich brauche das Geld zur Reise, weil ich von der Pension alle Weihnachts- und VierteljahrsRechnungen bezahlen will, Miethe, Quincke10, Buchhändler, die Weih-
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nachtsgeschenke. Da ist über die Pension vollständig disponirt und die zu erwartenden Zinsen betragen 226 rℓ. Ich habe im eigentlichsten Sinn die Nase ins Buch steken und mich vollständig informiren müßenc und bin jetzt völlig zu Hause. Die ausgeloste Köln-Mindner Aktie11 befindet sich schon bei Joachim12, bei dem ich in den letzten 8 Tagen wenigstens 5 Mahl gewesen bin, besonders wegen Versilberung der CöllnMindner Aktien, wozu aber noch einen beßerer Cours abgewartet werden muß. Ich habe mir alle etwa vorkommenden Weihnachtsausgaben überschlagen und darauf meine Eintheilung gemacht, ich bin, da ich meine Lotte nicht hier habe, mein eigner Finanzminister gewesen. Alle unnützen Ausgaben weise ich von der Hand, damit für das Nöthige gehörig gesorgt sei und ich bin ein ganz sparsamer Hausherr geworden. Was gehn mich die gewöhnlichen Tändeleien des Luxus an? Dazu habe ich kein Geld. Aber was der Hausstand, die Geistesbildung, die Unterstützung der Kinder erfordert, dazu muß das Nöthige vorhanden sein. Jacobis sind hier, Clärchen13 ist in Stettin und wird nun schon dieses Weihnachten viel Spaß machen. Gestern Mittag waren wir bei der Geheimen Räthin Jacobi14, die ich mehrmals besucht habe. Am wenigsten bin ich bei Julius15 gewesen, ich habe nur manchmal vorgefragt, wie es Heinrich geht und wir hatten täglich mehrmals Nachricht. Es war uns sehr bange um den prächtigen Jungen, er scheint doch aber fortwährend und langsam in der Beßerung zu sein. Vorgestern war Julius und Adelheid16 im Don Juan17 und hatten Bertha und Theodor, die ich ebenfalls hinführen wollte, mitgenommen. Es war sehr voll. Nach um 6 Uhr gieng ich hin und konnte von einem gewöhnlichen Verkäufer (nicht an der Kaße) ein Billett erhalten, ich fürchtete Betrug und kaufte es nicht, was mich nachher gereut hat. Gestern Abend gieng ich paar Stunden in der Stadt und auf dem Weihnachtsmarkt herum, die Verkäufer klagen über Mangel an Absatz, weil die Theuerung der Lebensmittel die ärmsten Klaßen etwas einzukaufen verhindert. Sonst ist das Winterwetter sehr angenehm, aber eigentliche Schlittenbahn haben wir noch nicht, gestern aber hat es geschneit und es wird nun wohl dazu werden. Solch Wetter gefällt mir, || ob ich gleich fühle, daß ich nicht mehr die stählerne Natur der Jugend habe. Aber ein ordentlicher Winter gehört zu unserem deutschen Klima, und dieses Mahl ist er zu gehöriger Zeit eingetreten. Bei Euch muß es jetzt sehr hübsch sein. Wenn ich gegen halb 8 Uhr aufstehe und in die kalte Stube komme, ziehe ich jetzt täglich meinen Pelz an und mache darin meine WaßerPromenade. Aber zum Spatzierengehn ist er mir zu warm, da trage ich meinen neuen Winterüberzieher, auf der Reise nach Ziegenrück soll er mir aber ganz gut thun. Gelesen habe ich in den letzten 8 Tagen wenig, dagegen mehr gerechnet, die Wirthschaftsbücher (aber nicht das Detail der Wirthschaft) durchlaufen und Besorgungen gemacht, der Tag ist außerordentlich kurz, vor Tisch (v. 1–2 Uhr) gehe ich auf Quincke’s Geheiß spatzieren und dann noch zwischen 5–7 Uhr zur Verdauung. Der alte Körper will gehörig gepflegt sein; geschieht nicht alles zur rechten Stunde, so schreit er, besonders im Eßen muß ich Diät halten, daß ich nicht zu viel eße. Abends wird in der Regel bei Papa18 eine Suppe gegeßen, von 7–9 Uhr wird gespielt und da muß Nichte Bertha und auch wohl Theodor mit heran, und dann plaudiren wir gewöhnlich bis gegen 11 Uhr. Gestern beim Nachhausegehn applicirten sich Bertha und Theodor einige Schneebälle und verfolgten sich bis in unser Haus. Vorgestern Abend als ich ins Haus treten wollte, kam eben Frau v. Schenk19 heraus, um sich in die Troschke zu setzen. Sie läßt Dich herzlich grüßen und fragt immer sehr theilnehmend, wie es bei Euch geht. –
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Mit Frau v. Bassewitz20 geht es hoffentlich immer beßer, vor etwa 6 Tagen war der Landrath (ihr Sohn)21 bei mir und trank bei mir Kaffee. Die Mutter war außer Gefahr. Gestern besuchte mich Richter und erfuhr Herminens Niederkunft22, ich hatte nicht dazu kommen können, ihm zu schreiben und er hatte keine Zeitungen gelesen,23 er läßt herzlich grüßen. Das Consistorium möchte gern mit aller Gewalt wieder den Hausgottesdienst24 einführen. Wenn auch die Nothwendigkeit zugegeben werden muß, so läßt sich doch so etwas nicht erzwingen. Es muß sich von selbst machen und ich habe auch schon nachgedacht: wie das zu machen sei? Aber das Stundenhalten an jedem Tage fördert die Andacht auch nicht. In England soll der Hausgottesdienst noch stattfinden. Aber dort ist die Religion etwas viel Äußerlicheres als bei uns. Sydow, der es doch kennt, meinte: es sei in Deutschland viel mehr wahre Religion. Wo indeß diese ist, da drängt sichd auch das Bedürfniß der Andacht auf, nur laßen sich schwer die Stunden fixiren. Meine Eltern25 beteten alle Morgen kurz vor dem Frühstük den Morgensegen aus einem erbaulichen Buche. Ich gebe zu, daß dieses nicht ohne Wirkung war, und ich glaube auch, daß irgend etwas an die Stelle treten muß, diesen Winter giebt es hier in Berlin öfters AbendGottesdienste (um 6 Uhr an den Sonntagen). Auch die Unionsvorträge fallen in diese sehr gelegene Stunde.26 Das öfteree Lesen einer ordentlichen Predigt dürfte vielleicht das zwekmäßigste sein. Gestern bei Tisch war so die Rede von mehreren Wiederholungen. Die jungen Leute gehn doch mit vieler Leichtigkeit in das eheliche Leben hinein, was doch so ernst ist und so vielerlei Prüfungen darbietet. Ein Schritt folgt dem andern, eine Generation der andern, da frägt sich ein besonnener Mensch: was wird denn zuletzt aus allem diesem Getreibe? und da wird man dann in die Weltgeschichte hingewiesen, die Gott nach bestimmten Gesetzen geordnet hat, so vieles auch zufällig erscheinen mag. Die Menschen halten sich aber mehr an das Zufällige, laßen sich davon loken und reitzen, jeder nach seiner besondern Lust und doch müßen sie, ohne es zu wißen, der Entwikelung des Ganzen dienen. Gott sei Dank, daß es so ist; eine planlose Weltgeschichte, das wäre ja zum verzweifeln. – Nun ein heiteres, freundliches Fest, in wenigen Wochen, so Gott will bin ich bei Euch. A Dieu meine Lieben, grüßt mir den kleinen Kerl27, den ich ganz ordentlich ins Auge faßen will, wenn ich hin komme. Euer Alter Hkl Eltester hat vor einigen Tagen in der Garnisonkirche in Potsdam eine Predigt28 für den Gustav-Adolphs Verein29 gehalten, die sehr gefallen hat. Der König30 ist auch darin gewesen und hat 10 Friedrich d’or31 gegeben. Es geht damit doch vorwärts. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Sethe, Christian. Haeckels Cousine Bertha Sethe und das Dienstmädchen Luise; vgl. Br. 195, Anm. 27. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Jacobi, Helene, geb. Sethe; Jacobi, August. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Sethe, Christoph. Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Quincke, Hermann. Aktien der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft.
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Evtl. Wagener, Joachim Heinrich Wilhelm. Jacobi, Clara. Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Am 20.12.1853 fand in Berlin die 300. Aufführung des „Don Juan“ von Mozart statt. Das Jubiläum wurde in der Presse breit angekündigt; vgl. u. a.: „Don Juan. Am 20. Dezember 1790 fand die erste Vorstellung des Mozart’schen Don Juan hier statt; am 20. Dezember dieses Jahres, 1853, soll die dreihundertste stattfinden! Seltenes, seltenes Jubiläum, dem wir mit hoher Kunstfreude entgegensehen! – [...]“, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Beilage zu Nr. 296, 18.12.1853, S. 1. Sethe, Christoph. Vermutlich Schenck, M. von, geb. Weick. Bassewitz, Henriette Adelheid von, geb. von Gerlach. Bassewitz, Wilhelm Friedrich von. Vgl. Br. 191, S. 402. Zur Entbindungsanzeige vgl. Br. 191, Anm. 6. In Preußen bestand bis 1848 im Hinblick auf Hausgottesdienste und außerkirchliche Zusammenkünfte generell eine äußerst restriktive Rechtslage. Hausgottesdienste waren zwar zulässig, durften aber nur im engsten Kreis der zum Haushalt gehörenden Personen abgehalten werden. Die Teilnahme weiterer Personen war verboten; vgl. Kabinets-Ordre vom 9. Mai 1834. In: Religions-Gesellschaften, Conventikel und Hausgottesdienst, Sektenstiftungen und Verbitterung der Religions-Parteien in Preussen in kirchenrechtlicher und strafrechtlicher Beziehung dargestellt von einem preußischen Justizbeamten. Halberstadt 1845, S. 14 f. Im Zuge der nach der Wiederherstellung des Deutschen Bundes einsetzenden Reaktionspolitik wurde die Zulässigkeit der Hausgottesdienste wieder verstärkt diskutiert. Haeckel, Johanna Regina, geb. Rilke; Haeckel, Christian Benjamin. Die Unionsvorträge (vgl. Br. 138, S. 250) fanden bis auf wenige Ausnahmen immer am Freitag um 18.00 Uhr statt. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Die genannte Predigt hatte bereits Ende November stattgefunden, deren Bekanntmachung erschien jedoch erst vier Wochen später; vgl. Pressemitteilung über das Stiftungsfest des Potsdamer Ortsvereins der Gustav-Adolf-Stiftung in der Hof- und Garnisonkirche zu Potsdam am 23.11.1853, „bei welchem der Prediger Eltester über den Text „Lasset im Guten thun uns nicht müde werden, denn zu seiner Zeit werden wir auch erndten ohne Aufhören“ mit eindringlicher Begeisterung predigte. Die höchst erfreuliche Anwesenheit Sr. Maj. des Königs bei dem um 3 Uhr gehaltenen Gottesdienste gab Kunde, wie der edle, jedem ausschließenden Parteiwesen abholde König sich fort und fort mit warmer Theilnahme für die Gustav-Adolph-Stiftung interessirt. Am Schlusse des Gottesdienstes steuerte der König zu der Collecte 6 Fr. d’or bei und übersendete Tags darauf noch 4 Fr d’or. Die ganze Sammlung bertrug an die 100 Thlr.“, in: Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen. Zweite Beilage zu Nr. 298, 21.12.1853. Gustav-Adolf-Verein, 1832 gegründeter evangelisch-kirchlicher Verband zur Unterstützung der evangelischen Gemeinden in nichtevangelischen Diasporagebieten innerhalb und außerhalb Deutschlands sowie zur Förderung der evangelischen Missionstätigkeit. Er war in Ortsgruppen und Landesverbänden organisiert und besaß eine breite Basis in den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Schichten der evangelischen Gebiete Deutschlands. Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen. Friedrich d’or, auch Pistole genannt, nach König Friedrich II. von Preußen benannte preußische Goldmünze im Wert von fünf Reichstalern.
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197. Von Charlotte Haeckel, ziegenrück, 25./26. dezember 1853
Mein lieber Herzens Ernst!
Ziegenrück 25/12 53
Da ich auch diesmal am Weihnachtsfest es habe entbehren müssen, meinen lieben Herzens Sohn bei mir zu haben, so ist es mir doch Bedürfniß heute am Festtage mit ihm zua plaudern. Wir hatten Dich hier mit rechter Sehnsucht erwarttet; obgleich wir es uns sagen mußten, daß die Reise im Winter zu angreifend sei, wenn Du nur || wenig Tage bleiben konntest. – Wenn auch äusserlich getrennt so sind wir im Geiste doch zusammen gewesen, wir haben viel von Dir gesprochen. Nun so Gott will, werden wir ja das nächste Weihnachtsfest miteinander feiern; ich kann Dir nicht sagen wie ich mich schon jetzt drauf freue, wenn wir Dich wieder in Berlin bei uns haben werden. Von hier || kann ich Dir ja, Gott sei Dank, Gutes berichten, die kleine Frau1 erholt sich täglich mehr; und auch mit dem Nähren des Kindchens2 geht es gut, und schmerzen der Mutter die durch gesogenen Warzen noch sehr; doch wird sich das hoffentlich bald geben. Der kleine Kerl ist gesund und frisch, und Du würdest Deine rechte Freude dran haben wenn Du den dicken netten Jungen sähst, sein Köpfchen ist sehr hübsch geformt, und || mit seinen schönen blauen Augen sieht er sich schon ganz munter um; doch schläft er jetzt noch sehr viel. Beide Eltern sind sehr glücklich; aber Karls Glückseeligkeit ist nicht zu beschreiben; und gestern am Heiligabend sagte er immer: unser schönstes Weihnachtsgeschenk ist doch der Junge. Hermine darf ihre Stube, die wir zur Wochenstube eingerichtet haben, noch nicht verlassen, deshalb || wurde auch dort gestern Abend das Bäumchen angebrannt. Die Wiege wurde verhangen, damit es dem Jungen nicht zu hell wurde; und da auch ich von dorten wegen einer leichten Rose im Gesicht Stubenarrest bekommen habe, so mußte ich die Kiste, die ich aus Berlin habe kommen lassen hinter dem Schirm auspacken, und aufbauen, doch waren wir recht vergnügt, und || gedachten unsern entfernten Lieben. In der Kiste aus Berlin fand ich auch einen netten Brief3 von Osterwald. Ein großes Entberen war es für mich daß ich diesmal für meine Lieben nichts selbst habe besorgen können; hoffentlich hast Du doch die bestellte Kiste bekommen, nimm vorlieb, Du siehst doch wie gerne ich Dir meine kleinen Weihnachtsgeschenke || machen wollte. – – Ich bekam von Karl eine Tasse mit der Ansicht vom Schloße Ziegenrück und von Hermine eine schwarzseidene Schürze; und von Tante Bertha eine Mütze. – – Montag früh Gestern früh, mein lieber Ernst, fing ich diese Zeilen an Dich an, weil ich zur Stolle die Deine Geschwister Dir schicken wollten, einen recht ausführlichen || Brief mit schicken wollte, ich wurde aber am Schreiben gehindert; gestern Nachmittag, als Doctors4 gerade hier waren, erhielten wir Deine Schachtel, die beim Auspacken viel Spaß machte; habe herzlichen Dank, mein lieber alter Junge, für Deine innige Liebe, die Du uns fürs ganze Leben bewahren mögst! || Gestern Abend kam auch mein Brief5 von Vater, den ich Dir mit einem frühern hierbei mit schicke, dabei findest du auch 5 Thaler zur Bezahlung der Fracht für die Kiste von Berlin und für dies Paket. Sobald Du ein wenig Zeit hast, schreibe mir doch wie Du das Fest zugebracht hast, || hoffentlich bist Du recht heiter und frisch gewesen. Mache Dir nur ja nicht immer so viel Sorgen um Deinen künftigen Lebensberuf, das wird sich alles finden; jetzt lerne nur die verschiedenen Fächer, die Dein Studium
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mit sich bringen [!], gründlich kennen, später wird || b sich noch der Weg zeigen, den Du zu gehn hast, wo Du am meisten wirst mit dem Dir von Gott verliehenem Pfunde wuchern können. Und so gebe Gott daß das herannahende Jahr für Dich ein recht gesegnetes sei; Gott schenke Dir Gesundheit und frischen || Lebensmuth, und gebe Dir alles was Dir heilsam und gut ist. – Suche auch nur die Erkältung bald wieder loos zu werden. Meine Freude für das Neue Jahr ist, daß ich die Hoffnung habe, in demselben meinen Herzens Sohn wieder bei mir zu haben. Denke mit Liebe an Deine Mutter. 1 2 3 4 5
Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Nicht ermittelt; vgl. dazu aber Wilhelm Osterwald an Ernst Haeckel, Merseburg, 15.12.1853 (EHA Jena, A 23800). Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau. Br. 196.
198. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 25./26. dezember 1853
Lieber „Onkel Haeckel“! Heute Abend erfreute uns die Ankunft – –
Ziegenrück d. 25/12 53.
den 26 früh. Ueber vorstehender Zeile war ich gestern Abend gegen 10 Uhr im wahrsten Sinne des Wortes eingenickt; Du darfst Dich daher nicht über die obige Schlaf-Hieroglyphenschrift, aus der kein Lepsius1 klug werden möchte, weiter wundern. Heut habe ich mich, theils durch meinen krakehlenden Jungen2 aufgeweckt, theils durch eine falschgehende Uhr irre gemacht, zeitig aufgemacht, und schreibe Dir, liebes Bruderherz, jetzt in der großen Familien- und Kinderstube hinter dem Bettschrein3, während Mamma4 auf dem großen Sopha unter dem Spiegel ihre seit 2 Uhr von dem kleinen Bengel gestörte Nachtruhe sucht, Miese-Mamma5 aber ihrem abgebrüllten Jungen die Brust giebt, an der er mit Wonne tutscht. Ja, was so ein Junge nicht das ganze Haus beherrscht! Gewöhnlich erhält er alle drei Stunden die Brust. Manchmal aber meldet er sich schon wieder, nachdem er nur eine Stunde lang geschlafen, und schreit dann, wenn er nicht gleich was bekommt stundenlang seinen beiden Mamma’s und dem mit in der Stube schlafenden Kindermädchen etwas vor. Uebrigens gedeiht das kleine Balg ganz prächtig, und guckt, namentlich, wenn er sich eben satt getrunken hat, ganz fidel in die Welt hinein mit seinen großen blauen Augen. Er fixirt jetzt schon die einzelnen Personen und Objekte, und es macht mir großen Spaß, daß er in dieser Beziehung sich wirklich schon entwickelt, wenn es auch natürlich in dem ersten || Vierteljahre mit der geistigen Entwickelung nur sehr langsam vorwärts geht. Ein solches kleines Wesen macht, wenn es um sich schaut, ganz den Eindruck, als ob sich’s zunächst orientiren wollte in der unbekannten bunten Welt. Es verhält sich wesentlich receptiv und beschaulich. Und doch wenn es irgend etwas begehrt, welch bestimmter Wille spricht dann in dem verschiedenartigen Weinen des Kleinen sich aus! – Ganz anders, wenn er, um Nahrung
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flehend, nach der Mutterbrust verlangt, als wenn er über Waschen, oder a seinem nassen Windelzustand ungehalten, wie ärgerlich sein kleines Kehlchen ertönen läßt und borstig mit Händchen und Füßchen umhervagirt6. Ich kann Dir nicht sagen, welches große Vergnügen mir jetzt schon die Beobachtung des kleinen Spatzes bereitet. Mit seinem Blutgeschwür geht es ja, Gott sei Dank, bedeutend besser es ist in den letzten Tagen mehrmals aufgegangen und hat viel Unreinigkeit abgesondert. Die Geschwulst istb beinahe ganz zusammengesunken und die Stelle im besten Heilen begriffen. Die Ärmchen u. Beinchen sind ganz allerliebst weich und rundlich; Großmamma und Doktor7 behaupten, Er habe auch eine besonders schöne Schädelbildung; kurz, Alles ist von dem kleinen Wesen eingenommen. Unsre Hausordnung stellt sich nun auch wieder mehr und mehr her. In der großen Stube „für Alles“ wird jetzt täglich zu Mittag und Abend mit dem recht rasch sich erholenden Frauchen gegessen, seit gestern auch, – und zwar mit der bestgerathenen Stolle, gefrühstückt. Die Doktorin8 ist seit 8 Tagen schon öfter auf kurze Zeit oben gewesen. Gestern waren sämtliche Doktors, und anfangs auch Herr Harras, mehrere Stunden zum Kaffe bei uns. Gegen ½6 Uhr kam Deine Schachtel, die Du zum großen Glück nicht früher || abgeschickt hast, weil sie sonst vielleicht am 23sten Abends, wo der Post zwischen Neustadt und Poesneck mehrere Weihnachtspakete entwandt worden sind, ebenfalls in unrechte Hände gelangt wäre. Wir vielen gleich über Deine Briefe her und lasen sie mit großem Interesse. Du armer Junge! Hast mal wieder eine solche katzenjämmerliche Stimmung durchzumachen! Verzage nur nicht, laß Dich nicht durch die ersten mißlingenden Anfänge abschrecken, und bedenke immer, welch’ seeliges Gefühl es sein muß, einen Menschen durch die eigne Behandlung von schweren Leiden zu befreien. Könnt Ihr nun auch in so manchem Falle mit Eurer Kunst nichts ausrichten, so müßt Ihr doch dabei bedenken, daß ein jedes menschliches Wirken nur Stückwerk ist, und daß z. B. der Kriminalrichter und der Geschworene oft ebenso lebhaft wie ihr beklagen können, nicht allwissend zu sein. Du theilst also in dieser Beziehung nur das Loos Deiner Mitmenschen und wirst Dich mit der Unvollkommenheit Deines Berufs am leichtesten aussöhnen können, wenn Du auch in den Grenzen, die unserer Erkenntniß gesteckt ist [!], die weise Fügung des Schöpfers erblickst. Den Ekel, den Du jetzt noch vor so manchem medizinischen Experiment empfindest, wirst Du aber am ersten verlieren, wenn Du selbst Dich nicht mehr den einzelnen Operationen gegenüber passiv verhältst, sondern thätig Hand ans Werk legst. Dann stellt sich bald die geschäftliche Abhärtung des Gefühlslebens ein, die ein Jeder in seinem Berufe braucht und die man erlangen kann, ohne deshalb einer Abstumpfung der edleren und feineren Gefühle sich hingeben zu müssen. || Deine Geschenke haben uns viel Freude gemacht, und Dir, als Du dieselben für uns zusammen suchtest, gewiß nicht weniger. Herzlichen Dank, lieber Bruder für den Cotta9; Du hast damit einen stillen Wunsch von mir erfüllt, den ich faßte, als mir dies Buch vor Jahren einmal zur Ansicht zugeschickt wurde. Es schlägt gerade in meine Passion ein. – In aller Eile hatte ich endlich vergessen, Dir zu schreiben, Du möchtest mir ja zu Weihnachten nichts schicken, da ich ja schon den Tschudi10 von Dir eben erhalten hätte. Nun wollen wir die Sache anders ausgleichen. Du erhältst von mir den Tschudi als Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk.11 Ich habe aber bis dato nur die erste Lieferung hier, die Du vermuthlich schon kennst, und spare mir daher die Uebersendung auf, bis einige Lieferungen zusammen sind. Ich kann sie ja
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vorher lesen und in Deine Bibliothek paßt das Buch ohnehin besser hinein, als in die meinige. So leid es uns thut, daß du zum Fest nicht hast kommen können, so kann ich’s Dir, da die Professoren nur so wenig Tage aussetzen, doch nicht verdenken. Nun fragt sich’s weiter, ob Du dafür nicht zur Taufe kommen willst, zu der Du hiermit feierlichst eingeladen bist. Sie wird Mitte Januar sein. Das Datum erfährst Du noch näher. Schreib uns aber recht bald, ob Du kommst, da darnach die Einrichtungen getroffen werden. Platz ist da und daß Du sehr gern hier gesehen wirst, darüber verliere ich kein Wort. Mutter packt jetzt die Stolle, zu der ich Dir Guten Appetit und einen wohlconditionirten Magen wünsche ein. Sie und Mimmi lassen recht herzlich danken und grüßen, so wie Dich von Herzen grüßt und Dir ein munteres Neujahr wünscht Dein Karl.c Nach einigen Bummeltagen werde ich nun tüchtig an die Akten gehen.d 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
Anspielung auf den berühmten Sprachforscher und Ägyptologen Karl Richard Lepsius, der bekannt für seinen Beitrag zur Entzifferung der ägyptischen Hieroglyphen war. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Möbelstück, hölzerner Bettkasten. Die Großmutter, Charlotte Haeckel, geb. Sethe. Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Vagieren, mit den Händen und Füßen hin- und herfahren. Krüger, Gustav Adolph. Ehefrau von Gustav Adolph Krüger. Cotta, Bernhard: Geologische Briefe aus den Alpen. Leipzig 1850. Tschudi, Friedrich von: Das Thierleben der Alpenwelt. 12 Lieferungen, Leipzig 1854. Haeckel besaß folgende Ausgabe: Tschudi, Friedrich von: Das Thierleben der Alpenwelt. Naturansichten und Thierzeichnungen aus dem schweizerischen Gebirge. 2., verb. Aufl., Leipzig 1854; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 27 (=53; darin Widmung von Haeckels Bruder Karl vom 16.2.1855).
199. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 26./27. dezember 1853
Mein lieber Ernst!
Berlin 26 December 53.
Durch Deinen Brief vom 21sten,1 den ich vorgestern erhielt, hast Du mir eine große Weihnachtsfreude gemacht. Ich ersehe nehmlich daraus, daß Du mit großer Lust und Freude Dich Deinen dortigen Studien widmest und daß es Dir allmählich immer klarer wird, wohin eigentlich Deine innre Natur will und wozu Du berufen zu sein glaubst. Wir wollen über diese Frage jetzt noch nicht definitiv abschließen, vorläufig magst Du nur immer fortstudiren, wohin Dich Dein innrer Sinn treibt, und wir wollen Deiner innern Entwikelung keine Hindernisse in den Weg legen. Treibt Dich zu Ostern noch daßelbe Bedürfniß, so magst Du zum Sommer ein Privatissimum2 bei Kölliker über die anatomische Mikroskopie hören. Ich theilte gestern Deinen Brief unserm Freund Weiss3 mit. Der meinte: Die Forschungen über dieselbe (die Gewe-
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belehre) sei recht schön. Aber die Philosophie müße noch dazu kommen und das ursprüngliche Factum der Zelle noch mehr philosophisch entwikeln, das Naturgesetz zu finden suchen, wornach sich die Zellen so oder so gestalten, die Hülle den Raum grade so und auf diese Weise beschränke? Ich glaube: er selbst hat das Naturgesetz für die Krystallisationen4 zu finden gesucht und darin viel geleistet. Er meinte auch: Du solltest nur immer auf diesem Wege vorschreiten und Dich durch den Gedanken an medicinische Praxis, zu der wir Dich ja nicht forciren wollen, nicht irre machen und nicht störena laßen: Da Dir dieses Studium so leicht wird, so scheinst Du ja wirklich besondre Anlage dafür zu haben. Versuche Dich aber noch weiter, um zur völligen Gewißheit zu kommen, vielleicht schließen sich noch andre Saiten Deines Geistes auf. Es wird jetzt in den Naturwißenschaften viel geleistet und große Fortschritte darin gemacht, wer weis, bis wie weit uns Gott in der Erkenntniß kommen laßen will, bis wir die Grenzen finden, die er uns gesetzt hat. Die Revolution trift ja nicht blos die Wißenschaft, sondern geht auch in das gewerbliche Leben und in den Völkerverkehr über. Wer weis, wohin uns diese Eisenbahnen und Telegraphen, die die Welt jetzt schon umkehrn, noch führen werden? August Sack, der diesen Morgen bei mir war und Dich grüßt, erzählte mir von unserm Kohlenbergwerk5 in Westphalenb, wo er vor einigen Wochen gewesen und das sich sehr gut anläßt. Es haben sich noch neuerlich nicht allein Steinkohlenflötze durchs Bohren gefunden, die einen sehr guten Ertrag versprechen, sondern auch bedeutende || Eisensteinlager, die in einigen 20 Hochöfen, die man dort anlegt, sehr gut verarbeitet werden können, und c deren Verkauf einen sehr guten Ertrag gewähren wird. Diese Hochöfen, die einen Kostenaufwand von einigen Millionen Thaler erfordern, werden meist mit ausländischem Gelde (französischen oder niederländischen) angelegt, eben so geht esd in Oberschlesien, wo ebenfalls bedeutende Kohlen-, Eisen- und Zink-Bergwerke angelegt werden. Kurz es eröfnet sich eine Industrie, die alle Erwartungen übersteigt und die durch Dampfmaschinen und Eisenbahnen gefördert wird. Es wird nicht lange dauern, so wird man unsre Kohlen aus Dortmund nach Magdeburg und Halle in die Fabriken der dortigen Gegend senden, um diese damit zu unterhalten (meist Zukerfabriken). Welch ein Zusammenhang! Dazu gehört aber auch Deutscher Fleiß. Gestern Mittag war ich bei Naumann6, wo ein Oekonom war, der 1½ Jahre in rußisch Polen7 gewesen. Wenn man von diesem slavischen Leben, von diesem rußischen Despotismus, von dieser Knechtschaft hört, dann stehen einem die Haare zu Berge. Welche Kluft zwischen Deutschen und Slaven! Welch innres Freiheitsgefühl bei uns, und welche Sklaverei dort! Da müßen wir wohl auf der Hut sein, uns von dem Osten nicht unterjochen zu laßen, sonst geht ja alle menschliche Würde verloren und da muß ein parlamentarisches Leben Wache stehen, damit sich die Fürsten durch dynastische Rücksichten und Verhältniße nicht irre leiten lassen, damit das nationale Leben gesichert sei. Ich habe in diesen Weihnachtswochen oft Abends die Straßen durchlaufen und meine Betrachtungen angestellt. Immer leichtrer Verkehr durch die Eisenbahnen, jede Bezwingung der Naturkräfte durch die Wißenschaft fördert zugleich ungeheuer den Luxus, es entstehen eine Maße neuer Bedürfniße, die das Leben erleichtern und verschönern und durch den leichten und schnellen Absatz auf den Eisenbahnen weit und breit vertheilt werden. Hält mit dieser physischen Entwikelung und Vervielfältigung und Verschönerung der Bedürfniße die geistige und sittliche nicht gleichen Schritt, so geräth das Menschengeschlecht in Gefahr ein bloß verschönertes Thier zu werden. Da tritt uns
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aber auf der andern Seite wiederum das Erwachen der Religion und der bürgerlichen Freiheit entgegen, das den Menschen auf seine höhere Bestimmung hinweist, die wiederum hier auf Erden, und bei möglichst größter individueller Entwikelung, d. i. bei großer Freiheit gedeihen kann. Man sieht in dieser Hinsicht || hier in Berlin die größten Contraste. In den Straßen Tausende von Läden die den Luxus fördern und die bei so großer Concedirung8 Tausende verarmen laßen und in äußeres Elend stürzen, dann auf der entgegengesetzten Seite geistliche Vorträge und Predigten, die uns über den wahren Sinn des Christenthums aufklären, uns auf unsre innersten Seelenbedürfniße, für welche das Christenthum die Befriedigung enthält, hinweisen sollen, dann wieder das Leben in den Kammern, wo unter großen Kämpfen um die äußre Freiheit gestritten wird. Die Bedeutung dieser Kämpfe ist jetzt nur wenigen klar, da der momentane Durchgangspunkt für die Freiheit sehr ungünstig erscheint und die Regierung das erwachte Leben durch reaktionäre Maasregeln zu tödten sucht. Aber die Kämpfe sind nun einmal da, nakt und ungeschmückt vor aller Augen und öffentlichf in den Kammern und da die Reaktionärs jetzt gute Geschäfte machen, so suchen sie selbst ihrerseits das Kammerleben zu fördern und wollen den alten Beamtendespotismus oder Bureaucratie wie sies nennen nicht zurük. Ist aber erst der Kampf freigegeben und nicht mehr zu beseitigen, so läßt sich an dem endlichen Sieg der Wahrheit und des Fortschritts nicht mehr zweifeln. Ein andres Feld hier ist die Musik, in der viel geleistet wird, und die immer mehr in den Familien verbreitet wird, ein andres die Erziehung, die bei dem großen wachsenden Völkerverkehr auf diesen berechnet sein muß. Ich war vor 14 Tagen Mittags bei Weiss, wo mehrere Naturforscher waren, da wurde von nichts als ihren Reisen nach Italien und der Schweitz gesprochen. Die jungen Physiker Schlagintweit9 werden wahrscheinlich noch nach Ostindien reiseng und den Himalaya besuchen; Abends war ich bei meinem Wirth und saß neben seiner Frau10, die mir von ihrer Reise nach England erzählte, welche sie im vorigen Sommer gemacht hatte. An das alles war vor 50 Jahren nicht zu denken und so verbreiten sich Forschungen, Kenntniße, erweiterteh Lebensansichten und individuelle Entwikelung nach allen Seiten. Da thut es wohl Noth, den Kopf frei zu halten, daß man nicht irre wird und die Fährte nicht verliert, wohin das hinaus will und wirklich herrscht auch z. B. in dem politischen Troß eine Verwirrung der Begriffe und Gedanken, daß man toll werden möchte. Aber dem ruhigen und mit tieferer, allgemeinerer Ansicht Zuschauenden bleibt der Fortschritt nicht verborgen. || 27. December Gestern Mittag aß ich bei Julius11, wo ein junger Studiosus Niemeyer12 (sein verstorbener Vater war Arzt in Magdeburg13) war, der längere Zeit in Erlangen gewesen und auch mit großem Eifer Mikroskopie (die nicht jedermanns Sache sei)i studirt hat, er nannte mir 2 Profeßoren, Gerlach14 und Dietrich15, die er sehr rühmte, wenn sie gleich nicht den Ruf, wie Kölliker und Virchow hätten. Von unmittelbarem Nutzen für die Praxis, meinte er, wäre die anatomische Mikroskopie nicht, aber sehr intereßant. Er hat auch Widerwillen gegen die medicinische Praxis, ist aber, da er ohne Mittel ist, genöthigt, doch daran zu gehen, da ihn das Docentenleben nicht anspricht, wogegen er als Literat (durch Uebersetzen von Schriften, Lieferung von Aufsätzen etc.) gute Geschäfte gemacht hat, er besitzt ein Mikroskop von Benesch16 für 35 rℓ., welches er für diesen Preis wieder verkaufen will und was ihm sehr gute Dienste geleistet hat.
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Von Botanik bekannte er wenig zu wißen und warnte nur vor zu großer Zersplitterung der Studien. Deine Hauptneigung scheint allerdings das organische Leben der Thier- u Pflanzenwelt zu sein. Darauf wirst Du Dich wohl concentriren. Aber den medicinischen Kursus wirst Du verfolgen müßen. Burmeister in Halle hat dieses ebenfalls gethan, ehe er ausschließlich die wißenschaftliche Karriere eingeschlagen hat. Studire nur fleißig fort, im Laufe der Zeit wirst Du immer klarer über Dich selbst und immer ruhiger werden, das läßt sich nicht mit Einem Mahl erzwingen. Greife aber auch Deine Augen und Deinen Körper nicht zu sehr an. Hast Du bei Kölliker gezeichnet? Und lieferst Du ihm Zeichnungen zu seinen Schriften? – Deine Zeichnungen17, die Du mir geschikt, über das Wormser Joch etc. haben mir sehr wohl gefallen, ich zeigte sie Weiss, der die gezeichneten Gegenden kennt und den sie auch intereßirten. Die Weihnachten hier habe ich ohne Mutter zubringen müßen. Es hat mir sehr wohl gethan, daß sie Mimi in den Wochen so gute Dienste hat leisten können, aber ich sehne mich sehr nach ihr. Die Herzensmittheilung fehlt. Daß ich über den kleinen Enkel18 sehr erfreut bin, kannst Du Dir wohl denken und ich bin unendlich begierig ihn zu sehen, aber es wird wohl Mitte Januar herankommen, ehe ich ihn sehn werde. Die Stettiner Bertha19 die mir jetzt die Wirthschaft führt und mit der ich sehr zufrieden bin, ist in diesen Feiertagen in Stettin und kommt übermorgen zurük. Wir sind Abends viel bei Großvater. Tante Bertha befindet sich in ihrer Art wohl, sie sitzt meist auf dem Stuhl, liest, schreibt, hat Besuch etc. Wir haben bedeutende Kälte (gestern 14 Grad), auch etwas Schlittenbahn. Hast Du denn Deine Weihnachtskiste (mit Wurst etc.) erhalten. Sie ist schon am 14ten December abgegangen. Forsche nöthigenfalls nach, vielleicht liegt sie noch in Schweinfurt, bis wohin sie mit Eisenbahn gegangen ist.j Die Mittheilungen über Deine Studien setze fort, sie intereßiren mich sehr.k Tante Bertha läßt den Profeßor der Mikroskopie herzlich grüßen und Dir ein glückliches Neujahr wünschen. Auch unser Mädchen Luise20 grüßt Dich sehr.l Adolph Schubert wird nach Neujahr hierher kommen und einige Zeit hier bleiben.m Der Heinrich21 von Julius22 ist in der Beßerung, wir waren in großer Sorge, ob er sich durch das Anrennen an die Wand auf einer Treppe etwa das Gehirn verletzt habe. Die Beßerung geht langsam.n || Ich führe hier jetzt ein ganz eigenes Leben. [ ] Hausgefährtin, wir frühstüken und eßen zusammen. Vor 8 Uhr wird es nicht licht und wir stehen erst kurz vor 8 Uhr auf. Der Vormittag, wo ich lese und schreibe, ist sehr kurz. Gegen 12 Uhr gehe ich etwas in die Stadt. Um 2 Uhr wird (öfters bei Großvater) gegeßen. Nach Tisch etwas geruht und Zeitungen gelesen. Dann gehe ich bis gegen 7 Uhr spazieren und besuche dann einen meiner Freunde oder lese bis gegen 9 Uhr und bis 11 Uhr zu Großvater. Bis gegen Weihnachten hatten wir sehr angenehmes Wetter, troken mit etwas Schnee, Kälte 2–3 Grad. Seit einigen Tagen ist es sehr kalt, gestern 14 Grad. Vorgestern haben sie in Hirschberg, wie mir Lampert23 schreibt, 23 Grad gehabt. Nach Ziegenrück denken wir [ ] Als Mimi krank war, war uns recht bange. Sie werden dort viel Kälte und Schlittenbahn haben. Was wird Gott in den kleinen Enkel gelegt haben? Wird er ihn erhalten? Wenn ich so jetzt die großen Veränderungen im äußern Leben der Welt sehe, so frage ich mich oft: wo will das hinaus? Der Mensch wird immer mehr Herr der Erde, die Völker rüken näher zusammen, theilen sich im gebildeten Europa immer mehr einander mit. Wenn aber das äußere Leben keine innre Basis hat, so ist damit nichts gewonnen. Diese finden wir nur im Christenthum, aber das will recht
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verstanden sein, manche machen daraus ein Zerrbild und die Rußen brauchen es gar, um ihren innern Teufel damit zu verdeken. Je mehr wir Herren der Natur werden, desto mehr Mittel geraten uns zu unserer geistigen Ausbildung und wer kann sagen wie weit sich noch diese Herrschaft erweitern und die Kultur ausbreiten und vervielfältigen wird? Wer weis, wo der Erweiterung unsrer Kenntniße und Kräfte Grenze gestekt ist und welches Bild nicht noch das Erdeleben einst darstellen wird. Denn in dieser || [ ] Vervollkommnung der irdischen Kräfte unterscheidet sich die neuere Zeit wesentlich von der der Alten! und es scheint, daß diese Vervollkommnung auch nicht eher eintreten sollte, bis die allgemeine Weltreligion Fuß gefaßt hatte. Nicht eher sollten die Völker und Länder in so ungehemmtem Maße communiciren, bis auch das allgemeine geistige Band, das Christenthum, Wurzel gefaßt hatte. Dieses wurde bis zur Reformation in verschloßener Kapsel gehalten, diese wurde erst mit der Reformation geöffnet, und nun erst kann deßen wahres Wesen erkannt und ein Gemeingut der Menschen werden. Durch daßelbe wurde erst die menschliche Würde erkannt und achten gelernt. Durch diese allgemeine Achtung des Menschen wird erst seine Entwikelung möglich. Diese ist eine äußere und eine innre. Jene muß diese fördern und diese muß hinwiederum Basis werden, aus welcher jene gelernt wird. So wird sich allmählich das Reich Gottes verbreiten. Ohne Achtung des Menschen, auch des Geringsten ist dies nicht möglich und in den neuern seit 60 Jahren angebahnten politischen Institutionen spiegelt sich diese Achtung ab. Allerdings wird auch hierin mancher Mißbrauch gemacht. Das benutzen die Reaktionairs und nennen diese ganze Entwikelung Revolution (Stahl und Genoßen24). Damit wollen sie ihren eignen Egoismus und Herrschsucht verdeken. Aber in dem gebildeten Europa hat bereits fast jeder einzelne Mensch das Gefühl gewonnen, daß er Mensch sei, daß er also solcher Berechtigungen habe und daß er sich nicht mehr durch Willkühr mit Füßen treten laßen dürfe, daher der Fortschritt zum constitutionellen Leben, der allerdings auch seine Zeit braucht und z. B. bei unsern Bauern noch gering ist, sich aber allmählich entfalten wird. Soll nun aber dieser Fortschritt der Menschheit ein wahrer und kein trügerischer sein, so muß auch das Reich der Sittlichkeit immer mehr Terrain gewinnen und dieses || muß wieder aus der Religion, aus der wahren Gottesfurchtr hervorgehn, darin wurzeln. Dies rechte Verhältniß zu Gott und die wahre Erkenntniß Gottes ist uns erst durch Christum geworden, seine allwaltende Macht und Gegenwart („Sehet die Lilien auf dem Felde, sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, und unser himmlischer Vater ernähret sie doch“).25 Diese Macht und Weisheit Gottes in der Natur zu erforschen, dazu leitet Dich Dein künftiger Beruf, und so wirst Du auch auf diesem Wege immer mehr zu Gott dringen. Das Christenthum eröfnet uns ferner das Verständniß über Gegenwart und Zukunft, über irdisches Dasein und ewiges. Es zeigt uns die Kräfte, die in uns für die Ewigkeit gelegt sind und die unsre irdischen Kräfte zügeln und bilden sollen, es verweist uns auf den Kampf gegen die Sünde und verheißt uns, wann immer [ ] den Beistand Gottes, das ist eine Erfahrung, die jeder in sich durchmachen muß, wenn er das Christenthum verstehen will. Die Menschenliebe ferner fordert von uns täglich Opfer und Selbstverläugnung, nur durch die Liebe kann das Menschengeschlecht gedeihen und das Reich Gottes sich verbreiten, und auch darin sind wir sehr vorgeschritten. Diesen Fortschritt erkennt man, wenn man z. B. das Leben der rohen Völker (z. B. der Rußen und ihrer Macht) mit dem des gebildeten Europas vergleicht. Die alte Welt hatte ein andres Leben, sie unterhielt die
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Sklaverei als sich von selbst verstehend, und nur eine kleine Anzahl war der menschlichen Bildung geöfnet. Ganz anders ist es im Christenthum, wo jedes Individuum seine Berechtigung geltend macht und diese auch anerkannt wird. Man könnte dieses Kapitel noch weiter ausspinnen. Für heute genug. – Gott verleihe Dir zu dem neuen Jahre seine Kraft und Segen, damit Du gedeihst von innen und außen. || Die Entwiklung Deiner sittlichen und geistigen Kräfte, damit Du [ ] wohlgefälliges Leben führen mögest. Gott erhalte uns unser Familienglück, er erhalte uns unsre geliebte Mutter, Deine Geschwister, das Enkelchen, er geben seinen Segen zu Carls und Mimis Ehe, damit ihr häusliches Glük gedeihe, er erhalte uns auch unsern Grospapa so geistig frisch als er jetzt noch ist, unsre lieben Verwandten. Wir sind vor vielen beglükt dadurch, daß in unsrer Familie so viel herrliche und tüchtige Menschen sind, von der auch Du ein würdiges Glied bilden sollst. Gott erhalte endlich unsern Staat, als Pfeiler für Deutschland gegen äußre Stürme, hat die Regierung auch in den letzten Jahren Preußens Beruf nicht verstanden, dieses Preußen steht noch da und wird auch seinen Beruf immer mehr erkennen lernen, die Verdunklung ist nur momentan und das Licht wird schon wieder durch scheinen. Das deutsche Volk ist doch das innerlichste auf Erden, in welchem sich die Tiefe des menschlichen Gemüths am meisten offenbart, durch die es segensreich wirken soll auf Erden. Und nun genug für heute, mein lieber Ernst! Behalte lieb Deinen alten Vater und mache ihm Freude, ihm, der Dich mit der innigsten Liebe umfaßt. Hkl 1 2 3 4
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Br. 195. Zu Haeckels Privatunterricht bei Kölliker vgl. ebd., S. 409 f. Weiß, Christian Samuel. Weiß hatte eine mathematisch-physikalische Theorie der Kristallographie entwickelt, die den Aufbau der Kristalle auf bestimmte Richtungslinien (Symmetrieachsen) zurückführte, von denen er die Bildung der Kristallflächen und deren Gesetze ableitete. Mit der Einteilung der Kristallisationssysteme und der Erkenntnis des gesetzmäßigen Zusammenhangs aller Flächen eines Kristalls zählt Weiß zu den Begründern der modernen Kristallographie. Ernst Haeckel griff seine Theorie später in seinem Werk „Generelle Morphologie der Organismen“ (Berlin 1866) auf und verallgemeinerte sie zu einem universalen, auch auf die Morphologie der belebten Natur anwendbaren Strukturmodell. Carl Gottlob Haeckel besaß Kapitalbeteiligungen an Steinkohlenzechen in Dortmund und Halle in Westfalen. Naumann, Friedrich Gustav. Russisch-Polen oder Kongresspolen, der 1815 auf dem Wiener Kongress an das Kaiserreich Russland gefallene östliche Teil des ehemaligen Königreichs Polen. Zulassung, Erteilung einer Betriebs- oder Gewerbeerlaubnis; Carl Gottlob Haeckel beklagt hier die behördliche Duldung. Schlagintweit, Adolf; Schlagintweit, Hermann von; Schlagintweit, Robert von. W. H. M. Wittich, Kaufmann, Eigentümer des Hauses Schifferstraße 6 in Berlin, und dessen Frau. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Niemeyer, Paul. Niemeyer, Karl Eduard. Gerlach, Joseph von. Dittrich, Franz von. Firma Bénèche & Wasserlein, Optiker und Mechaniker Berlin, Stechbahn 3. Vgl. Br. 195, Anm. 25; die Zeichnungen sind nicht überliefert.
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Haeckel, Carl Christian Heinrich. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Dienstmädchen der Familie Haeckel in Berlin. Sethe, Heinrich Georg Christoph. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Lampert, Friedrich Ernst Wilhelm. Die konservative Partei in Preußen, deren Mitbegründer und programmatischer Kopf seit 1848/ 49 der Staats- und Rechtsphilosoph Friedrich Julius Stahl war. Matthäus 6, 28 und Lukas 12, 27.
200. An Carl Gottlob Haeckel, [Würzburg], 27. dezember 1853
Mein lieber Vater!
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Ganz ohne Glückwunsch zum neuen Jahr auch für Dich kann ich doch den Brief nach Schifferstr. No 81 nicht abgehen lassen. Tritt also das neue Jahr recht in Gott vergnügt und munter mit Deiner alten lieben Jünglingsfrische, die a immer unsre Freude und unser Stolz ist, an. Mögest Du in diesem neuen Jahre alle Deine Hoffnungen und Wünsche als Mensch, Christ, deutscher Patriot und Vater und Großvater, in Erfüllung gehen sehen. In ersterer Beziehung wünsche ich Dir namentlich daß Du nicht, wie bisher, Dich so fürchterlich und innerlich über alle dummen Streiche unsers liebenswürdigen Ministerii und die höhere camarilla2 ärgerst, als gingen sie Dich näher an, als Deine Familie, welche Dich doch gerne noch recht lange in der alten, lieben Frische und Munterkeit, und nicht durch politischen Ärger und Kummer verstimmt, bei sich haben will. Auch über das deutsche Volk möchte ich Dich dringend bitten, Dich ebensowenig als über die andern politica, zu ärgern und zu erboßen. || Da Dir dies ebenso wenig helfen wird, wie bei den andern. Allerdings scheint selbst mir das liebe deutsche Volk sich philiströser und michelhafter treten zu lassen, als je, und wer weiß, ob noch was Gescheuts daraus wird; aber was hilfts, wenn man noch so viel darüber raisonnirt! Höchstens erlaube ich Dir, in Deinen 4 Wänden recht lustig und laut über all die politischen und religiösen Jämmerlichkeiten und Erbärmlichkeiten zu schimpfen. Aber Dich still darüber zu grämen und abzuärgern, das muß ich Dir als Dein getreuer Dr med und Hausarzt durchaus untersagen! Denn warum? – Durch den vielen stillen Ärger wird bekanntlich die Gallensecretion ungemein vermehrt, so daß sie zuletzt nicht genügende Verwendung bei der Verdauung findet und also von dem Blut zum Theil resorbirt wird, wodurch also das gelbe Gallenpigment in alle Körpertheile geführt und dort unter der Haut abgelagert wird, woraus dann „Gelbsucht“ wird. Daher die alte Redensart: „Vor Ärger gelb werden“! Also wie gesagt, unter keiner Bedingung politischen Ärger! || Um so mehr verordne ich Dir dagegen, Dich im Kreise Deiner Familie zu freuen, insonderheit über das glückliche Ziegenrücker Stammhaus und sein Enkelchen3, was 1 recht prächtiges, tüchtiges Kerlchen geben muß. Ich bin ungeheuer neugierig darauf, wie Du gewiß auch, und kann kaum die Zeit abwarten, bis ich es gesehen habe. Ich werde mich nun freilich 1 bischen gedulden müssen! – Wie hast Du denn die Weihnachtsfeiertage zugebracht? Wahrscheinlich bei Großvater und sehr glücklich in Gedanken an Ziegenrück! Hast Du meinen Brief an
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heilig Abend bekommen? Ich habe den letztern sehr einsam und still für mich zugebracht aber doch recht vergnügt im Auspacken meiner Weihnachtskiste, für die ich auch Dir als eigentliche Quelle, herzlich danke! Netter Weise bekam ich sie grade am 24sten Abends. Mit meinen Gedanken spazierte ich abwechselnd zwischen Berlin und Ziegenrück hin und her. Den ersten Feiertag (25sten) Abends brachte ich dagegen sehr vergnügt und nett im Kreise von 6 auserlesnen Commilitonen zu, sehr nette und liebe Leute, worunter auch der mir am nächsten stehende Bekannte Hein, gehörte, welcher mich dazu eingeladen hatte. || Die specielle Beschreibung der Weihnachtsfeier mußt Du aus dem Briefe ersehen, den ich dieser Tage nach Ziegenrück schreibe.4 Die paar Ferientage jetzt habe ich benutzt, um mit mehrern alten Arbeitsresten endlich einmal ins Reine zu kommen. Vieles Andere, das ich mir dazu noch vorgenommen hatte, ist nicht zur Ausführung gekommen, wie das natürlich immer so geht. Ach Gott, wenn man doch nur einmal genug Zeit hätte! – Den sehr schönen Nachmittag des ersten Feiertages habe ich ausnahmsweise einmal einen tüchtigen sehr wohlthuenden frischen Spaziergang (auf die Zeller Waldspitz)5 gemacht. Sonst haben wir hier außerordentlich kaltes Wetter (mit wenig Schnee) was hier seit 15 Jahren nicht vorgekommen sein soll. An den Morgen der beiden Feiertage war es –16 bis –14° R6 und meine Fenster thauten den ganzen Tag nicht auf. Läufst Du denn bei die Kälte auch spazieren? – Nun, mein lieber Alter, lebe recht wohl und tritt das neue Jahr 1854 recht gesund und glücklich an! Dies wünscht Dir von Herzen Dein treuer alter Junge Ernst H. 1 2
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Vgl. Br. 45, Anm. 15. Als Camarilla wurde in den 1850er Jahren eine einflussreiche Gruppe konservativer Persönlichkeiten um die Gebrüder Leopold und Ernst Ludwig von Gerlach bezeichnet, die in der Umgebung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. wirkten und die Ergebnisse der Revolution von 1848 zu revidieren suchten. Ihre geistigen Mentoren waren Heinrich Leo und Friedrich Julius Stahl, ihr Organ die „Neue Preußische Zeitung“ (Kreuz-Zeitung). Haeckel, Karl und Hermine, sowie ihr erstgeborener Sohn Carl Christian Heinrich. Vgl. Br. 203. Vgl. Br. 157, Anm. 14. Réaumur, ca. -17 bis -20°C.
201. Carl Gottlob Haeckel an Charlotte, Karl und Hermine Haeckel, Berlin, 29./30. dezember 1853
Meine Lieben!
Berlin 29 December 53.
Heute hatte ich sicher auf einen Brief aus Ziegenrück gerechnet, es ist aber keiner eingetroffen, nun hoffentlich morgen. Wir haben hier sehr kalte Feiertage gehabt, am 1sten früha 15 Grad Kälte, später 8 Grad, da thut es Noth warme Zimmer zu bekommen, mein kleines Kabinet läßt sich indeß recht gut erheitzen. Ich denke unendlich oft an Euch, bin fast immer in Gedankenb bei Euch und wünschte c auch körperlich mit Euch zusammen zu sein. Ich denke schon daran, wie ich mich auf der Reise
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recht einpaken und unversehrt zu Euch kommen will. Man ist doch, wenn man alt geworden, ein ganz andrer Mensch. So fühlt mich auch die Kälte weit mehr an, wie in meinen Jugendjahren und ich suche dies durch wärmere Kleidung zu ersetzen. Wir haben die Feiertage ganz still und ordentlich gelebt, den ersten war ich mittags bei Naumann1, den 2ten Mittags bei Julius2 (mit Heinrich3 geht es allmählich beßer). Abends war ich immer bei Vater und Bertha, gestern Abend besuchte ich Quinke4. Am Weihnachtstage kam beifolgender Brief von Ernst5 an, der nicht allein mir sondern auch Vater und Bertha große Freude gemacht hat. Der Junge spricht sich offen über sein Thun und Treiben aus bis zur Universität und der Genius, der ihn treibt, tritt ganz klar hervor. Ich habe diesen Brief auch Weiss6 und Quinke mitgetheilt und beide sind der Meinung, man soll ihn in seinen Studien gewähren laßen und nicht stören. Quinke meint nun: zum praktischen Arzt werde er es wohl nicht bringen, aber den medicinischen Kursus müße er durchmachen, das scheint auch Ernst selbst zu wollen. Ich habe ihm vorgestern geschrieben und freundlich zugesprochen. Auch zeigte ich Quinke das ärztliche Attest aus Rhanis.7 Quinke meint: Ernst müße sich hier zum März stellen,8 er (Quincke) werde ihn schon unterstützen. Das Attest lautet nehmlich dahin, daß Ernst ganzd gesund sei, was er am Knie doch nicht ist. Heinrich aus Stettin9 wurde hier ärztlich untersucht und zu schwach befunden. Als er sich ine Stettin stellte, hieß es: zum Kavalleristen sei er nicht zu schwach, und so hat er Husar werden müßen. Die verschiedenen Militärbehörden nehmen auf die anderweitigen Atteste keine Rüksicht. – Es ist doch mit der Individualität eine wahrhaft räthselhafte Sache, nie hätte ich mir träumen laßen, daß ich grade einen Naturforscher zum Sohn haben würde. Die geistige Entstehung und Entwikelung des Menschen bleibt doch etwas Unerklärliches. So denke ich mir oft: was wird in dem Kleinen10 in Ziegenrück steken und was wird aus ihm werden? Carl ist in vieler f Hinsicht mir nachgeschlagen und wenn er nur erst mehr Muße haben wird, so wird er auch geistig fortschreiten. Fast überall versichern auch die Appellations Gerichtsräthe: sie arbeiteten nur an den Vormittagen und hätten den Nachmittag für sich und Carl muß sich für ein Lumpengehalt bis in die Nacht hinein plagen! Das geht auf die Länge nicht. – Jacobis11 sind mehrere Tage hier gewesen und haben sich bestens an öffentlichen Orten amüsirt, einmal habe ich mit ihnen bei der Mutter Jacobi und einmal bei Vater gegeßen. Nichte Bertha12 ist mit ihnen nach Stettin gereist am heiligen Abend, undg hat heute geschrieben, daß sie morgen zurükkommt, was mir auch sehr lieb ist. Uebrigens sehne ich mich unendlich nach Dir, meine liebe Lotte, und ich zähle schon die Tage, wo ich Dich wieder haben werde. Man wächst doch in der Ehe recht zusammen. Vorige Woche hatte ich an Fritz Lampert geschrieben und bekam vorgestern schon Antwort. Mein herzlicher Brief hatte ihn sehr erfreut, ich hatte ihn gebeten, Amalie und Caroline13 das gewöhnliche Weihnachtsgeschenk einzuhändigen und er wollte es am 1sten Feiertage, wo die Giesel14 bescheren laßen will, mit aufbauen. Die Berechnung werde sich finden. Die Leinwand hat er abgeschikt und sie wird nächstens hier eintreffen. Am 1sten Feiertage haben sie in Hirschberg 23 Grad Kälte gehabt, hier bei uns nur 15, und dieses schon war genug. Am Weihnachtsabend ließ Bertha den Christbaum anzünden, was ihr viel Spas machte, Theodor15 und ich waren da, und es wurde Punsch getrunken. Am 1sten Feiertage gieng ich zu Jonas16 in die Kirche, am 2ten Vormittag war August Sack bei mir, da er einige Wochen in Dortmund gewesen und mir von unsrer Kohlengrube erzählte, sie haben außer den Kohlen auch viele Eisensteine gefunden, die
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wir an die dortigen Hochöfen gut werden versilbern können. Die Aussichten stellen sich als gut dar, aber unter 4 Jahren sind noch keine Zinsen zu erwarten. || Ich las in diesen Tagen ein Buch von Steffens „Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden“17 was er vor 36 Jahren geschrieben. Aber was hat sich die Zeit seitdem geändert, wie ganz anders ist sie geworden. Zuförderst äußerlich, die Industrie der Handel und Völkerverkehrh hat seitdem einen ungeheuren Aufschwung gewonnen, der durch die Eisenbahnen und Dampfschiffahrth noch bedeutend gesteigert worden ist, das constitutionelle Wesen ist inzwischen ins Leben getreten und damit ein großer Schritt vorwärts geschehen. Daß man es wieder niederdrücken will, wird die Sache nicht ändern. Kurz die Regierung kann nicht mehr offen und principiell nach Willkühr verfahren, auch wenn sie es (wie unter dem verstorbenen Könige18) noch so gut meint, sie muß ihre Willkühr versteken und ihr ein constitutionelles Gewand anziehn. Diese öffentliche nothwendige Anerkennung des Princips ist ein großer Schritt vorwärts, den alle Misbräuche der Regierung nicht rükgängig machen können, und welcher dereinst seine Früchte tragen wird. – Sodann sind seit 40 Jahren die kirchlichen Controversen in ihr volles Leben getreten, auch dieses ist ein Schritt vorwärts. Das Christenthum hat als göttliche Offenbarung und Bildungselement für die Menschheit seine volle Anerkennung gefunden, unter beiden streitenden Partheien. Den streng Orthodoxen und den Leuten des Fortschritts; grade die strenge Orthodoxie hat durch ihre Uebertreibung das wahre Christenthum gefördert, man hat geforscht: was denn das eigentlichei Wesen des Christenthums und ob es wirklich göttlichen Ursprungsj sei? und dieses immer klarer herausgestellt. Politisch und religiös sind wir jetzt in den bedeutendsten Kämpfen begriffen und die Regierung seit 1840 hat diese Kämpfe aufs wesentlichste gefördert. Man erstaunt oft, wie sonst vernünftige Menschen jetzt unter der Aegide der Regierung so ganz umgeschlagen sind, wie ihnen die einfachsten, gesundesten Ansichten entschwunden sind und sich in Zerrbilder verkehrt haben, so daß wir jetzt die entgegengesetzte Krankheit von der vom Jahr 1848 haben. Das sind unnatürliche Zustände, die auf die Länge nicht dauern können. – Sieht man sich das Getreibe der Hauptstadt an, so findet man die größten Contraste: einen überhand nehmenden Luxus, so daß die Wagen vor Gerson19 nicht Platz haben und dann wieder die Matthäikirche20 mit ihren frömmelnden Hofschranzen und dem Schweif der Absolutisten, denen alle Freiheit ein Wahnsinn ist und die sich so recht in der Knechtschaft zu gefallen suchen! Der wachsende Luxus hängt auch mit der wachsenden Industrie zusammen und geht durch die ganze Welt: wir finden ihn in Frankreich, England, Nordamerika, Californien und Australien. Je mehr der Mensch Herr der Natur wird, desto mehr vervielfältigen sich die Bedürfniße. Aber er darf nicht Sklave dieser Bedürfniße werden, es muß ein geistiges Princip geben, dem sich die äußere Bedürfnißwelt unterwirft. Dieses finden wir in dem Streben nach Entwikelung der geistigen Individualität und der politischen Freiheit und in dem keimenden Bedürfniß nach dem Erkennen des Wesens des Christenthums. Das Christenthum macht uns die äußere Welt unterthan und führt die materiellen Besitzthümer in die Schranke, wornach sie blos Mittel werden zu Ausbildung geistiger Fähigkeiten und einer wahrhaft menschlichen Kultur. Damit wir diese schätzen lernen, stellt uns die Weltgeschichte in dem vorwärts strebenden Rußenthum, welches das personificirte Barbarenthum ist, die Roheit und Willkühr in ihrer naktesten und widrigsten Gestalt gegenüber und droht uns mit diesem Schreckbilde, falls wir in Weichlichkeit und Schlaffheit versinken wollen. Das wird große Kämpfe geben.
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Die Welt ruht jetzt noch aus, um dann die Kräfte um so stärker aneinanderschlagen zu laßen. Dann denke ich mir: was werden unsre Kinder noch erleben! Zwar weist Christus hauptsächlich auf den ewigen Theil unsrer Natur zurük, und dem zufolge auf die Bekämpfung desjenigen Irdischen in uns, was dem Ewigen zuwider ist, auf die Bekämpfung der Sünde in allen ihren Gestalten. Aber schon in den Paulinischen Briefen21 findet sich das Anerkenntniß der Ausbildung der Individualität, jeder soll nach seinen besondern Kräften zur Verbreitung des Reiches Gottes auf Erden mitwirken. Dieses Reich duldet aber keine Rohheit, keine Barbarei, in jedem Individuum soll die Anlage zum Göttlichen anerkannt werden (allgemeine Menschenliebe, Humanität, keine süßliche, sondern mit Aufopferungen erkämpfte), die edle Menschlichkeit soll überall gefördert werden; dazu gehört auch die Anlage und das Gefühl für das Schöne, für die Kunst, die Erweiterung des Reichs der Wahrheit durch die Wißenschaft, die Ausbildung der Sitte. So sprießt alles, was wir europäische Kultur nennen, aus dem Boden des Christenthums. Diese Kultur ist bereits nach Amerika und Australien übergetragen und wächst dort fort und sie wird zuletzt auch ink Asien und Afrika einheimisch werden, wozu in Ostindien und Algerien schon der Anfang gemacht ist. Die Türken erkennen doch auch die Einheit Gottes und sind keine Götzendiener, aber es ist etwas Einseitiges, Faules in dem Mohammedanismus, die Frauen und das Familienleben kommen nicht zu ihrem Recht und der blinde Glaube an die Vorherbestimmung lähmt die Thätigkeit und Kraftentwickelung der Menschen. Die Türken können es mit den Europäern nicht aufnehmen, und sie werden sich, wollen sie in Europa bestehn, unbewußt christianisiren laßen müßen. || Den 30 December Auch heute noch kein Brief von Ziegenrück, Ihr laßt uns lange zappeln. Wir wollen aber keine Wiedervergeltung üben, sondern Brief und Kistchen abgehen laßen. Damit Ihr es zum Neujahr habt. Gott segne Euch alle zum Neuen Jahr; wenn es sein Wille ist, so laße er uns noch einige Jahre zusammen leben. Ein schönes Familienleben, so wie wir es haben, ist doch eine herrliche Sache. Jedes Glied rankt sich an dem andern empor, jedes will ein würdiges Theil des Ganzen sein. Insbesondre danke ich dem lieben Gott auf das Innigste, daß er mirl Dich, liebe Lotte, m und so liebe Kinder gegeben hat. Ich habe vielleicht, bei meiner unbändigen Natur, am schwersten zu kämpfen gehabt, aber das Streben nach dem höhern habe ich nie aus den Augen verloren, so toll es oft hergieng. Noch gestern wurde ich daran erinnert und zwar, wie Ihr Euch vielleicht wundern werdet, in einem gedrukten Buche, worin gedrukte Briefe von mir vorkommen. Püttmann22 hatte mir den Briefwechsel zwischen Göthe und Schulzn23 gebracht. In diesem ist voran eine Lebensbeschreibung von Schulz24, worin auch vorkommt, wie er Weihnachten 1810 in Grüssau waro, und wir unsre Bekanntschaft und Freundschaft erneuerten, und wir am 31 December mit Körber25 und Fesser26 zusammen den Sylvester (Schulz Geburtstag) feierten, worüber Schulz an seine Frau27 schreibt. Schulz war kein leicht verständlicher Mensch, aber bei großen Fehlern (starrsinnig und despotisch)p eine höher strebende Natur, was uns sehr an ihn heranzog. In Grüssau sprachen wir uns aus und ich wurde sehr an ihn herangezogen, was ich in einem Briefe an ihn, der mit abgedrukt ist, aussprach und zugleich von der damaligen Richtung meines Lebens Zeugniß giebt. Schulz war der Absolutismus angeboren und er würde falls er noch lebte wahrscheinlichq ein starker Gegner des
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Constitutionalismus sein, aber aus innrer Ueberzeugung, gemeine Triebfedern waren ihm fremd und er konnte für seine Ueberzeugung seine ganze Existenz daran setzen, wie er grade damals (im Jahr 1810) gethan, wo er mit dem Staatskanzler28 in den heftigsten Conflikt gerieth. Später hat er seine Freunde Schleiermacher, Reimer29, mich etc. gemieden, weil wir liberal und constitutionell waren. Aber wenn er noch lebte, ich würde doch zu ihm gehen und schwerlich von ihm laßen, so wie es mich noch heute zu Esmarch30 hinzieht. Das Gemüth geht über die Geistesrichtungen noch hinaus und man kann von dem nicht laßen, den man einmal ordentlich geliebt hat. r Die Differenz mit Esmarch, wovon ich in dem letzten Briefe31 schrieb, hat das Gemüth nicht berührt und es ist sogar in seinen divergirenden Ansichten Verstand, und man muß ihnen theilweise sogar beipflichten, aber er sieht die Dinge nicht so wie sie wirklich sind und darum hat er eine etwas schiefe Richtung genommen. Ich suche andrerseits wieder meine Ansicht durch seine zu berichtigen, aber ich bleibe in der Grundfährte, die ich eingeschlagen und gefunden habe und laße mich darin nicht irre machen. Wenn ich zu Euch komme, mündlich mehr. In diesen Tagen ist der General v. Radowitz32 gestorben. Während seine frühern Freunde ihn als einen Abtrünnigen verketzern, hat er doch die meisten seiner frühern Gegner von seiner Ehrlichkeit überzeugt. Eben weil er ehrlich war, verschloß er seinen Geist nicht gegen die großen Weltereigniße und ließ diese auf sich wirken, das geht aus s seinem Buche33, was ich Dir Carl dort gelaßen habe, klar hervor. Er wußte selbst seine Phantasie, auf der sein Katholicismus ruhte, in der Politik zu zügeln, was sein königlicher Freund34 nicht vermag und er wird nun dort die Auflösung der irdischen Räthsel finden, nach der wir uns alle sehnen. Er hat noch im letzten Moment seinen Kindern die Bedeutung des Weihnachtsfests erklärt, hat sich dann umgewendet und ist verschieden. Mittag 12 Uhr. So eben bringt der Postbote Eure Briefe v. 26sten35 nebst dem Päkchen Rebhüner und Weihnachtssachen. Abends 6 Uhr. So eben kommt Bertha36 von Stettin zurück. Heute Mittag machte ich das Päkchen von Ziegenrück auf und schikte est nebst Brief sogleich an Tante Bertha. Das ist ja eine meisterhafte Beschreibung des Jungens von Mimi, nun kann ich mir ihn sogleich zeichnen, schade daß Ernst nicht hier ist. In Stettin ist alles wohl, Christian37 kann von Mitte Januar an abkommen, oder vielmehr, es ist ihm am liebsten in der 2ten Hälfte des Januar. Mir aber ist es am liebsten, bald [bei] Euch zu sein. Ich wünsche also, daß wir spätestens den 15 Januar von hier nach Ziegenrück reisen. Nun arrangirt das Weitere. Außer Ernst’s Brief38 folgt noch einer von Frau v. Brauchitsch39 in Merseburg, den Du Lotte bald beantworten mußt, ferner einer von der Grumbach an Dich Lotte. Jetzt muß ich schließen. Die Sachen müßen zur Post. Hkl 1 2 3 4 5 6 7
Naumann, Friedrich Gustav. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Heinrich Georg Christoph. Quincke, Hermann. Br. 200. Weiß, Christian Samuel. Haeckel weilte im Oktober 1853 in Ziegenrück zu Besuch bei seinem Bruder und ließ sich offensichtlich im nahegelegenen Ranis (eventuell von dem befreundeten Kreisphysikus Gustav Adolph Krüger) untersuchen. Das Attest ist nicht überliefert.
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Musterung für den Militärdienst; vgl. Br. 149, Anm. 3. Sethe, Heinrich Christoph Moritz Hermann. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Jacobi, Helene, geb. Sethe; Jacobi, August; Jacobi, Charlotte Agnes, geb. Eichmann (Mutter). Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Vermutlich Amalie und Caroline Lampert, Töchter von Friedrich Lampert. Giesel, Auguste, geb. Lampert. Bleek, Theodor. Jonas, Ludwig. Steffens, Heinrich: Die gegenwärtige Zeit und wie sie geworden mit besonderer Rücksicht auf Deutschland. 2 Theile. Berlin 1817. Friedrich Wilhelm III., König von Preußen. Kaufhaus Gerson, das erste, 1848/49 eröffnete Kaufhaus in Berlin, Am Werderschen Markt 5 (heute Standort des Auswärtigen Amtes der Bundesrepublik Deutschland), in dem konfektionierte Kleidung angeboten wurde. Kirche am südlichen Rand des Großen Tiergartens in Berlin, erbaut nach Plänen von Friedrich August Stüler, 1846 eingeweiht. Vgl. die Briefe des Paulus im Neuen Testament (Paulus an die Römer, an die Korinther I und II, an die Galater, an die Epheser, an die Philipper, an die Kolosser, an die Thessalonicher I und II, an Thimotheus I und II, an Titus, an Philemon, an die Hebräer). Püttmann, Marcellius. Düntzer, Heinrich (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Goethe und Staatsrath Schultz. Neue, wohlfeile Ausgabe, Leipzig 1853. Düntzer zitiert in ebd., S. 38 f., einen Brief Carl Gottlob Haeckels an Schultz vom 10.1.1811, in dem es heißt: „Sie haben mich durch Ihre liebe Gegenwart und durch unser vierzehntägiges Zusammensein in Grüßau so vielfach angeregt, daß ich mich unmöglich wieder so bald in mich selbst verschließen kann, und daß ich diese wenigen Worte noch nachschicken muß, um nicht auf einmal wieder in den alten Kreislauf zurückzukehren. Wie viel die Anschauung eines vom reinen hohen Streben erfüllten Menschen in seinem ganzen eigenthümlichen Wirken und Handeln mehr werth ist als aller Umgang durch Bücher, das ist mir in dem Zusammensein mit Ihnen, theurer Freund, wieder recht klar geworden. Die Wissenschaften, das Studiren lassen den Geist allerdings nicht herabsinken, sie erhalten in uns das Bewußtsein einer höheren Bestimmung, höheres Streben für dieses Leben wird durch sie immer rege gehalten. Aber dieses allein kann sein, und man kann dabei doch sehr einseitig werden. Der Umgang mit vielen tüchtigen Menschen ist ein herrliches Mittel gegen solche Einseitigkeit, und gibt dem Streben erst Vollständigkeit und Vollendung. Ganz unwillkürlich hat unser Zusammensein in mir eine Recapitulation meines Thuns und Denkens veranlaßt; es ist mir nicht neu gewesen, und ich habe schon öfter die Erfahrung gemacht, daß eigentlich die fremde Eigenthümlichkeit der Spiegel ist, sich selbst zu erkennen; so lange man nur sich sieht, erfährt man nicht,was einem und wo es einem fehlt; indem wir aber vollständigere Naturen sehen, fällt uns der eigene Mangel in die Augen. Ich kann Ihnen für Ihre liebevolle Herzlichkeit, für Ihre offene Mittheilung nicht genug danken; ich habe mit Ihnen sprechen können, wie mit einem alten, längst gekannten Freunde; das hat mir sehr wohl gethan. Wir hatten uns vor einigen Jahren in Berlin zuerst mitgetheilt, und ich hatte es nicht vergessen: die jetzige Mittheilung ist vollständiger gewesen, sie wird mir in frischem Andenken bleiben. Denn, lassen Sie mich es sagen, Menschen von solchem reinen Streben, von solcher Tiefe des Lebens, wie sich bei Ihnen findet, sind jetzt selten. Ich komme mir sehr platt und flach vor, wenn ich Sie ansehe. Es gibt ein gutes Streben in mir, dessen bin ich mir bewußt; allein ich bin im Kampfe mit mancherlei irdischen Begehrungen, ich hoffe, darin nicht zu unterliegen, und das Unkraut, wenn auch nicht auszurotten, doch in Beschränkung zu erhalten. – Ich habe in Ihnen so viel Muth und Lust zum Leben gesehen, daß ich wirklich selbst lebenslustiger geworden bin.“ – Carl Gottlob Haeckel war Schultz erstmals 1806 in Berlin begegnet und arbeitete mit ihm im Winter 1810/11 als Spezialkommissar zur Säkularisierung des Klosters Grüssau zusammen, als Schultz als Chef der 1810 eingesetzten Hauptsäkularisationskommission in Schlesien tätig war.
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Schultz, Christoph Ludwig Friedrich. Körber, Friedrich Wilhelm. Fesser, Gerichts-Kanzler in Grüssau. Schultz, Maria Johanna Franziska Marcellina Philippina, geb. Püttmann. Hardenberg, Karl August von. Reimer, Dietrich Arnold. Esmarch, Heinrich Carl. Nicht überliefert. Radowitz, Joseph Maria Ernst Christian Wilhelm von. Von Radowitz publizierte mehrere Werke, die in der fünfbändigen Ausgabe seiner „Gesammelten Schriften“ (Berlin 1852–1853) noch einmal aufgelegt wurden. Welches Werk Carl Gottlob Haeckel bei Karl Haeckel zurückgelassen hatte, ist nicht zu ermitteln. König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. Nicht überliefert. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Sethe, Christian. Br. 200. Brauchitsch, Emma von, geb. von Oertzen.
202. Von Hermine Haeckel, [ziegenrück, Ende dezember 1853], mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Lieber Onkel Ernst und Schwager! Wenn ich auch nur ein paar Worte schreibe, da die strenge Frau Mutter1 nicht mehr erlaubt, da es die Ersten sind, so sollen sie Dir doch meinen herzlichen Dank sagen für das hübsche Buch u.s.w. und im Namen unseres Prachtjungen2 für Bilderbogen, Katze, Pudel u.s.w. über die er sich allerdings noch nicht freuen kann, obgleich er wirklich schon Verstand zeigt. Wenn Du ihn sähest, Du würdest sagen, „das ist ja ein abnormer Junge in allen Beziehungen“. Komm und sieh Du ihn Dir nur bald an, Du wirst eben so große Freude über den köstlichen Schatz haben wie Karl und ich und die Großmama, die ihn mitnehmen möchte. – Nun aber ade, leba wohl. In aller Liebe Deine Hermine. [Nachschrift von Charlotte Haeckel] Der Doctor3 läßt Dich schön grüssen, und sagen, Du möchtest nur mit Muth fordringen, die medicinische Wissenschaft werde Dich schon interessieren; es ginge anfangs allen Aerzten so; und Frau Doctorin4 sagt, || wenn Du erst einem geholfen so würde es Dir Freude machen. Der Doctor hat sich gegen Karl jetzt recht als theilnehmender Freund gezeigt; in der Nacht als der Kleine früh gebohren wurde, ist er immer in Karls Stube gewesen um bei der Hand zu sein wenn es Noth thäte, das war Gott sei Dank nicht nöthig. Auch die Nacht von Dienstag, wo Hermine so krank war,5 schlief er hier. – Jetzt können wir uns sehr freuen, daß es Mutter und Kind so gut geht. –
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Haeckel, Charlotte, geb. Sethe. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Krüger, Gustav Adolph. Ehefrau von Gustav Adolph Krüger. Zur Erkrankung Hermines vgl. Br. 199, S. 425.
203. An Charlotte Haeckel, Würzburg, 1. Januar 1854
Meine liebe Mutter!
Wuerzburg 1/1 1854.
Obgleich ich bis zu dieser Stunde noch immer vergeblich auf Nachricht von Dir und den lieben Geschwistern und dem kleinen homunculus1 gewartet habe und ich also von Rechtswegen noch nicht wieder an euch schreiben sollte, kann ich doch nicht umhin, den ersten Abend des neues Jahres euch meinen Liebsten zu widmen. Ich bin in der verflossenen Weihnachtswoche so herzlich und viel im Geiste bei euch gewesen, habe meine Gedanken so beständig nach Ziegenrueck und Berlin spazieren lassen, daß es mir oft ordentlich so zu Muthe ist, als hätte ich auch körperlich bei dem schönen Feste mit euch verkehrt. – Freilich wäre es auch allerliebst und mir die größte Freude gewesen, wenn ich Weihnachten bei euch hätte zubringen könnena und meinen lieben, kleinen Neffen zuerst von allen Verwandten gesehen hätte (wie ich auch mein glückliches Ehepäärchen zuerst auf ihrem Schloß besucht habe)2, aber es hätte sich doch sehr schwer gemacht; und andrerseits kann ich auch jetzt noch sagen, daß ich meinen Entschluß keineswegs bereue. Denn, wenngleich mir das traute Familienleben, welches eigentlich dem herrlichen Weihnachtsfeste erst seinen rechten Glanz verleiht, an diesem, wie am vorjährigen Feste fehlte, so habe ich doch diese Weihnachtswoche ganz gegen alle Erwartung so eigenthümlich fidel, oder wie der alte Heim3 sagen würde, in meinem Gotte vergnügt zugebracht, daß sie mir nie aus der Erinnerung schwinden wird.4 Ich habe in diesen frohen 8 Tagen recht einmal die schöne, freie Jugendlust des Studentenlebens gekostet, wovon ich vorher eigentlich keine Idee hatte, habe für einige Zeit alle melancholischen Grillen fortgejagt und bin trotz der herzlichen Sehnsucht zu euch Lieben, von Herzen vergnügt gewesen. Doch ich will euch lieber ein Bild von den einzelnen Tagen selbst vorführen, als noch mehr von Vergnügen schwatzen. Am Heiligabend war ich (ich weiß nicht, soll ich sagen, leider – oder glücklicherweise –) ganz allein. Vielleicht hätten Schenks mich wieder eingeladen; aber sie waren selbst nicht zu Haus. Grade als es dunkel zu werden anfing und ich, recht sehnsüchtig an die fernen Lieben denkend, und b mir ihre verschiedenen Situationen ausmalend, auf die dunkle, nur von dichtem Schnee erhellte, einsame Straße hinausschaute, wo gegenüber schon die Lichter des Tannenbaums angezündet wurden, fuhr ein Karren mit lauter Weihnachtskisten und Schachteln vor und heraufgeschleppt wurde – meine eigne Weihnachtskiste! Du kannst Dir denken meine liebste Alte, was mir das nun für eine Freude war! Wie ich sie eigenhändig voll Ungeduld und Erwartung aufschlug, wie sich eine Gabe Deiner mütterlichen Liebe nach der andern entwickelte und wie ich mir das Alles nun so recht nett neben einander aufbaute und dann meine Wirthin5 die Herrlichkeiten
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bewundern ließ – ich freute mich, jubelte und tanzte darum wirklich, wie 1 kleines Kind. Ich denke, diese Freude soll Dir der beste Dank sein, liebe, liebe Mutter, für die treue Sorgfalt und Liebe, mit der Du auch diesmal mich beschenkt hast. Wie sehr die reichliche Verproviantierung meiner Junggesellenwirthschaft zu Statten kömmt, brauche ich Dir nicht erst zu sagen; namentlich die famose Gänsebrust, welche meine Wirthin (da man hier so etwas gar nicht kennt) für einen Spanferkelrücken hielt, und als ich sie über die wahre Natur aufklärte, sich vor Staunen nicht zu lassen wußte, sowie die verschiedenen Würste sind sehr erwünscht und werden mir mindestens bis Ostern Abendbrot liefern. Der Topf des delicaten Pflaumenmußes war leider in 1000 + x Stückchen zerschmettert, indeß habe ich doch wenigstens 11/12 davon glücklich aus dem umgebenden Heu gerettet. Das sehr schöne Porte-monnaie kann ich ebenfalls sehr gut brauchen, da meine sämmtlichen 4 Börsen so total durchlöchert sind, daß in letzter Zeit mir die einzelnen Kreuzer immer in der Tasche herumtanzten. Tante Bertha schickte mir außerdem noch 3 rℓ von Großvater mit, wofür ich mir „Funkes“ klassischen Atlas der physiologischen Chemie6 angeschafft habe. Endlich hatten Bertha7 und Theodor8 noch ein porcellanenes allerliebstes Urbild meines Neffens und eine Pelzfrau vom Weihnachtsmarkt9 mit eingepackt, welche mich sehr amüsirten und am folgenden Abende 1 große Rolle spielten. || Nachdem ich mich über alle die schönen Siebensachen hinlänglich gefreut, und meine Wirthin durch das Geschenk eines Kronthalers10 in den höchsten Grad des Entzückens versetzt hatte, bummelte ich noch ein bischen in den Straßen und auf dem (allerdings sehr rudimentaeren und nur aus 1 Budenreihe bestehenden) Weihnachtsmarkt umher und erfreute mich an den Lichtern der Tannenbäume und den hell erleuchteten Läden etc. Dann nahm ich als extra Vergnügen zu Hause noch Berghaus physikalischen Atlas11 vor, in welchem ich bis um 12 blätterte, wo mich meine Bekannte, die meist in Professoren- oder andern Familien eingeladen waren, in den hell erleuchteten Dom abholten, wo bis 2 Uhr Christmesse gelesen und schöne Choere gesungen wurden, von denen ich jedoch, da ich schauderhaft fror, herzlich wenig genossen habe und froh war, als ich mich in mein warmes Bett drücken und tüchtig ausschlafen konnte. Am Weihnachtssonntag war ich früh in der Kirche, hörte jedoch keine besonders gute Predigt. Nachmittag machte ich bei dem schönsten klarsten Sonnenschein, aber tüchtiger Kälte, so daß der Schnee unter jedem Tritte knarrte, einen tüchtigen Spaziergang, der mir, da ich lange nicht aus den Mauern gekommen war sehr gut that. Ich ging ganz solo auf die Zeller Waldspitz12, wo man eine sehr schöne Aussicht hat (dieselbe, welche ich Karl zum Geburtstag schenkte)13. Die dicht beschneiten Felder und Weinberge, der fast ganz zu Eis gewordene Main, in welchem nur hie und da 1 kleiner grüner Faden sichtbar war, die ganz in Schneemäntel eingewickelten Bäume, die klaren, scharfen Umrisse der fernen Weinberge, der rein blau strahlende Himmel; alles vereinte sich zu der schönsten Winterlandschaft, die noch einen eigenthümlichen Zauber durch die friedliche Sonntagsstille erhielt, welche von keinem Menschentritt, keinem Wagengerassel auf der Landstraße, nicht einmal vom Krächzen einer Krähe oder vom Rauschen eines Baums unterbrochen wurde. Ich dachte dabei recht lebhaft an die schönen, lieben Ziegenrücker Schluchten und Tannenwälder, welche jetzt gewiß auch in dichtes Schneekleid eingehüllt sind. – Am Abend des ersten Feiertags kam aber nun meine eigentliche Bescheerung, welche mir ungemein viel Freude gemacht hat, und deren Genuß ich allein meinem lieben Freunde Hein verdanke. Dieser lud mich nämlich schon ein paar Tage vorher
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zur Theilnahme an der Ausrüstung eines Weihnachtsbaums ein, welchen er und seine specielleren Freunde sich aufbauen wollten. Jeder gab dazu ein Geschenk. Ich gab das Liederbuch „Trösteinsamkeit“ von Wackernagel14, und 2 neu in Farbendruck erschienene Ansichten von Würzburg15. Jener Freundeskreis ist derselbe, von dem ich Dir schon öfter erzählt habe, welchen ich stets um sein nettes Zusammenleben beneidet und an dem ich gar zu gern selbst Theil gehabt hätte (Früher befand sich auch Virchows Schwager, August Meyer16 aus Berlin, darin). Er besteht jetzt aus 6 sehr netten Leuten17: 1. Hein, 2. sein Stubenbursche Gerhard18, aus Speier, Assistent von Koelliker, ein sehr großes Genie (nach dem schon im 16ten Jahre von Schultz Bipontinus19 eine neue Pflanzenspecies Cirsium Gerhardi20 benannt wurde). 3. 4. Zwei Meklenburger, Brummerstaedt21 aus Rostock und Piper22 aus Schwerin. 5. 6. zwei Schweizer, Boner23 und Schuler24, welche mich, wie die meisten ihrer Landsleute, durch ihre große Offenheit und treuherzige Gemüthlichkeit, sehr ansprechen. Um 8 Uhr Abends rückten wir alle in Compagnie auf die Bude von Brummerstädt, wo aufgebaut war. In der Mitte des Tisches stand ein schöner, bis an die Decke reichender Tannenbaum, welchen Hein nach unsrer norddeutschen Weise (die hier ganz unbekannt ist) sehr hübsch ausgeputzt hatte, mit Netzen, Ketten und Zuckerwerk versehen, ganz wie zu Hause. Daran hingen außer vielen komischen Figuren auch eine Menge allerliebster Sticheleien und Neckereien für jeden Einzelnen. So hing in einem Netze mit der Aufschrift: Ernst Haeckel aus Potsdam, c Professor der Botanik und Heumachekunst, 1 Topf, und als ich ihn herunter nahm, fand sich darunter versteckt 1 höchst putziges kleines Männchen in mittelalterlicher Professorentracht, mit Brille, grauen Haaren, gelbem Frack schwarzem Barett, blauer Weste und weißen Gamaschen, auf der rechten Seite ein großes rothes Herz, auf dem er die Hand hält, und aus dem oben Blumen hervorgucken, mit dem Motto: „Immer das Herz auf dem rechten Fleck!“ Die Physiognomie ist wirklich köstlich; das schwache Abbild des ganzen Kerls || folgt nebenbei in Lebensgröße, von vorn, und von der rechten Seite.
Dann stand unter dem Baum ein Student, vor dem ein Wickelkind lag und hinter dem in einer Badewanne 1 etwas älterer, kleiner Junge strampelte, darunter die malitiösen25 Worte: „Haeckel, die Vaterfreuden vor sich, die Onkelfreuden hinter sich!“ –
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Solche lustige, oft wirklich höchst komische, Scherze die uns sehr viel zu Lachen und Spaßen gaben, hingen und standen in Menge am Lichterbaum. Darunter lagen die einzelnen Geschenke, welche später verloost wurden. Ich erhielt ein sehr hübsches großes Weinglas in Becherform, in dem auf rothem Grunde Weintrauben und Weinguirlanden und Blätter eingeschliffen sind, welches Gerhard gegeben hatte. Auch über dieses Schicksalsspiel wurde viel gelacht. Natürlich wurden mir viel gute Regeln gegeben, das schöne Glas gut zu gebrauchen und ich mußte auch selbigen Abend gleich den Anfang damit machen, wozu aus verschiednen Flaschen Affenthaler26 (der einzige rothe Frankenwein), bei welchen ich nicht weniger als 3 mal Schmollis27 trank, Gelegenheit gaben. Zuletzt wurde sogar noch 1 Bocksbeutel28 und schließlich gar 1 Flasche Champagner daraufgesetzt, worauf wir um 2 Uhr höchst vergnügt und selig auseinandergingen, nachdem u.a. auch auf das Wohl meines hoffnungsvollen Neffen getrunken worden war. Fast hätte ich vergessen, daß Hein mir noch privatim einen hübschen Rohrstock aufgebaut hatte, neben welchem ein „Eingesandt“ aus dem Würzburger Abendblatt lag, in welchem sich verschiedene Damen über die groben, krummen, häßlichen, abgetragenen Stöcke beschwerten, mit welchen sich einzelne Studenten, die nichts auf Sitte und Anstand hielten, auf der Straße sehen ließen.29 Das ist gewiß Wasser auf Karls Mühle, der sich auch immer über seines Bruders lumpige Stöcke, Röcke, Mützen etc ärgert. Dabei muß ich dir doch sagen, daß nicht nur Hein, sondern auch Herr Arnold v. Franqué mich zeitweise bloß besucht, um meine Kleider etc zu visitiren, ob nichts zu zerlumpt ist, und um dann gehörig darüber zu raisonniren30 und 1 förmliche Anstandspredigt, über die ihr euch freuen würdet, zu halten. Wenn ich mirs nur mehr zu Herzen nähme!! – Am Weihnachtsmontag (2. Feiertag) war es so kalt, daß ich den ganzen Tag zu Hause blieb und mich meines lieben, unübertrefflichen Microscops erfreute. Es ist jetzt d überhaupt hier so kalt (z. B. an den Ferientagen –14–16° R31) wie seit langen Jahren nicht. Seit 8 Tagen haben wir auch sehr tiefen Schnee und schöne Schlittenbahn, was von den Studenten (namentlich den Chors32) zu häufigen Schlittenfahrten benutzt [wird]. – An den andern Tagen dieser Woche habe ich meist den ganz Tag praeparirt, oder früh bei Koelliker Zahnschliffe und Knochenschliffe microscopirt, bin auch endlich mit den Nerven meines Kopfes ganz fertig geworden. Am Dienstag Abend kneipte ich mit den 6 Weihnachtsfreunden Bier, am Mittwoch Abend ebenfalls mit Steudner und 2 badischen Oberländern, Thiry33 und Schmid34, aus Freiburg, wobei ich jedesmal 2 Seidel (für mich unerhört!) trinken mußte. Jene Badenser sind auch Botaniker, im Übrigen sehr liebe und treuherzige, aber ganz eigenthümliche Leute, welche mir ganz den Character des Süddeutschen in seiner ganzen Eigenthümlichkeit vergegenwärtigten. Sie sind doch sehr von uns zurückhaltenden, verschlossnen Norddeutschen verschieden! – Wie schlimm ist es nur, daß man allemal, wenn man mit andern Leuten kneipen geht, so schrecklich genöthigt wird, nolens volens Bier zu schlucken. Dies empfand ich auch recht schmerzlich am Freitag Abend. || Am Abend des 30sten December hatte ich nämlich zum erstenmale das Glück, einen allgemeinen großen Bier-Commers mitzumachen, welchen die gesammte Studentenschaft den resp. Herrn Professoren, Privatdocenten etc in den großen Warmuthschen Säälen35 gab. Anfangs schien aus der ganzen Geschichte nichts werden zu wollen. Als aber die ersten Stunden vorbei waren, e gestaltete sich das Zauberfest über alle Erwartung glänzend, wozu hauptsächlich die
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Anwesenheit sämmtlicher Chors-Verbindungen beitrug. Allein nicht nur diese waren mit ihren in x verschiednen Farben prangenden, silbergestickten Cereviskäppchen36, Bändern, Schärpen etc in größtem Glanze da, und renommirten, daß es 1 Lust war, anzusehn, sondern auch jeder, der nur irgend einmal bei einer Verbindung auf einer beliebigen Universität gewesen war, hatte jetzt sein Band und Cerevis hervorgesucht; und so kam es dann, daß wir eine förmliche Musterkarte aller möglichen Verbindungen, aus Jena, Bonn, Göttingen, Heidelberg, Tübingen, München, Erlangen etc überblicken konnten. Natürlich wurden 1 Masse Toaste ausgebracht resp. Salamander37 gerieben; erst auf die anwesenden Professoren („welche unser Fest durch ihre Gegenwart verherrlichen), dann auf den Rector38 (welcher mit einem Hoch „auf die Harmonie der Studenten“ antwortete, ein besonderes Stichwort, da die Harmonie39 von den Chors in Verruf gethan ist), dann auf die akademische Freiheit etc, endlich auch auf den „alten Staberle“, den „Senior der hiesigen H. H. Professoren“, wie der alte 75jährige H. Hofrath Cajetan v. Textor betitelt wurde, welcher höchst fidel mittrank, mitsang und mit einem Gegentoast antwortete, in dem er uns eine ebenso jucundam et honestam senectutem40, als 1 jucundam juventutem41 wünschte. – Die Chorgesaenge, von einem Musikchor (das den ganzen Abend spielte) begleitet, waren mit das Schönste; die schönen alten Burschenlieder aus den 300 mit Bier geschmierten Kehlen ertönend nahmen sich in dem colossalen, weiten Commerssaale wirklich ganz famos aus. Und wieviel trank ich Bier? Denkt euch, 4 (schreibe 4) ganze Seidel42!! Freilich, wenn selbst die H. H. Professoren, z. B. Kölliker, Mueller43, Gegenbauer sich 1 Vergnügen daraus machen, einem Etwas vorzukommen, da muß man wohl nolens volens nachkommen! – Um aber die colossale Bummelei dieser Woche vollzumachen und gleich in das neue Jahr hinüberzubummeln, mußte ich am folgenden Abende, am Sylvester, wieder trinken, und zwar zuerst Bier, dann Bocksbeutel, dann Punsch! Dies war nämlich bei Schenks, welche mich nebst Hein und Gerhard eingeladen hatten, das neue Jahr bei ihnen zu erwarten. Wir fanden daselbst den vorjährigen Rector, Professor der Philosophie, Hoffmann44 nebst Frau45 (deren letzterer Nachbar ich war, und sie also auch schlechterdings unterhalten mußte). Anfangs war es ziemlich langstielig, indem Hr. Hoffmann zu unserer großen Befriedigung (?) uns sämmtliche philosophischen Systeme neuerer Zeit auseinander setzte, das von Franz Bader46 als das bei weitem Beste hinstellte, und gegen die unphilosophische Atomistik47 der Naturforscher eiferte. Später aber, als der spiritus vini divinus48 auf ihn einzuwirken anfing, wurde die Philosophie an den Nagel gehängt und eine Menge sehr komischer und amüsanter Anecdoten und Geschichtchen vorgeholt, welche wirklich sehr ergötzlich waren. Auch machte sich Hr. Hoffmann ein Vergnügen daraus, die ganz verrückten politischen Ansichten von Schenk (der aus einem frühen Radicalen jetzt ein großer Russenfreund geworden ist, für Absolutismus, Reaction etc schwärmt) herunter und lächerlich zu machen, wobei wir ihn kräftiglichst unterstützten. Kurz, wir verbrachten den letzten Abend des alten Jahres noch sehr lustig und gemüthlich, was mir auch ganz recht war, obgleich ich grade am Sylvester eigentlich lieber allein zu Hause gewesen wäre und mich einmal wieder etwas über mich selbst und meine Verkehrtheit geärgert, und gute Vorsätze für das neue Jahr gefaßt hätte. Doch was helfen einem die guten Vorsätze; je mehr man sich vornimmt desto weniger wird immer daraus; traurig, aber wahr! – [Briefschluss fehlt]
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Haeckels Neffe, Carl Christian Heinrich Haeckel. Zum ersten Besuch Haeckels in Ziegenrück vgl. Br. 154. Heim, Ernst Ludwig. „[…] dann ging ich, in meinem Gott höchst zufrieden und vergnügt, nach Hause […]“, zit. nach: [Keßler, Georg Wilhelm:] Nachrichten von dem Leben des Königlich Preußischen GeheimenRathes und Doktors der Arzeneiwissenschaft Ernst Ludwig Heim, gesammelt zur Feier seines 50jährigen Doktor-Jubiläums den 15ten April 1822. 2. Aufl., Berlin 1823, S. 33. Müller, Katharina. Funke, Otto: Atlas der physiologischen Chemie. Zugleich als Supplement zu C. G. Lehmann’s Lehrbuch der Physiologischen Chemie. Leipzig 1853; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 59 (=99). Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Bleek, Theodor. Beide Geschenke nicht überliefert. Talermünze des Königreichs Bayern, geprägt nach dem Regierungsantritt des Königs Ludwig I. von 1826–1829, die bei einem Gewicht von 29,54 g und einem Silberanteil von 87,1% mehr Silber enthielt als alle späteren bayerischen Talermünzen und deshalb in der Bevölkerung sehr beliebt war. Vgl. Br. 129, Anm. 3. Vgl. Br. 157, Anm. 14. Nicht überliefert. Wackernagel, Philipp: Trösteinsamkeit in Liedern. Frankfurt a.M. 1849; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 130 (=237). In den Jahren 1852–1854 sind mehrere neue Lithographien von Stadtansichten Würzburgs veröffentlicht worden. Anlass und Gegenstand der Darstellung sind häufig die in diesem Zeitraum neu errichteten Gebäude der Universität wie etwa das Anatomiegebäude oder das chemische Laboratorium. Welche Ansichten Haeckel hier anspricht, ist daher schwer einzugrenzen. Mayer, August. Siehe auch Abb. 39–45, S. 539 f. Gerhardt, Carl Jakob Adolf Christian. Schultz, Carl Heinrich; der Beiname Bipontinus rührt von dem latinisierten Namen seiner Geburtsstadt Zweibrücken her. „Cirsium Gerhardi“, eigentlich Cirsium Gerhardti Sch.-bip. ist ein Bastard zwischen zwei Arten der Gattung Cirsium, Kratzdistel: Cirsium eriophorum (L.) Scop. (Wollkopf-Kratzdistel) x Cirsium lanceolatum Scp., (Syn.: Cirsium vulgare (Savi) Ten., Gewöhnliche Kratzdistel), Familie: Asteraceae (Korblütler). Carl Heinrich Schultz (gen. Bipontinus, Sch.-bip.) hatte den Bastard 1849 unter dem Namen Cirsium Gerhardti beschrieben; vgl. Flora oder allgemeine botanische Zeitung, hrsg. von der königl. bayer. Botanischen Gesellschaft zu Regensburg. Neue Reihe. 12. Jg., Nr. 35, Regensburg 1849, S. 545–552. In dem Beitrag schildert er ausführlich die Fundumstände: „Dann wurde es [C. Gerhardti] in der Rheinpfalz von Carl Gerhardt! gefunden, zuerst ein Stock im August 1848 bei Heiligenstein in der Nähe von Speier und dann am 26. August 1849 zwischen Speier und Ludwigshafen auf der Neuhofer Gänse- oder Sauweide, in der Nähe des Ludwigdamms, bei der Krieglagge, gegen den Altrhein eine gute viertel Stunde von Neuhofen. Am 29sten August verfügten mein Freund Dr. G. F. Koch von Wachenheim und ich in Gesellschaft von Carl Gerhardt uns an den Standort und beobachteten die Pflanze lebend unter den Eltern. […] so musste unsere Pflanze nach dem zweiten Finder [Der erste Finder war ein Pfarrer Brunner, der Name Cirsium Brunneri war allerdings schon vergeben; vgl. ebd., S. 549.], Carl Gerhardt, genannt werden, einem sechzehnjährigen Gymnasiasten von Speier, welchen ich voriges Jahr während seines einmonatlichen Aufenthalts in Deidesheim als fleissigen und glücklichen Forscher schätzen gelernt habe.“, ebd., S. 549. – Carl Gerhardt studierte ab 1850 in Würzburg Medizin; vgl. NDB, 6 (1964), S. 284. Brummerstädt, Wilhelm Carl Ludwig. Piper, Albert Carl Johann Wilhelm.
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Boner, Johann Heinrich. Schuler, Fridolin. Von frz. malicieux: arglistig, schelmisch. Spätburgunder, badische Qualitätsweinsorte. Vgl. Br. 153, Anm. 6. Vgl. Br. 100, Anm. 15. Nicht ermittelt. Abwertend für eine wortreiche aber ergebnislose Rede. Réaumur , entspricht -17,5 bis -20 °C. Korps, Studentenverbindungen. Thiry, Carl Rudolf. Schmid, Gustav. Säle im Wohnhaus des königlichen Rechtsanwalts Dr. Anton Josef Warmuth, Markt 338 in Würzburg. Schirmlose, runde, aus weichem Tuch gefertigte, mit den Verbindungsfarben versehene und bestickte Kappe der Studentenverbindungen, Bierhut, von lat. cerevisia: Bier. Vgl. Br. 124, Anm. 36. Albrecht, Joseph Ambros Michael von. Vgl. u.a. Br. 100, S. 146, bes. Anm. 13. Toast auf die beliebten und verehrten Alten. Toast auf die beliebte Jugend. Typisches bayrisches Biergefäß für eine halbe Maß, welche vor der Einführung des Dezimalsystems 0,535 l betrug. Müller, Heinrich. Hoffmann, Franz. Hoffmann, Engelbertha. Baader, Benedict Franz Xaver (Ritter von). Weit verbreitete metaphysische Annahme von der Existenz kleinster, nicht weiter teilbarer Grundeinheiten, einhergehend mit der Überzeugung, z.B. biologische Prozesse auf physikalische oder chemische Vorgänge zu reduzieren. Lat.: der göttliche Weingeist.
204. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 9. Januar 1854
Lieber Ernst
Ziegenrück | 9 Januar 1854
So muß ich Dir denn auf Deinen lieben ausführlichen Brief1, der heut angekommen, wieder nur mit einigen Zeilen antworten. Die Fatalität von der bis dato nichta angekommenen Stolle, und was sonst im Paket war, wird Mutter gemeldet haben. Der dabei liegende Brief sollte Dich benachrichtigen – und dafür thut es jetzt dieser – daß wir Dich lieben alten Jungen zum Pathen unsres Jungelchens2 auserkoren haben und Dich freundlichst bitten, wenn möglich, zur Taufe, die am 18ten d. M. sein wird hier zu sein. Doch gestehe ich Dir offen, daß letzteres eigentlich nur ein Wunsch ist von dessen Nichterfüllung ich schon im Voraus überzeugt bin. Ja, wenn Ferien wärn! Das läßt sich nun aber einmal nicht immer so einrichten, wie man es gerade wünscht. Hole es nur durch baldigen späteren Besuch nach, den Du uns vielleicht schon im Frühjahr machen kannst. Vater scheint nämlich doch für || nöthig zu halten, daß Du Dich dann persönlich zur Aushebung3 stellst. Ich schreibe Dir das jetzt, wenn es Dir auch unlieb sein
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mag, damit Du nachher nicht aus schönen Träumen über Ferienbeschäftigung gerissen wirst. Einen Theil der Ferien kannst Du ja immer noch in Würzburg zubringen, und eine zeitweise Ausspannung aus dem kontinuirlichen Studiren ist am Ende doch recht gut. Sei nur so gut und widerstrebe dem nicht weiter, wenn Vater es einmal so will. Ueber Dein Festzeit-Leben habe ich mich sehr gefreut, alter Junge; am meisten daß Du Dich an nette Leute enger angeschlossen zu haben scheinst und auch mal ordentlich unter die Menschen gekommen bist. So ein großer Kommers4 hat in der That etwas Hochpoetisches. Ich habe mich in den Festtagen etwas ausgespannt, nachher aber wieder tüchtig herangemußt, und dieser Tage recht mit großen Sachen zu thun gehabt. Drum kann ich Dir auch nicht viel Gescheites schreiben; was kann so eine ausgedörrteb Zitrone noch für Saft von sich geben? || Ueber den Jungen habe ich täglich viel, sehr viel Freude, und meine Mimmi ebenfalls. Bleib auch im neuen Jahre mein alter lieber treuer Bruder wie ich der Deine Karl. 1 2 3 4
Br. 203. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Gestellung zum Militärdienst; vgl. dazu auch u.a. Br. 149, Anm. 3 und Br. 201, S. 430. Lat. commercium: Verkehr; hier Feier bei Studentenverbindungen.
205. Von Charlotte Haeckel, ziegenrück, 10. Januar [1854]
Mein lieber Herzens Ernst!
Ziegenrück 10/1
Eben erhalte ich Deinen lieben Brief,1 wofür ich Dir herzlich danke; den ich mit eben soviel Unruh erwarttet habe, als Du Nachricht von uns; und daß Du die nicht bekommen ist nicht unsere Schuld; da schon vor 14 Tagen ein Paket an Dich von hier mit der Post abgeschickt ist; das muß leider verlohren sein, Karl will nachher zura Post gehn und nachfragen. – || Karl und Hermine schickten Dir eine Stolle; dabei waren Briefe von uns gepackt, ich hatte noch einige Deskonfets2 und sonstiges Naschwerk dazu gethan; dazwischen hatte ich 2 Briefe von Vater gethan und einen fünf Talerschein, wovon Du die Fracht der Berliner Kiste und das Porto für das Paket bezahlen solltest; ich wünsche nur daß Du es || noch erhalten hast; es wäre mir sehr ärgerlich, wenn das in fremde Hand gekommen wäre. – Wir hatten Dir dabei geschrieben, wie wir den Heiligabend still in unserem kleinen Kreis aber heiter verlebt und glücklich im Besitz des lieben Jungen3; an dem Du Deine große Freude haben wirst. Am ersten Feiertag Nachmittags als Doctors4 hier waren, kam Deine Schachtel und Deine || Liebe, die aus allem sprach, hat uns viel Freude gemacht. Das und unsern Dank ist alles in das Paket gepackt und am 2ten Feiertag von hier abgegangen. – Hermine hat zwar ihre Stube noch nicht verlassen, doch geht es ihr leidlich wohl; der Junge gedeiht prächtig. –
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Am 18ten wird nun wohl die Taufe sein, wo Du Gevatter stehst; wie schön wäre es wenn Du bei uns sein könntest; doch sehe ich wohl ein, daß Du bei der Kälte die Reise || [ ] Daß ich in den Festtagen und beim Jahreswechsel täglich, ja stündlich mit der innigsten Liebe Deiner gedacht habe brauche ich Dir wohl nicht erst zu sagen, meine Wünsche für Dein Wohl hatte ich Dir in dem neuen, wahrscheinlich verlohren gegangenen Brief ausgesprochen. Wie viel spreche ich jetzt von Dir, und muß ich doch immer daran denken, wie Du Dich über unser || Jungelchen freuen wirst; es ist auch ein gar zu drolliger kleiner Kerl; und sieht einen schon so herzig mit seinen lieben Augen an. Du kannst Dir kaum einen glücklicheren Vater denken als Karl ist; wenn der Aermste nur nicht so gar viel zu arbeiten hätte. Zu meinem höchsten Glück gehört es auch, daß Ihr beiden Brüder Euch so lieb habt, dabei möge es auch immer bleiben. Schwerlich werde ich Dir von hier noch einmal schreiben können; denn ich werde in der nächsten Zeit tüchtig zu thun haben.b [Briefschluss fehlt?] 1 2 3 4
Br. 203. Veraltet für: Konfekt (von lat. confectum = zubereitet). Haeckel, Carl Christian Heinrich. Krüger, Gustav Adolph; Krüger, Ehefrau.
206. Von Carl Gottlob Haeckel, ziegenrück, 20. Januar 1854, mit nachschrift von Adolph Schubert
Mein lieber Ernst!
Ziegenrück 20 Januar 54.
Deinen lieben Brief1 vom 15ten haben wir gestern erhalten und danken Dir für Deine Glückwünsche. Christian2, Adolph Schubert und ich sind am 16ten Mittags 2 Uhr wohl behalten hier angekommen und haben alles wohl gefunden. Am 17ten ruheten wir uns aus und vorgestern den 18ten war der Tauftag. Die Taufe war mittags 1 Uhr, der Superintendent3 verdarb nichts. Gegen 2 Uhr setzten wir uns zu Tisch und gingen erst Abends zwischen 7–9 Uhr auseinander. Es waren 14 Personen bei Tisch.a H. Lindig4 stand auch Pathe, die Frau Doktor5, Vater Christian, ich, Adolph, die übrigen Pathen waren abwesend. Der kleine Kerl6 ist lebendig und kräftig und spielt hier die Hauptrolle. Früh wird er gebadet, wobei wir zugegen sind, er sieht aus wie eine Füllwurst, hat sehr hübsche blaue, muntere Augen, und bewegt fast in einem fort Hände und Beinchen. Das Baden läßt er sich sehr wohl gefallen; wenn man mit ihm spricht, besonders die Mutter, so giebt er hin und wieder Töne von sich, als wollte er sprechen, lacht und ist freundlich und ergötzt uns so ganz höchlich; und so besehn wir ihn denn wohl des Tags über ein halb Dutzend mahl. Die Brust läßt er sich wohl schmeken. Wir leben hier sehr gemüthlich zusammen, plaudern, gehn spatzieren, Abends wird eine Partie Whist7 gemacht. Das Wetter ist ungemein schön, milde und heller Sonnenschein, nicht viel Schnee, die Schlittenbahn ist zu Ende. Wir hatten uns auf dieser Reise vor großer Kälte, Schneewehen etc. gefürchtet, das alles aber ist nicht eingetreten, wir haben unterwegs wenig Schnee gefunden. Mutter ist
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ziemlich wohl, sie hat etwas Ausschlag im Gesicht und hinter den Ohren. Ich bin sehr froh, daß ich sie wieder habe und mit nach Hause nehmen kann. Die Gemüther sind so zusammengewachsen, daß mir etwas Wesentliches fehlt, wenn sie nicht bei mir ist. In Berlin ist alles wohl, der kleine Ankömmling ist auch dort das Gespräch des Tages. Grosvater hatte von selbst den Einfall, die schöne Taufdeke, unter welcher seine Kinder bei der Taufe gelegen haben, aufsuchen zu laßen und mit hieher zu geben, sie ist über 100 Jahr alt und schon durch mehrere Generationen gegangen. Dem Kleinen mußte ein Stöpselchen in den Mund gegeben werden, damit er während der Taufe still war. Dieser Akt hat für mich etwas sehr bedeutendes. Es will etwas sagen: eine junge Seele dem Christenthum zu überweisen. Das begreift der am besten, der die Geschichte kennt und weis, was das Christentum auf der Erde gewirkt hat und so habe ich denn in aller Andacht mein Bekenntniß für ihn abgelegt. Die Wirkungen des Christenthums auf der Erde werden immer sichtbarer, immer mehr verbreiten sie sich auf allen Theilen der Erde, immer mehr erziehen sie das Menschengeschlecht und schon jetzt ist eine Wechselwirkung der Völker auf einander eingetreten, von der man früher keine Ahnung hatte. Sie wird immer größer und das Christenthum zuletzt Welt-Religion werden. Der Verkehr z. B. zwischen Europa und Nordamerika ist ungeheuer. Von Berlin gehn täglich 90.000 Briefe auf der Route nach Cölln8 ab, die zum Theil bis Cölln abgesetzt, von Cölln aus aber weiter nach Frankreich, England, Amerika und Australien spedirt werden. Aus Nordamerika kommen wöchentlich 12 000 Briefe in Berlin an, die von da aus weiter vertheilt werden. Der junge Reimer9 (der Seemann) kommt in diesen Tagen nach Berlin zurük. Er hat 6 oder 8 Mahl die Linie paßirt10, ist 2 Mahl in China gewesen. Die Sunda Inseln im indischen Archipelagus11 (so schreibt er) sind das schönste, was er gesehen, Himmel, Klima und Vegetation. Als er an die malabarische Küste gekommen, hat er eine ganz neue Welt gefunden, ganz andre Menschen (die Hindus) die schönsten Cedern und die Hauptarbeiter sind nicht Menschen, sondern die Elephanten gewesen, welche die meisten Arbeiten mit der größten Geschiklichkeit verrichten. Ich werde mir recht von ihm erzählen laßen und dann will ich Dir möglichst viel mittheilen. Dein letzter Brief12 kehrt wieder einmal die dunkeln Seiten Deiner Ansichten heraus, er starrt voll schwarzer Striche. Du lebst noch immer zu sehr in extremen Stimmungen, das wird sich mit der Zeit wohl geben. Deine Verzweiflung über das Rescript des Kultus-||Ministers,13 das Dir die Aussicht zum Privatdocenten verbauen soll, ist keineswegs begründet. So ein Ding geht in die Welt und es wird dann davon so viel modificirt, bis nicht mehr viel übrig bleibt. Unsere jetzige Regierung schlägt die Natur der Dinge so mit Fäusten ins Gesicht, daß wenig b von ihren Schöpfungen übrig bleiben wird. Die Natur wird sich rächen und jene Schöpfungen werden wie Seifenblasen auseinanderfallen. Ich kann jene Maasregel nicht so genau beurtheilen, sie schmekt aber wie fast alle übrigen nach Monopolisirung und Privilegien, von der freien Entwikelung der menschlichen Kräfte und was diese bedeutet, hat diese Regierung keine Ahnung und grade diese Entwikelung spielt jetzt die Hauptrolle in der Weltgeschichte. Sie ist dieser stokbornirten Regierung ein Gräuel. Also sei nur unbekümmert. Freund Weiß14 meint, Du sollst nur den Weg zum Profeßor immer ruhig fortwandeln. Da wirst Du aber freilich noch viel zu lernen haben und bei deinem Fleiß kann es nicht fehlen, daß Du etwas ordentliches lernen wirst. Ferner kümmere Dich nicht wegen des Herkommens zu Ostern, ich werde alles thun, daß Du nicht
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abgerufen wirst.15 Sollte dieses nicht zu bewirken sein, so kommst Du auf ein Paar Tage nach Berlin um Dich zu stellen und kannst dann sogleich als dieses geschehen ist, wieder abreisen. Wir wollen Dich in Deinen Studien nicht stören. Und so arbeite nur fleißig fort und mache Dir keine Sorgen für die Zukunft. Montag früh den 23sten wollen wir Christian, Adolph, Mutter und ich von hier abreisen und gedenken Abends in Berlin einzutreffen. A dieu mein lieber Ernst. Den nächsten Brief erhältst Du aus Berlin. Dein Dich liebender Vater Hkl Carl und Mimi danken aufs herzlichste für Deinen Brief. Carl hätte Dir gern geschrieben. Da er aber jetzt viel Störungen hat und Arbeit dazu, so ist ihm dieses nicht möglich. Wir haben am Tauftage Deiner sehr fleißig gedacht. [Nachschrift von Adolph Schubert] Die herzlichsten Grüße von Deinem treuen Vetter Ziegenrück 19 Januar 1853 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13
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Adolph.
Nicht überliefert. Sethe, Christian. Gerischer, Christian Adolph. Lindig, Ernst Adolph. Krüger, Ehefrau von Gustav Adolph Krüger. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Vgl. Br. 107, Anm. 12. Eine der Gründungsstädte Berlins, seit 1709 zu Berlin zusammengefasst. Reimer, Ernst. Gemeint ist damit das Passieren der Datumsgrenze in der Nähe des 180. Längengrads. Malayisches Archipel. Nicht überliefert. Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und Medizinal-Angelegenheiten, Karl Otto v. Raumer, hatte am 1.12.1853 ein Rescript erlassen, wonach die Medizinische und die Philosophische Fakultät der Universität Berlin angehalten wurden, die Bestimmungen zur Habilitations-Zulassung strenger zu handhaben, um die offenbar angefallene Überzahl an Privatdozenten zu verringern und „junge Männer von mittelmäßigen Fähigkeiten von einer Laufbahn zurückzuhalten, auf welcher selbst das verschiedene wissenschaftliche Talent nur durch große und anhaltende Anstrengungen die vielen Schwierigkeiten zu besiegen vermag, die dem glücklichen Gelingen entgegen stehen[...]“. Demnach sollte nur noch zur Habilitation zugelassen werden, wer den Anforderungen „auf ausgezeichnete Weise vollständig genügt [...]“. Haeckel hatte dagegen in Würzburg von dem befreundeten Adolph de La Valette erfahren, dass man sich zur Habilitation zwar in vier Fächern (z.B. Botanik, Chemie, Physik, Zoologie) einem Examen zu unterziehen hatte, aber nur in einem der Fächer „beschlagen“ sein musste (vgl. Br. 107, S. 167) und fühlte sich durch diese Verschärfung verunsichert. Vgl. Ministerial-Blatt für die gesammte innere Verwaltung in den Königlich Preußischen Staaten. Hrsg. im Büreau des Ministeriums des Innern. 13. Jg., Nr. 1, Berlin, 31.1.1854. Weiß, Christian Samuel. Vgl. u.a. Br. 149, Anm. 3 und Br. 201, Anm. 7.
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207. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 26. Januar 1854
Liebste Eltern!
Würzburg 26/1 54a
Ich schreibe euch diesen Brief eigentlich nur aus 3 ziemlich unerheblichen Gründen, nämlich I, um euch in euren alten 4 Pfählen1, wo das alte silberne Ehepaar sich wohl recht heimisch wieder fühlen wird, zu bewillkommnen, II, um euch mitzutheilenb, daß von mir unglücklichen simplen Philister, der sich jetzt durch verschiedne unglückliche oder unvorsichtige Äußerungen den Spitznamen: „kindliches Gemüth“ erworben hat, eigentlich gar nichts mehr mitzutheilenc ist (nämlich Neues!) III und hauptsächlich aber, um einmal einen recht netten und ausführlichen Brief zu bekommen. Eure letzten Zeilen aus Ziegenrück2 haben mich zwar herzlich erfreut und ich danke euch dafür, so wie für die äußerst wohlschmeckenden Süssigkeiten, aufs schönste. Indeß muß ich doch gestehen, daß ich einen etwas vollständigeren Bericht, besonders von der Taufe3 etc, sehnsüchtiglichst erwartet hatte, und daß mird der schöne Baumkuchen e diesef getäuschte Hoffnung nicht ganz hat versüßen können. Ich hatte gedacht, nun recht hübsch und ausführlich zu erfahren, wie, wo und wann die Taufe vor sich gegangen, wer die an- und abwesenden Pathen gewesen seien, wer außerdem bei der Taufe zu gegen gewesen etc, dann auch, was ihr alle in den 8 Tagen (um die ich euch herzlich beneide und die ich gar zu gern mit euch verlebt hätte) in Ziegenrück getrieben, was Onkel Christian4 von Ziegenrück für einen Eindruck bekommen und mitgenommen und was dergl. wichtige Kleinigkeiten, die mich aber in Gedanken sehr viel beschäftigt haben, mehr sind. Nun erfahre ich, Ernst Haeckel, als Pathe, aber nicht einmal den Namen meines lieben kleinen Pathchens! Hört, hört! Sagt selbst, ist das nicht zu doll? – Von der Taufe erfahre ich g fast gar nichts weiter als: „dem Kleinen mußte ein Stöpfelchen in den Mund gesteckt werden, damit er während der Taufe still war. Dieser Act hatte für mich etwas sehr bedeutendes!“ – Über diese laconische Kürze muß ich wirklich staunen und jemand, der meinen alten Papa nicht so gut kennt wie ich, würde kaum wissen, ob er die || „Bedeutung dieses Actes“ auf das „Stöpfelchenindenmundstecken“ oder auf die Taufe selbst beziehen soll. Und von dem corpusculum5 meines lieben kleinen Neffleins erfahre ich nur daß er „wie eine Füllwurst“ aussieht und beiläufig sehr hübscheh, blaue, muntre Augen hat“.6 Diese steckbriefartige Personalbeschreibung (denn poetisch kann ich diesen homerischen Vergleich nicht besonders finden) genügt aber meiner fortwährend mit meinem lieben Pathchen beschäftigten Phantasie durchaus nicht, welche sich ihn bald als niedliches Wickelkind (oder vielmehr Nichtwickelkind), bald als muntern Bergknaben in Ziegenrücks prächtigen Wäldern und so fort bis zum microscopirenden, botanisirenden, zootomisirendeni etc studiosus und endlich bis zum reisenden Naturforscher (auf Borneo, Madagascar, Neuguinea, Brasilien oder wo du sonst willst) aufs lebhafteste ausmalt. Das letztere bleibt doch immer mein Ideal und daß ich diesem entsagen muß, kostet mir die schwerste Überwindung. Hoffentlich kann einmal mein Neffe diese herrliche Mission erfüllen! – Also, wie gesagt, lieber Papa, da Du jetzt wieder Muße zum Denken und Schreiben genug hast, so erfreue mich recht bald einmal wieder mit so einem netten, ausführlichen Briefe. Aus den Erzählungen Ernst Reimers7 wirst Du auch für mich
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höchst anziehende Merkwürdigkeiten genug schöpfen. Wie beneide ich den jungen Mann um die Anschauungen, die er genossen hat. Grüßt ihn recht herzlich von mir und quetscht ihn recht aus! – Von mir und hier kann ich euch wirklich gar nichts berichten, wenn euch nicht etwa ein paar Stadtneuigkeiten interessiren. Dieses sind erstens 2 große, viel Aufsehen machende Giftmordprocesse. In dem einen hatte ein Mann seine erste Frau nebst deren 2 Stiefkindern, dann seine zweite, schwangere Frau vergiftet mit Arsenik. In dem andern hatte eine Frau 3 Männer hinter einander mit Phosphor und Arsen vergiftet!8 Ist das nicht scheußlich? Übrigens sind beide zum Tode verurtheilt. Da giebt es viel Wichtiges zu microscopiren, was man an der gewöhnlichen Leiche nicht sehen kann. || Die neuste Neuigkeit ist der gestern Abend stattgefundene große Studentenball, welcher wirklich auch die kühnsten Erwartungen übertroffen und bei der Würzburger Mädchenwelt ein solches Furore gemacht hat, daß „man noch reden wird davon in künftigen Zeiten“ und daß die Bürger beschlossen haben, sich zu revangiren. Er ging hauptsächlich von den verschiedenen Chors aus, welche Alles auf boten, um das j Fest zu einem wahren Zauberfest zu machen, und namentlich die hier am höchsten angeschriebenen Harmoniebälle zu überbieten, da die Harmonie in „Verruf“ wegen einer Zwistigkeit ist, bei welcher 2 Chorstudenten von dem Harmonievorstand beleidigt wurden, und derentwegen jetzt die Harmonie ganz von Studenten verlassen ist. Die Zahl der Theilnehmer an diesem Ball belief sich auf 200. Eingeladen war das sämmtliche Corpus academicum, die Bürger mit den schönsten Töchtern etc. Ich nahm natürlich nicht Theil, habe aber heute früh mir nachträglich die Localitäten (im Theater) angesehn, welche wirklich allerliebst decorirt sind. Die Wände der breiten Treppe sind ganz mit Tannenreiser geschmückt, in denen kleine Gypsbüsten versteckt sind. In der Mitte der Treppenwand funkelt über einer Hebe-Statuek ein Stern von gekreuzten Rappiren9, der durch eine bengalische Flamme (rothe Strontianflamme) erleuchtet war. Ähnlich war der große Tanzsaall, von 2 Säulenreihen durchlaufen, decorirt. An den Wänden ringsum exotische Pflanzen aus dem Hofgarten, an der Decke Guirlanden von Tannenreisern, welche sternförmig radiär in dem Kronleuchter zusammenliefen. Die 12 Säulen waren sehr schön mit dem Wappen-Wahrzeichen der verschiednen Chors in den buntesten Farben geschmückt, darüber und darunter ritterliche Trophäen, bestehend aus sich kreuzenden Schlägern, Pariesern10 (Stoßdegen) und Pickelhauben; Außerdem an jeder Säule noch 1 Statue. An den Seitenwänden prangten auf Postamenten die Büsten des Königs und der Königin, von Pflanzengruppen umstellt. Die Hauptwand aber zierte ein Springbrunnen von Eeau de milles Fleures11 welches der Assistent im chemischen Laboratorium bereitet hatte. || Diese periodische Fontäne, welche mit ihrem aromatischen Duft noch heute alle Säle erfüllte, steigerte das Staunen der Damenwelt auf den höchsten Gipfel des Entzückens und war beständig von Jungfrauen umlagert, welche sich von ritterlichen Chorburschen ihre respectiven Schnupftücher etc mit dem Duftwasser tränken ließen. Über dem Springbrunnen flatterten stolz die Fahnen der verschiednen Chors und mitten drin die goldne Universitätsfahne. Bei guter Beleuchtung muß sich das Ganze wirklich wunderbar schön gemacht haben. – Vorige Woche erfreute mich auch ein Brief12 meines treuen Ernst Weiss. Er ist ziemlich niedergeschlagen, daß er nicht in Berlin studiren soll, wie er gehofft hatte.
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Ich habe ihn in meiner Antwort darüber getröstet. Sein Onkel13 hat wirklich ganz recht, wenn er ihn erst in spätern Semestern nach Berlin kommen läßt. Für die ersten Semester bringt Berlin lange nicht so viel, als für die spätern. Er meldet mir auch den Tod des kleinen guten Magister Steinmetz14 welcher an einer Wassersucht sanft und schmerzlos gestorben m und unter außerordentlich großer Theilnahme von Studenten, Bürgern, Schülern etc beerdigt worden ist. Das war doch ein recht braver, tüchtiger Mann, der sich in seinem sauern Lehramt keine noch so große Mühe verdrießen ließ. Außerdem schreibt Weiss noch ganz entzückt von dem kleinen Ernst Osterwald, welcher ein Prachtjunge würde, wie ihm noch keiner vorgekommen sei! Das freut mich wirklich unendlich! Hoffentlich werden alle meine Pathchens solche Prachtexemplare. Ganz besonders hoffe ich dies von dem jüngsten, welcher ein 10mal so tüchtiger Kerl werden soll, wie sein Onkel. Ich zähle nun schon 3 Pathchen: Ernst Osterwaldt, Ernst Heimstaedt (?!) und den kleinen anonymus Haeckel15, dessen Namen ich noch nicht einmal weiß! Ich komme mir förmlich würdevoll vor! – Wie geht es denn mit Deiner Gesundheit, liebe Mutter? – Hoffentlich bist du wieder ganz auf dem Damm und recht frisch und munter wieder zu dem lieben Großpapa und Tante Bertha zurückgekehrt, die Dich recht entbehrt haben werden. Grüße sie recht herzlich, sowie auch alle andern Freunde, Theodor16 etc, besonders auch Adolph Schubert, welcher wohl wieder aus unserm Clavier einige schlummernde Töne wecken wird. Nun erfreut aber bald durch ausführliche Nachricht euren treuen alten Jungen Ernst H. Nochmals vielen Dank für die Süßigkeiten! 1 2 3 4 5 6 7 8
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Abgleitet von „Pfahlbürger“, welche außerhalb der Stadmauern, in der durch Friedenspfähle begrenzten Stadtflur wohnten; hier für: eigene Wohnung; vgl. Br. 6, S. 8. Br. 205 und 206. Vgl. Br. 206, S. 444 f. Sethe, Christian. Lat.: Körperchen. Siehe Anm. 3. Ernst Reimer war gerade von seiner im Sommer 1850 gestarteten Weltreise zurückgekehrt; vgl. Br. 66, S. 85 . Die 55-jährige Margarethe Fuchsberger stand im Januar 1854 in Würzburg vor Gericht, die Opfer waren 1) Philipp Schweitzer (gest. 1850), 2) Andreas Krötzsch, Taglöhner (verh. 1.10.1850, gest. 5.2.1851), 3) Georg Fuchsberger (gest. 27.8.1852), 30 Jahre alt (Würzburger Anzeiger, Nr. 18, 18.1.1854). Spezieller Degen, häufig auch als stumpfe Übungswaffe gebraucht. Pariser, ca. 1750 in Frankreich aufgekommene Fechtwaffe (Stoßdegen) der Studenten. Frz. Eau de Mille fleurs: Tausendblumenwasser; ein neben Eau de Cologne seinerzeit beliebtes und viel beworbenes Parfüm; vgl. u.a. Würzburger Abendblatt. 14. Jg., Nr. 4, 5.1.1854, S. 15. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 15.1.1854 (EHA Jena, A 16630). Weiß, Christian Samuel. Steinmetz, Karl August. Haeckel, Carl Christian Heinrich (wie Anm. 3). Bleek, Theodor.
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208. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 1. Februar 1854
Mein lieber Ernst!
Berlin 1 Febr. 54.
Vor einer Stunde erhielten wir über Ziegenrück Deinen Brief vom 26sten,1 nach welchem wir uns sehr gesehnt hatten. Wir sind am 23sten in Einem Tage hieher gereist, Mutter, Christian2, Schubert und ich. Es war ein schöner Tag, früh hatten wir 8 Grad Kälte. Der Schnee war schon ziemlich verschwunden. Du klagst über meinen letzten magern Bericht. Nun will ich noch einiges nachholen. Christian und ich hatten uns auf große Kälte und viel Schnee gefaßt gemacht. Beides ist nicht eingetreten. Während unsers ganzen 8-tägigen Aufenthalts in Ziegenrück hatten wir schönes Wetter. Was nun die Taufe betrifft, so heißt Dein kleiner Pathe: Carl Christian Heinrich, nach den beiden Großvätern3 und dem Urgroßvater4. Es ist ein prächtiger Junge, kräftig und lebendig, der immer mit Händen und Füßen arbeitet und sich gern möglichst verständlich machen möchte, was er aber nicht kann, da ihm die Sprache fehlt. Er manövrirt mit dem Munde so gut es geht und hat, wie Mimi heute schreibt, seinen Vater schon kräftig an seinem langen Kinnbarte gezupft, was ihm großes Vergnügen macht, eben so ein Hampelmann, den ihm Schubert geschenkt hat. Auch fühlt er das Bedürfniß, sich freier zu regen und will aus dem Stekkißen heraus. Wir müßen nun die weitere menschliche Entwikelung abwarten. Getauft wurde in Mimis Stube, es waren 14 am Tisch. Christian, Mimi, der Superintendent5, die Cousine6, a Harras, Carl, Adolph7, die Doktorin8, ich, Lindig9, der Baumeister10, Mutter, der Doktor11 und die Harras. Genannt wird der Kleine: Carl! Pathen waren anwesend: die beiden Großväter, Adolph, die Doktorin, und Lindig. Abwesend, Urgroßvater Sethe, Tante Bertha, Ernst Haeckel, Großonkel in Aurich12, Tante Berken13, Helene Jacobi14. Wie Du schon weißt, waren wir bis Abends gegen 8 Uhr zusammen, die in der Gegend wohnenden verloren sich allmählich. Unser Lebenslauf in Ziegenrückb war etwa folgender: Gegen 8 Uhr aufgestanden, (ich etwas früher, um mein Waßer zu trinken), dann Frühstük, dann wurde der Kleine besichtigt und gebadet, wobei er sich sehr behaglich fühlte. Gegen Mittag etwas spatzieren gegangen, gleich Nachtisch ebenfalls mit Christian15, Adolph und Carl, dann machten diese nebst Mutter ein Spielchen, ich las, dann wurde Abendbrod gegeßen und Schlafen gegangen. Der Kleine wurde 4–5 Mahl am Tage und Abend besehn, und machte seine gewöhnlichen Streiche mit Mund, Händen und Füßen. Der Kleine war die Hauptperson, um ihn drehte sich alles, auch verstand || er schon, in großen Bogenc ein Pipi und uns damit naß zu machen. Ich strich wohl auch, da der Himmel sehr schön war, Abends zwischen 8–9 Uhr auf der Chaussee herum um mir Himmel und Gegend zu besehen. Die Berge und Schluchten in ihrer großen Ruhe und Einsamkeit machten einen großen Eindruk auf mich, es war als ob sie mir etwas über das göttliche Wesen verkündigen und zu mir sprechen wollten. Der Schnee gukte aus den Fichten hervor und ich fand die Gegend auch im Winter schön. Am 2ten Tage unsrer Ankunft war noch Schlittenbahn, der Rechtsanwalt16 offerirte uns seinen Schlitten und ich fuhr mit Christian bis auf die Höhe bei Rhanis17, wo sich das Saalfelder Thal aufthut,18 was ich mit den dahinter liegenden Bergen so schön finde. Die Natur steht mir näher als vielen andern Menschen, ich finde in einer schönen Gebirgsnatur eine Erqui-
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ckung, die vielen andern abgeht. Das ist mein Natursinn, bei Dir hat er sich nur anders gestaltet, aber von mir hast Du ihn, ich kann Stunden lang da sitzen und in Berge und Schluchten hineinsehn und mich mit ihnen unterhalten und fragen: wie sie wohl so geworden sind und was sie uns von der Vorzeit zu erzählen haben? Aber keine sprachliche Antwort! Ueber diesen schönen Schluchten der Saale und den sie umgebenden Bergen vergeße ich das Nest Ziegenrück, was Christian so wie das dortige Leben ungemein mißfallen hat. Im vorigen Sommer gieng es mir auch so, aber die Natur hat mich ausgesöhnt und Carl und Mimi haben doch einige Familien, mit denen sie leben können. Das Schlimmste und unverbeßerliche ist nur, daß Carl zu einer sinnigen, geistigen Betrachtung und Lektüre keine Zeit hat und dies drükt ihn. Er hat während Mutters 2½ monatlichem dortigen Aufenthalt manchmal darüber geklagt, und darum darf er, so Gott will, nur einige Jahre dort aushalten, sonst geht er geistig zu Grunde; mein lieber guter Carl, er ist doch ein recht innerlicher braver Mensch, voller Gewißenhaftigkeit und Berufstreue. Ich habe ihn und Mimi ungemein lieb; so wie mir überhaupt auf meine alten Tage das Familienleben, hier mit Großvater, Bertha, Julius19, Adelheid20 recht wohl thut. Nach Mutter habe ich mich sehr gesehnt und bin froh, daß ich sie wieder bei mir habe. Sie muß Pflaster von Theer tragen, um den Ausschlag hinter den Ohren und am Halse abzutroknen. Quincke21 hat sie in die Kur genommen. Die Klagen Christians über das Ziegenrücker Loch und allend Mangel an geselligen Bedürfnißen und dem, was man so zu den Amüsements des gewöhnlichen Lebens rechnet waren ordentlich komisch. Ich gab ihm zu, das Ziegenrück ein Loch sei, || brachte ihm dagegen doch die schöne Natur in Rechnung und das Dasein einiger hübscher Familien, wie Doktors, Harras (der doch für Musik empfänglich ist und gut spielt), den Baumeister. Aber alles wurde zurückgewiesen. Ziegenrück war und blieb ein trauriges Loch. Er bringt vielleicht künftigen Sommer Minchen22 hin und besieht sich Thüringen, dann söhnt er sich vielleicht etwas aus. Mich zieht Thüringen mit seinen Bergen, Wäldern, kleinen Residenzen, seiner Kultur, seinen schönen Thälern sehr an und wenn ich mir hier das erbärmliche Junker- und Philisterpack, die schlaffen Beamten, den Knechts- und Subalternensinn ansehe, dann fühle ich mich hier keinesweges behaglich. Nur daß es doch hiere auch eine wißenschaftliche Welt und Kunstgenüße und viele einzelne empfängliche Menschen und ein innres f gemüthliches Familien Leben giebt, was einen wieder aussöhnt. Sehe ich mir aber die Maße unsres Volks (hohe und niedere) an, wie es in diesem Augenblik ist, dann bin ich schlecht erbaut, besonders wenn ich in die höhern Sphären hineinrieche und die Erbärmlichkeit der vornehmen Welt zu schmeken bekomme; welch eine Armseligkeit, Plattheit, Fadheit, Albernheit, daß einem ganz übel wird. Hätte ich nicht den Glauben an eine göttliche Vorsehung, die alles zum Besten richten wird, ich könnte gleich von hier auswandern, aber wohin? In England ist doch noch die meiste Freiheit und das meiste Selbstbewußtsein! Nach Deinen Briefen scheinst Du ja fast zu verzweifeln, daß Du jemals Reisen machen wirst. Darin kann ich Dir nicht beistimmen. So Gott will, wirst Du reisen und Dich an einer prachtvollen Natur ergötzen. Vor einigen Tagen sprach ich Ehrenberg, er wiederholte mir, Du müßtest den medicinischen Kursus durchmachen, auch tüchtig Deine Mikroskopie studiren, Dir zu den Studien Zeit laßen, um sie gründlich durchzumachen, dann reisen und dann sehen, was zu machen ist. Die Zulukaffern machen hier viel Aufsehn und ziehen viele Menschen zu Krolls.23 Lichtenstein wünscht, daß
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Wilhelm Bleek her käme, sich mit ihnen unterhielte und dann über die Resultate Auskunft gäbe.24 – Sonst leben wir uns wieder in gewohnter Weise hier ein, Adolph wohnt in Chambre garni,25 und besucht uns öfters, wird auch fleißig das Klavier in Anspruch nehmen, er hat mir erst vorgestern Variationen vorgespielt. Ernst Reimer ist seit einigen Tagen hier, ich habe ihn gesprochen. Er hat 10 Mahl die Linie paßirt.26 Er ist ein junger, kräftiger, breitschultriger, männlicher, einfacher und unverdorbener Mensch. Das Seeleben hat ihn sehr gekräftigt. Der Kampf mit dem Element || bildet einen männlichen Charakter. Die Sundainseln im indischen Archipelagus nennt er das Paradies der Erde, Himmel, Vegetation, Naturschönheiten aller Art. Die malabarische Küste hat ihn sehr angezogen, auch die Hindus, ein schönes Volk im Gegensatz der Chinesen, die zwar sehr fleißig, aber höchst eigennützig und betrügerisch sind. An der malabarischen Küste haben ihn besonders die Elephanten intereßirt, sie erwarten unsre menschlichen Arbeiter mit vielem Verstand und Geschicklichkeit, setzen z. B. Holzstöße, schieben mit ihren Köpfen ein Schiff, das vom Stapel gelaßen wird, in die See. Das heiße Klima ist auf dem Schiff viel erträglicher, wie auf dem Lande. Die Hottentotten am Cap sprechen fast alle holländisch. Er hofft allmählich Steuermann und dann Schiffskapitain zu werden, was ein sehr einträgliches Gewerbe ist. An der Mittagssonne wird mit Hülfe des Chronometers die nördliche Breite und an den Nachmittagen die östliche Länge, wo sich das Schiff befindet, gemeßen und darnach der weitere Lauf bestimmt. Der Uhrmacher Tiede27 hier verfertigt sehr schöne Chronometers. Ich werde den Ernst Reimer noch weiter ausfragen und Dir dann mehr erzählen. Für heute genug, mein lieber Ernst! Es ist Unrecht, daß Du den Studentenball nicht wenigstens auf einige Stunden besucht hast. Gott hat uns auf diese Welt nicht gesetzt, um Einsiedler zu sein, sondern um mit den Menschen zu leben und für sie zu wirken. Deinem Sonderlingshang mußt Du entgegenarbeiten, aber alles mit Vernunft genießen. Dein Dich liebender Vater Hkl NB. Das Spatzierengehen außer der Chaussee bergauf und ab war bei der Glätte sehr beschwerlich, wir mußten Eissporen tragen.g 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17
Br. 207. Sethe, Christian. Haeckel, Carl Gottlob; Sethe, Christian. Sethe, Christoph. Gerischer, Christian Adolph. Wahrscheinlich Bertha Philippine Sethe. Schubert, Adolph. Ehefrau von Gustav Adolph Krüger. Lindig, Karl Adolph. Reissert, Hugo. Krüger, Gustav Adolph. Sethe, Christian Diederich Henrich. Berken, Emilia Dorothea von den. Jacobi, Helene, geb. Sethe. Sethe, Christian. Harras, Wilhelm Gottlob. Ranis.
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Übergang der Orlasenke ins Saaletal. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Quincke, Hermann. Sethe, Wilhelmine, geb. Bölling. Vgl. Pressemeldung über das bevorstehende Engagement einer Zulu-Familie im Krollschen Etablissement zu Berlin: „Kroll’s Etablissement. Sonntag den 15. Januar. Im Königssaale: Erste Vorstellung der Zulu-Kaffern. Darstellung ihrer Sitten, Tänze, Gesänge und Gefechte. Dazu: Humoristische Studien, Schwank in 2 Akten von Lebrün. [...] Von heute ab täglich von Morgens 11–1 Uhr im Rittersaal: Ausstellung der Zulu-Kaffern. […]“, in: Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen. Zweite Beilage zu Nr. 13, 15.1.1854, S. 4; vgl. dazu auch: Quatsch, Kroll und „Satanella“. (1854). In: Gutzkow, Karl: Berlin. Panorama einer Weltstadt. Bremen 2009, S. 45–63, hier bes. S. 47: „Diese Berliner Dramatisierung der Zulu-Kaffern war aber so widerwärtig, als wenn man sich vorstellen wollte, der Naturgeist selbst erhübe einmal seine gewaltige Stimme, finge zu reden an und verwechselte dabei mir und mich.“ Vgl. Br. 141, Anm. 6. Möbliertes Zimmer mit Verpflegung; Adolph Schubert lebte 1854 für einige Monate im Kreis der Familie Haeckel in Berlin. Vgl. Br. 206. Anm. 10. Tiede, Christian Friedrich.
209. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 1. Februar 1854]
Mein lieber Herzens Ernst! Von einem Tage zum andern hatte ich mit der größten Sehnsucht Nachricht von Dir erwarttet, und heute beim Aufstehen sagte ich zu Vater: von Ernst hören wir nichts, heute müssen wir schreiben; bald drauf kam Dein lieber Brief1 mit einem aus Ziegenrück. Hab herzlichen Dank dafür. Häckel2 hat Dir nun heute von der Taufe3 geschrieben, was ich dachte, daß er es schon von Ziegenrück aus gethan hätte. Einiges muß ich noch berichtigen, die Taufe war in Karls Stube4, und gegessen wurde in Mimmis, wo wir den Tag vorher eigenhändig || gedeckt hatten, da es bekanntlich in Ziegenrück keinen Tafeldecker giebt. Großvater hatte die schöne seidne Taufdecke mitgeschickt, worunter wir Geschwister alle5 zur Taufe getragen sind, und die meine Großmutter Sack6 gestickt hat; das machte mir Freude; dann hatten wir aus meinem Hochzeitskleide ein Taufkleidchen für das Jüngelchen7 gemacht, darunter hatte er das rosa seidene Kleidchen, was Du und Karl bei der Taufe angehabt habt. Wie oft sagte ich in Ziegenrück ach wenn ich unsern allerliebsten || kleinen Kerl nur einen Augenblick Tante Bertha und Ernst zeigen könnte. Nun, hoffentlich giebt der liebe Gott dem kleinen Karl gedeihen, daß Du noch große Freude an ihm haben sollst. Im Ganzen haben wir Hermine wohl verlassen, einige kleine Quickereien8 waren wohl noch da. Auch war Karl in den letzten Tagen gefallen, und hatte sich die linke Hand beschädigt, doch schreibt Hermine heute es wäre noch schlimm gewesen, aber bessere sich jetzt. Hier haben wir Großvater sehr || wohl gefunden; und auch Tante Bertha viel besser, sie sitzt wieder auf und geht an Krücken umher. Deine alte Mutter ist aber recht krankschälig9; doch versucht Quinke10 sie zusammen zu flicken; nun wir werden ja sehn was zu machen ist. –
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Adolph Schubert ist eben hier, und spielt Klavier, er grüßt Dich herzlich. Onkel Julius11 fanden wir bei unserer Zurückkunft auch krank, doch ist er jetzt auf der Besserung. Onkel Christian12 hat bei uns gewohnt, er ist schon Donnerstag || wieder nach Stettin gereist. Ernst Reimer ist groß und stark geworden, die ganze Familie ist sehr glücklich über sein Hiersein, künftigen Freitag wird Mutter Reimer13 ihm zu Ehren einen Ball geben. Denk Dir, seit 2 Jahren hatte er keine Nachricht von den Seinigen gehabt, alle Briefe waren verloren gegangen.a 1 2 3
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Br. 207. Haeckel, Carl Gottlob. Dem Taufeintrag von Haeckels Neffen Carl Christian Heinrich im Ziegenrücker Kirchenbuch vom 18.1.1854 ist ein Brief Karl Haeckels, seines Vaters, beigeheftet, in welchem dieser die Namen der Taufpaten mitteilt und die Bitte übermittelt, auf Wunsch der Mutter anstelle eines Kirchgangs mit öffentlicher Abkündigung gleich im Anschluss an die Haustaufe die Einsegnung von Mutter und Kind vorzunehmen. Das Schreiben trägt weiterhin den amtlichen Vermerk: „Dem hier ausgesprochenen Wunsche gemäß wurde, ob es gleich noch nie geschehen war, gleich nach der Taufe die Mutter mit ihrem Sohn auf dem Schoos im Hause eingesegnet. Ziegenrück, am 18t Jan. 1854 Gerischer“ Nach Carl Gottlob Haeckels Beschreibung fand die Taufe dagegen in „Mimis Stube“ statt; vgl. Br. 208, S. 450. Sethe, Gertrude; Sethe, Christian; Haeckel, Charlotte, geb. Sethe; Bleek, Auguste, geb. Sethe; Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Naumann, Elisabeth, geb. Sethe; Sethe, Marie; Sethe, Ernst; Sethe, Emma Henriette Bertha Sophie. Sack, Margarethe Gertrude, geb. Notemann. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Hier für: unerhebliche gesundheitliche Beschwerden. Charlotte Haeckel litt rezidivierend an Hautkrankheiten. Quincke, Hermann. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Christian. Reimer, Wilhelmine Charlotte Susanne Philippine, geb. Reinhardt.
210. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 7. Februar 1854
Liebe Eltern!
Würzburg 7/2 1854a
Habt vor allem den schönsten Dank für euren lieben ausführlichen Brief, der mich sehr erfreut hat. Nun weiß ich doch ordentlich wie alles bei der Taufe meines lieben Pathchens zugegangen ist und wie ihr zusammen in Ziegenrück gelebt habt.1 Daß das kleine Karlchen euch allen ungemein viel Freude macht und zu sprechen giebt, kann ich mir recht denken; ich denke mich auch immer in die glückliche junge Familie hinein, und wünschte nur, ich könnte sie bald einmal besuchen. Gott erhalte uns dies Glück und lasseb den Kleinen recht gedeihen und brav werden. Mit Deiner Gesundheit, liebes Mutterchen, geht es hoffentlich wieder ganz gut; schreib mir doch ja, was du machst; wenn ich nur wüßte, was Dir fehlte, ich wollte Dir gleich ein „Recipe“ schreiben; aber am Ende helfen doch alle Recepte Nichts, wenn sich die Natur nicht selbst hilft. Die Deinige hat sich gewiß schon geholfen und Du bist hoffentlich wieder ganz munter und frisch. Wie geht es denn bei Juliussens2? –
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Mein Philisterleben schleppt sich hier in gewohnter Weise von einem Tage zum andern hin, oder vielmehr, fliegt dahin, denn je länger man lebt, desto rascher vergeht einem die Zeit. Mir ist es jetzt ordentlich, als ruschte3 der liebe Helios mit Dampf über den Himmel hin, statt sich seiner langsamen alten 4 Pferde zu bedienen. || Der eine Monat Januar, der nun schon wieder vom neuen Jahre vorbei ist, kommt mir just wie 1 Tag vor und mein letztes glückliches Zusammenleben mit euch in Ziegenrück dünkt mir kaum ein paar Wochen her zu sein. Wenn das so fort geht, so wird die Zeit im Umsehn da sein, wo ich wieder einmal ordentlich mit euch Lieben häuslich zusammenleben kann, worauf ich mich ungemein freue. – Übrigens verstreicht mir jetzt 1 Tag so gleichmäßig wie der andere und selten passirt einmal irgend was Erwähnenswerthes. In meiner Beschäftigung sind einige Veränderungen eingetreten. Zu dem verrückten Narren Rienecker laufe ich gar nicht mehr; ich habe das ewige Kohlen, Schwefeln, Mähren oder wie ihr sonst dies faule Geschwätz nennen wollt, herzlich satt. Daß die ärztliche Praxis im Grunde 1 recht jämmerliches Getreibe ist, habe ich gründlich genug bei ihm gelernt (wenn ichs nicht schon vorher gefürchtet hätte); und von der Materia medica4 profitire ich 10mal mehr, wenn ich ein gutes Buch darüber zur Hand nehme, als wenn ich in jenes grundschlechte Colleg gehe. (À propos da fällt mir ein, fragt doch einmal Quinke5, was für ein Handbuch über Heilmittellehre er mir empfiehlt – ob Oesterlen6 oder Clarus7 oder Schoeman8 etc, da ich mir jetzt eins anschaffen will.) || Ich bleibe deshalb jetzt täglich bis 11 Uhr früh zu Haus und ochse wüthend –? Botanik! – Nämlich zu meinem Vortrag im physiologischen Kränzchen9. Ich wollte Anfangs einen Abschnitt der Pflanzengeographie nehmen (über den Einfluß des Klima, namentlich der Wärme, auf die Pflanzenvertheilung und ihre Verbreitungsbezirke) da habe ich 1 Menge sehr interessanter, kleinerer Schriften durchgelesen, die zum Theil auch dich, lieber Vater, recht interessirt haben würden, da manche der hier einschlagenden Fragen von allgemein menschlichem Interesse sind. So ist es z. B. 1 sehr wichtiger, [in] neuerer Zeit weiter ausgeführter Gedanke, daß die mit der Kultur Hand in Hand gehende Ausrottung der Wälder den allerverderblichsten Einfluß ausübt, und nicht bloß die Existenz der die Wälder vernichtenden Völker selbst bedroht, sondern auch das davon betroffene Land ein für allemal unbewohnbar macht. Die Beispiele vom Orient, von den Heimathländern der alten Völker bestätigen dies in auffallender Weise. Indien (oder vielmehr Persien und Babylonien), Syrien, Palästina, Ägypten, Griechenland etc waren im Alterthumc die reichsten und gesegnetsten Länder. Vergeblich sind aber alle Versuche, diese jetzt ganz verödeten und verwüsteten Ländermassen wieder fruchtbar und culturfähig zu machen, da die Ausrottung der Wälder || ein total anderes Klima nach sich d gezogen hat, eine dürre, feuchtigkeitslose, heiße und trockne Atmosphäre, in der auf dem ausgedörrten Boden nur noch kümmerliche Wüstenpflanzen fortvegetiren können. Daß dies sich wirklich so verhält, ist historisch und naturwissenschaftlich nachgewiesen. Die ganz einfache Folgerung aber, welche wir daraus ziehen können, ist, daß es mit unserm westlichen Europa über Kurz oder Lang auch so gehen wird; daß wir uns mit jedem neugefällten Wald (deren Zahl ohnehin schon so e geschmolzen ist) eine neue wüste Landstrecke bereiten, auf der bald kein Getreide wegen Mangel an Feuchtigkeit (welche durchaus an die Wälder gebunden ist) mehr wird gebaut werden können; daß so mit der Zeit Hungersnöthe und in Folge dessen colossale Auswanderungen in neue Länder (deren segensreicher
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Wälderschmuck noch nicht der Axt der Zivilisation erlegen ist) eintreten werden und daß sich so die Masse der cultivirten Völker, dem ewigen Zuge und Drange von Ost nach Westen folgend allmählich in den neuen Welttheil übersiedeln wird, (die jetzigen starken Auswanderungen sind nur der Anfang dazu) bis endlich auch dieser demselben Schicksal, wie Europa, und vor ihm Asien, erliegen wird – Und was dann? – Ja das kann freilich niemand sagen! || Es kommt bei der naturwissenschaftlichen (physikalischen und botanischen) Behandlung dieser Lebensfrage also dasselbe Resultat heraus, welches der alte Wieck immer aus historischen und philosophischen Gründen zog, nämlich, daß es mit Europa und seiner Hypercultur bald aus sei und daß der Strom der unaufhaltsamen Völkerwanderung Europa bald ebenso einsam und wüst als ausgebeutetes Feld hinter sich lassen werde, wie es einst mit Asien geschehen sei. Wenn ich nicht irre warst du damals immer der entgegengesetzten Meinung, und bist es auch wohl jetzt noch. Ich muß gestehen, daß ich nachdem, was ich darüber jetzt gelesen und gedacht, doch mich mehr zu der andern Ansicht hinneige (nämlich daß Europa f sowohl durch jene physische Verödung, in Folge der Waldausrottung, wodurch das Klima entschieden viel heißer, trockner, unfruchtbarer wird g, als auch besonders durch seine h moralische Verderbniß die immer unausbleibliche Folge der Hypercivilisation ist, in nicht so gar langer Zeit, wenigstens theilweis, zu Grunde gehen wird.) Jedoch theile ich diese Ansicht zum Theil auch nur aus dem Grunde, weil sie die „schwarzguckerigere“ oder melanopterischere10 ist! Wie schade, daß ich dies interessante und wichtige Thema nicht mündlich ausführlich mit Dir besprechen und alle Gründe pro et contra anführen kann; das würde sehr nett sein. – Ich hatte also wie gesagt, dieses Thema anfangs zur Grundlage eines Vortrags machen wollen. Später schien es mir doch gar zu allgemein und unwissenschaftlich zu [sein] || und ich wollte mehr den speciellen Einfluß des Klima auf die Pflanzenwelt überhaupt schildern, besonders ausführen, wie die Kältegrade, welche man bei zunehmender geographischer Breite in den Zonen antrifft, genau dieselben Veränderungen in der Form, Lebensweise, Vertheilung der Pflanzen bedingen, wie jene Kältegrade, welche man bei zunehmender Höhe über dem Meere antrifft. Wenn man nämlich unter den Tropen einen hohen Berg besteigt, so trifft man nacheinander alle jene so höchst verschiedene Pflanzenformen an, welchen man genau in derselben Reihenfolge auf einer Reise vom Äquator nach den Polen begegnet. Auch hierüber habe ich viele interessante Aufsätze (namentlich ganz classische von Humboldt) gelesen.11 Als ich aber nun jetzt nach fast 4wöchentlicher Arbeit mit diesem Aufsatz fertig war, befriedigte er mich wieder nicht, schien mir viel zu oberflächlich und allgemein und auch für einen mündlichen Vortrag (namentlich vor Medicinern) nicht recht passend zu sein und ich mußte mich noch nach einem andern, wissenschaftlicheren Thema umsehen, wozu ich jetzt (aber nun auch bestimmt) die höchst interessante „Fortpflanzung der kryptogamischen Gewächse“, mit der ich lebhaft beschäftigt bin, und die wirklich Tag und Nacht meine Gedanken in Anspruch nimmt, gewählt habe. Übrigens ist jene Arbeit durchaus nicht vergebens, da ich sie mit großer Lust und Liebe gemacht habe, indem Pflanzengeographie (deren Gründer || A. v. Humboldt ist) immer eine meiner Lieblingsbeschäftigungen war, und ich jetzt sehr froh war, mich einmal genauer und eindringlicher mit ihr beschäftigen zu können. Daß ist überhaupt das Hübsche bei diesen Vorträgen, daß sie einen gewissermaßen moralisch zwingen,
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einmal eine Zeit lang seine ganze Aufmerksamkeit, welche beim gewöhnlichen Studium durch die Menge der Gegenstände ganz zersplittert wird, auf einen einzigen Gegenstand zu concentriren und diesen ex fundamento12 zu betreiben, was ebenso angenehm, als nützlich ist. Aus diesem Grunde war es mir auch sehr lieb, daß mich der mir aufgebürdete Vortrag zwang (o was für 1 harter Zwang!??), einmal wieder der lieben Botanik mich zuzuwenden, der ich jetzt sonst gar nichts von meiner allein (?) i der verwünschten Medicin gewidmeten Zeit schenken und zuwenden darf. Und da habe ich recht einmal wieder gesehen, wie tief und fest mich diese herrliche Wissenschaft anzieht und fesselt, so daß ich mich gar nicht wieder davon losreißen kann. Obgleich ich also vor dem Halten des Vortrags selbst einen ziemlich intensiven horror habe, so bin ich doch auf der andern Seite herzlich froh, mich auf einige Zeit meinen allerliebsten Botanischen Studien wieder ganz unbeschränkt und mit einem gewissen guten Recht in die Arme werfen zu können. Wie ihr euch leicht denken könnt, nimmt daher auch diese Arbeit (ach wenn doch alle so süß wären!) jetzt meine ganze frei Zeit in Anspruch und von andern Arbeiten ist nicht viel die Rede. || In der Geburtshilfe thue ich gar nichts. Überhaupt höre ich dies schauerliche und widerliche Zeug nur, weil es mit zu der horrida medicina13 gehört und besuche es nur noch, weil ich es einmal belegt habe. In der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie bei Virchow thue ich auch nicht besonders viel, obwohl ich das angefangene, sehr ausführliche Heft14 (das mir zumalen auch ziemlich viel Kopfbrechen und andrerseits Langeweile macht) genau auszuarbeiten fortfahre. Der Vortrag ist allerdings sehr schön und genial, aber mit schrecklich viel Fremdwörtern und dunklen Ausdrücken – die oft absichtlich gesucht erscheinen – überladen, und die Materie an sich ist mir doch lange nicht so interessant, als die reine, normale Physiologie und Anatomie, während es bei meinen Commilitonen grade umgekehrt ist. Sehr viel Freude macht mir dagegen die physiologische Chemie bei Scherer, wo alle gewöhnlichen Lebensthätigkeiten des Körpers auf chemische und physikalische Gesetze reducirt werden (ein sehr gutes Colleg, nur leider etwas sehr kurz und oberflächlich); sowie auch das practische Analysiren im Laboratorio, das ich gar nicht satt kriegen kann und mit wahrer Lust betreibe. Ich analysire jetzt ziemlich zusammengesetzte Mineralien (aber nur quantitativ), manchmal auch organische Körper, z. B. Urin, Zähne, Eier etc etc. Wenn ich mehr practisches Talent hätte und überhaupt nicht so schrecklich unbehülflich und ungeschickt wäre, könnte ich wirlich im Nothfall, wenn das Andre nicht geht, Chemiker werden. || Am vorigen Freitag Abend war ich wieder mit meinem lieben Freund Hein bei Schenks, ganz solo, wo wir uns ganz gut unterhielten, bis auf die Politik, worin der Herr Prof. Schenk ganz unzurechnungsfähig ist. – In der hiesigen Bevölkerung herrscht jetzt wieder die höhere Tanzwuth, die bis Fastnachten dauert; wöchentlich finden 2–3 noblere und viele obscure Bälle Statt. Nächstens werden vielleicht die Studenten einen Maskenball geben! – Das Wetter ist hier jetzt ungemein mild geworden, mit viel Regen. Vorige Woche war der Main bei Eisgang so angeschwollen, daß er in die benachbarten Quaistraßen15 austrat. – Am 28sten Januar wurde hier ein junger Privatdocent habilitirt, und zwar wieder für vergleichende Anatomie und Histologie! – Wenn nur nicht so gar viele Leute sich auf dies schöne Fach legen wollten! Da bleibt gar kein Platz für andre Leute, und was soll am Ende aus allen privatim docentibus werden? –
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Übrigens ist jener Hr. Dr. Gegenbaur ein recht gescheuter und geschickter Kerl, der hübsch zeichnet, mit Kölliker und Müller in Messina war und sich länger als 1 Jahr dort aufgehalten hat, namentlich um Medusen, Polypen und andere niedere Seethiere zu beobachten. Die Habilitationsschrift16 handelte über den Generationswechsel jener Thiere. Der ganze Akt war übrigens mehr komisch, als feierlich, mit vielen schaurigen Ceremonieen und Äußerlichkeiten. || Nun liebe Eltern, lebt recht wohl, grüßt alle Freunde und Verwandte und behaltet lieb euren alten Ernst. 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11
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Br. 208 und 209, die über die Taufe von Haeckels Neffen Carl Christian Heinrich berichteten. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst; Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Ruschen, sich mit Geräusch bewegen (Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm. 14. Bd., München 1999 (Nachdruck Bd. 8, Leipzig 1893), Sp. 1537. Heilmittellehre; vgl. Br. 183, Anm. 35. Quincke, Hermann. Oesterlen, Friedrich: Handbuch der Heilmittellehre. 4., neu umgearb. Aufl., Tübingen 1851; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 77 (=121). Clarus, Julius: Handbuch der speciellen Arzneimittellehre nach physiologisch-chemischen Grundlagen für die ärztliche Praxis. Leipzig 1852. Schöman, Xaver: Lehrbuch der Arzneimittellehre als Leitfaden zu academischen Vorlesungen und zum Selbststudium. Jena 1853. Das medizinisch-naturwissenschaftliche Kränzchen um Kölliker; vgl. Br. 124, Anm. 33. Verballhornung von griech. mélas / mélanos: schwarz; hier für: schwarzguckerisch. Vgl. u. a.: Humboldt, Alexander von / Bonplant, Aimé: Ideen zu einer Geographie der Pflanzen nebst einem Naturgemälde der Tropenländer, auf Beobachtungen und Messungen gegründet, welche vom 10ten Grade nördlicher bis zum 10ten Grade südlicher Breite, in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1802 und 1803 angestellt worden sind. Tübingen; Paris 1807. Lat.: von Grund auf. Lat.: schreckliche Medizin. Vgl. Br. 143 Anm. 10. Kaistraßen, Straßen längs des Flusses. Gegenbaur, Carl: Zur Lehre vom Generationswechsel und der Fortpflanzung bei Medusen und Polypen. Mit zwei Tafeln. [Habilitationsschrift]. Würzburg 1854 (ThULB Jena, Haeckel 321).
211. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 8. – 12. Februar 1854
Lieber alter Junge.
Ziegenrück 8/2 54.
Dein Bruder muß sich doch wohl mal wieder zusammenrappeln und Dir aus seinen Pathmos1 berichten. Du willst von Mimmi viel geschrieben haben. Da hast Du aber einen schlechten Begriff von der Beschäftigung einer Mutter in einem Haushalt mit einem kleinen Wesen. Ich kann’s ihr bezeugen, daß sie, seit Mutter weg ist, alle Hände voll zu thun hat und sehr froh ist, wenn sie nur Junge und Küche besorgt hat, zumal wir seit 2. Febr. ein neues Mädchen2 haben. Bedenke nur was das Stillen allein schon für Zeit kostet; alle 3 Stunden kommt er und braucht dann eine Stunde zum Trinken – so bei Tage. Bei Nacht schläft aber „Tütschmichel“, wie ich ihn gewöhnlich titulire, prächtig, gewöhnlich von Abends 6 oder 7. bis um 2. oder 3 Uhr des Nachts. Mammachen macht ihm jetzt Kleidchen und am nächsten Wochengeburtstage wo er schon
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10 Wochen alt ist, wird er wohl das erste anbekommen. Heut ist er 9 Wochen alt und heißt seit a 3 Wochen schon „Carl Christian Heinrich“ wohl || zu merken! – den 12 Februar. Das große Ereigniß des ersten Kleidchens Anziehensb ist heute schon eingetreten. Der Junge ist wie immer, allerliebst, und bei Tage schon sehr viel munter. Seit 8 Tagen etwa tutscht er ungemein viel auf seinem Fäustchen herum; bald möchte man denken, es könnten die heranwachsenden Zähne sein, die ihm dazu Anlaß geben. Das wäre aber doch sehr früh. Wenn er im Kleidchen auf dem Arm sitzt, die eine Achsel durch die Hand unterstützt, sieht er zu possirlich aus. Er sieht sich dann immer ganz andächtig in der Stube um, weil er dann natürlich einen ganz andern Sehkreis hat als wenn er liegt. Leider ist es sehr fraglich, ob Mimmi noch lange wird fortnähren können. Kommt die Menstruation noch einmal so sind die Ärzte darüber einig, daß sie dann entwöhnen müsse. Du wolltest von der Taufe was wissen, alter Junge! Nun vielleicht hat Dir Vater auf Deine letzte Bitte darüber noch geschrieben. Ich hebe nur Einiges hervor. Schauplatz I: in meiner Stube,3 die natürlich dazu ordentlich aufgeräumt war. Der Superintendent4 mit dem Rücken nach dem Spiegel stehend vor ihm ein Tischchen mit || Krukenbergs5 rother Karaffe und einem weißen Napf vom Baron (v. Düring) als Taufbecken, die anwesenden Pathen, die der Reihe nach das Kind hielten, nämlich Vater, Vater Christian6, Lindig7, Frau Doctor8 Adolph Schubert standen vor ihm im Halbkreise wie andere nach dem Fenster respektive der Thüre zu, dahinter. Die von dem guten Manne zum Glücke abgelesene Rede war kurz u. erbaulich. Er sprach komischer Weise von den Großvätern die den weiten Wege durch den Schnee nicht gescheut und dabei das Ordensfest9 im Stiche gelassen hätten! O jerum!! Der Junge brüllte anfangs ganz gehörig, nachher tutschtec er sehr gemüthlich und hörbar an einem, ihm nur zu diesem festlichen Ereigniß verabreichten Zuckerlutscher. Nach der Taufe große Tafel in d der großen Stube mit verschiednen Gerichten, die Dir sehr wohl gemundet haben würden. Gegen 6 Uhr zerstreute sich die Gesellschaft. Lindig e reiste noch nach 8 Uhr ab, bis dahin plauderten wir gemüthlich. Ueberhaupt war die Zeit sehr nett, wo die Gäste hier waren, Nachmittags wurde stets etwas spazieren gegangen, und Abends geplaudert, respektive Whist10 gespielt. Vater Christian litt nur leider etwas an Zahnweh. Uebrigens || sind alle glücklich wieder in Einem Tage von hier nach Berlin gereist. Nachher hatte ich recht thüchtig zu thun, zumal die Sitzung und das Monatsende mit seinen Restlisten vor der Thür standen. Unter andern mußte auch StraubeKögler11 wider Frotzecke12, der Große Mahnungsprozeß noch vollends zu Ende gebracht werden, das Erkenntniß ist nicht weniger als 14 Bogen lang geworden und die Prozeßkosten in erster Instanz allein dem einen der 188 rℓ herausbekommt, 48 rℓ dem verlierenden 211 rℓ an Gerichtskosten.13 Freue Dich mit mir, daß ich das Dinges los bin. Uebrigens giebt’s dafür wieder neue Aktenberge! – Nun zu Dir, mein alter Junge! Du trittst mit Nächstem nun in einf neues Jahrzehnt14 Deines Lebens. Gott schenke Dir dieselbe Geistesfrische und Regsamkeit wie bisher und gebe Dir Kraft, die brausenden Wellen des jugendlichen Temperaments mehr und mehr zu zügeln und zugleich dabei mehr Selbstvertrauen als bisher zu gewinnen. Vertraue nur darauf, daß mitg der zunehmenden inneren Entwickelung
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das Ziel, das Du zu verfolgen hast, Dir mehr und || mehr klar werden wird. Daß Du Dich jetzt auf Eine Materie mit aller Energie werfen willst, ist gewiß recht wohlgethan. Selbst, wenn man diese Parthie späterhin weniger braucht, ist doch das tüchtige Durcharbeiten eines abgeschlossenen Ganzen von unberechenbarem Werth. – Uns aber laß auch fernerhin, wie bisher, treu zusammenhalten, je älter man wird, desto mehr lernt man den großen Werth und schönen Früchte eines innigen Familienlebens kennen. Zum Präsent mache ich Dir diesmal nichts Besondres Du mußt Dir schon den Tschudi15, von dem jetzt 3 Lieferungen hier liegen mith darauf rechnen. Ich denke, das Buch wird Dir gefallen. Wie steht es denn mit Deiner Militär-Angelegenheit16. Treibe nur Vater, damit Du nicht zu spät erfährst, wann Du etwa nach Berlin mußt. – Die Nachrichten aus Berlin sind ja im Ganzen erfreulich. Mutter scheint nur einmal wieder gegiegelt17 zu haben. Nun leb wohl, mein herzlicher Bruder, ich muß noch heut Abend einige Akten als Sonntagsvergnügen wälzen. Heut ist übrigens H. Faschki’s Geburts Tag18, zu dessen Ehren ich am Nachmittage unten Chokolade mit Kuchen vertilgt habe. Hier grüßt alles. – Bald vergaß ich Dir zu sagen, daß seit 8 Tagen der alte Kreiseinnehmer19 fort und der neue20 angekommen ist. Es scheint eine nette gelehrte Familie zu sein. Ferner: lege ich Dir ein Stückchen aus einem Beiblatt der Magdeburgischen Zeitung21, die i || ich jetzt lese bei. Es ist darin der Flora hiesiger Gegend mit Auszeichnung erwähnt. – Was sagst Du zum Türkenkrige22? Zwischen Rußland u. England Frankreich wird’s wohl ordentliche Keile setzen! Apropos! wegen des verspäteten Pakets23 habe ich mich beschwert, die Baiern sind dabei unschuldig! Es war aus Versehen nach Gera gegangen, die Adresse nach Gefell. Dort hat man den Fehler begangen, das fehlende Paket zu reklamiren und es statt dessen liegen lassen. Der Postbeamte dort hat dafür einen Verweis bekommen das Paket war indeß über Coburg nach Würzburg gegangen. Junge, ich habe Deine Hausnummer vergessen! Bitte, schreibe sie mir im nächsten Briefe mit der Distrikts No. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Griechische Insel in der östlichen Ägäis, mystischer Verbannungsort des Apostels Johannes, der hier sein Evangelium niedergeschrieben haben und die göttliche Vision der Offenbarung empfangen haben soll; hier ironische Anspielung auf die abgeschiedene Lage Ziegenrücks. Dienstmädchen, Name nicht ermittelt. Vgl. Br. 209, Anm. 4. Gerischer, Christian Adolph. Krukenberg, Gustav. Sethe, Christian. Lindig, Ernst Adolph. Ehefrau von Gustav Adolph Krüger. Das Krönungs- und Ordensfest fand am preußischen Hof alljährlich am 18. Januar zur Erinnerung an den Erwerb der Königswürde durch Friedrich I. König von Preußen und die aus diesem Anlass erfolgte Stiftung des Hohen Ordens vom Schwarzen Adler am 18.1.1701 statt. Haeckels Großvater, Christoph Wilhelm Heinrich Sethe, hatte den Schwarzen Adlerorden am 18.1.1850 erhalten. Da die Ordensinhaber bei Strafe verpflichtet waren, den Orden täglich zu tragen, war ein Fernbleiben Sethes beim Ordensfest ausgeschlossen. Der Taufredner hatte die anwesenden Großväter Carl Gottlob Haeckel und Christian Sethe mit Urgroßvater Sethe verwechselt.
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Vgl. Br. 107, Anm. 16. Straube-Kögler, Edmund. Nicht ermittelt. Nicht ermittelt. Ernst Haeckel beging am 16. Februar 1854 seinen 20. Geburtstag. Vgl. Br. 198, Anm. 10 und 11. Vgl. Br. 149, Anm. 3. Im Sinne von: heftig nach etwas verlangen, sich nach etwas sehnen. Nicht ermittelt. Krüche, Christoph. Grünert, Carl Joseph Wilhelm. Vgl. Blätter für Handel, Gewerbe und sociales Leben. (Beiblatt zur Magdeburgischen Zeitung.), Nr. 48, 28.11.1853, S. 379: „Sitzung des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen. Halle, den 9. November. [...] Sitzung am 16. November. [...] Hr. Schliephacke berichtete, daß die Kryptogamenflora unserer unmittelbaren Umgebung in diesem Jahre durch zwei Pflanzen - Blechnum spic. Roth, ein sehr schönes Farrnkraut, und Lycopodium clavatum, die beide, jedoch steril, in der Dölauer Heide gefunden wurden, bereichert worden sei. Sodann legte er eine Drogue - die Stammspitzen eines baumartigen Farrnkrautes, [...] vor. Als Mutterpflanze gibt man Cibotium glaucescens an [...].“; ebd., Nr. 49, 5.12.1853, S. 388: „Sitzung des naturwissenschaftlichen Vereins für Sachsen und Thüringen. Halle, den 23. November. [...] Hr. Schliephacke legte nachträglich Blechnum Spicart und Lycopodium clavatum in fruchtbaren und unfruchtbaren Exemplaren vor und erläuterte daran den Unterschied beider Zustände [...].“ Krimkrieg, 1854 ausgebrochener militärischer Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich, in den Großbritannien und Frankreich auf Seiten der Türkei eingriffen. Nach der Eroberung des russischen Schwarzmeerhafens Sewastopol 1855 war Russland militärisch und politisch so geschwächt, dass es 1856 Frieden schließen musste; vgl. auch Br. 214, Anm. 6. Vgl. Br. 205, S. 443.
212. Von Hermine Haeckel, ziegenrück, 12. Februar [1854]
Lieber Ernst!
Ziegenrück 12. Febr.
Zu Deinem bevorstehenden Geburtstag, muß ich Dich doch wohl in Person aufsuchen, um Dir meinen und unseres kleinen Karls1 besten Glückwünsche zu sagen. Soweit kam ich gestern Abend und – war eingeschlafen; ja so müde bin ich sehr häufig, daß ich kaum bis 10 Uhr mich wach erhalten kann. Wie viel weiter ich nun heute kommen werde als dem letzten Termin zum abschicken das weiß ich noch nicht. Der süße Junge liegt im rosa Kleidchen (nota bene a von Tante Gertrude2) so reizend munter in seinem Bettchen, angelt nach Pathenonkle b Schuberts Hampelmann, daß ich immer wieder mich mit dem lieben Schelm beschäftigen muß. Überhaupt nimmt || der kleine Karl mir soviel Zeit fort, so wohl durch seinen großen Appetit als auch durch sein munteres aufgewecktes Wesen, das uns ungemein große Freude macht. Derselbe gedeiht Gott sei Dank sehr vortrefflich, ist ganz gesund, dick und rund ohne schwamich zu sein. Du willst etwas Näheres über seine kleine Persönlichkeit wissen? Da wills versuchen: Das Köpfchen soll hübsch sein, kanns nicht beurtheilen; das Gesichtchen ist rund mit dicken Backen, kleinem Mund, häßlicher Nase, schöne, helle, muntere sehr schelmische Augen, starke Augenbrauen, lange Augenwimper, hohe Stirn, und augenblicklich wenig Haar; kurze hübsche Arme große Hände mit langen
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Fingern, dicken runden Bauch; feste, fleischige Beinchen und dicke Waden. Im Ganzen hat er sehr weiße und ganz reine Haut || die manichmal ganz marmorirt auftritt, als Zeichen guter Gesundheit. Die Ohren hätte ich beinahe vergessen, bei denen das zu bemerken [ist], daß sie groß sind und in einem Rand ein dreieckiges Stückchen fehlt. Den wirklich reizend freundlichen, schelmischen Ausdruck seines lieben Gesichtchens läßt sich nicht beschreiben [!]; Häckelsches hitziges Blut hat er entschieden und ungemeine Gelenkigkeit in Armen u. Beinchen, die selten Ruhe haben. Da hast Du unser liebes Kind, so gut es sich beschreiben läßt; als etwas vorübergehendes muß ich doch einige Flohstippchen3 hinzufügen, die heute auf beiden Armchen sich zeigen; unstreitig ihm von Frl. Flink4 verehrt, die jetzt erst wedelnd und springend dahinterc kommt, daß Karlchen ein Kind ist und Leben hat. Bekommst Du nun nicht Lust recht bald Dir Dein Pathchen anzusehen? || sonst fürchte ich wird er kein Naturforscher, sonst müßte er doch, wenn er zum Fenster hinaus sieht, sich über Schnee, Berge, Saale und Fichten mehr freuen als über künstliche Gegenstände, als Hampelmann, Federwisch5, grünseidne Schleife am Bettchen und was dergleichen Dinge mehr sind. Also verlangt schon Dein eignes Interesse, daß Du bald kommst. Jetzt habe ich meinen Jungen auf dem Schooß bis die Karoline6 ihn nimmt, und ich dann eilig den Schluß machen kann, d der Dir sagen soll, womit der Brief hätte beginnen sollen, aber der Junge! Soll Dir sagen wie ich Dir von Herzen zunächst gute Gesundheit wünsche, damit all Deine in die Ecke geworfnen Wünsche in Erfüllung gehen können; kommen sie später mal aus staubigen Winkeln heraus e, wie wirst Du Dich da doppelt freuen; fange über diesen Wunsch aber keine Grillen, das sage ich Dir, die mußt Du alle Morgen durch Deine Wirthin7 ausfegen lassen, bis keine mehr da sind. Und somit Gott befohlen. Deine Schwester. || Der kleine Pathe schickt ein Küßchen, d.h. offner Mund mit viel Blasen daran.f 1 2 3 4 5 6 7
Haeckel, Carl Christian Heinrich. Sethe, Gertrude. Flohstiche, norddt. Stipp: Stich, Punkt, Fleck. Name des Familienhundes; vgl. Br. 171, Anm. 13. Staubwedel. Hausmädchen oder Amme der Haeckels in Ziegenrück. Müller, Katharina.
213. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 12./13. Februar 1854]
Mein lieber Herzens Sohn! Diese Zeilen sollen Dir zu Deinem Geburtstag die innigsten Wünsche Deiner Mutter bringen. Gott möge mein Gebet erhören; er schenke Dir Gesundheit und alles was Dir gut ist; mögest Du auch eine rechte Freudigkeit finden zu Deinem Berufe; daß Du auch immer mehr mit Heiterkeit alles Gute geniessen mögest, daß sich auf Deinem Lebenswege findet. Nach einigen Aeusserungen Deiner letzten Briefe scheint es mir, als || habest Du den so lang entbehrten und ersehnten Freund in Hein gefunden;
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wie sehr werde ich mich freuen, wenn dem so ist; denn wenn Du Dich erst einem angeschlossen hast, dann wirst Du auch mehr in Umgang mit andern kommen. Montag Gestern mein lieber Ernst konnte ich nicht weiter schreiben; nun will ich aber eilen, daß || es noch heute zur Post kommt; ich wollte Dir gar zu gerne eine kleine Freude zu Deinem Geburtstag machen, nun haben wir hin und her gesonnen, können aber nichts herausbringen; damit Du aber an Deinem Geburtstage nicht ganz ohne ein Liebeszeichen seiest, habe ich heute früh || für Dich beifolgende Kuchen gebacken, lasse sie Dir schmecken, unten im Kästchen ist auch ein Päckchen von Tante Bertha; dann habe ich Pfannekuchen zugepackt, die kannst Du an Deinem Geburtstag mit Deinen Freunden verzähren; Du mußt sie auf eine Schüssel warm stellen, dann werden sie wieder frisch. – || 5 Thaler lege ich hierbei dafür kannst Du Dir ein Buch kaufen; zu Deinem Geburtstag sollst Du einen Sommeranzug, Rock, Hose und Weste haben; ich denke aber es ist besser Du läßt Dir es dort machen, wie Du es gerne hast, nur bitte ich anständig und orndlich, ich will gerne, daß mein || lieber Junge immer nett und orndlich gekleidet ist. Soll ich Dir gleich Geld dazu schicken oder erst wenn Dua über Geld bedarfst. – Gestern besuchte uns Wilde1, der Dich herzlich grüssen läßt; er kam vor Tische und da Adolph Schubert hier aß baten wir ihn Wildeb auch zu bleiben, || er konnte nicht, da er Dienst in der Kaserne hatte. Ich habe ihn nun zu Freitag Abend eingeladen, wenn noch was draus wird. Bertha und Theodor2 haben Deinen Vater so lange geneckt, bis er ihnen versprochen hat, sie in unserer großen Stube tanzen zu lassen; || wenn nur Bertha wieder ganz wohl sein wird, sie ist etwas erkältet, so wollen wir Freitag den 17ten zu Theodors Geburtstag3 ihnen die Freude machen, dazu werde ich Deine Freunde auch einladen; Wittchenstein4, Regenbrecht etc. Schade, daß Du nicht hier bist. || cAdolph Schubert und Theodor grüssen Dich herzlich. Unter dem obersten Kuchen findest Du noch was in meinem alten Couvert. – Heute besuchte mich Hedwig Giesel, die erinnerte sich noch wie heiter Du in der Petersbaude gewesen seiest;5 ich habe sie auch zu Samstag eingeladen. – Sei an deinem Geburtstag nur recht heiter, und denke fleissig an Deine Mutter. Vor einigen Tagen hatte Vater auch einen Brief von Simon6, der Dich herzlich grüßt. –– Wir schreiben jetzt 1854, Du schriebst 1853. 1 2 3 4 5
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Wilde, Wilhelm Arthur. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie; Bleek, Theodor. Theodor Bleek hatte am 17. Februar Geburtstag. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Haeckel unternahm am 1.8.1850 gemeinsam mit Hedwig Giesel und verschiedenen Familienmitgliedern (Mutter, Bruder, Hermine) einen Ausflug zur Petersbaude auf dem Hauptkamm des Riesengebirges; vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1849–1851 (egh. Mskr., EHA Jena, B 405), Eintrag v. 1.8.1850. Simon, Jakob Bernhard.
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214. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 13. Februar 1854
Mein lieber Ernst!
Berlin 13 Febr. 54.
Diese Zeilen sollst Du zu Deinem Geburtstag erhalten, vielleicht kommen sie etwas früher an. Wir werden an diesem Tage noch besonders bei Dir sein, ob wir es zwar immer sind. Denn die Gedanken an unsre Kinder beschäftigen uns täglich, ich möchte sagen stündlich. Was werden unsre Kinder machen? fragen wir uns öfters am Tage. Für Euch leben wir vorzugsweise. Für Euer Wohl erbitten wir uns den Segena des Himmels. Ihr seid unsere Schätze. Soeben kam ein Brief aus Ziegenrück, wo alles gut geht und der Kleine1 sich immer mehr entwikelt. Dem Oncle Christian2 hat es gar nicht in Ziegenrück gefallen wollen, er meinte immer wieder, das sei ein verdammtes Nest. Ich habe mich mehr damit ausgesöhnt, die Natur dort ist doch schön; nur die Ueberladung Carls mit Arbeit, daß er eigentlich nichts lesen kann, mißfällt mir und wird ihn auch von dort hinwegtreiben. Denn einigeb Zeit muß der Mensch behalten für seine innre Entwikelung. Dein lieber Brief3, den wir vorgestern erhalten, hat die Saiten in mir angesprochen, die so oft in meinen Meditationen gespielt werden. Er trifft so recht in den Kern meiner Meditationen. Wohin es jetzt mit der Welt hinaus will? Darüber lese, sinne, meditire ich täglich. Ob es mit Europa bergabwärts geht, ob wir von den Barbaren verschlungen werden sollen, ob Europa alt und müde geworden und Amerika nunmehr an die Reihe kommt? Darüber denken jetzt, durch die Weltereigniße aufgeschrekt, viele nach. Die Meisten haben zu wenig Kenntniß der Geschichte und zu wenig philosophische Bildung, um hierüber ein Urtheil zu habenc. Dennoch ist auch der alte Wieck4, der doch beides in hohem Grade besitzt, sehr zweifelhaft und neigt sich manchmal zum Glauben an den Untergang der Kultur in Europa, wenn dieser auch nur allmählich wäre, herbeigeführt durch das Supremat der Slaven und durch die wunderbaren Fortschritte der Civilisation in Nord-Amerika. Du wirfst ganz richtig die Frage auf: und was dann, wenn die Kultur ihre Höhe erreicht hat,d die so reißend dort im Fortschreiten begriffen ist? was soll dann geschehen? e Hat es dann mit der Erde ein Ende? Ist sie dann zum Untergange reif ? Denn ohne Menschen und Geisteskultur ist sie blos eine leere Oede. Es wäre möglich, daß dann ein andrer Planet und ein andrer Stern an die Reihe käme! Das Weltall ist unermeßlich. Ich kann dieser Ansicht des Abwärtsgehens der europäischen Kultur und dem Dahinschwinden Europa’s nicht beitreten. Wir sind ja noch gar nicht so weit vorwärts. Kaum f sind die Völker des westlichen und der Mitte Europas der Sklaverei ledig geworden. Der Moment zu ihrer Entwikelung ist erst gekommen, g der Osten von Europa liegt noch in Sklaverei, und hiemit sollte die ewige Weisheit abbrechen und das kaum begonnene Werk h im Stich lassen? Das scheint mir widersinnig. Die Reformation, welche das Christenthum aus seinen Banden erlöst hat, ist erst 300 Jahr alt und nun es recht zu wirken anfängt, nun es die Menschheit in gereinigter Gestalt durchdringen soll, sollte ihm ein Ende gemacht werden? Das scheint mir widersinnig. Die Frage, die jetzt stark erörtert wird, ist die: was wahres Christenthum, was sein innerster Kern sei? Das ist den Meisten noch gar nicht klar. Unsre Orthodoxen5 wollen es wieder in seine Windeln einwikeln, grade da es sich frei zu bewegen anfängt. Nur die wenigen, die es in sich durchgemacht haben, begreifen seine Tiefe, und den
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Satzi „daß Christus in die Welt gekommen sei, um die Menschheit zu erlösen.“ In ihm ist das göttliche Wesen zum Durchbruch unter den Menschen gekommen. Aber in den Dogmen sitzt das || Christenthum nicht, in der freien Entwikelung menschlicher Kräfte, in dem Kampfe des Guten und Bösen zeigt es sich. Wir werden hier auf Erden keine Engel werden, wir können unsre irdische Natur nicht abwerfen und der Kampf mit dem Irdischen bildet einen großen Theil unsers Lebensberufs, aber andrerseits sollen wir auch für diese Welt leben in den Schranken, die uns durch unser innres göttliches Wesen und durch den Kampf gegen den bloßen Sinnengenuß gezogen sind. Die irdischen Kräfte sollen sich für ein nicht für einen blos verfeinerten Sinnengenußj höhres Dasein entwikeln, das ist der Sinn und Begriff der wahren Kultur, und davon sind wir noch weit entfernt. Ein blos verfeinerter Sinnengenuß ist Hyperkultur, und unterscheidet sich von der wahren, wie Gold von der Schlacke. Das Streben in Europa nach politischer Freiheit hängt mit der Entwikelung der wahrenk Kultur genau zusammen, diese kann sich erst entfalten, wenn jene erobert ist. Wir befinden uns aber erst in den Kinderjahren der politischen Freiheit; solange sich ganze Völker noch von beschränkten Fürsten in unsinnige Kriege schleppen laßen, wie das Vieh, l haben sie die Kindersokken noch nicht ausgezogen; und bei der gegenwärtigen rußischtürkischen Frage6 wird den Völkern an den Puls gefühlt, wie weit sie sind? Ein Volk, das sich für die Rußen in den Krieg treiben läßt, liegt eben noch in den Feßeln der Knechtschaft und ebenso zeigt auf der andern Seite das türkische Auftreten, daß wenn der Islam die Türken und Zubehör noch nicht verschluckt hat, doch keine geistigem Entwikelungsfähigkeit in ihm liegt, daß diese vielmehr im Christenthum gesucht werden muß. Die Türken werden sich eine christliche Institution nach der andern aneignen müßen, um fortbestehen zu können, und so werden sie zuletzt unbewußt ins Christenthum übergehen, indem sie europäische Civilisation, die ein Ausdruck der innern Fortentwikelung der Menschen und Völker ist, in sich aufnehmen. Europa hat durch seine geographische Gestaltung viel vor den übrigen Welttheilen voraus, es gestattet n die Entwikelung einer Mannigfaltigkeito von Individualitäten wie kein andrer, das hat schon Ritter bemerkt7; seine Halbinseln, seine Binnenmeere, seine ursprünglichen Völker und Individualitäten (Germanen, Romanen, Slaven, finnische Völkerschaften) erzeugen eine so verschiedenartige Gestaltung, wie in keinem andern Welttheil, darauf beruht sein Uebergewicht. Nordamerika, das größer ist als Europa, wird viel einseitiger und einförmiger werden. Was endlich die Naturforscher vom Boden sagen, der nur eine Reihe Jahre tragen könne und dann mit seiner Fähigkeit die Völker zu ernähren zu Ende sei, ist auch nicht wahr. Die Kultur der Chinesen und Indier ist, soweit nur die Geschichte reicht, wenigstens 6000 Jahr alt, und der Boden ernährt die dort lebenden Völker fortdauernd; es giebt freilich ein Maas der Bevölkerung, das nicht überschritten werden kann. Das Ausroden der Wälder hat allerdings geschadet und in gewißer Hinsicht seine Tragbarkeit aus verminderter Befruchtung vermindert, aber in Europa kennt man jetzt diesen Mangel und sucht ihm abzuhelfen, durch angemeßne Kultur, indem man das unfruchtbare Land der Forstkultur übergiebt und nur den fetten Boden dem Ackerbau vorbehält. Dieser selbst hat aber durch die neuen landwirthschaftlichen Systeme (z. B. Thaer’s Fruchtwechsel)8 sehr gewonnen. Babylonien, Klein Asien, Caschmir sind nicht durch die p Entnervung und Entkräftung des Bodens herunter gekommen, sondern durch den Despotismus, den der Islam in seiner Einseitigkeit begünstigt. – Die Achtung vor der Menschennatur und
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ihre Entwikelung, die auf den Boden des Christenthums gewachsen ist, befruchtet auch die Felder und setzt die Länder in den Stand, jedes nach seiner Art, ihre Völker zu ernähren. Also nicht sporadische || Kultur, heute im Morgenlande, morgen im Abendlande, heute in Asien, morgen in Europa, übermorgen in Amerika, sondern eine über alle Erdtheile verbreitete christliche Kultur ist die Bestimmung des Menschengeschlechts, alle Erdtheile mit ihren Bewohnern sollen aufeinander einwirken, jeder den andern erziehen helfen, dazu sind jetzt Eisenbahnen und Dampfschiffahrth und elektrische Telegraphen in die Welt getreten, es soll sich ein Weltverkehr bilden, wie er noch nie da gewesen und dieser soll die Völker erziehen helfen, nachdem das Christenthum als allgemeine Weltreligion (s. jetzt die Bewegungen in China9) q sich aus seinen Anfängen herausgearbeitet r und als Bildungselement für die Menschheit Wurzel gefaßt hat; diese Religion, die auch dem Geringsten sein Recht und seine Achtung und seine Entwikelung sichert und so auch die Achtung der Eigenthümlichkeit der Völker, durch welche sie s bestimmungsgemäß für das Erdenleben erzogen werden, ist noch nicht 2000 Jahr alt, während die Braminen Religion10 gewiß schon 6000, wie jung ist das Christenthum auf der Erde! – Und so wünsche ich Dir denn zu Deinem Geburtstage eine immer größere Erkenntniß Deines innern Wesens, eine immer weitere Entwikelung Deiner Kräfte, getragen durch Religion und Sittlichkeit, suche über das Christenthum immer mehr ins Klare zu kommen und es immer tiefer in Dich aufzunehmen; wir sind jetzt grade in einem Stadio, worüber in dieser Hinsicht viel Unklarheit und Verwirrung herrscht. Aus dem Boden des Christenthums entspringt die allgemeine Menschenliebe, die Aufopferung für Andere, die Förderung ihres physischen und geistigen Wohlergehens, die Achtung für Gesetz und Recht und wenn dieses alles zusammen wirkt, so wird das Reich Gottes immer mehr vorbereitet. – Deine Studien sind jetzt noch Versuche, wohin eigentlich Deine Anlagen wollen. Bald klingt diese, bald jene Saite vor, Du wirst diese Versuche noch mehrere Jahre fortsetzen müßen, bis Du zu klarem Bewußtsein kommst und Du dich dann ruhig durch Deinen innern Instinkt weiter treiben läßt. Du mußt die Geduld hiezu nicht verlieren, es wird sich schon alles aufklären und wir wollen dir dazu behülflich sein. Habe immer Gott vor Augen und im Herzen, daß Religion und Sittlichkeit Dich auf allen Wegen begleiten, sie bilden die reine, frische Luft, in welcher der innre Mensch allein gedeihen kann, und durch welche die Gesundheit des innern Menschen erhalten wird. – Dein Dich innig liebender alter Vater Hkl 1 2 3 4 5
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Haeckel, Carl Christian Heinrich. Sethe, Christian. Br. 210. Wieck, Karl Ferdinand. Gemeint ist hier offenbar das Lager der traditionalen Lutheraner in Preußen, welche streng dem voraufklärerischen Protestantismus anhingen und sich gegen liberale Einigungsversuche innerhalb der evangelischen Glaubensgemeinschaft, wie sie u.a. von Schleiermacher und später von Sydow vertreten worden sind, wehrten. 1853 durch einen Streit um die Nutzung der Kirche zum Heiligen Grab in Jerusalem ausgelöster militärischer Konflikt zwischen Russland und dem Osmanischen Reich (zehnter russisch-türkischer Krieg), der sich durch das Eingreifen Großbritanniens, Frankreichs und des Königreichs
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Sardinien auf Seiten der Türkei zu einem europäischen Krieg ausweitete. Das militärische Kriegsgeschehen konzentrierte sich hauptsächlich auf den Schwarzmeerraum, woraus sich auch die Bezeichnung „Krimkrieg“ ableitete. Weitere Kriegsschauplätze waren die Ostsee, Transkaukasien und der Ferne Osten. Der Krieg, der erstmals durch das Phänomen der modernen Materialschlachten charakterisiert war, endete nach der Einnahme der über ein Jahr lang belagerten Hafenstadt Sewastopol mit einer Niederlage Russlands. Der nach dem Tod des Zaren Nikolaus I. 1855 durch den Zaren Alexander II. abgeschlossene Frieden von Paris schrieb die Integrität des Osmanischen Reiches und die Neutralität des Schwarzen Meeres fest; vgl. Br. 211, Anm. 22. Zu Ritters eurozentrischer Darstellung der geographischen Weltverhältnisse vgl. u.a.: Ritter, Carl: Einleitung zur allgemeinen vergleichenden Geographie, und Abhandlungen zur Begründung einer mehr wissenschaftlichen Behandlung der Erdkunde. Berlin 1852, S. 70 f. Albrecht Daniel Thaer wurde durch seine Vorschläge zur Einführung moderner Anbau- und Wirtschaftsmethoden in der Landwirtschaft zum bedeutendsten deutschen Agrarreformer des 19. Jahrhunderts. Unter anderem propagierte er die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft, bei der durch die unmittelbare Aufeinanderfolge bestimmter unterschiedlicher Nutzpflanzenarten die landwirtschaftlichen Flächen kontinuierlich nutzbar gemacht und Ertragsausfälle vermieden werden können; vgl. Thaer, Albrecht: Grundsätze der rationellen Landwirthschaft. 4 Bde., Berlin 1809–1812. Die Opiumkriege und diverse Unruhen und Volksaufstände, insbesondere der Taiping-Aufstand, hatten seit den 1830er Jahren die traditionelle Ordnung im chinesischen Kaiserreich erschüttert. Zeitgenössischer Sammelbegriff für verschiedene hinduistische Religionen, deren höchstgeweihte Vertreter, die Bramanen, die höchste Kaste innerhalb der Gesellschaft bildeten.
215. Von Bertha Sethe, Berlin, 13. Februar 1854
Berlin 13/2 54. Du siehst, daß ich es schlecht dies Mal mit Dir vorhabe, indem ich nur ein halbes Blättchen Papier hervorsuche, mir ist aber heute die Zeit so knapp, da ich gerne a einen Brief an Philipp1 beendigen will, der fort muß. Aber einen herzlichen Glückwunsch wollte ich Dir doch so gern mitsenden. Was soll ich Dir anders wünschen, als daß Du immer mehr und mehr des Friedens aus Gott in Dir bewußt werdest, daß Dir immer mehr Klarheit über Dich und das Leben zu dem Du berufen bist, und daß Du Dich hinein leben sollst, erlangen mögest, und Dir aus dem b, was Du hast und lebst immer mehr Befriedigung im Innern werde, das gebe || Gott, mein lieber Ernst! Uns geht es gut, Vater2 ist nach seiner Art und Weise frisch und munter, und ich habe auch eine gute Zeit; wie lange? Wir stehn ja Alle in Gottes Hand. Er allein weiß Zeit und Stunde, die Er uns vorbehalten. Nun rückt ja auch die Zeit heran, wo wir hoffen können, Dich bei uns zu sehn, nicht wahr? – Deine Mutter ist etwas piepsig, aber es hat nichts zu sagen, mir kommt es vor, als wäre auch etwas Sehnsucht nach dem Enkel und dann wie immer nach ihrem Ernst die Schuld daran. Der Vater3 ist aber sehr frisch und wie immer liebenswürdig. Bertha-Knuf4 ist noch hier, und grüßt mit Allen herzlich. Den kleinen süßen Gruß lasse Dir schmecken, ein H…….t, der’s besser gibt als er hat5. Von Herzen Deine Tante Bertha. 1 2
Bleek, Philipp. Sethe, Christoph.
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Haeckel, Carl Gottlob. Spitzname von Bertha Philippine Sethe, vgl. Br. 208, S. 450, abgeleitet von dial. niedersächsisch knufen: mühsam (und lange) kauen, mit vollen Backen kauen (Stellmacher, Dietrich (Hrsg.): Niedersächsisches Wörterbuch. Bd. 7. Bearb. von Maik Lehmberg und Ulrich Scheuermann. Neumünster 2011, S. 579). „Ein Hundsfott gibt was Besseres als er hat.“ (Wander, Karl Friedrich Wilhelm (Hrsg.): Deutsches Sprichwörter-Lexikon. Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 2. Bd., Leipzig 1870, Sp. 905).
216. An Ernst Haeckel (Selbstzeugnis), Würzburg, 16. Februar 1854
Lieber Ernst Häckel!1 Du beginnst heute das dritte Decennium deines irdischen Lebens, und es ist deine Pflicht, an diesem hochwichtigen Tage einen Blick auf dein vergangenes Dasein und deine zukünftigen Tage zu werfen, auf ersteres, um Gott für die unendlichen Wohlthaten zu danken, die er dir hat zu Theil werden lassen, und mit Reue zu empfinden, wie wenig du dich deren werth gezeigt hast, auf letztere aber, um hinfort andere Vorsätze für ein besseres, neues Leben zu fassen und dich ganz Gottes gnädiger Führung anzuvertrauen. Dein erster Gedanke am heutigen Tage muß inniger, aufrichtiger Dank gegen Gott sein, der dir die rauhe Bahn des Erdenlebens durch so viele und große Güter [des] Leibes und der Seele verschönert und erleichtert hat. Er hat dir die trefflichsten, rechtschaffensten, liebevollsten Eltern geschenkt, die besten, treuesten, redlichsten Geschwister und Verwandte; er hat dir einen unendlich starken und süßen Trieb zur herrlichsten aller Wissenschaften, zur Erkenntniß seiner zahllosen Wunderwerke in der Natur, in deren wunderbarem Bau und Leben im Kleinsten wie im Größten sich seine Allmacht und Weisheit offenbart, eingeflößt; er hat dir die Kräfte, Mittel und Fähigkeiten verliehen, diesem tiefen Triebe folgend, dein ganzes Leben der herrlichen Naturwissenschaft zu weihen! Und wie hast du dich bis jetzt gegenüber diesen herrlichen Gottesgeschenken gezeigt? Undankbar, unerkenntlich, kleinmüthig, verzweifelt, egoistisch! Du hast deine Eltern, die dich so herzlich und innig lieben, durch dein zweifelvolles, schwankendes Wesen öfter betrübt, als erfreut; du hast die Freunde, die dir nahe treten wollten, durch dein einseitiges, eigensüchtiges und doch unentschiedenes, oft kindisches, unmännliches und lächerliches Treiben von dir abgestoßen! || Das muß Alles von jetzt an durchaus anders werden! Du trittst heute dein 20stes Lebensjahr an und wirst dadurch zum Mann! Zum deutschen, christlichen Mann! Beweise dich aber auch dieser Ehre würdig. Lege das kindische, unentschlossene, unmännliche Wesen von dir ab; du machst dich dadurch lächerlich und verächtlich. Wozu gab dir Gott die freie Rede, deine unbeschränkte Freiheit als persönlicher Mensch? Gewiß nicht, um dich überall schwach und erbärmlich dem Trotz und der Willkühr anderer zu unterwerfen. Denke an deinen Vater, wie er freimüthig und unverhohlen Wahrheit und Recht vertheidigt, wo und wann es gilt. Und wie zeigst du dich dieses prächtigen Mannes werth? Du schweigst, wo du reden solltest, zitterst, wo du vor edlem Zorn erbeben solltest; wenn Andere in deiner Gegenwart, lästerliche, unwerthe Reden führen oder Dinge thun, die dir dein Gewissen als Unrecht bezeichnet, so bist du still und unterwirfst dich der Menge oder stimmst
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gar gezwungen in ihr Unwesen ein. Ein solchen moralischen Zwang muß es aber für einen freien Jüngling nicht geben. Frei und ungehindert soll er vor dem Niedrigsten, wie vor dem Höchsten, Wahrheit und Recht vertheidigen, keines Menschen Drohn und Rache fürchten. Denke daran, was Christus gesagt hat: „wer nicht ist für mich, der ist wider mich“2! oder was ein anderer Spruch der heiligen Schrift sagt: „Fürchte Gott, thue Recht und scheue Niemand!“3 oder was dir dein trefflicher Freund Reinhold Hein immer zuruft: „Vor Menschen sei ein Mann, vor Gott ein Kind“4! Ja, dies suche zu sein oder zu werden! Du hast dich bisher umgekehrt verhalten, wie alles verkehrt und am unrechten Ende angefangen ist, was du treibst. Während du dich den Menschen als schwaches Kind zeigtest, erschienst du vor Gott als Mann, aber nicht als der rechte, demüthige, lautere Mann, sondern trotzig, undankbar, mürrisch, voll Selbstrechtfertigung, voll Vertrauenslosigkeit, ohne die rechte, christliche Hoffnung und Liebe. Auch hierin mußt du dich von Grund aus ändern! || Vor allem faße Hoffnung, Muth, Zuversicht, das festeste Gottvertrauen und das rechte Selbstvertrauen. Wenn dir auch oft, nur allzuoft in vielen trüben, sorgenvollen Stunden die ganzen Aussichten, Umstände und verwickelten Combinationen deines äußern künftigen Lebens ganz trostund hoffnungslos erscheinen, wenn sich deinen Wünschen und allen Plänen, die du dir ausspinnst und mit den glühendsten Farben hoffender Jugend ausmalst, immer und immer wieder ein niederschlagendes vernichtendes „Aber!“ entgegen gedrängt, so denke doch stets daran, daß a nicht du, sondern Gott alle diese unentwirrbaren Knoten zu lösen hat und sie gewiß mit seiner wunderbaren Weisheit und Güte aufs herrlichste lösen wird. Und wenn dir aller Ausweg verschlossen scheint, und du mußt b dich doch entschließen, einen festen, bestimmten Weg ein für allemal zu wählen, dann flehe nur inbrünstig zu Gott, er wird dich nicht im Stiche lassen, sondern dich den besten, sichersten und passendsten Weg aus diesem Wirrsal hinausführen. Also nur Hoffnung und Glauben! Denke an den Wahlspruch Oliver Cromwells: „Derjenige kömmt am Weitesten, der nicht weiß, wohin er will!“5 Vertrau auf Gott, er wird dich retten und führen, mit Sorgen und eigner Pein, mit eitler, schmerzensvoller und doch so unnützer Selbstquälerei läßt er sich gar nichts nehmen; es muß erbeten sein! – Aber wie dir bisher der rechte, makellose, unumstößliche Glaube, die unbesiegbare, unerschütterliche christliche Hoffnung gemangelt haben, so ist es auch mit wahrer, reiner, christlicher Liebe, der Liebe gegen die Nächsten, gegen alle Menschen; deine Eltern und Verwandten liebst du freilich aufs Zärtlichste und Innigste; du möchtest gern Gut und Blut für sie aufopfern! Aber die Seinigen liebt auch der Schlechteste! Wie steht es aber mit deinem Verhalten gegen andere Menschen, die doch Gott auch zu deinen Brüdern in Christo gesetzt hat? Du mußt dir ohne Weiteres gestehen, daß dein bisheriges Verhalten gegen sie nichts weniger als das rechte gewesen ist. Stets ist bei deinem Verhalten gegen andere, fremde Leute c ein kalter, eigensüchtiger Egoismus, eine lieb- und rücksichtslose Verschlossenheit sichtbar geworden. Ist es da ein Wunder, daß du keinen rechten aufrichtigen Freund finden kannst? || Wirf einen Blick auf all dein Thun! Denkst du nicht immer zuerst mit sorgenvoller Selbstsucht an deinen leiblichen und geistigen Vortheil, und erst nachher, oder auch dann nicht einmal, an die andern? Sollst du zum Vergnügen, Anderer, zu ihrem Nutzen, beitragen, laden sie dich auf die freundlichste Weise ein, ihre Unterhaltung und Gesellschaft zu theilen, so ist dir das kleinste Opfer an Geld und vor allem an Zeit zu groß; Immer denkst du: „Diese Zeit kann ich weit besser und für mich heilsamer anwenden! Was
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kann ich währenddessen Alles thun und ausführen!“ Allerdings kannst du die Zeit, die du andern Menschen widmen sollst, auch ganz allein für dich behalten und auf die Ausbildung deines Wissens und Verstandes wenden. Aber denke daran, daß auch ein anderes Gebiet des Geisteslebens cultivirt werden muß, und dies ist der Verkehr mit andern Menschen, unter welche uns Gott nicht ohne weise Absicht gesetzt hat, wie dir dein trefflicher Vater so oft sagt. Auch hier, im Umgange und Gespräch mit andern, bildest du deinen Geist aus, und zwar in der mannichfachsten, ausgebreitetsten Richtung, wie es dir auf deiner trüben Studirstube, wo du dich nur zum Büchergelehrten ausbildest, nicht möglich ist. Allerdings hast du einen besondern Trieb zur Einsamkeit, zur einsamen innigen Betrachtung der Gotteswunder in der Natur, in welcher du dich am wohlsten und ruhigsten fühlst. Aber bedenke, daß zu derselben Natur auch die Menschen gehören, gegen welche uns Gott, indem er uns in ihre Mitte setzte, mannichfache Verpflichtungen aufgelegt hat. Laß also jenes geitzige, egoistische Wesen fahren, welches du dir selbst als Gewissenhaftigkeit vorspiegelst. Wenn du so auf dich selbst zurückgezogen bleiben willst, so wirst du nie deine Mission als Christenmensch gegen deine christlichen Mitbrüder erfüllen; und mit welchem Antlitzd wirst du einst vor Gott treten, wenn er dir das anvertraute Pfund abverlangt, mit welchem du gewuchert haben sollst?6 – Also noch einmal laß es dir gesagt sein: Liebe, Glaube, Hoffnung;7 diese 3 köstlichen Wahlworte im Reiche Gottes, suche in dir zum Leben und Wesen zu bringen; laß fahren den Egoismus, den Kleinmuth, die Selbstquälerei! Habe Gott stets vor Augen und im Herzen! Bete und arbeite8! Dies ruft dir von ganzem Herzen beim Beginn deines 21sten Jahres zu Dein besseres Ich! 1 2 3
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Würzburg, am 16ten Februar 1854.
Haeckels „eigene Buss-Predigt“ wurde, obwohl kein eigentliches Korrespondenzstück, als aussagekräftiges Zeugnis über seine Persönlichkeit mit aufgenommen. Matthäus 12, 30: „Wer nicht mit mir ist, ist gegen mich“. Es handelt sich nicht um einen Bibelspruch, sondern um ein Sprichwort, das im protestantischen dt. Kulturraum verbreitet war und Bezüge zu diversen Bibelstellen aufweist, in denen gelehrt wird, dass ohne Gottesfurcht weder Gerechtigkeit möglich noch die Menschenfurcht überwindbar ist, z. B. Lukas 18, 1–8. Aphorismus von Robert Reinick: „Vor den Menschen sei ein Mann, vor Gott ein Kind.“. Aphorismus von Oliver Cromwell, nach anderer Zuschreibung von William Shakespeare: „Der kommt am weitesten, der nicht weiß, wohin er geht.“ Matthäus 25, 14–30: Das Gleichnis von den anvertrauten Talenten. Die theologischen Tugenden, auch göttliche Tugenden, christliche Tugenden oder eingegossene Tugenden, sind Glaube, Hoffnung und Liebe. Im Gegensatz zu den zehn Geboten sind diese drei Tugenden keine konkreten Handlungsvorschriften, sondern von Christen verlangte Einstellungen bzw. innere Haltungen. In Anlehnung an den Benediktinergrundsatz: Ora et labora.
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217. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 17./18. Februar 1854
Meine lieben, lieben Eltern!
Würzburg am 17ten Februar 1854.
Es ist dies der erste Brief, den Ihr von eurem zwanzigjährigen Jungen, nunmehr also Jüngling, bekommt. Wenn ihr es auch diesen Zeilen nicht gleich ansehen solltet, daß sie mit dem gesetzten Verstande und der weisen Mäßigung eines Menschen, der bereits 20 Lebensjahre hinter sich hat, geschrieben sind, so müßt ihr einstweilen den guten Willen für die That nehmen. Denn der Übergang vom Unverstand zum Verstand, von der Thorheit zur Weisheit, und vom Kinde zum Manne, macht sich in der That nicht so plötzlich und rasch, wie man dies wohl wünschen möchte und sich vorsetzt. Daß aber der ernsteste und festeste Vorsatz, der beste und aufrichtigste Wille dazu bei mir vorhanden ist, daß ich jetzt ernstlich mit allen Kräften danach streben werde, ein recht tüchtiger, braver Mann zu werden, mir die Energie und Selbständigkeit, die Beharrlichkeit und Zuversicht, die dazu nöthig ist, zu erwerben, davon könnt ihr vollkommen überzeugt sein und ihr werdet euch in eurem alten Jungen nicht getäuscht finden. Es sind in der That noch viele und große Fehler, die ich an mir zu verbessern habe. Dahin rechne ich vor allen meine schwankende Unentschlossenheit und Unselbstständigkeit, die mich nie zu einem selbstständigen freien und festen Entschluß kommen läßt, dann der hoffnungs- und zuversichts-lose Blick in die Zukunft, der immer den schlimmsten und traurigsten Ausgang von jedem Unternehmen kommen sieht und die Thatkraft lähmt, indem er alles Selbstvertrauen raubt. Mein schlimmster Fehler ist aber vielleicht eine eigenthümliche Art von Egoismus, der sich z. B. im Umgange mit andern Menschen, d. h. in meiner unüberwindlichen Menschenscheu zeigt und auch wohl Ursache ist, daß ich bis jetzt immer vergeblich nach einem rechten Freunde mich umgesehen habe. Ihr seht hieraus wenigstens, liebe Eltern, daß ich meine schwachen Seiten1 recht wohl kenne und fühle; wie sollte ich dies auch nicht, da euer treuer Elternsinn, eure liebevolle Mühe, mich zu einem bessern und vollkommneren Menschen herauszubilden, wofür ich euch nie genug dankbar sein kann, mich stets auf diese Fehler aufmerksam macht, wie es auch die Bemerkungen meiner nähern Bekannten oft genug thun. Ein Anderes ist es freilich, seine Fehler zu erkennen, ein Anderes, sie wirklich zu bessern. || Mit Gottes gnädiger Hülfe, denke ich, wird aber auch die wirkliche Besserung und Vervollkommnung der wahren Erkenntniß nachfolgen, und ich hoffe fest zu Gott, daß es mir unter seinem kräftigen Beistand gelingen wird, diese Schwachheiten immer mehr zu überwinden, endlich doch noch ein guter und tüchtiger Mann zu werden, und euch, meine innigst geliebten Eltern, noch recht viele und große Freude zu machen, wozu er seinen Segen gebe! – – Eure liebevollen Briefe2 und Geschenke erhielt ich vorgestern früh und habe mich recht innig darüber gefreut. Wie bin ich doch vor so vielen andern Menschen mit so guten, treuen Eltern beglückt und welche hohen, reinen Genüsse sind mir in dem geistigen Umgang mit ihnen vergönnt, deren wohl die meisten andern, leider, entbehren müssen. Wie wenige von allen Altersgenossen, die ich hier kennen gelernt habe, haben das Glück, in einer ununterbrochenen geistigen Gemeinschaft mit dem Elternhaus zu stehen und ganz mit ihm verwachsen zu sein, wie ich dessena stolz
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mich freuen kann. Was entbehren diese Armen nicht! Gewiß, liebe Eltern, dies sehe ich unbedingt als das höchste, und nicht allein irdische, sondern auch ewige Gut, das mir Gott geschenkt hat, an, daß ich so unzertrennbar fest und innig mit euch verwachsenb bin, und mir eine freie geistige Mittheilung und Hingabe ohne euch gar nicht denken kann. Da habe ich wohl täglich tausendmal Ursache, Gott inbrünstig für dies Glück des Familienlebens zu danken und ihn zu bitten, daß er es mir noch recht, recht lange erhalten möge! Es hätte der äußern materiellen Zeichen eurer Liebe am gestrigen Tage wirklich nicht bedurft, um mich recht voll und tief des herrlichen Schatzes eurer Elternliebe erfreuen und genießen zu lassen. Ich weiß, daß ihr gewiß an meinem ganzen Festtage so mit Herz und Sinn bei mir gewesen seid, wie ich bei euch, und daß ihr mit mir für mich zu Gott gebetet habt. Doch auch für jene äußern Liebeszeichen habt den besten Dank; sie haben mich um so mehr erfreut, als sie ganz unerwartet kamen. || Die wohlbekannten kleinen Küchelchen, liebe Mutter, haben mir so wohl geschmeckt (und werden dies noch lange thun, da ich täglich höchstens 2 opfere) daß ich immer die herzliche Liebe mitzuschmecken c meine, mit der du beim Backen derselben an mich gedacht hast. Die trefflichen Pfannekuchen sind noch alle am Leben (bis auf 4), da am Geburtstag selbst microscopischer Cours für meine Freunde war, so daß sie erst spät hätten kommen können. Übrigens haben wir noch am Abend zusammen gekneipt. Dafür werde ich den Sonntag Nachfeier halten, wo ich zu den Pfannekuchen eine Bowle zusammenzubrauen versuchen will und dazu jenen netten Freundescircel3, mit dem ich Weihnachten feierte, einladen will. – Du freust dich, liebe Mutter, daß ich an Hein einen Herzensfreund, wie ich ihn mir längst gewünscht, gefunden habe. Zum Theil ist das allerdings richtig. Ich wenigstens wüßte unter allen Altersgenossen keinen, den ich in diesem Maße liebe und achte. Es ist wirklich ein garzu lieber Mensch, für mich das wahre Ideal eines Studenten, wie er sein soll (wie ich aber leider gar nicht bin!). Was ich besonders an ihm bewundere, ist, daß er in allem das rechte Maß zu halten versteht, im Arbeiten, wie im Vergnügen, in der Zeit, die er zu seiner eignen Ausbildung, wie in der, die er auf den Umgang mit andern Menschen verwendet. Trotzdem er grade kein besonders ausgezeichnetes Genie ist (obwohl ein sehr klarer und offner Kopf ) und auch nicht einen unsinnigen Fleiß entwickelt, (der durch zu große Anstrengung selbst wieder entkräftet) lernt und weiß er doch ungemein viel, kommt in allen Collegien d dem Vortrage vollständig nach und ist immer und überall bewandert und zu Hause, was man auch fragen mag. Dabei genießt er sein Studentenleben so recht mit jugendlicher Frische, mit immer heitern, offnen Sinn, wie ich es mir immer als Ideal aus e male, das ich gar zu gern verwirklichen möchte, wenn sich mir nicht tausend „Abers“ entgegen drängten. So machte er z. B. jede Ferien, trotzdem er grade keinen splendiden Wechsel bekommt, allerliebste, höchst lehr- und genußreiche Reisen, hat mit sehr wenig Geld in Gesellschaft mehrerer Freunde 1 wundervolle Alpenreise gemacht etc. || Merkwürdig ist es auch, wie er von allen, die ihn nur irgend, näher oder ferner kennen, geachtet und geliebt ist, von Studenten, wie von Professoren. So ist er z. B. sehr oft bei Schenks (wo ich erst am vorigen Sonntag wieder mit ihm zusammen war), bei Virchows etc, obgleich er hier nicht förmlich eingeführt ist. So weiß er auch ungemein gut mit allen Leuten umzugehen, und gewinnt sie sogleich durch sein einnehmendes freundliches Wesen. Nur von wenigen ist er ungern gesehen, und dies sind jämmerliche Indivi-
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duen, wie z. B. ein höchst frecher Jude mit dem er voriges Jahr ein Duell4 hatte, was ihm durch seinen glücklichen Ausgang Ruf als muthiger Mann verschaffte. Und so könnte ich euch noch eine Menge trefflicher Eigenschaften dieses lieben Menschen aufzählen, wenn ihr an den vorerwähnten noch nicht genug habt (z. B. ist er auch sehr musicalisch etc). Das Einzige, was f meiner exclusiven Richtung nicht zusagt, ist, daß er eher zu viel gute Freunde hat und mit allen Leuten gut auskömmt; was ich nicht einmal möchte, wenn ich es auch könnte. Da ich nun von allen jenen Tugenden (Mäßigung, Ruhe, Muth, Selbstvertrauen, Hoffnung, Liebenswürdigkeit etc) durch die Hein ausgezeichnet ist, fast nichts besitze (wenngleich ich sie zum Theil gern besitzen möchte) so könnt ihr euch leicht denken, daß er an mir kein so großes Gefallen findet, wie ich an ihm, und daß ich nicht in dem Grade sein Freund bin, wie g er der meinige ist. Auch hat er einen Kreis von 3–4 Freunden (eben jene, mit denen ich am Weihnachtsabend zusammen war), die weit trefflichere und bessere Leute sind, als ich und ihm deßhalb auch viel näher stehen. Jedoch giebt er sich auch alle Mühe, mit mir etwas anzufangen (z. B. sucht er mich mit andern bekannt zu machen, kommt oft Abends, wenn ich ganz allein bin, zu mir, um 1 Parthie Schach zu machen (wo ich gewöhnlich in 3 Fällen 2mal verliere) u.s.w. Besonders nahe bin ich ihm dadurch gekommen, daß wir auch öfter religiöse und überhaupt gemüthliche (d. h. im höhern Sinn!) Gespräche gehabt haben. Zu Ostern geht er leider nach Berlin. Nehmt ihn nur ja freundlich auf; er wird euch auch gefallen. Medium tenuere beati!5 || 18/2 54. Um meine Vorsätze auch wirklich einmal zu verwirklichen, habe ich gleich die ersten beiden Tage meines 21sten Lebensjahres recht munter und hoffnungsvoll angetreten, wie ich überhaupt schon in den letzten Wochen immer in einer ziemlich fidelen Stimmung mich befand, was ich allein dem Vortrage verdanke, den ich im medicinischen Kränzchen6 zu halten gezwungen bin. Dieser hat mir nämlich nach langer Zeit, in welcher ich der Botanik, anderen Sternen, besonders der Zootomie, folgend, etwas ungetreu geworden war, wieder einmal recht tief in diese herrliche Lieblingswissenschaft einzudringen Gelegenheit gegeben und zwar grade in eins der interessantesten Felder, welches mir bisher ziemlich unbekannt war, in die subtile Kryptogamen Kunde7. Nachdem ich den Vortrag über Pflanzengeographie aufgegeben, wandte ich mich der Lehre von der Befruchtung dieser höchst interessanten Pflanzen zu, welche bis jetzt noch sehr in Dunkel gehüllt war und woh erst durch die neuesten Entdeckungen ganz neue und höchst glänzende und merkwürdige Resultate erzielt worden sind. Namentlich habe ich da ein ganz neues, von Schenk geborgtes Werk von Hofmeister8 studirt, welches mich in die höchste Bewunderung, das größte Staunen und Entzücken versetzt hat, sowohl durch die neuen großartigen darin enthaltenen Entdeckungen, als durch den wirklich unübertrefflichen Grad von Gründlichkeit und Genauigkeit, der in der Untersuchung der Entwicklung jeder einzelnen Zelle sich zeigt und ganz für deutschen unermüdlichen Fleiß characteristisch ist. i Freilich hat diese classische Arbeit mit ihren höchst subtilen j microscopischen Untersuchungen auch dem Verfasser fast sein ganzes Augenlicht gekostet, so daß er jetzt fast gar nichts mehr sehen kann. Nur gut, daß er wenigstens sehr vermögend ist! Dieser merkwürdige Mann war früher Buchhändler in Leipzig und besorgte am Tage seine Geschäfte, während er die
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Nacht durch zur microscopischen Untersuchung der Moose, Farnkräuter etc und ihrer merkwürdigen Lebens- und Fortpflanzungserscheinungen verwandte. Später gab er sich ganz diesem herrlichen Fache hin, verdarb sich dabei aber durch allzu feine und anstrengende Präparationen seine ganzen Augen. Dafür hat er freilich 1 classisches Werk geliefert. || Bei dieser Gelegenheit habe ich auch mehrere andere schöne botanische Specialwerke gelesen, namentlich Schachts Pflanzenzelle9, ein nicht minder ausgezeichnetes Werk, welches auf A. v. Humboldts Empfehlung die goldne Medaille erhalten hat10, und welches ich mir zum Geburtstag für die 5 rℓ, die ihr mir geschenkt, anschaffen will. Es war 1 längstersehnter Schatz, aus dem ich sehr viel lernen kann. Habt den schönsten Dank dafür! – Ich kann euch gar nicht sagen, welche hohe Seligkeit das ist, wenn ich einmal, wie bei dieser Gelegenheit, mich ganz ungehindert in diese Schätze vertiefen kann. Es hüpft mir dann immer im eigentlichsten Sinne des Worts das k Herz im Leibe und ich möchte laut aufjubeln, vor allem aber euch selbst diese reine Freude mitempfinden lassen können. Solche Seligkeit habe ich jetzt auch öfter genossen, wenn ich mir auf der Universitätsbibliothek (hinter deren ordentlichen Nutzen und Benutzung ich erst jetzt gekommen bin, so daß ich täglich fast 1 Stunde da bin) kostbare Prachtwerke angesehen habe, z. B. Humboldts Atlas pittoresque von seiner Reise, vue des Cordillères, novae species plantarum, Plantae aequinoctiales11 etc, dann Cordas Prachtflora der Pilze und Schimmelbildungen12, vor allen aber ein Ding was ich wirklich verschlungen habe und gar nicht satt kriegen kann. Es sind dies die wegen ihrer großen Naturtreue sehr von Humboldt gelobten „Vegetationsansichten von Kittlitz“13; 24 Stahlstiche in Atlasform, welche Landschaften aus dem stillen Meer und überhaupt den Tropengegenden darstellen, und worin die wundervolle Tropenvegetation wirklich zum Verlieben schön und reizend dargestellt ist. Ich bin auch wirklich ganz vollständig verliebt in diese Pracht der Tropenpflanzen, kann mir mein größtes Glück nur darin denken, sie einmal Angesicht von Angesicht zu genießen, und bin dadurch wirklich in eine fixe Idee, wenn ihr es so nennen wollt (meine Freunde nennen es „sanguinische Tollheit“), tief hineingerathen, welche mir, obgleich ich selbst an ihrer Ausführbarkeit zweifeln muß, doch insofern unendlich werth ist, als ich jetzt wieder darin 1 festen Angelpunkt habe, um den sich alle meine Wünsche für die Zukunft drehen, und an dem sich die herrlichsten buntesten Luftschlösser und Phantasiegemälde aufbauen können. || Es will dieser kühne Wunsch, von dessen Ausführung ich jetzt Tag und Nacht träume, Nichts mehr und Nichts weniger, als wirklich die schon als Kind gehegten Träume von einer großen Reise in die Tropen verwirklichen, was also nichts Neues, sonders etwas ganz Altes ist. Nur treten diese Gedanken l Recidive, wie alle Rückfälle, mit verstärkter Heftigkeit auf und sind jetzt nach den Umständen in etwas eigenthümlicher Weise modificirt. Da mir nämlich mein Verstand folgendes bei ruhiger Überlegung sagt: „Du hast nicht die Mittel, eine solche Reise auf eigne Kosten zu machen, du hast nicht die Fähigkeiten und Talente, um sie auf Staatskosten (etwa vermittelst eines Reisestipendiums) machen zu können, du hast endlich einen kranken Fuß, der dir diese Reise als Wanderung zu Fuß zu machen verbietet – auf der andern Seite siehst du wohl, daß mit dir in Deutschland, namentlich als practischer Arzt, nichts zu machen ist“ – in Erwägung nämlich dieser kalten Gedanken habe ich folgenden heißen Plan entworfen (lacht
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nicht darüber!): Ich studire jetzt nothdürftig meine Medicin fertig, so daß ich den Dr. machen kann, vervollkommne mich in Botanik, Zoologie, Mikroscopie, Anatomie etc soviel möglich und suche dann eine Stelle als Schiffsarzt zu bekommen, um freie Überfahrt nach irgend einem Tropenlande (nach Brasilien, Madagascar, Borneo oder irgend ein anderes) zu erhalten, wo ich mich dann mit meiner Frau (nämlich meinem unzertrennlichen Microscop) in einen beliebigen Urwald hinsetze und nach Leibeskräften Thiere und Pflanzen anatomire und microscopire, alle möglichen zoologischen botanischen geographischen etc Kenntniße und Entdeckungen sammle, so daß mir diese Stoff genug geben, um etwas ordentliches zu leisten. Nahrungsmittel findet man dort hinreichend im Urwald (wie schon 1 einziges kleines Stückchen mit Pisang14 bepflanzt für die Erhaltung eines einzigen Menschen genügt); nöthigenfalls verdiene ich mir das Nöthige durch Quacksalberei als practischer Arzt (!) Wundarzt (!!) und Geburtshelfer (!!!) unter den Indianern. Habe ich mich dann 1 paar Jahre lang hinlänglich an der herrlichen Flora und Fauna der Tropen satt gegessen und studirt, so versuche ich auf dieselbe Weise wieder zurück zu kommen, und kann dann entweder doch noch 1 Privatdocentenstelle erhalten, oder mir sonstwie durch Scribereien ein nothdürftiges Brot verdienen! – Lache nicht, teurer Vater, ängstige Dich nicht, liebste Mutter, wenn Ihr diesen colossalen Blödsinn lest. Noch ist die Ausführung desselben nicht da! || Vorläufig male ich mir das Robinsonsche Project15 nur mit den schönsten meiner Phantasie zu Gebote stehenden Farben aus, weil es mir die einzige Art und Weise zu sein scheint, in der noch etwas aus mir werden kann, obgleich ich selbst an der Möglichkeit der Ausführung zweifle. Dieser Traum, dies schöne goldne Luftschloss befriedigt aber meinen Sinn gegenwärtig in jeder Weise. Er zeigt mir nämlich einen festen Zielpunkt, auf den ich lossteuern muß, er spiegelt mir die Verwirklichung meiner Lieblingswünsche vor, er spornt mich an, mich in den Lieblingswissenschaften möglichst zu vervollkommnen, er zwingt mich endlich moralisch, die verhaßte Medicin bis zu Ende fortzutreiben. In jeder dieser Hinsichten, namentlich aber in der letztern, kann dieser schöne Traum, mir nur nützlich sein, wenn auch aus ihm selbst nichts werden sollte, wie ich fast fürchte. Jedenfalls ist es noch lange Zeit bis dahin, wo ich mich definitiv entscheiden muß. Ich sehe aber wirklich nicht ein, wie ich anders zu etwas kommen sollte. Auch tritt mir diese fixe Idee mit jedem Male, wo ich irgend etwas dahin einschlagendes sehe oder lese (wie z. B. gestern, wo ich mit dem größten Entzückenm die Abbildungen tropischer Landschaften und Bäume in dem Prachtwerk von Martius über die Palmen16 angesehen habe) nur um so lebhafter und eindringlicher entgegen, so daß ich mich schon ganz darin eingelebt habe und wie vernarrt darin bin. – Doch genug hiervon! – Wie steht es denn mit meiner Militaerangelegenheit17, lieber Vater? Ich möchte dich doch recht sehr bitten, sie möglichst bald zu beendigen, damit ich die Gewißheit habe, Ostern nicht in meinen Arbeiten gestört zu werden. Schicke nur jedenfalls vorläufig das Gesundheitsattest ein. Später hat das keinen Nachtheil. Bis dahin kann sich noch viel ändern. Schlimmstenfalls diene ich 1 Jahr als Compagniepflasterkasten in 1 Spital, was gar nichts schaden kann. – Gestern bekam ich mit einem Mal nicht weniger als 6, lauter sehr nette und liebe treue Briefe, und zwar 1) von Carl18 und Mimmi19 2) von Finsterbusch20 (der sich jetzt vorwiegend zum Geschichtsstudium hinneigt, das ihn ungemein anzieht) 3) von dem
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lieben Merseburger botanischen Kleeblatt Weiss Weber Hetzer,21 die letzten sind doch wirklich ungemein anhängliche und treue Seelen, wie ich es früher ja kaum gedacht hätte. In Ziegenrück geht es gut. Nur Schade, daß der arme Karl so viel zu thun hat, Miesechen schickt mir eine allerliebste Beschreibung von meinem kleinen lieben Pathchen mit! – Nun, liebste Eltern, nochmals für alle eure Liebe und besonders noch Dir, herzliebes Mütterchen, den herzlichsten Dank von eurem treuen Ernst H. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
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Vgl. Br. 216, S. 468. Br. 213 und 214. Vgl. Br. 203, S. 437–439. Zum Duell vgl. Br. 149, Anm. 15. Lat.: Die Glückseligen haben (immer) die Mitte gehalten! Vgl. Thesaurus Proverbium Medii Aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanisch-germanischen Mittelalters. Begr. von Samuel Singer. 8. Bd., Berlin; New York 1999, S. 133. Vgl. Br. 124, Anm. 33 und Br. 210, S. 455–457. Die Lehre von Pflanzen, die sich blütenlos fortpflanzen, wie etwa Moose, Flechten oder Farne (XXIV. Klasse der Pflanzen nach Linné). Hofmeister, Wilhelm: Vergleichende Untersuchungen der Keimung, Entfaltung und Fruchtbildung höherer Kryptogamen (Moose, Farrn, Equisetaceen, Rhizocarpeen und Lycopodiaceen) und der Samenbildung der Coniferen. Leipzig 1851. Schacht, Hermann: Physiologische Botanik. Die Pflanzenzelle, der innere Bau und das Leben der Gewächse. Für Botaniker, Anatomen, Chemiker, Forst- und Landwirthe, sowie für Naturkundige überhaupt; nach eigenen vergleichenden, mikroskopisch-chemischen Untersuchungen bearbeitet. Berlin 1852. Das Werk ist Alexander v. Humboldt gewidmet. Ein Exemplar befindet sich in Haeckels Jugendbibliothek, Nr. 31 (=57, mit dem Besitzeintrag „E. Haeckel Berlin 1852“). Ernst Haeckel ist hier über das preisgekrönte Werk im Irrtum. Hermann Schacht trat im Frühjahr 1847 eine Assistentenstelle bei Matthias Jakob Schleiden in Jena an. Dort vollendete er eine schon in Altona begonnene größere Abhandlung über die Entwicklung des Pflanzenembryos. Diese Arbeit reichte er 1847 für eine Preisaufgabe beim Königlich Niederländischen Institut der Wissenschaften in Amsterdam (heute: Königlich Niederländische Akademie der Wissenschaften, KNAW ) ein und erhielt den Preis (vgl. ADB 30 (1890), Leipzig 1890, S. 482–486). Die Arbeit erschien 1850 in Amsterdam als selbstständige Schrift „Entwickelungs-Geschichte des Pflanzen-Embryon“. Das Werk enthält auf Einband und Titelblatt den Vermerk: „Eine durch die Erste Klasse des Königlich-Niederländischen Instituts gekrönte Preisschrift.“; vgl. auch die Rezension in: Tagsberichte über die Fortschritte der Natur- und Heilkunde, erstattet von Dr. Robert Froriep. Abtheilung Botanik. Nr. 287, Weimar 1852, S. 169–176. 1850 siedelte Schacht nach Berlin über, wo er in Alexander von Humboldt einen Gönner und einflußreichen Förderer seiner Arbeiten“ fand; vgl. ADB 30 (1890), Leipzig 1890, S. 483. Humboldt, Alexander von: Atlas pittoresque des voyages. Vues des Cordillères, et monumens des peuples indigènes de l’Amérique. Paris 1810. Corda, August Carl Iospeh: Icones fungorum hucusque cognitorum. Abbildungen der Pilze und Schwaemme. Tom. I–V, Pragae 1837–1854; ders.: Pracht-Flora europaeischer Schimmelbildungen. Leipzig; Dresden 1839. Kittlitz, Friedrich Heinrich von: Vierundzwanzig Vegetations-Ansichten von Küstenländern und Inseln des Stillen Oceans. Aufgenommen in den Jahren 1827, 28 und 29 auf der Entdeckungsreise der Kaiserlich-Russischen Corvette Senjawin unter Capitain Lütke. Siegen [1844]. Malaiisch für: Banane. Anspielung auf Daniel Defoes berühmten Abenteuerroman „The Life and Strange Suprizing Adventures of Robinson Crusoe, of York, Mariner […]” (London 1719; dt. Erstausgabe 1720).
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Martius, Karl Friedrich Philipp von: Historia Naturalis Palmarum. Opus Tripartium. Lipsiae 1823–1850. Vgl. u.a. Br. 149, Anm. 4 und Br. 201, Anm. 8. Br. 211. Br. 212. Ludwig Finsterbusch an Ernst Haeckel, Halle, 12.2.1854 (EHA Jena, A 2314). Vgl. Ernst Weiß an Ernst Haeckel, Merseburg, 28.1.–14.2.1854 (EHA Jena, A 16631), Victor Weber an Ernst Haeckel, Halle, 12.2.1854 (EHA Jena, A 16238), Wilhelm Hetzer an Ernst Haeckel, Halle, 12.2.1854 (EHA Jena, A 21560).
218. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 16. – 20. Februar 1854
Mein lieber, lieber Herzens Ernst!
Berlin 16/2 54
Meine Gedanken sind heute so unaufhörlich mit Dir beschäftigt, daß es mir ein orndliches Bedürfniß ist, auch ein paar Worte an Dich zu schreiben. Vater geht es eben wie mir, wir haben uns heute dankbar gefreut über die Kinder, die uns Gott gegeben, seine gnädige Vater Hand sei auch ferner mit ihnen. Wie wirst Du den heutigen Tag verleben; hoffentlich hast Du ein paar Freunde bei Dir. Wir haben heute zu Mittag Adolph || Schubert, Hedwig Giesel, Theodor1 und Gustav Wieck2, der jetzt hier studiert gebeten, und zum Abend werde ich Punsch machen und den nebst Pflaumenkuchen mit nach N. 83 nehmen, damit die Unsrigen Deinen Geburtstag mit feiern. Montag4, mein lieber Ernst, soweit war ich gestern mit dem Schreiben gekommen als unsere Gäste zu Mittag || kamen, es wurde viel geplaudert, und natürlich [auf] Deine Gesundheit getrunken; Abends aßen Adolph Schubert und Theodor mit uns Butterbrod und dann nahmen wir Punsch und Pflaumenkuchen mit nach N. 8, Großvater war heiter und brachte Deine Gesundheit aus mit dem Wunsch, daß Du auf dem betretenen Weg und wissenschaftlichem Streben fort fahren möchtest. Der alte Großvater war sehr gemüthlich, und Tante Bertha sehr heiter. – || Gestern, mein lieber Ernst, war es mir so recht, als möchte ich Dir noch eine besondere Freude machen, und da nahm ich mir vor, Deinem Freund Weber 10 Thaler zu schicken, bitte Dich deshalb mir seine Adresse zu schreiben. Was ist denn zwischen ihm und Alexander v. Humboldt vor gefallen?,5 wessen Du neulich kurz erwähntest. – Wird etwa auf irgend eine Weise für Weber gesorgt werden, daß er Unterstützung erhält.6 [Briefschluss fehlt] 1 2 3 4 5
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Bleek, Theodor. Wieck, Gustav. Vgl. Br. 45, Anm. 13. Wohl irrtüml. für: Freitag, da der 16.2.1854 ein Donnerstag war. Nicht Victor Weber, sondern Haeckels Freund Wilhelm Hetzer hatte Alexander von Humboldt um Übersendung eines Exemplars seines „Kosmos“ gebeten, und Humboldt hatte diesem Wunsch tatsächlich entsprochen; vgl. Br. 195, Anm. 35 und Br. 223, S. 492 f., sowie Hetzer an Ernst Haeckel, 7.12.1853 (EHA Jena, A 21559). Zu Haeckels Vorschlag, wie Weber unterstützt werden sollte, vgl. Br. 223, S. 492.
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219. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 23. Februar 1854
Liebe Eltern!
Würzburg 23/2 54.
Damit meine lieben Ziegenrücker Eheleutchen doch auch was von Würzburger Neuigkeiten hören, erhaltet ihr dies Tagebuchblatt nicht direct, was auch nichts schaden wird, da es weder wichtige noch cito-Sachen1 enthält. Das wichtigste Factum, was ich euch diesmal mittheilen kann, ist, daß mein College und Freund H. Steudner aus Greiffenberg2 nun endlich die traurigen Folgen einer Prügelei, welche er im vorigen November eines schönen Sonntag Abends in ziemlich angetrunkenem Zustande ( Jeder hatte 9 Stangen3 Bier und 1 Flasche Wein getrunken) mit 2 Polizeisoldaten (vulgo Polypen4) zu bestehen hatte, hat erfahren müssen. Dieses „Verbrechen der Widersetzung“ ist nämlich am vorigen Sonnabend von früh 8 – Abends 8 Uhr auf hiesigem Stadtgericht öffentlich, natürlich unter ungeheurem Zudrang der Studenten, unter denen auch ich mich befand, verhandelt worden. Es kamen viele höchst komische und pikante Scenen dabei vor, namentlich unter den Zeugenvernehmungen, die den ganzen Vormittag dauerten. Z. B. widersprachen die Aussagen der einzelnen a Polypen einander in höchst auffallender Weise. Sie wurden aber sämtlich durch die Behauptung einiger mitarretirender Soldaten widerlegt, daß nämlich jene Polypen selbst total besoffen gewesen wären. Die beiden Vertheidigungsreden, welche die 2 besten hiesigen Advocaten mit ungemein viel Feuer und Ecstase, auch gehörigen Ausfällen gegen den Staatsanwalt, hielten, waren sehr gut und bewirkten wohl hauptsächlich, daß die 5 Richter (welche übrigens selbst als Studenten derlei Streiche verübt haben mochten) einen sehr milden Spruch thaten. Steudner, der nach des Staatsanwalts Antrag 1 Jahr Festung bekommen sollte, erhielt nur ¼ Jahr, das er in 8 Tagen auf hiesiger Veste mit schöner Aussicht antreten wird. Der andere Angeklagte, sein Freund Clarenbach aus Rheinpreußen (ich glaube, wie Windscheid5, aus Duesseldorf ) bei welchem auf 4 Jahr Festung angetragen wurde, weil er mit || einer blanken Waffe auf die Polypen sollte losgehauen haben, (wovon kein Wort wahr war) wurde ganz freigesprochen.6 – Vorigen Montag brachten die hiesigen Corps (wie das alljährlich geschieht) dem Rector (einem prof. jur. Albrecht7) einen glänzenden Fackelzug, welche Ehre dem Hrn. Rector, der nachher sämmtliche Theilnehmer, sowie auch die ganze Docentenschaft glänzend tractirte8, mehr als 1000 Gulden gekostet hat. Ein theurer Spaß für einen Abend! – Bekanntlich ist jetzt Carnevalszeit und die Maskenbälle etc finden hier kein Ende. Diese Fastnachtswuth ergriff auch das medicinische Kränzchen9, welches gestern Abend eine außerordentliche komische Sitzung hatte. Wohl noch nie habe ich soviel höhern Blödsinn und ausgelassene Tollheit gesehen. Wer die größte Verrücktheit vorbrachte, erhielt den meisten Beifall; kurz, es war das reine Narrenfest. Den Anfang eröffnete ein Maskenzug, welcher einen Bährenführer, der mit wilden Thieren herumzog, vorstellte. Die Costueme waren höchst gelungen, so lumpig, wie möglich, ebenso wie die herzzerreißende, steinerweichende b Musik, oder vielmehr Katzenmusik, welche die als Musikanten Verkleideten mit allen möglichen Hörnern, Flöten, Trommeln, Pauken, Geigen etc aufführten, während die verschiedenen Thiere im Tanze sich producirten. Außerdem erschienen noch eine Menge verschieden bunter,
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abentheuerlicher Masken und Narrenzüge. Da es alles studiosi medicinae10 waren, so lief natürlich die Hauptsache immer auf eine großartige Schweinerei oder eine tüchtige Zote ab. Denn für gewöhnliche Witze, welche andere Leute ergötzen, haben die rechten Mediciner gar keinen Sinn mehr. Wenn es nicht ganz derb und handgreiflich kömmt, so zieht es gar nicht. Übrigens waren diese ernsten Witze in ihrer Art sehr gelungen. Namentlich wurden verschiedene || Professoren, Docenten und Ärzte sehr gut nach geahmt und die Quacksalber derselben vortrefflich persiflirt. Z. B. wurden einem Kranken 3 große Bandwürmer (d. h. breite Leinenbänder!) von einigen 50 Fuß Länge hintereinander extrahirt. Ebenso wurden verschiedene geburtshilfliche Operationen vorgenommen, kunstvolle Entbindungen ausgeführt und was dergleichen medicinische Handwerkerei mehr ist, die ganz vortrefflich parodirt wurde. Eine Hauptrolle spielte immer das Chloroform11. Wenn der Doctor nach Chloroform rief, um den Kranken zu betäuben, so wurde ihm 1 Flasche mit Bier gebracht, welche er mit einem Zuge leerte! Unter solchem Blödsinn verfloß der ganze Abend. Dazwischen wurden kostbare Tänze (Polka–Mazurka etc) ausgeführt, Leierkastenlieder von verkleideten Bänkelsängerinnen12 (wie überhaupt die als Weibspersonen verkleideten Commilitionen eine Hauptrolle spielten) abgekröhlt, zuweilen auch ordentliche Lieder gesungen (z. B. die Frau von Droste Vischering13 etc) und von einem eigens dazu bestellten Quartett gespielt. Kurz der ganze Act fiel zur vollständigen Ergötzlichkeit und Zufriedenheit der Theilnehmer aus, und war in seiner Art wirklich sehr gelungen. Fast hätte ich vergessen, die 2 Hauptmomente zu erwähnen, nämlich 2 höchst komische und witzige Festreden, die eine über „den Nutzen, die Naturgeschichte, Geschichte und Zukunft der Flöhe, nebst einer Petition derselben an den Bundestag in Frankfurt, sie in Schutz zu nehmen“ (gehalten von einem Rheinländer, Wolff14), die andere über „die Geschichte, Entstehung, Anatomie, Physiologie, Pathologie der Nachttöpfe und ihre Bedeutung fürc die Kultur des Menschengeschlechts“ (gehalten von einem Westphalen, Husemann15). Obgleich die beiden Gegenstände wahrhaftig nicht sehr delicat waren, wurden sie doch ganz delicat mit zierlichen Kunstausdrücken und ganz in Art eines anatomischen Collegs abgehandelt, was grade einen höchst drastischen Effect machte. Dabei wurden, ebenfalls grade wie in den medicinischen Vorlesungen, 1 ganze Sammlung Präparate (nämlich Pot-chambres16 etc) durchgenommen und herumgezeigt. – Was man doch als Mediciner nicht Alles lernt, und an was man sich gewöhnt! – || Übrigens muß ich noch bemerken, daß nur die süddeutschen Kränzchenmitglieder mascirt da waren und den meisten Blödsinn verübten. Wir Norddeutschen (wie auch die anwesenden Professoren) waren fast sämmtlich unmaskirt und verhielten uns überhaupt nur als passive Zuschauer. Da konnte man recht wieder sehen, wie verschieden die Nord- und Süddeutschen in ihrer ganzen Gemüthsverfassung sind: Diese ganz rückhaltslos, offen, gemüthlich heiter und selbst ausgelassen, jene dagegen viel verschlossner, ernster und zurückhaltender . – Übrigens lernte ich bei dieser Gelegenheit auch einen Bruder17 von der Alwine Lent, der Freundin von Helene Jacobi, die auch auf ihrer Hochzeit war, kennen. Es scheint ein ganz netter Kerl zu sein. – Dabei fällt mir ein, daß ich euch noch nichts von einem kleinen Carl Wolff18 erzählt habe, einem Sohne des Dr. Wolff19 aus Bonn, den mir Johannes Bleek empfohlen hatte. Es ist dies ein ziemlich unglückliches Institut, nämlich hinsichtlich seines
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Benehmens (worin man einen kleinen Juden nicht verkennen kann). Er ist zugleich unangenehm unliebenswürdig und zudringlich, sogar öfter etwas sehr lästig; übrigens ein ganz gescheuter und fleißiger, auch noch sehr junger Student. Mir liegt er oft sehr auf dem Halse, obgleich ich schon zuweilen ziemlich offen grob geworden bin und ihm die Wahrheit gesagt habe. Was soll man mit solchen Individuen anfangen? Ich weiß es bald nicht! – Doch ich will schließen, da ich mit Schrecken sehe, daß ich eigentlich recht viel Kohl hingeschrieben habe, der euch gar nicht interessiren, oder gar euer Zartgefühl (für welches man als Mediciner wirklich allen Sinn, wenigstens in gewisser Beziehung, verlieren kann) beleidigen kann. Ihr müßt dann aber bedenken, daß dies eigentlich nur Tagebuchblätter sind, (da ich mir schon, seit ich von euch fort bin, kein eignes Tagebuch mehr halte, sondern die Briefe als solches ansehe20) deren Durchsicht mir später bei der Erinnung der verflossnen Zeit doch manche angenehme oder wenigstens eigenthümliche Bilder ins Gedächtniß zurückrufen wird. Wenn euch also diese Zeilen enuyiren21, so nehmt an, es habe sie für sich allein niedergeschrieben Euer Ernst H. 1 2 3 4 5 6
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Eilige Materien, dringende Nachrichten. Greiffenberg in Niederschlesien, heute Gryfów Śląski in Polen. Ein Biermaß von 0,3 l Inhalt. Volkstümliche Bezeichnung für: Polizisten. Windscheid, Johann Gustav. Vgl. Würzburger Abendblatt. 14. Jg., Nr. 43, 20.2.1854, S. 169: „In der öffentlichen Sitzung des kgl. Kreis- und Stadtgerichts vom 18. ds. ward in der Untersuchung gegen Herrmann Steudner aus Greifenberg, Stud. med. und Compl. wegen Verbrechens der Widersetzung die Urtheilspublikation auf Mittwoch ds. Vormittags 9 Uhr vertagt.“; ebd., Nr. 46, 23.2.1854, S. 181: „[…] In der öffentlichen Sitzung vom 22. ds. wurde Alexander Clarenbach von Hückeswagen von der gegen ihn erhobenen Anschuldigung der Widersetzung freigesprochen, dagegen Herrmann Steudner, Cand. med. aus Greifenberg wegen Widersetzung gegen einen obrigkeitlichen Diener, bei geminderter Zurechnungsfähigkeit verübt, im Vergehensgrade schuldig zu einer dreimonatlichen Festungsstrafe, und in die Hälfte der Kosten des Verfahrens, und jener seiner Untersuchungshaft verurteilt.“. Albrecht, Joseph Ambros Michael von. Hier: bewirten. Das medizinisch-naturwissenschaftliche Kränzchen um Kölliker; vgl. Br. 124, Anm. 33. Lat.: Medizinstudenten. Chlorierter Kohlenwasserstoff, seit 1831 als Narkotikum in der medizinischen Praxis eingesetzt. Fahrende Sängerinnen, die vor allem auf Jahrmärkten Moritaten vortrugen. Ein Spottlied des Satirikers Rudolf Löwenstein auf die angebliche Wunderheilung der Freifrau von Droste-Vischering während der Ausstellung des „Heiligen Rockes“ im Jahr 1844 in Trier; vgl. Historisch-Kritisches Liederlexikon, http://www.liederlexikon.de/lieder/freifrau_von_droste_vischering (letzter Zugriff: 3.12.2015). Wolff, nicht identifiziert. Husemann, Theodor. Eigentlich‚ Pot de chambres’: Nachttopf. Lent, Eduard. Wolff, Carl. Wolff, Heinrich. Vgl. Br. 103, S. 156, bes. Anm. 37. Frz.: langweilen.
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220. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 27. Februar 1854
Mein lieber Ernst!
Berlin 27 Febr. 54.
Dein Brief vom 17 und 18 Febr.1 hat uns sehr erfreut. Allerdings bildet Dein jetziges Lebensalter einen bedeutenden Abschnitt in Deinem Leben, es ist das rechte Jünglingsalter, wo der Mensch dem Mannesalter allmählich entgegen zu reifen beginnt, wo er allmählich zum Bewußtsein über sich selbst und wo die Natur mit ihm hinauswill, kommt, wo sich seine Kräfte immer mehr aussprechen und entwikeln, wo er Kenntniße sammelt, die ihn immer mehr über sein innerstes Leben klar machen und das alles geht nur allmählich, bis er denn endlich 10 Jahra später ins Mannesalter tritt und die Welt sich ihm mit immer größerer Klarheit vor ihm ausbreitet. Jetzt ist die Zeit des Lernens, des Kenntniße Sammelns, da streckt der Mensch die Fühlhörner immer mehr aus, bis er endlich feste Punkte und festen Boden gewinnt. Also nur immerfort gelernt, Du bist auf richtigem Wege und wenn Du noch 5–6 Jahre so fort gewandelt bist, dann werden sich wohl die Anhöhen zeigen, die Dir einen sichern Ueberblik gewähren, da mußt Du aber auch manchen kleinen Umweg nicht scheuen, der Dich dem Ziele näher bringt, und auch wohl in manchen sauren medicinischen Apfel beißen. Habe ich doch selbst in meiner weit einfacheren Karriere die Umwege nicht immer vermeiden können und manches dann liegen laßen müßen, was ich früher eifrig getrieben, das geht im Beamtenstande auchb nicht anders. Die Fehler, über welche Du bei Dir klagst, sind ganz richtig angegeben und da Du sie richtig erkennt, so kannst Du sie bei festem Willen, den Du Dir erwerben mußt, um so leichter ablegen. Einen festen ausdauernden Willen kann man aber mit Recht jedem ordentlichen Manne anmuthen und von ihm verlangen. Das wird Deine vorzüglichste Sorge sein müßen. Die trüben Gedanken, das Schwanken zwischen großen Erwartungen und Muthlosigkeit mußt Du bezähmen lernen, das wirkt sehr störend auf das Leben, bringt aus dem richtigen Gleise, in welches man zuletzt doch wieder einlenken muß. – Deinen künftigen Lebensplan, wie Du Dir ihn jetzt manchmal in Gedanken mahlst, erkennen ich und Mutter keinesweges für eine sanguinische Tollheit, es ist wohl möglich, daß er einmal zur Realisation kommt, nur mußt Du erst noch mehr lernen, Kenntniße sammeln, Dich in den Naturwißenschaften umsehn und mehr zur Klarheit gelangen, dann wird es sich finden, ob Du ihn und unter welchen Modifikationen versuchen wirst. Ich kann mir wohl Deine Sehnsucht denken, die Pracht der Pflanzennatur in den Tropenländern kennen zu lernen, Ernst Reimer hat die Sundainseln paßirt und rühmt sie als das Paradies der Erde, auch der Himmel soll dort von großer Pracht sein. Ich kann mir ferner denken, daß sichc bei den großen Fortschritten in den Naturwißenschaften auch ganz neue Ansichten über die Pflanzennatur der Erde eröfnen, an die z. B. Linné noch gar nicht zu denken im Stande war, ein großes, bisher nicht gekanntes System und Zusammenhang der Pflanzenwelt, neue Gesetze, neue Compositionen und daß dem Menschen die Beschaffenheit und die Organisation der ganzen Pflanzenwelt der Erde in ihrem unermeßlichen Reichthum immer klarer wird und daß hierin neue Entdeckungen zu machen, außerordentlich verlockend und reitzend ist. Wieviel weiter sehn wir schon jetzt in der Natur durch
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die Kenntniß des Magnetismus und der Elektricität als vor 50 Jahren. Also nur immer munter vorwärts!2 Gott wird Dir auch mit Deinem Knie weiter helfen! || Deine Militärgestellung3 ist so hoffe ich nunmehr so weit in Ordnung, daß Du Dich jetzt nicht zu stellen brauchst. Du warst nehmlich zum 3 Merz (diese Woche) vorgeladen. Ich gieng sogleich zum Militär Commißarius Geh.Rath Pehlmann4, sagte ihm, daß, wie ich in Erfahrung gebracht, man sich, um auf 3 Jahr zum 1jährigen Militärdienst5 zurückgestellt zu werden, nicht an dem Orte des eigentlichen Wohnsitzes zu stellen brauche, wenn es nur anderwärts geschehen sei, das letztere gab er nach, äußerte aber, er riethe mir von dem Atteste, was Du in Rhanis6 erhalten hast, keinen Gebrauch zu machen, da es Dir künftig, indem es Dich als ganz gesund bezeichnet und Du doch am Knie leidest, schaden könne. Du kannst nun noch bis zum September zurükgestellt werden, ohne persönlich jetzt zu erscheinen. Ein persönliches Erscheinen vor irgend einer Militär Commißion sei aber durchaus nöthig, um das Qualifikationsattest zum 1jährigen Militärdienst und die Zurückstellung bis zum 23sten Jahr zu erhalten, indem sonst einem ganz untauglichen (z. B. einem Buckligen, Gebrechlichen), einen Zurückstellungsattest gegeben werden könne, was widersinnig sei. Bei Dir ist die persönliche Gestellung um so nöthiger, als Dein Zustand zweifelhaft ist. Ich werde also wohl auf meine vor einigen Tagen eingereichte Eingabe noch vor dem 3ten Merz den schriftlichen Bescheid erhalten, daß Du Dich zum September sistiren7 sollst, was mir bereits mündlich versichert ist. Quinke8 meint: er sei noch zweifelhaft, ob er Dich künftigen Herbst wieder nach Rehme schiken werde, er wolle erst abwarten, wie es Dir diesen Sommer geht und erwartet überhaupt noch bedeutende Veränderungen im Verlaufe der Zeit durch Deine weitere körperliche Entwikelung. – Daß wir übermorgen einen Tanz in unserm großen Zimmer geben wollen, wozu auch Deine Freunde eingeladen werden, wird Dir wohl Mutter schreiben. Mutter hat jetzt einen Flechten Ausschlag am Halse und im Nakend, der sie durch Juken inkommodirt, sie soll, sobald es warm wird, Schwefelbäder nehmen. Sonst leben wir jetzt im Karneval etwas unruhig, wir haben 2 Gesellschaften gegeben, haben die Jenny Lind9 gehört, es werden jetzt sehr schöne Concerte gegeben, Adolph Schubert besucht uns fleißig. Gestern war Regenbrecht bei uns, deßen Mutter10 vorigen Herbst gestorben und deßen Schwester11 an den Bürgermeister Maitzen12 in Hirschberg verheirathet ist. Er hat im vorigen Sommer eine Reise nach Wien, Venedig und Oberitalien für 160 rℓ (2 Monat lang) gemacht, die ihn sehr ergözt hat und von der er sehr erbaut ist. Er setzt hier seine medicinischen Studien fort. – Sonst rumort es hier in den Köpfen sehr wegen des türkisch-rußischen Kriegs13, der wohl zu einem europäischen werden wird. Der Zaar14 will Europa beherrschen, das wird ihm noch weniger als Napoleon15 gelingen. Die Junkers betrachten ihn als den Hort gegen die Revolution, d. i. als den Wiederhersteller ihrer Junkerprivilegien, alles übrige Volk, auch der Prinz v. Preußen16 und Manteufel17 sind antirußisch, und Oesterreich wird es nicht leiden, daß der Zaar die Griechen in der Türkei gegen die Türken insurgirt, sonst wird es ganz von e Rußland umklammert und eingeschloßen. – Wir haben jetzt noch hübsche Wintertage gehabt, aber auch viel Sturm, in den Kammern18 tritt die Bornirtheit der Junker mit aller Frechheit hervor und Vinke19 macht den Minister Westphalen20 ganz zu Schanden, das hilft aber alles nichts. Die Junker halten ihn doch. Der Prediger Sydow hat in diesen Tagen seinen ältesten liebenswürdigenf Sohn21, Arzt in Bethanien, schnell in wenigen Tagen an einer Hals-
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entzündung, die zuletzt zur g brandigen Bräune geworden, verloren, was uns alle mit großer Betrübniß erfüllt hat. Oncle Christian22 ist auf ein Paar Tage hier gewesen. NieÇe Bertha und Theodor23 sind ganz voll von dem bevorstehenden Tanz, zu welchem 14–15 Paare eingeladen werden. Gestern Abend war ich bei Weiss24, der sein 75stes Jahr angetreten hat. h Sie laßen Dich herzlich grüßen. Die beiden jungen Schlagintweits aus München werden durch A. Humbold’s Vermittlung Unterstützung von der englischen Regierung erhalten und den Himalaya bereisen.25 – Ernst Weiss26 wird erst zu Michaelis hieherkommen, um seine Studien der Naturwißenschaften hier fortzusetzen. Wir freuen uns schon recht auf die Zeit, wo wir hier mit Dir wieder zusammen sein werden. Von Ziegenrück sind gute Nachrichten, sie haben vorige Woche viel Schneegestöber gehabt. Der kleine Junge27 ist munter und nimmt zu. – Für heute genug Dein Dich liebender Vater Hkl den 27sten Febr. Es werden jetzt große Anstalten zum Tanz (übermorgen) in der großen Stube getroffen. Es werden ohngefähr 14 Paare tanzen. Die Eltern kommen nicht mit, weil || es an Platz fehlt. Eingeladen sind: Theodor Bleek, Adolph Schubert, Wilde, Wittgenstein (der heute hier war und Dich herzlich grüßt), Graf Henkel28, Regenbrecht (der gestern absagte) Ernst Reimer, Lampe (aus Leipzig)29, v. Sommerfeld30 und Thielen31, Brandis32 (alles Bekannte von Theodor), der Lieutnant v. Grollman33, Nitsch34 Von Mädchen: Bertha Sethe35, Marie v. Grollmann36, 2 Töchter von Georg Rei37 mer , 2 Mädchen, die bei Mutter Reimer sind38, die beiden Brunnemanns39, die beiden Passow’s40, die Tochter der Medicinal Räthin Wagner41, die beiden Püttmann42. Die Mädchen freuen sich ungemein auf den Tanz. Theodor wird die Tänzer leiten, er tanzt sehr gern. Wir alle wollen uns freuen, wenn die Jugend eine Freude hat. Mutter läßt Dir sagen, Du sollst Dich mit dem Mikroskop in Acht nehmen, daß Du nicht Deine Augen verdirbst.i 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18
Br. 217. Später Haeckels Leitspruch: Impavidi progrediamur! Musterung zum Militärdienst; vgl. Br. 149, Anm. 3. Pehlemann, Eduard Julius Albrecht. Zum einjährigen Militärdienst vgl. Br. 26, Anm. 3. Ranis; zum Attest vgl. Br. 201, Anm. 7. Sistierung, Begriff des Polizeirechts, die Befugnis, jemanden zwecks Feststellung der Personalien festzuhalten, hier: persönliche Gestellung bei der für die Entscheidung über die Militärtauglichkeit zuständigen Militärbehörde. Quincke, Hermann. Lind, Jenny. Regenbrecht, Marianne Henriette. Meitzen, Louise Clara Berta, geb. Regenbrecht. Meitzen, August. Vgl. Br. 211, Anm. 22 und Br. 214, Anm. 6. Nikolaus I. Pawlowitsch, Kaiser von Russland. Napoleon I., Kaiser der Franzosen. Wilhelm I., Deutscher Kaiser, König von Preußen. Manteuffel, Karl Otto Freiherr von. Die zweite Session der III. Legislaturperiode des preußischen Landtages tagte vom 28.11.1853 bis 29.4.1854.
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Vincke, Georg Freiherr von. Westphalen, Ferdinand Otto Wilhelm Henning von. Sydow, Franz. Sethe, Christian. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie; Bleek, Theodor. Weiß, Christian Samuel. Alexander von Humboldt hatte die Gebrüder Hermann und Adolph Schlagintweit gefördert, welche für ihre alpinen Forschungen bekannt waren. Auf dessen Anregung starteten Hermann und Adolph zusammen mit ihrem jüngeren Bruder Robert Schlagintweit am 20.9.1854 eine Expedition nach Zentralasien. Von der Exkursion kehrten am 17.6.1857 nur Robert und Hermann nach Berlin zurück, Adolph Schlagintweit war am 26.8.1857 in Kaschgar als vermeintlicher chinesischer Spion von Rebellen gefangengenommen und hingerichtet worden. Vgl. dazu auch: https://www. alpenverein.de/kultur/testkategorie/extra-sammlung-schlagintweit-extra-sammlung-schlagintweit_aid_10665.html (letzter Zugriff: 25.1.2015). Weiß, Ernst. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Henckel von Donnersmarck, Maximilian. Lampe, Carl. Sommerfeld, H. C. von. Thielen, Karl Hermann Peter. Brandis, Johannes. Grolman, Ernst Wilhelm Karl von. Nitzsch, Friedrich August Berthold. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Grolmann, Marie von. Reimer, Clara; Reimer, Bertha. Nicht verifiziert. Brunnemann, Auguste Helene Sophie; Brunnemann, Jeanette Marie Auguste. Zwei der vier Töchter von Carl Friedrich Rudolf Passow: Gertrud, Bertha, Charlotte und Luise Passow. Wagner, Johanna; Wagner, J. S. E., geb. Albrecht. Töchter von Püttmann, Marcellius F. und dessen Ehefrau, Namen nicht ermittelt.
221. Von Charlotte Haeckel, [Berlin, 1. März 1854]
Neulich schrieb ich Dir1 doch daß heute bei uns die jungen Leute tanzen würden, daraus ista nichts geworden, weil Bertha2 eine starke Erkältung hat, daß sie nicht tanzen darf. Das junge Volk ist aber so verpicht darauf, daß es doch wohl noch später sein wird. – – – In Ziegenrück ist alles wohl, vor einigen Tagen hatten wir von Hermine einen Brief. Der kleine Karl gedeiht prächtig. – – Nun, mein Herzens Ernst! für heute nur noch den herzinnigsten Gruß von Deiner alten Mutter 1 2
Br. 213. Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie.
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222. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 3. März 1854
Mein lieber Herzens Ernst!
Berlin 3/3 54.
Gestern erhielten wir von Ziegenrück Briefe und dabei auch von Dir1; wofür ich Dir herzlich danke; ich kann Dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich immer freue, wenn ich höre wie Du lebst und was Du treibst; Gott erhalte Dich nur immer gesund und frisch und fröhlich. – Wenn ich es erlebe, so wollen wir den nächsten Winter wieder recht traulich mit einander leben, ich freue mich schon jetzt dazu. || Vorgestern Abend war nun bei uns hier das kleine Zauberfest2; und die jungen Leute haben sich alle sehr gut unterhalten; soviel ich kann will ich Dir davon erzählen: 14 Paare tanzten, Damen waren: Bertha Sethe3, 4 Reimers4, 2 Brunnemanns5, 2 Passows6, 2 Pütmanns7, Johanne Wagner, Bertha Nitzsch, M. v. Grolmann8. Herren: Theodor9, Adolph Schubert, Wilde10, E. v. Grolmann11, Nitzsch12, v. Wittchenstein13, Heubach14, Scottin15, E. Reimer16, || v. Sommerfeld17, Thiele18, Lampe19, a v. Briesen20, Niemeier21, A. Wieck22. Eingeladen waren noch Jonas Töchter23 und Regenbrecht, der sich entschuldigte, da er schon eingeladen war, und M. v. Henkel24, schrieb den letzten Tag, daß er unwohl sei, dabei schrieb er, sein Vater25 liesse Dich grüßen. – Aus der großen Stube hatten wir Sopha, Kommode und Blumen hinausgeräumt, das Klavier in die Ecke || vom Fenster gerückt; an der Wand noch 3 Lampen aus dem Schauspielhause gemiethet, und so meinten alle es liesse sich vortrefflich tanzen und waren sehr vergnügt. Bewirthet wurden sie mit Thee u. Punsch, Pfannkuchen, Reis a la Maltaise26 und Badtate27, was in den Pausen des Tanzes umhergereicht wurde, um 7 Uhr wurde der || Tanz beendet, und sie gingen in die fordere Stube, wo ich auf einem Tisch: Häringssalat, Butterbrod mit Brathe Wurst, Sardellen etc und Kuchen aufgestellt hatte mit Wein etc. Häckel28 war sehr vergnügt; und hat auch einmal getanzt, ich sorgte für die Bewirthung und legte mich, wenn getanzt wurde, immer etwas auf das Sopha, || denn ich war sehr kaput. Im Ganzen geht mir es wohl leidlich, aber immer noch nicht gut, ich medicinire noch immer. – – Vater ist sehr munter wird diesmal aber wohl nicht zum Schreiben kommen, da er an Karl schreibt und ich will den Brief doch gerne heute abschicken, damit meine Kinder doch auch || etwas vom Ball bekommen; laß Dir’s gut schmecken; die Pfannkuchen mußt Du wärmen, ehe Du sie ißest. – Großvater ist gesund, doch kommt es uns vor, als sei er in der letzten Zeit körperlich schwächer geworden; Tante Bertha geht es sehr gut; sie ist heiter, sitzt auf, und geht mit den Krücken umher. Tante Gertrud29 ist gesund; Bertha Knuf30 geht Montag || nach Stettin zurück. Onkel Julius31 war sehr krank, doch ist er auf der Besserung. – Vor 8 Tagen war hier ein trauriger Todesfall, der Pfarrer Sydow verlohr seinen Sohn32 von 22 Jahren der Arzt in Bethanien war, ein harter Schlag für den armen Vater. Vater schickt Dir die Desertation von Wilde33 mit, die er für Dich vor längerer Zeit hier abgegeben hat. – 1 2
Br. 219. Die Tanzveranstaltung bei der Familie Haeckel, die offenbar doch am 1.3.1854 stattgefunden hat, obwohl sie zunächst verschoben werden sollte; vgl. dazu Br. 221.
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Sethe, Bertha Emilie Maria Anna Sophie. Clara und Bertha Reimer sowie vermutl. Marie und Anna Reimer. Brunnemann, Helene; Brunnemann, Marie. Zwei der vier Töchter von Carl Friedrich Rudolf Passow: Gertrud, Bertha, Charlotte und Luise Passow. Zwei Töchter von Marcellius F. Püttmann. Grolmann, Marie von. Bleek, Theodor. Wilde, Wilhelm Arthur. Grolmann, Ernst von. Nitzsch, Friedrich August Berthold. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von. Heubach, nicht identifiziert. Scottin, nicht identifiziert. Reimer, Ernst. Sommerfeld, H. C. von. Thielen, Karl Hermann Peter. Lampe, Carl. Briesen, K. von. Niemeyer, Paul. Wieck, A. Folgende Töchter von Ludwig Jonas vom Alter her möglich: Luise, Emma, Marie Wilhelmine und Elisabeth Wilhelmine. Henckel von Donnersmarck, Maximilian. Henckel von Donnersmarck, Leo Victor Felix Graf. Reispudding mit Blutorange. Batate, Süßkartoffel. Haeckel, Carl Gottlob. Sethe, Gertrude. Sethe, Bertha Philippine; vgl. Br. 215, Anm. 4. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sydow, Franz. Wilde, Wilhelm Arthur: De atrophia musculorum progressiva nonnula. Dissertatio inauguralis medica. Berolini 1853.
223. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 9. März 1854
Meine lieben, lieben Alten!
Würzburg 9/3 54.
Habt den herzlichsten Dank für eure lieben ausführlichen Briefe1, über die ich mich, wie immer, sehr gefreut habe. Wenn man im Ganzen so allein und einsam dasteht, wie ich, so ist es einem doppeltes, tiefgefühltes Bedürfniß, den mangelnden persönlichen Umgang mit Freunden, denen man all seine kleinen und großen Freuden und Leiden anvertrauen könnte, durch innige Gemeinschaft und geistigen Verkehr mit den fernen Lieben zu ersetzen. Aber ich glaube, auch wenn ich wirklich einen Freund, wie ich mir ihn als Ideal vorstelle und wünsche, fände, würde mir doch das liebe, alte Elternhaus immer als der unerschütterliche Angelpunkt meiner Sehnsucht vor Augen schweben. Die wahrhaft magische Anziehung, welche „das trotz alles Dazwischenliegenden un-
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vergessene und unvergeßliche Paradies der Kindheit, das Elternhaus, die Arme der Mutter“ – (wie Schleiden sich am Schlusse vom „Leben der Pflanze“ ausdrückt)2 auf denjenigen ausüben, der von Gott mit guten, braven, liebevollen Eltern gesegnet ist, übertrifft wirklich alle andern Reize und Glückseligkeiten, an denen das arme schwache Menschenherz hängt und sich anklammert. Mir wenigstens geht es so, und zwar ebensowohl in trüben, als in heitern Stunden. Habe ich eine recht große Freude, wie z. B. vor einigen Tagen, als ich unter dem Microscop einen Wald voll der reizendsten und zierlichsten Gestalten auf einer verfaulten Wurstschaale voll Schimmeln entdeckte, so ist diese doch nie ganz rein und ungetrübt. Immer denke ich: Ach, könntest du das doch deinen lieben Alten3 zeigen, damit sie sich mit dir freuen! Auf der andern Seite tröstet mich aber auch der Gedanke an die theuren, fernen Lieben, die Hoffnung, sie bald wiederzusehn, wenn es mir trotz alles Widerstrebens so recht bänglich und kleinmüthig zu Muthe wird, wie es z. B. grade jetzt in diesen Tagen der Fall ist. Es rührt diese traurige Stimmung, aus der ich mich gar nicht herausarbeiten kann, hauptsächlich davon her, daß jetzt alle meine nähern und entfernteren Bekannten nach Hause reisen, voll Freude, Lust und Hoffnung sind, und daß ich Ärmster nun so ganz allein hier zurückbleiben und die Ferien hindurch ohne irgend eine befreundete Seele mich hier solissimo4 herumtreiben soll, a statt in dem heimischen Elternhaus Freude, Erquickung und Stärkung zu finden. Freilich ists mein eigner freier Wille und Entschluß, diese Ferien hier zu bleiben und ich glaube auch jetzt noch, daß ich die freie Zeit darin recht gut brauchen und benutzen und viel dabei lernen kann; aber auf der andern Seite muß ich doch gestehen, daß mir die Ausführung dieses Entschlusses weit härter und saurer und schwerer wird, als ich vorher erwartet hatte. Ich kann euch gar nicht sagen, liebe Eltern, wie gar zub gern ich und wärens auch nur ein paar Stunden wieder bei euch sein, mein ganzes Herz von A–Z, so voll und verwirrt es ist, euch ausschütten, und Trost und Hoffnung in euren Armen suchen möchte. Kurz, ums mit einem Wort zu sagen, ich habe einmal wieder recht gründliches Heimweh, wie ichs fast den ganzen Winter nicht so empfunden habe. Aber das hilft nun freilich nichts, der Entschluß, die Ferien hier zu bleiben, ist einmal gefaßt und ich muß es versuchen, mirs so leicht wie möglich zu machen, wozu auch die tüchtige Arbeit, an der’s nicht fehlen wird, gewiß das Ihrige beitragen wird. Außerdem werde ich aber, selbst abgesehen von der starken und tiefen Sehnsucht, die mich nach Haus zieht, wieder einmal von Unschlüssigkeit und Ungewißheit, was ich zunächst anfangen soll, gequält. Der Plan nämlich, den nächsten Sommer noch hier zu bleiben, ist c in der neusten Zeit schwankend geworden und zwar hauptsächlich aus zweierlei Gründen: Erstens bin ich mit Virchow doch im Ganzen lange nicht so zufrieden, wie ich erwartet habe und glaube auch nicht, daß mir seine Sommervorlesungen, die eigentlich erst für ganz eingefleischte ältere Mediciner ihren vollen Nutzen haben, viel eintragen und nützen werden. Zweitens ist es mir auch fraglich geworden, ob sich das privatissime Microscopiren bei Koelliker lange wird durchführen lassen können. Koelliker hat sich in der neusten Zeit, von seinem gräulichen Egoismus, seiner Herrschsucht und seinem Geiz, seinen einzigen, aber auch sehr starken und schlimmen Fehlern, fortgerissen, wieder höchst unnobel, niedrig und gemein benommend || gegen jenen armen, alleinstehenden und leider ganz von Koelliker abhängigen, aber höchst tüchtigen und liebenswürdigen Privatdocenten Dr. Leydig, von dem ich euch schon früher geschrieben habe.5 Die Stellung desselben gegenüber Koelliker ist wirklich höchst traurig. Was kann aber
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so ein armer, ganz unbemittelter, gönnerloser Privatdocent, wenn er auch der tüchtigste, fleißigste und talentvollste ist, gegenüber dem ihm vorgesetzten professor publicus ordinarius6 anfangen, und namentlich in Bayern!! Die Studenten sind allgemein über Koellikers Benehmen sehr entrüstet; mich hat aber e die Sache ganz besonders geärgert, da ich noch in besonders nahem Verhälntnisse zu Dr. Leydig stehe und zufällig auch mehr von den ganzen Umtrieben erfahren habe, als mir selbst lieb ist. Kurz, trotz aller f Bewunderung, die ich noch immer für Koellikers außerordentliche anatomische Talente und Fähigkeiten hege, hat g doch die Achtung vor ihm, der Wunsch, in nähere Verbindung mit ihm zu treten, ziemlich nachgelassen, wie es denn überhaupt das Schicksal aller meiner Ideale zu sein scheint, daß sie sich schließlich in ziemlich trübe Schatten auflösen. Außerdem würde ich auch noch, wollte ich nächsten Sommer fortgesetzt bei Kölliker microscopiren, ein privatissimum7 nolens volens bei ihm nehmen müssen, an dem im Grunde gar Nichts ist, und wozu ich nicht die mindeste Lust habe. Kurz, dieses ganze Verhältniß ist mir mit einem Mal in ziemlich unerfreulicher Weise dubioes und ungewiß geworden. Das ist doch wirklich recht traurig, daß einem so ein Ideal nach dem andern in des Lebens rauher unerfreulicher Wirklichkeit zu Nichts zerfließt. Mir ist es bis jetzt noch mit allen so gegangen, am meisten grade mit denen, von denen ich am Meisten erwartet. So bin ich z. B. hinsichtlich Schleidens jetzt auf den Standpunkt aller andern deutschen Botaniker gekommen, den nämlich, daß an Schleiden, wie er jetzt ist, gar nichts, nicht das geringste, zu rühmen und auszuzeichnen ist. Die ausgezeichneten und unübertrefflichen Arbeiten, durch die sich Schleiden als unbekannter junger Privatdocent so rasch und reißend einen großen, ewigen Namen verschaffte, werden in aller Zukunft unvergessen bleiben; aber seine Selbstständigkeit und Originalität sind in aufgeblasene Selbstsucht, dünkelvolle Verachtung aller andern, oft viel gründlicheren und genaueren, jedenfalls aber viel bescheideneren und umsichtigeren Forscher ausgeartet, und jetzt taugt Schleiden dessen Autorität von Tag zu Tage mehr sinkt, nur noch dazu, um in möglichst groben Schimpfreden über Alles, was ihm nicht von vornherein convenirt8, loszuziehen, seine eignen ersten Ansichten, mögen sie längst durch spätere Untersuchungen vollkommen als unrichtig erwiesen sein, als unfehlbar festzuhalten und anzupreisen, kurz um zu negiren und überall zu raisonniren. Doch ich komme da in meiner Trauer über schöne luftige Ideale, die nachher in Nichts zerfließen, ganz von meinem Thema ab. Ich wollte euch erzählen, daß ich in Folge jener oben erwähnten Umstände ein paar Tage ganz ernstlich daran dachte, den Sommer auf eine andre Universität zu gehen und zwar entweder nach Berlin oder nach Breslau. Die meisten meiner Bekannten gehen jetzt nach ersterer; was ich selbst dort habe, brauche ich euch mit keinem Wort weiter zu erwähnen; nur dash will ich noch hinzusetzen, daß i jetzt noch ein Magnet mehr mich wieder nach Berlin zieht. Dies ist die Hoffnung, vielleicht durch Alexander Braun, einem der ausgezeichnetsten Kryptogamenforscher, in dieses herrliche Gebiet der Naturwissenschaft, das mich bei Gelegenheit meiner jetzigen Arbeit darüber, ungemein stark angezogen hat, tiefer hineingeführt zu werden. Außerdem hätte ich nächsten Sommer noch meinen Freund Hein da und dann habe ich, wie ich euch eigentlich nicht noch einmal zu sagen brauche, wieder herzliche Sehnsucht, ordentlich mit euch zusammen leben und Freud und Leid mit euch zu theilen. Nach Breslau würde ich wegen der medicinischen Klinik gehen, die dort, wie ich allgemein höre, ganz ausgezeichnet ist (bei Frerichs9, bei dem ich dann auch specielle Pathologie und Therapie hören würde),
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besonders für Anfänger. || Es kommt nämlich, wenn man auf der Klinik zu practiciren anfängt, sehr viel darauf an, daß die Zahl der Studenten möglichst gering ist, sodaß die einzelnen sehr viel Fälle zu behandeln bekommen und auch speciellere Anleitung vom Lehrer selbst bekommen. Dies findet man nun nur in einer kleinen Universität vereint, und namentlich Breslau soll hiefür ganz ausgezeichnet sein. In Berlin findet man davon grade das Gegentheil; die Kliniken taugen hier für den Anfänger gar Nichts. Wenn daher auch nächsten Sommer nichts aus Breslau wird, so wäre es doch nicht unmöglich, daß ich Sommer 55 dahin ginge. Jedenfalls würde ich mich noch näher erkundigen. Alle diese und viele andere dahin einschlagende Fragen habe ich in den letzten Wochen mir sehr viel und nach allen Dimensionen überlegt, mich auch viel bei älteren Medicinern erkundigt. Das Endresultat, was ich daraus ziehe, bleibt aber doch immer dasselbe, nämlich daß ich den Sommer noch hier bleibe. Selbst wenn j aus dem Microscopiren bei Kölliker nicht viel würde, bleiben mir doch andere sehr nützliche Beschäftigungen im Überfluß. Als Hauptcollegia würde ich die specielle pathologische Anatomie bei Virchow nehmen, so wie dessen privatissime cursus, der nirgends seines Gleichen hat und die meisten hieher zieht. Um ihn aber gut benützen zu können, werde ich in den Ferien sehr viel specielle Pathologie (wovon ich noch gar Nichts verstehe) treiben müssen. In dieser letztern hoffe ich dann wenigstens in so weit heimisch zu werden, daß ich den Sommer auch mit der medicinischen Klinik anfangen kann. Dann würde ich auch vielleicht noch (ich zittre und schaudre, indem ichs hinschreibe!) Chirurgie hören. Es kömmt nämlich an Stelle des ganz untüchtig gewordenen alten Textor10 ein ganz junger Chirurg, Moravek11 aus Prag, her, der sehr gerühmt wird. Vielleicht könnte ich auch dann in dessen chirurgischer Clinik k versuchen, meine schauderhafte Nervenreizbarkeit mir abzugewöhnen, was wirklich sehr noth thut! Ihr seht also, daß sich schon gute Beschäftigung genug finden würde, abgesehen davon, daß ich noch viel praepariren will, und daß ich auch im Sinne habe, mich in den naturwissenschaftlichen Fächern, namentlich Physik und Zoologie, zum examen philosophicum12 vorzubereiten. Letzeres würde ich dann Ostern 55 machen, nachdem ich im Winter noch Zoologie, Mineralogie, Materia medica13 und Philosophie in Berlin gehört habe. Jedenfalls bitte ich Euch, mir l bald m den Catalog der Berliner Vorlesungen vom vorigen Winter (53/54), so wie auch den vom nächsten Sommer herzuschicken.14 Theodor15 ist wohl so gut, sie zu besorgen (Es brauchen nur die kleinen, deutschen Lectionsverzeichnisse zu sein). Wenn ich auchn nächsten Sommer noch nicht nach Berlin zurückgehe, so will ich mir doch einen bestimmten Plan davon machen, was ich nächsten Winter dort alles vornehmen will. Dafür daß ich den Sommer noch hier bleibe, sprechen auch manche äußere Umstände, z. B. daß mir durch Schenk der botanische Garten und die Bibliothek desselben zu Gebote steht etc. Dann habe ich auch eigentlich ein sehr nettes Sommerquartier gemiethet. Ich bin nämlich mit meiner neuen Wohnung, namentlich aber mit meiner Wirthin in diesem Winter gar nicht zufrieden gewesen. Nun habe ich ihr am 1sten März (zu ihrem großen Leidwesen) gekündigt und mir 1 sehr nettes Zimmer mit Kammer gemiethet, das ein Bekannter von Bertheau16 bewohnte, und in das ich schon längst sehr gerne hatte einziehen wollen. Es ist freilich etwas theuer, namentlich für die hiesigen Miethpreise, nämlich 8½ florin. Indeß denke ich, auf die 4 Sommermonate werdet ihr mir schon einmal 2 fl per Monat mehr zuwenden wollen; ich kanns ja auf andere Weise sparen. Dafür ist das Zimmer auch ganz allerliebst, sehr geräumig, hell und freundlich und
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sieht mit 3 Fenstern in einen netten Garten, dahinter auf den Wall. Die Kammer daneben hat ebenfalls 2 Fenster in den Garten hinaus. Im Sommer ist es doch viel angenehmer, noch 1 Kammer zu haben. Im Winter läßt man sich noch allenfalls einen solchen engen Käfig gefallen, wie der ist, worin ich jetzt gewohnt habe. Ich freue mich schon jetzt darauf, daß ich einmal wieder im Grünen wohnen soll. Außerdem sind auch die Wirthsleute außerordentlich gut; ja, sie gelten für die besten in ganz Wuerzburg. Das haben mir auch ein paar Dutzend, oder wenigstens 1 Dutzend Studenten versichert, die in demselben Hause noch wohnen. Wegen dieser || Masse von Insassen führt diese treffliche „Bonesmühle“17 (untendrin ist nämlich eine Wassermühle, von der ich aber gar nichts zu leiden habe) auch den Namen: „Studentencaserne“. Alle Wohnungen darin sind so gesucht, daß stets alle Zimmer besetzt sind, und daß ich nie hinein kommen konnte, obwohl ich mir schon früher darum Mühe gab. Außerdem hat sie noch den Vorzug, daß es eines der nächsten Häuser an der neuen Anatomie ist, grade gegenüber dem Hause des Dr. Altheimer18, meines ersten hiesigen Philisters. – Die meisten meiner Commilitonen gehen in diesen Tagen weg, und zwar wie erwähnt, größtentheils nach Hause; ich werde also in den Ferien sehr einsam sein und einmal ordentlich freie Zeit und Muße für Lieblingsbeschäftigungen, namentlich Zeichnen, Moose bestimmen etc haben, worauf ich mich schon freue. Die meisten Collegia werden diese Woche geschlossen, oder sind es schon (worüber ich mich nicht sehr gräme!); nur Virchow liest noch 8, vielleicht selbst 14 Tage (wenns nämlich noch Zuhörer giebt). Das einzige, was ich gerne noch länger getrieben hätte, sind die practisch chemischen Übungen im Laboratorio. Vorige Woche habe ich meinen Harn analysirt, was zu sehr hypochondrischen Gryllen hätte Veranlassung geben können, da ich abnorm viel Schwefelsaure und Phosphorsaure Salze darin gefunden habe; jedoch habe ich mir keine grauen Haare darob wachsen lassen. Sehr hübsch ging es mir dieser Tage mit einem halb hypochondrischen Gedanken, dessen Geschichte vielleicht Papa amusiren wird. Ich glaubte nämlich ein paar Tage nicht gehörigen Stuhlgang gehabt zu haben und verschrieb mir deßhalb, um doch einmal meine großartigen (!!) medicinischen Kenntnisse practisch zu verwerthen, nachdem ich lange in einem Receptbuch hin und her geblättert o hatte, Pillen aus Rhabarber und Jalapawurzel19 2stündlich 2 Stück zu nehmen, natürlich ganz nach der Vorschrift. {Recipe Radix Rhei Ʒ iii Syrupus Rhei quantum satis ut fiat Boli No xii; Radix Jalapae Ʒ i Consperge Cassia Cinnamomum Signa2stündlich 2 Stück}20 Könnt ihr euch aber meine lustige Überraschung denken, als meine Wirthin aus der Apotheke mit einer Schachtel voll Pillen von der Größe einer guten Flintenkugel (etwa 1½ so groß ) zurückkam und fragte, ob die Ballen ein Pferd oder ein Ochse verschlucken sollte. Wo der Irrthum gelegen, weiß ich noch heute nicht; die Pillen waren ganz nach Vorschrift verschrieben. Genug Spaß habe ich aber damit gehabt, und wie meine Bekannten mich darüber geneckt haben, könnt ihr euch denken. Hoffentlich, mit Gottes Hülfe, nimmt meine ganze practische Medicinerei ein so tragikomisches Ende, wie dieser erste practische Purgirversuch21 an meiner eignen Wenigkeit! – Gestern Abend war die Schlußsitzung unseres physikalisch-medicinischen Kränzchens22, dessen Mitglieder von 60 auf 30 herabgeschmolzen waren. Unglück-
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licherweise mußte sichs auch grade noch so schicken, daß ich noch zu guter letzt mit meinem Vortrag23 über die Fortpflanzung der Cryptogamen dran kam. Ich hatte schon ganz drum herum zu kommen gehofft. Übrigens gings weit besser, als ich gedacht. Die ungeheure peinliche Angst, mit der ich mich fast 2 Monate täglich vor dieser Stunde gefürchtet hatte, war allerdings ziemlich überflüssig gewesen. p Anfangs schien es zwar, als wollte mir die Stimme in der Kehle ersterben; nachdem aber erst die ersten auswendig gelernten Sätze heraus waren, ging der andere Theil ganz fließend und leicht ab; und zwar hielt ich den Vortrag ganz frei; ich hatte mir bloß vorher das Gerippe im Allgemeinen aufgeschrieben. Im übrigen hat mir, wie ich euch schon schrieb, trotz der vielen unnöthigen Angst und Sorge, die Geschichte auch viele Freude gemacht, indem sie mir Gelegenheit gab, die herrlichen Wunder im Leben der niedersten und scheinbar einfachsten Pflanzen näher kennen zu lernen. – || Von der Fastnachtsfeier, welche hier eine so große Rolle spielt, habe ich euch noch zu erzählen, daß die Corpsburschen der „Bavaria“24 auch in diesem Jahre wieder einen feierlichen Aufzug durch die Stadt hielten und zwar stellten sie diesmal eine Gesellschaft oberbayrischer Bauersleute vor, die zum Kirchweihfest zogen. Voran fuhr ein ganz in Tannenreiser gekleideter Leiterwagen mit Dorfmusikanten; dahinter verschiedene Paare Bauer-Burschen und Mädchen, welche Polka Mazurka tanzten; natürlich alles verkleidete Studenten. – Am selben Tage war auch großer Maskenball auf der Harmonie. Als derselbe schon lange angefangen hatte, fiel es mir plötzlich am Abend noch ein, mir auch den Kram einmal anzusehen. Einmal hatte ich noch nie einen Maskenball gesehen und zweitens war mir grade an jenem Abend so traurig verstimmt zu Muthe, daß ich zum Arbeiten gar nicht recht kommen konnte und dadurch etwas zerstreut zu werden dachte. Also gedacht, gethan. Ich pumpe mir von einem Bekannten eine Eintrittskarte, gehe hin und amusire mich sehr gut über die verschiedenen Maskenaufzüge, komischen Tänze und die Abenteuer und Neckereien, in welche sich meine Bekannten verwickeln. Denkt euch aber mein Erstaunen, als es gar nicht lange dauerte, bis ich selbst, der ich mir doch bewußt war, außer Frau Prof. Schenk und Frau Dr. Gsell-Fells keine weibliche Seele in ganz Würzburg nur dem Äußern nach zu kennen, von einem jungen, in eine schwarze Mantille25, mit schwarzem Barett, 2 Rosen und 2 Straußenfedern darauf, gekleideten, maskirten Mädchen angeredet werdeq. Sie warf mir vor, daß ich mich so wenig um die Damen kümmere, überhaupt so wenig unter die Menschen komme. Es sei dies durchaus gegen den Willen meiner Eltern, wie sie sehr wohl wisse etc. In dieser Weise ging es fort, wobei sie mir immer das abgeschlossne, todte Leben, in dem ich mich von allen Menschen scheu absondern solle, die Einseitigkeit und Traurigkeit r desselben etc etc vorwarf und mir schließlich das Versprechen abnöthigte, von nun an mehr unter die Menschen kommen zu wollen. Ich versprach es, wenn sie mir ihren Namen aufschreiben wollte, indem ich wirklich höchst neugierig war, dieses Wesen, von dessen wahrer Natur ich keine Ahnung hatte, wie ich auch in diesem Augenblick noch keine davon habe, kennen zu lernen. || Sie schrieb mir also ihren vermeintlichen Namen auf einen Zettel und verschwand dann im Gedränge, während ich den Namen zu lesen suchte, den ich später als „Heiterkeit“ entzifferte. Zu Anfang war ich natürlich schrecklich verblüfft und konnte kaum antworten. Nachher hat mich die Geschichte aber doch sehr amusirt. Ich vermuthe, daß es eine Freundin eines meiner Bekannten (wahrscheinlich von Franqué26) gewesen ist, der sie mir auf
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den Hals geschickt hat, um mir einmal die Leviten zu lesen. Denn sie erzählte mir auch mehrere Détails, die nur einigen meiner Freunde bekannt waren. – Übrigens will ich mir ihre Ermahnungen zu Herzen nehmen! Hoffentlich werdet ihr es nicht für Undankbarkeit halten, liebe Alten, wenn ich euch hier erst eine Menge dummes Zeug vorschwatze, anstatt euch im Brief zuersts den schönsten Dank für die letzte, nachträgliche Geburtstagssendung abzustatten, mit der ihr mein Leckermaul wieder erfreut habt. Die treue Alte muß ihrem Jungen doch immer treulich mittheilen; ich glaube es schmeckt ihr sonst selbst nicht! Wenn sie sich nur nicht über den andern Leuten vergäße! – Vor allen sorge, meine herzliebe Mutter, daß Deine Gesundheit wieder ganz t vollständig und recht bald sich bessert. Es thut mir immer so weh, wenn ich höre, daß es Dir nicht ganz gut geht, und ich Dir doch nicht helfen kann! Was ist aber auch mit der Quacksalberei anzufangen! Die Natur muß sich selbst helfen und das wird Deine gute alte Kernnatur hoffentlich recht bald thun, meine liebe Mama! – Ungemein freut michs zu hören, daß es mit Tante Bertha wieder so gut geht; gebe nur Gott, daß die Besserung so fortschreitet und kein Rückfall kömmt. Ich denke, der kommende herrliche Frühling, der uns hier schon seit mehr als 8 Tagen das herrlichste klarste Sonnenwetter gebracht hat, so daß längst aller Schnee weg ist, wird auch ihr neue Kräfte bringen. Was hat denn aber Onkel Julius27 gefehlt? Davon weiß ich noch gar nichts; hoffentlich ist er auch wieder besser! – Wenn ihr Wilde seht, so dankt ihm schönstens für die Dissertation28. Zufällig kam sie grade an demselben Tage an, wo Virchow denselben Gegenstand im Colleg abgehandelt hatte; ich habe sie gleich durchgelesen. – || Daß ihr zu meinem Geburtstag so vergnügt gewesen, ist recht nett; wie hübsch wäre das gewesen, wenn ich auch körperlich bei euch hätte sein können. Sehr amusirt hat michs auch, daß selbst mein alter Papa auf dem kleinen Balle noch getanzt hat. Übrigens kenne ich eine Menge von den jungen Leuten, die dabei waren, auch nicht dem Namen nach. Wer ist denn z. B. Passow29, Scottin30, v. Briesen, Thiele31, Lampe, Niemeier32 etc?? – Den Gedanken, an Weber etwas zu schicken, habe ich gleichzeitig mit Dir, meine liebe alte Mutter, gehabt. Wenn es Dir nun recht ist, schicke ich ihm jetzt die 5 rℓ, welche Du mir zum Geburtstag schicktest. Ich glaube, das ist jetzt genug, und es ist besser, wir schicken ihm wieder was zum Anfang des nächsten Semesters, wo man das Geld immer viel nöthiger braucht. Die Geschichte mit Humboldt, die ich euch einmal erwähnte,33 betrifft übrigens nicht Weber, sondern Hetzer. Wie Du weißt, ist dies ein sehr komisch naiver und origineller, dabei sehr guter und treuherziger Kerl, aber ebenfalls in höchst dürftigen Umständen. Einer seiner innigsten Wünsche war schon auf der Schule immer, den Kosmos34 von Humboldt zu besitzen. Dieser Wunsch steigerte sich auf der Universität zu einer Art Manie, indem er behauptete, wenn er nur im Kosmos lesen könne, darüber Hunger, Noth, Schulden und alle andern Leiden der rauhen Wirklichkeit zu vergessen. Diesen Winter nun setzte er sich in einem Anfall von u komischer v Verzweiflung hin und schrieb, natürlich eigentlich bloß aus Unsinn und ohne alle Hoffnung auf Antwort und Erfolg, einen langen, sehr offnen und naiven Brief an Alexander von Humboldts eigne Person,35 worin er ihm in seiner eigenthümlich originellen und komischen Weise seine dürftigen Verhältnisse, seine heiße Sehnsucht, den Kosmos zu besitzen, und die völlige Unmöglichkeit, diesen Lebenswunsch zu erfül-
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len, schilderte und ihn schließlich allerunterthänigst und demüthigst ersuchte, ihm ein Ausschußexemplar dieses Buchs der Bücher zu verehren. Wer beschreibt aber sein || Erstaunen und seine Freude, in der er (wie er mir selbst schreibt) fast überzuschnappen dachte, als nach einigen Wochen ein Prachtexemplar des Kosmos, vonw einigen äußerst höflichen Zeilen des Hofbuchhändlers Dunker36 begleitet, bei ihm eintrifft. Natürlich hat er sich in der Folge demüthigst bedankt und noch vielmals wegen seiner Freiheit um Entschuldigung gebeten. Ist das aber nicht eine nette Geschichte? Mir wenigstens hat sie sehr viel Spaß gemacht; und Humboldt macht sie alle Ehre! – Wenn du mir die Lectionsverzeichnisse schickst, liebe Mutter, so bist du auch wohl so gut, noch folgende Sachen beizulegen: 2 Dutzend Deckgläschen (bei Schieck zu haben, wo ich auch nochmals zu fragen bitte, mit was ich das Microscop putzen und mit was schmieren soll); einige (2–4) x Präpariernadeln womöglich mit 2schneidiger Spitze, wenn sie nicht Schieck selbst verkauft, kann er doch sagen, wo man sie bekömmt. Endlich 1 Dutzend Lampendochte, da ich hier keine so dicken bekommen kann. Ich denke, das läßt sich alles recht gut zusammen in 1 flaches dünnes Paket packen. Das Porto wird nicht bedeutend sein. – Nun, nochmals, liebste Eltern, den herzlichsten Dank, für alle eure Liebe, und für die letzte Sendung; ihr seid wirklich fast zu üppig und verwöhnt mich sogar in der weiten Ferne noch zu sehr. An Großpapa, Theodor37, Tante Bertha etc, sowie an Weissens38, Wilde39, Wittgenstein40, Regenbrecht und alle andern Freunde die herzlichsten Grüße. Behaltet lieb, wie bisher, euren treuen alten Ernst, der sich gleichfalls schon jetzt immer auf die Zeit der Wiedervereinigung freut! Gut, daß der Raum so kurz ist! 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12
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Br. 220, 221 und 222. Haeckel zitiert hier fast wörtlich aus: Schleiden, Matthias Jacob: Die Pflanze und ihr Leben. Populäre Vorträge. Leipzig 1848, S. 329: „[…] – in das trotz alles Dazwischenliegenden unvergessene und unvergeßliche Paradies der Kindheit, in das Elternhaus, in die Arme der Mutter. –“. Carl Gottlob und Charlotte Haeckel. Lat., Superlativ von solum: einsamst, ganz allein. Vgl. Br. 181, S. 371. Lat.: öffentlicher ordentlicher Professor. Lat.: private Lehrveranstaltung, Vorlesung für einen beschränkten, vom Dozenten ausgewählten Hörerkreis. Heute: konvenieren, an etwas Gefallen finden Frerichs, Friedrich Theodor. Vgl. Br. 183, Anm. 27. Morawek, Adolph. Das erste Examen in der medizinischen Ausbildung. Haeckel machte das Examen bereits am 8. Dezember 1854. Zu den Einzelheiten vgl. Haeckel, Ernst: Tagebuch 1855 (egh. Mskr., EHA Jena, B 406), S. 22–25. Die Prüfung bei Friedrich Adolf Trendelenburg (Philosophie und Psychologie); Eilhard Mitcherlich (Chemie), Christian Samuel Weiß (Mineralogie), Heinrich Gustav Magnus (Physik), Alexander Braun (Botanik) und Martin Hinrich Lichtenstein (Zoologie) dauerte von 15 bis 19 Uhr. Haeckel erzielte bei der Prüfung 27 von 30 möglichen Punkten: „Ich hatte also noch 3 Zahlen mehr als doppelt so viel, als nöthig ist, um Durchzukommen, wozu nur 12 gehören.“ (ebd. S. 25). Vgl. Br. 183, Anm. 35.
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Verzeichniss der Vorlesungen, welche von der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Sommerhalbenjahre vom 24. April bis 15. August 1854 gehalten werden. [Berlin 1854]; Verzeichniss der Vorlesungen, welche von der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin im Winterhalbenjahre vom 16. October 1854 bis zum 24. März 1855 gehalten werden. [Berlin 1854]. Bleek, Theodor. Um wen aus Bertheaus großem Bekannten- und Freundeskreis es sich gehandelt haben könnte, bleibt unklar. „Die Bonesmühle“, Distrikt I, No. 280, unklar ist, ob Haeckel hier wie geplant noch vor seinem Weggang nach Berlin einzog. Anton Altheimer wohnte im District I, No. 293, Stelzengasse, später Bonesmühlgasse 22. Sog. Wunderblume, deren Wurzeln abführend wirken. „Nimm 3 Drachmen Rhabarberwurzel und Rhabarbersirup so viel als nötig, damit Boli Nr. 12 entstehen, 1 Drachme Jalapawurzel, bestreue mit Zimtkassie, beschrifte 2stündlich 2 Stück.“ – Der Apotheker sollte für Haeckel ein Abführmittel (lat. Laxativum) herstellen. Als Drogen nahm (Lat. recipe, nimm) er Radix Rhei und Radix Jalapae. Die Rhabarberwurzel, lat. Radix Rhei, wird in Form von getrockneten Teilen von Rheum palmatum L., Handlappiger Rhabarber, Rheum officinale Baillon, Chinesischer Rhabarber, Familie: Polygonaceae (Knöterichgewächse) oder einer Mischung von beiden dargeboten. Sie hat abführende Wirkung. Die aus Südamerika stammende Jalapawurzel, Lat. Radix Jalapae, Ipomoea jalapa (Wender.) Hayne, Familie: Convolvulaceae (Windengewächse) wird ebenfalls als Abführmittel eingesetzt. Als flüssiges Bindemittel für die Pillenherstellung verwendete er Rhabarbersirup, Lat. Sirupus Rhei, soviel wie nötig, Lat. quantum satis. Dieser besitzt ebenfalls eine abführende Wirkung. Die daraus geknetete Masse wurde in Boli, Lat. bolus, eigtl. Bissen, portioniert (Lat. ut fiat, damit entstehe), also in eine größere Darreichungsform wie sie für die Applikationen in der Veterinärmedizin vorgesehen ist. Um ein Verkleben der Boli zu verhindern, wurden die Pillen mit einem Pulver aus Cinnamomum cassia (L.) D. Don, Zimtkassie, Familie: Lauraceae (Lorbeergewächse), als Trennmittel betreut, Lat. consperge, bestreue. Zum Schluss wurde die Arznei beschriftet, S. Lat. signa, beschrifte, um für den Kunden Zeitpunkt und Menge der Applikation zu notieren. Die Drachme „Ʒ“ ist ein altes Apothekergewicht. Eine Drachme wog etwa 3,75 g. Abgeleitet von: purgieren, medizinisch für: abführen. Vgl. Br. 124, Anm. 34. Haeckels Notizen zum Vortrag sind im EHA Jena nicht überliefert. Vgl. Br. 145, Anm. 10. Schleiertuch. Franqué, Arnold von. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Vgl. Br. 222, Anm. 33. Zwei der vier Töchter von Carl Friedrich Rudolf Passow: Gertrud, Bertha, Charlotte und Luise Passow. Scottin, nicht identifiziert. Thielen, Karl Hermann Peter. Niemeyer, Paul. Vgl. Br. 195, S. 414, bes. Anm. 35, dort versprach Haeckel Details in einem weiteren Brief. Humboldt, Alexander von: Kosmos. Entwurf einer physischen Weltbeschreibung. 5 Bde., Stuttgart; Tübingen 1845–1862; bis 1853 waren nur die ersten drei Bände erschienen; vgl. auch Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 1 (=1–3). Brief von Wilhelm Hetzer an Alexander von Humboldt nicht ermittelt; Humboldt vernichtete nahezu alle an ihn gerichteten Briefe nach der Lektüre. Duncker, Carl Friedrich Wilhelm. Bleek, Theodor. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Wilde, Wilhelm Arthur. Wittgenstein, Joseph Karl Heinrich Jacob von.
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224. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 13. März 1854
Mein lieber Ernst!
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Wir haben uns in den letzten Tagen einer recht schönen milden Luft erfreut und das Gefühl gehabt, daß der Winter vorüber ist. Auch die längeren Tage sind mir zu meinen Spatziergängen sehr angenehm und ich habe nun nicht mehr nötig, den ganzen Spatziergang im Finstern zu machen. – Die letzten 8 Tage sind ich und viele hier politisch sehr aufgeregt gewesen. Die Kreuzzeitungspartei1 und die rußische Schwägerschaft2 üben einen sehr übeln Einfluß auf unsern König3 aus. Bei seinem schwachen Charakter ohne Thatkraft ist ihm das Neutralitätssystem4 sehr angemeßen und dies führt uns zum Verderben. Er betrachtet den rußisch-türkischen Krieg5 wie einen Kampf des Christenthums gegen den Mohammedanismus und da neigt er sich für Rußland, welches unter der Firma des Christenthums nur seiner unersättlichen Eroberungssucht fröhnt. Die Junkers gehn mit Russland, weil sie in ihm den Hort des Absolutismus sehen und unter dieser Firma den König regieren. Sie und ein großer Theil der Gardeofficire sind für Rußland. Von einem preußisch deutschen Vaterland wißen sie nichts und verlaßen sich auf die in den letzten Jahren eingetretene Apathie des Volks und deßen blinde Unterwürfigkeit gegen das Königthum. Die Neutralität wird uns aber zum Verderben, sie dekt unsre ganze Schwäche auf und entzieht uns die Achtung Deutschlands, so daß Oesterreichs Einfluß, welches weit entscheidender ist, a immer mehr zunimmt. Die englischen und französischenb Zeitungen sprechen vonc Preußen schon d mit großer Verachtung. Sehe ich aber die Sache vom großen historischen Standpunkt an, dann fürchte ich, wir sollen durch große Leiden (rußische Knechtschaft) wieder erst aus unserm Schlaf aufgerüttelt und das Volk für seine sklavische Gesinnung gezüchtigt werden. Die älteren Männer kennen noch Preußens Ehre und haben dafür Gefühl, in der Jugend ist nichts zu spüren, der schlimme Einfluß des Hofs und Despotismus von oben hat ihr alles Selbstgefühl genommen, während siee vor dem Ausbruch des Kriegs 1813. voll von Nationalgefühl war. Der 40jährige Frieden hat alles erschlaft und die Jahre 1848/50 haben alles muthlos gemacht, wir sind schon an die Schande gewöhnt. Aber ein Volk, was nichts auf sich hält, ist verloren. Die meisten deutschen Stämme möchten sich gestern zu uns halten, aber sie finden keinen Anhalt bei uns, es giebt bei unsf fast nur Junker und Philister und die Bauern sind zu dumm, das haben die Wahlen zu den Kammerng6gezeigt. Dennoch ist die Majorität der 2ten Kammer antirußisch und es wird wahrscheinlich in diesen Tagen eine Interpellation an das Ministerium7 erfolgen. Der Prinz von Preußen8 ist antirußisch und wird von Manteuffel unterstützt. Sie können aber gegen die Kreuzzeitungspartei nicht durchdringen, die den König in seinen mittelalterlichen pietistischen Neigungen gefangen hält. – England und Frankreich werden aber auf die Länge die Neutralität Preußens nicht respektiren, unsre Häven bloquiren und unsere Industrie und Handel zerstören. Dadurch wird vielleicht der Philister gepakt und zum Aufwachen gebracht, die Regierung aber hat dann nichts als Schande geärndtet. Die Aufgabe ist einfach und klar: Rußland will was früher Napoleon, die Herrschaft über Europa. Dieses muß ihm vereint entgegentreten und Rußland in seine Grenzen zurükweisen. Im Verein mit Europa kann Preußen im rechten Moment den Krieg gegen
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Rußland ohne Gefahrh beginnen. Dann wird es sich selbst schützen und Ehre haben. Die übrigen Mächte werden uns nicht in der Neutralität laßen, gezwungen aber ist unser Einfluß und Ehre dahin. – Was sind das für Zustände, wenn [das] Volk kein Nationalgefühl hat und durch den Herrscher alles über sich ergehen läßt! – Ich bin seit 8 Tagen ganz untröstlich, und muß alle Faßungskraft zusammen nehmen. Auchi ein Brief der rußischen Kaiserin9 voll Lamentös über Preußens Feindschaft soll auf den König sehr gewirkt haben und die Junkers haben dieses benützt und ein zu schleichen gesucht. – In Europa aberj ist das Gefühl für seine Civilisation sehr lebendig und ich glaube nicht, daß die rußische Oberherrschaft durchdringen wird. Auch bei uns ist die Maße des Volks antirußisch, aber die Mehrzahl der gebildeten Stände zu schlaff. Sie müßen erst aufgewekt werden. || Dein letzter Brief10 hat mich sehr intereßirt, 1) Deine Ansichten über die Profeßoren Kölliker, Virchow, Schleiden. Du läßt Dich zu leicht enthusiasmiren und spürst dann hinterher die Lüken und Mängel. So wolltest Du früher nichts von Braun wißen, den du nun anzuerkennen anfängst.11 Indeß ist es immer gut, wenn man hinterher noch das rechte findet. Du mußt Dich nur künftig vor voreiligem Enthusiasmus hüten, aber so ist Deine Natur, entweder oben auf in Begeisterung oder trostlos. Da mußt Du Deine Natur corrigiren lernen. Ich bin ein Siebziger und corrigire unaufhörlich an meiner Natur, daran hat man zu thun, so lange man lebt. Sodann übertreibe es nicht [mit] den Arbeiten, gehe zur Erholung auf 8–14 Tage nach Ziegenrück, wo Du sehr willkommen sein wirst. Die großen politischen Fragen in Europa haben auch Carl aufgerüttelt, er fängt wieder an lebendiger zu werden. – Mündlich habe ich die Versicherung von der Militär Commißion, daß Du bis zum lzurükgelegten 23sten Jahr zurükgestellt bist,12 schriftlich noch nicht, aber ich erwarte die schriftliche Verfügung und bin wiederholt wegen Deines Nicht-Erscheinens vom 2 Merz m vormittags und nachmittags bei der beim Militär Commißarius13 gewesen. Nun die längeren Tage kommen mußt Du Dir viel Bewegung machen, Dein Körper verkommt sonst. Auch wir freuen uns sehr auf die Zeit, wo Du wieder bei uns sein wirst und wir wieder mit Dir zusammen leben. An geistiger Anregung wird es Dir hier nicht fehlen, darin ist Berlin ein vortrefflicher Ort. Die Schüchternheit bei öffentlichen Vorträgen, die Du jetzt hast, wird sich bald verlieren. Dabei kommt Dir Dein gutes Gedächtniß sehr zu statten, welches Dich nicht im Stich läßt, während bei mir das Gegentheil der Fall ist. Du mußt nun Deinen medicinischen Kursus durchmachen, auch in den Kliniken praktisch wirken, dabei Naturwißenschaften treiben und Dich dann zu einer großen naturwißenschaftlichen Reise in die Tropenländer vorbereiten, holländisch (wegen der ostindischen Inseln), englisch und französisch lernen. Inzwischen wird sich auch Dein Knie hoffentlich so weit wiederherstellen, daß Du reisen kannst, so Gott will. Hiernach magst Du Dir, vorausgesetzt, daß Dir die Naturwissenschaften keine Ruhe laßen, Deinen Lebensplan einrichten. Die Schiffsärzte sind auf den holländischen Schiffen und in ihren Kolonien auf den ostindischen Inseln sehr gesucht (Lichtenstein!)n14 – Unsre Bekanntschaft mit Weiß15 kann Dir die Bekanntschaft mit intereßanten Männern erleichtern. – Forsche doch nach, wie es mit Deinem Recept16 zugegangen, daß Du eine falsche Dosis (für Ochsen oder Esel) bekommen hast. – Die Lektion, die Dir das Fräulein auf dem Maskenball gegeben,17 ist Dir ganz recht. – Daß Du ein freundlicheres Quartier gemiethet hast, ist uns ganz recht. Mache
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Dir nun aber auch, wenn das Frühjahr kommt, wieder mehr Bewegung. In den kurzen Tagen im Finstern zu spatzieren, ist nicht angenehm. Nun mußt Du aber wieder natürlich leben und ins Freie gehn. – Es sind jetzt sehr schöne Concerte hier, ich und die Mutter haben die Lind gehört und werden sie morgen noch einmal hören, auch den berühmten Violinenspieler Vieux Temps18 habe ich gehört, er spielt sehr schön. – Nun für heute genug. Schreibe uns bald wieder. Dein alter Dich innigst liebender Vater Hkl 1 2 3 4
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1848 entstandene, lockere Gruppierung konservativer Politiker und Vereine in Preußen, deren Publikationsorgan die „Neue Preußische Zeitung“ („Kreuzzeitung“) war. Aus ihr entwickelte sich die Konservative Partei. Die Prinzessin Charlotte von Preußen, Schwester des preuß. Königs Friedrich Wilhelm IV., war unter dem Namen Alexandra Fjodorowna Ehefrau des russ. Zaren Nikolaus I. und Kaiserin von Russland. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. Auf Wilhelm v. Humboldt zurückgehende politische Doktrin, wonach Preußen lediglich durch den Deutschen Bund mit Österreich verbunden sein und so ein das europäischen Mächtegleichgewicht sicherndes Gegengewicht, insbesondere zu Frankreich und Russland, bilden sollte; hier bezogen auf die neutrale Haltung Preußens gegenüber dem Krimkrieg (1853–1856). Vgl. Br. 211, Anm. 22 und Br. 214, Anm. 6. Die Wahlen zur III. Legislaturperiode des preußischen Landtages hatten am 25.10. (Urwahlen) und 3.11. (Abgeordnetenwahlen) 1852 stattgefunden. Am 13.3.1854 brachte der Abgeordnete Graf von Schwerin-Putzar eine von über 100 Abgeordneten unterschriebene Interpellation ein, welche die Regierung um eine Erklärung darüber ersuchte, „ob und eventuell welche Auskunft sie über die Stellung, die sie in dem beginnenden Kriege einzunehmen gedenkt, zu geben geneigt ist?“ (Protokoll der Dreiunddreißigsten Sitzung am Montag den 13.3.1854, in: Stenographische Berichte über die Verhandlungen der durch die Allerhöchste Verordnung vom 29. Oktober 1853 einberufenen Kammern. Zweite Kammer, Zweiter Band, Berlin 1854, S. 565 f.). Der Ministerpräsident von Manteuffel gab die geforderte Erklärung am 8.4.1854 ab (vgl. Protokoll der 48. Sitzung am 8.4.1854, ebd., S. 819), woran sich eine ausführliche Debatte und die Abstimmung über zwei Anträge über das Militärbudget anschlossen. In der Abstimmung konnte sich der Antrag der Liberalen (Freiherr v. Vincke und Genossen), der die Bewilligung der Kammer erst dann erteilt wissen wollte, wenn eine „genügende Garantie“ dafür gegeben werde, „daß in dem ausgebrochenen Kriege zwischen England und Frankreich einerseits und Rußland andererseits, Preußen, weit entfernt, sich auf die Seite von Rußland zu stellen, vielmehr entschlossen ist, die von den Westmächten verfochtenen Interessen des Europäischen Völkerrechts, möglichst Hand in Hand mit Österreich und dem übrigen Deutschland, mit Nachdruck zu vertreten“, sowie ein weiterer, modifizierter Antrag in diesem Sinne (Antrag von Auerswald) nicht durchsetzen. Die Mehrheit beschloss statt dessen die Bewilligung des unter Berufung auf die drohende Kriegsgefahr beantragten außerordentlichen Mittelbedarfs für die Militärverwaltung und erklärte sich mit der von der Regierung abgegebenen Erklärung, dass Preußen bei seiner bisherigen Politik beharren und im Zusammenwirken mit den Kabinetten von Paris, Wien und London auf die baldige Herstellung des Friedens hinwirken wolle, zufrieden; vgl. ebd., S. 819–850. Wilhelm I. König von Preußen, Deutscher Kaiser. Alexandra Fjordorowna, Kaiserin von Rußland. Br. 223. Während seines ersten Semesters in Berlin hatte Haeckel die Vorlesungen Alexander Brauns wie folgt kommentiert: „Mittwoch begann im Auditorio 6 Braun seine Privatvorlesung über „allgemeine und specielle Botanik“. Die ersten Wochen gefielen mir durchaus nicht, da er nur Altes mir Bekanntes docirte, was freilich den anderen Herrn Commilitonen meist böhmische Dörfer
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waren, dabei auch noch oft gegen Schleiden polemisirte. Den ersten Theil der Stunde brachte er mit trivialen Demonstrationen an (meist ca. 3–5) ganz bekannten Pflanzen zu, die er an seine zahlreichen Zuhörer vertheilen ließ; die zweite Hälfte der Stunde nahm er abwechselnd 1 Stunde um die andere allgemeine (d. i. Morphologie und später Anatomie und Physiologie) und specielle (die systematische) Botanik.“ (Haeckel, Ernst: Tagebuch April 1851 – Oktober 1852 (egh. Mskr., EHA Jena, B 309), Bl. 27v (Eintrag v. 28.4.1852). Vgl. Br. 149, Anm. 3 und Br. 220, S. 482. Pehlemann, Eduard. Martin Hinrich Carl Lichtenstein hatte von 1802 bis 1806 eine Reise ins südliche Afrika unternommen und war Leibarzt des Gouverneurs der damals niederländischen Kapkolonie geworden. Weiß, Christian Samuel. Vgl. Br. 223, Anm. 20. Vgl. Br. 223, S. 491 f. Vieuxtemps, Henri.
225. Von Charlotte Haeckel, Berlin, 13. März 1854
Mein lieber Ernst!
Berlin 13/3 54.
Gestern erhielt ich Deinen lieben Brief1, wofür ich Dir herzlich danke; es ist doch gar nett, wenn wir durch Deine Mittheilungen, so alles mit unserem lieben Jungen durchleben können. Nur mit eins, mein Herzens Sohn bin ich nicht einverstanden, nämlich daß Du die ganzen Ferien dort bleiben und arbeiten willst. Das darfst und mußt Du nicht; eine Ausspannung und Erfrischung ist Dir durchaus nöthig, dann geht auch die Arbeit um so besser von statten. || Zu uns zu kommen ist zu weit; nun will ich Dir aber einen anderen Vorschlag machen: wenn Du nicht etwa kleine Dir zusagende Reisen in der Nähe von Würzburg machen kannst, so überrasche die Ziegenrücker2; Du brauchst ja nicht lange zu bleiben etwa 8 Tage, Karl ist bei seiner vielen Arbeit solche Erfrischung auch gut, zumal der arme Schelm in der letzten Zeit schwere Tage gehabt || hat, mit der Gesundheit der kleinen Frau bin ich immer noch nicht zufrieden; die eine Brust ist nicht gut, und nach dem letzten Brief hatte sie noch eine Anwandlung von einer Lungenentzündung gehabt. Karl schrieb zwar der Doctor3 habe ihm versichert, die Gefahr sei vorüber; allein ich erwartte doch mit banger Sehnsucht nähere Nachricht. Mitzelchen freut sich gewiß auch Dich zu sehen, und du machst die || ersehnte Bekanntschaft Deines Neffen4, und freust Dich hoffentlich sehr über das liebe Kind. – Bis Mehlteuer5 kannst Du ja mit der Eisenbahn fahren, und von dort theils mit Post oder Wagen oder auch die Strecke, wo der Weg zu schlecht ist zu Fuß machen, dann nimmst Du aber einen Bothen mit und läßt Dir Deine Sachen tragen. Ich denke Du gehst auf meinen Vorschlag || ein, und ich bekomme bald von Dir Nachricht, wann Du denkst in Ziegenrück zu sein, ich schicke Dir dann Dein Geld für das nächste Semester dort hin, weil das Porto für Geldsendungen in Preussen nicht so theuer ist als in Baiern. – Daß Du Dir eine bessere Wohnung gemiethet hast, ist mir sehr lieb, und ich will nicht daß Du sonst an nahrhaften Speisen Dir was abziehen sollst. – Wann ziehst Du ein? Und wie ist Deine Adresse. ||
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Um meine Gesundheit, mein lieber Ernst, mache Dir keine Sorge, ich nehme jetzt täglich 1 Bad, und zwar in Häckels Stube, und das bekommt mir sehr gut, ich befinde mich danach viel besser. Ich freue mich, daß wir eben noch einen Brief aus Ziegenrück erhalten haben, danach geht es doch mit unserer lieben kleinen Frau wieder besser, Sie ist wieder aufgestanden, hat selbst an Tante Bertha geschrieben, ihr Brief || ist voll Entzücken, wie prächtig der kleine Karl ist; nun sei kein Philister, und schnüre Dein Bündelchen, und sieh Dir den Jungen an; gieb ihm auch einen herzinnigen Kuß von Deiner alten Mutter. Karl hat den Flink6 verschenkt, sie schaffen sich jetzt eine Ziege an. Onkel Julius7 ist zwar wieder auf, soll aber noch sehr matt sein, auf Anrathen des Arztes soll er den Sommer || eine ernstliche Kur brauchen. – Tante Adelheid8 liegt seit einigen Tagen an der Gesichtsrose, die sie in Folge der Aengste um Onkela Julius b bekommen hat. Auch Vetter Voswinkel9 liegt krank an einer Leberentzündung; so giebt es hier überall viel Kreuz. – Tante Bertha geht es recht gut, sie ist zur großen Freude des Großvaters ein paar mal in seiner Stube gewesen, und gestern einen Augenblick auf dem Balkon. Nun, mein Herzens Sohn, leb wohl und behalte lieb Deine Mutter. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Br. 223. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Krüger, Gustav Adolph. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Mehlteuer, Ortsteil der Gemeinde Rosenbach im sächsischen Vogtland. Name des Familienhundes; vgl. Br. 171, Anm. 13. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Sethe, Adelheid, geb. Reimer. Voswinkel, Friedrich Peter Eduard.
226. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 20. März 1854
Liebe Eltern!
Würzburg 20/3 54
Wenn es einer meiner größten Fehler ist, daß ich nie selbstständig zu einem festen Entschluß und einem durchgreifenden Plane gelange, vielmehr immer in neutraler Unentschiedenheit hin- und her-schwanke (just grade so schwach und schlapp, wie unser edler Monarch1 etc) so liegt die Schuld wirklich nicht allein an mir; sondern das Schicksal selbst scheint mich ausersehen zu haben, immer in einem so traurigen Zustande des Zweifelns und Schwankens verharren zu sollen. Davon haben mir die letzten 8 Tage wieder einen glänzenden Beweis gegeben, indem ich innerhalb derselben zum wenigsten 4 oder 5 mal meinen Lebensplan für die nächsten 1½ Ferienmonate geändert habe. Wie ihr aus meinem letzten Briefe wißt, hatte ich im Gegensatz zu dem wundervollen warmen und klaren Frühlingswetter, welches hier in den ersten 14
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Tagen des März herrschte, diese Zeit in ziemlich intensivem Katzenjammer darüber zugebracht, daß ich die ganze schöne Ostera Ferienzeit hier solo versimpeln sollte. 2 Ich wäre gar zu gern doch einmal ausgeflogen und hatte schon selbst dabei viel an Ziegenrück gedacht. Schließlich hatte sich aber das Heimweh etc doch wieder beschwichtigen lassen, ich hatte mich mit dem Gedanken getröstet, daß ich die freie Zeit recht gut zum Präpariren, sowie zum Repetiren und Nachholen Vieles Vergessenen und Verschwitzten brauchen könnte, und hatte in diesem Gedanken auch wirklich schon ordentlich zu arbeiten angefangen. Um mich endlich ganz fest hier zu binden und um nicht in Versuchung zu fallen, doch noch in den Osterfeiertagen 1 kleine Spritzfahrt zu unternehmen, hatte ich mich auch bereden lassen, an einem Operationscurs in der Geburtshilfe Theil zu nehmen der hier nur in den Ferien gelesen wird und ganz ausgezeichnet sein soll. Am vorigen Donnerstag früh sollte dieser anfangen und nach dem endlich langem Hin- und Her-Überlegen, Rathen, Fragen etc war || ich endlich am Mittwoch Abend fest entschlossen, auch an demselben Theil zu nehmen (obwohl ich an und für sich nicht die geringste Lust dazu spürte) als plötzlich wie ein deux ex machina3 euer letzter lieber Brief4 mich überraschte, indem ihr mir so zuredet, nicht die ganzen Ferien hierzubleiben. Obgleich ich selbst schon anfangs diese Idee gehabt hatte und nun erst recht stark Lust hatte, ihr zu folgen, so stand sie doch zu sehr mit dem eben zuvor gefaßten Entschluß im Widerspruch um nicht wieder ein neues Heer von Zweifeln und Ungewissheiten in meiner inconstans anima5 zu erwecken, welches mich dann eine schlaflose Nacht und mehrere unruhige Tage kostete, bis ich dann endlich vorgestern Abend mich entschloß, das Angenehme dem Nützlichen vorzuziehen, und meine lieben Ziegenrücker6 zu besuchen. Besonders wurde ich dazu noch durch die große Leichtigkeit bestimmt, mit der ich jetzt von b hier nach Ziegenrück fahren kann. Wenn ich nämlich um 11 Uhr Mittags mit der Post von hier nach Schweinfurt fahre, bin ich um 4 Uhr dort, um 6 Uhr in Bamberg. Von hier geht um 10 Abends 1 Zug ab, der früh um 5 in Hof, um 8 in Mehltheuer ankömmt, dort schließt sich dann gleich die Post an, mit der ich um Mittag in Schleiz ankomme und dann den Nachmittag ganz gemüthlich nach c Ziegenrück herüber bummeln kann. Ich malte mir diese Spritzfahrt gleich so anmuthig aus, stellte mir dabei recht lebhaft die Freude vor, welche ich im Zusammensein mit meinem lieben Bruder, seiner kleinen Frau und dem kleinen Karlchen7, das ich schon so lange gern gesehen hätte, haben würde und dachte endlich so lebhaft an meine lieben Moose im Sornitzthal8 und Ottergrund, daß ich mich endlich definitiv (?) entschloß, den geburtshilflichen Operationscurs aufzugeben und mir ein recht herzensvergnügtes Osterfest zu bereiten. Dann glaubte ich aber auch vielleicht meinem lieben Bruder dadurch eine kleine Freude zu machen, || namentlich da mir das liebe alte Herz manchmal sehr melancholisch wegen seiner vielen unerquicklichen Arbeiten zu sein scheint. So stand also mein Plan vorgestern fest, als plötzlich gestern früh Hein, welcher in dieser Woche hatte abreisen wollen, mir erklärte, daß er nun doch noch die Ferien hier bleiben würde, und zwar einzig und allein, um 3 practisch-medicinische Cursus zu nehmen 1) jenen schon mehrfach erwähnten geburtshilflichend klinischen 2) einen Curs über Hautkrankheiten und 3) über Auskultation9 und Percussion10. Die beiden erstern namentlich sollten sehr gut sein und nicht leicht anderswo in der Art sich finden. Nun fing also das Zweifeln und Nichtwissen was zu thun sei, von vorne wieder an, besonders, als nachher auch alle meine andern Bekannten mir sehr eifrig zuredeten, deßhalb hier zu bleiben, indem
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ich sonst später gewiß dieses Versäumniß sehr bereuen würde. Was also nun zu thun? Einerseits ermahnte mich mein offenbarer Nutzen, hier zu bleiben, andrerseits aber hatte ich mir die liebe Ziegenrücker Idee schon so in den Kopf gesetzt, mir die Freuden, die meiner dort harrten, schon so lebhaft ausgemalt, und dann rief ich mir endlich noch recht scheußlich die Gräuel jenes geburtshilflichen und Hautkrankheitencurses ins Gedächtniß zurück (grade an diese aber hatte ich mich eigentlich gewöhnen wollen!) daß ich endlich, endlich!!! nach letztem langen Besinnen doch mich für meine Neigung entschieden habe! Was sagt ihr dazu, liebe Eltern? Hoffentlich seid ihr mir nicht darüber böse; habt ihr doch selbst mir zugeredet! Es würde mir jetzt tüchtig schwer werden, meine lieben Ziegenrücker nicht besuchen zu dürfen. Auch glaube ich in der That, daß ich an jenen ausgezeichnet practischen medicinischen Coursen nicht Viel verlieren werde. Denn wenn ich auch sie und viele andere mit der größten Aufopferung durchmachen wollte, so bin ich doch im Voraus schon fast überzeugt, daß mich kein besorgter Ehemann zur Entbindung seiner Frau holen wird! || Ich gehe also nach Ziegenrück! Dieser erhebende Gedanke hat mich auf einmal wieder ganz heiter und munter gestimmt. Übrigens denke ich erst am 7ten abzureisen und dann die ganze Char- und Osterwoche (etwa bis zum 23) dazubleiben. Das wird eine Freude werden; ich kann mich nun doch einmal wieder auf die nächste Zukunft freuen, was ich lange nicht gekonnt habe. Hoffentlich wird es zu Ostern auch so herrliches Frühlingswetter sein, wie wir jetzt 1 paar Wochen genossen haben. Ich habe dasselbe schon zu ein paar größeren Spaziergängen benützt, z. B. am Sonntag (vor 8 Tagen) nach Versbach11, wo ich im Wald zu meiner größten Freude ein paar allerliebste microscopische Moose, noch dazu eins mit schönen männlichen Blüthen (Phascum cuspidatum12) gefunden habe. Meinem Knie sind sie ganz gut bekommen. Ich suche es jetzt überhaupt wieder abzuhärten und an größere Touren zu gewöhnen, wenngleich es an und für sich sich ganz indifferent zeigt, weder besser, noch schlechter wird. In der Stadt und auf kleineren Spaziergängen gehe ich jetzt immer ohne Stock, was anfangs schwer war, jetzt aber ganz gut geht. Bei diesen muthigen Versuchen, das faule Knie wieder ordentlich in Gang zu bringen, treibt mich ein geheimer, süßer Stachel an; das ist nämlich die intensivste Sehnsucht, nächste Herbstferien die Alpen zu sehen. Ich weiß nicht, wie es zu geht; aber ganz wider Wissen und Wollen hat sich dieser unberufene Wunsch schon e so fest in meinem Hirn eingenistet, daß ich ihn gar nicht wieder los werden kann und meine Phantasie mir jetzt schon immer die schönsten Bilder der Alpenwelt, Landschaften, Pflanzen und Thiere vorspiegelt. Dabei denke ich: Wird daraus diesen Sommer Nichts, wo du noch in Süddeutschland bist, so stecke die kühne Idee nur ganz und gar auf ! Ich bitte Dich wirklich ernstlich, lieber Papa, Dir die Sache zu überlegen. Wird daraus diesen Herbst etwas, so will ich nachher mit der größten Geduld in dem sandigen, unerquicklichen || Spree Athen13 ausharren, so lange du willst. Kann ich dann doch an den süßen, unersetzlichen Reiseerinnerungen zehren! Da mir mein Knie aber eine eigentliche Alpenreise (wie sie Karl im Herbst 44 machte) unmöglich macht, so habe ich mir den Plan einstweilen in der Art ausgemalt: ich reise direct von hier nach einer südtyroler Alpe (in Südtyrol finden sich nämlich die größten Pflanzenschätze vereint) und setze mich dort auf ein paar Wochen fest, lasse mich mit meinem Microscop förmlich häuslich nieder. Von diesem festen Punkt aus veranstalte ich dann täglich kleine Streifzüge nach allen Himmelsgegenden, sammle Heu14 und Ungeziefer nach Herzenslust, zeichne, microscopire mit
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aller Muße etc; kurz, es soll himmlisch werden! Einen festen Zielpunkt habe ich noch nicht, habe jedoch schon ans Fassathal, ans Schleherngebirge15 oder die Meraner Gegend etc gedacht. Nun, das Ziel wird sich schon leicht finden lassen. Vielleicht lassen gar Weissens16 ihren Neffen Ernst17 mitreisen; das wäre wirklich prächtig, wenn wir 2 da nach Herzenslust in das ersehnte Alpenheu stürzen könnten! Daß Quinke18 mich zum Herbst in kein Bad mehr schicken will, finde ich höchst vernünftig und natürlich; ich habe mich hier bei Medicinern sehr viel nach Bädern und ihren Wirkungen erkundigt, aber je mehr ich gefragt habe, desto mehr habe ich erfahren, daß eigentlich hinter all den so hoch gepriesenen Badewirkungen sehr wenig oder garnichts steckt. Vor allen bitte ich aber, mich nur nicht wieder nach Rheme19 zu schicken; soll einmal das Geld für Bäder weggeschmissen sein, so schickt mich wenigstens in 1 Alpenbadf, wie es deren so viele in Oberbayern giebt, z. B. Reichenhall, Partenkirchen (mit ausgezeichneter Moosflora) Salzbrunnen am Peissenberg20 etc oder nach Wildbad im Schwarzwald, nach Ischl, oder nach Mitterbad in Südtyrol etc. Da giebt es doch wenigstens einmal die so heiß und lang ersehnte Alpen Natur, deren Freuden mich rascher gesund machen werden, als alle möglichen Quacksalbereien! || Das einzige Bad, zu dem ich noch Vertrauen hätte, ist das Seebad. g Ein solches würde ich auch ganz gerne besuchen, da ich die herrliche und ganz eigenthümliche Flora und Fauna des Meeres bis jetzt ebenfalls nur vom Hörensagen kenne. Dann schickt mich meinetwegen nach Helgoland, Nizza (nicht, um eine Emerentia21 dort zu finden!!) Fiume, Ostende oder sonstwohin. Nächsten Herbst ginge ich aber doch gar zu gerne in die Alpen; ich habe eine zu große Sehnsucht danach! – Daß Du, lieber Vater, wegen der dummen Militärangelegenheit22 noch so viel Lauferei gehabt hast, bedaure ich sehr und danke Dir, daß Du wenigstens noch einen solchen Erfolg daran gehabt hast. Wie wird es aber, wenn wir mobilisiren? – Hier sind übrigens alle Partheien, Preußen und Nichtpreußen, über das russenfreundliche Benehmen der Preußischen Regierung ganz empört, selbst die wirklichen Reactionaers und selbst Hr. Prof. Schenk! Nun, hoffentlich geht die Regierung noch zur rechten Zeit zurück – Die Hausnummer meiner neuen Wohnung ist: I District, No 280½23. – Ich werde am 30sten März umziehen. Vorher werde ich wahrscheinlich noch eine große Kiste, mit den im vorigen Sommer gesammelten Pflanzen nach Berlin schicken, und andern Sachen, die ich nicht mehr brauche; wenn Platz ist, will ich auch noch ein paar Bocksbeutel24 verschiedener Sorten, für euch, und für Großvater 2 zum Geburtstag, beipacken. Da ich in der neuen Wohnung sehr viel Platz habe, hatte ich Anfangs sehr große Lust, mir ein Clavier zu miethen; nun ich aber nach Ziegenrück gehe, will ich es doch lassen. – Ich habe jetzt das Glück gehabt, einen zugleich sehr billigen und außerordentlich guten (wenigstens für hier) Mittagstisch zu bekommen, nämlich für 18 xr im „Ochsen“25. Der Wirth, ein pudelnärrischer Kauz || der selbst früher ein paar Jahr Student war, hält diese Tafelrunde, an der nur eine ganz bestimmte Anzahl Theil nehmen kann, eigentlich nur aus bloßer Passion für die Studenten. Wie er Profit dabei hat begreifen wir alle nicht. Ich esse dort mit vielen meiner Bekannten zusammen und es geht sehr ordentlich, nett, anständig und gemüthlich dabei zu. – Die beiden Lectionscataloge (von diesem Winter und nächsten Sommer) bist Du wohl, liebe Mama, so gut, so bald als möglich noch direct hierher zu schicken (am
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besten und billigsten wohl unter Kreuzband26), da ich sie gern auch noch Hein zeigen will. Die Dochte, Nadeln und Deckgläschen kannst Du mit dem Wechsel fürs nächste Semester nach Ziegenrück schicken. – Dieser Tage las ich zufällig in einem Kalender ein komisches Zusammentreffen von 4 Geburtstagen: am 16ten Februar ist nämlich geboren: der berühmte Wiener Botaniker Jacquin27 – am 7ten December: der berühmte Wiener Anatom Hyrtl!28 Ist das nicht schnurrig?29 – Daß Du so viel schöne Concerte hörst, lieber Vater, ist ja recht hübsch. Meine Bekannten haben mich vorige Woche hier auch in ein Harmonieconcert geschleppt, wo ein berühmter ungarischer Violinist „Ernst“30 spielte, sehr bewundernswerth namentlich Variationen des Carneval von Venedig.31 – Die einzige Musik, die mir aber eigentlich Freude machen könnte, ist das Volkslied mit Klavierbegleitung. Namentlich geht mir Nichts über die sogenannten „Schnaderhüpfln“32, die herrlichen, naturfrischen Alpenlieder der Schweizer und Tyroler, mit ihrem h prächtigen Jubeln und Jodeln, daß einem das Herz hüpft. So hörte ich wieder gestern Abend, wo ich mit Hein und Gerhard33 bei Schenks war, ein paar ganz reizende Liedchen || dieser Art: „Von meinen Bergen muß ich scheiden“ – „Wenn die Sonn aufgeht“ – „Der Frühling kommt“ – etc etc von jener jungen Dame (Freundin der Frau Professor Schenk) singen, die auch vorigen Winter dort öfter uns oberbayrische Lieder vortrug.34 Das wäre wirklich das einzige von Musik, was ich selbst können möchte. – Die Collegia sind hier vorige Woche alle zu Ende gegangen, auch meine habe ich abgeschlossen; Virchow hat noch zuletzt eine sehr interessante Vorlesung über das allgemeine Bild der Krankheit gehalten. Bei Scherer habe ich mir noch zuletzt sehr schöne Harnstoffcrystalle aus eignem Fabricat dargestellt! – Die meisten Studenten reisten schon zu Anfang des schönen Wetters weg. – Jetzt präparire ich fleißig auf der Anatomie, namentlich den wundervollen Bau des Gehirns und sehe mir Nachmittags auf der Bibliothek die prächtigsten Abbildungen dazu an. Dann habe ich auch noch sehr viel mit der fertigen Ausarbeitung des Virchowschen Collegs zu thun, wobei ich doch manches lerne. – Sehr gefreut habe ich mich, meine liebe, liebe Mamma, daß es mit Deiner Gesundheit wieder besser geht; ich hatte mich ordentlich darum geängstigt. Ihr wechselt euch ja aber förmlich mit Kranksein in Berlin ab und etablirt 1 vollständiges Spital. Hoffentlich wird das bald bei dem schönen Frühlingswetter aufhören! Was hat denn Onkel Julius35 eigentlich gefehlt? Auch daß es Tante Bertha so viel besser geht, hat mich sehr gefreut; hoffentlich nimmt das auch immer zu! – Kommt denn Georg Quinke36 zu Ostern nach Berlin? Ich wollte ihm ein mal schreiben. Und wie lange bleibt Theodor37 noch in Berlin? – Nun ade, meine lieben Alten, schreibt bald wieder eurem treuen Ernst. – Eben hat mich Ernst Brunnemann besucht und will diesen Brief mitnehmen. Wie beneide ich den Glücklichen, daß er jetzt seine Eltern besucht! 1 2 3
Vgl. Br. 224, S. 495 f. Vgl. Br. 223, S. 486 f. Mit der Rede vom deus ex machina (lat. Gott aus der (Theater-)Maschine), wird gewöhnlich ein plötzlich und überraschend auftauchendes Ereignis bezeichnet.
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Br. 225. Lat.: Schwankende Seele. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Sornitztal, Tal des Flusses Sornitz, welcher von Norden her nach Ziegenrück führt. Abhören des Körpers. Abklopfen des Körpers. Seit 1978 ein Stadtbezirk von Würzburg. Phascum cuspidatum Hedw., Gespitztes Glanzmoos, Familie: Pottiaceae, eine Familie der Laubmoose. „noch dazu eins mit schönen männlichen Blüthen“ – Moose gehören zu den kryptogamen Pflanzen und besitzen keine Blüten. Die Fortpflanzungsorgane der Moose (weiblich: Archegonien und männlich: Antheridien) sind bei vielen Moosen von Blättchen (Perichaetien) eingefasst, die an die Blütenkronblätter der Blütenpflanzen erinnern. Dadurch entsteht fälschlicherweise der Eindruck von „Moosblüten“. Berlin. Vgl. Br. 153, Anm. 5. Schlerngruppe, Gebirgsgruppe in den Dolomiten in Südtirol. Weiß, Christian Samuel; Weiß, Margarete Luise, geb. Schmidt. Weiß, Ernst. Quincke, Hermann. Vgl. Br. 156, Anm. 1. Gemeint ist der Sulzerbrunnen, eine Mineralquelle am Peissenberg bei Polling. Eine Mätresse, in Anlehnung an die literarische Figur der Emerentia in Immermanns „Münchhausen“; zu Haeckels Lektüre des Werkes vgl. Br. 178, S. 360. Von Haeckels Vater erwirkte Zurückstellung seines Sohnes vom Militärdienst bis zum vollendeten 23. Lebensjahr; vgl. dazu u.a. Br. 149, Anm. 3 und Br. 224, S. 496. Vgl. Br. 223, Anm. 17. Vgl. Br. 100, Anm. 15. Traditionsgasthof „Zum Goldenen Ochsen“ in Würzburg. Ermäßigter, offener Postversand unter Banderole mit Adresse. Jacquin, Nikolaus Joseph Freiherr von. Hyrtl, Joseph. Ernst Haeckel hatte am 16.2. und sein Neffe Carl Christian Heinrich am 7.12. Geburtstag. Ernst, Heinrich Wilhelm. Johann Strauß hatte H. W. Ernst das Stück „Erinnerung an Ernst, oder Der Karneval von Venedig“ gewidmet. Eine für Bayern und Österreich typische Liedform. Gerhardt, Carl Jakob Adolf Christian. Vgl. Br. 124, S. 209. Sethe, Julius Johann Ludwig Ernst. Quincke, Georg. Bleek, Theodor.
227. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, Würzburg, 25. März 1854
Meine herzlieben Eltern!
Würzburg Sonnabend 25/3 54.
Was würdet ihr dazu sagen, wenn ich nächsten Sommer nach Berlin käme? Hoffentlich freut ihr euch über diesen, jetzt ganz unwiderruflich feststehenden Entschluß, der nicht das flüchtige Werk eines Augenblicks, sondern die Frucht monatelangen
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Überlegens ist, eben so ungeheuer wie ich, der ich dies herrliche Glück, den nächsten Sommer wieder im lieben Elternhause zu verleben, kaum noch fassen und mir denken kann. Wenn ihr diesen Satz lest, werdet ihr vermuthlich kaum euren Augen trauen und vielleicht gar anfangs unwillig werden, daß ich den scheinbar so fest stehenden Entschluß, nächsten Sommer noch hier zu bleiben, scheinbar so leichtsinnig aufgegeben habe. Dem ist aber nicht so. Erst hört und dann urtheilt! Wie Ihr wißt, bewogen mich zum fernern Hierbleiben namentlich 3 Gründe: 1) das Virchowsche Colleg1 2) die Aussicht, mich bei Koelliker privatissime in der Microscopie auszubilden2 3) endlich die Absicht, mit den Secirübungen fertig zu werden. Die letztere ist dadurch erreicht, daß ich jetzt schon fast ganz fertig bin, jedenfalls aber in den nächsten 8 Tagena, wenn ich jeden Tag ordentlich benutze, damit fertig zu werden gedenke. Was die schönen Träume über privatissime bei Kölliker Microscopiren betrifft, so ist es mit diesem für den nächsten Sommer jedenfalls Essig,b aus triftigen Gründen, die ich euch mündlich näher auseinandersetzen werde, drittens endlich das classische Colleg bei Virchow, namentlich der privatissime Cursus in der pathologischen Anatomie (den man nur hier findet, sonst nirgends), war der Hauptmagnet, der mich hier noch festhielt; von ihm hoffte ich am meisten. Mit diesem verhält es sich aber folgendermaßen. Nach dem einstimmigen Urtheile aller älteren Studenten und Dr. med, die jenen Curs gehört haben und ihn für das beste Colleg, das es hier giebt, halten, mit einem Wort ganz entzückt davon sind, kann man den wahren Nutzen davon nur haben, wenn man bereits der speciellen Pathologie und Therapie vollkommen Meister ist und selbst schon Cliniker gehört hat. Bei mir ist aber, wie ihr wißt, keines von beiden der Fall! || Ich hatte die kühne Idee gehabt, diese nöthigen Kenntnisse, zu deren Erwerbung Jahre gehören, mit gehöriger Ausdauer mir in der kurzen Ferienzeit einzupauken. Jetzt, wo ich diese Idee auszuführen anfing, bin ich von ihrer Unmöglichkeit überzeugt. Auch hatten mir andere dies schon vorher gesagt. Auch haben längst alle meine Bekannten einstimmig mir von jenem Wunsch, schon jetzt das Virchowsche Colleg zu hören, abgerathen. Was mich aber jetzt definitive bestimmt hat, es für jetzt aufzugeben, ist der (gewiß unpartheiische) Rath Virchows selbst. Jetzt würde ich gar nichts davon haben, als viel, sehr viel verlorene Zeit und Mühe.3 Endlich hatte ich auch die Absicht, im Sommer die hiesigen Cliniken, sowohl medicinische, als chirurgische, zu besuchen, ohne vorher die theoretischen Vorträge darüber gehört zu haben. Allerdings begehen diese Thorheit sehr viele Commilitonen; ich bin jetzt auch von c der Unnützlichkeit dieser Absicht überzeugt. Um die Zahl der Umstände, welche mich von hier wegtreiben voll zu machen, sind in der letzten Zeit hier unerwartete, mir sehr unangenehme Änderungen im Lectionscatalog des nächsten Sommers4 eingetreten welche meinend ganzen, übrigens an sich schon ziemlich thörichten, Plan zerstört haben, und die ich euch des Weitern mündlich aus einander setzen werde. Wenn aber auch Alles dies nicht wäre, so sind noch 1000 andere, mehr äußere Umstände welche mir das Hierbleiben gänzlich verleiden. Erstens gehen alle meine hiesigen Freunde jetzt fort, die meisten nach Berlin, vor allem mein Hein. Dann ist aus der neuen Wohnung, die ich miethen wollte, nichts geworden und so noch viel andre kleine Umstände. Nun, meine liebsten Alten, nehmt auf der andern Seite die Vortheile Berlins. Vor allem euer theures, unendlich liebes Elternhaus. Wie ungeheuer ich mich freue, jetzt wieder mit euch leben zu sollen, kann ich euch gar nicht sagen. Seit mir diese köstliche Gewißheit geworden ist, befinde ich mich in einem so seligen Freu-
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dentaumel, wie ich ihn seit meines Neffen5 Geburt nicht genossen habe, so daß ich vor lauter purer Freude so in der Stube tollte und herumsprang, daß meine Wirthin6 ganz erschrocken herüber kam, indem sie glaubte, es sei mir etwas zugestoßen. Dann der Umgang mit den vielen, vielen, lieben Freunden und Verwandten, vor allem Tante Bertha und dem prächtigen alten Großvater, den ich, wer weiß, wie lange noch, genießen kann. || Endlich die unendlichen Schätze der Wissenschaft und Kunst, die mir in der „Metropole der Intelligenz“7 im reichsten Maaße zu Gebote stehen, die Museen, die Königliche Bibliothek, der botanische Garten, dann wieder der höchst anregende und nützliche Umgang mit naturforschenden Freunden, den ich hier fast ganz entbehre. Ferner die classischen Collegien, vor allen diejenigen von Johannes Mueller, auf die ich wirklich brenne, dann von Weiss8, Lichtenstein, Mitscherlich, Ehrenberg etc etc. Ich bitte euch, meine allerliebsten Alten, nehmt dies Alles zusammen, und ihr werdet es unbegreiflich finden, wie ich so lange habe zaudern können, von hier e wegzugehen, ebenso unbegreiflich wie alle meine Freunde und wie ich jetzt selbst. Der einzige Grund, welcher mich eigentlich zu dieser unsinnigen Hartnäckigkeit bewog, war derjenige, daß ich nicht gern später noch einmal von Berlin hieher gehen wollte. Ich sehe aber gar nicht ein, warum ich später das nicht noch einmal thun soll; wenigstens machen es so viele meiner Bekannten, auch Hein. Ich bleibe also jetzt etwa 3 Semester in Berlin und komme dann hieher zurück, wo ich Virchows Curs nach allen Dimensionen ausbeuten, mich in den Kliniken practisch üben und bei Koelliker privatissime mit dem Microscop arbeiten, auch vielleicht meine Doctor-Dissertation ausarbeiten kann. Doch das wird sich später noch alles finden. Vorläufig bin ich selig in dem Gedanken, den Sommer in Berlin zubringen zu sollen! Mein nächster Plan ist nun dieser: Ich bleibe jetzt nur noch eine Woche hier, die ich vollständig allein mit Fertigmachen der Präparate und Secirübungen zu thun habe. Am 2ten oder 3ten April denke ich hier abzureisen und zwar direct nach Ziegenrück, wo ich dann bis nach dem Fest zu bleiben gedenke. Dann mache ich noch einen kleinen Abstecher von ein paar Tagen nach Merseburg und Halle, um die lieben alten Freunde einmal wieder zu sehen und eile dann direct in eure Arme! O welche Seligkeit!! Die gewünschten Berliner Lectionsverzeichnisse9 braucht ihr mir nun natürlich nicht zu schicken. Geld brauche ich natürlich auch nicht. Wenn ihr nach Ziegenrueck schreibt, so schreibt nichts von meinem Kommen. Ich will sie10 dann ganz überraschen. Mir selbst aber, meine allerliebsten Eltern, antwortet umgehend, was ihr zu meinem Entschluß sagt. Ich stehe darin meinerseits ganz fest und ändere ihn nicht mehr. Jedenfalls ist so viel wie möglich hier daran herum überlegt worden und schließlich ist er doch allgemein gebilligt worden. Ich denke, ihr stimmt auch darin ein?! Oder wollt Ihr euren treuen Jungen, der euch so herzlich liebt, nicht gern einmal wieder längere Zeit bei euch haben? Ich kann euch gar nicht sagen, wie ungeheuer ich mich freue. Ich möchte gleich alle Welt küssen und umarmen, wie ich es heute mit meinen Bekannten gethan habe, die wirklich glaubten, ich sei übergeschnappt. Doch nun genug! Ich will machen, daß der Brief fortkömmt. An alle Verwandte und Freunde die herzlichsten Grüße. Euch selbst aber umarmt mit der zärtlichsten Liebe euer alter Ernst, der euch alle hoffentlich recht gesund und munter wiedersieht und jetzt Tag und Nacht in dieser köstlichen Hoffnung schwelgt! – Ich werde wohl ungefähr am 23 April in Berlin eintreffen! –
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Zu Virchows Kolleg vgl. Br. 183, Anm. 4 und 186, passim. Zu Köllikers Mikroskopierkurs vgl. Br. 186, S. 385 f. Von Haeckel erst im Wintersemester 1855/56 belegt; vgl. Haeckel, Ernst: Virchow. Demonstrativer Cursus der pathologischen Anatomie und Histologie. Privatissime. Wuerzburg Winter 1855/56 (egh. Vorlesungsnachschrift, EHA Jena, B 300b). Zum medizinischen Vorlesungsangebot an der Universität Würzburg im Sommer 1854 vgl. Verzeichniss der Vorlesungen welche an der Königlich-Bayerischen Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg im Sommer-Semester 1854 gehalten werden. Würzburg 1854, S. 5–7. Haeckel, Carl Christian Heinrich. Müller, Katharina. Hebbel über seine Reiseeindrücke aus Berlin vom 19.4.1851: „Da wäre ich denn einmal wieder in der Metropole deutscher Intelligenz […]“. In: Hebbel, Friedrich: Sämmtliche Werke. 9. Bd., Hamburg 1867, S. 310. Weiß, Christian Samuel. Vgl. Br. 223, Anm. 14. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe.
228. Von Karl Haeckel, ziegenrück, 28. März 1854
Lieber alter Junge!
Ziegenrück 28sten März | 1854.
Grolle Deinem Bruder nicht, wenn er wieder lange nicht geschrieben; grolle höchstens dem Aktenmenschen, dem die Laune zum Briefschreiben gebricht. Aber ich muß doch endlich das sechswöchige Stillschweigen brechen, um meine neue Petition anzubringen, die dahin geht: daß Du uns in den jetzt wohl schon eingetretenen Ferien auf einige Zeit in unsrer Waldschlucht aufsuchen sollst. Motive: 1.) der ältere Wille, 2.) das Beste Deines Gehirns, das nach ein semestrigen Brummen sich nicht im Mikroskopiren allein, sondern auch in der schönen Natur u. frischen Bergluft erholen soll. 3.) Die Sehnsucht Deines Pathens1 nach Dir – oder besser gesagt: Deine Sehnsucht nach dem Pathen. 4.) Die Gelegenheit der Zeit – Anfang des Frühlings, Osterfest pp – Ich schlage Dir nehmlich vor zum Fest zu kommen und bis Ende April hier zu bleiben und glaube, || nach dem jetzigen rauhen Wetter Dir dann ein wirkliches Frühlingswetter zusichern zu können. Ferner verspreche ich Dir, wenn Du kommst: 1.) anderweite gute Verköstigung, in specie Festkuchen, 2.) eine nette Gastfrau2, 3.) ein prächtiges Pathchen, 4.) einen sich sehr mit Dir freuenden Bruder. u.s.w. Kurz – laß Dir’s in Allem Ernst gesagt sein, scheue den Geldpunkt nicht über den Dich der Ältern Beutel hinweghebt3, und komme zu den einsamen Ziegenrückern, die Dich sehnlich erwarten daß Du dann frischer ins neue Semester hineingehst, als
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wenn Du dort hocken bleibst dafür garantire ich Dir, und das darfst Du nicht gering anschlagen. Du brauchst ja nicht auf lange zu kommen, komm aber doch. Nun von uns – über Berlin wirst Du gehört haben, daß sich meine Mimmi am Fastnachtsabend in Folge einer Erkältung recht schlecht befand. Ein rascher Aderlaß legte der entstandenen Lungenentzündung bald das Handwerk. || Seitdem geht es wieder gut und Mutter u. Kind sind vor 14 Tagen, als wir einige warme Tage hatten, schon öfters ausgewesen. Jetzt ist’s freilich wieder unfreundlich und noch am Sonntag, Montag vor 8 Tagen schneite es ganz ordentlich. Ich hatte mir schon vorher eine derbe Erkältung geholt, die auch nur recht quälend mich durch die Aktenstöße schleppen läßt, da ich viel Kopfweh dabei habe. Aber ich denke der morgende Neumond wird baldige Genesung bringen. Die Sitzung in voriger Woche war mir wirklich eine rechte Qual. – Viel geht mir jetzt die Politik im Kopfe herum, wie Du Dir denken kannst, ich spüre sehr wenig Lust mich für die Russen herumzuschlagen,4 und doch – wie leicht kann’s kommen sub hodierno regiminis5. Papa brummt gehörig über die Wirthschaft. Gott besser’s und lenke die unvernünftigen Geister in die bessre Bahn. Kannst Du dort des Preußischen Wochenblattes6 habhaft werden, so || b lies doch den Artikel „unsre Stellung“ vom 18 März,7 der klar zeigt, wie man von der zuletzt eingeschlagenen Richtung, die den Intentionen der Hollweg’schen Partei8 entsprach, wieder abgewichen ist. Zu Hause erfreue ich mich mit Mimmi sehr unsres fortdauernd gedeihenden Jungen. Er ist schon so kräftig, daß er, wenn man ihn auf den Bauch legt, den Kopf hoch in die Höhe c reckt und auf die Ärmen sich stützt, auch fortzubewegen sich bemüht – der erste Ansatz zum Kriechen. Du mußt diese Experimente nothwendig mitmachen. Komme also. Für Deinen letzten so herzlichen Brief9 noch meinen besondern Dank. Ade, altes liebes Haus, antworte bald auf den Reiseplan Deinem treuen Bruder Karl. 1 2 3 4 5 6 7 8 9
Haeckel, Carl Christian Heinrich. Haeckel, Hermine, geb. Sethe. Gemeint ist die anhaltende finanzielle Unterstützung Haeckels durch seine Eltern. Die Befürchtung, dass Preußen auf der Seite Russlands in den Krimkrieg eintreten könnte; vgl. dazu u.a. Br. 211, Anm. 22, Br. 214, Anm. 6 und Br. 224, Anm. 4. Lat.: unter den heutigen Herrschern. Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen (1854–1861), wichtigste Zeitung der liberal-konstitutionellen Wochenblattpartei, der auch die Haeckels politisch nahestanden. Unsere Stellung, in: Preußisches Wochenblatt zur Besprechung politischer Tagesfragen. Berlin. 3. Jg., Nr. 11, 18.3.1854, S. 95–99. Die Fraktion Bethmann Hollweg oder auch Wochenblattpartei, eine liberalkonservative Gruppierung im preußischen Landtag der 1850er Jahre. Nicht überliefert.
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229. Von Hermine Haeckel, Berlin, 28. März.1854, mit nachschrift von Karl Haeckel
Lieber Bruder, Schwager, Herr Gevatter u.s.w. u.s.w!
Schloß Ziegenrück 28 März | 1854
Karl schreibt Dir, Du würdest „eine nette Hausfrau finden“,1 sobald Du herkämst. Meine große Bescheidenheit läßt mich natürlich dabei aus dem Spiel, ich sinne daher unter den hiesigen hoffnungsvollen Jungfrauen hin u. her, welche er Dir als Hausfrau bestimmen möge. Und wo bleibe ich am Ende stehen? bei Frl. Bräsel2, einer eben aufknospenden Rose die Du bisher noch nicht gesehen hast. Im Geiste sehe ich Euch, Jeder seinen Liebhabereien nachgehen. Ich erzähle Dir Nichts von ihr, mußt Alles sehen. Ebenso möchte ich Dir gar Nichts von unserm lieben Kinde erzählen, von den kleinen, für uns so bedeutenden Fortschritten, komm selbst, sieh und freue Dich mit uns. Nach dem letzten Brief der Eltern3 erwarte ich Dich || eigentlich schon; die Speisekammer ächzte neulich, das deute ich als Vorspuck4 Deiner Rebellion in derselben. Führe Du nur die gemachten Vorschläge aus und hole Dir in den freilich noch etwas winterlichen Schluchten, neue frische Kräfte den neu gesteckten Plan zu verfolgen, über den ich nicht wenig erstaunt war. Ich denke mir, Dir erscheint das Streifen in Amerikas Wäldern u. Bergen zu idyllisch, wo es doch in Wirklichkeit gewiß viel Schwierigkeiten usw. mit sich bringt. Aber daß Du doch mal eine frische Idee aus Deinem vermikroskopirten Gehirn ans Leben treten lassen willst, ist ein wahres Glück für Dich, mag sie sich nun in Amerika oder sonst wo verwirklichen, das gilt gleich viel, vielleicht ist es gar der Ottergrund. Entsinnst Du Dich desselben?5 Derselbe hat durch Auffindung einer jungen Bauernmädchens Leiche6 an Romantik bedeutend gewonnen. Wenn Dich Alles nicht lockt, thun es vielleicht die wiedererwachenden Molche. Karlchen7 grüßt Dich [mit] mir herzlich. Deine Schwägerin Hermine. [Nachschrift von Karl Haeckel] Lieber Bruder, Anliegendem Brief meiner Miesekatze füge ich blos die Ermahnung hinzu: Dich ja nicht etwa einiger Collegia wegen vom Herkommen abhalten zu lassen. Die Erholung wird Dir sehr gut sein und Du kannst ja schlimmstenfalls rasch wieder fort. Sei aber kein Pedant, dort zu bleiben. Bitte, bringe mir ein Exemplar der Epistolae obscurorum virorum8 mit, das Du wohl bei einem dortigen Antiquar für ein Billiges erhalten wirst. Du darfst bis zu 10 sg. gehen. Ich will damit ein Geschenk machen. Ade, alter Junge, grüße Bertheau herzlich. Auf baldige Nachricht hofft Dein treuer Bruder Carl.
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Schreib doch auf die Adresse „über Schleiz zu senden.“ u. „Ziegenrück bei Poesneck.“ Deinen a Brief erhielten wir nach 5 Tagen über Halle! 1 2 3 4 5 6 7 8
Vgl. Br. 228, Anm. 2. Nicht identifiziert. Nicht überliefert. Vorspuk, unheimlicher Vorbote einer künftigen Begebenheit. Vgl. u.a. Br. 180, Anm. 7. Nicht ermittelt. Haeckel, Carl Christian Heinrich. „Dunkelmännerbriefe“, im Jahr 1515 anonym verbreiteter Druck einer Reihe fingierter lateinischer Briefe, die von Ulrich von Hutten und Vertretern des Erfurter Humanistenkreises verfasst worden waren und sich in satirischer Form mit der klerikalen Spätscholastik auseinandersetzten.
230. Von Carl Gottlob Haeckel, Berlin, 29. März 1854, mit nachschrift von Charlotte Haeckel
Mein lieber Ernst!
Berlin 29 Merz 54.
Dein gestern hier eingegangenes Schreiben v. 25sten1 zeigt uns an, daß Du jetzt Würzburg verlaßen, 1½ Jahr hier studiren und dann noch einmal nach Würzburg zurükkehren willst. Ich erinnerte mich sogleich an Deinen früheren Brief, worin du schona schreibst, daß Du zweifelhaft gewesen wärst, ob Du nicht schon zu Ostern ab- und etwa nach Breslau gingest? Nun es geht manchmal so, daß, wenn eine Sache sehr zweifelhaft ist, erst die eine Seite und dann die andre herausgekehrt und besehen wird, und man sich lange nicht entscheiden kann und daß dann wohl noch die andre Seite, der man den Rüken gewendet, die Oberhand behält. So ist es auch hier der Fall gewesen, gegen Deine Gründe zu diesem letzten Entschluß läßt sich nichts erinnern und so sollst Du uns nach Ostern sehr willkommen sein. Auch wir freuen uns aufs innigsteb wieder einmal mit Dir zusammen leben zu können und es wird Dir sehr wohl thun, wieder einmal aus dem ganz einseitigen Studentenleben c rückwärts ins Familienleben zu treten. Wenn alles so geht, wie es gehen soll, so kannst Du hier in sehr angenehme d wißenschaftliche Verhältniße und Bekanntschaften treten, wozu Dir besonders Freund Weiß2 sehr behülflich sein kann; ganz abgesehen von den lieben Familien Bekanntschaften und Familienleben, das Dich sehr erquiken wird. – Hier beschäftigen wir uns sehr mit Politik, es herrscht eine sehr große Spannung, wozu sich unsre Regierung endlich entschließen wird? und die Partheiungen sind sehr groß und scharf. Wahrscheinlich wird sich e die Regierung von Oesterreich ins Schlepptau nehmen laßen und diesem folgen. Das dürfte vielleicht noch das Beste sein, da die Oesterreichische Regierung mehr festen Willen hat und ihre Staatsintereßen verfolgen wird, die antirußisch sind, während unser charakterloser König3 völlig willenlosf ist und noch dazu von der größten religiösen Verkertheit beherrscht
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wird, indem er den rußischen Krieg gegen die Türkei4 als einen Religionskrieg ansieht (das Kreuz gegen den Halbmond). Es gehört die größte Verblendung dazu, nach allem, was jetzt offenbar geworden, noch an Rußlands Absicht, eine Weltherrschaft zu gründen, zu zweifeln. Daß Preußen völlig ignorirt und als eine Macht 2ten Ranges betrachtet wird, das wird völlig übersehen, weil alles Gefühl für Schande verloren gegangen ist. Wenn man diese Junkers und Pietisten sieht, die kein Gefühl fürs Vaterland haben, so bekommt man schon von Weitem das Erbrechen und die jetzige Schlafheit und Dummheit, die sich seit einigen Jahren in unserm Volke gezeigt hat, bedarf einer starken Züchtigung, um wieder zu einem gesunden Sinn und Leben gebracht zu werden. Die Maße des Volks ist übrigens antirußisch auch ein großer Theil des Militärs in den Provinzen, wie man hört; die jungen faden Gardeofficire, die nur den Befehl eines Herrn, aber kein Vaterland kennen, sind allerdings rußisch gesinnt. Diese Sympathien für Rußland haben in jenen gedachten Klaßen einen tiefern Grund. Die sittliche Civilisation des Menschengeschlechts ist ihnen nichts; g im Corps von sogenannten Herrn, die aber wieder nur Knechte nach oben sind, mit der Peitsche über die Bauern versehn und einige Millionen Kanaillen, die sie beherrschen und maltraitiren und zu ihren materiellen Zweken u. Vergnügungen als da sind Jagden etc. verwenden können, das ist ihre Lebensweisheit. Aber die || Züchtigung für dieses Pak wird nicht ausbleiben. Sie sind in den letzten Jahren mit ihren monströsen Ansichten und Wünschen ungescheut hervorgetreten, weil sie unter ihrem mittelalterlichen Chef alles erreichen zu können glauben. Sie möchten gern die Welt um einige Hundert Jahre rükwärts schrauben. Alle Fortschritte, die wir unter der vorigen Regierung gemacht, sind ihnen ein Dorn im Auge. Aber sie werden fürchterlich gezüchtigt und zurecht gewiesen werden; zunächst vielleicht durch die rußische Knute selbst. Der jetzige Krieg ist nur der Anfang einer großen Kriegsepoche, worin die europäische Civilisation gegen die rußische und slavische Barbarei fechten wird und wenn Du mein Alter erreichen solltest, so wirst Du die Hauptaktionen dieses Dramas erleben und mit durchmachen. Über den endlichen Ausgang des Kampfes bin ich ganz ruhig. Schon jetzt zeigt sich in der Maße des Volks ein tiefer, gründlicher Abscheu gegen die rußische Barbarei und sie wird, wenn sie nur erst ihren richtigen Führer gefunden hat, alles daran setzen, um die in den letzten 50 Jahren eroberten Güter einer Anerkennung ihrer menschlichen Rechte zu wahren und zu behalten. Denn wenn Rußland siegte, so wäre das ganze Volk verloren. Dazu kommt die in den letzten 30 Jahren so unerhört vorgeschrittenen Gewerbethätigkeit und Weltverkehr, die ganz ruinirt werden, wenn England unsre Häven bloquirt und wodurch Tausende in Elend und Armuth versinken. Schon in diesem Augenblik, wo man ein Zusammengehen mit Rußland noch für unmöglich hält, stoken alle Geschäfte bei der Ungewißheit der Richtung die wir nehmen werden. Würde diese Stokung allgemein und dauerndh, so würden Aufstände wegen Nahrungslosigkeit die unmittelbare Folge sein. Aber die göttliche Vorsehung scheint durch solche Krisen die Welt von Zeit zu Zeit aufrütteln zu wollen, um die Völkeri zu belehren, daß sie, wenn sie sich der Schlaffheit und dem Sinnengenuß hingiebt, ihre ganze Existenz verloren ist. Vor allen Dingen soll jedes Volk auf seine Existenz und seine Ehre halten! wie die Jungfern auf ihre Keuschheit. Dieses Nationalgefühl bildet den Pranger gegen jede Gefährdung seiner Existenz, ihrer sittlichen und geistigen Existenz. Ein auf die Länge unterjochtes Volk wird niederträchtig, wie ein Mädchen das sich zur
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Hure hergiebt. Wie gesagt, die Spannung hier ist groß, in diesen Tagen wird sich unser Verhältniß zu Oesterreich entscheiden. Unser Freund Weiß ist mit der Chamissoschen Familie befreundet. Der junge Chamisso5, stud. medicinae und der Naturwißenschaften geht in einigen Tagen nach Würzburg, um den Sommer dort zu hören und sollte an Dich empfohlen werden, da er zugleich ein großer Verehrerj der Botanik ist. Er reist über die Stadt Plauen im Vogtlande, k die nahe an der Eisenbahn nicht weit von Schleitz liegt. Dorthin schike ihn doch noch vor Deiner Abreise und bald den Lektions Catalogus für dieses Sommer halbe Jahr unter Kreuzband6. Er wird in Plauen bei seinem Schwager dem Rektor des Gymnasiums Herrn Palm7 logiren und Du hast also den Lektionskatalog dahin zu addreßiren. Für heute genug. Glükliche Reise nach Ziegenrück, wo Du große Freude machen wirst! Wir freuen uns unendlich auf Dich. Dein Dich aufs innigste liebender Vater Hkl Adolph Schubert, der eben bei uns war, grüßt Dich aufs herzlichste, er reist noch vor Ostern auf sein Gut ab. Herrn v. Chamisso habe ich Dein jetziges Quartier empfohlen; ist es auch nicht das Beste, so ist es doch auch nicht schlecht. Er wird in District II N. 137 vorsprechen.l [Nachschrift von Charlotte Haeckel] Mein lieber Herzens Ernst! Da ich nun bald die Freude haben werde, Dich bei uns zu sehen, so erhältst Du schriftlich nur noch einen Gruß von mir, grüsse in Ziegenrück alle, reise glücklich und komme gesund und frisch zu Deiner Mutter. 1 2 3 4 5
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Br. 227. Weiß, Christian Samuel. Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen. Zehnter russisch-türkischer Krieg, Krimkrieg, 1853–1856; vgl. Br. 211, Anm. 22 und Br. 214, Anm. 6. Hermann von Chamisso (1832–1906), sechstes Kind des Dichters und Naturforschers Adelbert von Chamisso (1782–1837) und der Antoine, geb. Piaste (1800–1837), nahm im Sommersemester 1854 ein Studium der Medizin an der Universität Würzburg auf. Zur Familie gehörten sechs weitere Geschwister: Ernest (1820–1894), Maximilien (1822–1893), Adelaide (1827–1854), Jeanne (1829–1908), Adolphe (1830–1893) und Adelbert (1835–1856). Vgl. Br. 226, Anm. 26. Palm, Johann Friedrich.
231. An Charlotte und Carl Gottlob Haeckel, ziegenrück, 9./10. April 1854
Meine lieben Ältern!
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Ich befinde mich nun schon 6 Tage hier, und zwar so äußerst glücklich, munter und gesund, daß ich eigentlich aus lauter Freude noch nicht zum Schreiben gekommen bin. Auch ist diese Fidelität und Munterkeit nicht vorübergehend und mit Katzen-
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jammer abwechselnd, wie das bei mir sonst gewöhnlich der Fall ist, sondern vielmehr merkwürdig constant und ausdauernd. Diese perpetuirliche Fidelitaet datirt von jenem wichtigen Glückstage her, an welchem ich so urplötzlich und schnell, mit einer Entschlossenheit, die mir selbst ebenso sonderbar wie meinen Freunden, vorkam, den festen Entschluß faßte, den Sommer nach Berlin zu gehen1. Hoffentlich erhalte ich mir jetzt dauernd diese Frische; wenigstens werde ich mir alle Mühe dazu geben. Doch jetzt genug mit diesen Ergüssen einer glücklichen Stimmung; ich will euch nun noch einiges von meinem Leben in den letzten 14 Tagen nacherzählen. – Am Freitag 24/3 Abends war unser netter Freundeskreis (mit dem icha leider nur zu spät in nähere Berührung gekommen war) zum letzten Mal vollzählig beisammen, und zwar in der „Rose“2, wo es den besten Würzburger Wein giebt, von dem schließlich noch alle Sorten nacheinander durchprobirt wurden. Wir waren unsrer 8: Piper, Gerhard3, Brummerstädt, Hein, Ich, Schuler, Boner, Strube4 und seelensvergnügt, sangen, scherzten und tranken [wir] bis nach Mitternacht. Obwohl alle 8 äußerst solide Häuser waren (me inclusive), so tranken wir doch sämmtlich (es war ja der Scheidetrunk!) uns einen leidlichen Zopf5, so daß wir schließlich in einer ganz remarquablen Benebeltheit und süßen Bewußtlosigkeit nach Hause tanzten. Doch welcher Schrecken ergriff mich, als ich mitten in der Nacht || durch heftige antiperistaltische Bewegungen6 geweckt, aufwache, und merke, daß ich mich in der Lage eines wirklichen physischen Katzenjammers befand, was mir in dieser Art noch nie vorgekommen war. Nachdem ich tüchtig „gegerbt“7 und meine Magen contenta8 so ziemlich wieder ans Tages Licht befördert hatte, schlief ich noch recht tüchtig aus, so daß ich am andern Morgen eben noch zur rechten Zeit kam, um den lieben Schweizer Freunden, Boner und Schuler, den letzten Scheidegruß zu sagen. Zugleich erfuhr ich noch zu meiner großen Genugthuung, daß die sämmtlichen 7 andern von mindestens eben so starkem Katzenjammer waren heimgesucht worden, als ich selbst, und so tröstete ich mich! Aber eine solche miseria felina varietas physica9 ist nicht so leicht curirt. Zwar trank ich sechs große Gläser Kaffee und machte dann einen tüchtigen Spaziergang; allein etwas rechtes wollte gar nicht dabei herauskommen, und in diesem b jammervollen Zustande nüchternen Bewußtseins faßte ich zuerst jenen großen Gedanken, Würzburg jetzt zu verlassen, was mich noch keinen Augenblick gereut hat! Es ist doch wirklich bemerkenswerth, wie die Verhältnisse auf den Mann wirken! Doch das Nähere von diesen fabelhaften Geschichten erzähle ich euch mündlich! Am folgenden Sonntag folgte diesem raschen Entschluß ein ebenso urplötzlicher 2ter, nämlich bloß noch 8 Tage in Würzburg zu bleiben (während ich anfangs noch einen ganzen Monat (April) dort hatte zubringen wollen). Dazu war aber nöthig, daß ich in dieser einen Woche alle noch übrigen Secirübungen beendigte, was mir dann auch mit der größten Praecision dadurch gelungen ist, daß ich in jenen 8 Tagen buchstäblich von früh 7 bis Abends 7 (mit Ausnahme von 3 Nachmittagen) secirt habe. Gottlob, daß ich damit fertig bin; ich freue mich herzlich darob. Ich bins jetzt aber auch so satt, daß ich nur noch mit Ekel daran denke. || Ich war, wie gesagt, die letzte Woche in Würzburg äußerst fidel. An einem schönen Nachmittag besuchte ich noch Steudner auf der Festung, wo er jetzt 3 Monat sitzen muß.10 Er hat ein sehr schönes großes Zimmer mit herrlicher Aussicht, und lebt auch im Übrigen da oben äußerst fidel, spielt, trinkt etc. Dann ging ich auch noch zum letzten Mal in den Zeller Wald,11 um Abschied von [der] mir doch recht
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lieb gewordnen Würzburger Gegend zu nehmen. Im Suchen und Finden niedlicher Moose verirrte ich mich in dem großen schönen Laubwald ziemlich weit, so daß ich erst nach mehreren Stunden wieder herauskam. Am letzten März machte ich Abschiedsbesuche, bei Müller12, Virchow, Leydig (den ich außerordentlich lieb gewonnen habe, und bei dem ich fast einen ganzen Vormittag war) und bei Kölliker, welcher mir Schriften an Johannes Mueller und A. Braun mitgab. Am Sonntag dem 2ten April packte ich meine sämmtlichen Siebensachen, und zwar in einem Streich von früh 5 Uhr bis Mittags 1 Uhr wo ich glücklich fertig war. Wenn die Sachen in Berlin ankommen, so laßt ihr sie wohl bis zu meiner Ankunft unausgepackt stehen. Es sind 6 Stück: 1) eine große hohe Kiste gez. H N 4c von Würzburg nach Berlin mit Büchern, Knochen, Kleinigkeiten etc. 2) Eine zweyte, niedere Kiste d mit Schloß gez: E. H N. 3 Berlin mit Pflanzen und Büchern 3) eine kleine Kiste mit Bücherne, gez. H 14. von Würzburg nach Berlin 4) Eine kleine Kiste, gez. H. E. H. nach Berlin von Würzburg mit Bocksbeuteln13 und andern Glassachen. 5) Ein schwarzer Lederkoffer, mit Wäsche, vorn mit gelbem Blechschild 6) Ein großer Leinwandsack, enthaltend 1 Matratze, Pelz und Betten etc. || Der Sonntagnachmittag des 2ten Aprils war ein wahrer Junitag. Nach dem Essen gingen wir Freunde zum letzten male nach Smolensk14 wo wir im Garten in bloßen Hemdsärmeln Kaffee tranken und dabei schwitzten. Dann ging ich solo noch einmal auf das rothe Kreuz15, wo man einen schönen Überblick über das ganze Mainthal hat, und wo ich mir zum letzten mal das allerliebste Zwergmoos Guembelia crinita16 holte, das in Millionen von Individuen die Weinbergsmauern wie ein Mausepelz überzieht (auch fand ich schon die schöne Anemone Pulsatilla17 in voller Blüthe). Schließlich bummelte ich noch mit Hein und Brummerstädt sehr gemüthlich den Main entlang. Daß ich durch diese Bewegung den ganzen Tag recht müde war, könnt ihr euch denken. Diese schreckliche Müdigkeit nahm Abends so zu, daß ich trotz alles Zusammennehmens fast noch am Abend bei Schenks, die mir einen Abschiedsschmaus gaben, eingeschlafen wäre. Übrigens waren sie beim Abschied noch außerordentlich freundlich. Am Montag 3/4 früh 9 Uhr fuhr ich nach herzlichem Abschied von den Freunden, die mich noch auf die Post begleitet hatten, ab. Um 1 Uhr war ich in Schweinfurt, um 3 in Bamberg. Hier blieb ich den ganzen Nachmittag, um mir die schöne alte Stadt, von der ich eigentlich noch gar nichts gesehen hatte, anzusehen. Ich besuchte zunächst den Dom, dann den Michaelsberg18, von wo man f einen schönen Blick auf die Stadt und schließlich auf die noch höhere alte Burg, wo man prächtige Rundsichten g über die ganze Umgegend weit herum genießt. Dann besuchte ich noch einen Bekannten, Sippel19, der jetzt schon wohlbestallter Apotheker in Bamberg ist, bummelte im Dunkeln noch etwas durch die alte Stadt und fuhr um 10 Uhr mit der Eisenbahn ab, nach Hof, wo ich um 5 Uhr früh anlangte. Um 7 Uhr war ich in Mehltheuer20, wo ich 4 Stunden warten mußte. || Ziegenrück 10/4 54 Mit der Post, auf der ich ganz unausstehliche Gesellschaft von Leipziger Kaufleuten, gräulichen Philistern, traf, langte ich um 2 Uhr in Schleiz an, von wo ich in 2½ Stunden in schnurgrader Linie über Mönchgrün und Crispendorf, durch dick und dünn, Sumpf und Wald, nach dem Ziegenrücker Paradies herüberlief. Ein Bote trug
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mir meine 2 Reisesäcke. Ich selbst trug ein paar Bocksbeutel, die ich auch glücklich ganz unverletzt meinen lieben Geschwistern mitbrachte. Die ganze Reise hat mich 4 rℓ gekostet! – Leider fand ich die ganze junge Häckelei21 erkältet und zwar alle am Hals leidend. Die Leutchen nehmen sich aber in der gefährlichen Gebirgsluft auch viel zu wenig in Acht. Jedoch geht es jetzt, Gott sei Dank, wieder besser, und das allerliebste kleine Karlchen ist heute zum ersten mal wieder ausgewesen. Welche ungeheure Freude ich über mein liebes, prächtiges Pathchen hatte, und noch stündlich habe, kann ich euch gar nicht mit Worten sagen, annähernd könnt ihr es euch denken! Auch im Übrigen vergeht mir die Zeit hier äußerst freudvoll und angenehm. Bei dem prachtvollen Frühlingswetter genieße ich die lieben Wälder und Berge mit ihren Moosen und andren Pflänzchen nach Herzenslust. Früh microscopire ich meist und lese Tschudis Alpenwelt22, Lehmanns Chemie23 etc, alles nach Lust und Liebe. Auch habe ich schon mehrere größere Parthien gemacht. Am 9ten begleitete ich Karl auf einen Localtermin in Liebschütz, wo ich den ganzen Tag in den verschiedenen Thälern und Schluchten, namentlich in dem „Grund der Gründe“, den romantischen Ottergrund, herumbummelte. Gestern, am Palmsonntag war ich mit Karl in Ranis, in einem Nachmittag zu Fuß hin und zurück. Karl wollte mit Lindig24 über unsren so schmachvoll verlornen Proceß25 conferiren. || Heute früh fuhr ich mit dem Doctor26 in seinem Wagen wiederum nach Ranis, um die höchst interessante Section einer alten Bauerfrau27 zu machen. Noch nie hatte ich eine so furchtbare Zerstörung der edelsten Organe gesehen. Die ganzen Eingeweide, sowie das ganze Bauchfell mit allen Bändern und Falten war in schwarzen Brand übergegangen. Die ganze rechte Hälfte der Bauchhöhle füllte eine ungeheure Geschwulst (carcinoma uteri28 etc) aus, dabei Wassersucht etc. Kurz es war eine ganz schreckliche Entartung, wie sie wohl selten vorkömmt. Als wir erst halb fertig waren, wurde der Doctor zu einer schweren Geburt in Ranis abgerufen und ich machte noch die Section allein fertig. Um 3 Uhr bummelte ich beim herrlichsten Wetter ganz allein zu Fuß wieder herüber, und zwar durch die Sornitz. Ich denke noch 8 Tage hier zu bleiben, am 19ten in Merseburg (wo ich, da Osterwalds verreist sind, bei Karos logiren werde) und am 23sten oder 24sten April in Berlin einzutreffen. Wie ungeheuer ich mich freue, wieder bei euch sein zu sollen, kann ich euch gar nicht sagen! Auch darüber, daß ich nun noch mit meinem lieben Freunde Hein noch zusammen bleibe29, freue ich mich schon. Er kömmt am 30sten April nach Berlin und ich habe ihn eingeladen, die erste Nacht bei mir zu logiren; das ist euch doch recht?h Dabei fällt mir noch 1 Bitte ein. Bitte, schickt doch recht bald nach einem deutschen Lectionscatalog vom nächsten Sommersemester30 (bei Pedell parterre in der Universität zu haben) nach Würzburg unter Kreuzband31 und unter der Adresse: Herrn stud. med. R. Hein. Würzburg beim Wundarzt Dehler32. – Nun lebt recht wohl, liebe Alten, bleibt so munter wie ich und freut euch ebenso sehr auf unser Wiedersehn wie euer alter treuer Ernst. – Die Moose und andern Pflanzen im Kistchen hebt sorgfältig auf !!i 1
Ernst Haeckel immatrikulierte sich für das Sommersemester 1854 als Student der Medizin an der Universität Berlin; vgl. Eintrag Haeckels in: Amtliches Verzeichniß des Personals und der
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Studirenden auf der Königl. Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. Auf das Sommerhalbejahr von Ostern bis Michaelis 1854. Berlin 1854, S. 10. Das 1751 errichtete Weinhändler- und Gasthaus Rose in Markt Zell am Main. Gerhardt, Carl Jakob Adolf Christian. Strube, Georg Ernst. In der Studentensprache für: sich einen Rausch antrinken. In entgegengesetzter Richtung gehende Bewegung, hier für Brech- und Würgereiz. In der Studentensprache für: sich übergeben. Mageninhalte. Lat.: Körperliche Form des Katzenjammers. Vgl. Br. 219, S. 478. Vgl. Br. 157, Anm. 14. Müller, Heinrich. Vgl. Br. 100, Anm. 15. Vgl. Br. 114, Anm. 16. Das Hofgut Rotkreuz auf der ertragreichen Hochfläche des Steinbergs im Norden von Würzburg; vgl. u.a. Hänle, S. / Spruner, K. v.: Würzburg und seine Umgebungen. Ein Taschenbuch für Einheimische und Freunde. Würzburg 1844, S. 114. Grimmia crinita Brid., Syn.: Guembelia crinita (Brid.) Hampe, Haar-Kissenmoos, Familie: Grimmiaceae, eine Familie der Laubmoose. Anemone pulsatilla L., Syn.: Pulsatilla vulgaris Mill., Gewöhnliche Kuhschelle, Familie: Ranunculaceae (Hahnenfußgewächse). Michelsberg, Erhebung mit ehemaligem Benediktinerkloster in Bamberg. Sippel, Friedrich. Heute Ortsteil der Gemeinde Rosenbach im sächsischen Vogtlandkreis. Haeckel, Karl; Haeckel, Hermine, geb. Sethe; Haeckel, Carl Christian Heinrich. Tschudi, Friedrich von: Das Thierleben der Alpenwelt. Naturansichten und Thierzeichnungen aus dem schweizerischen Gebirge. 2., verb. Aufl., Leipzig 1854; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 27 (=53); vgl. Br. 198, Anm. 10 und 11. Lehmann, Carl Gotthelf: Lehrbuch der physiologischen Chemie. 3 Bde., 2. Aufl. (2. Umarbeitung), Leipzig 1853; s. Haeckel-Jugendbibliothek, Nr. 58 (=97–98). Lindig, Ernst Adolph. Nicht ermittelt. Krüger, Gustav Adolph. Nicht ermittelt. Gebärmutterkarzinom. Reinhold Hein wurde zu Ostern 1854 als Student der Medizin an der Berliner Universität immatrikuliert; vgl. Amtliches Verzeichniß des Personals und der Studirenden (wie Anm. 1), S. 11. Vgl. Br. 223, Anm. 14. Vgl. Br. 226, Anm. 26. Dehler, Gottfried Carl.
Tafelteil II
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Abb. 14: Auszug aus dem Taufregister der französischen Gemeinde in Potsdam, Tom. II, Nr. 757 vom 12. Juni 1835: Ernst Heinrich Philipp August Haeckel (Br. 1)
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Abb. 15: Geburtshaus von Ernst Haeckel in Potsdam, Am Kanal 24a (später Yorckstraße 7), Fotografie, Anfang 20. Jahrhundert (Br. 1)
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Abb. 16: Ernst Haeckels Zeugnis der 3. Klasse der Bürgerschule in Merseburg, 1. Halbjahr 1841 (Br. 4)
Abb. 17: Karl Gude, Fotografie der Gebr. Ochs (Magdeburg), um 1860 (Br. 25)
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Abb. 18: Carl Gottlob Haeckel, Zeichnung von Ernst Haeckel (nach Lindner), 1848 (Br. 37)
Abb. 19: Charlotte Haeckel, Zeichnung von Ernst Haeckel, 1850 (Br. 37)
Abb. 20: Denkspruch zur Konfirmation von Ernst Haeckel, Merseburg, 5. April 1839, gewidmet vom Domdiakon Jakob Bernhard Simon (Br. 40)
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Abb. 21: Wilhelm Osterwald, Fotografie von F. W. Franke (Merseburg), 1865 (Br. 46)
Abb. 22: „Merkelsche Hütte“, Zeichnung von Ernst Haeckel, Merseburg 1847 (Br. 46)
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Abb. 23: Asperula arvensis L., Herbarbeleg von Ernst Haeckel, Würzburg 1853 (Herbarium Haussknecht Jena, JE 00012999; Br. 58)
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Abb. 24: Landschaftszeichnung von Ernst Haeckel, Merseburg, um 1848 (Br. 63)
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Abb. 25: Albert Kölliker, Bleistiftzeichnung von Ernst Haeckel, Würzburg, 3. November 1852 (Br. 103)
Abb. 26: Albert Kölliker, Fotografie von Maull & Polyblank (London), 1855 (Br. 103)
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Abb. 27: Brassica nigra (L.) W. D. J. Koch, Herbarbeleg von Ernst Haeckel, Merseburg 1851 (EHA Jena, E 2, Nr. 65; 107)
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Abb. 28: Gagea saxtalis (Mert. und W. D. J. Koch) Schult. und Schult. F., Herbarbeleg von Ernst Haeckel, Halle 1851 (EHA Jena, E 2, Nr. 24; Br. 129)
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Abb. 29: Victor Weber an Ernst Haeckel, 11./12. Januar 1853, vierte Seite: Kohlensäureapparat (Br. 140)
Abb. 30: Ernst Haeckel an seine Eltern, 17. Februar 1853, vierte Seite: die umstrittene Textstelle zum künftigen Jesuitengeneral Anton Maria Anderledy (Br. 149)
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Abb. 31: Victor Weber an Ernst Haeckel, 6. Juli 1852, erste Seite: Zeichnung zum Himmelfahrtsausflug (Br. 157)
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Abb. 32: Scilla bifolia L., Herbarbeleg von Ernst Haeckel, Naumburg 1851 (EHA Jena, E 2, Nr. 28; Br. 157)
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Abb. 33: Ernst Haeckels Abgangszeugnis von der Friedrich Wilhelms Universität zu Berlin, Sommersemester 1852, erste Seite (Br. 159)
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Abb. 34: Festung Marienberg, Skizze von Ernst Haeckel, Würzburg 1853 (Br. 167)
Abb. 35: Madonna mit zwei Kindern, Bleistiftzeichnung von Ernst Haeckel, Würzburg 1853 (Br. 167)
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Abb. 36: Botrychium lunaria (L.) Sw., Herbarbeleg von Ernst Haeckel, Würzburg 1853 (EHA Jena, E 3, Bl. 2; Br. 169)
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Abb. 37: Ernst Haeckel: Skizzen aus der Entwicklungsgeschichte der Maulwurfsgrille Gryllotalpa vulgaris, Würzburg 1853, S. 8 (Br. 173)
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Abb. 38: Gertrude Sethe, Fotografie von Max Pflaum (Berlin), um 1865 (Br. 186)
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Abb. 39: Ernst Haeckel, Schattenriss, Würzburg, um 1853 (Br. 203)
Abb. 40: Reinhold Hein, Schattenriss, um 1853 (Br. 203)
Abb. 41: Carl Jakob Adolf Christian Gerhardt, Schattenriss, um 1853 (Br. 203)
Abb. 42: Wilhelm Carl Ludwig Brummerstädt, Schattenriss, um 1853 (Br. 203)
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Abb. 43: Albert Carl Johann Wilhelm Piper, Schattenriss, Würzburg, um 1853 (Br. 203)
Abb. 45: Fridolin Schuler, Schattenriss, Würzburg, um 1853 (Br. 203)
Abb. 44: Johann Heinrich Boner, Schattenriss, Würzburg, um 1853 (Br. 203)
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Abb. 46: Vorlesungsnachschrift von Ernst Haeckel zu Rudolf Virchow: Allgemeine Pathologie und pathologische Anatomie, Würzburg, Wintersemester 1853/54, S. 53 (Br. 210)
Anhang
Abkürzungen und Siglen A Abb. Abs. a.D. ADB Anm. ao. Art. Aufl. Bd. / Bde. bearb. begr. bes. beschr. betr. Br. ca. d d. dass. D. / Dr. / Dr D.i. dkl. dergl. / drgl. ders. D. G. dies. d. M. dt. dto. durchges. ebd. egh. EHA EHH eigtl.
Abschrift Abbildung Absatz außer Dienst Allgemeine Deutsche Biographie Anmerkung außerordentlich Artikel Auflage Band / Bände bearbeitet begründet besonders beschrieben betreffend Brief circa Pfennig/e (aus lat.: denarius/denarii) den (bei Datumsangabe) dasselbe Doktor Das ist dialektal dergleichen derselbe Durch Gelegenheit (als Adresszusatz für die Art der Beförderung eines Briefes) dieselbe/n des Monats deutsch dito durchgesehen ebenda eigenhändig Ernst-Haeckel-Archiv Ernst-Haeckel-Haus eigentlich
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eingef. engl. etc. ev. evtl. Ex. F. / Fr. f. Fam. fl Fn. FNL Frl. frz. g geb. Geh. gen. gestr. gez. göttl. Gr. / Gr GStAPK H H. / Hr. / Hrn. HH. / H. H. Hrsg. / Hrsgg. hrsg. i. e. S. inc. irrtüml. Jh. Jg. K kol. km königl. / kgl. korr. l lat. LHA lt. m m. E. Mskr. N. B. / NB.
eingefügt englisch et cetera evangelisch eventuell Exemplar Frau folgend Familie Florin (Gulden) Fußnote Familiennachlass Fräulein französisch Gramm geboren Geheim/e/er genannt gestrichen gezeichnet göttlich Groschen Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Handschrift Herr/n Herren der / die Herausgeber herausgegeben im engeren Sinne incipit irrtümlich Jahrhundert Jahrgang Konzept koloriert Kilometer königlich korrigiert Liter lateinisch Landeshauptarchiv laut Meter meines Erachtens Manuskript notabene
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NDB N. F. Nr. N. R. O o. J. poln. pp. Pred. / Prd. Prof. P. Sc. R, °R rdal. red. resp. rev. rℓ S. s. sg. / Sgr / Sgr./ sgr. Sign. sog. Sp. Sr. Std. Syn. Th. theol. THULB Tle. u. UA u. a. UB übers. Übers. überschr. ugs. ü. d. M. umgearb. unpag. unv. u. s. w. v. v. Chr. verb.
Neue Deutsche Biographie Neue Folge Nummer Neue Reihe Original ohne Jahr polnisch praemissis praemittendis Prediger Professor Post Scriptum Grad Réamur redensartlich redigiert respektive revidiert Reichstaler Seite siehe Silbergroschen Signatur sogenannt Spalte Seiner Stunde Synonym Thaler theologisch Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Teile und Universitätsarchiv und andere /s, unter anderem /n Universitätsbibliothek übersetzt Übersetzung überschrieben umgangssprachlich über dem Meeresspiegel umgearbeitet unpaginiert unverändert und so weiter vom / von vor Christus verbessert
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verh. verm. verw. vgl. wissenschaftl. xr, Xr Z. z. B. zit. –c
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