Ernst Ferdinand Klein’s Auffassung von der Strafe und den sichernden Massnahmen [Reprint 2021 ed.] 9783112454503, 9783112454497

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Ernst Ferdinand Klein’s Auffassung von der Strafe und den sichernden Massnahmen [Reprint 2021 ed.]
 9783112454503, 9783112454497

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Beiträge zur Lehre von den subjektiven Unrechtselementen im Strafrecht von

Dr. Rudolf Sieverts (Hamburger Rechtssfudien, Heft 19). 246 Seiten. 1934. RM 10. ~ Aus einer Besprechung im „Archiv für R e c h t s - und Sozialphilosophie": Das Buch enthält eine überaus gründliche, schlichtende und sichtende Darstellung, die ihren Ehrgeiz bewußt nicht darin sieht, durch neue geistreiche Wendungen oder bestechende Formulierungen zu blenden. Die Arbeit ist umfassender und gerundeter, als ihr Titel erwarten läfjt. D o g mengeschichttich nimmt sie den Faden da auf, wo Mezger mit seinem bekannten Aufsafe über „Die subjektiven Unrechtselemente"

(Gerichts-

saal Bd. 89, S . 205 ff.) ihn fallen ließ, dogmatisch fujjt sie auf dem im Laufe der v e r g a n g e n e n Jahrzehnte herrschend gewordenen

Bekenntnis

zur Denkfigur einer „objektiven Rechtswidrigkeit". Privatdozent Dr. Frhr. v. Gemmingen.

Friederichsen, de Gruyter & Co. G. m. b. H., Hamburg 1

Hamburger Rechtsstudien herausgegeben von Mitgliedern der Rechts- und Staatswissensehaftlichen Fakultät der Hansischen Universität

Heft 28

Ernst Ferdinand Klein's Auffassung von der Strafe und den sichernden Massnahmen von

Dr. Helmut Mumme

I Hamburg Friederichsen, de Gruyter & Co. G. m. b. H.

1936

Die vorliegende Arbeit ist aus meinen Arbeiten im Seminar für Strafrechi und Kriiminalpolitik unter Leitung von Herrn P r o f e s s o r Dr. Eberhard Schmidt hervorgegangen. Sie wurde von der Rechtsund Staatswissenschaftlichen Fakultät der Hansischen Universität als Doktordissertation angenommen. Für die Anregung und Förderung der Arbeit spreche ich auch an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Eberhard Schmidt meinen herzlichsten Dank aus. Durch die freundliche Empfehlung von Herrn Professor Dr. Rudolf Sieverts fand die Arbeit Aufnahme in den „Hamburger Rechtsstudien". Helmut Mumme.

H a n s C h r i s t i a n s . H a m b u r g 36.

Inhaltsverzeichnis. Einleitung: Das Leben und Wirken Ernst Ferdinand Klein's

Seile 9

Erster Abschnitt: Klein's Auffassung von Strafe • I. Uber die Natur und den Zweck der Strafe . 1. Die Strafrechtsauffassung des Mittelalters . 2. Die Lehre vom Staatsvertrage 3. Der Einfluß der Staatsvertragslehre auf die Auffassung vom Strafrecht 4. Die Abschreckungstheorie Klein's 5. Die Proportionalität zwischen Strafe und Verbrechen 6. Die Todesstrafe und das Begnadigungsrecht . • • 7. Die Besserung des Täters als Strafzweck II. Die strafrechtliche Zurechnung 1. Kant: Legalität und Moralität 2. Die strafrechtliche Zurechnungslehre Feuerbach's 3. Die moralische Zurechnungslehre Klein's

10 10 10 10 11 13 17 18 19

20 20 . 21 • 24

Zweiter Abschnitt: Klein's Auf fasung von den sichernden Maßnahmen I. Das Beweisrecht der Carolina

28 28

II. Die außerordentliche Strafe

32

III. Klein's „Theorie der Sicherungsmittel" 1. Die Ablehnung der außerordentlichen Strafe 2. Die sichernden Maßnahmen statt der außerordentlichen Strafe, insbesondere ihr Unterschied zur Strafe 3. Zuständigkeit des Richters für die Anordnung der sichernden Maßnahmen 4. Die sichernden Maßnahmen nach ausgestandener Strafe

35 35 37 39 42

IV. Die sichernden Maßnahmen des Allgemeinen Landrechts und der Zirkularverordnung vom 26. Februar 1799 1. Das Allgemeine Landrecht 2. Die Zirkularverordnung

. 49 49 53

5

Schrifttum. Arnim, v.: Bruchstücke über Verbrechen und Strafen oder Gedanken, über die in den Preußischen S t a a t e n bemerkte Vermehrung der Verbrecher gegen die Sicherheit des Eigentums nebst Vorschlägen, wie derselben durch zweckmäßige Einrichtung der Gefangenenanstalten zu steuern seyn dürfte. F r a n k f u r t und Leipzig 1803. Berner: Lehrbuch des Deutschen Strafrechts. 8. Aufl. Leipzig 1876. Birkmeyer: „Das S t r a f r e c h t " in seiner „Encyklopädie der Rechtswissenschaft". 2. Aufl. Berlin 1904. Brauneck: Pestalozzis Stellung zu den Strafrechteproblemen. Hamburger Dias. 1935. Drost: Das Ermessen des Strafrichters. Zugleich ein Beitrag zu dem allgemeinen Problem Gesetz und Richteramt. Berlin 1930. Exner: ..Die Theorie der Sieherungsmittel" in „Abhandlungen des Kriminalistischen I n s t i t u t s an der Universität Berlin". Herausgeg. von Franz v. Liszt und E r n s t Delaquis. Dritte Folge. 1. Bd. 1914. Feuerbach: Über die S t r a f e als Sieherungsmittel vor k ü n f t i g e n Beleidigungen des Verbrechers. Nebst einer näherein P r ü f u n g der Kleinischen Strafrechtstheorie. Als Anlage zu der Revision des peinlichen Rechts. Chemnitz 1800. — Revision der Grundsätze und Grundbegriffe des positiven peinlichen Rechts. Erster Teil E r f u r t 1799. Zweiter Teil Chemnitz 1800. Finger: „Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung" in „Der Gerichtesaul", Bd. 104. Fischl: „Der Einfluß der Aufklärungsphilosophie auf die Entwicklung des Strafrechts im Doktrin, Politik und Gesetzgebung und Vergleichung der damaligen Bewegung mit den heutigen Reformversiuchen". In „Breslauer Strafrechtlich« Abhandlungen", Heft 169. 1913. Frank, Reinhard: Die Wolf f'sehe Strafrechtsphilosophie und ihr Verhältnis zur criminalpol'itischen A u f k l ä r u n g im X V I I I . J a h r h u n d e r t . Göttingen 1887. Grünhut: „Anselm v. Feuerbach und das Problem der strafrechtlichen Zurechnung", in „Hamburgische Schriften zur gesamten Strafrechtswiissenschaft", herausgeg. von M. Liepmann, Hamburg 1922. Gürtner: Das kommende deutsche Strafrecht". Allgemeiner Teil. Bericht über die Arbeit der amtlichen Strafrechtskommiasion. 2. Aufl. 1935. Hedemann: Die Sicherungsverwahrung der Schwerverbrecher. Dies. J e n a 1934. Hepp: Darstellung und Beurteilung der Deutschen Strafrechts-Systeme, ein Beitrag zur Geschichte der Philosophie und der Strafgesetzgeboxngs Wissenschaft. 1. u. 2. Abt. 2 Aufl. Heidelberg 1843 u. 1844. Hippel, v.: Deutsches Strafrecht I. Berlin 1925. —• „Die korrektionelle Nachhaft", in: „Abhandlungen des Kriminalistischen Seminars zu Marburg". Herausgeg. von Franz v. Liszt. I. Bd. 3. Heft. Freibiurg i. Br. 1889. Hälschner: Geschichte des Brandenburgisch-Preußisehen Strafrechts. Ein Beit r a g zur Geschichte des deutschen Strafrechts. Bonn 1855. Humboldt, Wilhelm v.: Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des S t a a t s zu bestimmen. Breslau 1851. Kant: Metaphysik der Sitten. 3. Aufl. Herausgeg. von Karl Vorländer. Leipzig 1919.

7

Klein: Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts. 1. Aufl. Halle 1796. —i Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben. Halle 1797. — „Fragmente eines peinlichen Gesetz-Buchs nebst einer Anleitung dazu", im: Klein's „Vermischte Abhandlungen über Gegenstände der Gesetzgebung 'und Rechtisgelehrsamkeit". I. Bd. Leipzig 1780. —

Archiv des Criminalrechts, herauageg. von E r n s t Ferdinand Klein und Gallus Aloys Kleimschrod. Bde. I — V I I . Halle 1799—1810. —. Anmalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit i n den Preußischen S t a a t e n . Bd. I — X X V I . Berlin u. S t e t t i n von 1788—1810. —• Merkwürdige Rechtesprüche der Hallischen J u r i s t e n - F a k u l t ä t . Bd. I — V . Berlin u. S t e t t i n von 1796—1802. — Bildniss und Selbstbiographie. Herauisgeg. von M. S . Loewe. Berlin 1806. Landsberg: Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. 3. Abt., 1. Halbbd., T e x t und Noten. München u". Leipzig 1898. Liszt, v.: E . F . Klein und die unbestimmte Verurteilung. Ein Beitrag zur preußischen Kriminalpolitik des 18. Jahrhunderts, in: v. Lisizt: „Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge". I I . Bd. S. 133 ff. Berlin 1905. Loening: „Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen", in: „Verwaltungsarchiv I I . " Schmidt, Eberhard: „Preußische Gefängnis-Reforraversuche bis 1806. Ein Beitrag zur Geschichte der Kriminalpolitik", i n : „Goltdammers Archiv für S t r a f r e c h t und Strafprozeß". 67. J a h r g . Berlin 1919. —i Die Krimmalpolitik Preußens unter Friedrich Wilhelm I. und Friedrich I I , in: „Abhandlungen des kriminalistischen I n s t i t u t s an der Universität B e r l i n " . Herauisgeg. von F r a n z v. Liszt und E r n s t Delaquis. D r i t t e Folge. I. Bd. 2. Heft. Berlin 1914. —.

Zur Theorie des unbestimmten Strafurteils. Separatabdruck aus „Schweizerische Zeitschrift für S t r a f r e c h t " , Heft 2. Bern 1931. Die Carolina. Ein Vortrag. Sonderabdriuck aus der Zeitschrift der — Savigny-Stiftung für Rechtsgesohichte. LIIT. Bd. Germ. Abt. 1933. Specht: Der Strafzweok bei Feuerbach und Liszt und die strafrechtliche Lage der Gegenwart. Hamburger Diss. 1933. Willenbüeher: „Die strafrechtsphilosophiischen Anschauungen Friedrichs des Großen. Ein Beitrag zur Geschichte der kriminalpolitisc-heE Aufklärung im achtzehnten J a h r h u n d e r t " , i n : „Strafrechtliche Abhandlungen", Heft 56. Breslau 1904.

8

Einleitung. Das Leben und Wirken Ernst Ferdinand Klein's 1 ). Emst Ferdinand Klein wurde 1743 zu Breslau geboren, besuchte dort das Magdalenen-Gvmnasium und bezog mit 20 jähren die Universität Halle. 1766 trat Klein bei der Oberamtsregierung Breslau als Auskultator ein, hier befreundete er sich mit S v a r e z , dem späteren Schöpfer des preußischen Landrechts. 1767 ging Klein zur Anwaltschaft über, ohne seine literarische Tätigkeit aufzugeben In die Anwaltszeit fallen vor allem die „Fragmente eines peinlichen Geseß-Buches nebst einer Anleitung dazu", erschienen im ersten Bande der von ihm herausgegebenen „Vermischten Abhandlungen über Gegenstände der Geseßgebung und Rechtsgelehrsamkeit". Sie lenkten die Aufmerksamkeit des damaligen schlesischen Justizministers v. C a r m e r auf Klein. Als 1779 v. Carmer von Friedrich dem Großen zum Großkanzler berufen und 1780 mit der Ausarbeitung eines a l l g e m e i n e n G e s e t z b u c h e s f ü r d i e p r e u ß i s c h e n S t a a t e n beauftragt wurde, wählte er neben S v a r e z auch K l e i n zu seinem Mitarbeiter. Klein's Arbeit am Geseßentwurf erstreckte sich vor allem auf das Strafrecht und das Eherecht. Er besorgte diese Arbeit zunächst als Assistenzrat von Breslau aus, siedelte dann aber nach Berlin über, wo er 1786 zum Kammergerichtsrat ernannt wurde. Gern folgte Klein 1791 dem an ihn ergangenen Ruf als Professor der Rechte nach Halle, wo er eine lebhafte Lehr- und Spruchtätigkeit namentlich auf dem G e biete des Strafrechts entfaltete. 1800 kehrte Klein als Oberlribunalsrat nach Berlin zurück und starb zu Berlin im Jahre 1810. Aus seiner umfangreichen literarischen Tätigkeit seien nur die wichtigsten Werke genannt. 1796 erschienen in der Form eines Lehrbuches des Strafrechts die „Grundsäße des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts". Eine philosophische Zusammenfassung der einzelnen Rechtszweige lieferte Klein in den „Grundsäßen der natürlichen Rechtswissenschaft nebst einer Geschichte derselben" vom Jahre 1797. Der ausführlichen Behandlung verschiedener Strafrechtsprobleme diente das von K l e i n und dem Würzburger Professor K l e i n s c h r o d im Jahre 1799 begründete und von ihnen gemeinsam bis 1809 herausgegebene „Archiv des Criminalrechts". Abhandlungen verschiedenster Art, sowie Mitteilungen über die neueste Rechtsprechung und Geseßgebung enthalten die „Annalen der Geseßgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den preußischen Staaten", von Klein bereits im Jahre 1788 begonnen und bis zu seinem Tode fortgeseßt. Einen Einblick in die praktischkriminalistische Tätigkeit Klein's gewähren die von ihm seit 1796 herausgegebenen „Merkwürdige Rechtssprüche der Hallischen Juristen-Facultät". ') Vgl. hierzu vor allem Klein, Selbstbiographie, und v. Liszt. „E. F. Klein und die unbestimmte Verurteilung" in „Strafrechtliche Aufsätze und Vorträge". II. Bd. S., 133 ff.

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Die vorliegende Arbeit bringt keine erschöpfende Behandlung der von Klein literarisch bearbeiteten Rechtsmaterien, sondern b e schränkt sich auf das Wesentliche seiner Auffassung von der S t r a f e und den sichernden Maßnahmen. Dabei ist versucht worden, die siaatspolitischen und rechtsphilosophischen Grundlagen, auf denen die Anschauungen Klein's beruhen, aufzuzeigen. Eine Aufgabe, die b e s o n d e r s reizvoll war, da die Auffassung Klein's g e kennzeichnet ist durch die Zeit des Ü b e r g a n g e s vom aufgeklärten, absoluten Polizeistaat Friedrichs des Groden zum liberalen „Rechtss t a a t " des 19. Jahrhunderts.

Erster

Abschnitt.

Klein's Auffassung von der Strafe. I. Ober die Natur und den Zweck der Strafe. D a s strafrechtsphilosophische Denken Klein's war beherrscht von dem Naturrecht und der Aufklärung. 1. Die Strafrechtswissenschaft d e s Mittelalters erhielt ihr Fundament durch die Theologie. Die Bibel wurde als lex divina positive und damit als unmittelbare Rechtsquelle befrachtet 1 ). D a s V e r brechen war nicht in erster Linie Schädigung der Gemeinschaft, sondern Sünde g e g e n Gott. Der S t a a t strafte, als Vertreter Gottes auf Erden, die Einzelhandlung, wenn sie Sünde war, ohne zu fragen, ob sie ihn schädigte, um Gottes willen und an Gottes Statt 2 ). S o hei|t e s noch in der P G O . von 1748 für Kurhessen (Tit. IV § 1), daß gestraft wurde, damit „Gottes Zorn und S t r a f e von Land und Leuten abgewendet und nicht Blutschuld auf d a s Land g e bracht werde" 3 ). Hinsichtlich der S t r a f z w e c k e war d a s mosaische Vergeltungs(Talions-)prinzip m a l g e b e n d : Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut. Gleiches soll mit Gleichem bezahlt werden. Soll die S t r a f e gerechte Vergeltung für ein b e g a n g e n e s Verbrechen sein, s o mu| sie ein dem Verbrechen a d ä q u a t e s Übel enthalten. Die Tat soll dem T ä t e r durch d a s s e l b e qualitative und quantitative Übel vergolten werden, das er dem anderen zufügte. (Materielle Wiedervergeltung, Talion) „oder doch durch ein Obel, welches der von ihm zugefügten Verlegung, sey e s äußerlich oder innerlich, ähnlich sey (analoge, im Geiste des Verbrechens g e l e g e n e Strafen)" 4 ). S o forErste Abt., S. X .

derfe der V e r g e l t u n g s g e d a n k e eine unbedingte Proportion zwischen Verbrechen und S t r a f e . Für Untersuchungen über die Notwendigkeit und Zweckmä|igkeit der S t r a f e zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung war im Rahmen dieser reinen Vergeltungstheorie kein Raum. 2. Die von den Naturwissenschaften ausgehende, über die Philosophie auch in die Strafrechtswissenschaft eindringende Aufklä') v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, S. 232 IV. 2 ) Brauneck, Pestalozzis Stellung zu den Strafrechtsproblemen, S. 2. ') Fischl, Der Einfluß der Aufklärung,sphilosophie, S. 8. 4 ) Hepp. Darstellung und Beurteilung der Deutschen Strafrechtsgyatenie, Erste Abt. S. X.

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Die vorliegende Arbeit bringt keine erschöpfende Behandlung der von Klein literarisch bearbeiteten Rechtsmaterien, sondern b e schränkt sich auf das Wesentliche seiner Auffassung von der S t r a f e und den sichernden Maßnahmen. Dabei ist versucht worden, die siaatspolitischen und rechtsphilosophischen Grundlagen, auf denen die Anschauungen Klein's beruhen, aufzuzeigen. Eine Aufgabe, die b e s o n d e r s reizvoll war, da die Auffassung Klein's g e kennzeichnet ist durch die Zeit des Ü b e r g a n g e s vom aufgeklärten, absoluten Polizeistaat Friedrichs des Groden zum liberalen „Rechtss t a a t " des 19. Jahrhunderts.

Erster

Abschnitt.

Klein's Auffassung von der Strafe. I. Ober die Natur und den Zweck der Strafe. D a s strafrechtsphilosophische Denken Klein's war beherrscht von dem Naturrecht und der Aufklärung. 1. Die Strafrechtswissenschaft d e s Mittelalters erhielt ihr Fundament durch die Theologie. Die Bibel wurde als lex divina positive und damit als unmittelbare Rechtsquelle befrachtet 1 ). D a s V e r brechen war nicht in erster Linie Schädigung der Gemeinschaft, sondern Sünde g e g e n Gott. Der S t a a t strafte, als Vertreter Gottes auf Erden, die Einzelhandlung, wenn sie Sünde war, ohne zu fragen, ob sie ihn schädigte, um Gottes willen und an Gottes Statt 2 ). S o hei|t e s noch in der P G O . von 1748 für Kurhessen (Tit. IV § 1), daß gestraft wurde, damit „Gottes Zorn und S t r a f e von Land und Leuten abgewendet und nicht Blutschuld auf d a s Land g e bracht werde" 3 ). Hinsichtlich der S t r a f z w e c k e war d a s mosaische Vergeltungs(Talions-)prinzip m a l g e b e n d : Auge um Auge, Zahn um Zahn, Blut um Blut. Gleiches soll mit Gleichem bezahlt werden. Soll die S t r a f e gerechte Vergeltung für ein b e g a n g e n e s Verbrechen sein, s o mu| sie ein dem Verbrechen a d ä q u a t e s Übel enthalten. Die Tat soll dem T ä t e r durch d a s s e l b e qualitative und quantitative Übel vergolten werden, das er dem anderen zufügte. (Materielle Wiedervergeltung, Talion) „oder doch durch ein Obel, welches der von ihm zugefügten Verlegung, sey e s äußerlich oder innerlich, ähnlich sey (analoge, im Geiste des Verbrechens g e l e g e n e Strafen)" 4 ). S o forErste Abt., S. X .

derfe der V e r g e l t u n g s g e d a n k e eine unbedingte Proportion zwischen Verbrechen und S t r a f e . Für Untersuchungen über die Notwendigkeit und Zweckmä|igkeit der S t r a f e zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung war im Rahmen dieser reinen Vergeltungstheorie kein Raum. 2. Die von den Naturwissenschaften ausgehende, über die Philosophie auch in die Strafrechtswissenschaft eindringende Aufklä') v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, S. 232 IV. 2 ) Brauneck, Pestalozzis Stellung zu den Strafrechtsproblemen, S. 2. ') Fischl, Der Einfluß der Aufklärung,sphilosophie, S. 8. 4 ) Hepp. Darstellung und Beurteilung der Deutschen Strafrechtsgyatenie, Erste Abt. S. X.

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rungsbewegung führte zu einer gewaltigen Umwälzung in den b e stehenden mittelalterlich-theologischen Anschauungen vom S t r a f recht. Vor allem suchte man dem staatlichen Strafrecht an die Stelle der theologischen eine weltliche Rechtsgrundlage zu geben. Man fand sie in der Lehre vom Staatsvertrage. Nach dieser Lehre ist der Staat aus einem Naturzustand der Menschen hervorgegangen, in dem der Einzelne nur seinen natürlichen Anlagen und Neigungen gefolgt ist, ohne durch Gesefee in seiner Freiheit eingeschränkt zu sein. Jeder nahm sich, was er zur Befriedigung seiner Bedürfnisse brauchte und w a s er mittels seiner Kräfte erlangen konnte. Für den Naturmenschen existiert nur der gegenwärtige Augenblick. „Er denkt weder zurück, noch voraus. Er hat weder Rachsucht, noch Ehrgeiz, weder Familie noch Verwandtschaft, noch irgendeine Art von dauernder Verbindung. Seine Selbstvertheidigung und Selbstrache befafjt also nichts, als seine gegenwärtige Sicherheit, seine gegenwärtige Erhaltung, mithin Gegenwehr gegen den, der ihn angreift, und Angriff gegen den, mit dem er beym Futtersuchen, beym Begatten usw. collidirt" 5 ). Um der allgemeinen Rechtssicherheit willen gaben die Menschen ihre natürliche Freiheit auf und unterstellten sich der Gewalt des Staates. — Soweit man nun auch genötigt war, die Unhaltbarkeit der Lehre vom Staatsvertrag vom historischen Standpunkt aus zuzugeben, so meinte man dennoch einen Staatsvertrag rechtlich fingieren zu müssen, denn nur auf Grund eines S t a a t s v e r f r a g e s glaubte man, die Rechte und Pflichten der Bürger gegeneinander und gegenüber dem Staate abgrenzen zu können 6 ]. Dem Vertragsdenken jener Zeit entsprach es, neben dem allgemeinen Staatsvertrage noch einen besonderen „Strafvertrag" anzunehmen, durch den die Menschen ihre bereits im Naturzustande bestehenden Strafbefugnisse auf den Staat übertragen haben 7 ). 3. Die Staatsvertragslehre gibt auch dem Strafrecht ein neues, weltliches Gesicht. Zweck der S t r a f e ist nicht mehr Wiedervergeltung an Gottes Statt, sondern Sicherung der Gesellschaft. Denn nur um d e s Wohles der Gesellschaft willen haben die Menschen ihre Freiheit geopfert und sich der Staatsgewalt unterstellt. B e straft werden darf daher nur eine Handlung, die das Wohl der G e sellschaft berührt, die Sünde gegen Gott, die nicht zugleich eine Schädigung der Gemeinschaft enthält, geht den Staat nichts an. Selbst wenn man an einen in einer höheren sittlichen Weltordnung begründeten Ausgleich von Verdienst und Schicksal glaubt, so ist doch der Staat, da eine menschliche und daher stets unvollkommene Einrichtung, zu einer moralischen Wiedervergeltung nicht legitimiert. Denn d a s Recht zu strafen in diesem Sinne steht „keinem Menschen wider den anderen, dem Staate nicht wider seine Glieder, sondern nur Gott wider seine Geschöpfe zu" 8 ). Mag nun auch bei 5

) Vezin im Archiv d. Criminalrechts. Bd.. III, 3 Stück, S. 60 u. 61, Anm. h). ') Vezin, a.a.O., S. 59; Hepp, 2. Abt., S. 27. ') Hepp, a.a.O., S. 25; Klein, Fragmente eines peinlichen Gesetz-Buchs nebst einer Anleitung dazu in „Vermischte Abhandlungen über Gegenstände der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit". Bd I. 2. Stück. S. 38. 8 ) Veain. a.a.O., S. 60. Anm. G).

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Menschen das Vergeltungsbedürfnis als Naturtrieb bestehen, so beweist doch die Existenz dieses Triebes noch nicht seinen ethischen Wert 9 ). Die Ablehnung des Vergeltungsprinzips insbesondere aus sozial-ethischen Gründen findet sich auch bei Klein: „Freilich kann das B ö s e o f t nicht anders als durch B ö s e s abgewehret w e r den. Das lehret uns die Erfahrung, und dazu berechtigi uns unser Gefühl. A b e r eben dieses Gefühl belehret uns ja auch, dafe es nicht einerley sey, ob ich B ö s e s mit Bösem abwehre, oder erwiedre, und dafj es schon edel und des Menschen würdig sey, B ö s e s mit Gutem zu vergelten. Wenn nun das Gefühl Richter seyn soll: Welchem Gefühl sollen wir dann lieber f o l g e n ? dem rohen und unedlerem? O d e r dem feinern und edlerem!?" 1 0 ). A u f g a b e d e s Strafrechts ist in erster Linie, künftige Verbrechen zu verhüten. Dabei ist ein solches „Präventionsstrafrecht" durchaus nicht das einzige Mittel zur Verhinderung von Rechtsverlebungen. Der Staat ist vielmehr zur Erreichung der allgemeinen Wohlfahrt berechtigt, j e d e ihm notwendig oder zweckmä&ig erscheinende Maßnahme zu ergreifen. Denn der GeseHschaftsvertrag wurde im absoluten Polizeistaat dahin ausgelegt, daß der einzelne seine Freiheit völlig a u f g e g e b e n und sich zu allem verpflichtet habe, was zur Förderung der allgemeinen Sicherheit notwendig sei. So g e langte diese Auffassung zur Omnipotenz des Staates 1 1 ). Eine Staatsauffassung, an der auch Klein niemals zu z w e i f e l n wagte: „ S o u n g e z w e i f e l t gewiis ist e s doch an sich, d a f j der Staat allerdings das Recht habe, in Absicht aller Arten von Wohlfahrt des gemeinen W e s e n s schickliche Verfügungen zu treffen 1 2 )." S o forderte man zur Verhinderung künftiger Verbrechen außer der Strafe vor allem eine wirksame Sozialpolitik und S o z i a l p ä d a g o g i k . Und so huldigt auch Klein der Ansicht, daß die Sicherheit und Wohlfahrt d e s gemeinen W e s e n s auf keine W e i s e besser erhalten w e r den könne, „als wenn man alle Mitglieder des Staats zu weisen, gütigen, edlen und für das Beste ihrer Nebenmenschen eifrig arbeitenden Bürgern machen könnte" 13 ). In der Ablehnung der moralischen Vergeltungstheorie in theologischem G e w ä n d e und in der Annahme eines weltlich fundierten Präventionsstrafrechts 1 4 ), als eines Teiles einer umfassenden, staatlichen Verbrechensprophylaxe, lernen wir Klein als einen Anhänger der zu jener Zeit weit verbreiteten populär-philosophischen Anschauungen kennen, ohne daß Klein seinerseits diesen Anschauungen nennenswerte neue Gesichtspunkte hinzuzufügen hat. Im Gegensafe zum Vergelfungsprinzip, d a s nur die in der Vergangenheit liegende Einzeltat im A u g e hat, ist der Präventionsgedanke notwendig an der Zukunft orientiert. Bei der F r a g e , w a s hat zu g e schehen, um für die Zukunft Wiederholungen von Verbrechen zu ver*) Droat, Das Ermessen des Strafrichters, S. 195. , 0 ) Fragmente. a.a.O., S. 30. " ) Drost, a.a.O., S. 103, 104. 12) Fragmente, a.a.O., S. 34. " ) Fragmente, a.a.O., S. 34. 14 ) V g l . Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts, §§ 9, 10.

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hüten, spaltet sich der Präventionsgedanke in die Spezialprävention und in die Generalpräventiion, je nachdem, ob die Frage lautet, was hat zu geschehen, damit g e r a d e dieser Mensch nicht wieder strafbar wird, oder wie mufe die S t r a f e ausgestaltet sein, um andere Menschen, die Allgemeinheit, von der Begehung derartiger Verbrechen abzuhalten? Bei der Beantwortung dieser, zu der Lehre von den Strafzwecken gehörenden Fragen begegnet uns Klein mit einer eigenen Strafrechtstheorie, die man als eine Abschreckungstheorie bezeichnen kann. Dieser Theorie wollen wir uns nunmehr zuwenden. 4. Nach Klein gibt es zwei Arien von Strafen: die „Strafe zur Genugthuung" und die „Executionsstrafe" 1 5 ). Um den Unterschied der beiden Strafen verstehen zu können, mufe man sich zuerst über die verschiedenen Arten von strafbaren Handlungen im klaren sein. Unter dem Einfluß naturrechtlicher Gedankengänge unterscheidet Klein: natürlich s t r a f b a r e Handlungen (delicta juris naturalis) und positiv strafbare Handlungen (delicta juris civilis). Natürlich strafbare Handlungen sind „Handlungen und Unterlassungen, welche, auch ohne positive Gesefee, eine Beleidigung der Gesellschaft überhaupt, oder ihrer Mitglieder insbesondere, in sich schliefen 16 ). Diese Handlungen sind a n sich strafbar, da sie gegen natürliche, ungeschriebene Strafgesefee verstoßen. Um den natürlichen Gesefeen eine größere Bestimmtheit zu geben, kann der Staat sie in die Form des positiven Gesefees kleiden. Doch wird dadurch d a s Gesefe nur seiner Form nach positiv, während es seinem Wesen nach ein natürliches Gesefe bleibt 17 ). Diese nur äußerlich positiven Gesefee enthalten lediglich eine „nähere Auslegung und Anwendung" der natürlichen Gesefee 18 ). Die natürlichen Gesefee, auch wenn sie infolge eines „zufälligen Umstandes" eine gesefeliche Regelung e r fahren, werden nicht erst mit d e r öffentlichen Bekanntmachung wirksam, sondern gelten ohne weiteres 19 ). Da die natürlichen Strafgesefee überhaupt nicht vom S t a a t e geregelt zu werden braudien, kann auch für sie nicht der Safe: nulla poena sine lege gelten 20 ). Den Gegensafe zu den natürlich strafbaren Handlungen bilden die ipositiv strafbaren Handlungen Die positiv strafbaren Handlungen sind Handlungen, die ohne gesefeliches Verbot erlaubt oder zumindest straflos sein würden 21 )! Sie werden strafbar dadurch, d a | der Staat sie nach Mafegabe des Gesellschaftsvertrages durch ausdrückliche positive Gesefee verbietet 22 ). Da sich ") Über die Natur und den Zweck der Strafe, im Archiv des Criminalrechts. Bd. II, 1. Stück, S. 82. ") Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts, § 16. ") Annalen, Bd. 6, S. 95. I8 ) Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, S. 259. § 501. ") Annalen, a.a.O., S. 95. 20 ) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 1. Stück, S. 99; Hepp 2, 1. S. 137. Jl ) Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts, § 17. !2 ) Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, S. 259. § 501. 5 *) Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts, § 17.

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die Strafbarkeit der positiv s t r a f b a r e n Handlungen nicht von selbst aus der Natur der Dinge ergibt, müssen die positiven Strafgesefee bekanntgemacht werden 23 ) und erst durch die Bekanntmachung erhalten sie Verpflichtungskraft 24 ). Für die positiv strafbaren Handlungen gilt der Safe: nulla p o e n a sine lege 26 ). Es braucht hier nicht näher ausgeführt zu werden, d a ß die von Klein gemachte Unterscheidung zwischen natürlich strafbaren Handlungen und positiv strafbaren Handlungen, natürlichen Strafgesefeen und positiven Strafgesefeen bereits lange überwunden ist. Klein steckf hier noch tief in naturrechtlichen Anschauungen. Er selbst gesteht in der Vorrede zu den Grundsäfeen der natürlichen Rechtswissenschaft, dafe er die schon vor zehn Jahren angenommenen Grundsäfee d e s Naturrechts beibehalten und sich nicht „nach der herrschenden Mode" gerichtet habe. Doch ein richtiger Gedanke hatte Klein bei seiner Unterscheidung vorgeschwebt. Klein erkannte, dafe es Handlungen gibt, die nicht an sich (absolut), sondern nur unter den jeweiligen Verhältnissen dieses oder jenes Staates, also nur relativ strafbar sind 26 ). Bereits Montesquieu hatte d a s Recht als ein beständiger Entwicklung unterworfenes Geistesund Kulturgebilde betrachtet 27 ). Der Grundsafe der Relativität des Rechts trifft in ganz besonderem Mafee auf das Strafrecht zu. Das Strafrecht eines S t a a t e s kann geradezu als Spiegelbild des Volkscharakters, der politischen, sozialen und kulturellen Anschauungen des Volkes angesehen werden. Auch sind die Anschauungen eines Volkes und daher auch die auf ihnen beruhenden Strafgesefee keineswegs zu allen Zeiten die gleichen. Ein Blick in die Geschichte zeigt die Veränderlichkeit des Strafrechts. Man braucht dabei nur an die verschiedene Bestrafung der Religions- und Sittlichkeitsdelikte zu denken. Die Relativität der Strafgesefee hätte jedoch Klein nicht verleiten dürfen, den Grund für die Strafwürdigkeit der „positiv strafbaren Handlungen in der positiven staatlichen Strafgesefegebung zu suchen. Den Grund für die Sfrafwürdigkeif der „ipositiv strafbaren Handlungen" besteht vielmehr in ihrer Gemeinschädlichkeif, über deren Vorhandensein die jeweilige Volksanschauung, als ursprüngliche Rechtsquelle, entscheidet. Die staatliche Gesefegebung, als abgeleitete Rechtsquelle, verleiht den nach der Volksanschauung ohnehin strafwürdigen Handlungen lediglich eine b e s o n d e r e Sanktion. Bei einer solchen Befrachtungsweise w ä r e freilich der Gegensafe zwischen „natürlich strafbaren Handlungen" und „positiv strafbaren Handlungen" verschwunden. Zugleich wären dem staatlichen Gesefegeber bei der Erweiterung des Strafgebiets gewisse Grenzen gesefet. Der Gesefegeber könnte nicht mehr jede beliebige Handlung unter S t r a f e stellen, sondern wäre an die allgemeine Volksanschauung, mit der er sich nicht in Widerspruch sefeen darf, gebunden 28 ). 24

) Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, S. 261, § 508. ) Archiv des Oimiina] rechts, Bd. II, 1. St., S. 99; Hepp, a.a.O., S. 137. ) Hepp, a..a.O., S. 138. 2 ') Willenbücher, Die strafrechtsphilosophischen Anschauungen Friedrichs des Großen, S. 15. 2S ) Vgl. hierzu im ganzen Hepp, a.a.O., S. 137/38. 25 26

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Der Verschiedenartigkeit der unerlaubten Handlungen entspricht nach Klein eine Verschiedenartigkeit der Strafen. Die natürlich strafbaren Handlungen werden durch die „Strafe zur Genugt u u n g " geahndet. Den Rechtsgrund für die Genugtuungssirafe findet Klein in dem allgemeinen Grundsaß, daß jeder, der einen Schaden stiftet, zum Ersaß des Schadens verpflichtet ist. Unter Genugtuung versteht Klein daher alles das, was der Rechtsbrecher tun, unterlassen oder dulden muß, „damit der vorige Zustand soviel als möglich ist, wiederhergestellt werde" 20 ). Ist die völlige Wiederherstellung des vorigen Zusiandes nicht möglich, so hat der Rechtsbrecher Schadensersaß zu leisten. Die Schadensersaßpflicht umfaßt den eingetretenen Schaden (damnum emergens) und den entgangenen Gewinn (lucrum cessans) 3 0 ). Der „Beleidiger" hat den g e samten, durch die unerlaubte Handlung entstehenden Schaden zu ersehen, also nicht nur den materiellen, sondern auch den ideellen. Ein Teil des ideellen, wie Klein sagt, „mittelbaren" Schadens besteht nun darin, daß die „Beleidigung", mag sie gelingen oder ohne nachteilige Folgen für den Beleidiger mißlingen, andere oder den „Beleidiger" selbst zur Wiederholung derartiger rechtswidriger Handlungen reizt 31 ). Denn die Menschen sind zur Nachahmung geneigt, und mancher tut aus Nachahmungslust etwas Böses, wozu er von Natur aus keine Neigung hat, „wenn z. B. ein kühner Spötter anfängt, irgendeinen Menschen zum Gegenstande seines Spottes zu machen, so fallen endlich auch die Blöden, welche gerne schweigen, wenn man sie nur in Ruhe läßt, über denjenigen her, welcher sich geduldig von jenem hat ausspotten lassen®2). Es könne daher an dem allgemeinen Erfahrungsgrundsafe gar nicht gezweifelt werden, „daß eine Beleidigung, je öfter sie ungeahndet bleibt, auch um so leichterer und ausführbarer in den Augen der übrigen erscheine" 33 ). Aber wie soll der Schaden, der in dem bei andern oder bei dem „Beleidiger" selbst entstandenem Reiz zur Begehung der gleichen oder ähnlicher Handlungen besteht, erseßt werden? Die einmal geschehene „Beleidigung" kann nicht ungeschehen gemacht werden! Es muß daher irgendein Mittel ersonnen werden, das diesen Teil der bösen Folgen der „Beleidigung" wieder aufhebt. „Dies wird nun oft nicht anders bewerkstelliget werden können, als durch Zufügung eines tlbels, welches als Folge der Beleidigung betrachtet, diese in einem Licht zeigt, welches dieselbe Person, oder auch andere von ähnlichen Handlungen abhalten kann" 34 ). " ) Annalen, Bd. 6, S. 96.

Also der aus der Verübung von Verbrechen oder genauer aus der Ungestraftheit der Verbrechen entspringende Reiz fiir andere oder für den Täter selbst zur Begehung ähnlicher oder anderer Verbrechen soll durch die Strafe aufgehoben werden, mithin die Strafe ! i ) Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts, § 4. " ) A.a.O., § 4, Satz 3. "') A.a.O. § 7 im Archiv des Criminalrechts, Bd. II. 1 Stück, S. 87; Annalen Bd. 6, S. 95/96. " ) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 1. Stück, S. 93. 94. " ) A.a.O., S. 94.

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a b s c h r e c k e n d auf andere und den Täter selbst wirken35). Die Herleitung der „Strafe zur Genugthuung" a u s der Idee der Schadensersafepflicht legt es nahe, Klein zu den Vertretern der Vergütung- oder Ersafetheonien zu zählen 36 ). Doch d a g e g e n ist einzuwenden, dafe Klein das Hauptgewicht der Genugtuungsstrafe auf die Abschreckung legt. Es kommt Klein bei seiner Genugtuungsstrafe nicht darauf an, einen in der Vergangenheit liegenden ideellen Schaden zu ersefeen, sondern vielmehr für die Zukunft weiteren unerlaubten Handlungen d e s Verbrechers selbst und anderer vorzubeugen. Indem Klein der Genugtuungsstrafe diesen, auf die Zukunft gerichteten Zweck der Verbrechensverhinderung beilegt, mündet seine Deduktion über die „Strafe zur Genugthuung" unmittelbar in die Präventionstheorie ein. Dies gesteht Klein auch selbst in seinem Aufsafe „über die Natur und den Zweck der Strafe", in dem e s am Ende heifjt: „Strafen sowohl als Sicherheits-Mittel 37 ) sind Folgen des Präventionsrechtes" 3 8 ). Auch in seinen Grundsätzen des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rechts 39 ) sagt Klein ausdrücklich: „Es ist aber wichtig zu bestimmen, dafe kein Strafrecht anders, als in der Eigenschaft eines Präventionsrechtes zulässig sey". Wie nach Klein die „Strafe zur Genugthuung" eine Folge der natürlich strafbaren Handlungen ist, so dient die sogen. „Exekutionsstrafe" der Ahndung ipositiv s t r a f b a r e r Handlungen. Das Recht, über einen Verbrecher die „Exekutionsstrafe" zu verhängen, ergibt sich aus ihrer vorhergehenden Androhung 40 ). Das Recht zur Androhung von Strafen folgt a u s dem Selbstverteidigungsrecht der bürgerlichen Gesellschaft. Da die blofee Drohung fruchtlos sein würde, so muß es der durch die unerlaubte Handlung in ihren Rechten als verlefet anzusehenden bürgerlichen Gesellschaft erlaubt sein, die Drohung „an dem dadurch nicht abgeschreckten Beleidiger wirklich zu vollziehen" 41 ). Derartige Drohungen stellen nun keine Besonderheit der bürgerlichen Gesellschaft dar, vielmehr bediente man sich solcher Drohungen schon vor der bürgerlichen Gesellschaft (im Naturzustände) als Verteidigungsmittel. So machte „der, dessen Eigenthum von den Nachbaren beunruhiget wurde, . . . ihnen im voraus bekannt, welche Rache er an dem ausüben würde, welcher ihn ferner in der Ausübung seiner Rechte stören oder beunruhigen würde" 42 ). Freilich richteten sich die Drohungen im Naturzustände in der Regel nur gegen bestimmte Einzelpersonen, „obgleich auch zuweilen allgemeine Drohungen nüfelich waren, wenn nemlich ein gemeinschaftlicher Gottesdienst oder ein gemeinschaftliches Vergnügen mehrere Personen vereinigte"13). 85 ) Hepp, a.a.O., S. 123. ") So Berner Lehrbuch, S. 12, § 14, Anm. 2; Birkmeyer in seiner „Enzyklopädie der Rechtswissenschaft", Das Straf recht, § 1. *7) Von diesen wird im zweiten Abschnitt die Rede sein. ") Archiv des Criminalrechts, Bd. II. 1. Stück, S. 112; vgl. auch Hepp, a.a.O., S. 125. ") Grundsätze, § 9. 40 ) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 1. Stück, S. 82. ") Grundsätze d. gemeinen deutsch, u. preußisch, peinlichen Rechts, § 8. ") Archiv des Criminalrechts, a.a.O., S. 82/83.

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Zu ihrer vollen Entfaltung konnten die „Androhungsstrafen" aber erst in der bürgerlichen Gesellschaft gelangen. Der Staat bedient sich der Exekutionsstrafe als eines Mittels zur Förderung aller Arten von Staatszwecken 4 4 ). Nach Klein besteht also auch bei der sogenannten „Exekutionsstrafe" der Hauptzweck in der A b s c h r e c k u n g . Die von Klein streng durchgeführte Unterscheidung von „Strafe zur Genugthuung" und „Exekutionsstrafe" ist demnach hinsichtlich der S t r a f / w e c k e überhaupt nicht so wesentlich, als es zunächst den Anschein hat. Denn beide Arten von Strafen laufen im Ergebnis auf d a s Abschreckungsprinzip hinaus. Ein Unterschied läßt sich nur insofern noch feststellen, als man die „Genugthuungsstrafe" als eine Abschreckungsstrafe durch Strafvollziehung (eine Androhung braucht ja hier überhaupt nicht stattzufinden), die „ExekuMonsstrafe" aber als eine Abschreckungsstrafe durch Androhung d e s Strafgeseises bezeichnen kann. Da bei der Exekutionsstrafe der Ton auf der vorhergehenden Androhung liegt, die Vollziehung jedoch nur deshalb geschieht, weil eine Drohung ohne Vollzug ihre Wirkung verliert, so ist der von Klein gewählte Ausdruck „Exekutionsstrafe" für diese Androhungsstrafe nicht gerade passend 4 5 ). 5. Audi der Forderung Klein's mach einem richtigen Verhältnis zwischen S t r a f e und Verbrechen liegt d a s Abschreckungsprinzip zugrunde. Klein geht bei der Frage der Proportionalität zwischen Strafe und Verbrechen von dem Zweck der Bestrafung der Verbrecher aus, der ja darin bestehe, „ein Uebel ausfindig zu machen, dessen Furcht vermuthlich stark genug wirken wird, um denjenigen, der Lust zu dergleichen Verbrechen hat, diese Lust zu nehmen" 46 ). Eine „schickliche S t r a f e mufj daher ein solches Uebel darstellen, dessen Furcht wahrscheinlicherweise stark genug wirken wird, um die zum Verbrechen einladenden Leidenschaften und BewegungsGründe zu unterdrücken. Hieraus folgt zugleich, wie g r o | die Strafe seyn dürfe, nemlich sie darf eben so grog seyn, dag sie fähig ist, die e n t g e g e n g e s e h e n Bewegungs-Gründe und Leidenschaften zu überwältigen" 47 ). Also lediglich der utilitaristische Abschreckungszweck gibt den Magstab für die Höhe der Strafen. Keinesfalls darf man hingegen in der Forderung Klein's nach einem richtigen Verhältnis zwischen S t r a f e und Verbrechen ein Zurückfallen in die von ihm als Strafzweck verworfene Vergeltungsidee sehen 48 ). Klein lehnt es ausdrücklich ab, bei der Höhe der S t r a f e zu fragen: „Welch •bei verdiente der Verbrecher?" Vielmehr lautet nach Klein die Fragestellung: „Welch Übel wird, wenn es über den Verbrecher verhängt wird, hinlänglich seyn, ihn und andere künftig von ähnlichen Verbrechen abzuhalten?" 4 9 ). Proportionalität zwischen Strafe ") A.a.O., S. 83. ") A.a.O., S. 83. «) Hepp. a.a.O.. S. 109. *•) Fragmente. a.a.O., S. 35. ") A.a.O.. S. 35. 4 ") Vgl. Grundsätze des gemeinen deutschen lichen Hechts, § 10; Fragmente a.a.O. S. 53, 54. 4J ' ) Fragmente a.a.O., S. 53.

und

preußischen

pein-

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und V e r b r e c h e n b e d e u t e t e demnach für Klein nichts anderes, als d a l j die S t r a f e nach A r t und Ma& ihrem Verhütungszweck entsprechend gestaltet w e r d e n müsse, und f e r n e r , d a j j sie nicht härter sein dürfe als ihr Z w e c k erfordert 5 0 ). D i e s e Forderung richtete sich v o r allem g e g e n die herrschenden grausamen S t r a f e n , diie oft in g a r keinem V e r h ä l t n i s s e zu den V e r b r e c h e n standen 51 ). Die Notw e n d i g k e i t einer A b s t u f u n g und D i f f e r e n z i e r u n g der verschiedenen S t r a f e n ergibt sich nach Klein auch aus f o l g e n d e m , rein rationalistischem Grunde kriminalpolitischer Art. W e r d e n nämlich ungleich s c h w e r e V e r b r e c h e n mit der gleichen S t r a f e bedroht, s o wird dadurch der V e r b r e c h e r zur B e g e h u n g der s c h w e r e r e n Tat verleitet, namentlich dann, w e n n lefetere ihm g r ö ß e r e V o r t e i l e in Aussicht stellt. „ S t r a f e n müssen s t u f e n w e i s e steigen, damit d e r j e n i g e Bösewicht, w e l c h e r sich schon entschlossen hatte, eine w e n i g e r nachtheilige Missethat vorzunehmen, durch die auf das grö&re Verbrechen gesefete härtere S t r a f e a b g e h a l t e n w e r d e , zu seiner Sicherheit d a s g r ö l j r e V e r b r e c h e n auszuüben 5 2 ). D e r s e l b e G e d a n k e findet sich bereits in d e m berühmten Beispiel bei Montesquieu und Volt a i r e : „ D e n R ä u b e r mit d e r s e l b e n S t r a f e w i e den Raubmörder zu b e s t r a f e n , h i e f j e ihn darauf hinweisen zu morden, um die Zeugen s e i n e s V e r b r e c h e n s aus d e r W e l t zu schaffen 5 3 )." 6. Auch bei der Stellungnahme Klein's zu den verschiedensten E i n z e l f r a g e n d e s Strafrechts ist d a s Abschreckungsprinzip stets bestimmend. A l s Beispiel hierfür soll diie Ansicht Klein's zu zwei v o n den A u f k l ä r e r n b e s o n d e r s l e b h a f t diskutierten Problemen, nämlich das der T o d e s s t r a f e und d a s d e s Begnadigungsrechtes, gebracht w e r d e n . Unter den A u f k l ä r e r n sind e s v o r allem Beccaria, S o n n e n f e l s und V o l t a i r e , die für die v ö l l i g e B e s e i t i g u n g der Todess t r a f e eintraten. Dabei spielten Nüfelichkeitserwägungen eine ents c h e i d e n d e R o l l e . „ D e r Hingerichtete bringt keinen Nufeen mehr, z w e c k m ä ß i g e r ist es, die V e r b r e c h e r z e i t l e b e n s für den Staat öffentliche A r b e i t e n verrichten zu lassen" 5 1 ) 5 5 ). D a g e g e n ist Klein nur für eine wesentliche Einschränkung der T o d e s s t r a f e n , s o w e i t der Abschreckungszweck auch durch mildere Strafarten erreicht wird59). Einen gänzlichen Verzicht auf die T o d e s s t r a f e glaubt Klein nicht leisten zu können, weil „ d i e A n d r o h u n g der T o d e s s t r a f e o f t dadurch n o t h w e n d i g wiird, dag kein a n d e r s U e b e l ausfindig zu machen ist, v o n d e m man glauben könnte, d a l j e s fürchterlich g e n u g in den A u g e n d e r j e n i g e n w ä r e , w e l c h e zur B e g e h u n g ähnlicher Verbrechen g e r e i z t zu w e r d e n pflegen 5 7 ). A l s o Klein glaubt an d e r Todesstrafe festhalten zu müssen, w e i l e s V e r b r e c h e r g e b e , die nur die Furcht so )

v. Liszt, E. F. Klein und d'ie unibestimmte Verurteilung, S. 139. Willenbücher, Die st r a f rec h tsphilosoph i sehe n Anschauungen Friedrichs dea Großen, S. 19. " ) Fragmente, a.a.O., S. 39. 5S) Fischl, Der Einfluß der Auikläruingsphilosophie, S. 47. 54) Fischl, a.a.O., S. 46. " ) Unter dem Einfluß dieser Schriftsteller der Aufklärungszeit wurde die Todesstrafe in einigen Ländern (Österreich, Toskana) vorübergehend abgeschafft. Vgl. v. Lifizt-Schmidt, Lehrbuch § 58. I. " ) Fragmente, a.a.O., S. 40. " ) Archiv des Criminalrechts, Bd. IV, 4. Stück, S. 151. sl)

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vor der Todesstrafe von Verbrechen abhalten könne; zu dieser Gruppe von Verbrechern zählt Klein in erster Linie den „Meuchelmörder". „Die Meuchel-Mörder gehören iiberdieses noch unter diejenigen Menschen, gegen welche sich der Staat nicht leicht anders als durch den Tod sicher stellen kann"59). Wenn also der Staat sich und seine Mitbürger auf andere Weise nicht zu schüren vermag, muß es ihm gestaltet sein, zur Todesstrafe zu greifen59). Klein spricht sich demnach für die Beibehaltung der Todesstrafe, die allerdings auf ein Mindestmal zu beschränken sei, aus, weil er sich von der Todesstrafe eine besonders starke Abschreckungswirkung verspricht und weil sie ihm als das beste Sicherungsmittel des Staates gegen besonders gefährliche Verbrecher erscheint. Der Abschreckungsgedanke hat Klein auch bei seiner Stellungnahme im Streite um das Begnadigungsrecht vor Augen geschwebt. Während die Mehrzahl der Aufklärungsschriftsteller, an ihrer Spifee Beccaria, sich der Begnadigung gegenüber ablehnend verhielten, da sie dem Präventiionsprinzip widerspräche 60 ), ist Klein kein grundsätzlicher Gegner des Begnadigungsrechtes. Der Staat kann in manchen Fällen ein Interesse haben, von der wirklichen Vollziehung der Strafe abzusehen, namentlich dann, wenn der Täter sich besondere Verdienste um den Staat erworben hat und man ihm zur Belohnung einen Teil der Strafe oder auch die volle Strafe erlassen will. Auf naturrechflicher Grundlage sucht Klein dann das Begnadigungsrecht des Staates zu begründen. Die im Staate vereinigte Gesellschaft habe das gleiche Recht, wie es der einzelne außerhalb des Staates, d. h. im Naturzustande haben würde. Wie nun der einzelne, so sei auch die Gesellschaft berechtigt, Verbrechen zu verzeihen 61 ). Doch rät Klein, von der Begnadigung nur in den Fällen Gebrauch zu machen, „wo die Billigung des Publikums wahrscheinlich und der Grund der Begnadigung so beschaffen ist, dag der Verbrecher sich nicht mit der Hoffnung einer ähnlichen Begnadigung schmeicheln kann"62). Klein fürchtet demnach, dafj durch eine allzu weitgehende Anwendung des Begnadigungsrechtes die Abschreckungsfunktiion der Strafe beeinträchtigt werden könnte, denn der Täter würde bei Begehung des Verbrechens auf eine künftige Begnadigung hoffen können. Daher müsse das Begnadigungsrecht „mit Vorsicht angewendet werden, damit die Hoffnung der Straflosigkeit dem Staate nicht nachtheilig werde"63). 7. Wenn nun auch nach der Strafauffassung Klein's die Abschreckung der immer und immer wieder betonte Hauptzweck der Strafe ist, so bezeichnet er doch andererseits die Besserung des Täters als ein neben der Abschreckung zu verfolgendes Ziel der Strafe. Dabei begnügt sich Klein keineswegs mit einer bloß äußerlich „bürgerlichen" Besserung, sondern erstrebt nach Möglichkeit eine wirklich „moralische" Besserung. „Der Gesetzgeber muß die ") Fragmente, a.a.O., S. 41. ") Grundsätze der natürlichen Rechtswissencbaft, 00 ) Fischl, a.a.O., S. 249; Willembücher, a.a.O., S. •') Archiv des Criminalrechts, Bd. VI, 4. Stück, S. Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, al ) Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft, 5

S. 266, § 519. 61. 19. S. 269, § 520. S. 269, § 520.

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Strafe selbst so einrichten, dag sie nicht nur als Abschreckungsmittel dienen, sondern auch zur wirklichen moralischen Besserung des Verbrechers beytragen kann". Und „auch der Richter muß, wenn er zwischen mehreren Strafen die Wahl hat, diejenige vorziehen, welche zu diesem Zwecke am geschicktesten ist" 64 ). Klein forderte die sogen, „bessernden" Strafen, weil er in der moralischen Besserung des Volkes ein geeignetes Mittel sah, künftige Verbrechen zu verhüten 65 ). S o folgt nach Klein der Besserungszweck unmittelbar aus dem Präventionscharakter der S t r a f e . In Disziplinarsachen empfiehlt Klein sogar, die „ b e s s e r n d e " S t r a f e der „exemplarischen" vorzuziehen; allerdings zählte Klein mit Recht die Disziplinarstrafen nicht zu den eigentlichen Kniminalstrafen, die nach ihm stets exemplarischer Art sind 66 ). Schließlich soll der Verbrecher, der sich der Strafverfolgung entzogen hat, einen Anspruch auf Begnadigung haben, wenn „er seit mehreren Jahren überzeugende B e w e i s e einer gründlichen Besserung gegeben und den Schaden vollständig erseht hat" 6 7 ). Indem Klein als einer der ersten seiner Zeit den Besserungszweck der S t r a f e ausdrücklich anerkannte, hatte er den Anstoß zu der Entwicklung eines spezialpräventiv orientierten Strafrechts gegeben 6 '). Zu einer nichtigen Entfaltung gelangte die Spezialpräventionsidee bei Klein selbst erst im Zusammenhang mit der Lehre von den sichernden Maßnahmen. Doch von diesen wird noch im zweiten Abschnitt die Rede sein. II. Die strafrechtliche Zurechnung. 1. Das Problem der strafrechtlichen Zurechnung brachte Klein in einen unerbittlichen Streit mit Feuerbach 1 ). Feuerbach's Lehre von der strafrechtlichen Zurechnung stand unter dem beherrschenden Einfluß der von Kant durchgeführten scharfen Trennung von Legalität und Moralität. Kant leitet bekanntlich den Rediisbegriff nicht aus dem Sittengesefee im Sinne eines moralischen Pflichlenbegriffes ab, sondern findet den Grund des allgemeinen Rechtsbegriffes in der äußeren Freiheit des Menschen, die durch die praktische Vernunft um der Erfüllung des Sittengeseßes willen gefordert wird; diese äußere Freiheit soll dem Menschen die Befolgung der sittlichen Gebote erst ermöglichen 2 ). Denn sittlich handelt nur der, der nicht eines äußeren Grundes wegen eine Handlung ausführt, sondern nur der um der inneren Pflicht willen Handelnde 3 ). Da nun alle Menschen ) Archiv des CrimLnalrechts, Bd. I. 3. Stück. S. 43. •5) A.a.O., S. 43 und 44. " ) Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen peinlichen Rech's §§ 71. 72. "») A.a.O., § 176. 8 8 ) Fischl. a.a.O., S. 130, Anm. 4. ') Dieser zumachst rein literarische Streit artete bald ¡in gegenseitige, persönliche Angriffe aus, was der Sache selbst wenig dienlich war. Vgl. hierzu namentlich Archiv des Criminalrechts, Bd. III, 3. Stück, S. 137 ff, Anm. a. und Feuerbach, Revision, Teil II, Vorrede. S. VI ff. ') Hepp, a.a.O., 1. Abt., S. 74. *) Specht, Der Strafzweck bei Feuerbach und I.isizt und die strafrecht liehe Lage der Gegenwart, S. 6. 64

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der äußeren Freiheit a l s Vorausseßung für ihr sittliches Handeln teilhaftig sein sollen, kann die äußere Freiheit des einzelnen M e n schen keine unbegrenzte sein, sondern sie ist beschränkt durch den Freiheitsgebrauch der anderen Menschen. Wenn der S t a a t auch nicht durch irgendwelche Maßnahmen ein moralisches Handeln der Staatsbürger erzwingen kann, denn moralisch ist nur die das a u t o nome S i t t e n g e s e ß b e f o l g e n d e Handlung, so hat er doch a n d e r e r seits die wechselseitige äußere Freiheit aller zu gewährleisten. Der S t a a t hat daher d a s Recht und die Pflicht, für die „Legalität" der Handlungen seiner S t a a t s b ü r g e r zu sorgen, damit der für die Erreichung der Moralität notwendige Zustand äußerer Freiheit nicht in F r a g e gestellt wird 4 ). Daraus folgt, daß hier im G e g e n s a ß zu der Moral die Möglichkeit e i n e s äußeren Zwanges g e g e b e n ist 5 ). Der staatliche Zwang kommt a b e r nur gegenüber äußeren V e r legungen des Menschen, durch die er in die äußere Freiheit anderer Menschen eingreift, in Betracht, denn d a s R e c h t s g e s e ß bestimmt ja nur die ä u ß e r e Wirksamkeit des Menschen, die durch bloß innere Handlungen (unmoralische Gedanken oder Entschlüsse] anderer nicht verleßt wird 6 ). Daher kann das rechtlich Mögliche weiter gehen als d a s moralisch Zulässige. Alles in allem ergibt eine völlige Unabhängigkeit der R e c h t s g e s e ß e von den Sittengeseßen. 2. Kants scharfe Trennung von Legalität und Moraliität hat die stärkste Wirkung auf die strafrechtliche Zurechnungslehre F e u e r bach's ausgeübt. Mit Kant nimmt Feuerbach an, daß die Idee des Rechts, auf der der S t a a t beruht, darin besteht, „daß die Freiheit eines jeden mit der Freiheit aller bestehe, daß jeder die freye Ausübung seines Rechts h a b e und keiner die Rechte des andern b e einträchtige" 7 ). Zum G e b i e t e des Rechts gehört lediglich die B e urteilung nach diesem „äußeren G e s e ß e " . Alles andere hingegen liegt außerhalb der Grenzen einer rechtlichen Beurteilung. Insbesondere ist die moralische Vergeltung niemals A u f g a b e des Staates, da sie nicht der Idee des Rechts als der Übereinstimmung der Freiheit d e s Einzelnen mit der Freiheit aller entspringt, sondern die Forderung einer höheren sittlichen Weifordnung, als Harmonie zwischen Glückswürdigkeit und Glückseligkeit darstellt. Und es ergibt sich daher, „daß wo wir eine Beurtheilung nach dieser moralischen Idee vorausseßen, die Handlung, welche nach derselben beurtheilt wird, nur als eine Verleßung der inneren moralischen Geseße, nicht a b e r der äußeren R e c h t s g e s e ß e betrachtet werden kann, und mithin die That nicht als Rechtsverleßung, sondern als immoralische Handlung bestraft wird" 8 ). Und „das Gebiet der Moral und des Rechts sind b e i d e voneinander getrennt, beide haben ihre eigenthümlichen Principien und darum kann ein moralischer Grund weder eine rechtliche Möglichkeit, noch eine rechtliche Nothw endigkeit begründen, wie e s hier angenommen wird, wo aus der ) Specht, a.a.O., S. 7. ) Kant, Metaphysik der Sitten, S. 36, § D. ') Hepp, a.a.O.. S. 75. Revision, Bd. I, S. 26. e) Revision. Bd. I, S. 2 7 ; Grünhut. a.a.O., S. 87. 88. 4 s

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Immoralität der That, die rechtliche Möglichkeit und N o t w e n d i g keit einer bürgerlichen Strafe begründet werden soll" 8 ). Der von Feuerbach in Anschlug an Kant vorgenommenen scharfen Scheidung von Recht und Moral entspricht sein leidenschaftlicher Kampf gegen die Hinübernahme ethischer Werturteile in die strafrechtliche Zurechnungslehre. Die Trennung von Recht und Moral führt also bei Feuerbach dahin, dag er nicht nur die moralische Vergeltungsiidee als Strafzweck ablehnt, sondern auch bei der strafrechtlichen Zurechnung alle moralischen Gesichtspunkte verwirft und damit zu der Auffassung einer rein strafrechtlichen Zurechnung gelangt. Denn Feuerbach fürchtet, dag, wenn einmal durch die Verwertung ethischer Momente bei der Schuld die Grenze zwischen Recht und Moral verwischt werde, man allmählich notwendig zur Anerkennung einer jede objektive Grenze entbehrenden, blog moralischen Gesinnungsstrafe gelangen werde: „So lägt sich nicht begreifen, warum man ihm nicht auch das Recht einräumen will, auch blos die unmoralischen Gesinnungen, selbst wenn sie nicht in ungerechte Handlungen übergegangen seyn sollten und die llebertretung blos unvollkommener Pflichten, zu bestrafen" 10 ). Aber auch wenn man die Möglichkeit einer „moralischen S t r a f e " annehmen wollte, so würde sich doch — so meint Feuerbach — der Grad der Unmoralität niemals sicher bestimmen lassen. Denn der Grad der Unmoralität hängt von der Gesinnung des Menschen ab. Die Gesinnung, „der intelligible Charakter" des Menschen, „ist aber ein Gegenstand der übersinnlichen Welt, in die kein sterbliches Auge dringen kann. Niemand kann von sich selbst wissen, wie gut oder bös er sey, und in welchem Grade seine Handlungen dem Sitiengesefee widersprechen" 11 ). Es fehlt daher auch jedes Prinzip, wonach die sittliche Schuld mit dem Strafübel in Verhältnis gebracht werden kann12). Es können an dieser Stelle nun nicht alle Folgen der kriminalistischen Zurechnungslehre Feuerbach's behandelt werden. Nur auf ein zwischen Feuerbach und Klein besonders bestrittenes P r o blem, nämlich das der Behandlung der sogen, „vermindert Zurechnungsfähigen", soll näher eingegangen werden. Es entsprach zur Zeit Feuerbach's genau so wie heute einer allgemein verbreiteten Vorsfellungsweise, die strafrechtliche Verantwortlichkeit für eine Tat an die Bedingung zu knüpfen, dag sie dem freien Willen des Täters entsprungen sei, während man, wenn der Täter zwar nicht Völlig zurechnungsfähig war, aber unter dem Einfluß pathologischer Zustände gehandelt hafte, eine verminderte Zurechnungsfähigkeit und damit auch eine verringerte Strafwürdigkeit annahm. Da nun Feuerbach bei der strafrechtlichen Zurechnungslehre stich gegen jede Beurteilung nach sittlichen Magstäben wandte, war es durchaus folgerichtig, dag er die Lehre von der geringeren Strafwürdigkeit der vermindert Zurechnungsfähigen aufs heftigste b e ') Revision, Bd. II, S. 118. , 0 ) Revision, Bd. II, S. 120; Grünhut, a.a.O., S. 83. " ) Revision, Bd, I, S. 33. " ) A.a.O., S. 34.

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kämpfte. Dazu kamen noch eine Reihe weiterer Gründe. Den B e griff der „verminderten Freiheit" konnte Feuerbach schon deshalb nicht gelten lassen, weil er die Willensfreiheit außerhalb des G e bietes der Moral leugnete: „Alle nichtmonalischen Handlungen haben ihren eigentlichen Grund schlechterdings nicht in der Freiheit, sondern in Naturursachen, in Leidenschaften, Neigungen und Begierden, haben ihren Grund nicht in einer Aeußerung, sondern in einer Nichtäußeruog der Freiheit" 13 }. Wie sollte es vermindert Zurechnungsfähige geben, da Freiheit nach Feuerbach ein absoluter Begriff ist, bei dem Grade von verschiedener Stärke unvorstellbar sind. Die Freiheit ist eben entweder vorhanden, oder sie ist es nicht. Etwas, was in der Mitte zwischen Freiheit und Unfreiheit liegt, ist undenkbar. „Ich will es nicht in Anregung bringen, daß eine Freiheit, die dem Grade nach geschwächt, vermindert ist, ein gerader Widerspruch, ein viereckter Zirkel oder ein rundes Viereck ist 14 )." Indem Feuerbach seine strafrechtliche Zurechnungslehre nicht auf die Annahme der Willensfreiheit, sondern umgekehrt auf die Sinnlichkeit, d. h. auf die Triebe und Motive des Menschen gründet, kommt er hinsichtlich der Behandlung der sogen, „vermindert Zurechnungsfähigen" gerade zum entgegengeseßten Ergebnis. Für den Umfang strafrechtlicher Zurechnung ist die Stärke der zum Verbrechen drängenden sinnlichen Triebfedern maßgebend. „Die Gefahr künftiger Rechtwerleßungen ist um so größer, je stärker, herrschender und fester die sinnlichen, zu Verbrechen determinirenden Triebfedern sind, desto größer also die Strafbarkeit" 15 ); und „der Verbrecher muß um so mehr strafbar sein, je stärker die Antriebe zu Verbrechen sind, je zahlreicher und herrschender sie sind, je weniger er fähig, denselben zu widerstehen, je mehr er entweder durch seine natürliche Anlage oder durch andere äußere Naturursachen, durch Erziehung, Gewohnheit, böses Beispiel usw. der Herrschaft der Sinnlichkeit hingegeben ist" 16 ). Nach Feuerbach ist also der Täter, wo er infolge seiner pathologischen Veranlagung zum Verbrechen neigt, wegen seiner erhöhten Gefährlichkeit in stärkerem Maße strafwürdig, mag auch hier die sittliche Schuld der einzelnen Handlung gering erscheinen 17 ). Ist die Höhe der Strafe abhängig von der Stärke der sinnlichen Triebe, die den Täter zum Verbrechen drängen, dann bedarf gerade der „vermindert Zurechnungsfähige" der Androhung eines besonders großen Übels zur Abschreckung. Bei den vermindert Zurechnungsfähigen handelt es sich um Fälle, „in denen g e ringe moralische Verantwortlichkeit einer erhöhten kriminellen G e fährlichkeit gegenüber steht, und hier hat Feuerbach seiner These von der Isolierung des Rechts von der Moral entsprechend die Stärke der Strafdrohung unbedenklich dem erhöhten Bedürfnis nach Abschreckung angepaßt" 18 ). ) ) 15 ) '«) ") 18j 1S 14

Revision, Revision, Revision, Revision, Grünhut, Grümhut,

Bd. II, S. 290, 291. Bd. II, S. 280. Bd. II, S. 334. Bd. II, S. 336. a.a.O., S. 107. a.a.O., S. 191.

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3. Der rein rechtlichen Zurechnungslehre Feuerbach's stellte Klein seine sogen, „moralische Zurechnungslehre" entgegen. Zwar hat auch Klein, wie unter 1 bei der Lehre von dem Strafzweck d a r gelegt worden ist, die moralische Vergeltung als Strafzweck a b gelehnt und dem Strafrecht die staatliche und soziale Aufgabe der Sicherung der Gesellschaft zugewiesen. Klein ist daher im gleichen Sinne wie Feuerbach Gegner einer strafrechtlichen Sanktionierung ethischer und religiöser Werte lediglich um der Ethik und Religion willen. „Nicht alle Handlungen, welche der Moralist verabscheut, müssen auch vom Gesefegeber mit der S t r a f e belegt werden" 19 ). „ . . . . S o habe auch ich nebst andern an mehreren Orten sehr darauf gedrungen, daß man den Gesefegeber und den Richter nicht mit dem Moralisten verwechseln solle" 20 ). Eine solche rein moralistische Beurteilung, die Klein „moralische Schäfeung" nennt, g e hört nicht in d a s Gebiet d e s Strafrechts, sondern nur in das der Moral 21 ). So sehr nun auch Klein die staatlichen kriminalpolitischen Zwecke d e s Straf rechts hervorhebt, so macht er doch andererseits — und hierin liegt der tiefe Gegensafe zu Feuerbach — die s t r a f rechtliche Verantwortung von einem, sittliche Werte mitberücksichtigenden, Verschuldungsprinziip abhängig. Strafrechtliche Zurechnung sefet nach Klein eine „moralische Zurechnung" voraus, „d. i. eine solche, welche auf die Pflicht des Handelnden, dem Gesefee gemäß zu handeln und auf die Größe derselben Rücksicht nimmt" 22 ). Die moralische Zurechnung" im Sinne Klein's ist danach keine rein moralische Bewertung (moralische Schäfeung), sondern eine mißbilligende Beurteilung einer P f l i c h t v e r l e t z u n g23). Damit g e winnt nach Klein die moralische Bewertung Einfluß auf die s t r a f rechtliche Zurechnung, denn es bestimmt sich „die Strafbarkeif der Handlung nicht nur durch den Zweck des Strafenden, sondern auch durch die Natur der menschlichen Handlung überhaupt, und der S t r a f b a r e n insbesondere, so müssen wir den Werth der menschlichen Handlungen und die dadurch offenbarte Würdigkeit und Unwürdigkeit des Handelnden, näher in Betracht ziehen" 24 ). Der These Feuerbach's von der Isolierung des Rechts von der Moral hält Klein entgegen, daß eine völlige Trennung von Recht und Moral nicht möglich sei, und daß man insbesondere bei der strafrechtlichen Zurechnung notwendig auf ethische Grundwertungen zurückgreifen müsse. „ . . . . S o muß es wohl seinen guten Grund haben, warum die moralische Zurechnung sich von der rechtlichen nicht gänzlich trennen läßt. W a s in die ganze Natur des Menschen so innig ver,D

) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 4. Stück, S. 92. °) Archiv des Criminalrechts, Bd. I, 4. Stück, S. 159. ) Archiv des Crimnnalrechts, a.a.O., S. 160, Anm. a). 22 ) Grandsätze d. gemeinen deutsah. u. preußisch, peinlichen Rechts, § 95. ! ') Mit der Auffassung des Verbrechens als einer Pflichtverletzung steht Klein auf dem Boden der Wölfischen Philosophie, die bereits früh einen nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt hat; nach WoJff ist nämlich das Verbrechen, .,da es der Pflicht und somit der Vervollkommnung unseres Zustande« zuwiderläuft . . ., eine böse Handlung, und so es eine freie Handlung ist, ein sittliche« Übel". Frank, Die Wölfische Strafrechtsphilosophie, S. 18. 24 ) Archiv des Criminalrechts, Bd. IV, 4. Stück, S. 57. 2

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webt ist, wird sich wenigstens in der Praxis nicht trennen lassen, wenn es auch der feine Theoretiker auf das genaueste zu trennen verstünde" 26 ). „Die rechtliche und moralische Zurechnung mag so verschieden seyn, als sie will, so muß man doch eingestehen, daß die lefetere sich immer unvermerkt in die erstere einmischt" 26 ). Klein verlangt vom Gesefegeber, daß seine Strafgesefee mit den sittlichen Anschauungen des Volkes im Einklang stehen, denn nur d i e Geseke werden vom Volke diie erforderliche Achtung finden, die den sittlichen Überzeugungen des Volkes entsprechen. „Es ist daher Pflicht des Gesefegebers, so weit es der Zweck der Strafe erlaubt, diese so zu bestimmen, dag das thätige Misfallen an der Handlung, welches er durch Verkündung der Strafgesefee an den Tag legt, dem moralischen Gefühl nicht widerstehe 27 )." „Das Ansehen der Geseke kann nicht bestehen, wenn sie allgemein, oder doch von dem größten und besten Theile der Bürger gemisbilligt werden 29 )." Da der Staat die Pflicht der Bürger, den Gesefeen zu gehorchen, vorausseht, „so muß er auch den Ungehorsam gegen seine Gesefee als eine moralische Verschuldung betrachten. Wo also gar keine moralische Verschuldung gedacht werden kann, da ist auch das Urtheil, dag das positive Gesefe verlefet worden sey, d. i. die rechtliche Zurechnung, unmöglich" 29 ). Recht und Moral sind für Klein nicht ein kontradiktorischer Gegensafe, sondern vielmehr so eng miteinander verbunden, daß, wenn den Täter vom moralischen Standpunkt kein Schuldvorwurf trifft, auch seine strafrechtliche Verantwortung entfällt. Kommt der Richter unter Berücksichtigung aller Begleitumstände des Einzelfalles zu dem Ergebnis, „daß jeder nur einigermaßen billig denkender Mensch annehmen würde, daß es dem Handelnden nicht möglich gewesen sey, seine Handlungen den Gesefeen gemäß einzurichten, und daß er selbst, so verschieden auch übrigens seine Denkungsart ist, dennoch unter denselben Umständen eben so gehandelt haben würde, so darf die Strenge des Gesefees, welche das moralische Gefühl empören würde, nicht zur Anwendung gebracht werden" 30 ). Ausdrücklich weist hier Klein dem Richter die Aufgabe zu, sich nicht mit der formalen Feststellung, daß ein Gesefe übertreten ist, zu begnügen, sondern alle, irgendwie in Betracht kommenden ethischen Momente der Einzeltat zu berücksichtigen. Denn die verpflichtende Kraft und die Autorität der Sirafgesefee basiert in erster Linie auf dem Pflichtgefühl derer, an die sich die Gesefee wenden. }edes einzelne Urteil hat daher mit den im Volke lebenden sittlichen Anschauungen übereinzustimmen. Die Forderung nach einer weitgehenden Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles ist eng verbunden mit der Forderung nach einer freieren Stellung des Richters gegenüber dem Gesefe. Klein wendet sich hier wiederum unmittelbar gegen Feuerbach und ") 2e) = 7) 28) 30 l »»)

Archiv Archiv A.a.O., A.a.O., A.a.O., A.a.O.,

des Criminalrechts, Bd. V, 3. Stück, S. 109. des Criminalrechts. Bd. II, 4. Stück, S. 91. S. 90, Ziff. 50. S. 90, Ziff. 48. S. 85 und S. 86. S. 65 und S. 66.

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erklärt, dag er dessen übertriebene Furcht vor der richterlichen Willkür nicht teilen könne, und er stellt die Gegenfrage: „ob denn der Gebrauch des gesunden Menschenverstandes gänzlich von dem Richterstuhle verbannt, und der Richter zu einer blofjen Referirund Decretormaschine umgebildet werden soll?" 3 1 ! Wie bereits ausgeführt, war ein Hauptargument Feuerbach s gegen die moralische Zurechnungslehre, da6 sich der moralische Charakter einer strafbaren Handlung nicht feststellen lasse, und daher auch eine der sittlichen Schuld entsprechende Strafe nicht gefunden werden könne. Dagegen wendet Klein ein, dafe der moralische Wert bzw. Unwert-Charakter bei den meisten Handlungen ganz evident ist. Zum Beweis hierfür bringt Klein zwei hübsch gewählte Beispiele: „Wenn der Sohn seinem Vater, einem wohlthätigen Greise, der ihn eben mit Freudenthränen benachrichtigt, d a | er ein grobes Vermögen durch Erbschaft überkommen habe, wodurch er in den Stand gesefet wurde, seine Wohltaten zu vervielfältigen, Gift beybringt, um sich sogleich seines Vermögens zu bemächtigen, so können alle die Gründe, welche der Sohn hatte, dankbar gegen seinen Vater zu seyn, und sein für die Welt kostbares Leben zu erhalten, sich aus den Umständen e r g e b e n . . . Wie wäre es also möglich, hier den moralischen Unwerth der Handlung zu verkennen"! 3 2 ) Und umgekehrt kann der Fall vorkommen, „dafs ein Landmädchen mit einem für ihren todtkranken Vater verschriebenen Rezepte in die Apotheke nach der Stadt kommt, und nicht genug Geld mitgenommen hat, um dem Apotheker diie Medizin bezahlen zu können, und dalj sie sodann die Arzney heimlich entwendet, weil der Apotheker ohne volle Bezahlung sie nicht verabfolgen will". Mit Recht weist Klein bei diesem Fall darauf hin, d a | es unsinnig wäre, das Strafgeseb, das den Diebstahl mit Strafe bedroht, hier rigoros, ohne jede Berücksichtigung der konkreten Umstände anzuwenden, denn, „der Gesetzgeber hätte, wenn er an diesen Fall gedacht hälfe, ihn ebenso von der Strafe ausgenommen, wie den Diebstahl, welcher aus echter Hungersnoth begangen wird" 33 ). Damit hat Klein richtig gesehen, d a l auch im Strafgeseb von Schuld da nicht mehr die Rede sein kann, wo die Umstände des Einzelfalles so liegen, dag jeder andere vernünftige Mensch in dieser Situation ebenso gehandelt haben würde und daher die Handlung auch dem Täter nicht zum Vorwurf gereichen kann. Die Erforschung und Bewertung der Motive, die den Verbrecher zur Tat bewegen, ist nach Klein auch keine, mit der Freiheit der Bürger unvereinbare „Gewissensrichterey". „Eingriff in die Rechte der Bürger mag es seyn, wenn der Staat den, welcher keines Menschen Rechte verlebt oder zu verleben drohet, hindern will, seine dem Staate unschädlichen Zwecke nach Belieben zu verfolgen. Anders aber verhält es sich mit dem, welcher die Rechte Anderer verlebt hat, und sich sogar die Einschränkung seiner persönlichen Freyheit gefallen lassen mufj" 31 ). Der Verbrecher hat durch seine ) ) ss) ,4) S1 82

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Archiv Archiv Archiv Archiv

des des des des

Criminalrechts, Criminalrechts, Criminalrechts, Criminalrechts,

Bd.. II, Bd. V, Bd. V, a.a.O..

1. Stück, S. 128. 3. Stück, S. 126 und 127. 3. Stück. S. 130. S. 133.

Tat es selbst veranlaßt, daß der S t a a t seine Gesinnung prüft, und der Staat tut nur seine Pflicht, wenn er sich dieser A u f g a b e unterzieht35). Damit vertritt Klein noch ganz die Auffassung des P o l i z e i staates, die weit entfernt ist, von jener liberalistischen Anschauung, daß jedes Eingehen auf die Motive der Handlung und der aus ihnen zu schließenden Gesinnung d e s T ä t e r s einen unzulässigen Eingriff in die staatlich garantierte Freiheitssphäre des Verbrechers darstelle. Vom Standpunkt seiner „moralischen Zurechnungslehre" mußte Klein auch zu einer der Feuerbach'schen e n t g e g e n g e s e h e n A n sicht über die Sfrafwürdigkeit der vermindert Zurechnungsfähigen gelangen. Klein lehnt für d a s Gebiet des Strafrechts das Problem der Willensfreiheit im philosophisch-spekulativen Sinne ab, und seßt eine natürliche Freiheit des Willens bei jedem Menschen voraus36). Da die Willensfreiheit dm Sinne von Zurechnungsfähigkeit kein absoluter philosophischer Begriff ist, sind fiir Klein auch Grade der Zurechnungsfähigkeit denkbar. „Natürliche S c h w ä c h e " und „Stumpfheit der höheren G e i s t e s s t ä r k e " erschweren dem Täter den richtigen Motivationsprozeß und l a s s e n daher auch die Schuld und mit ihr auch die Strafwürdigkeit des Täters geringer erscheinen. Zurechnungsfähigkeiit ist nach Klein demnach nicht Vorausseßung, sondern Element der Schuld. — Die Ansicht Feuerbach's, wonach „natürliche S c h w ä c h e und Stumpfheit der höheren Geisteskräfte, besonders des V e r s t a n d e s und der Vernunft, die äußere S t r a f b a r keit erhöhe", bezeichnet Klein als „Verirrungen des T h e o r e t i k e r s " , auf die ein Praktiker niemals kommen würde 3 7 ). Denn in der Praxis werden sich die F ä l l e starker verminderter Zurechnungsfähigkeit von denen der völligen Zurechnungsunfähigkeit oft nicht leicht unterscheiden lassen. Und g e r a d e diese Grenzfälle zeigen, „daß der höchste Grad der S t r a f b a r k e i t mit der Straflosigkeit nicht so nahe gränzen könne" 3 9 ). Im ganzen betrachtet hatte Klein mit seiner F o r derung nach einer möglichst weiten Ubereinstimmung des S t r a f rechts mit den im Volksbewußtsein verwurzelten sittlichen A n schauungen gegenüber der rein juristisch-formalen Auffassung Feuerbach's von der strafrechtlichen Zurechnung durchaus recht. Wenn in dem Streite zwischen Feuerbach und Klein schließlich doch Feuerbach als S i e g e r hervorging, so ist dies nicht zum wenigsten auf seine bestechende Dialektik und die formale Überlegenheit seiner Argumentation zurückzuführen 3 0 ). Auch fehlten Klein die scharfen Waffen, welche Feuerbach durch die völlige Beherrschung und Verarbeitung der kritischen Philosophie b e s a ß . Es stellte sich heraus, „daß seine Anpassung an die neuere Philosophie nicht a u s reichte, im Kampf g e g e n Männer, die von der strengen kritischen Methode vollständig durchdrungen waren und sie schulgerecht b e herrschten" 40 ). ) Archiv des Cmini.nalrechts, Bd. VII, 3. Stück, S. 348. 349. " ) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 4. Stück, S. 67. »') Archiv des Criminalrechts, Bd. III, 3. Stück. S. 137. »») A.a.O., S. 138. »•) Grünhut, a.a.O., S. 167. 40 ) Landsiberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft. Erster Halbband, Text S. 517; Grünhut, a.a-O., S. 72. ss

3.

Abt.

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Zweiter

Abschnitt.

Klein's Auffassung von den sichernden Maßnahmen. I. Das Beweisrecht der Carolina. Nach der zum größten Teil strafprozeijrechlliche Vorschriften enthaltenden Constitutio Criminalis Carolina 1 ] konnte der Inquisit zur peinlichen S t r a f e nur verurteilt werden, wenn er entweder die ihm zur Last gelegte Tat vor Gericht gestanden hatte oder durch die übereinstimmende Aussage zweier vollgültiger Zeugen überführt worden war. Die A u s s a g e bloß eines „Tatzeugen" oder das Vorhandensein „genügsamer", d. h. hinreichender „Anzeigen" vermochte zwar nicht die Grundlage für die Verurteilung zur peinlichen S t r a f e zu bilden, berechtigte aber den Richter gegenüber dem hartnäckigen Inquisiten, der seine Miissetat nicht freiwillig gestehen wollte, zur peinlichen Frage, d. h. der Richter konnte, um das für die Verurteilung des Inquisiten notwendige Geständnis zu erlangen, die Anwendung der Folter durch Zwischenurteil anordnen 2 ). Während bis zum Erlag der Carolina der Gebrauch der Folter in der deutschen Gerichtspraxis vollkommen willkürlich war, knüpfte die Carolina die Anwendung der Folter an bestimmte gesefeliche Voraussefeungen, Indizien. Gänzlich verzichten konnte die Carolina auf den Gebrauch der Folter bei ihrer streng formalen Beweistheorie mit der zentralen Bedeutung des Geständnisses als Beweismittel — confessio est regina probationum — nicht. Denn „da man den Verdächtigen, der nicht so unvorsichtig gewesen war, zu seiner Tat zwei Augenzeugen hinzuzuziehen, sich auch zu einem Geständnis nicht herbeilief, nicht verurteilen konnte, andererseits aber auch denjenigen, der etwa kurz nach dem Morde nahe dem Ort der Tat mit blutiger Axt betroffen und im Besih der Börse des Ermordeten befunden war, nicht wohl einfach laufen lassen konnte, war man genötigt, sein Geständnis zu erzwingen durch die Folter..."»). Eine entscheidende Kampfansage erfuhr das Institut der Tortur erst durch die Humanitätsiidee der Aufklärung, die im Strafrecht in der Forderung zum Ausdruck kam, in dem Verbrecher nicht nur den Verbrecher, sondern auch den Menschen zu sehen. Der Huma') Die C. C. C. ist in erster Linie eine Strafprozeßordnung; die Fragen des materiellen Strafrechts sind im Zusammenhang mit der Lehre vom Urteil geregelt. 2 ) Das uff amzeygung einer Missetat allein peinlich frag vnnd nit ander peinlich straffe soll erkannt werden. Item es Ist auch zu vermerckenn, das nymandt vft einieherley anzeigung, Arkwon, warzeichen oder verdacht en/ndtlich zu peinlicher straff soll verurteyllt werdenn, sonnder allein peinlieh mag man daruff fragen,n, so die anzeygung, alls hernach funden wirdet genugsam ist; dann, soll yemandt endtlich zu peinlicher straff verurtheyllt werden, das muss aus« eigenem bekennen oder beweisung, we amn andern ennden jnn (iiser Ordnung clarlich funden wirdt, bescheen, vnnd nit uff vermuttung oder anzeigung. — C. C. C. Art 22 Textausgabe von J . Kohler und Willy Scheel. 3 ) Riadbruch, die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V, S. 121.

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nitätsgedanke führte unmittelbar zu einer beträchtlichen Milderung des geltenden Strafensystems der Carolina, das man für Völker mit noch nicht sehr entwickelter Kultur und Bildung allenfalls gelten lassen wollte, das man abier bei fortschreitender Gesittung als zu hart empfand 4 ) 5 ). Lehnte die Humanitätsidee das Strafsystem des geltenden Rechts als zu hart und der aufgeklärten Zeit nicht mehr entsprechend ab, so mußte sie erst recht sich gegen den Gebrauch der Folter wenden, zumal von ihr Menschen betroffen wurden, beii denen noch nicht einmal feststand, ob sie sich eines Verbrechens schuldig gemacht hatten. Wie mit der Humanisierung die Rationalisierung der Strafarten Hand in Hand ging, so waren es neben den Forderungen der Humanität auch vor allem kriminalpolitische Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte, die für die völlige Beseitigung der Folter sprachen. Man sah in der Folter nicht nur ein grausames, die menschliche Natur erniedrigendes, sondern auf Grund langjähriger Erfahrung zugleich auch ein gefährliches und unsicheres Mittel zur Erlangung eines wahrheitsgemäßen Geständnisses. Unsicher war d a s Mittel der Tortur, weil öfters Verbrecher von einer starken Körperkonstitution alle möglichen Grade der Marter ausstanden, ohne sich zu einem Geständnis bestimmen zu lassen, gefährlich war die Tortur, weil nicht selten schwächliche und empfindsamere Personen durch die ihnen mittels der Folter zugefügten heftigen Schmerzen so zur Verzweiflung gebracht wurden, „daß sie, um nur ihrer Quaal ein Ende zu machen, bei allem Bewußtseyn der Schuldlosigkeit sich der größten Verbrechen schuldig bekannt, und sich dadurch die härtesten Strafen zugezogen haben" 8 ). Das verdammende Urteil der Öffentlichkeit über die verhaßte Institution der Folter, „den Feind der Menschlichkeit und der Vernunft", führte zu einer fortschreitenden Einschränkung ihres Gebrauches bis zu ihrer völligen Beseitigung. Uberzeugt von der sittlichen Verwerflichkeit und der praktischen Untauglichkeit der Folter ordnete Friedrich der Große bereits drei Tage nach Regierungsantritt durch die Kabinettsorder vom 3. Juni 1740 die grundsäßliche Abschaffung der Folter an, nur ausnahmsweise sollte sie auch in Zukunft zulässig sein .„bey dem Crimen l a e s a e Majestaiis und Landesverrätterey, auch denen großen Mordthaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht, oder viele Delinquenten, deren Connexion herauszubringen nöthig, implicieret sind". Endgültig beseitigt — also auch für die in der Order vom 3. Juni 1740 enthaltenen Ausnahmefälle — wurde die Folter durch die Order vom 27. Juni und 4. August 1754 und für Schlesien durch die Order vom 8. August 4

) Willenbüoher, a.a.O., S. 17. ) Der Vorwurf der Roheit und Grausamkeit gegenüber dem Strafensysiem der Carolina ist also nur unter Zugrundelegung späterer Anschauungen gerechtfertigt. Die Carolina selbst hatte keinen Anlaß, zu anderen Strafarten zu gelangen; das Volk, auf seiner damaligen Kulturstufe, hätte eine andere, mildere Strafrechtspflege njicht verstehen können; vgl. hierzu Eb. Schmidt Die Carolina, S. 16. 8 ) Nachricht von einem landesherrlichen Edikte, die Abschaffung der Folter betreffend, nebst vorläufigen Bemerkungen im Archiv des Criminalrechts. Bd. IV, 3. Stück, S. 145 ff. 5

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1754 und 18. November 17567). Dem Beispiel Friedrichs des Gro&en folgen nach und nach die übrigen deutschen Landesherren. Die lebten Reste der Folter jedoch sind in Deutschland erst in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts verschwunden (Hannover 1822, Gotha 1828)8). Die Aufhebung der Tortur machte die Notwendigkeit einer Erweiterung des Beweisrechts offenbar. Wollte man nicht mehr Geständnisse durch Folterqualen erpressen, so hätte man folgerichtig dahin gelangen müssen, in den bisherigen Fällen der Tortur, also beim Vorliegen erheblicher Indizien, auch ohne Geständnis zu verurteilen, also die enge formelle Beweistheorie der Carolina durch den Grundsafe der freien richterlichen Beweiswürdigung zu ersehen 9 ). Es hat auch nicht an vereinzelten Stimmen gefehlt, die für die freie Beweiswürdigung nach dem Beispiel der in Frankreich eingeführten Geschworenengerichte eintraten. Doch die überwiegende Mehrheit, unter ihnen auch K l e i n10), lehnte die freie Beweiswürdigung durch den Richter als zu gefährlich ab. Der naive Glaube an die Möglichkeit eines allgemeingültigen Nachweises absoluter Wahrheit auf Grund bestimmter gesetzlich festgelegter Beweismittel war noch so stark in den Anschauungen der damaligen Zeit verwurzelt, daß man eine Beweisführung, bei der die Wahrheit meist nur aus dem Zusammentreffen mehrerer Indizien geschlossen wird, die einzeln nur Verdachtsmomente begründen, nicht anerkennen wollte 11 ). Man scheute die Einführung der freien Beweiswürdigung, weil bei ihr die „Privatüberzeugung" des Richters, die ja ihrerseits „nur ein Resultat seiner Gesinnungen und Meinungen ist", eine so entscheidende Rolle spielt, und man fürchtete durch die freie Beweiswürdigung den Inquisiten der Willkür des Richters preiszugeben. „Jener Grundsafe enthebt den ungerechten Richter aller Verantwortung" und „die einzige Bürgschaft für die Gerechtigkeit des richterlichen Ausspruches liegt in der Moralität des Richters" 12 ). Kurz: die Furcht vor richterlichem Irrtum und richterlicher Willkür ist es, die dem Grundsafe der freien Beweiswürdigung den Einzug in das deutsche Sfrafiprozefjrecht verwehrt. Auch die Entwicklung speziell in Preufeen zeigt offensichtlich, dafe die Zeit für eine so weitgehende Umgestaltung des Strafverfahrensrechtes, wie es die Anerkennung der freien richterlichen Be') Bemerkenswert ist, daß Friedrich in der Kabinettsordre vom 8. August 1754 verbot, die Abschaffung der Folter dem Volk bekannt zu geben. „Friedrich mochte, im Bewußtsein von der Bedeutung seiner in das bisherige Beweiaverfahren tief einschneidenden Maßnahme nacht ohne Grund befürchten, daß die Abschaffung der Folter, wenn sie allgemein bekannt würde, geradezu als Prämie auf das Leugnen aufgefaßt werden könne. Deshalb wollte er seine Untertanen auch fernerhin in Furcht vor der Folter erhalten und auf diese Weise eine allmähliche unbewußte Gewöhnung des Volkes an den neuen Zustand herbeiführen". Willenblücher, a.a.O., S. 56. 8 ) Radbruch, a.a.O., S. 123. ») Radbrueb, a.a.O., S. 123. 10 ) Archiv, Bd. I, 2. Stück, S. 153 und 154; Annalen, Bd. 21, S. 292. " ) Grünhut, Anselm v. Feuerbach und das Problm der strafrechtlichen Zurechnung, S. 130, 194; Schötensack, Der Strafprozeß der Carolina, S. 44. '-) Zaehariae im Archiv des Criminalrechts, Bd. III, 4. Stück, S. 12, 13.

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weiswürdigung b e d e u t e t hätte, nicht neif w a r . Friedrich d e r Gro&e hatte gleichzeitig mit d e m V e r b o t d e r Folter, frei v o n b e w e i s r e c h t licher Engherzigkeit, durch die K a b i n e t t s o r d e r v o m 27. Juni 1754 kurzer H a n d den Richter a n w e i s e n l a s s e n , in d e n Fällen, w o d e r Inquisit so weit überführt w a r , d a g mach f r ü h e r e m Rechte nur noch sein durch die Folter zu e r z w i n g e n d e s G e s t ä n d n i s nötig g e w e s e n wäre, ihn auch o h n e G e s t ä n d n i s zur vollen S t r a f e zu verurteilen 13 ). Den Grundsafe der f r e i e n B e w e i s w ü r d i g u n g enthalten e b e n f a l l s die Kabinetts-Order v o m 4. A u g u s t 1754 und die in d i e s e m Punkt f a s t wörtlich übereinstimmende K a b i n e t t s - O r d e r v o m 18. N o v e m b e r 175611). „Freilich ist d a n n d i e s e der wissenschaftlichen Erkenntnis der Zeit weit v o r a u s e i l e n d e , einzig die wirkliche A b s c h a f f u n g d e r Tortur v e r b ü r g e n d e Einsicht a l s b a l d w i e d e r verloren gegangen" 1 5 ). Durch V e r o r d n u n g v o m 15. Januar 1776 w u r d e die B e fugnis, bei v o r h a n d e n e m B e w e i s trofe f e h l e n d e n G e s t ä n d n i s s e s auf die ordentliche S t r a f e zu erkennen, zurückgenommen. " ) ..Mein lieber Geheimer Etats-Minister von Bissmarck. Auf Eurem Bericht vom 19ten diese«, den in großen Verdacht, wegen begangenen Mords und Beraubung auf öffentlicher Landstraße, stehenden Schäfer Gört Heinrich Schmidt betreffend, gebe ich Euch hierdurch zur Resolution, daß weil ich in dergleichen Crdminal-Fällen die Tortur allemal als ein theils grausames, theils aber Ungewisses Mittel ansehe, die Wahrheit der Sache herauszubringen, loh also das Erkenntniss des Berlimschen Criminal-Senats confiriniret und solches durch Vollentziehung der hiierbey zurückkommenden Expeditionen approbiret habe. Wobey Ich Euch denn zu Euer und derer Criminal-Collegiorum Direktion hierdurch nochmalen declarire, dass wenn in dergleichen Criminal-Fällen, wo es auf die öffentliche Sicherheit ankommt, die Delinquenten durch klare indicia oder auch Zeugen und andere ganz deutliche sprechende Umstände, darauf ankommt, dass nichts an Richtigkeit des Facti als nur allein die eigene Confession des Delinquenten fehlet, welche äonsten durch letztere durch die in denen Gesetzen geordnete Tortür herauszubringen ist, sodann aiuf solchem Fall die gesetzmäßige Todesstrafe sonder Bedenken von denen Cmminal-Collagiis erkannt werden kann, ohne daß selbige nöthig haben, die eigne Bekänntnds eiines schon gamz überführten Delinquenten zu erfordern und abzuwarten. Ich bin Euer wohlaffektionierter König, Potsdam, den 27. Juny 1754 Friderich. An den Etats-Minister von Bissmarck." „Beiträge zu der juristischen Literatur in den Preußischen Staaten". IV. Sammlung, S. 202. , 4 ) Die Order vom 4. August 1754 laiutet: „ . . . Was alber dem zweiten Punkt wegen der Inquisiten anlanget, dass diejenigen, welchen einen rechtlichen Verdacht gegen siioh haben und dennoch die That läugnen, durch die Tortur zur Bekänntniss gebracht werden sollen; So ist Euch darauf in Antwort, dass nachdem Ich das grausame, und. zugleich zur Herausbringung der Wahrheit sehr ungewisse Mittel der Tortur im dergleichen Fällen gänzlich abgeschaffet habe, es also auch dabey sein Bewenden haben muss. Dahergegen aber wiederhole ich hierdurch dasjenige noehmahlen, was Ich vorhin schon verschiedentlich an den Etats-Minister von Bissmarck solcherhalb declariret haibe, dass nemlich, wenn gegen dergleichen Inquisiten sich so viele Umstände hervor tbun, dass dieselbe dadurch ihres Verbrechens völlig überzeuget werden, und dass alsdann nichts weiter, als ihr eignes Geständn'iss fehlet, welches aber dieselbe hartnäckig zurückhalten, so dann auf derein eigne Confession bey Abfassung der Sentenz nicht reflectiret, sondern solches dermassen erkannt werden soll, als ab deren Geständnis würkMch vorhanden s e y . . . " " ) Landeberg 3, erster Halbbd., Text S. 222.

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U. Die außerordentliche Strafe. Das ängstliche Festhalten an der formalen Beweistheorie der Carolina seitens der Theorie und Praxis mußte den Richter nach Abschaffung der Folter in eine äußerst schwierige beweisrechtliche Situation bringen. W a s sollte der Richter in den zahlreichen Fällen tun, in denen zwar der geseßlich vollständige Beweis mittels zweier Tatzeugen (Beweisung) oder auf Grund des freiwilligen Geständnisses d e s Inquisiten nicht gelang, andererseits aber doch so dringende Verdachtsmomente gegen ihn sprachen, d a ß an seiner Schuld nicht mehr gezweifelt werden konnte? Die logische und vom Standpunkt des Gesefees aus einzig richtige Antwort auf diese Frage wäre gewesen: Der Delinquent muß freigesprochen werden. Denn die Carolina bestimmte ja in den Art. 22, 23 und 30 ausdrücklich, daß niemand auf eine bloße Anzeige, Argwohn oder Verdacht hin zu peinlicher S t r a f e verurteilt werden dürfe, vielmehr genügsame Anzeigen dem Richter lediglich erlauben, gegen den Inquisiten als Mittel zur Erreichung des gesetzlich notwendigen Beweises die Tortur anzuwenden. Da nun d a s Geseß selbst dem Richter eine streng formale Beweisführung bindend vorschrieb, hätte überall da, wo die geseßlichen Beweismittel fehlten, auf Freisprechung des Inquisiten erkannt werden müssen. Dies hätte praktisch einen Verzicht auf die Strafrechlspflege überhaupt bedeutet. Denn welcher Delinquent hätte im Bewußtsein, dag seine Verurteilung zur peinlichen S t r a f e nur auf Grund seines eigenen, freiwilligen Geständnisses erfolgen konnte, sich zu diesem Geständnis herbeigelassen? In Wirklichkeit wäre es also nur in dem seltenen Fall der „Beweisung" zur Verurteilung gekommen. Doch die Praxis wußte sich zu helfen. Sie erfand als Surrogat für die verbotene Folter die sogen, „außerordentliche Strafe". Eine Verurteilung zur gesefelich bestimmten (ordentlichen) Strafe war auch fernerhin nur bei Gewißheit des Verbrechens, die man aus der formellen Vollständigkeit des Beweises zu schließen glaubte, zulässig. Blieb hingegen der gegen den Inquisiten geführte formelle Beweis unvollständig, vermochte der Inquisit a b e r andererseits auch nicht die gegen ihn bestehenden, dringenden Verdachtsgründe zu entkräften, so wurde er, wenn auch nicht zu d e r ordentlichen, so doch zu einer milderen „außerordentlichen" Strafe verurteilt. Die Höhe dieser außerordentlichen S t r a f e richtete sich nach der Größe d e s gegen den Inquisiten bestehenden Verdachts. So führte polizeistaatliche Ängstlichkeit im Verein mit jener beweisrechtlichen Naivität zu der grotesken Schöpfung: „Verbrechen eines Verbrechens verdächtig zu sein" 1 ). Mit Recht ist daher die außerordentliche S t r a f e auch „Verdachtsstrafe" genannt worden. Theoretisch begründet wurde dieses Institut der außerordentlichen Strafe, soweit man hier überhaupt noch von einer Begründung sprechen kann, mittels eines Analogieschlusses zu den geseßlichen Vorschriften über die Tortur. Vielfach habe lediglich der Gerichtsgebrauch die Anwendung der Tortur ausgeschlossen, obgleich nach den ausdrücklichen gemeinen peinlichen Gesehen die Tortur nicht abge»Mirünhiut, a.a.O., S. 131.

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schafft worden sei. Ohne Zweifel stelle die Tortur ein Übel dar, durch das der Gemarterte auf die empfindlichste Weise berührt werde, ja oft übertreffe die Tortur selbst das Übel der eigentlichen Strafe. Da nun das Gesefc bei Unvollständigkeit des Beweises die Zufügung eines sinnlichen Übels in Gestalt der Tortur gestatte, so müsse es auch als den Geseßen gemäß angesehen werden, wenn der Richter bei einem nicht vollständigen Beweise gegen den Inquisiten statt der Tortur auf ein anderes sinnliches Übel, die poena extraordinaria, erkennt. Um die Analogie völlig zu wahren, nahm man an, daß die Verhängung der außerordentlichen Strafe nur unter denselben Voraussetzungen, wie ehemals die Anwendung der Folter, Ptafe greifen dürfte, d. h. nur bei Gewißheit des corpus delicti und bei Vorliegen mindestens eines halben Beweises. Audi müsse der Inquisit eiine Person sein, der man auf Grund ihrer bisherigen Handlungsweise eine solche Tat wohl zutrauen könne 2 ). Interessant ist nun die Stellungnahme K 1 e i n's zu der außerordentlichen Strafe. Wenn auch K l e i n zunächst selbst noch die Einrichtung der außerordentlichen Strafe grundsätzlich anerkennt 3 ), so gibt er ihr doch schon frühzeitig eine für die spätere Entwicklung seiner Theorie der Sicherungsmittel charakteristische Zweckrichtung. Während nach K l e i n die ordentliche Strafe vornehmlich am generalpräventiven Abschreckungsgedanken orientiert ist, soll die außerordentliche Strafe mehr der Sicherung der Allgemeinheit vor verdächtigen Menschen dienen. Der Verdächtige soll im Interesse der gemeinen Sicherheit in eine nähere Aufsicht des Staates gebracht werden. Am geeignetsten für die Erreichung dieses Sicherungszweckes ist eine langwierige, unter Umständen auch lebenslängliche Einsperrung 4 ). Bereits hier sieht also K 1 e i n in der außerordentlichen Strafe nicht nur eine wegen Unvollständigkeit des Beweises im Strafmaß herabgesetzte ordentliche Strafe, sondern ein von der Gefährlichkeit des Verdächtigen abhängig gemachtes Sicherungsmittel. In der Anerkennung einer nach Art und Zweck von der ordentlichen Strafe verschiedenen außerordentlichen Strafe deutet sich bereits hier die spätere Unterscheidung von Strafe und sichernder Maßnahme an. Doch die Entwicklung geht noch weiter. In den von K l e i n als Vorsitzendem der Hallischen Juristenfakultät verfaßten Rechtssprüchen5) gibt K l e i n die außerordentliche Strafe, soweit sie Verdachtsstrafe war, auf und führt an ihrer Stelle die sichernden Maßnahmen ein. S o verurteilte K l e i n in dem „Erkenntnis gegen den Grenadier Bielau und dessen Eheweib, wegen Verdachts einer Theilnahme an dem auf dem Herzoglichen Residenzschlosse zu Gotha verübten Diebstahle" 6 ), wegen des auf hinreichenden Indi) Eisenhart im Archiv des Criimdnalrechts, Bd. III. 2. Stück, S. 3 ff. ') Annalen, Bd. 14, S. 68 ff. *) Annalen, Bd. 10, S. 28/29. •) Die Hallische Juristenfakultät war zur Zeit K l e i n a nicht nur Lehr-, sondern zugleich auch Spruchfakiultät. K l e i n war stets für die Beibehaltung der Spruchtätigkeit der Juristenfakultäten eingetreten, da sie dem Theoretiker Gelegenheit bot, die Richtigkeit und Brauchbarkeit seiner Theorie durch die Praxis zu erproben. •) Merkwürdige Rechtssprüche d. Hallischen Juristenfakiultüt. Bd.I S. 111. !

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zien beruhenden Diebstahlsverdachts den Inquisiien entgegen der bisher allgemein üblichen Praxis nicht zu einer milderen, augerordentlichen Strafe, sondern ließ nur wegen anderer, geringerer, aber völlig erwiesener unerlaubter Handlungen die geseßlich vorgesehene, ordentliche Strafe von 3 Jahren Zuchthausarbeit eintreten, nach deren Ablauf aber eine weitere Verwahrung sollte stattfinden können. Während der Verbüßung dieser Zuchthausstrafe sei nämlich der Delinquent weiterhin zu beobachten und die Untersuchung in der Stille fortzuseßen, denn möglicherweise werde der Delinquent nach geschlossener Untersuchung weniger vorsichtig un>d verrate sich daher leichter. Sollten sich auf diese Weise neue Beweismittel ergeben, so sei der Inquisit nunmehr der geseßlichen Strafe zuzuführen. Bleiben dagegen diie während der Strafzeit forigeseßten Ermittlungsbemühungen ohne Erfolg, so sei gleichwohl der Inquisit nicht ohne weiteres zu entlassen, sondern der hohen Landesherrenschaft von seinem bisherigen Verhalten Bericht zu erstatten, „und bleibt es sodann dem höchsten landesherrlichen Ermessen überlassen, ob der Inquisit an einem sicheren Orte aufzubewahren, oder auf freien Fuß zu stellen sey". In der Begründung dieses Rechtsspruches hebt K l e i n noch einmal ausdrücklich hervor, daß die an die Strafe anschließende Verwahrung d e s Delinquenten nicht zur Strafe, sondern zur Sicherheit verfügt wurde. Der Einwand, daß doch der Inquisit wegen der bloßen Möglichkeit, daß er künftig weitere Verbrechen begehen würde, seiner Freiheit nicht beraubt werden dürfe, sucht K l e i n durch den Hinweis zu entkräften, daß der Inquisit ja durch seine eigene Schuld, nämlich wegen der nach seinem bisherigen Lebenswandel zu befürchtenden Gefahr, diese Maßregel notwendig gemacht habe und daß es der Richter in der Hand habe, den Inquisiten wegen der völlig erwiesenen strafbaren Handlungen zu einer längeren Freiheitsstrafe, als geschehen, zu verurteilen. Auch wäre die Strafe höher ausgefallen, wenn man auf Grund der vorhandenen Indizien eine außerordentliche Strafe bestimmt hätte'). Bemerkenswert ist bei dieser zum Teil noch recht unbeholfen begründeten Entscheidung, daß K l e i n die Anordnung „der Sicherungsverwahrung" dem Ermessen des Landesherrn überläßt, während er dem Richter lediglich die Rolle eines Gutachters einräumt. Wir werden sehen, daß gerade in diesem Punkte K l e i n später eine andere Ansicht vertritt. Die Einführung der sichernden Maßnahmen an Stelle der außerordentlichen Strafe durch die Hallische Juristenfakultät erregte Aufsehen und teilweise auch lebhafte Kritik. Dies veranlaßt K l e i n , siich mit der Problematik der sichernden Maßnahmen im einzelnen theoretisch auseinanderzusetzen. An den verschiedensten Stellen seiner Schriften behandelt er nunmehr bruchstückweise Einzelfragen seiner Theorie der Sicherungsmittel. Außerdem veranstaltete er zusammen mit Kleinschrod, Professor in Würzburg, ein Preisausschreiiben über die Frage: „Inwiefern läßt sich eine außerordentliche Strafe, welche nicht a l s bloßes Sicherheitsmittel, son') Merkwürdige Rechtssprüche. Bd. I, S. 125.

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dem als eigentliche Strafe erkannt wird, rechtfertigen? und wenn dieses nicht möglich ist, welches Mittel kann man an deren Stelle seßen, um auf der einen Seite das gemeine Wesen gegen listige oder hartnäckige Verbrecher, und auf der anderen Seite die ohne ihre Schuld Verdächtigen gegen den Eigendünkel und die Willkür des Richters zu schüßen?" 8 ). Als Preisrichter fungierten K l e i n , Kleinschrod und der Kammergerichtspräsident von Kircheisen. Für die beste Beantwortung der gestellten Frage war ein Preis von fünfzig Reichsthakrn in Gold ausgeseßt. Den Preis erhielt die Schrift des Professors Eisenhart aus Helmstädt, der in allen wesentlichen Punkten mit K l e i n übereinstimmte. III. Klein's Theorie der Sidierungsmittel. 1. K l e i n geht bei der Entwicklung seiner Theorie von der außerordentlichen Strafe aus und bekämpft diese. Er weist dabei auf das Ungesetzliche, Willkürliche und kriminalpolitisch Unzweckmäßige der außerordentlichen Strafe hin. Ungeseßlich ist die außerordentliche Strafe, weil nach dem Geseß der Schuldige in die volle geseßliche Strafe verurteilt, der Unschuldige hingegen freigesprochen werden muß. Als schuldig kann nur derjenige angesehen werden, der mit den gesetzlichen Beweismitteln der Tat überführt wird; denn, indem die Geseße die Beweiskraft überhaupt bestimmen, nehmen sie an, daß das Verbrechen nicht erwiesen sei, wo die geseßlichen Beweismittel fehlen, und es würde den überhaupt keine Strafe treffen können, der der Tat nicht geseßmäßig überführt worden ist. Die wegen Unvollständigkeit des Beweises verhängte, mildere außerordentliche Strafe bedeutet daher stets Unrecht, da sie für den Schuldigen zu gelinde, für den Unschuldigen aber ungerecht und hart ist1). Wie unbestimmt und vage die angeblich mit der .außerordentlichen Strafe zu ahndende Tat ist, zeigt am besten der Fall der verheimlichten Kindestötung 2 ). Die Verheimlichung der Schwangerschaft als solche ist nach gemeinem Rechte anders als nach dem Allgemeinen Landrecht3) 8

) Arohiv des Criminalrechts. Bd. I, 2. Stück, S. 155. ') Archiv des Criminalrechts, Bd. I, 2. Stück. S. 152, Bd. III, 2. Stück, S. 64; Annalen, Bd. 21, S. 291 ff., Bd. 23, S. 148; Merkwürdige Rechtssprüche, Bd. I, S. 112; Selbstbiographie, S. 66 ff. ') Das Delikt der Kindestötung spielte bei den damaligen Kriminalisten eine erhebliche Rolle und ist mit Recht als „das literarische Lieblingsthema" jener Zeit bezeichnet worden. Uber den Versuch zur Bekämpfung der Kindestötung in Preußen vgl. Eb. Schmidt, Diie Kriminalpolitik Preußens unteT Friedrich Wilhelm I. und Friedrich II., S. 61 ff. ') Das Allgemeine Landrecht kannte in seiner vorbeugenden Tendenz ein selbständiges Delikt der Verheimlichung der Schrwangerhaft. Die §§ 901, 933 bestimmen: Jede Frauensperson, die eines unehelichen Beischlafs sich bewußt ist, muß auf ihre körperliche Beschaffenheit, und die bey ihr sich ereignenden ungewöhnlichen Umstände sorgfältig Acht geben. Eine Geschwächte. welche die Entstehung der Schwangerschaft an die Aeltern, Vormünder, Dienstherrschaften, Hebammen, oder Obrigkeit, länger als vierzehn Tage, nachdem sie dieselbe zuerst wahrgenommen hatte, verschiebt, macht sich einer strafbaren Verheimlichung der Schwangerschaft schuldig und wegen aller daraus entstehenden nachteiligen Folgen verantwortlich. — Es folgen in den §§ 934 ff. Vorschriften über die Arten der Verheimlichung der Schwangerschaft und ihre Bestrafung.

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nicht strafbar. Man sieht a b e r in der Tatsache der Verheimlichung der Schwangerschaft einen hinlänglichen Beweis, um gegen die Inquisitin eine außerordentliche Strafe wegen vermuteter Kindestötung zu verhängen 4 ), wenn d a s Kind bei oder bald nach der Geburt ums Leben kam. Wann man aber eine Verheimlichung der Schwangerschaft anzunehmen hat, darüber herrscht völlige Unklarheit 6 ) Kriminalpolitisch unzweckmäßig ist die außerordentliche Strafe Insofern, als e s g e r a d e den verwegensten und erfahrensten Verbrechern gelingen wird, den gesetzlich notwendigen Beweis durch hartnäckiges Leugnen zu vereiteln 6 ). Diese für die Allgemeinheit b e s o n d e r s gefährlichen Verbrecher, die an sich die Todesstrafe oder eine lebenslängliche Zuchthausstrafe verdient haben, werden mangels vollständigen Beweises zu einer milderen, außerordentlichen S t r a f e verurteilt, d. h. sie werden auf einige Zeit eingesperrt und dann wieder, ungeachtet ihrer Gemeingefährlichkeit, auf die Menschheit losgelassen, und d a s alles, obwohl man mit Sicherheit voraussieht, daß sie, in die Freiheit zurückgekehrt, sogleich ihr verbrecherisches Treiben f o r t s e i e n werden 7 ). Auf der anderen Seite trifft die außerordentliche Strafe Personen, die möglicherweise zu Unrecht in Verdacht gekommen, also unschuldig sind. Waren diese leßteren Personen bislang vielleicht noch gänzlich unbescholtene Leute, so kommen sie nunmehr in der Gefangenschaft mit den verworfensten Verbrechern zusammen. Dieser Umgang kann sich sehr nachteilig auf den einzelnen auswirken und ihn gerade zum Verbrecher erziehen. „Als ausgelernter Bösewicht kehrt er in die Freiheit zurück" 8 ). Mit diesen überzeugenden Argumenten führt K l e i n unermüdlich den Kampf gegen die außerordentliche Strafe 9 ). *) Grundsätze des gemeinen deutsehen und preußischen peinlichen Rechts, § 351. 5 ) Sehr drastisch wird dies von Bartz im Archiv des Criminalrechts. Bd. VI, 2. Stück, S. 78, geschildert: ,.Es lassen »ich deswegen sowohl über da» Vorhandemseyn und die Merkmale des Facti, als über die Größe der Strafe mancherley Fragen stellen, auf welche der Vertheiidiger des Gerichtsbrauchs nicht sogleich eine Antwort haben wird. Ist nämlich Verheimlichung der Schwangerschaft vorhanden, wenn diie Dirne diese ihren Aeltern, dem Schwängerer und allenfalls ihren Verwandten entdeckte, oder müssen mehrere darum wissen, und welcher P u n k t ist die Gränze, wo dieses Bekianntseyn aufhören darf* Wenn sie ungescheut ihren stark gewordenen Leib sehen läßt, ohne gerade die Frage der Neugierigen über Sckwangerschaft mit Ja zu beantworten, kann alsdann g e s a g t werden, daß sie die Schwangerschft verbirgt? Hat die jenige Dirne ihre Schwangerschaft verheimlicht, welche kurz vor der Niederkunft oder einen Tag vorher ihre Umstände anzeigte oder wie lange vor den Wochen mußte sie dieses thun?" Wir sahen (Anm. 3), daß das A.L K. ver sucht hat. diese Fragen durch eine kasuistische Regelung zu beantworten. ') Archiv des Cniminalrechts, Bd. III, 2. Stück, S. 66. ') Annalen. Bd. 23, S. 144/145. «) Annalen. Bd. 23, S. 152, Bd. 21, S. 29«. •) W i e sehr K l e i n gerade dieser Punkt der Strafrecklspflege am Herzen lag, zeigt folgende Beschreibung seines Kampfes gegen die außerordentliche .Strafe: .Ich gestehe, daß ich glauben würde, ein sehr verdienstliches Werk getan zu haben, wenn es mir gelungen wäre, die außerordentliche Strafe wegen Mangel des gesetzlichen Beweises ganz aus unseren Gelichtehöfen zu verbannen. Einen großen Theil meines Lebens habe ich darauf

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2. Aus der Ablehnung der außerordentlichen S t r a f e folgert K l e i n nun k e i n e s w e g s die unbedingte Freilassung des verdächtigen Inquisiten. Denn d a s hieße ja geradezu eine Prämie auf d a s Leugnen seßen und d a s gemeine W e s e n dem Verbrechertum p r e i s geben. Der S t a a t ist vielmehr zum Schuße der Allgemeinheit in allen Fällen, in denen der Verdacht gegen den Inquisiten so groß ist, daß er aller Wahrscheinlichkeit nach die ihm zur Last g e l e g t e Tat begangen hat und e s nur an der formellen Vollständigkeit des Beweises fehlt, berechtigt und verpflichtet, statt der S t r a f e S i c h e rungsmaßregeln g e g e n den Inquisiten zu ergreifen. Bei der weiteren Entwickelung der Theorie der Sicherung s mittel fällt vor allem die von K l e i n gemachte scharfe Unterscheidung von S t r a f e einerseits und sichernden Magnahmen andererseits in die Augen. Dabei betont K l e i n , daß e s sich bei dieser Unterscheidung nicht um einen bloßen Streit um Worte handelt, sondern dag dem verschiedenen äußerlichen Namen auch sachlich Verschiedenes zugrunde liegt. Klein stellt mit dieser Unterscheidung als erster in der deutschen Strafrechtswissenschiaft eine auf der Zweispurigkeit von S t r a f e und sichernder Maßnahme beruhende, wissenschaftlich begründete Theorie der Sicherungsmittel auf. Die psychologische Wurzel für die strenge Zweispurigkeit der K l e i n schen Theorie liegt in erster Linie in dem Umstände, daß nach K l e i n S t r a f e den trifft, der mit den geseßlichen Beweismitteln des Verbrechens vollständig überführt ist, während die an die Stelle der außerordentlichen S t r a f e tretenden sichernden Maßnahmen bereits g e g e n den angewandt werden, der eines V e r brechens nur hinreichend verdächtig erscheint, und bei dem a l s o noch die Möglichkeit der Unschuld besteht. Diese Verschiedenheit des Tatbestandes rechtfertigt audi verschiedene Rechtseinrichtungen. Aus dem 'gleichen sachlichen Grunde unterscheidet man ja auch die Untersuchungshaft von der S t r a f e . Denn auch bei den Untersuchungsgefangenen handelt e s sich um Personen, die eines Verbrechens lediglich verdächtigt sind und die man wegen Fluchtoder Kollusionsverdachts der Freiheit beraubt. Die sichernden Maßnahmen sind schon ihrem Zwecke nach von der S t r a f e verschieden. Die Strafe bezweckt, die Achtung d e r S f r a f g e s e ß e zu erhalten. Dies geschieht durch Abschreckung aller Untertanen vor Begehung strafbarer Handlungen mittels Androhung von Strafen und im Falle der Verlegung der Sfirafgeseße durch Vollziehung der Strafen. Die Abschreckungswirkung wird begreiflicherweise nur erreicht, wenn die Strafe notwendig ein Übel darstellt. Die sichernden Maßnahmen dienen dagegen nicht der generalpräventiven Abschreckung, s o n dern ausschließlich der Sicherung der Allgemeinheit vor künftig zu erwartenden Verbrechen seitens eines Verdächtigen. Die sichernde verwandt, diesen Zweck ziu erreichen, und ich halte mich für verpflichtet, nicht eher zu ruhen, bis ich m i r . selbst sagen kann, ich hätte kein Mittel verabsäumt, was die Erreichung dieses Zweckes befördern könnte. Solange mir noch etwas K r a f t übrig bleiben wird, werde ich nicht aufhören, diese Sache in Anregung zu bringen. Auch den Vorwurf immerwährender Wiederholungen werde ich nicht scheuen." Annalen, Bd. 23, S. 161; im gleichen Sinne Selbstbiographie, S. 70.

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Maßnahme braucht daher im Gegensafe zur Strafe nicht begriffsnotwendig ein Übel zu enthalten. Theoretisch denkbar wäre die sichernde Maßnahme ohne jeden Ubelscharakter. Wenn nun praktisch keine Mittel und Wege gefunden werden können, die die Allgemeinheit vor gefährlichen Personen sichern, ohne zugleich von den Betroffenen als ein ihnen zugefügtes übet empfunden zu werden, so ist dieses Übel zumindest kein Strafübel, sondern lediglich eine unumgängliche Begleiterscheinung der sichernden Maßnahme 10 ). Also auch für den Fall, daß sich im praktischen Vollzuge die sichernde Maßnahme von der Strafe so gut wie garnicht unterscheiden sollte, kann sich der Betroffene mit dem schwachen Trost begnügen, daß ihm das Übel nicht zur S t r a f e , sondern zur allgemeinen S i c h e r h e i t zugefügt worden ist! Immerhin zeigt sich auch praktisch ein Unterschied da, wo es möglich ist, ohne den Sicherungszweck zu gefährden, von einer Freiheitsentziehung des Verdächtigen abzusehen. Denn von mehreren in Betracht kommenden Sicherheitsmifteln ist stets das zu wählen, das die Freiheit und Ungestörtheit des Betroffenen am wenigsten berührt. Als solche mildere Sicherheitsmaßregeln sind zu nennen die Leistung einer Kaution, die Bürgschaft von Verwandten, die Stellung unter Polizeiaufsicht und die Aufenthaltsbeschränkung 11 ). Die Bestimmung der Art und des Umfanges der sichernden Maßnahmen hat ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der kriminellen Gefährlichkeit des Verdächtigen für das gemeine Wesen zu erfolgen. Keinesfalls richtet sich die Bestimmung der Sicherheitsmittel nach der Höhe der Strafe, zu der der Verdächtige im Falle vollständiger Überführung hätte verurteilt werden müssen. Audi der Grad der Unvollständigkeit des Beweises, nach dem die Praxis in der Regel die Höhe der außerordentlichen Strafe bemessen hat, kann auf die Bestimmung der sichernden Maßnahme keinen Einfluß haben, da der Grad der Gemeingefährlichkeit des Verdächtigen nicht aus dem mehr oder weniger gelungenen Beweise, sondern aus der Natur des vermutlich begangenen Verbrechens, dem Charakter und den sozialen Verhältnissen des Verdächtigen zu schließen ist12). Die sichernde Maßnahme dauert solange es der Zweck erfordert, d. h. solange eine Gefahr von Seiten des Verdächtigen für die Allgemeinheit vorhanden ist. Grundsäßlich wird die Sicherungsmafjnahme, soweit sie in einer Freiheitsentziehung besteht, auf Lebensdauer anzuordnen sein. Eine vorzeitige Beendigung der „Sicherungsverwahrung" kann sich daraus ergeben, daß sich die Unschuld des Verdächtigen hinsichtlich der Tiat, deren er verdächtigt wurde, herausstellt; ferner ist der Verdächtige aus der Sicherungsanstalt zu entlassen, wenn er sich moralisch so gebessert hat, daß man die Verübung neuer Verbrechen nach Entlassung nicht mehr zu befürchten hat. Schließlich kann das Moment der Gefährlichkeit durch physische Veränderungen in der Person des Verdächtigen, z. B. Alter und Krankheit, verloren gehen. Und es hieße die Sorge für ) Bisen hart, im Archiv des Criminalrechtre, Bd. III, 2. Stück, S. 26/27. " ) Merkwürdige Rechtssprüche, Bd. IV, S. 42. >5) Archiv d. CriminalrecMs. Bd. I. 2. Stück, S. 35; Eisenhart, a.a.O., S. 47.

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die gemeine Sicherheit übertreiben, wenn man auch hier noch Mittel gegen eine Gefahr, die nicht mehr gegeben ist, anwenden wollte 13 ). 3. Die bestrittenste Frage in der Theorie der Sicherungsmittel war die, wer für die Anordnung von Sicherheitsmaßnahmen zuständig sein sollte. Eine Einigung in dieser Frage konnte um so weniger erreicht werden, als die Beantwortung der Frage keine reine Rechtsangelegenheit war, sondern wesentlich von der politischen Grundhaltung der einzelnen Kriminalisten abhing. K l e i n trat für die unbedingte Zuständigkeit des Richters ein hinsichtlich der sichernden Maßnahmen, die über eine bloße Beobachtung der verdächtigen Personen hinausgehen und vor allem zu einer Freiheitsentziehung führen. Freilich muß K l e i n vom Standpunkte der Gewaltenteilungslehre Montesguieu's aus zugeben, daß es an sich Sache der Polizei sei, die zur Sicherheit der Allgemeinheit notwendigen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen, und, es scheint daher, sagt K l e i n , „als ob der Richter bey Bestimmung der Sicherheitsmaßregeln den Polioeybedienten in ihr Amt greife" 14 ). Jedoch huldigt K l e i n , als Anhänger des aufgeklärten Absolutismus, der Auffassung von einer einheitlichen, in der Person des Monarchen ihre Spike findenden Staatsgewalt noch in so starkem Maße, daß die Teilung der Gewalten für ihn mehr den Sinn einer Arbeitsteilung zwischen den im Staate vorhandenen Behörden hat, als den eines politischen Dogmas. Für K l e i n sind daher bei der Beantwortung der Frage der Zuständigkeit für die Anordnung der sichernden Maßnahmen nicht das abstrakte Prinzip der Gewaltenteilung, sondern in erster Linie praktische Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte ausschlaggebend. Diese sprechen aber für die Zuständigkeit des Richters. Denn die Entscheidung über die Verhängung sichernder Maßnahmen hängt zunächst von der vom Richter zu entscheidenden Vorfrage ab, ob der Inguisit den vollen geseßlichen Beweis gegen sich hat und demnach zu krimineller Strafe verurteilt werden muß, oder ob der Beweis gegen ihn unvollständig geblieben ist, so daß nur noch sichernde Maßnahmen in Betracht kommen. Auf Grund der gegen den Inquisiten geführten Untersuchung erlangt der Richter ein Bild über die Persönlichkeit des Inquisiten. Der Richter ist daher auch dank seiner Kenntnisse über die Person des Inquisiten in erster Linie berufen, zu entscheiden, ob der Inguisit ein so gefährlicher Mensch ist, daß man die Allgemeinheit vor ihm durch besondere Sicherheitsmittel schüfeen muß und welche Sicherheitsmittel in concreto die geeignetsten sind, diesen Zweck zu erreichen. Es wäre unzweckmäßig und umständlich, wenn nach dem Richter auch noch die Polizeibehörde die Untersuchungsakten zwecks Fest' ^ E i s e n h a r t , a.a.O., S. 5 1 / 5 2 . Archiv des Criminalrechts, Bd. I., 2. Stück, S. 35, ebenso Eisenhart im Archiv des Criminalrechts, Bd. I I I , 2. Stück, S. 32. Da Eisenhart im E r gebnis wie K l e i n für die Zuständigkeit des Richters ist, nimmt er an, daß hier polizeiliche Befugnisse k r a i t besonderen Auftrags durch den Richter ausgeübt werden; damit entwickelt Eisenhart bereits den modernen Verwaltung« rechtlichen Begriff der „AuftragsiaJigelegenheit". Ahelich, nur mit umgekehrten Rollen, haben wir es heute bei den polizeilichen Strafverfügungen, die materiell Rechtssprechungstätigkeit darstellen, wahrgenommen von der Polizei, als einer Verwaltungsbehörde. 14 )

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Stellung der kriminellen Gefährlichkeit d e s Inquisiten genau sludieren müßte 1 5 ). E s würde g e g e n den Grundsatz einer ökonomischen und sachlich z w e c k m ä ß i g e n G e s d i ä f t s v e r t e i l u n g v e r s t o ß e n , wollte man die gleiche Untersuchung durch eine a n d e r e B e h ö r d e wiederholen lassen. W e n n nun auch K l e i n die A u f f a s s u n g e i n e r einheitlichen, ungeteilten S t a a t s g e w a l t vertrat, s o f o r d e r t e er doch hinsichtlich der R e c h t s p r e c h u n g die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte. }a, e r b e t r a c h t e t e e s g e r a d e z u a l s einen o b e r s t e n Grundsatz der Monarchie, d a ß der Monarch nie die richterliche Gewalt an sich reißen dürfe 1 0 ). Nur der Richter b e s i ß t die Ü b e r l e g u n g und Erfahrung, die ihn in den S t a n d s e ß t , Tat und T ä t e r leidenschaftslos zu beurteilen. „Der Monarch kann d a h e r für die Gerechtigkeit nicht b e s s e r s o r g e n , a l s indem er sich s e l b s t d e s Richteramts enthält, und nur durch ein w a c h s a m e s A u g e und w e i s e G e s e ß e für eine g u t e Justizpflege sorgt" 1 7 ). Die b e s o n d e r s hohe Meinung K 1 e i n ' s von dem Amt d e s R i c h t e r s ist bei der Entscheidung der Zuslandigk e i t s f r a g e hinsichtlich der Anordnung s i c h e r n d e r Maßnahmen zugunsten d e s R i c h t e r s mitbestimmend g e w e s e n . Die Argumente für die richterliche Zuständigkeit enthalten d a b e i unverkennbar liber a l e , r e c h t s s t a a t l i c h e G e d a n k e n g ä n g e . S o ist e s typisch rechtsstaatlich, wenn K l e i n d a v o n spricht, d a ß die bürgerliche Freiheit einer großen G e f a h r a u s g e s e ß t w e r d e n würde, wenn man das R e c h t zur V e r h ä n g u n g von S i c h e r h e i t s m a ß n a h m e n dem Landesherrn o d e r der P o l i z e i z u s p r e c h e n wollle. „Die Freyheit d e s Bürgers ist ein zu k o s t b a r e s Gut, a l s d a ß e r d e s s e l b e n nach dem Gutdünken der O b r i g k e i t verlustig erklärt w e r d e n könnte" 1 8 ). Ja, K l e i n bezeichnet e s g e r a d e z u a l s einen „widerrechtlichen Eingriff" in die R e c h t e d e s B ü r g e r s , wollte man die V e r h ä n g u n g sichernder Maßn a h m e n „der Wilkür" der P o l i z e i ü b e r l a s s e n 1 9 ) . Die Anordnung einer s o tief in die vom S t a a t e zu r e s p e k t i e r e n d e Freiheitssphäre d e s einzelnen e i n g r e i f e n d e M a ß n a h m e , wie sie die Sicherungsverwahrung b e d e u t e t , kann d a h e r nur durch ein u n a b h ä n g i g e s , objektiv urteilendes Gericht e r f o l g e n , um j e d e n Mißbrauch dieses R e c h t s d e s S t a a t e s von vornherein a u s z u s c h l i e ß e n . Ein dem Wesen d e s P o l i z e i s t a a t e s e n t s p r e c h e n d e r e n e r g i s c h e r S c h u ß d e s Gemeinw e s e n s vor den G e f a h r e n d e s V e r b r e c h e r t u m s , jedoch unter rechts) Annaien. Bd. '21. S. 297. ">) Annaien, Bd. 8, S. 171. " ) A.a.O.. S. 172. Mit dieser Auffassung gehört K l e i n z,u den Vorkämpfern für eine unabhängige richterliche Gewalt; in Preußen hatte bekanntlich der Kampf gegen die Kabinettsjustiz bereits früh einen entscheidenden Sieg errungen; durch das berühmte Ressortreglement vom Jahre 1749 setzte Friedrich der Große fest, ..daß regulariter alle Prozeßsaohen. welche das intereses privatum vel jura partium quarum inter est betreffen, bei denen jeden Orts bestellten ordentlichen Justiz-Collegiis erörtert u.nd dediciret werden müssen". Edgar Loening, Gerichte und Verwaltungsbehörden in Brandenburg-Preußen, Verwaltungsarehiv II, S. 266. 18 ) Archiv des Criminalrechts, Bd. 1, 2. Stück, S. 35; im gleichen Sinne auch in: Grundsätze der natürlichen Riichterwissenschaft nebst einer Geschichte derselben: „Die Polizei kann der bürgerlichen Freiheit sehr gefährlich werden." S. 271, § 525. " ) Annaien, Bd. 21, S. 297. ,5

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staatlich-liberalen Sicherheitsgarantien des einzelnen ist kurz die Auffassung K 1 e i n ' s von den sichernden Maßnahmen. Auch bezüglich der F r a g e der Zuständigkeit, bei der man Übereinstimmung auf Grund gleicher rechtsstaatlicher Anschauungen erwarten durfte, tritt Feuerbach K l e i n a l s G e g n e r g e g e n über. Nach Feuerbach hat der Richter allein die Befugnis, dem Landesherrn darüber Bericht zu erstatten, ob und inwieweit die b e treffende P e r s o n dem S t a a t gefährlich sei, dagegen steht dem Richter kein Recht zur unmittelbaren Verhängung der sichernden Maßnahme zu, da, „wenn e s auch ein Recht geben sollte, wegen größerer G e f a h r die S t r a f e des G e s e k e s zu erhöhen, dieses Recht doch nur dem Oberhaupte selbst, nicht a b e r dem Richter zustehen könne". Aus der Natur der richterlichen Gewalt, so meint F e u e r bach, ergibt sich, dafe der Richter lediglich auf die Anwendung des Gesekes beschränkt ist. „Der Richter hat nur das Recht zu strafen, aber nicht sonstige Anstalten zur künftigen Sicherheit des S t a a t e s zu treffen" 2 0 ). Der Richter soll nur konkrete Lebenstatbestände unter das Gesefe subsumieren und darf sich keinesfalls über das Geseb selbst erheben. D a s Verbrechen ist nach Feuerbach „eine durch das Strafgesefe bedingte Läsion". „Der Rechtsgrund der Zufügung eines S t r a f ü b e l s besteht darin, dajj d a s Übel als Bedingung auf die Handlung, als d a s Bedingte, gesefet worden ist, d a | dieses der Verbrecher weife und darum rechtlich genötbigt ist, durch die That in die S t r a f e einzuwilligen" 21 ). Da nun die sichernde Maßnahme kein gesefelich bestimmtes Übel ist, hatte der Verbrecher bei T a t begehung von diesem Übel keine Kenntnis, hat daher auch nicht in die Verhängung d i e s e s Obels einwilligen können. K l e i n 22 ) wendet mit Recht g e g e n den Versuch, d a s Rechi zur Vollziehung der Strafe auf die Einwilligung d e s Rechtsbrechers zu gründen, ein, dag weder der T ä t e r mit der Tat in die S t r a f e , nochi der G e s e h geber unter der Bedingung der S t r a f e , in die Tat einwillige. Daß der Verbrecher nur die Tat, nicht auch die S t r a f e will, gibt er deutlich zu erkennen, indem er in der R e g e l a u s Furcht vor Strafe die verbotene Handlung heimlich b e g e h t in d e r Hoffnung, sich der B e strafung zu entziehen. Das Charakteristische der S t r a f e ist vielmehr, dag sie auch g e g e n den Willen d e s Rechtsbrechers an ihm zwangsweise vollzogen wird. Aber auch der Gesetzgeber willigt keineswegs unter der Bedingung, dafe der Täter die verdiente Strafe auf sich nehme, in die Begehung der mit der Strafe b e drohten Handlung ein. K e i n e s w e g s schliefet die Einwilligung in das Bedingte stets die Einwilligung in die Bedingung in sich. Wenn jemand einen anderen mit einer Ohrfeige bedroht, falls er ihn stofeen würde, so ist e r deshalb noch nicht verpflichtet, sich stoßen zu lassen, wenn der andere sich die Ohrfeige gefallen lassen wollte23). E b e n s o erlaubt auch der S t a a t nicht den Mord unter der Bedingung, dafe der Mörder die auf den Mord gesefete S t r a f e des 2"|

Revision, erster Teil, S. 334. Revision, erster Teil, S. 333. 22 ) In der Kritik über Feuerbachs Anti-Hobbes im Archiv des Cniminall-echts, Bd. I, 4. Stück, S. 168 ff. ! 3 ) A.a.O., S. 169. sl)

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Röderns auf sich nehme, sondern der S t a a t wird mit allen Mitteln die Ausführung der Mordabsicht zu verhindern suchen 24 ). Damit ist die unrichtige und psychologisch wirklichkeitsfremde Begründung Feuerbachs von K l e i n widerlegt worden. Zugleich zeigen diese gegen Feuerbach gerichteten Argumente K 1 e i n s , daß er den Norm-Charakter aller strafrechtlichen Gebote und Verbote richtig erkannt hat. 4. Ihren Ausgangspunkt hat die Theorie der Sicherungsmitlel bei K l e i n , wie wir sahen, von der gemeinrechtlichen außerordentlichen S t r a f e aus genommen. In gewolltem Gegensab zu der augerordentlichen Strafe hat K l e i n die einzelnen Punkte seiner Theorie entwickelt. Doch K l e i n ging noch einen wesentlichen Schritt weiter, indem er auf sichernde Maßnahmen nicht nur an Stelle und unter den Voraussefeungen der außerordentlichen Strafe erkannte, sondern sichernde Malnahmen auch in Verbindung mit der Verurteilung, also nach ausgestandener S t r a f e eintreten lieg25). Den Anlaß zu dieser Erweiterung d e s Anwendungsgebietes der sichernden Maßnahmen gab die damalige, unbefriedigende kriminalpolitische Lage. Man machte die traurige Erfahrung, daß die Gefangenen oft sofort nach ihrer Entlassung aus der Anstalt d a s Stehlen und Betrügen wieder aufnahmen, bis sie von neuem ertappt und der verdienten S t r a f e zugeführt wurden. Bezeichnend hierfür war der Fall „Schmazner", von dem K l e i n erzählt 26 ), daß er mit einem von d e r lefcten Züchtigung noch blutenden Rücken abermals zu stehlen gezwungen war, weil er nach seiner Entlassung aus dem Zuchthause kein Unterkommen finden konnte. Der Fall „Schmazner", in dem man wohl mit Recht nicht nur d a s Schicksal eines, sondern sehr vieler Vebrecfoer zu sehen meinte, bildete den Anlafj eines Berichts des Kammergerichts über die Frage der Unterbringung der a u s den Strafanstalten entlassenen Gefangenen. „Die Schmaznerschen Untersuchungs-Acten, a u s welchen wir als Richter d a s beyliegende Urtheil gefallet, geben uns dazu die nächste Veranlassung. Der Inquisit wurde nach ausgestandener S t r a f e mit zerfleischtem Rücken, arm und abgerissen aus dem Zuchthause entlassen. Kein Gastwirth wollte ihn aufnehmen, von der Obrigkeit, bei der er sich meldete, erhielt er ein Privat-Almosen, keine Unterstüfeung, keine Anweisung für die Zukunft, auch die lefete erbettelte Herberge sollte ihm versagt werden, seine Noth stieg nach d e r Natur der Sache mit seinen Bedürfnissen, er brach ein, stahl und ward methodisch von neuem ein Dieb" 27 ). Das Kammergericht sieht die Ursache dieses Ubelstandes in der Unmöglichkeit, für die entlassenen Sträflinge ein geeignetes Unterkommen zu finden. Sobald der a u s dem Zuchthaus entlassene Sträfling sich als solcher legitimiert, sind ihm die Türen der bürgerlichen Welt verschlossen. Auf der Suche nach Arbeit und Brot bleibt ihm schließlich nur noch der Weg des Verbrechens übrig. Das ") ) 2 «) ")

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Archiv des Crimiualrechts, Bd. II, 1. Stück, S. 122. v. Liezt, a.a.O., S. 150. An.na.len, Bd. 11, S. 124. Annalen, Bd. 11, S. 126.

Problem der Entlassenenifürsorge offenharte sich bereits damals in seiner ganzen Schwierigkeit, und seine Lösung bereitete den derzeitigen Kriminalisten viel Kopfzerbrechen. Das Kammergericht nun machte den sonderbar anmutenden Vorschlag, wenigstens einen Teil der Sträflinge nach Entlassung in das königlich-preußische Heer einzureihen. Auf diese Weise, meinte das Kammergericht, würden die Entlassenen am besten versorgt und kämen zugleich in eine strenge, militärische Disziplin und Aufsicht, die ihnen die Lust und die Möglichkeit zur Begehung neuer Verbrechen nehmen würde. Obgleich dieser vom Kammergericht bereits einmal a n g e regte Vorschlag nicht die Billigung d e s Königs gefunden hatte, scheute e s sich nicht, seinen Antrag zu wiederholen 28 ). In einem im Sinne K 1 e i n ' s gehaltenen und von K l e i n in seinem Archiv veröffentlichten Aufsafe 26 ) wendet sich der ungenannte Verfasser entschieden gegen eine „Versefeung der Entlassenen in den Soldatenstand". Zunächst weist der Verfasser darauf hin, daß auch im Militär die Möglichkeit zu Begehung von Verbrechen vorhanden ist. Abgesehen davon, da& auch der Soldat in der Kaserne seine Kameraden bestehlen oder andere Verbrechen an ihnen begehen kann, steigert sich die Gefahr im Falle des Krieges. Denn hier auf offenem Felde, wo er nicht so genau beobachtet wird, wie in d e r Garnison, hat er zur Begehung von Verbrechen oft Gelegenheit. Nicht selten wird er auch zum Feinde überlaufen und wird damit zum Verräter seines Vaterlandes. Aber auch der weitere entscheidende Gesichtspunkt, nämlich der der militärischen Ehre, wird hier mit Recht gegen den Vorschlag des Kammergerichts hervorgehoben. Wie sehr mufe sich der ordentliche, ehrbare Soldat in seiner Ehre gekränkt fühlen, daß „der Züchtling sein Kamerad wird". Auch Eisenhart lehnt den Vorschlag des Kammergerichts ab, da d a s Ehrgefühl, d a s im Heer besonders g e weckt werden müsse, durch eine solche Maßnahme erstickt werden würde30). Dank des energischen Protestes des Königl. Preujj. OberKriegs-Collegiums, d a s begreiflicherweise sich gegen einen der28 ) ..Ew. Königl. Majestät werden sich in Gnaden zurück zu erinnern belieben, diass wir im Jahre 1787 bey Gelegenheit der Schulzischen Untersuchung, un Rücksicht der gefangen gewesenen Vestiungs- und ZuchthausArrestanten. welche vermöge ihres Standes dem Enrollement unterworfen, und nach ihrem Alter, Gesundheit und Gestalt zum Soldatenstande noch brauchbar sind, wenn sie nicht, bey ihrer Entlassung, die Fortsetzung eines anderen sie unterhaltenden ehrliohen bürgerlichen Gewerbes glaubwürdig nachzuweisen vermögen, den Vorschlag gemacht, dass sie entweder an dlie Regimenter, denen sie zur Einkleidung obligat, oder an die Ordonnanz-Häuser, um als andere Recruten vertheilt zu werden, mittelst des Transports abgeliefert werden m ö c h t e n . . . " Annalen. Bd. 11, S. 129. ! ») Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 1. Stück, S. 154. 8 °) Wie sehr die Betonung der Ehre im Heere unseren heutigen Anschauungen entspricht, zeigt das neue Wehrgesetz vom 21. Mai 1935, in dem es heißt: „Wehrdienst ist Ehrendienst am Deutschen Volke." „Wehrunwürdig und damit ausgeschlossen von der Erfüllung der Wehrpflicht ist, wer a) mit Zuchthaus bestraft ist", WG. § 1 Ahs. 1, § 13 Abs. 1. Also dias Heer darf nicht nur nicht als Versorgungsanstalt für entlassene Zuchthäusler verwandt werden, sondern umgekehrt sind derartige Personen der Ehre, im deutschen Heere zu dienen, nicht teilhaftig.

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artigen Zuwachs d e s preußischen H e e r e s wehrte, sind die Vorschläge d e s Kammergerichts nicht zur Durchführung gelangt. Um dem dringenden kriminalpolitischen Bedürfnis nach Schüfe vor verbrecherischen Elementen, die infolge ihrer Veranlagung und durch ihre trostlose soziale L a g e nach Entlassung die Allgemeinheit mit neuen schweren Delikten bedrohen, nachzukommen, entschloß sich K l e i n , allmählich die ursprünglich als Ersah der außerordentlichen S t r a f e erfundenen Sicherheitsmittel auf gefährliche V e r b r e c h e r auch nach a u s g e s t a n d e n e r S t r a f e anzuwenden. Die erste Entscheidung in diesem S i n n e finden wir in den Rechtssprüchen der Hallischen Juristenfakultät ö d . 1, S . 41. Hier wurden dem Inquisiten eine Brandstiftung und mehrere kleinere Diebstähle und Betrügereien zur Last gelegt. W e g e n der Brandstiftung konnte der Inquisit zu keiner S t r a f e verurteilt werden, d a die gesefelichen B e w e i s e r f o r d e r n i s s e nicht g e g e b e n waren, noch auch hinreichende Indizien vorlagen, die eine außerordentliche S t r a f e gerechtfertigt hätten. Die Hallische Juristenfakultät verurteilte daher den Inquisiten lediglich wegen der nachgewiesenen Diebstähle und Betrugsfälle zu einer dreijährigen Zuchthausstrafe. Zugleich wird im Urteil bestimmt: „Auch ist die Zuchthaus-Direction anzuweisen, auf diesen dem gemeinen W e s e n gefährlichen Menschen ein wachsames Auge zu haben, d e s s e n Aufführung während der Strafzeit genau zu bemerken, und bey Ablauf d e r s e l b e n dem Gericht davon Nachricht zu erteilen, auch denselben nicht eher zu entlassen, bis deshalb von S e i t e n des Gerichts eine bestimmte Erklärung eingegangen ist. Haben sich nun nach a b g e s e s s e n e r Zuchthausstrafe keine neuen Anzeigen, daß er sich der Brandstiftung schuldig gemacht habe, gefunden, und hat er durch sein B e t r a g e n im Zuchthause keinen Anlaß g e g e b e n , seine Entlassung für gefährlich zu halten, so ist ders e l b e auf freyen Fuß zu stellen" 3 1 ). D a s Neue, das diese Entscheidung der Hallischen juristenfakultät in K 1 e i n ' s Theorie der Sicherungsmittel bringt, besteht in der Loslösung der Sicherungsmittel a u s ihrer bisherigen Abhängigkeit von der außerordentlichen S t r a f e . Während bisher nach K l e i n die sichernde Maßnahme nur eine die außerordentliche S t r a f e vertretende Stellung einnahm und daher auch nur bei G e g e b e n s e i n der gesetzlichen Voraussetzungen der außerordentlichen S t r a f e angeordnet werden konnte, wird hier zum ersten Mal Zurückhaltung des V e r b r e c h e r s nach ausgestandener S t r a f e bestimmt, obwohl die Fakultät im Urteil das Vorliegen eines die außerordentliche S t r a f e rechtfertigenden Verdachts (nämlich bezüglich der Brandstiftung) verneint hafte. Die nach dem Vorleben und der Führung im Zuchthause zu entnehmende Gefährlichkeit des T ä t e r s für das Gemeinwesen ohne Rücksicht auf formale Beweisrechtsfragen bildet hier die alleinige Grundlage für die Anwendung von Sicherheitsmitteln. In der gleichen Entwicklungsrichtung liegen eine Reihe weiterer von K l e i n a b g e f a ß t e r Rechtssprüche der Hallischen Juristenfakultät 3 2 ). Allen diesen Entschei) Merkwürdige Rechtssprüche, Bd. 1, S. 42. ) Vgl. ^namentlich Merkwürdige Rechtssprüche. Bd. 11. S. 3 ff., S. 157/158, Bd. IV, S. 42; Archiv des Criminalrechts, Bd. I, 3. Stück. S. 84. 31

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düngen ist gemeinsam, d a ß die Bindung d e r sichernden Maßnahmen an die Vorausseßungen der außerordentlichen S t r a f e endgültig aufgegeben ist. Die Frage des O b und Wie der sichernden Maßnahmen richtet sich ausschließlich nach der vom Täter für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr. Um die Frage nach der kriminellen Gefährlichkeit d e s Täters und ihrer wirksamen B e g e g nung mit Sicherheitsmitteln beantworten zu können, ist es nötig, die ganze Täterpersönlichkeit zu erforschen. Zur Erforschung der Täterpersönlichkeit ist ein genaues Eingehen auf das Vorleben des Täters unter besonderer Beachtung seiner bisher begangenen strafbaren Handlungen, und eine sorgfältige Beobachtung des Täters während der Strafverbüßungszeit unerläßlich. Dabei wird besonderer Wert auf eventuelle Zeichen der Besserung gelegt. Wird durch den Vollzug der S t r a f e eine wirkliche moralische Besserung des Täters erreicht, so hebt sie die kriminelle Gefährlichkeit des Täters für d a s Gemeinwesen auf und berechtigt, von einer weiteren Freiheitsentziehung nach ausgestandener S t r a f e abzusehen. Freilich war sich auch K l e i n darüber im klaren, daß die Feststellung einer wirklich erfolgten moralischen Besserung durch die Strafanstaltsdirektion eine äußerst schwierige Aufgabe ist. Mancher gerissene Verbrecher wird es verstehen, durch „heuchlerische Mienen und Reden" Besserung vorzutäuschen und die Anstaltsleiter werden geneigt sein, bei einer äußerlich ordnungsgemäßen Führung in der Anstalt, wahre moralische Besserung des Delinguenten anzunehmen. In der Freiheit benimmt sich dann der Gefangene ganz anders als in der Strafanstalt 3 3 ). Die Erwägung, die während der Strafvollstreckung gemachten Beobachtungen bei der Frage der Anordnung der Sicherungsmittel zu verwerten, bestimmt auch das zeitliche Verhältnis von Strafe und sichernder Maßnahme. Die zur Strafe verhängte Freiheitsentziehung hat den Vortritt vor den mit Freiheitsverlust verbundenen Sicherungsmitteln. Die Frage, ob im konkreten Fall Sicherungsmittel ergriffen werden sollen, wird nicht bereits im Zeitpunkt der Urteilsfällung entschieden, sondern erst am Ende der Strafzeit. Die so gewählte Reihenfolge wird auch am besten dem Abschreckungszweck der S t r a f e gerecht; denn die Abschreckungswirkung der S t r a f e ist um so eindrucksvoller, je rascher die Strafe der Tat auf dem Fuße folgt. Theoretisch interessiert bei der gezeigten Entwicklung der Lehre von den sichernden Maßnahmen namentlich d a s Festhalten K1 e i n's an der Zweispurigkeit von S t r a f e und sichernden Maßnahmen. Denn auch den nach ausgestandener Strafe eintretenden sichernden Maßnahmen legt K l e i n einen von der kriminellen Strafe verschiedenen Zweck bei. Wir haben gesehen, daß der Hauptzweck der Strafe nach K l e i n in der generalpräventiven Abschreckung liegt. Ganz anders verhält e s sich mit den sichernden Maßnahmen. Sie sollen die Allgemeinheit vor dem als gefährlich erkannten Täter schüßen, indem sie ihn entweder zu bessern suchen, 3i ) Diese durchaus zutreffende Erfahrungstatsache hat unsere heutige amtliche Straf recht,skommission mit veranlaßt, sich gegen den Aufschub der Entscheidung über die Sicherungsmaßregelm auszusprechen. Vgl. Das kommende Deutsche Strafrecht, AUg. Teil, S. 153.

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oder, wenn dies nicht gelingt, durch dauernde Einsperrung unschädlich machen. Da nun K l e i n bei der Strafe auch den Besserungsund Sicherungszweck nicht leugnet, lag es nahe, nur e i n e Mainahme in Gestalt einer Sicherungsstrafe anzuwenden, die aber beiden Zwecken, sowohl dem der generalpräventiven Abschreckung, als auch dem der spezialpräventiven Besserung bzw. Unschädlichmachung dient. Aber für K l e i n bedeuteten Besserung und Sicherung neben der Abschreckung lediglich sekundäre Nebenzwecke der Strafe 34 ). Mit einer stärkeren Betonung des Besserungszweckes der Strafe auf Kosten ihres tlbelsgehaltes fürchtete K l e i n , die generalpräventive Abschreckungswirkung der Strafe abzuschwächen. Andererseits hielt er es für ungerecht und hart, die Dauer der notwendig als Übel gedachten Freiheitsstrafe zum Zweck der Sicherung trofe Geringfügigkeit des Delikts soweit auszudehnen, daß sie auch den Sicherungszweck erreicht. Das Vorhandensein zweier verschiedener Zwecke erfordert auch verschiedene Mittel zur Erreichung dieser Zwecke, „weil dieselben Mittel selten zu beiden Zwecken geschickt sind, und weil ein Übel, welches zur Bewirkung des einen Zustandes erlaubt ist, nicht vergrößert werden darf, um einen anderen Zweck zu erreichen, welcher zwar an sich erlaubt ist, zu dessen Erreichung aber keine Gewalt angewendet werden darf 35 ) 36). Deutlich wird hier die mit der Generalprävention eng verbundene besondere Schuldauffassung. Indem die Generalprävention ihren Blick nicht auf den einzelnen Täter, sondern auf die Allgemeinheit richtet, muß sie zu einer Zurückstellung der psychischen Seite der Tat und zu einer dominierenden Stellung des Erfolges führen. Denn nicht die Seelenverfassung des einzelnen Täters, sondern die äußere Tat ist das für die Allgemeinheit sinnlich Greifbare, an das die Strafe anzuknüpfen hat. In einem Generalpräventionsrecht entscheidet die äußerliche generelle Bewertung einer in der Vergangenheit liegenden Einzeltat. Schuld ist das Wissen und Wollen des Erfolges der Tat; die Gefährlichkeit des Täters ist ein außerhalb der Schuld stehendes selbständiges Element 37 ). Von einer solchen Schuldauffassung ausgehend, muß es K l e i n ungerecht und hart erscheinen, den Täter wegen eines geringfügigen Delikts bloß wegen seines gefährlichen Charakters strenger zu bestrafen, als den Täter eines schwerer wiegenden Delikts, dessen Charakter aber keine Gefahr für das Wohl der Allgemeinheit darstellt 38 ) 39). Umgekehrt liegen die Dinge bei den >4) Archiv des Criminalrechts, Bd. II, 2. Stück, S. 86. " ) Archiv des Criminalrechts, Bd. I, 3. Stück, S. 38, ebenso Bd. II. 1. Stück, S. 102. " ) Die gleiche Argumentation findet sich ca. hundert Jahre später bei Exner in seiner „Theorie der Sicherung«mitte 1'', S. 224 unter ausdrücklichem Hinweis auf Klein. " ) Drost, Das Ermessen des Strafrichters, S. 168; Eb. Schmidt, Zur Theorie des unbestimmten Strafurteils, S. 209. " ) Archiv des Cnimiinalrechfcs, Bd. II, 1. Stück, S. 102/103. " ) In wie starkem Maße «ich d,ieee Auffassung bis in die neueste Zeit erhalten hat, zeigt am besten die Stellungnahme der amtlichen Strafrechtskommission zu dem Problem der Einspurigkeit oder Zweispurigkeit von Strafe und sichernder Maßnahme: „Jede Strafe muß irgendwie der Schuld ent-

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sichernden Malnahmen, hier entscheidet ausschließlich die kriminelle Gefährlichkeit des Täters. Der Richter entnimmt die Gefährlichkeit dem Charakter des Täters. So wird hier die Gesinnung des Verbrechers in erster Linie Objekt der richterlichen Beurteilung; die Einzeltat in ihrer Isoliertheit verliert an Bedeutung, sie ist nur noch Erkenntnisgrund für die kriminelle Gefährlichkeit des Delinquenien. „Die Bosheit, welche der Verbrecher bey dem Verbrechen selbst gezeigt hat, kommt nur insofern in Rechnung, als daraus die Gefährlichkeit seines moralischen Charakters abgenommen werden kann40)." In der richtigen Erkenntnis der hohen Bedeutung des Vollzuges für das ganze Sicherungsrecht schildert K l e i n in einem Aufsafe „Ober außerordentliche Strafen wegen unvollständigen Beweises und über Sicherheitsanstalten" 11 ), wie er sich den praktischen Vollzug der Sicherungsverwahrung in besonderen Sicherungsanstalten denkt. K l e i n fordert eine genaue Unterscheidung zwischen „Kriminal-Gefängnissen" für Untersuchungsgefangene, „Straförtern" für Strafgefangene und „Sicherungsanstalten" für den besonderen Zweck der Sicherungsverwahrung. Die Gefangenschaft in Kriminalgefängnissen soll lediglich verhüten, daß der Inguisit sich der künftig zu erwartenden Strafe entzieht; sie dauert ihrem Wesen nach nur so lange, bis sein Schicksal rechtskräftig entschieden ist. Die Einrichtung der Kriminalgefängnisse soll den Umstand genügend berücksichtigen, daß die Untersuchungsgefangenen Personen sind, deren Schuld noch nicht sicher feststeht. Ein durchaus richtiger Gesichtspunkt, dem auch die moderne Gesetzgebung stets Rechnung getragen hat42). Die bei K l e i n durchaus im Vordergrund stehende Abschreckungsidee zeigt sich auch im Strafvollzuge. Demnach definiert er auch die „Straförter" als „Obel, welche über den Verbrecher verhängt werden, um ihn oder Andere von ähnlichen Verbrechen abzuschrecken" 43 ). Abschreckung in diesem Sinne bedeutet für K l e i n nun nicht, daß der Strafvollzug möglichst hart zu gestalten wäre, das hätte dem Humanitätsideal K 1 e i n ' s widersprochen. Vielmehr sieht K l e i n in der Freiheitsentziehung als solcher bereits ein in der Regel ausreichendes Abschreckungsmittel, das gegebenenfalls durch körperliche Züchtigung und Infamie verstärkt werden kann. Neben der Abschreckung als Hauptzweck soll auch die Besserung des Strafgefangenen nach Möglichkeit versucht werden. Dazu dient in erster Linie die Erziehung des Gefangenen zur Ordnung und Arbeitsamkeit. Die Sicherungsanstalt schließlich „ist zur Aufbewahrung derjenigen Personen bestimmt, welche entweder eines gefährlichen sprechen; jeder Richter wird sich dagegen sträuben, für eine Tat. àie vielleicht nach dem Maße der Willensschuld eine Freiheitsstrafe von 1 bis 2 Jahren verdient, aus Gründen der Sicherung 8 bis 10 oder gar 15 Jahre zu geben. Er würde (lies als ungerecht ablehnen." (Das kommende deutsehe Strafrecht, Allg. Teil, S. 151. 40 ) Archiv des Criminalrechts, Bd. IT, 1. Stück, S. 102. 41 ) Ann.alen, Bd. 23, S. 144 ff; Archiv des Criminalrechts, Bd. VI, 1. Stück, S. 87/88. ") Vgl. StPO. § 116. ") Anmalen, Bd. 23, S. 163.

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Verbrediens nach geführter Untersuchung, der erfolgten Freysprechung ungeachtet, verdächtig geblieben sind und dem Staate für ihr künftiges Betragen keine Bürgschaft leisten können oder für solche, die man nach a u s g e s t a n d e n e r Strafe, ohne Gefahr des gemeinen Wesens nicht in Freyheit sefeen kann""). — Der Hauptzweck der Sicherungsverwahrung ist die Unschädlichmachung der in die Sicherungsanstalt gebrachten Personen für das gemeine Wesen 45 ). Zugleich sollen die Gefangenen in noch stärkerem Maße, als in den eigentlichen Strafanstalten an Ordnung und Arbeitsamkeit gewähnt werden. Um die spätere Wiedereingliederung in die bürgerliche Gesellschaft zu erleichtern, ist die Art der Arbeit des Gefangenen so auszuwählen, daß er nach Entlassung in der Lage ist, sich durch eine gleichartige Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Staatsökonomische Gesichtspunkte dürfen bei der Einrichtung der Sicherungsanstalt als Arbeits- und Besserungsanstalt nicht ausschlaggebend sein. Neben Arbeiten handwerklicher Art schlägt K l e i n auch Landarbeiten im Freien vor. Für zweckmäßig hält K l e i n einen „progressiven Sicherungsvollzug" in zwei Klassen. Die erste Klasse soll die Neulinge umfassen, die unmittelbar aus den Kriminalgefängnissen oder den Straf orten gekommen sind, „die zweite Klasse d a g e g e n diejenigen, die man bereits als Kandidaten der künftigen Entlassung ansehen kann". Die Abstufung müsse in der ganzen Behandlung, vor allem in der Kost und in der Art der Arbeit zum Ausdruck kommen. Die Einrichtung der Sicherungsanstalten, sowie die Behandlung der Gefangenen wird von der Absicht der Besserung und allmählichen Resozialisierung der Gefangenen getragen. Die Hauptperson des Anstaltspersonals ist nach K l e i n der Prediger. Diese Predigerstelle darf keine Notstelle für Anfänger sein! Der Prediger hat sich nicht damit zu begnügen, den Gefangenen alle S o n n - und Festtage etwas vorzupredigen, sondern hat sich mit den einzelnen Gefangenen persönlich bekannt zu machen und auf ihre moralische Besserung hinzuwirken. Aber auch der Anstaltsaufseher muß „ein Mann von Kopf und Herz sein und sein Fach vollkommen verstehen . . . " „Denn seine Einsicht wird nicht nur nöthig seyn, um der Anstalt die Subsistenz und den Arbeitlingen zweckmäßige Arbeit zu verschaffen, sondern er wird auch in Ansehung des Besserungszwecks den Prediger der Anstalt kontrollieren müssen. Er ist es, welcher den Prediger warnen muß, wenn dieser sich durch die heuchlerischen Mienen und Reden d e s einen Arbeitlinges erweichen, oder durch die trofeige, oder in sich gekehrte Gemüthsarl d e s andern abschrecken läßt" 46 ). K l e i n verspricht sich von einer derartigen, die ganze Verbrecherpersönlichkeit erfassenden Behandlung der Gefangenen nachhaltigen Erfolg und bringt auch Beispiele, in denen die Besserung der Gefangenen tatsächlich gelungen ist. Alles in allem zeigt K 1 e i n in seinem Artikel über die Sicherungsanstalten, daß er sich keineswegs mit einer rein theoretischen Scheidung von S t r a f e und sichernder Maßnahme zufrieden gibt, sondern daß der 4

V A.aX)., S. 162. " ) A.a.O.. S. 164. "«) A.a.O.. S. 170.

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theoretischen Unterscheidung auch eine solche des Vollzuges zu entsprechen hat. A b g e s e h e n von einzelnen Unzulänglichkeiten v e r iät die Klein'sche Auffassung von dem S t r a f - und Sicherungsvollzuge eine Reihe moderner kriminalpoLiiischer Gesichtspunkte. G e rade die Verbindung der Forderung nach unbedingter Sicherung der Allgemeinheit vor gefährlichen Verbrecherelementen, die nur durch eine rücksichtslose Unschädlichmachung in Sicherungsanstalten erreicht werden kann, mit der Forderung nach spezialpräventiver, auf B e s s e r u n g hinwirkender Behandlung der einzelnen Gefangenen, ist eine für die damalige Zeit hoch einzuschätzende kriminalpolitische Erkenntnis. Dag dabei die Sicherung des G e meinwesens durch Unschädlichmachung der Verbrecher durchaus im Vordergrunde steht und nicht erst als ultima ratio verlangt wird, während die B e s s e r u n g erst den zweiten P l a ß einnimmt, ist bei der polizeistaatlichen Einstellung K 1 e i n ' s nicht weiter verwunderlich. Im G e g e n s a ß zur generalpräventiven Strafauffassung lautet die Frage hier: Welche Mittel sind zu ergreifen, um speziell diesem Verbrecher den Anreiz zur B e g e h u n g künftiger Verbrechen zu nehmen? D i e s e Fragestellung erfordert statt einer schablonenhaft gleichmäßigen eine individualisierende, je nach der Eigenart des einzelnen V e r b r e c h e r s auszugestaltende Freiheitsentziehung. Damit tritt an die S t e l l e der Proportion zwischen objektiver Tat und Strafe die Proportion zwischen verbrecherischer Gesinnung und Sicherungsmittel. Zugleich bedeuten die Bemühungen um die einzelne Verbrecherpersönlichkeit, ihre Heraushebung aus der kriminellen L e b e n s w e i s e durch Verschaffung einer den Verhältnissen und Interessen d e s Delinguenten entsprechenden Arbeitsgelegenheit mit einem für seinen Lebensunterhalt ausreichenden Einkommen ein Stück fortschrittlicher Sozialpolitik im Dienste einer wirksamen Verbrechensprophylaxe. IV. Die sichernden Magnahmen d e s Allgemeinen Landrechts und der Zirkularverordnung vom 26. Februar 1799. 1. D a s unermüdliche Eintreten K l e i n ' s für einen wirksamen Schüfe des G e m e i n w e s e n s vor kriminell gefährlichen Verbrecherelementen durch b e s o n d e r e sichernde Maßnahmen wurde durch den preußischen Gesefegeber gekrönt. Der Gedanke besonderer, auf die kriminelle Gefährlichkeit einer P e r s o n abgestellter S i c h e rungsmittel Findet sich bereits in der Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. Die Art. 176 und 195 P G O . gestatten, Personen, von denen man für die Zukunft eine kriminelle Betätigung befürchten mußte und die keine hinreichende Sicherheit zu leisten vermochten, in Sicherungsverwahrung auf unbestimmte Zeit zu nehmen. Art. 176 C.C.C.: vnnd dann diieselbig persone desshalb kein nottdurfftig c a u tion, gewissheif o d e r Sicherheit machen khundte, sollichen kunfftigen vnrechtlichen schaden vnnd vbell zu furkomen: soll dieselbig unglaubhafftig bosshafftige person jnn gefennknuss, alls lanng biss die nach erkanntnuss desselbigenn gerichts genügsame Caution, sicherunge vnnd bestanndt für solliche

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vnrechfliche tathliche hanndlung thutt, durch die Scheffen Rechtlich erkannt werden; }edoch soll sollidie straff nicht leychtfertigklich oder on merckliche verdechtldchkeit kunffiiges Vibells, all» obsteet, sonnder mit Rathe der Rechtsverstenndigen bescheen. Vnnd solle sollicher gefanngen jn dem gerichte, darjnne er also beclagt vnnd vberwunden wirdt, e n t halten werden. Art 195 C.C.C.: Formierung der Vrteill eins sorgklischen Mans jn gefengknus zu verwaren. Vff warhafftig erfarunge vnnd befindunge genügsamer anzeigung zu bösem glaubenn, kunfftiger vbellthätiger bescheidigung halber, Ist zu recht erkannt, Das B., so gegenwertig vor gericht steet, jnn gefenngnus ennthallten werden soll, bis er genügsame Vnnd geburlidie Caution vnnd bestandt thut, damit Lanndt vnnd leute vor jme versichert werden. Die Bestimmungen der Carolina sind nicht als reine sichernde Maßnahmen, sondern zugleich als Strafe aufzufassen 1 ). Bei der polizeilichen Art der Strafrechtspflege, die auf eine radikale Sicherung der Allgemeinheit vor kriminellen Individuen abgestellt war, bestand für eine scharfe Unterscheidung von Strafe und sichernder Maßnahme kein Anlag2). Die damalige, 'lediglich auf Sicherung der Gesellschaft bedachte Strafauffassung gelangte daher notwendig zur Einspurigkeit. S o bedeutete daher die begriffs-theoretische Aufrollung des Problems „Strafe und sichernde Maßnahmen" durch K l e i n etwas durchaus Neuartiges für seine Zeit. K l e i n erzählt auch in der Selbstbiographie, daß er mit seiner Lehre unter den damaligen Kriminalisten zunächst allein dastand 3 ). Aber schon bald fand die K l e i n ' sehe Theorie namhafte Anhänger wie Eisenhart und Kleinschrod. Die größte Genugtuung war für K l e i n jedoch die Anerkennung seiner Forderungen nach besonderen sichernden Maßnahmen durch das größte Geseßgebungswerk jener Zeit, das allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten. Die Problematik der außerordentlichen Strafen und die sichernden Maßnahmen waren es auch, die K l e i n bewogen, seine Lehrtätigkeit in Halle aufzugeben und nach Berlin überzusiedeln, um unmittelbar an den Arbeiten der Geseßgebungskommission des Allgemeinen Landrechts teilnehmen zu können4). Das Allgemeine Landrechl enthäl im § 5 des das Strafrecht regelnden zwanzigsten Titels eine allgemein gehaltene Vorschrift über Sicherungsverwahrung nach ausgestandener Strafe. Außer dieser Bestimmung des allgemeinen Teils findet sich noch eine Reihe Sicherungsmittel enthaltende Vorschriften bei verschiedenen Einzeldelikten des besonderen Teils. In § 5 II 20 ALR. heißt es: „Diebe und andere Verbrecher, welche ihrer verdorbenen Neigungen wegen dem gemeinen Wesen gefährlich werden könnten, sollen, auch nach ausgestandener Strafe, des Verhafts nicht eher entlassen werden, als bis sie ausgewiesen haben, ') ) ») 4) 2

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Hedemann, Die Sicherungsverwahrung der Schwerverbrecher. S. 2. v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch, S. 366, II. Selbstbiographie, S. 66. Selbstbiographie, S. 71.

wie sie sich auf eine ehrliche Art zu ernähren im Stande sind," Sowohl der Wortlaut als auch die Stellung des § 5 im allgemeinen Teil ergeben, dag sich die Vorschrift des § 5 auf sämtliche Deliktstypen bezieht, doch werden die gefährlichen Diebe ausdrücklich gleich zu Anfang hervorgehoben. Dazu erfährt § 5 bezüglich der Enfwendungsdelikte noch eine nähere Durchführung in § 1160 d e s besonderen Teils, wo es heißt: „Macht er sich dieses Verbrechens (gemeint ist Diebstahl) nach zweimaliger Verurtheilung zum drittenmale schuldig, so soll er nach ausgestandener Strafe, in einem Arbeitshause so lange verwahrt, und zur Arbeit angehalten werden, bis er sich b e s sert, und hinlänglich nachweiset, wie er künftig seinen ehrlichen Unterhalt w e r d e verdienen können." Daß man bei Sicherungsverwahrung des Allgemeinen Landrechts vor allem an gefährliche Eigentumsdelinquenten dachte, zeugt von der außerordentlich hohen Wertschätzung des Individualeigentums zu jener Zeit. Nach allgemein herrschender Auffassung, die auch K l e i n in vollem Umfange teilte 5 ), war es geradezu die erste A u f g a b e der im S t a a t e durch Staafsvertrag zusammengeschlossenen bürgerlichen Gesellschaft, dem einzelnen Bürger den ungestörten Genuß seines Privateigentums zu gewährleisten. Prostituierte standen nach dem Allgemeinen Landrecht unter polizeilicher Aufsicht. Wurden Personen, die gewerbsmäßig der Unzucht nachgingen, ohne sich unter polizeiliche Kontrolle gestellt zu haben, aufgegriffen, so erhielten sie nach § 1023 eine dreimonatliche Zuchthausstrafe. Außerdem ordnete § 1024 an: Nach ausgestandener S t r a f e sind sie in Arbeitshäuser abzuliefern und daselbst so lange zu verwahren, bis sie zu einem ehrlichen Unterkommen Lust und Gelegenheit erhallten. Den gleichen polizeilichen Charakter trägt § 4 II 20 ALR., wonach Bettler, Landstreicher und Müßiggänger zur Arbeit anzuhalten und wenn e s sich um Ausländer handelt, des Landes zu verweisen sind. Bei den Religionsdelikten, die im übrigen nach dem Allgemeinen Landrecht in schärfster Abkehr von der theologischen Auffassung lediglich als „Beleidigungen der Religionsgesellschaften" erscheinen, sind in § 223 Sicherungsmaßregeln gegen religiöse Schwärmer vorgesehen: Wer nämlich aus Unwissenheit oder religiöser Schwärmerei eine Sekte gründet, deren Lehrsätze die Ehrfurcht vor Gott, den Gehorsam gegen die Geseße oder die Treue gegen den Staat untergraben, soll in eine öffentliche Anstalt gebracht, hier durch Belehrung aufgeklärt „und nicht eher, als bis man von seiner B e s s e rung überzeugt seyn kann, wieder entlassen werden". Die von der Aufklärung geforderte Religions- und Gewissensfreiheit findet hier eine Grenze an der unbedingten Staatssicherheit. Dem Wesen d e s absoluten Polizeistaates entsprach es, Hochund Landesverrat als die schwersten Verbrechen anzusehen, die überhaupt begangen werden können. Daher bestimmte d a s Allge5 ) Grundsätze der natürlichen Rechtswissenschaft. S. 250; § 485; Grundsätze des gemeinen deutschen und preußischen Rechts, S. 311, § 435.

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meine Landrecht in den § 92 ff., dafj, wer einen Hochverrat unternimmt, „mit den härtesten und schreckhaftesten Leibes- und Lebensstrafen hingerichtet werden soll". Wer einen Landesverrat begeht, wird mit Schleifen zur Richtstatt und Rädern von unten herauf bedroht. Aber das Gesefe begnügt sich nicht mit einer Bestrafung des Hochverräters selbst, sondern § 95 ALR. bestimmt weiter: Dergleichen Hochverräter werden nicht nur ihres sämmtlichen Vermögens und aller bürgerlichen Ehre verlustig, sondern tragen auch die Schuld d e s Unglücks ihrer Kinder, wenn der Staat zur Abwendung künftiger Gefahren, dieselben in beständiger Gefangenschaft zu behalten, oder zu verbannen nöthig finden sollte. Wenn der b e s t a n d des S t a a t e s selbst in Gefahr ist, so darf der Staat auch gegen Unschuldige zu so tief in das Leben der Betroffenen eingreifenden Sicherheitsmalregeln greifen, wie sie die d a u e r n d e Gefangenschaft oder die Verbannung darstellen. Dem Wohl d e s S t a a t e s mufj das Wohl d e s Einzelnen geopfert werden. Gemessen mit dem Maßstab eines modernen Gesekes, wie es etwa das Gesefe gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 darstellt, erscheinen die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechfs in ihrer Gesamtheit sowohl gesefeestechnisch als auch inhaltlich unvollkommen. Doch es w ä r e eine unhistorische Betrachtungsweise, wollte man an die Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts mit dem Vorwurf herantreten, e s erfülle nicht die Ansprüche, die wir heute an ein Gesefe gegen kriminell gefährliche Personen stellen. Nur auf e i n e n offensichtlichen Mangel des Allgemeinen Landrechts soll wegen seiner geistesgeschichtlichen Bedeutung eingegangen werden: Das Allgemeine Landrecht enthält keine einzige Vorschrift über sichernde Maßnahmen gegen gefährliche Sittlichkeitsverbrecher. Damit ist eine überaus wichtige Gruppe von gefährlichen Gewohnheitsverbrechern, der man heute durch ausgiebige Sicherungsvorschriften besondere Aufmerksamkeit schenkt, vom Allgemeinen Landrecht übersehen worden. Man hatte zur Zeit des Allgemeinen Landrechts in dem Sittlichkeitsverbrecher noch nicht den gefährlichen, immer wieder rückfällig werdenden Gewohnheitsverbrecher erkannt, als den wir ihn heute ansehen. Dies hing eng mit den durch die Aufklärung herbeigeführten, veränderten Anschauungen zusammen. Hatte man noch unter der Herrschaft d e s gemeinen Rechts „die Fleischesvergehen" mit schweren Leibes- und Lebensstrafen bedroht, so neigte man jefet unter dem Einfluß der Aufklärung und Humanität zu einer milden Beurteilung der Sittlichkeitsdelikte. Dazu kam, dafj man, a b g e s e h e n von der Erregung öffentlichen Ärgernisses, in den Sittlichkeitsvergehen lediglich die Verlegung der privaten Geschlechtsehre d e s Einzelnen erblickte; für den Staat war daher Zurückhaltung am Piafee. Willigte die Person, gegen die sich das Sittlichkeitsdelikt richtete, in die Verlegung ihrer Geschlechtsehre ein, so war, weil der Einzelne über seine Geschlechtsehre frei verfügen konnte, für ein Ein-

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schreiten des S t a a t e s kein Raum. Daher bestimmt auch § 1060 II 20 ALR. in folgerichtiger Durchführung dieser Auffassung, im zwölften, die Sittlichkeitsdelikte enthaltenden Abschnitt, daß, „wenn die Beleidigten dergleichen Verbrechen nicht rügen, und wenn dadurch auch kein öffentliches Ärgernis g e g e b e n worden, keine richterliche Untersuchung von Amts wegen stattfindet". 2. Uber den Standpunkt des Allgemeinen Landrechts hinausgelangt ist die Zirkular-Verordnung wegen Bestrafung der Diebstähle und ähnlicher Verbrechen vom 26. Februar 1799. Die Verordnung, die eine wesentliche Verschärfung gegenüber den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts brachte, wurde auch von K l e i n lebhaft begrübt und in seinem Archiv (Bd. II 1. Stück S. 32 ff.) veröffentlicht. Die kriminalpolitische Tendenz der Verordnung gibt am besten die Einleitung zu erkennen: Die seit einiger Zeit zunehmende Anzahl der Diebstähle und das immer häufiger werdende Entweichen der Verbrecher, machen e s nothwendig, die Strafen zweckmäßiger zu bestimmen, welche diejenigen zu erwarten haben sollen, die sich solcher Vergehungen, nach Publication dieser Verordnung, schuldig machen. — Bey dieser Abärtderung der bisherigen Strafgesetze haben Wir die Landesväterliche Absicht, Unsern getreuen Unterthanen den ruhigen Besiß ihres Eigenthums zu sichern, zur Verhütung des Stehlens und Raubens abschreckende Beyspiele aufzustellen, die Verbrecher, wo möglich, zu bessern, und wenn sie keiner Besserung fähig sind, für ihre Mitbürger unschädlich zu machen. Es ist hier nicht auf sämtliche Paragraphen der Zirkularverordnung einzugehen, nur diejenigen Bestimmungen seien näher betrachtet, die d a s Problem der Sicherungsmittel berühren. In Betracht kommen die §§ 12 ff. Danach wird gegen einen wiederholt rückfälligen Dieb „auf Einsperrung in eine Besserungsanstalt auf solange erkannt, bis die Vorgeseßten dieser Anstalt sich überzeugt haben, dag der Verbrecher durch die erlittene Strafe würklich gebessert worden, daß er im Stande sey, sich auf eine redliche Art zu ernähren, und daß durch dessen Freylassung der öffentlichen Sicherheit nicht geschadet werde. Nur wenn dieser Fall eintritt, kann auf deshalb erstatteten Bericht der Vorgesetzten der Besserungsanstalt, d a s Gericht, welches das Straf-Urtheil abgefaßt hat, die Entlassung nachgeben." — „Wird ein bereits wegen gewaltsamen Diebstahls bestrafter eines nachher begangenen gewaltsamen oder auch sonst nur beträchtlichen Diebstahls überführt, so wird auf mehrmalige strenge Züchtigung, und statt einer bestimmten Anzahl von Jahren, auf Einsperrung bis zur erfolgenden Begnadigung erkannt". — „Die Begnadigung eines solchergestalt verurtheilten Verbrechers wird nur alsdenn bewilligt werden, wenn auf deshalb erfolgende Anzeige, nach genauer Prüfung, überzeugend nachgewiesen ist, daß der Gestrafte mehrere Jahre hindurch sich untadelhaft betragen, daß er im Stande sey, sich in der Folge auf eine ordentliche Art zu ernähren, und solchergestalt nicht daran gezweifelt werden könne, daß der Zweck seiner Besserung voll-

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ständig erreicht sey". Schließlich ist nach § 30 der Verordnung in schweren Fällen gegen Münz- und Urkundenfälscher, sowie gegen Betrüger, „mit darauf zu erkennen, daß der Verbrecher nach geendigter Strafzeit auf so lange in eine Arbeitsanstalt gebracht werde, bis man von seiner Besserung versichert und überzeugt ist, daß seine Entlassung keine gefährlichen Folgen haben werde". Die Verordnung erstrebt Sicherung der Allgemeinheit und „wirkliche" oder „vollständige" Besserung des Täters. Diesem Zwecke dient entweder die Einsperrung b i s z u r B e s s e r u n g , über deren Eintritt das erkennende Strafgericht auf Bericht des Anstaltsvorstandes zu entscheiden hat, oder die E i n s p e r r u n g b i s z u r B e g n a d i g u n g bei voraussichtlich Unverbesserlichen. Das Neue der Zirkularverordung gegenüber den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts liegt nicht nur in der bereits erwähnten wesentlichen Strafverschärfung, sondern vor allem darin, dag die Verordnung .in den schweren Diebstahlsfällen eine unbestimmte Verurteilung z u r S t r a f e einführt, während das Allgemeine Landrecht, sowohl nach § 5 II 20 als auch nach den Einzelbestimmungen des besonderen Teils, eine Freiheitsentziehung auf unbestimmte Zeit lediglich als eine nach ausgestandener Strafe eintretende korrekfionelle Nachhaft kannte 6 ). Verurteilungen zur Strafe von unbestimmter Zeit waren freilich auch früher schon von Fall zu Fall in der preußischen Strafrechtspflege vorgekommen 7 ). Dennoch fand die unbestimmte Verurteilung durch die Verordnung zum ersten Male eine geseßliche Regelung 8 ). Vom Standpunkt der Theorie K l e i ^ n ' s erschien die Verordnung als eine Rückentwicklung, insofern sie statt der von K l e i n stets scharf unterschiedenen Strafe und den sichernden Magnahmen eine die Funktionen beider übernehmende „Sicherungsstrafe" in die preußische Geseßgebung einführte. In der gesamten strafrechtlichen Reformbewegung dagegen bedeuten diese Bestimmungen der Verordnung einen wesentlichen Schritt weiter auf dem Wege zur Anerkennung einer materiellen, die kriminelle Gefährlichkeit mitberücksichtigenden Schuldbetrachtung. Die Zirkularverordnung rückt damit ab von dem Vergeltungsgedanken und einer formalen Einzeltatschuldauffassung. Dieselbe Verordnung verwendet neben der Sicherungsstrafe von unbestimmter Dauer sichernde Maßnahmen nach ausgestandener Strafe (§ 30). Am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts besteht also das System der strafrechtlichen Unrechtsfolgen aus reinen Abschreckungsstrafen, reinen Sicherungsmaßregeln und aus Sicherungsstrafen. Bei leßteren wird der Abschreckungsgedanke mit der Unschädlichmadiungs- und Besserungsidee verbunden, je nachdem ob es sich um Unverbesserliche oder Besserungsfähige handelt9). Mit dieser Entwicklung der preußischen Geseßgebung hielt die Strafvollzugspraxis keineswegs gleichen Schritt. Man hatte geseß®) Eb. Schmidt, Preußische Gefängnis-Reformversuthe bis 1806 in Goltdammer's Archiv für Strafrecht und Strafprozeß. S. 360. ') Vgl. die von Eb. Schmidt auf Grund archivarischer Studien mitgeteilten Fälle, a.a.O., S. 360/361. 8 ) v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch S. 366, § 56, Anm. 6. »I v. Liszt-Schmidt, Lehrbuch, S. 367.

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liehe Bestimmungen geschaffen, für deren praktische Verwirklichung die Möglichkeit fast überall fehlte. Die Zirkularverordnung spricht von Besserungsanstalten, „die damals noch gamicht existierten, sondern erst geschaffen werden sollten" 10 ). Zur Zeit des Inkrafttretens des Allgemeinen Landrechts sind in ganz Preußen zwei Arbeitshäuser vorhanden, nämlich zu Straußberg und Tapiau, deren Zahl sich bis zum Erlaß der Zirkularverordnung erst auf fünf Anstalten erhöht hatte 11 ). „Aber auch in den wirklich vorhandenen Arbeitshäusern sieht es mit dem Vollzuge der theoretisch schön gedachten „Detention zur Besserung" kläglich genug a u s . . . Von sämtlichen nach der Zirkularverordnung in die Besserungsanstalten eingelieferten Personen befinden sich y2 Jahr später nur noch 23 darin, während alle übrigen teilweise am dritten Tage, als gebessert entlassen sind" 12 ). Das gesamte Strafvollzugswesen befand sich in Preußen in einem aller Beschreibung spottenden Zustande. Der preußische Staat selbst besaß nur wenige Gefangenenanstalten. Die meisten Zuchthäuser waren Provinzial-, Kommunal- oder sogar reine Privatanstalten. Vielfach wurden die Zuchthäuser lediglich durch Stiftungen, Vermächtnisse oder freiwillige Beiträge unterhalten und wurden daher als Wohltätigkeitsanstalten betrachtet. Viele Zuchthäuser dienten zugleich als Armen-, Waisen- und Irrenhäuser 13 ). Die hygienischen Verhältnisse in den Anstalten waren infolge unzulänglicher Einrichtungen und maßloser Qberfüllung denkbar ungünstig. S o erwies sich insgesamt der damalige preußische Strafvollzug als zur Erreichung der vom Gesefe ins Auge gefaßten kriminalpolitischen Zwecke völlig ungeeignet. Die vorhandenen Gefangenenanstalten gewährten weder dem Publikum hinreichenden Schüfe vor dem Verbrecher, noch boten sie dem Verbrecher hinreichende Gelegenheit, sich zu bessern. In seinem eingehenden Bericht nennt v. Arnim die derzeitigen Gefangenenanstalten „Schulen des Lasters". „Und in der Taf kann man sich hierüber um so weniger wundern, da es noch dazu in unseren Gefangenenanstalten anibeinahe allen Veranlassungen zu einer moralischen Besserung der Gefangenen fehlt" 14 ). Wenn daher die B e stimmungen des Allgemeinen Landrechts und der Zirkularverordnung zu einer lediglich theoretischen Bedeutung gelangten, so ist dies einzig und allein dem verhängnisvollen Irrtum jener Zeit zuzuschreiben, die da glaubte, „die Strafgeseßgebung ohne gleichzeitige Neugestaltung des Strafvollzuges verbessern zu können" 18 ). Daß die genannten Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts und der Zirkularverordnung bald in Vergessenheit gerieten, lag zugleich auch an den sich namentlich im gebildeten Bürgertum immer , 0 ) Eb. Schmidt, Preußisch« Grefängnis-Refornwersuche bis 1806, S. 36t. Anm. 45. " ) v. Hippel, Die korrektioneile Nachhaft, S. 13. 12 ) v. Hippel, a.a.O., S. 14; v. Arnim, Bruchstücke über Verbrechen und Strafen, S. 237. l a ) Hälschner, Geschichte des Brandenburgisch-Preußischen Strafrechts, Seite 242. 14 ) v. Arnim, a.a.O., S. 230. , ä ) v. Liszt-SchmMt, a.a.O., S. 157.

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mehr durchsetzenden liberalistisch-rechtsstaatlichen Strömungen. Mit dem liberalen Rechtsstaatsgedanken waren die in ihrer Dauer von vornherein nicht festbestimmten Sicherungsmittel und Sicherungsstrafen unvereinbar, da sie eine untragbare Gefahr für die über alles geschäfele, persönliche Freiheit des Einzelnen bedeutet hätten. Die Reaktion des S t a a t e s gegen Verbrecher muß inhaltlich genau bestimmt sein. „Ein bis in die kleinsten Einzelheiten hinein genau geregeltes tlbel muß die „Rechtsstrafe" sein, damit dem Verbrecher an Leid nur widerfahre, was nach Willen des Gesefees der Tat entspricht" 16 ). Während der absolute Polizeistaat im Interesse der Allgemeinheit eine rücksichtslose Verbrechensbekämpfung forderte, stellte demgegenüber der Liberalismus die Freiheitsrechte des einzelnen Bürgers vor die Interessen des Gemeinwesens 17 ). Der aufkommende Liberalismus verhinderte aber auch eine energische Inangriffnahme der dringend notwendigen Gefängnisreform. Indem die liberale Strafauffassung einseitig den generalpräventiven Abschreckungsgedanken betonte, gelangte sie auf der anderen Seite zu einer völligen Vernachlässigung des Strafvollzuges. Der Spezialpräventionsgedanke geriet in einen unvermeidlichen Konflikt mit der Rechtsstaatsidee, weil spezialpräventive Einwirkung auf die Täterpersönlichkeit ohne Beschneidung der individuellen Freiheit nicht denkbar ist. Selbst da, wo, wie im Falle des Verbrechers, die für eine ungehemmte Entwicklungsmöglichkeit der Einzelpersönlichkeit geforderte individuelle Freiheit zu einem moralischen und sozialen Absinken geführt hatte, scheute sich der Liberalismus, zum Zwecke der Resozialisierung des einzelnen Verbrechers eine Ausnahme von dem Prinzip der Freiheitsgarantie zu machen. Die Besserung dürfe dem Verbrecher nicht aufgedrungen werden, denn dadurch allein verliere sie bereits jeden Nufeen; „so läuft ein solches Aufdringen auch den Rechten des Verbrechers entgegen, der nie zu etwas mehr verbunden sein kann, als die gesefemäfjige Strafe zu leiden" 18 ). Mit der Ablehnung jeder Spezialprävention verriet die liberalistische Strafauffassung einen erstaunlichen Mangel an Einsicht für eine kriminalipolitisch zweckmäßige Verbrechensbekämpfung. Die liberalen Kriminalisten kannten den Typ des Verbrechers, wie er wirklich ist, überhaupt nicht. Der Liberalismus mußte sich zunächst auf allen Gebieten ganz durchsehen, um dann erst mehrere Jahrzehnte später in diesem wichtigen Punkte des Sirafrechts und der Kriminalpolitik durch v. Liszt überwunden zu werden. Doch auf von Liszt und seine Lehre einzugehen, würden den Rahmen dieser Arbeit überschreiten. " ) F i n g e r , Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher in „Der Gerichtssaal". S. 200. " ) v. Liszt, a.a.O., S. 157. is) Wilhelm v. Humboldt. Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der W i r k s a m k e i t des S t a a t « z/u bestimmen, S. 156.

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Von