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German Pages 436 Year 1951
Entscheidungen
des Reichsgerichts in Zivilsachen Sammlung der noch wichtigen Entscheidungen nach Fachgebieten geordnet Herausgegeben von Professor Dr. L. Auerbach, Berlin, Präsident des Patentamtes Berlin Dr. Johannes Eylau, Rechtsanwältin Charlotte Graf, Berlin, Ministerialdirektor z. D. Senatspräsident Dr. Ernst Knoll, Berlin, Rechtsanwalt Erich Kummerow, Berlin, Rechtsanwalt Hermann Reuse, Berlin, Rechtsanwalt Dr. Walter Schmidt, Düsseldorf, Landgerichtsdirektor Alexander Swarzenski, Berlin, Rechtsanwalt Dr. Werner Vahldiek, Berlin Gruppe I Bürgerliches
Recht
Allgemeiner Teil Teil 2
B e r l i n 1951
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . GöBchen'eche Verlagehandlung / J . Guttentag, Verlagebuchhandlung / Georg Reimer / Karl J . Trübner / Veit & Comp»
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches
Herausgegeben •on
Alexander Swarzenski L a n d g e r i c h t s d i r e k t o r in Berlin
Teil 2
B e r l i n 1951
Walter de Gruyter & Co. vormals G. J . Göschen'ache Verlagehandlang / J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung / Georg Reimer / Karl J. Trübner / Veit & Comp.
Archiv-Nr. 2817 51 D r u c k : Λ. W. H a y o ' t E r b e n , B e r i l o SO (β
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Inhaltsverzeichnis Seite
Verzeichnis der aufgenommenen Entscheidungen
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VII
Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuches Teil 2 Sachen (Fortsetzung) Geschäftsfähigkeit Willenserklärung
1 .
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VII
Verzeichnis der aufgenommenen Entscheidungen aus der alten Sammlung RGZ.
46, 112 50, 191 51, 281 55, 367 56, 423 57, 95 57, 358 58, 233 58, 387 58, 406 59, 94 59, 245 60, 9 60, 21 60, 273 60, 334 60, 371 61, 171 61, 264 61, 284 61, 414 62, 49 62, 126 62, 149 (.2, 184 62, 201 63, 411 64, 159 64, 181 64, 266 65, 86 65, 390 66, 21 66, 122 66, 139 66, 153 66, 385 66, 427 67, 169 68, 6 68, 15 68, 126 68, 322 4 8 , 398 « 9 , 13
Seite
RGZ.
70 77 82 84 88 89 91 95 98 100 103 104 106 109 111 115 119 120 121 121 122 125 126 130 133 136 143 145 148 149 152 156 156 159 162 165 166 171 173 175 178 179 182 185 189
69, 69, 69, 70, 70, 70, 71, 72, 73, 74, 74, 74, 74, 75, 76, 76, 76, 76, 76, 76, 77, 77,
73, 78, 78, 78, 78, 79, 79, 80, 80, 81, 81, 81, 81, 82, 83, 84, 84, 85, 85, £6, 86, 86, S6,
Seite
130 143 . . . 261 55 59 339 192 133 136 1 69 234 332 335 78 99 107 191 354 439 . 70 309 115 258 282 298 347 371 434 219 400 13 175 395 433 222 109 131 284 221 322 191 296 305 323
192 195 200 202 205 205 209 211 215 216 217 57 222 225 225 227 229 231 233 234 235 236 240 245 250 250 254 259 262 266 272 276 279 281 285 288 290 295 1 295 298 302 306 310 313
v i n RGZ.
86, 87, 87, 87, 88, 88, 88, S8, 90, 90, 90, 90, 90, 91, 92, 93, 94, 94, 94, 95, 95, 96, 97, 97, 97, 97, 98, 98, 98, 99, 99, 99,
326 43 80 92 220 278 370 412 198 273 335 411 436 359 398 175 80 147 333 83 112 156 2 138 . 253 273 78 122 176 20 52 107
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RGZ.
2 6 316 318 320 322 329 331 13 335 335 340 342 344 346 347 348 349 350 352 354 358 360 362 364 368 370 371 374 377 380 384
I i
99, 99, 99, 100, 101, 101, 101, 102, 102, 102, 103, 103, 104, 104, 105, 105, 106, 106, 120, 130, 130, 141, 145, 148, 150, 152, 153, 157, 157, 158, 160, 169,
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142 147 214 205 97 107 399 63 225 396 21 399 50 122 65 406 49 200 170 69 124 262 284 321 22 91 231 40 244 362 166 172
388 388 390 392 395 396 398 400 402 403 405 58 405 407 409 412 16 414 60 61 64 67 67 68 18 23 31 36 36 38 50 50
Die Entscheidungen sind grundsätzlich — von unwesentlichen Streichungen abgesehen — ungekürzt gebracht worden. Au&nahmsweis gekürzte Entscheidungen sind mit einem t gekennzeichnet. Soweit eine Entscheidung mehrere Fachgebiete betrifft, ist sie nur in einem Fachgebiet aufgenommen worden. Die anderen Gebiete enthalten nur den Leitsatz der betreffenden Entscheidung mit einem Hinweis, wo der vollständige Abdruck erfolgt ist. Um das Auffinden der Entscheidungen zu erleichtern, wird am Schluß der Sammlung ein Gesamt-Fundstellenregister erscheinen, in dem alle Entscheidungen der amtlichen Sammlung verzeichnet sind. Die in der Sammlung abgedruckten Entscheidungen sind nach der Fundstelle der alten und der neuen Sammlung zitiert; bei den nicht aufgenommenen findet sich ein Hinweis über den Grund des Ausscheidens.
Allgemeiner Teil Sachen (Fortsetzung) R G Z . 84, 284 Sind die auf dem Baugrundstücke lagernden Baumittelstücke Zubehör des Grundstücks ? BGB. § 97. V. Zivilsenat.
Urt. v. 12. März 1914.
I. Landgericht I I I Berlin.
I I . Kammergericht daselbst.
Auf dem Grundstücke des Architekten G. in Sch. lagerten umfangreiche für den in der Ausführung begriffenen Neubau bestimmte Baumittelstücke. Der Beklagte ließ sie wegen einer ihm gegen G. zustehenden Forderung pfänden. Die Klägerin, für die auf dem Grundstück eine Hypothek eingetragen stand, beanspruchte die Freigabe, unter der Behauptung, daß die Gegenstände, wenn nicht Bestandteile, so doch jedenfalls Zubehör des Pfandgrundstücks seien. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Berufungsgericht gab ihr statt. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „Nach § 1120 BGB. erstreckt sich die Hypothek an einem Grundstück auf das dem Grundstückseigentümer gehörige Zubehör, und nach § 865 Abs. 2 ZPO. können Gegenstände, die Zubehör sind, nicht gepfändet werden. Zubehör sind nach § 97 BGB. bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnisse stehen. Die Baumittelstücke lagerten auf dem Grundstück und sollten mit diesem und untereinander verbunden werden, um den in Angriff genommenen Neubau zur Vollendung zu bringen. Die „Hauptsache" bildete das Grundstück, dies war ein Baugrundstück, das seiner Zweckbestimmung entsprechend durch die Bebauimg nutzbar gemacht werden sollte. Diesem wirtschaftlichen Zwecke dienten zugleich die Baumittelstücke, deren es für die Ausführung der Bebauung bedurfte. Insoweit sind die allgemeinen Erfordernisse, die das Gesetz in § 97 für die Zubehöreigenschaft aufstellt, unbedenklich gegeben. In der Rechtslehre und auch in der Rechtsprechung wird für Baumittelstücke vielfach (vgl. die Angaben bei T u r n a u - F o e r s t e r 3. Aufl. Bd. 1 S. 36) die Zubehöreigenschaft verneint, und zwar mit der BegriinZiviK
Allgcm.
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dung, daß nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche solche Gegenstände kein Zubehör bilden können, die durch ihre bestimmungsmäßige Verwendung Bestandteile der Hauptsache werden und damit die Eigenschaft als bewegliche Sachen verlieren. Allein die Zubehöreigenschaft tritt nach § 97 ein, sobald die Sache für den Dienst der Hauptsache bestimmt und zu ihr in ein entsprechendes räumliches Verhältnis gebracht ist. Mehr erfordert das Gesetz nicht. Daß durch den bestimmungsmäßigen Gebrauch die Sache ihre Selbständigkeit verliert und damit aufhört, Zubehör zu sein, steht nicht der Annahme entgegen, daß sie vorher Zubehör war. Nach der ausdrücklichen Vorschrift in § 98 zählen zum Zubehör eines Landguts die zur Fortfuhrimg des Wirtschaftsbetriebes erforderlichen Gutserzeugnisse sowie auch der Gutsdünger, mithin Sachen, deren bestimmungsmäßiger Gebrauch gerade in dem Verbrauche besteht. Hiernach kann die engere Begrenzung des Zubehörbegriffs, wie sie vielfach und auch von der Revision vertreten wird, für das Bürgerliche Gesetzbuch als zutreffend nicht anerkannt werden. Der erkennende Senat hat dies bereits in dem Urteile Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 66 S. 359, wo bei einer Fabrik die sog. Materialreserve für Zubehör erklärt ist, mit ausfuhrlicher Begründung ausgesprochen, und von der gleichen Rechtsauffassung aus hat der VII. Zivilsenat in dem Urteil Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 77 S. 36 die Zubehöreigenschaft auch für Kohlenvorräte anerkannt, die auf einem Ziegeleigrundstücke lagerten und für den Betrieb der Ziegelei bestimmt waren. Bei Baumittelstücken eine andere rechtliche Beurteilung eintreten zu lassen, fehlt es an jedem Grunde."
RGZ. 86, 326 Sind die auf einem Fabrikgrundstücke lagernden, zur Verarbeitung in der Fabrik bestimmten Rohstoffvorräte Zubehör des Grundstücks ? BGB. §§ 97, 98. V. Zivilsenat. Urt. v. 17. März 1915. I. Landgericht Stuttgart.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Fabrikant L. betrieb auf seinem Grundstück in Stuttgart eine Fabrik zur Herstellung kunstgewerblicher Möbel. Im Jahre 1913 wurde über sein Vermögen der Konkurs eröffnet und die Zwangsversteigerung seines Anwesens angeordnet. DasAnwesen wurde zumWerte von 519040 M., die zum Betriebe der Möbelfabrik dienenden maschinellen und sonstigen Einrichtungen zum Werte von 91000 M. veranschlagt. Der Gemeinschuldner hatte Holzvorräte für seinen Fabrikbetrieb auf drei verschiedenen Plätzen lagern : einmal auf seinem eigenen Anwesen Holz im Werte von 93676,95 M. und sodann auf zwei in der Nähe gelegenen, gemieteten Plätzen Holz im Werte von 89353,35 M. Durch verschiedene Verträge hatte der Gemeinschuldner seinen gesamten Holzvorrat der Beklagten zur Siehe-
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rung übereignet. Bei der Versteigerung war von den Holzvorräten nicht besonders die Rede, auch war kein Wert für sie angesetzt. Durch Zuschlagsbeschluß vom 6. Dezember 1913 wurde der Klägerin das Anwesen für das Meistgebot von 380000 M. zugeschlagen. Vorher hatte die Klägerin, für die auf dem Anwesen eine Hypothek von 140000 M. eingetragen stand, gegen die Beklagte mit der Behauptung, die Holzvorräte seien Zubehör des Fabrikanwesens, auf die Feststellung geklagt, daß die für sie eingetragene Hypothek sich auf das zur Zeit der Konkurseröffnung vorhandene Holzlager der Fabrik des Gemeinschuldners erstrecke und daß sich die Beklagte jeder Verfügung über dieses Holzlager zu enthalten habe. Nachdem der Klägerin im Laufe des Rechtsstreits das Fabrikanwesen zugeschlagen worden war, stellte sie nunmehr den Antrag, die Beklagte zu verurteilen, ihr Eigentum an den auf dem Fabrikanwesen sowie auf den gemieteten beiden Holzlagerplätzen zur Zeit der Urteilsverkündung befindlichen Holzvorräten anzuerkennen und deren Wegnahme ihr zu gestatten. Der erste Richter verurteilte die Beklagte wegen der auf dem Fabrikanwesen befindlichen Holzvorräte gemäß diesem Antrage. Dagegen wies er die Klage in betreff der auf den gemieteten Grundstücken lagernden Holzvorräte ab. Beide Parteien legten Berufung ein. Der Berufungsrichter wies die Berufung der Klägerin zurück und erkannte auf gänzliche Abweisung der Klage. Die Revision der Klägerin ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter hält die streitigen Holzvorräte nicht für Zubehör der Möbelfabrik des Gemeinschuldners L. und verneint deshalb, daß die Klägerin durch den Zuschlagsbeschluß vom 6.Dezemberl913 Eigentum an den Holzvorräten erworben habe. Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BGB. sind Zubehör bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis stehen. Gemäß § 97 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 1 ist jedoch eine Sache nicht Zubehör, wenn sie im Verkehr nicht als Zubehör angesehen wird, und begründet die vorübergehende Benutzung einer Sache für den wirtschaftlichen Zweck einer anderen nicht die Zubehörcigenschaft. Der Berufungsrichter veraeint, daß die Holzvorräte in irgend welchem Zeitpunkte Zubehör der Möbelfabrik gewesen seien, und zwar einmal deswegen, weil Rohstoffe, durch deren Verarbeitung in einem Fabrikbetriebe neue selbständige Sachen hergestellt werden sollen, nicht dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabrik als der Hauptsache zu dienen bestimmt seien, und sodann, weil sich die Verarbeitung von Rohstoffen zu Gegenständen, die weiterveräußert werden sollen, als eine nur vorübergehende Benutzung für den Zweck der Fabrik darstelle. Ferner erklärt der Berufungsrichter, Holzlager würden im Verkehr nicht als Zubehör einer Möbelfabrik ange1·
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sehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob, wenn die im § 97 Abs. 1 Satz 1 BGB. bestimmten Voraussetzungen für die Annahme der Zubehöreigenschaft an sich gegeben wären, das Bestehen einer trotzdem die Zubehöreigenschaft verneinenden Verkehrsauffassung als vom Berufungsrichter genügend festgestellt zu erachten wäre. Jedenfalls ist dem Berufungsrichter darin beizutreten, daß die Holzvorräte deswegen nicht Zubehör der Möbelfabrik sind, weil sie nicht die Bestimmung haben, dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabrik als der Hauptsache zu dienen. Zwar kann eine Fabrik, die, wie eine Möbelfabrik, darauf eingerichtet ist, aus bestimmten Rohstoffen in den Verkehr zu bringende Fabrikwaren herzustellen, ihre Zweckbestimmung nicht erfüllen, wenn ihr nicht Rohstoffe der betreffenden Art zur Verarbeitung zugeführt werden. Aber die Rohstoffe dienen nicht dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabrik als der Hauptsache. Begrifflich „dient" eine Sache einer anderen als der „Hauptsache", wenn sie dieser als Hilfssache untergeordnet ist, wenn sie zu der Hauptsache im Abhängigkeitsverhältnis steht. Die Rohstoffe aber sind nicht der Fabriksache als Hilfssachen untergeordnet. Vielmehr stehen sie und die Fabriksache hinsichtlich der Selbständigkeit sich als gleichwertig und gleichwichtig zu achtendc, voneinander unabhängige Sachen gegenüber. Allerdings sollen aus ihnen dadurch, daß sie im Betriebe der Fabrik umgearbeitet oder verarbeitet werden, Fabrikwaren hergestellt werden. Aber daraus folgt nur, daß, wie die Fabriksache ihrer, so sie der Fabriksache bedürfen, um der Zweckbestimmung zugeführt zu werden. Daher sind Vorräte an Rohstoffen, die auf ein Fabrikgrundstück gebracht worden sind, um im Betriebe der Fabrik zu Fabrikwaren umgearbeitet oder verarbeitet zu werden, nicht dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabriksache als der „Hauptsache" zu „dienen" bestimmt. Für die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung spricht wesentlich, daß § 98 Nr. 1 BGB. bei einem für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Gebäude, insbesondere bei einer Fabrik, als dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt nur die zu dem Betriebe bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften erklärt, nicht auch Vorräte an Rohstoffen, die im Betriebe umgearbeitet oder verarbeitet werden sollen. Der I. Entwurf zum Bürgerlichen Gesetzbuch enthielt im § 791, wenn auch in anderer Fassung, so doch dem Inhalte nach eine gleiche Vorschrift. Nach den Motiven (Bd. 3 S. 66) sollte gegenüber der in Gebieten des gemeinen Rechtes verbreiteten Anschauung, daß bei einem zum Betriebe eines Gewerbes eingerichteten Gebäude das Inventar regelmäßig nicht den Zwecken des Grundstücks, sondern nur den persönlichen Zwecken des Besitzers diene, im Anschluß an neuere Gesetzbücher, namentlich an die §§ 48 bis 102 Pr. ALR. I, 2 klargestellt werden, daß zu dem Zubehör eines zu einem gewerblichen Zwecke auf die Dauer eingerichteten Gebäudes, insbesondere einer Fabrik, auch die dem gewerblichen Zwecke dienenden Maschinen und sonstigen Gerätschaften gehörten. § 93 ALR. I, 2 aber bestimmte: „Zu den Pertinenzstücken einer Fabrik werden nur die
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zu deren Betriebe bestimmten Gerätschaften, nicht aber die vorrätigen Materialien oder in der Arbeit befindlichen und noch weniger die bereits verarbeiteten Sachen gerechnet." Hätte man sich hierzu bezüglich der vorrätigen Materialien, d. i. der Vorräte an Rohstoffen, die im Betrieb einer Fabrik verarbeitet werden sollen, in Gegensatz stellen und diese Sachen ebenfalls als Zubehör einer Fabrik ansehen wollen, so hätte es nahe gelegen, dies im Gesetze zum Ausdruck zu bringen. Demnach sind die auf einem Fabrikgrundstücke lagernden Vorräte an Rohstoffen nicht als Zubehör der Fabrik zu erachten. Anders verhält es sich mit Kohlenvorräten, die das Reichsgericht (RGZ. Bd. 77 S. 36) als Fabrikzubehör erklärt hat. Solche Vorräte sind dazu bestimmt, als Hilfssachen dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabriksache als der Hauptsache zu dienen; denn die lagernden Kohlen haben die Bestimmung, durch ihre Verwendung zur Feuerung der Maschinen als Hilfsmittel des Betriebes den wirtschaftlichen Zweck der Fabriksachc zu fördern. Anders verhält es sich auch mit der sog. Materialreserve für eine Fabrik sowie mit den auf einem Baugrundstücke lagernden Baumittelstücken. Die vom erkennenden Senate (RGZ. Bd. 66 S. 356) für Zubehör der Fabrik erklärte Materialreserve ist dem wirtschaftlichen Zwecke der Fabrik als der Hauptsache zu dienen bestimmt, indem sie als Hilfssache durch Verwendung zur Ausbesserung oder zum Ersatz abgenutzter Teile die Fabrik betriebsfähig erhalten soll. Die Baumittelstücke ferner, die ebenfalls vom erkennenden Senate (RGZ. Bd. 84 S. 284) für Zubehör des Baugrundstücks erklärt worden sind, haben die Bestimmung, dem wirtschaftlichen Zwecke des Baugrundstücks, das durch Bebauung nutzbar gemacht werden soll, als Hilfssachen, nämlich zur Ermöglichung der Bauausführung zu dienen. In der Rechtslehre hält die herrschende Meinung gleichfalls die auf einem Fabrikgrundstücke lagernden Vorräte an Rohstoffen, durch deren Verarbeitung im Fabrikbetriebe Fabrikwaren hergestellt werden sollen, nicht für Zubehör der Fabrik. Allerdings stützt man sich hier auf die Vorschrift des § 97 Abs. 2 Satz 1 BGB. und verneint die Zubehöreigenschaft deswegen, weil die Rohstoffvorräte nicht in einem dauernden Dienstverhältnis zu der Fabrik ständen. Der § 789 des I. Entwurfs erforderte für die Zubehöreigenschaft einer Sache, daß diese der Hauptsache „bleibend" zu dienen bestimmt sei. In der zweiten Kommission (Prot. Bd. 3 S. 17 flg.) wurde auf Abänderungsanträge nicht eingegangen, weil sie nur als redaktionell erachtet wurden. Jedoch sprach sich die Mehrheit für die Beibehaltung des Wortes „dauernd" aus. Die Redaktionskommission hat dann den § 789 im II. Entwürfe durch § 77 h ersetzt, der demnächst als § 97 in das Gesetz aufgenommen worden ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob etwa mit Rücksicht auf diese Entstehungsgeschichte und, weil die im Betriebe der Fabrik zu Fabrikwaren zu verarbeitenden Rohstoffe nicht als dauernd zum Dienste der Fabrik bestimmt anzusehen seien, sich die Verneinung der Zubehöreigenschaft auch von dem Gesichtspunkte rechtfertigen ließe, daß das Halten von Rohstoffvorräten auf einem Fabrikgrundstück
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oder die Verarbeitung der Rohstoffe im Fabrikbetriebe sich im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BGB. nur als vorübergehende Benutzung der Rohstoffe für den wirtschaftlichen Zweck der Fabriksache darstelle. In dem Urteile des erkennenden Senats vom 19. September 1903 (RGZ. Bd. 55 S. 288) handelte es sich um die Frage, ob Vorräte an Rohstoffen auf einem zur Möbelfabrikation eingerichteten Grundstücke für eine unter der Herrschaft des früheren württembergischen Rechtes an dem Fabrikgrundstücke bestellte Hypothek als Zubehör hafteten. Hier ist zwar nicht ausdrücklich entschieden worden, daß die Vorräte kein Zubehör der Fabrik nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche seien. Jedoch wird erklärt, es bestehe darüber, daß die Vorräte an sich weder nach dem früheren württembergischen Rechte noch nach dem Bürgerlichen Gesetzbucbe Zubehöreigenschaft hätten, auch bei den Parteien kein Zweifel. Geprüft wird, ob die Rohstoffvorräte als gewillkürtes Zubehör im Sinne des früheren Rechtes der Haftung für die Hypothek unterlägen; dies wird verneint. Hiernach sind die streitigen Holzvorräte, als die Klägerin das zur Möbelfabrikation eingerichtete Grundstück des Gemeinschuldners L. zugeschlagen erhielt, nicht Zubehör der Möbelfabrik gewesen; die Klägerin hat daher nicht gemäß §§ 20, 55, 90 ZwVG., § 1120 BGB. durch den Zuschlag Eigentum an den Vorräten erworben." . . .
R G Z . 87, 43 Sind die von einem Elektrizitätswerk ausgehenden Fernleitungen, wenn sie sich über die Grenzen des Grundstücks, auf dem eich das Werk befindet, hinauserstrecken, Bestandteile, oder sind sie Zubehör dieses Grundstücks ? BGB. §§ 90, 93, 94, 95, 97, 98. V.Zivilsenat. I. Landgericht Bayreuth.
Urt. v. 2. Juni 1915. II. Oberlandesgericht Bamberg.
H., der Beklagte zu 1, ist eingetragener Eigentümer des Anwesens Haus Nr. 24 in Α., das zum Betrieb eines Elcktrizitätsüberlandwerkes eingerichtet ist. Von dem Werke geht ein Netz von Fernleitungen aus, vermöge deren 14 Ortschaften in der Umgegend mit elektrischem Licht und Strom versorgt werden. Auf dem Anwesen lasten für den Kläger zu 1 eine Hypothek von 29000 M . und f ü r seinen Vater, den Kläger zu 2, Hypotheken von 47000 und 20000 M. Durch Vertrag vom 29. Januar 1913 verkaufte H. das gesamte Fernleitungsnetz und zwar ohne das Anwesen an die Beklagte zu 2, die Elektrizitätsliefeningsgescllschaft, für 150000 M. Zugleich verpachtete er das Elektrizitätswerk selbst auf zwei Jahre ebenfalls an die Beklagte zu 2, die seitdem das Überlandwerk betreibt. Auf Anfrage des Klägers zu 2 stellten die Beklagten in Abrede, daß die Fernleitungen für die Hypotheken der Kläger hafteten. Die Kläger erhoben darauf gegen
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die beiden Beklagten Klage auf Anerkennung, daß die Fernleitungen von der Haftung fur ihre Hypotheken umfaßt seien, und auf Unterlassung jeder Entfernung der Leitungen von dem Anwesen. Sie machten geltend, das Fernleitungsnetz sei ein wesentlicher Bestandteil oder doch ein Zubehör des Überlandwerkes und unterliege deshalb der Haftung für ihre Hypotheken. Der erste Richter verurteilte die beiden Beklagten nach den Klaganträgen. Die Berufung der Beklagten zu 2 wurde zurückgewiesen. Auch ihre Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen: „Allerdings ist der Ansicht des Berufungsrichters, daß das ganze Fernleitungsnetz Bestandteil des Grundstücks des H. sei, nicht beizutreten. Die tatsächlichen Verhältnisse, auf die der Berufungsrichter seine Ansicht gründet, sind zum größten Teil unstreitig, zum andern Teil auf Grund der Gutachten der vernommenen Sachverständigen vom Berufungsrichter festgestellt. Danach befindet sich auf dem Grundstück ein Gebäude, das zum Betrieb eines Elektrizitätswerkes, insbesondere als Zentrale eines Überlandwerkes eingerichtet ist. Von diesem Gebäude gehen die Fernleitungen aus, vermittelst deren 14 Ortschaften in der Umgegend bis zu einer Entfernung von 4 bis 5 Kilometern mit elektrischem Licht und elektrischem Strom versorgt werden. Die Fernleitungen bestehen aus Leitungsmasten, den an diesen als Trägern angebrachten Drähten und den zugehörigen Transformatoren. Der weitaus größte Teil der Leitungsmaste ist in fremden, d. h. nicht dem H. gehörigen Grundstücken befestigt. Die Verbindimg des Fernleitungsnetzes mit dem Gebäude ist durch einige Schrauben und Klemmen hergestellt; sie ist durch Entfernung der Schrauben und Klemmen „manuell" einfach zu lösen. Das Fernleitungsnetz ist wertvoller als das Elektrizitätswerk mit den vorhandenen Dynamomaschinen und den sonstigen Betriebseinrichtungen. Das Elektrizitätswerk besitzt nur eine Leistungsfähigkeit von 130 KW, das Netz aber eine Aufnahmefähigkeit von 732 KW. Im Falle der Entfernung des Netzes würde das Elektrizitätswerk als Überlandwerk nicht betrieben werden können. Diese tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigen nicht die Ansicht des Berufungsrichters, daß das gesamte Fernleitungsnetz Bestandteil des zum Betriebe des Elektrizitätswerkes eingerichteten Gebäudes und damit Bestandteil des Grundstücks des H. sei. Der Berufungsrichter verkennt den Begriff der Sache und des Sachbestandteils nach dem hier maßgebenden Sachenrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs. Danach (vgl. §§ 90, 93, 97 BGB.) ist als eine Sache ein nach natürlicher Anschauimg für sich allein bestehender, im Verkehrsleben besonders bezeichneter und bewerteter körperlicher Gegenstand zu verstehen und als Bestandteil der Sache ein unselbständiges Stück dieses Körpers. Allerdings kann eine Sache auch aus Teilen bestehen, die nicht, wie ζ. B. die Teile eines Tieres, eines Steines, schon von Natur miteinander eine Einheit bilden, sondern erst zusammen-
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gesetzt sind und vor der Verbindung selbst für sich bestehende Sachen waren. Jedoch ist, wie der erkennende Senat in zahlreichen Entscheidungen ausgesprochen hat, ein aus bisher selbständigen Sachen zusammengesetztes Ganze nur dann als eine einzige Sache zu erachten, wenn das Ganze sich nach allgemeiner natürlicher Anschauung als eine Körpereinheit darstellt und die zu dem Ganzen verbundenen Gegenstände ihre frühere Eigenschaft als selbständige Sachen durch die Verbindung dergestalt verloren haben, daß sie fortan nur als unselbständige Stücke jener Körpereinheit erscheinen. Für die Frage, ob dies im besonderen Falle zutrifft oder nicht, ist die Art und Weise der Zusammensetzung von wesentlicher Bedeutung. Allerdings kann sich auch bei einer nur losen, leicht lösbaren Verbindung das Ganze als durch die Zusammensetzung zu einer Körpereinheit geworden darstellen. Dann wird aber, in der Regel wenigstens, ein besonderer Umstand vorliegen müssen, der zu der Anschauung führt, daß die zusammengesetzten Gegenstände trotz der nur losen Verbindung ihre körperliche Selbständigkeit verloren haben und, solange die Verbindung dauert, nur noch unselbständige Stücke des Ganzen sind; so namentlich, wenn die Gegenstände einander besonders angepaßt oder zur Herstellung des Ganzen verfertigt sind, wie ζ. B. die Teile einer Lampe, eines Wagens. Weiter ist, was der erkennende Senat ebenfalls in zahlreichen Entscheidungen dargelegt hat, zur richtigen Erfassung des Sachbegriffs nach Sachenrecht wohl zu unterscheiden zwischen einem durch Zusammensetzung früher selbständiger Gegenstände zu einer Körpereinheit, einer Sache, gewordenen Ganzen und einer zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zweckes zusammengebrachten Sachgesamtheit, der im Verkehrsleben eine einheitliche Bezeichnung gegeben zu werden pflegt. Eine solche Sachgesamtheit ist, auch wenn sie wirtschaftlich als Einheit erscheinen mag, doch nach Sachenrecht nicht eine Körpereinbeit, eine Sache, sondern sie besteht aus einer Mehrheit von Sachen, die trotz ihrer Zusammenbringung zur Erreichung des wirtschaftlichen Zweckcs ihre körperliche Selbständigkeit bewahrt haben. Von diesen Gesichtspunkten aus hat der erkennende Senat in einer Reihe von Fällen Maschinen und andere Gerätschaften, die bei einem für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Gebäude zu dem Betriebe bestimmt (vgl. § 98 Nr. 1 BGB.), mit dem Gebäude aber durch Schrauben oder andere leicht lösbare Bindemittel verbunden waren, die Eigenschaft von Bestandteilen der betreffenden Gebäudesachen unter der Annahme abgesprochen, daß sie zwar zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zweckes mit den Gebäudesachen zusammengebracht seien und insofern mit diesen eine wirtschaftliche Einheit bildeten, sie aber ihre körperliche Selbständigkeit bewahrt hätten und daß das Ganze nicht eine Körpereinheit, eine einzige Sache, sondern eine Mehrheit selbständiger Sachen sei. Nicht anders verhält es sich im gegebenen Falle mit dem streitigen Fernleitungsnetz in bezug auf das für den Betrieb eines Elektrizitätswerkes dauernd eingerichtete Gebäude. Die Verbindung des Fernleitungsnetzes mit dem Gebäude, die nur durch Schrauben hergestellt ist und durch Entfernung der Schrauben
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aufgehoben werden kann, ist als eine lose zu erachten. Der Berufiingsrichtcr erklärt sie allerdings für eine sehr feste, weil die Lösung nicht jederzeit und ganz beliebig, sondern nur unter großen Vorsichtsmaßregeln und erst nach Abstellung des Stromes möglich sei. Damit verkennt er aber, daß die Art der Verbindung für die Frage der Bestandteilseigenschaft nur insofern von Bedeutung ist, als sie ein äußeres Merkmal dafür bietet, ob die verbundenen Gegenstände sich als eine Körpereinheit oder trotz der Verbindung als eine Mehrheit selbständiger Sachen darstellen. Nach dieser Richtung ist hier die nur durch Schrauben hergestellte Verbindung eine lose, da sie die Möglichkeit einer Lösung bietet, von der die bisher verbundenen Gegenstände in ihrer äußeren Erscheinung nicht oder doch nicht wesentlich betroffen werden. Daß bei der Lösung Vorsichtsmaßregeln anzuwende ι sind, damit nicht der Lösende verletzt wird oder sonst ein Schaden entsteht, rechtfertigt es nicht, die mit einem solchen Bindemittel verbundenen Gegenstände als fest miteinander verbunden aufzufassen. Da die vorbezeichnetcn tatsächlichen Verhältnisse auch nicht einen Umstand ergeben, aus dem zu entnehmen wäre, daß die Fernleitungen trotz der nur losen Verbindung mit dem zum Betrieb eines Elektrizitätswerkes eingerichteten Gebäude ihre körperliche Selbständigkeit verloren hätten und sich als unselbständige Stücke dieser Gebäudesache darstellten, ist zu verneinen, daß die Fernleitungen, bestehend aus Trägermasten, Drahtleitungen und Transformatoren, Bestandteile der Gebäudesache sind. Der Berufungsrichter erklärt zwar, im Verkehr würden solche Fernleitungen nicht als selbständige Sachen, sondern als Bestandteile des zum Betrieb eines Elektrizitätswerkes eingerichteten Gebäudes angesehen. Seine Gründe ergeben aber keine tatsächlichen Unterlagen für das Bestehen einer solchen Vcrkehrsanschauung, lassen vielmehr erkennen, daß die angebliche Verkehrsanschauung nichts anderes ist als seine eigene Auffassung. Diese Auffassung aber ist rechtsirrig, einesteils, weil nach ihr die Gebäudcsache die sich auf fremde Grundstücke weit hinaus erstreckenden Fernleitungen, bestehend aus Trägermasten, Drähten und Transformatoren, mitumfassen soll, andernteils, weil sie dem Begriffe der Sache eine über die Körpereinheit hinausgehende Ausdehnung gibt. Das Ganze, das sich aus dem zum Betriebe des Elektrizitätswerkes eingerichteten Gebäude und den Fernleitungen zusammensetzt und das als Überlandwerk bezeichnet wird, ist nicht eine Gebäudesache und überhaupt auch nicht eine einzige Sache. Vielmehr besteht es aus einer Mehrheit selbständiger Sachen, die nur zur Erreichung eines wirtschaftlichen Zweckes, nämlich zur Versorgung umliegender Ortschaften mit elektrischem Licht und Strom, zusammengebracht worden sind. Diese Sachen sind zwar Teile des unter der genannten Bezeichnung Zusammengefaßten und sie, insbesondere auch die Fernleitungen, mögen zur Erreichung des wirtschaftlichen Zweckes des Ganzen notwendig sein. Aber sie sind nicht Bestandteile einer Körpereinheit, einer einzigen durch ihre Zusammensetzung gebildeten Sache. Demnach sind die streitigen Fernleitungen nicht zufolge ihrer Verbindung mit dem auf dem Grundstücke
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des H. befindlichen, zum Betriebe des Elektrizitätswerkes eingerichteten Gebäude Bestandteile dieses Grundstücks. — In dem Urteile des VII. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 8. Juli 1913 Rep. VII. 213/13 (RGZ. Bd. 83 S. 67) ist auch bereits auf Grund tatsächlicher Verhältnisse, die im wesentlichen die gleichen wie hier waren, verneint worden, daß Außenleitungen und Transformatoren eines Elektrizitätswerkes Bestandteile des Grundstücks seien, auf dem sich das Elektrizitätswerk befinde. Der Berufungsrichter meint zwar, der hier vorliegende Tatbestand sei von demjenigen, der dem Urteile des VII. Zivilsenats zugrunde gelegen habe, wesentlich verschieden, weil es sich dort um ein großes Überlandwerk gehandelt habe, bei dem sich das Leitungsnetz auf eine Entfernung von mehreren hundert Kilometern erstreckte. Für die Frage aber, ob das unter der Bezeichnung Überlandwerk Zusammengefaßte sich als eine einzige Sache oder als eine Mehrheit selbständiger Sachen darstellt und ob die dazu gehörigen Fernleitungen mit Bezug auf das Zusammengefaßte als Sachbestandteile oder als für sich bestehende Sachen zu erachten sind, kann es keinen wesentlichen Unterschied ausmachen, ob sich die Fernleitungen auf mehrere hundert Kilometer oder nur auf 4 bis 5 Kilometer erstrecken. — In dem Urteile des erkennenden Senats vom 7. November 1900 Rep. V. 200/00 (RGZ. Bd. 48 S. 267) ist allerdings das Leitungsnetz eines Elektrizitätswerkes auch insoweit, als es sich über die räumlichen Grenzen des Grundstücks, auf dem sich das Elektrizitätswerk befand, hinaus erstreckte, als Substanzteil dieses Grundstücks angesehen worden. Jedoch beruht diese Entscheidung, wie schon in dem Urteile des VII. Zivilsenats bemerkt ist, auf den Vorschriften des preußischen Allgemeinen Landrechts über die Substanz einer Sache. Soweit beiläufig gesagt ist, auch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuche sei das Leitungsnetz als Bestandteil des betreffenden Grundstücks anzusehen, kann dies nicht aufrechterhalten werden. — Andere Entscheidungen des Reichsgerichts stehen der Auffassung, daß die von einem Elektrizitätswerk ausgehenden Fernleitungen nicht Bestandteile des Grundstücks sind, auf dem das Elektrizitätswerk sich befindet, nicht entgegen, wie in dem Urteile des VII. Zivilsenats zutreffend dargelegt worden ist. Danach ist der Revision zuzugeben, daß die Annahme des Berufimgsrichters, es sei das ganze streitige Fernleitungsnetz Bestandteil des Grundstücks des H., auf Rechtsirrtum beruht. Dennoch ist die Entscheidung des Berufungsrichters aufrecht zu erhalten. Die Fernleitungen sind nämlich, wenigstens soweit sie sich auf fremden Grundstücken befinden, nach den vorbezeichneten tatsächlichen Verhältnissen Zubehör des Grundstücks des H. Nach § 97 Abs. 1 Satz 1 BGB. sind Zubehör bewegliche Sachen, die, ohne Bestandteile der Hauptsache zu sein, dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu dienen bestimmt sind und zu ihr in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnisse stehen, und gemäß § 98 Nr. 1 BGB. sind bei einem für einen gewerblichen Betrieb dauernd eingerichteten Gebäude die zu dem Betriebe bestimmten Maschinen und sonstigen Gerätschaften dem wirtschaftlichen Zwecke der Hauptsache zu
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dienen bestimmt. Im vorliegenden Falle sind die Fernleitungen bei dem auf dem Grundstücke des H. befindlichen, für den Betrieb eines Elektrizitätswerkes dauernd eingerichteten Gebäude als zu dem Betriebe bestimmte Gerätschaften anzusehen. Denn sie sind dazu bestimmt, den von dem Elektrizitätswerk erzeugten elektrischen Strom aufzunehmen und nach Ortschaften in der Umgegend weiterzuführen. Belanglos ist in dieser Hinsicht, daß das Elektrizitätswerk nur eine Leistungsfähigkeit von 130 KW, das Leitungsnetz aber eine Aufnahmefähigkeit von 732 KW besitzt. Wenn auch das Leitungsnetz mehr elektrische Kraft aufzunehmen und weiterzuführen imstande wäre, als das Elektrizitätswerk zu erzeugen vermag, so ist doch das Leitungsnetz zur Aufnahme und Weiterführung der von dem Elektrizitätswerke tatsächlich erzeugten elektrischen Kraft und somit zu dem Betriebe des Elektrizitätswerkes bestimmt, da dieses ohne das Leitungsnetz die erzeugte elektrische Kraft nicht an die Ortschaften in der Umgegend hinaussenden könnte. Hieran ändert es auch nichts, daß mit dem Elektrizitätswerke, und zwar nach der Behauptung der Beklagten erst im Laufe des Prozesses, das Kraftwerk B. verbunden worden ist und daß die Fernleitungen von beiden Werken zusammen mit elektrischer Kraft versorgt werden. Denn immer haben die Leitungen die Bestimmimg, Betriebsgerätschaften für das Elektrizitätswerk zwecks Aufnahme und Weiterfuhrung der erzeugten elektrischen Kraft zu sein. Sie sind daher gemäß § 98 Nr. 1 BGB. dem wirtschaftlichen Zwecke des Elektrizitätswerkes als der Hauptsache zu dienen bestimmt. Dem steht nicht entgegen, daß die Fernleitungen einen höheren Wert haben als das Elektrizitätswerk. Das für den gewerblichen Betrieb dauernd eingerichtete Gebäude ist im § 98 Nr. 1 BGB. für die Hauptsache erklärt, dessen wirtschaftlichem Zwecke die zu dem Betriebe bestimmten Gerätschaften zu dienen bestimmt sind, ohne daß erfordert ist, das Gebäude müsse einen höheren Wert haben als die Gerätschaften. Auch die weitere Voraussetzimg für die Zubehöreigenschaft nach § 97 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 BGB., daß zu der Hauptsache ein der genannten Bestimmung entsprechendes räumliches Verhältnis besteht, ist gegeben. Denn die Fernleitungen sind unmittelbar mit dem Elektrizitätswerke verbunden, und die Verbindung setzt sich vermöge der Leitungen ununterbrochen fort bis zu den Ortschaften, die mit der von dem Elektrizitätswerk erzeugten elektrischen Kraft versorgt werden sollen. Daß die Fernleitungen sich zum weitaus größten Teil auf fremden Grundstücken befinden, steht der Annahme, daß sie Zubehör des Elektrizitätswerkes und somit auch des Grundstücks sind, auf dem das Elektrizitätswerk errichtet ist, nicht entgegen. Zubehör eines Grundstücks können auch solche Sachen sein, die sich auf anderen Grundstücken befinden, sofern sie nur dem wirtschaftlichen Zwecke jenes Grundstücks zu dienen bestimmt sind und zu dem Grundstücke trotz ihrer Lage auf anderen Grundstücken in einem dieser Bestimmung entsprechenden räumlichen Verhältnis stehen (vgl. RGZ. Bd. 47 S. 197, Bd. 55 S. 284; Warneyer Rspr. 1910 Nr. 312). Ausgeschlossen allerdings wäre die Annahme der Zubehör-
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eigenschaft, wenn die Fernleitungen Bestandteile der fremden Grundstücke wären. Denn Bestandteile eines Grundstücks sind nicht bewegliche Sachen; sie können daher (§ 97 Abs. 1 Satz 1 BGB.) nicht Zubehör, insbesondere nicht Zubehör eines anderen Grundstücks sein (RGZ. Bd. 55 S. 283). Der Umstand, daß ein Teil der Fernleitungen sich auf dem Grundstücke des H. befindet und daß die Leitungen sich über die Grenzen dieses Grundstücks ununterbrochen fortsetzen, würde nicht ausschließen, daß die Leitungen Bestandteile der fremden Grundstücke wären, wenn die Voraussetzungen für die Bestandteilseigenschaft sonst gegeben sein würden; die fremden Grundstücke würden alsdann von den Grenzen jenes Grundstücks ab die Leitungen als ihre Bestandteile in sich schließen (vgl. RGZ. Bd. 65 S. 363, Bd. 70 S. 201; Jur. Wochenschr. 1911 S. 211, 366). Für die Frage der Bestandteilseigenschaft käme die Art der Verbindung der Trägermasten mit den Grundstücken, auf denen sie stehen, in Betracht. Wären die Trägermasten mit dem Grund und Boden fest verbunden, so wären sie nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB. wesentliche Bestandteile der Grundstücke. Die Art dieser Verbindung ist in den Vorinstanzen von den Parteien nicht erörtert worden, und der Berufungsrichter hat darüber keine Feststellung getroffen. Nach der Sachlage kommt es aber auch nicht darauf an. Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BGB. gehören zu den Bestandteilen eines Grundstücks solche Sachen nicht, die nur zu einem vorübergehenden Zwecke mit dem Grund und Boden verbunden sind. Eine solche Verbindung der Fernleitungen mit den fremden Grundstücken liegt hier vor. Der Berufungsrichter verneint allerdings, daß die Leitungsmasten, welche die Fernleitungen trügen, nur zu einem vorübergehenden Zwecke mit den fremden Grundstücken verbunden seien. Er erklärt in dieser Hinsicht : es sei anzunehmen, daß die Verbindung von H. nicht in Ausübung eines dinglichen Rechtes an den fremden Grundstücken hergestellt worden sei; denn das dem Gericht übergebene Formblatt lasse ersehen, daß H. mit den Grundstückseigentümern lediglich schuldrechtliche Mietverträge abgeschlossen habe. Daraus ergibt sich aber als tatsächliche Feststellung, daß H. mit den Eigentümern der anderen Grundstücke Mietverträge geschlossen hat, wonach er berechtigt ist, die Leitungsmasten mit den Drahtleitungen, solange die Mietverhältnisse dauern, auf den fremden Grundstücken zu halten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts, von der abzugehen kein Anlaß vorliegt, sind Sachen, die der Mieter eines Grundstücks mit dem Grund und Boden in der Absicht verbindet, daß die Verbindung nur für die Dauer des Mietverhältnisses bestehen soll, als nur zu einem vorübergehenden Zwecke mit dem Grund und Boden verbunden anzusehen (RGZ. Bd. 55 S. 284, Bd. 59 S. 20, Bd. 63 S. 421 ; Jur. Wochenschr. 1904 S. 336; Wameyer Rspr. 1913 Nr. 39), und zwar gleichviel, ob das Mietverhältnis von kürzerer oder von längerer Dauer ist (RGZ. Bd. 61 S. 192, Bd. 63 S. 421). Hieraus folgt, daß die Fernleitungen, soweit sie durch die Trägermasten mit den fremden Grundstücken verbunden sind, nicht Bestandteile dieser Grundstücke sind. Wenn sie aber nicht Grundstücksbestandteile
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sind, so gelten sie rechtlich als bewegliche Sachen. Denn das Bürgerliche Gesetzbuch scheidet alle Sachen in bewegliche und unbewegliche. Unbeweglich sind ihm nur die Grundstücke und die mit diesen verbundenen Bestandteile. Alle sonstigen Sachen sind beweglich (RGZ. Bd. 55 S. 284, Bd. 59 S. 20). Daher würden die Fernleitungen, soweit sie sich auf den fremden Grundstücken befinden, auch dann, wenn die Trägermasten mit dem Grund und Boden der Grundstücke fest verbunden wären, als bewegliche Sachen anzusehen sein. Sind sie aber bewegliche Sachen, so können sie auch Zubehör sein (RGZ. Bd. 55 S. 284). Da im übrigen die Voraussetzungen für die Zubehöreigenschaft vorliegen, sind die auf den fremden Grundstücken befindlichen Fernleitungen für Zubehör des Elektrizitätswerkes und somit auch des Grundstücks des H. zu erachten. Soweit die Leitungen sich auf diesem Grundstücke selbst befinden, sind sie, wenn die Trägermasten mit dem Grund und Boden fest verbunden sind, nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB. Bestandteile des Grundstücks, andernfalls dessen Zubehör. Nach § 1120 BGB. erstreckt sich die Hypothek auf die Bestandteile und auf das Zubehör des Grundstückes. Daher haften für die auf dem Grundstücke des H. eingetragenen Hypotheken der Kläger die ganzen mit dem Elektrizitätswerke verbundenen Fernleitungen. Von dieser Haftung sind die Fernleitungen auch nicht gemäß § 1121 BGB. frei geworden. H. hat sie zwar an die Beklagte zu 2, die Revisionsklägerin, veräußert. Aber von seinem Grundstücke sind sie nicht entfernt worden. Sie sind vielmehr nach wie vor mit dem Elektrizitätswerke verbunden." . . . R G Z . 90, 198 Sind die beim Neubau eines Hotelgebäudes hergestellten elektrisch en Aufzüge wesentliche Gebäudebestandteile ?
BGB. §§ 93, 94 Abs. 2. V. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 5. Mai 1917. I. Landgericht München.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin lieferte im Jahre 1912 den Eheleuten F. zu ihrem Neubau des Hotels „Königshof" in M. einen elektrischen Personenaufzug, einen großen elektrischen Lastenaufzug, sechs elektrische Speiseaufzüge und einen kleinen elektrischen Lastenaufzug, sogenannte Hebebühne, mit den für die Aufzüge erforderlichen Einrichtungsteilen zum Preise von 40000 M. unter Vorbehalt des Eigentums bis zur völligen Bezahlung des Preises. Der Kaufpreis ist noch nicht vollständig bezahlt. Im Jahre 1915 wurde auf Betreiben des Beklagten die Zwangsversteigerung des Hotelgrundstücks angeordnet. Mit der Klage beantragte die Klägerin, die Beschlagnahme der genannten Gegenstände für unzulässig zu erklären. Sie behauptete, diese seien lediglich Zubehör des Hotels. Der Beklagte machte dagegen geltend, die
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Gegenstände seien wesentliche Bestandteile des Hotelgrundstücks geworden und daher sei der Eigentums vorbehält wirkungslos. Der erste Richter erkannte nach dem Klagantrage. Der Berufungsrichter dagegen wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter erachtet die streitigen Aufzüge sowohl nach § 93 wie nach § 94 Abs. 2 BGB. als wesentliche Bestandteile des fraglichen Hotelgebäudes. In tatsächlicher Hinsicht ergibt sich aus seinen auf Grund des Gutachtens eines Sachverständigen getroffenen Feststellungen folgendes. Das Hotelgebäude ist, nachdem das alte Hotel vollständig niedergerissen worden war, vom Fundament aus neu aufgebaut worden. Es hat fünf Stockwerke und ist in Anbetracht seiner äußeren und inneren Gestaltung und Ausstattung, seiner Lage, seiner Größe und seiner Gäste ein Hotel ersten Ranges. Die Aufzugsanlagen haben sich der baulichen Umgebung auf das engste in bezug auf Maße und Gebäudezwecke angeschlossen. Bei der Einrichtung ist eine umfangreiche Vorbereitung am Baue selbst getroffen worden. Für die Antriebsmaschine und die Aufzugsschachte ist der nötige Raum geschaffen, zur Auflagerung der Rollengerüste sind entsprechende starke Mauern vorgesehen worden. Die Festsetzimg der baulichen Vorbereitung hinsichtlich Raum- und Maßbestimmung hat sich Hand in Hand zwischen dem Planfertiger und der Klägerin als der Lieferantin der Aufzüge lange vor Beginn der Bauarbeiten vollzogen. Die Aufzugsmaschinen sind auf Betonfundamenten mittels Steinschrauben fest aufgeschraubt. Die Führungen von Fahrstuhl und Gegengewicht sind mit Hilfe von Mauerankern an den Schachtmauern und beim Personenaufzuge, der in der sogenannten Laterne der Haupttreppe in einer Gitterumwehrung läuft, an der Treppe und deren Podesten befestigt. Die Lager der Führungsrollen für die Seile sind auf Rollengerüsten, bestehend aus schmiedeeisernen Trägern, die in die Umfassungsmauern der Schächte eingemauert sind, aufgeschraubt. Die Röhren für die elektrischen Leitungen sind zum Teil in den Schachtwänden mittels Schrauben befestigt, zum andern Teile unter den Putz der Schachtwände gelegt. Nach diesen tatsächlichen Verhältnissen kann die Annahme des Berufungsrichters, daß die Aufzüge wesentliche Bestandteile gemäß § 94 Abs. 2 BGB. seien, nicht für rechtsirrtümlich erachtet werden. Der erkennende Senat hat allerdings in zahlreichen Entscheidungen, worauf die Revision sich beruft, Maschinen und sonstige zum Betriebe bestimmte Gerätschaften, die in dauernd für einen gewerblichen Betrieb eingerichtete Gebäude eingestellt oder daran angebracht waren, nicht für wesentliche Bestandteile der Gebäude erklärt, und zwar nach § 94 Abs. 2 BGB. deswegen nicht, weil sie durch ihre Einstellung oder Anbringung nicht zur Herstellung der Gebäude als Baulichkeiten mitgewirkt hätten. Vorliegend aber ist vor Beginn der Bauarbeiten zu dem Neubau des Hotelgebäudes
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bei der Anfertigung des Bauplans auf die Einrichtung der elektrischen Aufzüge Rücksicht genommen, dabei fur die Antriebsmaschinen und die Aufzugsschachte der nötige Raum geschaffen und zur Auflegung der Rollengerüste eine entsprechende Verstärkimg der Mauern vorgesehen, und sind andernteils die Aufzugsanlagen in bezug auf Maße und Gebäudezwecke der künftigen baulichen Umgebung angepaßt worden. Ferner sind beim Einrichten die einzelnen Teile der Anlagen in den Aufzugsschächten in oder an den Schachtwänden und beim Personenaufzug in der Gitterumwehrung der Laterne an der Haupttreppe ihren Zweckbestimmungen entsprechend festgelegt worden. Danach hat die für den Neubau von vornherein vorgesehene, gemäß dem Bauplan erfolgte Einrichtung der Aufzugsanlagen dazu mitgewirkt, daß das „Gebäude" in seiner geplanten Sonderart, nämlich als ein mit Personen-, Last- und Speiseaufzügen versehenes modernes fünfstöckiges Hotelgebäude, „hergestellt" wurde, und es sind die Aufzugsanlagen auch „eingefügt" zur Herstellung dieses Gebäudes, da sie zwischen Teile des Gebäudes gebracht und durch Einpassen in die für sie bestimmten Stellen mit den sie umschließenden Stücken vereinigt sind. Daher sind für die Aufzugsanlagen die Erfordernisse des § 94 Abs. 2 BGB. zur Annahme der Eigenschaft als wesentliche Gebäudebestandteile gegeben (vgl. RGZ. Bd. 56 S. 290, Bd. 60 S. 423, Bd. 62 S. 251). Zu den wesentlichen Gebäudebestandteilen nach § 94 Abs. 2 BGB. gehört nicht nur, was zur Herstellung einer jeden Baulichkeit notwendig ist, wie gewöhnliche Baumittelstücke, sondern auch, was durch seine Verarbeitung dem betreffenden Gebäude ein bestimmtes Gepräge, seine besondere Eigenart gegeben hat (vgl. Jur. Wochenschr. 1911 S. 532 Nr. 2, S. 574 Nr. 4). Letzteres trifft hier auf die bei dem Neubau des Hotelgebäudes zugleich eingerichteten elektrischen Aufzugsanlagen zu. Es verhält sich damit ähnlich wie mit einer Automateneinrichtung, die in das zum Zwecke der Aufnahme der Automaten umgebaute Gebäude eingefügt worden ist (vgl. Gruchot Beitr. Bd. 53 S. 898). Hiernach kann dahingestellt bleiben, ob die Annahme des Berufungsrichters, daß die Aufzugsanlagen auch nach § 93 BGB. als wesentliche Bestandteile des Hotelgebäudes zu erachten seien, zutreffend ist, und bedarf es nicht eines Eingehens auf die von der Revision dagegen erhobenen Angriffe. Jedoch ist zu bemerken, daß § 94 Abs. 2 nicht etwa für Gebäudebestandteile als eine den § 93 BGB. erläuternde Vorschrift anzusehen ist, sondern selbständige Bedeutung hat, und daß danach die Eigenschaft eines wesendichen Gebäudebestandteils auch dann gegeben sein kann, wenn die Voraussetzungen des § 93 nicht vorliegen (vgl. RGZ. Bd. 63 S. 418). Dies kann besonders in Betracht kommen, wenn es sich um Sachen handelt, die nicht fest mit dem Gebäude verbunden und ohne große Schwierigkeit und wesentliche Beschädigung ihrer selbst und des Gebäudes aus diesem entfernt werden können. Sind solche Sachen zur Herstellung des Gebäudes eingefügt, so sind sie, wie ζ. B. Fenster, Türen, gemäß § 94 Abs. 2 trotz ihrer losen Verbindung wesentliche Bestandteile des Gebäudes (vgl. RGZ. Bd. 60 S. 423, Bd. 62 S. 251), während nach § 93 möglicherweise, etwa weil
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sie ihre körperliche Selbständigkeit bewahrt hätten (vgl. R G Z . Bd. 87 S. 45), die Bestandteilseigenschaft zu verneinen wäre. E s kommt deshalb vorliegend nicht darauf an, ob die einzelnen Teile der zur Herstellung des Hotelgebäudes eingefügten Aufzugsanlagen mit den anderen Gebäudeteilen als fest verbunden zu erachten sind oder nicht. Sind aber hiernach die Aufzugsanlagen gemäß § 94 Abs. 2 B G B . wesentliche Bestandteile des Hotelgebäudes, so sind sie trotz des Eigentumsvorbehalts gemäß § 946 B G B . Eigentum der Grundstückseigentümer geworden und daher von der Beschlagnahme des Grundstücks mitumfaßt ( R G Z . Bd. 63 S. 421, Bd. 67 S. 32). Mit Recht hat deshalb der Berufungsrichter die Klage auf Erklärung der Unzulässigkeit der Beschlagnahme abgewiesen." . . . R G Z . io6, 49 W i r d eine S a c h e , d i e der N i e ß b r a u c h c r e i n e s G r u n d s t ü c k s m i t diesem verbindet, z u m Bestandteile des Grundstücks ? B G B . § 95. V. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 2. Dezember 1922.
I. Landgericht III Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Auf Betreiben des Erstbeklagten ist die Zwangsversteigerung des dem K . gehörigen Grundstücks Charlottenburg, S.-Str. 31 eingeleitet worden. Der Kläger behauptet, daß er vor der Einleitung der Zwangsvollstreckung an den damaligen Nießbraucher des Grundstücks 24 Badewannen mit dazu gehörigen Öfen und einen Wasserkessel verkauft habe, die zwar mit dem auf dem Grundstück befindlichen Gebäude verbunden, aber doch sein Eigentum geblieben seien, weil er sich das Eigentum an den verkauften Gegenständen bis zur Bezahlung des Kaufpreises vorbehalten habe und der Kaufpreis noch nicht voll bezahlt sei. Er will deshalb diese Gegenstände von der Zwangsversteigerung ausgeschlossen wissen und hat die Widerspruchsklage erhoben. Die Beklagten haben den Widerspruch gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung für unbegründet gehalten, weil die Gegenstände zufolge ihres Einbaus Bestandteile des Grundstücks geworden seien und damit der Kläger sein Eigentum an ihnen verloren habe. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Berufungsgericht aber nach dem Klagantrage erkannt. D i e Revision ist zurückgewiesen worden. Gründe: Das Berufungsgericht stellt fest, daß die vom Kläger gelieferten Wannen nebst Öfen sowie der Kessel mit dem auf dem Grundstück errichteten Gebäude verbunden worden sind, hält sie trotz der Verbindung aber nicht zum Bestandteil des Grundstücks geworden, weil sie dem N i e ß b r a u c h e r des Grundstücks geliefert sind und von diesem nur in Ausübung eines Rechts an fremder Sache mit dem Grundstück verbunden worden sind.
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Die Revision meint, daß diese Ansicht zu wirtschaftlich unannehmbaren Ergebnissen führe, weil, wenn man ihr folge, es dem Lieferanten von Baumaterialien und Einrichtungsstücken für ein Grundstück ermöglicht sein würde, sich das Eigentum an den eingebauten Stücken dadurch zu sichern, daß sie sich den Nießbrauch am Grundstück einräumen ließen, hiermit aber der bisher in der Rechtsprechung festgehaltene Grundsatz, daß es nicht möglich sei, sich das Eigentum an den in ein Grundstück verbauten Materialien vorzubehalten und so die Hypothekengläubiger über den Umfang der Pfandhaftung im Unklaren zu lassen, umgestoßen sein würde. Hierbei wird übersehen, daß der Grundstückseigentümer sich in der Regel nicht ohne weiteres entschließen wird, einem oder mehreren Lieferanten den Nießbrauch an seinem Grundstück zu bestellen, bloß damit diesen das Eigentum an den verbauten Gegenständen bis zur Bezahlung des Kaufpreises vorbehalten bleibt, umgekehrt aber auch die Lieferanten die Nießbrauchbestellung für sich um dieses Zweckes willen nicht leicht erstreben werden, weil mit dem Nießbrauch auch Lasten verbunden sind (§ 1047 BGB.)· Würde aber der Nießbrauch für einen oder eine Mehrzahl von Lieferanten wirklich bestellt sein, so läßt sich die Folge, daß die von dem Nießbraucher eingebauten Stücke nicht Bestandteile des Grundstücks werden, weder rechtlich noch wirtschaftlich bekämpfen. Zum Nachteil der Hypothekengläubiger schlägt ein solches Ergebnis nicht aus. Denn, wenn diese sehen, daß ein Nießbrauch an dem Grundstücke bestellt ist, müssen sie auch mit den sich daraus ergebenden Folgen rechnen und Erkundigungen einziehen, sobald sie das Grundstück beleihen oder aus sonstigem Grunde belasten. Ohne Rechtsirrtum hat das Berufungsgericht auch angenommen, daß es für die Anwendung des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. nicht darauf ankommt, ob die Verbindung mit dem Grund und Boden oder mit einem auf dem Grundstücke befindlichen G e b ä u d e stattgefunden hat (Komm, der RGR. Anm. 6 zu § 95 BGB., JW. 1908 S. 295 Nr. 1). Diese Annahme bekämpft die Revision auch nicht. Sic wendet sich nur dagegen, daß das Berufungsgericht die Anwendbarkeit des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. auch schon dann für gegeben erachtet, wenn derjenige, der eine Sache mit einem Grundstück verbindet, gleichzeitig damit ein Recht an einem fremden Grundstücke ausübt. Sie will dieser Vorschrift nur Raum geben, wenn das Wesen des Rechts an einem fremden Grundstücke gerade darin besteht, die Verbindung eines dem Berechtigten gehörigen Gebäudes oder anderen Werkes mit dem fremden Grundstücke herbeizuführen, was nach ihrer Meinung beim Nießbrauch nicht zutrifft. Allein diese Einschränkimg ergibt sich aus dem Gesetze nicht. Das Gesetz schreibt zwar vor, daß die Verbindung in Ausübung des Rechts am fremden Grundstücke erfolgt sein müsse. Aber damit ist nichts anderes gemeint, als daß die Verbindung durch den Inhaber des Rechts am fremden Grundstücke geschehen sein muß. Würde anzunehmen sein, daß sich die Verbindung aus dem Wesen des Rechts an dem fremden Grundstück ergeben müsse, so hieße dies nichts anderes, als daß Zivils. A l l g c m . T e i l
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der Inhalt und der Zweck des Rechts auf die Herbeiführung der Verbindung abgestellt sein müßten. Solche dinglichen Rechte ließen sich aber nur spärlich finden. Zum mindesten würde dadurch die Zahl der in Betracht kommenden Rechte wesentlich eingeschränkt werden, was der Absicht des Gesetzes nicht entspräche. Denn der Gesichtspunkt, aus dem die Vorschrift des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. getroffen ist, ist der gleiche, wie im Satz 1. Wer in Ausübung eines Rechts am fremden Grundstücke eine Sache mit dem Grundstück oder einem wesentlichen Bestandteile des Grundstücks verbindet, will in der Regel am Grundstücke keine dauernde Verbesserung machen, sondern nur seinem Rechte dienen. Dazu aber kommt es nicht auf den Inhalt und das Wesen des Rechts an. Erforderlich ist nur, daß die Verbindung in Betätigung dieses Rechts geschieht. Diese Voraussetzimg ist gegeben, wenn der Nießbraucher eines Grundstücks dieses durch Einbauen von Wannen und Kesseln verbessert. Denn diese Verbindungen liegen in seinem Interesse und dienen seinem Recht, weil er durch sie das auf dem Grundstück errichtete Gebäude gebrauchsfähig oder doch ertragsfáhiger macht und damit die Früchte seines Rechts vergrößert. Daß er solchenfalls die Geschäfte des Grundstückseigentümers besorgt und deshalb nicht in Ausübung des Nießbrauchs, sondern als Geschäftsführer des Grundstückseigentümers handelt, wird sich nicht sagen lassen. Schon daß er die eingebauten Stücke bezahlt, beweist, daß er seine und nicht des Grundstückseigentümers Interessen verfolgt. Richtig ist nur, daß er für das Grundstück handelt, aber diese Tätigkeit ist nicht gleichbedeutend mit einem Handeln für den Grundstückseigentümer. Es bedarf aber nicht einmal der Anwendung des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB., um zu dem Ergebnis zu gelangen, daß die strittigen Gegenstände durch die Verbindung mit dem Gebäude nicht Bestandteile des Grundstücks geworden sind. Denn dies ergibt sich auch aus dem § 95 Abs. 2 BGB. Es ist nicht anzunehmen, daß der Nießbraucher Gegenstände, die er für das Grundstück aus eigenen Mitteln anschafft, dem Grundstück auch über die Dauer seines Nießbrauchs einverleibt lassen will. Dies geht schon daraus hervor, daß der § 1049 Abs. 2 BGB. den Nießbraucher für berechtigt erklärt, eine Einrichtung, mit der er die Sache versehen hat, wegzunehmen. Deshalb muß davon ausgegangen werden, daß, wenn der Nießbraucher eines Grundstücks während seines Nießbrauchs Gegenstände mit dem Grundstücke verbindet, er dies nur zu einem vorübergehenden Zwecke tut, um damit während seines Nießbrauchs die Ausnutzung des Grundstücks besser zu gestalten. Auch schon aus diesem Grunde sind die Wannen, Öfen, und der Kessel trotz der Verbindung nicht Bestandteile des Grundstücks geworden (vgl. auch RGZ. Bd. 97 S. 105). RGZ. 150, 22 ι. Welche rechtliche Bedeutung hat der Vermerk des Zuschlagbescheides, daß gewisse Sachen auf den Ersteher nicht
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übergehen, wenn diese Sachen wesentliche Bestandteile des versteigerten Grundstücks sind ? 2. Sind Treibstofftankanlagen und Öltankanlagen in einer Großgarage wesentliche Bestandteile des Gebäudes ? BGB. §§ 93, 94 Abs. 2. ZVG. § 37 Nr. 5, § 90. VII. Zivilsenat. Urt. v. 20. Dezember 1935. I. Landgericht Nürnberg-Fürth.
II. Oberlandesgericht Nürnberg.
Im Jahre 1928 ist für die Beklagte auf zwei damals dem Kaufmann G. gehörigen Grundstücken in N. eine Hypothek von 250000 RM. bestellt worden. Im Jahre 1931 hat G. auf den Grundstücken eine großstädtische Autogarage, „die Ringgarage" genannt, mit einem Fassungsvermögen von 300 Kraftwagen errichtet. Das Gebäude ist dreistöckig und hat außerdem ein Untergeschoß; alle Geschosse sind zur Aufnahme von Fahrzeugen bestimmt. Die Hauptzufahrt erfolgt von Süden durch die S.-Straße. Sie führt zu ebener Erde in eine 16 m breite und entsprechend tiefe Halle. In der Hallenmitte ist auf einer kreisrunden „Insel" von 4 m Durchmesser eine Tankstelle eingerichtet. Auf der Insel sind sechs Tankständer sowie ein Ölschrank mit acht ölzapfhähnen aufgestellt. Die Tankständer werden aus drei je in zwei gleichgroße Abteile geteilten Tanks gespeist, die vor dem Grundstück unter der Straßenoberfläche liegen. Sie stehen mit den Tankständern durch Rohre in Verbindung, die durch die Fundamentmauern des Gebäudes hindurch in der Betondecke des Kellergeschosses bis unter die „Insel" geführt sind. Im Keller befinden sich weiter, auf einem niedrigen Betonsockel ruhend, ohne weitere Befestigung acht Ölbehälter, die durch eine Rohranlage durch die Kellerdecke hindurch mit dem Ölschrank in Verbindung stehen, außerdem ein sog. „Kompressor", der, durch eine elektrische Luftpumpe mit Luft gefüllt, das ö l in die Leitungsrohre hineindrückt und ferner drei in den verschiedenen Stockwerken aufgestellte Luftautomaten zum Aufpumpen der Autoreifen mit Luft versorgt. Alle diese Einrichtungen sind von der Zweitklägerin, der Firma Wi., und der We. Handelsgesellschaft m. b. H. auf Grund eines Vertrags mit G. vom 3. März 1931 in das Garagegebäude eingebaut worden. Beide Firmen haben sich an den gelieferten Gegenständen das Eigentum vorbehalten. In dem Vertrag erkannte G. an, daß die gelieferten Gegenstände nur zur vorübergehenden Benutzimg mit dem Grundstück verbunden seien und damit nicht wesentliche Bestandteile des Grund und Bodens würden; er verpflichtete sich, im Falle eines Zahlungsverzugs die Herausnahme der gelieferten Anlage zu dulden. Die We. Handelsgesellschaft hat am 14. März 1932 ihre Rechte aus dem am 3. März 1931 mit der Ringgarage N. abgeschlossenen Vertrag an der Tankanlage, ölanlage und Druckluftanlage an die Erstklägerin, die Firma S. & Co., abgetreten. Bald nachdem das Gebäude mit allen Anlagen fertiggestellt und in Betrieb genommen war, kamen die Grundstücke auf Antrag der Beklagten
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zur Zwangsversteigerung. Die Klägerinnen versuchten, auf Grund ihres Eigentumsvorbehalts die Beklagte zur Freigabe der Anlagen zu veranlassen. Diese stellte sich jedoch auf den Standpunkt, die sämtlichen Anlagen seien wesentliche Bestandteile des Gebäudes, und lehnte die Freigabe ab. Darauf erwirkten die Klägerinnen gemäß § 37 Nr. 5 ZVG. eine Anordnung des Vollstreckungsgerichts auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung in diese Gegenstände; die Anordnung wurde später vom Prozeßgericht wiederholt. Bei der Zwangsversteigerung vom 31. Januar 1933 und im Zuschlagsbescheid von demselben Tage wurde die Tank- und Öldruckanlage nebst den Luftautomaten von der Versteigerung ausgenommen. Die Beklagte ist mit einem Teilbetrag ihrer Hypothek von 90000 RM. ausgefallen. Die Klägerinnen klagen gegen die Beklagte mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung in die einzeln aufgeführten Gegenstände der Anlage (Luftautomaten, Öldruckanlage und Tankanlage) für unzulässig zu erklären. Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Das Oberlandcsgericht hat das Urteil hinsichtlich der Tankanlage aufgehoben und insoweit die Klage abgewiesen, im übrigen aber die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Die Revision der Klägerinnen blieb ohne Erfolg. Auf die Anschlußrevision der Beklagten wurde die Klage ganz abgewiesen. Gründe: Das Klagbegehren, die Zwangsvollstreckung in die im Klagantrag bezeichneten Gegenstände für unzulässig zu erklären, ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese Sachen nicht zu wesentlichen Bestandteilen der zwangsversteigerten Grundstücke geworden sind. Denn nur wenn das nicht der Fall ist, blieb das Eigentum der Klägerinnen kraft des Eigentumsvorbehalts bei der Lieferung bestehen und steht ihnen daraus ein die Veräußerung hinderndes Recht im Sinne des § 771 ZPO. gegenüber der von der Beklagten betriebenen Zwangsvollstreckung zu. Die Klage hat sich nicht etwa zur Hauptsache dadurch erledigt, daß die Grundstücke inzwischen zwangsversteigert und dem Ersteher zugeschlagen worden sind. Denn die Gegenstände, um die es sich in der Klage handelt, sind auf Grund der von den Klägerinnen nach § 37 Nr. 5 ZVG. erwirkten einstweiligen Einstellung der Zwangsvollstreckung nach den Versteigerungsbedingungen nicht mit versteigert worden, und im Zuschlagsbescheid ist vermerkt, daß sie auf den Ersteher nicht übergehen. Wären sie wesentliche Bestandteile der versteigerten Grundstücke, so würde der Ersteher sie allerdings trotz dieses Vorbehalts mit den Grundstücken erworben haben. Denn es ist nach § 93 BGB. zwingenden Rechts, daß wesentliche Bestandteile einer Sache nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können. Der Ersteher des Grundstücks erwirbt durch den Zuschlagsbescheid das Eigentum an dem ganzen Grundstück und damit begrifflich und kraft rechtlicher Notwendigkeit gemäß § 93 BGB. Eigentum auch an den wesentlichen Bestandteilen. Das ergibt sich aus der Bestimmung des § 90 Abs. 1 ZVG., und dieser Erfolg kann nicht durch irgendwelche Vor-
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behalte und Anordnungen des Vollstreckungsrichters oder des Prozeßrichters gehindert werden. Aber damit ist nicht gesagt, daß die Ausschließung bestimmter Gegenstände von der Zwangsversteigerung in den Versteigerungsbedingungen und im Zuschlagsbescheid, wenn es sich um wesentliche Bestandteile handelt, überhaupt keine Bedeutimg habe. Das Reichsgericht hat vielmehr in ständiger Rechtsprechung, an der festzuhalten ist (vgl. RGZ. Bd. 74 S. 201 [204 flg.] und die dort genannten Entscheidungen), angenommen, daß in solchen Fällen schuldrechtliche Ansprüche gegen den Ersteher gegeben sind. Er ist verpflichtet, die Trennung der von ihm erworbenen wesentlichen Bestandteile von dem Grundstück zu dulden. Je nachdem wie sich der Streit zwischen demjenigen, der die Ausschließung der Bestandteile von der Zwangsversteigerung erwirkt hat, und dem betreibenden Gläubiger erledigt, hat der Ersteher die in Frage kommenden Bestandteile an den ersteren oder entsprechend § 1282 BGB. an den betreibenden Gläubiger herauszugeben, damit dieser zwecks seiner Befriedigung die Vollstreckung gegen seinen Schuldner fortsetzen kann. Auch wenn die Gegenstände, um die es sich hier handelt, wesentliche Be standteile der versteigerten Grundstücke sind, bedarf es deshalb einer sachlichen Entscheidung. Diese schafft für die Beklagte gerade die Möglichkeit, gegen den Ersteher der Grundstücke vorzugehen und von ihm zu verlangen, daß er ihr die von der Versteigerung ausgeschlossenen Gegenstände zur Vollstreckung zur Verfügung stellt. Die Ausführungen des Berufungsrichters über die Eigenschaft einer Sache als wesentlicher Bestandteil eines Gebäudes sind nicht frei von Rechtsirrtum. Er führt im Anschluß an eingeholte Sachverständigengutachten aus, der Wegfall des Zapfstellenbetriebs bedeute den Wegfall eines Drittels des ganzen Betriebsertrags der Garage; ohne Zapfstelleneinrichlung sei deshalb ein Großstadtgaragenbetrieb wirtschaftlich unmöglich. Daraus folge, daß die Entfernung der Zapfstelleneinrichtung aus einem solchen Garagengebäude das Wesen des Gebäudes verändern würde. Weiter meint er, diejenigen Sachen, welche die Treibstofftankanlage, und die Sachen, welche die Öltankanlage ausmachten, seien mit dem Garagengebäude so verbunden, daß sie nach der Auffassung des Verkehrs zusammen mit dem Gebäude eine Sache bildeten. Denn erst durch die Tankanlagen erlange ein Gebäude sein Gepräge als Großgarage. Trotz dieser Feststellung, bei der er auf die Bestimmung des § 94 Abs. 2 BGB. verweist, kommt der Berufungsrichter dann mit Rücksicht darauf, daß die Treibstofftankanlage jedenfalls ein Viertel des Gesamtrohertrags, die Öltankanlage aber nur ein Zehntel hiervon erbringe, zu dem Ergebnis, wohl die Treibstofftankanlage, nicht aber die Öltankanlage und die Luftautomatenanlage als wesentliche Bestandteile der Grundstücke anzusehen. Der Berufungsrichter scheint also die Voraussetzungen des § 94 Abs. 2 BGB. für vorliegend zu halten; er zieht aber daraus nicht die Folgerung, daß Treibstofftankanlage, Öltankanlage und Luftautomatenanlage wesentliche Bestandteile des Garagengebäudes sind, sondern prüft diese Frage für die drei Anlagen weiter,
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wobei er auch die Bestimmungen des § 93 und des § 94 Abs. 1 BGB. heranzieht. Dies Verfahren ist unrichtig. Wenn Gegenstände zur Herstellung eines Gebäudes eingefügt sind, so sind sie nach § 94 Abs. 2 BGB. wesentliche Bestandteile, und es kommt nicht darauf an, ob daneben die Voraussetzungen des § 93 oder des § 94 Abs. 1 BGB. gegeben sind. Die Feststellungen des Berufungsrichters ergeben aber, daß die beiden Tankanlagen und die Luftautomatenanlage zur Herstellung des Garagengebäudes eingefügt worden sind. Soll eine Sache als „zur Herstellung des Gebäudes" eingefügt angesehen werden, so muß das Gebäude durch die Verbindung gerade mit dieser Sache zu dem geworden sein, was es darstellen soll und darstellt. Danach gehört zu den wesentlichen Bestandteilen im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB. nicht nur, was zur Herstellung einer jeden Baulichkeit notwendig ist, wie gewöhnliche Baumittelstücke, sondern auch, was durch seine Verarbeitung dem betreffenden Gebäude ein bestimmtes Gepräge, seine besondere Eigenart gegeben hat. Ob das letztere der Fall ist, muß nach den Anschauungen des Verkehrs über Wesen, Zweck und Beschaffenheit desjenigen Gebäudes beurteilt werden, dem die Sache eingefügt ist. Im hier zu entscheidenden Falle handelt es sich um eine Großgarage, die zur Aufnahme und Unterstellung von Kraftwagen bestimmt ist. Durch die Tankanlage in der Hauptzufuhrhalle ist Vorsorge getroffen, daß die Kraftwagen hier auch ihren Treibstoff und das erforderliche ö l erhalten können. Der Kompressor, der das ö l in die Leitungsrohre hineindrückt, versorgt gleichzeitig die Luftautomaten zum Aufpumpen der Autoreifen mit Luft. Alle diese Anlagen sind für eine neuzeitlich eingerichtete Großgarage unentbehrlich und geben ihr erst das Gepräge einer solchen. Eine Trennung der Anlagen von dem Gebäude würde eine Änderung in seinem Wesen als einer allen Ansprüchen genügenden Großgarage herbeiführen. Eine neuzeitlich eingerichtete Großgarage kann ebensowenig ohne diese Anlagen sein wie ein moderner Gasthof ohne Sammelheizung oder ohne eingebaute Waschtische für fließendes warmes und kaltes Wasser. Die gesamten Anlagen sind auch nach den vom Berufungsrichter getroffenen Feststellungen zur Herstellung des Gebäudes „eingefügt". Für die Aufstellung der Tankständer und der ölschränke ist in der Mitte der Einfahrtshalle eine besondere „Insel" eingebaut, die Zuleitungsrohre sind ζ. T . in die Betondecke des Kellers eingelassen, und für die Unterbringung der Ölbehälter und des Kompressors sind im Keller Betonsockel vorgesehen. Die Treibstofftanks liegen sogar in der Erde. Auf die Festigkeit der Verbindung mit dem Gebäude kommt es bei der Bestimmung des § 94 Abs. 2 BGB. nicht an; entscheidend ist lediglich der Zweck der Verbindung. Gleichgültig ist auch, ob bei dem ursprünglichen Bauplan bereits alle diese Anlagen vorgesehen waren. Entscheidend ist, daß sie mit dem Gebäude in eine derartige Verbindung gebracht worden sind, daß mit durch sie das Gebäude in seiner Sonderart und zu seinen Sonderzwecken hergestellt worden ist. Zwar liegen die Treibstofftanks nicht in dem Garagengrundstück, sondern in der im
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Eigentum der Stadtgemeinde N. stehenden S.-Straße. Daraus folgt aber nicht, daß etwa diese Tanks wesentlicher Bestandteil des Straßengrundstücks geworden wären (§ 947 BGB.)· Denn die Stadtgemeinde hat deren Einbettung in das Straßengrundstück nur unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs gestattet und ist daher nach § 95 BGB. nicht Eigentümerin der Treibstofftanks geworden. Diese bilden vielmehr mit den Zuleitungsrohren ein einheitliches Ganzes und sind deshalb, obgleich sie jenseits der Grenze liegen, wesentliche Bestandteile des Garagengrundstücks (vgl. auch RGZ. Bd. 65 S. 361 [363], Bd. 72 S. 269 [272]). Darauf, wie hoch die Einnahmen aus der Treibstoffanlage und der Öltankanlage sind und in welchem Verhältnis diese Einnahmen zu den Einnahmen aus der Vermietung der Unterstellräume stehen, kommt es nicht an; dieser rein wirtschaftliche Gesichtspunkt ist für die Frage der Anwendbarkeit des § 94 Abs. 2 BGB. ohne Bedeutung. Mit Unrecht verneint deshalb der Berufungsrichter die Eigenschaft der Öltankanlage und der Luftautomatenanlage als wesentlicher Bestandteile des Gebäudes. Auch darauf kann es nicht ankommen, ob der Inhaber der Großgarage den Zapfstellenbetrieb selbst verwaltet oder ob er ihn verpachtet hat. Für die neuzeitlichen Anforderungen entsprechende Großgarage ist nur von Bedeutimg, daß solche Anlagen in dem Gebäude vorhanden sind, nicht wer die Einnahmen daraus zieht. Anders würde die Sache liegen, wenn den Einbau der gesamten Anlage ein Unternehmer vorgenommen hätte, dem der Eigentümer der Großgarage vorübergehend den Zapfstellenbetrieb in der Garage gestattet hätte; dann würden die eingebauten Anlagen nach § 95 BGB. nicht wesentlicher Bestandteil des Gebäudes sein. Aber so liegt der Fall hier nicht. Denn hier ist der Einbau für den Grundstückseigentümer erfolgt, und seine Erklärung, die gelieferten Gegenstände würden nur zur vorübergehenden Benutzung mit dem Grundstück verbunden, ist ganz etwas anderes. Mit Recht erklärt der Berufungsrichter diese Erklärung für unrichtig, weil sie mit dem von den Beteiligten verfolgten Zweck, eine für den dauernden Garagenbetrieb bestimmte Anlage zu schaffen, im Widerspruch stehe. R G Z . 152, 91 Wann ist der Motor eines Seeschiffes als wesentlicher Bestandteil des Schiffes anzusehen ?
BGB. § 93. II. Zivilsenat. Urt. v. 4. August 1936. I. Landgericht Hamburg.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Schiffer B. in Hamburg, dessen Nachlaß nach seinem am 15. Dezember 1933 erfolgten Tode der Beklagte verwaltet, war Eigentümer des auf der Fahrt vom Rhein nach Berlin über Elbe und Havel, notfalls bei niedrigem Wasserstand über Stettin und Oder verwendeten 124-to-Schiffes
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„Zufriedenheit". Das Schiff strandete am 15. Dezember 1933 zwischen Ahrenshoop und Darsserort, wobei B. den Tod fand. Es lag zuletzt zur Ausbesserung auf der Neptunwerft in Rostock. Es war als Segelschiff erbaut, erhielt 1923 einen sogenannten Glühkopfmotor von 60 PS als Antriebskraft und im Jahre 1933 einen 100-PS-Dieselmotor, um den sich der Streit dreht. Seit 1923 wird das Schiff im deutschen Schiffsregister als „Segelschiff mit Hilfsmotor" geführt. Es ist auch im englischen Register des Britischen Lloyd in dem Verzeichnis der Dampfer und Motorschiffe unter 300 Register-Tonnen eingetragen und zwar als Motorschiff mit der Bezeichnimg „ex sailing vessel" (gewesenes Segel-Fahrzeug). Den Dieselmotor für Schiffsbetrieb MWM Patent Benz Typ. RH 124 SU., normale Leistung 100 PS bei 550 Umdr./min., hat B. nach Bestellschein vom 22. Juni 1933 zum Preise von 12879 RM., zuzüglich 250 RM. für Verpackung, für 13129 RM. gegen eine Anzahlung von 700 RM. und Abzahlung in 24 Monatsraten nach Akzepten gekauft mit Vorbehalt des Eigentums für die Klägerin nach dem Bestellschein und den beigefügten allgemeinen Lieferungsbedingungen. Ein Rücktrittsvorbehalt für den Fall der Nichtzahlung der Raten liegt nicht vor. Da sich der Nachlaßverwalter außerstande erklärt hat, die fälligen Raten zu bezahlen, fordert die Klägerin mit der Klage die Herausgabe des Motors, die der Beklagte verweigert, weil der Motor gemäß §§ 947, 93 BGB. wesentlicher Bestandteil des Schiffes und daher Eigentum des Schiffers geworden sei. Der Erstrichter hat nach Einholung eines Gutachtens des Schiffssachverständigen St. die Klage abgewiesen, weil der herausverlangte Motor durch Einbau in das Schiff dessen wesentlicher Bestandteil geworden und dadurch das vorbehaltene Eigentum erloschen sei. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht nach Erhebung eines weiteren Gutachtens des Zivilingenieurs für Schiffsbau Fr. abändernd erkannt, daß der Beklagte zur Herausgabe des Motors verurteilt werde. Die Revision des Beklagten führte zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils. Aus den G r ü n d e n : Die Revision bittet um Nachprüfung des Urteils seinem ganzen Inhalt nach, indem sie Verletzung der §§ 90 flg. BGB. behauptet. . . Sie beruft sich ganz allgemein auf die Ausführungen des Erstrichters und hebt als einzigen Punkt, zu dem die Nachprüfung verlangt werde, die Frage hervor, ob nicht die Eintragung des Schiffes in das deutsche und englische Schiffsregister für sich allein oder im Zusammenhang mit dem übrigen Tatbestand den Schluß rechtfertigten, daß der Motor wesentlicher Bestandteil des Schiffes geworden sei. Der Eintragung kann aber nicht bloß aus dem allgemeinen Grunde, weil sie sich mit dem wirklichen Tatbestand nicht zu decken braucht, keine Bedeutung zugemessen werden, sondern auch aus dem besonderen Grunde, weil sie gar nicht geschehen ist in Ansehung des mit d e m Motor, den die Klägerin geliefert hat, ausgestatteten Schiffes. Die Eintragung geht zurück auf die Zeit, da das Schiff mit dem 60-PS-
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Glühkopfmotor ausgestattet war. Der Einbau des 100-PS-Dieselmotors von der Klägerin, bestellt am 22. Juni 1933, kann erst in den letzten Monaten vor der Strandung vom 15. Dezember 1933 geschehen sein. In seiner Entscheidung, daß der Motor des Schiffes im vorliegenden Fall zwar als Bestandteil, nicht aber als wesentlicher Bestandteil des Schiffes anzusehen sei, kann dem Berufungsrichter nicht beigepflichtet werden. Es handelt sich hier um ein Seeschiff, wie die Eintragung im Schiffsregister nicht nur in Deutschland, sondern auch in England erweist und wie sich ferner daraus ergibt, daß die Fahrt vom Rhein nach Berlin über Elbe oder Oder in jedem Falle über die See führt, nicht nur über Flüsse oder sonstige Binnengewässer (§ 1 des Binnenschiffahrtsgesetzes vom 20. Mai 1898 RGBl. S. 868). Seeschiffe sind ihrem Wesen nach ein Einheitsgegenstand, wie schon vom ehemaligen Bundesoberhandelsgericht in ROHG. Bd. 1 S. 187 (189) ausgesprochen worden ist. Sie bedürfen anders als die Binnenschiffe, bei denen „Dampfschiffe und andere Schiffe mit eigener Triebkraft" und „sonstige Schiffe" zu unterscheiden sind (§ 119 BinnSchG., 9. Abschnitt „Schiffsregister"), stets einer Triebkraft, sei es einer Segeltakelage oder eines Dampf- oder Motorantriebs 1 ). Deswegen spielt bei ihnen die Antriebskraft eine andere Rolle als in einer Fabrik oder genauer einem Fabrikgebäude die Maschine, sei es Antriebsmaschine oder Arbeitsmaschine. Dies hat der Vorderrichter selbst richtig erkannt, wenn er ausspricht, die Anschauungen über lose mit einem Gebäude verbundene Maschinen, die sich in der Regel mit dem Gebäude nicht zu „ e i n e m körperlichen Gegenstand" —· einer Einhcitssache — vereinigten, sondern zusammen mit dem Gebäude eine Mehrheit von Sachen blieben, seien nicht ohne weiteres auf den Einbau eines Motors in ein Schiff zu übertragen. Für das Seeschiff ist der Antrieb derart begriffswesentlich, daß es dadurch zum „Segelschiff", „Dampfschiff", „Motorschiff" als eine Unterart wird. Diesen begrifflichen Unterarten gegenüber tritt in der Verkehrssprache sogar der gemeinsame Oberbegriff Seeschiff zurück. Daß Zwischen- oder Doppelformen vorkommen, hervorgerufen durch die mehr oder minder große Unbeständigkeit der einzelnen gebräuchlichen Antriebskräfte, insbesondere des Segelantriebs, zeigt der gegebene Fall, in dem das „Segelschiff mit Hilfsmotor" oder das „Motorschiff mit Hilfsbesegelung" auftritt, wobei die Hilfskraft ebensowohl als Ersatz beim gänzlichen Versagen der Hauptkraft wie auch zu ihrer Verstärkimg zum Zweck der Beschleunigung der Fahrt und beim Motorschiff insbesondere zur Ersparung von Treibstoff und Verminderung des Verschleißens der Maschinen dienen kann. Ohne Antriebskraft ist das zur Seefahrt bestimmte Schiff zwar kein „Wrack", wie in einem Kölner Rechtsstreit, von dem die Klägerin das erstinstanzliche und das rechtskräftig gewordene Berufungs-Urteil beigebracht hat, von der Klagpartei gesagt wurde, welche die Eigenschaft des Motors als wesentlichen Bestandteils vertrat, übrigens nicht bei einem Seeschiff, ') Daran ändert nichts, daß es auch Hilfsschiffe der Seeschiffahrt gibt, wie ζ. B. Leichter, die geschleppt werden. Sie spielen hier keine Rolle.
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sondern bei einem „Kahn", also einem Binnenschiff. Aber das Seeschiff ohne Antrieb ist unfertig oder, wenn nachträglich seines Antriebs beraubt, nicht mehr seefertig eingerichtet und ausgerüstet (§513 HGB.); es ist ein Schiffskörper, aber kein Seeschiff. Hieraus folgt aber mit logischer Notwendigkeit, daß der Antrieb des Schiffes, der sein Wesen als Artbegriff bestimmt, also beim Segelschiff die Bemastung mit dem Segelwerk, beim Dampfschiff die Dampfmaschine mit Rad oder Schraube, beim Motorschiff der Motor mit Schraube, nicht nur nach der allgemeinen Anschauung Bestandteil des Seeschiffes ist, wie der Vorderrichter ausspricht, sondern dann auch w e s e n t l i c h e r Bestandteil, was er verneint. Das Kölner Berufungsurteil vom 11. Oktober 1935 2 U 110/35 hat in dem anders liegenden Fall des Kahnes mit Motor die Bestandteilseigenschaft überhaupt verneint und angenommen, daß der Motor „Zubehör" des Kahnes sei — wie das die Revisionsbeantwortimg hier auch für den Motor des Seeschiffes vertritt — mit der Wirkung, daß der Motor seine Sonderrechtsfähigkeit behalte. Es hat dabei hingewiesen auf § 1265 Abs. 1 BGB., worin von der Erstreckung des Schiffspfandrechtes auf das Zubehör gerade die nicht in das Eigentum des Schiffseigentümers gelangten Zubehörstücke ausgenommen werden. Der Fall des Kahnes mit Motor steht hier nicht zur Entscheidimg; er ist aber lehrreich für die Betrachtungen, die in jedem Fall angestellt werden müssen. Der „Kahn" als Binnenschiff mit Laderaum — von oft beträchtlichem Umfang — ist seinem Begriff nach nicht mit einer Antriebskraft ausgestattet. Er kann auf Flüssen die Talfahrt schon allein mit der fließenden Welle ausführen, wobei ein Motor nur der Beschleunigung der Fahrt dienlich wäre; für die Bergfahrt oder wo es sonst am treibenden Strom fehlt, ist ein Schleppdienst gebräuchlich und, wenn von dessen Benutzung abgesehen werden, der „Kahn" also selbständig zur Fahrt imstande sein soll, ein Motor von erhöhter Stärke erforderlich. Handelt es sich um ein so ausgestattetes Fahrzeug, so könnte von einem „Motorkahn" gesprochen werden, wobei dann das Vorhandensein des Motors auch begriffswesentlich wäre. Ob sich auf diesem Sondergebiet in der Praxis auch schon ein bestimmter Begriff „Motorkahn" gebildet hat, ist eine tatsächliche Frage und hier nicht zu untersuchen. Entscheidend dafür, was bei den einzelnen Gegenständen und demnach auch Fahrzeugen zu Wasser als wesentlicher Bestandteil, unwesentlicher Bestandteil oder Zubehör anzusehen ist, ist in letzter Reihe die allgemeine Verkehrsanschauung, die ihren festesten Niederschlag in der Bildung anerkannter Begriffe findet. Ein solcher anerkannter Begriff ist aber, wie schon gesagt, das Motorschiff. Die Revisionsbeantwortung hat noch zwei weitere Gerichtserkenntnisse beigebracht, die sie mit Vorteil für die Klägerin verwenden zu können glaubt und deren Gegenstand den hier in Betracht kommenden Fragenkreis zu beleuchten geeignet ist. Das eine Urteil, erlassen vom Landgericht Mannheim am 20. Februar 1930 (3 HH 542/29) zugunsten der jetzigen und damaligen Klägerin, betrifft einen Viertakt-Schiffs-Dieselmotor im
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Preis von über 26000 RM., der in einen für seine Aufnahme besonders eingerichteten Schiffsneubau bereits eingesetzt war, als der Konkurs über die Schiffsbaufirma ausbrach. Das Gericht hat festgestellt, daß in keiner Weise sicherstehe, ob das Schiff überhaupt fertiggestellt werde und daß nach der allgemeinen Anschauung und aus wirtschaftlichen Rücksichten der Motor nicht als wesentlicher Bestandteil des u n f e r t i g e n Schiffes anzusehen und daher der Eigentumsvorbehalt der Klägerin „noch wirksam" sei. Das andere Urteil, erlassen vom Oberlandesgericht Stettin am 28. November 1930 (1 U 275/30) hatte es mit einem 12-PS-Glühkopfmotor für ein Hochseefischereifahrzeug von 9,74 Reg.-To. zu tun, das als „Segelschiff" bezeichnet war. Hier wird ausgesprochen, die Frage, ob der in ein Segelschiff eingebaute Motor wesentlicher Bestandteil des Schiffes werde, könne nicht einheitlich beantwortet werden; die Entscheidung hänge von den besonderen Umständen des Einzelfalles, namentlich von der Beschaffenheit und Zweckbestimmung sowohl des Schiffes als auch des Motors, von der Art ihres Zusammenhangs und von der Verkehrsauffassung der beteiligten Kreise in ihrer überwiegenden Mehrheit ab. Unter Feststellung der Eigenschaft des Motors als Typenware und seiner Entfernbarkeit ohne wesentlichen Schaden wird überdies festgestellt, daß das nach dem Schiffsmeßbrief des Reichsschiffsvermessungsamtes in Berlin als „Segelschiff mit Hilfsmotor" bezeichnete Fahrzeug nach der Entfernung des Motors immer noch als Segelschiff verwendet werden könne, wenn auch die durch das Vorhandensein des Motors bedingten Vorteile wegfielen, und es wird daher erklärt, das Fahrzeug werde durch die Entfernung des Motors in seinem Wesen als Segelschiff nicht beeinträchtigt; der Motor habe seine Selbständigkeit behalten, der Eigentumsvorbehalt dauere daher fort. Dabei wird auch auf ein Gutachten des Professors Dr. R. als Beleg für die Verkehrsauffassung Bezug genommen, worin ausdrücklich unterschieden werde zwischen „Segelfahrzeugen mit Hilfsmotoren" und „Motorschiffen mit Hilfsbesegelung". Zu den ersten würden von R. Schiffe mit Besegelung und Motoren von 8 bis 10 PS gezählt, zu den letzten Schiffe mit Motoren von 25 bis 35 PS. Hiernach steht dieses Stettiner Urteil auf dem der Meinung der Klägerin entgegengesetzten Standpunkt, daß zwar bei Schiffen (Fischereifahrzeugen), die ihrem Wesen nach Segelschiff sind, der nur zur Hilfe beigegebene Motor von schwachen Kräften eine Zutat für die bessere Erreichung des wirtschaftlichen Zwecks des Ganzen, deren auch entraten werden könne, und demnach bei Erhaltung seiner Selbständigkeit Zubehör sei, daß dagegen ein Motor von erheblicher Stärke, der die eigentliche Triebkraft ausmache, bei solchen Schiffen als wesentlicher Bestandteil anzusehen wäre. Daß nun auch in dem hier zur Entscheidung stehenden Fall ein Motorschiff — mit Hilfsbesegelung — in Frage steht, ergibt sich nicht nur aus der Stärke des Motors von 100 PS, sondern auch aus den sachlich in diesem Punkt übereinstimmenden Gutachten der beiden gerichtlichen Sachverständigen. St. bezeichnet das Schiff unter Begründung als - ,Seemotor-
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schiff". Fr., dem der Berufungsrichter in jeder Hinsicht vertraut, stellt fest, daß die auf dem Schiff vorhandene Takelage für ein Segelschiff bei weitem nicht genüge und daß sich der Schiffskörper nur mit erheblichen Unkosten in ein Segelschiff zurückbauen lasse, ohne daß dabei eine Aussicht auf Wirtschaftlichkeit des Schiffes entstünde. Er entscheidet zwar nicht — und deshalb hat auch der Vorderrichter von einer Stellungnahme dazu abgesehen, zumal das bei seiner sonstigen rechtlichen Stellungnahme nicht nötig war — ob das Schiff „Zufriedenheit" als „Segelschiff mit Hilfsmotor" anzusehen ist oder als „Motorschiff". Aber da er ihm die Eignung zum Fahren als Segelschiff überhaupt abspricht — er sagt, nach Ausbau des Motors sei es für die Fahrt als See- und Flußschiff zugleich überhaupt nicht mehr zu gebrauchen —, so fehlt es auch nach ihm an der Grundeigenschaft als Segelschiff, und das Schiff muß unter die Motorschiffe — mit Hilfsbesegelung — eingereiht werden. Auch der Vorderrichter stellt fest, daß der Schiffskörper erst nach Einbau eines neuen Motors entsprechender Größe wieder verwendet werden könne. Zu dem Ergebnis, daß der Motor, wenn Bestandteil dieses Schiffes, wesentlicher Bestandteil ist, gelangt man auch, wenn man, wie der Vorderrichter es tun will, die Anwendung nicht nur des § 93 BGB., der auf Schiffe als Sachen unmittelbar zutrifft, sondern auch der folgenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über Grundstücke wenigstens in entsprechender Weise für möglich erachtet. Grundstücke oder Gebäude, die sich durch ihre Eigenschaft als fester Boden oder durch ihren festen Zusammenhang mit dem Boden (§ 94 Abs. 1 Satz 1 BGB.) kennzeichnen und bei denen der gemeinrechtliche Grundsatz „superficies solo cedit" die gesetzliche Behandlung der Bestandteile beherrscht, sind zwar die Schiffe nicht, weder vor noch nach dem Stapellauf, wie auch die Einführung eines besonderen Schiffspfandrechts — jedoch nur für die im Schiffsregister eingetragenen Schiffe und Schiffsanteile (§§ 1259 bis 1272 BGB.) — unter dem allgemeinen Titel „Pfandrecht an beweglichen Sachen" (§§ 1204 flg. BGB.) zeigt. Aber der in § 94 Abs. 2 BGB. ausgesprochene Satz, daß zu den w e s e n t l i c h e n Bestandteilen eines Gebäudes die zur Herstellung des Gebäudes eingefügten Sachen gehören, verträgt wohl eine Übertragung auf die Schiffe, die immerhin Bauwerke sind. Das, was hinzukommen muß, damit das Schiff, und zwar nicht bloß der Schiffskörper, sondern das Schiff in seiner Gesamterscheinung und begrifflichen Eigenart überhaupt erst entsteht, muß w e s e n t l i c h e r Bestandteil sein. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Gesamtcrschcinung und Eigenart von Anfang an bestanden hat oder erst nachträglich durch einen Umbau oder Einbau entstanden ist (RGZ. Bd.62 S. 406 [409], Bd. 150 S. 22 [27]). Übertragbar wäre dann natürlich auch der andere Grundsatz des § 95 Abs. 1 BGB., daß Bestandteil (und daher auch wesentlicher Bestandteil) nicht wird, was nur zu einem vorübergehenden Zweck — ζ. B. zur Aushilfe bei Motorausbesserungen — dem Schiff eingefügt worden ist, weil es hier (Motive zum BGB. Bd. 3 S. 48) „an dem inneren Momente der beabsichtigten Zusammengehörigkeit"
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fehlt und daher keinerlei rechtliche Verbindung eintreten soll. Aber darum handelt es sich nicht bei einem zum dauernden Verbleiben im Schiff erworbenen Stück, an dem sich nur der Verkäufer das Eigentum zum Zwecke seiner Sicherung für den Erwerbspreis vorbehalten hat. Auch der § 93 BGB. steht mit seinen positivrechtlichen Bestimmungen der Behandlung des Motors als wesentlichen Bestandteil eines Schiffes, das sich als Motorschiff darstellt, selbst dann nicht im Wege, wenn Schiffskörper und Motor nicht aufeinander gearbeitet sind und, wie hier festgestellt, eine unschädliche, d. h. für die Teile stofflich unschädliche, Trennung erfolgen kann. Der Hauptrechtssatz des § 93 BGB. geht dahin, daß wesentliche Bestandteile einer Sache nicht Gegenstand besonderer Rechte sein können. Was „wesentlicher" Bestandteil ist, wird durch den Nebensatz bestimmt : „die voneinander nicht getrennt werden können, ohne daß der eine oder andere (Bestandteil) zerstört oder in seinem Wesen verändert wird". Daß hier von einer Zerstörung durch die Trennung bei den beiden Bestandteilen — Motor einerseits, Schiffskörper mit allem übrigen anderseits — nicht gesprochen werden kann, hat der Vorderrichter tatsächlich festgestellt. Es besteht auch kein Bedenken gegen die Annahme, daß am Wesen des Motors durch den Ausbau keine Veränderung eintritt, da er überall auf einem anderen Schiff, mit dem er verbunden wird, oder in einer sonstigen entsprechenden Betriebsanlage seine Arbeit wieder verrichten kann. Anders steht es dagegen hinsichtlich der Wesensveränderung beim Schiffskörper oder Rumpfschiff. Dieses Schiff wird zum unfertigen Stück, für sich allein zur Seefahrt nichts nütze. Es mag schwimmen, kann aber nicht fahren, wie es will und soll. Allenfalls könnte es vor Anker gelegt als Wohn- oder Lagerraum dienen oder mit der Hilfsbcsegelung Binnengewässer befahren. Der Begriff der Wesensveränderung ist nicht rein stofflich aufzufassen, er gestattet auch die Berücksichtigung wirtschaftlicher Tatsachen und Begriffe. Die Beachtung dieses Gesichtspunktes der Wesensveränderung des einen Teiles ist wichtig, weil die Technik heutzutage in der Richtung weit voran geschritten ist, Sachen, die nach natürlicher Betrachtung und nach der Verkehrsanschauung als Einheitsgegenstand erscheinen — ein Seeschiff, ein Orgelwerk, einen Kraftwagen — derart zu gestalten, daß Bestandteile, die dem Verbrauch besonders ausgesetzt sind, ohne Schaden herausgenommen und durch andere Stücke ersetzt werden können; es wird dadurch der verschiedenen Lebensdauer der einzelnen Bestandteile Rechnung getragen. Diese tatsächlichen Verhältnisse erfordern es, in der Regel des § 93 BGB. den zweiten Gesichtspunkt der Wesensveränderung — nicht des Ganzen, sondern — eines Teiles zu betonen. Sonst würde sich oftmals eine Sache, die dem Verkehr als Einheitsgegenstand erscheint und als solcher bei Geschäftsabschlüssen genommen wird, bei genauerem Zusehen als eine Zusammensetzung von Stücken verschiedener Eigentümer erweisen und sich rechtlich die nach natürlicher Betrachtung angenommene Einheit wieder auflösen. Demgemäß hat die Rechtsprechung des
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Reichsgerichts schon wiederholt eine Veränderung des Wesens des einen Teiles nach der Trennung angenommen, wenn dieser Teil die Hauptsache war und der wirtschaftliche Zweck des Ganzen mit dem des Hauptteils zusammenfiel (RGZ. Bd. 50 S. 241 [243], Bd. 62 S. 406 [409/410], Bd. 69 S. 150 [158]; JW. 1911 S. 573 Nr. 3). Das sind diejenigen Fälle, in denen auch § 947 Abs. 2 BGB. eingreift, der bestimmt, daß, wenn mehrere bewegliche Sachen dergestalt miteinander verbunden werden, daß sie wesentliche Bestandteile einer einheitlichen Sache werden (allgemeiner Fall des Abs. 1; Folge: Miteigentum der bisherigen Eigentümer), daß dann, sofern eine der Sachen als die Hauptsache anzusehen ist, ihr Eigentümer das Alleineigentum am Ganzen erwirbt. Ein derartiger Fall und ein derartiges Verhältnis von Haupt- und Nebensache liegt aber hier vor. Der übrigbleibende Schiffskörper verliert sein bisheriges Wesen, wenn er nach Entfernimg des Motors zum seeuntauglichen Rumpfschiff wird. Auch der Vorderrichter spricht von einem „Entfallen der Wesensänderung", „sobald" das Schiff mit einem anderen Motor wieder verbunden sei. Das „Entfallen" setzt den Eintritt einer Wesensänderimg voraus. Freilich kann das beigefügte Wort „überhaupt" bedeuten, daß vom „Entfallen" im Hinblick auf das Ganze gesprochen worden ist. Das hätte aber für § 93 BGB. rechtlich nichts zu bedeuten. Offenbar ist dem Vorderrichter an dieser Stelle das Ganze und der Schiffskörper auch in eines zusammengeflossen. Für das Verhältnis als Haupt- und Nebensache ist nicht das hier unausgemittelte Wertverhältnis entscheidend, sondern die allgemeine Bedeutung für das Wesen des Ganzen, und dabei kommt dem schon äußerlich in der Erscheinung weit überwiegenden 124 t großen Schiffskörper, der das allgemeine Wesen des Ganzen als Schiff bestimmt, die hauptsächliche Bedeutung gegenüber dem Motor zu, von dem nur die Unterart als Motorschiff abhängt. Daß der Schiffskörper die Hauptsache ist, würde auch daraus folgen, daß, wie die Revisionsbeantwortung geltend macht, bei einem regelmäßig im Gebrauch befindlichen Fahrzeug etwa viermal die Maschine erneuert werden muß, solange das Schiff diensttauglich ist. Bei der entscheidenden Bedeutung, welche der Verkehrsauffassung dafür einzuräumen ist, ob ein Gegenstand wesentlicher oder unwesentlicher Bestandteil einer einheitlichen Sache oder nur Zubehör zu ihr ist, wäre, wie auch der Vorderrichter nach dem Schluß seines Urteils angenommen hat, dieser Verkehrsauffassung, wenn sie sich in bestimmter Richtung hinsichtlich der Schiffsmotore gebildet hätte, Rechnung zu tragen. Der Vorderrichter stellt aber fest, daß eine solche einheitliche Verkehrsanschauung aller beteiligten Kreise nicht bestehe. Das wirtschaftliche Interesse der Maschinenfabriken daran, ihr Eigentum durch einen Vorbehalt zu ihrer Sicherung wegen ihrer Kaufpreisforderung erhalten zu sehen, ein Interesse, dem wegen der Erlangung des Kaufgegenstandes auch das Interesse zahlungsschwacher Schiffseigner begegnet, kann eine die gesetzlichen Regeln, insbesondere die des § 947 Abs. 2 BGB., außer Wirkung setzende Bedeutung nicht beanspruchen. Der Eigentumsvorbehalt mag seine Wirkung
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behalten, bis der Motor eingebaut und das Schiff entstanden ist, muß dann aber dem gesetzlich entstehenden Alleineigentum am Motorschiff weichen. Diese Stellungnahme erfordert die Sicherheit des Rechtsverkehrs und das allgemein volkswirtschaftliche Interesse an der Erhaltung der Einheiten (Motive zum BGB. Bd. 3 S. 41,43). Die zeitweilige allgemeine Wirtschaftslage der Seeschiffahrt und insbesondere der Kleinschiffer, welche die Revisionsbeantwortung zum wesentlichen Grund der Entscheidung dieses Falles erhoben sehen will, kann für eine grundsätzliche Entscheidung, wie sie hier getroffen werden muß, nicht maßgebend sein. Zum Fall eines Hilfsmotors für eine Windmühle, der dem Fall des Hilfsmotors für ein Segelschiff nahe steht, hat der V. Senat des Reichsgerichts in seinem Urteil vom 22. November 1919 V 267/19 die Bestandteilseigenschaft des Motors überhaupt verneint. Dieser Fall des Segelschiffes mit Hilfsmotor steht hier nicht zur Entscheidung. R G Z . 153, 231 ι. let eine nur zu einem vorübergehenden Zweck in ein Gebäude eingefügte Maschine auch dann nicht Bestandteil des Gebäudes, wenn Maschine und Gebäude nicht voneinander getrennt werden können, ohne daß eines von ihnen zerstört oder in seinem Wesen verändert wird ? 2. Ist eine in das Schotterwerk eines Steinbruchs eingefügte Maschine ohne weiteres als nur zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Gebäude verbunden anzusehen ? 3. Nach welchen Gesichtspunkten ist die Frage zu entscheiden, ob eine Maschine zu einem dauernden oder nur zu einem vorübergehenden Zweck in ein Gebäude eingefügt worden ist ?
BGB. §§ 93, 94, 95. V. Zivilsenat. Urt. v. 13. Januar 1937. I. Landgericht Kaiserslautern.
II. Oberlandesgericht Zweibrücken.
Die H.-Werke erwarben im Jahre 1927 Grundstücke in der Gemeinde D. Im Jahre 1929 pachteten sie einen benachbarten, der Gemeinde gehörigen Steinbruch. Zum Betriebe des Steinbruchs errichteten sie auf ihrem eigenen Grund und Boden ein Schotterwcrk. Das Werkgebäude statteten sie mit Maschinen aus, die sie von der Klägerin kauften. Die Hälfte des Preises blieb unbezahlt. Als die H.-Werke im Jahre 1933 in Konkurs gingen, löste die Gemeinde den Pachtvertrag über den Steinbruch auf. Die Beklagte hatte im Jahre 1931 die erste Hypothek auf den Grundstücken der H.-Werke erworben. Aus dieser Hypothek schritt sie im März 1935 zur Zwangsversteigerung. Die Klägerin verlangte die Freigabe der Maschinen des Schotterwerks, indem sie sich darauf berief, daß sie die Maschinen den H.-Werken nur unter Eigentumsvorbehalt bis zur vollen Bezahlung des Kaufpreises geliefert habe. Die Beklagte lehnte die Freigabe
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ab mit der Begründung, die Maschinen seien wesentliche Bestandteile der beschlagnahmten Grundstücke geworden, einer Fortdauer des Eigentumsvorbehalts also unzugänglich und von der Beschlagnahme mit ergriffen. Die Klägerin begehrt nunmehr mit der Klage die Feststellung, daß die von der Beklagten betriebene Zwangsversteigerung in Ansehung der Maschinen unzulässig sei. Beide Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die Revision der Beklagten führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Gründe: Das Oberlandesgericht stellte fest, daß die Klägerin im Jahre 1929 die streitigen Gegenstände unter Eigentumsvorbehalt an die H.-Wcrke verkauft und geliefert hat. Es folgert daraus mit Recht, daß die Maschinen Eigentum der Klägerin geblieben sind (§ 455 BGB.),sofern sie nicht wesentliche Bestandteile der Grundstücke oder Gebäude der H.-Werke wurden (§ 946 BGB.). Ferner nimmt es zutreffend an, daß die von der Beklagten erwirkte Beschlagnahme in der Zwangsversteigerung sich nur dann auf die Maschinen erstreckt, wenn diese als Bestandteile der beschlagnahmten Grundstücke anzusehen sind (§ 20 ZVG., § 1120 BGB.). Gegen diese Urteilssätze hat auch die Revision nichts einzuwenden. Das Berufungsgericht führt aber weiter aus, daß die streitigen Maschinen sowohl nach § 93 wie nach § 94 Abs. 2 BGB. wesentliche Bestandteile des auf dem Grund und Boden der H.-Werke stehenden Schotterwerksgebäudes und damit auch der beschlagnahmten Grundstücke selbst geworden sein würden, wenn nicht § 95 Abs. 2 BGB. ihre Bestandteilseigenschaft ausschlösse. Gegen die Heranziehung des § 95 BGB. wendet sich die Revision mit sachlich-rechtlichen Angriffen und mit verfahrensrechtlichen Rügen. Damit dringt sie durch. Die Beklagte vertritt die Ansicht, daß die Maschinen nicht nur zu einem vorübergehenden Zwecke in das Schotterwerksgebäude eingefügt worden seien. Sie stützt ihre Ansicht auf folgende — mit Beweisantritt versehenen — Behauptungen: K., der Geschäftsführer der H.-Werke im Jahre 1929, habe das Schotterwerk als Daueranlagc errichten und folglich auch die Maschinen dauernd mit dem Schotterwcrksgebäudc verbinden wollen. Gerade deshalb habe er 147000 RM. eigenes Vermögen in das Werk hineingesteckt. Der Steinbruch, zu dessen Ausbeutung das Werk bestimmt sei, habe eine viel längere Lebensdauer als die Maschinen der Schotteranlage. Er sei so gut wie unerschöpflich und jetzt wieder an einen Sohn des K. auf 25 Jahre verpachtet. Für die Gemeinde sei, um ihre Arbeitslosen zu beschäftigen, die fortgesetzte Ausbeutung sehr wichtig. Die Klägerin ist diesem Sachvortrag entgegengetreten. Das Berufungsgericht hat ihn dahin beschieden: Die Beklagte behaupte zwar, die Erstellerin des Schotterwerks habe, wie auch aus der Errichtung auf ihrem Eigentum hervorgehe, die Anlage als dauernd gedacht. Allein eine dahin gehende Erklärung der Erstellerin stünde mit den tatsächlichen Verhält-
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nissen in Widerspruch, so daß ihr keine rechtliche Bedeutung zukommen könne. Es sei nämlich zu beachten, daß das Schotterwerk zum Betrieb eines Steinbruchs diene. Daraus ergebe sich ohne weiteres eine zeitliche Begrenzung des Betriebs. Denn sobald der Steinbruch ausgebeutet sei, höre auch der Betrieb des Schotterwerks auf. Die Ausbeute möge noch lange Zeit möglich sein; gewiß sei aber, daß sie einmal aufhöre. Hinzu komme, daß der Steinbruch gar nicht der Käuferin der Schottermaschinen und Erstellerin des Schotterwerks gehöre, sondern im Eigentum der Gemeinde stehe. Der Käuferin der Maschinen habe die Ausbeute des Steinbruchs nur auf Grund eines auf Zeit abgeschlossenen Pachtvertrags zugestanden. Nur dieses Pachtverhältnis habe den H.-Werken die Ausbeute des Steinbruchs und den Betrieb des Schotterwerks ermöglicht. Die Abhängigkeit von einem Pachtverhältnis, dessen vorzeitige Auflösung durch die verschiedensten Umstände bedingt sein könne und von vornherein in Rechnung gestellt werden müsse, führe mit Notwendigkeit dazu, daß die Verbindung der Maschinen mit dem Gebäude und damit mit dem Grund und Boden nicht als dauernd gedacht gewesen sei. Die Richtigkeit dieser Annahme lasse auch die leichte Bauart des Gebäudes erkennen, die zweifelsohne von der wegen der Pacht hervorgerufenen Ungewißheit der Verhältnisse mit bedingt gewesen sei. Es möge sein, daß die Erbauerin des Schonerwerks die Errichtung des Rohbaues als dauernd gewollt habe, weil sich dessen Abbruch wirtschaftlich nicht lohne. Es könne aber, weil es sich von selbst ergebe, kein Zweifel sein, daß die Erbauerin der Anlage, sobald das Pachtverhältnis aus irgendeinem Grunde bald zu Ende gekommen wäre, die noch brauchbaren und abbaufahigen Maschinen zur anderweitigen Aufstellung oder zur Veräußerung ausgebaut hätte, wobei noch zugegeben werden möge, daß sie vielleicht auch an die Möglichkeit einer allerdings von der jeweiligen Sachlage abhängenden und daher unsicheren Verpachtung ihrer Anlage gedacht haben könne. Danach müsse der Zweck der Verbindung des Schotterwerks mit dem Grundstück sowie die Einfügung der Maschinen in das Schotterwerksgebäude als zeitlich begrenzt, als zu einem vorübergehenden Zwecke erfolgt angesehen werden. Mithin greife § 95 Abs. 2 BGB. Platz. Die Revision begegnet diesen Ausführungen zunächst mit der Ansicht, § 95 Abs. 2 BGB. könne lediglich insoweit angewendet werden, als die in ein Gebäude eingefugten Sachen dem Bereich des § 94 Abs. 2 BGB. entzogen werden sollten; dagegen kämen Sachen, die eine Verbindung nach § 93 BGB. mit einem Gebäude eingegangen seien, für § 95 Abs. 2 überhaupt nicht in Betracht. Dieser Rechtsansicht ist nicht beizutreten. Der § 93 setzt voraus, daß Bestandteile einer Sache gegeben sind (vgl. RGRKomm. z. BGB. 8. Aufl. § 93 Bern. 2). Ist also eine in ein Gebäude eingefügte Sache nach § 95 Abs. 2 nicht Bestandteil, so ist für § 93 kein Anwendungsraum. Soweit die von der Revision erwähnte, übrigens nur mit § 95 Abs. 1 sich beschäftigende Entscheidimg des Reichsgerichts vom 15. Mai 1906 (JW. 1906 S. 417 Nr. 2) von einer abweichenden GrundaufZivils. Ailgem. Teil 2
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34 fassung über das Verhältnis der §§ 93, 95 zueinander ausgegangen sein sollte, könnte ihr nicht beigepflichtet werden. Hätte also das Berufungsgericht mit der Bejahung der Voraussetzungen des § 95 Abs. 2 recht, so müßten § 93 und § 94 Abs. 2 ohne weiteres ausscheiden. Das Oberlandesgericht rechtfertigt nun seine Ansicht, daß § 95 Abs. 2 Platz greife, mit zwei Erwägungen: 1. der zeitlich begrenzten Ausbeutungsmöglichkeit j e d e s Steinbruchs, 2. dem zeitlich begrenzten Pachtverhältnis zwischen den H.-Werken und der Gemeinde über den h i e r i n B e t r a c h t k o m m e n d e n Steinbruch. Beide Erwägungen sind nach den bisher vorliegenden tatsächlichen Feststellungen rechtlich nicht bedenkenfrei: zu 1. Das Berufungsgericht schließt sich ersichtlich einem Gedankengang an, den schon das Landgericht unter Berufung auf R G Z . Bd. 61 S. 192 eingeschlagen hatte. In dieser Allgemeinheit ist jener Gedankengang aber nicht richtig. Ob Sachen im Rechtssinne als nur zu einem vorübergehenden oder als zu einem dauernden Zwecke verbunden anzusehen sind, ist nicht nach philosophisch-theoretischen, sondern nach wirtschaftlich-praktischen Gesichtspunkten zu beurteilen. Der denkgesetzlich richtige Gedanke, daß alles Irdische, insbesondere jedes Bergwerk und jeder Steinbruch, vergänglich sei, genügt also noch nicht, um Maschinen, die zur Ausbeutung von Bodenschätzen bestimmt sind, allgemein die Bestandteilseigenschaft abzusprechen. Bei der Entscheidung der Frage, ob eine solche Maschine im Hinblick auf die zeitlich begrenzte Ausbeute des Bergwerks (Steinbruchs) dem § 95 B G B . zu unterstellen ist, kommt es ganz auf die besonderen Umstände des Einzelfalls, namentlich auf die Lebensdauer der Maschine auf der einen, des Bergwerks (Steinbruchs) auf der anderen Seite an. Das hat das Reichsgericht, die Bemerkung in R G Z . Bd. 61 S. 192 fortbildend, bereits im Urteil vom 2. Oktober 1934 (JW. 1935 S. 418 Nr. 2) ausgesprochen. Auch die neuere Rechtsprechung der Oberlandesgerichte (vgl. Braunschweig in DRZ. Rspr. 1933 Nr. 1, Kassel in J W . 1934 S. 2715 Nr. 7) teilt diese Ansicht. Solange daher mangels näherer Feststellungen über die Lebensdauer der streitigen Maschinen und des mit ihnen auszubeutenden Steinbruchs der Sachvortrag der Beklagten als richtig unterstellt werden muß, läßt sich die Anwendung des § 95 Abs. 2 B G B . auf die Maschinen nicht mit der Erwägung rechtfertigen, daß die Ausbeute jedes Steinbruchs irgendeinmal aufhöre. Zu 2. Ob eine Sache dauernd oder nur zu einem vorübergehenden Zwecke in ein Gebäude eingefügt ist, darüber entscheidet die Bestimmung dessen, der sie einfügt. Maßgebend ist also in erster Reihe die innere Willensrichtung des Einfügenden. Freilich ist sie nur dann rechtlich ausschlaggebend, wenn sie mit dem nach außen in die Erscheinung tretenden Sachverhalt vereinbar ist. In jedem Einzelfalle ist also nach seinen besonderen Umständen zu ermitteln, ob der Einfügende an eine dauernde oder nur an eine zeitweilige Verbindung der Sache mit dem Gebäude gedacht hat
35 und ob seine in jene oder diese Richtung gehende Absicht sich mit dem äußeren Tatbestand in Einklang bringen läßt. Nun ist zwar in der Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. z.B. RGZ. Bd. 87 S. 51; WarnRspr. 1913 Nr. 39; Gruch. Bd. 59 S. 110) anerkannt, daß bei Sachen, die ein Pächter in ein gepachtetes Gebäude einfugt, eine gewisse tatsächliche Vermutung für die nur auf die Pachtzeit begrenzte Einfügungsabsicht spricht, daß also solche Sachen in der Regel unter § 95 Abs. 2 BGB. fallen werden. Ob aber diese Regel sich auch ausdehnen läßt auf Sachen, die ein Eigentümer in sein eigenes, der Bewirtschaftung eines gepachteten Grundstücks dienendes Gebäude einfügt, ist schon zweifelhaft. Das vielgestaltige wirtschaftliche Leben läßt sich in solchen Fällen kaum mit tatsächlichen Vermutungen oder allgemeinen Regeln meistern. Immer wieder kommt es vielmehr entscheidend auf die Umstände des Einzelfalls an. Sie können, wie die oben erwähnten Entscheidungen des Reichsgerichts hervorheben, schon bei einem auf fremdem Boden stehenden Gebäude für die Absicht des Pächters sprechen, eine dauernde Einfügung vorzunehmen (ζ. B. bei Sachen, die im Rahmen einer Instandhaltungspflicht des Pächters eingefügt werden). Um so mehr kann eine solche Absicht vorliegen bei Sachen, die der Eigentümer seinem eigenen Gebäude einfügt, auch wenn dieses einem auf Zeit gepachteten Fremdgrundstück dient. Im gegebenen Falle hat nun das Oberlandesgericht die tatsächlichen Umstände, auf die es ankommt, nicht genügend aufgeklärt. Vor allem fehlen Feststellungen über die Lebensdauer der Maschinen auf der einen und über die Dauer des Pachtverhältnisses zwischen den H.-Werken und der Gemeinde auf der anderen Seite. Solange diese beiden Zeiträume nicht miteinander verglichen werden können, hängt jeder Rückschluß auf die Absichten, welche die H.-Werke bei der Einfügung der Maschinen über deren zeitlich begrenzte oder unbegrenzte Dauer gehabt haben mögen, in der Luft. Wenn aber das Berufungsgericht meint, die vorzeitige Auflösung eines Pachtverhältnisses könne durch die verschiedensten Umstände bedingt sein und müsse daher von vornherein in Rechnung gestellt werden, so ist ihm entgegenzuhalten : Die Lebenserfahrimg spricht nicht dafür, daß Pachtzeiten allgemein nicht durchgehalten würden. Daß hier etwa besondere Umstände von vornherein eine vorzeitige Lösung des Pachtvertrages wahrscheinlich gemacht hätten, ist nicht festgestellt. Für § 95 Abs.2 BGB. kommt es aber auch nicht darauf an, mit welcher Entwicklung der Dinge die H.-Werke nach heutiger rückschauender Betrachtung des Richters hätten rechnen müssen, sondern darauf, mit welcher Entwicklung sie selbst damals im Jahre 1929, als sie die Maschinen kauften und einbauten, tatsächlich gerechnet haben. Hierüber wird eine Beweisaufnahme unerläßlich sein. Denn was das Oberlandesgericht sonst noch zur Stütze seiner Ansicht, daß nur eine vorübergehende Einfügung der Maschinen beabsichtigt gewesen sein könne, auszuführen versucht, reicht nicht aus, um schon jetzt eine abschließende rechtliche Beurteilung aus § 95 Abs. 2 BGB. zu ermöglichen. Die leichte Bauart des Schotterwerksgebäudes besagt nichts, zumal das Berufungsgericht das 3'
36 Gebäude selbst als Daueranlage anzusprechen geneigt ist. Was das Oberlandesgericht über die anderweitige Aufstellung oder Veräußerung der Maschinen nach Beendigung des Pachtverhältnisses sagt, steht einerseits im Zeichen der rechtlich bedenklichen Annahme einer schon 1929 vorauszusehenden vorzeitigen Beendigung der Pacht und wird anderseits bedeutungslos durch die Enderwägung, daß die H.-Werke vielleicht doch auch an eine Gesamtverpachtung der Schotterwerksanlage und damit an die Nichttrennung der Maschinen von dem Werkgebäude gedacht haben könnten. Nach alledem wird das Berufungsgericht die Frage, wie die H.Werke im Jahre 1929 über die Dauer der Verbindung zwischen Maschinen und Gebäude gedacht haben, in erneuter Verhandlung und gegebenenfalls durch Erhebung der angetretenen Beweise zu klären haben. Sollte sich alsdann ergeben, daß die Werke eine t)auereinfügung beabsichtigt haben, so ist nach dem bisher festgestellten äußeren Sachverhalt nicht ersichtlich, warum jene Absicht mit diesem Sachverhalt unvereinbar und deshalb rechtlich nicht beachtlich sein sollte.
RGZ. 157, 40 ι. . . . 2. Kann eine Sauerstoffanlage als Zubehör einer Röhrenfabrik angesehen werden, wenn sie in einer etwa 1 k m von der Fabrik entfernt liegenden, vom Fabrikherrn gemieteten Mühle untergebracht ist und wenn der dort erzeugte Sauerstoff nicht ausschließlich zum Schweißen in der Fabrik verwendet, sondern zum Teile verkauft wird ? 3. . . . 4. . . . BGB. §§ 97, 98. VII. Zivilsenat.
Urt. v. 1. Februar 1938.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht".
R G Z . 157, 244 Zum Begriff der Bestandteile bei beweglichen Sachen. BGB. §§ 90, 93, 947 Abs. 2. V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 8. April 1938. I. Landgericht Göttingen.
II. Oberlandesgericht Celle.
Der Sachverhalt ergibt sich aus den
37 Gründen: In der Revisionsinstanz handelt es sich nur noch um die Frage, ob die Düsen aus Edelmetall wesentliche Bestandteile der im Eigentum der Beklagten stehenden Spinnmaschinen bilden und deshalb nach § 947 Abs. 2, § 93 BGB. mit ihrer Anschaffung Eigentum der Beklagten geworden sind. Der Berufungsrichter verneint diese Frage mit Recht. Die erste Voraussetzimg für die Anwendbarkeit des § 93 BGB. ist, daß es sich bei den Düsen überhaupt um B e s t a n d t e i l e der Spinnmaschinen handelt, d. h. um körperliche Gegenstände, welche durch ihre Verbindung mit der Maschine ihre Selbständigkeit dergestalt verloren haben, daß fortan nach der Verkehrsauffassung nur eine einheitliche Sache vorhanden ist. Dafür, ob dies der Fall, ist naturgemäß die Auffassung der Wirtschaft von entscheidender Bedeutung; die Revision irrt, wenn sie dies leugnet. Nun kann allerdings die Spinnmaschine ohne Düse nicht spinnen. Nach dem Gutachten des vom Oberlandesgericht vernommenen Sachverständigen vollzieht sich das Spinnen in der Weise, daß die Maschine mit einer Pumpe eine geeignete Flüssigkeit durch die Löcher der jeweils an der Maschine angebrachten Düse drückt und dem Werkstoff dabei die Form eines Fadenbündels gibt. Indem dies Fadenbündel gleich nach seinem Austritt aus der Düse durch ein chemisches Bad gezogen wird, bekommt der Faden Festigkeit, so daß er entweder aufgewickelt oder in den Topf einer Zentrifuge befördert werden kann. Für jede Garnstärke und jede Garnbeschaffenheit ist eine besondere Düse mit entsprechender Lochmenge und Lochanordnung erforderlich. Für jede Spinnstelle der Spinnmaschine muß deshalb, um mit ihr verschiedene Garnarten herstellen zu können, eine Vielzahl von Düsen vorhanden sein. Die Verbindung einer Düse mit der Maschine besteht nur fur die Zeit, während deren ein bestimmtes Garn hergestellt werden soll. Schon hieraus ergibt sich, daß die Düsen weder sämtlich noch zum Teil als Bestandteile der Spinnmaschinen angesehen werden können. Zwar schließt die — bei zusammengesetzten Sachen immer vorhandene — Möglichkeit, eine Sache zu zerlegen, die Bestandteilseigenschaft nicht aus. So sind die Räder eines Wagens trotz der Möglichkeit, sie durch andere zu ersetzen, Bestandteile des Wagens, die Gummibereifungen Bestandteile des Kraftwagens. Um Bestandteile einer Sache handelt es sich aber nicht mehr, wenn die Verbindung ihrer Natur nach nur vorübergehend und eine häufige Auswechselung mit anderen mehr oder minder verschiedenen E r g ä n z u n g s s a c h e n ohne Rücksicht auf ihre Abnutzung von Anfang an vorgesehen ist und dem Wesen der Hauptsache, insbesondere der Maschine, entspricht. Das trifft — entgegen der Annahme der Revision — auf die Bohrer einer Bohrmaschine zu, wenn diese für die Benutzung verschiedener Bohrer eingerichtet ist, ebenso aber auch für die Düsen einer Spinnmaschine. Daß die Spinnmaschinen im Verkehr ohne Düsen gehandelt werden, ergibt sich aus dem vom Vorderrichter mit Recht herangezogenen Schreiben
38 der Gemeinschuldnerin. Auch das weist darauf hin, daß die Düsen nach der Verkehrsauffassung nicht Bestandteile der Spinnmaschinen sind. Auf die Bestimmung des § 947 Abs. 2 BGB. kann sich die Beklagte daher nicht berufen. Ob die Düsen Z u b e h ö r der Spinnmaschinen sind, ist in diesem Rechtsstreit nicht zu entscheiden. R G Z . 158, 362 ι . Über die Grenzen der Revisibilität reichsrechtlicher Vorschriften, die im Bereich irrevisibelen Landesrechts gelten. 2. Gehören unwesentliche Bestandteile eines Grundstücks zu d e n beweglichen Sachen? 3. Z u m Begriff der Festigkeit der Verbindung zusammengesetzter Sachen und über die Bedeutung der Verkehrsauffassung. 4. Kommt es für die Anwendung des § 94 A b s . 2 B G B . nur auf den Zeitpunkt der ersten baulichen Vollendung des Gebäudes an ?
ZPO. § 549. BGB. §§ 90, 94. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. H.November 1938. I. Landgericht Braunschweig.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Parteien haben am 23. Juni 1925 einen Auseinandersetzungsvertrag geschlossen, der, wie darin vorgesehen, vom Braunschweigischen Landtag genehmigt und als Anlage zu dem Gesetz über die Auseinandersetzung zwischen dem Braunschweigischen Staat und dem vormals regierenden Herzoglichen Hause vom 23. Oktober 1925 (BrGuVS. Nr. 116 S. 255) veröffentlicht worden ist. § 5 dieses Vertrages trägt die Überschrift: „Bewegliche Sachen". Er bestimmt in seinem ersten Satz: „Die zur Zeit in der Verfügungsgewalt des Staates befindlichen beweglichen Sachen der ehemaligen Hofstatt verbleiben dem Gesamthause nach einer von ihm bis zum 1. Juli 1926 zu treffenden Auswahl, bei der es auf den Bedarf und die Wünsche des Staates nach Möglichkeit Rücksicht nehmen wird." Der Kläger hat die Auswahl im Juni 1926 getroffen und dabei die derzeit im ehemaligen Residenzschloß zu Braunschweig befindlichen Holztäfelungen der sog. Wolfenbüttler Zimmer als sein Eigentum in Anspruch genommen. Gleichzeitig hat er sich jedoch bereit erklärt, den Anspruch auf Herausgabe erst dann geltend zu machen, wenn der Beklagte die Täfelungen aus dem Schloß entferne. Letzteres ist im Jahre 1934 geschehen. Der Beklagte hat den Herausgabeanspruch des Klägers abgelehnt. Er vertritt die Auffassung, die Täfelungen seien in dem maßgeblichen Zeitabschnitt (1925/26) nicht bewegliche Sachen, sondern wesentliche Bestandteile des ehemaligen Residenzschlosses gewesen. Die Täfelungen, deren gegenwärtiger Wert vom Kläger auf 20000 RM., vom Beklagten auf 12000 RM. geschätzt wird, stammen aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts. Sie sind durch Einlegung von mehrfarbigem Holz
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und von Elfenbein (Intarsien) ausgezeichnet, im Barockstil gehalten und stellen unstreitig ein Kunstwerk von hohem kulturgeschichtlichen Werte dar. Ursprünglich dienten die Täfelungen zur Ausstattung von zwei Räumen des ehedem herzoglichen Schlosses in Wolfenbüttel. In den Jahren 1908 bis 1911 wurden sie auf Anordnung des damaligen Regenten des Herzogtums aus dem Wolfenbütteler Schloß ausgebaut und in das Braunschweiger Residenzschloß verbracht. Dies geschah zur Erhaltung der Täfelungen, nachdem das Schloß in Wolfenbüttel inzwischen Schulzwecken gewidmet worden war und keine fürstliche Wohnstätte mehr darstellte. Im Braunschweiger Schloß wurden die Täfelungen als Wandverkleidung von zwei nebeneinander liegenden Räumen des Südflügels verwendet. Diese Räume waren zuvor zur Aufnahme der Täfelungen besonders hergerichtet und deren Maßen angepaßt worden. So hatte man unter Benutzung von eisernen Stützen und Trägern Zwischenwände und Zwischendecken hergestellt, Lage und Maße der Fenster und Türen verändert und die neu gezogenen Zwischendecken mit einer getreuen Nachbildung der in Wolfenbüttel an der Zimmerdecke befindlichen Barockmalereien versehen. Auch die Täfelungen selber waren den geänderten Raumverhältnissen angeglichen worden; insbesondere hatte man einige neue Tafeln und sog. Paßstücke angefertigt und mit eingebaut. Die Täfelungen waren mit Schrauben an den Zimmerwänden befestigt und die Schrauben durch Leisten verdeckt. Im Jahre 1919 wurde der Südflügel des Braunschweiger Residenzschlosses vom Landesfinanzamt bezogen. Der Finanzpräsident B. ließ deshalb die Täfelungen in den Mittelflügel des Schlosses verbringen. Dort wurden sie in gleicher Weise wie bisher in Räume eingebaut, die für ihre Aufnahme wiederum durch Einziehung von Zwischenwänden unter Verwendung eiserner Träger besonders hergcrichtet worden waren. Die Räume grenzten unmittelbar an andere, nach dem Umsturz von 1918 in ihrer bisherigen Ausstattung erhaltenen Wohnräume im Mittel- und Nordflügel des Schlosses. Diese beiden Flügel wurden später als „Museum für fürstliche Kultur" zeitweilig zur allgemeinen Besichtigung freigegeben. Der Einbau der Täfelungen im Mittelflügel hat etwa 5000 bis 6000 RM. gekostet. Im Jahre 1934 wurde das ehemalige Residenzschloß in Braunschweig zur Reichsführerschule der SS bestimmt. Bei dem erforderlichen Umbau wurden die Täfelungen durch Lösimg der Verschraubung herausgenommen und einstweilen eingelagert. Der Beklagte will sie, wenn sie ihm zugesprochen werden, auf die bisherige Weise in zwei Räumen unterbringen, die in eine Halle des Vaterländischen Museums in Braunschweig eingebaut werden sollen. Der Ausbau der Täfelungen aus dem Schloß hat etwa 500RM., die Wiederherrichtung der betreffenden Schloßräume, die u. a. ein Herausschlagen der Stuckdecken und ein Herausstemmen der Stützen und Träger aus Wänden und Decken erforderlich machte, hat mehrere tausend Reichsmark gekostet.
Allgemeiner Teil
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht sie abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos. Gründe: I. Das Landgericht hatte seine Entscheidung damit begründet, daß die Täfelungen nicht zu den wesentlichen Bestandteilen des ehemaligen Braunschweiger Residenzschlosses gehört hätten. Dem hat das Oberlandesgericht zwar beigepflichtet, jedoch die Folgerung des ersten Richters, daß die Täfelungen im Braunschweiger Schloß dann eben bewegliche Sachen geblieben seien, für unbegründet erklärt. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts sind die Täfelungen bis zu ihrem Ausbau im Jahre 1934 immerhin einfache (unwesentliche) Bestandteile des Schloßgebäudes gewesen und deshalb nicht unter das auf bewegliche Sachen beschränkte Vertragsrecht des Klägers gefallen. Die Revision rügt Verletzung der §§ 93 bis 95 BGB. durch unrichtige Anwendung sowie Verstöße gegen die Verfahrensvorschriften in den §§ 139, 286 ZPO. Da der Auseinandersetzungsvertrag, auf den sich der Kläger stützt, in der Form eines braunschweigischen Landesgesetzes staatlich genehmigt worden ist und der Geltungsbereich dieses Gesetzes sich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt, ist zuvor von Amts wegen zu prüfen, ob die Revision auf eine Verletzung der vom Kläger bezeichneten Gesetzesbestimmungen gestützt werden kann (§ 549 Abs. 1 ZPO.). Das wäre nach fester Rechtsprechimg des Reichsgerichts dann zu veraeinen oder doch — in Ansehimg der gerügten Prozeßverstöße — nur mit Einschränkung zu bejahen, wenn die von der Revision beanstandeten Entscheidungsgründe sich lediglich mit der Feststellung des Inhalts braunschweigischer Rechtsnormen befaßten; wenn also der Auseinandersetzungsvertrag in seinem § 5 objektive Rechtsnorm (§§ 549, 550 ZPO., § 12 EGZPO.) geworden sein sollte und neben ihm allgemeine, dem Inhalt der §§ 93 bis 95 BGB. entsprechende Rechtssätze nur als Ergänzung irrevisibelen Rechts in Betracht gekommen wären (RGZ. Bd. 78 S. 155 [156], Bd. 109 S. 8 [10], Bd. 136 S. 211 [222], Bd. 152 S. 29; HRR. 1929 Nr. 1780; WarnRspr. 1921 Nr. 1, 1929 Nr. 127; RG. in JW. 1918 S. 94 Nr. 16, 1936 S. 1841 Nr. 16, 1937 S. 3050 Nr. 41, 1938 S. 944 Nr. 7 und S. 2618 Nr. 6). Das Braunschweigische Gesetz über die Auseinandersetzung vom 23. Oktober 1925 enthält keine Bestimmung, die den Auseinandersetzungsvertrag als Bestandteil des Gesetzes bezeichnet. Der VII. Zivilsenat des Reichsgerichts hat aber im Urteil vom 26. Januar 1934 (HRR. 1934 Nr. 1241) den auf eine Stiftung bezüglichen § 9 des Vertrages wegen seines Zusammenhangs mit den zu ihm ergangenen gesetzlichen und satzungsmäßigen Durchführungsbestimmungen als objektive Rechtsnorm angesehen und eine Nachprüfung seiner Auslegung in der Revisionsinstanz abgelehnt. Da dies Urteil auf der besonderen Regelung beruht, welche die nur einen Teil des Vertrages betreffende Stiftung erfahren hat, greift es der Beantwortung der Frage nach dem Wesen der Vorschrift in § 5 über die beweglichen
41 Sachen der ehemaligen Hofstatt nicht vor. Das Berufungsgericht hat diese nach irrevisibelem braunschweigischen Landesstaatsrecht zu lösende Frage nicht aufgeworfen, so daß das Revisionsgericht nicht gehindert wäre, sie von sich aus zu entscheiden (§§ 562, 565 Abs. 4 ZPO.). Die Frage kann aber offen bleiben. Auch wenn der § 5 des Vertrages durch das Gesetz vom 23. Oktober 1925 zu einer Norm des objektiven Rechts geworden sein sollte, bleibt in der Revisionsinstanz Raum für die von dem Kläger begehrte Nachprüfung des Berufungsurteils. Denn dieses Urteil befaßt sich auch dann nicht lediglich mit der Feststellung des Inhalts jener Norm. Das ergibt sich aus folgenden Erwägungen, die den erkennenden Senat schon bei Entscheidung eines früheren, tatsächlich anders liegenden, im Grundsätzlichen aber vergleichbaren Rechtsstreits geleitet haben (RGZ. Bd. 120 S. 198 [200]). Die — als objektive Rechtsnorm einmal gedachte — Vorschrift könnte einen eigenen Begriff der „beweglichen Sachen" haben aufstellen wollen. Dann wäre die Entscheidung des Berufungsgerichts, daß die Täfelungen zu maßgeblicher Zeit nicht bewegliche Sachen, sondern Bestandteile des Schloßgebäudes gewesen seien, nach § 549 Abs. 1 ZPO. für die Revision unangreifbar, und zwar gleichviel, ob der aufgestellte Begriff von dem des bürgerlichen Reichsrechts abweichen oder nach erkennbarer Absicht des Urhebers der Norm sich inhaltlich mit diesem Begriff decken sollte. Dagegen steht dem Revisionsgericht die Nachprüfung frei, wenn der behandelten Vorschrift die reichsrechtlichen Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über bewegliche Sachen dahin zu Grunde gelegt worden sind, daß dem Kläger das zufallen sollte, was nach Reichsrecht bewegliche Sache war. Es ist eine Frage des braunschweigischen Rechts, ob das eine oder das andere zutrifft. Deshalb ist die Entscheidung des Berufungsgerichts hierüber als Auslegung einer landesrechtlichen Norm für das Revisionsgericht bindend. Das Berufungsgericht hat sich nun bei der Prüfung, ob die Art der Verbindung mit dem Schloßgebäude den Täfelungen die Eigenschaft selbständiger beweglicher Sachen genommen hat, für die Anwendimg des bürgerlichen Reichsrechts entschieden und dabei folgendes erwogen: § 5 des Auseinandersetzungsvertrags umfasse nur bewegliche Sachen im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs, d. h. Sachen, die nicht Bestandteile eines Grundstücks oder eines als Grundstücksbestandteil anzusehenden Gebäudes im Sinne dieses Gesetzes seien. Der klagbegründende Vertrag sei unter Mitwirkung rechtswissenschaftlich vorgebildeter und im Rechtsleben wohlerfahrener Personen mit besonderer Sorgfalt abgefaßt worden; wenn mit den Worten „bewegliche Sachen" ein anderer als der dem Bürgerlichen Gesetzbuch zu entnehmende Sinn hätte verbunden sein sollen, so wäre dem in dem Vertrage Ausdruck verliehen worden. Aber weder der Inhalt des Vertrages noch seine Entstehungsgeschichte gebe in dieser Richtimg einen Fingerzeig. Damit hat das Berufungsgericht dahin entschieden, daß § 5 des Auseinandersetzungsvertrags schlechthin von den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs in den §§ 93 flg. als von r e i c h s r e c h t l i c h e n
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Vorschriften ausgeht. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß die Täfelungen nach diesen Vorschriften nicht bewegliche Sachen gewesen seien, darf und muß somit nachgeprüft werden. II. Die Gründe, aus denen das Berufungsgericht den Täfelungen die Eigenschaft w e s e n t l i c h e r Bestandteile im Sinne des § 93 BGB. abgesprochen hat, sind rechtlich einwandfrei. Zu den Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Anwendung auch des § 94 Abs. 2 BGB. ausgeschaltet hat, ist folgendes zu sagen. Daß beim Einbau der Täfelungen das Braunschweiger Schloß schon seit Jahrzehnten fertig gestellt und daß bis dahin ein Bedürfnis nach Ausstattung bestimmter Räume mit derartigen Wandverkleidungen nicht hervorgetreten war, hätte unter den obwaltenden Umständen der Annahme einer Einfügung der Täfelungen „zur Herstellung" des Schloßgebäudes nicht ohne weiteres im Wege gestanden. Der Zeitpunkt der ersten baulichen Vollendung ist nicht schlechthin maßgebend. Anderenfalls ergäbe sich die unannehmbare Folge, daß bei einer gleichviel aus welchem Grunde geschehenen Auswechselung eines Baumittelstücks (wie ζ. B. einer Haustür) das Ersatzstück nicht nach § 94 Abs. 2 BGB. wesentlicher Bestandteil des Gebäudes werden könnte. Auch was n a c h Herstellung eines Gebäudes, und sei es nur zu dessen Vervollkommnung, eingefügt wird, kann dadurch die Eigenschaft eines wesentlichen Gebäudebestandteils erlangen (RG. in SeuffArch. Bd. 86 Nr. 74; RG. in JW. 1933 S. 1515 Nr. 2; S t a u d i n g e r Anm. 8 zu § 94 BGB.). Hier kam noch hinzu, daß bestimmte Räume des Braunschweiger Schlosses für die Aufnahme der Täfelungen besonders hergerichtet und dazu in einen Zustand versetzt wurden, der sie bis zur Einfügung der Täfelungen als Wohnräume unfertig erscheinen lassen mochte. Ob demgegenüber die Ausschaltung des § 94 Abs. 2 BGB. ihre Rechtfertigung in der weiteren tatrichterlichen Feststellung des Berufungsgerichts findet, daß das Braunschweiger Schloß, als Ganzes gesehen, durch die Einfügung der Täfelungen kein vom ursprünglichen abweichendes bestimmtes Gepräge erhalten habe, braucht nicht entschieden zu werden. Denn die Klage muß in jedem Falle an der von der Revision mit Erfolg nicht anzugreifenden Feststellung des Berufungsgerichts scheitern, daß die Täfelungen jedenfalls einfache Bestandteile des Braunschweiger Schlosses gewesen sind und als solche nicht zu den beweglichen Sachen im Sinne der streitigen Vertragsbestimmung gehört haben. 1. Rechtsirrtumsfrei und übrigens auch in Übereinstimmung mit den Parteien hat das Berufungsgericht seinem Urteil die tatsächlichen Verhältnisse zu Grunde gelegt, die in der Zeit zwischen dem Vertragsschluß und dem Ende der dem Kläger bestimmten Auswahlfrist unverändert bestanden haben. Ein späterer Wechsel in der Art der Aufstellung der Täfelungen konnte ein Recht des Klägers auf diese weder begründen noch beseitigen. Zu der hiernach maßgebenden Zeit haben die Täfelungen als Wandverkleidungen zweier Räume im Mittelflügel des Schlosses gedient und sind deshalb nach Auffassung des Berufungsgerichts einfache Bestandteile des Schloßgebäudes gewesen. Die Revision meint nun, von dieser Auffassung
43 aus hätte das Berufungsgericht geradenwegs zur Verurteilung kommen müssen. Denn im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs sei beweglich jede Sache, die weder Grundstück noch wesentlicher Bestanateil eines solchen sei; als unwesentliche Grundstücksbestandteile hätten die Täfelungen mithin zu den beweglichen Sachen im Sinne des nach der streitigen Vertragsbestimmung anzuwendenden Bürgerlichen Gesetzbuchs gehört. Dieser Meinung der Revision ist, obzwar sie sich auf einen Teil des Schrifttums 1 ) berufen kann, nicht zu folgen. Nach dem natürlichen Wortsinn hat ein Sachbestandteil, mag er wesentlich sein oder nicht, als bloßer Teil einer Sache kein eigenes Dasein. Im Gegensatz zum Zubehörstück, das unter Wahrung seiner Selbständigkeit den wirtschaftlichen Zweck der Hauptsache zu fördern bestimmt ist und zu ihr in einem diesem Zweck entsprechenden räumlichen Verhältnis steht, dient der Bestandteil zur Vollendung der Hauptsache, geht in ihr auf und büßt damit seine körperliche Selbständigkeit ein. Wesentliche und unwesentliche Bestandteile unterscheiden sich nur insofern voneinander, als die letzteren Gegenstand besonderer Rechte sein können. Besteht ein Sonderrecht an einem unwesentlichen Bestandteil, so ist er für den Bereich eines solchen Rechts, und nur für diesen, wie eine selbständige Sache zu behandeln. Davon abgesehen teilen auch die einfachen Bestandteile das rechtliche Schicksal der Hauptsache. Wird eine vordem bewegliche Sache in natürlichem Sinne (unwesentlicher) Bestandteil eines Grundstücks, so nimmt sie damit, wie übrigens bei der zweiten Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs ausdrücklich anerkannt wurde (Prot. Bd. III S. 6), für die Dauer der Verbindung den Charakter des Unbeweglichen an (vgl. RGZ. Bd. 55 S. 281 [284], Bd. 69 S. 117 [120], Bd. 87 S. 43 [51]). 2. Bei Begründung der Bestandteilseigenschaft hat das Berufungsgericht entscheidend auf die von ihm als f e s t e Verbindung betrachtete Art des Einbaues der Täfelungen abgestellt, weil eine dem entgegenstehende allgemeine Auffassung nicht festzustellen sei. Die Revision hält dies für grundsätzlich verfehlt: Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sei eine aus bisher selbständigen Einzelsachen zusammengesetzte Sache nur dann als Einheit zu betrachten, wenn sich das Ganze nach allgemeiner natürlicher Anschauung als eine Körpereinheit darstelle; das Vorliegen einer dahin gehenden allgemeinen Anschauung sei p o s i t i v e Voraussetzimg für den Untergang der Selbständigkeit der miteinander verbundenen Sachen. Da das Berufungsgericht eine seine Auffassung rechtfertigende allgemeine Anschauung nicht festgestellt habe, hätte es die Bestandteilseigenschaft der Täfelungen verneinen müssen. Diese Folgerung der Revision ist nicht begründet. Der von ihr in den Entscheidungen des Reichsgerichts vermißte Satz, daß mangels entgegenB i e r m a n n , Bürg. Recht I § 105 I ; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y , Lehrb. des bürg. Rechts I § 1 1 5 I 3 ; L e h m a n n , Allgem. Teil des Bürg. Gesetzbuchs § 50 I ι . — Anders ζ. B . R G R K o m m . § 90 Anm. 1 ; P l a n c k Vorbem. 4 a zu§ 90; S t a u d i n g e r § 97 Anm. 3 ; W a r n e y e r § 91 V .
44 stehender Verkehrsauffassung oder allgemeiner Anschauung aus fester Verbindung auf Bestandteilseigenschaft geschlossen werden könne, findet sich ζ. B. in dem RGZ. Bd. 67 S. 30 [34] abgedruckten sowie in einem weiteren Urteil des erkennenden Senats vom 13. November 1915 V 287/15. Auch Lehmann (Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Gesetzbuchs 1933 S. 364), auf dessen Ansicht sich die Revision an anderer Stelle beruft, vertritt die Auffassung, daß bei fester Verbindung grundsätzlich eine einheitliche Sache anzunehmen sei, wenn die Verkehrsanschauung nicht entgegenstehe. Ferner bleibt zu beachten, daß das Gesetz selber dort, wo es bei der Lehre von den Sachen auf die Verkehrsanschauung Gewicht legt, ihr nur die Bedeutung einer negativen Begriffsvoraussetzung zuweist (§ 97 Abs. 1 Satz 2 BGB.). Die Verkehrsanschauung entfallt als Unterscheidungsmerkmal, wenn sie mangels übereinstimmender Beurteilung in den beteiligten Kreisen nicht festzustellen ist (RGZ. Bd. 69 S. 150 [153]). Nicht anders kann es bei der „allgemeinen natürlichen Anschauung" sein, die nach der Rechtsprechung (vgl. ζ. B. RGZ. Bd. 87 S. 43 [45] ; WarnRspr. 1918 Nr. 155 ; RG. in Gruch. 1917 S. 915) an die Stelle der fehlenden Verkehrsauffassung treten soll. Auch hier ist vorauszusetzen, daß eine solche natürliche Anschauung, wenn sie rechtsbildend wirken soll, allgemein vorhanden ist. Muß das im Einzelfall wegen seiner ungewöhnlichen Gestaltung einmal verneint werden, dann hat der Richter so zu entscheiden, wie an seiner Stelle jeder verständige und unbefangene Beurteiler die Dinge sehen würde (RG. in JW. 1932 S. 1200 Nr. 3). Bei einer solchen natürlichen Betrachtungsweise werden aber die Art und die beabsichtigte Dauer der Verbindimg, der Grad der Anpassung der bisher selbständigen Sachen aneinander und ihr wirtschaftlicher Zusammenhang ungezwungen die Entscheidung bestimmen (vgl. E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y 13. Aufl., S. 371; RG. in Gruch. Bd. 61 S. 915 [918]). Ebenso ist das Berufungsgericht hier verfahren. Es hat mit eingehender Begründung dargelegt, daß eine allgemeine Anschauung für den Streitfall nicht festzustellen sei. Das Wesen der Täfelungen als eines in seiner Art einmaligen Kunstwerkes von beträchtlichem Eigenwert, die Abweichung der in ihm zum Ausdruck gelangten Kunstrichtung von der im Braunschweiger Residenzschloß verkörperten und die Notwendigkeit umfangreicher Maßnahmen zur Anpassimg beider führten verständlicherweise zu verschiedener Beantwortung der Frage nach Bestandteilseigenschaft der Täfelungen, je nachdem, ob die Antwort von einem Kunstliebhaber, von einem Baufachmann oder von einem Verwaltungsbeamten erteilt werde. Es sei nur natürlich, daß dabei jeweils künstlerische oder bautechnische oder wirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund der Betrachtung gerückt würden und das Ergebnis der Prüfung entscheidend beeinflußten. Wenn dann das Berufungsgericht vom Boden solcher Überlegungen aus sich zur Feststellung einer allgemeinen Anschauung außerstande gesehen und bei Abwägung der Gründe, die für und wider das Wesen der Täfelungen als beweglicher Sachen sprechen, die Art ihrer Verbindung mit dem Schloßgebäude als ausschlaggebend
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bewertet hat, so liegt dieser Gedankengang nach dem Vorangeschickten durchaus auf der Linie, die in aller Regel zu einem rechtlich einwandfreien, wirtschaftlich vernünftigen Ergebnis führt. Vergeblich bemüht sich die Revision, bei den Einzelerwägungen, von denen das Berufungsgericht sich hat leiten lassen, sachliche Unstimmigkeiten oder Verfahrensverstöße aufzudecken. Sie greift das Berufungsurteil an, weil bei Prüfimg der in beteiligten Kreisen bestehenden Anschauungen der Vorderrichter, wie er sagt, nicht unbeachtet gelassen hat, daß die Braunschweigische Baudirektion in einer vom Beklagten erforderten gutachtlichen Äußerung aus dem Jahre 1926 die Täfelungen für Bestandteile des Schloßgebäudes erklärt und daß der damalige braunschweigische Minister K. sich dieser Auffassung angeschlossen hat. Indessen kommt es nicht, wie die Revision rügt, darauf an, daß das bezeichnete Gutachten der Baudirektion im Rechtsstreit nicht vorgelegt worden ist. So hat das Berufungsgericht freilich nicht prüfen und nicht in nachprüfbarer Weise erörtern können, ob die Baudirektion bei ihrem Gutachten sich überall von rechtlich einwandfreien Gründen hat bestimmen lassen. Einer solchen Prüfung und Erörterung bedurfte es aber auch nicht. Einmal, weil es bei der Feststellung einer Anschauung nicht so sehr auf die einzelnen zu ihrer Bildung treibenden Überlegungen, sondern auf ihr Vorhandensein als Ergebnis ankommt; zum andern, weil das Berufungsgericht ohne weiteres davon ausgehen durfte, daß eine Behörde von der Stellung einer staatlichen Baudirektion eine vorwiegend unter wirtschaftlich-praktischen Gesichtspunkten stehende Beurteilung nach verständigen und sachgemäßen Erwägungen getroffen haben werde. Der Stellung der genannten Behörde und der Art der ihr bei der Begutachtung zugefallenen Aufgabe entspricht es auch nicht, wenn die Revision das Gutachten nur als Meinung eines Organs des Beklagten gelten lassen will, dem keine andere Bedeutung beizumessen sei als bloßen Prozeßbehauptungen des Beklagten selber. Nach der unwidersprochen gebliebenen Einlassung des Beklagten war die Baudirektion nicht etwa mit fachkundiger Begründung und Rechtfertigung einer vorgefaßten Meinung des Braunschweigischen Staatsministeriums als der verfassungsmäßigen Vertretung des Beklagten, sondern mit selbständiger und eigenverantwortlicher Prüfung der Sach- und Rechtslage beauftragt worden. Es spricht nichts dafür und ist auch von dem Kläger nicht behauptet worden, daß die Baudirektion bei Erledigung des Auftrags anderen als rein sachlichen Erwägungen Raum gegeben hätte. Neben dem Gutachten der Baudirektion mag der Ansicht des Ministers K. für die vom Berufungsgericht erforschte Anschauungsweise minderes Gewicht beizulegen sein. Das Berufimgsgericht hat diese Ansicht auch nicht als irgendwie entscheidend bewertet. Ganz unbeachtet brauchte es sie aber in dem gedachten Zusammenhang nicht zu lassen. Denn die festgestellte Tatsache, daß der genannte Minister auf Grund der streitigenVertragsbestimmung dem Kläger anstandslos bewegliche Sachen im Werte von mehr als einer Million Reichsmark, darunter sämtliche Gobelins, herausgegeben hat, deutet auf eine unvoreingenommene und nicht eng-
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herzige Prüfung der Rechtsansprüche des Klägers ; dies um so mehr, als das Reichsgericht in einem älteren Falle, dessen Vergleichbarkeit mit dem vorliegenden im übrigen offen bleiben mag, Gobelins als (unwesentliche) Bestandteile eines Schlosses angesehen hat (WarnRspr. 1919 Nr. 45). Dem Gutachten des Museumsdirektors Dr. Sch. ist das Berufungsgericht insofern gerecht geworden, als es die Ansicht dieses Sachkenners mit der in kunstverständigen Kreisen herrschenden Anschauimg gleichgesetzt und die Berechtigung dieser Anschauung anerkannt hat. Das Berufungsgericht hat es nur — mit Recht — abgelehnt, die Anschauung kunstverständiger Kreise schlechthin für die Verkehrsauffassung oder für eine allgemein bestehende Anschauung zu nehmen. Ob ein der Wohnkultur gewidmetes handwerkliches Kunstwerk durch Einfügung in Wohnräume die Eigenschaft als selbständige bewegliche Sache verliert und in dem Gebäude als dessen Bestandteil aufgeht, ist eine Frage, die nicht lediglich vom Standpunkt des Kunstverständigen aus beurteilt werden darf. Wie die Rechtsordnung die Herrschaft über körperliche Sachen regeln und dazu die selbständige Sache vom Sachbestandteil abgrenzen soll, ist ein rechtliches und ein wirtschaftliches Problem, bei dessen Lösung der besondere Kunstwert einer Sache wohl mitsprechen, aber die Rechtslage nicht allein bestimmen kann. Deshalb stellte der in der Frage nach Bestandteilseigenschaft gipfelnde Beweissatz des Berufungsgerichts den Sachverständigen vor eine Aufgabe, die er von der Warte des Kunstverständigen aus allein nicht zu lösen vermochte. Wohin die vom Sachverständigen bewußt vorgenommene Beurteilung der Sache lediglich vom Standpunkt des Kunstverständigen aus führt, lehrt das Gutachten : Der Sachverständige erkennt den Täfelungen für die Zeit der Aufstellung im Wolfenbütteler Schloß Bestandteilseigenschaft zu, weil sie nach seiner Auffassung im Kunststil zu diesem Schlosse paßten. Dagegen spricht er den Täfelungen für die Zeit ihrer Aufstellung im Braunschweiger Schloß unerachtet der getreuen Nachahmung der früheren räumlichen Umgebung die Bestandteilseigenschaft ab, weil die in ihnen verkörperte Kunstrichtung des Barocks nicht zum klassizistischen Stil dieses Schlosses passe. Entscheidend oder doch wesentlich mitbestimmend ist also für den Sachverständigen gewesen, daß sich die Täfelungen für das Auge des Kunstkenners im Braunschweiger Schloß als Fremdkörper darstellten, obwohl sie dort nicht anders als im Wolfenbütteler Schloß eingefügt waren und in völlig gleicherweise zur Ausstattung von Wohnräumen dienten. Das ist eine Beurteilung, die bei Beantwortung der Rechtsfrage nach dem Wesen zusammengesetzter Sachen die auch bei einem Kunstwerk vom Rang der streitigen Täfelungen zu beachtenden rechtlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte ganz unberücksichtigt läßt. Wie der Beklagte treffend bemerkt, müßte es zur Verwirrung im Rechtsverkehr führen, wenn trotz Vorliegens aller rechtlichen Voraussetzungen ein Gebäudebestandteil lediglich deshalb als selbständige bewegliche Sache anzusehen sein sollte, weil seine Verbindung mit dem Grundstück vor dem Auge des Kunstkenners nicht als stilgerecht besteht.
47 Hiernach bedeutete es keinen Rechtsverstoß, daß das Berufungsgericht die Anschauimg des Sachverständigen nicht für die allgemein gültige Anschauung nahm, sondern ihr gegenüber andere, und zwar rechtliche und wirtschaftliche Gesichtspunkte zur Geltung brachte. Die Revision mag den Eigenwert der Täfelungen als Kunstwerk nachhaltig betonen: Für das Urteil über ihre Eigenschaft als Gebäudebestandteile ist es unerheblich, ob, wie die Revision meint, nicht die Täfelungen den Wohnräumen angepaßt, sondern die Räume für die Aufnahme der Täfelungen hergerichtet worden sind. Der künstlerische Eigenwert der Täfelungen stand ihrer Bestandteilseigenschaft so wenig entgegen, wie das etwa bei einem mit kunstvollen Glasmalereien geschmückten Kirchenfenster oder bei einem von Künstlerhand geschmiedeten Schloßportal der Fall wäre. Gerade die Entscheidung R G Z . Bd. 67 S. 30, auf welche die Revision sich in diesem Zusammenhang beruft, stellt der eigenen Herstellung besonderer Maschinen für ein Gebäude den Fall gleich, daß ein Gebäude eigens um eine Maschine herumgebaut wird (S. 34). In beiden Fällen k ö n n e n nach jener Entscheidung selbst bei nur loser Verbindung (RGZ. Bd. 69 S. 150 [152]) Gebäude und Maschine zusammen rechtlich als e i n e Sache aufzufassen sein. Im Streitfall sind, wie die Revision nicht verkennt, Täfelungen und Schloßräume vor und bei dem Einbau sorgfältig aufeinander abgestimmt worden. Ob damit die Täfelungen, wie die von der Revision angezogene Entscheidung sagt, mit der Folge des Verlustes ihrer Selbständigkeit als Einzelsache in dem Schlosse aufgegangen sind, ist vorwiegend Sache der dem Berufungsgericht vorbehaltenen tatsächlichen Beurteilung. Die Ausführungen der Revisionsbegründung lassen nicht erkennen, daß das Berufungsgericht bei Bejahung der Frage einem sachlichen Rechtsirrtum erlegen wäre. Auch der gerügte Verfahrensverstoß fällt dem Berufungsgericht nicht zur Last. (Wird ausgeführt.) Überwiegend auf tatsächlichem Gebiet liegt auch die von der Revision bekämpfte Annahme des Berufimgsgerichts, daß die Verbindung zwischen dem Schloßgebäude und den Täfelungen zur maßgebenden Zeit als f e s t e Verbindung im Sinne der reichsgerichtlichen Rechtsprechung zu den §§ 93 flg. B G B . anzusehen war. Richtig ist, daß das Reichsgericht wiederholt — so in den von der Revision angezogenen Entscheidungen R G Z . Bd. 87 S. 43 [46], WarnRspr. 1918 Nr. 155 und ferner in den vom R G R . Kommentar zu § 94 A. 2 BGB. sonst noch angeführten Erkenntnissen — eine lediglich durch Schrauben hergestellte Verbindung (von Maschinen mit einem Gebäude) als nur lose erachtet hat. Dabei ist jedoch stets auf die Lage des jeweils zu beurteilenden Einzelfalles abgestellt worden. Rechtsgrundsätzlich läßt sich die Frage nach Festigkeit einer Verbindung mehrerer Sachen nicht entscheiden. Im Streitfall hat das Berufungsgericht Gewicht darauf gelegt, daß die Schloßräume erst vermöge umfangreicher baulicher Arbeiten und unter Aufwendung beträchtlicher Kosten zur Aufnahme der Täfelungen hergerichtet worden waren und daß demzufolge auch der spätere Wiederausbau der Täfelungen schwierig und teuer gewesen ist.
48 Der für den Ausbau aufgewendete Geldbetrag ist, wie das Berufungsgericht mit Recht sagt, auch gegenüber dem Wert der Täfelungen nicht gering zu nennen. Der Revision kann nicht zugegeben werden, daß das Berufungsgericht mit Gedankengängen dieser Art sachfremde Erwägungen bei Beurteilung der Festigkeit der Verbindung verwertet hätte. In der Rechtsprechung (WarnRspr. 1914 Nr. 143; ROLG. Bd. 38 S. 29) wie im Schrifttum (RGRKomm. § 94 A. 2 BGB.; E n n e c c e r u s - N i p p e r d e y S. 374) ist anerkannt, daß auf Festigkeit der Verbindung geschlossen werden kann, wenn die Lösung so erhebliche Schwierigkeiten bereitet, daß die Kosten der Trennimg im Vergleich zum Werte des einen oder anderen Bestandteils unverhältnismäßig hoch sind. Mit einem Rechtsirrtum, gegen den allein die Revision sich mit Erfolg wenden könnte, ist daher das Berufungsurteil auch in diesem Punkte nicht belastet. 3. Obwohl hiernach die Täfelungen vermöge ihrer Einfügung in das Schloß mit diesem eine Körpereinheit bildeten und eines wirtschaftlichen Sondergebrauchs nicht mehr fähig waren, wären sie nach § 95 Abs. 2 BGB. doch nicht Bestandteil des Schlosses gewesen, wenn sie ihm an ihrem letzten Aufstellungsort im Mittelflügel „nur zu einem vorübergehenden Zweck" eingefügt gewesen wären. Das Berufungsgericht hat von dem Kläger den Beweis einer solchen Zweckbegrenzung als eines Ausnahmetatbestandes gefordert und ihn für nicht geführt erachtet. Die Revision wendet sich zunächst gegen die Belastung des Klägers mit der Beweisführung. Doch ist mit der im Schrifttum überwiegend vertretenen Meinimg der Rechtsauffassung des Berufimgsgerichts hierin zuzustimmen (Planck-Strecker A. 7, S t a u d i n g e r A. 14, O e r t m a n n A. 6, Warneyer Α. VI zu § 95 BGB.). Auch die von der Revision gegen die Beweiswürdigung des Vorderrichters erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Diese Würdigung geht dahin: Aller Wahrscheinlichkeit nach habe sich Finanzpräsident B.—ebenso wie vordem der Regent des Herzogtums — bei dem so schwierigen und kostspieligen Einbau der Täfelungen von dem Gedanken leiten lassen, daß sie in den betreffenden Schloßräumen dauernd verbleiben sollten, falls nicht unvoraussehbare Ereignisse zur Trennung führen müßten. Jedenfalls habe der Kläger nicht bewiesen, daß B. anderen Sinnes gewesen sei. Die Revision hält die Feststellung, daß Finanzpräsident B. sich „aller Wahrscheinlichkeit nach" von einem bestimmten Gedanken habe leiten lassen, nicht für genügend. Sie vermißt eine Prüfung, welche Gedanken er beim Einbau der Täfelungen tatsächlich verfolgt habe, und findet in dem Unterbleiben solcher Prüfung wiederum Verstöße des Berufungsgerichts gegen die Verfahrensvorschriften in den §§ 139,286 ZPO. Indessen erweisen sich die Tatumstände, deren Nichtberücksichtigung oder Nichterforschung die Revision beanstandet, zum guten Teil als reine Vermutungen, auf die sich die Feststellung tatrichterlicher Gewißheit über den Zweck des Einbaus der Täfelungen augenscheinlich nicht hätte gründen lassen. Wenn es im Jahre 1919, wie die Revision sagt, völlig ungewiß war, was in Zukunft aus dem bisherigen Residenzschloß werden würde, so kann das den Finanz-
49 Präsidenten Β. ebensowohl zur A u f r e c h t e r h a l t u n g der bisherigen Zweckbestimmung der Täfelungen, bei Wechsel nur des O r t e s der Aufstellung, wie zu einer Änderung dieser Zweckbestimmung bewogen haben. Bis zum Jahre 1919 aber bestand der auf Veranlassung des früheren Regenten des Herzogtums geschaffene Zustand, der nach dem auf Tatsachenwürdigung ruhenden Urteil des Berufungsgerichts weder durch die Natur der Täfelungen noch nach der Willensrichtung des Regenten von vornherein zeitlich begrenzt war. Darüber, ob eine Sache dauernd oder nur zu einem vorübergehenden Zweck einem Gebäude eingefugt wird, entscheidet die Bestimmung dessen, der sie einfügt. Maßgebend ist die innere Richtung seines Willens, sofern sie nur mit dem nach außen in die Erscheinung tretenden Sachverhalt vereinbar ist (RGZ. Bd. 153 S. 231 [235]). Über den Willen des Regenten hat das Berufungsgericht festgestellt, daß er ebenso wie derjenige des Finanzpräsidenten B. aller Wahrscheinlichkeit nach auf Erhaltung der Täfelungen als Kunstdenkmal, jedoch in der Art gerichtet war, daß die natürliche Zweckbestimmung der Täfelungen, als Wandverkleidungen von Schloßräumen zu dienen, gewahrt blieb. Solcher inneren Willensrichtung hat auch die äußere Erscheinung entsprochen. Das hat das Berufungsgericht rechtsbedenkenfrei festgestellt auf Grund der Aussage des als Zeugen vernommenen Hochschulprofessors H., der als Leiter der staatlichen Hochbauverwaltung in Braunschweig die Notwendigkeit des Wiederausbaus der Täfelungen geprüft hat und sich dabei aus eigener Anschauung ein sachkundiges Urteil über den Zweck, dem die Täfelungen bis dahin gedient hatten, bilden konnte. Seine Aussage geht dahin, daß die Täfelungen nach der Art ihrer Aufstellung im Mittelflügel des Schlosses den ihnen eigenen Zweck, Schloßräumen den Charakter der Wohnlichkeit und Behaglichkeit zu geben, erfüllen sollten und auch erfüllt hätten; die Täfelungen seien nicht etwa nach Art von Museumsstücken aufgestellt gewesen. Danach war nicht, wie die Revision es angesehen haben möchte, der Wohnzweck der Schloßräume dem Zweck der Erhaltung der Täfelungen als selbständiges Kunstwerk untergeordnet, sondern es war eine beiden Zwecken gerecht werdende Verbindung geschaffen, die für die Dauer ihres Bestehens die Täfelungen im Rechtssinn zu Schloßbestandteilen werden ließ. Mit dem Einbau von Wohngegenständen in eine Ausstellungshalle oder mit der Anbringung von Kunstgegenständen in einem Museum darf die Revision die Aufstellung der Täfelungen im Braunschweiger Residenzschloß hiernach nicht vergleichen. Solcher Gleichsetzung stehen die Feststellungen entgegen, die das Berufungsgericht über Art, Umstände und Kosten des Einbaus sowie über die damit im Einklang stehende wahrscheinliche Willensrichtung des Finanzpräsidenten B. getroffen hat; daß sich im letztgenannten Punkt für das Berufungsgericht keine völlige Gewißheit ergab, geht zu Lasten des beweispflichtigen Klägers. Richtig ist, daß nach 1919 Teile des Braunschweigcr Residenzschlosses mit Einschluß der die Täfelungen enthaltenden Räume zeitweilig als „Museum für fürstliche Kultur" zur öffentlichen Besichtigung freigegeben waren und daß der BeZivil?. Aligero . Teil 2
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klagte die Täfelungen künftig im Vaterländischen Museum aufstellen will. Zu Gunsten des Klägers läßt sich indessen weder das eine noch das andere verwerten. Was nach der Trennung mit den Täfelungen künftig geschehen wird, ist belanglos, weil es allein auf den Zustand der Jahre 1925/26 ankommt, und die Freigabe des Schlosses zur Besichtigung hat an Art und Wirkung der Verbindung der Täfelungen nichts geändert. Ihre Bestandteilseigenschaft ist davon unberührt geblieben. Nach dem feststehenden Sachverhalt ist aus dem Schloßgebäude — als Bauwerk gesehen — kein Museumsgebäude und aus den Täfelungen gleich den beweglichen Teilen der Innenausstattung kein dem Gebäude gegenüber als selbständig zu betrachtendes Schaustück geworden. Vielmehr ist das Schloßgebäude in den betreffenden Flügeln als Ganzes, einschließlich sowohl der zu seiner Gestaltung als Gebäude mitwirkenden Sachen, zu denen die Täfelungen gehörten, als auch der beweglichen Einrichtungsgegenstände, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, um ihr eine eigene unmittelbare Anschauung von bester Art fürstlicher Wohnkultur zu ermöglichen. Mit dieser Aufgabe war die Aufrechterhaltung des bisherigen Zustandes durchaus vereinbar . . . RGZ. 160, 166 Wie sind die Rechtsverhältnisse an einem Gebäude zu beurteilen, wenn der Grundstückseigentümer bei dessen Errichtung über die Grenze auf ein anderes ihm ebenfalls gehöriges Grundstück hinübergebaut hat und die beiden Grundstücke alsdann in das Eigentum verschiedener Personen übergehen ? Sind auf einen solchen Fall beim Fehlen einer vertraglichen Regelung die Vorschriften der § § 9 i 2 f l g . BGB. sinngemäß anzuwenden? BGB. §§ 93—96, 912 flg., 946. V. Zivilsenat. Urt. v. 30. März 1939. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Sachenrecht". RGZ. 169, 172 ι . Sind für Grenzüberbauten, die vor dem 1. Januar 1900 errichtet wurden, nach wie vor die das Eigentum betreffenden Vorschriften des alten Rechts maßgebend, oder unterstehen sie von dem genannten Zeitpunkt ab den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Inhalt des Eigentums ? 2. Ist ein sog. Zwischenbau, der, Teilflächen zweier benachbarter Grundstücke in Anspruch nehmend, lediglich dazu dient, eine Lücke zwischen zwei auf diesen Grundstücken stehenden
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Gebäuden auszufüllen, und als weder allein zu dem einen, noch allein zu dem andern Gebäude gehörig anzusehen ist, ein Überbau im Rechtssinne ? BGB. §§ 93—95, 912 flg., 946. EG. z. BGB. Art. 181. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 11. Mai 1942. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die im Grundbuch von Bad H. eingetragenen Grundstücke Flur 17 Parz. Nr. 44 und 43 (Luisenstraße Nr. 93 und 91), im folgenden kurz Grundstücke Nr. 93 und 91 genannt, sind Nachbargrundstücke, die sich viele Jahre hindurch stets in einer Hand befanden. Zuletzt standen sie im Eigentum der V.-Hotel GmbH. Diese geriet in Zahlungsschwierigkeiten. 1934 wurde die Zwangsverwaltung, 1938 die Zwangsversteigerung beider Grundstücke angeordnet. Es kam zur getrennten Versteigerung beider Anwesen. Das Grundstück Nr. 91 wurde durch Beschluß vom 15. April 1939 der Beklagten, das Grundstück Nr. 93 durch Beschluß vom 24. Januar 1940 den Eheleuten F. zugeschlagen. Diese verkauften ihr Grundstück an den Kläger, der seit dem 20. Juni 1940 als Eigentümer von Nr. 93 eingetragen ist. Die Parteien streiten um das Eigentum an einem Teile der auf dem Grundstück Nr. 91 stehenden Gebäude. Der Streit wurzelt in der Baugeschichte der beiden Häuser. Auf dem Grundstück Nr. 91 war im Jahre 1844 ein drei Stockwerke hohes Wohnhaus errichtet worden, das nicht die ganze Straßenfront von Nr. 91 einnahm, vielmehr an der Seite nach dem Grundstück Nr. 93 hin eine ungedeckte Einfahrt frei ließ. Diese Einfahrt bildete den Zugang zum Hofe, von dem aus allein das Innere des Hauses Nr. 91 zu erreichen war. Im Jahre 1847 war sodann auch auf dem Grundstück Nr. 93 ein dreistöckiges Wohnhaus aufgeführt worden, das nicht nur die ganze Straßenfront dieses Grundstücks ausfüllte, sondern, nach der Behauptung der Beklagten in einer Breite bis zu 68 cm, noch auf die Nachbarparzelle, die offene Toreinfahrt von Nr. 91, hinübergriff. Das Haus Nr. 93 erhielt nach dieser Seite hin eine gedeckte (durch die oberen Stockwerke des Hauses überbaute) Toreinfahrt, dergestalt, daß die Toreinfahrten beider Häuser nunmehr nebeneinander lagen. Im Jahre 1876 stellte der damalige Eigentümer beider Grundstücke, der Hotelier W., in dem Zwischenraumc zwischen beiden Häusern, also über der offenen Toreinfahrt von Nr. 91, einen Zwischenbau her, der die Lücke zwischen den beiden Häusern schloß, aber die Toreinfahrt als nunmehr gedeckte beibehielt. Diese Einfahrt diente fortan als gemeinsamer Zugang zum Hofraum beider Grundstücke. W. baute die Toreinfahrt von Nr. 93 zu und zog den so gewonnenen Raum zu den übrigen Räumen von Nr. 93, durchbrach aber die Brandmauer dieses Hauses und schuf auf diese Weis** von der gemeinsamen Toreinfahrt aus, etwa in der Mitte ihrer Tiefe, einen neuen Zugang zum Hause Nr. 93. Der Zwischenbau erhielt eine Höhe von vier Stockwerken. Um ihn breiter erscheinen zu lassen — er barg in
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den Obergeschossen nur je ein Zimmer —, zog W. den über der alten Toreinfahrt gelegenen Teil des Hauses Nr. 93 um ein Stockwerk höher, das er mit dem Zwischenbau verband. Er erzielte damit architektonisch das Bild einer Gebäudeeinheit, in der das aus dem Zwischenbau und dem eben erwähnten alten und neuen Teile von Nr. 93 bestehende Mittelstück in angemessener Breite die beiden Seitenflügel, die alten Häuser Nr. 93 und 91, überragte. Innerlich paßte W. den Zwischenbau weitgehend dem Hause Nr. 93 an. Er verringerte im zweiten Oberstock dieses Hauses die zur Stütze des Zwischenbaues verwendete alte Brandmauer um einen Teil ihrer Stärke und verband durch Mauerdurchbrüche die Räume und Flure des Hauses Nr. 93 mit dem Zwischenbau. Die dem Grundstück Nr. 93 zugewendet gewesenen Fensteröffnungen in der Brandmauer des Hauses Nr. 91, die dem Zwischenbau auf der anderen Seite als Stütze diente, ließ er zumauern. Nur im dritten Stockwerk wurde durch die Giebelmauer eine Verbindung des Hauses Nr. 91 mit dem Zwischenbau und damit mit dem Hause Nr. 93 hergestellt, und zwar gelangte man, da die oberen Stockwerke des Hauses Nr. 91 durchweg etwa l % m niedriger waren als die des Zwischenbaues und des Hauses Nr. 93, auf diesem Wege mittels einer eingebauten Treppe vom Hause Nr. 91 in den Zwischenbau. W. verwendete die Häuser Nr. 93 und 91 mit dem Zwischenbau zum Betriebe seines Hotels. Sämtliche Gebäude dienten dem Fremdenverkehr. Die Hauptgesellschaftsräume befanden sich im Hause Nr. 93. Das zunächst nur vom Hofraum aus zugängliche Rauchzimmer wurde im Hause Nr. 91 eingerichtet. Später wurden einige Erdgeschoßräume dieses Hauses in Läden umgewandelt, die Eingänge von der Straße her erhielten. Im Laufe der Zeit wurden aber auch von dem gemeinsamen Torweg aus drei Türen zum Hause Nr. 91 gebrochen und damit neue Verbindungen mit diesem Hause geschaffen. Nach Einstellung des Hotelbetriebes fanden während der Zwangsverwaltung die Räume in den oberen Stockwerken der drei Gebäude als Familienwohnungen Verwendung, wobei die oben beschriebene Scheidung des Hauses Nr. 91 von dem Zwischenbau und dem Hause Nr. 93 im wesentlichen beibehalten wurde. Nachdem die Beklagte in der Zwangsversteigerung die Parzelle Nr. 43 mit dem Hause Nr. 93 erworben hatte, beabsichtigte sie, eine engere Vereinigung dieses Hauses mit dem Zwischenbau herzustellen, den sie als ihr Eigentum betrachtete. Beide Parteien nehmen nunmehr das Eigentum an dem Zwischenbau und an dem Teile des Hauses Nr. 93, der schon 1847 über die Grenze gebaut wurde, je für sich in Anspruch. Der Kläger sieht das Ganze als einen von dem Grundstück Nr. 93 her unternommenen Überbau auf das Grundstück Nr. 91 an. Nach den danach zur Anwendung kommenden Vorschriften der §§ 912 flg. BGB. stehe das Eigentum an dem Überbau ihm als dem jetzigen Eigentümer des Grundstücks Nr. 93 zu, während die Beklagte als Eigentümerin des Grundstücks Nr. 91 den Überbau zu dulden habe. Er hat demgemäß auf Feststellung geklagt, daß die auf dem Grundstück Nr. 91 über der gemeinschaftlichen Toreinfahrt errichteten, wie auch die
53 vom Straßeneingang aus links neben dieser Toreinfahrt stehenden, dem Hause Nr. 93 dienenden Bauwerke sein Eigentum seien. Die Beklagte, die um Abweisung der Klage gebeten hat, ist der Ansicht, daß es sich bei dem Zwischenbau nicht um einen Überbau, sondern um ein selbständiges Bauwerk handele, das den gemeinsamen Zwecken beider Nachbarhäuser, dem einheitlichen V.-Hotel, gedient habe. Hier könne die Eigentumsgrenze nur der Grenze der Grundflächen folgen. Die Beklagte beansprucht aber außer dem Zwischenbau nur die Hälfte der ganz auf ihrem Grundstück stehenden Grenzwand des Hauses Nr. 93 als ihr Eigentum. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht die Berufung des Klägers mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Entscheidimg über die links neben der Toreinfahrt stehenden Teile des Hauses Nr. 93 einem Schlußurteil vorbehalten werde. Die Revision des Klägers blieb ohne Erfolg. Gründe: Das Berufungsgericht hat durch das mit der Revision angegriffene Urteil nur über das Eigentum an dem von W. im Jahre 1876 hergestellten, die Lücke zwischen den Häusern Nr. 91 und 93 schließenden Bauwerk entschieden. Dieser streitige Zwischenbau ist von dem das Eigentum der Beklagten an der Parzelle 43 und deren wesentlichen Bestandteilen begründenden Zuschlagsbeschluß vom 15. April 1939 dann nicht miterfaßt worden, vielmehr Eigentum der V.-Hotel GmbH, als Eigentümerin der Parzelle 44 geblieben und später mit dem Eigentum an dieser Parzelle auf den Kläger übergegangen, wenn er einen von der Parzelle 44 (Luisenstraße 93) auf die Parzelle 43 (Luisenstraße 91) hinübergebauten Überbau im Sinne der §§ 912 flg. BGB. darstellt und diese Vorschriften überhaupt Anwendung finden, obgleich der Zwischenbau bereits im Jahre 1876, also unter der Herrschaft des im Landgrafentum Hessen bis zum 1. Januar 1900 in Geltung gewesenen Gemeinen Rechts hergestellt worden ist. Das beim rechtmäßigen Grenzüberbau auf Grund des § 912 B G B . — entgegen der Grundregel der §§ 946, 94 Abs. 1 das. — entstehende Recht des überbauenden Grundeigentümers auf Duldung des Überbaues durch den Eigentümer des Nachbargrundstücks hat entsprechend der Vorschrift des § 95 Abs. 1 Satz 2 BGB. die Wirkung, daß der hinübergebaute Gebäudeteil nicht Bestandteil des Nachbargrundstücks wird, vielmehr gemäß §§ 93, 94 Abs. 2 wesentlicher Bestandteil des Grundstücks bleibt, von dem aus übergebaut wurde. Der Nachbar erhält als Entschädigung fur die Beschränkung seines Eigentums das im Gesetz vorgesehene Rentenrecht. Alles dies hat, wie der erkennende Senat in RGZ. Bd. 160 S. 166 flg. ausgesprochen hat, auch dann zu gelten, wenn der Eigentümer eines Grundstücks auf ein anderes ihm ebenfalls gehöriges Grundstück hinübergebaut hat (Eigenüberbau). Die angedeuteten Wirkungen treten hier freilich erst in Erscheinung, wenn die beiden Grundstücke in verschiedene Hände über-
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gehen. Bis dahin ruhen die erwähnten Rechte und Pflichten. Der Umstand, daß im vorliegenden Falle der Erbauer W. zwei ihm gehörige Grundstücke — die Parzellen 44 und 43 — für den streitigen Zwischenbau in Anspruch genommen hat, würde also an sich der Annahme, daß ein Überbau im Sinne der angezogenen Vorschriften vorliege, nicht entgegenstehen, sofern diese Bestimmungen vom Standpunkte der zeitlichen Statutenkollision aus überhaupt Anwendung finden können. Die bezeichneten Rechte und Pflichten wären dann mit der Erteilung des Zuschlags der Parzelle 43 (Luisenstraße 91) an die Beklagte, dem Zeitpunkte der ersten Eigentumsspaltung, zugunsten und zuungunsten der nunmehr verschiedenen Eigentümer in Kraft getreten. Das Berufungsgericht hat mit Recht angenommen, daß für die Beurteilung der Eigentumsverhältnisse an dem streitigen Zwischenbau an sich die Vorschriften der §§ 912 flg. BGB. in Betracht kommen. Nach dem gemeinrechtlichen Grundsatz „superficies solo cedit", der bis zum 1. Januar 1900 im Landgrafentum Hessen in Geltung war, hat sich zwar das Eigentum an der Parzelle 43 (Luisenstraße 91) zunächst ohne weiteres auf den in seiner ganzen Ausdehnung auf ihr errichteten Zwischenbau erstreckt. Die Möglichkeit, daß diese Folge durch Begründung eines sog. superfiziarischen Rechts zugunsten des Eigentümers der Parzelle 44 (Luisenstraße 93) abgewendet worden wäre, kommt nicht in Betracht, weil damals beide Grundstücke demselben Eigentümer gehörten. Mit dem 1. Januar 1900 griff aber Art. 181 Abs. 1 EG. z. BGB. ein, wonach auf das zu diesem Zeitpunkt bestehende Eigentum fortan die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs Anwendung finden. Danach sind alle Fragen, die den Inhalt eines am 1. Januar 1900 bestehenden Eigentums betreffen, von diesem Zeitpunkt ab nach den Bestimmungen des neuen Rechts zu beantworten. Im vorliegenden Falle sind die beiden Grundstücke Parzellen 44 und 43 als solche in ihrem Bestand unberührt geblieben, ein Streit über den Erwerb des Eigentums an den beiden Grundstücken kommt nicht in Frage; streitig ist vielmehr nur, ob sich das Eigentum an der Parzelle 43 (Luisenstraße 91) auch auf den Zwischenbau als wesentlichen Bestandteil dieses Grundstücks erstreckt oder ob der Zwischenbau als von der Parzelle 44 (Luisenstraße 93) aus bewirkter Überbau von dem Eigentum an dieser Parzelle ergriffen wird. Es handelt sich also um einen Streit über den Inhalt des Eigentums an den beiden Grundstücksparzeilen, der gemäß Art. 181 Abs. 1 EG. z. BGB. nunmehr nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs und damit nach den Bestimmungen der §§ 912 flg. BGB., soweit im übrigen ihre Voraussetzungen gegeben sind, zu schlichten ist (vgl. hierzu S t a u d i n g e r 10. Aufl. Bern. 5 und 11 zu Art. 181 EG. z. BGB., P l a n c k 3. Aufl. Bern. 4b zu Art. 181 EG. z. BGB., H a b i c h t , Die Einwirkung des BGB. auf zuvor entstandene Rechtsverhältnisse, in Fischers Abhandlungen zum Privatrecht und Zivilprozeß Bd. 3 S. 396; RGZ. Bd. 46 S. 143, Bd. 47 S. 114, Bd. 52 S. 15, Bd. 65 S. 73, Bd. 72 S. 269; auch Bd. 56 S. 243 und 288). Das Berufungsgericht hat hiernach die entscheidende Frage richtig dahin gestellt, ob der streitige Zwischenbau im Sinne der §§ 912 flg. BGB.
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als ein Grenzüberbau vom Hause Luisenstr. 93 (Parz. 44) anzusehen ist. Es hat die Frage verneint und hierzu folgendes erwogen : Der Zwischenbau sei im Zeitpunkte des Zuschlags des Grundstücks Luisenstr. 91 an die Beklagte mit dem Hause Nr. 93 zwar zu einer engeren wirtschaftlichen Einheit verbunden gewesen als mit dem Hause Nr. 91, und jene Verbindung habe auch bautechnisch eine geschlossenere Lösung dargestellt als die Vereinigung mit dem letztgenannten Hause. Das rechtfertige aber nicht die Folgerung, daß der Zwischenbau wesentlicher Bestandteil des Hauses Nr. 93 geworden wäre. Der örtliche Befund ergebe, daß der Zwischenbau aus seiner Verbindung mit dem Hause Nr. 93 gelöst werden könne, ohne daß dadurch volkswirtschaftliche Werte unnützenveise zerstört würden. Es erscheine möglich, den Zwischenbau nach seiner Lösung aus der Vereinigung mit dem Hause Nr. 93 einer ebenso sinnvollen und wirtschaftlich verwertbaren Verbindung mit dem Hause Nr. 91 zuzuführen, so daß nicht zu befürchten sei, durch die von der Beklagten beabsichtigte Maßnahme möchten Gebäudeteile voneinander gerissen werden, die nach der Trennung nur noch wertloses Baumaterial oder tote Winkel darstellten. Teile einer Gebäudegruppe, die dergestalt voneinander gelöst werden könnten, seien nicht wesentliche Bestandteile eines der Gebäude im Sinne von § 93 BGB., sondern gehörten als wesentliche Bestandteile zu dem Boden, auf dem sie ständen (§ 94 Abs. 1 BGB.). Der streitige Zwischenbau stehe daher der Beklagten zu. Das Berufungsgericht hat hierbei allerdings folgendes nicht beachtet: Wenn sich ergab, daß der Zwischenbau nur mit dem Hause Nr. 93, bautechnisch und wirtschaftlich gesehen, ein Gebäude bildete, das zum Teil auf dem Grundstück Luisenstraße 93 und zum Teil auf dem Grund und Boden von Luisenstraße 91 stand, so konnte das Ganze der Eigenschaft eines Überbaues von Luisenstraße 93 nicht dadurch verlustig gehen, daß es möglich war, den übergebauten Teil durch gewisse bauliche Maßnahmen, die, wenn auch nicht Werte zerstörend, so doch umgestaltend in sein Gefüge eingriffen, zu dem Hause Nr. 91 zu ziehen und eine bislang nicht vorhanden gewesene Einheit mit d i e s e m Hause herzustellen. Insoweit ist der Revision recht zu geben, wenn sie im gegebenen Zusammenhange Verkennung des für die Anwendung der §§ 912 flg. maßgebenden Begriffs des Gebäudes rügt. Vom Standpunkte des Berufungsgerichts aus bildet der Zwischenbau mit dem Hause Nr. 93 eine Sacheinheit im Sinne des § 94 Abs. 2 BGB., die wiederum gemäß § 93 als wesentlicher Bestandteil des Grundstücks Luisenstraße 93 unmöglich zugleich im Eigentum des Grundherrn von Nr. 91 stehen kann. § 95 Abs. 1 BGB., der die im § 912 ausgesprochene Rechtsfolge rechtfertigt, greift ohne Rücksicht darauf ein, ob der Tatbestand des § 93 oder des § 94 erfüllt ist ( P a l a n d t BGB. Bern, l b zu § 94). Die aufgezeigte rechtsirrtümliche Beurteilung führt indessen nicht zur Aufhebung des Urteils, weil das Berufungsgericht im Ergebnis doch richtig entschieden hat. Es ist nicht zu bezweifeln, daß auch dort von einem Grenzüberbau im Rechtssinne gesprochen werden kann, wo bei der Er-
56 Weiterung eines bereits vorhandenen Gebäudes dergestalt über die Grundstücksgrenze gebaut wird, daß das erweiterte Gebäude nunmehr auf zwei Grundstücken steht, während bloße Anbauten den Rechtsbegriff des Überbaues nicht erfüllen. Aber auch ein sog. Zwischenbau, der lediglich dazu dient, eine Lücke zwischen zwei auf verschiedenen Grundstücken stehenden Gebäuden auszufüllen, und als weder allein zu dem einen, noch allein zu dem anderen Gebäude gehörig anzusehen ist, ist kein Überbau im Rechtssinne, selbst wenn er Teilflächen beider Grundstücke in Anspruch nimmt. Ein Bau solcher Art kommt hier in Frage. Der Zweck des streitigen Bauwerks war ersichtlich nicht allein, einer besseren wirtschaftlichen Ausnutzung eines bis dahin mehr oder minder brachliegenden Baugrundes, sondern vor allem einer wirtschaftlichen Führung des in den Häusern Luisenstraße 93 und 91 unterhaltenen Hotelbetriebs zu dienen, die durch den Mangel einer Verbindung zwischen beiden Häusern nicht unerheblich beeinträchtigt erschien. So ergab sich eine wirtschaftliche und bauliche Zugehörigkeit des Verbindungsbaues zu beiden Häusern. Die Tatsache, daß er in seinem Innenzustande dem Hause Nr. 93 mehr angepaßt wurde als dem Hause Nr. 91, ändert daran nichts. Er blieb Erweiterungsbau für beide Häuser. Die Zugehörigkeit zum Hause Nr. 91 insbesondere war nicht etwa dadurch in Frage gestellt, daß abgesehen von jenem Brandmauerdurchbruch im zweiten Obergeschoß zunächst keine weitere unmittelbare Verbindung des Zwischenbaues mit den Räumen der oberen Stockwerke des Hauses Nr. 91 hergestellt wurde. Sie trat vielmehr sogar sehr augenfällig dadurch in Erscheinung, daß der Zwischenbau die Toreinfahrt beider Grundstücke in sich aufnahm und auf diese Weise fortan den einzigen Zugang zum Hofraum beider Grundstücke und über diesen zu den oberen Stockwerken des Hauses Nr. 91 bildete. Der Umstand, daß äußerlich eine weitgehende Angleichung des Zwischenbaues an beide Häuser durch eine einheitliche Ausgestaltung der Außenfront vorgenommen wurde, fällt dabei weniger in die Waagschale. Wenn also das Berufungsgericht einerseits mehrfach die durch die Errichtimg des Zwischenbaues erzielte wirtschaftliche Einheit des geschlossenen Baublocks betont, andererseits aber großes Gewicht auf die Lösbarkeit der baulichen Vereinigung mit dem Hause Nr. 93 und die Herstellbarkeit einer engeren Verbindung des Zwischenbaues mit dem Hause Nr. 91 legt, so unterstreicht es nur die Tatsache einer gleichmäßigen wirtschaftlichen und baulichen Zugehörigkeit des Zwischenbaues zu beiden Häusern. Bei dieser Sachlage kann der streitige Zwischenbau nicht als ein zum Hause Nr. 93 gehörender Überbau im Sinne der besonderen Vorschriften der §§ 912 flg. BGB. behandelt werden. Vielmehr muß, wenn nach dem Ergebnis der Zwangsversteigerungen ein Zusammenhang zerrissen werden muß, die Grundregel der §§ 94 Abs. 1, 946 BGB. die Entscheidung bestimmen. Die Anwendimg dieser Grundregel ist im vorliegenden Fall um so unbedenklicher, als sie nach den Feststellungen des Berufungsgerichts keine Zerstörung vorhandener Werte bedingen, vielmehr gestatten wird,
57 den Zwischenbau nach seiner Lösung aus der Vereinigung mit dem Hause Nr. 93 einer sinnvollen und wirtschaftlich vorteilhaften Verbindung mit dem Hause Nr. 91 zuzuführen. Die im Berufungsverfahren anhängig gebliebene Frage, ob nicht ein Überbau im Sinne der §§ 912 flg. BGB. und der Entscheidung des erkennenden Senats RGZ. Bd. 160 S. 166 insoweit vorliegt, als die 1847 vorgenommene Grenzüberschreitung (Hinüberbau der Giebelmauer von Luisenstraße 93 bis zu 68 cm auf das Grundstück Nr. 91) in Betracht kommt, wird durch diese Entscheidung nicht berührt. Über sie wird das Berufungsgericht selbständig zu befinden haben.
Geschäftsfähigkeit R G Z . 74, 234 Wieweit reicht die Überlassung von Mitteln zur freien Verfügung an einen Minderjährigen zur Wirksamkeit der von ihm geschlossenen und erfüllten Verträge ?
BGB. §§ 110, 107. IV. Zivilsenat. Urt. v. 29. September 1910. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Kläger, ein damals im 17. Lebensjahre stehender Schüler, hatte ohne Zustimmung seines Vaters von der verklagten Firma ein Kraftfahrzeug nebst Zubehör für 3200 M. gekauft und bar bezahlt. Die Mittel hierzu stammten aus einem Lotteriegewinne von 4000 M., den der Kläger gemacht hatte. Das Gewinnlos hatte er sich mit einem Taschengelde von wöchentlich 3 M. erworben, das er von seiner Großmutter gewährt und von seinem Vater zur freien Verfügung überlassen erhalten hatte. Der Kläger forderte die gezahlten 3200 M. nebst Zinsen zurück. Beide Vorinstanzen verurteilten die Beklagte. Ihre Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen: „§ 110 BGB. enthält keine Ausnahme von dem Grundsatze des § 107, wonach der Minderjährige zu einer Willenserklärung, durch die er nicht lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt, der Einwilligung seines gesetzlichen Vertreters bedarf. Er gestattet nur, der Sine und dem Verkehrsbedürfnis Rechnung tragend (Begründung zu § 69 des I. Entwurfs), daß diese Einwilligung durch Überlassung gewisser Mittel an den Minderjährigen vom Vertreter im allgemeinen erklärt wird, und läßt das vom Minderjährigen geschlossene Geschäft auch ohne besondere Zustimmung sowohl nach der dinglichen wie nach der schuldrechtlichen Seite von An-
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fang an wirksam werden, wenn es demnächst vom Minderjährigen aus den iiberlassenen Mitteln erfüllt wird. Das Wesentliche bleibt also auch in den Fällen des § 110 die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters. Dafür, wieweit diese Einwilligung reicht, ist erstens maßgebend das Gesetz, das ihr in den §§ 1644, 1824 verbunden mit §§ 1821, 1822 von vornherein bestimmte Grenzen zieht. Zum andern aber auch der Inhalt der Einwilligungserklärung selbst, die, wie jede Willenserklärung, eine, sei es auch nur stillschweigend ausgedrückte, mehr oder minder weitgehende Beschränkung in sich tragen kann. Schon das Gesetz ergibt („zu diesem Zwecke"), daß die Einwilligung auf die Erfüllung eines bestimmten, vom Minderjährigen geschlossenen Vertrages beschränkt sein kann. Es darf aber nicht bezweifelt werden, daß die Überlassung „zur freien Verfügung" dem Minderjährigen nach dem Willen des Vaters oder Vormundes auch bloß ein Mehr oder Minder von Freiheit gewähren kann. Keinesfalls läßt sich sagen, daß der gesetzliche Vertreter nur die Wahl habe, entweder es bei der gesetzlichen Regel des § 107 zu belassen oder mit Einräumung der freien Verfügungsgewalt nun auch alles und jedes gutzuheißen, was der Minderjährige mit den ihm überlassenen Mitteln anzufangen für gut findet. Es mag im einzelnen Falle nicht immer leicht sein, dabei die Grenzen der Ermächtigung so richtig abzustecken, daß auch das Interesse des mit dem Minderjährigen paktierenden Dritten und damit die Verkehrssicherheit gewahrt bleibt. Im Streitfalle ist es rechtlich unbedenklich, wenn der Berufiingsrichter angenommen hat, der in einfachen Verhältnissen lebende Vater sei niemals damit einverstanden gewesen, daß der 17jährige, eine Unterrichtsanstalt besuchende Kläger den durch Ankauf eines Lotterieloses aus seinem geringen Taschengelde ihm zugefallenen großen Gewinn zum Ankaufe eines Kraftfahrzeuges und zum Betriebe eines kostspieligen, auch sittliche Gefahren aller Art mit sich bringenden Sports verwende. Nach den einwandfreien Feststellungen des Berufungsrichters haben auch die Beklagten bei Abschluß des Geschäfts die beschränkte Tragweite der väterlichen Zustimmung erkannt oder doch erkennen müssen. Es kann ihnen nicht gestattet sein, aus einem ihnen zur Fahrlässigkeit gereichenden Geschäftsabschlüsse mit einem Minderjährigen durch Berufung auf § 110 BGB. Vorteile zu ziehen. Sie sind deshalb mit Recht nach dem Klagantrage verurteilt." . . . R G Z . 103, 399 Ist in § 105 A b s . 2 B G B . vorausgesetzt, daß durch den Z u stand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit die freie W i l l e n s b e s t i m m u n g ausgeschlossen wird ?
BGB. § 105 Abs. 2. VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 19. Januar 1922. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
59 Die obige Frage ist bejaht worden. Aus den G r ü n d e n : . . . Das Berufungsgericht nimmt an, daß die Beklagte die Verbürgung nicht in einem Zustand der Geschäftsunfähigkeit nach § 104 Nr. 2, § 105 Abs. 1 BGB. abgegeben habe, wohl aber in einem Zustand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit, und daß deshalb die abgegebene Willenserklärung nach § 105 Abs. 2 nichtig sei. Nun spricht das Gesetz in § 104 Nr. 2 von einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit, der die freie Willensbestimmung ausschließt und seiner Natur nach nicht nur ein vorübergehender ist. Der in § i 05 Abs. 2 vorausgesetzte Zustand vorübergehender Störung der Geistestätigkeit ist nicht ausdrücklich als ein solcher bezeichnet, durch den die freie Willensbestimmung ausgeschlossen wird. Dessen ungeachtet ist diese Folge auch in § 105 Abs. 2 vorausgesetzt. Wie bereits in RGZ. Bd. 74 S. 110 mit Beziehung auf die ihrem einschlägigen Wonlaut nach mit § 105 Abs. 2 übereinstimmende Vorschrift des § 1325 BGB. ausgeführt und an Hand der Entstehungsgeschichte der einschlägigen Vorschriften erhärtet worden ist, soll nach dem Sinne des Gesetzes in jedem der beiden Fälle, sowohl bei der krankhaften nicht vorübergehenden wie bei der vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit, vorausgesetzt sein, daß der Zustand ein die freie Willensbestimmimg ausschließender ist. Das Reichsgericht hat denn auch in der Folge wiederholt bei Anwendung des § 105 Abs. 2 BGB. grundsätzlich ausgesprochen, auch für die dort bezeichnete vorübergehende Geistesstörung gelte, wenn sie die Willenserklärung nichtig machen solle, das Erfordernis, daß die freie Willensbestimmung des Erklärenden völlig ausgeschlossen sein müsse (vgl. VI 171/07, II 394/15, IV 108/19). Hieran ist festzuhalten. Die vorübergehende Störung der Geistestätigkeit ist der leichtere geistige Mangel; es ist, wie schon in Bd. 74 S. 111 ausgesprochen, undenkbar, daß, wenn der Zustand der Störung der Geistestätigkeit seiner Natur nach dauernd, die Störung krankhaft ist, das Erfordernis des Ausschlusses der freien Willensbestimmung hinzutreten müßte, dieses Moment dagegen fehlen dürfte, wenn die Störung nicht dauernd ist. Die Ausführungen des Berufimgsgerichts — einschließlich der Bezugnahme auf das ärztliche Gutachten und auf die gegen das Gutachten erhobenen klägerischen Angriffe — lassen es zweifelhaft erscheinen, ob die Beurteilung nicht von einem Rechtsirrtum über jene Voraussetzungen des § 105 Abs. 2 BGB. beeinflußt ist. Die Klagabweisung, wie sie bisher begründet ist, kann nicht ohne einen Ausspruch darüber aufrecht erhalten werden, daß durch die festgestellte Geistesstörung die freie Willensbestimmung ausgeschlossen gewesen ist. Die freie Willensbestimmung setzt voraus, daß gegenüber den verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen und gegenüber den Einflüssen dritter Personen, die bestimmend auf den Willen wirken, eine vernünftige Überlegung und freie Selbstentschließung darüber stattfindet, was im gegebenen Falle als das Richtige zu tun ist;
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an der freien Willensbestimmung fehlt es, wenn infolge einer Störung der Geistestätigkeit bestimmte Vorstellungen oder Empfindungen oder Einflüsse dritter Personen derart übermäßig den Willen beherrschen, daß eine Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen ist (vgl. das Urteil VI 365/15 vom 9. Dezember 1915). In dieser Hinsicht wird das Berufungsgericht noch über den Sachverhalt zu befinden haben.
RGZ. I20, 170 f ι. . . . * ) 2. . . . *) 3. Zum Begriff der Geschäftsunfähigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB. ZPO. §§ 554a, 578, 579, 584, 585, 591. BGB. § 104 Nr. 2, § 105. VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 13. Februar 1928. I. Landgericht Liegnitz.
II. Oberlandesgericht Breslau.
Aus den G r ü n d e n : . . . Auch der Begriff der auf krankhafter Störung der Geistestätigkeit beruhenden Geschäftsunfähigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB.) ist nicht verkannt, namentlich nicht, was die Voraussetzung des Ausschlusses der freien Willensbestimmung betrifft. Die Revision scheint nur diejenige Geisteskrankheit gelten lassen zu wollen, die im Verkehr oder gar dem Gegner erkennbar hervorgetreten ist. Dem kann jedoch nicht beigetreten werden. Im Schrifttum hat man allerdings die Beschränkung der Geschäftsunfähigkeit auf erkennbar Geisteskranke zum Schutze derjenigen befürwortet, die mit nicht erkennbar Geisteskranken Rechtsgeschäfte abzuschließen das Mißgeschick haben. Davon steht aber weder im Gesetz etwas, noch bietet die Entstehungsgeschichte der §§ 104flg. BGB. hierfür eine Handhabe. Der gute Glaube an die Geschäftsfähigkeit des Geschäftsgegners wird vom Gesetz nicht geschützt; auch ein Rechtsgeschäft, das mit einem für den Handelnden nicht erkennbar Geisteskranken geschlossen wird, ist nichtig (JW. 1915 S. 570 Nr. 2; WarnRspr. 1915 Nr. 272; RGUrt. vom 21. März 1919 III 478/18 und vom 2. Juni 1920 V 421/19; RGRKomm. 6. Aufl. § 105 Anm.3; S t a u d i n g e r BGB. 9. Aufl. § 105 Erl. 3; P l a n c k - F l a d BGB. 4. Aufl. § 105 Erl. III). Diesem der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts entsprechenden Grundsatz steht auch nicht entgegen, wenn es im RGRKomm. Anm. 3 zu § 104 heißt: bei der Prüfung, ob Geschäftsunfähigkeit wegen Geisteskrankheit vorliege, seien vom Standpunkt des Bürgerlichen Gesetzbuchs namentlich auch die Störungserscheinungen zu berücksichtigen, wie sie sich im Verkehrsleben zeigten. Auf die Notwendig*) Geringere Bedeutung.
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keit der Berücksichtigung dieser Erscheinungen wird nur deshalb hingewiesen, weil es darauf ankommt, daß die geistige Betätigung in ihrer Gesamtheit gestört ist. Letzteres hat der Vorderrichter im vorliegenden Falle bei Bejahung der Geschäftsunfähigkeit des Nichtigkeitsklägers bedenkenfrei festgestellt. Auch sonst weist das angefochtene Urteil keinen Rechtsirrtum auf. R G Z . 13O, 69 ι . Über Geschäftsunfähigkeit infolge von Geistesschwäche. 2. Kann gegenüber der Ersitzung ungerechtfertigte Bereicherung geltend gemacht werden ?
BGB. § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 104 Nr. 2, §§ 222, 812flg., 937. IV. Zivilsenat. Urt. v. 6. Oktober 1930. I. Landgericht München I.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin ist durch Beschluß des Amtsgerichts B. vom 4. Juni 1914 wegen Geisteskrankheit entmündigt worden. Durch Beschluß desselben Gerichts vom 22. Februar 1919 wurde diese Entmündigung in eine solche wegen Geistesschwäche umgewandelt. Im Frühjahr 1908 hatte die Klägerin der Pinakothek in M. 66 Originalwerke Adolf von Menzels zum Geschenk gemacht, die sie von ihrer 1907 verstorbenen Mutter, einer Schwester des Malers, geerbt hatte. Ihr Vormund behaupet, daß sie damals geschäftsunfähig im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB. gewesen sei, und verlangt mit der Klage Herausgabe der Bilder. Das Landgericht verurteilte den Beklagten antragsgemäß; das Oberlandesgericht wies die Klage ab. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung und Zurückverweisung. Gründe: I. Nach § 104 Nr. 2 BGB. ist geschäftsunfähig, wer sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden — nicht bloß vorübergehenden — Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Der Berufungsrichter erörtert an Hand der Gutachten, die in den beiden Entmündigungsverfahren und im vorliegenden Rechtsstreit erstattet worden sind, die Frage, ob die Klägerin zur Zeit der Schenkung geisteskrank oder geistesschwach war. Er hält Geisteskrankheit nicht für erwiesen und glaubt mit Sicherheit nur die Feststellung treffen zu können, daß die Klägerin zu jener Zeit an Geistesschwäche gelitten habe. Die Gründe besagen dann weiter: „Da sie (Klägerin) damals noch nicht entmündigt war — nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 BGB. kann auch ein Geistesschwacher, der seine Angelegenheiten nicht zu besorgen vermag, wegen Geistesschwäche entmündigt werden —, so ist die Klägerin geschäftsfähig geblieben; denn nur, wer wegen Geistesschwäche entmündigt ist, steht in Ansehung der Geschäftsfähigkeit einem Minderjährigen gleich, der das siebente Lebensjahr vollendet hat, § 114
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BGB. Die in dem Schenkungsakt zum Ausdruck gekommenen Willenserklärungen der Klägerin waren daher auch nicht nichtig, wie dies bei einem Geisteskranken im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB. gemäß § 105 BGB. der Fall wäre." Es besteht hiernach kein Zweifel, daß der Berufungsrichter die Geschäftsunfähigkeit der Klägerin deshalb verneint, weil sie bei Vornahme des Rechtsgeschäfts bloß geistesschwach gewesen und, da nicht entmündigt, völlig geschäftsfähig geblieben sai. Damit ist die Bedeutung und Tragweite des § 104 Nr. 2 BGB. verkannt. Der dort vorausgesetzte Begriff der krankhaften Störung der Geistestätigkeit ist ein weiterer als der der Geisteskrankheit im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 1 ; die Tatbestände beider Gesetzesvorschriften decken sich insoweit nicht. Zwischen Geisteskrankheit und Geistesschwäche besteht überhaupt nur ein Unterschied dem Grade nach und die krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 104 kann in der einen wie in der anderen ihren Grund haben (JW. 1908 S. 323 Nr. 3, 1909 S. 411 Nr. 2, 1911 S. 179 Nr. 1; vgl. auch P l a n c k Bern. II 2 zu § 104 BGB.; S t a u d i n g e r Bern. 4d das.). Ohne Belang ist es dabei auch, ob der Betreffende wegen Geisteskrankheit entmündigt war oder nicht. Er kann in beiden Fällen in bezug auf das in Rede stehende Rechtsgeschäft geschäftsunfähig sein. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob für den Geistesschwachen infolge seines krankhaften Zustands die freie Willensbestimmimg ausgeschlossen war. Diese Möglichkeit läßt sich im Streitfall keineswegs von der Hand weisen. Es hätte daher in dieser Richtung besonderer Feststellung bedurft. Der Berufungsrichter ist an einer solchen vorbeigegangen und hat Geschäftsfähigkeit der Klägerin lediglich deshalb angenommen, weil sie nicht geisteskrank und, wenn auch geistesschwach, so doch nicht entmündigt sei. Auf dieser rechtsirrigen Erwägung beruht seine zu § 104 getroffene Entscheidimg. Sie läßt sich auch nicht dadurch stützen, daß der Berufungsrichter an einer früheren Stelle der Gründe einmal den Ausschluß der Geschäftsfähigkeit infolge der geistigen Erkrankung verneint. Denn in welchem Sinne das gemeint ist, ergeben die im Anschluß daran folgenden, oben wiedergegebenen Ausführungen des Urteils. Es bleibt also nach dem Vorstehenden zu prüfen, ob bei der geistesschwachen Klägerin die freie Willensbestimmung zur Zeit der Schenkung fehlte, ob also „gegenüber ihren verschiedenen Vorstellungen und Empfindungen eine vernünftige Überlegung und Selbstentschließung darüber stattfand, was im einzelnen Falle als das Richtige zu tun war, oder ob nicht infolge der Geistesschwäche die damaligen Vorstellungen und Empfindungen derart übermäßig ihren Willen beherrschten, daß die Bestimmbarkeit des Willens durch vernünftige Erwägungen ausgeschlossen war" (RGZ. Bd. 103 S. 400). Die Frage des Ausschlusses der freien Willensbestimmung haben die im Rechtsstreit vernommenen Sachverständigen sämtlich bejaht. Hierzu wird der Berufungsrichter Stellung zu nehmen haben. . . . II. Sollte sich ergeben, daß die Klägerin bei Vornahme der Schenkung geschäftsunfähig war, so würde die schenkungsweise Übereignung der Bilder nichtig sein (§ 105 Abs. 1 BGB.) und der Beklagte damals kein
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Eigentum erworben haben. Der Beklagte hat sich aber auf den inzwischen (1918) vollendeten Erwerb des Eigentums durch Ersitzung berufen und behauptet, deren Erfordernisse lägen vor. Demgegenüber wird die Klage gegebenenfalls darauf gestützt, daß gleichwohl eine Herausgabepflicht aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung bestehe, da der Beklagte die Bilder auf Grund der nichtigen Schenkung, also ohne Rechtsgrund, erlangt habe. Es fragt sich, ob diese Bereicherungshaftung gegenüber der vollendeten Ersitzung noch geltend gemacht werden kann. Das war nach gemeinem Recht, wo zur Ersitzung ein justus titulus nötig war, die Ersitzung also ihren rechtlichen Grund, die causa, in sich trug, zu verneinen. Auch für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs, das keinen Titel erfordert, wurde der Ausschluß der Bereicherungshaftung zunächst allgemein angenommen, obwohl die zugrunde hegende Vorschrift des § 748 Abs. 2 des ersten Entwurfs später gestrichen worden war (Mot. Bd. 3 S. 353; Prot. II S. 686 und die von O e r t m a n n im Recht 1910 Sp. 585flg. angeführten Lehrbücher und Kommentare). Neuerdings wird dagegen die Meinung vertreten, daß sich die Frage nicht schlechthin bejahen lasse und daß es darauf ankomme, ob im Einzelfall der zur Ersitzung führende Eigenbesitz mit oder ohne Recbtsgrund erworben sei. Wenn das letztere zutreffe, müsse eine condictio possessionis zulässig sein, die sich nach § 818 Abs. 1 BGB. auch auf Herausgabe des auf Grund des Besitzes (der Ersitzung) erlangten Eigentums erstrecke (Wolff Sachenrecht §71 Nr. IV; O e r t m a n n a . a . O . und Komm. Vorbem. 2cβ zu §812 BGB. S. 1330; E n n e c c e r u s Lehrb. Bd. 2 §442 Anm. 19; S t a u d i n g e r Bern. 4a zu § 937 BGB.; B i e r m a n n Bern. 2 das.; RGRKomm. Bern. 6c zu §812 S. 503; vgl. auch P l a n c k Bern. 3 zu § 937 BGB.). Der Ersitzende soll also dem bisherigen Eigentümer als solchem nicht aus Bereicherung haften; entbehrt aber der Erwerb des Eigenbesitzes, auf dem die Ersitzimg beruht, ohne den den sofortigen Eigentumserwerb hindernden Mangel (ζ. B., wenn eine gestohlene Sache an einen Gutgläubigen veräußert und von ihm ersessen wird, ohne den Mangel des § 935 BGB.) des rechtlichen Grundes, so soll der Bereicherungsanspruch gegeben sein. Demgegenüber halten andere, so G i e r k e Deutsches Privatrecht Bd. 3 S. 999 Anm. 19 und H a y m a n n in Iherings Jahrb. Bd. 77 S. 268flg., den Bereicherungsanspruch grundsätzlich für ausgeschlossen, weil nach Sinn und Zweck des Gesetzes der Eigentumserwerb durch Ersitzung ein endgültiger sei und die Rechtsordnung durch Ablauf der Ersitzungszeit im Interesse der Rechtssicherheit eine Beruhigung aller Verhältnisse schaffen wolle. Die erste Meinung verdient den Vorzug. Das Gesetz selbst schweigt. Aus § 951 BGB. läßt sich kein Umkehrschluß ziehen. Entscheidend ist, daß die Gegenansicht zu unannehmbaren Ergebnissen führen würde, wie der in O e r t m a n n s Kommentar a . a . O . angeführte Fall beweist, wonach, wenn ein Geschäftsfähiger einem anderen eine fremde Sache schenkt, der Erwerber zwar sofort Eigentum erlangt, aber nach § 816 Abs. 1 Satz 2 BGB. noch 30 Jahre lang auf Herausgabe haftet, während er im sonst gleichen Falle
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bei Beschenkung durch einen Geisteskranken nach 10 Jahren haftfrei wäre. Derartiges kann das Gesetz nicht wollen. Es liegt kein ausreichender Anhalt dafür vor, daß der Gesetzgeber den Ersitzungserwerb in der angegebenen Weise vor dem Traditionserwerb bevorzugen sollte. Im Streitfall kann also die Klägerin, wenn sie als Geschäftsunfähige auf Grund nichtiger Schenkung den Besitz übertragen hat, die Herausgabe der Bilder (nicht nur Wertersatz) verlangen. R G Z . 130, 124 Kann die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters in den Vertragsschluß eines Minderjährigen angenommen werden, wenn beide gemeinschaftlich ein Grundstück veräußern und auflassen, aber in der notariellen Urkunde die Minderjährigkeit nicht erwähnt wird ?
BGB. § 107. VI. Zivilsenat. Urt. v. 27. Oktober 1930. I. Landgericht Köln.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Durch notariellen Vertrag vom 28. Mai 1925 verkauften die Kläger, von denen der am 6. August 1905 geborene Drittkläger damals noch minderjährig war, sowie Josef G. als Erben des Martin G. unter gleichzeitig erteilter Auflassung an die Beklagten je zur Hälfte zwei im Grundbuch von D. eingetragene Grundstücke mit Wirtschaftsinventar und Hoteleinrichtung für 60000 GM. Vom Kaufpreis, auf den zwei von den Beklagten übernommene Hypotheken angerechnet wurden, waren 15000 GM. sofort zu zahlen, weitere 5000 GM. wurden bis zum 1. Juni 1926 und die restlichen 37750 GM. bis zu einer den Verkäufern nicht vor dem 8. Juni 1940 gestatteten sechsmonatigen Kündigung bei einer Verzinsung von jährlich 7 % gestundet. Die Beklagten, die sich im Besitz des Grundstücks befanden, haben die sofort fälligen 15000 GM. bis zum 1. Juni 1926 gezahlt. Von der Minderjährigkeit des Drittklägers oder von seiner Vertretung ist in dem notariellen Akt nichts erwähnt. Erst nachträglich erfuhr der den Vertrag beurkundende Notar die Minderjährigkeit und stellte darauf am 13. März 1926 beim Vormundschaftsgericht den Antrag auf Genehmigung des Vertrags. Nach Anhören des Erst- und des Drittklägers, die den Vertrag für unvorteilhaft erklärten und am 2. Juli 1926 um seine Nichtgenehmigung gebeten hatten, verweigerte das Vormundschaftsgericht am 19. Juli 1926 die Genehmigung. Gegen diesen Beschluß legte Justizrat S. im Namen der Kläger Beschwerde ein, da ein erhoffter günstigerer Verkauf nicht zu erzielen war, und teilte gleichzeitig den Beklagten in einem ihnen am 6. August 1926 zugegangenen Schreiben mit, daß das Vormundschaftsgericht dem Kaufvertrag die Genehmigung versagt habe. Mit Schreiben vom 16. Oktober 1926 erklärte der Erstbeklagte der Erstklägerin, daß er,
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da der Vertrag in Ermangelung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung nichtig sei, am früheren Kaufpreis kein Interesse mehr habe, aber zur Verhandlung auf der Grundlage von etwa 40000 RM. bereit sei. Am 18. Oktober 1926 gab der mit Ablauf des 5. August 1926 volljährig gewordene Drittkläger die den Beklagten am 22. Oktober 1926 zugestellte notarielle Erklärung ab, daß er den Kaufvertrag vom 28. Mai 1925 genehmige. Der Klage, mit der die Kläger neben rückständigen Zinsen auf die Kaufsumme drei Vierteile der am 1. Juni 1926 fällig gewordenen Kaufpreisrate mit 3750 RM. fordern, ist vom Landgericht entsprochen worden. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Urteilssumme entsprechend einem Hilfsantrag der Kläger gemäß §§ 2039, 2041 BGB. an die aus den Klägern und Josef G. bestehende ungeteilte Erbengemeinschaft zu zahlen sei. Die Revision der Beklagten war erfolglos. Gründe: Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung im wesentlichen folgendermaßen : Zur Zeit des Kaufabschlusses habe der Erstklägerin gemäß § 1684 BGB. die elterliche Gewalt über den Drittkläger zugestanden, auf Grund deren sie nach §§ 1627, 1630, 1686 das. zu dessen Vertretung berechtigt gewesen sei, ohne ein für ihn abzuschließendes Rechtsgeschäft auf seinen Namen stellen zu müssen. Sie sei daher befugt gewesen, den Anteil des Drittklägers an den Grundstücken im eigenen Namen zu verkaufen. Sei auch der Drittkläger bei dem Kaufakt als Mitverkäufer aufgetreten, nicht aber die Erstklägerin als seine gesetzliche Vertreterin, so sei dies für die Annahme, daß die Erstklägerin auch für den Drittkläger über die Grundstücke verfügt habe, ohne rechtliche Bedeutung, da die Erklärung des einzelnen Miterben nicht auf einen Anteil an den Grundstücken beschränkt gewesen sei. Da es lediglich darauf ankomme, ob und inwieweit die Erstklägerin berechtigt gewesen sei, über die Grundstücke zu verfugen, so sei es auch bedeutungslos, ob sie sich der Art und des Umfangs ihrer Rechte bewußt gewesen sei. Abgesehen hiervon seien der Kaufvertrag und die Auflassung gemäß § 107 BGB. auch deshalb wirksam, weil die Erstklägerin den Willenserklärungen des minderjährigen Drittklägers zugestimmt habe. Ihre Behauptimg, daß ihr die Rechtserheblichkeit der Minderjährigkeit ihres Sohnes unbekannt gewesen sei, hindere das Gericht nicht an der Überzeugung, daß sie gewußt habe, ihr Sohn könne Rechtsgeschäfte, insbesondere einen Kaufvertrag über Grundstücke, nicht allein abschließen. Die Tatsache, daß sie zusammen mit dem minderjährigen Sohn als Mitverkäufer aufgetreten sei, berechtige zu dem Schluß, daß sie den Willenserklärungen ihres Sohnes zugestimmt habe. Sei dies aber der Fall gewesen, so seien die Beklagten nicht zum Widerruf gemäß § 109 BGB. berechtigt gewesen. Würde zwar die Versagung der nach §§ 1643, 1686, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB. erforderlichen Genehmigimg des VormundschaftsZ i v i l s . A l l t î c m . T e i l li
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gerichts durch eine Mitteilung an die Beklagten gemäß § 1643 Abs. 3, § 1829 Abs. 1 Satz 2 das. wirksam geworden sein, so sei doch dieser Rechtserfolg durch das den Beklagten am 6. August 1926 zugegangene Schreiben des Justizrats S. — dessen Bevollmächtigung vorausgesetzt — nicht eingetreten, weil der Drittkläger mit Ablauf des 5. August 1926 volljährig geworden sei. Da der Drittkläger am 22. Oktober 1926 den Kaufvertrag genehmigt habe, sei dieser nach § 1829 Abs. 3 BGB. rechtswirksam geworden. Der Erfullungsanspruch der Kläger sei daher gerechtfertigt. Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Erstklägerin habe im eigenen Namen über den Anteil des Drittklägers an den verkauften Grundstücken mitverfugt oder dessen vertraglichen Erklärungen stillschweigend zugestimmt. Sei auch vielleicht anzuerkennen, daß die Inhaber der elterlichen Gewalt die fur ihre Kinder abzuschließenden Rechtsgeschäfte auch auf den eigenen Namen stellen könnten, so sei doch eine solche Vertragserklärung ohne den entscheidenden Willen unmöglich. Die Erstklägerin habe aber, wenn sie den Vertrag n e b e n dem Drittkläger geschlossen habe, deutlich das Gegenteil eines solchen Willens erklärt. Ebensowenig erhelle, wodurch eine wenigstens stillschweigende Zustimmung der Erstklägerin zur Willenserklärung des Drittklägers Ausdruck gefunden haben solle. Wenn die Kläger vorgetragen hätten, „alle Beteiligten hätten gewußt, daß der Drittkläger minderjährig war, dagegen hätten sie offenbar von dem Einfluß dieser Tatsache auf die Gültigkeit des getätigten Aktes keine Kenntnis gehabt", so sei dies das Gegenteil von dem, was das Berufungsgericht als das Wissen und deshalb auch als das Wollen der Erstklägerin hingestellt habe. Habe es sich aber um einen von einem Minderjährigen ohne Mitwirkung seines gesetzlichen Vertreters geschlossenen Vertrag gehandelt, so sei der Widerruf der Beklagten, der besonders in ihrem Schreiben vom 16. Oktober 1926 zu erblicken sei, nach § 109 BGB. berechtigt gewesen. Das Berufungsgericht stellt fest, die Erstklägerin habe gewußt, daß der minderjährige Drittkläger nicht allein — nicht ohne Mitwirkimg der Erstklägerin als gesetzlicher Vertreterin — den in Rede stehenden Vertrag abschließen könne. Es mag dahinstehen, ob hiernach schon angenommen werden könnte, daß die Erstklägerin den Vertrag für den Drittkläger habe schließen wollen. Denn jedenfalls enthält es keinen Rechtsverstoß, wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, die Erstklägerin habe zu dem Vertragsschluß des Drittklägers die Einwilligung im Sinne des § 107 BGB. erklärt. Die rechtliche Lage war die, daß die Kläger und Josef G. als Miterben gemäß § 2040 das. nur gemeinschaftlich über die zum Nachlaß des Martin G. gehörigen Grundstücke verfugen konnten und wollten. Eine Einigung der Erben über diese Verfügung mußte also dem Vertragsschluß vorangegangen sein, und diese Einigung fand vor den Beklagten in dem gemeinschaftlich vollzogenen notariellen Akt ihren erkennbaren Ausdruck. Wenn das Berufimgsgericht demgemäß annimmt, die Erstklägerin habe mit ihrer auf die Verfugung über das ganze Grundstück sich beziehenden Erklärung der
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auf denselben Gegenstand gerichteten und ihn gleichermaßen umfassenden Erklärung des Drittklägers in einer fur die Beklagten wahrnehmbaren Weise zugestimmt, so sind gegen diese Auffassung keine Bedenken zu erheben. Denn da sich die Übereinstimmung jener Erklärungen in einer für die Beklagten erkennbaren Weise vollzog, so konnte die Zustimmung der Erstklägerin zu derjenigen des Drittklägers als stillschweigende Einwilligung aus ihrem ganzen Verhalten entnommen werden (WarnRspr. 1919 Nr. 132), wobei es nicht darauf ankommt, ob sie die damit verbundenen Rechtsfolgen im einzelnen übersah. Die Überzeugung der Erstklägerin, ihre Zustimmung zu den Vertragserklärungen ihres minderjährigen Sohnes erteilt zu haben, ergibt sich insbesondere auch aus ihrem Verhalten vor dem Vormundschaftsgericht, wo sie in ersichtlicher Übereinstimmimg mit diesem den Rechtsbehelf gegen die Wirksamkeit des ihr nachträglich als ungünstig erschienenen Vertrags nicht in der fehlenden Zustimmung ihrerseits, sondern allein in der Versagung der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung erblickte. Da an die Stelle dieser Genehmigung nachträglich die von dem inzwischen mit Beginn des 6. August 1926 (§ 187 Abs. 2 Satz 2 BGB.) volljährig gewordenen Drittklägers erklärte Genehmigung des Vertrags trat, ehe, wie das Berufungsgericht zutreffend annimmt, die Verweigerung der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts durch Mitteilung an die Beklagten gemäß § 1829 Abs. 1 Satz 2 in Verb, mit § 130 das. rechtswirksam geworden war, so sind die Beklagten mit Recht als an den Vertrag gebunden erachtet worden. R G Z . 141, 262 Zur rechtlichen Bedeutung des „Handelns auf eigene Gefahr" bei Gefälligkeitsfahrten. Kommt dabei ein rechtsgeschäftlicher Wille des Handelnden in Frage ? BGB. §§ 111, 254, 823flg. VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 19. Juni 1933. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". R G Z . 145, 284 Kann eine wegen Geisteskrankheit geschäftsunfähige Person gegen die Anordnung einer Pflegschaft nach § 1910 A b s . 2 BGB. selbständig Beschwerde einlegen ? BGB. § 104, Nr. 2; § 1910 Abs. 2. R F G G . § 20, 59. ZPO. § 664. IV. Z i v i l s e n a t .
Beschl. v. 25. Oktober 1934.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Familienrecht". 5·
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ι. . . . * ) 2. Ist für den Minderjährigen die Bestellung eines Pflegers und dessen Einwilligung erforderlich, wenn die Eltern dem minderjährigen Kinde das Eigentum an ihren beweglichen Sachen übertragen, sich aber den Nießbrauch vorbehalten ? 3. Zur Belehrungspflicht des Notars. BGB. §§ 107, 839. III. Zivilsenat.
Urt. v. 10. September 1935.
I. Landgericht Wuppertal.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
Der Beklagte hat als Notar am 11. März 1931 einen Vertrag beurkundet, worin der Kläger und seine Ehefrau ihrer miterschienenen, am 25. Februar 1922 geborenen Tochter Waltraut ihre gesamte, näher aufgeführte Wohnungseinrichtung schenkweise übertrugen, sich aber f ü r sich und den Längstlebenden von ihnen an den übertragenen Sachen ein lebenslängliches, mit dem Tode des Längstlebenden endigendes unentgeltliches Nießbrauchsrecht vorbehielten und die Zahlung der Feuer- und EinbruchsDiebstahlsversicherungsbeiträge übernahmen. Die Tochter hat die Schenkung in dem Vertrag angenommen. Am 16. Juni 1933 ließ C , ein Gläubiger des Klägers, gegen ihn einige dieser Sachen, nämlich eine Schreibmaschine, einen Schreibmaschinentisch, einen einfachen Tisch und ein KofferGrammophon, pfänden. Die Tochter des Klägers, durch diesen gesetzlich vertreten, widersprach der Pfändung, wurde aber mit ihrer Widerspruchsklage vom Amtsgericht durch Urteil vom 25. Juli 1933 abgewiesen. Ihre Berufung wurde vom Landgericht durch das rechtskräftige Urteil vom 20. Oktober 1933 zurückgewiesen. Im zweiten Rechtszug hatte die damalige Klägerin dem jetzt verklagten Notar den Streit verkündet, der ihr jedoch nicht beigetreten war. Die Abweisung jener Klage wurde vom Landgericht folgendermaßen begründet: Die Bestellung eines Nießbrauchs an der eigenen Sache sei rechtlich nicht denkbar; der Vertrag vom 11. März 1931 müsse daher dahin verstanden werden, daß die Eheleute M. die aufgeführten Sachen ohne Nießbrauch ihrer Tochter hätten übertragen und diese dann ihnen den Nießbrauch habe bestellen wollen. Diese Bestellung, bei der die Tochter durch ihren Vater als ihren gesetzlichen Vertreter tätig gewesen sei, sei nach § 181 BGB. nichtig. Ohne Bestellung des Nießbrauchs würden die Eltern der Tochter das Eigentum an den Sachen nicht übertragen haben; daher sei nach § 139 BGB. auch die Eigentumsübertragung nichtig. Der Kläger verlangt vom Beklagten die Erstattung der von ihm f ü r die Führung des früheren Prozesses nutzlos aufgewendeten Kosten. Er macht geltend, der Beklagte habe ihn bei Abschluß des Vertrags darüber *) Geringere Bedeutung.
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belehren müssen, daß die Mitwirkung eines Pflegers erforderlich sei. Durch Unterlassung der Belehrung habe der Beklagte fahrlässig seine Amtspflicht verletzt. Das Landgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 77,72 R M . Prozeßkosten nebst Zinsen verurteilt; das Oberlandesgericht hat seine Berufung zurückgewiesen. Auf seine Revision wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Vorinstanz zurückverwiesen. Aus den G r ü n d e n : . . . Man kann nicht sagen, die Tochter des Klägers habe an ihr gehörigen Sachen erst nachträglich ihren Eltern den Nießbrauch eingeräumt; vielmehr hat sie überhaupt nur Sachen erworben, die mit einem Nießbrauch belastet waren. Obgleich dieser Nießbrauch erst im Augenblick der Eigentunisübertragung entstanden ist, hat die Minderjährige doch nie unbelastete Sachen in der Hand gehabt. Durch den Erwerb von Sachen durch Schenkung erlangt der Minderjährige auch dann lediglich einen rechtlichen Vorteil, wenn diese Sachen mit einem Nießbrauch belastet sind. Dies muß hier um so mehr gelten, als die Eltern nach dem geschlossenen Vertrag ausdrücklich die Weiterzahlung der Beiträge für die Feuer- und EinbruchsDiebstahlsversicherung übernommen hatten. Sonach liegt der in § 107 BGB. vorgesehene Fall vor, in welchem die Willenserklärung des beschränkt Geschäftsfähigen keiner Einwilligung des gesetzlichen Vertreters bedarf. Das zwischen Nießbraucher und Eigentümer durch die Bestellung des Nießbrauchs begründete gesetzliche Schuldverhältnis (vgl. P l a n c k BGB. 5. Aufl. Bd. 3 S. 772, Vorbem. 3 zum Nießbrauch) nötigt zu keiner anderen Beurteilung. Verpflichtungen dritten Personen gegenüber hat die Tochter des Klägers durch den Vertrag vom 11. März 1931 nicht übernommen. War danach der Standpunkt des Beklagten sachlich richtig, so fragt sich gleichwohl, ob er nicht die Möglichkeit hätte voraussehen müssen, daß die Gerichte anderer Ansicht sein würden, und ob er nicht deshalb die Beteiligten über die nicht unzweifelhafte Gültigkeit ihres Vertrags hätte belehren, ihnen hätte raten müssen, sich auf alle Fälle um eine Pflegerbestellung zu bemühen. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts liegt dem Notar die Amtspflicht ob, den wahren Willen der Vertragsparteien zu erforschen und sie über die Bedeutung der zu beurkundenden Erklärung und das für den Zweck taugliche Rechtsgeschäft aufzuklären (RGZ. Bd. 85 S. 337, Bd. 95 S. 214 und S. 299, Bd. 100 S. 284). Der Umfang der Bclehrungspflicht ist freilich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängig (RGZ. Bd. 142 S. 424). Selbst wenn ein Notar nicht Gewißheit, sondern nur Zweifel über die rechtliche Zulässigkeit und Wirksamkeit dessen hat, was er beurkunden soll, gebietet ihm seine Amtspflicht, solche Bedenken den Vertragschließenden zu unterbreiten (RGZ. Bd. 110 S. 360, Bd. 130 S. 1 [5]). Der um Rat angegangene Rechtsanwalt hat von mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen diejenige anzuraten, welche die sicherere und gefahrlosere ist, und handelt schuldhaft, wenn er eine andere
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wählt, obwohl er sie bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt als die gefährlichere erkennen muß; mindestens muß er aber seinen Auftraggeber über entstehende Bedenken belehren (Urt. des erkennenden Senats vom 15. März 1921 III 392/20 in WarnRspr. 1921 Nr. 103). Das gleiche muß aber auch von einem Notar gelten. Hiernach bedarf die Frage des Verschuldens des Beklagten hinsichtlich der ihm obliegenden Belehrungspflicht einer erneuten Prüfung, die in dieser Richtung bisher nicht erfolgt ist. . . .
Willenserklärung RGZ. 46, 112 Kann die Errichtung einer stillen Gesellschaft den Abschluß eines wucherischen Kreditgeschäftes enthalten ? Begriffsmerkmale des Kreditwuchers. Nach welchem örtlichen Rechte ist zu beurteilen, ob ein Rechtsgeschäft wucherisch oder unsittlich ist ? BGB. § 138 Abs. 2. I.Zivilsenat. Urt. v. 26. Mai 1900. I. Landgericht I Berlin. II. Kammergericht daselbst.
Der Kläger hatte unter seinem Namen im Juni 1896 zu Zürich und im November 1896 zu Basel ein Kurz-, Weiß- und Wollwarengeschäft errichtet. Über die Beteiligung des Beklagten an diesen Geschäften hatten die Parteien am 10. Juni 1896, 28. November 1896 und 15. März 1897 Verträge miteinander abgeschlossen, deren wesentliche Bestimmungen die folgenden waren. Nach dem Vertrage vom 10. Juni sollte der Beklagte an allen Geschäften des Klägers als stiller Gesellschafter mit einer Einlage bis zu 50000 M. beteiligt sein (§ 1). Seine Einlage war spätestens am 1. Januar 1898 mit 5 Prozent Zinsen zurückzuzahlen; außerdem wurde ihm die Hälfte des Jahresgewinnes zugesagt, und zwar mit der Maßgabe, daß sein jährlicher Gewinnanteil mindestens 10000 M. betragen müsse. Dagegen wurde dem Kläger für seinen persönlichen Bedarf ein Betrag von 400 M. monatlich bewilligt (§ 4). Der Verlust sollte von den Kontrahenten zu gleichen Teilen getragen werden, der Beklagte jedoch nur bis zur Höhe seiner Einlage haftbar sein (§ 5). Der Kläger übernahm die Verpflichtung, sich in keinem Lande der Welt an einem gleichartigen Geschäfte zu beteiligen, während der Beklagte dieselbe Verpflichtung für das Gebiet der Schweiz mit Ausnahme von Winterthur einging (§ 3). Der Kläger sollte die Gesellschaft nicht vor Ablauf von 15 Jahren aufkündigen dürfen; der Beklagte erhielt aber das Recht, jederzeit ohne Angabe von Gründen mit
Willenserklärung
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einer Frist von 6 Monaten ihre Auflösung zu verlangen (§ 7). Außerdem wurden noch einige weitere Bestimmungen getroffen, die eine erhöhte Sicherung des Beklagten bezweckten. Nach dem Vertrage vom 28. November 1896, in dem der Beklagte seine Beistimmung zu der Errichtung des Baseler Geschäftes erteilte, sollte seine Haftung für etwaige Verluste dieses Geschäftes auf 30000 M. beschränkt sein, während andererseits dem Kläger auferlegt wurde, ihm aus den Einnahmen beider Geschäfte monatlich den — auf seinen demnächstigen Gewinnanteil zu verrechnenden — Betrag von 1000 M. auszubezahlen. Nach dem Vertrage vom 15. März 1897 endlich erhöhte der Beklagte seine bisherige Einlage von 30000 M. auf 50000 M. und bedang sich aus, daß die Summe von 20000 M. bereits am l.Juli 1897 zurückgezahlt werden solle. Gleichzeitig mußte der Kläger unter Festsetzimg von Konventionalstrafen für den Fall der Zuwiderhandlung eine Reihe von Verpflichtungen eingehen, die darauf abzielten, dem Beklagten einen vollen und fortlaufenden Einblick in den Betrieb zu ermöglichen. Die Einlage des Beklagten wurde mit 10000 M. am 26. August 1897, mit 15000 M. am 28. Dezember 1897, mit 10000 M. am 29. Juni 1898 und mit 15000 M. am 20. Mai 1899 zurückbezahlt. Außerdem erhielt er 2531,25 M. Zinsen, und in der Zeit von November 1896 bis zum Mai 1899, meist in monatlichen Raten von je 1000 M., einen Gewinnanteil von im ganzen 30000 M. Der Kläger focht die Verträge an und beantragte, sie wegen Wuchers oder um ihres unsittlichen Inhaltes willen fur nichtig zu erklären. Vom Landgericht wurde die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat dagegen den Beklagten verurteilt, anzuerkennen, daß die zwischen den Parteien geschlossenen Verträge nichtig seien. Die Revision ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen: „Die Nichtigkeit der Verträge muß anerkannt werden, sei es daß sie nach schweizerischem Rechte, sei es daß sie nach deutschem Rechte wucherisch oder unsittlich sind. Obwohl die Kontrahenten beide deutscher Nationalität waren und ihr Vertragsverhältnis auf deutschem Boden begründet haben, so sollte dieses doch lediglich in der Schweiz zur Wirksamkeit kommen. Es galt die Errichtung und den Betrieb eines kaufmännischen Geschäftes in Zürich und anderen Städten des Landes. Der Kläger hatte dort seinen Wohnsitz zu nehmen, dort seine vertragliche Tätigkeit auszuüben, und die dem Beklagten geschuldeten Zahlungen sollten aus dem Verdienste, der dort erzielt ward, geleistet werden. Die ganze Summe der wirtschaftlichen und rechtlichen Bezüge, die sich auf der Grundlage des durch die Verträge geschaffenen Verhältnisses entfalten möchten, fiel in die Herrschaftssphäre des schweizerischen Rechtes. Daraus folgt aber unmittelbar, daß die Rechtsgültigkeit jener Verträge nicht angenommen werden darf, wenn eben dieses Recht sie nicht will. Der deutsche Richter
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kann nicht, gestützt auf sein eigenes Recht, das Dasein von Verbindlichkeiten unterstellen, wenn solche Verbindlichkeiten nach dem Rechte des Ortes, an dem sie sich verwirklichen und ausleben sollen, der Daseinsberechtigung entbehren. Auf der anderen Seite genügt es aber auch, daß die Nichtigkeit aus den Satzungen des deutschen Rechtes hervorgeht. Denn die Gerichte sind nicht in der Lage, Rechtsverhältnissen, die nach den Gesetzen ihres Landes aus Gründen des öffentlichen Rechtes oder der Sittlichkeit für unstatthaft angesehen werden, rechtlichen Schutz zu verleihen. Das Berufungsgericht hat nun ausgeführt, daß die streitigen Verträge gemäß Art. 17 des schweizerischen Bundesgesetzes über das Obligationenrecht weder in Zürich, noch in Basel Verbindlichkeiten erzeugen könnten, sondern vielmehr um ihres unsittlichen Inhaltes willen für nichtig erklärt werden müßten. Da diese Feststellung nach § 549 C.P.O. einer Nachprüfung in der Revisionsinstanz nicht ausgesetzt ist, so muß die Revision unter allen Umständen scheitern. Zu dem gleichen Ergebnis gelangt man aber auch dann, wenn die Entscheidungsnorm aus dem deutschen Rechte entlehnt wird. Bei der Erörterung dieser Frage hat das Berufungsgericht zutreffend den § 302a St.G.B. (in der Fassung vom 19. Juni 1893) zum Ausgangspunkte erhoben. Denn falls die Verträge nach dem Rechte, während dessen Gültigkeitsdauer sie errichtet wurden, keine Kraft haben, erübrigt die Untersuchung, welche Wirkungen rücksichtlich ihres Bestandes aus dem gegenwärtig herrschenden Rechte (§ 138 Abs. 2 B.G.B.) abzuleiten sein würden. Nach der angezogenen Bestimmung ist des Wuchers schuldig und hat darum ein ungültiges Geschäft abgeschlossen, wer unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinnes oder der Unerfahrenheit eines Anderen mit Bezug auf ein Darlehn oder auf die Stundung einer Geldforderung oder auf ein anderes zweiseitiges Rechtsgeschäft, welches denselben wirtschaftlichen Zwecken dienen soll, sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren läßt, welche den üblichen Zinsfuß dergestalt überschreiten, daß nach den Umständen des Falles die Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnisse zu der Leistung stehen. Es beruht nun nicht auf Rechtsirrtum, wenn das Berufungsgericht die Voraussetzungen dieser Bestimmung als gegeben angesehen hat. Haben die Parteien freilich eine stille Gesellschaft miteinander errichtet, so wird doch hierdurch die Annahme eines unter das Gesetz fallenden Rechtsgeschäftes keineswegs grundsätzlich ausgeschlossen. Die stille Gesellschaft ist im Gegenteil schon nach ihrem eigentlichen Wesen dem Darlehnsvertrage nahe verwandt; und die Durchbildung, die das vorhegende Verhältnis in seinen Einzelheiten erfahren hat, — die kurze Frist, binnen welcher die Einlage zurückbezahlt werden mußte, die Aussetzung jeder Gewinnverteilung bis nach geschehener Rückzahlung etc. — läßt hier das gesellschaftliche Element nur noch mehr in den Hintergrund treten. Die Tatsache, daß der Beklagte innerhalb gewisser Grenzen für den Verlust haftbar war, mag zwar bei der Abwägung des Inhaltes von Leistung und Gegenleistung Bcachtung verdienen; sie
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bewirkt aber nicht, daß von einem darlehnsähnlichen Geschäfte nicht mehr gesprochen werden kann. Das Reichsgericht hat vielmehr in seiner Entscheidung vom 2. März 1899, Entsch. des R.G.'s in Civils. Bd. 43 Nr. 29, eingehend dargelegt, daß ein Rechtsgeschäft dann jedesmal denselben wirtschaftlichen Zwecken dient, wie ein Darlehn, wenn es zum Zweck der Befriedigung eines augenblicklichen Geldbedürfnisses abgeschlossen ist. Dieses Kriterium trifft hier aber zu. Allerdings hatte der Kläger keinen zwingenden Anlaß, ein selbständiges Handelsgeschäft zu errichten, und zwar ein Geschäft, zu dessen Errichtung es bedeutenderer Geldmittel bedurfte, als sie ihm zur Verfügung standen. Nach seinen eigenen Angaben, die er gegen sich gelten lassen muß, waren ihm sogar von anderer Seite vorteilhafte Anerbietungen gemacht, die ebenfalls seine geschäftliche Selbständigkeit zur Folge gehabt haben würden. In der Richtung lag also kein Geldbedürfnis vor, daß er aus irgend welcher wirtschaftlichen Zwangslage befreit werden mußte oder wollte. Das ist aber auch keine notwendige Voraussetzung des darlehnsähnlichen Rechtsgeschäftes. Daß der Kläger persönlich ein Bedürfnis nach der finanziellen Leistung des Beklagten empfunden hat, ist ohne weiteres zu unterstellen. Ob aber sein Bedürfnis ein eingebildetes, oder reales war, kann nicht maßgebend sein. Hier hat nun übrigens ein wirklich vorhandenes Bedürfnis zum Vertragsabschluß geführt. Es mag noch nicht bestanden haben, als der Beklagte mit ihm in Unterhandlungen trat ; es sprang aber auf, sobald dieser ihm seine Pläne dargelegt hatte, und er, durch die eröffnete Aussicht geblendet, von dem Wunsche nach ihrer Verwirklichung ergriffen war. Das Rechtsgeschäft bezweckte somit die Deckung eines Geldbedürfnisses, das dem Gedanken, auf dem jenes selber ruhte, seine Entstehung verdankte. Der Beklagte hat es zunächst durch seine Initiative geweckt und danach durch den Abschluß der Verträge befriedigt. Auch das hat keine veränderte Beurteilung zur Folge, daß der Kläger ohne Zweifel außer der Bareinlage des Beklagten gleichzeitig den Rückhalt erlangen wollte, den er in der geplanten geschäftlichen Verbindung mit ihm zu finden glaubte. Denn nach den Erklärungen der Parteien über die Entstehungsgeschichte der Verträge und nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes war der Hauptzweck bei der Beteiligung des Einen an den Unternehmungen des Anderen die Beschaffung von Geldmitteln. Demgegenüber traten die sonst von ihm übernommenen Verbindlichkeiten zurück. Das Geschäft blieb darum immer vorzugsweise auf die Befriedigung eines Geldbedürfnisses gerichtet. Ist hiernach die Eingehung eines Geldkrcditgeschäftes anzunehmen, bei dem eine Bewucherung des Klägers rechtlich möglich war, so hängt die Entscheidung des Rechtsstreites allerdings davon ab, einerseits ob ein auffälliges Mißverhältnis zwischen der Leistung des Beklagten und den ihm von seinem Kontrahenten zugewandten Vermögensvorteilen besteht, und sodann ob sich der Eine einer Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit des Anderen schuldig gemacht hat. Das Berufungs-
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gericht hat beide Fragen bejaht, und das Reichsgericht findet keinen Anlaß, ihm darin entgegenzutreten. Ob das bezeichnete Mißverhältnis gegeben ist, wird an der Hand der obwaltenden Verhältnisse in Abschätzung des ökonomischen Wertes der von beiden Seiten bewilligten Leistungen ermittelt und festgestellt werden müssen. Bleibt auch der Vergleichsmaßstab immer derselbe, so kann doch bei äußerer Übereinstimmung der Leistungen das eine Mal die Annahme des Wuchers gerechtfertigt sein, während unter veränderten Umständen diese oder jene Leistung vielleicht eine veränderte Bedeutung gewinnt, und sich so die Wertrelation völlig verschiebt. Es kommt daher ganz wesentlich auf eine tatsächliche Würdigung an. Eine solche hat das Berufungsgericht aber in eingehender Weise vorgenommen, und der Revision kann nicht zugegeben werden, daß es dabei von irrigen Rechtsanschauungen ausgegangen sei oder Momente, die für das Ergebnis wesentlich sein möchten, übersehen habe. Die Vorteile, die dem Kläger erwuchsen, und die darum bei der Abmessung des Wertes der ihm zuteil gewordenen Leistungen Berücksichtigung finden müssen, waren allerdings sehr erheblich. Der Beklagte hat es ihm durch seine Geldmittel ermöglicht, von einem mäßig besoldeten Handlungsgehilfen zum alleinigen Inhaber mehrerer blühender Geschäfte zu werden. Er hat entscheidend dabei mitgewirkt, und zwar gerade durch die angefochtenen Verträge, daß sein Kontrahent in die Lage kam, sich eine dauernde wirtschaftliche Existenz zu begründen und die ergiebigsten Einnahmequellen zu eröffnen. Daß seine Persönlichkeit hinter dem Unternehmen stand, seine Geschäftserfahrung ihm anfangs zugute kam, seine Beteiligung in den interessierten Kreisen vorausgesetzt werden konnte, das waren zwar Imponderabilien, deren lebendige Kraft sich nicht scharf abschätzen läßt, jedenfalls aber Impoderabilien, die für das Gelingen der Sache erheblichen Wert besaßen. Dieser Tatbestand machte aber die Annahme eines auffälligen Mißverhältnisses zwischen der Leistung und den Vermögensvorteilen des Beklagten nicht unmöglich, sondern verlangte nur eine sehr sorgfältige Beachtimg bei der Wertschätzung der einen und der anderen. An einer solchen hat es das Berufungsgericht aber auch nicht fehlen lassen. Die bezeichneten Gesichtspunkte sind von ihm herangezogen und abgewogen. Ihnen gegenüber hat es dann aber wieder mit Recht darauf hingewiesen, daß sich der Kläger nicht nur der Möglichkeit ausgesetzt sah, den Ertrag seiner Arbeit ganz oder zum überwiegenden Teile an den Beklagten abtreten zu müssen, sondern daß auch das Gedeihen des Geschäftes vor allem von seiner persönlichen Tüchtigkeit, Arbeitsamkeit und Energie abhing, daß er daher seine großen Erfolge vorzugsweise sich selber verdankte, daß der Beklagte höchstens vorübergehend eine aktive Wirksamkeit zum Besten der Unternehmung ausgeübt hat, und daß sich die Leistungen, zu denen er verpflichtet war, und die sich auch von seiner Seite angesehen als wirkliche Leistungen darstellen, im wesentlichen mit der Einlegung von Geldsummen zum Höchst- und Gesamtbetrage von 50000 M. erschöpften. Diese Einlagen hatte er nach
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dem Vertrage mit 30000 M. vom 10. Juni 1896 bis zum 31. Dezember 1897 und mit 20000 M. vom 15. März 1897 bis zum 1. Juli 1897 im Geschäfte zu belassen, während ihm als Gegenleistung, abgesehen von 5 Prozent Zinsen, für die Dauer von 15 Jahren die Hälfte des Jahresgewinnes, die im Minimum aber wieder auf 10000 M. bestimmt wurde, zufließen sollte. Außerdem hat er sich unter Androhung von Konventionalstrafen sehr günstige Zahlungsbedingungen erwirkt, den Kläger unter die denkbar schärfste Kontrolle gestellt und ihn für 15 Jahre zur Fortsetzung des Geschäftes verpflichtet, wogegen er selber berechtigt sein sollte, jederzeit dessen Auflösung herbeizuführen. Wenn das Berufungsgericht angesichts dieser Sachlage ein auffallendes Mißverhältnis zwischen der Leistung und den gegenüberstehenden Vermögensvorteilen annehmen zu müssen geglaubt hat, so wird dagegen kein Widerspruch erhoben werden können. Daß es bei seiner Vergleichung den erhofften Jahresgewinn von je 10000 M. voll herangezogen hat, ist nicht rechtsirrig. Ein zukünftiger oder bedingter Vorteil muß nach seinem wahrscheinlichen Werte abgeschätzt und eingestellt werden. Und da beide Parteien der Überzeugung sind, daß durchschnittlich mehr als 10000 M. auf den Beklagten entfallen würden, der Erfolg der ersten beiden Geschäftsjahre auch diese Überzeugung als nicht unbegründet erscheinen läßt: so war es allerdings sachgemäß, wenn die natürlich gleichwohl gegebene Möglichkeit einer ungünstigeren Entwickelung außer Betracht gelassen wurde. Hier wurde es wieder bedeutsam, daß der Beklagte vor dem Kläger zum Zuge kommen sollte, also selbst bei bescheidenen Erträgnissen, und wenn dieser überhaupt keinen Gewinnanteil erhielt, noch auf Befriedigung rechnen konnte. Ebensowenig ist vom Berufungsgerichte verkannt, daß der Beklagte ein gewisses Risiko lief. Es war aber nicht fehlsam, wenn in bezug hierauf erwogen wurde, daß dieses Risiko auf einen engen Zeitraum beschränkt und durch verschiedene besondere Sicherungsmittel noch weiter herabgedrückt war. Die Revision glaubt freilich geltend machen zu können, daß der Beklagte während der ganzen fünfzehnjährigen Dauer des Vertrages bis zur Höhe seiner Einlage den Gesellschaftsgläubigern verhaftet gewesen sei. Ihre Ausführung ist jedoch irrig. Abgesehen ganz davon, daß eine persönliche oder beschränkt persönliche Haftimg den stillen Gesellschafter überhaupt nicht trifft, seine Einlage vielmehr nur den wechselnden Ergebnissen des Geschäfts ausgesetzt ist, geht auch aus den §§ 4 und 5 des Hauptvertrages ganz deutlich hervor, daß der Beklagte nur bis zur Rückzahlung der Einlage am Verluste beteiligt sein sollte. Sobald keine Einlage mehr vorhanden war, war auch die Voraussetzung, an die die Parteien seine vermögensrechtliche Verantwortlichkeit geknüpft hatten, in Wegfall gekommen. Das Risiko war aber nicht allein zeitlich sehr eng begrenzt; es hat auch — und das ist ein Moment von nicht geringer Bedeutung — nach der Auffassung des Beklagten überhaupt niemals bestanden. Er hat selbst ausgeführt, daß er die Chancen solcher Geschäfte und die außerordentliche Sicherheit des Verdienstes auf das genaueste gekannt habe und deshalb
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über das Gelingen niemals im Zweifel gewesen sei. Die praktische Erfahrung hatte ihn also gelehrt, daß er bei der vorübergehenden Hingabe von Kapital keine Gefahr laufe und auf dessen Rückzahlung mit Gewißheit zählen könne. Um so weniger hatte er aber Anspruch auf die ungeheure Risikoprämie, die er sich hat zusichern lassen. Daß die weiteren Leistungen, die er bewirkt hat, vom Berufungsgerichte nicht außer acht gelassen sind, ist schon erwähnt. So wertvoll sie für den Kläger auch waren: es ist doch wiederum zutreffend berücksichtigt worden, daß sie an den Beklagten weder in persönlicher, noch in finanzieller Beziehung wirkliche Anforderungen stellten und darum für ihn in ihrer Bedeutung zurücktraten. Nun könnte vielleicht die Frage aufgeworfen werden, ob nicht das ganze Verhältnis der Parteien von einem anderen Gesichtspunkte aus angesehen werden muß. Wenn der Beklagte den Gedanken hatte, ein Geschäft zu begründen, die Ideen für seine Einrichtung angab und nur die praktische Ausführung seinem Gehilfen, dem Kläger, überließ : so handelte es sich denkbarerweise um eine Unternehmung, die im Grunde seine Unternehmung war, in die er seinen Namen und seinen Kredit, seine Kenntnisse und seine Erfahrung einbrachte, während der Kläger gegen feste Bezüge und einen Anteil am Jahresgewinn den Betrieb besorgen und demnächst das Geschäft als alleiniges und eigenes behalten sollte. Diese Auffassung verbietet sich aber einerseits nach den Erklärungen des Beklagten selber, wonach er dem Kläger empfohlen hat, mit seiner pekuniären Beihilfe seinerseits ein Geschäft zu errichten, und andererseits nach der tatsächlichen Ausgestaltung, die die Dinge erfahren haben. Das Geschäft ist seit dem ersten Anfang in jedem Sinne ein Geschäft des Klägers gewesen, dem der Beklagte durch seine finanzielle und ideelle Mitwirkung nur die Gelegenheit zur Entfaltung der Kräfte eröffnet hat. Nicht allein, daß Risiko und Verantwortung alsbald — und nach ganz kurzer Frist sogar ausschließlich — auf ihn hinübergeschoben sind: es ist auch übrigens seine Persönlichkeit durchaus in den Vordergrund gerückt, sofern ihm von vornherein die volle Mühwaltung, die Aufstellung und Verwirklichung des Planes, der Aufbau und Betrieb des Geschäftes obgelegen haben. Bei solcher Sachlage ist die Möglichkeit, das Vertragsverhältnis der Parteien anders als geschehen zu beurteilen, ausgeschlossen. Es kann auch für die Zeit nach der Zurückziehung der Einlage nicht noch von einer gemeinschaftlichen Unternehmung der Kontrahenten gesprochen werden, da nunmehr jede Gemeinsamkeit, abgesehen von der Verpflichtung zur Zahlung der Jahresabgabe an den Beklagten, fehlte. Der Betrieb war nicht länger, als dieser für das Geschäft etwas leistete, ein gemeinsamer. Mag man der Meinung sein, daß, während das geschah, Beklagter die umfassendsten Gewinnanteile beziehen konnte, ohne dem Wuchergesetz zu verfallen, und daß sich, solange der Kläger mit dem Gelde des Beklagten arbeitete, angcsichts der eigenen bedeutenden Vorteile des Klägers, die Bewilligung auch der höchsten Prämien rechtfertigte: sein
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wucherliches Gepräge empfing das Verhältnis jedenfalls dadurch, daß der Beklagte nach Einstellung jeglicher Leistung noch lange Jahre hindurch große Gewinne erhalten sollte, daß nach der bedungenen Art der Gewinnverteilung er seinerseits Befriedigung erlangen konnte, während der arbeitende und in etwaigen verlustbringenden Jahren von dem ganzen Verluste betroffene Kläger vollständig leer ausging, und daß dieser endlich gezwungen war, das Geschäft auch bei einer ihm ungünstigen Entwickelung im Interesse des Beklagten während eines Zeitraumes von 15 Jahren fortzuführen. Damit hat der Beklagte die Zukunft seines Kontrahenten gebunden und dessen Schicksal nach seinem eigenen Interesse bestimmt, ohne Rücksicht darauf, ob für diesen nicht demnächst ein ganz anderer Weg geboten sein würde. Einem Geschäfte der Art wird die rechtliche Anerkennung versagt. Es wird in voller Übereinstimmung mit den sittlichen Anschauungen und Empfindungen des Volkes als Wucher bezeichnet. Das Gesetz will und kann nicht dulden, daß das Übergewicht des Kapitals in solcher Weise eine Knechtung der Arbeitskraft Anderer im Gefolge habe. Hierbei wird denn freilich weiter vorausgesetzt, daß der Vertragsschluß unter Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinnes oder der Unerfahrenheit dieser Anderen geschehen ist. Das Berufungsgericht hat aber tatsächlich und ohne prozessualen Rechtsvcrstoß festgestellt, daß hier auch insoweit die Elemente des Wucherbegriffes gegeben sind. Es hält dafür, daß sich der Beklagte im Mißbrauch seiner Autorität und des Abhängigkeitsverhältnisses, das zwischen ihm und dem Kläger bestand, sowie im Mißbrauch der Jugend und Unerfahrenheit seines Kontrahenten die Früchte der Arbeit desselben in dem bezeichneten außerordentlichen Maße angeeignet hat, und diese Annahme wird unter eingehender Würdigung der obwaltenden persönlichen Verhältnisse der Parteien, der Vertragsbestimmungen und ihrer praktischen Ergebnisse entwickelt und motiviert. Die weitere Feststellung aber, daß der Kläger sich der Folgen seiner Handlungsweise nicht voll bewußt gewesen sei und, soweit dies dennoch der Fall, ihnen aus Mangel an Überlegung oder aus Sorglosigkeit die verdiente Bedeutung nicht beigelegt habe, rechtfertigt durchaus den Schluß, daß neben der Unerfahrenheit auch Leichtsinn im Sinne des Gesetzes in Frage komme. Der Kläger wollte das Geschäft eingehen, ohne sich Rechenschaft darüber zu geben, wie sehr er dabei seine Kraft in den Dienst des Beklagten stelle und seine Zukunft ihm unterordne. Danach ist das Wuchergesetz mit Recht zur Anwendung gebracht, und es braucht nicht noch dargelegt zu werden, daß den Verträgen auch abgesehen hiervon wegen ihres unsittlichen Inhaltes die Rechtswirkung versagt werden mußte." . . . RGZ. 50, 191 Wird das Angebot eines Lotterieloses durch Ziehung des Loses vor erfolgter Annahme des Angebotes hinfällig ? — Begriff
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des Zugehens einer Willenserklärung im Sinne des § 130 BGB. — Welchen Sinn hat das Verlangen, auf ein Vertragsangebot „sofort bei Empfang" zu antworten ? — Ist derjenige, der ein Vertrageangebot gemacht hat, dem Empfanger zum Schadensersatze verpflichtet, wenn er diesen vorsätzlich oder fahrlässig daran verhindert, das Angebot anzunehmen ? BGB. §§ 130, 823. I. Zivilsenat. Urt. v. 8. Februar 1902. 1. Landgericht Hamburg.
II. Oberiandesgericht daselbst.
Der Kläger spielte bei dem in Hamburg wohnhaften Beklagten, der als Kollekteur sich mit dem Vertriebe von Losen der Lübeckischen Staatslotterie befaßt, Ve Los Nr. 33412 dieser Lotterie. Das Los Nr. 33412 wurde am 31. Oktober 1900 mit einem Gewinn von 166 M., wovon auf den Kläger planmäßig der Betrag von 17,29 M. entfiel, gezogen. Der Beklagte ließ hierauf ein Schreiben vom 1. November 1900 — ein durch Einfügung der in Betracht kommenden Zahlen und Daten ausgefülltes Druckformular — durch die Post an den Kläger abgehen, welches die Mitteilung von jener Tatsache sowie ferner davon enthielt, daß „die Ziehung in dieser Hauptklasse" bis zum 22. November fortgesetzt werde, und „der größte Hauptgewinn von eventuell 500000 M. sowie eine enorme Anzahl größerer und viele Tausende kleinerer Gewinne" sich noch im Glücksrade befanden. In dem Schreiben, dem als Ersatzlos ein 1/8 Los Nr. 33451 der letzten Klasse der genannten Lotterie zum Preise von 17,25 M. beigefügt war, hieß es dann weiter: „Wenn Sie einliegendes Los behalten, dann bitte ich um gütige sofortige Zusendung des Gewinnloses im beifolgenden frankierten Couvert. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß ich nur in dem Falle Sie als rechtmäßigen Eigentümer des beifolgenden Loses betrachten und Ihr Anrecht auf einen eventuellen Gewinn wahren kann, wenn Sie mir sofort bei Empfang des gegenwärtigen Briefes das vorbenannte Gewinnlos zusenden. Bitte, bedienen Sie sich zu Ihrer gefalligen Antwort des einliegenden Schemas. — Sollten Sie gegen meine Erwartung nicht geneigt sein, das einliegende Los zu behalten, so bitte ich um gütige umgehende Rücksendung desselben, so daß ich imstande bin, rechtzeitig anderweit darüber zu verfugen." Die im vorstehenden unterstrichenen Worte sind in dem Schreiben gesperrt gedruckt. Dieses Schreiben wurde am Morgen des 2. November zu einer Zeit, als der Kläger sich bereits zur Arbeit begeben hatte, in der Wohnung der Wohnungswirtin des Klägers „Vogelhüttendeich Nr. 164 Wilhelmsburg" (Hamburg) abgegeben und dort von einem anderen Mieter in Empfang genommen und in die Küche gelegt. An demselben 2. No-
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vember, wie der Kläger behauptet, etwa um 9 Uhr morgens, erhielt der Beklagte von Lübeck telegraphisch die der Wahrheit entsprechende Mitteilung, daß das Los Nr. 33451 mit einem Gewinne von 100000 M. gezogen sei. Auf Ve Los entfiel davon planmäßig der Betrag von 10416,07 M. Nach Empfang dieser Nachricht schickte der Beklagte seinen Angestellten V. nach der Wohnung des Klägers, und V. veranlaßte — nach der Behauptung des Klägers durch unwahre Angaben — die Wohnungswirtin des Klägers, das oben erwähnte, an den Kläger adressierte Schreiben, das noch nicht in die Hände des Klägers gelangt, sondern in der Küche auf dem Tische liegen geblieben war, auszuliefern. Der Kläger will mittags, vielleicht erst abends nach Hause gekommen sein und nach Briefen gefragt haben. Er behauptet — und hat sich bereit erklärt, dies zu beschwören —, daß er das angebotene Los gespielt haben würde, und hat Beweis dafür angeboten, daß er in früheren Fällen, wenn das von ihm gespielte Los gezogen worden sei, fur dieselbe Lotterie, und zwar in derselben Klasse, ein neues Los genommen habe. Er beruft sich auch darauf, daß Beklagter schon nach der Stadtgegend der Wohnung des Klägers habe wissen und damit rechnen müssen, daß er mit einem Arbeiter kontrahiere, der bei Austragung der ersten Post schon zur Arbeit gegangen sei. Er verlangt mit der erhobenen Klage die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 10416,07 M. nebst 4% Zinsen seit der Klagerhebung. Der Beklagte begehrt die Abweisung der Klage und bestreitet die erwähnten An- und Ausführungen des Klägers. Vom Landgericht wurde auf Abweisimg der Klage, und vom Oberlandesgericht auf Zurückweisung der Berufung des Klägers erkannt. Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des Oberlandesgerichtes aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden aus folgenden Gründen: „Das Berufungsgericht läßt es dahingestellt, ob die erhobene Klage „als eine auf das Interesse gerichtete Vertragsklage oder als eine Schadenersatzklage, gestützt auf die Behauptung, daß Beklagter durch eine unerlaubte Handlung den Erwerb des Loses durch den Kläger gehindert habe", aufzufassen sei, weil sie in beiden Fällen sich als imbegründet darstelle. Es wird ausgeführt : was Kläger durch Annahme des ihm übersandten Loses habe erwerben sollen, sei die Möglichkeit, einen Gewinn imbestimmter Höhe zu machen; mit der Ziehung habe das Los wirtschaftlich und damit auch für die rechtlichen Beziehungen eine ganz andere Bedeutung erlangt und nunmehr ein Forderungsrecht auf einen bestimmten Betrag repräsentiert, und deshalb sei der Beklagte an sein Angebot, wegen der vor der Annahme erfolgten Ziehung des Loses, nicht mehr gebunden gewesen. Diesen im wesentlichen mit der Begründung des landgerichtlichen Urteils übereinstimmenden Ausführungen kann jedoch nicht beigepflichtet
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werden. Im allgemeinen mag es richtig sein, daß das Angebot eines noch nicht gezogenen Lotterieloses durch Ziehung des Loses vor erfolgter Annahme des Angebotes hinfällig wird. (Vgl. G. C o h n , Die Lotterie etc., in E n d e m a n n , Handbuch des deutschen Handelsrechts Bd. 3 S. 56; B e n d e r , Das Lotterierecht S. 66.) Stets muß aber doch in erster Linie darauf gesehen werden, wie im gegebenen einzelnen Falle das Losangebot gemeint war. — Nach der Mitteilung, die das Schreiben des Beklagten vom 1. November 1900 enthielt, hatte die Ziehung begonnen und dauerte noch bis zum 22. November. Wenn nun ferner der Beklagte erklärte, daß er nur in dem Falle den Kläger als rechtmäßigen Eigentümer des beifolgenden Loses betrachten und sein (des Klägers) Anrecht auf einen eventuellen Gewinn wahren könne, wenn Kläger ihm sofort bei Empfang des Schreibens das vorher gespielte Los zusende, so war damit in ganz unzweideutiger Weise gesagt, daß zwar nur in dem bezeichneten Falle, aber doch unter allen Umständen in diesem Falle, also auch, wenn inzwischen ein Gewinn auf das Los gefallen sein würde, der Kläger Eigentümer des Loses und der auf den Gewinn Berechtigte sein solle. Wollte der Beklagte das nicht, so mußte er einen entsprechenden ausdrücklichen Vorbehalt machen, und an einem solchen fehlt es. Die Erwägungen, aus denen in den Vorinstanzen zu Ungunsten des Klägers entschieden worden ist, sind demnach nicht für zutreffend zu erachten. Der Revisionsbeklagte hat aber die Ansicht vertreten, daß die getroffene Entscheidung selbst sich schon aus folgenden Gründen rechtfertige. Aus den bereits feststehenden Tatsachen ergebe sich, daß zu der Zeit, als Beklagter sich den von ihm abgesandten Brief wiederverschafft habe, das darin enthaltene Vertragsangebot noch gar nicht zur Kenntnis des Klägers gelangt gewesen sei; wie bereits der V. Zivilsenat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 26. Oktober 1901 (zum Teil abgedruckt in der Jurist. Wochenschr. 1901 S. 866) entschieden habe, sei ein Vertagsangebot demjenigen, dem es gemacht werden solle, erst dann zugegangen, wenn es zu dessen Kenntnis gekommen sei; folglich habe sich der Beklagte seinen Brief zu einer Zeit wieder verschafft, als er noch nicht an das darin enthaltene Vertragsangebot gebunden gewesen sei. Auch diese Schlußfolgerung muß als eine irrige bezeichnet werden; ihr Ausgangspunkt ist unrichtig. Wählt jemand für die Mitteilung eines Vertragsangebotes das Mittel eines verschlossenen Briefes, so ist richtiger Ansicht nach das Angebot dem Adressaten schon „zugegangen" im Sinne des § 130 BGB., sobald der Brief in verkehrsüblicher Art in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Adressaten oder eines anderen, der ihn in der Empfangnahme von Briefen vertreten konnte, gelangt, und ihm in dieser Weise die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft ist. (Vgl. C o s a c k , Lehrbuch des deutschen bürgerlichen Rechts Bd. 1 § 59 II l a ; R e h b e i n , Das Bürgerliche Gesetzbuch Bern. I, 3 zu den §§ 116—124.) Etwas davon Abweichendes ist auch nicht in dem vom Revisionsbeklagten angezogenen Urteil entschieden worden. Für dieses Urteil handelte es sich, wie in den Gründen ausdrücklich hervor-
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gehoben wird, nicht um einen Fall, auf den der § 130 BGB. Anwendung finden konnte, und deshalb wurde es für g e n ü g e n d erachtet, daß das Vertragsangebot zur Kenntnis dessen gelangt war, für den es bestimmt war. Im vorliegenden Falle ist der an den Kläger gerichtete Brief des Beklagten in der Wohnung der Wohnungswirtin des Klägers abgegeben worden, und da unbedenklich angenommen werden kann, daß diese zur Empfangnahme von Briefen für ihn befugt war, so muß davon ausgegangen werden, daß das in dem Brief enthaltene Angebot dem Kläger am Morgen des 2. November zugegangen ist, und daß mit diesem Zeitpunkt die Gebundenheit des Beklagten an sein Angebot eintrat. Ausdrücklich angenommen hat indes der Kläger dieses Angebot nicht, und selbstverständlich war die in der Klageerhebung etwa zu findende Annahme eine verspätete. Es fragt sich aber, ob sich nicht der Kläger mit Erfolg auf den § 823 BGB. berufen kann. Der dem Kläger zugegangene Vertragsantrag begründete für ihn die rechtliche Befugnis, durch Annahme des Antrages den Lotterievertrag zum Abschluß zu bringen und damit den Anspruch aus dem Vertrage zu erwerben. Hat der Beklagte es vorsätzlich oder fahrlässig verursacht, daß der Kläger von dieser rechtlichen Befugnis keinen Gebrauch gemacht hat, so fällt ihm eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 BGB. zur Last. Ob hier außerdem auch die Bestimmung des § 162 Abs. 1 BGB. herangezogen werden könnte, braucht nicht erörtert zu werden, da die Voraussetzungen ihrer Anwendbarkeit g e r i n g e r e als die für die Anwendbarkeit des § 823 hier nicht sind. Nicht zugegeben werden kann, daß der Anspruch des Klägers schon jetzt deshalb für hinfällig zu erachten sei, weil sich aus seinem eigenen Sachvortrage ergibt, daß er das Vertragsangebot des Beklagten, wenn überhaupt, nicht vor der Mittagszeit, vielleicht nicht vor dem Abend des 2. November angenommen haben würde. Allerdings sollte nach dem Schreiben des Beklagten der Kläger als Eigentümer des ihm zugesandten Loses und als der auf den etwaigen Gewinn Berechtigte nur dann betrachtet werden, wenn er „sofort bei Empfang" des Schreibens das gespielte Los zurücksandte (und damit die Annahme des Angebotes zu erkennen gab). Das darf aber nicht dahin verstanden werden, daß mit der nächsten Post nach dem Zugehen des Schreibens die bezeichnete Zurücksendung erfolgen sollte. Als ausgeschlossen erscheint dies schon deshalb, weil für den Durchschnitt der Fälle überhaupt der Beklagte bei der Absendung seiner Schreiben nicht erwarten konnte, daß der Empfänger zu einer so schleunigen Zurücksendung imstande sein würde, vollends aber dann, wenn der Beklagte hier damit rechnen mußte, daß er es mit einem Arbeiter zu tun hatte, der nach den Lebensgewohnheiten, die sein Arbeitsberuf mit sich brachte, nicht in der Lage war, vor der Mittagszeit oder vor dem Abend des Empfangstages das Verlangte zu tun. Zur Entscheidung reif ist übrigens der Rechtsstreit noch nicht; es bedarf zur Beantwortung der Frage, ob ein unter den § 823 BGB. fallender Tatbestand vorliegt, noch einer weiteren Aufklärung des Schverhaltes." . . . Zivils.
Allgem.
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G
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82 R G Z . 51, 281
Unterschied zwischen dem Irrtum über den Inhalt einer E r · klärung und über die Rechtsfolgen einer solchen.
BGB. § 119. VII. Zivilsenat. Urt. v. 9. Mai 1902. I. Landgericht Münster.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Aus den G r ü n d e n : „Die Firma R. & S. hatte am 8. September 1899 mit der Klägerin einen Vertrag abgeschlossen, wonach für einen näher bestimmten Preis von der letzteren der ersteren 500 Stück Nessel zu liefern waren. Diese Lieferung war in Ansehung von 404 Stück bis zum 19. Januar 1901, an welchem Tage über das Vermögen der Käuferin der Konkurs eröffnet wurde, erfolgt, ohne daß der entsprechende Kaufpreis gezahlt worden war. Der in dem Konkurse bestellte Verwalter richtete durch Schreiben vom 21. und 26. Januar sowie vom 1. Februar 1901 an die Klägerin das Verlangen auf Lieferung von 78 Zentimeter Nessel, indem er diese Quantität als rückständig, bzw. als solche bezeichnete, welche die Klägerin für die Konkursfirma noch in Nota habe. Er begründete in dem letzten der erwähnten Schreiben seinen Antrag durch Berufung auf § 17 KO. Unter dem 2. Februar 1901 antwortete die Klägerin dem Konkursverwalter, daß dieser nach jener Gesetzesbestimmung auch die rückständige Leistung der Gemeinschuldnerin zu erfüllen habe; erst nachdem diese Zahlung erfolgt, werde die Lieferung des Restes der Ware geschehen. Umgehend teilte darauf der Konkursverwalter der Klägerin mit, daß er sich bei Stellung seines Erfüllungsverlangens in einem Irrtum befunden habe, und solches damit anfechte. Mit der gegenwärtigen, gegen den Konkursverwalter gerichteten Klage hat nun die Klägerin den Kaufpreis für die von ihr vor der Konkurseröffnung gemachten Lieferungen verlangt. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten, indem er vorgebracht hat: er habe sich bei Ausübung des Wahlrechtes (§17 KO.) in einem rechtlich bedeutsamen Irrtum befunden; es sei ihm nämlich nichts von Ansprüchen der Klägerin für bereits gemachte Lieferungen bekannt gewesen; ihm habe nie die Absicht beigewohnt, die Konkursmasse, ohne daß diese noch eine Gegenleistung erhalte, mit einer Forderung zu belasten. In dieser Richtung ist Zeugenbeweis erhoben. Danach haben der eine Mitinhaber der gemeinschuldnerischen Firma und der Prokurist derselben dem Beklagten, als dieser solche wegen Fortführung des Geschäftes zu Rate zog, in bezug auf das Verhältnis zu der Klägerin nicht gesagt, daß letztere den in Frage stehenden Vertrag bereits in Ansehimg des größten Teiles der übernommenen Lieferungen erfüllt gehabt. Der Beklagte ist von jenen Personen dazu, die Lieferung von der Klägerin zu verlangen, veranlaßt worden, damit dem Geschäfte noch neue Waren, deren Preis
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inzwischen gestiegen, zugeführt, und der Konkursmasse ein beträchtlicher Gewinn bereitet werde. Die Vorinstanzen haben auf Grund des Einwandes des Beklagten die Klage abgewiesen. Von dem Berufungsgerichte ist ausgeführt: nach § 119 BGB. sei zur Anfechtung einer Erklärung wegen Irrtums erforderlich einmal Irrtum über den Inhalt oder über Eigenschaften der Person oder Sache, zweitens daß die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben sein würde. Das zweite Erfordernis sei nach der Beweisaufnahme unzweifelhaft gegeben. In ersterer Beziehimg komme in Betracht, daß der Unterschied zwischen Irrtum im Wesen der Sache und im Beweggrunde nach den Motiven des Bürgerlichen Gesetzbuches mit Absicht aufgegeben sei. Dagegen habe anerkannt werden sollen, daß der Irrtum über den Gegenstand dem Irrtum über den Inhalt gleichstehe. Im vorliegenden Falle habe der Beklagte den Rest von den nach dem Vertrage zu liefernden 500 Stück Nessel verlangt. Die Erklärung habe sich also avi diesen bestimmten und begrenzten Gegenstand bezogen. Wirkung habe die Erklärung aber für den ganzen ursprünglichen Vertragsgegenstand gehabt. Der vom Beklagten geltend gemachte und anzuerkennende Irrtum betreffe also den Gegenstand und damit den Inhalt der Erklärung. Dem § 121, wonach die Anfechtung unverzüglich zu erfolgen hat, sei genügt. Diese Darlegungen müssen in dem Hauptpunkte für rechtsirrtümlich erachtet werden. Zutreffend ist auf die Beurteilung des Falles, soweit der Einwand des Beklagten in Frage stand, das Bürgerliche Gesetzbuch angewandt, da die selbständigen Tatsachen, auf welche der Einwand gestützt ist, in die Zeit nach dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes fallen. Dagegen kann der Vorinstanz insoweit nicht beigetreten werden, als ein rechtlich bedeutsamer Irrtum deshalb als vorliegend angenommen ist, weil der Beklagte mit dem Verlangen der Restlieferung einen bestimmten Gegenstand im Auge gehabt habe und nur für diesen habe eine Wirkung hervorrufen wollen, während in Wirklichkeit durch die Erklärung Wirkung für den ganzen ursprünglichenVertragsgegenstand eingetreten sei. D e m n a c h würde bestimmend fur das Vorgehen des Beklagten die Unkenntnis gewesen sein, daß seine Erklärung die letzt erwähnte Wirkung haben werde. Dieser Irrtum aber betrifft die Rechtsfolgen des G e s c h ä f t e s . Das schließt aus, hier von einem Irrtum, auch von einem im Beweggrunde, über den I n h a l t oder, wie man auch mit dem Berufvingsgerichte sagen kann, den G e g e n s t a n d des Geschäftes, wie doch erforderlich (vgl. Planck, Bürgerliches Gesetzbuch Bd. 1 Bern. 2 a zu § 119), zu sprechen. Muß demnach das Urteil aufgehoben werden, so ist doch die Zurückverweisung an die Vorinstanz geboten, damit eine Prüfung erfolge, ob nicht nach der Sachlage Raum für die Annahme, daß ein andersartiger, zur Anfechtung ausreichender Irrtum vorliege, gegeben sei. Es kann in dieser Beziehimg ein Hinweis auf die Gründe des Landgerichts erfolgen. Dieses hat auf der von ihm gewonnenen t a t s ä c h l i c h e n G r u n d l a g e , daß der Beklagte in Unkenntnis von der Tatsache gehandelt, daß sein Erβ·
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füllungsverlangen einen Vertrag betreffe, der bereits zum größten Teile und überdies noch ohne Erfüllung der Gegenleistung erfüllt gewesen sei, angenommen, der Beklagte habe in dem Glauben gehandelt, die ganze Leistung eines noch nicht erfüllten selbständigen Vertrages in Anspruch zu nehmen. Die vorgestellte Leistung sei sonach nicht der in Wirklichkeit geforderten gleich, vielmehr beide Objekte völlig verschieden gewesen. Daher liege ein Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung vor, und sei somit § 119 anzuwenden." . . . R G Z . 55, 367 ι . K a n n der Verkäufer auf Grund eines Rechenfehlers in seiner Freiskalkulation einen Kaufvertrag wegen Irrtums anfechten ? 2. H a n d e l t ein Käufer gegen die guten Sitten, w e n n er auf E r f ü l l u n g eines Kaufgeschäftes besteht, obgleich er zu einer Zeit, als er n o c h ohne Schaden in dessen A u f h e b u n g einwilligen konnte, von e i n e m Rechenfehler in der Preiskalkulation des Verkäufers Kenntnis erlangt hat ?
BGB. §§ 119. 826. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 16. Oktober 1903. I. Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Auf Ersuchen der Beklagten um „billigste Preisofferte" auf Roheisen Englisch III für eine Privatsubmission telegraphierte die Klägerin ihr am 5. März 1900: „8,90 Drahtantwort". Noch an demselben Tage bestätigte sie brieflich, der Beklagten „1000 Tons Englisch I I I 8,90 M. pr. 100 Kilo offeriert zu haben". Am 6. März telegraphierte sie der Beklagten: „Gestrige Offerte beruht Irrtum, mußte 9,35 lauten, wie Sie aus Konkurrenzofferten bemerkt haben werden". Bevor die Beklagte dieses Telegramm erhielt, hatte sie der Klägerin das Telegramm gesandt: „Acceptieren 1000 Tons Englisch III 8,90". Die Klägerin weigerte sich, zum Preise von 8,90 M. für 100 Kilo zu liefern, indem sie geltend machte, ihre Preisforderung beruhe auf einem Kalkulationsfehler bzw. einem Schreibfehler. Die Beklagte bestand aber auf Lieferung zum Preise von 8,90 M. Die Parteien einigten sich dahin, daß das Geschäft zur Ausführung, und die Frage, ob die Klägerin an ihre Offerte von 8,90 M. gebunden sei, gerichtlich zum Austrage gebracht werden solle. In der Vereinbarung ist bestimmt, „daß die Differenz zwischen dem offerierten und dem bestätigten Preise (9,35 — 8,90 M.) eingeklagt werde". Die Klägerin klagte denn auch diese Differenz zunächst bezüglich einer Teillieferung ein. In diesem Vorprozesse der Parteien fand ein Zeugen-, bzw. Sachverständigenbeweis über die Behauptungen der Klägerin statt, daß in der Preiskalkulation ein Rechenfehler untergelaufen sei und daß die Beklagte vor Annahme der Offerte habe erkennen müssen und auch erkannt habe, daß die Preisforderung, die erheblich unter dem Tagespreise geblieben
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sei, auf einem Irrtume beruhe. Ferner haben die Inhaber der verklagten Firma den ihnen auferlegten richterlichen Eid geleistet, daß sie vor der Annahme der klägerischen Offerte nicht erkannt hätten, daß der in der Offerte gestellte Preis auf einem Irrtume beruhe. Hierauf wurde die Klage abgewiesen. Mit neuer Klage verlangte die Klägerin die Differenz bezüglich der Restlieferungen, und das Landgericht erkannte nach dem Klagantrage; dagegen wies das Oberlandesgericht die Klage ab, und die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „I. Das Berufungsgericht hat die Anfechtung des Kaufgeschäftes wegen Irrtums mit der Begründung zurückgewiesen, der Rechenfehler, der angeblich bei der Preiskalkulation untergelaufen sei und der Preisofferte der Klägerin zugrunde liege, sei nach § 119 BGB. nicht beachtlich. Denn man könne nicht sagen, daß die Klägerin die Erklärung, wie sie in der Offerte vorliege, überhaupt nicht habe abgeben wollen und daß das irgendwie veranlaßte Sichverrechnen bei der Kalkulation des Preises einem Sichversprechen oder Sichverschreiben bei der nachfolgenden Willenserklärung, der die Forderung des Preises enthaltenden Offerte, gleichzustellen sei. Auch habe die Klägerin sich bei der Abgabe dieser Willenserklärung über deren Inhalt nicht im Irrtum befunden. Vielmehr liege die Sache nur so, daß die Klägerin durch die irrtümliche Berechnung zur Forderung des Preises von 8,90 M. bewogen worden sei, daß sie aber diesen Preis, als sie ihn forderte, wirklich habe fordern wollen, und daß somit Wille und Erklärung völlig übereinstimmten. Die Revisionsklägerin bekämpft diese Entscheidung mit der Behauptung, der Begriff des Irrtums im Sinne des § 119 BGB. sei verkannt. Wenn der Erklärende — so führt sie aus — den Inhalt der Erklärung auf Grund irriger Vorstellungen von demselben zwar gewollt habe, ihn aber ohne den Irrtum nicht gewollt hätte, so sei der Wille innerlich anders, als er äußerlich erscheine, in Wahrheit also gar nicht so da, wie er für das Rechtsgeschäft erforderlich wäre. Sie habe nun aber eine Erklärung des Inhaltes, wie sie sie abgegeben habe, nicht abgeben wollen. Deshalb sei der Tatbestand des § 119 BGB. vorhanden. Die Rüge ist nicht gerechtfertigt. Die Rücksicht auf die Sicherheit des rechtsgeschäftlichen Verkehrs läßt nicht zu, jedem bei einer Willenserklärung untergelaufenen Irrtum Einfluß auf die Gültigkeit der Erklärung beizumessen. Deshalb berechtigt der Irrtum gemäß § 119 BGB. zur Anfechtimg einer Willenserklärung nur dann, wenn der Erklärende bei der Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrtum war oder eine Erklärung dieses Inhaltes überhaupt nicht abgeben wollte, und anzunehmen ist, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Dem Irrtum über den Inhalt der Erklärung ist der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache gleichgestellt, die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. Der § 119 setzt somit einen Mangel der Übereinstimmung des Willens mit der Erklärung voraus.
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Dieser Zwiespalt zwischen Willen und Erklärung kann seinen Grund darin haben, daß b e i der Erklärung des Willens ein Irrtum unterläuft, welcher bewirkt, daß die Erklärung der beabsichtigten Willenskundgebung nicht entspricht (Irrtum in der Erklärungshandlung), oder darin, daß die Erklärung den Willen zwar wiedergibt, der Wille aber auf falscher Vorstellung beruht, welche die Willenswirklichkeit ausschließt (Irrtum über den Inhalt der Erklärung). Unter den Irrtum in der Erklärungshandlung fallen die Fälle des Sichversprechens, des Sichverschreibens, kurz alle die Fälle, in welchen mit der Erklärung ein anderer Sinn verbunden wird, als dem gewählten Ausdrucke des Willens zukommt (vgl. Motive Bd. 1 S . 196). Im Falle der ersten Alternative des § 119 muö die irrige Vorstellung auf einen Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Tatbestandes, auf den s a c h l i c h e n I n h a l t der Erklärung sich beziehen. Der Irrtum über Umstände, welche außerhalb des Rahmens der Willenserklärung liegen, ist kein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119. Der angebliche Irrtum in der Preisberechnimg, der die Klägerin zu der späteren Offerte von 8,90 M. statt 9,35 M . veranlaßt haben soll, ist nun aber weder ein Irrtum in der Erklärungshandlung, noch ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung. Denn Klägerin wollte in Wirklichkeit den Preis von 8,90 M . fordern, den sie gefordert hat ; auch war ihr die Höhe und die Bedeutimg des geforderten Preises völlig klar. Mithin bestand ein Irrtum über den Inhalt der Offerte nicht, sondern Wille und Erklärung stimmten in beiden rechtserheblichen Beziehungen überein. Der Irrtum in der Preiskalkulation betrifft vielmehr nur einen der Preisofferte vorausgegangenen, a u ß e r h a l b des Rahmens der rechtsgeschäftlichen Erklärungen liegenden Umstand, wodurch die Klägerin b e w o g e n worden ist, die Offerte auf Grundlage ihrer Preiskalkulation zu machen und nicht einen höheren Preis zu fordern, als sie gefordert hat. Ein solcher Irrtum im B e w e g g r u n d e kann aber nach § 119 keine Beachtung finden, da die Preiskalkulation der Klägerin in keiner Weise zum Gegenstande der rechtsgeschäftlichen Erklärungen der Parteien gemacht worden ist. 2. Den Versuch der Klägerin, die Klage aus dem Gesichtspunkte des § 826 B G B . zu begründen, hat das Berufungsgericht aus zwei Gründen zurückgewiesen, nämlich zunächst schon um deswillen, weil die Parteien nach dem klägerischen Widerrufe der Offerte dahin übereingekommen seien, daß das Geschäft zur Ausführung gebracht, und die Frage, ob die Klägerin an ihre Offerte von 8,90 M. gebunden sei, gerichtlich zum Austrage gebracht werden solle. Gemäß dieser V e r e i n b a r u n g sei aber nur darüber zu entscheiden, ob die Klägerin zur Anfechtung des auf Grund ihrer Offerte von 8,90 M. geschlossenen Kaufes wegen Irrtums oder wegen unsittlicher Ausnutzung des Irrtums durch die Beklagte berechtigt sei, oder nicht. Lediglich von dieser Entscheidung hänge es ab, ob der Preis von 9,35 M . , oder von 8,90 M. maßgebend sei. Deshalb sei für die Anwendbarkeit des § 826 B G B . kein Raum. Sodann hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Voraussetzungen des § 826 seien auch nicht vorhanden. Zwar begründe die vorsätzliche und unsittliche Schädigung eines anderen, auch
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wenn sie formal gesetzlich sein möge, gemäß § 826 eine Ersatzpflicht. Eine solche vorsätzliche Ausnutzung einer formal gesetzlichen Rechtslage zum Schaden eines anderen sei aber in dem vorliegenden Falle, in dem ein durch Willenseinigung der Parteien zustande gekommenes, gutgläubig erworbenes Vertragsrecht der Beklagten begründet sei, nicht gegeben. Das Landgericht stelle zwar den Satz auf, daß es gegen die guten Sitten und insbesondere gegen die sittlichen Anschauungen aller achtbaren Kaufleute verstoße, wenn ein Kontrahent eine Rechtslage, welche durch ein Versehen des Gegenkontrahenten geschaffen sei und diesem Schaden bringe, festhalte und ausnutze, obwohl er zu einer Zeit, als noch res integra vorhanden gewesen, d. h. nur die Aufgabe von Vorteilen, nicht die Bringung von Opfern ihm zugemutet worden sei, in überzeugender Weise von dem Versehen des Gegenkontrahenten Kenntnis erlangt habe. Die Anwendung dieses Satzes würde aber zu einer unleidlichen Unsicherheit im Handelsverkehre führen. In einem Falle dieser Art möge ein vornehm denkender Käufer auf die Ausführung des Geschäftes verzichten; dagegen könne es nicht als unsittlich und unanständig angesehen werden, wenn der Käufer auf Ausführung des von ihm in loyaler Weise abgeschlossenen Vertrages bestehe. Die Revisionsklägerin greift die Entscheidung in beiden Richtungen an und vertritt dem letzteren Erwägungsgrunde gegenüber die Auffassung des Landgerichts unter besonderer Hervorhebung des Umstandes, daß die Beklagte den Zuschlag bei der Submission gar nicht erhalten und somit die Ware zu dem beabsichtigten Zwecke nicht nötig gehabt habe. Ob bei einer den §§ 133 und 157 BGB. entsprechenden Auslegung der fraglichen Vereinbarung der Parteien auch dem ersten Entscheidungsgrunde beizutreten wäre, kann dahingestellt bleiben, da das Berufungsurteil durch den selbständigen zweiten Entscheidungsgrund getragen wird. Zugunsten der Revisionsklägerin und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 48 S. 124), von der abzugehen kein Grund vorliegt, hat das Berufungsgericht in dem Falle einer vorsätzlichen unsittlichen Schädigung eines anderen den § 826 auch dann für anwendbar erklärt, wenn die Schädigung eine formal gesetzliche ist. Die weitere Erwägung, daß im vorliegenden Falle eine solche vorsätzliche Schädigung der Klägerin nicht vorliege, daß es sich vielmehr um die Ausübung eines gutgläubig erworbenen Vertragsrechtes handele, ist, soweit tatsächlicher Natur, der Nachprüfimg des Revisionsgerichts entzogen und läßt einen Rechtsirrtum nicht erkennen, zumal da die Beklagte nach Annahme des Berufungsgerichts an der Ausübung ihres vertraglichen Rechtes das berechtigte Interesse hatte, der Mühe und der Gefahr überhoben zu sein, die Ware sich anderweitig, möglicherweise zu höherem Preise, beschaffen zu müssen. Auch ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht in seinen Ausführungen, unter grundsätzlicher Mißbilligung des gegenteiligen Standpunktes des Landgerichtes, zwischen der Handlungsweise eines vornehm denkenden Käufers und der im Handelsverkehr üblichen Art sittlicher und anständiger Abwicklung der Geschäfte
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eine Unterscheidung macht. Alit dieser Unterscheidung ist der Begriff der guten Sitten im Sinne des § 826 nicht verkannt. Im Interesse der Sicherheit des Rechtsverkehrs muß an dem Grundsatze festgehalten werden, daß Verträge tunlichst aufrecht zu erhalten sind. Unverkennbar würde aber eine bedenkliche Unsicherheit im Handelsverkehre Platz greifen, wenn die vom Landgerichte vertretene Auffassung Anerkennung fände, so daß ein Käufer mit der Möglichkeit eines Rechenfehlers in der Preiskalkulation des Gegners oder mit ähnlichen Umständen rechnen müßte, welche bei den Vertragsverhandlungen nicht zur Sprache gekommen sind und deshalb auch nicht in den Kreis seiner Erwägungen gezogen werden konnten. So wünschenswert es auch sein mag, so läßc sich doch im Rechtsverkehre nicht die Forderung aufstellen, daß die Kontrahenten gegenseitig vornehmen Sinn und sog. Kulanz betätigen; vielmehr wird man mit der Forderung sich begnügen müssen, daß im Geschäftsleben gute Sitten herrschen, und daß als Maßstab dafür, was gute Sitte ist, die Auffassung zu gelten hat, welche im sittlichen Volksbewußtsein begründet ist und dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden entspricht. Wie eine niedrige Denk- und Handlungsweise, selbst wenn sie in einzelnen Volksschichten die herrschende sein sollte, immer Unsitte bleibt und nicht gute Sitte wird, ebensowenig kann die v o r n e h m e Gesinnung, durch die sich gewisse Kreise oder Personen auszeichnen, für die Begriffsbestimmung der guten Sitten im Rechtssinne den Maßstab bilden. Zwischen der Handlungsweise eines v o r n e h m e n Käufers und derjenigen eines Käufers, der im Geschäftsverkehre den Anforderungen der Redlichkeit und des Anstandes genügt, liegt ein Spielraum, der in den Grenzen der guten Sitten sich bewegt. Mit Recht hat hiernach das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 826 BGB. verneint."
R G Z . 56, 423 Kann, w e n n mehrere zur Anfechtung eines gemeinschaftlichen Rechtsgeschäfts nach § 123 B G B . berechtigt sind, das A n fechtungsrecht von jedem zu seinen Gunsten ausgeübt werden ?
BGB. § 123. I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 5. Januar 1904. I. Landgericht Kassel.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Durch Kaufvertrag vom 9. Mai 1902 kauften der Beklagte und G. von den Klägern deren Weinhandlung. An die Stelle des G. trat am 15. Juli 1902 mit Genehmigung der Kläger H. in den Vertrag ein. Der auf Zahlung eines Teils des Kaufpreises allein verklagte Käufer R. erklärte, daß er den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung von Seiten der Verkäufer aus § 123 BGB. anfechte. Auf die Revision des in beiden Vorinstanzen unterlegenen Beklagten R. wurde das Berufiingsurteil aus hier nicht weiter erheblichen
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Gründen aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Die Revisionsbeklagten hatten unter anderem geltend gemacht, die Anfechtungserklärung des Beklagten R. sei unwirksam, weil nur er a l l e i n die Anfechtung erklärt habe. Dieser rechtliche Einwand wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „Die Revisionsbeklagten haben . . . noch den Einwand erhoben, die Anfechtungserklärung des Beklagten und Revisionsklägers sei unwirksam, weil nur er allein die Anfechtung erklärt habe, während in einem Falle wie dem gegebenen, wenn angeblich die zwei Mitkäufer durch arglistige Täuschung zum Vertragsabschlüsse bestimmt sein sollen, und danach zwei Anfechtungsberechtigte vorhanden seien, die Anfechtung des Kaufgeschäftes nur durch die beiden Käufer gemeinschaftlich geschehen könne. In der Literatur zum Bürgerlichen Gesetzbuch wird insbesondere von H e l l w i g , Anspruch und Klagerecht S. 189 zu Anm. 29—32, — ähnlich auch E n d e m a n n , Lehrbuch des bürgerlichen Rechts (8. Aufl.) Bd. 1 § 75 Anm. I I S . 373 oben — die Ansicht vertreten, daß bei Mehrheit von Anfechtungsbereclitigten die Ausübung des Anfechtungsrechts nur durch alle geschehen könne. Diese Ansicht wird gerechtfertigt mit einer analogen Anwendung der Vorschriften der §§ 356 und 467 BGB. bezüglich des Rücktrittsrechts und der Wandelung sowie der §§ 502 und 513 BGB. bezüglich des Wiederkaufs- und Vorkaufsrechts, wonach die Ausübung der dort geregelten Rechte des rechtlichen Könnens nur durch alle Berechtigten geschehen kann. Der erkennende Senat tritt dieser Ansicht nicht bei; er nimmt an, daß bei Mehrheit der Anfechtungsberechtigten die Ausübung des Anfechtungsrechts nur durch den einen derselben zu dessen Gunsten wirkt, unabhängig von einer Ausübung des Anfechtungsrechts durch den anderen. Das ergibt sich aus dem Wesen der Anfechtung und aus dem Fehlen einer Gesetzesvorschrift bei der Anfechtung, die deren Ausübung bei Mehrheit der Anfechtungsberechtigten in gleicher Weise regelt, wie in den bezogenen Gesetzesstellen die Ausübung der oben benannten Rechte des rechtlichen Könnens bei Mehrheit der Berechtigten geregelt ist. Die Annahme, diese gesetzlichen Bestimmungen seien Ausf luß einer allgemeinen Regel, die für alle Fälle anzuwenden sei, in denen mehreren in schlichter Gemeinschaft ein Recht des rechtlichen Könnens zustehe, entspricht nicht dem Gesetze." . . .
R G Z . 57, 95 Unter welchen Voraussetzungen ist der wucherliche Charakter eines obligatorischen Vertrages und die infolge davon eintretende Nichtigkeit desselben auch für das zur E r f ü l l u n g des Vertrages eingegangene dingliche Rechtsgeschäft anzunehmen ?
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BGB. § 138. VII. Zivilsenat. Urt. v. 19. Februar 1904. I. Landgericht Karlsruhe.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Kläger hatte von der Frau W. und dem Fräulein N. eine Anzahl von Gegenständen gekauft, sich auch das Eigentum an denselben übertragen lassen, sie aber im Besitz der Verkäuferinnen belassen. Als sie für den Beklagten im Wege der Zwangsvollstreckung gepfändet wurden, erhob er Klage auf Freigebimg. Beklagter behauptete wucherlichen Charakter des Geschäfts, stellte auch eine auf Feststellung der Nichtigkeit des Geschäfts gerichtete Widerklage an. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, und der Widerklage stattgegeben. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos. Auch die Revision ist zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : . . . „Der Kläger macht dem Berufungsrichter speziell den Vorwurf, übersehen zu haben, daß das Bürgerliche Gesetzbuch, ebenso wie bei dem Immobiliarkauf, auch bei dem Mobiliarkauf unterscheide zwischen dem obligatorischen Vertrage und dem dinglichen Vertrage. Er fuhrt aus, die Eigentumsübertragung bestehe unter allen Umständen zu Recht, und wenn das unterliegende obligatorische Geschäft wucherlich usw. sei, so erhalte nur der übertragende Eigentümer einen obligatorischen Ausgleichungsanspruch, bzw. einen obligatorischen Anspruch auf Rückübertragung des Eigentums. Insbesondere bezieht der Revisionskläger sich auf die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch Bd. 1 S. 127, sofern dort die besondere Bedeutung der in dem Entwürfe durchgeführten Scheidung zwischen obligatorischen und dinglichen Rechtsgeschäften betont ist. Der Angriff geht fehl. Aus der Nichtigkeit eines auf Sachleistungen gerichteten obligatorischen Vertrags folgt allerdings nicht nüt Notwendigkeit die Nichtigkeit des dinglichen Rechtsgeschäfts, durch welches die Leistungen bewirkt werden, auch dann nicht, wenn beide Geschäfte gleichzeitig stattfinden, und wenn sie miteinander vereinigt sind. Beide gehören verschiedenen Rechtsgebieten an; das eine bezweckt nur relative, unter den Beteiligten bestehende Rechtsbeziehungen, während das andere absolut und nach allen Seiten hin zu wirken bestimmt ist. Findet hiernach rechtsbegrifflich eine Abhängigkeit des dinglichen Geschäfts von dem obligatorischen nicht statt, so wird doch häufig, insbesondere gerade im Fall der Gleichzeitigkeit der Geschäfte, von den Kontrahenten eine Abhängigkeit in Gestalt der Bedingtheit des dinglichen Geschäfts von der rechtlichen Wirksamkeit des obligatorischen gewollt sein, und der Verwirklichung dieses Parteiwillens stellt das Gesetz Hindernisse nicht entgegen. Das dingliche Geschäft ist nicht dergestalt formal, daß es nicht kraft Parteiwillens in angegebener Art in ein Abhängigkeitsverhältnis zu dem obligatorischen gesetzt werden könnte. Im vorliegenden Fall ist zwar ein solcher Wille vom Berufungsrichter nicht
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ausdrücklich festgestellt, und wenn deshalb auch von Heranziehung des hervorgehobenen Gesichtspunktes abzusehen sein mag, so muß doch entscheidend sein, daß Kläger, was die Revision unbeachtet läßt, unter Ausbeutung der oben hervorgehobenen Umstände nicht nur das Versprechen der Eigentumsübertragung, sondern auch diese letztere selbst erlangt hat; auch sie bildet einen Vorteil, welcher sich als ein unmittelbarer und gewollter Erfolg seines gegen die guten Sitten verstoßenden Handelns darstellt. Das obligatorische und das dingliche Geschäft erfüllen in ihrem Zusammenhange den im § 138 BGB. vorgesehenen Sachverhalt. In diesem Paragraphen ist ausdrücklich neben der Entgegennahme des Versprechens von Vcrmögensvorteilen auch die der G e w ä h r u n g solcher genannt. In letzterer Richtung aber kann nicht wieder unterschieden werden zwischen dem dinglichen Geschäft als solchem, d. h. als ausschließlicher Grundlage dinglicher Rechtsveränderungen, einerseits und der ihm gewiesenen Funktion, zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem obligatorischen Geschäfte zu dienen, andererseits ; sondern nichtig ist der Erfullungsakt einschließlich des dinglichen Geschäfts, in welchem er sich verkörpert. (Vgl. wegen des ältern Rechts Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 36 S. 308, 314, 315, wo auch die Literatur angeführt ist, und wegen des jetzt geltenden D e r n b u r g , Das Bürgerliche Recht Bd. 1 § 126 II, S. 383.) Unterliegt das Geschäft aber der Nichtigkeit, so kann diese auch von Dritten geltend gemacht werden." . . .
R G Z . 57, 358 ι. Gilt die Erklärung der Anfechtung einer Willenserklärung wegen eines durch arglistige Täuschung verursachten Irrtums auch für die Anfechtung des § 119 BGB., wenn die Anfechtung aus § 123 BGB. fallen gelassen, und nur noch die Anfechtung aus § 119 BGB. aufrecht erhalten wird? 2. Kann der Schuldner an seiner Forderung gegen den Gläubiger diesem ein Pfandrecht bestellen und die verpfändete Forderung gegen die Forderung des anderen Teiles aufrechnen ?
BGB. §§ 119, 123. VI. Zivilsenat. Urt. v. 7. März 1904. I. Landgericht Ansbach. II. Oberlandesgericht Nürnberg.
Der Beklagte erhielt am 28. Juli 1900 von dem landwirtschaftlichen Kreditverein in A. den Betrag von 3600 M. gegen Übergabe von 6 Stück 4% igen Kassascheinen des Vereins und eines von ihm unterzeichneten Schuldscheins, inhalts dessen er 3600 M. als bares, mit 5 Prozent pr. a. zu verzinsendes Darlehn erhalten zu haben bekannte, bis zum 20. Januar 1901 es zurückzuzahlen sich verpflichtete und dem darleihenden Kreditverein die 6 Stück 4°¿ige Kassascheine des Vereins als Faustpfand unter der Ein-
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räumung des Rechts übergab, falls die Heimzahlung des erhaltenen Darlehns nicht rechtzeitig erfolgen sollte, sich durch außergerichtlichen Verkauf der verpfändeten Werte, die er zu diesem Behufe förmlich abtrete, in Haupt- und Nebensache bezahlt zu machen. Auf Grund dieses Schuldscheins forderte der Verwalter in dem über das Vermögen des Vereins eröffneten Konkurse die Bezahlung von 3600 M. nebst Zinsen und Spesen und erhob demgemäß Klage gegen den Beklagten mit dem Antrage, ihn für schuldig zu erkennen, an die Klagepartei den Betrag von 3614,85 M. nebst 5 Prozent Zinsen aus 3600 M. seit dem 25. August 1901 zu bezahlen. Der Beklagte behauptete, er habe seine Kassascheine gekündigt und um Auszahlung seines Guthabens unter Erlaß der Kündigungsfrist gebeten und den Schuldschein in der Meinung, den Empfang seines Guthabens zu bestätigen, unterzeichnet. Er erklärte demgemäß, daß er die Urkunde auf Grund des Irrtums anfechte, und machte überdies die Aufrechnung mit den sechs Kassascheinen geltend. Das Landgericht erachtete den durch arglistige Täuschung verursachten Irrtum für erwiesen, eventuell aber auch den Einwand der Aufrechnung für begründet und wies demgemäß die Klage ab, und die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Auf die Revision des Klägers ist aber das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden, aus folgenden Gründen: . . . „Das Berufimgsgericht erachtet auf Grund der Beweiserhebung für erwiesen, daß „die von dem Beklagten in dem dem landwirtschaftlichen Kreditverein für M. in A. ausgestellten Schuldscheine vom 28. Juli 1900 erklärte Empfangnahme eines 5 o igen Darlehns zu 3600 M. gegen Hingabe von 6 Stück 4 "„igen Kassascheinen dieses Kreditvereins als Faustpfand irrtümlicherweise geschehen sei, da der Beklagte von diesem Verein kein Darlehn, sondern die Herauszahlung seines bei demselben angelegten Geldes ohne Kündigung gegen Rückgabe seiner Kassascheine gewollt habe". Offenbar soll damit gesagt sein, daß die im Schuldschein enthaltene E r k l ä r u n g der Empfangnahme irrtümlicherweise erfolgt sei. Durch diese hiernach festgestellte Tatsache hält das Berufungsgericht die hierauf gestützte, die rechtliche Wirksamkeit der nach § 416 ZPO. formell beweiskräftigen Schuldurkunde vom 28. Juli 1900 außer Kraft setzende Einrede des Irrtums als erwiesen, infolgedessen der Ungrund der Klage feststehe, und demgemäß die gegen das die Klage abweisende Urteil gerichtete Berufung sofort als unbegründet zurückzuweisen gewesen sei. Auf die nicht weiter mehr aufrecht erhaltene Einrede des B e t r u g s , auf die sich die von der Klagepartei dem § 124 BGB. gemäß angeregte Fristversäumung beziehe, brauche somit ebensowenig eingegangen zu werden, wie auf die Frage der Zulässigkeit der Aufrechnung mit den Kassascheinen. Die Revision macht geltend, nach dem Tatbestande des Berufungsurteils habe der Beklagte die Anfechtung seiner in der Urkunde vom
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28. Juli 1900 abgegebenen Willenserklärung nur noch auf seinen Irrtum, und nicht mehr auf arglistige Täuschung durch die Beamten des Kreditvereins gegründet. Nach § 121 BGB. müsse die Anfechtung in den Fällen der §§ 119, 120 unverzüglich nach Kenntnisnahme des Anfechtungsgrundes durch den Anfechtungsberechtigten erfolgen. Der Zeuge Sch. habe bekundet, daß er erst nach einem Arrangementsvorschlag des Kreditvereins durch Rechtsanwalt v. E. (vor der Konkurseröffnung im Januar 1902) den Schein angesehen habe, daß sie zu ihrem Schrecken entdeckt hätten, daß es sich um ein Darlehn handle, aber beschlossen hätten, vorderhand nichts zu tun, bis sie angefordert würden. Die Klage sei am 23. Oktober 1901 zugestellt. Demgegenüber könne die mit Schriftsatz vom 6., praes. 9. November 1901 erklärte Anfechtung als eine unverzügliche nicht gelten. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht sich darüber aussprechen sollen. Die Aufrechnungseinrede sei vom Berufungsgericht nicht gewürdigt, übrigens zweifellos imbegründet. Die Revision war als begründet zu erachten. Gemäß § 416 ZPO. begründet die von dem Beklagten unterzeichnete Urkunde vollen Beweis dafür, daß die in derselben enthaltenen Erklärungen von dem Aussteller abgegeben sind. Die materielle Bedeutung der Urkunde hängt aber von deren Inhalt ab. Deshalb ist auch gegen die echte Urkunde die A n f e c h t u n g wegen I r r t u m s zulässig. (Vgl. E n d e m a n n , Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts 8. Aufl. Bd. 1 § 65 S. 301, Bd. 2 § 343 S. 194.) Daß sich der Kläger über den Inhalt der von ihm unterzeichneten Urkunde im Irrtum befand, hat das Berufungsgericht tatsächlich festgestellt. Die gemäß § 119 BGB. die Zulässigkeit der Anfechtung bedingende Annahme, der Beklagte würde die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben, ist nach der Veranlassung der Geldentnahme, den sie begleitenden Umständen und dem Interesse des Beklagten an der Erhebimg seines Guthabens ausreichend und bedenkenfrei begründet. Gemäß § 121 BGB. muß die Anfechtung im Falle des § 119 BGB. ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hat. Das Berufungsurteil enthält keine ausdrückliche Feststellung darüber, daß, wann und in welcher Weise die Anfechtung auf Grund des § 119 BGB. erfolgt ist. Die im Tatbestande des Berufungsurteils wiedergegebenen Erklärungen der Parteien beschäftigen sich lediglich mit der Frage, ob die Ausschlußfrist des § 124 BGB. versäumt sei. In dieser Beziehung erklärt der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, im Falle der Annahme eines Betrugs von Seiten der Vereinsvorstände werde die Verjährung auf Grund des § 124 BGB. mit der Behauptung geltend gemacht, daß der geschäftsgewandte Sch. sofort nachher bei Aushändigung des Depositenscheins gemerkt habe, um was es sich handle, und sonach die einjährige Frist längst abgelaufen gewesen sei, als der Darlehns- und Verpfändungsvertrag vom 28. Juli 1900 im Prozesse mit Schriftsatz vom 6. November 1901 angefochten worden sei. Der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten
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entgegnet dagegen, von einer Versäumnis der Anfechtungsfrist hätte keine Rede sein können, da der erblindete Beklagte von dem Betrüge eine Kenntnis nicht habe bekommen können, und dessen Bevollmächtigter Sch. erst auf den Aufforderungsbrief des Rechtsanwalts v. E. hin den Schein angesehen und den Betrug bemerkt habe ; ein früherer Zeitpunkt der Kenntniserlangung sei aber von der Gegenpartei nicht angegeben worden. Das Berufungsgericht befaßt sich auch gar nicht mit der Frage, ob dem Erfordernisse des § 121 BGB. genügt ist. Ausdrücklich ist hierüber auch nicht verhandelt. Es unterliegt aber keinem Bedenken, die wegen eines durch arglistige Täuschung verursachten Irrtums erfolgte Erklärung der Anfechtung auch für die noch aufrecht erhaltene Anfechtung aus § 119 BGB. gelten zu lassen, zumal da schon die Geltendmachung der Einrede des Irrtums als Anfechtungserklärung erachtet werden kann, indem auch diese Form der Erklärung unzweifelhaft den Willen des Erklärenden zu erkennen gibt, daß die in der Schuldurkunde enthaltene Willenserklärung als auf einem Irrtum des Erklärenden beruhend unwirksam sein solle. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 48 S. 221.) Daß die Anfechtungserklärung wegen Irrtums von Seiten des Prozeßbevollmächtigten rechtswirksam nicht nur bei der mündlichen Verhandlung, sondern auch in einem zugestellten Schriftsätze erfolgen könne, so daß ftir die Frage, wann die Erklärung abgegeben worden, die Zeit der Zustellung des Schriftsatzes maßgebend wäre, hat der II. Zivilsenat des Reichsgerichts anerkannt. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 33 S. 148.) Sind die Voraussetzungen des § 119 BGB. an sich gegeben, so wird die hiernach begründete Anfechtimg ausgeschlossen, wenn sie nicht ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) im Sinne des § 121 BGB. erfolgt ist. Demgemäß liegt es dem Anfechtungsgegener ob, darzutun und zu beweisen, daß und wann der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erhalten hat. (Vgl. Planck, Bürgerliches Gesetzbuch 2. Aufl. Bd. 1 S. 172 Bern. 4; E n d e m a n n , Lehrbuch des Deutschen Bürgerlichen Rechts 8. Aufl. Bd. 1 S. 352 Anm. 37.) In dieser Beziehung fehlt es allerdings an einer ausdrücklich mit Bezug auf § 121 BGB. hierauf gerichteten Parteibehauptung. Der Einwand der Versäumnis der Jahresfrist des § 124 BGB. schließt aber im vorliegenden Falle den Einwand der Nichtrechtzeitigkeit im Sinne des § 121 BGB. in sich. Demnach würde es sich fragen, ob nicht die eigene Erklärung des Beklagten hinreichen würde, um die Nichteinhaltung der Vorschrift des § 121 BGB. entnehmen zu lassen. Indessen abgesehen davon, daß weder der Zeitpunkt der Eröffnung des Konkurses, noch der des Empfangs des Briefes des Rechtsanwaltes v. E. festgestellt ist, lassen weder die Feststellungen des Berufungsgerichts, noch die Erklärung des Beklagten mit Sicherheit entnehmen, daß und wann Sch. den Beklagten von seiner Entdeckung des Irrtums in Kenntnis gesetzt hat, noch ob Sch. auch nach Abwickelung des Geschäfts mit dem Kreditverein zu dem Beklagten in einem solchen Vertretungsverhältnisse gestanden, daß der Beklagte eine Versäumnis des Sch.
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auch gegen sich gelten lassen müßte. Nach der zeugenschaftlichen Aussage des Sch. läge allerdings gemeinschaftliche Kenntnis und der gemeinschaftliche Entschluß des Sch. und des Beklagten vor, abzuwarten, bis sie angefordert würden. Dieser im Berufungsurteil nicht festgestellte Inhalt der Sch.schen Aussage kann aber gemäß der Vorschrift des § 561 ZPO. vom Revisionsgerichte nicht berücksichtigt werden. Demgemäß war . . . das Berufungsurteil aufzuheben, und die Sache an das Berufungsgericht zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Würde das Berufungsgericht zu dem Ergebnisse gelangen, daß die Anfechtung des Schuldbekenntnisses wegen Irrtums aus § 119 BGB. wegen schuldhaften Zögerns gemäß § 121 BGB. ausgeschlossen sei, und der Beklagte den Inhalt der Schuldurkunde gegen sich gelten lassen müsse, die Darlehnsforderung also gemäß dem Schuldschein bestehe, so würde das Berufungsgericht des weiteren zu prüfen und zu entscheiden haben, ob die Klageforderung als durch die vom Beklagten erklärte Aufrechnung gemäß § 359 BGB. erloschen zu gelten habe. Gemäß § 53 KO. steht die Eröffnung des Konkurses der Aufrechnimg nicht entgegen. Einer der Ausnahmsfalle des § 55 KO. liegt nicht vor. Daß der Schuldner an seiner Forderung gegen den Gläubiger Pfand bestellen, also ein Pfandrecht an eigener Schuld bestehen kann, wird anerkannt, wie auch die Pfändung der eigenen Schuld des betreibenden Gläubigers von dem Gesichtspunkte aus f ü r zulässig erklärt wird, daß ein Bedürfnis dieser Pfändung nicht deshalb bestritten werden könne, weil der Gläubiger, wenn er selbst Schuldner der zu pfandenden Forderung sei, aus welcher er Befriedigung suchen wolle, diese durch Kompensation erlangen könne. Denn nicht in allen Fällen, in denen f ü r den Gläubiger ein Interesse vorliege, eine Forderung seines Schuldners an ihn selbst zum Zweck der Befriedigung oder Sicherung wegen einer ihm zustehenden Forderung pfänden zu lassen, seien die Voraussetzungen der Kompensation gegeben. (Vgl. W i n d s c h e i d , Pandektenrecht 2. Aufl. Bd. 1 S. 727; O e r t m a n n , Das Pfandrecht an eigener Schuld, im Archiv für die Zivilist. Praxis Bd. 81 S. 61 ; Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 20 S. 372.) Die dem Gläubiger-Schuldner gewährte Sicherheit schließt aber nicht aus, daß der Pfandschuldner die verpfändete Forderung gegen die Forderung des anderen Teils aufrechnet, wenn die Voraussetzungen der Aufrechnung gegeben sind. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 6 S. 279.)"
R G Z . 58, 233 Irrtum einer Partei ü b e r d e n I n h a l t ihrer W i l l e n s e r k l ä r u n g , oder fehlende E i n i g u n g der b e i d e n Parteien ? BGB. §§ 119, 155.
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V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 4. Juni 1904. I. Landgericht Hamburg.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Zur Verbreiterung der Michaelisstraße hatte der hamburgische Staat, vertreten durch die Finanzdeputation, zunächst das an der Südseite der Straße, Ecke des Herrengrabens, belegene L.sche Grundstück im Wege der Enteignimg erworben und am 24. Juni 1902 der klagenden St. Michaeliskirche die zu deren Gunsten auf dem Grundstück lastende ablösbare Grundhauer auf den 2. Januar 1903 gekündigt. Demnächst verweigerte die Beklagte aber die Auszahlung mit der Behauptung, daß hinterher zwischen den Parteien vereinbart worden sei, die Grundhauer solle stehen bleiben oder gegen andere Renten umgetauscht werden können. Sie hatte nämlich inzwischen zu demselben Zwecke noch mehr Grundstücke an derselben Straßenseite freihändig angekauft, die auch mit solcher Grundhauer belastet waren, darunter zwei Grundstücke, die der St. Michaelis-Pfarrhofskasse gehörten, und im § 9 des über diese beiden Grundstücke am 12. September 1902 abgeschlossenen Kaufvertrags hatte die St. Michaeliskirche sich durch Mitunterschrift dieses Kaufvertrags damit einverstanden erklärt, daß sie die bisherigen Grundmieten und Renten in den von der Finanzdeputation angekauften oder noch zu erkaufenden Grundstücken an der Südseite der Michaelisstraße stehen lasse oder nach ihrer Wahl gegen andere Renten in näher bestimmter Weise austausche. Diese Einrede setzte die Beklagte auch der Klage auf Zahlung der Ablösungssumme von 12620,47 M. nebst 4 Prozent Zinsen seit dem 2. Januar 1903 entgegen. Die Klägerin bestritt, daß die Erklärung in § 9 des Vertrages sich auch auf das L.'sche Grundstück beziehe; sie legte näher dar, daß und weshalb sie selber die Erklärung nicht auch für das L.'sche Grundstück habe abgeben wollen, wenn auch nicht bestritten werden solle, daß die Beklagte sie anders aufgefaßt habe. Unter Berufung auf §§ 154. 155 BGB. war sie der Ansicht, daß der § 9 des Vertrags, auf den die Beklagte sich bei Ausschluß des L.'sehen Grundstücks nicht eingelassen haben würde, wegen Fehlens der Willensübereinstimmung nichtig sei. Wegen Irrtums erklärte sie den Vertrag nicht anfechten zu wollen, weil ihre Erklärung im § 9 nur das enthalte, was sie wirklich habe erklären wollen. Die Beklagte blieb dabei, daß § 9 sich auf alle angekauften, auch die enteigneten, und noch anzukaufenden Grundstücke an der Südseite der Michaelisstraße beziehe, und daß die Klägerin daran gebunden sei. Die Klage wurde abgewiesen, und die Berufung zurückgewiesen, ebenso die Revision, letztere aus folgenden Gründen: „Beide Vorinstanzen haben die Rechtslage dahin aufgefaßt, daß die Klägerin sich über den Inhalt ihrer im § 9 des Vertrags vom 12. September 1902 abgegebenen Willenserklärung im Irrtum befunden habe und sich darum gegen die Folgen dieses Irrtums nur durch eine Anfechtung de r
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Willenserklärung unter den dafür in den §§ 119. 121 BGB. aufgestellten Voraussetzungen schützen könnte, die aber nicht für vorliegend erachtet werden. In den Ausführungen zu diesem letzten Punkt ist das Berufungsurteil nicht angegriffen worden, und das würde auch mit Erfolg nicht haben geschehen können. Der Streit bewegt sich nur um die Frage, ob hier überhaupt ein Fall des Irrtums einer Partei über den Inhalt ihrer abgegebenen Willenserklärung (§ 119) gegeben sei, oder ob nicht vielmehr jede Partei die Erklärung der anderen mißverstanden habe, und aus diesem Grunde eine Willensübereinstimmung, daher auch ein Vertrag, gar nicht zustande gekommen sei. Auf diesem Standpunkte steht die Klägerin, welche ausführt, sie habe unter den in § 9 des Vertrags erwähnten „angekauften oder noch zu erkaufenden Grundstücken" das enteignete L.'sche Grundstück nicht mit verstanden, während ihre Erklärung von der Beklagten auch mit auf dieses Grundstück bezogen worden sei. Daher, meint sie, liege hier ein Fall des sog. versteckten Dissenses im Sinne des § 155 BGB. vor; sie und die Beklagte hätten zwar geglaubt, einig geworden zu sein, seien aber in Wahrheit in diesem Punkte nicht einig geworden; und sie behauptet weiter, die Beklagte würde, wenn sie ihre, der Klägerin, Erklärung richtig verstanden hätte, auf das verabredete Stehenbleiben der Grundhauern überhaupt nicht eingegangen sein; es liege demnach auch nicht die in § 155 BGB. für solche Fälle zugelassene Möglichkeit vor, daß der Vertrag trotz fehlender Willensübereinstimmung dann bei Kräften erhalten werden könne, wenn anzunehmen sei, daß er auch ohne eine Bestimmung über den streitigen Punkt geschlossen worden sein würde. Wenn das Berufungsgericht die Bezugnahme auf § 155 BGB. für verfehlt erklärt, weil eine einheitliche Vertragsbestimmung in Frage stehe, und Punkte, über welche keine Einigung erfolgt wäre, nicht vorhanden seien, so wird allerdings diese Erwägung dem Standpunkte der Klägerin nicht gerecht, welche gerade bestreitet, daß eine Einigung in dem ganzen Umfange, wie es die Beklagte angenommen habe, zustande gekommen sei. Dagegen wird die rechtliche Auffassung der Klägerin geschlagen durch die Feststellung des Berufungsgerichts, daß inhaltlich verschiedene Willenserklärungen der beiden Parteien in dem § 9 nicht vorliegen. Das Berufungsgericht legt dar, daß der § 9 nach Wortlaut und Inhalt, bei Berücksichtigimg der ganzen Sachlage und der in Betracht kommenden Interessen beider Parteien, objektiv gar nicht anders verstanden werden könne als dahin, daß er sich auch auf solche Grundstücke beziehen sollte, die im Wege der Enteignung angekauft werden würden oder schon angekauft worden seien, also auch auf das enteignete L.'sche Grundstück, und daß auch beide Parteien nicht hätten zweifelhaft sein können darüber, daß ihre Erklärungen objektiv nur so und nicht anders verstanden werden könnten. Es ist dies eine tatsächliche Feststellung, die für das Revisionsgericht bindend ist und namentlich nicht mit der Behauptung bekämpft werden kann, daß nichtsdestoweniger die Klägerin den § 9 anders verstanden habe. Dies würde an dem vom Berufungsgericht festgestellten Inhalte der Erklärung der Klägerin Zivils. A l l g e m . T e i l 2
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nichts ändern und nur beweisen, daß die Klägerin sich über diesen Inhalt geirrt habe ; die Erklärung würde sie gleichwohl abgegeben haben. Daß einer Partei in solcher Lage der W i l l e fehlte, eine Erklärung des Inhaltes, wie sie lautete, abzugeben, indem sie die Erklärung anders verstand, läßt sich freilich nicht bestreiten; aber das hindert nach dem Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs das Zustandekommen eines Vertrags durch die beiderseits erklärte Willensübereinstimmung nicht. Nach den zwischen der sog. Willens- und der Erklärungstheorie vermittelnden Beschlüssen der 2. Kommission (vgl. Prot, von A c h i l l e s usw. Bd. 2 S. 94. 102flg. 115) ist der Partei durch § 113 B G B . in solcher Lage eben das Hilfsmittel der Anfechtung gegeben, dessen es nicht bedurft haben würde, wenn schon das unbewußte Nichtübereinstimmen des inneren Willens e i n e r Vertragspartei mit i h r e r abgegebenen Erklärung allemal das Zustandekommen eines Vertrags verhinderte. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn die beiderseits abgegebenen Erklärungen e i n a n d e r n i c h t d e c k e n , indem jede Partei etwas anderes nicht bloß innerlich wollte, sondern auch erklärte, als die andere. Zugegeben ist, wie sich ζ. B. aus den verschiedenen bei S t a u d i n g e r , B G B . Bd. 1 in der Einl. vor § 116 unter V I und zu § 155 (2. Aufl. S. 337 und 439. 440) und E n d e m a n n , BR. Bd. 1 § 70 Anm. 19 (8. Aufl. S. 340) angeführten Fällen ergibt, daß häufig die beiden Fälle erstens des Irrtums einer Partei über den Inhalt ihrer Willenserklärung und zweitens des sog. versteckten Dissenses, wo beide Parteien, im Irrtum über den Inhalt der Erklärung der anderen, Verschiedenes erklärt haben, schwer voneinander zu unterscheiden sind. Aber wenn die beiderseitigen Erklärungen den g l e i c h e n I n h a l t h a b e n , möge sich dies aus dem Wortlaut ohne weiteres ergeben oder unter Berücksichtigung aller dafür auf beiden Seiten in Betracht kommenden Umstände durch Auslegung festgestellt werden, dann liegt nicht der Fall eines Mißvcrständnisses, einer bloß fälschlichen Annahme des Einverständnisses, vor (§ 155), sondern ein wirkliches erklärtes Einverständnis, und wenn sich dabei die eine Partei über die Bedeutung ihrer Erklärung getäuscht hat, so betraf dieser Irrtum nicht den Inhalt der gegnerischen, sondern den ihrer eigenen Erklärung. So hat nach der Feststellung des Berufungsgerichts der Fall hier gelegen, und damit erweist sich die Revision der Klägerin als hinfällig." R G Z . 58, 387 Wird die nach § 126 A b s . 1 B G B . erforderliche e i g e n h ä n d i g e Namensunterschrift wirksam dadurch hergestellt, daß d e r j e n i g e , der durch die Unterschrift verpflichtet werden soll, sich zur H e r stellung der Unterschrift der m e c h a n i s c h e n Dienstleistung eines anderen bedient ? B G B . § 126 Abs. 1. I. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 9. Juli 1904.
I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
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Die Erben der Witwe W. wurden aus zwei Wechselakzepten der Witwe W. auf Zahlung belangt. Die Akzepte waren unstreitig so zustande gekommen, daß die in Diensten der W. stehende unverehelichte M. im Beisein der W. auf deren Verlangen die Wechselkontexte ausgefüllt und die Akzepte geschrieben hatte, weil die W. schlecht schrieb und die Akzepte nicht gem selbst schreiben wollte. Die Beklagten beantragten Abweisung der Klage, weil die Akzepte nicht rechtsverbindlich seien. Der erste Richter wies deshalb die Klage ab, und die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auch die Revision ist zurückgewiesen worden, aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter weist die Klage in Übereinstimmung mit dem ersten Richter ab, weil die W. aus den Akzepten nicht wechselmäßig verpflichtet sei, da sie dieselben nicht eigenhändig geschrieben, die M. aber, welche die Akzeptunterschrift geleistet, nicht in Vollmacht zur Abgabe einer Willenserklärung, sondern als Schreibgehilfe gehandelt habe, dadurch aber eine rechtsverbindliche Unterschrift der W. nicht zustande gekommen sei. Die auf der Aussage des Zeugen H. beruhende Feststellung, daß die in den Diensten der W. stehende M. nur als Schreibgehilfe anzusehen sei, ist wesentlich tatsächlicher Natur, mit unzureichenden Gründen angefochten und deshalb für diese Instanz maßgebend. Der rechtlichen Schlußfolgerung, welche die Instanzgerichte aus dieser Feststellung ziehen, ist beizutreten. In dem Urteile des Reichsgerichtes vom 21. Dezember 1901 (Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 50 S. 51) ist nur die Frage entschieden, ob der zur Abgabe einer Willenserklärung Bevollmächtigte die gesetzlich oder vertragsmäßig gebotene schriftliche Form dadurch erfüllt, daß er die Urkunde mit dem Namen des Machtgebers unterschreibt, oder ob er seinen Namen unter Beifügung des Vollmachtsverhältnisses zeichnen muß. Diese Frage ist in ersterem Sinne entschieden. Die Frage, ob eine verbindliche eigenhändige Namensunterschrift dadurch hergestellt werden kann, daß ein Dritter sie auf Diktat oder in bloßer Dienstleistung für den schreibt, der durch die Unterschrift verpflichtet werden soll, ist für das Allgemeine Preußische Landrecht in den Entscheidungen des vormaligen Obertribunals zu Berlin Bd. 60 S. 328, Bd. 12 S. 477, Bd. 18 S. 207 verneint, in den Entscheidungen des vormaligen Oberhandelsgerichts Bd. 7 S. 315 und auch in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 4 S. 307 unentschieden gelassen, obwohl der Unterschied von Vollmacht zur rechtlichen Willenserklärung und dem Auftrag zur faktischen Dienstleistung durch bloßes Schreiben betont ist. Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch aber muß daran festgehalten werden, daß die nach § 126 Abs. 1 erforderliche eigenhändige Namensunterschrift dadurch wirksam nicht hergestellt wird, daß der, der durch die Unterschrift wie durch seine Willenserklärung verpflichtet werden soll,
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sich zur Herstellung der Unterschrift der Hilfe eines anderen, dessen mechanischer Dienstleistung, bedient. Das schließt auch das Urteil vom 21. Dezember 1901 unter Bezugnahme auf die Motive unzweideutig aus. Daß damit dem Betrüge Tor und Tür geöffnet werden kann, wie die Revision geltend macht, ist nicht zu leugnen. Dagegen gibt es aber gesetzliche Hilfe. So ist es im vorliegenden Falle, worauf hingewiesen werden mag, rechtlich völlig unbedenklich, daß die W. zwar nicht aus den Akzepten, aber daraus verhaftet ist, daß H. mit ihrem Wissen und Willen die 3000 M. nicht an sie, sondern an den Beklagten F. gezahlt hat. Rechtlich gilt die W. als Empfängerin der 3000 M., und aus diesem Empfange haften auch ihre Erben. Die lediglich auf die Akzeptschrift gestützte Klage ist dagegen unbegründet." . . .
RGZ. 58, 406 Kann eine verspätet zugegangene Willenserklärung als rechtzeitig zugegangen angesehen werden, wenn der Empfänger, das rechtzeitige Zugehen arglistig oder schuldhaft verhindert hat ? BGB. §§ 130, 148, 149. V. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 13. Juli 1904. I. Landgericht Danzig.
II. Oberlandesgericht Marienwerder.
Auf einem einer Frau G. gehörenden Grundstücke standen folgende Hypotheken eingetragen : 4000 M. für N., 2000 M. für Frau F. und 8000 M. für die Klägerin. Am 7. April 1902 richtete der Beklagte an die Klägerin folgendes schriftliche Angebot: „Hierdurch biete ich Ihnen auf die für Sie eingetragenen 8000 M. nebst den vorgehenden 6000 M. den Betrag von 7000 M . . . An dieses Gebot halte ich mich bis Mittwoch d. 9. ct. abends festgebunden." Am 9. April nachmittags beförderte die Klägerin einen eingeschriebenen, durch Eilboten zu bestellenden Brief an den Beklagten zur Post, in dem sie ihre Annahme erklärte. Da der Beklagte nicht zu Hause war, waren mehrfache Versuche des Postboten, ihm den Brief zu behändigen, fruchtlos. Erst am folgenden Tage gelang die Behändigung; der Beklagte erklärte jedoch der Klägerin noch an demselben Tage, daß er an die Offerte nicht mehr gebunden sei. Die Klägerin war dagegen der Ansicht, daß der Vertrag über die Abtretung der drei Hypotheken zustande gekommen sei, da der Beklagte keinen Empfangsbevollmächtigten bestellt und das Zugehen der Annahmeerklärung arglistig oder schuldhaft verhindert habe. Es kam zum Prozeß, in dem diese Streitfrage vom ersten Richter zugunsten des Beklagten, vom Berufungsrichter zugunsten der Klägerin entschieden wurde. Das Reichsgericht ist dem Berufungsgerichte beigetreten.
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Aus den G r ü n d e n : . . . „Der Beklagte war an seinen Antrag bis zum Abend des 9. April 1902 gebunden. Bis dahin mußte ihm die Annahmeerklärung der Klägerin z u g e h e n (§130 BGB), widrigenfalls der Vertrag nicht zustande kam (§ 148 BGB.). Wählt der Annehmende, wie hier die Klägerin, für ihre Erklärung das Mittel eines Briefes, so ist die Annahmeerklärung dem Anbietenden zugegangen, sobald der Brief in verkehrsüblicher Weise in seine oder seines Vertreteis tatsächliche Verfügungsgewalt gelangt, und ihm dadurch die Möglichkeit der Kenntnisnahme verschafft ist (Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 50 S. 194). Es genügt, wenn der Brief in Abwesenheit des Adressaten einem Familienangehörigen oder einem Dienstboten abgeliefert wird oder sonst in seinen Machtbereich (ζ. B. in den an seiner Wohnungstür angebrachten Briefkasten) gelangt (Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 56 S. 263). Im vorliegenden Falle ist der Brief mit der Annahmeerklärung der Klägerin dem Beklagten am 9. April nicht zugegangen. Die mehrfachen fehlgeschlagenen Versuche der Bestellung erfüllten nicht den Begriff des Zugehens, da sie dem Beklagten nicht die Möglichkeit gaben, von der Annahmeerklärung Kenntnis zu erlangen. Erst am 10. April, also verspätet, ist dem Beklagten die Annahmeerklärung der Klägerin zugegangen. Die Klägerin ist der Ansicht, daß der Vertrag trotz der Verspätung zustande gekommen sei, weil — wie sie behauptet — der Beklagte das rechtzeitige Zugehen arglistig (durch Abwesenheit von Hause) gehindert oder das nicht rechtzeitige Zugehen verschuldet habe. Der Bcrufungsrichter hat den hinsichtlich der Arglist erbotenen Beweis nicht erhoben. Er ist der Ansicht, daß sich auf die Versäumung einer Frist nicht berufen könne, wer selbst den Grund dazu gegeben habe. Die Revision führt dagegen aus, daß die Rechtzeitigkeit des Zuganges einer Willenserklärung — abgesehen von dem nicht vorliegenden Falle des § 149 BGB. — niemals fingiert werden, daß vielmehr nur eine Schadensersatzpflicht des Beklagten in Frage kommen könne. Diese Streitfrage ist in der Literatur lebhaft erörtert worden (vgl. T i t z e , in I h e r i n g s Jahrb. für dieDogm. Bd. 47 S.445, der eine erschöpfende Übersicht der sonstigen Literatur über diese Frage gibt). Überall tritt in ihr das Bestreben zutage, die Unzuträglichkeiten, die sich aus der im § 130 BGB. angenommenen Empfangstheorie für den Rechtsverkehr ergeben können, zu beseitigen. Für den vorliegenden Fall scheidet die Frage, ob unter Umständen das Zugehen einer überhaupt nicht zugegangenen Annahmeerklärimg fingiert werden könne, aus, weil die Annahmeerklärimg der Klägerin dem Beklagten — wenn auch verspätet — zugegangen ist. Die Untersuchung hat sich darauf zu beschränken, ob eine verspätet zugegangene Erklärung unter Umständen als r e c h t z e i t i g zugegangen zu gelten hat. Als Umstände, die diesen Erfolg haben könnten, kommen für den vorliegenden Fall nur solche in Betracht, die sich in der Person des Beklagten ereignet haben; wobei jedoch nicht ganz außer acht gelassen werden darf, daß das Gesetz (§ 149 BGB.) beim Vorliegen a n d e r e r
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Umstände diese Fiktion aufstellt. Dergleichen Umstände, die in der Person des Adressaten ihren Grund haben, können durch Arglist, durch Verschulden oder durch Zufall herbeigeführt sein. Für den Fall der Arglist muß die Fiktion der Rechtzeitigkeit des Zugehens für begründet erachtet werden. Nach den §§ 162 und 815 BGB. gelten eine Bedingung und ein mit einer Leistung bezweckter Erfolg als eingetreten, wenn der Eintritt wider Treu und Glauben vereitelt ist. Diese Bestimmungen sind nicht Ausnahmevorschriften, sondern Einzelanwendungen des das Bürgerliche Gesetzbuch beherrschenden Grundsatzes von Treu und Glauben. Ihre entsprechende Anwendung auf Fälle der vorliegenden Art ist demnach nicht ausgeschlossen, sondern geboten. Arglistige Vereitelung hat der Berufungsrichter nicht festgestellt, wohl aber Verschulden des Beklagten. Für den Fall des Verschuldens passen jene Anwendungsfälle des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben nicht; aber der Grundsatz ist eben auf jene Anwendungsfälle nicht beschränkt, sondern beherrscht den ganzen rechtsgeschäftlichen Verkehr. Wer die Verspätung des Zugehens einer für ihn bestimmten Willenserklärung verschuldet hat, hat dadurch freilich nicht gegen Treu und Glauben verstoßen ; wohl aber handelt er gegen Treu und Glauben, wenn er aus seinem Verschulden zum Nachteile des anderen einen Vorteil herleiten will (vgl. Urteil des RG.'s in der Jurist. Wochenschr. 1904 S. 53 Nr. 4). Ob — wofür das Gesetz keinen Anhalt zu bieten scheint — das gleiche auch anzunehmen wäre, wenn die Verspätung des Eingehens in einem Zufalle ihren Grund hat, der sich in der Person des Adressaten ereignet hat, braucht für den vorliegenden Fall nicht untersucht zu werden. Das Verschulden des Beklagten hat der Berufungsrichter ausreichend und ohne Rechtsnormverletzung festgestellt. Freilich wäre ein gewöhnlicher Brief durch Einwerfen in den an der Wohnung des Beklagten angebrachten Briefkasten dem Beklagten rechtzeitig zugegangen. Der eingeschriebene Brief konnte nach § 39 Nr. VII (Abschnitt V Abt. I) der Postordnung vom 20. März 1900 bei Abwesenheit des Beklagten nur an ein erwachsenes Familienmitglied oder an einen Bevollmächtigten des Beklagten ausgehändigt werden, und solche Personen waren zur erheblichen Zeit in der Wohnung des Beklagten nicht vorhanden. Mit Recht nimmt der Berufungsrichter aber an, daß der Beklagte damit rechnen mußte, daß die Klägerin im vorliegenden Falle ihre Erklärung durch einen eingeschriebenen Brief senden werde. Der Beklagte hatte am 8. April 1902 um Entbindung von seiner Offerte gebeten und darauf nach seiner Behauptung die Antwort erhalten, daß sein Anliegen dem Direktor Bomke mitgeteilt werden würde. Mit Rücksicht darauf, daß der Beklagte hiernach zu erkennen gegeben hatte, er möchte von seinem Angebote frei werden, mußte er allerdings damit rechnen, daß die Klägerin sich den Beweis des Zugehens ihrer Annahmeerklärung sichern und zu diesem Behufe das Einschreiben des Briefes wählen werde. Jedenfalls liegen diese Ausführungen auf dem den Angriffen durch die Revision verschlossenen Tatsachengebiete." . . .
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R G Z . 59, 94 Beginnt die Frist für die A n f e c h t u n g einer Willenserklärung w e g e n arglistiger T ä u s c h u n g schon mit der Kenntnis des Getäuschten von der objektiven Unrichtigkeit der i h m gemachten Mitteilung, oder erst d a n n , w e n n i h m der Charakter dieser als einer wissentlich u n w a h r e n bekannt wird ? BGB. §§ 123, 124. VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 18. Oktober 1904. I. Landgericht Magdeburg.
II. Oberlandesgericht Naumburg a. S.
Kläger fordert Schadensersatz wegen Nichterteilung eines ihm zugesagten Lieferungsauftrages. Nachdem der Beklagte Verzicht des Klägers auf dessen Ansprüche geltend gemacht und Kläger, zu diesem durch arglistige Täuschung bestimmt zu sein behauptet hatte, wendete der Beklagte ein, die Frist für die Anfechtung sei verstrichen. Die Klage wurde in beiden Instanzen abgewiesen. Auf Revision des Klägers ist das Urteil aufgehoben. Aus den G r ü n d e n : . . . „Hinsichtlich der dem Beklagten zur Last gelegten arglistigen Täuschung über den Zeitpunkt der Betriebseröffnung auf K. nimmt der Berufungsrichtcr den Ablauf der im § 124 BGB. bestimmten einjährigen Frist als gegeben an. Er erwägt: da der Kläger in seinem eigenen Schreiben vom 2. N o v e m b e r 1900 die Liefertermine für die von ihm selbst nach K. zu liefernden 80 Stück Kristallisierkasten weit über den 1. April 1901 hinaus erstreckt habe, der größere Teil der Kasten sogar nicht vor dem 1. Juli 1901 zu liefern gewesen sei, so habe Kläger bereits im November 1900 gewußt, daß die ihm von den Angestellten des Beklagten bei der Verhandlung vom 24. September 1900 angeblich gemachte Mitteilung, nach welcher K. schon am 1. April 1900 in Betrieb kommen sollte, tatsächlich unrichtig war; die auf diese Mitteilung gestützte Anfechtung sei daher, da sie frühestens gleichfalls erst im Schriftsatz vom 16. Februar 1903 erklärt worden, verspätet und deshalb auch nicht zu beachten. Die Revision greift diese Erwägungen an, indem sie ausführt, es komme darauf an, wann der Kläger erfahren habe, daß er w i s s e n t l i c h getäuscht worden; denn erst nach der hiervon erlangten Kenntnis habe er einen Anspruch auf dolose Täuschung stützen können, und erst von dieser Zeit an habe die Frist des § 124 BGB. zu laufen begonnen. Dem Angriffe mußte Erfolg zuteil werden. Die in § 124 BGB. vorgeschriebene Frist beginnt nicht mit der Kenntnis der betreffenden Partei von der objektiven Unrichtigkeit der Mitteilung, sondern erst mit der Kenntnis von dem Charakter derselben als einer wider besseres Wissen abgegebenen arglistigen Erklärung. Dies ergibt sich schon daraus, daß die Anfechtungsfrist nicht beginnen kann, solange die Partei mit dem Vorhandensein des vollen die Anfechtung begründenden Tat-
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bestandes nicht bekannt ist und demgemäß nicht weiß, daß ihr ein Anfechtungsrecht aus dem angegebenen Grunde überhaupt zusteht. Die Kenntnis von der objektiven Unrichtigkeit der Äußerung berechtigt nur zur Anfechtung wegen Irrtums, und zwar nur dann, wenn der Irrtum von der im § 119 BGB. vorgesehenen Beschaffenheit ist, also wenn die Partei bei Abgabe der Willenserklärung über deren Inhalt im Irrram war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte, während bei der Anfechtung nach § 123 BGB. schon ein Irrtum in den Beweggründen genügt, dieser aber durch eine wissentlich wahrheitswidrige Äußerung hervorgerufen sein muß. Auch mit dem Wortlaute des § 124 Abs. 2 BGB. stehen diese Annahmen über die Voraussetzungen für den Beginn des Fristenlaufs im Einklang. Wenn es dort heißt, daß die Frist im Falle der arglistigen Täuschung mit dem Zeitpunkte beginnt, in welchem der Anfechtungsberechtigte die Täuschung entdeckt, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Wort „Täuschimg" an der zweiten Stelle, wenn ihm auch der Zusatz „arglistig" nicht nochmals beigefügt ist, doch im Sinne des Gesetzes das Moment der wissentlichen Wahrheitswidrigkeit in sich schließt. Daß aber im vorliegenden Falle der Kläger, als er von der Unrichtigkeit der ihm gemachten Mitteilung sich überzeugte, auch schon die subjektive Wahrheitswidrigkeit, welche er jetzt geltend macht, erkannt hätte, bezeichnet der Berufungsrichter weder ausdrücklich als erwiesen, noch ergibt der Zusammenhang seiner Gründe eine solche Feststellung als von ihm gewollt. Die Möglichkeit, daß die Kenntnis von dem objektiven und die von dem subjektiven Erfordernis in verschiedene Zeitpunkte fallen, ist im vorliegenden Falle gegeben." . . .
R G Z . 59, 245 ι . Genügen einseitige Bestätigungen eines Vertragsverhältnieses, welche ein Teil dem anderen ausstellt und aushändigt, zur Wahrung der im § 126 BGB. vorgeschriebenen Schriftform ? 2. Bleibt die verabredete Kündigungsfrist maßgebend, wenn der Mietvertrag wegen Nichtbeachtung der schriftlichen Form gemäß § 566 BGB. als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt ?
BGB. § 126. III. Zivilsenat. Urt. v. 29. November 1904. I. Landgericht Stettin.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Im Mai 1901 ward von Parteien, und zwar für Beklagte von deren Bevollmächtigten F. C. P., mündlich vereinbart, daß der zwischen ihnen, bzw. ihren Rechtsvorgängern nach den Bestimmungen des Allgemeinen Landrechts durch Briefwechsel für die Zeit vom 1. Januar 1899 bis zum 31. Dezember 1901 geschlossene Mietvertrag zu den bisherigen Bedingungen noch bis zum 31. Dezember 1903 weiterlaufen, eine Aufkündigung
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desselben überdies auch nur am 1. Januar zum 1. Januar des nächsten Jahres statthaft sein solle. Die Klägerin übersandte darauf dem Bevollmächtigten F. C. P. ein vom 22. genannten Monats datiertes, an ihn gerichtetes Schreiben des Inhalts: „Wir bestätigen nach der gestern mit unserem Herrn R. gehabten Rücksprache, daß das Pachtverhältnis, betreffend den Lagerplatz in der Holzstraße 27f u. g, zwischen uns zu den bisherigen Bedingungen noch bis ultimo Dezember 1903 weiterläuft. R. & Co.", und erhielt von letzterem ein vom gleichen Tage datiertes, an sie adressiertes Schreiben, in dem er mit den Worten: „Ich bestätige nach der gestern mit Ihrem M. R. gehabten Rücksprache" beginnend die Bestätigung in wörtlicher Übereinstimmung mit dem Schreiben der Klägerin seinerseits bekundete. Ani 29. Juni 1903 wurde der Vertrag von der Klägerin zum 31. Dezember 1903 gekündigt; von seiten der Beklagten wurde die Kündigung unter Hinweis auf die vereinbarte Kündigungsfrist als verspätet zurückgewiesen. Erstere erhob darauf Klage auf Feststellung, daß der Mietvertrag mit Ablauf des 31. Dezember 1903 sein Ende erreiche. Der erste Richter erkannte nach dem Klagantrag; der zweite Richter wies die Klage ab. Auf die von Klägerin eingelegte Revision ist das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und das erste Urteil wiederhergestellt aus folgenden Gründen: „Der im Mai 1901 zwischen Parteien für längere Zeit als ein Jahr geschlossene Vertrag bedarf zu seiner vollen Wirksamkeit nach § 566 BGB. der gesetzlichen Schriftform. Diese Form ist durch die beiden Schreiben vom 22. Mai 1901 und ihre Auswechselung, wie auch vom Berufungsgericht nicht verkannt wird, nicht gewahrt. Beide Schreiben enthalten in ihrem textlichen Inhalt nur die einseitige Erklärung des Absenders an den Empfänger; zur Beobachtung der gesetzlichen Schriftform ist jedoch gemäß der in § 126 BGB. getroffenen Anordnung bei einem Vertrage die Beurkundung einer Erklärung erforderlich, in welcher der V e r t r a g s w i l l e zum Ausdruck gekommen ist, der Wille aller Vertragschließenden sich ausspricht. Der zwischen den Parteien vereinbarte Vertrag gilt daher nach oberwähnter Vorschrift als für unbestimmte Zeit geschlossen. Die Folge davon ist, daß das Mietverhältnis auf Grund der von seiten der Klägerin nach Ablauf des ersten Miet jahres am 29. Juni 1903 beschafften Aufkündigung zum 31. Dezember 1903 sein Ende mit Ablauf dieses Tages gefunden hat. Die von den Parteien bezüglich der Kündigung des Vertrages getroffenen Bestimmungen schließen solche Beendigung nicht aus. Der Annahme des Berufimgsgerichts, daß die in dem Vertrage hinsichtlich der Kündigung getroffenen Vereinbarungen auch bei seiner beschränkten Wirksamkeit zu erfüllen seien, insofern durch sie ein die Dauer eines Jahres überschreitendes Mietverhältnis nicht begründet werde, ist nicht beizutreten. Ganz abgesehen davon, daß die von den Parteien bedungenen Kündigungsfristen unter Umständen ein Gebundensein der Vertragsteile an den
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Mietvertrag auf die nur um einen Tag gekürzte Dauer von zwei Jahren bewirken und schon deshalb bei mangelnder Schriftform nicht maßgebend sein können, schließt die im § 566 Satz 2 a. a. O. gegebene Vorschrift zugleich die bindende Kraft vereinbarter Kündigungsfrist, wenn nicht überall, so jedenfalls da aus, wo sie eine längere als die gesetzliche ist. Zwecks Abschwächung der durch die Vertragsbestimmung bedingten Bindung der Vertragsteile in der Zeit setzt § 566 a. a. O. an die Stelle des tatsächlich getroffenen ein fingiertes Abkommen. Das an die Stelle gesetzte Abkommen enthält in seinem Wortlaut keine Bestimmung über die Kündigungsfrist; die Annahme, daß der Gestzgeber neben der Bestimmung über die Mietzeit auch die etwa getroffene Bestimmung über die Kündigungsfrist beseitigt hat, der gesetzlichen Kündigungsfrist Raum verschaffend, ist daher mindestens da, wo die vereinbarte Frist die längere ist, als nächstliegende geboten. Damit ist die vom Berufungsgericht verneinte Rechtzeitigkeit der klägerischen Kündigung des Mietverhältnisses gegeben." . . .
RGZ. 6o, 9 Begriff der A u s b e u t u n g i m Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. Genügt die A u s n u t z u n g der Unerfahrenheit eines anderen zur E r l a n g u n g eines ü b e r m ä ß i g e n Vermögensvorteils, oder ist eine besonders hierauf gerichtete Absicht erforderlich ? BGB. § 138 Abs. 2. II. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 7. Januar 1905.
I. Landgericht Flensburg.
II. Oberlandesgericht Kiel.
Die klagende Gesellschaft verlangte Empfangnahme und Bezahlung von Kadaverdünger, welchen ihr Reisender dem Beklagten verkauft hatte. Letzterer wendete gegenüber der erhobenen Klage Nichtigkeit des Kaufgeschäftes ein, weil beim Abschluß desselben klägerischerseits seine Unerfahrenheit in wucherischer Weise ausgebeutet worden sei. In erster Instanz wurde die Klage abgewiesen, in der zweiten Instanz der Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt. Auf Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen worden, soweit es hier interessiert, aus folgenden Gründen: „Das Berufungsgericht erachtet die an sich unbestrittenen Klagansprüche für begründet und den von dem Beklagten erhobenen, auf die Behauptung des Vorliegens eines Verstoßes gegen die guten Sitten, insbesondere eines Sachwuchers, . . . gestützten Einwand der Nichtigkeit des Kaufvertrages für ungerechtfertigt. Hinsichtlich der angeblichen B e w u c h e r u n g des Beklagten hält dasselbe zwar für bewiesen, daß der für den Kadaverdünger vereinbarte Kaufpreis dessen Wert fast um das Doppelte
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übersteige und daher in einem auffälligen Mißverhältnis zu dem Werte stehe, sowie daß der Beklagte, ein einfacher Arbeiter ohne Erfahrung und kaufmännische Bildung als unerfahren im Sinne des Gesetzes zu erachten sei. Es vermißt aber den für die Anwendung des § 138 Abs. 2 BGB. außerdem noch erforderlichen Nachweis einer A u s b e u t u n g der Unerfahrenheit des Beklagten sowie den Nachweis eines sonstigen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abss. 1 u. 2 BGB). . . . Zu erheblichen rechtlichen Bedenken gibt nun die von dem Beklagten mit der Revision angegriffene Annahme des Berufungsgerichts Anlaß, daß das Erfordernis der A u s b e u t u n g hier n i c h t gegeben sei. Diese Annahme ist auf die Erwägungen gestützt: Ausbeutung verlange die zur Verwirklichung gebrachte A b s i c h t , die Unerfahrenheit eines anderen auszunutzen. In der allgemein gehaltenen Anpreisung an Interessenten zum Zwecke des Verkaufs der Waren liege auch dann, wenn der gesetzte Preis ein hoher sei, und der Käufer anderweit erheblich billiger kaufen könne, noch kein Verstoß gegen die guten Sitten und gegen Treu und Glauben, und besondere Umstände, die im vorliegenden Falle das Vorgehen und den Vertragsabschluß als eine A u s b e u t u n g oder als einen anderen Verstoß gegen die guten Sitten erscheinen ließen, seien nicht nachgewiesen. Die Äußerungen des Reisenden der Klägerin, der das Geschäft mit dem Beklagten abgeschlossen hat, dieser könne mit dem Kadaverdünger mehr verdienen als mit Chilisalpeter, und es sei für ihn bei dem Geschäfte kein Risiko, seien Redensarten und Anpreisungen allgemeiner Art, die an sich keinen Wert und keine Bedeutung hätten. Die weitere Äußerung des Reisenden, er habe mit einigen namentlich bezeichneten Firmen keine Geschäftsverbindung angeknüpft, weil sie an Konkurrenzgeschäfte gebunden seien, sei, abgesehen davon, daß die Unrichtigkeit der Angabe nicht behauptet worden, ebenfalls ohne Bedeutung. In der Erklärung des Reisenden, die Firma N. & R. habe bei der letzten Lieferung 200 Sack bekommen, wobei der Reisende verschwiegen habe, daß es sich hierbei um eine andere, gleichwertige Sorte Dünger gehandelt habe, sei ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht zu finden. Auch sei nicht ersichtlich, inwieweit diese Erklärung für den Beklagten zum Kaufabschlüsse bestimmend gewesen sei. Diese Ausführungen ergeben, daß das Berufungsgericht den Begriff der Ausbeutung zu eng auffaßt, auch nicht deutlich zwischen den Persönlichkeiten unterscheidet, welche als Ausbeuter des Beklagten in Betracht kommen können, nämlich zwischen der klagenden Aktiengesellschaft, als deren Willensorgane ihre Vertreter als Ausbeuter gehandelt haben könnten, und dem Reisenden, welcher der Gesellschaft als einem „Dritten" im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. einen übermäßigen Vermögens vorteil durch das Kaufgeschäft könnte von dem Beklagten haben versprechen lassen, indem er die Unerfahrenheit desselben ausbeutete. Endlich vermischt das Berufungsgericht bei seinen Erörterungen die gesetzlichen Voraussetzungen einer Ausbeutung nach § 138 Abs. 2 und einer arglistigen Täuschung im Sinne des § 123 BGB. Zur Erfüllung des Begriffes der A u s b e u t u n g wird
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mit Unrecht die A b s i c h t der Ausnutzung der Unerfahrenheit erfordert. Es genügt dazu schon die be w u ß t e Ausnutzung der Unerfahrenheit zur Erlangung eines übermäßigen Vermögens Vorteils. Dieses Erfordernis liegt schon vor, wenn jemand in Kenntnis oder in der Überzeugung von der Unerfahrenheit des anderen, sowie von dem auffälligen Mißverhältnis zwischen der Leistung und den ihr gegenüberstehenden Vermögensvorteilen mit dem Vorsatz handelt, die Unerfahrenheit des anderen zur Gewinnung der übermäßigen Vermögensvorteile für sich oder einen Dritten zu benutzen. Diese Voraussetzunegn sind allerdings nicht, wie der Vertreter des Revisionsklägers meint, bei der k l a g e n d e n G e s e l l s c h a f t schon deshalb gegeben, weil sie Reisende mit der Weisung ausgesandt habe, auf Grund mitgegebener Preisverzeichnisse zu so hohen Preisen Kaufverträge abzuschließen, daß nur unerfahrene oder leichtsinnige Personen sich zum Abschluß bereit finden lassen könnten. Denn es würde bei den Vertretern der Klägerin mangels Kenntnis der Person des einzelnen Käufers von einer Kenntnis seiner Unerfahrenheit und von einem Vorsatz der Benutzung derselben keine Rede sein können, diese Erfordernisse können nicht durch einen allgemeinen Bewucherungsvorsatz ersetzt werden. Bezüglich der Person des R e i s e n d e n der Klägerin ist aber jedenfalls das Fehlen der Erfordernisse einer Ausbeutimg der Unerfahrenheit des Beklagten nicht genügend festgestellt. Mit Unrecht legt das Berufungsgericht den für bewiesen erachteten Äußerungen desselben bei dem Vertragsabschluß deshalb keine Bedeutung bei, weil die eine bloß eine allgemeine Anpreisimg, die andere möglicherweise richtig und die dritte vielleicht für den Vertragsabschluß nicht bestimmend gewesen sei. Diese Erwägungen mögen für die Frage nach dem Vorhandensein einer arglistigen Täuschung und der d a r a u f beruhenden Nichtigkeit des Vertrages von Wichtigkeit sein. Sie sind aber nicht geeignet, die Annahme einer Ausbeutung auszuschließen. Zu prüfen wäre gewesen, ob aus den Äußerungen des Reisenden für sich allein oder in Verbindung mit anderen Umständen entnommen werden kann, daß der Reisende bei dem Abschlüsse des Kaufvertrages mit dem Beklagten in Kenntnis oder in der Überzeugung von dessen Unerfahrenheit und mit dem Vorsatze der Benutzung derselben zur Gewinnung des Kaufpreises für die Klägerin gehandelt hat und daß dessen festgestelltes auffälliges Mißverhältnis zu dem Werte des verkauften Kadaverdüngers ihm bewußt war. Für diese Beurteilung können auch allgemeine Redensarten und Anpreisungen sowie andere Angaben, gleichviel ob sie wahr oder unwahr sind und ob die einzelne Angabe den Beklagten zum Abschluß des Vertrages bestimmt hat, von Bedeutung sein. Denn es kommt dabei entscheidend auf die Beurteilung der Handlungsweise des angeblichen A u s b e u t e r s , nicht aber darauf an, welchen Eindruck der angeblich Ausgebeutete von dieser empfangen hat, wenn, wie hier, die Tatsache feststeht, daß jener durch sein Vorgehen den Abschluß des Vertrages mit dem unerfahrenen Beklagten zustande gebracht hat."
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R G Z . 60, 21 Welchen Einfluß hat es, wenn die über ein Rechtsgeschäft ausgestellte Urkunde mit dem Willen der beiden Beteiligten tatsächlich unrichtige Angaben über die abgegebenen Willenserklärungen enthält ? Ist das beurkundete Rechtsgeschäft alsdann als Scheingeschäft anzusehen ?
BGB. §§ 117, 405. VI. Zivilsenat. Urt. v. 12. Januar 1905. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagte hatte in einer notariell beglaubigten Schuldurkunde vom 26. April 1900 bekannt, von dem Kaufmann S. ein Darlehn von 6000 M. erhalten zu haben, und sich zur Verzinsung und Rückzahlung dicserSumme in näher angegebener Weise verpflichtet. Der Kläger, auf den die Forderung durch notariell beurkundete Abtretung übergegangen war, klagte gegen die Beklagte auf Zahlung der Darlehnsschuld nebst Zinsen. Der weitere Sachverhalt ergibt sich aus den Gründen: „In dem Berufungsurteile ist einwandfrei festgestellt worden, auf Grund welcher Abmachungen mit dem Kaufmann S. die Beklagte diesem die Schuldurkunde vom 26. April 1900 übergeben hat, worin sie sich zu dem Empfang eines von S. ihr gegebenen Darlehns bekennt und zu dessen Verzinsimg und Rückzahlung verpflichtet. Danach haben die Beteiligten folgendes gewollt und ausgeführt. S. brauchte Barmittel, und die Beklagte, die solche ebenfalls nicht zur Verfugung hatte, wollte sie ihm durch ihren Kredit verschaffen. Zu dem Zwecke wurde zwischen ihnen vereinbart, daß die Beklagte den Schuldschein über ein von S. ihr angeblich ausbezahltes Darlehn von 6000 M ausstellen, und durch die Abtretung dieser verbrieften Forderung an einen Dritten S. sich das Geld verschaffen solle, das die Beklagte ihm leihen wollte, und das er, wenn die Beklagte von dem Dritten in Anspruch genommen werde, ihr ersetzen sollte. Zur Sicherung dieses Ersatzanspruchs stellte S. der Beklagten einen Schuldschein aus, worin er den Empfang eines von der Beklagten ihm gegebenen Darlehns von ebenfalls 6000 M. bekannte. S. hat danach die Darlehnsforderung gegen die Beklagte durch Abtretung an die offene Handelsgesellschaft B. & Co. veräußert, die wieder die Forderung an den jetzigen Kläger abgetreten hat. Die Revision bat diese Feststellungen nicht bemängelt; ihre Angriffe richten sich gegen die rechtliche Würdigung des Tatbestandes durch das Berufungsgericht. Das Landgericht hatte angenommen, die Beklagte habe durch die Ausstellung der Schuldurkunde ein abstraktes Schuldversprechen gegenüber S. abgegeben und nur überflüssigerweise einen bewußt unrichtigen Schuldgrund hinzugefügt. Das Berufungsgericht ist dieser Auffassung nicht bei-
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getreten, weil sie mit dem klaren Inhalte der Urkunde nicht vereinbar sei. Dem ist zuzustimmen, weil auch die Umstände, unter denen der Vertrag zwischen der Beklagten und S. zustande kam, und der Zweck, zu dem er abgeschlossen wurde, nicht dazu nötigen, die Willenserklärung der Beklagten im Widerspruch mit der schriftlichcn Beurkundung in dem Sinne auszulegen, daß eine abstrakte Schuldverbindlichkeit habe begründet werden sollen. Die Beklagte hat vielmehr den ernstlichen Willen gehabt, Darlehnschuldnerin zwar nicht des S., aber doch eines etwaigen dritten Erwerbers der Schuldurkunde zu werden. D a r u m kann es aber auch nicht f ü r richtig erachtet werden, wenn das Berufungsgericht den Vertrag als ein Scheingcschäft auffaßt und annimmt, die Beklagte habe sich zum Schein S. gegenüber als Darlehnsschuldnerin bekannt. Das von der Revision angeregte prozessuale Bedenken gegen diese Auffassung ist freilich nicht begründet. In der ersten Instanz hat sich allerdings die Beklagte zunächst nur mit dem Einwand verteidigen wollen, sie habe das Darlehn noch nicht ausbezahlt erhalten, und das sei dem Kläger bekannt gewesen. Aber in der zweiten Instanz haben die Parteien auf der Grundlage des jetzt vorliegenden Tatbestandes verhandelt, und es ist Sache des Berufungsgerichts gewesen, zu beurteilen, welche rechtliche Bedeutimg die festgestellten Abmachungen und Vorgänge haben. Dagegen hat die Revision mit der Bemerkung Recht, daß die Unwahrheit dessen, was in dem Schuldschein beurkundet sei, noch nicht den Schluß begründe, daß ein Scheingeschäft abgeschlossen sei. In der T a t liegt auch die Sache so, daß die zunächst Beteiligten, S. und die Beklagte, alles das ernstlich gewollt haben, was zur Ausführung gelangt ist. Die Beklagte verpflichtete sich, dem S. leihweise Barmittel zu verschaffen. Sie übernahm nicht die Verbindlichkeit, ihm einen Betrag bar auszuzahlen, sondern in Erfüllung ihrer dem S. gegebenen Zusage stellte sie ihm den Schuldschein aus, zu dessen Veräußerung durch Abtretung der Forderung an einen Dritten sie ihn ermächtigte. S. hat demnach bei der Abtretung ihren Willen ausgeführt und, indem er die Zahlung des Erwerbers entgegennahm, sie als das von der Beklagten ihm versprochene Darlehn bekommen, wogegen letztere wieder Darlehnsschuldnerin des Erwerbers werden wollte und wurde. Hier liegt also nirgend eine Willenserklärung vor, die von der Beklagten nicht ernstlich genieint, von ihr im Einverständnis mit S. nur zum Schein abgegeben wäre. N u r der Inhalt des Schuldscheins hat eine absichtlich unwahre Angabe enthalten, und diese Unwahrheit hat lediglich den Zweck verfolgt, die Anschaffung des baren Geldes f ü r S. zu erleichtern, nicht aber die Verbindlichkeit der Beklagten gegenüber dem dritten Erwerber auszuschließen. Der hier zu entscheidende Fall liegt also, was die Ernstlichkeit des Vertragswillens anlangt, sachlich nicht anders, als wenn die Beklagte an S. einen von ihr ausgestellten Schuldschein gegeben hätte, worin der Platz f ü r den Namen des Darlehnsgebers offen gelassen war, mit der Ermächtigung f ü r S., den N a m e n dessen, der das Darlehn hergeben würde, einzufügen. N u r in der F o r m ist hier anders verfahren; aber die tatsächlich unrichtigen Angaben über die vorauf-
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gegangene Zahlung der 6000 M . an die Ausstellern! des Schuldscheins haben den rechtlichen K e r n des Vorgangs unverändert bestehen lassen. Die Beklagte hat sich durch Vermittlung des von ihr ermächtigten S. dem Erwerber des Schuldscheins als Darlehnsschuldnerin verpflichten wollen, und das, was der Erwerber an S. zahlte, ist nach ihrem Willen die Valuta gewesen, zu deren Zahlung sie sich in dem Schuldschein verpflichtet hatte. Deswegen steht ihr, nachdem der neue Erwerber die Zahlung an S. geleistet hat, nicht mehr die Einrede zu, daß sie die Urkunde in der Erwartung einer noch nicht erfolgten Zahlung des Darlehns von sich gegeben habe. U n d weil sie ferner nicht auf G r u n d einer Zahlung des S., sondern auf G r u n d der Zahlung des Erwerbers der Forderung diesem den verschriebenen Betrag schuldig werden wollte, stehen ihr auch nicht die Einreden der Aufrechnung u n d Zurückbehaltung zu, die sie etwa gegen S. hätte geltend machen können, wenn dieser die Rückzahlung des Darlehns von ihr gefordert hätte."
R G Z . 60, 273 Ist ein Vertrag über Abhalten vom Bieten bei einer öffentlichen Versteigerung gegen Zusicherung eines Vorteils nach § 134 BGB. mit Rücksicht auf § 270 preuß. StGB, unter allen Umständen nichtig ? BGB. § 134. Vereinigte Zivilsenate. I. Landgericht Dortmund.
Bcschl. v. 17. März 19C5. II. Oberlandesgericht Hamm.
Die vereinigten Zivilsenate haben eine zwischen dem V. und dem VI. Zivilsenat streitig gewordene Frage über die Nichtigkeit von Verträgen, betreffend das Abhalten vom Bieten bei öffentlichen Versteigerungen, nach § 134 BGB. mit Rücksicht auf § 270 preuß. StGB, dahin entschieden: „ I m Geltungsbereiche des § 270 preuß. StGB, vom 14. April 1851 ist ein Vertrag, durch den der eine Kontrahent sich von dem anderen gegen Zusicherung eines Vorteils vom Bieten bei einer öffentlichen Versteigerung abhalten läßt, nicht um deswillen allein nach dem § 134 BGB. nichtig, weil der § 270 preuß. StGB, den mit Strafe bedroht, der andere vom Bieten bei öffentlichen Versteigerungen durch Z u sicherung oder Gewährung eines Vorteils abhält." Gründe: „ D e r § 270 StGB, f ü r die preußischen Staaten vom 14. April 1851 schreibt vor: „ W e r andere vom Mitbieten oder Weiterbieten bei den von öffentlichen Behörden oder Beamten vorgenommenen Versteigerungen, dieselben mögen Verkäufe, Verpachtungen, Lieferungen, U n t e r -
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nehmungen oder Geschäfte irgendeiner Art betreffen, durch Gewalt oder Drohung, oder durch Zusicherung oder Gewährung eines Vorteils abhält, wird mit Geldbuße bis zu dreihundert Talern oder mit Gefängnis bis zu sechs Monaten bestraft." Daß diese Strafvorschrift noch jetzt in Geltung steht, daß sie namentlich durch das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich mit Rücksicht auf § 2 E inf.-Ges. zu demselben nicht außer Kraft gesetzt ist, hat das Reichsgericht in feststehender Rechtsprechung angenommen. (Vgl. Entsch. des RG.s in Strafs. Bd. 10 S. 221, Bd. 17 S. 203, Bd. 27 S. 106, Bd. 35 S. 393; Entsch. in Zivils. Bd. 18 S. 219, Bd. 26 S. 314, Bd. 32 S. 261, Bd. 51 S. 401.) Nun bestimmt § 134 BGB.: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, ist nichtig, wenn sich nicht aus dem Gesetz ein anderes ergibt." Im Zusammenhalt dieser Vorschrift mit dem erwähnten § 270 hat der VI. Zivilsenat des Reichsgerichts durch Urteil vom 2. Juni 1902 (Entsch. in Zivils. Bd. 51 S. 401) einen Vertrag, inhalts dessen der eine Kontrahent das Versprechen des anderen, ihm für das Nichtmitbieten bei einer öffentlichen Versteigerung einen Vermögensvorteil zu gewähren, angenommen und sich dadurch vom Mitbieten hat abhalten lassen, für nichtig erklärt. Er begründet dies damit, daß das Versprechen gegen § 270 preuß. StGB, verstoße, und daß, da es ein notwendiger untrennbarer Teil des gewollten Rechtsgeschäfts sei, letzteres selbst von dem Verbotsgesetz getroffen werde. Darum soll das ganze Rechtsgeschäft nach § 134 a. a. O. nichtig sein. Dem V. Zivilsenat lag in der gegenwärtigen Streitsache dieselbe Rechtsfrage vor. Er hielt im Gegensatz zum VI. Zivilsenat den Vertrag nicht schon deshalb für nichtig, weil die eine Vertragspartei durch ihr Versprechen, dem anderen Teil für das Nichtbieten einen Vermögensvorteil zu gewähren, diesen vom Bieten abgehalten und dadurch gegen die Strafvorschrift des § 270 verstoßen hat. Trotz dieses Verstoßes erachtete vielmehr der V. Zivilsenat das durch Annahme eines solchen Versprechens zustande gekommene Rechtsgeschäft, wofern es nicht etwa gegen die guten Sitten verstößt und deshalb nach § 138 BGB. nichtig sein müßte, für gültig, und zwar so, daß die versprochene Gegenleistung von demjenigen, der sich durch sie vom Bieten hat abhalten lassen, auch klage- und einredeweise geltend gemacht werden kann. Über die hiernach streitig gewordene Rechtsfrage war gemäß § 137 GVG. die Entscheidung der vereinigten Zivilsenate einzuholen. . . . Daß das Bürgerliche Gesetzbuch nicht schlechthin jede von den Gesetzen verbotene oder mit Strafe bedrohte Handlung der zivilrechtlichen Wirksamkeit entkleiden will, ergibt der Wortlaut des § 134. Zweierlei wird in dieser Vorschrift für die von ihr angedrohte Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts vorausgesetzt: einmal, daß das R e c h t s g e s c h ä f t gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, und ferner, daß sich nicht aus dem Gesetz ein a n d e r e s ergibt. Vor allem war daher zu prüfen, ob die erste Voraussetzung hier zutrifft, d . h . ob sich die Strafvorschrift des § 270 gegen das Rechtsgeschäft selbst richtet, welches durch das Versprechen, für das Nichtbieten
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einen bestimmten Vermögensvorteil zu gewähren, von der einen, und durch die Annahme dieses Versprechens von der anderen Seite zwischen den Vertragsparteien zustande kommt. War dies zu verneinen, so bedurfte es eines Eingehens auf die zweite Frage, wie sich § 270 zu der zivilrechtlichen Gültigkeit oder Ungültigkeit der von ihm mit Strafe bedrohten Handlung stellt, überhaupt nicht. Der VI. Zivilsenat ist in dem oben erwähnten Urteil vom 2. Juni 1902 auf die hiernach in erster Reihe zu beantwortende und maßgebende Frage nicht weiter eingegangen; er hält es für genügend, um die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts nach § 134 BGB. eintreten zu lassen, wenn auch nur die eine der beiden Willenserklärungen, aus denen sich das Rechtsgeschäft zusammensetzt, mit Strafe bedroht ist. Darin aber kann ihm nicht beigetreten werden. Es gibt vielfach Strafvorschriften und Verbotsgesetze, durch deren Übertretung sich der Täter zwar der ihm angedrohten Strafe schuldig macht, die aber nicht denjenigen treffen, der zu ihrem Abschluß als Gegenkontrahent auf der anderen Seite mitgewirkt hat, und die noch weniger die zivilrechtliche Gültigkeit desjenigen Rechtsgeschäfts, als dessen Bestandteil sich die verbotene oder unter Strafe gestellte Handlung darstellt, beeinflussen. Die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch zählen zu § 105 des ersten Entwurfs (Bd. 1 S. 210) eine Reihe derartiger Fälle auf, ohne damit eine erschöpfende Zusammenstellung geben zu wollen. Sie erwähnen den Art. 69 des damals geltenden Handelsgesetzbuchs, die §§ 1, 2, 6 des Gesetzes, betreffend die Inhaberpapiere mit Prämien, vom 8. Juni 1871 (RGBl. S. 210), die §§ 7, 11, 42, 43, 55—58 des Bankgesetzes vom 14. März 1875 (RGBl. S. 177), den § 146 Ziff. 1 verbunden mit §§ 115—119 GewO. in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Juli 1883 (RGBl. S. 177), das Gesetz, betreffend den Wucher, vom 24. Mai 1880 (RGBl. S. 109), die §§ 301, 302, auch § 288 deutsch. StGB, und die zu letzterem ergangene Entscheidimg des Reichsgerichts, III. Zivilsenats, vom 31. Januar 1882 (Entsch. in Zivils. Bd. 6 S. 169). Man könnte weiter auch in derselben Richtung auf die Strafbestimmungen über die Verkäufe an Sonntagen (§ 41a GewO.), den verbotswidrigen Handel mit giftigen Stoffen (Reichsgesetz vom 14. Mai 1879, 29. Juni 1887, 5. Juli 1887), oder mit nicht geeichten Maßen (Reichsgesetz vom 16. Juli 1884) und ähnliche Fälle verweisen. Allen diesen Strafbestimmungen oder Verbotsgesetzen ist gemeinsam, daß sie nur die Tätigkeit des einen der Kontrahenten, die beim Abschluß derartiger Geschäfte mitgewirkt haben, unter Strafe stellen oder verbieten, und es besteht in Ansehung ihrer allseitig Übereinstimmung darüber, daß sie die zivilrechtliche Gültigkeit des Rechtsgeschäfts selbst, als dessen Bestandteil die verbotene oder strafbare Tätigkeit in Betracht kommt, nicht in Frage stellen. Dementsprechend heben auch die Motive zum Bürgerlichen Gesetzbuch a. a. O. als R e g e l hervor, daß in den Fällen, in denen bei einem Vertrage das Verbot nur den einen Teil trifft, d e r V e r t r a g als s o l c h e r n i c h t u n g ü l t i g sein soll. Sie fügen hinzu, daß diese Regel auch im Gesetz genügenden Ausdruck gefunden habe, weil sie mit durch den in den Worten : „wenn sich nicht aus Zivils. Allgcm. Teil 2
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dem Gesetz ein anderes ergibt" enthaltenen Vorbehalt gedeckt werde. Ob letzteres zutrifft, kann dahingestellt bleiben; es genügt, um das Gesetz im gleichen Sinne zu verstehen, auf die Eingangsworte des § 134 BGB. hinzuweisen, in denen vorausgesetzt wird, daß das R e c h t s g e s c h ä f t gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Damit ist nun freilich nur die Regel gewonnen, und es bleibt weiter zu prüfen, ob etwa § 270 preuß. StGB, von dieser Regel abweicht, ob sich also Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß § 270, obwohl er nur einen Teil mit Strafe bedroht (denjenigen, der vom Bieten abhält), das Rechtsgeschäft selbst hat treffen wollen, nämlich den Vertrag, der durch Annahme eines dahin zielenden Versprechens zwischen dem Annehmenden und dem Versprechenden zum Abschluß kommt. Aber solche Anhaltspunkte lassen sich nicht bloß nicht finden, vielmehr weist eine Betrachtung des § 270, die ihn im Zusammenhang mit dem damals geltenden Recht erfaßt, auf das Gegenteil hin. Der § 270 ist im Gebiete des altpreußischen Rechts, für welches damals die „gegen verschiedene Mißbräuche bei gerichtlichen und anderen öffentlichen Subhastationen und Versteigerungen" gerichtete Verordnung vom 14. Juli 1797 Geltung hatte, an die Stelle der Strafbestimmung getreten, die in Nr. 4 dieser Verordnung enthalten war. Er hat aber einen durchaus anderen Inhalt und deckt sich namentlich in der hier fraglichen Beziehung mit den Vorschriften der Verordnung nicht. Um dies zu erkennen, muß man auf die Tendenz der letzteren zurückgehen. Sie ist in ihrem Eingange selbst dahin angegeben: „Es nehme der Mißbrauch überhand, daß ein Lizitant, um einen anderen Bietungslustigen zu entfernen und von einem Mehrgebote abzuhalten, sich mit demselben über ein sog. Abstandsgeld vereinige und dadurch bewirke, daß er solchergestalt das ausgebotene Objekt zu einem niederen Preise erhalte, als geschehen sein würde, wenn nicht andere Kauflustige durch einen solchen Winkelvertrag vom Mitbieten wären zurückgehalten worden; der gleichen Verabredungen gründeten sich auf einen unmoralischen und unerlaubten Eigennutz, den die Gesetze niemals begünstigen könnten, indem dadurch der Zweck der öffentlichen Versteigerungen gänzlich vereitelt, dem Eigentümer des zu verkaufenden Objekts oder dessen Gläubigern der rechtmäßige Vorteil . . . entzogen, und gerichtliche Handlungen, bei denen . . . ein gerades und offenes Verfahren mit Recht gefordert werden könne, in Gelegenheiten zu gewinnsüchtigen Spekulationen verwandelt würden." Entsprechend dieser Tendenz, die ersichtlich gegen die Gültigkeit derartiger Verträge und Rechtsgeschäfte selbst gerichtet war, erklärt nun die Verordnung unter Nr. 1 „alle Verträge und Verabredungen, bei welchen die Absicht zugrunde liegt, bei gerichtlichen und anderen öffentlichen Subhastationen . . . Kauflustige zum Vorteil eines Lizitanten von der Abgabe ihres Gebots . . . zurückzuhalten, es geschehe nun solches durch Bewilligung eines gewissen Abstandsgeldes oder durch Versprechung oder wirkliche Einräumung anderer Vorteile, für unerlaubt und strafbar"; unter
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Nr. 2 schreibt sie vor, daß „dergleichen Verträge auch unter den Kontrahenten selbst keine rechtliche Wirkimg haben" sollen; unter Nr. 3 setzt sie die hieraus „dem vorigen Eigentümer des Objekts . . . oder dessen Gläubigern" zukommenden Entschädigungsansprüche fest und ordnet unter Nr. 4 eine „fiskalische Geldstrafe", die das duplum des unerlaubten Gewinns betragen soll, für diejenigen an, „die sich auf einen solchen Vertrag eingelassen haben." Vergleicht man hiermit den Inhalt des § 270 preuß. StGB., so springt sofort in die Augen, daß letzterer auf einem wesentlich anderen Standpunkte steht. Er sieht ganz davon ab, in welcher Absicht das Abhalten vom Bieten geschehen ist, und ob der Eigentümer oder dessen Gläubiger geschädigt worden sind. Er bedroht nur den mit Strafe, der vom Bieten abhält, nicht den Mitkontrahenten, dehnt aber andererseits die Strafvorschrift auf die Fälle aus, in denen Gewalt oder Drohung angewendet worden ist, um vom Bieten abzuhalten. Das, was er trifft und treffen will, ist also — im Gegensatz zur Verordnung, die sich gegen das Rechtsgeschäft selbst richtete — die Tätigkeit des einen Kontrahenten und nur diese, nämlich desjenigen, der vom Bieten abgehalten hat. Gerade der Gegensatz, in welchem § 270 zu der Strafvorschrift unter Nr. 4 der Verordnung steht, zeigt deutlich, daß er weiter nicht greifen, namentlich das Rechtsgeschäft selbst unter seine Strafbestimmung nicht einbeziehen will. Demnach kann davon keine Rede sein, daß § 270 als Ausnahme von der oben erörterten, in den Motiven zum Bürgerlichen Gesetzbuch aufgestellten und als richtig anzuerkennenden Regel anzusehen wäre. Ist diese aber auch auf ihn anzuwenden, so fehlt für die Anwendung des § 134 BGB. die erste Voraussetzimg, nämlich die, daß das R e c h t s g e s c h ä f t gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Daraus ergibt sich ohne weiteres, und ohne daß es eines Eingehens auf andere rechtlichc Gesichtspunkte bedurft hätte, daß die den vereinigten Zivilsenaten zur Entscheidung vorgelegte Frage verneint werden mußte."
R G Z . 6o, 334 In welchem Zeitpunkte gilt eine einem anderen gegenüber abzugebende Willenserklärung als dem anderen zugegangen, wenn die Erklärung in Abwesenheit des anderen in seiner W o h nung an eine mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebende Person zur Bestellung an ihn mündlich abgegeben wurde ?
BGB. § 130 Abs. 1. V.Zivilsenat. I. Landgericht Aurich.
Urt. v. 29. März 1905. II. Oberlandesgericht Celle.
Der Beklagte bot am 11. Mai 1903 schriftlich die Abtretung einer f ü r ihn auf einem Brauereigrundstück eingetragenen Hypothek von 10000 M .
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dem Kläger gegen Barzahlung von 5000 M. an, erklärte aber, daß er sich nur bis zum 20. Mai an diese Offerte für gebunden halte. Der Kläger behauptete, daß er dieses Angebot am 20. Mai brieflich und auch mündlich angenommen habe. Er verlangte Abtretung der Hypothek und Herausgabe des Hypothekenbriefs gegen Zahlung von 5000 M. Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage, weil der Kläger das Angebot abgelehnt habe. Am 20. Mai sei der Uhrmacher C. im ausdrücklichen oder stillschweigenden Auftrage des Klägers in seiner Wohnung gewesen und habe in seiner Abwesenheit seiner Frau erklärt, daß der Kläger für die Hypothek nui 3000 M. geben wolle. Demnächst sei der Annahmebrief des Klägers in der Wohnung des Beklagten, ebenfalls in dessen Abwesenheit, abgegeben worden; aber ehe der Beklagte vom Inhalte Kenntnis erlangt, habe seine Frau ihm von der Bestellung des C. Mitteilung gemacht. Der erste Richter hat die Klage abgewiesen. Der Berufungsrichter hat dagegen nach dem Klagantrag erkannt. Auf Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und auf Zurückweisung erkannt, aus folgenden Gründen: . . . „Verfehlt ist die Ansicht der Revision, daß der Beklagte die Erklärung des C. als sich selbst gegenüber abgegeben gelten lassen müsse, weil seine Frau diese Erklärimg als seine unbeauftragte Geschäftsführerin entgegengenommen habe; denn die Tatbestände der Vorentscheidungen bieten nicht den geringsten Anhalt dafür, daß C. die Erklärung gegenüber der Frau des Beklagten als der Geschäftsführerin ihres Mannes abgegeben hat (§ 180 Satz 3 BGB.). Überdies fehlt es an jedem tatsächlichen Anhalte dafür, daß der Beklagte jene angebliche Vertretung durch seine Frau genehmigt hat (§ 184 BGB.). Versagen somit die Angriffe der Revision, so führen doch folgende Erwäpungen zur Aufbebung des Berufungsurteils. Der Berufungsrichter führt aus, daß mit dem Abgeben des die Annahmeerklärung des Klägers enthaltenden Schreibens in der Wohnung des Beklagten diesem die Annahmeerklärung im Sinne des § 130 BGB. zugegangen und wirksam geworden sei, so daß es auf den Zeitpunkt, wann der Beklagte das Schreiben gelesen hat, nicht ankomme. Daher sei es gleichgültig, ob das von C. angeblich im Auftrage des Klägers der Frau des Beklagten gegenüber erklärte Gegenangebot, das die Bedeutung der Ablehnung des Angebots des Beklagten gehabt haben würde (§ 150 Abs. 2 BGB.), vor oder nach dem Lesen des Schreibens des Klägers zur Kenntnis des Beklagten gekommen sei. Diese Ausführung würde richtig sein, wenn das Schreiben des Klägers in die Wohnung des Beklagten gelangt wäre, b e v o r C. das angebliche Gegenangebot gegenüber der Frau des Beklagten zur Mitteilung an ihren Mann erklärt hatte. Dann würde der Vertrag über die Abtretung der Hypothek mit dem Augenblicke, wo das Annahmeschreiben des Klägers in die Woh-
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nung des Beklagten gelangte, zustande gekommen, und der im späteren Gegenangebote liegende Widerruf der Annahmeerklärung unwirksam gewesen sein (§ 130 Abs. 1 Satz 2 BGB.). Aber der Berufungsrichter stellt nicht fest, daß das Schreiben des Klägers in die Wohnung des Beklagten gelangt sei, bevor C. seine mündliche Erklärimg gegenüber der Frau des Beklagten abgegeben hatte; daher muß, entsprechend den Behauptungen des Beklagten, denen die Ergebnisse der Beweisaufnahme zur Seite zu stehen scheinen, für die Revisionsinstanz das Gegenteil unterstellt werden. Dann aber mußte untersucht werden, ob nicht in der angeblich im Auftrage des Klägers erklärten Bestellung des C. an die Frau des Beklagten ein Zugehen des im Sinne der Ablehnung des Angebots aufzufassenden Gegenangebots gefunden werden muß. Der erkennende Senat ist bei Prüfung dieser Frage zur Bejahung d e l e i t e n gelangt. Der § 130 BGB. enhält keine Bestimmung des Begriffes des Zugehens. Nach der durch ihn zur Herrschaft gelangten Empfangstheorie genügt es, daß der, dem gegenüber eine Willenserklärung abgegeben wird, in eine Lage versetzt wiid, die ihm unter gewöhnlichen Verhältnissen (Krankheit, Abwesenheit von Hause u. dgl. kommen dabei nicht in Betracht) die Möglichkeit gewährt, von der E klärung Kenntnis zu nehmen. Sobald diese Voraussetzung gegeben ist, wird die Willenserklärung wirksam (§ 130 Abs. 1 Satz 1 BGB.). Darauf, wann er von der Erklärung Kenntnis genommen hat, kommt es nicht an. Die Beantwortung der Frage, wann die Möglichkeit der Kenntnisnahme vorliegt, richtet sich nach der Lage des Einzelfalls. Bei brieflicher Erklärung genügt es nach ständiger Rechtsprechung (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 50 S. 191 flg., Bd. 56 S. 262 flg., Ed. 58 S. 406 flg.), in der Regel, daß der Brief in die Wohnung des — anw. senden oder abwesenden — Adressaten gelangt ist, z. B. daß er in der Wohnung an einen Familienangehörigen oder Dienstboten abgegeben oder in einen an der Wohnung angebrachten Briefkasten geworfen ist. Nicht wesentlich anders liegt die Sache, wenn die Erklärung in Abwesenheit des Erklärungsgegners in seiner Wohnimg einer dort anwesenden Person gegenüber zur Mitteilung an den Gegner mündlich abgegeben wird. Ein Unterschied ergibt sich freilich daraus, daß an die Mittelsperson erheblich höhere Anforderungen gestellt werden, wenn sie die mündliche Bestellung ausrichten soll, und daß infolge davon die Gefahr besteht, daß die Erklärung nicht richtig mitgeteilt wird. Daher wird der Erklärende, wenn es sich um die Frage hardelt, o b die Erklärung zugegangen ist, nachzuweisen haben, daß die Mittelsperson zur Wiedergabe der Erklärung geeignet war. Es reicht nicht — wie beim Briefe — aus, ciaß sie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Erklärungsgegner steht, sondern es muß erhellen, daß sie die erforderliche geistige Fähigkeit besitzt. Diese Voraussetzung wird b J erwachsenen Hausgenossen in der Regel anzunehmen sein. Ist aber — wie im vorliegenden Falle für die Revision zu unterste len ist — die mündliche Erkläiung dem Erklärungsgegner richtig mitgeteilt, dann st. ht die Zuverlässigkeit des Erklärungsmittlers ebenso
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fest, wie die der brieflichen Mitteilung. Dann aber ist kein Grund für eine verschiedene Behandlung der beiden Fälle bezüglich der Frage ersichtlich, w a n n die Erklärung zugegangen ist. Es ist im Erfolge ganz gleich, ob der Erklärungsgegner bei seiner Rückkunft nach Hause von seiner Frau den ihr zur Bestellung anvertrauten, die Erklärung enthaltenden Brief erhält, oder ob ihm die Frau die mündliche Erklärung mündlich (aber richtig) mitteilt. In beiden Fällen ist er in der Lage, jederzeit von der Erklärung Kenntnis zu erlangen, und in beiden Fällen steht der sofortigen Kenntnisnahme nur seine Abwesenheit im Wege, die jedoch bei der Frage der Zeit des Zuganges nicht in Betracht kommt. Muß aber der Erklärungsgegner die in seiner Abwesenheit seinem Hausgenossen, ζ. B. seiner Frau, abgegebene Erklärung als ihm im Zeitpunkte der Erklärung an seine Frau zugegangen gelten lassen, sofern ihm nur die Erklärung wirklich und richtig mitgeteilt wird, so ist vollends daran nicht zu zweifeln, daß der Erklärende selbst unter denselben Voraussetzungen diesen Zeitpunkt als maßgebend gelten lassen muß. Auch wenn es sich — wie im vorliegenden Falle — darum handelt, welcher von zwei sich widersprechenden Erklärungen der zeitliche Vorrang gebühre, ist nicht entscheidend, welche Erklärung zuerst zur K e n n t n i s des Empfängers gekommen ist, sondern welche ihm zuerst z u g e g a n g e n ist. Das ergibt sich klar aus § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB., wonach eine einem anderen in seiner Abwesenheit zugegangene Willenserklärung dann nicht wirksam wird, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf z u g e h t . Hier wird offensichtlich auf die Zeit der Kenntnisnahme von der einen oder anderen Erklärung kein Gcwicht gelegt. Gehen zwei Briefe, von denen der eine die Annahmeerklärung, der andere den Widerruf enthält, gleichzeitig ein, so kommt es nicht darauf an, welchen Brief der Empfanger zuerst öffnet. Geht der Brief mit dem Widerrufe später ein, als der mit der Annahmeerklärung, so ist der Widerruf wirkungslos, auch wenn der Empfänger zuerst den später eingegangenen Brief liest. Dieselben Grundsätze müssen auch gelten, wenn es sich um die Frage handelt, ob ein Antrag angenommen oder abgelehnt ist. Wird die Ablehnung des Antrags oder ein der Ablehnung gleich zu behandelnder Gegenantrag einem Hausgenossen des Antragenden zur Mitteilung an diesen erklärt, so ist der Antrag damit endgültig abgelehnt; ein später zugehender Brief, der eine Annahmeerklärung enthält, kommt nicht mehr in Betracht. Nach diesen Grundsätzen mußte im vorliegenden Falle festgestellt werden, ob C. im Auftrage des Klägers auf das Angebot des Beklagten von 5000 M. ein Gegenangebot für nur 3000 M. der Frau des Beklagten zur Mitteilung an ihren Mann erklärt hat, und ob diese Erklärung erfolgt ist, bevor der Brief mit der Annahmeerklärung in der Wohnung des Beklagten abgegeben wurde. Zur Nachholung dieser Feststellung mußte die Sache i : die Vorinstanz zurückverwiesen werden."
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R G Z . 60, 371 Setzt die Bestätigung eines wegen D r o h u n g anfechtbaren Rechtsgeschäfts voraus, daß zur Zeit der bestätigenden Erklär u n g der E i n f l u ß der D r o h u n g auf den E r k l ä r e n d e n aufgehört hat ? BGB. §§ 123, 144. VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 13. April 1905. I. Landgericht Liegnitz.
II. Oberlandesgericht Breslau.
Die Klägerin, in deren Geschäft der Bruder des Beklagten, J. B., als Reisender längere Zeit in Stellung gewesen war, behauptete Ende des Jahres 1902, daß der Genannte sie durch Unterschlagungen und Berechnung zu hoher Spesen um mehrere tausend Mark geschädigt habe; wegen Ersatzes des Schadens verhandelte sie mit dem Beklagten, der ihr am 2. Januar 1903 eine Urkunde ausstellte, worin er sich verpflichtete, der Klägerin für den Schaden aufzukommen, der derselben durch Nachlässigkeiten seines Bruders im Geschäft entstanden sei, und „den Betrag ratenweise abzuzahlen" versprach; sofort verpflichtete er sich 1200 M., und den Rest in monatlichen Raten von 50 M. zu zahlen. Auf Grund dieser Schuldverpflichtung bezahlte der Beklagte an die Klägerin am 22. Januar 1903 die ersten 1200 M. und weiter 35 M. am 4. März und 65 M. am 30. Mai 1903. Die Klägerin erhob auf Zahlung der Monatsrate mit 50 M. für den Mai 1903 Klage, der der Beklagte eine Widerklage auf Feststellung des Nichtbestehens der ganzen Schuld und auf Rückzahlung der gezahlten 1300 M. entgegensetzte, mit der Behauptung, daß er zur Unterzeichnung der Urkunde vom 2. Januar 1903 widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden sei. Aus den G r ü n d e n : . . . „Der Beklagte hat . . . die Verpflichtungserklärung vom 2. Januar 1903 . . . rechtzeitig wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 BGB.) angefochten. Diese soll darin bestanden haben, daß die Klägerin die Veruntreuungen des Bruders des Beklagten zur Strafanzeige und damit diesen „ins Zuchthaus" bringen würde, wenn der Beklagte nicht unterschreibe und zahle. Dadurch will der Beklagte, um Schande von seiner Familie abzuwenden, zur Unterzeichnung bestimmt worden sein. Das Berufungsgericht hat nicht geprüft, ob eine widerrechtliche Drohung vorliege; es hat diese Feststellung linterlassen, weil in dem Schreiben des Beklagten an die Klägerin vom 5. April 1903 eine Bestätigung des angefochtenen Rechtsgeschäfts enthalten sei (§ 144 BGB.). Diese Annahme scheint jedoch von einer Verkennung der Voraussetzungen des § 144 BGB. auszugehen. Das Berufungsgericht glaubt eine Bestätigung eines wegen widerrechtlicher Drohung anfechtbaren Rechtsgeschäfts annehmen zu können, ohne auf die Frage, ob das letztere unter der Einwirkung einer solchen Drohung zustande gekommen ist, eingehen zu müssen. Das ist rechtsirrig. Ob die
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Erwägung des Berufungsgerichts, die Bestätigung nach § 144 BGB. setze auf Seiten des Anfechtungsberechtigten Kenntnis des Anfechtungsgrundes, nicht aber des Anfechtungsrechts voraus, an sich zutreffend ist oder nicht, kann ganz dahingestellt bleiben; denn diese Erwägung läßt die Bedenken, die gegen die Auffassung des Schreibens vom 5. April 1903 als Bestätigung bestehen, offen. Der Grund, weshalb ein durch Drohung mit einem Übel erzwungenes Geschäft der Anfechtung unterliegt, ist, daß nur der freie Wille Verpflichtungskraft hat (Vgl. D e r n b u r g , Bürgerliches Recht Bd. 1 S. 442.). Soll also eine spätere Willenserklärung als Bestätigimg des unter der Einwirkung einer Drohung zustande gekommenen Rechtsgeschäfts gelten, so ist die erste Voraussetzung die, daß die spätere Willenserklärung frei ist von dieser Einwirkung. Wenn die Bestätigung an demselben Mangel leidet, den sie beseitigen soll, so ist sie unwirksam. Das gilt nicht nur dann, wenn die neue Willenserklärung durch einen neuen Zwang beeinflußt wurde, sondern auch, wenn die Wirkung der früheren Drohung noch fortdauert. Eine Willenserklärung kann nur dann als Bestätigung eines wegen Drohung anfechtbaren Rechtsgeschäfts angesehen werden, wenn bei ihrer Abgabe die Zwangslage, in der der Erklärende bei dem ersten Geschäfte handelte, aufgehört hat (Vgl. R e h b e i n , Bürgerliches Gesetzbuch Bd. 1 S. 203 Nr. 7 b zu § 144.). Wenn also im gegebenen Falle der Beklagte bei Absendung des Schreibens vom 5. April 1903 noch Veranlassung hatte, die Verwirklichung des am 2. Januar 1903 ihm angedrohten Übels der Strafanzeige gegen seinen Bruder befürchten zu müssen, und das Schreiben unter dem Einflüsse dieser Furcht stand, so kann von einer Bestätigung nicht die Rede sein. Es bedarf also der Feststellung, ob die Verpflichtungserklärung vom 2. Januar 1903 durch widerrechtliche. Drohung zustande gekommen ist, (vgl. über die Widerrechtlichkeit einer Drohung mit Strafanzeige Jurist. Wochenschr. 1905 S. 134 Nr. 6), und ob die durch diese für den Beklagten geschaffene Zwangslage bis zum 5. April 1903, etwa durch eine von anderer Seite erfolgte Strafanzeige oder durch einen Umstand, der dem Beklagten die Furcht vor dem angedrohten Übel benahm, beseitigt worden ist. Aus diesen Gründen mußte das angefochtene Urteil der Aufhebung unterliegen."
RGZ. 6i, 171 Ist neben der Wandelungsklage aus § 462 BGB. auch die Anfechtung eines Kaufvertrags aus § 119 Abs. 2 BGB. zulässig, w e n n die Kaufsache mit einem Fehler behaftet ist, für den der Verkäufer nach § 459 BGB. haftet, und der d e m Käufer beim Abschlüsse des Vertrages nicht bekannt war ? Macht es dabei einen Unterschied, ob der Käufer den Fehler erst n a c h Ablauf der im § 477 BGB. f ü r die Wandelungsklage festgesetzten Verjährungsfrist entdeckt hat ?
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V. Zivilsenat. Urt. v. 1. Juli 1905. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 6i, 264 ι. Erfordernisse der Bestätigung eines wegen Formmangels nichtigen Vertrags. 2. . . . 3. . . . V.Zivilsenat. Urt. v. 20. September 1905. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 61, 284 Anwendbarkeit des § 139 BGB., wenn Auflassung und Eintragung auf Grund eines privatschriftlichen Vertrags erfolgt sind, der nach § 311 BGB. der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedurft hätte. Beweislast. BGB. §§ 139, 311, 313 S. 2. V. Zivilsenat. Urt. v. 23. September 1905. I. Landgericht Aurich.
II. Obcrlandcsgericht Celle.
Die Parteien schlossen am 15. Januar 1904 einen privatschriftlichen Vertrag, dessen Unterschriften später gerichtlich beglaubigt wurden, Inhalts dessen die Klägerin „ihr ganzes bewegliches und unbewegliches Vermögen, namentlich den im Grundbuch von J. Bd. II Bl. Nr. 52 eingetragenen Grundbesitz an den Beklagten" zu den im Vertrage näher bestimmten Bedingungen „übertrug", und in dem schließlich bestimmt war: „Sollte der Witwe M. (der Klägerin) zu ihren Lebzeiten noch Vermögen zufallen, so erwirbt dieses gleichfalls W." (der Beklagte). Nachdem am 25. Januar 1904 auf Grund dieses Vertrags die Auflassung des in ihm bezeichneten Grundstücks an den Beklagten erfolgt, und dieser als Eigentümer in das Grundbuch eingetragen worden war, wurde die Klägerin gegen ihn dahin klagbar, daß er in die Aufhebung des Vertrags und der Auflassimg willigen und zur Einwilligung in die Rückauflassung des Grundstücks an sie verurteilt werden solle. Der erste Richter wies die Klage ab, der Berufungsrichter verurteilte nach dem Klagantrage. Die Revision wurde zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : „Ob der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag etwa schon wegen seiner Schlußbestimmung, wonach der Beklagte auch das künftig der Klä-
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gerin zufallende Vermögen erwerben soll, nach § 310 BGB. nichtig sein möchte, läßt der Berufungsrichter dahingestellt, weil er die Nichtigkeit des Vertrags aus dem § 311 BGB. herleitet. Denn nach dieser Vorschrift habe der Vertrag, da er das ganze bewegliche und unbewegliche Vermögen der Klägerin ergreifen und auf den Beklagten übertragen sollte, der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedurft; diese Form sei nicht gewahrt, und daraus ergebe sich nach § 125 BGB., daß der Vertrag nichtig sei. Gegen diesen Entscheidungsgrund kämpft die Revision vergeblich an. Es ist allerdings richtig, daß im Vertrage der im Grundbuch von J. Bd. II Bl. 52 eingetragene Grundbesitz der Klägerin namentlich als Gegenstand hervorgehoben wird, der auf den Beklagten mitübergehen solle, und daß in Ausführung des Vertrags die Auflassung dieses Grundstücks an den Beklagten und dessen Eintragung als Eigentümer erfolgt ist. Aber daraus folgt keineswegs ohne weiteres, daß nun der Vertrag seinem ganzen Inhalte nach gemäß § 313 Satz 2 BGB. gültig geworden sei. Denn es ist eben kein Vertrag, durch den sich der eine Teil (die Klägerin) nur verpflichtet hätte, das Eigentum an einem Grundstücke zu übertragen, sondern es ist ein Vertrag mit weiterem Inhalt, und die Übertragung des Grundstücks bildet nur einen Teil davon. Ob in solchem Falle der Vertrag wenigstens insoweit, als er die Übertragung des Grundstücks betrifft, durch Auflassung und Eintragung gültig wird, hängt nach § 139 BGB. davon ab, ob anzunehmen ist, daß die Parteien den Vertrag insoweit auch allein, d. h. unabhängig von dem übrigen Vertragsinhalt, als selbständigen Vertrag geschlossen haben würden. Der Berufungsrichter scheint zwar die Anwendbarkeit des § 139 auf einen solchen Fall zu bezweifeln; aber ohne jeden Grund. Eine andere gesetzliche Bestimmung, an deren Hand sich sonst die Entscheidung treffen ließe, besteht überhaupt nicht. Jedenfalls hat sich — trotz seiner Zweifel — der Berufungsrichter auf diesen richtigen Standpunkt gestellt und von ihm aus geprüft, ob die Parteien den Vertrag auch nur bezüglich des in ihm erwähnten Grundstücks geschlossen haben würden. Der Berufungsrichter hat dies verneint; es fehlt ihm hierfür — wie er sagt — jeder Anhalt. Und wenn er hinzufügt, der Beklagte habe in dieser Richtung nichts beigebracht, woraus allerdings hervorgeht, daß er den Beklagten in der hier fraglichen Beziehung als beweispflichtig erachtet, so ist auch das nicht rechtsirrtümlich. Es entspricht dies vielmehr nach dem im Bürgerlichen Gesetzbuche festgehaltenen Sprachgebrauche der Fassung, die für den § 139 gewählt ist, wie es auch von den Motiven zu dem entsprechenden § 114 des ersten Entwurfs (Motive Bd. 1 S. 222) ausdrücklich hervorgehoben wird." . . .
RGZ. 6 i , 414 Wann ist eine schriftliche Willenserklärung unter Anwesenden wirksam abgegeben ? BGB. §§ 130, 766.
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V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. ν. 27. Oktober 1905. I. Landgericht Metz.
II. Ofcerlar.Jesgjricht Cclmar.
Der Beklagte forderte mittels Widerklage von der Klägerin 2112 M. auf Grund einer Bürgschaft, die die Klägerin für ihren verstorbenen Ehemann übernommen haben sollte. Die Revision gegen das die Widerklage abweisende Berufungsurteil ist zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „Verfehlt ist die Berufung des Beklagten auf die Bürgschaft, die die Klägerin angeblich am 28. Juni 1902 für ihren Ehemann dem Beklagten gegenüber übernommen haben soll. . . . Das Berufungsgericht verneint, daß die Klägerin die Bürgschaft übernommen habe, indem es ausführt, es sei unter den Parteien unbestritten, d2ß eine die Bürgschaftserklärung der Klägerin enthaltende Urkunde den Vertretern des Beklagten niemals zugegangen, oder auch nur zur Verfügung gestellt worden ist. Die Revision bezeichnet dies als in Widerspruch stehend mit den tatbestandsmäßigen Parteibehauptungen. Der Beklagte hat nach dem Tatbestande des Berufungsurteils geltend gemacht: „Die Bürgschaftsurkunde sei von der Klägerin unterzeichnet worden ; der Direktor K. habe sie nur um deswillen nicht an sich genommen, weil in diesem Augenblick der Ehemann der Klägerin sich erschossen habe; sie habe aber zu seiner Verfügung gestanden." Die letztere Bemerkung ist ersichtlich nur eine Schlußfolgerung. In dem vorbereitenden Schriftsatze, aus dem die Behauptung entnommen ist, erklärt der Beklagte: „In dem Augenblicke, als Klägerin den Bürgschaftsschein unterzeichnet hatte und im B e g r i f f e s t a n d , ihn dem Direktor K. zu übergeben, hat sich der Ehemann der Klägerin in einem Nebenzimmer eischosscn. In der durch den Selbstmord entstandenen Bestürzung entfernte sich K., ohne den auf dem Tische liegen gebliebcnen Bürgschaftsschein an sich genommen zu haben." Es ist anzunehmen, daß diese Erklärung mit der im Tatbestände wiedergegebenen identisch sein soll. Daß der Beklagte sein Vorbringen berichtigt oder geändert habe, dafür liegt nichts vor. Die Klägerin ihrerseits gibt an, sie wisse nicht, ob sie die Urkunde bereits unterzeichnet hatte oder nicht. Geht man von der Darstellung des Beklagten als der ihm günstigeren aus, so wird sich allerdings kaum sagen lassen, es sei u n s t r e i t i g , daß die Bürgschaftsurkunde dem Direktor K. nicht zugegangen sei; wohl aber hätte das Berufungsgericht sagen können, es sei dies nach dem feststehenden Tatbestande u n b e s t r e i t b a r . Zur Gültigkeit des Bürgschaftsvertrags gehört „schriftliche Erteilung" der Bürgschaftserklärung (§ 766 BGB.). S c h r i f t l i c h e r t e i l t ist die Erklärung keinesfalls schon mit der Unterzeichnung des sie enthaltenden Schriftstücks. Die Herstellung dieses Schriftstücks ist bloße Vorbereitung der Erklärung; sie hat rechtlich keine größere Tragweite als die vorgängige Niederschrift einer mündlich abzugebenden Erklärung. A b g e g e b e n wird die schriftliche Erklärung erst durch die
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Überreichung an den anwesenden oder die Zusendung an den abwesenden Gläubiger. W i r k s a m wird die abgegebene Erklärung erst in dem Zeitpunkt, in dem sie dem Gläubiger im Sinne des § 130 BGB. z u g e h t , in dem der Gläubiger die tatsächliche Verfügungsgewalt über das die Erklärung enthaltende Schriftstück erlangt. Zwar bezieht sich der § 130 BGB. nach seinem Wortlaute nur auf Erklärungen gegenüber Abwesenden; er ist jedoch auch auf Erklärungen unter Anwesenden anwendbar. Der § 130 stellt den allgemeinen, die gesamte Lehre vom Abschlüsse der Rechtsgeschäfte beherrschenden Grundsatz auf, daß der Erklärende nicht gebunden sein soll, solange er in der Lage ist, über das die Erklärung enthaltende Schriftstück selbst zu verfügen, wohl aber, sobald der Adressat die tatsächliche Verfügungsgewalt über das Schriftstück erlangt hat. Wenn in Anwendung dieses Grundsatzes der Absender berechtigt ist, das bereits einem Boten oder der Post übergebene Schriftstück zurückzunehmen, so muß auch unter Anwesenden der Erklärende berechtigt sein, die unterschriebene Urkunde zurückzuhalten und selbst die dem Adressaten dargereichte Urkunde zurückzuziehen, solange die: er sie nicht ergriffen oder sonst in seine Verfügungsgewalt gebracht hat. Darüber besteht auch in der Literatur kein Streit. Streitig ist, ob das „Zugehen" in diesem Sinne genügt, ob nicht unter Anwesenden noch die Kenntnisnahme des Adressaten von dem Inhalte hinzukommen muß, — eine Frage, auf die einzugehen vorliegendenfalls kein Anlaß besteht. Auch der Beklagte will anscheinend das Erfordernis des „Zugehens" nicht bestreiten, da er seinen Anspruch gerade auf die Behauptung stützt, der Bürgschaftsschein habe dem Direktor K. „zur Verfügung gestanden". Prüft man diese Behauptung im Lichte der vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkte, so ist klar, daß sie in dem eigenen Vorbringen des Beklagten keine Stütze findet. In dem Augenblick, als im Nebenzimmer der Schuß fiel, soll die Klägerin im B e g r i f f e gewesen sein, den Schein dem Direktor K. zu übergeben. Folglich hatte sie ihre eigene Verfügungsmacht noch nicht aufgegeben. Danach soll die Urkunde auf dem Tische liegen geblieben sein. Daraus folgt aber mit nichten, daß sie dem Direktor K. zur Verfügung stand. Dies ließe sich vielleicht sagen, wenn die Klägerin die Urkunde vor dem Genannten niedergelegt hätte, in der unverkennbaren Absicht, sie ihm zu überlassen. Diese Absicht mag auch ohne weiteres vorauszusetzen sein bei der Niederlegung vor dem Adressaten. Ganz anders, wenn die Klägerin den Schein auf ihrem eigenen Platze liegen ließ, als sie sich in der Bestürzung über den gefallenen Schuß erhob. So gut sie beim Fallen des Schusses die bereits ausgestreckte Hand zurückziehen konnte, so gut konnte sie dem Direktor die Wegnahme der Urkunde untersagen. Dieser hatte kein Recht, die daliegende Urkunde als ihm übergeben anzusehen; denn er konnte nicht annehmen, daß die Wegnahme auch jetzt noch, bei der gänzlich veränderten Sachlage, dem Willen der Klägerin entspreche. Er hat denn auch die Urkunde nicht an sich genommen. Nach alledem hat der Beklagte keinen Vorgang behauptet, aus dem ent-
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nommen werden könnte, daß die Klägerin die Urkunde dem Direktor K. zur Verfügung gestellt habe; und es kann deshalb von einer wirksam gewordenen Bürgschaftserklärung der Klägerin keine Rede sein. Demnach erweist sich auch der auf die Bürgschaft gestützte Widerklageantrag als unbegründet."...
RGZ. 62, 49 Auslegungsbeweis, oder E i n w a n d des anders als verabredet niedergeschriebenen Vertrages ? BGB. § 125. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 10. November 1905. I. Landgericht Köln.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Aus den G r ü n d e n : . . . „ In der vor einem Notar errichteten Urkunde über den Darlehnsund Bierlieferungsvertrag ist u. a. bestimmt : „das Kapital ist seitens des Schuldners jederzeit, auch in beliebigen Teilbeträgen abtragbar"; an anderen Stellen jener Urkunde finden sich Bestimmungen, daß während der Dauer des hier begründeten Schuldverhältnisses, mindestens aber während der Dauer von 10 Jahren, der Schuldner an den Biervertrag gebunden sei. Aus den letzteren Bestimmungen leitet der Kläger seine Berechtigung zu dem mit der Klage erhobenen Ansprüche auch für die Zeit n a c h der am 1. Juli 1903 geschehenen Rückzahlung des Darlehns ab. Der Beklagte hatte dagegen geltend gemacht, bei Errichturg jener Urkunde habe er eine Änderung des vorgedruckten Entwurfes dahin verlangt, daß ihm das Recht zur jederzeitigen Rückzahlung des Darlehns eingeräumt werde, und dabei noch ausdrücklich gefragt, ob er auch weiter zu nichts mehr verpflichtet sei, wenn er das Kapital zurückzahle. Darauf sei in die Urkunde die Bestimmung aufgenommen worden, das Kapital sei seitens des Schuldners jederzeit . . . abtragbar, und habe der zur Vertretung des Klägers berechtigte Buchhalter B. auf jene Frage ausdrücklich bejaht, er sei auch weiter zu nichts mehr verpflichtet, wenn er das Kapital zurückzahle. Zum Beweise für dieses Vorbringen hatte sich der Beklagte auf Zeugen berufen. Der Berufungsrichter beseitigt dieses Vorbringen und damit auch das Beweiserbieten mit der Erwägung: Nach den in einem Urteile des RG.'s vom 13. Juli 1902 (Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 52 S. 25—26) niedergelegten Grundsätzen würde die angebliche dem schriftlichen Vertrage entgegenstehende mündliche Abrede gegenüber der Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Urkunde nur dann Geltung haben, wenn Umstände dargetan würden, die erkennbar auf die Geltung der mündlichen
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Abrede neben der Schrift schließen ließen; solche Umstände seien aber nicht geltend gemacht. Der Revisionskläger rügt, daß diese Erwägung das Gesetz verletze. Er führt aus : Sein erwähntes Vorbringen in der Berufungsinstanz sei dahin aufzufassen, er habe den Willen gehabt und diesen Willen auch dem Vertreter des Klägers erklärt, daß vereinbart werde, er solle das Darlehn jederzeit zurückzahlen können und dann jeder Verpflichtung ledig sein und daß das auch in die Vertragsurkunde aufgenommen werde. Auf seinen Zweifel, ob das auch in der Vertragsurkunde durch die Einschaltung, er könne das Darlehn jederzeit zurückzahlen, zum Ausdruck gekommen sei, habe der Vertreter des Klägers dies bejaht und damit erklärt, daß seiner Ansicht nach die Vertragsurkunde dies besage. Danach stehe die angeführte Entscheidung des Reichsgerichts ihm nicht entgegen. Diesem Angriffe war stattzugeben. Der in der bezogenen Entscheidung vorausgesetzte Fall, daß mündliche Vereinbarungen vor und b e i A b s c h l u ß des „schriftlichen Vertrags" gegen dessen Inhalt behauptet seien, steht überhaupt nicht in Frage. Denn bei dem unter Beweis gestellten Vorbringen des Beklagten handelt es sich in erster Reihe darum, daß der von den P a r t e i e n den hier streitigen Bestimmungen der Urkunde bei ihrer Errichtung ü b e r e i n s t i m m e n d gegebene Sinn festgestellt wird. Steht durch Auslcgungsbeweis der von den Parteien einer Bestimmung der Urkunde gegebene Sinn fest, so kommt die . . . Vermutung der Vollständigkeit der Vertragsurkunde in bezug auf Inhalt und Tragweite jener Bestimmung überhaupt nicht in Frage; denn die erwähnte Vermutung setzt voraus, daß das, was die Parteien schriftlich vereinbart haben, nach dem Ergebnisse der Auslegung und folgeweise unter Würdigung der Auslegungsbeweise klar und zweifelsfrei sei. Einen solchen Auslegungsbeweis hatte der Beklagte erboten; das hat der Berufungsrichter verkannt, indem er aus den oben wiedergegebenen Erwägungen jenes Beweiserbieten beseitigt. Dieser Mangel, auf dem das Urteil beruht, muß zu dessen Aufhebung f ü h r e n . . . .
RGZ. 62, 126 Welche Gesichtspunkte sind für die Frage, ob ein Sicherheitskauf, oder eine verschleierte V e r p f a n d u n g vorliegt, von E r heblichkeit ? BGB. § 117. VII. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Magdeburg.
Urt. v. 5. Dezember 1905. II. Oberlandesgericht Naumburg a. S.
Der Beklagte ließ wegen einer ihm gegen die Frau H. und deren Ehemann, den Kaufmann H., zustehenden vollstreckbaren Forderung am 13. Oktober 1904 in der Wohnung der Schuldner eine große Anzahl beweglicher Gegenstände im taxierten Werte von 2448 M. pfänden. Der Kläger
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behauptete, die Sachen seien von den H.'schen Eheleuten durch Vertrag vom 1. November 1903 dem Kaufmann J., und von diesem im Mai/Juni 1904 ihm, dem Kläger, verkauft und übergeben. Nach § 1 des vom Kläger vorgelegten schriftlichen Vertrages vom 1. November 1903 verkaufte Frau H. an J. verschiedenartige bewegliche, unter 246 Nummern aufgeführte Gegenstände zu dem Preise von 3000 M. Laut § 2 bekannte die Verkäuferin, den Kaufpreis bar von dem Käufer erhalten zu haben, und laut § 3 war die Übergabe der Sachen bereits erfolgt. Der § 4 enthielt einen Mietvertrag des Inhalts, daß J. die sämtlichen Sachen an Frau H. vom 1. November 1903 bis zum 1. November 1912 für eine jährliche in vierteljährlichen Raten pränumerando zu zahlende Miete von 250 M. mit der Bestimmung vermiete, daß, wenn die Mietzahlung nicht pünktlich, d. h. nicht innerhalb drei Tage nach dem jedesmaligen Ersten, erfolge, der Vermieter berechtigt sei, die vermieteten Gegenstände von der Mieterin abzuholen und der Mietvertrag alsdann als aufgehoben gelte. In § 5 war der Verkäuferin das Recht eingeräumt, die verkauften Gegenstände bis zum 1. Januar 1912 für die Summe von 3000 M. zurückzukaufen, jedoch nur gegen sofortige Barzahlung. Die von J. dem Kläger ausgestellte Urkunde vom 4. Juni 1904 lautete folgendermaßen: „Indem ich den Empfang des Kaufpreises von 3000 M. dankend bestätige, übersende Ihnen beigehend den Kaufkontrakt und trete Ihnen selbigen als Eigentümer ab. Frau H. habe ich hiervon in Kenntnis gesetzt." Kläger stellte den Antrag, den Beklagten zu verurteilen, in die Freigebung der gepfändeten Sachen zu willigen. Der Beklagte bat um Abweisung der Klage, indem er die Behauptungen des Klägers nach mehreren Richtungen hin bestritt, auch darzulegen suchte, daß die Klage rechtlich imbegründet sei. Nach einer Beweisaufnahme wurde durch Urteil der ersten Instanz der Klage stattgegeben. Der Beklagte legte Berufung ein. Er machte nunmehr geltend, der Vertrag vom 1. November 1903 sei nur ein Scheingeschäft. Durch Urteil des Berufungsgerichts wurde die Klage abgewiesen. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter betrachtet den Vertrag vom 1. November 1903, so wie er beurkundet ist, als einen Sicherungskauf und fügt hinzu, der wirtschaftliche Zweck des Geschäfts sei danach derselbe gewesen, wie er sonst durch Verpfändung erstrebt zu werden pflege. Ferner nimmt der Berufungsrichter an, daß zur Erreichimg dieses pfandrechtlichen Zwecks auch eine Eigentumsübertragung von Sachen, insbesondere also der Sicherungskauf, eine geeignete und auch unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuchs zulässige Rechtsform sei. Zur Abweisung der Klage ab: r gelangt er, indem er, abweichend vom ersten Richter, nicht nur den Beweis eines ernstlich auf Eigentumsübertragung gerichteten Parteiwillens vermißt, sondern sogar den Beweis des Gegenteils als erbracht ansieht.
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Die Revision macht dem Berufungsrichter unzureichende Begründung seiner Feststellung zum Vorwurf. Der Angriff muß für berechtigt erachtet werden. Nicht etwa davon geht der Berufungsrichter aus, daß dem Geschäfte jede reale Grundlage fehle, speziell daß die 3000 M., über welche die Verkäuferin, Frau H. quittierte, in Wirklichkeit nicht gezahlt seien ; sein Standpunkt ist vielmehr, daß die Kontrahenten ein Sicherungsgeschäft beabsichtigten, jedoch in Wahrheit gerade nicht in Gestalt eines Sicherungskaufs, sondern vielmehr einer Verpfändung, die nur durch den beurkundeten, aber nicht gewollten Kauf verschleiert werden sollte, und die ihrerseits der rechtlichen Gültigkeit ermangelte, weil sie ohne die nach § 1205 B G B . erforderliche körperliche Übergabe vereinbart wurde. Geht man auf die vom Berufungsrichter für diese seine Auffassung geltend gemachten Momente ein, so sind diese zwar in der Mehrzahl erheblich, aber weder als einzelne noch in ihrem Zusammenhange geeignet, zwingende Schlüsse zu rechtfertigen. In erster Reihe legt der Berufungsrichter darauf Gewicht, daß die Ehefrau H. sich durch den Vertrag ihrer g a n z e n beweglichen Habe mit Ausschluß allein der notwendigsten Kleidungsstücke, aber mit Einschluß sogar der vorhandenen Nahrungs- und Genußmittel entäußert habe. Wenn nun auch niemand zu einem so gearteten Veräußerungsgeschäfte sich leicht verstehen wird, so können doch für eine auf Krediterlangung angewiesene Persönlichkeit, insbesondere einen Gewerbetreibenden, Umstände eintreten, die eine Nötigung dazu enthalten, indem eine Gelegenheit, Kredit zu billigeren Bedingungen zu erlangen, sich nicht findet. Das Geschäft wird auch dem Veräußerer minder bedenklich erscheinen, weil dieses seinem Zwecke nach, wie derselbe zur Vereinbarung der Rückkaufsklausel führt und in ihr zur rechtlichen Anerkennung gelangt, gerade ein Sicherheitsgeschäft ist, und der Veräußerer, der zunächst im körperlichen Besitz der Sachen bleibt, sich, wenn er überhaupt Vertrauen zur weiteren Entwicklung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse hegt, der Hoffnung hingibt, durch Zahlung des Rückkaufpreises das Eigentum der Sachen wiedererlangen, diese also sich erhalten zu können. Auffällig ist im vorliegenden Falle allerdings, daß der Kauf- wie der Mietvertrag sich sogar auf die zum Verbrauch bestimmten Sachen erstreckt; möglich bleibt aber immerhin, daß der auf Erlangung von Sicherheit im denkbar weitesten Umfange bedachte Kreditgeber auf keine der vorhandenen Sachen, wenn er auch der Verkäuferin den Verbrauch der verzehrbaren gestattete, völlig verzichten wollte. Bei einer Verpfändung, welche auch verbrauchbare Gegenstände mit ergreifen soll, und welche auch zur Eigentumsentziehung führen kann, ließen sich wesentlich gleichartige Gesichtspunkte geltend machen. Zu beachten ist ferner, daß, wenn auch hinsichtlich einzelner Gegenstände ein Scheingeschäft oder ein nichtiges Geschäft vorliegt, dies noch nicht zu einer entsprechenden Schlußfolgerung hinsichtlich der übrigen führt.
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Den f ü r die Sachen bedungenen Preis erachtet der Berufungsrichter f ü r offenbar hinter ihrem wahren Werte erheblich zurückbleibend; allein f ü r die Frage des Scheingeschäfts ist dies gerade bei einem Sicherungskaufe nicht von durchgreifender Bedeutung, weil dem Zwecke eines solchen gemäß der Verkäufer kraft der Rückkaufsklausel die Sachen gegen Zahlung einer dem Kaufpreise gleichen Summe zurückerwerben kann und soll. Nicht ohne Grund hebt die Revision zugleich hervor, daß die Wertannahme des Berufungsgerichts, welche sich auf die Taxate des Gerichtsvollziehers stützt, einer ausreichenden Grundlage entbehre, da nicht feststeht, ob nicht gerade die wertvolleren unter den verkauften Sachen vom Gerichtsvollzieher gepfändet und die minderwerten unberührt gcblicfcen sind. Keine erhebliche Bedeutimg kann dem vom Berufungsrichter betonten Umstände beigemessen werden, daß der Käufer für die verkauften Gegenstände keine Verwendung hatte. Ob der Käufer die Sachen in seinem Gewerbebetriebe oder auch f ü r sich persönlich benutzen kann oder nicht, ist bei einem Sichcrheitskauf nicht von entscheidendem Belang; denn f ü r ein Sicherungsgeschäft kommt es vielmehr darauf an, daß die Sachen zur Weiterveräußerung und damit zur Herbeiführimg der Befriedigung des Käufers geeignet sind. Inwiefern die in dem Vertrage f ü r den Fall des Verzuges der Verkäuferin in der Zahlung der Mietraten getroffenen strengen Bestimmungen für die Scheinnatur des Vertrages sprechen sollen, ist den Erwägungen des Berufungsurteils nicht zu entnehmen. Es kann die Frage aufgeworfen werden, ob die Bestimmungen nicht zu der entgegengesetzten Annahme führen. Sind aber die Gründe des Berufungsrichters nicht unbedingt schlüssig, so muß zur Aufhebung des angefochtenen Urteils der Umstand führen, daß der Berufungsrichter diejenigen Momente, welche positiv gegen die Absicht einer Verpfändung zu sprechen scheinen, völlig unberücksichtigt gelassen hat. Es hätte der Prüfung bedurft, weshalb die Kontrahenten Sicherheit gerade in Gestalt eines Kaufs zu schaffen sich entschlossen haben. Hier liegt nahe, daß die Kontrahenten den Sicherungskauf deshalb gewählt haben, weil ihnen eine andere geeignete Form sich nicht darbot, speziell die Gültigkeit einer Verpfändung durch Besitzübergabe bedingt war und durch diese sofort die wirtschaftliche Existenz der Frau H. ihrer Grundlage beraubt sein würde. Muß angenommen werden, daß die Kontrahenten der Unwirksamkeit einer ohne körperliche Übergabe vereinbarten Verpfändung sich bewußt gewesen sind, so ist nicht erfindlich,wie dessenungeachtct ihr Wille darauf hätte gerichtet sein können, ein Pfandrecht trotz Fehlens jenes Erfordernisses, sei es verschleiert, sei es offen,zur rechtlichen Existenz zu bringen. Es blieb noch die Möglichkeit übrig, daß die Kontrahenten eine wahre Rechtswirkung überhaupt nicht wollten, sondern daß J. sich mit dem bloßen Schein eines Rechtsgeschäfts hat begnügen wollen, indem er etwa hoffte, daß Dritte, welche die Sachen anzugreifen beabsichtigten, sich durch Vorlegung der Urkunde zur AbZ.vi-,
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standnahme davon bestimmen lassen würden, ohne daß eine richterliche Entscheidung über die Ernstlichkeit des beurkundeten Geschäfts herbeigeführt würde; aber dieser Eventualität ist der Berufungsrichter bisher nicht nähergetreten." . . . RGZ. 62, 149 Arglistiges Verschweigen beim Kaufabschlüsse. In welchem Umfange hat der Verkäufer ihm bekannte, dem Käufer aber nicht bekannte Umstände, die nach seiner Auffassung für die Willensentschließung des Käufers von Erheblichkeit sein können, dem Käufer beim Kaufgeschäfte mitzuteilen ? BGB. § 123. II. Zivilsenat. Urt. v. 27. März 1906. I. Landgericht II Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Aus den G r ü n d e n : . . . „Nach der über den Kaufvertrag errichteten Urkunde waren alle zusammengehörende Teile einer elektrischen Anlage ein alter Gasmotor und andere gleichfalls als „alt" bezeichnete Apparate verkauft. Nach einer weiteren Bestimmung der Vertragsurkunde hatte sich der Verkäufer von jeder Garantie für irgendeinen der Apparate freigezeichnet. Die auf Zahlung des Kaufpreises gerichtete Klage beantragte der Beklagte abzuweisen, einmal weil der gekaufte Gasmotor wegen seines überaus hohen Alters zu dem bestimmungsgemäßen Gebrauche überhaupt nicht mehr oder doch nur für kurze Zeit tauglich sei und der Kläger sich gegenüber der Wandelungseinrede auf die in der Urkunde erwähnte, übrigens bestrittene Ausschließung der Mängelhaftung nicht berufen könne, da er den erwähnten Mangel arglistig verschwiegen habe, sodann weil der Kläger dem Beklagten bei dem Kaufabschlüsse das ihm bekannte hohe Alter des Gasmotors arglistig verschwiegen und durch die damit begangene arglistige Täuschung den Beklagten zum Abschlüsse des Kaufvertrags bestimmt, Beklagter auch seine nach § 123 BGB. anfechtbare Willenserklärung rechtzeitig angefochten habe. Der Berufungsrichter nimmt entsprechend dem letzteren Vorbringen an, der Beklagte sei zu seiner den Kaufvertrag zustande bringenden Willenserklärung durch arglistige Täuschimg des Klägers bestimmt worden; er habe auch die Anfechtung dieser nach § 123 BGB. anfechtbaren Willenserklärung rechtzeitig erklärt, und es sei danach der Kaufvertrag als nichtig anzusehen. Der Revisionskläger bekämpft die Annahme einer arglistigen Täuschimg; er macht geltend, diese Annahme beruhe auf der in den Entscheidungsgründen vorangestellten Erwägung: „Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer alle ihm
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bekannten Umstände mitzuteilen, die nach vernünftigem Ermessen für die Willensentschließung des Käufers erheblich sein können." Diese Ausführungen seien aber — wenigstens in dieser Allgemeinheit — unrichtig. Dem Revisionskläger mag darin beigetreten werden, daß die erwähnten Ausführungen in solcher unbeschränkten Allgemeinheit zu rechtlichen Bedenken Anlaß geben können. Zwar braucht das Verschweigen, um arglistig zu sein und die Grundlage einer arglistigen Täuschung im Sinne des § 123 BGB. abzugeben, kein U n t e r d r ü c k e n zu sein; es ist nicht notwendig, daß der Verschweigende einen Umstand verdeckt oder durch täuschende Mittel unkenntlich macht. Es reicht zu, ist aber auch notwendig, daß der Verschweigende etwas nicht sagt, dessen Mitteilung der andere Teil unter den gegebenen Umständen nach der Verkehrsauffassung erwarten darf. Nach der Verkehrsauffassung darf aber der Käufer von dem Verkäufer kein Offenbaren aller Umstände, die für seine — des Käufers — Entscheidung erheblich sein können, erwarten; vielmehr ist nach den Verhältnissen des einzelnen Falles zu beurteilen, ob nach der Verkehrsauffassung der Käufer von dem Verkäufer das Offenbaren eines dem Verkäufer bekannten, dem Käufer unbekannten Umstandes, der für die Entscheidung des Käufers von Erheblichkeit sein konnte, erwarten durfte. In den Gründen zum Urteil des V. Zivilsenats vom 16. Mai 1903, Rep. V 12/03 (Jurist. Wochenschr. 1903 Beibl. S. 99 Nr. 223), bei dem als maßgebendes Sachverhältnis zu unterstellen war, daß der Verkäufer den durch äußere Vorgänge begründeten Verdacht hatte, die Fundamentierung des verkauften Hauses, das infolge seiner schlechten Fundamentierung von dem Verkäufer übermalte Risse erhalten hatte, sei mangelhaft, findet sich unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung desselben Senats im Gebiete des preußischen Allgemeinen Landrechts, Urteile vom 2. Januar 1895, Rep. V. 247/94 (Gruchots Beitr. Bd. 39 S. 941), vom 25. Februar 1899, Rep. V 306/98 (Jurist. Wochenschr. 1899 S. 247 Nr. 67) und vom 29. April 1899, Rep. V. 409/98 (Jurist. Wochenschr. 1899 S. 378 Nr. 37), die gleichlautende Stelle: „Nach den Grundsätzen von Treu und Glauben ist der Verkäufer verpflichtet, dem Käufer alle ihm bekannten Umstände mitzuteilen, die nach vernünftigem Ermessen für die Willensbestimnlung des Käufers erheblich sein können." In dem Urteile desselben Senats vom 2. November 1904, Rep. V. 171/04 (Jurist. Wochenschr. 1905 S. 13 Nr. 4), wo es sich darum handelte, daß der Verkäufer die Kündigung einer Hypothek, die der Käufer in Anrechnung auf den Kaufpreis übernehmen sollte, und weiter verschwiegen hatte, daß das mitverkaufte Inventar durch Sicherungskauf Eigentum eines Gläubigers sei, wird ausgeführt: „Der Verkäufer hat die Pflicht, dem Käufer alle für seine Entschließung wesentlichen Umstände mitzuteilen. Er handelt auch dann arglistig, wenn er nach einem solchen Umstand nicht gefragt ist, sofern er sich nur bewußt ist, daß der Käufer auf den verschwiegenen Umstand Wert legen könnte." Hier könnte noch ein Urteil des V. Zivilsenats vom 13. Januar 1904, Rep. V 296/03 (Jurist. Wochenschr. 1904 S. 113 Nr. 9), erwähnt werden; dort 9·
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handelte es sich darum, daß der Verkäufer nicht mitgeteilt hatte, das Bewohnen einiger Kammern und der Gebrauch des Schweinestalles seien polizeilich verboten. Der V. Zivilsenat hat indessen durch die bezogenen Ausführungen nach dem Zusammenhange seiner Urteilsgründe keine allgemeine Offenbarungspflicht des Verkäufers anerkannt, sondern lediglich ausgesprochen, daß unter den f ü r den gegebenen Fall einzeln erörterten Verhältnissen eine solche Pflicht des Verkäufers zum Offenbaren des konkreten im einzelnen Falle erheblichen Umstandes bestanden habe. Auf dem gleichen Standpunkte steht auch der I. Zivilsenat in dem Urteile vom 3. Februar 1904, Rep. Í. 404/03 (Jurist. Wochenschr. 1904 S. 167 N r . 6); dort wird eine allgemeine Offenbarungspflicht verneint und ausdrücklich anerkannt, daß die Frage, ob ein arglistiges Verschweigen vorliege, nach den Verhältnissen des einzelnen Falls zu beantworten sei. M i t Unrecht nimmt indessen der Revisionskläger an, das Berufungsurteil beruhe auf den bezogenen, in ihrer unbeschränkten Allgemeinheit nicht zu billigenden Ausführungen. Das Berufungsgericht führt nämlich weiter aus, der Beklagte — Käufer — habe den Kläger — Verkäufer — bei den Kaufunterhar.dlungen ausdrücklich gefragt, ob die Anlage noch gut sei, und der Verkäufer habe sich auf diese Frage eingelassen. Es unterstellt sodann zugunsten des Verkäufers, dieser habe in diesem Zusammenhange gesagt, der Motor sei älter als 3 Jahre, und erwägt weiter, dem Verkäufer sei jedenfalls bekannt gewesen, daß der Motor über 12 Jahre alt war. In dem dargelegten Verhalten Gesselben müsse ein arglistiges Verschweigen des ihm bekannten, 3 Jahre bei weitem übersteigenden Alters des Motors erblickt werden. Er habe aus der Frage des Käufers erkannt, daß dieser die Brauchbarkeit der Anlage erfahren weihe, und habe auch gewußt, daß der Motor ein Alter hatte, das außer allem Verhältnis zu der übrigen Anlage stand u n d das die Brauchbarkeit höchstens noch f ü r ganz kurze Zeit ermöglichte. Er sei sich auch bewußt gewesen, daß der Käufer für eine n u r noch kurze Zeit brauchbare Anlage nicht den verhältnismäßig hohen Preis von 6200 M . bezahlen würde. Bei solcher Sachlage sei anzunehmen, daß der Verkäufer das ihm bekannte hohe Alter des Motors verschwiegen habe in dem Bewußtsein, der Käufer würde bei Mitteilung desselben vom Kaufe abstehen oder wenigstens einen wesentlich geringeren Preis bewilligen. Dies Verhalten stelle eine arglistige Täuschung dar, die den Käufer zum Abschlüsse des Kaufvertrags bestimmt habe. Die Anfechtung nach § 123 BGB. sei daher gerechtfertigt. Nach dem Zusammenhange d i e s e r Ausführungen ist das Berufungsgericht durch Prüfung der Verhältnisse des gegebenen Falls und nicht auf der Grundlage jener einleitenden Erwägungen zur Annahme einer arglistigen Täuschung gelangt. Dabei fällt sein Ausgang, daß der Verkäufer auf die Frage, ob die Anlage noch gut sei, wenn er sich einmal auf deren Beantwortung einließ, nach der Verkehrsauffassung das ihm bekannte hohe Alter des Motors anzugeben und sich nicht auf die übrigens den rechtlichen
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Begriff des Unterdrückens erfüllende Erklärung, der Motor sei mehr als 3 Jahre alt, beschränken durfte, durchaus in den Rahmen der oben entwickelten Rechtsgrundsätzte." . . .
R G Z . 62, 184 Bezieht sich der § 139 B G B . auch auf anfechtbare Rechtsgeschäfte und auf den Fall, daß ein Vertrag nur dem einen von zwei Vertragschließenden gegenüber wegen Täuschung angefochten werden kann, und der andere um die Täuschung weder wußte noch wissen mußte (§ 123 Abs. 2 Satz 1 B G B . ) ? BGB. § 139. V. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 16. Dezember 1905. I. Landgericht Aachen.
II. Oberlandesgericht Köln.
Die Frage ist vom Reichsgerichte bejaht worden aus folgenden den Sachverhalt ergebenden Gründen: „Durch den angefochtenen Vertrag haben die Kläger von den Beklagten Geschwistern K. zwei Grundstücke und von den Beklagten Eheleuten G. das Inventar der auf diesen Grundstücken betriebenen Gast- und Schankwirtschaft mit Kundschaft gekauft, wobei sich die Eheleute G. zugleich verpflichtet haben, auf die Wirtschaftskonzession zugunsten der Kläger zu verzichten. Der Anfechtung liegt die Behauptimg zugrunde, daß die Eheleute G. bei den Kaufverhandlungen den Verbrauch in der Wirtschaft bewußt wahrheitswidrig zu hoch auf jährlich 80 Hektoliter Bier und 30 Hektoliter Branntwein angegeben hätten und die Kläger dadurch zum Abschluß des Kaufs bewogen worden seien, den sie ohne diese Irreführung nicht abgeschlossen haben würden. In seinem früheren Urteil hatte der Berufungsrichter der hierauf gebauten Wandlungsklage stattgegeben. Diese Entscheidung ist vom Reichsgericht aufgehoben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückverwiesen worden, weil die Kläger die Anfechtung auch auf Betrug und wesentlichen Irrtum gestützt hatten und darüber noch nicht entschieden worden war. In seinem jetzigen Urteil hat der Berufungsrichter den Klagegrund des Irrtums unerörtert gelassen, weil er die Betrugsklage für begründet und erwiesen erachtet. Er stellt fest, daß die Eheleute G. den Klägern zwar nicht über den Bierverbrauch, wohl aber über den Branntwcinausschank absichtlich zu hohe Angaben gemacht, daß sie nämlich nicht, wie angegeben, 30 Hektoliter jährlich, sondern ein Drittel weniger an Branntwein verschänkt haben, daß dieser Minderverbrauch die Kläger, wenn er ihnen bekannt geworden wäre, vom Abschluß des Vertrages abgehalten haben würde und daß sie hauptsächlich durch diese falsche Angabe zum Erwerb der Wirtschaft bestimmt worden sind. Wegen dieser
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arglistigen Täuschung hält der Berufungsrichter, da die Anfechtung rechtzeitig erklärt worden sei (§ 124 BGB.), den ganzen Vertrag nach Maßgabe des § 139 BGB. für nichtig, weil Kläger die Grundstücke, auf denen die Wirtschaft betrieben wird, nur mit Rücksicht auf den Wirtschaftsbetrieb gekauft hätten, es sich also um ein unteilbares Kaufgeschäft handle; die Nichtigkeit dieses Geschäfts wirke demnach auch gegen die Geschwister K., obgleich diese erwiesenermaßen nicht um die Täuschung gewußt hätten und auch kein Grund zu der Annahme vorliege, daß sie darum hätten wissen müssen, weshalb sie die sonstigen Folgen des Betrugs nicht mit zu vertreten hätten. Demgemäß ist der Vertrag für nichtig erklärt und den Geschwistern K. gegenüber die Klage im übrigen abgewiesen; dagegen sind die Eheleute G. gesamtschuldnerisch verurteilt worden, den Klägern gegen Rückgewähr der Grundstücke und des Wirtschaftsinventars usw. deren Anzahlung mit Zinsen zurückzuzahlen und die durch die Rückübertragung der Kaufgegenstände entstehenden Kosten zu erstatten. Diese Entscheidung wird vergeblich von der Revision angefochten. Das zunächst von der Revision erhobene Bedenken, daß die Rückgewähr der Kaufgegenstände, gegen welche die Eheleute G. zu den ihnen im Urteil auferlegten Leistungen verurteilt worden sind, soweit dabei die verkauften Grundstücke in Frage ständen, jedenfalls nicht, wie das Urteil besage, an die Eheleute G., sondern nur an die Geschwister K. zu verfügen gewesen wäre, erledigt sich dadurch, daß das Urteil nicht in diesem Sinne zu verstehen ist. Durch den Ausdruck ,Rückgewähr" ist deutlich ausgesprochen, daß die Grundstücke den Geschwistern K. zurückzugewähren sind; denn von diesen hatten Kläger sie empfangen. Wenn dann von der Revision die Frage angeregt worden ist, ob der § 139 BGB. auch anwendbar sei auf solche Rechtsgeschäfte, deren Nichtigkeit erst durch eine spätere Anfechtungserklärung hervorgerufen werde, so kann darüber kein Zweifel bestehen, da solche Rechtsgeschäfte nach § 142 Abs. 1 BGB. als von Anfang an nichtig antzusehen sind und kein Grund vorhanden ist, der zu einer abweichenden Behandlung der schon an sich nichtigen und der anfechtbaren Rechtsgeschäfte in dieser Beziehung führen könnte. Auch daraus läßt sich nicht etwa ein Bedenken gegen die Anwendbarkeit des § 139 entnehmen, daß zu der objektiven Teilbarkeit des vorliegenden Rechtsgeschäfts in zwei Kaufverträge, erstens über die Grundstücke und zweitens über die Wirtschaft mit Anhang, noch eine weitere Teilbarkeit tritt nach den verschiedenen Personen, die bei diesen Verträgen als Verkäufer aufgetreten sind, bei den Grundstücken Geschwister K., bei der Wirtschaft Eheleute G. Es ist schon wiederholt vom Reichsgericht ausgesprochen worden (vgl. ζ. B. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 59 S. 175), daß im Sinne des § 139 alle Bestimmungen eines Rechtsgeschäfts, also auch die über die mitwirkenden Personen, Teile des Rechtsgeschäfts bilden, daß demgemäß ein Vertrag, der in Beziehung auf einen der Vertragschließenden
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nichtig ist, im vollen Umfange nichtig ist, wenn nicht angenommen werden kann, daß er auch ohne die Beteiligung jenes Vertragschließenden abgeschlossen sein würde. Hier hat der Berufungsrichter festgestellt, daß die Ausnahme nicht vorliegt, daß vielmehr Kläger die Grundstücke ohne die Wirtschaft nicht gekauft haben würden, und diese tatsächlichen Feststellungen haben von der Revision nicht angegriffen werden können. Ihren Hauptangriff richtet die Revision dagegen, daß der Berufungsrichter nicht die Bestimmung in § 123 Abs. 2 BGB. in Anwendung gebracht hat, wonach, wenn ein Dritter die Täuschung verübt hat, die dadurch hervorgerufene Willenserklärung dem Empfänger gegenüber nur dann angefochten werden kann, wenn dieser die Täuschung kannte oder kennen mußte. Die Revision will daraus schließen, daß die von den Eheleuten G. verübte Täuschung nicht den Geschwistern K. gegenüber zur Anfechtung des mit diesen abgeschlossenen Grundstückskaufs benutzt werden dürfe, weil sie nach Feststellung des Berufungsrichters um die Täuschung weder gewußt hätten noch hätten wissen müssen. Das ist jedoch nicht richtig. Wenn nach der Regelvorschrift des § 139 wegen der Nichtigkeit eines Teils das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist, so liegt der Grund in der Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts, die es verhindert, den an sich von der Nichtigkeit nicht berührten Teil des Rechtsgeschäfts von dem nichtigen Teile loszulösen und für sich allein auf seine Rechtsbeständigkeit zu prüfen. Es kommt daher nicht darauf an, ob dieser Teil, wenn er für sich allein stände, rechtsgültig sein würde, sondern er wird in seinem Rechtsbestande mit ergriffen von der Nichtrechtsbeständigkeit des nichtigen Teils. Auf den vorliegenden Fall angewandt, ist also der mit den Geschwistern K. abgeschlossene Grundstückskauf nicht nichtig wegen irgend eines ihn betreffenden Mangels, sondern lediglich wegen der Nichtigkeit des mit ihm unmittelbar zusammenhängenden Kaufs der Wirtschaft von den Eheleuten G. Ob die Kläger den Grundstückskauf für sich allein hätten anfechten können, kommt gar nicht in Frage; darum kann es für die Entscheidung keinen Unterschied machen, daß dies wegen der Bestimmung im § 123 Abs. 2 nicht möglich gewesen sein würde (vgl. v. Staudinger, Komm. z. BGB. zu § 123 Bern. VI. 3 a. E., 2. Aufl. Bd. 1 S. 366). Im vorliegenden Fall ist auch nicht einmal der im § 123 Abs. 2 geforderte Tatbestand gegeben, daß ein Dritter die Täuschung verübt haben muß. Die Bestimmung bezieht sich auf empfangsbedürftige Willenserklärungen und setzt voraus, daß die Täuschung von jemand anders als dem Empfänger verübt worden ist. In dem zur Entscheidung stehenden Fall war vermöge der festgestellten Einheitlichkeit des Rechtsgeschäfts die auf den Abschluß gerichtete Willenserklärung der Kläger beiden Verkäufern gegenüber abzugeben; die Eheleute G., von denen die Täuschung ausgegangen ist, waren also nicht außerhalb des Vertrages stehende Dritte im Sinne der in Frage stehenden Gesetzesbestimmung (vgl. R e h b e i n , BGB. Bd. 1 zu §§116—124 Bern. III 3d S. 150)." . . .
136 R G Z . 62, 201 K a n n ein Konkursverwalter, der auf G r u n d des § 17 K O . die gänzliche E r f ü l l u n g eines S u k z e s s i v l i e f e r u n g s v e r t r a g e s ohne Kenntnis von d e m Bestehen unbezahlter K a u f p r e i s f o r d e r u n g e n für vor der K o n k u r s e r ö f f n u n g g e m a c h t e L i e f e r u n g e n verlangt hat, seine E r k l ä r u n g w e g e n Irrtums anfechten ? Z u s a m m e n t r e f f e n a ) von Irrtum i m B e w e g g r u n d e u n d Irrtum über den Inhalt einer W i l l e n s e r k l ä r u n g ; b ) von Rechtsirrtum und tatsächlichem Irrtum. II. Z i v i l s e n a t .
B G B . § 119. Urt. v. 22. Dezember 1905.
I. Landgericht Dresden.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Frage ist von den Instanzgerichten bejaht worden. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „ D a s Berufungsgericht hat näher ausgeführt, der Vertrag, dessen Erfüllung der Konkursverwalter Rechtsanwalt H. auf Grund des § 17 KO. verlangt habe, sei ein Sukzessivlieferungsvertrag von rechtlich einheitlicher Natur und als solcher auch von H. angesehen worden. H. habe die Erfüllung des g a n z e n Vertrags verlangt, und seine Erklärung sei in diesem Sinne auch von der Klägerin verstanden worden. Zufolge dieser Erklärung sei für ihn nach § 17 der KO. die Verpflichtung entstanden, die für die Klägerin aus dem Vertrag schon vor der Konkurseröffnung erwachsenen Ansprüche als Masseforderungen aus der Konkursmasse zu befriedigen. Bei dem Erfüllungsbegehren habe indessen H. sich in einem doppelten Irrtum befunden, nämlich 1. in dem rechtlich nicht beachtlichen Rechtsirrtum, das Verlangen der Vertragserfüllung verpflichte ihn gemäß § 17 KO. nur dazu, die dem Konkurse zu liefernde Zellulose zu bezahlen, während es in Wahrheit auf die bereits vor der Konkurseröffnung bewirkten noch unbezahlten Lieferungen dergestalt zurückgewirkt habe, daß die Forderungen der Klägerin hierfür gleichfalls als Masseforderungen aus der Konkursmasse zu bezahlen gewesen seien. H. habe sich 2. in einem t a t s ä c h l i c h e n , nach § 119 BGB. beachtlichen, Irrtum über den Inhalt seiner Erklärung befunden. Er habe nämlich von dem Bestehen unbezahlter Kaufpreisforderungen keine Kenntnis gehabt, sondern angenommen, daß der Vertrag zum Teil von b e i d e n Seiten erfüllt und damit endgültig erledigt, im übrigen aber noch von k e i n e m Teile erfüllt sei, während er tatsächlich zum Teil von der Klägerin erfüllt, von der Gemeinschuldnerin aber noch unerfüllt und im übrigen von k e i n e m Vertragsteile erfüllt gewesen sei. Er habe sich also von dem Vertragsverhältnis, in das er eintreten zu wollen erklärt habe, eine ganz falsche Vor-
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Stellung gemacht. Vom Standpunkte der Klägerin aus, als der Empfängerin seiner Erklärung, habe H. etwas anderes erklärt als er erklärt zu haben glaubte. Die Klägerin habe annehmen müssen, H. wolle den g a n z e n Vertrag anstatt der Gemeinschuldnerin erfüllen und somit auch die noch unbezahlten Zelluloselieferungen bezahlen, während H. infolge seiner unrichtigen Vorstellung von dem objektiven Sachverhalt nur erklärt zu haben geglaubt habe, er werde und wolle bloß die noch ausstehenden Zelluloselieferungen der Klägerin für die Konkursmasse abnehmen und ihr aus Konkursmitteln bezahlen. Infolge seiner unrichtigen Vorstellung von dem Stande der Sache habe er tatsächlich einen anderen Willen erklärt, als er ihn habe erklären wollen. Die Möglichkeit dieses Irrtums werde durch das unstreitige Vorhandensein jenes Rechtsirrtums nicht ausgeschlossen. Unzutreffend sei es, wenn die Klägerin einwende, H. habe sich bei Abgabe seiner Erklärung gar nichts und deshalb nichts Falsches gedacht, mithin sich auch nicht über den Inhalt seiner Erklärung geirrt. Denn ein rechtlich beachtlicher Irrtum brauche nicht in einem Falschwissen zu bestehen, sondern könne auch in einem Nichtwissen bestehen. Die Erklärung H.'s sei unter dem Einfluß seiner Unkenntnis vom Bestehen unbezahlter Kaufpreisforderungen der Klägerin für Lieferungen auf den streitigen Schluß zustandegekommen. Ein rechtlich erheblicher Irrtum würde nicht schon dann ausgeschlossen sein, wenn H. sich bei seiner Erklärung „nichts gedacht", sondern nur, wenn er sich dabei gedacht hätte, er wisse zwar nicht, ob die Klägerin unbezahlte Forderungen aus dem Schlüsse habe, er wolle aber, gleichviel ob es der Fall sei oder nicht, in den Schluß eintreten. Der tatsächliche Irrtum H.'s sei für das Verlangen der Vertragserfüllung auch kausal gewesen. Für die zur Anfechtung berechtigende Kausalität erfordere der § 119 BGB., daß anzunehmen sei, der Irrende würde bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung nicht abgegeben haben. Unterstellt nun, H. sei zwar in dem Rechtsirrtum befangen gewesen, das Erfüllungsbegehren wirke auf die schon vor der Konkurseröffnung begründeten Zahlungsverbindlichkeiten nicht zurück, daß er aber Kenntnis von dem aus dem Vertrag noch geschuldeten erheblichen Betrage gehabt habe, so würde er bei verständiger Würdigung des Falles die Erklärung nicht abgegeben haben. Denn es sei anzunehmen, daß er alsdann im Hinblick auf das aus § 320 BGB. folgende Zurückbehaltungsrecht des Gegners zu einer Betrachtung über das Verhältnis des § 320 BGB. zum § 17 KO. veranlaßt worden sei, infolge deren er Aufklärung über seinen Rechtsirrtum gefunden und dann selbstverständlich sich gehütet haben würde, in den Schluß einzutreten. H. sei hiernach zur Anfechtung seiner Erklärung berechtigt gewesen und er habe die Erklärung auch, wie näher dargelegt ist, gemäß § 121 BGB. unzweideutig und ohne schuldhaftes Zögern erklärt, nachdem er von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt habe. . . . Das Berufungsurteil läßt weder einen Rechtsirrtum noch einen prozessualen Verstoß erkennen und unterliegt insoweit, als die Entscheidung
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tatsächlicher Natur ist, nicht der Nachprüfung des Revisionsgerichts. Die Revisionsangriffe erscheinen nicht gerechtfertigt. Zunächst wird gerügt, der vom Berufungsgericht angenommene Irrtum über das Vorhandensein von Verpflichtungen der Gemeinschuldnerin aus dem Vertrag stelle sich lediglich als Irrtum im Beweggrunde, nicht aber als Irrtum im Sinne des § 119 BGB. dar. Es mag zugegeben werden, daß für H. die Hoffnung bestimmend gewesen ist, mit dem Verlangen der Vertragserfüllung im Hinblick auf die damalige Marktlage einen Gewinn zu erzielen. Allein für die Gewinnchancen begründete es einen wesentlichen Unterschied, ob er bloß die zukünftigen Lieferungen zu bezahlen brauchte oder mit seinem Erfüllungsbegehren auch die Verpflichtung übernahm, den erheblichen Betrag für frühere Lieferungen zu bezahlen. Die Hoffnung auf Gewinn beruhte daher ihrem Grunde nach wesentlich auf dem vom Berufungsgericht tatsächlich und für das Revisionsgericht bindend festgestellten Irrtum des H. über die objektive Sachlage, d. h. auf seiner Unkenntnis von dem Bestehen unbezahlter Kaufpreisforderungen. Jedenfalls wird ein Irrtum dieser Art durch einen Irrtum im Beweggrunde nicht ausgeschlossen. Deshalb konnte das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum annahmen, daß der Irrtum des H. recht eigentlich den Inhalt seiner Erklärung betraf, weil sie vom Standpunkte der Empfängerin aus etwas anderes, nämlich das Verlangen vollständiger Vertragserfüllung, erklärte, als sie nach der bloß auf Erfüllung des beiderseits noch unerfüllten Teils des Vertrages beschränkten Absicht des H. erklären sollte. In diesem Sinne hat denn auch der VII. Zivilsenat des Reichsgerichts in dem gleichartigen, in den Entsch. Bd. 51 S. 283 mitgeteilten Falle entschieden, als die Sache nach Aufhebung des ersten Berufungsurteils nochmals zu seiner Entscheidung gelangte (Urteil vom 1. Mai 1903, Rep. VII. 437/02). Befand sich aber H. in dem Irrtum, daß der Vertrag beiderseits gleichmäßig zum Teil erfüllt sei, so war seine Meinung, daß er nur die zukünftigen Lieferungen zu bezahlen brauche, selbstverständlich völlig zutreffend. Von einem Irrtum über die rechtliche Tragweite seiner Erklärung kann dann keine Rede sein. Ferner wird aufgestellt, H. habe Vertragserfüllung verlangt, ohne darum sich gekümmert zu haben, ob und inwieweit der Vertrag von der einen und von der anderen Seite bereits erfüllt gewesen sei. Unlogisch sei nun aber der Unterschied, den das Berufungsgericht zwischen dem „sich nichts denken" und dem geistigen Zustande desjenigen mache, der sich klar darüber sei, er wisse einen bestimmten Umstand nicht, fasse aber gleichwohl denselben Entschluß, möge sich nun jener Umstand so oder so verhalten. Zu Unrecht! Die Behauptung, daß H. vor dem Erfüllungsbegehren um das Vorhandensein unbezahlter Kaufpreisforderungen sich nicht gekümmert habe, betrifft, an und für sich allein betrachtet, bloß die Frage der Entschuldbarkeit des Irrtums. Auf die Frage, ob der Irrtum verschuldet oder unverschuldet ist, kommt es aber überhaupt nicht an, da der § 119 BGB. einen solchen Unterschied nicht macht. Entscheidend ist
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vielmehr allein die T a t s a c h e des Irrtums und seine Kausalität für die angefochtene Willenserklärung. Die vom Berufungsgerichte gemachte Unterscheidung aber ist völlig zutreffend und in der Natur der Sache begründet. Das Gesetz macht keinen Unterschied, ob der Mangel, der den Irrtum hervorruft, in einer Verfälschung oder in einem gänzlichen Fehlen der entscheidenden Vorstellung besteht. Indessen steht nur d i e u n b e w u ß t e Unkenntnis dem Irrtum im engeren Sinne gleich, dagegen nicht auch die bewußte Unkenntnis. Denn derjenige, der eine Willenserklärung abgibt in dem Bewußtsein, ihren Inhalt nicht zu kennen, ζ. B. eine Vertragsurkunde ohne Kenntnis ihres Inhalts unterschreibt, befindet sich nicht im Irrtum und kann deshalb nicht anfechten. Er irrt nicht, weil er sich klar über seine Unkenntnis ist und auf alle Fälle will, mag die Sache so oder anders liegen (vgl. H o l d e r , Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch § 119 Bern. 2; v. S t a u d i n g e r , Bürgerliches Gesetzbuch § 119 Bern. 3). Weiter wird gerügt, es sei ein logischer Fehler, wenn das Berufungsgericht die Unkenntnis des H. von dem Vorhandensein unbezahlter Kaufpreisforderungen als kausal für das Erfüllungsbegehren ansehe. Denn zufolge der irrigen Rechtsansicht des H. hätte dieser in logischer Weise gerade dazu kommen müssen, trotz des Vorhandenseins imbezahlter Kaufpreisforderungen die Erfüllung des Vertrags zu verlangen. Denn für ihn habe lediglich die Erwägung maßgebend sein können, ob er die Zellulose von anderer Seite billiger als zum Vertragspreise habe beziehen können. Da nun die Zellulose inzwischen bedeutend im Preise gestiegen sei, habe er Erfüllung des Vertrags verlangen müssen, und er habe sie verlangt. Dem Revisionsangriffe wäre Berechtigung nicht abzusprechen, wenn anzunehmen wäre, daß H. jedenfalls bei seiner irrigen Rechtsansicht verblieben wäre. Dies wird aber vom Berufungsgericht verneint. So lange H. annahm, daß die Gemeinschuldnerin alles, was ihr von der Klägerin geliefert worden, bereits vollständig bezahlt habe, hatte er keine Veranlassimg, mit der Rechtsfrage sich zu befassen, ob und inwieweit § 17 KO. auf die Verbindlichkeit zur Zahlung früherer Lieferungen zurückwirke. Für die Erwägung dieser Frage lag vernünftigerweise nur dann ein Grund vor, wenn er wußte oder wenigstens mit der Möglichkeit rechnete, daß frühere Lieferungen noch unbezahlt seien. Ob er, vor die Rechtsfrage gestellt, ohne weiteres auf seine irrige Rechtsansicht sich verlassen und hiernach gehandelt oder nicht vielmehr die Richtigkeit dieser Ansicht bei der Wichtigkeit der in Betracht kommenden Interessen an der Hand der ihm zu Gebote stehenden Hilfsmittel (Kommentare usw.) vorher noch einer gründlichen Prüfung unterzogen und alsdann, eines besseren belehrt, bei verständiger Würdigung des Falls von dem Erfüllungsbegehren Abstand genommen haben würde, ist überwiegend Tatfrage. Grundsätzlich ist die Frage nur darauf abzustellen, ob H. als verständiger Mann gedacht, also frei von Eigensinn, subjektiven Launen und törichten Anschauungen sowie abgesehen von seinem tatsächlichen Irrtum in der gegebenen Lage von seinem persönlichen Standpunkte aus und nach seinen besonderen Verhältnissen so
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gehandelt haben würde, wie das Berufungsgericht annimmt. Für die Beurteilung der Wesentlichkeit des Irrtums ist hiernach, wie auch aus den Beratungen der II. Kommission erhellt, dem richterlichen Ermessen ein weiter Spielraum gelassen (vgl. S p a h n , Prot. Bd. 1 S. 110). Daß die Entscheidung des Berufungsgerichts von Rechtsirrtum beeinflußt wäre, ist nicht erkennbar. Kraft des ihm nach § 286 ZPO. zustehenden Rechts freier Tatsachenwürdigung war es dem Berufungsgerichte unbenommen, anzunehmen, daß H., der in fraglicher Sache nach Auffassimg des Berufungsgerichts keine besondere Erfahrung an den Tag gelegt hat, im Hinblick auf die ihm näher liegende allgemeine und im gewöhnlichen Rechtsverkehr häufiger als § 17 KO. zur Anwendung kommende Bestimmung des § 320 BGB. zu einer Prüfung und Berichtigung seiner Rechtsansicht betreffs des § 17 KO. veranlaßt worden wäre und alsdann von seinem Erfüllungsverlangen Abstand genommen haben würde." . . .
RGZ. 6 2 , 2 7 3 ι . Unter welchen Voraussetzungen unterliegt der Vertrag, durch d e n eine Ausstattung versprochen wird, der Formvorschrift des § 5 1 8 Abs. 1 BGB ? 2. Verstößt ein solcher Vertrag gegen die guten Sitten, w e n n er darauf ausgeht, daß eine außer der E h e Geschwängerte vor der E n t b i n d u n g von einem anderen M a n n e als d e m Schwängerer geheiratet wird ? IV. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 11. Januar 1906. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht".
RGZ. 6 2 , 282 ι. Sind Eigenschaften des vom Vertragsgegner repräsentierten geschäftlichen Unternehmens Eigenschaften der Person im Sinne von § 1 1 9 Abs. 2 BGB. ? 2. Ist anstelle der Rechte aus vertragswidriger N i c h t e r f ü l l u n g wahlweise eine Anfechtung des Vertragsabschlusses wegen Irrt u m s über Eigenschaften der Person auch dann noch zuzulassen, wenn das Fehlen der vorausgesetzten Eigenschaften erst d u r c h die mangelhafte Vertragserfüllung zutage getreten ist ? BGB. § 119 Abs. 2. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 16. Januar 1906. I. Landgericht Hamburg, Kammer für Handcissachen. II. Oberlandesgericlit daselbst.
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Nach dem Vertrage der Parteien sollte der Beklagte dem Kläger ein Drogengeschäft in dem von dem letzteren gemieteten Laden einrichten, das heißt : ihm für 1000 M. die vollständige Einrichtung des Geschäfts und für weitere 4000 M. abgepackte sowie lose Drogen, Spezialitäten usw. liefern. Der Kläger sollte dagegen Akzepte, fällig in 3—18 Monaten, geben und Bürgen stellen, sowie 5 Jahre lang alle Waren für sein Geschäft unter bestimmten Bedingungen von dem Beklagten beziehen. Am 20. Oktober 1904 lieferte der Beklagte, am 21. Oktober 1904 eröffnete Kläger das Drcgengeschäft. Nach einem Briefwechsel vom 23. und 24. Oktober teilte der Kläger dem Beklagten am 25. Oktober 1904 mit, daß er sich nicht mehr an den Vertrag vom 21. August 1904 gebunden halte. Mit der Klage wurde beantragt, festzustellen, daß das Vertragsverhältnis zwischen den Parteien, wie es am 21. August 1904 schriftlich niedergelegt sei, nicht bestehe. Der Beklagte beantragte Abweisung der Klage, und durch W i d e r k l a g e , festzustellen, daß der zwischen den Parteien am 21. August 1904 abgeschlossene Vertrag zu Recht bestehe. Auf Revision des in den Vorinstanzen unterlegenen Beklagten und Widcrklägcrs wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen: „Die Vcrdcrrichter haben als bewiesen angenommen, daß die gelieferte Drogerie sowohl bezüglich des Inventars wie der Assortierung mit Waren durchaus unsachgemäß eingerichtet war. Der erste Richter hat aus dem Grade der Mangelhaftigkeit in der Vertragserfüllung des Beklagten auf eine schon beim Abschlüsse des Vertrags begangene arglistige Täuschung geschlossen. Der Berufungsrichter tritt zwar dieser Auffassung nicht bei; er nimmt aber an, der abgeschlossene Vertrag habe in ganz besonderem Grade auf seiten des Beklagten oder, was das gleichc sei, des von ihm repräsentierten geschäftlichen Unternehmens sowohl eine gründliche Fachkenntnis der fraglichen Branche wie große Vertrauenswürdigkeit zur Vorausetzung gehabt. Diese Erfordernisse seien nach Sachlage als Eigenschaften der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB., die für einen Fall wie den vorliegenden im Verkehre als wesentlich angesehen werden, zu beurteilen, und folgeweise müsse dem Kläger das Recht zugebilligt werden, den Vertrag gemäß § 119 a. a. O. wegen Irrtums anzufechten, wenn er sich über die Fachkunde oder die Zuverlässigkeit des Beklagten oder des von ihm repräsentierten geschäftlichen Unternehmens getäuscht habe. Es sei aber als bewiesen zu erachten, daß wenigstens der Beklagte persönlich ohne jede Sachkunde war. Das würde in dem Falle allerdings noch nicht zur Begründung einer Irrtumsanfechtung von Seiten des Klägers ausreichen, wenn nur wenigstens der Angestellte des Beklagten diesen Mangel durch seine Kenntnisse ausreichend ersetzt hätte. Die gelieferte Drogerie sei indessen so unsachgemäß eingerichtet, daß nur entweder völlige Sachunkunde, oder großer Mißbrauch des vom Kläger in den Beklagten oder dessen geschäft-
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liches Unternehmen gesetzten Vertrauens als Ursache der mangelhaften Lieferung angesehen werden könne. Danach habe dem Beklagten oder, was auf das gleiche hinauskomme, dem von ihm repräsentierten geschäftlichen Unternehmen entweder die Sachkunde, oder die Zuverlässigkeit gefehlt, welche Kläger beim Abschlüsse des vorliegenden, diese beiden Eigenschaften in besonders hohem Maße voraussetzenden Vertrags erwarten durfte. Kläger sei wegen dieses Irrtums über Eigenschaften des Vertragsgegners zur Anfechtung befugt. Durch diese Ausführungen wird zunächst der im § 119 Abs. 2 BGB. aufgestellte Rechtsbegriff eines Irrtums über Eigenschaften der Person und damit die Anfechtbarkeit einer Willenserklärung wegen Irrtums in einem Umfange zugelassen, der nicht frei von rechtlichen Bedenken ist. Bei Verträgen auf höchstpersönliche Leistungen des Vertragsgegners mögen im einzelnen Falle seine persönliche Sachkunde und unter ganz besonderen Verhältnissen auch seine persönliche Vertrauenswürdigkeit Eigenschaften der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 a. a. O. sein, und kann ein Irrtum über diese Eigenschaften wenigstens für die Zeit vor der Vertragserfüllung eine Anfechtung des Vertragsabschlusses rechtfertigen. Gleiches mag auch noch bei anderen Vertragsverhältnissen zutreffen, wenn nach der Sachlage die Leistung von dem Vertragsgegner in Person oder doch unter seiner persönlichen verantwortlichen Leitung bewirkt werden wird, und zur mangelfreien Leistung ein gewisses Maß von Sachkunde nötig ist. Grundsätzlich anders liegen indessen die Fälle, wenn die Vertragsleistung unabhängig von den persönlichen Eigenschaften des Vertragsgegners ist, wenn es also, was bei jedem größeren Geschäftsbetriebe zutrifft, und was auch der Berufungsrichter im gegebenen Falle annimmt, in Wirklichkeit darauf ankommt, ob das von dem Vertragsgegner lediglich „repräsentierte geschäftliche Unternehmen" die vertraglichen Leistungen mit der nötigen Sachkunde und Zuverlässigkeit ausführt. Es bestehen deshalb gegen eine grundsätzliche Gleichstellung des Irrtums über persönliche Eigenschaften des Vertragsgegners und des Irrtums über die Leistungsfähigkeit des von ihm lediglich repräsentierten gewerblichen Unternehmens an sich schon erhebliche Bedenken. Einmal wird in letzterem Falle regelmäßig erst durch die Erfüllung und, wenn sie etwa mangelhaft ist, durch die darin liegende Vertragsverletzung offenbar, daß die vorausgesetzte Fachkunde und Vertrauenswürdigkeit fehlt. Bei solchen geschäftlichen Unternehmen kann ferner durch Nachfrage vor Abschluß des Vertrags weit leichter festgestellt werden, ob sie mit der nötigen Sachkunde und Vertrauenswürdigkeit arbeiten; Möglichkeit undPflicht der Erkundigung bieten hier zureichenden Ersatz für den durch § 119 Abs. 2 a. a. O. bei Irrtum über Eigenschaften der Person gegebenen Rechtsschutz. Deshalb entspricht es weder der Verkehrsauffassung noch dem Verkehrsbedürfhisse, «inen durch die mangelhafte Art der Erfüllung und die darin liegende Vertragsverletzung in Wahrheit erst erheblich gewordenen Irrtum über die Leistungsfähigkeit eines Unternehmens zur Anfechtung wegen Irrtums bei dem Vertragsschlusse
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zu verwenden. Das gilt insbesondere, soweit die Eigenschaft der Vertrauenswürdigkeit des geschäftlichen Unternehmens in Frage kommt. Es ist aber auch mit der exklusiven Regelung der Folgen vertragswidriger Nichterfüllung unvereinbar, noch eine Anfechtung des Vertragsschlusses wegen Irrtums über Eigenschaften der Person oder des geschäftlichen Unternehmens zuzulassen, wenn die geschuldete Leistung ganz oder zum Teil bewirkt, und das Fehlen der vorausgesetzten Eigenschaften erst durch diese m a n g e l h a f t e V e r t r a g s e r f ü l l u n g zutage getreten ist. Hier greifen grundsätzlich (vgl. auch Urteil des V. Zivilsenats vom l.Juli 1905, Entsch. Bd. 61 S. 171, das eine Konkurrenz der Anfechtung wegen Irrtums über Eigenschaften der Sache mit den Gewährleistungsansprüchen verneint), die Bestimmungen über die Folgen vertragswidriger Nichterfüllung Platz. Durch letztere ist der Gläubiger zureichend geschützt. Bei Verträgen, die auf längere Zeit abgeschlossen wurden, können die in den Urteilen des erkennenden Senats (Entsch. Bd. 54 S. 98; Bd. 57 S. 105) ausgesprochenen rechtlichen Grundsätze über die Folgen positiver Vertragsverletzungen angewendet werden. Der Berufungsrichter ist den entgegengesetzten Weg gegangen. Der Kläger hatte die überaus große Mangelhaftigkeit der ihm gemachten Leistung des Beklagten geltend gemacht, und der Berufungsrichter hat sie auch als bewiesen angenommen. Er hat indessen das Nächstliegende nicht geprüft, ob die darin liegende Vertragsverletzung nicht das Klagbegehren rechtfertige, und hat einen Irrtunl über Eigenschaften des vom Beklagten repräsentierten geschäftlichen Unternehmens, der in den Instanzen überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlung war, angenommen und daraus eine Anfechtbarkeit nach § 119 Abs. 2 a. a. O. abgeleitet. Seine Ausführungen verletzen die dargelegten Rechtsgrundsätze. Schon aus diesem Grunde muß das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Dasselbe mit anderer rechtlicher Begründimg aufrecht zu erhalten, war nach der Sachlage nicht tunlich. Die Entscheidung darüber, ob der Kläger wegen der von dem Beklagten als Vertragsverletzung zu vertretenden mangelhaften Leistung berechtigt war, das Vertragsverhältnis, wie geschehen, aufzulösen, fällt wenigstens zum Teil in das Gebiet der Tatsachenwürdigung." . . .
R G Z 63, 4 1 1 Wirkt die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die in einem dem Prozeßbevollmächtigten des Gegners zugegangenen Schriftsatze erklärt ist, grundsätzlich für und gegen die Parteien auch außerhalb des Rechtsstreits ? BGB. § 123. II. Zivilsenat. Urt. v. 22. Juni 1906. I. Landgericht II Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
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. . . „Die E r k l ä r u n g der Anfechtung wäre i m v o r l i e g e n d e n Rechtsstreite frühestens durch den Schriftsatz vom 19. Dezember 1903 erfolgt. Sie wäre in diesem Falle verspätet; denn die Beklagte hatte von einer arglistigen Täuschung, wenn eine solche vorlag, durch das Ergebnis der Zwangsversteigerung, in der am 12. Dezember 1902 der Zuschlag erfolgt war, Kenntnis erhalten. Nun hatte die Beklagte in ihrem V o r p r o z e s s e gegen den Kläger, in dem sie gegen letzteren auf Zahlung des einen seiner Wechselakzepte über 1079,70 Al. geklagt hatte, gegen die Einrede des jetzigen Klägers, jener Wechsel sei durch Hingabe der Hypothek an Zahlungsstatt eingelöst, in einem Schriftsatze vom 4. März 1903 f ü r den Fall, daß eine Annahme der Hypothek an Zahlungsstatt festgestellt werde, die Anfechtung jenes Rechtsgeschäfts wegen arglistiger Täuschung erklärt. Das Berufungsgericht nimmt an, jener Schriftsatz sei dem Prozeßbevollmächtigten des jetzigen Klägers in jenem Rechtsstreite zugestellt worden. Im übrigen prüft es nicht, ob durch jenen Schriftsatz bloß eine Anfechtung f ü r die mündliche Verhandlung angekündet, oder mit sofortiger Wirkung erklärt wurde, und ob im ersteren Falle sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen worden sei. Zur Annahme, jene Anfechtungserklärung sei für den vorliegenden Rechtsstreit wirkungslos, gelangt es aus folgenden Erwägungen. Nach den in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 53 S. 148, Bd. 58 S. 227 ausgesprochenen Grundsätzen seien zwar die Prozeßbevollmächtigten zur Abgabe und Empfangnahme der Anfechtungserklärung als ermächtigt anzusehen, j e d o c h n u r , s o w e i t d i e A n f e c h t u n g z u r A b w e h r d e r gegen den d o r t i g e n K l a g a n s p r u c h von d e m d a m a l i g e n Beklagten e r h o b e n e n E i n w e n d u n g e n d i e n e n s o l l t e . Im vorliegenden Rechtsstreite handele es sich um einen ganz a n d e r e n als den im Vorprozesse erhobenen Anspruch. Die Anfechtung im Vorprozesse sei danach f ü r den vorliegenden Rechtsstreit nicht wirksam. Mit Recht bezeichnet die Revisionsklägerin diese Ausführungen als rechtsirrig. Zunächst ist es F r a g e d e r W i l l e n s a u s l e g u n g , ob die in einem vorbereitenden Schriftsatz enthaltene Erklärung der Anfechtung a b g e g e b e n , oder n u r a n g e k ü n d i g t ist. Denn die Erklärung der Anfechtung im Prozesse, die f ü r d e n P r o z e ß als P r o z e ß h a n d l u n g erfolgt, hat z u g l e i c h die Natur einer r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n Willenserklärung. Bei der D o p p e l n a t u r dieser Rechtsgeschäfte ist keineswegs notwendig, daß die p r o z e s s u a l e W i r k s a m k e i t V o r a u s s e t z u n g d e r m a t e r i e l l e n ist. Vorbereitende Schriftsätze können dazu dienen, materiell s o f o r t w i r k s a m e Willenserklärungen abzugeben, wenn auch diese Erklärungen erst durch die mündliche Verhandlung p r o z e s s u a l w i r k s a m werden. Darin liegt die e i n e Bedeutung der bezogenen Rechtsprechung des Reichsgerichts, daß d i e P r o z e ß b e v o l l m ä c h t i g t e n d u r c h d i e P r o z e ß v o l l m a c h t zur Abgabe und Entgegennahme solcher rechtsgeschäftl i c h e r W i l l e n s e r k l ä r u n g e n des m a t e r i e l l e n R e c h t s , die s o f o r t
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f ü r u n d w i d e r die P a r t e i e n w i r k e n s o l l e n , e r m ä c h t i g t sind. Diese Ermächtigung erleidet nur die eine B e s c h r ä n k u n g , daß j e n e r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e n W i l l e n s e r k l ä r u n g e n mit der R e c h t s v e r f o l g u n g oder R e c h t s v e r t e i d i g u n g des R e c h t s s t r e i t e s , in dem sie von und gegenüber dem Prozeßbevollmächtigten erfolgen, z u s a m m e n h ä n g e n . Solche rechtsgeschäftlichen Willenserklärungen sind ferner, wenn sie nicht bloß angekündet sind, z i v i l r e c h t l i c h v o l l e n d e t mit dem Zugehen an den Prozeßbevollmächtigten des Gegners; ihre z i v i l r e c h t l i c h e n W i r k u n g e n sind — darin liegt die zweite B e d e u t u n g der bezogenen Rechtsprechung des Reichsgerichts — an sich u n a b h ä n g i g von ihrem weiteren Schicksale im Prozesse und von dem weiteren Schicksale des Prozesses. Sie haben n e b e n und a u ß e r dem Prozesse grundsätzlich die g l e i c h e n zivilrechtlichen Wirkungen, wie die gleiche außerhalb des Prozesses von einem zur Vertretung Berechtigten abgegebene und entgegengenommene rechtsgeschäftliche Willenserklärung. Die Anfechtung, die in einem dem Prozeßbevollmächtigten des Gegners zugegangenen vorbereitenden Schriftsatze e r k l ä r t ist, wirkt g r u n d s ä t z l i c h f ü r u n d g e g e n die P a r t e i e n auch a u ß e r h a l b des R e c h t s s t r e i t e s . Eine Beschränkung ihrer Wirkungen auf d e n Rechtsstreit, in dem sie erklärt ist, und auf den in jenem Rechtsstreit verfolgten Anspruch, muß grundsätzlich v e r n e i n t werden. Danach sind die Erwägungen, aus denen das Berufungsgericht die Erklärung der Anfechtung in dem Schriftsatze vom 4. März 1902 als wirkungslos bezeichnete, rechtlich nicht haltbar." . . .
RGZ. 64, 159 Erfordnerisse des „unverzüglich" in § 121 Abs. 1 BGB. BGB. § 121. I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 9. Oktober 1906. I. Landgericht Landsberg a. W. II. Kammergericht Berlin.
Die Klägerin hatte bis zum 6. März 1905 die eingetragene Firma „Zentrale für Bezug landwirtschaftlicher Maschinen, e. G. m. b. H." geführt. Zu Anfang Februar 1905 wandte sie sich wegen Lieferung eines größeren Postens Jutegarn an die Beklagte, und es wurde noch im Februar 1905 dyrch Briefwechsel ein Kaufvertrag zwischen ihr und der Beklagten abgeschlossen, durch den die Beklagte sich verpflichtete, ihr eine größere Menge Jutegarn sukzessiv mit je 5000 kg vom 1. Juli, 15. Juli usw. bis zum 15. Januar 1906 zu liefern. Die Zahlung hatte 3 Monate nach der jeweiligen Lieferung zu erfolgen. Nach dem Vertragsschlusse holte die Beklagte Auskünfte über die Klägerin ein, die bei ihr am 29. März und 1. April 1905 einkamen. Gleichzeitig am 1. April hatte die Beklagte ein Schreiben der Klägerin erhalten, worin letztere ihr mitteilte, sie habe ihre Firma in „Maschinenzentrale für Bezug landwirtschaftlicher Maschinen, e. G. m. Zivils. All^rm. Teil 2 10
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b. H." umgeändert. Unter dem 3. April schrieb sie an die Klägerin, sie bestätige ihre Anzeige vom 1. April über Änderung der Firma und frage an, ob mit der Änderung der Firma auch eine Änderung des Verhältnisses der Klägerin zur Landwirtschaftskammer, als dessen Organ sie — die Beklagte — die Klägerin bisher angesehen habe, eingetreten sei. Die Klägerin antwortete mit dem Briefe vom 4. April, sie sei weder Organ der Landwirtschaftskammer, noch habe sie Beziehungen zu dieser, und unmehr teilte die Beklagte durch Schreiben vom 8. April 1905 der Klägerin mit, sie werde die Lieferung nicht ausführen, da sie bisher angenommen habe, die Klägerin sei ein Organ der Landwirtschaftskammer. Gegen die Klage auf Lieferung fälliger Raten des erwähnten Abschlusses wandte die Beklagte ein, sie habe den Vertrag durch den Brief vom 8. April 1905 wegen Irrtunis rechtswirksam angefochten. Die Vorderrichter haben diesen Einwand mit der Erwägung als unbegründet zurückgewiesen, daß die Anfechtung jedenfalls nicht u n v e r z ü g lich erfolgt sei. Die Revision der Beklagten wurde zu diesem Punkte als unbegründet zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : . . . „Die Beklagte haue einen zur Anfechtung nach § 119 BGB. geeigneten Irrtum darin gefunden, daß sie sich über die geschäftlichen Verhältnisse der Klägerin geirrt habe. Sie habe nach dem Wortlaute der Firma und der Form der verwendeten Briefbogen angenommen, Klägerin sei eine Genossenschaft, deren Mitglieder landwirtschaftliche Maschinen zu ihrem Bedarf beziehen, und es handle sich, da Klägerin sich als Zentralstelle bezeichnet habe, um ein besonders großes Unternehmen. Sie habe ferner angenommen, daß die Klägerin, wie andere Stellen dieser Art, Organ einer Landwirtschaftskammer oder einer ähnlichen Korporation sei, und sie sei deshalb der Meinung gewesen, daß sie es mit einem durchaus kreditwürdigen Institute zu tun habe. Das Berufungsgericht ist mit dem ersten Richter in eine Prüfung dieses Vorbringens nach der Richtung, ob es eine Anfechtung wegen Irrtums sachlich zu rechtfertigen geeignet sei, überhaupt nicht eingetreten; es hat jene Anfechtung auf Grund der einzigen Erwägung verworfen, sie sei nicht unverzüglich erfolgt, nachdem die Beklagte von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt habe, und schon aus diesem Grunde unwirksam. In diesem Zusammenhange führt es aus : durch die bei der Beklagten am 29. März 1905 eingegangene Auskunft von Sch., sowie durch die weiter eingeholten, am 1. April 1905 eingegangenen Auskünfte habe die Beklagte am 1. April alle die Umstände gekannt, die bei ihrer Entschließung, den Kaufvertrag wegen Irrtums anzufechten, in Betracht kamen; sie habe auch keinen triftigen Grund gehabt, an der Zuverlässigkeit der empfangenen Auskünfte zu zweifeln. Die Anfrage vom 3. April sei nach den vorliegenden Umständen völlig überflüssig und lediglich ein Ausdruck ihrer Verlegenheit gewesen. Die Beklagte habe mit ihrer Entschließung gezögert und erst
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am 8. April, nachdem sie durch das am 5. April eingegangene Antwortschreiben lediglich das erfahren hatte, was ihr schon bekannt war, die Anfechtungserklärung abgegeben. Nach Sachlage sei die Anfechtungserklärung vom 8. April keine unverzügliche. Die Beklagte hätte, nachdem sie ihren angeblichen Irrtum am 1. April entdeckt hatte — der 2. April war ein Sonntag —, am 3. April die Anfechtung erklären können. Die Verzögerung dieser Erklärung bis zum 8. April sei eine schuldhafte gewesen. Die von der Beklagten geltend gemachten Umstände genügten nicht, um eine Zögerung bis zum 8. April zu entschuldigen. Den Angriffen der Revision gegen diese Ausführungen konnte keine Folge gegeben werden. Nach § 121 Abs. 1 BGB. muß die Anfechtung wegen Irrtums ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Irrtum Kenntnis erlangt hat. Wie die Frage des Verschuldens überhaupt, so ist auch die Frage, ob in bestimmten Vorgängen ein schuldhaftes Zögern zu erblicken sei, eine Rechtsfrage. Dem Revisionsgericht steht deshalb die Prüfung und Entscheidung darüber zu, ob aus den vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen, die für das Revisionsgericht bindend sind, sich der Begriff des schuldhaften Zögerns ergebe. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 49 S. 395, 396; Rep. V. 542/04 vom 1. März 1905, Jurist. Wochenschr. 1905 S. 282 Nr. 3.) Der Ausdruck „unverzüglich", den § 121 Abs. 1 BGB. mit „ohne schuldhaftes Zögern" erläutert, ist ein technischer Ausdruck der neuen Gesetzgebung. Er findet sich in einer Reihe von Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs und des Handelsgesetzbuchs. Die Merkmale dieses rechtlichen Begriffes können wohl dahin zusammengefaßt werden: zum Begriffe der Unverzüglichkeit gehört grundsätzlich ein nach den Umständen des Falles zu bemessendes schleuniges Handeln. Ein diesem objektiven Erfordernisse nicht entsprechendes — verzögertes oder verspätetes — Handeln ist indes dann noch geeignet, den gesetzlichen Tatbestand der Unverzüglichkeit zu erfüllen, wenn die Verzögerung auch bei Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt unabwendbar war. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 49 S. 394; Rep. V. 310/01 vom 21. Dezember 1901, Jurist. Wochenschr. 1901 S. 122.) Die Gleichheit des rechtlichen Begriffes „unverzüglich" in den einzelnen Gesetzesbestimmungen rechtfertigt indes nicht, die zu einer einzelnen Gesetzesbestimmung über diesen Rechtsgegriff ergangenen Entscheidungen kurzerhand auf jede andere Vorschrift, die das Erfordernis der Unverzüglichkeit aufstellt, zu übertragen. Nach Zweck, Bedeutung und Tragweite der einzelnen Vorschrift werden im Rahmen der obengegebenen begrifflichen Merkmale für den einzelnen Anwendungsfall die Voraussetzungen der Unverzüglichkeit verschieden sein. An die Unverzüglichkeit der Mängelanzeige im Handelskauf sind im Einzelfalle andere Anforderungen zu stellen als an die Unverzüglichkeit der Anfechtungserklärung wegen Irrtums. Zur Mängelanzeige im Handelskauf hat der erkennende Senat (vgl. Entsch. in Zivils. Bd. 59 S. 45) ausgesprochen: für die Frage, ob zur ordnungsgemäßen Untersuchung einer Ware der :υ·
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Käufer Gutachten Sachverständiger einholen dürfe, seien die o b j e k t i v e S a c h l a g e u n d die V e r k e h r s a n s c h a u u n g e n , nicht die persönlichen Verhältnisse des Käufers und seine subjektiven Anschauungen maßgebend. In den Urteilsgründen des Berufungsgerichts ist unter Bezugnahme auf jene Entscheidung ausgeführt, bei Prüfung der Frage, ob eine Anfechtungserklärung wegen Irrtums unverzüglich abgegeben, seien allein die objektive Sachlage und die Verkehrsanschauungen maßgebend. Diese Ausführung könnte zu der Annahme verleiten, das Berufungsgericht habe bei Prüfung der Unverzüglichkeit im gegebenen Falle die in jenem Urteile entwickelten Grundsätze über die Unverzüglichkeit der Mängelrüge beim Handelskauf kurzerhand zugrunde gelegt. So aufgefaßt wäre seine rechtliche Beurteilung nicht bedenkenfrei. Die nachfolgenden Ausführungen ergeben indes unzweideutig, daß das Urteil nicht auf einem solchen Rechts verstoße b. ruht. Das Erfordernis in § 121 Abs. 1, daß die Anfechtung wegen Irrtums ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) zu erfolgen hat, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Irrtum Kenntnis erlangt hat, beruht auf der wohlbegründeten Erwägimg des Gesetzgebers, der Anfechtungsberechtigte habe das Interesse des Anfechtungsgegners daran, daß er weiß, ob das Rechtsgeschäft wirksam bleibe, zu berücksichtigen. Das erwähnte Interesse ist bei Handelskäufen und namentlich bei größeren Lieferungsgeschäften an sich schon größer. Ein schuldhaftes Zögern liegt daher grundsätzlich schon darin, daß der Anfechtungsberechtigte jenes Interesse des Anfechtungsgegners nicht zureichend berücksichtigt. Diese rechtliche Auffassung liegt dem Berufungsurteil zugrunde. Nach seiner Annahme hatte die Beklagte spätestens am 1. April ihren Irrtum erkannt. Sie hätte daher schon am 3. April — der 2. April war ein Sonntag — die Anfechtung erklären können. Ihr Schreiben vom 3. April enthält nicht etwa einen Versuch, vorerst noch eine nachträgliche Einigung über den Inhalt des Geschäfts herbeizuführen, noch bezweckte es, der Beklagten über einen ihr noch unbekannten Punkt Aufklärung zu verschaffen. Das Berufungsgericht bezeichnet es zutreffend als Verlegenheitsbrief und weist mit Recht darauf hin, daß der Beklagten das, worüber sie sich in jenem Schreiben zu erkundigen den Anschein gab, schon durch die erhaltenen Auskünfte voll bekannt war. Wenn unter diesen Umständen die Beklagte ihre Anfechtungserklärung bis zum 8. April verzögerte, so war diese Zögerung schuldhaft; sie hat das Interesse der Klägerin daran, daß sie wisse, ob das Geschäft wirksam bleibe, unter Außerachtlassung der im Handelsverkehre erforderlichen Sorgfalt unzureichend berücksichtigt." . . . RGZ. 64, 181 Kann ein Rechtsgeschäft, bei d e m ein auffalliges Mißverhältnis zwischen L e i s t u n g u n d Gegenleistung besteht, die übrigen in § 138 Abs. 2 BGB. aufgestellten Voraussetzungen jedoch fehlen, wegen Verstoßes gegen die g u t e n Sitten (Abs. 1 ebenda) nichtig sein ?
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B G B . § 138. V. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 13. Oktober 1906.
I. Landgericht Essen.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Die obige Frage ist vom Reichsgericht verneint aus folgenden Gründen: . . . „Allerdings enthält die Vorschrift des § 138 Abs. 2 B G B . gegenüber dem in Abs. 1 ebenda ausgesprochenen allgemeinen Grundsatze nur eine erläuternde Spezialbestimmung. Aber die letztere ist insofern einheitlicher Natur, als die darin angegebenen einzelnen Tatbestandsmerkmale nicht auseinandergerissen und selbständig als ein f ü r sich allein die Voraussetzungen des Abs. 1 erfüllender Tatbestand behandelt werden dürfen. Es ist also rechtlich unzulässig, in dem bloßen Umstände, daß die von einem Vertragsteile gewährten oder versprochenen Vermögensvorteile in auffälligem Mißverhältnis zu der von ihm zu bewirkenden Gegenleistung stehen, einen Verstoß gegen die guten Sitten zu finden, wenn nicht zugleich auch das weitere in Abs. 2 aufgestellte Erfordernis — Ausbeutung der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit — dargetan ist. Anderenfalls würde man dazu gelangen, den durch das neue Reichsrecht beseitigten Grundsätzen des früheren Rechts über Anfechtung eines Veräußerungsvertrages wegen laesio enormis auf dem Umwege des § 138 Abs. 1 B G B . wieder zur Geltung zu verhelfen." . . .
R G Z . 64, 266 Kann der Käufer von Sachen aus einer Konkursmasse, der bei Kalkulation des Kaufpreises der irrtümlichen M e i n u n g war, die T a x e n dieser Sachen im Konkursinventar seien herabgesetzte Einkaufspreise, den Kauf wegen Irrtums über den Inhalt der E r klärung — § 1 1 9 A b s . ι B G B . — oder w e g e n Irrtums über eine Eigenschaft der Sachen — § 1 1 9 A b s . 2 B G B . — anfechten ? B G B . § 119. II. Zivilsenat.
Urt. v. 9. November 1906.
I. Landgericht Bielefeld.
II. Obcrlandesgericht Hamm.
Der klagende Konkursverwalter hatte dem Beklagten einzeln verzeichnete Gegenstände zum Pauschpreise von 6300 M. verkauft. Gegen seine Klage auf Zahlung des Kaufpreises machte der Beklagte unter anderem geltend, er habe den Kauf wegen Irrtums nach § 1 1 9 B G B . angefochten, da er nach Mitteilungen bei den Kaufverhandlungen der irrtümlichen Meinung gewesen sei, die s e i n e r P r e i s k a l k u l a t i o n z u g r u n d e g e l e g t e n T a x e n der g e k a u f t e n S a c h e n im K o n k u r s i n v c n t a r e s e i e n h e r a b g e s e t z t e E i n k a u f s p r e i s e . Der erste Richter verurteilte
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den Beklagten nach dem Klagebegehren. Das Berufungsgericht erachtete die Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB. für gerechtfertigt und wies die Klage ab. Auf Revision des Klägers wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, aus den folgenden Gründen: . . . „Das Berufungsgericht hat die Anfechtung des Kaufes wegen Irrtums nach § 119 BGB. als durchgreifend erachtet. Es erwägt: nach dem Ergebnisse der Beweisaufnahme habe Auktionator D., der seinerzeit im Auftrage des Konkursverwalters das Inventar aufgenommen hatte, und der mit Wissen und Willen des Konkursverwalters behufs Vermittelung des Verkaufs des Lagers tätig war, dem Beklagten vor Abschluß des Vertrag erklärt, das Lager sei billig, es sei ja unter Einkaufspreis aufgenommen, er laufe bei dem Geschäfte kein Risiko. Danach müsse angenommen werden, daß der Beklagte, der keinen Anlaß gehabt habe, in die Richtigkeit der Mitteilung des D. Zweifel zu setzen, bei dem Abschlüsse des Kaufvertrags in dem Glauben gewesen sei, die Taxe in dem dem Kaufvertrag zugrunde liegenden Inventar sei unter Zugrundelegen der Einkaufspreise festgestellt, die Inventarpreise seien herabgesetzte Einkaufspreise. Es sei aber bewiesen, daß bei der Taxierung der im Inventar unter Nr. 163 bis 200 aufgeführten Gegenstände, die vorher an K. verkauft gewesen waren, die Preise des sogenannten K.schen Inventars zugrunde gelegt seien, die nicht E i n k a u f s p r e i s e , sondern V e r k a u f s p r e i s e waren, und daß eine Taxierung dieser Sachen nach dem wirklichen Einkaufspreise einen erheblichen Unterschied ergeben hätte. Bei dem Kaufabschlüsse habe sich hiernach der Kläger wegen der K.schen Sachen insofern in einem Irrtum befunden, als er annahm, die für diese Sachen im Inventar angesetzten Preise seien h e r a b g e s e t z t e E i n k a u f s p r e i s e , während er in Wirklichkeit diese Sachen nur zu h e r a b g e s e t z t e n V e r k a u f s p r e i s e n gekauft habe. Er habe sich mithin über den I n h a l t s e i n e r E r k l ä r u n g im Irrtum befunden. Zu herabgesetzten Verkaufspreisen habe er die Sachen nicht kaufen wollen; er habe auch nicht eine dahingehende Erklärung abgeben wollen, wie er es in Wirklichkeit getan habe. Der Beklagte hätte ferner, wenn er diese Sachlage von vornherein gekannt hätte, bei verständiger Würdigung des Falles die erwähnten K.schen Sachen, die den wertvollsten Teil des Lagers ausmachten, zu den im Inventar eingesetzten Preisen nicht gekauft. Übrigens wäre, wenn man annehmen wollte, daß ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung nicht vorliege, die weitere Auffassimg gerechtfertigt, der Beklagte habe sich im Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der sogenannten K.schen Sachen befunden (§ 119 Abs. 2 BGB.). Dieser Irrtum wäre darin zu finden, daß der Beklagte irrigerweise annahm, diese Gegenstände hätten solche Einkaufspreise gehabt, daß sich nach entsprechender, bei Konkursmassen üblicher Reduzierung dieser Einkaufspreise die Inventarpreise ergeben hätten. Die durch rechtzeitige Anfech-
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tung begründete Nichtigkeit des Kaufgeschäftes, soweit die K.schen Sachen in Betracht kommen, habe nach § 139 BGB. die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäftes zur Folge. Die Klage auf Zahlung des Kaufpreises sei schon aus diesem Grunde zurückzuweisen; es sei nicht nötig, auf die weiteren Einwendungen des Beklagten einzugehen. Die Revision rügt Verletzung des § 119 Abs. 1 und 2 BGB. Dieser Rüge war stattzugeben. Die Annahme eines Irrtums über den Inhalt der Erklärung nach § 119 Abs. 1 a. a. O. ist mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht haltbar. Die E r k l ä r u n g des Beklagten bei Abschluß des Kaufvertrags ging auf Zahlung eines Kaufpreises von 6300 M. Wortlaut und I n h a l t der Erklärung fallen äußerlich zusammen. Ferner ist daran festzuhalten, daß K a l k u l a t i o n s f e h l e r des Verkäufers bei Berechnung des Kaufpreises, des Käufers bei seiner Prüfung des Kaufpreises, grundsätzlich nur Irrtum im Beweggrund sind und für sich allein nicht die Annahme eines Irrtums über den Inhalt des Preisangebotes rechtfertigen (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 55 S. 369). Nur dann ist dies anders, wenn diese Kalkulationen zum Gegenstande der für den Vertragsschluß entscheidenden Verhandlungen gemacht wurden, wenn bei den für den Vertragsschluß entscheidenden Verhandlungen dem anderen Teile erkennbar der verlangte oder angebotene Kaufpreis als ein durch näher bezeichnete Kalkulationen zustande gekommener bezeichnet ist. Dann umfaßt der Inhalt der Erklärung bei dem Vertragsschlusse auch diese Kalkulation, und ein I r r t u m in dieser Kalkulation ist im Zweifel — er kann unter Umständen auch nur zu einer Richtigstellung des Kaufpreises führen — ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung, der die Anfechtung aus § 119 Abs. 1 rechtfertigt. Die Erwägungen des Berufimgsgerichts reichen indes nicht zu, um die hier verlangten Erfordernisse zu erfüllen; insbesondere genügt es nicht, daß ein mit Wissen und Willen des Verkäufers, aber lediglich als „Vermittler" Handelnder bei Gelegenheit der Verhandlungen Mitteilungen über die Preiskalkulation gemacht oder Kenntnis von der Preiskalkulation des Käufers genommen hat. Eine andere Beurteilung wäre denkbar, wenn D. als Vertreter des Konkursverwalters gehandelt hätte, und dem Konkursverwalter oder seinem Vertreter erkennbar der bei dem Kaufabschlüsse bestimmte Kaufpreis lediglich das rechnerische Ergebnis der beiderseits zugrunde gelegten Inventarpreise mit einem entsprechenden Zuschlage gewesen wäre. Eine Feststellung dieses Inhalts kann in den Ausführungen des Berufungsgerichts nicht gefunden werden. Nicht haltbar ist ferner die zweite, fürsorgliche Erwägung, durch die das Urteil gleichfalls getragen würde, daß nämlich auch ein Irrtum über eine Eigenschaft der Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 vorliege. Zwar fallen unter den Begriff der Eigenschaften der Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 nicht nur die natürlichen (körperlichen) Eigenschaften, sondern auch solche tatsächliche und rechtliche Verhältnisse der Sache, die zufolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Verkehrs-
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anschauungen einen Einfluß auf die Wertschätzung der Sache auszuüben pflegen. Allerdings werden Verhältnisse solcher Art beim Kauf individuell bestimmter Sachen, um die es sich hier allein handelt, als Eigenschaften der Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 grundsätzlich nur dann beachtlich sein, wenn sie für den anderen Teil erkennbar dem Vertragsschlusse zugrunde gelegt wurden, ohne daß sich die Verhandlungen zu einer Z u s i c h e r u n g nach § 463 BGB. verdichtet hätten. Für die Annahme einer Eigenschaft bei solchen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen der Sache ist indes wesentliches Erfordernis, daß letztere sich unmittelbar auf die Sache beziehen und für deren Wertbildung maßgebend sind. Verkehrswert, Marktpreis, Einkaufspreis sind grundsätzlich lediglich das Ergebnis der Schätzung aller für die Wertbildung maßgebenden Eigenschaften der Sache auf der Grundlage der allgemeinen Konjunktur oder besonderen Umstände des einzelnen Kaufgeschäftes. Sie sind aber nicht ein tatsächliches oder rechtliches Verhältnis der Sache, das für deren Wertbildung maßgebend ist; sie sind keine der Sache innewohnende Eigenschaft. (Vgl. Urteil des I. Zivilsenats vom 18. April 1906, Rep. I. 491/05, Jurist. Wochenschr. 1906 S. 378 Nr. 5.) Gleiches gilt übrigens auch von einer Wertstaxe, es sei denn, daß sie, was sehr häufig zutreffen wird, eine zusammenfassende Darstellung der für die Wertschätzung maßgebenden Eigenschaften gibt und mit diesem Inhalt dem anderen Teil erkennbar der Preisfestsetzung beim Kaufabschlüsse zugrunde gelegt ist. Danach rechtfertigt eine irrtümliche Annahme des Käufers, die gekauften Gegenstände hätten solche Einkaufspreise gehabt, daß sich nach entsprechender, bei Konkursmassen üblicher Reduzierung dieser Einkaufspreise die Inventarpreise ergeben hätten, für sich allein noch nicht die Annahme eines Irrtums über eine Eigenschaft der gekauften Sachen im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. Nach dem Gesagten hat das Berufungsgericht unter Verletzung des §119 Abs. 1 und 2 einen zur Anfechtung geeigneten Irrtum angenommen. Damit zerfällt sein Urteil, das lediglich auf der aus einer Anfechtung nach §119 abgeleiteten Nichtigkeit beruht." . . . RGZ. 65, 86 1 . Gehört zur wirksamen Anfechtung einer Willenserklärung, daß der Grund der Anfechtung angegeben wird ? 2. Wann beginnt die Frist zur Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung ? 3. Agenturvertrag mit der Verpflichtung des H a n d l u n g s agenten, mindestens einen bestimmten Umsatz zu erzielen. W i c h tiger Grund zum Rücktritt.
BGB. §§ 143 Abs. 1, 124. HGB. §§ 84, 92.
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I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 12. Januar 1907 I. Landgericht Mannheim.
II. Oberlandesgericht Karlsruhe.
Die Klägerin war im Besitze eines Patents auf die Herstellung von Zugmessern, d. h. Vorrichtungen, die dazu dienen, bei Feuerungsanlagen die Stärke des Luftzuges zu messen. Durch schriftlichen Vertrag vom 28. April und Nachtrag vom 11. September 1903 hatte sie dem Beklagten den Alleinvertrieb der Zugmesser für Deutschland übertragen. Die Lieferung und Fakturierung an die Abnehmer sollte die Klägerin selbst bewirken, dem Beklagten aber den erzielten Überschuß über einen festgesetzten Grundpreis vergüten. Laut § 3 verpflichtete sich der Beklagte, in der Zeit bis Ende 1905 6000 Messer abzusetzen oder für die nicht abgesetzte Zahl 5 M. für das Stück zu bezahlen. Der Beklagte hatte tatsächlich nur 472 Messer abgesetzt und bestritt, an den Vertrag gebunden zu sein. Die Klägerin erhob Klage auf Feststellung, der beide Instanzen stattgaben, das Oberlandesgericht in folgender Fassung: „Es wird festgestellt, daß der zwischen den Streitteilen am 28. April 1903 abgeschlossene Vertrag nebst dem Zusatzvertrage vom 11. September 1903, insbesondere der § 3 des Vertrages, zu Recht besteht." Auf die Revision des Beklagten hob das Reichsgericht das Berufungsurteil auf und wies die Sache in die Vorinstanz zurück. Gründe: „Gegenüber dem Feststellungsbegehren der Klägerin hatte sich der Beklagte u. a. damit verteidigt, daß er von der Klägerin durch eine arglistige Täuschung zur Eingehung des Vertrages bestimmt worden sei. Diese Täuschung soll darin bestanden haben, daß die Klägerin die Untauglichkeit der patentierten Zugmesser für die technischen Zwecke, wozu sie bestimmt seien, gekannt, ihm aber absichtlich verschwiegen habe. Das Oberlandesgericht erwägt richtig, daß diese Verteidigung zur Abwehr der Feststellungsklage nur dienen könne, wenn eine ordnungsmäßige und rechtzeitige Anfechtungserklärung erfolgt sei. Und weil es diese vermißt, gelangt es zur Zurückweisung der Verteidigung, ohne deren bestrittene tatsächliche Unterlagen geprüft zu haben. Als Anfechtungserklärung kommen zunächst ein Brief des Beklagten vom 24. November 1904 und eine (in diesem Briefe wiederholte) mündliche Erklärung des Beklagten gegenüber dem Prokuristen der Klägerin in Betracht. Der Brief enthält nämlich folgenden Satz: „Was das Zu-Recht-Bestehen unseres Zugmesser-Vertrages betrifft, so bemerke ich höfl., daß ich Ihrer werten Firma s. Zt. erklärt habe, daß ich denselben, wie die Verhältnisse liegen, nicht anerkenne und nicht anerkennen kann." Das Oberlandesgericht versagt dieser Äußerung die rechtliche Bedeutung einer Anfechtungserklärung, weil der Anfechtungsgiund nicht
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mitgeteilt sei; irgendein Hinweis auf ein arglistiges Verhalten sei in dem Briefe nicht zu finden; die Klägerin hätte aus dem Schreiben nicht entnehmen können, daß der Beklagte den Vertrag wegen eines arglistigen Verhaltens, das er ihr vorwerfe, als nichtig ansehe, sondern höchstens, daß er sich vom Vertrage lossage, weil er ungünstig für ihn sei. Diese Ausführung wird von der Revision mit Recht beanstandet. Die Anfechtung einer Willenserklärung erfolgt nach § 143 Abs. 1 BGB. durch Erklärung gegenüber dem Anfechtungsgegner. Daß dabei der Ausdruck „Anfechtung" gebraucht wird, ist nicht erforderlich; es genügt, wenn sich aus der Erklärung, der Wille des Erklärenden ergibt, daß das Rechtsgeschäft unwirksam sein solle (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 48 S. 221). Es genügt der erkennbare Wille, das Geschäft nicht bestehen lassen zu wollen; Wendungen, wie Bestreiten der Verpflichtung, Nichtanerkennen, Rückfordern, sind daher in der Regel als ausreichend anzusehen. Daß auch der Grund der Anfechtung angegeben werden müsse, fordert das Gesetz nicht: weder in dem Sinne, daß abstrakt die Fälle der §§ 119 (Irrtum), 120 (unrichtige Übermittlung), 123 (arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung) unterschieden, noch in dem Sinne, daß die konkreten Tatsachen, worauf die Anfechtung gegründet werden soll, angegeben werden müssen. Daher muß es als rechtsirrig bezeichnet werden, wenn das Oberlandesgericht den Brief des Beklagten und die in ihm berichtete mündliche Erklärung als eine dem § 143 Abs. 1 genügende Anfechtungserklärung nicht gelten lassen will. Dies nötigt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung, damit festgestellt wird, ob die schriftliche oder doch die mündliche Erklärung innerhalb der Jahresfrist des § 124 erfolgt ist, und damit gegebenenfalls näher auf die tatsächlichen Unterlagen der Anfechtung eingegangen wird. Die im Prozesse selbst erklärte Anfechtung hat das Berufungsgericht als verspätet angesehen, weil sich aus den eigenen Angaben des Beklagten ergebe, daß er die gerügten Mängel der Zugmesser, die er abzusetzen übernommen, schon länger als ein Jahr vorher genau erkannt habe. Diese Annahme wird von der Revision vergeblich angefochten. Allerdings umfaßt „die Entdeckung der Täuschung", von der an das Gesetz (§ 124 Abs. 2) die Frist berechnet, nicht bloß die Erkenntnis der objektiven Unrichtigkeit der bestimmenden Tatsache, sondern auch die Erkenntnis des subjektiven Moments, der absichtlichen Täuschung durch den Gegner (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 59 S. 96). Das hat das Berufungsgericht aber auch nicht verkannt. Es hat nur tatsächlich aus dem eigenen Vorbringen des Beklagten geschlossen, daß im vorliegenden Falle beide Momente zusammenfallen mußten. Der Beklagte, der die arglistige Täuschung behaupten und beweisen muß, hat nämlich für diese Darlegung nicht etwa besondere Umstände angeführt, sondern sich nur wie auf etwas Selbstverständliches darauf bezogen, daß die Klägerin die Eigenschaften der von
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ihr hergestellten und ausprobierten Zugmesser vor dem Abschlüsse des Vertrages genau gekannt habe. Hiernach erscheint es nicht als rechtsirrtümlich, wenn das Oberlandesgericht davon ausgeht, daß der Beklagte diese Schlußfolgerung aus dem Selbstverständlichen schon gleich gezogen habe, als ihm die Mängel der Zugmesser bekannt wurden. Sollte sich die bisher erörterte Verteidigung des Beklagten aber auch nach erneuter Verhandlung nicht als stichhaltig erweisen, so kommt zu seinen Gunsten doch noch ein anderer rechtlicher Gesichtspunkt in Betracht, den das Oberlandesgericht übersehen hat. Die Revision macht mit Recht geltend, daß sowohl der Brief des Beklagten vom 24. November 1904, wie seine Erklärungen im Prozesse auch als Geltendmachung eines Rücktrittsrechtes zu würdigen seien. Für die Frage, ob dem Beklagten ein Rücktrittsrecht zustand, ist es von Bedeutung, die rechtliche Natur des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages zu bestimmen. Das Oberlandesgericht bemerkt völlig zutreffend, daß weder ein Kaufvertrag noch ein Werkvertrag vorliege, und daß die gesetzlichen Bestimmungen über diese Verträge hier auch nicht analog anzuwenden seien. Anzuwenden aber waren, wie die Revision mit Recht geltend macht, die Rechtssätze, die das Handelsgesetzbuch über die Handlungsagenten aufstellt (§§ 84—92). Denn der wesentliche Inhalt des Vertrages besteht darin, daß der Beklagte, ohne als Handlungsgehilfe angestellt zu sein, d. h. als selbständiger Kaufmann, ständig damit betraut wurde, für das Handelsgewcrbe der Klägerin Geschäfte zu vermitteln. Er sollte der Klägerin die Zugmesser nicht selbst abkaufen, sondern ihr Käufer dafür zuführen. Nach § 5 sollte die Klägerin die gelieferten Zugmesser „direkt berechnen", also die Faktura auf sich ausstellen und somit den Abnehmern als Verkäufer gegenübertreten. Und wenn es in § 4 heißt, der Beklagte übernehme „den Vertrieb" auf seine Rechnung, so kann darunter dem Zusammenhange nach nur verstanden werden, daß die Kosten der Geschäftsvermittelung von ihm getragen werden sollten. Die Vergütung, die der Beklagte beziehen sollte, besteht in einem Anteile an dem erzielten Kaufpreise, also in einer Provision. Der einzige Punkt, in dem der Vertrag eine Abweichung von den gewöhnlichen Pflichten der Handlungsagenten festsetzt, ist der, daß der Beklagte es übernahm, für einen bestimmten Mindestabsatz zu sorgen, und daß er sich einer Vertragsstrafe unterwarf, wenn und insoweit ihm dieser Mindestabsatz nicht gelingen sollte. Eine derartige Abrede aber ist mit dem Wesen des Agenturvertrages vereinbar und kann keinen Grund abgeben, das Rechtsverhältnis der Parteien nicht als Agenturverhältnis aufzufassen. Nach § 92 Abs. 2 HGB. kann das Agenturverhältnis von jedem Teile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Als ein wichtiger Grund zur Kündigung aber muß es gelten, wenn der Fabrikationsgegenstand, auf dessen Absatz sich der Agenturvertrag ausschließlich bezieht, von dem Fabrikanten dauernd in einer Beschaffenheit geliefert wird, die dessen Tauglichkeit für den Zweck, dem
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er dienen soll, und damit dessen Absatzfähigkeit aufhebt oder doch wesentlich beeinträchtigt. Darauf aber laufen die Bemängelungen an den gelieferten Zugmessern und die Klagen der Abnehmer, worüber der Beklagte in den Instanzen nähere Angaben gemacht hat, hinaus. Das Oberlandesgericht durfte sich daher einer tatsächlichen Feststellung über diese von der Klägerin als unrichtig bezeichneten Bemängelungen, die den Kern des vorliegenden Streitfalles bilden, nicht enthalten. Auch nicht etwa deswegen, weil der rechtliche Gesichtspunkt des Agenturvertrages von den Parteien nicht geltend gemacht war. Denn insoweit handelt es sich lediglich um die Anwendung des zutreffenden Rechtssatzes auf die von den Parteien aufgestellten Behauptungen." RGZ. 65, 390 Welche Wirkung hat die formlose Vereinbarung der Ä n d e r u n g oder E r g ä n z u n g eines Grundstücksveräußerungsvertrags, der demnächst durch formgerechte A n n a h m e des ursprünglichen formgerechten Angebots z u m Abschlüsse gelangt ? BGB. §§ 313, 139. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 23. März 1907. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 66, 21 Wirksamkeit einer Auflassung, bei der nach d e m übereinstimmenden, aber nicht erklärten Willen der Beteiligten bestimmte zu de m aufgelassenen Grundstücke gehörende Grundflächen von der Veräußerung ausgeschlossen bleiben sollten. Bedarf es, damit der letztere Erfolg eintritt, einer Anfechtung der Auflassungserk l ä r u n g nach §§119, 121 BGB.? BGB. §§ 119, 121. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 17. April 1907. I. Landgericht Köslin.
II. Obcrlandesgericht Stettin.
Der Landschaftsrat S. verkaufte durch Vertrag vom 3. Mai 1901 eine zu seinem Rittergute C. gehörende Moorparzelle unter deren gleichzeitiger Übergabe an den Kläger und ließ demnächst auf Grund des Vertrages vom 26. Juni 1903 das ganze Rittergut dem Beklagten auf. Kläger behauptete, der Beklagte sei durch S. von dem Abverkauf der Parzelle in Kenntnis gesetzt worden, und demgemäß sei der Wille dieser beiden beim Abschlüsse des Vertrages vom 26. Juni 1903 und bei der Auflassung dahin gegangen, die Parzelle von der Mitveräußerung auszuschließen. Auf Grund einer Ur-
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künde, in der ihm S. seinen Anspruch gegen den Beklagten auf „Rückauf lassung" der Parzelle abgetreten hatte, klagte er auf Verurteilung des letzteren zu der Bewilligung, daß S. als Eigentümer der Parzelle im Grundbuche (wieder-)eingetragen werde. Beide Vorinstanzen erkannten zu seinen Gunsten. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter stellt tatsächlich fest, daß der Verkäufer S. dem Beklagten sowohl bei der Besichtigung des Gutes wie unmittelbar vor Abschluß des notariellen Kaufvertrages den bereits anderweit erfolgten Abverkauf einer Moorparzelle mit dem Hinzufügen, daß letztere danach nicht mitverkauft werde, mitgeteilt hat, und daß infolgedessen diese Parzelle von dem Verkaufe, und, da die Auflassung nach Maßgabe des Kaufvertrages stattgefunden hat, auch von der Auflassung nach dem Willen der Beteiligten hat ausgeschlossen sein sollen. Weiterhin folgert der Berufungsrichter in rechtlicher Beziehung hieraus, daß S. gemäß § 894 BGB. vom Beklagten die Zustimmung dazu verlangen könne, daß er, S., im Wege der Grundbuchberichtigung wieder als Eigentümer der Moorparzelle im Grundbuche eingetragen werde. Dieser Berichtigungsanspruch sei durch die Zession vom 28. März 1904 auf den Kläger mit der Wirkung übergegangen, daß letzterer zwar nicht seine eigene Eintragung als Eigentümer verlangen könne, wohl aber legitimiert sei, den Wiedereintragungsanspruch des S. in eigenem Namen geltend zu machen. Die letztere Annahme steht in Einklang mit den Grundsätzen, die der erkennende Senat in dem zur Aufnahme in die amtliche Sammlung bestimmten Urteile vom 10. Oktober 1906, Rep. V. 562/05*, entwickelt hat und wird mit Rücksicht hierauf auch von der Revision nicht weiter bemängelt. Dagegen bekämpft die Revision im übrigen die Ausführungen des Berufungsrichters als rechtsirrig, indem sie die Meinung vertritt, daß es sich, soweit trotz der unbeschränkt lautenden Kaufvertrags- und Auflassungserklärung der Beteiligten die streitige Moorparzelle von der Veräußerung habe ausgeschlossen werden sollen, um einen Irrtum über den Inhalt der Erklärung handle, der die Mitveräußerung der erwähnten Parzelle nicht ohne weiteres unwirksam mache, sondern nur den Vertragschließenden ein Anfechtungsrecht nach Maßgabe der §§ 119, 121 BGB. gewähre. Erst wenn die rechtzeitige Anfechtung und die dadurch nach § 142 BGB. herbeigeführte Nichtigkeit der in bezug auf die Parzelle abgegebenen Veräußerungserklärung feststehe, sei Raum für die Geltendmachung des Berichtigungsanspruchs aus § 894 BGB. Dem konnte nicht beigetreten werden. Für das frühere preußische Liegenschaftsrecht hat das Reichsgericht in ständiger Rechtsprechung angenommen, daß, wenn der Erwerber eines Grundstückes auf Grund einer ihm vom eingetragenen Eigentümer in bezug auf das g a n z e Grundstück erteilten Auflassung als Eigentümer des ganzen *) Zum Abdruck gelangt Bd. 64 S. iösflg.
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Grundstückes eingetragen worden war, obwohl nach der Willensmeinung beider Beteiligten nicht das ganze Grundstück, sondern nur ein bestimmter Teil davon aufgelassen werden sollte, es bezüglich des von der Veräußerung nicht betroffenen Teiles überhaupt an einem Eigentumserwerb fehle, da die erklärte Auflassung insoweit dem Willen des Auflassenden und des Auflassungsempfängers nicht entspreche, also nichtig sei, und durch die bloße Eintragung des Erwerbers als Eigentümers auch des nicht veräußerten Teiles das Eigentum an letzterem auf jenen nicht übergehe. Demgemäß unterlägen die Angaben des Grundbuchs, soweit sie mit der von den Beteiligten gewollten Rechtsänderung nicht übereinstimmten, der Berichtigung. Im übrigen bestehe die Auflassung und die ihr entsprechende Eintragung des Erwerbers zu Recht, da diese Akte in ihrem bleibenden Umfange nicht allein dem Willen der Beteiligten auf Eigentumsübertragung und Eigentumserwerb entsprächen, sondern ihn auch erschöpften. (Vgl. die Urteile vom 19. November 1887, Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 20 S. 225, vom 17. Oktober 1891, ebenda Bd. 28 S. 307, vom 19. März 1890, Gruchot's Beitr. Bd. 34 S. 707, vom 9. November 1892, ebenda Bd. 37 S. 1096, vom 16. September 1899, ebenda Bd. 44 S.993; T u r n a u u. F ö r s t e r , Liegenschaftsr. 3. Aufl. 1906 Bd. 1 S. 292.) Mit diesen Grundsätzen des früheren preußischen Rechtes stimmt das jetzige Reichsrecht jedenfalls insofern überein, als auch nach ihm sich der Eigentumsübergang bei Grundstücken durch den rechtsgeschäftlichen Auflassungsakt und den Hinzutritt der Eintragung vollzieht, mithin eine nach den allgemeinen Vorschriften über Rechtsgeschäfte wirksame Auflassung voraussetzt. Fraglich ist nur, ob eine Änderung der Rechtslage durch den Umstand herbeigeführt worden ist, daß der sog. wesentliche Irrtum die von ihm betroffene Willenserklärung nicht mehr, wie dies nach §§ 75flg. ALR. I. 4 der Fall war, nichtig macht, sondern nur ihre Anfechtbarkeit begründet. Dies ist indessen, entgegen der in der Literatur mehrfach hervorgetretenen Ansicht (vgl. T u r n a u u. F ö r s t e r , a. a. O.; v. S t a u d i n g e r , Kommentar zum BGB. 2. Aufl. 1903 Bern. A III 2 zu § 925), zu verneinen. Das Wesen der Anfechtung wegen Irrtums besteht darin, daß derjenige, der eine Willenserklärung abgegeben hat, bei dessen Inhalt ihn ein anderer, insbesondere sein Vertragsgegner, festhalten will, sich hiergegen mit der Behauptung wehrt, das von ihm Erklärte entspreche nicht seinem wirklichen Willen. Es wird also dabei vorausgesetzt, daß der andere, dem gegenüber die Willenserklärung abgegeben ist, diese Nichtübereinstimmung von Wille und Erklärung nicht kannte, und Zweck und Bedeutung der Anfechtung bestehen eben darin, diesen die Wirksamkeit der abgegebenen Erklärimg hemmenden Umstand zur Kenntnis des anderen Teiles zu bringen. Davon kann in Fällen der vorliegenden Art nicht die Rede sein. Die Beteiligten sind hier nicht bloß einig in dem Willen, einen bestimmten Grundstücksteil von der Mitveräußerung und Mitauflassung auszuschließen, sondern sie haben auch das Bewußtsein dieser Willenseinigung, und ihr Irrtum besteht lediglich darin, daß sie das übereinstimmend Gewollte durch die von
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ihnen — ebenfalls übereinstimmend — abgegebenen Willenserklärungen ausgedrückt zu haben glauben, während in Wirklichkeit das übereinstimmend Erklärte über das übereinstimmend Gewollte h i n a u s g e h t . Diese Divergenz zwischen Wille und Erklärung hindert das Zustandekommen eines rechtsgültigen Vertrages in betreff desjenigen Gegenstandes, der nur in der Erklärung erwähnt ist, nicht auch durch ein entsprechendes Wollen gedeckt wird; aber um diese aus dem Willensmangel sich ergebende Nichtigkeit des bezüglichen Teiles des Vertrages geltend zu machen, bedarf es ebensowenig einer vorgängigen Anfechtung, wie in dem anderen Falle, daß jeder der Vertragschließenden das von ihm Erklärte will, der I n h a l t der beiderseitigen Erklärungen jedoch auseinandergeht. (Vgl. Entsch. des RG.« in Zivils. Bd. 58 S. 233.) Hiernach haben die Vorinstanzen mit Recht angenommen, daß die Grundsätze des früheren preußischen Rechtes über Hemmung des Eigentumsüberganges durch übereinstimmenden Mangel des Auflassungswillens auch unter der Herrschaft des jetzigen Reichsrechts ihre unveränderte Geltung behalten haben." . . . RGZ. 66, 122 Kann bei einem Vertrage Nichtübereinstimmung des Willens auch dann angenommen werden, wenn die beiderseitigen Erklärungen denselben Wortlaut haben, oder ist in einem solchen Falle nur Anfechtung wegen Irrtums möglich ? BGB. §§ 119, 154 flg. V. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 8. Mai 1907. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Der Kläger hat durch notariellen Vertrag vom 21. Juni 1904 von dem Beklagten dessen bei B. gelegenes Bauland in der Größe von 2021,33 Quadratruten unter Zugrundelegung eines Einheitspreises von 975 M. für die Quadratrute, insgesamt für 1970796,75 M. gekauft und am 1. November 1904 aufgelassen erhalten. Dem Kaufabs chluß waren längere Unterhandlungen vorangegangen, bei denen der Agent B. als Vermittler tätig war. Am 18. Juni 1904 hatte der Beklagte schriftlich sein letztes Angebot (Ultimatum) mit Annahmefrist bis zum 20. desselben Monats und der Preisbestimmung von 975 M. unter folgenden Bedingungen gemacht: 1. der Preis versteht sich brutto für Bau-, Vorgarten- und Straßenland, 2. ich lasse das Terrain . . . vermessen, das Mehr oder Weniger gegen 2021,33 Quadratruten wird zu 975 M. die Quadratrute verrechnet. Der Kläger hatte mit einem Vertragsentwurf geantwortet, der als Verkaufsgegenstand 1947,33 Quadratruten Bau- und Vorgartenland und 74
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Quadratruten Straßenland zu je 975 M . bezeichnete und bei der Bestimmung über die Berechnimg des Mehr oder Weniger den Zusatz enthielt: „ E s wird dabei aber erwähnt, daß ein etwaiges Plus für das mit 74 Quadratruten in Anrechnung gebrachte Straßenland nicht zur Berechnung gelangt, sofem es sich etwa auf mehr als 2 Quadratruten erstrecken sollte." D e m Agenten B. hatte der Kläger mitgeteilt, daß er mehr als 74Quadratruten Straßenland keinesfalls bezahlen wolle, B . aber hatte dies, um den Vertragschluß nicht zu gefährden, dem Beklagten verschwiegen und ihm erklärt, daß der Kläger sein Angebot annehme. Bei dem Abschluß des notariellen Vertrages war dann auf Verlangen des Beklagten, möglicherweise in Abwesenheit des Klägers, im Eingange die Unterscheidung des Bauund Vorgartenlandes von dem Straßenlande in Wegfall gebracht, die Bestimmung über die Berechnung eines etwaigen Größenunterschiedes (§ 4) jedoch mit dem von dem Kläger entworfenen Zusatz aufgenommen worden. Bei der neuen Vermessung stellte sich, abgesehen von einem Gesamtmindermaß von 3,06 Quadratruten, das innerhalb der zulässigen Fehlergrenze liegt, heraus, daß das Straßenland nicht 74 Quadratruten, sondern 121,89 Quadratruten umfaßte. Es lag dies daran, daß in der Prinzregentenstraße das Vorgartenland zugunsten der Straße um 1 Meter verringert worden war. Im übrigen mußte auch das Vorgartenland unentgeldich der Gemeinde überlassen werden, durfte aber als solches vorläufig gegen einen jährlichen Zins noch benutzt werden. Der Kläger zahlte auf Verlangen des Beklagten das ganze Kaufgeld unter Vorbehalt und verlangte mit der Klage Rückzahlung des Preises für das Mindermaß von 3,06 und 121,89 — 76 Quadratruten im Betrage von 47726,25 M . nebst 5 Prozent Zinsen seit dem 1. November 1904. Der Beklagte wollte den Zusatz des § 4 im Anschluß an den Abs. 1 dieser Bestimmung so verstanden haben, daß nur in dem Falle, daß das Übermaß des Straßenlandes zugleich ein Gesamtübermaß ergebe, das Mehr über 76 Quadratruten nicht zu vergüten sei. Der Beklagte wollte dies bei Abschluß des notariellen Vertrages zum Ausdruck gebracht und von dem Notar eine bestätigende Antwort erhalten haben. Das Landgericht sprach dem Kläger nur ein Prozent Zinsen ab und erkannte im übrigen nach dem Klagantrag; das Kammergericht dagegen wies die Klage ab. Die Revision wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „ D a s Berufungsgericht hat, ebenso wie das Landgericht, angenommen, daß die Parteien in betreff der Bedeutung des § 4 Abs. 2 des Vertrages verschiedener Meinung gewesen seien. Während aber das Landgericht die Ansicht vertrat, daß die Auslegung, die der Kläger dieser Vertragsbestim-
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m u n g gab, objektiv allein richtig, und daß deshalb ein Vertrag mit dem von dem Kläger gewollten Inhalt zustande gekommen sei, den der Beklagte wegen Irrtums hätte anfechten können, den er aber nicht angefochten habe, geht der Berufungsrichter von der Annahme aus, daß die Vertragsbestimmung objektiv, nach ihrem Wortlaut und nach den begleitenden Umständen, keineswegs eindeutig, daß sie vielmehr zweideutig sei und sowohl die von dem Kläger, als auch die von dem Beklagten gewollte Auslegung zulasse. Man könne in dem Abs. 2 des § 4 ebensogut eine selbständige, für die Berechnung des Straßenlandes im allgemeinen gegebene Vorschrift im Sinne ihres Urhebers, des Klägers, als auch eine besondere Vorschrift für die Berechnung des nach Abs. 1 der Bestimmung sich etwa ergebenden Gesamtübermaßes im Sinne des Beklagten finden. Beide Auslegungen seien gleichberechtigt und dem anderen Teil auch erkennbar gewesen. Unter diesen Umständen sei eine Willenseinigung in diesem Punkte nicht zustande gekommen, und da beide Parteien den Punkt für wesentlich erachtet und bei Annahme der gegenteiligen Auffassung den Vertrag nicht geschlossen hätten, so sei überhaupt kein Vertrag zustande gekommen. Bei der Nichtigkeit des Vertrages sei auch die Klage hinfällig, da diese auf den Vertrag sich gründe, und dessen Bestand zur Voraussetzung habe. Diese Ausführungen lassen einen Rechtsirrtum nicht erkennen und werden von der Revision vergeblich angefochten. Der Revisionskläger will zwar eine Verletzimg der §§ 119, 154, 155, 157 BGB. und der von dem Reichsgericht in dem Urteil Entsch. in Zivils. Bd. 58 S. 233 aufgestellten Rechtsgrundsätze daraus herleiten, daß der Berufungsrichter die Willenseinigung verneint habe, obwohl beide Parteien d i e s e l b e Erklärung abgegeben hätten. Nach Ansicht des Revisionsklägers kann die Erklärung in einem solchen Falle nur einen Sinn haben, der nach objektiven Merkmalen ermittelt werden müsse. Dem war indessen nicht beizustimmen. Wenn zwei Personen dasselbe erklären, so kann die Erklärung sehr wohl einen ganz verschiedenen Sinn haben, und es kann daher der formelle Gleichlaut der Erklärungen nicht allein maßgebend sein. Etwas Gegenteiliges ist auch aus dem Urteil Bd. 58 S. 235, 236 nicht zu entnehmen. Es ist dort nicht auf den gleichen Wortlaut, sondern auf den gleichen Inhalt der Erklärungen entscheidendes Gewicht gelegt, und wenn dabei bemerkt ist, daß der Inhalt sich aus dem Wortlaut ohne weiteres ergeben k ö n n e , so ist das zweifellos richtig, aber gerade in jenem Falle nicht maßgebend gewesen; denn es ist dort von dem Berufungsgericht mit Billigung des Reichsgerichts der gleiche Inhalt nicht bloß aus dem Wortlaut, sondern auch aus den begleitenden Umständen gefolgert worden. Im vorliegenden Falle ist der Berufungsrichter bei erschöpfender Würdigung des Vertrages und seiner Vorgeschichte zu dem entgegengesetzten Ergebnis gelangt und hat im vollen Einklang mit der Rechtsprechung des Reichsgerichts (vgl. auch G r u c h o t s Beitr. Bd. 50 S. 897 und das Urteil vom 22. November 1906, Rep. V. 80/06) ein wechselseitiges Mißverständnis beider Parteien und damit Nichtigkeit des Vertrages angenommen." . . . Z;v:l>. AllKcm. Teil 2
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162 R G Z . 66, 139
Inwieweit verstößt der Verkauf einer är2tlichen Praxis gegen d i e guten Sitten ? B G B . § 138. II. Zivilsenat. I. Landgericht Dresden.
Urt. v. 17. Mai 1907. II. Oberlandesgericht daselbst.
Aus den, den Sachverhalt ergebenden Gründen: . . . „Der Beklagte, der praktischer Arzt ist und in Dresden in dem Hause Waisenhausstraße Nr. 4 eine Praxis für Zahn- und Mundkrankheiten betrieb, hat mit dem Kläger, ebenfalls einem praktischen Arzt, einen Vertrag vom 1. Dezember 1902 über den weiteren Betrieb der Praxis in jenem Hause durch den Kläger geschlossen. Der Kläger, der die Praxis am 1. April 1903 von dem Beklagten übernommen hat, und über dessen Vermögen im November 1903 auf Antrag des Beklagten das (inzwischen beendete) Konkursverfahren eröffnet ist, hat jenen Vertrag als nichtig angefochten, und zwar einmal, weil er gegen § 134 BGB. in Verbindung mit der Standesordnung für die ärztlichen Bezirksvereine im Königreich Sachsen vom 14. März 1899 verstoße, die den Kauf und Verkauf der ärztlichen Praxis verbiete, und sodann, weil der Vertrag die guten Sitten verletze und somit unter § 138 BGB. falle. Das Landgericht hat den ersten Grund für durchgreifend erachtet; auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht in seinem jetzt mit der Revision angegriffenen Urteil die Berechtigung des Klägers zur Anfechtung des Vertrages aus § 134 BGB. unentschieden gelassen, die Anfechtung aber aus § 138 für begründet erachtet. Hiergegen richtet sich die Revision. In dem Vertrage sind seinem Wortlaute nach nur Inventarstücke und Gebrauchsgegenstände als verkauft bezeichnet, und zwar für einen Preis in Höhe des Vierfachen der Bruttoeinnahmen des Beklagten aus seiner Praxis im letzten Quartale seines Betriebes (1. Januar bis 31. März 1903), zum Höchstbetrage von 70000 M., auf welche Summe der Preis demnächst zwischen den Parteien bestimmt ist. Der Berufungsrichter hat in Übereinstimmung mit dem ersten Richter und mit einem in dieser Angelegenheit ergangenen Urteil des ärztlichen Ehrengerichtshofs für den Regierungsbezirk Dresden vom 20. Mai 1904 unangefochten festgestellt, daß trotz jenes Wortlautes des Vertrages die Absicht der Parteien dahin gegangen sei, dem Kläger die ärztliche Praxis des Beklagten gegen Entgelt zu übertragen, und in dem Abschluß des Vertrages ein Verkauf der bis dahin von dem Beklagten betriebenen Praxis für Zahn- und Mundkrankheiten liege. Der Berufungsrichter nimmt zu der Frage, ob der sog. Verkauf einer ärztlichen Praxis gegen die guten Sitten verstoße (und deshalb nichtig sei), nicht grundsätzlich Stellung, sieht aber, w e n i g s t e n s im vorliegenden F a l l e , den Vertrag als gegen die guten Sitten verstoßend an, indem er in betreff
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Willenserklärung
desselben und seines weiteren Inhalts — außer der Übertragung der Praxis zum Preise von 70000 M. — noch folgendes, ebenfalls unangefochten, feststellt: der Kaufpreis (beziffert auf das Vierfache der vom Beklagten in einem Quartale erzielten Bruttoeinnahme und demnächst bestimmt auf 70000 M.) habe zu dem Werte der als verkauft bezeichneten Gegenstände in keinem Verhältnis gestanden. Der Preis habe in Monatsraten von 1500 M. getilgt werden sollen, die unter allen Umständen wenigstens sechsmal zu entrichten gewesen seien. Wenngleich der Käufer sich dann von dem Vertrage habe lossagen können, so habe er in solchem Falle doch die geleisteten Zahlungen verloren und habe, um den Erlaß des (von den 70000 M.) noch rückständigen Kaufgeldbetrages erreichen zu können, die verkauften Gegenstände sämtlich zurückgeben müssen. Auch sei ihm solchenfalls jede Ausübung weiterer ärztlicher Tätigkeit in der Kreishauptmannschaft Dresden bei einer Vertragsstrafe von 25000 M. untersagt gewesen. In der Begründung seines Urteils hat der Berufungsrichter zunächst im allgemeinen ausgeführt, der Arzt betreibe seine Praxis nicht als reine Erwerbstätigkeit; er solle sie nicht nur um des Vermögensgewinns willen ausüben, sondern zugleich auch zur Förderung des allgemeinen Wohles und als eine Tätigkeit, die für dieses von großer Bedeutung sei. Wie hierdurch der ärztliche Beruf aus dem Rahmen des gewöhnlichen Erwerbslebens herausgehoben werde, so erwachse dem Arzte auch zugleich die Pflicht, insbesondere bei seinem mit der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit zusammenhängenden Verhalten, Rücksichten zu beobachten, die dem ihm vom Publikum entgegengebrachten Vertrauen entsprechen, und die Nichteinhaltung der ihm hiernach gezogenen Grenzen könne, bei einem Handeln auf rechtsgeschäftlichem Gebiete, den Charakter eines Verstoßes gegen die guten Sitten annehmen. Der Berufungsrichter sieht einen solchen Verstoß insbesondere auch dann für gegeben an, wenn ein Arzt das ihm entgegengebrachte Vertrauen dadurch täuscht, daß er seine Praxis an eine andere Person unter Umständen überträgt, die eine Verwertung dieses Vertrauens zum Zwecke reinen Vermögensgewinnes dartun. Dieses aber erachtet der Berufungsrichter hier für vorhegend, und er stützt diese seine Annahme auf die oben mitgeteilten Tatsachen sowie das Folgende: bei den Schwierigkeiten, die aus den Bestimmungen des Vertrages für den Kläger in bezug auf sein wirtschaftliches Fortkommen erwuchsen, habe es auf der Hand gelegen, daß der Weiterbetrieb der Praxis bei ihm von der Notwendigkeit, h i e r b e i unter allen U m s t ä n d e n möglichst hohe E i n n a h m e n zu erreichen, in einem f ü r die H i l f e s u c h e n d e n sehr n a c h t e i l i g e n Grade b e e i n f l u ß t sein m u ß t e , ganz abgesehen davon, daß auch sonst einem unter so drückenden Verhältnissen arbeitenden Arzte die Arbeitsfreudigkeit und die Geneigtheit, bei seiner Tätigkeit zugleich dem Allgemeinwohl zu dienen, in erheblichem Maße abgehen werde. Die hieraus sich ergebenden Umstände träten im vorliegenden Falle noch hinzu zu dem an sich bei jedem Verkaufe der ärztlichen Praxis gegebenen Nachteil, daß 11*
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der Verkäufer weniger auf die wissenschaftliche und sittliche Befähigung seines Nachfolgers als auf die Höhe des Kaufpreises Rücksicht nehme, und trotzdem zu einer Empfehlung seines Nachfolgers, den der alte Kundenkreis aus Gewöhnung und Bequemlichkeit aufsuche, durch sein pekuniäres Interesse geradezu genötigt sei. Endlich hat der Berufungsrichter noch ausgeführt, daß ein Verhalten, wie es in dem Abschluß des angefochtenen Vertrages liege, nicht nur die Standessitte, sondern auch die dem Arzte der Allgemeinheit gegenüber obliegenden Pflichten, nicht nur das Standesbewußtsein und ein bloß gesteigertes Standesgefühl der Ärzte, sondern auch die s i t t l i c h e E m p f i n d u n g d e r G e s a m t h e i t verletze. Die gesamten Ausführungen des Berufungsrichters lassen einen Rechtsirrtum nirgends erkennen; sie werden vielmehr durch die getroffenen Feststellungen getragen und sind j e d e n f a l l s in b e z u g auf den v o r l i e g e n d e n Fall zutreffend und billigenswert. Es hat sich bei dem Vertrage der Parteien um eine rein vermögensrechtliche Transaktion, um die rein geschäftsmäßige Übertragung der Praxis gehandelt; die ärztliche Praxis ist der Kaufgegenstand gewesen; der Einfluß, den der Beklagte als Arzt auf das Publikum gewonnen hatte, und das Vertrauen, das ihm vom Publikum entgegengebracht wurde, sind zum Gegenstande eines Gewinns gemacht und in gewinnsüchtiger Absicht ausgenutzt worden. Dieses ist unter Bedingungen geschehen, die den übernehmenden Arzt nötigten — oder doch zum mindesten die G e f a h r in sich bargen, daß der übernehmende Arzt unter dem Einflüsse eines starken wirtschaftlichen Drucks dazu geführt werden würde —, daß er bei Ausübung seines Berufes sein Augenmerk vor allem und unter Außerachtlassung voller Berücksichtigung der Interessen der seine Hilfe nachsuchenden Personen auf die Erzielung möglichst hoher Einnahmen richtete. Ein Vertrag unter derartigen Bedingungen verletzt, wie von dem Bcrufungsrichter ebenfalls ausdrücklich hervorgehoben ist, nicht nur das Standesbewußtsein und das Standesinteresse der Ärzte, sondern das a l l g e m e i n e Volksbewußtsein, die Anschauungen der Gesamtheit der billig und gerecht Denkenden und verstößt somit gegen die guten Sitten. Es ist von dem Revisionskläger gegenüber den Ausführungen und Feststellungen des Berufungsrichters zwar gerügt worden: 1. dieser habe übersehen, daß nach der Behauptung des Beklagten der Reinertrag der Praxis des Klägers vom 1. April bis zum 31. Dezember 1903 sich auf 30000 M. belaufen habe; bei einer solchen Praxis habe der Kläger nicht zum Nachteile seiner Patienten die Einnahmen behufs Abzahlung von monatlich 1500 M. zu steigern brauchen; 2. es sei nicht behauptet und nicht festgestellt, daß der Beklagte bei Auswahl des Klägers zum Nachteile seiner ehemaligen Patienten weder auf wissenschaftliche noch auf sittliche Befähigung gesehen habe. Diese Rügen konnten Beachtung nicht finden. Wenn der Kläger in den neun Monaten der Ausübung der Praxis durch ihn in der Tat die von dem
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Beklagten behaupteten Einnahmen gehabt hat, so steht dieses den tatsächlichen Annahmen des Berufungsrichters nicht entgegen, es habe e i n e V e r w e r t u n g des d e m A r z t e e n t g e g e n g e b r a c h t e n V e r t r a u e n s zum Zwecke reinen Vermögensgewinns stattgehabt, und es sei der W e i t e r b e t r i e b der Praxis von d e r N o t w e n d i g k e i t , unter allen Umständen möglichst hohe Einnahmen zu erzielen, b e e i n f l u ß t gewesen. Eine Feststellung, daß der Beklagte bei dem Verkauf seiner Praxis an Kläger nicht auf dessen wissenschaftliche und sittliche Befähigung gesehen habe, ist von dem Berufungsrichter allerdings nicht getroffen; es bedurfte einer solchen Feststellung nach dem Vorhergesagten aber auch nicht, und der Berufungsrichter weist in der hierbei in Frage kommenden Beziehung auch nur im a l l g e m e i n e n daraufhin, daß bei j e d e m derartigen Verkaufe der Nachteil schon durch die Gefahr gegeben ist, daß der Verkäufer weniger auf die wissenschaftliche und sittliche Befähigung seines Nachfolgers als auf die Höhe des Kaufpreises Rücksicht nimmt. Der Revisionskläger hat ferner noch ausgeführt: wie schon der Verkauf einer ä r z t l i c h e n Praxis an sich nicht unter § 138 BGB. falle, so gelte dieses noch mehr von dem Verkauf einer z a h n ä r z t l i c h e n , hier in Frage stehenden Praxis. Der Verkauf einer solchen werde nicht einmal von den Standesgenossen mißbilligt ; die zahnärztliche Praxis stehe auch durch Ankauf, Bearbeitung und Lieferung von Materialien dem gewerblichen Berufe noch näher als die eigentliche ärztliche Praxis. Es bedarf keiner Erörterung darüber, ob es in der Tat für die Anwendbarkeit des § 138 BGB. einen rechtlichen Unterschied zu bilden vermöchte, wenn d e r h i e r v o r l i e g e n d e V e r t r a g zwischen zwei Zahnärzten über den Verkauf einer zahnärztlichen Praxis geschlossen wäre. Denn der Berufungsrichter hat festgestellt, daß es sich bei dem zwischen den Parteien (zwei Ärzten) abgeschlossenen Vertrage, wenn auch in beschränkterem Maße, so doch immerhin um die Ausübung der H e i l k u n d e des A r z t e s gehandelt habe." . . . RGZ. 66, 153 Ist eine Anfechtung nach § 143 BGB. u n w i r k s a m , wenn sie unter einer echten B e d i n g u n g erklärt wird ? BGB. § 143. I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 17. Mai 1907. I. Landgericht Heidelberg.
II. Oberlandesgcricht Karlsruhe.
Aus den G r ü n d e n : . . . „Die Revision hat . . . ausgeführt, darin, daß mit der Klage, die n a c h Entdeckung der arglistigen Täuschung erhoben worden war, in erster Reihe die Ansprüche aus der Wandelung geltend gemacht waren, und nur fürsorglich Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt wurde, sei eine Bestätigimg zu finden. Dieses Vorbringen ist nicht gerechtfertigt. Durch
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die Verbindung einer, wenn auch nur fürsorglichen, Anfechtungserklärung mit dem Verlangen der Wandelung ist wenigstens bei der Sachlage, wie sie hier gegeben war, ein Bestätigungswille ausgeschlossen. Das gedachte Vorbringen der Revision könnte sich auch dahin deuten lassen, in der Klage sei nur eine b e d i n g t e Anfechtungserklärung enthalten, bedingt von dem Unterliegen mit dem Wandelungsbegehren, eine solche bedingte Anfechtungserklärung sei unwirksam. . . . Aber auch so aufgefaßt, kann es keinen Erfolg haben. Grundsätzlich ist zwar eine Anfechtung u n w i r k s a m , wenn sie u n t e r e i n e r e c h t e n * ) Bedingung erklärt wird. Eine in solcher Weise bedingte Anfechtung hat demnach grundsätzlich die Wirkung der Aufhebung des Rechtsgeschäfts nicht, und i m R e g e l f a l l bedarf es zur Aufhebung des Rechtsgeschäfts einer e r n e u t e n u n b e d i n g t e n A n f e c h t u n g innerhalb der gesetzlich bestimmten Anfechtungsfrist. Das ist zwar im Bürgerlichen Gesetzbuch nicht ausdrücklich ausgesprochen, ergibt sich aber aus dem Wesen der Anfechtung als einseitiger empfangsbedürftiger Willenserklärung; sie mußeinen s o f o r t b e s t i m m t e n Rechtszustand schaffen ; derVertragsgegner braucht sich nicht auf einen, insbesondere von seinem Willen unabhängigen S c h w e b e z u s t a n d einzulassen. Die Anfechtimg wäre daher unwirksam, wenn sie nur unter der aufschiebenden Bedingung des Unterliegens mit der Wandelung erklärt worden wäre. So liegt indes im gegebenen Falle die Sache nicht. Der Aufbau der Klage, mag sie auch wenig geschickt gefaßt sein und ein scharfes Auffassen der rechtlichen Gesichtspunkte recht sehr vermissen lassen, ist dahin auszulegen, daß die Anfechtung imbedingt sowie vorbehaltlos erklärt ist und durch die Wandelungsansprüche den Beklagten, wenn sie darauf eingehen wollten, nur die Möglichkeit eingeräumt werden sollte, das Vertragsverhältnis in der durch § 467 BGB. geregelten Weise mit den Klägern auseinanderzusetzen. So aufgefaßt, liegt eine b e d i n g t e Anfechtung nicht vor, und zerfällt die daraus abgeleitete Einwendung." . . .
R G Z . 66, 385 ι . K a n n der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Käufers beim Vertragsschlusse als Irrtum über eine Eigenschaft der Person i m Sinne des § 1 1 9 A b s . 2 B G B . aufgefaßt werden ? *) Eine Rechtsbedingung — condicio juris — , keine e c h t e Bedingung kam in Frage in der Sache Rep. V . 268/05, Urteil vom 10. Januar 1906, wo ausgeführt wird: „ E i n im Prozesse gestellter E v e n t u a l a n t r a g auf Nichtigerklärung eines Vertrages wegen Irrtums über den Inhalt der Willenserklärung enthält eine Anfechtungserklärung. Diese ist rechtzeitig, wenn der Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung erst durch die Auslegung der urkundlichen Vertragsbestimmung im Berufungsurteil endgültig festgestellt, und wenn sonach die Anfechtungserklärung schon vor Aufdeckung des Irrtums für den Fall, daß ein solcher festgestellt werden sollte, abgegeben worden ist."
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2. Unter welchen Voraussetzungen können auch beim Anfechtungsgrunde des Irrtums das Kausalgeschäft und das dingliche Übereignungsgeschäft gemeinsam anfechtbar sein ?
BGB. § 119 Abs. 2. II. Zivilsenat. Urt. v. 18. Oktober 1907. I. Landgericht Mülhausen, Kammer für Handelssachen. 11. Oberlandesgericht Colmar.
Ende September 1905 erhielt die Klägerin eine mit „L. Mülhausen" unterzeichnete Depesche, mit der ein Waggon Eier bestellt wurde. Sie glaubte, die Depesche sei von der Eierhandlung L. in Straßburg abgesandt und bestätigte durch Brief vom 30. September 1905 an diese das Geschäft. L. in Straßburg benachrichtigte die Klägerin durch Brief vom 2. Oktober, es müsse ein Irrtum vorliegen; er habe keine Eier bestellt, der Besteller werde jedenfalls L. in Mülhausen — der Beklagte — sein. Durch Brief vom 6. Oktober bestätigte die Klägerin das Geschäft dem L.-Mülhausen unter Mitteilung, daß sie die Eiersendung als N a c h n a h m e s e n d u n g abgesendet habe, da sie ihn — den Besteller — nicht kenne. Durch Brief vom 7. Oktober drückte der Beklagte sein Erstaunen darüber aus, daß ihm die Ware gegen Nachnahme zugesendet sei; er hob hervor, daß er noch nie Eier gegen Nachnahme erhalten habe, und schrieb weiter: „Falls Sie nun die Nachnahme zurückziehen und einen Wechsel, zahlbar 20 Tage nach dem Abrolltag, ausstellen, wie ich das bei italienischen Eiern gewohnt bin, nehme ich die Ware an". Am 10. Oktober telegraphierte der Beklagte an die Klägerin: „Müsset sofort telegraphisch Nordbahnhof Nachnahme abrufen. Waggon gestern eingelaufen". Die Klägerin hob daraufhin die Nachnahme auf, und der Beklagte nahm die Eier in Empfang. Am 12. Oktober erhielt Klägerin ein Zirkular vom 11. Oktober, in dem der Beklagte durch einen Rechtsanwalt seinen Gläubigern mitteilte, er sehe sich zur Zahlungseinstellung genötigt, er erstrebe ein Arrangement zu 50 Prozent und ersuche die Klägerin um ihre Zustimmung. Nach jenem Zirkular bestanden die Aktiven aus 300 Kisten italienischer Eier und 30 Kisten Holzwolleier; in den 300 Kisten sind die 100 Kisten enthalten, die von der Klägerin in dem fraglichen Waggon zugesendet waren. Am 14. Oktober wurde über das Vermögen des Beklagten der Konkurs eröffnet. Noch am gleichen Tage hat ein Vertreter der Klägerin gegenüber dem Konkursverwalter die Anfechtung erklärt. Der Konkursverwalter hat die von der Klägerin gelieferten Eier am 18. Oktober versteigert und deren Erlös mit 8460 M. hinterlegt. Während des vorliegenden Rechtsstreites kam ein Zwangs vergleich zustande, in dem die Konkursgläubiger 16 Prozent erhielten. Nach Aufhebung des Konkursverfahrens hat in der Berufungsinstanz der Beklagte an Stelle des Konkursverwalters den Rechtsstreit fortgesetzt. Durch die Klage war beantragt, den zwischen der Klägerin und dem Gemeinschuldner anfangs Oktober 1905 über 100 Kisten Eier, gezeichnet
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V 3, abgeschlossenen Kauf als von Anfang an nichtig zu erklären und demgemäß den Beklagten zu verurteilen, 8460 M. mit 4 Prozent Zinsen vom Tage der Klagezustellung an die Klägerin zu bezahlen. Die Vorderrichter haben diesem Antrage entsprechend erkannt. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „1. Das Berufungsgericht hat mit dem ersten Richter angenommen, daß beim Kreditkauf im Handelsverkehre die Zahlungsfähigkeit des Käufers eine Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. sei und danach wegen Irrtums über die Zahlungsfähigkeit des Käufers bei dem Vertragsschlusse, die Anfechtung auf Grund dieser Gesetzesbestimmung zugelassen. Nach der gegebenen Sachlage hätte es weit näher gelegen, das Vorliegen einer arglistigen Täuschung anzunehmen. Die Klägerin und die Instanzgerichte haben indes die Anfechtung nur auf einen I r r t u m über die Zahlungsfähigkeit des Beklagten beim Vertragsschlusse und auf § 119 Abs. 2 gestützt. Von dieser Grundlage aus muß das Berufungsurteil geprüft werden. Die Frage, welcher Einfluß bei Kreditgeschäften, insbesondere beim Kreditkauf, einem Irrtume des Kreditgebers über die Zahlungsfähigkeit des Kreditnehmers beim Vertragsschlusse auf den Bestand des Kreditvertrages einzuräumen sei, wurde bereits unter der Herrschaft des alten Rechtes lebhaft erörtert. Nach g e m e i n e m Rechte konnte der Gesichtspunkt eines Irrtums über eine Eigenschaft der Person für sich allein nicht erheblich sein. War die Zahlungsfähigkeit nicht ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart, so konnte nur unter dem Gesichtspunkte der „Voraussetzung" ein solcher Irrtum rechtlich erheblich werden. Das p r e u ß i s c h e A l l g e m e i n e L a n d r e c h t enthielt in den §§77 und 81 I. 4 Vorschriften, die dem § 119 Abs. 2 BGB. ähnlich, allerdings nicht völlig gleich waren, und das preußische Obertribunal hatte — S t r i e t h o r s t , Arch. Bd. 80 S. 304 — verneint, daß beim Kreditkauf die Zahlungsfähigkeit des Käufers vorausgesetzte Eigenschaft sei. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts hat indes, über die ältere preußische Rechtsprechung hinausgehend, einen erweiterten Begriff der Eigenschaft einer Person angenommen; sie hat den Begriff der Eigenschaft einer Person im Sinne der vorbezogenen §§ 77 und 81 I. 4 dahin ausgelegt, daß dazu auch solche tatsächliche und rechtliche Verhältnisse der Person gehören, die in ihren Beziehungen zu anderen Personen und Sachen wurzeln und nach den Anschauungen des Verkehrs einen Einfluß auf die Schätzung der Person zu üben pflegen. Hierher wurde auch der Besitz von Vermögen gerechnet, wenn es sich um Geschäfte handele, bei denen solcher Besitz ein für die Entschließung maßgebender Umstand zu sein pflege. Von dieser Auffassung aus hat sodann die Rechtsprechung im Gebiete des preußischen Allgemeinen Landrechts angenommen, daß beim Kreditkauf im Handelsverkehr der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Käufers beim Vertragsschlusse grundsätzlich als Irrtum über eine Eigenschaft der Person aufgefaßt werden könne.
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Die Literatur zum Bürgerlichen Gesetzbuch geht in ihrer überwiegenden Mehrheit davon aus, die dargelegten Ergebnisse der Rechtsprechung zum Allgemeinen Landrecht seien auf die Auslegung des rechtlichen Begriffes einer Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 anzuwenden, und leitet daraus ab, daß auch nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs beim Kreditkaufe im Handelsverkehr der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Käufers beim Vertragsschlusse grundsätzlich als Irrtum über eine Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 aufgefaßt werden könne und dann geeignet sei, eine Anfechtung des Kreditkaufes wegen Irrtums zu rechtfertigen. In gleichem Sinne haben sich bereits mehrere Oberlandesgerichte ausgesprochen, und der III. Strafsenat des Reichsgerichts hat in einem Urteile vom 2. Juni 1904 — Rep. 441/04; G o l t d a m m e r s Archiv Bd. 51 S. 397 — für das Darlehnsversprechen ausgeführt, der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit sei beim Darlehnsversprechen als Irrtum über eine Eigenschaft der Person nach § 119 Abs. 2 BGB. zu beurteilen und rechtfertige dessen Anfechtbarkeit wegen Irrtums. Nur wenige — allerdings sehr beachtenswerte — Stimmen haben sich gegen eine solche ausdehnende Auffassung des rechtlichen Begriffs einer Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 ausgesprochen. Sie haben auf die Gefährdung der Rechts- und Verkehrssicherheit hingewiesen, wenn bei S a c h e n , und noch mehr bei P e r s o n e n der Begriff der zur Anfechtbarkeit wegen Irrtums zureichenden Eigenschaften allzusehr verflacht und dadurch der rechtliche Bestand des Geschäftes von der zufälligen Auffassung im Einzelfalle abhängig gemacht werde. Sie haben weiter darauf hingewiesen, daß die §§ 157 und 242 BGB., § 346 HGB. zureichen, um den Kreditgeber — hier den K r e d i t v e r k ä u f e r —, d e r n o c h n i c h t e r f ü l l t h a t , von seiner Verpflichtung zu b e f r e i e n . Der erkennende Senat verkennt die Tragweite der Bedenken nicht, die im Gebiete der Anfechtbarkeit der R e c h t s g e s c h ä f t e wegen Irrtums gegen eine ausdehnende Auffassung des Begriffes der „Eigenschaften" einer Person bestehen. Dennoch tritt er der letzteren Auffassung bei; sie ist mit dem Wortlaute und Zwecke des § 119 Abs. 2 vereinbar und wird auch s a c h l i c h gerechtfertigt durch die wohlerwogenen Gründe, von denen die Rechtsprechung des Reichsgerichts im Gebiete des Allgemeinen Landrechts geleitet war. Danach kann auch nach dem Rechte des Bürgerlichen Gesetzbuchs beim Kreditkauf im Handelsverkehr der Irrtum über die Zahlungsfähigkeit des Käufers beim Vertragsschlusse als Irrtum über eine Eigenschaft der Person im Sinne des § 119 Abs. 2 aufgefaßt werden und die Anfechtbarkeit des Kreditkaufes wegen Irrtums rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat daher das Gesetz nicht verletzt, wenn es die Anfechtung des vorliegenden Kreditkaufs wegen Irrtums der Klägerin über die Zahlungsfähigkeit des Beklagten durch § 119 Abs. 2 als gerechtfertigt ansah. 2. Die rechtswirksame Anfechtung hat nach § 142 BGB. die Wirkung, daß das angefochtene Rechtsgeschäft als von Anfang an nichtig angesehen
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wird. Diese Wirkung tritt ohne weiteres ein; sie ist in diesem Sinne dinglich. Die Anfechtung begründet nicht, wie der Rücktritt im Rechte der Schuldverhältnisse, nur einen obligatorischen Anspruch auf Wiederherstellung des früheren Zustandes. Im gegebenen Falle liegen nun zwei Rechtsgeschäfte vor, das obligatorische Kausalgeschäft, der Kaufvertrag, und das dingliche — abstrakte — Übereignungsgeschäft. Es ist daher zu prüfen, ob der Anfcchtungsgrund und folgeweise die Anfechtung beide Rechtsgeschäfte umfaßt hat und danach auch das dingliche Übereignungsgeschäft als von Anfang an nichtig anzusehen ist. In letzterem Falle ist der erhobene Aussonderungsanspruch gegen die Konkursmasse begründet. Wäre dagegen die Anfechtung nur gegen das obligatorische Kausalgeschäft gerechtfertigt, nicht aber gegen das in dessen Erfüllung geschehene dingliche Übereignungsgeschäft, so würde die rechtswirksame Anfechtimg des ersteren nur einen obligatorischen Bereicherungsanspruch auf Herausgabe und Verschaffung des Eigentums an der Kaufsache — §§ 812flg. BGB. — begründen. Ein solcher obligatorischer Bereicherungsanspruch gibt aber im Konkurse kein Aussonderungsrecht. Ein dahin gerichteter Antrag wurde bei Beratung der Änderung von § 36 KO. a. F. abgelehnt (Prot, der II. Kommission Bd. 2 S. 721—724). Auch die vom Berufungsgericht in einer fürsorglichen Erwägung versuchte Anwendung des § 59 Nr. 3 KO. greift bei solcher Sachlage nicht Platz. Um die Anwendung des § 59 Nr. 3 zu rechtfertigen, muß die Bereicherung der Masse u n m i t t e l b a r zugeflossen sein. Das ist hier nicht der Fall. Der Beklagte hatte vor der Konkurseröffnung die Ware in Empfang genommen; die dingliche Übereignung war vor der Konkurseröffnung vollendet. Nach richtiger Rechtsansicht können indes das Kausalgeschäft u n d das dingliche Übereignungsgeschäft auch beim Anfechtungsgrunde des Irrtums gemeinsam anfechtbar sein, wenn beide Geschäfte in einem e i n h e i t l i c h e n Willensakte zusammenfallen und dieser an dem Anfechtungsgrunde des Irrtums leidet. Eine solche Einheit liegt in dem vorliegenden Falle nach der festgestellten Sachlage vor. Durch den Brief der Klägerin vom 6. Oktober und durch Absendung der Ware war weder das Kausalgeschäft — der Kauf — noch die dingliche Übereignung vollendet. Jene beiden Vorgänge enthielten nur Angebote des Verkaufs und der Übereignimg unter der Bedingung der Barzahlung bei der Übereignung. Durch seinen Brief vom 7. Oktober machte der Beklagte einen neuen Antrag dahin, daß ihm in dem Kaufvertrag der Kaufpreis kreditiert und in dem dinglichen Übereignungsgeschäfte das Eigentum ohne die Bedingung vorheriger Zahlung des Kaufpreises übereignet werde. Durch jenen Brief wurde ferner, wie das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, die Klägerin in den Irrtum versetzt, sie habe es mit einem zahlungsfähigen Kaufmann zu tun, und bestimmt, den Kauf als Kreditkauf abzuschließen und die Ware dem Beklagten unbedingt zu übereignen. Der Anfechtungsgrund des Irrtums erfaßt daher auch die dingliche Übereignung, und die rechtswirksame Anfechtung rechtfertigt den mit der Klage verfolgten Aus-
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sonderungsanspnich, auf den der Zwangsvergleich mit einer Quote von 16 Prozent keine Anwendung finden kann." . . . RGZ. 66 427 Welche Rechtsfolge tritt ein, wenn die Annahme des mit einem Schreibfehler behafteten Antrages auf Schließung eines Vertrages von demjenigen, welchem der Antrag gestellt ist, in Erkennung des wirklichen Willens des Antragenden ohne Erwähnung des Schreibfehlers erklärt wird? Liegt hier ein Fall des §119 BGB. vor ? BGB. § 119. III. Zivilsenat. Urt. v. 29. Oktober 1907. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Der Kaufmann M. hatte die Errichtung dreier Neubauten auf seinen in W., Tübinger Str. 3 , 4 , 4 a, belegenen Grundstücken dem Beklagten übertragen. Mit der Behauptung, daß für die Erwirkung dieser Bauübertragung Beklagter ihr eine Provision von 1,75 M. pro Quadratfuß bebauter Fläche, zahlbar je mit einem Dritteil nach Fertigstellung des Rohbaues, des Neubaues und der Erfüllung der Verpflichtungen M.'s gegen Beklagten, zugesichert habe und daß auf dem Grundstück Tübinger Str. 3 der Neubau mit bebauter Fläche von 4270 Quadratfuß fertiggestellt sei, erhob die Klägerin Klage auf Zahlung von 4981,66 M. Der Beklagte bestritt die Vereinbarung der Provision in der angegebenen Höhe. Das Berufungsgericht wies nach Erlaß eines rechtskräftig gewordenenTeilurteils, durch welches Beklagter zur Zahlung von 1000 M. verurteilt wurde, die Klägerin mit der Mehrforderung durch Endurteil vom 27. Februar 1907 ab. Der Revision der Klägerin wurde stattgegeben aus folgenden Gründen: „Der Klagantrag ist rechtlich wie tatsächlich begründet. Klagegrund ist nach dem Vorbringen der Klägerin in der Berufungsinstanz die Annahme der klägerischen, in dem Schreiben des Rechtsanwalts F. vom 4. März 1904 verzeichneten Offerte seitens des Beklagten, in Verbindung mit der unbestritten durch die Klägerin bewirkten Vermittlung des Auftrags an den Beklagten zur Ausführung des Neubaues auf dem dem Kaufmann M. gehörenden, in W., Tübinger Str. Nr. 3, belegenen Grundstück. Das vom Rechtsanwalt F. in Vollmacht der Klägerin verfaßte, an den Beklagten gerichtete Schreiben, welches die für die Vermittlung des Auftrags zur Ausführung der Neubauten auf den dejn Kaufmann M. gehörenden drei Grundstücken der Klägerin vom Beklagten zu zahlende Provisionsgebühr zum Gegenstand hat, enthält den Vermerk: „Die Provision wird einheitlich auf 1,75 M. pro Quadratrute bebauter Fläche festgesetzt". Die in dem der Klägerin direkt zugesandten Briefe des Beklagten enthaltene
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Antwort des Beklagten lautet: „Ihre Vorschläge für Provisionsansprüche habe ich erhalten und teile Ihnen hierdurch mit, daß ich mit denselben einverstanden bin". Wie Klägerin behauptet, ist nicht nur die in dem Schreiben vom 4. März 1904 gebrauchte Bezeichnung „Quadratrute" ein Schreibfehler und in Wirklichkeit der Ausdruck „Quadratfuß" beabsichtigt gewesen, sondern hat auch der Beklagte in voller Erkenntnis des Schreibfehlers und des wirklichen Willens der Klägerin, die Offerte auf Zahlung von 1,75 M. pro Quadratfuß zum Ausdruck zu bringen, sein vorgedachtes Antwortschreiben an sie abgesandt. Die Richtigkeit dieser Behauptung vorausgesetzt, liegt eine rechtswirksame, verbindliche Einigung der Parteien über die Zahlung der Provision mit 1,75 M. pro Quadratfuß bebauter Fläche unverkennbar vor. Hatte Beklagter den wirklichen Willen der Klägerin, den sie mit dem fehlgegriffenen Wort zur Erklärung bringen wollte, trotz des Fehlgriffs dem Schreiben richtig entnommen, als er das vorgenannte Antwortschreiben erteilte, so sprach er, wie er sich nicht verhehlen konnte, mit der Erklärung des Einverständnisses der Klägerin seine Zustimmung zur Zahlung der Provision mit 1,75 M. pro Quadratfuß bebauter Fläche aus, und war es gemäß § 116 BGB. ohne Belang, ob er sich insgeheim vorbehielt, solchc Zustimmung nicht zu wollen. Die in § 119 BGB. getroffene Vorschrift steht dem Klaganspruch nicht entgegen. Der wirkliche Wille hat, es sei denn, daß eine besondere Form für die Erklärung vorgeschrieben ist, seine erforderliche Erklärung gefunden, wenn der Erklärende, um ihm Ausdruck zu verleihen, das Wort gebraucht, und der Empfänger der Willenserklärung trotz des Fehlgriffs im Wort aus demselben den Sinn entnommen hat, den der Erklärende zur Kundgebung seines Willens mit.dem versehentlich gebrauchten Wort verbunden hatte. Der Fall des Widerspruchs zwischen Wille und Erklärung, d. h. zwischen vorhandenem und kundgegebenem Willen, den die letztgenannte Gesetzesvorschrift behandelt, liegt bei dieser Sachlage nicht vor. Dem Bestreiten des Beklagten gegenüber hat Klägerin das Verschreiben in dem Brief vom 4. März 1904 sowohl als die Erkenntnis des Schreibfehlers und ihres wirklichen Willens von seiten des Beklagten unter Beweis gestellt. In erster Richtung hat das Berufungsgericht das Beweisangebot durch Nichtwürdigung der Aussage des Zeugen F., soweit dieselbe den Schreibfehler betrifft, nicht berücksichtigt; in letzter Richtung hat dasselbe die Beweisaufnahme abgelehnt mit dem Hinweis, daß Beklagter sich mit dem auf 1,75 M. pro Quadratrute von Klägerin gemachten Vorschlag vom 4. März 1904 einverstanden erklärt und der letzteren am 11. selb. Mts. bestätigt habe, daß es bei der Provision für die Quadratrute sein Bewenden behalte und er einen Schreibfehler nicht anerkenne. Den vorstehenden Ausführungen zufolge beruht die Nichtberücksichtigung wie die Ablehnimg auf Rechtsirrtum. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen."
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R G Z . 67, 169 Verstößt es g e g e n die guten Sitten, w e n n ein Schuldner, nach A u f g a b e des von i h m bisher selbständig betriebenen Geschäftes, nunmehr seiner E h e f r a u in d e m von ihr neu begründeten Geschäft unentgeltlich Dienste leistet und auf diese Weise seinen G l ä u b i g e m den E r t r a g seiner wirtschaftlichen Tätigkeit entzieht ?
BGB. §§ 117, 138,826. VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 5. November 1907. I. Landgericht Köln.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagte, die Gläubigerin des Ehemannes der Klägerin war, ließ auf Grund eines vollstreckbaren Titels durch Beschluß des zuständigen Amtsgerichts mehrere Forderungen, die nach ihrer Angabe ihrem Schuldner zustehen sollten, pfänden und sich überweisen. Die Klägerin erhob Widerspruchsklage mit der Behauptung, daß die betreffenden Forderungen ihr zuständen, da sie aus Geschäften entstanden seien, die von ihr in dem von ihr betriebenen Installationsgeschäft abgeschlossen worden seien. Die Beklagte beantragte Abweisung der Klage und widcrklagend Verurteilung der Klägerin zur Duldung der Zwangsvollstreckung in die streitigen Forderungen. Sie begründete diese Anträge mit der Behauptung, daß das von der Klägerin geführte Geschäft nur scheinbar auf ihren Namen gehe; in Wahrheit sei der Ehemann der Klägerin der Inhaber des Geschäftes, das er bis zum Juli 1905 unter eigenem Namen betrieben und damals auf die Klägerin nur deshalb übertragen habe, um sich gegen die Zwangsvollstreckung seiner Gläubiger zu sichern; die Geschäftsübertragung verstoße daher gegen die guten Sitten, sei demgemäß nach den §§ 138 und 826 sowie nach § 117 BGB. nichtig und mache die Klägerin schadensersatzpflichtig. Die Klägerin beantragte Abweisung der Widerklage. Sie bestritt, daß eine Geschäftsübertragung stattgefunden habe, und behauptete, daß ihr Ehemann sein Geschäft aufgegeben und sie ein neues Geschäft selbständig begründet habe. Der erste Richter wies Klage und Widerklage ab; der Berufungsrichter gab dagegen der Klage in Ansehung von fünf Forderungen, der Widerklage, unter Abweisung im übrigen, in Ansehung einer Forderung statt. Die Giundlage dieser Entscheidung bildet die Annahme des Berufungsrichters, daß die Forderung, bezüglich deren dem Widerklagantrage entsprochen wurde, noch im Betriebe des Geschäftes des Ehemannes entstanden sei und daher diesem zustehe, während die übrigen Forderungen im Betriebe des von der Klägerin neu begründeten Geschäftes erwachsen seien. Die Revision der Beklagten wuide zurückgewiesen aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter nimmt an, daß nicht eine Übertragung des Geschäftes des Ehemannes auf die Klägerin stattgefunden hate, sondern daß ersterer sein Geschäft aufgegeben habe und das Geschäft der letzteren
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ein neues sei. Er stützt diese Annahme auf die von ihm für glaubhaft crachtete Bekundung des Ehemannes, die dahin geht, daß, als er das Geschäft aufgegeben habe, das ganze Geschäftsinventar gepfändet und versteigert gewesen sei, daß das vorhandene Werkzeug dem Wirte W. gehört habe, daß, was von seinem Geschäft noch als sein Eigentum vorhanden gewesen sei, möglicherweise etwas Arbeitsgerät und Arbeitsmaterial gewesen sein möge und daß größere Aufträge nicht vorgelegen hätten. Der Berufungsrichter entnimmt hieraus, daß die einzelnen Bestandteile, aus denen das Geschäft des Ehemannes sich zusammengesetzt habe, damals gar nicht oder nur in höchst unzureichendem Maße mehr vorhanden gewesen seien und daß daher das Geschäft der Klägerin auf einer im wesentlichen neuen Grundlage habe aufgebaut werden müssen. Diese Auffassung ist wohl begründet." (Wird näher ausgeführt.) „Daß in der durch den Geschäftsrückgang herbeigeführten Aufgabe selbständiger Geschäftstätigkeit von Seiten des Ehemannes und in der Gründung eines eigenen selbständigen Geschäftes durch die Ehefrau kein Verstoß gegen die §§ 138, 826 BGB. gefunden werden kann, bedarf kaum der Erwähnung. Die Zurückweisung der Revision ist hiermit gegeben. Im übrigen soll nicht unbemerkt bleiben, daß der Senat auch denjenigen Ausführungen beistimmt, in denen der Berufungsrichter darlegt, daß selbst, wenn wirklich eine Geschäftsübertragung stattgefunden haben sollte, kein ausreichender Grund vorläge, um diese Übertragung als eine nichtige „Schiebung" anzusehen. Die Ansicht der Revision, es widerstreite den guten Sitten, daß der Ehemann der Klägerin dieser unentgeltlich Dienste leiste und dadurch den Ertrag seiner wirtschaftlichen Tätigkeit seinen Gläubigern entziehe, die auf diesen Ertrag in Gestalt der Gehaltsforderung hätten Zugriff nehmen können, wenn er bei einem Dritten Anstellung gesucht hätte, kann nicht gebilligt werden. Zwar haben die Gläubiger eines Schuldners in den gesetzlichen Schranken Anspruch auf die Befriedigung aus den Erträgnissen seiner wirtschaftlichen Tätigkeit, sofern und soweit sich diese Erträgnisse äußerlich greifbar als solche darstellen und ihrem Zugriffe zugänglich sind. Allein es besteht kein für die Rechtsordnung in Betracht kommender Anspruch der Gläubiger darauf, daß ihr Schuldner seine wirtschaftliche Tätigkeit in einer solchen Form und Gestalt ausübe, die es ihnen ermöglicht, ihre Hand auf den Ertrag zu legen. Eines weiteren Eingehens auf diesen Punkt bedarf es hier um so weniger, als selbst, wenn die Revisionsklägerin mit ihrer Anschauung Recht hätte, dies im gegenwärtigen Falle niemals zu dem von ihr erstrebten Ziele führen könnte. Denn es könnte alsdann doch höchstens daran gedacht werden, daß die andere Vertragspartei, der der Schuldner seine Dienste unentgeltlich widmet, mit einer Klage, sei es aus dem § 826 BGB. oder aus dem Anfechtungsgesetze, angehalten werden könnte, ein angemessenes Entgelt dem Zugriffe der Gläubiger, soweit solcher sonst zulässig ist, darzubieten. Keine rechtliche Möglichkeit besteht hingegen dafür, daß in einem Rechtsstreite der vorliegenden Art die Gläubiger die Forde-
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rungen der Gegenpartei ihres Schuldners als Forderungen des letzteren behandeln könnten. Das von der Revisionsklägerin herangezogene Urteil des VI. Zivilsenates des Reichsgerichts ( G r u c h o t , Beitr. Bd. 49 S. 352) betraf einen völlig anders beschaffenen Fall." . . . RGZ. 68, 6 N i c h t ü b e r e i n s t i m m u n g des Willens infolge des Gebrauches eines e i n e m Telegraphenschlüssel e n t n o m m e n e n Phantasiewortes, d e m jede Partei einen anderen Sinn unterlegt. BGB. § 120. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 17. Januar 1908. I. LandgerichtHamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Aus den G r ü n d e n : „Die Beklagten hatten an R. zu New York am 16. April 1902 geschrieben, daß sie 6—8 Tonnen Weißmetall . . w e l c h e , o h n e j e d e G a r a n t i e , nach Angabe ihrer Lieferanten bei Verstellung des Materials enthalten müßten ca. 84 Prozent Zinn, 7' _—8 Prozent Antimon, 7' 2 —8 Prozent Kupfer, freibleibend offerieren könnten fob Hamburg netto Kasse zum Preise von 188,75 M., und daß sie feste Kabelorder erbäten. R. war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts von den Beklagten n i c h t s t ä n d i g damit betraut, für sie Handelsgeschäfte zu vermitteln. Die Beklagten bedienten sich seiner n u r g e l e g e n t l i c h zur Vermittelung von Verkäufen in New York, sie hatten ihm weder allgemein, noch in dem hier streitigen Falle irgend eine Vertretungsmacht übertragen. R. trat in Unterhandlungen mit P. zu New York — dem Rechtsvorgänger des Klägers —. Das Berufungsgericht nimmt als bewiesen an: R. habe dem P. erklärt, daß er von den Beklagten beauftragt sei, eine Partie Weißmetall zu verkaufen, und daß die Beklagten die in ihrem Briefe vom 16. April angegebene Zusammensetzung garantierten; er habe ferner bei der Unterredung, in der man zum Abschlüsse gelangte, dem P. den Brief der Beklagten vom 16. April gezeigt und diesen Brief, den weder P. noch die Zeugin C. wegen ihrer Unkenntnis der deutschen Sprache lesen konnten, fälschlich in das Englische dahin übersetzt, die Beklagten wollten die Garantie für die fragliche Gehaltsangabe übernehmen, während diese die Garantie in Wahrheit abgelehnt hätten. . . . Zwischen R. und den Beklagten war „Semilodei" als Kabelwort für Erklärung einer festen Bestellung auf das freibleibende Angebot der Beklagten vom 16. April vereinbart. R. hatte dieses Kabelwort dem P. mitgeteilt und dahin erläutert, das brauche er nur den Beklagten zu kabeln, dann sei der Vertrag unter den verabredeten Bedingungen perfekt. Demzufolge hat P. am 6. Mai an die Beklagten das Kabeltelegramm gerichtet: ,,Accept R.'s Semilodei." . . . Nach telegraphischen Zwischenverhand-
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lungen über die Menge und über Zahlung des g a n z e n Kaufpreises gegen die Konnossemente nahmen die Beklagten durch Kabeltelegramm das Angebot des P. in dessen Kabeltelegramm vom 6. Mai an. Nach Verschiffung der Ware und Einlösung der Konnossemente durch P. wurde entdeckt, daß infolge des Verhaltens des R. der Käufer glaubte, m i t Garantie gekauft zu haben, während die Beklagten — die Verkäufer — der Meinung waren, ohne Garantie verkauft zu haben. Zur Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises führt das Berufungsgericht aus: der Grund für die Tatsache, daß von den Parteien übereinstimmende Vertragserklärungen trotz nicht erzielter Willenseinigung über den wichtigen Punkt der Garantieübernahme abgegeben seien, liege darin, daß die Beklagten die von R. übermittelte Offerte richtig übermittelt glaubten, während sie unrichtig übermittelt war, und daß sie infolge dieses Irrtums auch über den Inhalt ihrer eigenen Erklärung im Irrtume gewesen seien. Werde die Sache, was in erster Reihe anzunehmen sei, so aufgefaßt, daß die Beklagten durch Annahme des Drahtangebotes des P. erklärt hätten, sie wollten zu den von R. dem P. mitgeteilten Bedingungen verkaufen, so seien sie über den Inhalt ihrer Erklärung im Irrtume gewesen und hätten danach ihre Vertragserklärung anfechten können. Hätten die Beklagten aber durch Annahme jener Drahtofferte erklärt, unter den Bedingungen i h r e r an R. geschriebenen Mitteilung verkaufen zu wollen, so würde ihnen die Anfechtung auch aus § 120 BGB. zustehen. Die nach beiden Auffassungen zulässige Anfechtung wegen Irrtums über den Inhalt ihrer Vertragserklärungen hätten die Beklagten rechtzeitig durch den Brief vom 15. Juni 1902 erklärt, worin sie dem P., nachdem dieser ihnen den wirklichen Sachverhalt mitgeteilt hatte, erklärten, irgend eine etwa von R. geleistete Garantie gehe sie nichts an ; der von diesem angeblich geschlossene Vertrag binde sie nicht. Aus der Nichtigkeit des hiernach von den Beklagten angefochtenen Vertrages ergebe sich die Begründetheit des Anspruches auf Rückzahlung des Kaufpreises und Ersatz der von P. auf die Ware verwendeten Unkosten. . . . Die Revision rügt, das Berufungsgericht nehme zu Unrecht an, daß die Beklagten wegen Irrtums angefochten hätten. Dieser Angriff ist gerechtfertigt. Zur Anfechtungserklärung wegen Irrtums genügt, aber ist auch nötig der Wille, das Geschäft wegen jenes Willensmangels nicht bestehen lassen zu wollen. Die Anfechtungserklärung erfordert danach als Mindestes Kenntnis der Möglichkeit eines Anfechtungsgrundes — hier Kenntnis der Möglichkeit eines Willensmangels. Durch die Briefe vom 15. Juni und 21. Mai haben indes die Beklagten die Garantiezusage, auf die von P. hingewiesen worden war, lediglich deshalb als unwirksam bezeichnet, weil dem R. die Vertretungsmacht zur Übernahme einer solchen Garantie gefehlt habe. Die Bezeichnung einer Garantiezusage als unwirksam, da dem Vermittler die Vertretungsmacht fehlte, enthält keine auch nur fürsorgliche Anfechtung der Zusage oder des Vertrages wegen eines angeblichen Willensmangels — hier wegen eines Irrtums über den Inhalt der Erklärung
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— in der Person des angeblich Nichtvertretenen. Der Erwägungsgrund, aus dem das Berufungsgericht zur Nichtigkeit des Vertrages und zur Zuerkennung des Bereicherungsanspruches der Kläger gelangt, ist danach nicht haltbar. Nach dem festgestellten Sachverhältnisse kann indes die Entscheidung des Berufungsgerichtes aus anderen rechtlichen Gründen aufrecht erhalten werden. P. hat in seinem Telegramme vom 6. Mai erklärt „Semilodei"; die Beklagten haben durch ihre Telegramme angenommen die Erklärung „Semilodei". Semilodei ist indes an sich nur ein inhaltloses Phantasiewort. Die Erklärung dieses Wortes ist, für sich allein betrachtet, die Erklärung eines inhaltlosen Nichts; gleiches gilt von der Annahme der Erklärung „Semilodei". Für P. war die Erklärung des Wortes „Semilodei" die Erklärung eines Kaufangebotes mit Garantiezusage; für die Beklagten war sie. die Erklärung eines Kaufangebotes ohne Garantiezusage, und danach ihre Annahme der Erklärung „Semilodei" die Erklärung der Annahme eines Kaufangebotes ohne Garantiezusage. Diese Verschiedenheit hatte ihren Grund in den unrichtigen Mitteilungen des R. an P. Nach den rechtlich einwandfreien Ausführungen des Berufungsgerichtes hatte R. keine Vertretungsmacht der Beklagten; die Beklagten haften daher aus diesem rechtlichen Gesichtspunkte nicht für dessen unrichtige Übermittelung ihres freibleibenden Angebotes. Zuungunsten des P. kann nicht gesagt werden, er habe sich durch den Gebrauch des von der Beklagten gewählten Phantasiewortes das angeeignet, was die Beklagten damit bezeichnen wollten, und habe dies daher mit dem Erfolge gegen sich gelten zu lassen, daß der Vertrag ohne Garantiezusage zustande gekommen wäre. Aber auch die Auffassung zuungunsten der Beklagten ist abzulehnen, sie hätten mit der Möglichkeit rechnen müssen, daß R. ihren Vorschlag unrichtig mitgeteilt und P. durch die Erklärimg „Semilodei" ein Kaufangebot anderen Inhaltes als das von ihnen an R. überschriebene erklärt habe, und sie hätten danach durch die Annahme der Erklärung „Semilodei" e r k l ä r t , allerdings nicht erklären w o l l e n , das Kaufangebot anzunehmen, wie es von P. auf Grund der Mitteilungen des R. gestellt worden sei. Darum sind die beiden Auffassungen nicht haltbar, womit das Berufungsgericht zur Annahme eines äußerlich zustande gekommenen, von den Beklagten nur wegen Irrtums über den Inhalt der Erklärimg anfechtbaren Vertrages mit der Garantiezusage gelangt ist. Vielmehr liegt infolge des Gebrauches des Phantasiewortes „Semilodei" zur Erklärung beider Vertragsteile der eigenartige Fall vor : äußerlich stimmen die Erklärungen des P. und der Beklagten überein; jener bietet „Semilodei" an, diese nehmen „Semilodei" an. In Wahrheit hat aber doch jeder Teil damit etwas anderes im rechtsgeschäftlichen Verkehre erklärt: P. ein Kaufangebot mit Garantiezusage, die Beklagten die Annahme eines solchen ohne Garantiezusage. Danach decken sich die Erklärung des Kaufangebotes und die Erklärung seiner Annahme nicht. Die Parteien haben sich über den Punkt der Garantiezusage nicht geeinigt. Diesen Punkt hat Zivils. AllKtm. T 12
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das Berufungsgericht als „wichtigen" bezeichnet, und es kann keinem Bedenken unterliegen, daß die Parteien ohne eine Bestimmung über diesen Punkt den Kaufvertrag nicht geschlossen hätten. Deshalb ist wegen fehlender Willensübereinstimmung ein Vertrag überhaupt nicht zustande gekommen. Von dieser Grundlage aus ist der Anspruch auf Herausgabe des Kaufpreises mit Zinsen vom Tage der Zahlung an nach den Grundsätzen von der ungerechtfertigten Bereicherimg begründet." . . .
RGZ. 68, 15 Umfang der Vermutung für die Vollständigkeit der über ein Rechtsgeschäft errichteten Urkunde. BGB. § 125. II. Zivilsenat. Urt. v. 4. Februar 1908. I. Landgericht Ansbach.
II. Oberlandesgericht Nürnberg.
Aus den G r ü n d e n : . . . „Die in der Rechtsprechung aller Zivilsenate des Reichsgerichtes gebilligte Vermutung der Vollständigkeit der über ein Rechtsgeschäft errichteten Urkunde gegenüber mündlichen Vereinbarungen vor oder bei Errichtung der Urkunde ist, wenn die Errichtung der Urkunde nicht als Wiederholung des Vertrages in urkundlicher Form vereinbart war, lediglich eine tatsächliche Vermutung; sie ist daher entkräftet durch die Feststellung, daß auch zur Zeit der Errichtung der Urkunde die Parteien die Fortgeltung der mündlich vereinbarten und in die Urkunde nicht aufgenommenen Abrede noch wollten. Eine solche Feststellung wird in der Regel allerdings nur in der Weise erfolgen können, daß besondere Umstände oder Gründe nachgewiesen werden, wegen deren die mündliche Abrede nicht in die Urkunde aufgenommen worden ist. Diese Erfahrungstatsache rechtfertigt indes nicht, als allgemein geltend den Satz aufzustellen, daß nur durch den Nachweis solcher besonderen Umstände oder Gründe die Vermutung der Vollständigkeit der Urkunde entkräftet werden könnte. Jenem allgemeinen Satze kann auch nicht mit der Begründung Eingang verschafft werden, es könne nur, wenn in die Feststellung solcher Umstände eingetreten worden sei, nachgeprüft werden, ob kein Rechtsirrtum vorliege. Im gegebenen Falle hatte der Beklagte in der Berufungsinstanz überhaupt nicht mehr bestritten, daß die Parteien auch zur Zeit der Errichtung der Urkunde das Fortbestehen der in die Urkunde nicht aufgenommenen Abrede über die Gewinnbeteiligung gewollt haben. Diese Feststellung reicht vollkommen zu, um die aus der Nichtaufnahme in die Urkunde hergeleitete Vermutung, die mündliche Abrede der Gewinnbeteiligung sei fallen gelassen, zu entkräften. Bei solcher Sachlage konnte daher das Be-
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rufungsgericht ohne rechtlichen Verstoß ausführen, es bedürfe keiner Feststellung der Gründe, aus denen die Urkunde unvollständig war. Der erörterte Angriff der Revision, das Berufungsgericht hätte die Gründe feststellen müssen, aus denen der Kaufvertrag unrichtig und unvollständig beurkundet sei, ist nach seinem ganzen Zusanlmenhange auch dahin zu verstehen, die Urkunde über den Kaufvertrag begründe die Vermutung der Vollständigkeit in bezug auf den K a u f v e r t r a g und damit im vorliegenden Streit darüber, ob eine Abrede Bestandteil des Kaufvertrages oder Gegenstand eines davon selbständigen Vertrages sei, eine durch den Nachweis besonderer Umstände zu beseitigende Vermutung dafür, daß die Abrede der Gewinnbeteiligung nicht Bestandteil des Kaufvertrages, sondern Gegenstand eines davon selbständigen „Gewinnbeteiligungsvertrages" sei. Aber auch so aufgefaßt, zerfällt der Angriff an den rechtlich einwandfreien Erwägungen des Berufungsgerichtes, daß nach dem Willen der Parteien jene Abrede der Gewinnbeteiligung Bestandteil des Kaufvertrages war, womit der gekünstelte Versuch eines sog. Gcwinnbeteiligungsvertrages, für den der Grundstücksverkauf nur das Motiv gewesen sein soll, beseitigt ist." . . J
RGZ. 68, 126 Ist für die Frage des Zustandekommens eines Vertrages der innere, nicht zum Ausdrucke gelangte Wille des einen Kontrahenten von Bedeutung ? Was ist der wirkliche Wille im Sinne des § 133 BGB. ? BGB. §§ 116, 119, 133, 157. VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 6. März 1908. Rep. VII. 250 07 I. Landgericht Frankfurt a. M .
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin lieferte im Jahre 1905 auf Bestellung des Bauunternehmers W. für das dem Beklagten gehörige Hotel- und Restaurationsgrundstück zu F. eine Heizanlage zu denl vereinbarten Preise von 6200 M. Der Besteller W. geriet in Konkurs und bezahlte die bedungene Summe nicht. Die Klägerin nahm deshalb den Beklagten auf Entrichtung des Betrages nebst Zinsen mit der Behauptung in Anspruch, daß auch er die Heizanlage bestellt und ihre Bezahlung sowohl vor, wie nach Beginn der Arbeiten versprochen, sowie daß er sie veranlaßt habe, dem unsicheren W. Kredit zu gewähren. Der Beklagte bestritt das Vorbringen der Klägerin, soweit es die Übernahme einer Verbindlichkeit von seiner Seite betraf, und begehrte Abweisung der Klage. Das Landgericht verurteilte den Beklagten nach dem Klagantrage. Das Oberlandesgericht erkannte abändernd auf zwei Eide für den Beklagten dahin: 12'
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1. Es ist nicht wahr, daß der frühere Mitinhaber der Klägerin, Otto D., mit Rücksicht darauf, daß er von W. vergeblich Zahlung für die zur Zentralheizung meines Hauses geleisteten Arbeiten verlangt habe, mir erklärt hat, er werde die Arbeit einstellen und nichts weiter machen lassen, wenn er nicht Zahlung bekomme, und daß ich ihm darauf geantwortet habe: „Bei mir verliert niemand etwas, arbeiten Sic nur ruhig weiter." 2. Ich habe die Erklärung gegenüber dem früheren Mitinhaber der Klägerin, Otto D. : „Bei mir verliert niemand etwas, arbeiten Sie nur ruhig weiter" nicht in der Absicht abgegeben, damit die Schuld des W. der Klägerin gegenüber zu übernehmen oder mich der Klägerin für die Schuld des W. zu verbürgen. Für den Fall der Leistung des Eides zu 1 oder auch nur des Eides zu 2 wurde die Klage abgewiesen, für den Fall der Verweigerung beider Eide der Beklagte nach dem Klagantrage verurteilt. Der Revision der Klägerin wurde stattgegeben. Gründe: „Die Revision rügt mit Recht, daß der Berufungsrichter in rechtlich unzulässiger Weise darauf Gewicht gelegt habe, was sich der Beklagte innerlich bei seinen Äußerungen gedacht, was er damit beabsichtigt und bezweckt habe. Der § 116 BGB. läßt darüber keinen Zweifel, daß die Wirksamkeit einer Willenserklärung durch nicht in die Außenwelt getretene An- und Absichten des Erklärenden, die sich mit der Kundgebung, wie sie vorliegt, in Widerspruch setzen, keine Einbuße erleidet. Auch der Irrtum über den Inhalt oder die Bedeutung der Erklärung macht diese nicht wirkungslos, sondern unter gewissen Voraussetzungen anfechtbar (§ 119 BGB.). Auch wenn ein Vertrag nicht zustande kommt, weil sich die beiderseitigen Erklärungen infolge eines Mißverständnisses oder aus einem sonstigen Grunde nicht decken, ist es nicht der Zwiespalt des inneren Willens und der Erklärung, der zu diesem negativen Ergebnis führt, sondern der Mangel der für das Dasein eines Vertrages wesentlichen Einigung. Deshalb ist es gleichgültig, ob der Beklagte bei der Äußerung, die durch die Verweigerung des ersten Eides festgestellt werden soll, den (inneren) Willen gehabt hat, eine Schuld des Unternehmers W. auch seinerseits zu übernehmen oder sich dafür zu verbürgen. Da der Berufungsrichter selbst davon ausgeht, daß es sich bei jener Äußerung um eine rechtsgeschäftliche Erklärung gehandelt habe, war es seine Aufgabe, zu ermitteln, welche Bedeutung ihr nach der Auffassung des Verkehrs unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Falles beizumessen ist, wie der andere Teil sie als verständiger Geschäftsmann zu verstehen berechtigt war. Dies schreibt der § 157 BGB. ausdrücklich vor. Wenn es in § 133 BGB. heißt, daß bei der Auslegung einer Willenserklärung der wirkliche Wille zu erforschen sei, so ist damit nicht gesagt, daß es auf den inneren Willen ankomme; denn sonst würden die §§ 116, 119 mit dem § 133 in einem
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unlöslichen Widerspruche stehen. Vielmehr soll nur einer Buchstabeninterpretation vorgebeugt und der Richter angewiesen werden, den Sinn und die Bedeutung einer abgegebenen Erklärung nicht lediglich nach den gebrauchten sprachlichen Wendungen, sondern nach dem ganzen Zusammenhange sowie nach dem wirtschaftlichen Zwecke des Geschäfts zu beurteilen. Was sich hiernach als der Inhalt der Erklärung ergibt, ist der wirkliche, in die Erscheinung getretene Wille, während der innere Wille nicht in Betracht kommt. Daraus folgt, daß der zweite Eid jedenfalls zu beseitigen und das Urteil insoweit aufzuheben ist. Die Gesichtspunkte des Irrtums oder des sogenannten versteckten Dissenses sind vom Beklagten in den Vorinstanzen nicht geltend gemacht und können auf sich beruhen bleiben. Aber auch in Ansehung der Auferlegung des ersten Eides ergaben sich Bedenken, die zur Aufhebung des Berufungsurteils in vollem Umfange führen mußten. Der Berufungsrichter erachtet die Äußerung, die er zum Gegenstande des Eides gemacht hat, nicht für ausreichend dargetan. Er bemängelt die Glaubwürdigkeit des Zeugen Otto D., des früheren Mitinhabers der klagenden Firma, aber er fügt bei, es sei auch nicht erkennbar, daß die Absicht des Beklagten auf die Übernahme der Schuld oder der Bürgschaft gerichtet gewesen sei. Weil diese Absicht nicht zweifelsfrei sei, habe die Klägerin den ihr obliegenden Beweis nicht hinlänglich erbracht. Diese Ausführungen geben der Vermutung Raum, daß auch die Beweiswürdigung des Berufungsrichters von der nicht zu billigenden Rechtsanschauung beeinflußt worden ist, es komme auf die Absicht des Beklagten an. Der Berufungsrichter sagt nicht, daß in der Äußerung nicht der Ausdruck des Interzessionswillens gefunden werden könne; sie erscheint ihm an sich nicht unerheblich. Aber die Absicht des Beklagten ist ihm nicht zweifelsfrei. Daß er damit die innere Absicht meint, la sen seine weiteren Erwägungen erkennen. Diese Absicht ist nicht von Bedeutung. Auch wenn erwiesen wäre, daß sie nicht bestanden hat, würde dies gleichgültig sein, sofern nur die Äußerung des Beklagten nicht anders ausgelegt werden kann, als in dem Sinne, daß er für die Bezahlung der bei der Klägerin bestellten Heizanlage aufzukommen sich verpflichte. Ob der Berufungsrichter, wenn er jene unausgesprochene Absicht unberücksichtigt gelassen hätte, gleichfalls zu dem ersten Eide gelangt wäre, ist mindestens nicht sicher. Darum war es geboten, eine erneute Prüfung der Sache nach allen Richtungen hin durch Aufhebung des Berufungsurteils zu ermöglichen. Mit Recht hebt die Revision hervor, daß der Berufungsrichter — anscheinend beeinflußt durch seine Anschauung von der Maßgeblichkeit des innerlich Gewollten — den Umstand, auf den es wesentlich ankommen wird, nicht in Betracht gezogen habe, nämlich daß die Klägerin ihre Arbeiten einzustellen gedroht hat und daß der Beklagte, um dessen Haus und Gewerbe es sich handelte, das größte Interesse an der Fortsetzung der Arbeiten hatte. Zu untersuchen ist bei der erneuten Entscheidung, ob der Klägerin mit einer Einwirkung auf den Bauunternehmer W. oder mit der
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Übernahme der Zahlungpflicht, wenn dieser zustimme, gedient sein, oder ob ihr nicht vielmehr nur eine die Zahlungspflicht des Beklagten unbedingt feststellende Erklärung genügen konnte, ferner ob eine Erklärung dieses Inhaltes ausreichend nachgewiesen ist. Darüber sich auszusprechen, wie diese Erklärung rechtlich zu kennzeichnen sein möchte, hat das Revisionsgericht zur Zeit keinen Anlaß. Daß die Kategorie der Bürgschaft oder der sogenannten kumulativen Schuldübernahme (vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 59 S. 232; G r u c h o t , Beitr. Bd. 50 S. 946; Jurist. Wochenschr. 1907 S. 47 Nr. 7) an sich verwendbar ist, erkennt auch der Berufungsrichter an. Es liegt in einem Falle, wie dem gegenwärtigen, nicht fern, daß der Bauherr, nachdem der Bauunternehmer in Zahlungsschwierigkeiten geraten ist, durch Übernahme einerBürgschaft oder auch einer selbständigen Verpflichtung den Bauhandwerker zur Vollendung seiner Arbeiten bestimmt, die er dringend wünschen muß." . . . RGZ. 68, 322 Ist bei der V e r b i n d u n g einer gültigen mit einer nichtigen Abrede das ganze Rechtsgeschäft nichtig, w e n n sich die Vertragschließenden der N i c h t i g k e i t der einen Abrede b e w u ß t waren ? BGB. § 139. V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 1. Mai 1908. I. Landgericht II Berlin.
II. Karrir.ergericht daselbst.
Im Ehescheidungsprozesse hatten die Parteien einen Vergleich geschlossen, in dem es zunächst hieß: „Die Parteien beschließen, getrennt voneinander zu leben, und zwar ohne eine gegen die andere Unterhaltsansprüche zu erheben." Sodann wurden Bestimmungen über die Unterbringung und Erziehimg der Kinder getroffen, und weiter bestimmt : „Die Parteien verpflichten sich, binnen einer Frist von zwei Monaten Gütertrennung notariell zu vereinbaren." Der Kläger betrachtete, wie den ganzen Vergleich, so auch die Bestimmung über die Gütertrennung als nichtig und erhob Klage mit dem Antrage, festzustellen, daß er nicht verpflichtet sei, mit der Beklagten durch notariellen Vertrag Gütertrennung zu vereinbaren. Diesem Antrage entsprachen die Urteile der Vorinstanzen. Vom Reichsgerichte wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Klage abgewiesen. Gründe: „Nach § 1432 BGB. können die Ehegatten auch nach Eingehimg der Ehe den Güterstand aufheben oder ändern; der Gültigkeit der von den Parteien in dem Vergleiche vom 9. Oktober 1904 gegenseitig eingegangenen Verpflichtung, binnen einer Frist von zwei Monaten Gütertrennung notariell zu vereinbaren, steht deshalb an sich ein rechtliches Bedenken nicht
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entgegen. In Frage kann nur kommen, ob nicht gemäß § 139 BGB. wegen der Nichtigkeit einer anderen Bestimmung des Vergleichs die Nichtigkeit des ganzen Vertrages und damit auch der Abrede über die Gütertrennung angenommen werden muß. Zur Bejahung dieser Frage war das Berufungsgericht in seinem früheren, auf die Revision der Beklagten aufgehobenen Urteile auf Grund des Beschlusses der Parteien, getrennt zu leben, gelangt. Dieser Entscheidungsgrund kommt jetzt nicht mehr in Betracht; das Berufungsgericht ist nach Anordnung einer Beweiserhebung und in Würdigung des Beweisergebnisses nunmehr zu der Überzeugung gelangt, daß der erwähnte Beschluß nicht die Bedeutung einer vertragsmäßigen Festsetzung haben sollte, sondern nur die Feststellung einer Tatsache, eine einleitende Erklärung für die nachfolgenden Abmachungen, enthalte. Dagegen wird die Nichtigkeit der Gütertrennungsabrede nunmehr aus ihrem inneren Zusammenhange mit den Vergleichsbestimmungen über den Verzicht auf den Unterhalt und über die Kindererziehung gefolgert. Diesen Bestimmungen müsse, „obgleich die Parteien beim Vergleichsschlusse von dem Richter und dem Rechtsanwalte B. darauf hingewiesen worden und demgemäß auch davon ü b e r z e u g t gewesen sind, daß sie der gesetzlichen Gültigkeit ermangelten", dennoch rechtsgeschäftlicher Charakter beigemessen werden. Denn es handle sich insoweit nicht um die bloße Konstatierung von Tatsachen, sondern um für die Zukunft getroffene Abreden und Abmachungen; im Wege gegenseitiger Willenseinigung hätten die fraglichen Rechtsgeschäfte für die Dauer des Getrenntlebens anderweit geregelt werden sollen. Die Nichtigkeit des Verzichts auf den Unterhalt folgert das Berufungsgericht aus der positiven Vorschrift des § 1614 BGB., die Nichtigkeit der Abrede über die Kindererziehung wenigstens insoweit, als es sich um das jüngste, der Beklagten überlassene Kind handle, aus § 138 BGB., da die vollständige Lossagung des Vaters von der Sorge für die Person dieses Kindes den guten Sitten zuwiderlaufe*). Daß die Abrede über die Gütertrennung auch ohne diese nichtigen Vertragsteile getroffen worden wäre, sei nicht anzunehmen. Wäre die Annahme des rechtsgeschäftlichen Charakters der fraglichen Abreden rechtlich bedenkenfrei, dann würden die daran geknüpften Schlußfolgerungen nicht zu beanstanden sein. Allein mit Grund erhebt die Revision den Vorwurf, daß diese Annahme auf Rechtsirrtum beruhe. Das Berufungsgericht hat ihr durch die tatsächliche Feststellung, daß die Parteien beim Vergleichsabschlusse von der Rechtsunwirksamkeit des Verzichts auf den Unterhalt und der Bestimmungen über die Kindererziehung überzeugt gewesen seien, selbst die Unterlage entzogen. Zuzugeben ist allerdings, daß es sich hier nicht um die bloße Konstatierung von Tatsachen handelt, sondern um Willenserklärungen, um Abmachungen für die Zukunft. Allein nicht jede Willenserklärung ist ein Rechtsgeschäft. Das Bürgerliche Gesetzbuch enthält keine Begriffsbestimmung des Rechtsgeschäfts. Nach den Motiven zum ersten Entwürfe (Bd. 1 S. 126) ist Rechtsgeschäft *) Vgl. jetzt §§ 7 2 , 74 Abs. ι u. 2 Eheges. v. 20. 2 . 1 9 4 6 .
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Allgemeiner T e i l
(im Sinne des Entwurfs) eine Privatwillenserklärung, gerichtet auf die Hervorbringung eines rechtlichen Erfolges, welcher nach der Rechtsordnung deswegen eintritt, weil er gewollt ist. Das Wesen des Rechtsgeschäfts wird (a. a. O) darin gefunden, daß ein auf die Hervorbringung rechtlicher Wirkungen gerichteter Wille sich betätigt, und daß der Spruch der Rechtsordnung in Anerkennung dieses Willens die gewollte rechtliche Gestaltung in der Rechtswelt verwirklicht. Unzweifelhaft liegt diese mit der in der Wissenschaft herrschenden Auffassung des Rechtsgeschäfts übereinstimmende Begriffsbestimmung auch dem Bürgerlichen Gesetzbuche zugrunde. Danach wäre also dem Rechtsgeschäfte außer der Willenserklärung und der Richtung des Willens auf Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs noch ein drittes Moment wesentlich: eine gesetzliche Vorschrift, welche die Verwirklichung des bezweckten rechtlichen Erfolgs durch Rechtsgeschäft zuläßt. Nun finden sich alle drei Erfordernisse allerdings nur beim wirksamen Rechtsgeschäfte erfüllt, während das Gesetzbuch auch von nichtigen Rechtsgeschäften spricht, ein Rechtsgeschäft also auch da als vorliegend annimmt, wo die Rechtsordnung die Verwirklichung des bezweckten Erfolges ablehnt. Man mag deshalb das dritte Element in der Begriffsbestimmung des Rechtsgeschäfts fallen lassen und als Rechtsgeschäft eine die Hervorrufung privater Rechtsverhältnisse bezweckende private Willenserklärung bezeichnen. Dagegen darf das zweite Erfordernis, die auf eine R e c h t s Wirkung gerichtete Absicht des Erklärenden, im Tatbestande eines Rechtsgeschäfts niemals fehlen. Fehlt sie, so liegt ein Rechtsgeschäft überhaupt nicht vor, weder ein wirksames, noch ein unwirksames. Eine derartige Willenserklärung entbehrt völlig des rechtsgeschäftlichen Charakters. Dies zeigt sich deutlich, wenn die Beteiligten die der Erklärung entsprechende, von der Rechtsordnung an sich gewährleistete Rechtswirkung ausdrücklich ausschließen. Wer einem anderen ein Darlehen zusagt mit dem ausdrücklichen Beifügen, daß er es ablehne, sich rechtlich zu binden, die Erfüllung vielmehr vollständig seinem freien Belieben vorbehalten wolle, der gibt eine r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e Erklärung überhaupt nicht ab. Eine Willenserklärung mag auch hier vorliegen: der Erklärende kann die feste Absicht haben, die unverbindliche Zusage zu erfüllen, und in dem anderen Teile mag das Vertrauen auf das Wort des Erklärenden die sichere Erwartung der Erfüllung hervorrufen. Ein Rechtsverhältnis aber wird durch eine solche Erklärung nicht begründet und soll durch sie nicht begründet werden; die Willenserklärung hat keinen rechtsgeschäftlichen Charakter. Das Gleiche muß aber auch angenommen werden, wenn einer Willensäußerung die Rechtsordnung den etwa bezweckten Rechtserfolg versagt u n d dies den Beteiligten bekannt ist. Man kann es unbedenklich als ein psychologisches und logisches Erfordernis des n i c h t i g e n Rechtsgeschäfts bezeichnen, daß sich die Beteiligten der Nichtigkeit nicht bewußt sind. Sind sie sich der Nichtigkeit bewußt, dann darf und muß ohne weiteres die zum Begriffe des Rechtsgeschäfts, auch des nichtigen, erforderliche Richtung des Willens auf Hervorrufung einer Rechtswirkung als ausge-
185 schlossen gelten. Zutreffend führt das Berufungsgericht selbst bei Würdigung des Beschlusses der Parteien, getrennt zu leben, aus, von einem rechtsgeschäftlichen Charakter der fraglichen Bestimmung könne keine Rede sein, wenn die Behauptung der Beklagten richtig sei, daß bei dem Vergleichsabschlusse auf die rechtliche Unzulässigkeit einer entsprechenden vertragsmäßigen Abmachung hingewiesen worden sei; denn es sei nicht anzunehmen, daß die Parteien b e w u ß t etwas rechtlich Unmögliches gewollt hätten. Diese Erwägung trifft vollkommen auch in bezug auf die Abmachungen über den Unterhalt und die Kindererziehung zu. Daß es sich bei diesen Festsetzungen um Abreden für die Zukunft handelt, bei der ersteren dagegen um Konstatierung einer Tatsache, ist nicht entscheidend. Wie gezeigt, entbehrt auch eine Abrede, eine Zusage, ein Versprechen völlig des rechtsgeschäftlichen Charakters, wenn dabei der Wille, eine rechtliche Wirkimg hervorzurufen, bewußtermaßen ausgeschlossen ist. Nach alledem hat das Berufungsgericht zu Unrecht in den hier fraglichen Bestimmungen r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e Erklärungen gefunden. Daraus folgt, daß § 139 B G B . hier überhaupt nicht Anwendung finden kann. Von der N i c h t i g k e i t eines Teiles eines Rechtsgeschäfts kann nicht gesprochen werden, wenn der vermeintlich nichtige Teil überhaupt keinen rechtsgeschäftlichen Charakter hat. Der § 139 beruht auf der Erwägung, daß den Beteiligten, die einen einheitlichen, umfassenderen Rechtserfolg zu verwirklichen bezwecken, eine nur teilweise Verwirklichung dieses E r folges nicht gegen ihren Willen aufgedrängt werden darf. Wenn dagegen die Beteiligten eine Abrede, die ihrem Willen entsprechend der rechtlichen Bedeutung entbehrt, mit einer solchen von rechtsgeschäftlicher Bedeutung in einheitliche Verbindung bringen, so ist schlechthin unerfindlich, warum in diesem Falle das gewollte Rechtsgeschäft nichtig sein sollte. Der gewollte Erfolg tritt hier im vollen Umfange ein: soweit nicht ein rechtliches, sondern nur ein tatsächliches unverbindliches Verhältnis gewollt ist, dieses tatsächliche Verhältnis, soweit ein Rechtserfolg gewollt ist, dieser rechtliche Erfolg. Von einem teilweise nichtigen Rechtsgeschäfte kann hier keine Rede sein. Demgemäß führen die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichtes zu der Entscheidung, daß die Nichtigkeit der Gütertrennungsabrede aus § 139 B G B . nicht hergeleitet werden kann, und da ein anderer Nichtigkeitsgrund weder behauptet, noch erkennbar ist, so mußte das Berufungsurteil aufgehoben, und die negative Feststellungsklage abgewiesen werden." R G Z . 68, 398 Erfordert die B e s t ä t i g u n g eines a n f e c h t b a r e n R e c h t s g e s c h ä f t e eine dem anderen T e i l e g e g e n ü b e r a b g e g e b e n e W i l l e n s e r k l ä r u n g ? Setzt sie a u f s e h e n des A n f e c h t u n g s b e r e c h t i g t e n K e n n t n i s v o m Anfechtungsrechte oder v o m A n f e c h t u n g s g r u n d e voraus ?
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Allgemeiner Teil
BGB. § 144. V. Zivilsenat. Urt. v. 20. Mai 1908. I. Landgericht Bochum.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Am 1. Oktober 1904 trat der Kläger eine für ihn eingetragene Kaufgeldhypothek von 10000 M. mit Zinsen dem Beklagten für 10000 M. ab. Dieser verpflichtete sich in einer Urkunde vom 25. November 1904, das Entgelt mit 4 1 /, Prozent, bei Zögerung über 4 Wochen mit 4% Prozent zu verzinsen und darauf 5000 M. ohne Kündigung am 15. Januar 1905 zu zahlen. Tatsächlich zahlte der Beklagte weder diese 5000 M., noch Zinsen, und der Kläger erhob Klage mit dem Antrage, den Beklagten zur Zahlung von 5000 M. nebst 4 % Prozent Zinsen seit dem 1. Oktober 1904 zu verurteilen. Der Beklagte focht das Hypothekengeschäft wegen arglistiger Täuschung an und erhob Widerklage mit dem Antrage, festzustellen, daß das Hypothekengeschäft ihm gegenüber nichtig sei. In erster Instanz wurde der Beklagte klagegemäß verurteilt und mit seiner Widerklage abgewiesen. Seine Berufung wurde zurückgewiesen. In Übereinstimmung mit dem Landgerichte nahm das Berufungsgericht an, daß der Beklagte das angefochtene Rechtsgeschäft nach erlangter Kenntnis vom Werte des Pfandgrundstückes durch Weiterveräußerung der Hypothek bestätigt habe. Auf die Revision des Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben, und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, aus folgenden Gründen: „ Daß der Beklagte vom Kläger über den Wert des belasteten Grundstücks und damit über die Sicherheit und den Wert der ihm abgetretenen Hypothek arglistig getäuscht und dadurch zum Abschlüsse des Hypothekenkaufs bestimmt worden ist, hat das Landgericht nicht, wie das Berufungsgericht anzunehmen scheint, festgestellt, sondern nur unterstellt. Rechtsbedenkenfrei festgestellt ist von ihm dagegen, daß die Anfechtung in der einjährigen Frist des § 124 BGB. erfolgt ist. Und verworfen ist die Anfechtung, wie vom Landgerichte, so auch vom Oberlandesgerichte allein auf Grund der Annahme, daß der Beklagte das angefochtene Geschäft im Sinne des § 144 BGB. bestätigt habe. Nur hiergegen richten sich die Angriffe der Revision. Die Bestätigung hat das Berufungsgericht in der Weiterveräußerung, nicht auch in der vorausgegangenen Verpfändung der Hypothek durch den Beklagten gefunden. Und daß die Weiterveräußerung, daß insbesondere die Abtretung des Teilbetrages von 4000 M. an den Metzgermeister J. „aus Not zur Abwendung einer Zwangsvollstreckung" vorgenommen sei, ist weder vom Beklagten in den Vorinstanzen in diesem Zusammenhange geltend gemacht, noch, wie die Revision annimmt, dem Zeugnis des J. zu entnehmen. Übrigens würde eine solche die Willensfreiheit des Beklagten nicht berührende Notlage der Weiterveräußerung die Bedeutung einer
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Bestätigung noch nicht nehmen. Zur Bestätigung bedarf es ferner, wie das Oberlandesgericht mit Recht angenommen hat, keiner empfangsbedürftigen, d. h. dem anderen Teile gegenüber abzugebenden, Willenserklärung. Es sollen damit, wie sich aus den Verhandlungen der 2. Kommission (s. Protokolle bei M u g d a n Bd. 1 S. 731) ergibt, „alle Fälle rechtlicher und tatsächlicher Verfügung des Anfechtungsberechtigten" umfaßt sein, „welche den Willen offenbaren, trotz Kenntnis der Anfechtbarkeit beim Rechtsgeschäfte stehen zu bleiben". Angesichts eines Antrages, die betreffende Bestimmung dahin zu fassen: „Durch Verzicht gegenüber dem Anfechtungsgegner erlischt das Anfechtungsrecht", wurde man darüber einig, daß die Worte „gegenüber dem Anfechtungsgegner" jedenfalls zu streichen seien, da auch ein nicht in der Richtimg auf den Anfechtungsgegner abgegebener stillschweigender Verzicht das Rechtsgeschäft unanfechtbar machen müsse, und man erwog, daß es auch nicht rätlich sei, von „Verzicht" zu sprechen, da eine Erklärung, die nicht bestimmt sei, dem Anfechtungsgegner zuzukommen, schwerlich als Verzicht bezeichnet werden könne. Deshalb beließ man es zunächst bei dem vom 1. Entwürfe gebrauchten Ausdrucke „Genehmigimg", der von der Redaktionskommission durch das die Absicht der 2. Kommssion noch besser erreichende Wort „bestätigen" ersetzt ist. Der Annahme des Oberlandesgerichts entspricht denn auch die in der Wissenschaft herrschende Meinung und der Standpunkt der Rechtsprechung. Nichtsdestoweniger war der Revision Folge zu geben. Aus den mitgeteilten Erörterungen in der 2. Kommission geht hervor, daß man die Wahl des Ausdrucks „Verzicht" an der in Rede stehenden Stelle nur deshalb vermieden hat, um die Annahme auszuschließen, es sei eine dem anderen gegenüber abzugebende Erklärimg erforderlich, daß abgesehen hiervon aber an einen Verzicht, also jedenfalls an ein Verhalten gedacht ist, in dem ein Verzichtswille oder der Wille zum Ausdrucke kommt, etwas aufzugeben, und dies „etwas" kann hier nur das Anfechtungsrecht oder die vom Rechte gewährte Möglichkeit sein, das Geschäft anzufechten. Augenscheinlich in diesem Sinne heißt es bei Planck (Komm. 3. Aufl. Abs. 2 der Bern, zu § 144), die Bestätigung sei sachlich Verzicht auf das Anfechtungsrecht, und im Urteile des jetzt erkennenden Senats Rep. V. 297/06 vom 23. Februar 1907, die Bestätigung nach § 144 habe die Bedeutung eines Verzichts auf das Anfechtungsrecht. Verzichten und verzichten wollen aber kann man nur auf ein Recht, das man kennt, dessen Daseins man sich wenigstens als einer Möglichkeit bewußt ist. Dieses Erfordernis der K e n n t n i s des Anfechtungsrechts oder der „Anfechtbarkeit" kommt denn auch in der mitgeteilten Begriffsbestimmung der 2. Kommission zum Ausdrucke und ist im Urteile des II. Zivilsenats vom 26. März 1907 (Entsch. Bd. 65 S. 403) anerkannt. Es entspricht aber auch dem Sinne, der mit dem Worte „bestätigen" gewöhnlich verbunden wird, und seiner Beziehung auf das ,»anfechtbare Rechtsgeschäft" in § 144. Das Wort „bestätigen" wird in seinem ursprünglichen Sinne von „stät oder fest machen" gerade mit
188 Bezug auf die Gültigkeit von Rechtsgeschäften vielfach gebraucht ( H e y n e , Deutsches Wörterbuch) und bezeichnet da stets etwas Bezwecktes, in Ansehung seiner Wirkung Gewolltes. In dem Urteile Rep. V. 11107 vom 18. November 1907 hat der Senat demgemäß für die in § 141 BGB. behandelte Bestätigung eines nichtigen Rechtsgeschäfts das Erfordernis des Bestätigungswillens betont und sich auf den Standpunkt gestellt, daß zur Bestätigung die Kenntnis des Bestätigenden von der Nichtigkeit des bestätigten Geschäfts gehöre. Auf dem entsprechenden Standpunkte stehen mit Bezug auf den § 144 anscheinend die Urteile des Senats Rep. V. 671 05 vom 20. Juni 1906 und des II. Zivilsenats Rep. II. 45/07 vom 17. Mai 1907, in denen gesagt ist, daß zur Bestätigung der Wille gehöre, die Anfechtung zu unterlassen und den Vertrag gelten zu lassen; denn dieser Wille läßt sich wiederum nur bei dem bejahen, der weiß oder wenigstens mit der Möglichkeit rechnet, er könne den Vertrag anfechten und damit ungültig machen. In anderen Entscheidungen des Reichsgerichts (so in der des Senats vom 3. November 1906 in S e u f f e r t s Archiv Bd. 62 Nr. 51) ist nur von dem Erfordernis der Kenntnis vom Anfechtungsgrunde die Rede, und hiermit stimmen die meisten Schriftsteller überein (s. u. a. P l a n c k a. a. O.; v. S t a u d i n g e r , Komm. 3. und 4. Aufl. Bern. 2 zum § 144; D e r n b u r g , Bürgerl. Recht 3. Aufl. Bd. 1 § 118 Anm. 11). Ist dabei unter der Kenntnis vom Anfechtungsgrunde nicht nur die Kenntnis von der die Anfechtung begründenden Tatsache an sich, sondern auch die Kenntnis von ihrer Eigenschaft als Anfechtungsgrund verstanden, so würde sich das mit der hier vertretenen Auffassung decken. Übrigens darf wenigstens bei dem in Rede stehenden Anfechtungsgrunde der arglistigen Täuschung im allgemeinen davon ausgegangen werden, daß mit der Kenntnis der die Anfechtung begründenden Tatsache die Kenntnis der Anfechtbarkeit des durch sie beeinflußten Rechtsgeschäftes ohne weiteres gegeben ist, so daß der für die Bestätigung beweispflichtige Anfechtungsgegner seiner Beweispflicht regelmäßig mit dem Nachweise genügt, daß der Anfechtende zu der Zeit, als er das Verhalten, in dem die Bestätigung gefunden wird, entfaltete, von der die Anfechtung begründenden Tatsache Kenntnis hatte. Im vorliegenden Falle aber ist von den Vorinstanzen und insbesondere vom Berufungsgericht in dieser Beziehung nichts weiter festgestellt, als daß der Beklagte, während er die ihm vom Kläger abgetretene Hypothek weiter veräußerte, Kenntnis davon gehabt hat, daß das Pfandgrundstück nur einen Wert von 4500 bis 6000 M. oder doch einen weit geringeren als den vom Kläger angegebenen Wert hatte. Hiermit ist der Nachweis der Kenntnis von der die Anfechtung begründenden Tatsache, nämlich von der dem Kläger mit Bezug auf den Hypothekenkauf zur Last gelegten arglistigen Täuschung, bei weitem nicht erfüllt. Es fehlt namentlich an jeder Feststellung dahin, daß der Beklagte bei der Weiterveräußerung der Hypothek auch gewußt oder erkannt hat, daß sich der Kläger, als er ihm beim Abschlüsse des Hypothekenkaufs die unrichtigen Angaben über den Wert
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der Hypothek und des Pfandgrundstückes machte, dieser Unrichtigkeit bewußt war und durch die wissentlich unrichtigen Angaben ihn, den Beklagten, in seinen Entschließungen beeinflussen wollte. Danach hat das Berufungsgericht in der Weiterveräußerung der Hypothek durch den Beklagten ohne ausreichenden Grund und unter Verletzung des § 144 BGB. eine Bestätigung gefunden, und das auf dieser Gesetzesverletzung beruhende Urteil war aufzuheben. In der Sache selbst konnte nicht entschieden werden. Weder die betreffs der Bestätigung vermißten Feststellungen, noch die, wie bemerkt, fehlenden Feststellungen hinsichtlich der arglistigen Täuschung können in dieser Instanz nachgeholt werden." . . . RGZ. 69, 13 ι . Arglistige T ä u s c h u n g d u r c h Verschweigen. 2. A n f e c h t u n g u n d Nichtigkeit des dinglichen Erfüllungsgeschäfts. 3. W i r k u n g derselben g e g e n ü b e r d e m kaufmännischen Zurückbehaltungsrecht. BGB. §§ 123, 142. HGB. § 369. VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 29. Mai 1908. I. Landgericht Hamburg.
II. Oberlandcsgcricht daselbst.
Klägerin verkaufte am 15. März 1906 der Firma H. L. in D. 250 Sack Kaffee gegen Akzept, und verlud den Kaffee auf deren Weisung vom 21. am 29. desselben Monats unter Übersendung der Konossemente an die Beklagte. Am 2. April kam der Kaffee in Hamburg an, am 3. desselben Monats lagerte die Beklagte ihn für die Käuferin ein und übersandte ihr Lagerscheine. Mit Brief vom 12. April verlangte die Klägerin von L., dem Inhaber der Firma H. L., Herausgabe der Lagerscheine, da er versucht habe, sich widerrechtlich in den Besitz der Ware zu setzen. Am Schluß des Schreibens erklärte die Klägerin, daß sie „die gegebene Kreditzusage anfechte, nachdem sich die völlige Kreditunwürdigkeit der Käuferin herausgestellt habe". Bereits am 10. April hatte die Käuferin ihre Zahlungen eingestellt, und am 24. desselben Monats wurde das Konkursverfahren über ihr Vermögen eröffnet. Nunmehr begehrte die Klägerin von der Beklagten Einwilligung in die Auszahlung des beim Amtsgericht in Hamburg hinterlegten Erlöses der im Einverständnis der Beteiligten versteigerten 250 Sack Kaffee. Sie stützte diesen Anspruch an erster Stelle darauf, daß der Kaufvertrag ungültig, und das Eigentum an dem Kaffee auf die Käuferin nicht übergegangen sei, weil sie das ganze Kaufgeschäft nebst seiner Erfüllung wegen
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arglistiger Täuschung angefochten habe. Martin L., der Inhaber der kaufenden Firma, habe seine schon lange bestehende Insolvenz arglistig verschwiegen, und ebenso, daß er, gleichwie in anderen Fällen, den Kaffee nur angeschafft habe in der Absicht, durch dessen Versilberung in Hamburg oder Antwerpen sich Geldmittel zu beschaffen zur Deckung fälliger Wechsel, während er bei Abschluß des Geschäfts erklärt habe, den Kaffee für seine Rösterei in Danzig verwenden zu wollen. Die Beklagte und der ihr als Nebenintervenient beigetretene Konkursverwalter beantragten Klagabweisung. Eine betrügerische Täuschung hege nicht vor. Jedenfalls werde der Eigentumsübergang durch die Anfechtung nicht berührt. Evenruell macht die Beklagte nach den Bestimmungen des Handelsgesetzbuchs ein Zurückbehaltungsrecht wegen einer Forderung von 4596,05 M. geltend. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf Berufung der Klägerin änderte das Oberlandesgericht das angefochtene Urteil durch Teilurteil dahin ab, daß die Beklagte verurteilt wurde, in Auskehrung von 9240,55 M. an die Klägerin zu willigen. Die Revisionen der Beklagten und des Nebenintervenienten wurden zurückgewiesen, aus folgenden Gründen: . . . „Die tatsächlichen Feststellungen reich :n aus, um die Annahme des Berufungsrichters, daß L. sich einer arglistigen Täuschimg schuldig gemacht habe, zu rechtfertigen. Wenn auch im allgemeinen eine Pflicht des Käufers, den auf Kredit verkaufenden Vertragsgenossen über den Grad seiner Kreditwürdigkeit aufzuklären, nicht besteht, es vielmehr nach der allgemeinen Verkehrssitte dem Verkäufer überlassen bleibt, sich anderweit Aufklärung zu verschaffen, so liegen doch besondere Umstände vor, aus denen der Berufungsrichter ein betrügerisches Verhalten des L. entnehmen konnte. Der seit längerer Zeit in einem für seine Verhältnisse hohen Grade überschuldete L. war gänzlich zahlungsunfähig. Er wußte, daß er Mittel zur Bezahlung des Kaffees nur durch neue Schiebungen würde erlangen können, und daß er mit Rücksicht auf die große Überschuldung keine irgendwie begründete Aussicht hatte, daß die Schiebungen noch andauern könnten. Er hatte auch beim Abschlüsse des Kaufes gar nicht die Absicht, den Kaffee im regelmäßigen, ordentlichen Betrieb seines Geschäfts weiter zu vertreiben, sondern er kaufte ihn nur, um ihn nlöglichst rasch zu Geld zu machen und so die Mittel zur Bezahlung fälliger Wechsel zu gewinnen. L. hat nicht nur seine große Überschuldung und seine völlige Zahlungsunfähigkeit verschwiegen, sondern auch seine wahre, auf unlautere Schiebungen abzielende Absicht verheimlicht. In dieser Weise den kreditierenden Vertragsgenossen über die wirkliche Sachlage und die wahren Absichten durch Verschweigen zu täuschen, widerspricht offensichtlich den Grundsätzen von Treu und Glauben im Verkehr. Ohne Verstoß gegen den § 123 BGB. konnte deshalb der Berufungsrichter im Verhalten des L. ein die Pflicht zur Wahrheit verletzendes Verschweigen, eine arglistige Täuschimg, erblicken.
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Die Revision der Beklagten vermißt eine Feststellung des Berufungsrichters, daß die Klägerin ihrerseits das Geschäft im Vertrauen auf die Kreditwürdigkeit der Käuferin abgeschlossen habe, und daß sie es abgelehnt haben würde, wenn sie gewußt hätte, daß L. nur durch neue Kreditgeschäfte die Mittel zu ihrer Befriedigung würde erlangen können. Allein die Ausführungen des Berufungsrichters lassen darüber keinen Zweifel, daß er als erwiesen ansieht, die Klägerin würde das Geschäft niemals geschlossen haben, wenn sie die Überschuldung und die Zahlungsunfähigkeit der Käuferin und den weiteren Umstand gekannt hätte, daß der Kaffee gar nicht zum ordnungsmäßigen Vertriebe, sondern nur zur raschen Versilberung zwecks Anschaffung von Barmitteln für fällige Wechselschulden angeschafft wurde. Hiernach erweisen sich zunächst die gegen die Nichtigkeit des obligatorischen Kaufgeschäfts gerichteten Angriffe beider Revisionen als unbegründet. Aber auch den weiteren ,gegen die Annahme der Nichtigkeit des dinglichen Erfüllungsgeschäfts, der Eigentumsübertragung, gerichteten Revisionsrügen ist der Erfolg zu versagen. Die hierauf bezüglichen Ausführungen des angefochtenen Urteils lassen allerdings die wünschenswerte Klarheit vermissen ; allein sie lassen immerhin, insbesondere . . . durch die Bezugnahme auf den Aufsatz von K a u f m a n n (Jurist. Wochenschr. 1904 S. 350), erkennen, daß der Berufungsrichter keineswegs grundsätzlich aus der Nichtigkeit des obligatorischen Rechtsgeschäfts ohne weiteres die Nichtigkeit des dinglichen Erfüllungsgeschäfts herleitet, sondern daß er in dem vorliegenden Falle der arglistigen Täuschimg beim Mangel für das Gegenteil sprechender Momente als erwiesen angenommen hat, daß, wie L. nicht nur den Abschluß des obligatorischen Geschäfts, sondern vor allem die Erlangung der Ware im Auge hatte, die Klägerin nicht nur zum Abschluß des Kaufvertrags, sondern auch zu der Lieferung der Ware durch die arglistige Täuschimg bestimmt worden ist. Es liegt aber auch eine Anfechtung des dinglichen Erfüllungsgeschäfts vor; denn das Schreiben der Klägerin vom 12. April 1906 läßt trotz des Wortlautes des Schlußsatzes unzweideutig erkennen, daß die Klägerin vor allem die dingliche Wirkung, einen etwa vollzogenen Eigentumsübergang, nicht bestehen lassen wollte. Einer besonderen förmlichen Anfechtungserklärung bedarf es nach ständiger Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht. . . . Die Revision der Beklagten rügt schließlich, daß der Berufungsrichter das von ihr auf Grund des § 369 HGB. in Anspruch genommene Zurückbehaltungsrecht zu unrecht verneint habe. Sie erkennt zwar die obligatorische Natur dieses Rechtes an, und weiter auch, daß infolge dieser obligatorischen Natur von einem Erwerb des Rechts an nicht im Eigentum des Schuldners stehenden Waren auch von seiten eines gutgläubigen Spediteurs keine Rede sein kann; sie führt aber aus, daß L. bis zur erfolgten Anfechtung Eigentümer des Kaffees gewesen, und deshalb für sie ein Zurückbehaltungsrecht vor der Anfechtung rechtswirksam entstanden sei, das durch die An-
192 fechtung der zwischen der Klägerin und L . getätigten Rechtsgeschäfte nicht wieder beseitigt werden könne. Diese Auffassung beruht auf einer unrichtigen Auffassung des § 142 B G B . Nach dieser gesetzlichen Bestimmung soll das angefochtene Rechtsgeschäft „als von Anfang an nichtig angesehen werden". Nach dem klaren Willen des Gesetzes soll die Rechtslage so beurteilt werden, als sei das Rechtsgeschäft gar nicht vorgenommen. Diese Bestimmung ist auch auf das dingliche Rechtsgeschäft, insbesondere auf die zur Eigentumsübertragung erforderliche Einigung anzuwenden. Wird diese mit Erfolg angefochten, so gilt die Einigung als von Anfang an nichtig; die Rechtslage ist so zu beurteilen, als habe eine Einigung niemals stattgefunden, als sei Eigentum niemals übergegangen gewesen. Soweit in der Zeit zwischen Vornahme des Rechtsgeschäfts und der Anfechtung ein Dritter auf Grund der für den Erwerb in gutem Glauben geltenden Grundsätze dingliche Rechte erworben hat, können diese selbstverständlich infolge der Anfechtung nicht wieder in Wegfall kommen. Das gilt aber nicht von obligatorischen Rechten, bei denen das Gesetz einen Erwerb auf Grund der Gutgläubigkeit regelmäßig nicht kennt. Das von der Beklagten hier in Anspruch genommene Zurückbehaltungsrecht ist aber ein solches persönliches Recht, das gegenüber dem Verkäufereigentum im Fall der Nichtigkeit der Veräußerung nicht durchgreift (vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 38 S. 86 und Bd. 13 S. 130)." . . . R G Z . 69, 130 M u ß , wenn ein Erbverzichtsvertrag beurkundet wird, ohne d a ß beide T e i l e gleichzeitig a n w e s e n d s i n d , die notarielle Urk u n d e über d a s A n g e b o t bereits fertig gestellt sein, ehe die Ann a h m e erfolgt ? B G B . §§ 2348, 128. IV. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Düsseldorf.
Urt. v. 2. Juli 1908 II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Kläger hatte nach einer am 26. März 1900 aufgenommenen notariellen Urkunde durch Vertrag mit seiner Mutter auf sein gesetzliches Erbrecht verzichtet. Nach dem im Jahre 1906 erfolgten Tode der Erblasserin begehrte er Feststellung seines Erbrechts, indem er geltend machte, der Vertrag sei nichtig. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht dagegen stellte fest, daß der Kläger an dem Nachlasse seiner Mutter als gesetzlicher Erbe beteiligt sei. Das Reichsgericht hob das Berufungsurteil auf, aus folgenden Gründen: „ D a s Berufungsgericht hat festgestellt, daß bei der Beurkundung des Erbverzichts die Beteiligten nicht gleichzeitig vor dem Notar anwesend waren, daß vielmehr zuerst die Erblasserin vor demselben erschien und ihre
193 Erklärung abgab, nach dem Weggang der Erblasserin aber der Kläger vor dem Notar sich einfand. Die Erklärungen der Beteiligten sind jedoch in einem einzigen Protokoll beurkundet, an dessen Schluß sich, nach der Angabe, daß das Protokoll in Gegenwart des Notars den Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und eigenhändig unterschrieben worden sei, die Unterschriften der Erblasserin, des Klägers und des Notars befinden. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Erbverzicht sei mangels Beobachtung der gesetzlich vorgeschriebenen Form nichtig; das Gesetz kenne für die Beurkundimg durch Notar zwei Formen, nämlich die Beurkundung des von den Beteiligten bei gleichzeitiger Anwesenheit erklärten Einverständnisses, und die Form des § 128 BGB.; weder jene noch diese Form sei gewahrt. „Die Erblasserin hat zwar", führt das Oberlandesgericht aus, „ihre Erklärung zeitlich früher abgegeben als der Kläger; auch lag dem Kläger, als er seine Erklärung vor dem Notar abgab, bereits die unterzeichnete Erklärung der Erblasserin vor. Dagegen war, als Kläger seine Erklärung abgab, die schriftliche Erklärung der Erblasserin vom Notar noch nicht unterzeichnet; sie war also noch nicht notariell beurkundet (§ 177 Abs. 3 FrGGes.). Das Gesetz stellt aber als Mindesterfordernis für eine ordnungsmäßige notarielle Vertragsurkunde auf, nicht nur daß Angebot und Annahme notariell beurkundet sind, sondern auch daß die notarielle U r k u n d e des Angebots bereits fertiggestellt ist, wenn die Annahme erfolgt." Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht mit diesen Erwägungen das Gesetz verletzt hat. Nach § 2346 BGB. kann auf das gesetzliche Erbrecht durch Vertrag verzichtet werden. Der Erbverzichtsvertrag bedarf nach § 2348 der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung. Die Beurkundung eines Vertrags erfordert — wenn von der Vorschrift des § 128 vorerst abgesehen wird — die Beurkundung der einzelnen Vorgänge, durch die der Vertrag zustande kommt. Regelmäßig sind demnach zu beurkunden: der Antrag, das Zugehen des Antrags, die Annahme und das Zugehen der Annahme (vgl. Kommissions-Protokolle 5 S. 440). Nach der Urkunde vom 26. März 1900 ist diesen sämtlichen Erfordernissen durch Erklärungen, welche die Beteiligten vor dem Notar abgaben, genügt worden. Wie das Berufungsgericht jedoch festgestellt hat, ist die Beurkundung insoweit unrichtig, als sie das Zugehen der Annahmeerklärung des Klägers an die Erblasserin betrifft. Richtig dagegen ist nach den Darlegungen des Berufungsgerichts die Beurkundung: 1. hinsichtlich der Erklärung der Erblasserin, die, wenn nicht auf den buchstäblichen Sinn des Ausdrucks das Gewicht gelegt, sondern der wirkliche Wille erforscht wird (§ 133), als Vertragsantrag des Inhalts aufgefaßt werden kann, daß die Erblasserin, wenn der Kläger auf sein Erbrecht verzichte, zur Zahlung einer Summe von 18000 M. sich verpflichte; 2. hinsichtlich des Zugehens dieser Erklärung an den Kläger, welche Beurkundung allerdings nicht in der (unrichtigen) Feststellung, die ErZivils. A l l g e r o . Teil 2
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schienenen hätten „gegenseitig" die Erklärungen angenommen, wohl aber in der — nach der Annahme des Berufungsgerichts noch nicht widerlegten — Beurkundung 2x1 finden ist, die Erklärung der Erblasserin sei dem Kläger vorgelesen worden; 3. hinsichtlich der Annahmeerklärung des Klägers. Der Erbverzicht ist sonach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs entsprechend notariell beurkundet, wenn die notarielle Beurkundung dieser drei Punkte zur Beurkundung des Vertrags hinreicht. Nach § 128 BGB. aber genügt es, wenn zunächst der Antrag u n d sodann die A n n a h m e des Antrags beurkundet wird. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die notarielle Urkunde über den Antrag müsse durch die Unterschrift des Notars vollzogen sein, ehe die Annahme erfolge. Dieser Auffassung läßt sich nicht beitreten. Wenn die Beteiligten gleichzeitig vor der Urkundsperson anwesend sind, wird die Beurkundung über den Antrag ebenfalls nicht vor der Beurkundung der Annahmeerklärung vollzogen, sondern die Beurkundung des Antrags erfolgt gleichzeitig mit der Beurkundung der Annahme durch ein einmaliges U n t e r schreiben der Urkundsperson. Es ist kein G r u n d ersichtlich, warum die Anforderungen, die im § 128 f ü r die gerichtliche oder notarielle Beurkundung festgesetzt sind, im Vergleiche zu den Anforderungen, die f ü r einen die gleichzeitige Anwesenheit der Beteiligten erfordernden Vertragsschluß (vgl. §§ 1434, 1750, 2276 BGB.) bestehen, verschärft sein sollten. Wohl ist es richtig, daß die Vorschrift des § 128 nach dem von der Kommission f ü r die zweite Lesung angenommenen Entwurf lauten sollte : „Ist gerichtliche oder notarielle Beurkundung eines Vertrags vorgeschrieben, so genügt es, wenn der Antrag gerichtlich oder notariell beurkundet, und sodann die Annahmeerklärimg des b e u r k u n d e t e n Antrags von einem Gericht oder einem Notar beurkundet w i r d " (Kommissions-Protokolle 5 S. 436, vgl. die Denkschrift S. 615). Auch ist es zutreffend, daß gegenüber Bedenken, die in der Kommission in der Richtung erhoben worden waren, ob nicht das unzweckmäßige und an sich widerspruchsvolle Resultat möglich sei, daß die Annahmerklärung v o r der Beurkundung der Antragserklärung beurkundet werde, darauf hingewiesen wurde, daß es sich immer u m die Annahme eines wirksamen, nämlich eines nach Maßgabe des Gesetzes b e u r k u n d e t e n , Antrags handle, daß also der Antrag in entsprechender F o r m zur Zeit der Annahme bereits beurkundet sein müsse, wenn er auch bei der Annahmeerklärung nicht vorliegen sollte (Kommissions-Protokolle 5 S. 442). Die Erwägungen der Kommission sind f ü r die Entscheidung der vorliegenden Frage um deswillen von keiner ausschlaggebenden Bedeutung, weil an den Fall, daß in einem u n d demselben Protokoll ohne gleichzeitige Anwesenheit der Beteiligten Antrag und Annahme beurkundet würden, nicht gedacht worden ist. Auch bei der Beurkundung des Antrags und der Annahme in einem und demselben Protokoll tritt der Fall nicht ein, daß die Annahmeerklärung v o r der Beurkundung der Antragserklärung beurkundet wird.
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Es mag ungewöhnlich sein, daß ein Notar Vertragserklärungen, die nicht bei gleichzeitiger Anwesenheit beider Teile vor ihm abgegeben werden, in einem einzigen Protokoll beurkundet. Unzulässig ist ein solches Verfahren nicht ; keine der Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (§§ 168 flg.) steht entgegen. In dieser Hinsicht hat auch das Berufungsgericht — abgesehen von der noch zu entscheidenden Frage, ob das Protokoll dem Kläger vorgelesen worden ist — kein Bedenken erhoben. Zu beanstanden ist das Verhalten des Notars nur in der Richtung, daß er das Protokoll so faßte, daß es den Anschein hat, als ob die Vertragserklärungen bei gleichzeitiger Anwesenheit der Beteiligten vor ihm abgegeben worden seien. Soweit aber die Beurkundung unrichtig ist, handelt es sich — bei der Beurkundung eines Vertrages nach § 2348 BGB. — um keinen wesentlichen Punkt. Die Vorgänge, die richtig beurkundet sind, genügen, die Erfordernisse zu erfüllen, die das Gesetz für die gerichtliche oder notarielle Vertragsbeurkundung verlangt." . . . RGZ. 69, 143 ι . Können fraudulöse Rechtsgeschäfte, denen k e i n anderer Mangel anhaftet als der, d a ß sie in der d e m anderen Teile bekannten Absicht geschlossen sind, die Gläubiger des e i n e n Teiles zu benachteiligen (§ 3 N r . 1 des Anfechtungsgesetzes, § 31 N r . 1 KO.), aus diesem Grunde a u c h auf G r u n d der §§ 134 u n d 138 BGB. als nichtig angefochten werden ? 2. . . .*) BGB. §§ 134, 138. V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 28. Aril 1908. I. Landgericht Königsberg i. Pr.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Am 30. März 1906 verkauften der Bauunternehmer L. und seine mit ihm in Gütergemeinschaft lebende Ehefrau in K. an ihren Sohn und an ihre Tochter je ein Grundstück. Die Auflassung der Grundstücke an die Käufer folgte alsbald nach. Am 19. Mai 1906 schlossen die genannten Eheleute mit den beiden Käufern zwei schriftliche Verträge ab, in denen es heißt: da die Verkäufe von einer Anzahl der Gläubiger der Eheleute L. angefochten würden, welche die Rückauflassung verlangten, und für die genannten Eheleute keine Aussicht vorhanden sei, diesen Anfechtungsprozeß zu gewinnen, so seien sie gezwungen, die (mit ihren Kindern geschlossenen) Verkaufsverträge aufzuheben; sie höben deshalb diese Verträge in allen ihren Bestimmungen wieder auf; die Rückauflassung an die Eheleute L. habe unverzüglich zu geschehen. Zu diesen beiden Verträgen verwendete der beurkundende Notar den Kaufstempel. L. begehrte, nach dem er diese Stempelbeträge entrichtet hatte, bei dem Provinzialsteuerdirektor deren Rückzahlung, da die Verträge nach seiner Meinung als reine Aufhebungsverträge nicht mit dem Kaufstempel zu belegen gewesen seien. *) Überholt. I;i·
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Bevor über diesen Antrag von der Stempelsteuerbehörde entschieden worden war, nämlich am 30. Juni 1906, wurde über das Vermögen des L. das Konkursverfahren eröffnet, und der jetzige Kläger zum Verwalter bestellt. Am 14. August 1906 wurde dem Gemeinschuldner von dem Provinzialsteuerdirektor mitgeteilt, daß der Wertstempel für die beiden Verträge vom 19. Mai 1906 durch den Finanzminister auf 1/20 v. H. ermäßigt sei. Das Hauptsteueramt wurde demgemäß angewiesen, an den Gemeinschuldner den übrigen Betrag zurückzuzahlen. Nunmehr verlangte der Konkursverwalter die Zahlung dieses Betrages zur Konkursmasse. Der Provinzialsteuerdirektor machte die Zahlung an die Konkursmasse von der Beibringung der Genehmigung des Gemeinschuldners abhängig und hinterlegte, da der Gemeinschuldner diese Genehmigung zu erteilen verweigerte, am 15.November 1906 den Betrag. Am 16. November 1906 wurde dem Provinzialsteuerdirektor als Vertreter des Fiskus die Klage des Konkursverwalters zugestellt, mit welcher dieser beantragte, daß der Beklagte zur Zahlung des vorbezeichneten Betrages verurteilt werde. Begründet wurde dieser Antrag mit der Ausführung, daß die beiden Aufhebungsverträge keinem Wertstempel, sondern nur dem Vertragsstempel von 1,50 M. unterlägen, und daß der Anspruch auf Rückzahlung des Stempels der Konkursmasse und nicht dem Gemeinschuldner zustehe. Der Fiskus beantragte Abweisung der Klage. Der erste Richter verurteilte unter Abweisung der Mehrforderung den Beklagten zur Zahlung eines Teilbetrages von 2574 M. Der Berufungsrichter erkannte auf gänzliche Abweisung der Klage. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen, aus folgenden Gründen: „Der Berufungsrichter nimmt an, daß die Aufhebungsverträge vom 19. Mai 1906 nach Tarifstelle 32a des Stempelsteuergesetzes zu versteuern gewesen seien, daß es aber rechtlich zweifelhaft sei, ob der Anspruch auf Rückzahlung des Betrages von l9 / 20 des verwendeten Stempels, um welchen Betrag der Finanzminister den Stempel ermäßigt hatte, zur Konkursmasse gehöre, oder dem Gemeinschuldner und dessen Ehefrau persönlich zustehe, und daß deshalb der Provinzialsteuerdirektor nach § 372 BGB. berechtigt gewesen sei, jenen Betrag zu hinterlegen. Da die gegen den Beklagten gerichtete Klage einen Tag nach der Hinterlegung erhoben ist, so weist der Berufungsrichter diese mit dem Hinzufügen ab, daß der Kläger den Streit über das Recht an dem oben erwähnten Betrage durch Klage gegen die Eheleute L. hätte zum Austrag bringen sollen. Nach allen diesen Richtungen greift die Revision das Berufungsurteil an ; sie ist indessen in keinemPunkte begründet. In erster Reihe macht die Revision geltend, sowohl die Kaufverträge vom 30. März 1906, wie die auf Grund dieser erfolgten Auflassungen an die Kinder der Eheleute L. verstießen wegen ihres fraudulösen Charakters gegen die guten Sitten (§ 138 BGB.) und gegen die in den Strafvorschriften der Konkursordnung, insbesondere in den §§ 239 Nr. 1, 241 und 242 Nr. 1, enthaltenen Verbotsgesetze (§ 134 BGB.); die Auflassungen
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seien daher nichtig; das Eigentum sei also bei den L.schen Eheleuten geblieben, und es könnten demnach die Auf hebungsverträge vom 19. Mai keine stempelpflichtigen Veräußerungsgeschäfte darstellen. Diese Ausführungen gehen fehl, da ihre Grundlage rechtsirrig ist. Durch das Einführungsgesetz vom 17. Mai 1898 zum Gesetz vom selbigen Tage betr. Änderungen der Konkursordnung sind die Konkursordnung und das Anfechtungsgesetz in ihrer jetzigen Gestaltung gleichzeitig mit dem Bürgerlichen Gesetzbuch in Kraft gesetzt worden. Aus diesen beiden Gesetzen in Verbindung mit Art. 32 Einf.-Ges. zum BGB. ergibt sich, daß die Konkursordnung und das Anfechtungsgesetz nicht nur gleichberechtigt neben dem Bürgerlichen Gesetzbuch stehen, sondern daß, sofern sie Sonderbestimmungen enthalten, die von den allgemeinen Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuchs abweichen, allein diese Sonderbestimmungen und nicht die Grundsätze des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die hiervon betroffenen Rechtsverhältnisse maßgebend sind. Dieser Fall liegt hier vor. Es mag sein — einer bestimmten Entscheidung bedarf die Frage nicht —, daß die fraudulösen Rechtsgeschäfte im Sinne des § 31 Nr. 1 KO. und des § 3 Nr. 1 Anf.-Ges. eben wegen ihres fraudulösen Charakters gegen die guten Sitten und vielleicht auch gegen gewisse in den Strafbestimmungen der Konkursordnung enthaltene gesetzliche Verbote verstoßen, so daß, wenn das Bürgerliche Gesetzbuch anzuwenden wäre, allerdings jene Rechtsgeschäfte gemäß den §§ 134, 138 BGB. nichtig sein möchten. Allein hier greifen die Bestimmungen der Konkursordnung und des Anfechtungsgesetzes ein. Beide Gesetze erklären jene fraudulösen Rechtsgeschäfte für anfechtbar (§ 29 bzw. § 1), und zwar ist dies dahin zu verstehen, daß sie dieselben n u r für anfechtbar erklären. Durch diese Sonderbestimmungen ist ausgeschlossen, daß jene fraudulösen Rechtsgeschäfte, sofern ihnen kein anderer Mangel anhaftet als eben der, daß sie in der dem anderen Teil bekannten Absicht geschlossen sind, die Gläubiger des Veräußerers zu benachteiligen, aus diesem Grunde zugleich auch noch nach den §§ 134 und 138 BGB. nichtig sein könnten. Denn es würden alsdann — wenn man ganz von der Beantwortung der allgemeinen Frage absieht, ob anfechtbare Rechtsgeschäfte überhaupt zugleich noch nichtig und umgekehrt nichtige Geschäfte auch noch anfechtbar sein können — die Bestimmungen des § 31 Nr. 1 der Konkursordnung und des § 3 Nr. 1 des Anfechtungsgesetzes bezüglich der fraudulösen Geschäfte völlig überflüssig sein, da die Nichtigkeit den benachteiligten Gläubigern nicht nur dieselbe, ja sogar noch wirksamere Hilfe gewähren, sondern auch weniger Voraussetzungen, nämlich nicht den Nachweis der tatsächlich eingetretenen Benachteiligung, erfordern würde. Es würde, wenn die fraudulösen Geschäfte, neben ihrer Anfechtbarkeit nach der Konkursordnung und dem Anfechtungsgesetz, noch nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch für nichtig zu erachten wären, das unannehmbare Ergebnis eintreten, daß die Gläubiger, um das engere und beschränktere Recht, nämlich das Anfechtungsrecht, auszuüben, mehr nachweisen müßten, als wenn sie das weiter-
198 greifende und wirksamere Mittel der Geltendmachung der Nichtigkeit zur Anwendung brächten. Da dem Gesetzgeber, der das Bürgerliche Gesetzbuch und die Konkursordnung sowie das Anfechtungsgesetz in ihrer jetzigen Gestalt zu gleicher Zeit hat in Kraft treten lassen, nicht zugetraut werden kann, daß er völlig überflüssige Bestimmungen hat treffen wollen, so sind die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs einerseits und der Konkursordnung und des Anfechtungsgesetzes andererseits in der Weise miteinander zu vereinigen, daß, wenn die fraudulösen Geschäfte des § 31 Nr. 1 KO. und des § 3 Nr. 1 Anf.-Ges. gegen die guten Sitten und gesetzlichen Verbote verstoßen sollten, mit diesem Mangel nach dem Willen des Gesetzgebers, in A u s n a h m e von den Bestimmungen der §§ 134 und 138 BGB., nicht die Nichtigkeit, sondern nur die Anfechtbarkeit jener Rechtsgeschäfte verknüpft sein soll. In diesem Sinne ist anscheinend auch die Entscheidung des VI. Zivilsenats des Reichsgerichts vom 23. Juni 1904 ( G r u c h o t , Beitr. Bd. 49 S. 351) zu verstehen, in der gleichfalls eine Nichtigkeit der fraudulösen Rechtsgeschäfte nach Maßgabe des Bürgerlichen Gesetzbuchs abgelehnt wird, sofern der Mangel der an sich normalen Veräußerungsgeschäfte nur in der Absicht der Gläubigerbenachteiligung und der Kenntnis hiervon besteht. Ferner haben der II. Zivilsenat des Reichsgerichts in einem Urteil vom 15. Dezember 1903 (Entsch. in Zivils. Bd. 56 S. 230) und der V. Zivilsenat in einem Urteil vom 22. September 1906 (Rep. V. 661/05) den §§ 134 und 138 BGB. die Anwendung auf die nach dem Anfechtungsgesetz und der Konkursordnung anfechtbaren Rechtsgeschäfte versagt. Ob der Begründung dieser Entscheidungen beizustimmen wäre, kann hier dahingestellt bleiben. Gegenüber der Annahme des V. Zivilsenats, daß der Gesetzgeber eine Zuwiderhandlung gegen das Anfechtungsgesetz nicht als einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 BGB. angesehen wissen wolle, sei nur bemerkt, daß es in erheblichem Grade zweifelhaft erscheint, ob für eine solche Ansicht des Gesetzgebers, soweit es sich um die fraudulösen Rechtsgeschäfte des § 3 Nr. 1 Anf.-Ges. und des § 31 Nr. 1 KO. handelt, aus den Gesetzen und deren Begründung ein sicherer Anhalt entnommen werden kann. Sind hiernach — was das Berufungsgericht hatte dahingestellt sein lassen — die Kausalgeschäfte vom 30. März 1906 nicht nichtig, so sind selbstverständlich auch die auf Grund jener Verträge erfolgten Auflassungen nicht nichtig. Das Eigentum an den vorerwähnten Grundstücken war daher auf die Kinder der Verkäufer übergegangen, und es genügte deshalb, wie der Berufungsrichter mit Recht ausführt, zur Rückgängigmachung dessen, was geschehen war, nicht mehr die einfache Erklärung der früheren Vertragsparteien, daß die Verträge vom 30. März 1906 aufgehoben würden; sondern es bedurfte noch der besonderen Vereinbarung, daß auch die vollzogenen, in der Auflassung bestehenden Erfüllungshandlungen rückgängig gemacht werden, d. h. die Rückauflassungen vorgenommen werden sollten. Es lagen daher in der Tat in den Aufhebungsverträgen wirkliche (Rück-)
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Veräußerungsgeschäfte vor. Diese sind auch als lästige zu erachten. Allerdings hat der erkennende Senat in einem früheren Urteil (Entsch. in Zivils. Bd. 47 S. 305) ausgesprochen, daß, wenn eine g e s e t z l i c h e Verpflichtung zur Rückgängigmachung eines Kaufgeschäftes bestehe, in dem der Erfüllung dieser gesetzlichen Verpflichtung dienenden Vertrage ein lästiges Veräußerungsgeschäft nicht zu erblicken sei. Allein dieser Fall ist, wie der Berufungsrichter zutreffend darlegt, hier nicht gegeben. Die L.sehen Eheleute und deren Kinder hatten gegeneinander keinen gesetzlichen Anspruch auf Rückgängigmachung der Verträge vom 30. März 1906. Die Ausführung der Revision, die Eheleute L. hätten wegen der Nichtigkeit der Kausalgeschäfte eine Kondiktion auf Rückauflassung gehabt, und die Annahme des Berufungsrichters, daß ihnen diese — wenn wirklich das Kausalgeschäft nach § 138 BGB. nichtig gewesen sein sollte —wegen der Bestimmung des § 817 Satz 2 BGB. versagt sei, sei rechtsirrig, scheitert schon allein daran, daß das Kausalgeschäft, wie oben erörtert ist, nicht nichtig war. Im übrigen sei hierzu erwähnt, daß der dem Berufungsrichter gemachte Vorwurf der rechtsirrigen Auslegung und Anwendung des § 817 Satz 2 mit Unrecht erhoben ist. Es kann sich schließlich nur noch fragen, ob denn das für die Begriffe des „lästigen" Veräußerungsgeschäftes notwendige Merkmal der Gegenleistung bei den Aufhebungsvertragen vorhanden ist. Der Berufungsrichter bejaht diese Frage, indem er in dem in den Aufhebungsverträgen ohne weiteres enthaltenen Verzicht der L.schen Eheleute auf den aus der Übernahme der Hypothekenschulden ihnen gegen ihre Kinder erwachsenen Schuldbefreiungsanspruch die Gegenleistung für die Rückgewähr der Grundstücke findet. Darin ist dem Berufungsrichter lediglich beizupflichten. Wenn die Gegenleistung der Käufer nach den Kaufverträgen vom 30. März 1906 in der Übernahme der Hypothekenschulden und der daraus sich ergebenden Verpflichtung, die Verkäufer von den Schuldverbindlichkeiten gegen die Hypothekengläubiger zu befreien, bestand, so ist es selbstverständlich, daß in der Wiederübernahme der Hypotheken und der daraus sich gegenüber den Käufern ergebenden Wiederübernahme der Schuldverbindlichkeiten gegen die Hypothekengläubiger wiederum die Gegenleistung gegen die Rückgabe der Grundstücke enthalten ist. Was die Revision hiergegen vorgebracht hat, beruht auf der widerlegten Annahme der Nichtigkeit der Verträge vom 30. März 1906. Waren hiernach die für die Wiederaufhebungsverträge erforderten Stempelbeträge mit Recht von der Stempelsteuerbehörde beansprucht worden, so ist weiter dem Berufungsrichter auch darin beizutreten, daß diese berechtigt war, den durch den Finanzministcr festgesetzten Teil der entrichteten Steuer, der zurückgezahlt werden sollte, zu hinterlegen, weil es in der Tat rechtlich zweifelhaft sein kann, ob dieser Betrag zur Konkursmasse gehört oder den L.schen Eheleuten persönlich gebührt. Das von der Revision erhobene Bedenken, ob die Befugnis einer Behörde zur Hinterlegung aus dem § 372 BGB. herzuleiten sei, wenn nur der Inhalt des ob-
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jektíven Rechts zweifelhaft sei, ist nicht gerechtfertigt. Auch wenn die Ungewißheit des Schuldners über die Person des Gläubigers auf begründeten Zweifeln über die Auslegung und Anwendung des objektiven Rechts beruht, muß § 372 BGB. Platz greifen. Irgendein Grund, weshalb insofern eine Ausnahme von der ganz allgemeinen Bestimmung dieses Paragraphen zu machen sein sollte, ist nicht ersichtlich." R G Z . 69, 261 Wird eine Eidesweigerung dadurch schlechthin ungültig, daß der Eidespflichtige der Weigerung einen nicht stichhaltigen Grund hinzufügt ? Unter welchen Voraussetzungen kann die in der Erklärung an sich vorliegende Eidesweigerung angefochten werden ? BGB. § 783, 119. ZPO. §§ 464 Abs. 2,290.*) I. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 10. Oktober 1908. I. Landgericht Potsdam.
II. Kammergericht Berlin.
Geklagt war im Wechselprozesse aus einer Urkunde, die nach amerikanischem Rechte einen von der Klägerin an eigene Order auf die Beklagte gezogenen, von dieser akzeptierten Wechsel darstellen würde. Die Beklagte wandte ein, die Urkunde sei nicht, ihrer Datierung „Akron, O. Dez. 31, 1904" entsprechend, in Amerika, sondern in Hamburg ausgestellt, daher nach deutschem Rechte zu beurteilen und nach diesem in Ermangelung der Bezeichnung als Wechsel ungültig. Die Klägerin bestritt dies und behauptete Ausstellung in Akron, Ohio. Das Landgericht verurteilte die Beklagte nach der Klage. Das Berufimgsgericht legte durch Beweisbeschluß M., dem Aussteller der Urkunde und Schatzmeister der Klägerin, folgenden Eid auf: „Es ist nicht wahr, daß ich den Klagewechsel in Hamburg ausgestellt habe". Laut Protokolls des zum Commissioner ernannten Notars H. zu Akron vom 18. November 1907 hat M. vor ihm erklärt: er sei niemals in Deutschland bzw. in Hamburg gewesen und verweigere aus diesem Grunde den Eid. Es erging darauf gegen die Klägerin ein Versäumnisurteil. Mit Einspruch machte sie geltend, die Erklärung des M. beruhe auf Irrtum; er habe gemeint, der Rechtsstreit betreffe nicht die Klägerin, sondern eine andere Firma Α., M. & Co. Sie beantragte, unter Bezugnahme auf Affidavits des M. und die durch Schriftsatz erklärte Anfechtung, den Eid nochmals zu erfordern. Hierauf ging indes das Berufungsgericht nicht ein, sondern hielt in dem Endurteile das Versäumnisurteil aufrecht. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „Es ist . . . nicht zu beanstanden, daß das Kammergericht den . . . Eid als verweigert angesehen hat. Das Protokoll vom 18. November 1907 *) § 464 ZPO. jetzt fortgefallen.
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stellt an sich die Weigerung unzweideutig fest, und es ist deshalb unerheblich, daß M. einen nicht stichhaltigen Grund hinzugefügt hat. Wenn dies auch dafür sprechen mag, daß M. den Eid leisten k o n n t e , so kommt es darauf nicht allein an; vielmehr handelt es sich vor allem darum, ob er ihn leisten wollte, und die jetzigen Angaben der Klägerin, wonach M. irrtümlich angenommen haben soll, daß der Beweisbeschluß die Firma Α., M. & Co., die zu jener Zeit keine ihn interessierende Sache in Deutschland hatte, betreffe, sprechen eher dafür, daß dies nicht der Fall war. Damit erledigt sich der erste Angriff der Revision. Diese macht ferner geltend, daß die Eidesweigerung nach § 119 BGB. anfechtbar sei und daß die Klägerin sie mit genügender Begründung angefochten habe. In dieser Beziehimg ist dem Kammergerichte darin beizutreten, daß ein Widerruf der einmal erklärten Eidesweigerung, insbesondere aus dem Grunde, weil der Eidespflichtige sich nachträglich davon überzeugt habe, daß er den Eid mit gutem Gewissen leisten könne, unzulässig ist (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 18 S. 403, Bd. 23 S. 388). Prozessuale Erklärungen sind überhaupt nicht nach Maßgabe des § 119 BGB. anfechtbar, sondern unterliegen in dieser Beziehung, wie die Bestimmung des § 290 ZPO. zeigt, besonderen Regeln. Bezüglich der Eidesweigerung fehlt es an einer dem § 290 entsprechenden Bestimmimg, und auch dies spricht dafür, daß sie nicht auf Grund des Nachweises, daß der Eid geleistet werden könne und daß die Weigerung durch Irrtum veranlaßt sei, widerrufen werden kann. Dagegen kann dem Kammergericht in der Annahme, daß eine gemäß der Erklärungstheorie an sich vorliegende Eidesweigerung unter keinen Umständen angefochten werden könne, nicht beigetreten werden, weil diese Auffassung zu erheblichen Verletzungen des materiellen Rechts führen müßte und daher nicht als dem Geiste der Prozeßordnung entsprechend erachtet werden kann. Wenn nachgewiesen wird, daß der Eidespflichtige über den Inhalt der erklärten Weigerung im Irrtume war oder diese Weigerung in Wirklichkeit nicht erklären wollte, so kann eine Eidesweigerung im Sinne der Zivilprozeßordnung überhaupt nicht als vorliegend angesehen werden. Mit Unrecht hat daher das Berufungsgericht den Umstand für unerheblich erklärt, daß der Vertreter der Klägerin bei der erklärten Weigerung der Meinung war, daß es sich dabei um eine andere, seine Gesellschaft gar nicht angehende Rechtssache handle. Vielmehr würde, wenn dies bewiesen wäre, die Eidesweigerung, mit der die Abweisung der Klage begründet ist, nicht gegeben sein. Indes wird die Entscheidung dadurch getragen, daß das Berufungsgericht in zweiter Linie in rein tatsächlicher Erwägimg, gegen welche diesseits nichts zu erinnern ist, ausführt, der behauptete Irrtum des M. sei nicht bewiesen. Danach muß es bei der durch das Protokoll vom 18. November 1907 an sich dargetanen Eidesweigerung sein Bewenden behalten."
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202 RGZ. 70, 55
ι . Ergreift die Nichtigkeit eines vom Verkäufer mit Erfolg w e g e n Betrugs angefochtenen Kreditkaufs auch das dingliche E r füllungsgeschäft ? 2. Kann ein bloßes Putativgeschäft vom Konkursverwalter angefochten werden ? KO. §30. VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 24. November 1908. I. Landgericht Hamburg.
II. OberlandesgerichtJdaselbst.
Der Weißgerbermeister H. aus A. hatte am 16. Mai 1906 in H. von der Beklagten durch mündlichen Vertrag Felle gekauft; der Preis betrug 5837 M. und sollte durch zwei Akzepte des Käufers gedeckt werden. Die Ware war am 22. Mai 1906 bei dem Käufer in A. eingegangen. Am 1. Juni 1906 wurde Konkurs über das Vermögen des Käufers eröffnet. Vorher hatte sich am 28. Mai im Auftrage der Beklagten, die inzwischen ungünstige Nachrichten über den Käufer erhalten zu haben behauptete, der Buchhalter der Beklagten, B., in A. eingefunden. Er nahm von den übersandten Fellen den größeren Teil wieder an sich und brachte sie zur Beklagten nach H. zurück; über den Hergang bei der Rückerlangung dieser Felle durch B. war Streit unter den Parteien. Die Akzepte hatte die Beklagte nicht erhalten. Mit der vorliegenden Klage forderte der Konkursverwalter Herausgabe der zurückgenommenen Felle. Das Landgericht verurteilte die Beklagte zur Herausgabe und das Oberlandesgericht wies die Berufung der Beklagten zurück. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben aus folgenden Gründen: „Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht auf der Annahme, die Beklagte müsse sich so behandeln lassen, als habe sie die ihr von B. zurückgebrachten Felle durch ein mit dem Gemeinschuldner geschlossenes Rechtsgeschäft wiedererlangt, dessen Inhalt die „Stornierung des Kaufvertrags und der erfolgten Eigentumsübertragung" gewesen sei; dieses von dem Berufungsgerichte so bezeichnete „Putativgeschäft" sei aber von dem klagenden Konkursverwalter rechtswirksam gemäß § 30 Nr. 1 Halbsatz 1 KO. angefochten, woraus sich bei Anwendung des § 37 KO. die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der in der Berufungsinstanz geforderten Summe ergebe. Nun hatte aber die Beklagte geltend gemacht, sie habe nur wiedererlangt, was ihr Eigentum war, da die Veräußerung an den Gemeinschuldner von ihr wegen Irrtums und Betrugs angefochten worden, die Übereignung an den Gemeinschuldner also (§ 142 BGB.) als von Anfang an nichtig anzusehen sei. Ist dies richtig, so ist selbstverständlich für die von dem Konkursverwalter auf § 30 KO. gegründete Anfechtung des
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„Stornierungsgeschäfts" kein Raum; eine nichtige Übereignung bedarf nicht der „Stornierung", um ihre Wirkung zu verlieren, sie ist von selbst ohne Wirkung; die „Stornierung" und damit auch deren Anfechtung wäre also gegenstandslos. Wollte man aber etwa als Gegenstand der von dem Konkursverwalter geltend gemachten Anfechtung nicht eine durch das „Stornierungsgeschäft" erfolgte Rückübertragung des Eigentums, sondern die durch dieses Geschäft erfolgte Rückübertragung des Besitzes der Felle auf die Beklagte ansehen, so würde dem hierauf gestützten Anspruch auf Herausgabe der Felle wiederum das Eigentum der Beklagten und ihr hieraus fließendes Recht auf den Besitz (§ 985 BGB.) entgegenstehen;die die Verteidigung gegenüber der Besitzklage einschränkende Vorschrift des § 863 BGB. hätte hierbei nicht Platz zu greifen, weil es sich bei jenem Ansprüche des Konkursverwalters eben nicht um die, allerdings ebenfalls erhobene, aber schon durch das Berufungsgericht verworfene, Besitzklage (§§ 858, 861 BGB.), sondern um die Rückgewährforderung aus § 37 KO. handeln würde. Das Berufungsgericht hat nun die von der Beklagten behauptete Anfechtung der Veräußerung als berechtigterweise und wirksam erfolgt unterstellt; es nimmt jedoch an, daß in diesem Falle zwar das Grundgeschäft, der Kaufvertrag, nicht aber auch das Erfüllungsgeschäft, der dingliche Übereignungsvertrag, der Nichtigkeit verfallen würde. Aus dieser Auffassung ergibt sich dann die vom Berufungsrichter nicht ausdrücklich ausgesprochene, aber seiner Entscheidung ersichtlich zugrunde liegende Folgerung, daß die Felle nicht einem Aussonderungsrechte der Beklagten (§ 43 KO.) unterlagen, sondern als Eigentum des Gemeinschuldners zur Konkursmasse gehörten und daß der Beklagten nur ein persönlicher Herausgabeanspruch auf Grund der ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB.) zustand, den sie in Geld umgesetzt (§ 69 KO.) als Konkursforderung anmelden mochte. Allein die Auffassimg des Berufungsrichters wird, zum mindesten für den mit unterstellten Fall der Anfechtung wegen Betrugs, der Rechtslage nicht gerecht. Richtig ist, daß das Bürgerliche Gesetzbuch zwischen dem den konkreten Rechtsgrund einer Veräußerung enthaltenden, die Verpflichtung zur Erfüllung begründenden obligatorischen Geschäfte, dem sog. Kausalgeschäftc, und dem „abstrakten", von jenem Rechtsgrunde völlig losgelösten, seine Geltungskraft aus sich selbst schöpfenden sachenrechtlichen Erfüllungsgeschäfte scharf unterscheidet. Diese Unterscheidung tritt in einer Reihe von Bestimmungen, deren Anführung hier nicht erforderlich ist, deutlich zutage. Aus ihr folgt aber keineswegs, daß von Willensmängeln des Grundgeschäfts das Erfüllungsgeschäft nicht zugleich mitergriffen sein könne. In der Literatur sind in dieser Hinsicht verschiedene Meinungen laut geworden, auf die im einzelnen einzugehen hier nicht der Ort ist. In neuester Zeit ist sogar mit beachtenswerten Gründen ( S c h r e i b e r in G r u c h o t s Beiträgen Bd. 52 S. 515flg.) die Ansicht vertreten worden, daß ein die Anfechtung begründender Willensmangel (§§ 119flg. BGB.) stets
204 mit dem Kausalgeschäft auch den dinglichen Vertrag ergreife, so daß auch dessen Nichtigkeit die Folge der Anfechtung sei. Ob man so weit gehen darf, mag auf sich beruhen. Jedenfalls ist bei dem Käufer, der durch arglistige Täuschung den Verkäufer zum Abschlüsse des Kaufvertrags bestimmt (§ 123 BGB.), die Absicht regelmäßig nicht auf die bloße Erlangung des obligatorischen Erfüllungsanspruchs aus dem Kaufvertrage gerichtet, sondern gerade unmittelbar auf Erlangung der Kaufsache. Dieser Absichtsrichtung auf Seiten des Täuschenden entspricht die Richtung des Willensmangels auf seiten des Getäuschten. Der Verkäufer würde die kreditweise verkaufte Ware sicher nicht liefern, wenn er nicht noch unter dem seinen Willen bestimmenden Einflüsse der arglistigen Täuschung über die Zahlungsfähigkeit des Käufers stände. Wäre dies nicht der Fall, hätte vielmehr der Verkäufer inzwischen die Täuschimg erkannt und lieferte er gleichwohl, so könnte von einer Anfechtimg auch nur des Kausalgeschäfts nicht die Rede sein, weil alsdann in der Erfüllung die Bestätigung läge (§ 144 BGB.). Indem also der Berufungsrichter die berechtigterweise erfolgte Anfechtung des Kausalgeschäfts wegen Betrugs unterstellt, unterstellt er damit notwendig zugleich, daß der Betrug zur Zeit des Erfiillungsgeschäfts noch fortgewirkt, daß er auch den auf dieses Geschäft gerichteten Willen der Beklagten bestimmt hat. Nur unter ganz besonderen, bisher nicht ersichtlichen Umständen würde man bei der angegebenen Sachlage zu der Annahme gelangen können, daß die Beklagte zu dem dinglichen Erfüllungsgeschäfte nicht ebenso wie zu dem Kaufvertrage durch die unterstellte arglistige Täuschimg bestimmt worden sei. Sind Umstände solcher Art nicht festzustellen, dann ergibt sich aus der begründeten Anfechtung wegen Betrugs auch die Nichtigkeit des dinglichen Übereignungsvertrags. Daß dieses Ergebnis, zu dem übrigens ein anderer Senat des Berufungsgerichts in einer auf Revision durch Urteil des Reichsgerichts vom 29. Mai 1908, Rep. VII. 322/07, aufrecht erhaltenen Entscheidung ebenfalls bereits gekommen ist, den Bedürfnissen des redlichen Verkehrs entspricht, wird sich kaum bezweifeln lassen. Da aber die begründete Anfechtung wegen Betrugs zwar behauptet, aber bisher noch nicht festgestellt, sondern nur unterstellt ist, so mußte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zum Zwecke der noch erforderlichen tatsächlichen Erörterungen in die Berufungsinstanz zurückverwiesen werden. Für den Fall, daß das Berufungsgericht auch nach erneuter Verhandlung zur Verneinung der Nichtigkeit des dinglichen Vertrags gelangen sollte, würde aber, wie schon jetzt bemerkt werden mag, die Verurteilung der Beklagten mit der ihr in dem angefochtenen Urteile gegebenen Begründung gleichwohl nicht haltbar sein. Unter einem „Putativgeschäfte" kann nur ein Rechtsgeschäft verstanden werden, dessen Bestehen zwar von den Beteiligten oder einem von ihnen angenommen wird, das aber in Wahrheit nicht besteht. Wäre also, wie in dem angefochtenen Urteile durch die Anwendung jenes Ausdrucks wenigstens wiederum unterstellt
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wird, anzunehmen, daß ein Rechtsgeschäft des Gemeinschuldners, durch welches die Beklagte die Felle wiedererlangt hätte, nicht vorliege, so könnte von einer Anwendung des § 30 Nr. 1 Halbsatzes 1 KO. nicht die Rede sein; denn die Anfechtimg auf Grund dieser Gesetzesvorschrift setzt ein Rechtsgeschäft voraus, das nicht lediglich in der Einbildung der Beteiligten besteht, sondern das wirklich eingegangen und im Verhältnisse zwischen den Beteiligten auch wirksam ist und dem nur „den Konkursgläubigem gegenüber" (§ 29 KO.) die Wirksamkeit entzogen werden soll." RGZ. 70, 59 Wirksamkeit der Vereinbarung, daß, falls in dem anhängig zu machenden Ehescheidungsprozesse in erster Instanz die Ehe geschieden werden sollte, die Berufung nicht zulässig sein solle ? IV. Zivilsenat. Urt. v. 26. November 1908. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Familienrecht". RGZ. 70, 339 Konkurrenzklausel zwischen amerikanischen Zahntechnikern. Verstoß gegen die guten Sitten ? BGB. § 138. III. Zivilsenat. Urt. v. 26. Februar 1909. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Anwendbarkeit des § 138 BGB. ist verneint aus folgenden, den Sachverhalt ergebenden Gründen: „Der Kläger war seit Anfang 1900 bei den Beklagten als Assistent angestellt, seit dem 2. Januar 1905 auf Grund eines ausführlichen Vertrages von diesem Tage. In diesem Vertrage war vereinbart, daß am 1. Januar 1908 dem Kläger als Teilhaber ein Anteil an der zahnärztlichen Praxis der Beklagten übertrage werden solle, vorausgesetzt, daß der Wert der von ihm in den letzten zwölf vorgängigen Monaten gelieferten Arbeit sich auf 25000 M. oder mehr belaufe. „Sollte", heißt es in dem Vertrage weiter, „Dr. T. die erwähnten Bedingungen nicht erfüllen und am 1. Januar 1908 nicht als Teilhaber aufgenommen werden, so verpflichtet er sich, weder als Chef noch als Assistent in einem Umkreise von 160 km von Frankfurt a. M. die zahnärztliche Tätigkeit vom 1. Januar 1908 bis zum 1. Januar 1910 auszuüben, ohne an Herren Drs. s. s. M. und C. oder deren Erben die Summe von 30000 M. zu zahlen. Die Entrichtung dieser 30000 M.
206 gibt Dr. T . das Recht, sich ganz unabhängig von der anderen Partei, wo es ihm beliebt, in dem angegebenen Umkreise entweder als Leiter oder Assistent vom 1. Januar 1908 bis zum 1. Januar 1910 niederzulassen." Da jene Voraussetzimg nach dem Geschäftsstand vom Oktober 1907 nicht eingetreten war, beantragte der Kläger mittels Ende November 1907 eingereichter Klage, festzustellen, daß er berechtigt sei, nach dem 1. Januar 1908 in Frankfurt a. M. oder in einem Umkreise von 160 km die Zahnheilkunde auszuüben, ohne an die Beklagten 30000 M. zu zahlen.Die Klage will die zwischen den Parteien vereinbarte Konkurrenzklausel als gegen die guten Sitten verstoßend, also als nach § 138 BGB. nichtig beseitigen und stützt dies auf die Entscheidung dieses Senats vom II. Juni 1907, Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 66 S. 143flg. Das Landgericht entsprach dem Klagantrage, da der Satz, daß Konkurrenzverbote zwischen approbierten Ärzten nach § 138 BGB. rechtsunwirksam seien, auf die Parteien auszudehnen sei, obwohl denselben die Approbation des § 29 GewO. fehle. Die Berufung der Beklagten wurde aus demselben Grunde zurückgewiesen. Mit Recht rügt die Revision diese Ausdehnung als rechtsirrig. Der Berufungsrichter, und ebenso das Landgericht, verkennt nicht, daß das Urteil dieses Senats vom 11. Juni 1907 nur die in Deutschland approbierten Ärzte betrifft. Die Beschränkung auf in Deutschland approbierte Ärzte geht aus dem ganzen Aufbau und dem sämtlichen Beweismaterial, wie aus einer großen Zahl ausdrücklicher Sätze jenes Urteils unzweideutig hervor. Der Berufungsrichter erachtet jedoch den Umstand, „daß die amerikanischen Zahnärzte sonst vom Staate den approbierten Zahnärzten nicht gleichgestellt sind, sondern als Zahntechniker angesehen werden", vorliegend für bedeutungslos, und zwar deshalb, weil die Beklagten von dem Urteils- und zahlungsfähigen Publikum mindestens so hoch wie ein deutscher Zahnarzt gewertet werden und weil die Beklagten selbst sich als akademisch vorgebildete Zahnärzte werten. Diese Begründung beruht auf Verkennung der rechtlichen Bedeutung der Approbation. Nach den Materialien zu §§ 29, 147 Abs. 1 Nr. 3 GewO. (vgl. die Verhandlungen des Reichstags des Norddeutschen Bundes vom 10. und 12. April, 3. und 25. Mai 1869) ist die Approbation die Erfüllung einer staatlichen Pflicht, nämlich der Aufgabe und Pflicht des Staates, ein wissenschaftlich und praktisch durchgebildetes ärztliches Personal zu erhalten und als solches zu kennzeichnen einerseits für den Staat und die Gemeinden, welche nur approbierte Personen als Ärzte anerkennen und mit amtlichen Funktionen betrauen dürfen, andrerseits für das Publikum, soweit es wissenschaftliche Kunsthilfe sucht. Die gleichzeitige Aufhebung der früheren Gesetze gegen den Heilgewerbebetrieb nicht approbierter Personen ist erfolgt, nicht entfernt, weil es im öffentlichen Interesse liege, daß auch nicht approbierte Personen sich der Heiltätigkeit widmen, sondern lediglich aus völlig anderen Gründen. Die Freiheit der Entschließung des Publikums, wem es sich zur Heilung anvertrauen wolle, solle gewahr: sein ; das Volk bedürfe nach seiner Bildungsstufe gängelnder Maßnahmen nicht,.
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sondern werde selbst zwischen einem wissenschaftlich gebildeten Arzt und einem Kurpfuscher zu unterscheiden wissen; ein Vertrauen gerade zu den approbierten Ärzten dürfe nicht aufgezwungen werden ; die Freiheit werde der beste Regulator sein. Weiter wurden die bisherigen Gesetze gegen den Heilgewerbebetrieb nicht approbierter Personen für unwirksam und undurchführbar erachtet: die Wirkung dieser bei der Straflosigkeit unentgeltlicher Heiltätigkeit leicht umgehbaren Gesetze sei nur die, einen Teil der Äxzte mit anstößigem Spionagedienst zu belasten und in jedem Betracht häßliche Strafprozesse zu zeitigen, welche den Angeklagten eine Märtyrerkrone und eine Geschäftsreklame zu verschaffen geeignet seien; und wenn jemand, nachdem er das Gesetz gegen Kurpfuscherei recht hartnäckig umgangen und durchbrochen habe, schließlich von einer Bundesregierung ein Privilegium erhalte, welches ihn über das Gesetz erhebe, so verletze dies das Rechtsgefühl des Volkes. Endlich seien auch die Ärzte selbst zu stolz, ein Zwangsvertrauen für sich in Anspruch zu nehmen; durch die Freigabe des Heilgewerbes werde auch der Kurpfuscherei der anlockende Reiz des Geheimnisses genommen. Nicht also war die freie Befugnis, ohne Approbation gewerbsmäßig zu heilen, das von der Gesetzgebung angestrebte Ziel, sondern diese Befugnis ergab sich nur als Folge jener anderweiten Ziele und Bestrebungen, in erster Linie als Folge des gesetzgeberischen Zieles, daß das Publikum die Freiheit haben solle, sich heilen zu lassen, von wem es wolle. Und zwar waren es gerade approbierte Ärzte, welche diese Freiheit des Publikums im Reichstage vertraten und auch erreichten. Die Reichsregierung, welche übrigens unter Berufung auf das Gutachten der preußischen wissenschaftlichen Deputation für das Medizinalwesen für Aufrechterhaltung der Gesetze gegen die Kurpfuscherei eintrat, und zwar zum Schutze nicht der Ärzte, sondern des Publikums, und der Reichstag beabsichtigten aber keineswegs, die Heilbeflissenen ohne Approbation als wünschenswerte oder notwendige Ergänzung der approbierten Ärzteschaft neben diese in den Dienst des Heilwesens und der Gesundheitspflege einzustellen. Vielmehr wurde ausdrücklich ohne jeglichen Widerspruch hervorgehoben: den Anforderungen der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere auf dem Gebiete der ansteckenden Krankheiten, könne nur durch die wissenschaftlich gebildete, approbierte Ärzteschaft genügt werden; der Ärzteberuf sei gesetzgeberisch erfaßt nicht als ein Gewerbebetrieb, sondern als beherrscht von dem kategorischen Imperativ rein humaner Wirksamkeit; tatsächlich leiste der ärztliche Stand, wie er überall Bestrebungen im humanen Interesse reichlich zu vertreten pflege, kraft der ihn verpflichtenden Gesetze der Ethik dem Staate und der Gemeinde Dienste für außerordentlich niedrige Honorierimg; der Ärztestand und die Pflege der medizinischen Studien sei ein Ruhm der deutschen Nation; im Durchschnitt seien die deutschen Ärzte die besten der Welt. Für besondere Ausnahmefälle wurde vorgesorgt durch den Abs. 4 des § 29 GewO., wonach dem Bundesrate vorbehalten bleibt, „zu bestimmen, unter welchen Voraussetzungen Personen wegen
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wissenschaftlich erprobter Leistungen von der vorgeschriebenen Prüfung ausnahmsweise zu entbinden sind". Diese Bestimmung sollte insbesondere die Möglichkeit geben, eine anerkannte Kapazität auf dem ärztlichen Gebiete aus dem Auslande ohne Nachholung eines Examens herüberzunehmen. Diese Materialien bestätigen, daß Heilbeflissene ohne Approbation nicht schon darum, weil sie sich dem „fundamentalen allgemeinen Zwecke der Gesundheitspflege" widmen, eine besondere, rechtlich gehobene Stellung einnehmen. Eine solche Eximierung der Heiltätigkeit an sich wäre auch aus inneren Gründen unmöglich. Denn daß die Heiltätigkeit, zum mindesten wie jede andere Tätigkeit höherer Art, theoretischer und praktischer Vorbildung sowie gewisser moralischer Eigenschaften bedarf, versteht sich von selbst. Personen, die dieser Vorbildung und dieser Eigenschaften entraten, sind zur Heiltätigkeit nicht geeignet. Auch solche Personen haben jedoch im Deutschen Reiche die gesetzliche Befugnis, sich der Heiltätigkeit gewerblich zu widmen, da irgendwelche Vorbedingungen für die Heiltätigkeit, insbesondere für das Heilgewerbe, nicht gesetzt sind. Und daß häufig völlig Unberufene sich der Heiltätigkeit widmen, ist eine offenkundige Tatsache. Die Rechtslage ist vielmehr offensichtlich die: „Arzt" ist ein durch die Gewerbeordnung genau bestimmter Rechtsbegriff, der allein durch die Approbation erfüllt wird und der weder direkt noch mittelbar auf nicht approbierte Personen ausgedehnt werden darf. An diesen Rechtsbegriff des „Arztes" hat die Entscheidung dieses Senats vom 11. Juni 1907 angeknüpft: sie hat festgestellt, daß der Arztberuf kein Gewerbe ist, daß er durch eine Reihe öffentlichrechtlicher Rechte und Pflichten gekennzeichnet wird, daß er auf Grund staatsseitig geforderter und gewährleisteter wissenschaftlicher Vorbildung eine besondere Verantwortung hat und daß er darum in seinem Interesse und in dem des Publikums staatlich organisiert und einem staatlichen Ehrengerichte unterworfen ist. Alle diese Gesichtspunkte entfallen bei dem Heilgewerbe nicht approbierter Heilbeflissener; dieses ist nach dem Standpunkte der Gewerbeordnung ein Gewerbe und nichts als ein Gewerbe. Die Parteien des gegenwärtigen Rechtsstreits sind amerikanische Zahntechniker und führen in Amerika erworbene akademische Titel. Irgendeine Feststellimg in betreff dieser Titel hat der Berufungsrichter nicht getroffen. An und für sich ist das Führen amerikanischer Doktortitel noch kein Grund für Eximierung über sonstige Heilgewerbetreibende hinaus. Der mit amerikanischen akademischen Graden verübte, in den Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts Bd. 17 S. 356, Bd. 30 S. 326, Bd. 37 S. 365, Bd. 38 S. 257 gekennzeichnete Unfug war derart, daß fast sämtliche deutsche Bundesstaaten die Befugnis zur Führung ausländischer Doktortitel an staatliche Genehmigung geknüpft haben; so Preußen durch Verordnimg vom 7. April 1897. Wenn aber auch, wie unterstellt werden kann, die Doktortitel der Parteien völlig in Ordnung gehen und wenn auch die Parteien, insbesondere die Beklagten, von dem
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urteils- und zahlungsfähigen Publikum mit Recht deutschen Zahnärzten mindestens gleichgewertet werden, so ist das doch durchaus unerheblich. Die hohe Wertschätzung, welche ein nicht approbierter Heilbeflissener beim Publikum genießt, kann und darf nicht dazu führen, ihn dem Arzt irgendwie rechtlich gleichzustellen. Sie kann es nicht, weil die individuelle Wertschätzung von seiten des Publikums ein durchaus schwankendes und gerade auf diesem Gebiete durchaus fehlbares Moment ist; und sie darf es insbesondere nicht, weil individuelle Verhältnisse gegenüber dem durch die staatliche Approbation objektiv fest begrenzten gesetzlichen Begriffe des Arztes überhaupt nicht in Betracht kommen. Noch weniger verschlägt, daß die Parteien sich selbst als akademisch vorgebildete Zahnärzte fühlen und bezeichnen. Die Gründe des Berufungsrichters würden auch zutreffen auf gewerbliche Unternehmungen beliebiger Art, die von akademisch gebildeten Personen mit akademischen Titeln geleitet werden, von Personen, welche etwa von seiten des urteilsreifen Publikums jedem staatlichen, akademisch gebildeten Funktionär und jedem approbierten Arzte gleich gewertet werden. Sollte diesen gewerblichen Unternehmungen, deren Bestehen und Gedeihen etwa auch, wie die Gesundheitspflege, im allgemeinen öffentlichen Interesse liegt, zum Beispiel der chemischen Industrie, die Konkurrenzklausel gegenüber ihren gleichermaßen akademisch gebildeten Angestellten untersagt sein? Jene Gründe würden auch zutreffen, wenn etwa ein Naturheilkundiger ohne akademische Grade seine Leistungen weit höher einschätzt als die der gesamten Fachmedizin und der approbierten Ärzteschaft, und wenn ihm etwa ein großer Teil des angesehenen Publikums in dieser Wertschätzung folgt. Diese unerträglichen Konsequenzen der Anschauung des Berufungsrichters bestätigen, daß der staatliche, rechtlich festgelegte Begriff des Arztes nicht verlassen werden darf, wenn nicht die bezügliche Anwendung des § 138 BGB. ins Uferlose geraten soll. Die Parteien sind nichts als Gewerbetreibende, und daß sie tatsächlich ihre Zahnheilpraxis als rein gewerbliches Unternehmen betrachten, zeigt der Vertrag vom 2. Januar 1905 in seiner Gesamtheit unzweideutig. Die Abrede einer Konkurrenzklausel war also zwischen den Parteien an sich ohne weiteres zulässig, während der deutsche Arzt Schutz gegen illoyale Konkurrenz auf anderem Wege, durch Standesordnungen und Ehrengerichte, zu suchen hat; vgl. die Rechtsprechimg des ärztlichen Ehrengerichtshofs für Preußen." . . . RGZ. 71, 19a Verstößt ein Bauvertrag unter allen Umständen gegen die guten Sitten, der ein Haus zum Gegenstande hat, das Bordellzwecken dienen soll ? BGB. § 138 Abs. 1. Zivils. Allgem. Teil I
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III. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 21. Mai 1909. I. Landgericht Kiel.
II. Oberlandesgericht daselbsi.
Die Frage wurde verneint aus folgenden Gründen: „Der Kläger hat im Jahre 1906 für die verklagte Ehefrau auf deren Grundstück in K. ein neues Haus unter Abbruch des alten gebaut. Seine Klage auf den Werklohnrest ist in erster Instanz abgewiesen, in zweiter Instanz dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt worden. Die Revision der Beklagten trifft allein die Frage, ob der Werkvertrag wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig ist oder nicht. Es ist festgestellt, daß das alte Haus, dessen Abbruch der Kläger übernahm, zu Bordellzwecken gedient hatte und daß in dem neu zu erbauenden Hause von der Eigentümerin wieder ein Bordell betrieben werden sollte. Es steht auch fest, daß dem Kläger diese Bestimmung des Hauses beim Vertragschlusse bekannt war. In Anbetracht dessen macht die Revision unter Berufung auf die Entscheidung des Reichsgerichts in Bd. 63 der Entsch. in Zivils. S. 367 geltend, daß der vom Kläger abgeschlossene Werkvertrag ein Bordellbauvertrag gewesen und als solcher nichtig sei. Der Angriff kann keinen Erfolg haben; vielmehr ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, die den Vertrag als gültig angesehen hat, zu billigen. Zunächst kann nicht anerkannt werden, daß die Entscheidung in Bd. 63 jeden Bauvertrag schlechthin für nichtig erkläre, der ein Haus zum Gegenstande habe, das Bordellzwecken dienen soll. In dem damals zugrunde liegenden Falle hatten die Beklagten behauptet, der Unternehmer habe, um die Einrichtung eines Bordells kennen zu lernen, ein anderes Bordell, namentlich den dort errichteten Plankenzaun, durch seinen Sohn besichtigen lassen, zweckdienliche Zeichnungen gefertigt und die Vergrößerung des Bordells durch Aufsetzen eines Stockwerks angeraten. Er habe gewußt, daß der Beklagte keine Mittel besitze und die Bauforderung nur aus dem Verdienste des Bordells bezahlen könne; er habe auch keine Kostenanschläge gefertigt und seine Forderung für den Neubau entsprechend hoch bemessen. Der damals erkennende Senat hat daraufhin ausgesprochen, wenn die Sache sich so verhielte, wie die Beklagten sie schilderten, wenn der Kläger direkt ein Bordell mit allen Einrichtungen eines solchen zu bauen übernommen und gebaut habe, könne es keinem Zweifel unterliegen, daß der unsittliche, auf die Förderung der Unzucht gerichtete Zweck Inhalt und Gegenstand des Vertrags geworden, der Vertrag selbst wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig sei. Hieraus ergibt sich, daß auch in jenem Urteile das entscheidende Gewicht auf die Umstände des Einzelfalls gelegt ist und sie für maßgebend erachtet worden sind, die Frage zu beantworten, ob das Rechtsgeschäft nach seinem sich aus der Zusammenfassung von Inhalt, Motiv und Zweck ergebenden Gesamtcharakter den guten Sitten zuwiderläuft und daß der damals erkennende Senat nicht schon
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aus der Tatsache, daß der Unternehmer mit der beabsichtigten Verwendung des Hauses zu Bordellzwecken bekannt war, die Unsittlichkeit des Rechtsgeschäfts gefolgert hat. Das Reichsgericht hat in bezug auf Rechtsgeschäfte, die zu dem Unternehmen oder dem Betriebe eines Bordells in Beziehung stehen, ständig anerkannt, daß die Kenntnis des einen Vertragsteils von der Absicht des anderen, den Vertragsgegenstand zu Bordellzwecken zu verwenden, f ü r s i c h a l l e i n nicht ausreicht, das Rechtsgeschäft als gegen die guten Sitten verstoßend erscheinen zu lassen (vgl. Urteil vom 27. Juni 1904, Rep. V. 10 04; Jurist. Wochenschr. 1906 S. 331; Entsch. in Zivils. Bd. 63 S. 350, Bd. 68 S. 98). Mehr aber als die Kenntnis dieser beabsichtigten Verwendungsart liegt hier auf Seiten des Klägers nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht vor. Nach diesen Feststellungen hatte der Kläger besondere bauliche Einrichtungen für den Bordellbetrieb an dem Hause nicht anzubringen; weder seine Gestaltung, noch die Raumanordnung in den einzelnen Stockwerken enthielt etwas besonders Auffalliges. Der vereinbarte Werklohn überschritt die üblichen Preise nicht, war überhaupt auch sonst in keine Verbindung zu dem Bordellbetriebe gebracht. Unter solchen Umständen kann nicht gesagt werden, daß der unsittliche Zweck, die Förderung der Unzucht, zum Inhalte und Gegenstande des Vertrags gemacht worden wäre, vielmehr lag dieser Zweck außerhalb von Leistung und Gegenleistung. Hiernach muß der vorliegende Werkvertrag als gültig angesehen . . . werden." R G Z . ηζ, 133 Ist eine arglistige T ä u s c h u n g d u r c h e i n e n „ D r i t t e n " verübt, w e n n d e r T ä u s c h e n d e e i n e n G r u n d s t ü c k s k a u f in V e r t r e t u n g des V e r k ä u f e r s m ü n d l i c h v e r e i n b a r t hat, u n d i m A n s c h l ü s s e daran der V e r t r a g von e i n e m a n d e r e n Vertreter d e s V e r k ä u f e r s m i t d e m Käufer f o r m g e r e c h t a b g e s c h l o s s e n w o r d e n ist ? BGB. § 123 Abs. 1,2 Satz 1. V. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 27. Oktober 1909.
I. Landgericht Königsberg.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Kläger Schloß am 14. November 1904 mit dem Kaufmann L. als Beauftragten der Beklagten einen notariellen Vertrag, durch den er von dem der Beklagten gehörigen Gute das Vorwerk J. mit einer Fläche von etwa 200 ha f ü r den Preis von 861 M. für den Hektar (215 M . für den Morgen) kaufte. Nachdem er durch Schreiben vom 18. Januar 1905 diesen Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hatte, klagte er auf Anerkennung der Nichtigkeit des Vertrages. Er behauptete: am Tage des Vertragsschlusses, bevor der Vertrag zu notariellem Protokoll erklärt worden 14·
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sei, habe nach Besichtigung des Vorwerkes bei den Vertragsverhandlungen im Gasthause in K . auf sein Befragen der Kaufmann S. M. aus P. erklärt, Sp., der als früherer Beamter der Beklagten das Gut längere Zeit bewirtschaftet und dann ebenfalls einen Teil davon bereits vorher gekauft hatte, habe pro Morgen 220 M. gezahlt. Die Richtigkeit dieser Mitteilung habe S. M., als er, Kläger, Zweifel geäußert, auf Ehrenwort versichert. In Wirklichkeit habe aber Sp. nur einen Kaufpreis von 180 M. für den Morgen gezahlt. Da S. M. von der Beklagten damit beauftragt gewesen sei, Käufer für die einzelnen zum Verkaufe gestellten Parzellen des Gutes zu ermitteln, mit ihnen zu verhandeln und die Verträge mit ihnen zum Abschlüsse zu bringen, so sei er, Kläger, wegen der arglistigen Täuschung durch S. M. zur Anfechtung des Vertrages gegenüber der Beklagten berechtigt; er würde, wenn er gewußt hätte, daß Sp. nur einen Kaufpreis von 180 M. für den Morgen gezahlt habe, den Vertrag nicht mit L . abgeschlossen haben. Der erste Richter verurteilte die Beklagte nach dem Klagantrage. Der zweite Richter wies zunächst die Klage ab. Nachdem sein Urteil in der Revisionsinstanz aufgehoben worden war, machte er auf Grund der anderweiten Berufungsverhandlung die Entscheidimg von einem dem Kläger über die falsche Versicherung auferlegten richterlichen Eide abhängig. Die Revision der Beklagten wurde zurückgewiesen aus folgenden Gründen: . . . „Von der Revision wird . . . geltend gemacht, S. M. sei nicht Vertreter der Beklagten gewesen, sondern Dritter; daher wäre der Vertrag nur unter den Voraussetzungen des § 123 Abs. 2 BGB. anfechtbar. Der Berufungsrichter führt in dieser Hinsicht aus: nach der eigenen Darstellung der Beklagten sei auch S. M. von ihr beauftragt gewesen, den Verkauf von J. zu vermitteln und die Verkaufsbedingungen unter dem Vorbehalt der Genehmigung der Beklagten zu vereinbaren; daraus folge, daß dem S. M . von der Beklagten für die Herbeiführung des Verkaufs von J. eine zwar beschränkte, aber immerhin in gewissem Rahmen erhebliche Vertretungsmacht erteilt worden sei, und nach den Bekundungen des S. M. selbst und des L . sei ersterer innerhalb dieses Rahmens auch wirklich gemeinschaftlich mit L . in der Eigenschaft als Vertreter der Beklagten beim Verkaufe tätig geworden, indem er und L., und zwar er vornehmlich, mit dem Kläger namens der Beklagten über den Verkauf verhandelt und die Hauptbedingungen des dann notariell verlautbarten Vertrages vereinbart hätten. Die Revision rügt, die Darstellung der Beklagten enthalte nicht ein Zugeständnis der Behauptung des Klägers, daß S. M. beauftragt gewesen sei, Verträge mit den von ihm ermittelten Käufern zum Abschlüsse zu bringen ; deshalb hätte der Berufungsrichter berücksichtigen müssen einmal Nr. 27 der allgemeinen Vertragsbedingungen der Beklagten, wonach mündliche Abmachungen, Zusicherungen und Versprechungen neben dem schriftlichen Vertrage keine verbindliche Kraft haben sollten, und sodann vor allem die eidliche Aussage des S. M., nach der er in dieser Sache lediglich
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Substitut seines Bruders J. M. gewesen sei und letzterer auch nur den Auftrag, Käufer heranzubringen, also lediglich einen Maklerauftrag, gehabt habe." (Dieser Angriff wird zurückgewiesen und sodann fortgefahren.) „Aus den erwähnten Tatsachen . . . und den weiteren, daß S. M. auch gemäß dem Auftrage namens der Beklagten die Kaufverhandlungen mit dem Kläger geführt und die hauptsächlichen Vertragsbedingungen vereinbart hat, folgert der Berufungsrichter mit Recht, daß der Kläger wegen der von S. M. verübten arglistigen Täuschung den Vertrag gemäß § 123 Abs. 1 BGB. in gleicher Weise anfechten kann, wie wenn er von der Beklagten selbst, also von deren gesetzlichen Vertretern, arglistig getäuscht worden wäre. Ob die Beklagte dem Kläger für einen durch die Täuschung zugefügten Schaden haften müßte, kann auf sich beruhen. (Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 61 S. 207, Bd. 63 S. 150.) Darum handelt es sich vorliegend nicht. Vielmehr fragt es sich, ob der den Kläger als den Vertragsgegner der Beklagten zum Vertragschlusse durch arglistige Täuschung veranlassende S. M. als ein Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB. zu erachten ist. Dies ist zu verneinen. Nach § 123 Abs. 1 BGB. kann der zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung Bestimmte seine Erklärung anfechten, gleichviel von wem die arglistige Täuschung oder die widerrechtliche Drohung verübt worden ist. Von diesem Grundsatze enthält § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. für die arglistige Täuschung, nicht auch für die widerrechtliche Drohung, eine Ausnahmebestimmung hinsichtlich der Person des Verübenden. Im Falle einer einem anderen gegenüber abzugebenden, also einer empfangsbedürftigen Willenserklärung (§ 130 BGB.) soll diese, wenn der Erklärende zu ihrer Abgabe durch die arglistige Täuschung eines Dritten bestimmt worden ist, nur dann anfechtbar sein, wenn der Empfänger der Erklärung die Täuschung kannte oder kennen mußte. Nach der Begründung des sachlich mit § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. übereinstimmenden (Prot. Bd. 1 S. 118, 119) § 103 Abs. 2 Entw. I sollte es an sich keinen Unterschied machen, ob die rechtswidrige Beeinflussung von einem bei dem Rechtsgeschäfte Beteiligten oder einem Unbeteiligten ausgeübt worden sei ; jedoch sollte, weil die strenge Durchführung dieses Grundsatzes zu Härten führen würde, wenn bei einer Willenserklärung, die gegenüber einer anderen Person abgegeben werden mußte und abgegeben worden sei, die Beeinflussung von einem Dritten ausginge, während der Empfänger der Willenserklärung bei der Beeinflussung nicht beteiligt gewesen sei, auch diese weder gekannt habe noch habe kennen müssen, für diesen Fall hinsichtlich der arglistigen Täuschung die bezeichnete Ausnahme gelten. (Vgl. Mot. ζ. BGB. Bd. 1 S. 206.) Danach sowie nach dem Wortlaute des Gesetzes ist ein Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. ein anderer als der Empfänger der Willenserklärung, zu deren Abgabe der Getäuschte bestimmt worden ist, also ein bei dieser Erklärung Unbeteiligter. Ein solcher Dritter ist im vorliegenden Falle zunächst nicht L. gewesen. Denn er gerade hat den fraglichen Kaufvertrag mit dem Kläger vor dem
214 Notar abgeschlossen, und er hat die Vertragserklärungen, die vom Kläger angefochten werden, entgegengenommen. Zwar ist er nicht selbst der Verkäufer gewesen, sondern er hat in Vertretung der verkaufenden Beklagten den Vertrag geschlossen. Dies macht aber hinsichtlich der Frage, ob L. ein Dritter war, keinen Unterschied. Denn L. war, wiewohl er nur in Vertretung der Beklagten handelte, doch zufolge des Vertragsschlusses mit dem Kläger ein bei dessen Vertragserklärung Beteiligter. Durch die gegenseitigen Vertragserklärungen des L. und des Klägers wurde ein Vertragschluß derart bewirkt, daß der Kläger daran gebunden war, und nur noch die Bindung der von L. vertretenen Beklagten im Sinne der §§ 182 Abs. 1, 184 BGB. von der Genehmigung der Beklagten abhing. Hätte daher L. die behauptete arglistige Täuschung verübt, so würde die Vertragserklärung des Klägers, weil nicht ein Dritter die Täuschung verübt hätte, unbedenklich nach § 123 Abs. 1 BGB. anfechtbar sein. S. M. aber ist nach den Feststellungen des Berufungsrichters, ebenso wie L., von der Beklagten nicht nur beauftragt gewesen, Käufer zu ermitteln und das Zustandekommen eines Kaufgeschäftes bezüglich des in Rede stehenden Grundstückes zwischen den Parteien zu vermitteln, sondern auch, in Vertretung der Beklagten vorbehaltlich der Genehmigung dieser die Verkaufsbedingungen zu vereinbaren, also einen Kaufvertrag zwischen der Beklagten und dem Käufer in der Weise abzuschließen, daß nur noch die Bindung der Beklagten von deren Genehmigung abhing. Demgemäß hat er nach den weiteren Feststellungen des Berufungsrichters gemeinsam mit L. die Kaufverhandlungen mit dem Kläger geführt, und er ist dabei sogar als der vornehmliche Leiter der Verhandlungen aufgetreten. Nachdem sodann durch ihn unter Mitwirkung des L. die Einigung über den Kauf mit dem Kläger erzielt, und also der Kaufvertrag mündlich zum Abschlüsse gebracht worden war, ist sogleich im Anschlüsse daran der so geschlossene Vertrag durch L. und den Kläger vor dem Notar beurkundet worden. Bei dieser Sachlage stellt sich der mündliche Vertrag und die sich anschließende Beurkundung als ein einheitliches Ganzes dar. Deshalb ist S. M., ebenso wie L., als ein bei dem auf diese Weise zunächst mündlich erfolgten und dann durch die Beurkundimg vollendeten Vertragsschlusse Beteiligter anzusehen, der gemeinschaftlich mit L. als dem anderen Vertreter der Beklagten die V e r t r a g s e r k l ä r u n g des K l ä g e r s e n t g e g e n g e n o m m e n hat. Kann dan-ch aber S. M. nicht als ein Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB. gelten, so ist der Kläger auf Grund der von S. M. verübten arglistigen Täuschung zur Anfechtung des Kaufvertrages nach § 123 Abs. 1 BGB. für berechtigt zu erachten. Die Revision beruft sich auf ein Urteil des II. Zivilsenats vom 26. Januar 1909, Rep. II. 337/08, und meint, der dort der Entscheidung zugrunde liegende Fall stehe dem vorliegenden gleich; in jenem Urteile sei aber ausgesprochen, daß der bei dem Vertragsschlusse so wie vorliegend Mitwirkende als ein Dritter anzusehen sei. Tatsächlich betrifft jedoch dieses Urteil einen wesentlich anderen Fall als den hier gegebenen. Dort war vom Be-
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rufungsrichter angenommen worden, der die Täuschung Verübende sei deshalb nicht als ein Dritter anzusehen, weil er vom Beklagten Vollmacht gehabt habe, die Vertragsverhandlungen mit den Klägern bis zur Unterzeichnung der Vertragsurkunde zu führen. Der II. Zivilsenat hob das Urteil auf und wies die Sache behufs Prüfung, ob nicht anderweite Feststellungen zu treffen seien, an das Berufungsgericht zurück, weil aus den bisherigen Feststellungen sich nur ergebe, daß der Täuschende l e d i g l i c h v o r b e r e i t e n d e V e r h a n d l u n g e n geführt habe, und der Vertrag von d e m B e k l a g t e n s e l b s t geschlossen worden sei. Danach hat auch der II. Zivilsenat der Rechtsauffassung Ausdruck gegeben, daß, wenn der T ä u s c h e n d e in Vertretung des Beklagten den Vertrag mit den Klägern geschlossen hätte, er nicht als ein Dritter anzusehen wäre. Vorhegend aber hat S. M . gemeinsam mit L . in Vertretung der Beklagten mit dem Kläger den Kaufvertrag geschlossen. Er war daher auch im Sinne des Urteils des II. Zivilsenats nicht ein Dritter, da er nicht ein bei dem V e r t r a g s s c h l u s s e Unbeteiligter war." . . .
R G Z . 73, 136 K a n n die A n n a h m e einer von d e m A n n e h m e n d e n für sicher g e h a l t e n e n H y p o t h e k an Zahlungsstatt a u s d e m Grunde w e g e n I r r t u m s a n g e f o c h t e n werden, weil die H y p o t h e k in Wirklichkeit unsicher war ? B G B . §§119 Abs. 2, 90. VI. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Dresden.
Urt. v. 3. März 1910. II. Oberlandcsgericht daselbst.
Die Frage ist verneint worden aus den folgenden Gründen: „Außer Streit ist, daß der Beklagte den Klägern an sich aus einem Darlehn 3000 M. nebst Zinsen schuldig geworden ist. Er behauptet aber, daß der ursprüngliche Kläger, der Erblasser der jetzigen Kläger, dafür eine Hypothek von 3500 M . (unter einer gewissen, jetzt nicht in Betracht kommenden Nebenberedung) an Zahlungsstatt angenommen habe, während nach der Behauptung der Kläger diese Hypothek, über deren Wertlosigkeit jetzt kein Zweifel besteht, nur zur Sicherstellung abgetreten worden ist, eventuell aber die Annahme an Zahlungsstatt wegen Irrtums und wegen arglistiger Täuschung von ihnen angefochten wird. Das Berufungsgericht hat die behauptete Annahme an Zahlungsstatt an sich für bewiesen, aber auch die Anfechtung derselben wegen Irrtums nach § 119 Abs. 2 und § 121 Abs. 1 BGB. für begründet erklärt und deshalb (nach § 142 Abs. 1) die Klage zugesprochen. Das Oberlandesgericht nimmt an, der verstorbene K . habe die Hypothek, oder die durch sie gesicherte
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Forderung f ü r sicher gehalten, und da sie dies nicht gewesen sei, so habe er sich im Irrtum über eine solche Eigenschaft der den Gegenstand des Geschäftes bildenden Sache befunden, die im Verkehr als wesentlich angesehen werde. Diese Entscheidung ist unhaltbar. Das Forderungsrecht oder die Hypothek kann nicht als eine „Sache" im Sinne des § 119 Abs. 2 gelten; denn in § 90 BGB. ist ganz unzweideutig gesagt, daß Sachen im Sinne des Gesetzes nur k ö r p e r l i c h e Gegenstände sind. Demgegenüber ist die vereinzelt vertretene Meinung, daß in § 119 Abs. 2 unter „Sachen" auch unkörperliche Gegenstände, insbesondere Rechte, verstanden seien, nach der Ansicht des Senates abwegig. Höchstens könnte es sich fragen, ob die Bestimmung des § 119 Abs. 2 auf Rechte e n t s p r e c h e n d a n z u w e n d e n sei; vgl. O e r t m a n n , Allg. Teil des BGB., Bern. 4, c zu § 119, S. 359, und die dort Angeführten. Aber auch das würde offenbar nicht dem Willen des Gesetzes entsprechen, da ja sonst nichts näher gelegen hätte, als statt „oder der Sache" zu sagen „oder des Gegenstandes"; es würde auch die singuläre Natur der Bestimmung in Abs. 2 einer solchen analogen Anwendung im Wege stehen. Mit Unrecht führt auch das Berufungsgericht ein Urteil des I. Zivilsenates des Reichsgerichts zur Sache Rep. I. 399/07 aus W a r n e y e r s Jahrbuch, Ergänzungsband 1 S. 468, für die von ihm vertretene Ansicht an; in dieser Entscheidung, in welcher aus anderen Gründen eine Berufung auf § 119 Abs. 2 mißbilligt ist, wird die Frage überhaupt nicht berührt. Dagegen hat das Reichsgericht schon mehrmals die Ausdehnung der Anfechtung aus § 119 Abs. 2 auf unkörperliche Gegenstände abgelehnt: so der V. Zivilsenat in den Sachen Rep. V. 511/08 und 558,08 (vgl. Beitr. zur Erl. des D. Rechts, Jahrg. 54 S. 140 flg. und S. 146), der jetzt erkennende Senat am 25. November 1909 i. S. E. w. Kr. (Rep. VI. 548/08). Der V. Zivilsenat hatte bei jenen Entscheidungen auch den § 459 BGB. mit in Betracht gezogen, bei dessen Anwendung der II. Zivilsenat bisweilen eine Geneigtheit gezeigt hat, den Begriff der „Sache" in gewisser Weise auszudehnen; trotzdem hat er sich in seiner Auffassung des § 119 Abs. 2 nicht irre machen lassen. Augenblicklich kann der § 459 ganz aus dem Spiele bleiben. Das vorige Urteil mußte aus den dargelegten Gründen aufgehoben werden. Es war dann die Zurückverweisung der Sache erforderlich, weil das Berufungsgericht über die Anfechtung auf Grund arglistiger Täuschung noch nicht entschieden hat." . . .
R G Z . 74, ι K a n n der Käufer, der d e n K a u f v e r t r a g w e g e n arglistiger T ä u s c h u n g a n g e f o c h t e n hat, d a z u ü b e r g e h e n , w e g e n der arglistigen T ä u s c h u n g Schadensereatz aus § 826 BGB. zu v e r l a n g e n ? BGB. §§ 123, 142, 826.
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I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 22. April 1910. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 74, 69 Ist der Vorschrift in § 126 Abs. 1 BGB. genügt, w e n n bei g e setzlich vorgeschriebener Schriftform der bevollmächtigte Vertreter ausschließlich mit d e m N a m e n des Vertretenen unterschreibt ? BGB. § 126 Abs. 1. V e r e i n i g t e Z i v i l s e n a t e . Beschl. v. 27. Juni 1910. I. Landgericht Krefeld.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
Die vorstehende Rechtsfrage hatte der I. Zivilsenat in dem Urteile Bd. 50 S. 54 dieser Sammlung bejaht. Der VI. Zivilsenat erhob hiergegen Konflikt. Die Vereinigten Zivilsenate haben sich der Ansicht des I. Zivilsenats angeschlossen. Gründe: . . . „Urkunden, die nur mit dem vom Vertreter geschriebenen Namen des Vertretenen unterzeichnet sind, kommen tatsächlich nicht selten vor, und zwar auch gerade über Erklärungen, für welche das Gesetz die Schriftform verlangt. Es genügt, auf die Gepflogenheiten des kleineren und namentlich des ländlichen Verkehrs hinzuweisen, in dem ζ. B. Schuldversprechen und Schuldanerkenntnisse im Sinne der §§ 780, 781 BGB., Bürgschaftserklärungen, Erklärungen des Beitritts zu Genpssenschaften und dgl. ein praktisches Anwendungsfeld für solche Unterschriften sind. Besonders aber lehrt die Erfahrung, daß diese Art von Namensunterschriften bei den Skripturakten des Wechselverkehrs recht verbreitet ist. An sich gewähren solche Urkunden in der Hauptsache nicht weniger, als Urkunden, die vom Vertreter unter Offenlegung des Vertretungsverhältnisses mit seinem eigenen Namen unterzeichnet sind, indem sie, wie diese, die Person desjenigen bezeichnen, für oder gegen den die Erklärung gelten soll, und, wie diese, Gegenstand des auf die Unterschrift gerichteten Echtheitsbeweises sein können. Sie sind also in der Hand des Gläubigers ein praktisch verwertbares Papier. Man kann auch nicht sagen, daß mit der Zulassung dieser Unterschriften erhebliche Übelstände verbunden seien, die im allgemeinen Interesse den Ausschluß ihrer Gültigkeit fordern würden. Vor dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs war denn auch durch die Rechtsprechung der höchsten Gerichte die Rechtswirksamkeit der nur mit dem Namen des Vertretenen unterzeichneten Urkunden in den Fällen gesetzlich gebotener Schriftform außer Zweifel gestellt. (Vgl. Entsch. d. ROHG.s Bd. 5 S. 263 u. 271, Bd. 18 S. 99; Entsch. d. RG.s in Zivils. Bd. 4
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S. 307, Bd. 30 S. 405; P u c h e l t , Ztschr. Bd. 12 S. 74.) Begründet wurde diese Auffassung aus dem Wesen der unmittelbaren Stellvertretung. Die Vorschriften des neuen Rechts über die Vertretung — BGB. §§ 164 flg. — haben darin keine Änderung geschaffen. Dagegen kann in den Fällen, wo die Schriftfoim durch Gesetz vorgeschrieben ist, die frühere Praxis nicht aufrecht erhalten werden, wenn entsprechend der Ansicht des VI. Zivilsenats der Abs. 1 des § 126 BGB. in dem Sinne zu verstehen ist, daß der Vertreter seinen eigenen Namen unterschreiben müsse. Die Unterzeichnung mit dem Namen des Vertretenen würde dann nach § 125 die Nichtigkeit der schriftlichen Erklärung herbeiführen. Der § 126 Abs. 1 bestimmt nicht nur für die Fälle der im Bürgerlichen Gesetzbuche gebotenen Schriftform, sondern für alle Fälle, wo die Schriftform durch Gesetz vorgeschrieben ist. Er kommt daher namentlich auch für das Gebiet des Handelsrechts und des Wechsclrechts zur Anwendung; denn weder das Handelsgesetzbuch noch die Wechselordnung noch die Einf.-Gesetze zum Handelsgesetzbuch und zum Bürgerlichen Gesetzbuch enthalten Vorschriften, welche zu der Auslegung berechtigen könnten, daß für jene Gebiete eine Ausnahme von der Norm des § 126 Abs. 1 gemacht sei. Die Veränderung des Rechtszustandes, welche bei Verneinung der Konfliktsfrage gegeben sein würde, hat daher eine große Tragweite. Sie müßte auch recht bedenkliche Folgen haben. Der neue Rechtssatz würde dem Erwerber von Urkunden mit der reprobierten Namensunterschrift das darin verbriefte Recht absprechen, obgleich ihm beim Erwerbe des Papiers kein Verschulden zur Last fiele und er kein Mittel hätte, die Wertlosigkeit der Schrift zu erkennen. In den meisten und wichtigsten Fällen wird es sich um einseitige Erklärungen handeln, die er nicht aus der Hand des Ausstellers, sondern im Laufe des Verkehrs erhalten hat, ohne die Möglichkeit, aus dem Papiere zu ersehen, daß die Namensunterschrift von einem Vertreter herrührt. Auf die Notwendigkeit, eine besondere Prüfung über die Herstellung der Namensunterschrift vorzunehmen, kann sich, als allgemeine Regel, der Verkehr nicht einlassen. Freilich ist der Verkehr auch der Gefahr ausgesetzt, eine unechtc Unterschrift in die Hand zu bekommen, und hat dann ebenfalls nur ein wertloses Papier erworben. Aber zwischen beiden Fällen besteht noch ein gewichtiger Unterschied. Die Unterzeichnung m i t d e m N a m e n des V e r t r e t e n e n ist k e i n e v e r b o t e n e U n t e r s c h r i f t . Solchen Urkunden gegenüber hat also der Erwerber nicht die Garantie, die ihm gegen unechte Unterschriften die Strafbarkeit der Urkundenfälschung gewährt. Unter Berücksichtigung aller Verhältnisse trifft die Erwägimg des I. Zivilsenats zu, daß viel mehr als die Zulassung, der Ausschluß der auf den Vertretenen gestellten Namensunterschrift geeignet ist, der Täuschung Tür und Tor zu öffnen, indem er dem redlichen Empfänger, der den Vorgang bei der Unterschrift nicht kontrollieren kann, statt einer wertvollen Urkunde ein nichtiges Stück Papier in die Hände spielt.
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Entscheiden können diese Überlegungen allerdings nicht. Mag man die Folgen der unterstellten Rechtsänderung noch so sehr für bedauerlich halten, so kann es doch darauf nicht ankommen, wenn der § 126 Abs. 1 diesen Rechtssatz wirklich enthält. Es muß dann einfach bei dem Ausspruche des Gesetzes bewenden. Wohl aber ist es zulässig und geboten, bei der Auslegung des Gesetzestextes die praktischen Rücksichten im Auge zu behalten und die Konfliktsfrage nur dann zu verneinen, wenn die vom VI. Zivilsenate vertretene engere Bedeutung der Vorschrift in der Fassung des § 126 Abs. 1 einen bestimmten, unzweideutigen Ausdruck gefunden hat; denn ein allgemeiner Grundsatz der Auslegung ist auch, daß im Zweifel der Gesetzgeber eine nützliche, nicht eine schädliche Vorschrift hat aufstellen wollen. Dem I. Zivilsenate ist nun darin beizutreten, daß der Wortlaut des Gesetzes nicht zu der Auslegung zwingt, der Vertreter dürfe nur mit seinem eigenen Namen unterzeichnen. Es mag auch hier angenommen werden, daß „Aussteller" im Sinne des Abs. 1 des § 126 ist, wer die Erklärung abgibt, also im Falle der Vertretung der Vertreter. Wenn in Abs. 2 von der Unterschrift der „Parteien" die Rede ist und in den Motiven zum ersten Entwürfe Bd. 1 S. 186 der „Erklärende" in Gegensatz zum „Vertreter" gestellt ist, so braucht man sich dadurch nicht irre machen zu lassen. Im Falle der Vertretung ist es also der Vertreter, der die Urkunde unterzeichnen muß. Völlig klar ist auch das Gebot des Gesetzes, daß er dabei einen Namen unterschreiben und die Namensunterschrift eigenhändig vollziehen muß. Darüber dagegen, welcher Name dies sein muß, der des Vertretenen oder der des Vertreters, enthält das Gesetz keine Vorschrift. Daß keine ausdrückliche Vorschrift gegeben ist, beweist der Wortlaut selbst, der nur bestimmt, es müsse „die Urkunde vom Aussteller eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels gerichtlich oder notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden". Daß man aber auch nicht berechtigt, jedenfalls nicht genötigt ist, im Sinne des Gesetzes statt „Namensunterschrift" zu lesen „seine Namensunterschrift", machen folgende Überlegungen glaubhaft. Das Erfordernis der Eigenhändigkeit hat keine inhaltbestimmende Bedeutung für die Unterschrift, sondern bezieht sich auf die Tätigkeit des Unterschreibens. Hierauf legen auch die Motive a. a. O. S. 185 das Hauptgewicht, indem sie für dadurch ausgeschlossen erklären, „daß der Erklärende sich eines anderen zum Schreiben seiner Unterschrift bedienen kann", also nicht den Namen des Erklärenden in Gegensatz zu einem anderen Namen, sondern den von ihm geschriebenen in Gegensatz zu dem nicht von ihm geschriebenen Namen bringen. Weiterhin wird allerdings die Eigenhändigkeit auch in Beziehung zum Nachweise der Echtheit gesetzt. Da indes auch die Urkunde mit dem Namen des Vertretenen, wenn ihn der Vertreter eigenhändig geschrieben hat, rekognoszibel ist, so kann auch darauf kein schlüssiges Argument gegründet werden. Abzuweisen aber ist
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der Einwand, daß bei Beschränkung der Bedeutung auf die Tätigkeit des Schreibens das Gebot der eigenhändigen Namensunterschrift ein bloßer Pleonasmus sei. Ohne den Zusatz der Eigenhändigkeit drückt das Wort „Namensunterschrift" nach dem Sprachgebrauche des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch keineswegs unzweideutig aus, daß die Unterschrift geschrieben sein müsse. So spricht § 793 Abs. 2 Satz 2 von „einer im Wege der mechanischen Vervielfältigung hergestellten Namensunterschrift". Auch das Handelsgesetzbuch bedient sich in § 181 der gleichen Wendung. In § 92 Abs. 1 des I. Entwurfs, der dem § 126 Abs. 1 des Gesetzes entspricht, fehlten die Worte : „durch Namensunterschrift". Es hieß dafür : die Urkunde muß „von dem Urheber . . . eigenhändig unterschrieben . . . sein". Über den Grund der Änderung geben die Materialien keine Auskunft. Man hat die Hypothese aufgestellt, sie gehe auf einen Vorschlag zurück, den Zi tel m a n n , Die Rechtsgeschäfte im Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs, S. 177 gemacht und S. 154 Note 213 begründet hat. Trifft dies zu, so muß man auch den Schluß gelten lassen, daß die Änderung im Sinne dieses Vorschlags getroffen worden sei. Der Vorschlag hat aber nach der a. a. O. gegebenen Begründung, außer einer stilistischen Verbesserung, nur den Zweck verfolgt, außer Zweifel zu stellen, „daß nur eine Namens Unterschrift als Unterschrift genügt, eine Unterzeichnung bloß durch einen Titel hingegen nicht genügen würde". Für die Annahme, die Änderung sei vorgenommen worden, um damit zum Ausdrucke zu bringen, daß der Aussteller in allen Fällen seinen Namen unterzeichnen müsse, fehlt jeder Anhalt. Sachliche Erwägungen führen zu keinem anderen Ergebnisse. Das Erfordernis der Namensunterschrift hat auch dann, wenn man es nur in seiner Wortbedeutung — Unterschrift eines Namens — versteht, einen guten Sinn. Die Namensunterschrift dient nicht nur dazu, die Person des Erklärenden rechtlich erkennbar zu machen, sondern sie hat auch schon als Formalbestandteil der Urkunde eine wichtige Aufgabe, indem sie das äußerliche Kennzeichen für die Vollendung der schriftlichen Erklärung ist. Ohne die Unterschrift eines Namens ist diese Erklärung überhaupt noch nicht perfekt, noch nicht vorhanden. Diese Funktion der Namensunterschrift ist unabhängig von der Frage nach dem Träger des unterzeichneten Namens. Auch wenn man in dem Gebote der Namensunterschrift lediglich den Satz findet, daß nur eine Urkunde, die mit einem Namen unterschrieben sei, den Anforderungen des § 126 Abs. 1 genüge, so gibt diese Bestimmung des Gesetzes einem selbständigen Rechtsgedanken Ausdruck, der durch seinen eigenen Wert die gesetzliche Festlegung rechtfertigte und erforderte. Die Ergänzimg „durch seine Namensunterschrift" würde demgegenüber einen ganz anderen, neuen Rechtsgedanken einführen. Wenn in der Literatur darauf hingewiesen wird, daß hier der Gesetzgeber das Possessivpronomen nur im Interesse einer knappen und eleganteren Fassung unterdrückt habe, so ist dies schon an sich ein ganz unzulänglicher Erklärungsgrund, da bei einer so wichtigen Vorschrift nicht die Eleganz, sondern die
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volle Klarheit erstes Gebot fur die Fassung war. Es ist aber auch nicht einzusehen, was es, wenn wirklich dies die Meinung des Gesetzgebers war, dem Stile geschadet* haben würde und warum es weniger elegant gewesen wäre, das prononlen possessivum zu setzen, wie in ähnlichen Fällen das Handelsgesetzbuch getan hat, ζ. B. in § 53 Abs. 2, § 108 Abs. 2, § 148 Abs. 3, § 195 Abs. 4. Ohne Gewicht ist der Hinweis darauf, daß das Handzeichen, welches der § 126 Abs. 1 parallel mit der Nanlensunterschrift behandle, auch nicht mit dem Possessivpronomen bezeichnet sei und doch ohne Zweifel nur das Handzeichen des Ausstellers sein könne. Von einem dem Aussteller (Vertreter) oder dem Vertretenen besonders zugehörigen Handzeichen darf überhaupt nicht gesprochen werden. Das Handzeichen des Ausstellers ist nur das Zeichen, das er mit seiner Hand vollzieht, und diese Eigenschaft ist schon durch das Erfordernis der Eigenhändigkeit außer Zweifel gestellt. Für die Auslegung des Gesetzes im Sinne der Einschaltung des Possessivpronomens läßt sich endlich auch nicht geltend machen, daß nach der Auffassung des Verkehrs nur der Unterschrift des eigenen Namens die Bedeutung einer Namensunterschrift zukomme. Zuzugeben ist, daß diese Art der Unterschrift gewisse empfehlende Eigenschaften besitzt, indem sie durch ihr individuelles Gepräge einen Anhalt für die Beurteilung der Echtheit gewährt. Doch darf auch dieser Vorzug nicht überschätzt werden, da die genaue Kenntnis eines Privatnamenszuges auf engere Kreise beschränkt zu sein pflegt. Jedenfalls ist es ausgeschlossen, daß die Namensschrift in der Form, wie sie der Namensträger zu vollziehen gewohnt ist, die rechtliche Gültigkeit der Unterschrift bedingen könnte. Weder das Gesetz noch die Anschauungen des Verkehrs rechtfertigen die Ansicht, daß der vom Vertreter geschriebene Name des Vertretenen nicht eine Namensunterschrift sei. Nur eine Stelle bleibt übrig, die für die hier abgelehnte Bedeutung der vom Gesetze verlangten Namensunterschrift zu sprechen scheint. Es findet sich in den Motiven zu § 92 des I. Entwurfs — Bd. 1 S. 185 — die Bemerkimg: „Die Unterschrift hat die Person des Ausstellers hinreichend zu kennzeichnen." Allein auch wenn man den Motiven entscheidende Bedeutung beilegen wollte, so würde diese Äußerung doch nur dann Beweiswert haben, wenn zugleich feststände, daß der Verfasser der Motive dabei an die Eventualität gedacht hat, daß der Aussteller der Urkunde und der Träger der Rechtswirkungen verschiedene Personen sind, und diesen Fall der Vertretimg hat mittreffen wollen. Das erscheint ausgeschlossen. Für das Gesetz ist es wahrscheinlich, daß bei der Abfassung nur der gewöhnliche Fall der Identität vorgeschwebt hat. So wenigstens läßt es sich am besten erklären, daß, wie schon bemerkt, in Abs. 2 des § 126 ohne Anstand von der Unterschrift der Parteien gesprochen wird. Für die Motive aber ist nach dem Zusammenhange ihrer Erörterungen kein Zweifel darüber möglich, daß sie hier nicht von dem Falle der Vertretung handeln wollten. Sonst müßte sich doch irgendeine Andeutimg finden, daß zwei ganz verschiedene Tatbestände vorliegen könnten und daß sich je nach dem einen oder dem
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anderen die Kennzeichnung des Ausstellers durch die Unterschrift auf verschiedene Personen beziehe. Abgesehen von dieser einen Stelle, die nach dem Ausgeführten nicht in Betracht kommen kann, enthalten die Materialien nichts über die Streitfrage. In diesem Stillschweigen liegt ein zwar nur negatives, aber doch sehr gewichtiges Argument gegen die vom VI. Zivilsenat vertretene Auslegung des Gesetzes. Man darf ohne weiteres davon ausgehen, daß eine praktisch so wichtige, in der Rechtsprechung viel ventilierte Streitfrage, wie die der Zulässigkeit der Unterschrift mit dem Namen des Vollmachtgebers, dem Verfasser der Motive nicht unbekannt war. Für die II. Kommission beweist eine Stelle bei M u g d a n , Materialien Bd. 1 S. 699, daß man, allerdings nicht bei Behandlung der gesetzlichen Schriftform, daran gedacht und die Zulässigkeit nicht bezweifelt hat. Wäre es nun denkbar, daß, wenn man die Vorschrift des § 126 Abs. 1 im Sinne des Ausschlusses dieser Art von Unterzeichnung verstanden hätte, diese tief einschneidende, der bisherigen Praxis widersprechende Neuerung ohne jedes Wort der Erwähnung hätte bleiben können ? Ein ähnliches Gegenbeweismoment liegt, wie das Urteil des I. Zivilsenats ausgeführt hat, in der Begründung, welche die Denkschrift zum Handelsgesetzbuch bei § 51 gibt. Der I. Zivilsenat hat nur die Gültigkeit der vom^ Willens Vertreter bewirkten Unterzeichnung mit dem Namen des Vollmachtgebers innerhalb der Grenzen der Bevollmächtigung bejaht, dagegen ohne Rücksicht darauf, wer der Träger des unterschriebenen Namens ist, die Gültigkeit jeder Namensunterschrift verneint, zu deren Vollziehung der Aussteller der Urkunde sich nur der mechanischen Dienstleistung eines anderen bedient hat. Diese schon in dem Urteile Bd. 50 S. 54 ausgesprochene Rechtsansicht ist ausführlicher begründet in dem Urteile Bd. 58 S. 387. Diese Entscheidung hat mit der Konfliktsfrage nichts zu schaffen. Sie beruht auf Folgerungen aus dem Begriffe der Willensvertretung und aus dem Erfordernisse der Eigenhändigkeit der Unterschrift, welche unabhängig von der Ansicht sind, die man über die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Unterschrift mit dem Namen des Vertretenen hat. Es ist daher überflüssig, auf die Prüfung einzutreten, ob die Entscheidung sachlich zu billigen wäre."
RGZ. 74, 332 Versprechen eines technischen Angestellten, sich nach seiner E n t l a s s u n g des Wettbewerbs zu enthalten, mit Verpfändung des Ehrenworts. Verstoß gegen die guten Sitten. Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts. BGB. §§ 138 Abs. 1, 139. I I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 8. November 1910. I. Landgericht Saarbrücken.
II. Oberlandesgericht Köln.
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Aus den G r ü n d e n : „Der Beklagte war auf Grund des Vertrages vom 12./15. August 1905 von der Klägerin als Konstrukteur in ihrer Fabrik vom 1. Oktober 1905 ab angestellt worden und bezog zuletzt ein Jahresgehalt von 3000 M. Er kündigte das Vertragsverhältnis zum 1. September 1907 und übernahm eine Stellung in einem Konkurrenzgeschäfte, der Gesellschaft für Förderanlagen E. H., G. m. b. H. in St. Johann-Saarbrücken. Die Klägerin verlangt Vertragsstrafe. In dem die Vertragsbedingungen enthaltenden Schreiben der Klägerin vom 12. August 1905 erklärt diese u. a. folgendes: „Wir machen ferner zur Bedingung, daß Sie sich unter Verpfändung Ihres Ehrenwortes und bei Vermeidung einer Vertragsstrafe in der doppelten Höhe Ihres letzten Jahresgehaltes für jeden Fall einer Zuwiderhandlung verpflichten, nach Ihrem etwaigen Austritt aus unserem Geschäft, gleichviel unter welchen Umständen derselbe erfolgt, weder als Selbstbetreibender uns Konkurrenz zu machen, noch als Beamter oder Berater in ein Konkurrenzgeschäft einzutreten, noch für ein solches zu arbeiten, welches sich mit dem Bau oder Vertrieb von Drahtseilbahnen und Elektro-Hängebahnen befaßt, bzw. Geschäftserfahrungen, die Sie bei uns gesammelt haben, in einer unseren Interessen zuwiderlaufenden Weise auszunutzen oder selbst oder durch Dritte einem Konkurrenzgeschäft zu übermitteln. . . . Sie verpfänden Ihr Ehrenwort jederzeit und auch nach Ihrem etwaigen Austritt aus unserem Geschäft, gleichviel unter welchen Umständen derselbe erfolgt, das Ansehen und das Interesse der Firma hochzuhalten und das Geschäftsgeheimnis aufs strengste zu wahren. . . . Sie haben sich unserer, diesem Schreiben beiliegenden Geschäftsordnung, deren vollständige Kenntnisnahme zu Ihren Dienstpflichten gehört, zu unterwerfen. . . . Wenn Sic mit vorstehenden und den aus der Geschäftsordnung ersichtlichen generellen Bedingungen einverstanden sind, wollen Sie die nachstehende Erklärung sowie die Geschäftsordnung unterzeichnen und uns beide Stücke zurückgeben." . . . Unter diesem Schreiben der Klägerin steht die vom Beklagten am 15. August 1905 unterzeichnete Erklärung: „Ich nehme das Engagement hiermit an, erkenne die mir gestellten Bedingungen als mir in allen Punkten genau bekannt und für mich verbindlich an und verpfände mein Ehrenwort für deren gewissenhafte Erfüllung." Die in den vorstehenden Vertragsbestimmungen enthaltene Bindung des Beklagten durch Ehrenwort verstößt gegen die guten Sitten. Schon in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 68 S. 229 — wo die Sachlage insofern eine andere war, als ein Verstoß gegen § 138 Abs. 1 BGB. nicht allein wegen der Versicherung auf Ehrenwort, sondern auch wegen der unverhältnis mäßigen Höhe der Vertragsstrafe in Frage kam — hat der erkennende Senat ausgesprochen, daß die Ehre, weil sie als ideales Gut einen Teil des Person-
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lichkeitsrechts des Menschen bildet und eine Grundlage seiner Existenz ist, nicht ohne weiteres in vermögensrechtlichen Beziehungen zugunsten anderer verwendet werden kann. Daß unter Umständen die Bindung des aus einem Vertrage Verpflichteten durch Ehrenwort zulässig sein kann, ist zuzugeben. Hier liegen aber ebenso wie in dem damaligen Falle besondere Gründe nicht vor; namentlich ist von einer besonderen Vertrauensstellung des Beklagten und von Geheimhaltung bestimmter anvertrauter Tatsachen keine Rede. Nach dem Inhalte des Vertrages bezieht sich ferner die Verpfändung des Ehrenwortes nicht allein auf die Wahrung des Geschäftsgeheimnisses, sondern auch auf alle die mannigfachen in dem Wettbewerbverbote dem Beklagten auferlegten Verpflichtungen und sogar auf die Beobachtung der aus der Geschäftsordnung ersichtlichen generellen Bedingungen seiner Anstellung. Der Beklagte stand hiernach schon während seiner Stellung bei der Klägerin und weiter während der auf drei Jahre vereinbarten Geltung des Wettbewerbverbotes unter dem Drucke der ehrenwörtlichen Verpflichtung. Er wurde der Gefahr ausgesetzt, selbst aus geringfügigen Anlässen des Bruches seines Ehrenwortes geziehen zu werden und dadurch eine Minderung seines Ansehens zu erleiden. Eine solche Bindung durch Ehrenwort in ausschließlich vermögensrechtlichen Angelegenheiten ist unzulässig. Das Berufungsgericht verkennt dies nicht, nimmt aber an, daß hierdurch nicht das ganze Rechtsgeschäft nichtig werde, sondern nur, daß das Bestärkungsmittel der Verpfändung des Ehrenwortes als unzulässig und unwirksam in Wegfall komme. Dieser Beurteilung kann nach dem festgestellten Sachverhältnis nicht beigetreten werden. Die Verpfändung des Ehrenwortes des Beklagten ist nach dem Inhalte des Vertrages kein bloßes dem Vertrage hinzutretendes Bestärkungsmittel, keine Nebenabrede, die unbeschadet des Fortbestandes des Wettbewerbverbotes aus dem Vertrage ausgeschieden werden könnte, sondern bildet in Verbindimg mit der Vertragsstrafe die einheitliche Grundlage für das Wettbewerbverbot. Schon die dreimalige Hervorhebung der Verpfandung des Ehrenwortes als Bedingung der Anstellung beweist, daß die Klägerin auf diese Bedingung für das Wettbewerbverbot und den Vertragschluß überhaupt wesentliches Gewicht gelegt hat. Dafür spricht ferner der Umstand, daß sich die Verpfandung des Ehrenwortes auf alle Vertragsverpflichtungen des Beklagten erstreckt und gegenüber der nur auf 6000 M. sich belaufenden Vertragstrafe für die Klägerin von großer Bedeutung sein mußte. Daraus ergibt sich der Schluß, daß ohne Verpfändimg des Ehrenwortes der Vertrag nicht zustande gekommen wäre. Die Voraussetzung des § 139 BGB. für die Aufrechterhaltung des Strafversprechens des Beklagten liegt daher nicht vor. Das Berufimgsgericht hat auch nicht, wie § 139 BGB. erfordert, angenommen, daß das Rechtsgeschäft ohne den auch von ihm für nichtig erachteten Teil vorgenommen sein würde, sondern sagt nur, es sei nicht anzunehmen, vom Beklagten auch nicht behauptet, daß der Vertrag ohne die ehrenwörtliche Bindung nicht abgeschlossen wäre. Die Parteien hätten die Festsetzung
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des Wettbewerbverbotes und der Vertragstrafe gewollt. Der an sich gültige Vertrag bleibe in seinen gültigen und von den Parteien gewollten Bestimmungen rechtlich unwirksam. Diese Ausführungen enthalten nicht die nach § 139 BGB. erforderliche Feststellung. Das Vorbringen der Parteien ergibt auch keinen weiteren Anhalt hierfür, und es liegt kein Anlaß vor, bei Anwendung des § 139 BGB. in Fällen der vorliegenden Art von einer strengeren Handhabung abzusehen. Denn zum Schutze der in technischen oder kaufmännischen Betrieben Angestellten genügt es nicht, wenn die gegen die guten Sitten verstoßende und deshalb unzulässige Bindung durch Ehrenwort in einem entstehenden Rechtsstreite nachträglich für unwirksam erklärt, das Wettbewerbverbot aber aufrechterhalten wird; vielmehr ist, wenn nicht ein sicherer Beweis für den Ausnahmefall des § 139 BGB. erbracht wird, das Wettbewerbverbot überhaupt für nichtig zu erklären. Hiernach war das angefochtene Urteil, welches die Vertragstrafe in der geforderten Höhe von 3000 M. nebst Zinsen zuerkennt, aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das die Klage abweisende erste Urteil zurückzuweisen." . . . R G Z . 7 5 , 335 Kann, wer einen Vertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, den anderen Teil wirksam an die Vertragserfüllung mahnen und dadurch in V e r z u g setzen ? BGB. §§ 123, 284. I.Zivilsenat.
Urt. v. 1. Februar 1911.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". R G Z . 76, 78 Darf, wenn ein T e i l eines Rechtsgeschäfts wegen zu langer Bindung nichtig ist, aus § 139 B G B . die Befugnis des Richters zu der Annahme abgeleitet werden, daß in der E i n i g u n g auf zu lange Zeit auch die E i n i g u n g auf angemessene Zeit enthalten sei. BGB. §§ 138 Abs. 1 u. 139. II. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Amberg.
Urt. v. 28. März 1911. II. Oberlandesgericht Nürnberg.
Der Beklagte Schloß mit der Klägerin am 3. Dezember 1906 für die Zeit vom 1. Oktober 1906 bis zum 1. Oktober 1921 einen Vertrag ab, nach dem er während des angegebenen Zeitraums das Bier für seine Gastwirtschaft zu einem bestimmten Preise von der Klägerin zu beziehen hatte. 15 Zivil-, Alljicm. Teil 2
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Am 18. Dezember 1906 Schloß er mit der Klägerin einen weiteren Vertrag, durch welchen er sich verpflichtete, der Klägerin den Hof seines Anwesens zur Erbauung eines Eiskellers auf ihre Kosten unentgeltlich zur Verfugung zu stellen und die Lagerung und Abgabe von Bier und Eis aus diesem Keller zu überwachen. Diese Verpflichtung übernahm der Beklagte in diesem Vertrag für sich und seine Besitz- und Rechtsnachfolger auf zwanzig Jahre. Die Klägerin erbaute den Eiskeller. Der Beklagte bezog auch das Bier der Klägerin bis zum 1. Oktober 1907. Am 11. September 1907 verkaufte der Beklagte sein Anwesen an die Brauerei T., die jedoch weder in den Bierabnahmevertrag noch in den Eiskellervertrag eingetreten ist. Die Klägerin mußte deshalb an anderer Stelle einen neuen Eiskeller bauen. Wegen Nichterfüllung beider Verträge verklagte die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe von 9600 M. nebst 4 % Zinsen seit dem 23. September 1907. Das Landgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der Mehrforderung zu 5032,06 M. nebst Zinsen. Die Berufung des Beklagten wurde zurückgewiesen. Auf seine Revision erfolgte die Aufhebung des angegriffenen Urteils und die Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Aus den G r ü n d e n : . . . „Der Berufungsrichter lehnt eine Prüfung des Einwandes des Beklagten, daß die Bindung des Beklagten auf 15 Jahre nach den persönlichen und sachlichen Umständen eine unzulässige Beschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit des Beklagten bedeute und daher den Vertrag nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig mache, mit einer nicht zutreffenden Begründimg ab. Er verurteilt den Beklagten zur Erstattung des Gewinnes, der der Klägerin von der Einstellung des Bierbezugs, d. i. vom 1. Oktober 1907, bis zur Verkündung des Urteils erster Instanz, d. i. bis zum 8. November 1909, entgangen sei, in Höhe von 632,06 M.; denn wenn die Bindung auf 15 Jahre auch eine zu lange sein möchte, so liege in der Einigung auf zu lange Zeit auch die Einigimg auf angemessene Zeit; die Zeit vom 1. Oktober 1907 bis zum 8. November 1909, die in zweiter Instanz allein noch im Streite lag, sei aber eine angemessene. Es ist richtig, daß nur der Anspruch auf entgangenen Gewinn für die Zeit vom 1. Oktober 1907 bis zum 8. November 1909 in die zweite Instanz gediehen ist; denn die Klägerin hat sich dabei beruhigt, daß der erste Richter den über den 8. November 1909 hinaus sich erstreckenden Anspruch als noch nicht fällig abgewiesen hat. Allein der Berufungsrichter verletzt den § 139 BGB. Dieser Paragraph läßt, wenn ein Teil eines Rechtsgeschäfts wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig ist (§ 138 Abs. 1 BGB.), ausnahmsweise nicht den ganzen Vertrag nichtig werden, wenn der übrige Teil des Vertrags ohne den nichtigen Teil ebenso abgeschlossen worden wäre, wie er in der Tat abgeschlossen worden ist. Soll diese Ausnahmevorschrift auf den hier streitigen Vertrag angewendet werden — und der Berufungsrichter bezieht sich für seine Ansicht auf § 139 —, so würde der Bierabnahmevertrag ohne
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den nichtigen Teil, also ohne die Zeitbestimmung, abgeschlossen worden sein. Man kann aber nicht mit dem Berufungsrichter sagen, die Parteien, die die Möglichkeit der Nichtigkeit gar nicht ins Auge gefaßt und für diesen Fall keinerlei Abkommen getroffen haben, hätten deshalb, weil eine Bindung von 15 Jahren gegen die guten Sitten verstoße, jedenfalls auf eine geringere Zeit, und zwar auf angemessene Zeit, abgeschlossen. Denn so haben die Parteien eben nicht abgeschlossen; das vermeintlich Geringere ist vom Standpunkt der Parteien aus, der allein entscheidet, nicht etwas Geringeres, sondern etwas anderes. Der Berufungsrichter will an die Stelle des vereinbarten nichtigen Teiles des Vertrags etwas setzen, was die Parteien nicht vereinbart haben. Eine solche Befugnis, die im Falle der Nichtigkeit eines Teiles eines Vertrags zu einem richterlichen Ermäßigungsrecht des Richters führt, kennt der § 139 BGB. nicht. Hieraus folgt die Aufhebung dieses Teiles des Urteils und die Zurückverweisung, damit der Einwand des Verstoßes gegen die guten Sitten geprüft werde, nachdem die erforderlichen Tatsachen festgestellt sein werden. Die Aufhebung dieses Teiles des Urteils zieht die Aufhebung des ganzen Urteils nach sich, weil ein innerer Zusammenhang zwischen dem Bierabnahmevertrag und dem Eiskellervertrag auch den Eiskellervertrag und die aus diesem Vertrag hergeleiteten Ansprüche der Klägerin zu Fall bringen kann, wenn der Bierabnahmevertrag nichtig sein sollte. Diesen inneren Zusammenhang hat der Berufungsrichter nicht geprüft. Der Berufungsrichter hat den Bierabnahmevertrag für sich allein ausgelegt, und zwar dahin, daß nicht etwa ein dingliches Recht der Klägerin begründet, sondern dem Beklagten eine persönliche Verpflichtung auferlegt werden sollte. Diese Auslegung ist zwar beanstandet; der Berufungsrichter hat jedoch Auslegungsgrundsätze nicht verletzt, und es kann dagegen nichts erinnert werden, daß der Berufimgsrichter auch hier, wie beim Bierabnahmevertrag, annimmt, der Beklagte habe nur die persönliche Verpflichtung eingegangen, die nachfolgenden Besitzer seines Anwesens in gleicher Weise der Klägerin gegenüber durch Vertrag zu binden, wie er sich selbst der Klägerin gegenüber in dem Eiskellervertrag gebunden hatte." . . . RGZ. 76, 99 Ist ein Bevollmächtigter, der für seinen Vollmachtgeber eine schriftliche Willenserklärung mit dessen Namen unterschrieben hat, deshalb notwendig als bloßer Schreibgehilfe des Vollmachtgebers anzusehen, weil er in dessen Gegenwart nach eingeholter Willensmeinung desselben die Unterschrift vollzogen hat ? BGB. § 126. VI. Zivilsenat. Urt. v. 4. März 1911. I. Landgericht Crefeld.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf. 15·
228 In dieser Sache ist, nachdem die in Bd. 74 dieser Sammlung S. 69flg. abgedruckte Entscheidung der vereinigten Zivilsenate ergangen war, das Berufungsurteil, unter Zurückverweisung der Sache in die Vorinstanz, aufgehoben worden aus folgenden Gründen: . . . „Es handelt sich darum, daß die Frau Hu., als eine der Erbinnen der Witwe Schm. zu Cr. verklagt ist auf Bezahlung einer Bürgschaftsschuld, welche die letztere durch eine Privaturkunde vom 25. Juni 1904 übernommen haben soll. Dieser Bürgschaftsschein ist mit dem Namen der Witwe Schm. unterzeichnet; seine Echtheit ist aber bestritten worden. Die Klägerin hat in der Berufungsinstanz zugestanden, daß die Unterschrift nicht von der eigenen Hand der Witwe Schm. herrühre, ist aber bei der Behauptung verblieben, daß Frau W. die Urkunde im Auftrage oder mit Genehmigung der Witwe Schm. mit deren Namen unterzeichnet habe, und hat ferner behauptet, daß jene damals von der letztern bevollmächtigt gewesen sei, alle Unterschriften für sie zu besorgen und „die Mieten einzuziehen". Das Oberlandesgericht nimmt diese letztere Behauptung in dem Sinne, daß danach Frau W. eine Generalvollmacht von Frau Schm. gehabt habe, und geht davon aus, daß, wenn die erstere in ihrer Eigenschaft als Bevollmächtigte den Nanlen ihrer Vollmachtgeberin hingeschrieben hätte, damit die Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB. eingehalten und also die Bürgschaft nach § 766 gültig gewesen sein würde. Letzteres ist nach dem für diese Sache maßgebenden Beschlüsse der vereinigten Zivilsenate vom 27. Juni 1910 auch richtig. Das Berufungsgericht hat jedoch trotzdem die Unterschrift hier für formwidrig und wertlos erklärt, weil nach der eignen Darstellung der Klägerin Frau W. nicht als Bevollmächtigte die Unterschrift habe leisten wollen, sondern die Urkunde erst der Witwe Schm. vorgelesen und deren Zustimmung zu ihrer Unterschreibung eingeholt habe; sie habe daher hierbei nur als Schreibgehilfin der letzteren gedient, also keine eigenhändige Namensunterschrift im Sinne des § 126 Abs. 1 hergestellt. Auch dieses letzte trifft an sich rechtlich zu; vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 50 S. 55 u. Bd. 58 S. 387flg.; aber die Annahme, daß Frau W. nicht den Willen gehabt habe, als Bevollmächtigte zu handeln, beruht auf Rechtsirrtum. Das Oberlandesgericht hat hier nämlich nicht etwa eine tatsächliche Feststellung getroffen, für die es auch an der nötigen Begründung fehlen würde, sondern hat nur eine rechtliche Folgerung ziehen wollen. Dabei hat es aber verkannt, daß ein Generalbevollmächtigter, wenn er es auch im einzelnen Falle in seinem innern Verhältnisse zum Vollmachtgeber für angemessen hält, erst dessen Willensmeinung einzuholen, darum doch nach außen hin recht wohl das fragliche Geschäft als Bevollmächtigter vollziehen kann. Im Zweifel würde auch wohl kaum anzunehmen sein, daß er, wenn er einfach mit dem Namen des Vollmachtgebers in einem Falle unterschreibt, wo die Schriftform wesentlich ist, nur als Schreibgehilfe habe handeln wollen, da dadurch ja gerade Nichtigkeit des Geschäftes bewirkt sein würde." . . .
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RGZ. 76, 107 Kann ein Vertrag wegen einer von einem Vertreter, bzw. freiwilligen Geschäftsführer des Gegenkontrahenten verübten arglistigen T ä u s c h u n g angefochten werden ? BGB. §§ 123 Abs. 2, 166 Abs. 1. VI. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Erfurt.
Urt. v. 16. März 1911.
II. Oberlandesgericht Naumburg a. S.
Gründe: „Die hier streitigen 3000 M. nebst Zinsen sind als Teil der Schuld aus einer Bürgschaft eingeklagt, die der Beklagte bei der Klägerin für Darlehnsschulden des Majors v. Dr. und des Kaufmanns v. W. als Selbstschuldner übernommen hat. Es ist vom Berufungsgerichte mit zutreffenden Gründen festgestellt, daß die Klägerin den Beklagten am l . M ä r z 1905 durch einen von ihr mit dem Justizrat Dr. L., dem Schwiegervater des Beklagten, als dessen Vertreter geschlossenen Vertrag aus seiner Bürgschaftsverpflichtung entlassen hat. Ferner hat das Berufungsgericht auch tatsächlich festgestellt, daß L. die Klägerin zu diesem Schulderlasse durch arglistige Täuschung bestimmt hatte, indem er sie bewog, an des Beklagten Stelle ein Fräulein Kr. als Bürgin anzunehmen und dabei gewisse Mitteilungen, welche ihm diese selbst über ihre weniger günstige Vermögenslage gemacht hatte, arglistig verschwieg. Diese tatsächliche Feststellung ist als solche bedenkenfrei. Es fragt sich aber, ob trotzdem das Oberlandesgericht mit Rccht die von der Klägerin gemäß §§ 123, 124 BGB. rechtzeitig erklärte Anfechtung jenes Erlaßvertrages für unberechtigt erklärt und daher auf Grund des Erlasses die Klage abgewiesen hat. Dies war zu verneinen. Das Oberlandesgericht meint, L. habe, wenn er auch als Vertreter des Beklagten die Erlaßerklärung der Klägerin entgegengenommen habe, doch nicht bei Gelegenheit dieses rechtsgeschäftlichen Aktes die Täuschung begangen, sondern sei „lediglich rein tatsächlich außervertraglich" zur fraglichen Zeit tätig gewesen, und daher könne § 123 BGB. hier keine Anwendung finden. Dieser Gedankengang des vorigen Urteils ist nicht wohl verständlich. Auszugehen ist davon, daß L., wenn nicht als Bevollmächtigter — wofür nichts vorliegt —, dann jedenfalls als freiwilliger Geschäftsführer des Beklagten, mit dessen nachträglicher Genehmigung, für den Beklagten den Schulderlaß von der Klägerin erwirkt hat. Er hat den Erlaßvertrag im Namen des Beklagten geschlossen; also ist er zweifellos nicht als ein „Dritter" im Sinne des § 123 Abs. 2 anzusehen. Vor dem Jahre 1900 wurde wohl nie bezweifelt, daß ein durch einen Vertreter geschlossener Vertrag wegen kausalen Betruges des Vertreters vom Vertragsgegner angefochten werden könne. Auf dem Boden des römischen Rechtes konnte hier eigentlich nicht einmal eine Frage aufgeworfen werden; denn da dort die meisten Rechte durch einen Vertreter
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überhaupt nicht direkt dem Vertretenen erworben werden konnten, war dieser auf eine actio utilis aus der Person des Vertreters angewiesen, und dieser stand natürlich auch die exceptio doli aus der Person desselben entgegen, ebenso einer entsprechenden exceptio pacti die etwaige replicado doli. Als nun allmählich sich Klarheit darüber verbreitete, daß nach modernem Gewohnheitsrechte längst die Stellvertretung direkte Rechtswirkung habe, ist es den Urhebern und Anhängern dieser richtigen Lehre nicht eingefallen, deshalb nun das Verhalten und die Seelenzustände des Vertreters beim Vertragsschluß im Gegensatze zum römischen Rechte für bedeutungslos zu erklären. Allerdings war in der betreffenden Literatur ausdrücklich mehr von Willensmängeln eines auf der passiven Seite handelnden Vertreters die Rede, wohl weil man meistens die Wirksamkeit eines aktiven Betrüge«; eines Vertreters für ganz selbstverständlich hielt; aber z. B. der Hauptdarsteller der neuen Lehre, Buchka (Stellvertretung S. 243), hebt noch besonders hervor, daß der Vollmachtgeber im heutigen Rechte natürlich für den Dolus seines Bevollmächtigten ebenso haften müsse, wie bei den Römern. Es ist nun undenkbar, daß das Bürgerliche Gesetzbuch diesen altüberlieferten und den Bedürfnissen des Lebens entsprechenden Rechtszustand hätte ändern wollen. Zugegeben werden muß allerdings, daß er sich in demselben nicht gerade unmittelbar ganz deutlich ausgesprochen findet. Man kann aber schon an sich unter dem „Dritten" des § 123 Abs. 2 kaum eine Person mitverstehen, die selbst das betreffende Rechtsgeschäft abschließt, und jedenfalls drängt zur Abweisung einer solchen Auslegung die Analogie der Bestimmung des § 166 Abs. 1 BGB., der freilich unmittelbar wohl nur die Seelenzustände eines auf der passiven Seite handelnden Vertreters betrifft. Eine ähnliche entsprechende Anwendung von § 166 Abs. 1 hat der VII. Zivilsenat des Reichsgerichts gemacht laut der Entsch. in Zivils. Bd. 58 S. 344flg., wo es sich um falsche Angaben des Vertreters eines Versicherten handelte. Der § 166 Abs. 1 bestimmt nun zwar ausdrücklich nur über Bevollmächtigte und sonstige Vertreter mit Vertretungsmacht, nicht auch über bloße negotiorum gestores, die im Namen eines Geschäftsherrn handeln, der dann nachträglich genehmigt; aber auch in dieser Hinsicht ist die entsprechende Anwendung unabweisbar, wie gleichfalls vom VII. Zivilsenate laut der Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 68 S. 376flg. schon dargelegt ist. Der hier vertretenen Ansicht über die Auffassung des § 123 Abs. 2 BGB. sind auch v. S t a u d i n g e r , Kommentar (Aufl. 5 u. 6), Bd. 1 Bern. IV, 3, b zu § 123 S. 430, D e r n b u r g , Bürgerl. Recht (Aufl. 3), Bd. 1 § 147 Anm. 15, S. 494, und R e h b e i n , BGB., Bd. 1 Bern. 4, b zu §§ 164—181 S. 257flg., der aus dem römischen Recht passend anführt 1. 15 § 2 D. de dolo m. 4, 3, wonach der Geschäftsherr wegen Dolus des Bevollmächtigten bis zur Grenze der Bereicherung sogar auf Schadensersatz haftet. Nach dem bisher Ausgeführten mußte die Aufhebung des Berufungsurteils erfolgen. . . .
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In der Sache selbst konnte . . . nicht erkannt werden, da noch offen geblieben ist, ob die Klägerin auch den Beklagten direkt aus der Haftung entlassen hat, und da für den Fall der Bejahung noch zu erörtern wäre, ob auch dieser Schulderlaß erfolgreich wegen arglistiger Täuschung angefochten sei. Daher mußte nach § 565 Abs. 2 ZPO. die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden." . . . RGZ. 76, 191 Wer ist als Aussteller einer Urkunde im Sinne des § 126 BGB. anzusehen ? Rechtsgeschäftliche Erklärungen in einem von einem Dritten aufgenommenen, von dem Erklärenden mitunterzeichneten Protokoll. Zu § 177 FrGG. BGB. §§ 126. FGG. 177. VI. Zivilsenat. Urt. v. 4. Mai 1911. I. Landgericht II Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Der Beklagte Z. war bis zum 13. April 1907 Geschäftsführer der Klägerin, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. In der an diesem Tage abgehaltenen Gesellschafterversanmilung wurde nach Inhalt des darüber von dem Bücherrevisor Sp. aufgenommenen Protokolls über einen bei der Kassenführung entstandenen Fehlbetrag verhandelt und die Verpflichtungen des Beklagten der Klägerin gegenüber auf 7035,21 M. beziffert. In dem Protokoll hieß es dann weiter: „Die Herren Direktor P. und L. verlangen, daß Herr Z. sofort erkläre, in welcher Weise er die Schuld decken wolle. Herr Z. erkennt an, daß er die volle Verantwortung für das Manko zu tragen habe und zur Bezahlung verpflichtet sei. Er bittet indessen, ihm Frist zu geben. Die Gesellschafter sind dazu bereit, wenn Herr Z. einen solventen Bürgen stellt. Herrn Z. wird eine Frist bis zum Montag Abend bewilligt. Bis zu diesem Zeitpunkt hat er Herrn Direktor P. einen Bürgschaftsschein zu überreichen." Das Protokoll, das außer der Erklärung des Beklagten, daß er seinen Posten als Geschäftsführer niederlege, noch eine Reihe von Beschlüssen enthielt, war unterzeichnet von Sp. (mit der Bemerkung „für das Protokoll"), von einer Anzahl Gesellschafter und vom Beklagten. Die Klägerin, die in dem Protokoll ein vom Beklagten formgerecht abgegebenes Schuldanerkenntnis erblickte, forderte die Zahlung eines Teilbetrags. Die Vorinstanzen haben nach dem Klagantrag erkannt. Die Revision des Beklagten ist zurückgewiesen worden. Aus den G r ü n d e n : „Das Berufungsgericht nimmt an, daß die Erklärungen des Beklagten in der Gesellschafterversammlung vom 13. April 1907 als ein abstraktes Schuldanerkenntnis aufzufassen seien. Die Umstände des Falles ergäben,
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daß er ein solches, und zwar des Inhalts habe abgeben wollen, daß er als Mindestbetrag seiner Schuld die Summe von 7035,21 M. anerkannt habe, die nach den bisherigen Feststellungen als Fehlbetrag ausgerechnet gewesen sei. Dies sei seine Meinung und die der Gesellschafter gewesen. Denn jener Fehlbetrag sei durch unordentliche Buchführung entstanden, an der der Beklagte nach Ansicht der Gesellschafter die Schuld getragen habe. Den Fehlbetrag in seinen einzelnen Posten nachzuweisen, sei der Klägerin bei der unordentlichen Buchführung schwer oder unmöglich gewesen. Es habe ihr daher daran gelegen, den Beklagten in Höhe des bisher festgestellten Fehlbetrags in einer Art zur Zahlung zu verpflichten, die ein Zurückgehen des Beklagten darauf, ob er denselben verschuldet habe, sowie einen Nachweis der einzelnen Posten erübrigte. Hierzu sei ein abstraktes Schuldanerkenntnis geeignet gewesen, und im Sinne eines solchen habe sie die Erklärung vom Beklagten verlangt. Das sei auch diesem klar gewesen, und in diesem Sinne habe er seine Erklärung abgegeben. Die Behauptung des Beklagten, er habe das Protokoll als Geschäftsführer, nicht aber um ein Anerkenntnis abzugeben, unterschrieben, sei deswegen unbeachtlich, weil es sich hier nur um die Form, das äußere Aussehen der Erklärung handele, und es dabei gleichgültig sei, aus welchem Grunde er die Schriftform gewählt habe. Die Revision macht demgegenüber geltend, daß die zur Gültigkeit des Schuldanerkenntnisses erforderte s c h r i f t l i c h e Erteilung dieser Erklärung durch die Urkunde vom 13. April 1907 nicht gewahrt sei. Das Gesetz erfordere die Unterzeichnung der Urkunde durch den Aussteller (BGB. § 126). Vorliegendenfalls sei Sp. der Aussteller, als derjenige, der das Protokoll geführt und unterzeichnet habe. Die Gegenzeichnung des Protokolls durch Gesellschafter und den Beklagten stelle lediglich das Einverständnis dieser Personen mit dem Inhalte des Protokolls fest, das nach der Schlußbemerkung vorgelesen und genehmigt worden sei. Durch eine solche Gegenzeichnung werde aber eine im Protokoll festgelegte Erklärung einer der genehmigenden Personen nicht zu einer schriftlichen Erklärung dieser P e r s o n . . . . Diese Ausführungen können der Revision nicht zum Erfolge verhelfen. Als Aussteller einer Urkunde im Sinne von § 126 Abs. 1 ist anzusehen, wer die in der von ihm unterschriebenen Urkunde enthaltene r e c h t s g e s c h ä f t l i c h e Erklärung — sei es im eigenen Namen, sei es in Vertretung eines anderen — abgegeben hat, der „Urheber" einer Willenserklärung. Ein Protokoll b r a u c h t nun allerdings rechtsgeschäftliche Erklärungen des Unterzeichners oder einer der Unterzeichner überhaupt nicht zu enthalten; sein Inhalt und seine Bedeutung kann sich auf die historische Feststellung gewisser Vorgänge beschränken. Es ist aber nicht abzusehen, warum es nicht im einzelnen Falle auch rechtsgeschäftliche Erklärungen eines der Unterzeichner enthalten k a n n . Das war nach den zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts hier der Fall, denen noch hinzugefügt werden mag, daß nach Inhalt des Protokolls die vom Beklagten abgegebenen
233 Erklärungen ihm ausdrücklich abverlangt worden waren. Durch die Unterzeichnung des Protokolls hat er auch diese Erklärungen unterschrieben; er gilt daher insoweit als Aussteller der Urkunde; die in § 781 B G B . geforderte Form des § 126 Abs. 1 B G B . ist mithin erfüllt. Die Tragweite und die Bedeutung der Unterschrift ergibt sich aus dem Texte ; soweit darin rechtsgeschäftliche Erklärungen enthalten sind, werden sie auch durch die Namensunterschrift ihres Urhebers gedeckt, und es würde dessen Sache sein, darzulegen, daß die Unterschrift sich darauf nicht habe beziehen sollen. Das ist nicht geschehen. Die Behauptung des Beklagten, er habe die Urkunde n u r in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer unterschrieben, wird durch den Inhalt der Urkunde selbst widerlegt. Selbstverständlich bedurfte es, um sowohl eine rechtsgeschäftliche Verpflichtung zu übernehmen, als auch sein Einverständnis mit dem sonstigen Inhalte des Protokolls in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer zu erklären, nicht der zweimaligen Unterzeichnung seines Namens. Nicht zutreffend ist auch die Meinung der Revision, die Richtigkeit der von ihr vertretenen Auffassung ergebe sich aus § 126 Abs. 3 B G B . , da nach § 177 Abs. 1 F r G G . bei gerichtlicher oder notarieller Beurkundung ein Protokoll aufgenommen werden müsse, das vorgelesen, von den Beteiligten genehmigt und von ihnen eigenhändig unterschrieben werden müsse, so daß, wenn die Ansicht des Berufungsgerichts richtig wäre, diese Form Schriftform s e i n , sie nicht aber e r s e t z e n würde, wie es doch nach § 126 Abs. 3 der Fall sei. Dabei geht die Revision von der Annahme aus, daß diese Vorschrift l e d i g l i c h eine nach den Formvorschriften des F r G G . , insbesondere des § 177, vorzunehmende Beurkundung im Auge habe. Das ist jedoch nicht der Fall. Diese letztere Vorschrift bezieht sich nur auf die Beurkundung v o n R e c h t s g e s c h ä f t e n , § 126 Abs. 3 dagegen auf gerichtliche und notarielle Beurkundungen j e d e r A r t , auch auf solche, bei denen das aufgenommene Protokoll nicht unterschrieben zu werden braucht (vgl. das Urteil des erkennenden Senats in den Entsch. in Zivils. Bd. 64 S. 82flg.), wie denn überhaupt auch auf solche, bei denen das Protokoll nicht einmal vorgelesen zu werden braucht. Weiter übersieht die Revision, daß eine gerichtliche oder notarielle Beurkundung nach den Vorschriften des F r G G . unter Umständen auch ohne eigenhändige Unterzeichnung eines Beteiligten, der die Erklärung abgegeben hat, erfolgen kann (§ 177 Abs. 2 das.). Der Gesetzgeber hat eben bei § 126 Abs. 3 gerade die Fälle der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung im Auge gehabt, bei der weder eigenhändige Namensunterschrift des Erklärenden, noch sein gerichtlich oder notariell beglaubigtes Handzeichen erfordert wird." . . . R G Z . 76, 354 Besteht ein Anspruch auf Maklerlohn, wenn der vermittelte Vertrag durch arglistige Täuschung des Auftraggebers zustande gekommen und deshalb mit Erfolg angefochten ist ?
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BGB. §§ 652, 142. III. Zivilsenat. Urt. v. 10. Mai 1911. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht: Schuldrecht". RGZ. 76, 439 Wird die Haftung des in das Geschäft eines Einzelkaufmanns Eintretenden durch die Anfechtung des Gesellschaftsvertrages wegen arglistiger Täuschung berührt, wenn der Eintritt ins Handelsregister eingetragen ist ? HGB. § 28. BGB. § 123. II. Zivilsenat. Urt. v. 12. Juli 1911. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Die Witwe R. war Alleininhaberin einer Großschlächterei. Eine im Betriebe dieses Geschäftes begründete Schuld von 6665,50 M. nebst Zinsen und 132,85 M. Kosten wurde von dem Gläubiger, Kaufmann Α., an den Kläger abgetreten. Auf Grund Vertrags vom 20. April 1909 trat der Beklagte zu 2 in das Geschäft der Witwe R. als persönlich haftender Gesellschafter ein. Beide führten das Geschäft als offene Handelsgesellschaft R. & Co., Beklagte zu 1, weiter. Die Gesellschaft wurde am 8. Mai 1909 in das Handelsregister mit dem Bemerken eingetragen, daß die Gesellschaft am 20. April 1909 begonnen habe und die Witwe R. sowie der Beklagte zu 2 persönlich haftende Gesellschafter seien. Die Eintragung wurde öffentlich bekannt gemacht. Der Kläger erhob am 4. November 1909 Klage auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung der vorgenannten Schuld. Vom Berufungsgericht wurden die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung verurteilt und zwar der Beklagte zu 2 auf Grund des § 28 HGB. Die von diesem Beklagten eingelegte Revision wurde zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : „Bei der an sich aus § 28 HGB. begründeten Haftung des Beklagten zu 2 für die Klageforderung und im Hinblick auf die von der Revision im übrigen noch geltend gemachten Angriffe konnte es sich nur darum handeln, ob der Berufungsrichter ohne Rechtsirrtum die zur Begründung der Nichthaftung des Beklagten zu 2 erhobenen Einwendungen für unerheblich erachtet hat. Diese gehen dahin, Beklagter zu 2 sei von der Witwe R. durch arglistige Täuschung zum Abschluß des Vertrages vom 20. April 1909 bestimmt worden; infolge dieser arglistigen Täuschimg sei er auch veranlaßt worden, die zu der Eintragung in das Handelsregister vom 8. Mai 1909 erforderlichen Erklärungen abzugeben; er habe ferner irrtümlich angenommen, daß er durch den Eintritt in das Geschäft der Witwe R. als persönlich haftender Gesellschafter kraft Gesetzes eine Verpflichtung nicht übernehme, die im Geschäfte begründeten Schulden der Witwe R. zu zahlen.
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Dem Berufiingsrichter war darin beizutreten, daß dieses Vorbringen nicht geeignet ist, die Haftung des Beklagten zu 2 auszuschließen. Dies gilt,soweit er sich auf Irrtumsanfechtung beruft, schon deshalb, weil nach dem Vorbringen desselben nur ein Irrtum über die Rechtsfolgen seiner Erklärungen in Frage stehen würde, der nach § 119 BGB. nicht beachtlich ist. Soweit er aber Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages vom 20. April 1909 und seiner behufs Eintragung in das Handelsregister abgegebenen Erklärungen wegen arglistiger Täuschung von Seiten der Witwe R. gemäß § 123 BGB. geltend macht, kann es nicht, wie die Revision meint, als rechtsirrig bezeichnet werden, wenn der Berufiingsrichter dieser angeblichen Nichtigkeit deswegen eine Bedeutung nicht beilegt, weil er in der Eintragung der offenen Handelsgesellschaft und des Beklagten zu 2 als persönlich haftenden Gesellschafters in das Handelsregister und in der erfolgten Bekanntmachung dieser Eintragung eine öffentlich abgegebene Erklärung erblickt, aus welcher der Beklagte selbständig im Hinblick auf § 28 HGB. hafte. In der mit dem Willen des Beklagten erfolgten Eintragung in das Handelsregister vom 8. Mai 1909 und der Bekanntmachung derselben lag die öffentlich abgegebene Erklärung des Vollzugs des Eintritts in das Geschäft der Witwe R. als persönlich haftender Gesellschafter, welche im Hinblick auf § 28 die Schuldenhaftung des Beklagten den Gläubigern gegenüber selbständig begründete und aus welcher er zu diesen in ein tinmittelbares Haftimgsverhältnis trat. Diese den Gläubigern gegenüber selbständig begründete Verpflichtung ist unabhängig von dem dem Eintritt in das Geschäft zugrunde liegenden Vertrage und den behufs Eintragung in das Handelsregister abgegebenen Erklärungen und wird deshalb auch durch deren etwaige Nichtigkeit nicht berührt. Die auf Grund der arglistigen Täuschung der Witwe R. geltend gemachte Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrags und der zunl Handelsregister abgegebenen Erklärungen würde dem Gläubiger gegenüber nur dann gemäß § 123 Abs. 2 BGB. von Bedeutung sein, wenn er die Täuschung gekannt hätte oder hätte kennen müssen. Das hat der Beklagte aber nicht behauptet."
R G Z . 77, 70
Wird vereinbarte Form der Kündigung mittels „eingeschriebenen" Briefes dadurch ersetzt, daß der Beklagte von dem Inhalte der ihm zugestellten, die Kündigung aussprechenden Klageschrift Kenntnis nimmt ? BGB. §§ 127, 157. V. Zivilsenat. Urt. v. 23. September 1911. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Frage ist bejaht aus folgenden
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Gründen: . . . „Die Klage enthält, soweit sie auf die Feststellung gerichtet ist, daß die Klägerin nicht Mitglied des Beklagten sei, die unzweideutige Äußerung des Willens, dem verklagten Vereine nicht weiter angehören zu wollen; und diese Willenserklärung hat auf alle Fälle mit dem Ablaufe des 30. April 1909, als dem Schlüsse des Vereinsjahres, in dessen erstem Monate die Klage zugestellt worden ist, die Beendigung der Mitgliedschaft zur Folge gehabt. Allerdings sollte nach § 2 der Satzung vom 30. April 1899 der Austritt nur mittels eines, spätestens ein Vierteljahr vor Ablauf des Vereinsjahres in die Hände des Vereinsvorsitzenden gelangten eingeschriebenen Briefes erfolgen können. Für die Kündigungserklärung war also neben der Erklärungsform der Schriftlichkeit noch eine besondere Übersendungsform, die der eingeschriebenen Postsendung, vereinbart. Allein die Nichtbeachtung dieser Übersendungsform würde, einerlei ob altes oder neues Recht anwendbar, die Unwirksamkeit der Kündigungserklärung der Klägerin nur dann zur Folge gehabt haben, wenn die Erklärung nicht rechtzeitig zur Kenntnis des Vorsitzenden des verklagten Vereins gelangt wäre. Denn eine Vorschrift, wie sie in § 127 Satz 1 BGB. für die Erklärungsform der Schriftlichkeit gegeben ist, war für die Übersendungsform des „Einschreibens" dem früheren Recht ebenso wenig bekannt, wie sie es dem heutigen Recht ist. Der Zweck der Vereinbarung, daß die schriftliche Kündigungserklärung „eingeschrieben" übersandt werden müsse, erschöpfe sich für den Beklagten in der Gewähr, den diese Übersendungsform für die Erlangung der Kenntnis von dem Inhalte der übersandten Erklärung bietet. Angesichts der Tatsache, daß der Vorsitzende des verklagten Vereins von dem Inhalte der zugestellten Klageschrift alsbald Kenntnis genommen hat, bedurfte deshalb die Ausführung des Berufungsgerichts, daß die Klagezustellung den Einschreibebrief ersetzt habe, keiner weiteren Begründung." RGZ. 77, 309 ι . W a n n k a n n j e m a n d , der eine U r k u n d e unbesehen unterschrieben hat, die darin enthaltene Willenserklärung wegen Irrt u m s anfechten ? 2. Zur A n f e c h t u n g wegen arglistiger T ä u s c h u n g . BGB. §§ 119, 123. I. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 15. November 1911. I. Landgericht Elberfeld.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
Der frühere Schleifer Friedrich E. und die beiden Beklagten hatten in W. unter der Firma Friedr. E. & Co. eine offene Handelsgesellschaft gegründet, die eine Rasiermesser-Fabrik mit Hohlschleiferei betrieb. Im Gesellschaftsvertrage war bestimmt, daß beim Tode eines Gesellschafters
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die Gesellschaft unter den übrigen fonbestehen sollte. Am 3. Mai 1908 starb Friedrich E. Die alleinige Vorerbin war seine Witwe, die Klägerin; die gemeinsamen Kinder waren als Nacherben eingesetzt. Am 9. desselben Monats unterzeichneten die Parteien folgende Erklärung in notarieller Form und sandten sie dem Registergerichte zu: „Aus der offenen Handelsgesellschaft Friedr. E. & Co. in W. ist der am 3. Mai 1908 verstorbene Gesellschafter, Herr Friedrich E., durch Tod ausgeschieden. Die obige Firma wird nach dem Gesellschaftsvertrage von den beiden anderen Teilhabern, nämlich den Herren S. und Eh., fortgesetzt. Die Unterzeichneten melden dies hierdurch zum Handelsregister an und beantragen die Löschung des bisherigen Teilhabers Friedrich E. bzw. die Umschreibung der Firma auf die Herren S. und Eh." Die Klägerin hatte diese Erklärung durch ihren ältesten Sohn Karl durchlesen lassen und sodann, ohne sie selbst zu lesen, unterschrieben. Der Name E. genoß für Rasiermesser einen besonderen Ruf, so daß eine Firma, in der dieser Name vorkam, einen erheblichen Vermögenswert darstellte. Am 26. August 1908 focht die Klägerin ihre Erklärung dem Registergerichte gegenüber, am 1. September 1908 den Beklagten gegenüber wegen Irrtums und Betruges an. Sie wollte angenommen haben, daß es sich nur um eine Anmeldung des Todes ihres Ehemanns handele; auch habe sie geglaubt, an Stelle ihres Mannes in die Gesellschaft eingetreten zu sein; die Beklagten hätten sie durch Äußerungen wie die: „wenn ihr Mann als ausgeschieden in der Zeitung stehe, solle sie als Teilhaberin mit darunter stehen", „es sei selbstverständlich, daß sie als Teilhaberin im Geschäfte bleibe", arglistig in dem Irrtume bestärkt. Hierauf gründete sich die Klage, mit welcher Feststellung verlangt wurde, daß die Erklärung vom 9. Mai 1908, besonders die darin enthaltene Einwilligung in die Fortführung der Firma durch die Beklagten, nichtig sei. Die Beklagten bestritten jeden Irrtum der Klägerin sowie die ihnen in den Mund gelegten Äußerungen, behaupteten auch, die Irrtumsanfechtung sei nicht rechtzeitig erfolgt, der angebliche Irrtum nicht kausal gewesen. Das Landgericht erkannte auf die den Beklagten über ihre Äußerungen zugeschobenen Eide. Dagegen wies das Oberlandesgericht, das von beiden Parteien mit der Berufung angegangen war, die Klage ab. Auf Revision der Klägerin wurde die Sache in die Vorinstanz zurückverwiesen. Gründe: „1. Der Anfechtung wegen Irrtums hat das Oberlandesgericht den Erfolg versagt, weil sich die Klägerin bewußt einer eigenen Prüfung des Schreibens vom 9. Mai 1908 begeben habe. Nach ihrer Schilderung habe sie dieses Schreiben absichtlich nicht gelesen, vielmehr das unterschreiben wollen, was ihr Sohn Karl vorher gelesen und geprüft hatte. Da sie sich aus freiem Entschlüsse auf die Prüfung eines Dritten verlassen habe, könne sie mit der Behauptung nicht gehört werden, daß sie bei eigener Prüfung
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die Erklärung nicht abgegeben haben würde. Die Sicherheit des Verkehrs verlange, daß der Erklärende in einem solchen Falle den Inhalt der Erklärung als gewollt gegen sich gelten lasse. Diese Erwägungen sind nicht geeignet, das Urteil zu tragen. Die Grundlage der Klage ist nicht die, daß die Klägerin bei eigener Prüfung des Schriftstücks, sondern daß sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles von der Unterzeichnung Abstand genommen hätte (§ 119 BGB.). Daß eine selbständige Prüfung sie aufgeklärt haben würde, behauptet die Klägerin nicht. Sie ist damit einverstanden, was das Oberlandesgericht gegen Schluß seiner Urteilsgründe ausspricht: selbst wenn sie das Schriftstück vor der Unterschrift durchgelesen hätte, würde sie im Vertrauen auf die bessere Einsicht Karls die Erklärung dennoch unterschrieben haben. Die Bemerkung aber, sie habe das unterzeichnen wollen, was Karl geprüft hatte, bezog sich auf ihre in der zweiten Instanz vorgebrachte Behauptung der Unterschiebung eines falschen Schriftstücks. Die Klägerin hatte gemeint, die Beklagten hätten ihr statt des von Karl in der Wohnung geprüften Papiers vor dem Notar ein anderes zur Unterschrift vorgelegt. Diese Behauptung ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberlandesgerichts durch die Beweisaufnahme widerlegt. Dagegen dürfen die Worte der Klägerin nicht zu der Ansicht führen, als sei ihr, sofern nur ihr Sohn ihn billigte, der Inhalt des Schriftstücks gleichgültig gewesen. Unstreitig hatte sie den Sohn nur als Berater zugezogen, weil sie ihm eine größere Sach- und Geschäftskenntnis zuschrieb als sich selbst. Dem Umstände, daß er das Papier geprüft hat, kann danach eine entscheidende Bedeutung nicht zukommen. Die Sache ist ebenso zu beurteilen, wie wenn die Prüfung nicht stattgefunden hätte. Unterzeichnet jemand eine Urkunde, ohne sie gelesen zu haben und ohne daß sie ihm vorgelesen wird, so kann der Tatbestand ein verschiedener sein. Selbstverständlich ist eine Anfechtung wegen Irrtums ausgeschlossen, wenn die Unterzeichnung im Bewußtsein der Unkenntnis des Inhalts der Erklärung und ohne jede Vorstellung davon erfolgt. Da der Unterzeichnende in solchem Falle schlechterdings nichts über den Erklärungsinhalt denkt, denkt er eben auch nichts Irriges darüber, so daß mit Bezug auf jenen Inhalt nichts weiter als die reine Unwissenheit vorhanden ist (vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 62 S. 203, 205). Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt den häufig ausgesprochenen Satz, der im Interesse der Verkehrssicherheit nicht entbehrt werden kann, daß der Einwand allein, man habe die Urkunde vor der Unterzeichnung nicht gelesen, sie sei auch nicht vorgelesen, nicht zugelassen werden darf (vgl. ζ. B. Reichsgerichtsentscheidung in Jur. Wochenschr. 1908 S. 327 Nr. 7). Wer einen zur Annahme eines Geschäftsirrtums geeigneten Sachverhalt dartun will, erreicht das Ziel durch den bloßen Hinweis auf das unterlassene Vorlesen oder Selbstlesen der unterzeichneten Urkunde deshalb nicht, weil er sich, indem er blindlings unterschrieb, möglicherweise überhaupt keine Vorstellung über das Unterschriebene gebildet hat. Allein man kann eine Urkunde
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blindlings unterzeichnen, ohne das Bewußtsein zu haben, daß man ihren Inhalt nicht kennt. War man ζ. B. der Meinung, die Urkunde gebe die vorausgegangenen Vertragsberedungen wieder, so greift, wenn man sich darin täuschte, die Anfechtung wegen Irrtums Platz (vgl. Reichsgerichtsentscheidung in Jur. Wochenschr. 1909 S. 214 Nr. l ; W a r n e y e r s Rechtspr. 1909 S. 547, 1911 S. 472). Hierhin würde auch der vorliegende Fall gehören, wenn die Klägerin geglaubt haben sollte, das Schreiben vom 9. Mai 1908 melde nur den Tod ihres Ehemanns an. Damit sind die Irrtumsfalle noch nicht erschöpft. Es ist möglich, daß, wer unbesehens unterschreibt, zwar seiner Unkenntnis des Inhalts sich bewußt ist, aber gleichwohl in negativer Hinsicht von einer Vorstellung darüber geleitet wird. So wenn er eine gewisse Klausel, die in Wirklichkeit in der Urkunde steht, darin nicht enthalten wähnt. Die Vorstellung braucht auch nicht auf eine bestimmte Klausel gerichtet zu sein. Der Unterzeichner setzt, sei es mit Recht oder Unrecht, einen gewissen Sachverhalt als bestehend voraus und nimmt an, daß die Erklärung diesem Sachverhalte nicht widerspreche. Widerspricht sie ihm dennoch, so hat er über den Inhalt der Erklärung geirrt. Das ist der Fall, auf den die weitere Behauptung der Klägerin abzielt. Die Klägerin will davon ausgegangen sein, daß der Tod ihres Mannes sie zur Gesellschafterin gemacht habe und daß sie als solche auch fernerhin zu dem Geschäfte in Beziehung stehen werde. Die Meinung, das unterzeichnete Schriftstück enthalte nichts Gegenteiliges, würde einen Irrtum über dessen Inhalt bedeuten. Wer selbst Teilhaber einer Firma zu bleiben gedenkt, kann natürlich nicht darin willigen, daß die Firma von andern ohne ihn fortgeführt wird. Eine solche Einwilligung aber wurde, was die Klägerin nicht gcwußt haben will, in dem Schreiben erklärt. Darüber nun, ob die Klägerin das Schreiben vom 9. Mai 1908 nur für eine Todesanzeige gehalten hat, äußert sich der Berufungsrichter nicht. Ihre Annahme, sie sei Gesellschafterin geworden, stellt er für den August 1908, als die Unterredungen auf dem Amtsgerichte stattfanden, fest, läßt jedoch ausdrücklich unentschieden, ob der Irrtum schon früher vorhanden war. Hat aber jener oder dieser Glaube im Augenblicke der Unterzeichnung bei der Klägerin vorgeherrscht und hielt sie im zweiten Falle die Urkunde mit der irrigen Annahme des Eintritts in die Gesellschaft und des Verbleibens in der Gesellschaft für verträglich, so hat sie sich über den Inhalt ihrer Erklärung geirrt. Es würde dann nur noch untersucht werden müssen, ob sie die Erklärung bei Kenntnis der Sachlage und verständiger Würdigung des Falls unterlassen haben würde, sowie ob die Anfechtung nicht zu spät gekommen ist. 2. Auch die Täuschungsanfechtung hat das Berufungsgericht ohne Beweisaufnahme zurückgewiesen. Es erachtet es für gleichgültig, ob die Beklagten wider besseres Wissen zu der Klägerin geäußert haben, sie sei und bleibe Teilhaberin des Geschäfts. Bestimmend könne die Täuschung nicht geworden sein. Habe die Klägerin nicht schon am 9. Mai 1908 an ihre Teilhaberschaft geglaubt, so sei sie zum mindestens über die Sachlage
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im unklaren gewesen. Diese Unklarheit und das Vertrauen auf die bessere Einsicht ihres Sohnes Karl würden, so meint das Gericht, die Unterzeichnung der Urkunde durch die Klägerin herbeigeführt haben, auch wenn die Beklagten nicht in der behaupteten Weise auf sie eingeredet hätten. Hier geht das Urteil rechtlich zunächst insofern fehl, als es den behaupteten Äußerungen ein zu geringes Gewicht beilegt. Nicht geprüft ist schon die Frage, ob denn Karl E., der doch die Reden der Beklagten mitangehört haben soll, ohne diese Reden das Schriftstück für harmlos erklärt und der Klägerin zur Unterschrift empfohlen haben würde. Und wenn dies auch zu bejahen sein sollte, bliebe weiter zu fragen, ob nicht die Äußerungen der Beklagten neben dem Rate des Sohnes auf die Klägerin eingewirkt haben. Der Begriff des Kausalzusammenhangs schließt es nicht aus, daß der Erfolg durch mehrere Ursachen herbeigeführt wird. Eine Willenserklärung ist anfechtbar nach § 123 BGB., wenn eine arglistige Täuschimg auch nur mitbestimmend für ihre Abgabe geworden ist. Sodann aber hat das Berufungsgericht den Fall nach der Richtimg nicht erschöpft, wie er sich darstellt, wenn man die behaupteten Äußerungen beiseite läßt. Haben die Beklagten die Unklarheit der Klägerin über die Rechtslage bemerkt, so war es ihre Pflicht, sie aufzuklären. Sie durften nicht dazu schweigen, daß ihnen ein wertvolles Vermögensstück wie die Firma, ohne Gegenleistung allein aus dem Grunde ausgeliefert wurde, weil die Klägerin die ihr zustehenden Rechte verkannte. Eine arglistige Täuschung kann auch durch Stillschweigen begangen werden, wenn Treu und Glauben nach der Verkehrsauffassung das Reden erfordern. Vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 62 S. 149, Bd. 69 S. 15. Allerdings müßten sich die Beklagten der Unklarheit der Klägerin bewußt gewesen sein. Ob sie das waren, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt." . . . RGZ. 78, 115 Gilt, wenn bei der gerichtlichen oder notariellen Beurkund u n g eines Kaufvertrages über Grundstücke der Kaufpreis z u m Schein höher, als vereinbart, a n g e g e b e n wird, das verdeckte Rechtsgeschäft ? BGB. §§ 117, 313. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 16. Dezember 1911. I. Landgericht Bautzen.
II. Oberlandesgericht Dresden.
Durch gerichtlich beurkundeten Vertrag vom 18. März 1910 verkaufte der Beklagte seine Grundstücke an den Kläger, der damals mit der Tochter des Beklagten verlobt war und diese am 18. April 1910 geheiratet hat. In dem Vertrage heißt es, daß die Grundstücke „für den vereinbarten Kaufpreis von 60000 M." verkauft würden (§ 1), und daß der Kaufpreis in der
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Weise berichtigt werden solle, daß a) 40000 M. dem Kläger gestundet würden, b) 11500 M. am Tage der Auflassung bar zu zahlen seien, und der Käufer c) 8500 M. Baukosten, die durch Renovation der Gutsgebäude gegenwärtig entstanden seien, zur eigenen Berichtigung übernehme. Die gestundeten 40000 M. sollten der damaligen Braut des Klägers als Vorbehaltsgut überwiesen und auf dem Hauptgrundstücke hypothekarisch eingetragen werden (§ 3). Die Übergabe sollte am Vertragstage, die Auflassung alsbald nach der Verheiratung des Klägers erfolgen (§ 4). Dem Beklagten und seiner Ehefrau sollte ein Wohnungsauszug vorbehalten bleiben (§ 6), und der Kläger sollte dem Beklagten gewisse Fuhren und Dienste zu leisten haben (§ 7). Endlich wurde bestimmt (§ 8): „Sollten die in § 2c erwähnten Baukosten mehr als 8500 M. betragen, so hat der Käufer auch den Mehrbetrag zu tragen." Da sich der Beklagte weigerte, die Grundstücke aufzulassen, wurde der Kläger, der sich zur Erfüllung der ihm nach dem Kaufvertrage obliegenden Verpflichtungen erbot, mit dem Antrage klagbar, den Beklagten zur Auflassung zu verurteilen. Der Beklagte beantragte die Abweisung der Klage, für den Fall der Annahme der Gültigkeit des Vertrages aber, ihn zur Auflassung nur Zug um Zug gegen Zahlung von 18567,70 M. nebst Zinsen zu verurteilen. Er behauptete, er habe vor dem Verkaufe im Interesse seiner Tochter und des Klägers die Gutsgebäude instandsetzen lassen und für die Dachausbesserung 2500 M., für sonstige Herstellungsarbeiten 4567,70 M. gezahlt. Einen Teil der Herstellungsarbeiten habe der Kläger selbst vor dem Vertragschlusse mit 2072,50 M. bezahlt. Beim Kaufe sei sodann vereinbart worden, daß der Kläger ihm außer den seiner Tochter überwiesenen 40000 M. weitere 5000 M. zahlen und ihm die Kosten der Dachausbesserung in Höhe von 2000 M. und die übrigen Herstellungskosten in Höhe von 4500 M. erstatten solle. Aus den drei zuletzt genannten Beträgen setzten sich die nach dem Vertrage bar zu zahlenden 11500 M. zusammen. Von den ferner aufgeführten 8500 M. habe ihm, dem Beklagten, nichts zugute kommen sollen. Vielmehr habe der Kläger mit Rücksicht darauf, daß er einen Teil der Ausbesserungskosten selbst bezahlt und die Absicht gehabt habe, noch weitere Verbesserungen vornehmen zu lassen, erklärt, das Gut werde ihm, wenn alles fertig sei, 60000 M. kosten und auf diesen Betrag wolle er auch den Kaufpreis angegeben haben, damit sich nicht später die Geschwister seiner Braut durch die Niedrigkeit des Kaufpreises beeinträchtigt fühlten. Infolge dieser Erklärung seien die 8500 M. als Teil des Kaufpreises bezeichnet worden. Der Kläger gestand die vorstehenden Behauptungen mit der Maßgabe zu, daß er vor dem Vertragschlusse nicht 2072,50 M., sondern 3220,50 M. Herstellungskosten bezahlt und daß er bei der Beurkundung die Summe der bereits gezahlten und noch zu zahlenden Kosten auf 8500 M. veranschlagt habe. Während aber der Beklagte aus diesem Sachverhalte folgerte, daß der gerichtliche Vertrag Zivils. A l l g c m . Teil 2
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wegen der unrichtigen Preisangabe nichtig sei und daß bei Annahme seiner Gültigkeit der Kläger ihm nicht bloß 11500 M. zahlen, sondern ihm auch die Ausbesserungskosten von (2500 + 4567,70 = ) 7067,70 M. ersetzen müsse, hielt der Kläger jene Unrichtigkeit für unerheblich und sein Klagebegehren für gerechtfertigt. Das Landgericht verurteilte den Beklagten zur Auflassung Zug um Zug gegen Zahlung von 11500 M.; vom Oberlandesgericht wurde die Klage abgewiesen. Die Revision blieb ohne Erfolg. Gründe: . . . . „Nach den übereinstimmenden Parteierklärungen sind die Grundstücke in dem zur Zeit des Vertragschlusses bestehenden baulichen Zustande verkauft worden. Andere als die bereits ausgeführten Herstellungsarbeiten hatte der Beklagte bei den Bauhandwerkern nicht bestellt, und es sollte auch nicht etwa eine Verpflichtung des Beklagten begründet werden, noch weitere Herstellungsarbeiten, wie der Kläger sie in Aussicht genommen hatte, ausführen zu lassen. Die Parteien sind vielmehr darüber einig, und auch die Revision gibt dies zu, daß die Verpflichtung zur Befriedigung der Bauhandwerker wegen der nach dem Vertragschlusse vorzunehmenden Herstellungsarbeiten von vornherein ausschließlich dem Kläger obgelegen hat, und daß daher insoweit, als in dem Vertrage von einer Übernahme der Berichtigung dieser Herstellungskosten durch den Kläger die Rede ist, eine Leistung an den Beklagten nicht gewollt war. Als Teil des Kaufpreises durfte hiernach der Betrag dieser Kosten nicht bezeichnet werden. Das Berufungsgericht nimmt aber auch ohne Rechtsirrtum an, daß die gleichwohl gewählte Bezeichnung als Kaufpreis nicht auf einem bloßen Vergreifen im Ausdrucke beruhe, und daß sich der gerichtliche Vertrag nicht so auslegen lasse, wie die Abreden der Parteien in Wirklichkeit getroffen worden seien. Nachdem in § 1 des Vertrages der Kaufpreis auf 60000 M. angegeben worden, heißt es in § 2, dieser Kaufpreis solle in der Weise berichtigt werden, daß 40000 M. dem Käufer gestundet, 11500 M. bar bezahlt und 8500 M. Baukosten, die „durch Renovation der Gutsgebäude gegenwärtig entstanden sind", vom Käufer „zur eigenen Berichtigung übernommen" werden. Darin liegt die unzweideutige Erklärung, daß ein Teil des Kaufpreises durch Berichtigung einer 8500 M. betragenden Baukostenschuld des Beklagten oder, falls der Beklagte diese seine Schuld bereits berichtigt hätte, durch Erstattung ihres Betrages vom Kläger getilgt werden sollte, daß sich somit der Kläger auch insoweit zu einer Leistung an den Beklagten verpflichte, während die Parteien unstreitig darüber einverstanden waren, daß die 8500 M. dem Beklagten nicht, jedenfalls nicht vollständig, zugute kommen sollten, daß also der Kaufpreis im Ernste weniger als 60000 M. betrage. Eine Auslegung des Vertrages dahin, daß die 60000 M. den Gesamtanschaffungspreis darstellten, wie er sich nach Bezahlung der vom Kläger für eigene Rechnung bestellten, erst noch auszuführenden Instand-
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setzungsarbeiten ergeben würde, ist auch bei Berücksichtigung der in § 8 getroffenen Bestimmung ausgeschlossen. Diese Bestimmung läßt sich gleichfalls nur dahin verstehen, daß der Kläger zur Tilgung einer (noch unbezahlten) Baukostenschuld des Beklagten, soweit nämlich diese Schuld den Betrag von 8500 M. überstiege, verpflichtet sein sollte. Im Wege der Auslegung muß man allerdings feststellen, daß in den 8500 M. auch diejenigen 2072,50 M. oder 3220,50 M. enthalten sein sollten, die der Kläger selbst zur Zeit des Kaufabschlusses für vorher ausgeführte Instandsetzungsarbeiten bereits bezahlt hatte, daß also mit der „Übernahme" der Kosten fur diese Arbeiten, durch die der Wert des Kaufgegenstandes in der Hand des Beklagten erhöht war, ein Verzicht des Klägers auf die ihm gegen den Beklagten in Höhe von 2072,50 M. oder 3220,50 M. zustehende Erstattungsforderung ausgesprochen worden sei. Dagegen rechtfertigt das unstreitige Parteivorbringen im übrigen durchaus den vom Berufungsgerichte gezogenen Schluß, daß sich die Vertragschließenden des Widerspruches zwischen dem beurkundeten und dem wirklich gewollten Inhalte des Kaufvertrages bewußt gewesen sind. Nach der vom Kläger als richtig zugegebenen Behauptung des Beklagten sind die 8500 M. nur deshalb in voller Höhe als Teil des Kaufpreises bezeichnet worden, damit sich die Geschwister der damaligen Braut des Klägers nicht etwa später durch die zu niedrige Bemessung des Kaufpreises beeinträchtigt fühlten. Die Parteien beabsichtigten also durch die Beurkundung nach außen hin den Anschein eines höheren als des emstlich vereinbarten Kaufpreises zu erwecken, und sie haben diese Absicht in der Weise verwirklicht, daß sie in der Urkunde angaben, der Kaufpreis für das Grundstück in seinem baulichen Zustande zur Zeit des Vertragschlusses („wie es steht und liegt") betrage 60000 M. und solle in Höhe von 8500 M. dadurch entrichtet werden, daß der Kläger eine durch Ausbesserung der Gutsgebäude entstandene Schuld des Beklagten von gleicher Höhe zur eigenen Berichtigung übernahm. Während ihr ernstlicher Wille dahin gerichtet war, daß der Beklagte für das Grundstück, wie es sich nach Ausführung der damals in Höhe von 7067,70 M. vom Beklagten und in Höhe von 2072,50 M. oder von 3220,50 M. vom Kläger bereits bezahlten Instandsetzungsarbeiten zur Zeit des Vertragschlusses darstellte, außer den gestundeten 40000 M. und den bar zu zahlenden 11500 M. sowie den in den §§ 6, 7 des Vertrages vorgesehenen Naturalleistungen nichts erhalten sollte, als zugleich die Befreiung von der Verpflichtung, dem Kläger die von diesem bezahlten 2072,50 M. oder 3220,50 M. zu ersetzen, ging der zum gerichtlichen Protokoll erklärte Wille dahin, daß der Kläger außerdem noch eine den Bauhandwerkern gegenüber bestehende Schuld des Beklagten für schon geleistete Instandsetzungsarbeiten in Höhe von (8500 — 2072,50 = ) 6427,50 M. oder von (8500 — 3220,50 = ) 5279,50 M. übernehmen sollte, obgleich beide Teile wußten, daß eine solche Schuld nicht bestand und obgleich nach Wissen und Willen beider Teile eine weitere Leistung an den Beklagten nicht zu erfolgen hatte. Gegen die Feststellung 1(5*
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des Berufungsgerichts, daß in der gerichtlichen Vertragsurkunde zum Schein eine höhere, als die ernstlich gewollte Gegenleistung im beiderseitigen Einverständnis als vereinbart angegeben worden sei, bestehen hiernach rechtliche Bedenken nicht. Dem Berufungsgerichte ist auch darin beizupflichten, daß die Scheinnatur dieser Angabe die Nichtigkeit des ganzen gerichtlich beurkundeten Vertrages zur Folge hat. Denn der Kaufpreis ist ein wesentlicher Bestandteil jedes Kaufvertrages (§ 433 BGB.). Der Vertrag ist ein anderer, je nachdem der Kaufpreis höher oder niedriger festgesetzt wird, und die im beiderseitigen Einverständnisse zum Schein erfolgte Angabe eines höheren als des gewollten Kaufpreises ist daher ihrem ganzen Umfange nach eine Scheinerklärung. Es läßt sich also nicht etwa sagen, daß nur ein Teil des beurkundeten Rechtsgeschäfts nichtig sei, daß aber der andere Teil nach § 139 BGB. gültig sein könnte. Die Vorschrift des § 139 hat ein aus mehreren Teilen zusammengesetztes Rechtsgeschäft zur Voraussetzung, während die wesentlichen Bestandteile des Kaufvertrages ein einheitliches Rechtsgeschäft darstellen. Nun sollen allerdings nach § 117 Abs. 2 BGB., wenn durch ein Scheingeschäft ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt wird, die für das verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung finden, und es wird in der Literatur gelegentlich die Ansicht vertreten (so anscheinend von G a r e i s - O e r t m a n n , zu § 117 BGB. Anm. 4, 2. Aufl. S. 351), daß sich unter einem gerichtlich oder notariell beurkundeten Scheinkauf ein in Wirklichkeit zu einem niedrigeren Kaufpreise gewollter Grundstückskauf verbergen könne, der durch die beurkundeten Erklärungen wirksam gedeckt werde. Wäre diese Ansicht richtig, so würde sich hier gegen die Formgültigkeit des von den Parteien unstreitig gewollten Kaufgeschäfts (vgl. § 313 Satz 1 BGB.) kaum etwas erinnern lassen; denn die beiderseitigen Leistungen würden in der gerichtlichen Vertragsurkunde vom 18. März 1910 vollständig zum Ausdrucke gelangt sein, nur daß die ernstlich vereinbarte niedrigere Leistung des Käufers durch die beurkundete höhere, aber in dieser Höhe bloß zum Schein übernommene Leistung verdeckt würde. Insbesondere würde es nichts ausmachen, daß die Absicht der Vertragschließenden, den Beklagten für die von ihm selbst mit 7067,70 M. bezahlten Baukosten durch die bar zu zahlenden 11500 M. zu entschädigen, aus der Urkunde nicht hervorgeht. Der Beklagte war selbst Schuldner dieser auf sein eigenes Grundstück verwendeten Baukosten, und er hatte gegen den Kläger keinen Erstattungsanspruch. Auch hat er dem Kläger nicht die Herstellungsarbeiten, sondern sein durch die Arbeiten verbessertes Grundstück verkauft. Der Betrag von 11500 M. war also lediglich ein Teil des Grundstückskaufpreises, und der Umstand, daß für dessen Bemessung die Höhe der vom Beklagten aufgewendeten Instandsetzungskosten mitbestimmend war, bedurfte keines urkundlichen Ausdrucks. Allein die Ansicht, daß ein ernstlicher Grundstückskauf zu einem niedrigeren Preise durch einen gerichtlich oder notariell beurkundeten
245 Scheinkauf zu einem höheren Preise wirksam gedeckt werden könne, ist unzutreffend. Die Formvorschrift des § 313 Satz 1 BGB., von deren Beobachtung die Gültigkeit des „verdeckten" Grundstückskaufes abhängt (§117 Abs. 2), ist in erster Linie zum Schutze des Veräußerers gegeben. Sie bezieht sich nicht lediglich auf die Verpflichtung zur Übertragung des Grundstückseigentums, sondern unzweideutig auf den ganzen die Verpflichtung begründenden Vertrag. Durch die gerichtliche oder notarielle Beurkundung soll tunlichst gewährleistet werden, daß der ganze Vertragsinhalt richtig festgestellt wird. Dem Zwecke des Gesetzes würde es deshalb zuwiderlaufen, wenn man den Veräußerer für verpflichtet erachten wollte, entsprechend einer mündlichen Vereinbarung das Eigentum an dem Grundstücke zu einem niedrigeren, als dem in der Urkunde zum Schein angegebenen Preise zu übertragen."
RGZ. 78, 258 V e r p f a n d u n g des E h r e n w o r t s gegen die g u t e n Sitten.
im
Dienstvertrage.
Verstoß
BGB. §§ 138 Abs. 1, 139. I I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 23. Januar 1912. I. Landgericht Nürnberg, Kammer für Handelssachen. 11. Oberlandesgericht daselbst.
Der Beklagte trat im Anfang des Jahres 1904 bei der Klägerin als Bürochef mit einem Gesamteinkommen von ungefähr 6000 M. in Stellung. Er verpflichtete sich in dem Dienstvertrage, allen Obliegenheiten, die ihm übertragen würden, pünktlich nachzukommen, über die Geheimnisse, Bezugs- und Absatzgebiete während seines dienstlichen Verhältnisses und drei Jahre nach seinem Ausscheiden unverbrüchliches Stillschweigen zu bewahren und nach Beendigung seines Dienstverhältnisses während dreier Jahre innerhalb des Deutschen Reiches, Österreich-Ungarns, Frankreichs, Rußlands und der Vereinigten Staaten von Amerika in keiner Weise für ein Konkurrenzunternehmen der Klägerin tätig zu werden oder sich an einem solchen Konkurrenzunternehmen innerhalb des Deutschen Reiches zu beteiligen. Zur Sicherung der Einhaltung dieser Verpflichtung unterwarf er sich einer Vertragsstrafe von 10000 M. Am Schlüsse des Vertrages, in dem die Klägerin ihrerseits, von der Gehaltsfestsetzimg und den Kündigungsbedingungen abgesehen, besondere Verpflichtungen nicht übernommen hatte, bekannten sich beide Teile zu den darin eingegangenen Verpflichtungen „feierlich auf Ehren- und Manneswort". Am 1. Juli 1906 schied der Beklagte aus seiner Stellung bei der Klägerin infolge von Zwistigkeiten mit einem ihrer Direktoren aus. Er übernahm nach vorübergehender Tätigkeit in einem anderen Geschäftszweige am 1. April 1907 eine Stellung als Prokurist und Bürochef bei einer Konkurrentin der Klägerin.
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Die Klägerin forderte deshalb die vereinbarte Vertragsstrafe von 10000 M. Ihre Klage wurde vom Landgerichte unter Anwendung des § 75 HGB. abgewiesen. Das Berufungsgericht verurteilte dagegen den Beklagten unter Ermäßigung der vereinbarten Strafe gemäß § 343 BGB. zur Zahlung von 5000 M. nebst Zinsen. Auf die Revision des Beklagten ist die Berufung der Klägerin gegen das erste Urteil ganz zurückgewiesen worden. Gründe: „Das Berufungsgericht verneint, daß das in dem Dienstvertrage des Beklagten enthaltene Wettbewerbsverbot gegen die guten Sitten verstoße. Es stellt fest, daß der Beklagte den Vertragsentwurf zweimal zur Unterzeichnung zugesandt erhalten und]gegen die Abgabe der ehrenwörtlichen Verpflichtung nichts erinnert habe, und sagt, daß die ehrenwörtliche Verpflichtung zur Einhaltung eines rechtsgültigen Vertrages in keiner Weise rechtlich'zu beanstanden sei. Diese Begründung verstößt gegen die Rechtsauffassung, die der erkennende Senat in den Entsch. des RG.s in Zivils.Bd. 68 S. 229 und Bd. 74 S. 332 und in der Sache Rep. III. 558/10 ausgesprochen hat. In dem ersten dieser Urteile ist ausgeführt, daß die Ehre, die als ideales Gut einen Teil des Persönlichkeitsrechtes des Menschen bilde und die Grundlage seiner Existenz sei, nicht ohne weiteres in vermögensrechtlichen Beziehungen zugunsten anderer verwendet werden könne, weil hier nicht vergleichbare Werte in Betracht kämen. Es ist in diesem Urteile die Vereinbarung der für den Fall der Verletzung eines Wettbewerbsverbots festgesetzten Vertragsstrafe für nichtig erklärt, weil irgendein ideales oder persönliches Moment, das die Bindung durch Verpfändung der Ehre rechtfertigen könnte, nicht hervorgetreten sei, überdies aber auch wegen der ungewöhnlichen Höhe der dort vereinbarten Strafe. In den beiden andern erwähnten Urteilen hat der Senat unter Festhalten an dieser Auffassung gegenüber der Meinung, daß die Unzulässigkeit der ehrenwörtlichen Verpflichtung nicht die Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäftes zur Folge haben könne, sondern daß nur das Bestärkungsmittel des Geschäfts, die Verpfändimg des Ehrenwortes, in Wegfall komme, ausgeführt, daß die Verpfändung des Ehrenworts kein bloßes dem Vertrage hinzutretendes Verstärkungsmittel, keine Nebenabrede sei, die unbeschadet des Fortbestandes des Wettbewerbsverbotes ausgeschieden werden könne, sondern in Verbindung mit der Vertragsstrafe die einheitliche Grundlage für das Wettbewerbsverbot bilde. Es ist dort ferner ausgeführt, daß es zum Schutze der Angestellten nicht genüge, wenn die gegen die guten Sitten verstoßende und deshalb unzulässige Bindung durch Ehrenwort nachträglich für unwirksam erklärt, das Wettbewerbsverbot selbst aber aufrechterhalten werde. An dieser Rechtsauffassung hält der Senat auch gegenüber den von der Revisionsbeklagten dagegen geltend gemachten Bedenken fest. Von dem Vertreter der Revisionsbeklagten ist auf die Urteile des Reichsoberhandelsgerichts und des Reichsgerichts in Seufferts Arch. Bd. 29 Nr. 17 und Bd. 53 Nr. 145, in denen eine abweichende Auffassung zum Ausdrucke
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gelangt sei, sowie auf die Tatsache hingewiesen, daß nach gemeinem Rechte die eidliche Bestärkung selbst an sich ungültigen Verträgen in bestimmten Fällen Wirksamkeit verliehen habe. Es ist ferner geltend gemacht worden, daß sich die ehrenwörtliche Verpflichtung in zahlreichen Verträgen Angestellter finde, ein Festhalten an der bisherigen Rechtsprechung des Senates in dieser Frage daher in weitem Umfange bestehenden Rechtsverhältnissen den Boden entziehen würde. Eine eidliche Bestärkung von Verträgen kennt das Bürgerliche Gesetzbuch nicht mehr. Schon im preuß. Allg. Landrechte § 199 I. 5 und in mehreren anderen Partikularrechten war ihr die Anerkennung versagt, und auch im gemeinen Rechte war nach der in der neueren Rechtslehre überwiegenden Meinung ihre rechtliche Bedeutung sehr beschränkt. (Vgl. W i n d s c h e i d - K i p p , Pandekten § 83a und Gierke, Schuld und Haftung im älteren deutschen Recht [Heft 100 der Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte] S. 245 und Anm. 36 und 37.) Im heutigen Rechtsleben ist sie fast völlig verschwunden; eine positive rechtliche Bedeutung wohnt ihr keinesfalls bei, und dem Versuche, auf den Schuldner durch die Abnahme einer eidlichen Versicherung einen Gewissenszwang zur Erfüllung vermögensrechtlicher Verbindlichkeiten auszuüben, müßte ein noch schärferer Widerstand entgegengesetzt werden, als dem Mißbrauche einer ehrenwörtlichen Verpflichtung. Das Urteil des Reichsgerichts in Seuff. Arch. Bd. 53 Nr. 145 steht der Rechtsauffassung des erkennenden Senats nicht entgegen. Es handelte sich dort um die Frage, ob eine Schuld, welche die Beteiligten als eine Ehrenschuld bezeichnet hatten, als eine klagbare oder nur als eine unklagbare, aber durch die Ehre der Versprechenden geschützte Verpflichtung gewollt war. Eine ausdrückliche Verpfandung des Ehrenworts war nicht gegeben, und das Reichsgericht hat sich demnach mit der Frage, ob deren Hinzufügung die Gültigkeit einer klagbaren Verpflichtung beeinflusse, damals nicht befaßt. Eher könnte eine abweichende Auffassimg dem Urteile des Reichsgerichts vom 26. Mai 1909, Rep. VII. 370/08 (Leipz. Ztschr. 1909 Sp. 690 Nr. 10) entnommen werden. In diesem Urteile handelt es sich gleichfalls um die Frage, ob n u r eine Ehrenschuld oder ob eine vertragliche Verpflichtung übernommen sei. Es wird darin ausgeführt, daß es möglich sei, daß die Parteien, wiewohl sie ein rechtlich verbindliches Abkommen treffen wollten, das Versprechen des Schuldners in die Form eines „ehrenwörtlichen" gerade um deswillen kleideten, weil hierdurch seine prompte Erfüllung um so mehr gesichert sein sollte. Irgend welche Bedenken gegen die Zulässigkeit einer derartigen ehrenwörtlichen Verstärkung des abgegebenen Versprechens — es ging dahin, dem anderen die Mobiliargegenstände zu verkaufen und die ausstehenden Forderungen abzutreten, — sind in dem Urteil nicht geäußert; das Urteil ist also anscheinend von der Zulässigkeit einer solchen Verstärkung ausgegangen. Ähnlich auch das Urteil des Reichsgerichts vom 21. März 1910, Rep. VI. 355/09, auszugsweise abgedruckt im Recht 1910 Nr. 1912.
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Jene Entscheidungen nötigen indes keineswegs, einen Beschluß der vereinigten Zivilsenate herbeizuführen. Denn auch der erkennende Senat verneint die Zulässigkeit einer solchen ehrenwörtlichen Verstärkung nicht schlechthin, sondern nur für die Regelfälle. Die oben erwähnten Urteile des Senats betreffen zudem ebenso wie der jetzt zur Entscheidung stehende Fall das Verhältnis zwischen Dienstberechtigtem und Dienstverpflichtetem, bei dem ganz besondere Gründe vorliegen, dem Mißbrauche der Bindung der persönlichen Ehre entgegenzutreten, während die in den Urteilen vom 26. Mai 1909 und 21. März 1910 behandelten Fälle völlig anders lagen. Auch das Urteil des Reichsoberhandelsgerichts in Seuff. Arch. Bd. 29 Nr. 17 betrifft die Frage, ob ein Versprechen — das, die Rechte aus einer Bürgschaft nicht geltend zu machen, — als ein rechtlich oder durch die Betonung des Ehrenpunktes nur moralisch bindendes zu erachten sei. Hier wird ausgeführt, daß, wenn ein Versprechen auf Ehrenwort geleistet oder in anderer Weise die Ehre zur Erfüllung eines Versprechens verpfändet werde, hierin die Absicht einer Verstärkung der rechtlichen Verpflichtung liege, indem diese noch in ein anderes, lediglich sittliches Gebiet hinübergezogen werde. Vom rechtlichen Standpunkte aus aber sei diese Verstärkimg ohne Bedeutung, das Versprechen könne vom Richter nur, soweit es dem Rechtsgebiete angehöre, seiner Wirksamkeit nach geprüft werden. Auch hier ist die Frage, um die es sich in dem gegenwärtigen Rechtsstreite handelt, nicht erörtert worden. Wollte man aber den zuletzt erwähnten Satz des Urteils des Reichsoberhandelsgerichts dahin verstehen, daß eine solche, nicht dem eigentlichen Rechtsgebiete angehörige Verstärkung der Verträge bei der Beurteilung des Rechtsverhältnisses ganz und stets auszuschalten sei, so würde dem am wenigsten für das heutige Recht zugestimmt werden können. Ob ein Rechtsgeschäft gegen die guten Sitten verstößt, kann nur nach seinem Gesamtinhalte beurteilt werden; denn neben den streng rechtsgeschäftlichen Erklärungen kommt gerade den vorliegenden Umständen für die Anwendung des § 138 BGB. meist die entscheidende Bedeutung zu. Der Verpfandung des Ehrenworts für eine vermögensrechtliche Verbindlichkeit steht das schwere Bedenken entgegen, daß die bloße Nichterfüllung dieser Verbindlichkeit den Schuldner als wortbrüchig erscheinen läßt, auch wenn ihn kein oder doch kein erhebliches Verschulden trifft, daß der Vorwurf der Ehrlosigkeit gegen ihn erhoben werden kann, auch wenn er gar nicht unehrenhaft gehandelt hat. Dem heutigen sittlichen Empfinden widerstrebt es, den Schuldner der Gefahr einer solchen ungerechtfertigten Ehrenminderung auszusetzen, nur um dem Gläubiger die Erfüllung einer beliebigen Forderung wirksamer, als dies mit den Mitteln des gerichtlichen Zwanges geschehen kann, zu sichern. Nur zum Schutze besonderer, wichtiger Interessen kann der Gewissenszwang, den die Verpfändung der Ehre auf den Schuldner ausübt, gerechtfertigt sein, und nur einer wirklich ehrlosen Handlung darf durch eine Verpfändung der Ehre
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vorgebeugt werden. Besondere Bedenken sind gegen die ehrenwörtliche Bestärkung eines Versprechens, nicht für ein Konkurrenzunternehmen tätig zu werden, zu erheben. Die Frage, ob ein solches Versprechen nach den Bestimmungen des § 75 HGB. seine Wirksamkeit verloren hat oder nicht, ist ebenso wie die Frage einer Beschränkung seiner Wirksamkeit gemäß § 74 vielfach so zweifelhaft, daß eine objektive Verletzung der Verpflichtung leicht in dem guten Glauben an die rechtliche Unwirksamkeit der Verpflichtung erfolgen kann. Auch in einem solchen Falle aber würde dem der Verpflichtung Zuwiderhandelnden der Vorwurf des Ehrenwortbruches drohen. Ja, es besteht die Gefahr, daß ein solcher Vorwurf selbst da erhoben wird und dem Angestellten eine schwere Schädigung in seiner bürgerlichen Ehrenstellung und seinem Fortkommen bringt, wo das Wettbewerbsverbot für rechtlich unwirksam erklärt ist, daß die Verpfandung des Ehrenworts dazu mißbraucht wird, die gesetzlichen Schranken der Konkurrenzklausel zu sprengen. Endlich aber ist es völlig unzulässig, nicht nur einzelne bestimmte Pflichten, deren Erfüllung für den Berechtigten von besonderer Bedeutung ist, sondern schlechthin die Erfüllung der gesamten Verbindlichkeiten aus einem Dienstvertrage an die Verpfandung des Ehrenwortes zu binden. Dies ist in dem Dienstvertrage des Beklagten geschehen. Seine ehrenwörtliche Verpflichtung erstreckt sich nicht nur auf die Innehaltung der Konkurrenzklausel und die Geheimhaltung der Bezugs- und Absatzgebiete der Klägerin, sondern auch darauf, „allen Obliegenheiten, welche ihm übertragen würden, pünktlich nachzukommen". Damit war die Möglichkeit gegeben, daß gegen den Beklagten auch bei den kleinen Unachtsamkeiten und Unbotmäßigkeiten, wie sie bei einer andauernden Berufstätigkeit fast unvermeidlich sind, der Vorwurf des Bruches des Ehrenworts erhoben würde. Wenn sich solche Bestimmungen, wie für die Revisionsbeklagte wohl nicht mit Unrecht angeführt wurde, in den Verträgen der kaufmännischen und technischen Angestellten nicht selten finden, so kann dies nur ein Grund mehr sein, diesem Mißbrauche des Ehrenworts entgegenzutreten. Gegenüber dem vorstehend Ausgeführten ist es ohne Bedeutung, daß die Stellung des Beklagten bei der Klägerin nach der Art seiner Tätigkeit und der Höhe seines Einkommens keine untergeordnete war, daß kein besonderer Druck auf ihn ausgeübt worden ist, um die ehrenwörtliche Verpflichtung zu erlangen, und daß sich auch die Klägerin, vertreten durch ihren Direktor, zu den von ihr in dem Vertrage übernommenen Verbindlichkeiten auf Ehren- und Manneswort bekannt hat. Die Verpflichtungen, die der Beklagte ehrenwörtlich übernommen hat, sind wegen dieser unzulässigen Verpfändung des Ehrenworts als gegen die guten Sitten verstoßend zu erachten und nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig. Damit rechtfertigt sich die Abweisung des Klaganspruchs."
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RGZ. 78, 282 Kauf eines Grundstücke zu Bordellzwecken. Kann bei einem gegen die guten Sitten verstoßenden Geschäfte die Herausgabe des Geleisteten, wenn der Empfänger unter Berufung auf diesen Verstoß die Gegenleistung verweigert, wegen arglistigen, Verhaltens verlangt werden ? Wird der Herausgabeanspruch von dem verschiedenen Grade des beiderseitigen Verstoßes gegen die guten Sitten beeinflußt ? BGB. §§ 138, 817, 812. II. Zivilsenat. Urt. v. 19. Dezember 1911. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 78, 298 ι . Rechtliche Natur des sog. Aufführungsagentur-Vertrages. 2. Ist die in einem derartigen Vertrage enthaltene Bestimm u n g gültig, wonach Vertragsverletzungen des einen Teils den andern nur zu einer Vertragsstrafe berechtigen, während der Vertrag für die ganze Dauer des urheberrechtlichen Schutzes fortzubestehen hat ? BGB. § 138. I. Zivilsenat. Urt. v. 14. Februar 1912. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Der verklagte Schriftsteller P. hatte mit der klagenden Kommanditgesellschaft am 9. Juli 1905 und am 9. Juni 1906 drei Verträge abgeschlossen über die von ihm verfaßten dramatischen Werke „Hille Bobe", „Lohndiener" und „Die Teufelskirche". Für diese Verträge war ein mit der Überschrift „Vertrag mit Autoren" versehenes Druckformular benutzt worden. Nach § 1 übertrug der Beklagte der Klägerin das ausschließliche Bühnenaufführungsrecht. Insbesondere war die Anstalt ausschließlich befugt, die Bühnen zur Aufführung des Werkes auszuwählen und die Vereinbarungen hinsichtlich der Tantiemen zu treffen. Sie war auch ausschließlich beftigt (§ 2), Gebühren, Tantiemen und sonstige Einnahmen einzuziehen. Der Verfasser war von allen derartigen Eingängen binnen einer Woche zu verständigen. Von diesen sämtlichen Erträgen erhielt die Klägerin nach § 3 außer den Gebühren für Übersetzung eine „Vertriebsgebühr" von 8 v. H., und von Vertragsstrafen \ \ der bedungenen Summe als entgangenen Gewinn. Die Verträge wurden für die Dauer der gesetzlichen Schutzfrist abgeschlossen (§ 9). Nach § 7 hatte die Anstalt den Verfasser vor Gericht zu vertreten. Nach § 10 stand im Falle der Vertragsverletzung eines der Vertragschließenden dem andern ein Anspruch auf eine Vertragsstrafe bis zu 1000 M. (nach dem Vertrage über die Teufelskirche „von 1000 M.")
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zu, ohne daß dadurch der Vertrag selbst aufgehoben werden sollte. In den Verträgen über „Lohndiener" und „Hille Bobe" war in § 14 bemerkt, daß bei Abschluß des Vertrages 250 M. bezahlt seien, die sich bei Annahme des Werkes um den gleichen Betrag erhöhen sollten. Die Klägerin behauptete, daß der Beklagte die Verträge verletzt und unbefugterweise seinen Rücktritt erklärt habe, und erhob Klage auf Feststellung, daß die genannten Verträge noch zu Recht beständen. Der Beklagte bat um Abweisung der Klage und beantragte widerklagend, festzustellen, daß die Verträge aufgelöst seien. Beide Vorinstanzen erkannten nach dem Klagantrage und wiesen die Widerklage ab. Das Reichsgericht hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Gründe: „Die Revision bezeichnet es als rechtsirrtümlich, daß das Kammergericht das Kündigungs- oder Rücktrittsrecht des Beklagten aus wichtigem Grunde als durch § 10 der Verträge ausgeschlossen betrachtet. Sie führt aus, daß die geschlossenen Verträge ihrem Wesen nach als Gesellschaftsverträge zu beurteilen seien. Der Ausschluß der Kündigung aus wichtigem Grunde widerstreite den guten Sitten (§ 138 BGB.). Die Bestimmung des § 10 der Verträge, worauf das Kammergericht seine Entscheidung stütze, sei daher nichtig. Verfehlt sei es, wenn das Kammergericht eine Prüfung der Rechtsgültigkeit des § 10 schon aus dem Grunde ablehne, weil die vom Beklagten behaupteten Vertragsverletzungen der Klägerin nicht solche seien, daß der Ausschluß der Kündigung aus wichtigem Grunde im vorliegenden Falle als unsittlich erscheine. Die Unsittlichkeit einer Vertragsbestimmung könne nicht darauf abgestellt werden, ob nachträglich gröbere oder leichtere Verstöße gegen die Vertragspflichten zur Beurteilung ständen. Das Korrelat gegenüber der unverhältnismäßig langen Dauer der Verträge müsse die Möglichkeit bilden, sich im Falle von Vertragsverletzungen von ihnen zu befreien; sonst würde der Autor vollkommen in die Hand der Agentur gegeben sein. Hiemach wird Verletzung der §§ 133, 157, 723 Abs. 3, 138, 168 Abs. 2 BGB. sowie des § 286 ZPO. gerügt. Was zunächst die rechtliche Beurteilung der drei Verträge betrifft, so war sie jedenfalls in der Richtung geboten, daß festzustellen war, ob sie eine Übertragung urheberrechtlicher Befugnisse zur Ausübimg für Rechnimg des Erwerbers im Sinne des § 1 VerlGes., speziell des Rechts zur öffentlichen Aufführung der in Frage stehenden dramatischen Werke, enthalten, ob sie also analog den Verlagsverträgen im gesetzlichen Sinne des Wortes zu beurteilen sind oder nicht. Der erste Richter hat die Frage bejaht; das Kammergericht glaubte sie dahingestellt lassen zu können. Mit Unrecht. Liegt Aufführungsverlag vor, so kommen die Bestimmungen des Gesetzes über das Verlagsrecht, soweit nicht eine zulässigerweise getroffene Partei-
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Vereinbarung entgegensteht, analog zur Anwendung. Insbesondere hätte in diesem Falle die Frage einer entsprechenden Anwendung des Grundsatzes des § 32 VerlGes. geprüft werden müssen (vgl. K ö h l e r , Urheberrecht an Schriftwerken S. 282 flg.). In Wirklichkeit sind die in Frage stehenden Verträge aber keine Verlagsverträge. Trotz des Wortlauts des § 1 läßt sich aus dem Inhalte und Zusammenhange der weiteren Vertragsbestimmungen entnehmen, daß eine Übertragung urheberrechtlicher Befugnisse in dem erwähnten Sinne nicht stattgefunden hat. Es ergibt sich dies schon daraus, daß ein Entgelt hierbei nicht vorgesehen ist, eine Schenkung aber sicher nicht beabsichtigt war. (Die in § 14 der Verträge erwähnten 250 M. und 500 M. sind augenscheinlich nur Vorschüsse.) Vielmehr liegt ein sog. Kommissionsverlag vor. Das unterscheidende Merkmal zwischen dem Verlagsvertrage und dem Kommissionsverlage liegt darin, daß bei jenem die Vervielfältigung, Vertreibung und Verwertung des Werkes für Rechnung des Verlegers erfolgt, beim Kommissionsverlage dag.gen für Rechnung des Autors. Letzteres ist hier der Fall. Die Verbreitung der drei Bühnenwerke zum Zwecke der öffentlichen Aufführung und die Aufführungen erfolgen im Verhältnis der Parteien zueinander für Rechnimg des Autors, des Beklagten. Ihm wird der ganze Ertrag zugeführt. Die Einnahmen sind monatlich an ihn abzuliefern. Nur die Auslagen und ihre „Vertriebsgebühr" (8 v. H.) zieht die Klägerin ab. Dritten gegenüber kontrahiert die Klägerin, wie jeder Kommissionär, in eigenem Namen. Zu diesem Zwecke wird ihr in § 1 das Bühnenaufführungsrecht übertragen. Sie trifft die Vereinbarungen über die Honorare und Tantiemen in eigenem Namen, aber für fremde Rechnung, nämlich für Rechnung des Beklagten. An ihn hat sie die Einnahmen, sobald sie einkommen, abzuliefern. Ihn hat sie von allen Eingängen binnen einer Woche zu verständigen (vgl. § 2 des Vertrags, § 384 HGB.). Schon unter der Herrschaft des älteren Rechts wurden solche „Aufführungsagentur-Verträge" als Kommissionsverträge aufgefaßt (vgl. O p e t , Deutsches Theaterrecht [1897] S. 454). Durch das neue Handelsgesetzbuch ist die gesetzliche Vorschrift gegeben, die ihre Beurteilung dem Rechte des handelsrechtlichen Kommissionsgeschäfts unterwirft (vgl. § 406 Abs. 1 HGB.). Für diesen Kommissionsverlag sind hiernach die Vorschriften des Handelsgesetzbuchs und subsidiär die des Bürgerlichen Gesetzbuchs maßgebend (vgl. Motive zum Verlagsgesetz S. 60 und die Kommentare zum VerlGes. von A l l f e l d § 417, V o i g t l ä n d e r S. 167, K u h l e n b e c k S. 210). In den Motiven zum Verlagsgesetze wird hinsichtlich des Kommissionsverlags auf die subsidiär eingreifenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs über den Dienstvertrag hingewiesen. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das Kommissionsgeschäft im allgemeinen den Regeln des Dienstvertrags oder des Werkvertrags zu unterstellen ist oder ob es Elemente aus beiden Vertragsarten enthält. Für die Beurteilung der hier
253 in Frage stehenden „Verträge mit Autoren" ist entscheidendes Gewicht darauf zu legen, daß sie Dienstleistungen zum Gegenstande haben, die nur auf Grund eines persönlichen Vertrauensverhältnisses in Anspruch genommen und geleistet werden. Es ist weiter zu betonen, daß der bezweckte materielle Erfolg wesentlich von diesen Dienstleistungen abhängt, und zwar f ü r beide Teile, da die Vergütung der Klägerin nach Prozenten des dem Beklagten gebührenden Reinertrages bestimmt ist. Die Verträge sind also sog. partiarische Verträge. Dadurch nähern sie sich dem Gesellschaftsvertrage. Werden solche Verträge, die einerseits nur auf der Grundlage eines gewissen persönlichen Vertrauens gedeihen können, bei denen anderseits eine Beteiligung beider Vertragsteile an dem beiderseits erstrebten materiellen Erfolge vorgesehen ist, auf längere Dauer geschlossen, so widerstreitet es dem Wesen und Zwecke der Verträge, daß von vornherein gegenüber jeder Vertragsverletzung die Kündigimg grundsätzlich ausgeschlossen und der Vertragstreue Teil in allen Fällen nur auf eine im voraus bestimmte geringe Entschädigung (von 1000 M., bis zu 1000 M.) angewiesen wird. Diese Vertragsbestimmung würde im vorliegenden Falle den Beklagten von der Willkür der Klägerin vollkommen abhängig machen. Er würde auch bei völliger Untätigkeit der Klägerin, ja selbst gegenüber einem seine Interessen absichdich schädigenden Verhalten der Klägerin, auf die Vertragsstrafe beschränkt sein, und zwar f ü r die ganze Dauer der Vereinbarung, also für Lebenszeit, sein Rechtsnachfolger außerdem noch 30 Jahre lang nach seinem Tode (vgl. § 29 Lit. UrhG.). Eine solche Vertragsbestimmung verstößt gegen die guten Sitten. Sie steht mit dem Wesen der in Frage stehenden Vereinbarung im Widersprüche, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfalle geringere oder schwerere Vertragsverletzungen von dem Vertragstreuen Teile geltend gemacht werden können. Die Bestimmung des § 10 der Verträge ist hiernach objektiv nichtig, und es kann nur in Frage kommen, ob ihre Nichtigkeit für die Verträge eine so große Bedeutung hat, daß sie deren Nichtigkeit im ganzen nach sich zieht (§ 139 BGB.). Die Frage, ob die Vertragsverletzungen der Klägerin den Beklagten zur sofortigen Kündigung der Verträge berechtigten, hat das Kammergericht nur beiläufig berührt. In die notwendige sachliche Prüfung ist es nicht eingetreten, weil es von der Annahme ausging, es sei durch § 10 der Verträge das Kündigungsrecht des Beklagten in zulässiger Weise grundsätzlich ausgeschlossen, auch für den Fall von Vertragsverletzungen der Klägerin. Auf diesem Rechtsirrtume beruht die Entscheidung. Denn er hat das Kammergericht gehindert, auf die vom Beklagten gegen die Klägerin erhobenen Vorwürfe sachlich im einzelnen einzugehen. Die allgemeine Bemerkung der Begründung, diese Vorwürfe seien nicht derartig, daß danach der Ausschluß der Kündigung als gegen § 138 BGB. verstoßend angesehen werden könne, ersetzt nicht die Entscheidung darüber, ob sie, die Ungültigkeit eines solchen ganz allgemeinen Ausschlusses der Kündigimg vorausgesetzt, als wichtige Ursache zu einer Kündigung erscheinen."
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RGZ. 78, 347 ι. Macht die von einem Vertreter bei Eingehung eines Rechtsgeschäfts mit einem Dritten begangene Untreue gegen den Vertretenen das geschlossene Rechtsgeschäft zu einem sittenwidrigen und deshalb nichtig ? 2. Ist ein Rechtsgeschäft wegen arglistigen Zusammenwirkens der Vertragschließenden zum Schaden einer Person nichtig, wenn das Geschäft auf der einen Seite von Gesamtvertretern abgeschlossen wurde, von denen nur einem die arglistige Gesinnung innewohnte ? 3. Kann sich die an einem in arglistigem Zusammenwirken abgeschlossenen unsittlichen Rechtsgeschäfte beteiligte Vertragspartei Dritten gegenüber auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts berufen ? BGB. §§ 138, 826. VI. Zivilsenat. Urt. v. 19. Februar 1912. I. Landgericht Paderborn.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Der Fabrikant B. in N. schuldete der Beklagten eine größere Summe; ein Betrag von 100000 M. war in kurzem fällig. Die Beklagte bewilligt B. eine Verlängerung des Kredits gegen eine Bürgschaftsübernahme der Klägerin für die Schuld B.s in Höhe von 100000 M. In dem Bürgschaftsvertrage wurde ausgemacht, daß die Bürgschaft mit dem Tage erlösche, an dem der Beklagten durch irgendeine andere Bank oder durch den Schuldner selbst auf dessen Privatkonto diese Summe in bar zugeführt werde. Die Parteien stritten darüber, ob dieser Fall des Erlöschens der Bürgschaft eingetreten sei. Der Schuldner B., der alleiniger Vorstand einer Aktiengesellschaft für Metallindustrie in N. war, hatte in dieser Eigenschaft auf Veranlassimg eines mit der Sachlage bekannten Vertreters der Beklagten ein Guthaben, das die von ihm vertretene Aktiengesellschaft bei der Beklagten hatte, auf sein Privatkonto umbuchen lassen. Die Klägerin sah diese Umbuchung als Barzahlung für Rechnung des Schuldners B. an die Beklagte an und klagte auf Feststellung, daß der Beklagten aus der Bürgschaft keine Rechte mehr gegen sie zuständen. Die Beklagte bestritt diese Bedeutung der Umschreibung, machte aber auch geltend, daß das Umbuchungsgeschäft, wenn es eine Zahlung B.s an die Beklagte auf seine Schuld darstelle, weil bewußt zum Nachteile der von B. vertretenen Aktiengesellschaft geschlossen, gegen die guten Sitten verstoße und nach § 138 BGB. nichtig sei. Das Landgericht wies die Klage ab und verurteilte die Klägerin nach dem Antrage der Widerklage. Die Berufung der Klägerin wurde, nachdem eine das erste Urteil abändernde Entscheidung des Berufungsgerichts durch das Reichsgericht aufgehoben worden war, in der zweiten Entscheidimg des Berufimgsgerichts zurückgewiesen. Auch die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen aus folgenden
255 Gründen: „Das reichsgerichtliche Urteil vom 14. Juni 1909 hatte das Urteil des Oberlandesgerichts vom 18. März 1908 aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen, weil in der allein streitigen Frage, ob die Bürgschaft der Klägerin für den Fabrikanten B. gegenüber der Beklagten vertragsgemäß durch bare Zuführung von 100000 M. auf die Schuld B.'s an die genannte Gläubigerin erloschen sei, das Berufungsgericht zu Unrecht die Umbuchung von 150000 M. vom Konto der Aktiengesellschaft für Metallindustrie in N. auf das Privatkonto B.'s nicht als Barzahlung angesehen habe. Habe es sich bei den umgebuchten Posten um ein wirkliches Guthaben der Aktiengesellschaft gehandelt, über das sie frei verfügen konnte, so stehe die Umbuchung einer Zahlung gleich, doch komme dann in Frage, ob B. als Vorstand der Aktiengesellschaft zu dieser Verfügung über das Vermögen der Aktiengesellschaft zu seinen Gunsten befugt gewesen sei oder nicht vielmehr seiner Verfügung die §§ 134,138 BGB. und § 266 StGB, entgegengestanden hätten. Sei dagegen die allerdings unklare Darstellung der Beklagten richtig, wonach die Aktiengesellschaft die freie Verfügung über das für sie gebuchte Guthaben überhaupt nicht gehabt habe, dann würde auch die Frage, ob die Umbuchung eine Zahlung B.s darstelle, anders zu beantworten sein. Das neue Urteil des Berufungsgerichts nimmt für dargetan an, daß das buchmäßige Guthaben der von B. vertretenen Aktiengesellschaft für Metallindustrie in N. bei der verklagten Bank ein wirkliches Guthaben der Aktiengesellschaft darstellte, über das sie frei zu verfugen berechtigt war. B. habe die Beklagte angewiesen, auf Grund des ihm persönlich eröffneten Kredits von ihm der Aktiengesellschaft geschuldete Beträge auf deren Konto gutzuschreiben; durch Befolgimg dieser Anweisimg habe sie die Schuld B.'s an die Aktiengesellschaft bezahlt, aber nicht dieser einen Kredit eröffnet. Habe aber die Aktiengesellschaft die freie Verfügung über das Guthaben gehabt, so stehe die auf die Anweisimg B.'s erfolgte Umbuchung des Guthabens auf das eigene Konto B.'s auch einer von diesem an die Beklagte geleisteten Barzahlung auf seine Schuld bei letzterer gleich. Die Begründung, womit die Klägerin die Berechtigung B.'s, fur sich über das Guthaben der von ihm vertretenen Aktiengesellschaft zu verfügen, darzutun versuchte, erachtet das Berufungsgericht für schlechthin unzulänglich. Eine solche Berechtigung habe nicht bestanden, selbst wenn die Behauptung, die Aktiengesellschaft sei ihm zur Enthaftung seiner Privathäuser von Hypotheken und Grundschulden verpflichtet gewesen, auf Wahrheit beruht hätte. Diese Behauptung sei aber überdies widerlegt. Er habe an seiner Berechtigung zu jener Verfügung auch selbst „nicht recht" geglaubt. Die Veranlassung zu seiner Handlungsweise sei von dem damaligen Direktor der Beklagten D. ausgegangen, der das Schuldkonto B.'s herabsetzen wollte und diesem die Maßregel vorschlug, die nur von vorübergehender Dauer sein sollte, „für ein paar Tage", wegen der bei der Beklagten bevorstehenden Revision durch den Aufsichtsrat. B. habe deshalb die Zeitbeschränkung
256 „auf drei Tage" in die Umbuchungsanweisung hineinschreiben wollen, wogegen sich D. aber gewehrt habe. Die Anweisung schränkte dann nach Vereinbarung zwischen beiden die Umbuchung ein, „bis die Angelegenheit mit Dortmund geregelt sei, was übrigens nur noch ein paar Tage dauern könne". B. habe damals gehofft, von einer Bank in Dortmund weiteren Kredit zu erhalten und dann sein Schuldkonto bei der Beklagten mindern zu können. Jedenfalls habe demnach die Umbuchung nur von vorübergehender Dauer sein sollen zu dem Zwecke, dem Aufsichtsrate der Beklagten das Schuldkonto B.'s geringer erscheinen zu lassen, als es war. Das ändere aber nichts daran, daß durch die vorgenommene Umbuchung eine Zahlung für B. geleistet wurde. Da er nun zu dieser Verfügung kein Recht gehabt habe und ihm, wie nach der Sachlage angenommen werden müsse, die Nichtberechtigung auch bewußt gewesen sei, habe er durch die Umbuchungsanweisung als Bevollmächtigter über eine Forderung seiner Machtgeberin absichtlich zu deren Nachteile verfügt und sich der Untreue nach § 266 Nr. 2 StGB, schuldig gemacht. Ein Einverständnis seines Aufsichtsrats, das die Klägerin behauptete, habe nicht vorgelegen, er habe diesen auch nicht über die Maßregel verständigt. Und der Aufsichtsrat habe, als er von der Umbuchung erfuhr, die Handlungsweise B.'s mißbilligt und als unzulässig angesehen und ihm infolgedessen die alleinige Vertretung der Aktiengesellschaft entzogen. Die objektiv und subjektiv widerrechtliche Verfügung B.'s sei demgemäß nach §§ 134 und 138 BGB. als nichtig anzusehen. Die Beklagte habe den Betrag der Zahlung mithin zurückgewähren müssen. Die Bürgschaftsurkunde setze eine rechtswirksame, nicht eine nichtige Zahlung voraus. In der Tat habe denn auch die Aktiengesellschaft der Umbuchung, nachdem sie davon Kenntnis erlangt, der Beklagten gegenüber widersprochen. . . . Der Einwand, die Beklagte, die das nichtige Rechtsgeschäft veranlaßt habe, könne sich auf die Nichtigkeitsfolge nicht berufen, sei hinfällig, da die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts schlechthin wirke; auch sei D. nicht der alleinige Vertreter der Beklagten gewesen, so daß eine Mitwirkung der verklagten Bank als solcher bei dem nichtigen Geschäfte nicht dargetan sei. Habe danach die Umbuchung die Bürgschaft nicht zum Erlöschen gebracht, so bestehe diese auch jetzt noch fort, woraus sich die Abweisung der Klägerin mit der Klage und ihre Verurteilung auf die Widerklage ergebe. Die Revision rügt die Verletzung der §§ 134, 138 BGB., § 266 StGB, und §§ 286, 551 Nr. 7 ZPO. Zur Anwendung des § 266 StGB, gehöre ein subjektives Verschulden, das nicht festgestellt sei; das Berufungsgericht habe dies gar nicht untersucht. Ferner könne § 138 BGB. nicht zur Anwendung kommen, wenn beide Vertragsparteien das Rechtsgeschäft für sittlich unanfechtbar gehalten hätten. Der Revision konnte nicht stattgegeben werden. Wenngleich die Erwägungen des Berufungsgerichts in mehrfacher Hinsicht zu rechtlichen Bedenken Veranlassung geben mußten, war seiner Entscheidung im Ergebnisse doch beizutreten.
257 Die Ausführungen des Berufungsurteils, daß das buchmäßige Guthaben der Aktiengesellschaft für Metallindustrie bei der Beklagten der freien Verfügung der Aktiengesellschaft unterstand und daß die auf Anweisung B.'s erfolgte Umbuchung des Guthabens auf sein Konto, womit er die an die Gesellschaft geleisteten Zahlungen zurückzog und zugleich seine Schuld bei der Beklagten mit den Mitteln der von ihm vertretenen Gesellschaft tilgte, eine Maßregel war, zu der objektiv betrachtet B. die Berechtigung fehlte, sind von der Revision nicht angefochten; sie decken sich mit den in dem Reichsgerichtsurteile vom 14. Juni 1909 für die Entscheidung der Sache aufgestellten Rechtsgrundsätzen und sind rechtlich nicht zu beanstanden. Mit Unrecht auch meint die Revision, daß das Berufimgsgericht den für den Tatbestand der Untreue nach § 266 StGB, erforderlichen Vorsatz B.'s, d. h. das Bewußtsein der Widerrechtlichkeit seiner Verfügung, in unzulänglicher Weise festgestellt habe. Allerdings sagt das Berufungsurteil an einer Stelle der Begründung, B. habe selbst an seine Berechtigung zu der Verfügimg über das Guthaben der Aktiengesellschaft „nicht recht" geglaubt. Mit diesem Ausdrucke scheint das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit, das nicht nur der Tatbestand der Untreue erfordert, sondern das auch für eine Handlung wider die guten Sitten nach § 826 BGB. charakteristisch ist, in Zweifel gestellt zu sein. Denn die bloße Unsicherheit B.'s, ob er recht handle, würde nur eine Fahrlässigkeit, nicht aber einen Vorsatz der Schädigung der von ihm vertretenen Gesellschaft darstellen. Allein an einer anderen Stelle stellt das Berufungsurteil ausdrücklich fest, daß sich nach der ganzen Sachlage B. seiner Nichtberechtigung, über das Bankguthaben der Aktiengesellschaft zu verfügen, wohl bewußt gewesen sei. Die Ausdrucksweise „nicht recht" an jener ersten Stelle soll also jedenfalls nicht bloße Zweifel B.'s, sondern in seine Überlegung aufgenommene und bei dem gefaßten Beschlüsse verworfene bewußte Bedenken bezeichnen, die einen Vorsatz und eine Arglist des schädigenden Handelns nicht aus-, sondern einschließen (dolus eventualis). Eine rechtswidrige Verfügungsabsicht B.s würde mit Recht verneint werden können, wenn die Umbuchung in der Tat unzweideutig als vorübergehende Maßregel für wenige Tage ausgeführt worden wäre. In diesem Falle würde die ganze Maßregel übrigens ein anderes Aussehen erhalten und nicht als wirkliche Zahlung auf die B.'sche Schuld angesehen werden können. So wie die Umbuchung vorgenommen wurde, blieb nur die spätere Rückgängigmachung der Maßregel in unbestimmter Weise vorbehalten, die vom Eingange anderer Schuldtilgungsmittel in Gestalt eines neuen von außerhalb erwarteten Kredits für B. abhängig gemacht wurde. Bei dieser Sachlage ist objektiv wie subjektiv der Tatbestand der Untreue für die Handlung B.'s gegeben. Damit allein ist aber noch keineswegs die Annahme gerechtfertigt, daß das von B. durch die Umbuchungsanweisung vorgenommene Rechtsgeschäft wegen Verstoßes gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten nach § 134 und § 138 BGB. nichtig sei, wie dies das Berufungsgericht anZivils. A l l g t m . T e i l 2
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nimmt. Ganz richtig hatte das reichsgerichtliche Urteil vom 14. Juni 1909 bei dem Hinweise auf die §§ 134,138 BGB. hinzugefügt: „denn die Vertreter der Beklagten haben die ganze Sachlage gekannt". Das muß in der Tat hinzukommen, um die Umbuchung und die dadurch geleistete Zahlung nichtig zu machen. B. war der Vorstand der Aktiengesellschaft, der das Bankguthaben zustand; sie wurde von ihm allein gültig vertreten. Seine Verfügung über das Bankguthaben der Aktiengesellschaft war somit nach außen die Verfügung der von ihm vertretenen Aktiengesellschaft. Dem Gegenstande nach verstößt die von B. vorgenommene Verfügung weder gegen ein Gesetz noch gegen die guten Sitten; sie konnte ihren durchaus gesetzlich berechtigten und sittlich erlaubten Grund haben. Liegt also in der Handlung an sich nichts gesetz- oder sittenwidriges, so war es nur die innere Gesinnung der Handelnden, die sie dazu machen konnte. Verstieß B. als Vertreter der Aktiengesellschaft bei der Verfügung über einen Vermögenswert der Aktiengesellschaft zu deren Schaden gegen ein Strafgesetz, so machte er sich dadurch nur seiner Machtgeberin schadensersatzpflichtig; dem Dritten gegenüber, der durch die Verfügung Rechte erwarb, ohne an der strafbaren Handlung beteiligt zu sein, kann dadurch dem Rechtsgeschäfte die Gültigkeit nicht genommen werden. Ein nicht in sich unerlaubtes Rechtsgeschäft, das nicht eine rein einseitige Verfügimg darstellt, sondern, wie das vorliegende, Vertragscharakter hat, bei welchem der Aufgabe eines Rechts auf der Seite des Verfügenden ein Rechtserwerb auf der anderen Seite gegenübertritt, wird im Sinne des § 134 wie des § 138 BGB. nur nichtig, wenn von beiden Beteiligten gegen Gesetz oder Sitte verstoßen wurde (vgl. RGR. Komm. z. BGB. § 134 Anm. 3, § 138 Anm. 1 ; Entsch. d. RG.'s in Zivils. Bd. 48 S. 293; Bd. 60 S. 273; Bd. 63 S. 346; W a r n e y e r , Rechtspr. d. RG.'s 1909 Nr. 481, 1910 Nr. 49). Diese von dem früheren Urteile des Reichsgerichts ausdrücklich vorausgesetzte Mitwirkung der Beklagten bei der ungesetzlichen und sittenwidrigen Handlung B.'s, die sog. Kollusion, nimmt nun das Berufimgsgericht nicht an, indem es — zur Widerlegung des Einwandes, daß sich die Beklagte nicht auf die Nichtigkeit des von ihrem Vertreter selbst veranlaßten Rechtsgeschäfts berufen könne, — ausführt, daß zwar D. mit B. über das Geschäft einig, aber nicht der alleinige Vorstand und Vertreter der verklagten Aktiengesellschaft gewesen sei, eine Mitwirkung der Beklagten als solcher bei dem nichtigen Rechtsgeschäfte also nicht dargetan sei. Auch diese Anschauung aber ist rechtsirrtümlich. Wie die juristische Person und mit ihr die Aktiengesellschaft außervertaglich auf Schadensersatz haftet, wenn auch nur ein Mitglied des Vorstandes oder e i n e r von mehreren Gesamtvertretern durch eine unerlaubte Handlung Dritten einen Schaden zugefügt hat (§§ 30,31,89 BGB.; vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 43 S. 106, Bd. 57 S. 94), so gilt das Gleiche auch für die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes, wenn auch nur bei e i n e m der Vertreter der die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit begründende Willensfehler oder Willensmangel vorhanden war. Denn die juristische Person
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schließt ein Rechtsgeschäft bei Gesamtvertretung eben nur durch alle Vertreter gültig ab; wird es in einem dieser Vertreter ungültig abgeschlossen, so ist es überhaupt ungültig. Die Mitwirkung D.'s bei dem nichtigen Geschäfte ist daher die Mitwirkung der Beklagten. Gleichwohl hat das Berufungsgericht Recht, wenn es den Einwand der Klägerin zurückgewiesen hat, daß sich die Beklagte auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts, das ihr Vertreter selbst veranlaßt habe, nicht berufen könne. Auch hier gibt das frühere Revisionsurteil den Gesichtspunkt zur richtigen Beantwortung des als Einrede der Arglist (exceptio doli generalis) sich darstellenden Einwandes an die Hand, in dem es darauf hinweist, daß die Nichtigkeit von der betroffenen Aktiengesellschaft für Metallindustrie der Beklagten gegenüber geltend gemacht worden ist. Die Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts wirkt an sich schlechthin und kann von jedem Beteiligten gegen jeden geltend gemacht werden. Ob und inwieweit den Teilnehmern an einer gesetzwidrigen oder unsittlichen Handlung gegen einander ein Recht auf Rückforderung gemachter Leistungen zusteht, ist eine andere und den gegenwärtigen Rechtsstreit nicht berührende Frage (§ 817 BGB.). Der Beklagten würde die Einrede der Arglist entgegenstehen, wenn sie, obwohl ihr die an sie geleistete nichtige Zahlung zugute kam, weil der Geschädigte sie sich gefallen ließ, noch einmal Zahlung vom Bürgen verlangen wollte. Wenn ihr aber durch den Geschädigten der Vorteil wieder entrissen wurde, darf sie die Nichtigkeit der Leistung gewiß geltend machen, und es verstößt keineswegs gegen Treu und Glauben, wenn die Beklagte, die eine begründete Forderung gegen einen Schuldner hat, einen Bürgen in Anspruch nimmt, nachdem sie einer ihr geleisteten Zahlung, weil sie durch ein nichtiges Rechtsgeschäft erfolgt war, wieder verlustig gegangen ist. Der Klägerin gegenüber hat die Beklagte die Beteiligung ihres Vertreters bei dem nichtigen Rechtsgeschäfte in keiner Weise zu verantworten, und die Klägerin kann daraus keinen Voneil ziehen (vgl. die anders gearteten, aber doch rechtsähnlichen Fälle der allgemeinen Arglisteinrede in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 71 S. 435 und Bd. 75 S. 78)." . . . R G Z . 79, 3 7 1 Verstößt ein Vertrag gegen die guten Sitten, in welchem der Gläubiger auf seinen Anspruch verzichtet, um den als Zeugen zu vernehmenden Schuldner zu veranlassen, von seinem Rechte der Zeugnisverweigerung keinen Gebrauch zu machen ?
BGB. § 138. I. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 22. Mai 1912. I. Landgericht Dresden.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagten sind Brüder. Sie betrieben zusammen in offener Handelsgesellschaft unter der Firma F. W. E. in S. ein Geschäft, bestehend im Betriebe einer Dampfziegelei usw. Wilhelm E. hatte dem Bruder die
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Gesellschaft zum 31. Dezember 1900 aufgekündigt, und es fanden dann Verhandlungen mit dem Kläger statt, der geneigt war, an Stelle von Wilhelm E. in die Gesellschaft einzutreten. Nach der Behauptung des Klägers ist es im März 1901 zu einem mündlichen Vertragsabschlüsse gekommen. Vom 3. April bis 2. Dezember 1901 ist er im Geschäfte tätig gewesen. An diesem Tage wurde ihm das weitere Betreten der Geschäftsräume von Max E. untersagt, der den Standpunkt einnahm, daß es zum endgültigen Abschluß eines Gesellschaftsvertrags mit dem Kläger nicht gekommen sei. Kläger erhob darauf in einem Vorprozesse gegen Max E. Klage auf Anerkennimg der Gültigkeit der getroffenen Vereinbarungen und erwirkte nach wiederholter Vernehmung des Wilhelm E. die rechtskräftige Verurteilung des Beklagten. Sodann hat der Kläger die gegenwärtige Klage gegen Max und Wilhelm E. erhoben und beantragt, beide Beklagte als Gesamtschuldner zur Zahlung von 45000 M. zu verurteilen, indem er behauptete, Wilhelm E. habe ihm im Einverständnisse mit Max E. für die drei ersten Geschäftsjahre je 15000 M. Gewinn garantiert. Wilhelm E. hat u. a. eingewendet, daß der Kläger auf diesen Anspruch verzichtet habe. In der Revisionsinstanz ist der Einwand zurückgewiesen worden. Aus den G r ü n d e n : . . . „Mit dem Verzichte hat es die folgende Bewandtnis. In dem Vorprozesse des Klägers gegen Max E. handelte es sich um die Entscheidung darüber, ob die Verhandlungen unter den jetzigen Parteien zu einem festen Vertragsabschlüsse gediehen sind. Kläger nahm das an und ebenso — wie Kläger behauptet und der erste Richter festgestellt hat — Wilhelm E., der am 26. März 1902 als Zeuge zur Sache vernommen werden sollte. An diesem Tage hat der Kläger vor der Vernehmung Wilhelms diesem einen Revers ausgestellt, welchen der erste Richter dahin auslegt, der Kläger sollte seine aus einer Verurteilung von Max E. herzuleitenden Gcldforderungen gegen diesen nur in Jahresraten beitreiben, von Wilhelm E. aber überhaupt nichts verlangen dürfen. Es war bekundet, daß der Revers ausgestellt sei, nachdem Wilhelm E. dem Kläger gesagt hatte: „ich frage dich nochmal, willst du mir den Revers geben oder nicht, daß du nichts von mir verlangst; ich verweigere sonst meine Aussage und komme gar nicht hin." . . . Der Kläger hat den Verzicht innerhalb Jahresfrist wegen Drohung angefochten. Beide Instanzen haben die Anfechtung zurückgewiesen und den Verzichtsvert:ag für bedenkenfrei erklärt. Der Berufungsrichtcr führt aus, es sei nicht erwiesen, daß es dem Wilhelm E. bei seinem Handeln gerade darauf angekommen sei, einen Verzicht zu erreichen und daß er deshalb den Kläger mit Zeugnisverweigerung bedroht habe; es liege vielmehr näher, daß er dem Kläger durch sein Zeugnis habe helfen wollen, zu diesem Zwecke aber mit dem Revers der Gefahr habe abhelfen müssen, die für ihn selbst aus der Erstattung des Zeugnisses habe erwachsen können. Es liege also keine Drohung vor, es ließe sich aber bei dem großen und be-
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rechtigten Interesse, das der Beklagte an seiner eigenen Deckung gehabt habe, auch nicht von einem Verstoße gegen die guten Sitten sprechen. Das ist nicht nur unschlüssig, sondern muß auch sachlich mit aller Entschiedenheit abgelehnt werden. Ob es Wilhelm E. vornehmlich darauf ankam, den Verzicht zu erreichen oder darauf, dem Kläger zu seinem Rechte zu verhelfen, hat für die Frage, ob in seinem Tun eine Drohung lag, keine Bedeutung. Entscheidend ist vielmehr, ob nach seiner Absicht der Kläger in der in Aussicht gestellten Verweigerung des Zeugnisses ein Übel erblicken und sich dadurch in seiner Entschließung bestimmen lassen sollte. Es kommt aber auf die Anfechtbarkeit des Verzichts überhaupt nicht an, weil er nichtig ist. Man braucht den Wert von Leistung und Gegenleistung in diesem Verzichts vertrage nicht gegeneinander abzuwägen. Man braucht nicht die Zeugenaussage Wilhelm E.'s, wie sie tatsächlich ausgefallen ist, und ihre Bedeutung für den damaligen Prozeß dem Opfer gegenüberzustellen, das in dem Verzicht auf die Sicherstellung eines Gewinns von 45000 M. lag. Es kommt nicht darauf an, ob der § 138 Abs. 2 BGB. den Fall trifft, weil die Voraussetzung des Abs. 1 des § 138 a. a.O. vorliegt. Es ist Pflicht eines jeden, daß er, zum Zeugen aufgerufen, die Wahrheit bekundet. Unter bestimmten Voraussetzungen gibt ihm das Gesetz das Recht, sein Zeugnis zu verweigern. Es sind das typische Fälle, in denen die Annahme begründet erscheint, daß der Zeuge durch den Zwang zur Aussage in Gewissensnot gerät. Von diesem Rechte kann der Zeuge Gebrauch machen oder nicht, und welche Beweggründe ihn im einzelnen Falle wirklich leiten, ist an und für sich nur seine Sache. Aber daß er sich für seine Entschließung durch Geld entlohnen läßt, ist ein gröblicher Verstoß gegen die guten Sitten, nicht nur — was selbstverständlich ist — dann, wenn die Entlohnung für seine Entschließung bestimmend ist, sondern auch ohne das. Die Vorinstanzen haben dies verneint. Aber die Ausführungen, mit denen sie es begründen, sind verfehlt. Der erste Richter meint, der Verzicht sei erfolgt, nicht um den Beklagten zur Aussage zu bewegen, sondern um ein in der Aussage selbst liegendes berechtigtes Hindernis zur Aussage für ihn zu beseitigen. Das sind indessen gar keine Gegensätze. Das eine schließt das andere ein. Vor allem aber ist unklar, was damit gesagt sein und was daraus folgen soll, daß das „Hindernis zur Aussage", das für den Beklagten vorlag, ein „berechtigtes" genannt wird. Der Beklagte war der Ansicht, daß der Vertrag, also auch die Garantieübernahme, zustande gekommen war. Es ist kein Zweifel, daß er, wenn es zu seiner Vernehmung kam, verpflichtet war, mit der ganzen Wahrheit auch diese Garantieübernahme zu bekennen, sofern es zur Sache gehörte. Dem konnte er sich entziehen, weil ihm die Prozeßordnung das formale Recht verlieh, sein Zeugnis zu verweigern, und damit war für das Recht die Sache erledigt. Wie sich der Zeuge entschied und ob ihn das eigene Interesse zur Sache bestimmen durfte, nicht auszusagen,
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war nur noch Frage der Moral. Es ist nicht Sache der Gerichte, zu untersuchen, wie diese Entschließung hätte ausfallen sollen. Aber es ist klar, und darauf allein kommt es hier an, daß unter keinen Umständen für die Entscheidung eine materielle Entlohnung in Anspruch genommen werden durfte. Für jedes gesunde und unverbildete Empfinden liegt darin ein grober Verstoß gegen die guten Sitten (vgl. L o t m a r , Der unmoralische Vertrag S. 73 und Anm. 229 das.). Nicht minder verfehlt ist es, wenn das Oberlandesgericht dieses Bedenken gegen den Verzicht damit abtut, es ließe sich bei dem großen und berechtigten Interesse, das der Beklagte an seiner eigenen Deckung hatte, nicht von einem Verstoße gegen die guten Sitten sprechen. Daß das Interesse ein großes war, nämlich unter Umständen den Betrag von 45000 M. erreichen konnte, macht die Sache eher schlimmer als besser. Wenn aber das Interesse an der Deckung durch Zeugnisverweigerung ein berechtigtes genannt wird, so ist das wiederum dieselbe Verwechselung einer rein formalen Rechtsstellung mit einer vom sittlichen Standpunkte aus zu beurteilenden Frage sachlicher Berechtigung." . . . RGZ. 79, 434 ι. Ist § 139 BGB. anwendbar, wenn eines von mehreren gleichzeitig abgeschlossenen, miteinander in wirtschaftlichem Zusammenhange stehenden Rechtsgeschäften nichtig ist ? 2. Wer ist dafür beweispflichtig, daß die mehreren Geschäfte ein einheitliches Ganzes bilden ? BGB. § 139. II. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Eisenach.
Urt. v. 25. Juni 1912. II. Oberlandesgericht Jena.
Die Beklagten haben früher eine Kommanditgesellschaft zum Vertriebe von Brennmaterialien unter der Firma „Gebr. St." gebildet. Sch. war persönlich haftender Gesellschafter; die beiden anderen Beklagten waren Kommanditisten. Der Grund und Boden, auf dem das Geschäft betrieben wurde, war alleiniges Eigentum des Beklagten Sch. Dieser Schloß am 15. Dezember 1910 mit dem Kläger drei privatschriftliche Verträge ab, nämlich zunächst einen Kaufvertrag, wodurch die genannte Kommanditgesellschaft ihr lebendes und totes Inventar, die im Geschäfte vorhandenen Vorräte an Kohlen, Koks usw. sowie das Kohlengeschäft mit der bisherigen Firma dem Kläger übertrug. Ferner Schloß er mit dem Kläger einen Pachtvertrag ab über die Verpachtung der bisherigen Geschäftsräume und der Wohnung im Grundstücke zu E. und endlich einen Vertrag über Einräumung des Vorkaufsrechts für den Kläger an dem ihm gehörigen Grundstücke. In dem letzten Vertrage heißt es: „Dieser Vertrag soll noch zu gerichtlichem Protokoll erklärt werden." Der Kläger händigte an Sch. als
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Kaufpreis zwei Sparkassenbücher über 4000,62 M. bzw. über 6001,35 M. und mehrere (inzwischen eingelöste) Wechsel aus, trat auch in den Besitz des Brennmaterialiengeschäfts, verließ es aber bald wieder mit der Behauptung, er sei betrogen. Mit der Klage beantragte er, die Verträge für nichtig zu erklären und die Beklagten zur Herausgabe seiner Leistungen zu verurteilen. Er begründete die Klage u. a. mit der Behauptung, der Vertrag über Einräumung des Vorkaufsrechts sei wegen Nichtbeachtung der Formvorschrift des § 313 BGB. nichtig; infolgedessen seien auch die anderen hiermit in unlösbarem Zusammenhange stehenden Verträge nichtig. Das Landgericht wies die Klage ab. Auf die Berufung des Klägers hob das Oberlandesgericht das landgerichtliche Urteil auf und stellte fest, daß die gedachten drei Verträge nichtig sind. Das Berufungsurteil wurde aufgehoben aus folgenden Gründen: „Das Berufungsurteil beruht auf der Ausführung, die in den drei Urkunden unter Privatunterschrift enthaltenen Rechtsgeschäfte seien gemäß § 139 BGB. insgesamt nichtig, weil sie zufolge ihres wirtschaftlichen Zusammenhangs und der Gleichzeitigkeit ihres Abschlusses sich kraft des Parteiwillens als einen einheitlichen Vertrag darstellten, die Vorkaufsabrede aber wegen Mangels der im § 313 BGB. vorgeschriebenen Form nichtig sei. Die Erwägung, daß die Vereinbarung bezüglich des Vorkaufsrechts wegen Formmangels gemäß § 313 BGB. nichtig sei, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Ebensowenig wie die weitere Erwägung, daß § 139 BGB. nicht bloß dann anwendbar sei, wenn es sich um ein im Rechtssinn einheitliches Geschäft handelt, sondern auch dann, wenn eine Mehrheit von Geschäften in Frage steht, die aus wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen derart zu einem Ganzen verbunden sind, daß sie nur als Ganzes gewollt erscheinen. Auch steht der Anwendbarkeit des § 139 BGB., wie zutreffend angenommen ist, nicht entgegen, daß nicht an allen den einzelnen in Zusammenhange stehenden Geschäften, aus denen sich das einheitliche Geschäft zusammensetzt, die Vertragschließenden in gleicher Weise beteiligt sind. Grundsätzlich geht nun das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum weiter davon aus, daß bei den gesamten Abmachungen der Parteien die Vorkaufsabrede im Verhältnis des Teiles zum Ganzen gestanden haben müsse und daß der Parteiwille darüber entscheide, ob der Kauf des Geschäfts sowie die Pacht des Grundstücks von der einen oder der anderen Partei nicht bewilligt worden wäre, solange nicht auch die Vorkaufsabrede rechtsgültig bewilligt sein würde. Mit Rücksicht auf den Inhalt und den gleichzeitigen Abschluß der drei Verträge hat es angenommen, sie seien als eine wirtschaftliche Einheit gedacht gewesen. Denn der Betrieb des Kohlengeschäfts — so ist erwogen — sei in hohem Grade von der Örtlichkeit abhängig, auf der es seit längerer Zeit betrieben worden sei. Deshalb habe der Kläger das Grundstück pachten und mittels Vorkaufsklausel an
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sich ketten wollen. Was sodann die zweite Voraussetzung des § 139 BGB. betreffe, so könne schon die einseitige Willensbildung einer der Parteien den Schluß rechtfertigen, daß das Ganze nicht zustande gekommen wäre ohne den Teil. Denn Grundelement eines jeden Vertrags sei, daß das Ganze nur zustande kommen könne, wenn beide Parteien es wollen. Es handele sich also bei dem § 139 nicht um (objektive) Auslegung, sondern einfach um das Problem des Kausalzusammenhanges. Der Wille des Klägers sei nun darauf gerichtet gewesen, alles oder nichts zu erwerben. In dieser Annahme werde die Auffassimg des Berufimgsrichters auch nicht dadurch erschüttert, daß man drei selbständige Urkunden abgefaßt habe, und daß möglicherweise bei den Verhandlungen vor dem Rechtsanwalt H. gesagt worden sei, zwei von diesen Urkunden hätten schon jetzt Gültigkeit, nur die dritte sei noch vom Vollzuge der Beurkundungsform abhängig. Denn einmal könne die gesetzliche Nichtigkeit nicht durch die bloße Behauptung ausgeschaltet werden, es sei jetzt schon etwas gültig. Auch sei ausgeschlossen, daß der Kläger durch etwaiges stillschweigendes Verhalten gegenüber dieser Behauptung eine Willensänderung dahingehend bekundet habe, er wolle ohne das Vorkaufsrecht abschließen. Daher sei der der Beklagten obliegende Beweis des Kausalzusammenhangs, daß nämlich das schwebende Geschäft auch ohne Bewilligung der Vorkaufsklausel zustande gekommen wäre, nicht gelungen und daher sei das ganze Abkommen nichtig. Diese Erwägungen geben in mehrfacher Hinsicht zu rechtlichen Bedenken Anlaß. Das Hauptbedenken gegen die Entscheidung besteht darin, daß von einer Anwendung des § 139 BGB. keine Rede sein kann, wenn es wahr ist, was das Berufungsgericht als möglich unterstellt, daß die Vertragschließenden im Zeitpunkte des Vertragsabschlusses sich der Ungültigkeit der Vorkaufsabrede bewußt gewesen sind. Verständigerweise konnte es den Vertragschließenden nicht in den Sinn kommen, die Gültigkeit des Kauf- und des Pachtvertrags von der Gültigkeit der Vorkaufsabrede abhängig zu machen, wenn sie der Ungültigkeit der Vorkaufsabrede sich bewußt waren. Denn es ist nicht anzunehmen, daß die Parteien etwas rechtlich Unmögliches gewollt haben. Eine Abhängigkeit des Kauf- und des Pachtvertrags von der Vorkaufsabrede hätte nur dann einen vernünftigen Sinn haben können, wenn die nachträgliche gesetzmäßige Beurkundimg des Vorkaufsrechts zu einer besonderen Bedingung des Kauf- und Pachtvertrags gemacht worden wäre. Daß eine solche Bedingung auch nur Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen wäre, ist aber von dem Berufungsgericht in keiner Weise festgestellt und ganz unvereinbar mit der von den Beklagten zum Beweise gestellten Behauptung: im Gegenteil hätten die Parteien gerade in der Absicht, um keinen Zweifel über die Gültigkeit des Mietvertrags aufkommen zu lassen, nicht einen Mietvertrag mit Einräumung des Vorkaufsrechts für den Mieter geschlossen, sondern einen besonderen Mietvertrag und einen besonderen Vertrag über das Vorkaufsrecht. Dies sei bei dem Vertragsabschlüsse auch ausdrücklich zur Ausschließung jedes Zweifels gesagt worden. Wenn das Berufungs-
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gericht einer dahin gehenden Erklärung der Parteien bei dem Vertragsabschlüsse jede Bedeutung abspricht, so verkennt es die rechtliche Natur des Vorbringens der Beklagten. Denn damit sollte nicht aufgestellt werden, die Parteien hätten bei Vertragsabschluß eine Rechtsansicht über die Gültigkeit der fraglichen Verträge geäußert; eine solche Behauptung wäre allerdings unerheblich gewesen. Vielmehr hatte das Beweiserbieten die Bedeutung, die Vertragschließenden hätten bei dem Vertragsabschluß ihren maßgebenden Willen dahin geäußert, daß Kauf- und Pachtvertrag unabhängig von der Vorkaufsabrede gültig sein sollten. War dies der erklärte Vertragswille, so bleibt für die Anwendung des § 139 BGB. kein Raum. Denn nach seinem Grunde und Zwecke sowie nach seinem Wortlaute will § 139 im Falle einer teilweisen Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts den Vertragschließenden nur keine Rechtsfolgen aufnötigen, die ihrem Vertragswillen widersprechen. Im Gegenteile soll die Vertragsabsicht dafür maßgebend sein, ob das Rechtsgeschäft ohne den nichtigen Teil aufrechtzuerhalten ist (vgl. Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 68 S. 325 und 326). Daher kommt es auf die Feststellung und Auslegung des Vertragswillens der Vertragschließenden an und es ist rechtsirrtümlich, wenn das Berufungsgericht annimmt, es handele sich bei § 139 nicht um (objektive) Auslegung, sondern einfach um das Problem des Kausalzusammenhanges. Diese Annahme des Berufungsgerichts ist die Folge seines rechtsirrigen Ausgangspunkts insofern, als es die Frage, ob die Parteien die drei Verträge als ein einheitliches Ganzes gewollt haben, lediglich vom einseitigen Interessenstandpunkte und nach der einseitigen Willensbildung des Klägers beurteilt hat, ohne auch nur den geringsten Anhalt dafür anzuführen, daß dieses Interesse und der entsprechende Wille des Klägers in den Vertragsverhandlungen zum Ausdrucke gekommen wäre. Selbstverständlich ist, daß ein Vertrag nur durch die Zustimmung beider Vertragsteile zustande kommen kann und daß es jeder Partei frei steht, ob sie sich auf den Abschluß eines Vertrags einlassen will oder nicht. Ein abgeschlossener Vertrag darf jedoch nicht nach den einseitigen Interessen und dem bloß inneren Willen der einen oder der anderen Partei ausgelegt werden, sondern er ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und ihres erklärten Vertragswillens mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gemäß § 157 BGB. auszulegen. Gegen diesen Grundsatz verstößt das Berufungsgericht auch dadurch, daß es ein etwaiges stillschweigendes Verhalten des Klägers gegenüber den beim Vertragsabschluß abgegebenen Erklärungen, daß Pacht- und Kaufvertrag von der Vorkaufsabrede unabhängig seien, f ü r unerheblich erachtet hat. Das Berufungsgericht hätte prüfen müssen, ob nicht in dem Schweigen des Klägers unter den als wahr unterstellten Umständen mit Rücksicht auf die Verkehrssitte ein Einverständnis mit diesen Erklärungen zu erblicken sei. Mit dem hervorgehobenen Rechtsirrtum des Berufungsgerichts hängt zusammen seine Verkennung der Beweislast, die es den Beklagten aufgebürdet hat. In einem Falle, wo ihrem Inhalte nach mehrere, von den Kon-
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trahenten in verschiedenen Urkunden abgegrenzte Geschäfte vorliegen, ist die nicht selten schwierige Tatfrage, ob es sich nach der maßgebenden Willensmeinung um ein zu einem Ganzen verbundenes Rechtsgeschäft oder um eine Mehrheit von rechtlich selbständigen Geschäften handelt, unter Würdigung aller Umstände des Falles zu entscheiden. Für die Entscheidung dieser Frage werden die mit den Willenserklärungen von den Parteien verfolgten wirtschaftlichen und sonstigen Zwecke von erheblicher Bedeutung sein. Allein ungeachtet ihrer wirtschaftlichen Zusammengehörigkeit und des gleichzeitigen Abschlusses steht es der Vertragsfreiheit der Parteien anheim, ob sie die mehreren Geschäfte rechtlich als selbständige behandeln wollen oder nicht. Der wirtschaftliche Zusammenhang und die Gleichzeitigkeit des Abschlusses der Geschäfte genügen für sich allein nicht, um ihre Einheitlichkeit im Sinne des § 139 BGB. zu bewirken. Wenn und insoweit nun mehrere Geschäfte rechtlich und tatsächlich voneinander unabhängig bestehen können und diese von den Kontrahenten auch äußerlich als mehrere Geschäfte in verschiedenen Urkunden behandelt worden sind, dann spricht schon die allgemeine Lebenserfahrung und deshalb die Vermutung dafür, daß sie auch nach dem Vertragswillen der Parteien als verschiedene selbständige Geschäfte gelten sollen. Die Beweislast dafür, daß hiervon abweichend die mehreren Geschäfte dennoch als Ganzes, nur als ein einheitliches Geschäft gewollt sind, trifft diejenige Partei, welche dies behauptet, im vorhegenden Falle also den Kläger. Sofern übrigens die Beklagten beweispflichtig erscheinen können, haben sie in erheblicher Weise Zeugenbeweis erboten. Hiernach kann das Beruftingsurteil so, wie es begründet ist, nicht aufrechterhalten werden." . . . RGZ.
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Inwieweit verstößt ein Vergleich, durch den einem mit der Leitung von Konzerten beauftragten Künstler Beschränkungen seiner künstlerischen Betätigung auferlegt werden, gegen die guten Sitten ? BGB. § 138. V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 15. Oktober 1912. I. Geheimer Justizrat 1. Instanz zu Berlin. II. Geheimer Justizrat 2. Inszanz daselbst.
Alljährlich in der Zeit vom 1. Oktober bis Ostern finden im Königlichen Opernhause zu Berlin zehn Symphoniekonzerte zum Besten der Königlichen Orchester-Witwen- und Waisenkasse statt. Leiter dieser Konzerte war der Kläger, zuletzt auf Grund eines Vertrags vom 21. Dezember 1902, der ihn bis zum 15. Mai 1921 verpflichtete. Zum 1. Januar 1908 erhielt der Kläger einen Ruf als Direktor der Hofoper in Wien. Infolgedessen
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wurden seine Beziehungen zum Königlichen Opernhaus anderweit durch Vertrag vom 6. September 1907 geregelt. Danach wurde der Vertrag von 1902 nur für die Zeit der Tätigkeit des Klägers an der Wiener Oper außer Kraft gesetzt; dieser sollte aber die Leitung der Symphoniekonzerte so lange beibehalten, bis nach Ermessen der Generalintendantur ein geeigneter Ersatz gefunden sein würde. Für den Januar und Februar 1908 erhielt der Kläger Urlaub, um sich in Wien einzuarbeiten. Er erklärte indessen, weil ihm sein fälliges Gehalt nicht gezahlt worden sei, das Vertragsverhältnis für gelöst und erschien im Konzert vom 9. März 1908 nicht. Darauf machte die Generalintendantur durch Anschlag im Opernhause bekannt, daß der Kläger kontraktbrüchig geworden sei, und erhob, nachdem der stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Bühnenvereins den Kläger für vertragsbrüchig erklärt hatte, Klage wegen des angeblichen Vertragsbruchs beim Bühnenschiedsgerichte. Dem Vorgesetzten des Klägers in Wien, Fürsten M., hatte sie mitgeteilt, daß des Klägers Stellung und Interessen in Wien durch das Verfahren nicht berührt würden. Dieses fand durch den Vergleich vom 30. Juli 1908 seine Erledigung. Die Verträge von 1902 und 1907 wurden mit gewissen Maßgaben aufgehoben. Insbesondere verpflichtete sich der Kläger bei Meidung einer Vertragsstrafe von 8500 M. für jeden Fall der Zuwiderhandlung, während der Dauer von fünf Jahren in Berlin und 30 km im Umkreise von Berlin weder Opern- noch Operetten- noch Konzertaufführungen zu dirigieren und auch sonst sich nicht öffentlich oder in Vereinen künstlerisch zu betätigen, dergestalt, daß jene fünf Jahre mit dem Tage des Ausscheidens aus den Wiener Vertragsbeziehungen beginnen, jedoch in jedem Falle mit dem 15. Mai 1921 enden. Der Kläger verpflichtete sich ferner zur Zahlung von 9000 M. an die Orchester-Witwenkasse und versprach, keinerlei Ansprüche auf Grund der gegen ihn herbeigeführten Vertragsbrucherklärung zu erheben. Die Generalintendantur erklärte sich damit für befriedigt, nahm nach Zahlung der 9000 M. die Klage zurück und veranlaßte die Streichung des Klägers aus den Listen der Vertragsbrüchigen. Im Jahre 1911 schied der Kläger aus seiner Wiener Stellung und erhob demnächst, indem er behauptete, daß der Vergleich gegen die guten Sitten verstoße, Klage mit dem Antrage, festzustellen, daß er an den Vergleich nicht gebunden sei, und daß ihm insbesondere nicht untersagt werden dürfe, sich in Berlin und im Umkreise von 30 km in der im Vergleich angegebenen Weise künstlerisch zu betätigen. Die Klage wurde von den Vorinstanzen abgewiesen, und auch die Revision hatte keinen Erfolg. Gründe: . . . „In der Sache selbst handelt es sich um die Frage, ob der Vergleich vom 30. Juli 1908, insofern er dem Kläger gewisse Beschränkungen in seiner künstlerischen Wirksamkeit auferlegt, wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 BGB. nichtig ist. Ob ein Rechtsgeschäft sitten-
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widrig im Sinne dieser Vorschrift ist, muß nach seinem aus der Zusammenfassung von Beweggrund, Inhalt und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter beurteilt werden (Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 75 S. 74, Bd. 78 S. 263). Ist danach die Überzeugung begründet, daß es mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden unvereinbar ist, daß es sich also mit dem in der Sitte, in der Übung zutage tretenden Empfinden der Volksgenossen, gemessen an einem durchschnittlichen Maßstab, in Widerspruch setzt, so verletzt es die guten Sitten und kann darum nicht bestehen (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 73 S. 113, Bd. 58 S. 214, Bd. 55 S. 367). Mit Recht hat der Berufungsrichter verneint, daß ein solcher Widerspruch zwischen den Anschauungen aller gerecht Denkenden und der Verpflichtung des Klägers, sich während einer gewissen Zeit in Berlin und seiner näheren Umgebung als Künstler nicht zu betätigen, anzuerkennen sei. . . . Von vornherein scheidet die Annahme aus, daß der Vertragsbruch der den Anlaß zu dem durch den Vergleich beendeten Verfahren gab, von der Generalintendantur nicht ernstlich behauptet, sondern nur als Vorwand genommen sei, um einen Druck auf den Kläger auszuüben und ihn zur Übernahme der von ihm jetzt beanstandeten Verpflichtimg zu bestimmen. Der Berufungsrichter stellt fest — und dies ist ohnehin wohl selbstverständlich —, daß die Bühnenleitung vom Bestand ihres Rechtes überzeugt war, d. h., daß sie den Kläger wirklich für vertragsbrüchig hielt und also in gutem Glauben war, als sie die entsprechende Erklärung abgab und die Entscheidimg des Bühnenschiedsgerichts anrief. Auf der anderen Seite war auch der Kläger der Meinung, daß er sich des Vertragsbruchs nicht schuldig gemacht habe. Die Parteien stritten eben darum, ob der Vorwurf des Vertragsbruchs gerechtfertigt wäre oder nicht, und dieser Streit wurde durch den Vergleich beseitigt. Die Generalintendantur verzichtete gegen bestimmte Geg.nleistungen auf ihre aus dem Vertragsbruch erhobenen Ansprüche; sie strich insbesondere den Kläger aus der Liste der Vertragsbrüchigen und befreite ihn von seiner Verpflichtung, die Symphoniekonzerte bis zur Ermittelung eines geeigneten Ersatzes zu leiten. Wenn sie hierbei in Wahrnehmung vor allem der Interessen der OrchesterWitwen- und Waisenkasse, der die Erträgnisse der Konzerte zugute kamen, darauf bedacht war, den nach der Feststellung des Berufungsrichters nicht ungefährlichen Wettbewerb des Klägers innerhalb gewisser Schranken auszuschließen, so kann dieses Ziel ebensowenig als anstößig und sittenwidrig bezeichnet werden, wie der Beweggrund, der die Behörde bei Einfügung der Wettbewerbsklausel in den Vergleich leitete. Fraglich ist nur, ob das Mittel, das zur Erreichung des unanfechtbaren Zweckes angewendet wurde, als verwerflich und dem sittlichen Empfinden widerstrebend zu kennzeichnen, und ob aus diesem Grunde der Vergleich als mit demMakel der Sittenwidrigkeit behaftet anzusehen ist. Auch in der Revisionsinstanz wird in erster Reihe unter Hinweis auf die den Verkauf einer ärztlichen Praxis und die Vereinbarung eines Wettbewerbsverbots zwischen approbierten Ärzten und Zahnärzten betreffenden
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Urteile des 2. und 3. Zivilsenats des Reichsgerichts (Entsch. Bd. 66 S. 139, 143) geltend gemacht, daß die Betätigung künstlerischer Kräfte frei sein müsse und nicht, sei es auch nur innerhalb gewisser Grenzen, lahm gelegt •werden dürfe. Im ersten der angezogenen Urteile ist der Verkauf einer ärztlichen Praxis u n t e r d e n B e d i n g u n g e n des d a m a l i g e n F a l l e s im wesentlichen deshalb für sittenwidrig erklärt worden, weil eine Verwertung des dem Arzte entgegengebrachten Vertrauens zum Zwecke des reinen Vermögensgewinns das allgemeine Volksbewußtsein verletze — ein Gesichtspunkt, der gegenwärtig überhaupt nicht in Betracht kommt. Im zweiten Urteile — das übrigens für nicht approbierte Ärzte nicht gilt (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 70 S. 339) — wird das Hauptgewicht auf die eigenartige Stellung öffcntlichrechtlichen Charakters sowohl der Ärzte auf dem Gebiete der Gesundheitspflege wie der Anwälte auf dem Gebiete der Rechtspflege gelegt und ausgeführt, daß es nach allgemeiner Anschauung den Vertretern dieser wissenschaftlichen, staatlich geordneten, den wichtigsten Gemeininteressen dienenden Berufe nicht zieme, der Berufsausübung irgendeine Beschränkung (nach Ort, nach Zeit oder gegenständlich) aufzuerlegen oder auferlegen zu lassen; diese Berufe müßten kraft der ihnen innewohnenden sittlichen Würde im öffentlichen Interesse frei sein. Ist nun auch die Ausübung der Kunst, sofern es sich um wirkliche Kunst handelt, ebenso wie die Ausübung der Rechtsanwaltschaft oder des ärztlichen Berufs, kein gewerbliches Unternehmen (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 66 S. 148) und finden daher die für kaufmännische Wettbewerbsverbote geltenden Grundsätze nicht ohne weiteres auf ähnliche Verträge der Künstler Anwendung, so nimmt doch der Künstler keine öffentlichrechtliche, mit Rechten und Pflichten verbundene Stellung ein. Der Künstlerberuf ist nicht, wie der Beruf des Anwalts oder des Arztes, fest umschrieben. Wer ihn übt, übt ihn nicht auf Grund vom Staate angeordneter Prüfungen, die im öffentlichen Interesse die Befähigung für den Beruf dartun sollen, und wenn der Künstler im höchsten Sinne der Allgemeinheit dient und öffentliche Zwecke verfolgt, so beruht dies nicht auf staatlicher, vom Nachweise wissenschaftlicher Vorbildung abhängiger Zulassung, sondern auf der Durchsetzung seiner eigenen Persönlichkeit und der Entfaltung ihrer Kräfte auf dem Gebiete der Kunst, dem sie sich zugewendet hat. Es ist daher nicht angängig, Sätze, die sich mit dem Wettbewerbsverbote der bestimmt begrenzten Berufe der (approbierten) Ärzte und Rechtsanwälte beschäftigen — selbst wenn man ihnen, was hier dahingestellt bleiben kann, uneingeschränkt beizutreten hat —, ohne weiteres auf Verabredungen zu übertragen, die der Betätigung des Künstlers gelten ; es ist nicht angängig, dem für jene besonderen Berufsstände gewonnenen Ergebnis allgemeine Bedeutung auch für die nach ganz anderer Richtung sich bewegende und nicht in den Rahmen einer einseitig wissenschaftlichen Berufsausbildung sich einfügende Wirksamkeit des Künstlers beizumessen.
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Es läßt sich nicht schlechthin sagen, daß dem Künstler ohne Verletzung des Volksempfindens in der Ausübung seiner Kunst keinerlei Schranken auferlegt werden dürften. Insbesondere läßt es sich nicht für die Künstler sagen, die ihre Kräfte in den Dienst einer bestimmten Kunststätte gestellt haben und vertragsmäßig an sie gebunden sind. Wäre es richtig, daß der Beruf des Künstlers unbedingt frei sein müsse, so würde schon diese Bindung verwerflich und jede Klausel eines Anstellungsvertrags, die dem Mitgliede ζ. B. eines Theaterunternehmens die anderweite Ausübung seines künstlerischen Berufs ohne Erlaubnis der Bühnenleitung verbietet, sittenwidrig sein. Dies wird ernstlich nicht behauptet werden können. Wenn es aber gestattet sein muß, daß sich ein Theaterleiter eine bewährte künsderische Kraft für seine Bühne sichert und durch entsprechende Vertragsbestimmungen ihre Tätigkeit an einer anderen Bühne mindestens beschränkt, so kann auch eine bei Auflösung des Vertrags getroffene Abrede nicht anstößig sein, die darauf abzielt, daß das frühere Mitglied innerhalb gewisser Grenzen nicht in Wettbewerb zu dem Unternehmen trete, dem es bisher angehört hat. Im vorliegenden Falle ist die Abrede im Wege des Vergleichs zur Beseitigung des Streites darüber, ob sich der Kläger eines Kontraktbruchs schuldig gemacht habe, getroffen worden. Sie bezweckte eine für den Kläger erträglichere Gestaltung der Dinge, als sie eingetreten wäre, wenn das Gericht den Vertragsbruch festgestellt hätte. In diesem Falle würde infolge des zeitweisen Ausschlusses des Klägers von den dem Bühnenverein angehörenden Bühnen sein künstlerisches Wirken eine weit empfindlichere Einschränkung erfahren haben, als er sie im Vergleich auf sich genommen hat. Darum kann aber eine Vereinbarung, die gegenüber den Folgen des Vertragsbruchs eine erhebliche Milderung bedeutet, nicht grundsätzlich den guten Sitten zuwiderlaufen. Dabei kommt nicht in Betracht, ob der Vorwurf des Vertragsbruchs objektiv begründet war, wofern er nur in der Überzeugung von seiner Begründetheit erhoben wurde. Fraglich kann demgemäß nur sein, ob die vom Kläger eingegangene Verpflichtung deshalb zu beanstanden ist, weil sie in keinem Verhältnis zu dem berechtigten Interesse der Generalintendantur steht oder weil sie eine übermäßige Beschränkung der künstlerischen Bewegungsfreiheit des Klägers in sich schließt. Auch dies ist indessen vom Berufungsrichter mit Recht verneint worden, und die dagegen von der Revision erhobenen Angriffe versagen. Die Revision rügt zunächst, daß der Berufungsrichter die lange Dauer des Verbots, die sich auf fünf Jahre, gerechnet vom Ausscheiden des Klägers aus seiner Stellung bei der Hofoper in Wien, erstreckt, nicht berücksichtigt habe. Der Berufimgsrichter sagt jedoch, daß das Verbot, da — nach den eigenen Erklärungen der Parteien im Vergleich — eine Betätigimg des Klägers als Dirigent in Berlin während seines Amtes in Wien nicht in Betracht komme, nur höchstens einen Zeitraum von fünf Jahren umfasse. Es ist ihm also nicht entgangen, daß der Kläger unter Umständen, nämlich
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im Falle seines Verbleibens in Wien bis zum Jahre 1916, dreizehn Jahre von Berlin ferngehalten wird. Wenn er dies trotzdem nicht für sittenwidrig und über das berechtigte Maß der von der Generalintendantur vertretenen Interessen hinausgehend erklärt, so ist dagegen nichts zu erinnern. Der Kläger war ursprünglich f ü r Berlin bis zum Jahre 1921 gebunden; von dieser Bindung wurde er durch den Vergleich befreit, und insofern das Feld seiner künstlerischen Wirksamkeit erweitert. Wenn es auf der anderen Seite dadurch beschränkt wurde, daß der Kläger längstens bis zu diesem Jahre Berlin zu meiden hatte, so kann darin nichts Verwerfliches gefunden werden. Der Kläger durfte sich nach dem der Generalintendantur gemachten Zugeständnis nicht öffentlich und nicht in Vereinen künstlerisch betätigen. Dies erachtet die Revision f ü r zu weit gehend. Es mag sein, daß für die Orchester-Witwen- und Waisenkasse von wesentlicher Bedeutung nur die Dirigententätigkeit des Klägers war. Darum verstößt es aber noch nicht gegen die guten Sitten, wenn das Verbot, zur Vermeidung von Zweifeln und zur Verhütung von Umgehungsversuchen, über das unumgänglich Notwendige hinaus erweitert worden ist, zumal dem Kläger selbst, wie der Berufungsrichter zutreffend bemerkt, diese Erweiterung nebensächlich war. Ein Mehr von Vorsicht, als durchaus geboten, stempelt die Abrede noch nicht zu einer sittenwidrigen. Die Frage, ob der Kläger in der Ausübung seines künstlerischen Berufs durch das Verbot übermäßig beschränkt worden sei, erörtert der Berufimgsrichter gleichfalls. Seine Ausführungen ergeben, daß er den Umfang des Wirkungskreises des Klägers, auch wenn ihm Berlin und seine Umgebung auf eine gewisse Zeit verschlossen ist, noch f ü r groß genug hält, um die übernommene Verbindlichkeit vom Standpunkte der guten Sitten aus als erträglich erscheinen zu lassen. Durch die hiermit gegebene Einengung jenes Wirkungskreises werden weder die Interessen des Klägers noch die der Allgemeinheit dergestalt berührt, daß man sagen müßte, sie verletze das Empfinden aller billig und gerecht Denkenden. Daß der Berufimgsrichter die Lage des Klägers nach seinem Ausscheiden aus der Wiener Stellung nicht ausreichend erwogen habe, kann der Revision nicht zugegeben werden. Dagegen ist es richtig, daß der Berufungsrichter nicht feststellt, daß der Kläger vor Abschluß des Vergleichs über den die Folgen der Vertragsbruchserklärung wesentlich abschwächenden Depeschenwechsel zwischen dem Vorgesetzten des Klägers in Wien und der Generalintendantur in Berlin aufgeklärt worden sei. Es ist also zu unterstellen, daß dies nicht geschehen ist. Aber darum verstößt der Vergleich, den der Kläger in Unkenntnis der ihm seine Stellung in Wien sichernden Maßnahme der Generalintendantur und im Hinblick auf die ohne diese Maßnahme möglichen schweren Folgen der Vertragsbruchserklärung schloß, noch nicht gegen die guten Sitten. Von einer Ausbeutung der Unkenntnis des Klägers kann, wie der Berufimgsrichter zutreffend ausführt, keine Rede sein — wobei immer daran festgehalten ist, daß die Intendantur von der
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Berechtigung ihres Vorwurfs überzeugt war. Daß sie es unterlassen hat, den Kläger ungefragt über den in seinem Interesse getanen Schritt zu unterrichten, ist kein sittenwidriges Verhalten. Ob der Vergleich gemäß § 138 BGB. nichtig wäre, wenn sich die Vertragsbruchserklärung als sittlich nicht zu rechtfertigende Handlung darstellte, braucht nicht erörtert und zu den die Frage anscheinend verneinenden Ausführungen des Berufungsrichters keine Stellung genommen zu werden. Denn die Erklärung war, wie schon mehrfach betont und auch vom Berufungsrichter angenommen wurde, mit den guten Sitten nicht unvereinbar, selbst wenn sie objektiv zu Unrecht abgegeben sein sollte. Wer sein vermeintliches Recht in ehrlicher Überzeugung von seinem Bestehen mit erlaubten Mitteln verfolgt, handelt nicht sittenwidrig. Darum kommt es für den vorliegenden Rechtsstreit auch nicht darauf an, ob der Kläger wirklich kontraktbrüchig gewesen ist. Auch wenn er es nicht war, ist der Vergleich und das darin enthaltene Wettbewerbsverbot rechtsbeständig." . .
RGZ. 80, 400 Ist die Schriftform nur dann erfüllt, w e n n die U r k u n d e ergibt, d a ß die Willenserklärung im N a m e n eines Vertretenen a b g e g e b e n wurde ? Entscheidender Gesichtspunkt bei Auslegung der Urkunde. BGB. §§ 126, 133. I I I . Zivilsenat. Urt. v. 25. September 1912. I. Landgericht Hannover.
II. Oberlandcsgericht Celle.
Aus den G r ü n d e n : „Der Kläger hat über ein Ladenlokal in dem der offenen Handelsgesellschaft R. & L. gehörigen Hause Bahnhofstraße 5 zu H. mit der Witwe A. R. den schriftlichen, von ihm und von der Frau R. mit ihrem Namen unterzeichneten Mietvertrag auf 5 Jahre vom 1. Oktober 1910 bis 1. Oktober 1915 abgeschlossen. Der Beklagte hat das Haus Bahnhofstraße 5 durch Vertrag vom 31. Oktober 1911 von der Firma R. & L. gekauft, und er hat, ohne daß Auflassung an ihn und Eintragung auf ihn erfolgt ist, dem Kläger den Mietvertrag vom 29. Dezember 1911 auf den 1. April 1912 gekündigt. Der Kläger fordert die Feststellung, daß der Beklagte erst zum 1. Oktober 1915 kündigen dürfe, und hat in beiden Instanzen obgesiegt. Die Parteien sind darüber einig, daß der Mietvertrag nach dem Willen der Kontrahenten für die Firma R. & L., also von der Frau R. als deren Teilhaberin und vertretungsberechtigten Vertreterin, abgeschlossen wurde, und daß der Klagantrag begründet ist, falls der so geschlossene und so niedergeschriebene Vertrag für die Firma bis zum 1. Oktober 1915 Gültigkeit hat. Dies bestreitet der Beklagte wie in den Instanzen so mit der Re-
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vision, weil die in § 566 BGB. vorgeschriebene schriftliche Form nicht eingehalten, nämlich nicht schriftlich erklärt sei, daß Frau R. als Vertreterin der Firma handelte. Die Instanzen erachten die Schriftform des § 566 BGB. als gewahrt. Das Landgericht meint: „die Offenbarung des Vertretungsverhältnisses gehört nicht zu der für den Vertrag vorgeschriebenen Schriftform, bedarf daher nicht der Beurkundung"; und entsprechend führt der Berufungsrichter aus : „auch bei Erklärungen, die gesetzlich der Schriftform bedürfen, braucht das Vertretungsverhältnis nicht unbedingt ausdrücklich, also insbesondere auch nicht imbedingt in der Urkunde selber erklärt zu werden, sondern es genügt auch hier, wenn die Umstände ergeben, daß die Erklärung im Namen eines anderen abgegeben wird. Anders liegt es in den Fällen, wo die gerichtliche oder notarielle Beurkundung einer Willenserklärung vorgeschrieben ist; dies beruht aber nicht auf irgendwelchen allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die auch da, wo nur Schriftform vorgeschrieben ist, entsprechend anzuwenden sein würden, sondern auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Vorschrift (FrGG. § 176, wo ausdrücklich neben der Bezeichnimg der bei der Verhandlung mitwirkenden Personen die der „Beteiligten" verlangt wird), wie sie sich in entsprechender Weise bei den Vorschriften darüber, was zur Schriftform gehört (§ 126 BGB.), nicht vorfindet." Dieser Begründung kann nicht beigetreten werden. Zuvörderst ist, was die Erfordernisse der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung anlangt, das Wort „Beteiligte" in § 176 Abs. 1 FrGG mißverstanden; dieses Wort bezeichnet, wie die Motive ausdrücklich festlegen und nirgends in Zweifel gezogen wird, nur denjenigen, dessen Erklärung beurkundet werden soll, und gerade nicht die Partei, in deren Angelegenheiten oder in deren Namen die Erklärung abgegeben wird, und mit dem Ausdruck „die bei der Verhandlung mitwirkenden Personen" sind nicht die Erklärenden, sondern nur die Urkundspersonen der §§ 170, 173 FrGG. gemeint. Der vom Berufungsrichter angenommene Unterschied zwischen der Schriftform einerseits und der Form der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung anderseits kann also aus § 176 FrGG. nicht gefolgert werden. Ein solcher Unterschied besteht nicht; vielmehr stehen, wie das Reichsgericht bereits in den Urteilen Entsch. in Zivils. Bd. 59 S. 219 und ebenso Jur. Wochenschr. 1905 S. 336 ausgesprochen hat, beide Formen unter der allgemeinen Vorschrift des § 133 BGB. Beide Formen erfordern allerdings einen Ausdruck des Vertretungsverhältnisses in der Urkunde. Dies folgt ohne weiteres daraus, daß die Beurkundung eines Rechtsgeschäfts alle Teile, zum mindesten alle wesentlichen Teile dieses Rechtsgeschäfts enthalten muß, also jedenfalls die Bezeichnung derer, die materiell das Geschäft schließen, und für die es demgemäß materiell wirksam sein soll. Darüber, wie weit ein schriftlicher Ausdruck noch genügt zur Bezeichnung dessen, was schriftlich erklärt werden muß, weil es ein wesentlicher Teil des der gesetzlichen Schriftform unterliegenden Rechtsgeschäfts ist, wie weit also Zivil>. A l l p e m . T e i l 2
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außerhalb der Urkunde liegende Umstände zur Auslegung und Erläuterung der Urkunde herangezogen werden dürfen, sind die maßgebenden Grundsätze in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 57 S. 260, Bd. 59 S. 219, Bd. 62 S. 382, Bd. 67 S. 214, Bd. 71 S. 116, Bd. 76 S. 306 aufgestellt. An diesen Grundsätzen ist festzuhalten. Soweit nur § 126 BGB. und nicht eine besondere den Inhalt der Schrift näher vorschreibende Gesetzesbestimmung in Frage steht, entscheidet der Wille der Vertragsparteien. Sie müssen nach Maß und Inhalt ihres beiderseitigen damaligen tatsächlichen Wissens einen bestimmten schriftlichen Ausdruck für eine ihnen genügende Bezeichnung des fraglichen Vertragspunktes erachtet und ihn darum in die Urkunde aufgenommen haben ; sie müssen also Schriftlichkeit für den betreffenden Punkt gewollt und diesen ihren Willen durch einen ihnen verständlich und genügend erscheinenden Ausdruck vollzogen haben (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 62 S. 50/51). Weder also genügt es, daß Dritte nach ihrem tatsächlichen Wissen oder auch nach späteren Ermittelungen über die den Parteien bekannt gewesene Sachlage einen bestimmten Ausdruck als eine genügende Bezeichnung erachten könnten und erachten; noch schadet es, daß Dritten nach diesem oder jenem Maße der Kenntnis ein bestimmter Ausdruck als eine ihnen fern liegende, ihnen unzureichende Bezeichnimg erscheinen könnte und erscheint. Die Revision macht geltend: die Schriftform bezwecke, Dritte für alle Zeiten zu sichern; es komme nicht darauf an, was die Vertragsparteien, sondern was andere, insbesondere im vorliegenden Falle die Erwerber im Sinne des § 571 BGB. aus der schriftlichen Urkunde entnehmen könnten. Wie solle sonst nach langen Jahren, wenn etwa über den nicht ausgedrückten Willen der verstorbenen Vertragsparteien niemand mehr etwas wisse, der Inhalt der Urkunde festgestellt werden können. Diese Rechtsanschauung muß als fehlgehend abgelehnt werden. Die gesetzlicher Vorschrift (§ 126 BGB.) gemäß schriftliche Willenserklärung bleibt eben eine Willenserklärung der Vertragschließenden, bei deren Auslegung der wirkliche Wille der Kontrahenten zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist (§ 133 BGB.). Das angebliche Erfordernis der Klarstellung schlechthin durch die Urkunde an sich, durch die Urkunde allein verstößt gegen den anerkannten Satz, daß auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände zur Auslegung herangezogen werden dürfen, und ist, insbesondere bei vielfältigem Rechtsinhalt der Urkunde, oft unerfüllbar, insofern das Verständnis einer Urkunde von seiten Dritter, je nach Kenntnis der unterliegenden tatsächlichen Verhältnisse und der verfolgten Zwecke, häufig ein völlig verschiedenes sein kann oder gar sein muß. Die etwa durch Zeitablauf oder Parteiwechsel gegebene Schwierigkeit des Beweises für den Willen der Vertragsparteien darf nicht dazu führen, diesen gerade auch in der Wahl des Ausdrucks von ihnen verwirklichten Willen auszuscheiden und sich auf die meist vieldeutige Urkunde an sich zu beschränken. Die ohne besondere Gesetzesvorschrift über den Inhalt der Urkunde einfach an die gesetzliche Schriftform gebundenen Ver-
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träge sind denn auch nur für die Parteien selbst, deren Rechtsnachfolger und Rechtsfortsetzer bestimmt, also für einen engen, auf dem kausalen Unterglinde des Vertragsverhältnisses verbleibenden Personenkreis. So erstreckt sich die Wirksamkeit mehrjähriger Mietverträge auf die Mietparteien, deren Rechtsnachfolger und auf die Erwerber im Sinne des § 571 BGB., denen nach §§ 444, 445, 515 BGB. die Mietvertragsurkunden von den veräußernden Vermietern auszuliefern sind. Bei Urkunden über derartige Verträge hat die Schriftform nicht den übrigens unerfüllbaren Zweck, jede Schwierigkeit eines Beweises zu beseitigen und die Urkunde als ein für sich stehendes und in sich abgeschlossenes Gebilde von dem Willen der Parteien, aus dem heraus sie entstanden ist, loszulösen, sondern sie hilft nur der Führung des Beweises für den wirklichen damaligen Willen der Parteien: sie soll diese Beweisführung nur erleichtern und sichern, soweit es durch einfache Schriftlichkeit, ohne besondere Gesetzesbestimmung über den Inhalt der Schrift, erreicht werden kann. Damit stimmt überein und mag als unterstützend herangezogen werden, was die Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des BGB. Bd. 1 S. 92 bemerken: bei den von dem Prinzip des Formzwanges ausgehenden Gesetzgebungen verfolge die allgemein vorgeschriebene schriftliche Form den Zweck, eine objektive Beweisgrundlage für den Willen der Kontrahenten zu schaffen. Zu einem anderen Ergebnis gelange man jedoch, wenn man mit dem Entwürfe von dem Grundsatze der Formfreiheit der Verträge ausgehe : von diesem Standpunkt aus solle die ausnahmsweise vorgeschriebene schriftliche Abfassung eines Vertrags nicht eine objektive Beweisunterlage schaffen, sondern mit Rücksicht auf die besondere Wichtigkeit des abzuschließenden Vertrags in klarer und unzweideutiger Weise zum Ausdruck bringen, daß das Stadium der bloßen Traktate beendet und eine wirkliche Willensübereinstimmung unter den Kontrahenten herbeigeführt sei. Vgl. auch Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 57 S. 263, Bd. 67 S. 214; die letzte Entscheidung besagt, daß die Grenzen, innerhalb deren es zulässig ist, die Urkunde wenn auch unter Berücksichtigung anderer Tatumstände, erläuternd auszulegen, nicht zu eng gezogen werden dürfen ; und die Grenzlinie ergibt sich eben daraus, daß das Rechtsgeschäft, also jeder wesentliche Teil, schriftlich zu erklären ist, daß aber dieses Rechtsgeschäft und diese Schriftlichkeit von den Parteien geschlossen und vollzogen wird, der Wille der Parteien also auch für die Erfüllung der gewollten Schriftlichkeit, d. h. für die Wahl des Ausdrucks maßgebend bleibt. Entsprechend den dargelegten Grundsätzen ist in den Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 62 S. 383 und Bd. 71 S. 116 eine genügende schriftliche Bezeichnung der Person des Gläubigers gefunden worden in der konkreten individuellen Bezeichnung der den Parteien nach allen Beziehungen bekannten Schuld, obwohl Dritte, denen die damaligen Rechtsträger der Schuld unbekannt sind, aus dieser Urkunde an sich die Person des Gläubigers nicht entnehmen können, und obwohl später die Feststellung des damaligen Gläubigers den größten Schwierigkeiten unterliegen kann. Es 18·
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reichen eben aus die Kenntnis der Parteien und die Tatsache, daß sie eine derartige Bezeichnung der Person des Gläubigers unter sich für eine genügende und für eine schriftlich niedergelegte halten. Diese Rechtsgrundsätze führen zur Bestätigung des Berufungsurteils. Die Schriftform ist gewahrt, jedoch nicht, weil das Vertreterverhältnis der Frau R. eines Ausdrucks in der Mietvertragsurkunde nicht bedürfte, sondern weil es nach Sinn und Absicht der Parteien in dieser Urkunde ausgedrückt werden sollte und für sie genügend ausgedrückt ist. Die Vertragsurkunde beginnt mit dem Satze: der Vertrag ist verabredet und abgeschlossen zwischen der Frau A. R. als Besitzerin des Hauses Bahnhofstr. 5 und dem Herrn A. S. Die Worte „als Besitzerin des Hauses" konnten im Sinne der Parteien unmöglich bedeuten, daß Frau R. Alleineigentümerin des Hauses sei, sondern nur, daß sie als Teilhaberin der Firma mitberechtigt war und darüber verfügen konnte. Denn die Parteien wußten unbestritten, daß das Haus der Firma gehörte, und wollten darum, wiederum unbestritten, beiderseits den Vertrag für die Firma und mit der Firma als Eigentümerin schließen. Die Urkunde fährt sodann, wie der Prozeßbevollmächtigte des Klägers zutreffend betont hat, fort : „Frau R. vermietet an Herrn S. das von letzterem schon eine Reihe von Jahren benutzte Ladenlokal auf weitere 5 Jahre." Damit ist ausdrücklich Bezug genommen auf das bisherige, schon seit langem bestehende Rechtsverhältnis, nämlich auf das bisherige Mietverhältnis zwischen dem Kläger und der Firma, das den Parteien bekannt und nach der Zeugenaussage des Teilhabers H. durch einen von diesem mit dem Kläger auf den Namen der Firma abgeschlossenen Mietvertrag begründet worden war. Diese Bezugnahme drückte in einer für die Kontrahenten unzweifelhaften und darum völlig genügenden Weise schriftlich aus, daß nunmehr kraft dieses neuen Vertrags das bisherige Mietverhältnis zwischen dem Kläger und der Firma fortgesetzt werde, daß also Frau R., wie sie beide wußten und wollten, nur für die Firma als deren Vertreterin handeln sollte und handelte. Die Parteien wußten, daß die Firma Eigentümerin des Hauses geblieben und Frau R. nicht inzwischen Alleineigentümerin geworden war. Diese Fortdauer des bisherigen Rechtszustandes und die sich hieraus normalerweise ergebende Weitervermietimg von seiten der Firma sind in den herausgehobenen Worten der Vertragsurkunde kurz und verständlich niedergelegt." . . .
RGZ. 8 i , 1 3 Versicherung auf den Todesfall. Ist es arglistige Täuschung, wenn der Versicherungsnehmer eine Krankheit verschweigt, die nach seiner Meinung nicht geeignet war, sein Leben zu verkürzen ? BGB. §§ 123, 124. Reichsgesetz über den Versicherungsvertrag vom 30. Mai 1908 § 22.
277 VII. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 22. November 1912. I. Landgericht Breslau.
II. Oberlandesgericht daselbst.
K. Kr., der Ehemann der Klägerin Kr., war bei der Beklagten durch Versicherungsschein vom 5. April 1910 auf den Fall seines Todes in Höhe von 50000 M. zugunsten der Klägerin versichert. Nach seinem am 20. Juni 1910 erfolgten Tode focht die Beklagte den Versicherungsvertrag wegen arglistiger Täuschung an. Klägerin forderte mit der Klage Zahlung der Versicherungssumme. Das Landgericht verurteilte die Beklagte nach dem Klagantrag, ihre Berufung wurde zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen aus folgenden Gründen: „Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob die Beklagte, wie sie geltend gemacht hat, vom Ehemanne der Klägerin durch arglistige Täuschung zum Abschlüsse des Versicherungsvertrags bestimmt worden ist (§ 7 Abs. 4, § 15 Abs. 2 der allgem. VersichBed.; § 22 VVG.; §§ 123, 124 BGB.). Nach Feststellung des Berufungsrichters hat der Ehemann der Klägerin bei den dem Versicherungsabschlusse zugrunde liegenden Verhandlungen die Formularfragen 7e, 8, 11 der vor dem Vertrauensarzte der Versicherungsgesellschaft abzugebenden Deklaration Β wissentlich unrichtig beantwortet. Er hat verneint, daß er an Geschlechtskrankheiten, besonders Syphilis, gelitten habe oder leide, daß er Quecksilber oder Jod gebraucht, daß er außer einzelnen, von ihm in der Deklaration angegebenen Ärzten noch andere Ärzte zu Rate gezogen habe. Es steht aber fest, daß er seit 1899 an Syphilis gelitten, in der Folgezeit 2 Schmier- und 4 Einspritzungskuren, also auch Quecksilberkuren, durchgemacht und außer den von ihm bezeichneten Ärzten seit dem September 1909 den Dr. N. zu Rate gezogen hat und von ihm an Syphilis behandelt worden ist. Kr. hat auch die Frage 3 b des Deklarationsformulars Β „Haben Fehlgeburten stattgefunden?" verneint, obwohl die Klägerin zweimal von toten Kindern entbunden worden war. Die Vorinstanz hat diesen Punkt ausgeschaltet, weil es zweifelhaft erschien, ob unter Fehlgeburten auch Totgeburten ausgetragener Kinder zu verstehen sind. Ob dieser, von der Revision beanstandeten Begründung beizustimmen wäre, kann dahingestellt bleiben. In jedem Falle ist dieser Punkt schon deshalb außer Betracht zu lassen, weil Dr. M. der Beklagten vor Abschluß des Versicherungsvertrags mitgeteilt hat, daß Frau Kr. zweimal faultote Kinder geboren habe. Von Dr. M. hat die Beklagte damals auch erfahren, daß Kr. von Dr. N. wegen äußerlich nicht wahrnehmbarer Syphilis behandelt worden war. Der Berufungsrichter hat nach Fassung und Inhalt der der Beklagten zugegangenen Zuschrift des Dr. M. vom 25. März 1910 angenommen, die Beklagte habe der Meinung sein können, daß die Dr. N.sche Behandlung viele Jahre und die letzte Totgeburt 2 bis 3 Jahre zurückliege, während tatsächlich die Kur bei Dr. N. eben erst abgeschlossen war und die Geburt des zweiten toten
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Kindes nur etwa 7 Monate zurücklag. Von diesen Annahmen, die sich innerhalb der Grenzen der dem Tatrichter zustehenden sachlichen Würdigung des Falles halten, hat auch das Revisionsgericht auszugehen. Danach kommt grundlegend in Betracht, daß der Irrtum, den Kr. durch seine unwahren Angaben in der Beklagten hervorgerufen hatte, durch die Mitteilungen des Dr. M. nur unvollkommen behoben wurde, daß insbesondere zur Zeit des Versicherungsabschlusses bei der Beklagten die irrige Vorstellung bestand, die ärztliche Behandlung Kr.s wegen Syphilis und die durch die Totgeburten in die Erscheinung getretenen Folgen des von ihm erworbenen Giftstoffs lägen mehrere Jahre zurück. Zu diesem Irrtume hätte es nicht kommen können, wenn Kr. die Formularfragen 7e, 11 ( . . . haben Sie gelitten oder leiden Sie . . . an Geschlechtskrankheiten, besonders Syphilis? Haben Sie noch andere Ärzte als die von Ihnen angegebenen zu Rate gezogen? wen? wann? weshalb?) pflichtgemäß richtig beantwortet hätte. Er wußte nicht nur, daß er in jüngster Zeit wegen Syphilis behandelt war, sondern ist, wie der Vorderrichter feststellt, durch Dr. N. auch darüber aufgeklärt worden, daß noch Syphilisgift in seinem Körper gefunden worden war. Damit ist freilich der zum Nachweis eines Betrugs erforderliche ursächliche Zusammenhang zwischen der Täuschungshandlung Kr.'s und der Erklärimg der Beklagten, die zum Abschlüsse der Versicherung führte, noch nicht dargetan. Im Berufungsurteile wird ein solcher Zusammenhang vermißt. Gegen die zu dieser Frage gemachten Ausführungen erheben sich jedoch nach einzelnen Richtungen wesentliche Bedenken. Der Berufungsrichter erwägt : „das günstige Ergebnis der Kur — nämlich bei Dr. N. — war kein Anlaß, vom Vertragsgeschäft abzustehen. Erheblich waren für die Beklagte nur Umstände, die die Lebensdauer des Versicherungsnehmers gegen die Zahlen der Sterbetafel ungünstig beeinflußten. Objektiv war die Ansteckung für die Lebensdauer Kr.'s ohne Bedeutung. Bei verständiger Würdigung der Sachlage würde die Beklagte, die sich nach der Aussage C.'s in ähnlichen Fällen nicht allzu ängstlich verhielt, sofern ihr das Gutachten Professor Br.'s vorgelegen hätte, voraussichtlich kein Bedenken getragen haben, den Vertrag unter gleichen Bedingungen, wie geschehen, abzuschließen, zumal sie gewärtigen durfte, daß Kr., wie bisher, alles tun würde, um die Reste der Ansteckung zu bekämpfen." Hierbei hat der Berufungsrichter mit Voraussetzungen gerechnet, die keineswegs sicher als gegeben anzusehen waren. Es steht nicht fest, daß die Beklagte, wenn sie erfahren hätte, daß die Kur bei Dr. N. in den letzten Monaten vor dem Versicherungsvertrage vorgenommen worden war, die Professoren N. und Br. um Auskunft ersucht und von ihnen Auskunft erhalten hätte. Es gewinnt den Anschein, daß dem Berufungsrichter bei seinen Erwägungen die Vorschrift des § 119 Abs. 1 BGB. vorgeschwebt hat. Bei Anfechtung einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung ist aber die Prüfung nicht darauf abzustellen, ob der Anfechtende die Erklärimg bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. Es fragt sich vielmehr in objektiver Hinsicht, ob
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der Anfechtende durch die Täuschung zu der angefochtenen Willenserklärung bestimmt worden ist oder ob sein auf die Täuschungshandlung zurückzuführender Irrtum auf die Willenserklärung ohne Einfluß war, ob diese also auch ohne den Irrtum abgegeben worden wäre. Nach dieser Richtung hat der Prozeßstoff eine erschöpfende, einwandfreie Würdigung im Berufungsurteile nicht gefunden." (Wird näher dargelegt.) . . . „Trotz dieser Umstände wäre das Berufimgsurteil aufrecht zu erhalten, wenn sich daraus rechtlich bedenkenfrei entnehmen ließe, daß es in subjektiver Hinsicht an einem Erfordernisse des Tatbestandes der arglistigen Täuschung fehle. Dies läßt sich aber aus dem Urteile nicht entnehmen. Es kann insofern nur noch in Frage kommen, ob Kr. seine wissentlich unrichtigen Erklärungen mit dem Willen abgegeben hat, die Beklagte dadurch zum Abschlüsse des Versicherungsvertrags zu bestimmen. Solche Willensrichtung wäre schon anzunehmen, wenn Kr. in dem Bewußtsein gehandelt hätte, die Beklagte würde bei Kenntnis des wahren Sachverhalts möglicherweise den Versicherungsantrag ablehnen. Der Berufungsrichter hat die subjektive Seite nur gestreift, und seine Ausführungen schließen die Möglichkeit, daß ein arglistiges Handeln Kr.'s festzustellen ist, nicht aus. Es ist im Berufungsurteile für nicht erwiesen erachtet, daß Kr. sich bewußt gewesen sei, für die Beklagte erhebliche oder solche Umstände, die f ü r die richtige Beurteilung seines Gesundheitszustandes hätten von Einf l u ß sein können, verschwiegen zu haben. Abgesehen aber davon, daß nicht nur Verschweigungen, sondern geradezu unrichtige Erklärungen Kr.'s festgestellt sind, ist es auch nicht ausschlaggebend, ob dieser die verschwiegenen Umstände als erheblich für den Grad der Versicherungsgefahr beurteilt hat. Auch wenn er die Umstände als objektiv unerheblich f ü r die Beklagte erachtete, kann er gleichwohl mit der Möglichkeit gerechnet haben, daß die Versicherungsgesellschaft von ihrem Standpunkt aus den Fall anders beurteilen und bei Kenntnis der verschwiegenen Umstände sich auf die angetragene Versicherung nicht einlassen würde. Eben deshalb kann nicht entscheidend ins Gewicht fallen, wenn im Berufungsurteile mit Hinweis auf den günstigen Gesundheitszustand Kr.'s ausgeführt ist, er habe mit Recht annehmen dürfen, daß die lange zurückliegende Ansteckung für seine Lebensdauer ohne nachteilige Folgen bleiben werde. Endlich könnte auch der vom Vorderrichter für die Handlungsweise Kr.'s als möglich unterstellte Beweggrund, es sei ihm peinlich gewesen, die K u r bei Dr. N. bekannt werden zu lassen, der Annahme einer arglistigen Täuschung nicht im Wege stehen. Jener Beweggrund würde außerhalb des Tatbestandes liegen, der für die Frage, ob eine arglistige Täuschung erfolgt ist, in Betracht kommt." . . . R G Z . 8 1 , 175 Verstößt die Abtretung einer F o r d e r u n g an eine vermögensl o s e Person g e g e n die guten Sitten, w e n n sie nur behufs E i n -
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Ziehung der F o r d e r u n g für d e n Abtretenden u n d in der Absicht geschieht, d e m Gegner im Falle seines Obsiegens die Wiedereinziehung der Kosten u n m ö g l i c h zu m a c h e n ? BGB. § 138. I I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 7. Januar 1913. 1. Landgericht Köln.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Aus den G r ü n d e n : . . . „Der Beklagte hat gegen die Befugnis des Klägers zur Geltendmachung der eingeklagten Forderung eingewendet, daß die Abtretung dieser Forderung an den Kläger nur zum Schein und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise erfolgt und daher nichtig sei. Er . . . behauptet, daß der Kläger in den ärmlichsten Verhältnissen lebe, gänzlich zahlungsunfähig und unpfändbar sei. Die Eheleute F. hätten deshalb den Kläger vorgeschoben, um sowohl dem Fiskus wie dem Beklagten die Einziehung der Kosten unmöglich zu machen. Das Berufungsgericht erklärt diese Behauptungen für unerheblich. Die Vorschiebung eines zahlungsunfähigen Klägers könne vielleicht dazu führen, diesem das Armenrecht zu versagen, keineswegs aber werde dadurch die vollzogene Abtretung zu einem Scheingeschäfte, noch stelle sie sich mangels sonstiger dafür sprechender Umstände als gegen die guten Sitten verstoßend dar. Der Beklagte habe aber auch für seine Behauptungen keine Beweismittel angegeben. Es erhelle ohne weiteres, daß sie der sachlichen Grundlage insoweit entbehrten, als nichts dafür spreche, daß die Eheleute F. davon ausgegangen seien, der Rechtsstreit sei aussichtslos ; sie hätten durchaus nicht mit der „unbedingten" Möglichkeit zu rechnen brauchen, daß der Kläger wegen der Kosten in Anspruch genommen werde. Diese Ausführungen sind nur insoweit richtig, als sie das Vorliegen eines Scheingeschäfts verneinen. Die Abtretung der Forderung ist als eine ernstliche auch dann anzusehen, wenn sie zu dem Zwecke geschieht, daß der Zessionar die Forderung für den Abtretenden, aber aus eigenem Rechte einklage und beitreibe und den eingezogenen Betrag an den Abtretenden abführe. Die Ernstlichkeit dieses Rechtsgeschäfts wird auch dadurch nicht berührt, daß der Zessionar mittellos und deshalb gewählt ist, damit der Abtretende im Falle eines ungünstigen Ausganges des Rechtsstreits nicht dem Gegner die Kosten zu erstatten brauche. Wohl aber ist eine Abtretung, die zu einem solchen Zwecke erfolgt, als wider die guten Sitten verstoßend anzusehen. Das abstrakte Rechtsgeschäft der Abtretung kann den verschiedensten wirtschaftlichen Zwecken dienen. Aber es darf nicht dazu mißbraucht werden, um den Gegner und auch den Staat der Möglichkeit zu berauben, ihren Rechtsanspruch auf Erstattung oder Zahlung der Kosten zu verwirklichen. Erfolgt die Abtretung lediglich zu diesem Zwecke, ohne berechtigten Interessen des Abtretenden zu dienen, so ist ihr nach §138 Abs. 1 BGB. die rechtliche Anerkennung zu versagen. Mit Ver-
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sagung oder Entziehung des Armenrechts f ü r den mittellosen Zessionar ist dem Prozeßgegner nicht geholfen. Regelmäßig wird das Armenrecht dem Zessionar, wenn überhaupt, so doch erst entzogen werden, nachdem dem Gegner bereits Kosten entstanden sind. Der Gegner gerät aber auch dann in die Lage, die Erstattung seiner Prozeßkosten nicht erlangen zu können, wenn der Zessionar das Armenrecht überhaupt nicht erhält oder auch nur nachsucht, sondern den Prozeß mit Unterstützung des Abtretenden betreibt, für den er den Prozeß führt. Ist somit die Behauptung des Beklagten als rechtlich erheblich anzusehen, so war es, wie die Revision zutreffend ausführt, die Pflicht des Berufungsgerichts, den Beklagten gemäß § 139 ZPO. zur Angabe von Beweismitteln f ü r seine Behauptung aufzufordern, wenn es solchcr noch bedurfte. Übrigens boten die Tatsachen, daß der Kläger das Armenrecht von vornherein nachgesucht hatte und daß er nach seiner eigenen Behauptung den Eheleuten F. f ü r die Abtretung der Forderung nur Akzepte gegeben habe, einen wesentlichen Anhalt f ü r die Behauptung des Beklagten. Ein Verstoß gegen die guten Sitten würde auch nicht nur dann vorliegen, wenn die Eheleute F. von der Aussichtslosigkeit des Rechtsstreites überzeugt gewesen wären und mit der „unbedingten" Möglichkeit hätten rechnen müssen, daß der Kläger unterliegen würde, sondern schon dann, wenn sie nur überhaupt mit der Möglichkeit gerechnet haben, daß die Klage abgewiesen werden würde, und wenn sie die Abtretung vorgenommen haben, damit sie in diesem Falle nicht zur Erstattung der Kosten herangezogen werden könnten, dem Beklagten vielmehr nur eine zahlungsunfähige Partei gegenüberstände." . . .
R G Z . 81, 395 ι . Z u m Begriffe der K e n n t n i s v o m G r u n d e d e r N i c h t i g k e i t o d e r A n f e c h t b a r k e i t i m Sinne des § 122 B G B . 2. Ist die in § 122 BGB. b e s t i m m t e S c h a d e n e r s a t z p f l i c h t d e s s e n , d e r seine E r k l ä r u n g w e g e n I r r t u m s a n g e f o c h t e n h a t , d a n n a u s g e s c h l o s s e n , w e n n d e r V e r t r a g s g e g n e r d u r c h sein e i g e n e s V e r halten den Irrtum hervorgerufen hat ? BGB. § 122 Abs. 2. III. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Stuttgart.
Urt. v. 25. Februar 1913. II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Beklagte hat im Jahre 1906 seine Fideikommißgüter Hemmingen und Höfingen an die Klägerin bis zum Jahre 1924 f ü r den jährlichen Pachtzins von 35 500 M. zum Betriebe der Landwirtschaft, insbesondere des Rübenbaus verpachtet; ausgenommen von der Pacht war das Schloß nebst dem es umgebenden Garten und Park, in dem der Beklagte im Sommer u n d
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Herbst f ü r einige Zeit Wohnung zu nehmen pflegte. Mit Schreiben vom 23. April 1909 erbat sich die Klägerin vom Beklagten die Genehmigimg zur Errichtung einer Rübenblättertrocknungsanlage. Der Beklagte erteilte in seiner Antwort vom 25. April 1909 die Genehmigung mit dem Bemerken, daß er voraussetze, die Anlage werde an einer Stelle errichtet werden, wo sie die Ansicht oder Aussicht des Parks oder Schlosses nicht störe. Nach Einsendung eines Lageplans gab der Beklagte die wiederholte Erklärung ab, daß gegen die Anlage keine Bedenken beständen. Darauthin errichtete die Klägerin an der im Lageplane bezeichneten Stelle in einer Entfernimg von 70 Metern vom Schlosse die Anlage, die jeweils im Herbst etwa 2 Monate lang während der Zuckerriibenernte in Betrieb sein sollte. Bereits am 9. Oktober 1909 focht jedoch der Beklagte wegen der mit der Anlage verbundenen, in Lärm, schlechtem Geruch und Rußausstreuung bestehenden Belästigungen seine Genehmigung an und untersagte den Betrieb. Seiner hierauf gerichteten Klage wurde im Vorprozesse stattgegeben. In dem Urteile des Reichsgerichts vom 10. November 1911 wurde dargelegt, daß zwar ein Dissens der Parteien hinsichtlich der Genehmigungserklärung nicht vorliege, daß aber die Anfechtung wegen Irrtums begründet sei. Der Irrtum des Beklagten wurde darin erblickt, daß er nur eine solche Anlage habe genehmigen wollen, welche keine weitergehendere Belästigung mit sich bringe, als sie mit dem gewöhnlichen landwirtschaftlichen Betriebe verbunden sei, daß aber die tatsächlich von ihm abgegebene Erklärung nach verkehrsüblicher Auffassung sich auf eine solche Anlage bezogen habe, wie sie von der Klägerin errichtet worden ist. Im jetzigen Prozesse beansprucht die Klägerin auf Grund des § 122 BGB. Schadensersatz in Höhe von 46610,50 M., weil sie die Anlage im Vertrauen auf die Gültigkeit der Genehmigungserklärung des Beklagten errichtet habe; es werden die Anlagekosten abzüglich des aus der Anlage während des Vorprozesses gezogenen Gewinnes verlangt. Beide Vorinstanzen haben den Anspruch seinem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Auf die Revision des Beklagten ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen worden aus folgenden Gründen: „Gemäß § 122 Abs. 1 BGB. muß die Vertragspartei, die ihre Erklärung wegen Irrtums angefochten hat, dem Gegner den Schaden ersetzen, den dieser dadurch erlitten hat, daß er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraute, jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, das der Gegner an der Gültigkeit der Erklärimg hat. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lagen vor, sofern man zunächst von den gegen die Direktoren der Klägerin erhobenen Vorwurf arglistigen Verhaltens absieht. Nach den Feststellungen ist kein Zweifel darüber, daß die Klägerin durch die mit erheblichem Kostenaufwand erfolgte Herstellung der Rübenblättertrocknungsanlage in Verbindung mit der Untersagung des Betriebs durch den Beklagten Schaden erlitten hat. Dieser Schade ist auf die wegen Irrtums
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angefochtene Genehmigungserklärung zurückzuführen, da die Klägerin ohne diese den Bau nicht errichtet hätte. Ein Dissens der Parteien über den Inhalt der Genehmigungserklärung ist, wie sich aus dem reichsgerichtlichen Urteile des Vorprozesses ergibt, nicht vorhanden; gegen diese Annahme wird auch nach der ausdrücklichen Erklärung der Revision keine Beanstandung erhoben. Auch sonst ist nach den insoweit rechtlich bedenkenfreien Ausführungen des Berufungsgerichts der ursächliche Zusammenhang zwischen dem Schaden der Klägerin und der Anfechtung des Beklagten gegeben." (Wird näher ausgeführt.) „Dagegen geben die Ausführungen des Berufungsgerichts darüber, ob nach der konkreten Sachlage die Schadensersatzpflicht des Beklagten von der Klägerin geltend gemacht werden könne, nach mehrfacher Richtung Anlaß zu rechtlichen Bedenken. Nach der Vorschrift des § 122 Abs. 2 BGB. tritt die Schadensersatzpflicht des Anfechtenden dann nicht ein, wenn der Beschädigte den Grund der Anfechtbarkeit kannte oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte. Dieser Grund ist im vorliegenden Falle der rechtlich erhebliche Irrtum des Erklärenden. Der Beschädigte muß also, wenn sein Anspruch auf Schadensersatz im Sinne des § 122 Abs. 2 ausgeschlossen sein soll, den Irrtum gekannt haben oder er hätte ihn doch kennen müssen. Der Irrtum des Beklagten bestand in dem Zwiespalt zwischen seinem inneren Willen und der tatsächlich abgegebenen Genehmigungserklärung; er ist hervorgerufen worden durch die falsche Vorstellung von den Eigenschaften der genehmigten Anlage. Die Kenntnis oder fahrlässige Nichtkenntnis der klägerischen Direktoren liegt also dann vor, wenn sie wußten oder wissen mußten, daß die Erklärung des Beklagten seinen wahren Willen nicht wiedergab und daß seine Vorstellung über die Eigenschaften der Anlage eine unrichtige war. Das Berufungsgericht hat nun verneint, daß den Direktoren der Klägerin ein arglistiges Verhalten zur Last falle und daß sie den Irrtum des Beklagten gekannt haben oder hätten erkennen müssen. Zur Begründung dessen ist insbesondere ausgeführt worden: Der Beklagte stehe den Kreisen der Landwirte nahe und habe in der Person des Oberregierungsrats R. einen sachverständigen Berater zur Seite. Den Direktoren der Klägerin sei deshalb nicht zu widerlegen, daß sie geglaubt hätten, der Beklagte wisse, um was es sich in Wahrheit bei der Anlage handle oder er könne sich leicht darüber unterrichten. Weiterhin sei den Direktoren nicht widerlegt, daß sie selbst auf Grund der Auskunft, die sie von der Lieferantin ihrer Anlage erhalten hätten, des guten Glaubens gewesen seien, dem Beklagten werde aus der Errichtung der Anlage keine Belästigimg erwachsen. Der hiergegen erhobene Angriff der Revision :st begründet. Nach der gesamten Sachlage kann kein berechtigter Zweifel darüber bestehen, daß der Beklagte, wenn er den wahren Charakter der Anlage gekannt hätte, die Genehmigung zu ihrer Errichtung in der Nähe seines Schlosses, wo er ungefähr zur Zeit des Betriebs der Anlage Landaufenthalt zu nehmen pflegte, nicht erteilt hätte. Dies muß um so mehr angenommen werden,
284 als der Beklagte sich im Briefe vom 25. April 1909 schon wegen der Beeinträchtigung des An- und Ausblicks vom Schlosse besorgt gezeigt hatte. Diese Erwägung konnte auch den Direktoren der Klägerin nicht entgehen; Anlagen der fraglichen Art fielen in ihren Berufskreis. Wenn sie selbst, wie das Berufungsgericht annimmt, den belästigenden Charakter der Anlage nicht kannten, so konnten sie nicht, wie weiter vom Berufungsgerichte dargelegt ist, bei dem Beklagten, der nicht Sachverständiger ist, die Kenntnis der Anlage und der damit verbundenen Belästigungen voraussetzen. Zutreffend rügt auch die Revision Übergehung des Beweisantritts des Beklagten dafür, daß die Lieferantin der Klägerin den Direktoren die Auskunft erteilt habe, eine Rübenblättertrocknungsanlage habe dieselben Wirkungen wie eine Rübenschnitzeltrocknungsanlage, nämlich Rauch, Geruch, Dämpfe und Ausstreuung von Rückständen. Weiterhin hat der Beklagte den Ausschluß der Schadensersatzpflicht auch darauf gestützt, daß die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten den Irrtum des Beklagten hervorgerufen habe. Der Auffassung des Berufungsgerichts, daß dieser Umstand unerheblich sei, ist nicht beizutreten. Wenn der Gegner des Anfechtenden selbst dessen Irrtum verursacht hat, kann er den Schadensersatzanspruch des § 122 Abs. 2 B G B . nicht geltend machen. Der Erhebung dieses Anspruchs steht bei solcher Sachlage die exceptio doli generalis entgegen, deren Wirksamkeit auch für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs das Reichsgericht schon mehrfach anerkannt hat (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 58 S. 356, Bd. 71 S. 435). Die Einrede tritt der mißbräuchlichen Ausnutzung formalen Rechts zum Nachteil eines anderen entgegen. Der Anfechtungsgegner, der den Irrtum selbst verursacht hat, hat dem Anfechtenden dafür aufzukommen, daß er den Irrtum hervorgerufen hat, und dieses Aufkommen besteht darin, daß er den Anspruch nicht geltend macht. Unerheblich für das Gebiet des § 122 B G B . ist es, ob die Herbeiführung des Irrtums durch den Beschädigten auf einer ihm zur Last fallenden Fahrlässigkeit beruht oder nicht. Die in § 122 B G B . anerkannte Schadensersatzpflicht ist unabhängig von einem Verschulden des Erklärenden und beruht — im Gegensatze zu den sonstigen regelmäßigen Voraussetzungen der Schadensersatzpflicht — auf dem reinen Veranlassungsprinzip. Es ist deshalb anderseits durchaus gerechtfertigt, auch den Ausschluß der Haftbarkeit ohne Rücksicht auf eine Fahrlässigkeit bei Verursachung des Irrtums eintreten zu lassen. Nun hat vorliegendenfalls der Beklagte unter Eideszuschiebung insbesondere behauptet, daß der klägerische Direktor S. bei einer Besprechung im Juni 1909 seine Frage, ob etwa von dem Betriebe der Anlage Ruhestörung oder sonstige Belästigung zu befürchten sei, ausdrücklich verneint habe. Im Falle der Richtigkeit der Behauptung, die vom Berufungsgericht unterstellt wird, hat der klägerische Direktor durch seine objektiv falsche Erklärung den Irrtum des Beklagten über die Eigenschaften der Anlage bestärkt und ihn dadurch abgehalten, Schritte gegen die Fortsetzung des Baus einzuleiten. Nach der bisher nicht widerlegten Behauptung des Beklagten war zur Zeit der Unter-
285 redung jedenfalls ein Teil des jetzt verlangten Schadens noch nicht entstanden und es hätte die Anlage ohne wesentliche Mehrkosten an einem anderen Orte des Pachtgrundstücks errichtet werden können." . . . RGZ. 81, 433 A n f e c h t u n g des von einer juristischen Person geschlossenen Vertrags wegen arglistiger T ä u s c h u n g , begangen durch einen Vertreter der juristischen Person. M u ß der arglistige Vertreter den Vertrag geschlossen haben, oder g e n ü g t es, wenn ihn ein anderer, g u t g l ä u b i g e r Vertreter Schloß, w ä h r e n d jener erste Vertreter von d e m bevorstehenden Vertragsschluß u n d der T ä u s c h u n g des Vertragsgegners Kenntnis hatte ? BGB. § 123. II. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht München.
Urt. v. 4. März 1913. II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin ist eine schweizerische Aktiengesellschaft, die von je zwei Mitgliedern des Verwaltungsrats oder der Direktion oder von einem Mitgliede dieser Organe zusammen mit einem Prokuristen vertreten wird. Im Jahre 1908 war K. der Direktor; Prokurist war R.; der Buchdrucker W. gehörte dem Vcrwaltungsrat an. W., der zugleich Großaktionär der Aktiengesellschaft für Fabrikation Reishauerscher Werkzeuge in Z. war, beauftragte die klagende Aktiengesellschaft, einen Teil seiner Reishauer-Aktien anderweit unterzubringen. In Verfolg dieses Auftrags verkauften K. und R. im Oktober 1908 namens der Klägerin für Rechnung W.s 40 ReishauerAktien à 500 Fr. an den über die Herkunft der Aktien nicht unterrichteten Beklagten. Die Aktien wurden geliefert, der Kaufpreis von 33600 M. wurde bezahlt. Durch Brief vom 13. Mai 1909 aber erklärte der Beklagte der Klägerin, daß er von K., mit dem er über den Ankauf unterhandelt hatte, betrogen sei, und focht das Geschäft wegen arglistiger Täuschung an. Der Punkt, über den der Beklagte getäuscht sein wollte, bezog sich auf die Kapitalverhältnisse der Reishauer-Gesellschaft. Das ursprüngliche Grundkapital von 700000 Fr. war am 1. Mai 1907 sowie am 1. Mai 1908 durch Einzahlung von jedesmal 100000 Fr. erhöht, am 30. Juni 1908 war eine weitere Erhöhung um 600000 Fr. beschlossen worden, wovon die Hälfte am 1. Oktober 1908, die andere Hälfte am 15. Dezember 1908 eingezahlt wurde. Als K. im Oktober 1908 mit dem Beklagten verhandelte, legte er ihm die Bilanzen über die mit dem Kalenderjahre zusammenfallenden Geschäftsjahre 1903 bis 1907 vor und teilte ihm mit, daß die Dividende in den letzten Jahren stets 15% betragen hatte. Nach Behauptung des Beklagten soll er eine gleich hohe Dividende auch für die nächsten Jahre als sicher bevorstehend angegeben haben; die Tatsache der Erhöhung des Grundkapitals auf V/ 2 Millionen Fr .habe er dabei arglistig verschwie-
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gen. Dagegen behauptete die Klägerin, K., dem die Nachrichten über die Reishauer-Gesellschaft durch W. zugegangen seien, habe von den Erhöhungen nichts gewußt und in gutem Glauben nur gesagt, aller Voraussicht nach würden für 1908 wiederum 15°-. verteilt werden. Jedenfalls war das Kapital in der dem Beklagten zur Einsicht vorgelegten Bilanz von 1907 auf 800000 Fr. beziffert. An diese Ziffer glaubte der Beklagte, als er sich zum Kaufe entschloß. Die Anfechtung des Geschäfts im Briefe vom 13. Mai 1909 begründete er damit, daß er erst kürzlich von der Erhöhung auf \λ/.2 Millionen Fr. erfahren habe; da die Dividende nunmehr mit den Inhabern der neuen Aktien geteilt werden müsse, seien die gekauften Papiere viel weniger wert. Die Klägerin erhob Klage auf Feststellung der Gültigkeit des Kaufvertrags. Beide Vorderrichter erkannten in diesem Sinne. Die Revision des Beklagten hatte Erfolg. Aus den G r ü n d e n : . . . „Diejenigen Personen, welche bei Abschluß des Kaufvertrags für die Klägerin handelnd auftraten, hatten hiernach von der Kapitalserhöhung der Reishauer-Gesellschaft keine Kenntnis. Auch fahrlässige Unkenntnis dieses Umstandes (vgl. § 123 Abs. 2 Satz 1 BGB.) lag nach den Feststellungen des Berufungsurteils nicht vor. Dem R. hat der Beklagte überhaupt keine Fahrlässigkeit vorgeworfen, und mit Bezug auf K. ist der Vorwurf bedenkenfrei für widerlegt angesehen. Das Oberlandesgericht hat ausgeführt: K. habe gewußt, daß W. als Vorsitzender des Verwaltungsrats über die gesamte Geschäftslage sowie die finanziellen Einzelheiten der Reishauer-Gesellschaft aufs genaueste unterrichtet war. Noch anderweite Erkundigungen einzuziehen, sei er nicht gehalten gewesen, zumal ihm keine Anhaltspunkte dafür zu Gebote gestanden hätten, daß er von W. nicht mit der Wahrheit bedient werde. Danach hängt die Entscheidung von der Frage ab, ob das Geschäft deshalb wegen arglistiger Täuschung angefochten werden konnte, weil W., der selbst zu den Vertretern der Klägerin gehörte, in bösem Glauben gewesen ist. Das Oberlandesgericht hat die Frage verneint. Es ist der Ansicht, bei dem Verkaufe der Aktien sei W. nicht als Vertreter beteiligt gewesen; nur als Privatmann habe er dem K. über die Verhältnisse der Reishauer-Gesellschaft berichtet. Dieser Ansicht läßt sich indes nicht zustimmen. Allerdings muß zwischen dem abgeschlossenen Geschäft und dem Vertreter der nicht getäuschten Partei eine rechtliche Beziehung obwalten, wenn die Anfechtung wegen des Verhaltens des Vertreters durchdringen soll. Hat ein Vertreter von dem Vertragsschlusse nichts gewußt und nur die Tatsache gekannt, über die der Vertragsgegner irrte, so wird dadurch allein der Vertrag kein betrügerisches Geschäft. Ist doch in solchem Falle auch kein Grund vorhanden, den Vertreter als arglistig oder bösgläubig zu tadeln. Allein das Oberlandesgericht geht zu weit, wenn es für die Anfechtbarkeit des Vertrags verlangt, daß der Vertreter den Vertrag mitabgeschlossen
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haben müsse. Es genügt, wenn er trotz Kenntnis von dem bevorstehenden Vertragsschluß und dem Irrtum des Vertragsgegners weder diesem selbst, noch dem Vertretenen oder dessen handelnden Vertreter den wahren Stand der Dinge offenbart. Die Billigkeitserwägung, die das Gesetz bestimmt hat, die Betrugsanfechtung bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen ausnahmsweise zu versagen, trifft dann nicht zu. Der Erklärungsempfänger — der Vertretene — war in der Lage, den Vertragsgegner aufzuklären und dadurch den Abschluß des Geschäfts zu verhindern. Es ist auch nicht richtig, das Unterlassen der Aufklärung als ein rechtlich bedeutungsloses Nichthandeln des arglistigen Vertreters zu betrachten oder sein Verhalten dann, wenn er den Vertragsschluß absichtlich herbeigeführt hat, nur als eigene unerlaubte Handlung zu würdigen. Vielmehr bewirkt die Kenntnis des Vertreters von dem Irrtum des Vertragsgegners, daß die Aufklärungspflicht in der Person des Vertretenen entsteht. Verabsäumt der Vertreter die Aufklärung, so ist es der Vertretene, durch den und auf dessen Verantwortung die Pflicht verletzt wird. Die Sache liegt nicht wesentlich anders, als wenn ein handelnder Vertreter den Vertragsgegner täuscht. Wie hier der Vertretene selbst als der Täuschende anzusehen ist (vgl. die Urteile in Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 72 S. 133, Bd. 76 S. 107), so hat das gleiche in dem besonderen Falle zu gelten, wenn positives Tätigwerden beim Vertragsschluß und pflichtwidriges Verschweigen sich auf mehrere Personen verteilen. Wollte man gleichwohl Bedenken tragen, die arglistige Unterlassung dem Vertretenen als Betrugstat anzurechnen, so müßte doch wenigstens dem Wissen des Vertreters die Bedeutung beigelegt werden, daß dadurch auch der Vertretene als wissend erschiene. Von der Bestimmung des § 123 BGB. würde dann zwar nicht der Abs. 1, wohl aber Abs. 2 Satz 1 Anwendung finden, so daß das Ergebnis dasselbe bliebe. Obschon der vertretene Erklärungsempfanger die Täuschung nicht verübt haben würde, wäre die Erklärung anfechtbar, weil ihm der nicht handelnde Vertreter die Kenntnis von der Täuschung vermittelt hätte. Die entwickelte Auffassung enthält keine Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung des Senats. Nicht hierhin gehört das Urteil Rep. II. 337/08 (Warneyer Rechtspr. 1909 S. 170), wo der Täuschende nur an den Vertragsbesprechungen teilgenommen hatte, jedoch der Vertretungsmacht entbehrte und wo daher die Anfechtimg zurückgewiesen wurde. Wohl aber kommt in Betracht das Urteil Rep. II 229/12 (unvollständig abgedruckt bei Warneyer 1913 S. 49, Leipz. Zeitschr. 1913 Sp. 140). Hier hatte eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, vertreten durch den einen ihrer beiden Geschäftsführer, gewisse Materialien an einen Chemiker mit der Zusage verkauft, sie keinem Konkurrenten des Käufers zu liefern. Während die Verhandlungen noch schwebten, hatte der andere Geschäftsführer, der die Zusage kannte, einen Verkauf an einen Konkurrenten vorgenommen, ohne dem ersten Geschäftsführer oder dem Chemiker Mitteilung davon zu machen. Letzterer focht den Vertrag wegen arglistiger Täuschung an, wurde aber auf die Kaufipreisklage der Gesellschaft verurteilt. Bei der
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Bestätigung des Urteils hob der Senat hervor, die Anfechtung sei nur deshalb unbegründet, weil jener zweite Geschäftsführer nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsrichters habe annehmen dürfen, bei der geringen Menge der dem Konkurrenten gelieferten Materialien werde der Beklagte kein Gewicht darauf legen. Im vorliegenden Falle hat W., der bei dem Vertrag untätig gebliebene Vertreter der Klägerin, nicht nur von der Kapitalserhöhung der ReishauerGesellschaft Kenntnis gehabt. Er hat zugleich auch gewußt, daß den handelnden Vertretern K. und R. diese Kenntnis fehlte und daß daher auch der künftige Käufer getäuscht werden würde. Schon dies würde genügen, um die Betrugsanfechtung des Beklagten zu rechtfertigen. Der Umstand, daß W. die Täuschung des Käufers geradezu bezweckt und planvoll zustandegebracht hat, indem er sich der Mitvertreter als Werkzeuge bediente, braucht nicht einmal betont zu werden. Das Urteil des Oberlandesgericht ist daher aufzuheben." . . . R G Z . 82, 2 2 2 Verstößt ein Vertrag unter Zahnärzten, durch den sie sich ehrenwörtlich zur E i n h a l t u n g bestimmter Mindestgebührensätze verpflichten, g e g e n die guten Sitten ?
BGB. § 138 Abs. 1. III. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Elberfeld.
Urt. v. 29. April 1913. II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
Durch Vertrag vom Oktober 1908 verpflichteten sich die Kläger und die Beklagten, sämtlich approbierte Zahnärzte im Stadt- oder Landkreise S., untereinander, im Verkehr mit den Krankenkassen im Stadt- und Landkreise S. bestimmte Mindestgebührensätze einzuhalten. § 6 dieses Vertrags lautet: „Die Unterzeichneten verpflichten sich ausdrücklich ehrenwörtlich zur genauen Befolgung dieses Abkommens. Wenn von einem Unterzeichneten gegen § 3 und § 4 verstoßen wird, so ist von ihm für jeden Einzelfall der Unterbietung M. 50 Konventionalstrafe verwirkt. Auf Beschluß der Vertragschließenden kann bei gleicher Konventionalstrafe jeder Unterzeichnete angehalten werden, seine Rechnung in der anberaumten Sitzimg behufs Prüfung vorzulegen." . . . Dieser Vertrag wurde vom Landgericht auf Grund des § 138 BGB. dem Klagantrag entsprechend f ü r nichtig erklärt. Das Oberlandesgericht wies dagegen die Feststellungsklage ab. Auf die Revision der Kläger ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Berufung der Beklagten gegen das erste Urteil zurückgewiesen worden.
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Gründe: „Die Revision führt mit Recht aus, daß nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 68 S. 229, Bd. 74 S. 332, Bd. 78 S. 258; Seuff. Arch. Bd. 67 S. 181 Nr. 104; ferner Urteil vom 7. März 1913, Rep. III. 366/12) der hier fragliche Vertrag vom Oktober 1908 wegen der ehrenwörtlichen Bindung der Vertragschließenden auf Grund des § 138 BGB. für nichtig zu erachten ist. Den Ausführungen des Vorderrichters, mit denen er seine abweichende Ansicht begründet, kann nicht beigepflichtet werden. Seine Annahme, daß nach der Fassung des § 6 Abs. 1 und 2 des Vertrags und dem daraus erkennbaren Zwecke der Strafandrohung eine Verletzung des Ehrenworts nur dann angenommen werden sollte, wenn ein Beteiligter sich bewußt in einem Punkte von Bedeutung außerhalb des Vertrags stellen würde, und daß wegen zweifelhafter Einzelheiten nur die eventuelle Erhebimg einer Vertragsstrafe in Frage kommen sollte, wird von der Revision zutreffend als mit der Fassung des Vertrags unvereinbar, als eine unmögliche Auslegung bezeichnet. Der § 6 enthält im Abs. 1 die ausdrückliche ehrenwörtliche Verpflichtung zur genauen Befolgung „des Abkommens" ohne jede Einschränkung und daneben im Abs. 2 die Abrede einer Vertragsstrafe von 50 M. für jeden Einzelfall einer gegen die §§ 3, 4 des Vertrags verstoßenden Unterbietung sowie im Abs. 3 die Vereinbarung der gleichen Strafe fur den Fall der Nichterfüllung der hier auferlegten Pflichten zur Vorlage der Rechnimg usw. Danach kann die ehrenwörtliche Bindung nur auf das ganze Abkommen bezogen werden und mußte jeder Beteiligte mit der Möglichkeit rechnen, daß gegen ihn der Vorwurf des Ehrenwortbruchs bei jedem noch so unbedeutenden Verstoße gegen den Vertrag erhoben werde, selbst wenn das Heruntergehen unter die vereinbarten Mindestsätze durch die besonderen Umstände des Falles geboten oder wenigstens gerechtfertigt war. Diese Gefahr, wegen ganz geringfügiger und durchaus nicht unehrenhafter Handlungen des Ehrenwortbruchs geziehen und dadurch in seiner bürgerlichen Stellung und seinem Fortkommen stark geschädigt zu werden, läßt die ehrenwörtliche Bestärkung der Vertragspflichten als unsittlich und den Vertrag daher nach § 138 als nichtig erscheinen. Der Berufungsrichter hält den Vertrag deshalb nicht für unsittlich, weil er zwar wesentlich, aber doch nicht ausschließlich die Förderung des Geldinteresses der Beteiligten, sondern daneben auch die Förderung ihrer Standesinteressen bezwecke, indem er die einzelnen Beteiligten hindern solle, in einen zu weit gehenden Wettbewerb mit Zahntechnikern und ähnlichen Gewerbetreibenden zu treten. Diese Erwägung kann zwar nicht mit der Revision schon deshalb als hinfällig bezeichnet werden, weil der ideale Zweck nicht in dem Vertrage zum Ausdruck gekommen sei; sie schlägt aber nicht durch, weil schon der Umstand, daß die Förderung der Geldinteressen einen wesentlichen Vertragszweck bildet, eine ehrenwörtZilvis. Allgem. Teil 2
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liehe Bindung an die Vertragspflichten unzulässig macht, eine Verpfändung des Ehrenworts um Geldinteressen willen grundsätzlich für unzulässig zu erachten ist. Gerade das von dem Vorderrichter und den Revisionsbeklagten betonte Standesinteresse der approbierten Zahnärzte, die von dem erkennenden Senate wiederholt (Entsch. des RG.s in Zivils. Bd. 66 S. 150, Bd. 68 S. 191) hervorgehobene sittliche Würde und öffentlichrechtliche Bedeutung des ärztlichen Berufs fordern die Unzulässigkeitserklärung einer ehrenwörtlichen Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Mindestgebührensätze, auch wenn sich die Verpflichtung auf den Verkehr mit den Krankenkassen eines bestimmten Bezirks beschränkt."
R G Z . 83, 109 ι . Unter welchen Voraussetzungen ist ein Vertrag, wodurch sich ein Rechtsanwalt ein das Angemessene erheblich überschreitendes Honorar versprechen läßt, wegen Verstoßes g e g e n die guten Sitten nichtig ? 2. Ist die Rückforderung des gezahlten übermäßigen Honorars trotz eines hierüber abgeschlossenen Vergleichs zulässig ? BGB. §§ 138, 779, 812. RAGebO. § 93 Abs. 4.* I I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 24. September 1913. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Die Klägerin beansprucht Rückzahlung eines Teiles des vereinbarten Anwaltshonorars, das sie in Höhe von 15500 M. an den Beklagten als ihren Rechtsbeistand und Prozeßbevollmächtigten in verschiedenen Rechtsstreitigkeiten gegen ihren Vermieter M. gezahlt hat. In diesen Rechtsstreitigkeiten handelte es sich darum, ob M., der sein Haus „frei von Mietverträgen" verkauft hatte, von der Klägerin vorzeitige Räumimg fordern durfte, und vor allem, welche Abfindung die Klägerin für die verfrühte Auflösung des Mietverhältnisses beanspruchen könnte. M. behauptete, sich mit der Klägerin auf 40000 M. geeinigt zu haben. Mit Hilfe des Beklagten erwirkte die Klägerin eine Abfindung von baren 95000 M. und außerdem Befreiung von einigen Mietsverbindlichkeiten, angeblich im Betrage von etwa 10000 M. Gleich nach Übernahme der Vertretung der Klägerin im Juni 1906 bedang sich der Beklagte laut privatschriftlicher Urkunde vom 30. Juli 1906 ein Honorar von 3000 M. und, falls sich die Klägerin ohne seine Einwilligung und Genehmigung vergleichen sollte, einen weiteren Betrag von 10000 M. aus. Am 28. November 1906 wurde dann zwischen M. und der Klägerin unter Mitwirkung des Beklagten ein außergerichtlicher Vergleich * jetzt Abs. 3
291 geschlossen, worin sich die Klägerin zur Räumung bis zum 30. desselben Monats und M. zur imbedingten Zahlung von 45000 M. zu Händen des Beklagten und, falls er in dem weiterzuführenden Hauptprozesse — Klage M.s auf Feststellung, daß er sich mit der Klägerin auf eine Abfindung von 40000 M. geeinigt habe — unterliegen sollte, zur Zahlung weiterer 50000 M. ebenfalls zu Händen des Beklagten verpflichteten. An demselben Tage erwirkte der Beklagte von der Klägerin das schriftliche Versprechen, außer den obigen 3000 M. weitere 24500 M. Honorar zu zahlen. Nachdem im Januar 1908 M. mit seiner Feststellungsklage in dritter Instanz abgewiesen, auf eine neue Klage der Klägerin durch Anerkenntnisurteil zur Zahlung der 50000 M. verurteilt worden war und in einem Vergleiche vom 22. Januar 1908 dem Beklagten als unwiderruflich bestellten Bevollmächtigten der Klägerin Sicherheit für Zahlung dieses Betrags gewährt hatte, weigerte sich die Klägerin, das vereinbarte Honorar zu zahlen, und wollte dem Beklagten, nach Rücksprache mit Rechtsanwalt v. P., nur insgesamt 10000 M. zubilligen. Nach mehrfachen Verhandlungen zwischen der Klägerin und dem damaligen Teilhaber des Beklagten, dem Rechtsanwalt E., als dem Vertreter des Beklagten, kam am 6. März 1908 eine Vereinbarung zustande, wodurch das gesamte Honorar des Beklagten auf 15500 M. festgesetzt wurde; die Klägerin, die bereits 5500 M. getilgt hatte, unterschrieb einen Schuldschein über 10000 M. Dieser Betrag wurde dadurch berichtigt, daß der Beklagte von den an ihn geleisteten Zahlungen M.s der Klägerin diese Summe abzog. Am 1. März 1910 stellte die Klägerin, die bei der endgültigen Abrechnung mit dem Beklagten noch einen Restbetrag von 277,10 M. beansprucht hatte, nach Verhandlungen mit Rechtsanwalt E. als dem Vertreter des Beklagten, der diesen Anspruch zunächst bestritten hatte, eine Quittung aus, in der sie den Empfang dieser 277,10 M. bestätigte und anerkannte, gegen den Beklagten keine Ansprüche mehr zu haben. Die Klägerin fordert mit der vorliegenden Klage von den 15500 M. 5500 M. zurück, indem sie die Nichtigkeit der Vereinbarungen vom 28. November 1906 und vom 6. März 1908 auf Grund des § 138 Abs. 1 und 2 BGB. behauptet und sich auch auf § 93 Abs. 4 RAGebO. beruft. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Kammergericht hat auf einen richterlichen Eid für die Klägerin über das Zustandekommen der Vereinbarung vom 28. November 1906, und zwar über den nach ihrer Angabe von dem Beklagten dabei ausgeübten Druck erkannt. Die Revision des Beklagten ist zurückgewiesen worden. Gründe: „Der Vorderrichter hat veraeint, daß die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB. vorliegen, dagegen erklärt er für den Fall der Leistung des der Klägerin auferlegten richterlichen Eides sowohl die Vereinbarung vom 28. November 1906 als auch den Vertrag vom 6. März 1908 wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nach § 138 Abs. 1 für nichtig. Die hiergegen erhobenen Revisionsangriffe sind unbegründet. 19·
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Nach der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts setzt die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB. voraus, daß das Rechtsgeschäft selbst nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Motiv und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter, nach den objektiven und subjektiven Momenten gegen die guten Sitten verstößt (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 56 S. 231, Bd. 63 S. 350, Bd. 68 S. 98, Bd. 75 S. 74; Jur. Wochenschr. 1911 S. 642, 1913 S. 682). Daß der Versprechende widerrechtlich durch Drohungen zum Abschlüsse des Vertrags bestimmt worden ist (§ 123), genügt nicht, auch wenn die Willensbeeinflussung unsittlich war; anderseits steht dies der Anwendung des § 138 Abs. 1 nicht entgegen, wenn das Geschäft nach InhaJt und Zweck auch noch objektive Momente enthält, die mit den guten Sitten unvereinbar sind (so insbesondere das Urteil des erkennenden Senats Jur. Wochenschr. 1908 S. 710 Nr. 2; ferner das Urteil des VII. Zivilsenats vom 23. März 1909, Rep. VII. 325/08; vgl. auch Jur. Wochenschr. 1911 S. 642 und hinsichtlich der arglistigen Täuschung Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 72 S. 218). Die Übermäßigkeit des Betrags der versprochenen Leistung, ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, macht grundsätzlich für sich allein das Geschäft nicht zu einem unsittlichen; es ist außerdem erforderlich, daß entweder sämtliche Voraussetzungen des Wuchers (§ 138 Abs. 2) vorliegen oder daß zu der Höhe des Versprochenen noch ein weiterer Umstand hinzukommt, der in Verbindung hiermit den Vertrag nach seinem Gesamtcharakter als sittenwidrig erscheinen läßt (vgl. Entsch. des RG.'s in Zivils. Bd. 64 S. 181 ; die Urteile des V. Zivils, vom 27. März 1907 Rep. V. 335/06, und des I. Zivils, vom 1. Juli 1908 Rep. I. 532/07, vom 7. Juli 1909 Rep. I. 380/08, abgedruckt bei Warneyer 1909 Nr. 494, und vom 22. Januar 1913 Rep. I. 300/12 in Jur. Wochenschr. 1913 S. 483; ferner die übermäßige Vertragsstrafen betreffenden Urteile des erkennenden Senats in Jur. Wochenschr. 1909 S. 488; 1910 S. 483 und 1913 S. 3211). Mit diesen Grundsätzen steht es im Einklage, wenn der Vorderrichter einen Vertrag, wodurch sich ein Rechtsanwalt ein das Angemessene in hohem Maße überschreitendes Honorar versprechen läßt, dann als gegen die guten Sitten verstoßend bezeichnet, wenn das Abkommen sich als eine rücksichtslose Ausnutzung der Sach- und Rechtslage durch den Sachwalter gegenüber dem von ihm abhängigen Klienten darstellt oder wenn die Zusage des Klienten durch Handlungen erreicht wird, die in ihrer Wirkung einer Erpressung sehr nahe stehen. Das Berufungsgericht ist also von zutreffenden rechtlichen Gesichtspunkten ausgegangen. Es findet keineswegs, wie die Revision behauptet, die Unsittlichkeit lediglich darin, daß die Klägerin zu dem Versprechen durch eine unzulässige Beeinflussung ihres Willens bestimmt worden sei, sondern legt außerdem Wert auf den Inhalt der Verträge, die Übermäßigkeit des versprochenen Honorars. Es sagt nicht, wie die Revision meint, der Inhalt der Verträge verstoße nicht gegen die i) Vgl. auch 165 S. ι (14).
(abgedruckt weiter unten in diesem Abschnitt)
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guten Sitten, sondern nur, die Übermäßigkeit des Honorars genüge für sich allein nicht, das Versprechen zu einen! unsittlichen zu machen. Das angefochtene Urteil verstößt auch nicht gegen § 779 BGB. Die hier für Vergleiche getroffene Sondervorschrift bestimmt nur einen besonderen Fall der Unwirksamkeit wegen Irrtums, sie steht aber der Anwendung des § 138 auf Vergleiche nicht entgegen. Es bedarf daher keines Eingehens auf die Ausführungen der Revision, daß der Vertrag vom 6. März 1908 einen Vergleich darstelle. Ebenso unhaltbar ist die Meinimg, in § 93 Abs. 4 RAGebO. seien die Folgen der Vereinbarung eines unangemessenen Anwaltshonorars ausschließlich geregelt und deshalb sei die Rückforderung des bereits gezahlten Honorars aus dem Grunde, daß es die Grenze der Mäßigimg überschreite, selbst beim Vorhegen der Voraussetzungen des § 138 ausgeschlossen. § 93 Abs. 4 gibt nur ein Recht auf Ermäßigung eines gültig versprochenen Honorars. Ob ein rechtsgültiges Honorarversprechen vorliegt, bestimmt sich, von der Fonnvorschrift des § 93 Abs. 2 abgesehen, nach dem bürgerlichen Rechte. Vor allem kann an der Anwendbarkeit des § 138 und der die Folgen der Nichtigkeit der unsittlichen Rechtsgeschäfte regelnden Bestimmungen kein Zweifel sein (s. W a l t e r - J o a c h i m , RAGebO. 5. Aufl. S. 486 N. 24 zu § 93). Der Vorderrichter' hat auch von obigen Grundsätzen in dem gegebenen Falle zutreffenden Gebrauch gemacht. Ihm ist zwar darin nicht beizutreten, daß die Nichtigkeit des Abkommens vom 28. November 1906 die Unwirksamkeit des Versprechens vom 6. März 1908 zur Folge habe, daß das spätere, da es das frühere nur abändern sollte, des selbständigen Charakters entbehre und mit dem früheren falle. Durch das spätere Abkommen ist nicht minder als durch das frühere die Höhe der dem Beklagten für seine Anwaltstätigkeit gebührenden Vergütung festgesetzt und die frühere Vereinbarung ersetzt worden. Nur der spätere Vertrag ist erfüllt, die Rückforderung ist daher ausgeschlossen, wenn er rechtsgültig ist, mag auch der ältere Vertrag der Gültigkeit entbehren. Die Nichtigkeit des Versprechens vom 28. November 1906 kommt nur insoweit in Betracht, als der Inhalt dieses Vertrags und die dadurch geschaffene Sach- und Rechtslage für die Beurteilung der Frage bedeutsam ist, ob der spätere Vertrag gegen die guten Sitten verstößt. Die abweichende Ansicht des Berufungsgerichts ist aber ohne Bedeutung für die Entscheidung, weil es das Honorarversprechen am 6. März 1908 auch für den Fall, daß es unabhängige Bedeutung haben sollte, für unsittlich erklärt und hierin ist ihm beizupflichten. Bei Prüfung der Frage, ob ein Vertrag gegen die guten Sitten verstößt, ist der Stand und Beruf der Partei mit zu berücksichtigen. Eine Verletzung der Standesehre genügt allerdings nicht, einen Vertrag zu einem unsittlichen zu machen; die Vereinbarung muß vielmehr nach ihrem Gesamt Charakter mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden im Widerspruch stehen. Hiernach sind aber nicht an alle Menschen ohne Rücksicht auf Stand und Beruf die gleichen Anforderungen zu stellen; insbe-
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sondere ist bei Rechtsanwälten, die berufen sind, bei Wahrung des Rechtes mitzuwirken, ein schärferer Maßstab anzulegen. Ob man deshalb sogar, wie der Vertreter des Revisionsbeklagten in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, abweichend von den obigen, bisher von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätzen und trotz der Vorschrift des § 93 Abs. 4RAGebO., das Ausbedingen eines ganz übermäßigen Honorars durch einen Rechtsanwalt schon für sich allein, ohne das Hinzutreten weiterer Umstände, für unsittlich erachten kann, bedarf hier keiner Erörterung. Denn der Beklagte hat nicht nur bei Abschluß des Vertrags vom 28. November 1906, wenn die unter den richterlichen Eid gestellten Behauptungen der Klägerin richtig sind, sondern auch bei dem Vertragsschlusse vom 6. März 1908 einen ungehörigen Druck auf sie ausgeübt und seinen Einfluß auf die Klägerin, ihre Abhängigkeit von ihm in einer wider die guten Sitten verstoßenden Weise zur Erwirkung einer übermäßig hohen Vergütung ausgenutzt. Dies bedarf hinsichtlich des ersten Vertrags keiner näheren Darlegung; den Ausführungen des Vorderrichters kann in dieser Hinsicht nur beigepflichtet werden. Die in dem zweiten Vertrage vereinbarte Vergütung war nach der unangefochtenen Feststellung des Berufungsgerichts auch noch übermäßig hoch. Die Klägerin war ferner, wie der Vorderrichter weiter zutreffend ausführt, damals noch auf den Beklagten angewiesen und nicht in der Lage, ihm ihre Vertretung zu entziehen, da die von M . noch zu zahlenden 50000 M. nach dem Vergleiche vom 22. Januar 1908 an den Beklagten als unwiderruflich bestellten Bevollmächtigten der Klägerin zu zahlen waren und ihm auch die Sicherheiten gewährt waren. Er hatte ferner die Schuldurkunde der Klägerin in Händen, worin ihm diese den ganz außerordentlich übermäßigen Betrag von 27500 M. versprochen hatte, so daß der Klägerin daran gelegen sein mußte, dieses Versprechen, dessen Nichtigkeit ihr jedenfalls nicht unzweifelhaft war, aus der Welt zu schaffen. Demnach war die Klägerin in der Tat, wie der Vorderrichter meint, in einer gewissen Zwangslage. Diese hat der Beklagte auch ausgenutzt. Die Klägerin bot nach Rücksprache mit Rechtsanwalt v. P. dem Beklagten am 6. Februar 1908 eine Vergütung von insgesamt 10000 M. an, einen Betrag, der jedenfalls als reichlich hoch anzusehen ist. Der Beklagte lehnte diesen Vorschlag ab, verlangte 15500 M. und beharrte bei seiner Forderung auch, als die Klägerin am 15. desselben Monats ihr Angebot auf 12000 M. und am 29. auf 14500 M. erhöhte. Die Klägerin hat dann schließlich das Versprechen vom 6. März 1908 abgegeben, nachdem ihr Rechtsanwalt E. vorgestellt hatte, sie solle die 15500 M. doch bewilligen, um einen Prozeß zu vermeiden; wie der Vorderrichter feststellt, befürchtete die Klägerin für den Fall der Nichtbewilligung des geforderten Betrags Nachteile. Aus diesem Gange der Verhandlungen, die zwar nicht von dem Beklagten selbst, sondern von dessen Teilhaber Rechtsanwalt E., aber nach den Weisungen des Beklagten geführt wurden, war für den Beklagten, der ja wußte, daß die Klägerin noch weiter auf ihn angewiesen war, deutlich erkennbar, daß die Klägerin nur dem Drucke nachgab. Er hat demnach
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die oben geschilderte Sachlage ausgenutzt, um das Versprechen eines außergewöhnlich hohen Honorars zu erwirken, und damit sich mit dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden in Widerspruch gesetzt. Daß die Klägerin als Hauptbeweggrund für den Abschluß des Vertrags vom 6. März 1908 die Beeinflussimg durch Polizeileutnant v. M. bezeichnet hat und der Vorderrichter diese Behauptung für nicht bewiesen erachtet, steht der obigen Feststellung nicht entgegen. Ist demnach das Honorarversprechen vom 6. März 1908 nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig, so ist die Rückforderung des gezahlten Betrags trotz der sog. Ausgleichsquittung vom 1. März 1910 zulässig. Die Klägerin kann, wie der Berufungsrichter mit Recht angenommen hat, das darin enthaltene negative Schuldanerkenntnis gemäß § 812, BGB. zurückfordern und hat dies durch ihr Vorbringen in dem vorliegenden Rechtsstreit auch getan. Die Gegenausführungen der Revision sind rechtsirrig. Daß das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ein Dienstverhältnis war, steht jener rechtlichen Beurteilung der Ausgleichsquittung nicht entgegen, und auch ein auf Grund eines Vergleichs erklärtes Anerkenntnis des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses kann nach § 812 zurückgefordert werden. In der bei Erteilung der Quittung erfolgten einseitigen Erklärung der Klägerin, mit der einmal erfolgten Zahlung der 15500 M. sei die Sache für sie erledigt, liegt kein Verzicht auf den erhobenen Rückforderungsanspruch." . . . RGZ. 84, 131 ι. Verliert der Betrogene oder Gezwungene mit der Versäum u n g der Anfechtungsfrist zugleich die Möglichkeit, die Wirkung des Geschäfts mit Hilfe des Schadensersatzanspruchs aus unerlaubter Handlung schuldrechtlich rückgängig zu machen ? 2. Zur Gegeneinrede der Arglist. BGB. §§ 124, 249, 823, 826. II. Zivilsenat. Urt. v. 6. Februar 1914. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 85, 221 ι. Was ist im Falle eines Sukzessivlieferungsvertrags unter Verlangen der Erfüllung im Sinne des § 17 KO. zu verstehen ? 2. Zum Begriffe des Anfechtungsgrundes bei der Anfechtung wegen Irrtums. KO. § 17. BGB. §§ 119, 121.
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I I . Zivilsenat. Urt. v. 3. Juli 1914. I. Landgericht Dresden.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin hatte der Kommanditgesellschaft Qu. & Co., bevor diese in Konkurs geriet, 20000 Epfd. Baumwollzwirn auf Lieferung verkauft. Aus diesem Vertrage hatte die Klägerin bei Ausbruch des Konkurses 7699,20 M. für gelieferte Waren zu fordern, während etwa 7000 Epfd. noch zu liefern waren. Sie behauptet, der Konkursverwalter habe von der rückständigen Menge 400 Epfd. abgerufen. Da er hierdurch die Erfüllung des zweiseitigen Vertrages verlangt habe, seien die gesamten Ansprüche aus diesem Vertrage Masseschulden geworden und würden von dem später geschlossenen Zwangsvergleiche nicht betroffen. Sie forderte daher von dem Beklagten, der nach beendetem Konkurse das Geschäft der Gemeinschuldnerin als alleiniger Inhaber mit Aktiven und Passiven übernommen hatte, volle Zahlung der 7699,20 M. Der Beklagte wandte ein: der Konkursverwalter habe bei Bestellung der fraglichen 400 Epfd. nicht gewußt, daß aus dem alten Schlüsse noch Lieferungen ausständen. Deshalb habe er auch nicht die Erfüllung des alten Vertrages gefordert. Für den Fall aber, daß seine Bestellung dennoch diesen Sinn haben sollte, habe der Konkursverwalter sie durch seinen Brief vom 10. Juli unverzüglich nach Kenntnis der Sachlage wegen Irrtums über den Inhalt seiner Erklärung angefochten. Beide Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die Revision des Beklagten führte zur Aufhebimg des Berufungsurteils aus folgenden Gründen: „Die Revision kann insoweit keinen Erfolg haben, als sie sich gegen die Entscheidung wendet, daß der Konkursverwalter die Erfüllung des streitigen Sukzessivlieferungsvertrages gefordert habe. Nach der tatsächlichen Feststellung des Berufungsgerichts hat der Konkursverwalter in der dritten telephonischen Unterredung, die über die Bestellung der 400 Pfund Zwirn stattfand, auf die Mitteilung S.'s, daß ein Schluß bestehe, auf den noch ungefähr 7000 Pfund abzunehmen seien, durch den Mund des jetzigen Beklagten (eines damaligen Teilhabers der im Konkurse befindlichen Gesellschaft) erwidert: wenn sie noch Schluß hätten, so hätte die Lieferung der 400 Pfund à conto desselben zu erfolgen. Damit hat er deutlich gefordert, daß dieser Schluß, d. h. der Sukzessivlieferungsvertrag, erfüllt werden sollte, und hieraus ergibt sich nach § 17 KO. und der feststehenden Rechtsprechung die Folge, daß die sämtlichen aus dem Sukzessivlieferungsverträge entstandenen Verbindlichkeiten, insbesondere also die Klageforderung, als Masseschulden vorweg aus der Masse zu befriedigen waren und von dem Zwangsvergleiche nicht betroffen wurden. Da aber nach der weiteren Feststellung des Berufungsgerichts der Konkursverwalter bei der Bestellung nicht gewußt hat, daß auf den Vertrag noch Zahlungen für gelieferte Waren rückständig waren, so konnte er seine
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Erklärung, wie der Vorderrichter, der Rechtsprechung folgend, mit Recht annimmt, wegen Irrtums gemäß § 119 BGB. anfechten. Der Beklagte behauptet, daß der Konkursverwalter die Anfechtimg rechtzeitig erklärt habe und die Gründe, aus denen diese Verteidigimg zurückgewiesen ist, müssen zur Aufhebung des Urteils fuhren. Zunächst ist in dem Briefe des Konkursverwalters vom 10. Juli, auf den der Beklagte sich beruft, eine Anfechtung enthalten. . . . (Wird ausgeführt.) Es fragt sich daher weiter, ob die Anfechtung im Sinne des § 121 BGB. rechtzeitig, d. h. unverzüglich nachdem der Konkursverwalter von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt hatte, erklärt worden ist. Das Berufungsgericht verneint dies; aber auf Grund von tatsächlichen Feststellungen, die dafür nicht ausreichen. Seine Ausführungen beruhen auf unrichtiger Anwendung des § 121. Im Falle der Anfechtung wegen Irrtums ist unter dem Anfechtungsgrunde der in der Erklärung enthaltene Irrtum zu verstehen; nicht die Tatsache, über die der Erklärende geirrt hat. Demzufolge erlangt der Erklärende Kenntnis von dem Anfechtungsgrunde nicht unter allen Umständen dadurch, daß er hinsichtlich der fraglichen Tatsache den richtigen Sachverhalt erfährt, sondern er muß sich — dies ist das Entscheidende — des in seine Erklärung gekommenen Irrtums bewußt werden. Im Streitfalle besteht der Anfechtungsgrund darin, daß der Konkursverwalter, weil er von dem Bestände unbezahlter Kaufpreisforderungen nichts wußte, sich von dem Vertrage, dessen Erfüllung er forderte, eine falsche Vorstellung gemacht hat, und somit seinen Worten nach etwas anderes gefordert hat, als er fordern wollte. Der hierdurch in seine Erklärung gekommene Irrtum ist der Anfechtungsgrund. Nach der Feststellung des Oberlandesgerichts hat der Konkursverwalter spätestens am 29. Juni, dem Tage der Gläubigerversammlung, in der er über den Stand der Masse Bericht erstattete, Kenntnis davon erlangt, daß auf den streitigen Schluß erhebliche Zahlungen rückständig waren. Die Feststellung ist einwandfrei, genügt aber nicht, weil damit nicht die Kenntnis des Anfechtungsgrundes, nämlich des in der Bestellung vorgekommenen Irrtums festgestellt ist. Dazu mußte der Konkursverwalter sich, als er den streitigen Schluß zwecks Aufmachung eines Status der Masse bearbeitete, auch bewußt werden, daß dies gerade derjenige Schluß war, auf den er die fraglichen 400 Pfund Zwirn abgerufen hatte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ihm dies gar nicht eingefallen ist. Ein weiterer Zweifel kommt hinzu. Das Oberlandesgericht stellt zwar fest, daß der Konkursverwalter sich bei der streitigen Bestellung durch den Mund des Beklagten nicht so, wie er selbst als Zeuge bekundet, sondern so, wie S. aussagt, geäußert hat. Es macht ihm aber nicht den Vorwurf subjektiver Unwahrhaftigkeit, sondern nimmt einen Irrtum, nämlich eine Verwechselung der streitigen mit einer späteren Bestellung an. Danach ist
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es auch zweifelhaft gelassen, ob der Konkursverwalter bei der Prüfung des Standes der Masse und überhaupt in der Folgezeit, solange die streitigen Vorgänge nicht im Prozesse geklärt waren, sich bewußt gewesen ist, die von dem Berufungsgerichte festgestellte Erklärung abgegeben zu haben. Solange er sich dieser Erklärung nicht bewußt war, konnte er sich auch des in ihr begangenen Irrtums, also des Anfechtungsgrundes nicht bewußt werden. Ob in der mangelhaften Erinnerung dessen, was er im geschäftlichen Verkehr erklärt hatte, ein Verschulden des Konkursverwalters liegt, kann dahingestellt bleiben. Fahrlässige Unkenntnis schadet nicht. N u r dann, wenn der Irrende seinen Irrtum erkannt hat, ist er nach § 121 BGB. zur unverzüglichen Anfechtung verpflichtet und verliert durch Zögern das Recht zur Anfechtung. Da somit das Oberlandesgericht dem Anscheine nach in seiner Beurteilung des Sachverhaltes von einem unrichtigen Verständnis des Begriffes des Anfechtungsgrundes ausgegangen ist, und die festgestellten Tatsachen die Entscheidung, daß der Konkursverwalter am 29. Juni von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis gehabt habe, nicht rechtfertigen, so mußte der Revision stattgegeben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen werden."
R G Z . 85, 322 I r r t u m des A u s f a l l s b ü r g e n ü b e r die H ö h e des zu e r w a r t e n d e n A u s f a l l s . A u s s c h l u ß d e r A n f e c h t u n g n a c h § 119 BGB. b e i W i l l e n s e r k l ä r u n g e n , die auf z w e i f e l h a f t e n S c h ä t z u n g e n , A n n a h m e n u . d g l . beruhen. Irrtum i m Beweggrunde. Irrtum über den Erklärungsinhalt. BGB. § 119 Abs. 1. VI. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 15. Oktober 1914.
I. Landgericht Bochum.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Durch Bürgschaftsurkunde vom 26. Februar 1907 hat sich der Beklagte zugunsten des Bauunternehmers P. der Klägerin gegenüber für den Ausfall verbürgt, den die Klägerin wegen ihrer Forderung an P. erleiden würde. In der Folge von der Klägerin in Anspruch genommen, hat der Beklagte erklärt, daß er die Bürgschaftserklärung vom 26. Februar 1907 wegen Irrtums anfechte. Er will sich über die Höhe der Buchschuld des P. geirrt haben, da ihm vor der Übernahme der Bürgschaft bei der Klägerin versichert worden sei, daß dessen Konto nach Gutschrift einer aus dem Konkurse seines Schwiegervaters Wg. zu erwartenden Dividende nur mit 8000 M., d. h. mit etwa 18000 M . weniger belastet sein werde, als jetzt von ihm auf Grund der Bürgschaft verlangt werde. Die Vorinstanzen haben diese Anfechtung nicht f ü r begründet erachtet; hiergegen richtet sich die Revision, die zurückgewiesen wurde.
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Aus den G r ü n d e n : „Wie das Berufungsgericht einwandfrei feststellt, hat der Direktor der Klägerin, We., bei den der Bürgschaftsübernahme vorangegangenen Verhandlungen mit dem Beklagten, denen übrigens auch der Hauptschuldner P. anwohnte, dessen gesamtes Schuldverhältnis eingehend besprochen und berechnet. We. hat dem Beklagten u. a. mitgeteilt, daß für etwa 25000 M. Wechselschulden die Mithaftung des Wg. bestehe, daß diese Summe in dessen Konkurs angemeldet sei und daß die Konkursdividende die Schuld des P. bei der Klägerin vermindern werde. Über deren voraussichtliche Höhe hatte We. bei dem Konkursverwalter B. eine Berechnung aufgestellt, seine Aufzeichnung aber hat er dem Beklagten gleichfalls vorgelegt und ist sie mit ihm durchgegangen. Danach stand einer Passivmasse von etwa 68000 M. eine Aktivmasse von etwa 47500 M. gegenüber, was eine Dividende von mindestens 70 % erwarten ließ. Der Beklagte hat hierzu dem Direktor We. erklärt, er mache sich seine Berechnung selbst; auch er habe mit B. gesprochen und gehört, daß 70 bis 80% Dividende zu erwarten seien. Nach Abzug dieser voraussichtlichen Dividende ist We. dann zu dem Ergebnis gekommen, daß voraussichtlich ein Schuldsaldo P.s von 8000 M. übrig bleiben werde. Daß dieser Betrag nur als der der Hauptsumme ohne Zinsen und Kosten — deren Höhe insbesondere von der Dauer des Konkurses Wg. wesentlich abhing — gemeint war, ist dem Beklagten nach Annahme des Berufungsgerichts klar gewesen. Danach wäre, wie das Berufungsgericht darlegt, jene Berechnung des Direktors We. richtig gewesen, wenn der Konkurs Wg. in der Tat, wie erwartet, 70% Dividende gebracht hätte. Statt dessen ergaben sich nur etwa 20%. In diesem einen Punkte war nach den Feststellungen des Berufimgsgerichts die Rechnimg falsch; nur auf diesem Irrtum beruhte das falsche Endergebnis. Die für die Revisionsinstanz allein entscheidende Frage ist, ob der Irrtum über die schließliche Höhe des Kontos P. zur wirksamen Anfechtung berechtigt. Das hat das Berufungsgericht mit zutreffender Begründung verneint. 1. Vor Prüfung der Anfechtbarkeit einer Willenserklärung ist zunächst deren Inhalt — gegebenenfalls durch Auslegung — klarzustellen. Die vorliegende Bürgschaftserklärung vom 26. Februar 1907 hat das Berufungsgericht ohne Rechtsirrtum dahin verstanden, daß der Bürge für den Ausfall, den die Klägerin bei dem Hauptschuldner erleiden werde, in voller Höhe aufkommen zu wollen erkläre. Daß dieser spätere Ausfall bei der Bürgschaftsübernahme noch nicht der Höhe nach als feststehend angesehen werden konnte, ergaben die Umstände ohne weiteres. Schon hiernach konnte also ein Irrtum über die Haftungshöhe nur ein Irrtum über Faktoren sein, die die Beurteilung von Aussichten für die Zukunft zu bestimmen geeignet waren ; jene Faktoren konnten teilweise schon zur Zeit der Bürgschaftserklärung gegeben sein, sie konnten aber auch der Zukunft angehören und insoweit noch ungewiß sein.
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Der rechtsgeschäftliche Irrtum (§ 119 BGB.) besteht seinem Wesen nach darin, daß der Erklärende in falschen Vorstellungen befangen ist; dem steht gleich die auf dem völligen Fehlen der entscheidenden Vorstellungen beruhende Unwissenheit, wenn sie eine dem Irrenden unbewußte ist (RGZ. Bd. 62 S. 203 flg., 205; vgl. auch Bd. 77 S. 309 flg. und das daselbst Angeführte). Dagegen liegt kein Irrtum im Sinne des § 119 vor, wo Zweifel vorhanden ist: wer das Vorliegen einer Tatsache oder ihren Eintritt nur für wahrscheinlich oder möglich hält, kann nicht wegen des NichtVorliegens oder wegen des Nichteintritts aus § 119 anfechten. Dies trifft insbesondere Hann zu, wenn die Willenserklärung auf Grund von (nicht betrüglichen) Schätzungen, Annahmen, Mutmaßungen abgegeben wird. In solchem Falle liegt nur die Hoffnung vor, die zugrunde liegende Annahme werde sich bestätigen, dagegen kein Falschwissen auf Grund bestimmter irriger Vorstellungen. Wer in der gekennzeichneten Weise ein Geschäft vornimmt, übernimmt regelmäßig ein Risiko; das Geschäft ist seinem Inhalte nach ein gewagtes. Der Handelnde kann nicht in der Folge mit Erfolg versuchen, das übernommene Risiko im Wege der Anfechtimg auf den Gegner überzuwälzen (vgl. u. a. das Urteil des Reichsgerichts in der Zeitschrift für Rechtspfl. 1910 S. 77; auch Rep. II. 440/05, Rep. I. 376/06). Soweit nun der Irrtum des Beklagten bei Berechnimg der voraussichtlichen Höhe seiner Ausfallshaftung sich lediglich auf ein der Zukunft angehörendes Moment, nämlich darauf bezog, wie hoch die Konkursdividende Wg. ausfallen werde, erhellt aus der Sachlage ohne weiteres, daß die Beurteilung dieser Aussicht Zweifel in sich Schloß und übrig ließ. Gerade auf diesen Punkt konnte von allen Beteiligten nach den festgestellten Umständen nur im Sinne einer Schätzung eingegangen werden. Es war ein solcher, der von vornherein nach dem Geschäftsinhalt in einer auch dem Beklagten erkennbaren Weise zweifelhaft blieb; wie denn auch das Berufungsurteil auf Grund seiner Feststellungen zutreffend ausgeführt hat, daß der künftige Ausfall auf 8000 M. kalkuliert war auf Grund von Faktoren, die, auch dem Beklagten erkennbar und von ihm erkannt, ihrer Natur nach ungewiß und nicht mit Sicherheit übersehbar waren. Unter solchen Umständen lag mit Bezug auf den künftigen Ausfall des Konkurses Wg. ein zur Anfechtung geeigneter Irrtum überhaupt nicht vor. 2. Einen wenn auch unbeachtlichen Irrtum über bereits gegenwärtige tatsächliche Verhältnisse sieht dagegen das Berufungsurteil insofern als gegeben an, als man angenommen hat, es seien bei Wg. mehr Aktiva da. Es ist keine nähere tatsächliche Feststellung darüber vorhanden, ob weniger Aktiva als angenommen vorhanden waren oder ob die vorhandenen sich in der Folge nur weniger vorteilhaft verwerten ließen, als man erwartet hatte. Letzterenfalls träfen die bereits unter 1. gegebenen Darlegungen zu, da auch insoweit nur eine — erkennbar zweifelhafte — Schätzung in Frage käme. Erstenfalls dagegen läge in der Tat eine unrichtige Vorstellung von den zur Zeit der Willenserklärung bestehenden tatsächlichen Verhältnissen
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vor. Daß dieser Irrtum an sich dem Bereich der Beweggründe zugehört, also Umstände betrifft, die vor der Willenserklärung liegen, erhellt ohne weiteres. Die für die Beurteilung der Anfechtbarkeit entscheidende Frage ist, ob dieser Irrtum nach der Sachlage zu einem Irrtum über den Erklärungsinhalt im Sinne des § 119 geworden ist. Das Berufungsgericht hat dies verneint, die Revision will es bejahen. Dem Berufimgsgericht war auch in diesem Teile der Urteilsbegründung beizutreten. Grundsätzlich kann der Motivirrtum die Anfechtimg nur begründen, wenn er den Inhalt der abgegebenen Erklärung dergestalt beeinflußt hat, daß dieser ein anderer geworden ist, als er bei richtiger Kenntnis der Dinge geworden wäre. Der Beweggrund muß also nicht nur dem Geschäftsgegner mitgeteilt, sondern mit zum Gegenstande der entscheidenden Verhandlungen gemacht worden sein und in der Erklärung einen Ausdruck gefunden haben (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 268; weitere Rechtspr. s. Kommentar von RGR. 2. Aufl., § 119 Erl. 1, S. 126). Nim muß es im vorliegenden Falle an sich schon Bedenken begegnen, bei urkundlicher Willenserklärung eine nur mündlich vorausgegangene Erörterung von Beweggründen in diese Erklärung hereinzuziehen, wenn die Urkunde ihrer keine Erwähnung tut und eine Beschränkung der Bürgenhaftung auf eine bestimmte Ausfallshöhe nicht einmal andeutet. Die Urkunde hat nach einem in der Rechtsprechung des Reichsgerichts feststehenden Grundsatze (vgl. die in dem Kommentar von RGR. 2. Aufl., Bd. 1 S. 147 Erl. 6 zu § 125 angef. Entscheidungen; dazu RGZ. Bd. 77 S. 405, Jur. Wochenschr. 1910 S. 800 u. a. m.) die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich. Was nicht darin geschrieben steht, sollte nicht Gegenstand der rechtsgeschäftlichen Erklärung sein. Beklagter hätte seiner Bürgschaftserklärung „für den Ausfall" beifügen können: „bis zur Höhe von 8000 M.". Das hat er nicht getan. Seine Voraussetzung, der Ausfall und damit seine Haftung werde sich nicht über diesen Betrag belaufen, blieb also bloße Voraussetzung. Hätte er sie als irrig erkannt, so würde er die Bürgschaftserklärung gar nicht abgegeben haben ; hätte er sich entschlossen, sie dennoch abzugeben, so würde sie sich inhaltlich in keiner Weise anders gestaltet haben (vgl. u. a. auch Rep. VI. 220/03, Rep. II. 539/08, Rep. IV. 539/12). Die Entscheidung des Senats in RGZ. Bd. 75 S. 271, welche in den Parteivorträgen der Revisionsverhandlung in Bezug genommen worden ist, steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Nach dem dort festgestellten Sachverhalte nahm die Bürgschaftserklärung ausdrücklich auf „obige Darlehensschuld" Bezug, sie war auf die Darlehensurkunde gesetzt und diese enthielt eine Forderungspfändung, die sich in der Folge als rechtsunwirksam erwies. Demnach war diese weitere Sicherung durch jene Inbezugnahme dergestalt der Bürgenerklärung einverleibt, daß man sie wohl als mit zum Gegenstande dieser Erklärung gemacht ansehen konnte; die Begründung des Urteils (S. 274 oben a. a. O.) nimmt auch gerade auf diese „Bezugsworte" Rücksicht.
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3. Zur Nachprüfung hat endlich die Revision noch gestellt, ob die Bürgenverpflichtung nicht wenigstens der Höhe nach auf den mehrerwähnten Betrag von 8000 M. zu beschränken gewesen wäre; sei der Ausfall, den die Klägerin gewärtigte, bei den maßgebenden Verhandlungen auf diesen Betrag berechnet worden, so habe diese Berechnung zu einer den Erfordernissen von Treu und Glauben Rechnung tragenden Auslegung des Bürgschaftsscheins herangezogen werden können. Demgegenüber genügt es, darauf hinzuweisen, daß bezüglich der Unbeschränktheit des Haftimgsbetrags der Wortlaut der Urkunde klar und unzweideutig und daß deshalb für eine Auslegung in dem von der Revision gewollten Sinne überhaupt kein Raum ist (vgl. Jur. Wochenschr. 1906 S. 807, 1912 S. 69 u. a. m.). Und darüber, daß der Inhalt der Urkunde etwa durch eine mündliche Nebenabrede dahin abgeändert worden sei, die Bürgschaft solle des Wortlauts ungeachtet nur für den Betrag von 8000 M. gelten, ist in den Vorinstanzen keine schlüssige Behauptung aufgestellt worden." . . .
RGZ. 86, 191 ι. Kann jeder unbilligen Rechtsverfolgung die Einrede der Arglist entgegengesetzt werden ? 2. Verstößt das Verlangen der Herausgabe des Bordellgrundstücke wegen Nichtigkeit des Kaufvertrags, ohne daß sich der Verkäufer zur Herausgabe der auf den Kaufpreis bezahlten Beträge bereit erklärt, unter allen Umständen gegen die guten Sitten ? BGB. § 826. V. Zivilsenat. Urt. v. 3. Februar 1915. I. Landgericht Essen.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Aus den G r ü n d e n : „Der Berufungsrichter erkennt an, daß, wie auch schon das Landgericht angenommen hatte, die zwischen Sch. und der beklagten Ehefrau abgeschlossenen Verträge nichtig waren; denn sie zielten auf die Übertragung des Eigentums und des Besitzes an dem Grundstück, als dessen Eigentümer bis jetzt noch der Erblasser der Kläger Johann G. eingetragen ist, ab und waren zum Zwecke der Fortsetzung des Bordellbetriebes auf dem Grundstücke zu einem den gemeinen Wert des Grundstücks übersteigenden, mit Rücksicht auf den Bordellbetrieb so hoch bemessenen Kaufjpreis abgeschlossen, verstießen deshalb im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB. gegen die guten Sitten. Der Berufungsrichter meint, daß infolgedessen der beklagten Ehefrau ein Recht zum Besitze gegenüber den Klägern nicht zustehe und somit der Herausgabeanspruch auf Grund der §§ 985, 986 BGB. an sich begründet sein würde. Der Berufungsrichter
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gelangt aber dennoch zur Abweisung der Klage auf Grund der von den Beklagten erhobenen Einrede der Arglist, die er für begründet erachtet. Er führt in dieser Beziehung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechnug des Reichsgerichts zunächst aus, daß die Zulässigkeit einer solchen Einrede für das Gebiet des Bürgerlichen Gesetzbuchs aus den in diesem Gesetzbuch anerkannten Grundsätzen von Treu und Glauben zu entnehmen sei; weiter aber, daß die Einrede nicht nur in Rücksicht auf vertragliche Vereinbarungen unter den Parteien, sondern auch da zuzulassen sei, wo Rechtsverhältnisse in Frage ständen, die nicht in unmittelbaren Vertragsverhältnissen der Parteien ihre Begründung haben. Diese Einrede sei geeignet und bestimmt, jeder unbilligen Rechtsverfolgung entgegengesetzt zu werden. Das gelte auch von dem auf ein obligatorisches Verhältnis nicht gegründeten Herausgabeanspruche der Kläger. Diese setzten sich dem Vorwurfe einer unbilligen Rechtsverfolgung aus, wenn sie sich durch ihr Klagbegehren zu dem früheren Verhalten ihres Erblassers, durch das dieser die beklagte Ehefrau zu Leistungen veranlaßt habe, in Widerspruch setzten. Durch den Vergleich vom 30. Juni 1906 habe nämlich Johann G. sich von Sch. die diesem aus dem Vertrage vom 15. Februar 1905 gegen die beklagte Ehefrau zustehenden Rechte abtreten lassen, wobei er ausdrücklich die Wirksamkeit der Verträge zwischen ihm und der Frau H. (der ursprünglichen Käuferin) und die Rechtmäßigkeit der Besitzübertragung auf diese und durch diese auf Sch. anerkannt habe; er habe aber ferner die ihm von Sch. gegen die beklagte Ehefrau abgetretenen Rechte auch dieser gegenüber geltend gemacht, und sie habe die weiteren von ihr auf Grund ihres Vertrags mit Sch. zu leistenden Zahlungen an ihn geleistet. Ob diese Zahlungen sich auf 11215 M. (wie die Kläger behaupten) oder auf 18662 M. (wie die Beklagten behaupten) belaufen hätten, sei Wer unerheblich. Durch die Entgegennahme der Zahlungen habe G. der beklagten Ehefrau zu erkennen gegeben, daß er den sowohl wegen mangelnder Form wie wegen des unsittlichen Zweckes nichtigen Vertrag zwischen Sch. und ihr als gültig gelten lassen wolle, und zwar auch in bezug auf das in dem Vergleiche zwischen ihm und den Beklagten geschaffene Rechtsverhältnis. Nur im Vertrauen auf diese durch das Verhalten des G. erklärte Willensmeinung seien auch die Beklagten ihren gegenüber dem Sch. übernommenen Verpflichtungen durch die Leistungen an den Rechtsvorgänger der Kläger nachgekommen. Wenn die Kläger nunmehr den Beklagten das Grundstück wieder entziehen wollten, sich aber weigerten, ihnen das auf das Grundstück Gezahlte zurückzuerstatten, so handelten sie arglistig. Den Vorwurf der Arglist könnten sie auch nicht mit dem Hinweise darauf abwehren, daß ihr Rechtsvorgänger für Erwerbung der Rechte des Sch. aus dem Kaufvertrage 20000 M. bezahlt habe. Es bedürfe nicht des Nachweises, daß die Kläger durch die „Vertragsverhältnisse" zwischen Johann G. und Sch., die durch die Vergleiche vom Jahre 1906 geregelt würden, bereichert worden seien; diese Vertrags Verhältnisse seien fur das Verhältnis unter den Parteien ohne Bedeutung. Deshalb sei es auch un-
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erheblich, ob auch jene Vergleiche wegen Fonnmangels oder Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig seien, wie die Kläger behauptet hatten. Zur Begründung der Arglist genüge es, daß die Kläger den Beklagten den Besitz des Grundstücks entziehen, aber die von diesen im Hinblick auf das Verhalten des G. und den ihnen dadurch gewährleisteten Besitz gemachten Zahlungen behalten wollten. Ferner könnten die Kläger ihr Vorgehen nicht durch die unter Beweis gestellte Behauptung rechtfertigen, daß die von den Beklagten aus dem Besitze gezogenen Nutzungen ihre Zahlungen an G. und an Sch. überstiegen. Denn die Kläger könnten billigerweise nicht geltend machen, daß ihnen diese vollen Nutzungen entgangen seien, es könne für sie vielmehr nur die übliche Verzinsimg des von den Parteien auf 18000 M. bemessenen ordentlichen Verkaufswertes des Hauses in Frage kommen; hierauf müßten sie sich aber den Zinsgenuß der von der H. und von den Beklagten erhaltenen Beträge anrechnen lassen. Die ihnen entgangenen Nutzungen erreichten bei dieser Berechnung keinesfalls das, was die Beklagten an sie bezahlt hätten und wovon sie gar nichts herausgeben wollten. Diese Ausführungen sind nicht frei von Rechtsirrtum. Zwar ist die grundsätzliche Anerkennung einer Einrede der Arglist für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs vom Reichsgerichte wiederholt gebilligt worden {vgl. RGZ. Bd. 58 S. 356, 429, Bd. 71 S. 435). Dabei darf aber nicht so weit gegangen werden, wie der Berufungsrichter geht, indem er die Einrede für bestimmt und geeignet erklärt, jeder „unbilligen" Rechtsverfolgung entgegengesetzt zu werden. Das würde dazu führen, an Stelle des objektiven Rechtes und der durch dieses geschaffenen subjektiven Rechte mehr oder weniger bestimmte und gerechtfertigte Billigkeitserwägungen zu setzen und von diesen die Ausübung der Rechte abhängig zu machen. Daß das nicht der Standpunkt des Gesetzes sein kann, ergibt sich schon aus § 226 BGB., wo die Ausübimg eines Rechtes für unzulässig erklärt wird, wenn sie nur den Zweck haben kann, einem anderen Schaden zuzufügen. Diese Bestimmung, die einen Fall ganz besonders offensichtlicher Unbilligkeit einer Rechtsausübung ausdrücklich verbietet, wäre zwecklos und sinnwidrig, wenn jeder unbilligen Rechtsverfolgung mit der Einrede der Arglist entgegengetreten werden könnte. Sie zeigt vielmehr, daß der Gesetzgeber die Ausübung der Rechte soweit zulassen will, als ihr nicht einzelne besondere Schranken gesetzlich gezogen sind. Anderseits darf freilich aus § 226 nicht gefolgert werden, daß jede andere Art der Rechtsausübung als die dort verbotene vom Gesetze zugelassen werde. Vielmehr kann die Einrede der Arglist auch ohne ausdrückliche Zulassung aus anderen Bestimmungen des Gesetzbuchs durch eine in den Schranken des Gesetzes sich haltende Auslegung als statthaft entnommen werden. Eine positive Grundlage für die Einrede der Arglist gibt namentlich, wie das Jfceichsgericht schon öfter ausgesprochen hat, der § 826 BGB. insofern, als durch sie einem den Tatbestand dieser Vorschrift — vorsätzliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitte verstoßenden Weise — erfüllenden
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Vorgehen auch dann mit Erfolg entgegengetreten werden kann, wenn dieses Vorgehen sich auf ein formales Recht stützt .(Vgl. RGZ. Bd. 57 S. 376, Bd. 58 S. 356, Bd. 61 S. 359, Bd. 64 S. 220, Bd. 71 S. 434.) In dem zuletzt angeführten Urteile hat der II. Zivilsenat unter Würdigung der besonderen Umstände des Falles die Einrede der Arglist gegenüber der Klage des Käufers eines Bordells zugelassen, der auf Grund der Nichtigkeit des Bordellkaufs die Befreiung von einer zur Berichtigung des Kaufpreises übernommenen Hypothek geltend machte, aber das Grundstück, auf dem er das Bordell betrieb, behalten und das Bordell fortführen wollte. Ob der Berufungsrichter im vorliegenden Falle in dem Verhalten der Kläger oder ihres Erblassers einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des § 826 BGB. gefunden hat, ist aus seinen Ausführungen nicht mit Sicherheit zu entnehmen; er bezeichnet allerdings an einer Stelle dieses Verhalten als ein „gegen das Rechts- und Anstandsgefühl verstoßendes", spricht aber im übrigen nur von der „Unbilligkeit", die in dem Verlangen der Kläger liege. Seine oben erwähnten grundsätzlichen Ausführungen geben zudem der Vermutung Raum, daß er eine bloße Unbilligkeit der Rechtsausübung für genügend erachtet hat. Unterstellt man aber, daß er einen Verstoß gegen die guten Sitten angenommen hat, so würde ihm in dieser Frage, die eine Rechtsfrage ist und daher der Beurteilung des Revisionsgerichts unter Zugrundelegung der vom Berufungsrichter festgestellten Tatsachen unterliegt (vgl. Entsch. Bd. 48 S. 114, Bd. 51 S. 383, Bd. 58 S. 220), nicht beigestimmt werden können. Der Berufungsrichter findet das zu mißbilligende Verhalten der Kläger darin, daß sie auf Grund des auf sie übergegangenen Eigentums ihres Erblassers die Herausgabe des Grundstücks verlangen, ohne die Zahlungen zurückerstatten zu wollen, die die Beklagten ihrem Erblasser und ihnen gemacht haben und zu denen ihr Erblasser die Beklagten dadurch veranlaßt hat, daß er sich auf den Boden der nichtigen Verträge gestellt hat. Der Berufungsrichter übersieht aber dabei, daß das Verlangen der Rückgabe des Grundstücks seine Rechtfertigung darin findet, daß die Beklagten seit Juli 1911 keine Abschlagszahlungen mehr geleistet haben und, wie die Kläger mit Recht hervorgehoben haben, im Besitze des Bordellgrundstücks verbleiben und den Bordellbetrieb haben fortsetzen wollen, ohne weitere Zahlungen, zu denen sie wegen der Nichtigkeit der Verträge nicht gezwungen werden können, zu leisten. Sie haben sich auch nicht, wie das in dem vom II. Zivilsenat entschiedenen Falle (RGZ. 71 S. 434) geschehen war, bereit erklärt, gegen Erstattung der geleisteten Zahlungen das Grundstück herauszugeben. Bei dieser Sachlage kann es nicht als ein dem Anstandsgefühle aller billig und gerecht Denkenden widersprechendes Verhalten angesehen werden, daß die Kläger, deren Erblasser für die Abtretung der Rechte des Sch. gegen die Beklagten ein jedenfalls nicht unbedeutendes Entgelt gezahlt hat, nicht bereit sind, die erhaltenen Zahlungen, ohne daß eine rechtliche Verpflichtung dazu besteht, an die Beklagten zurückzuerstatten. In dem Zinsgenusse der von den Beklagten erhaltenen Beträge kann nicht, wie der BerufungsZivils. Allgem. Teil 2
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306 richter meint, ein hinreichendes Äquivalent für die ihnen entzogenen Nutzungen des Grundstücks gefunden werden, auch dann nicht, wenn man davon ausgeht, daß ihr Erblasser und sie nicht, wie die Beklagten, das Grundstück zum Bordellbetriebe benutzt haben würden oder wenn man ihnen die besonders hohen Nutzungen, die sie dadurch erlangt haben würden, nicht zugute rechnen will. Anderseits würde es ein den guten Sitten gewiß nicht entsprechendes Ergebnis sein, wenn die Beklagten ihre Zahlungen auf das Grundstück zurückerhielten und dadurch ihrerseits den ganzen Vorteil des seit Jahren auf dem Grundstück ausgeübten Bordellbetriebes behalten würden, ohne eine einigermaßen entsprechende Vergütung für die Benutzung des Grundstücks geleistet zu haben. Bei der annähernden Gleichwertigkeit des Ergebnisses vom Standpunkte des Anstands- und Sittlichkeitsgefühls in dem einen wie in dem anderen Falle muß aber die Rücksicht darauf, daß die Kläger ein ihnen zustehendes Recht ausüben, während den Beklagten ein Recht nicht zur Seite steht, zugunsten der Kläger entscheidend sein. Können hiernach die Beklagten nicht für berechtigt erachtet werden, dem an sich begründeten Herausgabeanspruche der Kläger mit der Einrede der Arglist entgegenzutreten, so stellt sich ihre Berufung als unbegründet dar. Das angefochtene Urteil mußte deshalb aufgehoben und die Entscheidung des die Berufung zurückweisenden Versäumnisurteils aufrechterhalten werden."
RGZ. 86, 296 Kann sich ein Mißverhältnis der Leistungen im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. auch aus Umständen ergeben, die der Eingehung des Geschäfts nachgefolgt sind ? Zum Tatbestande der „Ausbeutung". BGB. § 138 Abs. 2. VI. Zivilsenat. Urt. v. 4. März 1915. I. Landgericht Freiburg.
II. Oberlandesgericht Karlsruhe.
Aus den G r ü n d e n : „Das, wie behauptet, wucherische Geschäft wurde im April 1908 vorgenommen, indem Franz Z. eine hypothekarisch gesicherte Kaufpreisforderung, die ihm in Höhe von restlich 32500 M. nebst 1300 M. Zins an Aloys Kr. zustand, der Klägerin um 27000 M. abtrat. Die Klägerin wurde hierbei durch ihren Sohn Moses K. als Bevollmächtigten vertreten. Die Forderung war zu 4 % verzinslich, zahlbar in fünf Jahresraten zu je 6500 M. auf 1. Juli 1908 bis 1912 und rührte her aus einem Kaufe zweier Grundstücke vom 1. Juni 1906, auf die dafür eine Sicherungshypothek in Höhe von 39000 M. eingetragen war. . . . Der Abtretungspreis (27000 M.) ist
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bezahlt. Über die Abtretung der Z.schen Forderung an die Klägerin wurden zwei Urkunden errichtet, die erste am 12. April 1908, die zweite am 13. April 1908; auf der zweiten Urkunde ist die Unterschrift Z.'s notariell als echt beglaubigt. Die Echtheit beider Urkunden steht außer Streit. Inhaltlich unterscheiden sie sich dadurch, daß, während die erste von einer besonderen Haftung Z.'s für die abgetretene Forderung nichts enthält, die zweite besagt : „Für die Güte und Beibringlichkeit der zedierten Forderung übernehme ich die Haftbarkeit als Bürge und Selbstschuldner bis zum vollständigen Eingange der zedierten Forderung in Haupt- und Nebensachen." Bei der Beurteilung der Frage, ob durch den rund 20 % ausmachenden „Nachlaß" an der abgetretenen Forderung ein auffälliges Mißverhältnis der beiderseitigen Leistungen im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. geschaffen werde, folgt das Berufungsgericht in allem wesentlichen dem von ihm erhobenen Gutachten des Sachverständigen D. Der von Kr. im Kaufvertrage vom 1. Juni 1906 bewilligte Kaufpreis von 45500 M. stellte danach nicht den Verkehrswert der gekauften Grundstücke zu jener Zeit dar, sondern überstieg ihn bedeutend. Das Berufungsgericht nimmt an, daß der Verkehrswert der beiden Grundstücke über 19000 M. nicht hinausging und deshalb die darauf eingetragene Hypothek eine Sicherung der Kaufpreisforderung nach den bei Hypothekenbanken, Sparkassen und ähnlichen Geldinstituten bestehenden Anschauungen höchstens bis zur Höhe von 9500 M. darstellte. Zu dem erheblich größeren Teile habe mithin der Wert der abgetretenen Forderung auf der persönlichen Kreditwürdigkeit und Zahlungsfähigkeit des Schuldners Kr. beruht. Dieser habe damals ziemlich stark in Gelände spekuliert unter Festlegung seiner Barmittel, habe flüssige Mittel wenigstens nicht in größeren Beträgen zur Verfügung gehabt, und anderseits sei der Kaufpreis nur in fünf Raten fällig, also mindestens für die Zukunft nicht völlig sicher gewesen. Mit Rücksicht endlich auf den Zinsfuß von nur 4% und den im April 1908 immer noch gespannten Geldmarkt sei daher in dem Abzüge von 20 % beim Forderungskauf ein auffälliges Mißverhältnis der Leistungen mit dem Sachverständigen dann nicht zu finden, wenn für die Forderung außer dem Grundstückswert und der persönlichen Zahlungsfähigkeit des Kr. keine weitere Garantie bestand. Anderenfalls, im besondern für den Fall, daß bei der Vereinbarung des Kaufpreises für die Forderung von dem Verkäufer Z., der damals zweifelsohne in ganz guten Vermögensverhältnissen gelebt habe, Bürgschaft für die abgetretene Forderung geleistet sein sollte, nimmt das Gutachten an, daß das mit dem Forderungskaufe verbundene Risiko ein minimales gewesen sei und ein Abzug von nur 10% der Sachlage entsprochen haben würde. Was die in der Urkunde vom 13. April 1908 enthaltene Bürgschaftsleistung Z.'s für die Güte und Einbringlichkeit der abgetretenen Forderung anlangt, so stellt das Berufungsgericht darauf ab, daß eine solche Haftung in der Urkunde vom 12. April 1908 nicht enthalten und auch nach der insoweit für glaubhaft erklärten Darstellung des unbeeidigten Zeugen 20·
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Moses K. erst nachträglich in die tags darauf zur Vorlegung bei dem Notar gefertigte Urkunde vom 13. April 1908 aufgenommen worden sei. Die Bürgschafts- und Garantiezusage Z.'s sei also bei dem Abschlüsse des Kaufvertrags noch nicht geleistet und für die Vereinbarung des Preises von 27000 M. deshalb auch nicht mitbestimmend gewesen, weil sie weder ausbedungen noch übernommen worden sei. Die Frage, ob ein auffälliges Mißverhältnis zwischen den beiderseitigen Leistungen im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. bestehe, sei nur nach den Umständen zu beurteilen, die zur Zeit der Eingehung des Geschäfts beständen. Diese Ausführungen, auch von der Revision beanstandet, sind rechtlich nicht bedenkenfrei. Allerdings kann eine erst nach Geschäftsabschluß eintretende Veränderung der Dinge, derzufolge sich das Wertverhältnis der Leistungen ändert, nicht ohne weiteres Bedeutung erlangen. Der Wucherer ζ. B., der infolge nachträglicher, unvorhergesehener Wertminderung der erlangten Vermögensstücke inne wird, daß er nun selbst zu Schaden kommt, kann die seiner Zeit begangene Bewucherung damit nicht ungeschehen machen. Anderseits kann der Geschäftsgegner den Einwand des Wuchers nicht daraus herleiten, daß nachträglich die von ihm hingegebenen Vermögensstücke eine unerwartete Wertsteigerung erfahren. Anders aber dann, wenn die dem Geschäftsabschlüsse nachfolgende Veränderung des Wertsverhältnisses der beiderseitigen Leistungen gerade darauf zurückzuführen ist, daß der eine Teil dem anderen neue weitere Sicherungen, Vorteile, Leistungen verspricht oder gewährt, die nunmehr ein Mißverhältnis der Leistungen ergeben. Geschieht dieses nachträgliche Versprechen oder Gewähren unter dem Drucke der Ausbeutung einer Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit, so ist nicht abzusehen, warum dieses Verhalten des Versprechens- oder Leistungsempfängers in Verbindung mit dem nunmehr gegebenen Mißverhältnis der Leistungen nicht zur Annahme einer Bewucherung im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. führen könnte. Der Umstand allein, daß dem Bewucherten aus dem ursprünglichen Geschäftsabschlüsse, ζ. B. einer Darlehnszusage, ein Rechtsanspruch auf Leistung zu nichtwucherischen Geschäftsbedingungen zusteht, wird häufig nicht genügen, die Notlage als solche zu beseitigen oder auszuschließen: gerade die Ausführung des Geschäfts, ζ. B. die Auszahlung der Darlehnssumme wird unter Umständen die Gelegenheit ergeben, neue erschwerende Geschäftsbedingungen festzusetzen und den Geschäftsgegner zu zwingen, auf die ursprünglichen, günstigeren Festsetzungen zu verzichten. Ob dem Bewucherten auf Grund dieser Festsetzungen ein Rechtsanspruch verbleibt, wenn das in der Folge wucherisch aus- und neugestaltete Geschäft, weil nach § 138 Abs. 2 BGB. nichtig, hinfällt, braucht hier im allgemeinen nicht untersucht zu werden. Im vorliegenden Falle hat sich das Berufungsgericht nicht ausdrücklich darüber geäußert, ob es annimmt, daß Z. am 13. April 1908, als er die Bürgschaft übernahm, nicht mehr in einer Notlage
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war, ob er ohne solche aus freien Stücken auf die für ihn günstigeren Abmachungen vom 12. April 1908 verzichtet und dem Abtretungsempfanger den weiteren Vermögensvorteil seiner Bürgschaft zugewendet hat. Sollte etwa Z., wie sich denken ließe, zu einer solchen freiwilligen Leistung auf Grund der rechtsirrigen Annahme, dazu verpflichtet zu sein, oder etwa in der Erwartung gelangt sein, es sei für ihn völlig ungefährlich, sich für die Schuld des Kr. zu verbürgen, so konnte sich weiter die Frage erheben, ob nicht hierin nach der Sachlage Leichtsinn oder Unerfahrenheit zutage trete und demgegenüber Ausbeutung seitens des Abtretungsempfängers anzunehmen sei. In allen diesen Richtungen kann eine völlig ausreichende tatsächliche Grundlage für die beanstandeten Ausführungen des Berufungsgerichts in den getroffenen Feststellungen nicht gefunden werden. Das Urteil war aber aus diesem Grunde nicht aufzuheben, weil es selbständig getragen wird durch die weitere Erwägung des Berufungsgerichts, es sei „nicht erwiesen und nicht erweislich, daß Moses K. sich bei dem Geschäftsabschlüsse bewußt war, daß nach den Umständen, insbesondere in Berücksichtigung des mit dem Geschäfte verbundenen Risikos der mit dem Nachlasse gewährte Vermögensvorteil in einem Mißverhältnis zur Gegenleistung, dem Verkehrswerte der erworbenen Hypothekenforderung stehe". Diese von der Revision nicht bemängelte tatsächliche Annahme betrifft, was der Zusammenhang der Ausführungen zur Genüge ersehen läßt, den Geschäftsinhalt, wie er sich am 13. April 1908 nach der Bürgschaftsleistung ergeben hat, und beruht auf der Aussage des Zeugen Moses K. darüber, wie es zur Bürgschaftsleistung Z.'s gekommen ist. Der Angabe des auch hierbei als Bevollmächtigter der Klägerin tätigen Zeugen, er habe der Bürgschaft gar keinen Wert beigelegt, hat das Berufungsgericht Glauben geschenkt. War dem so, dann durfte in der Tat angenommen werden, daß dem Zeugen das von dem Sachverständigen festgestellte Mißverhältnis der Leistungen gerade in dem kritischen Punkte nicht zum Bewußtsein gekommen ist. Daß der Mangel des Bewußtseins in der Person des Zeugen der Klägerin zustatten kommt, ergibt § 166 BGB.; eine Behauptung im Sinne des Abs. 2 ist nicht aufgestellt worden. War man sich aber hiernach auf Seiten der Klägerin des Übermaßes der erlangten Vorteile gar nicht bewußt, so kann von einer Ausbeutung im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB. nicht gesprochen werden. Ist dazu auch, wie in der Rechtsprechung des Reichsgerichts schon wiederholt hervorgehoben wurde (RGZ. Bd. 60 S. 9, Jur. Wochensch. 1905 S. 366 Nr. 3, 1907 S. 167 Nr. 4, 1913 S. 483 Nr. 3), keine besondere Absicht oder Arglist zu erfordern, genügt vielmehr die bewußte Ausnutzimg der Notlage, des Leichtsinns oder der Unerfahrenheit, so bedarf es doch hierzu tatsächlich mit Notwendigkeit der Kenntnis des Mißverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung; dieses muß also dem Leistungs- oder Versprechensempfänger zum Bewußtsein gekommen sein (RG. Rep. V. 602/10)." . . .
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RGZ. 86, 3051 . . . . Zur Anwendung des § 143 BGB. BGB. § 143. VI. Zivilsenat. Urt. v. 8. März 1915. I. Landgericht Dortmund.
II. Oberlandesgericht Hamm.
Aus den G r ü n d e n : „Der Beklagte wird in Anspruch genommen als Mitglied eines Konsortiums, das im Herbst 1906 von insgesamt 14 Personen zwecks Durchführung einer für die Aktiengesellschaft D. Brauhaus in D. beabsichtigten Kapitalerhöhung von 800 000 M. gebildet worden ist. In dem Konsortialverträge ist u. a. festgesetzt, daß 800 neue Aktien im N e n n b e t r a g e von je 1000 M. zum Kurse von 115% ausgegeben und von dem Konsortium für gemeinsame Rechnimg übernommen werden sollen, daß das Konsortium vertreten wird durch Bankier Julius O. und Brauereidirektor E., beide in D., die jeder für sich allein bevollmächtigt werden, Verbindlichkeiten für das Konsortium im Rahmen dieses Vertrags einzugehen, und daß diese Konsortialleitung ermächtigt wird, bis insgesamt 1000000 M. Darlehen für Rechnimg des Konsortiums aufzunehmen und die Bedingungen dafür nach ihrem Ermessen zu vereinbaren. Als Sicherheit für die Verbindlichkeiten des Konsortiums haften nach dem Konsortialverträge die 800000 M. jungen Aktien des D.er Brauhauses sowie die Konsortialmitglieder persönlich „unter Ausschluß der Solidarität in máximo mit 100000 M. pro persona". Auf Grund der erteilten Vollmacht beantragte der Konsortialbevollmächtigte E. mit Brief vom 30. November 1906 bei der N. Bank, der der andere Bevollmächtigte Bankier Julius O. als persönlich haftender Gesellschafter angehörte, namens des Konsortiums, diesem gegen Deponierung und Verpfändung von nom. 800000 M. jungen Aktien des D.er Brauhauses und gegen dessen Bürgschaft Kredit in laufender Rechnung bis zum Höchstbetrage von 1000000 M. zu eröffnen, und zwar auf Grund der Bankbedingungen für laufende Rechnungen. Dem Konsortium möge zunächst ein Betrag von 920000 M. belastet und dem D.er Brauhause zur Verfügung gestellt werden. Die N. Bank erklärte sich mit Antwortschreiben vom 30. November 1906 in willfahrendem Sinne und teilte mit, daß sie dem Brauhause 920000 M. zur Verfügung gestellt habe und hierfür das Konsortium „val. heute" belaste. Die Kapitalerhöhung ist unter dem 14. Dezember 1906 in das Handelsregister eingetragen worden. In der Folge kam die N. Bank mit der Klägerin im Einverständnis mit den übrigen Beteiligten dahin überein, der dem Brauhaus eingeräumte Kredit von 1000000 M. solle in der Weise in Anspruch genommen werden, daß das Brauhaus im Auftrag und für Rechnung des Konsortiums auf die N. Bank trassiere und deren Akzepte bis zum Betrage von 1000000 M. bei
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der Klägerin diskontiere. Laut Urkunde vom 8. April 1907 hat dann die N. Bank der Klägerin „zur Sicherheit für alle Forderungen, welche ihr hieraus entstehen, alle diejenigen Ansprüche, welche der N. Bank an das vorerwähnte Konsortium zustehen", abgetreten. Die Beteiligten sind hiernach verfahren. Das Brauhaus sandte jeweils die ihm ausgereichten Akzepte der N. Bank der Klägerin ein mit dem Ersuchen, sie zu diskontieren und den Gegenwert der N. Bank für Rechnung des Brauhauses zu vergüten. Die Klägerin willfahrte jeweils diesem Ersuchen und überwies nach ihrer Angabe auf diesem Wege in der Zeit zwischen dem 30. April und 2. September 1907 insgesamt 1000000 M. durch Reichsbankgiro der N. Bank, die diese Beträge dem Brauhause gutschrieb. Im vorliegenden Rechtsstreite beziffert die Klägerin ihr Restguthaben an die N. Bank aus dem Geschäft auf 625000 M. und verlangt vom Beklagten auf Grund der von ihm im Konsortialvertrag übernommenen persönlichen Haftung in Verbindung mit der Abtretung vom 8. April 1907 Zahlung eines Teilbetrags von 80000 M. Der erste Richter hat die Klage abgewiesen. Dagegen hat das Berufungsgericht den Klaganspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt (§ 304 ZPO.) und die Sache an den ersten Richter zur weiteren Verhandlung zurückverwiesen. Es erwog folgendes. Nach § 164 BGB. hätten die Konsortialbevollmächtigten das Konsortium nur insoweit zu verpflichten vermocht, als sie innerhalb der ihnen zustehenden Vertretungsmacht handelten; diese habe sich nur auf die Verschaffung von Barmitteln erstreckt, und zwar im Wege des Darlehnsvertrags als Realvertrag gedacht, bei dem die Darlehnsverbindlichkeit regelmäßig erst durch die Gewährung der Valuta begründet werde. Dies ergebe sich vor allem daraus, daß die Konsortialen mittels des aufzunehmenden Darlehens von ihrer Verpflichtimg, auf die gezeichneten Aktien die gesetzlich vorgeschriebene Bareinzahlung zu leisten (§§ 195 Abs. 3, 278 flg., 284 Abs. 3, 211 flg., 221 HGB.), befreit werden wollten und sollten. Durch die Worte „Verbindlichkeiten im Rahmen dieses Vertrags einzugehen" sei das zur Genüge zum Ausdruck gekommen. Die Beschränkung der Vertretungsmacht müsse auch die N. Bank gegen sich gelten lassen: der die Vollmacht enthaltende Konsortialvertrag habe ihr vorgelegen, ihre beiden Vertreter seien Mitunterzeichner des Vertrags, O. die treibende Kraft der ganzen Kapitalerhöhung gewesen. Das zur Durchführimg der Kapitalerhöhung in Aussicht genommene Darlehen sei hiernach weder mit den Buchungen vom 30. November 1906 und der Bereitstellung der 920000 M. (zugunsten des Brauhauses und für Rechnung des Konsortiums) noch mit der Ausreichung der Akzepte und ihrer Diskontierung bei der Klägerin valutiert worden, — letzteres um so weniger, als der Gegenwert der diskontierten Wechsel nicht an das Brauhaus ging, sondern an die N. Bank. . . . In Betreff des Geschäftsverkehrs, der sich aus Anlaß der Kapitalerhöhung zwischen dem Brauhaus und der N. Bank entwickelte, spricht das Berufungsgericht im übrigen auf Grund der Beweisaufnahme zweiter Instanz aus: schon jetzt stehe jedenfalls soviel fest, daß die N. Bank auf
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Grund der Darlehnszusage dem Brauhaus im Kontokorrentverkehr für Rechnimg des Konsortiums in einer Reihe von Fällen Mittel in bar (und in gleichwertiger Zahlungsweise) zugeführt habe. Da die Einwendungen des Beklagten im übrigen, wie im Berufungsurteile näher ausgeführt wird, nicht begründet seien, erscheine der geltend gemachte Anspruch dem Grunde nach gerechtfertigt. Zur Ermittelung des Betrags werde die Sache an die Vorinstanz zurückverwiesen ; bei dieser Ermittelung werde es allerdings noch eines näheren Eingehens auf den Geschäftsverkehr zwischen der N. Bank und dem Brauhause bedürfen. Man werde an der Hand der beiderseitigen Geschäftsbücher die einzelnen Geschäftsvorfalle, die den Buchungen zugrunde lägen, klarzustellen haben zwecks Ermittelung, was die Bank dem Brauhaus in Barzahlung (und in gleichwertiger Zahlungsweise) zugeführt habe. Dabei sei zu berücksichtigen, daß dem Brauhause zunächst noch ein Obligationskredit zur Verfugung stand; erst nach dessen Erschöpfung komme eine Darlehnsvalutierung zu Lasten des Konsortiums in Frage. 1. . . . 2. Der Beklagte hat im gegenwärtigen Rechtsstreit auch—fürsorglich— seinen Beitritt zum Konsortialverträge wegen Irrtums und wegen arglistiger Täuschimg (§§ 119, 123 BGB.) angefochten. Nach Ansicht des Berufungsgerichts richtet sich diese Anfechtung in Wirklichkeit gegen die Rechtsbeständigkeit der Aktienzeichnung; deshalb sei sie nach bekannten Grundsätzen (vgl. bes. RGZ. Bd. 57 S. 292, Bd. 62 S. 29, Bd. 68 S. 309, 344, Bd. 71 S. 97, Bd. 76 S. 312; Jur. Wochenschr. 1912 S. 598) unbeachtlich. Die Revision wendet ein, die Aktienzeichnung als solche werde vom Bestehen oder Nichtbestehen des Konsortialvertrags nicht berührt. Es braucht hierauf näher nicht eingegangen zu werden. Die vorliegende Anfechtimg ist keinesfalls wirksam erklärt, weil sie nicht im Sinne des § 143 Abs. 2 BGB. dem gesetzlichen Anfechtungsgegner gegenüber erklärt worden ist. Danach wäre eine auf Beseitigung der Aktienzeichnung gerichtete Anfechtung der Brauhaus-Aktiengesellschaft gegenüber zu erklären gewesen; daß dies geschehen sei, war nicht einmal behauptet. Für die Anfechtung des Konsortialvertrags kommen in erster Reihe die übrigen Konsortialen in Betracht; daß diesen gegenüber eine Anfechtung erklärt worden wäre, erhellt gleichfalls nirgends. Ob insoweit auch der N. Bank die Stellung des Anfechtungsgegners auf Grund des § 143 Abs. 2, etwa verbunden mit § 123 Abs. 2 BGB., zuzuweisen sein möchte, kann unerörtert bleiben. Denn auch daß ihr eine Anfechtung erklärt sei, ist nicht behauptet. Die ihrer Zessionarin, der Klägerin, gegenüber erklärte Anfechtung kann nicht dieselbe Wirksamkeit beanspruchen, wie wenn sie der Zedentin erklärt wäre, und vermag insoweit keinen rechtlichen Ersatz zu bieten. Vielmehr ist grundsätzlich die Anfechtung gegen den nach § 143 BGB. legitimierten Zedenten zu richten, weil sie nicht den abgetretenen Anspruch, sondern das ihm zugrunde liegende Geschäft zum Gegenstande hat. Dieses wird nach
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§ 1 4 2 durch die Anfechtung hinfallig, die Abtretung dadurch gegenstandslos, und zwar auch dann, wenn die Anfechtung der Abtretung nachfolgt. D i e Vorschrift des § 404 B G B . steht dem nicht entgegen. So auch die in der Literatur herrschende Meinung und bereits der V . Zivilsenat im U r teile vom 13. D e z e m b e r 1913 in der Sache R e p . V . 316/13 (Seuff. A r c h . B d . 69 S. 310)." . . .
R G Z . 86, 323 ι . Ist e i n a l s R e a l v e r t r a g a b g e s c h l o s s e n e s D a r l e h e n s g e s c h ä f t g e m ä ß § 139 B G B . a l s n i c h t i g a n z u s e h e n , w e n n e i n e z u r S i c h e r h e i t d e s D a r l e h e n s e r f o l g t e P f a n d b e s t e l l u n g n i c h t i g ist ? 2. K a n n e i n B ü r g e , d e r a l s V e r t r e t e r e i n e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n zur Bestellung eines Pfandrechts für eine Darlehnsschuld verpflichtet war, bei N i c h t i g k e i t der P f a n d b e s t e l l u n g die N i c h t i g k e i t d e r B ü r g s c h a f t a u s § 139 B G B . h e r l e i t e n ? B G B . § 139. VI. Zivilsenat.
U r t . v. 15. M ä r z 1915.
I. Landgericht II Berlin. II. Kammergericht daselbst. Laut notariellen Vertrags vom 10. Oktober 1911 hat die Klägerin d e r Gewerkschaft Prinzeß Ilse in Berlin-Gotha, die eine in Rumänien liegende Petroleumgrube besaß, ein Darlehn von 18800 M . gewährt, das spätestens am 10. Oktober 1912 in Höhe von 22000 M . zurückgezahlt werden sollte. Z u r Sicherheit f ü r die Forderung wurden der Klägerin mehrere auf d e r G r u b e befindliche Gegenstände (der sog. „ B o h r p a r k " ) verpfändet; außerdem übernahmen die drei Vorstandsmitglieder der Gewerkschaft Prinzeß Ilse, darunter der Beklagte, die selbstschuldnerische Bürgschaft f ü r die Darlehenssumme von 22000 M . in Höhe je eines Drittels dieses Betrags, wobei die Klägerin dem Beklagten gegenüber die Verpflichtung einging, sich zunächst aus den ihr verpfändeten Gegenständen zu befriedigen u n d den daraus erzielten Erlös auf den vonl Beklagten zu leistenden Betrag zu verrechnen. Unter der Behauptung, daß das bestellte Pfandrecht an dem sog. B o h r parke nicht entstanden sei und die Gewerkschaft nicht mehr bestehe, jedenfalls vermögenslos sei, hat die Klägerin K l a g e mit dem Antrag erhoben, den Beklagten zur Zahlung von 7333,33 M . nebst Zinsen zu verurteilen. D e r Beklagte, der geltend macht, der Vertrag vom 10. Oktober 1911 sei wegen Nichtigkeit der Pfandbestellung oder jedenfalls wegen Wuchers nichtig, hat die A b w e i s i m g der K l a g e beantragt. D i e Vorinstanzen verurteilten den Beklagten gemäß d e m Klagantrage. D i e Revision des B e klagten blieb erfolglos.
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Aus den G r ü n d e n : „Die Rüge einer Verletzung des § 139 BGB. kommt nach doppelter Richtung hin in Betracht. a) Einmal macht der Beklagte geltend, die von ihm übernommene Bürgschaft sei nichtig; denn die Hauptverbindlichkeit, nämlich das Darlehensgeschäft, sei nichtig, da das der Klägerin zur Sicherheit ihrer Darlehensforderung in erster Linie bestellte Pfandrecht nicht rechtsverbindlich sei. Richtig ist zwar, daß unter den Parteien Einverständnis über die Nichtigkeit der Pfandbestellung besteht, die offenbar darauf beruht, daß eine Übergabe der zum Pfände bestellten Gegenstände an die Klägerin, als Pfandgläubigerin, nicht Stangefunden hat. Daraus ist aber keineswegs die Nichtigkeit des Hauptgeschäfts zu folgern; es muß vielmehr angenommen werden, daß nach dem Willen der Vertragschließenden, nämlich der Klägerin als Darlehensgeberin und der Gewerkschaft Prinzeß Ilse als Darlehensnehmerin, die Nichtigkeit der Pfandbestellung auf die Gültigkeit des Darlehensgeschäfts einflußlos ist. Es handelt sich hier nämlich nicht um ein Darlehensversprechen, sondern um ein durch Hingabe des Darlehensbetrags seitens der Klägerin an die Darlehensnehmerin abgeschlossenes Rechtsgeschäft, also um einen sog. Realvertrag. Dieser wurde endgültig durch Hingabe der Darlehenssumme und durch deren Empfangnahme abgeschlossen, seine Gültigkeit konnte also durch eine zur Sicherung der Darlehensgeberin daneben abgeschlossene Pfandbestellung nicht mehr in Frage gestellt werden. Insofern entbehren das Darlehensgeschäft und die Pfandbestellung schon der zur Anwendung des § 139 BGB. erforderlichen Einheitlichkeit. Schließen schon diese Erwägungen die Anwendung des § 139 BGB. auf einen Fall wie den vorliegenden aus, so kommt weiter in Betracht, daß, selbst wenn man auch den § 139 BGB. an und für sich für anwendbar erachten wollte, doch, wie ohne weiteres auf der Hand liegt, sowohl vom Standpunkte der Darlehensgeberin, wie der Darlehensnehmerin anzunehmen ist, daß beide das Darlehensgeschäft auch ohne Rücksicht auf die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Pfandbestellung gewollt haben. Denn bei Anwendung der Auslegungsregel des § 139 BGB. ist davon auszugehen, daß der Richter ermitteln soll, was die Parteien verständigerweise gewollt haben können. Geht man davon aus, so ist es ausgeschlossen, daß die Klägerin nicht auch bei Kenntnis von der Nichtigkeit der Pfandbestellung das Darlehensgeschäft gewollt haben sollte. Denn hatte sie einmal den Darlehensvertrag durch Hingabe der Darlehenssumme abgeschlossen, so kann sie verständigerweise auch nur ein Festhalten an den Bestimmungen des Darlehensvertrags ohne Rücksicht auf die Gültigkeit oder Ungültigkeit der Pfandbestellung gewollt haben, d. h. die Gewährung der versprochenen Verzinsung, die Zahlung des vereinbarten Betrags und die Rückzahlung zur vereinbarten Zeit durch die Darlehensschuldnerin. Nähme man dagegen die Nichtigkeit des Darlehensgeschäfts wegen Ungültigkeit der Pfand-
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bestellung an, so würde der Klägerin nur ein Bereicherungsanspruch, also nur ein Anspruch auf Rückgewähr des von ihr wirklich gezahlten Betrags von 18800 M. zustehen und dies auch nur insoweit, als die Gewerkschaft Prinzeß Ilse zur Zeit der Rückforderung noch um diesen Betrag bereichert war (§ 818 Abs. 3 BGB.). Daß aber die Klägerin auf die ihr zugesicherte Risikoprämie von 3200 M. hätte verzichten wollen, weil und wenn die Pfandbestellung nichtig war, das kann verständigerweise um so weniger angenommen werden, als sie sich jene Prämie schon in der Annahme hat versprechen lassen, daß die Rückgabe der Darlehenssumme noch durch die Pfandbestellung gesichert war. Zum gleichen Ergebnis gelangt man auch vom Standpunkte der Darlehensnehmerin aus. Könnte diese überhaupt sich auf die Nichtigkeit der Pfandbestellung berufen, um die Anwendbarkeit des § 139 BGB. herbeizuführen, so kommt bei Zugrundelegung dieser Vorschrift in Betracht, daß die Darlehensschuldnerin als Pfandbestellerin an der Gültigkeit des Pfandrechts überhaupt kein Interesse hatte. Danach muß also angenommen werden, daß diese das Darlehensgeschäft auch ohne die Pfandbestellung, die ihr nur Pflichten auferlegte, unzweifelhaft abgeschlossen haben würde. b) Hat somit das Berufungsgericht, wenn auch auf Grund anderer als der vorstehend erörterten Erwägungen, mit Recht die Nichtigkeit des Darlehensgeschäfts verneint, so ist es dem Beklagten auch verwehrt, sich auf die Vorschrift des § 139 BGB. zu berufen, um die Nichtigkeit seiner Bürgschaftserklärung darzutun. Die Pfandbestellung ist zugunsten der Klägerin von den drei Vorstandsmitgliedern der Gewerkschaft Prinzeß Ilse erklärt worden, zu denen auch der Beklagte gehört. Angenommen, der Beklagte hätte für seine Person mit einem ihm gehörigen Gegenstande das Pfand bestellt, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß er, um die Unverbindlichkeit seiner Bürgschaft darzutun, nicht hätte geltend machen können, die von ihm selbst erklärte Pfandbestellung entbehre der Rechtswirksamkeit. Ist dies richtig, so muß man auch die weitere Folgerung ziehen, daß da, wo eine Partei als gesetzlicher Vertreter einer juristischen Person gehandelt hat, es ihr verwehrt sein muß, die von ihr selbst in rechtsungültiger Weise vorgenommene Handlung zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen, um dadurch die Ungültigkeitserklärung eines anderen mit jenem ungültigen zusammenhängenden Geschäfts auf Grund des § 139 BGB. herbeizuführen. Im vorliegenden Falle war der Beklagte als Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Prinzeß Ilse verpflichtet, der Klägerin ein gültiges Pfandrecht an dem Bohrparke zu bestellen ; hat er dies nicht getan, so kann er sich seiner in rechtsgültiger Form eingegangenen Bürgschaftsverpflichtung nicht lediglich um deswillen entziehen, weil er es unterlassen hat, die Verpflichtung der von ihm mitvertretenen Gewerkschaft, der Klägerin ein gültiges Pfandrecht zu bestellen, seinerseits zu erfüllen. Einem solchen Versuche des Beklagten hat daher die Klägerin mit Recht den Einwand der Arglist entgegengesetzt (vgl. RGZ. Bd. 85 S. 108 insbes. S. 120).") . . .
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RGZ. 87, 80 Kann sich der Beleidiger rechtswirksam verpflichten, die Beleidigung öffentlich zu widerrufen ? EG. z. StGB. § 6. EG. z. StPO. § 11. BGB. §§ 138. 249. VII. Zivilsenat. Urt. v. 18. Mai 1915. I. Landgericht Ratiboi.
II. Oberlandesgericht Breslau.
Im Jahre 1912 hatte der Beklagte in seiner Gastwirtschaft zu anderen Personen geäußert, der Kläger habe seine Mühle in Brand gesteckt. Der Kläger erhob deshalb Privatklage und der Beklagte wurde vom Schöffengericht wegen öffentlicher Beleidigung des Klägers zu 100 M. Geldstrafe sowie zu der Nebenstrafe aus § 200 Abs. 1 StGB, verurteilt. Er legte Berufung ein. Darauf kam vor der Berufungsstrafkammer am 2. August 1913 ein Vergleich zustande. Der Kläger nahm die Privatklage zurück, der Beklagte übernahm die Kosten, erklärte die behaupteten Beleidigungen zu Protokoll für unwahr und verpflichtete sich, diese Erklärung in zwei Zeitungen und durch einwöchigen Aushang an der Gemeindetafel auf seine Kosten zu veröffentlichen. Da er dieser Verpflichtimg nicht nachkam, wurde Kläger mit dem Antrage klagbar, den Beklagten zur Vornahme der Veröffentlichimg zu verurteilen. Das Landgericht erkannte nach diesem Antrage. Berufung und Revision des Beklagten wurden zurückgewiesen. Gründe: „Die Zulässigkeit des Rechtsweges wird von der Revision mit Unrecht in Zweifel gezogen. Der Vergleich, um dessen Erfüllung es sich handelt, betrifft die Genugtuung für eine Beleidigung, die der Beklagte dem Kläger zugefügt hatte, also Tür eine Verletzung der Ehre des Klägers. Das Rechtsgut der Ehre fällt aber keineswegs ausschließlich in den Bereich des öffentlichen Rechtes, berührt vielmehr gerade in erster Linie die besondere Rechtssphäre des einzelnen. Der von den Parteien geschlossene Vergleich ist demnach als ein Geschäft des bürgerlichen Rechtes, als ein privatrechtlicher Vertrag anzusehen. Der Umstand, daß der Vergleich die Beendigung eines Strafverfahrens bezweckte und daß er vor einem Strafgericht geschlossen wurde, kann an diesem Ergebnis nichts ändern. Was die Sache selbst anbelangt, so wird vom Berufungsrichter ausgeführt, die freiwillige Übernahme des öffentlichen Widerrufs der vom Beklagten begangenen Beleidigung verstoße gegen kein Gesetz, insbesondere nicht gegen § 11 EG. z. StPO., denn diese Vorschrift beziehe sich nicht auf einen Widerruf, zu welchem sich der Täter durch Vertrag verpflichtet habe. Die Revision rügt Verletzung des § 6 EG. z. StGB, und des § 11 EG. z. StPO. Sie meint, der öffentliche Widerruf einer Beleidigung stelle eine Selbstdemütigung dar, die überwiegend den Charakter einer den Beleidiger treffenden Strafe trage, und zwar einer Strafe, die als mit dem modernen Rechtsbewußtsein unvereinbar aus der Reihe der gesetzlich
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zulässigen Strafen ausgeschlossen worden sei. Demnach könne es auch nicht f ü r zulässig erachtet werden, daß sich jemand vergleichsweise, also durch Vertrag, zu einem öffentlichen Widerrufe verpflichte. Dieser Auffassung ist nicht beizutreten. Es ist zwar richtig, daß die früher partikularrechtlich zulässig gewesenen Strafen des Widerrufs, der Abbitte und der Ehrenerklärung durch § 6 EG. z. StGB, als Strafen beseitigt sind, und es mag auch zugegeben werden, daß sich die Gesetzgebung zu diesem Schritte entschlossen hat, weil angenommen wurde, daß solche Strafen für den Verurteilten demütigend und beschämend sowie mit dem modernen. Rechtsbewußtsein nicht vereinbar seien. Daraus folgt aber noch nicht, daß sich der Beleidiger auch durch Vertrag nicht rechtswirksam zu einer von jenen Kundgebungen verpflichten könne. Ein solcher Schluß würde vielmehr nur dann gerechtfertigt sein, wenn angenommen werden müßte, daß der Gesetzgeber jene Kundgebungen überhaupt und schlechthin gemißbilligt habe. Allein die bloße Beseitigung des öffentlichen Widerrufs und ähnlicher Erklärungen als Strafen beweist, auch wenn man die bereits erwähnten Motive mit in Betracht zieht, nicht mehr, als daß der Gesetzgeber jene Maßregeln als geeignete öffentliche Strafen nicht angesehen hat. Auch aus § 11 EG. z. StPO. ist zugunsten der Revision nichts herzuleiten. Wenn dort gesagt ist, daß die Verfolgung von Beleidigungen nur nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung stattfinde, so ist dabei ersichtlich nur an die strafrechtliche Verfolgung des Täters, nicht an die Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen gedacht. Der § 11 a. a. O. bildet daher weder ein Hindernis für den Abschluß von Verträgen über den Widerruf einer Beleidigung, noch steht er der Beschreitung des Rechtsweges bezüglich der Ansprüche aus solchen Verträgen entgegen. Denkbar ist, daß unter Umständen der § 138 BGB. in Frage kommen könnte. Allein im vorhegenden Falle liegt zweifellos ein Verstoß gegen die guten Sitten nicht vor. Weder der Inhalt der vom Beklagten abzugebenden Erklärung noch die Art der Bekanntmachung und der damit verfolgte Zweck können in dieser Beziehung Bedenken erregen. Die Revision beruft sich auf das Urteil des VI. Zivilsenats, RGZ. Bd. 60 S. 12. Damals handelte es sich aber nur darum, ob der Beleidigte schon auf Grund des Gesetzes, insbesondere nach § 249 BGB. einen Anspruch auf Widerruf der Beleidigung hat. Über die Frage, ob Verträge über den Widerruf rechtswirksam und klagbar sind, ist nicht entschieden worden und sollte nicht entschieden werden. Unbegründet ist endlich die Rüge, die sich auf § 123 BGB. bezieht. Der Berufungsrichter hält nicht für erwiesen, daß die Andeutung, die der Kläger über den Fortgang des Strafverfahrens machte, dazu dienen sollte, den Beklagten zum Abschlüsse des Vergleichs zu bestimmen. Damit entfiel aber eine wesentliche Voraussetzung der Drohung i. S. des § 123." . . .
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R G Z . 87, 92 Zur Auslegung der Vertragsbestimmung „Feuer, Streik, Krieg . . . sowie sonstige Fälle höherer Gewalt vorbehalten". BGB. §§ 133, 157. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 20. Mai 1915. I.Landgericht München, Kammer für Handelssachen. Il.Oberlandesgerichtdaselbst.
Der Beklagte hatte dem Kläger 300 Sack Weizenmehl, Fabrikat Piange, lieferbar in gleichen monatlichen Raten Oktober bis Dezember 1914 verkauft und das Geschäft in seinem Briefe vom 17. Juli 1914 bestätigt, dessen wesentliche Teile lauten: „bestätige unter nachfolgenden Bedingungen an Sie verkauft zu haben : 300 Sack á M. 29,50 per 100 kg . . . Feuer, Streik, Beschädigung der Maschinen, Mobilmachung, Krieg, Blockade, Aus- und Einfuhrverbot sowie sonstige Fälle höherer Gewalt vorbehalten." Unter Berufung auf diesen Vorbehalt erklärte der Beklagte am 8. August 1914 den Vertrag wegen der erfolgten Mobilmachung für aufgehoben. Der Kläger, der dies nicht gelten lassen wollte, klagte auf Lieferung. Beide Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos. Gründe: „Der Beklagte hat in seinem Schlußscheine vom 17. Juli 1914 bestätigt, dem Kläger die streitigen 300 Sack Mehl verkauft zu haben : Feuer, Streik, Beschädigimg der Maschinen, Mobilmachung, Krieg, Blockade, Aus- und Einfuhrverbot sowie sonstige Fälle höherer Gewalt vorbehalten. Damit hat er deutlich erklärt, daß er den Kauf nur unter Vorbehalt dieser Ereignisse abschließe, also im Falle ihres Eintritts nicht an den Vertrag gebunden sein wollte. Er wollte keineswegs, wie die Revision behauptet, nur dann frei werden, wenn die vorbehaltenen Ereignisse Unmöglichkeit der Leistung verursachten, sondern wenn sie überhaupt eintraten. Der Vertrag ist in diesem Punkte seinem Wortsinne nach völlig deutlich und seine Auslegung, die selbstverständlich gemäß §§ 133, 157 BGB. erfolgen muß, bietet insoweit keine Zweifel und Schwierigkeiten. Denn daß die namentlich aufgeführten Ereignisse „sonstigen Fällen höherer Gewalt" gleichgestellt sind, erklärt sich daraus, daß sie alle ihrer Natur nach regelmäßig durch die Kräfte des Verkäufers nicht abgewandt werden können, also, wenn sie seinen Geschäftsbetrieb treffen, als höhere Gewalt auf ihn einwirken. Zweifel beginnen erst bei der Frage, welche Tatbestände mit den kurzen Worten Streik, Krieg usw. gemeint sind. Hierüber spricht sich der Vertrag nicht aus, weshalb er gemäß § 157 nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte ergänzend ausgelegt werden muß.
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Offenbar ist nicht jeder Streik, Krieg, Maschinenschaden, die sich irgendwo in der Welt zutragen, gemeint. Wenn Chile an Peru den Krieg erklärt, wenn geringfügige Streiks im deutschen Transportgewerbe ausbrechen, selbst wenn kleine Maschinenschäden in Planges Mühlen entstehen, so ist das nicht der Tatbestand eines Krieges, Streiks, Maschinenschadens im Sinne des vertraglichen Vorbehalts. Gemeint sind offenbar nur solche Ereignisse der bezeichneten Art, die auf Betriebe, von denen der Beklagte für seine Lieferung abhängt, wesentlich störend einwirken. Wie erheblich aber die Einwirkung sein muß, damit nach dem Sinne des Vertrags ein vorbehaltenes Ereignis vorliegt, kann zweifelhaft sein. Man denke ζ. B. an den Fall, daß ein Viertel oder Drittel von Planges Mühlen abgebrannt wären. In solchen Fällen ist die Grenze nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte zu ziehen; und wenn ein solcher Grenzfall vorläge, könnte die Revision darin Recht haben, daß das Gericht den § 157 BGB. verletzt, wenn es den Vertrag auslegt, ohne die Verkehrssitte durch Sachverständige festzustellen. Es liegt aber kein Grenzfall vor. Der Ausbruch des gegenwärtigen Krieges hat alle Voraussetzungen, unter denen der Beklagte und der hinter ihm stehende Fabrikant arbeiten, geändert. Daß für sie Lieferpflichten, die sich über Monate erstrecken, nach Ausbruch des Krieges eine ganz andere Last bedeuten, als in gewöhnlichen Zeiten, liegt auf der Hand. Deswegen ist jeder Zweifel ausgeschlossen, daß durch Ausbruch des gegenwärtigen Krieges ein Tatbestand eingetreten ist, für dessen Eintritt der Beklagte sich Befreiung von seiner Lieferpflicht vorbehalten hat. Ob der Beklagte nach den Vorräten, die er zu seiner Verfügung hatte, imstande gewesen wäre, die laufenden Verträge zu erfüllen, ist gleichgültig. Der von ihm bedungene Vorbehalt schließt es nach seinem klaren Sinne aus, daß er sich mit den Käufern auf Erörterungen über seine geschäftlichen Interna einzulassen hätte. Er wollte frei sein, wenn ein Krieg eintrat, worunter nach Treu und Glauben nur ein solcher Krieg zu verstehen ist, von dem sein Betrieb in erheblicher Weise betroffen wurde. Da dies geschehen ist, ist er frei geworden. Wenn, wie der Kläger behauptet, die meisten deutschen Mühlen und ihre Vertreter ihre Verträge nach Maß ihrer Vorräte erfüllt haben, so ist das gleichgültig. Es mag in völlig abweichenden Vertragsabreden seinen Grund haben, wie sie ζ. B. bei dem Vereine der süddeutschen Handelsmühlen augenscheinlich vorliegen, oder es mag auf Entgegenkommen beruhen. Der Beklagte dagegen hat sich nicht für den Fall seines durch Krieg hervorgerufenen Unvermögens, sondern für den Fall des Krieges freigezeichnet. Daß die Berufung auf diesen Vorbehalt keinen Verstoß wider die guten Sitten enthält, ist vom Oberlandesgerichte zutreffend dargelegt worden und bedarf keiner weiteren Begründung, zumal auch der Kläger darauf nicht zurückkommt."
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R G Z . 88, 220 K a n n ein Beschluß einer Gesellschaft m b. H . , w o n a c h sich e i n m i t ihr in W e t t b e w e r b s t e h e n d e r Gesellschafter d u r c h einen a n d e r e n Gesellschafter vertreten lassen m u ß , unter U m s t ä n d e n g e g e n die g u t e n Sitten verstoßen ? BGB. § 138 II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 5. Mai 1916. I. Landgericht I Berlin, Kammer für Handelssachen. II. Kammergericht daselbst.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft m. b. H., deren Stammkapital 200000 M. beträgt; ihre drei Gesellschafter sind der Kläger mit einem Geschäftsanteil von 50000 M., die Frau H. in Mannheim mit einem Anteile von 100000 M. und der Ingenieur G. in Berlin mit einem solchen von 50000 M. Der Kläger war Mitbegründer der Beklagten und Jahre hindurch der alleinige Geschäftsführer. Infolge von Streitigkeiten mit den Mitgesellschaftern legte er am 1. Juli 1912 sein Amt nieder. Gleichzeitig Schloß er mit der Beklagten einen Vertrag, wodurch ihm auf einige Jahre die Konkurrenzenthaltung zur Pflicht gemacht, nach Ablauf der Frist aber der Wettbewerb gestattet wurde. Am 8. Februar 1915, zu einer Zeit, als er von dem Wettbewerbsverbote frei geworden war, wurde eine außerordentliche Gesellschaftsversammlung abgehalten, die gegen seinen Widerspruch folgende Satzungsänderungen beschloß: „1. Gesellschafter, die f ü r ein Konkurrenzunternehmen tätig oder an einem solchen beteiligt sind, können ihre Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis nicht persönlich ausüben, sie können sich darin nur durch andere Gesellschafter vertreten lassen; 2. die Versammlungen finden an demjenigen Orte statt, der durch den Geschäftsführer oder den Aufsichtsrat bestimmt wird." Der Kläger begehrte mit der Klage die Feststellung der Nichtigkeit dieser Beschlüsse. Der erste Richter entsprach dem Antrag insoweit, als ein Wettbewerb treibender Gesellschafter bei der Auswahl der Vertreter auf Mitgesellschafter beschränkt und der Ort der Versammlung durch den Geschäftsführer oder den Aufsichtsrat bestimmt werden sollte. Dagegen erklärte das Berufungsgericht, das von beiden Parteien mit Berufung angegangen war, die Beschlüsse in vollem Umfange für nichtig. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Gründe: „1. Der wichtigste der beiden Beschlüsse verordnet, daß Gesellschafter, die mit der Beklagten in Wettbewerb stehen, die Gesellschaftsrechte nicht persönlich ausüben dürfen, vielmehr auf Vertretung durch andere Gesellschafter angewiesen sind. Nach Ansicht der Beklagten soll dieser Beschluß durch die Erwägungen des Urteils RGZ. Bd. 80 S. 385, das ihn auch wohl veranlaßt hat, gerechtfertigt werden. Das trifft nicht zu Allerdings hat der jetzt erkennende Senat an der angeführten Stelle eine
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Satzungsänderung gebilligt, wonach Wettbewerb treibende Mitglieder einer Gesellschaft m b. H. sich in den Versammlungen durch andere Mitglieder vertreten lassen müssen. Ein Mißbrauch der Mehrheitsmacht und ein Verstoß gegen die guten Sitten wurde in einer solchen Zumutung nicht gefunden. Allein das Kammergericht hat mit Recht angenommen, daß der hier streitige Beschluß schon objektiv über den früher abgeurteilten weit hinausgeht und daß, selbst wenn er sich inhaltlich mit ihm deckte, im vorliegenden Falle persönliche Umstände hinzutreten, die die Anwendimg des § 138 BGB. geboten erscheinen lassen. In ersterer Hinsicht ist zu beachten, daß es sich nicht nur wie in dem Falle Bd. 80 um die Teilnahme an den Gesellschafterversammlungen handelt. Schlechthin sämtliche Rechte aus dem Gesellschaftsverhältnis werden betroffen, a!so von denjenigen, die die Mitwirkimg in Angelegenheiten der Gesellschaft zum Gegenstande haben, auch die Rechte auf Berufung der Versammlung, Ankündigung der Tagesordnung, richterliche Ernennung der Liquidatoren (vgl. §§ 50, 66 GmbHG.). Selbst die vermögensrechtlichen Ansprüche auf die Dividende und das Liquidationsguthaben sind, wenigstens dem Wortlaute nach, nicht ausgeschlossen. Die Revision selber hat gegen die Auslegung, wonach ausnahmslos alle in den Beziehungen zur Gesellschaft wurzelnden Befugnisse gemeint sind, nichts erinnert. Danach muß hier anerkannt werden, was in dem früheren Streitfalle verneint werden durfte: die beschlossene Vorschrift greift in die Freiheit und die Rechte der einzelnen Gesellschafter erheblich tiefer ein, als es die Umstände erforderten. Wesentlicher noch sind die Unterschiede in den tatsächlichen Verhältnissen, die zu der Maßregel Anlaß gaben. In beiden Fällen wurde der Beschluß nicht auf eine bestimmte Person, sondern allgemein auf jeden Gesellschafter, der Konkurrenz treiben würde, abgestellt. Während aber in dem früheren Falle ernstlich damit gerechnet werden konnte, daß außer dem damaligen Kläger einer der übrigen Gesellschafter zum Wettbewerb übergehen werde, ist davon im vorliegenden Falle keine Rede. Hier besteht die Gesellschaft nur aus drei Personen; die beiden anderen haben kein Wettbewerbsgeschäft und denken weder daran, ein solches zu errichten, noch ihre Anteile an Wettbewerber zu veräußern. Dazu kommt, daß der jetzige Kläger mit den Mitgesellschaftern in erbitterter Feindschaft lebt, die zu zahlreichen teils ausgetragenen, teils noch schwebenden Prozessen unter den Parteien geführt hat. Der Kläger würde gezwungen sein, die Wahrnehmung seiner Rechte erklärten Gegnern anzuvertrauen. Lehnten aber beide Mitgesellschafter die Vertretung ab, so könnten die Rechte überhaupt nicht ausgeübt werden. Schließlich erhält der jetzt zu entscheidende Fall noch dadurch eine besondere Färbung, daß die Beklagte durch das Abkommen vom Sommer 1912 dem Kläger geradezu gestattet hat, nach einer vor Fassung des Beschlusses abgelaufenen Frist mit ihr in Wettbewerb zu treten. Mit Rücksicht hierauf stellt sich der Beschluß zugleich als eine Treuverletzung dar, Zivils. A l l g e m . T e i l 2
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insofern die Beklagte dem Kläger die vertragsmäßig eingeräumte Freiheit auf Umwegen wieder zu beschränken sucht. Es ist verfehlt, wenn die Revision zur Entschuldigung vorbringt, er mache ihr „rücksichtslos" Konkurrenz, sie dürfe zu den schärfsten Abwehrmitteln greifen. Vielmehr muß sie den Wettbewerb an sich hinnehmen; gegen Unlauterkeiten, die übrigens nicht einmal behauptet sind, hat sie die Verteidigungsbehelfe des Gesetzes. Eine Teilung des Beschlusses kann nicht in Frage kommen. Wenn das Landgericht das Verbot der persönlichen Ausübung der Gesellschaftsrechte aufrechthalten und nur den Kreis der Vertreter erweitern will, so hat es nicht alie Gründe des Sittenverstoßes erkannt. Außerdem müßte jede Zerlegung in einen gültigen und einen ungültigen Teil an der Ungewißheit scheitern, ob die Gesellschafterversammlung das eine ohne das andere gewollt haben würde. 2. Auch der zweite Beschluß, demzufolge die Versammlung in Zukunft nicht mehr am Sitze der Beklagten in Berlin, sondern in einem jeweils durch den Geschäftsführer oder den Aufsichtsrat zu bestimmenden Orte abgehalten werden soll, ist ohne Rechtsirrtum für unsittlich erachtet worden. Der Zusammenhang mit dem ersten Beschluß und das Fehlen jeder einleuchtenden Erklärung haben beide Vorinstanzen zu der Überzeugung gebracht, daß der Zweck der Maßregel nur darin besteht, den Kläger zu schikanieren. Wie das Landgericht bemerkt, hat die Beklagte auf richterliches Befragen einen sachlichen Grund nicht angeben können. Daher schenkt der Berufungsrichter der später nachgeschobenen Behauptung, der Beschluß sei zugunsten der in Mannheim wohnenden Gesellschafterin H. gefaßt, die als alte Dame weite Reisen scheue, keinen Glauben. Das hegt auf dem Gebiete der Tatsachenwürdigung und ist dem Angriffe der Revision entzogen. Übrigens hätte die Beklagte auch darlegen müssen, daß und warum es der Frau H. nicht möglich sei, sich durch den Gesellschafter G., mit dem sie einverstanden ist, oder durch den Geschäftsführer vertreten zu lassen." RGZ. 88, 278 ι. Unter welchen Umständen ist eine Willenserklärung wegen Irrtums über die rechtlichen Wirkungen des Rechtsgeschäfts gemäß § 119 BGB. anfechtbar? 2. Ist ein Bereicherungsanspruch gegen den Nachhypothekar begründet, wenn eine vorgehende Hypothek auf Grund einer Löschungserklärung gelöscht ist, der ein die Anfechtbarkeit nicht begründender Irrtum zugrunde liegt ? BGB. §§ 119,812. V . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 3. Juni 1916. I. Landgericht Elberfeld.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
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Auf einem dem Kläger gehörigen Grundstück in E. war an erster Stelle eine Hypothek von 16000 M. für die Firma F. Cl. Söhne, an zweiter Stelle eine Hypothek von 8000 M. für die Erblasserin der Beklagten, Witwe Tr., eingetragen. Am 28. September 1914 wurde an dritter Stelle, unter Bezugnahme auf eine von dem Eigentümer (dem Kläger) am 22. September 1914 ausgestellte Eintragungsbewilligung, eine Hypothek von 15000 M. für die Stadtgemeinde E. (Städtische Sparkasse) eingetragen. Am 17. Oktober 1914 wurde, nachdem 15000 M. von der Hypothek der Firma Cl. gelöscht waren, eingetragen, daß der Hypothek der Stadtgemeinde vor der Resthypothek Cl. von 1000 M. der Vorrang eingeräumt sei. Diese Löschung und diese Eintragung geschahen auf Grund einer am 1. Oktober 1914 ausgestellten, von der Firma Cl. und dem Kläger mit notarieller Beglaubigung unterzeichneten Privaturkunde folgenden Wortlauts: „Löschungsfähige Quittung und Vorrangseinräumung.^ Beim Königlichen Amtsgerichte zu E. stehen im Grundbuche von Elberfeld Land in Bd. 35 Bl. 1395 in Abt. I I I unter Nr. 3 auf dem Grundeigentum des zu E. wohnenden Gärtners W. Sch. zufolge der Schuldurkunde vom 6. Februar 1905 für die zu B. unter der Firma F. Cl. Söhne bestehende offene Handelsgesellschaft 16000 M. Darlehen nebst Zinsen eingetragen. Der unterzeichnete Vertreter der Gläubigerin quittiert hiermit über den Empfang eines von dem Grundstückseigentümer gezahlten Betrags von 15000 M. nebst Zinsen, überreicht die Schuldurkunde mit Hypothekenbrief und bewilligt die Löschung dieses gezahlten Betrags im Grundbuche auf Kosten des Eigentümers überall wo sie eingetragen ist. Sodann räumt derselbe einer in demselben Grundbuchblatt einzutragenden Hypothek für die Städtische Sparkasse zu E. in Höhe von 15000 M. nebst Zinsen den imbedingten Vorrang ein vor dem verbleibenden Reste von 1000 M. samt Zubehör und bewilligt die Eintragimg dieser Vorrangseinräumung gleichfalls auf Kosten des Grundstückseigentümers im Grundbuche. Der mitunterzeichnete Grundstückseigentümer beantragt die bewilligte Löschung des gezahlten Betrags im Grundbuche, stimmt der Vorrangseinräumung genehmigend zu und bittet um Übersendung der Benachrichtigungen an Justizrat Ch. zu E. E., den 1. Oktober 1914. (gez.) F. Cl. Söhne. (gez.) W. Sch." Der Kläger hat mit der Klage beantragt, die Beklagten zu verurteilen: in schriftlicher öffentlich beglaubigter Form darein zu willigen, daß entweder die auf dem Grundstücke des Klägers im Grundbuche von E. in Abt. III Nr. 3 eingetragene Hypothek, welche in Höhe von 15000 M. durch Zahlung Eigentümergrundschuld des Klägers geworden war, aber durch den auf Irrtum beruhenden und angefochtenen Antrag des Klägers gelöscht worden ist, als Eigentümergrundschuld des Klägers in Höhe von 21·
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15000 M. mit dem Range vor der in Abt. III Nr. 6 eingetragenen Hypothek von 8000 M. wiederhergestellt wird; oder daß der in Abt. III unter Nr. 7 zugunsten der Stadtgemeinde E. (Städtischen Sparkasse) eingetragenen Hypothek von 15000 M. der unbedingte Vorrang vor der zugunsten der Beklagten in Abt. III Nr. 6 eingetragenen Hypothek von 8000 M. zustehe. Die Vorinstanzen wiesen die Klage ab. Auf die Revision des Klägers ist das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache in die Berufungsinstanz zurückverwiesen worden. Aus den G r ü n d e n : 1. Der Kläger hat den Klaganspruch in erster Linie mit der Behauptung begründet, daß er bei Ausstellung der Urkunde vom 1. Oktober 1914 über den Inhalt der darin beurkundeten Erklärung im Irrtum gewesen sei oder eine Erklärung dieses Inhalts nicht habe abgeben wollen und daß er die Erklärung rechtzeitig und in gehöriger Form angefochten habe, woraus sich die Nichtigkeit der Erklärung ergebe, da anzunehmen sei, daß er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigimg des Falles nicht abgegeben haben würde (§§ 119, 142 BGB.). Der Berufungsrichter läßt dahingestellt, ob eine unverzügliche Anfechtung (§ 121) erfolgt sei. Er nimmt an, daß die Anfechtung nicht begründet war, da der Kläger sich nicht in einem nach § 119 beachtlichen Irrtum („Geschäftsirrtum") befunden habe. Er geht davon aus, daß die Urkunde nach Wortlaut und Zusammenhang keinen Zweifel darüber lasse, daß die beurkundete Erklärung auf Löschimg der 15000 M. gerichtet war und daß der Kläger sich nicht deutlich darüber geäußert habe, worin unter diesen Umständen eigentlich sein Irrtum bestanden haben solle. In der Berufungsbegründimg habe er gesagt, daß er seine der Sparkasse gegenüber übernommene Verpflichtung, ihr den ersten Rang einzuräumen, habe erfüllen wollen und daß er darüber belehrt worden sei, daß er diesen „Schritt" (soll offenbar „Zweck" heißen) durch die Erklärung vom 1. Oktober 1914 erreiche; die von ihm beabsichtigte Erklärung habe die unmittelbare Folge haben sollen, daß die Hypothek der Sparkasse den ersten Rang einnehme, eine Löschungserklärung schlechthin habe er nicht abgeben wollen. Ob seine Berater (der Notar und dessen Bureauvorsteher) das Vorhandensein der zweiten Hypothek übersehen und ihm deshalb die Löschungserklärung empfohlen hätten, komme (so habe der Kläger ausgeführt) nicht in Betracht, da es sich hier nicht um einen Irrtum seiner Berater, sondern um seinen eigenen Irrtum handle. Von den hier eingreifenden Grundbuchfragen, Eigentümergrundschuld usw. habe er nichts verstanden, sondern alles unterschrieben, wovon ihm der Notar sagte, daß hierdurch der von ihm erstrebte Zweck erreicht werde. Seine Löschungserklärung sei daher aus der unrichtigen Vorstellung hervorgegangen, daß das von ihm Erklärte die Übertragung des ersten Ranges auf die Hypothek der Sparkasse enthalte. Diese Ausführungen ließen — so meint der Berufimgsrichter — nicht klar erkennen, worin denn nun eigentlich der angebliche Irrtum des Klägers bestanden
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haben solle, insbesondere enthielten sie keine Äußerung, ob der Kläger gewußt habe, was in der von ihm unterschriebenen Urkunde stand. Es habe aber keiner Befragung in dieser Richtung bedurft; denn aus den Angaben des Klägers gehe schon so viel ohne weiteres hervor, daß sein Irrtum keinesfalls ein beachtlicher Irrtum im Sinne des § 119 gewesen sei. Wenn nämlich der Kläger die von ihm unterschriebene Urkunde nicht durchgelesen und sich auch gar keine Vorstellung davon gemacht haben sollte, was eigentlich in ihr stand, so sei eine Anfechtung schon deshalb ausgeschlossen, weil dann die Unterzeichnung im Bewußtsein der Unkenntnis des Inhalts der Erklärung erfolgt sei und also ein Irrtum über ihren Inhalt nicht in Frage kommen könne. Für diese Auffassung nimmt der Berufungsrichter auf die in RGZ. Bd. 62 S. 201 flg. (205) und Bd. 77 S. 309 (312) veröffentlichten Urteile des Reichsgerichts Bezug. Wenn aber der Kläger sich nach dem Inhalte der Urkunde erkundigt oder sich durch Durchlesen des Schriftstücks selbst darüber unterrichtet haben sollte, so könne ihm nicht verborgen geblieben sein, daß die Urkunde den Antrag auf Löschung der 15000 M. enthielt. Der Kläger behaupte selbst nicht, daß er „positiv geglaubt" habe oder daß ihm „positiv gesagt" worden sei, die Urkunde enthalte keinen Löschungsantrag; es sei auch ausgeschlossen, daß sein Irrtum in einer derartigen Annahme bestanden haben könne, denn die Urkunde enthalte einen klaren Löschungsantrag, und wenn wirklich die vom Kläger benannten Zeugen bekunden sollten, es sei ihm etwas anderes gesagt worden, so würde das Gericht ihnen keinen Glauben schenken können, weil eine pflichtwidrige Belehrung durch den Notar nicht angenommen werden könne. Wenn aber durch die Belehrung bei dem Kläger nur der Irrtum hervorgerufen worden sei, daß er durch das Unterschreiben der Urkunde den Zweck erreiche, der Sparkassenhypothek den ersten Rang zu verschaffen, so habe er allein über die Rechtsfolgen der beantragten Löschung geirrt, und dieser Irrtum sei unbeachtlich. Für diese Rechtsauffassung führt der Berufungsrichter die Urteile des Reichsgerichts in RGZ. Bd. 51 S. 281 (283), Bd. 57 S. 270 (273) und Bd. 76 S. 440 an. Er zieht aus seinen Ausführungen den Schluß, daß der Kläger seine Eigentümergrundschuld aufgegeben habe, ohne über den Inhalt seiner Erklärung zu irren. Der Revision kann zunächst nicht zugegeben werden, daß ein die Anfechtung begründender Irrtum unter allen Umständen vorliegen würde, wenn der Kläger, ebenso wie der Notar, bei Abgabe der Erklärung irrtümlich angenommen hätte, die CLsche Hypothek sei die einzige, die auf dem Grundstücke ruhe. In diesem Falle würde es sich vielmehr um einen bloßen Irrtum im Beweggrunde handeln, der nicht Bestandteil des Erklärungsinhalts geworden wäre. Einen solchen Irrtum hat aber der Kläger nicht behauptet. Das ergibt sich daraus, daß er ausgeführt hat, es komme darauf, ob seine Berater (der Notar und dessen Gehilfe) das Vorhandensein der Hypothek der Beklagten übersehen und ihm deshalb die Abgabe der Löschungserklärung angeraten hätten, nicht an, da es sich hier nicht um
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einen Irrtum seiner Berater, sondern um seinen eigenen Irrtum handle. Es wäre auch schwerlich anzunehmen, daß der Kläger, der in der notariellen Urkunde vom 3. März 1911 die Hypothek der Witwe Tr. selbst bestellt hatte, nicht gewußt haben sollte, daß diese Hypothek auf seinem Grundstücke lastete. Dagegen muß der Revision zugegeben werden, daß die Ausführungen des Berufungsrichters im übrigen nicht frei von Rechtsirrtum sind. Der Berufungsrichter unterstellt zunächst als Behauptung des Klägers, daß er die Urkunde, welche er unterzeichnete hat, nicht durchgelesen oder sich auf sonstige Weise von ihrem Inhalt überzeugt habe, und er meint, in diesem Falle wäre eine Anfechtung wegen Irrtums von vornherein ausgeschlossen, weil die Unterzeichnung dann im Bewußtsein von der Nichtkenntnis ihres Inhalts erfolgt sein würde. Richtig ist, daß eine unbewußte Nichtübereinstimmung des Willens mit der Erklärung, wie sie § 119 voraussetzt, nicht vorliegt, wenn der Erklärende im Bewußtsein, daß er den Inhalt der Erklärimg nicht kenne, sie dennoch unter allen Umständen, ohne Rücksicht auf ihren Inhalt, als seine Erklärung gelten lassen will. Das, und nicht mehr, ist in den vom Berufungsrichter angeführten Urteilen des Reichsgerichts (RGZ. Bd. 62 S. 205 und Bd. 77 S. 312) gesagt. Vgl. auch Rep. V. 262/08, Urteil vom 24. Februar 1909 (Jur. Wochenschr. 1909 S. 214 Nr. 1) und Rep. VI 533/09, Urteil vom 2. Juni 1910 (Warneyer 1911 Nr. 429). Die Urteile betonen aber ausdrücklich, daß dieser Grundsatz nicht zutrifft, wenn jemand eine Urkunde, ohne sie zu lesen, unterzeichnet in der Meinung, sie gebe die vorausgegangenen Vertragsverabredungen wieder, oder wenn er sich sonst eine unrichtige Vorstellung von dem Inhalte der Urkunde macht. Nur ein Fall letzterer Art kann nach den vom Berufungsrichter festgestellten Behauptungen des Klägers hier vorliegen. Allerdings unterstellt der Berufungsrichter als Behauptung des Klägers auch, daß dieser sich über den Inhalt der Urkunde überhaupt keine Vorstellung gemacht habe. Aber diese Unterstellung wird den festgestellten Behauptungen des Klägers nicht gerecht. Diese gingen dahin, daß seine Löschungserklärung aus der unrichtigen Vorstellung hervorgegangen sei, daß das von ihm Erklärte die Übertragung des ersten Ranges auf die Hypothek der Sparkasse enthalte. Darin liegt die Behauptung, daß er sich über den Inhalt der Urkunde eine unrichtige Vorstellung gemacht habe, eine Behauptung, die mit der Unterstellung, daß er die Urkunde im Bewußtsein von der Nichtkenntnis ihres Inhalts unterzeichnet habe, im Widerspruche steht. Aber auch die Annahme des Berufungsrichters, daß nach Maßgabe der Behauptungen des Klägers ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung nicht vorliegen könne, wenn man unterstelle, er habe die Urkunde durchgelesen oder sich durch Erkundigungen darüber unterrichtet, daß sie einen Löschungsantrag enthalte, erweist sich als nicht frei von Rechtsirrtum. Der Berufungsrichter verneint für diesen Fall die Möglichkeit eines solchen Irrtums, weil die Urkunde einen „klaren Löschungsantrag" enthalte und
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der Kläger nicht behaupte, daß er „positiv" geglaubt habe oder daß ihm „positiv" gesagt worden sei, die Urkunde enthalte keinen Löschungsantrag. Der Umstand aber, daß der Kläger (wie hier zu unterstellen) gewußt hat, daß die Urkunde unter anderem auch die Worte enthielt, er beantrage die Löschung der Hypothek, würde der Annahme nicht entgegenstehen, daß er sich über die rechtliche Bedeutung des in ihr beurkundeten Rechtsgeschäfts und damit über den Inhalt seiner Erklärung im Irrtum befunden habe. Einen solchen Irrtum hatte der Kläger behauptet, indem er aufstellte, er habe geglaubt, daß das von ihm Erklärte die Übertragung des Ranges der ersten Hypothek auf die Hypothek der Sparkasse „enthalte". Wenn er zur Erläuterimg hinzugefügt hat, er habe von den hier eingreifenden grundbuchrechtlichen Fragen, wie Eigentümergrundschuld usw. nichts verstanden und alles unterzeichnet, wovon ihm der Notar sagte, daß hierdurch der von ihm erstrebte „Zweck" erreicht werde, so zieht der Berufungsrichter mit Unrecht daraus den Schluß, daß dieser Irrtum um deswillen unbeachtlich sei, weil er die Rechtsfolgen der beantragten Löschung betroffen haben würde. Der Begriff der Rechtsfolgen und seine Bedeutung für die Irrtumsanfechtung ist in der Rechtslehre Gegenstand lebhaften Streites (vgl. besonders Henle, Irrtum über die Rechtsfolgen, in der Festgabe für Krüger). Von einigen (Danz in Iherings Jahrbüchern Bd. 46 S. 430flg.; O e r t m a n n in Seufferts Blättern Bd. 67 S. 29; T i t z e , Mißverständnis S. 443 bes. 455flg.) wird gelehrt, daß die Rechtsfolgen grundsätzlich zu dem Inhalte der Erklärung gehören. Diese Auffassung geht jedenfalls zu weit. Anzuerkennen ist aber, daß auch ein Irrtum über den mit einer Willenserklärung zu erzielenden rechtlichen Erfolg ein Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung sein kann. Die wesentliche Bedeutung einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung besteht gerade darin, daß durch sie die Begründung, Veränderung oder Aufhebung von Rechten, also ein rechtlicher Erfolg, erstrebt wird. Bildet dieser Erfolg einen Bestandteil des erklärten rechtsgeschäftlichen Tatbestandes, so gehört er zum Inhalte der Erklärung. Ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung liegt daher vor, wenn infolge Verkennung oder Unkenntnis seiner rechtlichen Bedeutung ein Rechtsgeschäft erklärt ist, das nicht die mit seiner Vornahme erstrebte, sondern eine davon wesentlich verschiedene Rechtswirkung, die nicht gewollt ist, hervorbringt, nicht dagegen, wenn ein rechtsirrtumfrei erklärtes und gewolltes Rechtsgeschäft außer der mit seiner Vornahme erstrebten Rechtswirkung noch andere, nicht erkannte und nicht gewollte Rechtswirkungen hervorbringt (vgl. E n n e c c e r u s , Lehrbuch des bürgerlichen Rechtes Bd. 1 §157 I lc.; P l a n c k - F l a d , Komm, zum BGB. 4. Aufl. zu § 119 Bern. V 4b S. 289; B i e r m a n n , Bürgerl. Recht § 69, la [der zwischen der „unmittelbaren oder Hauptwirkung" und den mittelbaren oder Nebenwirkungen eines Rechtsgeschäfts unterscheidet]; D ü r i n g e r - H a c h e n b u r g , Handelsgesetzbuch Bd. 2 S. 111 Anm. 168 [wo gelehrt wird, daß nur der Irrtum über die ergänzend eintretenden Vorschriften des Gesetzes, ζ. B. über die Tragung der Kaufkosten, nicht
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beachtlich sei]; Cosack Lehrbuch, I § 65 V 5 [Irrtum beachtlich, wenn er der Kaufvereinbarung einen anderen Sinn gibt]; auch Komm, von Reichsgerichtsräten zu § 119 Anm. 3 [wo zwischen den „eigentlichen" Folgen eines Rechtsgeschäfts und den „bloßen wirtschaftlichen oder bloßen Rechtsfolgen" unterschieden wird]. In den von dem Berufimgsrichter angeführten Urteilen des Reichsgerichts standen lediglich Irrtümer über Rechtsfolgen in letzterem Sinne, nämlich unrichtige Vorstellungen über einzelne rechtliche Wirkungen, welche sich aus einem irrtumsfrei erklärten und gewollten Rechtsgeschäfte bestimmter Art ergaben, in Frage. So in RGZ. Bd. 51 S. 281 die Wirkung eines nach § 17 KO. vom Konkursverwalter gestellten Erfüllungsverlangens auf seine Verpflichtung zur Bezahlung der bereits erfolgten Lieferungen; in RGZ. Bd. 57 S. 273 die Wirkung der Übernahme einer selbstschuldnerischen Bürgschaft für Verpflichtungen aus einem Zwangsvergleich auf die Verpflichtung zur Gewährung der Zwangsvergleichsrate für eine einzelne, im Zwangsvergleichstermine bestrittene Konkursforderung; in RGZ. Bd. 76 S. 440 die Wirkung des Eintritts als persönlich haftender Gesellschafter auf die Verpflichtung zur Zahlung der Geschäftsschulden. Diese Urteile stehen daher der hier vertretenen Auffassung nicht entgegen. Anderseits hat aber das Reichsgericht wiederholt anerkannt, daß auch ein Irrtum im Beweggrunde beachtlich sei, wenn er sich auf einen Bestandteil des rechtsgeschäftlichen Tatbestandes, nicht nur auf Umstände beziehe, die außerhalb des Rahmens der Erklärung liegen (vgl. RGZ. Bd. 75 S. 272; ferner Rep. VII. 394/02, Urteil vom 9. Januar 1903, in Jur. Wochenschr. Beil. S. 40 Nr. 84). Ob ein solcher Irrtum ein tatsächlicher oder ein Rechtsirrtum ist, kann einen Unterschied nicht begründen, da das Gesetz einen derartigen Unterschied nicht macht (vgl. Mot. zum I. Entwurf des BGB. I S. 281; Prot, der II. Komm. II S. 188; vgl. auch RGZ. Bd. 70 S. 394). Im vorliegenden Falle bestand die rechtsgeschäftliche Willenserklärung des Klägers keineswegs lediglich oder auch nur wesentlich in demjenigen, was nach der Feststellung des Berufungsrichters der Kläger bei dem Durchlesen als Inhalt der Urkunde erkannt haben muß, nämlich in dem Antrage auf Löschung der Cl.schen Hypothek. Dieser Antrag in Verbindung mit der Löschungsbewilligung der Firma Cl. genügte allerdings formell gemäß § 27 GBO. zur Löschung der Cl.schen Hypothek im Grundbuche. Durch die Auszahlung dieser Hypothek im Betrage von 15000 M. war aber gemäß §1163 Abs. 1 Satz 2 BGB. eine Eigentümcrgrundschuld des Klägers entstanden. Zur Aufhebung dieser Eigentümergrundschuld bedurfte es außer der Löschung nach § 875 BGB. noch der gegenüber dem Grundbuchamt oder demjenigen, zu dessen Gunsten sie erfolgte, abzugebenden Erklärung des Klägers, daß er die Eigentümergrundschuld aufgebe. Nur insofern diese Erklärung als in dem Antrag auf Löschung stillschweigend mitenthalten erblickt werden kann, ist die Eigentümerhypothek des Klägers erloschen und das Vorrücken der Beklagten mit ihrer Hypothek eingetreten. Gerade diese Erklärung aber hat der Kläger, wenn seine Behauptungen
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sich als richtig erweisen, nicht abgeben wollen und sie nur deshalb abgegeben, weil er sich über die rechtliche Bedeutung dessen, was er erklärte, in einem Irrtum befand. Ein solcher Irrtum würde zweifellos ein Irrtum über den Inhalt der Willenserklärung sein. Schließlich soll noch darauf hingewiesen werden, daß in der Urkunde vom 1. Oktober 1914 im Texte und in der Überschrift auch von einer „Vorrangsemräumung' zugunsten der Hypothek der Sparkasse die Rede ist und daß der Irrtum des Klägers auch darin bestanden haben kann, daß er geglaubt hat, diese Vorrangseinräumung enthalte die Verschaffimg des ersten Ranges fur die Hypothek der Sparkasse. 2. Muß sonach die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisimg der Sache an das Berufungsgericht erfolgen, so wird bei der anderweiten Verhandlung und Entscheidimg festzustellen sein, ob die Anfechtung rechtzeitig und in gehöriger Form, insbesondere gegenüber den richtigen Anfechtungsgegnern (§ 143 BGB.), erfolgt und die Erklärung dadurch nichtig geworden ist. Gelangt der Berufungsrichter alsdann zur Bejahung dieser Frage, so würde sich erweisen, daß das Grundbuch durch die Löschung der Cl.schen Hypothek ohne Eintragung der Eigentümergrundschuld des Klägers unrichtig geworden und deshalb ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagten auf Berichtigung des Grundbuchs gemäß § 894 BGB. begründet ist. Ein solcher Anspruch ist in dem Antrage des Klägers auf Einwilligung der Beklagten in die „Wiederherstellung" der zu Unrecht gelöschten Eigentümergrundschuld des Klägers zu finden. Erweist sich dagegen die Erklärung vom 1. Oktober 1914 nicht als nichtig, so ist auch nicht (wie der Kläger hilfsweise geltend gemacht hat) ein Bereicherungsanspruch aus § 812 flg. BGB. für ihn begründet. Der Berufimgsrichter führt in dieser Beziehung ohne Rechtsirrtum unter zutreffender Bezugnahme auf das Urteil des Reichsgerichts in RGZ. Bd. 69 S. 246 aus, daß in diesem Falle die Beklagten den Vorteil des Aufriickens ihrer Hypothek nicht ohne rechtlichen Grund erlangt haben würden." . . . RGZ. 88, 370 Vermutung der Vollständigkeit der über ein Rechtsgeschäft errichteten Urkunde. Behauptung, daß eine in den Verhandlungen getroffene Abrede in die Vertragsurkunde nur deshalb nicht mit ausdrücklichen Worten aufgenommen sei, weil sie sich aus den aufgenommenen Bestimmungen als selbstverständlich ergebe. BGB. § 133. II. Zivilsenat. Urt. v. 4. Juli 1916. I. Landgericht Leipzig, Kammer für Handels sachen. II. Oberlandesgericht Dresden
Der Kläger hat von der Beklagten laut Schlußbrief vom 16. Juli 1914 15000 ZollpfGnd Strumpfkops, zu liefern von Anfang November bis Ende
330 Januar 1915 gekauft und hat auf diesen Vertrag je 4000 Pfund zur Lieferung Anfang November und Anfang Dezember abgerufen. Die Beklagte lehnte in ihrer Antwort vom 20. Oktober die Lieferung ab, weil es sich um Ware aus neuer Ernte handle und diese nicht hereinkomme, die Lieferung also bis zur Wiederkehr geordneter Verhältnisse unmöglich sei. Aus der Lieferzeit und dem Preise ergebe sich ohne weiteres, daß der Verkauf nur Garn aus der neuen Ernte zum Gegenstande habe; das sei auch in den Vorverhandlungen ausdrücklich besprochen worden. Der Kläger will dies nicht gelten lassen. Er behauptet, er habe nur Ware bestimmter Beschaffenheit, nicht bestimmter Ernte gekauft. Lieferung aus alter Ernte sei jedenfalls möglich gewesen. Der Kläger klagte zunächst auf Lieferung; während des Prozesses ging er zum Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung über. Beide Vorinstanzen erkannten zu seinen Gunsten. Auf die Revision der Beklagten ist das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben worden. Aus den G r ü n d e n : . . . „In der Sache selbst beruht das angefochtene Urteil auf dem Ausspruche, daß die verkaufte Ware in dem streitigen Vertrage der Gattung nach nur als 12er bis 30er Strumpfkops, nicht aber als solcher Strumpfkops aus neuer Ernte bestimmt ist. Es konnte nicht aufrechterhalten werden, weil dieser Ausspruch nach dem Inhalte der Gründe durch irrtümliche Anwendung materiellen Rechtes beeinf lußt zu sein scheint. Die Beklagte hatte geltend gemacht, daß nach dem Inhalte der Verhandlungen, die mit der Einigung der Parteien endeten, ein Kaufabschluß über Ware neuer Ernte gewollt sei und daß dieser Wille für den Fachkundigen auch aus den Bestimmungen des Schlußbriefs über die Preise und Lieferzeiten hervorgehe. Demgegenüber stützt sich das Berufungsgericht vor allem darauf, daß der Schlußbrief die zu liefernde Warengattung nur der Beschaffenheit nach, nicht aber durch Benennung der Ernte, aus der der Rohstoff stammen sollte, bestimmt. Da nun, so wird ausgeführt, die Beklagte ersichtlich bestrebt gewesen sei, in dem Schlußbrief alle wesentlichen Vertragspunkte zu berücksichtigen, so sei das Fehlen einer Benennung der zu verarbeitenden Ernte bedeutsam dafür, daß die Parteien hierüber vertraglich nichts hätten festsetzen wollen, wenn auch früher ausdrücklich Garn aus neuer Ernte angeboten sein möge. Danach scheint das Berufungsgericht die für den Prozeß in erster Linie entscheidende Streitfrage rechtlich dahin zu beurteilen, daß die den Vertragsinhalt feststellende Urkunde eine Bestimmung über die Ernte nicht, auch nicht implicite, enthalte, daß es sich darum handle, ob eine solche Abrede neben dem Inhalte des Schlußbriefs gültig bestehe, und daß also von der in der Rechtsprechung anerkannten Vermutung der Vollständigkeit der über ein Rechtsgeschäft errichteten Urkunde auszugehen sei. Das ist eine unrichtige Anwendung eines an sich unzweifelhaft feststehenden Rechtsgrundsatzes. Denn es ist etwas Verschiedenes, ob eine in den Verhandlungen
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vereinbarte Abrede in der Vertragsurkunde fortgelassen wird, oder ob sie nur deswegen nicht mit besonderen, ausdrücklichen Worten aufgenommen wird, weil sie sich für die Vertragschließenden aus den aufgenommenen Bestimmungen als selbstverständlich ergibt und somit implicite in der Urkunde enthalten ist. Das letzte ist eine reine Frage der Auslegung; es ist von der Beklagten behauptet, und hierauf hätte die Prüfung der Vorinstanz gerichtet werden müssen. Da dies nicht geschehen, sondern das Berufungsgericht bei seiner Prüfung von einem rechtlich unrichtigen Ausgangspunkt ausgegangen ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben werden. Bei der abermaligen Prüfung wird zu berücksichtigen sein, daß die Beklagte ihrer Behauptung nach dem Kläger ausdrücklich Kops neuer Ernte — daneben auch Kops alter Ernte zu höherem Preise — angeboten hat und daß der Kauf durch Annahme des billigeren Angebots zustande gekommen sein soll. Es ist dann nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB. zu beurteilen, ob die Parteien einen Kauf über Kops neuer Ernte haben abschließen wollen und ob in dem maßgeblichen Schlußbriefe, mit Rücksicht auf die im Garnhandel übliche Ausdrucksweise, über die die Handelskammer von Chemnitz sich ausspricht, sowie mit Rücksicht auf die Gesamtheit der Umstände, unter denen der Schlußbrief verfaßt ist, ein erkennbarer Ausdruck dieses Willens zu finden ist." . . . RGZ. 88, 412 Unter welchen Voraussetzungen k a n n ein M i t b ü r g e die N i c h tigkeit der Bürgschaft eines anderen M i t b ü r g e n g e m ä ß § 139 BGB. d e m Gläubiger gegenüber geltend m a c h e n ? BGB. § 139. VI. Z i v i l s e n a t . I. Landgericht Kiel.
Urt. v. 28. September 1916. II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Witwe K. Fr., über deren Vermögen das Konkursverfahren eröffnet ist, schuldet der Klägerin ein Restkaufgeld von 35000 M. nebst Zinsen. Für diese Schuld haben mehrere Personen, darunter die Beklagte zu 6 sowie deren Tochter, Frau G. Fr., „die selbstschuldnerische Bürgschaft als Gesamtschuldner" übernommen. Die sämtlichen Bürgen mit Ausnahme der Frau G. Fr. sind auf Zahlung des Betrags von 35000 M. nebst Zinsen verklagt worden. Die Beklagte zu 6 machte geltend, daß ihre Tochter, die Mitbürgin Frau G. Fr., zur Zeit der Übernahme der Bürgschaft noch minderjährig gewesen sei, daß demnach die Bürgschaft mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung nichtig und deshalb auch ihre, der Beklagten zu 6, Bürgschaftsübernahme unverbindlich sei. Das Landgericht in Kiel verurteilte die Beklagte zu 6 klaggemäß, während auf ihre Berufung das Oberlandesgericht in Kiel die Klage abwies. Auf die Revision der Klägerin wurde das Berufungsurteil aufgehoben.
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332 Aus den G r ü n d e n :
„Das Berufungsgericht geht davon aus, daß, weil die Bürgschaftserklärung der Frau G. Fr., die zur Zeit ihrer Bürgschaftsübernahme minderjährig gewesen, gemäß §§ 1822, 1643, 1686 BGB. mangels vormundschaftsgerichtlicher Genehmigung der Rechtsgültigkeit entbehre, auch die von der Beklagten übernommene Bürgschaft gemäß § 139 BGB. als nichtig zu erachten sei. Denn es handle sich hier um ein einheitliches, aus mehreren Teilen zusammengesetztes Rechtsgeschäft, dessen Zusammenhang auf dem Willen der Beteiligten, und zwar auf dem zum Ausdruck gekommenen Willen der Vertragsparteien beruhe. In dieser Hinsicht sei erwiesen, daß die Beklagte in erklärter Übereinstimmung mit ihrer Tochter, der Frau G. Fr., zugleich mit dieser die Bürgschaft übernommen habe. . . . Demnach könne die Beklagte sich mit Recht der Klägerin gegenüber auf die Nichtigkeit auch ihrer Bürgschaft berufen. Diese Ausführungen geben nach mehrfacher Richtung zu rechtlichen Bedenken Anlaß. 1. Es muß schon als nicht unbedenklich bezeichnet werden, in einem Falle wie dem vorliegenden den § 139 BGB. überhaupt zur Anwendung zu bringen. Nach seinem Wortlaute bezieht er sich auf solche Fälle, in denen ein Teil eines Rechtsgeschäfts nichtig ist. Diese Worte sind zwar von der Praxis so ausgelegt worden, daß auch dann, wenn mehrere Personen auf der einen oder anderen Seite an einem Rechtsgeschäfte beteiligt sind oder wenn ein wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen mehreren Rechtsgeschäften besteht, vermöge dessen die dadurch beabsichtigte Vermögensverschiebung als ein zusammenhängender Gesamtvorgang gewollt ist (RGZ. Bd. 78 S. 41, insbesondere 43), diese zu einer Einheit zusammengefaßtcn Rechtsgeschäfte der Vorschrift des § 139 BGB. unterliegen können. Im vorliegenden Falle haben mehrere Personen in einer Urkunde die selbstschuldnerische Bürgschaft für eine Schuld übernommen. Jede dieser Bürgschaften stellt rechtlich und wirtschaftlich im Verhältnis des Gläubigers zum Bürgen ein selbständiges Rechtsgeschäft dar. Die Verbürgung mehrerer Personen für dieselbe Schuld erzeugt, gleichviel, ob die Bürgschaft gemeinschaftlich übernommen wird oder nicht, gemäß § 769 BGB. ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne der §§ 421 flg. BGB. Daraus ergibt sich, daß die Haftbarkeit des einen der mehreren Gesamtschuldner ganz unabhängig davon ist, ob einem anderen von diesen Schuldnern gegenüber dem Anspruch ein Einwand oder eine Einrede zusteht. Denn der Gläubiger kann die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Gesamtschuldner ganz oder zu einem Teile fordern. Hiernach ist an und für sich in solchem Falle für eine Anwendimg des § 139 BGB. gar kein Raum, da dieser voraussetzt, daß der nichtige Teil des Rechtsgeschäfts für den von der Nichtigkeit nicht betroffenen Teil irgendwie von rechtlichem Einfluß ist. Dementsprechend hat auch das Reichsgericht (RGZ. Bd. 59 S. 174) die Anwendbarkeit des § 139 BGB. in einem Falle verneint, in welchem Eheleute gemeinschaftlich einen Grundstückskauf abgeschlossen hatten, der auf
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Seiten der Eheleute ein Gesamtschuldverhältnis im Sinne der §§ 421 flg. BGB. begründete, obwohl der Vertrag dem Ehemanne gegenüber wegen dessen Geisteskrankheit bei Abschluß des Geschäfts nichtig war (a. a. O. S. 176). Im Einklänge hiermit hat das Reichsgericht in der einen stempelrechtlichen Fall behandelnden Entscheidung Bd. 77 S. 54 (s. insbesondere S. 55) ausgesprochen, daß die Verpflichtung eines jeden Bürgen von der des Mitbürgen unabhängig ist und daß die Bürgschaftserklärung von jedem Bürgen selbständig abgegeben wird und ein selbständiges Rechtsgeschäft bildet, woran auch dadurch nichts geändert wird, daß die Erklärung der mehreren Mitbürgen sich auf dieselbe Hauptverbindlichkeit bezieht. 2. Es kann aber hier dahingestellt bleiben, ob nicht in besonders gearteten Fällen und insbesondere im vorliegenden Falle auf Grund besonderer Vereinbarung auch die Verbürgung mehrerer Mitbürgen als ein einheitliches Rechtsgeschäft im Sinne des § 139 BGB. aufgefaßt werden kann. Denn wenn man dies auch bejahen wollte, so sind doch die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht ausreichend, um die Anwendbarkeit jener Vorschrift im vorliegenden Falle zu rechtfertigen. Das Berufungsgericht hat sich in dieser Hinsicht auf folgende Feststellungen beschränkt: „Die Annahme des Zusammenhanges der Bürgschaftserklärung der Beklagten mit derjenigen der Tochter entspricht auch durchaus den Erfahrungen des Lebens, denn es liegt auf der Hand, daß, wenn ein weiterer Bürge der Bürgschaftserklärung eines solventen Bürgen hinzutritt, er es tut mit Rücksicht darauf, daß schon ein Bürge vorhanden ist. . . . Dieser Zusammenhang war auch der Klägerin gegenüber erkennbar von der Beklagten zum Ausdruck gebracht. Die Klägerin erhielt die einheitliche Bürgschaftsurkunde, sie ersah aus ihr, daß die Beklagte als letzte nach den Fr.schen Familienmitgliedern und der Tochter der Beklagten unterzeichnet hatte, für sie war somit erkennbar, daß die Beklagte nur als Mitbürgin im Zusammenhange mit den übrigen Bürgen die Verpflichtung übernehmen wollte. Dem stimmte die Klägerin durch Entgegennahme des Bürgschaftscheines zu." Die Folgerimg des Berufungsgerichts, aus dem Umstände allein, daß die Beklagte als letzte nach den Fr.schen Familienmitgliedern und nach ihrer Tochter die Bürgschaftsurkunde unterzeichnet habe, hätte die Klägerin entnehmen können, daß die Beklagte nur als Mitbürgin im Zusammenhange mit den übrigen Bürgen ihre Bürgschaftsverpflichtung übernehmen wollte, entbehrt der Schlüssigkeit. Denn der zufallige Umstand, an welcher Stelle sich die Unterschrift der Beklagten befand, kann unmöglich dafür entscheidend sein, in welcher Absicht und mit welchem Vorbehalt sie die Bürgschaftserklärung abgegeben hat und abgeben wollte. Die Annahme des Berufungsgerichts ist aber um so bedenklicher, als die Bürgschaftsurkunde lediglich in Abschrift, nicht aber in der Urschrift vorliegt, so daß nicht einmal feststeht, an welcher Stelle der Urkunde sich in Wirklichkeit die Unterschrift der Beklagten befindet. Hat also die Beklagte der Klägerin
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gegenüber nicht erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß sie sich nur unter der Voraussetzung und unter dem Vorbehalt verbürgen wolle, daß zugleich ihre Tochter, Frau G. Fr., eine rechtsverbindliche Bürgschaftserklärung abgebe, so kann sie sich auch auf diese ihre innere Absicht nicht mit Erfolg berufen, um die Anwendbarkeit des § 139 BGB. für sich in Anspruch zu nehmen. Nach dem Wortlaute der Bürgschaftsurkunde hat die Beklagte mit den anderen Beklagten und ihrer Tochter die selbstschuldnerische Bürgschaft für die fragliche Schuld übernommen. Die Klägerin konnte aus dieser Urkunde nicht entnehmen, daß die Beklagte aus ihrer Bürgschaft nur dann haften wollte, wenn auch ihre Tochter als Bürgin in Anspruch genommen werden könne. Denn die Übernahme der selbstschuldnerischen Bürgschaft gibt gerade dem Gläubiger das Recht, jeden Bürgen beliebig als Selbstschuldner auf die ganze Schuldsumme und ohne Rücksicht darauf in Anspruch zu nehmen, ob auch noch andere Bürgen haftbar sind oder nicht. Es ist freilich möglich, daß mehrere Personen gemeinschaftlich eine Bürgschaft mit der ausdrücklichen Vereinbarung übernehmen, diese solle nur dann wirksam sein, wenn die mehreren Mitbürgen sämtlich aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden können. Eine derartige Vereinbarung muß aber selbstverständlich, um dem Gläubiger gegenüber Wirkimg zu haben, zwischen diesem und den Bürgen getroffen werden. Sie ist auch, wie im Gegensatze zum Berufungsgericht angenommen werden muß, selbst dann stets erforderlich, wenn jemand für eine Schuld als selbstschuldnerischer Bürge eintritt, für die bereits ein Bürge vorhanden war. Denn gerade die Tatsache, daß der Gläubiger neben einem bereits vorhandenen Bürgen noch die selbstschuldnerische Bürgschaft eines weiteren Bürgen fordert, läßt deutlich erkennen, daß er die Sicherheit, die ihm die Bürgschaft des einen Bürgen gewährt, nicht für ausreichend erachtet und deshalb die ihm durch die erste Bürgschaft verschaffte Sicherheit noch durch die Bürgschaftsübernahme seitens eines zweiten Bürgen verstärkt wissen will. Diesem Zwecke einer Verstärkung der Sicherheit durch die Bürgschaftsübernahme seitens mehrerer Personen würde es geradezu zuwiderlaufen, wenn eine zweite und spätere Verbürgimg nur als mit dem Vorbehalt abgegeben zu behandeln wäre, daß auch der erste Bürge hafte. Bei dem Vorliegen von mehreren selbstschuldnerischen Bürgschaften, die den Zweck haben, jeden der Mitbürgen für die ganze Schuld nach Belieben in Anspruch nehmen zu können, ist eine solche Annahme vom Standpunkte des Gläubigers aus geradezu ausgeschlossen. Eine derartige Auslegung eines Vertrags, durch welchen sich mehrere Mitbürgen verpflichtet haben, würde der Vorschrift des § 157 BGB. zuwiderlaufen. Denn, wie das Reichsgericht gerade mit Bezug auf einen Fall des § 139 BGB. bereits in RGZ. Bd. 79 S. 434, insbesondere 438 hervorgehoben hat, „darf ein abgeschlossener Vertrag nicht nach den einseitigen Interessen und dem bloß inneren Willen der einen oder der anderen Partei ausgelegt werden, sondern er ist unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und ihres erklärten
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Vertragswillens mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gemäß § 157 BGB. auszulegen." Gegen diesen Grundsatz verstößt aber das Berufungsgericht, wenn es aus denjenigen Vorgängen, die sich bei der in Abwesenheit der Klägerin und ohne ihr Vorwissen vollzogenen Unterschrift der Beklagten unter die Bürgschaftsurkunde abgespielt haben, und aus dem bloßen Umstände, daß die Unterschrift der Beklagten sich an letzter Stelle der Urkunde befindet, den Schluß herleitet, daß die Beklagte in einer auch der Klägerin erkennbaren Weise sich nur dann habe verbürgen wollen, wenn auch ihre minderjährige Tochter, Frau G. Fr., aus der Bürgschaft in Anspruch genommen werden könne. Somit unterliegt das angefochtene Urteil wegen Verletzung der §§ 139, 157 der Aufhebung." . . . RGZ. 90, 273 ι. Ist eine Abtretung wirksam, wenn der Abtretende berechtigt bleiben soll, im eigenen Namen die Forderung einzuziehen ? 2. Kann der Gläubiger einer Briefhypothek, der eine privatschriftliche Urkunde über Abtretung der Hypothek und den Hypothekenbrief dem Zessionar ausgehändigt hat, sich einem dritten Erwerber gegenüber darauf berufen, daß er in Wirklichkeit nicht die Hypothek dem Zessionar übereignet habe ? BGB. §§ 117, 171, 172, 405, 409. V. Zivilsenat. Urt. v. 23. Mai 1917. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 90, 335 1. Wird der Erwerb eines auf einem Grundstück eingetragenen Rechtes, der gegen ein Veräußerungsverbot verstößt, durch die Regeln vom guten Glauben auch dann geschützt, wenn der Erwerb im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt ? 2. Tritt ein im Wege einer einstweiligen Verfügung erlassenes, eine Briefhypothek betreffendes Veräußerungsverbot erst dann in Wirkung, wenn der durch das Verbot Begünstigte den Besitz des Hypothekenbriefs erlangt hat ? BGB. §§ 135, 136, 892. ZPO. § 938. V. Zivilsenat. Urt. v. 20. Juni 1917. I. Landgericht Bonn.
I I . Oberlandesgericht Köln.
Durch notarielle Akte vom 1. Juni 1913 und 16. August 1914 übertrug der Fabrikant B. verschiedene Vermögensstücke, darunter drei auf dem Grundstücke des K. eingetragene Briefhypotheken von zusammen 13000 M.
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an seine Frau. Der beklagte Zollfiskus focht wegen Steuerhinterziehungen des B. die Vermögensübertragungen an und erwirkte am 26. Januar 1915 eine einstweilige Verfügung, durch die der Ehefrau B. verboten wurde, über die ihr übertragenen Vermögensstücke durch Veräußerung oder in anderer Weise zu verfugen. Frau B. erhob dagegen (in einem Nebenprozesse) Widerspruch, aber durch Urteil vom 9. Juli 1915 wurde die einstweilige Verfügung aufrechterhalten. B. verschuldete der Klägerin für Miete und Verpflegung in ihrem Hotel Mitte September 1914 mehr als 20000 M. Die Klägerin erwirkte gegen Frau B., die sich zur Zahlung der Schuld verpflichtet haben sollte, über einen Teil der Schuld von 13000 M. am 20. Oktober 1915 ein Anerkenntnisurteil und am 18. Dezember 1915 auf Grund dieses Urteils einen Beschluß, durch den die vorbezeichneten drei Hypotheken für sie gepfändet und ihr zur Einziehimg überwiesen wurden. Der Hypothekenschuldner K. aber lehnte die Auszahlung der Hypotheken mit Rücksicht auf das vom Beklagten gegen Frau B. erlassene Verfügungsverbot ab. Mit der Klage verlangte die Klägerin Verurteilimg des Beklagten zur Einwilligung, daß sie die drei Hypotheken von dem Schuldner K. einziehe. Sie machte in erster Linie geltend, es seien ihr durch Schreiben vom 17. September 1914 und Übergabe der drei Hypothekenbriefe schon damals die Hypotheken rechtswirksam abgetreten worden. In zweiter Linie berief sie sich auf die von ihr erwirkte Pfandimg und Überweisung der Hypotheken und erklärte das Verfügungsverbot ihr gegenüber für nicht wirksam, weil die einstweilige Verfügung weder im Grundbuch eingetragen noch ihr bekannt gewesen sei. Der Beklagte erhob Widerklage mit dem Antrage, festzustellen, daß das von der Klägerin am 18. Dezember 1915 erworbene Pfändungspfandrecht ihm gegenüber unwirksam und unzulässig sei. Er stellte in Abrede, daß in dem Schreiben vom 17. September 1914 eine Abtretung der Hypotheken enthalten sei, und erachtete die Pfändung wegen Verstoßes gegen das durch die einstweilige Verfügung vom 26. Januar 1915 ausgesprochene Verfügungsverbot für unzulässig. Der erste Richter verurteilte den Beklagten nach dem Klagantrag und wies die Widerklage ab. Auf die Berufung des Beklagten wurde dagegen vom Berufungsrichter die Klage abgewiesen und nach dem Widerklagantrag erkannt. Der Revision der Klägerin wurde stattgegeben und die Sache an das Berufimgsgericht zurückverwiesen. Aus den G r ü n d e n : (Es wird zunächst dargelegt, daß die Ausführungen, mit denen der Berufungsrichter verneint, daß in dem Schreiben vom 17. September 1914 eine Abtretungserklärung für die drei Hypotheken enthalten sei, zu beanstanden seien. Sodann wird fortgefahren: „Der Berufungsrichter erachtet von seiner Annahme aus, daß der Erwerb der drei Hypotheken für die Klägerin am 17. September 1914 durch Abtretung nicht dargetan sei, die Klage auf Einwilligung in die Ein-
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ziehung der Hypotheken durch die Klägerin auch insoweit, als sie auf die von der Klägerin am 18. Dezember 1915 erwirkte Pfändung und Überweisung der Hypotheken gestützt ist, für unbegründet und die Widerklage auf Feststellung, daß die von der Klägerin erwirkte Pfändung der Hypotheken unzulässig sei, für gerechtfertigt; denn es sei der Ehefrau B., der Gläubigerin der Hypotheken, bereits vor der Pfändung durch die vom Beklagten am 26. Januar 1915 erwirkte, nebst einem Nachtrag am 5. und 6. Februar 1915 der Ehefrau B. zugestellte einstweilige Verfügung verboten worden, über die Hypotheken durch Veräußerung oder in anderer Weise zu verfügen. Dabei führt der Berufungsrichter aus, es komme für die Frage der Unwirksamkeit der Pfändung nicht darauf an, ob die Klägerin hinsichtlich des Nichtbestehens des Verfügungsverbots in gutem Glauben gewesen sei, und weiter, zur Wirksamkeit des Verfügungsverbots sei der Besitz der Hypothekenbriefe für den Beklagten nicht erforderlich gewesen. Die Revision sucht diese beiden Auffassungen als rechtsirrtümliche zu bekämpfen. Es ist jedoch dem Berufungsrichter nach beiden Richtungen beizutreten. Nach § 135 Abs. 1, § 136 BGB. ist eine Verfügung über einen Gegenstand, die gegen ein von einem Gericht erlassenes Veräußerungsverbot verstößt, den Personen gegenüber, deren Schutz das Veräußerungsverbot bezweckt, unwirksam und steht in dieser Beziehung einer rechtsgeschäftlichen Verfügung eine Verfügung gleich, die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt. Daraus ergibt sich, daß, wenn die vom Beklagten gegen die Ehefrau B. erwirkte einstweilige Verfügung wirksam war und noch zu Recht besteht, die für die Klägerin gegen die Ehefrau B. im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgte Pfändung und Überweisung der drei Hypotheken, da sie gegen das vorherige in der einstweiligen Verfügung enthaltene Verbot der Veräußerung der Hypotheken verstießen, dem Beklagten gegenüber unwirksam sind. Auf die Bestimmung des § 135 Abs. 2 BGB., wonach die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, entsprechende Anwendung finden, kann sich die Klägerin für die Wirksamkeit der Pfändung und Überweisung nicht berufen. Diese Bestimmung hat, die Bedeutimg, daß Vorschriften, die den Erwerb von einem Nichtberechtigten, wenn der Erwerber über die Berechtigung seines Rechtsurhebers in gutem Glauben war, schützen, im Falle einer gegen ein Veräußerungsverbot verstoßenden Verfügung entsprechend dahin anzuwenden sind,''daß die Verfügung wirksam ist, wenn der durch sie Begünstigte über das Nichtbestehen des Veräußerungsverbots in gutem Glauben war. Zur entsprechenden Anwendung aber ist zu erfordern, daß es sich um eine Vorschrift handelt, die sich auf gleiche Gegenstände wie die von einer Verfügung im Sinne des § 135 Abs. 1 betroffenen bezieht, und die ferner einen solchen Rechtserwerb von einem Nichtberechtigten betrifft, dessen Rechtsgrund gleichgeartet ist dem Rechtsgrunde für das durch eine Verfügung im Sinne des § 135 Abs. 1 erlangte Recht. Für den Rechtserwerb an einer Hypothek als einem Rechte an einem Grundstücke kommen in dieser Hinsicht nur die Vorschriften des § 892 BGB. in Betracht Z.vili. Allgcm. Teil 2
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Diese Vorschriften beziehen sich aber lediglich auf einen solchen Rechtserwerb, dessen Rechtsgrund ein Rechtsgeschäft ist, nicht dagegen auf einen Rechtserwerb im Wege der Zwangsvollstreckung (RGZ. Bd. 54 S. 105, Bd. 59 S. 315, Bd. 68 S. 153, Bd. 72 S. 271). Dies gilt insbesondere auch von der Vorschrift des § 892 Abs. 1 Satz 2, wonach, wenn der Berechtigte in der Verfügung über ein im Grundbuch eingetragenes Recht zugunsten einer bestimmten Person beschränkt ist, die Beschränkimg dem Erwerber gegenüber nur wirksam ist, wenn sie aus dem Grundbuch ersichtlich oder dem Erwerber bekannt ist. Hier ist unter dem „Erwerber", wie sich aus Abs. 1 Satz 1 ergibt, nur ein solcher Erwerber zu verstehen, der durch Rechtsgeschäft erworben hat. Daher ist die Vorschrift nicht nach § 135 Abs. 2 auf einen Erwerb, der sich auf eine im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgte Verfügung im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 2 BGB. gründet, anwendbar. Nach dem I. Entwurf hatte die Bestimmung des § 135 Abs. 2, die dort im § 107 Abs. 1 Satz 2 enthalten war, allerdings eine andere Bedeutimg. Denn der dem § 892 BGB. entsprechende § 837 des I. Entwurfs schützte nicht nur den „durch Rechtsgeschäft", sondern auch den „im Wege der Zwangsvollstreckung sich vollziehenden Erwerb". Der II. Entwurf (§ 810) aber hat den Schutz des guten Glaubens an die Richtigkeit des Grundbuchs auf den rechtsgeschäftlichen Erwerb beschränkt (Prot. Bd. III S. 77 flg., S. 707). Daraus ergab sich von selbst, daß die mit § 107 Abs. 1 Satz 2 des I. Entwurfs und § 135 Abs. 2 BGB. übereinstimmende Bestimmung des § 101 Abs. 2 des II. Entwurfs, dessen §§ 101, 102 den §§ 135, 136 BGB. entsprechen, nur noch für rechtsgeschäftliche Verfügungen Bedeutung hatte. Zu bemerken ist, daß von der II. Kommission erwogen worden ist, ob nicht im II. Entwurf, dessen § 810 Abs. 1 Satz 2 zunächst lautete: „Ein Veräußerungsverbot der in den §§ 101, 102 bezeichneten Art ist dem Erwerber gegenüber nur wirksam, wenn es aus dem Grundbuch ersichtlich oder dem Erwerber bekannt ist" und später erst mit Rücksicht auf die Rechte der Testamentsvollstrecker und Nacherben die erweiterte Fassung des § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB. erhalten hat (Prot. Bd. VI S. 386), diese Vorschrift als überflüssig zu streichen sei, weil, wenn nach § 810 Abs. 1 Satz 1 (§ 837 Abs. 1 Satz 1 Entw. I, § 892 Abs. 1 Satz 1 BGB.) sogar derjenige, welcher von dem als Berechtigter Eingetragenen, aber materiell Nichtberechtigten sein Recht herleite, durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs geschützt sei, aus der sich aus § 101 Abs. 2 ergebenden entsprechenden Anwendung des § 810 Abs. 1 Satz 1 notwendig folge, daß der gleiche Schutz auch demjenigen zuteil werden müsse, der von dem eingetragenen wirklich Berechtigten sein Recht, aber auf Grund einer Verfügung ableite, die gegen ein aus dem Grundbuche nicht ersichtliches relatives Veräußerungsverbot verstoße. Dies ist verneint worden, weil, wenn im § 810 Abs. 1 die auf die Veräußerungsverbote bezügliche Bestimmung gestrichen werden würde, es an einer Vorschrift im Gesetzbuche fehlen würde, aus der gemäß § 101 Abs. 2 hergeleitet werden könnte, daß Veräußerungsverbote, die zu ihrer
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Wirksamkeit der Eintragung nicht bedürften, zugunsten des auf das Grundbuch vertrauenden Erwerbers als nichtbestehend gälten, falls sie nicht eingetragen seien (Protok. Bd. III S. 76, 77). Daraus erhellt, daß § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB. in der Bestimmung des § 135 Abs. 2 eine besondere Bedeutung hat, und daß, wenn nach dieser Bestimmung die Vorschriften zugunsten derjenigen, welche Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, entsprechende Anwendimg finden, hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit eines Erwerbes an Rechten an einem Grundstücke, der sich auf eine Verfügung im Sinne des § 135 Abs. 1 gründet, nicht sowohl § 892 Abs. 1 Satz 1 als vielmehr § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB. zur Anwendimg zu bringen ist. Da aber Satz 2 ebenso wie Satz 1 des § 892 Abs. 1 nur demjenigen gutgläubigen Erwerber, dessen Erwerb sich auf Rechtsgeschäft gründet, Schutz gewährt, ist aus der Vorschrift in Verbindung mit § 135 Abs. 2 nicht herzuleiten, daß, wer an Rechten an einem Grundstück auf Grund einer im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgenden Verfügung im Sinne des § 135 Abs. 1 Satz 2 ein Recht erlangt, in diesem Rechte durch den öffentlichen Glauben des Grundbuchs geschützt ist. Der erkennende Senat hat auch bereits in dem Urteile RGZ. Bd. 84 S. 265 auf S. 279, 281 ausgesprochen, daß, wenn nach einer zum Zwecke der Zwangsversteigerung erfolgten Beschlagnahme eines Grundstücks, die nach § 23 Abs. 1 ZwVG. die Wirkung eines Veräußerungsverbots im Sinne der §§ 135, 136 BGB. habe, eine Zwangshypothek eingetragen worden sei, der Erwerber sich deswegen, weil die Beschlagnahme aus dem Grundbuche nicht ersichtlich gewesen und ihm auch zur Zeit der Stellung des Antrags auf Eintragung nicht bekannt gewesen sei, für die Wirksamkeit der Eintragimg der Zwangshypothek nicht auf § 892 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 BGB. berufen könne, weil diese Vorschriften sich nur auf Rechtserwerb durch Rechtsgeschäft bezögen. Das Ergebnis ist hiernach, daß, soweit § 135 Abs. 1 Satz 1 den Grundsatz der Unwirksamkeit einer gegen ein Veräußerungsverbot verstoßenden Verfügung aufstellt, nach § 135 Abs. 1 Satz 2 eine Verfügung, die im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgt, einer rechtsgeschäftlichen Verfügung gleichsteht, daß aber, soweit als Ausnahme von jenem Grundsatze sich aus den nach § 135 Abs. 2 entsprechend anzuwendenden Vorschriften die Wirksamkeit des Rechtserwerbes auf Grund einer Verfügung ergibt, eine rechtsgeschäftliche Verfügung und eine im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgende Verfügung sich nicht gleichstehen, wenigstens nicht, wenn die durch sie betroffenen Gegenstände Rechte an einem Grundstücke sind; für die solche Rechte betreffenden, im Wege der Zwangsvollstreckung erfolgenden Verfügungen gilt der Grundsatz der Unwirksamkeit unbedingt, da Vorschriften, welche nach § 135 Abs. 2 auf sie entsprechend anzuwenden wären, nicht bestehen, während ein auf eine rechtsgeschäftliche Verfügung gegründeter Erwerb an solchen Rechten nach Maßgabe des § 892 Abs. 1 Satz 2 BGB. wirksam sein kann. Demnach kann die Klägerin sich für die Wirksamkeit der für sie bewirkten Pfändung und Überweisung der frag-
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liehen drei Hypotheken nicht darauf berufen, daß das gegen die Hypothekengläubigerin Ehefrau B. zugunsten des Beklagten erlassene Verbot der Veräußerung der Hypotheken zur Zeit der Pfändung nicht im Grundbuch eingetragen und ihr auch nicht bekannt gewesen sei. Ferner bedurfte es zur Wirksamkeit des Veräußerungsverbots nicht der Erlangung des Besitzes der Hypothekenbriefe durch den Beklagten. Die einstweilige Verfügung, durch die nach Maßgabe des § 938 Abs. 2 ZPO. das Veräußerungsverbot erlassen worden war, ist durch ihre Zustellung an die Hypothekengläubigerin Ehefrau B., gegen die sich das Verbot richtete, vollzogen worden, und damit ist das Verbot, ohne daß es eines weiteren bedurfte, wirksam geworden (RGZ. Bd. 21 S. 418, Bd. 51 S. 132). Sollte allerdings die Eintragung des Veräußerungsverbots in das Grundbuch erfolgen, so waren nach § 42 Abs. 1 Satz 1 GBO. die Hypothekenbriefe dem Grundbuchamte vorzulegen (KGJahrb. Bd. 38 S. A. 296). Aber eine Eintragung des Veräußerungsverbots hätte nach obigen Ausführungen nur für den Fall eines späteren rechtsgeschäftlichen Erwerbes an den Hypotheken hinsichtlich der Ungültigkeit dieses Erwerbes Bedeutung gehabt; im übrigen war das Verbot auch ohne Eintragung wirksam. Daß der Beklagte im Besitze der Hypothekenbriefe sich befand, war zur Wirksamkeit des Verbots ebensowenig erforderlich, wie bei einem andere Vermögensstücke betreffenden Veräußerungsverbote zur Wirksamkeit des Verbots notwendig ist, daß der durch das Verbot Begünstigte sich in den Besitz der Vermögensstücke gesetzt hat. Nach § 830 Abs. 1 Satz 1 ZPO. ist zwar zur Pfändung einer Forderung, für welche eine Briefhypothek besteht, außer dem Pfändungsbeschlusse die Übergabe des Hypothekenbriefs an den Gläubiger erforderlich. Aber aus dieser Vorschrift ist ebenfalls nicht zu folgern, daß ein im Wege der einstweiligen Verfügung erlassenes, eine Briefhypothek betreffendes Veräußerungsverbot erst dann in Wirkung trete, wenn der durch das Verbot Begünstigte den Besitz des Hypothekenbriefs erlangt habe ; denn die einstweilige Verfügung folgt hinsichtlich der Erfordernisse ihrer Vollziehung und Wirksamkeit ihren eigenen Regeln. Danach sind die Angriffe der Revision gegen die Annahme des Berufungsrichters, daß die von der Klägerin erwirkte Pfändung und Überweisimg der Hypotheken dem Beklagten gegenüber wegen Verstoßes gegen das Veräußerungsverbot unwirksam seien, unbegründet." . . . (Aufgehoben ist das Berufungsurteil wegen Verneinung der Abtretung der drei Hypotheken.)
RGZ. 90, 411 Wann ist, insbesondere bei der Drohung mit einer Strafanzeige, das Aufhören der Zwangslage im Sinne des § 124 Abs. 2 Satz 1 BGB. als gegeben anzusehen ?
341 BGB. § 124. I I I . Zivilsenat. Urt. v. 21. September 1917. I. Landgericht Nordhausen.
II. Oberlandesgericht Naumburg a. S
Gründe: . . . „Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Beklagte zu dem Abschlüsse des Vertrags vom 1. Mai 1912 von dem Kläger widerrechtlich durch die Drohung bestimmt worden ist, er würde Strafanzeige gegen den Vater der beiden Inhaber der verklagten Firma wegen Betrugs erstatten, wenn sie den Vertrag nicht abschlössen. Demgegenüber rügt die Revision nur die Nichtberücksichtigung des Umstandes, daß die Beklagte trotz ihrer erstinstanzlichen rücksichtslosen Beschuldigungen des Klägers erst im November 1915 mit der Anfechtung des Vertrags wegen Drehung hervorgetreten sei. Dies ist jedoch von dem Berufungsrichter nicht übersehen worden, er würdigt ausdrücklich das späte Geltendmachen der Anfechtung. Die Richtigkeit dieser Würdigung ist von dem Revisionsgerichte nicht nachzuprüfen, da sie tatsächlicher Natur ist. Der Hauptangriff der Revision betrifft die Frage der Rechtzeitigkeit der Anfechtung (§ 124 BGB.). Während der Berufungsrichter meint, die Zwangslage habe erst mit der Erstattung der Strafanzeige des Klägers am 31. Mai 1915 aufgehört, so daß die Jahresfrist des § 124 Abs. 1 gewahrt sei, vertritt die Revision die Ansicht, die Zwangslage habe schon Anfang August 1914 nicht mehr bestanden, als die Beklagte sich von dem Vertrage losgesagt habe. Auch dieser Revisionsangriff ist nicht gerechtfertigt. Ein Aufhören der Zwangslage im Sinne des § 124 Abs. 2 Satz 1 ist dann als gegeben anzusehen, wenn dem Bedrohten die Furcht vor dem angedrohten Übel benommen worden ist (RGZ. Bd. 60 S. 374), bei der Drohung mit einer Strafanzeige also dann, wenn der Bedrohte sich nicht mehr der Gefahr ausgesetzt glaubt, daß die angedrohte Strafanzeige erstattet werde. Hiervon geht auch das Berufimgsgericht aus, der Begriff des Aufhörens der Zwangslage ist also nicht verkannt worden und ein Rechtsirrtum nicht ersichtlich; es liegt vielmehr völlig auf tatsächlichem Gebiete, wenn der Berufungsrichter annimmt, daß jener Zustand in dem vorliegenden Falle nicht schon mit dem Lossagen von dem erzwungenen Vertrag im August 1914 und der Behauptung seiner Unsittlichkeit in dem ersten Rechtszuge dieses Rechtsstreits, sondern erst mit der Erstattung der Strafanzeige als eingetreten gelten könne, daß die Beklagte trotz ihres Verhaltens vor diesem Rechtsstreit und in dessen erstem Rechtszuge bis zu der Anzeige der Meinung gewesen sei, sie dürfe sich auf die Drohung nicht berufen, weil erst dadurch der Kläger zur Erstattung der Strafanzeige veranlaßt werden würde. Daß die Zwangslage stets schon dann als beendigt anzusehen sei, wenn der Bedrohte die Unwirksamkeit des erzwungenen Vertrags geltend macht, einerlei aus welchem Grunde, nimmt die Revision selbst nicht an und kann auch nicht als richtig anerkannt werden. Trotzdem sich der Bedrohte von dem
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Vertrage lossagt, besteht vielmehr die Zwangslage noch fort, wenn er aus Furcht vor der Verwirklichung der Drohung die Anfechtung des Vertrags wegen D r o h u n g unterläßt."
R G Z . 90, 436 Nichtigkeit des ganzen Mietvertrags wegen des darin enthaltenen Konkurrensverbots zwischen Ärzten ? BGB. §§ 138, 139*). III. Zivilsenat.
Urt. v. 2. Oktober 1917.
I. L a n d g e r i c h t Z w e i b r ü c k e n .
I I . Oberlandesgericht
daselbst.
Die Parteien hatten am 4. Juli 1910 vor einem Notar einen Mietvertrag abgeschlossen, kraft dessen der Beklagte das im Dorfe H. gelegene Haus des Klägers für einen jährlichen Mietzins von 1800 M. ab 1. Oktober 1910 auf fünfjährige Mietperioden mietete, derart, daß jeder Teil ein Jahr vor Ablauf der einzelnen fünfjährigen Mietperiode sollte kündigen dürfen. Der Beklagte, dem ein Vorkaufsrecht eingeräumt wurde, sollte, falls er kündigte, verpflichtet sein, nach besten Kräften für die Gewinnung eines Rechtsnachfolgers oder eines Käufers mitzuwirken, und wenn dies der Kläger verlange, einen in alle Rechte und Pflichten einzutreten geeigneten Arzt als Rechtsnachfolger zu präsentieren, mit der Maßgabe, daß im Falle des Nichteintreffens des bestellten Rechtsnachfolgers die Kündigung des Beklagten unwirksam sei; sei der Käufer ein Arzt, so verpflichte sich der Mieter ehrenwörtlich, falls dies der Käufer verlange, sich im Bereiche der H.er Praxis zu einer neuen Praxis nicht niederzulassen. Der Beklagte — der schon am 1. Oktober 1912 nach dem 15 km entfernten Dorfe E. übergesiedelt war und von dort aus, unter Weiterbenutzung des gemieteten Hauses, die H.er Praxis versehen hatte — kündigte das Mietverhältnis durch Brief vom 22. September 1914. Die Klage fordert Feststellung, daß der Mietvertrag in vollem Umfange fonbestehe. Das Landgericht wies die Klage ab. Der strittige Vertrag stelle zugleich eine entgeltliche Übertragimg der ärztlichen Praxis dar und ein beträchtlicher Teil der Einkünfte aus dieser Praxis sei weggefallen, die Verpflichtung zur Präsentierung eines Arztes als geeigneten Rechtsnachfolgers sei durch die nunmehrigen Bestimmungen des Leipziger Ärzteverbandes (Berliner Abkommen vom 23. Dezember 1913) erheblich erschwert; diese zwiefache Veränderung der Umstände entbinde den Beklagten nach Treu und Glauben von der Einhaltung des Vertrags. Unter Mißbilligung dieser Gründe entsprach der Berufungsrichter dem Klagantrage. Der Revision des Beklagten wurde stattgegeben und die Berufung des Klägers zurückgewiesen. * ) V g l . auch R G Z . 66, 139 (143). (abgedruckt weiter o b e n in diesem A b s c h n i t t )
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Gründe: „Der Beklagte hat in beiden Instanzen geltend gemacht, daß der strittige Vertrag gegen die guten Sitten verstoße, § 138 BGB. Dieser Einwand greift durch; den diesen Einwand zurückweisenden Erwägungen des Berufungsrichters kann nicht beigepflichtet werden. Der Vertrag — der übrigens, falls kein wirklich „eintreffender" Mietnachfolger und kein Käufer gefunden wurde, den Beklagten auf unbegrenzte Zeitdauer binden sollte — traf weitgehende Vorsorge zur Gewinnung wie eines geeigneten und wirklichen Mietnachfolgers so eines Käufers. Dem Käufer — für dessen Gewinnung der kündigende Beklagte mitzuwirken hatte — sollte auf sein Verlangen wie vom Beklagten selbst so von dessen Arzt-Mietnachfolger ehrenwörtlich versprochen werden, im Bereiche der H.er Praxis zu einer neuen Praxis sich nicht niederzulassen, und es sollte der wirklich „eintreffende" Arzt-Mietnachfolger des Beklagten wieder seinerseits einen zu diesem Versprechen bereiten ArztMietnachfolger präsentieren. Eine Konkurrenzklausel zwischen Ärzten verstößt gegen die guten Sitten (RGZ. Bd. 66 S. 143 flg. insbesondere S. 150/152, Bd. 68 S. 188/192), und hier um so mehr, als eine unabsehbare Verlängerung eines solchen Konkurrenzversprechens ausbedungen war. Der Beklagte sollte selbst dieses Versprechen geben und sollte einen zu solchem Versprechen und zu seiner Weiterauflage an zukünftige Nachfolger bereiten Arzt-Mietnachfolger präsentieren. Es sollte also diese die sittliche Würde des Ärztestandes und das öffentliche Interesse verletzende Abrede von Person zu Person durch eine Reihe von Nachfolgern des Beklagten hierdurch fortgeleitet werden. Zwar sollte diese Abrede nur in Kraft treten, falls sich ein Käufer fand und dieser es verlangte. Das Suchen nach einem Käufer ist jedoch ein wesentlicher und unausscheidbarer Teil des Vertrags, insofern der Mieter einem vom Vermieter ermächtigten Käufer Einsicht in seine Bücher gewähren und im Falle seiner Kündigung für Gewinnung auch eines Käufers mitwirken mußte und insofern der bei Kündigung des Mieters von diesem zu präsentierende geeignete ArztMietnachfolger in alle Rechte und Pflichten des Mieters, also auch in diese Konkurrenzverpflichtung einem Käufer gegenüber eintreten sollte. Die Bestimmung „falls dies der Käufer verlangt" kann ein Gegengrund nicht sein; denn es war selbstverständlich, daß einem Kaufliebhaber von dem bisherigen Mietvertrag, also auch von der vertragsmäßigen Bereitschaft des abtretenden Mieters zu einem solchen Konkurrenzversprechen, Mitteilung gemacht werden mußte. Die Möglichkeit, daß der Käufer trotzdem von einem solchen ihm zu gebenden Versprechen absieht, ist ohne Belang; auch eine derart bedingte Konkurrenzklausel bleibt anstößig. Daraus ergibt sich, daß nicht etwa nur ein Teil des Vertrags nichtig ist (§ 139 BGB.). Die Beendigung der Mietabschnitte durch Kündigung und die Voraussetzungen und Verschränkungen der Wirksamkeit einer Kündigung durch den Mieter sind die eigentliche Grundlage, auf der nach
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dem Willen der Parteien, insbesondere des Klägers, der ganze Vertrag aufgebaut ist. Nach dem klaren Wortlaut und nach dem offensichtlichen inneren Zusammenhange der Vertragsbestimmungen wäre es rechtsirrig, den Vertrag unter Streichung der auf den Käufer bezüglichen Abreden im übrigen aufrechtzuerhalten ; es stellt sich vielmehr bei richtiger rechtlicher Würdigimg als unzweifelhaft heraus, daß die Parteien, insbesondere der Kläger, diesen Vertrag ohne die Abreden hinsichtlich eines Käufers nicht getroffen haben würden. Der ganze Vertrag ist demnach nichtig." RGZ. 91, 359 Voraussetzungen der allgemeinen Arglisteinrede gegen die Berufung auf die aus § 139 BGB. folgende Nichtigkeit des ganzen Rechtsgeschäfts. BGB. § 139. I I I . Zivilsenat. Urt. v. 18. Dezember 1917. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin hatte am 4. Februar 1913 mit den Gebrüdern Heinrich und Paul R. über deren Anwesen nebst Inventar, insbesondere Maschinen, behufs Betriebes einer Schweinemästerei, Talgschmelzerei und Seifensiederei einen Mietvertrag auf drei Jahre fest und mit weiterem Fortlaufe je um ein Jahr, falls nicht Kündigung erfolgte, abgeschlossen. Im Falle des Verkaufs stand den Gebrüdern R. das Recht der vorzeitigen Lösimg des Vertrags zu; der Klägerin war jedoch ein Vorkaufsrecht eingeräumt. Diesen Vertrag hatte der Beklagte notariell beglaubigt. Nur hiermit, behauptet er, sei er von der Klägerin beauftragt gewesen, während die Klägerin geltend macht, sie habe den Beklagten wegen der Form des Vertrags zu Rate gezogen, ihm auch den Vertragsentwurf vorgelegt, und er habe erklärt, die Beglaubigung genüge. Mitte August 1913 erhob die Klägerin Schadensersatzklage gegen die Brüder R., weil diese beim Vertragsschluß eine Konzessionsbeschränkung arglistig verschwiegen hätten und weil die vermieteten Maschinen mangelhaft seien. Auf den Einwand der R., der ganze Vertrag sei mangels notarieller Beurkundung der Vorkaufrechtsabrede nichtig, erwiderte sie, „sie hätte zweifellos auch ohne dieses Vorkaufsrecht den Vertrag getätigt". Der Prozeß endete mit einem Vergleiche. Schon vorher hatten die R. die Alíete wegen Verkaufs des Anwesens auf den 31. Oktober 1913 gekündigt; an diesem Tage hatte die Klägerin das Anwesen geräumt. Die Klägerin machte nunmehr den Beklagten ersatzpflichtig für den Schaden, der ihr durch Abschluß des Vergleichs entstanden sei. Das Landgericht wies die Klage in der Erwägung ab, daß der Mietvertrag auch ohne Vorkaufsrecht zum Abschluß gelangt sein würde. Der Berufungsrichter ließ diese Frage dahingestellt, bestätigte die Abweisung aber aus dem Grunde, weil die Klägerin den von den Brüdern R. erhobenen Einwand
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der Ungültigkeit des ganzen Vertrags mit dem Gegeneinwande der Arglist habe entkräften können. Das Vorkaufsrecht sei nur zu ihren Gunsten vereinbart worden; sie sei bereit gewesen, den Vertrag auch ohne das Vorkaufsrecht aufrecht zu erhalten. Die Revision der Klägerin hatte Erfolg. Gründe: „Der § 139 BGB. stellt die Regel auf, daß bei Nichtigkeit eines Teiles des Rechtsgeschäfts das ganze Rechtsgeschäft nichtig ist. Die Ausnahme soll sich nur aus dem Willen der Vertragschließenden zur Zeit des Vertragsschlusses und zwar aus dem beiderseitigen Willen ergeben : dann nämlich, wenn anzunehmen ist, daß das Rechtsgeschäft auch ohne den nichtigen Teil vorgenommen sein würde. Nicht entfernt also ist es der Vertragspartei, in deren ausschließlichem Interesse und zu deren alleinigem Vorteile der nichtige Vertragsteil vereinbart und bestimmt war, anheimgegeben, die nach der Regel des § 139 schon bei dem Abschlüsse vorhandene Nichtigkeit des ganzen Vertrags nachträglich und einseitig wieder zu beseitigen, nämlich den Vertrag wenigstens im übrigen zu einem gültigen zu machen, einfach dadurch, daß sie den ihr allein vorteilhaft gewesenen nichtigen Vertragsteil „verzichtend ausschaltet", d. h. der andern Partei in dieser oder jener Weise erklärt, sie wolle den Vertrag auch ohne diesen Vertragsteil aufrecht erhalten. Eine derartige Befugnis, einen völlig nichtigen, also rechtlich überhaupt nicht bestehenden Vertrag zu einem gewissen Teile, also als einen abgeänderten anderweiten Vertrag, hinterher ohne Mitwirkung und gegen den Willen der anderen Partei ins Leben zu rufen, ist weder durch eine ausdrückliche Rechtsvorschrift gegeben, noch aus dem Zusammenhalte gesetzlicher Bestimmungen und Zwecke zu folgern. Sie ist durch § 139, durch dessen Regel und durch den in ihm aufgestellten Tatbestand der allein offen gelassenen Ausnahme, gerade verneint. Sie widerstreitet den Begriffen des Vertrages und der Nichtigkeit. Sie würde ohne jede gesetzliche Grundlage für eine gewisse Gruppe von Fällen den §139 einfach beseitigen, und sie ist auch aus dem Gesichtspunkte der exceptio doli generalis (RGZ. Bd. 56 S. 78, Bd. 57 S. 64, Bd. 58 S. 356, Bd. 64 S. 223, Bd. 86 S. 191, Bd. 87 S. 283) keineswegs abzuleiten. Die Partei, die sich auf die Nichtigkeit des ganzen Vertrags kraft der Regel des § 139 beruft, übt damit ein ihr zustehendes Recht aus, insbesondere dann, wenn der nichtige Vertragsteil wegen Formmangels nichtig ist (vgl. die Motive zum Entwurf des BGB. Bd. 1 S. 181; RGZ. Bd. 52 S. 5, Bd. 70 S. 20, Bd. 72 S. 343, 392, Bd. 61 S. 267). Eine Arglist ist in dieser Berufung auch dann nicht zu finden, wenn die andere Partei unter Absehen von dem nur ihr allein günstig gewesenen, nichtigen Vertragsteile nur im übrigen den Vertrag aufrecht erhalten will. Der Berufimgsrichter verwendet die Urteile des VI. und des II. Zivilsenats des Reichsgerichts RGZ. Bd. 86 S. 323, Jur. Wochenschr. 1916 S. 390 dazu, dem Klaganspruch entgegenzuhalten, die Klägerin habe den
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von den Brüdern R. erhobenen Einwand der Nichtigkeit des ganzen Vertrags durch den Arglistgegeneinwand entkräften können. Diese Anschauung ist rechtsirrig; sie beruht auf einem Mißverständnis der beiden Reichsgerichtsentscheidungen. Dort hatte die die völlige Nichtigkeit aus § 139 anrufende Partei aus dem abgeschlossenen Vertrage die Vertragsleistung der anderen Partei (das Darlehen von 18800 M. bez. die gekauften 150 Aktien) in der Hand; die Berufung auf die Regel des § 139 (wegen Nichtigkeit des zur Sicherung des Darlehens bestellten Pfandrechts bez. der zur Sicherung des Kaufpreises erfolgten Abtretung) sollte ihr dazu dienen, sich der dem Empfang entsprechenden Vertragsverpflichtung (zur Rückzahlung des Darlehens, zur Zahlung des Kaufpreises) zu entledigen und gleichzeitig das Empfangene zu behalten. Ein solches Verhalten ist allerdings arglistig und begründet die exceptio doli generalis ; vgl. denselben Fall in RGZ. Bd. 71 S. 436, Bd. 78 S. 354, Bd. 86 S. 194flg. Von einem solchen Tatbestand ist aber hier keine Rede. Aus der Miete und aus dem Vorkaufsrechte hatten die Brüder R. nichts in ihre Hand empfangen, was sie kraft der von ihnen geltend gemachten völligen Nichtigkeit des Vertrags nunmehr vertragslos behalten wollten. Im Gegenteil, aus der Miete hatte die Klägerin die Mietgegenstände in der Hand, und die Brüder R. hatten bei Nichtigkeit des ganzen Vertrags erst diese Mietgegenstände aus den Händen der Klägerin heraus wieder an sich zu bringen. Das Vorkaufsrecht hatte nicht den Zweck, die Erfüllung irgendeiner Vertragsleistung, insbesondere der Vertragsleistung der R., zu sichern; es stand vielmehr außerhalb der durch die Miete gegebenen Rechte und Pflichten, und seine Verwirklichung bedeutete gerade die Beendigimg des Mietverhältnisses. Es fehlt also zwischen der Miete und dem Vorkaufsrechte durchaus der innere Zusammenhang, wie er in den bezeichneten Reichsgerichsentscheidungen zwischen der Hingabe des Darlehens oder der Kaufsache und den behufs Sicherung der Gegenleistung beigefügten Sicherungsgeschäften (Pfandbestellung, Abtretung) vorhanden war. Dort wollte der Darlehnsnehmer oder der Käufer die Frucht eben dieses Geschäfts behalten, das Geschäft selber aber und demnach seine Gegenverpflichtung auslöschen. Hier hatten die Brüder R. weder aus der Miete noch geschweige aus dem Vorkaufsrecht etwas in der Hand, dessen Rückgabe an die Klägerin ihnen nach dem Vertrage, wenn er gültig war, oblag, ihnen aber durch die Nichtigkeit des Vertrags (abgesehen von Bereicherung) abgenommen wurde. Sie konnten darum das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit (RGZ. Bd. 78 S. 352) oder das Bewußtsein, gegen Treu und Glauben im Verkehr zu verstoßen, gar nicht haben." RGZ. 92, 398 Ist die von einem Gesellschafter dem § 719 Abs. 1 BGB. zuwider vorgenommene Abtretung seines Anteils an dem Gesellschaftsvermögen gemäß § 134 BGB. nichtig ?
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V. Zivilsenat.
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Urt. v. 24. April 1918.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „BürgerlichesRecht, Schuldrecht". RGZ. 93, 175 Kommt ein schriftlichcr Vertrag unter Abwesenden schon dadurch zustande, daß der eine die von ihm unterschriebene Vertragsurkunde dem anderen übersendet und dieser sie gleichfalls unterschreibt ? BGB. §§ 126ñg„ 145flg. II. Zivilsenat. Urt. v. 21. Juni 1918. I. Landgericht Halberstadt, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht Naumburg a. S.
Aus den G r ü n d e n : . . . „Das Berufungsgericht gründet die Annahme, daß eine Beurkundung des beabsichtigten Abkommens vereinbart gewesen sei, nicht ausschließlich auf die seiner Auffassung nach insoweit übereinstimmenden Angaben der beiden Parteien, sondern auch auf den Schlußsatz der Vertragsurkunde: „Dieser Vertrag wird von den Parteien genehmigt und zu diesem Zweck eigenhändig unterschrieben." Das ist weder unschlüssig noch rechtsirrig, und demgemäß ist auch die auf § 154 Abs. 2 BGB. gestützte Folgerung nicht zu beanstanden, daß von der Wahrung der schriftlichen Form die Gültigkeit des Vertrags abhängen sollte. Zum Abschluß eines schriftlichen Vertrags genügt nun aber keineswegs, wie es nach den §§ 126 Abs. 2 Satz 1, 127 scheinen könnte, die Unterzeichnung derselben Vertragsurkunde durch die Vertragschließenden. Vielmehr kann (vgl. Urt. vom 3. April 1917 II 559/16 und RGZ. Bd. 61 S. 414) auch ein schriftlicher Vertrag zwischen zwei Parteien nur dadurch zustande kommen, daß die eine die Schließung des Vertrags der anderen anträgt (§ 145) und daß die andere den Antrag rechtzeitig annimmt (§§ 146flg.), und zwar muß die Annahme der antragenden Partei gegenüber (§ 130) erklärt werden, es sei denn, daß eine solche Erklärung nach der Verkehrssitte nicht zu erwarten ist oder daß die antragende Partei auf sie verzichtet hat (§ 151). Die für die Fälle der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung gemäß § 128 gegebene Sondervorschrift des § 152, wonach der Vertrag, wenn nichts anderes bestimmt ist, schon mit der Beurkundung der Annahme des zunächst allein beurkundeten Antrags zustande kommen soll, gilt für schriftliche Verträge nicht. Im vorliegenden Falle hat der Kläger durch die Übersendung der beiden gleichlautenden, mit seiner Unterschrift versehenen Vertragsurkunden dem Beklagten die Schließung des Vertrags angetragen, und der Beklagte hat sich darauf beschränkt, die Urkunden auch seinerseits zu unterzeichnen. Dies würde
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zur Vollendung des Vertragschlusses ausgereicht haben, wenn der Kläger, wie der Beklagte behauptet und dessen Vater als Zeuge bestätigt hat, bei Übersendung der beiden Urkunden erklärt hätte, er wolle sich die eine gelegentlich abholen, der Beklagte möge sie einstweilen beide aufbewahren. Das Berufungsgericht hat jedoch dem Zeugen schon mit Rücksicht auf dessen verwandtschaftliches und wirtschaftliches Interesse keinen Glauben geschenkt . . . Inwiefern es dabei übersehen haben soll, daß der Kläger sich nicht nach dem Schicksale seines Vertragsantrags erkundigt habe, ist unerfindlich. Durfte der Kläger erwarten, daß ihm der Beklagte im Falle der Annahme des Antrags die eine der beiden Vertragsurkunden vollzogen zurücksenden werde, so war er durch das Ausbleiben der Urkunde über die Nichtannahme des Antrags hinreichend unterrichtet. Der Antrag war erloschen, sobald er nicht rechtzeitig angenommen worden war (§ 146). Zu einer Erkundigung hätte der Kläger nur dann Ani aß gehabt, wenn er gewillt gewesen wäre, dem Beklagten die Schließung des Vertrags von neuem anzutragen." . . . RGZ. 94, 8o Auslegung des Ausdrucks Betriebsstörung in der Vertragsbestimmung: „Betriebsstörungen ermächtigen den Verkäufer zu entsprechender Hinausschiebung der Leistungen." BGB. §§ 133, 157. III. Zivilsenat.
Urt. v. 29. Oktober 1918.
I. Landgericht Zwickau, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht Dresden.
Die Klägerin beansprucht Schadensersatz wegen Nichterfüllung eines Schlusses vom 29. Juli 1914, durch den ihr die Beklagte 40000 Zollpfund Strumpfkops verkaufte. Die Beklagte beruft sich unter anderem auf die Vertragsbestimmung, daß Arbeiterausstand und Betriebsstörungen sie zu entsprechender Hinausschiebung der Lieferungen ermächtigen. Das Landgericht wies die Klage ab. Das Oberlandesgericht stellte den Klaganspruch dem Grunde nach fest. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur Verhandlung und Entscheidimg an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gründe: .. „Die Revision ist begründet, soweit sie sich gegen die die Betriebsstörungsabrede betreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts richtet. Während die Kammer für Handelssachen die Berufung der Beklagten auf diese Abrede für gerechtfertigt erachtet, weist das Oberlandesgericht sie mit der kurzen Begründung zurück, „bei Klauseln der vorliegenden Art" seien unter Betriebsstörungen nur Störungen im Gange der technischen Warenerzeugung, nicht aber der hier in Betracht kommende Mangel an
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Rohstoffen zu verstehen, wie von dem Berufungsgerichte schon mehrfach erkannt sei und auch das Reichsgericht in dem bei Warneyer 1917 S. 293flg. abgedruckten Urteil I. 49/17 ausgesprochen habe. Demnach scheint der Berufungsrichter davon auszugehen, daß solche Vertragsbestimmungen nach einer allgemeinen Regel zu beurteilen seien. Das ist nicht zutreffend. Es ist vielmehr eine Frage der Auslegung des einzelnen Vertrags, was als eine Betriebsstörung im Sinne der Abrede anzusehen ist. Die angeführte Entscheidung des Reichsgerichts legt auch allein für den betreffenden Fall, mit Rücksicht auf die übrigen in der Abrede angeführten Befreiungsumstände, den Ausdruck Betriebsstörung dahin aus, daß nur technische Unfälle und Störungen, nicht auch „Betriebsstörungen, die sich aus dem durch den Krieg verursachten Rohstoffmangel ergeben", darunter fallen; sie gibt also deutlich zu erkennen, daß auch letztere unter den Begriff Betriebsstörungen im Sinne einer solchen Abrede fallen können. Auf dem gleichen Standpunkte steht der II. Zivilsenat in einem Urteile vom 30. Oktober 1917 (II. 213/17, Leipz. Z. 1918 S. 377), in dem die Berufung der Beklagten auf Mangel an Rohstoff als auf eine Betriebstörungs nur deshalb für ungerechtfertigt erklärt ist, weil nach der dort vorliegenden Vertragsbestimmung die Beklagte nicht in jedem Falle einer Betriebsstörung frei werden sollte, sondern nur, wenn eine solche infolge höherer Gewalt eintrete, während der Mangel an Rohstoff von der Beklagten verschuldet sei. Der I. Zivilsenat hat denn auch in einem Urteile vom 26. Januar 1918 (I. 262 17, Warneyer S. 71) Betriebsstörungen, die durch die Unterbindung Zufuhr aus dem Ausland und die dadurch hervorgerufene Knappheit der Ware hervorgerufen sind, für geeignet erklärt, die Anwendung der Betriebsstörungsabrede zu rechtfertigen. Der Berufungsrichter hat demnach zu prüfen, was in dem gegebenen Falle unter Betriebsstörungen zu verstehen ist."
RGZ. 94, 147 ι. . . . 2. . . . 3. Wird von der Nichtigkeit eines formlosen Grundstückveräußerungsvertrags die in i h m einem andern erteilte Auflassungsvollmacht mit ergriffen ? 4. Bedarf der Vergleich, durch den die Vertragsparteien einen formlosen Grundstücksveräußerungsvertrag g e m ä ß § 141 BGB. bestätigen, der F o r m des § 313 BGB. ? BGB. §§ 313, 139, 141. V. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 13. November 1918.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht".
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RGZ. 94, 333 Findet die Auslegungsregel des § 125 Satz 2 BGB., daß der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form im Zweifel Nichtigkeit zur Folge hat, Anwendung, wenn die Parteien nach dem vollständigen Abschlüsse des Rechtsgeschäfts vereinbaren, daß es beurkundet werden soll ? VI. Zivilsenat. I. Landgericht Bonn.
Urt. v. 13. Februar 1919. II. Oberlandesgericht Köln.
Das Reichsgericht hat obige Frage verneint. Aus den G r ü n d e n : . . . „Wie die Revision zutreffend rügt, ist die Ansicht des Berufungsgerichts rechtsirrig, daß, wenn die Parteien nach Abschluß eines Vertrags vereinbaren, ihn zu beurkunden, im Zweifel die Gültigkeit des Vertrags von der Beurkundung abhänge und derjenige diese Vermutung zu entkräften habe, der etwas anderes behaupte. Die Beweisregel des § 125 Satz 2 bezieht sich vielmehr ebenso wie die des § 154 Abs. 2 BGB. (vgl. RGZ. Bd. 62 S. 78 und Urt. des RG. VI. 139/06) auf ein erst abzuschließendes, nicht auf ein bereits abgeschlossenes Rechtsgeschäft. Die zwei Sätze des § 125 wurzeln in dem gleichen Boden und laufen nebeneinander. Wie Satz 1 ein Rechtsgeschäft im Auge hat, das vor Beobachtung der gesetzlichen Form noch nicht fertig und gültig ist, so setzt auch Satz 2 ein noch nicht fertiges Rechtsgeschäft voraus, das erst in der gewillkürten Form Gültigkeit erlangen soll. Der Satz 2 umfaßt zwei verschiedene Fälle, nämlich den Fall, daß die über einen Vertrag verhandelnden Parteien vereinbaren, er solle in einer bestimmten Form errichtet werden, sowie den Fall, daß in einem Rechtsgeschäfte für spätere, damit im Zusammenhange stehende Rechtsgeschäfte, so für die Kündigung, die Verlängerung, den Rücktritt u. dgl. eine gewisse Form vorgeschrieben wird (vgl. Protokolle der II. Kommission Mugdan Bd. 1 S. 695, 696). § 125 Satz 2 spricht hiernach von einem abzuschließenden oder einem künftigen Rechtsgeschäfte. Die hier für Rechtsgeschäfte allgemein aufgestellte Regel wird in § 154 Abs. 2 für den Vertrag, der die Hauptform der Rechtsgeschäfte bildet, der Deutlichkeit halber wiederholt mit der ausdrücklichen Hervorhebung, daß die Bestimmung einen „beabsichtigten" Vertrag betreffe. Dagegen findet § 125 Satz 2 keine Anwendung, wenn ein Rechtsgeschäft gültig abgeschlossen ist und nach dem Abschluß die Parteien verabreden, daß es in eine bestimmte Form gebracht werden soll. Selbstverständlich können sie auch in einem solchen Falle ausmachen, daß es erst in der bestimmten Form wirksam werden soll. Aber die Auslegungsund Beweisregel des § 125 Satz 2 greift dann nicht Platz. Es ist auch gar nicht einzusehen, warum in diesem Falle die Vermutung dafür streiten soll, daß die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts von der
351 Erfüllung der vereinbarten Form abhänge. Tritt die Gültigkeit erst mit der Beurkundung ein, so wird damit das vorher fest abgeschlossene Rechtsgeschäft seiner Wirksamkeit entkleidet und aufgehoben. Es widerspräche allen Grundsätzen über die Beweislast, wenn diese nicht demjenigen zufiele, der die Aufhebung eines Rechtsgeschäfts, sondern dem, der seinen Fortbestand geltend macht. Während ferner nach aller Erfahrimg und Regel die Parteien, wenn sie bei Unterhandlungen über ein rechtsgeschäftliches Abkommen verabreden, daß es beurkundet werden soll, seine Wirksamkeit an die Beurkundung knüpfen und auch nur das gelten lassen wollen, was beurkundet wird, kann und wird die gleiche Abrede, die sie nach dem Abschluß eines gültigen Rechtsgeschäfts treffen, die verschiedensten Zwecke verfolgen. Die Beurkundung kann zum Beweis, der Ordnung halber, zur juristischen Fassung, zum Ausweis bei Dritten, auf Wunsch eines Dritten oder, um diesem einen Gefallen zu erweisen, selbst aus Liebhaberei u. s. f. beschlossen werden. Nur jener Erfahrung und Regelgestaltung wollte das Gesetz durch die Vorschriften in § 125 Satz 2 und § 154 Abs. 2 Rechnung tragen. Dagegen bestand kein Anlaß zu einer gesetzlichen Beweisverteilung, wenn die Parteien nach Abschluß eines Rechtsgeschäfts, vielleicht geraume Zeit später, seine Beurkundung vereinbaren. Hier tritt vielmehr der allgemeine Beweisgrundsatz in Kraft, daß derjenige, der behauptet, die Form sei der Gültigkeit des Geschäftes halber bestimmt, und daraus Rechte ableitet, beweispflichtig ist. Die Entstehungsgeschichte des § 125 Satz 2 läßt auch keinen Zweifel, daß der Gesetzgeber von der vorstehenden Auffassung ausgegangen ist. § 125 ist aus § 91 Abs. 2 des I. Entwurfs hervorgegangen und mit gleichem Inhalt in knapperer Fassung Gesetz geworden. Die Motive, die sich über die Zweckmäßigkeit der Vorschrift verbreiten, sagen ausdrücklich: „Wird für einen bereits geschlossenen Vertrag eine Form nachträglich verabredet, so greift die Regel des Entwurfs selbstverständlich nicht Platz" (Mugdan Bd. 1 S. 452). In der II. Kommission wurde die Fassung angenommen, die jetzt Gesetz ist. Bei der Beratung des § 125 wurde beantragt: „4. Dem §78 (G. 154) folgenden Absatz beizufügen: Ist eine Beurkundung des abzuschließenden Vertrags verabredet worden, so ist im Zweifel der Vertrag nicht geschlossen, solange die Beurkundung nicht erfolgt ist." Am Schluß des Protokolls heißt es: „Die Kommission hielt für beide Fälle (des § 125 Satz 2, nämlich, daß die Parteien bei der Unterhandlung über einen Vertrag verabreden, daß er beurkundet werden soll, oder daß in einem Vertrage für spätere Rechtsgeschäfte eine bestimmte Form vorgeschrieben wird, vgl. oben) die Aufnahme einer Auslegungsregel für ein praktisches Bedürfnis. . . Die Verschiedenheit zwischen dem Entwürfe, soweit er sich auf den ersten Fall bezieht, und dem Antrag 4 (jetzt § 154 Abs. 2) wurde als eine in der Hauptsache redaktionelle angesehen" (Mugdan Bd. 1 S. 695, 696). Nicht ohne Bedeutung ist ferner, daß in der Kommission beantragt war, in § 116 Abs. 2 des II. Entwurfs (I. Entw. § 78), der fast gleichlautend als § 154 Abs. 2 in das Gesetz übergegangen ist, das Wort „beabsichtigten" zu
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streichen. „Dieser Antrag will", heißt es im Protokolle, „während der Entwurf den Abs. 2 auf den Fall beschränkt, daß die Parteien bei Beginn oder im Laufe der Verhandlungen vor der mündlichen Einigimg die Beurkundung verabredet haben, die Vorschrift auch dann gelten lassen, wenn diese Abrede im unmittelbaren Anschluß an den mündlichen Vertragsschluß erfolgt ist. . . . Der Antrag wurde abgelehnt, soweit er eine sachliche Änderung bezweckt, weil die Auslegungsregel in der vorgeschlagenen Erstreckung auf eine nach vorausgegangener mündlicher Einigung erfolgte Abrede der Beurkundung der tatsächlichen Begründung entbehre und zu rechtlichen Schwierigkeiten führe" (Mugdan Bd. 1 S. 688). Hieraus erhellt sowohl der enge Zusammenhang zwischen § 125 Satz 2 und § 154 Abs. 2 wie die Übereinstimmung der II. Kommission mit den Motiven, daß § 125 Satz 2 gleich wie § 154 Abs. 2 sich auf den Fall nicht bezieht, wo erst nach Abschluß eines Rechtsgeschäfts dessen Beurkundung vereinbart wurde. Da hier nun, wie das Berufungsgericht feststellt, nach der mündlichen, an sich gültigen Bürgschaftsübernahme des Beklagten die Schriftform verabredet worden ist, so hat der Beklagte, der daraus Rechte ableitet, daß die Schriftform Bedingimg der Gültigkeit des Vertrags war, hierfür den Beweis zu liefern. Einen solchcn Beweis hat er gar nicht angetreten. Er haftet daher aus der mündlichen Bürgschaftserklärung" (die nach § 350 HGB. gültig war). . . . RGZ. 95, 83 ι. Erfordernisse der Schriftform bei Aufnahme mehrerer Urkunden über einen Vertrag. 2. . . . * ) BGB. § 126 Abs. 2 Satz 2. III. Zivilsenat. Urt. v. 25. Februar 1919. I. Landgericht Hannover.
II. Oberlandesgericht Celle.
Der Kläger fordert die Feststellung, daß zwischen ihm und der Beklagten ein Mietvertrag über Geschäftsräume in seinem Hause auf die Dauer von fünf Jahren, eventuell doch von einem Jahr zustandegekommen sei. Er behauptet, daß ein solcher Vertrag durch mündliche Vereinbarung anfangs April 1917 geschlossen und durch die zwischen den Parteien gewechselten Schreiben vom 10. und 15. April 1917 zu einem schriftlichen geworden sei. In dem Briefe vom 10. April 1917 schreibt der Kläger an die Beklagte: „Wir bestätigen die telephonische Unterhaltung mit Ihrem Herrn S. und vermieten Ihnen das in unserem Hause gelegene ParterreLokal auf 5 Jahre zu der festgesetzten Miete von 1700 M. per anno, zahlbar quartaliter." Unter dem 15. April erwidert die Beklagte: „Wir bestätigen .hiermit, bei Ihnen die Parterre-Lokale auf 5 Jahre vom 1. Oktober 1917 ~ •) überholt
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ab zu dem Preise von 1700 M. pro Jahr unter der Bedingung von Ihnen gemietet zu haben, daß wir ein im Giebel anzulegendes Fenster für besseres Licht einrichten können." Das Landgericht entsprach dem in erster Reihe gestellten Klagantrage. Das Oberlandesgericht wies diesen Antrag unbedingt ab und machte die Entscheidung über den zweiten von der Leistung zugeschobener Eide abhängig. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen. Gründe: „Land- und Berufungsgericht erachten die für einen Mietvertrag von mehr als einjähriger Dauer in § 566 BGB. erforderte Schriftform durch den Briefwechsel der Parteien vom 10./15. April 1917 für gewahrt. Das Berufungsgericht führt aus, daß es zur Wahrung der Schriftform nach § 126 Abs. 2 BGB. genüge, daß Urkunden ausgetauscht seien, die insoweit gleichlauten, als die Punkte in Betracht kommen, die nach dem Willen der Parteien das Wesen des Vertrags ausmachen, mag der Inhalt der Urkunden im übrigen auch nicht gleichlauten. Dies ist rechtsirrig. § 126, der die durch Gesetz vorgeschriebene Schriftform regelt, fordert bei Verträgen grundsätzlich die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde. Doch genügt, wenn über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen sind, daß jede Partei die für die andere bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 Satz 2). Voraussetzung dieser, die grundsätzliche Vorschrift mildernden Bestimmung ist danach, daß in mehreren gleichlautenden Urkunden der Vertrag in seinem Gesamtinhalte niedergelegt ist. Es genügt, wie das Reichsgericht bereits in seiner Entscheidung Bd. 59 S. 245 — vgl. auch Bd. 68 S. 186 (Bd. 67 S. 214 und Bd. 80 S. 400 stehen nicht entgegen) — ausgesprochen hat, nicht, daß in jeder der Urkunden nur die einseitige Willenserklärung einer Partei enthalten ist, so daß erst aus der Zusammenfassung beider Urkunden die für das Zustandekommen des Vertrags notwendige Willensübereinstimmung entnommen werden könnte. In jeder der Urkunden muß vielmehr der Wille aller Vertragschließenden ausgesprochen sein, aus jeder muß sich der für das Rechtsgeschäft wesentliche Inhalt vollständig und unmittelbar ergeben. Diesen Erfordernissen entspricht der Briefwechsel vom 10.Ί5. April 1917 in keiner Weise. Jeder der beiden Briefe enthält nur die Willenserklärung je einer der Parteien. Ein Briefwechsel genügt überhaupt nicht zur Wahrung der gesetzlichen Schriftform, die die Aufnahme einer Urkunde voraussetzt, sondern nur zur Wahrung der durch Rechtsgeschäft vereinbarten Schriftform, und auch dies nur, wenn nicht ein anderer Wille der Parteien anzunehmen ist (§ 127). Das Berufungsgericht verkennt überdies völlig die Bedeutung der Vorschrift des § 126 Abs. 2, wenn es die Briefe vom 10. und 15. April für „gleichlautende Urkunden" erklärt, obwohl sie sich, wie das BerufungsZivils. Alldem.
Teil 2
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gericht selbst sagt, auch inhaltlich „nicht decken". Der Zweck der Vorschrift ging gerade dahin, klar festzustellen, was die Parteien wollen, und Streitigkeiten über den Vertragsinhalt, die sich bei Zulassung des Vertragsschlusses durch Briefwechsel leicht ergeben könnten, zu vermeiden. Vgl. die Begründung zu § 54 Entwurf I BGB., Bd. 1 S. 189 und die Denkschrift Buch 1, V, 2 (Heymannsche Ausgabe S. 38). Diesem Zwecke der Vorschrift widerspricht es, Urkunden als gleichlautend anzusehen, wenn sie derart voneinander abweichen, daß gerade zweifelhaft bleibt, was nach dem Willen der Parteien das Wesen des Vertrags ausmachen soll. Hiernach scheitert der erste, auf Feststellung des Bestehens eines fünfjährigen Mietvertrags gerichtete Klagantrag schon an dem Mangel der gesetzlichen Schriftform, so daß es eines Eingehens auf die Begründung des Berufiingsgerichtes, mit der dieses den ersten Klagantrag abweist, nicht bedarf....
RGZ. 95, 112 Kann der auf Übertragung eines Rechtes gerichtete Vertrag von dem Erwerber des Rechtes wegen Irrtums über dessen Beschaffenheit angefochten werden ? BGB. § 119. II. Zivilsenat. Urt. v. 7. März 1919. I. Landgericht Frankfurt a. Ο.
II. Kammergericht Berlin.
Der Klägerin war von der Gerste-Verwertungs-Gesellschaft m. b. H. (GVG.), der die öffentliche Bewirtschaftung der Gerstenbestände und die Zuweisung der Gerste an die einzelnen Bezugsberechtigten oblag, ein Recht auf den Bezug von 4740 Ztr. Gerste gewährt worden. Nachdem sie schon 942 Ztr. bezogen hatte, war sie mit der Beklagten wegen der Übertragimg ihres Bezugsrechts in Vertragsverhandlungen getreten. Diese Verhandlungen, in deren Verlaufe sie weitere 450 Ztr. bezog, führten zu einem Abkommen, das die Beklagte durch Schreiben vom 9. Dezember 1915, wie folgt, bestätigte: . . . „Sie übertragen mir ein Gerstenbezugsrecht von 3250 Ztr. Gerste. Ich liefere Ihnen dagegen 75 % gutes Braumalz mit 5 % Wassergrenze. Sie vergüten mir für 100 kg Malz 70 M. netto Kasse bei Anlieferung des Malzes bahnfrei Sagan. Der § 7 der Ihnen eingesandten Malzlieferungsbedingungen erfahrt zwischen uns insofern eine Sondervereinbarung, als für den Fall, daß die GVG. nur 80% Gerste zur Verteilung bringen sollte, ich Ihnen die differierenden 20% resp. das entfallende Malz aus eigenen Beständen liefere zu dem vereinbarten Preise, so daß Sie in diesem Falle doch auf 100% kommen. Sollte jedoch weniger als 80% des Gerstenkontingents erhältlich sein, so
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mindert sich meine Verpflichtung zur Lieferung um den entsprechenden Teil. Wenn also zum Beispiel nur 70% Gerste geliefert werden, hätte ich Ihnen 2193,75 Ztr. Malz zu liefern." . . . Die Beklagte erhielt auf Grund des ihr übertragenen Bezugsrechts von der GVG. nur noch 1050 Ztr. Gerste zugewiesen und lieferte der Klägerin 800 Ztr. Malz. Erst später, durch einen Brief der Klägerin vom 1. Februar 1916, erfuhr sie, daß die Klägerin ursprünglich zum Bezüge von 4740 Ztr. Gerste berechtigt gewesen war und bis zum Vertragschlusse schon 1392 Ztr. erhalten hatte, während sie angeblich geglaubt hatte, daß die Klägerin erst 450 Ztr. bezogen und noch 3250 Ztr. zu beziehen habe. Sie schrieb deshalb der Klägerin am 2. Februar 1916, daß sie den Vertrag vom 9. Dezember 1915 als nichtig betrachte. Daraufhin wurde die Klägerin auf Verurteilung der Beklagten zur Lieferung von noch 347,35 Ztr. Malz gegen Zahlung von 70 M. für 100 kg klagbar. Die Beklagte beantragte die Abweisimg der Klage." Sie wandte ein, daß sie von der Klägerin in den Irrtum versetzt worden sei, das Bezugsrecht habe sich ursprünglich auf nur 3700 Ztr. Gerste belaufen und die Klägerin habe darauf selbst nur 450 Ztr. erhalten, daß sie wegen dieses Irrtums den Vertrag durch ihr Schreiben vom 2. Februar 1916 rechtmäßig angefochten habe und daß sie deshalb zu der mit der Klage geforderten Malzlieferung nicht verpflichtet sei, daß ihr aber auch jede weitere Lieferung unmöglich sei, weil ihr die GVG. nur 1050 Ztr. Gerste überwiesen habe und sie sich anderswoher Gerste nicht beschaffen könne. Die Klägerin leugnete die Rechtmäßigkeit der Irrtumsanfechtimg und die angebliche Unmöglichkeit der Vertragserfüllung, stellte aber hilfsweise den Antrag auf Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von 31261,50 Mark Schadensersatz. Das Landgericht hielt den Irrtumseinwand für durchgreifend und wies die Klage ab. Dagegen gab das Kammergericht der von der Klägerin eingelegten Berufung insofern statt, als es unter Abweisung des Hauptanspruchs den auf Zahlung von 31261,50 M. gerichteten Schadensersatzanspruch dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärte. Es führte aus : Die Voraussetzungen für die Anfechtung wegen Irrtums seien nicht gegeben. Es handle sich hier nicht um Eigenschaften einer Sache im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB., über die sich die Beklagte geirrt haben wolle. Zweifelhaft sei schon, ob von einer Eigenschaft des Bezugsrechts die Rede sein könne. Der Beklagten sei das Gerstenbezugsrecht über 3250 Ztr. übertragen, sie habe gewußt, daß sie nicht das volle — ungeschmälerte, unausgenutzte — Bezugsrecht erhalte, denn es sei ihr bekannt gewesen, daß die Klägerin schon 450 Ztr. bezogen habe. Der Umstand aber, daß das Bezugsrecht schon in höherem Maße, d. h. in Höhe von 1392 Ztr. ausgenutzt gewesen sei, könne nicht ohne weiteres als eine Eigenschaft des in ganz bestimmter Höhe der Beklagten überlassenen Rechtes bezeichnet werden. Doch könne diese Frage dahingestellt bleiben. Denn die Beklagte habe 23·
356 keine Gerste, also keine Sache, keinen körperlichen Gegenstand, von der Klägerin erworben, sondern ein Bezugsrecht auf Gerste, also eine Forderung, und die weit überwiegende Rechtsprechung stehe auf dem Standpunkte, daß unter Sachen im Sinne des § 119 Abs. 2 BGB. nur körperliche Gegenstände und nicht der sogenannte „Erklärungsgegenstand", also auch Rechte und Forderungen, zu verstehen seien, und daß die erwähnte Gesetzesvorschrift auch keine entsprechende Anwendung auf Rechte zu finden habe. Dieser Standpunkt, den namentlich das Reichsgericht ständig vertreten habe, werde zwar in der Literatur mehrfach bekämpft, sei aber zu billigen. Liege danach keine Eigenschaft einer Sache vor, so handle es sich nur um einen Irrtum im Beweggründe. Dieser stelle sich hier nicht zugleich als ein solcher über den Inhalt der Erklärung dar. Der Inhalt der Abmachung vom Dezember 1915 sei der, daß der Beklagten ein Gerstenbezugsrecht von 3250 Ztr. übertragen worden sei. Darüber habe sich die Beklagte nicht geirrt, ebensowenig, wie gezeigt, darüber, daß sie kein volles Bezugsrecht, sondern ein schon geschmälertes, von der Klägerin schon zum Teil ausgenutztes, erhalten habe. Ob das Recht früher mehr oder weniger ausgenutzt war, habe vielleicht auf ihren Entschluß, es zu erwerben, von Einf luß sein können, dann aber nur einen Beweggrund gebildet. Die Klägerin könne daher Ansprüche aus dem Vertrag erheben. Da die Beklagte jedoch geltend gemacht habe, daß ihr die Lieferung jetzt unmöglich sei, und da dies nach Auskunft der Handelskammer als dargetan gelten müsse, aber niemand zu einer unmöglichen Leistimg verurteilt werden könne, so unterliege der Hauptklagantrag der Abweisung. Dagegen sei die Beklagte nicht damit zu hören, daß ihr die Lieferung schon im Februar 1916 unmöglich gewesen sei. Auch sei schon jetzt festzustellen, daß der Klägerin infolge der Nichtlieferung irgendein Schaden entstanden sei. Demgemäß sei der Hilfsantrag dem Grunde nach für gerechtfertigt zu erklären. Die Abweisung des Hauptanspruchs wurde von keiner Seite beanstandet. Dagegen wurde die Entscheidung über den Schadensersatzanspruch von der Beklagten mit Erfolg angegriffen und die Sache insoweit in die Berufungsinstanz zurückverwiesen. Aus den G r ü n d e n : . . . „Die Rüge der Verletzung des § 119 Abs. 1 BGB. ist gerechtfertigt. Hat die Beklagte, wie das Berufungsgericht unterstellt, bei Abschluß des Vertrags mit der Klägerin geglaubt, das ihr von dieser übertragene Recht auf den Bezug von 3250 Ztr. Gerste sei ursprünglich auf 3700 Ztr. gerichtet und von der Klägerin erst in Höhe von 450 Ztr. ausgeübt gewesen, während das Recht in Wirklichkeit anfänglich auf 4740 Ztr. gegangen und schon in Höhe von 1392 Ztr. ausgenutzt war, und ist die Beklagte durch diesen Irrtum bestimmt worden, den Vertrag so, wie geschehen, abzuschließen, so hat sie nicht lediglich im Beweggrunde, sondern auch über den Inhalt ihrer Vertragserklärung geirrt. Die Parteien haben von vornherein angenommen, daß der GVG. nicht genug Gerste zur Verfügung stehe, um den
357 Bezugsberechtigten die ihnen zunächst in Aussicht gestellten Mengen voll zuweisen zu können. Auch stand ohne weiteres fest, daß kein Bezugsberechtigter vor dem anderen bevorzugt werden durfte, daß vielmehr sämtliche Bezugsberechtigte sich die Ermäßigung der ihnen in Aussicht gestellten Mengen auf den gleichen Bruchteil gefallen lassen mußten, und daß der einzelne sich auf seine so ermäßigte Menge alles anrechnen zu lassen hatte, was ihm etwa schon geliefert worden war. Für den Umfang des den Gegenstand des Vertrags bildenden Bezugsrechts war daher nicht der in dem Bestätigungsschreiben der Beklagten vom 9. Dezember 1915 angegebene Restbetrag von 3250 Ztr. maßgebend, dessen volle Lieferung von keiner Seite erwartet wurde, sondern es waren die Mengen bestimmend, als deren Unterschied sich der Restbetrag darstellte, nämlich die der Klägerin von der GVG. ursprünglich in Aussicht gestellte Zentnerzahl und die Zahl der Zentner, die der Klägerin bereits geliefert worden waren. Aus diesen beiden bei Abschluß des Vertrags feststehenden Faktoren und aus dem damals noch ungewissen Bruchteile, bis zu dem die GVG. die einzelnen Bezugsberechtigten zu befriedigen vermochte, ergab sich die Höhe des der Beklagten übertragenen Bezugsrechts. Wenn es also richtig ist, daß die Beklagte in dem Bezugsrecht über 3250 Ztr., das tatsächlich ein schon in Höhe von 1392 Ztr. verbrauchtes Bezugsrecht über 4740 Ztr. war, ein Recht zu erwerben glaubte, das die Klägerin erst in Höhe von 450 Ztr. ausgenutzt hatte, so befand sie sich in einem Irrtum über den Inhalt ihrer Vertragserklärung. Daß ihre vertragliche Gegenleistung nach Prozenten von 3250 Ztr. bestimmt war, ändert hieran nichts. Ihr Irrtum war zwar bedeutungslos, falls die der GVG. zwecks Verteilung an die Bezugsberechtigten zur Verfügung stehende Gesamtmenge hinter der Summe der den Berechtigten in Aussicht gestellten einzelnen Mengen nur wenig zurückblieb. Denn die Beklagte würde, wenn etwa der GVG. im ganzen 91 % dieser Summe zur Verfügung gestanden hätten, auf das in Höhe von 1392 Ztr. schon ausge111 - 1 3 9 2 übte Recht zum Bezüge von 4740 Ztr. Gerste immer noch ( ) ( 2921,4 Ztr., also noch etwas mehr erhalten haben als auf ein in Höhe von 450 Ztr. ausgeübtes Recht zum Bezüge von 3700 Ztr. (nämlich •:,7,M'' !M· — 4 5 0 2917 Ztr.). Der Irrtum würde sich aber schon bei Ermäßigung der zur Verteilung verfügbaren Gesamtmenge auf 90'V, zuungunsten der Beklagten bemerklich gemacht haben, da die Beklagte alsdann nicht noch ( :i7'|l,('--'— — 450 =- ) 2880 Ztr., sondern nur mehr ( 4 7 —1392 ) 2874 Ztr. erhalten hätte, und er mußte immer fühlbarer werden, je mehr der zur Verfügung stehende Prozentsatz sank. Tatsächlich sind auf die 4740 Ztr., die der Klägerin in Aussicht gestellt waren, schließlich nur im ganzen (1392 + 1050 = ) 2442 Ztr. oder nicht ganz 52% zur Verteilung gelangt; die Beklagte hätte sonach bei einem nur in Höhe von 450 Ztr. verbrauchten Recht auf 3700 Ztr. noch fast ( — 450 - ) 1474 Ztr. zu beanspruchen gehabt, während sie nur 1050 Ztr. erhalten hat.
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Allgemeiner Teil
Es läßt sich deshalb nicht ohne weiteres annehmen, daß sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles ihre Vertragserklärung gleichfalls abgegeben haben würde." . . . RGZ. 96, 156 Ist neben der Wandelungsklage die Anfechtung des Vertrags nach § 123 BGB. zulässig ? BGB. § 123. I I I . Zivilsenat. Urt. v. 24. Juni 1919. I. Landgericht Dresden.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Kläger hat von dem Beklagten im Jahre 1915 das in ermieteten Räumen untergebrachte Kino „Walhalla-Theater" in Dr. gekauft. Im März 1916 hat er den Betrieb des Unternehmens eingestellt. Er will vom Beklagten über die Ertragsfähigkeit des Theaters getäuscht worden sein und hat deshalb den Vertrag angefochten. In zweiter Linie hat er die Wandelung des Vertrags und Schadensersatz begehrt. Er fordert die Rückgewähr seiner Anzahlung, ferner die Erstattung eines Betrags, den er zur Aufrechterhaltung des ertraglosen Betriebs aufgewendet haben will, sowie die Befreiung von den Verpflichtungen aus dem über den Theaterraum abgeschlossenen Mietvertrag. Das Landgericht hat die Entscheidung von einem richterlichen Eide des Klägers über die dem Beklagten vorgeworfenen unwahren Versicherungen abhängig gemacht. Die Berufung und die Revision des Beklagten sind erfolglos geblieben. Aus den G r ü n d e n : „Das Oberlandesgericht legt der Beurteilung der Klagansprüche rechtsirrtümlich den § 463 BGB. zugrunde. Es ist zwar zutreffend, daß die dem Beklagten vorgeworfenen unwahren Zusicherungen über die Ertragsfälligkeit des Theaterunternehmens die Vorspiegelung einer Eigenschaft des Kaufgegenstandes enthalten, welche an sich die sinngemäße Anwendung des zweiten Satzes der bezeichneten Vorschrift rechtfertigt (RGZ. Bd. 67 S. 86, Bd. 83 S. 241, 243). Verkannt ist aber, daß der dort vorgesehene Ersatzanspruch ein vertraglicher ist, sonach das Fortbestehen des Vertrags zur Voraussetzung hat, und deshalb bei der Nichtigkeit des Geschäfts, welche durch die schon in der Klage erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung herbeigeführt wurde (§ 142 BGB.), nicht Platz greifen kann. Der Berufimgsrichter mißt der Anfechtung zu Unrecht keine Bedeutung bei. Er verweist hierzu auf die Entscheidungsgründe des Landgerichts, wo unter Bezugnahme auf RGZ. Bd. 70 S. 429 ausgeführt wird, daß eine Konkurrenz der Anfechtung wegen Betrugs mit den Gewährleistungsansprüchen wegen Mängel der Kaufsache nicht stattfinde, weil die Vor-
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Schriften der §§ 459 flg. BGB. als Sondervorschriften den Bestimmungen des allgemeinen Teiles, insbesondere dem § 123, vorgingen und nach dem Geiste des Gesetzes eine Rückgängigmachimg der Kaufgeschäfte wegen Fehler im Sinne des § 459 nur nach den Grundsätzen der Wandelung möglich sein solle. Der zweite Senat des Reichsgerichts hat allerdings in dem bezeichneten Urteil ausgesprochen, daß der Käufer, der beim Gattimgskauf durch arglistiges Verschweigen eines nach §§ 480, 459 BGB. zu vertretenden Sachmangels zur Annahme der vertragswidrig beschaffenen Sache bestimmt worden sei, zur Aufhebung dieses Erfüllungsgeschäfts und zur Rückforderung des gezahlten Kaufpreises nur nach den Grundsätzen der Wandelung, nicht der Anfechtung gelangen könne. In einer späteren Entscheidung vom 26. November 1912 (Warneyer 1913 S. 111) ist jedoch von demselben Senate die Anfechtung eines Kaufvertrags über ein Geschäftsunternehmen wegen betrüglicher Angaben über die Geschäftseinnahmen für zulässig erachtet worden. Vorher schon hatte der V. Senat in einer Entscheidung vom 26. Oktober 1912 (Jur. Wochenschr. 1913 S. 88) die Anfechtung eines Grundstückskaufs wegen Täuschung des Käufers über einen dem Grundstück anhaftenden Mangel für statthaft erklärt. Zu einer Anrufung der vereinigten Zivilsenate (§ 137 GVG.) bietet daher der Standpunkt des erkennenden Senats in der vorliegenden Sache um so weniger Anlaß, als es sich hier ebenso wie in den beiden zuletzt erwähnten Urteilen nicht um einen Gattungskauf, sondern um den Kauf einer individuell bestimmten Sache handelt. Die Anfechtung ermöglicht es dem Käufer, den Vertrag in den Grenzen des § 142 BGB. mit dinglicher Wirkung gegen jedermann zu vernichten, während der Anspruch auf Wandelung ihn nur in den Stand setzt, die schuldrechtliche Aufhebung des Vertrags nach Maßgabe gewisser Vorschriften über das vertragsmäßige Rücktrittsrecht herbeizuführen (§ 467). Es ist kein Grund ersichtlich, der den Gesetzgeber veranlaßt haben könnte, dem Käufer, der durch arglistiges Verschweigen von Sachmängeln oder durch Vorspiegelung von Eigenschaften der Kaufsache zum Vertragsabschluß bewogen wurde, die auf alle Fälle der arglistigen Täuschung berechnete Anfechtung zu entziehen und ihn auf das mit schwächeren Wirkungen ausgerüstete Wandelungsrecht zu beschränken. Eine solche Regelung würde eine Begünstigung des Schädigers und seiner bösgläubigen Rechtsnachfolger auf Kosten des Getäuschten in sich schließen und kann deshalb nicht beabsichtigt sein. Der Auslegung des Gesetzes in diesem Sinne steht auch der Umstand entgegen, daß die Voraussetzungen beider Rechtsbehelfe in einem erheblichen Punkte voneinander abweichen. Als Unterlage für den Anspruch auf Wandelung reicht das arglistige Verschweigen oder das arglistige Zusichern des Verkäufers hin. Die Anfechtung erfordert dagegen eine Einwirkung dieses arglistigen Verhaltens auf den Vertragswillen des Käufers (Jur. Wochenschr. 1913 S. 197 Nr. 8, 1914 S. 189 Nr. 5). Widersprüche werden durch die Zulassung der Anfechtung neben der Wandelung in das Gesetz nicht hineingetragen. Der aus § 461 zu entnehmende Ausschluß der Haftung für arglistiges Verhalten nötigt
360 zu dem Schlüsse, daß in dem dort geregelten Falle auch für eine Anfechtung kein Raum ist. Die Abweichung der Bestimmung in § 124 Abs. 1 von den Vorschriften in § 477 Abs. 1 verb, mit § 195 und § 478 läßt aber in Anbetracht der oben hervorgehobenen Verschiedenheit der Wirkungen beider Rechtsbehelfe deren Nebeneinanderbestehen nicht unerträglich erscheinen. Wie hiernach kein hinlänglicher rechtlicher Grund besteht, die Anfechtimg des Klägers unbeachtet zu lassen, so sind in den Feststellungen des Berufungsurteils, abgesehen von den noch beweisbedürftigen, den Gegenstand des richterlichen Eides bildenden Zusicherungen des Beklagten, auch die tatsächlichen Grundlagen für die Anfechtung gegeben. . . . Wenn sonach der Kläger den ihm auferlegten Eid leistet, so greift die Anfechtung durch und es erweisen sich alsdann sämtliche Klagansprüche als gerechtfertigt. Die Rückgewähr der Anzahlung nebst Zinsen kann der Kläger gemäß §§ 812, 819 BGB., die Befreiung von den Verpflichtungen aus dem Mietvertrag und die Vergütung der Aufwendungen, die er zur Aufrechterhaltung des Theaterbetriebs über die Einnahmen hinaus gemacht hat, aus dem Gesichtspunkte des Schadensersatzes fordern. Denn neben den Folgen der Nichtigkeit kann er die Herstellung des Zustandes verlangen, der ohne die Täuschung bestehen würde." . . .
RGZ. 97, 2 Inwiefern erlischt eine feste Offerte, auch wenn sie o h n e zeitliche Schranke gemacht worden ist, durch Zeitablauf ? BGB. §§ 133. I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. H.Oktober 1919. I. Landgericht I Berlin, K a m m e r für Handcissachen.
II. Kammergericht daselbst.
Die Klägerin behauptet, daß sie auf Grund eines Abschlusses vom 12. Februar 1915 von der Beklagten 10000 E>tzd. Damenstrümpfe auf Lieferung fest gekauft habe, die Lieferung von der Beklagten aber verweigert sei, und sie erhebt Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung des Vertrags. Die Parteien standen bereits miteinander in Geschäftsbeziehungen, als am 12.'13. Februar 1915 zwischen ihnen ein Abschluß über Lieferung von 7000 Dtzd. Damenstrümpfen, in 3 Qualitäten auf Abruf bis spätestens 31. Dezember 1915 zu liefern, zustande kam. In dem Bestätigungsschreiben der Klägerin lautet es ferner: Einen weiteren Abschluß auf obige 3 Qualitäten oder in ähnlichen guten Ersatzqualitäten in diesen Preislagen, welche uns von Ihnen in den nächsten 14 Tagen bis 3 Wochen anzustellen sind, halten Sie uns bis zur Höhe von 10000 Dtzd. frei. Anfang März 1915 hat die Beklagte bezüglich einer der drei Qualitäten der Klägerin das Muster eines Ersatzes zugehen lassen und sodann auf deren Verlangen sich bereit erklärt, aus dem bemusterten Faden probeweise
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20—30 Dtzd. Strümpfe herzustellen. Am 18. März 1915 schrieb die Klägerin der Beklagten, daß sie die Ersatzmuster erwarte. In der Folgezeit wurde wegen der Lieferung der 7000 Dtzd. Strümpfe zwischen den Parteien vielfach korrespondiert. Auf die 10000 Dtzd. kam die Klägerin allererst mit ihrem Schreiben vom 5. September 1916 wieder zurück, indem sie nunmehr die Lieferung auch dieses Quantums beanspruchte, die die Beklagte ablehnte. Die Klage wurde abgewiesen, die Berufung zurückgewiesen. Auch die Revision wurde zurückgewiesen. Aus den G r ü n d e n : „Mit Recht stellt der Vorderrichter — im Gegensatze zum Richter erster Instanz — fest, daß es in dem Abschlüsse vom 12. Februar 1915 zwischen den Parteien nicht nur hinsichtlich der festverkauften 7000 Dtzd. Strümpfe, sondern auch in Beziehung auf die weiter in Aussicht genommene Lieferung von 10000 Dtzd. zu einem festen Abkommen insofern gekommen ist, als die Beklagte sich einseitig gebunden hat, in kurzer Frist Ersatzmuster zu stellen und auf Verlangen der Klägerin nach diesen zu liefern. Aber ebenso zutreffend nimmt der Vorderrichter an, daß die Beklagte an diese Offerte nicht mehr gebunden war, als Klägerin nach Ablauf von etwa 1 \ ·> Jahren auf die Sache zurückkam und die Ersatzmuster verlangte. Wenn zur Begründung dessen gesagt wird, daß Klägerin auf ihre Rechte aus dem Vertrage stillschweigend verzichtet habe, und ferner, daß die Parteien den Vertrag stillschweigend wieder aufgehoben haben, so kann dahingestellt bleiben, ob das im Sinne einer tatsächlichen Feststellung zu verstehen ist und ob für eine solche Feststellung die genügenden tatbestandmäßigen Unterlagen vorliegen würden. Denn es ist davon auszugehen, daß einer einseitigen Bindung dieser Art von vornherein, auch ohne daß es ausgesprochen worden ist, eine zeitliche Schranke innewohnt. Vernünftigerweise können die Vertragschließenden es anders nicht gewollt und gemeint haben. Immer läuft eine Frist, nach deren Ablauf die Offerte erlischt. Die Länge dieser Frist muß aus allgemeinen Gesichtspunkten und nach den Umständen des einzelnen Falles nach Billigkeit bemessen werden. Dem hat sich der Vorderrichter mit ausführlicher und rechtlich einwandfreier Begründung unterzogen. Dabei hat er mit Recht dem U m stände keine entscheidende Bedeutung beigemessen, daß die Beklagte in ihrem Schreiben vom 13. März 1915 ein Muster in Gestalt von 20—30 Dtzd. innerhalb 4 Wochen zugesagt und die Klägerin in ihrer Antwort vom 18. März erwidert hatte, sie erwarte diese Muster, worauf dann weiter nichts erfolgt ist. Denn selbst wenn zugegeben wäre, daß die Beklagte mit Lieferung der Muster in Verzug geraten ist, so würde doch noch nicht die Gebundenheit der Beklagten in das Endlose verlängert worden sein. Es war der Klägerin unbenommen, die in Stillstand geratene Angelegenheit in jedem Augenblicke wieder aufzunehmen. Nach den Feststellungen des Vorderrichters hat sie das nicht getan. Sie ist in Beziehung auf die fest-
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verkauften 7000 Dtzd., deren Lieferung sich bis in den Oktober 1916 erstreckt hat, dauernd in ständigem Briefwechsel mit der Beklagten gewesen, ohne in ihren Briefen bis zum 5. September 1916 auch nur einmal auf gegenwärtige Angelegenheit zurückzukommen. Unter diesen Umständen konnte die Beklagte sich mit Recht auf den Standpunkt stellen, daß ihre Offerte der Klägerin nicht mehr offen stand." . . . RGZ. 97, 138 Kann der Kauf von Wertpapieren wegen Irrtums über deren Börsenkurs angefochten werden ? BGB. §§ 119, 133, 157. I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 12. November 1919. I. Landgericht I Berlin.
II. Kammergericht daselbst.
Die Klägerin bot durch Schreiben vom 26. September 1917 der Beklagten 3000 M. Düsseldorfer Eisen- und Draht-Aktien zum Kauf an, und zwar zum Kurs von 198, nachdem sie auf Anfrage von der Beklagten die Mitteilung erhalten hatte, daß der Kurs 207 betrage. Die Beklagte bestätigte durch Schreiben vom 28. September 1917, daß sie als Eigenhändlerin die genannten Papiere zum Kurse von 198 bzw. 199 von der Klägerin gekauft habe. Durch Schreiben vom 20. Oktober 1917 teilte sie aber der Klägerin mit, daß die Abrechnimg vom 28. September 1917 über den Verkauf von „3000 Düsseldorfer Eisen- und Draht-Industrie-Aktien" zu 198 auf einem Irrtum beruhe, da dieser Kurs den Verkauf von „Aktien der Düsseldorfer Eisenhüttengesellschaft" darstelle, und daß demgemäß die Beklagte ihre Verkaufsorder vom 28. September storniere. Die Beklagte steht auf dem Standpunkte, daß sie mit diesem Schreiben ihre Erklärung vom 28. September 1917 betr. den Ankauf der Düsseldorfer Eisen- und Draht-Aktien wegen Irrtums angefochten habe, und zwar rechtzeitig, da sie erst am 20. Oktober von dem Anfechtungsgrunde Kenntnis erlangt habe. Die Klägerin will die Anfechtung nicht gelten lassen und beansprucht die Feststellung, daß der Ankauf der 3000 M. Düsseldorfer Eisen- und DrahtAktien durch die Beklagte zu Recht besteht. Die Vorinstanzen gaben der Klage statt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg aus folgenden Gründen: „Legt man den Wortlaut der Erklärung der Beklagten vom 28. September 1917 für sich allein zugrunde, so ist zwischen den Parteien ein Vertrag geschlossen, inhalts dessen die Beklagte von der Klägerin die fraglichen Wertpapiere zu einem bestimmten Kurse von 198 und 199 gekauft hat. Nim darf aber der an sich zu billigende Gesichtspunkt, daß die Zuverlässigkeit ausdrücklicher vertraglicher Erklärungen ein Erfordernis der Sicherheit
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des geschäftlichen Verkehrs ist, in Gemäßheit von §§ 157, 133 BGB. nicht zu einer Überspannung der Bedeutung des buchstäblichen Wortsinns führen. Im vorliegenden Falle hat die Klägerin nach ihrer eigenen Darstellung sich am 26. September 1917 durch ihren Ehemann bei der Beklagten nach dem Kurse der streitigen Aktien erkundigt und die Auskunft erhalten, daß der Kurs 207 sei. Im Anschluß hieran hat sie als Verkäuferin der Beklagten laut Schreiben vom 26. September die fraglichen Wertpapiere zum Kurse von 198 zum Kauf angeboten. In dem genannten Schreiben heißt es weiterhin: „Diese Verkaufsgebote sind verbindlich für mich und gültig bis. . . . Auf die vorstehenden ohne Kursbegrenzung oder bestens gegebenen Anerbieten wollen Sie den Kurs nach billigem Ermessen (§ 315 BGB.) bestimmen . . . " Diese Stelle des Schreibens läßt, wenngleich sie in den Rahmen des Angebots nicht ohne weiteres hineinpaßt, erkennen, daß die wesentliche Grundlage des Angebots der jeweilige Tageskurs sein sollte mit der Einschränkung, daß unter einem Kurse von 198 nicht abgeschlossen werden durfte. Wenn dann die Beklagte laut Schreiben vom 28. September 1917 erklärte, daß sie als Eigenhändlerin die fraglichen Aktien „heute", d. h. am 28. September 1917, per Kasse zum Kurse von 198 bzw. 199 gekauft habe, so ist damit in einer auch für die Klägerin erkennbaren Weise zum Ausdruck gebracht, daß zu dem betreffenden Tageskurse, der die genannte Höhe erreicht habe, der Kaufvertrag zustande gekommen sei. Insofern ähnelt der vorliegende Fall in wesentlichen Punkten dem in RGZ. Bd. 94 S. 65 behandelten Rechtsstreit. Allerdings ist dort angenommen, daß ein Kommissionsgeschäft oder auch eine Kommission mit Selbsteintritt des Kommissionärs in Frage komme, während hier die Feststellung des Vorderrichters, daß ein Eigengeschäft der Parteien vorliege, ohne erkennbaren Rechtsirrtum getroffen und von der Revision nicht beanstandet worden ist. Es können aber die in der genannten Entscheidung dargelegten Grundsätze auf ein Eigengeschäft jedenfalls dann entsprechende Anwendung finden, wenn es sich, wie hier, um den An- und Verkauf von Wertpapieren handelt, die zwar derzeit infolge der Kriegsverhältnisse keinen amtlichen, aber einen tatsächlichen Börsenkurs hatten und an einem bestimmten Tage gehandelt worden sind, da hier nach Lage der Sache für beide Vertragsteile nur der Börsenkurs des betreffenden Tags als Kaufpreis in Betracht kommen konnte. Daß die Beklagte sich bei Abgabe der erwähnten Erklärung vom 28. September 1917 über die Höhe des fraglichen Tageskurses irrte, ist zwischen den Parteien unbestritten, wie denn auch das Berufungsgericht festgestellt hat, daß die Beklagte derzeit angenommen habe, ihr Börsenvertreter habe die fraglichen Aktien am 28. September 1917 an der Börse zum Kurse von 201 bzw. 198,5, also zu einem etwas höheren als dem der Klägerin berechneten Kurs, weiterverkauft. Dieser Irrtum über den fraglichen Tageskurs war im Hinblick auf die erwähnten besonderen Umstände des Falls nicht ein bloßer Irrtum im Beweggrunde, sondern ein Irrtum über
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Grundlagen der rechtsgeschäftlichen Erklärung, welche in einer dem Gegner erkennbaren Weise diese Erklärung derart beeinflußten, daß der Irrtum über jene als Irrtum über den Inhalt der Erklärung im Sinne von § 119 BGB. erscheint. Demnach ist die Anfechtung der fraglichen Erklärung der Beklagten wegen Irrtums berechtigt, falls dliese Anfechtung rechtzeitig erfolgt sein sollte." . . . RGZ. 97, 253 Z u m Begriff des Verstoßes gegen die guten Sitten, insbesondere im k a u f m ä n n i s c h e n Verkehr. BGB. § 138 Abs. 1 und 2. I. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 6. Dezember 1919. I. Landgericht Duisburg.
II. Oberlandesgericht Düsseldorf.
Der Kläger wollte im Jahre 1912 im Auftrag einer Witwe V. deren umfangreichen Grundbesitz aufteilen und veräußern. Zur Abwickelung dieses Geschäfts wandte er sich an die beklagte Bank. Diese sagte die Beschaffung der Geldmittel gegen Gewinnbeteiligung zu. Sodann kaufte der Kläger im Herbst 1912 ein großes, noch nicht ganz fertiggestelltes und in der Zwangsvollstreckung befindliches Haus in Hamburg. Auch hierfür sagte die Beklagte die Hergabe des nötigen Geldes im Betrage von 40000 M. zu gegen Gewähr einer Gewinnbeteiligung von 40000 M. Anfangs 1913 bedurfte der Kläger für das Haus in Hamburg weiterer Gelder. Die Beklagte versprach ihm, solche vorzustrecken, falls er von dem Besitze der Witwe V. einige Teilstücke an eine von der Beklagten gegründete Landverwertungsgesellschaft verkaufe und die gesamte Beteiligung der Beklagten an dem Gewinn aus der Verwertung jenes Grundbesitzes durch Übernahme einer Schuld von 156500 M. ablöse. Hierauf ging der Kläger ein und erhielt von der Beklagten 4000 M. als Darlehen. Im Rechtsstreite behauptete er, daß die sämtlichen zwischen ihm und der Beklagten geschlossenen Verträge wucherisch, sittenwidrig und deshalb nichtig wären. Hieraus leitete er gegen die Beklagte eine Forderung von 59128 M. her, wegen deren er Klage erhob. In der Berufungsinstanz nahm er jedoch die Klage zurück. Die Beklagte bestritt die Nichtigkeit der Geschäfte und verlangte mit der Widerklage Zahlung des Saldos von 153359 M. gemäß einer von ihr aufgemachten Abrechnung. Das Landgericht gab der Widerklage statt. Auf die Berufung des Klägers wies das Oberlandesgericht die Widerklage ab. Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg.
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Gründe: „Das Berufungsgericht hat angenommen, die Vereinbarung der Parteien vom 6. Februar 1913, durch welche der Kläger der Beklagten als Abfindung für ihre Gewinnbeteiligung die Summe von 156500 M. versprochen habe, verstoße gegen die guten Sitten und sei deshalb nichtig. Danach ergebe sich rechnerisch, daß die Widerklage unbegründet sei. Das Berufungsgericht hat nicht angenommen, daß die Voraussetzungen des Wuchers gegeben seien (§ 138 Abs. 2 BGB.), sondern es hat das Geschäft nach § 138 Abs. 1 als sittenwidrig angesehen. In dieser Richtung hat die Rechtsprechung des Reichsgerichts folgende Grundsätze entwickelt: Der Fall des Wuchers liegt vor, wenn die Ausbedingung eines übermäßigen Vorteils und damit ein auffälliges Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung gegeben, und wenn weiter die Notlage, der Leichtsinn oder die Unerfahrenheit des einen Vertragteils vom anderen ausgebeutet ist. Der Fall des Wuchers ist ein Einzelfall des Allgemeinbegriffs eines sittenwidrigen Geschäfts, wie die Wortfassung des Absatzes 2 des § 138 deutlich ergibt. Wenn somit die Ausbedingung übermäßiger Vorteile allein nach Abs. 2 nicht genügt, um die Nichtigkeit des Geschäfts wegen Wuchers herbeizuführen, so kann sie nach dem inneren Zusammenhange der beiden Absätze des § 138 allein auch nicht genügen, um das Geschäft nach Abs. 1 zu einem sittenwidrigen und somit nichtigen zu machen (RGZ. Bd. 64 S. 181). Es müssen deshalb, damit der Tatbestand des Absatzes 1 gegeben ist, weitere Umstände hinzutreten, die das Geschäft zu einem sittenwidrigen stempeln (RGZ. Bd. 83 S. 112). Diese Umstände müssen so beschaffen sein, daß der Vertrag nach seinem Inhalt und Zweck gegen das gesunde Rechtsempfinden aller anständig und billig Denkenden verstößt. Dabei ist auf die Anschauung derjenigen Gewerbe- oder Handelskreise Rücksicht zu nehmen, denen die Vertragschließenden angehören (RGZ. Bd. 63 S. 391 flg.), und es ist nicht außer acht zu lassen, daß, wenn das Risiko, das der eine Teil läuft, ein erhebliches ist, dieser Umstand nicht nur eine hohe Gewinnprämie, sondern auch Vertragsbestimmungen rechtfertigen kann, durch die jener Teil sich weitgehende Sicherungen verschafft, wenngleich solche Bestimmungen für den anderen Teil mehr oder weniger drückend sein mögen. Freilich darf das nicht so weit gehen, daß eine wirkliche „Knebelung" des einen Teiles herbeigeführt wird, wodurch dieser auf Jahre hinaus lahmgelegt wird und in eine nicht zu rechtfertigende Abhängigkeit von dem anderen Teile gerät. Besonders für den kaufmännischen Verkehr ist weiter zu berücksichtigen, daß durch jede größere Kreditgewährung eine mehr oder minder erhebliche Abhängigkeit des Schuldners von dem Gläubiger herbeigeführt wird. Eine solche Abhängigkeit wird also an sich nicht als sittenwidrig angesehen werden können, vielmehr ist es Sache desjenigen, der ein Unternehmen mit Kredithilfe durchführen will, zu überlegen, ob er jene Abhängigkeit gegenüber den Vorteilen aus der Kreditgewährung in den Kauf nehmen will. Wenn nicht Wucher vor-
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liegt, wird also der Tatbestand des § 138 Abs. 1 bei freiwilliger Kreditnahme zur Eingehung eines neuen geschäftlichen Unternehmens nur selten und nur unter besonderen Umständen gegeben sein, mögen auch die Bedingungen des Kreditgebers scharf sein. Anders aber liegt die Sache, wenn der Kreditsucher an den Kreditgeber schon irgendwie gebunden ist, sei es, daß er ihm seine Aktiva bereits als Sicherheit überwiesen hat, oder daß er ihm stark verschuldet ist oder dgl.; wenn dann jener für weitere Kredithilfe Bedingungen stellt, die nach der Gesamtlage dem Rechtsempfinden jedes billig Denkenden erheblich widerstreiten, dann kann der Tatbestand des Abs. 1 des § 138 nicht selten gegeben sein. Weiter ist über die subjektive Seite der Sache folgendes zu sagen. Häufig wird gelehrt, auf das Bewußtsein, gegen die guten Sitten zu verstoßen, komme es grundsätzlich nicht an. Das ist insoweit richtig, als die Eigenschaft der Handlung als eines Sittenverstoßes dem Handelnden in der Regel nicht bewußt zu sein braucht. Wohl aber muß jener sich in Fällen, wie dem hier vorliegenden (vgl. RGZ. Bd. 72 S. 69), derjenigen objektiven Tatumstände bewußt sein, die seine Handlung zu einer sittenwidrigen stempeln. Der Kreditgeber muß also beispielsweise wissen, daß infolge der Vermögenslage seines Vertragsgegners eine sittenwidrige Abhängigkeit desselben herbeigeführt werden wird. Hält er jenen für einen zahlungsfähigen Mann, der sich auch anderweit die nötigen Geldmittel beschaffen könnte, so liegt keine sittenwidrige Handlung vor. Auf keinen Fall ist erforderlich, daß der Geldgeber den Zweck verfolgt hat, jenen in Abhängigkeit von sich zu bringen, etwa um das Unternehmen an sich zu reißen oder dgl.; das Bewußtsein der Möglichkeit eines solchen Erfolgs genügt. Nun ist bekannt, daß ein Mann mit geringem Vermögen und ohne bereite Mittel Geld zur Verwertung großer Objekte und für weitausstehende Unternehmungen nur unter lästigen Bedingungen erhalten kann. Damit mußte der Kläger, der im Verkehrsleben steht, rechnen. Das Berufungsgericht hat aber angenommen, daß die Nachteile und Lasten, die dem Kläger im Vertrage vom 6. Februar 1913 auferlegt worden sind, das zulässige Maß überschreiten. Nach den tatsächlichen Feststellungen handelt es sich im einzelnen um folgenden Sachverhalt: Die Witwe V. hatte umfangreichen Grundbesitz, den sie abzustoßen beabsichtigte. Sie wandte sich an den Kläger, und dieser trat mit der beklagten Bank in Verbindung. Es wurde zwischen Frau V. und dem Kläger vereinbart, daß der Nettoerlös bis zu 250000 M. der ersteren, der Überschuß über diese Summe aber dem Kläger zufallen sollte. Die Beklagte stellte zur Beschaffung der für den Verkauf nötigen Mittel dem Kläger einen Kredit von 100000 M. zur Verfügung. An dem Gewinne des Klägers, nicht aber an seinem etwaigen Verluste, sollte sie mit 40 % beteiligt sein. Ihren Gewinnanteil garantierte der Kläger mit 15000 M., mit welcher Summe sein Konto sofort belastet wurde. Er konnte die Beklagte für ihre Gewinnbeteiligung bis zum 31. Dezember 1913 mit 50000 M., bis zum 31. Dezember 1915 mit 70000 M. und bis zum
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31. Dezember 1917 mit 90000 M. abfinden. Nach einiger Zeit gründete die Beklagte eine Landverwertungsgesellschaft, die wirtschaftlich mit ihr identisch war. An diese hat der Kläger einen Teil der Grundstücke der Frau V. verkauft — wie das Berufungsgericht feststellt, zu sehr billigem Preise. Alles dies trug sich im Sommer und Herbst 1912 zu. Gleichzeitig unternahm der Kläger ein zweites Geschäft zusammen mit der Beklagten. Er kaufte in Hamburg ein großes Haus, das noch nicht völlig fertiggestellt war und in der Zwangsvollstreckung stand. Die Beklagte zahlte 15000 M. an den ersten Hypothekengläubiger, damit dieser seine Hypothek stehen ließ. Sie stellte dem Kläger weitere 25000 M. für Kosten usw. zur Verfügung, wofür ihr 40000 M. hypothekarisch eingetragen wurden. Außerdem bedang sie sich einen festen Gewinn von 40000 M. aus, der dem Kläger sofort zur Last geschrieben wurde. Anfang 1913 brauchte der Kläger für dies Haus weitere Gelder. Er trat an die Klägerin heran, und nun wurde am 6./7. Februar 1913 mündlich diejenige Vereinbarung getroffen, die das Berufungsgericht für sittenwidrig und deshalb nichtig erklärt hat. Es wurden laut dieser Vereinbarung weitere Grundstücke der Wirtwe V. an die Landverwertungsgesellschaft, das ist also im Grunde an die Beklagte, verkauft und zwar wiederum unter dem Taxwert. Außerdem wurde die Beklagte für ihre Gewinnbeteiligung an den bereits verkauften und an den noch zu verkaufenden Grundstücken der Frau V. durch eine feste Summe abgefunden. Diese Summe wurde auf 156500 M. festgesetzt und der Kläger damit zum 31. Dezember 1912 belastet. Dagegen versprach die Beklagte, ihm mit weiteren Geldbeträgen, deren er für das Haus bedurfte, auszuhelfen. Dies Abkommen erachtet das Berufungsgericht für nichtig, weil — wie es in eingehender Ausführung darlegt — die Abfindungssumme nach der Gesamtsachlage jedes billige Maß erheblich überschritten habe, und weil der Kläger durch die Vereinbarung auf lange Jahre hinaus in weitgehende wirtschaftliche Abhängigkeit von der Beklagten gebracht worden sei ; ein solcher Vertrag widerstreite nach Inhalt und Zweck den guten Sitten. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts stehen mit den oben entwickelten Grundsätzen im Einklänge. Sie sind deshalb an sich vom Rechtsstandpunkt aus nicht zu beanstanden." (Im folgenden wird darauf hingewiesen, die Sittenwidrigkeit ergebe sich insbesondere daraus, daß der Kläger die Beteiligung der Beklagten durch eine sehr erhebliche Summe habe ablösen müssen, obigeich die Erzielung eines Gewinns ungewiß gewesen sei und nicht in naher Aussicht gestanden habe, obgleich ferner über die Höhe des möglichen Gewinns nichts Sicheres habe gesagt werden können und endlich der Kläger die Summe, mit der er belastet wurde, nicht habe zahlen können, und er also in eine weitgehende und langwierige Abhängigkeit von der Beklagten verstrickt worden sei.)
368 R G Z . 97, 273 ι . Ergreift die Nichtigkeit eines Grundstücksveräußerungsvertrags auch die in i h m enthaltene AuflassungsVollmacht ? 2. Kann die Nichtigkeit der Vollmacht d e m E r w e r b e r auch d a n n entgegengehalten werden, w e n n i h m die Vollmacht bei der A u f l a s s u n g vorgelegt worden war ? BGB. §§ 139, 172. V. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 10. Dezember 1919. I. Landgericht Aurich.
II. Oberlandesgericht Celle.
Der erste Ehemann der Klägerin, der Kolonist H. H., ist am 11. Mai 1909 verstorben und hat in seinem Testamente der Klägerin den vollen und uneingeschränkten Nießbrauch seines gesamten Nachlasses mit der Maßgabe vermacht, daß nach ihrem Tode, was dann noch etwa vorhanden sein sollte^ an seine Kinder oder deren Leibeserben fallen sollte. Er hatte am 26. Juni 1908 mit dem Viehhändler F. einen notariellen Tauschvertrag abgeschlossen, in dem sich die Vertragschließenden gegenseitig ihre Kolonatstellen in Tausch gaben, und zwar H. H. die im Grundbuche von W. Band V Blatt 28 eingetragene Stelle. In § 4 Abs. 2 des Tauschvertrags ist bestimmt: „Die Komparenten, Verkäufer und Käufer, beauftragen und bevollmächtigen hiermit den Bürovorsteher B., die Tauschobjekte gegenseitig im Grundbuch aufzulassen und alle erforderlichen Erklärungen abzugeben. B. soll darin nach seinem Belieben handeln." Der Beklagte hat das von F. im Tausch erworbene Grundstück von diesem in öffentlicher Versteigerung gekauft und am 30. Dezember 1911 durch den Bürovorsteher B. auf Grund der im Tauschvertrage erteilten Vollmacht aufgelassen erhalten. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Nichtigkeitserklärung der Auflassimg an den Beklagten und dessen Verurteilung, darein zu willigen, daß die Klägerin als Eigentümerin eingetragen werde, und die Besitzung an die Klägerin herauszugeben. Sie macht die Nichtigkeit des Tauschvertrags vom 26. Juni 1908 wegen Wuchers geltend und erachtet auch die durch Β an den Beklagten erfolgte Auflassung für nichtig, weil B. durch den Tauschvertrag wohl zur Auflassung an Η. H., nicht aber auch an den Beklagten ermächtigt sei, und weil die Nichtigkeit des Tauschvertrags auch die Nichtigkeit der an B. erteilten Vollmacht zur Folge habe. Das Landgericht wies die Klage ab; die Berufung der Klägerin blieb erfolglos. Während das Landgericht die Voraussetzungen des § 138 BGB. für nicht erwiesen ansah, ließ das Berufungsgericht die Frage, ob der Tauschvertrag nichtig sei, offen und stützte seine Entscheidung im wesentlichen darauf, daß die an B. erteilte Vollmacht zur Auflassungserklärung an den Beklagten rechtswirksam gewesen und geblieben sei. Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen.
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Aus den G r ü n d e n : (Es wird zunächst der Angriff der Revision zurückgewiesen, der sich gegen die Annahme des Berufungsgerichts wendet, daß die dem B. erteilte Vollmacht ihn auch zur Auflassung an den Beklagten ermächtigte. Weiter wird dargelegt, daß die Nichtigkeit des Tauschvertrags sich nicht auf die Auflassung an den Beklagten erstrecke. Sodann wird fortgefahren:) . . . „Die Klägerin vertritt den Standpunkt, daß die in dem Tauschvertrag an B. erteilte Auflassungsvollmacht mit Rücksicht auf die Bestimmung des § 139 BGB. nichtig sei. Die Vollmacht bilde im Sinne dieser Vorschrift einen Teil des gesamten Rechtsgeschäfts, wie es zu notariellem Protokoll erklärt sei, und werde deshalb von der Nichtigkeit des Tauschvertrags mit ergriffen. Es muß zugegeben werden, daß die Auffassung des Berufungsgerichts, wonach die in § 4 des Tauschvertrags erklärte Vollmacht an B. ein selbständiges Rechtsgeschäft sei und deshalb die Vollmachtserklärung nicht als Teil des Tauschvertrags im Sinne des § 139 BGB. aufgefaßt werden könne, rechtlich nicht haltbar ist. Mag die Vollmachtserteilung widerruflich oder unwiderruflich erfolgt sein, auf alle Fälle bildet sie schon äußerlich einen Teil des schriftlichen Gesamtvertrags. Der Inhalt wie der Zweck des Vertrags sprechen aber erkennbar dafür, daß die Vollmacht ausschließlich zur Durchführung des Tauschvertrags von den Vertragsschließenden gleichzeitig mit den Abmachungen über das Tauschgeschäft zu notariellem Protokoll erklärt worden ist. Die Vollmachtserteilung bildete auch hier einen Bestandteil des gesamten Vertrags, wie in einem ähnlichen Falle in der Entscheidung des erkennenden Senats vom 13. November 1918, RGZ. Bd. 94 S. 147, näher dargelegt ist. Hat danach insoweit das Berufungsgericht die Tragweite des § 139 BGB. verkannt, so rechtfertigt sich doch die getroffene Entscheidung aus einem anderen rechtlichen Gesichtspunkte. Wie bereits in der Entscheidung des Reichsgerichts Bd. 69 S. 234 ausgeführt ist, hat die Ungültigkeit des der Vollmacht zugrunde liegenden Vertrags gegenüber dem gutgläubigen Dritten, der auf Grund formell ordnungsmäßig erscheinender Vollmacht mit dem Bevollmächtigten abgeschlossen hat, die Nichtigkeit der Vollmacht nicht unbedingt zur Folge. Nach dem in den Grundakten befindlichen Protokolle des Amtsgerichts zu E. vom 30. Dezember 1911 hat der Bürovorsteher H. bei der Auflassungsverhandlung mit dem Beklagten in dessen Gegenwart zu seiner Legitimation als Bevollmächtigter des H. H. eine Ausfertigung des notariellen Tauschvertrags vom 26. Juni 1908 dem Richter übergeben. Die in dem Tauschvertrag enthaltene Vollmacht an B. ist damit auch dem Beklagten im Sinne des § 172 BGB. vorgelegt. Der Beklagte war nach den gegebenen Umständen in der Lage, von dem Inhalte der Vollmacht sinnlich Kenntnis zu nehmen. Ob er die Prüfung des Inhalts der Vollmacht tatsächlich selbst vorgenommen oder sie dem dazu verpflichteten Richter überlassen und deshalb von der vorhandenen Möglichkeit, sich selbst durch Einsichtnahme Zivils. Allgcm.
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von der Richtigkeit der Vollmacht zu überzeugen, Abstand genommen hat, ist in vorliegendem Falle unerheblich. B. als der Vertreter des H. H. hat sie hier mit der Überreichung an den amtierenden Grundbuchrichter zugleich auch dem Beklagten zur unmittelbaren Einsichtnahme vorgelegt. Aus der Tatsache aber, daß B. die Vollmachtsurkunde in Besitz hatte, ergibt sich in Verbindung mit dem unstreitigen Sachverhalte zur Genüge, daß B. mit Willen und Wissen des H. H. in den Besitz der Urkunde gekommen war. Die Vollmachtsurkunde berechtigte den B. zur Auflassungserklärung an den Beklagten, wie ihn denn auch der Grundbuchrichter als Bevollmächtigten zugelassen hat. Ist die Vollmachtsurkunde aber dem Dritten vorgelegt, so ist die Vertretungsmacht des in der Urkunde als bevollmächtigt Bezeichneten so lange in Gemäßheit des in § 172 BGB. aufgestellten Grundsatzes wirksam, bis die Urkunde dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt ist. Die Vollmachtsurkunde ist hier weder zurückgegeben noch für kraftlos erklärt. Es liegt auch nicht die AusnahmeVorschrift des § 173 BGB. vor; denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts hatte der Beklagte zur Zeit der Auflassung keine Kenntnis von den Vorgängen, welche die Klägerin zur Begründimg des Wuchers vorgebracht hat; er hat vielmehr in gutem Glauben an die Richtigkeit der Vollmacht den dinglichen Vertrag mit B. auf Grund seines mit F. abgeschlossenen Kaufvertrags und in dessen Erfüllung vollzogen. Die Rechtswirksamkeit der auf Grund dieses dinglichen Vertrags erfolgten Eintragung des Beklagten als Eigentümers der im Klagantrage bezeichneten Kolonatstelle wird danach von der Nichtigkeit des Tauschvertrags nicht berührt."
RGZ. 98, 78 ι. Kann ein Rechtsgeschäft, das auf unzulässiger Willensbeeinflussung durch Drohungen beruht, nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig sein ? 2. Setzt § 138 Abs. ι immer ein Handeln beider Parteien gegen die guten Sitten voraus ? BGB. § 138. IV. Zivilsenat. Urt. v. 26. Januar 1920. I. Landgericht Naumburg a. S.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Klägerin hat die Beklagten aus einem vom Vater und Erblasser der Parteien ihr gegebenen Ausstattungsversprechen auf Zahlung einer Rente in Anspruch genommen. Die Beklagten hatten u. a. Nichtigkeit des Versprechens wegen Verstoßes gegen die guten Sitten eingewendet. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, Das Oberlandesgericht hat verurteilt. Die Revision der Beklagten hatte Erfolg.
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Aus den G r ü n d e n : . . . „Die Revision vermißt die Prüfung, ob nicht das Abkommen gegen die guten Sitten verstoße. Die Rüge ist begründet. . . . Denn wenn die Behauptungen der Beklagten richtig sind, kann das Rechtsgeschäft nach § 138 Abs. 1 BGB. nichtig sein. Zwar hätte es, wenn die Fehlerhaftigkeit der Willenserklärung lediglich in der unzulässigen Willensbeeinflussung durch Drohungen gelegen hätte, nach § 123 BGB. der Anfechtimg des Rechtsgeschäfts bedurft, um die Nichtigkeit herbeizuführen. Enthält aber das Rechtsgeschäft nach Inhalt und Zweck objektive Momente, die einen Verstoß gegen die guten Sitten ergeben, so ist § 138 Abs. 1 anwendbar. Denn danach ist erforderlich, daß das Rechtsgeschäft sich nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck erhellenden Gesamtcharakter als ein sittenwidriges darstellt (Jur. Wochenschr. 1908 S. 710 Nr. 2, 1917 S. 897 Nr. 1; Warneycr 1917 Nr. 172). Legt man die Behauptungen der Beklagten zugrunde, so kann es kaum zweifelhaft sein, daß das Handeln der Klägerin und ihres Ehemannes gegen die guten Sitten verstößt. Nicht nur wegen der behaupteten widerrechtlichen Drohung, die auf eine Erpressimg im strafrechtlichen Sinne hinauskommen würde, sondern auch insofern, als die Eheleute sich als Entgelt für die Übernahme der Verpflichtung, ein die Ehre der Familie berührendes Vorkommnis, das ein anständiger Mensch ohne weiteres geheim gehalten hätte, nicht verlauten zu lassen, ein außerordentlich hohes Schweigegeld habe versprechen lassen. Allerdings fallt dem Vater der Parteien ein sittenwidriges Verhalten nicht zur Last. Er hat zwar — wenn man auch hier die Richtigkeit der Behauptungen der Beklagten unterstellt — seinerseits Geldvorteile für ein Verhalten der Klägerin und ihres Ehemannes versprochen, für das solche nach dem Anstandsgefühl eines normalen Menschen nicht gewährt zu werden pflegen. Aber einmal hat er es nicht aus selbstsüchtigen Motiven getan, sondern im Interesse des guten Rufes seines Hauses. Außerdem hat er in einer Zwangslage gehandelt (vgl. RGZ. Bd. 58 S. 207 oben; Warneyer 1909 Nr. 63). Regelmäßig wird nun freilich in der Rechtsprechung des Reichsgerichts bei Verträgen für die Anwendbarkeit des § 138 Abs. 1 eine Sittenwidrigkeit beider Vertragsgenossen erfordert. Das gilt aber nicht in Fällen, wie dem vorliegenden, wo die Sittenwidrigkeit darin besteht, daß der eine Teil die Not- oder Zwangslage des andern ausbeutet, um sich außergewöhnliche Vorteile zu verschaffen (RGZ. Bd. 67 S. 393, Bd. 72 S. 69, Bd. 86 S. 146, Bd. 93 S. 27, 30)." . . .
RGZ. 98, 122 Zur Auslegung typischer Glauben.
Vertragsklauseln nach T r e u
BGB. §§ 133, 157. 24·
und
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I. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 7. Februar 1920.
I. Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Am 28. Januar 1915 wurde ein dem Kläger gehöriger Kahn, den ein Dampfer des Beklagten mit anderen Kähnen auf der Fahrt die Havel abwärts im Schlepptau hatte, beim Durchfahren der Havelberger Brücke so schwer beschädigt, daß er kurz unterhalb der Brücke sank. Der Kläger führt den Unfall auf ein grobfahrlässiges Verhalten der Besatzimg des Dampfers zurück und klagt auf Schadensersatz. Der Beklagte beruft sich auf den § 18 der zwischen den Parteien maßgeblichen „Schleppbedingungen" und behauptet, daß danach der Schadensersatzanspruch verwirkt sei, weil der Kläger die in § 18 Abs. 1 der Schleppbedingungen vorgesehene Mitteilung nicht in gehöriger Weise gemacht habe. Das Landgericht wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen. Die Revision hatte Erfolg. Gründe: „Die Auslegung, welche das Berufungsgericht dem § 18 der nach dem Schleppvertrage hier maßgeblichen Schleppbedingungen gegeben hat, erscheint nicht zutreffend. Die Schleppbedingungen sind von einer erheblichen Anzahl von Reedereien festgesetzt worden. Die Reedereien tätigen Abschlüsse nur unter Zugrundelegung der Bedingungen. Diese haben also den Charakter typischer Vertragsbestimmungen, so daß die Nachprüfung der Auslegung in der Revisionsinstanz auf jeden Fall zulässig ist. Bei der Auslegung derartiger typischer Bedingungen ist, soweit deren Wortlaut es irgend zuläßt, zugrunde zu legen, daß sie zum Schutze solcher Interessen der Unternehmer bestimmt sind, die sich als berechtigte darstellen. Es kann nicht angenommen werden, daß die gesamten Schleppereigentümer, die die Bedingungen aufgestellt haben, gewillt gewesen seien, den Rechten oder Interessen ihrer Vertragsgegner Abbruch zu tun, ohne daß eigene von der Billigkeit und Verkehrssitte anerkannte Interessen auf dem Spiele stehen; vielmehr ist vorauszusetzen, daß sie bei Aufstellimg der Bedingungen auch auf die billigen Interessen der Gegenseite Rücksicht nehmen wollten. Diese Grundsätze sind vom Reichsgerichte bei der Auslegung geschäftlicher Abmachungen stets befolgt worden. Sie sind hervorgehoben in den Entscheidungen Bd. 88 S. 416 und Bd. 79 S. 438, wo es sich um die Auslegung der für einen Einzelfall vereinbarten Bestimmungen hardelte; sie liegen der Entscheidung Bd. 89 S. 6 flg. (Auslegung allgemeiner Geschäftsbedingungen) zugrunde, und sie sind bei der Auslegung typischer Bedingungen ausdrücklich anerkannt worden in den Entscheidungen Bd. 86 S. 164 und Bd. 89 S. 329. Vorliegendenfalls bestimmt § 18 der Schleppbedingungen : „Soll wegen eines Schadens an einem geschleppten Fahrzeuge ein Anspruch erhoben werden, so hat der Schiffseigner bzw. der ihn vertretende Schiffer hiervon den Kapitän des Dampfers sofort und
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die nächstgelegene Geschäftsstelle bzw. den Eigentümer des betr. Dampfers innerhalb 48 Stunden nach Entstehung des Schadens in Kenntnis zu setzen. Der Schaden ist alsdann, noch ehe dessen Beseitigung in Angriff genommen wird, gemeinsam festzustellen. . . . Nichtbeachtung der . . . Bestimmungen . . . schließt die Ansprüche auf Schadensersatz aus." Derartig einschneidende Vorschriften lassen sich nach den erwähnten Grundsätzen nur insoweit rechtfertigen, als sie begründeten Interessen der Reedereien entsprechen, da eine darüber hinausgehende Anordnung der Reederei eine Handhabe bieten würde, auf rein formalistischem und der Verkehrstreue widersprechendem Wege selbst wohlbegründete Rechte des Schiffseigners zu Falle zu bringen. Das berechtigte Interesse des Schlepperreeders an der Einhaltung der in § 18 Abs. 1 enthaltenen Bestimmungen besteht aber ersichtlich nur darin, daß er Gelegenheit hat, einen Schaden an einem geschleppten Fahrzeuge, wegen dessen ein Anspruch gegen ihn erhoben werden könnte, im Hinblick hierauf gemeinschaftlich mit dem Geschädigten festzustellen, bevor die Beseitigung dieses Schadens in Angriff genommen wird. Es kommt folgendes hinzu: Eine rechtswirksame Entscheidung darüber, ob wegen eines Schadens der in § 18 Abs. 1 der Schleppbedingungen erwähnten Art ein Anspruch erhoben werden soll oder nicht, kann regelmäßig nur der Schiffseigner selbst treffen. Dieser wird aber vielfach weder „sofort", noch „innerhalb 48 Stunden nach Entstehung des Schadens" über den Unfall überhaupt oder doch in einer für die zu treffenden Entschlüsse hinreichenden Weise unterrichtet sein. Offenbar im Hinblick hierauf ist in § 18 Abs. 1 neben der Anzeige des Schiffseigners die des „ihn vertretenden Schiffers" vorgesehen. Dieser letztere kann aber wiederum nur auf Grund einer besonderen, im Verkehr ganz ungebräuchlichen Vollmacht die Frage der Anspruchserhebung selbständig lösen. Dies alles zeigt, daß die Vorschrift in § 18 Abs. 1 nicht streng wörtlich zu nehmen ist, sondern nur besagen will: Dem Kapitän und der Reederei des Schleppers ist sofort bzw. innerhalb 48 Stunden nach Entstehung des Schadens hiervon (d. h. vom Schadensfall) in einer Weise Kenntnis zu geben, daß die betr. Schlepperinteressenten verständigerweise mit der Möglichkeit der Erhebung von Schadensersatzansprüchen zu rechnen haben und zwecks Wahrnehmung ihrer Interessen an einer gemeinsamen Schadensfeststellung durch die Beteiligten teilnehmen können, bevor die Beseitigimg des Schadens in Angriff genommen ist. Hieraus folgt ohne weiteres, daß eine solche ausdrückliche Anzeige überflüssig ist, wenn, wie hier unstreitig ist, der Unfall sich unter den Augen des beklagten Schlepperreeders abgespielt hat und dieser sich von der Art des eingetretenen Schadens ohne weiteres überzeugen konnte. Gegenüber einer Bemerkung des Beklagten ist noch daraufhinzuweisen, daß der Reederei Schwierigkeiten im Verhältnis zu ihrer Haftpflichtversicherung nicht erwachsen können, denn wenn diese eine Frist für die An-
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dienung von Ansprüchen vereinbart haben sollte, so kann doch der Lauf der Frist erst mit dem Augenblick beginnen, wo der Beschädigte seinerseits einen Anspruch gegen die Reederei erhoben hat." RGZ. 98, 176 Zu der Frage, ob ein Schuldversprechen, das der langjährigen Geliebten ausgestellt wird und mit dem Gelde der künftigen Frau eingelöst werden soll, auf unsittlichem Rechtsgrunde beruht. BGB. §§ 138, 780. VI. Zivilsenat. Urt. v. 23. Februar 1920. I. Landgericht Düsseldorf.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Beklagte hatte von 1898 an mit der Klägerin etwa zehn Jahre lang ein Verhältnis, dem drei Kinder, darunter ein noch lebendes, entsprossen sind. Als Kavallerieleutnant in St. A. hat er ihr am 1. März 1904 folgenden Schein ausgestellt: „Gebe hiermit schriftlich, daß ich für Jossi während unserm seit vier Jahren bestehenden Verkehr stets gesorgt habe und auch weiter stets sorgen werde. Alles Nähere habe ich persönlich mit Jossi besprochen. Sollte es der Fall sein, daß ich heiraten würde, was ziemlich ausgeschlossen ist, so verpflichte ich mich, in diesem Falle Jossi eine Summe von mindestens 15000 M. zu geben." Der Beklagte hat sich im Jahre 1911 verheiratet. Die Klägerin fordert von ihm die Zahlung von 15000 M. Der Beklagte hat die Gültigkeit seiner Verpflichtung bestritten, weil sie die Gegenleistung für sittenwidrige Dienste der Klägerin sei, ihn vom Heiraten abhalten sollte und als Schenkungsversprechen der gesetzlichen Form entbehre. Die beiden Vordergerichte haben ihn klaggemäß verurteilt. Auch seine Revision hatte keinen Erfolg. Gründe: „Unter den Parteien ist unstreitig, daß das Zahlungsversprechen des Beklagten seine Verpflichtung losgelöst von ihrem Rechtsgrund, also selbständig begründen sollte. Der Schein enthält mithin ein Schuldversprechen im Sinne des § 780 BGB., das den Beklagten so lange bindet, als er nicht dartut, daß es, wie er behauptet, auf einem unsittlichen Rechtsgrunde beruhe, darum nichtig und zurückforderbar oder daß es aus einem andern Grunde unwirksam sei. Ein Schuldversprechen hat Vertragscharakter. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts ist ein Rechtsgeschäft von dieser Art, das nicht schon seinem Gegenstande nach unsittlich ist, regelmäßig nur dann wegen Sittenwidrigkeit nichtig, wenn seine aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck sich ergebende Gesamteigenschaft den guten Sitten widerstreitet (RGZ. Bd. 83 S. 112 und die dort angef. Urteile). Hierfür hat der Beklagte keinen Beweis geführt.
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Das Schuldversprechen würde nichtig sein, wenn es durch die Verpflichtung zur Zahlung der zugesagten Summe als einer Art Vertragsstrafe den Beklagten hätte abhalten sollen, sich zu verheiraten, oder wenn der Beklagte es der Klägerin zur Vergütimg für den genossenen und ferneren Geschlechtsverkehr oder zur Sicherung, daß dieser fortdauere, erteilt hätte. Das Berufungsgericht stellt jedoch tatsächlich fest, daß es den ersteren Zweck nicht verfolgte, sondern daß ohne Nebenabsicht eine Heirat des Beklagten nur die Bedingung für die Erfüllung des Versprechens bilden und den Zeitpunkt der Fälligkeit festlegen sollte. Zum andern gibt das Berufungsgericht von dem „Verhältnis" der Parteien folgendes Bild. Sie hätten während ihrer zehnjährigen Beziehungen nicht nur Geschlechtsverkehr miteinander gepflogen, sondern wie Mann und Frau zusammengelebt. Zu den Kosten des gemeinschaftlichen Haushalts habe Klägerin nach Kräften beigetragen, jedenfalls in den ersten Jahren für das Zusammenleben und seine Folgen größere Aufwendungen gemacht als der Beklagte. Sie habe ihre Ersparnisse als Kellnerin dafür ausgegeben und durch Vermieten von Zimmern für Mittel gesorgt. Während und selbst nach Beendigung des Verhältnisses habe sie der Beklagte um erhebliche Geldbeträge gebeten. Wenn auch der stete Geschlechtsverkehr für den Beklagten mitbestimmend gewesen sei, so habe sich darin das Verhältnis der Parteien ebensowenig erschöpft wie bei Eheleuten. Sie seien eine Vereinigung zur Lebensgemeinschaft auf unbestimmte Zeit eingegangen und hätten in wilder Ehe gelebt, die der Beklagte fortgeführt habe, um das Zusammenleben mit der Klägerin zu genießen. Diese habe ihren Beruf aufgegeben und sich ausschließlich dem Beklagten gewidmet. Sie habe ihm ihre Jugend und die Aussicht auf ein besseres Fortkommen geopfert. Eine Heirat sei für sie wegen ihres vorgerückten Alters und ihrer Geburten nicht mehr zu erwarten gewesen. Den versäumten Erwerb habe sie nicht mehr nachholen können. Diese Lage und ihre Folgen, nicht aber der bisherige und weitere Geschlechtsverkehr seien Grund und Zweck der Verpflichtimg des Beklagten gewesen. Hiernach nimmt das Berufimgsgericht zutreffend an, daß der Rechtsgrund des Schuldversprechens nicht nur nicht sittenwidrig war, sondern daß sittliche Pflicht und anständige Denkungsweise dem Beklagten geboten hätten, die Klägerin für die Opfer, die sie ihm gebracht, für ihre Dienste und Leistungen zu entschädigen und ihre Zukunft sicherzustellen, wenn er dazu in die Lage komme. Sollte aber das Schuldversprechen die Klägerin fur das, was sie für den Beklagten getan, schadlos halten und die Nachteile ausgleichen, die sie durch das Verhältnis getroffen hatten, so verneint das Berufungsgericht mit Recht, daß es sich um ein Schenkungsversprechen handele. Denn es fehlt an der Voraussetzung der Schenkung, daß die Parteien über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig waren. Die Revision hat die Einwände des Beklagten aus den Vorinstanzen nicht wiederholt, sondern ihre Angriffe auf einen andern Boden gestellt. Sie meint zuvörderst, daß ohne weiteres eine Unsittlichkeit darin liege,
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daß, wie das Berufungsgericht feststelle, der vermögenslose Beklagte durch eine etwaige Heirat in den Besitz reichlicher Mittel gelangen und damit seine Geliebte abfinden sollte. Wenn auch solche Fälle häufig vorkämen, so sei es doch vor der rechtlichen und sittlichen Ordnung ungerechtfertigt, daß der junge Lebemann mit dem Geld seiner Frau die Geliebte ablöse und diese mit dem Empfange des Geldes sich von ihm trenne. Der Revision kann nicht recht gegeben werden. Zunächst hat für die Beurteilung der Umstand, daß die Klägerin die „Geliebte" des Beklagten war, insofern auszuscheiden, als nach der Feststellung des Berufimgsgerichts sie nicht als solche, d. i. für die geschlechtliche Hingabe, sondern f ü r die Opfer, Dienste und Leistungen zugunsten des Beklagten entschädigt werden sollte. Die Frage ist daher so zu stellen, ob das Zahlungsversprechen, das ein Schuldner zur Tilgung klagbarer oder natürlicher Verbindlichkeiten erteilt, um deswillen unsittlich ist, weil es, wie der Versprechensempfanger weiß, aus der Mitgift der künftigen Frau des Schuldners eingelöst werden soll. Dies ist jedenfalls für den gegenwärtigen Fall zu verneinen. Mag der Revision auch zuzugeben sein, daß es nicht von vornehmer Gesinnung zeugt, wenn der Beklagte mit dem erheirateten Gelde die Klägerin abfinden wollte und sie damit einverstanden war, so lief doch das Versprechen nach der allgemeinen Anschauung, namentlich auch nach der der Gesellschaftskreise, der die Parteien angehörten, unter den besonderen oben geschilderten Umständen dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden nicht zuwider. Weiterhin faßt die Revision das Berufungsurteil irrig auf, wenn sie ihm unterstellt, es suche einen Rechtsgrund für die Ansprüche der Klägerin zu schaffen, indem es das Verhältnis der Parteien eine wilde Ehe nenne, diesen Zustand als eine Lebensgemeinschaft auf unbestimmte Zeit bezeichne und damit offensichtlich auf dieselbe Stufe mit einer richtigen Ehe stelle, während ein solches „Verhältnis" von der Rechts- und Sittenordnung nicht anerkannt werde und die darauf gegründeten Verpflichtungen sittenwidrig seien oder des rechtlichen Grundes entbehrten. Mit der bemängelten Erwägung will das Berufungsgericht nur sagen, daß das Verhältnis nicht lediglich die Befriedigung der Geschlechtslust im Auge hatte, sondern wie bei Eheleuten neben ihr auf eine Lebensgemeinschaft abzielte, d. h. von den Parteien und jedenfalls von dem Beklagten fortgeführt wurde, weil beide durch eine wahre Neigung oder die Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten solchen gemeinsamen Lebens verbunden wurden; daß daher dem Beklagten, wenn er die Beziehungen mit der langjährigen Lebensgefährtin abbrach, die sittliche Pflicht erwuchs, ihr für ihre Opfer und Dienste eine Vergütung zu gewähren und ihren späteren Unterhalt möglichst sicherzustellen. Nach der Ansicht des Berufungsgerichts entsprang somit die Verpflichtung des Beklagten nicht der wilden Ehe als solcher, sondern den Leistungen und Opfern der Klägerin während der wilden Ehe. Der Angriff der Revision geht daher ins Leere."
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RGZ. 99, 20 ι. Voraussetzungen für das Zustandekommen eines Vinkulationskaufs. 2. Wann gilt der Frachtbrief, der auf der Eisenbahnstation in das für den Empfänger bestimmte Brieffach gelegt wird, gegenüber dem Empfänger als zugegangen ? BGB. § 130. I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 14. April 1920. I. Landgericht Breslau.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Der Kaufmann T. übernahm im Herbst 1912 für die beklagte Stadtgemeinde die Besorgung von ausländischem Fleisch. Der Preis sollte nach Empfang der Ware und Anerkennung ihrer guten Beschaffenheit bar gezahlt werden. Am 17. November 1912 kamen zwei Waggons mit russischem Fleisch in Breslau an. Die in Eydtkuhnen am 16. November 1912 ausgestellten Eilfrachtbriefe waren von der Klägerin als Absenderin unterschrieben. Auf der Rückseite trugen sie den Vermerk: „Die Ware geht Ihnen zu im Auftrag und für Rechnung uns. eigenen. Betrifft Ihre Bestellung bei Herrn T." In einem eingeschriebenen, an den Magistrat der Beklagten gerichteten Briefe vom 16. November 1912 erklärte ferner die Klägerin, die Lieferung erfolge auf die Bestellung bei T. ; sie stelle die Ware der Beklagten unter der Bedingung zur Verfügung, daß die Beklagte ihr nach Richtigbefund den Gegensatz anschaffe. Das Fleisch wurde am 18. November 1912 vormittags an die Beklagte abgeliefert, und diese zahlte noch an demselben Vormittag an T. 9000 M. Die Klägerin machte geltend, das Fleisch sei für sie in Rußland gekauft; die Beklagte habe es auf Grund des Vinkulationsbriefs vom 16. November 1912 abgenommen und sei daher zur Bezahlung an sie verpflichtet. — Der Klage auf Zahlung des Kaufpreises gab das Landgericht statt. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen, der Revision wurde stattgegeben. Gründe: „Die Vorinstanzen haben übereinstimmend angenommen, daß zwischen den Parteien ein Vinkulationskauf zustande gekommen sei. Das Oberlandesgericht hat in seiner Entscheidung ausgeführt, das Fleisch, um das es sich handle, sei als Gattungsware verkauft. Die gelieferte Ware sei der Beklagten nicht durch T. übergeben worden. Die Klägerin habe sie im eigenen Namen der Beklagten übersandt, und die Bahn habe sie dann als ihre Vertreterin der Beklagten übergeben. Welche Vorgänge sich in Rußland abgespielt hätten, sei gleichgültig. Das Schreiben der Klägerin vom 16. November 1912 habe den Anforderungen eines Vinkulationsbriefs entsprochen. Die Klägerin habe darin in deutlicher, auch für den Nichtkaufmann verständlicher Weise zum Ausdruck gebracht, daß sie selbst die Liefe-
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rantin des Fleisches sei und sie es nur unter der Bedingung der Beklagten überlasse, daß diese dafür den Kaufpreis an sie zahlen wolle. Die Beklagte habe die Wahl gehabt, das Angebot anzunehmen oder abzulehnen, habe aber für den Fall der Annahme auch den von der Klägerin gesetzten Bedingungen nachkommen müssen. Habe sie in Kenntnis des Vinkulationsbriefs über die Ware verfügt, so habe darin eine Annahme gelegen. Wenn sie diese habe vermeiden wollen, dann habe sie die Ware zur Verfügung stellen müssen. Unerheblich sei, ob die Klägerin den Vinkulationsbrief schon vor der Annahme des Fleisches und der Bezahlung an T. erhalten habe. Es genüge, daß sie zu dieser Zeit schon aus den Frachtbriefen habe ersehen müssen, daß die Ware ihr nicht von T., sondern von der Klägerin zugesandt sei. Die Frachtbriefe seien der Beklagten mit dem Augenblicke zugegangen, in dem sie auf der Station Breslau-Viehhof in das Fach gelegt seien, das für die an die Beklagte gerichteten Schriftstücke bestimmt sei. Aus den auf ihnen stehenden Vermerken habe die Beklagte auch als Nichtkaufmann erkennen müssen, daß die Klägerin nicht etwa als Vertreterin des T. oder als Spediteurin gehandelt habe, sondern in eigenem Namen aufgetreten sei. Sie habe daher nicht ohne weitere Aufklärung die Ware als die ihr nach dem Vertrage mit T. zustehende Lieferung betrachten und Zahlung an diesen leisten dürfen. Die Vermerke habe sie bei der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht übersehen dürfen. Den Ausführungen des Oberlandesgerichts ist nur zum Teil beizutreten. Sie lassen nicht erkennen, ob der Beklagten rechtzeitig mitgeteilt ist, daß die Ware vinkuliert war. An sich waren allerdings die Voraussetzungen für ein Vinkulationsgeschäft gegeben. Dabei kommt es nicht darauf an, daß es sich nicht um einen Vinkulationskauf gehandelt haben soll, wie er sonst üblich ist. Bei dem gewöhnlichen Vinkulationskauf ist der Vinkulant nur Kreditgeber, im übrigen geht das Geschäft auf Rechnung und Gefahr des Verkäufers. In der vorliegenden Sache soll dagegen nach dem Vorbringen der Klägerin das Geschäft für deren Rechnung abgeschlossen und T. wirtschaftlich betrachtet nur als ihr Vertreter tätig gewesen sein. Auf diese Abweichung von der gewöhnlichen Sachlage kommt es jedoch nicht an. Insbesondere ist daraus nichts zum Nachteile der Klägerin zu entnehmen. Es sind damit sogar die Bedenken ausgeschlossen, die sich ergeben können, wenn die Vinkulationssumme die Forderung des Vinkulanten an den Verkäufer übersteigt. Entscheidend ist allein, daß die Klägerin die Verfügung über die Ware hatte und sie daher die Bedingungen festsetzen konnte, unter denen sie zur Herausgabe bereit war. Von dem Oberlandesgericht ist ferner mit zutreffender Begründung dargelegt, daß sowohl der Vinkulationsbrief als die Frachtbriefe das Vinkulationsverhälmis mit völliger Deutlichkeit ergaben und auch ein Nichtkaufmann die Bedeutung der betreffenden Vermerke verstehen mußte. In der Tat ist es nicht ersichtlich, wie eine unrichtige Auffassimg möglich gewesen sein sollte. Schon die Vermerke auf den Frachtbriefen ließen trotz
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ihrer kurzen Fassung doch unzweideutig erkennen, daß die Lieferung für Rechnung der Klägerin gemacht wurde und die Verhandlungen der Beklagten mit T. sie nur veranlaßt hatten, daß die Klägerin also auch die Gegenleistung für die Lieferung beanspruchte. Da ferner die Klägerin nach den Frachtbriefen die Absenderin der Ware war, so war auch die Annahme ausgeschlossen, daß T. die Befugnis zur Verfügung über die Sendung gehabt habe. Hierbei ist es auch gleichgültig, ob Vinkulatiönsgeschäfte im Verkehr mit Behörden üblich sind oder nicht. Dies könnte nur dann von Bedeutung sein, wenn die Erklärungen der Klägerin unklar gewesen wären. Die Beklagte beruft sich daher mit Unrecht auf die Entscheidimg RGZ Bd. 94 S. 96. Diese beruht eben darauf, daß undeutliche Erklärungen abgegeben waren. Die Absicht der damaligen Klägerin, die Ware zu vinkulieren, war nicht so bestimmt zum Ausdruck gebracht, daß sie für die Behörde unzweifelhaft erkennbar war. Die Vermerke auf den Frachtbriefen waren auch derartig angebracht, daß sie bei der im Verkehr zu verlangenden Sorgfalt nicht unbeachtet bleiben konnten. Damit es auf Grand des Vinkulationsbriefs oder der Vermerke auf den Frachtbriefen zu einem Vertragsschlusse der Parteien kommen konnte, war aber weiter erforderlich, daß die Erklärung der Vinkulierung rechtzeitig erfolgte. Wenn der Käufer die Ware erhält, ohne von dem Eintritte des Vinkulanten etwas zu wissen, so kann er sie naturgemäß nur als Leistung des Verkäufers entgegennehmen. Indem der Verfügungsberechtigte zuläßt, daß dies geschieht, erklärt er sein Einverständnis damit, und er kann Hann nicht mehr nachträglich vinkulieren. Ob nun aber der Vinkulationsbrief der Beklagten rechtzeitig zugegangen ist, läßt das Oberlandesgericht dahingestellt. Es kann sich mithin nur fragen, was insofern hinsichtlich der Frachtbriefe anzunehmen ist. Das Oberlandesgericht nimmt an, die Frachtbriefe seien vor der Entladung des Fleisches, indem sie in das Brieffach der Beklagten auf der Station Breslau-Viehhof gelegt seien, der Beklagten zugegangen. Da es vor der Entladung und erst recht vor der Zahlung an T. geschehen sei, so sei es auch rechtzeitig geschehen. Es kann jedoch nicht als zutreffend angesehen werden, daß der Augenblick entscheidend sei, in dem die Frachtbriefe in das Brieffach gelegt sind. Zugegangen ist eine Erklärung dann, wenn der Empfänger sich unter normalen Verhältnissen die Kenntnis von dem Inhalte der Erklärung verschaffen kann und nach den Gepflogenheiten des Verkehrs von ihm zu erwarten ist, daß er die Kenntnis sich tatsächlich verschafft. Falls im privaten Verkehr ein Brief in den Briefkasten an der Haustüre des Empfängers gelegt wird, so mag das regelmäßig genügen, um ein Zugehen der Erklärung anzunehmen. Aber auch dann wird es noch auf den einzelnen Fall ankommen. So wird zu beachten sein, daß mit dem Leeren des Kastens in der Nacht nicht gerechnet werden kann. Im geschäftlichen Verkehr und besonders bei Behörden wird man von vornherein davon ausgehen müssen, daß die zum Einwerfen von Briefen und sonstigen Mitteilungen bestimmten Kästen
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nur zu bestimmten Zeiten geleert werden. Dies gilt in der vorliegenden Sache um so mehr, als es sich um einen Briefkasten handelte, der nicht an oder in einem Gebäude angebracht war, in dem die berufenen Vertreter der Beklagten ihre Arbeitsräume hatten, sondern in einem mehr oder weniger entfernten Bahnhofe, so daß mit einer sofortigen Kenntnisnahme nicht zu rechnen war. — Die Sache bedarf daher noch einer näheren Aufklärung, ob die Frachtbriefe der Beklagten vor der Annahme der Sendung zugegangen sind. Von der Beklagten war ferner geltend gemacht, es seien Vertreter der Klägerin bei der Entladung zugegen gewesen, ohne zum Ausdruck zu bringen, daß der Preis an die Klägerin zu zahlen sei. Das Oberlandesgericht wird auch zu prüfen haben, ob hieraus etwas zugunsten der Beklagten zu entnehmen ist. Nötigenfalls wird es dabei unter Ausübung des richterlichen Fragerechts auf eine nähere Darlegung des Sachverhalts hinwirken müssen."
RGZ. 99, 5; ι . Findet § 139 BGB. auf Gesamtschuld Verhältnisse A n w e n dung ? 2. W a n n ist der Ausnahmefall von der Regel des § 139 BGB. gegeben ? BGB. § 139. I I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 4. Mai 1920. I. Landgericht Königsberg.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Kläger verlangen auf Grund des von ihnen mit dem Beklagten und dem inzwischen verstorbenen S. am 26. April 1911 über ihr Ziegeleigut K. geschlossenen Pachtvertrags von dem Beklagten die Zahlung von Pachtzins und die Erstattung verauslagter Abgaben und Lasten. Der Beklagte verweigert die Zahlung, weil S. sich zur Zeit des Vertragsschlusses in einem die freie Willensbcstimmung ausschließenden Zustande krankhafter Geistesstörung befunden habe und deshalb der Vertrag auch ihm, dem Beklagten, gegenüber nichtig sei. Das Landgericht verurteilte den Beklagten, seine Berufung wurde zurückgewiesen. Seine Revision dagegen hatte Erfolg. Gründe: „Das Landgericht wie das Berufungsgericht nehmen an, daß der Pachtvertrag für den Beklagten auch dann verbindlich sei, wenn S. zur Zeit des Vcrtragsschlusses geschäftsunfähig gewesen sein sollte. Das Landgericht begründet dies damit, daß der Beklagte und S. aus dem Pachtvertrag als Gesamtschuldner hafteten, § 139 BGB. aber auf den Fall, daß mehrere sich als Gesamtschuldner verpflichteten, überhaupt nicht anwendbar sei,
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vielmehr die Gültigkeit der einen ganzen Verbindlichkeit, d. h. der Verbindlichkeit des einen Schuldners, durch die Nichtigkeit der andern ganzen Verbindlichkeit, d. h. der des anderen Schuldners, nicht berührt werde, sofern nicht — was hier nicht erwiesen sei — die Verbindlichkeit des einen Schuldners mit Rücksicht auf die des andern übernommen sei. Das Berufungsgericht begründet seine Entscheidung wie folgt: Unstreitig sei das zwischen dem Beklagten und S. bestehende Rechtsverhältnis vor Abschluß des Pachtvertrags den Klägern nicht bekanntgegeben und es sei ihnen nicht erkennbar gemacht worden, daß etwa die Erfüllung der von dem einen Pächter als Gesamtschuldner übernommenen Verpflichtung davon abhängig sein solle, daß auch der andere Pächter seine Vertragspflichten den Klägern gegenüber erfülle oder daß der Beklagte nur mit Rücksicht auf die Mitbeteiligung von S. den Vertrag abgeschlossen habe. Nur wenn Derartiges zwischen den Vertragschließenden als Vertragsinhalt vereinbart worden wäre, könnte die Anwendung des § 139 BGB. vorliegend in Frage kommen. Möge auch der Beklagte ohne S. den Pachtvertrag nicht haben abschließen wollen und mit ihm Abreden über die Höhe der von einem jeden von ihnen zu leistenden Zahlungen getroffen haben, so daß sie unter sich die Gesamtschuld ausgeschlossen hätten, so berühre dies nicht ihr Rechtsverhältnis zu den Klägern, sofern nicht mit diesen entsprechende Vereinbarungen getroffen seien. Beide Begründungen verkennen die Bedeutimg und Tragweite des § 139 BGB. Diese Bestimmung findet, wie das Reichsgericht unter allgemeiner Zustimmung des Schrifttums angenommen hat, nicht nur dann Anwendung, wenn das Rechtsgeschäft objektiv aus mehreren Teilen besteht, sondern auch in den Fällen, wo bei dem Rechtsgeschäft auf der einen oder anderen Seite mehrere Personen als Vertragschließende beteiligt sind (vgl. RGZ. Bd. 59 S. 175, Urt. vom 14. Oktober 1905 V 257 05, Jur. Wochenschr. 1905 S. 684 Nr. 5; Urt. vom 16. März 1910, Jur. Wochenschr. 1910 S. 473 Nr. 12; ferner RGZ. Bd. 51 S. 35, Bd. 62 S. 186/187, Bd. 71 S. 201, Bd. 72 S. 218). Die Bestimmungen darüber, welche Personen als Vertragschließende mitwirken, bilden einen Teil, sogar einen notwendigen Teil des Vertrags. Es fehlt deshalb an jedem Anhalte dafür, im Falle der Nichtigkeit einer solchen Bestimmung, auch wenn sie zunächst nur eine von mehreren Personen, die auf der einen oder anderen Seite bei dem Vertragsschlusse beteiligt sind, betrifft, die Anwendung des § 139 BGB. auszuschließen. Es kann auch grundsätzlich keinen Unterschied begründen, ob die auf einer Seite beim Vertragsschlusse beteiligten Personen nur zu einem Anteile berechtigt oder verpflichtet sein sollen, oder ob ein Gesamtschuld- oder ein Gesamtgläubigerverhältnis begründet werden soll. Insbesondere kann die Nichtanwendbarkeit des § 139 BGB. in dem Falle der Verpflichtung zu einer Gesamtschuld, die ja bei einer gemeinschaftlichen Verpflichtung mehrerer durch Vertrag nach §§ 427, 431 BGB. die Regel bildet, weder aus den positiven Bestimmungen der §§ 421 flg. BGB., noch
382 aus der rechtlichen Natur des Gesamtschuldverhältnisses hergeleitet werden. Aus dem für die Gestaltung des Gesamtschuldverhältnisses maßgebenden wirtschaftlichen Zwecke dem Gläubiger die Vorteile größerer Sicherheit und leichterer und bequemerer Verfolgung seines Rechtes zu verschaffen (vgl. Motive zu § 321 und § 324 Entw. I BGB. Bd. 2 S. 155/156 und S. 158), folgt zwar der in § 425 BGB. zum Ausdruck gebrachte Grundsatz, daß einer der Schuldner ausfallen kann, ohne daß dadurch die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner berührt wird; § 425 BGB. trifft aber, ebenso wie die §§ 421 bis 424 und 426, nur ein bestehendes Gesamtschuldverhältnis. Wenn von zwei Personen, welche sich in einem Vertrage verpflichtet haben, die eine geschäftsunfähig war, so ist ein Gesamtschuldverhältnis überhaupt nicht entstanden; eine Schuld „mehrerer" (§ 421) kommt nicht in Frage. Ob in solchem Falle überhaupt irgendeine rechtswirksame Verbindlichkeit entstanden ist, kann daher nicht aus der Natur des Gesamtschuldverhältnisses, sondern nur aus der Gesamtheit der Umstände, unter denen die Verpflichtungserklärung abgegeben ist, beurteilt werden. Auf diesem Standpunkte stehen auch die Motive zu § 322 Entw. I Bd. 2 S. 157. Sie sagen, in der Natur des Gesamtschuldverhältnisses liege nichts, was die Gültigkeit der Berechtigimg und der Verpflichtung des einen von der Gültigkeit der Berechtigimg und der Verpflichtung des anderen abhängig mache. Eine solche Abhängigkeit zu schaffen, müßte ein besonderer Grund hinzutreten, wie ζ. B., wenn die eine Verpflichtimg im Verhältnis zu der anderen eine akzessorische Natur hat, oder die Abhängigkeit besonders bedungen ist, oder die Bestimmung des §114 zutrifft. § 114 des ersten Entwurfs entspricht dem § 139 des Gesetzes. Auch die Motive gehen sonach von der grundsätzlichen Anwendbarkeit des § 139 BGB. auf das Gesamtschuldverhältnis aus. Das Reichsgericht hat die Anwendbarkeit des § 139 BGB. auf Gesamtschuldverhältnisse bejaht in den Urteilen vom 12. Februar 1902 RGZ. Bd. 51 S. 33 (35) bei einem Gesellschaftsvertrage, vonl 23. November 1904 RGZ. Bd. 59 S. 174 und vom 16. Dezember 1905 RGZ. Bd. 62 S. 184 (186) bei Kaufverträgen, vom 27. November 1909 RGZ. Bd. 72 S. 216 (218) bei Wechselverbindlichkeiten und vom 16. März 1910, Jur. Wochenschr. 1910 S. 473 Nr. 12 bei einem Darlehens- und Hypothekenbewilligungsvertrag. Eine abweichende Auffassung ist allerdings in dem Urteile vom 28. September 1916, RGZ. Bd. 88 S. 412, auf S. 413 unten, 414 angedeutet, doch beruht jene Entscheidung nicht auf den nur beiläufigen, das Gesamtschuldverhältnis betreffenden Bemerkungen. Hiernach ist der zwischen den Parteien und S. geschlossene Vertrag, falls S. zur Zeit des Vertragsschlusses geschäftsunfähig war, in seinem ganzen Inhalt, also auch im Verhältnis zwischen den Parteien des Rechtsstreits nichtig, sofern nicht anzunehmen ist, daß diese den Vertrag auch ohne den nichtigen Teil, d. h. ohne die Beteiligung des S. geschlossen haben würden. Der Ausnahmefall des § 139 BGB. ist bei einem Vertrage nur ge-
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geben, wenn beide Teile den Vertrag auch ohne den nichtigen Teil geschlossen haben würden (vgl. RGZ. Bd. 59 S. 176, Bd. 62 S. 186/187, Bd. 79 S. 438, Bd. 91 S. 360; und Oertmann Erl. 2b zu § 139 BGB.). Die Regel des § 139 würde demnach hier schon dann Platz greifen, wenn der Beklagte, wie das Berufungsgericht unterstellt, ohne S. den Pachtvertrag nicht hatte abschließen wollen. Darauf, ob dieser sein Wille dem Kläger beim Vertragsschluß kundgegeben worden ist, kommt es nicht an. Die Urteile RGZ. Bd. 59 S. 175 und Bd. 88 S. 412, auf die sich das Berufungsgericht bezieht, stehen seiner Auffassung nicht zur Seite. In dem ersteren Falle war festgestellt worden, daß die Klägerin, welche zusammen mit ihrem geisteskranken Ehemann ein Grundstück gekauft hatte, beim Abschlüsse des Vertrags damit gerechnet habe, ihr Ehemann sei geschäftsunfähig, und daß sie sowohl als auch der beklagte Verkäufer den Vertrag auch ohne Beteiligung des Ehemanns geschlossen haben würden. Hiernach war der Ausnahmefall des § 139 unbedenklich gegeben. Das Urteil RGZ. Bd. 88 S. 412 aber betrifft den Fall der Mitbürgschaft, der sich von dem hier vorliegenden eines gegenseitigen Vertrags wesentlich unterscheidet, und beruht durchweg auf der besonderen rechtlichen Natur der Bürgschaftsübernahme und der Mitbürgschaft. Es verweist dieses Urteil allerdings auf S. 416 darauf, daß das Reichsgericht in RGZ. Bd. 79 S. 438 mit Bezug auf § 139 BGB. ausgesprochen habe, daß ein abgeschlossener Vertrag nicht nach den einseitigen Interessen und dem bloß inneren Willen der einen oder anderen Partei ausgelegt werden dürfe, sondern unter Berücksichtigung der Interessen beider Parteien und ihres erklärten Vertragswillens mit Rücksicht auf die Verkehrssitte gemäß § 157 BGB. auszulegen sei. Dazu ist zu bemerken, daß es sich bei dieser Ausführung in RGZ. Bd. 79 S. 438 um die Frage handelte, ob drei von den Parteien geschlossene Einzelverträge als ein einheitliches Rechtsgeschäft aufzufassen seien, also darum, ob überhaupt für die Anwendung des § 139 BGB. Raum war. Eine andere Frage ist die, ob der Ausnahmefall des § 139 BGB. gegeben ist. Selbstverständlich kann auch hier nicht das einseitige Interesse einer Partei entscheiden und wird dem erklärten Willen der Parteien neben den gesamten sonstigen Umständen des Falles eine besondere Bedeutung beizulegen sein. Aber es kann nicht verlangt werden, daß eine Partei Erklärungen abgibt, die nur im Falle einer Teilnichtigkeit des Vertrags von Bedeutung sind, wenn sie diesen Fall gar nicht als möglicherweise eintretend in Betracht gezogen hat. So kann im vorliegenden Falle aus der Tatsache allein, daß der Beklagte dem Kläger von seinen Vereinbarungen mit S. keine Mitteilung gemacht und auch sonst nicht gesagt hat, daß er den Vertrag nur mit Rücksicht auf die Beteiligung des S. abschließe, kein die Ausnahme von der Regel des § 139 rechtfertigender Schluß gezogen werden. Vielmehr begründete die Tatsache, daß der Beklagte mit S. zusammen den Vertrag schloß, die natürliche Vermutung, daß dessen Beteiligung für ihn wesentlich war, sei es, daß er der Hilfe seines Kapitals, sei es, daß er seiner Mitarbeit bei der BeBewirtschaftung des Pachtguts bedurfte. Um anzunehmen, daß die Be-
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teiligung des S. für ihn unwesentlich war, würde es der besonderen Darlegung bedürfen (vgl. auch RGZ. Bd. 90 S. 330). Hiernach war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur weiteren Verhandlung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. RGZ. 99, 107 ι . Unter welchen Voraussetzungen ist ein Vertrag wegen Vers t o ß e s gegen die guten Sitten nichtig, wenn ein solcher Verstoß n u r einem der Vertragschließenden zur Last fallt ? 2. Verstößt eine Vereinbarung, durch welche die Spediteure e i n e s bestimmten Bezirks ihre gesetzliche Haftpflicht abändern u n d ihre Erstattungspflicht auf einen verhältnismäßig geringf ü g i g e n Betrag beschränken, gegen die guten Sitten ? BGB. § 138. I. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 15. Mai 1920. I. Landgericht Frankfurt a. M.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagte übernahm im Oktober 1917 für die Klägerin die Spedition von vier Faß Wein von Frankfurt a. M. nach Berlin. Auf dem Wege von ihrer Lagerhalle nach der Gütersammelstelle der Vereinigten Spediteure rollte ein Faß vom Wagen und lief vollständig aus. Die Klägerin forderte daraufhin Schadensersatz in Höhe von 4072,53 M. Die Beklagte wandte ein, der Vertrag sei auf Grund eines Rundschreibens Frankfurter Spediteure vom 2. Mai 1917 geschlossen worden, wonach ihre Haftung auf 2 M. für jedes kg beschränkt sei. Das Landgericht verurteilte die Beklagte nach dem Klagantrage. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Die Revision führte zur Aufhebung des Berufungsurteils. Gründe: „Die Vorinstanzen haben übereinstimmend angenommen, daß der von der Klägerin erhobene Anspruch begründet sei. In der Begründung weichen sie aber voneinander ab. Das Landgericht hält es nicht für erwiesen, daß der Vertrag der Parteien auf der durch das Rundschreiben vom 2. Mai 1917 gegebenen Grundlage geschlossen worden sei. Das Oberlandesgericht dagegen läßt dies dahingestellt. Es nimmt an, daß jedenfalls die Vertragsbestimmung, durch welche die vom Gesetzgeber festgelegte Haftung des Spediteurs herabgemindert sei, als unsittlich und daher als nichtig betrachtet werden müsse, die Gültigkeit des Vertrags im übrigen aber dadurch nicht beeinträchtigt werde. Es führt aus : Das Rundschreiben sei nahezu von sämtlichen in Frankfurt a. M. vorhandenen Unternehmungen des Speditions- und Fuhrunternehmergewerbes unterzeichnet. Wenn auch die bahnamtlichen Rollfuhrunternehmer nicht dazu gehörten,
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so sei deren Zahl doch so gering, daß sie nicht ins Gewicht falle. Die große Masse der Gewerbetreibenden sei bei der Beförderung ihrer Güter auf die Heranziehung der Speditionsunternehmer angewiesen. Die in dem Rundschreiben vereinigten Unternehmer hätten daher in dem von ihnen betriebenen Geschäftszweig ein tatsächliches Monopol. Wenn ein solches bestehe, so sei auch in Fällen, in denen ein gesetzlicher Zwang zum Vertragsschluß fehle, doch die Eingehung von Verträgen und die Gestaltung des Vertragsverhältnisses dem Belieben des Unternehmens entzogen, und eine hiermit in Widerspruch stehende Abrede sei als dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widersprechend und deshalb als gegen die guten Sitten verstoßend anzusehen. Auf die in dem Rundschreiben hervorgehobene Möglichkeit, den Schaden durch Versicherung zu decken, und das Erbieten des Unternehmers, die Versicherung zu ermitteln, könne es nicht ankommen. Die Revision macht zunächst mit Recht geltend, daß der Beklagten durch Ausübung des richterlichen Fragerechts hätte Gelegenheit gegeben werden müssen, sich gegen den Vorwurf, daß sie in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise gehandelt habe, zu verteidigen. (Wird näher ausgeführt.) Tatsächlich bedarf die Sache auch noch weiterer Feststellungen, bevor die Vertragsbestimmung, um die es sich hier handelt, als nichtig angesehen werden kann. Dem Oberlandesgericht ist allerdings darin beizutreten, daß dies dann angenommen werden muß, wenn sie einen Verstoß gegen die guten Sitten enthält. Grundsätzlich ist nach § 138 BGB. Nichtigkeit eines Vertrags zwar nur dann anzunehmen, wenn beiden Vertragsparteien ein solcher Verstoß zur Last fällt. Wenn aber das Geschäft in sich unerlaubt, seinem Inhalt und Gegenstande nach unsittlich ist, so ist es in jedem Falle nichtig, mag auch nur eine Partei gegen die guten Sitten verstoßen haben. Das ist namentlich auch dann der Fall, wenn das Geschäft einen Zustand herbeiführen soll, den die Rechtsordnung nicht zulassen kann. Aus diesem Grunde müssen insbesondere Knebelverträge als nichtig angesehen werden. Es ist durchaus denkbar, daß jemand in bedrängter Lage sich auf einen solchen Vertrag einläßt, ohne daß ihm dabei der Vorwurf gemacht werden kann, er habe unsittlich gehandelt, so daß nur der andere Teil gegen die guten Sitten verstößt; aber es widerspricht der Rechtsordnung, die durch einen solchen Vertrag gegebene Bindimg zuzulassen. Handelt es sich aber darüber hinaus um Verträge, bei deren Abschluß lediglich dem einen Teile eine unsittliche Handlungsweise zur Last fällt, so wird regelmäßig der andere Teil nur die Möglichkeit haben, den Vertrag wegen Drohung oder Täuschung anzufechten oder schuldrechtliche Ansprüche geltend zu machen. Das Oberlandesgericht nimmt nun mit Recht an, daß in Fällen, in denen der Inhaber eines für den Verkehr unentbehrlichen Gewerbes die zu seinen Gunsten gegebene Monopolstellung oder den Ausschluß einer Konkurrenzmöglichkeit dazu mißbraucht, dem allgemeinen Verkehr unbillig große Opfer aufzuerlegen, die von ihm aufgestellten Bedingungen Zivik. Allßcm. Ttril 2
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keine Anerkennung finden können. Es weist zutreffend darauf hin, daß da, wo ein rechtliches Monopol besteht, wie es ζ. B. im Reichspostgesetz und Reichstelegraphengesetz vorgesehen ist, dem Monopol als Gegenstück zu der eingeräumten ausschließlichen Gewerbeberechtigimg ein Zwang zum Vertragsschluß entspricht, und daß auch bei den dem allgemeinen Güterverkehr dienenden Eisenbahnen, die nur ein tatsächliches Monopol haben, zur Wahrung der Interessen der Allgemeinheit ein gesetzlich der Parteiverfügung entzogener Zwang zum Vertragsschluß besteht. Es ist danach die Auffassung des Oberlandesgerichts zu billigen, daß es dem Sinne der Rechtsordnung widerspricht, wenn in Fällen ähnlicher Art der Inhaber eines Monopols ausschließlich seinen Nutzen verfolgt. Aus der Monopolstellung des Unternehmers ergibt sich, sofern das Gewerbe für den Verkehr unentbehrlich ist, auch eine gewisse Gebundenheit hinsichtlich der Vertragsbestimmungen (RGZ. Bd. 48 S. 127). Er darf bei den Bedingungen, zu denen er Verträge abschließt, nicht einseitig seine Interessen zugrunde legen, sondern muß in einer Weise verfahren, die mit den allgemeinen Verkehrsbedürfhissen vereinbar ist. Tut er das nicht, so entsteht für den Verkehr ein Zustand, der nicht zugelassen werden kann. Damit rechtfertigt es sich, die Bedingungen, die eine übermäßige Ausnutzung der gegebenen Machtstellung enthalten, als nichtig anzusehen. Dabei kann es auch nicht darauf ankommen, ob etwa im einzelnen Falle ein Kunde den Abschluß eines Vertrags hätte vermeiden und infolge günstiger Umstände ein Geschäft selbst hätte erledigen können. Entscheidend ist vielmehr, welche Stellung der Unternehmer im allgemeinen Verkehr p i n n i m m t Ebenso ist es gleichgültig, ob das Monopol einem einzelnen Unternehmer zusteht oder eine Gruppe von Unternehmern es sich durch ihren Zusammenschluß erworben hat. Worauf es ankommt, ist lediglich, daß das Monopol besteht und es zu einer Fesselung des Verkehrs ausgenutzt wird. Die weiteren Ausführungen des Oberlandesgerichts können jedoch nicht ausreichen, um anzunehmen, daß die in dem Rundschreiben vorgesehene Einschränkung der Haftung einen Mißbrauch darstelle. Die Revision macht mit Recht geltend, daß es nicht ohne weiteres als unzulässig anzusehen ist, wenn der gesetzliche Inhalt eines der Parteivereinbarung unterliegenden Vertragsverhältnisses durch einen von der einen Seite ausgehenden Druck zu deren Gunsten abgeändert wird. Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß Vertragsfreiheit besteht. Hieran ändert auch die Monopolstellung der Spediteure nichts. Es ist von ihnen eben nur zu verlangen, daß sie einen Mißbrauch ihrer Machtstellung vermeiden. Wie sie das tun, ist ihre Sache. Ein ganz bestimmter Weg kann ihnen nicht vorgeschrieben werden. Eine Vereinbarung, wodurch sie ihre Haftimg beschränken, ist auch durchaus nicht ohne weiteres als ein Mißbrauch anzusehen. Sogar den Eisenbahnen, denen eine besonders weitgehende Haftung auferlegt ist, ist in § 461 HGB. die Befugnis zugebilligt, für den Fall des Verlustes oder der Beschädigung einer Sendung ihre Erstattungspflicht auf einen Höchstbetrag zu beschränken. Es müssen also ganz besondere
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Umstände vorliegen, wenn angenommen werden soll, daß Spediteure durch Abmachungen der hier vorliegenden Art gegen die guten Sitten verstoßen, und es wäre Sache der Klägerin, die Umstände darzulegen, die eine solche Auffassimg rechtfertigen können. Bisher fehlt eine solche Darlegung. Daß die Spediteure einseitig die Interessen der Versender berücksichtigen, kann von ihnen naturgemäß nicht verlangt werden. Die Verhältnisse können sogar so liegen, daß Vereinbarungen, wie sie hier in Frage kommen, den Anforderungen der Billigkeit in besonderer Weise gerecht werden. Es ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Krieg für die Spediteure im Vergleiche zu früher eine große Belastung und ein ganz erhebliches Risiko zur Folge hatte. Dieser Veränderung der Verhältnisse mußten sie ihre Geschäftsbedingungen anpassen. Das konnte an sich durch eine allgemeine Erhöhung der von ihnen geforderten Vergütungen geschehen. Wurde so verfahren, dann konnte aber den Besonderheiten der verschiedenen Fälle nur mangelhaft Rechnung getragen werden. Die Spediteure werden mehr oder weniger einheitliche Sätze nehmen müssen und nicht ihre Vergütungen für das einzelne Geschäft besonders berechnen können. Wollen sie die Unbilligkeit vermeiden, die sich hieraus ergeben kann, so bleibt ihnen keine andere Möglichkeit, als so zu verfahren, daß für den Regelfall ihre Haftung in einer passenden Weise beschränkt wird und nur unter besonderen Voraussetzungen eine höhere Haftung eintritt. Sie müssen dann, wenn sie diese auf sich nehmen, aber auch berechtigt sein, eine höhere Vergütung für ihre Tätigkeit zu verlangen. Wenn sie so handeln, dann verstoßen sie zweifellos nicht gegen die guten Sitten. Nicht wesentlich anders ist es aber auch zu beurteilen, wenn die Spediteure die Absender darauf verweisen, sich selbst gegen Schäden zu versichern. Namentlich dann, wenn sie sich zur Vermittelung der Versicherungsverträge erbieten, so daß den Versendern keine weiteren Schwierigkeiten und keine Zeitverluste erwachsen, kommt dies Verfahren für den Versender praktisch wesentlich auf die Berechnimg verschiedener Gebühren heraus, die berechnet werden, je nachdem er sich mehr oder weniger vollständig gegen Schaden sichern will. Ein solches Verfahren kann sich auch dadurch empfehlen, daß es am einfachsten ermöglicht, den Besonderheiten des einzelnen Falls, dem Grade der Gefährdung, der das Gut ausgesetzt ist, Rechnung zu tragen. Es kann sich also besonders eignen, den Interessen aller Beteiligten gerecht zu werden, und es kann am einfachsten dazu führen, daß der Spediteur für die Vergütimg, die er verlangt, auch immer eine zum wirtschaftlichen Ausgleich genügende Gegenleistung bietet. Von dieser Auffassung ist das Reichsgericht auch in der Entscheidung RGZ. Bd. 20 S. 115 ausgegangen. Sie spricht für den Frachtvertrag, auf den sie sich bezieht, ausdrücklich aus, daß nicht einmal der Ausschluß der Haftung für Arglist und grobes Verschulden derjenigen Personen, deren sich der Frachtführer bei der Ausübung des Transportverttags bedient, in allen Fällen den guten Sitten zuwiderläuft. Sie hält namentlich eine Vereinbarung, durch welche eine solche Haftung ausgeschlossen wird, dann ¿5
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für zulässig, wenn der Frachtführer nicht in der Lage ist, bei der Wahl seiner Leute mit der nötigen Sorgfalt vorzugehen, oder er den Transport unter ungünstigen äußeren Verhältnissen vornehmen muß, die Ausführung trotz ihrer Unsicherheit aber doch im Interesse des Versenders liegt. Dabei ist weiter ausgeführt, daß der Nachteil, den ein solcher Vertrag für die Absender hat, durch den Vorteil aufgewogen werden kann, den sie dadurch erlangen, daß die Fracht niedriger gestellt wird, und daß dies besonders dann gilt, wenn sie gegen die Nachteile, die der Ausschluß der Haftung des Frachtführers zur Folge hat, sich anderweitig, etwa durch Versicherungsverträge, decken können. Ausdrücklich wird dann gesagt: „Bietet vollends der Frachtführer selbst derartige weitere Verträge an, so fällt jedes Bedenken in dieser Hinsicht hinweg." Auch aus der Entscheidung RGZ. Bd. 62 S. 266 ist nicht zu entnehmen, daß der vertragsmäßige Ausschluß der Haftung immer einen Mißbrauch der Monopolstellung enthält. Es ist das vielmehr nur für den Fall gesagt, daß dem allgemeinen Verkehr unbillige, unverhältnismäßige Opfer auferlegt werden." . . .
RGZ. 99, 142 Rechtsfolgen der Abtretung einer Forderung zur E i n z i e h u n g . BGB. §§ 398, 137. V I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 4. Juni 1920. Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Schuldrecht". RGZ. 99, 147 Ist der Käufer einer bestimmten Partie Ware zur W a n d e l u n g berechtigt, wenn die Ware zwar der ihr i m Kaufvertrage beigelegten Bezeichnung, nicht aber d e m ü b e r e i n s t i m m e n d e n Willen der Vertragschließenden entspricht ? BGB. §§ 119, 459 flg. II. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 8. Juni 1920. I. Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. I. Oberlandcsgericht daselbst.
Am 18. November 1916 verkaufte der Beklagte dem Kläger etwa 214 Faß Haakjöringsköd per Dampfer Jessica abgeladen á 4,30 M. per Kilo eif Hamburg netto Kasse gegen Konossement und Police. Ende November zahlte der Kläger dem Beklagten gegen Aushändigung der Dokumente den in den vorläufigen Fakturen berechneten Kaufpreis. Beim Eintreffen in Hamburg wurde die Ware von der Zentral-Einkaufsgesellschaft m. b. H. in Berlin beschlagnahmt und demnächst auch übernommen. Der Kläger
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machte geltend, die Ware sei ihm als Walfischfleisch verkauft worden, während sie Haifischfleisch sei. Als Walfischfleisch würde sie der Beschlagnahme nicht unterlegen haben. Der Beklagte, der vertragswidrige Ware geliefert habe, müsse ihm deshalb den Unterschied zwischen dem Kaufpreis und dem von der Zentral-Einkaufsgesellschaft gezahlten, erheblich niedrigeren Übernahmepreis erstatten. Er klagte auf Zahlung von 47515,90 M. Das Landgericht erklärte den Klaganspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt. Es stellte fest, daß beide Teile beim Vertragschluß angenommen hätten, Haakjöringsköd sei Walfischfleisch, und folgerte daraus, daß der Kläger, weil der Beklagte Haifischfleisch geliefert habe, den gezahlten Kaufpreis abzüglich des von der Zentral-Einkaufsgesellschaft empfangenen Übernahmepreises zurückfordern könne. Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beklagten zurück, führte jedoch aus, daß der Klaganspruch seine Rechtfertigung nicht in den §§ 459, 467 BGB., sondern in den §§ 434, 440, 325, 327 das. finde. Die Revision hatte keinen Erfolg. Aus den G r ü n d e n : . . . „Wie das Oberlandesgericht bedenkenfrei festgestellt hat, sind beide Parteien beim Abschlüsse des Vertrags vom 18. November 1916 irrigerweise davon ausgegangen, daß die den Gegenstand des Vertrags bildende, in sich bestimmte Ware — 214 Faß Haakjöringsköd, auf Dampfer Jessica verladen — Walfischfleisch sei, während die Ware in Wirklichkeit Haifischfleisch und als solches mit dem norwegischen Worte Haakjöringsköd, dessen Bedeutimg die Parteien nicht kannten, richtig bezeichnet war. Diese Feststellung rechtfertigt jedoch die Auffassung nicht, daß, was verkauft gewesen, nämlich Haakjöringsköd, auch geliefert worden sei, und daß der Kläger, nachdem ihm durch Aushändigung der Konossemente die Ware übergeben worden, den Kaufvertrag wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften der verkauften Spezies gemäß § 119 Abs. 2 BGB. hätte anfechten können. Aus der Feststellung folgt vielmehr, daß beide Parteien über Walfischfleisch abschließen wollten, daß sie sich aber bei der Erklärung ihres Vertragswillens irrtümlich der diesem Willen nicht entsprechenden Bezeichnung Haakjöringsköd bedient haben. Das zwischen ihnen bestehende Rechtsverhältnis ist daher ebenso zu beurteilen, wie wenn sie sich der ihrem Willen entsprechenden Bezeichnung Walfischfleisch bedient hätten (RGZ. Bd. 61 S. 265). Demgemäß war vertragsmäßig Walfischfleisch zu liefern, und der Kläger war, nachdem ihm Haifischfleisch geliefert worden, auf die in den §§ 459 flg. BGB. vorgesehenen Rechtsbehelfe angewiesen (RGZ. Bd. 61 S. 171). Denn der gelieferten Ware fehlte die Eigenschaft, Walfischfleisch zu sein, und wenn diese Eigenschaft auch vielleicht nicht als im Sinne des § 459 Abs. 2 BGB. „zugesichert" zu gelten hatte, so war sie doch jedenfalls so wesentlich, daß ihr Fehlen einen Sachmangel im Sinne des § 459 Abs. 1 darstellte. Der Kläger ist also zur Wandelung berechtigt und er kann infolgedessen von dem Beklagten einen — der Höhe nach noch festzustellenden — Geldbetrag for-
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dem, der dem von ihm an den Beklagten gezahlten Kaufpreis abzüglich des ihm von der Zentral-Einkaufsgesellschaft gewährten Übernahmepreises gleichkommt (vgl. §§ 467, 346 flg. BGB.). Da vertragsmäßig nicht Haifischfleisch, sondern Walfischfleisch zu liefern war, so ist die Ausführung der Revision, daß der Beklagte durch Übergabe der Konnossemente seiner Vertragspflicht gegenüber dem Kläger völlig genügt habe (§§ 647 HGB., 433, 242 BGB.), ohne weiteres hinfällig. Sie würde es jedoch auch dann sein, wenn die Parteien in Wirklichkeit über Haifischfleisch abgeschlossen hätten, da Abschlüsse und Verfügungen über eine auf dem Transporte nach Deutschland befindliche und zur Einfuhr bestimmte Ware ganz ebenso gegen die Bundesratsverordnungen vom 17. Januar, 4. April und 30. September 1916 sowie gegen die Ausführungsbestimmungen vom 5. April, 18. Juni und 23. August 1916 verstießen, wie wenn sie nach Eingang der Ware im Inlande vorgenommen wären. Eine andere Frage wäre allerdings die, ob alsdann mit dem Oberlandesgerichte die zu dem gleichen Endergebnis, wie die §§ 467, 459 führenden §§ 434, 440, 325, 327 BGB. für anwendbar zu erachten sein würden, oder ob nicht vielmehr, wie die Revision unter Hinweis auf das Urteil des Reichsgerichts vom 15. Oktober 1918 III 203/18 geltend macht, der Vertrag vom 18. November 1916 nach § 306 BGB. nichtig und deshalb der Kläger auf den Bereicherungsanspruch beschränkt wäre (vgl. übrigens auch Warneyer 1918 Nr. 185). Gegen die Auffassung des Oberlandesgerichts bestände jedenfalls das Bedenken, daß die Zentral-Einkaufsgesellschaft zu den zahlreichen „kriegswirtschaftlichen Organisationen" gehört, denen der Bundesrat im öffentlichen Interesse „wichtige staatliche Aufgaben, vor allem hinsichtlich der Beschaffung des Heeresbedarfs und auf dem Gebiete der Volksversorgung, übertragen" hat (RGZ. Bd. 69 S. 107), und daß ihr die in den erwähnten Verordnungen bezeichneten Rechte nur im öffentlichen Interesse beigelegt worden sind. Die aufgeworfene Frage bedarf indes hier keiner Entscheidung, weil die Verordnungen sich auf Walfischfleisch nicht beziehen." . . .
RGZ. 99, 214 Können bloß vertragsmäßige Beziehungen einer Person zu einem Dritten als „Eigenschaften" der Person im Sinne des § 119 BGB. angesehen werden ? BGB. § 119. VII. Zivilsenat. Urt. v. 15. Juni 1920. I. Landgericht Hamburg. II. Oberlandesgericht daselbst.
Gegenüber der auf Schadensersatz in Höhe von 5505,60 M. gerichteten Klage hat der Beklagte eingewendet, er habe sich mit der Klägerin dahin verglichen, daß er 1000 M. als Schadensbetrag zahlen sollte. Das
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Landgericht verurteilte den Beklagten zur Zahlung von 1000 M. nebst Zinsen und wies die Klage im übrigen ab. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Auch die Revision blieb erfolglos aus folgenden Gründen: „Die Entscheidung des Rechtsstreits hängt davon ab, ob der unter den Parteien abgeschlossene Vergleich der Anfechtung wegen Irrtums nach § 119 BGB. deshalb unterliegt, weil die Klägerin, wie sie behauptet, nicht gewußt habe, daß der Beklagte gegen Haftpflicht versichert gewesen sei, sie vielmehr den Vergleich nur abgeschlossen habe, um den Beklagten, der ein kleiner Handwerker sei, wirtschaftlich zu schonen. Der behauptete Irrtum hat nicht die in dem ernstlich gewollten Vergleich enthaltenen Erklärungen der Klägerin zum Gegenstand (§ 119 Abs. 1). Unterstellt man, daß die Klägerin bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles den Vergleich, durch den sie ihre Schadensersatzforderung auf 1000 M. ermäßigte, nicht geschlossen haben würde, so kommt es nach dem Abs. 2 des § 119 nur darauf an, ob die Nichtkenntnis der Klägerin von dem Umstände, daß der Beklagte gegen Haftpflicht versichert war, einen Irrtum über eine „Eigenschaft" der Person des Beklagten darstellt, die im Verkehr als wesentlich angesehen wird. Mit den Vorinstanzen ist anzunehmen, daß der bezeichnete Irrtum, wenn er festgestellt werden sollte, nur einen Irrtum im Beweggrunde, nicht aber einen Irrtum über eine „Eigenschaft" der Person des Beklagten darstellen würde. Nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts sind zwar unter Eigenschaften einer Person im Sinne des § 119 Abs. 2 nicht nur die natürlichen ihr zukommenden Eigenschaften zu verstehen, sondern auch solche tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, die in ihren Beziehungen zu anderen Personen oder Sachen wurzeln und zufolge ihrer Beschaffenheit und vorausgesetzten Dauer nach den Anschauungen des Verkehrs einen Einfluß auf die Wertschätzung der Person in allen oder doch in gewissen Rechtsverhältnissen zu üben pflegen (RGZ. Bd. 61 S. 84, 86). So sind ζ. B. der Vermögensbesitz eines Bräutigams, die Kreditwürdigkeit eines Käufers, die Vertrauenswürdigkeit einer Person bei Übertragung einer Vertrauensstellung als Eigenschaften einer Person in diesem Sinne erklärt worden. Stets aber wurde zur Annahme des Vorliegens einer „Eigenschaft" erfordert und ist schon mit Rücksicht auf den zweifellosen Sprachgebrauch zu erfordern, daß das entscheidende Merkmal nicht nur ein augenblicklich vorhandenes und nur vorübergehend mit der Person verbundenes zu sein hat, sondern für eine gewisse Dauer der Gesamtpersönlichkeit als solcher (der Substanz der Person, wie sich RGZ. Bd. 94 S. 278 ausdrückt) anhaftet derart, daß es auf den Grad der Wertschätzung der Person auch noch in Zukunft für die Dauer des in Betracht kommenden, unter den Beteiligten bestehenden Verhältnisses von wesentlicher Bedeutimg ist. Zudem muß es sich nach § 119 um einen Sachverhalt handeln, wie er typisch in Leben
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und Verkehr mehr oder weniger oft in gleicher Weise vorzukommen pflegt, denn nur unter dieser Voraussetzung hat der Verkehr Veranlassimg und Gelegenheit, sich über die Bedeutimg eines Merkmals einer Person im Verkehr, wie die Vorschrift voraussetzt, ein Urteil zu bilden. Eine weitere Ausdehnung des Begriffs der Eigenschaft verbietet die Rücksicht auf die Rechtsund Verkehrssicherheit, weil durch eine solche Erweiterung der rechtliche Bestand des Geschäfts zu sehr von der zufälligen Auffassung im Einzelfall abhängig gemacht würde. Bloß vertragsmäßige Beziehungen der Person zu einem Dritten können hiernach regelmäßig nicht als „Eigenschaften" im Sinne des § 119 angesehen werden. Um solche Beziehungen handelt es sich aber im vorliegenden Falle. Daß schon in dem bloßen Bestehen eines Haftpflichtversicherungsanspruchs — dessen Verwirklichung im einzelnen Falle übrigens keineswegs sicher ist, sondern erfahrungsmäßig häufig, nach der Behauptung des Beklagten auch im vorliegenden Falle, Schwierigkeiten unterliegt (vgl. RGZ. Bd. 63 S. 10) — sich hier die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beklagten überhaupt erschöpfe, ist in den Vorinstanzen nicht ausreichend behauptet. Durch den Vergleich wurde auch unter den Parteien nicht ein dauerndes, sondern nur ein auf eine einmalige Leistung von 1000 M. gerichtetes Rechtsverhältnis begründet. Daß bei der Verhandlung über den Schadensersatz der Ersatzpflichtige verbunden sei, dem Berechtigten, der danach zu fragen unterläßt, zu offenbaren, ob er gegen Haftpflicht versichert sei, kann nicht anerkannt werden. Hiernach ist der von der Klägerin behauptete Irrtum nicht als ein Irrtum über eine Eigenschaft des Beklagten, sondern als ein Irrtum im Beweggrunde, der auf wirtschaftlichem Gebiete liegt, anzusehen, also nach § 119 nicht zu beachten." . . .
R G Z . ioo, 205 Kann in einer auf arglistige Täuschung über eine bestimmte Tatsache gestützten Anfechtung zugleich eine Anfechtung des Inhalts gefunden werden, daß dem Geschäftsgegner infolge seines unwahrhaftigen Verhaltens die erforderliche Vertrauenswürdigkeit für ein Lieferungsverhältnis von längerer Dauer fehle ?
BGB. § 123. VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 11. November 1920. I. Landgericht Düsseldorf, Kammer für Handelssachen. 11. Oberlandesgericht daselbst.
Am 3. Juli 1915 kam unter den Parteien ein Vertrag zustande, worin die Klägerin sich verpflichtete, an die Beklagte vom 1. September 1915 bis einschließlich 31. März 1916 täglich 200 Stück 15 cm-Granaten und täglich 500 Stück 10,4 cm-Stahlgußrohlinge nach Heeresvorschrift zu liefern. Der Beklagten war nur an den 15 cm-Granaten gelegen, weil sie für diese
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einen Abschluß mit der Geschoßfabrik in Siegburg hatte. Sie versuchte daher mit Brief vom 13. Juli 1915 die Klägerin zu bestimmen, die Festsetzung des Vertrags über die 10,4 cm-Stahlgußrohlinge in eine solche über 15 cm-Granaten umzuwandeln. Die Klägerin ihrerseits legte nur auf die Lieferung der 10,4 cm-Stahlgußrohlinge Wert, weil sie auf deren Herstellung ihren Betrieb in erster Linie einrichten wollte, und lehnte den Wunsch der Beklagten ab. Im Laufe der weiteren Auseinandersetzungen behauptete die Beklagte, sie sei zur Bestellung der 10,4 cm-Stahlgußrohlinge nur durch die unrichtige Behauptung des klägerischen Prokuristen bestimmt worden, daß die Klägerin einen großen Auftrag auf solche von der Geschoßfabrik in Spandau habe und die 15 cm-Granaten nur bei Abnahme des Überschusses der Spandauer Lieferung liefern könne; die Beklagte erklärte, deshalb die Abnahme der 10,4 cm-Stahlgußrohlinge abzulehnen. Die Klägerin erwiderte, daß sie für diesen Fall Schadensersatz wegen Nichterfüllung fordere, und schrieb, als die Beklagte bei ihrer Weigerung beharrte, am 31. Juli 1915 ihr weiter, die teilweise Erfüllung habe für sie kein Interesse und sie verlange deshalb Schadensersatz wegen Nichterfüllung des ganzen Vertrags. Mit diesem Briefe kreuzte sich ein Schreiben der Beklagten vom 30. gl. Mts., worin sie den ganzen Vertragsabschluß, weil durch grobe Täuschung herbeigeführt, für nichtig erklärte. Die Klägerin bestätigte unter dem 20. August 1915 ihren im Schreiben vom 31. Juli 1915 kundgegebenen Standpunkt. Mit der Klage fordert die Klägerin von dem Schaden einen Teilbetrag von 5000 M. Der erste Richter hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht dagegen hat sie dem Grunde nach zugesprochen. Die Revision wurde zurückgewiesen. Gründe: Das Berufungsgericht stellt fest, daß die Angabe, welche der klägerische Prokurist der beklagten Seite über den Abschluß der Klägerin mit der Spandauer Geschoßfabrik gemacht hat, den behaupteten Inhalt gehabt habe und daß sie unwahr gewesen sei. Das Berufungsgericht hält aber dafür, es könne nicht festgestellt werden, daß diese unrichtige Angabe für den Vertragsschluß ursächlich gewesen sei. Das Berufungsgericht hält für erwiesen, daß die Beklagte damals in einer Zwangslage gewesen sei. Sie habe einen Auftrag auf 15 cm-Granaten von der Geschoßfabrik Siegburg angenommen gehabt, habe sich vergeblich bemüht, dafür Stahlgußrohlinge zu erhalten, und habe sich dadurch gezwungen gefühlt, der zur Bedingung gemachten Verknüpfung mit einem Auftrag auf 10,4 cm-Stahlgußrohlinge zuzustimmen. Das Berufungsgericht konnte hiernach nicht die Überzeugung gewinnen, daß es für die Entschließung der Beklagten einen Unterschied bedeutet hätte, ob sie im Glauben an einen Spandauer Staatsauftrag der Klägerin war oder ob sie gewußt hätte, daß die Klägerin damals nur mit der Erteilung eines solchen Auftrags rechnete und die Absicht hatte, ihren Betrieb dementsprechend einzurichten.
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Die Revision wendet ein, dem liege eine irrige Fragestellung zugrunde, nämlich dahin, was die Beklagte getan hätte, wenn die Klägerin ihr die Wahrheit gesagt hätte. Erheblich sei vielmehr nur, ob die Beklagte trotz ihrer Notlage auf den Abschluß eingegangen wäre, wenn sie gewußt hätte, daß ihr bezüglich des Spandauer Staatsauftrages absichtlich die Unwahrheit gesagt worden sei. Das sei zu verneinen. Solche großen Lieferungsverträge seien auf das Vertrauen in die geschäftliche Lauterkeit und Redlichkeit des Lieferanten aufgebaut; einer Firma aber, die bei einem Abschluß bewußt unrichtige Angaben mache, bringe man kein Vertrauen in die Durchführung des Vertrages entgegen. Die Revision war zurückzuweisen. Die Beurteilung des Berufungsgerichtes beruht in allem Wesentlichen auf tatsächlicher Würdigung, ist insoweit auf die Richtigkeit ihres Ergebnisses in dieser Instanz nicht nachzuprüfen und läßt im übrigen keinen Rechtsverstoß erkennen. Zuzugeben ist, daß die Tatsache eines unwahrhaftigen Verhaltens, worauf die Revision abstellen will, die Vertrauenswürdigkeit des Geschäftsgegners beeinträchtigen und den Getäuschten nach Aufklärung bestimmen kann, dieserhalb von einem Vertragsschluß abzusehen. Hierin kann aber die vorliegende Anfechtung wegen arglistiger Täuschung keine Stütze finden. Die Revision beruft sich insoweit nicht auf einen — durch arglistiges Verhalten hervorgerufenen — Irrtum über den Spandauer Abschluß, sondern auf einen mit der Tatsache dieses Verhaltens begründeten Irrtum über persönliche Eigenschaften des Vertragsgegners. Die Frage ist, ob und inwieweit die Klägerin gegebenenfalls dafür einzustehen hat, wenn die Beklagte ihre Entschließung auf Grund oder mit auf Grund falscher tatsächlicher Annahmen getroffen hat. Diese Verantwortung kann sich, soweit die Wirksamkeit der vorliegenden Anfechtimg in Frage steht, nicht weiter erstrecken, als eine von der Klägerin verübte oder zu vertretende Täuschung vorliegt. Die festgestellte arglistige Täuschung bestand in der Vorspiegelung der unwahren Tatsache, bei der Klägerin liege ein fester Staatsauftrag für eine große Lieferung von 10,4 cm-Stahlgußrohlingen vor. Damit sollte auf die Willensentschließung der Beklagten eingewirkt werden; der Prokurist der Klägerin wollte den Eindruck erwecken, daß diese zur Lieferung von 10,4 cm-Stahlgußrohlingen durch die Umstände genötigt sei, mithin zur Lieferung von 15 cm-Granaten sich nur in beschränktem Umfange verstehen könne; das Gewicht des klägerischen Widerstandes sollte dadurch verstärkt und das Nachgeben der beklagten Seite erzielt werden. Dagegen erhellt nichts dafür, daß der Prokurist über die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin habe täuschen wollen und daß er hierauf eine irreführende Tätigkeit gerichtet habe. Und ebensowenig kann gesagt werden, daß jener Umstand — eine die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin beeinträchtigende Unwahrhaftigkeit in der Person ihres Vertreters — für sich genommen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte Gegenstand einer -der Klägerin (in der Person ihres Vertreters) obliegenden Offenbarungspflicht gewesen wäre. In Ansehung des von der Revision behaupteten
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Mangels der Vertrauenswürdigkeit ist daher weder eine Vorspiegelung falscher Tatsachen noch ein pflichtwidriges Verschweigen festgestellt. In der Tatsache der Unwahrhaftigkeit, auf die die Revision abstellt, für sich genommen, kann folgeweise nicht noch ein weiteres Moment unzulässiger Willensbeeinflussung gefunden werden, demzufolge die Willenserklärung der Beklagten nach § 123 BGB. angefochten werden könnte. Ob auf ein solches Verhalten bei Erfüllung sonstiger Voraussetzungen ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB. gegründet werden könnte, braucht hier nicht weiter verfolgt zu werden. Sofern die Vertrauenswürdigkeit in dem von der Revision gewollten Sinne nach Umständen eine gemäß § 119 Abs. 2 BGB. wesentliche Eigenschaft darstellt, wird darauf gegebenenfalls eine Anfechtung wegen Irrtums nach dieser Vorschrift gestützt werden können. In einer Anfechtimg wegen arglistiger Täuschung kann unter Umständen auch eine solche wegen Irrtums gefunden werden. Dafür indessen, daß die hier vorliegende Anfechtung — wegen arglistiger Täuschung über den Abschluß der Klägerin mit der Spandauer Geschoßfabrik — auch eine Anfechtung wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit der Klägerin als Lieferantin der Beklagten in sich schließe und zum Ausdruck bringen solle, besteht kein Anhalt. Insbesondere hat die beklagte Seite selbst in dieser Hinsicht im Rechtsstreite nichts geltend gemacht.
R G Z . ιοί, 97 Gilt der das Geschäft vermittelnde Makler als Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 B G B . ?
BGB. § 123 Abs. 2. II. Zivilsenat.
Urt. v. 14. Dezember 1920.
I.Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagte hatte dem Kläger im Februar 1919 125 Kisten schwedische Streichhölzer zum Preise von 370 M. für die Kiste ab Freihafenlager Hamburg verkauft. Der Kläger zahlte 10000 M. an. Es gelang aber nicht, die Einfuhrerlaubnis für die Streichhölzer zu erwirken. Der Kläger focht darauf das Kaufgeschäft wegen Irrtums und arglistiger Täuschung an und verlangte mit der Klage Rückerstattung seiner Anzahlung. Er behauptete, daß ihm der Makler der Beklagten, H., der das Geschäft vermittelt habe, vor dem Abschluß bewußt wahrheitswidrig erklärt habe, ein anderer Käufer habe aus derselben Partie, von der dem Kläger verkauft sei, Ware erworben und aus dem Freihafen herausbekommen; derselbe habe den Wunsch, auch den Rest der Partie zu kaufen. Das Bern fungsgericht wies im Gegensatz zum Landgericht die Klage ab. Die Revision des Klägers blieb erfolglos.
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Gründe: Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat der Kläger nicht behauptet, daß die Beklagte die von dem Makler H. vorgenommene Täuschung gekannt habe oder habe kennen müssen. Dann aber war eine Anfechtung des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrags durch den Kläger nicht möglich, und schon hieran muß die Revision scheitern. Es ist wiederholt in der Rechtsprechung des Reichsgerichts angenommen worden, daß derjenige, welcher mit Vertretungsmacht für eine Partei abschließt, nicht als Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB. anzusehen ist (vgl. RGZ. Bd. 72 S. 136, Bd. 76 S. 108). Es kann aber nicht anerkannt werden, daß auch solche Personen, welche auf Grund eines Auftragsverhältnisses ohne Abschlußvollmacht in irgendeiner Weise an dem Zustandekommen des Geschäfts beteiligt sind, den Parteivertretern gleichzustellen seien, derart, daß von ihnen verübte arglistige Täuschungen zur Vertragsanfechtung auch dann berechtigen könnten, wenn der Auftraggeber von ihnen weder wußte noch zu wissen brauchte. Wer einen anderen bevollmächtigt, ihn zu vertreten, gibt damit nach außen kund, daß er dem erwählten Vertreter sein volles Vertrauen geschenkt habe und es sich gefallen lassen wolle, mit ihm identifiziert zu werden. Dieser Gesichtspunkt trifft aber nicht in solchen Fällen zu, wo die Partei einen anderen nur zu beschränktem Handeln beauftragt und sich selbst die entscheidende Tätigkeit vorbehält. Hier weiß der Dritte, daß es im wesentlichen auf das ankommt, was der Auftraggeber weiß und will, und er kann sich nicht darauf berufen, daß der Auftraggeber, auch wenn er den Erklärungen seines Beauftragten völlig fernsteht, diese zu decken habe. Eine so weitgehende Annahme würde den Interessen des Geschäftsverkehrs nicht förderlich sein, sondern nur hinderlich im Wege stehen. So hat denn auch der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 26. Januar 1909 II 337/08 ausgesprochen, daß derjenige, welcher lediglich im Auftrage eines anderen die die schließliche Willenserklärung vorbereitenden Verhandlungen geführt hat, als Dritter im Sinne des § 123 Abs. 2 BGB. zu gelten hat. Dieser Gesichtspunkt trifft auch für den das Geschäft bloß vermittelnden Makler zu. Als solcher kommt H. nach den Feststellungen des Berufimgsgerichts in Frage. Er ist also als Dritter zu erachten. . . .
RGZ. ιοί, 107 Wann stellt sich ein Kalkulationsirrtum des Verkäufers als ein die Anfechtung rechtfertigender Irrtum über den Inhalt der Erklärung dar ? BGB. § 119. II. Zivilsenat.
Urt. v. 17. Dezember 1920.
I. La ndgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
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Laut Bestätigungsschreiben vom 26. Februar 1919 verkaufte die Beklagte der Klägerin 200 kg Silber 1000 fein zum Preise von 360 M. für das Kilogramm. Die Klägerin verlangte mit der Klage Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Beide Vorinstanzen erklärten den Anspruch für dem Grunde nach gerechtfertigt. Auf die Revision der Beklagten wurde das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Aus den G r ü n d e n : . . . Sodann hat die Beklagte den streitigen Vertrag auf Grund von § 119 BGB. wegen Irrtums angefochten, indem sie vortrug: Bei den Kaufverhandlungen, die ihrem Bestätigungsschreiben unmittelbar vorausgegangen seien, habe ihr Prokurist A. dem Inhaber der Klägerin 200 kg Silber 800 fein zum Preise von 320 M. für das Kilogramm angeboten. Da der Inhaber der Klägerin Wert darauf gelegt habe, Silber 1000 fein zu erhalten, habe A. im Kopfe den Preis für 1000 fein auf der Basis von 800 fein zu 320 M. umgerechnet. Dabei sei ihm der Rechenfehler unterlaufen, daß er als Preis für 1000 fein den — in das Bestätigungsschreiben übergegangenen — Preis von 360 M. angegeben habe, während das Resultat richtig gerechnet 400 M. hätte lauten müssen: Silber 800 fein sei damals seit langer Zeit nicht unter 310 M. zu kaufen gewesen, daher sei es ausgeschlossen, daß A. 1000 fein zu 360 M. hätte anbieten können. Dem Inhaber der Klägerin sei bei den Kaufverhandlungen von A. auch gesagt worden, daß die Beklagte selbst mindestens 310M. für 800 fein zahlen müsse. Diesem Vorbringen, das in der Revisionsinstanz als richtig zu unterstellen ist, wird das Berufungsgericht nicht gerecht. Es führt aus, daß nach der Darstellung der Beklagten ein Kalkulationsirrtum vorliege, der nicht zur Irrtumsanfechtung berechtige; daß der gegenwärtige Fall wesentlich anders geartet sei als ein von O e r t m a n n , DJurZ. 1909 S. 742 behandelter, wo bei der Addition mehrerer Einzelposten in der Endsumme ein Fehler unterlaufen sei; daß übrigens weder das Reichsgericht noch die sonstige Judikatur der — bei solcher Sachlage die Irrtumsanfechtung zulassenden — Ansicht O e r t m a n n s gefolgt sei. Der Stand der Rechtsprechung ist ein anderer, als das Berufungsgericht annimmt. Allerdings reicht danach ein Kalkulationsirrtum regelmäßig nicht aus, die Voraussetzungen des § 119 BGB. zu erfüllen, da er regelmäßig nicht die rechtsgeschäftliche Erklärung selbst berührt, sondern nur Umstände, die dieser vorausgegangen sind, und damit nur den Beweggrund betrifft. Hierin tritt jedoch, wie das Reichsgericht schon mehrfach anerkannt hat, eine Änderung ein, wenn die Kalkulation zum Gegenstand der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht wurde und der geforderrte Kaufpreis erkennbar als ein auf dieser Kalkulation beruhender bezeichnet worden ist; denn ¡der Inhalt der Erklärung umfaßt dann auch die Preisberechnung (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 268, Bd. 90 S. 272, Bd. 94 S. 67). Ein solcher Fall ist aber hier nach dem Vorbringen der Beklagten gegeben, da der für die verkaufte Ware geforderte
398 Preis sich nui als das Ergebnis einer bei den entscheidenden Kaufverhandlungen vorgenommenen, dem Käufer kenntlich gemachten Umrechnung darstellen würde. R G Z . ι ο ί , 399 Liegt ein die Nichtigkeit begründender Verstoß gegen die guten Sitten vor, wenn eine Ehefrau Kaufgeschäfte in der Weise vornimmt, daß sie, um dem Ehemanne den Umfang ihrer Aufwendungen zu verheimlichen, den Verkäufer zur Ausstellung unvollständiger Rechnungen veranlaßt ? BGB. § 138. II. Zivilsenat. I. Landgericht III Berlin.
Urt. v. 4. März 1921. II. Kammergericht daselbst.
Die im August 1917 gestorbene Ehefrau des Beklagten war seit dem Jahre 1911 Kundin der Klägerin. Sie kaufte bei ihr Kleidungsstücke und ließ an solchen Änderungen und Reparaturen vornehmen. Unterm 1. September 1917 übersandte die Klägerin dem Beklagten eine die Zeit vom Februar 1914 bis zum Juli 1917 umfassende Rechnungsaufstellung, die für sie eine Gesamtforderung von 4881,50 M. und nach Abzug der Zahlungen eine Restschuld des Beklagten von 2356,50 M. ergab. Der Beklagte hat 2340 M. gezahlt, dann aber erklärt, daß er die Zahlung wegen arglistiger Täuschung anfechte. Die Klägerin erhob Klage mit dem Antrag auf Feststellung, daß dem Beklagten aus der erwähnten Zahlung Rechte gegen sie, die Klägerin, nicht zustehen. Der Beklagte verlangte widerklagend die Rückerstattung der 2340 M. und eines Teiles der früheren Zahlungen. Nach der Erhebung der Widerklage erklärte die Klägerin die Klage für erledigt. Beide Vorinstanzen erkannten zugunsten der Klägerin. Die Revision des Beklagten wurde zurückgewiesen. Gründe: Der Beklagte hat zur Rechtfertigung der Widerklage geltend gemacht, daß seine verstorbene Ehefrau im Geschäftsverkehr mit der Klägerin die Schlüsselgewalt (§ 1357 BGB.) überschritten habe und daß die zwischen ihr und der Klägerin geschlossenen Geschäfte wegen Verstoßes gegen die guten Sitten (§ 138 Abs. 1 BGB.) insgesamt nichtig seien. Letzteres stützte er auf die unstreitige Tatsache, daß die Klägerin auf Veranlassung der Ehefrau ihm Rechnungen zugehen ließ, worin die mit der Ehefrau vereinbarten Preise zu niedrig angegeben oder auch nicht alle jeweiligen Bestellungen enthalten waren, während andere vollständige Rechnungen der Ehefrau mitgeteilt wurden; ferner behauptete er, die Klägerin habe als Entgelt für dieses Entgegenkommen seiner Ehefrau höhere Preise als ihren sonstigen Kunden berechnet, die Preisaufschläge hätten im Durchschnitt über 30% betragen.
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Das Berufungsgericht erachtet die Widerklage unter keinem der beiden Gesichtspunkte für gerechtfertigt. Die Revision greift diese Beurteilung insoweit an, als die Anwendbarkeit des § 138 BGB. verneint ist. Sie macht im wesentlichen geltend: Im Hinblick auf die in den ehelichen Verhältnissen begründeten gegenseitigen Pflichten der Treue und Wahrheitsliebe erscheine es als ein durchaus verwerfliches Verhalten der Ehefrau des Beklagten, daß sie diesen über ihre Garderobenauslagen vorsätzlich getäuscht und sogar noch andere dazu bewogen habe, hierbei Hilfe zu leisten; gerade diese Preisgabe ihrer Eheverfehlung an Fremde mache ihr Verhalten zu einem besonders ungebührlichen. Die Mitwirkung der Klägerin verstoße nicht nur gegen das allgemeine Anstandsgefühl, sondern habe insbesondere die Unsittlichkeit der mit dieser Täuschimg notwenig verbundenen Kauf- und Werkvertragsgeschäfte zur Folge, vor allem, wenn die Behauptimg des Beklagten zutreffe, daß die Klägerin mit Rücksicht auf den Charakter des Geschäftsverkehrs höhere Preise berechnet habe. Beachte man, daß die Klägerin jahrelang im Verein mit der Ehefrau des Beklagten diesen planmäßig irregeführt und ihm dadurch jeden Überblick über die wirklichen Auslagen seiner Frau und die Möglichkeit der Beseitigung des Mißstandes genommen habe, so müsse man zu dem Ergebnisse kommen, daß die Geschäfte sich nach ihrem Gesamtcharakter als sittenwidrig darstellten und weder die Ehefrau des Beklagten noch diesen selbst verpflichtet hätten. Der Angriff ist nicht begründet. Allerdings ist der Revision in der Verurteilung des Verhaltens der Ehefrau des Beklagten und ebenso darin beizutreten, daß die Klägerin, indem sie durch die Ausstellung der für den Beklagten bestimmten unvollständigen Rechnungen diesem Verhalten Vorschub leistete, sich mit den Pflichten eines anständigen Geschäftsmanns in Widerspruch gesetzt hat. Daraus ist jedoch nicht zu folgern, daß nunmehr, wie der Beklagte meint, alle zwischen seiner Ehefrau und der Klägerin geschlossenen Geschäfte nichtig sind. Die Annahme einer den mehrjährigen Geschäftsverkehr als solchen ergreifenden Sittenwidrigkeit und einer daraus folgenden Nichtigkeit hat von vornherein auszuscheiden. Nichtig wegen Verstoßes gegen die guten Sitten können nur die einzelnen Geschäfte sein. Gegen diese ist aber vom Standpunkte der guten Sitten aus an sich nichts einzuwenden. Es handelt sich im einzelnen durchweg um gewöhnliche Kauf- und Werkverträge, wie sie zur Befriedigung eines dauernden Bedürfnisses täglich geschlossen werden. Dabei hat die Ausstellung der unvollständigen Rechnungen als solche nur die den Inhalt und damit die Rechtswirksamkeit des einzelnen Geschäfts nicht berührende Bedeutung eines begleitenden Umstandes, der darin besteht, daß der Beklagte über den Umfang der Aufwendungen seiner Frau allgemein getäuscht wurde. Ein die Nichtigkeit der einzelnen Geschäfte begründender Verstoß gegen die guten Sitten könnte sich bei dieser Sachlage nur etwa aus dem über die Berechnung zu hoher Preise Vorgetragenen ergeben. In dieser Beziehung erwägt das Berufimgsgericht, daß die — von der Klägerin
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bestrittene — Preissteigerung im Hinblick auf die mit der Art des Geschäftsverkehrs verbundene Kreditierung berechtigt gewesen, zum mindesten aber nicht für unsittlich zu erachten wäre. Diese Begründung reicht nicht aus, weil sie den wesentlichen Punkt, daß der Aufschlag ein Entgelt für die Ausstellung der unvollständigen Rechnungen gewesen sein soll, nicht trifft. Allein auch der danach nicht berücksichtigte Gesichtspunkt führt nach den Umständen des Falles zu keinem anderen Ergebnisse. Die Revision stützt die hierher gehörige Beschwerde in prozessualer Hinsicht auf das nach zwei landgerichtlichen Schriftsätzen des Beklagten über den Aufschlag und dessen Zusammenhang mit der Rechnungsausstellung Vorgetragene. Nach dem Urteile des ersten Richters hat aber der Beklagte in Ergänzung dieses Vorbringens ausdrücklich erklärt, er wolle nicht behaupten, daß seine Ehefrau sich der Überschreitung des üblichen Preises bewußt gewesen sei. Es könne daher nur noch in Frage kommen, ob die Sittenwidrigkeit daraus folgt, daß die Klägerin nur von sich aus wegen der Art des Geschäftsverkehrs die höheren Preise genommen hat. Das ist aber zu verneinen. Denn in diesem Fall enthalten nicht die Geschäfte selbst etwas Sittenwidriges, sondern es liegt nur eine — auch nicht etwa unter Abs. 2 des § 138 BGB. fallende — einseitige Ausnutzung der durch das pflichtwidrige Verhalten der Ehefrau des Beklagten geschaffenen Lage seitens der Klägerin vor.
RGZ. ι ο ί , 63 ι . Zur A n w e n d u n g des § 139 BGB. 2. Findet die Formvorschrift des § 1 5 Abs. 4 G m b H G . Anw e n d u n g auch auf solche Verträge, in welchen nur die Verpflicht u n g zur A b n a h m e eines Geschäftsanteils, nicht auch eine solche des Gesellschafters zu dessen Abtretung eingegangen werden soll ? BGB. § 139. III. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 12. April 1921.
I. Landgericht Stuttgart, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Die Beklagte hat gegenüber der unstreitigen Darlehnsforderung des Klägers von 52150,25 M. durch Aufrechnung und Widerklage eine Gegenforderung von 133000 M. geltend gemacht, die sie in folgender Weise begründet: Ihr Geschäftsführer L. hatte durch notariellen Vertrag vom 29. August 1918 von seinen Geschäftsanteilen an der Gesellschaft solche im Nennbetrage von 80000 M. an den Kläger für 118000 M. verkauft. Durch notariellen Vertrag vom 30. September 1918 kaufte L. die Geschäftsanteile im Nennbetrage von 64000 M. für 133000 M. zurück. In Ergänzung dieses Vertrags verpflichtete sich der Kläger, gleichfalls in einem notariellen Vertrag, am 8. Oktober 1918, auf Verlangen des L. von einem Wiederkaufsrechte Gebrauch zu machen, das er sich bei dem Weiter-
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verkauf der restlichen 16000 M. der ihm am 29. August 1918 verkauften Geschäftsanteile vorbehalten hatte; er machte zugleich dem L. ein Angebot zum Kaufe dieser 16000 M. Geschäftsanteile zu dem von ihm, dem Kläger, zu zahlenden Wiederkaufspreise. Die Beklagte behauptet nun, der Vertrag vom 30. September 1918 sei hinfällig geworden, weil er unter der Bedingung geschlossen worden sei, daß die Fabrik der Beklagten an den Kaufmann R. verkauft werde und diese Bedingung nicht eingetreten sei. L. hat seine Rechte gegen den Kläger der Beklagten abgetreten. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der Widerklage nach dem Klagantrage verurteilt. Die Berufung der Beklagten ist zurückgewiesen worden. Auch ihre Revision hatte keinen Erfolg. Aus den G r ü n d e n : Das Berufungsgericht erachtet die Behauptung der Beklagten, daß der Vertrag vom 30. September 1918 unter einer Bedingung geschlossen sei, durch die Bekundung des Notars F., daß der Kläger die Aufnahme der Bedingung in den Vertrag ausdrücklich abgelehnt habe, für widerlegt. Es läßt dahingestellt, ob die Parteien einen Nebenvertrag dahin, daß der Kläger die Anteile wieder zurücknehmen solle, falls R. die Fabrik der Beklagten nicht kaufe, mündlich vereinbart haben, da ein solcher Vertrag nach § 15 Abs. 4 GmbHG. der gerichtlichen oder notariellen Beurkundung bedurft hätte. Die Revision beanstandet diese Begründimg, weil die Nichtaufnahme des Nebenvertrags in die Vertragsurkunde vom 30. September 1918 die Nichtigkeit dieses ganzen Vertrags zur Folge haben müsse. Dem kann nicht beigetreten werden. Die Aussage des Zeugen F. ergibt und das Berufungsgericht stellt demgemäß fest, daß die Parteien den Vertrag eben unabhängig von der angeblichen Nebenabrede schließen wollten, und daß die notarielle Beurkundung des Vertrags alles, was die Parteien zum Gegenstande der Beurkundung machen wollten, vollständig und richtig enthält. Es bildete also die angebliche Nebenabrede ein völlig selbständiges Rechtsgeschäft, nicht etwa einen Teil eines sie und den Inhalt des notariellen Vertrags umfassenden einheitlichen Rechtsgeschäfts im Sinne des § 139 BGB. Die Nichtigkeit der Nebenabrede berührt danach nicht die Gültigkeit des notariellen Vertrags. Die Annahme des Berufungsgerichts, daß der Formvorschrift des § 15 Abs. 4 GmbHG. auch solche Verträge unterliegen, durch welche sich jemand gegenüber einem Gesellschafter einer Gesellschaft m. b. H. zur Abnahme eines Geschäftsanteils verpflichtet, auch wenn dieser Gesellschafter seinerseits nicht die Verpflichtung zur Abtretung des Geschäftsanteils übernimmt, entspricht der ständigen Rechtsprechung des Reichsgerichts — vgl. RGZ. Bd. 57 S. 60, Bd. 76 S. 310, Bd. 82 S. 353. Dieser, besonders auf den Zweck der Vorschrift, den spekulativen Handel mit den Geschäftsanteilen der Gesellschaften m. b. H. zu verhindern, gegründeten Auslegung der Vorschrift schließt sich auch der jetzt erkennende Senat Z.vll·.. Aligeri]. Teil ¿ 20
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an. Die Voraussetzung, von der die Anwendung des § 15 Abs. 4 GmbHG. in den Urteilen vom 3. Juni 1913 und 8. Dezember 1916 — RGZ. Bd. 82 S. 350, Bd. 89 S. 193 — abhängig gemacht ist, daß die Verpflichtung zur Abtretung oder Abnahme des Geschäftsanteils den unmittelbaren und wesentlichen Inhalt des Vertrags ausmache, ist bei der Vereinbarung, wie sie die Beklagte hier behauptet und das Berufungsgericht seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde legt, imbedenklich gegeben. RGZ. I02, 225 Zur Anfechtung eines Pachtvertrags wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit des Pächters. BGB. § 119. III. Zivilsenat. I. Landgericht Brieg.
Urt. v. 3. Juni 1921.
II. Oberlandesgericht Breslau.
Der Kläger hat durch Vertrag vom 2. März 1919 dem Beklagten seine in Brieg gelegene Ziegelei verpachtet und darauf überlassen. Er hat den Pachtvertrag wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit des Beklagten angefochten und verlangt die Räumung der Pachtsache. Landgericht wie Berufungsgericht haben die Anfechtung des Vertrags für berechtigt erklärt und der Klage stattgegeben. Die Revision blieb erfolglos. Aus den G r ü n d e n : Mit Recht hat das Berufungsgericht die Anfechtbarkeit des zwischen den Parteien über die Ziegelei des Klägers geschlossenen Pachtvertrags wegen Irrtums über die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit des Pächters (§ 119 Abs. 2 BGB.) bejaht. Die Pacht gehört zu den Rechtsverhältnissen, die in besonderem Maße von den Grundsätzen der Treue und des Glaubens beherrscht werden. Sie erschöpft sich auf seiten des Pächters nicht in der Verpflichtimg zur Zahlung des Pachtzinses und ist nicht allein auf diese Sachleistung gerichtet. Der Verpächter, der die Pachtsache dem Pächter zum Gebrauch überläßt, muß sich darauf verlassen können, daß dieser die Pachtsache pfleglich behandelt und von ihr den im Vertrag festgesetzten Gebrauch macht. Einer Person, deren Unzuverlässigkeit und Untreue ihm bekannt ist, wird der Verpächter das Pachtgut nicht anvertrauen. Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit sind vielmehr Eigenschaften des Pächters, die nach der Verkehrsauffassung als wesentliche Eigenschaften des Pächters angesehen werden. Dies gilt auch für den Pachtvertrag der Parteien vom 2. März 1919. Nach diesem wurden dem Beklagten sehr erhebliche Vermögenswerte — die Ziegelei mit allem Zubehör, das Lehmlager und ein Bestand von etwa 450000 Stück ungebrannter Ziegel — überlassen; der Pächter erhielt auch insofern eine Vertrauensstellung, als die Einkünfte des Klägers von der Gewissen-
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hafügkeit des Pächters in der Erfüllung seiner Vertragspflichten abhängig waren. Die dem Verpächter eingeräumten Rontrollrechte gewährten keinen sicheren Schutz gegen ein vertragswidriges Verhalten des Pächters. Diese wesentlichen Pächtereigenschaften fehlten dem Beklagten zur Zeit des Vertragsschlusses. Nach der Feststellung des Berufungsgerichts hat er sich in seiner dem Pachtbeginn unmittelbar vorausgehenden Dienststellung als Betriebsleiter der Ziegelei der K. Werke in Pf. dadurch eines groben Vertrauensmißbrauchs schuldig gemacht, daß er anfangs 1919 über eine größere Menge von Ziegeln absichtlich zum Nachteil seiner Dienstherrin verfügte und dabei den erzielten Erlös an sich nahm. Die günstigen Zeugnisse, die sich der Beklagte in früheren Dienststellungen erworben hat, sind nicht geeignet, den Mangel seiner Gesinnung zu heben und das Vertrauen zu seiner Zuverlässigkeit aufrecht zu erhalten. . . . RGZ. I02, 396 Kann eine Aktiengesellschaft, die im Transportgewerbe eine gewisse Monopolstellung einnimmt, sich in ihren Geschäftebedingungen von der Haftung für ein grobes Verschulden ihrer leitenden Angestellten freizeichnen ? BGB. § 139. I. Zivilsenat. Urt. v. 1. Oktober 1921. Am 10. Januar 1919 ließ der Kaufmann B. 4 Kisten und 6 Pack isolierter Kupferdrahtleitung durch einen Fuhrmann zu dem auf dem Hafengelände in Köln befindlichen Empfangsgebäude der beklagten Aktiengesellschaft fahren mit dem Auftrage, die Ware der Beklagten zur Beförderung nach Düsseldorf an die Adresse der Klägerin zu übergeben. Nach Angabe der Klägerin vollzog der Fuhrmann diesen Auftrag und überbrachte er seinem Auftraggeber eine vom 10. Januar 1919 datierte mit D. als „Vertreter" der Beklagten unterzeichnete Urkunde. Die Güter sind bei der Klägerin nicht angelangt, sondern abhanden gekommen. Die Klägerin behauptet, daß zwischen B. und der Beklagten ein Vertrag über die Empfangnahme und Beförderung der Güter zustande gekommen sei und daß B. seine Ansprüche gegen die Beklagte ihr übertragen habe. Demgemäß verlangt sie von der Beklagten Schadensersatz für den Verlust der Güter. Das Landgerichr gab der Klage statt. Das Oberlandesgericht verurteilte die Beklagte nur zur Zahlung von 285 M. nebst Zinsen; im übrigen wies es die Klage ab. In der Revisionsinstanz wurde das erste Urteil wiederhergestellt. Gründe: Das Berufungsgericht läßt es dahingestellt, ob durch die Unterzeichnung der als Konnossement bezeichneten Urkunde vom 10. Januar 1919 seitens des Absenders der Ware B. einerseits und des Vorarbeiters 26·
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der Beklagten D. anderseits ein Frachtvertrag zum Abschluß gekommen ist, da jedenfalls D. die Güter für die Beklagte in einer diese verpflichtenden Weise zum Zwecke der Beförderung in Empfang genommen habe. Die betreffenden Feststellungen des Berufungsgerichts genügen, um grundsätzlich die Beklagte zum Ersatz des eingeklagten Schadens verpflichtet erscheinen zu lassen. Anderseits muß die Klägerin, welche ihre Ansprüche ausschließlich aus der Urkunde vom 10. Januar 1919 herleitet, die dort ausdrücklich in Bezug genommenen „Verladungsbedingungen" auch Hann gegen sich gelten lassen, wenn ein eigentlicher Frachtvertrag mit der Beklagten nicht getätigt sein sollte. Da ferner die Beklagte gegen die Höhe der Klagforderung an sich keine Einwendungen erhoben hat, ist sie in vollem Umfange sachfällig, falls sie sich nicht auf die Freizeichnungsklausel in § 9 der „Verladungsbedingungen" berufen kann. Nun hat das Berufungsgericht ausgeführt: es sei als mindestens grobfahrlässig zu erachten, wenn, wie hier, das von dem Vorarbeiter D. in Empfang genommene und nicht zurückgegebene Gut von den Arbeitern und Angestellten der Beklagten eine derartige geschäftliche Behandlung erfahren habe, daß es nicht nur in den Hallen der Beklagten nicht aufzufinden, sondern auch in ihren Büchern und Schiffspapieren keinerlei Eintragung darüber erfolgt sei. Eine Geschäftseinrichtung, welche es ermögliche, daß trotz etwa entgegenstehender Anordnungen der Beklagten ein Vorarbeiter sich für befugt halten könne, nicht nur die Güter anzunehmen, sondern sogar Frachtbriefe (richtiger: Konnossemente oder Ladescheine) über sie auszustellen, ohne daß die kaufmännischen Angestellten der Beklagten hiervon etwas erführen, lasse auf eine starke Vernachlässigung der in solchem Betriebe erforderlichen Aufsichtsführung seitens der leitenden Angestellten schließen. Diese grobfahrlässige geschäftliche Behandlung des Guts sei die unmittelbare Ursache seines Verlustes gewesen und begründe die grundsätzliche Haftpflicht der Beklagten. Danach ist ohne erkennbaren Rechtsirrtum ein für den Verlust des Guts mitwirkendes, also ursächliches grobfahrlässiges Verschulden von leitenden Angestellten der Beklagten, bestehend in einer ungewöhnlich mangelhaften Einrichtung und Beaufsichtigung ihres Geschäftsbetriebes, festgestellt worden. Ein solches Verschulden der geschäftsführenden Organe der beklagten Aktiengesellschaft hat als eigenes Verschulden derselben zu gelten. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Freizeichnung in den „Verladungsbedingungen" (§ 9 Abs. 2) sich überhaupt auf ein Verschulden der eben erwähnten Art bezieht. Denn jedenfalls würde eine so weit gehende Freizeichnung im Hinblick auf die vom Berufungsgericht dargelegte Monopolstellung der Beklag:en ein Mißbrauch dieser Machtstellnng und somit als gegen die guten Sitten verstoßend rechtsunwirksam sein, selbst wenn man diese Freizeichnung mit dem Berufungsgericht für die übrigen, nicht in leitender Stellung befindlichen Angestellten der Beklagten gelten lassen wolle (RGZ. Bd. 20 S. 115, Bd. 52 S. 402, Bd. 99 S. 108, Bd. 62
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S. 266). Denn der Hinweis auf die zur Zeit der hier fraglichen Versendung herrschende Unsicherheit im gesamten Beförderungsgewerbe muß versagen, wenn es sich, wie hier, um die eigenen Handlungen oder Unterlassungen der leitenden Angestellten des Transportunternehmers handelt. Die Frage, ob die Beklagte einen Vertrag der in der Urkunde vom 10. Januar 1919 vorgesehenen Art ohne die Freizeichnung abgeschlossen haben würde oder nicht (§ 139 BGB.), ist hier ohne Bedeutung, da die Haftung der Beklagten schon durch die bloße Tatsache der rechtsverbindlichen Übernahme des Guts (receptum) begründet ist. . . . R G Z . 103, 21 K a n n eine E r b s c h a f t s a u s s c h l a g u n g w e g e n irriger A n n a h m e der Ü b e r s c h u l d u n g des N a c h l a s s e s a n g e f o c h t e n werden ? IV. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 26. September 1921.
Die Entscheidung ist abgedruckt unter „Bürgerliches Recht, Erbrecht". R G Z . 104, 50 t ι. . . . * ) 2. Erfordernisse der B e s t ä t i g u n g n a c h § 141 B G B . 3. Zur A n w e n d u n g des § 817 Satz 2 B G B . B G B . §§ 141, 817 S. 2. VI. Z i v i l s e n a t .
Urt. v. 13. Februar 1922.
I. Landgericht Freiburg i. Β.
I I . Obcrlandesgericht Karlsruhe.
Der Kläger verlangt die Rückzahlung von darlehnsweise gegebenen 11000 Franken schweizer Währung nebst 6°,', Zinsen vom 14. Januar 1919 an unter Verrechnimg von 20000 M . nebst 4 % Zinsen vom 24. Dezember 1918 an zum Kurse des Klagzustellungstags (18. 10. 1919). Der erste Richter hat der Klage gegenüber dem Beklagten Emil H. — unter Beschränkung der Zinsen der Erstforderung auf die Zeit vom 24. Januar 1919 an und Festsetzung der Verrechnung nach dem Kurse vom 9. Oktober 1919 — willfahrt; im übrigen hat er die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Klage völlig abgewiesen. Die Revision des Klägers blieb erfolglos. Gründe: Am 14. Januar 1919 hat der Kläger, ein in Basel ansässiger Deutscher, dem Beklagten Emil H., einem in Lörrach-Stetten ansässigen Deutschen, in Lörrach darlehnsweise einen auf die Schweizerische Volksbank in Basel gezogenen Scheck über 11000 Franken aushändigen lassen; H. hat den Scheckbetrag in Basel erhoben. Wie das Berufungsgericht einwandfrei *) überholt
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feststellt, soll das Geschäft nach dem Willen der Beteiligten dem deutschen Recht unterstellt werden; nach diesem soll die vorliegende Klage auf Rückzahlung des Darlehns beurteilt werden. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß das Geschäft gegen die damals geltende Bekanntmachung über den Zahlungsverkehr mit dem Ausland vom 8. Februar 1917 (Devisenverordnung RGBl. 1917 S. 105), und zwar beklagterseits gegen § 1 Abs. 1 Satz 2, auf Seiten des Klägers gegen § 1 Abs. 2 Satz 1 verstoßen habe und deshalb gemäß § 134 BGB. nichtig sei. Es hat weiter den Tatbestand einer Bestätigung im Sinne des § 141 BGB. im Hinblick auf den Briefwechsel der Parteien vom 9. und 10. Oktober 1919 verneint und dem Kläger gegenüber auch den §817 Satz 2 BGB. angewendet. Die Revision war zurückzuweisen. 1. ( . . . folgen Ausführungen über das räumliche Anwendungsgebiet der Devisen-VO. und die Rechtswirkung von Verstößen gegen sie). Es hat nach alledem dabei zu verbleiben, daß das vorliegende Darlehnsgeschäft auf seiten beider Vertragsteile gegen bindende Vorschriften der Devisenverordnung verstößt und gemäß § 134 BGB. für nichtig zu erachten ist. Mit dem Schreiben vom 9. Oktober 1919 hat der Kläger das Darlehen zur Rückzahlung gekündigt. Der Beklagte H. hat mit dem Schreiben vom 10. gl. Mts. erwidert, daß er die 11000 Franken vorläufig nicht zurückzahle, und beigefügt, daß er die Rückzahlung erst leisten werde, wenn er das Haus in B. verkauft habe, wobei er sich vorbehalte, alle Unkosten und Auslagen dem Kläger abzuziehen. Das Berufungsgericht hat den Gesichtspunkt der Bestätigung im Sinne des § 141 BGB. ins Auge gefaßt und zutreffend die Annahme einer solchen abgelehnt. Es fehlt schon an einem Anhalt dafür, daß der Beklagte Kenntnis von der Nichtigkeit des Darlehnsvertrags hatte, wie sie die Rechtsprechimg des Reichsgerichts nicht nur für den Fall der Bestätigung eines anfechtbaren Rechtsgeschäfts nach § 144, sondern auch für den hier in Rede stehenden Fall der Bestätigung eines nichtigen Geschäfts nach § 141 BGB. erfordert (RGZ. Bd. 93 S. 228, Warneyer 1908 Nr. 121, 1913 Nr. 43, JW. 1912 S. 681 Nr. 2). Es ist aber auch grundsätzlich zu erfordern, daß im Zeitpunkte der als Neuvornahme zu beurteilenden Bestätigung des nichtigen Geschäfts volle Willensübereinstimmung über den Vertragsinhalt besteht und zum Ausdruck kommt (RGZ. Bd. 61 S. 264). Zutreffend hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, daß gerade über die Verpflichtung zur Rückzahlung des Darlehens nach dem Briefwechsel vom 9. und 10. Oktober 1915 kein Einverständnis mehr bestand, indem der Beklagte H. jene nur unter wesentlichen Vorbehalten anerkannte. In dem Briefe vom 10. Oktober 1919 kann also höchstens eine Bestätigung dahin gefunden werden, daß die 11000 Franken darlehnsweise, d. h. unter Rückzahlungspflicht, gegeben und empfangen seien. Dies aber genügt zur Anwendimg des § 141 BGB. nicht, weil in dem hier
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vorausgesetzten Falle das vordem nichtige Geschäft nunmehr wirksam werden soll, d. h. also nach Maßgabe des nunmehr in die Erscheinung tretenden Willens (RGZ. Bd. 68 S. 41, Bd. 76 S. 84). Den in Verfolg der Geschäftsnichtigkeit sich ergebenden Bereicherungsanspruch hat das Berufungsgericht dem Kläger nach § 817 Satz 2 BGB. versagt. Wie in der Rechtsprechung des Reichsgerichts schon mehrfach zum Ausdruck gekommen ist, ist der dort gedachte Rechtsnachteil des Ausschlusses des Rückforderungsrechts als Strafe verwerflicher Gesinnung gedacht (Mot. Bd. 2 S. 849) und deshalb nicht schon immer durch einen unwissentlichen Verstoß gegen Verbotsvorschriften verwirkt (RGZ. Bd. 95 S. 347, auch S. 130/131 das., Komm. v. RGR. Erl. 1 b zu § 817 BGB., Urt. v. 4. Februar 1921 II 494/20, v. 5. April 1921 VII 358/20, ν. 17. Oktober 1921 VI 215/21). Indessen müssen Erwägungen, die hieran zugunsten des Klagbegehrens etwa anknüpfen könnten, daran scheitern, daß das Berufungsgericht in den\UrteiIsgründen die tatsächliche Überzeugung ausgesprochen hat, daß dem Kläger die Verbote der Devisenverordnung offensichtlich bekannt waren, er daher seinen Verlust seiner vorsätzlichen Verbotsverletzung zuzuschreiben hat. Die hierin enthaltene Feststellung, daß der Kläger die verletzten Verbotsvorschriften der Devisenverordnung gekannt habe, ist nicht angegriffen, daher in der gegenwärtigen Instanz hinzunehmen. Sie trägt das Urteil auch zu diesem Punkte.
RGZ. 104, 122 Läßt sich die Vereinbarung eines einzutragenden dinglichen Vorkaufsrechts mit festem Preise gemäß § 140 BGB. in die Vereinbarung eines durch die Bestellung einer Auflassungsvormerk u n g zu sichernden schuldrechtlichen Vorkaufsrechts umdeuten ? Ist eine solche Vereinbarung rechtsgültig ? V. Zivilsenat. Urt. v. 25. Februar 1922. I. Landgericht Kiel.
II. Oberlandesgericht daselbst.
Zur notariellen Urkunde vom 6. Dezember 1916 bot der Beklagte sein Hausgrundstück W.straße 17 in Kiel-Gaarden der Klägerin zum Kauf an. In § 9 dieses Angebots heißt es: „Der Verkäufer ist gleichzeitig Eigentümer des W.straße 15, belegenen Grundstücks. In bezug auf dieses Grundstück räumt er der F. K. Aktiengesellschaft das grundbuchamtlich einzutragende dingliche Vorkaufsrecht ein. Falls die letztere von diesem Vorkaufsrecht Gebrauch macht, so sollen als Kaufpreis 28000 M. bei halbschiedlichen Kosten zu zahlen sein. Jedoch steht es Herrn K. — d. i. dem Verkäufer — frei, das Grundstück an einen seiner Söhne mit der Maßgabe zu veräußern und zu vererben, daß dieser in die Verkaufsverpflichtung gegenüber der Germaniawerft eintritt.
408 Verkäufer bewilligt und beantragt die Eintragung dieses Vorkaufsrechts ins Grundbuch." Das Vorkaufsrecht ist, nachdem die Klägerin das ihr gemachte Angebot durch notariell beurkundete Erklärung vom 11. Dezember 1916 angenommen hatte, in das Grundbuch eingetragen worden. Da ein dingliches Vorkaufsrecht mit einem festbestimmten Preise nicht begründet werden könne, hat die Klägerin geltend gemacht, die Vereinbarung der Parteien sei dahin auszulegen, daß ein persönliches Vorkaufsrecht und zugleich die Eintragung einer Vormerkung zur Sicherung des durch die Ausübung des Rechts entstehenden Anspruchs auf Eigentumsübertragung als vereinbart anzusehen sei. Sie hat demgemäß in erster Linie beantragt, den Beklagten zu verurteilen, darein zu willigen, daß die das Vorkaufsrecht betreffende Eintragung in die Eintragung einer Vormerkung der erwähnten Art geändert werde. Hilfsweise hat sie gebeten, das Bestehen des von ihr geltend gemachten persönlichen Vorkaufsrechts festzustellen und den Beklagten zur Beantragung der Eintragung einer Vormerkung desselben Inhalts zu verurteilen. Der Beklagte hat dagegen Abweisung der Klage und im Wege der Widerklage Verurteilung der Klägerin zur Bewilligung der Löschung des Vorkaufsrechts beantragt, weil die von der Klägerin erstrebte Umdeutung der das Vorkaufsrecht betreffenden Vereinbarung nicht angängig sei. Das Landgericht hat dem in erster Linie gestellten Klagantrag entsprochen, die Widerklage dagegen abgewiesen. Der im übrigen zurückgewiesenen Berufung des Beklagten hat das Oberlandesgericht insoweit stattgegeben, als es die Fälle, in denen die Ausübung des Vorkaufsrechts statthaft sein solle, in einigen Punkten abweichend bestimmt hat. Die Revision des Beklagten ist zurückgewiesen worden aus folgenden Gründen: Das Berufungsurteil beruht auf der Erwägung, daß die Vereinbarung eines dinglichen Vorkaufsrechts mit festbestimmtem Preise nach § 1098 in Verbindung mit § 505 Abs. 2 BGB. zwar an sich nichtig, im vorliegenden Falle nach § 140 BGB. aber dahin umzudeuten sei, daß ein schuldrechtliches Vorkaufsrecht und dessen Sicherung durch eine Vormerkung zur Erhaltung des Rechts auf Auflassung als vereinbart zu gelten habe. Die Revision bittet in erster Linie nachzuprüfen, ob nicht auch bei einem schuldrechtlichen Vorkaufsrecht die Vereinbarung eines festbestimmten Preises für unzulässig zu erachten sei. Allein diese Frage hat der Berufungsrichter mit Recht deshalb verneint, weil auf dem Gebiete des Rechts der Schuldverhältnisse grundsätzlich Vertragsfreiheit gilt und dieser Grundsatz des weiteren auch durch die Vorschrift des § 505 Abs. 2 BGB. keine Einschränkung erleidet, derzufolge mit der Ausübung des Vorkaufsrechts der Verkauf zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten unter den Bestimmungen zustande kommt, welche der Verpflichtete mit
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dem Dritten vereinbart hat. Dem Berechtigten und dem Verpflichteten ist es daher unbenommen, unter sich Abweichungen von den mit dem Dritten vereinbarten Bestimmungen festzusetzen (RGZ. Bd. 67 S. 43). Auch die von der Revision in zweiter Linie zur Nachprüfung gestellte Frage, ob ein solches schuldrechtliches Vorkaufsrecht durch Eintragung einer Vormerkung gesichert werden könne, hat der Berufungsrichter zutreffend unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Reichsgerichts in bejahendem Sinne beantwortet, da es sich um einen bedingten Anspruch auf Einräumung des Eigentums an einem Grundstück handelt, zu dessen Sicherung nach § 883 BGB. eine Vormerkung in das Grundbuch eingetragen werden kann (RGZ. Bd. 67 S. 48, Bd. 69 S. 282, Bd. 72 S. 392; Seuff. Arch. Bd. 69 Nr. 127). Der Einwand der Revision, daß aus der Unzulässigkeit der Eintragung eines dinglichen Vorkaufsrechts mit festbestimmtem Preise auch die Unzulässigkeit der Vormerkimg zur Sicherung eines schuldrechtlichen Vorkaufsrechts dieser Art zu folgern sei, ist fehlsam. Denn zwischen beiden Arten von Rechten besteht anerkanntermaßen eine Reihe von Unterschieden (s. P l a n c k BGB. Bd. 3 S. 715 Anm. la), von denen hier hauptsächlich der ins Gewicht fällt, daß das dingliche Vorkaufsrecht im Gegensatz zum schuldrechtlichen nicht nur als subjektiv dingliches Recht (§ 1094 Abs. 2 BGB.), sondern auch für mehrere und für alle Fälle des Verkaufs bestellt werden kann (1097 BGB.). Der gegen die Anwendung des § 140 BGB. erhobene Revisionsangriff muß gleichfalls versagen. Denn die Anwendung dieser Vorschrift beruht auf der Feststellung, daß die Parteien bei Kenntnis der Nichtigkeit der das dingliche Vorkaufsrecht betreffenden Abrede ein durch Vormerkung zu sicherndes schuldrechtliches Vorkaufsrecht vereinbart haben würden. Diese Feststellung läßt aber einen Rechtsirrtum nicht erkennen.
R G Z . 105, 65 ι. Ist der unerlaubte Handel mit Sacharin ein nichtiges Rechtsgeschäft ? 2. Bedeutung des Umstandes, daß der von beiden Parteien für Sacharin gehaltene Stoff Zucker gewesen ist.
BGB. § 134. I I . Z i v i l s e n a t . Urt. v. 20. Juni 1922. I. Landgericht Hamburg, Kammer für Handelssachen. II. Oberlandesgericht daselbst.
Im Sommer 1918 bot der Beklagte dem Kläger eine Partie von 11 kg Süßstoff zum Kauf an. Dieser zahlte den Preis von 14300 M. im voraus. Noch am gleichen Tage ergab eine Untersuchung, daß das angebliche Sacharin Zucker war. Der Kläger beanspruchte Erstattung der gezahlten 14300 M. Der Beklagte lehnte das aus mehreren Gründen ab, insbesondere
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auch, weil der Handel wegen Verstoßes gegen das Süßstoffgesetz nichtig gewesen und die Rückforderung des Geleisteten nach § 817 Satz 2 BGB. ausgeschlossen sei. Das Landgericht erkannte nach dem Klagantrage, das Oberlandesgericht dagegen wies die Klage ab. Die Revision des Klägers wurde zurückgewiesen. Gründe: Das Berufungsgericht nimmt an, daß der Kaufvertrag der Parteien nach § 134 BGB. nichtig gewesen sei, weil nach dem Süßstoffgesetz der Ankauf in Mengen von Süßstoff über 50 g für beide Teile strafbar sei, sofern die Tat vorsätzlich begangen wird (Ges. vom 7. Juli 1902 §§ 7, 8). Es versagt aber dem Kläger den Anspruch auf Erstattung des im voraus bezahlten Preises auf Grund des § 817 Satz 2 BGB. Die Frage, ob der unerlaubte Verkauf von Sacharin nach § 134 BGB. ein nichtiges Rechtsgeschäft ist, ist in der Rechtsprechimg des Hanseatischen Oberlandesgerichts kontrovers geworden. Der Vorderrichter, Hilfssenat, bezieht sich wegen der Begründimg seiner Auffassimg auf sein Urteil vom 22. Oktober 1920 (Hans. Ger.Zeitung 1920 S. 309). Ebenso hat der VI. Zivilsenat entschieden, anders dagegen der V. Zivilsenat (Hans. Ger. Zeitung S. 21 und 22). Der Vorderrichter hat a. a. O. ausgeführt, die Entscheidung hänge im einzelnen Falle davon ab, ob nicht nur der Verkäufer, sondern auch der Käufer sich strafbar mache, und das sei bei vorsätzlicher Zuwiderhandlung gegen das Gesetz dann anzunehmen, wenn es sich um den Ankauf von mehr als 50 g handle; ausdrücklich verboten und in § 7 unter Strafe gestellt sei zwar nur die Herstellung und der Verkauf von Sacharin; aber in § 8 werde mit derselben Strafe bedroht, wer im Besitz von mehr als 50 g gefunden werde und sich über einen dem Gesetz entsprechenden Erwerb nicht ausweisen könne; danach sei auch der Bezug solcher Mengen verboten und unter Strafe gestellt, ein Verbot, das jede Art von Bezug treffe und daher sogar noch weiter gehe als ein Kaufverbot. Das ist nicht richtig. Wofern die Frage davon abhängig sein soll, ob nach dem Süßstoffgesetz sowohl der Verkäufer als auch der Käufer sich strafbar machen, muß sie verneint werden. Angesichts des Wortlautes der betreffenden Bestimmungen muß es doch dabei bleiben, daß nur der Besitz, nicht auch der Kauf oder die anderweite Besorgimg von Sacharin unter Strafe gestellt ist. Der Ankauf führt keineswegs immer zum Besitz, unter Umständen dann ζ. B. nicht, wenn man für einen Dritten kauft oder wenn man sofort weiterverkauft. Anderseits ist der Besitz von mehr als 50 g — wenn der erforderliche Nachweis gesetzmäßiger Beschaffung nicht erbracht werden kann — auch dann strafbar, wenn er durch mehrere kleinere Ankäufe zusammengebracht ist, die auch nach Ansicht des Vorderrichters nicht strafbar sind. Es handelt sich in § 8 um einen eigentümlichen, aus rein rechtspolitischen Gründen geschaffenen Deliktsbegriff. Offenbar hat der Gesetzgeber ge-
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flissentlich vermieden, die Anschaffung des Süßstoffs unter Strafe zu stellen. Man ist wohl davon ausgegangen, daß in weiten Kreisen und in großem Umfang ein unabweisliches und anzuerkennendes Bedürfiiis nach Sacharin usw. besteht. Diese Verbraucherkreise sollen sicher sein, unbehelligt zu bleiben, soweit sie sich auf einen Vorrat beschränken, der mit 50 g für den üblichen täglichen Gebrauch reichlich bemessen ist. Darüber hinaus macht der Besitzer sich gegebenenfalls strafbar, aber nicht durch seinen Besitzerwerb, sondern durch seinen Besitz. Das sind zwei verschiedene Tatbestände, mag auch das eine nicht denkbar sein ohne das andere. Bei dieser Sachlage versagt also das Argument der doppelseitigen Strafsanktionen und auch im übrigen fehlt es an Anhaltspunkten dafür, daß das Gesetz dem unerlaubten Absatz von Süßstoffen schlechthin jede Rechtswirksamkeit hätte versagen wollen. Der Vorderrichter weist auf § 9 des Gesetzes hin, den er dahin versteht, daß bei jeder Bestrafung der betreffende Süßstoff eingezogen werden könne, gleichviel wem er gehört. Das mag richtig sein, richtet sich aber nicht nur gegen den Käufer, sondern gegen jedermann, es greift ununterschieden gegen jede Rechtslage durch und bedeutet somit nichts für die vorliegende Frage. Dagegen hat allerdings, was in dieser Beziehung das Süßstoffgesetz vermissen läßt, nunmehr die Verordnimg gegen den Schleichhandel ergänzend gebracht, soweit diese reicht. Sie findet hier Anwendimg in ihrer ersten engeren Fassung vom 7. März 1918 (RGBl. S. 112). Nach § 1 daselbst wird mit Gefängnis und Geldstrafe belegt, wer gewerbsmäßig Lebensmittel, die einer Verkehrsregelung unterliegen, unter vorsätzlicher Verletzung der zur Regelung ergangenen Vorschriften oder unter Ausnutzung der von einem anderen begangenen Verletzung dieser Vorschriften zur Weiterveräußerung erwirbt. Treffen auf den Tatbestand eines Rechtsgeschäfts die beiden Verbote zusammen, dann muß ihm allerdings auch zivilrechtlich jede Wirksamkeit abgesprochen werden. Und zwar handelt es sich dann nicht nur um ein nach jeder Richtung gesetzlich verbotenes Rechtsgeschäft (§ 134 BGB.), sondern auch um ein als sittlich verwerflich gekennzeichnetes (§ 138 Satz 1 BGB.). Nach den Feststellungen des Vorderrichters ist dieser Tatbestand gegeben. Der Ankauf des vermeintlichen Sacharins ist ein nichtiges Rechtsgeschäft gewesen. Der Kläger ist mit seiner Forderung auf Erstattung des Preises auf den Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung angewiesen und stößt damit auf den Einwand aus §817 Satz 2 BGB., so daß im Ergebnis dem Vorderrichter zugestimmt werden muß. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß die verkaufte und gelieferte Ware in Wahrheit nicht Sacharin gewesen, vielmehr von den Vertragsparteien nur dafür gehalten worden ist. Zuzugeben ist, daß jedenfalls dann, wenn es sich um einen Spezieskauf gehandelt haben sollte — worüber eine Feststellung in der Unterinstanz nicht getroffen worden ist — ein Verstoß gegen das Süßstoffgesetz zwar beabsichtigt gewesen, aber tatsächlich nicht
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zur Ausführung gekommen ist. Von einer Nichtigkeit des Kaufvertrags auf Grund § 134 BGB. könnte dann wohl nicht die Rede sein und dem Wandlungsanspruch stünde der Einwand aus § 817 Satz 2 BGB., der Einwand, daß dem Kläger gleichfalls ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot oder gegen die guten Sitten zur Last falle, nicht entgegen. Indessen muß es dabei bleiben, daß das Rechtsgeschäft nichtig gewesen ist, nicht nach § 134, wohl aber nach § 138 BGB. Denn nicht nur ist es die von Gewinnsucht getragene Absicht der Parteien gewesen, sich über die bestehenden Verbote hinwegzusetzen, nicht nur hat hierin insbesondere der Kläger, wie der Vorderrichter ausspricht, in verwerflicher Gesinnung gehandelt, sondern dieses Moment des Unerlaubten und Unsittlichen ist auch von Einfluß auf die Gestaltung des Vertrags gewesen und unmittelbar in seinem Inhalt zum Ausdruck gekommen, einmal in dem außerordentlich hohen Preise und sodann in der Zusicherung, daß Gegenstand der Lieferung eben das verbotene Sacharin sei. Daher kann daraus für die Revision nichts hergeleitet werden, daß der Vorderrichter auf den Umstand gar nicht eingegangen ist, daß die verkaufte oder jedenfalls die gelieferte Ware Zucker gewesen ist. Die Entscheidimg muß aufrecht erhalten werden, weil die festgestellten Tatsachen die Nichtigkeit des Geschäfts ergeben, woraus sich dann des weiteren die Abweisung der Klage ergibt.
R G Z . 105, 406 Zur Abgrenzung des Irrtums über den Inhalt der Willenserklärung vom Irrtum im Beweggrunde.
VI. Z i v i l s e n a t . Urt. v. 30. November 1922. I. Landgericht Arnsberg i. W.
II. Oberir.ndcsgericht Hamm i. W.
Die Parteien, deutsche Reichsangehörige, hielten sich im Jahre 1920 in Moskau auf. Dort hat der Kläger dem Beklagten, der Kriegsgefangener war, für Zwecke seiner Heimreise 30000 Sowjetrubel vorgestreckt und sich dafür zwei vom 16. und 17. Mai 1920 datierte Schuldscheine ausstellen lassen, durch die sich der Beklagte verpf' ' ' „c. dem Kläger innerhalb zwei Monaten nach Rückkehr in die Heimat 5Ü00 + 2500 M. zurückzuzahlen. Hierauf sich stützend klagt dieser auf Zahlung von 7500 M. Der Beklagte macht geltend, die 30000 Rubel hätten — wie unstreitig — zur Zeit ihrer Hingabe einen Kurswert von nur 300 M. gehabt und will dem Kläger nur diesen Betrag bewilligen. Das Landgericht erkannte auf den dem Kläger zugeschobenen und von ihm angenommenen Eid darüber, die Parteien seien bei der Hingabe des Geldes davon ausgegangen, daß damals der Rubel einen Wert von 25 Pf. hatte, und es sei dem Kläger damals nicht bekannt gewesen, daß der Rubel in Wirklichkeit einen geringeren Wert hatte. Die Berufung des Beklagten wurde vom Oberlandesgericht zurückgewiesen. Seine Revision hatte Erfolg.
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Aus den G r ü n d e n : (Ein Revisionsangriff, daß dem Klaganspruch die Einrede der Arglist entgegenstehe, wird zurückgewiesen. Dann wird fortgefahren:) Anderseits muß die Stellungnahme des Berufungsrichters zu der Frage Bedenken erregen, ob dem Beklagten eine Anfechtung seiner in den beiden Schuldscheinen enthaltenen Verpflichtungserklärung wegen Irrtums nach § 119 BGB. zustatten kommen kann. Er führt aus, wenn der Beklagte — was ungeprüft gelassen wurde — eine solche Anfechtung ausgesprochen hätte, so sei sie nicht rechtswirksam, da er nach seinem eigenen Vorbringen weder über den Inhalt der Erklärung im Irrtum gewesen sei, noch etwas anderes habe erklären wollen, als das tatsächlich Erklärte, es sich vielmehr nur um einen Irrtum über den Wert des Sowjetrubels, also über den Beweggrund für die abgegebene Erklärung handele. Mit Recht greift die Revision diese Auffassung als von Rechtsirrtum beeinflußt an. Für die Beurteilung der Sachlage sind folgende Gesichtspunkte maßgebend: Das Darlehen war in Sowjetrubeln gegeben, deshalb gemäß § 607 Abs. 1 BGB. an sich in derselben Währung zurückzuerstatten. Durch eine Sonderabmachung, die in den Schuldscheinen niedergelegt wurde, verpflichtete sich indes der Beklagte, statt der 30000 Rubel 7500 M. zurückzuzahlen. Hierzu gelangten die Parteien, indem sie — wie für die Revisionsinstanz zu unterstellen ist, übrigens auch außer Streit zu sein scheint — übereinstimmend davon ausgingen, daß der Sowjetrubel in Deutschland einen Wert von 25 Pf. darstelle. Somit umfaßt die Erklärung des Beklagten, an Stelle der eigentlichen Darlehenssumme dem Kläger 7500 M. schulden zu wollen, in einer diesem ohne weiteres erkennbaren Weise die Kundgabe des Willens, die Darlehnssumme nach jenem Kurse in deutsche Währung umzurechnen. Diese von der irrigen Meinung, der Rubel sei nicht 1 Pf., sondern 25 Pf. wert, unmittelbar beeinflußte Willensrichtung war zwar bestimmend für den Entschluß des Beklagten, aber sie bezog sich nicht auf solche Umstände, die seiner rechtsgeschäftlichen Erklärung vorausgingen und nur innere Erwägungen von seiner Seite bedeuteten, sondern sie war Teil der Erklärung selbst und wurde bei der Vertragsverhandlung dem Gegner verlautbart. Daß dies durch Erwähnung in den Urkunden oder durch ausdrückliche mündliche Erklärung geschah, war nicht erforderlich; der Wille, zu dem als richtig angenommenen Kurswerte umzurechnen, lag ohne weiteres in den bei der Sonderabmachung ausgetauschten Erklärungen. Übrigens würde der Kläger seine schriftsätzliche Behauptung, er habe mit dem Beklagten ausdrücklich abgemacht, daß der Rubel mit 1 4Mark zu rcchnen sei, gegen sich gelten lassen müssen. Hiernach liegt kein rechtlich unbeachtlicher Irrtum im Beweggrunde vor, vielmehr bezieht sich der Irrtum auf die Grundlagen des Rechtsgeschäfts und hat somit als Irrtum über den Inhalt der Erklärung zu gelten, der die Anfechtung aus § 119 Abs. 1 BGB. rechtfertigt (vgl. RGZ. Bd. 64 S. 268, Bd. 85 S. 326, Bd. 94 S. 67, Bd. 97 S. 140, Bd. 101 S. 53 und S. 108; Komm. z. BGB. von RGRäten, 3. Aufl., Anm. 2 und 3 zu § 119).
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414 RGZ. 106, 200
ι. Zur Frage der Haftung eines Kaufmanns für rechtsgeschäftliche Erklärungen, die während seiner Abwesenheit vom Geschäftssitze von den mit der einstweiligen Leitung des Geschäfts betrauten Personen Dritten gegenüber abgegeben werden. 2. Unter welchen Voraussetzungen kann der Geschäftsherr solche Erklärungen wegen Irrtums anfechten ? BGB. §§ 119, 120, 166. II. Zivilsenat.
Urt. v. 16. Januar 1923.
I. Landgericht Hamburg. II. Oberlandesgericht daselbst. Der Beklagte bestellte auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1920 bei dem Vertreter der klägerischen Firma 3 Stücke grauen Ulster nach einem vorgezeigten Muster zu sofortiger Lieferung. Kurz nach Kaufabschluß» am 1. März 1920, schrieb die Klägerin an den Beklagten: da der aus amerikanischer Heereslieferung stammende gekaufte Artikel etwas unterschiedlich ausfalle, übersende sie — Klägerin — dem Beklagten einen Abschnitt von einer anderen, für ihn zurückgelegten Ware mit der Bitte um alsbaldige Mitteilung, ob ihm deren Zusendung genehm sei. Hierauf antwortete eine Angestellte des Beklagten, Fräulein B., am 3. März: ihr Chef, der Beklagte» befinde sich auf Reisen und sie dürfe ohne dessen Einwilligung keine Geschäfte tätigen; die Klägerin möge dem Beklagten die Sachen an der Hand lassen, sie erhalte sofort Drahtbescheid, wenn die nähere Adresse des Beklagten eingetroffen sei. Die Klägerin erwiderte, sie sei bereit, die Ware dem Beklagten bis zum 8. März zur Verfugung zu halten. Hierauf ging vom Geschäfte des Beklagten aus ein vom 6. März datiertes, von der Angestellten Fräulein B. unterzeichnetes Schreiben an die Klägerin ab> worin diese um telegraphische Bestätigung ersucht wurde, daß die 3 Stücke Ulster grau zu 155 M. bereits an den Beklagten abgesandt seien, damit er den Betrag umgehend überweisen könne. Am 7. März telegraphierte das Geschäft des Beklagten noch an die Klägerin: „3 Stück Ulster sofort senden, telegraphieren, ob abgesandt wird." Die Klägerin telegraphierte am 8. März 1920 zurück: „3 Stück Ulsterstoff gehen morgen ab." Mit Schreiben vom 9. März 1920 übersandte sodann die Klägerin dem Beklagten die insgesamt auf 19859,20 M. lautende Rechnung vom gleichen Tage mit dem Anfügen, daß die Ware heute zum Versand gekommen sei und die Klägerin der Regulierung entgegensehe. Am 16. März schrieb der an diesem Tage nach Hamburg zurückgekehrte Beklagte an die Klägerin : die 3 Stücke des amerikanischen Artikels seien inzwischen in seinen Besitz gelangt; er habe auf der Leipziger Messe die Ulsterware in einem sehr schönen Grau gesehen, 3 Stücke davon akzeptiert und seiner Firma in Hamburg aufgegeben, daß sie unbedingt auf der Lieferung dieser Ware bestehen solle; die eingetroffene Ersatzware sei von seinen Angestellten in Hamburg akzeptiert worden in der Meinung, es handle sich um die von
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ihm — dem Beklagten — in Leipzig aufgegebene Ware; bei genauer Durchsicht finde er jedoch, daß die eingetroffene Ware ganz unverkäuflich und für ihn völlig wertlos sei; Klägerin möge mitteilen, was mit der Ware geschehen, ob der Beklagte sie zurücksenden oder mit einem entsprechenden Preisnachlaß behalten solle. Eine Einigung kam nicht zustande, da die Klägerin auf ihrem Verlangen nach Begleichung der Faktura vom 9. März 1920 beharrte. Die auf Zahlung des Kaufpreises gerichtete Klage wurde vom Landgericht zugesprochen, vom Oberlandesgericht dagegen abgewiesen. Auf die Revision der Klägerin erfolgte Zurückverweisung an das Berufungsgericht. Gründe: Nach der Annahme des Berufungsgerichts soll zwischen den Parteien ein Kaufvertrag über die dem Beklagten übersandte Ersatzware wegen Willensunstimmigkeit nicht zustande gekommen sein; denn der Beklagte, der während des ganzen im Tatbestand erwähnten Brief- und Depeschenwechsels von Hamburg abwesend war und erst am 16. März 1920 dorthin zurückkehrte, habe mit der von seinem auswärtigen Aufenthalt (Braunlage) an sein Personal gerichteten Anweisung lediglich die Klägerin zur Einsendung der auf der Leipziger Messe nach Muster bestellten Partie Ulsterstoff veranlassen wollen, wogegen die Klägerin das Schreiben vom 6. und die Depesche vom 7. März 1920 auf die von ihr nachher angebotene Ware — die Ersatzware — bezogen habe. Während der Abwesenheit des Beklagten — so führt das Berufungsurteil weiter aus — habe die Zeugin B. die im Kontor vorkommenden Geschäfte besorgt, sie habe aber keine selbständige Verfügungsbefugnis gehabt, sei vielmehr von den Weisungen ihres Chefs oder eines Schwagers des Beklagten oder auch eines Fräuleins J. abhängig geblieben; deshalb habe sie auch unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Einwilligung des Beklagten die Klägerin mit Schreiben vom 3. März 1920 gebeten, den Stoff dem Beklagten noch an der Hand zu lassen; die diesem Ersuchen entsprechende Antwort der Klägerin sei am 6. dess. Monats eingegangen. Inzwischen habe aber der Beklagte ohne Kenntnis von dem Angebot der Ersatzware von seinem Erholungsaufenthalt aus so, wie in seinem Schreiben vom 16. März 1920 angegeben, an sein Hamburger Geschäft geschrieben gehabt, und infolgedessen seien der Brief vom 6. und die Depesche vom 7. März 1920 an die Klägerin abgegangen. Wer diese Depesche (mit der Telegrammbezeichnung der Firma des Beklagten) unterzeichnet habe, stehe nicht fest; es könne Fräulein B., aber auch Fräulein J. gewesen sein. Persönlich habe die B. keine Vorstellung davon, ob sich die beiden Mitteilungen auf die vom Beklagten ursprünglich in Leipzig bestellte Partie oder auf die Ersatzware beziehen sollten. Der Berufungsrichter stellt hiernach für die Frage, ob es zwischen den Parteien zu einer Einigung über den Ankauf der von der Klägerin nach-
416 träglich angebotenen Ersatzware gekommen sei, auf Seiten des Käufers darauf ab, ob der von Hamburg abwesend gewesene Beklagte von dem Ersatzangebot Kenntnis gehabt und welche Weisung er von Braunlage aus seinem Personal in Hamburg habe zukommen lassen; und da der Beklagte, wie sich aus seinem Schreiben an die Klägerin vom 16. März 1920 ergebe, bei jener Weisung an sein Personal es nur auf die ursprünglich in Leipzig bestellte Ware abgesehen gehabt habe, so fehle es — meint das Berufimgsgericht — an der Willensübereinstimmung der Parteien hinsichtlich des käuflichen Erwerbes der Ersatzware durch den Beklagten. Mit Grund ficht die Revision diese Auffassung an. Es kommt angesichts der Tatsache, daß der Beklagte sich von Hamburg wegbegeben und die Führung seines Geschäfts, wenigstens insoweit, als es sich um den Verkehr mit Dritten handelte, aus der Hand gegeben hatte, nicht darauf an, was der Beklagte in der hier fraglichen Angelegenheit gewußt und gewollt hat, sondern lediglich darauf, welche Erklärungen von den ihn vertretenden Personen vom Hamburger Kontor aus abgegeben wurden und ob der Beklagte diese Erklärungen im einzelnen Falle gegen sich gelten lassen mußte, vgl. RGZ. Bd. 100 S. 48 (abgedr. in dieser Sammlung unter „Handelsrecht" und RGZ. 105 S. 183 [185]; abgedruckt unter „Allgem. Teil, Vertretung, Vollmacht"). Allerdings haue die Angestellte B. der Klägerin am 3. März 1920 mitgeteilt, daß sie selbst ohne Einwilligung ihres zur Zeit abwesenden Chefs keine Geschäfte tätigen dürfe, weshalb sie die Klägerin bitten müsse, ihr die Sachen an Hand zu lassen, bis die Adresse des Beklagten bekannt sei und dann nähere Nachricht gegeben werden könne. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß der am 6. März 1920 an die Klägerin gerichtete, wiederum von der B. („im Auftrag" der Firma des Beklagten) unterzeichnete Brief von der Klägerin nicht als eine von der Firma des Beklagten ausgehende, diesen bindende Erklärung aufgefaßt werden durfte. Denn das Schreiben ließ nur erkennen, daß die Firma des Beklagten die darin erwähnten 3 Stücke Ulster haben wollte und daß die Angestellte B. dieses Verlangen übermittelte, nicht aber ergab sich daraus, daß die B. selbst, und noch dazu ohne Einwilligung des Beklagten oder einer von ihm mit seiner rechtgeschäftlichen Vertretung beauftragten Person, den Entschluß zu dem Bezüge der 3 Stücke Ulster gefaßt habe. Im übrigen weist die Revision mit Recht auch daraufhin, daß die B. nach ihrem eigenen Zeugnis den Brief vom 6. März 1920 auf Diktat des Schwagers des Beklagten oder des Fräuleins J. geschrieben und mit dem Einverständnis des einen oder des andern so, wie geschehen, unterzeichnet habe. Ist dies richtig (das Berufungsgericht hat sich hierüber nicht geäußert), so kann vollends nicht zweifelhaft sein, daß das Schreiben eine rechtsgeschäfüiche Erklärung der Firma des Beklagten darstellt, die diesen rechtlich bindet, gleichgültig, ob er vor seiner Rückkehr nach Hamburg von dem Ersatzangebot der Klägerin etwas gewußt hat oder nicht. Denn nach der Feststellung des Berufungsgerichts hatte der Beklagte für die Zeit seiner Abwesenheit die Leitung des Geschäfts seinem Schwager und dem Fräulein J.
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überlassen. Das Gleiche trifft auf die Depesche vom 7. März 1920 zu, die nach der Zeugenangabe der B. möglicherweise von dieser, vielleicht aber auch von Fräulein J., aufgegeben worden ist. Muß aber der Beklagte den Brief vom 6. und die Depesche vom 7. März 1920 wider sich gelten lassen, wie wenn es sich um von ihm selbst ausgegangene Erklärungen handeln würde, so kann von einer Willensunstimmigkeit der Parteien darüber, ob an Stelle der ursprünglich in Leipzig verkauften Ware die von der Klägerin angebotene Ersatzware zu treten habe, nicht die Rede sein, vorausgesetzt nur, daß sich der Brief und die Depesche nach ihrem Zusammenhang mit dem vorangegangenen Briefwechsel auf die Ersatzware bezogen. Durfte oder mußte gar die Klägerin nach Lage der Umstände die beiden Erklärungen in diesem Sinne auffassen, so ist es für die Frage der vertraglichen Einigung über die Lieferung der Ersatzware unerheblich, was der Beklagte selbst in der Angelegenheit von Braunlage aus an sein Hamburger Kontor mitgeteilt hat, und welchen Inhalt sein Schwager, Fräulein J. oder Fräulein B. jenen Erklärungen beilegten. Das Berufungsgericht meint nun freilich: auch wenn der Brief vom 6. und das Telegramm vom 7. März 1920 so beurteilt werden müßten, als wären sie vom Beklagten selbst ausgegangen, sei dieser in der Lage gewesen, den Inhalt beider Erklärungen wegen Irrtums anzufechten, und er habe dies auch im Schreiben vom 16. März 1920 rechtzeitig getan. Der Irrtum habe — so wird ausgeführt — darin bestanden, daß nach Sachlage, insbesondere im Hinbück auf die geringere Qualität der Ersatzware anzunehmen sei, der Beklagte hätte bei Kenntnis des wahren Sachverhalts nicht so, wie seitens seines Personals geschehen, geschrieben und telegraphiert. . . . Auch diese Ausführung ist rechtsirrig. Es handelt sich um die Anfechtung von Erklärungen solcher Personen, die den Beklagten während seiner Abwesenheit von Hamburg in der Führung seines kaufmännischen Geschäftes vertreten haben. Ob die Erklärung eines derartigen Vertreters oder Bevollmächtigten wegen Irrtums angefochten werden kann, entscheidet sich aber nach § 166 BGB. lediglich aus dessen Person. Ein Irrtum eines der Vertreter des Beklagten (im Sinne des § 119 BGB.) ist jedoch nicht geltend gemacht. Eine irrtümliche Auffassung der Sachlage auf seiten des Vertretenen vermag die Anfechtung aus § 119 nicht zu begründen. Die vom Beklagten nach der Annahme des Berufungsgerichts in dem Schreiben vom 16. März 1920 erklärte Anfechtung läßt sich auch nicht, wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Revisionsgericht versucht wurde, aus § 120 BGB. rechtfertigen. Denn der Fall der unrichtigen Übermittlung einer Willenserklärung (des Beklagten) im Sinne dieser Vorschrift lag nach dem festgestellten Sachverhalt nicht vor. Es ist kein Anhalt dafür gegeben, daß der Beklagte bei der in seinem Schreiben vom 16. März 1920 erwähnten Mitteilung an das Hamburger Geschäft seinen Schwager, das Fräulein J. oder einen seiner Angestellten beauftragt habe, seinen Willen, der auf den Bezug des ursprünglichen, in Leipzig besichtigten Ulsterstoffes gerichtet war, als Bote der Klägerin zu übermitteln. Zivils. AllRem. Teil 2
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Nachdem der Beklagte die Leitung seines Geschäftes für die Zeit seiner Abwesenheit von Hamburg seinem Schwager und dem Fräulein J. übertragen hatte, muß vielmehr davon ausgegangen werden, daß diese auch nach Kenntnisnahme von dem Willen des Geschäftsherrn in der Angelegenheit weiterhin als Bevollmächtigte auf Grund eigener Entschließung und in eigener Verantwortlichkeit und nicht als bloße Boten tätig sein sollten. Der Beklagte hat auch in den Vorinstanzen nie behauptet, daß die Fassung des Briefes vom 6. oder des Telegramms vom 7. März 1920 auf einer unrichtigen Wiedergabe seiner von Braunlage aus erteilten Weisimg, auf einem Sichvergreifen im Ausdruck beruhe. Damit scheidet die Anwendbarkeit des § 120 BGB. aus. . . .
Sachregister (Die Ziffern bedeuten die Seitenzahlen dieses Bandes) Abhalten v. Bieten bei einer Versteigerung, Nichtigkeit eines solchen Vertrages m A b t r e t u n g des Anteils am Gesellschaftsvermögen, Nichtigkeit 346 — v. Geschäftsanteilen einer GmbH. 400 — einer Briefhypothek durch Aushändigung einer Abtretungsurkunde an Zessionen 335 — einer Forderung zur Einziehung 388 — einer Forderung an eine vermögenslose Person und Verstoß gegen gute Sitten 279 —»Wirksamkeit einer —, wenn der Abtretende berechtigt sein soll, die Forderung im eigenen Namen einzuziehen? 335 Abwesende, schriftlicher Vertrag unter — η 347 A g e n t u r für Aufführung dramatischer Werke u. Verstoß gegen gute Sitten 250 Agenturvertrag, wichtiger Grund zum Rücktritt 152 Amerikanische Zahntechniker, Verstoß gegen gute Sitten bei Konkurrenzklausel zwischen — η — η 205 Anfechtbares Rechtsgeschäft, Bestätigung 119, 185 Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäfts und § 139 BGB. 133 Anfechtung wegen arglistiger Täuschung 392 — einer Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung oder Irrtums 91 — des von einer juristischen Person geschlossenen Vertrags wegen arglistiger Täuschung 285 — wegen arglistiger Täuschung und Anspruch auf Maklerlohn 233 — wegen arglistiger Täuschung, Schadensersatz wegen Verstoßes gegen die guten Sitten 216
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Anfechtung, wegen arglistiger Täuschung in einem Schriftsatz, Wirkung 143 — wegen arglistiger Täuschung beim Abschluß eines Versicherungsvertrages 276 — wegen arglistiger Täuschung seitens eines Vertreters 211, 229 — wegen arglistiger Täuschung und in Verzug setzen 225 — wegen Drohung, Aufhören der Zwangslage 340 — einer Erbschaftsausschlagung 405 — wegen Irrtums 149, 152, 295 — wegen Irrtums bzgl. Erklärungen, die während der Abwesenheit eines Kaufmanns von einem mit der Leitung beauftragten Angestellten abgegeben worden sind 414 — wegen Irrtums über die Eigenschaften einer Person 140,