Einheit im Konflikt: Dynastiebildung in den Grafenhäusern Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit [1 ed.] 9783412514778, 9783412514754


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Einheit im Konflikt: Dynastiebildung in den Grafenhäusern Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit [1 ed.]
 9783412514778, 9783412514754

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NORM UND STRUKTUR

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NORM UND STRUKTUR Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und Früher Neuzeit

978-3-412-51475-4_PB_Pieper.indd Alle Seiten

Pieper · Einheit im Konflikt

Die zunehmende Bedeutung dynastischen Denkens im Hoch­ adel schlug sich seit dem ausgehenden Mittelalter in einer neuartigen Erinnerungskultur ebenso nieder wie in komplexen Erbfolgeregelungen und einem gesteuerten Heiratsverhalten. Am Beispiel der Grafenhäuser Lippe und Waldeck analysiert der Band unterschiedliche Praktiken und Diskurse der Dy­ nastiebildung, in deren Zuge adlige Verwandtschaftsverbände eine institutionelle Form annahmen. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt dabei insbesondere auf den Konflikten, die von den einzelnen Akteuren um die Ausgestaltung der sozia­ len Ordnung, um Beteiligung an Herrschaft und Besitz sowie um die Implementation von Normen geführt wurden. Die Studie macht deutlich, dass der Prozess der Dynastiebildung keineswegs unmittelbar zu verstärkter Integration führte, sondern von Verwerfungen und Brüchen geprägt war. Daher mussten neue Wege gefunden werden, um die Einheit der Dynastie symbolisch zum Ausdruck zu bringen.

Lennart Pieper

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Trimmed: (235H × 369W) Untrimmed: (265H × 399W) mm

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Einheit im Konflikt Dynastiebildung in den Grafenhäusern Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit

30.04.19 15:08

NORM UND STRUKTUR STUDIEN ZUM SOZIALEN WANDEL IN MITTELALTER UND FRÜHER NEUZEIT IN VERBINDUNG MIT GERD ALTHOFF, HEINZ DUCHHARDT, PETER LANDAU, GERD SCHWERHOFF HERAUSGEGEBEN VON

GERT MELVILLE Band 49

EINHEIT IM KONFLIKT Dynastiebildung in den Grafenhäusern Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit von

LENNART PIEPER

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster aus Mitteln der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder

D 6 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. © 2019 by Böhlau Verlag GmbH & Cie., Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Graf Johann von Waldeck und seine Gemahlin Anna zur Lippe, Ausschnitt aus der Genealogia iconica seu picturata comitum in Waldeck, Bildnisstammbaum, zweite Hälfte 16. Jahrhundert (FWHB, V Waldec., Nr. 9, fol. 6v). © Stiftung des Fürstlichen Hauses Waldeck und Pyrmont, Schloss Bad Arolsen / Hofbibliothek Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg Satz: büro mn, Bielefeld Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51477-8

Inhalt

1 Einleitung  ..............................................................................................................  1.1 Dynastien in der Geschichte der Vormoderne  ....................................  1.2 Forschungskontexte  ....................................................................................  1.2.1 Herrschaft  ..........................................................................................  1.2.2 Verwandtschaft  .................................................................................  1.2.3 Adel  .....................................................................................................  1.2.4 Land  ....................................................................................................  1.3 Dynastie als institutionalisierte Praxis  ...................................................  1.3.1 Die Akteure: Eigensinn oder dynastische Räson?  ...................  1.3.2 Doing Dynasty  .................................................................................  1.3.3 Normen  ..............................................................................................  1.3.4 Symbolische Ordnungen  ...............................................................  1.4 Methodischer Zugang und Quellenauswahl  ........................................  1.5 Die untersuchten Dynastien  . . ...................................................................  1.5.1 Die Grafen im Kontext des Alten Reiches  ................................  1.5.2 Die Edelherren und Grafen zur Lippe  . . ......................................  1.5.3 Die Grafen von Waldeck  . . .............................................................. 

9 9 14 14 16 20 23 25 26 32 35 38 43 47 48 53 57

2 Dynastie als Herrschaftsträger  ........................................................................  2.1 Rechtliche und kulturelle Grundlagen der Herrschaftsweitergabe  .........................................................................  2.2 Lippe  ...............................................................................................................  2.2.1 Die Zeit der Landesteilungen bis zum Pactum Unionis (1265 – 1368)  .......................................................................................  2.2.2 Keine Wahl? Die Sukzessionskrise Simons V. (1489 – 1517)  . . ...  2.2.3 Konflikt um Erbgerechtigkeit unter Brüdern (1556 – 1563)  . . ..  2.2.4 Primogenitur und Paragien: Die hausrechtlichen Dispositionen Simons VI. (1592 – 1613)  ......................................  2.2.5 Die Erfindung der Erbherren (1614 – 1636)  ...............................  2.2.6 Die Durchsetzung der Primogenitur im Vormundschaftskonflikt (1636 – 1650)  ..................................  2.2.7 Sukzessionspraxis bis zum Aussterben der Braker Nebenlinie (1650 – 1709)  ................................................................  2.3 Waldeck  .. ........................................................................................................  2.3.1 Sukzessionspraxis bis zur Lehnsauftragung (1227 – 1438)  ......  2.3.2 Die Teilung zwischen Philipp II. und Heinrich VIII. (1475 – 1492)  ...................................................................................... 

63 63 74 75 85 91 101 111 121 140 144 145 154

6

Inhalt

2.3.3 Der Streit um das Landauer Erbe (1495 – 1507)  . . ......................  2.3.4 Konflikt unter Halbbrüdern: Die Abspaltung der neueren Landauer Linie (1538 – 1597)  . . .................................  2.3.5 Die umstrittene Nachfolge Philipps IV. in Wildungen (1550 – 1575)  ........................................................................................  2.3.6 Bewährte Praxis: Die vierte große Landesteilung (1607)  ......  2.3.7 Sukzessionspraxis bis zur Durchsetzung der Primogenitur (1607 – 1706)  .....................................................................................  2.4 Zwischenergebnisse  . . ...................................................................................  2.4.1 Hierarchisierung und Integration  . . ..............................................  2.4.2 Herkommen und Innovation  . . ......................................................  2.4.3 Garanten und Schlichter  ................................................................  2.4.4 Religion und Ressourcen  ............................................................... 

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3 Dynastie als Verwandtschaftsverband  ..........................................................  3.1 Dimensionen adliger Heiratspolitik  .......................................................  3.1.1 Heiratsstrategien und generatives Verhalten 1450 – 1650  .......  3.1.2 Ehegüterrechtliche Bestimmungen  .............................................  3.1.3 Analyse des Konnubiums  . . .............................................................  3.1.4 Der Umgang mit Missheiraten  . . ...................................................  3.1.5 Mischehen zwischen Lutheranern und Reformierten  . . ..........  3.2 Versorgungs- und Vernetzungsstrategien  ..............................................  3.2.1 Die geistliche Laufbahn  .. ................................................................  3.2.2 Fürsten- und Militärdienst  ............................................................  3.2.3 Apanagen und Paragien  .. ................................................................  3.2.4 Der Umgang mit illegitimen Nachkommen  .............................  3.3 Zwischenergebnisse  . . ...................................................................................  3.3.1 Heirat und Abstammung  ...............................................................  3.3.2 Versorgung und Netzwerke  ........................................................... 

237 237 245 255 263 276 285 301 304 325 334 345 354 355 360

4 Dynastie als symbolische Ordnung  ...............................................................  4.1 Dynastiediskurs  . . ..........................................................................................  4.1.1 Semantik der Verwandtschaft  .......................................................  4.1.2 Eigenbezeichnungen  .......................................................................  4.1.3 Wohl des Hauses – Wohl des Landes  .........................................  4.1.4 Dynastische Räson? Das Beispiel Otto zur Lippe-Brake  . . .....  4.2 Dynastische Erinnerungskultur  ...............................................................  4.2.1 Historiographie als Praxis  . . ............................................................  4.2.2 Ursprungsmythen und Spitzenahnen  .........................................  4.2.3 Genealogische Kontinuität  ...........................................................  4.2.4 Exempla für dynastische Räson  .................................................... 

367 367 368 377 383 386 392 400 424 433 448

171 187 202 209 217 218 224 228 232

Inhalt

4.3 Dynastische Räume  .. ...................................................................................  4.3.1 Das Residenzschloss  ........................................................................  4.3.2 Das Archiv  .........................................................................................  4.3.3 Die Grablege  .....................................................................................  4.4 Zwischenergebnisse  . . ...................................................................................  4.4.1 Die Praxis der symbolischen Ordnung  . . .....................................  4.4.2 Transportierte Inhalte  . . ................................................................... 

7 454 461 475 486 502 503 507

5 Zusammenfassung  . . .............................................................................................  513 Danksagung  . . ...............................................................................................................  Quellen- und Literaturverzeichnis  . . .....................................................................  Grafiken und Tabellen  .. ............................................................................................  Abbildungsnachweis  .................................................................................................  Farbtafeln  .....................................................................................................................  Register  ......................................................................................................................... 

525 527 582 591 593 609

1 Einleitung

1.1 Dynastien in der Geschichte der Vormoderne So ist doch numehr gleichwol ein Erb-­Adel vnter den Menschen auff Erden / der seinen anfang her hat aus politischer satzung vnd ordnung / da etliche besondere Geschlechte fur andern herfur gezogen vnd geadelt / mit sonderlichen Priuilegien / Freyheiten / Erbgütern / Emptern / Namen vnd Titteln / Schild / Helm vnd Wapen fur andern begnadet werden / ­welchen Adel / prerogatiuen vnd vorzug / Güter / Wapen vnd Tittel die Kinder in solchen Geschlechten von jhren Eltern an / vnd förder auch jren Kindern aufferben 1.

Für den lutherischen Theologen und Historiker Cyriakus Spangenberg stand es gegen Ende des 16. Jahrhunderts vollkommen außer Frage, dass es unter den Menschen eine bestimmte Gruppe gebe, die vor allen anderen durch ihren Adel ausgezeichnet sei. Neben unterschiedlichen Erscheinungsformen wie natürlichem, geistlichem oder auch unrechtmäßig angemaßtem Adel, die der Gelehrte in seinem berühmten Adels-­Spiegel ebenfalls ausführlich diskutierte, war für Spangenberg vor allem der erbliche Adel unübersehbarer Teil der politischen und sozialen Wirklichkeit. Ursprünglich sei dieser einmal in Form von Rechten, Privilegien und Gütern sowie besonderen Symbolen wie Namen und Wappen von einem Herrscher an einen Untergebenen verliehen worden, mithin das Ergebnis einer Satzung und somit menschengemacht, die eigentliche Besonderheit liege indes in seiner Erblichkeit. Indem Eltern die äußeren Z ­­ eichen und die damit verbundenen Rechte an ihre Kinder vererbten, wurde gleichsam auch die Adelsqualität selbst von einer auf die nächste Generation weitergegeben und damit innerhalb eines „Geschlechts“ verstetigt.2 Ein Geschlecht oder eine Dynastie konnte sich also dort bilden, wo es besondere Rechte, sozialen Status, Herrschaft und Besitz zu vererben gab. Dadurch basierte diese Form der Vergemeinschaftung in hohem Maße auf den Regeln von Verwandtschaft, was sie für den biologischen Zufall anfällig machte – man denke nur an die zahlreichen Fälle, in denen Dynastien ‚ausstarben‘ und es zu Kriegen um die Erbfolge kam –, was ihr zugleich aber auch eine besondere Legitimation verlieh. Denn im Gegensatz zu anderen Formen der Statusübertragung 1 Spangenberg, Adels-­Spiegel, 1. Teil, fol. 43r. 2 Vgl. zur Person Spangenbergs Kaufmann, Art. Spangenberg, Cyriakus; sowie zu seiner Adelstheorie Carl, Verächter; und Jahn, Genealogie, der allerdings zu Recht auf gewisse Relativierungstendenzen des genealogischen Denkens durch theologische Argumente bei Spangenberg aufmerksam macht.

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Einleitung

wie Wahlen oder Ernennungen schien die dynastische Erbfolge auf vollkommen natürlichen Kriterien der Abstammung und somit letztlich auf dem Willen Gottes zu basieren. Dynastien prägten daher die Geschichte des vormodernen und zum Teil auch des modernen Europa in hohem Maße,3 ja selbst im globalen Maßstab war die dynastische Form der Herrschaftsorganisation die häufigste und am stärksten akzeptierte.4 Auch das Alte Reich der Frühen Neuzeit wurde ungeachtet seines gewählten Oberhauptes von mächtigen Fürstenhäusern dominiert, die sich an einer Hand abzählen ließen, allen voran den Habsburgern, dann den Wittelsbachern und Wettinern, Welfen und Hohenzollern. Doch existierten neben den großen Herzog- und (Kur-)Fürstentümern auch Regionen, in denen es kleineren Reichsständen gelungen war, eigene Herrschaften aufzubauen und über Generationen hinweg zu behaupten. Eine ­solche Region war etwa Westfalen, wo nach dem Sturz des Sachsenherzogs Heinrich des Löwen im ausgehenden Hochmittelalter gräfliche und edelherrliche Familien darangingen, Allod, Lehen und sonstige Herrschaftsrechte zu kumulieren und allmählich in kleine Landesherrschaften umzuformen. Zwei der Familien, denen ebendies gelang, waren die Edelherren und (seit 1528) Grafen zur Lippe und die Grafen von Waldeck, die gemeinsam den Untersuchungsgegenstand dieser Studie bilden. Anhand ihres Beispiels soll den Strategien einer erfolgreichen Dynastiebildung auf den Grund gegangen werden. Was aber ist unter dem schillernden Begriff der „Dynastie“ überhaupt zu verstehen? Ein Blick in die Quellen macht deutlich, dass der Ausdruck den Zeitgenossen kaum geläufig war. Erst im 18. Jahrhundert hielt er allmählich Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch, zunächst jedoch mit einer anderen als der heutigen Bedeutung. Johann Heinrich Zedler etwa definierte eine Dynastia als vornehmlich antike Regierungsform, als Oligarchie.5 Somit fehlte nicht nur der Bezug zur zeitgenössischen politischen Sprache, auch haftete dem Begriff eine abwertende Konnotation an, weshalb er sich als Eigenbezeichnung adliger Familien nicht recht 3 Vgl. Weber, Bedeutung der Dynastien; Reinhard, Geschichte der Staatsgewalt, S. 23, 31 u. passim. 4 Vgl. Duindam, Dynasties. 5 Dynastia, heist bey denen Alten eine Regierung, und Dynasta ein König. Bey denen Politicis heist es so viel als eine Oligarchia, welches ein verderbter Zustand der Aristocratie ist, da die vornehmsten, w ­ elche die höchste Gewalt haben, nicht nach der Richtschnur derer Gesetze, sondern ihren Eigennutzen die Regierung einrichten., Art. Dynastia, in: Zedler, Universal-­ Lexikon. In Krünitz, Oeconomische Encyclopädie, findet sich dagegen kein entsprechendes Lemma. Küppers-­Braun, Dynastisches Handeln, S. 221 f., verweist auf eine zweite Bedeutung des Begriffs „Dynast“ i. S. eines mittelalterlichen Herrschaftsträgers aus dem Stand der Freien Herren. Ihre daraus begründete Ausweitung des Dynastiebegriffs von erblich fundierter Herrschaftsausübung zu herrschaftlichem Handeln überhaupt erscheint jedoch nicht sinnvoll, da dadurch jegliche Trennschärfe verloren geht.

Dynastien in der Geschichte der Vormoderne

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eignen wollte.6 Geläufiger waren im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit Ausdrücke wie „Geschlecht“, „Stamm“ oder „Haus“.7 Dagegen handelte es sich beim heute gebräuchlichen Begriff der „Familie“ um eine Beschreibungskategorie, die erst im 18. Jahrhundert an Bedeutung gewann und dann sowohl synonym zum Haus als auch in engerer Bedeutung als Kernfamilie verwendet werden konnte. Ob es schon vor dieser Zeit ein Verständnis von Kernfamilie gegenüber der weiteren Verwandtschaft gab, ist allerdings eine unentschiedene Forschungskontroverse. Zweifel an dieser Ansicht nährt insbesondere der zeitgenössische Gebrauch von kernfamilialen Bezeichnungen für nichtverwandte Personen.8 Gerade diese terminologische und semantische Diversität der Quellensprache hat die Forschung zu eigener Begriffsbildung herausgefordert. Die breiteste Verwendung fand Wolfgang E. J. Webers Definition von Dynastie als optimierte[r] Erscheinungsform der Familie, die sich durch erhöhte Identität (und damit verstärkte Abgrenzung nach außen), ausdrücklich gemeinsam genutzten (individueller Verfügung durch Familienmitglieder entzogenen) Besitz (Güter, Ränge, Rechte, Ämter), im Interesse ungeschmälerter Besitzweitergabe bzw. maximaler Besitzerweite­ rung bewusst gesteuerte Heirat und Vererbung sowie daher in der Regel gesteigerte histo­rische Kontinuität auszeichnet.9

Dabei scheint jedoch der definitorische Rückbezug auf die Familie ebenso proble­ matisch wie der von Weber nicht hinreichend bestimmte Begriff der (erhöhten) Identität, wohingegen er mit der Steuerung von Besitzweitergabe und Heiraten zentrale Praktiken der Dynastiebildung benennt. Von verschiedenen Seiten kam zudem der wichtige Hinweis, dass Dynastien in erster Linie und ihrem eigentlichen Sinn nach kollektive Herrschaftsträger gewesen s­ eien, weshalb Phänomene wie die Territorialisierung von Herrschaft in Spätmittelalter und Früher Neuzeit den Hintergrund der Dynastiebildung darstellen.10 Allerdings

6 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S. 29; Weber, Dynastiesicherung, S. 110. 7 Zur Semantik der Dynastie in der Quellensprache siehe Kap. 4.1.2. 8 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S. 28; Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 62 – 71; Seidel, Freunde, S. 219 f. 9 Weber, Dynastiesicherung, S. 95. Diese Definition hat Weber zwölf Jahre später nochmals wiederholt in Ders., Dynamiken, S. 62. 10 Vgl. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 100 f.; sowie in seinem Gefolge Werner, Ahnen, S. 26; Auge, Handlungsspielräume, S. 303. Dies wird freilich auch von Weber, Dynastiesicherung, S. 102 – 106, berücksichtigt. Des Weiteren Oexle, Aspekte, S. 27 f.; Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 13; Melville, Vorfahren, S. 215 – 224. Auch Morsel, Verwandtschaft, S. 250, hält die Dynastie für „ein herrschaftliches Gebilde, das eben aus Verwandten besteht, weil in dieser Gesellschaft die Reproduktion der herrschaftlichen Macht überwiegend erbschaftlich konzipiert wurde. Demzufolge soll die ‚Dynastie‘ […] als eine Erbenreihe gelten, als ein Ensemble von toten und lebendigen Erben, deren Verbindung

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Einleitung

hat gegenüber einer allzu engen Einschränkung der Dynastie auf eine Abfolge männlicher Erben Heide Wunder aus geschlechtergeschichtlicher Perspektive zu Recht dafür plädiert, auch Phänomene weiblicher Herrschaft und Einflussnahme mit in den Blick zu nehmen.11 Eine Einschränkung des Dynastiebegriffs auf monarchische Territorien erscheint hingegen wenig geeignet, da sich deren strukturelle Bedingungen nicht wesentlich von denen in fürstlich oder gräflich regierten Ländern unterschieden.12 Schließlich erweist es sich bei allen Definitionsversuchen als sinnvoll, schärfer ­zwischen zwei unterschiedlichen Dimensionen der Dynastie zu unterscheiden, nämlich der Sozialformation und der Denkform. Auch wenn erstere in ihren konkreten Erscheinungsformen, der Reichweite ihrer Zugehörigkeit usw. histo­ risch wandelbar war, handelt es sich dabei doch unstreitig um eine Gruppe von greifbaren Akteuren, einen Verwandtschaftsverband.13 Aufgrund von Bemühungen zur Festigung der in kollektivem Besitz befindlichen Herrschaftsrechte begann er sich im Laufe der Zeit stärker zu konturieren. Davon analytisch zu unterscheiden ist die „transpersonale Idee der Dynastie“14, also die Vorstellung eines über die lebenden Mitglieder hinausweisenden Bandes, das sowohl die Vergangenheit als auch die Zukunft umfasst. Auf Ebene der Individuen, die sich zunehmend als Teil dieser Entität verstanden, lässt sich von dynastischem Bewusstsein sprechen. Zwischen Denk- und Sozialform bestanden natürlich insofern zahlreiche Wechselwirkungen, als erstere nicht von vornherein als ausformuliertes Wissen bereitstand, sondern von den Akteuren in zahlreichen Konflikten ausgehandelt wurde, zugleich aber wiederum als Handlungsorientierung fungieren konnte. Somit lässt sich eine Dynastie in erster Linie als „soziale Konstruktionsleistung“15 begreifen. Nur wenn man beide Dimensionen – soziale Gruppe und gedankliches Konzept – berücksichtigt und miteinander in Beziehung setzt, lässt sich das Phänomen der Dynastie adäquat erfassen. Eine abgeschlossene Definition zu formulieren, wird allerdings durch seine historische Wandelbarkeit erschwert, wiewohl der Erfolg der sozialen und kulturellen Konstruk­tionsarbeit gerade darin lag, eine Dynastie als beständiges Gebilde ohne eigentliche Genese erscheinen zu lassen. Umso notwendiger ist es, das untereinander darin besteht, dass sie ganz oder teilweise dasselbe land und dieselben leute beherrscht haben.“ 11 Vgl. Wunder, Einleitung, S. 15 – 18. 12 Vgl. Schnettger, Art. Dynastie. 13 Siehe zum Konzept der sozialen Gruppe auch Oexle, Soziale Gruppen. 14 Auge, Handlungsspielräume, S. 201. Vgl. ebd., S. 336 – 341. 15 Pečar, Dynastie, Abs. 5. Vgl. dazu auch Duindam, Dynasties, S. 88: „The physical reality of procreation and the cultural notion of dynasty do not neatly overlap. Dynasties are cultural constructs, based on a series of conventions regarding reproduction and eligibility for the throne.“

Dynastien in der Geschichte der Vormoderne

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„Konzept der […] Dynastie zu historisieren, also seine Entstehungsbedingungen, seine Ausdrucksformen und seinen Wandel in der Praxis fürstlichen Handelns vor dem Hintergrund eines dynamischen Verständnisses von Verwandtschaft und fürstlicher Herrschaft zu betrachten“16. Die Ursprünge der Grafenhäuser Lippe und Waldeck liegen im Mittelalter. Für den Historiker greifbar werden sie seit dem 12. Jahrhundert durch in Urkunden auftauchende Personen, die aufgrund ihrer Titel und Namen einem Verwandtschaftsverband zugeordnet werden können. Wie die meisten adligen Herrschaftsträger dieser Zeit benannten sich die Grafen nach ihren Stammsitzen Lippstadt (zeitgenössisch: Stadt Lippe) bzw. Waldeck. Zugleich kam das Führen von Wappen und Siegeln auf, in denen sich ebenfalls ein Bewusstsein für die gemeinsame Zugehörigkeit dokumentierte. Um die im Laufe der Zeit erlangten Herrschaftsrechte möglichst ungeschmälert an die leiblichen Nachkommen weiterzugeben, setzten die Edelherren bzw. Grafen seit dem 14. Jahrhundert Verträge zur Regelung der Erbfolge auf. Dies war jedoch keineswegs gleichbedeutend mit einer streng regulierten Rechtsordnung, denn jeder neue Herrscherwechsel war ein Einfallstor für Sukzessionsansprüche aus dem Kreis der Verwandten ebenso wie von fremden Prätendenten. Wer als berechtigter Erbe der Herrschaft galt, wo also die Grenzen der Dynastie zu ziehen waren, war lange Zeit eine relativ offene Frage. Um die Wende zur Frühen Neuzeit wurde das Konzept der Dynastie zunehmend diskursiviert, was sich sowohl in der Sprechweise der adligen Akteure als auch im Aufkommen neuer Repräsentationspraktiken beobachten lässt. Die Grafen begannen, sich stärker als einzelne Glieder in einer Abfolge von Herrschern zu begreifen, und ein allgemeines Interesse an der Erforschung der dynastischen Geschichte in Chroniken und Genealogien brach sich Bahn. Auch in den Praktiken der Herrschaftsweitergabe, Vererbung und Eheschließung lassen sich im 16. und 17. Jahrhundert gewichtige Veränderungen ausmachen. All diesen Praktiken und Symbolisierungen wird in vorliegender Studie nachzuspüren sein, deren Hauptinteresse der Frage gilt, wie sich aus hochadligen Verwandtschaftsverbänden allmählich Dynastien formten. Des Weiteren wird danach gefragt, inwieweit die Zugehörigkeit zu einer Dynastie das Verhalten ihrer einzelnen Mitglieder prägte. Worin gründete schließlich der Erfolg eines Dynastiekonzepts, das schon Zeitgenossen wie Cyriakus Spangenberg als vollkommen selbstverständlich erschien und so über Jahrhunderte kulturprägend wurde?17

16 Hecht, Anhalt, S. 92. 17 Ernsthafte Zweifel an der Existenz eines Erbadels kamen ungeachtet einer langen Tradition der Kritik an dessen Privilegien erst im Zuge der Aufklärung auf. Immanuel Kant etwa hielt ihn für ein bloßes „Gedankending, ohne alle Realität“; zit. nach Stollberg-­Rilinger, Gedankending, S. 9.

14

Einleitung

1.2 Forschungskontexte In den letzten zwanzig Jahren hat die historische Dynastieforschung beträchtliche Fortentwicklungen erfahren. Impulse kamen vor allem aus den Bereichen der Kulturgeschichte des Politischen, der historischen Anthropologie, der Verwandtschafts- und Familienforschung sowie der ebenfalls florierenden Adelsgeschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Auf landesgeschichtlicher Ebene können die jeweiligen Herrscherdynastien dagegen schon seit jeher ein besonderes, wenngleich partikulares Interesse für sich verbuchen, wobei auch hier seit einiger Zeit Innovationen Einzug halten. Im Folgenden werden die wichtigsten historiographischen Zugänge und Kontexte der Dynastieforschung aufgezeigt, die auch für vorliegende Arbeit von Bedeutung sind.18 Diese lassen sich idealtypisch unter vier Schlagworten subsumieren, die jeweils einen besonderen Aspekt des Themas in den Vordergrund rücken: Herrschaft, Verwandtschaft, Adel und Land. 1.2.1 Herrschaft Da Dynastien in der Vormoderne kollektive Träger von Herrschaft waren, gerieten sie frühzeitig in den Blick von Historikern, die sich klassischerweise mit der politischen Verfasstheit von Gemeinwesen beschäftigen. Aufbauend auf den Kompilatoren des „Privat-­Fürsten-­Rechts“ des 18. Jahrhunderts war es zunächst vor allem die Rechts- und Verfassungsgeschichte, die sich mit dem Thema auseinandersetzte. Hier standen und stehen vorrangig Fragen nach der Staatlichkeit spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Territorien im Mittelpunkt des Interesses, die zum Teil einem modernisierungstheoretischen Geschichtsmodell verpflichtet waren. So hatte es aus Sicht einiger Rechtshistoriker den Anschein, dass ein klug agierender Fürst durchaus den Weg in die Neuzeit weisen konnte, während dessen Verwandtschaft oft nur ein Hindernis auf dem Weg zur Staatsbildung oder gar eine Gefahr für die Entwicklung des Gemeinwohls darstellte.19 Dagegen sieht 18 Da die Perspektive vorliegender Studie sich aus einer Vielzahl von Forschungsansätzen zusammensetzt, können hier nur die wichtigsten forschungsgeschichtlichen Entwicklungen nachgezeichnet werden, während die aktuelle Forschungsliteratur an entsprechender Stelle verarbeitet wurde. 19 Diese Sichtweise wurde im 19. Jahrhundert etwa entschieden vertreten von Schulze, Erstgeburt, zieht sich aber bis weit in die neuere Forschung. So hat auch noch Volker Press in der Rücksichtnahme auf Ansprüche von Verwandten einen strukturellen Nachteil der Grafen gesehen: „Hier traten der ‚staatsbildende‘ Fürstenstand und der in vorstaatlichen Denkformen verharrende Grafenstand eindeutig auseinander.“; Press, Reichsgrafenstand, S. 119.

Forschungskontexte

15

die moderne Verfassungsgeschichte diesen Prozess deutlich differenzierter, wobei auch hier der Fokus auf ein vermeintlich „aufkommendes Staatsbewußtsein“20 gelegt wird, wodurch sich konkurrierende Herrschaftsansprüche von anderen Dynastieangehörigen erneut als reine Störfaktoren darstellen. Mittlerweile sind allerdings Ansätze zu einer „Verfassungsgeschichte in der Erweiterung“ erkennbar, die auch „adliges Gruppenbewußtsein, dynastisches Selbstverständnis und familiale Herrschaftskonzeptionen“21 in ihr Kalkül einbezieht. Die wichtigsten Impulse hierzu kommen aus der allgemeinen Geschichte. Die Mediävistik hat sich vor allem seit ihrer verstärkten Hinwendung zum Spätmittelalter des Phänomens dynastischer Herrschaftsausübung angenommen, wobei auch hier zunächst der Staat einen interpretatorischen Fixpunkt ausmachte. So sah Heinz-­Dieter Heimann in der zunehmenden Verrechtlichung der innerdynastischen Beziehungen durch Hausverträge eine wichtige „Säule des vielfältigen Staatsbildungsprozesses“22. Im Gefolge der verwandtschaftshistorischen Studien von Karl-­Heinz Spieß 23 hat sich dieser Fokus allerdings in der letzten Zeit verschoben. Jüngere Studien betonen stärker die Eigenlogik dynastisch-­herrschaftlichen Handelns, deren höchstes Ziel nicht die Bildung eines Territorialstaats, sondern die Absicherung und Beförderung des eigenen Geschlechts war.24 Andere Autoren haben sich stärker auf die legitimatorischen Aspekte dynastischer Herrschaft im Mittelalter konzentriert.25 Eine ähnliche Entwicklung lässt sich für die Frühneuzeitgeschichte konstatieren. Hier wurde „das monarchisch-­personale Element frühneuzeitlicher Staatlichkeit, der Zusammenhang von Dynastiesicherung und Staatsbildung, in der Forschung vergleichsweise kontinuierlich thematisiert“26. Die Arbeiten von Johannes Kunisch zu frühneuzeitlichen Haus- und Sukzessionsordnungen etwa betonten stark deren Orientierung am frühmodernen Fürstenstaat, der neben dem Aufbau einer eigenständigen Verwaltung und der Entstehung einer landständischen 20 Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 93. Siehe auch ebd., S. 129 f. Innovativer und die Logik der dynastisch geprägten vormodernen Herrschaftsausübung angemessener reflektierend dagegen: Pfannkuche, Patrimonium. 21 Carl, Einungen, S. 98 f. 22 Heimann, Hausordnung, S. V. 23 Siehe dazu den folgenden Abschnitt. 24 So Heimann selbst in einer jüngeren Reformulierung seiner Forschung zu den Wittelsbachern in Heimann, Pavia. Des Weiteren: Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 100 f.; Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 12; Auge, Handlungsspielräume, S. 201 – 255; Selzer, Fürstenwandel, S. 17; Schwarzmaier, Unteilbarkeit, S. 162 f. 25 Vgl. etwa die Beiträge in Andenna/Melville (Hg.), Idoneität; sowie mit Blick auf unklare Nachfolgesituationen jüngst Widder/Holzwart-­Schäfer/Heinemeyer (Hg.), Geboren. 26 Bahlcke, Landesherrschaft, S. 99.

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Einleitung

Verfassung vor allem durch die Abstraktion von der Herrscherperson durch eindeutige Sukzessionsregeln gekennzeichnet gewesen sei.27 Und auch Wolfgang E. J. Weber bilanziert seine thematisch weitergefassten Studien zur Dynastiebildung: „[D]as alles trägt nicht nur zur Staatsbildung bei, sondern ist Staatsbildung.“28 Seit einiger Zeit werden jedoch Zweifel an der Adäquatheit dieser Perspektivierung auf den modernen Staat laut. So ist schon 1982 von Peter Moraw daran erinnert worden, dass ein mittelalterlicher Herrscher „in erster Linie zugunsten seiner Familie und Dynastie [handelte]; erst danach folgten Territorium und Reich“29. Auch Karl-­Heinz Spieß verweist auf die Bedeutung der Dynastie für fürstliches Handeln: „The princes in the late Middle Ages and the early modern period also thought of their dynasties and not of their states“30. Und jüngst schlug Andreas Pečar vor, „eine Geschichte des modernen Staates erst im ausgehenden 18. Jahrhundert beginnen“ zu lassen, während man „die Jahrhunderte davor nicht (mehr) als Vorgeschichte d­ ieses Staates bzw. dieser Idee von Staatlichkeit behandeln“31 könne. Dieser Perspektivwechsel führt zwangsläufig zur Frage, was den Fürsten der Vormoderne denn stattdessen vor Augen stand, was also Handeln im Sinne der Dynastie sein könnte. Es gilt also erstens, die Selbstwahrnehmungen und -beschreibungen der Akteure und deren Praktiken stärker in den Blick zu nehmen, anstatt davon scheinbar abgelöste, nichtintendierte Prozesse zu untersuchen. Zweitens ist es notwendig, den verwandtschaftlichen Charakter dynastischer Herrschaft ernst zu nehmen, der mit am modernen Staat entwickelten Kriterien kaum angemessen zu beschreiben ist. 1.2.2 Verwandtschaft Wichtige Impulse für die historische Familien- und Verwandtschaftsforschung gingen zunächst vor allem von der Mediävistik aus, die sich schon früh mit Fragen der Organisation adliger Verwandtschaftsverbände beschäftigte. Im Anschluss an die in den 1950er Jahren entstandenen Arbeiten von Karl Schmid und dessen Postulat, allein das „Selbstverständnis“32 frühmittelalterlicher Adelsgeschlechter könne als Schlüssel zu deren Verständnis dienen, meinte man, eine etwa um das Jahr 1000 angesiedelte Transformation von nicht genauer abgrenzbaren Sippen hin zu streng agnatisch organisierten Geschlechtern ausmachen zu können. Sei 27 Vgl. Kunisch (Hg.), Fürstenstaat; Ders., Staatsbildung. Vgl. weiterhin Stauber, Staat. 28 Weber, Dynastiesicherung, S. 106. 29 Moraw, ­Kaiser Karl IV., S. 242. 30 Spiess, Lordship, S. 69 f. 31 Pečar, Träger der Staatsbildung, S. 64. Vgl. auch Ders., Dynastie. 32 Schmid, Problematik, S. 57.

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Verwandtschaft im Frühmittelalter eher als ein diffuses Netz von miteinander in Verbindung stehenden Personen zu denken, hätten später die Abstammung von einem Stammvater und die männliche Vererbung rapide an Bedeutung gewonnen.33 Dieses Modell einer zeitlichen Abfolge wird mittlerweile verworfen und stattdessen konstatiert, dass Verwandtschaft während des gesamten europäischen Mittelalters grundsätzlich bilateral bzw. kognatisch organisiert war. Schon zu Beginn der 1990er Jahre wies Karl-­Heinz Spieß in seiner richtungsweisenden Studie über die Heirats- und Erbpraxis spätmittelalterlicher Grafenfamilien nach, dass Agnaten, Kognaten und der angeheirateten Schwägerschaft eine gleich große Bedeutung zukam.34 Die mit Blick auf die Verwandtschaftspraxis getroffene Aussage verliert nicht dadurch an Gültigkeit, dass schon im ausgehenden Mittelalter Repräsentationen von Verwandtschaft, etwa in Form von Stammbäumen oder chronikalen Texten, stärker die agnatische Linie, also die Abstammung des Sohnes vom Vater, hervorhoben. Erst am Übergang zur Frühen Neuzeit, so betonen neuere Forschungen, lasse sich eine allmähliche Hinwendung zu patrilinearen Verwandtschaftskonstruktionen ausmachen, da sich neben der Repräsentation nun auch die praktischen Formen der Weitergabe von Besitz, Ämtern oder Terri­ torien veränderten und auf eine stärkere Ausgrenzung der Töchter und nachgeborenen Söhne vom Erbe abzielten. Dies sei jedoch kein Indiz für einen allgemeinen Bedeutungsverlust kognatischer Verwandtschaft.35 Ausgehend von der Unterscheidung ­zwischen Praktiken und Repräsentationen hat Joseph Morsel in seinen Studien über den fränkischen Niederadel vehement vor einem essentialistischen Blick auf Adelsgeschlechter gewarnt und auf deren grundsätzlichen Konstruktionscharakter hingewiesen.36 Geschlechter ­seien nur insoweit existent, als sie durch bestimmte Repräsentations- und Artikulationsformen – beispielsweise durch Wappen – dargestellt und sichtbar gemacht w ­ ürden.37 Die Abhängigkeit von Repräsentationen gelte nicht nur für den Sonder­fall des Geschlechts, sondern für Verwandtschaft per se, die in ihren spezifischen Ausformungen ebenfalls sozial konstruiert sei.38 Diese de-­naturalisierende 33 Vgl. ebd. Diese Transformationsthese fand in der deutschsprachigen Forschung große Zustimmung, so etwa von Althoff, Verwandte, S. 35. In Frankreich wurde ein ähnliches Modell vor allem von Georges Duby entworfen; vgl. Duby, Ritter. Zusammenfassend zur Forschungsdiskussion der ‚Schmid-­Duby-­These‘: Gestrich/Krause/Mitterauer, Geschichte der Familie, S. 160 – 165; Peters, Dynastengeschichte, S. 1 – 25. 34 Vgl. Spiess, Familie, S. 539. 35 Vgl. Sabean/Teuscher, Kinship in Europe, bes. S. 4 – 16; Johnson/Jussen/Sabean [u. a.] (Hg.), Blood and Kinship; Guerreau-­Jalabert/Le Jan/Morsel, Familles, S. 436 – 4 40; Jussen, Commentaire. 36 Vgl. Morsel, L’aristocratie médiévale; sowie vor allem Ders., Geschlecht. 37 Vgl. ebd., S. 263 u. 312. So auch Rexroth/Schmidt, Freundschaft, S. 12. 38 Vgl. Morsel, Geschlecht, S. 311 f.

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­ etrachtungsweise von Verwandtschaft teilt auch Peter Schuster und hebt B zugleich deren hohe Anfälligkeit für Konflikte hervor. Es sei bei der Formierung von Dynastien vor allem darauf angekommen, „Verwandtschaftsbeziehungen in Freundschaftsbeziehungen zu transferieren, um die Beziehungen unter den Mitgliedern zu stabilisieren und Konflikte zu vermeiden“39. Auch Frühneuzeithistoriker haben sich in den letzten Jahren ausgiebig mit Dynastien als adliger Verwandtschaftsordnung beschäftigt. Dabei interessierte man sich unter dem Einfluss des im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Konnexes ­zwischen Dynastie- und Staatsbildung vor allem für Fragen von Sukzession und Vererbung. Aus sozialgeschichtlicher Perspektive untersuchte Heinz Reif in seiner bahnbrechenden Studie über den münsterländischen Stiftsadel die „Familienordnung“, worunter er die Gesamtheit der vertraglichen und testamentarischen Dispositionen über das Vermögen einer Adelsfamilie versteht. Dabei stellte er heraus, dass es den Adelsfamilien gerade über eine strenge Ordnung und die Einbindung des Einzelnen in einen Kodex von Verhaltensnormen gelang, ihren ständischen Status abzusichern und letztlich bis in die Moderne hinein zu behaupten.40 Die Hausgesetze, die sich adlige Familienverbände zur Schaffung dynastischer Ordnung selbst auferlegten, sind inzwischen verschiedentlich untersucht worden, wobei sich die Forschung vornehmlich auf die großen Fürstenhäuser konzentriert hat.41 Daneben wurde im Hinblick auf die adlige Verwandtschaftspraxis vor allem die geregelte Heiratspolitik untersucht.42 Es wurde herausgestellt, dass Heiratsverbindungen soziales Kapital waren, das bei Bedarf aktiviert werden konnte, ihnen darüber hinaus aber auch eine symbolische Bedeutung zukam, da sich an ihnen die soziale Schätzung einer Dynastie durch die Standesgenossen ablesen ließ. Des Weiteren entstanden in jüngerer Zeit einige Studien, die verstärkt eine Innenperspektive einnehmen und die Gestaltungsmöglichkeiten der familialen Beziehungen in hochadligen Häusern ausloten.43 Inzwischen bilden auch 39 Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 22. Freundschaft wird dabei als übergeordnete Beziehungskategorie verstanden, die sich zunächst einmal durch den Verzicht auf Aggressionen auszeichnet. Vgl. dazu auch Seidel/Schuster, Freundschaft. 4 0 Vgl. Reif, Westfälischer Adel. 41 Vgl. Rogge, Herrschaftsweitergabe; Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung; Dies., Selbstverständnis; Mutschler, Haus; Matzerath, Familienverträge; Richter, Fürstentestamente; Kasten (Hg.), Fürstentestamente. 42 Vgl. Schönpflug, Heiraten; Walther, (Un-)Ordnung; Marth, Dynastische Politik; Knöfel, Dynastie; Becker, Dynastische Politik; sowie zuletzt Haas, Fürstenehe. Auch in ­diesem Kontext lässt sich eine Konzentration auf Fürstenhäuser ausmachen. Eine Untersuchung gräflicher Heiratspolitik am Beispiel Bentheim bietet dagegen Marra, Allianzen. 43 Vgl. Broomhall/Van Gent, Gender; Johnson/Sabean (Hg.), Sibling Relations; Mauerer, Südwestdeutscher Reichsadel; Ruppel, Verbündete Rivalen. Auch im großangelegten Werk zum böhmischen Adel von Maťa, Svět české aristokracie, S. 523 – 678, nimmt die Untersuchung des verwandtschaftlichen Beziehungsgefüges großen Raum

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Studien zu weiblichen Angehörigen und ihren Handlungsspielräumen innerhalb des dynastischen Verbands einen eigenen Forschungsschwerpunkt. Adlige Frauen konnten, so wurde gezeigt, auf ganz unterschiedliche Arten dynastisch handeln und waren auch von der herrschaftlichen Sphäre nicht prinzipiell ausgeschlossen; in eigener Person übten sie Herrschaft etwa als vormundschaftliche Regentinnen oder als Fürstäbtissinnen aus.44 Insbesondere methodische Anregungen aus Nachbarfächern wie der Ethnologie und Anthropologie haben die historische Verwandtschaftsforschung befruchtet.45 Verwandtschaft, so lassen sich die Ergebnisse der jüngeren Untersuchungen auf einen Nenner bringen, wird inzwischen nicht mehr als biologisches Faktum, sondern „als kulturelle Konstruktion zur gedanklichen und sprachlichen Strukturierung sozialer Beziehungen“46 verstanden. Man hat es bei einer Dynastie also nicht mit einem unveränderlichen Ganzen, sondern mit einer Vielzahl von Akteuren zu tun, die auf kulturell und historisch unterschiedliche Weise miteinander in Beziehung standen. Das jeweilige Verständnis von Verwandtschaft, das sich in Erb- oder Sukzessionsregeln, der Heiratspraxis, aber auch in Stammbäumen und Ahnenproben niederschlagen konnte, ist dabei genauestens zu untersuchen, wobei die methodische Forderung zu berücksichtigen ist, stärker ­zwischen Praktiken und Repräsentationen von Verwandtschaft zu unterscheiden. Erst die kombinierte Untersuchung beider Dimensionen ergibt ein angemessenes Bild vormoderner Verwandtschaftsorganisation.

ein. Den ­Hinweis auf ­dieses derzeit nur in tschechischer Sprache verfügbare Werk verdanke ich meinem Kollegen Vít Kortus. Siehe dazu auch die ausführliche Inhaltsangabe bei Winkelbauer, Neues Standardwerk. Für das Spätmittelalter vgl. weiterhin Nolte, Familie, Hof und Herrschaft; Spiess, Familie. 4 4 Vgl. jüngst Greinert, Unterordnung; des Weiteren Wunder, Frauen, S. 205 – 215; Dies., Regierende Fürstinnen; Küppers-­Braun, Dynastisches Handeln; Keller, Frauen; Puppel, Regentin; Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen; Hohkamp, Tante; Ilg (Hg.), Fürstliche Witwen; Schattkowsky (Hg.), Witwenschaft. Fürs Mittelalter: Rogge (Hg.), Fürstin. 45 Angesichts neuer Formen des sozialen Zusammenlebens, aber auch künstlicher Reproduktionsmethoden versuchen mittlerweile jüngere Ansätze in der Sozialanthropologie, das Verhältnis z­ wischen Biologie und Kultur bei der Konstitution von Verwandtschaftsund Familienformen neu auszutarieren, oder haben – wie die Kulturanthropologin Janet ­Carsten – den Begriff ‚Verwandtschaft‘ kurzerhand aufgegeben; vgl. Carsten, After Kinship; Knecht, Politik; Yanagisako, Kinship Theory; Schuster/Stichweh/ Schmidt [u. a.], Freundschaft. Für einen Überblick über das weite Feld der historischen Verwandtschaftsforschung vgl. auch Lanzinger/Fertig, Perspektiven. 4 6 Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 55.

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1.2.3 Adel Fragen nach der sozialen Formierung von Dynastien stellen zudem ein wesent­liches Element der historischen Adelsforschung dar, die seit rund zwei ­Jahrzehnten eine ungeahnte Blüte erlebt.47 Zunächst entstanden dabei vor allem sozialgeschichtlich inspirierte Arbeiten zur ständischen Lage des Adels im Kontext der vormodernen Gesellschaft, die sowohl im Laufe des 16. Jahrhunderts als auch am Übergang zur Moderne verschiedentliche Krisen des Adels ausmachten und vor ­diesem Hintergrund nach den Bedingungen seines gesellschaftlichen „Obenbleibens“ (Rudolf Braun) fragten.48 Weiterhin regte das von Norbert Elias in seiner klassischen Studie zur höfischen Gesellschaft entworfene Modell der Entmachtung und Verhöflichung des Adels durch das absolutistische Königtum – mit deutlicher zeitlicher Verzögerung – zahlreiche Studien zum Thema Adel und Hof an, die Elias’ am französischen Beispiel gewonnene Thesen zumindest für die Höfe des Alten Reiches überwiegend zurückwiesen.49 In jüngerer Zeit gingen vor allem aus dem Umkreis der Residenzen-­Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen wichtige Sammelbände und Monographien zum Thema hervor.50 Inhaltlich beschäftigen sie sich mit dem Hof als zentralem Ort adliger Lebensführung, Statusaushandlung und -repräsentation sowie der gegenseitigen Wahrnehmung und Konkurrenz z­ wischen den Höfen. Neben den großen Fürsten- und Königshöfen richtete sich der Blick der Forschung – wenn auch nicht in gleichem Maße – auch auf die kleineren Reichsstände und den Niederadel, wobei hier oftmals im Rahmen musealer Ausstellungen oder landesgeschichtlicher Tagungen begrenzte geographische Räume und Regionen im Mittelpunkt standen.51 47 Vgl. allein die in den vergangenen Jahren erschienenen Überblickswerke zum spätmittelalterlichen und insbesondere frühneuzeitlichen Adel: Hechberger, Adel; Asch, Europäischer Adel; Demel/Schraut, Deutscher Adel; Demel, Europäischer Adel; Dewald, European Nobility; Endres, Adel; Scott (Hg.), European Nobilities; Sikora, Adel. 48 Vgl. insbesondere die verschiedenen Aufsätze in Wehler (Hg.), Europäischer Adel. Des Weiteren Carl/Lorenz (Hg.), Gelungene Anpassung. 49 Vgl. Elias, Höfische Gesellschaft; sowie in dessen Gefolge Winterling, Hof; Asch, Hof; Bauer, Höfische Gesellschaft; Ders., Strukturwandel; Gestrich, Absolutismus; Stollberg-­R ilinger, Höfische Öffentlichkeit; Pečar, Ökonomie; Hengerer, Kaiserhof. 50 Exemplarisch für die einschlägige, inzwischen aber eingestellte Reihe „Residenzenforschung“ ­seien genannt: Nolte/Spiess/Werlich (Hg.), Principes; Paravicini/Wettlaufer (Hg.), Vorbild. Vgl. auch das äußerst nützliche Handbuch „Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich“, von dem sieben Bände erschienen sind. Inzwischen wendet sich die Kommission verstärkt den Wechselbeziehungen ­zwischen Residenzstadt und Hof zu. 51 Vgl. Asch/Bůžek/Trugenberger (Hg.), Adel in Südwestdeutschland und Böhmen; Conze (Hg.), Adel in Hessen; Demel/Kramer (Hg.), Adel und Adelskultur in Bayern;

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Vermehrtes Interesse hat die Adelsforschung seit dem cultural turn vor allem an Fragestellungen zu adligen Lebenswelten, Standeskultur(-en) und adligem Selbstverständnis entwickelt.52 ‚Der Adel‘ wird demzufolge nicht mehr als starre soziale Schicht definiert, vielmehr wird nach den historisch wandelbaren Kriterien gefragt, die ständische Zugehörigkeit markierten. Als vorläufiges Ergebnis lässt sich festhalten, dass es insbesondere der Rekurs auf dynastische Traditionen sowie die Pflege eines bestimmten Lebensstils waren, ­welche das Selbstverständnis des Adels prägten und zur ständischen Abgrenzung genutzt wurden.53 Zum Komplex der dynastischen Traditionspflege und des Ahnenkults sind zahlreiche Studien im Rahmen des bis 2008 an der Universität Gießen eingerichteten Sonderforschungsbereichs 434 „Erinnerungskulturen“ entstanden.54 Einen thematischen Schwerpunkt der Erforschung adliger Erinnerungskultur bildet zweifellos die lange florierende, inzwischen aber etwas nachlassende Memoria-­Forschung.55 Vor allem Otto Gerhard Oexle betonte bereits in den 1990er Jahren nachdrücklich die konstitutive Bedeutung von Memoria für den Adel als soziale Gruppe, ­welche ­diesem eine gemeinsame Erinnerung und damit eine historische Dimension verliehen habe, die sich vor allem in der Hervorhebung der adligen Genealogie äußerte.56 Kritische Stimmen haben dagegen auf die zumindest im Spätmittelalter noch anzutreffende Konturlosigkeit und den konkreten Gegenwartsbezug memorialer Schöpfungen verwiesen und die These Oexles in Teilen relativiert.57 Die qualitativen Veränderungen der Memoria Labouvie (Hg.), Adel in Sachsen-­Anhalt; Lüpkes/Borggrefe (Hg.), Adel im Weserraum. 52 Vgl. Leonhard/Wieland (Hg.), Nobility; Gersmann/Kaiser, Selbstverständnis; Asch, Ständische Stellung; Oexle/Paravicini (Hg.), Nobilitas; sowie demnächst Kortus, Vít, Ankommen, niederlassen, eingliedern? Die böhmischen Linien der Grafenfamilie von Thun und Hohenstein im 17. Jahrhundert (Dissertationsprojekt). 53 Vgl. Walther, Freiheit; Andermann/Johanek (Hg.), Nicht-­Adel. Einen standesgemäßen Lebensstil aufrechtzuerhalten, war auch dann vonnöten, wenn es die wirtschaftlichen Verhältnisse eigentlich nicht zuließen; vgl. hierzu jetzt Solterbeck, Blaues Blut. Auch die adligen Distinktionsstrategien in der Moderne wurden inzwischen untersucht; vgl. zuletzt Menning, Standesgemäße Ordnung. 54 Vgl. Wrede/Carl (Hg.), Schande; Fey/Krieb/Rösener (Hg.), Mittelalterliche Fürstenhöfe; Rösener (Hg.), Tradition; Ders. (Hg.), Erinnerungskulturen. Einen Überblick über das Gießener Konzept bietet Erll, Kollektives Gedächtnis, S. 31 – 34. 55 Die Erforschung der Memorialpraktiken mittelalterlicher Oberschichten konzentriert sich, wohl auch der Überlieferungslage geschuldet, weitgehend auf die reichsfürstlichen Dynastien; vgl. Berndt (Hg.), Vergessen; Borgolte, Stiftung; Winkel, Herrschaft; Huthwelker, Tod; Minneker, Kloster; Babendererde, Sterben. Als Überblick über die frühe Memoriaforschung vgl. Schmid/Wollasch (Hg.), Memoria. 56 Vgl. Oexle, Memoria als Kultur; Ders., Aspekte, bes. S. 25 f. 57 Vgl. Spiess, Liturgische Memoria; Krieb, Erinnerungskultur. Auch Wunder, Adel, S. 55 – 63, ist skeptisch, was die vermeintlich konstitutive Bedeutung der Memoria für den frühneuzeitlichen Niederadel angeht.

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im Zuge der Reformation, die sich etwa in prächtigen Grabdenkmälern und neuen Medien wie Leichenpredigten und Funeralwerken niederschlugen, sind ebenfalls vielfach untersucht worden.58 Grundsätzlich lassen sich zum Ausgang des Spätmittelalters Ansätze einer neuartigen adligen Erinnerungskultur identifizieren, die insbesondere durch eine Ausweitung ihres medialen Repertoires sowie durch eine spezifische Verklammerung retrospektiver und prospektiver Momente gekennzeichnet ist. Die Ausuferung heraldischer und genealogischer Symbolik zum Zwecke dynastischer Repräsentation vom 15. bis zum 18. Jahrhundert ist in den vergangenen Jahren von der historischen 59 wie der kunst- bzw. architekturgeschichtlichen 60 Forschung gleichermaßen als vielversprechender Untersuchungsgegenstand entdeckt worden. Gleiches gilt für die bildliche Repräsentation der Dynastie in Familienporträts oder Ahnengalerien.61 Die ebenfalls im 15. Jahrhundert aufkommende Erforschung der dynastischen Geschichte und ihre Verbreitung in Chroniken wurden von der Historiographiegeschichte wie von der Adelsgeschichte in den Blick genommen.62 Hier ging es um die historische Legitimation der Herrschaftsausübung sowie um die rangmäßige Konkurrenz ­zwischen den Dynastien gleichermaßen.63 So vielschichtig wie die historischen Gegenstände sind die unterschiedlichen methodischen Ansätze, wobei viele Einzelergebnisse noch recht unverbunden nebeneinander stehen.64 Es empfiehlt sich daher, die gesamte Bandbreite der sozialen und symbolischen Konstitution einer Dynastie in begrenztem Rahmen, etwa anhand einer oder zwei Herrscherfamilien, zu untersuchen, wie es beispielsweise im Rahmen der vergleichenden Landesgeschichte geschehen kann. 58 Vgl. Zerbe, Reformation; Harding/Hecht (Hg.), Ahnenprobe; Brinkmann, Grabdenkmäler; Meys, Memoria; Hengerer (Hg.), Macht; Baresel-­Brand, Grabmäler; Zajic, Grabdenkmäler; Koslofsky, Reformation. Zum schriftgestützten Totengedenken: Bepler, Zeremonieller Hof; Jacobsen, Religiosität; Mulryne/Watanabe-­O’Kelly/ Shewring (Hg.), Europa Triumphans. 59 Programmatisch: Graf, Fürstliche Erinnerungskultur; Ders., Nachruhm. Des Weiteren Geevers/Marini (Hg.), Dynastic Identity; Bauer, Wurzel; Scheibelreiter, Wappen­ bild; Pečar, Genealogie; Tscherpel, Importance; Czech, Legitimation; Freitag/ Hecht (Hg.), Fürsten von Anhalt. 60 Vgl. Hahn/Schütte (Hg.), ­­Zeichen; Heck, Genealogie; Müller, Schloß. 61 Vgl. Windt, Ahnen; Müller, Heilige Sippe; Barta, Familienporträts. 62 Einen aktuellen Überblick bietet Schneider, Geschichtsschreibung. 63 Vgl. für das Mittelalter Schreiner, Legitimation; Melville, Vorfahren; Moeglin, Dynastisches Bewusstsein; Studt, Fürstenhof; Johanek, Schreiber. Für die Frühe Neuzeit: Wrede, Furcht; Krieb, Name; Hecht, Erfindung; Joos, Herkommen; Fuchs, Traditionsstiftung. 6 4 Für eine Zusammenschau aller Medien fürstlicher Repräsentation plädiert auch Studt, Symbole.

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1.2.4 Land Die Landesgeschichte im Sinne einer auf ein abgegrenztes Territorium oder eine Region bezogenen Geschichtsschreibung interessiert sich traditionell für diejenigen Dynastien, ­welche als Träger der lokalen Landesherrschaft politische und kulturelle Prägekraft entwickelt haben. Dabei lässt sich ein enger Zusammenhang ­zwischen Land und Dynastie voraussetzen, da letztere an der Entstehung eines Territoriums sowie der Ausbildung einer Art kollektiver Identität maßgeblich beteiligt war – was freilich ebenfalls Gegenstand der historischen Analyse sein muss. In jüngerer Zeit erlebt die Landesgeschichte eine Neuorientierung, indem sie sich vielfach von ihrer hergebrachten Theorieferne zu lösen beginnt, um neue methodische und theoretische Anregungen aufzugreifen.65 Insbesondere wird der Ruf nach Vergleichsstudien laut, die die jeweiligen Landesgeschichten aus der selbstgewählten geographischen Begrenzung befreien könnten. Eine s­ olche birgt nämlich stets die Gefahr, spezifische Entwicklungen und Eigenarten eines Landes zu verabsolutieren.66 Hierbei ist von verschiedenen Seiten auf das Potenzial der Dynastiegeschichte hingewiesen worden, da ihr Gegenstand schon an sich durch vielerlei überregionale Verflechtungen gekennzeichnet sei.67 Die für die vorliegende Arbeit einschlägige Historiographie der Länder Lippe und Waldeck hat die Hinwendung zu kulturalistischen Zugangsweisen erst in Ansätzen vollzogen. Vielfach hat man es noch mit einer unzeitgemäßen, positivistischen Form der Geschichtsschreibung zu tun, die in einer weitgehend ungebrochenen methodischen Kontinuität zu ihren Anfängen im 19. Jahrhundert steht. Freilich zeichnen sich viele solcher Werke durch eine enorme Fülle an ­empirischen Details aus, die kaum zu übertreffen ist und sich auch für die vorliegende Arbeit als äußerst hilfreich erwiesen hat. Was den Forschungsstand der lippischen und waldeckischen Landesgeschichte angeht, ist allerdings ein massiver Quantitätsunterschied zu konstatieren. Aufgrund der hervorragenden archivalischen Überlieferung sowie der langen staatlichen Kontinuität Lippes bis ins 20. Jahrhundert, die es in gewissem Sinne zum Paradebeispiel des vormodernen und m ­ odernen K ­ leinstaats machte, sind viele Bereiche der lippischen Geschichte sehr gut erforscht.68 Paradigmatische Bedeutung erhielt das Territorium, als Heinz Schilling zu Beginn der 65 Vgl. Jendorff, Konstrukt; Hirbodian/Jörg/Klapp (Hg.), Methoden. 66 Vgl. als Überblick neuerdings Freitag/Kissener/Reinle [u. a.] (Hg.), Handbuch. Des Weiteren: Buchholz (Hg.), Landesgeschichte; sowie Freitag/Johanek (Hg.), Bünde. Ernst Schuberts Bemerkung von 1996 – „Vergleichende Landesgeschichte ist ein oft erhobenes, aber selten realisiertes Postulat.“ – hat indes immer noch weithin Gültigkeit; Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 58. 67 Vgl. Hecht, Landesgeschichte, S. 182 – 189; Auge, Dynastiegeschichte. 68 Als konzisen Überblick über die lippische Landesgeschichtsschreibung siehe jetzt Barmeyer, Lippe; sowie Niebuhr, Lippische Geschichtsschreibung.

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1980er Jahre auf Grundlage der Ereignisse im Zuge der „Zweiten Reformation“ in Lippe sein Konzept der Konfessionalisierung entwickelte.69 Eine jüngst erschienene, modernen Ansprüchen genügende Gesamtschau 70 konnte in vorliegender Arbeit leider nicht mehr berücksichtigt werden, die sich stattdessen mit den älteren Überblickswerken von Erich Kittel, Hans Kiewning und August Falkmann begnügen musste.71 Über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges und die sich daran anschließende Epoche existieren einige Einzelstudien, die noch dem Forschungsparadigma des Absolutismus bzw. der Konzentration auf Staatsbildungsprozesse verhaftet sind.72 Zum 18. Jahrhundert sind in erster Linie die aufschlussreichen Arbeiten von Johannes Arndt heranzuziehen.73 Eine umfassende Untersuchung zur lippischen Geschichte im Spätmittelalter und im 16. Jahrhundert ist hingegen ein Desiderat. Lediglich einzelne Mitglieder des Grafenhauses haben bislang die Aufmerksamkeit der Forschung erregt.74 Im Vergleich dazu nimmt sich die Waldecker Landesgeschichtsforschung recht bescheiden aus, sodass man hier nach wie vor auf ältere Darstellungen angewiesen ist.75 Insbesondere sind an dieser Stelle die in die Jahre gekommenen 69 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt. 70 Vgl. Barmeyer/Niebuhr/Zelle (Hg.), Lippische Geschichte. 71 Vgl. Kittel, Heimatchronik; Kiewning, Lippische Geschichte; Falkmann, Beiträge. Die Bände 3 – 6 d­ ieses Werkes erschienen unter dem Titel „Graf Simon VI. zur Lippe und seine Zeit“. Gerade das Werk des lippischen Archivars August Falkmann stellt einen reichen Materialfundus dar, der leider Quellenbelege vermissen lässt, dabei aber auf der reinen Darstellungsebene recht zuverlässig ist. Darüber hinaus haben die seit 1903 regelmäßig erscheinenden „Lippischen Mitteilungen“ in zahlreichen Aufsätzen viele Aspekte der lippischen Geschichte vom Mittelalter bis in die jüngste Zeit in den Blick genommen. Vgl. des Weiteren die konzise, jedoch auf Residenzbildung konzentrierte Handbuchdarstellung von Johanek, Lippe. 72 Vgl. Barge, Grafschaft Lippe; Ders., Lippischer Absolutismus; Heidemann, Grafschaft Lippe; Benecke, Society; Stegmann, Grafschaft Lippe. 73 Vgl. Arndt, Fürstentum Lippe; Arndt/Nitschke (Hg.), Kontinuität; sowie diverse Aufsätze ­dieses Autors (siehe Literaturverzeichnis). Vgl. auch Bulst/Hoock/Kaiser (Hg.), Grafschaft Lippe. 74 Vgl. den Schwerpunktband über Bernhard VII. zur Lippe der Lippischen Mitteilungen 81 (2012); sowie Linde (Hg.), Nachkommen. Des Weiteren: Bischoff, Graf Simon VI .; Borggrefe (Hg.), Dienst; Fink, Haus; Thäle, Herrschertod. Für einen Überblick über die Genealogie der Edelherren, Grafen und Fürsten zur Lippe sind heranzuziehen Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 335 – 350B; sowie Stols, Geslachtsregister. 75 Wohl aufgrund seiner ungünstigen geographischen Lage abseits der Forschungsuniversitäten ist die waldeckische Landesgeschichte bislang kaum ins Blickfeld der akademischen Forschung geraten. Das Hauptverdienst kommt daher dem in Bad Arolsen ansässigen „Waldeckischen Geschichtsverein“ zu. Vgl. die Veröffentlichungsreihen „Waldeckische Forschungen“ und „Waldeckische Historische Hefte“ sowie zahlreiche einschlägige Aufsätze in den seit 1901 erscheinenden „Geschichtsblättern für Waldeck“. Einige ­Anmerkungen

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­ berblicksdarstellungen von Claus Cramer und Johann Varnhagen zu nennen.76 Ü Die Erforschung Waldecks in der Frühen Neuzeit wurde ganz wesentlich vom langjährigen Marburger Archivar Gerhard Menk vorangetrieben, der unzählige Aufsätze zum Thema veröffentlicht hat.77 Dabei spiegelt sich nicht nur in Menks Œuvre die hohe Bedeutung der Beziehungen Waldecks zum größeren Nachbarn Hessen, über die mehrere Studien vorliegen.78 Was die regierende Dynastie betrifft, ist insbesondere auf die Kasseler Dissertation von Helga Zöttlein hinzuweisen, die sich aus einer geschlechtergeschichtlichen Perspektive heraus mit dem Einfluss des Pietismus auf die landesherrliche und dynastische Politik befasst.79 Auch einzelne herausragende Vertreter des Hauses 80 sowie die Residenzbildung 81 der Waldecker sind verschiedentlich untersucht worden. Insgesamt ist jedoch auch hier eine Konzentration auf das spätere 17. sowie das 18. Jahrhundert zu konsta­ tieren, wohingegen das Spätmittelalter sowie das 16. Jahrhundert bislang nur sporadisch behandelt worden sind.82

1.3 Dynastie als institutionalisierte Praxis Wie verortet sich nun die vorliegende Arbeit im aufgespannten historiographischen Feld? Da Dynastiebildung hier in erster Linie als Phänomen vormoderner Herrschaftsausübung verstanden wird, soll zuvorderst ein Beitrag zur Verfassungsund Politikgeschichte des Alten Reiches und seiner Territorien geleistet werden. In d­ iesem Zusammenhang wird dafür plädiert, die Orientierung der adligen Akteure am splendor familiae, dem Ruhm ihres Hauses, als oberstem Ziel ernst zum Stand der waldeckischen Landesgeschichte samt Bibliographie finden sich bei Menk, Grafschaft. Siehe als Überblick über die ältere Literatur auch Hochgrebe, Waldeckische Bibliographie. 76 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung; Varnhagen, Grundlagen. Darüber h ­ inaus: Bockshammer, Territorialgeschichte; Schultze, Waldeckische Landeskunde; Steinmetz, Geschichte Waldecks; Curtze, Geschichte und Beschreibung. 77 Aus der Menge an Veröffentlichungen ­seien hier nur genannt: Menk, Grafschaft; Ders. Grundzüge; Ders., Beziehungen (siehe auch Literaturverzeichnis). 78 Neben den schon genannten Aufsätzen von Menk vgl. Murk, Ungleiche Nachbarn; Wolff, Grafen. 79 Vgl. Zöttlein, Dynastie. 80 Vgl. Behr, Franz von Waldeck; Ders., Graf Franz von Waldeck; Menk, Georg Friedrich; Schultze, Graf Wolrad II. Für den genealogischen Überblick hilfreich: Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326 – 333I; Hoffmeister, Handbuch; sowie als Kollektivbiographie traditionellen Zuschnitts: Haarmann, Haus Waldeck. 81 Vgl. Kümmel/Hüttel (Hg.), Arolsen; Menk, Residenz Arolsen; Zunker, Waldeck. 82 Dies bemängelt auch Menk, Grafschaft, S.  434. Für das Spätmittelalter siehe etwa Neumann, Kirche.

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zu nehmen und den Blick somit stärker auf Dynastie- als auf Staatsbildung zu richten. Dabei geht es auch um ein Ausloten der besonderen Bedeutung dynastischen Handelns auf der Ebene des Reichsgrafenstandes, der seine Stellung in der sich verfestigenden Verfassung des frühneuzeitlichen Reiches zu behaupten suchte.83 Da dynastische Herrschaftspraxis auf verwandtschaftlichen Prinzipien ruhte, werden auch die Erkenntnisse der neueren, anthropologisch informierten Familien- und Verwandtschaftsgeschichte angemessen berücksichtigt. Des Weiteren möchte die Studie zum rasch wachsenden Kenntnisstand der Adelsgeschichte beitragen, indem sie nach dem Stellenwert der dynastischen Denk- und Sozialform für das Selbstverständnis des Adels fragt. Schließlich versteht sich die Arbeit auch als Beitrag zur historischen Erforschung der Länder Lippe und Waldeck in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Allem zugrunde liegt eine theoretische Verortung auf dem Feld der inzwischen wohletablierten Kulturgeschichte des Politischen in dem Sinne, dass die Arbeit ihren Untersuchungsgegenstand aus einer konstruktivistischen Perspektive heraus betrachtet, um Essentialismen aufzuspüren und zu hinterfragen.84 1.3.1 Die Akteure: Eigensinn oder dynastische Räson? Nach wie vor werden Dynastien in der Literatur gelegentlich als kollektive Akteure behandelt, die sich wirkmächtig etwa als Staatengründer hervorgetan hätten.85 Solch eine unangemessene Hypostasierung soll durch die Einnahme einer Mikroperspektive und die Fokussierung auf die eigentlichen Akteure 83 Siehe dazu Kap. 1.5.1. 84 Vgl. dazu grundsätzlich: Stollberg-­R ilinger, Kulturgeschichte; Frevert, Neue Politikgeschichte. Als Überblick hilfreich: Weidner, Geschichte des Politischen. Der Kulturgeschichte des Politischen geht es vor allem um eine Ausweitung des Blicks von den klassischen Akteuren und Institutionen der Politik auf die grundlegende Frage nach der Schaffung kollektiver Verbindlichkeit. Als Kollektiv ist dabei nicht zwangsläufig eine Gesamtgesellschaft gemeint (wie sie für die ständisch fragmentierte Vormoderne ohnehin nur schwerlich zu postulieren wäre), sondern beispielsweise auch eine soziale Gruppe. In ­diesem Zusammenhang erscheint auch das von Roger Chartier geprägte Etikett einer Kulturgeschichte des Sozialen als sinnvolle Zuordnung, beschreibt Dynastiebildung doch nicht nur einen Prozess der Herrschaftsabsicherung, sondern ebenso der sozialen Gruppenbildung; vgl. Chartier, Welt. Allerdings lässt sich die Herstellung des Sozialen auch unter einen weiten Begriff des Politischen subsumieren, wie es insbesondere bei Achim Landwehr der Fall ist; vgl. Landwehr, Diskurs, S. 104 – 106. 85 Gegen eine ­solche – u. a. in Wolfgang Reinhards Geschichte der Staatsgewalt zu findende – Sichtweise von Dynastien wendet sich dezidiert Pečar, Träger der Staatsbildung. Weitere Beispiele, vor allem aus dem verbreiteten Genre der dynastischen Kollektivbiographie, führt auf Hecht, Landesgeschichte, S. 184, Anm. 61 – 63.

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vermieden werden. Schließlich sind Dynastien „hochkomplexe kulturelle Abstrak­tionsleistungen, auch wenn sie den Zeitgenossen als reale soziale Entitäten erscheinen“86. Die Mechanismen, die zur Herausbildung sozialer Ordnungsmuster und somit zur Integration einer bestimmten Gruppe als Dynastie führen konnten, gilt es also genauer zu untersuchen. Die Ordnung einer Dynastie wird dabei nicht als starr und unwandelbar verstanden, sondern als von bestimmten Akteuren durch Praktiken und Diskurse ständig aufs Neue ausgehandelt. Denn augenscheinlich – so wird in den folgenden Kapiteln deutlich – wollten sich nicht alle Angehörigen eines adligen Verwandtschaftsverbands ohne Weiteres einer strikten dynastischen Ordnung unterwerfen. Auf die Frage aber, wie eine Vielzahl von Dynastiemitgliedern mit unterschiedlichen Interessen und Ambitionen gelegentlich zu kollektivem Handeln fähig war, lassen sich recht unterschiedliche Antworten geben. Dass das dynastische Ordnungsmuster disziplinierend auf die Angehörigen eines adligen Verwandtschaftsverbands wirkte, indem es zur Annahme eines bestimmten Rollenverhaltens aufforderte, ist von der Forschung frühzeitig heraus­gestellt worden. Heinz Reifs sozialgeschichtlich konnotierter Begriff der „Familienordnung“ als Gesamtheit der (hier vor allem: vermögensrechtlichen) Normen einer Adelsfamilie bestimmte dabei den Grundtenor der weiteren historischen Beschäftigung mit Adelsdynastien.87 In der Folge ging es häufig um die Frage nach dem Verhältnis des Einzelnen zum übergeordneten Familien- bzw. Dynastieverband: Musste sich ein Dynastiemitglied stets den Normen des Hauses unterwerfen oder gab es Frei- und Spielräume? Und worin bestanden überhaupt diese Normen?88 Dabei war es neben der Familienordnung vor allem der von Karl-­Heinz Spieß geprägte Begriff der „dynastischen Räson“, der zu einem Leitmotiv wurde.89 Mit ihm wird meist eine bestimmte normative Ordnung beschrieben, innerhalb derer jedes einzelne Dynastiemitglied seine ihm zugewiesene Rolle akzeptierte und seine partikularen Interessen zugunsten des Gesamtwohls der Dynastie zurückstellte. Konkret wird dies in der Forschung häufig am dynastischen Erbrecht festgemacht, das die Agnaten gegenüber weiblichen oder 86 Pečar, Träger der Staatsbildung S. 64. 87 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 78 – 122; Ders., Erhaltung, S. 277 f. Der Begriff wurde übernommen von Spiess, Familie, S. 11 u. 272 – 289. 88 Vgl. dazu etwa Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 22: „Offenbar kann Familienbewusstsein nur aus der Perspektive des Individuums erschlossen werden […] Es geht um die Frage, wie sich Ego zu seiner Herkunft und seiner Familie/Geschlecht verhält.“ 89 Vgl. Spiess, Erbteilung; Ders., Familie, S. 337 – 343. Mehr oder weniger bedeutungsgleich verwendete Begriffe sind etwa dynastische Vernunft bzw. Disziplin sowie Hausobservanz. Vgl. auch Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 346; Pečar, Dynastie, Abs. 11; Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 22; Schwarzmaier, Unteilbarkeit, S. 169; Weber, Dynastie­ sicherung, S. 103; Ders., Dynamiken, S. 63 – 65.

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angeheirateten Prätendenten bevorzugte und letztlich – vermeintlich zwangsläufig – in die Primogenitur mündete, die alle Dynastieangehörigen zugunsten des Erstgeborenen benachteiligte. Es gibt allerdings in der Forschung bislang keinen Konsens darüber, was unter dynastischem Denken, Handeln, Interesse oder dynastischer Räson eigentlich konkret zu verstehen sei, was gelegentlich zu Missverständnissen führt. Auf der einen Seite kann dynastisches Handeln auf die gesamte Herrscherfamilie bezogen werden, worunter dann zum Beispiel die geblütsrechtliche Betonung des Erbrechts aller männlichen Verwandten fällt. So ist nach Heinz-­Dieter Heimann dynastische Räson ein „Herrschaftsmanagement zuerst zugunsten eben der fürstlichen Familien“90. Ein solches lässt sich dann von einer genuin staatsfixierten Herrschaftspraxis abheben. So beobachtet Michael K ­ aiser im Zuge der Zurückdrängung der Nachgeborenen aus der Herrschaft, „wie die regierenden Fürsten im 16. und vor allem 17. Jahrhundert sich die zukunftsweisende Perspektive des Staates zu eigen machten, während die nachgeborenen Brüder eher einen am dynastischen Denken orientierten Standpunkt einzunehmen gewillt waren“91 – mithin auf ihren eigenen Herrschaftsansprüchen bestanden. Nun bestand der Clou in Spieß’ Begriffsbildung aber gerade darin, die dynastische Räson von familiärem Egoismus, also der Bevorzugung der unmittelbaren Nahverwandten, abzusetzen. Bezogen auf die Herrschaftsweitergabe war aus ‚dynastischer‘ Sicht unter Umständen gerade die Sukzession entfernter Agnaten und damit der Verzicht auf eigene Ansprüche ‚vernünftig‘.92 Wie zu zeigen sein wird, war es auch für die zeitgenössischen Akteure oftmals nicht einfach zu bestimmen, welches Handeln der dynastischen Räson entsprach, zumal sie Gefahr liefen, durch konkurrierende, auf sozialer Nähe basierende Verhaltenserwartungen in einen Normenkonflikt zu geraten.93 Es herrscht also eine in Teilen missverständliche oder sogar widersprüchliche Terminologie, was die Frage provoziert, ob sich eine fest umrissene dynastische Räson oder gar ein dynastisches Interesse überhaupt benennen lassen. Erstaunlicherweise halten auch diejenigen Historiker, die generell einem konstruktivistischen Dynastieverständnis anhängen, oft an derartigen Begriffen fest. So spürt etwa Alexander Jendorff dem Verhältnis von adligem Individuum und Sozialformation nach und charakterisiert das Adelshaus als „Ort der massiven Widersprüche und Binnenkonflikte“94. Gleichzeitig sieht er aber die Ursache 90 Heimann, Pavia, S. 111. Vgl. auch den von ihm identifizierten „Gegensatz z­ wischen Staatsraison und Familienraison“; Ders., Hausordnung, S. 17. 91 Kaiser, Regierende Fürsten, S. 18 f. 92 Vgl. Spiess, Familie, S. 536. Siehe auch Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 13 f. u. 55 – 57. 93 Zum Konzept der Normenkonkurrenz vgl. Thiessen, Normenkonkurrenz. 94 Jendorff, Eigenmacht, S. 617.

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für die Verpflichtung des Einzelnen zu einem gruppenkonformen Verhalten in den „genuinen Interessen der Familie“95. Aber gab es ­solche überhaupt? „Bei der Frage, wer eigentlich die Interessen und den ‚Kurs‘ eines Hauses und die daraus resultierenden Verpflichtungen, Chancen und Zwänge für die einzelnen Familienangehörigen definierte, fällt der Blick zunächst auf die Senioren eines Familienkollektivs.“96 Den Dynastieoberhäuptern schreibt Jendorff die Aufgabe zu, alle Mitglieder im Sinne des Ganzen zu integrieren und ihr Verhalten zu normieren. Dass sie davon in besonderem Maße profitierten, da es ihre Hegemonie innerhalb des Verwandtschaftsverbands stützte, liegt auf der Hand. Es galt für sie daher, die übrigen Angehörigen am kollektiven Besitz teilhaben zu lassen und sie dadurch von der „Profitabilität des Familienkollektivs“ und dem „Nutzen des Verzichts oder der Einschränkung freien Handelns des Einzelnen“97 zu überzeugen. Ähnlich skeptisch im Hinblick auf die vermeintlich naturgegebene Einheit von Dynastien zeigte sich zuletzt Andreas Pečar. Sein radikaler Vorschlag geht dahin, Dynastie in erster Linie als „Argument zur Durchsetzung von Geltungsansprüchen“98 zu verstehen, dessen sich alle Mitglieder bedienen konnten, und zwar sowohl integrativ „zur Herstellung familiärer Einigkeit ebenso wie als Mittel innerfamiliärer Auseinandersetzung“99. Insbesondere vermeidet es Pečar, ein dynastisches Gesamtinteresse mit den geschlossenen Hausverträgen oder gar der Einführung der Primogenitur zu verwechseln. Denn s­ olche Normen lieferten in erster Linie „dem Erstgeborenen Argumente und Legitimationshilfen, um seinen Anspruch auf das Gesamterbe mit einiger Aussicht auf Erfolg durchsetzen zu können“100. Daraus ergibt sich die eminente Bedeutung des Vorgehens, Argumentationen und Geltungsansprüche der Akteure genauestens zu untersuchen und nicht vorschnell auf ein vermeintliches Dynastieinteresse zu schließen. Auch Michael Hecht spricht sich in d­ iesem Zusammenhang dafür aus, eine vermeintlich überzeitlich gültige dynastische Räson konsequent zu historisieren und „danach zu fragen, in welcher Weise dynastische Zugehörigkeiten gestiftet und aktualisiert, Verbindlichkeiten geschaffen und Normen ausgehandelt wurden“101. 95 Ebd., S. 622. 96 Ebd., S. 629. 97 Ebd. So auch schon Weber, Dynastiesicherung, S. 102. 98 Pečar, Dynastie, Abs. 25. 99 Ebd, Abs. 13. 100 Ebd., Abs. 23. 101 Hecht, Landesgeschichte, S. 185. Vgl. Ders., Anhalt, S. 92. Dazu auch Auge, Handlungsspielräume, S. 203: „Eine zwangsläufige Einigkeit, ein naturgegebenes einhelliges Eintreten für eine dynastische Idee bestand nicht und war oft erst über den Weg eines wie auch immer gearteten Konsenses zu erzeugen.“

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Die Untersuchung der Herstellung dynastischer Einheit bleibt also auch aus einer genuin kulturalistischen Perspektive ein wichtiger Ansatzpunkt. In d­ iesem Zusammenhang ist verschiedentlich der Frage nachgegangen worden, ob die Akteure den Versuch, einer wie auch immer gearteten dynastischen Räson zur Geltung zu verhelfen, als Zwang empfanden. Dabei lassen sich zwei Sichtweisen identifizieren. Die eine geht von einem eher antagonistischen Bild aus, bei dem die Akteure bei der Verfolgung ihrer Eigeninteressen häufig miteinander in Konflikt gerieten.102 Die andere Perspektive stellt in Rechnung, dass die Akteure von vornherein, also vornehmlich durch eine entsprechende Sozialisation,103 derart von ihrer Eingebundenheit in ein übergeordnetes Kollektiv geprägt waren, dass sie z­ wischen dessen und ihren eigenen Interessen gar keinen Unterschied mehr sahen.104 Andreas Pečar macht an einer solchen Interessenkongruenz die eigentliche Einheit der Dynastie fest.105 Wenn die Akteure jedoch stattdessen ihre Eigeninteressen gegen die übrigen Dynastiemitglieder durchzusetzen versuchten, blieb aus seiner Sicht „die streitende Familie“106 übrig, in deren Auseinandersetzungen der Bezug auf die Dynastie wiederum zu einem reinen Argument wurde. Diese terminologische Unterscheidung erscheint allerdings aus anthropologischer Sicht insofern problematisch, als sie der Familie eine höhere – rein biologisch fundierte? – Wirklichkeit zuerkennt als der Dynastie.107 Jüngst hat André R. Köller unter konsequenter Verwendung der theoretischen Begrifflichkeit Pierre Bourdieus die „Geschlechtsräson“ als hochadligen Habitus in den Blick genommen, worunter er die eingeübte Bereitschaft zur Unterordnung unter den Willen

102 Eine ­solche Perspektive ist naturgemäß vor allem rechtsgeschichtlich inspirierten Arbeiten inhärent; vgl. etwa Heimann, Hausordnung. Fouquet, Fürsten, S. 180, spricht mit Blick auf Fürstenfamilien gar von „Not- und Terrorgemeinschaften“. 103 So etwa Weber, Dynastiesicherung, S. 97 – 102; Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 57 – 59. 104 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S. 31: Adlige sahen es „als die Erfüllung ihrer familiären wie auch dynastischen Pflicht an, den Normen des Hauses zu entsprechen […] Auch individuelle Interessen, Ansprüche und Rechte wurden erst durch die Familien- und Standeszugehörigkeit begründet.“ Ähnlich auch Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 231. 105 Vgl. Pečar, Dynastie, Abs. 12: „Die Einheit der Dynastie wurde dann und nur dann Wirklichkeit, wenn die einzelnen Familienmitglieder weder an der Entität der Dynastie noch an deren hohem Stellenwert Zweifel hegten und sich den damit einhergehenden Rollenerwartungen beugten, d. h. ihre persönlichen Interessen und ihren persönlichen Rang- und Statusanspruch denen der Dynastie unterordneten bzw. eine ­solche Differenzierung gar nicht mehr vornahmen, d. h. im Wohl der Dynastie zugleich auch die Erfüllung ihrer persönlichen Interessen sahen.“ 106 Ebd. 107 Vgl. zur Kritik an einer solchen Sichtweise Morsel, Verwandtschaft, bes. S. 247 f. Pečar zieht hier die symbolische Dimension der Dynastie nicht genügend ins Kalkül. Siehe dazu weiter unten.

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eines in seiner Position unhinterfragten Oberhaupts sowie das Kollektivinteresse der Dynastie versteht. Zugleich betont er aber, dass dieser Habitus „aufgrund des inkorporierten Willens zu Distinktion und Profit Konflikte innerhalb der Geschlechter“108 förderte. Unter dieser Voraussetzung wären Streitigkeiten kein Ausweis mangelnder dynastischer Räson, sondern vielmehr ein Ergebnis derselben. Dynastische Einheit bedurfte offenbar trotz Habitualisierungen des stets neu zu organisierenden Konsenses aller Angehörigen. Aus den geschilderten Forschungspositionen ergeben sich damit einige Implikationen für die methodisch-­ theoretische Annäherung an den Gegenstand Dynastie: 1. Zunächst ist vom Verständnis einer Dynastie als (Kollektiv-)Akteur Abstand zu nehmen; stattdessen müssen die tatsächlichen Akteure in den Blick genommen werden. Es ist „im Einzelnen stets aufs Neue zu klären, wer da genau handelt, wenn ‚Dynastien‘ […] handeln“109. 2. Die Einheit einer Dynastie als sozialer Gruppe kann nicht vorausgesetzt werden, sondern war das (zeitlich stets begrenzte) Ergebnis von Aushandlungsprozessen ­zwischen Akteuren, die es im Einzelnen zu untersuchen gilt. Dabei erscheint es sinnvoll, eine Mittelposition einzunehmen und weder von einem völlig konfliktfreien Modell auszugehen, in dem die Akteure restlos in einem dynastischen Habitus aufgehen, noch den Akteuren ein rein zweckrationales Verfolgen von Eigeninteressen zu unterstellen. Zudem lässt sich nicht von einem überzeitlichen dynastischen Gesamtinteresse oder einer von vornherein inhaltlich bestimmten dynastischen Räson ausgehen.110 3. Die Dynastie konnte zur rhetorischen Ressource, zum Argument werden, nämlich dann, wenn sich Akteure in Konflikten affirmativ auf sie bezogen, um damit ihre eigene Position zu stärken. Ein allzu funktionalistisches Verständnis von Dynastie als reinem Argument zur Legitimation und Durchsetzung ‚eigentlicher‘ Interessen greift aber zu kurz. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass das Sprechen über die Dynastie in vielfältiger Form auf das Denken und Handeln der Akteure zurückwirkte. Es ist mithin ein dialektisches Verhältnis ­zwischen Diskurs und Praxis in Rechnung zu stellen. Wie ein solches theoretisch gefasst und methodisch operationalisierbar gemacht werden kann, wird im Folgenden geklärt.

108 Köller, Agonalität, S. 86. Vgl. ebd., S. 80 – 89, 201 f. u. 598 – 600. 109 Pečar, Träger der Staatsbildung, S. 64. 110 Vgl. dazu Münkler/Bluhm, Einleitung, S. 12, die analog zur Diskussion um ein dynastisches Gesamtwohl eindringlich für ein inhaltsoffenes Konzept von Gemeinwohl plädieren: „Erst jenseits eines substanzialistischen Verständnisses rücken praktische und rhetorische Definitionsprozesse von Gemeinwohl und deren Bezug auf den Gemeinsinn von Akteuren als Untersuchungsgegenstand in den Vordergrund. Wo dies geschieht, geht es zumeist um die Frage, mit ­welchen Gehalten die ‚Leerformel‘ Gemeinwohl gefüllt wird.“

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1.3.2 Doing Dynasty Inzwischen haben sowohl neuere anthropologische und soziologische als auch historische Studien nachdrücklich herausgestellt, dass verwandtschaftliche Bindungen als Explanans für eine bestimmte soziale Ordnung nur bedingt tauglich sind, sondern als kulturelle Konstrukte selbst der Erklärung bedürfen.111 Noch weniger lässt sich von der biologischen Verwandtschaft auf eine gemeinsame Identität im Sinne einer normativen Handlungsorientierung der Akteure schließen. Vielmehr führten erst bestimmte soziale und kommunikative Praktiken dazu, dass sich ein adliger Verwandtschaftsverband als Dynastie zu begreifen begann und seine Mitglieder ihr Handeln unter gewissen Umständen an den gruppenspezifischen Normen ausrichteten. Dynastien sind also zum einen das Produkt bestimmter Praktiken, wirkten umgekehrt aber selbst auch auf das Handeln der Akteure zurück. Insofern nimmt die vorliegende Arbeit eine Untersuchungsperspektive ein, deren Gegenstand in Anlehnung an Formulierungen der Gender- und Familienforschung mit Doing Dynasty umschrieben werden könnte.112 Mit einer solchen Blickrichtung nähert man sich dem Feld der historischen Praxeologie, die nicht zuletzt in der Frühneuzeitforschung gegenwärtig Konjunktur hat.113 Als gemeinsamer Nenner der im Detail recht unterschiedlichen praxistheoretischen Ansätze ließe sich ihr Interesse für die Erforschung konkreter historischer Praktiken anführen, die sie als routinisiert, körper- und artefaktgebunden sowie wissensbasiert konzipieren.114 Für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung ist die praxeologische Konzeption des dezentrierten Akteurs, also die Betonung seines Eingebunden-­Seins in bestimmte Strukturen, die sein Handeln ebenso mitbestimmen, wie sie selbst ein Produkt d­ ieses Handelns sind.115 Grundlegend für eine s­ olche Perspektive ist es, den Menschen als ein „animal symbolicum“ (Ernst Cassirer) zu verstehen, das die Fähigkeit besitzt, die 1 11 Siehe dazu die in Kap. 1.2.2 angegebene Literatur. 112 Inspiriert durch den aus der Genderforschung stammenden, inzwischen längst etablierten Ansatz des ‚Doing Gender‘ wird inzwischen auch die moderne Familie stärker als soziale Konstruktionsleistung begriffen, die der ständigen Aktualisierung durch die Akteure bedarf; vgl. Schier/Jurczyk, Familie; Groppe, Doing Family. 113 Vgl. aus einer Vielzahl aktueller Veröffentlichungen Brendecke (Hg.), Praktiken; Haasis/ Rieske (Hg.), Historische Praxeologie; Freist (Hg.), Diskurse; Füssel, Praktiken. Zu einer Kritik am praxeologischen Ansatz vgl. Graf, T ­ heorie. 114 Vgl. als Überblick Schäfer, Einleitung; sowie Reckwitz, Theory. 115 Diese ‚Dualität von Struktur‘ hat besonders Anthony Giddens in seiner T ­ heorie der Strukturierung betont. Grundlegend dazu Giddens, Konstitution, bes. S. 51 – 90. Des Weiteren auch Bourdieu, ­Theorie; sowie Reckwitz, Struktur, bes. 106 – 178. Reckwitz unternimmt hier eine gelungene Synthese der gängigsten Praxistheorien und entwickelt auf deren Grundlage ein umfassendes Strukturmodell. Besonders für Historiker äußerst instruktiv ist die Zusammenschau von Pečar, Innovation.

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umgebende Welt deutend zu bewältigen, indem es sie mit Symbolen belegt und ihr so Sinn verleiht. Kultur, in einem weiten Sinne verstanden als „die Gesamtheit der erlernten Normen und Werte, des Wissens, der Artefakte, der Sprache und Symbole, die ständig z­ wischen Menschen einer gemeinsamen Lebensweise ausgetauscht werden“116, prägt in hohem Maße die Wahrnehmung und das Handeln von Individuen. Im engeren Sinne wird Kultur von der Praxeologie als praktisches Alltagswissen verstanden, das ein Subjekt überhaupt erst befähigt, bestimmte Handlungen zu vollziehen.117 Zwar rückt das Individuum dabei nicht aus dem Blick, doch geht es weniger um dessen subjektive kognitive Dispositionen wie Wünsche, Interessen oder Absichten, sondern um Handlungsweisen – soziale Praktiken –, die von einem bestimmten impliziten Wissen getragen werden und deshalb von anderen Akteuren prinzipiell verstanden werden können.118 Dabei sollen die implizite Praxis und der explizite Diskurs in dieser Arbeit nicht gegenein­ ander ausgespielt, sondern als gleichermaßen bedeutsam für die Herstellung und Stabilisierung dynastischer Ordnung angesehen werden, denn neben bestimmten Verhaltensmustern sind immer auch diskursive Sinngebungen und Selbstvergewisserungen an der Konstitution sozialer Gruppen beteiligt. Eine Dynastie ließe sich mit Andreas Reckwitz daher auch als „Praxis/Diskurs-­Formation“119 bezeichnen. Wie aber kommt es dazu, dass Individuen sich nicht allein zu einer sozialen Gruppe zusammenschließen, sondern sich gemäß der in dieser Gruppe entwickelten und diskursiv oder symbolisch vermittelten Vorstellungen verhalten? Wie ist es möglich, dass bestimmte Verhaltensweisen – etwa hinsichtlich bestimmter Erb- und Heiratsstrategien – auch generationsübergreifend vermittelt, bestimmte Praktiken also auf Dauer gestellt werden? Hier kommt der Begriff der Institution ins Spiel, der in der Soziologie seit jeher eine Schlüsselposition einnimmt.120 Aus praxeologischer Sicht lassen sich Institutionen als „besonders stabile soziale Systeme [beschreiben], die wiederum nirgendwo anders existieren als in den wieder­ kehrenden Handlungsmustern in sozialen Beziehungen“121. Allerdings kommt ihnen eine relativ große „Ausdehnung in Raum und Zeit“122 zu, sie sind mithin 1 16 Rehberg, Kultur, S. 81. 117 Vgl. Giddens, Konstitution, S. 73 f.; Reckwitz, Grundelemente, S. 292; Welskopp, Dualität, S. 106. 118 Vgl. Reckwitz, Grundelemente, S. 289; Ders., Transformation, 147 – 169. Wissen im praxeologischen Sinne gleicht laut Reckwitz demnach eher einem den Akteuren selbst unbewussten, praktischen „know how“, bestimmte Praktiken zu vollziehen, und weniger einem faktenbasierten „knowing that“. 119 Reckwitz, Praktiken, S. 201. 120 Klassisch: Gehlen, Urmensch; Esser, Soziologie. Wissenssoziologisch: Berger/ Luckmann, Konstruktion, S. 49 – 98. 121 Welskopp, Dualität, S. 114. 122 Giddens, Konstitution, S. 69.

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durch Stabilität und Dauerhaftigkeit geprägt. Dynastien lassen sich also heuristisch als Institutionen fassen, weisen sie doch unbestreitbar eine gewisse Persistenz auf. Gleichwohl besteht die Gefahr, dass eine einseitige Sichtweise, die lediglich auf Stabilisierungen abzielt, den Blick für Konflikte, Anfechtungen und rückläufige Prozesse verstellt. Deshalb scheint es geboten, Anleihen bei der neueren Institutionensoziologie zu machen, die sich inzwischen weit von den klassischen ordnungsfixierten Ansätzen eines Arnold Gehlen entfernt hat und nunmehr die Prozesshaftigkeit von „Institutionalisierungen“ sowie deren lediglich relative Stabilität betont.123 Wenn man annimmt, „dass Symbolisierungen die empirische Wahrnehmung der sozialen Welt strukturieren, das Handeln motivieren und orientieren, normative Erwartungen stabilisieren und kollektive Werte vergegenwärtigen, das heißt, dass die soziale Realität von den Akteuren laufend aufs Neue geschaffen und mit Sinn versehen wird“124, dann geht es weniger um die Herausbildung fester Organisationsstrukturen als vielmehr um die konkrete Dar- und Herstellung der sozialen Ordnung. Hier erscheint vor allem die ­Theorie und Analyse institutioneller Mechanismen nach Karl-­Siegbert Rehberg mit einer kulturhistorischen Herangehensweise kompatibel, betont sie doch in anthropologischer Tradition besonders die Symbolizität institutioneller Ordnungen, indem sie Institutionen als „solche ‚Sozialregulierungen‘ bezeichnet […], in denen die Prinzipien und Geltungsansprüche einer Ordnung symbolisch zum Ausdruck gebracht werden“125. Die symbolisch vermittelte und dadurch auf Dauer gestellte Ordnung wirkt wiederum auf die Akteure und deren Motive und Habitus zurück, ist also unmittelbar an der „Subjekterzeugung“ beteiligt.126 Dabei handelt es sich jedoch keineswegs um einen bruchlosen Prozess, denn der Institutionenanalyse geht es gerade um die „Spannungsverhältnisse ­zwischen institutionell geprägter Persönlichkeit und den durch Personen getragenen Institutionen“127. Bevor näher auf die stabilisierende Wirkung von Symbolen eingegangen wird, soll zunächst der hier verwendete Normbegriff geschärft werden. 123 Vgl. Acham, Struktur; sowie aus politikwissenschaftlicher Sicht Göhler, Politische Insti­ tutionen; kulturhistorisch dagegen Melville, Institutionen; Blänkner, Historizität. 124 Stollberg-­Rilinger/Neu, Einleitung, S. 15. 125 Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 56. Vgl. weiterhin Ders., Weltrepräsentanz; Ders., Fiktionalität. Mittlerweile sind die zuvor nur verstreut publizierten Aufsätze Rehbergs gebündelt erschienen als Ders., Symbolische Ordnungen. 126 Vgl. Rehberg, Fiktionalität, S. 395 – 397; Ders., Weltrepräsentanz, S. 17 f. Rehberg greift hier auf Bourdieus Habitus-­Modell zurück, das gewissermaßen komplementär zur Institution die stabilisierten und im Wortsinne verkörperten Sozialbeziehungen auf der Ebene der Akteure bezeichnet. Beide Konzepte fungieren als Vermittlungsinstanzen ­zwischen Struktur und Akteur. 127 Vgl. ebd., S. 18.

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1.3.3 Normen Institutionelle Ordnungen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Ausbildung sozialer Normen.128 Normen werden hier mit Niklas Luhmann verstanden als „kontrafaktisch stabilisierte Verhaltenserwartungen“129. Gebündelt treten sie in sozialen Rollen auf.130 Zwar richten Individuen ihr Handeln keinesfalls nur an Normen aus, sondern orientieren sich etwa ebenso an ihren Wünschen und Interessen, ­welche letztlich wiederum alle vom „Hintergrundwissen kultureller Sinnmuster“ abhängen, „in deren Kontext Normen, Werte oder Interessen als handlungsanleitende Faktoren erst möglich sind und ‚Sinn machen‘“131. Wenngleich also eine rein auf Normen gegründete, gewissermaßen mechanistische Handlungserklärung vermieden werden muss, kommt der normativen Dimension von Institutionalisierungsprozessen dennoch eine entscheidende Bedeutung bei der Analyse dynastischen Handelns zu. Oftmals gelangen Normen gar nicht ins Bewusstsein der handelnden Personen, sondern werden bereits im Vollzug einer Praktik reproduziert.132 Eine Möglichkeit, die Wirksamkeit sozialer Normen zu 128 Vgl. Acham, Struktur, S. 25 f.; Melville, Institutionen, S. 7 f. Selbst Karl-­Siegbert Rehberg, der insgesamt stärker auf die symbolische Dimension von Institutionen abhebt, betont im Hinblick auf die ihnen inhärente Normativität den „Zwangscharakter sozialer Institutionen“, Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 56, Anm. 9. 129 Luhmann, Rechtssoziologie, S. 43. Darunter ist zu verstehen, dass die Erwartung eines bestimmten Verhaltens auch dann aufrechterhalten wird, wenn sie enttäuscht wird. Eine Norm besteht also weiter, selbst wenn gegen sie verstoßen wird. Ein solches Normenverständnis entkoppelt den abstrakten Begriff der Geltung von der Observanz einer Norm. Vielmehr erkennt man eine Norm einerseits am sozialen Druck, den sie auf den Einzelnen ausübt, und andererseits an den Versuchen, sie auch im Falle normabweichenden Verhaltens wiederherzustellen und zu bekräftigen, etwa durch eine Entschuldigung des Übertreters oder andere symbolische Akte. Vgl. auch Luhmann, Soziale Systeme, S. 436 – 4 43. 130 Soziale Rollen lassen sich definieren als „ein Set von Normen, die für eine bestimmte Position als angemessen betrachtet werden“, Thiessen, Normenkonkurrenz, S. 249. Allerdings darf für die Vormoderne nicht davon ausgegangen werden, dass Individuen beliebig ­zwischen bestimmten Rollen hin und her wechseln konnten. Die für die Moderne typische Rollendistanz war noch kaum ausgeprägt, vielmehr war die Identitätsbildung eines Individuums durch Habitualisierungsprozesse eng mit seiner sozialen Rolle verknüpft. 131 Reckwitz, Transformation, S. 138. 132 Das bedeutet, dass die Akteure die in d­ iesem Fall implizit bleibenden Regeln soweit verinnerlicht haben, dass sie sich in ihrem Handeln danach richten, ohne besonders darüber nachzudenken. Normen treten den Individuen in Institutionen gebündelt als objektive Wirklichkeit gegenüber, obschon sie letztlich selbst das Produkt von Handlungen sind. Dies spiegelt sich in Karl Achams Definition von Institutionen als „relativ dauerhafte, durch Internalisierung ausgebildete Verhaltensmuster und Sinnorientierungen, denen in ihrer vollentwickelten Form Organisationen und sie legitimierende ideelle Objektivationen entsprechen, und die bestimmte – den individuellen Akteuren keineswegs immer bewußte – regulierende soziale Funktionen erfüllen. Internalisierung besagt in ­diesem Zusammenhang, daß die mit einer

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überprüfen, besteht darin, gegen sie zu verstoßen. Wenn ein Individuum gegen die Normen der institutionellen Ordnung handelt, wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit Sanktionen seitens seiner Mitmenschen zu gewärtigen haben.133 In solchen Fällen kommt es zu Konflikten, in denen die bis dahin implizit gebliebene soziale Ordnung ins Bewusstsein der Akteure dringt. Konflikte sind also einerseits eine Infragestellung der bestehenden Ordnung und lassen insofern die dieser zugrunde liegenden konstitutiven Regeln deutlich zum Vorschein kommen.134 Dadurch kann ein Diskurs über sie stattfinden, der potenziell zur Änderung der Regeln führen kann.135 Andererseits können Konflikte und Neuverhandlungen der bestehenden Ordnung diese in letzter Konsequenz auch stärken und somit integrativ wirken. Im Bereich des dynastischen Handelns sind Irritationen der überkommenen Praxis seit dem Spätmittelalter vor allem bei Vererbung und Herrschaftspartizipation zu beobachten. Auf diesen Feldern gerieten die Angehörigen einer Erbengemeinschaft immer häufiger in Konflikte darüber, wer ­welche Ansprüche auf Anteile am gemeinsamen Besitz geltend machen konnte. Insbesondere die seit dem Mittelalter praktizierte Individualsukzession, also die Weitergabe der Herrschaft an jeweils nur einen Nachfolger, verlor ihre Aura des Selbstverständlichen und geriet zunehmend unter Legitimationsdruck. Infolge dieser Anfechtungen wurden die bis dahin praktisch vollzogenen Normen schriftlich fixiert.136 Methodisch gilt es dabei zu beachten, dass „die diskursive Formulierung einer Regel […] bereits eine Interpretation eben dieser Regel“137 ist. Insofern ist zu unterscheiden ­zwischen solchen Normen, die einem im Wortsinn regelmäßigen Handeln unterliegen, und jenen, die diskursiv vorliegen und somit schon mit Sinndeutungen der Zeitgenossen versehen sind. Wenngleich es dabei die unterschiedliche Logik von Diskurs und Praxis zu bedenken gilt,138 werden Diskurse hier selbst als eine Institution verknüpfte normative Verhaltensweise so weit verinnerlicht ist, daß die in ihr tätigen oder ihr unterworfenen Akteure ihre Erwartungen, bewußt oder unbewußt, auf die ihr innewohnende und als überpersönlich geltende Zielorientierung ausrichten.“, Acham, Struktur, S. 33; ähnlich auch Göhler, Politische Institutionen, S. 22. 133 Vgl. Popitz, Normative Konstruktion, S. 21 – 36. 134 Vgl. Giddens, Konstitution, S. 75; Stollberg-­Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 20 f. 135 Vgl. Giddens, Konstitution, S. 55 – 57; Patzold, Spielregeln, S. 59. Welskopp, Dualität, S. 105, bezeichnet den Diskurs im Anschluss an Giddens als eine „transformative Reflexionsinstanz, die den Akteuren Orientierung und Bewertungskriterien ihres Handelns liefert“. 136 Hier ist freilich auf ein grundlegendes methodisches Problem hinzuweisen, das in dem Umstand besteht, dass für die Zeit vor dem 15. Jahrhundert, abgesehen von wenigen Urkunden, keine schriftlichen Quellen überliefert sind, die einen Einblick in die von den Zeitgenossen geführten Diskurse erlaubten. Zum Komplex der Herrschaftsweitergabe siehe Kap. 2. 137 Giddens, Konstitution, S. 74. 138 Es ist eminent wichtig, die zeitgenössischen Interpretationen nicht mit einer soziologischen Erklärung, also der Enthüllung des sozialen Sinns einer bestimmten Praktik zu verwechseln.

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bestimmte Form der Praxis behandelt: „Innerhalb des verstetigten Gefüges von Praktiken, das eine Institution bildet, lässt sich eine besondere Klasse von diskursiven Praktiken ausmachen, die sich reflexiv auf das Gesamtgefüge beziehen und normative Erwartungen zum Ausdruck bringen.“139 Eine weitere Praxis, die unabweisbar bestimmten Normen folgte, diese jedoch nur selten zur Sprache brachte, war die der geregelten Heirat. Nur in Ausnahmefällen wurden die Regeln der adäquaten Partnerwahl explizit zu Papier gebracht und als Handlungsanweisung für die betroffenen Dynastiemitglieder fixiert. Stattdessen schlug sich die Regelhaftigkeit hier in der oft über Jahrhunderte durchgehaltenen Wahl der Ehepartner aus einem abgeschlossenen ­sozialen Kreis nieder, dessen Mitglieder als ebenbürtig angesehen wurden. Wie bei den Erbkonflikten galt auch hier, dass die Ordnung sich besonders bei Verstößen gegen sie zu erkennen gab. Eine Mesalliance, also die Heirat mit einer als nicht standesgemäß angesehenen Person, war für den dynastischen Verband schlechter­dings nicht hinnehmbar, stellte sie doch eine potenzielle Bedrohung für das gesamte System ständischer Gesellschaftsordnung sowie konnubialer Machtsicherung dar.140 Der Versuch, alle Dynastieangehörigen auf ein bestimmtes, erwünschtes Verhalten zu verpflichten, wurde im Hochadel in der Regel in Form von sogenannten Hausverträgen oder Hausgesetzen unternommen, auf die im Kapitel 2 ausführ­ licher eingegangen wird. Damit ist eine weitere Dimension der Explizierung sozialer Normen angesprochen. Sie konnten formalisiert, das heißt, in einem vorgegebenen Rahmen schriftlich als ­solche fixiert und damit ausdrücklich als geltendes Recht ausgewiesen werden.141 Wir haben es also streng genommen mit drei Arten von Normen zu tun: (1) den impliziten, das heißt stillschweigend akzeptierten Normen, (2) den expliziten Normen, über die man sich diskursiv verständigt, und (3) den formalisierten Rechtsnormen. Prinzipiell kann jede implizite Norm ins Bewusstsein gehoben und damit auch kommuniziert, jede explizite Norm zudem Vielmehr kann der Diskurs diese auch grundlegend uminterpretieren oder ihren Sinn verschleiern; vgl. Morsel, Verwandtschaft, S. 250; Pečar, Innovation, S. 357; sowie Flaig, Habitus, S. 359: „Praktiken haben eine eigene Logik; und die ist nicht identisch mit den unterschiedlichen Diskursen, ­welche die Akteure über ihr Handeln führen.“ 139 Neu, Erschaffung, S. 74. Des Weiteren weist Neu auf den wechselseitigen Zusammenhang von diskursiven Regelinterpretationen (also expliziten Normen) und Regelmäßigkeiten (also impliziten Normen) hin: „Regelinterpretationen sind (auch) Reaktionen auf wahrgenommene Regelmäßigkeiten und zielen darauf, als Ansprüche die Praxis anzuleiten; implizite Regelmäßigkeiten ergeben sich (auch) als Folge von durchgesetzten Regelinterpretationen und liefern als verstetigte Praxis das Material für neue Ansprüche.“ (ebd.). Vgl. auch Füssel/ Neu, Doing Discourse; Reckwitz, Theory, S. 256 f. 140 Siehe dazu ausführlich Kap. 3.1.4. 141 Vgl. Stollberg-­Rilinger, Formalisierung, S. 5.

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rechtlich formalisiert werden. Freilich ist mit dem Grad ihrer Formalisierung noch nichts über die faktische Observanz einer Norm gesagt. Hinsichtlich der Gesetzgebung frühneuzeitlicher Staaten hat Achim Landwehr vorgeschlagen, statt von der „Durchsetzung“ einer Norm lieber von ihrer „Implementation“ in ein bereits bestehendes kulturell und sozial geprägtes Gefüge unterschiedlichster Akteure zu sprechen, das er in Anlehnung an Alf Lüdtke als „Kräftefeld“ bezeichnet.142 Hier wird die Norm unterschiedlich beurteilt, ihr wird „mit zahlreichen Spannungen und Auseinandersetzungen, mit gewalttätigem Widerstand und unauffälligem Ausweichen“143 begegnet. Was für die von einem doch recht starken Hierarchiegefälle gekennzeichnete Beziehung ­zwischen Herrscher und Untertanen gesagt werden kann, gilt umso stärker für das soziale Feld der dynastischen Beziehungen, auf dem sich zahlreiche Akteure um Status und Macht stritten, deren Hierarchien untereinander ursprünglich wesentlich schwächer ausgeprägt waren. Insofern gilt es im Folgenden nicht nur die Genese von Rechtsnormen im dynastischen Verband zu untersuchen, sondern ebenso den spezifischen Umgang mit ihnen. Wurden sie befolgt, wurden sie bekämpft oder schlichtweg ignoriert? Konnten sie als zusätzliches Argument in Auseinandersetzungen um bestimmte Rechte und Privilegien herangezogen werden? Dabei ist eine Besonderheit der vormodernen Rechtskultur zu beachten: So wie gesatzte Rechtsnormen durch eine deviante Praxis allmählich entkräftet werden konnten, galt auch der umgekehrte Fall, nämlich dass bislang implizit gebliebene Normen in Gestalt des sogenannten Herkommens bzw. der Rechtsgewohnheiten (consuetudines) juristische Geltungskraft entwickelten. Dann nämlich, wenn man sich im Rechtsstreit auf die Art und Weise einer ‚schon immer so‘ vollzogenen Praxis berief, wurden deren zugrunde liegende Handlungsanweisungen expliziert und für in der gegenwärtigen Situation bindend erklärt, ohne dass sie formal gesetztes Recht waren.144 1.3.4 Symbolische Ordnungen Die Wirklichkeit von Institutionen wie der Dynastie konstituierte sich nicht nur durch Praktiken und Normen, sondern ganz wesentlich durch die Verwendung bestimmter Begriffe, Diskurse und Symbole.145 Unter Symbolen wird hier „eine 142 Vgl. Landwehr, Normdurchsetzung; Lüdtke, Einleitung, S. 12 f. 143 Landwehr, Normdurchsetzung, S. 157. 144 Vgl. Krause/Köbler, Art. Gewohnheitsrecht; Oestmann, Rechtsvielfalt, S. 117; Stollberg-­Rilinger, Verfassungsgeschichte, bes. S. 30 f. 145 Grundlegend: Berger/Luckmann, Konstruktion, S. 98 – 138. Diese sprechen von der sekundären Objektivation oder Legitimation von Institutionen. Dabei unterscheiden sie ­zwischen Begriffen als verdichtete Formen gesellschaftlichen Wissens, theoretischen

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besondere Spezies von Zeichen ­­ verbaler, visueller, gegenständlicher oder gestischer Art wie etwa sprachliche Metaphern, Bilder, Artefakte, Gebärden, komplexe Handlungsfolgen wie Rituale und Zeremonien, aber auch symbolische Narrationen wie Mythen usf.“146 verstanden. Im Gegensatz zu auf reiner Konvention beruhenden ­­Zeichen, die auf das Bezeichnete lediglich verweisen, lassen sich Symbole zudem enger fassen als Verkörperungen des von ihnen Symbolisierten. Sie deuten nicht nur auf etwas Abwesendes hin, sondern schaffen gleichsam eine gewisse Präsenz.147 Karl-­Siegbert Rehberg unterscheidet in d ­ iesem Zusammenhang ­zwischen Leib-, Raum-, Ding-, Zeit- sowie Text-­Symbolen, die die jeweilige institutionelle Ordnung vergegenwärtigen.148 Symbolische Kommunikation zielt meist auf die Herstellung eines Konsenses und ist durch ihre Implizität in der Lage, sachliche Meinungsverschiedenheiten zu überdecken. Dies schließt aber nicht aus, dass es zu Symbolkonflikten ­zwischen Akteuren kommen kann, an denen sich divergierende Auffassungen über kollektive Werte und Normen besonders gut herausarbeiten lassen. Es stellt sich somit die Frage, wer in einer Gesellschaft oder Gruppe die kulturelle Deutungshoheit innehat, also die Macht, über die symbolische Ordnung und damit zugleich über die Ausgestaltung des Sozialen zu bestimmen, und von wem diese Macht angefochten wird.149 Dabei lässt sich die Agonalität auch im Rahmen einer Institutionen­ analyse in Rechnung stellen, indem man „nicht von fixen Ordnungen ausgeht, sondern von Ordnungsbehauptungen, nicht von unbefragten Geltungen, sondern von Geltungsansprüchen, nicht von institutionellen Normerfüllungen, sondern von Handlungs- und Rollenstilisierungen“150. Die im Folgenden genannten symbolischen Institutionalisierungen zielen alle darauf ab, die Institution als selbstverständlich und gleichsam natürlich erscheinen zu lassen. Zuerst wird der bereits erwähnte Diskurs als wichtige Instanz der gesellschaftlichen Wissens- und Wirklichkeitsproduktion genauer charakterisiert.151 ­ ostulaten sowie expliziten Legitimationstheorien über die gesellschaftliche Wirklichkeit P und schließlich symbolischen Sinnwelten. Dieser Unterscheidung wird in vorliegender Arbeit jedoch nicht gefolgt, da sich alle Phänomene unter einem weiten Symbolbegriff subsumieren lassen. 146 Stollberg-­Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 500. 147 Vgl. Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 21 – 35. 148 Vgl. ebd., S. 35 – 4 6. 149 Vgl. Stollberg-­R ilinger, Symbolische Kommunikation, S. 505 – 511; Dies., Einleitung (Wertekonflikte), S. 17 f. Dieser Aspekt findet sich auch in der Sozialtheorie Pierre ­Bourdieus. Dazu schreiben Göhler/Speth, Symbolische Macht, S. 44: „Der soziale Kampf ist also ein Kampf um die symbolische Herrschaft, um die Macht über den Gebrauch von ­­Zeichen und Begriffen und über die Sicht der natürlichen und sozialen Welt.“ 150 Rehberg, Fiktionalität, S. 406 (Hervorhebungen im Original). 151 Grundlegend: Landwehr, Historische Diskursanalyse.

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Nach Pierre Bourdieu ist symbolische Macht in erster Linie die Kontrolle über Sprache und Begriffe, mit denen die Realität geformt werden kann: „Symbolic power is the power to make things with words.“152 Dies gilt insbesondere für die Erschaffung gesellschaftlicher Gruppen. Ein erfolgreicher Versuch, mithilfe symbolischer Macht neue Kategorien des Sozialen einzuführen, zielt nicht nur auf die Außenwahrnehmung, sondern wirkt im besten Falle so, dass „damit die Selbstwahrnehmung der ‚benannten‘ und ‚klassifizierten‘ Gruppen miterzeugt“153 wird. Auf den vorliegenden Fall übertragen hieße das, dass die Mitglieder eines Adelshauses sich als ebensolche wahrnehmen – und es dementsprechend auch sind –, sobald der Begriff des „Hauses“ einmal erfolgreich im Diskurs etabliert ist. Auf die Herausbildung bestimmter Ordnungsbegriffe und Kategorialisierungen wie „Haus“, „Geschlecht“ usw. wird daher besonders zu achten sein. Darüber hinausgehend soll versucht werden, einen Diskurs des Dynastischen nachzuvollziehen, so wie er sich in den Quellen niederschlägt. Gerade das von der Forschung vielbeachtete dynastische Gesamtwohl scheint in erster Linie eine Kategorie des Diskurses und weniger eine der Praxis zu sein, weshalb auch danach zu fragen ist, ab wann von ­welchen Akteuren in ­welchen Kontexten Aussagen über die ‚Inte­ ressen‘ der Dynastie, ihre Normen sowie über Normverstöße getroffen werden.154 Einen weiteren bedeutenden Aspekt bei der symbolischen Stabilisierung insti­ tutioneller Ordnungen stellt ohne Frage die Deutungsmacht über die Zeit und insbesondere die Vergangenheit einer Gesellschaft oder einer sozialen Gruppe dar. „Jede Institution produziert auch ein Bild der eigenen Gründung und ihres geschichtlichen Verlaufs“155, bildet also eine Eigengeschichte aus. Diese soll die Kontinuität und damit das „Immer-­schon-­so-­Gewesensein“156 einer Institution ausdrücken und teleologisch in die Gegenwart führen. Brüche und Wandlungen werden bewusst verschwiegen oder marginalisiert.157 Es handelt sich also um das Paradox einer „Enthistorisierung“158 durch Historisierung. Das wird etwa am Beispiel der frühneuzeitlichen Herrschergenealogien deutlich: Die Genealogien haben zwar einen Anfang, stellen dann aber eine viele Generationen überspannende Kontinuität in der Herrschaft dar und erwecken dadurch den Anschein, 1 52 Bourdieu, Social Space, S. 23. 153 Göhler/Speth, Symbolische Macht, S. 40. 154 Damit zielt dieser Teil der Arbeit methodisch auf eine Historische Semantik ab, w ­ elche über die klassische Begriffsgeschichte Koselleckscher Prägung insofern hinausgeht, als es ihr vor allem um die Verortung bestimmter Begriffsverwendungen im sozialen Kontext sowie die Analyse ihrer pragmatischen Funktionen geht. Vgl. Steinmetz, Neue Wege, S. 16; Ders., Vierzig Jahre. 155 Rehberg, Konstruktion, S. 3. 156 Ders., Fiktionalität, S. 401. Vgl. dazu auch Müller/Schaal/Tiersch (Hg.), Dauer. 157 Vgl. mit Bezug zum frühneuzeitlichen Adel: Wrede/Carl (Hg.), Schande. 158 Rehberg, Konstruktion, S. 17.

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dass ­zwischen Ursprung und unmittelbarer Gegenwart, abgesehen von der jeweiligen Verkörperung der genealogischen Linie durch den aktuellen Herrscher, kein wesentlicher Unterschied besteht. Auch den inhaltlich breiter gefassten Hauschroniken liegt meist ein solches Denkmodell zugrunde. Es handelt sich um „Geltungsgeschichten“, die der Legitimation der institutionellen Ordnung nach außen und der „Selbstaffirmierung ihrer Identität“159 gleichermaßen dienen. Derlei Überlegungen lassen sich verknüpfen mit den umfangreichen Forschungen zum kollektiven Gedächtnis sowie zu Erinnerungskulturen.160 Gründend auf Maurice Halbwachs’ Postulat, dass sich das Gedächtnis des Einzelnen nur innerhalb eines sozialen Bezugsrahmens ausbilden kann und dass soziale Gruppen daher über eine ganz besondere Form des kollektiven Gedächtnisses verfügen,161 hat sich als einer der E ­ rsten Jan Assmann mit der sozialen Praxis des Erinnerns in Gesellschaften befasst. Vor allem seine Unterscheidung z­ wischen kommunikativem und kulturellem Gedächtnis hat sich als fruchtbar erwiesen. Ersteres umfasst einen drei bis vier Generationen umfassenden Zeitraum, der als erfahrene Vergangenheit noch im Gedächtnis der Lebenden ist und von ihnen in alltäglicher Interaktion als gemeinsame Erinnerung konstituiert wird. Dagegen beschreibt das kulturelle Gedächtnis die identitätsstiftende „mythische Urgeschichte“162 einer Gesellschaft, die in außeralltäglichen Ritualen und Festen beschworen wird. Assmann schreibt dem kulturellen Gedächtnis zwei wichtige Funktionen zu: Einerseits schweißt es soziale Gruppen zusammen und verleiht ihnen eine gemeinsame Identität, die wiederum auf die individuelle Identität des Einzelnen zurückwirkt; andererseits legitimiert es die gegenwärtigen Zustände und blendet die Kontingenzen des historischen Prozesses aus, womit es tendenziell herrschaftsstabilisierend wirkt.163 Insgesamt scheinen soziologische Institutionentheorien eher auf die Legitimation (gesamt-)gesellschaftlicher Ordnung abzuheben, während das besonders in der Geschichtswissenschaft äußerst populäre Konzept der Erinnerungskultur bzw. des kollektiven Gedächtnisses stärker an der Formierung und Integration sozialer Gruppen interessiert ist. Dies stellt jedoch keinen grundlegenden Gegensatz, sondern lediglich eine Akzentuierung der Fragestellung dar. Eine gelungene Synthese beider Ansätze bietet die Th ­ eorie Mathias Bereks, die die Wissenssozio­ logie Peter Bergers und Thomas Luckmanns mit der Gedächtnissoziologie in Beziehung setzt. „[K]onstruierte und gleichzeitig Wirklichkeit konstruierende“164 1 59 Vorländer/Melville, Geltungsgeschichten, S. X. 160 Als Überblick: Erll, Kollektives Gedächtnis; Rau, Erinnerungskultur. 161 Vgl. Halbwachs, Kollektives Gedächtnis; Ders., Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen. Dazu zusammenfassend: Dimbath/Heinlein, Gedächtnissoziologie, S. 128 – 143. 162 Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 56. 163 Vgl. ebd., S. 70 – 86 u. 130 – 144. 164 Berek, Kollektives Gedächtnis, S. 200.

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­ rinnerungskulturen „strukturieren die individuelle Wahrnehmung, sie schaffen E für die Individuen Zeitbezüge und Geschichtsbewusstsein, sie geben Orientierung für Handeln, sie legitimieren gesellschaftliche Institutionen ebenso wie symbolische Sinnwelten, individuelle Rollen und Identitäten“165. Als Musterbeispiel institutioneller Stabilisierung durch Erinnerung und Geschichte wird in dieser Arbeit vor allem die seit dem 16. Jahrhundert entstehende Chronistik über die Grafenhäuser auf die genannten Funktionen hin untersucht werden. Ein weiterer institutioneller Mechanismus ist nach Rehberg die Schaffung von „Eigenräumen“166, in denen Macht- und Sozialbeziehungen ihren augenfälligen Niederschlag finden. Hier ist etwa an den barocken Schlossbau mit seiner Zentrierung auf die Herrschergestalt und seine soziale Hierarchien anzeigenden gestaffelten Raumfolgen zu denken.167 Dabei lassen sich auch Räume ganz unmittelbar mit dem kulturellen Gedächtnis verknüpfen: „Jede Gruppe, die sich als ­solche konsolidieren will, ist bestrebt, sich Orte zu schaffen und zu sichern, die nicht nur Schauplätze ihrer Interaktionsformen abgeben, sondern Symbole ihrer Identität und Anhaltspunkte ihrer Erinnerung. Das Gedächtnis braucht Orte, tendiert zur Verräumlichung.“168 Seit dem spatial turn ist die Untersuchung des Raumes als soziale bzw. kulturelle Größe auch in der Geschichtswissenschaft angekommen.169 Im Unterschied zum Großteil raumhistorischer Studien wird der Akzent in dieser Arbeit allerdings nicht auf die soziale Ausgestaltung des Raums, sondern umgekehrt auf die Wirkung von (physischen) Räumen auf das Soziale gelegt.170 Um Räume, in denen die Dynastie symbolisch dar- und hergestellt wird, scheint es sich neben dem architektonischem Gesamtensemble des Residenzschlosses vor allem bei der dynastischen Grablege sowie dem Archiv als ‚Gedächtnis der Herrschaft‘ zu handeln. All die Praktiken der symbolischen Herstellung der Institution Dynastie lassen sich als Akte der Repräsentation bezeichnen, in dem weiten Begriffsverständnis, dass sie die von ihnen beschriebenen Teile der sozialen Wirklichkeit performativ herstellen.171 Dabei soll dem akteurszentrierten Ansatz der Arbeit entsprechend bei der Untersuchung der institutionellen Mechanismen nicht die Frage nach den konkreten Praktiken und ihren Trägern aus dem Blick geraten. Das bedeutet 1 65 Ebd., S. 162. 166 Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 10. 167 Vgl. Elias, Höfische Gesellschaft, S. 68 – 101. 168 Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 39. Auf dieser Verknüpfung beruht etwa Pierre Noras Konzept der lieux de mémoire. 169 Vgl. als Überblick: Rau, Räume. 170 Laut Susanne Rau ist die Erforschung des Zusammenhangs von „Gruppenformierung und Raumkonstitution“ nach wie vor ein Desiderat; ebd., S. 196. 171 Zum Begriff Repräsentation siehe Berger/Luckmann, Konstruktion, S.  79 – 81; Chartier, Welt.

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etwa, dass eine Chronik nicht allein als Text behandelt und auf ihre inhaltliche Bedeutung für die Etablierung des dynastischen Denkmodells hin befragt werden soll, sondern gleichzeitig – soweit im Einzelnen rekonstruierbar – die Beauftragung eines Chronisten, die Rezeption des Endprodukts seitens der Grafen usw. als soziale Praktiken untersucht werden.

1.4 Methodischer Zugang und Quellenauswahl Wie können die in den vorigen Abschnitten getroffenen Überlegungen theoretischer Art nun für eine historische Analyse der Dynastiebildung am konkreten Beispiel fruchtbar gemacht werden? An dieser Stelle tritt bereits das erste methodische Problem auf: Lässt sich überhaupt von Dynastien sprechen, wenn es sich dabei ‚lediglich‘ um soziale Konstrukte handelt, oder ist nicht mit dieser Redeweise bereits jene Essentialisierung verbunden, die man gerade vermeiden möchte? Entkommen lässt sich dem Dilemma, indem man den Begriff lediglich in beschreibender Absicht verwendet, um all die Phänomene, die sich in der histo­rischen Wirklichkeit finden lassen, im Zusammenhang betrachten zu können. Daher geht es nicht darum zu fragen, seit wann die Dynastie als fertige Institution mit einer stabilen symbolischen Ordnung und normkonform agierenden Subjekten bestanden hat. Vielmehr hat man es mit einem Prozess zu tun, der neben Formierungsphasen, in denen dynastisches Denken aufkommt und sich festigt, sowie Konjunkturen starker Hausgesetzgebung oder dynastischer Repräsentation auch gegenläufige Tendenzen, Anfechtungen und Konflikte kennt. Zwar scheint sich in der longue durée vom 15. bis zum 19. Jahrhundert tatsächlich eine zunehmende Institutionalisierung der Dynastien abzuzeichnen; umso wichtiger ist es jedoch, eine Rückprojektion späterer Institutionalisierungsgrade auf frühere Zeiten zu vermeiden.172 Um der Gefahr des Verabsolutierens von fallbezogenen Spezifika vorzubeugen, bietet sich die Methode des historischen Vergleichs an. Auf das Postulat einer stärker komparatistisch vorgehenden Landesgeschichte ebenso wie auf die Eignung von Dynastien als Gegenstände einer ebensolchen wurde bereits hingewiesen. Das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit geht allerdings insofern über die Landesgeschichte hinaus, als die herangezogenen Dynastien in erster Linie 172 In ­diesem Sinne stellt Wunder, Adel, S. 9, die kritische Frage, „ob die zu beobachtenden Strategien des Adels im 19. Jahrhundert – Unterstützung armer Namensträger, Erforschung des Geschlechts und seine Konstruktion als Erinnerungsgemeinschaft, regelmäßige Familientreffen eines Geschlechts, Gründung eines Vereins für das eigene Geschlecht – nicht fälschlicherweise als Bild in die Vergangenheit projiziert wurden und werden statt sie aus den veränderten Zeitumständen zu erklären“.

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als Fallstudien dienen, um allgemeine soziale und politische Entwicklungen zu untersuchen. Dabei wird jedoch keineswegs Exemplarität postuliert, sondern aufgrund des komparatistischen Ansatzes explizit auf die Spezifika beider Fälle hingewiesen.173 Miteinander in Beziehung gesetzt werden zwei gleich gewichtete Gegenstände, namentlich die Grafenhäuser Lippe und Waldeck, deren Vergleichbarkeit durch ihre ständische Lage sowie ähnliche ökonomische Voraussetzungen gewährleistet ist.174 Als tertium comparationis dienen dabei die Mechanismen der Institutionalisierung, wie sie in den vorigen Abschnitten erläutert wurden. Konkret werden darunter gefasst: die Organisation der generationsübergreifenden Herrschaftsweitergabe, die Ausbildung einer regelgeleiteten Heiratspolitik, der Umgang mit nichtregierenden Angehörigen und schließlich die symbolische Repräsentation der Dynastie. Eine Besonderheit dynastischer Verwandtschaftsverbände liegt darin, dass sie sich nicht hermetisch von ihrer Umwelt abriegelten, sondern vielfältig miteinander verflochten waren. Dies ist auch bei den Grafen zur Lippe und von Waldeck der Fall, die nicht nur mit anderen Dynastien, sondern auch untereinander in Beziehung standen. So wurden ­zwischen 1250 und 1700 insgesamt acht Ehen ­zwischen Angehörigen beider Häuser geschlossen. Zudem übernahmen Angehörige der lippischen Dynastie zweimal die Funktion eines Vormunds für die noch minderjährigen waldeckischen Junggrafen, während umgekehrt dreimal Waldecker das Amt im lippischen Hause ausübten. Somit wird deutlich, dass es sich streng genommen nicht um zwei isoliert nebeneinander stehende Vergleichsobjekte handelt, sondern dass diese durch erhebliche personale Verflechtungen gekennzeichnet waren, die es im Sinne einer histoire croisée im Blick zu behalten gilt.175 Die hier ausgewählten Grafen bieten sich in mehrerlei Hinsicht als Untersuchungsgegenstände an. Zunächst übten sie über einen sehr langen Zeitraum ­hinweg Herrschaft über ihre Territorien aus und gaben diese innerhalb ihrer Dynastien weiter. Es ist sogar angemessen, das Entstehen der Territorien, die über Jahrhunderte ihre äußere Gestalt mehr oder minder beibehielten, in erster Linie der Sukzessionspraxis ihrer Herrscherdynastien zuzuschreiben. Ein positiver Nebeneffekt dieser Kontinuität ist in forschungspraktischer Hinsicht die ausgezeichnete archivalische Überlieferung, die beide Häuser produziert haben. Da 173 Vgl. zum Unterschied z­ wischen Beispiel und Fallstudie Pohlig, Vom Besonderen. 174 Allgemein zur historischen Komparatistik: Kaelble, Historischer Vergleich; Welskopp, Vergleichende Geschichte; Herbst, Komplexität, S. 77 – 99. Die beiden Dynastien werden im folgenden Abschnitt genauer charakterisiert. 175 Vgl. dazu grundlegend Werner/Zimmermann, Comparison. So kann die Tendenz zur Essentialisierung der Vergleichsgegenstände vermieden werden, die Vertreter der Kulturtransferforschung dem klassischen historischen Vergleich vorwerfen. Dabei zielen sie darauf ab, dass ein Vergleich das zu Vergleichende immer schon a priori konstruiere und damit festschreibe. Vgl. Welskopp, Vergleichende Geschichte, Abs. 13.

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die landesgeschichtliche Forschung bislang eher an Fragen der Territorialpolitik interessiert war, besteht in Bezug auf die dynastische Überlieferung im engeren Sinne noch großer Forschungsbedarf. Im Vergleich zu fürstlichen Dynastien hat man es freilich mit einer viel überschaubareren Quellenbasis zu tun. Zudem sind mit Ausnahme einiger wichtiger Vertragsurkunden bislang keine der einschlägigen Quellen einer Edition unterzogen worden, sodass man nahezu vollständig auf das archivalische Schriftgut angewiesen ist.176 Die Überlieferungen der gräflichen und später fürstlichen Häuser Lippe und Waldeck wurden geschlossen an staatliche Archive abgegeben und befinden sich heute im Landesarchiv Nordrhein-­Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-­ Lippe, Detmold 177 bzw. im Hessischen Staatsarchiv Marburg.178 Als wichtigstes Quellen­korpus wurde das sogenannte „Hausschriftgut“179 herangezogen, in dem sich Urkunden und Akten zu Familien- und Hausangelegenheiten befinden. Die sachliche und chronologische Geschlossenheit der dynastischen Hausarchive, die meist das Ergebnis von Ordnungsarbeiten des 18. und 19. Jahrhunderts ist, birgt für Historiker die Gefahr, naturalisierende Vorstellungen von der Einheit und Altehrwürdigkeit der Dynastien in die moderne Forschung fortzuschreiben. Aus ­diesem Grund müssen auch die Hausarchive selbst und ihre Genese zum Gegenstand der Untersuchung werden, stehen sie doch für eine genuine Praktik dynastischer Traditionsbildung.180 Eine für die Arbeit zentrale Quellengattung bilden die teils edierten,181 teils nur handschriftlich überlieferten Hausverträge,182 die in beiden Dynastien seit dem 14. Jahrhundert abgeschlossen wurden.183 Meist bildeten sie die – oft unter Mitwirkung der Landstände zustande gekommene – rechtliche Einigung ­zwischen zerstrittenen Mitgliedern der Dynastie und lassen sich daher gewissermaßen als Endpunkte oder zumindest Zwischenergebnisse innerdynastischer Konfliktführung ansehen. Daher ist es notwendig, sie mithilfe der verfügbaren Aktenüberlieferung 176 Für die Beschäftigung mit der lippischen Geschichte bis ins 16. Jahrhundert hinein sind jedoch die Lippischen Regesten (LR) ein wichtiges Hilfsmittel. Ein Äquivalent gibt es für Waldeck bislang nicht. 177 Vgl. Matthes/Lüking (Bearb.), Beständeübersicht. 178 Vgl. Papritz (Bearb.), Liste. 179 Begriffsbildung bei Heimann, Hausordnung S. 287 u. 22. 180 Siehe dazu Kap. 4.3.2. 181 Vgl. Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 129 – 184 (Die lippischen Hausgesetze); Ders., Hausgesetze, Bd. 3, S. 371 – 439 (Die waldeckischen Hausgesetze); Lünig, Reichs-­ Archiv, Bd. 11, S. 91 – 107, 553 – 569 (Lippe) u. 353 – 389 (Waldeck). 182 Für Lippe überwiegend in LAV NRW OWL , L 1 Urkunden; für Waldeck in HS tAM , Urk. 85 Waldeck. 183 Vgl. dazu auch Brauneder, Art. Hausgesetze. Die Begriffe „Hausvertrag“ und „Hausgesetz“ werden in der Forschung meist synonym verwendet.

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zu kontextualisieren, um Konfliktverläufe und Argumentationen der einzelnen Akteure aufzuschlüsseln.184 Zudem werden auch Testamente und Eheverträge der Dynastiemitglieder in einem weiten Sinne als Hausverträge verstanden und als Quellen in die Untersuchung aufgenommen, da sie wichtige Rückschlüsse auf die Sukzessions-, Erb- und Heiratspraxis ermöglichen. Auch Prozesse mit rein innerdynastischer Beteiligung vor den beiden Reichsgerichten wurden berücksichtigt, da diese wichtige Instanzen des Konfliktaustrags bildeten. Während die Akten des Reichskammergerichts auf die jeweiligen Territorien verteilt wurden,185 befindet sich die Überlieferung des Reichshofrats im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv.186 Ergänzend ermöglicht die Überlieferung familieninterner Korrespondenz wichtige Einblicke in das Selbstverständnis der Akteure und in die diskursiven Mechanismen der Dynastieformierung.187 Für die Untersuchung der symbolischen Repräsentation wurden ferner alle ermittelbaren handschriftlichen oder gedruckten Chroniken bis zum Jahr 1650, die sich inhaltlich mit der Geschichte der jeweiligen Dynastie beschäftigen und nachweislich von dieser initiiert oder zumindest rezipiert wurden, einbezogen.188 Des Weiteren wurde an einigen Stellen auf Leichenpredigten 189 und gedruckte Flugschriften zurückgegriffen. Nicht zuletzt wurden neben der archivalischen Überlieferung auch spezifische Sachzeugnisse wie Porträts, Grabdenkmäler und Residenzschlösser in die Analyse miteinbezogen, da sich in ihnen die symbolische Ordnung der Dynastien spiegelte. Den Kernzeitraum der folgenden Untersuchung bilden die Jahre ­zwischen 1450 und 1650. In dieser Zeit lässt sich eine signifikante Häufung von Praktiken der dynastischen Repräsentation ausmachen, die zweifelsohne auch äußeren Faktoren 184 Wichtige Bestände für Lippe insbesondere in LAV NRW OWL , L 7 Familienakten des Hauses Lippe u. L 8 Hausangelegenheiten; für Waldeck HS tAM , 115/01 Waldeckische Ältere Kanzleien: Grafenhaus. 185 Siehe LAV NRW OWL, L 82 Lippische Reichskammergerichtsakten bzw. HStAM, 140 Waldeckische Reichskammergerichtsakten. Ein Inventar der lippischen Reichskammergerichtsakten bietet Bruckhaus (Bearb.), Inventar. Für einen Überblick über die waldeckischen Prozesse siehe Korte, Grafschaft. 186 Seit 2007 werden die Aktenserien des Reichshofrats als gedruckte Inventare sowie als Online-­ Datenbank sukzessive erschlossen; vgl. Sellert (Hg.), Akten; sowie www.rhrdigital.de [Stand: 20. 11. 2017]. Zum Nutzen dieser Quellenart für die Dynastiegeschichte siehe auch Schenk, Reichshofrat; und für die lippische Landesgeschichte Ders., Akten. 187 Vgl. zur Quellenart Holzapfl, Fürstenkorrespondenz; Fouquet, Fürsten. 188 Diese sind dank der voranschreitenden Digitalisierung seitens der großen Forschungsbibliotheken wie der Bayerischen Staatsbibliothek aber auch Google Books teilweise online zugänglich. Einige bislang nicht digitalisierte Exemplare wurden in der Fürstlich Waldeckschen Hofbibliothek Arolsen (FWHB) und in der Lippischen Landesbibliothek (LLB) eingesehen. Mehrere Konvolute handschriftlicher Chroniken zur Geschichte Lippes finden sich zudem im Bestand LAV NRW OWL, D 71 Handschriften. 189 Vgl. zum Quellenwert Lenz (Hg.), Leichenpredigten; Hengerer, Leichenpredigten.

Die untersuchten Dynastien

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wie der Ausbreitung pragmatischer Schriftlichkeit, der Rezeption des römischen Rechts sowie kultureller Einflüsse des Humanismus und der Reformation geschuldet ist. Ähnliches ist für die Verrechtlichung der dynastischen Verbände mittels Hausverträgen zu konstatieren, obgleich dieser Prozess etwas früher einsetzt, weshalb die Untersuchung der Sukzessionspraxis bereits bei den ersten quellenmäßig greifbaren Regelungen im 13. Jahrhundert beginnt. Durch diesen weit gespannten Zeitrahmen ist es möglich, diachrone Veränderungen in der Dynastiebildung nachzuzeichnen und insbesondere die mutmaßliche Zäsur durch die Reformation in einen weiteren Kontext zu stellen. Nach dem Westfälischen Frieden setzten hingegen erneut tiefgreifende soziale und kulturelle Veränderungen ein, die zu berücksichtigen den Rahmen des hier Darzustellenden gesprengt hätte. Aus den theoretischen und methodischen Überlegungen ergibt sich eine Gliederung der Arbeit in drei Hauptkapitel. Kapitel 2 untersucht die Herrschaftssukzession unter Berücksichtigung der Herausbildung impliziter und expliziter Normen. Die Weitergabe der Herrschaft von einer auf die nächste Generation kann als diejenige Praktik angesehen werden, die im Zentrum der Dynastiebildung stand. Das folgende Kapitel 3 behandelt die Praktiken der Verwandtschaft, mit denen sich der Verwandtschaftsverband reproduzierte. Sowohl bei der gesteuerten Heirat als auch bei der Versorgung der nichtregierenden Mitglieder zeigten sich gewisse Regelmäßigkeiten, die einerseits auf normativen Regelungen, andererseits auf verfestigten Handlungsweisen beruhten. Ebenso werden in beiden Kapiteln Abweichungen der üblichen Praxis und daraus entstehende Konflikte in den Blick genommen. Schließlich wird in Kapitel 4 die Errichtung einer symbolischen Ordnung in den Diskursen und Repräsentationen der Dynastie untersucht. Sie stellt in gewissem Sinne eine Idealvorstellung sozialer Ordnung dar, die auf die Praxis zurückwirkte, aber auch einen Gegensatz zu ihr bilden konnte. Zuvor werden jedoch die beiden Untersuchungsgegenstände – die Grafenhäuser Lippe und Waldeck – kurz vorgestellt und in den weiteren Kontext der Reichsgeschichte eingeordnet.

1.5 Die untersuchten Dynastien Dynastisches Handeln fand nicht im luftleeren Raum statt, sondern wurde von bestimmten historischen Prozessen beeinflusst. Dazu zählen etwa die seit Ende des 15. Jahrhunderts beginnende Reichsreform und die Konfessionalisierung. Zugleich ergaben sich die Handlungsspielräume der Akteure aus ihrer Ausstattung mit Res­ auses sourcen, die es genauer zu untersuchen gilt.190 Die ständische Stellung des H

190 Übergeordnete Prozesse und Ressourcenverteilung lassen sich aus praxeologischer Sicht als die strukturellen „Regelmäßigkeiten“ verstehen, die Praktiken erst ermöglichen und zugleich

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konnte ebenso zur Ressource werden wie die Beschaffenheit des Territoriums. Grundsätzlich ist zwar eine historische Sichtweise, die den Grafen in der Vormoderne eine gezielte Territorialpolitik unterstellt, abzulehnen. Dennoch war das Terri­torium nicht ohne Einfluss auf die Prozesse der Dynastiebildung, im Gegenteil: Da es vorrangig als Versorgungsmasse für die Angehörigen der landesherrlichen Dynastie angesehen wurde, bestimmten seine Größe und Wirtschaftskraft zu einem Gutteil über die Ausgestaltung der Vererbungspraxis. Auch andere Faktoren wie die Zusammensetzung und machtpolitische Stellung der Landstände wirkten sich etwa bei der Aushandlung von Hausverträgen aus. Gleichwohl konnte dynastisches Handeln, beispielsweise im Bereich der Heiratspolitik, auch weit über die Grenzen des Territoriums hinausgreifen, da hier soziale Schätzung und symbolisches Kapital eine größere Rolle spielten als die Bedeutung des Landes. 1.5.1 Die Grafen im Kontext des Alten Reiches Zur Bestimmung der ständischen Lage der Grafen im Gefüge des frühneuzeitlichen Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation ist es notwendig, z­ wischen zwei Bedeutungsebenen des von den Zeitgenossen ubiquitär verwendeten ‚Standes‘-Begriffs zu unterscheiden.191 Einerseits zeigte der Stand die soziale und rechtliche Position von Individuen oder Korporationen innerhalb der hierarchischen Ständegesellschaft an. Spätestens seit den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts wurden die Grafen zum Hochadel gezählt. Andererseits konnte in politischer Hinsicht mit ‚Stand‘ das Recht zur Partizipation an politischen Verfahren gemeint sein. Auf Ebene des Reiches etwa bedeutete das Innehaben der Reichsstandschaft, dass man mit Sitz und Stimme auf dem Reichstag vertreten war. Weder der soziale Stand noch die politische Standschaft waren jedoch statisch, sondern das Ergebnis unablässiger, häufig konfliktbehafteter Aushandlungsprozesse.192 Die ständische Lage der Reichsgrafen im 16. und 17. Jahrhundert ist durch die Mittelstellung ­zwischen Fürsten und Reichsrittern geprägt.193 Ihnen war es bis an die Wende deren Ergebnis sind; vgl. Pečar, Innovation, S. 357 – 360. Zum Begriff der Handlungsspielräume auch Auge, Handlungsspielräume. 191 Vgl. Bömelburg/Haug-­Moritz, Art. Stand. 192 Dies hing mit der „performativen Verfassungskultur“ (Harriet Rudolph) des Alten Reiches zusammen, dem eine schriftliche Verfassung fehlte. Vgl. Rudolph, Reich; Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider; Westphal, Holy Roman Empire. 193 Vgl. Press, Reichsgrafenstand. In Westfalen hatten sich die ständischen Gruppen der Grafen und Ritter schon im späten 14. Jahrhundert voneinander getrennt. Im Gegensatz zu anderen Regionen des Reiches hatten sich die Ritter hier nicht zu Reichsrittern entwickelt, sondern waren von den gräflichen und bischöflichen Landesherren mediatisiert worden; vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 239.

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zur Frühen Neuzeit nicht gelungen, in den Reichsfürstenstand aufzusteigen, und sie besaßen im Gegensatz zu dessen Mitgliedern gewöhnlich keine direkt vom ­Kaiser vergebenen Fahnenlehen. Stattdessen hatten sie Lehen oft mehrerer geistlicher oder weltlicher Fürsten inne, deren Einflussmöglichkeiten auf die gräf­ lichen Belange stark variieren konnten.194 Für Lippe und Waldeck waren dies seit der Mitte des 15. Jahrhunderts vor allem die Landgrafen von Hessen, die eine auf Expansion und Einflussnahme gerichtete Politik betrieben.195 Während mächtige Fürsten versuchten, benachbarte Grafenterritorien durch Mediatisierung ihrer eigenen Herrschaft zu unterstellen, drängten von unten soziale Aufsteiger wie der Niederadel, die Reichsritter oder neunobilitierte Grafen auf Statuszugewinne. Aus d­ iesem Grund wähnten sich die Grafen während der Frühen Neuzeit stets in ihrer Stellung bedroht, was sie zu verschiedenen Distinktionsstrategien antrieb.196 Gleichwohl hatten die Grafen in vielen Regionen seit dem Spätmittelalter eigene Landesherrschaften ausgebildet und reklamierten für sich daher den Status von unmittelbaren Ständen des Reiches. Scheinbar formale Kriterien wie Reichsunmittelbarkeit oder Reichsstandschaft waren jedoch keineswegs eindeutig und gerade hinsichtlich der ständischen Prätentionen der Grafen vielfach umstritten.197 Zwar gab es zu Beginn der Neuzeit unverkennbar Anzeichen für eine Ausdifferenzierung und Festigung der politischen Struktur im Zuge der Reichsreform, die von der verfassungsgeschichtlichen Forschung als Definitionskriterien für die Zugehörigkeit zum Reich herangezogen wurden – etwa die Auflistung in den Reichsmatrikeln, die Entrichtung von Reichssteuern oder die Zuordnung zu einem Reichskreis –, doch valide Kriterien liegen damit keineswegs vor. So ist etwa in der Reichsmatrikel von 1521 unter den Freien und Reichsstädten auch die Stadt Lemgo aufgeführt. Aufgrund der hohen Steuerlasten, die mit dem Status einer Reichsstadt verbunden gewesen wären, zogen die Lemgoer es jedoch vor, lippische Landstadt zu bleiben.198 Die Reichsstandschaft der Waldecker Grafen wurde noch im 17. Jahrhundert angezweifelt, da sie die Reichssteuern zeitweise über ihren hessischen Lehnsherrn abgeführt hatten. Hier war es durchaus hilfreich, wenn man nachweisen konnte, in der Vergangenheit persönlich auf Reichstagen anwesend gewesen zu sein oder Lehen direkt vom ­Kaiser empfangen zu haben. Doch auch wenn die prätendierte ständische Stellung von den übrigen politischen Akteuren akzeptiert wurde, ist damit noch nichts über die tatsächliche 194 Vgl. Spiess, König, S. 17; Hechberger, Art. Graf. 195 Neben Waldeck (1431/39) und Lippe (1449) erlangten die Landgrafen auch Lehnshoheiten über die Grafschaften Solms, Erbach, Teile von Nassau, Rietberg, Schaumburg, Hoya und Diepholz; vgl. Wolff, Grafen, S. 335. 196 Vgl. Stollberg-­Rilinger, Grafenstand, S. 31 – 34. 197 Vgl. Dies., Zeremonielle Inszenierung, S. 237 f. 198 Vgl. Arndt, Fürstentum Lippe, S. 20.

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politische Macht ihrer Träger gesagt. Die Verfassungsgeschichte unterscheidet für die Zeit nach 1648 z­ wischen den mächtigen Fürsten, die sich ein eigenes Heer leisten konnten, den sogenannten armierten Ständen, und deren Gegenstück, den Mindermächtigen. Zwar ist diese typologische Unterscheidung nicht ohne Weiteres auf die frühere Zeit zu übertragen, doch klaffte auch im 16. Jahrhundert bereits eine machtpolitische Lücke ­zwischen einigen großen Fürstentümern und den kleineren Reichsständen, zu denen auch die meisten Grafen gezählt werden können. Um diesen Nachteil auszugleichen und ihre Partizipationschancen zu erhöhen, bedienten sich die Grafen verschiedener politischer Strategien.199 Eine war der Zusammenschluss zu ständischen Korporationen, zunächst in Grafenvereinen, später stärker institutionalisiert in mit Kuriatsstimmen ausgestatteten Kollegien auf dem Reichstag.200 Im Gegensatz zu süddeutschen Grafenregionen wie Franken und Schwaben organisierten sich die westfälischen Grafen jedoch nur selten in zeitlich begrenzten Einungen und hielten sich politisch meist stärker an die regionalen Fürsten. Daher gelang ihnen erst 1653 die Durchsetzung einer niederrheinisch-­westfälischen Grafenbank auf dem Reichstag, w ­ elche zudem aufgrund der Heterogenität ihrer Zusammensetzung und der strukturellen Benachteiligung ihrer Stimme keine politische Durchsetzungskraft entwickeln konnte. Dennoch legten die Lipper hier mit der dreimaligen Besetzung des Direktorenamtes im 18. Jahrhundert ein starkes Engagement an den Tag.201 Waldeck in seiner Grenzlage ­zwischen Westfalen und Mitteldeutschland orientierte sich hingegen zunächst nach Südwesten und trat 1512 einem Bündnis von Grafen aus der Eifel, dem Westerwald und vom Niederrhein bei. Nach 1520 enthielten sich die Grafen jedoch, wohl um Konflikte mit ihren Lehnsherren zu vermeiden, weiterer Zusammenschlüsse und näherten sich erst gegen Ende des Jahrhunderts dem Wetterauer Grafenverein an, dem sie schließlich 1615 beitraten.202 Zusätzlich suchten viele Grafen die Nähe zum Reichsoberhaupt, das diese wiederum durch Privilegienvergabe als Klientel an sich zu binden suchte, um ein politisches Gegengewicht zur Fürstenmacht zu erlangen. Johannes Arndt spricht in d­ iesem Zusammenhang von der „machtpolitische[n] Sandwich-­Struktur des Reiches“203, bei der die Grafen und andere Mindermächtige auf der einen und der ­Kaiser auf der anderen Seite die Fürsten geradezu umklammerten. Sowohl Lippe 199 Vgl. etwa am Beispiel der kleinen Reichsgrafschaft Solms-­Rödelheim Busch, Herrschen. 200 Vgl. Carl, Einungen; Arndt, Reichsgrafenkollegium; Schmidt, Grafenverein; Böhme, Reichsgrafenkollegium. 201 Vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium. 202 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 543 – 556; Menk, Grafschaft, S. 442. 203 Arndt, Monarch, S. 69. Arndt schlägt hier als der Verfassungswirklichkeit des 18. Jahrhunderts angemessenere Beschreibung die Unterscheidung in „‚staatsfähige‘ Reichsfürsten“ und alle übrigen Reichsstände, die eben nicht in der Lage waren, ihre Herrschaft in einen frühmodernen Staat umzuwandeln, die so genannten „Kleinpotentaten“, vor; vgl. ebd., S. 65.

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als auch Waldeck hatten sich im Laufe der Frühen Neuzeit immer wieder politischer Übergriffe seitens mächtiger Fürsten wie der hessischen Landgrafen und der welfischen Herzöge zu erwehren und suchten daher Unterstützung beim ­Kaiser oder den Reichsgerichten. Insgesamt wechselten sich Phasen der Intensivierung der kaiserlichen Beziehungen mit solchen ab, die eher von einer Orientierung an den fürstlichen Lehnsherren geprägt waren. In ein unmittelbares Verhältnis zum ­Kaiser gerieten die Lipper – allerdings ungewollt – im Jahr 1548. Nach ihrer Niederlage im Schmalkaldischen Krieg, an dem sie im Gefolge Philipps von Hessen teilgenommen hatten, zwang sie Karl V., nach einer Entschuldigung auf dem Reichstag die bislang hessischen Lehen direkt vom Reich entgegenzunehmen (bis 1562).204 Auch die Waldecker hatten sich am Krieg gegen den K ­ aiser beteiligt, sodass auch sie sein Zorn traf, und Graf Wolrad II. und seine Halbbrüder Johann und Philipp V. auf dem Reichstag symbolisch Abbitte leisten sowie hohe Bußzahlungen in Kauf nehmen mussten. Im Gegensatz zu Lippe blieben sie zwar hessische Lehnsmänner, dennoch zeigte sich an der Bestrafung der Grafen, dass der ­Kaiser sie als unmittelbare Stände des Reiches ansah und eine nur indirekte Kapitulation im Gefolge Hessens nicht akzeptierte.205 Gerade die Grafen wandten sich im 16. Jahrhundert oft früh der Reformation zu, womit tendenziell eine Distanzierung vom K ­ aiser und eine Hinwendung zu fürstlichen Glaubensgenossen einhergingen. Stärker noch als für das im Augsburger Religionsfrieden anerkannte Luthertum galt dies für das reformierte Bekenntnis, dem sich auch die Lipper anschlossen. Dennoch blieben die mindermächtigen Grafen und das Reichsoberhaupt auch in Zukunft aufeinander angewiesen, sodass ein vollständiger Bruch von beiden Seiten vermieden wurde.206 Auf der anderen Seite bedeutete die Konfessionalisierung für lutherische und reformierte Grafen auch eine Freisetzung neuer Ressourcen durch den Zugriff auf Kirchengut und eine generelle Stärkung der Position des Landesherrn gegenüber seinen Untertanen.207 Als summus episcopus kam ihm nun auch die Sorge für das Seelenheil seiner 204 Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 168. 205 Vgl. Press, Reichsgrafenstand, S. 120 f.; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 208; Menk, Grafschaft, S. 444 f. Siehe dazu auch das lateinische Tagebuch Wolrads II., in dem er die Szenerie auf dem Reichstag schildert: Tross (Bearb.), Tagebuch. Die deutsche Übersetzung ist leider fehlerhaft bis hin zur Unbrauchbarkeit: Kappe (Bearb.), Tagebuch. Zur Kritik an der Edition: Schneider, Tagebuch. 206 Vgl. Press, Reichsgrafenstand, S. 121 – 124; Schmidt, Politische Bedeutung, S. 200 – 203. 207 Diese Prozesse sind von der Konfessionalisierungsforschung bestens beschrieben worden. Vgl. Reinhard, Zwang; Schilling, Konfessionskonflikt; Ders., Konfessionelles Europa. Bezogen auf die westfälischen Territorien siehe auch Freitag, Konfessionelle Kulturen. Kritik am Reinhard/Schillingschen Paradigma wurde von unterschiedlichen Seiten geäußert, etwa von der Kirchengeschichte, die anstelle eines immer ähnlich verlaufenden Modernisierungsprozesses stärker die Unterschiede der einzelnen Konfessionen betont. Vgl.

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Einleitung Minden

Osnabrück

Stadthagen Rodenberg

Bückeburg

FÜRSTBISTUM MINDEN

GRAFSCHAFT SCHAUMBURG

FÜRSTBISTUM OSNABRÜCK

Wese r REICHSSTIFT Herford HERFORD

GRAFSCHAFT RAVENSBERG

Hameln

Salzuflen

Bielefeld

Sternberg Alverdissen

Lemgo

GRAFSCHAFT RIETBERG

HERZOGTUM BRAUNSCHWEIGLÜNEBURG

Pyrmont

Brake

GRAFSCHAFT LIPPE

GRAFSCHAFT PYRMONT

Blomberg

Lüdge

Detmold

HERRSCHAFT RHEDA

GRAFSCHAFT SPIEGELBERG

Varenholz

Schwalenberg

Horn

Rheda

Höxter

FÜRSTBISTUM MÜNSTER

Paderborn Lipperode Lippstadt

FÜRSTBISTUM PADERBORN

Soest

Rhoden

Arnsberg

HERZOGTUM WESTFALEN

Arolsen Mengeringhausen

GRAFSCHAFT WALDECK

Kassel

Landau

Korbach Sachsenhausen Eisenberg Waldeck Lichtenfels

LANDGRAFSCHAFT HESSEN-KASSEL

Züschen

(Alt-)Wildungen Niederwildungen

GRAFSCHAFT WITTGENSTEIN GRAFSCHAFT NASSAUDILLENBURG

LANDGRAFSCHAFT HESSEN-MARBURG

Die Grafschaften Lippe und Waldeck am Ende des 16. Jahrhunderts Autor: Lennart Pieper Kartografie: Beate Reußner

Grafschaft Lippe

Kondominate bzw. umstrittene Gebiete

Grafschaft Waldeck

Grenzen

Abb. 1: Die Grafschaften Lippe und Waldeck am Ende des 16. Jahrhunderts.

Die untersuchten Dynastien

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Untergebenen zu. Zudem gingen die gesetzgeberischen Prozesse mit einer „sakrale[n] Überhöhung der Landesherrschaft“208 einher, was sich etwa daran zeigte, dass Pfarrern des Landes aufgetragen wurde, Angehörige der Herrscherdynastie in ihre Gebete und Fürbitten einzuschließen. Die Folgen der Konfessionalisierung für die Dynastiebildung sind in der Forschung bislang weitaus weniger in den Blick gerückt als die Veränderungen in der Herrschaftsausübung. Insgesamt scheint die konfessionelle Ausdifferenzierung der vormals einheitlichen christia­ nitas die Schaffung von dynastischer Einheit eher erschwert zu haben, da sich konfessionelle Brüche auch quer durch Dynastien zogen.209 Eine Frage, die zu beantworten sein wird, ist, wie stark konfessionelle Einheit erwünscht war oder erzwungen wurde und wie etwa mit Mischehen oder eigenmächtigen Konversionen von Dynastieangehörigen umgegangen wurde. Auch die Auswirkungen der protestantischen Konfessionskulturen auf das Erbrecht sowie auf die dynastische Repräsentation werden an entsprechender Stelle untersucht werden. 1.5.2 Die Edelherren und Grafen zur Lippe Die meisten gräflichen Territorien waren eher klein und ökonomisch wenig potent. Die Grafschaft Lippe gehörte allerdings mit ihren rund 1200 km² zu den größeren ihrer Art und konnte es beinahe mit einigen Fürstentümern aufnehmen. Ihre frühneuzeitliche Gestalt, die bereits nahezu deckungsgleich mit dem heutigen Kreis Lippe ist, war das Ergebnis mittelalterlicher Herrschaftsbildung (siehe Abb. 1). Bereits im ersten Drittel des 12. Jahrhunderts werden die beiden Brüder Bernhard und Hermann de Lippia urkundlich fassbar.210 Zunächst taten sich die Edelherren zur Lippe als lokale Herrschaftsträger am Flusslauf der Lippe hervor, wo sie auf dem Gebiet der späteren Stadt Lippstadt ein Kloster und ihren Stammsitz errichteten.211 Von ihm leitet sich ihr Beiname ab, den sie in dieser Zeit annahmen und auch beibehielten, als sich ihr Herrschaftsmittelpunkt weiter nach Osten verlagerte. Als vormalige Vasallen der sächsischen Herzöge Lothar von Süpplingen­burg und Heinrich des Löwen gelang es ihnen nach dem Sturz des

Kaufmann, Konfession. Für eine grundlegende Bewertung der Leistungen und Grenzen vgl. Brockmann/Weiss (Hg.), Konfessionalisierungsparadigma. 208 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 200. 209 Vgl. Thomas, House Divided; Böhnert, Multikonfessionalität; Baibl, Konversion. 210 1123 taucht ein Bernhardus de Lippe als Vormund in einer Schenkungssache auf; vgl. LR I, Nr. 42. 1129 erscheinen dann Bernhardus de Lippia et frater ejus Herimannus; vgl. ebd., Nr. 45. Zeitlich weiter zurückreichende Hypothesen über die Herkunft der Edelherren stellt Zunker, Adel, S. 86 – 88, auf. 211 Vgl. Hömberg, Entstehung; Rothert, Hermelinghof; Zunker, Adel, S. 132.

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Einleitung

letzteren relativ rasch, ihre zwischenzeitlich eingezogenen Lehen zurückzugewinnen.212 Für sie wie für andere Grafen und Herren der Region bedeutete der Wegfall der sächsischen Ordnungsmacht die Chance zum Aufbau einer eigenen Landesherrschaft. Diese gründeten sie, da es ihnen an ausgedehntem Allodialbesitz fehlte, vorrangig auf Vogtei- und Grafenrechte sowie auf die Gründung von Städten, die als herrschaftsstabilisierende Zentren fungierten.213 1191 gelangten die Lipper durch Schenkung in den Besitz der etwa 20 Kilometer nördlich gelegenen Herrschaft Rheda und verlegten ihre Residenz dorthin.214 Etwa zur gleichen Zeit werden die Edelherren auch als Inhaber zahlreicher Gerichts- und Vogteirechte im Gebiet nordöstlich des Osnings greifbar, mit denen sie wohl vom Bischof von Paderborn belehnt worden waren.215 Hier errichteten sie um die Wende zum 13. Jahrhundert die Burgen Falkenburg und Brake als Stützpunkte, bevor sie daran gingen, das Land mit Städtegründungen herrschaftlich zu durchdringen.216 Spätere Erwerbungen waren die Herrschaft Varenholz und die Grafschaften Schwalenberg und Sternberg.217 Das 15. Jahrhundert war einerseits durch verlustreiche Fehden, andererseits durch den Aufbau einer Ämterverfassung und die damit verbundene Intensivierung der Herrschaftsausübung gekennzeichnet. Über Lippstadt, das seit 1376 an die Herzöge von Kleve verpfändet war, wurde 1445 eine Samtherrschaft ­zwischen Lippe und Kleve vereinbart. Zwei Jahre später führte diese Annäherung an den Herzog zur Verwicklung Lippes in die Soester Fehde, in deren Zuge weite Teile des Landes von auswärtigen Söldnertruppen verwüstet wurden.218 Aufgrund dieser Schwächung musste Edelherr Bernhard VII. 1449 seine Burg Blomberg dem Landgrafen Ludwig I. von Hessen auftragen und ihm das Öffnungsrecht auch für seine übrigen Burgen und Städte einräumen.219 Bereits 1409 waren die Burgen Falkenburg und Horn dem Bischof von Paderborn aufgetragen worden.220 Ein weiterer Schritt in die Lehnsabhängigkeit von Hessen und Paderborn ergab sich erst in der Krise drohenden Aussterbens zu Anfang des 16. Jahrhunderts.221 Um 1500 lebten in der Grafschaft Lippe etwa 22.000 Einwohner, davon rund 6000 in den Städten Lemgo, Lippstadt, Horn, Blomberg, Detmold und 212 Vgl. ebd, S. 86 – 145, bes. S. 118 – 121; Biermann, Weserraum, S. 149 – 151. 213 Vgl. ebd., S. 151 – 156 u. 205 – 209; Zunker, Adel, S. 129 – 136. 214 Mit ­diesem Erbfall war auch die Übernahme mehrerer Klostervogteien – darunter Marienfeld – verbunden, was die junge Herrschaft maßgeblich stärkte. Vgl. Schaub, Herrschaft Rheda, S. 27 – 29; Biermann, Weserraum, S. 152 f. 215 Vgl. ebd, S. 206; Kittel, Heimatchronik, S. 59; Hömberg, Entstehung, S. 52 – 6 4. 216 Zur Städtepolitik vgl. Biermann, Weserraum, S. 227 – 240. 217 Vgl. Kittel, Heimatchronik, S. 72 – 78. 218 Vgl. ebd., S. 80 f.; Huismann, Bernhard Bellicosus; Heimann, Soester Fehde. 219 Vgl. Kittel, Heimatchronik, S. 83. 220 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 2, S. 86; Kiewning, Lippische Geschichte, S. 200. 221 Siehe dazu Kap. 2.2.2.

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Salzuflen, was einem relativ hohen Urbanisierungsgrad entspricht.222 Das Land war gegliedert in die Ämter Detmold, Varenholz, Brake, Horn, Sternberg, Blomberg, Alverdissen, Barntrup, Schieder und Schwalenberg. Seine landwirtschaftliche Prägung bedingte eine eher auf den Binnenmarkt ausgerichtete Wirtschaft mit Ausnahme der Hansestadt Lemgo, deren ökonomische Potenz die des übrigen Landes weit übertraf.223 Die Grafen verfügten als Grundherren über weite Teile des Landes.224 Häufige Verpfändungen von Burgen und ganzen Ämtern an Niederadlige bedeuteten jedoch einen verminderten Zugriff der Landesherren auf ihr Territorium. So war etwa das lippische Amt Varenholz seit seiner Erwerbung im 14. Jahrhundert bis zur endgültigen Auslösung durch die Grafen im Jahr 1563 an die adlige Familie de Wend verpfändet, der es gelang, eine Art Unterherrschaft zu etablieren. Im Jahr 1560 waren laut eines gräflichen Vermögensregisters zwei Ämter, acht Burgen bzw. Ortschaften und zahlreiche Vogteien und Renten verpfändet, die den Lippern somit nicht zur Verfügung standen.225 Da die Einkünfte aus den eigenen Besitzungen die hohen Kosten für die Hofhaltung, die Versorgung von Dynastieangehörigen und insbesondere die Abgaben ans Reich nicht deckten, waren die Landesherren auf die Erhebung von Steuern angewiesen, die von den Landständen bewilligt werden mussten. In Lippe hatten sich seit dem Spätmittelalter die Ritterschaft und die Städte als Stände herausgeformt, die bis zum Kontributionsstreit während des Dreißigjährigen Krieges in einer gemeinsamen Kurie berieten. Dabei hatte der Adel aufgrund seiner Funktion als Geldgeber der Landesherren sowie seiner Einbindung in die Verwaltung ein politisches Übergewicht. Seit den 1530er Jahren fanden regelmäßig Landtage statt.226 Seit 1470 wurden die Edelherren zur Lippe auf die Reichstage eingeladen, was als Anerkennung ihrer Reichsstandschaft angesehen werden kann, obschon nicht gesichert ist, dass sie tatsächlich vor Ort auftraten.227 Spätestens seit 1508 222 Vgl. Angermann, Volksleben, S. 8 f. Weitere Angaben bei Schilling, Konfessionskonflikt, S. 57 f. 223 Wie schon erwähnt wurde Lemgo in der Reichsmatrikel von 1521 taxiert, namentlich mit vier Rossen und 22 Fußsoldaten, was einem Steueraufkommen von 60 fl. entsprach. Die gesamte Grafschaft Lippe sollte dagegen nur vier Rosse und 18 Fußsoldaten aufbringen, was ebenfalls mit 60 fl. abgegolten werden konnte. 224 Vgl. Rügge, Grafschaft Lippe, S. 35; Linde/Rügge/Stiewe, Adelsgüter. 225 Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 188 – 191. 226 Vgl. Arndt, Landtag; Benecke, Society, S. 164 – 184; Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 26 – 39; Schilling, Konfessionskonflikt, S. 63. Siehe auch die gute Überlieferung der lippischen Landtagsprotokolle im LAV NRW OWL, L 9 (landesherrliche Überlieferung) und L 10 (ständische Überlieferung). 227 Siehe die Einladung zum Regensburger Reichstag in: LR III, Nr. 2395. Kittel, Heimatchronik, S. 82, behauptet auf dieser Grundlage, dass Lippe „seit seiner Begründung unmittelbarer Reichsstand“ war. Arndt, Fürstentum Lippe, S. 19 f., argumentiert dagegen überzeugend,

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b­ eteiligten sich die Lipper auch an den Lasten des Reiches.228 In der Reichsmatrikel von 1521 wurden die Lipper unter die Grafen und Herren gezählt. Aufgrund der im ausgehenden Mittelalter einsetzenden Dynamik, dass die sogenannten freien Herren sozial allmählich in den Niederadel absanken,229 führte Simon V. seit 1528 den Grafentitel. Damit verdeutlichte er symbolisch seine Zugehörigkeit zum Hochadel und zementierte die Abgrenzung nach unten. Gleichzeitig nahm er den Stern der bereits im 14. Jahrhundert inkorporierten Grafschaft Schwalenberg, von der er offenbar seine Ansprüche ableitete, in sein Siegel auf.230 Einer formalen Erhöhung durch den K ­ aiser bedurfte es dazu nicht. Da kein Einspruch von seiner Seite oder von anderen Reichsständen überliefert ist, scheint der prätendierte Rang allgemein akzeptiert worden zu sein.231 Die Grafschaft Lippe gehörte dem niederrheinisch-­westfälischen Kreis an, dessen Obrist Simon VI . zur Lippe von 1595 bis zu seinem Tod war. Dieser Graf pflegte überdies gute Beziehungen zu ­Kaiser Rudolf II ., für den er diplomatische Missionen bis in die Niederlande übernahm.232 Von dieser Ausnahme abgesehen zeigten die Grafen bis 1648 allerdings eher eine gewisse Kaiserferne sowie ein gering ausgeprägtes Interesse an den Belangen des Reiches.233 Vor der Reformation gehörte die Grafschaft Lippe zu den Diözesen Paderborn und Minden. Die spätmittelalterliche Frömmigkeit entfaltete sich vor allem in Lemgo als geistlichem Mittelpunkt des Landes und in Blomberg, wo sich das noch 1468 von Bernhard VII. gegründete Augustiner-­Chorherrenkloster zügig zu einer bedeutenden Wallfahrtsstätte entwickelte. Die Einführung der Reformation in Lippe war im Wesentlichen „ein Werk des Adels und der Städte“234, das sich im Windschatten der Vormundschaftsregierung für Graf Bernhard VIII. und unter maßgeblicher Mitwirkung des Landgrafen Philipp von Hessen vollzog. Dieser hatte Bernhard an seinem Kasseler Hof erzogen und so die Lipper Grafen für

dass die Zitation zum Reichstag stärker dem kaiserlichen Interesse entsprang, eine Klientel im königsfernen Nordwesten zu begründen. Gleichwohl sieht auch er die Reichsstandschaft damit gleichsam formal begründet. 228 Vgl. Benecke, Relations, S. 167. 229 Vgl. Spiess, König, S. 17 f. 230 Vgl. Linde, Bernhard VII. zur Lippe, S. 48, Anm. 91. 231 Vgl. Arndt, Verhältnis, S. 116. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 56, folgert, dass durch die Titelannahme nicht nur der persönliche Stand seiner Träger gefestigt wurde, sondern nun auch das Territorium selbst in den Status einer Grafschaft erhoben wurde. Eine weitere, nun formal durch den ­Kaiser vollzogene Standeserhöhung in den Fürstenstand erfolgte erst 1789, nachdem ein erster Vorstoß in den 1720er Jahren an der Erbringung der Taxgebühren gescheitert war. 232 Vgl. Borggrefe (Hg.), Dienst. 233 Vgl. Arndt, Verhältnis; Ders., Institutionen; Benecke, Relations. Siehe dazu auch Kap. 3.2.2. 234 Freitag, Reformation, S. 187.

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das Luthertum gewonnen. Der Aufbau eines landesherrlichen Kirchenregiments ließ allerdings auf sich warten, bis Simon VI. kurz nach der Wende zum 17. Jahrhundert zum reformierten Bekenntnis wechselte und ein unter der Kontrolle der Grafen stehendes Konsistorium schuf.235 1.5.3 Die Grafen von Waldeck Mit einer Größe von rund 1055 km² war die Grafschaft Waldeck von ihren Dimensionen her mit Lippe vergleichbar, dabei aber weniger kompakt in ihrer geographischen Gestalt, die sie ebenfalls mit nur geringen Veränderungen bis in die Moderne hinein beibehielt.236 In ihrer ungleichmäßigen Erscheinung mit komplizierten Grenzverläufen und Enklaven spiegeln sich die Wirren des spätmittelalterlichen Erwerbungsprozesses (siehe Abb. 1). Die ältesten Spuren der Vorfahren der Grafen von Waldeck lassen sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen, als die Grafen von Schwalenberg von Norden ausgehend Erwerbungen im Gebiet der späteren Grafschaft Waldeck machten. Ursprünglich waren die Schwalenberger im Gebiet z­ wischen Deister und Leine begütert, wo sie als Vasallen der sächsischen Herzöge auftraten, bevor sich ihr Herrschaftsmittelpunkt nach Südwesten in die Gegend östlich der Mittelweser verlagerte.237 Den Grundstein zu Erwerbungen im Gebiet der Flüsse Diemel und Eder, dem späteren Waldecker Land, legte Widukind I., indem er die Erbtochter Liutrud aus dem dort ansässigen Herrengeschlecht von Itter heiratete, womit ihm große Teile aus deren Herrschaft zufielen. Der Erwerb weiterer Herrschafts- und Vogteirechte sowie der Burg Waldeck, deren Name wohl auf die Edelfreien von Waldeck zurückgeht, folgten in der nächsten Generation.238 Nach dem Sturz Heinrichs des Löwen, zu dessen Gefolgsleuten ursprünglich auch die Schwalenberger gezählt hatten, die sich jedoch rechtzeitig der Gegenseite zugewandt und dadurch ohne größere Verluste aus der Affäre gezogen hatten, begannen die Erzbischöfe von Köln im westfälischen Raum stärkere Präsenz zu zeigen. Graf Widukind III . von Schwalen­berg benannte sich daher bereits seit 1180 nach seiner südlich der Grenze Westfalens gelegenen Burg de Waltecke, um Unabhängigkeit von Köln und die 235 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt; Haase, Erneuerung; Haase/Rickling/Wilke, Reformieren; Böhme, Lippe; Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 157 – 184 u. 466 – 471; Wehrmann, Lippische Landeskirche, S. 15 – 94; Butterweck, Lippische Landeskirche. 236 Vgl. Murk, Reichsterritorium, S. 13. 237 Vgl. Biermann, Weserraum, S. 88 u. 130; Bockshammer, Territorialgeschichte, S. 84 – 86; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 186 f. Allgemein zur Geschichte der Schwalenberger im Hochmittelalter: Zunker, Adel, S. 146 – 197. 238 Vgl. Biermann, Weserraum, S. 130 – 131; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 186 – 188.

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Eigenständigkeit seiner Herrschaft zu demonstrieren.239 Damit war in gewisser Weise eine Spaltung in eine Schwalenberger und eine Wal­decker Linie vorgezeichnet, die in der darauffolgenden Generation tatsächlich ins Werk gesetzt wurde.240 Im 13. Jahrhundert konsolidierten die Grafen von Waldeck ihren Herrschafts­ bereich durch Gründungen von Städten sowie des schon bald als Grablege genutzten Klosters Netze (1228).241 Mittels einer geschickten, ­zwischen den Polen Kurköln, Kurmainz und Hessen lavierenden Außenpolitik gelang es ihnen, bei Konflikten stets auf der richtigen Seite zu stehen und so ihre junge Herrschaft vor Übergriffen zu schützen. Einzig in den 1260er Jahren gerieten sie in eine schwere Fehde gegen die miteinander verbündeten Erzstifte Köln und Mainz sowie Paderborn, Corvey und die Grafen von Arnsberg, die für Waldeck jedoch erstaunlicherweise gut ausging und mit weiteren territorialen Eroberungen verbunden war.242 Nach Westen hin versuchten die Waldecker ihr Herrschaftsgebiet bis ins Sauerland auszuweiten, scheiterten auf lange Sicht allerdings am Widerstand der Kölner Erzbischöfe.243 Von wenigen territorialen Zugewinnen und Verlusten abgesehen, war das Land daher Mitte des 14. Jahrhunderts seiner endgültigen Ausdehnung recht nahegekommen. Im Jahr 1349 gelang es Otto II . (1344 – 1369), seine Besitzungen vom römisch-­ deutschen König und späteren ­Kaiser Karl IV . als Lehen entgegenzunehmen.244 Damit war die Grafschaft für den Moment urkundlich als Reichslehen anerkannt, was als starkes Argument im später mit Hessen ausgetragenen Konflikt um die waldeckische Reichsunmittelbarkeit dienen sollte. Die Hoffnung auf den Anfall der Grafschaft Schwalenberg, deren letzter Graf Heinrich VIII . 1356 all seine Erb- und Lehngüter durch Schenkung seinem consanguineus Otto vermachte, zerschlug sich jedoch, als dessen Erbe nach seinem Tod ­zwischen Lippe und Paderborn aufgeteilt wurde.245 Was für die Grafschaft Waldeck nun folgte, wird von der Forschung gemeinhin als Krisenzeit bezeichnet, die vom Ende der territorialen Expansion, wirtschaftlicher Rezession, steigender Geldnot und d­ araus resultierender Verpfändungen gekennzeichnet war.246 Als ­schließlich noch dynastische 239 Vgl. ebd., S. 189; Bockshammer, Territorialgeschichte, S. 94; Biermann, Weserraum, S. 129. 240 Vgl. ebd., S. 130 f. Siehe dazu Kap. 2.3.1. 241 Vgl. ebd., S. 132; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 189 – 191. 242 Waldeck erhielt als corveyisches Pfand die Burg Lichtenfels sowie die Städte Sachsenberg und Fürstenberg, die in der Folge nicht wieder eingelöst wurden. Vgl. ebd., S. 191 f.; sowie Bockshammer, Territorialgeschichte, S. 122. 243 Vgl. ebd., S. 113 – 148; Biermann, Weserraum, S. 566 – 568. 244 Die Belehnungsurkunde wurde 1379 bestätigt; siehe Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr. LXXXIV u. LXXXVIII. 245 Die Urkunde siehe ebd., Nr. LXXXV. Vgl. Kittel, Heimatchronik, S. 73. 246 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 195. Dass die Grafen Teile ihrer Herrschaft verpfändeten (später meist aber auch wieder einlösten), war freilich nicht notwendigerweise

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Uneinigkeit und eine Landesteilung (1397) hinzukamen, schien die Lehnsauftragung an Hessen in den 1430er Jahren eine vermeintlich zwangsläufige Folge.247 Im Spätmittelalter bildete sich die Einteilung der Grafschaft in Ämter heraus, deren Anzahl und Grenzen sich gelegentlich verschoben, bis um 1500 schließlich Landau, Mengeringhausen, Rhoden, Wetterburg, Eisenberg, Lichtenfels, Waldeck, Wildungen und Züschen übrig blieben.248 Ganze Ämter wurden auch hier aus Geldmangel verpfändet und teilweise schließlich sogar in Lehen umgewandelt, so etwa Züschen und Lichtenfels.249 Auch die Silberbergwerke, die zum gräflichen Domanium gehörten, konnten die hohen Kosten für eine standesgemäße Repräsentation nicht aufwiegen. Die finanzielle Belastung des Grafenhauses, die nach dem Dreißigjährigen Krieg in eine regelrechte Schuldenkrise übergehen sollte, ist ein ständig wiederkehrendes Motiv der waldeckischen Geschichte.250 Allerdings brachte der Krieg auch einige verspätete territoriale Erwerbungen mit sich: die 1625 als Schenkung an Waldeck gelangte Grafschaft Pyrmont sowie die kleinen Herrschaften Cuylenburg in den Niederlanden und Tonna in Thüringen.251 Insbesondere für die Aufwendung der Reichssteuern war man auf die Mithilfe der Landstände angewiesen. In Waldeck tagten in der Frühen Neuzeit zwei Ständekurien – die landadlige Ritterschaft und die Städte, namentlich Korbach, Niederwildungen, Sachsenhausen, Landau, Mengeringhausen und Rhoden –, die sich aus den spätmittelalterlichen Hoftagen entwickelt hatten und seit den 1540er Jahren an wechselnden Orten zusammenkamen.252 Während die ständisch-­soziale Qualität der Waldecker als alte Grafen seit jeher unumstritten war, war ihre Reichsstandschaft zeitweise in Bedrängnis. Zwar wurden sie dem oberrheinischen Kreis zugeschlagen und in der Matrikel von 1521 – in ­diesem Jahr besuchten sie nachweislich den Reichstag – unter Ausdruck einer Krise, sondern übliche Praxis und strukturelles Kennzeichen spätmittelalterlicher Landesherrschaft. 247 Vgl. ebd., S. 200. Siehe zur Diskussion der Landesteilung Kap. 2.3.1. 248 Vgl. Neumann, ­Kirche, S. 26. 249 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 199. Das Aufgebot der Grafschaft Waldeck wurde in der Reichsmatrikel von 1521 auf drei Rosse und 16 Fußsoldaten, abzugelten in 50 fl., festgesetzt. Weitere Veranschlagungen zu Reichssteuern und militärischen Aufgeboten führt Angermann, Volksleben, S. 10 f., auf, die allerdings kein einheitliches Bild liefern. Die Schätzung der militärischen und wirtschaftlichen Potenz der Territorien seitens der kaiserlichen Beamten konnte ganz unterschiedlich ausfallen, wobei insgesamt die besondere Wirtschaftskraft der Städte hervorsticht. 250 Vgl. Menk, Grafschaft, S. 435. 251 Vgl. ebd., S. 451 f. 252 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 199; Curtze, Geschichte und Beschreibung, S. 574 – 593; Murk, Reichsterritorium, S. 24 – 29; sowie Menk, Staat und Stände, der allerdings schwerpunktmäßig das 19. Jahrhundert behandelt. Siehe auch die Landtagsprotokolle, die jedoch auf die landesherrliche Perspektive beschränkt sind: HStAM, 115/33.

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den Grafen und Herren aufgelistet, doch führte die seit der Lehnsauftragung gesuchte Anlehnung an Hessen zu einer immer stärkeren Abhängigkeit.253 Schon 1466 wurden die waldeckischen Besitzungen in einem hessischen Teilungsvertrag wie ein Teil der Landgrafschaft behandelt, die Waldecker besuchten wiederum häufig hessische Landtage und bezeichneten ihre Nachbarn gelegentlich als Landesfürsten.254 Noch deutlicher als im lippischen Fall zeigt sich, wie wenig geeignet fest geformte staatsrechtliche Begriffe zur Beschreibung der fluktuierenden Verfassungswirklichkeit des Alten Reiches sind. Gravierend sollte ­dieses Changieren ­zwischen Lehnsvasallität und Landsässigkeit jedoch erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts werden, als Landgraf Moritz von Hessen-­Kassel gewaltsam versuchte, die Grafschaft Waldeck in seinen Besitz zu bringen. Im Laufe ­dieses Konflikts war das Reich in seiner Funktion als Rechtsverband für das Überleben der kleinen Grafschaft entscheidend. Sowohl ein Verfahren vor dem Reichshofrat als auch direkte Interventionen des Kaisers und anderer Reichsstände führten schließlich zur Anerkennung der waldeckischen Reichsunmittelbarkeit durch Hessen.255 Nachdem Georg Friedrich von Waldeck bereits 1682 in den persönlichen Fürstenstand erhoben worden war, erlangten die Grafen 1712/17 schließlich die erbliche Reichsfürstenwürde.256 Kirchlich unterstand die Grafschaft zu unterschiedlich großen Teilen den Diözesen von Paderborn, Mainz und Köln.257 Auch in Waldeck hatte es im Spätmittelalter ein reiches, von Heiligenkult, Stiftungen und Wallfahrten geprägtes religiöses

253 Keineswegs bedeutete die Lehnsauftragung an sich schon eine Mediatisierung oder die Aufgabe der Reichsunmittelbarkeit, wie man gelegentlich lesen kann; vgl. Neumann, ­Kirche, S. 33; auch Menk, Grafschaft, S. 435. Lehnsabhängigkeit von Fürsten und Reichsunmittelbarkeit waren keine sich ausschließende Alternative, sondern vielmehr der rechtliche Normalzustand vieler gräflicher Territorien. 254 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 201. 255 Die Krise entzündete sich an einer Auseinandersetzung der Grafen mit der Stadt Korbach, die aus dem landesherrschaftlichen Verband auszuscheren versuchte und sich zu ­diesem Zweck mit Hessen verbündete, das wiederum seine Chance gekommen sah, die benachbarte Grafschaft zu mediatisieren. Der Konflikt eskalierte schließlich, als Landgraf Moritz 1621 Waldeck militärisch besetzte und erst auf kaiserlichen Druck zurückwich. Schließlich wurde der reichsunmittelbare Status der Grafschaft 1632 von Hessen vertraglich anerkannt und im Westfälischen Frieden bestätigt. Vgl. dazu Menk, Aspekte; Ders., Beziehungen, bes. S. 93 – 188; Ders., Waldecks Beitrag, S. 29 – 4 0; Ders., Grundzüge, S. 250 – 254; Murk, Ungleiche Nachbarn, S. 97 f., Zöttlein, Dynastie, S. 40 – 4 4. 256 Dabei kam es allerdings wenige Jahre später zum Eklat, als die altfürstlichen Häuser, die den Aufsteiger nicht in ihren Reihen akzeptieren wollten, beim oberrheinischen Kreistag 1719 demonstrativ den Saal verließen. Auch auf dem Reichstag blieb Waldeck bis 1803 auf der Grafenbank sitzen; vgl. Murk, Reichsterritorium, S. 17. 257 Vgl. Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 108 f.; Neumann, ­Kirche, S. 84 – 97.

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Leben gegeben,258 bevor in den 1520er Jahren die Grafen mit der Einführung der lutherischen Lehre begannen. Philipp IV. hatte auf dem Reichstag in Worms die Ereignisse um Luther miterlebt,259 woraufhin er sich frühzeitig der neuen Lehre zuwandte und schließlich auch seinen Vetter Philipp III. dafür gewinnen konnte. In enger Absprache untereinander und mit dem hessischen Landgrafen erließen die beiden Landesherren gemeinsame Erlasse wie die lutherisch geprägte Landordnung von 1525 und lösten in den folgenden Jahren sukzessive die Mehrzahl der Klöster auf.260 Im Gegensatz zu Lippe und auch zu den Lehnsherren in Kassel schlossen sich die Waldecker Grafen nicht dem reformierten Bekenntnis an, sondern blieben beim hergebrachten Luthertum, zu dem sie sich auf dem Landtag von 1607 noch einmal formell bekannten. Dies lässt sich auch als Ausdruck der beanspruchten Unabhängigkeit von Hessen interpretieren.261

258 Vgl. ebd. 259 Sowohl Philipp IV. als auch sein Vetter Philipp III. besuchten den Reichstag, wobei letzterer vermutlich schon vor der Anhörung Luthers wieder abreiste. Vgl. die entsprechenden Nachweise in: Wrede (Bearb.), Reichstagsakten, S. 1000. 260 Vgl. Schultze, Reformationsgeschichte, S. 71 – 110; Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 108 – 134; Wassmann, Waldeck, S. 25 – 50; Hengst, Ende; Pannekoek, Theologie, S. 7 – 29. 261 Vgl. Menk, Grafschaft, S. 449.

2 Dynastie als Herrschaftsträger

2.1 Rechtliche und kulturelle Grundlagen der Herrschaftsweitergabe Den Grafen zur Lippe und den Grafen von Waldeck gelang es, ihre Landesherrschaften durch die mehr oder weniger geschlossene Weitergabe von einer Generation zur nächsten über einen langen Zeitraum zu konsolidieren. In ­diesem Kapitel wird daher der Blick auf die Praxis der geregelten Herrschaftsweitergabe als zentrales Kennzeichen einer Dynastie gerichtet. Die Herrschaftsweitergabe oder Sukzession kann als Ausschnitt aus einem größeren Kreis unterschiedlicher Arten von Vererbungspraktiken angesehen werden, zu dem ebenso die Weitergabe mobiler und immobiler Güter, Ämter oder auch von sozialem Status zählt. Auch wenn in der historischen Wirklichkeit beide Transaktionsarten eng miteinander verknüpft und zum Teil vermischt waren, ist eine analytische und begriffliche Trennung ­zwischen der Sukzession als Nachfolge in der Herrschaft, an die in der Regel zudem die Übernahme des Status des vorherigen Herrschers gebunden war, und dem Erbe als Empfang von disponiblem Eigengut wie etwa Hausrat, Schmuck, Geld, aber auch allodialer Güter und Ländereien ohne Herrschaftsrechte geboten, um ein genaueres Bild von der Institutionalisierung dynastischer Beziehungen zeichnen zu können.1 Grundsätzlich erhöhte das Prinzip der dynastischen, also auf verwandtschaftlicher Abstammung beruhenden Erbfolge in monarchisch organisierten Gemeinwesen die Legitimität von Herrschaft, sodass eine Nachfolge der männlichen Verwandten eines verstorbenen Herrschers in der Regel auf Akzeptanz stieß.2 Weibliche Nachkommen blieben in den weltlichen Territorien des Reiches dagegen gemäß dem Salischen Erbfolgerecht konsequent von der geregelten Sukzession ausgeschlossen, obschon sie unter bestimmten Umständen – etwa in Ausübung der Vormundschaft über ihre Kinder – durchaus zur Herrschaft gelangen konnten.3 Die Erblichkeit der Herrschaft in den Territorien wurde seit deren konstitutiver 1 Für eine ­solche Trennung plädieren auch Sabean/Teuscher, Kinship in Europe, S. 6; sowie Gottschalk, Erbe, S. 90 – 92 u. 112. 2 Schwieriger wurde es freilich, wenn keine männlichen Erben vorhanden waren. Erinnert sei nur an das berühmte Beispiel der Sukzession Maria Theresias als Erzherzogin von Österreich auf Grundlage der Pragmatischen Sanktion; vgl. dazu ausführlich Turba, Grundlagen. Allgemein zum Zusammenhang von Dynastie und Herrschaftslegitimation vgl. Weber, Art. Legitimität; Andenna/Melville (Hg.), Idoneität. 3 Zur Konstruktion der französischen Erbfolge unter Rückgriff auf die merowingische Lex Salica in der Mitte des 14. Jahrhunderts vgl. Kintzinger, Successio, bes. S. 230 – 233. Zur weiblichen Herrschaftsausübung vgl. Rogge (Hg.), Fürstin; Wunder, Einleitung.

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Dynastie als Herrschaftsträger

Phase im ausgehenden Hoch- und Spätmittelalter niemals ernsthaft angezweifelt und erwuchs aus der Erblichkeit der Lehen. Im Gegensatz zum Reich, das trotz habsburgischer Dominanz in der Frühen Neuzeit bis zu seinem Ende eine Wahlmonarchie blieb, war in den weltlichen Fürstentümern und Grafschaften die Sukzession eines Regenten auf den nächsten stets erblich geregelt. Solange also ein Erbe innerhalb der Herrscherdynastie zur Verfügung stand, galt die Kontinuität grundsätzlich als gesichert.4 Da es jedoch oftmals mehr als nur einen potenziellen Nachfolger gab, barg das dynastische Modell der Herrschaftsausübung reichlich Konfliktpotenzial innerhalb der Dynastie selbst. Solange keine allgemein anerkannten Sukzessionsregeln existierten, standen oftmals unterschiedlichste Normen und Argumente gegeneinander, die es von vornherein unmöglich machten, die Rechtmäßigkeit von Partizipations- und Erbansprüchen eindeutig zu bestimmen. Aus ­diesem Grund lassen sich Herrscherwechsel als neuralgische Punkte identifizieren, bei denen die Integration von Territorium und Dynastie stets größter Unsicherheit ausgesetzt war.5 Einen wichtigen verfassungsrechtlichen Hintergrund der gräflichen Sukzessionspraxis stellte das Lehnsrecht dar. In der Forschung gibt es praktisch keinen Konsens über den Entstehungszeitraum von Lehen, deren rechtliche Qualität und konkrete Handhabung.6 So ist neben dem zeitlichen Rahmen der Herausbildung eines Lehnswesens insbesondere die im Kontext der Dynastiebildung bedeutsame Frage ungeklärt, ab wann empfangene Lehen erblich wurden und wie es um deren Teilbarkeit stand.7 Als gesichert gilt, dass sich spätestens zu Beginn des 4 Das Fehlen eines geburtsrechtlich legitimierten Erben – man spricht in ­diesem Fall vom ‚Aussterben‘ der Dynastie – hatte in der Frühen Neuzeit hingegen regelmäßig zur Folge, dass fremde Prätendenten genealogisch begründete Ansprüche auf das freigewordene Erbe erhoben. Da gewöhnlich mehrere Parteien mit widersprüchlichen Rechtsforderungen auftraten, die kaum je eindeutig entschieden werden konnten – schon da eine übergeordnete Instanz fehlte –, waren diese Konstellationen nicht selten der Auslöser für langwierige Erbfolgekriege. 5 Vgl. zu dieser Problematik auch Pfannkuche, Patrimonium, der fürstliche Herrschaft als „Bündel verschiedener Einzel(rechts)positionen“ (S. 24) begreift, die nur von der Person des Fürsten zusammengehalten werden. Aus d­ iesem Grund wird die Sukzession zum „Prüfstein der Festigkeit der Verbindung der einzelnen Herrschaftsrechte“ (S. 26). 6 Vielmehr werden seit geraumer Zeit in Anschluss an Reynolds, Fiefs, lange gültige Annahmen über das europäische Lehnswesen im Mittelalter infrage gestellt, was zu einer ungekannten Offenheit in der Diskussion geführt hat. Vgl. auch Patzold, Lehnswesen; Auge, Art. Lehnrecht. Für die ältere Forschungsmeinung, die gewissermaßen noch davon ausging, ein in sich konsistentes Lehnswesen lehrbuchartig systematisieren zu können, vgl. Goez, Leihezwang. 7 Patzold, Lehnswesen, S. 93 u. passim, postuliert etwa eine recht späte Herausbildung des ‚Lehnswesens‘ im Sinne einer kausalen Verknüpfung von Lehnsvergabe und Vasallität im 11. Jahrhundert, sieht aber von Beginn an einen Anspruch auf Vererbung des Lehens an die eigenen Nachkommen gegeben. Auch Goez, Leihezwang, S. 21, geht von der „faktischen Erblichkeit der Lehen“ im 10. und 11. Jahrhundert aus. Gottschalk, Erbe, S. 90,

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12. Jahrhunderts die Erblichkeit der Lehen vollständig durchgesetzt hatte, was als wesentliche Bedingung für ein verändertes Herrschaftsverständnis der fürstlichen und gräflichen Lehnsnehmer angesehen werden muss. In dieser Zeit verlor sich allmählich der frühere „amts- und lehnsrechtliche Charakter“ von Herzogtümern, Markgrafschaften und Grafschaften, sodass diese mehr und mehr „als disponible Erbmasse angesehen und unter alle Söhne gleichmäßig aufgeteilt“8 werden konnten. Unterstützend kam die verstärkte Rezeption des römischen Rechts hinzu, das den gleichberechtigten Anspruch aller (männlichen) Erben anstelle der Bevorzugung eines Einzelnen vorsah.9 Ein erneuter Wandlungsprozess lässt sich in der schrittweisen Durchsetzung von Unteilbarkeits- und Primogeniturregelungen ab dem 14. Jahrhundert erkennen, der sich freilich bis weit in die Frühe Neuzeit zog.10 Als Ausgangspunkt für diese Entwicklung wird in der Forschung gemeinhin die Goldene Bulle von 1356 angenommen, ­welche Unteilbarkeit und Primogeniturerbfolge für die weltlichen Kurfürstentümer vorschrieb.11 In Bezug auf die Grafschaften stellt sich die Lage insofern noch komplizierter dar, als diese sich oft aus Reichslehen und/oder fürstlichen Lehen, die keinem expliziten Teilungsverbot unterlagen, sowie aus Eigengut, dem sogenannten Allod, zusammensetzten. Die in der Th ­ eorie vollziehbare klare Trennung z­ wischen dem Erbgang nach Lehnsrecht für Lehen und nach Landrecht für Eigengut 12 hat in der Praxis v­ ermutet, dass Lehen de facto schon im Frühmittelalter regelmäßig an die Söhne vererbt wurden. Schulze, Erstgeburt, S. 89, datiert den Abschluss dieser Entwicklung hingegen auf die Wende zum 12. Jahrhundert. 8 Spiess, Erbteilung, S. 159. Vgl. auch Ders., Familie, S. 201 – 204. 9 Vgl. Willoweit, Art. Landesteilungen; Schulze, Erstgeburt, S. 231. 10 Vgl. Spiess, Erbteilung, S. 160. Mittlerweile hat Spieß sein Modell um eine weitere Phase infolge der Zäsur durch die Reformation ergänzt, die er durch ein Nebeneinander von Teilungs- und Individualsukzessionspraxis gekennzeichnet sieht, bevor sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Primogenitur in allen Dynastien durchsetzte. Vgl. Spiess, Lordship, S. 60. Ähnliche Phasenmodelle vertreten auch Pfannkuche, Patrimonium, S. 27 f.; sowie Schulze, Erstgeburt, S. 9 – 14 u. passim. 11 Damit sollte der Teilung der kurfürstlichen Territorien und einer daraus resultierenden Multiplikation von Ansprüchen auf Ausübung der Kurwürde vorgebaut werden, die wiederum zu unklaren Voten im Kurfürstenrat geführt hätte. In der Folge wurde die Unteilbarkeit jedoch auf kleine Kerngebiete der kurfürstlichen Herrschaftskonglomerate („Kurpräzipuum“) beschränkt, während die restlichen Territorien weiterhin geteilt wurden. Vgl. etwa für das Beispiel der Kurpfalz Heimann, Hausordnung, S. 229 – 241. Erstmals wurde die Unteilbarkeit von Herzogtümern, Markgrafschaften und Grafschaften wohl schon im Lehnsgesetz von Friedrich Barbarossa aus dem Jahr 1158 festgeschrieben. In der jüngeren Forschung lässt sich allerdings eine gewisse Vorsicht gegenüber der Gleichsetzung dieser normativen Kodifizierung mit der tatsächlichen Praxis feststellen. Offenbar blieb die Wirkung d­ ieses Gesetzes äußerst gering. 12 Vgl. Spiess, Erbteilung, S. 159; Gottschalk, Erbe, S. 88 – 92; Hagemann, Art. Erbrecht, Sp. 973.

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jedoch kaum Bestand; häufig wurden Lehen mit dem übrigen, allodialen Landbesitz vermischt und insgesamt weitervererbt. Durch eine flexible Handhabung des Lehnsrechts war es relativ problemlos möglich, den Besitz unter mehrere Söhne aufzuteilen.13 Ein anderes Modell zur Moderation unterschiedlicher Ansprüche, welches die Teilbarkeit zwar ursprünglich untersagte, letztlich aber wohl begünstigt hat, stellte das sogenannte Lehen zur gesamten Hand dar, bei dem das Lehnsgut mehreren – in der Regel agnatisch verwandten – Lehnsnehmern zur gemeinsamen Nutzung übertragen wurde. Da es hierbei in der Praxis häufig zu Konflikten kam, die sich an der kollektiven Herrschaftsausübung entzündeten, ging man allmählich zur Definition klar voneinander geschiedener Sphären und schließlich zur endgültigen Teilung über.14 Der Vorteil der Gesamthand lag freilich darin, dass das Lehen nicht gleich heimfiel, wenn einer der Lehnsnehmer starb, sondern unter den verbleibenden aufgeteilt werden konnte, wodurch sich ein lehnsrechtlicher Verbund ergab, der die Agnaten in eine Gemeinschaft von Gleichen stellte. So lässt sich für die spätmittelalterlichen Grafschaften festhalten, dass sie trotz ihrer grundsätzlichen Eigenschaft als Lehen von ihren Besitzern an die Söhne weitervererbt und im Zweifelsfall auch geteilt wurden. Gleichwohl musste im Mannfall stets aufs Neue beim Lehnsherrn um die Belehnung angehalten werden, der diese gewöhnlich gewährte. Lediglich wenn kein direkter Nachkomme zur Verfügung stand, mussten neue Regelungen gefunden werden, da andernfalls der Heimfall des Lehens drohte.15 Die Forschung hat den hochadligen Herrschaftsträgern in der – zeitlich freilich nicht eindeutig abgrenzbaren – Phase der Landesteilungen ein patrimoniales oder „eigentumsrechtliche[s] Herrschaftsverständnis“16 attestiert. Mit dieser Feststellung ging häufig eine negative Beurteilung mit Blick auf die Folgen der Teilungspraxis einher: Zersplitterung, Kleinstaaterei, „verpasste Staatsbildung“17. Erst mit der Durchsetzung der Unteilbarkeit der Territorien sei dieser negative Trend gestoppt worden, und es habe sich die politische Vernunft gegenüber kurzsichtigem dynastischem Egoismus durchsetzen können. Diese Betrachtungsweise basiert im Wesentlichen auf der ebenso teleologischen wie etatistisch gefärbten Grundüberzeugung, dass das Ziel der frühneuzeitlichen Entwicklung der moderne 13 Die „Transformierbarkeit der Güter“ betont auch Gottschalk, Erbe, S. 108. Vgl. auch Spiess, Familie, S. 202; Lanzinger, Vererbung, S. 321 – 325. 14 Vgl. Lepsius, Art. Gesamthand; Schulze, Erstgeburt, S. 235 – 251; Goez, Leihezwang, S. 94 – 105. 15 Siehe für diesen in Lippe eingetretenen Fall Kap. 2.2.2. 16 Willoweit, Deutsche Verfassungsgeschichte, S. 93. 17 Klein, Verpasste Staatsbildung. Der Autor kommt bei seiner Untersuchung der ernestinischen ‚Kleinstaaten‘ zwar zu einem abwägenden Urteil, bleibt aber grundsätzlich dem Paradigma der Staatlichkeit verhaftet.

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Staat gewesen sei.18 Auch die Landesgeschichte hat die Teilungen der Territorien, denen sie sich verpflichtet sieht, regelmäßig bedauert und als politisches Verhängnis eingeschätzt,19 während sie diejenigen Agnaten, die einen Anteil des Erbes für sich einforderten, durchweg als egoistische Querköpfe charakterisierte. Als anschauliches Beispiel sei lediglich die Einschätzung Hans Kiewnings über den Grafen Hermann Simon zur Lippe angeführt, welcher in den 1550er Jahren erfolglos versuchte, seinen regierenden Bruder zur Landesteilung zu drängen: Das Verhalten Hermann Simons scheint unverantwortlich; ohne sich der Dankespflicht gegen den Bruder bewußt zu werden, verließ er in verblendeter Selbstsucht die Bahn des Rechts und der Billigkeit und rüttelte an dem Gefüge des Staates; auch Ehrgeiz und der Neid auf die bevorzugte Stellung des älteren Bruders scheinen mit im Spiele gewesen zu sein.20

In Kiewnings negativem Urteil spiegelt sich der normative Maßstab, den er an das Verhalten nichtregierender Dynastiemitglieder anlegt: uneigennütziger Gemeinsinn, Dankbarkeit gegenüber dem Familienoberhaupt und insbesondere eine abstrakte Orientierung auf ein territorial integres Staatsgebilde. Erst in jüngerer Zeit hat die historische Forschung vermehrt nach den inhärenten Logiken gefragt, denen die Teilungspraxis unterlag. Erstmals lieferte Heinz Reif eine funktionale Erklärung und wies dabei auf den grundlegenden Zielkonflikt hin, mit dem ein Dynastieoberhaupt konfrontiert war, das vor der Frage der Vererbung seines Besitzes stand: Einerseits galt es, das biologische Überleben des Geschlechts zu 18 Noch ganz dem nationalistischen Denken des 19. Jahrhunderts verschrieben etwa Schulze, Erstgeburt, S. 12: Die Praxis der Landesteilungen habe „unsägliches Unheil über unser Vaterland“ gebracht. Und im Vorwort: „Der Patriot, dem aus dem Studium der vaterländischen Geschichte der ganze Jammer des Theilungswesens und der gemeinsamen Regierungen bekannt ist, wird in der Einführung der Primogenitur nicht bloss eine fürstliche Familienangelegenheit, sondern eine Wiedergeburt der Staatsidee erkennen, er wird die erlauchten Fürsten, ­welche ihr scheinbares Familieninteresse dem Staatswohle zum Opfer brachten, mit Recht als Wohlthäter der Menschheit, als die Neubegründer ihrer Staaten betrachten.“ (ebd., S. VI, Hervorhebungen im Original). Einen knappen Überblick über die ältere Forschungsmeinung bietet Kunisch, Staatsbildung, S. 64 – 69, der allerdings selbst darauf beharrt, dass „die Vorstellung eines notwendigen Fortschreitens vom patrimonialen Territorienstaat zum geschlossenen Staatsverband […] nicht nur eine spätere Projektion, sondern bereits eine zeitgenössische Kategorie“ (ebd., S. 68) sei. Aus völlig anderer Richtung, aber ebenfalls grundsätzlich negativ wurde die aus Teilungen entspringende Linienbildung vor kurzem als „Ausweis intrafamiliärer Konflikte – also als Störung der kollektiven Atmosphäre“ gewertet; vgl. Jendorff/Wunder, Einleitung, S. 38, Anm. 62. Siehe auch die Hinweise in Kap. 1.2.1. 19 Für Lippe vgl. etwa Kiewning, Lippische Geschichte, S. 60; Johanek, Lippe, S. 876; für Waldeck Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 196; Menk, Waldecks Beitrag, S. 22, sowie Ders., Residenz Arolsen, S. 23. 20 Kiewning, Lippische Geschichte, S. 185. Zum Hintergrund der Auseinandersetzung siehe Kap. 2.2.3.

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sichern, an dem ja die genealogisch begründete Herrschaftslegitimation hing. Dazu standen die Chancen angesichts hoher Kindersterblichkeit umso besser, je mehr Söhne sich verheiraten und dann ihrerseits eheliche Nachkommen zeugen konnten. Die standesgemäße Heirat setzte aber die Ausstattung der Bräutigame mit einem eigenen Stück Land voraus, wodurch zumindest eine Nutzenteilung des Landes unumgänglich wurde. Auf der anderen Seite war jedoch die möglichst geschlossene Weitergabe des kollektiven Besitzes gefordert, um den wirtschaftlichen und politischen Status der Dynastie nicht zu gefährden, was durch eine hohe Kinderzahl und daraus resultierende Erbteilungen potenziell konterkariert wurde.21 Dass Teilungen sich negativ auf Prestige und Besitzstandwahrung der Dynastie auswirken konnten, war bereits den Zeitgenossen durchaus bewusst, wie einschlägige Aussagen in den Quellen belegen.22 Dennoch musste sich jegliches Bemühen um die Wahrung des Besitzes letztlich als müßig erweisen, wenn aufgrund fehlender Nachkommen das Aussterben drohte: „Nicht die bedeutenden Geschlechter überlebten, sondern die teilungsfreudigen und biologisch erfolgreichen.“23 Neben d ­ iesem funktionalistisch-­sozialhistorischen Argument wird die allgegenwärtige Praxis der Landesteilungen jedoch erst verständlich, wenn man die zeitgenössischen Sinnhorizonte des Adels in die Erklärung miteinbezieht. Denn in der spätmittelalterlichen Geblütsrechtsvorstellung besaßen ursprünglich alle Söhne den gleichen legitimen Anspruch auf das elterliche Erbe. Wenn Adel als persönliche Eigenschaft, die zur Herrschaft befähigte – und berechtigte –, von einer auf die nächste Generation vererbt wurde, so waren auch alle Söhne eines Herrschers prinzipiell gleich adlig und durften folglich nicht durch die Bevorzugung eines Einzelnen diskriminiert werden. Das Land wiederum galt als kollektiver Besitz der gesamten Dynastie, sodass prinzipiell jedem Mitglied die Möglichkeit 21 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 78 – 80. Ausführlich behandelt ­dieses „Dilemma“ für den Hochadel Spiess, Familie, bes. S. 272 – 289; und im Anschluss daran auch Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 9 f.; sowie Pfannkuche, Patrimonium, S. 30 f. ­Kaiser, Regierende Fürsten, S. 16, spricht in d­ iesem Zusammenhang von einer „grundsätzliche[n] Aporie, die dem dynastischen Denken inhärent war“. 22 Ein recht frühes Beispiel stellt die Warnung des Levold von Northof vor Statusverlust der Grafschaft Mark im Falle einer Teilung dar: satis patet in nonnullis dominiis ducatuum, comitatuum et aliorum dominiorum, que olim magni fuerunt nominis et potencie, que nunc per particiones diversas in heredes factas ad statum modicum sunt redacta, zit. nach Spiess, Familie, S. 199. Als geistlicher Chronist war Levold freilich kein direkt Beteiligter und hatte vermutlich nur wenig Verständnis für den adligen Anspruch auf Herrschaftsbeteiligung. Ungeachtet dessen war das Argument in unveränderter Form auch noch im 18. Jahrhundert verbreitet; vgl. Art. Recht der Erstgeburt, in: Zedler, Universal-­Lexikon. 23 Spiess, König, S. 24. Vgl. Ders., Lordship, S. 61 f. Die strukturell bedingte größere Überlebensfähigkeit infolge von Teilungen in mehrere Linien verzweigter Dynastien betont auch Asch, Legitimation, Abs. 10.

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zur Aufrechterhaltung eines standesgemäßen Lebensstils zustand – was bei männlichen Erben die Herrschaft über ‚Land und Leute‘ einschloss.24 Teilungen dienten somit der Befriedigung von legitimen Herrschaftsansprüchen und sollten Konflikte ­zwischen den Erben vermeiden;25 zudem führten sie auch symbolisch jedermann vor Augen, dass das Land im gemeinsamen Besitz der Dynastie lag, deren Mitglieder allesamt zur Herrschaft berechtigt und befähigt waren.26 Wie erwähnt, kannten zudem weder römisches Recht noch Landrecht eine Bevorzugung eines Sohnes vor den anderen, weshalb es juristisch gesehen ursprünglich gar nicht möglich war, eheliche Söhne vom Erbe auszuschließen. Vielmehr mussten sie, als man damit begann, Erbteilungen zu vermeiden, unter Einsatz mehr oder weniger sanfter Methoden zum ‚freiwilligen‘ Erbverzicht bewegt werden, was freilich auch Manipulation und Druckausübung nicht ausschloss.27 In ähnlicher Weise wurden auch Töchter seit dem 14. Jahrhundert bei ihrer Verheiratung zu einem förmlichen Verzicht auf ihr väterliches Erbe gezwungen, um den Verlust von Ländereien an eine andere Dynastie zu verhindern. Dabei wurde die von der Herkunftsdynastie geleistete Mitgift gewissermaßen als Kompensation ­dieses Erbausschlusses angesehen.28 Landesteilungen konnten bis zu einem gewissen Grad positive Effekte zeitigen, insofern durch sie die Herrschaftsausübung intensiviert wurde. Bei größeren Herrschaften oder solchen, die aus räumlich voneinander getrennten Territorien zusammengesetzt waren, konnte es durchaus ein Akt der politischen Klugheit sein, das gesamte Herrschaftsgebiet zu teilen, wodurch der jeweilige Landesherr vor Ort größere Durchsetzungskraft entwickeln konnte.29 Reichsfürsten konnten durch Landesteilungen sogar eine Vermehrung ihrer Virilstimmen auf dem Reichstag herbeiführen,30 was bei den korporativ organisierten Grafen freilich nicht funktionierte. Ohnehin gehen beide Argumente von der normativen Orientierung der adligen Akteure am Wohl des Landes bzw. der planvoll betriebenen Intensivierung von Herrschaft aus. Die zeitgenössische Vorstellung vom Land als disponible Versorgungsmasse der Herrscherdynastie wird dagegen von jenen 24 Vgl. Mutschler, Haus, S. 96 f.; Hecht, Anhalt, S. 95; K ­ aiser, Regierende Fürsten, S. 10 f.; Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 35. Dazu Spiess, Familie, S. 282, Anm. 342: „Da der Adel seinen Status über die Geburt definierte, mußte er das angeborene Herrschaftsrecht der Söhne prinzipiell anerkennen, wollte er nicht das ganze System infrage stellen.“ 25 Vgl. Köller, Agonalität, S. 95 – 98. 26 Vgl. Fichtner, Protestantism, S. 21: „Thus, partible inheritance was one way of expressing the role of the dynasty as a whole in its lands.“ 27 Vgl. Spiess, Familie, S. 272 u. 281 f. 28 Vgl. ebd., S. 327 – 337; Ders., Lordship, S. 66 f. 29 Vgl. Ders., Familie, S. 276; Rudersdorf, Dynastie, S. 228; Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 118. 30 Vgl. Klein, Verpasste Staatsbildung, S. 101.

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Erklärungsansätzen stärker in Betracht gezogen, die auf die Bewahrung des inneren Friedens der Dynastie abheben. Aus dieser Sicht schien es nämlich geboten, zukünftig auftretende Konflikte z­ wischen mehreren gleichberechtigten Herrschaftsträgern zu antizipieren und daher von vornherein auf eine klare Trennung der Einflussbereiche zu setzen.31 Durch die Teilung des Landes ließ sich – so zumindest die Th ­ eorie – der soziale Frieden z­ wischen den Agnaten aufrechterhalten.32 Idealtypisch lassen sich unterschiedliche Arten der Teilung voneinander abgrenzen, die im Grad ihres Umfangs divergieren. So konnte eine Teilung lediglich für eine bestimmte Zeitspanne, etwa für die Dauer einer Generation, oder auf unbestimmte Zeit vereinbart werden. Ebenso lässt sich im Prinzip eine reine Nutzenteilung, auch als Mutschierung bezeichnet, die oftmals im Rahmen einer Gesamtbelehnung durchgeführt wurde, von einer Real- oder Totteilung, bei der das Land tatsächlich in voneinander unabhängige Teile gespalten wurde, abgrenzen.33 In der Praxis sind diese Formen allerdings kaum voneinander zu unterscheiden, vielmehr traten diverse Mischtypen auf, und auch den Zeitgenossen war eine strikte Trennung nicht geläufig, wie die vielfach synonym verwendeten Begriffe erkennen lassen.34 Bereits seit dem Spätmittelalter lassen sich Tendenzen erkennen, den im Sinne der Dynastiesicherung besonders sensiblen Bereich der Herrschaftsweitergabe mittels vertraglich getroffener Einungen oder testamentarischer Dispositionen zu 31 Vgl. Spiess, Familie, S. 275; K ­ aiser, Regierende Fürsten, S. 13 – 18; Fichtner, Protestantism, S. 15; Freitag, Anhalt, S. 201. Ähnlich urteilt auch Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 224, über die Leipziger Teilung im Haus Wettin von 1485: „Eine Teilung des Herrschaftsgebiets mußte demnach nicht zwangsläufig Niedergang zur Folge haben, sondern hatte im Gegenteil dadurch, daß so Einigkeit und Friede ­zwischen ihnen gesichert war, ihr Ansehen und ihre Macht vergrößert. Als Konsequenz ergab sich daraus für Ernst und Albrecht, daß sie für gemeinsames und machtvolles Handeln nicht unbedingt über einen ungeteilten Herrschaftsbereich verfügen mußten. Viel wichtiger war, daß in der Familie Eintracht und Frieden herrschten, denn Rangkonflikte und Positionskämpfe waren eine größere Gefahr für die hegemoniale Position der Wettiner als die Existenz von zwei Linien. Die Teilung des Herrschaftsbereichs war deshalb die Voraussetzung für effektive und erfolgreiche gemeinsame Politik im Reich und gegenüber konkurrierenden Fürsten.“ 32 Morsel, Verwandtschaft, S. 250, umschreibt die zugrunde liegende soziale Logik als Paradox: „Wenn man das Land teilt, erhält man die Einheit der Kinder; erhält man die Einheit des Landes, spaltet man die Kinder auseinander.“ Für Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 22, zeigt die Teilungspraxis, „daß die Fürsten im Spätmittelalter Dynastie und Familie als das Primäre, das Land hingegen als das Sekundäre, als das Herrschaftsobjekt, betrachteten.“ 33 Vgl. Willoweit, Art. Landesteilungen; Heirbaut, Art. Mutschierung; Putzer, Art. Totteilung. 34 So ließ beispielsweise Philipp IV. von Waldeck-­Wildungen verkünden, es solle nach seinem Tod mit der regirung, succession, teilung und mutscharung gehalten werden, wie es in dem fall von rechts wegen üblich sei, HStAM, Urk. 85, Nr. 347a. Vgl. auch Willoweit, Art. Landesteilungen; Mutschler, Haus, S. 91 f.; Schulze, Erstgeburt, S. 240.

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verrechtlichen.35 Grundsätzlich waren adlige Familien bei der rechtlichen Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten vollkommen autonom; selbst der ­Kaiser hatte kein direktes Mitspracherecht oder gar eine Verfügungsgewalt in Erb- und Sukzessionsfragen anderer Häuser. Insbesondere die regierenden Oberhäupter einer Dynastie bemühten sich daher zunehmend um eine formale Regelung ihrer Nachfolge, um interne Streitigkeiten zu vermeiden. Das Mittel ihrer Wahl war dabei oftmals die Aufrichtung eines Testaments, also eines im modernen Verständnis privatrechtlichen Instruments,36 mit dem über Land und sonstigen Besitz disponiert werden konnte.37 Die seit dem Ende des 15. Jahrhunderts zunehmende Durchsetzung der herrscherlichen Testierfreiheit und die damit einhergehende Möglichkeit zur Bevorzugung einzelner Personen – etwa im Fall der Primogenitur – ging freilich auf Kosten der grundsätzlichen Gleichheit aller Erben laut hergebrachtem und römisch-­rechtlich untermauertem Familienerbrecht.38 Die normative Kraft der testamentarisch fixierten Regeln erwuchs dabei vor allem aus der hausväterlichen Autorität, der grundsätzlich eine hohe Bedeutung eingeräumt werden muss. Allerdings konnte sich ein Testator aufgrund fehlender Sanktionierungsmöglichkeiten nie sicher sein, ob die von ihm aufgestellte Erbregelung nach seinem Tod auch tatsächlich befolgt werden würde. Das Testament nach römischem Recht bot hier immerhin gewisse formelle Voraussetzungen, die dessen Gültigkeit erhöhen konnten, so etwa die Hinzuziehung von sieben Zeugen sowie eines Notars.39 Testamente, insbesondere von Dynastieoberhäuptern, waren also prinzipiell geeignet, dynastische Normen zu formulieren und mit hohen Geltungsansprüchen auszustatten. Eine andere Möglichkeit, die Herrschaftsweitergabe zu regeln, bestand im Abschluss sogenannter Hausverträge.40 Je nach personeller 35 Diese Entwicklung korrespondiert einerseits mit dem ansteigenden Grad der Schriftlichkeit allgemein sowie andererseits mit einer grundlegenden Tendenz zur Verrechtlichung sozialer Beziehungen in der Frühen Neuzeit; vgl. Schlögl, Anwesende, S. 160 – 168; Nolte, Schriftlichkeit. 36 Diese Charakterisierung ist allerdings den vormodernen Verhältnissen nicht angemessen, da keine Trennung in eine private und eine öffentliche Sphäre existierte und die Regelung der vermeintlich familiären Erbschaftsangelegenheiten eines Herrschers immer auch Auswirkungen auf die politische, mithin öffentliche Ordnung hatte. Die sich hier manifestierende juristische Zwischenstellung spiegelt sich auch in Begriffen wie „Familien-­Staats-­Recht“ (Moser) und „Privatfürstenrecht“ wider, die seit dem 18. Jahrhundert zunehmend Verwendung fanden; vgl. Willoweit, Art. Privatfürstenrecht. 37 Vgl. Richter, Fürstentestamente, bes. S. 255 – 272; Mutschler, Haus, S. 119 – 151; Kasten (Hg.), Fürstentestamente; Schmidt, Illusion; Duchhardt, Politisches Testament. 38 Vgl. Hagemann, Art. Erbrecht, Sp. 974. 39 Vgl. Richter, Fürstentestamente, S. 51 – 54; Schmidt, Illusion, S. 376 – 378. 4 0 Einige Autoren fassen Testamente und Hausverträge im engeren Sinne zusammen unter dem Begriff der „Hausgesetze“ (Mutschler, Haus, S. 136) oder „Hausnormen“ (Weitzel,

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­ onstellation handelte es sich dabei um Abmachungen z­ wischen Gleichen – etwa K ­zwischen Brüdern – oder Ungleichen – häufig z­ wischen einem Vater und seinen Kindern –, wobei trotz Machtgefälle der Rechtscharakter der freiwilligen Einung formal gewahrt blieb.41 Um die Observanz aller Vertragsparteien sicherzustellen, ließ man sie gelegentlich einen Schwur leisten; in einigen Dynastien wurden auch die Nachkommen späterer Generationen dazu angehalten, die wichtigen Verträge des Hauses zu beschwören.42 Hausverträge lassen sich also zunächst einmal anhand ihres variierenden Generalisierungsgrades unterscheiden: Sollten nur die Vertragsparteien selbst auf ein bestimmtes Handeln festgelegt werden, oder ging es auch um die Verpflichtung künftiger Generationen? War Letzteres der Fall, musste man sich besonderer Mittel bedienen, um die Normativität der gefundenen Regelungen auch in der Zukunft sicherzustellen.43 Inhaltlich ging es in den Verträgen vorwiegend um die Regelung der Sukzession, also der Herrschaftsnachfolge im engeren Sinne. Darüber hinaus wurden häufig auch Bestimmungen über die Partizipation am familiären Erbe und die Sicherung des Besitzes vor Veräußerung an Dritte getroffen.44 Aufgrund der inhaltlichen Varianz ist es allerdings schwierig, eine sinnvolle Abgrenzung der Hausverträge gegenüber anderen Vertragsformen zu treffen, weshalb Thomas Mutschler vorschlägt, sie „hinsichtlich ihrer Zielformulierung“45, der Erhaltung des Hauses bzw. des splendor familiae, zu klassifizieren. Diese allgemeine Definition hat den Vorteil, dass sie offen lässt, was in einer jeweiligen Situation als angemessen erscheinen konnte, um den Glanz des Hauses zu sichern und zu erhöhen. Zudem lassen sich damit heuristisch all jene Verträge heraushalten, die zwar ­zwischen Mitgliedern einer Dynastie geschlossen wurden, jedoch andere, minderwichtige Rechtsgeschäfte, beispielsweise die allgegenwärtigen Schuldverschreibungen regelten. Hausverträge sind dementsprechend durch eine gewisse Außeralltäglichkeit gekennzeichnet, die sich aus dem Bewusstsein Hausnormen). Vgl. des Weiteren Brauneder, Art. Hausgesetze; Mutschler, Hausordnung; Kunisch, Staatsbildung; Ders., Hausgesetzgebung; Mohnhaupt, Lehre; Heimann, Pavia; Ders., Hausordnung; Matzerath, Familienverträge; Reif, Westfälischer Adel, S. 78 – 122. 41 Vgl. Weitzel, Hausnormen, S. 44. 42 Einen solchen Fall schildert Mutschler, Haus, S. 101 f. Auch in Waldeck war diese Methode zeitweise in Gebrauch und wurde erstmals in der Erbeinigung von 1507 erwähnt; siehe dazu Kap. 2.3.3. 43 Vgl. zu diesen Überlegungen auch Pfannkuche, Patrimonium, S. 37, der in ­diesem Zusammenhang die Einbeziehung transpersonaler Institutionen wie Stände und K ­ aiser erwähnt. Siehe dazu das Folgende sowie Kap. 2.4.3. 4 4 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 80. Im Laufe der Zeit wurden vielfach weitere Normen, etwa zur Kindererziehung oder zur Heiratspartnerwahl, in die Verträge aufgenommen, wie Matzerath, Familienverträge, am Beispiel des sächsischen Niederadels aufgezeigt hat. 45 Mutschler, Haus, S. 90.

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der Zeitgenossen für einen konkreten Handlungsbedarf ergab, entweder eine geläufige Praxis normativ festzuschreiben oder ein bekanntes Problem durch neue Regelungen zu beseitigen. Ähnlich wie bei den Testamenten besagte aber auch hier die Formalisierung der Normen recht wenig über den künftigen tatsächlichen Umgang mit ihnen. Die vorrangige Absicht vieler Hausverträge und Herrschertestamente bestand, wie bereits gesagt, in der Regelung der Herrschaftsweitergabe. Hier lässt sich in vielen, insbesondere fürstlichen Territorien seit dem 14. Jahrhundert eine allmähliche Zurückdrängung des Prinzips der Landesteilungen zugunsten der Individualsukzession erkennen. Das bedeutet, dass man nur noch einen Nachfolger zur Herrschaft zuließ, während potenzielle Miterben zumeist entweder mit einer rein monetären Versorgung (Apanage) oder mit einem eigenen standesgemäßen Wohnsitz, oft mitsamt dem dazugehörigen Amt und dessen Einkünften (Paragium) abgefunden wurden. War dies, etwa aufgrund beschränkter Ressourcen oder des Willens des Testators, nicht möglich, blieb den nichterbenden Agnaten oftmals nur die Hoffnung auf ein geistliches Amt oder der Eintritt in den Hofbzw. Militärdienst eines mächtigen Fürsten.46 Mit der Einschränkung auf die Individualsukzession war indes noch nicht entschieden, auf wen bei mehreren Prätendenten die Wahl fallen würde. Gelegentlich wird auch in der Forschung die Individualsukzession fälschlicherweise mit der Primogenitur gleichgesetzt, bei der der Erstgeborene des Erblassers die Herrschaftsnachfolge antritt.47 Dies war aber keinesfalls zwangläufig. Alternativmodelle waren beispielsweise das Seniorat, bei dem der jeweils älteste Agnat des gesamten dynastischen Verbandes die Regierung ausübte, sowie das Majorat, wo nach Verwandtschaftsgrad zum E ­ rblasser entschieden wurde.48 In jüngerer Zeit haben verschiedene Autoren teleologische Annahmen über die Verrechtlichung von Dynastien, die vermeintlich zwangsläufig in die Einführung der Primogenitur münde, zurückgewiesen. Stattdessen wurde gezeigt, dass in hausvertraglichen Abkommen oftmals nur eine konkrete Situation geregelt wurde, ohne dass Anspruch auf dauerhafte Geltung in Form einer „abstrakten Rechtsnorm“49 erhoben worden wäre. Vielmehr präfigurierte oftmals die gegenwärtige genealogische Konstellation das Verhältnis ­zwischen den Dynastiemitgliedern und deren Entscheidung für oder gegen bestimmte Sukzessionsmodi. 4 6 Siehe zum Komplex der Nachkommenversorgung Kap. 3.2. 47 Beispiele dafür bei Bergerhausen, Dispositio Albertina. 48 Vgl. Weitzel, Art. Primogenitur. Zum in der Forschung stark beachteten Komplex der Primogenitur auch Schulze, Erstgeburt; Ders., Hausgesetze; Fichtner, Protestantism; Kunisch, Staatsbildung; Weber, Dynastiesicherung, S. 100 f.; Weinfurter, Einheit Bayerns; Stauber, Staat. 49 Bergerhausen, Dispositio Albertina, S. 177.

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Zudem wurden häufig nur s­ olche Normen vertraglich fixiert, die ohnehin den Konsens der Agnaten fanden. Änderte sich die Situation, konnten überkommene Verträge kurzerhand modifiziert werden.50 Es kann daher auch nicht vorausgesetzt werden, dass hausvertragliche Normen stets von allen adressierten Dynastiemitgliedern befolgt wurden. Um die Geltungskraft hausvertraglicher Regelungen zu erhöhen, wurde seit dem Spätmittelalter auf die Möglichkeit zurückgegriffen, die eigenen Vasallen, Ministerialen, aber auch Vertreter der landsässigen Städte in das Verfahren einzubeziehen. Dabei konnten diese tatsächlich an den inhaltlichen Verhandlungen beteiligt oder lediglich als Garanten des bereits ausgehandelten Ergebnisses herangezogen werden. Auch als Schlichter in innerdynastischen Konflikten fungierten die sich formierenden Stände seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert. Eine andere Methode, die Normativität der hausvertraglichen Regelungen zu garantieren, war der Einbezug des Kaisers über den Weg der Privilegienbestätigung.51 Die kaiser­ liche Konfirmation von Hausverträgen wurde besonders im 16. und 17. Jahrhundert häufig ersucht, um deren Verbindlichkeit zu erhöhen und gegenüber den anderen Dynastieangehörigen durchzusetzen. Eine notwendige Bedingung für die rechtliche Gültigkeit von innerdynastischen Dispositionen war sie indes nicht.52

2.2 Lippe Es erweist sich als sinnvoll, die Herrschaftsweitergabe bei den Edelherren und Grafen zur Lippe und den Grafen von Waldeck getrennt voneinander und jeweils in chronologischer Reihenfolge in den Blick zu nehmen, nicht zuletzt weil ­zwischen den einzelnen Ereignissen starke kausale bzw. diskursive Verknüpfungen bestehen. So ist beispielsweise immer wieder zu beobachten, wie sich die Akteure in Sukzessionsverhandlungen auf ältere Ereignisse bezogen und die Praxis der Vorfahren in Gestalt des sogenannten Herkommens als entscheidungsrelevante Norm ins Feld führten. Auch aus d­ iesem Grund ist es notwendig, die mittelalterlichen Grundlagen der beginnenden Verrechtlichung der Herrschaftsweitergabe miteinzubeziehen, wenngleich das Hauptaugenmerk auf der Zeit z­ wischen 1450 und 1650 liegen wird. Zunächst werden die beiden Landesteilungen des 13. und 14. Jahrhunderts untersucht, wobei hier eine Neubewertung gegenüber der bestehenden Literatur unternommen werden soll (2.2.1). Das aus den Erfahrungen der zweiten Teilung 50 Vgl. Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 381. 51 Grundlegend: Mohnhaupt, Confirmatio. 52 Vgl. Mohnhaupt, Lehre, S.  30; Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S.  92; Pfannkuche, Patrimonium, S. 37.

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entstandene Pactum Unionis von 1368 kann als besondere Landmarke betrachtet werden, da es im Verlauf der gesamten Frühen Neuzeit eine wichtige Rolle als fundierender Haus- und Herrschaftsvertrag spielte, auf den häufig rekurriert wurde, so etwa auch durch Simon V. bei der komplizierten Regelung seiner Nachfolge (2.2.2). Nach der Einführung der Reformation kam es zu Auseinandersetzungen ­zwischen den Brüdern Bernhard VIII. und Hermann Simon um die rechtmäßige Form der Herrschaftsweitergabe und ihr Verhältnis zum übrigen Erbe (2.2.3). Eine wichtige Zäsur stellen die Einführung der Primogenitur durch Simon VI. und sein umfängliches Testament dar (2.2.4). Nach seinem Tod 1613 erlebte das Haus Lippe zahlreiche kleinere und größere Sukzessionskonflikte, die die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts prägten und die Struktur der dynastischen Ordnung dauerhaft veränderten (2.2.5 – 2.2.7). 2.2.1 Die Zeit der Landesteilungen bis zum Pactum Unionis (1265 – 1368) Von ihren ersten geschichtlichen Spuren bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts gaben die Edelherren zur Lippe ihre ganz unterschiedlich erworbenen Herrschaftsrechte überwiegend geschlossen vom Vater an den Sohn weiter. Im Gegensatz zu vielen ihrer Zeitgenossen verzichteten sie auf die Praxis der Erbteilungen und hielten sich an das Prinzip der Individualsukzession. Das bedeutet, dass lediglich einem Sohn die Nachfolge in der Herrschaft gestattet wurde, während seine Brüder in den geistlichen Stand traten.53 Diese Strategie führte es mit sich, dass auch nur ein Sohn in die Lage versetzt wurde, zu heiraten und legitime Nachkommen zu produzieren, was das Risiko erheblich erhöhte, dass die Dynastie ‚im Mannesstamm ausstarb‘. Dieser Fall ist bei den Lippern jedoch nicht eingetreten, was auch an ihrem in hohem Maße strategischen Umgang mit den geistlichen Versorgungsmöglichkeiten lag.54 So rekonvertierte der lange als Spitzenahn 55 angenommene Edelherr Bernhard II. († 1224), nachdem er zunächst in das Domstift Hildesheim eingetreten war, zurück in den weltlichen Stand, als sein Bruder, der bis dahin die Herrschaft geführt hatte, unvermittelt starb. Als er in vorgerücktem Alter erneut in den geistlichen Stand wechselte und ins Kloster eintrat – ein

53 Eine Bevorzugung des Erstgeborenen, wie sie später im Zuge der Primogenitur vorgenommen wurde, lässt sich hingegen nicht ohne Weiteres ausmachen. Allerdings ist die Validität solcher Aussagen für die Zeit des Mittelalters begrenzt, da hier zumeist die Geburtsdaten fehlen, sodass schwer zu beurteilen ist, ob in einer Reihe von Brüdern stets der Älteste sukzedierte. 54 Vgl. Zunker, Adel, S. 140 u. 377 f. 55 Der Begriff „Spitzenahn“ verweist hier nicht auf den ältesten bekannten Vorfahren, sondern auf denjenigen, dem in der dynastischen Erinnerungskultur herausragende Bedeutung für die Konstitution der Dynastie zugeschrieben wurde. Siehe dazu auch Kap. 4.2.2.

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ausgesprochen ungewöhnlicher Vorgang –, übernahm sein inzwischen erwachsener Sohn H ­ ermann († 1229) zu Lebzeiten des Vaters die Herrschaft. Dessen Brüder wiederum waren inzwischen alle erfolgreiche Amtsträger in der ­Kirche geworden.56 Die so konsequent praktizierte Individualsukzession bedarf einer Erklärung. Weder lassen sich die von den Edelherren ausgeübten Hoheitsrechte unmittelbar auf ein königliches Grafenamt zurückführen, noch gingen sie in dieser Zeit als Ganzes von einem Fürsten oder gar vom Reich zu Lehen, sodass weder von einem überkommenen Amtscharakter noch von einer vom Lehnsrecht ausgehenden integrativen Wirkung ausgegangen werden kann. Ebenso verfehlt wäre es, hinter dieser Praxis den Wunsch nach Geschlossenheit des Territoriums oder die Furcht vor Gebietsverlusten zu vermuten, womit man dem Charakter der werdenden Landesherrschaft in dieser Zeit nicht gerecht werden würde. Denn diese war zunächst eher eine in der Person des regierenden Landesherrn gebündelte Ansammlung unterschiedlichster Herrschaftsrechte, keineswegs aber eine territoriale Einheit.57 Vielmehr scheint vor allem der Erfolg der Lipper in der Reichskirche maßgeblich für diese frühe Form der Individualsukzession gewesen zu sein. Die von zahlreichen Angehörigen der ersten Generationen von Edelherren besetzten Bischofs- und Propststühle waren weitaus mehr als eine aus der Not geborene Versorgungslösung für diejenigen, die nicht am väterlichen Erbe partizipieren konnten. Im Gegenteil scheint das Dominium nur die Ausgangsbasis für die Erlangung von Ämtern in der Reichskirche gewesen zu sein, ­welche die ‚von Haus aus‘ eher unbedeutenden Lipper in die Lage versetzten, große Politik zu betreiben.58 Eine Veränderung der Sukzessionspraxis setzte allerdings bereits in der Mitte des 13. Jahrhunderts ein. Die ersten Ansätze zu einer Erbteilung lassen sich unter Bernhard III. († 1265) ausmachen, der seine zwei Söhne schon zu Lebzeiten mit einem Anteil an der Herrschaft bedachte. Der ältere und offenbar von vornherein für die Regierung vorgesehene Bernhard IV. erhielt dabei die Burg Rheda, der jüngere, Hermann III., unter Verzicht auf seine geistlichen Pfründen, Lippstadt und Horn. Die übrige Herrschaft, die vor allem aus dem neu erworbenen Teil östlich des Osnings bestand, behielt sich der Vater vor. Aufgrund des Mangels an aussagekräftigen Quellen lässt sich über dessen Gründe für die Abkehr von der bisherigen Praxis nur spekulieren. Jedoch fällt diese Erbregelung in eine Phase vermehrter Landesteilungen bei Grafen und Fürsten, die mit der Betonung des Geblütsrechts zusammenhängt. Nach Bernhards Tod brachen z­ wischen den 56 Vgl. Schmidt, Hermann II ., S. 210 f.; Linde, Bernhard VII . und die Edelherren, S. 12; Biermann, Weserraum, S. 325 f. Allgemein zu Bernhard II. siehe Bender, Bernhard II.; Meier, Heiliger; sowie diverse Aufsätze in Prieur (Hg.), Lippe und Livland. 57 Vgl. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 5; Pfannkuche, Patrimonium, S. 24. 58 Siehe dazu auch Kap. 3.2.1.

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Söhnen Streitigkeiten um die rechtmäßige Sukzession auf, da der Verstorbene hierzu keine endgültige Regelung getroffen hatte – das Mittel der testamentarischen Einsetzung eines Nachfolgers kam bei den Grafen und Herren erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts auf. Der Konflikt wurde schließlich von Bischof Simon von Paderborn, dem Onkel der streitenden Brüder, sowie befreundeten Standesgenossen geschlichtet und mündete kurz nach 1265 in einen Vergleich, der die de facto schon vollzogene Herrschaftsteilung festschrieb.59 Da jedoch Hermann († 1274) und Bernhard († 1275) kurz hintereinander verstarben, konnte der einzige Sohn des Letzteren, Simon I., die gesamte Herrschaft wiederum in einer Hand vereinen.60 Die Regierungszeit Simons († 1344) währte einschließlich der unter Vormundschaft verbrachten frühen Zeit beinahe 70 Jahre. Nach seinem Tod kam es allerdings zu einer zweiten Teilung, die weitaus stärkere Auswirkungen sowohl auf die normative Fassung des Verwandtschaftsverbands als auch auf die Gestalt des sich formierenden lippischen Territoriums haben sollte. Von den sieben Söhnen Simons und seiner Gemahlin Alheydis von Waldeck, die das Erwachsenenalter erreichten, traten sechs in den geistlichen Stand ein. Lediglich Otto I. († 1360) blieb weltlich und nahm schon zu Lebzeiten seines Vaters an den Regierungsgeschäften teil,61 was auf seine designierte Nachfolge hindeutet. Sein Bruder Bernhard V. († 1365), der zunächst Kanoniker in Paderborn gewesen war, kehrte jedoch ins weltliche Leben zurück und wurde an der väterlichen Herrschaft beteiligt. In einem brüderlichen Vertrag wurde die gleichmäßige Aufteilung der lippischen Herrschaftsgebiete vereinbart, indem der Umfang der zwei Hälften in der Teilungsurkunde festgelegt, die Zuteilung jedoch dem Los überlassen wurde.62 Der Teil ‚diesseits des Waldes‘ mit den Schwerpunkten Lemgo, Blomberg und der Falkenburg ging dadurch an Otto, während der südwestliche Teil um Rheda und Lippstadt an Bernhard fiel. Das noch im Erwerbungsprozess befindliche Schwalenberg sollte vorerst in gemeinsamem Besitz verbleiben. Dies und die noch genauer zu betrachtende Erbeinigungsklausel machen deutlich, dass die Herrschaft nicht dauerhaft in zwei voneinander unabhängige Teile zerfallen sollte, obschon Huldigungsumritte und Lehnsmutung von den Brüdern separat vorgenommen wurden.63 59 Vgl. LR NF, 1265.00.00 – 1269.00.00. 60 Da die Herrschaftsteilung kaum Effekte zeitigte, ist sie von der landesgeschichtlichen Forschung im Gegensatz zur zweiten Teilung kaum beachtet worden. Vgl. jedoch Kiewning, Lippische Geschichte, S. 42 – 4 4; Gaul, Bemerkungen, S. 89 f.; Schaub, Herrschaft Rheda, S. 40 f. 61 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 164. 62 Vgl. LAV NRW OWL , L 1 A Alte Teilungsverträge, 16. 10. 1344; LR N. F. 1344.10.16; abgedruckt bei Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 166 – 168. 63 Vgl. ebd., S. 169 – 172.

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Aus verfassungsgeschichtlicher Sicht ließe sich die Teilung durchaus positiv bewerten, da sie zu einer Herrschaftsintensivierung in den relativ weit vonein­ ander entfernt liegenden und durch den Höhenzug des Teutoburger Waldes getrennten Gebieten durch je einen Herrscher vor Ort führen mochte.64 Den spätmittelalterlichen Dynasten war es indes nicht um effiziente Herrschaftsausübung, geschweige denn um eine planmäßige Territorialpolitik zu tun, sondern um die Sicherung der Kontinuität ihrer Herrschaft. Dazu musste das biologische Überleben der Dynastie um jeden Preis sichergestellt werden, was am besten dadurch gewährleistet wurde, dass man einem zweiten Sohn erlaubte, zu heiraten und Kinder zu zeugen. Im Falle, dass einer Linie der männliche Erbe fehlte, konnte die andere die Herrschaft dann wieder vereinen und weiterführen. Die Erfahrungen der vorangegangenen Generation, bei der die Herrschaft trotz Teilung letzten Endes an einer einzigen Person, Simon I., hing, der wiederum selbst nur durch eine außergewöhnlich lange Lebensspanne und großen Kinderreichtum für Kontinuität sorgte, werden zu der bewusst getroffenen Entscheidung zugunsten einer erneuten Teilung beigetragen haben. Diese diente mithin „ganz konkret der Bestandssicherung“ und nicht der „Befriedigung eines dynastischen Egoismus“65. Nur so ist es auch zu erklären, dass Bernhard V. dem geistlichen Leben den Rücken kehrte und ein oder zwei Jahre vor der eigentlichen Herrschaftsteilung – mithin noch zu Lebzeiten seines Vaters – eine Ehe mit Richarde von der Mark einging. Allein da diese Ehe keine das Kindesalter überlebenden Söhne hervorbrachte, ging das Kalkül nicht auf, und es kam zu den im Folgenden geschilderten Ereignissen. Da beide Herrschaften auch künftig miteinander verbunden sein sollten, wurde mit der Teilung zugleich eine gemeinsame Erbeinigung für den Fall geschlossen, dass einer der beiden Edelherren ohne ehelich gezeugte männliche Nachkommen bliebe. Dann nämlich solde sin del herschap weder komen in der rechten erven hant 66. Aus dieser uneindeutigen Formulierung erwuchsen in der Folgezeit allerdings Konflikte um die Identifizierung des rechtmäßigen Erben unter 6 4 Schon aus ­diesem Grund sind die oft geäußerten Negativurteile über die Teilung, die vom Endergebnis, dem Verlust Rhedas für das sich erst allmählich konstituierende lippische Territorium, her denken, unangemessen. Siehe für derartige Bewertungen etwa Falkmann, der vom „Zerstörungswerk“ (ebd., S. 169) der Teilung spricht. Süvern, Acht Jahrhunderte, S. 383, hält sie für „verhängnisvoll“. Jüngere Studien enthalten sich zwar derart negativer Urteile, gehen aber ebenfalls oft vom Paradigma der Territorialisierung aus und legen den Schwerpunkt dementsprechend auf die territorialen Verluste statt auf die dahinterliegenden dynastischen Überlegungen; vgl. Biermann, Weserraum S. 321; Johanek, Lippe, S. 876. 65 Spiess, Familie, S. 273. 66 Zit. nach Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 167. Hier deutet auch die Formulierung sin del herschap (= sein Teil der Herrschaft) auf ein integratives, kollektives Herrschaftsverständnis hin, das einer Realteilung widerspricht.

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den verschiedenen Herrschaftsprätendenten, die nach dem erbenlosen Ableben Bernhards zu Beginn des Jahres 1365 Ansprüche erhoben. Simon III . († 1410), der Sohn und Nachfolger Ottos, ging davon aus, dass der Teil seines Onkels nun wieder an ihn als nächsten männlichen Erben fallen müsse, was jedoch alles andere als selbstverständlich war, zumal es sich bei der Herrschaft größtenteils um allodiale Güter und nicht um Lehen handelte.67 Dagegen pochte die Witwe Bernhards, Richarde, auf das Erbrecht ihrer ältesten Tochter Adelheid, w ­ elche mit 68 Graf Otto VI. von Tecklenburg vermählt war. Hier prallten nicht nur handfeste Herrschafts- und Besitzinteressen aufeinander, sondern ebenso unterschiedliche Ansichten über die grundlegende Frage, ob kognatische Verwandte erbberechtigt, ob mit den rechten Erben also nur männliche oder auch weibliche Erben gemeint waren. Es muss offenbleiben, ob den Verfassern des Teilungsvertrags von 1344 die sprachliche Ambiguität ihrer Regelung schlicht nicht klar gewesen war, oder ob dadurch möglicherweise gegenläufige Interessen hinter einer Konsensfassade verhüllt werden sollten.69 Grundsätzlich zeigt sich jedoch, dass die Zeitgenossen noch nicht in den Begriffen einer Dynastie als agnatischer Linie dachten, sondern dass alternative Erbrechte und verwandtschaftliche Nahbeziehungen eine wesentliche Rolle spielten. So standen Richarde von der Mark die materiellen Interessen ihrer Tochter (und ihre eigenen) offenbar näher als die ihres Neffen Simon. Kurzerhand instituierte sie ihren Schwiegersohn Otto von Tecklenburg in einem Vergleich vom 12. März 1365 als Vormund und übergab ihm die Herrschaft jenseits des Waldes, so wie ihr Gemahl Bernhard sie besessen hatte. Im Gegenzug ließ sie sich ihr Wittum in Lippstadt oder Horn garantieren. Hinsichtlich der zukünftigen Sukzession setzten die Parteien gemeinsam eine Reihenfolge fest, der zufolge zunächst die Nachkommen Ottos und Adelheids, dann diejenigen der allerdings unverheirateten Heilwig, einer weiteren Tochter Bernhards, und schließlich dessen Enkelin Metta erbberechtigt sein sollten.70 Der 67 Während Lehen überwiegend an männliche Agnaten weitergegeben wurden, ging allodialer Eigenbesitz im Spätmittelalter nicht selten an Töchter über, insbesondere, wenn kein männlicher Erbe existierte. Der konsequente Ausschluss der Töchter vom territorialen Erbe der Dynastie wurde erst in späterer Zeit vollzogen. 68 Darüber hinaus beanspruchte Richarde für sich die Garantie ihres verschriebenen ­Wittums, während die Ehemänner der Schwestern des Verstorbenen, die Grafen von Bentheim, ­Everstein und Holstein-­Schaumburg, auf ihre jeweiligen Brautschätze, deren Zahlung noch ausstand, drangen. Vgl. Biermann, Weserraum, S. 321; Kittel, Heimatchronik, S. 74; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 178 – 181. 69 So spekuliert Schaub, Herrschaft Rheda, S. 43, dass möglicherweise die beiden Gemahlinnen der Grafen – Schwestern und geborene Gräfinnen von der Mark –, die am Vertragsschluss beteiligt gewesen waren, die Möglichkeit der weiblichen Erbfolge bewusst zulassen wollten. Denkbar wäre auch, dass ein Erbanfall an das Haus Mark in Betracht gezogen wurde. 70 Vgl. LR II, Nr. 1128.

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bei d­ iesem Vergleich völlig übergangene Simon zur Lippe war indes nicht gewillt, seine Ansprüche auf das Erbe seines Onkels aufzugeben. Wohl mithilfe der Fürsprache der Grafen von der Mark gelang es ihm zunächst, seine Tante Richarde und deren Tochter Heilwig zu einem Sinneswandel zu bewegen. Etwa ein Jahr nach der Herrschaftsübergabe an Tecklenburg verzichteten beide Frauen auf ihr Erbrecht und ernannten nun Simon zum Gesamterben der Herrschaft, welcher Richarde im Gegenzug ein überaus großzügiges Wittum, Heilwig dagegen eine hohe Ausstattung für eine Heirat vermachte. Zugleich versprachen die beiden Frauen, die Städte Lippstadt und Horn zur Huldigung Simons aufzufordern und Hilfe bei der Rückgewinnung der Burgen Rheda und Lipperode zu leisten.71 Da Otto von Tecklenburg allerdings ebenso wenig bereit war, seine erworbenen Herrschaftsteile abzutreten, entspann sich eine Jahrzehnte währende Fehde, die für die lippischen Edelherren letztlich mit dem endgültigen Verlust von Rheda endete.72 Im Folgenden ging Simon daran, die Unteilbarkeit des lippischen Dominiums sowie die Sukzession nur jeweils eines einzigen Herrn festzuschreiben. Auslöser für diese Normierung war weniger die eigentliche Teilung von 1344, wie es gelegentlich verkürzt dargestellt wird, sondern vielmehr die Erfahrung des drohenden Verlusts von Herrschaftsteilen. Zu ­diesem Zwecke erteilte er 1366 zunächst den beiden wichtigsten Städten seiner Herrschaft, Lemgo und Lippstadt, ein Privileg, nach dem ihre Bürger niemande huldegen sulen noch en dörven, dan einen Mann Eruenn, edder Vnsem rechten Eruen in eine Handt so vern alß Vnnse herschap thor Lippe aff jensydt deß Waldeß vnnd aff dyssydt deß Waldeß, vnd wath wy der dar noch tho bekrefftigen künnen In ein blievet ungedeilet 73.

71 Vgl. die drei am 09. 04. 1366 geschlossenen Verträge in LR NF ; sowie in: LAV NRW OWL , L 1 A Alte Teilungsverträge, 09. 04. 1366 (zwei Urkunden); ebd., 22. 08. 1366 (Erbverzicht Heilwigs). Vgl. Schaub, Herrschaft Rheda, S. 47; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 181 – 185. 72 Lediglich Lippstadt blieb noch in lippischem Besitz, musste aber 1376 aus akutem Geldmangel an die Grafen von der Mark verpfändet werden und stand ab 1445 unter gemeinsamer Herrschaft von Lippe und Kleve-­Mark. Der Anspruch auf die Herrschaft Rheda wurde von Lippe freilich noch bis 1491 aufrechterhalten. Hier erwies es sich letztlich als Nachteil, dass die 1245 erfolgte Lehnsauftragung Rhedas an den Bischof von Münster längst in Vergessenheit geraten war, da die Lehnsqualität, wäre sie anerkannt worden, eine agnatische Erbfolge vorgeschrieben hätte. Ein 1450 unternommener Versuch Bernhards VII., von Münster erneut die Belehnung mit Rheda zu erlangen, blieb erfolglos. Vgl. Schaub, Herrschaft Rheda, S. 47 – 52; Kittel, Heimatchronik, S. 74; Kiewning, Lippische Geschichte, S. 104; Gaul, Bemerkungen, S. 90; Biermann, Weserraum, S. 155 f.; sowie die ausführliche Schilderung der Fehde bei Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 189 – 224. 73 Hier zit. nach dem Lippstädter Vidimus von 1592, abgedruckt bei Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 147. Vgl. auch LR II, Nr. 1159.

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Der Fokus lag hier also auf der Unteilbarkeit der Herrschaft und der dazu notwendigen Individualsukzession, mit der Erbteilungen und daraus potenziell erwachsende Gebietsverluste in Zukunft vermieden werden sollten. Bemerkenswerterweise wählte Simon den Weg des landesherrlichen Privilegs und normierte damit streng genommen nicht die Sukzession seiner Nachfolger, sondern das Huldigungsverhalten der Städte. Diese sollten lediglich einen einzigen Erben als neuen Herrscher anerkennen, wobei es sich bei d­ iesem dem Wortlaut der Urkunde nach sowohl um einen agnatischen Mannserben als auch um einen über die weibliche Linie vermittelten Verwandten handeln konnte. Zwei Jahre später weitete Simon III. den Adressatenkreis d­ ieses Privilegs auf alle Ritter, Städte und sonstigen Vasallen der Herrschaft aus. Das sogenannte Pactum Unionis vom 27. Dezember 1368 markiert zweifelsohne eine wichtige Zäsur in der normativen Formierung der lippischen Dynastie, indem es erstmals verbindlich Unteilbarkeit und Individualsukzession in einem landesweiten Herrschaftsvertrag festschrieb. Simon ging es nach eigenen Worten darum, dass seine gemeine landt vnnd herscop […] althosamende vnnd vngedelet evelicken tho blievende vnnd wesenn schall 74 und dass aus d­ iesem Grund nur ein einziger Herr zur Lippe sukze­ dieren könne, dem die Ritter und Städte dann huldigen sollten. Zugleich trug er Vorsorge für den Fall der uneindeutigen Erbfolge: Weret aver dath wy na vnserem dode achter lethenn Man erven, de tho Vnser herscop hore­ den, oder rechten erven, an welckeren vnnder den Mann erven tho voren, efft se dar sin, oder doch rechte erven, de Stadt vonn der Lippe vnnd de Stadt von Lemgo sich dann kehret, dar schall Vnnse vorschrivenn gemeine landt vppe düße sydt deß Woldes vnnd vppe gene sydt sich anekerenn, vnd deß oick volgenn vnd huldenn deme 75.

Damit war einerseits die Situation antizipiert, dass mehrere Söhne oder sonstige agnatische Verwandte (Man erven) sich um die Herrschaft streiten würden, andererseits der Fall, dass lediglich verheiratete Töchter (rechte erven) hinterlassen und somit ein Erbgang über die weibliche Linie notwendig werden würde. In beiden Fällen sollte den städtischen Oberen von Lippstadt und Lemgo – und nicht etwa dem Ministerialadel – das Wahlrecht über den zukünftigen Landesherrn vorbehalten sein, wobei allerdings keine Regelung für den Fall der Uneinigkeit beider Städte getroffen wurde.76 Des Weiteren ist am Pactum Unionis bemerkenswert, dass es nicht auf die Regelung einer konkreten Situation abzielte, sondern vielmehr 74 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 147 f. 75 Ebd., S. 148. 76 Dieses städtische Dispositionsrecht über die landesherrliche Erbfolge war selten, aber keineswegs einzigartig. Ein ähnliches Beispiel – die unklare Nachfolge Wilhelms II. von Braunschweig-­Lüneburg und das 1354 zeitweilig ausgesprochene Wahlrecht der Städte Hannover und Lüneburg – bei Pfannkuche, Patrimonium, S. 251 f.

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zu evelicken Zeiten gelten sollte. Im Falle, dass Simon oder seine Nachfolger ihr Territorium in Zukunft noch erweitern würden, sollte das Privileg auch auf die Neuerwerbungen übertragen werden. Hierin lässt sich vor allem die Hoffnung auf eine Rückgewinnung der an Tecklenburg verlorenen Gebiete erkennen.77 Höchstwahrscheinlich ersann Simon III. die Festschreibung der Individualsukzession nicht allein aufgrund seiner eigenen negativen Erfahrungen. Als sicheres Vorbild wird von der Forschung meist die 1356 erlassene Goldene Bulle angeführt, die Teilungsverbot und Primogeniturerbfolge für die kurfürstlichen Territorien vorschrieb. Dies liegt aufgrund der ähnlichen Bestimmungen und der zeitlichen Nähe auf der Hand, sollte jedoch nicht den Blick auf weitere mögliche Einflussquellen verstellen, denn Verbote von Landesteilungen mehrten sich um die Mitte des 14. Jahrhunderts. So hatte in Hessen Landgraf Otto I. bereits 1311 mit allerdings geringem Erfolg versucht, Unteilbarkeit und Primogenitur einzuführen. Weitere Teilungsverbote wurden in unterschiedlichen Rechtsformen in der Grafschaft Katzenelnbogen (1331), in Bayern (1340), Braunschweig (1351), Brabant (1356) und Württemberg (1361) ausgesprochen.78 Ist das Pactum Unionis nun als Hausvertrag oder vielmehr als Herrschaftsvertrag 79 einzustufen? Der äußeren Form nach handelt es sich bei der Urkunde um eine Mischform aus einem ­zwischen zwei Parteien geschlossenen Vertrag und einem landesherrlichen Privileg. Während Simon verkündete, dass er Rittern und Städten eine genade gewähre, traten die Empfänger ­dieses Privilegs – namentlich die Städte Horn, Blomberg und Detmold sowie die Burgmannen von Varenholz, Brake, der Falkenburg, Blomberg und Detmold – zugleich als siegelnde Vertragspartner auf und bekundeten ihre Bereitschaft, sich künftig dem Votum Lemgos und Lippstadts zu unterwerfen. Insofern stellt das Pactum Unionis eine landesherrliche Garantie der Unteilbarkeit der lippischen Herrschaft dar, die exakt den Interessen der Privilegienempfänger entsprach.80 Es ist daher folgerichtig, wenn 77 Tatsächlich trat das städtische Wahlrecht niemals in Kraft, da in den folgenden vier Generationen stets ein männlicher Erbe zur Verfügung stand, dessen Sukzessionsberechtigung von seinen agnatischen Verwandten nicht infrage gestellt wurde. Als es rund 150 Jahre später in der Tat so schien, dass der inzwischen regierende Simon V. keine Nachkommen haben würde und das Aussterben der Dynastie drohte, wurde das urkundlich verbriefte Privileg der Städte durch einen neuen Vertrag kurzerhand wieder abgeschafft. 78 Vgl. Schulze, Erstgeburt, S. 138 u. 317 – 320; Näf, Herrschaftsverträge, S. 31 – 34. 79 Dazu trotz staatsfixierter Blickrichtung nach wie vor grundlegend Näf, Herrschaftsverträge; vgl. Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 98 f. 80 Ihnen musste ohne Zweifel an der territorialen Integrität gelegen sein, da viele Ritter als Lehnsnehmer des Edelherrn überall im Land verstreute Lehen besaßen, die sie nicht ausein­ andergerissen sehen mochten. Auch die Bürgermeister und Räte waren an der Vermeidung einer Landesteilung interessiert, da eine s­ olche die engen Kommunikations- und Wirtschaftszusammenhänge ­zwischen den lippischen Städten abrupt unterbrochen hätte. Vgl. dazu Schubert, Einführung, S. 207.

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Simon in der Urkundennarratio für sich in Anspruch nimmt, vmme Vnses gemei­ nen lanndeß besten willen 81 zu handeln; als Gemeinwohl definierte er die territoriale Unteilbarkeit zugunsten der Untertanen, während dynastische Erwägungen hier zunächst keine Rolle zu spielen schienen. Das den Städten und Rittern verliehene Privileg, über die Unteilbarkeit des Landes zu wachen, wurde in der folgenden Zeit konstitutiv für den Zusammenschluss der lippischen Stände als zumindest in dieser Frage relativ homogenem Interessenverband, der bei Sukzessionskonflikten den Landesherren gegenübertreten konnte – ein Prozess, der freilich erst im 16. Jahrhundert richtig in Gang kam.82 Dennoch macht nicht nur der Umstand, dass in der Frühen Neuzeit im Zuge innerdynastischer Sukzessionskonflikte häufig auf das Pactum rekurriert wurde, d­ ieses ex post zu einem wichtigen Hausvertrag. Die spätere Prominenz ergibt sich vielmehr bereits aus dem Umstand, dass der Vertrag die früheste rechtliche Formalisierung eines Sukzessionsmodus enthält, der durch die Festlegung für alle Zeiten den Charakter einer abstrakten Norm annahm. Die bisherige praktische Observanz, von der – wie die Teilungen 1267 und 1344 gezeigt hatten – jederzeit abgewichen werden konnte, wurde nun in Rechtsform gegossen und damit normativ aufgeladen. Obschon freilich auch künftig gegen die Normen von Individualsukzession und Teilungsverbot verstoßen werden konnte, ließ sich deren Geltung von nun an leichter behaupten und kontrafaktisch aufrechterhalten: Befürworter der Einzelerbfolge konnten nun jederzeit auf das Pactum Unionis als rechtliche Grundlage verweisen und wussten sich in ihren Interessen zusätzlich von den Ständen unterstützt.83 Wessen Interessen aber wurden hier – von Städten und Ritterschaft abgesehen – eigentlich bedient? Auf dem Feld der Dynastie waren es vor allem die des regierenden Landesherrn, dessen Machtbasis durch das Teilungsverbot vor Schmälerungen geschützt wurde und der nun weniger Furcht vor Nebenbuhlern um die Herrschaft zu haben brauchte. Alle übrigen Agnaten, denen bislang zumindest ein potenzielles Recht auf Herrschaftspartizipation zugestanden worden war, hatten es künftig weitaus schwerer, diesen Anspruch durchzusetzen. Gegen den Herrschaftsvertrag sollte auch das Argument der Kontinuitätssicherung durch Linienbildung nicht mehr ins Feld geführt werden können. Bezeichnenderweise erließ Simon III. ­dieses Privileg zu einem Zeitpunkt, an dem

81 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 147. 82 Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 17, hält die vom Pactum eingeräumte Machtbefugnis zu Recht für die wichtigste rechtliche Grundlage der sich formierenden Stände neben dem Privileg der Steuerbewilligung. 83 Eine derartige „Stärkung des normativen Charakters der einseitigen Verfügungen“ (Weitzel, Hausnormen, S. 43) durch die verpflichtende Einbeziehung einer dritten Partei, wie sie im Pactum Unionis von Simon III. geschickt vollführt worden war, trug viel zur Stabilisierung hausrechtlicher Normen bei.

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er selbst zwar bereits mit Bernhard VI. († 1415)84 einen leiblichen Erben, darüber hinaus jedoch keine weiteren Söhne hatte, sodass mithin auch kein Widerspruch seitens der Benachteiligten zu erwarten war. Hier erweist sich die Notwendigkeit einer „günstigen genealogischen Situation“85 für den Abschluss derartiger Hausund Herrschaftsverträge. In der bisherigen Forschung ist das Pactum Unionis vornehmlich als bedeutender Herrschaftsvertrag gewürdigt worden.86 Man sah in ihm „den Ursprung der Landstände, den Grundstein der Haus- und Landesverfassung, den Keim der Landeseinheit“87. Mit Blick auf seine Funktion und Bedeutung als Hausvertrag ist ergänzend festzuhalten, dass es sich ebenfalls um die früheste Normierung der Sukzessionspraxis innerhalb der edelherrlichen Erbengemeinschaft handelt, w ­ elche hier als rechtlich konstituierte und prospektiv imaginierte Dynastie erscheint. Mit der Festschreibung der Individualsukzession siegte vorerst der Wunsch nach territorialer Bestandssicherung über die noch kaum erprobte Praxis der Linienbildung und den aufkommenden Gedanken, dass die Herrschaft im kollektiven Besitz der Dynastie lag. Aus der Logik der Situation heraus, die von den Verlusterfahrungen im Gefolge der Teilung von 1344 geprägt war, erschien es Simon sinnvoll, der Bewahrung der Erbmasse die höhere Priorität einzuräumen. Der Umstand, dass zu ­diesem Zweck auf die Einbindung einer dritten, dynastieexternen Partei zurückgegriffen wurde, sollte allerdings nicht dazu verleiten, das Pactum Unionis ausschließlich unter dem Aspekt beginnender Territorialstaatlichkeit zu beurteilen. Simon agierte ganz als Sachwalter des Erbes seiner Dynastie. Mit dem Einbezug seiner Städte und adligen Vasallen hoffte er, den zeit- und generationenüberdauernden Geltungsanspruch garantieren zu können, den eine einseitige Disposition nicht zu leisten im Stande gewesen wäre. Spätestens nach seinem Tode hätte es erneut Erbauseinandersetzungen geben können. Die Städte, die im Gegensatz zur spätmittelalterlichen Dynastie längst die Form einer transpersonalen Institution angenommen hatten, boten hier ein adäquates Mittel zur Schaffung von Kontinuität. Die folgenden vier Herrscherwechsel der mittelalterlichen Edelherren belegen, dass die Norm der Individualsukzession auch in der Praxis befolgt wurde. Während stets ein einziger Sohn das väterliche Erbe und die Herrschaft übernahm, schlugen dessen Brüder – sofern vorhanden – die geistliche Laufbahn

84 Dessen Geburtsjahr ist ungesichert, wird aber zumeist mit 1363 angegeben. Urkundlich wird er freilich erst seit 1374 greifbar; vgl. Linde, Stammreihe, S. 370. 85 Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 25. 86 Unter territorialstaatlichen Vorzeichen wurde es verschiedentlich als Grundlage der lippischen Landesverfassung bezeichnet, so etwa bei Kiewning, Lippische Geschichte, S. 64 u. Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 17. 87 Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 189. Ähnlich urteilen auch Meier, Eckstein, S. 49 f. u. Linde, Bernhard VII. und die Edelherren, S. 17.

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ein. Schwerwiegende innerdynastische Konflikte um die Nachfolge scheint es im ansonsten fehdereichen 14. und 15. Jahrhundert in Lippe nicht gegeben zu haben. Offenbar stärkte die formalisierte Norm tatsächlich die Legitimation der jeweiligen Sukzessoren. In der Vormundschaftsphase von 1415 bis 1422 scheinen auch die im Pactum Unionis berufenen Vertreter der Städte und Ritter an der Regimentsbildung beteiligt gewesen zu sein, wenngleich von einer direkten Wahl eines Nachfolgers durch Lemgo und Lippstadt nichts bekannt ist. Nach einer weiteren Vormundschaftsregierung gelangte 1446 der erst siebzehnjährige Bernhard VII. (1428 – 1511) durch eine vorzeitige Mündigkeitserklärung seitens der städtischen und adligen Vertreter der Landschaft an die Regierung.88 2.2.2 Keine Wahl? Die Sukzessionskrise Simons V. (1489 – 1517) Aus seiner Ehe mit Anna von Schaumburg hatte Bernhard VII. zwei Söhne, den älteren Simon V. (1471 – 1536) und den jüngeren Bernhard († 1513). Die Bestimmungen des Pactum Unionis, aber auch die Praxis seiner Vorgänger, legten es nahe, den einen zu seinem Nachfolger zu bestimmen, für den anderen dagegen eine kirchliche Pfründe zu beschaffen. Zunächst sah es auch danach aus, dass Bernhard diese Praxis fortführen würde.89 Am 5. November 1489 schloss er einen Ehevertrag mit dem geldernschen Herrn Gisbert von Bronkhorst, dessen Tochter Walburg seinen Sohn Simon zur Gemahlin nehmen sollte. Darin garantierte er, dass Simon allein – und nach ihm dessen Nachkommen – die Herrschaft über Land und Leute erben würde, während für den jüngeren Bruder lediglich ein standesgemäßer Unterhalt bereitgestellt werden sollte.90 Diese Festlegung der Sukzession im Rahmen eines Ehevertrags mit einer dritten Partei war durchaus nicht ungewöhnlich.91 Mit hoher Wahrscheinlichkeit war es Gisbert, der auf dem

88 Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 82 f. Zu Bernhard VII . allgemein Linde, ­Bernhard VII. zur Lippe; Ders. Bernhard VII. und die Edelherren; Huismann, B ­ ernhardus Bellicosus; Hüther, Gottvertrauen; Meier, Unter Brüdern. 89 Siehe zum Folgenden auch Pieper, Bernhard VII., S. 144 – 148. 90 Dabei sollte es sich wahrscheinlich ebenfalls um einen Teil des Landes handeln, da monetäre Apanagen noch nicht üblich waren. Wörtlich lautet die entsprechende Passage: dair von syn broder so vole heben sall, dair van hey sich geborlichen halden mach syn leven lanck und nicht lantzher, dat en were sake dat hye dorch hulpe der freunden tot andern lantschappen qweme dair von hye sich unthalden mochte, LAV NRW OWL , L 1 B, Nr. 6. Vgl. LR IV , Nr. 2750. Die Herausgeber der Regesten meinten in dieser Regelung die früheste ausdrückliche Anerkennung des Primogeniturrechts zu erkennen, was allerdings den Quellentext überstrapaziert, da vom Erstgeborenenstatus Simons ebenso wenig die Rede ist wie von der Implementation eines dauerhaften Sukzessionsmodus. 91 Vgl. Spiess, Familie, S. 51 – 54.

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Versprechen der alleinigen Herrschaftsnachfolge seines zukünftigen Schwiegersohnes beharrte und Bernhard damit auf diese Form seiner Nachfolgeregelung verpflichtete. Zugleich wurde in dem Ehevertrag auch eine Erbverbrüderung über die Herrschaft Bronkhorst geschlossen, die nach dem erbenlosen Tode Gisberts, der keine eigenen Söhne hatte, an Walburg und ihren Gemahl Simon fallen sollte. Obgleich Gisbert tatsächlich kurze Zeit später das Zeitliche segnete, erfüllten sich die berechtigten Hoffnungen auf einen Anfall der geldernschen Herrschaft an die Edelherren nicht.92 Wohl aufgrund des Todes Gisberts sah sich Bernhard nun nicht mehr an die Bestimmungen des Ehevertrags gebunden. Anstatt die Landesherrschaft einzig seinem Erstgeborenen zu vermachen, spielte er nun mit dem Gedanken, eine Teilung ­zwischen seinen beiden Söhnen zu vollziehen, wie sie im 13. und 14. Jahrhundert ja bereits vorgekommen war. Dazu bediente er sich eines Mittels zur Regelung seiner Nachfolge, das bisher noch von keinem lippischen Edelherrn angewandt worden war: Er entwarf ein Testament, in dem er beide Söhne als seine Erben einsetzte. Obschon das überlieferte Konzept 93 aller Wahrscheinlichkeit nach nie rechtskräftig wurde, lohnt sich ein Blick auf seine Bestimmungen, da sie der bisherigen Praxis zuwiderliefen. In ihm heißt es, dass Bernhard seine Söhne Simon und Bernhard in eine mosdelinge verglichen habe. Dabei handelte es sich um eine gleichmäßige Landesteilung, wobei dem Älteren neben den Ämtern Blomberg, Horn und Detmold gewisse Vorrechte eingeräumt wurden, namentlich die Huldigung der wichtigsten Städte Lippstadt und Lemgo. Die Ämter Sternberg, welches eine schaumburgische Pfandschaft war, und Brake wurden hingegen dem Jüngeren, Bernhard, zugesprochen, an den sich auch die Bürger von Varenholz, Alverdissen, Barntrup und Salzuflen als an ihren lanthern wenden sollten. Das fahrende Gut sollte größtenteils z­ wischen beiden aufgeteilt werden, ebenso die Schulden. Die weltlichen Lehen sollte Simon verteilen, dem auch das Lehngeld zustünde, während die geistlichen abwechselnd ausgegeben werden sollten. Diese Teilung sollte nur zu Lebzeiten der beiden Brüder währen. Nach ihrem Tode 92 Gisbert starb nämlich unverhofft schon vor dem Vollzug der Hochzeitszeremonie, woraufhin ein Streit ­zwischen Bernhard und seinem Sohn Simon einerseits und dem Bruder des Verstorbenen, Friedrich von Bronkhorst, andererseits um die hinterlassene Herrschaft sowie um die Zahlung der Mitgift ausbrach. Vgl. LR IV, Nr. 2757, Anm. Grundlegend zum Thema Erbverbrüderungen, die vor allem im Spätmittelalter häufig ­zwischen zwei nicht unmittelbar miteinander verwandten Landesherren geschlossen wurden, Schlinker, Bedeutung. 93 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 45; sowie LR IV , Nr. 2890. Die Angaben zur Datierung des Konzepts sind widersprüchlich. Laut Vermerk des Archivars Knoch ist es um 1490 entstanden, die Herausgeber der Regesten datieren es dagegen auf die Jahre ­zwischen 1500 und 1511. Da in ihm Simons Gemahlin Walburg bereits erwähnt, für Bernhard den Jüngeren hingegen die Option zu heiraten in Aussicht gestellt wird, ist ein Entstehungszeitraum ­zwischen 1490 und 1493 (geplantes Eheprojekt Bernhards) wahrscheinlich.

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sollten ihre Erben neu verhandeln und die Teilung entweder fortsetzen oder sich anderweitig vergleichen. Mit dieser präzisen Festschreibung der Sukzession verband Bernhard VII. die Hoffnung, twyst und unwille, schade offt upror z­ wischen seinen Söhnen, die sich nach seinem Tode aufgrund einer unklaren Erbfolge ergeben könnten, vermeiden zu können. Dies werde auch unsem lande, luden und herschap to nutte und gude kommen. Offenbar sah Bernhard im angestrebten Frieden ­zwischen seinen Söhnen auch für das Land einen größeren Nutzen als in dessen territorialer Integrität.94 Warum der Testamentsentwurf nicht in Urkundenform gebracht wurde, kann nur vermutet werden. Möglicherweise erwartete Bernhard Proteste vonseiten der Städte und Ritterschaft, die mit der ihnen vom Pactum Unionis zugewiesenen Aufgabe, über die Unteilbarkeit des Landes zu wachen, an Einfluss gewonnen hatten. Auch Widerspruch seitens des durch diese Regelung klar benachteiligten älteren Sohnes ist denkbar. Dennoch blieb Bernhard seinen Teilungsplänen gedanklich verhaftet. Drei Jahre nach der Vermählung Simons fasste auch der jüngere der beiden Brüder Heiratspläne. Im Ehevertrag mit Otto IV. von Waldeck-­Landau vom 19. Juni 1493 versprach Bernhard VII. eyne gelicke motscherunghe der gantzen hersschupp Lippe [zu] doen, dat beyde broder Juncher Symon und Bernd na dode des vaders wetten eyn islyck tor erfftall in syner angeboren gerechticheid bezitten und hebben zall 95. Hier ging es nicht allein um die notwendige Ausstattung des Bräutigams mit einem eigenen Stück Land, das er zur künftigen Versorgung seiner Gemahlin benötigte. Vielmehr argumentierte Bernhard ganz grundsätzlich mit dem adligen Geburtsrecht seiner Söhne, das beide zum Empfang eines gleichmäßigen Erbteils berechtigte. Gegenüber Simon III., der die Bestandssicherung und -vermehrung ins Zentrum seines Handelns gestellt hatte, sah sich Bernhard VII. stärker als Vater zweier Söhne, deren Recht und Wohlergehen er über das des Landes stellte. Bei seinen Überlegungen hatte er vor allem den splendor familiae im Blick, indem er nicht nur auf die Vermeidung von Brüderkonflikten abzielte, sondern auch die Heirat seines Zweitgeborenen mit einem angesehenen Grafengeschlecht ermöglichte. Bernhards Vorgehen erscheint hier äußerst taktisch: Hatte er dem Schwiegervater seines Erstgeborenen zunächst die ungeteilte Herrschaftsweitergabe versprochen, so verhieß er dem Brautvater seines jüngeren Sohnes nun

94 Freilich ist auch eine rein rhetorische Verwendung nicht auszuschließen, da das Testament, wenn es rechtskräftig geworden wäre, auch den Ständen hätte publiziert werden müssen. Vgl. dazu auch Pfannkuche, Patrimonium, S. 341, der für die welfischen Hausverträge konstatiert, dass derartige Bezüge auf das Wohl des Landes bzw. den gemeinen Nutzen ausschließlich in Urkundentexten von Erbeinigungen und Teilungsverboten, nicht jedoch in für das Land nachteiligen Teilungsverträgen bemüht wurden. Diese einseitige Verwendung der Gemeinnutzformel lässt sich für Lippe nicht bestätigen. 95 LAV NRW OWL, L 1 B, Nr. 20. Vgl. LR IV, Nr. 2800.

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eine Erbteilung. Beide Heiratskandidatinnen waren darüber hinaus Erbtöchter und ließen auf territoriale Zuwächse hoffen – was jedoch in beiden Fällen nicht gelang.96 Das waldeckische Heiratsprojekt zerschlug sich, da die als Braut erkorene Eva schon vor der Hochzeit an der Pest verstarb, womit der Heiratsvertrag natürlich obsolet wurde. Zu einer erneuten Heirat Bernhards des Jüngeren ist es ebenso wenig gekommen wie zur Erbteilung. Nachdem er zunächst in hessischen Kriegsdiensten stand, wurde er später Domherr in Köln.97 Schon 1513 starb er nur zwei Jahre nach seinem Vater. Sein Bruder Simon V. hatte bereits im Sommer 1511 die Huldigung aller Städte eingenommen und war damit als alleiniger Landesherr anerkannt worden. Simons Ehe mit Walburg von Bronkhorst hatte ihm allerdings nicht nur keinen territorialen Gewinn gebracht, sondern schien auch kinderlos zu bleiben. Ein einziger Sohn namens Gisbert war ebenfalls 1513 in jungen Jahren gestorben, weitere Kinder folgten nicht und Simon war bereits in fortgeschrittenem Alter. Das latent drohende Problem der Erbenlosigkeit drängte sich immer stärker in den Vordergrund und blieb auch anderen Prätendenten nicht verborgen. So gelang es dem an einer Ausdehnung seiner Macht in den westfälischen Raum interessierten Herzog Heinrich I. von Braunschweig-­Lüneburg, 1515 bei K ­ aiser Maximilian I. eine Lehnsexspektanz auf die Herrschaft Lippe zu erwerben, ungeachtet der Tatsache, dass diese niemals vom Reich zu Lehen gegangen war.98 Bereits 1510 hatte Bernhard VII. eine Erbverbrüderung mit dem benachbarten Grafen von Holstein-­ Schaumburg geschlossen,99 um sich gemeinsam dem welfischen Expansionsdruck entgegenzustellen. Nun machten sich die Schaumburger berechtigte Hoffnung auf einen Anfall der lippischen Herrschaft.100 Auf den Erbfall über die weibliche Linie spekulierten hingegen die Söhne der drei älteren Schwestern Simons, ­welche mit Grafen von Hoya, Rietberg und Diepholz verheiratet gewesen, inzwischen aber allesamt verwitwet waren. In dieser Situation hätte laut Pactum Unionis nun das Wahlrecht der Städte gegriffen, doch das wusste Simon durch geschickte Vertragsabschlüsse zu verhindern. Zunächst ließ er sich von seinen drei Schwestern das Recht verbriefen, einen ihrer Söhne zu seinem Nachfolger zu küren. Margarethe, Elisabeth und Ermgard versprachen, die Einwilligung ihrer Söhne zu dieser Regelung 96 Zum Aussterben der älteren Landauer Linie in Waldeck siehe Kap. 2.3.3. 97 Vgl. Linde, Bernhard VII. zur Lippe, S. 49 f.; Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 336. Trotz Ehelosigkeit hatte er möglicherwiese ein Verhältnis und mehrere Kinder mit einer Niederadligen, die er aufgrund ständischen Widerstands nicht heiraten durfte. Vgl. LR IV, Nr. 3014, Anm. 98 Vgl. LR IV, Nr. 3029; Falkmann, Beiträge, Bd. 2, S. 90 – 92. Siehe auch Heinrichs Versuch, sich den Lemgoern als guten und rechtmäßigen Landesherrn anzupreisen: LR IV, Nr. 3051 a. 99 Vgl. LR IV, Nr. 2979. 100 Vgl. Husmeier, Graf Otto IV., S. 255 f.

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einzuholen, und ließen sich im Gegenzug die Zusage geben, mit einem temeliken penynge na vermoge der herschop Lippe 101 versorgt zu werden. Da nun allerdings nicht die gesamte Herrschaft Lippe allodial war, galt es, auch die Lehnsherren, den Paderborner Bischof Erich von Braunschweig-­Grubenhagen und den noch unter Vormundschaft stehenden Landgrafen Philipp von Hessen, zu befriedigen, um dem drohenden Einzug der Lehen zuvorzukommen. Am 4. Juli 1517 wurde die sogenannte Paderborner Erbeinigung 102 geschlossen, in der Simon erhebliche Zugeständnisse machte: Die Städte und Schlösser Lemgo, Detmold, Horn, Lage sowie die Falkenburg gingen ab sofort von Paderborn zu Lehen. Im Gegenzug erlaubte der Bischof Simon, seinen Nachfolger uth synen neestgeboren frunden und bloetherven 103 selbst zu bestimmen. Dieses Wahlrecht sollte auch für zwei weitere Erbfälle gelten; erst wenn auch diese Linien ausgestorben wären, sollte das Lehen endgültig zurück an den Bischof fallen. Die in der Erbeinigung befindliche Klausel, Fürsten von der Sukzession auszuschließen, ist wohl vorrangig als Reaktion auf die Ambitionen des lüneburgischen Herzogs zu interpretieren. Im Übrigen garantierte man sich gute Zusammenarbeit und gegenseitigen Schutz. Das ­g leiche Versprechen zur autonomen Regelung der Nachfolge rang Simon auch dem Landgrafen ab, dem er neben Blomberg die Schlösser Brake, Lipperode und Varenholz zu Lehen auftrug.104 Der Lehnsbrief des Landgrafen verweist explizit auf das Pactum Unionis, wobei das neu ausgehandelte Wahlrecht Simons so eingeflochten wurde, dass der unzutreffende Eindruck entsteht, es sei seit jeher darin enthalten gewesen.105 Allerdings scheint sich Simon unterdessen auch mit seinen Städten geeinigt zu haben. Dies geht aus der kaiserlichen Konfirmation des Pactum Unionis 101 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 24, Vertrag vom 21. 10. 1516. Siehe auch LR IV, Nr. 3048. Die Zustimmungsurkunden von Simons Schwestersöhnen, den Grafen von Hoya, Rietberg und Diepholz sind erhalten; vgl. ebd., Nr. 3050, Anm. 102 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 Lehnsurkunden, 04. 07. 1517; sowie LR IV, Nr. 3051; abgedruckt in Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 22, S. 472 – 474. 103 Zit. nach dem Transsumpt der kaiserlichen Bestätigung von 1592, in: LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, 16. 12. 1592. 104 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 Lehnsurkunden, 31. 10. 1517; sowie LR IV, Nr. 3055. Zugleich empfahl der Landgraf den Grafen Erich von Hoya als geeigneten Nachfolger für Simon; vgl. ebd., Nr. 3056. 105 Die entsprechende Textstelle im Lehnsbrief lautet: Wer dan vor einen Hern zur Lippe nach laut eines Privilegiums so der gemelten Herrschafft von der Lippe inn Vorzeiten von Iren Her­ ren gegeben ist, vnd vf das neheste geblüte sagt von obgemeltem Vnserm lieben Neven darzu verordnet, oder so er das nit thet von der Landschafft, der Herrschafft von der Lippe darzu erwehlet würde, denselben sollen vnd wollen wir mit vorgemelten Schloßen vnd Iren Zuge­ horungen sonder wegerung belenen, wie vorgemelt, vnd solch priuilegium helfen halden vnd handhaben so offt des noth würde, zit. nach Ledderhose, Lehnsverbindlichkeit, S. 188 (eigene Hervorhebung).

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hervor, die am 15. März 1521 von Karl V. ausgestellt wurde.106 Darin bestätigte dieser nicht nur das Originalprivileg von 1368, sondern ebenso einen newen Ver­ trag, den Simon mit den Stadtoberen von Lippstadt und Lemgo abgeschlossen habe, worin selbige zugestimmt hätten, dass Simon und seine zwei Nachfolger die macht haben sollen, das Ir yeder in seinem leben durch Testament oder in annder weg nach seinem gefallen einen andern Regierenden Herrn aus dem nech­ sten gebluet der Herrn zu der Lippe fürnemen vnd Erwelen muge 107. Erst danach sollte wieder das verbriefte Recht der Städte in Kraft treten. Damit war der Zweck der kaiserlichen Bestätigung ­dieses wichtigen Herrschafts- und Hausvertrags in vorliegendem Fall nicht eigentlich die Verstärkung seines normativen Inhalts 108 – Unteilbarkeit, Individualsukzession, Wahlrecht der Städte –, sondern vielmehr dessen Suspension. Die spätmittelalterliche Disposition schien zu Beginn des 16. Jahrhunderts schon nicht mehr in die Zeit zu passen, denn Simon V. war nicht gewillt, eine so wichtige Entscheidung wie die über den Fortgang der lippischen Herrschaft in die Hände seiner Untertanen zu legen. Stattdessen legte er eine unglaubliche Beharrlichkeit an den Tag und nutzte konsequent seine Handlungsspielräume, um eine Revidierung herbeizuführen. Erst nachdem er sich mit der eigenen Verwandtschaft, den wichtigsten Lehnsherren und den Ständen geeinigt hatte und zusätzlich beim K ­ aiser vorstellig geworden war, war er wieder Herr der Situation. Nicht nur hatte er die Kontrolle über seine eigene Nachfolge wiedergewonnen, sondern auch für gleich geartete Fälle in der Zukunft wichtige Privilegien erhalten. Dass er dafür seine Herrschaft als Lehen an Paderborn und Hessen hatte auftragen müssen, nahm er billigend in Kauf. Nun war von dynastischer Warte aus all dies müßig, denn so oder so schienen Stamm und Name Lippe unabhängig vom gewählten Nachfolger mit Simon auszusterben. Hier war es schließlich der biologische Zufall, also ein vom Handeln der Zeitgenossen vollkommen unabhängiger Faktor, der die Situation grundlegend veränderte: Ende des Jahres 1522 starb Simons Gemahlin Walburg von Bronkhorst, sodass der Weg für eine zweite Vermählung frei war. Diese Chance nutzte Simon umgehend, was ein starkes Indiz für seinen noch nicht aufgegebenen Wunsch nach eigenen Erben ist. Bereits am 18. März des kommenden Jahres schloss er einen Ehevertrag 109 mit Graf Gebhard von Mansfeld und heiratete, 106 Vgl. LR IV, Nr. 3091. Abgedruckt bei Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 149 f. 107 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 149. Der Vertrag z­ wischen Landesherr und Städten, auf den hier Bezug genommen wird, konnte nicht ausfindig gemacht werden. 108 Mohnhaupt, Confirmatio, S. 55, konstatiert, dass die Bestätigung eines Privilegs nach gängiger Rechtslehre im 16. Jahrhundert zwar nicht als zwingend notwendig angesehen wurde, in der Praxis jedoch zusätzliche Sicherheit zu schaffen vermochte. 109 Vgl. LR IV, Nr. 3109.

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knapp 53-jährig, dessen Tochter Magdalena, die ihm mehrere Kinder, darunter zwei Söhne, gebar. Bernhard und Hermann Simon sollten beide das Erwachsenenalter erreichen und die ersehnte Kontinuität der agnatischen Linie sichern. Während die Lehnsauftragung auch in Zukunft die Verfasstheit des Landes grundlegend mitbestimmen sollte, war die gefundene Regelung einschließlich der Wahl eines Nachfolgers auf einen Schlag obsolet geworden. 2.2.3 Konflikt um Erbgerechtigkeit unter Brüdern (1556 – 1563) Es ist in gewisser Weise verwunderlich, dass Graf Simon 110 zu Lebzeiten keinen Gebrauch vom Recht zur Wahl seines Nachfolgers gemacht hat. Überliefert ist zwar der Entwurf eines Testaments, doch enthält ­dieses keine institutio heredis, also die Einsetzung eines Erben und Sukzessors.111 Da Simon zum Zeitpunkt der Abfassung erst einen Sohn, Bernhard VIII . (1527 – 1563), hatte, steht zu vermuten, dass er diesen selbstverständlich als Nachfolger ansah, ohne dies im Testament zu explizieren, und an dieser Rollenzuweisung änderte er auch nichts, als er mit Hermann Simon (1532 – 1576) noch einen weiteren bekam. Auch nach seinem Tod im September 1536 scheint es wenig Zweifel an der Entscheidung gegeben zu haben. Gemäß dem Wunsch des Verstorbenen wurden die beiden Grafen Jobst von Hoya und Adolf von Schaumburg, dem Koadjutor des Erzstifts Köln, nebst einem Gremium von verordneten Räten aus der Ritter- und Landschaft zu Vormündern ernannt. Als letztere sich mit der Bitte um Bestätigung der Vormundschaft und Aufschub der Wiederbelehnung an Landgraf Philipp wandten, willigte dieser unter der Bedingung ein, dass der ältere Grafen­sohn Bernhard an seinem Hof in Kassel – und damit im lutherischen Glauben – erzogen werden würde.112 Hermann Simon gedieh indes die Förderung durch seinen katholischen Vormund Adolf von Schaumburg an, der später zum Erzbischof von Köln gewählt wurde und seinem Mündel dort 1552 eine Pfründe als Domherr verschaffte.113 Zusätzlich erhielt der Junggraf aus den lippischen Besitzungen das Amt Sternberg und das sogenannte Vorwerk Schieder als Paragium, konnte also deren Einkünfte zur Aufrechterhaltung eines standesgemäßen Lebensstils ­nutzen. 1 10 Den Grafentitel führte Simon seit 1528 und seither auch seine Nachkommen. 111 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 45, Testamentsentwurf vom 19. 09. 1529. 112 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 121 – 123; Falkmann, Beiträge, Bd. 2, S. 97 – 110; Wolf, Einfluß, S. 69 f., die jedoch fälschlicherweise annimmt, die lippischen Gesandten hätten auf Wunsch des verstorbenen Simon den Landgrafen um Übernahme der Vormundschaft gebeten. 113 Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 182.

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Diese Konstellation änderte sich grundlegend, als Hermann Simon die Vermählung mit Ursula, der Schwester des letzten, nunmehr verstorbenen Grafen von Spiegelberg und Pyrmont, in Aussicht gestellt wurde. Für diese Verbindung musste er freilich seine Stellung als Domherr aufgeben, zu der ihm offenbar ohnehin die Neigung und womöglich die richtige Glaubensüberzeugung gefehlt hatten.114 Stattdessen fielen ihm durch die Heirat nun die beiden in östlicher Nachbarschaft zu Lippe gelegenen Grafschaften Spiegelberg und Pyrmont zu, mit deren Lehnsherren Braunschweig-­Calenberg bzw. Paderborn man sich im Vorfeld verständigt hatte.115 Damit wurde er unverhofft Inhaber einer eigenen Landesherrschaft und konnte zudem zum lutherischen Glauben wechseln, zu dem sich sein Bruder und inzwischen auch viele seiner gräflichen Standesgenossen bekannten. Im auf den 15. Mai 1558 datierten Ehevertrag z­ wischen Hermann Simon und Ursula wurde beschlossen, dass die beiden Grafschaften, die von der Braut in die Ehe eingebracht wurden, mit einer entsprechenden Widerlage aufgewogen werden müssten, was erst geschehen könne, wenn Hermann Simon sich mit seinem Bruder Bernhard endgültig über die Teilung ihres väterlichen Erbes geeinigt haben würde.116 Zwar besaß Hermann Simon mit Sternberg und Schieder bereits einen Anteil an der väterlichen Grafschaft, doch reichte der als Gegengewicht zu den zwei Territorien offenbar nicht aus. Die endgültige Abteilung wurde in einer Urkunde vom 21. Januar 1559 vereinbart.117 Als Unterhändler fungierten Bernhards Schwager Johann I. von Waldeck-­ Landau,118 Albrecht II. von Hoya, Abgeordnete der Städte und Ritterschaft sowie einige gräfliche Räte. Dieses Aufgebot lässt vermuten, dass die infrage stehende Befriedigung der Forderungen Hermann Simons nicht ganz reibungslos erreicht worden war. Zudem wird deutlich, dass man zur Klärung innerdynastischer Fragen gern die Unterstützung der Standesgenossen und der eigenen Vasallen in Anspruch nahm, die Lehnsherren oder gar K ­ aiser und Reichsgerichte hingegen so lange wie möglich heraushalten wollte. Diese traten gewöhnlich erst auf den Plan, wenn die Unvereinbarkeit der Positionen ein Ausmaß erreicht hatte, das eine gütliche Einigung unmöglich machte. Die ebenso an Eintracht interessierten lippischen Landstände traten dagegen in ihrer Rolle als Hüter der Landeseinheit auf. Entsprechend erhielten sie auch eine der drei gleichlautenden Ausführungen des Vertrags. Darin verpflichtete sich Graf Bernhard, bis Ostern des folgenden 114 Vgl. die von Falkmann, Beiträge, Bd. 2, S. 138, Anm., überlieferte Bemerkung des verordneten Rates Simon de Wend. 115 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. I. Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 10 – 13; Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 181 f. 116 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. I, Vertrag vom 15. 05. 1558. 117 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10. 118 Zu den engen Beziehungen z­ wischen den beiden Schwägern siehe auch Kap. 2.3.4.

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Jahres das Amt Schwalenberg, welches bis dahin an den Drosten Hermann von Mengersen verpfändet gewesen war, einzulösen und seinem Bruder mitsamt dem Amt Barntrup und zusätzlich zu dessen bestehendem Paragialbesitz zu übergeben. Alle Nutzungs- und Herrschaftsrechte einschließlich der hohen und niederen Gerichtsbarkeit in diesen Ämtern würden an Hermann Simon und seine Erben übergehen; allein die Einziehung der Landessteuer behielt sich Bernhard als ­­Zeichen seiner Oberhoheit vor. Im Gegenzug sah der Jüngere von weiteren Ansprüchen ab und erklärte sich bereit, alle übrigen Schlösser, Ämter, Städte und Flecken unserm freuntlichem lieben Bruder Graven Bernharten als dem Eldesten und Regirendem Herren crafft unser loblichen Voreltern auffgerichten gegebenen und bestettigten Privilegien [zu] ubergeben 119. In dieser Formulierung ist ein affirmativer Bezug auf das 1521 erneuerte Pactum Unionis samt seiner Festschreibung der Individualsukzession zu sehen. Bernhard sollte also alleiniger Landesherr bleiben, wie es ausdrücklich auch in einem zweiten am gleichen Tag vereinbarten Nebenabschied formuliert wurde,120 während Hermann Simon – unabhängig von seiner neu erworbenen Landesherrschaft in Spiegelberg und Pyrmont – vom lippischen Erbe nur ein Paragium ohne hoheitliche Rechte eingeräumt wurde. Daran änderte auch die Tatsache nichts, dass er in die kaiserliche Belehnung mit eingeschlossen war.121 Allerdings vereinbarte man ein gegenseitiges Erbrecht für den Fall, dass einer der beiden Grafen ohne männliche Nachkommen aus dem Leben scheiden sollte. Dieses erstreckte sich freilich nur auf die lippischen Herrschaftsteile. Im Falle des Aussterbens der Linie Hermann Simons würden also lediglich die Paragien wieder an die Hauptlinie fallen, während umgekehrt ­Hermann Simon und seinen Erben das subsidiäre Sukzessionsrecht in der Grafschaft Lippe zugesprochen wurde.122 1 19 LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10. 120 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 12, wo es heißt: Nemblich als vormuge der von unserem vorelteren christloblicher und mylter gedechtnus aufgerichteden und durch ublichem wolhergebrachten unverrückten gebrauch bestettigten privilegien die Lantregirung an uns Graven Bernhartten sein und pleiben soll. 121 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 Lehnsurkunden, Urkunden vom 23. 02. 1548 und 20. 04. 1559. Die kaiserliche Belehnung kam dadurch zustande, dass Lippe durch seine Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg in Ungnade gefallen war, ebenso wie Hessen, das kurzerhand seiner Lehen depriviert wurde. Nachdem die Lipper Grafen das kaiserliche Pardon erhalten hatten, wurden sie – d. h. Bernhard und Hermann Simon gemeinsam – direkt vom K ­ aiser belehnt, sodass die Grafschaft zwischenzeitlich Reichslehen war. Erst ab 1563 wurden die Lehen wieder vom inzwischen rehabilitierten Hessen empfangen; siehe dazu auch Falkmann, Beiträge, Bd. 2, S. 133 – 150. 122 Als bereits 1583 der letzte Sohn Hermann Simons ohne Nachkommen starb, fielen dessen Paragialämter wieder an die Hauptlinie zurück. Die Grafschaften Spiegelberg und Pyrmont gingen hingegen an die Erben der Schwester Ursulas von Spiegelberg, die Grafen von Gleichen, über. Nach deren Aussterben gelangte Pyrmont 1625 an Waldeck.

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Die im Vertrag beschworene Eintracht währte jedoch nicht lange. Im Laufe des Jahres kam es erneut zu Spannungen und etzlich missvorstant 123, sodass die lippischen Grafen im November 1559 wiederum die Hilfe Johanns von Waldeck und Albrechts von Hoya erbaten. Deren Schlichtungsbemühungen hatten aber vorerst keinen Erfolg. Konkret sah Hermann Simon seine Interessen bei der beschlossenen Abschichtung nicht hinreichend berücksichtigt; so hatte er etwa erfahren, dass sein Paragialamt Sternberg ein Pfandgut des Grafen von Holstein-­Schaumburg war, der offenbar bereits mit der baldigen Ablösung gedroht hatte. Am 1. August 1560 beschwerte er sich bei seinem Bruder, das uns von E. L. eyn gantz unfreunt­ liche, unbrüderliche, ungeleiche theilunge unserer angeerbten Her und Landschafften wurt angemutet 124 und drang auf eine Revision der Verträge zu seinen Gunsten. Bernhard hatte in der Zwischenzeit seinen Huldigungsumritt durch die Grafschaft angesetzt und auch seinen Bruder zu ­diesem Ereignis eingeladen. Der weigerte sich jedoch, an der Zeremonie teilzunehmen, da er befürchtete, damit seine Zustimmung zum Status quo und zum Abschichtungsvertrag von 1559 auszudrücken, welcher doch unserer voreltern erlangten privilegien und wolhergebrachten gewonheiten zuentgegen 125 sei. Vielmehr bat er um eine Verschiebung der Huldigung und des Lehnstages, bis man sich über eine Neuregelung einig geworden sei. Im Übrigen versuchte er auch die Stände zu überzeugen, die Huldigung zu boykottieren – allerdings ohne Erfolg.126 Genau wie sein Bruder bezog sich auch Bernhard in seiner Antwort auf die überkommenen Privilegien, mit denen die getroffene Vereinbarung nach seiner und der Unterhändler Ansicht vollkommen konform sei. Einen Aufschub seines Umritts lehnte er ab.127 Daraufhin bekräftigte Hermann Simon sein Anliegen und schrieb, er wolle dasselbige auch nochmals in E. L. christliche conscientien zubedenckhen geschoben haben, ob nit uns in berurter handlunge ungleicheit ufferlegt 128 worden sei. Mit ­diesem Appell an das christliche Gewissen seines Gegenübers lud er den brüderlichen Gleichheitsgedanken religiös auf, um ihn umso dringlicher erscheinen zu lassen. Offenbar wirkten hier bereits die Lehren Luthers. Zusätzlich argumentierte Hermann Simon jedoch weiterhin auch juristisch. Wiederholt bezog er sich auf die Privilegien, gegen die die Teilung aus seiner Sicht verstoße – zumindest soviel wyr daruß in eyl, dweil uns 123 LAV NRW OWL, L 7 B, Nr.  II, Schreiben von Bernhard und Hermann Simon an Graf Johann von Waldeck vom 26. 11. 1559. 124 Ebd., Schreiben von Hermann Simon an Bernhard vom 01. 08. 1560. 125 Ebd. 126 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. II, Kopial, Nr. 20 – 27. 127 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 B, Nr.  II , Schreiben von Bernhard an Hermann Simon vom 13. 08. 1560. Den Huldigungsumritt nahm Bernhard ungeachtet des brüderlichen Protests im September des Jahres vor. 128 LAV NRW OWL , L 7 B, Nr.  II , Schreiben von Hermann Simon an Bernhard vom 15. 08. 1560.

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davon keine glaubwyrdige copien hath zugestellet megen werden, erfharen konnen 129, wie er mit vorwurfsvollem Unterton hinzufügte. Er erbat daher Archiveinsicht und Erläuterung der einschlägigen Urkunden. Unbeeindruckt von der an ihn gerichteten Mahnung bekannte Bernhard in seiner Entgegnung, dass wyr des für got auch die welt im frey offnen christlych gewißen tragen, das wyr ie und alle zeyt jegen E. L. uns aller brüderlychen wyllen und herzlichender trew gevlyßen haben 130. Das religiöse Argument hatte also nicht verfangen. Anstelle der gewünschten Aufklärung über die hausvertrag­lichen Privilegien, ­welche sich durch die Argumentation beider Parteien zogen, übersandte er eine Aufzählung aller auf der Grafschaft lastenden Beschwerungen, etwa die zukünftige Ausstattung ihrer drei noch unverheirateten Schwestern, aber auch die finanziellen Aufwendungen, die im Vorfeld der Belehnung H ­ ermann Simons durch Paderborn und Braunschweig hatten getätigt werden müssen, d ­ iesem also persönlich zugutekamen. Dennoch ist nicht ersichtlich, warum Bernhard seinem Bruder die Einsicht in das Pactum Unionis und die Paderborner Erbeinigung verweigerte, zweifelte jener doch lediglich deren konkreten Inhalt, nicht aber die eigentliche Gültigkeit derselben an. Die Privilegien gerieten im Verlauf des Streits somit zu einem von beiden Seiten genutzten, letztlich aber wirkungslosen Argument und zu einer Chiffre der Deutungshoheit über die dynastische Tradition. Eine neue Wendung bekam die Auseinandersetzung, als Hermann Simon Anfang des folgenden Jahres die Stände der Grafschaft zu einem Landtag ins Dorf Cappel einlud, woraufhin ihn Bernhard scharf darauf hinwies, dass ihm als inzwischen gehuldigtem Landesherrn das alleinige Einberufungsrecht gebühre. Auch die Stände selbst lehnten die Einladung mit Verweis auf die Rechte des Landesherrn ab.131 Derweil war Hermann Simons Forderung nach einer materiellen Besserstellung zu einem Anspruch auf eine gleichmäßige Erbteilung angewachsen, den er im sich nun entspannenden Briefwechsel mit seinem Bruder vehement vertrat. Obschon man ihm weiterhin die Einsicht in die Urkunden verweigere, wolle er keinesfalls gegen diese verstoßen. Ohne Zweifel könne es in der Grafschaft nur einen regierenden Grafen geben. Gleichwohl sei die Grafschaft nach dem Tode ihres Vaters so wol uff uns als Euwer liebe, nach besage Gotlicher, natur­ licher und gemeiner verschrieben Rechte vererbt und verfellet, und die Landtschaft also unsere gemeine undirthannen 132, woraus folge, dass ihm das ­gleiche Recht zur Beratung seiner Angelegenheiten mit den Ständen eingeräumt werden müsse, 129 Ebd. 130 LAV NRW OWL , L 7 B, Nr.  II , Schreiben von Bernhard an Hermann Simon vom 19. 08. 1560. 131 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 2, fol. 78r–80r. 132 Ebd., fol. 83r.

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im Zweifelsfall auch ohne das Wissen des Landesherrn. Damit unterschied er geschickt z­ wischen der Sukzession als Landesherr, die er seinem Bruder überließ – er selbst bekleidete diese Position bekanntlich in Spiegelberg und Pyrmont – und dem Erbe, auf das er einen gleichberechtigten Anspruch erhob. In patrimonialer Manier zählte er die als Untertanen bezeichneten Stände ebenfalls zu letzterem. Diese Argumentation verfolgte er auch direkt gegenüber der Landschaft, etwa in einem Schreiben an die Stadt Detmold, die er von seinem göttlichen und natürlichen Geburtsrecht zu überzeugen versuchte: So ist es jedoch an dem, weil wir die zeit als wolgedachter unser her vather loblicher gedecht­ nuß mit tode abgangen noch unmundigk gewesen und folgents außerhalb der graveschaft Lippe in frembde lande vorschickt und daselbst unterhalten worden, das unser freuntlicher lieber Bruder mitler zeit sich der Regierunge angemast und unternhomen.133

Aus dieser denkbar schlechten Ausgangslage habe er schließlich die Einigung über eine Mutschierung erreicht, wobei er stets – und insbesondere bei der Unterschrift des Vertrags von 1559 – davon ausgegangen sei, es handele sich hierbei um eine zeitlich befristete und keinesfalls endgültige Abteilung. Er fordere von Bernhard vielmehr, dass er uns als dem Bruder und miterben die helffte der gantzen graveschaft Lippe an Schlossern, Heusern, Stetten und Flecken sampt iren ein und zugehorungen und aller empfangenen abnutzunge, dazu auch die helffte alles vorraths, auch Silbern und gulden Klenodien, muni­ tion und geschutz, in maßen dasselbige alles uf uns beiden semptlich vererbet, moge einreu­ men, abtretten und folgen laßen.134

Dabei hoffe er nach wie vor auf ständische Unterstützung, da er andernfalls zu rechtlichen Mitteln greifen müsse. Die Detmolder Stadtherren gingen indes nicht auf ­dieses Bittgesuch ein, sondern leiteten das Schreiben unverzüglich an ihren Landesherrn weiter, der daraufhin seinem Bruder eine erneute Absage erteilte und sich auch auf keine weitere Diskussion einlassen wollte. Die Privilegien ­seien in dieser Sache lauter, klar und offenbar 135. Mit dieser Ansicht wusste er sich auch mit den Unterhändlern Albrecht von Hoya und Johann von Waldeck einig. Ersterer vermutete, die überzogenen Ansprüche stammten nicht von Hermann Simon selbst, sondern ­seien ihm womöglich von dritter Seite eingeflüstert worden. Alle Urkunden und Verträge s­ eien aber auf Bernhards Seite. Da sein Bruder augenscheinlich einen Rechtsbeistand habe, solle auch er juristischen Rat einholen.136 133 Ebd., fol. 85r. 134 Ebd. 135 Ebd., fol. 87r. Als entgegenkommende Geste erklärte er sich allerdings bereit, dem Bruder seine Hälfte am Silbergeschirr und den Geschützen zu überlassen. 136 Vgl. ebd., fol. 84r.

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In ähnlicher Weise riet auch sein Schwager Johann dazu, die Sache vor den Kreisoder Lehnsherren oder gar dem Reichskammergericht auszutragen.137 Im April 1561 wandte sich auch die Gesamtheit der Stände noch einmal an Hermann Simon und bat um Verständnis für ihre ablehnende Position. Man habe Bernhard gehuldigt, da das Pactum Unionis – welches man ihm im Übrigen anbei zusandte, sodass er nun endlich Einsicht nehmen konnte – nun einmal nur einen Landesherrn gestatte, und sei ihm nun durch Eid verbunden. Zugleich warnten sie Hermann Simon, er möge nicht denjenigen vertrauen, die deß loblichen lip­ schen stammen und bluds befurderung und wolstadt vollichte nicht anliggen lassen 138. Auf wen genau sich diese negative Charakterisierung bezog, ist unklar, doch lässt sich im Umkehrschluss daraus entnehmen, dass die Stände selbst sich mit ihrem Festhalten an der Individualsukzession als Diener der Dynastie verstanden. Der Ermahnte verblieb jedoch in seiner Antwort bei seiner ursprünglichen Position und konstatierte, dass seine rechtlich legitimen Ansprüche nicht gegen die nunmehr von ihm eingesehenen Privilegien der Grafschaft verstießen. Durch ihn sei zu Bruderlicher Trennungk oder uneinigkeit keine ursachen gegeben. Daher befahl er den Ständen, seine Sache bei seinem Bruder zu befördern, denn das gereicht Land und Leuthen und Euch selbs mit zum besten 139. Offenkundig kämpfte Hermann Simon auf verlorenem Posten. Nicht nur sein Bruder, der Landesherr, und die Stände der Grafschaft lehnten eine gleichmäßige Landesteilung strikt ab, auch die immer wieder thematisierten hausrechtlichen Normen – tradierte Grundsatzverträge wie das Pactum Unionis ebenso wie ­zwischen den handelnden Interessenvertretern getroffene Vereinbarungen – standen seinem Ansinnen diametral entgegen. Diverse Argumentationsstrategien wie die Unterscheidung z­ wischen Sukzession und Erbe, Gemeinwohlrhetorik und religiöse Gerechtigkeitsbezüge blieben ebenfalls wirkungslos. Noch war er allerdings nicht gewillt, sich in sein Schicksal zu fügen. Im September 1561 holte er bei der Leipziger Juristenfakultät ein Rechtsgutachten ein, welches seine Position jedoch keineswegs eindeutig bekräftigte.140 Kurz darauf kamen die Brüder in Cappel zusammen, um ein weiteres Mal zu versuchen, ihre Differenzen zu beseitigen, was allerdings wieder ohne Erfolg blieb. Hermann Simon beharrte auf seinen natürlichen Rechten, verwies nun zusätzlich auf die Gesamtbelehnung, in die er als lippischer Agnat eingeschlossen war, und bediente sich auch weiterhin einer Brüderlichkeitsrhetorik,141 drohte nun allerdings auch mit der Klage vor 137 Vgl. ebd., fol. 90r. 138 Ebd., fol. 89r. 139 Ebd., fol. 95r. 140 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. II, Kopial, Nr. IV, 1 u. 2. 141 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 2, fol. 92r: So wollen wir uns zu E. L. Bruderlich und freundt­ lich versehen, die werden sich diesfals kegen uns der aequae und gleicheit, alß dardurch fried

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einer höheren Instanz. Bernhard betonte, er hoffe zwar weiterhin auf eine gütliche Einigung, sei jedoch im Zweifelsfall bereit, dz E. L. und unsere herren und freund, auch der Kreiß und Lehenherrn die sache In vorhor nehmen 142. Dass es zu dieser weiteren Eskalation nicht kam, lag zu einem Gutteil an den Bemühungen der ständischen Abgeordneten, die die beiden Streitparteien im März 1562 erneut an einen Tisch brachten. In Varenholz schlossen Bernhard und Hermann Simon schließlich einen Einigungsvertrag, dessen Hauptklausel einen Ämtertausch beinhaltete: Herman Simon verzichtete auf seine Paragien in Schieder und Sternberg und erhielt dafür im Gegenzug das hochattraktive Amt Varenholz, welches eben erst von den Erben der niederadligen Familie de Wend zurückerworben worden war.143 Die mögliche Ablösung Sternbergs durch den Grafen von Holstein-­Schaumburg stellte für ihn somit keine Bedrohung mehr dar. Dennoch bedeutete die Neuregelung letztlich eine Niederlage für Hermann Simon, hatte er doch seine Forderung nach einer gleichmäßigen Landesteilung nicht durchsetzen können. Er blieb auch in Zukunft ein reiner Paragialherr der Grafschaft Lippe. Am 1. April 1563 erkannte er schließlich den vier Jahre zuvor geschlossenen Abschichtungsvertrag an.144 Es bleibt festzuhalten, dass die Anfechtung der Normen, die in den vorangegangenen 200 Jahren in der lippischen Dynastie implementiert worden waren, letztlich auf eine Bestätigung derselben hinauslief. Erst durch die Infragestellung der Ordnung durch die Ansprüche Hermann Simons kam nämlich ein umfassender Dialog über die normative Verfasstheit der Dynastie und der Grafschaft zustande, an dem sich neben den Brüdern auch die Stände sowie juristische Experten beteiligten. Die Unteilbarkeit der Herrschaft und die Individualsukzession im lippischen Hause, die zwar seit 1368 als explizite Normen vorlagen, in der Folgezeit aber eher stillschweigend befolgt wurden, wurden damit letzten Endes bekräftigt. Es bleibt die Frage, wie Hermann Simon überhaupt zu seinen Forderungen kam, da er doch in eine derartig verfasste Dynastie hineinsozialisiert worden war.145 und einigkeit gestifftet und erhalten wurdet, mehr alß bißanher geschehen, befleißigen und uns uß Bruderlicher zuneigunge und freundlichem freien willen ahne verer verzugk und uffhaltens, darzu verstatten und khommen lassen, das uff uns vermuge Gotlichen naturlicher und gemeiner beschrieben Rechte, auch krafft der samptbelehnunge, durch den todtlichen abgangk unßers vielgeliebten herrn vatters loblicher und milter gedechtnus deducirt und vererbet. 142 Ebd., fol. 93r. 143 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. II, Vertrag vom 14. 03. 1562. 144 Vgl. LAV NRW OWL , L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10. Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 185; Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 17. 145 Die bisherige Forschung hat sich hier eingehender Spekulationen enthalten und lediglich auf die zeitliche Korrelation z­ wischen dem Beginn des Konflikts und der Vermählung Hermann Simons mit Ursula von Spiegelberg hingewiesen; vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 184 f.

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Die Erklärung scheint in der Ausbildung neuer dynastischer Rollen zu liegen, die nicht ohne Konflikte vonstattengehen konnte. Mit Blick auf die vier vorangehenden Generationen seit Einführung des Pactum Unionis ist zu konstatieren, dass in drei Fällen zwei Söhne vorhanden waren, von denen je einer die geistliche Laufbahn einschlug, auch wenn er zusätzlich mit einem Paragium versehen werden mochte. Dieses Modell erleichterte es, die Sukzession in der Herrschaft auf einen Sohn zu beschränken. Auch Hermann Simon war ja zunächst in den Stand eines Domherrn getreten; jedoch ergab sich durch seine Vermählung und die Übernahme der Landesherrschaft in Spiegelberg und Pyrmont, was mutmaßlich auch konfessionelle Gründe hatte, eine vollkommen neue Situation. Er geriet in einen Rollenkonflikt, da es ihm sein neu erworbener Status als regierender Graf schwer gemacht haben dürfte, sich in der väterlichen Grafschaft der Autorität seines Bruders zu unterwerfen und sich mit der hierarchisch niedrigeren Rolle eines Paragialherrn abzufinden. Daneben spielten vor allem Fragen nach den gleichen Erbansprüchen von Brüdern eine Rolle, die Hermann Simon stets aufs Neue betonte. Auch hier wirkte das religiöse Moment, da er diese im Grunde juristische Frage mit dem Motiv der christlichen Gewissensentscheidung verband und regelmäßig auf sein von Gott gegebenes Recht verwies. Bernhard verstand es hingegen, seine Interessen geschickt durchzusetzen und zu verteidigen, indem er sich der überkommenen dynastischen Normen bediente. Dabei konnte er sich der bedingungslosen Unterstützung durch die Stände gewiss sein, die das Interesse des Landesherrn – die alleinige Regierung und die ungeteilte Herrschaft – auch als das ihre verstanden und es zugleich als das der Dynastie stilisierten. Damit war das Kalkül Simons III . aufgegangen, Städte und Ritterschaft zu Garanten des Pactum Unionis zu machen, die es über Generationen hinweg wirkungsvoll gegen dynastische Prätendenten verteidigen würden. Im Übrigen wurde das Argument Hermann Simons, ­zwischen Herrschaftsnachfolge und Erbe zu unterscheiden und nur letzteres nach den Grundsätzen der gleichmäßigen Teilung zu behandeln, weder von den Ständen noch von Bernhard einer eingehenden Diskussion gewürdigt. Die normative Tradition und die Angst vor weiteren territorialen Verlusten erwiesen sich als zu stark. Der Konflikt ­zwischen den zwei Brüdern entzündete sich also nur vordergründig an der Erbfrage. Vielmehr ging es auch um die Ausbildung einer innerdynastischen Hierarchie und die Festlegung der Kompetenzen des Landesherrn, ­welche Hermann Simon etwa mit seinem Versuch, einen Landtag einzuberufen, infrage stellte. Dennoch konnte die soziale Integration der Dynastie letztlich wiederhergestellt werden. Gründe dafür waren die intensive schriftliche Kommunikation z­ wischen den streitenden Parteien, die nie abbrach, die Bereitschaft, die strittigen Punkte grundsätzlich auf rechtlichem Wege zu klären, sowie die unermüdlichen Bemühungen der Streitschlichter aus dem Kreis der gräflichen Standesgenossen und der Landstände. Auf die Anrufung der Lehnsherren

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oder der Reichsgerichte wurde trotz Androhung vollständig verzichtet, um die Autonomie der Dynastie nicht zu gefährden. Letztere spielte im Übrigen noch kaum eine Rolle im Diskurs der Zeitgenossen, der stärker auf die Grafschaft als territorialen Komplex bezugnahm. Ausgerechnet die Stände waren es, die ihre Position mit der Interessenwahrung des „lippischen Stammes und Blutes“ legitimierten. Am 15. April 1563, nur zwei Wochen nach der endgültigen Einigung mit seinem Bruder, verstarb Bernhard mit gerade einmal 35 Jahren, was die Kontinuitätsfrage erneut aufwarf. Er hinterließ ein kurz zuvor verfasstes Testament, in welchem er seinen einzigen, mittlerweile neun Jahre alten Sohn Simon zu seinem warhaftigen und ungezweifelten erben ernannte. Daneben hatte er bestimmt, dass, sofern ihm noch weitere Söhne geboren werden sollten, es mit der Landtregi­ runge nach Inhalt der Lipschen Privilegien onhe einige vorenderunge 146 zu halten wäre. Damit bestätigte er ausdrücklich die im Konflikt mit seinem Bruder behaupteten Normen des Teilungsverbots und der Individualsukzession. Dies lag nahe, da er aus eigener Erfahrung wusste, ­welche Folgen eine unklare Erbfolge haben konnte, wenn kein in ­diesem Punkt eindeutiges Testament vorlag. Zu Testamentsvollstreckern und Vormündern für den noch unmündigen Simon bestimmte er neben Herzog Wilhelm V. von Jülich-­Kleve-­Berg, den Landgrafen Philipp I. und Wilhelm IV . von Hessen, den Grafen Otto IV . von Holstein-­ Schaumburg, Johann I. von Waldeck und Albrecht II . von Hoya sowie den Bürgermeistern von Lippstadt und Lemgo auch seinen Bruder Hermann Simon. Diese letzte Ernennung bedeutete nichts weniger als eine funktionale Wiedereinbindung des widerspenstigen Agnaten in das soziale Gefüge der Dynastie und ist ein Hinweis darauf, dass der Konflikt auch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen endgültig beigelegt worden war. Durch die verwandtschaftliche wie örtliche Nähe zu den Hinterbliebenen in Detmold nahm Hermann Simon während der bis 1579 reichenden Vormundschaftszeit bedeutenden Einfluss auf die laufenden Regierungsgeschäfte.147 So entstand beispielsweise 1571 unter seiner Ägide die gemeinsame Kirchenordnung für Lippe, Spiegelberg und Pyrmont. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Grafschaften miteinander vereint worden wären. Hermann Simon hielt sich an die Sukzessionsnorm und wusste ­zwischen seiner eigenen Landesherrschaft und dem Status eines Vormunds für seinen Neffen zu unterscheiden.

146 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, 12. 02. 1563. 147 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 135. Siehe auch Bischoff, Graf Simon VI., S. 11 u. 19.

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2.2.4 Primogenitur und Paragien: Die hausrechtlichen Dispositionen Simons VI. (1592 – 1613) Simon VI . (1554 – 1613) war als einziger Sohn Bernhards schon von Kindesbeinen an auf die Übernahme der Herrschaft vorbereitet worden. Neben längeren Aufenthalten an den Fürstenhöfen in Wolfenbüttel und Kassel studierte er auch einige Monate am Gymnasium Illustre in Straßburg, was zu den zeittypischen Bestandteilen der humanistisch geprägten Herrschererziehung zählte.148 Eine Kavalierstour im eigentlichen Sinne unternahm er dagegen nicht; möglicherweise fürchtete man die Gefahren, die den einzigen männlichen Erben der Grafschaft in der Ferne erwartet hätten.149 Nach dem Tod seines Onkels Hermann Simon im Jahr 1576 übernahm Simon bereits einen erheblichen Teil der Regierungsgeschäfte und trat drei Jahre später mit inzwischen 25 Jahren förmlich seine Herrschaft an. Zwei Akte markierten diese Statusveränderung vom ‚jungen‘ zum ‚Regierenden Herrn‘. Erstens hielt er am 14. Juli 1579 einen Landtag in Cappel ab, auf dem er die politische Richtung seiner kommenden Herrschaft vorgab. Zweitens brach er im September des Jahres zu einem Huldigungsumritt durch die Städte der Grafschaft auf, von denen er vorerst jedoch nur Lippstadt, Lemgo und Detmold tatsächlich besuchte. Danach musste er den Umritt – wohl aufgrund einer Verpflichtung des Herzogs von Jülich-­Kleve-­Berg zur Teilnahme an der Hochzeit seiner Tochter – vorerst unterbrechen und setzte ihn erst sieben Jahre später auf Bitten der kleineren Städte der Grafschaft fort. Die lange Verzögerung deutet auf das geringe Interesse Simons an ­diesem Ritual hin, da ihm vor allem an der Zustimmung der beiden einflussreichen Städte Lippstadt und Lemgo zu seiner Regierung lag, die er bereits eingeholt hatte.150 In Ansätzen ist in ­diesem Verhalten ein im Entstehen begriffenes abstrakteres Herrschaftsverständnis erkennbar, nach dem der Herrscher nicht mehr mit all seinen Vasallen in persona einen Vertrag schließen musste, sondern das Land durch die zwei ‚Hauptstädte‘ ausreichend repräsentiert erschien.151 Über seine eigene Nachfolge machte Simon sich bereits frühzeitig Gedanken. Drei Testamente mit zum Teil unterschiedlichen Sukzessionsregelungen sind von 148 Zur Erziehung und Ausbildung Simons vgl. Fink, Exercitia Latina; Bischoff, Graf Simon VI., S. 12 – 18; Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 36 – 59; sowie die Akte LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 173. 149 Derartige Sorgen um den einzigen Erben wurden an anderer Stelle durchaus geäußert, etwa als die lippische Vormundschaftsregierung den Landgrafen inständig bat, den jungen Simon vom Pfalzgrafen Christoph zurückzufordern, mit welchem er ohne Erlaubnis in den Krieg zu ziehen gedachte; vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 173, Schreiben vom 11. 02. 1574. Christoph starb nur zwei Monate später in der Schlacht auf der Mooker Heide. 150 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 6 – 13. 151 Vgl. hierzu auch Pieper, Blomberg, bes. S. 130.

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ihm überliefert, von denen das erste am 23. Juli 1583 verfasst wurde. Zu d­ iesem Zeitpunkt war Simons Ehe mit Ermgard von Rietberg schon seit fünf Jahren kinderlos und schien es aufgrund der kränklichen Konstitution der Gräfin auch zu bleiben. Angesichts dieser Sachlage hatte Simon seinen Cousin Philipp, den Sohn seines Onkels Hermann Simon, als Nachfolger vorgesehen, der damit die Grafschaften Lippe, Spiegelberg und Pyrmont endgültig vereint hätte. Als ­dieser jedoch am 11. Februar des Jahres verstarb, war die Erbfolge erneut unklar. Es gehörte zu den vordringlichsten Pflichten eines dynastischen Herrschers, seine Nachfolge und damit die Kontinuität der Dynastie sicherzustellen, indem er in legitimer Ehe einen männlichen Erben zeugte.152 Die Sicherung der Erbfolge trotz fehlendem Sohn ist folgerichtig das Hauptthema des ersten Testaments. Durch die 1521 ausgehandelte kaiserliche Bestätigung des Pactum Unionis samt Einigung mit den Städten unter Simon V., der sich in einer vergleichbaren Lage befunden hatte, war es dessen Enkel nun möglich, seinen Nachfolger aus den nächsten Verwandten testamentarisch zu bestimmen. Seine Wahl fiel dabei auf die Söhne seiner Schwestern Anna und Bernhardine, von denen der zum Todeszeitpunkt Simons Älteste und Tauglichste sukzedieren sollte.153 Ob diese Regelung der Nachfolge in Simons Sinne von den kommenden Generationen befolgt werden würde, war jedoch höchst ungewiss. Zwar verständigte sich der Graf mit dem Paderborner Lehnsherrn über die Gültigkeit der testamentarischen Disposition, doch gab es mit Braunschweig einen stets auf westliche Expansion gerichteten fürstlichen Prätendenten, der bereits den – vermeintlichen – Heimfall der Lehen kommen sah.154 Eine weitere Parallele zur Situation um 1517 liegt in dem Umstand, dass abermals durch den Tod der Ehegattin Bewegung in die aussichtslose genealogische Konstellation kam. Für den Grafen war dies freilich alles andere als ein Grund zur Freude. Nicht nur hatte er den Verlust seiner Partnerin zu verschmerzen, auch die in die 1 52 Siehe dazu Kap. 3.1.1. 153 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 2 u. 3 (zwei Ausführungen). Die Söhne der dritten, mit Landgraf Georg von Hessen-­Darmstadt verheirateten Schwester Magdalena fielen dabei als potenzielle Nachfolger aus, da in der Paderborner Erbeinigung von 1517 eine Ausschlussklausel von Fürsten aus der lippischen Erbfolge enthalten war. Über die Kinderzahl der Schwestern Anna und Bernhardine, die zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments beide an Grafen verheiratet waren, gibt es widersprüchliche Angaben. Laut Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 91, war zumindest Anna damals noch kinderlos. Die beiden Schwestern, deren Söhne nicht sukzedieren würden, sollten von Simons Nachfolger 20.000 Rthlr. Entschädigung erhalten. Ganz konsequent im Sinne einer eindeutigen, auf eine Person begrenzten Nachfolgeregelung war dieser erste Testamentsentwurf jedoch nicht, da Simon seinem Cousin und Jugendfreund Franz von Waldeck die lebenslange Herrschaft über das Amt Sternberg vermachte, welches gleichwohl Teil der Grafschaft Lippe bleiben sollte. Es steht zu vermuten, dass damit die drohende Einlösung ­dieses Pfandbesitzes durch Schaumburg verzögert werden sollte. 154 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 93.

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Ehe eingebrachte Grafschaft Rietberg ging damit wieder verloren.155 Als Ermgard am 31. Juli 1584 verstarb, ohne Kinder zu hinterlassen, traten die Bestimmungen des Ehevertrags 156 in Kraft, und Simon musste Rietberg an die Erben seiner Gemahlin abtreten.157 Aus dynastischer Sicht – es galt ja, den von den Vorfahren überkommenen Besitz zu mehren und weiterzuvererben – war er bis hierher alles andere als erfolgreich gewesen. Es wäre also zu erwarten gewesen, dass Simon schnurstracks zu einer zweiten Eheschließung schreiten würde, wie es sein Großvater getan hatte, um schließlich doch noch den ersehnten Nachfolger zu zeugen. Stattdessen scheint er zunächst in eine regelrechte Melancholie verfallen zu sein, aus der ihn auch die zahlreichen an ihn herangetragenen Vorschläge für potenzielle Heiratskandidatinnen nicht befreien konnten.158 Die Trauerphase dauerte jedoch nur ein gutes Jahr, dann vermählte sich Simon mit Elisabeth von Holstein-­Schaumburg, einer Tochter des Grafen Otto IV.159 Am 21. September 1586 brachte sie den langersehnten Erben zur Welt, der nach dynastischer Tradition den Namen Bernhard (1586 – 1602) erhielt, woraufhin in der ganzen Grafschaft die Kirchen­glocken geläutet und Dankpredigten gehalten wurden.160 Der glückliche Vater hatte zuvor ein Gelübde abgelegt, bei Geburt eines Sohnes 10.000 Taler für kirchliche Zwecke zu stiften, welches er jetzt einlöste. Zugleich verpflichtete er die Pastoren darauf, im Anschluss an ihre Predigt für die Erhaltung des lippischen Stambs 161 zu beten. Insgesamt entsprossen dieser Ehe zehn Kinder; weitere Söhne, die den drohenden genealogischen Bruch in weite Ferne verlagerten, folgten mit Simon (1587 – 1627), Otto (1589 – 1657), Hermann (1590 – 1620) und Philipp (1601 – 1681). 155 Durch die am 26. Mai 1578 geschlossene Ehe mit der Gräfin von Rietberg war Simon nämlich in den Besitz der Grafschaft gelangt, da Ermgards Vater Johann bereits 1562 ohne Söhne in kölnischer Gefangenschaft verstorben war. Beide Territorien wurden in Personalunion von Simon regiert, behielten aber ihren eigenständigen Status. 156 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 30, Vertrag vom 27. 02. 1578. 157 Über die jüngere Schwester Ermgards, Walburg von Rietberg, die mit Graf Enno von Ostfriesland vermählt war, ging Rietberg an das Haus Cirksena über, wo es bis 1690 verblieb. 158 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 30. Vorgeschlagen wurden Töchter aus den Häusern Braunschweig, Hessen, Oldenburg, Schwarzburg und Nassau-­Dillenburg, was auf den hohen Wert Simons auf dem Heiratsmarkt hindeutet. In einem Schreiben seines Schwagers, des Landgrafen Georg von Hessen-­Darmstadt, bittet ihn dieser inständig, er möge s­ olche schwer­ mutige gedancken und bekummernis ein etwas auß dem sinn schlagen und demnächst zu einer neuen Heirat schreiten; ebd., Schreiben vom 05. 09. 1584. 159 Ehevertrag vom 13. 11. 1585 in LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 30. Hinter dieser Wahl stand vermutlich der Wunsch Simons, den jahrzehntelang schwelenden Streit z­ wischen Lippe und Schaumburg um die Grafschaft Sternberg zu beenden. Es wurde beschlossen, dass das Amt für die kommenden drei Generationen bei Lippe verbleiben und danach erneut verhandelt werden sollte. Für den Konflikt um Sternberg vgl. Husmeier, Graf Otto IV., S. 255 – 263. 160 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 174. 161 LAV NRW OWL, L 65, Nr. 265, Abschrift der Stiftungsurkunde vom 26. 09. 1586. Vgl. auch Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 130; Schilling, Konfessionskonflikt, S. 201, Anm. 285.

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Das erste Testament von 1583 mit seiner Anweisung, einen Neffen sukzedieren zu lassen, war in dieser veränderten Situation natürlich obsolet geworden, und Simon lag an einer Neuregelung zugunsten seiner leiblichen Söhne. So setzte er am 24. September 1591, am Vorabend einer nicht ganz ungefährlichen diplomatischen Mission in die Spanischen Niederlande,162 ein zweites Testament auf, in dem er ausdrücklich und namentlich alle seine zu d­ iesem Zeitpunkt geborenen Söhne zu unseren wahren Erben unserer Graff- und Herschafften und alles und jedes nachlaßes, es sei an Erb-, Lehen-, beweglichen oder unbeweglichen Guetern 163 einsetzte. Allerdings traf er hinsichtlich der Nachfolge in der Landesregierung, also der eigentlichen Sukzession, eine wichtige Zusatzbestimmung, da sie ausschließlich seinem ältesten Sohn Bernhard zustehen sollte. Diesem sollte nach dem Tode wiederum dessen ältester Sohn folgen, womit im Grunde bereits über den konkreten Erbfall hinaus auf die Primogenitur abgezielt wurde. Aus dem Erbenstatus aller Söhne ergab sich für Simon jedoch die Verpflichtung, auch die jüngeren am dynastischen Besitz teilhaben zu lassen, sodass er ihnen einzelne Paragialämter ohne hoheitliche Rechte vermachte. Künftig geborene Söhne würden sich hingegen mit einer monetären Abfindung begnügen müssen. Mit dieser Regelung, die die Härten, w ­ elche sich aus dem Ausschluss von der Herrschaft ergaben, durch eine materielle Partizipation am Kollektivbesitz abmilderten, folgte Simon im Grunde der dynastischen Tradition, da auch schon sein Onkel Hermann Simon ein erbliches Paragium innegehabt hatte. Weitere Bestimmungen betrafen etwa das Verbot, Teile der Grafschaft zu veräußern, wovon nur in großer wirtschaftlicher Not abgewichen werden durfte, wobei den übrigen Brüdern ein Vorkaufsrecht zugesprochen wurde. Anderen Grafen oder Fürsten durften überhaupt keine Ämter verpfändet oder gar verkauft werden. Bei fehlenden Nachkommen sollten die Paragien unverzüglich an die Dynastie zurückfallen, damit man sie dem Manstam der Graffen zur Lippe in keinerlei weise oder wege außen handen brengen, alieniren oder verwenden 164 würde. Diese – in Waldeck übliche – Betonung des agnatischen Samtbesitzes einschließlich des Veräußerungsverbotes war bei den Lippern aufgrund ihrer praktizierten Individualsukzession bis dato eher ungewöhnlich. Die damit bereits angedachte Aufwertung der Stellung der Nachgeborenen wurde zudem von dem Appell begleitet, es mögen im nothfall alle vor einen Man stehen und einer dem andern mit hulff beispringen 165. 162 Tatsächlich zögerte Simon zunächst – auch aufgrund der unterwegs zu erwartenden Gefahren –, dem kaiserlichen Gesuch vom 19. Juni 1591 nachzukommen. Erst nach mehreren hinund hergesandten Briefen stimmte er am 29. August zu und trat am 1. Oktober, also genau eine Woche nach Abfassung seines Testaments, die Reise an. Vgl. Schmitz-­Kallenberg, Tagebuch, S. 46 – 48. Diese Mission wird auch im Testament neben den topischen vanitas-­ Reflexionen als konkreter Anlass erwähnt. 163 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 5. 164 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 5. 165 Ebd.

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Simons folgendes Handeln unterstrich nun allerdings zunächst eine andere Tendenz, die sich ebenfalls in den ersten beiden Testamenten abgezeichnet hatte: Die Bevorzugung des Erstgeborenen bei der Sukzession sollte auf Dauer gestellt, die Primogenitur verbindlich eingeführt werden. August Falkmann hat vermutet, dass der Konflikt ­zwischen Bernhard VIII. und seinem Bruder um die rechtmäßige Herrschaft, dessen schriftlicher Niederschlag dem Sohn und jetzigen Grafen sicherlich bekannt war, Simons Wunsch nach einer eindeutigen Regelung bekräftigt hatte. Ebenso spielten mutmaßlich seine Erfahrungen als kaiserlicher Kommissar in der Grafschaft Ostfriesland eine Rolle, wo er ab 1587 unter anderem in Sukzessionsfragen ­zwischen den zerstrittenen Brüdern Edzard und Johann zu vermitteln hatte.166 Angesichts seiner eigenen, nunmehr recht stattlichen Söhnezahl und der zu antizipierenden künftigen Streitigkeiten um die rechtmäßige Herrschaftsnachfolge ging Simon nun an die förmliche Einführung der Primogenitur. Dazu forderte er zunächst beim Lippstädter Rat eine Kopie des dort verwahrten Pactum Unionis an, da im gräflichen Archiv offenbar keine Abschrift mehr vorhanden bzw. aufzufinden war.167 Daraufhin holte er im Dezember 1592 unter Ausnutzung seiner guten Beziehungen zu Rudolf II. die kaiserliche Bestätigung des alten Privilegs ein.168 Nur wenige Monate später reiste er persönlich nach Prag und ließ sich am 12. Februar 1593 vom K ­ aiser eine weitere Urkunde ausstellen, die in den Archiven ebenso wie in der Literatur als kaiserliche Bestätigung des Primogeniturrechts oder gar der Primogeniturordnung firmiert,169 obschon man 166 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 5, S. 80 – 89 u. 350; sowie zur Frage nach dem Einfluss der ostfriesischen Missionen auf Simons politische und konfessionelle Überzeugungen jetzt Sonnenburg, Simon VI . Dort hatte Simon großen Anteil am Zustandekommen des sogenannten „Leerer Abschiedes“ von 1588 gehabt, der dem jüngeren der beiden ostfriesischen Grafenbrüder drei ohnehin schon von ihm genutzte Ämter als Paragium zusprach, während die Landesregierung erblich an den Erstgeborenen fallen, jedoch im Namen beider Brüder ausgeübt werden sollte. 167 Vgl. LAV NRW OLW, L 1 A Alte Teilungsverträge, Urkunde vom 28. 12. 1592. Abgedruckt bei Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 147 f. Ursprünglich wurde das Pactum im Lippstädter Ratsarchiv verwahrt, bevor es 1640 den Ständen in Detmold vorgelegt wurde, wo es dann verblieb. 168 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, Urkunde vom 16. 12. 1592; sowie die kaiserliche Überlieferung in: HHStA, RHR Gratialia et Feudalia Confirmationes privi­ legiorum deutsche Expedition, K. 115, Nr. 1. Rudolf bestätigte am 16. Dezember 1592 insgesamt vier Urkunden, namentlich das Pactum Unionis, die Paderborner Erbeinigung von 1517, den hessischen Lehnsbrief von 1578 sowie die lippischen Münzprivilegien. Nur wenig später folgten zudem die Konfirmation der von Simon erlassenen Hofgerichtsordnung und ein Privilegium de non appellando. 169 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, Urkunde vom 12. 02. 1593, ­Kaiser Rudolphs II . Bestätigung des Jus Primogeniture; bzw. HHS tA, RHR Gratialia et Feudalia Confirmationes privilegiorum deutsche Expedition, K. 115, Nr. 2,1, Bestätigung der Primo­geniturordnung. Vgl. Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 94 – 97; Falkmann, Beiträge,

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diese Bezeichnung, zumindest unter streng formalen Gesichtspunkten, durchaus bestreiten könnte, wie es seitens einiger Zeitgenossen auch getan wurde. Gewiss hatte bei den vorangegangenen fünf Herrscherwechseln stets der älteste Sohn sukzediert, sofern mehrere vorhanden waren. Dieser regelmäßigen Praxis unterlag folglich eine Norm, die in zweifelhaften Sukzessionsfällen dem Erstgeborenen den Vorrang zusprach. Unumstritten war diese Praxis aber keineswegs, und spätestens im Zuge der vehementen Auseinandersetzung z­ wischen den Brüdern Bernhard VIII. und Hermann Simon wurde sie auch juristisch infrage gestellt. Vor allem aber fehlte es augenfällig an einer formalen Einführung der Primogenitur in Form eines Testamentes oder eines ­zwischen den Agnaten ausgehandelten Hausvertrags. Im Pactum Unionis war ja bekanntlich dem Erstgeborenen kein ausdrücklicher Vorrang bei der Sukzession eingeräumt, sondern die Wahl im Zweifelsfall den Städten überlassen worden. Doch hatte Simon den kaiserlichen Beamten seinen Fall offenbar derart überzeugend geschildert, dass die Konfirmationsurkunde unbeirrt formulierte, man sei gebeten worden, die glaubwürdigen uhralten vor 200 und mehr Jahren seinen Unterthanen, zu Land und Städ­ ten gegebenen Privilegien zu bescheinigen, auch sonsten der Orts männiglich bewust und unverborgen sey, daß bey den Grafen und Herren zur Lippe über unvordenkliche Jahre eine stete Gewohnheit gewesen auch noch sey, und also förters bis auf Ihn, Graf Simon, continuirt verblieben, daß die gantze Grafschaft Lippe und was derselben zugehörig und den Graffen und Herrn zu der Lipp an Lehen Erb-­Verbrüderung, Einigungen und aufgerichten Ver­ trägen; oder sonsten an liegenden und unbeweglichen Güthern zustünde, jederzeit zu desto stattlicher Erhaltung und Fortpflantzung desselben Gräflichen Stammes und Namens und um gemeinen Landes Besten willen, unzerstückt und unzertheilt von den altesten Männ­ lichen Leibes-­Lehns-­Erben, nach der praerogativ und succession der Primogenitur oder ­Ersten Geburth, alleinig regieret, ingehabt und gebraucht, die Unterthanen auch allein einen Manns Erben in eine Hand gehuldiget, den andern Brüdern aber Ihr gebührlicher Unterhalt, Ihrem gräflichen Stande gemäß, nach Ertrag und Vermög angeregter Graffschaft und Güter, hiervon verschafft und verordnet, desgleichen die Töchter und weibliche Erben, wie der Orts bey den Grafen zur Lippe gewöhnlich herkommen durch den regierenden Herrn und Land-­Stände dotirt und ausgestattet worden.170

Es wurde also zum einen auf die überkommenen Privilegien der Untertanen Bezug genommen, ohne sie explizit zu benennen, und zum anderen eine Verbindung zur gewohnheitsmäßig geübten Praxis innerhalb der Dynastie hergestellt.171 Nur bei Letzterer konnte überhaupt von einer Bevorzugung des Erstgeborenen Bd. 5, S. 350; Kittel, Heimatchronik, S. 129; Schilling, Konfessionskonflikt, S. 357; Bischoff, Graf Simon VI., S. 90. 170 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 151. 171 An anderer Stelle wird in ähnlicher Weise auf die über verwehrte Zeit des Rechtens in dem Stamm und Geschlecht der Grafen und Herren zur Lippe erstandene Gewohnheit Successionis Bezug genommen; vgl. ebd., S. 152.

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die Rede sein, obschon es, wie gezeigt wurde, auch Fälle von Landesteilungen gegeben hatte. Der ­Kaiser konfirmierte also letztlich keine Urkunde, sondern eine Rechtsgewohnheit. Damit stellte dieser Akt die rechtliche Formalisierung einer informellen und zumeist auch im Impliziten verbliebenen Norm dar. Angesichts des nunmehr erhobenen Geltungsanspruchs im Sinne einer vom Einzelfall abstra­hierten, allgemeinen Norm ließe sich sogar argumentieren, dass hier neues Recht geschaffen wurde. Auf alle Fälle wurde die normative Verfasstheit der Dynastie durch diesen Akt grundlegend verändert, wobei dieser Wandel unter dem Deckmantel des Herkommens und der vermeintlichen Bestätigung alten Rechts erfolgreich verschleiert wurde.172 Zunächst blieb ­dieses Vorgehen unbemerkt, gab es doch niemanden, der dagegen hätte aufbegehren können. Insbesondere Simons eigene Söhne, deren individuelle Lebenschancen von dieser Normfestschreibung wesentlich betroffen wurden, waren noch zu jung, um sich gegen eine etwaige Benachteiligung zu wehren. Auch die Stände, denen die Konfirmationsurkunde am 3. Mai auf dem Landtag vorgelesen wurde, erhoben keinerlei Einwände, da das landesherrliche Vorgehen mit ihren eigenen Interessen übereinstimmte.173 Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Einführung sollten erst viel später erhoben werden, als es Mitte des 17. Jahrhunderts in der Enkelgeneration zu erheblichen Auseinandersetzungen um die Sukzession kam. Die Gegner der Primogenitur argumentierten dabei mit dem fehlenden Originalprivileg, denn das Privilegium primogeniturae wehre uf falsche narrata außgebracht und confirmiret, das confirmandum wehre dem pri­ vilegio nicht inseriret 174. Noch deutlicher formulierte ein wohl vom Beginn des 18. Jahrhunderts stammendes anonymes und gegen die Detmolder Hauptlinie 172 Unter dem Stichwort „Heuchelei“ haben Tim Neu und Matthias Pohlig Praktiken versammelt, bei denen eine bestimmte Norm trotz praktischer Verstöße durch gleichzeitige Rechtfertigungspraktiken aufrechterhalten werden konnte. Vgl. Neu/Pohlig, Einführung; Neu, Heuchelei. Ähnlich gelagert scheint der vorliegende Fall zu sein, insofern als die Kontinuität einer Norm behauptet wird. Allerdings wird der Rechtswandel hier nicht durch eine geänderte Praxis, sondern durch die Implementation einer – zumindest in dieser Form – neuen Norm eingeleitet. 173 Vielmehr bedankten sie sich underthenig der gnedigen vorsorgen die I. G. vor ihre land und leuthe hette und die privilegien Ihrer Voreltern renoviren und bestetigen laßen, LAV NRW OWL , L 9, Nr. 4, fol. 30r. 174 LAV NRW OWL, L 9, Nr. 9, fol. 30r–v. Mit d ­ iesem Argument konnten sie sich auf ein Gutachten der Juristenfakultät Rinteln stützen, das ebenfalls die Konfirmation für unrechtmäßig erklärte, da sie auf keinem vorhergegangenen Primogeniturprivileg beruhe: Derwegen schließen wir dahin, daß die angezogene Kayßerlichen confirmationes pro Regula et norma nicht zu halten, das jus primogeniturae in dem Gräfflichem Hauß Lippe dadurch zu erweisen, sondern daß entweder das gerümbte privilegium primogeniturae in originali müße beigebracht oder die consuetudo undt das alte Herkohmen beßer alß annoch geschehen erwiesen werden., L 7 A, Nr. 17.

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gerichtetes Rechtsgutachten, es handele sich letztlich um die erschlichene Confir­ mationem eines vorhin nicht gewesenen juris primogeniturae 175. Unabhängig von der konkreten Vorgehensweise erwies sich Simon VI. bei der Einführung der Primogenitur als Vorreiter einer Entwicklung, die erst nach 1648 voll an Fahrt aufnehmen sollte. Zwar hatte die Goldene Bulle schon 1356 die Primogenitur für die Kurfürstentümer festgeschrieben, und es folgten mit gehörigem Abstand die Herzogtümer Württemberg (1495), Bayern (1506) und Braunschweig (1535).176 Bis zum Beginn des 17. Jahrhunderts war im Reich darüber hinaus aber kein Versuch mehr unternommen worden, eine solch grundlegende Norm zu implementieren. In Waldeck entschied man sich erst 1685 für diese Form der Sukzession. Dabei scheint vieles für sie zu sprechen: So liegen wesentliche Vorteile der Primogenitur nicht nur in ihrer Eigenschaft, das herrschaftliche Erbe ungeteilt zu transferieren und damit der Zersplitterung des kollektiven Besitzes vorzubauen, sondern auch darin, dass sie Eindeutigkeit bei der Identifikation des Nachfolgers schafft. „Als starre Regel, w ­ elche die Entscheidung einer höheren Instanz, nämlich Gott, überläßt, kann sie […] weitgehende Akzeptanz bzw. Legitimität für den so Auserwählten“177 garantieren. Indem sie jedes Wahlmoment ausschließt, macht sie die Nachfolge unverfügbar. Nichtsdestotrotz galt sie bei ihrer Einführung und Durchsetzung keinesfalls als natürlich oder gottgegeben, sondern wurde in ihrer Rechtmäßigkeit insbesondere von den durch sie benachteiligten Agnaten massiv bestritten. Deren Widerstand gründete sich auf die Vorstellung der Gleichberechtigung aller männlichen Erben sowie auf die Norm einer standesgemäßen Lebensführung für Angehörige hochadliger Dynastien, die eben auch die Herrschaft über Land und Leute umfasste. Die von der Primogenitur ausgeschlossenen nachgeborenen Söhne eines Herrschers wurden somit nicht nur erbrechtlich beschränkt, sondern fühlten sich unter Umständen auch in ihrer ständischen Ehre gekränkt, was zu einer heftigen Oppositionshaltung führen konnte.

175 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 11, Nachricht wegen den vom Regierenden Herrn praetendirenden juris primogeniturae. Darin heißt es auch, daß weyland Graff Simon der VI. jetz besagten Jahren [1593, LP] solches gleichfals am Kayserlichem Hoff vorgegeben, und dadurch ab Imperatore Rudolpho II . am 12. Jan: selben Jahres ein instrumentum Confirmatorium außgewircket, wie Sich aber kein documentum Confirmati findet, deswegen auch wieder den gewöhnlichen modum et stylum Curia, dem instrumento Caesareo nicht inseriret ist. 176 Vgl. Neuhaus, Chronologie; Schulze, Erstgeburt, S. 400 – 455; Kunisch, Staatsbildung, S. 73; Weinfurter, Einheit Bayerns; Stauber, Staat. 177 Weber, Dynastiesicherung, S. 100. Weber weist freilich zu Recht darauf hin, dass mit dieser Entscheidungsdelegation ein Kontrollverlust über die Eignung des Sukzessors verbunden ist. Die Vorstellung, dass die Erstgeburt eine Entscheidung Gottes oder der Natur darstellt und somit durch eine besondere Legitimität gekennzeichnet ist, war auch den Zeitgenossen vertraut, so etwa Thomas Hobbes, der sie als natürliches Losverfahren bezeichnet; vgl. Hobbes, Vom Bürger, S. 70 (Kap. 3, § 18).

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Simons bisheriges Vorgehen war gekennzeichnet von einem Ausbalancieren des dynastischen Dilemmas z­ wischen Erbansprüchen und der Bewahrung der politischen und ökonomischen Potenz durch die Vermeidung nachhaltiger Landes­ teilungen. Zwar sollten alle Söhne durch die Nutzung bestimmter Einkünfte aus den Ämtern ein dem gräflichen Hochadel angemessenes Leben führen können, doch sollte die Landesherrschaft ungeteilt beim Erstgeborenen verbleiben. Dieser konnte wiederum nicht einfach frei über Land und Leute disponieren, sondern war angehalten, den Bestand der Grafschaft im Sinne seiner Nachfolger zu bewahren oder gar zu vergrößern.178 An dieser Ordnung änderte auch das am 30. August 1597 aufgesetzte dritte und endgültige Testament Simons nichts Wesentliches; dennoch wurde es von der Forschung einhellig als „drückende Hypothek“179 mit „unheilvolle[r] Wirkung“180 bezeichnet. Laut Heinz Schilling war es ein „Element der Desintegration“, das hemmend auf den Staatsbildungsprozess wirkte, da es durch seine Dispositionen eine „Aushöhlung der Primogenitur“181 darstellte. Welche Regelungen waren hier getroffen worden? Im Grunde unterschieden sich die Abschnitte zur Sukzession nicht wesentlich von denen des zweiten Entwurfes von 1591, doch schienen sie der in der Zwischenzeit formal eingeführten Primogenitur in vielerlei Hinsicht zu widersprechen. Abermals wurde der älteste Sohn Bernhard als Nachfolger seines Vaters zu unßern Landt und Graffschafft forthin Regierende[m] Herr[n]182 bestimmt. Den jüngeren Söhnen und den Töchtern wurde lediglich das subsidiäre Erbrecht zugesprochen. Diese Regelung ließ es allerdings sinnvoll erscheinen, auch den Nachgeborenen die Nutzung bestimmter Ländereien zu gewähren, um ihnen die Heirat und das Zeugen ehelicher Nachkommen zu ermöglichen. Nur so konnte dann im Falle des Aussterbens der Hauptlinie der dynastische Bruch durch ein Ausweichen auf die übrigen Agnaten verhindert werden. Wie stark Simon darüber hinaus von 178 Die Primogenitur-­Ordnung formulierte: dagegen soll derselbe erstgebohrne regierende Graf nit Macht haben, zu Nachtheil und Schmälerung seiner Successoren und Nachfolger, die Graffschaft oder dero zugehörige Güter zu verkauffen, zu trennen oder in ander Wege zu alienieren, zu entäussern und zu beschweren in keine Weiß, sondern als viel möglich dieselbe zu vermehren und zu bessern beflissen; zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 152. 179 Kittel, Heimatchronik, S. 129. Ebenso Arndt, Fürstentum Lippe, S. 61. 180 Fink, Haus, S. 28. 181 Schilling, Konfessionskonflikt, S. 357. Des Weiteren wirke die Disposition „wie ein archaisch-­personalistisches Relikt im ansonsten modernen Staatsdenken Simons VI., wenn man sie nicht gar als Anlaß nehmen will, die im vorangehenden unterstellten frühmodernen Staatsziele des Grafen überhaupt in Zweifel zu ziehen“ (ebd.). In der Tat erscheint eine derartige Zuschreibung von „Staatszielen“ aus der hier vertretenen Perspektive, die die Dynastie als Handlungsrahmen ernst nimmt, anachronistisch, wohingegen die Regelungen des Testaments sich als durchaus nachvollziehbar darstellen. 182 Original in LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 7. Hier zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 156.

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Erwägungen eines gleichberechtigten Erbanspruchs aller seiner Söhne geleitet wurde, zeigt seine Bestimmung, dass selbst zum Zeitpunkt der Testamentsabfassung noch ungeborene Söhne vonn Vnßer Graffschafft Ihr Legitimam vnnd Zusteuer auch bekommen vnnd habenn 183 sollten. Die disponierte, recht großzügige Versorgung der Nachgeborenen mit eigenen Paragien,184 in denen sie zahlreiche Hoheitsrechte ausüben durften, sollte unter Simons Nachfolgern allerdings zu Irritationen darüber führen, ob er weiterhin an der Primogenitur festzuhalten gedacht oder eine Landesteilung im Sinn gehabt hatte. Dies lag in vorliegendem Fall weniger an einer zu knapp gehaltenen, mehrdeutigen Formulierung, sondern im Gegenteil vielmehr an der Ausführlichkeit, mit der hier erstmalig das Verhältnis ­zwischen dem Nachfolger und seinen Brüdern bestimmt und deren Vorrechte voneinander unterschieden wurden. So kann Simon durchaus der „Fehler“ attestiert werden, „die Rechte des Erstgeborenen genau zu definieren, anstatt ihm eine Generalklausel mit der Verfügungsgewalt über alle nicht testamentarisch geregelten Angelegenheiten einzuräumen“.185 Unter anderem sollten dem Primogenitus die Landfolge, die Huldigung der Städte, Steuererhebungen, die Einberufung von Landtagen und die Ausgabe der Lehen vorbehalten sein, ebenso der Besuch von Reichs- und Kreistagen. Auch die Gogerichte, das Münzrecht, das Bergwerk bei Salzuflen und das Archiv wurden ihm unterstellt. Den jüngeren Söhnen wurde dagegen eine eigene Hofhaltung in ihren Ämtern und die Huldigung durch ihre Untertanen zugestanden. Ferner hatten sie das Recht zur Beratung des Landesherrn und auf Mitsprache bei der Einberufung von Landtagen. Das Konsistorium sollten alle Söhne gemeinsam abhalten und sich beim Vorsitz des neu gegründeten Hofgerichts abwechseln. Auch bei der Übernahme der väterlichen Schulden, der Versorgung der Witwe und der Ausstattung ihrer heiratswilligen Schwestern wurden sie in die Pflicht genommen, woraus sich freilich wiederum weitergehende Rechte ableiten ließen. Dennoch kann kein Zweifel daran bestehen, dass Simon selbst sein Testament mit der von ihm eingeführten Primogenitur für vereinbar hielt. Nachdrücklich appellierte er an seine jüngeren Söhne, dass sie dem Regierenden Herrn bruderlich vnndt getreuwlich sollenn beistehenn, Auch der Land­ schafft zu nutz in gutter Eindracht, das beste rathen vnndt befurdernn helffenn 186. 183 Ebd., S. 158. 184 Während Bernhard „alß Regierender Herr“ die Häuser bzw. Ämter Detmold, Varenholz, Brede, Sternberg, Horn, Falkenburg, Oesterholz und Büllinghausen bekommen sollte, gingen Blomberg, Brake und Barntrup an Simon, Schwalenberg, Schieder und das halbe Amt Oldenburg an Otto, das Haus Beyenburg (an der Wupper, Pfandschaft von den Herzögen von Jülich-­Kleve-­Berg von 1597 – 1607), Lipperode, die Einkünfte der Stadt Lippstadt, dazu Alverdissen und die Ulenburg im Stift Minden an Hermann, der zusätzlich noch eine jährliche Geldrente von 2000 Rthlr. von seinen Brüdern bekommen sollte. 185 Arndt, Fürstentum Lippe, S. 61. 186 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 157.

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Den sozialen Frieden z­ wischen seinen Söhnen meinte er durch sein Testament sichergestellt zu haben. 2.2.5 Die Erfindung der Erbherren (1614 – 1636) Obschon Simon die Landesherrschaft ausdrücklich nur seinem ältesten Sohn übertragen hatte, war für die nachfolgenden Generationen, darunter auch unabhängige Gutachter, die Frage, wie mit d­ iesem Testament umzugehen sei, durchaus nicht eindeutig geklärt. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts konnte Johann Jacob Moser feststellen, dass man biß jetzo darüber streite, ob Graf Simons VI. Disposition eine wahre und völlige Primogenitur enthalte, auch, wo es deme so wäre, selbige gültig, mithin ob die Nachgebohrene Herrn und deren Decendenten appanagirte oder Regierende seyen? Die Responsa derer Juristen Facultäten und eintzelen Rechts-­Gelehrten lauffen dißfalls selbsten wider einander; ich aber halte es mit dem ersten.187

Zwischen der Einführung der Primogenitur und der testamentarischen Ausstattung der Nachgeborenen mit Paragien samt wichtigen Mitspracherechten schien ein Widerspruch zu klaffen; es hatte den Anschein, als sei erstere durch letztere außer Kraft gesetzt worden. Zunächst schien es an der Rechtmäßigkeit des Testaments, welches nach Simons Tod den Ständen auf dem Landtag vom 31. Januar 1614 präsentiert und von diesen angenommen wurde,188 keinen Zweifel zu geben. Allerdings war die Stadt Lemgo, deren Konfessionskonflikt mit der Landesherrschaft noch immer vor den Reichsgerichten verhandelt wurde,189 zu dieser Ständeversammlung nicht eingeladen worden, während Lippstadt sich wegen des schlechten Wetters hatte entschuldigen lassen, sodass die beiden wichtigsten Städte der Grafschaft an ­diesem Herrscherwechsel keinen Anteil hatten. Als nun das Gerücht die Runde machte, es sei im Testament eine Landesteilung unter die vier Grafensöhne vorgesehen, protestierten beide Städte unter Verweis auf das Pactum Unionis aufs Schärfste gegen das Vorgehen der Detmolder Regierung, drohten mit einer Klage vor dem Reichskammergericht und verweigerten dem neuen Landesherrn Simon VII . ihre Huldigung, bis ihre Privilegien erneuert würden.190 Letztlich verlief ihr Protest jedoch im Sande, worin 187 Moser, Staats-­Recht, Bd. 13, S. 501. 188 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 5, fol. 118r. 189 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 294 – 319. 190 Vgl. StAL , Chal. A 269, 270 u. 274. Neben dem grundsätzlichen Eingriff in die ihnen verliehenen Privilegien fürchtete man insbesondere, es könne unter einer vervielfachten Landesherrschaft zu Problemen mit den Lehnsherren kommen, da etwa die Stadt Lemgo Paderborner Lehen, das umliegende Amt Brake hingegen hessisch sei; vgl. StAL, Chal. A

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sich bereits eine Schwäche der städtischen Interessenvertretung gegenüber der Landesherrschaft abzeichnete.191 Am 12. März 1614 belehnte Moritz von Hessen-­Kassel Graf Simon VII . für sich und seine namentlich in die Urkunde mit aufgenommenen Brüder mit den von Hessen lehnsrührigen Ämtern der Grafschaft.192 Simon hatte laut Aussage des Chronisten Johann Piderit bereits zu Lebzeiten seines häufig mit Reichssachen beschäftigten Vaters die Administration des Landes übernommen, sodass sein eigentlicher Regierungsantritt reibungslos vollzogen werden konnte.193 Auch die Zuteilung der Paragialämter an die übrigen Brüder ging offenbar ohne Zwischenfälle vonstatten, obschon der im Testament namentlich erwähnte Primogenitus Bernhard bereits 1602 verstorben war, sodass nun alle Erben gewissermaßen eine Stufe aufrückten.194 Allerdings führte insbesondere die testamentarisch disponierte Übertragung der niederen Gerichtsbarkeit in den Ämtern an die jeweiligen ‚Erbherren‘ oder ‚abgeteilten Herren‘, wie sie seither genannt wurden, zu Unklarheiten darüber, wer die eigentliche Landesherrschaft innehatte. Obschon der Nachfolger 275. Insgesamt zeigt sich in der intensiven Korrespondenz z­ wischen den beiden Hauptstädten die enge Abstimmung ihres Vorgehens in dieser Sache, wobei Lemgo insgesamt zu einem radikaleren Vorgehen neigte. 191 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 9, Schreiben des Lippstädter Magistrats an die Vormünderin Katharina von Waldeck vom 21. 05. 1640: Damals als daß Land durch vätterliche Disposition getheilet worden sei, hätten die beyde Städte sich des privilegii gebraucht, und das dawieder gehandelt, protestando & contradicendo der Gräfflichen Regierung per notarium & testes insinuiren laßen, gantz ohne das solches attentirt werden wollen. 192 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 Lehnsurkunden, Urkunde vom 12. 03. 1614. 193 Dies schildert Piderit in seiner Historia Simonis VII., die Ereignisse zu Lebzeiten des Autors behandelt, sodass man ihr in vielen inhaltlichen Punkten einen hohen Quellenwert bescheinigen darf. Siehe dazu auch Kap. 4.2.1. Zum Regierungswechsel schreibt Piderit: Der Herr Vatter hatte große molestien wegen Reichs- und Krayß-­Sachen, die Er expediiren muste: Dan der Keyser Rudolphus II . spürete die hohe weisheit und verstand, derwegen must Er viel in wichtigen Sachen, ­welche dem Reich concernirten gebraucht werden. […] Dadurch ward der Löbl. Herr veruhrsacht, aus den Herrn Rähten und Ständen des Landes der Ritterschafft und Städten weise verständige Leute zu erwehlen, w ­ elche zum Regiment deputirt worden, aber es dauerte nicht lange, daß die Deputirten das Regiment allein führeten, dan bald ward Graf Simon VII. der jünger das Haupt aller Deputirten, ja es wärete nicht lange, Graf Simon ward auf wohlhalten die gantze administration des Regiments im Lande anvertrauet, welches bey Leben des Herrn Vatters und deßen anordnung und fulbordt Löblich und wohl geschehen ist., LAV NRW OWL , D 71, Nr. 86, fol. 36v–37r. 194 Der nunmehr älteste Sohn Simon wurde als siebter d­ ieses Namens Regierender Herr und erhielt die Ämter Detmold, Varenholz, Sternberg, Horn und die Falkenburg, sein Bruder Otto die Ämter Blomberg, Brake und Barntrup, Hermann Schwalenberg und das halbe Amt Oldenburg (während die andere Hälfte zu Paderborn gehörte) und der erst 1601 geborene und somit im Testament noch nicht erwähnte Philipp ein Konglomerat bestehend aus Alverdissen und Lipperode samt den Einkünften der Stadt Lippstadt, dem Haus Beyenburg an der Wupper, der Ulenburg im Stift Minden sowie 2000 Rthlr. jährlicher Geldrente.

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Simon VII. in letzter Konsequenz seine innerdynastische Führungsrolle durchzusetzen vermochte, war das Verhältnis ­zwischen ihm und seinen Brüdern von Beginn an durch ein Gerangel um die Ausübung bestimmter Rechte und Privilegien belastet.195 Grundsätzlich lassen sich die Spannungen, die die Jahre nach 1613 kennzeichnen, als Ausdruck der Ausbildung neuer dynastischer Rollen und ihrer gleichzeitigen Hierarchisierung verstehen, die durch die Implementation der Primogeniturnorm verstärkt worden war. Ihren Niederschlag fanden sie allerdings in ganz handfesten Interessenkonflikten, die in den Jahren 1614 bis 1621 in drei brüderliche Verträge mündeten. Zunächst ging es um die Frage, ob den Erbherren die Ausübung auch der hohen Gerichtsbarkeit in ihren Paragialämtern zustünde, sowie um die strittigen Punkte der Pfarrbesetzungen, der Landfolge und des Vorsitzes über das Hofgericht. In seinem Testament hatte Simon VI. festgelegt, dass etwaige Konflikte unter seinen Söhnen durch Moderation der Stände verglichen oder rechtlich entschieden werden sollten. Statt sich auf diesen Konfliktführungsmodus einzulassen, wandten sich die uneinigen Brüder allerdings lieber an ihren Onkel, den Grafen Ernst von Holstein-­Schaumburg, der sie zu einem Vergleich unter ständischer Beteiligung bewegen konnte. Die wichtigste inhaltliche Bestimmung ­dieses ersten sogenannten Brüderlichen Vertrags 196 besagte, dass die Erbherren künftig auch die hohe Gerichtsbarkeit in ihren Ämtern ausüben dürften, womit vom väterlichen Testament abgewichen wurde. Die Landfolge und das Recht zur Besetzung erledigter Pfarreien behielt sich Simon hingegen selbst vor, ebenso die oberste Leitung des Hofgerichts, obgleich die Erbherren hier abwechselnd den Vorsitz übernehmen sollten. Weiterhin wurde ihnen ein proportionaler Anteil an ständisch bewilligten Landsteuern zugesprochen. Ausdrücklich wurde die Superioritet, hocheit und Regierung des Ältesten hervorgehoben, aber zugleich einschränkend betont, dass die andern hern gebruder Graff Simons g. nichtt subject sein, sondern fur ungemittelte freie Graven des Reichs gehalten werden 197. Dies war eine bedeutende Feststellung, die auf die inhärenten Probleme des Verhältnisses der Brüder untereinander verweist: Laut der politischen und sozialen Verfasstheit des Reiches waren tatsächlich alle legitimen Abkömmlinge eines Grafen ebenfalls unmittelbare Reichsgrafen und insofern einzig dem ­Kaiser untertan. Mit dem Prozess der Hierarchisierung dynastischer Rollen bildete sich nun allerdings die Rolle des ‚Regierenden Herrn‘ heraus, der nicht aus natürlicher Autorität 195 Vgl. Barge, Lippischer Absolutismus, S. 113 – 123; Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 17 – 24; Arndt, Fürstentum Lippe, S. 60 – 68. 196 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 4 u. 5, Vertrag vom 21. 03. 1614 (zweifache Ausführung); abgedruckt bei Berner, Gründliche Nachricht, Anlage, Nr. 8, S. 14 – 18. 197 Ebd, S. 17.

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oder dynastischem Konsens, sondern aufgrund rechtlicher Normen den Vorrang vor seinen Brüdern beanspruchte. Reichsverfassung und dynastische Ordnung, sozialer und politischer Status der Erbherren gerieten somit in einen ständigen Widerspruch. Insbesondere der in Brake residierende Otto lehnte sich zeit seines Lebens gegen die von seinem in Detmold regierenden Bruder Simon und dessen Nachfolgern beanspruchte Hegemonie auf und pochte auf seinen Stand als reichsunmittelbarer Graf, den er weder einer dynastischen noch einer bürokratischen Ordnung zu unterwerfen gedachte. So vermerkt ein Regierungsproto­koll aus dem Jahr 1629, Graf Otto wolle lieber sterben, als vor den Detmolder Räten zu erscheinen oder sich etwas von ihnen vorschreiben zu lassen.198 Noch in fortgeschrittenem Alter beschwerte er sich bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die Versuche der Hauptlinie, ihm alle jurisdiction, respect [und] gehorsamb zu entziehen, undt mir fast nicht so viel respects alß dem geringsten Edelman zu las­ sen, sondern mich gemählich zu Ihren Unterthanen zuemachen sich unterstehen 199. Im Prinzip erkannten Otto (1589 – 1657), Hermann (1590 – 1620) und ­Philipp (1601 – 1681) zwar die Ausübung der Landesherrschaft durch ihren ältesten Bruder an; doch bei der Ausgestaltung des sozialen und rechtlichen Verhältnisses ­zwischen ihnen gab es durchaus Spielräume, die insbesondere Otto und Hermann – Philipp war noch zu jung und unterstand Vormündern 200 – zu ­nutzen verstanden, indem sie ihre Rechte und Privilegien sukzessive erweiterten. Simon VII . wiederum war zwar bereit, bei minderwichtigen Punkten Kompromisse einzugehen, um den inneren Frieden der Dynastie zu bewahren, wich allerdings keinen Deut von der ihm übertragenen Führungsrolle ab. Strittige Dauerthemen waren die Ausübung der Jurisdiktion und anderer Hoheitsrechte sowie die Abtragung der Schulden, die Simon VI . seinen Söhnen in nicht unbeträchtlicher Höhe hinterlassen hatte. Über diese Punkte waren unter der Ägide Ernsts von Holstein-­Schaumburg vier juristische Gutachten eingeholt und in den Jahren 1615 und 1616 mehrere Konferenzen im schaumburgischen Möllenbeck abgehalten worden, die zunächst ergebnislos blieben.201 Auf dem Landtag vom 6. Mai 1616 versicherte sich Simon der Rückendeckung durch die Stände, 198 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 7 B, fol. 13r. 199 LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4.c), Schreiben Ottos an die Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-­Kassel vom 14. 01. 1646. Siehe zum schwierigen Verhältnis z­ wischen Otto und den übrigen Dynastieangehörigen auch Kap. 4.1.4. 200 Dies waren die ständischen Vertreter Philipp von Donop und Konrad Osterholz sowie der vermutlich der landesherrlichen Beamtenschaft angehörige Ludeke Waterbeck; vgl. Ribbentrop, Graf Philipp, S. 55. 201 Vgl. LAV NRW OWL, L 8 K I, Nr. 1. In ­diesem Zusammenhang äußerte Otto erneut seinen Unmut über die Behandlung, die ihm vonseiten seines Bruders zuteilwurde und die er als unter seinem Stand empfand; vgl. ebd., Nr. 2.b), Schreiben des Drosten Hammerstein an Graf Simon vom 24. 01. 1616.

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­ elche versprachen, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um Testament, Priw mogeniturprivileg und altem Herkommen zum Recht zu verhelfen.202 Auf dem folgenden Kommunikationstag wurden die gegeneinanderstehenden Positionen schließlich soweit in Einklang gebracht, dass am 20. September des Jahres ein zweiter Brüderlicher Vertrag ­zwischen Simon, Otto, Hermann und den Vormündern Philipps geschlossen werden konnte, der mit insgesamt sechzehn Punkten deutlich umfangreicher war als der vorhergehende.203 Hierin konnten die Erbherren weitere Jurisdiktionsrechte an sich bringen und ihren Status auch symbolisch aufwerten. So sollten diejenigen Urteile von Hofgericht oder Konsistorium, die Untertanen aus den Paragialämtern betrafen, künftig nicht nur im Namen des Landesherrn, sondern auch der Erbherren gesprochen werden. Damit wurde den Untertanen der erbherrlichen Ämter, die immerhin ein gutes Drittel des Territoriums ausmachten, verdeutlicht, dass sie einer zweifachen Obrigkeit unterstanden: Simon VII . als oberstem Landesherrn und Otto bzw. Hermann als gerichtsherrlicher Zwischeninstanz.204 Zudem wurde den Erbherren nun ein Mitspracherecht bei der Ausschreibung von Landtagen sowie das Vorschlagsrecht bei der Besetzung von Pfarreien (jus praesentandi) eingeräumt, sodass der Landesherr auch hier nicht mehr völlig autonom agieren konnte. Die kommenden vier Jahre verliefen relativ ruhig, bis am 23. August 1620 der zweitjüngste Bruder Hermann unverheiratet verstarb. Das väterliche Testament sah für diesen Fall vor, dass seine hinterlassenen Ämter und Güter unter den verbliebenen Erben aufgeteilt werden sollten, wobei eine Hälfte an den Regierenden Herrn, die andere an die übrigen Brüder fallen sollte. Allerdings hatten Hermann und Otto 1615 insgeheim eine Erbeinigung geschlossen, in der sie sich gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Diese holte Otto nun hervor und beanspruchte das Erbe seines Bruders für sich allein, wogegen Simon scharf protestierte. Daher wurde unter erneuter Mitwirkung des mittlerweile in den Fürstenstand erhobenen Ernst von Holstein-­Schaumburg und der lippischen Stände, die die Rechtmäßigkeit von Ottos Erbeinigung vehement bestritten,205 ein Vergleich 202 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 5, fol. 154r–159r. 203 Vgl. LAV NRW OWL , L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 6, 7, 9 und 10, Vertrag vom 20. 09. 1616 (vierfache Ausführung); abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd.  11, S. 557 – 560; sowie bei Berner, Gründliche Nachricht, Anlage, Nr. 9, S. 18 – 23. Siehe auch LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungsverträge, Vertrag vom 29. 09. 1616, die sogenannte Kammerordnung, in der sich die Brüder über die ratenweise Abtragung der väterlichen Schulden verständigten. 204 Weitere symbolische Rangverbesserungen gelangen den Erbherren durch den Einbezug ihres Namens bei der Verkündung landesherrlicher Edikte sowie beim Recht auf landesweites Glockengeläut im Todesfall; vgl. Arndt, Fürstentum Lippe, S. 61. 205 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 6, fol. 40r. Generell widersprachen die Stände den meisten Prätentionen Ottos und stellten sich bei innerdynastischen Konflikten gewöhnlich auf die

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a­ ufgerichtet.206 Der auf den 25. Januar 1621 datierte dritte Brüderliche Vergleich sah vor, dass Simon die Häuser Schwalenberg und Oldenburg, Otto dagegen Schieder und Philipp als der Jüngste eine zusätzliche Jahresrente von 2000 Reichstalern bekommen sollte. Die Schulden Hermanns sollten aus der gemeinen Kammer, seine Bestattung aus dem Privatvermögen der drei Brüder finanziert werden.207 Obgleich die drei Verträge wichtige Eckpunkte im Verhältnis ­zwischen den Brüdern abgesteckt hatten, blieben zahlreiche Details der Herrschaftsausübung und der Wahrnehmung bestimmter Rechte doch ungeklärt und sorgten immer wieder für Streitigkeiten.208 Nun ging Simon daran, das Primogeniturrecht, welchem er seine Stellung verdankte, weiter zu festigen, um seinem Sohn und Nachfolger die Herrschaft zu sichern, was bei den Erfahrungen mit seinen eigenen Brüdern gewiss nahelag. Zu ­diesem Zweck verfasste er ein Bittschreiben an ­Kaiser Ferdinand II., in dem er ihn um die förmliche Bestätigung des jus primogeniturae anhielt. Es sei nämlich vor uralten Jaren und uber menschen gedencken in diser Graffschafft bey meiner Vorfahren und Herrn Vatters wollseligen Zeitten biß auff mich bestendig herbracht, daß die gantze Graffschafft Lippe und waß derselben einiger maßen anhengig und zugehörig zu dißes haußes, stambs und nammens erhaltung auch umb des gemeinen Lands besten willen unzerstükt und unzertheilt von dem erstgebornen und eltisten uberlebenden Mannlichen Lehens Erben einig allein erseßen, regiert und genutzet, demselbigen auch all und jede Underthanen dißer Graffschaftt Lippe in eine Handt gehuldiget, den andern Gebruedern aber Ihr Gebührlicher Underhalt Ihrem stande Gemeß nach vermögen der Graffschafft und Gütter daraus verordnet und entrichtet, den Töchtern aber Ihr Heürath Guett und aussteür, wie herkommen gereicht 209 werde.

Da Simon sich bey diesen schwürigen, kümmerlichen und geferlichen Zeitten zugleich dises Stamhaußes bestendiger erhaltung, dem grafflichen namen und Geschlecht, auch der lieben posteritet und nachkommen zu gutten, die gemeine Landts woll­ fahrt zu befürdern schuldig erachte 210, bitte er um erneute Bestätigung des Privilegs. Ebenso wie schon Simon VI . verwies sein gleichnamiger Sohn nun auf die vermeintlich lange Tradition und das Herkommen der Grafschaft, konnte Seite des Landesherrn; vgl. auch Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 39. 206 Vgl. für die Verfahrensakten LAV NRW OWL, L 8 K I, Nr. 3. 207 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 13, Vertrag vom 25. 01. 1621; abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 102 f. sowie Berner, Gründliche Nachricht, Anlage, Nr. 10, S. 23 – 25. 208 So wurden etwa auf dem Landtag am 26. September 1622 zahlreiche Streitpunkte, über die sich Simon VII. und Otto nicht hatten vergleichen können, den Ständen vorgestellt, ­welche sich unter Bezug auf das alte Herkommen meist für die landesherrliche Position aussprachen. Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 7, fol. 68 ff. 209 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 10, Schreiben vom 20. 06. 1626. 210 Ebd.

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allerdings zusätzlich die Konfirmationsurkunde Rudolfs II. von 1593 vorweisen. Argumentativ bezog er sich dabei zum einen auf die Erhaltung der Dynastie, zum anderen auf das Wohl des Landes. Er verließ sich allerdings nicht auf seine eigene Überzeugungskraft, sondern brachte den in Lippe weilenden und ihm wohlgesonnenen Heerführer Tilly dazu, beim ­Kaiser in dieser Sache ein gutes Wort für ihn einzulegen. Dieser verwies in seinem Schreiben an Ferdinand auf die heylsa­ me[n] und nuzliche[n] dienste 211, die Simon ihm und seinem Heer geleistet habe und plädierte mit Nachdruck für dessen Position. Beider Bemühungen waren von Erfolg gekrönt und am 3. September 1626 wurde die begehrte Erneuerung der Primogenitur urkundlich ausfertigt.212 Das sollte seinem Sohn und Nachfolger Simon Ludwig später zugutekommen, der zur Legitimation seiner Herrschaft auf die Konfirmation verweisen konnte. Allerdings handelte auch Simon VII . selbst nicht konsequent im Sinne einer strengen Primogenitur. Nachdem seine erste Frau Anna Katharina von Nassau-­ Wiesbaden-­Idstein 1622 gestorben war, vermählte er sich ein gutes Jahr darauf erneut, diesmal mit einer Waldeckerin, Maria Magdalena, der Tochter des Grafen Christian von Waldeck-­Wildungen. Ihr machte er im Ehevertrag das Zugeständnis, dass die Söhne aus dieser zweiten Ehe ahn unsern Landt und leuthen auch anderm erb undt nachlaß succession in capita undt zu gleichen theilen succediren undt antretten sollen 213. Zwar bestätigte Simon im folgenden Satz die praeemi­ nentz seines Erstgeborenen nach Maßgabe der alten Hausverträge, doch war dies durchaus keine eindeutige Festschreibung der Primogenitur, womit erneut ein Einfallstor für künftigen innerdynastischen Streit geschaffen war. Ähnlich wie schon bei der Sukzessionsregelung seines Vaters schien hier wiederum ein Normenkonflikt auf, in dem sich Simon VII . ­zwischen dem Bemühen um politische Handlungsfähigkeit und einem überkommenen Erbgerechtigkeitsverständnis gefangen sah. Auch verband er mit dieser Regelung die Hoffnung, Streit und Missgunst z­ wischen den Söhnen beider Ehen verhindern zu können. Schließlich muss in Betracht gezogen werden, dass die Braut und ihr Vater, dessen dynastische Sozialisation ohnehin von regelmäßigen Landesteilungen geprägt war,214 ihre Eigeninteressen, nämlich eine möglichst günstige Ausgangsposition der zu erwartenden Söhne in künftigen Erbverhandlungen, entschieden durchzusetzen

2 11 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 10, Schreiben vom 03. 07. 1626. 212 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, Urkunde vom 03. 09. 1626. Nach Detmold geschickt werden konnte sie freilich erst, nachdem die reichshofrätliche Gebühr von 120 fl. sowie weitere Kosten für Registratoren, Kanzlisten und den lippischen Agenten Johann Sternberg in Wien erlegt worden waren. Vgl. das Schreiben des Letzteren vom 02. 09. 1626, in: L 7 A, Nr. 10. 213 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 31, Urkunde vom 26. 04. 1623. 214 Siehe dazu Kap. 2.3.6.

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versuchten.215 Eine vertraglich garantierte Sukzessionsformel war somit eine wichtige Gabe der Mannesseite im Tauschhandel der dynastischen Heirat. Tatsächlich ging aus der Ehe ­zwischen Simon und Maria Magdalena mit Jobst ­Hermann (1625 – 1678) ein Sohn hervor, der seit seiner Hochzeit 1654 auf dem Hof Biesterfeld bei Lügde residierte und die Nebenlinie Lippe-­Biesterfeld eröffnete. Diese lag aufgrund der ehevertraglich begründeten Sukzessionsansprüche lange im Streit mit den Vertretern der Hauptlinie in Detmold und konnte schließlich 1905, nach dem Aussterben der letzteren, für einige Jahre die Regierung übernehmen, nachdem sich Fürst Leopold IV . im sogenannten lippischen Erbfolgestreit hatte durchsetzen können.216 Schon ein halbes Jahr, nachdem Simon VII . die kaiserliche Konfirmation erworben hatte, starb er mit nur 39 Jahren und hinterließ zehn Kinder aus zwei Ehen. Sein erstgeborener Sohn, Simon Ludwig (1610 – 1636), war erst 17 Jahre alt und somit noch nicht imstande, selbstständig die Regierung zu übernehmen. Es musste also ein Vormundschaftsregiment aufgestellt werden.217 Die Erbherren, die ihren Bruder überlebt hatten, Otto und Philipp, ließen keine direkten Herrschaftsansprüche erkennen und hielten sich zunächst zurück. Otto wurde neben Graf Johann Ludwig von Nassau-­Hadamar und dem Vater der Witwe, Christian von Waldeck, gar um die Übernahme der Vormundschaft gebeten und sagte zunächst auch zu, da er hier wohl eine Möglichkeit zur Erweiterung seines Einflusses vermutete. Am 18. Mai 1627 wurden die drei Vormünder dem Landtag präsentiert.218 Schon bald geriet Otto jedoch in Streitigkeiten mit seinem Mündel, die aus der Doppelrolle von apanagiertem Erbherrn und Sachwalter der Gesamtdynastie entsprangen, und legte sein Amt nieder. Offenbar gelang es ihm nicht, die Belange der gesamten Grafschaft, um die er sich als Vertreter des künftigen Landesherrn zu kümmern hatte, mit seinen Partikularinteressen in Einklang zu bringen. Wenn er weiterhin Vormund bleiben solle, forderte er daher, müsse man ihm bei der Ausübung d ­ ieses Amtes völlig freie Hand lassen.219 In Detmold wollte man sich darauf allerdings nicht einlassen und holte im Dezember vorläufig lediglich für Christian von Waldeck, der sich von vornherein bedingungslos zur Übernahme der Vormundschaft bereit erklärt hatte, 2 15 Vgl. auch Mutschler, Haus, S. 56 f. 216 Zur Geschichte der Nebenlinie Gerking, Grafen zur Lippe-­Biesterfeld. Zum Thronfolgestreit Kittel, Heimatchronik, S. 254 – 267; Bartels-­Ishikawa, Thronfolgestreit; Reichold, Streit; Willoweit, Standesungleiche Ehen, S. 188 – 191. 217 Vgl. Fink, Haus, S. 33 f.; Süvern, Brake, S. 78; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 69. 218 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 6, fol. 118 ff. Bei dieser Gelegenheit stellten auch die Vertreter des Adels und der Städte ihrerseits Vertreter für die vormundschaftliche Regierung auf. 219 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 4, fol. 170r–177r. Ottos Anliegen wurde von den Landständen unterstützt. Auch sein Mitvormund, der Graf von Nassau-­Hadamar, wurde nun unsicher und verkündete, er wolle das Amt nur antreten, wenn auch Otto Vormund bleibe.

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die reichskammergerichtliche Bestätigung ein.220 Die täglichen Geschäfte führte ohnehin ein aus Detmolder Räten bestehendes Gremium. Dies führte nun zu erneuten Differenzen, da Otto nicht vollständig auf den mit der Ausübung des Amtes einhergehenden Einfluss verzichten wollte. So forderte er, die im Jahr 1628 angesetzte Landeshuldigung aufzuschieben, bis auch sein Vormundstatus vom Reichskammergericht anerkannt werde.221 So kam es, dass die Huldigung Simon Ludwigs letztlich nie vollzogen wurde, weder während seiner Vormundschaftsphase, noch später, nachdem er am 5. Mai 1631 vom ­Kaiser die vorzeitige Volljährigkeitserklärung (venia aetatis)222 erhalten hatte. In gewisser Weise war dies ein Makel, der Simon Ludwigs Legitimität als Landesherr schmälerte, sodass etwa Lemgo in einem Appellationsprozess vor dem Reichskammergericht auf dessen ausstehende debita solemnia 223 hinweisen konnte. Offenbar brachte die Stadt bei einer solchen Gelegenheit auch das ihr einst zugestandene Recht zur Wahl eines Landesherrn ins Spiel, woraufhin sie beim Grafen in Ungnade fiel. 1635 drängte Simon Ludwig die städtischen Oberen daher zu der urkundlichen Erklärung, dass sie das Primogeniturrecht im lippischen Hause und damit die geburtsmäßige Legitimität des derzeitigen Grafen und seiner Erben vollständig anerkannten, auf ihr Wahlrecht jedoch nun und künftig verzichten würden. Im Gegenzug versprach der Landesherr, seinen Huldigungsumritt zügig nachholen und die städtischen Rechte und Privilegien bestätigen zu wollen.224 Damit war das außergewöhnliche Wahlrecht der Städte, das im Pactum Unionis erstmals ausgesprochen, seitdem aber niemals angewandt und schon in der Paderborner Erbeinigung umgangen worden war, wesentlich geschwächt.225 Die Zeit nach 1613 war also durch das ambivalente Vermächtnis Simons VI . geprägt: Die Frage, ob die Primogenitur tatsächlich rechtmäßig eingeführt und im Sinne des Grafen gewesen – und damit zu befolgen – sei, oder ob sie nicht vielmehr durch sein Testament von 1597 wieder außer Kraft gesetzt worden 2 20 Vgl. LAV NRW OWL, L 82, Nr. 515. 221 Vgl. LAV NWR OWL, L 37 XVIII A, Nr. 4. 222 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Venia aetatis, Urkunde vom 05. 05. 1631. 223 Die Vorladungsurkunde an Simon Ludwig vom 22. 3.1633 stellt fest, es sei wider dich Graffen, alß nondum qualificatum et alias etiam pariter partem et judicem, auf Rechtmessiges Suppli­ ciren, inhibitorial und andere Appellatori process, erkandt und respective exequirt worden, weylen due deinen löblichen Antecessorn gleich debita solemnia, annoch nicht abgestattet, LAV NRW OWL , L 82, Nr. 423. Der ­gleiche Vorwurf in anderer Prozesskonstellation auch in ebd., Nr. 451. 224 Vgl. LAV NRW OWL , L 1 E XI /8, Nr. 32, Urkunde vom 20. 04. 1635. Abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, Nr. 71. 225 Gleichwohl geriet es keineswegs in Vergessenheit, zumal Lippstadt nicht auf sein Privileg verzichten wollte, wie es in einem Schreiben vom 19. April 1639 an Graf Johann Bernhard deutlich zum Ausdruck brachte; vgl. StAL, Chal. A 370, fol. 2r.

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war, stellte sich den Zeitgenossen mit voller Wucht und führte zu langwierigen Sukzessionsstreitigkeiten. Im Ergebnis wurde ein neuartiges, im Großen und Ganzen so wohl auch von Simon VI . erdachtes Dynastiemodell entwickelt: Das Amt der Landesherrschaft, welches sich immer stärker vom übrigen Erbe abtrennte, wurde vom ältesten Sohn Simon VII . in den drei Brüderlichen Verträgen von 1614, 1616 und 1621 behauptet. Große rechtliche und symbolische Zugeständnisse an die jüngeren Brüder führten aber dazu, dass sich drei bzw. nach dem Tode Hermanns noch zwei relativ stabile Nebenherrschaften in Brake und Alverdissen herausbildeten. Damit einher ging die Erfindung eines neuen dynastischen Rollenmodells, das schon 1614 unter dem Begriff des „Erbherrn“ firmierte. Ein Erbherr verfügte über ein oder mehrere Paragialämter, in denen er wichtige Rechte ausübte und sich von seinen Untertanen huldigen ließ, er konnte sich verheiraten, seinen Landbesitz an die eigenen Nachkommen weiter­ geben und war auch symbolisch in nahezu allem dem Landesherrn gleichgestellt. So führte er das ­g leiche Wappen und den gleichen Titel eines Grafen zur Lippe und musste lediglich auf die Bezeichnung „Regierender Herr“ verzichten.226 Von außen betrachtet – etwa wenn lippische Erbherren an auswärtigen Höfen weilten – war diese subtile Unterscheidung aber wohl kaum wahrnehmbar. Insofern kollidierte die durch die Primogenitur erzwungene Unterordnung mit der Gleichbehandlung, die der reichsrechtliche bzw. ständische Rahmen vorgab, und dem daraus gezogenen Selbstverständnis der Erbherren, was zu deren Nichtoder nur Teilanerkennung des neuen Sukzessionsmodells und immer wieder zu innerdynastischen Konflikten führte. Umso erstaunlicher ist es, dass sich Simon VII. und Simon Ludwig gegen ihre Konkurrenten durchsetzen konnten und der Norm der Primogenitur einerseits durch die Praxis selbst, andererseits durch die erneute Einholung der kaiserlichen Bestätigung 1626 zu vermehrter Stabilität verhalfen. Dabei konnten sich beide auf die Rückendeckung der Stände verlassen, die die Alleinherrschaft des Erstgeborenen als altes Herkommen betrachteten und nach Möglichkeit unterstützten, obschon ihnen ebenso die Wahrung des inneren Friedens am Herzen lag. Auch die landesherrlichen Räte in Detmold bildeten eine bedeutende Stütze der Regierung. Geschwächt wurde die Primogeniturnorm allerdings nicht nur von agnatischer Seite, denn auch Simon VII. verhielt sich nicht konsequent, sondern gab mit der Beteiligung seines Sohnes Jobst Hermann an der Herrschaft dem alten Versorgungsdenken und den Ansprüchen seiner zweiten Gemahlin, Maria Magdalena 226 Angehörige der Braker Linie versuchten mehrfach, auch diesen Titel an sich zu bringen und ernteten dadurch jedes Mal den scharfen Protest der Detmolder, so etwa 1646 und 1692 im Zuge der Einführung der Primogenitur in der Braker Nebenlinie; vgl. LAV NRW OWL , L 8 K VI , Nr. 4.c), Schreiben vom 14. 04. 1646 sowie L 7 E II , Nr. 2.b) Schreiben vom 25. 08. 1692.

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von Waldeck, nach. Somit lag in der hausrechtlichen Situation von 1623 der Keim für die künftige Aufgliederung der Gesamtdynastie in die in Detmold residierende Hauptlinie sowie die drei Nebenlinien Brake, Alverdissen und Biesterfeld. Die Integration aller Linien bei gleichzeitiger Behauptung der Detmolder Hegemonie wurde für die Landesherren zur Hauptaufgabe der kommenden Jahrzehnte. Neben den Partizipationsansprüchen der Erbherren lag dabei ein weiteres Moment der Destabilisierung in den relativ k­ urzen Lebensspannen der jeweils regierenden Grafen und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit zur Einrichtung von Vormundschaftsregierungen. Nachdem Simon VII. schon früh das Zeitliche gesegnet hatte, wurde sein Sohn Simon Ludwig gerade einmal 26 Jahre alt. 2.2.6 Die Durchsetzung der Primogenitur im Vormundschaftskonflikt (1636 – 1650) Eine neue und die sicherlich turbulenteste Phase der lippischen Sukzessionskämpfe setzte nach dem unerwartet frühen Tode Simon Ludwigs am 8. August 1636 ein. Dieser war im Jahr 1631 eine Ehe mit Katharina von Waldeck-­Wildungen (1612 – 1649), einer jüngeren Schwester seiner Stiefmutter Maria Magdalena, eingegangen. Was die Verbindung allerdings anfällig für Kritik machte, war nicht diese ungewöhnliche verwandtschaftliche Konstellation, sondern der Umstand, dass Katharina eine Tochter Christians von Waldeck, also des ehemaligen Vormunds ihres Bräutigams war. So wurde Christian später von den Agnaten der lippischen Dynastie vorgeworfen, er habe sein Mündel Simon Ludwig unter Missbrauch seines Schutzverhältnisses zur Ehe mit seiner Tochter gedrängt.227 Möglicherweise war diese Kritik zutreffend; zum Problem wurde sie erst, nachdem Simon Ludwig gestorben war und es um die Sukzessionsrechte seiner Söhne ging. Im Ehevertrag war die Rechtskraft der bisherigen Hausverträge und insbesondere der Primogenitur ausdrücklich bestätigt worden, um den Herrschaftsanspruch der Kinder des Paares gegenüber den Prätentionen der übrigen Agnaten zu stärken.228 In dem nun aufbrechenden Sukzessionsstreit ging es vornehmlich um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Primogenitur im lippischen Hause.229 Die Partei der Befürworter wurde dabei von der Witwe des Grafen, Katharina von Waldeck, angeführt, die sich vehement für das alleinige Erbrecht ihres erst 2 27 Vgl. LAV NRW OWL, L 82, Nr. 516. 228 Zwar hatte Otto seine Zustimmung zum Ehevertrag verweigert, da man ihn nicht in die Beratungen miteinbezogen hatte, doch kam die Verbindung trotzdem zustande und brachte drei Söhne hervor; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 32. 229 Siehe auch die Überblicksdarstellung bei Fink, Haus, S. 34 – 47; ausführlich Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 67 – 156; Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 113 – 155.

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vierjährigen Sohnes Simon Philipp (1632 – 1650) einsetzte. Laut der inzwischen hausvertraglich eingeführten und mehrfach bestätigten Primogenitur wäre er als ältester Sohn des verstorbenen Grafen dessen legitimer Nachfolger gewesen. Ihre Gegner fand Katharina in den agnatischen Angehörigen der Dynastie, allen voran in den Brüdern ihres verstorbenen Gatten, den Grafen Johann Bernhard (1613 – 1652), Otto Heinrich (1614 – 1648) und Hermann Adolf (1616 – 1666), die die Primogenitur als ­solche und damit die rechtmäßige Nachfolge des Kindes bestritten und stattdessen eigene Ansprüche, zunächst auf die Vormundschaft, später auch auf die eigentliche Landesherrschaft erhoben. Auch die Erbherren der älteren Generation, die in Brake bzw. Alverdissen residierenden Grafen Otto und Philipp, mischten sich von Zeit zu Zeit in die Auseinandersetzung ein und versuchten ihren Eigeninteressen Raum zu verschaffen. Die künftige Sukzession des jungen Simon Philipp schien bei dieser Anfechtung von mehreren Seiten von vornherein äußerst unwahrscheinlich. Katharina verlor daher keine Zeit und erteilte noch im selben Monat, in dem ihr Gemahl gestorben war, den Befehl, im Namen ihres Erstgeborenen zeremoniell von den Schlössern und Ämtern der Grafschaft Besitz zu ergreifen.230 Den männlichen Angehörigen der lippischen Dynastie erschien die Situation, die aus der konsequenten Befolgung des Primogeniturrechts erwuchs, wie eine unerhörte Zumutung: Anstatt dass Otto oder Philipp alß nechste agnatas, stamund Blutsverwandte 231 des verstorbenen Grafen Simon VII ., oder einer seiner vier noch lebenden Söhne – der Älteste stand kurz vor Erreichen der Volljährigkeit – zur Herrschaft gelassen würden, sollte das Amt des Landesherrn die kommenden zwanzig Jahre vakant bleiben, bis der gerade einmal vierjährige Simon Philipp zur Regierung gelangen könnte. Solange sollte eine Vormundschaftsregierung, bestehend aus der Witwe Katharina und, da sie mit ihren 23 Jahren selbst 230 Ob die Besitzergreifung im August 1636 auch tatsächlich vollzogen wurde, ist unklar, da lediglich eine Notarsvollmacht überliefert ist. Darin rechtfertigt Katharina diesen Schritt mit Verweis auf der löblichen Vorfahren uhralte dispositiones, auch von den Römischen Kaisern vor undt nach ertheilte Confirmationes, durch die in dem Grafflichen Hauß Lippe das jus primogeniturae im üblichen Herkommen […] befestiget ist, LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 19, Akte Instrum: apprehensa possession: der Häuser Varenholtz und Sternberg. In der gleichen Akte befindet sich auch ein Notariatsinstrument über die wirklich vollzogene Aneignung der Schlösser Varenholz und Sternberg im Namen Simon Philipps vom November 1643. Zwischenzeitlich, namentlich im Februar 1637, hatte auch die Gegenseite im Auftrag von Johann Bernhard von den Schlössern der Grafschaft zeremoniell Besitz ergriffen. Vgl. die Abschrift des entsprechenden Notariatsinstrument, in: L 82, Nr. 517, fol. 105 – 109. Dieses Hin und Her zeigt die hohe Bedeutung, die dem Akt der symbolischen Ergreifung und der im Zuge dessen vollzogenen Verpflichtung der lokalen Amtmänner auf den jeweiligen Landesherrn zukamen. 231 So die Selbstbeschreibung des Grafen Philipp in seiner Klageschrift vor dem Reichskammergericht vom 13. 04. 1637, in: LAV NRW OWL, L 82, Nr. 516, fol. 10r.

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noch nicht volljährig war, ihrem Vater Christian von Waldeck in Absprache mit den Detmolder Räten die Regierungsgeschäfte führen.232 Zweifellos musste diese Konstellation den Protest der Agnaten hervorrufen, der sich allerdings vorläufig nur gegen die Nichtberücksichtigung bei der Vormundschaft richtete.233 Ab 1637 wurden vor den beiden obersten Reichsgerichten mehrere, sich teilweise überschneidende Prozesse geführt, die die Waldecker zumindest rechtlich für sich entscheiden konnten. Zunächst erhielten sie 1637 die reichskammergerichtliche Bestätigung ihrer Vormundschaft über die minderjährigen Söhne Katharinas 234 und baten zusätzlich um kaiserlichen Schutz für das lippische Primogeniturrecht.235 Da selbiges erst elf Jahre zuvor vom ­Kaiser bestätigt worden war, hatte das Anliegen hohe Aussicht auf Erfolg. Im gleichen Jahr erlangten Katharina und ihr Vater in Speyer ein Mandat, das Johann Bernhard, seinen Brüdern und den lippischen Ständen bei Strafandrohung auftrug, sich der gerichtlich erkannten Vormundschaft zu unterwerfen, und durch öffentlichen Anschlag publiziert wurde.236 Da das oberste Reichsgericht allerdings kaum Exekutionsmöglichkeiten besaß, blieben diese juristischen Erfolge zunächst wirkungslos. Katharinas Argumentation stützte sich neben der hausvertraglichen Rechtslage vor allem darauf, dass sie als M ­ utter auch natürliche Vormünderin ihrer Kinder sei, was zudem dem Herkommen in der Grafschaft Lippe entspreche. Dem widersprachen ihre Schwäger Johann Bernhard, Otto Heinrich und Hermann Adolf entschieden. Nie hätte im lippischem Hause eine M ­ utter ein Vormundschaftsregiment 232 In der Praxis wurde die im zeitgenössischen juristischen Diskurs getroffene Unterscheidung ­zwischen der reinen Vormundschaft im Sinne einer Verwaltung der persönlichen Angelegen­ heiten des Mündels und dessen Erziehung einerseits sowie der vormundschaftlichen Regentschaft über Land und Leute andererseits nicht immer klar getrennt. Einige Rechtsgelehrte behaupteten, eine Frau könne lediglich zu Ersterem zugelassen werden, während andere ihr auch das Landesregiment zugestehen wollten. Ebenso umstritten war die Frage, ob eine Vormünderin selbst 25 Lebensjahre erreicht haben musste, oder ob sie als Witwe von vornherein als volljährig gelten konnte; vgl. dazu Puppel, Regentin, S. 58 – 88. Diese rechtlichen Unsicherheiten führten dazu, dass Katharina ihren Vater als Mitvormund bestellte. 233 Die Bestreitung der Legitimität von Katharinas Vormundschaft über Simon Philipp und die Hervorhebung der eigenen Rechte zur Ausübung derselben bedeuteten gleichzeitig auch eine implizite Anerkennung der Sukzessionsrechte des Mündels. Erst später wurden auch diese und damit die Primogenitur insgesamt infrage gestellt. 234 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140. Zu den übrigen Prozessen siehe L 82, Nr. 483, 484, 516 u. 517. 235 Vgl. HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 249, Nr. 5, fol. 7r–v. 236 Wörtlich lautete die Forderung, dass Ihr […] deren an offermeltem Vnserm Keyserlichem Cammergericht decretirt, Confirmirt vnnd bestettigten Vormundtschafft keines wegs hindert oder betrübet / die abgenommene Schlüssel vnd alles anders alsobald ohne verzug vnnd Einredt widerumb restituiret vnd zuruck lieffert […] Euch ferner in die Vormundts Administration nicht mischet / derselben vnterziehet / oder anmasset. Vgl. Copia Mandati Paenalis, Exemplar in: LAV NRW OWL, L 82, Nr. 517, fol. 34 – 43 (Zitat fol. 38r).

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geführt; stattdessen s­ eien die nächsten agnatischen Verwandten die rechtmäßigen Vormünder, auch, da ihnen das Wohl des Landes besonders am Herzen lag.237 Damit bewegten sich beide Streitparteien argumentativ auf der Höhe des zeitgenössischen Rechtsdiskurses.238 Johann Bernhard und seine Brüder suchten zunächst Rückendeckung beim Kölner Erzbischof Ferdinand von Bayern, der in seinem Amt als Bischof von Paderborn zugleich ein Lehnsherr der Grafschaft war. Mit Rückbezug auf die Erbeinigung von 1517 ließ dieser nun verlautbaren, das Regiment der Grafschaft Lippe sei damals auf den Mannesstamm beschränkt worden, was auch für Vormundschaftsregierungen gelte – eine Behauptung, die jeder Grundlage entbehrte.239 Die Grafen Otto und Johann Bernhard bekräftigten d­ ieses Argument und forderten das Reichskammergericht auf, die auftringung frembder auslendischer Landverderblicher Tutel und Curatel 240 zurückzunehmen. Katharina und Christian argumentierten dagegen, mit dem Einbezug des Kölners setzten Johann Bernhard und seine Brüder die Reichsunmittelbarkeit der Grafschaft aufs Spiel. Des Weiteren versuchten die Agnaten die Stände auf ihre Seite zu ziehen, indem sie Druckschriften produzieren ließen, in denen sie das Vorgehen der Waldecker als widerrechtlich bezeichneten und dagegen ihr natürliches Recht als Agnaten und Brüder des verstorbenen Landesherrn Simon Ludwig setzten. Den Ständen als getrewen Patrioten der Graffschafft Lippe werde der wahre Grund ihres Vorgehens einleuchten, nämlich zu Conservation Unsers Gräfflichen Stam­ mens / Herkommens / StambRechtens / und auff Uns ipso jure devolvirter Tutelae legitimae auß besonderer Liebe und Sorgfalt / vor Unser Vatterlandt / und Unsere angeborne Underthanen von frembdem Joch zu liberiren 241. Geschickt stilisierten sie 237 Die Auseinandersetzung übertrug sich auch auf die Sphäre der Gelehrten: Eine lippische Chronik, die den Fall einer weiblichen Vormünderin kannte, wurde von Katharina als Beleg für das Herkommen des Hauses herangezogen. Deren Autor wurde daraufhin zum Widerruf seines Irrtums gedrängt. Siehe dazu Kap. 4.2.1. 238 Tatsächlich war die Frage unter Juristen bis ins 18. Jahrhundert hinein umstritten, ob einer ­Mutter aufgrund der ihr zugeschriebenen natürlichen Mutterliebe die Vormundschaft zukam oder vielmehr den Agnaten, denen man aufgrund ihres eigenen Erbrechts ein besonderes Interesse und eine größere Verantwortung für das Wohl des Landes unterstellte; vgl. Puppel, Regentin, S. 59 – 78. 239 Siehe sein Fürbittschreiben für Johann Bernhard vom 04. 06. 1637, in: LAV NRW OWL, L 82, Nr. 516, fol. 12r–13v. Zuvor hatte er bereits eine Erklärung erlassen, dass er Johann Bernhard aufgrund der Erbeinigung besonderen Schutz und Schirm gewähre; vgl. L 7 A, Nr. 164, Schreiben vom 12. 03. 1637. 240 LAV NRW OWL, L 82, Nr. 516, fol. 6r, Schreiben vom 09. 08. 1637. 241 LAV NRW OWL, L 82, Nr. 517, fol. 118r, Einseitige Druckschrift vom 14. 03. 1637. Eine ausführlichere Flugschrift, die die Argumentation ausbaute und mit Rechtsformeln unterlegte, folgte am 11. Mai 1637; vgl. das Exemplar in StAL, Chal. A 357. Auch hier wurde Christian als ein kundbarer Außländischer vnd frembder Herr (S. 4) bezeichnet und seinem Anspruch auf Vormundschaft widersprochen.

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damit nicht nur ihre eigenen Erbansprüche zu einer Sorge um das Fortbestehen der Dynastie als solcher, sondern verknüpften sie zusätzlich mit den Interessen des Landes, um damit die Stände anzusprechen. Dynastie und Land sollten hier als untrennbare Einheit erscheinen, die gegen die „fremden“ Eindringlinge verteidigt werden müsse. Dabei bedienten sich die Brüder einer Rhetorik des Patrio­tismus, um den vaterländischen Stolz, den sie Adel und Städten unterstellten, gegen die vermeintliche Fremdherrschaft der Waldecker auszuspielen. Zunächst schien diese Strategie auch zum Erfolg zu führen, denn nur wenige Tage später erklärten die Landstände Johann Bernhard zum rechtmäßigen Vormund 242 und protestierten am Reichskammergericht gegen die waldeckische Vormundschaft.243 Christian und Katharina hatten zwar K ­ aiser und Reichsrecht auf ihrer Seite,244 doch war der Einfluss der Agnaten vor Ort stärker. De facto war Johann Bernhard der Herr über Schloss Detmold und die Regierung.245 Da Katharina, die nach dem Tod ihres Vaters inzwischen alleinige Vormünderin war,246 offenbar um das Wohlergehen ihrer im Schloss Detmold lebenden 242 Dabei entsprach der Landtagsabschied stellenweise dem Wortlaut der Flugschrift. Deutlich wird die Furcht der Landstände vor Unruhe und dem Fehlen einer funktionierenden Regierung. Dem von Katharina behaupteten mütterlichen Vorrecht auf die Vormundschaft hielten sie das männliche Geschlecht und die agnatische Abstammung Johann Bernhards entgegen und versprachen ­diesem ihre Unterstützung. Da Johann Bernhard selbst noch nicht ganz volljährig war, sollte für die nächsten anderthalb Jahre Philipp zur Lippe-­Alverdissen dessen Vormundschaft übernehmen. Vgl. die Kopie des Landtagsabschieds vom 18. 03. 1637, in: LAV NRW OWL , L 82, Nr. 517, fol. 110 – 114. Philipp hatte man zuvor um die Übernahme des Vormundschaftsamts mit Worten der Hoffnung gebeten, er werde sich der Unmundigen undt des geliebten Vatterlandes heilsahmer wolfahrt […] landtvatterlich annehmen. Dieser bekundete jedoch gegenüber seinem Bruder Otto wenig später seine Ablehnung: Er habe gar kein lust dahr zu nach dehmmahl ich nicht gestudirt und ihn den rechten nicht ehrfahren, LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 140, Schreiben vom 13. 02. 1637. 243 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140, Schreiben vom 21. 03. 1637. 244 So erhielt Katharina etwa am 10. September 1637 ein kaiserliches Protektorium über ihre Person und die ihrer Söhne sowie alle ihre Güter und Herrschaften; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140. Dieses ließ sie erst ein Dreivierteljahr später den Ständen zukommen, die sich ihm zu unterwerfen gelobten; vgl. L 7 A, Nr. 141, Schreiben vom 13.06. und 25. 06. 1638. 245 Im Strafmandat wird ihm vorgeworfen, das Schloss Detmold unrechtmäßig eingenommen vnd Supplicantische Wittib / gleichsamb damit eingekerckert zu haben; vgl. Copia Mandati Paenalis, fol. 36v. 246 Graf Christian war am 31. Dezember 1637 gestorben, womit seine Vormundschaft über die unmündigen Kinder Simons VII. erledigt war. Am 13. August 1639 erlangte der inzwischen volljährige Johann Bernhard ein Reichskammergerichtsmandat, das ihm selbst die Vormundschaft über seine jüngeren Geschwister zusprach; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 142. Katharina bemühte sich indessen um den Landgrafen Georg II. von Hessen-­Darmstadt als Mitvormund für ihre Söhne, der das Gesuch erst im Februar 1640 akzeptierte – allerdings lediglich als Ehrenvormund. Vgl. L 7 A, Nr. 143, Schreiben vom 19. 02. 1640; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 81 f.

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Söhne fürchtete, mit rechtlichen Schritten jedoch nichts auszurichten vermochte, ließ sie die beiden ältesten am 10. August 1638 mithilfe hessischer Truppen aus Detmold entführen und über Umwege an den Marburger Hof des Landgrafen Georg II. von Hessen-­Darmstadt bringen. Hinter d­ iesem als „Lippischer Prinzenraub“247 bekannt gewordenen Ereignis stand zudem der Wunsch, die Kinder in ihrer eigenen, der lutherischen Konfession erziehen zu lassen.248 Johann Bernhard war außer sich und klagte Katharina auf dem ständischen Kommunikationstag an, sie habe durch diese Aktion die lippische Neutralität im Krieg verletzt und nicht allein ­dieses hochgräfflichen vornehmen Hauseß total ruin sondern auch de[n] Untergang der gantz löblichen Graffschafft 249 in Kauf genommen. Damit versuchte er erneut, seine Sorge um das Wohl des Landes vor den Ständen herauszukehren. Erst zwei Wochen später richtete sich Katharina, die nicht an der Ständeversammlung teilgenommen hatte, in einem Brief an die Vertreter von Ritterschaft und Städten und legte noch einmal ihre Position dar. Nicht durch Zancksucht oder begierde zu herrschen, sondern aus naturlicher eingepflantzer lieb gegen unser kinder 250 kämpfe sie als rechtmäßige Vormünderin für die Sukzessionsrechte ihres Sohnes, die ihm nach Lage der Hausverträge zustünden. Dass sie als Frau das Vormundschaftsregiment ausübe, sei weder eine Novität im lippischen Hause noch in anderen Dynastien unüblich. Ihr Schwager Johann Bernhard lasse es dagegen an der von ihm behaupteten Güte mangeln, wolle sie auf ihr Wittum nach Schloss Horn verbannen und beginne, als ein vor sich selbsten regierender Landsherr sich zugebaren 251, wozu ihm jedoch jegliches Recht fehle. Sie forderte die Stände daher auf, ihm ihre Unterstützung zu entziehen.252 247 So die übliche Bezeichnung in den landesgeschichtlichen Abhandlungen; vgl. Fink, Haus, S. 36 f.; Kittel, Heimatchronik, S. 132; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 82 – 85. 248 Siehe zum konfessionellen Aspekt der Auseinandersetzung Kap. 3.1.5. 249 L 9, Nr. 8, fol. 2v. Katharina hatte im Vorfeld vergeblich versucht, den ihrer Ansicht nach unrechtmäßig einberufenen Kommunikationstag durch einen Boykottaufruf an die Ritterschaft zu verhindern; vgl. ebd., fol. 10er-­v. 250 L 9, Nr. 8, fol. 10r. 251 Ebd. Beide Streitparteien argumentierten dabei stets so, dass die Schuld am Zerwürfnis den böswilligen Räten der Gegenseite zugeschoben wurde. Während Johann Bernhard der bösen Rhatgeber falsches, hinderlistiges tückisches gemüthe und mitt waß Rencken Sie umbgehen (ebd., fol. 4r) beklagte, hielt Katharina ihm vor, er habe durch seine bediente sich also die augen verblenden lassen, daß er nicht sehen kann, die grosse sunde, so er vor Gott tuht und daß grosse unrecht, das er vor aller welt begehet (ebd., fol. 10av). Dadurch konnte trotz der Schwere der Anschuldigungen die Kommunikation ­zwischen beiden Parteien grundsätzlich aufrechterhalten werden. 252 So etwa auch in einem Brief Katharinas, mit dem sie die Lippstädter aufforderte, ihre Ratswahl bei ihr selbst und nicht bei Johann Bernhard bestätigen zu lassen, da letzterer nicht Regierender Herr ist, auch alß Zweitgeborner so lang iemandt von deß eltestgebornen linie lebt, eß nicht sein oder werden kan, StAL, Chal. A 367.

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Den Ständevertretern präsentierten sich somit zwei Parteien, die beide die rechtmäßige Vertretung der Interessen der Dynastie sowie des Landes für sich reklamierten. Die Landstände waren mittlerweile ein eminent wichtiges Schiedsgremium geworden, vor dem sich die Herrschaftsprätendenten zu bewähren hatten. Eine genuin juristische Argumentation spielte dabei eine ebenso große Rolle wie die Mobilisierung von Emotionen (Vaterlands- gegen Mutterliebe). Doch wem gelang es, sich mit seiner Strategie durchzusetzen? Was die Stände letztlich von Johann Bernhard abrücken ließ, war wohl weniger die Vehemenz, mit der er inzwischen nicht mehr nur die Vormundschaft über seinen Neffen, sondern auch die Landesherrschaft für sich beanspruchte, sondern vielmehr seine immer häufiger angedeuteten Bestrebungen hin zu einer Landesteilung. Als prinzipielle Gegner dieser Praxis entzogen sie ihm allmählich ihre Unterstützung.253 Daran änderte auch die Mahnung der Kasseler Regierung nichts, die Stände dürften Johann Bernhard nicht von der Vormundschaft ausschließen, da er bereits die hessischen Lehen gemutet habe.254 Dennoch beschritt Katharina auch weiterhin den Rechtsweg und erwirkte am 12. März 1640 nicht nur ein Urteil, das Johann Bernhard erneut die Abstellung aller vnd jeder gewaltthätigkeiten vnd Attenta­ ten / auch würcklicher Restitution vnd abtrettung deß de facto an sich gezogenen Hauses vnd Veste Detmold / Regierung / Cantzley / Archiui, Cammer vnd gantzen Landts 255 befahl, sondern auch einen kaiserlichen Gehorsamsbrief, der Stände, Räte und alle Untertanen der Grafschaft aufforderte, sich von Johann Bernhard abzuwenden und künftig allein Katharina Gehorsam zu leisten. Diese Urkunde wurde in Paderborn gedruckt und wie schon das Reichskammergerichtsmandat im ganzen Land angeschlagen.256 Doch vor allem Johann Bernhard nutzte zunehmend die Möglichkeit, seine Sicht der Dinge über gedruckte Flugschriften in einer größeren Öffentlichkeit zu verbreiten,257 wobei er nun auch die Primogenitur als ­solche hinterfragte und auf 253 Vgl. Fink, Haus, S. 37; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 91 f. Das Gleiche gilt für den Kölner Erzbischof, der dem Reichskammergericht am 20. 01. 1639 verkündete, er werde sich fürderhin nicht weiter für Johann Bernhard engagieren, da sich durch dessen Teilungsbestrebungen die Vormundschaftsfrage inzwischen zu einem wirklichen Sukzessionsstreit ausgewachsen habe; vgl. LAV NRW OWL, L 82, Nr. 517, fol. 417 f. Siehe auch die Korrespondenz ­zwischen ihm und Katharina sowie Johann Bernhard, den er von einer weiteren Bedrängung der Witwe abzusehen mahnte, L 7 A, Nr. 156. 254 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 141, Schreiben vom 10. 12. 1638. 255 LAV NRW OWL , L 82, Nr. 483, fol. 84r. Damit wurde ein Reichshofratsmandat vom 24. 05. 1639 bekräftigt; vgl. HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 249, Nr. 5, fol. 273r–279r. 256 Vgl. ebd., fol. 85 – 88: Der Röm: Kay: Mayest: Ferdinandi III. […] außgelassener Gehorsams-­ Brief. Johann Bernhard ließ freilich unverzüglich eine Gegendarstellung daneben befestigen; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 143, Schreiben vom 18.04. und 27. 04. 1640. 257 Die Forschung zur Konstitution einer frühneuzeitlichen Öffentlichkeit auch jenseits der Höfe hat sich in den letzten Jahren rasch entwickelt. Dabei wurde herausgestellt, dass sich

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die Erbrechte von sich und seinen Geschwistern pochte. Als Reaktion auf den laufenden Reichskammergerichtsprozess ließ er im Oktober 1638 eine als Ehrenret­ tung betitelte Deduktion 258 in Umlauf bringen, die, basierend auf einem reichhaltigen Anhang von Rechtsurkunden und Hausverträgen, die Unrechtmäßigkeit von Katharinas Vorgehen herauszustellen versuchte. Der Hauptvorwurf lautete, die Witwe setze sich über die Observanz des Hauses sowie Lehns- und Erbrecht hinweg und versuche, Johann Bernhard und seine Geschwister aus ihren legitimen Erbteilen zu verstossen / vnsers angebornen Gräfflichen Hauses frembdt / vnd darin vnerhörten vnleidtsamen Exempels zu bloßen alimentariis vnnd leibgedings Knech­ ten zu machen 259. Hierin klang schon an, was in späteren Schriften noch deutlicher zum Vorschein kommen sollte: dass der Versuch, den Agnaten ihr aus der geburtsmäßigen Zugehörigkeit zur Dynastie entspringendes Recht auf einen Anteil am kollektiven Besitz zu verweigern und sie somit ihrem Hause zu entfremden, als beispiellose Anmaßung empfunden wurde. Die von Katharina geforderte Übernahme der Rolle von apanagierten Erbherren wurde als zutiefst ehrabschneidend angesehen und daher rundweg abgelehnt. Eine weitere Flugschrift, die sich im Namen Johann Bernhards ausdrücklich an die Vertreter von Ritter- und Landschaft sowie alle übrigen Untertanen wandte, nachdem Katharina den Ständen ein zuvor erlangtes Reichskammergerichtsmandat hatte zukommen lassen, ging ausführlicher auf die juristischen Hintergründe ein. Johann Bernhard argumentierte darin mit der nach dem Take-­off des Medienereignisses Reformation allmählich eine lesende Öffentlichkeit herausbildete, die die Nachfrage nach unterschiedlichen Druckerzeugnissen wie Flugblättern, Flugschriften und zunehmend auch periodisch erscheinenden Zeitungen ankurbelte. Vgl. als Überblicke Schlögl, Politik; Bauer, Strukturwandel. Die hier im Fokus stehenden mehrseitigen und in der Regel illustrationslosen Flugschriften wurden zumeist als Auftragsarbeiten von ungenannt bleibenden Juristen oder Beamten verfasst, während die adligen Auftraggeber nur selten selbst zur Feder griffen. Rezipiert wurden die Schriften wohl überwiegend von Gelehrten, Staatsbeamten sowie gebildeten Angehörigen des Adels und des Stadtbürgertums; vgl. Arndt, Herrschaftskontrolle, S. 75 – 86, 141 – 150 u. 201 – 238; Schnurr, Druckmedien, S. 233 – 238; sowie Arndt/Körber (Hg.), Mediensystem, bes. die Beiträge von Rosseaux und Körber. 258 Unter Deduktionen werden hier im Anschluss an Konrad Repgen s­ olche Flugschriften verstanden, „in denen reichs-, territorial- und dynastierechtliche Ansprüche politisch und rechtlich begründet oder bestritten wurden“, Repgen, Westfälischer Friede, S. 52. Daher argumentierten sie naturgemäß einseitig und gelegentlich polemisch. Sie konnten sich an einen in der Vorrede genannten Adressaten richten oder sprachen unspezifisch die lesende Öffentlichkeit als Gesamtheit an, um sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Eine wichtige Funktion war darüber hinaus die argumentative Überzeugung der Reichsgerichte. 259 Kurtzes Abgenöttigtes Manifest, S. 11. Dabei konnten sie nicht nur auf die nahe Blutsverwandtschaft mit dem verstorbenen Regenten pochen; tatsächlich waren sie 1628 in die hessische Samtbelehnung eingebunden gewesen und sahen daher ihre lehnsrechtlich legitimierten Ansprüche übergangen; vgl. LAV NRW OWL, L 1 Lehnsurkunden, Urkunde vom 28. 05. 1628.

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Lehnsabhängigkeit der Grafschaft von mehreren Fürsten, die – im Gegensatz zu Reichslehen – daher teilbar sei und worinnen alle Herren Söhne vnd Agnaten […] jus qvaesitum haben 260. Simon VI. sei bei seiner Bitte um kaiserliche Bestätigung der Primogenitur, die auf falschen Tatsachen beruhe, einem Irrtum aufgesessen, den er später, als er sein drittes Testament aufsetzte, bemerkt und zu beheben versucht habe, indem er allen seinen Söhnen einen Teil vom Erbe vermacht habe. Weitere Gründe für die Erb- und Sukzessionsrechte aller Söhne ­seien die Samtbelehnung sowie die von ihrer M ­ utter Anna Katharina von Nassau-­Wiesbaden-­Idstein in den dynastischen Kollektivbesitz eingebrachte Mitgift.261 Im Übrigen zweifelte der Verfasser die von Katharina stets behauptete Liebe zu ihren Söhnen als Antrieb ihres Handelns an und fragte in einer geschickten rhetorischen Wendung, wohin denn die so hochgerühmte Mütterliche Liebe gegen Ihre beede Jüngste Söhnlein abgeflogen seyn möge 262. Schließlich würden diese ja ebenso wenig von ihrem väterlichen Erbe profitieren können, wenn alles dem Primogenitus Simon Philipp vorbehalten würde. Dass Katharina jedoch weiterhin fest entschlossen war, die Landesherrschaft für ihren ältesten Sohn gegen alle Anfechtungen ihres Schwagers zu verteidigen, zeigt ein erneuter militärischer Coup: Im Mai 1640 brachte sie, die augenscheinlich gute Beziehungen zu den unterschiedlichen Kriegsparteien pflegte, den kurbayerischen Feldmarschall Graf Joachim Christian von Wahl 263 mit seinen 400 Soldaten dazu, das Schloss Detmold per Handstreich einzunehmen, ihr die Schlüsselgewalt zu übertragen und einen Teil der Soldaten zu ihrem persönlichen Schutz abzuordnen. Offenbar hatte der auf kaiserlicher Seite kämpfende von Wahl eine Chance gesehen, den ignorierten Mandaten von Reichskammergericht und Reichshofrat Geltung zu verschaffen und kurzerhand selbst zu vollstrecken.264 Nun war ­Katharina mit einem Mal die Herrin über Schloss und Regierung, während ihre drei Schwäger für einige Zeit das Land verließen und Zuflucht in der benachbarten Grafschaft Schaumburg suchten.265 Zwei unmittelbar im Anschluss 260 Kurtzer gründtlicher Vortrab, S. 4. Da die Grafschaft nicht direkt vom ­Kaiser zu Lehen ging, urteilte Johann Bernhard, sei sie auch nicht reichsunmittelbar. Dagegen gelte für die gräflichen Agnaten als Personen, dass Wir alle dem H. Reich ohne mittel vnderworffen (ebd., S. 8). 261 Vgl. ebd., S. 7. 262 Ebd., S. 22. 263 Vgl. zu seiner Person Poten, Art. Wahl. 264 Ein Hinweis auf d­ ieses Motiv ergibt sich aus einer von Johann Bernhard publizierten Flugschrift über das Ereignis, in der es heißt, der Feldmarschall habe Johann Bernhard nach gelungener Aktion fragen lassen, ob er nun endlich den kaiserlichen Mandaten nachkommen wolle; vgl. Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 12. Zudem hatte von Wahl schon vorher in Kontakt mit den Lippern gestanden und aus seiner Abneigung gegen den renitenten Johann Bernhard keinen Hehl gemacht; vgl. Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 117 f. 265 Im Bestand LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 4 befinden sich Rechnungen über die Hofhaltung Johann Bernhards und seiner Geschwister im schaumburgischen Schloss Rodenberg. Siehe dazu auch Fink, Haus, S. 37 – 39. Die Militäraktion führte erneut zu einer Klage

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entstandene anonyme Flugschriften geben einigen Aufschluss über die Vorgänge in Detmold, wobei sie jeweils für eine der beiden Seiten Partei ergreifen und insofern weniger als Quelle für die tatsächlichen Vorkommnisse herangezogen werden können als vielmehr für den publizistischen Streit, der sich darum entfachte. In der recht knapp gehaltenen Beschreibung der Ereignisse aus Sicht Katharinas wird diese als Gefangene im Schloss dargestellt. Der Feldmarschall sei in besten Absichten zu Besuch gekommen und die Übernahme letztlich durch missverständliche Kommunikation, zumindest aber ohne Katharinas eigenes Zuthun / Einraht oder Anreitzung 266 geschehen. Letztlich habe sie zu danken, daß das vor länger alß drey Jahren jhro auß den Händen gerissene / vnnd deren Eltisten Söhnlein zustehende Hauß vnnd Veste Detmolden / wider in jhre Hände / ohne Spiessen / blutvergiessen / einig Force / oder gewalt bekommen / vnd nu in deren alß von Ihrer Kays. May. selbsten bestätigten / vnd derselben getrewesten vnd gehorsambsten Vormünderin gewaldt vnd disposition ist 267.

Da also im Grunde nur der Wille des Kaisers vollstreckt worden sei, handele es sich um eine rechtmäßige Tat. Diametral entgegen stand dem die Einschätzung der Gegenpartei. Hatte die von Katharina in Auftrag gegebene Abhandlung lediglich vier Druckseiten umfasst, bemaß sich der Seitenumfang der in unmittelbarer Reaktion darauf publizierten Flugschrift auf 38. Die feindliche Übernahme des Schlosses durch von Wahl wird hier zunächst als wortbrüchige Hinterlist dargestellt, wobei dem Feldmarschall später zugutegehalten wird, dass er nur durch eines Weibes Bitte vnd falsch persuasion 268 dazu verleitet worden sei. Die Hauptschuld wird damit Katharina zugewiesen, der unterstellt wird, den Einzug der kaiserlichen Soldaten von ihrem Fenster aus mit grossem Frolocken vnd hohen Lachen 269 begrüßt zu haben. Nach der Schilderung der Militäraktion wird die nunmehr von der Witwe geführte Haushaltung beschrieben, unter der nicht nur treu ergebene Diener und Räte schikaniert würden, sondern auch den Junggrafen und deren Schwestern der Zugang zu bestimmten Gemächern verweigert worden sei. Dabei wird ein Gegensatz z­ wischen den blutsverwandten Angehörigen der Johann Bernhards vor dem Reichskammergericht, die jedoch abgewiesen wurde; vgl. LAV NRW OWL , L 82, Nr. 485. Noch 1643 scheint sich Johann Bernhard gelegentlich im Schaumburgischen aufgehalten zu haben, denn es erging der Befehl an den Amtmann des in Grenzlage befindlichen Schlosses Varenholz, die Besatzung mit Soldaten zu verstärken, biß unsers Hern Vettern Graven Johan Bernhards zur Lippe Lbd. von der Buckeburgh wieder wegh, und ihn auf keinen Fall in den Besitz des Schlosses kommen zu lassen; vgl. L 7 A, Nr. 19, Schreiben an den Amtmann vom 25. 11. 1643. 266 Eygentlicher Verlauff der Reducierung, fol. 2r. 267 Ebd. 268 Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 36. 269 Ebd., S. 10.

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lippischen Dynastie, die über ein quasi natürliches Hausrecht verfügten, und der lediglich Angeheirateten konstruiert, indem auf die Unverschämtheit verwiesen wird, dass erstere vber allen zugefügten Schimpff vnd Hohn von der Gräfl. Fraw Wittiben auß Ihres Herren Vatters vnnd Groß-­Herrn Vatters / Christliches Andenckens / Taffelgemach (darinn Sie gleichwol als geborne Kinder im Hause viel eher dann gedachte Gräffin gewesen) gleich­ samb vertrieben worden 270.

Hier wird eine Argumentationsstrategie weiterverfolgt, die bereits beim Versuch der Einnahme der Stände gegenüber einer „Fremden“ angeklungen ist. Schließlich werden die aktuellen Ereignisse in den zugrunde liegenden Sukzessionsstreit eingeordnet und ein weiteres Mal die Gelegenheit genutzt, den Forderungen Katharinas zu widersprechen. Denn einerseits könne ein solches Englisches; Ja vielmehr Mahometisches vnd Barbarisches Jus primo-­geniturae in Vhralten Gräfl. Hauß Lippe 271 rechtlich nicht erwiesen werden, andererseits werde man sich mit der Rolle als Ihres Sohnes Vnterthanen / alimentarien / Brodt- vnnd Todt­ fresser 272 niemals begnügen. Erneut zeigt sich in dieser Verächtlichmachung die tiefe Abneigung gegen die Rolle des Paragialherrn und die Hierarchisierung der innerdynastischen Beziehungen, die in ­diesem Fall noch durch die Tatsache verschärft wurde, dass es sich beim zukünftigen Regenten um ein Kleinkind handelte. Die Primogenitur wird dagegen als auswärtiger Export charakterisiert, der mit den althergebrachten Normen des Hauses Lippe unvereinbar sei. Katharina erscheint somit als äußere Bedrohung der Ordnung des Hauses ebenso wie des Landes. Insofern sei die gewaltsame Besetzung des Schlosses und die Verweigerung der Rechte der Grafen eine Himmelschreyende Vngerechtigkeit / Gewalt­ that- vnd Frevell 273. In einer dritten Deduktion des Jahres 1640 setzt sich ein ebenfalls ungenannter 274 Sympathisant der Partei der Agnaten unter dem Titel Primogenitura Lip­ piaca praetensa schließlich von einem stärker juristischen Standpunkt aus mit dem Wesen der Primogenitur und Katharinas darauf basierenden Ansprüchen 270 Ebd., S. 18. Und ähnlich auch ebd., S. 19 f.: Dz sie [Katharina, LP ] de omnium Comitum Lippiacorum Linea Detmoldiana corto mit breiten Riemen König Artus Hoff spielet; Her­ gegen aber den Herren Graffen vnd Fräwlein / als die doch geborne Kinder im Hause vnd auch eben selbiges Recht das Ihr Ehe Herr sehl. an der Graffschafft Lippe haben gar nichts zu willen weiß. 271 Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 30. 272 Ebd., S. 22. 273 Ebd., S. 38. 274 Während die Druckschrift als ­solche anonym verfasst ist, weist das hier verwendete Exemplar (Signatur: LLB, LH 337) einen handschriftlichen Vermerk auf, nach dem sie wahrscheinlich vom Rath Wiedenbrück zu Paderborn stammt.

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auseinander.275 Letztere gingen laut Verfasser so weit, dass die Witwe die Erbherren Otto zur Lippe-­Brake und Philipp zur Lippe-­Alverdissen zur Rückgabe ihrer Paragien aufgefordert habe. Dabei sei von einem von ihr in Anschlag gebrachten Primogeniturprivileg samt kaiserlichen Konfirmationen nichts bekannt, wohl aber von einem Pactum Unionis von 1368, worin den Städten Lemgo und Lippstadt das Wahlrecht zugesprochen worden sei. Dass zumindest Lemgo das Wahlrecht abgetreten habe, sei eine Falschaussage Katharinas, da Simon Ludwig einen derartigen Eingriff in die Normen des Hauses nicht ohne die Mitsprache seiner Brüder durchgesetzt haben würde.276 Schließlich spreche auch das Herkommen in Gestalt der Teilungen von 1344 und 1559 und dem Testament Simons VI. gegen die behauptete strikte Befolgung der Primogenitur, ebenso wie der Umstand, dass stets alle männlichen Grafen auf Reichs- und Kreistage berufen würden. Nach der Schilderung der üblichen Teilungspraxis in anderen Häusern kommt die Rede schließlich auf die Grafschaft Waldeck, die ja ebenfalls unter Christian und seinem Bruder, also Vater und Onkel der Katharina, und ein weiteres Mal unter den Söhnen Christians geteilt worden war. Vnd wan die Primogenitur ein solches / nützliches / rechtfertiges / Christliches vnd billiches Werck / Ja die Conversation [sic] eines Hauses wehre: Warumb hat sie dan der von Waldeck in seinem eigenen Hause nicht selbst angerichtet? Ist er dan mehr bedacht gewesen auff die erhaltung frembder Heuser / als seines eigenen?277

Auf diese rhetorischen Fragen hin insinuiert der Verfasser, dass es möglicherweise im eigenen Interesse des Vormunds Christian gelegen habe, seinen Schwiegersohn auf Kosten von dessen Geschwistern besonders günstig auszustatten. Dass 275 Vgl. Primogenitura Lippiaca praetensa. In der Vorrede wird die Intention der Schrift mit dem Wunsch nach einer Gegendarstellung für die breitere Öffentlichkeit angegeben, wohingegen der näher interessierte Leser zur weiterführenden Lektüre an die Rechtsakten und die vor Gericht und außerhalb desselben ergangenen Deduktionen verwiesen wird. Aufgrund der zahlreichen im Text verwendeten lateinischen Rechtsfloskeln scheint die Schrift allerdings eher einem begrenzten, akademisch gebildeten Leserkreis zugänglich gewesen zu sein. Zudem ließ Johann Bernhard sie auch am Reichskammergericht einreichen, wie aus einem Brief des waldeckischen Kanzlers Vietor an Katharina hervorgeht; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 143/144, Schreiben vom 13. 10. 1640. 276 Hier ist zu konstatieren, dass sich der Verfasser einerseits recht gut mit der lippischen Hausüberlieferung auskennt und etwa Simons VI . Vorgehen bei der Einholung der sogenannten kaiserlichen Bestätigung der Primogenitur als problematisch enttarnt. Andererseits fehlt ihm Einblick in wichtige Urkunden: So sind ihm offenbar weder die genannten kaiserlichen Bestätigungen noch Lemgos Verzichtsurkunde bekannt. Dies ist freilich darauf zurückzuführen, dass er als Vertreter der Seite Johann Bernhards zu dieser Zeit, also nach der ‚Rückeroberung‘ Detmolds durch Katharina, keinen Zugang zum gräflichen Archiv hatte. 277 Primogenitura Lippiaca praetensa, fol. Cr.

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auch Primogeniturgegner durchaus in der Lage waren, mit dem Gesamtwohl der Dynastie zu argumentieren, zeigt sich in dem nun angeführten Argument, dass Erbteilungen die Möglichkeit zur Verheiratung und Linienbildung boten und somit dem Aussterben vorbeugen konnten: Wie viel vornehme Fürsten / Graeffen vnnd Adeliche Heuser vnd Geschlechter sein außge­ storben / vnd zu grunde gangen / darvmb daß einer so viel an sich gezogen / daß die andere keine Mittel gehabt / sich zu Verheyrathen / vnnd eheliche Kinder zu zeugen / sondern viel mehr einen geistlichen Standt anzunehmen / oder gar zum verfluchten Hurenleben ver­ anlasset worden.278

Schließlich wird die Bibel als wichtige Legitimitätsquelle herangezogen. Das Recht der Primogenitur entstamme zweifellos der Zeit des mosaischen Bundes und sei durch das Erscheinen Christi aufgehoben worden, mithin für Christen nicht bindend. Vielmehr zeigten zahlreiche Beispiele aus der Bibel, dass Gott den Zweit- oder Nachgeborenen oft stärker zugetan sei als ihren ältesten Brüdern.279 Gottes Segen sei im Übrigen demjenigen vorbehalten, der niemand vnrecht thut / noch seinen Bruder vervortheilet.280 Hier war mit Bezug auf die Bibel die überkommene Vorstellung brüderlicher Gleichheit aufgerufen, die in der Natur der Sache, ja letztlich im Willen Gottes begründet sei: Wenn Gott die Primogenitur gewollt hätte, hätte er keine anderen Brüder geboren werden lassen. Weil aber sie jtzo im leben sein / vnd alle von einem Herrn Vater vnd Fraw ­Mutter geborn: Ist auch billich / daß sie daß jhrige von der Graeffschafft / dem herkommen gemeß / haben vnnd geniessen.281 Doch der Autor der Streitschrift insistiert nicht nur auf der göttlich gewollten Gleichberechtigung aller Söhne als Erben – gleichzeitig versucht er das infrage stehende Primogeniturrecht nach Kräften zu diskreditieren. Ein solches sei so weinig in der heiligen Bibel / als in dem Corpore juris, tam Civilis, quam Canonici, aber wol in dem Alcoran, fundirt, welches der Türckische Kayser so Stricte observirt, das er auch bey antritt des Regiments seine jüngere Brüder stranguliren lesset / vnd sich nicht viel vmb die alimenta bemühet.282

278 Ebd., fol. C II v. 279 Als Beispiele genannt werden etwa die Filiationskette von Abraham über Isaak und Jakob hin zu Juda sowie die von Isai über David zu Salomon, die tatsächlich regelmäßig nicht über den Erstgeborenen laufen. 280 Primogenitura Lippiaca praetensa, fol. C IIIr. 281 Ebd. An dieser Stelle fügte der zeitgenössische Leser des verwendeten Exemplars eine handschriftliche Randbemerkung hinzu, die sich auf die Bibelstelle Röm 8,17 bezog: Es heißet, si filius ergo haeres. Die Vorstellung von der Gleichberechtigung aller Söhne, auf w ­ elche der Autor anspielte, war seinen Lesern also durchaus geläufig. 282 Ebd.

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In dem angeführten Beispiel war das Primogeniturprinzip gewissermaßen konsequent zu Ende gedacht und auf die Spitze getrieben: Die jüngeren Brüder wurden nicht nur vom Erbe ausgeschlossen, sondern sogar umgebracht.283 Mit dem Verweis auf den osmanischen Sultan war – in Zeiten ungebrochener Türkenfurcht – ein starkes Feindbild aufgerufen, das sich in erster Linie als Verkörperung des Anderen, des Fremden, als Gegensatz zum christlichen Abendland aktivieren ließ. Die Tyrannei und zügellose Grausamkeit der Osmanen waren Topoi, die den christlichen Lesern aus zahlreichen Flugschriften bestens bekannt waren.284 Die damit in Verbindung gebrachte Erbfolgeregelung wurde auf diese Weise vollständig in Verruf gebracht. Gleichwohl: Durch den militärischen Handstreich des Feldmarschalls von Wahl hatte Katharina die Oberhand gewonnen und herrschte nun im Namen ihres Sohnes Simon Philipp über Schloss Detmold und die gesamte Grafschaft, während ihre Schwäger zwar nicht von ihren Ansprüchen zurücktraten, sich jedoch vorerst in ausländischen Diensten verdingten. Die Posten in der Zentralregierung wie auch in den Ämtern der Grafschaft ließ Katharina sukzessive mit ihr genehmen Beamten besetzen, um sich einen administrativen Rückhalt zu verschaffen.285 Gegen eine Einladung der nichtregierenden lippischen Grafen zum Reichstag legte sie förmlichen Protest ein.286 Beim Lippstädter Rat hielt sie um eine Kopie des Pactum Unionis an, da sich das gräfliche Archiv nach wie vor in einem äußerst schlechten Zustand befand.287 Schließlich gelang es ihr auch, eine neuerliche Bestätigung des lippischen Primogeniturrechts durch ­Kaiser Ferdinand III. zu erhalten, ­welche sie unverzüglich im Druck publizieren und verbreiten ließ.288 Damit war nach mehrfacher Bestätigung der Vormundschaft nun auch die Rechtmäßigkeit der alleinigen Sukzession Simon Philipps als ältestem Sohn des verstorbenen Landesherrn erneut reichsrechtlich konfirmiert und Katharinas konsequentes Handeln nachträglich legitimiert worden. Hatte der Verfasser der Primogenitura 283 Der Brudermord war bis weit ins 17. Jahrhundert tatsächlich eine übliche Praxis in den osmanischen Sukzessionskonflikten, wobei es keinesfalls durchweg der Erstgeborene war, der seine jüngeren Brüder umbringen ließ, denn eine Präferenz für die Primogenitur gab es im Osmanischen Reich nicht. Vgl. Duindam, Dynasties, S. 132 – 134. 284 Vgl. Wrede, Reich, S. 99 – 104. 285 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 110 – 113. 286 Vgl. HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 251, Nr. 6. 287 Zwar fiel die Antwort negativ aus, da das Original durch die Kriegswirren schlecht gelagert und daher mittlerweile unlesbar sei, doch teilte man Katharina den Inhalt einer jüngeren Abschrift mit. Bei dieser Gelegenheit übermittelte man auch die Gratulation zur Rückgewinnung des Detmolder Schlosses und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Herren Grafen nun einlenken und die Konflikte friedlich beigelegt werden mögen; vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 9, Schreiben vom 21. 05. 1640. 288 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, Urkunde vom 14. 01. 1641; sowie Abdruck […] erkandter Confirmation Juris Primogeniturae Lippiacae.

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Lippiaca praetensa noch behaupten können, nie eine Konfirmationsurkunde mit eigenen Augen gesehen zu haben, war ­dieses Argument nun hinfällig. Darüber hinaus ließen sich kaiserlich bestätigte Hausgesetze ungleich leichter als Beweise vor den Reichsgerichten produzieren. Nicht zuletzt war ihre Veröffentlichung in Form gedruckter Urkunden oder im Anhang von Deduktionen hilfreich, um die lesende Öffentlichkeit von den eigenen Positionen zu überzeugen – insbesondere wenn man juristisch oder politisch im Hintertreffen war.289 Auf lange Sicht vermochte Katharina also trotz anhaltender Anfechtungen seitens der Agnaten ihren doppelten Anspruch auf das Sukzessionsrecht ihres Erstgeborenen Simon Philipp und auf ihre Vormundschaft durchzusetzen. Aus ihrer durch die Rückgewinnung der Grafschaft und die kaiserliche Konfirmation des Primogeniturrechts zumindest halbwegs konsolidierten Position heraus war es ihr nun auch möglich, einen Ausgleich mit Johann Bernhard und seinen Brüdern zu suchen. Allerdings konnte es hier nicht mehr um die Sukzession als s­ olche, sondern lediglich um die Festsetzung einer bestimmten Apanagesumme gehen, um den Grafen einen standesgemäßen Unterhalt zu ermöglichen. Die von den Agnaten aufrechterhaltene Forderung einer Landesteilung wurde von der Vormundschaftsregierung und von den Landständen gleichermaßen zurückgewiesen.290 1643 fasste Katharina den Plan, sich erneut zu verheiraten. Dazu war es nach frühneuzeitlicher Rechtsauffassung notwendig, ihr Amt als Vormünderin über ihre Söhne aufzugeben.291 Allerdings war sie nicht bereit, die lippischen Angelegenheiten völlig sich selbst zu überlassen, sondern sorgte vor dem Schritt aus der Witwenschaft für einen Nachfolger im Vormundschaftsregiment. Ihr ältester Sohn war mittlerweile elf Jahre alt, die Volljährigkeit somit noch nicht recht in Sicht. Da sie mit den infrage kommenden Agnaten im Haus Lippe heillos zerstritten war und der Ehrenvormund Landgraf Georg II., in dessen Obhut sich die ­Kinder nach wie vor befanden, die tatsächliche Ausübung der Regierungsgeschäfte ablehnte, fiel ihre Wahl auf den Grafen Emich XIII. von Leiningen-­Dagsburg-­ Falkenburg, den Gemahl ihrer jüngeren Schwester Dorothea. Nachdem dieser zugesagt und offiziell in sein Amt eingeführt worden war,292 schritt Katharina am 15. November 1643 zu ihrer zweiten Heirat mit Herzog Philipp Ludwig von 289 Vgl. die These von Schnurr, Druckmedien, S. 238, dass Druckmedien „primär von der politisch-­rechtlich unterlegenen Partei eingesetzt“ wurden. 290 Siehe dazu auch Kap. 3.2.3. 291 Vgl. Puppel, Regentin, S. 127. 292 Am 15. September 1643 wurde dieser vom Reichskammergericht als rechtmäßiger Vormund bestätigt. Anschließend präsentierte Katharina die Personalie den Ständen auf einem Kommunikationstag, freilich ohne dabei ihre zu ­diesem Zeitpunkt bereits beschlossene Heirat zu erwähnen. Die Ständevertreter erklärten sich mit der Wahl zwar einverstanden, beklagten jedoch, dass sie nicht in die Entscheidungsfindung eingebunden worden waren; vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 167v–168v u. 175v.

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Schleswig-­Holstein. Emich führte unterdessen die Politik Katharinas unverändert fort und verteidigte weiterhin die Sukzessionsrechte seines Mündels Simon Philipp gegen die lippischen Agnaten.293 Nachdem ihre beiden jüngsten Söhne Ende 1646 in relativ kurzem Abstand in Gießen an den Blattern gestorben waren, ließ Katharina wenig später ihren Erstgeborenen Simon Philipp aus der Obhut des Landgrafen Georg zurück nach Detmold bringen und spielte mit dem Gedanken, die venia aetatis für den gerade Fünfzehnjährigen einzuholen.294 Während sie Hochzeitspläne für ihn schmiedete,295 trat er nach einem Jahr an der Universität in Leiden eine Kavalierstour durch Frankreich, die Schweiz und Italien an.296 Damit wurde er zielstrebig auf die vor ihm liegende Übernahme der Regierung vorbereitet, die von den Agnaten nun kaum mehr ernstlich verhindert werden konnte.297 Dennoch suchten diese weiterhin außerhalb der Grafschaft nach Unterstützern ihrer Position und fanden sie in der Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-­Kassel, die selbst seit 1637 für ihren minderjährigen Sohn vormundschaftlich die Regierungsgeschäfte führte.298 Wäre zu vermuten gewesen, dass Amalie Elisabeth aufgrund ihrer ähnlichen Lage – sie selbst hatte die Sukzessionsrechte ihres Sohnes gegen die Ansprüche Georgs II. von Hessen-­Darmstadt zu verteidigen – Sympathien für Katharina verspürte, unterstützte sie doch vielmehr die Gegenseite nach Kräften. Der Grund hierfür ist in den konfessionellen Gegensätzen zu sehen: Während Katharina wie auch der mit ihr verbündete Darmstädter lutherisch waren, sah sich die Kasseler Landgräfin gewissermaßen als Vorkämpferin der reformierten Konfession, was sie den

293 Als erste Amtshandlung ließ er im Namen Simon Philipps von den Schlössern der Grafschaft Besitz ergreifen; vgl. L 7 A, Nr. 19, Schreiben vom 30. 11. 1643. 294 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 150. Siehe auch Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 141 – 149. 295 Als Gemahlin für ihren Sohn hatte Katharina die Tochter des Grafen Peter Melander von Holzappel im Sinn. Dieser hatte, als Bauernsohn geboren, durch seine Dienste als hessischer und später kaiserlicher General im Dreißigjährigen Krieg einen rasanten Aufstieg erlebt und von seinem Vermögen eine Herrschaft erworben, die er vom ­Kaiser zur Grafschaft, sich selbst jedoch zum Reichsgrafen erheben ließ. Da er nur eine Tochter hatte, konnte sich Simon Philipp berechtigte Hoffnungen auf den Erbfall und eine hohe Mitgift machen, was die fehlende Ahnentafel offensichtlich kompensierte. Vgl. auch Eltester, Art. Holzappel; Schmidt, Grafenverein, S. 585 f.; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 147. 296 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 151; Fink, Haus, S. 44 – 47; Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 151. 297 So wurde Simon Philipp 1647 in einer Leichenpredigt als der Graffschafft Lippe zukünfftig Regierenden Landesherren tituliert, um seine Ansprüche öffentlich zu demonstrieren, während die ebenfalls genannten Johann Bernhard, Otto Heinrich, Hermann Adolf und Jobst Hermann lediglich als Grafen zur Lippe bezeichnet wurden; vgl. Theopold, Menschlicher BlumenSpiegel. 298 Zu ihrer Person und der Auseinandersetzung um ihr vormundschaftliches Regiment vgl. Puppel, Regentin, S. 190 – 235.

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lippischen Agnaten gewogen machte. Allerdings blieb diese Allianz insgesamt gesehen wirkungslos. Die von Katharina so energisch verfolgten Sukzessionspläne vereiteln konnte letzten Endes nur der vorzeitige Tod Simon Philipps: Nachdem man noch im Winter 1649 beratschlagt hatte, dass der junge Herr seine Reise allmählich beenden und nach Hause zurückkehren sollte,299 verstarb dieser ein halbes Jahr darauf in Florenz wie schon seine Brüder an den Blattern. Dieses tragische Ende der Vormundschaftsphase erlebte Katharina freilich schon nicht mehr, da sie selbst bereits ein halbes Jahr zuvor im Kindbett gestorben war. Endlich war der Weg frei für die Sukzession Johann Bernhards, der nun niemand mehr widersprach. Sowohl die Erbherren Otto und Philipp als auch die Landstände stimmten der Nachfolge des nächstälteren Bruders Simon Ludwigs zu. Allerdings bedeutete die Herrschaftsübernahme für Johann Bernhard einen Rollenwechsel, der von ihm nun ein völlig anderes Verhalten forderte, als er es in seiner bisherigen Position als apanagierter Graf stets an den Tag gelegt hatte. Vielmehr sah er sich nun selbst mit Versorgungsansprüchen seines jüngeren Bruders Hermann Adolf konfrontiert. Die im Interimsvergleich vom 11. Juni 1650 gefundene Lösung, dass die Landstände über die Höhe von dessen Abfindung entscheiden sollten, erkannte Hermann Adolf zwar zunächst an, forderte aber nur wenig später eine großzügigere Ausstattung und deutete den Wunsch nach einer Landesteilung an.300 Dabei berief er sich auf den Umstand, dass er im Gegensatz zu Johann Bernhard bereits verheiratet war und einen Sohn zu versorgen hatte. Diese Forderungen wurden jedoch vom neuen Landesherrn zurückgewiesen, der sich dabei auf die Unterstützung der Landstände verlassen konnte, ­welche eine Landesteilung unter Verweis auf die hausvertraglichen Normen der Dynastie erneut strikt ablehnten.301 Auseinandersetzen musste sich Johann Bernhard ferner mit einem von Simon Philipp hinterlassenen Testament, in dem dieser ihn zwar laut dem Primogeniturrecht als dem ädelsten Kleinohdt und einigen grundfest d­ ieses uhralten Gräf­ lichen Hauses 302 zum Nachfolger bestimmt, als Universalerbin seiner Allodialgüter jedoch seine M ­ utter Katharina eingesetzt hatte. Johann Bernhard erklärte das Testament nach seinem Amtsantritt unverzüglich für ungültig, da es in Widerspruch zu den Normen des Hauses stehe. Durch seinen Anwalt ließ er zudem erklären, dass es sich um ein von ged. Seiner ­Mutter angeordnetes undt in seinem 299 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 151, Schreiben vom 09. 12. 1649 u. 23. 01. 1650. 300 So forderte er etwa, das von ihm und seiner Familie bewohnte Schloss (und Amt) Varenholz alß ein separat Erbstücke zu behandeln; vgl. sein Schreiben an Johann Bernhard vom 29. 03. 1652, in: LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 15. 301 Am 22. 07. 1651 wurde die Anerkennung der lippischen Primogenitur in den Landtagsabschied aufgenommen; vgl. Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 18. 302 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 39, S. 158 (Abschrift des Testaments).

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Nahmen abgefaßetes testament in seiner annoch kindischen ignorantz 303 handele, dem keine Rechtskraft zukomme. Zwar war Katharina selbst, wie gesagt, bereits verstorben, doch da sich in der Folgezeit Erben aus ihrer zweiten Ehe fanden, die sich auf das Testament beriefen, zog sich bis 1670 ein Rechtsstreit vor dem Reichskammergericht hin.304 Nur zwei Jahre nach seinem lang ersehnten Regierungsantritt starb Johann Bernhard und wurde von seinem jüngeren Bruder Hermann Adolf beerbt, der schließlich eine bis ins 19. Jahrhundert andauernde Vater-­Sohn-­ Sukzessionsfolge begründete. In der Zusammenschau wird deutlich, dass das Lipper Grafenhaus in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit einer ganzen Reihe von Problemen zu kämpfen hatte: Zuvorderst bedeuteten die frühen Tode der Grafen Simon VII ., Simon Ludwig, Simon Philipp und Johann Bernhard ein wiederkehrendes Moment der Unruhe, denn immer wenn ein Landesherr gestorben war, fanden sich stets mehrere männliche Erben ein, die ihre Ansprüche auf Beteiligung an der Herrschaft zum Ausdruck brachten. Die von Simon VI. durch kaiserliche Bestätigung formalisierte Norm der Primogenitur war ebenfalls eher ein Moment der Destabilisierung. Erstaunlicherweise wurde sie erst, als sie in hausgesetzliche Form gegossen war, zu einem ständigen Streitpunkt, obschon sie bereits vorher in vielen Fällen observiert worden war. Allerdings waren zuvor stets auch Ausnahmen bzw. alternative Formen der Sukzession möglich gewesen, während die nunmehr für jedermann offenbare Norm Widerspruch hervorrief. Dass die jeweils regierenden Grafen sie – unter Umgehung der übrigen Agnaten – strikt befolgten, führte dazu, dass zweimal die Einrichtung eines Vormundschaftsregiments notwendig wurde. Die hier geschilderte Auseinandersetzung um die normative Fassung der lippischen Dynastie begann als Streit um die Ausübung der Vormundschaft, steigerte sich aber zu einem Grundsatzkonflikt um die rechtmäßige Sukzessionsform. Auf der einen Seite stand dabei die Witwe Simon Ludwigs, die ihrem ältesten Sohn Simon Philipp die Primogeniturrechte sichern wollte, auf der anderen die Brüder des Verstorbenen, die auf ihr agnatisches Erbrecht pochten. Beide Seiten waren darauf erpicht, Verbündete auch außerhalb des engeren Kreises der Dynastie zu finden, weshalb als weitere Akteure auch der ­Kaiser bzw. die Reichsgerichte, die Lehnsherren in Gestalt des Kölner Erzbischofs und der Landgräfin von Hessen-­ Kassel, weitere zur Vormundschaft vorgesehene Standesgenossen (Christian von Waldeck, Georg II . von Hessen-­Darmstadt, Emich XIII . von Leiningen-­ Dagsburg), militärische Befehlshaber, die heimischen Räte als Ausführungsorgane, die Landstände und schließlich gelehrte Juristen vor den Gerichten sowie als Verfasser von Deduktionen (und damit mittelbar die mediale Öffentlichkeit) 303 LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 45, Schreiben an den kaiserlichen Kammerrichter vom 22. 10. 1651. 304 Vgl. Fink, Haus, S. 46 f.

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eine Rolle spielten. Insbesondere die Landstände hatten entscheidenden Einfluss darauf, wer sich im dynastischen Kräftemessen durchsetzen konnte: Erst ihr Seitenwechsel ermöglichte Katharina die dauerhafte Konsolidierung ihres Regiments. Dagegen blieben reichsgerichtliche Entscheidungen aufgrund der fehlenden Vollstreckungsmöglichkeiten oft wirkungslos. Ausgetragen wurde der Konflikt in drei unterschiedlichen Modi: 1. militärisch-­ gewaltsam, 2. gerichtlich-­verfahrensmäßig und 3. diskursiv-­öffentlich. Die erste Vorgehensweise nutzte vor allem Katharina in Form zweier Kindesentführungen und der Eroberung des Schlosses Detmold. Jedoch scheint auch Johann Bernhard Gewalt ausgeübt zu haben, wenn man den Aussagen Katharinas über ihre Arrestierung im Schloss bis 1640 Glauben schenkt. Der Möglichkeit, die Auseinandersetzung gerichtlich auszutragen und dazu sowohl das Reichskammergericht als auch den Reichshofrat anzurufen, bedienten sich beide Parteien. Den dritten Modus des diskursiv-­öffentlichen Austrags durch das Medium der gedruckten Flugschriften nutzten die Agnaten als juristisch unterlegene Partei weit häufiger, aber nicht exklusiv. Gerade diese Quellenart erlaubt einen guten Einblick in die Argumente und diskursiven Strategien der Kontrahenten. Katharina betonte stets ihre Stellvertreterrolle: Sie bewahre lediglich die legitimen Rechte ihres Erstgeborenen nach dem Recht der Primogenitur. Dabei sei sie als ­Mutter aus naturlicher eingepflantzer lieb 305 die rechtmäßige Vormünderin. Johann Bernhard und seine Brüder argumentierten dagegen mit ihren Lehns- und Erbrechten als Agnaten des lippischen Hauses. Ihre Ansprüche versuchten sie zudem als Sorge um das Wohl des Landes zu verbrämen und gegen die landfremden Waldecker auszuspielen. Mit dem ubiquitären Herkommen – als praktische Observanz wie auch in Gestalt der Hausverträge – argumentierten beide Parteien. Letztlich sorgten die Konflikte seit der Herrschaftszeit Simons VI. für eine juristische, diskursive und nicht zuletzt auch symbolische Ausgestaltung der Dynastie als Sukzessionsgemeinschaft auf Basis der Primogenitur. Diese konnte sich jedoch erst in der dritten Generation nach ihrer Einführung wirklich durchsetzen, wozu der Umstand, dass die meisten Agnaten inzwischen verstorben waren, wesentlich beitrug. Damit bildete der biologische Zufall von Geburt und Tod ein weiteres Mal den einflussreichsten Faktor bei der Gestaltung der Dynastie. Gleichwohl hatte sich durch Sukzessionspraxis und hausrechtliche Normsetzungen ein sozialer Verband etabliert, der durch eine besondere Hierarchie gekennzeichnet war: Neben der Hauptlinie Lippe-­Detmold existierten die Nebenlinien Brake, Alverdissen und Biesterfeld. Allein innerhalb der Detmolder Linie wurden die landesherrlichen Rechte weitergegeben und zwar in der Regel geschlossen an den ältesten Sohn des Vorgängers. Allerdings waren die innere Ausdifferenzierung und 305 LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 10r.

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die Ausbildung neuer dynastischer Rollen wie der Erbherren mit einem Weniger an Kohäsion erkauft worden. Auch künftig drängten die Nebenlinien gewissermaßen zentrifugal nach außen oder versuchten, ihren Status auf Kosten der Hauptlinie zu verbessern. 2.2.7 Sukzessionspraxis bis zum Aussterben der Braker Nebenlinie (1650 – 1709) Da die Behauptung (im doppelten Wortsinn) der Primogenitur für die regierenden Grafen ein wichtiges Mittel darstellte, um ihre hegemoniale Position abzusichern, wurde sie von allen künftigen Landesherren fortgeführt. Neben der erneuten Einholung der kaiserlichen Konfirmation des Primogeniturrechts, das Hermann Adolf im Verein mit seinen Brüdern solange bekämpft hatte, bemühte er sich als Regent nun um eine Regelung, nachgeborenen Söhnen künftig lediglich eine monetäre Apanage, jedoch keine Abfindung mit Land und Leuten mehr zu gestatten.306 Damit sollte der Ausbildung weiterer erbherrlicher Linien vorgebaut werden. Innerhalb der Detmolder Hauptlinie blieben Streitigkeiten um die Höhe der Versorgung zwar an der Tagesordnung, doch das Sukzessionsrecht des Erstgeborenen wurde nach 1650 nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt. Aus den Wirren des Vormundschaftsstreits zog man die Lehre, dass es eine eindeutige Regelung für derartige Fälle geben müsse, und schloss Witwen kurzerhand von der vormundschaftlichen Regentschaft aus. Durch die Primogenitur hatte die ­Mutter des künftigen Herrschers eine deutliche Aufwertung ihrer Rolle erfahren, was Katharina souverän für sich zu ­nutzen wusste. Diesem unerwünschten weiblichen Machtzuwachs wirkte das sogenannte Pactum Tutorium entgegen, das am 21. März 1667 ­zwischen dem inzwischen regierenden Sohn des verstorbenen Grafen Hermann Adolf, Simon Henrich (1649 – 1697), sowie Casimir zur Lippe-­Brake (1627 – 1700) und den Ständen geschlossen wurde. Der Hausvertrag beschränkte den Kreis der möglichen Vormünder auf die erwachsenen männlichen Agnaten des gräflichen Hauses. Zur Wahl des Vormundes sollten die Regierung und Abgeordnete der Stände berechtigt sein, w ­ elche überdies vier „Contutoren“ 306 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, Urkunde vom 20. 06. 1653. Weitere Konfirmationsurkunden datieren vom 26. 07. 1673, 18. 05. 1706 und 14. 03. 1712. Daneben wurde die Primogenitur auch in Eheverträgen (etwa dem von Hermann Adolf mit Ernestine von Ysenburg-­Büdingen vom 20. 01. 1653, in: L 7 A, Nr. 34) und Testamenten der Regenten (etwa in dem von Simon Henrich vom 25. 07. 1697, in: L 7 A, Nr. 45) festgeschrieben. 1668 legte Philipp zur Lippe-­Alverdissen, der inzwischen in der Grafschaft Schaumburg regierte, testamentarisch die Unteilbarkeit ­dieses Landes und die Primogenitur für seine Nachkommen fest. 1692 bemühten sich schließlich auch die Angehörigen der Braker Nebenlinie um eine kaiserliche Bestätigung ihrer Primogenitur; vgl. L 7 E II, Nr. 2.b).

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stellen durften. Für den Fall, dass kein erwachsener Agnat zur Verfügung stünde, sollte auf die weitere Verwandtschaft ausgewichen werden.307 Auseinandersetzungen wurden nun vorrangig ­zwischen den einzelnen Linien der Gesamtdynastie geführt, die sich aus den Familien der Söhne Simons VI. entwickelt hatten. Gegenseitige Ansprüche wurden in einer Reihe von wichtigen bilateralen Verträgen ausgehandelt. Einen Sonderfall stellte Philipp zur Lippe dar, der 1647 eine Hälfte der Grafschaft Schaumburg erwarb, nachdem mit Otto V. der letzte Graf von Holstein-­Schaumburg gestorben war und dessen ­Mutter Elisabeth, eine Schwester Philipps, ­diesem durch diplomatisches Geschick die Nachfolge gesichert hatte.308 Dadurch war Philipp nun gleichzeitig lippischer Erbherr in den Paragien Alverdissen und Lipperode und regierender Landesherr der Grafschaft Schaumburg lippischen Anteils, aus der das Territorium Schaumburg-­Lippe hervorging. Überdies scheint er sich zeit seines Lebens trotz seiner Rolle als Begründer eines eigenen regierenden Hauses mit seiner lippischen Herkunftsdynastie verbunden gefühlt zu haben und leitete aus der Verwandtschaft auch gewisse Rechte ab. So bezeichnete er sich in einem Brief an die Detmoldische Regierung alß Eltisten von Unserm Gräfflichen Hause 309 und erkundigte sich nach dem Vorgehen in Sachen der Sukzession des noch minderjährigen Simon Henrichs. Er hoffe nicht, schrieb er wenig später gemeinsam mit Casimir zu Brake nach Detmold, daß mit außschließung der Agnaten in so wichtigen Sachen, darunter Landt und Leute, auch deß Samptlichen Hauseß Hohes interesse versiret, man etwaß schließliches vornehmen und denen fundamental gesetzen unserß Gräfflichen Hauseß zu wieder unsern vetterlichen Einrath, gar außer augen setzen werde 310.

Philipps Vorstellung einer dynastischen Ordnung ging also dahin, dass alle Agnaten, unabhängig von der Ausübung ihrer Landesherrschaften, in einem Gesamthaus verbunden waren, dessen spezifische Interessen es zu berücksichtigen galt. Dabei nahm er für sich als Ältesten in Anspruch, d­ ieses dynastische Gesamtwohl besonders im Blick zu haben. Gleichzeitig verwahrte er sich gegen den von Simon Henrich verwendeten Begriff des appanagiatum, da er ebenso wie seine Brüder, einschließlich Ew. Ld. Großherrvatter christlöblichen andenckens in Meines Herrn Vattern testament zum erben eingesetzet, und wird Mein kindlicher Antheil nicht weniger alß der andern eine Legitima darin genennet, nicht aber mit einem solchen schimpflichen nahmen belegt 311. Die Rechte, die den Erbherren darin zugestanden 307 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 170. Siehe auch Arndt, Fürstentum Lippe, S. 54; Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 18 f. 308 Vgl. ebd., S. 23 f.; Fink, Haus, S. 39 f.; Ribbentrop, Graf Philipp, S. 61 – 66. 309 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 23, Schreiben vom 25. 10. 1666. 310 Ebd., Schreiben vom 07. 12. 1666. 311 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 23, Schreiben vom 12. 01. 1667.

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worden ­seien, ­seien nicht mit denen von reinen Apanagierten zu vergleichen; im Grunde gebe es ­zwischen ihnen und dem Regierenden Herrn allenfalls einen quantitativen Unterschied: daß aber E. Ld. Großherrn Vattern Legitima an Land und Leuten etwaß fetter, daß haben Sie Meineß Herrn Vattern Ld. gütigkeit und auch woll theilß Mir selbst zu dancken 312. Simon Henrich erwiderte darauf, der Begriff Apanagiatus beziehe sich lediglich auf die Art der Schuldforderungen, die aus der jährlichen Versorgung nachgeborener Grafen entsteht, und sei keineswegs verächtlich gemeint. Schließlich würden etwa die Brüder des französischen Königs so genannt.313 Dies wollte Philipp jedoch nicht gelten lassen, denn nachgeborene Brüder ­seien in der Tat Untertanen des Primogenitus und erhielten lediglich das, was er ihnen zugestehe. Die Erbherren hingegen vererbten ihre Anteile und hätten besondere Rechte auf Landtagen, am Hofgericht und am Konsistorium. Ihr Status sei im Testament Simons VI. und den sich anschließenden Verträgen verbindlich geregelt.314 Bei ­diesem Disput handelte es sich also um mehr als einen Streit um Worte; vielmehr ging es um das Austarieren des Verhältnisses z­ wischen Erbherren und Regierendem Herrn, das sich in rechtlichen Verträgen ebenso niederschlug wie in symbolischen ­­Zeichen und Begriffen. Insgesamt blieben die Beziehungen z­ wischen Philipp von Schaumburg-­Lippe und den lippischen Grafen jedoch einvernehmlich.315 Allerdings geriet Philipp über die verzögerten Zahlungen der ihm testamentarisch zugesprochenen jährlichen 2000 Reichstaler häufig in Streit mit den Grafen Hermann Adolf und Simon Henrich. Nach seinem Tod vererbte er seinem Erstgeborenen Friedrich Christian die Grafschaft Schaumburg, seinem zweiten Sohn Philipp Ernst dagegen die lippischen Paragien. Die Nachfolger in Schaumburg-­Lippe waren weniger kompromissbereit als Philipp und trugen mit ihren entfernten Detmolder Verwandten im Laufe des 18. Jahrhunderts zahlreiche Konflikte über territoriale und hoheitsrechtliche Fragen aus.316 Eine bei Philipp noch spürbare emotionale Bindung an ein gesamtlippisches Haus war hier nicht mehr gegeben; stattdessen waren überkommene verwandtschaftliche Verflechtungen lediglich ein Argument für die Untermauerung gegenwärtiger Ansprüche. Das Verhältnis zur Braker Linie war vor allem während der Lebenszeit des Grafen Otto gespannt. Ein erster Schritt zur Entspannung konnte am 2. Juli 1655 3 12 Ebd. 313 Vgl. ebd., Konzept der Antwort vom 15. 01. 1667. 314 Vgl. ebd., Schreiben vom 26. 01. 1667. 315 Immerhin konnte durch sein Entgegenkommen im sogenannten Sternberger Vergleich vom 29. November 1652 der alte Streit um die Grafschaft Sternberg, die fortan bei Lippe bleiben sollte, gütlich beendet werden. Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungsverträge, 29. 11. 1652. 316 Vgl. Kittel, Heimatchronik, S. 138 f.

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im sogenannten Hamelner Rezess getan werden. Nach dem Tode Ottos wurde ­zwischen seinem Sohn Casimir und dem regierenden Grafen Hermann Adolf der Herberhauser Vergleich vom 17. August 1661 geschlossen, in dem Details über das rechtliche und symbolische Verhältnis ­zwischen den Linien geklärt wurden.317 Insgesamt wurden die im Wesentlichen schon in den Brüderlichen Verträgen von 1614 und 1616 gefundenen Bestimmungen bestätigt oder behutsam modifiziert.318 Unter dem Grafen Rudolf zur Lippe-­Brake (1664 – 1707) kam es gegen Ende des Jahrhunderts zu einem Streit mit der Hauptlinie um den Titel des ‚Regierenden Herrn‘, mit dem er sich in einem innerbrakischen Erbvertrag bezeichnet hatte, der die Primogenitur auch in der Braker Linie festlegte und dem ­Kaiser zur Konfirmation vorgelegt werden sollte. Simon Henrich beschwerte sich darüber und reklamierte den Titel für sich allein. Nur derjenige, der Sitz und Stimme der Grafen innehabe, könne so bezeichnet werden. Dagegen argumentierte Rudolf, innerhalb der brakischen Linie sei er gegenüber seinen apanagierten Brüdern selbst ein Regierender Herr, von dem es also – unbeschadet der Landeshoheit – mehrere geben könne.319 In d­ iesem Titelstreit spiegelt sich die zunehmende Ausdifferenzierung der lippischen Dynastie durch immer weitere Verästelungen. Dennoch oder gerade deshalb waren die Detmolder Grafen stark darauf bedacht, die Hegemonie zu wahren und die Prätentionen ihrer erbherrlichen Verwandten auf ein Minimum zu beschränken. Auch die Beziehungen zu Jobst Hermann und seinen Nachkommen, die die Biesterfelder Linie bildeten, blieben konfliktbehaftet. Der Spross aus der Ehe Simons VII . mit Maria Magdalena von Waldeck leitete aus einer Klausel des Ehevertrags seiner Eltern ein eigenes Sukzessionsrecht ab und versuchte seine Stellung der seines regierenden Detmolder Verwandten anzugleichen, wobei er eine erstaunliche Hartnäckigkeit an den Tag legte.320 Am 21. November 1667 gelang es Simon Henrich unter gewissen Zugeständnissen an Jobst Hermann

3 17 Vertrag wiedergegeben bei Moser, Staats-­Recht, Bd. 14, S. 273 – 276. 318 Vgl. Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 20 – 26. 319 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 E II, Nr. 2.b), Schreiben vom 25.08., 28.09. u. 04. 10. 1692. 320 Aus Platzgründen können die Konflikte mit Biesterfeld hier nicht ausführlich geschildert werden. Vgl. den umfassenden Aktenbestand in LAV NRW OWL, L 7 D Apanagiati Biester­ feldische Linie sowie den Reichshofratsprozess um die von Jobst Hermann bezweifelte Primogenitur in HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 250, Nr. 12. Zudem existiert mit dem sogenannten „Biesterfelder Archiv“ eine gesonderte Hausüberlieferung dieser Linie; vgl. dazu Sagebiel (Bearb.), Hausarchiv. Vgl. ergänzend die Schilderungen bei Gerking, Grafen zur Lippe-­Biesterfeld, S. 21 – 33: „Jedes Ereignis nahm er [ Jobst Hermann, LP] zum Anlass, Klage gegen seine regierenden Halbbrüder einzureichen. Seit seiner Eheschließung beschäftigte er regelmäßig Anwälte, Notare und Gutachter, die seine Anliegen in seinem Sinne zu regeln hatten. Ständig war irgendeine Sache entweder beim Reichskammergericht in Speyer oder bei der Detmolder Regierung anhängig.“ (S. 25).

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eine vorläufige Einigung über dessen Ansprüche zu erreichen. Im sogenannten Schwalenberger Vergleich 321 wurden ­diesem die Ämter Schwalenberg, Oldenburg und Stoppelberg samt deren Einnahmen erblich zuerkannt. Dennoch gingen die Rechte hier nicht so weit wie bei den Paragien der Erbherren in Brake und Alverdissen; Rechtsprechung und Beamtenschaft waren auch künftig weitgehend von Detmold abhängig.322 Auch Pactum Unionis, Primogenitur und alle Hoheitsrechte des Landesherrn wurden ausdrücklich vorbehalten. Als Simon Henrich 1697 starb, lebten noch sechs seiner zehn Söhne. Lediglich der älteste, Friedrich Adolf, übernahm die Nachfolge seines Vaters als Landesherr, während sich die übrigen in ausländischen Kriegsdiensten verdingten. Die Primogenitur war somit endgültig konsolidiert. Die geschilderte dynastische Konstellation, die die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts prägte, fand ihr Ende mit dem Aussterben der Braker Linie 1709. Unmittel­ bar nach dem Tod des letzten männlichen Sprosses, Ludwig Ferdinand, ergriff die Detmolder Regierung von den Paragialämtern Brake, Blomberg, Barntrup und Schieder Besitz. Dagegen protestierten die Nachfolger Philipps von Schaumburg-­ Lippe und strengten einen Prozess vor dem Reichskammergericht an, in dessen Zuge ihnen die Ämter Blomberg und Schieder rechtlich zugesprochen wurde. Als sich die Lipper weigerten, d­ ieses Urteil anzuerkennen, wurde der niederrheinisch-­ westfälische Reichskreis aktiv und ließ die besagten Ämter militärisch besetzen. Auch nach einem vorläufigen Vergleich im Jahr 1748 blieb das Verhältnis ­zwischen den benachbarten Grafschaften bis ins 19. Jahrhundert hinein prekär.323

2.3 Waldeck Nach der Untersuchung der lippischen Sukzessionspraxis wird der Blick nun auf die Grafschaft Waldeck gerichtet. Die spätmittelalterliche Periode war auch hier anfangs vom Prinzip der Individualsukzession geprägt, von dem seit dem 14. Jahrhundert immer häufiger zugunsten von Teilungen abgewichen wurde (2.3.1). Ausführlich wird die Erbteilung ­zwischen Philipp II. und Heinrich VIII. sowie die daraus langfristig entstehende folgenreiche Spaltung in die Linien Eisenberg und Wildungen behandelt (2.3.2 und 2.3.3). Im 16. Jahrhundert vollzogen die Waldecker weitere dynastische Verästelungen wie etwa die Abteilung der Söhne Philipps III. aus zweiter Ehe mit dem Landauer Erbe (2.3.4). In Wildungen stritt man sich 321 Abgedruckt in Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11 (Supplement), S. 561 – 564. 3 22 Vgl. Heidemann, Grafschaft Lippe, S. 24; Arndt, Fürstentum Lippe, S. 67 f.; sowie Gerking, Grafen zur Lippe-­Biesterfeld, S. 26 – 28, der „sensationelle Angebote“ für Jobst Hermann in dem Vertrag zu erkennen meint. 323 Vgl. Arndt, Fürstentum Lippe, S. 62 – 67.

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wenig später um die Frage, ob innerhalb der Linien weiter geteilt werden könne oder ob dem Erstgeborenen besondere Vorrechte zukämen (2.3.5). Nachdem um die Jahrhundertwende unverhofft zwei von drei Linien an ihr Ende gekommen waren, griffen die Grafen im Jahr 1607 ein letztes Mal auf das inzwischen bewährte Mittel der Landesteilung zurück (2.3.6). Ausblickhaft wird schließlich auch die Einführung der Primogenitur am Ende des 17. Jahrhunderts behandelt, die eine Kehrtwende von der etablierten Praxis darstellte (2.3.7). 2.3.1 Sukzessionspraxis bis zur Lehnsauftragung (1227 – 1438) Am Anfang stand eine Herrschaftsteilung. Die Grafen von Waldeck lassen sich, anders als die Edelherren zur Lippe, deren früheste urkundliche Spuren sich schon in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts unter dem seitdem beibehaltenen Beinamen Lippe finden, genealogisch auf ein älteres Geschlecht zurückführen, namentlich das der Schwalenberger, von dem sie sich im 13. Jahrhundert ‚abspalteten‘.324 Nachdem die Söhne Heinrichs von Schwalenberg zunächst einige Zeit lang gemeinsam regiert hatten, teilten sie ihren Besitz ­zwischen 1227 und 1231 auf, wobei der Ältere, Volkwin IV. († ca. 1248), den nördlichen Schwalenberger Teil behauptete, während der Jüngere, Adolf I. († 1271), den südlich gelegenen Besitzschwerpunkt um die Burg Waldeck erhielt.325 Schon früher hatten sich die Schwalenberger bereits gelegentlich als Grafen von Waldeck bezeichnet und zwar erstmals unmittelbar nach dem Sturz Heinrichs des Löwen. Als infolgedessen der westliche Teil der ehemals welfischen Besitzungen 1180 an den Erzbischof von Köln gelangte, benannte sich Widukind III., der Bruder Heinrichs von Schwalenberg, nach seiner südlich des kurkölnischen Westfalens gelegenen Burg de Waltecke, möglicherweise um sich den Herrschaftsansprüchen des Erzbischofs zu entziehen.326 Wie die mithin schon länger durch die Übernahme des neuen Namens angedeutete Teilung sich im Einzelnen vollzog und mit w ­ elchen Argumenten Adolf den waldeckischen Teil für sich reklamieren konnte, lässt sich mangels Quellenmaterials nicht genauer rekonstruieren. Doch sprachen wohl schon pragmatische Gründe dafür, die weit verstreuten Besitz- und Herrschaftsrechte

324 Zu den Grafen von Schwalenberg, von denen sich des Weiteren die Grafen von Pyrmont und die Grafen von Sternberg ableiten lassen; vgl. Zunker, Adel, S. 146 – 197. 325 Vgl. Gaul, Gemeinsame Herrschaft, S. 73 f.; Kloppenburg, Landesteilungen, S. 82; Biermann, Weserraum, S. 129 – 131; Bockshammer, Territorialgeschichte, S. 84 – 96. Diese erste Teilung wird von der Forschung im Gegensatz zu den späteren meist positiv bewertet, da sie zu einer Intensivierung der Herrschaftsausübung vor Ort geführt habe; vgl. Menk, Waldecks Beitrag, S. 11; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 189. 326 Diese Vermutung äußert Cramer, in: ebd, S. 188 f.

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aufzuteilen, um so die Herrschaft vor Ort zu intensivieren. Bei dieser Aufteilung verblieb es auch in der Folgezeit, und bei den Nachfolgern Adolfs begann sich allmählich eine eigene waldeckische Identität auszubilden.327 Anfänglich praktizierte man die Weitergabe der waldeckischen Herrschaft nach dem Prinzip der Individualsukzession, das sich über fünf Generationen bis zu H ­ einrich VI. († 1397), genannt der Eiserne, erstreckte. Dass in dieser Zeit kein Mangel an männlichen Nachkommen bestand, alternative Sukzessionsmodelle also zumindest theoretisch möglich gewesen wären, ist ein Indiz dafür, wie dominant die Norm der Alleinherrschaft eines einzelnen Grafen, die sich aus dem überkommenen Amtscharakter der Grafschaften ableitete, immer noch war.328 Hinzu kommt, dass die Grafschaft zeitweise als Reichslehen angesehen wurde, das besonderen Teilungsverboten unterlag.329 Die Aufspaltung in Schwalenberg und Waldeck war somit eine historische Ausnahme geblieben, die keine weiteren Auswirkungen auf das Denken und Handeln der nachfolgenden Generationen hatte. Bei den vier in dieser Zeit stattfindenden Herrscherwechseln folgten zweimal der älteste und einmal der einzige Sohn nach.330 Lediglich die Enkel Adolfs I. wichen von ­diesem Muster ab, indem nicht der Älteste, Adolf II. († 1302), der die Regierung nach dem Tod seines Vorgängers zunächst übernommen hatte,331 sondern vielmehr der Jüngste, Otto I. († 1305), sukzedierte, während seine beiden Brüder offenbar klaglos in den geistlichen Stand traten. Eine Urkunde, deren Echtheit allerdings infrage steht,332 gibt Aufschluss über die Hintergründe dieser Nachfolgeregelung: 3 27 Siehe dazu Kap. 4.1.2. 328 Vgl. dazu Hechberger, Art. Graf; Schulze; Erstgeburt, S. 48 – 68; Spiess, Erbteilung, S. 159. 329 Die früheste Reichsbelehnung ist für 1349 belegt; es folgten Erneuerungen in den Jahren 1379, 1420 und 1425. Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 456 – 458; sowie Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr. LXXXIV (1349) und Nr. LXXXVIII (1379). 330 Diese Angaben, die auf Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326 beruhen, sind allerdings mit einem Vorbehalt zu versehen, da die genealogischen Angaben bis ins 15. Jahrhundert hinein oftmals unvollständig sein können und in vielen Fällen das Geburtsdatum unbekannt ist. Es könnte also theoretisch noch weitere Söhne (und Töchter) gegeben haben; ebenso ist die Zuweisung des Erstgeborenenstatus nicht immer quellenmäßig abgesichert. 331 Adolf I. hatte bereits zu Lebzeiten seinen Sohn Heinrich an der Regierung beteiligt und ihn als Nachfolger vorgesehen. Allerdings verstarb dieser bereits vor seinem Vater, während sein Bruder Widukind Bischof von Osnabrück war und somit nicht mehr aus dem geistlichen Dienst austreten konnte, um die väterliche Grafschaft zu regieren. Folglich wurde diese Generation übersprungen und die Herrschaft auf die Enkel Adolfs übertragen. Zunächst fungierte Heinrichs Witwe Mechtild von Arnsberg ab 1271 als Vormünderin für ihre drei minderjährigen Söhne, zwei Jahre später lässt sich auch ihr ältester Sohn Adolf II. als regierender Graf fassen, bis 1279 Otto die alleinige Regierung übernahm. Vgl. auch Kloppenburg, Landesteilungen, S. 83. 332 Vgl. Westfälisches Urkundenbuch, Bd. 4,3, Nr. 1247, Vertrag vom 31. 03. 1271. Die Herausgeber melden hier erhebliche Zweifel an der Echtheit der Urkunde an, die einzig durch

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­Offenbar hatten die drei Brüder beschlossen, dass derjenige von ihnen, der die Tochter des Landgrafen Heinrichs von Hessen, Sophie, zur Gemahlin erhalten würde, die alleinige Herrschaftsnachfolge antreten sollte. Diese Art der Nachfolgeregelung, die die Entscheidung an eine externe Partei delegierte und somit der Kontrolle der Agnaten entzog, scheint – so sie sich denn tatsächlich so zugetragen hat – im Reich die absolute Ausnahme gewesen zu sein.333 Der ausbleibende Widerstand von Ottos Brüdern gegen diese Entscheidung lässt sich darauf zurückführen, dass beide gute Aussichten auf hohe Ämter in der Reichskirche hatten; letztlich wurde Adolf Bischof von Lüttich und Gottfried Bischof von Minden, womit sie als Reichsfürsten ihren gräflichen Bruder rangmäßig noch überflügelten. Eine gemeinsame Herrschaftsausübung mehrerer Grafen oder gar eine Teilung war dagegen vorerst noch nicht im Bereich des Denkbaren. Erstmalig wird der Anspruch auf Partizipation an der Herrschaft bei Ottos Nachfolger greifbar. Dessen ältester Sohn Heinrich IV . (1282/90 – 1344) geriet nach seinem Regierungsantritt in einen Konflikt mit seinem jüngeren Bruder Ludwig († 1354), der trotz seiner Domherrenpfründe zu Minden Ansprüche auf die Herrschaft erhob, von denen er erst 1327 zurücktrat.334 Seine anderen vier Brüder scheinen die alleinige Herrschaft Heinrichs offenbar von vornherein akzeptiert zu haben und traten ebenfalls in den Dienst der ­Kirche ein. Um die bis dahin regelmäßig ausgeübte, nun aber unter Rechtfertigungszwang geratene Praxis der Individualsukzession normativ zu stärken, schloss Heinrich am 6. April 1344 einen Vertrag mit seinen noch lebenden Brüdern Adolf und Ludwig sowie seinen Söhnen Otto, Dietrich und Heinrich, und ließ diese schwören, dass sie nach seinem Tod nicht mehr als eynen legen [= Laien, LP ] machen sullen, die eyn here sy der herschafft von Waldeck und by nhamen Otten unsern Son, unde weres das Otten unserm Sone meher erben und sone wurden dan eyn, so sullen unser vurgenante Bruder und Sone naich Raide borchmann der Herschafft von Waldeck und des Landes eynen uß den Sonen zu legen machen, wel­ cher dar zu aller best ewent und nutze ist, und die sall alleyne bliven eyn here der Her­ schafft von Waldeck 335. einen Druck des 17. Jahrhunderts überliefert ist; siehe Warhaffter beständiger GegenBericht, Beilagen Nr. 1, S. 137 f. 333 Sie wird daher von Schulze, Erstgeburt, S. 125 besonders hervorgehoben. Seine Verwunderung darüber, dass man „die Bestimmung des Regenten von der Gunst einer Dame abhängig“ machte, ist mit Händen zu greifen. Vgl. auch Curtze, Geschichte und Beschreibung, S. 604 f.; Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, S. 329 – 337; Hoffmeister, Handbuch, S. 5, der davon ausgeht, dass die Wahl nicht von der noch minderjährigen Sophie selbst, sondern von ihrem Vater getroffen wurde. 334 Vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, S. 364 u. 373 – 375. Die Verzichtsurkunde Ludwigs ist abgedruckt ebd., UB Nr. LXVII. 335 HStAM, Urk. 85, Nr. 11082; hier zitiert nach der Abschrift in 115/01, Nr. 16.

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Im sogenannten Erbstatut des Grafen Heinrich wurden weitreichende Entscheidungen getroffen. So wurde nicht nur festgelegt, dass lediglich einer von Heinrichs Söhnen, nämlich Otto, ihm in der Herrschaft nachfolgen sollte, sondern auch, dass alle anderen Agnaten in den geistlichen Stand zu treten hatten. Der Wortlaut des Vertrags lässt sogar den Eindruck aufkommen, als sei die Übernahme kirchlicher Ämter die Norm für den Lebensweg der Grafensöhne, von der nur im Ausnahmefall, nämlich allein beim Herrschaftsnachfolger, abgewichen werden sollte. Auf diese Weise konnte Heinrich seine Herrschaft geschlossen vererben, ohne dass seine übrigen Söhne auf einen angemessenen Lebensstil zu verzichten hatten. Diese erhielten zudem eigene Teile aus dem kollektiven Besitz wie eine Burg, eine Stadt oder mehrere Dörfer – sogenannte Paragien – zur Nutzung zugewiesen, um mithilfe von deren Einkünften ihren Lebensunterhalt aufzubessern. Auch die Folgegeneration der Söhne Ottos wurde in die Regelungen eingeschlossen, denen ebenfalls auferlegt wurde, nur einen einzigen weltlichen Nachfolger zuzulassen, welcher von den Agnaten mit Ratschlag der Burgmannen ausgewählt werden sollte. Ausschlaggebend für deren Wahl sollte die Eignung des Kandidaten sein, ohne dass dies genauer spezifiziert wurde. Falls keine oder zumindest keine geeigneten Söhne (die nicht endochte zu eynem legen und hern) zur Verfügung stehen würden, sollte stattdessen sein Bruder Heinrich († 1347/49) und danach einer von dessen Söhnen sukzedieren. Heinrich, der zu ­diesem Zeitpunkt bereits Kanoniker in Köln war, hätte im Falle des Falles also sein geistliches Amt quittieren, in den weltlichen Stand zurückkehren, heiraten und Kinder zeugen müssen. Kirchenrechtlich war die Aufgabe einer Domherrenstelle unproblematisch und kam durchaus häufiger vor, doch bedeutete sie zwangsläufig die Übernahme eines grundlegend anderen Lebensmodells. Zwar hatte Otto 1344 bereits einen Sohn, doch hatte dieser die kritische Phase des Kleinkindalters noch nicht überschritten; auch war völlig unklar, ob er sich in Zukunft als geeignet erweisen würde. Die Bestimmung lässt sich somit auch als Ausdruck des in hohem Maße strategischen Umgangs des Grafen mit dem dynastischen Potenzial der Nachkommen einerseits und den Versorgungsmöglichkeiten der K ­ irche andererseits interpretieren. Die Kehrseite bestand für seine Brüder und Söhne in der Rigidität, mit der kurzfristig über ihr Schicksal disponiert werden konnte. Mit der Festlegung seiner Nachfolge, die er nicht aus hausväterlicher Autorität heraus anordnete, sondern durch die vertragliche Selbstbindung seiner betroffenen Verwandten samt Hinzuziehung einer dritten Instanz, der Burgmannen, erreichte, lässt sich bei Heinrich IV. erstmals ein auf die Zukunft gerichteter Gestaltungswille erkennen. Dieser wurde von den Agnaten akzeptiert, die nicht nur in den Vertrag einwilligten und selbigen beschworen, sondern sich auch praktisch an die gefundenen Regelungen, insbesondere die alleinige Sukzession Ottos, hielten.336 336 So lässt sich Ottos Bruder Heinrich bereits 1347 als Dompropst und Bistumsverweser in Minden fassen und auch der dritte Bruder, Dietrich, taucht wenig später als Propst in Münster in den Urkunden auf; vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, S. 391 – 393.

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Im Übrigen legte der Vertrag fest, dass kein regierender Graf ohne Genehmigung der nächsten Verwandten und der Burgmannen die Herrschaft abtreten oder Teile davon verkaufen oder verpfänden dürfe. Auch sollten die den geistlichen Familienmitgliedern zugewiesenen Paragien nach deren Tod wieder in den kollektiven Besitz zurückfallen. Die Bestimmung ist ein erstes Indiz für die transpersonal gedachte Institution der Dynastie, zu deren Unterhaltung die Versorgungsmasse des Landes diente. Funktionieren konnte diese Art der Herrschaftsorganisation freilich nur, wenn die einzelnen Individuen sich den Normen unterwarfen und ihre zugewiesenen Anteile im Interesse der nach ihnen Kommenden bewahrten. Deshalb wurde den urkundenden Brüdern und Söhnen schließlich auch untersagt, gegeneinander Fehde zu führen, oder jemanden in ihre Häuser aufzunehmen, von dem der Grafschaft Unheil drohen konnte. Mit diesen weitreichenden Regelungen wird über den Bereich der Herrschaftsnachfolge hinaus erstmalig die Verpflichtung aller männlichen Verwandten auf die Herschafft von Waldeck greifbar: Obwohl jene nicht selbst an der Herrschaftsausübung teilhaben und lediglich Teile zur eigenen Nutzung erhoffen konnten, wurde von ihnen verlangt, die Herrschaft im Interesse der Dynastie vor Schaden zu bewahren. Im Umkehrschluss wird am Verbot der Fehde allerdings auch deutlich, dass gewaltsame Kriegsführung unter nahen Verwandten durchaus noch im Bereich des Denkbaren lag. In der Forschung wurde gelegentlich behauptet, dass das Erbstatut in der Folgezeit nicht befolgt worden sei, da bereits 1397 eine Erbteilung der Grafschaft durchgeführt wurde.337 Dabei geht aus dem Urkundentext keineswegs eindeutig hervor, dass Heinrich eine überzeitlich gültige Norm aufstellen wollte. Eher ging es ihm darum, eine konkrete Regelung für die nächsten zwei Generationen zu treffen. Selbst damit überschritt er im Grunde schon den Rahmen seiner Möglichkeiten und schränkte zudem die Handlungsfreiheit seines Sohnes und Nachfolgers Otto im Hinblick auf dessen Nachfolge empfindlich ein. Da Otto selbst allerdings nur einen einzigen Sohn hatte, der folglich nach ihm die Herrschaft antrat, lässt sich festhalten, dass das Erbstatut durchaus im Sinne Heinrichs befolgt worden ist. Darüber hinaus wurde es auch in der späteren Zeit häufig rezipiert und geriet keineswegs in Vergessenheit. Es scheint im Gegenteil von den Nachfahren tatsächlich als Festschreibung einer von der konkreten Situation abstrahierten, allgemeingültigen Norm der Individualsukzession verstanden worden zu sein 338 – unabhängig von der Tatsache, dass diese in der Praxis erst knapp 350 Jahre später tatsächlich vollzogen wurde. 337 So etwa Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 196; Menk, Waldecks Beitrag, S. 15. Diffe­ renzierter dagegen bereits Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, S. 369, Anm. c. 338 Darauf deuten die Aufnahme in Verzeichnisse der wichtigsten Hausverträge (z. B. HStAM, 115/01, Nr. 92) und diverse Abschriften in Kopialen des 16. und 17. Jahrhunderts (z. B. HStAM, 115/01, Nr. 133 u. 134) hin.

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Die Parallelen des Heinrichschen Erbstatuts mit dem lippischen Pactum ­Unionis von 1368 drängen sich förmlich auf: In beiden Urkunden werden Regelungen hinsichtlich der Erbfolge getroffen, in beiden wird die Individualsukzession festgelegt. Zudem wird der Kreis der Erbfolgeberechtigten eng auf die männlichen Erben der jeweiligen Herrschaft begrenzt. Es zeichnete sich also um die Mitte des 14. Jahrhunderts in beiden Konstellationen eine zunehmende Orientierung am Abstraktum der „Herrschaft“ ab, mit der sowohl die gebündelten Privilegien und Ländereien als auch der sie besitzende Verwandtschaftsverband gemeint waren. Hier schlägt sich auch begrifflich nieder, wie eng die im Entstehen begriffene Dynastie und ihr herrschaftliches Substrat gekoppelt waren. In beiden Urkundenabschlüssen spielen schließlich die sich formierenden Landstände eine gewisse Rolle, womit allerdings auch die Unterschiede anzusprechen sind: Während es sich beim Waldecker Erbstatut um eine hausvertragliche Regelung ­zwischen potenziell gleichberechtigten Herrschaftsträgern handelt, die lediglich auf den Rat ihrer Burgmannen Rücksicht genommen haben, stellt sich das Pactum ­Unionis als Konzession des von verwandtschaftlichen Rücksichtnahmen völlig unbeschwerten Landesherrn an seine Ritter und Städte dar. Schließlich – und das ist der wichtigste Unterschied – ging es Heinrich lediglich um die Regelung einer konkreten Erbfolge, Simon zur Lippe dagegen um eine ewigwährende Normierung der Sukzessionspraxis. Bereits kurz nach dem Abschluss seines Erbstatuts starb Heinrich IV., und sein Sohn Otto II. († 1369) trat die vertraglich festgelegte Nachfolge an. Nachdem auf Otto sein einziger Sohn Heinrich VI. gefolgt war, war die Situation nach dessen Tod 1397 erneut offen. Die Bestimmungen des Erbstatuts waren gewissermaßen erfüllt, und mit den Söhnen Adolf IV. († 1431) und Heinrich VII. († ca. 1444) standen zwei männliche Erben zur Verfügung, die beide Ansprüche auf die Herrschaft erhoben.339 Man suchte daher nach neuen Lösungen und entschied, einen bis dahin unerprobten Modus zu implementieren: Die Grafschaft sollte ­zwischen beiden aufgeteilt, die Oberregierung jedoch gemeinsam ausgeübt werden. Es handelte sich in verfassungsgeschichtlicher Terminologie also nicht um eine Tot-, sondern um eine Nutzenteilung, bei der die grundsätzliche Einheit des Ganzen gewahrt blieb.340 Zu d ­ iesem Zweck schloss man am 14. November 1397 einen Samtvertrag, in dem die gegenseitigen Rechte und Pflichten der Brüder festgelegt wurden.341 So versprachen sie sich gegenseitigen Schutz gegen äußere Feinde 339 So ließ sich etwa der Jüngere, Heinrich, nach dem Tod seines Vaters von der Stadt Korbach als neuer Landesherr huldigen. Siehe den Abdruck der Urkunde in Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 145. 340 Dieses für die Grafschaften des Spätmittelalters typische Sukzessionsmodell wird auch beschrieben bei Schulze, Erstgeburt, S. 155. 341 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11083.

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und Unterstützung in allen Streitigkeiten. Außerdem sollte keiner einen Teil der Herrschaft ohne Zustimmung des anderen versetzen dürfen. Die bereits im Erbstatut von 1344 anklingende Sorge um den Zusammenhalt des Landes wurde hier also wieder aufgegriffen und weiter verstärkt. So wurde etwa der Anreiz erhöht, an dritte Parteien verpfändete Stücke wieder einzulösen, indem diese dann dem jeweiligen Löser zur eigenen Nutzung zustehen sollten. Die Aktivlehen sollte lediglich Adolf, allerdings mit Zustimmung seines Bruders, verleihen. Hierin ist eine pragmatische Anpassung an die Notwendigkeiten der Lehnsvergabe zu sehen, die einen eindeutig bestimmbaren Herrn verlangte. Auch in Zukunft wurde die sogenannte Lehnshand stets dem ältesten regierenden Grafen übertragen. Würde es z­ wischen den Brüdern zukünftig zu Streit kommen, sollten fünf gemeinsam gewählte Anhänger der Ritterschaft als Schiedsrichter fungieren und eine gütliche oder rechtliche Entscheidung fällen. Eine genaue Aufteilung der einzelnen Ämter der Grafschaft wurde zunächst nicht vorgenommen, lediglich die Residenzen wurden festgelegt: Obschon die Stammburg Waldeck prinzipiell beiden Grafen gehörte, sollte Heinrich hier allein residieren, während Adolf seinen Wohnsitz auf dem von seinem Vater errichteten Schloss Landau bezog.342 Diese räumliche Trennung und die damit einhergehende verdoppelte Hofhaltung waren deutliche Zeichen ­­ für die Eigenständigkeit seines Herrschaftsanspruchs. Es verwundert daher nicht, dass sich aus der ad hoc getroffenen Aufteilung in der Folgezeit die Spaltung in zwei eigenständige Linien ­entwickelte: die auf der Stammburg residierende neuere Waldecker Linie ­Heinrichs VII. und seiner Nachkommen und die ältere Landauer Linie von Adolf IV. und seinen Nachkommen. Vorerst war diese Entwicklung freilich nicht abzusehen. Das eingerichtete Schlichtungsverfahren wurde schon ein knappes Jahr später auf die Probe gestellt, da es z­ wischen den Brüdern über die Ausübung der gemeinsamen Regierung und die mit Argusaugen bewachte Einhaltung ihrer jeweiligen Kompetenzen zu Streit kam. Adolf beschuldigte Heinrich, ohne seine Einwilligung Burg und Stadt Rhoden versetzt zu haben, was den urkundlich getroffenen Vereinbarungen eindeutig widersprochen hätte. Dieser hielt jedoch dagegen, er habe im gemeinsamen Interesse gehandelt. Auch die jeweiligen Nutzungsrechte über die Einkünfte waren ein Streitpunkt. Schließlich missfiel Adolf die Aufbewahrung der Urkunden auf Schloss Waldeck, da er sich von Heinrich des freien Zugangs zum Archiv beraubt sah. Die gewählten 342 Dies geht auch aus einer Verpfändung von Adolfs Hälfte an Schloss und Stadt Waldeck an Heinrich gegen 1000 fl. sowie einem Erbverzicht Adolfs auf die fahrende Habe des Schlosses Waldeck hervor. Ausgenommen sollten davon neben Back- und Braugerät insbesondere die Urkunden sein, die hier aufbewahrt wurden, waren diese doch unverzichtbar für eine gemeinsame Herrschaftsausübung. Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11086 bzw. 11085; abgedruckt bei Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr. XCV.

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Schiedsrichter aus der Ritterschaft wiesen Heinrich daraufhin an, seinem Bruder in der Pfändungssache Recht zukommen zu lassen und ihm Einsicht in die Urkunden zu gewähren. Sei letzteres nicht gegeben, müsse ein neues, für beide Parteien zugängliches Archiv gefunden werden.343 Hier machten sich bereits frühzeitig die Schwierigkeiten bemerkbar, die mit einer gemeinsamen Herrschaftsausübung verbunden waren. Zwar war es anfangs tatsächlich zu einem Schiedsspruch der adligen Schlichter gekommen, doch hatte dieser nicht verhindern können, dass sich der Streit ­zwischen den beiden Brüdern noch knapp zweieinhalb Jahrzehnte hinzog und teilweise gewaltsam in Form von Fehden ausgetragen wurde. Erst 1421 gelang es den inzwischen um ihre jeweiligen Söhne erweiterten Parteien, sich durch Vermittlung der Grafen Johann und Gottfried von Ziegenhain auf einen Schiedsvertrag zu einigen, der die bisherige Praxis der gewaltsamen Übergriffe umb frides und nutze willen uns und unser lande 344 ein für alle Mal beenden sollte. Besonders deutlich geht die bisherige Gewaltausübung, aber auch der Wunsch nach Befriedung aus einem wenige Tage nach dem Hauptvertrag geschlossenen Nebenabschied hervor, der die Möglichkeit in Betracht zieht, das unser eyn an dem andern so ubel thede und das vurbreche mit namen das unser eyn den andern fenge ader sloge ader thun lesse, ader unser eyn den andern ußsteyße uß den slossen die wir besampt ader besondern helten ader sich untruwelichen abhendig macht ader zu sulcher losunge eyn den andern nit lesse kommen alßo die breffe dar uber gegeben uß wysen 345.

Für diesen Fall wurde festgelegt, dass die Ritterschaft und die Städte dem Friedensbrecher den Gehorsam aufkünden sollten, wozu sie in ­diesem Fall von ihrem Huldigungseid losgesprochen wären.346 Ferner wurde eine Reihe weiterer Integrationsmechanismen beschlossen, die das friedliche Miteinander sicherstellen sollten, wie beispielsweise der Abschluss von Burgfrieden oder die gemeinsame Vergabe von Lehen.347 Den größten Teil des Sühnevertrags nehmen allerdings 343 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11087; Abschrift in 115/01, Nr. 134, fol. 2v–4r. Das Samtarchiv verblieb indes in der Folgezeit auf Schloss Waldeck, siehe dazu Kap. 4.3.2. 344 HStAM, 115/01, Nr. 134, fol. 4v–8r, Vertrag vom 25. 06. 1421 (Zitat auf fol. 4v). 345 Ebd., fol. 10r. 346 Das Einverständnis von Ritterschaft und Städten zu dieser Maßnahme erfolgte wenig später; vgl. ebd., fol. 8v–9v. Fünf Jahre später, am 7. Oktober 1426, unterstützte Johann von ­Ziegenhain die Waldecker Grafen erneut bei der Klärung ihrer internen Streitigkeiten und handelte z­ wischen ihnen einen neuen Vertrag aus, indem das Verbot der gegenseitigen Befehdung bekräftigt und mit einer Strafe von 4000 fl. belegt wurde. Dies lässt sich als Anzeichen dafür interpretieren, dass die früheren Appelle und Verbote kaum Wirkung gezeigt hatten; vgl. ebd., fol. 11r–14r. 347 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 134, fol. 4v–8r. Zur integrativen Wirkung von Burgfrieden vgl. Schneider, Ganerbschaften.

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Bestimmungen zur Wiederlöse von untereinander oder einer dritten Partei verpfändeten Burgen, Ämtern und sonstigen Herrschaftsrechten ein. Die von Ernst Schubert für das Spätmittelalter konstatierte „Kommerzialisierung der Landesherrschaft“348 manifestiert sich hier in der Tatsache, dass weite Teile der Grafschaft für größere Geldsummen verpfändet und somit dem direkten Zugriff der Grafen entzogen waren. Es ist auch kaum möglich, klare Grenzen ­zwischen den Herrschaftsgebieten Adolfs und Heinrichs zu ziehen, da Schlösser und Ämter als Tausch- bzw. Pfandobjekte ständig ­zwischen ihnen hin und her wechselten. Was die Herrschaftsweitergabe betrifft, wurden in ­diesem Vertrag zwar keine expliziten Neuregelungen getroffen, doch verfestigte sich die Trennung in zwei Linien durch den Umstand, dass nun auch die Söhne Otto III. († 1458/9) und Wolrad I. († 1475) als Vertragspartner miteinbezogen wurden. Dem noch minderjährigen Wolrad wurde aufgetragen, den soeben geschlossenen Vertrag bei Erreichen seines vierzehnten Lebensjahres zu beschwören, während Otto bereits mitsiegelte. Folgerichtig übernahm letzterer nach dem Tod seines Vaters Adolf 1431 dessen Anteil an der Herrschaft, den er noch im gleichen Jahr dem Landgrafen von Hessen zu Lehen auftrug. Sein Onkel Heinrich und dessen Sohn Wolrad folgten sieben Jahre später. Die ursprünglich lediglich als Mutschierung mit gemeinsamer Oberregierung vereinbarte Teilung hatte sich inzwischen so stark verfestigt, dass aus ihr zwei separate Lehen entstanden waren. Urteilsfreudig äußert sich Claus Cramer: „Dem Hausvertrag von 1344 zur Sicherung der Landeseinheit war die Reichsbelehnung von 1349 als Garantie der Selbständigkeit gefolgt – der Landesteilung von 1397 folgte jetzt die Lehnsübergabe an Hessen und damit die halbe Mediatisierung.“349 Abgesehen davon, dass hier eine kausale Beziehung ­zwischen den Ereignissen lediglich suggeriert statt argumentativ belegt wird, ist damit ein unangemessenes Verdikt über die Handlungsweisen der Grafen gesprochen. Statt ihnen ein tendenziell anachronistisches Machtstreben zu unterstellen, sollte die Lehnsauftragung unter Berücksichtigung der strukturellen Bedingungen ebenso wie des praktischen Wissens der Akteure betrachtet werden. Als regierende Oberhäupter einer Grafendynastie, denen es in erster Linie darum ging, Herrschaft über Land und Leute ausüben zu können, stellte für sie der Umstand, dass diese in zwei Linien geteilt war, kein Problem dar, sondern war vielmehr Grundbedingung für ihre jeweilige soziale Stellung. Auch die Lehnsauftragung musste nicht grundsätzlich mit negativen Folgen verbunden sein, sondern bot in der konkreten Situation die Chance, die angehäuften Schulden mit hessischer Hilfe abzutragen, ohne Teile der Herrschaft versetzen zu 348 Schubert, Fürstliche Herrschaft, S. 19. 349 Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 200. Ähnlich urteilt Menk, Waldecks Beitrag, S. 17. Zu den „außenpolitischen“ Hintergründen der Lehnsauftragung auch Neumann, ­Kirche, S. 34 f.

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müssen.350 Vielmehr wurde bei der Belehnung sogar ein explizites Veräußerungsverbot ausgesprochen.351 Ein zusätzlicher Vorteil bestand darin, dass die Auftragung den Status quo der Herrschaftsteilung festzuschreiben und die Existenz der Linien dadurch transpersonal zu sichern vermochte. So sollte die explizite Mitbelehnung der in den Urkundentexten namentlich genannten Söhne sowie deren Erben die dauerhafte Weitergabe der Herrschaft an die nächsten Nachkommen sicherstellen. Mit den hessischen Landgrafen war eine mächtige Instanz vorgeschaltet, die mutmaßlich die geregelte Sukzession über die Lebensspannen der beteiligten Akteure hinaus garantieren konnte. Allerdings war anfangs noch kein gegenseitiges Erbrecht verabredet worden, sodass im Falle des Aussterbens einer Linie deren Lehen an Hessen hätte heimfallen können, sodass die andere Linie leer ausgegangen wäre. Spätestens seit der Belehnung von 1459 war aber eine entsprechende Klausel in die Lehnsurkunden mitaufgenommen worden, sodass 1495 – als ein solcher Fall tatsächlich eintrat – die gesamte Grafschaft in Waldecker Hand blieb. 2.3.2 Die Teilung zwischen Philipp II. und Heinrich VIII. (1475 – 1492) Eine weitere Aufteilung der Grafschaft Waldeck wurde indes vorerst nicht angestrebt, sondern vielmehr zu vermeiden versucht. So beabsichtigte der auf der Stammburg residierende Wolrad I., die von seinem Vater ererbte halbe Herrschaft geschlossen an die nächste Generation zu übertragen. Die Chancen dazu standen im Jahr 1452 recht günstig, hatte er doch zu ­diesem Zeitpunkt lediglich einen Sohn, Philipp I. (1445 – 1475), den er im Alter von sieben Jahren mit Johanna, der Tochter des Grafen Johann IV . von Nassau-­Dillenburg, verlobte. Im Verlobungsvertrag garantierte er dem Vater seiner zukünftigen Schwiegertochter, dass 350 Freilich wies knapp zweihundert Jahre später der anonyme Verfasser der „Waldeckischen Ehrenrettung“ von 1624, dem es darum ging, die waldeckische Unabhängigkeit von Hessen zu belegen, den Schuldendruck als Grund für die Lehnsauftragung vehement zurück. Vielmehr sei die Auftragung einerseits auß Gunst / guter Zuversicht vnd Affection vmb bessers Schutzes willen geschehen und andererseits aus der Erwägung, dass sorgfältige Vätter zu Erhaltung gutten Wolstands / jhre freye vnbeschwerdte Güter offt mit pactis familiae fideicommissis, auch wie hier geschehen / mit Lehenpflichten beladen, damit sie vnzerzerret beysammen bleiben, Gräffliche Waldeckische Ehrenrettung, Zitate S. 44 bzw. 49. Diese funktionale Erklärung allgemein auch bei Spiess, Familie, S. 203. Tatsächlich hielten die Grafen von Waldeck ihren Besitz ungeachtet der erst kurz zuvor geschehenen Reichsbelehnung für allodial, wie es im Text der Belehnungsurkunde von 1438 ausdrücklich erwähnt wird. 351 Auftrags- und Belehnungsurkunden abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, Nr. 224 bzw. 226 u. 227. 1441 wurde zusätzlich vereinbart, dass die waldeckischen Städte neben den Grafen auch den hessischen Landgrafen huldigen sollten; vgl. ebd., Nr. 228.

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nach seinem Tod Philipp sein alleiniger Nachfolger werden sollte, selbst wenn ihm bis dahin noch weitere Söhne geboren werden würden, ­welche in ­diesem Falle anderweitig versorgt werden sollten.352 Aufgrund des Umstandes, dass diese Festlegung der Individualsukzession im Rahmen eines interdynastischen Vertrags getroffen wurde, steht zu vermuten, dass neben der Sorge um die Geschlossenheit der waldeckischen Herrschaft auch die Interessen des Nassauers eine Rolle spielten. Indes wurde Wolrad bereits ein Jahr später Vater eines zweiten Sohnes, den er ebenfalls Philipp nannte. Es gibt in den Quellen keine Anzeichen dafür, dass er aufgrund der veränderten Situation von seinem ursprünglichen Plan abgerückt wäre und stattdessen eine Erbteilung ­zwischen seinen beiden Söhne beabsichtigt hätte. Aufgrund der mit Nassau-­Dillenburg getroffenen Bestimmung war es Philipp II . (1453 – 1524) ohnehin verwehrt, Ansprüche auf die Herrschaft Waldeck geltend zu machen, und da Verträge mit dritten Parteien im Gegensatz zu Hausverträgen und Testamenten nicht ohne Weiteres abzuändern waren, trat er als Domherr zu Köln in den geistlichen Stand ein.353 Die Vorstellungen und Pläne der Zeitgenossen wurden jedoch unvermittelt von einer genealogischen Unvorhersehbarkeit durchkreuzt: Im Jahr 1475 starben sowohl Wolrad als auch sein Erstgeborener Philipp I., der allerdings wiederum aus der Ehe mit Johanna von Nassau einen Sohn, den späteren Heinrich VIII . (1465 – 1513), hinterließ. Ein Testament hatte keiner der Verstorbenen verfasst. In dieser Situation gab es nun theoretisch wenigstens drei Möglichkeiten, wie mit der Sukzession umgegangen werden konnte. Erstens konnte Philipp II . als nunmehr einziger Sohn Wolrads in den weltlichen Stand zurückkehren und die Regierung der Grafschaft übernehmen. Zweitens konnte die Herrschaft an den noch minderjährigen Heinrich übergeben werden, wozu ein Vormundschaftsregi­ ment einzurichten gewesen wäre. Und drittens war es prinzipiell möglich, dass der entfernte Verwandte Otto IV . (1440/1 – 1495) aus der Landauer Linie nun Ansprüche auf die Oberherrschaft der gesamten Grafschaft erhob. Zumindest für letzteres gibt es keine Anzeichen, denn offenbar fühlte sich Otto durch die gegenseitigen Verträge und vor allem durch die separate Belehnung der beiden 352 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 40, Verlobungsurkunde vom 16. 08. 1452. Darin heißt es: vor­ ter so gereden und geloben wir Walraff grave unß das den vurgenannten Philips unser lever Son na unserm tode alleyne grave zo Waldeck sin sal und sich alle der sloß, lande und lude alleyne gebruchen und off is saiche wer das wir mehe Sone gewonnen, die sulden sich uff die obgenannten unser lant und graschafft nicht bewyben, sonder si sulden sust daruß gegint und bewyst werden. Prasser, Chronologia, S. 833, schreibt, dass Wolrad hier nicht nur eine einmalige Regelung, sondern eine dauerhafte Festlegung der Erbfolge schaffen wollte ­(Sanxit ­Wolradus, vt Philippus, filius natu maior, solus succedat in gubernatione, ac sic conti­ nue in familia obseruaretur.), wofür es jedoch keine Hinweise gibt. Vgl. auch Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 37. 353 Vgl. ebd., S. 92.

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Grafschaftsteile durch Hessen gebunden.354 Stattdessen war es Philipp II ., der als Domherr resignierte und das väterliche Erbe antrat. Da Heinrich von vornherein in einigen Rechtsgeschäften neben seinem Onkel urkundete und auch in die hessische Belehnung von 1478 einbezogen war,355 ist davon auszugehen, dass er mit Erreichen der Volljährigkeit als gleichberechtigter Regent neben Philipp treten sollte, welcher einstweilen die Vormundschaft für ihn übernahm. Zudem wurde anlässlich von Philipps Vermählung mit der Gräfin Katharina von Solms 1478 im Ehevertrag eine Klausel vereinbart, die die Möglichkeit zur Mutschierung ­zwischen ihm und seinem Neffen eröffnete. So garantierte er seiner Braut, dass ihre Witwenversorgung auch im Fall einer Erbteilung ­zwischen ihm und Heinrich gewährleistet sein würde.356 Widerstand vonseiten Philipps gegen eine Beteiligung seines Neffen lässt sich in den Quellen nicht nachweisen. Das Prinzip der Erbteilungen, das unter den Brüdern Adolf IV . und Heinrich VII . 1397 eingeführt worden war und auf der prinzipiellen Gleichheit der legitimen männlichen Erben beruhte, hatte sich mittlerweile soweit verfestigt, dass es nicht mehr grundsätzlich infrage gestellt wurde. Die Nutzenteilung z­ wischen Philipp und Heinrich, die also bereits seit einiger Zeit in Erwägung gezogen worden war, wurde schließlich 1486 vereinbart und ein Jahr später vollzogen. Am 17. Juni 1486 trafen sich im hessischen Biedenkopf die abgeordneten Vertreter von Philipp und Heinrich vor dem als Schiedsrichter fungierenden Grafen Johann V. von Nassau-­Dillenburg 357 und einigten sich über die Modalitäten der Teilung. So sollte 354 Im Jahr 1459 waren nämlich Wolrad I. und Otto IV. separat mit ihrem jeweiligen Anteil der Grafschaft belehnt worden, sodass eine gegenseitige Beerbung nicht ohne Weiteres möglich war, solange noch direkte Leibeserben am Leben waren. Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 496 u. 497. 355 Vgl. ebd., Nr. 498. Vgl. auch Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 43. 356 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 53, Ehevertrag vom 13. 10. 1478. Dort heißt es: So ist auch son­ derlichs abgeredt und bethedinget, ob es queme dz der wolgeborn Grave Heinrich zo Waldegk des obgenanten Graven Philipsen vetter so er muntbar und zo sinen Jaren komen wurde nicht geistlich solde oder enwolde werden, und Grave Philips egenant und sine erben er lantschafft die Graveschafft zo Waldegk mit irer und inne zogehoirde durch recht odir freuntschafft erbdeilen odir mutscharin geborn solde, solle sie versorget werden, so dz ye Junckfrowe Catherin von Solms Gravinnen zo Waldegk sine eheliche Gemahel zo irem Weddeme, des Amptes Wildungen und anders zosampt der morgengabe unbehindert, nach Inhalt dieß wedemans brieve so er von Grave Philips ubergeben ist bliven muge, addir se deß versorgen, mit verschribunge und vor­ willigung desselben Graven Heinrichs seines Vettern vor Ine und sinen erben nach notturfft, dz se darane sicher und hebendig sy on alle geverde. Dieses Versprechen wurde gehalten, wie eine ergänzende Erklärung vom 27. April 1489 ausweist: Da das als Wittum vorgesehene Amt Wildungen in der inzwischen vollzogenen Mutschierung (1486) tatsächlich an Heinrich gefallen war, versah Philipp seine Gemahlin ersatzweise mit dem Amt Eisenberg. 357 Dieser stand als Onkel Heinrichs in verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Waldeckern und konnte zudem eigene Erfahrungen in Erbstreitigkeiten aufweisen: Hatte er zunächst das

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Juncker Philips als der eldeste die sloße und stede zu der graveschafft Waldeck gehorende mit aller notzinge in und zugehore […] als grave Philips bißher ingehabt geprucht genoßen gehaben und geboret daß halbe teyle von solichem allen wilches darbij der neste ist gelegen nach siner gnaden besten vorstentniße und gewißen glich halb stellen und setzen, dar sall grave Henrich als der Jungste dan der zweyer sloße eins mit dem zusatze, Grave Philips darzu setzen und stellet wirt, bynnen vierzehen tagen aeder dryen wochen […] kießen 358.

Mit ­diesem Verfahren, bei dem der Ältere die Hälften definierte, z­ wischen denen der Jüngere wählen konnte, sollte die Akzeptanz des Ergebnisses auf beiden Seiten sichergestellt werden. Es erhöhte die Chance, dass die Parteien sich auch in Zukunft an die gefundene Aufteilung halten und von Grenz- und Ämterstreitigkeiten absehen würden. Die jeweiligen Hälften an der Stammburg Waldeck sowie die Städte der Grafschaft wurden als Samtbesitz definiert und somit von der Teilung ausgeschlossen.359 Vielmehr sollten Philipp und Heinrich diese Teile glich halb und halb broderlich behalten und für die Burg Waldeck einen Burgfrieden schließen, um die brüderliche Eintracht weiter zu festigen. Ferner hieß es: alle das Ihene, dießen zweyen vurgenanten gevittern gerechticheit und sipschafft der Grave­ schafft von Waldeck halber von der Helliger ­Kirchen und Rechts wegen worde anersterben und zu fallen von landen, luden, cleyn, groß, wenich, viell, sullen sie ader ire Irben den anfalle glich als rechte geproder sunder alle argelist teylen gepruchen und genießen iclicher nach syme besten 360.

Hier fällt zunächst die verwendete Terminologie der Brüderlichkeit ins Auge, da es sich bei den beiden Vertragspartnern ja bekanntlich um Onkel und Neffen handelte. In enger sprachlicher Verbindung mit dem Wort glich spiegelt sie u­ nverkennbar die Vorstellung einer natürlichen Gleichheit der legitimen Söhne eines Erblassers, die hier auf nahe Verwandte übertragen wurde. Dabei nahm ­Heinrich gewissermaßen den Platz seines verstorbenen Vaters Philipp I. ein. Zugleich schwingt in der Begriffswahl ein Appell zu Eintracht und neidloser Anerkennung des Gegenübers und seines Erbteils mit. Insofern ist der spätmittelalterliche Brüderlichkeits­ diskurs „nicht deskriptiv, sondern adhortativ und legitimierend“361 zu verstehen. Im Übrigen sollte dieser letzten Passage vor dem Hintergrund des Aussterbens der Landauer Linie nur wenige Jahre später große Bedeutung zuwachsen. väterliche Erbe mit seinem Bruder geteilt, kämpfte er später beharrlich gegen die hessischen Landgrafen um das katzenelnbogensche Erbe seiner Gemahlin; vgl. Joachim, Art. Johann V. 358 HStAM, Urk. 85, Nr. 321, Vergleich über die Erbteilung vom 17. 06. 1486. 359 Die Teilung konnte nur über den je halben Anteil an Waldeck, Korbach und Niederwildungen disponieren, da die andere Hälfte ja seit 1397 im Besitz der Landauer Verwandten lag. 360 HStAM, Urk. 85, Nr. 321. 361 Eickels, Bruder, S. 221.

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Nach einigen Terminverschiebungen 362 waren die Vorbereitungen im Oktober 1486 so weit gediehen, dass man zur Teilung schreiten konnte. Philipp, dem die Definition der Hälften übertragen worden war, hatte inzwischen eine Übersicht über die Einkünfte der Grafschaft erstellt und in zwei Register aufgeteilt, die ihm nach aller gelegenheyt in eynem glichen 363 dünkten. Den jeweiligen Hauptteil der beiden Hälften bildeten die Schlösser und Ämter Wildungen bzw. Eisenberg samt ihrer Einkünfte. Es handelte sich gewissermaßen um eine Teilung „nach dem modularen Prinzip“364, bei der die einheitlich organisierten Ämter gleichmäßig auf die entsprechenden Prätendenten aufgeteilt, getauscht und im Zweifelsfall wieder zusammengeführt werden konnten. Dieses Modell sollte auch bei den folgenden Waldecker Teilungen angewendet werden. Vorerst führte die Klärung von Detailfragen, etwa hinsichtlich der aufzubringenden Leibzucht der Gemahlin Philipps, Katharina von Solms, dazu, dass die Teilung erst im Frühjahr 1487 vollzogen werden konnte.365 Wie vereinbart traf zuerst Heinrich als der Jüngere seine Wahl, die auf Wildungen und seine Zubehörungen fiel, womit für Philipp Schloss und Amt Eisenberg übrigblieben, was er akzeptierte. Somit war die kleine Grafschaft Waldeck fortan in drei Teile gegliedert, die sich jeweils aus mehreren Ämtern zusammensetzten. Auf dem Eisenberg im Westen residierte nun Philipp II ., zu dessen Einflussbereich auch die umstrittene Freigrafschaft Düdinghausen gehörte, während Heinrich VIII. das im Südosten gelegene Amt Wildungen unterstand. Der Nordteil des Landes um Landau, Mengeringhausen und Rhoden war dagegen im Besitz Ottos IV. Ungeachtet dessen hatte Philipp als politisch bedeutendster der drei Grafen doch einen gewissen Vorrang, der sich etwa darin zeigte, dass er allein im Jahr 1495 von König Maximilian I. mit den Salzbrunnen und Bergwerken der Grafschaft belehnt wurde.366 Dass die waldeckische Herrschaft nun auf unterschiedliche Agnaten aufgeteilt war, bedeutete freilich nicht, dass man geneigt war, sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen oder Verluste an Nachbarn in Kauf zu nehmen. Vielmehr wurde im Teilungsvertrag von 1487 für beide Parteien ein strenges Veräußerungsverbot erlassen, damit unser herschafft nicht versplittertt und in frembde hande gebracht 3 62 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 322 u. 11112. 363 Ebd., Nr. 323, Vergleich über eine Teilung des Landes vom 27. 10. 1486. 364 Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 33. 365 Der endgültige Teilungsvertrag ist nur in einer undatierten Abschrift aus dem 16. Jahrhundert überliefert; vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 324. Ein inhaltlicher Abgleich mit ergänzenden Nebenabschieden (vgl. Nr. 325, 326 u. 327) legt jedoch eine Datierung auf einen Abschluss bald nach dem 31. März 1487 nahe. 366 Vgl. die Belehnungsurkunde vom 29. 08. 1495, abgedruckt in Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr.  XCVIII. Im Laufe der Frühen Neuzeit wurde die Reichsbelehnung regelmäßig erneuert und auf die anderen Agnaten ausgeweitet; vgl. HHStA, RHR Gratialia et Feudalia Reichslehnsakten deutsche Expedition, K. 232, Nr. 1.

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werde 367. Nur in äußerster wirtschaftlicher Not sollte es künftig erlaubt sein, Teile der Herrschaft zu verkaufen oder zu verpfänden, jedoch bevorzugt an die eigenen Verwandten und besundern keynem fursten anders dan der unser gleichen graven geschlechts und nicht hoher geborn 368. Wie schon beim Teilungsvertrag von 1397 und beim Sühnevertrag von 1421 ­zwischen der Waldecker und der Landauer Linie nahmen mithin auch hier Regelungen über die Sicherung der materiellen Basis den weitaus größten Raum ein. Insofern lässt sich feststellen, dass die frühen waldeckischen Hausverträge des Spätmittelalters in erster Linie Teilungsbzw. Erbverträge waren, deren Priorität auf der Aufteilung des Besitzes unter die legitimen Erben lag. Hatte auch jeder Agnat gleichmäßige Ansprüche auf einen Anteil, so wurden darüber hinaus enge Grenzen gezogen: Es lässt sich ein starkes Bestreben ausmachen, die Herrschaft im kollektiven Besitz der Dynastie zu verankern, sie einerseits vor einem vorschnellen Verkauf einzelner Teile durch ihre gegenwärtigen Besitzer zu bewahren sowie andererseits gegen mögliche Ansprüche von außerhalb zu verteidigen. Insbesondere das Verbot der Besitzveräußerung an Fürsten macht deutlich, dass sich bereits ein gewisses Standesbewusstsein ausgebildet hatte, welches sich als Abwehrhaltung gegen fürstliche Expansionsgelüste artikulierte. Die Sorge um den Zusammenhalt des Besitzes schlug sich des Weiteren in prospektiven Bestimmungen nieder. So wurde die schon in Biedenkopf vereinbarte Klausel bekräftigt, dass alle sich in Zukunft ergebenden Besitzansprüche an Land und Leuten mit einander inzufordern und gantz gleich alß rechte leibliche gebruder zu theylen, zu gebrauchen und zugenießen 369 wären. Mit dynastischer Geschlossenheit, so war man sich zumindest auf normativer Ebene bewusst, ließen sich die gemeinsamen Interessen gegenüber mächtigen Fürsten weitaus besser vertreten und durchsetzen als im Alleingang. Im Innern dagegen sollte eine Reihe von Integrationsmechanismen wie die Samtherrschaft über die Städte sowie die Stammburg Waldeck, auf der sich auch das gemeinsame Archiv befand, dafür sorgen, dass das Territorium trotz der Teilung in drei eigenständig regierende Linien unter einer gemeinsamen Dynastie verklammert blieb. Die Herrschaftsausübung verlief zunächst recht reibungslos. Im Juli wurde Graf Otto von Solms, der Schwager Philipps, von beiden Parteien zum Schiedsrichter ernannt, der sie in noch bestehenden Streitpunkten hinsichtlich der übernommenen Schulden vergleichen sollte.370 Im Teilungsvertrag war vereinbart worden, dass alle Verbindlichkeiten, die auf der Grafschaft lasteten, gemeinsam getragen werden sollten. Nun gab es Unklarheiten, wer w ­ elche Anteile übernehmen würde, insbesondere was die von Philipp während der Zeit seiner Vormundschaft für 367 HStAM, Urk. 85, Nr. 324, fol. 3r. 368 Ebd. 369 Ebd., fol. 5r. 370 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11116.

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Heinrich gemachten Schulden anging. Auch weigerte sich Heinrich, wie vereinbart seinen Teil zur Aufbringung der Leibzucht seiner Tante Katharina von Solms beizutragen. Aus ­diesem Grund wurde ein schriftlich geführtes Schiedsverfahren eröffnet, das von vier Vertretern der Ritterschaft geleitet wurde.371 Im September 1492 kam man schließlich zu der gütlichen Einigung, dass jede Partei diejenigen Schulden, die auf ihrem Teil der Grafschaft lasteten, selbst übernehmen musste, wohingegen Schulden auf gemeinsamem Besitz paritätisch geteilt werden sollten.372 Bereits drei Jahre zuvor hatten die Grafen zudem einen Burgfrieden für die Stammburg Waldeck abgeschlossen, der neben gewaltsamen Handlungen insbesondere den Verkauf ihrer Anteile unter Strafe stellte.373 2.3.3 Der Streit um das Landauer Erbe (1495 – 1507) War das Verhältnis ­zwischen Philipp und Heinrich bis dato, von den eben skizzierten Differenzen abgesehen, relativ friedlich gewesen, so kam es nur wenige Jahre später zu einer langwierigen Auseinandersetzung z­ wischen den beiden. Auslöser des Streits war der am 14. Oktober 1495 eingetretene Tod ihres Lan­ dauer Verwandten Otto IV. und die damit aufgeworfene Frage, wie mit seinem Letzten W ­ illen umzugehen sei. Otto hatte keinen legitimen männlichen Erben ­hinterlassen, sodass die Frage der Herrschaftsnachfolge in Landau scheinbar unbeantwortet war. Allerdings hatte er nur wenige Tage vor seinem Ableben ein Testament aufgesetzt, in dem er seinen Landesteil seinen Verwandten Philipp und Heinrich vermachte. Der entsprechenden Passage sollte in der sich anschließenden Erbauseinandersetzung eine besondere Bedeutung zukommen, weshalb sie hier wörtlich wiedergegeben wird: Item Sünderlinx so vorlate wyr Grave Otto unse Lantschafft unde Herschafft Waldeck unvor­ scheyden den Eddelen volgeboren unsern leyven vetteren Graven Lippß und Graven H ­ enrich zu Waldeck iclichen to syme rechten, emme van gode und der hylligen kercken geboren wyl, dan Graff Lippß unser Vettere dey sal al unse Slotte, Stede und Dorffe und Flecken uff Hul­ dunghe und eyde in nemen unde deme gemelten Grave Heinrich unsserm vetteren dar van thun, wes eme dar an in rechte geboren mach unde eme des nycht vor enthalden edder deß sich leyfflich und gutlich under eyn vordragen. Alßo dat dey lantschaff unvordervet blyve unde unse seyle des nycht entgelde, dat yß unse ynyghe kuntlike bede unde begher, unde vortruwe deme gemelten unserm vetteren Lippß nycht anderß, also dat de in nehemunghe 371 Zunächst einigte man sich am 09. 04. 1489 auf das Verfahren (vgl. Nr. 11118) und wählte als Vertreter je zwei Ritter, namentlich Hillebrand Gogreve und Tile Wolff von Gudenberg für Graf Philipp bzw. Johann von Dalwigk und Hermann Meysenbug für Graf Heinrich (vgl. Nr. 11122). 372 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11122, Urkunde vom 22. 09. 1492. 373 Vgl. ebd., Nr. 11119, Urkunde vom 09. 04. 1489.

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unschedelich sy an gerechticheyt Grave Heinriche unde unser leyven husfrowen wy vorgerort und uff dat der gemelte Grave Lippß unser vettere de lifftucht irgeschreven unser husfroven unde dut Testament unde testamenterere hanthave und yn allen eren noyden bistant do und nicht dar weder en sy, sunder dat tho haulden van schlove und redde unde behantveste 374.

Der Landauer Landesteil sollte also beiden „Vettern“ nach Maßgabe ihrer göttlichen und kirchlichen Rechte zukommen – ein Verweis auf die Verwandtschaft, die ­zwischen ihnen bestand und die den Erbgang grundsätzlich legitimierte. Allerdings sollte ausschließlich Philipp die Huldigung der Untertanen einnehmen und seinem Neffen Heinrich den ihm rechtlich zustehenden Teil der Herrschaft abtreten. Otto erkor also nur Philipp zu seinem Nachfolger in der Regierung, wohingegen Heinrich lediglich einen nicht näher spezifizierten Teil des materiellen Erbes – was allerdings die Nutzung von Ämtern nicht ausschloss – erhalten sollte. Dass Philipp der Vorzug eingeräumt wurde, zeigte sich auch darin, dass ihm als einem von drei Testamentsvollstreckern der Schutz der Witwe angetragen wurde. Zudem sollte er die Befriedigung der Schuldner und die Auszahlung der Legate aus dem Vermögen des Verstorbenen übernehmen. Warum fiel nun Ottos Wahl ausgerechnet auf Philipp, den entfernten ­Cousin aus der Eisenberger Linie? Tatsächlich war dieser der nächste noch lebende männliche Verwandte, sodass er die Sukzession in Landau auch ohne Testament nach agnatischem Erbrecht hätte beanspruchen können.375 Ursprünglich war Ottos Plan hingegen gewesen, die Herrschaft seiner Tochter Eva zu vermachen, die sie in die Ehe mit Bernhard zur Lippe eingebracht hätte.376 Die Transaktion kam nicht zustande, weil Eva kurz vor der geplanten Eheschließung an der Pest gestorben war 377 und da vermutlich Widerstand von Hessen zu erwarten gewesen wäre. Insofern ist die Rückführung der Herrschaft Landau an die übrigen Waldecker Grafen eher das Ergebnis einer kontingenten Entwicklung und verweist nicht auf ein besonders ausgeprägtes agnatisches Denken bei Otto. Gleichwohl bedeutete der Erbfall, dass die Grafschaft trotz beinahe hundertjähriger Trennung und separater Lehnsbindung als Einheit, der gräfliche Verwandtschaftsverband als Sukzessionsgemeinschaft verstanden wurde. 374 HS tAM , Urk. 85, Nr. 237, fol. 3r–v, Testament des Grafen Otto IV . von Waldeck vom 11. 10. 1495. 375 Genealogisch gesehen war Philipp im dritten Grade mit Otto verwandt, Heinrich dagegen im vierten. So stellte es auch das juristische Gutachten der Mainzer Rechtsfakultät (vgl. ebd., Nr. 238, fol. 3v) dar. Diese unterschiedliche verwandtschaftliche Nähe scheint Otto mitreflektiert zu haben, obschon er hier den unspezifisch und ubiquitär gebrauchten Begriff des Vetters verwendete. 376 Vgl. den Ehevertrag zu dieser Eheschließung, LR IV, Nr. 2800. Hier wird noch eine Schwester erwähnt, mit der Eva die Herrschaft teilen sollte, über die jedoch nichts weiter bekannt ist. 377 Zur geplanten, aber nicht ausgeführten Eheschließung mit Bernhard zur Lippe siehe Kap. 2.2.2.

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Mit seinem notariell abgesicherten Testament glaubte Otto Klarheit hinsichtlich seiner Nachfolge geschaffen zu haben. Dass ihm die Regelung seiner irdischen Hinterlassenschaften besonders am Herzen lag, wird in der Einleitung seines Testaments deutlich. Obschon sich Otto dabei an religiösen Topoi orientierte,378 ging es ihm neben seinem Seelenheil doch auch um die Verhinderung von Streit unter seinen Verwandten, den er als schädlich für das Wohl der Untertanen ansah: Das Testament wollte daher den Nachfolgern klare Regeln an die Hand geben, damit nicht under synem angeborn blode und vründen […] erheve unwille, krich, oerloge edder wede dar dorch syn arme volk und undersaten also mochten vordervet und vorstreyt werden 379. Diese Hoffnung sollte sich jedoch als trügerisch erweisen. Dass die Anordnungen des Testaments nicht von vornherein so befolgt wurden, wie vom Testator gewünscht, lag nicht zuletzt in der „strukturellen Defizienz“380 eines jeden Letzten Willen begründet. Da die Durchführung der Bestimmungen nicht mehr in der Macht des Erblassers lag, konnte dieser lediglich auf die Gutwilligkeit seiner Erben hoffen. Angedrohte Sanktionen oder in Aussicht gestellte Belohnungen, derer er sich bedienen konnte, waren oftmals nur schwache Mittel gegen die Eigeninteressen der Lebenden. Im konkreten Fall waren aber noch zwei weitere Gründe dafür verantwortlich, dass die beiden im Testament bedachten Grafen sich nicht über das Erbe einig wurden. Der eine war die sprachliche Ambiguität, die sich aus den Formulierungen des Testaments ergab, der andere die in dieser Situation miteinander konkurrierenden Normen. Sprachlich waren die für die Sukzession entscheidenden Passagen in Ottos Testament durchaus mehrdeutig und bargen somit schon in sich die Gefahr von Missverständnissen und Streitigkeiten. So war insbesondere unklar, welcher genaue Anteil am Erbe Heinrich „im Recht gebühren“ möge. Was die Normenkonkurrenz betrifft, so standen hier schlicht unterschiedliche rechtliche und soziale Maßstäbe gegeneinander. Während das Testament Philipp in der Sukzession bevorzugte, kannte das Herkommen in Waldeck durchaus Fälle von Erbteilungen. Auch die soziale Norm der gleichmäßigen Berücksichtigung der nahen (männlichen) Verwandten schien eher zugunsten Heinrichs zu sprechen. Diese normativen Widersprüche suchte der Benachteiligte im nun folgenden Rechtsstreit argumentativ für sich zu ­nutzen. Der konkrete Auslöser des Konflikts war freilich die Weigerung Philipps II., seinem Neffen Heinrich den ihm zugedachten Anteil am Landauer Erbe zukommen zu lassen, welches er stattdessen vollständig in seinen eigenen Landesteil zu 378 So führt er als Begründung für seine testamentarische Disposition u. a. den Bibelvers Jes 38,1 an: bisunder des sprocke des propheten Ysaie Bestelle dyn huß want du wirst sterven und nicht levedich bliven, HStAM, Urk. 85, Nr. 237, S. 1. 379 Ebd. 380 Melville, Zwei Körper, S. 780.

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integrieren gedachte. Erwartungsgemäß erhob Heinrich Einspruch und forderte sein testamentarisch verbrieftes Recht ein. In dieser Situation versuchte man zu Beginn des Jahres 1496, den Dissens ­zwischen dem Eisenberger und dem Wildunger gemäß dem 1487 vereinbarten Schlichtungsmechanismus 381 intern zu regeln und insbesondere den hessischen Landgrafen außen vor zu lassen. Namentlich wurde ein Schiedsprozess eröffnet, der von zehn ständischen Vertretern – vier Adligen aus der Ritterschaft und den je zwei Bürgermeistern von Korbach, Nieder­wildungen und Sachsenhausen – geleitet wurde. Das Verfahren sah vor, dass Heinrich seine Klage zunächst schriftlich an Philipp überreichen sollte, dieser dann einen Monat Zeit für seine Antwort haben und darauf eine Ein- und Nachrede erfolgen sollte. Sollte bis Juni kein gütlicher Vergleich zustande gekommen sein, würden die ständischen Schiedsrichter ein rechtliches Urteil fällen.382 Heinrich bezog sich in seiner Klage einerseits auf den Vertrag von Biedenkopf, in dem die Teilung auch zukünftig erworbener Ländereien beschlossen worden war, andererseits auf das Testament Ottos, aus dem er die entsprechende Passage zur disponierten Erbfolge zitierte.383 Schließlich betonte er, dass er auch unabhängig von diesen beiden schriftlich fixierten Rechtsnormen, nämlich nach lants gewonheit 384 ein Anrecht auf das Landauer Erbe habe. Diese Argumentation wurde von Philipp vollständig zurückgewiesen.385 Im Laufe des Jahres wuchs sich der Prozess daher zu einem komplizierten Verfahren aus, bei dem die Parteien über Anwälte kommunizierten, Schriftstücke hin und her schickten und Zeugen befragen ließen, ohne dass zunächst ein Urteil zustande gekommen wäre.386 Kurz nach Weihnachten 1496 schaltete sich daher Johann V. von Nassau-­Dillenburg, der schon zehn Jahre zuvor bei der Aushandlung der Erbteilung assistiert hatte, erneut in die waldeckischen Angelegenheiten ein, indem er Herzog Wilhelm IV. 381 Dieser sah ein abgestuftes Verfahren vor: Zunächst sollten die Räte versuchen, einen gütlichen Vergleich herbeizuführen. Sollte dies scheitern, wäre ein ständisches Austrägalverfahren einzuleiten, und schließlich blieb der Lehnsherr als letzte Schlichtungsinstanz. 382 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11124, Urkunde vom 24. 01. 1496. 383 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 31, Klage des Grafen Heinrich vom 25. 02. 1496. 384 Ebd., fol. 1v. 385 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 153, Antwort des Grafen Philipp vom 23. 03. 1496. Konkret behauptete er, er wisse von keinem Vertrag über zukunfftige Erbfelle, wohingegen das Testament Heinrich keinesfalls den halben Teil, sondern eben lediglich so vil und ime an sullicher herschafft und erbeschafft von gode und rechts wegen geburen magk, zuspreche. Dies war nun eine Passage, deren Bedeutung recht unterschiedlich ausgelegt werden konnte. Ähnlich ließ Philipp auch die von Heinrich ins Feld geführte Rechtsgewohnheit nicht gelten, sei diese doch dunkel, unverstentlich und unclaer angezeuget. 386 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 220, Prozessakten 1496. Leider sind die Akten aufgrund ihres schlechten konservatorischen Zustands – es handelt sich um fotografische Reproduktionen der vermoderten Originale – kaum lesbar, sodass hier auf eine genauere Darstellung verzichtet werden muss.

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von Jülich in einem Schreiben bat, sich der Sache anzunehmen. Wilhelm war als Landesherr der Grafschaft Ravensberg der Dienstherr von Philipp, welcher hier seit 1491 die Statthalterschaft innehatte. Johann ging daher davon aus, dass der Herzog der richtige Mann für einen Schlichtungsversuch sei, da ihm beyde gra­ ven verplicht und merher dan andern fursten fülgen sülten 387. Tatsächlich ließ sich Wilhelm darauf ein, einen Schlichtungstag in Köln anzuberaumen, zu dem er die streitenden Waldecker einlud, was jedoch von Philipp postwendend abgelehnt wurde. Als Begründung führte er neben Terminschwierigkeiten insbesondere den Umstand an, dass bereits ein rechtmäßiger Prozess nach aldem loblichen herkom­ men 388 durch die Vertreter von Ritterschaft und Städten geführt werde. Tatsächlich waren ja zumindest die Ritter bereits hundert Jahre zuvor zu Schiedsrichtern in internen Konflikten erkoren worden. Diese kamen schließlich im Juni 1497 zu einem Ergebnis und wiesen die Klage Heinrichs ab, was prompt den Widerspruch des Unterlegenen hervorrief. Daher wurden von den ständischen Abgeordneten drei Rechtsgutachten bei den Juristenfakultäten in Mainz, Erfurt und Leipzig angefordert.389 Während die ersten beiden das Schiedsurteil bestätigten, argumentierten die Mainzer Rechtsgelehrten nach ausführlicher Diskussion der einschlägigen Rechtsgrundlagen – des Teilungsvertrags von Biedenkopf, des Ottonischen Testaments sowie der Observanz der Grafschaft Waldeck – zugunsten des Klägers. Im September desselben Jahres bekräftigen die Schiedsrichter ihr voriges Urteil, wogegen Heinrich erneut ausdrücklich protestierte, um zu demonstrieren, dass er sich nicht zu unterwerfen gedachte. Ein Blick in die Protestschrift Heinrichs ist lohnend, da sie Licht auf die Art und Weise wirft, wie im ausgehenden 15. Jahrhundert die sich verfestigenden Vorstellungen einer dynastischen Ordnung argumentativ genutzt werden konnten.390 Heinrich bediente sich darin einer doppelten Argumentationsstrategie. Zum einen beschwerte er sich über Formfehler des Verfahrens und bezichtigte insbesondere die von Philipp präsentierten Zeugen der Parteilichkeit, ­seien diese doch alle siner gna­ den diener [und] ime mit diensten und eiden 391 verpflichtet. Darüber hinaus sei das Verfahren ohnehin nicht rechtmäßig gewesen, da Philipp und einer seiner Hauptzeugen während dieser Zeit in der Reichsacht gelegen hätten.392 Auch den beteiligten 3 87 HStAM, 115/01, Nr. 468, Brief vom 27. 12. 1496. 388 Ebd., Brief vom 06. 01. 1497. Ein neuer Termin wurde offenbar nicht angesetzt. 389 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 238 (Mainz), Nr. 239 (Erfurt) u. Nr. 240 (Leipzig). 390 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 153. Die undatierte Schrift nimmt Bezug auf den ständischen Urteilsspruch vom 18. September 1497 und ist womöglich unmittelbar im Anschluss entstanden. Die gleichen Punkte fanden auch Eingang in die dem Reichskammergericht vorgelegte Klageschrift; vgl. HStAM, 140, Nr. 27, Libell-­Artikel vom 16. 11. 1498. 391 HStAM, 115/01, Nr. 153, Protestschrift, fol. 2v. 392 Vgl. ebd., fol. 3v. Tatsächlich fiel Philipp aufgrund einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Kölner Erzbischof 1497 zwischenzeitlich unter die Reichsacht; vgl. Varnhagen,

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Schiedsrichtern warf Heinrich vor, ein abgekartetes Spiel zu treiben, indem sie nicht allein befangene Zeugen zum Prozess zugelassen, sondern auch entgegen vorheriger Absprachen Gutachten aus Erfurt und Leipzig anstatt aus Heidelberg eingeholt hätten, obwohl sie auch selber woil wisten, das Graff Philips und siner gnaden Huesfrouw in Doringen fast woil weren befreundt, dar durch sine gnaden viellicht partigeliche wid­ derwerdickeit mochte zcufallen 393. Und überhaupt sei er letztlich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in das ständische Verfahren hineingedrängt worden, obwohl er seine Interessen lieber vor einem lehnsherrlichen Gremium vertreten hätte. Der andere Strang der Argumentation Heinrichs basierte auf der neuerlichen Schilderung seiner Position in der Sache selbst. So gab er hinsichtlich des rechtlichen Status des infrage stehenden Landauer Erbteils zu Protokoll, dass dieser samt seinen Schlössern, Städten und Dörfern zcugehorrigh dem Huese und Graveschafft Waldeck und als solcher zwar Ottos Großvater Adolf IV. zugefallen sei, doch nyt durch eyn irbdeylunge adir irbmoitscharrunghe darvon geteylet und gescheiden sin, ist auch nye noch nye keyn eigen herschafft noch Graveschafft gewest. Dies werde auch dadurch augenfällig, dass Otto und seine unmittelbaren Vorfahren nye keyn andern tittel noch Wapphen gehat dan als Grave zcu Waldeck, sich auch als unab­ gescheiden und unabgeteylt Grave des Hueßes Waldecken, Graven zcu Waldeck gescriven, glich iren gebrodern und vittern schildt, helm, Siegel und Wapphen gehait und gepruchet 394.

Heinrich wusste sich hier geschickt der Vorstellung eines Gesamthauses zu bedienen, welches als übergeordnete Kategorie sowohl einzelne Personen als auch Landesteile umfassen konnte. Damit übernahm das Haus terminologisch dieselbe Funktion, die kurz zuvor noch der Begriff der „Herrschaft“ erfüllt hatte.395 So waren nach Ansicht Heinrichs nicht nur die territorialen Besitzungen, sondern auch die Grafen selbst Teile ein und desselben Hauses, was sich symbolisch im Tragen des gleichen Titels, Wappens und Siegels niedergeschlagen habe. Die exakt hundert Jahre zuvor durchgeführte Aufteilung der Ämter ­zwischen Adolf IV. und H ­ einrich VII. stellte seiner Ansicht nach keine Erbteilung, sondern nur eine Überlassung dar, woraus sich keine eigene Grafschaft Landau konstituiert habe. Vielmehr müsse Ottos Erbe als Teil des Hauses Waldeck nun wieder an ­dieses zurückfallen. Was konnte Heinrich mit dieser Argumentation gewinnen? Wenn davon Grundlagen, Bd. 2, S. 98. 393 HStAM, 115/01, Nr. 153, Protestschrift, fol. 4r. Dieser Vorwurf bezieht sich mutmaßlich auf die engen Beziehungen, die Philipp II. nach Ansicht Heinrichs durch seine zweite Ehe mit Katharina von Querfurt, der Witwe des Grafen Günther XXXVIII. von Schwarzburg-­ Blankenburg, gewonnen hatte. Inwiefern diese Einfluss auf die Juristenfakultäten in Erfurt und Leipzig nehmen konnte, ist jedoch unklar. 394 Alle Zitate ebd., fol. 1r. 395 Die Verwendung des Begriffs des „Hauses“ ist für diese frühe Zeit ungewöhnlich. Zu den geläufigen Eigenbezeichnungen der Grafen siehe Kap. 4.1.2.

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auszugehen war, dass die Grafschaft ein unteilbares, dem Lehnsrecht unterliegendes Territorium war, das gegenwärtig gleichberechtigt von zwei Grafen, nämlich ­Heinrich selbst und Philipp II. regiert wurde, so ließ sich daraus die Forderung ableiten, dass auch das zurückgefallene landauische Erbe gleichmäßig halbiert und pro capita auf die beiden Lehnsträger aufgeteilt werden müsse. Als einziger Sohn des verstorbenen Philipp I. hatte Heinrich seiner Ansicht nach die gleichen Ansprüche wie dessen Bruder Philipp II. – er betonte also die agnatische Linie gegenüber der verwandtschaftlichen Gradesnähe.396 Das Haus bzw. die Dynastie war hier mithin als lehnsrechtliche Kategorie konzipiert, die den Zugang zur Herrschaft regulierte. Alle ihr zugehörigen Agnaten, die sich äußerlich durch bestimmte Symbole auswiesen, waren in ihrem Anspruch auf Teilhabe prinzipiell gleichberechtigt. Damit bestritt Heinrich die Legitimität der testamentarischen Disposition Ottos über sein Erbe, w ­ elche Philipp als dem Grad nach engsten Verwandten bevorzugt hatte. Indes verfing diese Argumentation bei den Ständen keineswegs. Nachdem die Schiedsrichter die Klage am 20. September 1497 endgültig abgewiesen hatten 397 und jeglicher Protest auf taube Ohren zu stoßen schien, legte Heinrich unmittelbar darauf am erst zwei Jahre zuvor gegründeten Reichskammergericht förmlich Appellation ein.398 Das Urteil zu akzeptieren und Landau seinem Onkel zu überlassen, war für ihn offenbar keine Option. Trotz seiner gerichtlichen Niederl­age verfolgte er seine Ansprüche weiterhin auf dem Weg des Rechts. Eine außergerichtliche Lösung war schon nicht mehr denkbar, was nicht heißt, dass Heinrich auf Gewalt als zusätzliches Druckmittel zur Unterstreichung seiner Forderungen verzichtet hätte.399 Dennoch spiegelt sich hier die im Anschluss an die Proklamation des Ewigen Landfriedens auch im Adel allmählich einsetzende Verrechtlichung von Konflikten. 396 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 153, Protestschrift, fol. 1v: Nachdem nu die Graveschafft Waldeck von aulders eyn unverscheiden lehen ist, nye irblich mit Graff Otten und sinen vuraltern vurteylet und vurscheiden ist und itzt durch Grave Otten an liebes lehens irben vurlaißen, vurmeynt Grave Henrich die selbige Lantschafft sulle in recht dem Hueße und Herschafft Waldeck, dar sie nach lehens rechte und von aulders angehorigh ist, widder heym sin gefallenn, und nach dem er dan Grave Philips Broder Sone sie, das Sloiß Waldeck mit aller oberrickeit, hoicheit und herlicheiden glich sinem vittern Grave Philips inne habe und besittze, sie auch mit ime und glich ime vur eyne Grave zcu Waldeck angesyhen und gehaulten, vurtruwet er sins vatter dods nit zcu entgelden, vurmeynt darumb an sins vatters stadt in dießem falle mit sinem vittern Grave Philipsen zcustande und zcu sulchem Nalaiß, nach dem die von alders dem Hueße Waldeck angehorigh gewest und noch ist und von aulders von eyne unverscheiden und unverteyltem stam vnd wappen her erwassen, ime als eynen Graffen zcu Waldeck zcu gleichem teyle mit Graffen Philips zcu geteylet und zuerkanndt sulle wirden und nyt alleyne (uß obgezeugeten ursachen) dem nhesten geblod als Graff Philips vurnempt. 397 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11125. 398 Vgl. HStAM, 140, Nr. 27, Instrumentum appellationis vom 27. 09. 1497. 399 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 153, Undatierter Bericht über die Gewalttaten Heinrichs; sowie Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 44.

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Mit der Appellation widersetzte sich Heinrich dem ständischen Urteil, welches ihm eyn ewig schweigen 400 auferlegt hatte. Das Reichskammergericht ließ die Appellation dennoch zu, indem es zwar grundsätzlich das hergebrachte Recht der Landstände, Konflikte ihrer Herrschaft zu schlichten, bestätigte, seine Entscheidung aber damit begründete, dass Heinrich gegen seinen Willen in ein solches Verfahren gedrängt worden sei.401 Es stellt sich die Frage, warum ­Heinrich nicht das Verfahren wählte, das 1487 im Teilungsvertrag festgelegt worden war, und zunächst Einspruch beim hessischen Lehnsherrn einlegte, sondern sich direkt an die oberste Instanz wandte, zumal sich der Hochadel generell äußerst reserviert gegenüber dem Reichskammergericht zeigte.402 Möglicherweise war es die Neuheit der Institution, die auf Heinrich, der sich in einer im Prinzip aussichtslosen Position befand, attraktiv wirkte. Wenig verwunderlich ist dagegen, dass Philipp II ., der sich ja bereits gegen den Vermittlungsversuch des Herzogs von Jülich verwahrt hatte, mit allen Mitteln versuchte, das Aktivwerden des Gerichts zu verhindern, das er als eine illegitime Einmischung in die Autonomie der Grafschaft empfand. Im Juli 1498 reichte Heinrich sein Mandat ein, woraufhin der beklagte ­Philipp II . vorgeladen und den waldeckischen Ständen gerichtlich auferlegt wurde, H ­ einrich sämtliche im Vorprozess entstandenen Gerichtsakten auszuhändigen.403 Am 16. November ließ Heinrich durch seinen Anwalt seine Klageschrift einreichen, die im Wesentlichen die Punkte enthielt, die er schon nach der Verkündung des ständischen Ersturteils geäußert hatte. Zusätzlich stützte die Schrift ihre Anklage auf den Umstand, dass Philipp durch sein Verhalten – er hatte den Vertrag von Biedenkopf ja selbst unterzeichnet und mehrfach die Chance zu widersprechen verstreichen lassen – den Teilungsbestimmungen gewissermaßen performativ zugestimmt habe. Die von der Gegenseite im März des darauffolgenden Jahres eingereichte Verteidigungsschrift konzentrierte sich dagegen voll und ganz darauf, die Rechtmäßigkeit des Ständeverfahrens und dessen Urteils herauszustellen und bat daher, Heinrich nicht zur Appellation zuzulassen.404 Obschon diese Strategie nicht aufging, konnten auch Heinrichs Anwälte während des Prozesses, der sich ohne endgültiges Urteil bis 1503 hinzog, kaum handfeste Ergebnisse erzielen. 4 00 Zit. nach dem Rechtsgutachten der Fakultät Erfurt, in: HStAM, Urk. 85, Nr. 239. 401 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 153, Artikel des Kammergerichts zu Nürnberg für Graf Heinrich VIII. 4 02 Vgl. Baumann/Jendorff, Einleitung, S. 17. Diese Zurückhaltung lässt sich im Prinzip auch bei den Grafen von Waldeck ausmachen. Insgesamt sind 29 Prozesse überliefert, bei denen sie als Kläger auftraten, davon viermal gegen Angehörige der eigenen Dynastie; vgl. Korte, Grafschaft, S. 36, Abb. 2. 4 03 Vgl. HS tAM , 140, Nr. 27 sowie Urk. 85, Nr. 331, Reichskammergerichtsmandat an die waldeckischen Landstände vom 07. 07. 1498. 4 04 Vgl. HStAM, 140, Nr. 27.

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Was der Prozess jedoch leistete, war, Heinrichs Widerspruch gegen das frühere Urteil als grundsätzlich legitim anzuerkennen und die Dinge ohne Austrag in der Schwebe zu halten. Dadurch wurde dessen Verhandlungsposition gebessert, sodass 1506 die außergerichtlichen Verhandlungen wiederaufgenommen wurden. Diesmal war es der mit der Autorität des Lehnsherrn ausgestattete ­Wilhelm II . von Hessen, der die Parteien zu einer ersten Einigung über Nebenfragen brachte.405 Doch erst am 25. August 1507 wurde unter Mitwirkung der Räte sowie Vertretern von Ritterschaft und Städten ­zwischen Philipp II . und dessen Sohn Philipp III . einerseits sowie Heinrich VIII . andererseits eine Erbeinigung geschlossen, die die Aufteilung des landauischen Erbes endgültig regelte.406 Dieses wurde in wesentlichen Teilen den Eisenbergern zugesprochen, lediglich die Samtstädte Korbach und Niederwildungen, die Burg Sachsenberg sowie das Amt Rhoden gingen zur Hälfte an Heinrich über. Damit hatte dieser sein Ziel einer gleichmäßigen Teilung nicht erreicht. Zudem behielt sich Philipp II . als der älteste Agnat die Lehnshand vor. Die Huldigung der Untertanen in allen Städten und Burgen des Landes wollten beide Grafen jedoch zukünftig gemeinsam entgegennehmen, doch also dat nu vortmehr nicht meher de huldunge dan zween Graven alleyne zu regierende geschien sall 407. Das war in der Tat neu. Denn die bewusste Beschränkung der regierenden Grafen auf höchstens zwei bedeutete einen Bruch mit der Vorstellung, dass alle Agnaten Ansprüche auf Herrschaftsausübung geltend machen konnten. Ungeachtet der praktizierten Teilungen in der Folgezeit war hier erstmals seit dem Erbstatut von 1344 ein Restriktionsprinzip normativ fixiert worden, das, über jenes hinausgehend, für alle Zeiten gelten sollte.408 Möglicherweise geschah dies in Anbetracht der Tatsache, dass sowohl Philipp als auch Heinrich inzwischen zwei Söhne hatten und vor dem Hintergrund ihrer eigenen Erbstreitigkeiten ein allzu starkes Auseinanderfallen der Grafschaft befürchteten. Wie in den Vorgängerverträgen wurde auch jetzt das Vorkaufsrecht der Gegenseite verbrieft, falls Veräußerungen unvermeidlich würden. Ländereien durften jedoch auf keinen Fall an Höherrangige abgetreten werden, und das Recht auf Wiederlöse sollte stets vorbehalten werden. Dies war ebenso ein Versuch, die Integration des materiellen Besitzes sicherzustellen, wie die Bestimmung, dass

4 05 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11127 u. 11128. 4 06 Vgl. ebd., Nr. 11129. 4 07 Zit. nach der Abschrift in HStAM, 115/01, Nr. 7, fol. 1v. 4 08 Die Fixierung auf die zwei regierenden Grafen Philipp und Heinrich spiegelt sich auch in der Reichsmatrikel von 1521, die unter Waldeck ebenjene zwei Namen aufführt, ungeachtet dessen, dass Heinrich zu d­ iesem Zeitpunkt bereits verstorben war. Die Matrikel wurde in unveränderter Form auch bei späteren Reichstagen des 16. Jahrhunderts verwendet. Vgl. Wrede (Bearb.), Reichstagsakten, S. 438.

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Leibzuchten und Wittümer nach dem Tod ihrer Nutzerinnen stets wieder an die Grafschaft zurückfallen sollten. Erstmalig wurde die Forderung geäußert, dass der Vertrag nicht allein von den Unterzeichnern, sondern hinfurtern zu ewyglichen zeiden bie unsern erben sall gehalten und vullentzogen werden 409. Daher sollten auch künftig alle erben, die im wertlichem staende blieben und sich dißer Graveschafft gebruchen willen, dißen scheidt und vurtragh, wie wir itzt getain haben, wan se uber xv jar alt werden, auch myt hant in hant befesten und vorter zu gode und den hilgen sweren und loben zuhalten 410.

Waren bis dato alle Sukzessions- bzw. Erbregelungen immer nur für die konkrete Situation beschlossen worden, so ist hier erstmals der Wunsch festzustellen, eine Festlegung für alle kommenden Generationen zu treffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Nachfolger künftig an die Bestimmungen halten würden, sollte über die Instanz des Schwures bei Erlangen der Volljährigkeit erhöht werden. Zu Beginn des Jahres 1513 verstarb Heinrich VIII. von Waldeck-­Wildungen und hinterließ ein Testament, in dem er seinen älteren Sohn Philipp IV. (1493 – 1574) zum Nachfolger erkor, während der jüngere Wilhelm als Domherr zu Köln sein Auskommen finden sollte.411 Dieser Bestimmung sind seine Söhne nachgekommen. Nach dem Generationswechsel bestätigten der neue Wildunger Graf und seine Eisenberger Verwandten unverzüglich den Burgfrieden von 1489, der seinerzeit die gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht hatte verhindern können, nun aber in veränderter personeller Konstellation ungleich wirkungsvoller war.412 Auf Eisenberger Seite verstarb Philipp II. erst 1524 im Alter von 71 Jahren und überließ die Herrschaft seinem Sohn Philipp III. (1486 – 1539), den er bereits zu Lebzeiten in die Regierung eingeführt hatte.413 Dadurch war die Kontinuität erhöht, und der Regierungswechsel verlief reibungslos, zumal der jüngere Sohn Franz frühzeitig die geistliche Laufbahn eingeschlagen hatte. 4 09 HStAM, 115/01, Nr. 7, fol. 2v. 410 Ebd, fol. 3r. 411 Das Testament selbst ist nicht auffindbar, wohl aber eine Urkunde vom 13. Januar 1513, in der die beiden Söhne das Testament ihres verstorbenen Vaters vor Zeugen als gültig anerkennen. Ferner wurde hier geregelt, dass Wilhelm das nächste waldeckische Ritterlehen, welches heimfallen würde, als nichterblichen Lebensunterhalt bekommen sollte; vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 335. 412 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 11132, Urkunde vom 16. 08. 1513. Vgl. auch Menk, Waldecks Beitrag, S. 20. 413 So siegelte Philipp III., wie gesehen, schon im Vertrag von 1507 mit. Ein Jahr später urkundete er in Abwesenheit seines Vaters sogar als jtzt Regirender graue, zit. nach Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr. XCIX. Ursprünglich war jedoch auch Philipp als Nachgeborener für eine geistliche Laufbahn bestimmt gewesen. Erst als sein ältester Bruder Georg 1503 starb, quittierte er seine Kölner Kanonikerpfründe und heiratete Adelheid von Hoya; vgl. Behr, Franz von Waldeck, Bd. 1, S. 16.

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Als Zwischenfazit lassen sich folgende Beobachtungen zusammenfassen: Im Mittelalter war die Individualsukzession bei den Grafen von Waldeck regelmäßig geübte Praxis, die anfänglich jedoch nicht schriftlich fixiert war. Dass die Herrschaft über Land und Leute grundsätzlich nur von einer einzigen Person ausgeübt werden konnte, war demnach eine implizite Norm, nach der sich die Zeitgenossen in ihrem Handeln richteten. Erst zu Beginn des 14. Jahrhunderts werden allmählich Ansprüche von bislang von der Herrschaft ausgeschlossenen Söhnen fassbar, die sich auf ein gleichmäßiges Recht am väterlichen Erbe beriefen. Diese Entwicklung führte in Waldeck unmittelbar zur erstmaligen vertraglichen Fixierung des Sukzessionsmodus, die in Form des Erbstatuts von 1344 lediglich einem Sohn die weltliche Herrschaft übertrug, während alle übrigen mit geistlichen Ämtern versorgt werden sollten. Dennoch wuchs sich die brüderliche Gleichheit zu einer immer stärkeren sozialen Norm aus, die immer häufiger zu Konflikten führte. Insbesondere der sich jahrzehntelang hinziehende Streit ­zwischen Philipp II. und Heinrich VIII. wurde zur Zerreißprobe für die Herrschaft, führte aber auch zu neuen Formen des Konfliktaustrags und zur Reflexion über das Verhältnis des Einzelnen zur Gesamtdynastie. Grundsätzlich ist an der Wende zur Frühen Neuzeit ein Wandel in der Austragung von Konflikten von gewaltsamen hin zu rechtlichen Auseinandersetzungen auszumachen. Dabei dürften auch reichsgeschichtliche Entwicklungen wie die Verkündigung des Ewigen Landfriedens samt Einrichtung des Reichskammergerichts eine wichtige Rolle gespielt haben. Die rechtliche Rahmung der dynastischen Konflikte führte indes dazu, dass Rechtsnormen – dem Herkommen, vertraglichen Regelungen und gemeinem Recht gleichermaßen – allmählich eine höhere Geltung zugemessen wurde. Dies zeigt sich etwa darin, dass Rechtsgutachten bei Juristenfakultäten eingeholt wurden oder dass Heinrich VIII. am neuen Reichskammergericht appellierte, auch wenn letzteres in späterer Zeit kaum noch eine Rolle spielen sollte. Andererseits ist auch erkennbar, dass die Grafen sich um die Implementation eigener Austragsinstanzen bemühten, um von äußeren Interventionen möglichst unabhängig zu bleiben. Insbesondere den sich formierenden Landständen – Ritterschaft und Städten – kam dies zugute, die in der Schlichtung gräflicher Erbkonflikte ein wichtiges Betätigungsfeld fanden. Daneben suchte man Unterstützung und Rat bei Standesgenossen wie den Grafen von Ziegenhain, Nassau oder Solms und wandte sich nur im Notfall an die hessischen Lehnsherren.414 Neben dem geregelten Konfliktaustrag waren es vor allem verschiedene Integrationsmechanismen, die dafür Sorge tragen sollten, dass die Gesamtherrschaft trotz Aufteilung in unterschiedliche Linien zusammengehalten wurde. Dazu zählten zuvorderst das ubiquitäre Verkaufsverbot bzw. das Vorkaufsrecht der 414 Vgl. auch Menk, Waldecks Beitrag, S. 17.

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Mitregenten, falls in finanzieller Notlage doch ein Teil versetzt werden musste, sowie die Möglichkeit zur Wiederlöse verpfändeter Objekte. Die regelmäßige Wiederholung dieser Normen könnte allerdings ein Indiz dafür sein, dass sich die Grafen oftmals über sie hinwegsetzten.415 Daneben sollte die gemeinsam ausgeübte Herrschaft über die Städte sowie die Stammburg Waldeck einer Entfremdung der Linien entgegenwirken. Freilich führten die oftmals nicht klar voneinander abgegrenzten Kompetenzen auch vermehrt zu Konflikten. Im direkten Vergleich mit der Herrschaft Lippe, aber auch in überregionaler Perspektive erscheinen die Grafen von Waldeck somit als Vorreiter eines Herrschaftsmodells, das in anderen Territorien erst viel später zur Anwendung kam.416 2.3.4 Konflikt unter Halbbrüdern: Die Abspaltung der neueren Landauer Linie (1538 – 1597) Im Zuge der 1486 eingeleiteten und 1507 zu einem vorläufigen Abschluss gekommenen Erbteilung bildeten sich die beiden Linien Wildungen und Eisenberg heraus, die aus zwei örtlich voneinander getrennt residierenden Familienverbänden bestanden. Für rund neunzig Jahre entwickelten sie sich auch genealogisch auseinander, obschon beide durch zahlreiche Samtverträge, die Stammburg Waldeck und eine gemeinsame Politik etwa bei der Durchsetzung der Reformation vielfältig verbunden blieben. Die Zusammenarbeit z­ wischen den beiden Vertretern der Folgegeneration, dem Wildunger Philipp IV. und dem Eisenberger P ­ hilipp III. gestaltete sich harmonischer als die ihrer Vorgänger, wenngleich es über die Regelung der Samtsachen sowie Fragen des Grenzverlaufs immer wieder zu Streitigkeiten kam, die in diversen gütlichen Verträgen oder Schiedsverfahren beigelegt wurden. Die 1507 beschlossene Gleichberechtigung beider regierender Grafen, die unabhängig vom jeweils anderen das Regiment in ihrem Landesteil führen konnten, wurde von keiner Seite ernsthaft infrage gestellt. 415 Darauf deuten auch die aus der stetigen Geldnot erwachsenen häufigen Verpfändungen von Ämtern im 15. Jahrhundert hin. Zum Verkauf von Ländereien ist es aber nach 1517 nicht mehr gekommen; spätere Verluste beruhten auf bis ins Mittelalter zurückgehenden Verpfändungen; vgl. Bockshammer, Territorialgeschichte, S. 261. 416 Wenn Schmidt, Grafenverein, S. 159, etwa schreibt, dass die gemeinsamen Institutionen, die nach der Erbteilung unter den Söhnen des Landgrafen Philipps von Hessen 1567 die dynastische Einheit aufrechterhalten sollten, vorbildhaft für die Wetterauer Grafen gewirkt haben, so ist hier zumindest mit Blick auf die Waldecker Grafen zu widersprechen, die sich vieler dieser Mechanismen weitaus früher bedienten. Zur hessischen Erbteilung vgl. auch Demandt, Hessische Erbfolge; Press, Hessen; Rudersdorf, Ludwig IV., S. 129 – 156. Ders., Dynastie, bringt die Teilung mit der Doppelehe des Landgrafen Philipp in Verbindung. Dieser Zusammenhang wird jedoch abgelehnt von Römer, Landgraf, S. 44.

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Gegenüber einer Abstimmung etwa in religionspolitischen Fragen 417 kamen die beiden Linien in der Ausformung einer normativ fixierten und praktisch umgesetzten dynastischen Ordnung zu unterschiedlichen Lösungen. Während es in Wildungen trotz später noch genauer zu betrachtender Aushandlungen um die Vorrechte des Erstgeborenen grundsätzlich bei der Individualsukzession verblieb, wurden bei den Eisenbergern heftige Kämpfe um die rechtmäßige Erbfolge ausgefochten, die sich vornehmlich ­zwischen den Nachkommen der ersten und zweiten Ehe des Grafen Philipp III. entspannen. Aus Philipps erster Ehe mit Adelheid von Hoya stammten zwei Töchter, die in jungen Jahren verheiratet wurden, sowie die beiden Söhne Otto (1504 – 1541) und Wolrad II. (1509 – 1578). Da Otto als der Ältere zur Regierung auserkoren war, wurde der Jüngere für die geistliche Laufbahn vorbereitet und trat 1520 ein Kanonikat in Köln an. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin vermählte sich Philipp 1519 mit Anna, einer Tochter des Herzogs Johann II. von Kleve. Aus dieser zweiten Verbindung stammten die Söhne Philipp V. (1519/20 – 1584), Johann I. (1521/22 – 1567) und Franz II. (1526 – 1574) sowie die Tochter Katharina (1524 – 1583). Anna von Kleve (1495 – 1567), die aus einem fürstlichen Hause kam, setzte sich vehement für die Rechte ihrer Kinder ein, insbesondere was deren Partizipation am väterlichen Erbe anging. Wohl auch aus d­ iesem Grund ließ Philipp am 24. August 1528 verkünden, er wolle uß naturlicher vetterlicher pflicht unser bederseit kynder zu christlicher und brüderlicher Liebe anhalten und habe daher eine gleichmessig deyllong unser Graveschafft und Landtschafft eygetlich es sey erp oder phandt angeordnet, die nach seinem Tod in Kraft treten sollte. Zu ­diesem Entschluss sei er durch die Reflexion über die Liebe zu Gott und den Nächsten gekommen, aus welcher eindracht und einig­ keit entsprösse. Zugleich drückte er die selbstverpflichtende Absicht aus, als ein getrewer vatter alle schloß und amptheuser wie itzt mit gots hielffe in bawe und besserong halten auch further uff bederseit unser kynder teyl nit versetzen oder ver­ phenden 418 zu wollen. Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung der Teilung suchte Philipp bei seinem Cousin Erich von Braunschweig-­Grubenhagen, dem Bischof von Paderborn und Osnabrück, sowie beim Edelherrn Simon V. zur Lippe, die er explizit in seine Planungen einbezog. Damit wollte er die tatsächliche Umsetzung nach seinem Tode sicherstellen. Zudem ließ er die Teilungspläne von seinen 24 bzw. 19 Jahre alten Söhnen aus erster Ehe, deren Erbteil sich dadurch notwendigerweise verringerte, förmlich anerkennen und nahm ihnen das feierliche Gelöbnis ab, sich nach seinem Tod den getroffenen Bestimmungen zu unterwerfen. Die von der Teilung begünstigten Kinder Annas dagegen waren 417 Zu Fragen der Aufteilung und Neunutzung der säkularisierten Klöster schlossen beide Grafen mehrere Verträge; vgl. etwa HStAM, Urk. 85, Nr. 11135, 11137 u. 11139. Diese Politik führte auf Eisenberger Seite Wolrad II. nach dem Tod seines Vaters Philipp III. ab 1539 fort. 418 Alle Zitate HStAM, Urk. 85, Nr. 339.

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zu d ­ iesem Zeitpunkt noch zu jung, um persönlich in den Vertrag einbezogen zu werden. Zwar lässt die Urkunde offen, wie genau die Teilung vonstattengehen sollte, doch markierte sie im Sinne einer Absichtserklärung das von Philipp favorisierte Modell der innerfamiliären Rollen- und Machtverteilung. Es ging ihm darum, seine Söhne aus beiden Ehen gleichermaßen am Erbe zu beteiligen, um deren legitimen Ansprüchen Genüge zu tun, und dies durch eine frühzeitige Weichenstellung in die Wege zu leiten. Eine saubere Trennung zu Lebzeiten des Vaters bot somit den Vorteil, daß jeder Sohn wußte, welcher Herrschaftsteil einmal an ihn fallen würde, und sich langfristig auf die ihm zugedachte familiale Rolle einrichten konnte. Stammten die männlichen Nachkommen auch noch aus zwei Ehen, so war die Berücksichtigung von mindestens je einem Sohn aus jeder Ehe für eine Liniengründung sogar ein Gebot der Vernunft, um langwierigen, den Bestand der Herrschaft womöglich gefährdenden Auseinandersetzungen ­zwischen den Stiefbrüdern vorzubeugen.419

Soweit die ­Theorie. In der Praxis scheiterte der wohlgemeinte Ansatz in ­diesem Fall jedoch unter anderem an der rapide abnehmenden Gesundheit Philipps, die zuletzt dazu führte, dass er für regierungsunfähig erklärt wurde.420 Allerdings nahm er gegen Ende seines Lebens die früheren Teilungspläne wieder auf und ließ nun konkrete Vorbereitungen treffen. Zunächst wurden sechs Vertreter der Stände bzw. der gräflichen Beamtenschaft 421 berufen, die anhand eines Landregisters den eisenbergischen Teil der Grafschaft in zwei Hälften teilen sollten, von denen die eine Otto und Wolrad, die andere Philipp, Johann und Franz jeweils gemeinsam innehaben sollten.422 Da das Ideal eine exakt gleichmäßige Teilung war, mussten zuvor alle Ämter, Schlösser, Städte, Höfe und sonstige Besitzungen im Hinblick auf ihre Einnahmen und Belastungen taxiert werden. Bereits der Vorgänger Philipp II. hatte ein genaues Register über seinen Landesteil aufstellen lassen. Nun wurde 1537 zum Zwecke der Teilungsvorbereitung ein neues Landbuch in Auftrag gegeben, dem drei Jahre später ein drittes folgen sollte, in dem neben den Renten der einzelnen Orte auch die Abgrenzung der Ämter Landau 419 Spiess, Familie, S. 275. 420 Dies geht jedenfalls aus der Narratio des Teilungsvertrags von 1538 (s. u.) hervor, der ohne aktive Beteiligung Philipps geschlossen wurde. Ob Philipp sich aus eigenen Stücken von den Regierungsgeschäften zurückzog, oder ob er von seinen nächsten Verwandten dazu gedrängt wurde, ist nicht zu klären. Da er im Jahr darauf starb, erscheint ein geistiger oder körperlicher Verfall allerdings nicht unwahrscheinlich. Vgl. dazu auch Nolte, Kranker Fürst. 421 Dabei handelte es sich um den Amtmann von Landau, Adrian von Zertzen, Reinhard von Dalwigk als Vertreter der Ritterschaft, Herman Wolmeringhausen, den Hofmeister Philipps III., die Bürgermeister von Korbach, Conrad Kortheur, bzw. Warburg, Heinrich Santman sowie Johann Hacke, den Kanzler Annas von Kleve. 422 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 11142, Urkunde vom 07. 04. 1537. Der Aussteller Wolrad sagt darin aus, die sechs Unterhändler auch im Namen seiner Eltern zu bestellen.

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und Rhoden exakt bestimmt wurde.423 Somit lässt sich feststellen, dass mit der modularen Teilungspraxis auch ein verstärktes Bedürfnis nach rationaler Durchdringung der landesherrlichen Einkünfte einherging. Das Land erwies sich aus dieser Perspektive heraus allerdings als reine Dispositionsmasse, die der Versorgung ihrer Besitzer diente und ohne Weiteres aufgeteilt werden konnte. Neben der Taxierung der Besitzungen wurden zudem ältere Hausverträge konsultiert, die Bestimmungen zu einzelnen Ortschaften, Klöstern, Bergwerken und sonstigen Einkünften, aber auch zur Vergabe der Lehen und zur Regelung der Samtsachen enthielten. Dabei lässt sich eine erstaunliche Erinnerungstiefe feststellen, die bis zum Erbstatut von 1344 zurückreichte. Daneben wurden die nach ihren Vermittlern benannten Ziegenhainschen Verträge von 1421 und 1426 eingesehen, die das Verhältnis z­ wischen der alten Waldecker und der inzwischen ausgestorbenen Landauer Linie geregelt hatten. Es ging in der gegenwärtigen Situation also nicht um die Einsicht in nach wie vor geltende Normen, sondern um die Suche nach Vorbildern für den Umgang mit Teilungen in der Vergangenheit des eigenen Hauses. Auch wichtige Passagen aus jüngeren Hausverträgen der vergangenen dreißig Jahre wurden zusammengestellt, deren normative Bindungskraft sich zwar im Einzelfall erweisen musste, die aber zumindest als orientierendes Richtmaß in der gegenwärtigen Situation dienen konnten.424 Den eigentlichen Hauptstreitpunkt im Vorfeld der Teilung bildete die Frage, ob die Söhne aus zweiter Ehe neben einem grundsätzlichen Anspruch auf einen Erbteil auch zur Regierung gelangen konnten oder ob die Erbeinigung von 1507, die ja nur zwei regierende Herren gestattete, von denen einer bekanntlich im benachbarten Wildungen residierte, ­diesem Anspruch entgegenstand. Leidenschaftliche Fürsprecherin ihrer noch minderjährigen Kinder war Anna von Kleve, die sich mit ihrem inzwischen von Köln in die heimatliche Grafschaft zurückgekehrten Stiefsohn Wolrad über diese Frage intensive Wortgefechte lieferte. Ausgetragen in Memorialen und sogenannten Conventional- und Reconventionalartikeln, die ­zwischen den Parteien hin und her gingen,425 werfen sie ein Licht auf die sich diametral entgegenstehenden Ansprüche der Exponenten des Streits. Anna etwa verglich in einem Beschwerdeschreiben die von ihr in die Ehe mit Philipp III. eingebrachte Mitgift mit der ihrer Vorgängerin, einer Gräfin von Hoya. Weil sie selbst nun zu unserm Hern Gemaheln in die Graffschafft Waldegk sovil und mehr seiner Liebe furige Haußfrawe zelige gepracht [habe], der ein Vatter beyderteil kynder ist, 423 Vgl. HStAM, 127, Nr. 2, 3 u. 5. Weitere Einkünfteverzeichnisse im Vorfeld der Teilung von 1538 finden sich in HStAM, 115/01, Nr. 73. 424 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 126, Extrakte aus den Ziegenhainischen Verträgen ­zwischen den Grafen zu Waldeck von 1344, 1421 und 1426; Verzeichnis der Besitzungen in einzelnen Ortschaften sowie der Klöster und Lehen seit 1505. 425 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 73, 126, 194 u. 886.

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argumentierte sie, sei es nur rechtens, dass unser Kinder […] nicht mynder dan die andern von Irem Her Vatter ererben 426. Um ihren Anspruch durchsetzen zu können, musste sie allerdings die Erbeinigung von 1507 diskreditieren. Dies tat sie, indem sie auf deren relativ junges Alter von gerade einmal 31 Jahren verwies. Sie gründe also keineswegs, wie von ihren Fürsprechern behauptet, auf dem alten Herkommen der Grafschaft, sondern sei eine unrechtmäßige Neuerung, die mit wissen und willen des Landsfursten nicht uffgericht, nicht bestettigt oder vorsiggelt und anher, die weil sie uffgericht, ny vollenkommen gehalten. Auch sei das in ihr festgesetzte Beschwörungsgebot niemals eingehalten worden, da sowohl von ihren Stief- als auch von ihren leiblichen Söhnen nye keyner dem gefolgt sei. Im Gegenteil weise das waldeckische Herkommen ja gerade aus, dass zu bestimmten Zeiten bereits drei Grafen nebeneinander regiert hätten. Neben d­ iesem historischen Exkurs aber beschwerte sie sich vor allem über das gegenwärtige Verhalten ihres Stiefsohns Wolrad, dem sie – wohl nicht zu Unrecht – unterstellte, sie und ihre Söhne aus der Regierung drängen zu wollen. So hätten sie und ihr Gemahl Philipp, als sich dessen Gesundheitszustand verschlechterte, Wolrad um gelegentliche Unterstützung in Regierungsdingen gebeten, ­welche jener aber immer stärker an sich gerissen und auf den Vater eingeschworene Diener und Räte wie seine eigenen behandelt hätte. Zudem unterlaufe er regelmäßig Befehle von ihr oder ihrem Gemahl, wodurch mittlerweile eine unhaltbare Situation entstanden sei. Dergestalt wie wirs nicht anderst spuren, das regiment gantze under sich zunhemen und unß beyde darauß zuschliessen, do durch unß nymant solt gehorsam sein und wir allein seiner gnade geleben.427 Dass nun die beiden ältesten Söhne aufgrund ihres Geburtsrechts die alleinige Regierung beanspruchten, war für Anna ebenfalls indiskutabel: Und was sie unsern Kindern gonnen, achten wir, wollen sye ine gebben und sollen under ir oberkeitt sitzen und uber unser Kinder regirn mogen. Verhoffen zu Got und dem Rechten, es solle anderst erkanth werden.428 Vergleichbar dem Unbehagen der lippischen Erbherren an ihrer sozialen Unterordnung, ließ sich auch Anna nicht gefallen, dass ihre leiblichen Söhne zu Untertanen ihrer Halbbrüder werden sollten. Das war also die grundlegende Konfliktkonstellation: Wolrad hatte einer Mutschierung prinzipiell zugestimmt, prätendierte aber für sich und seinen Bruder Otto – der allerdings selbst keine großen Regierungsambitionen hegte 429 – den Vorrang vor seinen jüngeren Halbbrüdern einschließlich der alleinigen 426 Ebd., Nr. 886, fol. 3r. 427 Ebd., fol. 2r. 428 Ebd., fol. 2v. 429 Er trat in den Johanniterorden ein, in dem er seit 1539 nachweisbar ist. Dort wurde er Komtur von Lage und Steinfurt, starb aber bereits im März 1541; vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 153.

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Regentschaft. Als wertvolle Untermauerung seines Arguments konnte er dabei auf die Erbeinigung von 1507 zurückgreifen, deren Wortlaut allen Beteiligten bekannt war und deren Bestimmungen augenfällig ‚in Kraft‘ waren: Mit ­Philipp III . von Eisenberg und Philipp IV . von Wildungen übten lediglich zwei Grafen die Regierung aus. Für Anna als geborene Herzogin war es dagegen vollkommen undenkbar, dass ihre Söhne lediglich abgeschichtete Paragialherren unter der Kuratel ihres älteren Halbbruders sein sollten. Sie forderte daher eine wirkliche Erbteilung des eisenbergischen Teils der Grafschaft und die Begründung einer neuen regierenden Linie durch ihre Söhne. Dazu setzte sie „die argumentative Allzweckwaffe der Frühen Neuzeit“430, das Herkommen, ein. Dieser Grundkonflikt sollte auch über den eigentlichen Akt der Teilung hinaus weiterschwelen und spiegelte sich beispielsweise in der Frage, wie künftig mit der Huldigung der Untertanen verfahren werden sollte. Während Wolrad für sich den Anspruch erhob, auch in den Ämtern, die Annas Söhnen zugesprochen werden würden, die Huldigung entgegenzunehmen, verweigerte Anna ihm ebendieses, solange nicht im Umkehrschluss ihren Söhnen in seinen Ämtern gehuldigt würde. Dem Anspruch auf Vorrang als alleiniger Landesherr, der auch performativ in Form des Huldigungsrituals hergestellt werden sollte, stand also Annas Forderung nach rechtlicher und symbolischer Gleichbehandlung aller Söhne entgegen.431 Dabei ging es der Herzogstochter freilich nicht um ein allgemeines Prinzip brüderlicher Gleichheit, sondern ganz konkret um den Rang ihrer eigenen Söhne, deren Anspruch auf Regierung über Land und Leute sie aus ihrer fürstlichen Herkunft ableitete. Es fällt auf, dass sie sich zur Unterstützung ihrer Position an keiner Stelle einer religiösen Argumentation bediente, die bei ihrem Gatten einige Jahre zuvor mit dem Bezug auf das göttliche Gebot der Nächstenliebe und der väterlichen Pflichten zumindest implizit angeklungen war. Ihr Plädoyer blieb vielmehr in einem quasi-­juristischen Rahmen, indem es sowohl gesetztes Hausrecht als auch praktizierte Observanz einer Diskussion unterzog. Wieder bedurfte es mehrerer Anläufe, bis endlich ein gemeinsamer Vergleichstag zustande kam. Sowohl Franz von Waldeck, ein Bruder Philipps III., der inzwischen zum Bischof von Osnabrück und Münster aufgestiegen war, als auch Landgraf Philipp von Hessen, für den der Familienzwist eine willkommene Gelegenheit zur Intervention darstellte, mussten die zerstrittenen und sich als wenig kooperativ 430 Neu, Ambivalenz, S. 66. 431 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 73, undatiertes Memorial zum Reconventionstag (ca. 1541): Item Grave Wolraben die erbhuldung geweigert ist ir f. g. nit in abredde, hath es auch in irer f. g. hern und frunde rath funden, dan so ein erbhuldunge in irer f. g. und soenen orth landes graff Wolrabe gescheen solt, muest ye ire f. g. und die soene wissen und wille sein, und in gleichen herwidder iren f. g. soenen in graff Wolraben orth landes widderfharen.

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erweisenden Parteien im Laufe des Jahres 1538 mehrfach zur Eile ermahnen.432 Schließlich kam es am 22. November in Arolsen zu einem Vergleich z­ wischen Wolrad und Otto auf der einen und Anna und ihren Söhnen auf der anderen Seite. Neben den Räten des hessischen Lehnsherrn und Bischof Franz, der als ranghöchster Repräsentant der Dynastie über eine besondere Autorität verfügte, wirkten auch Philipp IV . aus der Wildunger Linie, dessen Ratschlag und Mitsprache als agnat der selbigen Graveschafft gefragt war, sowie Graf Reinhard von Solms als verwantter freundt 433 bei der Aushandlung des Teilungsvertrags mit. Weil Graf Philipp III. mit schwacheit seines leibs beladen, also das er seynen sachen nicht mehr vorstehen kann, in marßen wie bißher geschehen ist, so setzt die Narratio zur Erklärung an, und weil Gefahr bestehe, das ­zwischen gemeltten Sohnen und Kindern merglich Irrung entstehen mochtten, und der wegen zuverhuettung solcher Irrung und damit die gedachtten gebruder und geschwister als dan in so viel mehr und beßer freundtschafft und einigkeit leben mochtten 434, habe man die im Folgenden ausgeführte Teilung vorgenommen. Neben dem Verweis Wolrads und Ottos auf die Erbeinigung und Annas entkräftender Aussage, dass diese weder rechtmäßig konfirmiert noch vollzogen worden sei, referiert der Urkundentext auch die weitere Argumentation Annas. So habe sie nur aufgrund des Versprechens, dass ihre Kinder künftig zur Regierung gelangen würden, in die Ehe mit (dem rangniederen) Philipp eingewilligt, was ihr auch im Ehevertrag ausdrücklich versprochen worden sei.435 Weiterhin vermittelt der Text des Teilungsvertrags einen Eindruck davon, wie gewissenhaft ­zwischen dem positiven Recht der Erbeinigung und dem Verwandtenerbrecht abgewogen wurde. Wenn letzteres gelte, stehe jedem der fünf legitimen Söhne, die ja alle vom gleichen Vater abstammten und deren Mütter je eine beträchtliche Mitgift in die Herrschaft eingebracht hatten, ein eigener Anteil am Erbe zu.436 Hier zeigt sich ein weiteres Mal, dass 432 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 263 u. 1013. 433 HStAM, Urk. 85, Nr. 341, Vertragsurkunde vom 22. 11. 1538. Abgedruckt auch bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, Nr. 230. Hier und im Folgenden zit. nach der Abschrift in 115/01, Nr. 36. 434 Ebd., fol. 1r. 435 Der von ­Kaiser Maximilian ausgehandelte Ehevertrag regelte für den Todesfall lediglich, dass unser beider guet, als wir itzt haben oder uns kunfftiglich anersterben zufallen und wir gewynnen mochten, uff unser kynder oder neste erben des stammes von Waldeck fallen irben und blieben, sprach diesen aber nicht explizit die Regierung zu. Etwas weiter im Text wird allerdings eine Regelung für den Fall getroffen, dass unser beider kynder alleziet und sonderlich wanne sie mondig werden und selbst zu regiment komen, HStAM, Urk. 85, Nr. 73, Urkunde vom 21. 01. 1519. 436 Derwegen wir bedacht das solcher Handell, so In das Recht kommen solt, disputirlich und streittig wurdt sein und so dann außfundig wurdt, das die Erbeynigung den verstandt oder die wirckung nicht haben wurdt, als die Elsten Sohen gemeindt, sonder die Naturlich Erbschafft odder Erste Ehebereddung crafft haben, so wurden die lesten drey Sohne drey stamb theill haben

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die Zeitgenossen nicht immer ausdrücklich ­zwischen Erbgang und Sukzession im engeren Sinne unterschieden, sondern dass das Erbrecht hier auch zu einem Anteil an der Regierung berechtigen konnte. Aus Sicht der Unterhändler überwogen jedenfalls die Argumente zugunsten einer Teilung von Philipps Erbe unter all seine Söhne. Sie konnten darauf verweisen, dass sie damit im Sinne des nunmehr unmündigen Grafen handelten, der nur aufgrund seiner Krankheit davon abgehalten worden sei, selbige persönlich durchzuführen. Auch das Herkommen sprach für eine Landesteilung: So sei bereits vormals bey Graff Otthen seligen Zeitten und deßelbigen Vatter die Grave­ schafft In drey theill getheilt gewesen 437. Schließlich wurde ins Feld geführt, dass es Landen und Leuthen nicht nutzerß, auch nicht Ehrlichers und beßers gemacht mag werden, dann das solch Grave Philipsen des Elttern theill der Graveschafft In zwey theil getheilt soll werden.438 Erklären lässt sich der Rekurs auf das Wohl des Landes und seiner Untertanen nur mit dem Hinweis, dass man der Überzeugung war, eine saubere Teilung schade diesen weitaus weniger als fortdauernde Konflikte innerhalb der landesherrlichen Familie. Die Einheit der Dynastie wurde höher gewertet als die des Territoriums, die Folgen innerdynastischen Dissenses erschienen gravierender als die einer Teilung. Die zwei Teile wurden nun wie folgt definiert: Die beiden ältesten Söhne ­Philipps sollten nach dessen Tod die im eisenbergischen Besitz befindliche Hälfte an Schloss und Stadt Waldeck sowie die Ämter Eilhausen und Eisenberg insgesamt bekommen. Den drei jüngsten Söhnen wurden die Ämter Landau, Mengeringhausen, Wetterburg und Rhoden zugesprochen.439 Da von diesen die ersten drei als Wittum respektive Morgengabe ihrer ­Mutter Anna von Kleve verschrieben waren, sollten die beiden älteren Brüder als finanziellen Ausgleich jährlich 500 Gulden zahlen. Falls sich dennoch künftig Streitigkeiten ergeben sollten oder sich bei der ebenfalls vereinbarten erneuten Prüfung herausstellen würde, dass eine Seite versehentlich benachteiligt worden wäre, sollte sie von der anderen finanziell entschädigt werden.440 Damit kam das ausgehandelte Ergebnis der angestrebten gleichmäßigen Teilung ziemlich nahe. mußen. Und demnach zu Sinn und gemuhet gezogen, das gemeltte Soehn all von einem Vatter geborn und von Zweyen Muttern, wilcher Jeglich einen Ehelichen Brauttschatzt in das Landt bracht hat, die auch zu Nutzt angelegt sein., HStAM, 115/01, Nr. 36, fol. 1v. 437 Ebd., fol. 2r. 438 Ebd. 439 Auch die jeweils nur halb besessenen Samtstädte wurden nun verteilt: halb Korbach an die Söhne erster Ehe, halb Niederwildungen an die aus der zweiten. Lediglich die Aktivlehen, Klöster und Bergwerke sollten gemeinsam besessen bzw. ausgegeben werden. 4 40 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 36, fol. 5v. Als sich drei Jahre später tatsächlich herausstellte, dass der Landesteil Wolrads mit 3000 fl. höher verschuldet war, als der von Anna und ihren Söhnen, wurde dafür ein finanzieller Ausgleich beschlossen; vgl. ebd., Nr. 528, Vertrag vom

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Des Weiteren galt es, die gefundene Ordnung für die Zukunft abzusichern und – wie üblich – weiteren Teilungswünschen den Riegel vorzuschieben. Daher wurden die Söhne und Nachfolger Philipps III. in dem Vertrag auch ermahnt, eine Erbeinung In freundtlicher eynigkeit und wesen zu rettung und hulff Ihrer selbst und der Graveschafft Landt und Leuth zu schließen, sich gegenseitig und ihre Untertanen zu beschützen und also Ihr Landtschafft samethafft als ein sampt gut Innehaben, auch daruber vertrege uffrichtten 441. Das bedeutete, dass das Land nicht wie bei einer Realteilung in völlig unabhängige Gebilde aufgesplittet werden, sondern vielmehr die institutionelle und ideelle Einheit der Herrschaft gewahrt bleiben sollte. Außerdem zeigt sich an d ­ iesem Appell zur gegenseitigen Unterstützung, dass trotz der Teilungspraxis die gemeinsame Herrschaftsausübung als Norm weiterbestehen blieb. Dementsprechend wurde auch der Status der Grafschaft als Lehen bekräftigt, das künftig nicht weitergeteilt werden dürfe. Wenn einer der Grafen stürbe, solle dessen Erbteil nicht pro capita auf die übrigen Brüder insgesamt geteilt werden, sondern lediglich dessen leiblichen, das heißt von der gleichen ­Mutter stammenden Brüdern zufallen. Nur wenn ein stamb gänzlich ausstürbe, also ohne männliche Erben bleibe, solle der andere nachrücken. In allen anderen Fällen sollten die Teile je an nur einen Sukzessor vergeben werden, der vom jeweiligen Vorgänger, von den Brüdern gemeinsam oder im Zweifelsfall vom Lehnsherrn zu bestimmen sei. Die übrigen Erben ­seien mit einer finanziellen Rente abzufinden.442 Die alles entscheidende Frage, wer in den jeweiligen Hälften regieren sollte, wurde in einem zweiten, am selben Tag geschlossenen Nebenabschied festgelegt. So sollte Wolrad die Regentschaft über seinen Erbteil allein ausüben und seinen Bruder Otto daraus unterhalten sowie seine Stiefmutter und Halbschwester mit jährlich 500 Gulden unterstützen. Die andere Hälfte sollte Anna in Vormundschaft ihrer Söhne regieren, bis diese die Volljährigkeit erreicht haben würden. Zudem sollte sie für die Versorgung ihres Gemahls und ihrer Kinder aufkommen. Über Ein- und Ausgaben sollte zukünftig gewissenhaft Buch geführt werden, die wichtigsten Urkunden in einer nur von Wolrad, Anna sowie einem Ständevertreter gemeinsam zu öffnenden Truhe verwahrt werden. Die sogenannten ‚Samtsachen‘, also vor allem jene politischen Fragen, die die Belange der Städte und Ritterschaft betrafen, sollten nur gemeinsam mit Philipp IV. von Wildungen angegangen werden, der dazu vierteljährlich einen gemeinsamen Tag auf Schloss Waldeck ansetzen sollte.443 20. 05. 1541. Dieser und weitere Punkte stellten aber auch in den Folgejahren kontinuierlich Anlässe für neuerliche Streitigkeiten dar. 4 41 Ebd., Nr. 36, fol. 4r. 4 42 Vgl. ebd., fol. 4v–5r. 4 43 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 132, S. 19 – 23 (Abschrift). Weitere Regelungen beider Verträge betrafen die gemeinsam aufzubringende Ausstattung der (Halb-)Schwester Katharina sowie

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Um diese Regelungen durchzusetzen, verließ man sich nicht allein auf deren schriftliche Satzung, sondern beugte künftigen Missverständnissen oder Konflikten durch weitere gezielte Maßnahmen vor. Zunächst wurden für die drei minderjährigen Söhne Annas neben der ­Mutter selbst die Grafen Reinhard von Solms und Philipp IV. von Waldeck-­Wildungen zu Vormündern bestimmt, die die Interessen ihrer Mündel gegenüber deren älteren Brüdern vertreten sollten. Des Weiteren setzte man als Schlichtungsinstanz für potenzielle Konflikte die beiden Hauptunterhändler, Bischof Franz und Landgraf Philipp, ein. In beiden Punkten band man also die eigenen Verwandten ein (auch zu Reinhard bestanden ja dynastische Verbindungen), suchte aber darüber hinaus auch Unterstützung beim Lehnsherrn, der sich erneut als Garant für die dynastische Einheit und Stabilität der Waldecker Grafen erwies – und somit an direktem Einfluss gewann. Der Landgraf war es auch, der den Hauptvertrag ausdrücklich ratifizierte und ihn dadurch mit zusätzlicher Legitimität auflud – eine Formalität, deren Fehlen ein Schwachpunkt der Erbeinigung von 1507 gewesen war. Schließlich leisteten die vier Söhne, die das vierzehnte Lebensjahr bereits überschritten hatten, einen förmlichen Schwur auf den Vertrag, während selbiges zu tun dem noch zu jungen Franz für die Zukunft auferlegt wurde.444 Somit war nunmehr nach den Jahren 1486 bis 1495 erneut eine Dreiteilung der Grafschaft in die Länder Wildungen, Eisenberg und Landau mit je eigenen regierenden Grafen ins Leben gerufen worden. Entscheidend ist dabei jedoch, dass das Territorium an sich nicht zerteilt, sondern in seiner Gänze als Kollektivbesitz des „Hauses Waldeck“ verstanden wurde. In rechtsgeschichtlicher Terminologie handelte es sich bei den Teilungen also stets um Mutschierungen, nicht um Realteilungen. Während man sich über die jeweiligen Partizipationsansprüche der einzelnen Agnaten an Herrschaft und materiellem Erbe durchaus streiten konnte, setzte sich bei den Grafen doch die Vorstellung durch, dass das Land selbst nicht vollends zerteilt werden konnte, insofern, als es als Einheit mit der Dynastie verknüpft war. Das galt im Prinzip auch für einzelne Ämter und Höfe, die zwar notfalls verpfändet, nicht jedoch endgültig versetzt werden sollten. Einen deutlichen Ausdruck fand diese Vorstellung der Einheit der Grafschaft in der Sprache der Zeitgenossen, die in den Verträgen durchgängig von „ihrem Anteil der Grafschaft“ oder ihrem „zugeteilten Ort Landes“ sprachen, nie jedoch etwa von einer eigenständigen Grafschaft Landau oder einer Grafschaft Eisenberg. Das personelle Äquivalent zu dieser Territorialisierung des Dominiums war die Rede von den einzelnen, voneinander distinkten, aber dennoch dem Gesamthaus Waldeck angehörigen „Linien“, die sich im 16. Jahrhundert durchzusetzen begann.445 den üblichen Umgang mit Verkäufen oder Verpfändungen (Vorkaufsrecht der anderen Linie, vorbehaltener Wiederkauf bzw. Wiederlöse). 4 44 Vgl. ebd., Nr. 36, fol. 7r. 4 45 Zur zeitgenössischen Terminologie siehe Kap. 4.1.2.

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Trotz der weitreichenden Regelungen ergaben sich schon bald nach Abschied des durchweg als Mutscharung bezeichneten Teilungsaktes erneut Streitigkeiten. Wieder war es Bischof Franz, dem viel an der Eintracht seiner waldeckischen Verwandten lag und der nun alle Beteiligten zur Räson rief und nach mehreren Anläufen schließlich einen Vergleichstag im osnabrückischen Wiedenbrück ansetzte. Hier gelang es ihm am 8. März 1539, erneut beide Parteien an einem Tisch zu versammeln und diverse Streitpunkte – etwa über den Zugang zum Samtarchiv und die genaue Abgrenzung der Ämter – aus der Welt zu schaffen.446 Spannungen ­zwischen den Eisenberger und den Landauer Grafen blieben allerdings auch in den kommenden Jahrzehnten an der Tagesordnung. Als Philipp III. schließlich am 20. Juni 1539 verstarb, trat die getroffene Sukzessionsregelung endgültig in Kraft. Im Jahr darauf wurde – offenbar auf Anregung Philipps IV. von Wildungen – der Plan gefasst, die Erbeinigung von 1507 förmlich zu erneuern. Dahinter stand der Wunsch, die nunmehr in drei Linien gespaltene Dynastie und das damit zusammenhängende Territorium durch eine gemeinsame Verpflichtung auf gegenseitigen Schutz und Schirm stärker zu integrieren. Die Idee wurde sogleich von Franz aufgegriffen, der seine Verwandten zu d­ iesem Zweck auf den 3. Mai 1540 zu einem Landtag nach Korbach berief, zu dem auch die Abgeordneten von Ritter­ schaft und Städten gefordert wurden.447 Hier wurde das Vorhaben den Ständevertretern unterbreitet und der Beschluss gefasst, die originale Erbeinigung zu bestätigen, doch der Aroldessen mutscharung unschedlich und unapbruchlich 448. Das ist erstaunlich, handelte es sich doch bei der Arolser Erbteilung streng genommen um einen Verstoß gegen die überkommene Erbeinigung, die die Zahl der regierenden Grafen bekanntlich auf zwei begrenzt hatte. Nur wenn man besagten Passus großzügig übersah und stattdessen die Regelungen, die die Linien stärker verklammern sollten, in den Mittelpunkt stellte, ergab sich eine sinnvolle Forderung. Zusätzlich wurde in Korbach beschlossen, dass auch die Gravamina der Stände bei der Erneuerung Gehör finden sollten. Allerdings blieb es letztlich bei dem Vorsatz. Franz gelang es trotz mehrerer Anläufe nicht noch einmal, seine Verwandten, die sich durch allerlei Ausreden entschuldigen ließen, zu einem gemeinsamen Termin zusammenzurufen.449 Letztlich scheiterte das Vorhaben wohl am Unwillen der Parteien, sich weiteren Beschränkungen zu unterwerfen. Vielmehr hielt man am Status quo fest und hegte womöglich Hoffnungen, die eigenen Kompetenzen und Herrschaftsrechte im Verhältnis zu den anderen regierenden Grafen noch ausweiten zu können. Auch wollte man sich nicht der Möglichkeit begeben, künftig weitere Erbteilung unter 4 46 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 132, S. 31 – 38. 4 47 Vgl. ebd., Nr. 85. 4 48 HStAM, 115/33, Nr. 4, fol. 3r. 4 49 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 697, 381, 578 u. 361.

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den Nachkommen zu vollziehen. Gleichwohl waren die Grafen auch ohne erneuerte Erbeinigung durchaus gelegentlich zu einer gemeinsamen Politik fähig. Dies zeigt sich etwa am Beispiel des Augsburger Reichstags von 1548, der im Anschluss an die Niederlage der von Hessen angeführten evangelischen Partei im Schmalkaldischen Krieg vom K ­ aiser einberufen wurde. Karl V. bestand darauf, dass die Waldecker Grafen, die im Gefolge Hessens am Krieg teilgenommen hatten, persönlich erschienen, um sich seiner Gnade zu unterwerfen.450 Neben Wolrad II. (Eisenberg), der aufgrund seiner Teilnahme am Regensburger Religionsgespräch von 1546 vom K ­ aiser als ein führender Kopf der evangelischen Reichsstände wahrgenommen wurde, erschienen auch seine Halbbrüder Johann I. und Philipp V. (Landau) sowie Samuel (Wildungen), der ebenso wie Johann persönlich am Krieg teilgenommen hatte. Nach langwierigen Verhandlungen, bei denen die Grafen regelmäßig ihre personelle Stärke nutzten und gleichzeitig bei unterschiedlichen Reichsfürsten und kaiserlichen Diplomaten speisten,451 gelang es ihnen schließlich, durch einen öffentlich vollzogenen Kniefall das kaiserliche Pardon zu erhalten. Unterdessen kehrte Samuel bereits einige Zeit vorher in die heimatliche Grafschaft zurück, woraufhin ihn Wolrad, mit dem er ein freundschaftliches Verhältnis pflegte, darum bat, sich um seine daheimgebliebene Familie zu kümmern. Samuel bot ihm an, gemeinsam mit seinem Vater Philipp IV. einen Teil der den Eisenbergern vom ­Kaiser auferlegten Strafsumme aufzubringen, und bat ihn zugleich, die Interessen der gesamten Grafschaft auf dem Reichstag wohl zu vertreten und kein den Privilegien zum Nachteil gereichendes Urteil zu akzeptieren.452 Hier zeigte sich, dass eine Aufteilung der Herrschaft auf mehrere Köpfe sich durchaus als vorteilhaft erweisen konnte, wenn alle eine gemeinsame Politik verfolgten: Man konnte seine Kräfte aufteilen und simultan mehrere Probleme in den Blick nehmen. Die Beziehungen z­ wischen Wolrad und seinen Halbbrüdern sowie deren ­Mutter blieben hingegen auch nach der Erbteilung dauerhaft unterkühlt.453 Noch 450 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 76 – 78. Zur reichspolitischen Lage allgemein Rabe, Reichsbund. 451 Vgl. diverse Bemerkungen im Tagebuch des Grafen Wolrad; Kappe (Bearb.), Tagebuch, S. 56 u. 95. 452 Vgl. Kappe (Bearb.), Tagebuch, S. 214 bzw. das lateinische Original bei Tross (Bearb.), Tagebuch, S. 165 f. Rogavimus quoque eundem ut uxoris nostræ et filiolæ Catharinæ, cujus baptismatis susceptor fuit, curam cum tota dinastia nostra sibi commendatam esse velit. Obtulit præterea tam per Joannem Hacum illi a secretis, quam per semet ipsum, si summa pecuniaria, quam cæsar a nobis exigeret, minui non posset, nec patrem nec se mihi defuturum, quo levius ea summa corraderetur. Præter hæc petiit ut omnibus viribus in hoc incumbere velim, ne qua comitatus noster durius premeretur aut in capitulatione (ut vocant) quid me facturum reciperem, unde libertari nostræ vel privilegiis aliquid pericli esse posset. 453 Auch davon legt Wolrad in seinem Tagebuch Zeugnis ab; vgl. Tross (Bearb.), Tagebuch, S. 199: Inter equitandum Philippus frater noster rogavit ut, si deo auspice patriam contin­ gere mihi daretur, ut ejus et fratrum quoque Dinostiæ rationem haberem, addens, aliquando

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konfliktträchtiger war allerdings, nachdem die Kompetenzen ­zwischen der Eisenberger und der Landauer Linie im Wesentlichen abgesteckt waren,454 das Verhältnis ­zwischen Anna von Kleve und ihren leiblichen Söhnen. Im Wesentlichen ging es um die Frage, welcher der drei inzwischen volljährigen Brüder die Herrschaft im Landauer Teil der Grafschaft übernehmen durfte und in welchem Umfang die beiden übrigen versorgt werden würden. Schließlich konnte im Jahr 1550 Bischof Franz sowohl Philipp V., den Erstgeborenen, als auch den Jüngsten, Franz II., zu einem förmlichen Sukzessionsverzicht zugunsten ihres mittleren Bruders Johann I. bewegen. Sie hätten eingesehen, so heißt es in der Urkunde, das sie die drei brueder nicht viel uber den vierten deil der graffschafft Waldecke in besit­ zunge und verwaltunge hetten, also das aus noitturfft einer dem anderen weichen und ein zimliche abferttigunge nhemen und einem allein das Regiment lassen muesten, seinem brueder graven Johan von Waldeck als dem Regierenden hern zum besten und damit der­ selbig seinen ehelichen und gravelichen standt desto bas erhalten und auffueren konne 455.

Daher überließen sie Johann nicht nur die alleinige Regierung, sondern auch das Schloss Arolsen, das seit seinem Umbau auf der Basis des ehemaligen ­Arolser Klosters ab 1530 die prächtigste Hofhaltung des Landauer Landesteils ermöglichte. Zwar hatte Philipp als Erstgeborener zunächst selbst Ansprüche auf Arolsen und die Herrschaftsausübung erhoben, war dann aber davon zurückgetreten, was zeigt, dass die Primogenitur als allgemeines Sukzessionsprinzip noch nicht anerkannt war. Bei dem Verzicht handelt es sich um einen seltenen Fall, bei dem der Einzelne aus Einsicht in die Begrenztheit der Ressourcen seine persönlichen Ambitionen zugunsten der Gesamtheit zurückstellte. Nur dem sukzedierenden Bruder wurde es zudem gestattet sich zu vermählen, doch sollte sich dessen gräfliche Lebensführung, ja die „Aufführung“ seines Standes auch positiv auf die übrigen Dynastieangehörigen auswirken. ­ editarer, quibus viis dissensiones inter nos componi possent ac nescio quid intra buccam mur­ m murans. Cum interrogarem, quas controversias diceret, ait, inter pagos Twist et Berndorff. Respondi pro tempore, quæ ad pacem facere putavi, non neglecta interim veritatis ostensione, ut vel palpari posset, quid velim concludens, nullas omnino inter nos dissensiones fore, si eum in me animum gererent, qualem meum in ipsos præter alias modo hic Augustæ experti essent, et eos, quorum omnia non ignota, qui oleum in camino (ut in proverbio dicitur) suffundunt, vel a se amoverent vel saltem cohercerent, tandemque recepi quæ possem libentissime me fac­ turum. An anderer Stelle zitiert er den Bibelvers Jak. 3,16 Wo Neid und Zank ist, da ist Unordnung und eitel böses Ding und ergänzt: Vorzüglich wohnt dieser Geist in höfischen und heuchlerischen Stiefmüttern, obwohl sie Blutsverwandte sind., zit. nach Schultze, Reformationsgeschichte, S. 141. 454 Vgl. die Abschiede von Volkhardinghausen vom 20. 05. 1541, in: HStAM, 115/01, Nr. 528, und vom 27. 10. 1541, in: ebd., Nr. 1003. 455 HStAM, Urk. 85, Nr. 343, Verzichtsurkunde von Franz II. vom 15. 11. 1550. Der Verzicht von Philipp V. vom 26. 04. 1550 ebd., Nr. 11155.

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Am 1. Oktober 1550 heiratete Johann Anna zur Lippe. Zwar hatte ihm seine ­ utter aus ­diesem Grund bereits im April die Ämter Landau und Rhoden zur M alleinigen Regierung überlassen,456 residierte jedoch selbst weiter auf Schloss Arolsen. Betreffend anderer Besitz- und Herrschaftsrechte schien sie noch weniger bereit zu sein, ihrem nunmehr regierenden Sohn das Feld zu räumen. Aufgrund der unnachgiebigen Haltung auf beiden Seiten kam es in den ­folgenden Jahren zu erbitterten Streitigkeiten z­ wischen Johann und Anna von Kleve, in die sich bald Graf Bernhard zur Lippe einschaltete. Dieser war der Bruder Annas zur Lippe und hatte im gleichen Jahr Katharina, die Schwester Johanns, geheiratet.457 Nun versuchte er im Streit seines Schwagers gegen dessen M ­ utter zu vermitteln und bediente sich dabei einer Taktik, die ­zwischen der Betonung der nahen blutvorwandtnuß 458 und dem Appell an ihre mütterliche Zuneigung sowie der Drohung, weitere Reichs- und Kurfürsten in den Konflikt einzuschalten, schwankte. Neben dem Lipper fungierte erneut Landgraf Philipp als Schiedsrichter, dessen Räte zunächst durchaus Erfolg hatten und im Juni 1560 einen gütlichen Vergleich herbeiführen konnten.459 Doch schon wenige Wochen später eskalierte die Situation, als Johann in den Ämtern Arolsen und Mengeringhausen, in denen Anna nach wie vor als Witwe residierte, gewaltsam den Zehnten eintrieb, um seine Besitzansprüche zu untermauern, und Anna ihren Sohn daraufhin vor dem Reichskammergericht auf Landfriedensbruch beklagte.460 Ähnlich wie bei dem um die Jahrhundertwende ­zwischen Heinrich VIII . und Philipp II . ausgetragenen Prozess vor dem höchsten Reichsgericht kam 456 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11158, Urkunde vom 30. 04. 1550. Aktenüberlieferung in HStAM, 115/01, Nr. 160. 457 Siehe auch Kap. 3.1.3. 458 HStAM, 115/01, Nr. 945, Brief Bernhards an Anna vom 12. 04. 1556. 459 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 886. 4 60 Vgl. HS tAM , 140, Nr. 17. Im Mandat wurde Johann vorgeworfen, selbst personlich mit einer grossen anzall volcks deiner diener, underthanenn und angehorigen, darzu erfor­ dert und ufgemahnet zu Roß und fueß mit spiessen, Buchsen und anderen feindtlichen wehren, auß deiner Stat und Schloß Landaw außzuziehen, und van dannen In obgemelte Ire zustendige herlichkeiten und gepiet Aroldessen und Mengerichkhusen aigenthatlicher frevenlicher und landtfridtbruchiger weiß ain Infall zuthun, und daselbst benantlich In den dorffern und gemarcken Hilsen, Schmelingkhausen und Mulhausen auch anderen zu ermelten Emptern Aroldessen und Mengerichkhausen gehorig, etliche vill Zehende, so Ir der Clagerin zustendig, mit gewalt und gewerter hant von und ab den Eckeren hinzu­ nemen und van dannen In dein gewarsam fueren zu lassen. Daran du auch unersettigt gewesen, sonder noch ferners In obgemelten und noch etlichen anderen mehr Dorfferen In berurt Ampt Aroldessen gehorig den Inwonnern und Iren underthanen daselbst mit grosser betrauwungen und bei hohen schweren straffen und poenen verbotten, Ir gedachter Clagerin wider Renth, Zinß nach guldten further zu raichen und zu geben, daselbst doch du ermelter Grave zu Waldeck der Endts dieser Zeit gar kheine Jurisdiction wider zu gepieten noch zuverpieten hattest.

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es auch hier zu keinem Urteil.461 Ein Ende des langwierigen Konflikts brachte schlussendlich die persönliche Vermittlung des Landgrafen Philipp und Herzog Wilhelms von Jülich-­Kleve-­Berg, deren Räte Johann dazu brachten, seiner ­Mutter das Schloss Arolsen zu überlassen, das diese daraufhin bis zu ihrem Tod 1567 innehatte.462 Auch Johann starb in ­diesem Jahr und hinterließ drei Söhne, drei unverheiratete Töchter sowie ein Testament. Als Gesamterben all seiner Hinterlassenschaften hatte er seine Söhne unter der Bedingung eingesetzt, dass sie ihre Schwestern bis zu deren Hochzeit unterhalten und im Fall einer Eheschließung ausstatten würden. Die Sukzession in der Herrschaft hingegen, die er ausdrücklich vom übrigen Erbgang unterschied, sollte nach Maßgabe der Mutschierung von 1538 nur ein einziger übernehmen, in erwegung, daß mein sohne alle zugleich sich ane beschwerung ires gewissens auch ire selbst und meine armen underthanen verderben in ­diesem orth landts nach desselben gelegenheit irem stande nach nitt underhalten viell weniger regiren konnen.463 Damit bediente er sich der gleichen Begründung, mit der auch schon seine Brüder zum Erbverzicht gedrängt worden waren. Allerdings ließ Johann in seiner Disposition offen, welcher seiner drei zum Zeitpunkt seines Todes allesamt minderjährigen Söhne ihm als Regent folgen sollte. Zunächst scheinen die testamentarisch bestellten Vormünder, allen voran die Witwe Anna zur Lippe, die Regierungsgeschäfte geführt zu haben, bis der älteste der Söhne, Philipp VI. (1551 – 1579), obschon er eine Domherrenstelle in Straßburg innehatte, die Nachfolge seines Vaters antrat.464 Da auch Philipp von Hessen 1567 starb und somit der Herrenfall eintrat, wurde das waldeckische Lehen von seinem Nachfolger Wilhelm IV. nun erstmals an alle Agnaten der drei Linien ausgegeben.465 Am 9. April 1579 unterzeichneten Philipp und Bernhard (1561 – 1591) unter Verweis auf das väterliche Testament zugunsten ihres inzwischen 25-jährigen Bruders Franz III. (1553 – 1597) einen Regierungsverzicht, wie es schon die Generation vor ihnen getan hatte.466 Während Bernhard inzwischen ebenfalls Domherr geworden war und sich intensiv um das Münsteraner Bischofsamt bemühte, liegen die 4 61 Gleichwohl fürchtete Bernhard in einem Brief an Landgraf Philipp, dass diese Klage unter so nahen Verwandten hohen spatt und bose nachrede bei Idermenniglichen hervorrufen werde. Philipp riet Bernhard daraufhin zu Geduld und Nachsicht, weil die fraw mutter ein erlebte alte fürstin, und schwerlich zu glauben das es mitt Iro lange wehren kann, HStAM, 3, Nr. 2072, Schreiben vom 18. 11. 1560 u. 29. 11. 1560. 4 62 Vgl. Vertrag vom 03. 10. 1561, gedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, Nr. 232. 4 63 HStAM, Urk. 85, Nr. 252, fol. 2r–v. 4 64 Vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 174 f. Philipp ist allerdings kaum in Erscheinung getreten. Die Ausschreibungen zu Landtagen etwa übernahm auf landauischer Seite bis 1577 die Witwe Anna, bevor ab 1582 Franz III. an ihre Stelle trat; vgl. HStAM, 115/33 Stände. 4 65 Vgl. die Belehnungsurkunden, in: HStAM, Urk. 85, Nr. 507. 4 66 Vgl. ebd., Nr. 11187.

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Gründe des regierenden Philipps für diesen Schritt im Dunkeln. Erneut aber hatte sich in Fragen der Sukzession der persönliche Ehrgeiz der Nachgeborenen dem Wohl des regierenden Grafen unterzuordnen, was in dieser deutlichen Art und Weise eine Besonderheit der Landauer Linie darstellt. Das Teilungsprinzip blieb also auch nach 1507 stark. Zwei Triebkräfte, die dem Bereich der sozialen Normen zugerechnet werden können, scheinen hinter dem Entschluss zur Mutschierung z­ wischen den Kindern Philipps III. gestanden zu haben. Erstens die – in gewisser Hinsicht lutherisch geprägte – Einstellung ­Philipps, der es als seine hausväterliche Pflicht ansah, alle seine Söhne am Erbe zu beteiligen, sowie zweitens das Rangdenken seiner zweiten Gemahlin Anna von Kleve, die es als Herzogstochter für ihre Söhne als unstandesgemäß empfand, nicht selbstständig die Herrschaft über Land und Leute auszuüben. Nachdem sie sich mit ihren Ansprüchen gegen den Widerstand vonseiten der Söhne erster Ehe hatte durchsetzen können, ergab sich ab 1538 erneut eine Teilung der Dynastie in drei gleichberechtigte Linien, die immerhin für die nächsten sechzig Jahre Bestand haben sollte. Die Dynastie als übergeordnete ideelle Kategorie sorgte indes dafür, dass der soziale und politische Zusammenhalt niemals ernsthaft infrage gestellt wurde. Auch institutionelle Verklammerungen wie die ab 1567 regelmäßig vollzogene Samtbelehnung aller Agnaten oder das gegenseitige Erbrecht verstärkten die dynastische Integration. Im Gegensatz zu früheren Teilungsprojekten spielten Vertreter der Stände kaum eine bedeutende Rolle, lediglich bei der Vorbereitung und Durchführung der Mutschierung kam ihnen eine Aufgabe zu. Die eigentlichen Verhandlungsführer und wichtige Schlichtungsinstanzen waren hingegen hochadlige Angehörige der näheren und weiteren Verwandtschaft sowie der Oberlehnsherr. Während sich 1538 das Prinzip der Erbteilungen noch einmal Bahn gebrochen hatte, verbreitete sich angesichts der räumlichen und ressourcenmäßigen Beschränktheit der einzelnen Teile allerdings zunehmend die Vorstellung, dass es innerhalb dieser nur jeweils einen Regenten geben könne. In Landau entsagten die jeweils ‚überzähligen‘ Söhne der Regierung mittels formeller Verzichtserklärungen, während dies in Eisenberg und Wildungen aufgrund der dortigen genealogischen Verhältnisse zunächst nicht notwendig war. Womit wurde die nun gefundene dynastische Ordnung legitimiert? Es ist auffällig, dass die Entscheidungen für oder gegen einen bestimmten Sukzessionsmodus in der Regel innerhalb eines juristischen Diskurses abgewogen wurden. Richtmaß blieb dabei das alte Herkommen, dem eine hohe normative Kraft zugesprochen wurde. So konnte die Tatsache, dass die Grafschaft z­ wischen 1486 und 1495 bereits einmal aus drei Teilherrschaften bestanden hatte, als Argument für eine neuerliche Erbteilung herangezogen werden. Darüber hinaus wurden auch die schriftlich überlieferten Hausverträge konsultiert, von denen man eine erstaunlich genaue Kenntnis besaß. Deren Bestimmungen ließen sich allerdings selektiv rezipieren. So wurde die Erbeinigung von 1507 in ihrem wichtigsten Punkt – der

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Begrenzung der regierenden Grafen – schlicht außer Kraft gesetzt, und dennoch nahm man affirmativ auf sie Bezug. Hausverträge konnten inhaltlich missachtet und gleichzeitig in ihrem Geltungsanspruch bestätigt werden. Hinzu kam, dass neu geschaffene Sukzessionsregeln der jeweiligen dynastischen Konstellation, die von einer bestimmten Anzahl von Herrschaftsanwärtern mit individuellen Ansprüchen gekennzeichnet war, angepasst wurden und eben nicht unveränderbare Gesetze darstellten. Insofern bestätigt sich hier die von Thomas Mutschler gemachte Beobachtung, dass „Hausgesetze eine bestimmte Entwicklung in Haus und Familie eher bestätigten, sie aber nur in wenigen Fällen wirklich zielbewußt zu steuern vermochten“.467 Innerhalb ­dieses rechtlichen Rahmens konnten durchaus auch pragmatische Argumente Fuß fassen – so etwa der allenthalben gebrauchte Verweis auf die zu erwartenden Spannungen z­ wischen mehreren männlichen Erben, zu deren Vermeidung eine Teilung unabdingbar sei. Als „gruppengebundenes ‚Gemeinwohl‘“468, an dem sich die Entscheidung zu orientieren hatte, wurde in d­ iesem Fall die Konfliktvermeidung innerhalb der sozialen Gruppe der Dynastie definiert. Demgegenüber konnte die „Referenzgemeinschaft“469 auch weiter gefasst und auf den Kreis der Untertanen bezogen werden, wobei dann allerdings nicht von vornherein ausgemacht war, ob Land und Leute von einer Landesteilung eher profitieren oder unter ihr leiden würden. Was jeweils als Gemeinschaft galt, deren Wohl berücksichtigt werden musste, schwankte insofern ­zwischen einem eng partikularen Verständnis, das hauptsächlich auf den internen Hausfrieden abstellte, und einem weiteren, das die landesherrliche Sorge um das Wohl der Untertanen miteinbezog.470 2.3.5 Die umstrittene Nachfolge Philipps IV. in Wildungen (1550 – 1575) Während die Erbauseinandersetzungen z­ wischen den Söhnen Philipps III . in Eisenberg letztlich zur Etablierung einer neuen Linie geführt hatten, sorgte die lange Regentschaft des seit 1513 im benachbarten Wildungen regierenden Grafen Philipp IV. hier zunächst für innerdynastische Ruhe und Stabilität. Es war allerdings nur eine Frage der Zeit, bis die vier aus der Ehe mit Margaretha von Ostfriesland stammenden Söhne Philipps beginnen würden, sich über die Nachfolge ihres alternden Vaters zu entzweien. Dem musste unbedingt mit einer eindeutigen Nachfolgeregelung zu Lebzeiten des Vaters zuvorgekommen werden. Wie sich 4 67 Mutschler, Haus, S. 260. 4 68 Oexle, Konflikt, S. 71. 4 69 Münkler/Bluhm, Einleitung, S. 15. 470 Siehe dazu auch Kap. 4.1.3.

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zeigte, konnte die bisherige Sukzessionspraxis für die gegenwärtige genealogische Konstellation nicht als Richtmaß dienen, da die vorangegangenen Generationen nicht mit einer so hohen Zahl an erwachsenen Söhnen konfrontiert gewesen waren. Die 1507 erlassene Erbeinigung gab zwar die Begrenzung der zur Regierung gelangenden Grafen vor, doch hatte man sich in Arolsen bereits darüber hinweggesetzt. Auf der anderen Seite stand allen Beteiligten auch die Konflikthaftigkeit der dort gefundenen Regelung vor Augen. So galt es erneut, im Spannungsfeld von hausgesetzlichen Normen, Herkommen und individuellen Ansprüchen einen konsensfähigen Sukzessionsmodus zu finden. Den Auslöser zu dieser Debatte gab Philipp selbst, als er zu Beginn der 1550er Jahre – zu dieser Zeit hatte er das 50. Lebensjahr längst überschritten – seine Gedanken über das Verhältnis ­zwischen ihm und seinen Söhnen zu Lebzeiten und nach seinem Tod in Form einiger Bedenckarticul zu Papier brachte.471 Gemäß den gängigen Vorstellungen über die Pflichten eines guten Hausvaters ging es Philipp darum, kraft väterlicher Autorität frühzeitig klare Regelungen zu schaffen, damit hernachmals bruderliche vergleichung dester leichter getroffen, fried und einigkeit erhalten und unfried, zanck und allerlei uneinigkeit verkommen und abgeschnitten mogen werden 472. Die Wahrung des inneren Friedens, auf dem die Kohäsion der Dynastie beruhte, wurde also auch von Philipp als vordringlichstes Ziel seiner Bestrebungen angesehen und in der Denkschrift prominent herausgestellt. Nun erschien es einerseits als ein Gebot der wirtschaftlichen Vernunft, angesichts der hohen Schulden, die auf der Grafschaft lasteten, nur einem Sohn die Nachfolge zu gestatten, alle anderen aber mit kirchlichen Pfründen auszustatten. Jedoch hielt es Philipp als strenger Lutheraner aufgrund der seiner Ansicht nach unsittlichen Zustände in den Hochstiften für nicht vertretbar, seine nicht zur Regierung erkorenen Söhne zu einer geistlichen Laufbahn zu drängen.473 Hier standen also zwei gemeinwohlorientierte Normen gegeneinander, die je auf eine andere Referenzgruppe bezugnahmen: das Gebot, das Wohl der Grafschaft im Hinblick auf deren finanzielle Belastung im Auge zu behalten, und das legitime Recht der Söhne, sich gegen ein geistliches Amt und für ein Leben als weltliche Herren zu entscheiden. Zwar bemühte sich Philipp zunächst auch um Kanonikate für zwei seiner Söhne,474 letztlich überwog für ihn aber das Herrschaftsrecht seiner Sprösslinge das Wohl des Landes. Bedang er sich zeit seines Lebens die alleinige Regierung aus, sollten nach seinem Tod alle seine Söhne die Möglichkeit haben zu heiraten, wozu sie 471 Ein urkundliches Testament von Philipp IV. ist nicht überliefert, wohl aber eine Abschrift seiner frühen testamentarischen Verfügungen, die aus den Jahren ­zwischen 1550 und 1554 stammen; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 683. 472 Ebd. 473 Vgl. ebd. 474 Siehe dazu Kap. 3.2.1.

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durch eine gleichmäßige Erbteilung in die Lage versetzt werden sollten. Unter ausdrücklicher Zurückweisung der Erbeinigung von 1507, w ­ elche, wie er befand, spätestens seit 1538 nicht mehr observiert werde, bestimmte er zudem, dass jeder Sohn gleichermaßen zu Erbteil und Regierung zugelassen werden sollte. Dies sei nicht nur dem weltlichen Recht gemäß; es entspringe auch der göttlichen Schöpfungsordnung.475 Philipp bediente sich hier also eines religiösen Motivs, um seine Position zusätzlich zu legitimieren, obschon er grundsätzlich juristisch-­historisch, also unter Verweis auf die in der Vergangenheit abgeschlossenen Hausverträge argumentierte. Schließlich behielt er sich vor, diese Regelungen in Zukunft noch zu erweitern oder vollständig zu verändern. Konkretere Züge nahmen die Überlegungen Ende des Jahres 1553 an, als man seitens der Waldecker mit der verwitweten Gräfin Katharina von Schwarzburg in Verhandlungen über die Verheiratung ihrer Tochter Anna Maria mit Philipps ältestem Sohn Samuel (1528 – 1570) trat.476 Da eine Abteilung gemeinhin als notwendige Voraussetzung dafür galt, einer Braut bei der Eheschließung ein Wittum vermachen zu können, wirkte das angebahnte Hochzeitsprojekt des Erstgeborenen auch als Katalysator für die Regelung der Erbschaftsangelegenheiten im wildungischen Hause. Ein Gutachten des juristisch ausgebildeten Kanzlers Hermann Ulner 477 vom 4. März 1554 verdient nähere Betrachtung, da es bemerkenswerte Aufschlüsse über den Prozess der Entscheidungsfindung liefert, der schließlich zum Teilungsvertrag führte. So gestand Ulner Graf Philipp zwar grundsätzlich sein hausväterliches Recht zu, seine Hinterlassenschaften testamentarisch zu regeln, verwarf dies aber als hinreichende rechtliche Grundlage im Hinblick auf eine Landesteilung, von der der Ehevertrag mit einer dritten Partei abhänge. Schließlich könne Philipp seinen Willen bis zu seinem Tode jederzeit ändern, was als potenzieller Unsicherheitsfaktor wirken müsse.478 Die M ­ utschierung selbst 475 Es sollen derhalben seiner Gnaden Sohne sich hiernechst zu seiner Gnaden fall keiner besonderer Succession, freiheit oder rechtens einander behelffen, sonder sollen ein jeder zu seinem theill, der ime von Gott, natur und Rechts wegen gepuren will, unverhindert gelaßen, und ein rechte bruderliche gleicheit nach gepurlicher und billichmeßiger aestimation der Hauße und Empter, sonderlichen des Hauß und Ampts Waldeck, gehalten werden., HStAM, 115/01, Nr. 683. 476 Die älteste Tochter von Katharina und deren verstorbenem Gemahl Graf Heinrich XXIII. von Schwarzburg, Anastasia, war bereits seit 1546 mit Wolrad II. aus der Eisenberger Linie vermählt, sodass auf bestehende Verbindungen aufgebaut werden konnte. Die Ehe ­zwischen Samuel und Anna Maria wurde am 8. Oktober 1554 geschlossen. Zu Verhandlungsakten und Ehevertrag vgl. HStAM, 115/01, Nr. 789 – 795, sowie Urk. 85, Nr. 10778. 477 Vgl. zu ihm Kretzschmar, Art. Ulner. 478 Und wie wol eynem jden Haußvater der anders Testabilis seinem letzten willen und Testament tzumachen in Rechten frey stehet, auch solchs eyn richtiger guter weg ist, tzwischen brudern und nachgelaßenen Erben Eynigkeit tzuerhalten, und wie die nachgelassenen gueter austzuteilen tzuverordnen, und auch derhalbenn der herr vater tzweiffelsfrey denßelbigenn fur die handtt genomenn, so besorge und furcht ich doch, es werde die vielgedachte muttscharung uff dießem

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im Sinne einer reinen Nutzenteilung der wildungischen Ämter unter die Söhne Philipps befürwortete er ausdrücklich, dann auch die gemeine Rechte wolle, das sonderlich z­ wischen Brudern in teilung der Erbschafft gleicheit gehalten werden soll. Es ist auch vor sich selber naturlich, freundtlich und billich, das Vater und ­Mutter eynem kinde alßo viel als dem andern gonnen, damitt kein Haß unter innen erwachße 479. Ulner argumentierte also nicht nur mit dem gemeinen Recht, wie es von ihm als Juristen zu erwarten war, sondern unterfütterte seine Position zusätzlich mit dem Verweis auf die ‚Natürlichkeit‘ der gleichmäßigen elterlichen Gunst gegenüber ihren Kindern. Gänzlich anders verhalte sich die Sache seiner Ansicht nach hingegen in Bezug auf die eigentliche Ausübung der Herrschaft über Land und Leute. Hier müsse die Regierung nach Philipps Tod ungeteilt an dessen ältesten Sohn gehen, dann es im rechten austrucklich versehen, auch im heiligen Reich der teutschen Nation unter Fursten und Graven der gebrauch, das der Elteste und erstgeborne sohn, so fern er anderst tzu regieren tuglich und geschicktt, im regimentt dem vater succediere, wie dann auch die gottliche heilige schrifftt des alten testaments s­ olche Succession approbirt und vielfeltig gedenckt 480.

Wieder beließ es Ulner nicht beim Verweis auf Recht und Herkommen, sondern erweiterte seine Argumentation nunmehr um eine religiöse Komponente. Des Weiteren, führte er aus, sei eine Herrschaftsteilung stets Ursache für den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg eines Geschlechts, was letztlich dazu führe, dass die Pflichten gegenüber Reich und Lehnsherren nicht mehr erbracht werden könnten.481 Ebenso verwies er auf die Erbeinigung von 1507, die zur Verhütung eines solchen Falles errichtet worden sei, und gemahnte daran, dass die Landstände als glidmaß der Herschafftt weitter teylung oder trennung des Regi­ ments nitt tzulaßen 482 würden. Aus den angeführten Gründen komme er zu wege nitt wol konnen getroffen und gefunden werden aus denen verhinderungen, das die letzten mogen bey leben widderruffen vnd verendertt werden. Est in voluntas testatoris ambulatoria ad mortem usque. Dieße Muttscharung aber wil umb des furstehenden heilichs [= Ehevertrags, LP] und widdumbs willen gewiß und unverendertt sein. So ist dießer letzter will ahn seiner Solennitet mangelhafftig und derhalbenn liderlich, kondte angefochten und impugnirt werden, HStAM, 115/01, Nr. 45, fol. 5v. 479 Ebd., fol. 2r. 480 Ebd., fol. 9r. 481 Zu dem volget aus solcher teilung und zersplitterung der herschafften verringerung und endt­ lich verderben der geschlechter. […] Das sie auch dadurch mitt der tzeitt iren Furstlichen und Gravelichen standtt nitt gnugsam erhalten konnen, sonder gemeinen vom Adel gleich werden mussen und alßo ihre geburende Servitia und pflichtige dinst dem heiligen reich oder lehns­ fursten nit gnugsam leisten konnen, ebd., fol. 9v. 482 Ebd., fol. 10v.

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dem Schluss, dass jeder Sohn zwar ein oder mehrere Paragialämter zu seinem Unterhalt bekommen, die Landesregierung aber ungeteilt auf den Erstgeborenen Samuel übergehen müsse. Als Verfahrensmodus empfahl Ulner nachdrücklich die Einbeziehung des hessischen Lehnsherrn, der als eigenthumbs herr 483 seine Zustimmung geben müsse. Ulner stellte sich mit dieser Denkschrift in mehreren Punkten gegen Philipp. Am bedeutendsten war sicherlich, dass er scharf gegen die von d­ iesem testamentarisch angeordnete Regierungsteilung argumentierte und dessen Autonomie hinsichtlich der Regelung seines Vermächtnisses einschränkte, indem er ihm zwar ein allgemeines Testierrecht zugestand, zugleich aber auf die Zuständigkeit des Lehnsherrn verwies. Darauf ließ sich Philipp IV . zumindest teilweise ein. Im März 1554 wurde ein gütlicher Tag zur Klärung der Streitpunkte angesetzt, zu dem auch die hessischen Räte geladen waren. Zuvor hatte Samuel noch einmal bekräftigt, dass ihm nicht daran gelegen sei, seinen Vater aus der Regierung zu drängen, sondern es ihm nur um die Abteilung mit einem eigenen Landesteil gehe.484 Am Ende der Verhandlungen wurde ein Vertrag geschlossen, der Samuel die beiden Ämter Wildungen und Naumburg mit ihren Schlössern, Städten und sämtlichen Nutzungs- und Herrschaftsrechten einräumte.485 Lediglich die Einziehung der Landsteuern behielt sich Philipp vor, um zu demonstrieren, dass die allgemeine Landesregierung nach wie vor bei ihm allein verblieb. Durch d­ ieses Paragium war es Samuel nun möglich, seiner zukünftigen Gemahlin Morgengabe und Wittum zu garantieren.486 Die alles entscheidende Frage der Sukzession nach Philipps Tod wurde indes ausdrücklich offengelassen, um zu gegebener Zeit an die Stände delegiert zu werden. Einen Tag später erklärte der jüngste der Brüder, dass er zugunsten Samuels auf sein Recht am väterlichen Erbe verzichte, da er inzwischen Inhaber einer Präbende am Domkapitel in Speyer sei.487 Die beiden anderen Brüder, Daniel (1530 – 1577) und Heinrich (1531 – 1577), waren hingegen nicht so genügsam und forderten nachdrücklich ihren Anteil am Gesamtbesitz, sodass ihnen ihr Vater schließlich die lediglich als Pfandschaft in seinem Besitz befindlichen Ämter 483 Ebd. Aus dieser Formulierung wird – wie auch an anderen Stellen, wo etwa von den Landgrafen als ‚Lehns- und Landesfürsten‘ gesprochen wird – offenkundig, wie stark die politische Anbindung an Hessen im 16. Jahrhundert praktiziert und wahrgenommen wurde. 484 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 793, Erklärung Samuels, undatiert (vermutlich Februar/März 1554). 485 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 347, Vertrag vom 12. 03. 1554. 486 Daher wurde vertraglich ebenfalls festgehalten, dass Samuel 6000 fl. aus dem zu erwartenden Brautschatz seinem Vater auszuhändigen hatte, wovon dieser die Schulden des Amtes Waldeck begleichen wollte. 487 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11163. Sein Recht am väterlichen Erbe behielt er sich allerdings für den Fall vor, dass er die Präbende resignieren würde.

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Naumburg bzw. Itter zur Nutzung überschrieb.488 Damit war die Voraussetzung für einen Lebensstil als weltliche Herren erfüllt, und Heinrich verheiratete sich 1563, sein Bruder fünf Jahre später. Allmählich kam Philipp in ein Alter, in dem es ihm zunehmend schwerfiel, die alltäglichen Regierungsgeschäfte zu übernehmen, sodass er seine Söhne um Unterstützung bitten musste. Zudem starb am 6. Januar 1570 der Erstgeborene, Samuel, und hinterließ einen kleinen Sohn, der nach den schwarzburgischen Verwandten seiner M ­ utter Günther (1557 – 1585) genannt wurde. Nachdem Anna Maria von Schwarzburg aufgrund ihrer heimlichen Eheschließung mit einem Bürgerlichen festgesetzt worden war, schaltete sich Landgraf Wilhelm von Hessen-­Kassel in die waldeckischen Angelegenheiten ein und installierte eine Vormundschaftsregierung, der unter anderem Graf Heinrich angehörte.489 Eine endgültige Regelung der Sukzession nach Philipps Tod wurde zwar immer wieder projektiert, jedoch nie in die Tat umgesetzt.490 Als dieser schließlich am 30. November 1574 das Zeitliche segnete, blieben drei potenzielle Erben bzw. Nachfolger – die beiden Söhne Daniel und Heinrich sowie deren unmündiger Neffe Günther. Dass die Regelung der Herrschafts- und Erbnachfolge nun ganz oben auf der Agenda stand, lässt sich an einem Brief ablesen, den Daniel kurze Zeit später an seinen Eisenberger Verwandten Wolrad II. schickte und ihn darin über den Todesfall informierte sowie zu einem Vergleichstag über das väterliche Erbe am 4. Januar des kommenden Jahres einlud.491 Ein ähnliches Schreiben erging auch an Landgraf Wilhelm,492 dessen Schwester Barbara mit Daniel vermählt war. Neben diesen engen verwandtschaftlichen Beziehungen z­ wischen Waldeck und Hessen war es freilich vorrangig Wilhelms Stellung als Lehens- und eigenthumbs furst 493 488 Zwischen 1563 und 1568 schlossen Philipp und seine Söhne mehrere Verträge, die im Detail die Nutzungsrechte an den jeweiligen Ämtern regelten; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 137. 489 Vgl. Steinmetz, Beamten, in: GBW 56 (1964), S. 117. Zu den Hintergründen siehe Kap. 3.1.4. 490 Noch am 12. Mai 1573 wurde z­ wischen Vater und Söhnen beschlossen, dass die Mutschierung in naher Zukunft durchgeführt werden solle; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 683. 491 Vgl. ebd., Nr. 758, Konzept. Wolrad antwortete am 19. Dezember 1574, indem er Trost spendete und seine persönliche Anwesenheit oder die eines Dieners bei den Verhandlungen zusagte. Zudem betonte er, dass es ihn freue zu vernehmen, dass Daniel zu friedtlichem wesen geneigt undt friedt undt einigkeitt z­ wischen sich undt dero geliebten Bruder undt vettern zu stifften undt ahnzurichten gewogen, darzu der liebe getreuer Gott seinen Geist undt gnade ver­ liehe. Was ahn mir ist, will ich darzu gantz gern soviel immer möglich rathen undt thun helffen. 492 In dem Brief bedanken sich Daniel und Heinrich höflich für die Abordnung hessischer Räte zum Begräbnis ihres Vaters und bitten darum, diese erneut am 4. Januar 1575 zur Verhandlung der Mutschierung nach Waldeck zu ­schicken. Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 26, Konzept vom 08. 12. 1574. Wilhelm antwortete wenige Tage später und sagte Unterstützung in Form seiner Räte zu. 493 Ebd.

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der Grafschaft, die seine Mitwirkung an den Teilungsverhandlungen unumgänglich machte. Zugleich waren er bzw. seine abgesandten Räte mit der notwendigen Autorität ausgestattet, eine von allen Konfliktparteien akzeptierte Entscheidung überhaupt herbeizuführen. Am 5. Januar 1575 begannen auf Schloss Waldeck die Verhandlungen. Als Unterhändler fungierten der hessische Vizekanzler Doktor Heinrich Hund, genannt Canis, und der Drost Eckbrecht von der Malsburg, Graf Wolrad aus der Eisenberger Linie sowie die waldeckischen Beamten Melchior Linde und Anton Holmann anstelle der Witwe des verstorbenen Grafen Johann von Waldeck-­ Landau, Anna zur Lippe. Somit waren zuzüglich der drei Wildunger Grafen samt ihren Anwälten Vertreter aller drei Linien zugegen. Da alle Beteiligten grundsätzlich an einer zügigen Vergleichsfindung interessiert waren, entschied man sich zuvorderst für ein Verfahren, bei dem in Gegenwart aller verhandelt wurde, anstatt jede Partei zunächst einzeln anzuhören.494 Daraufhin brachte der Anwalt des nunmehr ältesten Sohnes des Verstorbenen, Daniel, dessen Position vor und verlangte die alleinige Regierung über den Wildunger Landesteil sowie die Wildunger Hälfte des Schlosses und Amtes Waldeck als Voraus.495 Was die übrige Erbmasse angehe, sei sein Prinzipal zur Teilung bereit. Als Begründung führte er das Herkommen der Grafschaft an und verglich die Situation ausdrücklich mit der Sukzessionspraxis der Nachkommen des Grafen Wolrad I., nach dessen Tod 1475 die Herrschaft nicht an den Sohn des ebenfalls verstorbenen Erstgeborenen, mithin seinen Enkel Heinrich, sondern an seinen zweitgeborenen Sohn Philipp II . gekommen sei. Dieses Senioratsprinzip, nach dem stets der älteste männliche Nachkomme aus dem Kreis der potenziellen Erben und nicht zwangsläufig der Erstgeborene und dessen Linie sukzediert – was in d­ iesem Fall auf ein alleiniges Erbrecht Günthers hinausgelaufen wäre – sei nicht nur gängige Praxis im Haus Waldeck, sondern zudem in Übereinstimmung mit dem gemeinen Recht.496 Heftiger Widerspruch gegen diese Position kam unterdessen nicht von den Vormündern des noch minderjährigen Günther, sondern zunächst von Graf Heinrich, der seine Ansprüche auf Partizipation an der Herrschaft übergangen sah und daher nachdrücklich für eine Herrschaftsteilung plädierte. Schließlich habe Graf Philipp drey Erben nachgelaßen, und daher vermuge Rechtens, der­ gleichen auch dem Herkommen nach Teutscher Nation, allen Nachlaß ahn Landt, 494 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 311, Protokoll der Verhandlungen. 495 Als Voraus bzw. praecipuum wird im römischen Recht ein besonderer Teil des Gesamtnachlasses bezeichnet, der vor dem eigentlichen Erbgang einem bestimmten Erben zugedacht wird. Vgl. Neschwara, Art. Voraus. 496 Es sei den gemeinen beschriebenen Rechtten nicht ohngemeß, w ­ elche in dignitatibus et honoribus, aliisque variis, dem Eltisten, non quidem habita ratione primogeniturae, sed potius maioris aetatis, den Vorzugk undt Prioritet zugeben, HStAM, 115/01, Nr. 311, fol. 5r.

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Leutthen und Erbschafft zu drey theilen auff dießelbe gefallen.497 Neben gemeinem Recht und Herkommen verwies der Anwalt auch auf den persönlichen Willen des Verstorbenen, der die Zeytt seines Lebens nyt anderß gesinnet gewesen, dan seyne Söhne auff den fall zugleich erben soltten 498, wovon auch der Vertrag aus dem Jahr 1554 zeuge.499 Auch das von der Gegenpartei angeführte Beispiel der Nachfolger Wolrads I. sei hier irreführend und widerspreche nicht grundsätzlich einer Teilung. Schließlich habe der Ältere (Philipp II .) die Herrschaft für den Jüngeren (Heinrich) nur als Vormund ausgeübt. Sobald letzterer zu seinen Jahren gekommen sei, habe man die Herrschaft im Jahr 1507 gleichmäßig geteilt. Außerdem zeige auch der Blick auf andere Territorien, dass sowohl Fürstentümer als auch Grafschaften stets und überall geteilt würden. Die Partei Daniels hatte offenbar mit Widerspruch gerechnet und sich entsprechend vorbereitet, da sie nun mit einem ausführlichen Plädoyer für die Bevorzugung des Ältesten vor seinem Bruder und seinem Neffen antwortete. Dabei bemühte sich der Anwalt, die Argumente seines Widerparts systematisch zu widerlegen. So verwies er in Bezug auf das gemeine Recht zunächst darauf, dass Fürstentümer und Grafschaften aufgrund ihres Lehnscharakters nicht geteilt werden dürften. Vielmehr sei allein der jeweils Älteste zur Übernahme der Lehen und anderer Würden privilegiert.500 Diese Regel decke sich mit dem Rechtsgebrauch im Reich. Hinsichtlich des Herkommens der Grafschaft Waldeck sei zwar zuzugestehen, dass hin und wieder gegen das grundsätzliche Teilungsverbot verstoßen worden sei, jedoch sei die eigentliche Regierung stets beim Ältesten geblieben. Auch der Vertrag z­ wischen diesen von 1507 stütze die eigene Position, denn dort sei schließlich festgelegt worden, dass es nur zwei Regierende Herren geben dürfe, weshalb folglich auch gegenwärtig die eigentliche Regierung nicht weiter aufgeteilt werden könne. Dies sei auch mit dem Willen des Verstorbenen konform, der ja im Vertrag von 1554 gerade bestimmt hätte, man solle nach Rechtslage entscheiden, die eindeutig gegen eine weitere Teilung spreche. Die Mitsprache der Stände sei hier im Übrigen nicht notwendig, sondern nur für den Fall vorgesehen, dass sich die Brüder nicht würden einigen können. Schließlich führte man noch die negativen Folgen auf, die eine weitere Teilung der Herrschaft und des Amts Waldeck mit sich bringen würde. So hätten zuvorderst die Untertanen unter einer 497 Ebd., fol. 6v. 498 Ebd. 499 Dessen Wortlaut hatte die konkrete Regelung der Sukzession nach Philipps IV. Tod aber nun gerade offengelassen. 500 In den Rechtstraktaten sei geschrieben, dass Furstenthumbhe, Grafschafften und dergleichen dignitatum feuda nichtt mögen getheilt werden. HStAM, 115/01, Nr. 311, fol. 11v. Vielmehr sei es rechtens, dass maior aetas zuem höchsten in den allgemeynen Rechtten privilegiiret, undt derowegen dem Eltisten die prioritet und vorzug in gahr vielen dingen, in sonderheit aber in dignitatibus et officiis gegönnet und gestattet würdt, ebd., fol. 20r.

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Vermehrung der Regenten zu leiden, da sie mit mehr Diensten beschwert werden würden. Auch unter den Brüdern selbst sowie ­zwischen deren Personal würde es zweifellos häufiger zu Streit kommen. Schließlich gereiche eine Herrschaftsteilung sowohl dem Lehnsherrn als auch den eigenen Nachkommen zu Nachteil und würde auch gegenüber anderen Häusern ein schlechtes Beispiel abgeben. Nach ­diesem Plädoyer äußerten sich folgenden Tags schließlich die Vormünder des 16-jährigen Günthers und beschwerten sich über die spitzfindige Rechtsdiskussion z­ wischen Daniel und Heinrich. Ohne Umschweife gaben sie zu Protokoll, daß ihr Pflegherr alls primogeniti filius nichtt allein Graff Henrichen sondern auch Graff Danieln der Oberregirung halber zupraeferiren wehre 501. Insgesamt lassen sich demnach folgende Positionen identifizieren: Daniel prätendierte für sich den Vorrang und die alleinige Sukzession nach dem Senioratsprinzip, ebenso Günther gemäß der Primogenitur. Heinrich dagegen plädierte für eine gleichmäßige Teilung. Zur Stützung ihrer Ansprüche verfolgten die Parteien vor allem vier Argumentationsstränge. Erstens wurde von allen Parteien auf das gemeine Recht rekurriert. Dazu zitierten die juristisch ausgebildeten Beamten entsprechende Kernsätze aus einschlägigen Rechtsabhandlungen, mit denen sie ihre Argumentation abzusichern versuchten. Diese Verweise auf ausgewiesene Autoritäten sind vornehmlich als Geltungsbehauptungen zu interpretieren, die in der Sphäre der rechtlichen Verhandlung gemeinhin akzeptiert wurden – ungeachtet der Tatsache, dass auch für gegensätzliche Positionen stets Rechtsmeinungen gefunden werden konnten. Zweitens spielte der Verweis auf das Herkommen eine zentrale Rolle und zwar einerseits innerhalb des Referenzrahmens des Reiches, mithin die Praxis in den anderen fürstlichen und gräflichen Territorien, andererseits als Observanz in der Grafschaft Waldeck selbst. War damit vornehmlich die gewohnheitsrechtliche Praxis im Unterschied zum positiven Recht gemeint, so hatten doch auch die verschiedenen Hausverträge eine hohe Bedeutung und wurden zumeist ebenfalls unter dem Begriff Herkommen gefasst.502 Der Verweis auf den persönlichen Willen des Verstorbenen ist in d­ iesem Fall die dritte Argumentationsstrategie. Hatte Philipp IV. auch kein endgültiges Testament hinterlassen, so meinten die Parteien doch, seine Absichten dem 1554 geschlossenen Vertrag entnehmen zu können. Auch dieser konnte jedoch, schon aufgrund der

501 Ebd., fol. 24r. Diese Position stützten sie weiter durch ein schriftlich übergebenes Plädoyer. Da ­dieses im Protokoll nicht wiedergegeben wird, kann die Argumentation nicht genauer nachvollzogen werden. 502 Als weiteres Beispiel lässt sich ein Schreiben Samuels an den Drost Hermann von Viermund anführen, indem er diesen um Mithilfe bei der Aushandlung einer Erbteilung bat. Viermund sei ein Mann, deme auch alle gelegenheit und insonderheit das alt loblich herkommen disser Graveschafft vermuge und nach inhalt alter vertrege und erbeinigung fur andern kundtbar und bewust ist, HStAM, 115/01, Nr. 534, Schreiben vom 09. 11. 1553.

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ambigen Formulierung, nicht als eindeutiges Kriterium gelten und wurde dementsprechend von beiden Seiten herangezogen. Viertens und letztens argumentierten die Parteien utilitaristisch in dem Sinne, dass sie mehr oder weniger detailliert die Vor- und Nachteile einer Herrschaftsteilung aufzählten. Führte eine ­solche für ihre Befürworter zu größerer Wohlfahrt, stürzte sie die Grafschaft nach Meinung ihrer Gegner unumgänglich ins Verderben. Nun oblag es den Unterhändlern, diese drei konträren Positionen miteinander in Einklang zu bringen.503 Daher entschieden sie sich zunächst, den Modus des Verfahrens von einer gemeinsamen Verhandlung in die Durchführung von Gesprächen mit den einzelnen Parteien zu wechseln. Mit den Vormündern Günthers gelang eine Einigung recht zügig, da sie sich bereit erklärten, von ihrer ursprünglichen Position abzurücken. Als hartnäckiger erwies sich Heinrich, den die Unterhändler auch mit dem belehrenden Verweis auf die Sukzessionspraxis anderer Territorien – darunter Lippe –, ­welche stets dem Ältesten einen Vorzug gäben, nicht umzustimmen vermochten. Auch der von Daniel und Heinrich vehement abgelehnte Vorschlag, bis zur endgültigen Einigung einen hessischen Treuhänder auf Schloss Waldeck einzusetzen, erhöhte nicht eben die Kompromissbereitschaft. Als sich die Unterhändler schon zur Abreise bereit machten, lenkte Heinrich schließlich in letzter Sekunde ein 504 und erklärte sich bereit, für das Amt Rhoden samt einer gewissen Geldsumme zur Instandsetzung des dortigen Schlosses sowie den Hof Büllinghausen von seinem Anspruch auf die Regierung und das Amt und Schloss Waldeck abzutreten. Dieses Entgegenkommen führte schlussendlich dazu, dass am 8. Januar 1575 ein Vertrag geschlossen werden konnte, der Heinrich ebenjene Teile der Grafschaft, Daniel dagegen das von ihm prätendierte halbe Schloss und Amt Waldeck zusprach.505 Günther hatte sich dagegen erfolgreich um Schloss und Amt Wildungen bemüht. Weiterhin wurde beschlossen, etwaige Unterschiede in der Leistungsfähigkeit der Ämter auszugleichen. Dazu sollten die jeweiligen Einkünfte und Lasten aller zu verteilenden Ämter durch von den Grafen deputierte Beamte genauestens veranschlagt werden, bevor man zur endgültigen Teilung schreiten wollte.506 503 Freilich wird man auch den Verhandlungsführern aus Hessen sowie den anderen Waldecker Linien je spezifische Interessen in der Sache zuschreiben müssen. In erster Linie ging es jedoch um die zügige und gütliche Beilegung des innerdynastischen Konfliktes. 504 So vermerkt es das Protokoll; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 311, fol. 26v–27r. Dass die Einigung buchstäblich im letzten Moment gelang, belegt auch ein ungesiegelter Urkundenentwurf vom 8. Januar, der konstatiert, dass in Sachen der Verteilung von Waldeck, Wildungen und Rhoden kein Konsens erzielt werden konnte und die Sache auf den 25. Januar vertagt worden sei; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 81. 505 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 11211, sowie eine Abschrift in 115/01, Nr. 15. Abgedruckt in Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 370 f. 506 Heinrich behielt sich zudem vor, den Wohnsitz der anderen beiden zu übernehmen, falls diese ohne Erben versterben sollten. Darüber hinaus sollten die auf diese Weise frei

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Es lässt sich also im Großen und Ganzen ein Bemühen um Ausgleich und eine Regelung, die dem Gerechtigkeitsempfinden aller Seiten entsprach, feststellen. Freilich hatten sich die Befürworter des Modells einer reinen Paragialteilung bei alleiniger Übernahme der Regierung durch den Ältesten gegen die Alternativen einer Herrschaftsteilung bzw. der Primogenitur durchgesetzt. Dies bedeutete eine Art Mittelweg, mit dem alle Beteiligten leben konnten und der auf ein einträchtiges Nebeneinander der Wildunger Grafen hoffen ließ – zumindest solange sich an der gegenwärtigen Konstellation nichts änderte. Der Wille zur Einigkeit wurde schließlich auch im Urkundentext nachdrücklich bekundet, indem man festlegte, dass trotz der Mutschierung alle drei Grafen in der sampt belehenung der Graveschafft Waldeck pleiben, auch jderzeit in vorfallenden sachen vor einen Mann stehen, einander bruderlich unnd vetterlich mit treuen meinen und befordern, irer heuser offenung in kriegs, sterbens und andern vorstehenden leufften einander verstatten, auch soviell muglich nit trennen lassen, sondern zusammen halten sollen, ihnen allerseits wie auch der Graveschafft Waldeck zum besten 507.

Der Vertrag wurde schließlich von Landgraf Wilhelm IV. als dem Lehnsherrn ratifiziert. Als weitere Interessenpartei, die sich in die Aushandlung der Sukzessionsordnung einschaltete, erwiesen sich nun die Landstände, indem sie die Grafen im Nachgang der getroffenen Einigung dazu ermahnten, lediglich einen Regierenden Herrn zu küren.508 Seit den 1540er Jahren hatten sie immer mehr an Bedeutung gewonnen, da die Landesherren seit dieser Zeit intensivierten Steuerforderungen seitens des Reiches zu begegnen hatten.509 Die aus ­diesem Grund nahezu regelmäßig einberufenen Landtage trugen zu einer raschen Institutionalisierung des Adels und der Städte als landständische Korporationen bei, die somit auch in Sukzessionsfragen als eigenständiger Akteur und nicht lediglich als Weisungsempfänger der Grafen auftreten konnten, wie dies noch bei den Vertragsabschlüssen der Jahre 1507 und 1538 der Fall gewesen war.

g­ ewordenen Einnahmen allerdings gleichmäßig ­zwischen den Überlebenden aufgeteilt werden. Für den Fall, dass der Erzbischof von Mainz seine Ansprüche auf das Amt Rhoden würde durchsetzen können, versprach man Heinrich, entsprechenden Ersatz zu leisten. 507 HStAM, 115/01, Nr. 15, fol. 5r. 508 Dies geht aus dem Urkundentext der Hauptteilung vom 28. März 1575 hervor, in dem es heißt: Als wir aber auch von unser gemeiner Ritter unnd Landttschafft in schrifften ersucht und erinnertt, wilcher gestaltt bei unsern vorfahren den Graven zu Waldeck nicht allein loblich herkommen, sondern auch durch offenne uffgerichtte Erbeinigung und vertrege mit vorwissen und gutachtten gemeiner unser Ritter und Landschafft verbrievett und versiegeltt worden, das in dießem ortt Landes unser Graveschafften Waldecken ein Regierender herr ­seien solle, HStAM, 115/01, Nr. 81. 509 Vgl. auch Menk, Waldecks Beitrag, S. 22 – 24.

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Nach dieser grundsätzlichen Einigung über den Hauptstreitpunkt, nämlich die Frage nach dem Modus der Herrschaftsweitergabe, mussten noch die Details der Nutzenteilung geklärt werden. Auch hier wurde penibel auf die Gleichwertigkeit der drei Erbteile geachtet, wovon die präzisen Aufstellungen der Einkünfte und Lasten aller Ämter zeugen, die im Vorfeld eines zweiten Vergleichstags erstellt wurden. Dazu zog man die Einkünfteregister der Ämter Waldeck, Wildungen und Rhoden und der übrigen zu verteilenden Ländereien heran und führte die zu erwartenden Einnahmen an Steuern und Naturalien in einer Tabelle zusammen. Diese wurden zu drei Erbteilen zusammengestellt, woraus sich eine annähernd ­gleiche Verteilung ergab. Allerdings überstieg der Teil mit dem Amt Waldeck, der für Graf Daniel vorgesehen war, die anderen beiden deutlich.510 Neben den Einkünften verschaffte man sich auch Klarheit über die von Philipp IV. hinterlassenen Schulden, die ebenso gründlich verzeichnet, und über deren gleichmäßige Verteilung am 27. und 28. März z­ wischen den Parteien verhandelt wurde.511 Grundsätzlich lässt sich an dieser Stelle die These formulieren, dass die Praxis der modularen Erb- und Landesteilungen aufgrund der gleichberechtigten Ansprüche aller Söhne, aber auch ihrer gemeinsamen Pflicht zur Schuldenabtragung zu einer frühzeitigen Durchrationalisierung der landesherrlichen Verwaltung führte. So wurden regelmäßig die Grenzen der verschiedenen Ämter abgeschritten, Kompetenzen und Hoheitsgebiete abgesteckt und Ein- und Ausgaben gegeneinander abgewogen. Aus den Aufstellungen, die im Zuge der Teilungsverhandlungen angefertigt wurden, ergab sich ein ziemlich klares Bild über die Leistungsfähigkeit der einzelnen Ämter, Städte und Güter.512 Freilich ist damit noch nichts über die Ausgabenpolitik der Grafen gesagt, zumal aus der ebenfalls teilungsbedingt vervielfachten Hofhaltung auch erhöhte Belastungen erwuchsen. Schließlich wurde ein Vertrag geschlossen, der die Einigung vom 8. Januar bestätigte und die Verteilung des restlichen wildungischen Landesteils festschrieb.513

5 10 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 82, Tabelle vom 25. 03. 1575. 511 Vgl. das Schuldenverzeichnis und die Verhandlungsprotokolle ebd. 512 Zwar gab es auch in anderen Territorien, die nicht geteilt wurden, frühzeitig derartige Aufzeichnungen in Form von Urbaren oder Salbüchern, so auch in Lippe in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Doch auch hier nahm die Bestandsaufnahme erst mit der Aufteilung der Grafschaft in Paragialämter und der entsprechenden Zuteilung der übernommenen Schulden ab 1616 an Fahrt auf; vgl. Stöwer/Verdenhalven (Bearb.), Salbücher, S. XII  – X IV . 513 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 11212, Vertrag vom 28. 03. 1757; sowie Abschriften in 115/01, Nr. 81 und 422. Abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 371 – 376. Daniel erhielt neben dem ihm schon zugesprochenen Amt Waldeck noch Schloss, Stadt und Amt Naumburg, das Dorf Netze mitsamt der dortigen waldeckischen Grablege sowie das Dorf Bringhausen. Heinrich bekam zusätzlich zu Rhoden und Büllinghausen die halbe Herrschaft Itter sowie die ehemaligen Klöster Werbe und Ober-­Ense. Günther wurde über das Amt

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Die Oberregierung und die Herrschaft über die fünf wildungischen Städte sollte allerdings allein von Graf Daniel ausgeübt werden. Da dieser als regierender Graf auch höhere Ausgaben haben würde, wurden die sich aus der Verteilung ergebenden überschüssigen Einnahmen zum Voraus erklärt, der der Regierungsausübung dienlich sein sollte. Obgleich die beiden jüngeren ihre Erbteile ausdrücklich an die eigenen Nachkommen weitergeben und sich auch von ihren jeweiligen Untertanen huldigen lassen durften, wurde versucht, den Gesamtzusammenhalt zu wahren, indem Daniel die Huldigung im wichtigen Amt Waldeck sowie in den Städten zugesprochen wurde. Auch sollte er die Belehnung – freilich im Namen aller – empfangen und die aktiven Lehen allein ausgeben. Des Weiteren wurden dem gantzen Stamb Waldeck zum besten 514 ein Veräußerungsverbot jeglicher Güter und Ländereien und eine Reihe weiterer Integrationsmaßnahmen beschlossen, die deutlich die normative Ausrichtung der Einigung aufzeigen: Auf der einen Seite hatte prinzipiell jeder (männliche) Angehörige der Dynastie die gleichen Ansprüche auf das Erbe, weshalb akribisch nach einer Lösung gesucht wurde, die ebendiese Äquivalenz zumindest in wirtschaftlicher Hinsicht sicherstellen konnte. Auf der anderen Seite wurde nach Möglichkeiten gesucht, die ökonomische und herrschaftliche Basis durch Verweise auf das Gesamtwohl der Dynastie und entsprechende institutionelle Arrangements zu sichern. Dies bedeutete zwangsläufig eine Beschränkung der individuellen Ansprüche und Freiheiten mit Blick auf die kommenden Generationen. Beide Motive, das Streben nach Eintracht angesichts grundsätzlich gleichberechtigter Ansprüche sowie die Zurückstellung derselben zugunsten des übergeordneten dynastischen Gesamtinteresses, werden auch in der Narratio des Vertragstexts explizit ausgesprochen, erweitert noch um ein religiöses Motiv und das Wohl der Untertanen.515 Um die neu getroffenen Bestimmungen symbolisch zu bekräftigen, gelobten Daniel, Heinrich und Günther an Eides statt, bei Verlust ihrer Ehre nicht dagegen zu verstoßen. Eine Klausel, die getroffene Einigung auch von künftigen Generationen beschwören zu lassen wie im Erbvertrag von 1507, wurde allerdings nicht verabredet. Zwei Nebenabschiede regelten schließlich im Detail die Aufteilung Wildungen hinaus mit dem Haus Höhnscheid, 150 Mutt Getreide aus dem Amt Freienhagen sowie der Hälfte der Abgaben der Stadt Niederwildungen versehen. 514 HStAM, 115/01, Nr. 422, fol. 10r. 5 15 Die Urkunde erklärt, dass man sich im Namen der heyligen unzertheilten Dreyfaltigkeit, Gott dem Allmächtigen zu Lob und Ehren, auch zu Erhaltung und Vermehrung brüderlicher und vetterlicher Liebe, Trew und Einigkeit, unter uns selbstet, wie auch unsern Nachkommen und Erben, und dann auch unserm von GOTT dem Allmächtigen, uns beschwerten Landen und Leuten zum Besten und gedeylicher Fortsetzung unsers uhralten, wohlherbrachten Gräfelichen Standts und Namens […] vor uns selbstet und unsere, der Gebrüdere und Vettern allerseits mannliche eheliche Leibs-­Lehens-­Erben und Nachkommen erblich, ewiglich ohnwiederrufflich verglichen, vereiniget und vertragen habe. Zit. nach Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 372.

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der ererbten Schulden und die Erlegung der Graf Heinrich zugesagten Geldsumme.516 Was nun noch ausstand, war eine Aufteilung des Hausstands Philipps, also sämtlichen fahrenden Gutes. Dazu zählten beispielsweise Möbelstücke und sonstige Einrichtungsgegenstände, Stoffe und Kleider, Silbergeschirr, Schmuck, Bücher, aber auch Pferde, Nutzvieh und Getreide. Alles wurde inventarisiert, in drei Teile geteilt und schließlich durch Losentscheid den neuen Besitzern zugeführt.517 Dieses Verfahren garantierte wiederum die grundsätzliche Gleichwertigkeit aller Erbteile sowie eine unverfügbare Verteilung durch Delegation an den Zufall. Im Sommer 1575 nahm Daniel als ältester Graf im wildungischen Landesteil die Huldigung der Untertanen für sich und seine Nachkommen entgegen.518 Heinrich und Günther wurden gemäß dem frisch geschlossenen Erbvertrag als nächste männliche Verwandte subsidiär in das Treueversprechen eingebunden, damit die Regierungsübertragung im Todesfalle Daniels zügig und reibungslos vonstattengehen könnte. Tatsächlich trat dieser Fall bereits zwei Jahre später ein, als im Abstand von vier Monaten erst Daniel und dann Heinrich das Zeitliche segneten. Die mühsam gefundenen Regelungen waren also schon kurze Zeit später obsolet geworden. Da keiner der beiden Verstorbenen Kinder hinterlassen hatte, war es nun unbestritten am erst zwanzigjährigen und damit nach damaligen Maßstäben noch minderjährigen Günther, die Regierung zu übernehmen. Die aus der Ritterschaft stammenden Vormünder Schönberg Spiegel und Arnold von Rehen sowie der Magister Justus Scheffer führten ihr Amt allerdings noch bis ins Jahr 1578 weiter. Indes hinterließen Günthers verstorbene Onkel zwar keine Erben, jedoch zwei Witwen, mit denen der neue Regent nun um die Gewährung ihres Wittums in Streit geriet. So hatte Daniel seiner Gemahlin Barbara von Hessen, die ihrem fürstlichen Stand gemäß eine hohe Mitgift in die Ehe eingebracht hatte, zu Lebzeiten seinen gesamten Erbteil, bestehend aus den Ämtern Waldeck und Naumburg, zum Wittum vermacht, was nun Günthers finanziellen Spielraum erheblich einschränkte.519 Daher kam er mit ihr ebenso in rechtliche Auseinandersetzungen wie mit der Witwe Heinrichs, Anna von Viermund, die in beiden Fällen schließlich vor 516 Die von Philipp IV. ererbten Schulden wurden gleichmäßig auf alle drei Parteien aufgeteilt. Neu gemachte Schulden hingegen sollte zukünftig jeder Verursacher selbst tragen. In Sachen des Geldsumme, die Heinrich zur Instandsetzung des Schlosses Rhoden gewährt worden war, wurde beschlossen, diese durch Übernahme seiner Schulden aufzubringen. Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11213 und 115/01, Nr. 40, Vertrag vom 29. 03. 1575. 517 Dies geht aus einem Inventar mit der Überschrift Graff Gunther gefallen durchs loß uffm Hauße Waldecken den 8. Aprilis Ao 75 hervor, in: HStAM, 115/01, Nr. 311. 518 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 10651, Huldigungsurkunde der Stadt Korbach vom 23. 07. 1575. 519 Vgl. die Wittumsverschreibung vom 10. 12. 1575, in: Lünig, Reichs-­Archiv, Bd.  11, S. 378 – 380.

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dem hessischen Landgrafen geschlichtet wurden.520 Günther hatte sich zunächst geweigert, Anna ihr verschriebenes Wittum, namentlich die halbe Herrschaft Itter und das Haus Ober-­Ense, einzuräumen, wozu er sich nun jedoch gezwungen sah. Die Huldigung in Itter, die er als neuer Landesherr entgegennahm, musste laut des Schiedsspruchs im Beisein der Witwe geschehen, und den Untertanen wurde das Treueversprechen auch gegenüber Anna abgenommen.521 Dies bedeutete zweifellos eine rechtliche wie symbolische Aufwertung von Annas Status und eine empfindliche Einschränkung des landesherrlichen Machtmonopols. Günther selbst ging schließlich mit Margarethe, der Tochter seines entfernten Verwandten Johann von Waldeck-­Landau, eine Ehe ein, die jedoch kinderlos blieb. Nach ihrem Tod vermählte er sich 1582 mit der Gräfin Margarethe von Gleichen, mit der er einen Sohn namens Wilhelm Ernst (1584 – 1598) hatte. Dieser starb bereits im jugendlichen Alter während eines Studienaufenthaltes in Tübingen, womit die ältere Wildunger Linie an ihr Ende kam.522 Mit Blick auf die Nachfolge Philipps IV. von Waldeck-­Wildungen sind drei Punkte als Zwischenfazit festzuhalten. Erstens zeigt sich, dass es zum rechtlichen Austrag innerdynastischer Erbkonflikte längst keine Alternative mehr gab. Damit wurde die Verhandlungskompetenz in die Hände juristischer Experten gelegt, die das Verfahren in geregelte Bahnen lenkten. Allen Parteien war es laut Eigenaussage an einer Vermeidung von „Weitläufigkeit“ gelegen, und in der Tat ging die Rechtsfindung im Rahmen der Vergleichstage – verglichen etwa mit Prozessen vor dem Reichskammergericht – relativ zügig vonstatten. Dennoch gelang es den Grafen nicht vollends, wichtige Entscheidungen wie diejenige über den Sukzessionsmodus innerhalb der Dynastie zu treffen, da Hessen als Lehnsherr durch seine abgesandten Räte, die in ständiger Korrespondenz mit dem Landgrafen standen, eng in das Verfahren eingebunden war. Der hessische Lehnshof bildete nach den internen Schiedstagen die nächsthöhere Schlichtungsinstanz, was es den Landgrafen erlaubte, die zahlreichen kleineren und größeren Konflikte ­zwischen den waldeckischen Agnaten zu politischen Interventionen zu ­nutzen.523 Zum Zweiten wurde gezeigt, dass besagte Konflikte ihre Ursache in den unterschiedlichen Ansprüchen und konkurrierenden Normen hatten, die es mühsam abzuwägen und miteinander in Einklang zu bringen galt. Die grundsätzlich als 520 Zur Auseinandersetzung Günthers mit Barbara und den hessischen Schlichtungsversuchen vgl. HStAM, 115/01, Nr. 825 – 828; desgleichen zum Streit mit Anna ebd., Nr. 829 – 830. Zu Anna vgl. Landau, Anna von Viermund. Siehe auch Kap. 3.1.4. 521 Vgl. die abgedruckte Vertragsurkunde vom 07. 12. 1577, in: Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 380 f. 522 Vgl. Knöll, Graf Wilhelm Ernst. 523 Diese Nähe ­zwischen Lehnsherr und Vasall war eine der Ursachen für den Verfassungskonflikt, der sich in den 1610er und 1620er Jahren um die Frage der waldeckischen Reichsunmittelbarkeit entzünden sollte. Vgl. dazu Menk, Beziehungen, S. 79 – 92.

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legitim anerkannten Erbansprüche der männlichen Agnaten standen dabei dem Bemühen entgegen, die Herrschaft innerhalb der einzelnen Linien nicht weiter zu teilen, was sich schon bei den landauischen Erbverzichten gezeigt hatte. Dieses Restriktionsprinzip kam dem Anspruch einzelner Grafensöhne auf die alleinige Herrschaft, namentlich Daniels und Günthers, zugute. Daraus folgte wiederum eine Verfestigung der Unterscheidung ­zwischen dem Erbe, dessen Aufteilung unter die Söhne bzw. Enkel weiterhin unbestritten war, und der Herrschaft im engeren Sinne, in die nur noch ein einziger Nachfolger sukzedieren sollte. Fürsprecher dieser klaren Trennung waren neben Graf Daniel, der sich berechtigte Hoffnungen auf die alleinige Sukzession machte, vor allem bürgerliche Juristen wie Hermann Ulner, aber auch die Landstände, deren Status sich von reinen Ausführenden des landesherrlichen Willens hin zu einer eigenständigen Interessengruppe verändert hatte. Beide Seiten lieferten unter Verweis auf das mal dynastisch, mal stärker territorial akzentuierte Gemeinwohl sowie das Herkommen Argumente gegen eine Herrschaftsteilung, derer sich die Nachkommen Philipps bedienen konnten. Lediglich Heinrich, der weder der älteste lebende Agnat noch der Sohn des verstorbenen Erstgeborenen war, plädierte aus naheliegenden Gründen für eine gleichmäßige Herrschaftsteilung. Vereint waren dagegen alle Agnaten in der Abwehr von Ansprüchen, die eindeutig außerhalb der Dynastie verortet wurden, oder die, wie die der Grafenwitwen, aus einer Zwischenposition heraus geäußert wurden. Allerdings hatten die Witwen mit ihren ehevertraglich abgesicherten Wittumsverschreibungen ein mächtiges Instrument zur Hand, mit dem sie über die materielle Absicherung hinaus zuweilen auch Herrschaftsrechte beanspruchen konnten. Schließlich und drittens ist mit Blick auf die sich an die Mutschierung anschließende kurze Herrschaftsperiode zu konstatieren, dass die Erbteilung tatsächlich eine Zeit lang zu einem harmonischen Verhältnis z­ wischen den Brüdern und Neffen führte. Erneut war allerdings der biologische Zufall viel gravierender und strukturprägender als die rechtlich gefundenen Normen. 2.3.6 Bewährte Praxis: Die vierte große Landesteilung (1607) Hatte Philipp IV . Mitte des 16. Jahrhunderts noch konstatieren können, dass das Gravelich Waldecksch geschlecht nach gottlicher schickung seher gemehrt und verbreittet geworden 524, so führte eine Reihe plötzlicher Todesfälle innerhalb der zweiten Jahrhunderthälfte dazu, dass der Kreis der möglichen Nachfolger am Ende nur noch aus zwei Personen bestand. Namentlich das ‚Aussterben‘ der Landauer und der Wildunger Linie durch die dicht aufeinander folgenden Tode ihrer 524 HStAM, 115/01, Nr. 683.

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jeweiligen Exponenten Franz III. und Wilhelm Ernst in den Jahren 1597 und 1598 machte die noch unmündigen Eisenberger Sprösslinge Christian (1585 – 1637) und W ­ olrad IV. (1588 – 1640) nach agnatischem Erbrecht auf einen Schlag zu Alleinerben aller drei Linien. Beide Grafen verbrachten die kommenden zwanzig Jahre nach dem Tod ihres Vaters Josias (1554 – 1588), der seinem Vater Wolrad II. in der Herrschaft gefolgt war, unter der Obhut wechselnder Vormünder 525 und bereiteten sich unter anderem durch ein Studium in Straßburg und eine ausgedehnte Kavalierstour intensiv auf die Regierungsübernahme in der gesamten Grafschaft vor.526 Die Phase der Vormundschaftsregierung, die insbesondere seit dem Amtsantritt Simons VI. zur Lippe 1598 aufgrund der zahlreich überlieferten Abschiede gut dokumentiert ist,527 konnte zwar nicht bruchlos an die intensivierte Landesherrschaft des Grafen Josias anknüpfen, war aber ebenfalls durch eine gewisse Rationalisierung gekennzeichnet, die sich etwa in der Inventarisierung der Ländereien aller Ämter niederschlug.528 Zudem zeichnete sich die Politik der Vormünder durch eine engagierte Interessenvertretung im Namen ihrer beiden ­Mündel aus, wie beispielsweise bei der Herrschaftsübernahme in Landau deutlich wurde. Bereits in seinem Testament vom 1. März 1597 hatte der hier residierende, kinderlose Franz III. seine Herrschaft seinen vielgeliebtte[n] vettern undt pupillen ­Christian und Wolrad vermacht, da die gantze Graffschafft Waldeck von dem furstlichen Hauß Hessen zu lehen herrurett und daher billich von rechttz wegen auff unsere nehesten agnaten 529 fallen müsse. Deutlich erscheinen hier Parallelen zur Situation gut hundert Jahre zuvor, als der ebenfalls kinderlose Otto IV. die ältere Landauer 525 Zunächst übernahmen die Vormundschaft Franz III. von Waldeck-­Landau sowie die Witwe Josias’, Maria von Barby-­Mühlingen, die 1592 durch ihren neuen Gemahl Graf Georg III. von Erbach abgelöst wurde. Nach dem Tode Franz’ übernahm ab 1598 Graf Simon VI. zur Lippe dessen Amt als zweiter Vormund bis zur Aufhebung der Vormundschaft im Jahr 1608. Vgl. dazu die reichskammergerichtlichen Vormundschaftsbestätigungen in HStAM, 140, Nr. 2, 18a u. 14. Simon war bereits unmittelbar nach dem Tode Josias’ von dessen Witwe zur Übernahme der Vormundschaft gedrängt worden, woraufhin dieser aber offenbar noch gezögert hatte (HStAM, 115/01, Nr. 1118). Auch sein Freund Franz III. bat ihn in seinem Testament noch einmal mit Nachdruck darum und erinnerte ihn daran, das wolgemelt unser herr vatter seliger [= Johann I., LP] sich seiner Liebden zu deren unmundigen jungen jharen als ein vormunder trewlich angenomen, HStAM, Urk. 85, Nr. 258, fol. 7v. Zu Simons Vormundschaftsregiment vgl. auch Falkmann, Beiträge, Bd. 5, S. 178 – 185. 526 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 97. 527 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 608. Simon zur Lippe und Georg von Erbach trafen sich regelmäßig ein bis zweimal im Jahr an wechselnden Orten, um über die waldeckischen Angelegenheiten zu entscheiden. Da Simon von Brake aus innerhalb einer Tagesreise in die Grafschaft Waldeck gelangen konnte, erklärte er sich bereit, gelegentlich vor Ort nach dem Rechten zu sehen, wichtige Entscheidungen jedoch nur in Abstimmung mit Georg zu treffen. 528 Vgl. Menk, Waldecks Beitrag, S. 25 – 32. 529 HS tAM , Urk. 85, Nr. 258, fol. 2v. Die nächsten Agnaten waren hier eben die über den gemeinsamen Stammvater Philipp III . verwandten Eisenberger Christian und Wolrad,

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Linie beschlossen und seine Herrschaft auf g­ leiche Weise testamentarisch seinen agnatischen Verwandten überschrieben hatte. War es damals aufgrund der ambigen Formulierungen zu Auseinandersetzungen um den Vorrang der Sukzessoren gekommen, wurde hier die Gleichberechtigung Christians und Wolrads eindeutig festgeschrieben. Im Unterschied zu Otto argumentierte Franz nun ausdrücklich lehnsrechtlich: Die Qualität der Grafschaft Waldeck als hessisches Lehen bedingte die Zusammengehörigkeit der zeitweilig geteilten Herrschaftsteile, die nun wieder an die Agnaten fallen sollte – die Existenz der Gesamtdynastie stand für die Zeitgenossen trotz Teilung nicht infrage. Das Landauer Erbe hatte nun allerdings einen Haken, denn mit der Sukzession im Lehen ging auch die Übernahme eines großen Schuldenberges einher, den Franz seinen Vettern vermachte und zu errettunge unser undt unser vorfharen undt also auch ires eigenen fleisch undt blutz, auch zu erhalttunge des Gravelichen Waldeckischen Nahmen, Ehren undt Stantz 530 abzutragen auftrug. Während nun die Sukzession in Landau von den Vormündern im Namen der beiden Junggrafen prätendiert wurde, versuchte man sich des mobilen Erbes geschickt zu entledigen: weil der Schulden aber viell und was an Landt und Leuthen und immobilien verhanden alles lehnruhrig, möchte man nichts liebers sehen, dan das ein Erbe oder Erbinne verhanden, der oder die in mobilibus succedirt, muste dan der oder dieselbige wie billich auch die Schulden last auf sich nehmen, undt konten also die Lehnsfol­ ger damit verschonet bleiben 531. Zu einer solchen Aufteilung z­ wischen Sukzession ins Lehen und in die übrige Erbmasse ist es in der Folge jedoch nicht gekommen. In Zuge der Inventarisierung der hinterlassenen Güter des Grafen Franz kam es nun zu einer Auseinandersetzung mit der Witwe des Verstorbenen, Walburg von Plesse, die sich um einige aus ihrer Morgengabe begründeten Eigentumsrechte betrogen sah. In ihrer Antwort auf diese Vorwürfe zeigten sich die Vormünder als unnachgiebige Verfechter eines agnatischen Erbrechts, demgemäß die Besitz- und Herrschaftsmasse unter allen Umständen innerhalb der männlichen Verwandtschaft zu verbleiben hatte und ‚auswärtige‘ Ansprüche, in ­diesem Fall also diejenigen der Witwe, umgehend juristisch entkräftet wurden.532 Ähnlich verhielt es während dem weiter entfernt verwandten Wildunger Wilhelm Ernst, der zum Zeitpunkt der Abfassung des Testaments noch im Leben weilte, kein Erbrecht zugestanden wurde. 530 Ebd., fol. 3r. Da ihm der moralische Appell an die verwandtschaftliche Bindung sowie die dynastische Ehre allerdings nicht ausreichend schien, um eine Verpflichtung seiner Erben zu erreichen, vermachte er ihnen zusätzlich sein Silbergeschirr und den übrigen Hausrat mit Ausnahme dessen, was seiner Witwe zustünde. 531 HStAM, 115/01, Nr. 608, Abschied vom 16. 04. 1598. 532 So heißt es im Bericht der im Namen der Vormünder handelnden Räte vom 11. Mai 1597: Und ist etwas frembt zuvernehmen, das I. g. wegen ihres dotis und donationis propter nup­ tias, auch anderer ins gemein angezogener frewlicher gerechtigkeit an den gutern, so etwa zu inventiren und sonsten nach todtlichem abgang wolg. unsers g. herren Graven Frantzen auf ihr

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sich gut ein Jahr später mit der Übernahme des wildungischen Teils der Grafschaft. Nachdem im September 1598 auch Wilhelm Ernst verstorben war, schickten die Vormünder unverzüglich ihre Räte in die entsprechenden Ämter, um diese für ihre Schutzbefohlenen in Besitz zu nehmen. In Rhoden kam es dabei zum Streit mit dem dortigen Amtmann, der die Übergabe des Amtes auf Befehl seiner Dienstherrin, der ­Mutter des verstorbenen Wilhelm Ernst, ­Margarethe von Gleichen, verweigerte. Die eisenbergischen Abgesandten pochten nun eindringlich auf das natürliche Sukzessionsrecht Christians und Wolrads, w ­ elche alß agnaten und lehnvolgere die negesten zu dem antheill der Graveschafftt Waldecke Wildungescher linien sein, und wiesen jegliche Ansprüche Margarethes zurück, dan nun weibliche personen ahn alsolchem Manlehnen keiner gerechtigheit sich anzumaßen haben 533. Dieser vehement vorgebrachten lehnsrechtlichen Position hatte der Amtmann nichts entgegenzusetzen und leistete den neuen Herren schließlich doch den Treueeid. Daraufhin wurden die neuen Besitzungen besichtigt und schließlich apprehendirt, es wurde also rituell Besitz von ihnen ergriffen.534 Auch Meier und Vogt, Bürgermeister und Rat von Rhoden mussten den Eisenbergern ihre Treue geloben. In entsprechender Weise wurden auch Schloss und Stadt Waldeck übernommen. Der dortige Amtmann, der sich ebenfalls unter Berufung auf einen Befehl Margarethes zunächst geweigert hatte, die neue Herrschaft anzuerkennen, wurde dabei kurzerhand aus seinem Amt entfernt.535 In den Jahren vor der förmlichen Regierungsübernahme waren es also vor allem die beiden Vormünder, die – unterstützt von den gräflichen Beamten – die territoriale Integrität und die Durchsetzung des agnatischen Erbgangs garantierten. In ­diesem Zusammenhang versuchten sie unter allen Umständen zu vermeiden, dass Teile der Herrschaft über das Erbrecht einer Witwe, die sich ja im Prinzip jederzeit wiederverheiraten konnte, entfremdet wurden. Zugute kam diese ausdrücklich im Namen der Dynastie geführte vehemente Interessenvertretung freilich nur den designierten g. jungen vettern wolg. Graven Christian und Wolrathen Graven zu Waldeck an Schlußern, Amptern, Stedten Landt und Leuten, mit aller derselbigenn hohe und Herligkeit ohn allen Mittell angefallen, einigs juris retentionis sich mit worten anzumaßenn geschweige wircklich zu undernehmen, in betrachtung das nicht alleine wolg. wittibe an denselbigen Schloßern, Amptern, Stedten sich keiner Rechtmeßigen Possession, außerhalb was I. g. an dem halben Ampt Rohden vor solch dotem und donationem propter nuptias auch andere frewlichen gerechtigkeit, wilche ir g. kundtlichen, haben mochten, gnugsamb hypotheqiren, also das einiges Retention respecta der andern Amptern und Heußern in dißem fall nicht von notten vielweniger von rechts wegen zuverstatten. HStAM, 115/01, Nr. 159, fol. 3r–v. 533 HStAM, 115/01, Nr. 4, Notariatsinstrument vom 23. 09. 1598. 534 Für die Beschreibung des konkreten Ablaufs eines solchen Rituals siehe Kap. 4.3.1. 535 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 11193, Notariatsinstrument vom 25. 09. 1598. Ein Ausgleich ­zwischen den Vormündern und der Gräfin Margarethe von Gleichen über ihr Wittum und den Nachlass ihres Sohnes Wilhelm Ernst wurde ein halbes Jahr später erzielt; vgl. ebd., Nr. 117, Urkunde vom 24. 03. 1599.

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Nachfolgern, deren ungeschmälerte Herrschaft von den Vormündern einstweilen treuhänderisch verwaltet wurde. Nachdem der Herrschaftsanspruch der beiden jungen Herren innerhalb des dynastischen Verbandes durchgesetzt war, ging es nun um die Klärung der Frage, wie die Herrschaft ­zwischen Christian und Wolrad aufgeteilt werden sollte. Beide Grafen waren zusammen erzogen und auf eine Laufbahn als weltliche Herren vorbereitet worden, die Möglichkeit, einen von ihnen von der Herrschaft auszuschließen, war niemals ernsthaft in Betracht gezogen worden. Christian, der ältere Bruder, übernahm schon 1604 die Regierungsgeschäfte im Wildunger Teil der Grafschaft, obwohl die Vormünder zunächst weiterhin im Amt blieben. Am 2. Mai 1606 wurden beide Brüder gemeinsam von Landgraf Moritz mit ihrer Grafschaft belehnt.536 In dieser Zeit lassen sich schon die Vorbereitungen zu einer erneuten Landesteilung fassen, die ein Jahr später in die Tat umgesetzt werden sollte.537 Der Entschluss, in der gegenwärtigen Situation erneut eine Erbteilung durchzuführen, basierte im Wesentlichen auf vier strukturellen Faktoren. Erstens waren die entsprechenden Ressourcen vorhanden, denn das Aussterben der beiden Linien Landau und Wildungen hatte die gesamte Grafschaft wieder zusammengeführt, sodass die Gefahr einer politisch nachteiligen Zersplitterung der Grafschaft nicht unmittelbar drohte. Zweitens wirkte die gegenwärtige genealogische Konstellation auf die Entscheidung ein, indem sie eine erneute Teilung und die damit verbundene Liniengründung nicht nur ermöglichte, sondern als sinnvoll nahelegte. Die Erfahrung hatte ja gezeigt, dass selbst drei florierende Linien innerhalb weniger Jahrzehnte auf zwei Agnaten zusammenschrumpfen konnten, und die Sicherung der biologischen Kontinuität des Hauses galt als oberstes Ziel. Drittens sprach auch das Herkommen als wichtigster normativer Rahmen der Dynastie ausdrücklich für eine Teilung, wovon die überlieferten Hausverträge Zeugnis ablegten. Selbst wenn von den Zeitzeugen, die jene Epoche miterlebt hatten, keiner mehr lebte, war das Wissen über die historischen Umstände erstaunlich umfangreich und detailliert.538 Eine Abweichung von der überkommenen und bewährten Praxis schien nun keinem der beteiligten Akteure opportun. Nicht einmal Simon VI. zur Lippe, der erst wenige Jahre zuvor in seinem eigenen Haus die Primogenitur eingeführt hatte,539 versuchte in seinem Amt als führender waldeckischer Vormund

5 36 Vgl. den Lehnsbrief in Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 383 f. 537 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 620. 538 Die Narratio der Teilungsurkunde verkündet, die Entscheidung sei aufgrund der Tatsache gefallen, dass bei Aufsuchung in Waldeckscher Repositur, auß uhraltten Gravelichen ver­ trägen sich ereuget undt befunden, das in vorjharen undt gleichen fallen eine durchgehende gleichmeßige vertheilung getroffen worden, HStAM, Urk. 85, Nr. 11194, Teilungsvertrag vom 15. 03. 1607, fol. 1v–2r. 539 Siehe Kap. 2.2.4.

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die Entscheidung in diese Richtung zu beeinflussen. Schließlich wirkte als vierte Bedingung die soziale Norm der Erbgerechtigkeit in dieser Situation besonders stark: Angesichts der etablierten Teilungspraxis wäre es den Zeitgenossen höchst anstößig vorgekommen, wenn lediglich einer der beiden Brüder die nun wiedervereinte und somit über eine gewisse Größe verfügende Grafschaft einschließlich aller Herrschaftsrechte geerbt hätte. Zudem waren ja beide Brüder in der Gewissheit aufgewachsen, dass sie eines Tages sukzedieren würden. Erneut wurde daher zwecks Gewährleistung der größtmöglichen Gleichwertigkeit beider Hälften die jeweilige Leistungsfähigkeit der Ämter taxiert, um diese dann in einen eisenbergischen und einen wildungischen Anteil aufzuteilen. Auch Klöster und Städte, ja sogar die für die dynastische Verklammerung der einzelnen Linien bisher so bedeutsame Stammburg Waldeck wurden je einer Seite zugeschlagen. Lediglich Korbach sollte als größte Stadt auch künftig unter gemeinsamer Herrschaft stehen. Ursprünglich war geplant gewesen, die theilung zu destomehrer sicherung der gleichmeßigkeit durch Loß furzunehmen 540, wovon letztlich abgewichen wurde. Wolrad erklärte sich nämlich kurzerhand bereit, seinem Bruder Christian den Vortritt zu lassen, eine Seite frei zu wählen. Dessen Wahl fiel auf Wildungen, woraufhin sich Wolrad mit Eisenberg zufrieden gab. Trotz der Aufteilung aller Ämter sollte die Erbhuldigung in allen Schlössern und Städten der Grafschaft gemeinsam eingeholt werden und jeder Seite im Kriegsfall das Öffnungsrecht vorbehalten sein. Des Weiteren sollte einer dem andern mit Landt und Leuthen und gemeiner Landtfolge auf den begebenden Nottfall Rettung undt Hilff zuthun und gleichsamb es innen selbst betreffe in Rechttmeßigen befuegten sachen beizuspringen schuldig und verbunden sein.541 Ein Veräußerungsverbot wurde im Gegensatz zu den früheren Verträgen nicht explizit ausgesprochen; vielmehr sollte in dem Falle, dass sich ein Verkauf oder eine Verpfändung nicht vermeiden ließe, der anderen Partei das Vorkaufsrecht sowie dem Verpfänder die Wiederlöse vorbehalten werden. Samtsachen blieben zudem die Bergwerke sowie das Samtarchiv auf Schloss Waldeck. Neben diesen auf Gleichheit bedachten Punkten wurden dem jeweils ältesten regierenden Grafen allerdings auch einige Vorrechte eingeräumt. Dazu zählten die Lehnshand, der Vorsitz des Hofgerichts, vor dem Samtsachen und ständische Angelegenheiten verhandelt wurden, sowie die Einberufung von Landtagen. Zuletzt wurde mit Blick auf die Unmündigkeit der beiden Grafen beschlossen, beim K ­ aiser die venia aetatis zu beantragen und zugleich um Konfirmation des Teilungsvertrags zu bitten. Die vorzeitige Volljährigkeit wurde am 31. März 1608 erkannt, woraufhin Simon zur Lippe als verbliebener Vormund sein Amt vor dem Reichskammergericht

540 HStAM, Urk. 85, Nr. 11194, fol. 3r. 541 Ebd., fol. 5v.

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niederlegte. Erst 1610 jedoch nahmen die beiden jungen Grafen die Huldigung der Untertanen entgegen.542 Bereits im Juni 1607 war jedoch auf dem einberufenen Landtag die Bestätigung der Erbeinigung von 1507 vorgenommen worden, die damit nach wie vor das wichtigste Hausgesetz blieb.543 Mit ­diesem Akt wurde das gemeinsame dynastische Band der im Entstehen begriffenen Linien erneut herausgestellt und durch den Einbezug einer dritten Partei, der Landstände, der Willkür der Agnaten entzogen. Das Verhältnis z­ wischen den beiden neuen Landesherren Christian und W ­ olrad IV. zeichnete sich durch eine vertrauliche Zusammenarbeit aus. Insbesondere während der schweren Belastungsprobe, die der Konflikt mit der Landgrafschaft Hessen um die infrage stehende Reichsunmittelbarkeit Waldecks bedeutete, gelang es den beiden Grafen durch geschickte Diplomatie, die Eigenständigkeit ihres Territoriums zu bewahren, wobei Christian seine guten Beziehungen zum ­Kaiser, Wolrad dagegen die zu den protestantischen Niederlanden aktivierte.544 Zudem wurde die Erbmasse während der Regierungszeit der beiden Grafen durch zwei glückliche Anfälle noch vergrößert. 1625 vermachte der erbenlose Johann Ludwig von Gleichen seine Grafschaft Pyrmont im Rahmen einer Erbverbrüderung den beiden Brüdern. Obschon die daraus erwachsenen Rechtsansprüche aufgrund der Kriegssituation nicht unmittelbar realisiert werden konnten, gelang mit schwedischer Hilfe schließlich die Sukzession in Pyrmont, deren Rechtmäßigkeit im Zuge der Verhandlungen zum Westfälischen Frieden reichsrechtlich bestätigt wurde.545 Der Streit mit dem ebenfalls Anspruch auf d ­ ieses Territorium erhebenden Fürstbistum Paderborn zog sich allerdings noch bis 1668 hin. Des Weiteren hatte Graf Wolrad durch seine Heirat mit der Markgräfin Anna von Baden-­Durlach Ansprüche auf die niederländische Grafschaft Cuylenburg erworben, deren Herrschaft sein Sohn Philipp Theodor nach dem Tod des dortigen Regenten 1639 antreten konnte. Schließlich gelang als letzte territoriale Erweiterung die Übernahme der kleinen thüringischen Herrschaft Tonna, die immerhin knapp drei Jahrzehnte in waldeckischem Besitz verbleiben sollte. Auf der Gegenseite stand allerdings die ererbte und durch die zahlreichen Durchzüge von Söldnerheeren während der Kriegszeit noch gestiegene Schuldenlast, der sich die Grafen ausgesetzt sahen.546 542 Für die kaiserliche Mündigkeitserklärung vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 448. Setzung eines Termins zur Landeshuldigung durch Simon zur Lippe vgl. HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 26. 05. 1610. Abschriften der Huldigungsurkunden in HStAM, 115/47, Paket Nr. 1. 543 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 10715a, Landtagsabschied vom 11. 06. 1607; sowie die Landtagsakten in 115/33, Nr. 97. 544 Vgl. Menk, Waldecks Beitrag, S. 35; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 216 u. 219. 545 Siehe bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 388 f. 546 Vgl. Menk, Waldecks Beitrag, S. 39.

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Am Übergang zum 17. Jahrhundert zeigte sich in Waldeck anhand mehrerer Sukzessionsfälle, dass sich die rund hundert Jahre zuvor entwickelte Vorstellung von der Grafschaft als zusammengehöriges Lehen etabliert hatte und auch in konfliktreichen Phasen nicht mehr infrage gestellt wurde. Analog zur Integration des Territoriums, das nach lehnsrechtlichen Bestimmungen agnatisch weitergegeben wurde, schloss sich auch die Dynastie als agnatische Sukzessionsgemeinschaft immer stärker zusammen. Die inzwischen übliche Unterscheidung ­zwischen Sukzession und Erbe wurde nun strategisch genutzt, indem man nach einem Erben suchte, der zwar von der Herrschaft ausgeschlossen sein, dafür jedoch die von Graf Franz angehäuften Schulden übernehmen sollte, was jedoch nicht gelang. Eine wichtige Konfliktlinie verlief ­zwischen den Agnaten der Dynastie und den Witwen, wobei erstere die letzteren mit Verweis auf die Unrechtmäßigkeit ihrer Ansprüche nach Lehnsrecht von der Herrschaft fernzuhalten versuchten. Dabei wurden sie von den Vormündern, die zwar nicht selbst Angehörige der waldeckischen Dynastie, wohl aber dynastische Herrscher waren, ebenso unterstützt wie von den Zentralbeamten aus Arolsen und Korbach. Das Handeln der örtlichen Amtmänner war dagegen stärker von Loyalität zu ihren Dienstherrinnen geprägt. Die zeitweiligen Landesteilungen beeinträchtigten diesen prinzipiellen Zusammenhalt von Grafschaft und Dynastie nicht im Geringsten. Auch 1607 erschien den Zeitgenossen eine erneute Teilung als sinnvoll, da der Zusammenfall dreier Landesteile, die genealogische Situation mit zwei potenziellen Sukzessoren, Erbgerechtigkeitsvorstellungen und insbesondere das dynastische Herkommen dies nahelegten. Während man bei der Verteilung der einzelnen Ämter und ihrer Einkünfte größten Wert auf brüderliche Gleichheit legte, wurden einige Privilegien wie die Lehnsvergabe dem Ältesten zugestanden. Mit dieser Konstruktion griff man auf eine inzwischen wohlbewährte Praxis zurück. Mit dem Rückbezug auf das Herkommen des Hauses – sei es in Form der bisherigen Praxis, sei es in Gestalt der überkommenen Hausverträge – gerät zudem eine weitere Dimension der dynastischen Institutionalisierung in den Blick: Indem Observanz und Hausrecht in der gegenwärtigen Situation als verbindlich angesehen wurden, institutionalisierte sich die Dynastie stets aufs Neue als transpersonale, überzeitliche Rechtsgemeinschaft. 2.3.7 Sukzessionspraxis bis zur Durchsetzung der Primogenitur (1607 – 1706) Bei dieser erprobten Praxis, das heißt der Teilung der Herrschaft bei gleichzeitiger Beibehaltung des Lehnszusammenhangs, blieb es im Prinzip die kommenden achtzig Jahre. Neu war hingegen die Regelmäßigkeit, mit der die jeweils regierenden Grafen zu gegebener Zeit ein Testament aufsetzten, in welchem sie ihre Nachfolge noch zu Lebzeiten regelten. In Wildungen hinterließ nicht nur Graf

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Christian einen Letzten Willen, sondern ebenso seine Nachfolger Philipp VII., Christian Ludwig und Josias II.547 Auf Eisenberger Seite ergeben die überlieferten Testamente von Wolrad IV., Philipp Theodor und Heinrich Wolrad ebenfalls ein recht vollständiges Bild.548 Eine Analyse dieser testamentarischen Dispositionen ergibt, dass alle Grafen ihre Söhne mit Ländereien samt Herrschaftsrechten ausstatteten, während die Töchter regelmäßig vom Erbe ausgeschlossen wurden. Dabei war die Gleichmäßigkeit der Erbanteile aller Söhne, die das Erwachsenenalter erreichten, weiterhin die Norm, an der man sich orientierte.549 Außerdem sollten sich die Söhne gegenseitig beerben, wenn einer von ihnen ohne leiblichen Erben das Zeitliche segnen würde. Wolrad IV . etwa verteilte Land und Leute dergestalt an seine vier Söhne, dass im Falle, dass einer von ihnen frühzeitig verstürbe, der nächstjüngere dessen Anteil übernehmen und alle Erben gewissermaßen eine Stufe höher steigen würden, wobei der letzte und damit freiwerdende Teil unter ihnen aufgeteilt werden sollte. Diese Praxis hatte auch Simon VI. zur Lippe in seinem Testament von 1597 festgelegt mit dem Unterschied, dass dieser seinem ältesten Sohn die alleinige Landesregierung zugesprochen hatte. Wolrad hingegen traf diese Unterscheidung nicht, allein die Lehnshand sollte dem ältesten Sohn reserviert sein. Ebenso ernannte auch Christian beide seiner Söhne zu seinen „lantsfolger[n]“550. Die Ausstattung aller Söhne nicht nur mit Paragialämtern, sondern auch einem Anteil an der Regierung war die übliche waldeckische Sukzessionsform in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Nach dem Engpass um 1600 führte der spürbare Anstieg der Kinderzahlen in den Ehen zu einer nun wieder stark verbreiterten genealogischen Basis. Dieser Umstand hatte in Kombination mit der Teilungspraxis zur Folge, dass zeitweise bis zu fünf regierende Grafen nebeneinander existierten. So belehnte beispielsweise Landgraf Wilhelm von Hessen-­Kassel im Jahr 1659 die Grafen Georg ­Friedrich, Johann II ., Christian Ludwig, Josias II . und Heinrich Wolrad gemeinsam mit der Grafschaft Waldeck.551 Aus der zahlenmäßigen Stärke, die die Gefahr des 547 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 272, 278, 283 u. 285. 548 Vgl. ebd., Nr. 276, 281 u. 284. 549 Wolrad etwa vermachte seinem Sohn Jakob anstat seiner Ld. legitimae und kindtheil (was ihr sonsten von unser grafschaft Waldeck gebuhret hette), die jülichschen Güter aus dem Brautschatz seiner Gemahlin Anna von Baden. Die Formulierung verweist einmal mehr auf den grundsätzlich legitimen Anspruch aller Söhne am väterlichen Erbe. Fernerhin bemühte sich Wolrad um Gleichmäßigkeit und vermachte seinem gleichnamigen vierten Sohn zusätzlich zu den Ämtern Arolsen und Mengeringhausen den Anspruch auf die Grafschaft Pyrmont, da ihm dessen antheil etwas geringer jegen die andere[n] erschien; HStAM, Urk. 85, Nr. 276 (Zitate fol. 3r bzw. 4r). 550 HStAM, Urk. 85, Nr. 272, fol. 5r. Ebenso verfuhr Philipp VII. mit seinen beiden Söhnen Christian Ludwig und Josias II. 551 Vgl. ebd., Nr. 518.

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­ ussterbens vorerst bannte, ergaben sich allerdings zwei neue strukturelle Pro­ A bleme. Erstens wurde die zu verteilende Erbmasse mit jeder weiteren Generation notwendigerweise immer kleiner. Hatten die Grafen Christian und Wolrad IV. bei ihrer Erbteilung 1607 noch acht waldeckische Ämter aufzuteilen gehabt, wurden schon zwei Generationen später die Söhne Philipps VII. nur noch mit je einem Amt versorgt. Zum Zweiten begannen sich die Lebensspannen der Generationen immer mehr zu überlagern, was nahezu regelmäßig zu konkurrierenden Besitzansprüchen führte. Konflikte waren somit vorprogrammiert.552 So beschwerte sich Johann II. über die Bevorzugung seiner Neffen (der Söhne seines verstorbenen Bruders Philipp VII.) und beanspruchte einen Teil des brüderlichen Erbes. Er hoffe nicht, ließ er sich in einer ernsten Protestschrift vernehmen, daß man sich zu Waldeck einen majoratum oder praeeminentz meiner jungen Vettern jegen die natur, recht undt gewonheit dieser Grafschafft einbilden werde 553. Dass die Erbteilungen die Versorgungsmasse stetig schrumpfen ließen, war selbstverständlich auch den Zeitgenossen bewusst,554 ohne dass man vorerst etwas dagegen zu unternehmen wusste. Eine damit nur mittelbar verbundene Gefahr, namentlich der Verlust von Ländereien an dynastiefremde Parteien, wurde in Eisenberg ohnehin als bedrohlicher eingeschätzt. Am 3. August 1639 schlossen Wolrad IV. und sein ältester Sohn Philipp Theodor einen Vertrag aus der Erwägung der Tatsache heraus, dass durch vermachthnuß, kauf, phand, ubergab, heurath, erbtheilung, sterbfall und derglei­ chen wege die zeitige guter Graff- und Herrschafften zum offtern in frembde geschlechter und familien und dardurch folglich Gräfliche Haußer in decadentz, abgang, schmelerung und endtlich gar in untergang, vernicht- und verachtung gerathen, wo solchem nicht bey zeit vorsehung geschicht und unterbauwet wirdt 555.

Was also noch gravierender empfunden wurde als die eingeschränkte politische Handlungsfähigkeit der Grafen aufgrund geringer Erbteile, war deren Verlust an andere Dynastien durch erbliche Vorgänge, aber auch durch Verkäufe, Verpfändungen oder die Ausstattung von Töchtern mit Land, die sie dann in den Besitz 552 Vgl. zu d­ iesem Problem auch Mutschler, Haus, S. 93; Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 67 – 72. 553 HStAM, 115/01, Nr. 20, fol. 1r. 554 Beispielsweise beginnt eine anonyme Denkschrift über die Hausverträge in der waldeckischen Dynastie von etwa 1670 mit den einleitenden Worten: Es ist im Heyligen Römischen Reich aus der allgemeinen erfahrung mehr alß bekandt, daß kein Furstenthumb, Graff- oder Herrschafft so mächtig und standhafft, welches nicht endlich durch vielfältige dismembrationes vergeringert und in abgang gerathen und kommen möchte, deme aber vorzubawen fast alle hohe und niedere Stände deß H. R. Reichs zu conservation ihrer Familien, dignität und Herrligkeit gewiße pacta und Verträge aufgerichtet, HStAM, 115/01, Nr. 150. 555 HStAM, 115/01, Nr. 1220, fol. 1r.

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fremder Häuser einbrachten. Daraus musste, so die Argumentation, zwangsläufig der soziale Abstieg folgen. Aus ­diesem Grund schworen sich Vater und Sohn, dass alle Länder, mobile Güter sowie Einkünfte, Lehen wie Allod, auf ewige Zeiten bey dem manlichen Stamb des nahmens und geschlechts der Grafen zu Waldeck unßer lini verbleiben 556 sollten. Die Töchter jedoch sollten nach Empfang einer Aussteuer von 4000 Gulden vom väterlichen Erbe ausgeschlossen sein. Auch in Zukunft sollte diese Erbeinigung von allen Nachkommen, sobald sie 16 Jahre alt würden, mit einem leiblichen Eid beschworen werden.557 Es wurde mithin großer Wert darauf gelegt, die Sukzession stets auf Personen aus der eigenen Linie zu beschränken. Lediglich im Falle des Fehlens männlicher Nachfolger griff das gegenseitige Erbrecht der Linien, das seit der Erbeinigung von 1507 immer wieder normativ bekräftigt, praktisch observiert und durch die Lehnsqualität der Grafschaft garantiert wurde. Als relativ bald nach den gut dreißig Jahre gemeinsam regierenden Brüdern Christian und Wolrad auch deren älteste Söhne Philipp VII. bzw. Philipp Theodor (beide † 1645) starben, wurde in beiden Linien eine Vormundschaftsregierung unter dem Vorsitz der Witwen geschaffen. In Wildungen regierte die Gemahlin Philipps, Anna Katharina von Sayn-­Wittgenstein, bis ihre Söhne Christian Ludwig und Josias II. 1658 bzw. 1660 ihr Erbe und die Regierung antraten. Als deren Onkel Johann II. 1668 und ein Jahr später auch Josias selbst starben, vereinte Christian Ludwig alle diejenigen Ämter in seiner Hand, die sein Großvater Christian nach der Teilung 1607 besessen hatte. In Eisenberg regierte seit 1645 zunächst die Witwe Philipp Theodors, Maria Magdalena von Nassau-­Siegen, für ihren Sohn Heinrich Wolrad. Als sie zwei Jahr später starb, übernahm dessen Onkel Georg Friedrich (1620 – 1692) das vormundschaftliche Regiment und 1664, nach dem Tod Heinrich Wolrads, auch die Gesamtregierung des eisenbergischen Landesteils. Die Regierungszeit der Grafen Georg Friedrich 558, der zunächst in Rhoden und später in Arolsen residierte, und Christian Ludwig, der dem Wildunger Teil der Grafschaft vorstand, war anders als die ihrer Vorgänger über weite Strecken von einer scharfen Rivalität geprägt. Deren Ursache lag vornehmlich in den Bemühungen 5 56 Ebd., fol. 1v. 557 Auch Anna von Baden, die Gemahlin Wolrads, wurde zu d­ iesem Vertragsschluss hinzugezogen. Bereits ein Jahr später wurde der Erbvertrag von K ­ aiser Ferdinand III . konfirmiert (vgl. HHS tA, RHR Gratialia et Feudalia Confirmationes privilegiorum deutsche Expedition, K. 230, Nr. 3; sowie HS tAM , 115/01, Nr. 1501) und schließlich von den drei jüngeren Söhnen Wolrads beschworen. 1659 leisteten auch die Enkel Wolrads, Heinrich Wolrad und Amalie Katharina, ihren Eid auf die Erbeinigung, und im Jahr 1680 eine ­weitere Enkelin, Sophie Henriette, aus Anlass ihrer Hochzeit mit Herzog Ernst von Sachsen-­ Hildburghausen. Die Furcht vor dem Verlust von Teilen der Erbmasse in fürstliche Hände war offenbar besonders groß. 558 Zu ihm vgl. Menk, Georg Friedrich; Klein, Art. Georg Friedrich.

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Georg Friedrichs, das bewährte Modell der Samtregierung abzuschaffen und sein Wildunger Pendant geradewegs von der Herrschaft auszuschließen.559 Um d­ ieses Vorhaben, bei dem er tatkräftig von seinem juristisch versierten Kanzler Dr. Johann Viëtor unterstützt wurde, in die Tat umzusetzen, versuchte er zunächst die Stände der Grafschaft auf seine Seite zu ziehen und strengte schließlich 1672 auch einen Gerichtsprozess vor dem Reichshofrat an. Dabei argumentierte er mit der Notwendigkeit einer effizienteren Samtregierung, wie sie die waldeckischen Hausverträge vorschrieben, sowie der politischen Unfähigkeit und dem Unwillen Christian Ludwigs, sich an einer solchen zu beteiligen.560 Obgleich der Prozess mit dem Tode Viëtors 1675 im Sande verlief und sich auch die Stände als konservatives Element erwiesen, indem sie sich gegen die Neuerung und zugunsten des innerdynastischen Friedens aussprachen, verfolgte Georg Friedrich seine Pläne, die Regierung der ganzen Grafschaft auf sich zu vereinen, in anderer Form weiter. Ob er sich dabei tatsächlich „über alle familiäre Räson hinweg die Staatsräson als oberstes Prinzip des Handelns“561 zu eigen machte, oder ob nicht vielmehr ein ausgeprägter persönlicher Ehrgeiz dahinterstand, ist schwer zu beurteilen. Zweifellos unterstreicht Georg Friedrichs Handeln aber den Umstand, dass sich die dynastische Ordnung auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch als äußerst fragil erweisen konnte, wenn mächtige Akteure ihren eigenen Interessen folgten. Zugleich zeigt sich, dass Anfechtungen der dynastischen Normen nicht immer vonseiten derer ausgehen mussten, die konkret durch sie benachteiligt wurden, sondern ebenfalls von landesherrlicher Seite betrieben werden konnten. Eine grundlegend veränderte Situation ergab sich im Juni 1678, als unerwartet der letzte Sohn von Georg Friedrich verstarb und dieser sich nun in der Position des einzig verbliebenen männlichen Vertreters der Eisenberger Linie wiederfand. Dieser Verlust führte dazu, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als seinen Landesteil dem Wildunger Christian Ludwig zu vererben, dessen Herrschaftsanspruch er so lange Zeit bekämpft hatte.562 Der erfolgreiche und ehrgeizige Fürst Georg Friedrich stand vor einer paradoxen Situation. Er konnte seinen persönlichen Ruhm, der in der Erhebung in den Reichsfürsten­ stand gipfelte, nicht an seine Nachkommen weitergeben und war gezwungen, den Fortbestand der Dynastie zu sichern, indem er die Landesherrschaft in die Hände der Wildunger Linie legte.563

559 Vgl. Menk, Absolutismus, bes. S. 98 – 132; Ders., Georg Friedrich, S. 70 – 112, bes. S. 71 – 73 u. 82 – 84; Ders., Frühneuzeitliche Beamte, S. 44 f.; Zöttlein, Dynastie, S. 52 f. 560 Vgl. Menk, Absolutismus, S. 120 – 122. 561 Menk, Frühneuzeitliche Beamte, S. 60. 562 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 242, Eventual-­Sukzessionsvergleich vom 29. 10. 1678; sowie Urk. 85, Nr. 11204, kaiserliche Bestätigung desselben vom 30. 01. 1681. 563 Zöttlein, Dynastie, S. 54.

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Letztere war es daher auch, die von einem weiteren von Georg Friedrich angeschobenen Projekt am meisten profitierte: der Einführung der Primogenitur.564 Diese vollzog sich in mehreren Schritten. Am 12. Juni 1685 wurde ­zwischen dem mittlerweile in den Fürstenstand erhobenen Georg Friedrich und seinem Mitregenten Graf Christian Ludwig das sogenannte Pactum Primogeniturae Waldeccense 565 abgeschlossen, das allerdings entgegen seiner Bezeichnung nach wie vor zwei Linien vorsah. Während Christian Ludwigs Erstgeborener seinen Vater als Wildunger Graf beerben sollte, war der zweitälteste Sohn als Nachfolger Georg Friedrichs in Eisenberg vorgesehen. Allein innerhalb dieser beiden Linien sollte das Primogeniturrecht observiert werden. Im Grunde handelte es sich damit um eine Rückkehr zu der Idee von 1507, nur zwei regierende Herren zu gestatten, nicht jedoch um eine Primogenitur im eigentlichen Sinne. Gleichwohl hat man es beim Pactum Primogeniturae nicht einfach mit der Formalisierung einer ohnehin schon praktisch observierten Norm zu tun,566 denn sowohl die bis 1597 bestehende Landauer Linie als auch die in den Testamenten Christians, Wolrads IV . und Philipps VII . disponierte Sukzession aller Söhne ohne Begrenzung der Regentenzahl widersprachen dem eindeutig. Auch hatte man bislang keineswegs immer die Erstgeborenen bevorzugt. Wenn Christian Ludwig also bei der Einführung der Primogenitur auf die Hausverträge von 1507 und 1575 rekurrierte, denen zufolge gemeinglich denen Primogenitis die alleinige Administration in gewissen Stücken nebst einem Praecipuo von Land und Leuten 567 zukomme, war dies nur die halbe Wahrheit. Vielmehr handelte es sich dabei um eine geschickte Legitimationsstrategie, die durch den ‚heuchlerischen‘ Rückbezug auf das Herkommen tatsächliche Neuerungen unsichtbar 564 Über die Motive der maßgeblich beteiligten Akteure lässt sich nur spekulieren. Laut Menk, Residenz Arolsen, S. 43, war es vor allem Georg Friedrich, der auch und gerade nach dem Tod seiner eigenen Söhne auf die Einführung der Primogenitur drängte, obwohl er selbst bzw. seine Linie keinen unmittelbaren Nutzen mehr davon gehabt hätten. Zöttlein, Dynastie, S. 55, behauptet dagegen, dass beiden Grafen an der Einführung der Primogenitur gelegen war, um angesichts der zahlreichen Söhne Christian Ludwigs eine eindeutige Sukzessionsregel zur Hand zu haben und „einer Zersplitterung der Grafschaft entgegenzuwirken“. Dennoch bleibt die Abwendung von einer langjährig bewährten und vom Herkommen legitimierten Praxis erklärungsbedürftig. 565 Vgl. die Ausfertigung in HStAM, 115/01, Nr. 1. Abgedruckt bei Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 384 – 410. Vgl. auch ebd., S. 377 – 379; sowie Ders., Erstgeburt, S. 446 – 4 49. 566 So Zöttlein, Dynastie, S. 53 f., mit Blick auf die Sukzession in der Eisenberger Linie. Es ist jedoch fraglich, ob die alleinige „Herrschaftsberechtigung“, wie sie schreibt, nach Philipp Theodors Tod unter Umgehung des Bruders Georg Friedrich direkt auf den Sohn Heinrich Wolrad ging, die Primogenitur innerhalb der Linie also bereits observiert worden war, oder ob Heinrich Wolrad nicht vielmehr lediglich den Grafschaftsteil seines Vaters erbte. 567 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 386.

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machte.568 Eine gleichfalls nicht zu unterschätzende Novität und eine klare Abkehr von der althergebrachten Praxis stellte der Beschluss dar, alle nichtregierenden Söhne künftig nicht mehr wie bisher mit Paragialämtern, sondern nur noch mit einer monetären Apanage von jährlich 1000 Reichstalern 569 zu versorgen. Damit wurde die Verfügungsgewalt über die territoriale Basis der Grafschaft in der Hand der beiden regierenden Grafen gebündelt. Eine weitere Besonderheit war schließlich die begrifflich vorgenommene Hierarchisierung der beiden Linien, indem man vom künftigen Wildunger Regenten als Primogenitus, von seinem für die Eisenberger Sukzession vorgesehenen Bruder dagegen als Sekundogenitus sprach.570 In der beschriebenen Form ist das Sukzessionsmodell jedoch nie in die Praxis umgesetzt worden. Bereits zwei Jahre später nahm Christian Ludwig mit der Einführung der sogenannten Verbesserungspunkte 571 einige Abänderungen des Pactum vor, deren wichtigste die Restriktion auf nur noch einen einzigen regierenden Grafen war. Damit erst war die Primogenitur im eigentlichen Sinne formal eingeführt. Ohne Zweifel können die Sicherung der „standesgemäßen Versorgung der apanagierten Grafen und der gräflichen Töchter“ sowie die „Erweiterung des Handlungsspektrums des nächsten regierenden waldeckischen Grafen“572 als Motive für Christian Ludwigs Handeln angenommen werden, so wie er sie selbst in einem Brief an seinen Verwandten Georg Friedrich darlegte. Dennoch wirkt die abrupte Abkehr von der bisherigen Zwei-­Regenten-­Praxis überraschend.573 Insbesondere die neben dem klassischen Verweis auf die Conservation und Vermehrung des ­Lustre vom Hauß nunmehr verfolgte Argumentation, dass die Einzelherrschaft weit mehrere Einigkeit 574 in die Dynastie bringen würde als eine gleichmäßige Erbteilung, stellte eine völlige Umkehrung der überkommenen Denk- und Handlungsweisen dar, die am ehesten mit Christian Ludwigs persönlichen Erfahrungen

568 Vgl. Neu, Heuchelei; Ders., Erschaffung, S. 499. Mit der gleichen rhetorischen Strategie wurde auf dem Landtag in Korbach 1687 die Bestätigung der Stände zur vermeintlichen „Wiedereinführung“ (zit. nach Schulze, Erstgeburt, S. 448, eigene Hervorhebung) des Primogeniturrechts eingeholt. 569 Diese Summe wurde zwei Jahre später auf 1500 Rthlr. und 1695 nochmals auf 2000 Rthlr. jährlich erhöht. 570 Vgl. Zöttlein, Dynastie, S. 55 f. 571 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 404. 572 Zöttlein, Dynastie, S. 57. 573 Freilich liefert Christian Ludwig selbst noch weitere Argumente und auch die Logik der Situation ist in die Überlegungen einzubeziehen: Sein für die wildungische Nachfolge vorgesehener ältester Sohn war unvermittelt gestorben, das Pactum Primogeniturae noch nicht kaiserlich konfirmiert, sodass eine Abänderung relativ problemlos vorgenommen werden konnte. Vgl. dazu auch Zöttlein, Dynastie, S. 57 f. 574 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 396 u. 397.

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mit der konfliktbelasteten Doppelherrschaft der vorausgegangenen zwanzig Jahre zu erklären ist. Zudem fiel die Einführung der Primogenitur in Waldeck in eine Zeit, in der sie auch bei den übrigen Fürsten- und Grafenhäusern des Reiches überwiegend observiert wurde, was fraglos vorbildhaft wirken musste.575 Die von Christian Ludwig im Alleingang disponierte Primogenitur wurde von seinem Mitregenten Fürst Georg Friedrich umgehend formell anerkannt und von den Ständen der Grafschaft bestätigt.576 Als der Eisenberger im November 1692 starb und sein Anteil der Grafschaft an Christian Ludwig überging, waren erstmals seit 1397 alle Ländereien wieder in einer Hand vereint. Dieser Zustand währte freilich nicht lange, da Christian Ludwig bereits 1695 die Sekundogenitur Bergheim einrichtete, mit der seine Kinder aus zweiter Ehe versorgt werden sollten. Diese wurden zwar explizit von der Landesherrschaft ausgeschlossen, sollten aber dennoch in der Lage sein, ein standesgemäßes Leben zu führen und sich zu verheiraten, um somit wiederum den Bestand der Dynastie zu sichern. Die Idee der Primogenitur wurde dadurch zwar in gewisser Weise konterkariert, doch anders als noch bei der Aufteilung des Landes unter die Kinder erster und zweiter Ehe Philipps III. im Jahr 1538 wurde dem sogenannten Sekundogenitus nunmehr nur ein Wohnsitz im neu erbauten Schloss Bergheim samt drei umliegenden Dörfern, stark eingeschränkten Herrschaftsrechten sowie einer Apanage von jährlich 4000 Reichstalern zugesprochen. Damit hatte sich das traditionelle Denken, das auf die Gewährleistung der dynastischen Kontinuität abstellte, noch einmal durchgesetzt. Ob die Einrichtung der Sekundogenitur auf Druck von Christian Ludwigs zweiter Gemahlin Johannette von Nassau-­Saarbrücken oder aus eigenem Antrieb geschah, ist umstritten.577 Nach der kaiserlichen Bestätigung von 1697 wurde der neue Sukzessionsmodus nach dem Tode Christian Ludwigs 1706 erstmals 575 Vgl. Fichtner, Protestantism, S. 72; Schulze, Erstgeburt, S. 400 – 452; sowie Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 36 f., mit weiterer Literatur. 576 Menk, Georg Friedrich, S. 84, hält wiederum das Drängen Georg Friedrichs für den Hauptmotor zur Einführung der Verbesserungspunkte, während Zöttlein, Dynastie, S. 58, die Initiative allein bei Christian Ludwig sieht und konstatiert: „Das Kräfteverhältnis z­ wischen den beiden Mitregenten hatte sich verschoben. Der als Politiker und Militär erfolgreiche Fürst Georg Friedrich konnte aufgrund fehlender männlicher Nachkommen nichts zum Fortbestand des Hauses Waldeck beitragen, während der jüngere und politisch weniger versierte Christian Ludwig das Überleben der Dynastie sicherte.“ 577 Ersteres behauptet Menk, Grundzüge, S. 259. Laut Menk, Residenz Arolsen, S. 47, führte Johannette aufgrund ihrer großen politischen Aktivität eine „faktische Nebenregierung“. Insbesondere auf dynastische Belange versuchte sie Einfluss zu nehmen. So hatte sie dem Pactum Primogeniturae und den Verbesserungspunkten nicht zugestimmt, da sie die Inte­ ressen ihrer eigenen Kinder nicht genügend berücksichtigt sah; vgl. Zöttlein, Dynastie, S. 58 – 66. Andererseits lassen die Quellen offenbar nicht auf eine direkte Einflussnahme Johannettes bei der Einführung der Sekundogenitur schließen; so ebd., S. 65, Anm. 223. Allerdings fand diese ihre Zustimmung, da sie ihren leiblichen Söhnen zugutekam. In einer

Zwischenergebnisse

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praktisch vollzogen, als sein ältester Sohn Friedrich Anton Ulrich die Regentschaft übernahm. Der Streit, der sich um die Rechtmäßigkeit dieser Herrschaftsnachfolge und insbesondere den Versuch des neuen Regenten, die Einrichtung der Sekundogenitur zu umgehen, entspann, führte die Waldecker Dynastie noch einmal in eine tiefere Krise, bevor sich die Primogenitur in den folgenden Jahrzehnten konsolidieren konnte. Der Fortdauer kleinerer Verteilungskonflikte um die Ressourcen der Dynastie tat dies freilich keinen Abbruch.578

2.4 Zwischenergebnisse Um das Kapitel über die Praktiken der Herrschaftsweitergabe abzuschließen, werden die beiden untersuchten Dynastien der Grafen zur Lippe und der Grafen von Waldeck im Folgenden mit Blick auf die wesentlichen Aspekte einem systematischen Vergleich unterzogen. Es hat sich gezeigt, dass die Regelung der Sukzession und die Ausgestaltung der innerdynastischen Beziehungen unmittelbar zusammenhingen, denn auf Basis der Erb- und Sukzessionsverträge wurde der soziale Status eines Individuums und sein Verhältnis zu den anderen Dynastieangehörigen bestimmt. Die Ausbildung innerdynastischer Rollen, die sich nicht zuletzt aus dem gewährten oder verweigerten Zugang zur Herrschaft ergaben, sowie die Entstehung einer Hierarchie ­zwischen den Agnaten führten unweigerlich zu Spannungen. Aus ­diesem Grund mussten die negativen Folgen der sozialen Ausdifferenzierung durch bestimmte auszuhandelnde Kompensationen abgemildert werden. Welche Lösungsansätze wurden für die inhärente Spannung ­zwischen Hierarchisierung und Integration gefunden (2.4.1)? Das oberste Ziel der dynastischen Herrschaftsweitergabe bestand in der Wahrung von intergenerationeller Kontinuität. Daher wird weiterhin nach den Auswirkungen der jeweils gefundenen Sukzessionsregelung auf den Fortbestand der dynastischen Herrschaft gefragt. Im Hinblick auf die Normsetzung gilt es zu untersuchen, ­welche Bedeutung die in der Vergangenheit stillschweigend befolgten oder explizit aufgestellten Handlungsanweisungen für jeweils gegenwärtige Sukzessionsentscheidungen hatten – also die Frage nach dem Stellenwert des Herkommens. Des Weiteren wird ­verglichen, mit ­welchen unterschiedlichen Mitteln die Grafen jeweils versuchten, Verteidigung der Sekundogenitur verwies sie auch auf die Erbherren der Grafschaft Lippe, die eine ähnliche kontinuitätssichernde Funktion übernahmen. 578 Vgl. ebd., S. 67 – 114 u. 189 – 233; Menk, Residenz Arolsen, S. 44 – 51; Ders., Grundzüge, S. 270 u. 272; Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 411 – 422. Die Streitigkeiten ­zwischen Angehörigen der waldeckischen Dynastie seit dem letzten Viertel des 17. Jahrhunderts haben sich auch in zahlreichen beim Reichshofrat anhängigen Gerichtsprozessen niedergeschlagen; vgl. HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 1036 – 1045.

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die in der Gegenwart gefundenen Normen auf Dauer zu stellen und ihre Befolgung in der Zukunft zu gewährleisten (2.4.2). Neben Hausverträgen setzte man dabei vor allem auf die Einbeziehung Dritter als Streitschlichter oder Garanten gefundener Regelungen (2.4.3). Schließlich tat sich als weiteres Problemfeld der mögliche Zusammenhang z­ wischen Dynastiebildung und einer bestimmten konfessionellen Orientierung auf. Abschließend wird daher der Versuch unternommen, den Einfluss religiöser Normen auf die Sukzessionspraxis abzuwägen (2.4.4). 2.4.1 Hierarchisierung und Integration Seit dem Pactum Unionis von 1368 war bei den Edelherren und Grafen zur Lippe die Unteilbarkeit der Herrschaft festgeschrieben. Diese frühe Vorschrift der Individualsukzession ist, zumal sie die meiste Zeit über auch tatsächlich befolgt wurde, eine auffällige und in dieser Form seltene Beschränkung dynastischer Prätentionen. Ursprünglich als Herrschaftsvertrag des Landesherrn mit seinen Vasallen und Untertanen entstanden, war das Pactum Unionis nicht nur für die Konstituierung der Landstände ursächlich, sondern bestimmte auch die Form der Dynastie für die kommenden Jahrhunderte. Gleichwohl blieben die seit dem Spätmittelalter artikulierten Konzepte von brüderlicher Erbgerechtigkeit auch in Lippe nicht ohne Einfluss. Schon um 1500 spielte Bernhard VII . mit dem Gedanken einer Erbteilung unter seinen Söhnen, und gut fünfzig Jahre später wurde das Thema in der Enkelgeneration erneut akut. Insgesamt zeigt sich aber, dass die normative Gleichstellung aller männlichen Erben bei den Lippern nicht so ausgeprägt war wie in anderen gräflichen und fürstlichen Häusern. Das Teilungsverbot hatte eine hohe Ausstrahlung und wurde von den Ständen wie von den jeweiligen Landesherren herangezogen, um entsprechende Teilungsansprüche der Agnaten abzuwehren. Zwar wurden schon seit dem ausgehenden Mittelalter Paragien vergeben, um den Lebensunterhalt der Söhne zu gewährleisten, doch stand das Pactum jeder angestrebten Landesteilung entgegen, was dem jeweiligen Landesherrn eine starke Stellung sicherte. Da sich im Haus Lippe bis ins 17. Jahrhundert hinein die Generationen kaum überlagerten und vergleichsweise wenige Agnaten existierten, kam es auch seltener zu Konflikten ­zwischen ihnen. Eine bedeutende Ausnahme stellt die Auseinandersetzung Bernhards VIII. mit seinem Bruder Hermann Simon dar. Letzterer hatte ein Paragium aus seinem väterlichen Erbe, durch Heirat dagegen eine eigene Landesherrschaft in Spiegelberg-­Pyrmont erworben und akzeptierte daher die Vorrangstellung seines Bruders nicht. Erst durch seine kühnen politischen Vorstöße – etwa den Versuch, eigenmächtig einen Landtag einzuberufen – wurde die Frage nach den Privilegien des Landesherrn und der rechtlichen Abgrenzung zu seinen nichtregierenden Verwandten Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen.

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Dadurch nahm ein Prozess an Fahrt auf, der sich schon lange angekündigt hatte, nämlich die formale Hierarchisierung dynastischer Rollen einschließlich der Vorrangstellung des sogenannten Regierenden Herrn, die nun nicht mehr allein auf natürliche Autorität, sondern auf rechtliche Normen gegründet wurde. Die Einführung der Primogenitur unter Simon VI., die die bereits praktizierte Bevorzugung des Erstgeborenen zu einer abstrakten, das heißt unabhängig von konkreten Konstellationen gültigen Regel auf Dauer stellte, war der vorläufige Höhepunkt dieser Entwicklung. Allerdings wurde das Erstgeburtsrecht durch Simons Testament, das allen vier Söhnen nicht nur großzügige Paragien, sondern auch einige vormals landesherrliche Rechte vermachte, konterkariert. Dieser Erbgang stellt eine wichtige Weichenstellung dar, da er die dynastische Struktur maßgeblich veränderte. Die nachgeborenen Söhne zeugten Nachkommen, denen sie ihre Paragien vererbten, und wurden somit zu Gründern der sogenannten erbherrlichen Linien. Zwischen ihnen und der Hauptlinie in Detmold kam es ständig zu Konflikten um die Gewährung von Apanagen, Rechten und zeremoniellen Ehren. Der Grund dafür lag nunmehr allerdings nicht in einer Verschärfung der Hierarchie z­ wischen den Agnaten, sondern im Gegenteil in deren Aufweichung. Das zuvor relativ starke Gefälle ­zwischen dem Landesherrn und allen anderen nichtregierenden Dynastieangehörigen wurde durch die nun erfolgte Erhebung zu Erbherren tendenziell infrage gestellt. Hinzu kam der reichsrechtliche Status der Agnaten als reichsunmittelbare Grafen, der ihre Ambitionen befeuerte und zu einer Verschiebung der Loyalitäten vom Gesamthaus hin zu den einzelnen Linien führte. Insbesondere Otto zur Lippe und seine Nachkommen versuchten die Herrschaftsrechte ihrer Braker Linie auszuweiten und diese wiederum durch eine eigene Primogeniturordnung abzusichern. Die nach 1647 erfolgte Übernahme der Landesherrschaft in Schaumburg-­Lippe durch den Alverdissener Paragialherrn Philipp blieb zunächst ohne große Konsequenzen für das innerdynastische Verhältnis, obgleich sich Philipp aus einer Position der Stärke heraus gelegentlich auch in Belange des lippischen Landesherrn einschaltete. Das insgesamt relativ einmütige Verhältnis verschlechterte sich unter seinen forscheren Nachfolgern und führte zu teils militärisch geführten Auseinandersetzungen ­zwischen den beiden benachbarten Grafschaften im 18. Jahrhundert. Aber auch innerhalb der Detmolder Hauptlinie hielt sich der Widerstand der Nachgeborenen gegen ihren Ausschluss von der Herrschaft, deren Ausübung sie als ihr natürliches Geburtsrecht ansahen. Aufgrund dessen gelang die Konsolidierung der Primogenitur – trotz des schon früh etablierten Teilungsverbots – erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Wie konnte desintegrativen Tendenzen nun mit gemeinschaftsfördernden Maßnahmen entgegengetreten werden, und wer hatte überhaupt ein Interesse an der Einheit der Dynastie? Das Mittel der Wahl zur Moderation innerdynastischer Interessengegensätze waren Hausverträge. Bilaterale Abkommen wie das z­ wischen

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Bernhard VIII. und Hermann Simon oder die Brüderlichen Verträge z­ wischen den Söhnen Simons VI. bildeten die Ergebnisse mühsamer Verhandlungen, an deren Ende oft ein relativ prekärer Konsens stand. Zumeist konnten sie nicht verhindern, dass Punkte, über die keine Einigung zustande gekommen war und die deshalb dilatorisch behandelt wurden, weiter schwelten, oder dass sich aus den gefundenen Regelungen Anschlusskonflikte ergaben. Insgesamt hatten Hausverträge eine eher geringe Halbwertszeit, wenngleich bei den Grafen zur Lippe einige herausragende Exemplare größere Strahlkraft entwickeln konnten. Testamenten als durch hausväterliche Autorität legitimierten einseitigen Dispositionen wurde in der Regel eine größere Geltungskraft zugeschrieben als den ­zwischen Gleichen ausgehandelten Verträgen. Aufgrund der mangelhaften Durchsetzungschancen verhallten allerdings auch die regelmäßig getroffenen testamentarischen Ermahnungen der Nachkommen zur Eintracht oft ungehört. Auch die Belehnung zur gesamten Hand konnte letztlich nur wenig zur Einheit beitragen, da sie nicht – wie in Waldeck – mit einer grundsätzlichen Sukzessionsberechtigung der Agnaten einherging, sondern vielmehr mit der Hegemonie des Primogenitus kollidierte und daher ein Argument gegen sie bildete. Es lässt sich bis zu einem gewissen Grade verallgemeinern, dass es vorrangig die Dynastieoberhäupter waren, die auf die soziale Einheit der Dynastie pochten, da ihre herausgehobene Stellung letztlich auf dem Konsens der anderen Dynastieangehörigen beruhte. Dabei beharrten sie freilich auf ihrer Vorrangstellung, wenn diese durch Vettern oder jüngere Brüder infrage gestellt wurde, zeigten sich aber zumeist kooperativ, wenn es darum ging, einen grundsätzlichen Modus Vivendi zu finden. So übertrug Bernhard seinem Bruder Hermann Simon ein großzügiges Paragium, verwahrte sich aber gegen eine Teilung der Landesherrschaft. Ähnlich war auch Simon VII. zu Kompromissen gegenüber seinen jüngeren Brüdern bereit, die bis zur Abtretung bestimmter landesherrlicher Rechte reichten. Lediglich beim 1636 ausbrechenden Vormundschaftsstreit gab es keine Partei, die ernsthaft für eine gütliche Beilegung des Konflikts eintrat, da beide Seiten ihr Eigeninteresse unter allen Umständen durchzusetzen trachteten. Umso stärker wurde in dieser prekären Situation der Friede des Hauses beschworen, was freilich als normatives Ideal nicht mit dem sozialen Handeln der Akteure korrespondierte. Grundsätzlich hat sich gezeigt, dass für die zielstrebige Verbesserung der eigenen Position weniger der jeweilige Charakter – etwa Streitsucht oder ein überzogenes Anspruchsdenken – maßgeblich war als vielmehr die Übernahme innerdynastischer Rollen, die bestimmte Verhaltensweisen als sinnvoll nahelegten und andere eher ausschlossen: So ließ beispielsweise Johann Bernhard als apanagierter Jungherr keine Gelegenheit verstreichen, um gegen die Primogenitur anzukämpfen, solange sie seine eigene Sukzession verhinderte. Erst als er selbst zum Regierenden Herrn geworden war und sich auf einmal mit den Ansprüchen seines vormals verbündeten Bruders Hermann Adolf konfrontiert sah, blieb ihm nichts anderes

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übrig, als die Primogenitur, die nun seine eigene Herrschaft legitimierte, vehement zu verteidigen. Diese Konstellation wiederholte sich, als Hermann Adolf sukzedierte und nun die Prätentionen seines Halbbruders Jobst Hermann in Schach zu halten hatte. An einer restlosen Zerstörung des dynastischen Zusammenhangs hatte allerdings keiner der Angehörigen ein Interesse, denn letztlich bestimmte die Zugehörigkeit zum Haus Lippe die herausgehobene soziale Position eines jeden von ihnen. Erkennbar ist dies einerseits an der regelmäßigen schriftlichen Kommunikation z­ wischen den streitenden Parteien, die im Grunde nie zum Erliegen kam. Allerdings stellt auch hier der Konflikt ­zwischen Katharina und Johann Bernhard eine Ausnahme dar, der zuletzt eher über Beamte des Reichskammergerichts sowie über publizierte Flugschriften als über persönliche Korrespondenz geführt wurde. Zum anderen zeigte sich der dynastische Grundkonsens auch in der Bereitschaft, strittige Punkte grundsätzlich auf rechtlichem Wege zu klären. Abgesehen davon, dass den betreffenden Akteuren für militärische Lösungen ohnehin kaum geeignete Mittel zur Verfügung standen – erneut mit der Ausnahme Katharinas und ihrer Mobilisierung der kaiserlichen Truppen im Dreißigjährigen Krieg –, war die Verrechtlichung so weit fortgeschritten, dass gewaltsame Vorstöße, wie sie noch im 15. Jahrhundert üblich waren, die absolute Ausnahme wurden.579 Zuletzt waren es auch und vor allem die Landstände sowie befreundete Standesgenossen wie Johann von Waldeck oder Ernst von Holstein-­Schaumburg, die am sozialen Frieden in der lippischen Dynastie interessiert waren und sich unermüdlich als Streitschlichter betätigten. „Obgleich die Grafschaft Waldeck wohl ein halbes Dutzend Mal geteilt wurde, blieb dennoch die (dynastische) Einheit gewahrt“580, konstatierte ­Walter ­Kloppenburg in den 1960er Jahren mit einer gewissen Verwunderung ob des scheinbaren Widerspruchs. Mithilfe einer umfassenden Analyse der waldeckischen Sukzessionsstrategien konnte jedoch gezeigt werden, dass es der inneren Logik von Praktiken der Herrschaftsweitergabe besser entspricht, die Sichtweise umzukehren und festzuhalten: Nicht trotz, sondern gerade wegen der zahlreichen Erbteilungen gelang es den Grafen von Waldeck, ihre dynastische Einheit über einen mehrere Jahrhunderte umspannenden Zeitraum hinweg im Großen und Ganzen zu wahren. Diese pauschale Feststellung impliziert freilich keineswegs, dass es keine Konflikte gegeben hätte. Im Gegenteil: Die häufigen Auseinandersetzungen um Macht und Besitz führten langfristig zu einer Veränderung der innerdynastischen Herrschaftsstrukturen, ohne jedoch den dynastischen Konsens vollends zu sprengen. 579 Eine ­solche Ausnahme stellte etwa die Vorladung Johanns I. von Waldeck vor das Reichskammergericht aufgrund landfriedensbrüchiger Handlungen dar. 580 Kloppenburg, Landesteilungen, S. 80.

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Grundsätzlich blieben die Waldecker dem Prinzip der gleichberechtigten Erbansprüche aller Söhne, das sich ab der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts durchsetzte und zur sozialen Norm verdichtete, bis weit in die Neuzeit hinein treu. Insgesamt teilten die Grafen ihre Herrschaft viermal (1397, 1487/1507, 1538, 1607), sodass jedes Mal eine neue Linie entstand. Das Ideal war eine exakt ­gleiche Teilung des Territoriums unter die herrschaftsberechtigten Agnaten, was aufwendige Vorbereitungen und Vorverhandlungen notwendig machte. Dabei spielte der Rückbezug auf das Herkommen als Legitimationsstrategie für eine neuerliche Teilung eine bedeutende Rolle. Im Jahr 1607, als zwei der drei vormaligen Linien ausgestorben waren, scheinen aber auch positive Erfahrungen sowohl im Hinblick auf die Sicherung der genealogischen Kontinuität als auch auf die Herrschaftsausübung für eine erneute Teilung gesprochen zu haben. Die Teilungspraxis hatte sich politisch bewährt und das nicht nur nach innen als Mittel zur Begrenzung destabilisierender Erbstreitigkeiten, sondern ebenso nach außen durch die Vervielfältigung der diplomatischen Möglichkeiten. Nur wenn die territorialen Ressourcen aufgrund zahlreicher Ansprüche auf Herrschaftspartizipation allzu sehr strapaziert erschienen, wurde auf das Mittel der Apanagezahlungen zurückgegriffen. Die Hierarchisierung dynastischer Rollen spielte also insgesamt keine so prominente Rolle wie in Lippe, wo ­zwischen Regierendem Herrn und Erbherren unterschieden wurde. Die einzelnen Waldecker Linien waren einander beigeordnet und unterschieden sich nicht grundsätzlich im Rang oder in ihren Rechten und Pflichten. Dennoch kam es zu informellen Bedeutungsunterschieden, die vor allem an der Person des jeweiligen Linienoberhauptes hingen. War ­dieses in fortgeschrittenem Alter und politisch besonders erfahren, kam seiner Stimme in dynastischen Belangen gewöhnlich ein besonderes Gewicht zu. Gleiches galt aber auch für ranghohe nichtregierende Dynastieangehörige wie Bischof Franz, der seine Autorität als ausgleichender Schlichter in den Sukzessionskonflikten seiner Waldecker Vettern einsetzte. Erstmalig akut wurde die Hierarchiefrage bei der Mutschierung im Jahre 1538: Herzogin Anna von Kleve zeigte sich nicht damit einverstanden, dass ihre leiblichen Söhne zu Untertanen von deren Halbbruder Wolrad II. werden sollten, und forderte für sie eigene Herrschaftsrechte, ­welche der neuen Landauer Linie schließlich auch zuerkannt wurden. Wiederverheiratungen von Grafen wie hier von Philipp III. oder auch Simon VII. zur Lippe führten generell häufig zum Wunsch der zweiten Gemahlinnen, dass ihre Söhne an der Herrschaft beteiligt würden.581 Während Anna in Waldeck mit ihrer Forderung Erfolg hatte, gelang es der lippischen Nebenlinie Biesterfeld trotz entsprechender Versuche nicht, eine eigene Herrschaft zu etablieren. Die Teilungen bzw. die generelle Teilbarkeit der Herrschaft sorgten bei den Waldeckern also 581 Weitere Beispiele bei Fichtner, Protestantism, S. 18; Spiess, Familie, S. 482 f.

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insofern für soziale Integration, als massive, herrschaftslähmende Konflikte wie der Vormundschaftsstreit in Lippe vermieden werden konnten.582 Auseinandersetzungen prägten zwar dennoch die innerdynastischen Beziehungen, verblieben aber gewöhnlich im Rahmen von Fragen um Grenzverläufe oder die Nutzung bestimmter Einkünfte aus den Ämtern. So wurden die Bestimmungen der großen Teilungsverträge häufig auf kleineren Konferenzen nachjustiert und in neue Verträge gegossen, die zeitweilig jährlich z­ wischen und innerhalb der Linien abgeschlossen wurden. Dennoch stellt sich die Frage, wie das Waldecker Grafenhaus als Ganzes integriert wurde, sodass der Gesamtzusammenhang trotz der häufigen Teilungen gewahrt blieb. Eine erste Antwort liegt in der Art der Teilungen, die eben keine Real-, sondern Nutzen- bzw. Herrschaftsteilungen waren, sodass die territoriale Einheit der Grafschaft dauerhaft gewahrt wurde. Auch die ab 1567 vollzogene gemeinsame Belehnung aller Grafen sorgte für Kohärenz, wobei schon im 15. Jahrhundert Versuche unternommen wurden, die Dynastie lehnsrechtlich zu definieren. Das daher stets erneuerte Verkaufsverbot für Herrschaftsteile sorgte zudem für den territorialen Zusammenhalt des Landes. Schließlich war das bei jeder Teilung bekräftigte gegenseitige Erbrecht die wichtigste Form der Verklammerung, sodass sich die einzelnen Linienvertreter trotz möglicher Entfremdung im Alltag stets als Angehörige ein und derselben Sukzessionsgemeinschaft wahrnahmen. Weitere institutionelle Klammern, die die Kommunikation z­ wischen den in eigenständigen Residenzen wohnenden Linien aufrechterhielten, waren die gemeinsam ausgeübte Herrschaft über die Samtstädte sowie die Stammburg Waldeck mit dem dortigen Archiv, die zumindest zeitweise gemeinsam bewohnt wurde. Hier galt es nicht nur, durch pragmatische Regeln ein Zusammenleben zu ermöglichen; von der Burg ging auch eine symbolische Wirkung für die Dynastie aus, die in den Burgfrieden regelmäßig erneuert wurde.583 Auf ähnliche Weise wurde 1607 auch die hundert Jahre alte Erbeinigung als ­­Zeichen der dynastischen Zusammengehörigkeit bekräftigt. Es wurde gezeigt, dass sich die innere Struktur der Dynastie zu einem Gutteil aus den angewandten Sukzessionspraktiken ergab. Allerdings waren diese nur zu einem geringen Teil Folgen kalkulierten Abwägens von Optionen. Vielmehr

582 Es darf auf Grundlage der bekannten Sukzessionspraxis der Waldecker Grafen an dieser Stelle die Vermutung geäußert werden, dass bei einer entsprechenden Konstellation die Grafschaft kurzerhand ­zwischen dem jungen Primogenitus Simon Philipp und dem ältesten Agnaten Johann Bernhard, welcher gleichzeitig die Vormundschaft für ersteren übernommen hätte, geteilt worden wäre. Bezeichnenderweise waren es aber gerade die Waldecker Christian und Katharina, die entgegen ihrer heimischen Praxis agierten und auf Grundlage der lippischen Primogenitur eine recht eigennützige und wenig konsensuale Politik verfolgten. 583 Siehe dazu auch Kap. 4.3.1.

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basierten sie zumeist auf tradierten impliziten und expliziten Normen sowie auf der überkommenen Praxis, die in Form des Herkommens Rechtskraft entwickelte, sodass eine Dynastie frühzeitig in gewisse Strukturabhängigkeiten geriet. Wirklich neuartige, die Struktur dauerhaft verändernde Normen wie die Primogenitur zu implementieren, war äußerst schwierig und blieb die Ausnahme. Oftmals und insbesondere dann, wenn ausschließlich gleichrangige Agnaten an den Verhandlungen beteiligt waren, beinhalteten Hausverträge daher auch keine zukunftsweisenden Neuerungen, sondern stellten vielmehr lediglich ein Instrument der Friedenssicherung, eine Art Minimalkonsens z­ wischen den Konfliktparteien dar. Aber wie genau wirkten althergebrachte Vorstellungen und Normen auf die gegenwärtige Praxis und wie wurden neue Normen verstetigt? 2.4.2 Herkommen und Innovation Die Verstetigung bestimmter hausrechtlicher Normen zeigte sich vordringlich beim Rückbezug auf überkommene Rechte und Regelungen, also auf das Herkommen, wie es in den Quellen heißt. Im Allgemeinen wird darunter in der rechtshistorischen Forschung wie auch schon im frühneuzeitlichen Sprachgebrauch eine bestimmte Gewohnheit verstanden, die dann Rechtskraft entwickeln konnte, wenn zu ihrer Regelung keine entsprechenden schriftlichen Gesetze oder Verträge vorlagen. Voraussetzung dafür war, dass eine Praxis eine bestimmte Zeit lang in unbestrittenem Gebrauch war und dass derjenige, der sich auf das Herkommen berief, diese auch nachweisen konnte.584 In Waldeck wurde etwa in d ­ iesem Sinne auf die Vergangenheit rekurriert, als die Teilungspraxis der Vorgänger als Präzedenzfall herangezogen wurde, in Lippe, als über die Eignung einer ­Mutter als Vormünderin auch im Hinblick darauf gestritten wurde, ob eine s­ olche Konstellation bereits einmal vorgekommen war. Indem man sich immer wieder auf eine gemeinsame Vergangenheit und mithin eine eigene Rechtstradition bezog, konstituierte sich die Dynastie im Medium des Herkommens als rechtlich begründete Sukzessionsgemeinschaft mit einer historischen Tiefendimension. Als s­ olche war sie eng mit dem von ihr beherrschten Land verbunden, jedoch keineswegs deckungsgleich. Zudem unterschied sie sich deutlich von anderen Dynastien mit wiederum eigenen Traditionen, sodass beispielsweise die Praxis im Reich oder bei den Königen von Frankreich zwar ebenfalls als Legitimationsstrategie taugte, jedoch gewöhnlich von den autochthonen Rechtsgewohnheiten ausgestochen wurde.

584 Vgl. die Art. Alter Gebrauch und Herkommen; Art. Herkommen; Art. Herkommen, (Reichs-), in: Zedler, Universal-­Lexikon; sowie Krause/Köbler, Art. Gewohnheitsrecht.

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Es hat sich allerdings auch gezeigt, dass der ubiquitäre Rekurs auf das Herkommen keineswegs immer zuverlässig zum Erfolg führte, denn grundsätzlich argumentierten stets alle Konfliktparteien mit ihm. Seine starke normative Kraft ging mit einer inhaltlichen Unterbestimmtheit einher, denn für nahezu jede Position in den Sukzessionskonflikten ließen sich historische Beispiele aus der Geschichte des Hauses anführen. Dazu war es aber notwendig, die hausvertragliche Überlieferung und die Geschichte des Hauses, wie sie etwa in Chroniken tradiert bzw. imaginiert wurde, zu kennen. Insofern stellten die dynastieinternen Auseinandersetzungen um die Partizipation an der Herrschaft einen wichtigen Auslöser für die Erforschung und Darstellung der dynastischen Eigengeschichte dar. Zudem führte die wachsende Komplexität der hausrechtlichen Verfasstheit zu einer erhöhten Nachfrage nach juristischer Expertise. Das Herkommen war schlussendlich auch ein Argument, das großes Gewicht im Kreis der Stände besaß, die sich als Bewahrer der überkommenen Ordnung verstanden,585 sodass es in besonderem Maße auf Land- und Kommunikationstagen eingesetzt wurde. Gelegentlich wurden mit Herkommen nicht die gewohnheitsrechtliche Praxis als ­solche, sondern früher geschlossene Hausverträge bezeichnet, die in den Verhandlungen oftmals sehr kenntnisreich zitiert wurden.586 Die ältere Forschung hat die herausragenden, da immer wieder bemühten Hausverträge als Grundlage der Verfassung der Dynastie angesehen, so etwa die Erbeinigung von 1507 in Waldeck oder das lippische Pactum Unionis von 1368. Diese Sicht ist in dem engen Sinne, dass eine verstetigte normative Geltung postuliert wird, sicher nicht haltbar. Allerdings ist es augenfällig, dass manche der Hausverträge und Testamente tatsächlich eine herausgehobene Rolle spielten, da man in den Verhandlungen noch Jahrhunderte später häufig auf sie rekurrierte. Ihre Normativität wurde dabei grundsätzlich von allen Seiten anerkannt. Allerdings hat sich erstens gezeigt, dass ihren konkreten Bestimmungen in gewissen Fällen zuwidergehandelt, ihre Geltung aber dennoch kommunikativ bestätigt werden konnte – wie im Fall der waldeckischen Erbeinigung. Zweitens gab es Situationen, in denen die Geltung überkommener Hausverträge generell hinterfragt wurde. Dies geschah freilich vor allem dann, wenn sich eine Partei aufgrund vertraglicher Bestimmungen im Nachteil sah, wie etwa im lippischen Streit um die Rechtmäßigkeit der Primogenitur. Ähnlich geartet

5 85 Vgl. Neu, Erschaffung, S. 190 f. 586 Die genaue Kenntnis der hausvertraglichen Normen schlug sich auch in Kopialen späterer Zeiten, die alle wichtigen Vertragsurkunden seit dem 14. Jahrhundert enthielten, sowie in Memorialen über die bis dahin praktizierte Sukzession nieder. Für Waldeck vgl. beispielsweise das vermutlich um die Mitte des 16. Jahrhunderts entstandene Kopial mit Teilungsverträgen von 1344 – 1540, in: HS tAM , 115/01, Nr. 133; oder das im Zuge des Arolser Vergleichs von 1661 abgefasste Memorial; ebd., Nr. 150. Weitere Kopialbücher befinden sich im Bestand 115/21, Paket Nr. 3.

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war der Umgang mit dem Testament Simons VI. zur Lippe, auf das immer wieder verwiesen, dessen Inhalt jedoch von Gegnern und Befürwortern der Primogenitur vollkommen unterschiedlich ausgelegt wurde. Weitere Strategien der Delegitimierung waren die historische Relativierung – die in einer anderen Situation geschlossenen Regeln hätten für die Gegenwart keine Bedeutung mehr – sowie das schlichte Anzweifeln der Existenz bestimmter Urkunden, was freilich auch mit dem restriktiven Zugang zu den Hausarchiven zusammenhing. Einige der Verträge wurden offenbar nicht nur herangezogen, um konkrete Ansprüche und Forderungen rechtlich zu untermauern, sondern konnten auch zur Chiffre für die Dynastie als ­solche werden. Karl-­Siegbert Rehberg hat d­ arauf hingewiesen, dass Texte nicht nur funktional als Träger von Informationen dienen, sondern vielmehr auch „eine symbolische Eigenkraft gewinnen“587 können. Als besondere Beispiele für sogenannte „Text-­Symbole“588 führt er moderne Verfassungen an, die oftmals mehr oder weniger losgelöst von ihrem konkreten Inhalt die politische Ordnung als Ganzes verkörperten. Auch für die Vormoderne lassen sich s­ olche Text-­Symbole ausmachen, wenngleich zentrale Verfassungsdokumente, wie sie moderne Staaten besitzen, allenfalls bei geistlichen Orden zu finden waren.589 Dynastien neigten zwar zur Abschließung als soziale Gruppe, hatten aber bekanntlich weder Gründungsdokumente noch Mitgliederstatuten. Innerhalb dieser Gruppe wurden nun aber doch bestimmte Urkunden über lange Zeit tradiert und als alte pacta dieseß Hochgraffl. Hauses 590 immer wieder normativ in Anschlag gebracht. Dabei scheint es nur in begrenztem Maße auf deren tatsächliche Bestimmungen angekommen zu sein; mindestens ebenso bedeutsam war, dass die Akteure, die einen spezifischen Hausvertrag oder in pauschaler Weise die Privilegien des Hauses als Argument anführten, sich damit als Mitglieder der rechtlich konstituierten Sukzessionsgemeinschaft auswiesen. Dies lässt sich besonders gut an solchen Fällen belegen, in denen die Zugehörigkeit tendenziell infrage stand. Nachdem etwa Katharina von Waldeck ab 1640 die Vormundschaft im lippischen Hause errungen hatte, klagte sie den Agnaten Otto zur Lippe-­Brake vor den Ständen auf dem Kommunikationstag an, da er vielfach gegen die in ­diesem gräfflichen Hauß befindtlichen undt vor etzliche Hundert Jahren von den gräflich Lippischen Antecessoren aufgerichteten, auch von Ritter undt Landtschafft zue beforderung der ehren Gottes, undt so wohl des Uhralten gräflich Lippischen Hausses höchsten splendor undt ufnahmb, alß auch des Landes wohlfarts vortzuepflanzen beliebten pacti familiae 591 5 87 Rehberg, Weltrepräsentanz, S. 44. 588 Ebd., S. 44 – 4 6. 589 Vgl. ebd., S. 47. 590 So beispielsweise der Wortlaut einer Proposition zum lippischen Kommunikationstag vom 23. 08. 1638, in: LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 1ar. 591 LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 160v, Proposition zum Kommunikationstag vom 17. 10. 1643.

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verstoßen habe. Damit bezog sie sich affirmativ auf das lippische Grafenhaus und dessen lange Tradition von hausrechtlichen Regelungen, die ihre normative Kraft aus dem Umstand zogen, dass sie von den lippischen Vorfahren selbst mit dem Ziel des dynastischen Gesamtwohls vor Augen geschlossen worden ­seien.592 Sich selbst und ihren Kampf um die Primogenitur ihres Sohnes reihte sie damit in diese Tradition ein, während sie den widersetzlichen Otto zumindest implizit davon ausschloss. Schließlich ist danach zu fragen, wie von den normsetzenden Akteuren versucht wurde, die neu gefundenen Regelungen der Sukzession auf Dauer zu stellen und die Nachkommen auf ihre Einhaltung zu verpflichten. Dabei ist zu unterscheiden ­zwischen jenen Verträgen, die nur die direkt daran beteiligten Parteien binden wollten, und solchen Verträgen oder einseitigen Normsetzungen, die auch Geltung für die nachkommenden Generationen beanspruchten. Im ersten Fall war eine Einhaltung der Inhalte wesentlich einfacher zu garantieren. So konnte man Individuen, die einen bestimmten Vertrag selbst mitbesiegelt hatten, normativ auf dessen Einhaltung verpflichten, auch wenn dies noch keine Garantie darstellte, wie das Beispiel der Abfindung Hermann Simons zur Lippe gezeigt hat. Der Beobachtung Jörg Rogges, dass ohnehin nur ­solche Normen vertraglich festgelegt wurden, „die aktuell in der Dynastie als konsensfähig galten“593, was deren Verbindlichkeit natürlich erhöht habe, ist hier im Wesentlichen zuzustimmen. Einschränkend ist allerdings darauf hinzuweisen, dass viele Verhandlungen von einem Machtgefälle geprägt waren, sodass es oftmals einer Seite gelang, ihre Interessen weitgehend durchzusetzen. Die überlegene Partei konnte ein Vater gegenüber seinen Kindern sein oder etwa der älteste in einer Reihe von Brüdern; stets wirkten hier patriarchalische Vorstellungen, die jenen eine besondere natürliche Autorität zuschrieben.594 Dass bei der Aushandlung der Interessen letzten Endes dennoch ein Konsens gefunden werden musste, der etwa durch gewisse Zugeständnisse an die Gegenseite erreicht werden konnte, erklärt sich aus der Tatsache, dass sich die Agnaten – abgesehen von der genannten väterlichen Autorität – prinzipiell als gleichberechtigt und ebenbürtig begriffen. Wenn sich nach erfolgreichem Vertragsschluss ein oder mehrere Vertragspartner mit den gefundenen Regelungen unzufrieden zeigten, blieb in vielen Fällen nichts anderes übrig, als wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren, wollte man langwierige und kräftezehrende Konflikte vermeiden. Effektive Möglichkeiten zur Durchsetzung der Normen und zur Verpflichtung der Grafen gegen ihren Willen gab es kaum. 592 Da es sich um eine Argumentation vor den Ständen handelte, hob Katharina auch die unterstützende Rolle der Ritter- und Landschaft sowie die allgemeine Wohlfahrt des Landes hervor. 593 Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 381. 594 Zum vermeintlich natürlichen Autoritätsgefälle aufgrund des Lebensalters von Geschwistern vgl. etwa Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 124 – 141.

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Dies wurde aus unmittelbar einsichtigen Gründen noch schwieriger, wenn Normen gesetzt wurden, die auch für die kommenden Generationen gelten sollten, so etwa im Falle des Pactum Unionis, der Erbeinigung von 1507 und den beiden Primogeniturverordnungen in Lippe (1593) und Waldeck (1685/87). Cyriakus Spangenberg ging in seinem Adels-­Spiegel zwar davon aus, es würden die jungen Herrn nicht gerne wider jre Voreltern / vnd deren verschlossenen Mund / zusage / Brieffe vnd Siegel handeln / vnd daher auch nicht leichtlich / was die Vorfaren geordnet / verheissen vnd verschrieben rc. vmbstossen 595. Doch in der Realität war die Observanz der Grafen gegenüber den Regeln und Verträgen ihrer Vorgänger keineswegs immer gegeben. Als Maßnahme, um zukünftige Generationen auf die Einhaltung der hausvertraglichen Bestimmungen zu verpflichten, bot sich beispielsweise das Institut des Schwurs an, auf das die Grafen von Waldeck zurückgriffen. So hatte schon die Urkunde der Erbeinigung festgelegt, dass alle Kinder nach Vollendung ihres 15. Lebensjahres den Inhalt ­dieses bedeutenden Hausvertrags beschwören sollten. Auch wenn dies in der Folgezeit offenbar nicht regelmäßig praktiziert wurde, wie aus einer Bemerkung Annas von Kleve hervorgeht,596 fand diese Art der eidlichen Selbstverpflichtung wiederholt Verwendung.597 In den Hausverträgen der Lipper gab es entsprechende Beschwörungsklauseln hingegen nicht. 2.4.3 Garanten und Schlichter Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Vertrag auch in Zukunft observiert werden würde, konnte auch dadurch erhöht werden, andere Akteure als Garanten einzusetzen.598 Insbesondere die Landstände und der ­Kaiser wurden hier häufig herangezogen, waren sie doch „als Institutionen von generativer Erneuerung unabhängig“599 und standen somit auch nach dem Tod der eigentlichen Vertragspartner zur Verfügung. Dies galt auch für die landsässigen Städte, sodass sie in Lippe bereits 1368 als Hüter des Pactum Unionis eingesetzt werden konnten. In der Folge kamen Lippstadt und vor allem dem mächtigen Lemgo eine bedeutende politische Funktion zu, auch wenn sie durch die Paderborner Erbeinigung und den Vertrag z­ wischen 5 95 Spangenberg, Adels-­Spiegel, 1. Teil, fol. 265v. 596 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 886, Gravamina Annas von Kleve 1538, fol. 3r: Item als darin vorleipt, wan ein Junge Graffe so weltlich sein wolle funffzehen jar alt werde, solle er ane stundt dieselbig Erbeinigunge lobben und schweren, ist ye nicht gehalten, dan unßer fursone sein umb ir acht und zwentig und drissig Jaren und unser Soene eyn teil uber die funfftzehen Jaren, hat nye keyner dem gefolgt. 597 So etwa beim Burgfrieden von 1513, dem Arolser Mutschierungsvertrag von 1538, dem Eisenberger Hausvertrag von 1639 sowie beim ersten Primogeniturstatut von 1685. 598 Vgl. Weitzel, Hausnormen, S. 43; Mohnhaupt, Lehre, S. 29. 599 Pfannkuche, Patrimonium, S. 37.

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Lemgo und Simon Ludwig 1636 empfindliche Beschränkungen ihres Wahlrechts des Landesherrn hinnehmen mussten, sodass sich ihr Privileg im Grunde auf die wachsame Begleitung der innerdynastischen Sukzessionskonflikte beschränkte. Von der Forschung wurde den ständischen Akteuren häufig ein unverrückbares Interesse an der Einheit des Landes zugeschrieben, das sie der teilungsfreudigen Herrscherdynastie entgegengehalten hätten.600 Diese Darstellung ist indes zu schematisch, da sie von einer bereits im Spätmittelalter ausgebildeten Landschaft ausgeht, die dem Landesherrn dualistisch gegenübergestanden habe. Abgesehen von bekannten Fällen, in denen Vertreter von Städten und Ritterschaft eines Territoriums für eine Landesteilung plädierten,601 hat sich grundsätzlich eine Erklärung als angemessener erwiesen, die die Funktion der Stände innerhalb des dynastischen Verrechtlichungsprozesses eng an ihre Genese koppelt.602 So ließ sich mit Blick auf die Herrschaft Lippe feststellen, dass erst die Heranziehung der Burgmannen und insbesondere der Städte Lippstadt und Lemgo als Garanten der territorialen Einheit zu einem allmählichen Institutionalisierungsprozess derselben als landständische Korporationen geführt hat. Ebenso bedeutsam war die ihnen später zuerkannte Funktion als Schlichter bei innerdynastischen Streitigkeiten und ihre Mitwirkung an Vormundschaftsregierungen. Tatsächlich standen die Stände einschließlich des Adels in Lippe zumeist auf der Seite des Primogenitus, dessen ungeteilte Herrschaftsrechte sie gegen mögliche Prätendenten verteidigten. Eine Ausnahme stellte ihre zwischenzeitliche Parteinahme für Johann Bernhard im Vormundschaftskonflikt dar, die sie aber aufgaben, als dieser allzu deutliche Teilungsambitionen hatte durchblicken lassen. Dennoch blieben sie grundsätzlich um dynastische Einheit bemüht und baten ‚Abweichler‘ wie Johann Bernhard oder Hermann Simon um ihre Bereitschaft zum Konsens. Einen vergleichbaren, eindeutig bestimmbaren politischen Willen im Hinblick auf die Sukzessionskämpfe der Landesherren besaßen die Stände in der Grafschaft Waldeck zunächst nicht, auch deshalb, weil ihnen ein vom Landesherrn gewährtes Privileg wie in Lippe fehlte. Gleichwohl griffen auch die Waldecker Grafen auf ihre Adligen und Städte als Garanten ihrer Hausverträge zurück und wiesen ihnen mit der 1397 vollzogenen Einführung des ständischen Schiedsverfahrens bei innerdynastischen Konflikten eine wichtige Funktion als Streitschlichter zu. In den folgenden Abkommen wurde diese Schlichtungsinstanz normativ bestätigt und in mehreren Fällen auch praktisch konsultiert, wenngleich ständische Urteile oftmals kein Ende der Auseinandersetzungen brachten, wie etwa im Falle Heinrichs VIII., der als Unterlegener vor dem Reichskammergericht appellierte. 600 Vgl. ebd., S. 31; Schubert, Einführung, S. 207; Moraw, Verfassung, S. 187. 601 Einen solchen Fall in der Grafschaft Hanau beschreibt Spiess, Familie, S. 222 f. 602 In ­diesem Sinne auch Weber, Dynastiesicherung, S. 105: „[D]ie Dynastie und die dynastische Herrschaftslogik schaffen sich ihre Stände zu einem wesentlichen Grad selbst.“

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Im Zuge ihrer Formierung als landständische Vertreter bildeten Adel und Städte ab Mitte des 16. Jahrhunderts schließlich auch politische Eigeninteressen aus, die in erster Linie darauf gerichtet waren, langwierige und lähmende Konflikte im Grafenhaus zu verhindern. Die Orientierung am Herkommen und ein Interesse an dynastischer Eintracht führten dazu, dass die waldeckischen Stände – anders als ihr lippisches Pendant – nicht per se gegen Landesteilungen waren; lediglich ein Übermaß, das zu politischer Zersplitterung geführt hätte, versuchten sie zu verhindern. So wurde 1575 auf ihren Willen Rücksicht genommen und eine weitere Herrschaftsteilung innerhalb der Wildunger Linie vermieden. Ihre ausgleichende Position zeigte sich auch bei ihrem Widerstand gegen die Alleinherrschaftsambitionen des Fürsten Georg Friedrich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Erst als in der Dynastie die genealogische Konstellation für eine konfliktfreie Einführung der Primogenitur gegeben war, befürworteten auch sie diesen Sukzessionsmodus. Ab etwa der Mitte des 16. Jahrhunderts bildeten die Stände also ein wichtiges politisches Element, das die Herrscher bei der Regelung ihrer Hausangelegenheiten einzukalkulieren hatten.603 Der ­Kaiser als höchste reichsrechtliche Instanz für die Konfirmation von adligen Hausverträgen wurde insbesondere von den Grafen zur Lippe schon früh in Anspruch genommen. Seit 1521 ließen sich nahezu alle regierenden Grafen das Pactum Unionis und ab 1593 das Primogeniturprivileg bestätigen, um sich und ihrer herausgehobenen Machtposition innerhalb der Dynastie größere Legitimation zu verschaffen. Für andere, weniger prominente Abkommen wie die drei Brüderlichen Verträge von 1614, 1616 und 1621 wurde dagegen keine Konfirmation eingeholt, obschon auch diese nach eigenem Anspruch generationsübergreifend gelten sollten. Die Waldecker Grafen griffen erst vergleichsweise spät auf die Möglichkeit zurück, ihre Hausverträge kaiserlich bestätigen zu lassen, so beispielsweise den Eisenberger Hausvertrag von 1639, den Eventual-­Sukzessionsvergleich von 1678 und schließlich die Primogenitur. In beiden Häusern spielte der ­Kaiser schließlich eine wichtige Rolle als Gewährer der vorzeitigen Volljährigkeit, der venia aetatis. Bei der Klärung innerdynastischer Konflikte setzte man dagegen weder in Lippe noch in Waldeck allzu häufig auf den K ­ aiser und die Reichsgerichte. Die lippischen Grafen enthielten sich d­ ieses Mittels bis 1637 vollständig, gerieten im Zuge des Vormundschaftskonflikts dann aber in zahlreiche Prozesse vor dem Reichskammergericht und dem Reichshofrat. Dabei traten die Agnaten um Johann 603 Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 344, stellt in seiner Untersuchung zu Sachsen die „Frage, inwieweit und seit wann Ständevertreter mehr Einfluß auf die Binnenstruktur der Dynastie hatten als die Wettiner selber“. Wenngleich dies etwas zugespitzt sein mag, waren die Stände doch auch und gerade in den viel kleineren Grafschaften eine wichtige Verhandlungspartei, die die Dynastieangehörigen auf ihre Seite zu ziehen hatten. Dies gelang neben der Betonung des Herkommens auch durch die gezielte Ansprache als patriotische Vertreter des Landes.

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Bernhard und die Vormünder Christian und Katharina von Waldeck wechselseitig als Kläger und Beklagte auf. Während Letztere sich zwar vor Gericht mit ihrer Position durchsetzen konnten, blieben die gesprochenen Urteile aufgrund fehlender Exekutionsmöglichkeiten unbeachtet. In Waldeck rief Heinrich VIII. mit seiner Appellation im Jahre 1497 schon außerordentlich früh das neu geschaffene Reichskammergericht an. Insgesamt gab es aber auch hier nur vier Prozesse mit rein waldeckischer Beteiligung. Häufig wurde das Reichskammergericht eingeschaltet, um Hausverträge oder auch Vormundschaften reichsrechtlich zu bestätigen; als Klageinstanz spielte es dagegen keine bedeutende Rolle. Ähnliches lässt sich für den Untersuchungszeitraum auch in Bezug auf den Reichshofrat konstatieren. Dieser erlangte für die Klärung innerdynastischer Auseinandersetzungen erst ab der Mitte des 17. Jahrhunderts einige Bedeutung, wurde in der Folgezeit allerdings zur zentralen Klageinstanz. Aus eigenem Antrieb mischte sich der ­Kaiser nur selten in die internen Auseinandersetzungen der reichsgräflichen Dynastien ein, da er nicht ihr direkter Lehnsherr war, während diese wiederum solange wie möglich versuchten, das Reichsoberhaupt und den Reichshofrat aus ihren Angelegenheiten herauszuhalten. Deren Intervention bedeutete nämlich immer auch, ein Stück Autonomie preiszugeben.604 Ähnlich gelagert war die Konstellation ­zwischen den Grafen und ihren fürstlichen Lehnsherren, und hier vor allem den in Lippe und stärker noch in Waldeck Einfluss nehmenden Landgrafen von Hessen(-Kassel). In Lippe war die Lehnsauftragung der zuvor teilweise allodialen Grafschaft im Wesentlichen eine Folge der dynastischen Sukzessionsproblematik, namentlich der ausbleibenden Nachkommen. In bilateralen Abkommen mit Paderborn und Hessen wurde es Simon V. gestattet, seinen Nachfolger frei zu wählen, was allerdings durch seine spät geborenen leiblichen Söhne letztlich überflüssig wurde. Dennoch waren Lehns- und Dynastiepolitik von Anfang an eng miteinander verknüpft. Die lippischen Lehen wurden spätestens seit Mitte des 16. Jahrhunderts zur gesamten Hand empfangen, das heißt, alle lebenden Agnaten waren namentlich in die Belehnung eingefasst. Die Samtbelehnung traf also zunächst einmal keine Aussage über das Amt des Landesherrn, das weiterhin individuell vererbt werden sollte, gab den nachgeborenen Söhnen allerdings ein Argument an die Hand, um ihren Anteil einzufordern. Einflussnahmen seitens der Lehnsherren kamen in Lippe im Großen und Ganzen nur sporadisch vor. Am bedeutendsten war hier sicherlich Philipp I. von Hessen, der seine Macht nutzte, um den jungen Bernhard VIII. an seinem Hof im lutherischen Glauben erziehen zu lassen und somit Einfluss auf die Konfessionalisierung der Grafschaft zu nehmen. Erst in den Konflikten, die

604 Vgl. Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 81 u. 248 – 255; Dies., Selbstverständnis, S. 47 – 52.

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die Durchsetzung der Primogenitur nach dem Tod Simons VI . nach sich zog, nahmen die Interventionen der Lehnsherren zu, was allerdings stets aus vorherigen Bittgesuchen der Grafen resultierte. So wandten sich Johann Bernhard und seine Brüder an Ferdinand von Bayern und Amalie Elisabeth von Hessen-­Kassel, um ihre Position gegen die Vormünderin Katharina von Waldeck zu verbessern. Insgesamt waren die Lehnsherren bis zum Beginn des Vormundschaftsstreits eher ein Element der Kontinuität. In Waldeck war der Einfluss des alleinigen Lehnsherrn Hessen ungleich stärker. Ursprünglich hatte die Lehnsauftragung der Grafen dazu geführt, die dynastische Ordnung mit ihren zwei Linien zu verstetigen. Innerhalb der beiden Lehnsteile wurde jeweils die Belehnung zur gesamten Hand praktiziert, was die Erbansprüche der Agnaten verstärkte. Insgesamt schufen das Lehnsband und insbesondere das gegenseitige Erbrecht aber eine Verklammerung der einzelnen Linien zu einer lehnsrechtlich fundierten Sukzessionsgemeinschaft, sodass weder 1495 noch rund hundert Jahre später Teile der Grafschaft für die Dynastie verloren gingen. Die häufigen Erbkonflikte der Waldecker wurden seit der Einsetzung der Landgrafen als die nach dem ständischen Verfahren nächsthöhere Schiedsinstanz im Teilungsvertrag von 1487 meist lehnsherrlich geschlichtet.605 Die äußerst enge Beziehung, die sich auch in der Bezeichnung des Landgrafen als Lehens- und eigenthumbs furst 606 niederschlug, führte schließlich zur Infragestellung der waldeckischen Reichsunmittelbarkeit und militärischen Invasion der Grafschaft durch Landgraf Moritz. Obschon der eigenständige Status Waldecks letztlich behauptet werden konnte, kühlte sich das Verhältnis ­zwischen beiden Dynastien im 17. Jahrhundert deutlich ab. Auch in Waldeck bedeutete die Lehnsabhängigkeit der Grafen bis ins 16. Jahrhundert hinein also zunächst Stabilität, bis der hessische Expansionsdrang diese Nähe schließlich zu einem Unsicherheitsfaktor werden ließ. 2.4.4 Religion und Ressourcen Dass das Problem der Herrschaftsweitergabe auf ganz unterschiedliche Weise gelöst werden konnte, zeigen die von der verfassungsgeschichtlichen Forschung beschriebenen diversen Sukzessionsmodelle und mehr noch der Blick auf die praktische Vielfalt der historischen Wirklichkeit. Letztlich lassen sich aber alle 605 Hessische Vermittlungen gab es u. a. 1486/87, 1507, 1538 in Eisenberg, 1557 in Landau und 1575 in Wildungen, wo Wilhelm IV. zwischenzeitlich sogar eine Vormundschaftsregierung installierte. 606 HStAM, 115/01, Nr. 26, Konzept des ausgegangenen Schreibens der Grafen Daniel und Heinrich an Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-­Kassel vom 08. 12. 1574.

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gefundenen Lösungen danach unterscheiden, ob sie die Gleichberechtigung aller männlichen Erben anerkannten oder negierten, mithin zur Teilung oder zur Individualsukzession neigten. Ein normatives Richtmaß für diese Entscheidung war zweifellos die seit dem Spätmittelalter überlieferte Norm der Gleichbehandlung aller Söhne bei der Vererbung, wie sie den Stammesrechten und dem rezipierten römischen Recht entsprach. Diese soziale und rechtliche Forderung korrespondierte mit der seit dem 16. Jahrhundert betonten Fürsorgepflicht eines Hausvaters für alle seine Untergebenen und insbesondere die legitimen Nachkommen.607 ­Darüber hinaus stellt sich mit Blick auf die einschneidenden Transformationsprozesse von Reformation und Konfessionalisierung, die sich im Untersuchungszeitraum sowohl in Waldeck als auch in Lippe abspielten, die Frage, ob auch religiöse bzw. konfessionsspezifische Glaubensinhalte und Normen Einfluss auf die Art der Sukzessionspraxis hatten. Eine s­ olche Vermutung äußerte schon Hermann Schulze, der unter Verweis auf einschlägige Bibelzitate den „streng-­protestantischen Fürsten einen besonders entschiedenen Widerwillen gegen die Einführung der Primogenitur“608 zuschrieb, den es in dieser Form bei katholischen Dynastien nicht gegeben habe. Zur Untermauerung des von ihm postulierten Zusammenhangs führt er einige lutherische Fürsten an, die sich in Testamenten und Hausverträgen gegen die ihrer Ansicht nach ungerechte Form der Sukzession qua Erstgeburtsrecht aussprachen. Die These von der Unvereinbarkeit von Protestantismus und Primogenitur wurde von Paula Sutter Fichtner wiederaufgenommen, die ihr eine stringent argumentierende Studie gewidmet hat.609 Ausgehend von dem auffälligen Befund, dass die meisten fürstlichen Landesteilungen in der Zeit der Ausbreitung der Reformation und hier vor allem unter der Herrschaft lutherischer Dynastien stattfanden, kommt sie nach der Auswertung der Sukzessionsstrategien zahlreicher Fürstenhäuser samt deren diskursiver Reflexion in entsprechenden Selbstzeugnissen zu dem Ergebnis, dass die Gleichbehandlung aller Söhne bei der Vererbung und folglich auch die Ablehnung der Primogenitur für gläubige Protestanten einer religiösen 607 So rät etwa Florinus, der Verfasser eines wichtigen Werkes der Hausvaterliteratur, seinem Leser, dass er in seinem Letzten Willen nichts wider die Liebe und Gerechtigkeit thue / oder aus einer Feindschafft und Rache / denen von seinem Gute etwas gebührete / etwas entziehe: sonderlich aber unter Kindern ohne rechtmäßige wichtige Ursachen keinen Unterscheid mache / weil er dadurch zur Feindseligkeit und rechtlichen Processen nach seinem Tode Ursach geben würde, Florinus, Oeconomus prudens, S. 119. 608 Schulze, Erstgeburt, S. 337. Die von ihm herangezogenen Passagen lauten: „Sind wir denn Kinder, so sind wir auch Erben“ (Römer 8,17) sowie „Wenn dein Ende kommt, daß du davon musst, alsdann teile dein Erbe aus“ ( Jesus Sirach 33,24). Ferner verweist er auf Johann Jacob Moser, der bereits Mitte des 18. Jahrhunderts einen Zusammenhang z­ wischen strenger Bibelauslegung und der Präferenz von Erbteilungen bei Fürsten herstellte. 609 Vgl. Fichtner, Protestantism.

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Pflicht gleichgekommen sei.610 Freilich bezieht sie auch das generative Dilemma protestantischer Hochadliger in ihre Überlegungen ein, denen der Zugang zu kirchlichen Ämtern zunehmend verwehrt wurde, weshalb es ihnen schwerer als ihren altgläubigen Standesgenossen fiel, ‚überzählige‘ Söhne vom Erbe auszuschließen. Hier mussten also schon aus pragmatischen Gründen neue Mittel und Wege gefunden werden, was dazu führen konnte, vermehrt auf Erbteilungen zu setzen, statt nur einen Sohn als Erben einzusetzen.611 Doch ­seien es laut Fichtner neben Versorgungsüberlegungen insbesondere religiöse Vorstellungen und Normen gewesen, die hier auf die Entscheidung zugunsten einer Erb- und Landesteilung wirkten. Trotz zahlreicher Quellenzitate bleiben ihre Belege allerdings insgesamt anekdotisch. Während die sozialgeschichtlich geprägte englischsprachige Forschung ihre These überwiegend zurückgewiesen hat,612 wurde sie von der deutschen Historiographie mit größerer Zustimmung bedacht,613 wobei eine systematische, empirisch gesättigte Überprüfung der These nach wie vor aussteht. Eine ­solche kann auch hier nicht geleistet werden, jedoch gilt es, die anhand der lippischen und waldeckischen Dynastien gewonnenen Befunde in den Zusammenhang zu stellen. In Lippe fiel das früheste landesherrliche Bekenntnis zur Reformation zeitlich in etwa mit dem ersten größeren Erbkonflikt zusammen: Der lutherisch erzogene Bernhard hatte die Regierung zunächst allein übernommen, seinem einzigen Bruder Hermann Simon aber ein Paragium überlassen. Dieser gelangte durch Heirat an eine eigene Landesherrschaft, woraufhin er von seinem Bruder eine gleichmäßige Landesteilung forderte. Dabei argumentierte er unter anderem mit seinen von 610 Vgl. ebd., S. 24 – 33, bes. S. 31: „Thus, in the sixteenth and seventeenth centuries fraternal equality became not only a dynastic norm but a religious duty as well. Inequality was therefore twice unacceptable.“ 611 Vgl. ebd., S. 52 – 60. Siehe dazu auch Kap. 3.2.1 u. 3.2.3. 612 Am Beispiel des südwestdeutschen Niederadels hat beispielsweise Judith J. Hurwich ­Fichtners Thesen überprüft und kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Vererbungsstrategien von katholischen und protestantischen Geschlechtern kaum unterschieden, da beide zu Erbteilungen neigten. Wenn s­ olche dennoch hin und wieder vermieden wurden, dann aufgrund wirtschaftlicher Zwänge und nicht wegen der konfessionellen Überzeugung; vgl. Hurwich, Inheritance Practices. 613 Vgl. Westphal, Kaiserliche Rechtsprechung, S. 34 – 37; Dies., Selbstverständnis, S. 44 – 4 6; Zöttlein, Dynastie, S. 239; sowie Richter, Fürstentestamente, S. 268, die gleichwohl den differenzierenden Befund hinzufügt, „dass auch die protestantischen Dynastien schon sehr früh das Bestreben zur Einführung der Primogenitur hegten oder dies sogar realisierten, jedoch die Akzeptanz der Bestimmung in der nächsten Generation oft ausblieb“. Abgelehnt wird die These hingegen etwa von Gräf, Konfession, S. 42, Anm. 93. Auch Spiess, Lordship, S. 75, Anm. 68 zeigt sich skeptisch: „Religious motives encouraged territorial divisions […], but they did not cause them.“ Ausschlaggebend sei letztlich die Angst vor dem Aussterben gewesen.

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Gott gegebenen Rechten als legitimer Erbe und verlangte von Bernhard, dieser möge sein christliches Gewissen befragen, ob er ihm mit der ungleichen Erbteilung nicht ein Unrecht angetan habe. Die überkommene soziale Norm der Gleichheit wurde also religiös aufgeladen. Letztlich hatte Hermann Simon damit keinen Erfolg, denn eine gleichmäßige Teilung wurde nicht vollzogen, die Herrschaft als ­solche nicht geteilt. Immerhin konnte er seine paragiale Ausstattung durch den neuen Vertrag erheblich aufbessern. Stärker noch als bei den Lippern verwiesen die männlichen Dynastieangehörigen der Waldecker regelmäßig auf ihre durch Gott, die Natur und das Recht legitimierten Ansprüche am Erbe, und Väter wie Philipp III. schlossen diese in ihre Überlegungen ein, wenn sie ihre Nachfolge regelten. Insgesamt lassen sich aber eher lose, floskelhafte Gottesbezüge ausmachen; genuin religiös oder gar konfessionell geprägte Argumentationen finden sich im Zusammenhang mit den Sukzessionsregelungen an keiner Stelle. Dies liegt daran, dass hier kaum theologisch gebildete Akteure eingebunden waren, sondern in erster Linie Juristen und die Grafen selbst. Die von Fichtner postulierte kausale Beziehung ­zwischen protestantischer Ethik und Erbteilungen lässt sich somit auf Grundlage der lippischen und waldeckischen Befunde trotz einer gewissen Korrelation nicht bestätigen. Stattdessen wurden in beiden Grafschaften auch Bemühungen, übermäßig häufige Herrschaftsteilungen zu unterbinden, mit religiösen Argumenten begleitet. Im Zuge der Nachfolgeregelung Philipps IV. wurde etwa vom waldeckischen Beamten Hermann Ulner auf das Alte Testament verwiesen, das viele Beispiele für die Primogenitur als bevorzugte Sukzessionsform liefere.614 Lediglich für die Hinterlassenschaften, die nicht direkt mit der Herrschaft zusammenhingen – und das schloss durchaus auch einzelne Ämter der Grafschaft mit ein –, konnten die Erbansprüche seiner Ansicht nach Rechtmäßigkeit beanspruchen. Und auch Simon VI . ließ sich von seiner zunehmend reformiert eingefärbten Frömmigkeit nicht davon abhalten, die Primogenitur einzuführen, wenngleich das nichtherrschaftliche Erbe in seinem Denken noch der Gerechtigkeitsnorm unterlag. Doch spielten bei seiner Entscheidung auch religiöse Vorstellungen eine Rolle? Bedauerlicherweise sind keine Zeugnisse Simons bekannt, die in (selbst-)reflektierender Art und Weise auf die Sukzessionsregelung Bezug nähmen. Eine direkte 614 In ähnlicher Weise und deutlich lutherisch geprägt argumentierte einige Zeit später auch Spangenberg in seinem Adels-­Spiegel, wo er den Vorrang der Erstgeborenen ebenfalls aus dem Alten Testament ableitet: Im alten Testamente haben die Erstgebornen Söhne in jhrer Vätter Heuser / nach derselbigen abgang / wol in allen dreyen Ständen sein können / ja sie haben offtmals die alle drey verwalten müssen. Denn dem Erstgebornen Sohn gebürete im Hause beyde das Regiment vnd das Priesterampt / bey ­welchen beyden sie sich denn auch im Ehestande musten finden lassen / vnd also zugleich lehren / predigen / haushalten / nehren / vnd auch das Regiment im gantzen Stamme vnd Geschlechte etwan füren., Spangenberg, Adels-­Spiegel, 1. Teil, fol. 4r. Vgl. auch Ders., Adels-­Spiegel., 2. Teil, fol. 21r.

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Dynastie als Herrschaftsträger

Verbindung ­zwischen reformiert-­evangelischer Prägung und dynastischem Handeln lässt sich im lippischen Fall jedenfalls nicht quellenfundiert nachweisen. Auch im lutherischen Waldeck setzte sich schließlich die Primogenitur durch, wenngleich Erbgerechtigkeitsvorstellungen ihre Einführung lange verzögert hatten. Vor allem aber beeinflusste die Sorge um die genealogische Kontinuität den Verlauf der Verhandlungen, während religiöse Argumente allenfalls eine untergeordnete Rolle spielten.615 Auch andere Befunde lassen es fraglich erscheinen, dass eine protestantische Prägung tendenziell eher zu einer Betonung der Erbrechte und damit zur Teilung führte. So hatte die Lutheranerin Katharina von Waldeck in der Grafschaft Lippe die Partizipationsansprüche der lippischen Agnaten hart bekämpft und stattdessen auf die Primogenitur ihres Sohnes gedrungen. Ihre Gegner versuchten zwar, theologisch und biblizistisch gegen diese Position zu argumentieren, etwa indem sie in Umkehrung des Arguments Ulners behaupteten, dass Gott in der Bibel gerade die Nachgeborenen ihrem ältesten Bruder vorziehe. Letztlich hatten sie damit aber wenig Erfolg und änderten ihre Meinung, nachdem sie selbst in den Genuss der Vorzüge der Primogenitur gekommen waren. In ähnlicher Weise scheint auch bei der Gräfin Johannette in Waldeck die Religion lediglich ein Argument gewesen zu sein, dessen sie sich bedienen konnte, um die Erbrechte ihrer leiblichen Söhne zu verteidigen. Der Rückbezug auf den göttlichen Willen war also eine von vielen Parteien genutzte Argumentationsstrategie, die jedoch stets ambivalent blieb, denn eine eindeutige Position zur Sukzessionsfrage ließ sich aus den Worten der Bibel ebensowenig ableiten wie aus den theologisch-­ethischen Überlegungen der Reformatoren.616 Als zusätzliches Argument zur Absicherung der eigenen Position konnten sie gerade aufgrund ihrer inhaltlichen Offenheit aber allemal dienen. Die religiösen Normen blieben letztlich diffus, determinierten kein bestimmtes Verhalten und konnten spätestens dann keine Wirkmacht mehr entfalten, als andere Überlegungen ökonomischer und politischer Art an Bedeutung gewannen: die Rücksichtnahme auf die Beschränktheit der Ressourcen, die die kleinen Grafschaften aufzubringen vermochten, vor allem aber die politischen Vorteile, die eine Zentralisierung der landesherrlichen Macht in den Händen eines einzigen Grafen versprach. Diesen strukturellen Zwängen mussten sich schließlich auch die reichsunmittelbaren Agnaten unterordnen.

6 15 Vgl. Zöttlein, Dynastie, S. 46 – 114. 616 Vgl. Pečar/Trampedach, Biblizismus, S. 14 – 18.

3 Dynastie als Verwandtschaftsverband

3.1 Dimensionen adliger Heiratspolitik Nachdem die Dynastien der Lipper und Waldecker Grafen als kollektive Träger von Herrschafts- und Besitzrechten in den Blick genommen wurden, soll nun stärker die verwandtschaftliche Dimension in den Vordergrund gerückt werden. Dynastien als soziale Gruppen definierten sich grundsätzlich über Verwandtschaftsbeziehungen, die einerseits affinal, also durch Heiraten, andererseits konsanguin, mithin durch ‚blutsverwandtschaftliche‘ Abstammung, zustande kamen. Bei der Planung und Stiftung neuer verwandtschaftlicher Bande gingen die Adligen sehr gezielt vor, denn Heiraten bildeten die Grundlage dafür, dass die Dynastie mittels Zeugung legitimer Nachkommen reproduziert werden konnte, und bestimmten darüber hinaus maßgeblich ihre soziale Schätzung. Daher werden zunächst die dynastische Heiratspolitik und das generative Verhalten einer vergleichenden Analyse unterzogen, bevor stärker auf konfliktbehaftete Einzelfälle der gräflichen Eheschließungen fokussiert wird. Wie die Herrschaftsweitergabe war auch die Praxis des Heiratens rechtlich und kulturell überformt und unterlag verschiedensten impliziten und expliziten Normen. Im Mittelalter war die Ehe als Sakrament Sache des kanonischen Rechts und unterlag in letzter Instanz der Jurisdiktion des Papstes. Geregelt waren etwa das Mindestalter der Eheleute – zwölf Jahre bei Mädchen, 14 bei Jungen –, die Erfordernis des freien Willens beider Partner und das Verbot einer Verwandtenheirat bis zum vierten Grad.1 Letzteres stellte jedoch im Adel keine besonders große Hürde für Eheschließungen unter nahen Verwandten dar, denn eine päpstliche Dispens war in den meisten Fällen ohne größere Schwierigkeiten zu erlangen.2 Mit der Übernahme der Reformation ging für die evangelischen Reichsstände auch eine Ablösung von den katholischen Rechtsautoritäten einher, obschon wichtige Elemente des kanonischen Rechts auch in die protestantischen Ehenormen Eingang fanden. Gleichwohl versuchten die evangelischen Landesherren nun, Ehesachen unter ihre eigene Jurisdiktion zu bringen, und publizierten entsprechende Policey- und Kirchenordnungen, in die zusätzlich auch Normen des gemeinen Rechts sowie regionale Rechtsgewohnheiten einflossen.3 Dies war möglich, da 1 Vgl. Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 32 – 34; Spiess, Familie, S. 40 – 49; Köller, Agonalität, S. 118 – 124; Marra, Allianzen, S. 48 – 50. 2 Vgl. Knöfel, Dynastie, S. 46. 3 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S.  51 f.; sowie am Beispiel der Grafschaft Lippe Flessenkämper, Zusage, bes. S. 201 – 204. Die K ­ irchen-, Konsistorial- und E ­ heordnungen

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Dynastie als Verwandtschaftsverband

Luther die Ehe als ein weltlich ding 4 angesehen, sie also ihres Sakramentenstatus enthoben hatte, ohne ihre religiöse Bedeutung dadurch zu schmälern. Zu den wesentlichen Veränderungen des evangelischen Eherechts zählten die nun notwendig gewordene Einholung des elterlichen Konsenses sowie die Möglichkeit der Ehescheidung unter bestimmten Bedingungen wie etwa Ehebruch.5 Nicht nur der Lebenslauf des Einzelnen hing im Adel an einer Eheschließung, sondern der ständische Rang und das Prestige der gesamten Dynastie. Daher wurde sie zusätzlich zu den bereits genannten Rechtsnormen weiteren Bestimmungen unterworfen, die teils in Ehe- und Hausverträgen verschriftlicht waren, den Akteuren teils aber auch als stillschweigende Verhaltenserwartungen gegenübertraten – zumindest so lange, bis ein Verstoß zum offenen Konflikt führte. Die inzwischen stark angewachsene Forschung zur (hoch-)adligen Heiratspraxis hat herausgestellt, dass die Wahl des Ehepartners bestimmend für die gegenwärtige und vor allem zukünftige soziale Stellung der Dynastie war.6 Somit war sie ein dynastisches Politikum ersten Ranges und sollte der Entscheidung des Einzelnen weitgehend entzogen werden; gegenseitige Zuneigung der Gatten war zwar erwünscht, aber keineswegs notwendig für das Zustandekommen einer ehelichen Verbindung, die oftmals von nahen, insbesondere kognatischen Verwandten arrangiert wurde.7 Allerdings hatten Söhne ebenso wie Töchter aufgrund des Konsensprinzips ein gewisses Mitspracherecht bei der Partnerwahl und konnten sich gegen absolut unliebsame Kandidaten zur Wehr setzen. So lehnte etwa Magdalena von Waldeck, die Tochter Philipps IV., den um ihre Hand anhaltenden Grafen Hermann von Wied entschieden ab. In einem Brief an ihren Vater bekräftigte sie zwar ihren kindlichen Gehorsam, machte aber zugleich unmissverständlich deutlich, dass sie zu solchem Heijratt gar keijn Gefallens darzu drage und bat darum, sie nicht länger wijtter meinen Wijllen […] zu nottijgen otter drijngen 8. Gleichzeitig sind aber auch Korrespondenzen ­zwischen Ehegatten überliefert, die von einer tiefen emotionalen Verbundenheit zeugen und so der verbreiteten Vorstellung vom reinen Nutzencharakter adliger Ehen widersprechen.9 der Grafschaften Lippe und Waldeck sind ediert in: Arend (Bearb.), Kirchenordnungen, Bd. 9, S. 156 – 307 (Waldeck) bzw. Bd. 21, S. 279 – 485 (Lippe). Siehe darüber hinaus den 1779 gedruckten Band Landes-­Verordnungen der Graffschaft Lippe. 4 Luther, Von Ehesachen, S. 205. 5 Vgl. Flessenkämper, Zusage, S. 200 f. 6 Vgl. als Überblick Duchhardt, Dynastische Heirat. 7 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 82; Bastl, Tugend, S. 152 – 158; Walther, (Un-)Ordnung, S. 59; Hufschmidt, Adlige Frauen, S. 137; Schönpflug, Heiraten, S. 70 – 91; Czech, Legitimation, S. 129; Knöfel, Dynastie, S. 2 u. 46 f. 8 Zit. nach Aumüller, Vorgeschichte, S. 115. Zu den Hintergründen d­ ieses gescheiterten Heiratsprojekts, das aus konfessionspolitischer Sicht durchaus sinnvoll erschien, vgl. ebd. 9 Siehe etwa die Briefe der Anastasia von Schwarzburg an ihren Verlobten Wolrad II. von Waldeck-­Eisenberg, in: Schultze, Briefe.

Dimensionen adliger Heiratspolitik

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Da die Anbahnung von Ehen und die Durchführung der prächtigen Hochzeitsfeiern im Hochadel einschließlich ihrer repräsentativen Funktionen in den letzten Jahren vermehrt Gegenstand der Forschung waren,10 wird das Augenmerk an dieser Stelle auf die strategischen Aspekte der Eheschließung gelegt. Dahinter steht erneut die Frage, ob und wie es gelang, soziale Integration in der Gruppe zu schaffen und diese auf Dauer zu stellen. Vier Dimensionen lassen sich im Zusammenhang mit der adligen Heiratspolitik in heuristischer Absicht unterscheiden. Erstens lag der vorrangige Zweck einer Adelsheirat darin, legitime Kinder zu zeugen und dadurch den Fortbestand der Dynastie zu sichern, denn nur innerehelich geborenen Nachkommen wurde in der Regel überhaupt ein Erb- und Sukzessionsrecht zugestanden.11 Insbesondere galt es, durch einen das Erwachsenenalter erreichenden Sohn die Nachfolge in der Herrschaft sicherzustellen, an der das Bestehen der gesamten Dynastie hing. Einleitende Formeln wie jene im Ehevertrag ­zwischen Simon Ludwig zur Lippe und Katharina von Waldeck betonten regelmäßig, dass die vereinbarte Eheschließung dem Allerhöchsten zu Lob undt ehren, Auch zu erhalt- undt mehrung guter freundtschafft undt Graff­ lichen geschlechts 12 dienen sollte. Neben dem Gottesbezug, der deutlich machte, dass die Ehe aus kirchlicher Sicht rechtens und wünschenswert war, sowie der Hoffnung auf gute Beziehungen war hier insbesondere der Zweck der Kontinuitätssicherung der Dynastie ausgedrückt. Aus d­ iesem Grund hatte eine Braut auch physisch geeignet – also hinreichend jung und gebärfähig – zu sein. Der ehelichen Fruchtbarkeit wurde eine überragende Bedeutung beigemessen, da „der Adel mit einem an Obsession grenzenden Verlangen nach Erhaltung des adligen Hauses strebte“.13 Eine Ehe, aus der keine Kinder hervorgingen, hatte somit ihren Hauptzweck verfehlt.14 Das durchschnittliche Heiratsalter stieg parallel zur Lebenserwartung vom späten Mittelalter bis zum 18. Jahrhundert stetig an. In der Frühen Neuzeit lag es etwa bei den thüringisch-­sächsischen Grafen und Herren, die Vinzenz Czech 10 Vgl. Bastl, Tugend, S. 149 – 280; Czech, Legitimation, S. 186 – 207; Marra, Allianzen, S. 62 – 72; Bourrée, Dienst, S. 201 – 210; Knöfel, Dynastie, S. 48 – 54; Westphal/ Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 32 – 4 0 u. 71 – 77; Rahn, Festbeschreibung. ­Speziell für Waldeck vgl. Aumüller, Vorgeschichte. 11 Zum Umgang mit illegitimen Nachkommen siehe dagegen Kap. 3.2.4. 12 HStAM, Urk. 85, Nr. 147, Ehevertrag vom 19. 06. 1631. Die Formel findet sich in nur wenig abgewandelter Form in vielen Eheverträgen im Haus Waldeck, wobei in den Vorgängerverträgen noch vom universal-­menschlichen statt vom partikular-­dynastischen Geschlecht die Rede war. 13 Bastl, Haus, S. 271. 14 Vgl. Petersen, Geburt, S. 81 – 86; Walther, (Un-)Ordnung, S. 49; Knöfel, Dynastie, S. 35; Marra, Allianzen, S. 62 f.

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untersucht hat, bei 30,4 Jahren für Söhne und 23,1 Jahren für Töchter.15 Dass Männer zum Zeitpunkt der Eheschließung deutlich älter waren als Frauen, hat mit der Linderung des Generationendrucks zu tun: Der Sohn durfte in der Regel erst dann eine eigene Familie gründen, wenn sein Vater bereits ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatte, womit der Zeitraum begrenzt werden sollte, in der drei Generationen zusammenlebten und es leicht zu Auseinandersetzungen ­zwischen dem verheirateten Sohn und dessen Vater kommen konnte, welcher gewöhnlich bis zu seinem Tode die Herrschaft über Haus sowie Land und Leute ausübte.16 Ohnehin wurde die Frage, w ­ elche Söhne und Töchter überhaupt und zu welcher Zeit heiraten durften, streng reglementiert, um dadurch Einfluss auf das generative Verhalten zu nehmen. Auf die dazu angewandten Maßnahmen wird im Folgenden genauer eingegangen. Zum Zweiten war ein grundlegendes Kriterium bei der Auswahl eines Ehepartners, ob er oder sie den ständischen Ansprüchen genügte. Denn die Summe der Eheverbindungen eines Hauses spiegelte dessen Rang innerhalb der Adelsgesellschaft, sodass das Konnubium und insbesondere Veränderungen darin als Indikator der sozialen Schätzung, des Auf- und Abstiegs einer Dynastie gelten können.17 Dabei können nicht nur die ständische Qualität – etwa eine Zugehörigkeit zum Stand der Grafen und Herren – ermittelt, sondern auch innerhalb d ­ ieses Standes weitere feine Rangunterschiede festgestellt werden. Eine gräfliche Dynastie, in deren Konnubium sich beispielsweise viele Heiraten mit Fürstenhäusern finden lassen, wurde von den Standesgenossen sozial höher eingeschätzt als eine, die auch ‚unter Stand‘ heiratete, also Personen aus dem niederen Adel oder sogar dem städtischen Bürgertum. Zudem lag es in der dynastischen Logik, dass auch die Heiratsverbindungen der Vergangenheit im kollektiven Gedächtnis bewahrt wurden, sodass das Prestige gewissermaßen kumuliert werden konnte. Gleichzeitig generierte eine vornehme Herkunft ständische Qualität, die wiederum die Voraussetzung für hochrangige Ehen darstellte.18 Dieses System führte somit zum Abschluss endogamer Heiratskreise, deren Sinn darin bestand, „den Kreis der potentiellen Teilhaber an der höchsten Statusgruppe und ihren Besitz auf wenige Familien zu begrenzen und damit zu monopolisieren“19. Zugleich standen insbesondere die fürstlichen Dynastien in einem ständigen Wettbewerb um Prestige und Einfluss,20 während 15 Vgl. Czech, Legitimation, S. 131 – 134; dort auch Vergleichswerte aus anderen Unter­ suchungen. 16 Vgl. ebd., S. 134; Spiess, Familie, S. 415 – 417. 17 Vgl. Auge, Heiratsmarkt, S. 7 f. 18 Vgl. Bourrée, Dienst, S. 162. 19 Schönpflug, Heiraten, S. 105. Vgl. auch Mitterauer, Spanische Heiraten. 20 Vgl. Knöfel, Dynastie, S. 27 – 33; Paravicini/Wettlaufer (Hg.), Vorbild.

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es den Grafen und Herren im 16. Jahrhundert eher darum ging, überhaupt als Angehörige des Hochadels anerkannt zu werden, wozu hochrangige Heiraten in besonderem Maße beitragen konnten. In d­ iesem Sinne lässt sich das Konnubium einer Dynastie als ihr symbolisches Kapital bezeichnen,21 welches im Laufe der Frühen Neuzeit an Bedeutung gewann, während unebenbürtige Verbindungen zunehmend vermieden wurden. Dabei war die zugrunde liegende Kategorie der Ebenbürtigkeit zweier Eheleute nicht rechtlich formalisiert, sondern eine im Wandel begriffene soziale Norm und daher keineswegs immer einfach festzustellen. Spätestens im 16. Jahrhundert hatte sich allerdings die Überzeugung durchgesetzt, dass Verbindungen innerhalb des regierenden Hochadels, also etwa z­ wischen Grafen und freien Herren als standesgemäß galten, während zu dem sozial tieferstehenden Ritteradel eine klare konnubiale Grenze gezogen wurde.22 Ehen ­zwischen Fürsten und Grafen wurden ebenfalls als standesgemäß angesehen, wobei sie von letzteren aufgrund des enormen Prestiges freilich besonders begehrt wurden. Obschon Dynastien grundsätzlich versuchten, möglichst hochrangige Verbindungen einzugehen, gab es immer wieder auch Grenzfälle, bei denen den Zeitgenossen eine eindeutige Klassifizierung als standesgemäße Heirat oder sogenannte Missheirat schwerfiel. Einige Dynastien gingen daher dazu über, mehr oder weniger präzise Kriterien für Heiratspartner in ihren Hausverträgen festzuschreiben.23 Weder die Waldecker noch die Lipper legten jedoch explizite Ständeuntergrenzen fest. Erst 1687 verfügte Christian Ludwig von Waldeck in seinen Verbesserungspunkten, dass ein Graf, der eine Missheirat einging, samt seinen Nachkommen von der Primogenitur ausgeschlossen sei und auf die Hälfte seines Deputats zu verzichten habe.24 Konkrete Standesschranken nannte er dabei nicht – diese waren den Adressaten des Hausgesetzes offenbar als implizite Norm geläufig. Auch die Grafen zur Lippe verzichteten vollständig auf eine hausgesetzliche Festlegung dessen, was als unebenbürtige Verbindung zu gelten habe.25

21 Vgl. Bourdieu, Ökonomisches Kapital. Zur Interpretation dynastischer Heiratspolitik anhand der Bourdieuschen Terminologie vgl. auch Becker, Dynastische Politik, S. 53 – 203; sowie Köller, Agonalität, S. 128 – 151. 22 Vgl. Stollberg-­Rilinger, Grafenstand, S. 34; Schmidt, Grafenverein, S. 481 f.; Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 232; Sikora, Ehe, S. 115. 23 Vgl. Czech, Legitimation, S. 136 – 140; Harding/Hecht, Ahnenproben, S. 27 f. 24 Vgl. Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 400. 25 Dies kam letztlich den Agnaten der Nebenlinie Biesterfeld im sogenannten Lippischen Thronfolgestreit von 1895 bis 1905 zugute: Nachdem die Detmolder Hauptlinie erloschen war, wurde dem Grafen Ernst zur Lippe-­Biesterfeld die Nachfolge bestritten, da einer seiner Vorfahren mit Modeste von Unruh eine Niederadlige geheiratet hatte, und deren Nachkommen somit nicht sukzessionsfähig ­seien. Ein Schiedsgericht kam jedoch zu dem Schluss, dass eine entsprechende Norm zur Zeit der Eheschließung nicht bestanden habe; vgl. Bartels-­Ishikawa, Thronfolgestreit, S. 31.

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Eng mit der ständischen Verflechtung verbunden ist drittens der Umstand, dass geplante und verwirklichte Heiratsprojekte auch eine politische Dimension entwickeln konnten, insofern, als sie das geeignetste Mittel zur Bildung und Pflege von Netzwerken darstellten.26 Durch konnubiale Verbindungen waren die Adligen in ein weit ausgreifendes Beziehungsgeflecht gestellt, das sich im Bedarfsfall für die Durchsetzung eigener Interessen aktivieren ließ. Dies bedeutete nicht, dass sich affiniale Verwandtschaft eins zu eins in politische Bündnisse übersetzen ließ, doch wurde mit jeder geschlossenen Ehe der Wunsch bekräftigt, freundschaft ­zwischen den beiden beteiligten Dynastien zu stiften.27 Oftmals wurden Heiraten auch zur Bekräftigung bereits bestehender Bündnisse z­ wischen zwei Dynastien genutzt, oder sie bildeten umgekehrt die Grundlage für den Abschluss weiterer Verträge.28 So schloss beispielsweise der lippische Edelherr Bernhard VII . 1510 eine Erbverbrüderung mit den Schaumburger Grafen, deren Schwester Anna er zuvor geheiratet hatte.29 Hundert Jahre später war man sich dieser engen Verbindung ­zwischen beiden Häusern immer noch bewusst, und so enthielt der Ehevertrag ­zwischen Elisabeth zur Lippe und Georg Hermann von Holstein-­Schaumburg die Formel zu stifftung weitter Immerwerender Ver­ trawlicher lieber guter nachparschafft und correspondentz, so unter unsern hoch­ geehrten loblichen Vorfahren biß auf unß von undencklichen Jahren woll her­ pracht 30. Insbesondere Grafen und Herren nutzten diese Strategie zur Erzeugung verwandtschaftlich-­politischer Abhängigkeiten, indem sie endogame, wenngleich nicht völlig abgeschlossene Heiratsräume innerhalb bestimmter Regionen schufen, die die Grundlage für politische Vergemeinschaftungen bilden konnten.31 Bei der Analyse des Konnubiums gilt es also auch nach dem Einzugsgebiet zu fragen, aus dem die Heiratspartner gewählt wurden: Griff man geographisch weit aus, oder beschränkte man sich eher auf eine bestimmte Region, und lassen sich diese Strategien mit politischen Entwicklungen parallelisieren? Nach der Reformation wurde des Weiteren die Frage entscheidend, welcher Konfession die Braut oder der Bräutigam angehörten. Mischehen z­ wischen Protestanten 26 Vgl. Schönpflug, Dynastische Netzwerke; Bourrée, Dienst, S. 161 – 199; Auge, Handlungsspielräume, S. 248 – 253. Grundlegend zur Netzwerkanalyse: Reinhard, Freunde; zuletzt dazu: Düring/Eumann/Stark [u. a.] (Hg.), Handbuch. Zu im engeren Sinne politischen Interessen, die mit einer dynastischen Ehe verknüpft werden konnten, jetzt auch Haas, Fürstenehe, bes. S. 327 – 330. 27 Zur Differenzierung ­zwischen den Sozialbeziehungen Freundschaft und Verwandtschaft siehe Seidel/Schuster, Freundschaft. 28 Vgl. Bourrée, Dienst, S. 166; Köller, Agonalität, S. 125 – 128; Schlinker, Bedeutung, S. 22. 29 Vgl. Husmeier, Graf Otto IV., S. 255 f. 30 LAV NRW OWL, L 1 B, Vertrag vom 04. 09. 1612. 31 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 478 – 490.

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und Katholiken waren zwar unter bestimmten Bedingungen möglich, wurden aber aus einem generellen Abgrenzungsbedürfnis heraus sowie aufgrund der in der Ehe zu erwartenden Konflikte meist vermieden. Die große Bedeutung der zwischendynastischen Vernetzung führte allmählich dazu, dass nicht nur der Stammhalter durch eheliche Nachkommen den Stamm fortzuführen hatte, sondern dass auch weitere Söhne sowie Töchter als wichtige Ressource zur Stiftung von Allianzen erkannt wurden. Zwar war das adlige Verwandtschaftssystem patrilokal, das heißt, adlige Frauen zogen nach der Hochzeit auf die Ländereien ihres Bräutigams und gingen somit bis zu einem gewissen Grad in seine Familie über, doch blieben sie gleichzeitig auch Repräsentantinnen ihrer Herkunftsfamilie, sodass ihr persönliches Verhalten und der Verlauf der Ehe im positiven wie negativen Sinne auf jene zurückfielen.32 Die Ausgestaltung der Beziehungen und das Maß an Identifikation mit alter und neuer Familie waren dabei vom jeweiligen Individuum abhängig und konnten entsprechend variieren. Ließ sich mittels geschickter Heiratsstrategien also soziales Kapital anhäufen, so hatten diese schließlich und viertens auch eine ökonomische Dimension. Heiraten im Adel waren vor allem auch Tauschgeschäfte, bei denen nicht nur symbolisches und soziales Kapital z­ wischen zwei Familien hin und her wechselte, sondern auch monetäres. Am Beispiel des gräflichen Hochadels des Spätmittelalters konnte Karl-­Heinz Spieß detailliert aufzeigen, dass mit den Heiraten ein kompliziertes Gütertauschsystem verbunden war, das auf der Komplementarität der Gaben von Frauen- und Mannesseite beruhte. Vor der Eheschließung wurde daher in einem schriftlichen Ehevertrag festgehalten, w ­ elche Mitgift die Braut in die Ehe einbrachte und wie sie in währender Ehe, aber auch im Falle der Verwitwung von der Familie des Mannes finanziell versorgt sein würde. All diese Variablen konnten je nach ständischer Stellung der Ehepartner unterschiedlich ausfallen und hingen nicht zuletzt davon ab, wie begehrt eine bestimmte Partie war, obgleich sich seit dem Spätmittelalter bestimmte Richtwerte herausgebildet hatten. So betrug die Mitgift einer gräflichen Braut im Spätmittelalter durchschnittlich 4350 Gulden.33 Diese Summe kam jedoch nicht immer unmittelbar aus dem Vermögen der 32 Vgl. Jendorff, Eigenmacht, S. 625. Ähnlich Hohkamp, Transdynasticism, S. 94 f., die davon ausgeht, dass nach zeitgenössischer Auffassung „married sisters kept families and houses in touch with each other and that marriages both played a role for constructing vertically structured lineages and dynasties and served as instruments for creating horizontal transfamilial and transdynastic networks“. 33 Vgl. Spiess, Familie, S. 139. Diese Summe lässt sich im Großen und Ganzen auch für die Frühe Neuzeit annehmen: Mutschler, Haus, S. 67, hat für die Ehen der Ysenburger im 17. Jahrhundert Mitgiften ­zwischen 3000 und 6500 fl. ausgemacht. Köller, Agonalität, S. 184 – 187, hat für die Grafen des Nordwestens etwas höhere Durchschnittswerte ermittelt, namentlich 5000 fl. für die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts und 7800 fl. für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts.

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Dynastie, sondern wurde in Form der Fräuleinsteuer dem Land auferlegt.34 Aus ­diesem Grund war die Begrenzung der Mitgifthöhe auch Verhandlungsgegenstand auf den Landtagen. Daneben erhielt die Braut von ihrer Herkunftsfamilie die sogenannte Aussteuer in Form von Kleidern, Kleinodien und Hausrat oder als Geldsumme, über die sie im Gegensatz zur Mitgift selbst verfügen konnte.35 Mit dem Empfang von Mitgift und Aussteuer galt eine Tochter seitens ihrer Familie als abgefunden und durfte somit keine weiteren Ansprüche auf das väterliche Erbe mehr stellen. Die Braut und ihr zukünftiger Ehemann hatten daher im Ehevertrag einen förmlichen Verzicht auf das Erbe der Brautfamilie zu leisten.36 Eine Ausnahme stellte die begehrte Heirat mit einer Erbtochter dar, die den gesamten Besitz einer Dynastie mangels männlicher Erben mit in ihre Ehe einbrachte.37 Waren ­solche Partien insgesamt eher selten, begründeten doch auch Eheverbindungen, die zu keinem unmittelbaren Besitz- oder Territorialzuwachs führten, Ansprüche für künftige Erbanfälle und waren somit Investitionen in die Zukunft. Derartige dynastische Glücksfälle waren freilich kaum planbar. So gelangten etwa wesentliche Teile der Grafschaft Schaumburg nach dem Aussterben der dortigen Herrscherfamilie nach 1640 über die M ­ utter des letzten Grafen, Elisabeth zur Lippe, an deren jüngeren Bruder Philipp, der somit zum Landesherrn und Begründer der schaumburg-­lippischen Grafendynastie wurde.38 Die Unterscheidung in symbolische, politische und ökonomische Aspekte einer Adelsheirat ist natürlich rein analytischer Art. In der Realität standen die Dimensionen in einem vielfältigen Wechselverhältnis: Fragen der Ebenbürtigkeit hatten immer auch politische Konnotationen, große Mitgiftsummen auch symbolischen Wert usw. Durch die Schließung von Ehen und die Zeugung ehelicher Nachkommen wurde der Fortbestand der sozialen Gruppe gewährleistet, während zu deren Statuswahrung eine strategische Heiratspolitik vonnöten war. Dabei wohnten dynastischen Ehen auch zahlreiche Momente der Unruhe inne, beispielsweise dann, wenn die gewünschten Nachkommen ausblieben, wenn ein Mitglied der Dynastie sich gegen die für ihn geschmiedeten Ehepläne sträubte, wenn ein Ehepartner den sozial-­ständischen Ansprüchen nicht genügte oder wenn unterschiedliche Konfessionszugehörigkeit der Ehepartner zu Problemen führte. Im Folgenden wird zunächst danach gefragt, wie sich die Heiratsstrategien und das mit ihnen in enger Verbindung stehende generative Verhalten der Grafen zur Lippe und der Grafen von Waldeck von 1450 bis 1650 entwickelten 34 Vgl. Czech, Legitimation, S. 142; Ledderhose, Fräuleinsteuer. 35 Vgl. Mutschler, Haus, S. 184 – 218; Marra, Allianzen, S. 90 – 96. 36 Vgl. Brauneder, Art. Mitgift; Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 53; Bastl, Haus, S. 274. 37 Vgl. Spiess, Familie, S. 55 – 61; Czech, Legitimation, S. 140 – 142. 38 Vgl. Greve, Teilungsgeschichte.

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und wo Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen (3.1.1). Dann folgt ein Überblick über die in Eheverträgen geschlossenen güterrechtlichen Vereinbarungen sowie ihre Umsetzung in der Praxis (3.1.2). Es schließt sich die Analyse der Heiratspartner der Grafen anhand der Kriterien von ständischem Rang, Konfession und Region an (3.1.3), ehe damit in Verbindung stehende Konfliktlinien genauer untersucht werden: Einerseits wird nach den Gründen für und den strategischen Umgang mit sogenannten Missheiraten gefragt (3.1.4), andererseits wird das Problem der konfessionellen Mischehen beleuchtet, da auch hier ein erhebliches Konfliktpotenzial schlummerte, das sich unter Umständen erst in der folgenden Generation entfaltete (3.1.5). 3.1.1 Heiratsstrategien und generatives Verhalten 1450 – 1650 Das Dilemma des vormodernen Adels, drei sich widersprechenden Grundsätzen der Reproduktion folgen zu müssen, ist von der sozialhistorischen Adelsforschung wiederholt aufgezeigt worden.39 Erstens galt es unter der Maxime der ‚Erhaltung von Stamm und Namen‘ die Kontinuität der Dynastie durch eine hohe Kinderzahl zu garantieren, zweitens legte die bisweilen religiös konnotierte Norm der Erbgerechtigkeit den Dynastieoberhäuptern nahe, den Kollektivbesitz unter ihre Söhne aufzuteilen, was drittens der Notwendigkeit zuwiderlief, den Rang, die politische Handlungsfähigkeit und die ökonomische Basis der Herrschaft zu erhalten. Daher führte dieser Normenkonflikt nicht nur bei der Aushandlung der Erb- und Herrschaftsfolge regelmäßig zu Auseinandersetzungen, sondern auch bei der Frage, wie viele der Söhne überhaupt zur Heirat zugelassen werden sollten. Denn die Ehe war „ein Privileg, welches nicht jedem zukam“.40 Um sich vermählen zu können, bedurfte ein junger Herr seines eigenen Landes, um seine Gemahlin zu Lebzeiten und insbesondere nach seinem Tod versorgen zu können. Diese Notwendigkeit ist im Vertrag ­zwischen Philipp IV. von Waldeck-­Wildungen und seinen Söhnen vom 12. März 1554 ausgedrückt, der die vorläufige Abteilung des ältesten Sohnes Samuel regelte. Der Vater habe ihm zwei Ämter der Grafschaft übertragen, damit Graf Samuel sich durch hilf gottlicher gnaden zur heiligen ehe dester baß bestatten, sich und seine zukunftige gemahl nach gravelichem stande underhalten, auch dieselbige bewiddumen und bemorgengaben moge.41 Den beiden anderen, nur unwesentlich jüngeren Söhnen Philipps wurde ­dieses Privileg 39 Vgl. etwa Weber, Dynastiesicherung, S. 101; Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 67 – 72; Schmidt, Grafenverein, S. 490 f.; Mutschler, Haus, S. 224 f.; Duindam, Dynasties, S. 88. 4 0 Bastl, Tugend, S. 154. 41 HStAM, Urk. 85, Nr. 347a, fol. 1v.

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vorerst nicht zuteil.42 „Die ökonomische Unabhängigkeit war eine wesentliche Voraussetzung jeder Eheschließung. Selbständiges Wirtschaften, Hofhaltung und Repräsentation waren letztlich nur auf der Grundlage einer entsprechenden Herrschaftsausstattung denkbar.“43 Da gerade bei den Grafendynastien die wirtschaftlichen Ressourcen aber oftmals eng begrenzt waren, führte dies zu einer Restriktion der Eheschließungen und zwar umso mehr, als jede Heirat eines Sohnes eine „potentielle Liniengründung“44 bedeutete. Denn eine Ehe wurde mit dem Ziel geschlossen, Kinder zu zeugen, w ­ elche wiederum später Erbansprüche geltend machen würden. Es galt also, genau abzuwägen, wie viele eheliche Verbindungen das Fortleben des Geschlechts zu sichern vermochten, ohne dessen wirtschaftliche Grundlage zu zerstören. Solange – wie im Fall Philipps – noch ein Vater als Dynastieältester im Leben stand, der die absolute Weisungsbefugnis für sich beanspruchte, war die Frage, wer Eheschließungen genehmigte oder verbot, eindeutig geklärt. Schwieriger wurde es, wenn ein unangefochtenes Oberhaupt oder zumindest ein Vormundschaftsregiment fehlte und ein Konsens ­zwischen den Agnaten gefunden werden musste. Hermann Adolf zur Lippe etwa wollte im Mai 1653 seinen Vertrag über die Ehe mit Gräfin Ernestine von Ysenburg-­Büdingen vom Reichshofrat bestätigen lassen, woraufhin dieser zunächst eine Einverständniserklärung der übrigen Agnaten forderte, die jedoch nicht aufzubringen war. Erst als der Lipper erklärte, man liege mit den Verwandten seit langem in Streit, wurde die begehrte Konfirmation auch ohne dynastischen Konsens erteilt.45 Wolrad II . von Waldeck war hingegen auf die Zustimmung seiner Halbbrüder zu seinem Ehevertrag mit Anastasia von Schwarzburg angewiesen, w ­ elche diese allerdings drei Jahre hinauszögerten.46 In vielen Fällen wurden bei den Waldeckern die Verwandten daher schon in die Phase der Verhandlungen einbezogen und zur Mitbesiegelung des Ehevertrags aufgefordert.47 Grundsätzlich waren Eheschließungen also Angelegenheit aller agnatischen Angehörigen der Dynastie. Bei der Entscheidung sollte Einmütigkeit herrschen, denn schließlich hatte sie oft weitreichende, das Vermögen, den sozialen Rang und das Überleben des Hauses betreffende Auswirkungen. Übergreifende Normen bezüglich der Frage, 42 Siehe zum Hintergrund der Kontroverse um die Nachfolge Philipps IV. auch Kap. 2.3.5. 43 Walther, (Un-)Ordnung, S. 67. 4 4 Mutschler, Haus, S. 225. 45 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 34. Zur Ehe Hermann Adolfs mit Ernestine siehe auch Mutschler, Haus, S. 61 f., 65 f. u. 77. 4 6 Dies geht aus einer Bemerkung Wolrads in seinem Tagebuch hervor; vgl. Tross (Bearb.), Tagebuch, S. 246. 47 Beispiele für mitsiegelnde Agnaten sind u. a. die Eheverträge von Philipp IV. und Jutta von Ysenburg-­Grenzau (1554) und von Franz III. und Walburg von Plesse (1582); vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 98 bzw. 112.

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wer heiraten durfte, gab es bei den hier untersuchten Grafen allerdings nicht; es wurde von Fall zu Fall entschieden. Grundsätzlich spielte bei der intergenerationellen Herrschaftsweitergabe der Faktor des biologischen Zufalls eine wichtige Rolle, denn oftmals bestimmte die Natur, wie viele potenzielle Anwärter auf die Herrschaft parat standen. Einerseits lagerte die Sukzessionspraxis also auf verwandtschaftlichen Voraussetzungen auf, andererseits beeinflusste sie aber auch die künftige Form der Dynastie, denn je nach Sukzessionsregelung konnte die Gefahr des Aussterbens mehr oder weniger dringlich werden. Die Grafiken 1 und 2 (siehe Anhang) führen nur die männlichen Dynastieangehörigen auf und veranschaulichen so den engen Zusammenhang z­ wischen Sukzessions- und Heiratspraxis.48 Bei den Edelherren und Grafen zur Lippe wurde bereits seit dem 12. Jahrhundert eine strenge Restriktionspolitik betrieben, nach der in jeder Generation nur ein einziger Sohn sich vermählen und Nachkommen zeugen durfte.49 Nur einmal wurde von d­ iesem Muster abgewichen, nämlich als Simon I. seinen Söhnen Otto I. und Bernhard V. die Heirat gestattete, um die Last der Kontinuitätssicherung auf zwei Linien zu verteilen. Die dazu notwendige Erbteilung sowie das Ausbleiben männlicher Erben Bernhards führten jedoch in letzter Konsequenz dazu, dass bedeutende Teile der Herrschaft an die angeheiratete Verwandtschaft verloren gingen und die Dynastie erneut auf eine Linie zurückgeworfen war.50 Von dieser Ausnahme abgesehen verheiratete sich stets nur ein Sohn, wobei aufgrund der nicht überlieferten Geburtsdaten unklar bleibt, ob es sich dabei stets um den Ältesten handelte oder ob nach Idoneität entschieden wurde.51 Diese Praxis vollzog sich zunächst lediglich auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage, denn erst mit dem Pactum Unionis von 1368 wird eine formale Normsetzung greifbar, die auch Einfluss auf das Heiratsverhalten hatte: Nur der eine Erbe, der in der Herrschaft sukzedieren sollte, hatte praktisch die Möglichkeit zur Reproduktion, was für alle anderen Agnaten die Notwendigkeit mit sich brachte, sich um ein kirchliches Amt zu bemühen. Diese Strategie erleichterte die Individualsukzession, führte aber dazu, dass die Lipper in den Jahren 1517 und 1583 kurz vor dem Aussterben standen. Einen erneuten Versuch der Linienbildung hat es bei Lippern erst wieder in der Frühen Neuzeit gegeben, als sich 1558 Hermann Simon mit der Spiegelberger Erbtochter Ursula vermählte, deren territoriales Erbe der Hauptgrund für die 48 Die Grafik ist angelehnt an die Schemata bei Spiess, Familie, S. 204 – 271. 49 Vgl. Zunker, Adel, S. 377 f. 50 Siehe zur erb- und sukzessionsrechtlichen Problematik dieser Teilung Kap. 2.2.1. 51 Die Daten wurden entnommen aus Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326 – 329B (Waldeck) u. Nr. 335 – 337 (Lippe). Darüber hinaus für Lippe: Linde, Stammreihe; Stols, Geslachtsregister; Weerth, Genealogie. Für Waldeck: Hoffmeister, Handbuch.

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Abweichung von der hergebrachten Heiratspolitik war. Das in ­diesem Zusammenhang von den Akteuren intensiv rezipierte Pactum Unionis hatte zwar die Teilung des Landes, nicht jedoch die Verheiratung weiterer Agnaten untersagt. Für die Eheschließung Hermann Simons war lediglich eine Abteilung mit einem Paragium notwendig. In der Regel heiratete bis ins 17. Jahrhundert hinein allerdings nur der sukzedierende Sohn, wodurch das ganze Risiko der Kontinuitätssicherung folglich auf nur einem Paar lastete. Nachdem in der folgenden Generation ohnehin nur ein Sohn das Erwachsenenalter erreicht hatte, wurde die Restriktionsstrategie wieder eine Generation später gänzlich aufgegeben. Durch die großzügige Vergabe von Paragien durch Simon VI. war es jedem seiner Söhne möglich, sich zu verheiraten und Nachkommen zu zeugen. Die daraus hervorgehenden Nebenlinien Brake und Alverdissen zeugten von der Entkopplung des Zusammenhangs ­zwischen Regierungsübernahme und Heirat. Sowohl hier als auch innerhalb der Hauptlinie wurde fortan eine liberale Heiratspolitik betrieben, was die Gefahr des Aussterbens bannte. Freilich bildeten sich dadurch auch neue Familienverbände heraus, deren Loyalität zur Gesamtdynastie begrenzt war. Die Zunahme der Heiratsquote ist sicherlich zum Teil auf den Ausschluss des protestantischen Adels aus den Domkapiteln und Stiften zurückzuführen, da „Ehelosigkeit […] nun elementar perspektivlos“52 wurde. Allerdings war es daneben vor allem die Sorge um den Fortbestand der Dynastie, der die Grafen davon absehen ließ, das Reproduktionsrisiko nur einem einzigen Paar zu überlassen. In der Waldecker Dynastie wurde die Beschränkung der Heiraten bereits im Erbstatut des Grafen Heinrich von 1344 rechtlich normiert, welches ausdrücklich bestimmte, dass nur einer der Söhne zum Laien, also zum weltlichen Herrscher gemacht werden durfte, während alle anderen geistliche Ämter übernehmen und zölibatär leben sollten. In dieser Rolle hatten sie jedoch eine Substitutionsfunktion zu erfüllen: Sie mussten im Todesfall des regierenden Grafen ihre Pfründe quittieren und in der Herrschaft nachrücken.53 Diese bis dahin ohnehin praktizierte Restriktionspolitik wurde auch in den folgenden zwei Generationen verfolgt, bevor mit Adolf IV. und Heinrich VII. zwei Brüder heirateten, Nachkommen zeugten und damit die beiden Linien Waldeck und Landau begründeten. Die 1397 erstmals durchgeführte Teilung bildete den Auftakt für eine eher lockere Heirats- und Reproduktionspolitik, die in den folgenden Jahrhunderten charakteristisch für die Waldecker Dynastie werden sollte. Zunächst war das generative Verhalten noch von einem deutlichen strategischen Willen durchdrungen, so etwa als Philipp II. erst zu einer Hochzeit schritt, nachdem sein älterer Bruder Philipp I. gestorben war und nur einen einzigen, noch minderjährigen Sohn hinterlassen hatte, die

52 Schmidt, Grafenverein, S. 496. Vgl. auch ebd., S. 548. 53 Siehe dazu Kap. 2.3.1.

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Kontinuität der Herrschaft also gefährdet schien. Hier war die zusätzliche Heirat Ausdruck des Wunsches gewesen, das Überleben der Dynastie nachhaltig abzusichern, was durch die Ausbildung einer zweiten Linie gelang. Nach Einführung des lutherischen Bekenntnisses setzten die Waldecker ihre großzügige Heirats- und Teilungspolitik in verstärktem Maße fort. Zwar hatte es in der Frühzeit der Reformation noch ‚überzählige‘ Söhne gegeben, die eine geistliche Karriere anstrebten; doch immer mehr Söhne schritten zu einer Heirat, oft nachdem sie ihre kirchlichen Pfründen quittiert hatten. Sowohl in der Landauer als auch in der Wildunger Linie strebten nahezu alle erwachsenen Söhne eine Heirat an. Da jedoch die meisten dieser Ehen kinderlos blieben, starben beide Linien bereits kurze Zeit später aus. Daher war es folgerichtig, dass die beiden verbliebenen Agnaten aus der Eisenberger Linie, Christian und Wolrad IV., die Herrschaft erneut teilten, sich vermählten und eigene Erben zeugten. Es handelte sich mithin nicht um improvisierte Reaktionen auf Teilungswünsche der männlichen Agnaten, sondern es wurde darauf geachtet, nie mehr als drei Linien auszubilden. Erst wenn der letzte männliche Angehörige einer Linie diese mit seinem Tod beschloss, konnten die verbleibenden Agnaten eine neue Erbteilung ins Werk setzen, wie dies 1507 und 1607 geschah. Davon entkoppelt war hingegen seit der Reformation die Erlaubnis zu heiraten, die auch nichtregierenden Söhnen erteilt wurde. Als Folge dieser Praxis konnte die Waldecker Dynastie stets auf eine breite genealogische Basis zurückgreifen, wodurch die Gefahr des Aussterbens grundsätzlich geringer war als bei den Lippern. Wenn man die Fertilitätsraten der sieben Generationen ­zwischen 1450 und 1650 untersuchen möchte, sieht man sich mit einem grundlegenden Überlieferungsproblem konfrontiert: Die modernen Stammtafeln sind bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts hinein nicht immer vollständig; insbesondere Totgeburten, aber auch Frühverstorbene werden erst in der späteren Zeit aufgeführt, da sie im Gegensatz zu ihren geistlichen oder heiratenden Geschwistern keine Spuren in der Urkundenüberlieferung hinterlassen haben. Stichprobenartige Abgleiche mit archivalischen Kinderverzeichnissen aus dem 16. und 17. Jahrhundert ergaben, dass die Stammtafeln für die spätere Zeit jedoch relativ verlässlich sind.54 Auf Basis dieser Daten kommt man auf eine durchschnittliche Kinderzahl pro Generation von 14 in Lippe und 16 in Waldeck, wobei dieser statistische Wert wenig aussagekräftig ist. Vielmehr lässt sich in beiden Dynastien ein Anstieg der Kinderzahlen ausmachen, der gerade bei den Lippern rasant verlief. Ausschlaggebend war stets, wie viele (Neben-)Linien existierten, die sich jeweils reproduzierten. Aber auch

54 Siehe für Lippe etwa LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 2,3 Genealogia Specialia. Für die Waldecker Grafen befinden sich einige Kinderverzeichnisse im Bestand HStAM, 115/01, unter ‚Einzelne Grafen und Gräfinnen‘.

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innerhalb der einzelnen Ehen stieg die durchschnittliche Kinderzahl z­ wischen dem 15. und dem 17. Jahrhundert an, wie aus den Grafiken 3 und 4 hervorgeht. Die Säuglings- und Kindersterblichkeit war in beiden Dynastien den Zeitumständen entsprechend äußerst hoch. Seltener kam es vor, dass Nachkommen selbst als Erwachsene ledig blieben und keine Laufbahn im kirchlichen oder militärischen Bereich anstrebten, also nicht unmittelbar in den Dienst der Dynastie gestellt werden konnten. Zusammengenommen betrug die Quote derjenigen, die entweder bereits im Kindesalter (so der überwiegende Fall) oder als unverheiratete Erwachsene starben, in beiden Dynastien rund 40 Prozent, wie aus Tabelle 155 (siehe Anhang) hervorgeht. Von den Söhnen der Lipper heirateten etwa 37 Prozent, von den Waldeckern 41 Prozent. Auffällig ist hier insbesondere, dass alle verheirateten Lipper Grafen auch legitime Nachkommen hatten, während dies bei sieben der insgesamt 25 Ehen Waldecker Söhne nicht der Fall war. Von den Töchtern wurde rund jede zweite verheiratet, die Quote beträgt 52 Prozent bei den Waldeckern und 56 Prozent bei den Lippern. Alternativen zur Heirat waren bei beiden Geschlechtern ein Aufstieg innerhalb der Reichskirche und bei den Söhnen zusätzlich der Fürsten- oder Militärdienst.56 Tabelle 2 führt das Durchschnittsalter auf, in dem Lipper und Waldecker Grafen erstmalig zur Heirat schritten. Aufgrund fehlender biographischer Angaben lassen sich für die lippischen Edelherren und Grafen für die Zeit bis 1550 keine statistischen Werte errechnen. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts betrug das durchschnittliche Heiratsalter ihrer Söhne 23,7 Jahre und stieg in den nächsten fünfzig Jahren auf 30,4. Aussagekräftig ist ein Blick auf das Alter derjenigen Söhne, die von vornherein als zukünftige Landesherren ausgewählt waren – also zumeist die Erstgeborenen, auf denen die gesamte Verantwortung der Kontinuitätssicherung lastete. Dieses war im Mittel deutlich niedriger als das der Nachgeborenen, die sich – wenn ihnen überhaupt eine Heirat gestattet wurde – eher zu einem späteren Lebenszeitpunkt vermählten, etwa wenn sich eine gute Partie ergab.57 Auch ging es bei diesen Eheschließungen nicht mehr vorrangig um die Zeugung von Nachkommen, die im Gegenteil durch das fortgeschrittene Alter und die dadurch tendenziell verkürzte Ehedauer eher beschränkt werden sollte. So sinkt das durchschnittliche Heiratsalter der lippischen Grafen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts um ganze zehn Jahre, wenn man die Nachgeborenen herausrechnet. Bei den Söhnen der Waldecker liegen auch für die frühere Zeit Daten vor. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts betrug ihr Heiratsalter im 55 Die Tabelle ist angelehnt an Knöfel, Dynastie, S. 38. 56 In der Tabelle sind nur s­ olche Personen als Geistliche oder Militärs geführt, die in der entsprechenden Stellung starben. Viele hatten jedoch zunächst ein geistliches oder weltliches Amt inne, bevor sie es quittierten und heirateten. 57 Diese Beobachtung macht auch Spiess, Familie, S. 417.

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Durchschnitt 23,5 Jahre und stieg dann bis 1600 immer weiter an, bevor es zu Anfang des 17. Jahrhunderts drastisch auf 20,8 Jahre absank. Letzteres lag an der spezifischen Situation der Dynastie, die innerhalb kurzer Zeit zwei von drei Linien verloren hatte, sodass die beiden Junggrafen Christian und Wolrad IV . schleunigst für Nachkommen zu sorgen hatten. Auch in Waldeck lag das Heiratsalter der regierenden Grafen insgesamt deutlich unter dem der Nachgeborenen. Die in die Waldecker Dynastie einheiratenden Frauen waren mit durchschnittlich 20 Jahren vergleichsweise jung, die der Lipper dagegen weitaus älter, was jedoch in Einzelfällen begründet liegt, bei denen die Braut deutlich über dem sonst im Adel üblichen Heiratsalter lag. So war beispielsweise Ursula von Spiegelberg-­ Pyrmont bei ihrer Vermählung mit Hermann Simon zur Lippe bereits 31 Jahre alt, was allerdings ihrer Stellung als Erbtochter keinen Abbruch tat. Auch bei der prestigeträchtigen und politisch bedeutsamen Hochzeit Philipps mit der 29-jährigen Landgrafentochter Sophie von Hessen-­Kassel spielte das Alter der Braut keine wesentliche Rolle.58 Ihre eigenen Töchter verheirateten die Lipper ebenfalls zu einem recht späten Zeitpunkt, wobei der Durchschnittswert von etwa 26 Jahren hier erneut von einigen wenigen Heiraten beeinflusst wird, bei denen die Braut schon ein fortgeschrittenes Alter erreicht hatte. Die Waldecker Töchter waren im Vergleich deutlich jünger, wobei ein klarer Altersanstieg von 1500 (16 Jahre) bis 1650 (23 Jahre) erkennbar ist. Insgesamt liegen Lipper wie Waldecker im statistischen Mittelfeld der Grafen in der ersten Hälfte der Frühen Neuzeit, wobei die Söhne tendenziell etwas jünger heirateten als ihre Standesgenossen in der Wetterau und in Thüringen.59 Dass die Frauen im Schnitt deutlich jünger waren als ihre Ehemänner, hing mit dem Wunsch zusammen, eine möglichst lange Fruchtbarkeitsspanne zu gewährleisten.60 Grundsätzlich sollten verheiratete Frauen zahlreiche Kinder bekommen, was für viele konkret bedeutete, dass sie regelmäßig schwanger waren. Ein besonders hervorzuhebendes Beispiel stellt etwa die Ehe ­zwischen Jobst Hermann zur Lippe-­Biesterfeld und seiner Gemahlin Elisabeth Juliane von Sayn-­Wittgenstein dar, w ­ elche in 24 Ehejahren 19 Kinder zur Welt brachte, also bis zum Tode ihres Mannes nahezu jedes Jahr niederkam. Christian von Waldeck-­Wildungen und 58 Vgl. zur Bedeutung der Eheschließung Bei der Wieden, Schaumburg-­Lippe, S. 258; Ribbentrop, Graf Philipp, S. 63. Philipp – zu ­diesem Zeitpunkt selbst schon 43 Jahre alt – hatte als Erbherr lange keine eigenen Heiratspläne verfolgt und sah die Notwendigkeit erst mit der Sukzession in der halben Grafschaft Schaumburg gekommen. Im Übrigen hatte das fortgeschrittene Alter der Ehepartner auf die Fruchtbarkeit dieser Ehe keinen Einfluss, gingen aus ihr doch zehn Kinder hervor. 59 Siehe die Vergleichswerte für die Wetterauer Grafen bei Schmidt, Grafenverein, S. 492; sowie für die sächsisch-­thüringischen Grafen bei Czech, Legitimation, S. 131. 60 Spiess, Familie, S. 538, spricht in d­ iesem Zusammenhang von der „volle[n] Ausschöpfung der ehelichen Fruchtbarkeit“.

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Elisabeth von Nassau-­Siegen brachten es in 33 Jahren immerhin auf 15 Kinder, sein Großvater Wolrad II. und dessen Gemahlin Anastasia von Schwarzburg auf 13 Kinder in 24 Ehejahren. Insgesamt lassen sich keine Bemühungen erkennen, die Geburtenzahl innerhalb einer Ehe – etwa durch Enthaltsamkeit – zu begrenzen, was angesichts des generativen Dilemmas adliger Dynastien überrascht. So hätte man vermuten können, dass ein Ehepaar nach der Geburt einiger Söhne, die die genealogische Kontinuität sicherstellen konnten, auf die Zeugung weiterer Kinder verzichtet hätte, was jedoch nicht der Fall war. Dies deckt sich mit den Beobachtungen von Karl-­Heinz Spieß, der für die von ihm untersuchten spätmittelalterlichen Grafengeschlechter zwar eine indirekte Geburtenkontrolle durch die Beschränkung von Eheschließungen, innerhalb der Ehen selbst aber „keine Anzeichen für kontrazeptive Maßnahmen“ ausmachen konnte.61 Wie bereits erwähnt, stiegen die Kinderraten innerhalb der Ehen bis ins 17. Jahrhundert und darüber hinaus leicht an. Dabei nahm etwa ein Jobst Hermann auf die beschränkten Ressourcen seines Biesterfelder Paragiums nicht die geringste Rücksicht. Ohnehin scheinen in Lippe gerade die Begründer von Nebenlinien – neben Jobst Hermann auch Otto zur Lippe-­Brake und Philipp von Lippe-­Alverdissen, mit dem die Linie der Grafen von Schaumburg-­Lippe begann, – auf eine hohe Kinderzahl Wert gelegt zu haben. Dies lässt darauf schließen, dass sie sich als Stifter einer neuen Dynastie begriffen, deren Überdauern sie unter allen Umständen absichern wollten. Der Befund widerspricht der von Georg Schmidt geäußerten These, dass die protestantischen Grafen ihr generatives Verhalten als Folge des Versorgungsengpasses, der durch den Ausschluss evangelischer Adliger aus Domkapiteln und Stiften entstand,62 grundlegend verändert hätten. Schmidt geht auf Grundlage des von ihm beobachteten Anstiegs des weiblichen Heiratsalters im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts davon aus, dass die Wetterauer Grafen versucht hätten, die Kinderzahl innerhalb einer Ehe zu begrenzen.63 Im Fall Lippes und Waldecks lässt sich allerdings weder ein eindeutiger Anstieg des Heiratsalters der Frauen noch ein Absinken der Geburtenrate nachweisen. Vielmehr scheinen Ehen mit ausgesprochen reicher Kinderschar nach der Reformation eher zuzunehmen. Dem stehen allerdings im Waldecker Fall die schon erwähnten sieben kinderlos gebliebenen Ehen gegenüber, von denen immerhin fünf die von nachgeborenen Söhnen waren. Hier scheint in der Tat der Wunsch, Ressourcen zu schonen, zugrunde gelegen zu haben.64 61 Vgl. Spiess, Familie, S. 425 – 4 44, Zitat S. 442. 62 Siehe dazu Kap. 3.2.1. 63 Dass dies mit der ebenfalls von ihm untersuchten Kinderzahl pro Ehe nicht eindeutig korreliert, erklärt er mit den im Laufe der Zeit vollständiger werdenden genealogischen Daten; vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 490 – 493. 6 4 So ebd, S. 497.

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Eine darüber hinausgehende, von Schmidt postulierte generelle Familienplanung 65 kann weder bei den Waldeckern noch bei den Lippern ausgemacht werden. Vielmehr scheint sich der Eindruck Paula Sutter Fichtners zu bestätigen, die für das 16. und 17. Jahrhundert steigende Geburtsraten bei den von ihr untersuchten protestantischen Reichsfürsten konstatiert.66 Diesen Befund erklärt sie zum Teil durch die Lehren Luthers, Calvins und anderer Reformatoren, w ­ elche die eheliche Sexualität hochschätzten und eine zahlreiche Vermehrung als im Sinne der Bibel befürworteten.67 Lassen sich aber durch die analytische Einbeziehung der Konfession der Lipper und Waldecker Aufschlüsse über ihr generatives Verhalten gewinnen? Zur Beantwortung dieser Frage müsste auf ­solche Quellen zurückgegriffen werden, die Reflexionen über Fragen der Eheschließung, der Sexualität oder der Kinderzahl beinhalteten. Derartige Selbstzeugnisse liegen allerdings nicht vor. Ein paar spärliche Hinweise liefern allenfalls die Testamente der regierenden Grafen, die sich darin üblicherweise bei Gott für die ihnen geschenkten Kinder bedankten. So formulierte etwa Simon VI. zur Lippe in seinem dritten Testament von 1597: Wie wir auch daneben betrachtett, daß der Almechtiger güttiger Gott […] vnß vnnd Vnßere Hertzliebe Gemahel mitt begehrter Leibsfruchtt beide ahnn Söhns vnndt Töchteren, gne­ diglich gesegnet, Dafür wir seiner göttlichenn Almacht stets lob, ehr vnnd Danck sagen 68.

Weiterhin schloss er die Möglichkeit nicht aus, dass der Allmechtiger nach sei­ nenn reichen segen noch weitters bescheren magh 69. Auch Wolrad IV . von Waldeck sah, wie viele andere gräfliche Testatoren, seine stattliche Kinderschar als Segen Gottes an, woraus er auch ihr legitimes Erbrecht ableitete, doch zog er ebenso ihren vorzeitigen Tod nach gotts willen 70 in Betracht. Kindersegen oder dessen Ausbleiben ebenso wie die Bedrohung durch den Tod hingen aus Sicht der Zeitgenossen vom Willen Gottes ab; die Beeinflussung durch den Menschen erschien ebenso wenig möglich wie notwendig. Vielmehr zogen sich die Erinnerung an die Unterwerfung des Menschen unter den göttlichen Willen und die damit verbundene Vergeblichkeit allen menschlichen Strebens als topische Elemente 65 Vgl. ebd., S. 500 – 503. Allerdings nimmt Schmidt die Waldecker explizit aus ­diesem am Beispiel der Wetterauer Grafen gewonnenen Befund aus; hier ­seien „Veränderungen im generativen Bereich […] kaum nachweisbar“ (S. 548). 66 Vgl. Fichtner, Protestantism, S. 37 f. 67 Vgl. ebd., S. 39 u. 43 f. Dementgegen will Schmidt, Grafenverein, S. 501, für die von ihm konstatierte Geburtenbeschränkung gerade „keinen im engeren Sinne theologischen Hintergrund“, sondern allein wirtschaftliche Gründe, die im Pfründenausschluss der Protestanten liegen, verantwortlich machen. 68 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 155. 69 Zit. nach ebd., S. 156. 70 HStAM, Urk. 85, Nr. 276, fol. 4r.

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durch eine Vielzahl der hier untersuchten Testamente. In ähnlicher Weise stellte auch der Verfasser einer Polemik gegen die Primogenitur die Gottgewolltheit aller im Leben stehenden Söhne des Grafen Simons VII . heraus: es hette der All­ mechtige Gott, wan nach seinem willen Graeff Simon Ludwig / vnnd seine Söhne alles allein haben sollen / die andere Herren Gebrüdere nicht lassen geboren wer­ den / oder alßbalden wieder durch den zeitlichen Todt […] wolweg genommen 71. Reflexionen über eine Vermehrung der Kinderschar als Erfüllung des göttlichen Willens lassen sich allerdings weder bei den lutherischen Waldeckern noch bei den reformierten Lippern ausmachen. Eine Ehe endete mit dem Tod eines der beiden Ehegatten. Sehr häufig verstarb der oft deutlich ältere Ehemann zuerst und hinterließ eine gelegentlich noch junge Witwe. Von 19 verheirateten Grafen zur Lippe hinterließen 15 Witwen, was einer Quote von 79 Prozent entspricht. Ein nahezu identischer Prozentsatz (80 Prozent) ergibt sich bei den 25 Grafen von Waldeck, die von 20 Witwen überlebt wurden. Diese Zahlen verweisen auf die zentrale Bedeutung d ­ ieses „unübersehbare[n] 72 sozialgeschichtliche[n] Phänomen[s]“ , weshalb beinahe alle Eheverträge des Adels präzise Bestimmungen für den Witwenfall beinhalteten. Im Umkehrschluss wird deutlich, dass in jeder fünften Ehe die Ehefrau vor ihrem Gatten starb, wobei insbesondere die Geburt von Kindern eine nicht zu unterschätzende Gefährdung für das Leben der Frauen darstellte. In vielen Fällen schritten die Grafen nach der vorgeschriebenen Trauerzeit von einem Jahr zu einer neuen Heirat. Wenn aus der ersten Ehe keine Nachkommen oder nur Töchter hervorgegangen waren, war dies geradezu eine dynastische Pflicht, um die Kontinuität durch einen männlichen Nachfolger zu sichern. So schloss zum Beispiel Simon V. zur Lippe im März 1523 noch während des üblichen Trauerjahres nach dem Tod seiner ersten Gemahlin Walburg von Bronkhorst, die ihm keine Kinder geschenkt hatte, einen Ehevertrag mit Magdalena von Mansfeld. Aus der ein Jahr später vollzogenen Ehe ging der ersehnte Nachfolger hervor. In einer ganz ähnlichen Situation befand sich Simons gleichnamiger Enkel, der ebenfalls zu einer zweiten Heirat schritt, nachdem die erste kinderlos geblieben war. Gleichgelagerte Fälle lassen sich auch in Waldeck ausmachen, wo die Grafen Otto IV. von Landau und Günther von Wildungen sich zum Zweck der Zeugung eines Nachfolgers wiederverheirateten. Allerdings kam es auch vor, dass sich Grafen erneut vermählten, obwohl aus früheren Ehen bereits männliche Nachkommen vorhanden waren. Dies war etwa bei Simon VII. zur Lippe der Fall, der bereits sieben Söhne aus seiner Ehe mit Anna Katharina von Nassau-­Wiesbaden-­Idstein hatte. Eine neuerliche Heirat war aus dynastischer Sicht mithin nicht notwendig, 71 Primogenitura Lippiaca praetensa, fol. C IIIr. 72 Spiess, Witwenversorgung, S. 91. Spieß kommt in seinen Studien zu ganz ähnlichen Zahlen; vgl. ebd., S. 87.

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sondern vielmehr tendenziell kontraproduktiv, da weitere Kinder zusätzliche Erbansprüche bedeuteten. Dennoch ehelichte er ein gutes Jahr nach dem Tod seiner ersten Frau die Gräfin Maria Magdalena von Waldeck, mit der er zwei weitere Söhne zeugte, denen er zudem großzügige Sukzessions- und Erbrechte zugestand, woraus schließlich die Nebenlinie Biesterfeld hervorging. Auch die Waldecker neuere Linie Landau und die nach Einführung des Erstgeburtsrechts Ende des 17. Jahrhunderts begründete Sekundogenitur Bergheim 73 lassen sich auf Söhne aus Zweitehen zurückführen. Die Wiederverheiratung des Vaters und die Zeugung weiterer Nachkommen bedeutete für die Söhne aus erster Ehe also stets eine Verringerung ihres eigenen Erbes und führte daher häufig zu innerdynastischen Konflikten, sei es ­zwischen Söhnen und Vätern, sei es ­zwischen den Halbgeschwistern selbst.74 3.1.2 Ehegüterrechtliche Bestimmungen Wenn eine Heirat ­zwischen zwei Dynastien vereinbart worden war, galt es als nächstes, einen Ehevertrag aufzusetzen, in dem die ökonomischen Grundlagen des ehelichen Zusammenlebens geregelt wurden. Zwar war ein solcher im rechtlichen Sinne nicht konstitutiv für die Gültigkeit der Eheschließung, doch versicherte man sich seit dem 15. Jahrhundert gewöhnlich vertraglich der gegenseitigen Verpflichtungen, um künftige Konflikte vermeiden oder rechtlich entscheiden zu können.75 Daher erhielten sowohl die Familie der Braut als auch die des Bräutigams ein Exemplar. Oft orientierte man sich bei den Verhandlungen an älteren Eheverträgen, um Maßgaben für die zu regelnden Punkte sowie die Höhe der Heiratsgüter zu haben.76 Dennoch unterschieden sich die einzelnen Eheverträge erheblich in Umfang, Ausführlichkeit und Vollständigkeit, wobei es einige konsti­ tutive Elemente gibt, die in jedem Vertrag zu finden sind. An erster Stelle stand das Eheversprechen, mit dem der Bräutigam gelobte, die Braut in christlicher Ehe zur Frau zu nehmen. Danach folgten die güterrechtlichen Verabredungen, ­welche den weitaus größten Raum einnahmen. Das von der Forschung auf Grundlage der Eheverträge herausgearbeitete und schematisierte Prinzip des Ehegüterrechts tritt

73 Siehe dazu Kap. 2.3.7. 74 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 493 f. 75 Vgl. Bastl, Tugend, S. 34 f. Zuletzt umfangreich zu Eheverträgen, allerdings nicht auf den Adel beschränkt: Lanzinger/Barth-­Scalmani/Forster [u. a.], Aushandeln von Ehe. 76 So wies der waldeckische Vormund Graf Georg von Erbach vor der Aushandlung eines Ehevertrags für sein Mündel Christian die Räte an, alle notwendigen Akten sowie ältere waldeckische Eheverträge mit zu den Verhandlungen nach Dillenburg zu bringen; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 2088, Schreiben vom 19. 07. 1604.

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einem in den Quellen in einer oftmals unübersichtlichen Vielzahl von Varianten entgegen. Nicht nur lässt sich keine einheitliche Verwendung juristischer Fachtermini durch die Zeitgenossen voraussetzen, auch wurden nicht in jedem Ehevertrag alle Regelungen getroffen, die ein idealtypischer Ehevertrag umfasst.77 Dies macht eine systematische Auswertung der Heiratsgüterverteilung schwierig, sodass lediglich Annäherungswerte geliefert werden können, deren statistische Aussagekraft allerdings begrenzt ist. Mit der Heirat wechselte die Braut körperlich wie auch güterrechtlich in die Familie ihres Gatten über, von der sie in Zukunft versorgt wurde.78 Zu den wichtigsten Bestimmungen zählten daher die Höhe der Mitgift als Gabe der Brautseite sowie die Widerlage genannte Summe, mit der die Mannesseite die Mitgift, oft in der gleichen Höhe, aufwog.79 Größeren Reichtum durch Heirat zu erlangen, war aufgrund d­ ieses finanziellen Ausgleichs kaum möglich;80 im Gegenteil scheiterten gelegentlich prestigereiche Eheprojekte am Unvermögen der Mannesseite, eine hohe Mitgift entsprechend aufzuwiegen. Als übliche Mitgift oder Heiratsgut, wie es häufig in den Verträgen heißt, wurde für den Grafenstand eine Summe von 4000 Gulden angesehen.81 Häufig kam es jedoch vor, dass diese durch besonders hervorgehobene Umstände oder die Großzügigkeit des Brautvaters deutlich höher ausfiel, sodass sich für die Mitgiften der in die lippische Dynastie einheiratenden Frauen ein Durchschnittswert von 11.400 Gulden, für die waldeckischen ein Wert von 8800 Gulden ergibt, wobei es aber starke Varianzen gab. So erhielt Bernhard VIII. zur Lippe vonseiten der Waldecker Brautfamilie lediglich 6000 Gulden, während Simon VII. zur Lippe bei seiner ersten Ehe mit einer Nassauerin die außergewöhnliche Summe von 36.000 Gulden zugesagt wurde. Die Widerlage, mit der die Mitgift ergänzt wurde, blieb zu Lebzeiten des Paares eine virtuelle Größe und wurde auf Pfandgüter der Mannesseite verschrieben. Aus der Summe von Mitgift und Widerlage ergab sich durch Multiplikation mit einem bestimmten Zinssatz – meist fünf oder zehn Prozent – die Höhe der späteren Witwen­rente. Karl-­Heinz Spieß hat in seinen Quellen fürs Spätmittelalter stets eine Übereinstimmung der Summen von Widerlage und Mitgift ausgemacht.82 77 Vgl. Spiess, Familie, S. 131 – 162; Brauneder, Art. Heiratsabgabensystem. Stärker auf die Varianz verweist Bastl, Tugend, S. 64 – 83. 78 Haas, Fürstenehe, S. 347, bezeichnet die Braut als „latente Geisel“ am Hof ihres Gatten, deren finanzielle Absicherung daher den Großteil der ehevertraglichen Bestimmungen ausmachte. 79 Vgl. Spiess, Familie, S. 20 – 28 u. 131 – 198; Ders., Witwenversorgung. Dieses Ehegüterrecht des Adels hatte im Grundsatz bis zum Ende des Alten Reiches Bestand; vgl. Bastl, Tugend, S. 34 – 83; Mutschler, Haus, S. 64 – 82; Marra, Allianzen, S. 75 – 104; Schönpflug, Heiraten, S. 105 – 112. 80 Vgl. Zunker, Adel, S. 379. 81 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 382. 82 Vgl. Spiess, Familie, S. 139 – 141; Ders., Witwenversorgung, S. 92 f.

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In der Frühen Neuzeit traf dies auch bei den Waldeckern zu. Beispielsweise widerlegte Graf Wolrad II. die 14.000 Gulden Mitgift seiner Frau Anastasia von Schwarzburg mit dem gleichen Betrag. Die Gesamtsumme von 28.000 Gulden, multipliziert mit einem Zinssatz von zehn Prozent, ergab die Höhe der jährlichen Witwenrente von 2800 Gulden.83 Bei den Grafen zur Lippe kam es hingegen ab Mitte des 16. Jahrhunderts häufiger vor, dass die Widerlage exakt der doppelten Summe der Mitgift entsprach, auch wenn die Partner einander ebenbürtig waren. Dies erhöhte zweifellos die Attraktivität der Heirat mit einem Lipper, da die Witwenrenten so deutlich höher ausfielen, obschon für deren Berechnung kein durchgängiges Prinzip erkennbar ist. So versprach etwa Simon VII. seiner zweiten Gemahlin Maria Magdalena die ungewöhnlich großzügige, dabei rechnerisch nicht aus den übrigen Heiratsgaben ableitbare Summe von jährlich 4532 Reichstalern.84 Oftmals schenkte der Bräutigam seiner Braut darüber hinaus eine weitere Geldsumme, die sogenannte Morgengabe, die ihr im Gegensatz zu Mitgift und Widerlage tatsächlich zur freien Verfügung stand. Die Höhe dieser Gabe betrug in Lippe wie in Waldeck meist 1000 oder 2000 Gulden, die oftmals als jährliche Rente zu einem Zehntel der Gesamtsumme ausgezahlt werden sollten. In der Regel wurde im Ehevertrag auch bereits der zukünftige Witwensitz bestimmt, wobei es sich meist um ein Schloss samt umgebenden Amt handelte, dessen Einkünfte in Form von Geld und Naturalien als Lebensunterhalt dienen sollten. Zudem wurden der Witwe eingeschränkte Herrschaftsrechte wie etwa die niedere Gerichtsbarkeit mitsamt den sich hieraus ergebenden Einnahmen eingeräumt. Oft wurde festgelegt, dass die Diener und Beamten des betreffenden Amtes der Gräfin beim Umzug auf ihr Wittum huldigen sollten, was ihre rechtliche Stellung abzusichern half. Fehlten derartige Bestimmungen im Ehevertrag, wurde eigens eine Wittumsverschreibung aufgesetzt, die die Witwenversorgung im Detail regelte. Nicht nur bei der Festlegung des Wittums warf der zukünftige Tod der Ehepartner seine Schatten voraus. Auch die Erbgänge der in die Ehe eingebrachten Güter und Geldsummen wurden von vornherein in zunehmend verfeinerter Kasuistik festgelegt, um für den Todesfall Vorsorge zu treffen. Grundsätzlich wurde stets danach unterschieden, ob aus der Ehe Kinder hervorgehen würden oder nicht. Im ersten Fall ging die eingebrachte Mitgift nach dem Tod der Eheleute in das Vermögen der Dynastie ein, aus dem dann die Kinder versorgt werden konnten. Bei Kinderlosigkeit wurde dem Gatten oft eingeräumt, die Mitgift seiner verstorbenen Frau lebenslang zu ­nutzen, bevor sie nach seinem eigenen Tod zurück an die Brautfamilie fiel. Überlebte hingegen die Frau ihren Mann, konnte sie entweder auf ihr Wittum ziehen, oder zu einer neuen Verheiratung schreiten, wobei der Familie des verstorbenen Gatten dann

83 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 84, Ehevertrag vom 26. 04. 1545. 84 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 D IX, Nr. 1.

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eingeräumt wurde, das Wittum wieder auszulösen, indem sie der Witwe ihre Mitgift samt Widerlage auszahlte. Ein Erbrecht an ihrem Witwensitz hatte die Witwe nicht.85 Das Konzept eines Ehevertrags z­ wischen ­Heinrich IX. von Waldeck und Anna von Viermund etwa stieß auf heftigen Widerstand der Brüder des ersteren, da es der Witwe selbst im Fall einer Wiederverheiratung die ihr als Wittum zugestandene halbe Herrschaft Itter überlassen hätte, dardurch dan dieselbe Herschafft, so etzlich hundert Jahr ein Pertinentz der Graveschafft Waldegk gewesen, derselben gar abgezogen wurdt 86. Aber selbst wenn eine Witwe lediglich die Nutzungsrechte ihres Wittums bis zu ihrem Lebensende ausübte, bedeutete dies für den Landesherrn konkret, dass ein Einkünfte bringendes Amt samt Schloss auf lange Zeit dem direkten Zugriff entzogen war. Als Witwensitz dienten in Lippe im 16. und 17. Jahrhundert häufig Amt und Burg Horn, daneben auch Blomberg, Varenholz, Schwalen­ berg oder Brake, bevor letzteres ab 1613 Sitz der gleichnamigen Nebenlinie wurde. In Waldeck lassen sich keine bevorzugt als Wittum vergebenen Ämter erkennen; den dortigen Grafenwitwen dienten etwa Mengeringhausen, Wildungen, Landau, Naumburg oder auch der Eisenberg als Alterswohnsitz. Je nach Alter einer Frau beim Tod ihres Gatten war es nicht unwahrscheinlich, dass sie noch Jahre und Jahrzehnte ein Leben im Witwenstand führen würde, sofern sie sich nicht wiederverheiratete. Maria Magdalena von Waldeck beispielsweise überlebte ihren Gatten Simon VII . nach nur vierjähriger Ehe um ganze 44 Jahre, die sie auf ihrem Witwensitz in Schwalenberg verbrachte. Die ersten elf Jahre nach Simons Tod lebte zudem noch dessen ­Mutter Elisabeth von Holstein-­Schaumburg auf ihrem Schloss Varenholz, sodass in dieser Zeit gleich zwei Witwen aus dem dynastischen Vermögen zu versorgen waren. Aus derartigen verwandtschaftlichen Konstellationen lässt sich leicht erahnen, dass die Aufbringung des Lebensunterhalts der Witwen eine hohe finanzielle Belastung für die Dynastien darstellte. In Waldeck entschlossen sich die Vertreter der einzelnen Linien daher schon frühzeitig, die für ein Wittum erforderlichen Geldsummen stets gemeinsam aufzubringen.87 Auch die auf bestimmte Ämter verpfändete 85 Vgl. Spiess, Witwenversorgung, S. 96 f.; Ders., Familie, S. 146 f. u. 158 – 162; Schönpflug, Heiraten, S. 108; Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 58 f. Nolte, Beziehungsgeflechte, S. 12, weist deshalb zu Recht darauf hin, dass die einheiratende Frau aufgrund des Verzichts auf das väterliche Erbe und des Ausschlusses vom Erbe ihres Gatten als „Außenstehende […], weder der Herkunfts- noch der Ankunftsfamilie völlig angehörend“ angesehen werden kann. 86 HStAM, 115/01, Nr. 184, Schreiben vom 18. 08. 1568. 87 Siehe etwa den Ziegenhainer Vertrag von 1421, in: HStAM, 115/01, Nr. 134, fol. 5v–6r: Dar ist auch sunderlich beredt, das wir graffen von Waldegk alle vorgenant unser huesfro­ wen bewedemen und belyffzuchtigen mogen unser iglicher mit dem synne, das er inne hait, nach moeglichen dyngen, wilchern unsern des noit ist, das sullen und wullen wir unser eynen dem andern bewilligen und zu dem besten bestedigen mit breffen und siegeln, also das sulche

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Widerlagesumme konnte unter Umständen zu einer Minderung des dynastischen Besitzes führen, weshalb strikt darauf geachtet wurde, die Pfandverschreibung in bestimmten Grenzen zu halten. In einem wohl nicht ausgeführten Entwurf zu einer Erbeinigung z­ wischen den Grafen Josias I. und Günther von 1580 wurde etwa festgelegt, dass eine Widerlage stets nur mit dem Wissen aller Agnaten verschrieben werden dürfe, niemals jedoch auf Güter im Amt Waldeck. Die Stammburg selbst dürfe weder als Pfandobjekt noch als Witwensitz eingesetzt werden.88 Diese Klausel unterstreicht nicht nur die hohe symbolische Bedeutung der namensgebenden Burg Waldeck für den dynastischen Verband, sondern deutet auf die Furcht vor Besitzentfremdung durch ehevertragliche Vereinbarungen hin. Auch in Lippe war für Wittumsverschreibungen der Konsens der Agnaten erforderlich. Da sowohl die Besitzungen der Lipper als auch der Waldecker fürstliche Lehen waren, wurden in der Regel auch die Lehnsherren um Genehmigung der Eheverträge und Wittumsverschreibungen gebeten.89 Zwischen der Abfassung eines Ehevertrags und dem Ende der Ehe durch den Tod des Mannes konnten viele Jahre liegen. Aus ­diesem Grund bekräftigten die meisten Grafen in ihrem Testament das im Ehevertrag versprochene Wittum, besserten es womöglich sogar auf, wenn sie sich ihrer Gemahlin nach einer langen Ehe verbunden fühlten, und trugen ihren Nachfolgern auf, die Witwe ungeschmälert zu ihrem Recht kommen zu lassen. Oft gingen derartige Klauseln mit einer allgemeinen Ermahnung zu kindlichem Gehorsam und Ehrerweisung gegenüber der ­Mutter einher. So befahl Simon VI. in seinem dritten Testament, dass seine Kinder Vnßere hertzliebe Gemahel Ihre Frauw Muttere, wie göttlich vnnd Christlich ist, in ehren vnnd für augen halten, Ihr die Vormachte Leibtzucht am hauß Blombergh vnnd seiner Zubehörungh, Inn maßenn dießelb vonn Vnß vorgeschrieben ohnn jenigen abbruch oder einsperrungh hal­ tenn vnnd folgenn laßenn sollenn, Alß wir Vnß zu Ihnenn sampt vnnd sonders auch anders nitt wollenn Vorsehenn, Vnd wegen der ehelichenn liebe vnnd treuwe, welch Vnßer Gemahel vns, Zeitt wehrenden Ehestandts erzeigt und noch erzeigenn wirdt, wöllen wir Ihr die ange­ regte Leibtzuchts Vormächtniß mitt dem Zusatz ahnn Schieder vnndt Büllinghaußen, doch alles leibzuchtiger weiß Zugebrauchen, hiemitt vermachett vnd vorbeßertt habenn, Mitt ernstlichem begehr, das Ihr darann von Vnßern Erbenn kein Behinderungh geschehenn soll.90 ­ edemunge und lyffzucht widder zusterben und bie der graveschafft Waldegken blieben. Diese w Passage wurde nahezu unverändert auch in die 1507 ­zwischen Philipp II. und Heinrich VIII. geschlossene Erbeinigung aufgenommen. 88 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 144. Der Hintergrund war, dass Günthers Onkel Daniel seiner Gemahlin das Amt und Schloss Waldeck als Wittum vermacht hatte, auf dem diese nun seit drei Jahren residierte. 89 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 938, Schreiben vom 15. 05. 1554; HStAM, 3, Nr. 2987, Schreiben vom Oktober 1519; LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 27, Leibzuchtverschreibung 1523; LAV NRW OWL , L 7 D IX, Nr. 1, fol. 2r. 90 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 158. Nach Simons Tod wurde allerdings ­zwischen seinen Kindern und ihrer verwitweten ­Mutter ein Vertrag aufgesetzt, in dem

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Die ermahnenden Worte lassen bereits vermuten, dass die Witwen bei der Durchsetzung ihrer Versorgungsansprüche häufig auf Widerstand seitens des Nachfolgers ihres Mannes trafen. Der Grund lag meist in der Ressourcenknappheit, mit der die Grafen konfrontiert waren, und angesichts derer ihnen die Wittumsverschreibungen ihrer Vorgänger zu großzügig erschienen. Einige verfielen daher auf die Idee, die Rentenbezüge zu kürzen oder der Witwe die eigene Hofhaltung auf ihrem Wittum ganz zu verweigern. Gerade wenn es sich beim folgenden Landesherrn nicht um den leiblichen Sohn der Witwe, sondern einen entfernteren Verwandten handelte, kam es häufig zu Konflikten um die Zuweisung des im Ehevertrag zugesprochenen Witwensitzes, die dortige Ausübung bestimmter Rechte oder die Höhe und pünktliche Zahlung der Witwenrente.91 Daher sind zahlreiche Klagen von Witwen überliefert, die sich in ihren rechtmäßigen Ansprüchen zurückgesetzt sahen. Maria Magdalena beklagte sich am 7. April 1637 brieflich bei ihrem Vater Christian von Waldeck über die schlechte Behandlung vonseiten der Detmolder Regierung, der Christian als Mitvormund vorstand. Selbst die einfachsten Dinge des Lebens würden ihr vorenthalten und ihre Kinder gegenüber denen aus erster Ehe benachteiligt.92 Spuren dieser Auseinandersetzungen um die Auszahlung ihrer Witwenrente lassen sich auch in dem Tagebuch finden, das Maria Magdalena als Witwe anlegte. Hierin notierte sie neben ­kurzen Einträgen zu Geburten, Todesfällen, Krankheiten, Besuchen und Reisen sowie Kriegsnachrichten vor allem Einnahmen und Ausgaben ihrer Haushaltsführung. Des Weiteren bewahrte sie hier Abschriften wichtiger Verträge wie ihre Ehe- und Wittumsverschreibung, das Testament Simons VI . und die darauf folgenden Brüderlichen Verträge von 1614 und 1616, den Vertrag mit den Vormündern über ihr Wittum sowie Übersichten über Grenzverlauf und Gefälle des Amtes Schwalenberg. Damit schuf sie sich eine Rechtssammlung, die nicht nur ihre Versorgungsansprüche als Witwe belegen sollte, sondern ebenfalls die Sukzessionsrechte ihres Sohnes Jobst Hermann.93 Klagen von Witwen über die Kürzung von Rentengeldern waren auch in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch häufig zu vernehmen. letztere auf die zusätzlich vermachten Höfe Schieder und Büllinghausen wieder verzichtete; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 112, Vertrag vom 22. 01. 1614. 91 Vgl. Spiess, Witwenversorgung, S. 100 f.; Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 207 – 212; Knöfel, Dynastie, S. 64 f.; Marra, Allianzen, S. 169 – 187; Reif, Westfälischer Adel, S. 83. 92 Vgl. HStAM, 115/02, Paket Nr. 298. 93 Vgl. LAV NRW W, U 164, Nr. 52a. Das Tagebuch beinhaltet neben Tageseinträgen von 1627 (Eintritt in den Witwenstand) bis 1642 und den erwähnten Vertragskopien auch genealogische Notizen über die lippische Verwandtschaft ihres Gatten sowie ihre Waldecker und Nassauer Vorfahren. Der erste Bearbeiter Anton Mönks vermutet wohl zu Recht, dass es erst nach 1637 angelegt worden ist; vgl. Mönks, Leben.

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Amalie zur Lippe-­Brake, die zweite Frau des Grafen Hermann Adolf zur Lippe, ging sogar so weit, ihren Stiefsohn, den Landesherrn Simon Henrich, bei der Verteilung ihres Nachlasses zu übergehen, weil Seine Liebden Unß unser verordt­ netes Wittibenthumb sehr geringert, es Unß damit gar saur undt schwehr gemacht, undt waß Unß Unser hertzlieber Herr undt Gemahl Christsehliger gedächtnuß zugeordtnet, allerdings nicht folgen laßen 94. Was bedeutete demgegenüber die Verheiratung einer Tochter in güterrechtlicher Hinsicht für die Dynastie? Wie erwähnt, wurde sowohl in Lippe als auch in Waldeck etwa jede zweite Tochter vermählt. Für die Verheiratung waren von der Herkunftsfamilie Mitgift und Aussteuer aufzubringen, ­welche als Erbteil der Töchter angesehen wurden, mit deren Empfang sie keine weiteren Ansprüche an das väterliche Erbe mehr stellen durften. Um die Ausstattung der Töchter zu garantieren, wiesen die Familienoberhäupter in ihren Testamenten regelmäßig ihre Nachfolger dazu an, deren noch unverheiratete Schwestern am heimischen Hof nach ihrem grafflichen stande 95 zu unterhalten und im Fall einer Hochzeit entsprechend auszusteuern. Ihre Bereitschaft hierzu scheint geradezu eine Bedingung für die Sukzession der künftigen Landesherren gewesen zu sein. In Waldeck, wo das dynastische Vermögen häufig unter mehrere Agnaten verteilt wurde, war es daher auch gemeinsame Sache aller männlichen Erben, ihre Schwestern, Halbschwestern oder Tanten zu versorgen. So vereinbarten die Söhne Philipps III ., als sie dessen Erbe 1538 untereinander aufteilten, dass sie samptlich Ihre unverheyrathen unmundige Schwester Frewlein Cathrine, so sie zu Ihrem bequemen altter kompt, nach gewonheit und herkommen der Graveschafft außsetzen und bestatten 96 wollen. Da die Heiratsverträge der gräflichen Töchter nicht systematisch ausgewertet wurden, lassen sich für die Höhe ihrer Mitgiften nur Annäherungswerte geben. 1550 brachte etwa Anna zur Lippe 6000 Gulden in ihre Ehe mit Johann I. von Waldeck-­Landau ein.97 Die ­gleiche Summe erhielt rund hundert Jahre später auch Amalie zur Lippe-­Brake, die den Detmolder Grafen Hermann Adolf ehelichte.98 Maria Elisabeth, eine Tochter Simons VII ., wurde für ihre Hochzeit mit dem Grafen Christian Friedrich von Mansfeld dagegen mit 6000 Reichstalern, ihre Tante Elisabeth, die Georg Hermann von Holstein-­Schaumburg heiratete, gar 94 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 47, Testament vom 13. 08. 1676. 95 So etwa Johann I. von Waldeck-­Landau in seinem Testament vom 23. 11. 1564, in: HStAM, Urk. 85, Nr. 252, fol. 2r. 96 HStAM, 115/01, Nr. 36, fol. 6r. 97 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 91, Ehevertrag vom 08. 05. 1550. 98 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 34, Ehevertrag vom 25. 06. 1666. Dagegen nennt Marra, Allianzen, S. 82, für diese Zeit 10.000 Rthlr. als übliche Mitgiftsumme in Lippe und Schaumburg.

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mit 10.000 Reichstalern ausgestattet.99 Die Grafen von Waldeck sahen für ihre Töchter eine Mitgift in Höhe von 4000 Gulden als angemessen und dem Herkommen gemäß an. Am 29. September 1579 einigten sich die Vertreter der drei Linien darauf, diese Summe bei jeder anstehenden Heirat einer ihrer Töchter gemeinsam aufzubringen.100 Tatsächlich lagen die Mitgiftsummen jedoch auch hier oft höher, wie Stichproben ergaben. Beispielsweise erhielt Maria Magdalena bei ihrer Hochzeit zu rechtem Heyrath guet auß der Graffschafft Waldeck nach deren alten gebrauch und herkommen vier Tausendt Gulden und auß dem unserigen so viell darauff, daß es vier Tausendt Rthlr. sein sollen, und noch daruber ferner zwey Tausendt Rthlr. so daß freulein theilß vor sich, theilß von der Frauw M ­ utter […] albereits eigenthümblich hat und also Sechs Tausend Rthlr.101

Wie bereits angedeutet, entsprangen die Mitgiften für die gräflichen Töchter oft nicht oder nur teilweise dem dynastischen Vermögen, sondern wurden in Form der sogenannten Fräuleinsteuer dem Land auferlegt. Der erwähnte Waldecker Hausvertrag von 1579 legte fest, dass die Untertanen aller Ämter nach dem Verteilungsschlüssel der Einziehung der Türkensteuer zur Zahlung herangezogen werden sollten. Ferner sollte die Aussteuer, also Kleidung und Schmuck, von den jeweiligen Städten und Klöstern desjenigen Teils der Grafschaft, aus dem die Braut stammte, aufgebracht werden.102 Äquivalente Regelungen gab es in Lippe.103 Oft wehrten sich die Landstände, an die entsprechende steuerliche Forderungen herangetragen wurden, vehement gegen diese Zumutungen mit dem Hinweis, dass sie von alters her niemals zur Fräuleinsteuer beigetragen hätten. Letztlich hatten sie sich dem Druck der Regierung aber meist doch zu beugen und trugen zumindest anteilig zur Ausstattung der Gräfinnen bei, wobei sie stets darauf bedacht waren, keine Präzedenzfälle zu schaffen.104 Auf Dauer 99 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 B, 19. 03. 1649 bzw. 04. 09. 1612. 100 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 382. 101 LAV NRW OWL, L 7 D IX, Nr. 1, Ehevertrag vom 22. 04. 1623, fol. 1r. 102 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 382. 103 Etwa z­ wischen Bernhard VIII. zur Lippe und seinem Bruder Hermann Simon, die ebenfalls ihre Untertanen zur Aufbringung der Fräuleinsteuer heranzogen; vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, 21. 01. 1559 (Zusatzvertrag zum Abschichtungsvertrag gleichen Datums). 104 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 2, fol. 57r u. 62r (Landtag 14. 03. 1564), fol. 299br u. 300r (Landtag 03. 11. 1568); sowie L 9, Nr. 3, fol. 80r (Landtag vom 26. 06. 1572). Hier einigte man sich anlässlich der bevorstehenden Heirat von Magdalena mit dem Landgrafen Georg I. von Hessen-­Darmstadt zunächst darauf, dass die für die Mitgift benötigten 6000 fl. von den Ständen gezahlt werden sollten, die sie wiederum von ihren Grundholden einholen wollten. Ein Jahr später beschlossen die Räte, dass die Fräuleinsteuer in Form einer Viehschatzung aufgebracht werden sollte.

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war ihnen damit jedoch kein Erfolg beschieden, und so disponierte Simon VI . in seinem Testament, dass seine Söhne ihren Schwestern eine Aussteuer von Schmuck und Kleidern gewähren sollten, wohingegen die Mitgift nach alther­ gebrachten Lippischem gebrauch vonn der Landschafft gewönlich Vorrichtet vnnd Zuwege gebracht wirdett 105. Auch bei den eigenen Töchtern achtete man genau darauf, sie mittels mehr oder weniger ausdrücklichen Erbverzichts von der Partizipation am dynastischen Vermögen auszuschließen.106 So lässt sich zusammenfassend festhalten, dass die ehegüterrechtlichen Bestimmungen, wie sie in den Eheverträgen, Wittums- und Morgengabeverschreibungen sowie Testamenten zutage treten, in erster Linie ­darauf bedacht waren, keine unumkehrbaren Besitzverluste zu riskieren. Zwar war die Mitgift einer Tochter verloren, wenn die Ehe sich als fruchtbar erwies, doch musste man sich dafür nicht weiter um ihre Versorgung kümmern. Witwensitz und -renten wurden hingegen nur für einen begrenzten Zeitraum vergeben und fielen letzten Endes an die Dynastie zurück. Oberstes Ziel dieser Agnatisierungspraxis war es, die Erbmasse geschlossen zu halten und nicht durch Heiraten zu gefährden, damit sie weiterhin in männlicher Linie vererbt werden konnte. Um ökonomischen Gewinn ging es bei den gräflichen Ehen nur zweitrangig; viel wichtiger war das soziale und symbolische Kapital, das aus prestigeträchtigen Verbindungen generiert werden konnte. 3.1.3 Analyse des Konnubiums Bei der Analyse des Konnubiums handelt es sich um eine bewährte Methode, die soziale Eingebundenheit und Stellung von Dynastien innerhalb der Adelsgesellschaft zu untersuchen.107 Dass die Lipper und Waldecker im U ­ ntersuchungszeitraum 105 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 158. 106 1687 ließ die Detmolder Kanzlei gegenüber dem Grafen von Bentheim verlautbaren, dass die lippisch-­gräflichen Töchter nach Observanz des Hauses von jeher mit der Aussteur, so Ihnen von dero Gebrüdern, oder denen Gräflichen Agnaten des Hauses Lippe rc. mit Beyhülffe des Landes, vermittels also genannter Fräuleinsteur widerfahren, jederzeit und noch vergnüget gewesen, ohne daß dero Behueff ein eydliche Verzicht zu einer nothwendigen Folge hergebracht, sondern man dießfals mit der notorischen Observanz sich gnugsam gesichert zu seyn achte, zit. nach Moser, Staats-­Recht, Bd. 16, S. 242. 107 Insbesondere in der Mediävistik wurde häufig auf ­dieses Verfahren zurückgegriffen; vgl. Spiess, Familie, S. 398 – 424; Moraw, Heiratsverhalten; Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 95 – 114; Auge, Handlungsspielräume, S. 234 – 241. Für die Frühe Neuzeit vgl. Marra, Allianzen, S. 50 – 62; Czech, Legitimation, S. 128 – 186; Knöfel, Dynastie; Kägler, Dynastische Ehen, S. 10 – 18. Aber auch für nichtadlige Familien liefert die Konnubiumsanalyse wertvolle Hinweise, etwa auf bestehende Netzwerke; vgl. Teuscher, Bekannte, S. 65 – 70; Brakensiek, Fürstendiener, S. 220 – 242.

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dem Reichsgrafenstand zugerechnet wurden, lässt sich nicht nur an ihrer Titulatur ablesen, sondern zeigt vor allem ihr Konnubium, das sie mit vielen altehrwürdigen Grafenhäusern teilten. Allerdings war es in ständischer Hinsicht nie völlig homogen, sondern wies gelegentlich Ausschläge nach oben oder unten, also Ehen mit fürstlichen oder niederadligen Personen auf. Und auch innerhalb des als ebenbürtig anerkannten Kreises waren für die Zeitgenossen feine Rangunterschiede z­ wischen den Dynastien wahrnehmbar. Daher soll unter der Kategorie „Rang“ eine Analyse der ständischen Qualität der Heiratskreise vorgenommen werden. Lassen sich womöglich Konjunkturen ausmachen, oder blieb der soziale Rang der Lipper und Waldecker über die Jahrhunderte unverändert? Darüber hinaus müssen innerhalb der Dynastie bestimmte Differenzierungen eingeführt werden, so etwa z­ wischen Söhnen und Töchtern, regierenden und nichtregierenden Mitgliedern, Erst- und Zweitehen sowie Angehörigen von Haupt- und Nebenlinien: Wer heiratete am ranghöchsten, wo war man, was die ständischen Grenzen anging, großzügiger? Des Weiteren lassen sich mittels der Konnubiumsanalyse Aufbau und Pflege von Netzwerken nachweisen. Unter Rückgriff auf die im ersten Abschnitt getroffenen Überlegungen zur Allianzbildung durch Heiratsschließungen werden die Ehepartner der Grafen zur Lippe und von Waldeck anhand ihrer geographischen Herkunft („Region“) sowie der spätestens ab 1550 rasant an Bedeutung gewinnenden Konfessionszugehörigkeit („Konfession“) kategorisiert. Bildeten sich regionale Heiratsnetze oder waren die Eheverbindungen weiter gestreut? ­Lassen sich geographische Verlagerungen identifizieren? Inwiefern veränderte die Annahme eines neuen Bekenntnisses auch die Heiratsverbindungen? Sowohl die Standesschranken als auch die neuen konfessionellen Grenzen führten zur Ausbildung endogamer und insbesondere bei den Reformierten relativ enger Heiratskreise, die die Zahl infrage kommender Ehepartner spürbar einschränkten. Zugleich führte diese Entwicklung zu einer engen Verflechtung der ständisch und konfessionell kompatiblen Dynastien.108 Es bleibt allerdings zu ­zeigen, dass die Heiratsschranken ­zwischen Lutheranern und Reformierten relativ durchlässig waren. Im Folgenden werden die Heiratskreise der beiden Dynastien getrennt voneinander anhand der drei Kategorien Rang, Region und Konfession untersucht.109

108 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S. 66. 109 Die folgenden Aussagen werden auf einer Datenbasis von 30 Ehen im lippischen Haus und 52 im waldeckischen Haus z­ wischen 1450 und 1650 getroffen, darunter auch Zweit- oder Drittvermählungen.

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Lippe – Rang Schon im Mittelalter schlossen die bis 1528 lediglich den Titel von Edelherren tragenden Lipper nahezu ausnahmslos Ehen mit Angehörigen des zum Hochadel zählenden Grafen- und Herrenstandes. An ­diesem einheitlichen Konnubium lässt sich ablesen, dass die Familie von Anfang an unter den Grafen als ihresgleichen anerkannt war.110 Wie sich Tabelle 3 entnehmen lässt, wurden auch im eigentlichen Untersuchungszeitraum von 1450 bis 1650 Heiraten mit Niederrangigen von den Lippern ausnahmslos vermieden, um die Akzeptanz als Angehörige des Reichsgrafenstandes nicht zu gefährden. Lediglich zwei Ehen mit edelfreien Herren­ geschlechtern, den geldernschen Herren von Bronkhorst und den Herren von Plesse, lassen sich finden, denen aber ebenso wie den Lippern bis zu ihrer Erhebung zu Grafen Gleichrangigkeit zugeschrieben wurde. Die vier Verbindungen zu den Grafen von Nassau stellten dagegen einen symbolischen Zugewinn dar, gehörten diese doch zu den bedeutendsten Grafendynastien überhaupt. Insgesamt war das Konnubium zu 90 Prozent ebenbürtig, wohingegen die drei Ehen mit Fürsten deutliche Ausschläge nach oben darstellten: Magdalena, eine Tochter Bernhards VIII., wurde mit Georg I. von Hessen-­Darmstadt vermählt, da man sich von hessischer Seite wohl vage Hoffnungen auf den Erbfall machte.111 Ihr Neffe Philipp heiratete eine hessische Prinzessin, namentlich Sophie, die Tochter Moritz’ des Gelehrten, die eine wichtige Rolle bei seiner Sukzession in der alten Schaumburger Grafschaft spielte.112 Seine Schwester Sophie schließlich heiratete Ludwig von Anhalt-­Köthen. Obwohl beide Ehen nach dem Tode des Vaters Simon VI. geschlossen wurden, hallt in ihnen doch dessen große Bedeutung als Reichspolitiker und kaiserlicher Vertrauter nach. Prestigeträchtige Verbindungen zu Fürstendynastien waren im Übrigen nicht nur für die jeweils gegenwärtige Generation von Bedeutung. Wenn etwa ein Graf eine Fürstin heiratete, führte die Ahnenprobe von dessen Kindern unweigerlich auch die fürstlichen Vorfahren der mütterlichen Seite auf. Man heiratete gewissermaßen auch die Ahnen einer Person, die wiederum die ständische Attraktivität der gemeinsamen Nachkommen erhöhten.113 1 10 Vgl. Zunker, Adel, S. 88. 111 Darauf deutet zumindest der Versuch Hessens hin, bei Aussterben des lippischen Mannesstamms die Erbfolge unter Umgehung der anderen lippischen Töchter auf die Nachkommen Magdalenas und Georgs festzulegen, was jedoch am Widerstand der Stände scheiterte. Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 3, fol. 80r. Siehe dazu auch Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 59 – 6 4. 112 Vgl. Bei der Wieden, Schaumburg-­Lippe, S. 258; Maack, Grafschaft Schaumburg, S. 72 f. 113 Dies wurde augenfällig visualisiert in den im 16. und 17. Jahrhundert ubiquitären Ahnenproben; vgl. Harding/Hecht, Ahnenproben.

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Es lässt sich also insgesamt eine Orientierung an höheren gesellschaftlichen Rängen konstatieren. Unterschiede ­zwischen Söhnen und Töchtern oder Erstund Nachgeborenen im Hinblick auf die ständische Einordnung der Ehepartner lassen sich nicht ausmachen.114 Es fällt lediglich auf, dass keine der drei Fürstenehen von einem regierenden Grafen geschlossen wurde. Weitet man den Blick über 1650 hinaus und schließt die nun ins Heiratsalter kommenden Angehörigen der Nebenlinien ein, so lassen sich hier zwar einige unterständische Ehen, allerdings auch Fürstenheiraten finden, sodass sich wiederum kein einheitliches Bild ergibt.115 Offenbar war es einerseits für Angehörige einer Nebenlinie tatsächlich leichter möglich, Personen aus dem Adel oder dem Bürgertum zu heiraten.116 Andererseits lässt sich die naheliegende These, dass die Heirat mit einem lippischen Erbherrn gegenüber einem regierenden Grafen als weniger prestigeträchtig angesehen wurde,117 mit Blick auf die Heiratsverbindungen der Braker Nebenlinie nicht eindeutig bestätigen. Lippe – Region Während des Hochmittelalters pflegten die ersten zwei quellenmäßig zuverlässig greifbaren Generationen der Edelherren zur Lippe noch ein geographisch recht weit ausgreifendes Konnubium, das mit ihren Ambitionen in der Reichspolitik zusammenhing. Doch schon Hermann II. änderte die Strategie und vermählte seine Kinder mit aufstrebenden Herrschaftsträgern aus der Region Westfalen. Diese zählten auch für die kommenden Generationen zu den wichtigsten Heirats­ partnern, so vor allem die Grafen von Ravensberg, Arnsberg, Schwalenberg/Waldeck, Tecklenburg und Holstein-­Schaumburg. Durch teilweise mehrfach zu einem Haus bestehende Verbindungen schufen die Lipper ein dichtes Netzwerk von potenziellen Verbündeten und festigten so ihre Position als gleichrangige Kraft inmitten der im Entstehen begriffenen Landesherrschaften.118 Dieses überwiegend westfälische Konnubium pflegten die Grafen bis in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts. Es basierte zu einem guten Teil auf 114 Dies entspricht den Beobachtungen von Spiess, Familie, S. 400. Marra, Allianzen, S. 56, postuliert hingegen ein höherrangiges Konnubium der Erstgeborenen im Vergleich zu nachgeborenen Söhnen sowie Töchtern. Ähnlich auch Walther, (Un-)Ordnung, S. 68. 115 Das Konnubium der Hauptlinie Lippe-­Detmold im 17. und 18. Jahrhundert wertet aus: Klueting, Reichsgrafen, S. 25 – 28. Vgl. auch Willoweit, Standesungleiche Ehen, S. 58 f. 116 Beispielsweise konnte Georg aus der Braker Linie 1696 die Halberstädter Bürgerstochter Dorothea Agnes Sauermann ehelichen. 117 So Zöttlein, Dynastie, S. 164. 118 Vgl. Zunker, Adel, S. 88 f. u. 365 – 370; Biermann, Weserraum, S. 317 f.; Meier, Eckstein, S. 65 f.

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bündnispolitischen Überlegungen, denn die engen affinalen Verflechtungen der westfälischen Grafen stellten auch einen verwandtschaftlich organisierten Ersatz für eine fehlende ständische Korporation dar, wie es sie in den Grafenlandschaften Schwaben und Franken sowie in der Wetterau frühzeitig gab.119 Auch Hoffnungen auf Erbfälle und ähnliche Überlegungen spielten bei den oft seit Generationen miteinander verbundenen Dynastien eine Rolle. So schlug Simon VI . sogar eine Heirat mit einer hessischen Prinzessin aus und ließ sich bei seinen zwei Ehen stattdessen von territorialpolitischem Kalkül leiten: Zuerst heiratete er eine Rietberger Erbtochter und nach deren Tod eine Schaumburger Gräfin, womit der seit Jahrzehnten ­zwischen den beiden Familien schwelende Streit um die Grafschaft Sternberg beendet wurde.120 Daneben wurde durch die „Schaffung eines endogamen Tauschringes“121 sichergestellt, dass die Mitgiften in einem begrenzten Kreis von Standesgenossen, die untereinander heirateten, zirkulierten und somit für die Mitglieder gesichert wurden. Die Grafen von Waldeck zählten zu den häufigsten Heiratspartnern der Lipper. Bis 1650 gab es ­zwischen den beiden Häusern sieben Eheschließungen sowie eine geplante, jedoch aufgrund des vorzeitigen Todes der Braut nicht zustande gekommene Verbindung. Weitere folgten in der Neuzeit.122 Besonders hervor sticht die Doppelhochzeit des Jahres 1550, bei der Bernhard VIII . die Waldecker Gräfin Katharina aus der Landauer Linie, seine Schwester Anna deren Bruder Johann I. heiratete. Sogenannte Kreuzheiraten festigten die Beziehungen ­zwischen zwei Häusern besonders und waren gewissermaßen zum ‚Nulltarif ‘ zu haben, da die Mitgiften sich ­gegenseitig aufhoben.123 Zu dieser Heirat bekannte Bernhard später gegenüber seinem Bruder, er habe nur deswegen eingewilligt, damit die Verbindung ­zwischen seiner Schwester Anna und dem Waldecker zustande komme. Als Mitgift habe er darher keyne sonderliche hohe summen bekommen 124.

119 Vgl. Carl, Einungen; Böhme, Reichsgrafenkollegium; Schmidt, Grafenverein. In Westfalen wurde dagegen erst 1653 das niederrheinisch-­westfälische Grafenkollegium mit einer Kuriatsstimme auf dem Reichstag zugelassen; vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium. 120 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 164; Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 122 – 125. 121 Spiess, Familie, S. 61. Vgl. auch Marra, Allianzen, S. 52. 122 Vgl. auch Sandow, Gedichte, S. 115 f. Die hier angegebene Ehe ­zwischen einer Tochter Ottos II. von Waldeck und Simon III. zur Lippe konnte hingegen nicht verifiziert werden. 123 Vgl. Spiess, Familie, S. 61 f.; Knöfel, Dynastie, S. 43 f. 124 LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. II, Schreiben vom 19. 08. 1560. Was Bernhard freilich nicht hinzufügte, war, dass auch er nur die ­gleiche bescheidene Summe für seine Schwester aufzubringen hatte. Beide Mitgiftsummen betrugen jeweils 6000 fl., die Morgengaben je 700 fl.; vgl. den Ehevertrag ­zwischen Johann I. und Anna vom 08. 05. 1550, in: HStAM, Urk. 85, Nr. 91; sowie ­zwischen Bernhard VIII. und Katharina, in: LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 29. Vgl. auch Kiewning, Lippische Geschichte, S. 193 f.

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Zu Beginn des 17. Jahrhunderts weitete sich das Konnubium der Lipper allmählich aus. Neben vereinzelten Verbindungen nach Anhalt und Mansfeld stellten insbesondere die Grafen der Wetterau nun begehrte Heiratspartner dar. Dies mag zunächst überraschen, da die historisch gewachsenen Verbindungen hierher eher begrenzt waren. Tatsächlich stand dahinter der Konfessionswechsel Simons VI., der die Tür zu den reformierten Grafen öffnete. Lippe – Konfession Als der erste lutherische Graf zur Lippe ins heiratsfähige Alter kam, waren viele westfälische Standesgenossen bereits evangelisch. Aus d­ iesem Grund brachte die Einführung der Reformation den Grafen kaum spürbare Einschränkungen ihres Konnubiums, und man konnte seit der Mitte des 16. Jahrhunderts Ehen mit Altgläubigen vermeiden.125 Dass die westfälischen Grafen nahezu geschlossen zum Luthertum überwechselten, hat auch mit der Person Philipps von Hessen zu tun, der zahlreiche Ehen z­ wischen den noch dem alten Glauben anhängenden westfälischen Grafen und auswärtigen Lutheranerinnen stiftete, w ­ elche wiederum in Glaubensfragen Einfluss auf ihre Ehemänner nahmen.126 Den lippischen Junggrafen Bernhard hatte er sogar an seinen Kasseler Hof geholt und ihn im lutherischen Glauben erzogen. 1543 versuchte er für ihn eine Ehe mit einer Tochter seines Verwandten und Getreuen Konrad von Tecklenburg zu arrangieren, die aber letztlich am zu niedrigen Alter Bernhards scheiterte,127 sodass es sieben Jahre später zu der erwähnten Doppelhochzeit mit den Waldeckern kam. Unter seinem Sohn Simon VI . vollzogen die Lipper Grafen eine Hinwendung zur reformierten Konfession. Erst mit ­diesem Wechsel stellten sie sich allmählich in einen konfessionellen Gegensatz zu den bisherigen Heiratspartnern. Simon selbst heiratete jedoch noch keine Reformierte, sondern blieb dem traditionellen Umfeld treu und entschied sich zweimal für eine Gräfin aus lutherischem Hause. Auch eine seiner Töchter, Elisabeth, vermählte er mit einem Lutheraner, Georg Hermann von Holstein-­Schaumburg, während die überwiegend nach 125 Auch Marra, Allianzen, S. 50 f., weist darauf hin, dass die evangelischen Grafen Westfalens schon seit dem Mittelalter ein gemeinsames Konnubium teilten. 126 Vgl. Schröer, Anteil, S. 643 f. u. 651 f.; Ders., Reformation, S. 490 – 492; Hufschmidt, Christliche Lebenspraxis, S. 244; Wolf, Einfluß. 127 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 28. Der Ehevertrag sah für den Fall des Fehlens männlicher Erben Konrads vor, dass seine Tochter Anna die Graf- bzw. Herrschaften Tecklenburg, Rheda und Lingen geerbt hätte, was für Lippe einen enormen territorialen Zuwachs bedeutet hätte. Als der Fall tatsächlich eintrat, brachte Anna diese Länder – mit Ausnahme des inzwischen vom K ­ aiser eingezogenen Lingen – in ihre Ehe mit Everwin III. von Bentheim und Steinfurt ein. Vgl. auch Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 185.

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seinem Tod geschlossenen Ehen seiner übrigen Kinder bereits in die reformierte Richtung wiesen.128 Von nun an zählten Angehörige reformierter Grafenhäuser wie Bentheim-­Tecklenburg, Sayn-­Wittgenstein und Nassau-­Dillenburg zu den bevorzugten Heiratspartnern. Insbesondere die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts ist geprägt vom Bemühen um konfessionelle Homogenität, doch kam es vorerst immer wieder auch zu Ehen mit Lutheranern, da man die jahrhundertelang gewachsenen Beziehungen zu den Standesgenossen in der Region nicht aufgeben wollte.129 Zudem war der Kreis reformierter Grafen und Fürsten insgesamt äußerst überschaubar, sodass oft gar keine andere Möglichkeit blieb, als zusätzlich Ehen mit Lutheranern einzugehen. Der Übergang zum reformierten Bekenntnis bedeutete also zumindest bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts keine Verkleinerung, sondern vielmehr eine Erweiterung des Kreises potenzieller Heiratspartner. Waldeck – Rang Im Mittelalter bestand das Konnubium der Grafen von Waldeck überwiegend aus Grafen und Herren und konnte mit vereinzelten Eheschließungen mit hessischen und braunschweigischen Prinzessinnen sogar einige besonders prestigeträchtige Verbindungen aufweisen. Die Zugehörigkeit in den Kreis des gräflichen Hochadels stand also auch hier außer Frage. Im Untersuchungszeitraum erweist sich das Konnubium der Waldecker Grafen von seiner ständischen Zusammensetzung her dagegen weitaus heterogener als das der Lipper. Wie Tabelle 3 zeigt, waren lediglich drei Viertel der Ehepartner Grafen oder Herren, während die übrigen etwa zu gleichen Teilen aus dem Fürstenstand und dem Niederadel kamen. Ehen mit Bürgerlichen hat es in dieser Zeit jedoch ebensowenig wie bei den Lippern gegeben. Auch bei den Waldeckern wurden die sieben Fürstenehen nicht – wie zu vermuten gewesen wäre – von Erstgeborenen geschlossen, wobei hinzugefügt werden muss, dass zwei der drei Grafen, die sich mit einer Fürstin vermählten, zum Zeitpunkt ihrer Heirat bereits einen Anteil an der Regierung hatten. So hatte Wolrad IV. mit seinem Bruder gerade die Teilung der Grafschaft vollzogen und war auf seine Residenz auf dem Eisenberg gezogen, als er die Markgräfin Anna 128 Zur Heiratspolitik Simons vgl. auch Schilling, Konfessionskonflikt, S. 163 f., der die nach wie vor starke Einbindung der Dynastie in lutherische Zusammenhänge für ein wichtiges Motiv der Zurückhaltung Simons bei der Durchsetzung des Calvinismus hält. Des Weiteren: Brachthäuser, Nachkommen. 129 Diese Beobachtung widerspricht Kluetings Aussage, die reformierten Grafen hätten nur innerhalb eines konfessionell homogenen Kreises geheiratet; vgl. Klueting, Reichsgrafen, S. 34 f.

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von Baden-­Durlach zur Frau nahm.130 Philipp III. war 1519 hingegen längst alleiniger Regent über den Eisenberger Landesteil, als die Ehe mit der Herzogin Anna von Kleve zustande kam. Diese war indessen das Ergebnis einer dramatischen Ausein­andersetzung mit der Klever Herkunftsfamilie der Braut, die eigentlich andere Heiratspläne für Anna gehegt hatte. Aus nicht vollständig rekonstruierbaren Gründen lehnte die junge Prinzessin jedoch die für sie vorgesehene Ehe mit Herzog Karl von Geldern ab und vermählte sich heimlich mit Philipp, den sie am Jülicher Hof ihres Bruders kennengelernt hatte. Daraufhin ließ ihre Familie sie im Klever Schlossturm gefangen halten, aus dem sie erst durch Intervention ­Kaiser Maximilians freikam, dem die verhinderte Verbindung ­zwischen Jülich-­Kleve und Geldern politisch gelegen kam. Schließlich ließ man Anna nach Waldeck ziehen, billigte ihr aber nur eine für Klever Verhältnisse bescheidene Mitgift von 10.000 Gulden ohne zusätzliche Aussteuer zu.131 In Kleve empfand man die Verbindung der Herzogstochter mit dem Grafen als unstandesgemäß, worauf die kaiserlichen Unterhändler entgegneten, der von Waldeck sei ein frumer erlicher graf des heiligen reichs und trag sich viel zu, das fursten mit grafen, und grafen zu fursten heiraten 132. Auch die Ehe der Landgräfin Barbara, einer Schwester Wilhelms IV . von Hessen-­Kassel, mit einem Grafen von Waldeck war von ihrer Herkunftsfamilie nicht gutgeheißen worden, sondern trug vielmehr „alle Merkmale einer Bestrafung“133. Nachdem Barbara 1566 ein uneheliches Kind zur Welt gebracht hatte,134 heiratete sie zwei Jahre später den nachgeborenen Grafen Daniel aus der Wildunger Linie, was für Hessen immerhin die Möglichkeit mit sich brachte, den Vasallen noch näher an sich zu binden.135 Für Waldeck hingegen bedeutete die Heirat mit einer Fürstin einen erheblichen finanziellen Aufwand und nicht zuletzt die Bereitstellung eines großzügigen Wittums. Dem Vater des Bräutigams, Philipp IV., bereitete dies einige Sorgen angesichts der Tatsache, dass die Grafschaft nuhmer ihn viele theil under unsere vettern, unß und unsere sohne albereits vertheilt und wier unsers orths ihn nicht geringe beschwerungk gerathen 136. Die Ehe kam dennoch zustande, nachdem Daniel seiner Braut zunächst Amt und Schloss Naumburg sowie das halbe Haus Höhnscheid verschrieben hatte. Nach der Wildunger Teilung von 1575 fügte er auch noch seinen Anteil an Schloss und Amt 130 Vgl. Stoecker, Wolrad IV. 131 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 73, Ehevertrag vom 21. 01. 1519. Vgl. auch Küch, Urkundliche Beiträge; Bing, Ungewöhnliche Frau; Schröer, Anteil, S. 644 f. 132 Bericht über die Verhandlungen auf dem Landtag von Duisburg über die Freilassung der Herzogin Anna von Kleve vom 21. 11. 1518, zit. nach Küch, Urkundliche Beiträge, S. 262. 133 Aumüller, Vorgeschichte, S. 100, Anm. 32. 134 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 549, Anm. 27; Zöttlein, Dynastie, S. 37 f., Anm. 104. 135 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 81 f. 136 HS tAM , 115/01, Nr. 750, Konzept Philipps an den hessischen Rat Simon Bing vom 22. 03. 1567.

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Waldeck, das Kloster Netze und den Hof Bringhausen, mithin seinen gesamten Erbteil, hinzu, um Barbara ein einer Fürstin angemessenes Wittum bieten zu können.137 Die übrigen vier Fürstenehen schlossen Töchter der Waldecker mit Angehörigen der Häuser Braunschweig, Hessen-­Rotenburg, Baden-­Durlach und Schleswig-­Holstein. Am Beispiel Maria Elisabeths, der Tochter Wolrads IV. und Annas von Baden-­Durlach, die ihren Großcousin, den Markgrafen Friedrich V. von Baden-­Durlach, heiratete, lässt sich erkennen, wie bestehende Verwandtschaftsnetzwerke gepflegt wurden und gelegentlich neue Eheschließungen hervorbringen konnten. Das Konnubium der Waldecker weist im Hinblick auf seine ständische Qualität einige Konjunkturen auf. So lassen sich besonders in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einige Missheiraten ausmachen. Offenbar waren hier besondere Umstände dafür verantwortlich, dass insbesondere die nachgeborenen Grafen sich häufiger unterständisch vermählten.138 Dies unterschied sie nicht nur von den Grafen zur Lippe, sondern etwa auch von den Wetterauer Grafen, die die ständischen Grenzen viel enger als die Waldecker zogen und sogar eine Eheverbindung mit der alten, inzwischen aber landsässigen Herrendynastie Plesse als unstandesgemäß empfanden.139 Es gab aber auch Ausnahmen wie den in Eisenberg regierenden Josias I., der mit der Gräfin Maria von Barby-­Mühlingen eine Eheverbindung einging, durch w ­ elche nach Ansicht des Verfassers einer Leichenpredigt das Vhralte Gräfliche Hauß Waldeck nicht geringen Schein vnd Glantz bekom­ men / vnd mit vielen Königlichen / Churfürstlichen vnnd Fürstlichen Häusern / als Anhalt / Sachsen / Brandenburg / Dennemarck / dem Geblüt nach befreundet worden 140. Hierbei ging es weniger um konkret aktivierbare Beziehungen, als um den Ruhm, der aus einer derartigen Verwandtschaft hervorging. Nach der Landesteilung von 1607 wurde der konnubiale Abwärtstrend schließlich gestoppt, und das Konnubium wies wieder in eine aufstrebende Richtung – insofern, als Mesalliancen vermieden und zudem vier Ehen mit Fürsten geschlossen werden konnten. Ganz besonders Graf Christian tat sich als erfolgreicher Heiratspolitiker hervor: Alle zwölf seiner erwachsenen Kinder verheirateten sich, davon sieben noch zu seinen Lebzeiten. Bis auf zwei Ausnahmen handelte es sich dabei um 137 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 101, Ehevertrag vom 11. 11. 1568; sowie die Akten in 115/01, Nr. 750. Die Wittumsbesserung vom 10. 12. 1575 ist abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 378 – 380. Daniel selbst verstarb bereits zwei Jahre später und wurde von seiner Frau zwanzig Jahre überlebt, in denen sie auf Schloss Waldeck Hof halten konnte. 138 Siehe dazu das folgende Kap. 3.1.4. 139 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 482 u. 547 – 550. Als Erklärung für die Häufung von Missheiraten in der Zeit vor 1600 führt Schmidt die enge Anbindung an Hessen-­Kassel an, die in Bezug auf die ständischen Maßstäbe der Waldecker „in gewisser Weise nivellierend“ (S. 482) gewirkt habe. 140 Hersfeld, Fried vnd Frewdenfahrt, S. 24.

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Angehörige alteingesessener Grafen- oder Fürstenhäuser. Auf diese Ansammlung sozialen und symbolischen Kapitals war er offenbar so stolz, dass er die vornemen fürst- und gräfflichen vermehlungen 141 seiner Kinder in seinem Testament eigens betonte und einzeln aufzählte. Waldeck – Region Die geographische Zusammensetzung des Waldecker Konnubiums war von Beginn an recht heterogen. Heiratspartner kamen sowohl aus dem Norden (Lippe, Everstein, Oldenburg, Braunschweig, Kleve) und Osten (Gleichen, Honstein) als auch der Wetterau und Hessen (Katzenelnbogen, Ziegenhain, Hessen, Nassau, Breuberg). Somit lässt sich eine vermeintlich nach Süden weisende und auf territorialen Erwerb abzielende, „sehr zielgerichtete Linie“142 in der Waldecker Heiratspolitik, wie sie für das Mittelalter konstatiert worden ist, höchstens in Ansätzen erkennen. Man überschätzt wohl die strategischen Überlegungen hinter den einzelnen Heiratsprojekten, wenn man ihnen das Kalkül zuschreibt, in einen bestimmten Raum auszugreifen oder auf konkrete territoriale Zuwächse zu spekulieren.143 Seit Beginn des 16. Jahrhunderts prägten vor allem Beziehungen zu Grafen aus Westfalen und dem Rheinland das Bild, doch lässt sich auch jetzt keine Konzen­ tration auf eine einzige Region nachweisen. Vielmehr befanden sich die Waldecker durch ihre Heiratsverbindungen in einer „‚Mittlerposition‘ z­ wischen wetterau­ ischen und westfälischen Grafen“144. Daneben tauchen aber immer wieder auch einzelne Ehen mit thüringischen oder sächsischen Partnerinnen auf. Dass hinter Adelsheiraten auch der Wunsch stand, Allianzen zu schmieden oder weiter zu verstärken, illustriert das Beispiel des Eheprojekts z­ wischen Samuel von Waldeck-­ Wildungen und Anna Maria von Schwarzburg. Der Wildunger Rat Hermann Ulner riet Samuels Vater, Graf Philipp IV., dringend dazu, der Heirat zuzustimmen und sie nicht durch die Verzögerung der Erbteilung zu vereiteln. So ist wolermelts Frewlein von Schwartzburgk von eyner vermogenden, herlichen und ansehenden freundschafftt, die nach menschlichem vermogen dem Hauße Waldecken mitt rath und tath viel eher beforderung, beistandtt und hilff leysten mag, tzu dem sein Viertzehen taußentt gulden bey den Oberlendischen Graven nitt eyn geringe brautstewr, dergleichen nitt viel antroffen werden konne, damitt auch ein gut teil der obligenden beschwerungen erleichtert werden kan.145 141 HStAM, Urk. 85, Nr. 272, fol. 2r, Testament des Grafen Christian vom 16. 06. 1637. 142 Biermann, Weserraum, S. 318. 143 Vgl. Spiess, Familie, S. 412. 144 Schmidt, Grafenverein, S. 544. 145 HStAM, 115/01, Nr. 45, Gutachten vom 04. 03. 1554, fol. 5r–v.

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Zu den positiven Auswirkungen, die eine verwandtschaftliche Verbindung zu den Grafen von Schwarzburg für die Waldecker Dynastie haben würde, kam also noch die außergewöhnliche Höhe der zu erwartenden Mitgift hinzu. Zudem erinnerte Ulner daran, dass Philipps Eisenberger Verwandter ­Wolrad II . bereits mit einer Schwester Anna Marias verheiratet sei und von seiner Schwiegermutter stets Ehrerweisungen und Unterstützung erfahre. Auch sei zu hoffen, dass Samuel und Wolrad sich durch diese gemeinsame Verwandtschaft zukünftig besser verstünden und innerdynastische Verstimmungen schneller beilegen könnten. Durch die Ausbildung neuer Linien, die sich genealogisch betrachtet innerhalb weniger Generationen auseinanderentwickelten, ergab sich für die Waldecker die zusätzliche Möglichkeit, Angehörige der eigenen Dynastie zu ehelichen. Solche sogenannten Linienheiraten,146 die das Prinzip der Endogamie gewissermaßen auf die Spitze trieben, kamen jedoch insgesamt nur zweimal vor: 1578 vermählten sich der Wildunger Günther und die Landauerin M ­ argarethe, 1660 waren es Heinrich Wolrad von Eisenberg und Juliane Elisabeth von Wildungen. In Lippe bestand diese Möglichkeit seit der Paragialteilung von 1613 ebenfalls. Hier heiratete der regierende Graf Hermann Adolf 1666 seine Cousine Amalie zur Lippe-­Brake, um die Nebenlinie, aus der sie stammte, enger an sich zu binden. Da er schon ein halbes Jahr später starb, blieb diese Ehe jedoch ­kinder- und insgesamt wirkungslos. Auch in Waldeck blieben Linienheiraten ein Randphänomen ohne größere Nachwirkungen. Beide genannten Ehen währten nur kurz und blieben kinderlos. Die geplante Vereinigung beider Grafschaftsteile, wie sie Helga Zöttlein hinter der Verbindung z­ wischen H ­ einrich Wolrad und Juliane Elisabeth vermutet,147 ging letztlich nicht auf, da der Bruder der Braut, Christian Ludwig, über enormen Kinderreichtum verfügte und seine Linie somit fortsetzte. Nachdem im 16. Jahrhundert westfälische, rheinische, wetterauische und thüringisch-­sächsische Ehepartner sich in etwa die Waage hielten, überwogen ab den 1630er Jahren schließlich die Beziehungen in die Wetterau, als mehrere Kinder Christians und Wolrads sich mit dortigen Grafen vermählten. ­Dieser Wendung nach Süden gingen der Eintritt in den Wetterauer Grafenverein und der Versuch voraus, sich im Zuge des Konflikts um die waldeckische 146 Spiess, Familie, S. 71, hält sie für ein „hervorragendes Mittel zur Zusammenführung des durch Teilungen zersplitterten Gesamtbesitzes“, was freilich nur bei der Heirat einer Erbtochter funktionieren konnte. Derartige Bemühungen, den dynastischen Besitz innerhalb eines eng begrenzten Kreises erbberechtigter Angehöriger zu bewahren, wertet er als „Ausdruck eines Hausbewußtseins“ (ebd., S. 72). Vgl. auch Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 90; Walther, (Un-)Ordnung, S. 66. 147 Vgl. Zöttlein, Dynastie, S. 46.

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Reichsunmittelbarkeit stärker von Hessen zu emanzipieren.148 Ständische Korporationen konnten also bis zu einem gewissen Grad das Konnubium prägen, wobei sich die Waldecker nie vollständig den Wetterauern zugehörig fühlten und auch weiterhin Verbindungen nach Westfalen und in andere Regionen des Reichs unterhielten. Gerade da sie aber keiner ständepolitischen Vereinigung dauerhaft angehörten, waren für sie die durch Heiratspolitik geknüpften Beziehungen eminent wichtig. Waldeck – Konfession Die frühe Entscheidung der Waldecker Grafen für Luther hing auch mit der Begeisterung ihrer Frauen für die neue Lehre zusammen, ­welche maßgeblichen Anteil an der Durchsetzung der Reformation in der Grafschaft hatten.149 Als P ­ hilipp III . von Eisenberg 1519 die Herzogstochter Anna von Kleve heiratete, hatte diese sich trotz katholischer Erziehung bereits der Reformation zugewandt und unterstützte sie auch in ihrem neuen Wirkungskreis, etwa indem sie den Prediger Johann Hefentreger in die Grafschaft holte. Der Wildunger Philipp IV. hatte seine erste Gemahlin, Margaretha von Ostfriesland, sogar auf dem Reichstag von Worms kennengelernt und konnte nach der Hochzeit zwei Jahre später ebenfalls auf ihre Hilfe bei der Durchsetzung der neuen Lehre zählen.150 Auch die Gemahlin des theologisch gebildeten Wolrad II., Anastasia von Schwarzburg, stammte aus einer früh dem Luthertum zugeneigten Familie. Im Zuge der zielstrebig durchgeführten Reformation in Waldeck konfessionalisierte sich auch das Konnubium der Grafen. Heiratsverbindungen mit (noch) nicht evangelischen Reichsständen kamen aufgrund der Orientierung ins Rheinland und nach Flandern anfangs noch vor, doch lässt sich zu d­ iesem frühen Zeitpunkt noch kaum von bikonfessionellen Mischehen sprechen.151 Von der Mitte des 16. bis zu Beginn des 17. Jahrhunderts war das Waldecker Konnubium rein lutherisch – von einer Ausnahme abgesehen. Die erste einer ganzen Reihe von Ehen mit reformierten Partnern wurde 1581 ­zwischen Magdalena, der Tochter Philipps IV ., und Johann VII . von Nassau-­Siegen geschlossen. Seit Beginn 148 Ausschlaggebend für diese politische Umorientierung war – neben der konkreten Bedrohung durch Hessen – ebenfalls eine Ehe, namentlich die ­zwischen Christian und Elisabeth, einer Tochter Magdalenas von Waldeck-­Wildungen und Johanns VII. von Nassau-­Siegen, der sich intensiv für die Belange der Waldecker einsetzte. Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 550 – 556; Menk, Beziehungen, S. 96 u. passim; Ders., Waldecks Beitrag, S. 32. 149 Vgl. Schröer, Anteil, S. 648 f. u. passim; Ders., Reformation, 490 – 492. 150 Vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 23; Wassmann, Waldeck, S. 26; Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 491. 151 Siehe dazu ausführlich Kap. 3.1.5.

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des 17. Jahrhunderts stieg der Anteil an innerprotestantischen Mischehen dann enorm, obschon die Waldecker selbst trotz Druck aus Kassel beim lutherischen Bekenntnis blieben, auf das sich die Regenten Christian und Wolrad bei ihrem Herrschaftsantritt auf dem Landtag von 1607 noch einmal formell festlegten. Von den 18 z­ wischen 1600 und 1650 geschlossenen Ehen waren – bei zwei unklaren Konfessionszugehörigkeiten – mindestens neun konfessionelle Mischehen mit Reformierten, eine sogar mit einer Katholikin. Dieses auffällige Ergebnis erklärt sich vor allem durch reichspolitische Überlegungen der Grafen, die mit der infrage stehenden Reichsunmittelbarkeit zu tun hatten. Die Ehe mit Johann von Nassau-­Siegen hatte bereits eine kaum zu überschätzende strategische Bedeutung gehabt, da sie eine Verbindung zu den Wetterauer Grafen eröffnete. Eine Tochter aus dieser Ehe, Elisabeth, wurde mit Christian von Waldeck vermählt, um die Allianz mit den Nassauern zu erneuern. Da ihre Schwester Juliane den Landgrafen Moritz heiratete, war damit auch eine enge verwandtschaftliche Beziehung zu Hessen begründet.152 Johann selbst war als Ergebnis dieser Heiratspolitik sowohl der Schwiegervater von Christian als auch von Moritz und bemühte sich intensiv um einen Ausgleich z­ wischen beiden, wobei er die beanspruchte Unabhängigkeit Waldecks von Hessen unterstützte und sogar militärisch zu verteidigen versuchte.153 Ebenfalls durch seine Vermittlung näherten sich die Waldecker dem Wetterauer Grafenverein an, dem sie 1615 beitraten, um damit erneut ihre Reichsunmittelbarkeit zu markieren.154 Aus dieser strategischen Allianz ergaben sich künftig wiederum neue Heiratsbeziehungen zu den überwiegend reformierten Wetterauer Grafen. Damit lassen sich die häufigen Mischehen der Waldecker in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts als Ergebnis einer Politik der reichsständischen Absicherung deuten, die darauf spekulierte, durch die Verbindung zur Grafenkorporation aber auch zu mächtigen Häusern wie Nassau und Oranien dem politischen Druck seitens Hessen-­Kassels standzuhalten, was letztlich auch aufging. Paradoxerweise lag die Lösung darin, die Verbindung zu den Reformierten zu suchen, um damit den eigenen lutherischen Bekenntnisstand zu sichern.155 Zugleich lag in den Mischehen allerdings großes Potenzial für eine Störung der innerdynastischen Integration, auf das weiter unten ausführlich eingegangen wird.

152 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 96, der zu Recht darauf hinweist, dass dem Landgrafen „die dynastische Komponente später nicht als Hindernis für seine politischen Absichten erschien“. 153 Vgl. ebd., S. 118 – 123; Zöttlein, Dynastie, S. 40 – 4 4. 154 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 104 – 109; Schmidt, Grafenverein, S. 550 – 556. 155 Vgl. Zöttlein, Dynastie, S. 39 f.; Hufschmidt, Krieg, S. 347.

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3.1.4 Der Umgang mit Missheiraten Nachdem die der Heiratspolitik zugrunde liegenden strukturellen Bedingungen und die Entwicklungen vom Spätmittelalter bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts von erhöhter Warte aus untersucht und beschrieben worden sind, sollen nun die Akteure selbst stärker in den Fokus treten. Es geht um die Frage, warum einige Gräfinnen und Grafen sich unter Stand verheirateten, also eine sogenannte ‚Missheirat‘ oder ‚Mesalliance‘156 eingingen, und wie dies von anderen Akteuren wahrgenommen wurde. Zunächst ist aber zu klären, wie viele Missheiraten es im Zeitraum überhaupt gegeben hat, um den Stellenwert des Phänomens bestimmen zu können. Eine quantitative Erhebung wird allerdings dadurch erschwert, dass sich eine abstrakte Definition von Missheiraten kaum formulieren lässt, da die Zeitgenossen im Einzelfall ganz unterschiedlich und subjektiv urteilten. Die untersuchten Grafenhäuser selbst stellten keine formalisierten Normen bezüglich der ständischen Qualität der akzeptierten Heiratspartner auf, sondern orientierten sich am Herkommen. Vielfach gab es rechtliche Grauzonen und Uneindeutigkeiten über die Bestimmung ungleicher Ehen sowie eine ganze Palette an Möglichkeiten im Umgang mit ihnen.157 Klare Verstöße gegen die soziale Ordnung waren allerdings Heiraten ­zwischen Adligen und Nichtadligen, und auch die Grenze z­ wischen Hoch- und Niederadel wurde seit dem 16. Jahrhundert so deutlich gezogen, dass überschreitende Verbindungen häufig als Missheirat wahrgenommen wurden.158 Die dieser Einschätzung zugrunde liegenden Normen waren dabei rein sozialer Natur und hatten sich im Adel erst seit dem 15. Jahrhundert allmählich herausgebildet,159 während die ­Kirche rechtlich keine Einwände gegen ­solche Eheschließungen hatte, wie Cyriakus Spangenberg in seinem Adels-­Spiegel deutlich macht: Sie sollen sich auch nach jhres gleichen vmbsehen. Denn ob es wol nicht wider Gott noch wider Recht ist / das einer vom Adel vber sich freye / eine Gräuin / oder auch höhers Stands / oder vnter sich eines ehrlichen Bürgers oder Bawren Tochter neme / denn solches an jhm selbst nicht vnrecht noch vnchristlich ist / vnd auch etwan bißweilen so gar vbel nicht gelinget / so gerhaten doch mehrmals die höhern Heyrhaten selten wol / das nicht etwas 156 Beide Begriffe wurden zwar erst im 18. Jahrhundert geläufig, man nahm das Phänomen standesungleicher Ehen jedoch auch schon avant la lettre negativ wahr, wobei man sich sprachlich mit „Benennungen von Rangkonstellationen“ behalf; Sikora, Art. Missheirat, Sp. 1558. 157 Grundlegend dazu: Sikora, Mausdreck; sowie Ders., Ungleiche Verbindlichkeiten; Ders., Umgang. 158 Vgl. Schönpflug, Heiraten, S. 91 – 95; Sikora, Ungleiche Verbindlichkeiten, Abs. 7; Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 232. 159 Vgl. Sikora, Ehe, S. 105 f.

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beschwerlichs vnd vnrichtigs sich daraus entspinnen solte / als verachtung / fürwurff / rc. darüber man darnach zu klagen hat / vnd zu beichten / das man wolte / man were bey seines gleichen geblieben.160

Spangenbergs etwas kraftlos wirkende Begründung für eine Einhaltung der ständischen Grenzen mit der Vermeidung ehelichen Unfriedens ­zwischen ungleichen Partnern war im 16. und 17. Jahrhundert weit verbreitet.161 Das heißt freilich nicht, dass sie mit dem tatsächlichen sozialen Sinn dieser Praxis deckungsgleich war. Dieser bestand vielmehr in der Aufrechterhaltung des Systems der endogamen Akkumulation von Herrschaft, Besitz und Status, auf dem letztlich die gesamte ständische Gesellschaftsordnung aufruhte.162 Da der Rang einer Dynastie zu einem nicht unbeträchtlichen Teil vom Adel ihrer Vorfahren abhing und ein standesgemäßes Konnubium diesen Rang in Form der Akzeptanz durch die Standesgenossen abbildete, bedeutete die kleinste Abweichung davon eine Bedrohung für die soziale Stellung der gegenwärtigen und mehr noch der zukünftigen Angehörigen der Dynastie. Denn war erst einmal eine Mesalliance geschlossen, galten auch die aus ihr hervorgehenden Kinder als ständisch minderwertig, sodass die zum Teil über Generationen gehütete ‚Reinheit‘ der Abstammung mit einem Schlag zunichte gemacht wurde.163 Gerade bei den Grafen von Waldeck war dies nicht unproblematisch, denn wie viele ihrer Standesgenossen hatten sie beständig darum zu kämpfen, im Kreis des reichsunmittelbaren Hochadels anerkannt zu werden.164 Daneben ging es vor allem um die Frage der Erbund Sukzessionsfähigkeit von Söhnen aus standesverschiedenen Ehen. Wurde eine ­solche ausdrücklich als morganatische Ehe oder ‚Ehe zur linken Hand‘ geschlossen, blieben den daraus hervorgehenden Nachkommen von vorherein sämtliche Erbund Sukzessionsrechte versagt. Dadurch bot sich diese Rechtsform als strategisches Mittel besonders in solchen Fällen an, wo schon Söhne aus einer früheren standesgemäßen Ehe existierten, die die Erbfolge sicherten.165 War dagegen eine vollgültige Ehe ohne rechtliche Beschränkungen geschlossen worden, gab es keine eindeutige Regel, ob die daraus hervorgehenden Kinder als Erben anerkannt werden mussten, was regelmäßig zu schweren Auseinandersetzungen über deren Ansprüche führte. Gegenüber Missheiraten von regierenden Grafen waren ­solche von Nichtregenten oder von Töchtern weitaus weniger bedrohlich für den dynastischen Verband, da hier die Status- und Herrschaftssicherung nur mittelbar betroffen war. 1 60 Spangenberg, Adels-­Spiegel, 2. Teil, fol. 129r. 161 Vgl. Schönpflug, Heiraten, S. 92. 162 Vgl. ebd., S. 105; Sikora, Ungleiche Verbindlichkeiten, Abs. 4. 163 Vgl. Sikora, Umgang, S. 97. 164 Vgl. zu Waldeck Menk, Aspekte; Ders., Beziehungen, bes. S. 93 – 188. 165 Vgl. Sikora, Ungleiche Verbindlichkeiten, Abs. 17 – 19; Schönpflug, Heiraten, S. 104 f.; Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 64 – 66; Knöfel, Dynastie, S. 57 – 59; Walther, (Un-)Ordnung, S. 57 f.

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Um also auf die Frage der Häufigkeit des Phänomens zurückzukommen, muss zunächst eingeräumt werden, dass es keine eindeutige Antwort gibt. Explizite Normen existierten im Untersuchungszeitraum nicht, sodass der Blick einmal mehr auf die soziale Praxis gerichtet werden muss. Wie bei den Erbkonflikten galt auch hier, dass die Ordnung sich besonders dann zu erkennen gab, wenn Versuche unternommen wurden, gegen sie zu verstoßen. Statt im Nachhinein bestimmte Eheverbindungen anhand der ständischen Stellung der Partner als (nicht) standesgemäß zu qualifizieren, sollen daher Konflikte in den Blick genommen werden, die sich um bestimmte Heiraten entspannen. Auch zeitgenössische Urteile über die ständische Qualität der Heiratsverbindungen, wie sie sich vor allem in Briefen finden lassen, können Hinweise liefern. Als relativ sicher kann gelten, dass es bei den Lipper Grafen ­zwischen 1450 und 1650 keine einzige als Missheirat wahrgenommene Eheschließung gegeben hat, da weder Konflikte dazu überliefert sind, noch die Ehepartner ständisch in irgendeiner Weise ‚verdächtig‘ waren. Bei den Grafen von Waldeck, auf die sich die Untersuchung im Folgenden konzentrieren wird, lassen sich hingegen mindestens drei Missheiraten sowie eine Reihe von Grenzfällen identifizieren. Doch ­welchen Sinn konnte es haben, trotz der skizzierten Gefahren eine Missheirat einzugehen? Zwei grundsätzliche Erklärungsansätze sind zu unterscheiden. Der erste stellt die Eigeninteressen und Motive der Akteure in Rechnung, geht also von der emotionalen Zuneigung z­ wischen zwei Partnern aus, die sich auch gegen Widerstände seitens der Familie durchsetzt. Aus dieser Perspektive stellt sich eine Missheirat als „manifester Ausweis von Eigensinn eines adeligen Akteurs“166 dar. Der zweite Ansatz fragt nach dem Nutzen, den eine Missheirat möglicherweise für die höherrangige Familie haben konnte. So steht etwa zu vermuten, dass einige der Kriterien der Partnerwahl kompensativ behandelt werden konnten: Ließen etwaige politische oder ökonomische Vorteile über ständische Unzulänglichkeiten hinwegsehen? Auch Überlegungen zur eingeschränkten Erbberechtigung der aus der Ehe hervorgehenden Kinder sind einzubeziehen. Ließen sich Missheiraten also auch strategisch einsetzen, um Herrschaft und Besitz zu wahren? Beide Erklärungsversuche gilt es zu berücksichtigen, wenn vor dem Hintergrund der Integrationsbestrebungen der Dynastie danach gefragt wird, wie sich die Individuen zur Gruppe verhielten, ob sie mit bestimmten Erwartungen und Normen konfrontiert wurden und wie sie mit diesen umgingen. Ein dramatisch anmutendes Beispiel für eine Liebesheirat wider alle Vernunft ist zwar im Untersuchungszeitraum durch keinen direkten Spross der ­Waldecker Grafen belegt,167 wohl aber durch die Witwe des Wildunger Grafen Samuel, 1 66 Jendorff, Eigenmacht, S. 634. 167 Siehe allerdings das Beispiel der Sophie Elisabeth von Waldeck, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts gegen den Willen ihrer Familie den Niederadligen Friedrich August von Vogelsang

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Anna Maria, geborene Gräfin von Schwarzburg, die sich noch vor Ablauf des Trauerjahres 1570 heimlich mit dem Marburger Bürger Gobert Rabe vermählte. Obschon die Eheschließung seitens der Waldecker sowie der Schwarzburger Herkunftsfamilie nicht anerkannt wurde, hatte Anna Maria nach allgemeiner Ansicht durch diesen Schritt ihr Wittum verwirkt und sollte, so empfahl es der hessische Landgraf Wilhelm, bei kärglichster Versorgung gefangen gehalten werden. Ihr müsse klargemacht werden, das sie nunmehr der grefflichen tracta­ tion entwehnen und sich so woll in essen und trincken als sonsten in allem andern burgerlichen halten muße 168. Der Spott, der aus diesen Zeilen spricht, verdeckt kaum die ernsthafte Empörung über die unstatthafte Überschreitung der ständischen Grenzen. Indem Anna Maria einen Bürgerlichen geheiratet hatte, ging sie in dessen Stand über und hatte sich dementsprechend auch nur mit einem bürgerlichen Lebensstandard zu begnügen. Zur Strafe ihres Ungehorsams wurde sie schließlich im Kloster Höhnscheid isoliert, wo sie 1583 nach siebenjähriger Gefangenschaft starb.169 Normalerweise waren an die Missheiraten im Haus Waldeck jedoch nicht solch tragische Schicksale geknüpft, vielmehr entschied man sich in der Regel bewusst für sie, etwa um die Zahl der erbberechtigten Nachkommen zu begrenzen. Ein gutes Beispiel hierfür stellt Philipp IV. von Waldeck-­Wildungen dar, der 1554 – in fortgeschrittenem Alter – bereits zwei Ehen geschlossen hatte, aus deren ­erster vier legitime Söhne hervorgegangen waren, sodass seine Nachfolge gesichert schien. Dennoch spielte er mit dem Gedanken, sich ein drittes Mal zu vermählen. Sein Rat Hermann Ulner stand einer neuerlichen Heirat Philipps allerdings skeptisch gegenüber: Denn solten aus eyner dritten Ehe mehr Gravelichs geschlechts erben ervolgen, hetten seyne gnade als der verstendige abtzunehmen, was nachteil und beschwerung den Andern kindern darab erwachßen wurde.170 Allerdings war Ulner die ungebrochene Vitalität des 61-jährigen Grafen bekannt, sodass er eine neue Ehe – ganz im Rahmen der lutherischen Sexualmoral – insofern befürwortete, als sie ihn aus dem sundthafftigen, ergerlichen, verdamlichen weßen, darin sein Gnaden Gott erbarms itzunder stecken 171, herausholen würde. Diplomatisch schlug er daher die Heirat mit einer Adligen oder gar Bürgerlichen vor, die die Sexualität des Grafen wieder in legitime Bahnen zu lenken vermochte, womöglich heiratete, in: Westphal/Schmidt-­Voges/Baumann, Venus, S. 38 – 4 0. 168 HS tAM , 115/01, Nr. 809, Schreiben des Landgrafen Wilhelm an Justus Scheffer vom 06. 11. 1571. 169 Vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 28. Die überlieferten Ausgabenverzeichnisse des Vogts von Höhnscheid zeigen immerhin, dass es ihr an Lebensmitteln und Wein nicht mangelte; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 809. 170 HStAM, 115/01, Nr. 45, fol. 8v. 171 Ebd.

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eine ansehnliche Mitgift einbringen und – das war die Hauptsache – keine zur Sukzession berechtigten Nachkommen hervorbringen würde: Dann were es schon vor der weltt ettwas verachtlich mitt geringern und nit seines gleichen tzuvermhalen, so were es doch vor gott, der keyn ansehens der perßon hatt, herlich angenem und gefellig, mochten auch die erben, so aus solcher ehe getzeugett, mitt einem geringen gesettigt und versorgt werden.172

Indes ging Philipp auf den Vorschlag seines Rates nicht ein, sondern schritt zur Ehe mit der Gräfin Jutta von Ysenburg-­Grenzau, was bei seinen vier erwachsenen Söhnen die Alarmglocken läuten ließ. Sie baten ihren Vater daher inständig, in den Ehevertrag eine Klausel aufzunehmen, dass Söhne aus dieser neuen Ehe keinerlei Erbansprüche auf die Grafschaft hätten.173 Diesem Wunsch entsprach Philipp jedoch nicht.174 Da Jutta allerdings nur zwei Töchter zur Welt brachte, kam es fürderhin nicht zu Konflikten um die Erbfolge. Als ganz standesgemäß wurde im Übrigen auch diese Ehe nicht angesehen, wie aus einem Gutachten des Grafen Johann VI. von Nassau-­Dillenburg an Philipp Ludwig von Hanau-­Münzenberg aus dem Jahr 1575 hervorgeht. Darin riet der Nassauer seinem Mündel dringend von einer Ehe mit einer Waldeckerin, namentlich Magdalena, einer Tochter aus besagter dritter Ehe Philipps, ab, da deren ­Mutter einer Mesalliance entsprossen sei.175 Auch weitere unstandesgemäße Verbindungen im Haus Waldeck waren dem Nassauer bekannt, so etwa die von Heinrich IX ., einem Halbbruder der ­Magdalena, mit der Niederadligen Anna von Viermund sowie seines Landauer Vetters Franz II . mit Maria Gogreve. Man würde durch eine Heirat mit einer Waldecker Gräfin also eher in die Verwandtschaft zu Niederadligen geraten, denn alles in allem besitze Philipp IV. nur eine sehr geringe freuntschaft 176. Wie konnte es zu dieser negativen Einschätzung des Waldecker Konnubiums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts kommen? Zur Beantwortung dieser Frage müssen die genannten Verbindungen genauer in den Blick genommen werden. Ausschlaggebend für die 1563 eingegangene Ehe Heinrichs mit Anna von Viermund war von Grafenseite wohl der Reichtum der in Waldeck, Hessen und Westfalen begüterten Brautfamilie, die zu den Ständen der Grafschaft zählte.177 Annas Vater, der wohlhabende Waldecker Drost Hermann von Viermund, 172 Ebd. 173 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 681, Erklärung zur Eheschließung Philipps IV. vom 21. 09. 1554. 174 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 98, Ehevertrag vom 19. 09. 1554. 175 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 548 – 550. Jutta war die Tochter Salentins VII . von Ysenburg-­Grenzau und der in den Grafenstand erhobenen Niederadligen Elisabeth Vogt von Hunolstein. 176 Aus dem Gutachten von 1575, zit. nach Schmidt, Grafenverein, S. 549. 177 Vgl. Landau, Anna von Viermund, S. 32 – 38.

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war im selben Jahr gestorben und hatte außer ihr nur einen illegitimen Sohn hinterlassen. Im Ehevertrag, der freilich ohne Beteiligung der Viermünder Verwandten zustande kam, wurde festgelegt, dass die Braut ihr gesamtes elterliches Erbe in die Ehe einbringen, und ­dieses selbst im Falle des Ausbleibens ehelicher Kinder in das gräfliche Vermögen übergehen sollte.178 Mit Unterstützung ihres Schwiegervaters Philipp IV . kämpfte Anna in den folgenden Jahren gegen ihre drei Cousins um den Nachlass ihres Vaters.179 An d­ iesem Fall wird deutlich, wie dem zu erwartenden materiellen Zuwachs der Vorzug vor dem symbolischen Kapital eingeräumt wurde. Erleichtert wurde das großzügige Hinwegsehen über den mangelhaften Rang der Braut auch durch den Umstand, dass Heinrich ein nachgeborener Sohn war, für den es nicht vorrangig um die Zeugung hoch­ adliger Nachkommen ging. Allerdings ging das ökonomische Kalkül, das hinter dem Eheprojekt gesteckt hatte, letztlich nicht auf, da Anna das viermündische Erbe erst nach dem Tod ihres Gatten mit Unterstützung des Reichskammergerichtspräsidenten Kuno von Winnenberg-­Beilstein erlangte, mit dem sie sich schließlich auch vermählte. Im gleichen Jahr wie Heinrich heiratete auch dessen Verwandter aus der Landauer Linie, Franz II ., namentlich die Tochter des jülich-­bergischen Kanzlers Johannes Gogreve, Maria. Diese Eheschließung wurde nachweislich von Herzog Wilhelm V. von Jülich-­Kleve-­Berg gefördert, der das Paar nicht nur lebenslang in dem von ihm zu Pfand gehenden Schloss Beyenburg wohnen ließ, sondern ihnen auch die Summe von 5000 Gulden lieh.180 Falls die Verbindung von den involvierten Zeitgenossen als Missheirat empfunden wurde, so schlug sich dies in ihren Briefen nicht nieder. Anders sah die Sache bei Franz’ Bruder Philipp V. aus. D ­ ieser war 1573 schon in fortgeschrittenem Alter, als er sich mit dem Gedanken trug, eine gemithulffinne mit gotts hilff auß zusehen und bei mich in eyner lieb anzunhemen, die mir diene, mich troiste und erfruwe, meine traubsellicheit lindere und in meinem Creutz, Einsamheit und ledsten tagen sich meiner von hertzen ahnneme 181.

In einem Brief an seine Schwester Katharina stellte Philipp einige Überlegungen darüber an, w ­ elche Art von Frau ihn in seiner von Altersschwäche und beschränkten finanziellen Ressourcen geprägten Lage überhaupt zum Gatten nehmen würde. Eine Person von gräflicher Herkunft schien ihm vor d­ iesem Hintergrund ungeeignet, da sie angemessen unterhalten sein wolle und vor ihm womöglich eyn 178 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 783, Konzept des Ehevertrags vom Dezember 1563. 179 Vgl. Landau, Anna von Viermund, S. 39 – 47. Der Konflikt verlief im Übrigen auch quer durch die Waldecker Dynastie, da Wolrad II. aus der Eisenberger Linie gegen Anna, Heinrich und Philipp IV. aufseiten der Viermünder Agnaten stand. 180 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 903 sowie Nr. 908. 181 HStAM, 115/01, Nr. 923, Philipp an seine Schwester Katharina, 31. 03. 1573.

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abscheuwes trage 182. Auch suche er eine Frau, die mir nicht eine grossen ahnhang teglich zu Hauß bringe, deren ich auch besunder keine sunderliche grosse frauwen Zimmer underhalten darff 183. Annehmbar erschien es ihm daher, eine Frau seines Alters aus dem Niederadel zu wählen, w ­ elche seine oben aufgezählten Ansprüche erfüllen konnte. Dabei hatte er bereits eine bestimmte Person im Kopf, namentlich die aus dem Ravensbergischen stammende Elisabeth von Elssen 184. Seine Schwester wünschte ihm Gottes Segen zu d­ iesem Ehevorhaben, riet aber dazu, auch ihren gemeinsamen Bruder Franz um Rat zu fragen.185 Drei Jahre später kam die Ehe tatsächlich zustande.186 Eine Heirat ­zwischen einem Grafen und einer Niederadligen lag also im Bereich des Möglichen und hatte den großen Vorteil, ohne allzu kostspieligen Aufwand zelebriert zu werden, sodass auch ein unvermögender, nichtregierender Spross wie Philipp V. noch im Alter zur Ehe schreiten konnte. Problematisiert wurde der ständische Unterschied ­zwischen den beiden Eheleuten in den eingesehenen Quellen nicht. Gründe für standesungleiche Heiraten gab es also hinreichend. Während die individuelle, sich dynastischen und gesellschaftlichen Normen widersetzende Liebe nur im Ausnahmefall vorkam (Anna Maria), waren es oft strategische Überlegungen, die dafür sprachen, wie etwa die Einschränkung des Kreises der Erbberechtigen (Philipp IV .), die Einsparung einer hohen Widerlage und standesgemäßen Unterhaltung der Gemahlin (Philipp V.) oder die Aussicht auf eine ansehnliche Erbschaft (Heinrich IX .). Dabei wird aus den geschilderten Fällen deutlich, dass mit der Kategorie ‚Missheirat‘ äußerst vorsichtig umgegangen werden sollte. Ein und dieselbe Eheverbindung konnte in verschiedenen Kontexten von verschiedenen Personen vollkommen unterschiedlich bewertet ­werden. Häufig wurden ausschließlich die Vorteile einer solchen Verbindung hervorgehoben und der Standesunterschied der Eheleute kam gar nicht zur Sprache. Dieses ‚Anpreisen‘ lässt sich allerdings gerade als Reaktion auf antizipierte Zweifel an der ständischen Qualität interpretieren. Dass die Ehen in anderen Zusammenhängen durchaus negativ eingeschätzt wurden, zeigt das Gutachten Johanns VI . von Nassau-­Dillenburg, der vor der geringen Freundschaft der Waldecker Grafen warnte – bevor er einige Jahre später seinen eigenen Sohn mit besagter ­Magdalena von Waldeck verheiratete. Ständische Qualität und die Überschreitung von Standes­grenzen unterlagen also der Wahrnehmung der Zeitgenossen, w ­ elche standortgebunden und teilweise interessegeleitet war. Ohne Frage handelte es sich bei der erwarteten Ebenbürtigkeit der Ehepartner dennoch um 182 Ebd. 183 Ebd. 184 Zu ihr siehe Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 159. 185 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 923, Schreiben vom 07. 04. 1573. 186 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 912.

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eine allgemein akzeptierte soziale Norm; dies zeigen ja die zahlreichen standesgemäßen Ehen in beiden Häusern sowie das Fehlen jeglicher Missheiraten bei den Grafen zur Lippe im Untersuchungszeitraum. Aber diese Norm ließ sich, solange es keine festgeschriebenen Kriterien gab, flexibel handhaben oder gar ignorieren. Erst seit dem späteren 17. Jahrhundert mehrten sich Versuche, die Frage s­ tandesungleicher Ehen in feste juristische Kategorien zu übersetzen, doch auch am Ende des 18. Jahrhunderts herrschte darüber noch keine Eindeutigkeit.187 Nach der Untersuchung der möglichen Motive scheint ein genauerer Blick auf diejenigen Dynastieangehörigen, die sich unstandesgemäß vermählten, weitere Aufklärung zu bringen. Auffällig ist, dass auch bei den Grafen von Waldeck kein einziger Regent zu einer Missheirat schritt, sondern sich diese auf nichtregierende Angehörige beschränkten. Philipp IV. als Wildunger Regent hatte zwar mit dem Gedanken gespielt, sich dann aber doch für eine Gräfin von Ysenburg-­ Grenzau entschieden.188 Heinrich IX., Franz II. und Philipp V. hatten hingegen zum Zeitpunkt ihrer Heirat keinen Anteil an der Regierung und waren auch nicht unmittelbar für die Produktion von Nachkommen ausersehen. Franz und Philipp waren zuvor sogar Domherren gewesen und heirateten relativ spät im Leben. Georg Schmidt vermutet angesichts der auffälligen Kinderlosigkeit dieser Ehen, dass es womöglich doch Kinder gegeben habe, diese aufgrund der fehlenden Ebenbürtigkeit der Mütter jedoch keinen Eingang in die genealogischen Aufzeichnungen gefunden haben, da sie ohnehin nicht erbberechtigt waren.189 Waren die Waldecker Missheiraten mithin auch ein ganz gezielt eingesetztes Mittel, um die erbberechtigte Nachkommenschaft in der Landauer Linie zu begrenzen? Zunächst einmal waren Kinder aus Missheiraten nicht von vornherein vom Erbe ausgeschlossen, sondern nur dann, wenn es sich um morganatische Ehen handelte. Zumindest Heinrich schloss aber nachweislich eine vollgültige Ehe mit Anna von Viermund,190 während für die anderen beiden Ehen kein Ehevertrag überliefert ist. Es findet sich in den archivalischen Quellen allerdings nicht der kleinste Hinweis auf Nachkommen, und auch der äußerst sorgfältige Chronist Varnhagen hält alle drei Ehen für tatsächlich kinderlos.191 Ob es sich also um bewusst morganatisch 187 Vgl. Sikora, Ehe, S. 124; Stollberg-­Rilinger, Grafenstand, S. 49 – 52. Für den Stand des zeitgenössischen Rechtsdiskurses siehe Pütter, Ueber Mißheiraten. 188 Seine zweite Ehe war er allerdings 1539 mit einer von Hatzfeld eingegangen, deren ständische Qualität wohl grenzwertig war, jedoch nicht zu Skandalisierungen geführt hatte. 189 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 497 u. 548. Vgl. dazu auch Sikora, Mausdreck, S. 209: „Paradoxerweise profitierten die Agnaten eigentlich weniger von einer verhinderten Mißheirat als von einer tatsächlich geschlossenen Mesalliance, falls deren Nachkommen die Sukzessionsfähigkeit bestritten werden konnte. Das war dann so gut, als ob der mißverheiratete Fürst keine Kinder und Erben hinterließ.“ 190 Vgl. den Ehevertrag in HStAM, 115/01, Nr. 783. 191 Vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 65, 159 u. 163.

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geschlossene Ehen handelte, ist nicht mit Sicherheit festzustellen; da jedoch mit einiger Wahrscheinlichkeit ohnehin keine Kinder aus ihnen hervorgingen, blieben auch mögliche Sukzessions- und Erbkonflikte aus. Für nichtregierende Agnaten war seit der Einführung der Reformation also ein neues Rollenmodell entstanden, das angetan war, die geringer werdenden Möglichkeiten beim geistlichen Pfründenerwerb auszugleichen: das des verheirateten, apanagierten Grafen. Die Erhöhung der Heiratszahlen hing sicherlich nicht zuletzt mit der von den Reformatoren propagierten Wertschätzung der ehelichen Lebensgemeinschaft zusammen. Diese spiegelt sich etwa im Wunsch Philipps V. nach einer gemithulffinne. Bei der Wahl ihrer Gemahlinnen blieben den apanagierten Grafen relativ große Entscheidungsfreiräume, wenngleich der Konsens der Agnaten gewöhnlich eingeholt werden musste. Dieser wurde bei den Waldeckern in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aus allerlei Gründen auch für ständisch tiefer stehende Personen erteilt, was freilich zu einer allmählichen Abwertung des Konnubiums führte, die schließlich auch von den Standesgenossen registriert wurde. Vereinzelte Mesalliancen, insbesondere Nachgeborener, konnten anscheinend durchaus in Kauf genommen werden, denn die Logik der Ebenbürtigkeit impliziert ja, dass eine Verbindung, die als Missheirat skandalisiert wurde, den Rang des Höherstehenden und seiner Dynastie prinzipiell bestätigte. Erst eine Häufung konnte auf Dauer negative Folgen zeitigen. Gleichwohl führten die Missheiraten in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu keiner dauerhaften Rangminderung der Waldecker, denn ihre späteren Heiratspartner entstammten wieder dem gräflichen und zum Teil sogar fürstlichen Hochadel. Erst nach dem Westfälischen Frieden sollte es auch zu normativen Einhegungen des Phänomens der Missheiraten kommen, obschon es in der Praxis inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. In den Maximen so meinem Hause nötig und nützlich erachte wies Georg Friedrich die Angehörigen seiner Dynastie an, sich im Heurahten so [zu] comportiren, daß Sie nicht als an alter Fürsten und Graffen sich vermählen, und durch deren Verwandtschafft sich manuteniren 192. Auf Ebene der förmlichen Hausverträge fand schließlich eine Klausel Eingang in die sogenannten Verbesserungspunkte zur Primogenitur von 1687, nach der ein jeder Graf, der eine Mesalliance einging, samt Nachkommen seinen Sukzessionsanspruch und die Hälfte seines Deputats verlor.193 Damit sollten alle Missheiraten 192 HS tAM , 115/01, Nr. 1551, Auszüge aus den Maximen. Bezeichnenderweise zog Georg ­Friedrich die Grenze ­zwischen Hoch- und Niederadel sehr scharf, während er das gemeinsame Konnubium von Grafen und Fürsten betonte: Daß auch Churfürsten und Graffen ohne sich zu mesaligiren untereinander bißhero geheurahtet und also mit Blut vermischet, zeigen die Ahnen an, so die meiste Gräffliche Familien ohne Gegensprach produciren, und daß es den Fürsten keine Schande seye von Gräffinnen gebohren zuseyn. 193 Vgl. Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 3, S. 400.

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von vornherein zu morganatischen Ehen erklärt werden, um unangenehme rechtliche Folgen für die Dynastie zu verhindern.194 Der Ausschluss von der Sukzession traf dabei aber nicht nur die Nachkommen aus einer solchen Ehe, sondern ebenso denjenigen, der sie eingegangen war. Schon Johann Stephan Pütter hat richtig erkannt, dass dies der Kontinuitätssicherung dienen sollte, denn auf diese Weise konnte der Zweitälteste bereits frühzeitig sukzedieren, heiraten und standesgemäße Nachkommen zeugen. Diese Regel funktionierte indes nur, wenn die Missheirat vor der Sukzession stattgefunden hatte. Gegen regierende Grafen hatten die übrigen Agnaten letztlich wenig in der Hand.195 3.1.5 Mischehen zwischen Lutheranern und Reformierten So wie trotz strenger Standesgrenzen auch Missheiraten geschlossen wurden, kam es entgegen der grundsätzlichen Tendenz zur konfessionellen Homogenisierung des Konnubiums gelegentlich zu Eheschließungen ­zwischen Angehörigen unterschiedlicher Konfessionen. Ebenso wie die fehlende Ebenbürtigkeit konnte die abweichende Konfessionszugehörigkeit eines Gatten zu Spannungen innerhalb der Ehe selbst, vor allem aber in der weiteren verwandtschaftlichen Umgebung und selbst in der Sphäre des Politischen führen. Vor der Untersuchung der auch bei den Lipper und Waldecker Grafen vorkommenden konfessionsverschiedenen Ehen ist allerdings auf eine methodische Schwierigkeit hinzuweisen. Die Zugehörigkeit eines historischen Akteurs zu einer bestimmten Konfession ist aus einer Vielzahl von Gründen oft nicht leicht zu bestimmen, sei es aufgrund einer unübersichtlichen Quellenlage, oder weil sich die betreffende Person zeitlebens nicht klar bekannt hat.196 Dieses Problem ist insbesondere für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts virulent, da sich die Grenzen der Konfessionen hier gerade erst herauszubilden begannen, sodass eine eindeutige Zuordnung überhaupt nicht möglich ist. Doch auch wenn die Vorstellung in sich homogener und nach außen voneinander klar abgegrenzter konfessioneller Systeme für die Frühe Neuzeit insgesamt kaum trägt, lassen sich im Zuge der Bekenntnisbildung einige Schwellendaten ausmachen, die zu einer stärkeren Distinktion führten. So steht die Confessio Augustana von 1530 zweifellos für eine theologische Standortbestimmung der Lutheraner in Abgrenzung zur katholischen Lehre, die mit den tridentinischen Dekreten reagierte, während die 1577 verabschiedete Konkordienformel die Trennung des 194 Vgl. Sikora, Mausdreck, S. 220. 195 Vgl. Pütter, Ueber Mißheiraten, S. 211 – 213. 196 Nicht umsonst betont die neuere Konfessionalisierungsforschung die unklaren Grenzen, Übergangsbereiche und inneren Pluralitäten der Konfessionen sowie Dissimulierungsstrategien der Akteure; vgl. Pietsch/Stollberg-­Rilinger (Hg.), Konfessionelle Ambiguität.

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lutherischen vom reformierten Bekenntnis, welches sich ihr nicht anschließen mochte, vorantrieb.197 Auch wenn sich diese Unterscheidungen nicht eins zu eins auf die Ebene der Akteure übertragen lassen, erscheint es gerechtfertigt, spätestens ab dem letzten Viertel des 16. Jahrhunderts von distinkten Konfessionen und somit auch von konfessionsverschiedenen Ehen zu sprechen. Analog zum Vorgehen bei der Untersuchung der Missheiraten ist es dabei allerdings sinnvoll, auf die kommunikativen Akte zu fokussieren, die die Eheschließung ­zwischen zwei mutmaßlich konfessionell unterschiedlichen Partnern begleiteten, um methodische Sicherheit über die von den Zeitgenossen wahrgenommenen Differenzen und den Umgang mit ihnen zu gewinnen. In erster Linie wird mit einer konfessionsverschiedenen Ehe oder bikonfessionellen Mischehe 198 eine eheliche Verbindung ­zwischen Katholiken und Protestanten bezeichnet, w ­ elche in der Frühen Neuzeit jedoch nur in seltenen Fällen geschlossen wurde.199 Die meisten Theologen lehnten sie rundheraus ab, und auch pragmatische Überlegungen in Bezug auf ein harmonisches Zusammenleben führten dazu, dass nicht wenige Eheprojekte im Vorfeld an der unterschiedlichen Konfession der Ehepartner scheiterten.200 Innerprotestantische Mischehen, also ­solche ­zwischen Lutheranern und Reformierten,201 kamen, wie in Kapitel 3.1.3 gezeigt wurde, trotz theologischer Bedenken in der Praxis ungleich häufiger vor. Dennoch lauerte auch hier stets die „Gefahr der religiösen Infiltrierung sowie der Konversion“202, sodass die Stiftung einer solchen Verbindung wohlüberlegt sein wollte. So fürchtete man etwa – oft nicht zu Unrecht –, einer der Ehegatten würde versuchen, den anderen religiös zu beeinflussen, und ihn letztlich zu einem 197 Vgl. Kaufmann, Art. Konfessionalisierung, Abschnitt 2.1. 198 Über die Terminologie besteht in der Forschung keine Einigkeit. Während Hufschmidt, Krieg, S. 333, den Begriff der konfessionsverschiedenen Ehe bevorzugt, „da er stärker die in der Ehe beibehaltene Unterschiedlichkeit der Konfessionen betont“, plädiert Bei der Wieden, Letzte Grafen, S. 145, für den älteren, kirchenrechtlich fundierten Begriff der Mischehe. Dagmar Freist spricht in ihrer jüngst erschienenen Monographie zum Thema hingegen von „religiös-­konfessionell“ gemischten Ehen, um dem Aspekt der Subjektivierung in Abgrenzung von einem obrigkeitlich-­vereindeutigtem Konfessionsverständnis stärkeren Ausdruck zu verleihen; vgl. Freist, Glaube, S. 7. In vorliegender Arbeit werden die Begriffe der Mischehe und der konfessionsverschiedenen Ehe synonym verwendet. 199 Um derartige innereheliche Konfessionsunterschiede zu vermeiden, wurde häufig einer der beiden Partner – in der Regel die Braut – zur vorherigen Konversion gedrängt; vgl. Hufschmidt, Krieg, S. 343; Walther, (Un-)Ordnung, S. 64 f. 200 Vgl. Knöfel, Dynastie, S. 75; Kägler, Dynastische Ehen, S. 13. Auch Spangenberg, Adels-­Spiegel, 2. Teil, fol. 129r, riet seinen Lesern, sich nur mit Glaubensgenossen vnd Reli­ gionsverwandten zu vermählen. 201 Dass derartige Verbindungen „eindeutig als Mischehen“ zu klassifizieren sind, konstatiert auch Haas, Fürstenehen, S. 345. 202 Hufschmidt, Krieg, S. 339.

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Glaubenswechsel drängen. Aber auch ohne Bekehrungsversuche schienen mit einer Mischehe zahlreiche Probleme verbunden zu sein, sodass sie nur dann eingegangen wurde, wenn die Vorteile deutlich überwogen. Dies konnte die Erschließung neuer Allianzen durch die verwandtschaftlichen Beziehungen zur Brautfamilie sein, aber auch die markante Erhöhung des symbolischen oder ökonomischen Kapitals der Dynastie. Im Gegensatz zur Mesalliance mit ständisch Niederrangigen führte die konfessionelle Mischehe nicht zu einer Verringerung des sozialen Ansehens bei den Standesgenossen. Kam eine derartige Verbindung zustande, wurde in den obligatorischen Ehevertrag oftmals eine sogenannte Religionsklausel mit aufgenommen, die die Folgen der Eheschließung kalkulierbar zu machen versuchte. Zunächst wurde der Braut üblicherweise zugesichert, dass sie auch in der Ehe ihren hergebrachten Glauben pflegen durfte. Dabei wurde ihr oft das Recht auf einen eigenen Seelsorger oder Hofprediger ihrer Konfession eingeräumt. Die Gottesdienste mussten allerdings in der Verborgenheit der engsten Vertrauten ihres Hofstaats abgehalten werden, um der Bevölkerung keinen Anreiz zu liefern, die Religion des Landesherrn infrage zu stellen.203 Damit sollte der Gewissensfreiheit der Frau in Glaubensdingen, die man oberhalb der Gehorsamspflicht ihrem Mann gegenüber verortete, Genüge getan und künftige Konflikte z­ wischen den Eheleuten vermieden werden.204 Gleichwohl gab es Fälle, in denen sich die Gatten nach der Hochzeit über die ehevertraglich ausgehandelten Freiräume und Privilegien hinwegsetzten. Eine weitere Gefahr, der im Ehevertrag vorgebaut werden sollte, betraf die konfessionelle Beeinflussung der Kinder des Paares durch die andersgläubige ­Mutter. Frauen wurde bei der religiösen Erziehung der Kinder sowohl in normativen Abhandlungen als auch in der Praxis eine zentrale Rolle zuerkannt.205 Eine Kindererziehung in der vom Vater abweichenden Konfession hätte mittelfristig einen Bekenntniswechsel innerhalb der Dynastie bedeutet, was es unbedingt zu verhindern galt. Die Religionsklausel sprach daher zumeist dem Vater die Entscheidung über die konfessionelle Erziehung der Kinder zu. Da die Söhne die Dynastie fortsetzen sollten, wurde bei ihnen, und namentlich beim designierten Regenten, besonders auf konfessionelle Kontinuität geachtet, während Töchter aus Mischehen gelegentlich im mütterlichen Glauben erzogen wurden, was die Möglichkeit zur späteren Eheschließung mit Anhängern dieser Konfession eröffnete.206 203 Vgl. Hufschmidt, Krieg, S. 347 – 351; Freist, Kinderkonversionen, S. 394; Walther, (Un-)Ordnung, S. 71 f.; sowie zum Niederadel: Hufschmidt, Adlige Frauen, S. 181 f. 204 Vgl. Freist, Glaubensfreiheit. 205 Vgl. Keller, Hüterin, S. 49 f.; Hufschmidt, Krieg, S. 340; Freist, Kinderkonversionen, S. 408 f. Allgemein: Husmeier, Regentenerziehung. 206 Vgl. Hufschmidt, Krieg, S. 350 f.; Freist, Kinderkonversionen, S. 394; Walther, (Un-)Ord­nung, S. 71  f.

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Insgesamt lassen sich in der Zeitspanne von der Übernahme des reformierten Bekenntnisses bis 1650 fünf innerprotestantische Mischehen im Haus Lippe nachweisen. Drei davon schlossen Töchter mit auswärtigen Grafen, was der Dynastie den Vorteil der Bündnispflege und ihre soziale Verortung im Kreis der alteingesessenen Reichsgrafenfamilien bot, ohne dass für sie durch die unterschiedliche Konfession Nachteile zu erwarten waren. Die beiden anderen Mischehen der Lipper zeitigten dagegen ungleich nachhaltigere Folgen für Dynastie und Land, da sie von den regierenden Grafen Simon VII . und seinem Nachfolger Simon Ludwig eingegangen wurden – bezeichnenderweise beide mit Waldecker Gräfinnen, die zudem Schwestern waren.207 Am 22. April 1623 schloss Simon VII . einen Ehevertrag mit Christian von Waldeck über seine Vermählung mit dessen Tochter Maria Magdalena.208 Darin bat sich der Brautvater für seine Tochter, die von Juegent auf im Catechismo Lutheri der Augspurgschen Confession und alten Christlichen K ­ irchen Ceremonien auferzogen worden sei, die freie Ausübung ihres Glaubens, den ungehinderten Zugang zum lutherischen Abendmahl sowie einen Seelsorger Ihrer Confession, woher es Ihro gefellig 209, aus. Das Festhalten an der eigenen Konfession auch nach dem Übergang in die Ehe und damit in die Familie des Mannes bedeutete auch ein bewusstes Bekenntnis zur Herkunftsdynastie, dem prononciert lutherischen Haus Waldeck. Möglicherweise besuchte Maria Magdalena in der Zeit ihrer Ehe sogar den Gottesdienst in den beiden Lemgoer Pfarrkirchen,210 denen sie später in ihrem Testament je 300 Reichstaler stiftete.211 Als Simon nach nur vier Ehejahren verstarb, zog die Witwe auf die ihr im Ehevertrag als Alterssitz vermachte Burg Schwalenberg im gleichnamigen Amt. Hier stand ihr zeitweise ein lutherischer Hofprediger zur Verfügung,212 doch kam es über die Gewährung eines eigenen Seelsorgers gelegentlich zu Streit mit der Landes­regierung.213 Ab 1648 war Christoph Röhrendorff Hofprediger in Schwalenberg und zugleich Pfarrer der benachbarten Gemeinde Falkenhagen, wo er aber bereits zwei Jahre später von Maria Magdalenas Stiefsohn, dem Grafen Johann Bernhard, seines Amtes enthoben und durch einen reformierten Pastor ersetzt 207 Vgl. hierzu auch Pieper, Grafenhaus, S. 130 – 134. 208 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 B, 22. 04. 1623; bzw. die (lückenhafte) Abschrift in: LAV NRW OWL , L 7 D IX, Nr. 1, fol. 1r–4r. 209 Ebd., fol. 3r–v. 210 Lemgo bewahrte trotz der Hinwendung der übrigen Grafschaft zum Calvinismus seinen lutherischen Glauben, welcher ihm 1617 im Röhrentruper Rezess von Simon VII . garantiert wurde. 211 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 47, Testament vom 04. 08. 1654. 212 Sandow, Gedichte, S. 120, erwähnt ohne genauere Jahresangabe den Hofprediger Grothe. 213 1636 beklagte sich die aufgrund einer Krankheit bettlägerige Maria Magdalena, dass die Schlosswache dem Prediger, den sie von Herford angefordert hatte, den Einlass verwehrt habe. Vgl. LAV NRW OWL, L 49 5/2, Nr. 1.a, Schreiben vom 25.08., 18.08. und 06. 09. 1636.

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wurde.214 In Detmold betrachtete man Maria Magdalenas Einsatz für den lutherischen Glauben, der weit über die ihr im Ehevertrag zugesicherte persönliche Seelsorge hinausging, mit großer Sorge, zumal die Witwe in Herzog August von Braunschweig-­Lüneburg einen mächtigen Verbündeten bei der Durchsetzung der lutherischen Konfession im Amt Schwalenberg fand. Auch ihr Sohn Jobst ­Hermann war ein entschiedener Anhänger der Lehren Luthers und setzte die von den ansässigen Untertanen mit Wohlwollen begleiteten Relutheranisierungs-­ Bestrebungen seiner ­Mutter fort, bis ihm von seinem Halbbruder Hermann Adolf schließlich Einhalt geboten wurde.215 Konfessionsverschiedene Ehen konnten also den Keim für einen Konfessionswechsel der Bevölkerung in sich tragen, insbesondere wenn es sich wie bei Maria Magdalena von Waldeck um eine Witwe mit relativ weitreichenden Befugnissen und Möglichkeiten innerhalb ihres Wittums handelte. Für den Landesherrn war ein solches Abweichen von der Konfession des Territoriums freilich nicht hinnehmbar, da er dies als Untergrabung seiner Autorität als oberster Kirchenherr begreifen musste. Zudem gab es in der Grafschaft mit der Stadt Lemgo bereits eine lutherische Enklave, deren Beharren auf ihrer Konfession letztlich mit einer erheblichen Autonomiesteigerung auf Kosten der landesherrlichen Macht einhergegangen war,216 sodass ein ähnlicher Fall in Schwalenberg unbedingt vermieden werden sollte. Auch die Erziehung der gräflichen Kinder im lutherischen Glauben war aus der Perspektive des Landesherrn und seiner Beamten eine Gefahr für den inneren Frieden. Ungünstig wirkte sich hier aus, dass die lippische Seite im Ehevertrag nicht auf einer Klausel betreffs der religiösen Erziehung der Kinder bestanden hatte, womöglich, da es sich um die zweite Ehe Simons gehandelt hatte und die Erbfolge durch einen der reformierten Söhne aus erster Ehe gesichert schien. Durch d­ ieses Fehlen einer Regelung konnte Maria Magdalena nach dem frühen Tod ihres Mannes zunächst ungehindert daran gehen, ihren Sohn Jobst Hermann mithilfe eines Präzeptors im lutherischen Glauben zu erziehen. Als er 1636 elf Jahre alt war, brachte sie ihn von Schwalenberg in die benachbarte, zu Waldeck gehörende Grafschaft Pyrmont, wo er nach lutherischem Ritus konfirmiert werden sollte. Dies kam ihrem Stiefsohn, dem seit 1631 regierenden Grafen Simon ­Ludwig, zu Ohren, der den Jungen in letzter Minute zurück nach Detmold bringen ließ. Gegenüber dem empörten Grafen Christian von Waldeck, von dem er nach der Aktion schriftlich zur Rede gestellt wurde, rechtfertigte sich Simon Ludwig, es sei ihm niemals in den Sinn gekommen, den Junggrafen seiner M ­ utter auß den händen zureißen, sein gewißen zu dominiren undt ihn mitt gewallt zu einer andern

214 Vgl. Mönks, Leben, S. 214 f.; Gerking, Grafen zur Lippe-­Biesterfeld, S. 128. 215 Vgl. ebd., S. 129 – 131; Butterweck, Lippische Landeskirche, S. 157 – 159. 216 Vgl. Schilling, Konfessionskonflikt, S. 354.

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confession […] zu treiben 217. Allerdings sei zu bedenken, dass in diesen von Krieg und Pest geplagten Zeiten kein Menschenleben sicher sei und Jobst Hermann – obschon relativ weit hinten in der Erbfolge – eines Tages Landesherr der Grafschaft Lippe werden könne. Er, Simon Ludwig, habe daher die geplante lutherische Konfirmation vorerst verhindert, da solches zumahl große unruhe, newerung undt wiedrigkeit […] da die succedirende anderer confession als die vorige sein sollten, ver­ ursachen wurde 218. Jobst Hermann solle zuerst seine annos discretionis erreichen und bis dahin zwar in der forcht gottes undt erkandtnus seines schöpffers, erlösers undt heilichmachers aufferzogen, mitt den disputationen undt fragen aber, so zwuschen uns undt genantten lutterischen sich enthallten, nicht irr gemacht 219 werden. Indem der Graf die Konfessionszugehörigkeit Jobst Hermanns an dessen dynastische Rolle und Funktion als potenzieller Regent knüpfte, wertete er sie zunächst auf, um sie gleich darauf als Ergebnis kleinlicher Theologendispute zu bagatellisieren. Sein Wunsch, Unruhe im Land zu vermeiden, deutet darauf hin, dass die Frage der Konfessionszugehörigkeit von Dynastiemitgliedern für ihn eine genuin politische Dimension hatte. Simon Ludwig verstand es als seine Herrscherpflicht, die reformierte Konfession in der Grafschaft wie auch in seinem Hause zu beschützen – nicht in erster Linie aus religiösen, sondern aus pragmatischen Gründen. Für Christian von Waldeck schien diese Frage hingegen rein religiöser Natur zu sein. Obschon er das Argument des Lippers, Jobst Hermanns konfessionelle Erziehung müsse seine mögliche Sukzession ins Kalkül ziehen, für einen unangemessenen Eingriff in den göttlichen Plan hielt, antwortete er beschwichtigend, er sei an einer Einmischung in die lippische Erbfolge nicht im Geringsten interessiert. Es gehe ihm allein um die Gewissensfreiheit seines Enkels.220 Indessen wollte Maria Magdalena den landesherrlichen Eingriff in die Erziehung ihres Sohnes nicht hinnehmen. Am Morgen, nachdem Jobst Hermann zurück nach Detmold gebracht worden war, floh sie mit ihm in aller Frühe nach Herford, um in der dortigen Reichsabtei um Asyl zu bitten.221 Die Äbtissin 217 HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 20. 07. 1636. 218 Ebd. 219 Ebd. Wann diese annos discretionis, also die Religionsmündigkeit des Kindes erreicht sein würden, war in der Frühen Neuzeit ­zwischen den Konfessionen allerdings umstritten und keineswegs rechtlich fixiert. Die Protestanten plädierten gegenüber Katholiken meist für ein Mindestalter von 16 Jahren. Allerdings gab es auch die Ansicht, dass die verstandesmäßige Reife eines Kindes nicht auf ein bestimmtes Alter festgesetzt werden könne. Zumindest schien die formative Phase, in der die konfessionelle Prägung der Kinder stattfand, durch die geplante Konfirmation unmittelbar vor dem Abschluss zu stehen. Vgl. Freist, Kinderkonversionen, bes. S. 396 – 399; Dies., Lebensalter, S. 71. 220 Vgl. HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 25. 07. 1636. 221 Dies geht aus einem Brief Maria Magdalenas hervor, in dem sie ihrem Vater die Geschehnisse der letzten Tage schildert; vgl. HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 23. 07. 1636.

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M ­ agdalena II. stammte ebenfalls aus dem Haus Lippe und war eine Tante sowohl Simon Ludwigs als auch Jobst Hermanns. Tatsächlich nahm sie M ­ utter und Kind unter ihren Schutz und verweigerte dem Grafen, der inzwischen mit einer Schar berittener Soldaten von Detmold aus gefolgt war, den Einlass. Ob sie dies lediglich als ihre allgemeine Christenpflicht verstand oder möglicherweise Sympathien für das konfessionelle Anliegen Maria Magdalenas hegte 222 – dem Willen des Oberhauptes entsprach sie damit jedenfalls nicht. Die verwandtschaftlichen Beziehungen und die Zugehörigkeit zu einer Dynastie bestimmten also nicht zwangsläufig die Loyalitäten der Akteure. Im Übrigen starb Simon Ludwig nur zwei Wochen nach der Verfolgung völlig unerwartet, und die Grafschaft Lippe stürzte in die Vormundschaftskrise, in der sich schließlich Katharina, die Schwester Maria Magdalenas, durchsetzen konnte.223 So erfuhren der Abschluss der lutherischen Erziehung Jobst Hermanns sowie die Bestrebungen zur Relutheranisierung in Schwalenberg zunächst keinen weiteren Widerstand aus Detmold, bis 1650 mit Johann Bernhard wieder ein streng reformierter Graf die Herrschaft übernahm.224 Die zweite konfessionsverschiedene Ehe war schon 1631 der besagte Simon Ludwig mit Katharina von Waldeck eingegangen. Nachdem sich diese nach dem frühen Tod ihres Gatten als vormundschaftliche Regentin für ihren Erstgeborenen etabliert hatte, verfügte sie über einen ungleich größeren Spielraum als ihre ältere Schwester. Zunächst musste sie jedoch gegen den Widerstand ihrer Schwäger die lutherische Erziehung ihrer drei Söhne durchsetzen. Im Gegensatz zum Ehevertrag Maria Magdalenas beinhaltete ihr eigener eine Klausel, die die Erziehung der gemeinsamen Kinder ausschließlich ihrem Ehemann und nach dessen Tod einer von ihm dazu verordneten Person ohne wolermelter unser Ehe­ gemahlin […] einrede oder Verhindernuß 225 zusprach. Allerdings hatte Simon Vgl. auch Gerking, Grafen zur Lippe-­Biesterfeld, S. 20; Mönks, Leben, S. 216. 222 Es gibt Hinweise darauf, dass sie sich trotz reformierter Erziehung in ihrer Herforder Äbtissinnenzeit dem Luthertum zuwandte. Vgl. Bei der Wieden, Dekanessen, S. 116. 223 Siehe dazu Kap. 2.2.6. 224 Als im Jahre 1905 nach dem Aussterben der Detmolder Hauptlinie tatsächlich ein direkter Nachkomme Jobst Hermanns den lippischen Fürstenthron bestieg, hatten sich die Biesterfelder nach zwischenzeitlichen Ausflügen in den Pietismus allerdings dem dynastischen Konsens in Konfessionsfragen gebeugt und waren reformiert geworden. Freilich hatte die Frage der Konfession des Staatsoberhaupts mittlerweile die Brisanz verloren, die sie Mitte des 17. Jahrhunderts noch besaß. 225 HStAM, Urk. 85, Nr. 147, Ehevertrag vom 19. 06. 1631, fol. 2v. Vgl. das lippische Exemplar in: LAV NRW OWL, L 1 B, 19. 04. 1631. Dass hier nicht explizit auf die reformierte Konfession Bezug genommen wurde, lag an deren noch fehlender reichsrechtlicher Anerkennung vor dem Westfälischen Frieden. Abgesehen von dieser Klausel orientierte sich der Vertrag eng an der acht Jahre zuvor geschlossenen Eheberedung von Simon VII. und Maria Magdalena. Wie diese erhielt er eine Religionsklausel, die Katharina die freie Ausübung ihrer lutherischen Religion und die Einbestellung eines eigenen Seelsorgers gestattete.

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Ludwig kein Testament und somit auch keine Bestimmung über die weitere Erziehung seiner Söhne hinterlassen. Aufgrund der vom Primogeniturrecht vorgeschriebenen Sukzession erhielt die Entscheidung über ihre Konfession eine weitaus größere Tragweite als die des nachgeborenen Sprosses Jobst Hermann. Daher galt es aus Sicht der Agnaten, den Einfluss der lutherischen ­Mutter um jeden Preis zu begrenzen. Schon im Jahr 1637 ließ Johann Bernhard, der älteste Bruder des verstorbenen Grafen und schärfster Konkurrent Katharinas, dieser ausrichten, ihre Söhne, die alle noch im frühen Kleinkindalter waren, müssten nun aus dem Frauenzimmer ausziehen und in eine eigene Stube unter der Aufsicht eines Jungen gebracht werden.226 Dies war der Auslöser für den bereits in Kapitel 2.2.6 angesprochenen „Prinzenraub“, in dessen Zuge es Katharina gelang, ihren Nachwuchs aus dem streng bewachten Detmolder Schloss zu entführen und über Lemgo zunächst nach Hameln zu bringen. Da sie nach wie vor eine List ihrer Schwäger fürchtete, der Kinder sich wider zu bemechtigen undt in der Calvinischen Religion zu erziehen 227, wie sie gegenüber ihrem Mitverschwörer, dem Landgrafen Georg von Hessen-­Darmstadt bekannte, sollten ihre Söhne weiter nach Waldeck reisen. Doch auch das schien ihr angesichts der dort grassierenden Pest nicht sicher genug, sodass sie schließlich an den Marburger Hof des Landgrafen gebracht und fortan außer Reichweite der lippischen Agnaten in der lutherischen Konfession erzogen wurden. In der quellenmäßig gut dokumentierten 228 Durchführung d ­ ieses Plans scheint ein komplexes lutherisches Netzwerk auf, dessen sich Katharina bedienen konnte und mit dem sie in regem Kontakt stand: Neben ihren Waldecker Verwandten gehörten dazu der Darmstädter Landgraf und dessen in der Gegend weilender Obristlieutenant Rudolph von Bünau sowie Herzog Georg von Braunschweig-­Calenberg, der die Kinder in Hameln in Empfang nehmen und nach Waldeck eskortieren ließ. Auch in der Detmolder Beamtenschaft hatte sie einige Vertraute, allen voran den aus Lemgo stammenden Lutheraner und späteren Kanzler Nevelin Tilhen.229 Nachdem ihre Söhne außer Landes gebracht waren, scheint Katharina ihr lutherisches Bekenntnis schärfer profiliert zu haben. Johann Bernhard warf ihr jedenfalls in einer Deduktion die offentliche Verdamm- vnnd Beschimpffung Ihres Herrn Ehegemahls Seeligen Religion vnnd Confession 230 vor und forderte die Einhaltung des Ehevertrags, der ihr lediglich die persönliche Religionsfreiheit eingeräumt hatte: 226 So klagte es Katharina am 15. Dezember 1637 ihrem Vater; vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140. 227 LAV NWR OWL, L 7 A, Nr. 141, Schreiben vom 08. 09. 1638. 228 Siehe insbesondere den Bestand LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 141. 229 Vgl. Butterweck, Lippische Landeskirche, S. 157. 230 Kurtzer gründtlicher Vortrab, S. 20.

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Sintemahl I. L. alsbaldt zu anfang diese diversitas Religionis, von Vnsers Gottseligen Herren Bruders Conjugio nicht abgehalten / noch dasselb recusirt: sondern vielmehr mit wollgefäl­ ligem beliebten Beylager bestättigt haben: Vnd darumb Ihre Pacta Matrimonialia vmb so viel mehr verbündtlicher zuhalten schuldig sein 231.

Als Katharina sich durch den militärischen Handstreich im Jahr 1640 endgültig gegen die Agnaten durchgesetzt und zur Herrin des Schlosses Detmold gemacht hatte, wurde dort unverzüglich ein lutherischer Hofprediger eingesetzt. Ansonsten hielt man sich mit Änderungen im K ­ irchen- oder Bildungswesen jedoch vorläufig zurück,232 wenngleich seitens des waldeckischen Kanzlers Zacharias Viëtor der Ratschlag erging, frei werdende Pfarrstellen im Lande mit Lutheranern zu besetzen.233 Offenbar ersetzte Katharina zudem Beamte ihrer Vormundschafts­regierung durch Vertraute und wählte schließlich ihren Nachfolger im Vormunds­amt ab 1643, ihren Schwager Graf Emich von Leiningen-­ Dagsburg-­Falkenburg, aus dem Kreis der lutherischen Reichsstände. Ob sie ­darüber ­hinaus handfeste Maßnahmen einleitete, die lutherische Konfession in der Grafschaft Lippe einzuführen, ist bislang nicht zweifelsfrei zu klären, obschon es in der Literatur immer wieder behauptet wurde.234 Wirkliche Versuche, auf den Bekenntnisstand der Bevölkerung Einfluss zu nehmen, gab es wohl nur unter ihrer Schwester im Amt Schwalenberg. Diese stießen allerdings unverzüglich auf den Protest der Agnaten Johann Bernhard, Hermann Adolf, Philipp und Otto.235 Letzterer nutzte die lutherischen Umtriebe zudem als Rechtfertigung, die landesherrlichen Rechte zu beschneiden und in seinem Paragium Brake die

2 31 Ebd. 232 Zumindest geht dies aus einem Bericht des Amtmanns Lucanus vom 1. Juni 1645 hervor: es wurden zwar die junge Herrn zu Marpurg erzogen, doch wehre im Lande biß dato in K ­ irchen oder Schulen keine verenderung vorgenommen, nur daß der Hoffprediger auff dem Schloß gehallten wurde., LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 153. 233 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 143, Schreiben vom 10.05. 1640. 234 Allerdings belassen es die Autoren stets bei dürren Hinweisen ohne Quellenangabe; vgl. Butterweck, Lippische Landeskirche, S. 157 f.; Schilling, Konfessionskonflikt, S. 358; Schormann, Lemgoer Gymnasium, S. 8; Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 94. Eher skeptisch äußert sich Fink, Haus, S. 37. 235 Vgl. LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4.c, Antwort der Regierung in Detmold auf eine Protestschrift vom 15. 10. 1649. Die Grafen Otto und Philipp hatten anlässlich der Einsetzung des lutherischen Predigers in Falkenhagen förmlich gegen eine Reformation und Enderung in religion sachen protestiert, der sie mit Bezug auf das Testament Simons VI., das ebendiese untersagt hatte, strikt widersprachen. Die bemerkenswerte Antwort der Regierungsbeamten argumentierte dahingehend, dass Simon sein Testament 1597 verfasst hatte, also zu einer Zeit, da die Grafschaft noch dem Luthertum anhing. Wenn man ­dieses nun fördere, so handele man nicht entgegen, sondern vielmehr ganz im Sinne des testamentarischen Wortlauts. Im Übrigen verwies man auf das Ius Episcopale, das ausschließlich dem (künftigen) Landesherrn zustehe.

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geistliche und weltliche Jurisdiktion sowie das Ius Episcopale zum Schutz der reformierten Konfession zu fordern.236 Wurden vorerst nur behutsame Änderungen in Religionsfragen vorgenommen, so scheint der Plan Katharinas doch auf Langfristigkeit angelegt gewesen zu sein. Schon ihr Vater Christian hatte als lippischer Vormund wenige Monate vor seinem Tod in einem Brief an Philipp von Hessen-­Butzbach den Wunsch geäußert, die Grafschaft wieder dem ‚wahren‘ Glauben zuzuführen. Er erinnerte an den großen Vorfahren seines Gegenübers, den Landgrafen Philipp I., der durch sein Eingreifen die lehr des Evangelii in bemeltter graffschafft vortgepflantzt haben, wie zu Ihrer fürstlichen gnaden unsterblichem ruhm das getruckte Lippische Chronicon clärlich vermeldet 237. Nun sei es an der Zeit, d­ ieses Werk zu wiederholen: Da nun dem barmhertzigen Gott abermalß gefallen wurde, seinen christlichen Weinberg auch des ortes wieder zu reinigen, solchs wehre inbunstig zu bitten undt kein Preis zu sparen.238 Alle Hoffnungen dazu ruhten auf der Erziehung der Söhne ­Katharinas, deren Ältester, Simon Philipp, eines Tages an die Regierung gelangen sollte. Nach der geglückten Entführung aus Detmold verlieh die Witwe gegenüber Herzog Georg von Braunschweig-­Lüneburg ihrer Freude und Hoffnung Ausdruck, dass es ihren Kindern gereiche zu zeitiger und ewiger wohlfart, wahrer erkentnis seins worts, vortpflantzung des heiligen Evangelii und vieler tausent unterthanen itzo und künfftig selen Heil und Seligkeit 239. Insbesondere der letzte Teil lässt sich als Indiz für einen langfristig angelegten Plan lesen. Unterdessen verschärfte sich der Konflikt um Sukzession und Konfession erheblich dadurch, dass beide Parteien Rückhalt bei auswärtigen Schutzmächten suchten. Während Katharina und Emich neben den schon genannten Fürsten auch auf die Unterstützung des schwedischen Gesandten Johann Oxenstierna zählen konnten, wandten sich die lippischen Agnaten im Gegenzug an die reformierte Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-­Kassel, die ihre Position im Streit um Unterhaltszahlungen in mehreren Verhandlungen stärkte. Zudem fürchtete man in Detmold bis zuletzt, sie werde Johann Bernhard und seinen Brüdern militärische Unterstützung bei der Rückgewinnung der Grafschaft zukommen lassen.240 Beide Seiten verstanden es, den innerdynastischen Sukzessionskonflikt geschickt mit religionspolitischen Motiven zu verknüpfen, um sich des Beistands der Verbündeten zu versichern. So sprach man seitens der Vormundschaftsregierung bei Oxenstierna vor und berichtete von dem unrechtmäßigen Verhalten 2 36 Vgl. LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4.c, Schreiben vom 14. 01. 1646 und 18. 07. 1646. 237 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140, Konzept vom 30. 07. 1637. Vgl. Piderit, Chronicon, bes. S. 613. 238 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 140, Konzept vom 30. 07. 1637. 239 Ebd., Nr. 141, Konzept vom 13. 08. 1638. 240 Vgl. etwa ebd., Nr. 151, Schreiben vom 15. 03. 1650.

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der Landgräfin, die damit drohe, die Grafschaft besetzen und den Agnaten alß Ihrer Fürstlichen Gnaden Religionsverwandten auß eiffer der reformirtenn Reli­ gion wiederumb einreümen 241 zu lassen. Dies dürfe der schwedische Gesandte als Beschützer der lutherischen Religion nicht zulassen. Dem Appell war tatsächlich Erfolg beschieden und seitens Oxenstiernas erging ein höfliches, in der Sache aber eindeutiges Mahnschreiben an die Landgräfin, das von ihr verlangte, sich nicht weiter in die lippischen Angelegenheiten einzumischen.242 Diese wies alle gegen sie erhobenen Vorwürfe scharf zurück und schob die Schuld am Konflikt vielmehr der Gräfin Katharina zu. Wenn diese nämlich ihre Kinder in der Religion, darin vorgedachter Ihr Herr Vatter undt Groß undt Uhrgroß Herr Vatter gelebt undt sehlig gestorben, […] hette erziehen lassen, daß sie daran nicht allein Christ­ lich undt unverweißlich, sondern auch sonst umb vieller politischer considerationen willen woll gethaen, guete einig- undt vertrawligkeit in einem so vornehmen uhralten Gräflichen Hause, unter so viellen deroselben Religion annoch auff die heutige stunde zugethanen nahen angewanten undt bludtßfreunden, sodan unter Ritter- undt Landtschafft selbst erhalten haben würde 243.

Der Vorwurf lautete also, dass Katharina den Streit dadurch ausgelöst habe, dass sie von der althergebrachten reformierten Konfession der Lipper zugunsten ihrer eigenen abgewichen sei und somit einen gefährlichen Gegensatz z­ wischen ihren Kindern und der übrigen Dynastie sowie dem Land geschaffen habe. Zudem bestand Amalie Elisabeth darauf, als Lehnsherrin berechtigt zu sein, sich in die Belange der Grafschaft einzuschalten und die natürlichen Rechte ihrer Vasallen, der lippischen Grafen, zu unterstützen, wohingegen die Allianz ihrer Gegner künstlich sei: umb bey der hochlöblichen Crohn Schweden uns schwartz zumachen, die Sache auch desto beßer durchzutreiben, weiß man an Detmoldischer seiten nichts alß die Religion zum schein herfur zusuchen 244. Ob die Konfession tatsächlich nur ein vorgeschobenes Argument, um dynastische Sukzessionsansprüche und andere Machtinteressen durchzusetzen, oder vielmehr ein wesentlicher Kernpunkt der Auseinandersetzungen war, lässt sich kaum entscheiden. Dies zu versuchen, hieße, die für die Frühe Neuzeit typische Verquickung von Religion und Politik, von konfessionellen und dynastischen Interessen zu verkennen. An beiden Beispielen wurde vielmehr deutlich, dass nicht nur Heiratsverbindungen, sondern auch gemeinsame Konfessionszugehörig­ keit in der Lage war, belastbare Netzwerke auszubilden, deren Akteure anderen Handlungslogiken folgten als den dynastischen. Zugleich stellte die Konfession einen Faktor dar, der bestehende sukzessionsrechtliche Konflikte religiös auflud 2 41 Ebd., Nr. 153, Instruktion des Vizekanzlers Nevelin Tilhen vom 05. 06. 1645. 242 Vgl. ebd., Schreiben vom 11. 06. 1645. 243 Ebd., Schreiben vom 30. 06. 1645. 244 Ebd.

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und unter Umständen zu verschärfen vermochte. Dass sich die lutherische Konfession im Lipper Grafenhaus nicht durchsetzen konnte, ist letztlich dem dynastischen Zufall geschuldet: Nach Simon Philipps frühem Tod fiel die Herrschaft mit Johann Bernhard wieder einem Anhänger des reformierten Bekenntnisses zu, der allen Relutheranisierungs-­Bestrebungen in der Grafschaft den Riegel vorschob. Zumindest lernten die Lipper aus dieser Erfahrung: Künftig heirateten alle regierenden Grafen und die Mehrheit der übrigen Agnaten streng reformierte Frauen aus Häusern wie Ysenburg-­Büdingen, Dohna, Nassau und Anhalt. Im Übrigen konnten Mischehen natürlich auch in der entgegengesetzten Richtung zu Konfessionswechseln führten. Elisabeth, eine Tochter Simons VI ., die 1612 den Lutheraner Georg Hermann von Holstein-­Schaumburg geheiratet hatte,245 erzog nach dessen Tod den gemeinsamen Sohn Otto mit der Unterstützung ihres Bruders Otto zur Lippe-­Brake im reformierten Glauben, sodass dieser nach seinem Regierungsantritt in der Grafschaft Schaumburg ebenfalls Anstalten zur Durchsetzung seiner Konfession machte und sich damit in scharfen Gegensatz zur lutherischen Ritterschaft setzte.246 Verfolgten also die Grafen von Waldeck eine langfristige Strategie der Rückführung ihrer Standesgenossen zum Luthertum, indem sie sie mit ihren Töchtern verheirateten? Und wie gingen sie selbst mit konfessionellen Mischehen um? Unterscheiden sich ihre Praktiken von denen der Lipper? Die erstaunlich hohe Zahl an Waldecker Ehen mit Reformierten ist bereits angeklungen. Gerade Graf Christian stellte sich als ein wahrer Meister der gezielten Heiratspolitik heraus; neben Maria Magdalena und Katharina verheiratete er noch vier weitere Töchter mit sehr wahrscheinlich dem reformierten Glauben zugeneigten Grafen.247 Es ist jedoch festzustellen, dass die bikonfessionellen Ehen sich keineswegs auf Töchter beschränkten, mit denen man sich gewissermaßen in reformierte Dynastien einheiratete. Von den mindestens zehn Mischehen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden fünf von Söhnen des Hauses geschlossen, die zudem alle zur Regierung gelangten. Christian selbst, der das Luthertum in der Grafschaft Lippe restaurieren wollte, hatte mit Elisabeth von Nassau-­Siegen eine 245 Vgl. den Ehevertrag in LAV NRW OWL , L 1 B, 04. 09. 1612, in dem bereits eine frühe Form der Religionsklausel zu finden ist: Dieweill es dan umb die gewißen ein zartes thun ist, druber der Almechtiger allein hatt zuherschen, so sollen diese beiden kunfftigen eheleute einer den andern in seiner religion nichtt irren, sondern dabei geruhig pleiben laßen. 246 Vgl. Bei der Wieden, Letzte Grafen, S. 77; Ders., Grafschaft Schaumburg, S. 38 – 4 0. 247 Es müsste im Einzelnen untersucht werden, ob in den jeweiligen Eheverträgen eine Religionsklausel enthalten war und ­welche Auswirkungen die Ehen auf den Konfessionsstand und die soziale Integration der Dynastien hatten. Übrigens ging aus einer dieser Ehen ­Elisabeth Juliane von Sayn-­Wittgenstein-­Hohenstein hervor, die wiederum ihren Cousin Jobst H ­ ermann zur Lippe-­Biesterfeld heiratete, möglicherweise also von ihrer ­Mutter lutherisch erzogen worden war.

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Reformierte geheiratet. Des Weiteren handelte es sich in der folgenden Generation um Philipp VII ., der eine Gräfin von Sayn-­Wittgenstein ehelichte, dessen Bruder Johann II ., der sogar eine Katholikin, Alexandrine von Velen, heiratete, sowie die beiden Eisenberger Brüder Philipp Theodor und Georg Friedrich, die ebenfalls beide Gräfinnen aus dem Haus Nassau-­Siegen zur Frau nahmen. Die oben beschriebene strategische Annäherung an den Wetterauer Grafenverein, die mit d ­ iesem Konnubium einherging, bietet eine Erklärung für die konfessionelle Heterogenität. Im Folgenden soll die innerdynastische Perspektive eingenommen und untersucht werden, ob bei den Grafen von Waldeck ähnliche Belastungen der sozialen Integration festzustellen sind wie jene, die sie bei ihren Lipper Standesgenossen verursachten. Es wurde herausgestellt, dass das bikonfessionelle Zusammenleben in der Ehe meist relativ unproblematisch war, solange man sich über die Erziehung der Kinder einigen konnte. In ihren Testamenten äußerten die Waldecker Grafen mit reformierten Ehefrauen zumeist ihre Dankbarkeit über die von ihnen empfangene Liebe und Treue, die sie mit einer Bestätigung oder Besserung des versprochenen Wittums vergelten wollten.248 Im gleichen Zuge bekräftigten sie aber auch stets ihr Bekenntnis zum orthodoxen lutherischen Glauben nach der Confessio Augustana invariata, deren Apologie und dem Konkordienbuch, wobei sie sich einer stets ähnlichen tradierten Formel bedienten. Dazu benannten sie Vormünder, die ein Verharren der Grafschaft und insbesondere der eigenen Kinder beim Luthertum garantieren sollten.249 Verdächtigungen einer landesherrlichen Hinwendung zum Calvinismus, wie sie etwa in Lippe und Hessen-­Kassel eben erst vollzogen worden waren, sollten damit entkräftet werden. In dieselbe Richtung weist auch eine Religionsklausel, die an prominenter Stelle in den 1607 abgeschlossenen Ehevertrag von Wolrad IV. und Anna von Baden-­Durlach aufgenommen wurde, obwohl beide streng lutherisch waren. Darin versprach Wolrad, selbst in dem unwahrscheinlichen und von Gott zu verhütenden Falle, dass er doch eine 248 So etwa Christian in seinem Testament vom 16. 06. 1637: Dem nechst ligtt uns auch billich ahn, das unser hertzliebe gemahlin, weill die zeitt uber, die dem lieben Gott gefallen uns bey einander im heiligen Estandt leben zu laßen, in fieler widerwertigkeitt und last uns trülich bey gestanden und eliche liebe und trew erwiesen, nach unserem absterben versorgett [ist], HStAM, Urk. 85, Nr. 272, fol. 1v. Dies basierte zwar bis zu einem gewissen Grad auf topischen Elementen der Testamentsabfassung, ließ sich jedoch – wie hier – durchaus individuell ausgestalten und stärker oder schwächer hervorheben. Noch deutlicher formulierte Philipp Theodor, der seiner Herzvilgelibten Gemalinnen zur Versigerung meiner zu ir tragender ­grosen Affection bis in den Tott große Geldsummen, Mobilien und Güter vermachte, HSt­A M, Urk. 85, Nr. 284, fol. 1v. 249 Vgl. etwa die Passagen in den Testamenten von Christian (HS tAM , Urk. 85, Nr. 272, fol. 6r–v), Wolrad IV. (Nr. 276, fol. 2r), Philipp VII. (Nr. 278, fol. 1v) und Philipp ­Theodor (Nr. 281, fol. 1r).

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Änderung in Religionsdingen anstrebe, das lutherische Bekenntnis seiner Gemahlin zu respektieren und ihr dann einen eigenen Prediger zu gestatten.250 Im drei Jahre zuvor aufgesetzten Ehevertrag seines Bruders Christian, der tatsächlich eine Reformierte heiratete, wurde hingegen auf eine Regelung des Zusammenlebens der unterschiedlichen Konfessionen verzichtet. Vielleicht hatte man zu ­diesem frühen Zeitpunkt noch nicht an eine derartige Möglichkeit gedacht. Christians Gemahlin, die überaus gebildete Elisabeth von Nassau-­Siegen, war jedoch nicht bereit, ihren reformierten Glauben nur im Verborgenen auszuüben, sondern kommunizierte intensiv mit Pfarren und Gelehrten. Darüber hinaus verfasste sie eigene Memoriale über theologische Fragen und insbesondere über die dogmatischen Unterschiede ­zwischen reformierter und lutherischer Lehre, wobei ihr offenbar große Freiräume zugestanden wurden.251 Wie jedoch am ferneren Schicksal der Kinder des Paares, etwa Maria Magdalena und Katharina in Lippe, zu erkennen ist, war die religiöse Erziehung ganz dem lutherischen Vater vorbehalten.252 Christians Sohn Philipp VII. heiratete im Oktober 1634 die reformierte Gräfin Anna Katharina von Sayn-­Wittgenstein, der ehevertraglich zugesichert wurde, dass sie werender Ehe undt jederzeit in Ihrer religion undt gewissens halber […] unmoles­ tiret pleiben 253 werde, wohingegen die Kindererziehung Sache des Vaters sei. Helga Zöttlein hat die sich anschließenden Ereignisse beschrieben.254 Ähnlich wie bei den Lipper Grafen, stieg auch in ­diesem Fall die Gefahr der religiösen Beeinflussung durch die ­Mutter, als Philipp 1645 im Krieg umkam und Anna Katharina die Vormundschaft über ihre Kinder übernahm. Allerdings beschränkten sich ihre Versuche zur Durchsetzung des reformierten Bekenntnisses auf ihre einzige Tochter Juliane Elisabeth, deren Erziehung sie sich persönlich annahm. Dabei konnte sie sich auf die verbreitete Gewohnheit stützen, dass Mütter ihre Töchter in Glaubensdingen unterrichteten. Es gelang ihr schließlich, sich gegen den unverzüglichen Widerspruch ihrer Söhne und deren testamentarisch bestimmten Mitvormund Georg Friedrich durchzusetzen. Juliane Elisabeth wurde also reformiert erzogen und heiratete später ihren Cousin zweiten Grades, Heinrich Wolrad von Waldeck-­Eisenberg, wodurch sich die Konstellation einer bikonfessionellen Mischehe wiederholte.255 Dabei wurde das Verbot der religiösen Erziehung 250 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 121, Testament vom 26. 11. 1607. 251 Zu ihr siehe Menk, Gräfin Elisabeth. Vgl. auch ihre reichhaltig überlieferte Korrespondenz im Bestand HStAM, 115/01, Nr. 2206 – 2400. 252 Zu einer entgegengesetzten Einschätzung, nach der Elisabeth Einfluss auf die konfessionelle Erziehung ihrer Töchter genommen habe, kommt Pannekoek, Theologie, S. 219 – 229. 253 HStAM, Urk. 85, Nr. 166, Ehevertrag vom 13. 10. 1634, fol. 3r. 254 Das Folgende nach Zöttlein, Dynastie, S. 44 – 4 6. 255 Diese Ehe wurde von Georg Friedrich gestiftet, um die beiden Linien näher aneinander zu binden. Es stellt sich jedoch die Frage, warum man Juliane Elisabeth nicht an einen reformierten Grafen verheiratete.

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im Ehevertrag insoweit verschärft, als der Braut nun der Verlust ihres Wittums drohte, sollte sie in irgendeiner Weise versuchen, auf den Bekenntnisstand ihrer Kinder Einfluss zu nehmen. Da das Paar jedoch keine Kinder bekam, blieb die Bestimmung folgenlos. Gerade für Georg Friedrich war der Verbleib bei der lutherischen Konfession entscheidend für das gegenwärtige und künftige Wohl seines Hauses, wie er in seinen Maximen an vorderster Stelle bekannte: Was also insgemein gut, wird nicht schädlich meinem Hause seyn, und muss also schließen, daß selbiges bey der Religion so wir Jetzt bekennen, und die mann Lutherisch nennet, in welcher alles das jenige so oben gesagt befindtlich, beständig bleiben soll und muss, will es des Seegens länger geniessen 256.

Doch schreckte auch er nicht vor einer Ehe mit einer Reformierten, namentlich Elisabeth Charlotte von Nassau-­Siegen, zurück, um seine Beziehungen zum Statthalter der Niederlande zu verbessern.257 Wenige Jahre zuvor hatte bereits sein älterer Bruder Philipp Theodor deren Schwester Maria Magdalena geheiratet, sodass die Waldecker nun über äußerst enge und durch mehrere Ehen abgesicherte Beziehungen zum Haus Nassau-­Siegen verfügten.258 Gleichwohl verzichteten beide Grafen auf eine Religionsklausel in ihren Eheverträgen.259 Der Vollständigkeit halber sei noch die Ehe Johanns II. mit der Katholikin Alexandrine von Velen angeführt, der ebenfalls die freie persönliche Religionsausübung bei gleichzeitigem Verbot der Einmischung in Erziehungsbelange gestattet wurde.260 Ehen mit Katholiken blieben jedoch bis 1650 seltene Ausnahmen. Ihre eigene konfessionelle Überzeugung ordneten die Grafen von Waldeck der Begründung und dem Ausbau von politisch nutzbaren Netzwerken unter, wie die zahlreichen Ehen mit dem Haus Nassau-­Siegen, die Hinwendung zum Wetterauer Grafenverein, aber auch die Beibehaltung der traditionell engen Beziehungen zu den inzwischen reformierten Grafen zur Lippe verdeutlichen. Auch wenn Graf 256 HStAM, 115/01, Nr. 1551. 257 Vgl. Menk, Georg Friedrich, S. 19 f. 258 Eine dritte Schwester, Wilhelmine Christine, ging zudem 1660 eine weitere Ehe mit einem Waldecker Grafen, Josias II., ein. 259 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 1500, Ehevertrag Philipp Theodors vom 25. 08. 1639; sowie Nr. 1655, Ehevertrag Georg Friedrichs vom 29. 11. 1643. 260 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 171, Ehevertrag vom 17./27. 12. 1644. Menk, Denkwürdigkeiten, S. 66, schätzt zudem die oben behandelte Ehe ­zwischen Heinrich IX . von Waldeck und Anna von Viermund, einer abfälligen Bemerkung des lutherischen Pfarrers und waldeckischen Chronisten Jonas Hefentreger-­Trygophorus folgend, als bikonfessionelle Mischehe ein. Für die katholische Glaubensüberzeugung Annas gibt es jedoch keine sicheren Belege. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 66, bezeichnet sie als Anhängerin der evangelischen Lehre, was er mit ihren Stiftungen für evangelische Einrichtungen plausibel machen kann.

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Christian hier Chancen sah, die Grafschaft Lippe zu relutheranisieren, scheint sich sein Handeln doch nicht in eine übergreifende Strategie einzuordnen. Je enger die Beziehungen zu den reformierten Standesgenossen – und zum hessischen Lehnsherrn – wurden, desto stärker prononcierten die Grafen ihr lutherisches Bekenntnis, das nicht nur im Landtagsabschied von 1607, sondern auch in den Testamenten der regierenden Grafen regelmäßig bekräftigt wurde. Das harmonische Zusammenleben in konfessionellen Mischehen gelang ihnen offenbar recht gut, wie fehlende Nachrichten über Konflikte zeigen. Durch die testamentarische Aufstellung von Agnaten als Vormündern, die den Bekenntnisstand garantieren sollten, verhinderten sie zudem erfolgreich, dass sich die Witwen nach dem Tod ihrer Gatten in Glaubensdingen durchsetzen konnten. Zusammenfassend soll auf das Verhältnis z­ wischen angestrebter konfessioneller Homogenität und dynastischer Einheit eingegangen werden. Grundsätzlich erhöhte die Ausdifferenzierung der christlichen Bekenntnisse im Zuge der Konfessionalisierung das Potenzial für deviantes Handeln von Dynastieangehörigen. Wie gezeigt wurde, führte das zahlenmäßig bedeutsame Phänomen der konfessionellen Mischehen immer wieder zu inner- und interdynastischen Konflikten, die sich vor allem an (Um-)Erziehungs- und Bekehrungsversuchen entzündeten. Vornehmlich die jeweiligen Dynastieoberhäupter hatten jedoch ein großes Interesse an dynastischer wie konfessioneller Einheit, die sie mithilfe von Hausverträgen und Testamenten abzusichern suchten.261 Der Konformitätszwang galt allerdings in erster Linie für die Söhne, während bei den Töchtern sowie den einheiratenden Frauen aus pragmatischen Überlegungen gelegentlich eine abweichende Konfession geduldet wurde. Deren Beharren auf ihrer hergebrachten Konfession lässt sich als ein Element der Verbundenheit mit ihren Herkunftsfamilien interpretieren, was gerade bei den Waldeckerinnen Maria Magdalena und Katharina deutlich wird, die stets auf die Rückendeckung ihres Vaters Graf Christian zählen konnten. Somit konnten sich aus den Mischehen in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts Konflikte ergeben, die die dynastische Einheit nicht nur auf eine harte Probe stellten, sondern gelegentlich sprengten. Zum Teil bildeten sich dabei konfessionelle Netzwerke aus, die quer zu den verwandtschaftlichen Beziehungen lagen. Die Tolerierung konfessioneller Differenz innerhalb der Dynastie endete dort, wo es um die streng kontrollierte Weitergabe von Herrschaft und Besitz innerhalb der männlichen Linie sowie um die Ausübung landesherrlicher Rechte ging. Die Bekehrungsversuche der Waldecker Gräfinnen stießen auf heftigen Widerstand der reformierten Lipper, denn einen Konfessionswechsel der ganzen Dynastie und des Landes wollte man nicht riskieren. Umgekehrt untersagten die Waldecker 261 Vgl. dazu auch Richter, Wissensaustausch.

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jeglichen Einfluss auf die Erziehung ihrer Söhne, die später Anteil an der gemeinsamen Regierung haben würden. Damit sollte nicht nur die konfessionelle Kontinuität innerhalb der Dynastie, sondern auch im Lande gesichert werden. Abschließend lassen sich zwei bedeutsame Ergebnisse festhalten. Erstens führten die in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts geführten Auseinandersetzungen ­zwischen Angehörigen der unterschiedlichen protestantischen Konfessionen letztlich zu einer Stärkung des jeweiligen eigenen Bekenntnisses. Ebenso wie die Grafen zur Lippe sich um 1650 als standhafte Anhänger des reformierten Glaubens darstellten, betonten die Grafen von Waldeck ihr gegen alle Anfechtungen aufrechterhaltenes Bekenntnis zum Luthertum. Zum Zweiten ist festzustellen, dass sich der Umgang der Grafen mit der Konfessionszugehörigkeit in den Formierungsprozess der Dynastien in streng agnatisch organisierte Herrschaftsverbände einbettet. Konfessionelle Abweichungen bei den weiblichen Angehörigen wurden bis zu einem gewissen Grad geduldet, um durch Eheschließungen soziales und symbolisches Kapital anzuhäufen. Wo es jedoch um die Kontinuität der dynastischen Herrschaftsausübung im Lande ging, stieß der Pragmatismus schnell an seine Grenzen.

3.2 Versorgungs- und Vernetzungsstrategien Auch wenn vor allem im 17. Jahrhundert zunehmend nichtregierende Söhne zur Heirat schritten, standen Herrschaftsübernahme und Eheschließung im gräflichen Hochadel doch in einem engen Zusammenhang. Welche Perspektiven aber hatten diejenigen Dynastieangehörigen, die weder zur Regentschaft noch zur Gründung einer Familie und damit zur genealogischen Weiterführung des Geschlechts auserkoren waren? Dieser Frage soll im Folgenden nachgegangen werden, wobei sich der Blick auf so unterschiedliche Strategien wie den Erwerb geistlicher Ämter und Pfründen, den Eintritt in ein Dienstverhältnis sowie den Erhalt von Anteilen aus dem dynastischen Vermögen richten wird. Gemeinsam ist diesen Praktiken, dass sie zunächst einmal die materielle Versorgung der nichtregierenden und damit gewissermaßen ‚überzähligen‘ Söhne sowie Töchter und die Ermöglichung einer standesgemäßen Lebensführung zum Ziel hatten. Die älteste, seit dem frühen Mittelalter praktizierte Form der Versorgung stellten – wie schon im Kapitel zur Herrschaftsweitergabe deutlich geworden ist – der Übertritt in den geistlichen Stand und die Übernahme einer Dom- oder Stiftsherrenpfründe dar. Das Recht zur exklusiven Nutzung leitete der Adel von den frommen Stiftungen ab, mit denen er die ­Kirche unterstützte. Durch den Schritt in die Geistlichkeit waren die betreffenden Dynastieangehörigen nicht nur materiell abgesichert; zusätzlich sorgte das Zölibat dafür, dass sie keine eigenen legitimen und damit erbberechtigten Nachkommen zeugen konnten. Neben nichtregierenden Söhnen lebten auch zahlreiche unverheiratete Töchter des Adels als Nonnen oder Stiftsdamen

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in entsprechenden Institutionen. Die geistliche Lebensform galt als dem Adel angemessen, welcher die oberen Ränge der kirchlichen Ämterhierarchie fest in der Hand hielt.262 Dom- und Stiftsherren empfingen gewöhnlich nur die niederen Weihen, was den Vorteil bot, dass sie problemlos zurück in den weltlichen Stand wechseln konnten, falls ihr regierender Bruder oder Neffe verstorben war und sie die Nachfolge anzutreten hatten. Somit waren sie „zumindest potentiell in Warteposition“263, wie dies schon das Erbstatut des Grafen Heinrich von 1344 deutlich zum Ausdruck gebracht hatte. Aber auch wenn sich andere Optionen, etwa eine Heirat, ergaben, konnte eine geistliche Pfründe meist ohne Weiteres quittiert werden, was auf ihre vorrangige Versorgungsfunktion hindeutet.264 Durch den Übertritt zum reformatorischen Lager wurde den Grafen diese Option zunehmend versperrt, da seit dem geistlichen Vorbehalt im Augsburger Religionsfrieden immer mehr Stifte und Domkapitel Protestanten ausschlossen, sodass Alternativen gefunden werden mussten. Naheliegend war es, die Nachkommen am dynastischen Vermögen zu beteiligen und ihnen eine Apanage in Form regelmäßiger Geldzahlungen zukommen zu lassen. Eine andere Möglichkeit bestand in der oben schon untersuchten Vergabe von Paragien an die nichtregierenden Söhne, wie sie in Lippe vor allem nach 1613 praktiziert wurde, oder in der für Waldeck typischen Nutzenteilung des Territoriums unter alle Söhne. Dieses Vorgehen hatte allerdings den Nachteil, dass es die Ressourcen des Regenten stark einschränkte und sich somit ungünstig auf dessen ökonomische und politische Stärke auswirkte. Daher kam bei den protestantischen Grafen ab dem 16. Jahrhundert als zusätzliche Alternative die Karriere im Fürstendienst auf. Hier gab es entweder bestimmte Hofämter oder – häufiger – Obristenstellen in den Armeen der Fürsten zu besetzen. Die meisten Grafen standen zu bestimmten Fürstenhäusern in einem Patronageverhältnis, das etwa durch die Lehnsverbindungen konstituiert wurde.265 Sowohl die Lipper als auch die Waldecker lehnten sich eng an die hessischen Landgrafen an, doch finden sich Angehörige ihrer Dynastien auch in Diensten anderer Fürsten und sogar beim ­Kaiser, der alles in allem jedoch eher Katholiken bevorzugte. Hilfreich beim Erwerb geistlicher oder fürstlicher Ämter waren in jedem Fall gute Beziehungen und Netzwerke. Nicht nur fürstliche Patrone, sondern auch Standesgenossen konnten Zugang zu Ämtern und Pfründen gewähren, ­welche, wenn der Amtsinhaber starb oder einen anderen Lebensweg einschlug, oftmals an Verwandte oder Freunde weitergegeben wurden. 262 Vgl. Zunker, Adel, S. 373; Wieland, Art. Adelskirche; Morsel, L’aristocratie médiévale, S. 130 – 142. 263 Kaiser, Regierende Fürsten, S. 12. 264 Vgl. Mauerer, Südwestdeutscher Reichsadel, S. 88. 265 Vgl. Arndt, Kollegiale Solidarität, S. 114.

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In vielen Fällen lässt sich beobachten, dass einzelne Grafen mehrere Strategien verfolgten, etwa ein Paragium besaßen oder eine Apanage bezogen und dennoch im Fürstendienst standen. Auch geistliche Mitglieder der Dynastie erhielten oftmals noch finanzielle Bezüge ‚von Zuhause‘. Wenngleich also alle genannten Strategien unabweisbar der Gewährleistung des Lebensunterhaltes für nichtregierende Dynastieangehörige dienten, sollte man sie nicht auf den Versorgungsaspekt reduzieren, ging es bei ihnen doch auch um die Schaffung und Pflege von Netzwerken und die Anhäufung von symbolischem Kapital. So mehren sich denn auch in der Forschung die Stimmen, die die Pfründen- und Ämterbesetzungspolitik des Adels als genuine Interessenpolitik interpretieren, bei der die Häupter der Dynastien ihre Angehörigen geschickt an wichtigen Stellen der Adelsgesellschaft platzierten, um Machtchancen und Prestige zu akkumulieren.266 Die Kinder und sonstigen Verwandten dienten dabei als dynastische Ressource, mit denen sich etwa Einfluss in Stiften oder an Fürstenhöfen gewinnen ließ. Bei der geistlichen Laufbahn waren freilich die höheren Ränge einer Äbtissin oder gar eines Bischofs besonders erstrebenswert, da die Probanden dadurch in den persönlichen Reichsfürstenstand aufstiegen. Die Bedeutung als Sprungbrett zur Macht war beim Fürsten- und Militärdienst weniger ausgeprägt, doch auch hier ließen sich Ehre und Prestige gewinnen. Versorgung und Vernetzung waren somit zwei Seiten derselben Medaille. Die drei verschiedenen Versorgungsstrategien – geistliche Laufbahn (3.2.1), Fürsten- und Militärdienst (3.2.2) sowie Apanagen und Paragien (3.2.3) – werden im Folgenden am Beispiel der Lipper und Waldecker Grafen genauer untersucht und verglichen. Dabei soll neben den Auswirkungen der Reformation und den sich daraus ergebenden Zwängen insbesondere darauf geschaut werden, ob und wie sich durch diese Praktiken die Struktur der Dynastie als Verwandtschaftsverband veränderte. Ein weiterer Punkt, der abschließend untersucht werden wird, ist der Umgang mit illegitimen Nachkommen, also Kindern, die einer unehelichen Verbindung eines Grafen entsprangen (3.2.4). Der Zusammenhang ergibt sich dadurch, dass auch sie in der Regel aus dem Vermögen der Dynastie versorgt wurden, womit sich jedoch die Frage stellt, ob sie als Angehörige derselben angesehen wurden oder sich in einer Außenposition befanden.

266 Für das Mittelalter vgl. Morsel, Verwandtschaft, S. 251; Zotz, Bedeutung, S. 156. Für die Frühe Neuzeit spricht Heide Wunder in d ­ iesem Zusammenhang von der „Erweiterung der dynastischen Präsenz in der Adelsgesellschaft“ (Wunder, Einleitung, S. 19) durch geistliche Dynastieangehörige. Den Versorgungsaspekt für überbetont hält auch Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 157 u. passim.

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3.2.1 Die geistliche Laufbahn Situation vor der Reformation Seit dem Mittelalter war die Reichskirche eine Adelskirche: Alle höheren geist­ lichen Ämter wie das des Bischofs oder des Abts hatte der Adel monopolisiert und dem Zugriff Bürgerlicher entzogen.267 Dies galt in der Frühen Neuzeit weiterhin vor allem für die katholische ­Kirche, doch auch im protestantischen Bereich gab es bis zum Westfälischen Frieden und teilweise darüber hinaus kirchliche Institutionen und Ämter, die allein dem Adel vorbehalten waren. Besonders Niederadlige, Reichsritter und Grafen bemühten sich, ihre Sprösslinge in Domkapiteln und Stiften unterzubringen oder gar zum Bischof oder Abt bzw. zur Äbtissin wählen zu lassen, während der fürstliche Hochadel hier zunächst eher zögerlich war. Dies hing damit zusammen, dass ein Bischofs- oder Prälatenamt seinen Träger rechtlich zu einem Reichsfürsten machte, was für Angehörige des Nieder- und Grafenadels zweifellos eine attraktive Möglichkeit zum sozialen Aufstieg darstellte, wohingegen Fürsten eher den Anspruch aufrechterhielten, ihre Nachkommen aus dem eigenen dynastischen Vermögen versorgen und ihnen eine weltliche Karriere ermöglichen zu können.268 Im Laufe der Frühen Neuzeit gaben jedoch viele Fürsten ihre Zurückhaltung gegenüber geistlichen Karrieren auf und versuchten, bestimmte Bischofsstühle zu monopolisieren und zu Quasi-­Sekundogenituren umzuformen, wie etwa die Wittelsbacher in Köln. Die Grafen wurden durch diese neue Konkurrenz schließlich nahezu vollständig aus den Bischofsämtern der Reichskirche verdrängt.269 Der Zutritt zu den Domkapiteln und Stiften wurde über sogenannte Ahnenproben geregelt, bei denen die Probanden eine bestimmte Anzahl adliger Vorfahren – meist acht oder 16 – nachweisen und diese von ausgewählten Standesgenossen beschwören lassen mussten. Vom späten Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert wurde die Anzahl der benötigten Ahnen in vielen geistlichen Institutionen sukzessive erhöht, um sich gegen aufstrebende Neunobilitierte abschließen zu können.270 So verlangte beispielsweise das gemischtkonfessionelle Domkapitel Minden 1611 noch den Nachweis von lediglich vier adligen Vorfahren, während sich die Anforderungen gut hundert Jahre später auf 32 Ahnen erhöht hatten.271 Die beiden Domkapitel Köln und Straßburg gewährten 267 Vgl. Schwartz, Dorado; Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 286 – 307. 268 Vgl. Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 78 u. 114 f.; Auge, Dynastiegeschichte, S. 34. 269 Vgl. Arndt, Kollegiale Solidarität, S. 118. 270 Grundlegend dazu: Harding/Hecht (Hg.), Ahnenprobe. Vgl. auch Reif, Westfälischer Adel, S. 34 – 39. 271 Vgl. Schwartz, Dorado, S. 624.

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sogar nur Angehörigen des gräflichen Hochadels Eintritt. Insbesondere das Kölner Kapitel bildete folglich eine wichtige Versorgungsinstitution für westfälische Grafen.272 Hinter den verschärften Zugangsvoraussetzungen, mit denen die Stifte und Domkapitel ihre soziale Exklusivität wahrten, stand deutlich das Interesse des Adels, die finanziellen und symbolischen Ressourcen, die sich ihm hier boten, zu monopolisieren. Im Folgenden wird zunächst ein kursorischer Blick auf das Verhältnis der Grafen zu den geistlichen Institutionen im Mittelalter geworfen, als sich insbesondere die Lipper beim Aufbau und der Pflege geistlicher Netzwerke hervor­ taten. Lässt sich eine genuine Dynastiepolitik identifizieren, in deren Rahmen die geistlichen Mitglieder erfolgreich mit ihren weltlichen Verwandten zusammenarbeiteten? Danach wird der Blick auf die Zeit der Reformation und Konfessionalisierung gerichtet, die grundlegend veränderte Bedingungen für die Grafen schuf. Der drohende Ausschluss der Protestanten aus der Reichskirche, der sich ab 1555 allmählich vollzog, wird auf seine Auswirkungen auf die Möglichkeiten dynastischer Versorgungspraxis hin untersucht. War es den vom alten Glauben abgewichenen Grafen dennoch möglich, Pfründen zu erwerben, und wie wurde mit diesen umgegangen? Entwickelte sich eine besondere, dynastieübergreifende Solidarität unter den nunmehr benachteiligten evangelischen Adligen oder blieben Pfründenweitergabe und Nepotismus streng auf die eigene Dynastie beschränkt? Im Mittelalter waren die Edelherren zur Lippe „herausragend in der Versorgung nachgeborener Söhne“273, da es ihnen gelang, zahlreiche Domherren-, Propstund Bischofsämter mit Verwandten zu besetzen. Besonders unter den Söhnen Bernhards II . ist eine ungewöhnliche Häufung höchster kirchlicher Ämter zu beobachten: Gerhard war Erzbischof von Bremen (1219 – 1258), Otto Bischof von Utrecht (1215 – 1227), Bernhard Bischof von Paderborn (1228 – 1247) und Dietrich Propst von Deventer (1216 – 1227). Dass Otto 1219 schließlich auch noch seinen eigenen Vater zum Bischof des neu gegründeten Bistums Selonien in Livland weihte, erschien schon den Zeitgenossen wundersam.274 Auch in der folgenden Generation wurden die beiden Brüder des weltlichen Herrn Bernhard III. Bischöfe, namentlich Otto in Münster (1247 – 1259) und Simon in Paderborn (1247 – 1277).275 Dieses erfolgreiche Bemühen um Bistümer barg natürlich aus dynastischer Warte ein hohes Risiko, denn ein geweihter Bischof konnte nicht mehr ohne Weiteres zurück in den weltlichen Stand treten. Das wurde jedoch auch nicht notwendig, da stets ein weltliches Familienmitglied bereitstand, um 272 Vgl. Roth, Kölnisches Domkapitel; Arndt, Kollegiale Solidarität, S. 117. 273 Zunker, Adel, S. 374. 274 Vgl. Meier, Heiliger, S. 98; Pohl, Edelherren zur Lippe, S. 40. 275 Vgl. ebd., S. 39.

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die Dynastie fortzuführen. Ihre verwandtschaftliche Herkunft von den Edelherren zur Lippe scheint den geistlichen Würdenträgern bewusst gewesen zu sein und ihr politisches Handeln sowie ihre Herrschaftsrepräsentation geprägt zu haben.276 Durch die Möglichkeit, als Angehörige einer gemeinsamen Dynastie zu agieren, waren die Edelherren trotz einer äußerst beschränkten Hausmacht in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in der Lage, eine starke, den Nordwesten des Reiches umspannende Machtpolitik zu betreiben.277 Insgesamt lassen sich im Mittelalter acht Lipper auf Bischofsstühlen finden, davon allein vier in Paderborn. Letzteres wirkte sich auf die Konsolidierung der lippischen Landesherrschaft besonders günstig aus, da der Paderborner Bischof als Hauptlehnsherr der Herrschaft und späteren Grafschaft Lippe in der Lage war, seinem weltlichen Verwandten besondere Rechte und Privilegien zu verleihen.278 Eine ausgesprochen enge Zusammenarbeit entwickelte sich etwa ­zwischen ­Bernhard VII. und seinem Bruder Simon, der seit 1463 Bischof von Paderborn war.279 Doch es gab auch Brüche in ­diesem System familiärer Loyalität: So führte der Edelherr Bernhard III. 1244 eine Fehde gegen seinen jüngeren Bruder Simon, der zu dieser Zeit Propst zu Busdorf in Paderborn war. Als Simon später Bischof zu Paderborn wurde, näherten sich die Brüder einander jedoch wieder an.280 Gelegentlich kam es vor, dass Edelherren, die zunächst in den geistlichen Stand getreten waren, später wieder weltlich wurden, wenn sich die Möglichkeit der Herrschaftsübernahme ergab, so etwa bei Hermann III., der bis zur brüderlichen Teilung von 1265 Domherr in Lübeck und Propst von Busdorf gewesen war. In gleicher Weise war auch der bei der zweiten Landesteilung von 1344 mitbedachte Bernhard V. zunächst Dompropst zu Paderborn gewesen. Um die Kontinuität der Dynastie zu bewahren, konnte es also sinnvoll sein, einen zweiten Sohn im weltlichen Stande zu belassen oder ihn dorthin zurückzuholen, wenn er noch keine höheren Weihen erhalten hatte, und zu verheiraten.281 Neben zahlreichen nachgeborenen Söhnen, die Domherren oder Pröpste wurden, treten bei den Lippern vor allem die Äbtissinnen der Familie hervor. Vom 13. bis 15. Jahrhundert besetzten insgesamt sieben Edelfräulein das höchste Amt in den Stiften Herford, Elten, Freckenhorst, Bassum, Borghorst und Möllenbeck, wobei hier erneut eine besondere Konzentration

276 Vgl. Zunker, Adel, S. 136 – 145. Schmidt, Hermann II., S. 215, spricht von einem „Gefühl der Zusammengehörigkeit“, das sich in Memorienstiftungen sowie gegenseitiger politischer und militärischer Unterstützung artikuliert habe. Zu einer lippischen Identität in der Sakralarchitektur vgl. Dorn, Bauen. 277 Vgl. Pohl, Edelherren zur Lippe. 278 Vgl. Meier, Eckstein, S. 55. 279 Vgl. Ders., Unter Brüdern; Kittel, Heimatchronik, S. 85. 280 Vgl. Zunker, Adel, S. 375; Kiewning, Lippische Geschichte, S. 40. 281 Siehe zum Hintergrund der Teilung auch Kap. 2.2.1.

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bei den Töchtern Bernhards II. auszumachen ist, unter denen sich vier Äbtissinnen finden.282 Ähnlich wie die Bischöfe waren auch sie zum Teil reichsunmittelbare Fürstinnen, die mit ihren nicht unbeträchtlichen Herrschaftsrechten eine „Machtpolitik nicht nur im Interesse der geistlichen Gemeinschaften, denen sie vorstanden, sondern auch ihrer Familie“283 betrieben. Am Beispiel der Edelherren zur Lippe wird deutlich, dass es für das Mittelalter anachronistisch wäre, die Eintritte Adliger in den Dienst der K ­ irche ausschließlich als dynastische Versorgungsstrategie zu interpretieren. Vielmehr scheint es für das Verständnis der zeitgenössischen Praxis angemessener zu sein, die Möglichkeit zur Bewährung im Glauben, aber auch die Machtfülle, die mit den hohen geistlichen Ämtern einherging, als wichtigste Schubkraft anzusehen, zu dem die Abstammung aus einem hochadligen Geschlecht befähigte. Dies ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass erst die kirchlichen Pfründen Herrschaftsmodelle wie die Individualsukzession ermöglichten. Die weltlichen Regenten konnten dabei gleich in doppelter Hinsicht von ihren geistlichen Verwandten profitieren: Zum einen fanden sie in ihnen in der Regel politische Unterstützer. Zum anderen übertrug sich die religiöse Heilsgewissheit und der weltliche Ruhm, den die zahlreichen Erzbischöfe, Bischöfe und Äbtissinnen unter den lippischen Edelherren anhäuften, auch auf ihre Verwandten und Nachkommen. Auf derartig viele hochrangige Mitglieder im Dienst der K ­ irche wie die Lipper konnten die Grafen von Waldeck nicht verweisen, doch auch ihnen entstammten im Mittelalter einige Bischöfe. Mit Widukind von Osnabrück (1265 – 1269), Adolf von Lüttich (1301 – 1302) und Gottfried von Minden (1304 – 1324) erlangten drei von ihnen ein Episkopat. Auch als Domherren in Lüttich, Minden, Münster, Paderborn, Osnabrück, Utrecht, Mainz und Würzburg sowie als Pröpste in Köln, Münster und Schildesche bei Bielefeld fanden nachgeborene Söhne der Waldecker ein Auskommen.284 Eine besondere Bedeutung für die Grafen hatte vor dem endgültigen Durchbruch der Reformation das Domkapitel von Köln, in dem mehrere Dynastieangehörige eine Pfründe erwarben, namentlich Philipp II. vom Eisenberg bis zu seinem Regierungsantritt 1474, seine Söhne Philipp III. und Franz, der spätere Bischof, sein Enkel Wolrad II. sowie Wilhelm, der Bruder Philipps IV. aus der 282 Vgl. Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 335 u. 336; Bei der Wieden, Herkunft, S. 27 f.; Pohl, Edelherren zur Lippe, S. 39 u. 41 f. Die Strategie, weibliche Familienmitglieder gezielt in hohen Stiften unterzubringen, wurde indes schon in der nächsten Generation aufgegeben. Stattdessen wurden die Töchter nun allesamt an Grafen aus der Region verheiratet, was einerseits der politischen Netzwerkbildung zugutekam und andererseits die Chancen auf einen Erbfall erhöhte. Vgl. Meier, Eckstein, S. 55 f.; Zunker, Adel, S. 365 – 370. 283 Ebd., S. 375. 284 Vgl. Zunker, Waldeck, S. 1627; Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326.

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Wildunger Linie.285 Die Töchter wurden hingegen vergleichsweise selten der ­Kirche übergeben, sondern meist an Standesgenossen verheiratet. Lediglich drei Waldecker Äbtissinnen sind bis zum Ende des Mittelalters greifbar, namentlich Mechthild als Äbtissin von Herford (1277 – 1288), deren genaue Einordnung in den Verwandtschaftsverband noch aussteht, eine weitere Mechthild, Tochter Heinrichs des Eisernen, als Äbtissin von Neuenheerse (1400 – 1410) und Herford (1409 – 1442)286 sowie Elisabeth in Kaufungen (1442 – 1495), die vermutlich eine Tochter Ottos III. von Landau war.287 Eher ungewöhnlich für eine Hochadlige war der Lebensweg einer Tochter Heinrichs IV., Sophie, als einfache Nonne im Augustinerkloster Volkhardinghausen.288 Auch unter den Waldecker Grafen gab es mit den drei Bischöfen und drei Äbtissinnen im Mittelalter also einige Angehörige in hohen kirchlichen Ämtern. Eine weit ausgreifende, aufeinander abgestimmte Machtpolitik wie unter den Söhnen Bernhards II. zur Lippe verfolgte man aber nicht. Die geistlichen Söhne seit der Reformation Die Auswirkungen der Reformation bedeuteten eine tiefe Zäsur in der bisherigen Praxis, wenngleich man sie sich nicht als punktuelles Ereignis, sondern als langwierigen, sich bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts hinziehenden Prozess vorzustellen hat. Im Zuge der Konfessionalisierung versuchten einige Bischöfe, die der Reformation zuneigten, ihre Bistümer zu säkularisieren und sie in den erblichen Besitz ihrer Dynastie zu bringen, was jedoch nur in den wenigsten Fällen gelang.289 Vielmehr musste ein geistlicher Fürst, der sich offen zur Reformation bekannte, seit dem Geistlichen Vorbehalt des Augsburger Religionsfriedens mit dem Verlust seines Amtes und seines Territoriums rechnen. Dennoch blieben im Rahmen der konfessionellen Ambiguität der Zeit auch weiterhin Freiräume und Möglichkeiten für evangelische Kandidaten, von Domkapiteln gewählt zu werden und sogar die päpstliche Konfirmation zu erlangen.290 Auch die Besetzung von Kapitel- und Stiftspfründen mit protestantischen Adligen wurde durch den Geistlichen Vorbehalt erschwert.291 Der Ausschluss aus den geistlichen Institutionen traf den Adel 285 Vgl. ebd., Nr. 328; Neumann, ­Kirche, S. 19 f. u. 29; Roth, Kölnisches Domkapitel, S. 269 f. 286 Vgl. Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326; Bei der Wieden, Herkunft, S. 29; Hoffmeister, Handbuch, S. 11. 287 Vgl. Roques (Bearb.), Urkundenbuch, Nr. 424, 426, 558 u. weitere. 288 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 9298: Am 24. Mai 1343 schenkte Heinrich dem Kloster zum Unterhalt seiner Tochter eine Mühle. Hoffmeister, Handbuch, S. 9, sieht Sophie fälschlicherweise als Tochter Ottos II. an. 289 Vgl. Wolgast, Hochstift, S. 261 – 266. 290 Vgl. Wall, Art. Geistlicher Vorbehalt; Ziegler, Entscheidung, S. 95. 291 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 490 – 503; Arndt, Kollegiale Solidarität, S. 117.

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an einer empfindlichen Stelle, nämlich der dynastischen Reproduktionsstrategie. Viele evangelische Adlige protestierten daher vehement und argumentierten, dass die Versorgungsmöglichkeiten der K ­ irche durch die frommen Stiftungen ihrer Vorfahren überhaupt erst geschaffen worden ­seien.292 Wie zu zeigen ist, gab es allerdings bis 1648 immer noch Möglichkeiten für protestantische Adlige, dennoch von den Mitteln der Reichskirche zu profitieren. Unter den Lipper Grafen finden sich bereits nach 1498, dem Todesjahr des letzten Bischofs aus lippischem Hause, keine Bischöfe und Pröpste mehr. Dies hängt nicht allein mit der Reformation, sondern auch mit den genealogischen Gegebenheiten zusammen, denn es gab in den folgenden drei Generationen schlicht keine Söhne, die sich um ein entsprechendes Amt hätten bewerben können.293 Den durch die Linienbildungen breiter aufgestellten Waldecker Grafen entstammten hingegen im 16. Jahrhundert noch zwei Bischöfe, von denen insbesondere Franz I. einige Prominenz erlangt hat. Er gehörte der Übergangsgeneration an, die ihren Weg in den zeittypischen Umbrüchen suchen musste. Wie sein älterer Bruder Philipp III. war er im alten Glauben erzogen worden und von Beginn an für die geistliche Laufbahn vorgesehen. Zunächst absolvierte er das dafür notwendige Studium in Erfurt und Leipzig und erwarb 1510 ein Kanonikat in Köln.294 Während sein Bruder Philipp ab Mitte der 1520er Jahre mit der Einführung der Reformation in seinem Eisenberger Landesteil begann, verfolgte Franz unbeirrt seine geistliche Karriere weiter, sammelte weitere Kanonikate in Trier, Mainz und Paderborn und wurde 1530 zum Administrator von Minden gewählt. In seinem dortigen Vorgehen gegen die lutherischen Neuerer wurde er zeitweise auch von seinem Bruder Philipp III. unterstützt, der bekanntlich selbst der Reformation anhing.295 Die nahe Verwandtschaft wog hier offensichtlich schwerer als die konfessionelle Differenz. Zwei Jahre später erwarb Franz auch die Bischofswürden von Münster und Osnabrück, während er die höheren Weihen erst 1540 erhielt.296 Begegnete er der neuen Lehre zunächst mit Ablehnung, bewirkte die entschiedene Hinwendung seiner Waldecker Verwandten zu Luther schließlich eine Umorientierung. Dabei spielten neben religiösen Gründen wohl auch dynastische Überlegungen eine Rolle bei Franz’ Bestrebungen, in seinen drei Territorien 2 92 Vgl. ebd; Schwartz, Dorado, S. 600. 293 Mit der Ausnahme Hermann Simons, der sich 1558 jedoch lieber mit der Spiegelberg-­ Pyrmontischen Erbtochter Ursula vermählte, statt seine eingeschlagene Domherrenkarriere weiterzuverfolgen. 294 Vgl. Behr, Franz von Waldeck, Bd. 1, S. 17. 295 Vgl. etwa das Schreiben Philipps an den hessischen Landgrafen vom 19. 08. 1530, in dem er um Unterstützung seines Bruders gegen die aufsässige Stadt Minden bittet; abgedruckt in Behr, Graf Franz von Waldeck, S. 83. 296 Zum Wirken Franz’ als Bischof vgl. ebd.; Ders., Franz von Waldeck; Freitag, Reformation, S. 161 – 173; Gillner, Freie Herren, S. 73 – 85; Wolgast, Hochstift, S. 100 – 110.

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die Reformation einzuführen. Ob er sie tatsächlich säkularisieren und in erblichen Besitz bringen wollte, muss auf Grundlage der vorhandenen Quellen allerdings offenbleiben.297 Seine möglicherweise heimlich vollzogene Heirat deutet zumindest in diese Richtung.298 Während seine reformatorischen Vorstöße in Minden und Osnabrück wenigstens zeitweilig auf fruchtbaren Boden fielen, wurden sie von den Münsteraner Ständen sowie den benachbarten altgläubigen Fürsten radikal abgelehnt, sodass Franz schließlich widerrufen musste. Ein „weltliches Fürstentum aus drei ehemaligen Bistümern unter der erblichen Herrschaft seines Hauses“299, wie es ihm vorgeschwebt haben mag, verblieb daher im Reich des Unmöglichen. Der zweite neuzeitliche Bischof aus dem Haus Waldeck war ein Großneffe Franz’ aus der Landauer Linie, der 1561 geborene und bereits im Luthertum erzogene Bernhard. Als Nachgeborener leistete er einen förmlichen Erbverzicht zugunsten seines älteren Bruders und erwarb Kanonikerpfründen in Straßburg und Köln.300 Nachdem er sich zunächst erfolglos um das Bischofsamt von Münster bemüht hatte,301 wurde er 1585 zum Bischof von Osnabrück gewählt, erhielt seine Bestätigung durch den Papst allerdings erst zwei Jahre später. Dazu hatte er den Eid auf das Tridentinum ablegen müssen, was jedoch reine Makulatur blieb, denn als Bischof bekannte er sich öffentlich zum Luthertum. Sein Amt behielt er gleichwohl bis zu seinem Tode 1591.302 Trotz ihres evangelischen Bekenntnisses waren die Grafen von Waldeck als Bewerber um Bischofswürden im 16. Jahrhundert also durchaus erfolgreich. Die dauerhafte Dynastisierung eines oder mehrerer Bistümer gelang ihnen im Gegensatz zu protestantischen Fürstenhäusern wie den Welfen oder den Hohenzollern allerdings nicht. Zahlenmäßig bedeutsamer als die exzeptionellen Episkopate war für die Grafen­ häuser der Erwerb von Pfründen in Domkapiteln oder Stiften. Schon der Wildunger Rat Hermann Ulner sah ihren Sinn vor allem in der Versorgung des Adels, den tzu erhaltung Furstlicher und Gravelicher geschlechte sindt die hohen Stiffte durch einen gemeynen gebrauch in teutzscher Nation angericht, auch mitt trefflichen guetern durch keyßer, konig und Fursten begabt, und ob schon ettliche Mißbreuche eingeriessen, so ist doch tzuverhoffen, es werden dießelben ettwan mitt der tzeitt durch gottliche schickung abgeschafft, reformirt und gebessertt werden 303. 297 Dies vermutet Wolgast, Hochstift, S. 105 f.; sowie Schröer, Reformation, Bd. 2, S. 154 – 158. Vorsichtiger dagegen Behr, Graf Franz von Waldeck, S. 23 u. 30; sowie Freitag, Reformation, S. 165. 298 Siehe dazu Kap. 3.2.4. 299 Gillner, Freie Herren, S. 78. 300 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 975 u. 977. 301 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 978, 979 u. 980. 302 Vgl. Feldkamp, Art. Bernhard; Kaster/Steinwascher (Hg.), 450 Jahre, S. 548; Falkmann, Beiträge, Bd. 4, S. 131 – 141. 303 HStAM, 115/01, Nr. 45, Gutachten vom 04. 03. 1554, fol. 7v.

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In dieser Hinsicht wusste er sich mit seinem Dienstherrn Philipp IV. einig, der in ihnen ebenfalls eine grundsätzliche Möglichkeit zur Entlastung der dynastischen Finanzen sah. Allerdings plagten den Grafen ebenso wie seinen Ratgeber auch reformatorische Zweifel am Zustand der Stifte.304 Dabei frequentierten westfälische Reichsgrafen nicht die regionalen Hochstifte, deren Bischofsstühle sie gelegentlich einnahmen, in deren Domkapiteln hingegen der Stiftsadel dominierte. Vielmehr waren insbesondere die dem Hochadel vorbehaltenen Domkapitel von Köln und Straßburg die erste Anlaufstelle. In Köln erhielt etwa der nachgeborene Hermann Simon zur Lippe von seinem Vormund, dem 1546 zum Erzbischof ernannten Adolf von Schaumburg, eine Stellung als Domkapitular.305 Diese Pfründe behielt er, bis er sie zugunsten seiner Heirat mit Ursula von Spiegelberg-­Pyrmont quittierte und an seinen erst vierjährigen Neffen Simon VI., den späteren Landesherrn, übergab.306 Hier zeigt sich die Strategie der Pfründenweitergabe an nahe Verwandte, durch die eine solch wertvolle Einnahmequelle der Dynastie erhalten werden sollte.307 Weiterhin wird deutlich, dass geistliche Präbenden auch den für die Herrschaftsnachfolge vorgesehenen Erstgeborenen übertragen wurden, wenn andere Familienmitglieder sie nicht dringender benötigten. Bei Regierungsantritt oder Verheiratung konnten sie dann erneut weitergegeben werden. Dies geschah 1578 im Zuge der Vermählung Simons, vor der er seiner Tante Anna von Waldeck versprach, sich beim Domkapitel für ihren Sohn Philipp VI. als seinen Nachfolger einzusetzen.308 Selbst wenn also kein Agnat der eigenen Dynastie zur Verfügung stand, wurde eine Präbende nicht einfach quittiert, sondern man schaute sich zunächst in der weiteren Verwandtschaft nach möglichen Nachfolgern um. 304 So räsonierte er in einer testamentarischen Verfügung: Darneben aber seine Gnaden die hohe beschwerung, darmit seiner Gnaden theill der Graveschafft Waldeck beladen, erwegen, und darumb nit mit einem geringen Kosten, den seine G[naden] daruff gewanth, understanden, etzliche seiner Gnaden Sohne zu beßerm underhalt der andern Kinder zu geistlichen personen uff hohe Stiffte zubefordern, dasselbig aber widderumb angestalt in erwegung des mißbrauchs, ergerlichen lebens des itzigen unordentlichen geistlichen stants, und das sein Gnaden auß wolermelter seiner Gnaden Sohnen gemutten sampt und sondern erlernet, daß dieselbigen zu solchen geistlichen Conditionen und ergerlichem leben vor gott und der welt keins wegs verschoben noch bestrickt, sondern das sie frei sein wollen, ir thun, leben und wandell mit hilff gottes und der freunde zu christlichen und Gott gefelligen wegen richten und stellen wollen., vgl. HStAM, 115/01, Nr. 683. 305 Vgl. Kiewning, Lippische Geschichte, S. 182; Roth, Kölnisches Domkapitel, S. 272. Der hier ebenfalls, vermutlich irrtümlich aufgeführte „Johann Graf von der Lippe“ konnte nicht zugeordnet werden. 306 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 36 f. 307 Vgl. auch Spiess, König, S. 25. 308 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 217 f. Dies war offenbar nicht erfolgreich, da Philipp in der Aufstellung bei Roth, Kölnisches Domkapitel, fehlt. Ein Jahr später starb er bereits.

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Einen Einschnitt bedeutete die um die Jahrhundertwende unter Simon VI . vollzogene konfessionelle Umorientierung der Lipper zum reformierten Bekenntnis. Dieses hatte für die Grafen zur Folge, dass sie bei der Versorgung ihrer Söhne, die nun wieder zahlreicher wurden, nicht mehr auf die kirchlichen Ämter zählen konnten, denn die reichsrechtlich noch nicht anerkannten ‚Calvinisten‘ wollte man in den altgläubigen Stiften auf keinen Fall aufnehmen. Daher versuchte Simon für seinen gleichnamigen Sohn ein Kanonikat im protestantischen Magde­ burg zu erwerben. Allerdings scheint das Projekt im Sande verlaufen zu sein.309 Auch dessen Brüder fanden keine Aufnahme in geistlichen Institutionen. In der folgenden Generation gelang es hingegen noch dem Grafen Johann Bernhard, 1638 im Domkapitel von Bremen eine Präbende käuflich zu erwerben, die er nach seinem Regierungsantritt 1651 an seinen Halbbruder Jobst Hermann versetzte.310 Darüber hinaus hatten geistliche Ämter für die Söhne der Grafen im 17. Jahrhundert keine Bedeutung mehr. Da die Grafen von Waldeck im 16. Jahrhundert einen größeren Verwandtschaftsverband mit zahlreichen Agnaten bildeten, waren sie wesentlich stärker als die Lipper auf die geistlichen Versorgungsämter angewiesen, was angesichts ihrer von gleichberechtigten Erbansprüchen geleiteten Teilungspraxis zunächst verwundern mag. Die Teilungen machten den Erwerb von Pfründen jedoch nicht überflüssig, ­welche oft als zusätzliche Einnahmequelle oder als Überbrückung bis zur endgültigen Abteilung aller Erben genutzt wurden. Während etwa Otto von Waldeck in den Johanniterorden eintrat,311 war sein Bruder Wolrad II. bereits 1520 als Elfjähriger zum Kanoniker des St. Gereon-­Stifts in Köln gewählt geworden; neun Jahre später wurde er zudem am dortigen Domkapitel aufgenommen. Obschon er bereits durch den Mutschierungsvertrag von 1538 in die Position eines regierenden Grafen gelangt war, gab er beide Präbenden erst 1544 auf, also zu der Zeit, als er sich erstmals mit Heiratsplänen trug. In Wolrads Fall hing der lange Verbleib in einem geistlichen Amt offenbar mit einer tatsächlichen katholischen Religiosität zusammen, die er lange auch gegen die reformatorisch gesinnten Verwandten aufrechterhielt. Seine Stiftspfründe quittierte er nicht einfach, sondern gab sie an seinen Halbbruder Philipp V. weiter, der sie bis 1558 nutzte.312 In der 309 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 175. 310 Vgl. Fink, Haus, S. 39. Dieser konnte sie freilich kaum mehr antreten, da das Bremer Kapitel im gleichen Jahr durch die Schweden aufgelöst wurde. 311 Die geistlichen Ritterorden waren „von jeher eindeutig adelskirchliche Versorgungsanstalten“, Schwarz, Dorado, S. 634. Bei den hier untersuchten protestantischen Grafen blieben sie jedoch eher ein Randphänomen; neben Otto lässt sich für die Frühe Neuzeit nur der Nachgeborene Augustus zur Lippe-­Brake ausmachen, der ab 1688 Landkomtur der Ballei Hessen des Deutschen Ordens war. 312 Vgl. Hengst, Ende, S. 182 f.; Hoffmeister, Handbuch, S. 46; Roth, Kölnisches Domkapitel, S. 270.

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Landauer Linie, wo man sich der Beschränktheit der eigenen Ressourcen besonders bewusst war, bemühte man sich intensiv um geistliche Pfründen. P ­ hilipp erwarb weitere Präbenden am St. Viktorstift in Mainz, die er 1532 von seinem Onkel Franz I. übernommen hatte,313 und an den Domkapiteln in Mainz, Köln und Straßburg.314 Letztere übertrug er wiederum 1567 an seinen Neffen Philipp VI., der sie bis zu seinem Tod behielt.315 Dass er von all seinen einträglichen Pfründen zurück und in den weltlichen Stand eintrat, hing vermutlich mit dem Tod seines Bruders Johann I. zusammen, obschon er nicht unmittelbar für den Erhalt der Dynastie vorgesehen war. Wenige Jahre später trat er noch in fortgeschrittenem Alter vor den Traualtar und verbrachte seinen Lebensabend auf Schloss Hückeswagen im Herzogtum Berg. Auch seine Brüder Johann I. und Franz II. waren in der ersten Hälfte ihres Lebens Kölner Domherren gewesen, bevor sie sich verheirateten.316 Und schließlich hatte auch Johanns jüngster Sohn Bernhard, der spätere Bischof von Osnabrück, seit 1574/75 bis zu seinem Tod Domherrenämter in Straßburg und Köln inne.317 Geistliche Ämter ließen sich also kombinieren und auch mit einer weltlichen Regentschaft vereinbaren, da die Residenzpflichten in der Regel begrenzt waren. Ein zwingender Grund zur Quittierung war allein eine Heirat. Auch dass die Söhne (mit Ausnahme des jungen Wolrad) und Enkel Philipps III . bereits alle der Reformation zugeneigt oder sogar lutherisch erzogen worden waren, bedeutete in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts keinen Ausschluss von den Pfründen. In keinem der Fälle ließen sich Hinweise auf die Konfession als möglichen Hinderungsgrund finden. Weitaus genauer nahmen die Stifte und Domkapitel hingegen den Nachweis der adligen Vorfahren als wichtigstes Eintrittskriterium. Die sogenannte Ahnenprobe geschah nach der eigentlichen Nominierung des neuen Kapitulars durch das Kapitel oder den Papst (je nachdem, ob es sich um einen geraden oder ungeraden Monat handelte) und war notwendige Zugangsvoraussetzung. Wurde sie zunächst überwiegend in Form eines von ebenbürtigen Zeugen besiegelten Briefes erbracht, setzten sich im 17. Jahrhundert gemalte Aufschwörungstafeln durch, die beim Kapitel eingereicht und dort eine Weile öffentlich zur Überprüfung ausgehängt wurden. Erst wenn die Richtigkeit der Angaben vom gesamten Kapitel anerkannt worden war, konnte die sogenannte Aufschwörung des Probanden vollzogen und 3 13 Vgl. Behr, Franz von Waldeck, Bd. 1, S. 17 f. 314 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 910; Hoffmeister, Handbuch, S. 39; Roth, Kölnisches Domkapitel, S. 272. 315 Vgl. HS tAM , Urk. 85, Nr. 435, Übertragungsurkunde vom 01. 02. 1567; sowie 115/01, Nr. 984. 316 Vgl. Roth, Kölnisches Domkapitel, S. 271 f. (Franz II . wird hier fälschlicherweise als ­Friedrich aufgeführt). 317 Vgl. ebd., S. 274; HStAM, 115/01, Nr. 975 u. 977.

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die Aufnahmegebühr entrichtet werden.318 Mit dem Nachweis der Ahnen wurde die hochadlige Herkunft belegt, was wiederum die soziale Exklusivität des Kreises derer garantierte, die Zugang zu den einträglichen Pfründen hatten. In der Regel wurde im 16. Jahrhundert der Nachweis von acht oder 16 adligen Vorfahren verlangt, was einen Abstammungsnachweis bis in die Generation der Ur- bzw. Ururgroßeltern bedeutete. Es lag dabei in der Logik der Ahnenprobe, dass väterliche und mütterliche Abstammung gleich wichtig waren, da man davon ausging, dass die adlige Standesqualität bilateral vererbt wurde. Die Landauer Sprösslinge, die mit Anna von Kleve ja sogar fürstliches Blut aufweisen konnten, hatten daher keine Schwierigkeiten, Aufnahme in den hohen Stiften zu finden. Welch nachhaltige Wirkungen eine Heirat zeitigen konnte, die auch nur den Verdacht der Unebenbürtigkeit aufwies, musste hingegen P ­ hilipp IV. aus der Wildunger Linie im Jahr 1550 erfahren, als er seine beiden Söhne ­Friedrich und Daniel an den Domkapiteln in Köln bzw. Straßburg unterbringen wollte. Nachdem beide vom jeweiligen Kapitel bereits gewählt worden waren und ­Philipp die entsprechende Aufnahmegebühr entrichtet und die Ahnenproben 319 brieflich eingereicht hatte, weigerte sich zunächst die Straßburger, dann auch die Kölner Prüfungskommission, die Waldecker aufzunehmen. Eine Urgroßmutter mütterlicherseits, Theda Ukena, Tochter eines ostfriesischen Häuptlings, erschien dem Straßburger Kapitel suspekt, man bezweifelte ihre gräfliche Herkunft.320 Dass bereits einige Vorfahren und auch lebende Angehörige aus der Eisenberger und Landauer Linie als Domherren in Köln aufgeschworen worden waren, wurde den Wildungern dabei nicht zugutegehalten. Philipp setzte nun alle Hebel in Bewegung, um die Zweifel auszuräumen, schrieb wiederholt an beide Kapitel sowie an den Kölner Erzbischof und mobilisierte Standesgenossen, die die gräfliche Abkunft seiner Söhne beschwören und ein gutes Wort für sie einlegen sollten. Insbesondere Graf Johann von Ostfriesland, um dessen Großmutter es ja ging, beteuerte gegenüber dem Kölner Domkapitel, dass seine Vorfahren sich stets gräflich vermählt hätten, ohne hierfür freilich urkundliche Belege liefern zu können. Er bat, die Junggrafen nicht länger zu mercklichem schaden, hone und verringerung Ires Grefflichen Adels und standes 321 an der Nutzung ihrer Präbenden zu hindern. Durch den geäußerten Zweifel an der Stiftsfähigkeit und die verweigerte Aufnahme drohten aus Sicht der Zeitgenossen also nicht nur finanzielle Schwierigkeiten, sondern auch ein Verlust der Standesehre, der sich 318 Vgl. Küppers-­Braun, Ahnenproben; Andermann, Praxis; Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 300 – 302. 319 Da diese auch von Graf Bernhard VIII. zur Lippe bezeugt wurde, ist sie auch im lippischen Hausarchiv überliefert; vgl. LAV NRW OWL, L 49 5/3, Nr. 8. 320 Zu ihr vgl. Wagner, Art. Theda Ukena. 321 HStAM, 115/01, Nr. 728, undatierte Abschrift (um 1550).

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schlimmstenfalls auf die Dynastie übertrug. Während das Straßburger Kapitel gegenüber Philipp verlautbaren ließ, es wolle die Entscheidung der Kölner abwarten, da dort die nordischen Geschlechter besser bekannt ­seien, bediente man sich in Köln einer Verzögerungstaktik, die die Entscheidung einige Jahre in die Länge zog. Zwischenzeitlich war Daniel in den Dienst des Landgrafen von Hessen getreten und versuchte seine ungenutzte Straßburger Präbende an Friedrich abzutreten, was natürlich keinen Erfolg hatte, da beide die gleichen Vorfahren hatten, und Friedrich schon in Köln nicht aufgenommen worden war. Als der ältere Bruder der beiden, Samuel, im Sommer 1555 den Straßburger Dompropst Reinhardt Pfalzgraf bei Rhein an sein Versprechen zur Beförderung der Sache erinnerte, erhielt er nur eine kühle Absage. Die Übertragung von einem Bruder auf den anderen sei nicht statthaft; vielmehr wäre es das Beste gewesen, Daniel hätte stillschweigend und ohne großes Aufsehen resigniert, damit es nit gar laut­ bar wurde, das Eur Bruder Graff Daniel hie zu Straßburg nach gewonheit des Stiffts nit beweissen möchte, und blibent also Ir, Er und andere Eure Verwandten unbe­ schreihet 322. Wenn Friedrich schon in Köln keinen Erfolg gehabt habe, würde es in Straßburg erst recht nicht gelingen, da, wie der Dompropst mit merklichem Stolz verkündete, die Probation hie zu Straßburg grösser dann zu Chöln 323 sei, nämlich 16 statt acht Ahnen erfordere. Der nun auch vonseiten des Stifts thematisierte drohende Ansehensverlust war es wohl letztlich, der zur Aufgabe der Waldecker in dieser Angelegenheit führte. Beide Bewerbungen scheiterten also an einer nichtgräflichen Urgroßmutter. Die seinerzeit vermutlich gar nicht als Mesalliance wahrgenommene Eheschließung lag natürlich außerhalb des Handlungsspielraums Philipps, der sich bei seiner eigenen Heirat mit Margaretha von Ostfriesland 1523 vermutlich nicht um deren Ahnen besorgt hatte. Der Fall demonstriert eindrücklich die zunehmende Bedeutung der Ahnenprobe als Nachweis der hochadligen Abstammung im Laufe des 16. Jahrhunderts, die sogar eine altgräfliche Dynastie wie die Waldecker in Bedrängnis bringen konnte. Konsequenzen im Sinne einer Verschärfung der Kriterien bei der Wahl ihrer Heiratspartner zogen sie daraus aber vorerst nicht, wie in Kapitel 3.1.4 beschrieben wurde. Während Daniel als Einkommensquelle schließlich nur der Fürstendienst blieb, war Friedrich inzwischen über seinen Schwager Reinhard von Ysenburg-­Büdingen in den Besitz einer Präbende im Domstift Speyer gelangt, wo die Statuten weniger streng waren.324 Der Lebensunterhalt war damit jedoch noch nicht unmittelbar gesichert, denn die ersten drei Jahre nach Amtsantritt bildeten 3 22 Ebd., Nr. 734, Schreiben vom 08. 08. 1555. 323 Ebd. 324 Der Ysenburger hatte die Präbende 1553 zunächst Samuel angeboten, der sich jedoch mit Heiratsplänen trug und sie an seinen jüngeren Bruder weiterreichte. Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 731.

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eine Art Karenzzeit, in der noch keine Gelder ausgezahlt wurden. Im Zuge des 1554 z­ wischen Samuel und seinen Geschwistern geschlossenen Erbvertrags wurde daher auch festgelegt, dass der älteste Bruder die 1000 Gulden für den Erwerb der Präbende aufbringen und sich die nächsten drei Jahre am Unterhalt Friedrichs beteiligen sollte. Im Gegenzug würde dieser ihm einen Erbverzicht leisten.325 Außerdem hielt sich Friedrich in der fraglichen Zeit übergangsweise am kurfürstlichen Hof in Mainz auf, was dem Vater jedoch letztlich mehr Kosten bereitete als es finanzielle Entlastung verschaffte.326 Kinder- und insbesondere Söhnereichtum ging bei den Grafen also stets mit Unsicherheit über deren Versorgung einher. Präbendenerwerb, Fürstendienst und Ausgleichszahlungen aus dem Hausvermögen mussten klug kombiniert, die Leistungsansprüche eines jeden abgewogen und gewissermaßen in unterschiedliche Währungen (Pfründen- und Dienstgelder, Apanagen, Herrschaftsrechte usw.) übersetzt werden. Die geistlichen Töchter seit der Reformation Während die überwiegende Zahl der Männerklöster im Zuge der Reformation aufgelöst wurde, sodass für protestantische Adelssöhne bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts im Wesentlichen nur die hohen Stifte bzw. Domkapitel als Optionen für ein Auskommen im geistlichen Stand blieben, wurden viele Frauenklöster in den evangelischen Territorien in freiweltliche Damenstifte überführt. Hier konnten unverheiratete adlige Frauen, ohne ein Gelübde ablegen zu müssen, in relativ freier Gemeinschaft einen standesgemäßen Lebensstil pflegen.327 In der Grafschaft Lippe wurden etwa die Frauenklöster Cappel, Lippstadt und Lemgo in freie Stifte umgewandelt, alle übrigen Klöster hingegen aufgelöst und ihr Besitz von den Landes­ herren eingezogen.328 Für die Töchter reichsgräflicher Dynastien zählten insbesondere die Reichsstifte zu den begehrten Versorgungsinstitutionen, während in den vom Niederadel dominierten landständischen Stiften zumindest das Äbtissinnenamt als standesgemäß galt. Obschon sich einige der Stifte nach einer Phase der Offenheit gegenüber der evangelischen Lehre im Zuge der ­Rekatholisierung des 325 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 347a, fol. 3r–v u. 5r. Der Erbverzicht Friedrichs auf die Grafschaft sollte nur so lange gelten, wie er die Präbende ­nutzen würde. Sollte er selbige resignieren, würde Samuel den Nachfolger bestimmen können; vgl. ebd., Nr. 11163. 326 Im November 1556 bedankte sich Philipp beim Erzbischof für die Aufnahme seines Sohnes am Hof, bat jedoch zugleich um eine angemessene Dienstbestallung für ihn. Ihm selbst sei es meiner gelegenheit nach, der Ich von Gotts gnaden noch mit mehr soenen begnadet, die auch Ihre unterhaltung haben wollen, vhast beschwerlich, Ihnen gemelten meinen Soen auff meinen costen undt verleg des orts zuunterhalten, HStAM, 115/01, Nr. 732. 327 Vgl. Koch, Art. Damenstift. 328 Vgl. Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 183; Hellfaier, Entwicklung. S. 66.

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17. ­Jahrhunderts gegenüber Protestanten abschlossen, blieben andere für Anhängerinnen der lutherischen und zum Teil auch der reformierten Konfession geöffnet.329 Daher lässt sich auch im protestantischen Hochadel beobachten, dass viele Töchter in jungen Jahren in ein Stift eintraten, wo sie aus dem Stiftungsvermögen versorgt wurden und einen relativ freien Lebenswandel mit überschaubaren Pflichten pflegen konnten. Auch der Austritt war problemlos möglich, weshalb viele der adligen Fräulein nur eine begrenzte Zeit im Stift lebten, ehe sie schließlich heirateten. Durch ihre erfolgreiche Aufnahme hatten sie ihre Stiftsfähigkeit unter Beweis gestellt, die analog zu den Anforderungen bei den männlichen Stifts- und Domherren im Nachweis einer bestimmten Anzahl adliger Ahnen bestand.330 Vor ­diesem Hintergrund erfüllten die Damenstifte auch die Funktion von „Kontrollinstanzen für die Ebenbürtigkeit der Heiratskandidatinnen“331. Ein Adliger, der ein ehemaliges Stiftsfräulein ehelichte, konnte sich der tadellosen adligen Herkunft seiner Gemahlin sicher sein, was wiederum den gemeinsamen Kindern zugutekommen würde. Für den katholischen Bereich hat Ute Küppers-­Braun herausgefunden, dass etwa 80 Prozent aller gräflichen und fürstlichen Töchter eine Zeit lang in einem Stift wohnten. Von den Stiftsdamen wiederum verließ etwa die Hälfte das Stift nach einigen Jahren, um sich zu verheiraten; es wurde also auch als biographische „Durchgangsstation“332 genutzt. Für die hier untersuchten Grafenhäuser lassen sich aufgrund der lückenhaften Überlieferung keine eindeutigen Zahlen angeben.333 So ist nicht auszuschließen, dass Töchter, die später heirateten, zuvor einige Zeit in einem Stift verbrachten, ohne dass es hierfür eindeutige Belege gäbe.334 Diejenigen, die Spuren 3 29 Vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 254. 330 Während der Ahnennachweis insbesondere für die soziale Abschließung des katholischen Stiftsadels eine herausgehobene Rolle spielte, wurde er grundsätzlich auch in protestantischen Institutionen gefordert; vgl. Harding/Hecht, Ahnenproben, S. 21. In evangelischen Reichsstiften wie Herford gab es Aufschwörungen allerdings erst seit Ende des 17. Jahrhunderts, also nach Ende des Untersuchungszeitraums; vgl. Küppers-­Braun, Ahnenproben, S. 188 f. Erhalten hat sich etwa die in Metall ausgeführte Aufschwörungstafel der Henriette Louise Wilhelmina zur Lippe-­Biesterfeld, die 1729 für die Aufnahme ins Reichsstift Herford angefertigt wurde; vgl. LAV NRW W, W 101, Nr. 1243,0. 331 Küppers-­Braun, Dynastisches Handeln, S. 233. Vgl. Dies., Frauen des hohen Adels, S. 275 – 295. 332 Dies., Dynastisches Handeln, S. 236. Reif, Westfälischer Adel, S. 112 – 122, hebt dagegen stärker den Charakter einer biographischen ‚Endstation‘ hervor. 333 Die fehlenden Quellen lassen sich sowohl mit Blick auf die hausarchivalische als auch auf die stiftische Überlieferung konstatieren. Zu letzterer etwa Bei der Wieden, Herkunft, S. 21: „Wenig ist bekannt über die Kanonissen der Reichsabtei Herford im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Das gilt auch für die anderen westfälischen Stifte. Die Art der Überlieferung nennt ihre Namen nicht.“ 334 Hinweise können sich an verstreuten Orten wie zeitgenössischen Genealogien, Kinderlisten oder auch Testamenten finden. So führt beispielsweise Christian von Waldeck in seinem 1637 verfassten Testament seine Tochter Christiane als Herforder Stiftsdame; vgl.

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in den Quellen hinterlassen haben, etwa weil sie in das Amt einer Dechantin oder Äbtissin gewählt wurden, bilden im Untersuchungszeitraum allerdings nur einen kleinen Anteil.335 Bei den Lippern liegt das Verhältnis von Fräulein, die dauerhaft im Stift blieben, gegenüber denen, die heirateten, bei 1:5, bei den Waldeckern fällt es mit 1:13 noch einseitiger aus.336 Beide Grafendynastien bevorzugten bei der Versorgung ihrer weiblichen Mitglieder die Heirat mit Standesgenossen gegenüber dem Leben als Stiftsdame. Während der Aspekt der materiellen Versorgung nicht überbetont werden sollte, war für reichsgräfliche Fräulein neben der Herausstellung ihrer Stiftsfähigkeit als Vorbereitung auf eine Heirat vor allem die Wahl in das Amt der Äbtissin von besonderer Bedeutung, denn sie bedeutete eine der wenigen Möglichkeiten weiblicher Herrschaftsausübung in der Vormoderne. Dies galt in gewissen Grenzen auch für die landständischen Stifte wie Möllenbeck oder Freckenhorst, die noch einem Landesherrn unterstanden. Mit der Wahl zur Äbtissin eines der großen Reichsstifte wie Gandersheim oder Quedlinburg waren dagegen die Herrschaft über ein reichsunmittelbares Territorium und der soziale Aufstieg in den Fürstenstand verbunden.337 Über die Annahme neuer Stiftsdamen entschied entweder das Kapitel in seiner Gesamtheit oder die Äbtissin persönlich. Stand zunächst vor allem die adlige Herkunft der Kandidatin im Zentrum, wurde im Zuge der Rekatholisierung zu Beginn des 17. Jahrhunderts zunehmend auf die Konfessionszugehörigkeit geachtet. Zur Äbtissin qualifizierten nach kanonischem Recht ein Mindestalter von 30 Jahren – wovon häufig abgewichen wurde –, eine elementare adelsspezifische Ausbildung sowie ein als besonders tugendhaft angesehener Lebenswandel.338 Zwar oblag die freie Wahl grundsätzlich dem gesamten Kapitel, doch wurde häufig von außen, insbesondere von benachbarten Fürsten, versucht, Einfluss zu nehmen.339 Von der Gewählten wurde schließlich vonseiten ihrer Herkunftsdynastie erwartet, eine Politik in deren Sinne zu betreiben. Wie bei den HS tAM , Urk. 85, Nr. 272, fol. 2v. Fünf Jahre später heiratete sie den Grafen Ernst von

Sayn-­Wittgenstein. 335 Ein Beispiel ist Maria Elisabeth, eine Tochter Wolrads IV., die zunächst Kanonissin und Dechantin zu Gandersheim war, dann zur Äbtissin von Schaaken gewählt wurde, bevor sie im gleichen Jahr resignierte und sich mit Markgraf Friedrich V. von Baden-­Durlach vermählte. 336 Siehe dazu Tabelle 1 im Anhang. 337 Dazu grundlegend Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen. Für Herford galt dies nur in begrenztem Maße, da die Feldmark des Stifts bereits 1256 von der Äbtissin an die Stadt abgetreten worden war; vgl. ebd., S. 31. Auch Gandersheim verfügte in der Frühen Neuzeit nicht mehr über ein eigenes Territorium, das an die welfischen Herzöge verlorengegangen war; vgl. Goetting, Kanonissenstift, S. 234. 338 Vgl. Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 38 f. 339 Vgl. ebd., S. 44.

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männlichen Dynastieangehörigen, die eine geistliche Karriere anstrebten, ging also auch der Eintritt in ein Stift, sofern er perspektivisch die Wahl zur Äbtissin ins Auge fasste, weit über eine reine Versorgung hinaus und implizierte immer auch die Möglichkeit zur Erweiterung des politischen Einflusses.340 Eine weitere Paral­ lele ist die auch hier oft unzureichende finanzielle Ausstattung der Stifts­damen durch ihre Präbenden, die Zuschüsse seitens der Familie notwendig machten. Einfache Kanonissen bekamen etwa in Herford überhaupt keine Zuwendungen durch das Stift, weshalb sie oftmals weiterhin im väterlichen Schloss residierten, und auch die Einkünfte der Äbtissinnen waren überschaubar.341 Die verengten Handlungsspielräume für Protestanten bekam auch Simon VI. zu spüren, als er 1604, also kurz vor seinem öffentlichen Bekenntnis zum Reformiertentum, versuchte, eine seiner Töchter zur Äbtissin des Stifts Freckenhorst im Münsterland wählen zu lassen. Zunächst wurde ihm von dem Obristen Alexander von Velen aus Münster berichtet, dass er beim Domkapitel und den Stiftsdamen wohlgelitten sei, und dahr Ewer gnaden theilß Ihrer kinder zur Catholischen Relli­ gion qualificirtten, ungezweivelt inß künffttigh deßen dieser ortt wurden genießen konnen 342. Es werde bei der kommenden Wahl nämlich von der Kandidatin die professio fidei, das Glaubensbekenntnis nach den tridentinischen Bestimmungen, erwartet. Unverzüglich instruierte Simon seine Räte daraufhin, mit seinen beiden ältesten Töchtern in Freckenhorst vorstellig zu werden, und die ältere, oder, wenn es aussichtsreicher wäre, die jüngere zur Wahl vorzuschlagen. An dieser Flexibilität zeigt sich, dass es Simon stärker um die Besetzung ­dieses wichtigen Amtes mit einer Familienangehörigen ging als um die zielgerichtete Versorgung einer bestimmten Tochter. Ferner gab er die Order: In specie aber den Punctum Religionis betreffend sollen sie sich nochmahln dahin erclären, das Frawleyn seie bey der Augspurgischen Confession ufferzogen, derselbigen enttgegen man sich nitt erklären khönne, jedoch soll es sich nichtt zuwieder sein, sondern gehrn geschehen laßen, das die Religion daselbst zue Freckenhorst verhanden und ublich, auch waß von der hohen Obrigkeitt daselbst darhin verordnett, daß daßelbige also zu wercke gerichtet würde. So soltte das Frewlein vor sich auch niemandtt von Ihrenttwegen daselbst verenderung in der Religion machen, und weiln das Frewlin noch jungh, woltten wir uns versehen man wurde so hartt wegen der Religion noch auch wegen das Eidtts in sie nit dringen 343.

340 Ein anschauliches Beispiel für dynastische Stiftspolitik ist etwa die Einflussnahme der preußischen Könige auf das Reichsstift Herford im 18. Jahrhundert; vgl. ebd., S. 82 – 94 u. 135 – 138; Schröder, Reichsstifte. 341 Vgl. Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 107 – 111. 342 LAV NRW OWL, L 51, Nr. 22, Schreiben vom 28. 12. 1604. 343 Ebd., Instruktion vom 28. 12. 1604. Dies schrieb er drei Tage später auch dem Erzbischof persönlich.

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Simon war also nicht zu einer Konversion seiner Töchter bereit und versuchte daher, den Konfessionsunterschied ­zwischen ihnen und der katholischen Obrigkeit herunterzuspielen – das Stift selbst war in der Zeit mehrheitlich evangelisch und der Wahl einer Lipperin zugeneigt. Mit dem Versprechen, keinerlei Änderungen einzuführen, versuchte er daher insbesondere den Erzbischof Ernst von Bayern, der zugleich Bischof von Münster war, zu besänftigen. Obschon seine älteste Tochter Elisabeth tatsächlich mit großer Mehrheit vom Kapitel gewählt wurde, intervenierte der Bischof und sorgte dafür, dass letztlich die katholische Kandidatin Elisabeth von dem Berge zur neuen Äbtissin ernannt wurde.344 Simons Protest, dass bei Menschengedenken meine Verwandten, so auch der Augspurgischen confession gewesen, daselbst zugelassen worden 345 ­seien, war zwar etwas übertrieben, aber in der Sache nicht ganz falsch. Seine Tante Margarethe war 1570 zur Äbtissin von Freckenhorst gewählt worden, obwohl sie bereits dem Luthertum anhing, wobei sie in ihrer Wahlkapitulation die Beibehaltung der katholischen Lehre und Zeremonien versprach.346 Im 17. Jahrhundert hingegen waren s­ olche Ambiguitäten aufgrund der fortschreitenden Festlegung der Stifte auf eine bestimmte Konfession nicht mehr ohne Weiteres möglich. Zusätzlich erschwerte den Lipper Grafentöchtern das nun angenommene reformierte Bekenntnis den Zugang zu geistlichen Pfründen. Ein Versuch etwa, im katholischen Stift Essen Aufnahme zu finden, blieb trotz tadelloser Ahnenprobe erfolglos.347 Eine besondere Bedeutung für die dynastische Politik der Lipper hatte das in unmittelbarer Nachbarschaft liegende alte Reichsstift Herford.348 Zwischen 1565 und 1640 stammten drei der Äbtissinnen aus dem Haus Lippe.349 Margarethe wurde nach einem gescheiterten Eheprojekt zunächst Kanonissin in Herford, bevor sie 1565 als zweite d­ ieses Namens ins Amt der Äbtissin gewählt wurde, das sie bis zu ihrem Tod 1578 bekleidete. Als Schwester Bernhards VIII., die wie er eine Zeit lang am hessischen Hof gelebt hatte, war sie die erste lutherische Stiftsoberste in der bereits seit über dreißig Jahren evangelischen Stadt. 1570 wurde sie 344 Vgl. auch Kohl, Damenstift, S. 76 f. u. 342 f. 345 Zit. nach ebd., S. 76 f. 346 Vgl. ebd., S. 76 u. 332 – 336. 347 Vgl. Küppers-­Braun, Dynastisches Handeln, S. 235. Bereits 1591 hatte es einen Versuch Simons VI. gegeben, zweien seiner Töchter dort Präbenden zu verschaffen; vgl. LAV NRW OWL , L 43, Nr. 5, Schreiben vom 13. 11. 1591. 348 Das belegt vor allem die enge Korrespondenz ­zwischen den dortigen Äbtissinnen und den Grafen. Vgl. LAV NRW OWL, L 43, Nr. 28; LAV NRW W, C 101, Nr. 5,4. Zudem stellte ­Kaiser Maximilian II. das Stift 1570 nicht nur in den Schutz der Bischöfe von Köln und Osnabrück sowie der Herzöge von Jülich und Braunschweig, sondern auch in den der Grafen zur Lippe; vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 29, Anm. 349 Vgl. Pohl, Herford, S. 409; Bei der Wieden, Äbtissinnen, S. 37 – 4 0; Ders., Herkunft, S. 22.

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zudem Äbtissin in Freckenhorst und 1572 in Borghorst.350 Ihre jüngere Schwester Magdalena wurde 1586 ihre Nachfolgerin in Herford.351 Zwei Generationen später gelang es Magdalena II., einer Tochter Simons VI., ebenfalls, das höchste Amt im Stift Herford zu erlangen und bis zu ihrem Tod 1640 zu behaupten.352 Dabei hatte es schon bei der Wahl Widerstand gegen die lippische Kandidatin gegeben, die im Gegensatz zu Stadt und Stift Herford reformiert war. Mithilfe ihres Bruders, Graf Simon VII., sowie des Kurfürsten von Brandenburg konnte sie sich jedoch gegen ihre vom dänischen König Christian IV. unterstützte Mitbewerberin durchsetzen.353 Während seitens des Grafenhauses ein großes Interesse daran bestand, eine Angehörige auf den Äbtissinnenstuhl zu hieven, verfolgte der Kurfürst eher eine von konfessionellen Gesichtspunkten geleitete Politik. Wenige Jahre nach Magdalenas Tod geriet das Stift jedoch vollends unter brandenburgischen Einfluss, was dazu führte, dass nur noch mit d­ iesem Haus in engen Beziehungen stehende Fürstentöchter als Äbtissinnen zugelassen wurden.354 Damit verloren die Lipper eine bedeutende Möglichkeit, durch die Platzierung ihrer weiblichen Angehörigen politischen Einfluss, Prestige und finanzielle Ressourcen zu generieren. In der Nachbarschaft Waldecks gab es kein evangelisches Reichsstift, auf das die Grafen in vergleichbarer Weise hätten zugreifen können. Mit Anna Erika von Waldeck, einer Tochter Wolrads II., ist jedoch eine Äbtissin des lutherischen Stifts Gandersheim aus ihren Reihen hervorgegangen. Wie Herford war Gandersheim ein traditionsreiches und bedeutendes Reichsstift, seine Äbtissin wurde zu den Reichstagen geladen.355 Anna Erika trat 1575 als Kanonissin in das Stift ein, was zunächst möglicherweise noch als Durchgangsstation vor einer Heirat geplant gewesen sein mag, denn nahezu alle weiblichen Vorfahren, die ein entsprechendes Alter erreicht hatten, hatten sich vermählt. Doch bereits zwei Jahre später wurde sie zur Dechantin, dem zweithöchsten Amt im Stift, gewählt, womit ihre geistliche Karriere an Fahrt aufnahm. Das Stift stand seit den späten 1560er Jahren in Auseinandersetzungen mit den Herzögen von Braunschweig-­Lüneburg, in denen es sowohl um die konfessionelle Ausrichtung als auch um die Behauptung der Reichsunmittelbarkeit ging. Diese konnten 1589 mit der einstimmigen Wahl der lutherischen Anna Erika und der sich anschließenden Einigung mit dem Herzog 3 50 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 27; Bei der Wieden, Äbtissinnen, S. 33 u. 37. 351 Vgl. ebd., S. 38. Aus Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 28 – 30, geht hervor, dass ihr Bruder Bernhard bereits seit Ende der 1540er Jahre Pläne schmiedete, sie im Stift unterzubringen, wogegen sie sich zunächst sperrte. 352 Vgl. Bei der Wieden, Äbtissinnen, S. 39 f. 353 Vgl. Ders., Dekanessen, S. 114 – 116. 354 Die Entwicklung, dass die Grafen bei der Besetzung der Reichsstifte von altfürstlichen Dynastien verdrängt wurden, lässt sich vielerorts beobachten; vgl. Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 133 – 135. 355 Zu Gandersheim vgl. Goetting, Kanonissenstift; Scholz, Reichsstift.

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beendet werden.356 Auch das Gandersheimer Äbtissinnenamt wurde in der Folgezeit überwiegend an Fürstentöchter, vor allem aus dem Haus Braunschweig-­ Wolfenbüttel, vergeben. Immerhin ins Amt der Dechantin gelangten aber noch zwei Nachfahren der Anna Erika, namentlich Maria Elisabeth und Dorothea, deren Schwester Anna Augusta hier zudem einige Zeit als Kanonissin verbrachte. Alle drei blieben nur wenige Jahre im Stift und heirateten später.357 Überhaupt starben im Untersuchungszeitraum lediglich zwei Waldeckerinnen als geistliche Würdenträgerinnen, während eine weit größere Zahl nach einer Stiftsphase in den Ehestand trat. Dieser Befund wird noch deutlicher, wenn man einen Blick auf das Stift Schaaken wirft. Das ehemalige Benediktinerinnenkloster Schaaken im Südwesten der Grafschaft Waldeck war nach seiner Umwandlung in ein freiweltliches Damenstift eine wichtige Versorgungsstelle für Töchter des waldeckischen Landadels.358 Zugleich wurde Katharina, die älteste Tochter Wolrads II . und ältere Schwester der Anna Erika, zur Äbtissin des Stifts gewählt. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurden dann hintereinander gleich vier Töchter des Grafen Christian zu Äbtissinnen ernannt, wenngleich sie zum Teil noch im Kindesalter waren. Auch künftig war das Schaakener Äbtissinnenamt ausschließlich für Waldecker Gräfinnen reserviert, sodass sich von einem Hausstift sprechen lässt. Als solches hielt es stets eine Versorgungstelle für eine Tochter bereit, die innerhalb der Dynastie weitergegeben werden konnte, wenn sich ein Heiratsprojekt ergab.359 Überdies hatte man durch den Einfluss auf die ­Stellenbesetzung ein

356 Zu Anna Erikas Wirken als Äbtissin vgl. Kronenberg, Bedeutende Frau; Goetting, Kanonissenstift, S. 132 – 134 u. 345 – 347. Zusätzlich wurde Anna Erika 1607 Dechantin in Herford. Zur Wahl hatten sich ursprünglich drei Kandidatinnen gestellt, u. a. die fünfzehnjährige Tochter Simons VI. zur Lippe, Elisabeth. Als deutlich wurde, dass diese aufgrund ihres jungen Alters vom Stift nicht akzeptiert werden würde, zog man lippischerseits die Kandidatur zurück und unterstützte fortan die waldeckische Kandidatin. Nachdem Anna Erika gewählt wurde, versprach sie den beiden jüngsten Töchtern Simons Präbenden in ihrem Stift Gandersheim, was jedoch wohl aufgrund deren reformierter Konfession letztlich nicht eingehalten wurde; vgl. Bei der Wieden, Dekanessen, S. 113 f. 357 Vgl. Goetting, Kanonissenstift, S. 368 f. u. 384. 358 Als die Grafen das Kloster zunächst auflösen wollten, gab es starke Proteste aus den Reihen des Adels, der seine Präbenden in Gefahr sah, sodass, nachdem die Nonnen bereits in den 1550er Jahren die Reformation angenommen hatten, 1582 letztlich die Umwandlung in ein lutherisches Frauenstift erfolgte; vgl. Schröer, Reformation, Bd. 1, S. 116 f.; Hengst, Ende, S. 191 f. 359 Dies sah auch Fürst Georg Friedrich als angemessene Versorgung für die Töchter des Hauses an, wie er in seinen Maximen bemerkte: und sonderlich ist keine Fraulen zur Auffwartung oder nur Auffendhalt an Fürstliche Hoffe zusenden, dann Schand undt Schade nur daraus erfolget, sondern seynd zu Hauß zu halten, oder im Stifft Schacken durch einen Zuschuss zum Unterhalt zuerhalten, HStAM, 115/01, Nr. 1551.

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gutes Mittel zur Kontrolle des Landadels an der Hand. Ein eigenes Hausstift besaßen auch die Lipper Grafen mit dem Stift Cappel in Lippstadt, wenngleich erst spät.360 Stammten die Priorinnen bzw. Äbtissinnen ursprünglich aus dem regionalen Adel, lässt sich ab 1628, beginnend mit Juliane Ursula und Anna Katharina, im reformierten Glauben erzogene Töchter Simons VII ., beständig eine Äbtissin aus dem Grafenhaus nachweisen. Diese Praxis wurde 1655 auch vertraglich bestätigt; seitdem musste zur Stiftsobersten immer eine Lipper Gräfin gewählt werden.361 Dieser exklusive Zugriff auf die dynastisierten Hausstifte lässt sich als Reaktion auf die beschränkten Aufnahmemöglichkeiten in den Reichsstiften interpretieren, die zum einen aus verstärkten konfessionellen Abgrenzungen, zum anderen aus der zunehmenden Dominanz altfürstlicher Dynastien resultierten. Die geänderte Funktion der geistlichen Angehörigen Die Präbenden der Domkapitulare, Stiftsherren und Kanonissen sowie der Äbtissinnen in den landsässigen Stiften boten ihren Besitzern oft nur geringe Einkünfte, jedoch eine standesgemäße Lebensweise. Zum Ruhme ihrer Dynastie trugen dagegen vor allem die Bischöfe und Reichsäbtissinnen bei, deren fürstlicher Rang zweifellos auf ihre Herkunftsfamilien zurückwirkte. Zu fragen bleibt aber, inwiefern ihrerseits tatsächlich eine Art dynastischer Politik betrieben wurde, ob und wie also die weltlichen Landesherren von ihren geistlichen Verwandten profitieren konnten. Ob Bischof Franz etwa tatsächlich versuchte, im Zuge der letztlich gescheiterten Reformation eine Dynastisierung seiner Bistümer zu erreichen, bleibt letztlich ebenso offen wie die Frage, ob er etwaige Bestrebungen in dieser Richtung mit seinen Waldecker Verwandten absprach.362 Dagegen lässt sich zweifelsfrei konstatieren, dass er sich während der Zeit seines Wirkens als Bischof stets seiner Herkunftsdynastie verbunden fühlte und diese nach Kräften zu fördern versuchte. So fungierte er nicht nur als beharrlicher Vermittler im Erbstreit ­zwischen seinen Neffen 363 und half bei deren Versorgung mit geistlichen Pfründen, sondern pflegte darüber hinaus enge persönliche Beziehungen, die sich etwa in häufigen gegenseitigen Besuchen oder in der Entsendung seines Leibarztes für seinen 360 Das Kloster war im Zuge der Reformation 1588 in ein freiweltliches Damenstift für den landsässigen Adel umgewandelt worden. Mit dem Übertritt der Grafen zum reformierten Glauben 1605 wurde auch das Stift reformiert; vgl. Schneider, Cappel. 361 Vgl. ebd., S. 169. 362 In den eingesehenen Korrespondenzen im Marburger Bestand 115/01 finden sich darauf keine Hinweise. So auch die Einschätzung von Behr, Graf Franz von Waldeck, S. 29. 363 Siehe dazu Kap. 2.3.4.

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Bruder Philipp III. niederschlugen.364 Auch als Wolrad II. und seine Brüder nach dem Schmalkaldischen Krieg beim ­Kaiser in Ungnade gefallen waren, bot er seine Hilfe an.365 Über das politische Handeln Bernhards während seiner sechs Jahre als Osnabrücker Bischof ist weitaus weniger bekannt als über das seines umtriebigen Vorfahren. Die meiste Zeit hielt er sich wohl in seiner Residenz Iburg auf und war kaum in dynastische Angelegenheiten involviert. Auch das konkrete politische Handeln der Äbtissinnen, das freilich in ungleich beschränkteren Bahnen ablief, ist bislang wenig erforscht.366 Somit lassen sich auch die Fragen, inwieweit sie sich ihren Herkunftsfamilien verbunden fühlten und ob es z­ wischen ihnen und ihren weltlichen Verwandten zu politischer Zusammenarbeit kam, bislang kaum befriedigend beantworten. Über die Herforder Äbtissin Margarethe zur Lippe schreibt August Falkmann, sie „scheint mit dem Hofe zu Detmold wenig im Verkehr gestanden zu haben“367. Ihre Nachfolgerin Magdalena II. neigte in der Auseinandersetzung ­zwischen dem Landesherrn Graf Simon Ludwig und seiner Stiefmutter Maria Magdalena der letzteren zu.368 Um über diese schlaglichtartigen Hinweise hinauszukommen, ist noch weitere Forschung zu leisten, die insbesondere die stiftische Überlieferung miteinzubeziehen hätte. Zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten, dass ­zwischen dem Spätmittelalter und dem 17. Jahrhundert eine Veränderung bei den Aufnahmekriterien in Domkapiteln und Stiften zu beobachten ist. Waren die ständischen Grenzen anfangs noch nicht so verfestigt, wurde im Laufe des 16. Jahrhunderts die (hoch-) adlige Abstammung immer wichtiger, die Zahl der geforderten Ahnen sukzessive erhöht, und selbst kleinste Unstimmigkeiten konnten zum Ausschluss von den Präbenden führen. Damit war die Aufnahme in den Domkapiteln von Köln und Straßburg oder in den Reichsstiften wie Herford und Gandersheim aber auch ein eindeutiger Ausweis der Zugehörigkeit zum Hochadel, was gerade für Dynastien, deren reichsständischer Status infrage stand, bedeutsam war. Bischöfe und Fürstäbtissinnen waren wiederum fürstliche Standespersonen, die sogar zum Reichstag geladen wurden. Im 17. Jahrhundert wurde dann die Konfessionszugehörigkeit immer wichtiger, was analog zu den Entwicklungen im Konnubium zu einer Vertiefung der Spaltung des Hochadels in unterschiedliche konfessionelle Gruppen führte, wobei die beiden protestantischen Konfessionen trotz Konflikten oftmals gemeinsam in Stiften vertreten waren. Die zunehmenden Schwierigkeiten 364 Vgl. Behr, Graf Franz von Waldeck, S. 69. 365 Vgl. Tross (Bearb.), Tagebuch, S. 99 u. 103. 366 Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, etwa lässt ihre Analyse der Herforder Äbtissinnen zeitlich erst mit dem Westfälischen Frieden einsetzen, sodass man auf spärliche Hinweise in der älteren Literatur angewiesen ist. 367 Falkmann, Beiträge, Bd. 3, S. 27. 368 Siehe dazu Kap. 3.1.5.

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für Protestanten, Bischofsstühle zu besetzen oder Stiftspräbenden zu erwerben, hatten jedoch nicht nur zur Folge, dass die Versorgung nichtregierender Dynastieangehöriger zu einer Herausforderung wurde; auch die ständische Stellung war dadurch tendenziell bedroht, und zum Sammeln von symbolischem Kapital mussten neue Wege gefunden werden. Des Weiteren änderte sich im Laufe des Untersuchungszeitraums die Funktion der geistlichen Familienmitglieder und damit die soziale Struktur der Verwandtschaftsverbände. Im Mittelalter bargen zahlreiche Kinder ein großes Potenzial: Sie machten Karriere in der Reichskirche, spannten weite Netzwerke, mischten sich in die Reichspolitik und waren ihren weltlichen Verwandten im ständischen Rang und an Macht überlegen – weswegen auch die Individualsukzession leicht durchzusetzen war. Nach der Reformation, spätestens im 17. Jahrhundert, verloren die nachgeborenen Kinder jedoch zunehmend ihren Wert als einsetzbare Ressourcen für das Dynastieoberhaupt und ihr Status glich allmählich dem reiner Versorgungsempfänger.369 Der Aufstieg in ein fürstliches Kirchenamt gelang immer seltener, während der Einfluss der letztverbliebenen Domherren und Äbtissinnen der Hausstifte marginal blieb und ihr sozialer Rang sich nicht wesentlich von dem ihrer weltlichen Verwandten unterschied. Zwischen dem Regenten und den übrigen Dynastieangehörigen, die sich um seine Gunst – und um finanzielle Zuwendungen – bemühen mussten, entstand ein immer größeres hierarchisches Gefälle. 3.2.2 Fürsten- und Militärdienst Kriegführung und die Bewährung auf dem Felde waren wesentliche Bestandteile des vormodernen Adelsethos und als s­ olche schon immer als standesgemäße Lebensweise präsent gewesen. Seit der Suche nach Alternativen zur reichskirchlichen Karriere wurde der Dienst bei einem fürstlichen oder königlichen Kriegsherrn für Grafensöhne allerdings immer bedeutsamer. Zwar war er in finanzieller Hinsicht meist wenig attraktiv, da versprochener Sold oftmals nicht pünktlich oder gar nicht ausgezahlt wurde, doch gab es hier zumindest Ruhm und Ehre zu erlangen. Eine Zeit lang als Anführer eines Söldnerheeres zu verbringen, ersetzte ab Mitte des 16. Jahrhunderts immer häufiger den Eintritt in ein Stift oder Domkapitel.370 Doch es gab signifikante Unterschiede ­zwischen beiden Lebensentwürfen. Die geistliche Laufbahn für Männer war ihrem Prinzip nach auf Lebenszeit 369 Abweichend beurteilt etwa Schröder-­Stapper, Fürstäbtissinnen, S. 156, den Status der Nachgeborenen, w ­ elche ihrer Ansicht nach für verwandtschaftliche Personenverbände „von großer Bedeutung sein konnte[n]“. 370 Eine Entwicklung, die nach 1648 vollends zum Tragen kam; vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 325.

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angelegt, auch wenn viele Domherren, insbesondere unter den Waldeckern, in späteren Jahren resignierten und zur Heirat schritten. Der Kriegsdienst war dagegen von vornherein nur für eine gewisse Zeitspanne vorgesehen, wenngleich auch Militärs aus Geldmangel oft erst spät im Leben oder überhaupt nicht heirateten.371 Natürlich war er auch wesentlich gefährlicher und mit größeren Entbehrungen verbunden als der Dienst im Schoß der K ­ irche. Das Risiko des Verlusts wurde jedoch von den Vätern, die ihre Söhne ins Feld schickten, bewusst eingegangen – sei es aus adligem Ehrbewusstsein, oder gar aus dynastischem Kalkül, denn gefallene Söhne mussten nicht mehr versorgt werden.372 Besonders zur Zeit des Dreißigjährigen Kriegs zog es viele westfälische Grafensöhne in die Heere der Dänen, Niederländer, Franzosen und des Kaisers.373 Vereinzelt kamen Eintritte in den Kriegsdienst auch schon vor der Reformation vor. Bei den Lipper Grafen stand etwa der jüngere Bruder Simons V., Bernhard, bis 1509 in hessischen Kriegsdiensten, da er an der Regierung keinen Anteil hatte.374 Von ­diesem Fall abgesehen gab es im 16. Jahrhundert jedoch keine lippischen Militärs, was auch mit der überschaubaren Zahl an Agnaten zusammenhing. Ungleich häufiger in fürstliche oder kaiserliche Kriegsdienste traten dagegen die zahlreichen Waldecker Grafensöhne. Erneut war es Hermann Ulner, der diese Strategie in Worte fasste, als er Philipp IV. riet, seine Söhne sollten an Fursten Hoffen oder in kriegshendeln sich uben und brauchen laßen, biß sie auch ettwan eyn ider sein vortheil oder gluck erstehen kondthen 375. Tatsächlich verdingten sich alle vier Söhne Philipps zeitweise in fremden Heeren. Der Erstgeborene Samuel kämpfte als Achtzehnjähriger im Schmalkaldischen Krieg und wurde in der Schlacht bei Mühlberg verwundet und gefangen genommen.376 Auch seine eigentlich für geist­ liche Karrieren vorgesehenen Brüder Daniel und Friedrich traten nach ihrer Ablehnung in Köln bzw. Straßburg in Kriegsdienste. Daniel verdingte sich zunächst unter den Protestanten Graf Christoph von Oldenburg und Markgraf Albrecht von Brandenburg-­Kulmbach, bevor er später mit seinem Bruder ­Heinrich IX . in Frankreich auf der Seite der Hugenotten kämpfte.377 Auch ­Friedrich kämpfte auf spanischer Seite gegen den französischen König, infolgedessen er 1557 in der Schlacht von Saint-­Quentin tödlich verwundet wurde.378 Heinrich hatte sich von vornherein gegen eine Laufbahn als Domherr gewandt, da er zu Ritterspiel und 3 71 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 117. 372 Vgl. Schmidt, Grafenverein, S. 491. 373 Vgl. Arndt, Kollegiale Solidarität, S. 115 f. 374 Vgl. Linde, Bernhard VII. zur Lippe, S. 49 f. 375 HStAM, 115/01, Nr. 45, fol. 8r. 376 Vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 28. 377 Vgl. ebd., S. 24. 378 Vgl. ebd., S. 26. Siehe dazu auch HStAM, 115/01, Nr. 730.

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Kriegshendeln lust 379 hatte, wie sein Vater dem Grafen Johann von Ostfriesland versicherte. Auf dessen Angebot, Heinrich in die kaiserliche Reiterei aufzunehmen, bat Philipp, dass sein Sohn einen ehrlichen und seinem stande wol ansehenli­ chen bevelch bekommen und also bei der Reutterei des Orts geubet und underhalten werden moge 380. Es ging also gleichermaßen um die Ausübung einer dem Stand und Rang der Person angemessenen Tätigkeit sowie um den daraus erfolgenden Unterhalt. In seinen späteren Jahren kämpfte Heinrich ebenfalls mit seinen Brüdern in Frankreich. Es fällt auf, dass alle Söhne ihre aktive Dienstzeit in jungen Jahren absolvierten, bevor sie heirateten und endgültig erblich abgeteilt wurden, also zu einer sesshaften Existenz übergingen. Die Militärkarrieren der Söhne ­Philipps, zum Teil durch die fehlende Stiftsfähigkeit verursacht, kontrastieren mit ihren Verwandten aus der Eisenberger und Landauer Linie, die zunächst stärker am Erwerb geistlicher Pfründen orientiert waren.381 Der Trend zum Kriegsdienst verstärkte sich während des Dreißigjährigen Krieges und hielt sich auch in der Zeit danach, in der nahezu alle Waldecker Agnaten die militärische Laufbahn einschlugen. So standen alle Söhne Wolrads IV . eine Zeit lang in niederländischen oder kurbrandenburgischen Kriegsdiensten.382 Gerade die Generalstaaten waren für die protestantischen Reichsgrafen ein attraktiver Dienstherr, da sie als calvinistische Schutzmacht auftraten und die Gefahr der Mediatisierung infolge einer allzu engen Anlehnung hier im Gegensatz zu manchem Fürsten des Reichs wegfiel.383 Eine besonders glänzende Feldherrenkarriere unter wechselnden Dienstherren absolvierte Georg Friedrich, dem für seine militärischen und politischen Verdienste für das Reich schließlich die persön­liche Fürstenwürde verliehen wurde.384 Sein Neffe Heinrich Wolrad war ebenfalls im Begriff, sich an den Türkenkriegen zu beteiligen, starb jedoch bereits auf dem Weg dorthin.385 Von den jüngeren Wildungern kämpften Philipp VII., Johann II., Christian Ludwig sowie Josias II. in unterschiedlichen Schlachten, teils für das Reich, teils für protestantische Fürsten.386 Trotz einer gewissen Affinität der Eisenberger für die niederländischen Generalstaaten und der Wildunger für die kaiserliche Partei lassen sich jedoch keine eindeutigen Assoziationen oder dynastischen 3 79 HStAM, 115/01, Nr. 728, Schreiben vom 21. 02. 1554. 380 Ebd. 381 Allerdings hatte auch Johann I. im Schmalkaldischen Krieg gekämpft, während sein Neffe Wolrad III. in Frankreich gegen den Herzog von Guise kämpfte und 1587 fiel. 382 Vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 52 f. 383 Vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 322 – 324. 384 Vgl. Menk, Georg Friedrich, S. 52 – 69; Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 224 – 227; Hoffmeister, Handbuch, S. 55 f. 385 Vgl. ebd., S. 54. 386 Vgl. ebd., S. 61 – 65. Angaben zum 18. Jahrhundert bei Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 276 u. 323.

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Traditionen bei der Wahl des Dienstherrn erkennen. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass es nur zu einem bestimmten Grad um die Überzeugung für eine (konfessions-)politische Sache ging, und daneben der in Aussicht stehende Sold oder die Kriegsbeute, die adelstypische Jagd nach Kriegsruhm und vereinzelt wohl auch Abenteuerlust starke Antriebe darstellten. Da auch designierte Nachfolger sich nicht vor dem Felde scheuten – zumal prinzipiell alle Agnaten ein Sukzessionsrecht hatten –, scheint auch die verbreitete Strategie, auf diese Weise gerade den nachgeborenen Söhnen eine angemessene Karriereoption zu bieten, nur einen Teil der Erklärung zu bilden. Der Hauptgrund für die außerordentlich starke Präsenz der Waldecker in Militärdiensten ist wohl vor allem in ihrer angespannten finanziellen Lage zu sehen.387 Auch für die Grafen zur Lippe gewann der Kriegsdienst im 17. Jahrhundert an Bedeutung, als die Erhöhung der Kinderzahl, die Einführung der Primogenitur sowie der erneute Konfessionswechsel neue Versorgungsstrategien erforderlich machten und der Dreißigjährige Krieg ausreichend Gelegenheit zur militärischen Betätigung bot. Die drei nichtregierenden Söhne Simons VI. der ersten Erbherrengeneration standen alle eine begrenzte Zeit in fremden Diensten. Otto hatte 1619/20 im Dienst des Grafen Ernst von Mansfeld als Rittmeister an einem Feldzug des Winterkönigs in Böhmen teilgenommen, wodurch er in Konflikt mit dem K ­ aiser geriet.388 In Wien galt er deswegen alß ein Rebell 389 und fiel unter die Reichsacht, wie ihm vom hessischen Rat Melchior Goldast mitgeteilt wurde. Im Mai 1628 drohte der Einzug seiner Güter durch eine Kommission des Reichskreises.390 Allerdings war Otto, um das kaiserliche Pardon zu erhalten, bereits kurz zuvor zum K ­ aiser gereist, gegenüber dem er unter anderem das Argument vertrat, er sei damals zum Eintritt in den Kriegsdienst gezwungen gewesen, weil ihm nur ein kleiner und zudem verschuldeter Teil vom väterlichen Erbe zugekommen sei.391 Auch sein jüngerer Bruder Philipp war ins Visier des Kaisers geraten, da er sich zu besagter Zeit ebenfalls in Böhmen aufgehalten und wenig später unter den Befehl Herzog Christians von Braunschweig-­Wolfenbüttel gestellt hatte, ohne jedoch tatsächlich an einer Schlacht teilzunehmen.392 Wie Otto musste er den 387 Vgl. Cramer, Territoriale Entwicklung, S. 224. Freilich schloss dies nicht aus, dass sich aus den gezwungenermaßen eingegangenen Dienstverpflichtungen auch nutzbringende Patronagebeziehungen entwickeln konnten, wie Menk, Grundzüge, S. 263, bemerkt. 388 Vgl. Süvern, Brake, S. 76; Ders., Letzter Wille, S. 138 f.; Rinke, Lippe 1618 bis 1648, S. 9; Rügge, Grafschaft Lippe, S. 34. 389 LAV NRW OWL, L 7 E I, Nr. 1.a, fol. 34r; Schreiben vom 19. 04. 1628. Goldast hielt das schlechte Ansehen Ottos beim ­Kaiser auch für den Grund, dass er vom Reichskammergericht bei der Bestätigung der Vormünder seiner Neffen übergangen worden sei. 390 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 4, fol. 193 f. 391 Vgl. Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 71. 392 Vgl. ebd., S. 16 f.

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­Kaiser p­ ersönlich um Vergebung bitten, w ­ elche schließlich beiden Grafen gewährt wurde.393 1637 spielte Philipp noch einmal mit dem Gedanken, sich dienstlich verpflichten zu lassen, diesmal aufseiten der Oranier, was seiner Ansicht nach nicht wider den kaiser ist, und meine Mittel so söhr verdorben seindt, das ich nicht zu lehben ins künftig wehrde haben 394. Beide Brüder rechtfertigten ihren Kriegseintritt also in erster Linie mit dem Mangel an finanziellen Ressourcen. Ihr dritter Bruder, Hermann, war 1619 in den Dienst des Herzogs Maximilian von Bayern eingetreten.395 Hier konvertierte er kurz vor seinem frühen Tod zum Katholizismus, womit er sich gegen den Willen des Vaters stellte, der seine Söhne ausdrücklich zur Bewahrung der protestantischen Konfession aufgefordert hatte.396 Zudem hatte er einen Teil seines Paragiums, das halbe Kloster Falkenhagen, testamentarisch den in Paderborn ansässigen Jesuiten vermacht, die seit einem Teilungsvertrag z­ wischen Lippe und Paderborn bereits über die andere Hälfte verfügten. Dadurch wurde nicht nur die Gefahr der Rekatholisierung des lippischen Südostens akut, sondern es drohte die Entfremdung dynastischer Stammgüter. Die Jesuiten drängten auf die Herausgabe des Klosters und suchten auch die Unterstützung des Kaisers. Simon VII. und seine Nachfolger in der Regierung beharrten zwar darauf, dass Hermann Falkenhagen nur als Paragium innegehabt und folglich gar kein freies Dispositionsrecht darüber gehabt habe, doch zog sich der Rechtsstreit in dieser Sache gut einhundert Jahre hin.397 Auch die Agnaten der nachfolgenden Generation, die sich im Vormundschaftskonflikt mit der Gräfinwitwe Katharina befanden, hatten sich im auswärtigen Dienst zu verdingen, was von ihnen geschickt auch zum publizistischen Angriff auf Katharinas Regiment verwendet wurde. So beschuldigten sie die Vormünderin in einer anonymen Flugschrift der Verweigerung ihnen zustehender Versorgungsgelder, woraus ihre gegenwärtige erbärmliche Lage resultiere:

3 93 Vgl. ebd., S. 73 f. 394 Zit. nach Ribbentrop, Graf Philipp, S. 61. 395 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A XV B Nr. 1, Schreiben Hermanns an seinen Bruder Otto vom 19. 12. 1619. 396 Vgl. das Testament Simons VI., worin er seinen Söhnen auferlegte, dass sie die Vnderthanenn vnnd Landtschafft bei der wahrer Christlicher Evangelischer Religion in Vnsernn Landenn vnnd Kirchenn exercirtt Vnbehindertt vnnd frey laßenn sollenn und die Religion, darin sie ertzogen, mit Aller Christlicher bescheidenheitt vorttpflanzen, darüber eindrechtiglich haltenn, zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 159. 397 Vgl. Fink, Haus, S. 28 f.; Gerking, Kloster Falkenhagen, S. 254 – 258. Lippischerseits wurde etwa hervorgebracht, dass das Kloster samt dem umliegenden Amt Schwalenberg Corveyisches Lehen sei und daher zu nachtheil anderer mittinteressenten weder durch letz­ ten willen, noch inter vivos vereüßert und vergeben, oder auch sonsten nicht vermacht noch transferirt werden konnen noch mögen, LAV NRW W, B 402, Nr. 153, Rechtsgutachten, fol. 106r–v.

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Dahero Graff [Johann] Bernhardt / vnd Jhr Hochgr. Gnaden Fräwlein Schwestere in der Frembde sich vffzuhalten / vnd im Elende zu leben; Die zwey Jungere Herren / Graff Otto Heinrich / vnnd Graff Herman Adolff bey wehrendem armistitio in Fürstl. Br. Lüneb. vnd Hessischen KriegsDiensten / Ihr Leben zu salviren vnd Vnterhalt zu haben / einzulassen genothdringet worden.398

Die Schilderung entsprach im Wesentlichen der Lage, in die die Agnaten nach ihrer gewaltsamen Absetzung im Schloss Detmold geraten waren. Dabei ging es ihnen allerdings nicht nur um die Suche nach neuen Erwerbsmöglichkeiten, sondern insbesondere den beiden jüngeren Brüdern auch um eine Gelegenheit zur Bekämpfung Katharinas. So stellte sich Otto Heinrich unmittelbar nach den Detmolder Ereignissen als Rittmeister in den Dienst der Landgräfin A ­ malie Elisabeth von Hessen-­Kassel und verursachte mit seinen Soldaten einigen Schaden in der Grafschaft Lippe,399 sodass seitens der Vormundschaftsregierung eine Beschwerde nach Kassel gesandt wurde.400 Sein jüngerer Bruder Hermann Adolf wurde zur gleichen Zeit Hauptmann der Infanterie im Heer des Herzogs von Braunschweig 401 und trat einige Jahre später ebenfalls in hessische Dienste ein.402 Somit glich sich die Situation der Lipper im 17. Jahrhundert der der Waldecker an: Eine vermehrte Zahl von Agnaten suchte immer häufiger Betätigung in auswärtigen Kriegsdiensten.403 Als Alternative zum Militär bot sich der Dienst an Fürstenhöfen an. Auch die Übernahme einzelner diplomatischer Missionen war möglich, während institutionalisierte Diplomatenlaufbahnen erst nach 1648 allmählich an Bedeutung gewannen. Für die Tätigkeit qualifizierte sich ein Adliger vor allem durch die Taten seiner Vorfahren und weniger durch eigene Erfolge und Fähigkeiten: Die Leistungen früherer Familienmitglieder galten als Vertrauensvorschuß für einen neuen Probanden, der ­diesem den Weg in verantwortungsvolle Aufgaben ebnete. Er selbst diente jetzt nicht nur für sich, sondern seinerseits für seine Nachfahren, die ihn einst als angesehenen Ahnen benötigen würden.404

In ­diesem Sinne war die Abstammung aus einer Dynastie, die bereits Amtsträger hervorgebracht hatte, die beste Eintrittskarte in den Fürstendienst. Besonders 3 98 Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 25. 399 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 143/144, Schreiben vom 17. 06. 1640. Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 116. 4 00 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 6, fol. 19. 4 01 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 143/144, Schreiben vom 18. 07. 1640. 4 02 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 6, Hessisches Dienstzeugnis für Hermann Adolf vom 25. 04. 1648. 4 03 Vgl. auch die Angaben fürs späte 17. und 18. Jahrhundert bei Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 311, 313, 316 – 319 u. 322 f. 4 04 Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 328.

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der Kaiserhof war ein begehrtes Ziel gräflicher Sprösslinge, wobei hier bevorzugt Familienoberhäupter bestallt wurden, da man meinte, durch sie die Loyalität des gesamten Hauses sicherstellen zu können.405 Dabei bestand allerdings die Gefahr, wie Simon VI. zur Lippe erfahren musste, dass man zunächst viel Zeit und Geld investierte und lange Zeit fernab seiner eigenen Länder agierte, um am Ende doch vor einem großen Schuldenberg zu stehen.406 Andererseits bot sich hier die Chance, gute Beziehungen zum Reichsoberhaupt aufzubauen, die unter Umständen in die Verleihung besonderer Privilegien und Ehrerweisungen mündeten.407 Simon etwa wurde aufgrund seiner Dienste – er hatte mehrere diplomatische Missionen für den ­Kaiser übernommen – 1594 zum Reichshofrat und 1608 zum Kaiserlichen Kammerherrn ernannt, wobei es sich um ein reines Ehrenamt ohne tatsächliche Pflichten am Kaiserhof handelte. Diese Ehrerweisung stellte Simon künftig nicht nur in seinem Titel heraus, sondern ließ sie auch bildlich festhalten: Von seinem Hofmaler Johann Tilemann ließ er sich zunächst mit dem Ring des Reichshofrats sowie dem Feldherrenstab als Symbol für das seit 1595 ebenfalls von ihm ausgeübte Amt des Obristen des niederrheinisch-­westfälischen Reichskreises porträtieren. 1608 wurde schließlich der große goldene Kammerherrenschlüssel nachträglich eingefügt (siehe Tafel 1).408 Dem kundigen Betrachter signalisierten diese Machtinsignien den hohen Rang und die kaiserliche Gunst, die Simon zuteilgeworden war. Auch seine direkten Nachfahren hielten die Erinnerung an die für die gesamte Dynastie als symbolisches Kapital wirkenden Ämter aufrecht, indem sie den Verstorbenen in Urkunden stets als Romischer keyserlicher Mayestet Reichshoffrath [und] Cammerher 409 bezeichneten. Dass der reformierte Graf aufgrund seiner Konfession nicht in Konflikt mit dem Katholiken Rudolf II. kam, ist wohl seinen diplomatischen Fähigkeiten und den gemeinsamen humanistischen Interessen zu verdanken. Zudem war der ­Kaiser auf Vertraute in den Reihen der nicht zu seiner klassischen Klientel zählenden westfälischen Reichsgrafen angewiesen.410 Während Simon erhebliches Prestige für sein Haus erworben hatte, 4 05 Vgl. ebd., S. 270; Ders., Kollegiale Solidarität, S. 114. 4 06 Vgl. Borggrefe (Hg.), Dienst; Bischoff, Graf Simon VI., S. 32 – 49; Benecke, Relations, S. 170 – 172; Falkmann, Beiträge, Bd. 5, S. 1 – 314; Ders., Beiträge, Bd. 6, S. 1 – 217. 4 07 Borggrefe, Arte et Marte, S. 84, schreibt Simon sogar ein durch historische Erfahrungen gespeistes Bewusstsein dafür zu, „dass seine Herrschaft ohne kaiserlichen Schutz nicht überlebensfähig war“. Dies ist zwar nicht falsch, gilt aber auch für alle anderen mindermächtigen Reichsstände, die gleichwohl nur vereinzelt aktiv am Kaiserhof und in der Reichspolitik partizipierten. 4 08 Vgl. Lüpkes, Simon VI., S. 19 – 21; Bischoff, Graf Simon VI., S. 68 f. 4 09 Zit. aus dem ersten Brüderlichen Vertrag vom 21. 03. 1614, in: LAV NRW OWL , L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 4. Hinzu kam gewöhnlich noch das Amt des Obristen des niederrheinisch-­westfälischen Reichskreises, das Simon seit 1595 ebenfalls innehatte. 410 Vgl. Bischoff, Graf Simon VI., S. 32 f.; Arndt, Institutionen, S. 167 u. 175.

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erschien sein Engagement aus Sicht des Landes nutzlos und kostspielig, sodass die Landstände seinem Nachfolger untersagten, sich in den Dienst von K ­ aiser oder Reich zu stellen.411 Das Engagement Simons VI. blieb daher Episode im Wirken der lippischen Grafen, wohingegen die Waldecker die Nähe zum Kaiserhof häufiger suchten. Hier war es zunächst Philipp IV., der auf der Suche nach Versorgungsmöglichkeiten für seine Kinder seine Beziehungen spielen ließ und 1551 Königin Maria von Ungarn bat, seinen Sohn Daniel zum Hofdienst beim römisch-­deutschen König Ferdinand zu empfehlen. Dieser Bitte kam sie nach und teilte ihrem Bruder ferner mit, dass sie selbst zwei von Philipps Söhnen – vermutlich Heinrich und Friedrich – sowie die Tochter Margaretha 412 an ihrem Brüsseler Hof unterhalte.413 Angesichts der späteren Militärkarrieren scheint aus ­diesem Projekt jedoch nichts geworden zu sein, womöglich deshalb, weil sich die Waldecker nur wenige Jahre zuvor aufgrund ihrer Teilnahme am Schmalkaldischen Krieg die Ungnade Karls V. zugezogen hatten. Zu größeren Ehren im Kaiserdienst kamen nur wenige G ­ rafen, darunter Christian, der in Abwehr der hessischen Machtansprüche stets die Nähe zu Wien gesucht hatte und wie schon sein ehemaliger Vormund Simon VI. schließlich zum Kaiserlichen Kammerherrn ernannt wurde.414 Die von den Wetterauer Verbündeten mit großer Skepsis betrachtete Anlehnung an den ­Kaiser – Johann VII. von Nassau-­Siegen befürchtete etwa eine Verengung der politischen Spielräume bis hin zur Gefahr der Konversion zum Katholizismus 415 – erhielt ein Gegengewicht durch die Verbindungen Wolrads IV. und seiner Söhne zu den calvinistischen Niederlanden. Diese geschickte Arbeitsteilung der Grafenbrüder ermöglichte es den Waldeckern, trotz ihrer lutherischen Überzeugung den dringend benötigten Schutz des Reichsoberhauptes zu genießen, wohingegen es den Lippern im 17. Jahrhundert nicht mehr gelang, eine besondere Beziehung zum K ­ aiser aufrechtzuerhalten. Neben dem Kaiserhof waren auch die großen Fürstenhöfe für einige Grafen attraktiv, da sie hier Hofämter übernehmen konnten.416 Die Lipper und Wal­decker hingegen strebten nicht nach langjährigen Hofkarrieren; sie sandten ihre Söhne lediglich für einige Jahre an die Fürstenhöfe, um ihnen eine

4 11 Vgl. Arndt, Institutionen, S. 156; Benecke, Relations, S. 172. 412 Margaretha starb dort bereits zwanzigjährig, sodass man einen Giftanschlag vermutete, da offenbar der spanische Thronfolger Philipp ein Auge auf sie geworfen hatte, was die habsburgische Heiratspolitik ins Wanken zu bringen drohte; vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 26. 413 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 748, Schreiben vom 31. 05. 1551. 414 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 124. 415 Vgl. ebd., S. 124 f. 416 Vgl. Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 307 – 330.

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hochadlige Erziehung und Ausbildung zu verschaffen. Insbesondere der landgräfliche Hof in Kassel zog zahlreiche Junggrafen aus Westfalen an. Hier verbrachten unter anderem Bernhard VIII ., Simon VI . und Simon VII . zur Lippe sowie ­Günther von Waldeck-­Wildungen und Josias I. aus der Eisenberger Linie einige Jahre. Letzterer wurde nach nur einem Jahr in Kassel durch den Kurfürsten von Sachsen abgeworben, an dessen Dresdner Hof er von 1570 bis 1578 als Page tätig war.417 Das blieb allerdings eine Ausnahme. Insgesamt gelang es den hessischen Landgrafen durch die Ausbildung der Grafensöhne an ihrem Hof und die damit einhergehende Prägung, eine gräfliche Klientel auszubilden und über die lehnsrechtlichen Verpflichtungen hinaus persönlich an sich zu binden. Formale Hofämter übernahmen die Lipper und Waldecker aber weder in Kassel und anderen, eher vom Landadel angesteuerten Fürstenhöfen noch am Kaiserhof, wo der katholische Adel der Erblande dominierte. Diese Zurückhaltung der alten Reichsgrafen gegenüber den Fürsten erklärt sich vor allem aus ihrem Bestreben, den sozialen Abstand zum Niederadel möglichst aufrechtzuerhalten bzw. zu vergrößern. Während die Übernahme eines militärischen Kommandos für Grafen als standesgemäß galt, war es der Hofdienst eher nicht. Zudem war es unerlässlich, gegenüber den Fürsten eine gewisse Unabhängigkeit zu wahren, um sich nicht der Gefahr der schleichenden Mediatisierung auszusetzen – was Waldeck bekanntlich misslang. Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass die Grafen mit der Praxis, sich in auswärtige Militärdienste zu stellen, in erster Linie auf den Ausschluss aus der Reichskirche reagierten. Diese Entwicklung begann schon in der Mitte des 16. Jahrhunderts und wurde durch den Dreißigjährigen Krieg massiv verstärkt. Auch in der Folgezeit blieb die Zahl der Grafensöhne im Kriegsdienst konstant hoch. Zwar verdingten sich vereinzelt auch Erstgeborene bzw. designierte Landes­ herren im Militärdienst, doch dominierten insgesamt die Nachgeborenen, für die eine standesgemäße Lebensweise gefunden werden musste. Gab es hier Ruhm und Ansehen zu gewinnen, blieb das Sterberisiko doch hoch: Allein ­zwischen 1550 und 1650 starben fünf Söhne der militärisch sehr aktiven Waldecker auf dem Feld. Letztlich kam bei der Entscheidung über die Karriere eines Sprösslings – ob als Regent, Domherr oder Militär – dem Familienoberhaupt das letzte Wort zu, wobei die Interessen des jeweiligen Sohnes wie im Falle Heinrichs IX. durchaus berücksichtigt wurden. Als dessen Bruder Friedrich in Straßburg wegen seiner mangelhaften Ahnenprobe dauerhaft ohne Pfründe festsaß, schrieb er seinem Vater, er fürchte, es wird kein fortgang haben, so wers besser daß mich Ewer liebe an ein ander orth schicket 418. Wenige Jahre später, nach einem ­kurzen Intermezzo in Speyer,

417 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 1098. 418 HStAM, 115/01, Nr. 734, Schreiben vom 13. 10. 1550.

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starb auch er auf einem französischen Schlachtfeld. Abneigung oder gar Widerstände gegen die Entscheidung zur militärischen Laufbahn sind nicht überliefert, da die Kriegslust als implizite, durch das Adelsethos vermittelte Norm wirkte. Diente der Fürsten- und Militärdienst abgesehen vom Ehrgedanken nun stärker der Versorgung oder der politischen Vernetzung? Grundsätzlich spielte der Patronagegedanke eine wichtige Rolle, und besonders den Waldecker Grafen Christian und Wolrad IV. sowie ihren Söhnen gelang es durch ihre Dienstkarrieren, sich gegen den hessischen Landgrafen parallel beim ­Kaiser und den Generalstaaten abzusichern. Gerade der Schutz durch den ­Kaiser, und sei er nur symbolischer Art, ist für die Eigenständigkeit der Reichsgrafen kaum zu überschätzen. Bei den Lippern war die Kriegstradition dagegen nicht derartig ausgeprägt, dass die vereinzelten Bestallungen bei wechselnden Dienstherren zur Ausbildung belastbarer Netzwerke geführt hätten. Insbesondere die Kontakte zum K ­ aiser nahmen nach dem Tod Simons VI. ab, wobei dessen Ruhm noch lange Zeit nachwirkte. Schließlich versuchten die Agnaten in den 1640er Jahren, ihre Dienststellung bei der Landgräfin zur Festigung ihrer innerdynastischen Position zu benutzen, was aber Episode blieb. Mithin stellte die Suche nach einem Auskommen in finanzieller Hinsicht und nach einer standesgemäßen Aufgabe das eigentliche Hauptmotiv für die Übernahme von militärischen Kommandos und kaiserlichen Missionen dar. 3.2.3 Apanagen und Paragien In den vorangegangenen beiden Abschnitten ist bereits angeklungen, dass eine geistliche Pfründe oder der Hof- bzw. Militärdienst oftmals nicht genügend finanzielle Ressourcen mit sich brachten, um einen standesgemäßen Lebensstil zu ermöglichen. Töchter und nachgeborene Söhne waren also häufig gar nicht vollständig versorgt, wenn sie das Haus verließen, sondern bezogen weiterhin eine monetäre Apanage von ihrer Familie. Somit ist die Rolle des Apanagierten letztlich kein Drittes neben den geistlichen und militärischen Mitgliedern der Dynastie, sondern eher deren Ergänzung. Wenn keine dauerhafte Apanage gezahlt werden konnte, wurde sie gelegentlich auch als kurz- oder mittelfristige Übergangslösung eingesetzt, etwa bis die Karenzzeit einer neuen Präbende abgelaufen war, oder bis der Sold ausgezahlt wurde. Alternativ konnten auch ganze Ämter der Grafschaft einschließlich ihrer Einkünfte als sogenannte Paragien für eine begrenzte Zeit, auf Lebenszeit oder sogar erblich vergeben werden. Erste Hinweise auf die Vergabepraxis von Paragien finden sich schon im Spätmittelalter. Bevor die Brüder Otto I. und Bernhard V. 1344 die Herrschaft Lippe unter sich aufteilten, hatte letzterer als Paderborner Dompropst die Einkünfte aus den damals lippischen Ämtern Enger und Quernheim als zusätzliche Versorgung erhalten. Nach der Teilung gingen diese beiden Anteile in die Erbmasse Ottos

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über. Als dessen Sohn Simon III. später die Herrschaft seines Vaters übernahm, überschrieb er seinem nichtregierenden Bruder, dem Kölner Domherrn Otto II., die besagten Einkünfte.419 Als gegen Ende des 15. Jahrhunderts Bernhard VII. seine Nachfolge regelte, spielte er ebenfalls mit dem Gedanken, seinem zweiten Sohn gleichen Namens ein Paragium zu übertragen, dair van hey sich geborlichen hal­ den mach syn leven lanck 420. Im Unterschied zu den Paragien des 16. und 17. Jahrhunderts waren die mittelalterlichen Erbteile dadurch gekennzeichnet, dass sie nur zu Lebzeiten verliehen wurden und von ihrem Nutznießer nicht weitervererbt werden konnten. Dies änderte sich in der folgenden Generation mit der Ausstattung Hermann Simons, dem sein Paragium erblich zugesprochen wurde, sodass es nach seinem Tod an seinen Sohn Philipp überging. Da dieser jedoch bereits frühzeitig ohne eigene Nachkommen starb, entstand hieraus keine dauerhafte Nebenlinie. Simon VI. machte ausgiebig Gebrauch vom Instrument der Paragienvergabe, um seine drei nichtregierenden Söhne abzufinden. Mit dem Begriff der Erbherren, der eben die Erblichkeit ihrer Paragien signalisierte, versuchte man Otto, Hermann und Philipp vom Regierenden Herrn abzusetzen. Ihre Ausstattung war dabei so großzügig, dass allein Hermann eine wirkliche Militärkarriere anstrebte, während seine Brüder nur sporadisch in den aufziehenden Dreißigjährigen Krieg involviert waren. Für den Landesherrn Simon VII. bedeutete dies allerdings, dass ein gutes Drittel des Landes nun verteilt und in erblichem Besitz war, sodass für seine eigenen Kinder nicht mehr die Möglichkeit des Empfangs von Paragien bestand.421 Das Modell stieß bei einer hohen Zahl von erwachsenen Söhnen also recht schnell an seine Grenzen. Die Alternative bestand in der Zahlung einer monetären Apanage. Dass mit dem Tode des ältesten Sohnes Simon Ludwig und den nun einsetzenden Vormundschaftsstreitigkeiten ­zwischen dessen Brüdern und der Witwe die innerdynastischen Beziehungen völlig vergiftet waren, erschwerte allerdings auch die Einigung über eine angemessene Versorgung. Zunächst bezogen Johann Bernhard, Otto Heinrich und Hermann Adolf noch eine Apanage, die vom Vormund Christian von Waldeck festgesetzt wurde. Bei d ­ iesem beklagte sich 1637 seine Tochter, die lippische Grafenwitwe Maria Magdalena, über die Ungleichbehandlung ihrer eigenen Kinder gegenüber denen aus erster Ehe, alß weren sie nicht miterben mit dero herzlieben gebrüdern und schwester[n]422. Sie bat Christian 419 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 168 u. 175 – 177; Kiewning, Lippische Geschichte, S. 60 f.; Biermann, Weserraum, S. 292. 420 LAV NRW OWL, L 1 B, Nr. 6. 421 In erbherrlicher Hand waren die Ämter Brake, Blomberg, Schieder, Barntrup, Alverdissen und Lipperode, während Schwalenberg der zweiten Gemahlin Simons als Wittum verschrieben war. 422 HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 07. 04. 1637.

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daher, er wolle doch auch meiner herzlieben kinder alß Ewer Liebden Enckheln, Kinder meines herzlieben Herrn seeligen und eben so wol Graven und Frewlein zur Lippe, versorgen und ihnen ihr Deputat nicht geringer alß ihrn herzlieben brüder und Schwester gehabt setzen 423. Ob die Klage über die Benachteiligung berechtigt war, ist weniger bedeutsam als die Tatsache, dass Maria Magdalena zur Legitimation ihrer Ansprüche auf den verwandtschaftlichen Status ihrer Kinder als geborene Grafen und Gräfinnen zur Lippe verwies, der sie mit den Kindern aus erster Ehe gleichstellte. Der Anspruch auf eine finanzielle oder materielle Versorgung wurde also mit der geburtsmäßigen Zugehörigkeit zur Dynastie begründet. ­Dieses Argument ist umso interessanter, als die geborene Waldeckerin es gegenüber ihrem Vater, dem Grafen von Waldeck, äußerte und nicht gegenüber einem Mitglied des Hauses Lippe. Für die Söhne aus erster Ehe, die nach dem Tod beider Elternteile nun zunächst ohne direkte Fürsprecher dastanden – dann aber zunehmend von ihrem Onkel Otto zur Lippe-­Brake unterstützt wurden –, begannen nach Katharinas Einnahme der Grafschaft 1640 magere Zeiten. Zunächst hielten sie sich eine Zeit lang im Schaumburgischen Rodenberg auf 424 und verdingten sich im Kriegsdienst bzw. erlangten wie Johann Bernhard eine Präbende in Bremen. Offenbar sah dieser sein Ziel, selbst an der Regierung beteiligt zu werden, in so weite Ferne gerückt, dass er mit Katharina in Verhandlungen über die Höhe der Apanagen für sich und seine Geschwister trat. Der schlechte wirtschaftliche Zustand der Grafschaft durch die Belastungen des Krieges sowie die Summen, die bereits an die Erbherren sowie die Kinder Maria Magdalenas bezahlt wurden, setzten den Verhandlungsspielräumen allerdings von vornherein enge Grenzen.425 Zunächst fanden im August 1641 Unterredungen in Kassel statt, nachdem Johann Bernhard und seine Brüder sich bei der Landgräfin über vorenthaltene Apanagegelder beklagt hatten.426 Die Schwestern hatten sich gleichzeitig mit der Bitte um Einsetzung einer Schlichtungskommission an den ­Kaiser gewandt, den sie mit der Anrede als aller elterloesen Waisen obrister vormundt 427 für ihre Sache einzunehmen hofften. Das Ergebnis der Kasseler Verhandlungen bestand darin, dass den Kindern als Wohnsitz die in einiger Entfernung zur Residenz Detmold gelegene Burg Sternberg und darüber hinaus jedem Sohn 1000 Reichstaler und jeder Tochter 400 Reichstaler als jährliche Rente angeboten wurden.428 Jedoch wurde der bereits aufgesetzte Vertrag nicht gesiegelt, da die Agnaten letztlich auf einer Abfindung 4 23 Ebd. 424 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 4. 425 Vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 118 – 123. 426 Vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 6, fol 8. 427 HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 250, Nr. 5, Bittschrift vom 22. 08. 1641, fol. 1v. 428 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 145/146, Vertrag vom 23. 08. 1641.

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mit Land bestanden.429 Nach weiteren langwierigen Korrespondenzen und einer Einigung mit den jüngeren Brüdern gelang am 23. April 1642 schließlich ein sogenannter Interimsvergleich, in dem Johann Bernhard jedes Jahr 1200 Taler Apanage zuzüglich 100 Talern für seinen Unterhalt in Bremen, wo er die Residenzzeit einzuhalten hatte, sowie verschiedene Naturalien, den beiden jüngeren Brüdern dagegen je 1000 Taler zugesprochen wurden. Die Summen sollten in vier Zahlungstermine aufgeteilt werden und Katharina behielt sich vor, bei weiterer Kriegsbelastung des Landes nachverhandeln zu können, wozu dann die nächsten Verwandten und die Landstände hinzugezogen werden sollten.430 1645 forderten die Agnaten die Aufteilung des lippischen Silbergeschirrs, welches vor den Wirren des Krieges nach Emden gebracht worden war, wogegen Katharina Protest einlegte, da sie es als dem Primogenitus zugehörig betrachtete.431 Zwei Jahre später konnten sie sich jedoch durchsetzen, und die Sammlung aus Schalen, Pokalen und Kerzenleuchtern wurde in fünf Teile geteilt und unter Johann Bernhard, Otto Heinrich und Hermann Adolf, ihren Halbbruder Jobst Hermann sowie den minderjährigen Neffen Simon Philipp verlost. Die beiden Schwestern Maria Elisabeth und Anna Katharina erhielten jeweils nur ein Kristallglas als Erinnerungsstück.432 1648 erneuerten die inzwischen apanagierten Brüder ihren Anspruch auf ein Paragium, namentlich das Amt Varenholz, was von der Detmolder Regierung jedoch als Forderung nach einer Landesteilung interpretiert wurde. Katharinas Nachfolger im Vormundsamt, Graf Emich von Leiningen-­Dagsburg, holte darauf­ hin ein juristisches Gutachten der Universität Helmstedt ein. In seiner Anfrage an die Fakultät schilderte der nicht direkt Beteiligte die Situation nach Lage der Hausverträge recht objektiv und wies auch auf die Klausel in Simons VII. zweitem Ehevertrag hin, nach der alle Söhne in Land und Leuten sukzedieren sollten – sie wurde offenbar auch von den nachgeborenen Söhnen aus der ersten Ehe als Argument herangezogen. Emich wies allerdings auf die von Simon eingeholte kaiserliche Konfirmation der Primogenitur hin, die auch ohne ein hinterlassenes Testament die Intention des Erblassers klar mache. Die Juristen bestätigten seine Ansicht, dass er den Agnaten die geforderte Landesteilung verweigern und bei den kaiserlich bestätigten Hausverträgen bleiben müsse.433 Auch berief Emich am 20. und 23. März die Landstände zu einem Kommunikationstag und bat um ihre 429 Vgl. Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 131. 430 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 145/146, Vertrag vom 23. 04. 1642. Abschrift und weitere Korrespondenz in L 7 A, Nr. 16. Tatsächlich kam die Regierung schon ein Jahr später in Zahlungsschwierigkeiten und bot den ihre Kompetenzgelder einfordernden Grafen Philipp und Johann Bernhard stattdessen Getreide an; vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 6, fol. 245 f. 431 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 149, Schreiben vom 23. 06. 1645. 432 Vgl. Stegmann, Silbergeschirr, S. 186. 433 Vgl. LAV NRW OWL , D 72 Falkmann, Nr. 92, Konzept Emichs vom 04. 03. 1648 und Antwort der Juristenfakultät vom 16. 03. 1648.

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Mithilfe bei einer neuerlichen Verhandlung mit Johann Bernhard und seinen Brüdern.434 Sie sollten darauf achten, dass am Ende das bonum publicum alles particu­ lier considerationibus praevaliren würde und man zu einem Vergleich komme, der fur dem Römischen Kaysern und Ihrer Gräfliche Gnaden Pupillen, auch kunftiger Posteritet verandwortlich, und dieser löblichen Graffschafft und darin wohnenden nützlich undt ersprießlich sein müchte 435. Als Hüter des Gemeinwohls angesprochen, sagten die Stände jede Unterstützung zu. Aus ihrer Sicht wie auch aus der des Vormundes als Interessenvertreters des Primogenitus wirkten die Ansprüche der Agnaten wie reine Eigeninteressen, denen es im Namen der Dynastie und des Landes unbedingt vorzubauen galt. Nachdem ein weiteres Rechtsgutachten von den Juristen der Universität Rinteln eingetroffen war, das die Rechtmäßigkeit der Primogenitur im lippischen Hause infrage stellte und der Sukzessionsklausel im Ehevertrag Simons VII. hohe Bedeutung beimaß, mithin zugunsten der Agnaten ausfiel,436 fand am 27. März eine Verhandlung ­zwischen der Vormundschaftsregierung und den Agnaten statt. Dabei wurden die altbekannten Argumente pro und contra die Primogenitur ausgetauscht, ohne dass es zu einer inhaltlichen Einigung kam. Der Dissens zeigt, dass es den Agnaten nun tatsächlich um eine Herrschaftsteilung und nicht allein um ihre Versorgung ging. Die Räte verwiesen nun geschickt darauf, dass der Vormund qua Amt überhaupt nicht zu einer Landesteilung befugt sei und dass bis zu Simon Philipps Regierungsantritt in dieser Sache nichts geschehen könne.437 Daraufhin stellten Johann Bernhard und Hermann Adolf ihre Teilungswünsche vorläufig zurück und forderten, auch in Ansehung der Tatsache, dass ihr Bruder Otto Heinrich inzwischen gestorben war, eine deutliche Erhöhung ihrer Apanage. Das Ergebnis der Verhandlungen war ein zweiter Interimsvertrag, der die Sukzessionsfrage weiter offenließ, aber die Apanagesummen der Brüder um jeweils 300 Reichstaler erhöhte. Die der Schwestern wurde von 350 auf 450 Taler angehoben. Da es schien, dass Johann Bernhard bald seine Präbende würde aufgeben müssen und Hermann Adolf nicht unbegrenzt im Kriegsdienst würde bleiben können, wurde ihnen erneut ein Wohnsitz auf der Burg Sternberg zugewiesen.438 Diese Regelung hatte trotz weiterer Beschwerden über verzögerte Zahlungen bis zur Regierungsübernahme Johann Bernhards im Jahr 1650 im Wesentlichen Bestand.439 434 Vgl. LAV NRW OWL, L 9, Nr. 9, fol. 25v–38r. 435 Ebd., fol. 36r–v. 436 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 17. 437 Vgl. ebd. 438 Vgl. ebd., Vertrag vom 28. 04. 1648. 439 Allerdings muss Hermann Adolf kurz darauf auf das Schloss Varenholz gezogen sein, da er dies in einem erneuten Interimsvertrag, der am 11. 06. 1650 z­ wischen ihm und dem nunmehr regierenden Johann Bernhard ausgehandelt wurde, zu räumen versprach. Des Weiteren

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Im Ergebnis lassen sich die Auseinandersetzungen dahingehend interpretieren, dass weder eine geistliche Pfründe noch auswärtiger Kriegsdienst zum Erlöschen des Anspruchs auf Apanage führten. Forderungen nach finanzieller Beteiligung wurden – ganz im Gegensatz zu denen nach einer Nutzen- oder Herrschaftsteilung – grundsätzlich als legitim empfunden, und in Detmold versuchte man ihnen im engen Rahmen der Möglichkeiten auch nachzukommen, was angesichts häufiger Klagen über Zahlungsverzögerungen jedoch offenbar nicht immer reibungslos funktionierte. Es fällt auf, dass die Vergabe von Paragien, wie sie in den vorangegangenen Generationen noch praktiziert worden war, für die Vormundschaftsregierung keine Option mehr darstellte. Angesichts der Tatsache, dass sich viele Ämter der Grafschaft bereits in erbherrlicher Hand befanden, wollte man das Territorium des designierten Landesherrn nicht weiter schmälern. Auch künftig wurde auf diese Art der Abfindung völlig verzichtet und Nachgeborene erhielten ausschließlich finanzielle Zuwendungen, was die landesherrlichen Kassen allerdings reichlich strapazierte. So klagte der eben die Regierung antretende Graf Simon Henrich 1666 gegenüber seinen Braker und Schaumburger Verwandten, dass die Belastungen durch die Apanagierung der Nebenlinien so hoch ­seien, daß mihr selbst nach abtrag aller schuldigen notwendigkeit neben meiner Gemahl undt Schwestern zu meinem Unterhalt so viel nicht ubrig bleibet 440. Auch die Grafen von Waldeck bedienten sich der Paragienvergabe zur Versorgung ihrer nichtregierenden Angehörigen bereits seit dem Spätmittelalter. Ein früher Hinweis darauf findet sich bei Graf Otto I., der seinem für die geistliche Laufbahn vorgesehenen Sohn Ludwig die Burg Züschen als Erbteil vermachte.441 Es war also bereits in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts gängige Praxis, auch den nichtregierenden Söhnen einen Anteil vom väterlichen Besitz zu überlassen. Dies geht auch aus dem 1344 erlassenen Erbstatut des Grafen Heinrich, einem Bruder Ludwigs, hervor, welches besagt, dass die Paragien der geistlichen Brüder des regierenden Grafen nach deren Tod wieder zurück an die Herrschaft fallen sollten und somit nicht erblich waren.442 Die Zahlung von Apanagen wurde hingegen weitaus später üblich. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts hatte Philipp II. seinen Sohn Philipp III. zum Nachfolger auserkoren und dessen Bruder Franz für die geistliche Laufbahn vorgesehen. Letzterem zahlte er daher anfangs eine jährliche Rente von 300 Gulden, doch nur wurde hier den Ständen aufgetragen, über den rechtmäßigen Erbteil Hermann Adolfs zu entscheiden. Diese rieten zwei Jahre später, Hermann Adolf mit einer Apanage abzufinden und das Land ungeteilt zu lassen. Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 15. 4 40 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 23, Konzept vom 20. 12. 1666. Vgl. auch seine Auseinandersetzung mit Philipp von Schaumburg-­Lippe über den Begriff des „Apanagiaten“ in Kap. 2.2.7. 4 41 Vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, S. 364 u. 373 – 375. 4 42 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11082.

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bißolange er der mit geistlichen lehnen versehen were 443. Hier war die Geldzahlung tatsächlich als reine Übergangslösung vorgesehen, und Franz wird, nachdem er sich erfolgreich um mehrere Kanonikate bemüht hatte, nicht mehr von Zuhause finanziert worden sein. Insgesamt ist allerdings zu konstatieren, dass die Übergänge z­ wischen territorialer und finanzieller Abfindung in Waldeck fließend waren. In der älteren Wildunger Linie setzten die Söhne Philipps IV. den Erhalt eigener Paragialämter durch, nachdem der Erstgeborene die Landesregierung für sich reservieren konnte. Denn das Recht der E ­ rsten geburtt und untheilbarkeitt der Herschafftt bedeute keinesfalls, so Hermann Ulner, dass die andern Bruder allerding außgeschlossen sein, sonder man muß ihn auch eine gepurli­ che portion der gueter tzuordnen, deren sie sich nach ihrem stande und wirden gebrauchen. Darumb sehen wir auch, das Fursten und Graven die andern, ßo nit regieren, gleichwol mitt ettlichen stuckenn, lands, heußern, tzinßen und Renthen, sich davon tzuunderhalten, notturfftiglich versehen.444

Er schlug vor, jedem Nachgeborenen entweder ein kleines Amt zu überlassen oder eine kirchliche Präbende zu verschaffen. Zusätzlich sollte der regierende Älteste seinen Brüdern eine monetäre Apanage auszahlen. Diesem Rat wurde im Wesentlichen gefolgt, und Philipp bemühte sich zunächst um eine Unterbringung seiner Söhne in Domkapiteln und im Fürstendienst, bevor er sie z­ wischen 1554 und 1568 der Reihe nach mit eigenen Paragien versah.445 Zusätzlich scheinen die Söhne zwischenzeitlich auch Apanagen bezogen zu haben, wobei es zu Zahlungsverzögerungen kam, wie aus einem Schreiben Daniels hervorgeht, der in zweien Jaeren kein Heller oder pfennig uberkommen haben von unsser Herr Vatter 446. Zu ähnlichen Klagen über unterlassene oder zu geringe Zahlungen kam es Mitte des 16. Jahrhunderts auch in der Landauer Linie, in der Philipp V. und Franz II. zugunsten ihres Bruders Johann I. gegen gewisse finanzielle Zuwendungen auf die Sukzession verzichtet hatten. Der Kölner Kanoniker Philipp etwa bat seine ­Mutter Anna von Kleve um eine Erhöhung der Apanage, da seine geistliche Präbende ihm keinen standesgemäßen Unterhalt erlaube, was nicht nur ihm selbst, sondern auch E. L. und meinen freuntlichen lieben Bruderen und anderen unsern freunden zu besundern spot, hone und abrueff gereichen 447 würde; ein Argument, das durchaus ernst zu nehmen war. Ein standesgemäßes Auftreten war von hoher Bedeutung und förderte letztlich das Ansehen der gesamten Dynastie, während im Umkehrschluss dessen Fehlen auch auf die Verwandten zurückfiel. Schon einige Wochen 4 43 Zit. nach Behr, Franz von Waldeck, Bd. 2, S. 19. Vgl. auch ebd., Bd. 1, S. 17. 4 44 HStAM, 115/01, Nr. 45, fol. 11r. 4 45 Siehe dazu Kap. 2.3.5. 4 46 HStAM, 115/01, Nr. 784, Schreiben vom Mai 1564 (Tagesangabe fehlt). 4 47 HStAM, 115/01, Nr. 886, Brief Philipps an Anna vom 10. 01. 1550.

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zuvor hatte Philipp seiner ­Mutter schriftlich in Erinnerung gerufen, dass sie mir nye zu dem geistlichen stande hoch gerathen und uff andere wege hilffe zuerzeigen ehemal mutterlich angepotten 448. Offenbar haderte der lutherisch Erzogene mit seinem Leben als Domherr und fragte sich, wie sich mein standt durch gotts verse­ hung in die zeit fugen kunth 449. Habe er die Präbende also in erster Linie aufgrund der finanziellen Versorgung angenommen, so reiche sie doch gerade einmal für ein Drittel des Jahres und er müsse sich heillos verschulden, um auch die restliche Zeit ein standesgemäßes Leben führen zu können.450 Auch mit einer spontanen Übersendung von 30 Talern konnte Anna ihren Sohn nicht beschwichtigen, ging es ihm doch um regelmäßige Zahlungen, mit denen er planen konnte.451 Da die finanzielle Absicherung durch eine einzelne Präbende nicht gegeben war, brachte erst die Kombination mehrerer Pfründen, wie sie im 16. Jahrhundert üblich war, ausreichende Mittel zusammen. Nach seinem Regierungsantritt fiel Johann die Versorgung seiner geistlichen Brüder zu, was erneut zu einem Streit über die angemessene Höhe des Unterhalts führte, der erst 1557 mit Unterstützung der hessischen Räte geschlichtet werden konnte. Dabei sagte Johann seinem Bruder Philipp statt einer regelmäßigen Apanage die einmalige Zahlung von 12.000 Talern gegen den erneuten Verzicht auf das väterliche Erbe zu.452 Überdies waren den Söhnen Philipps III. aus zweiter Ehe bereits im Mutschierungsvertrag von 1538 von ihren älteren Halbbrüdern jährlich 500 Gulden als Ausgleich dafür versprochen worden, dass ihr Erbteil zum größten Teil aus dem Wittum ihrer ­Mutter bestand, für sie also während deren Lebenszeit nicht nutzbar war. 1551 wandten sich daher Philipp V. und Franz II. nach ihrem Sukzessionsverzicht an Wolrad II. und baten ihn, die bisher vorgekommenen Zahlungsverzögerungen künftig zu unterlassen, da sie auf seine Zuwendungen angewiesen s­ eien. Wolrad entschuldigte sich mit den hohen Belastungen, mit denen die Grafschaft in der letzten Zeit konfrontiert sei, insbesondere in Form von Sühnegeldern an den ­Kaiser. Zudem setzte er seinen Halbbrüdern auseinander, dass weilandt der wolgeborner unser freuntlicher lieber her Vatter, loblicher gedechtnus, nit wenig beschwert, meinem bruder seligen und mir nur ein hundert gulden jerlichs zugeben, als sein L. das gantze Landt ingehabt. Daraus E. L. leichtlich zuerachten, was von mir von dem halben theil und in diesen beschwerungen geschehen kan 453. 4 48 Ebd., Brief vom 29. 10. 1549. 4 49 Ebd. 450 Vgl. ebd., Schreiben vom 16. 12. 1549. 451 Vgl. ebd., Schreiben vom 10. 01. 1550. 452 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11173 – 11176. Der am 06. 12. 1557 unter Mitwirkung des Landgrafen Philipp zustande gekommene Schiedsvertrag („Kasseler Rezess“) ist abgedruckt bei Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, Nr. 231. Die vertraglichen Zwischenetappen sind zusammengefasst im Kopial in HStAM, 115/01, Nr. 132. 453 HStAM, 115/01, Nr. 1030, Schreiben vom 30. 06. 1551.

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Auch in den folgenden Jahren sah sich Wolrad nicht in der Lage, die Summe aufzubringen, sodass sich Franz erneut an ihn wandte und dringend um Zahlung oder alternativ um die Zuweisung eines Hauses bat, das die entsprechende Summe aufbringen konnte. Er habe sich einige Zeit an königlichen und fürstlichen Höfen unterhalten können, müsse nun aber eine Rüstung anschaffen – offenbar plante auch er, in den Krieg zu ziehen –, wofür er das Geld dringend benötige.454 Da Wolrad sich weiterhin weigerte zu zahlen, wandte Franz sich an den Landgrafen, der Wolrad schließlich aufgrund des Vorwurfs, gegen den Mutschierungsvertrag zu verstoßen, nach Kassel vorlud. Hieraus ergab sich ein jahrelanger Briefwechsel mit mehreren Anläufen zur Klärung der Sache, die jedoch auch aufgrund der Verweigerungshaltung Wolrads letztlich im Sande verlief.455 Vermutlich blieb er den Landauern die vereinbarten jährlichen 500 Gulden dauerhaft schuldig. Im 16. Jahrhundert bedienten sich die Grafen von Waldeck also einer Vielzahl von Versorgungsarten. Die Landesteilungen von 1507, 1538 und 1607 waren eine wirksame Möglichkeit, Erbansprüche zu bedienen, ließen sich aufgrund der zunehmenden Zersplitterung des Landes aber nicht unbegrenzt durchführen. Zusätzlich wurde daher in der Wildunger Linie auf die Vergabe von Paragien gesetzt, während die Eisenberger und Landauer Regenten ihren geistlichen Brüdern vorwiegend Apanagen zahlten. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts nahmen unter den Nachkommen Christians und Wolrads zunächst die testamentarisch verfügten Nutzenteilungen wieder zu, wobei letzterer anordnete, die Teilung unter seine Söhne bis zum Tod seiner Witwe zu verschieben, der laut Ehevertrag weite Teile des Landes als Wittum zustanden. Bis dahin sollten seine Erben sich mit einer jährlichen Summe von 1000 Reichstalern zufriedengeben.456 Erst 1685 wurden mit der Einführung der Primogenitur auch die Versorgungsleistungen für nichtregierende Dynastieangehörige ein für alle Mal auf den Bezug von Apanagen beschränkt.457 Insgesamt stellt es sich häufig als schwierig heraus, eine klare Grenze ­zwischen Paragium und Apanage zu ziehen, da es sich im 16. und 17. Jahrhundert noch um keine fest definierten Rechtsbegriffe handelte und die Quellensprache sie inkonsequent und teils synonym verwendete. In der historischen Wirklichkeit lässt sich eine Vielzahl unterschiedlicher Formen finden, wobei die Übergänge ­zwischen einem in vielerlei Hinsicht eigenständigen Landesteil wie etwa Waldeck-­ Landau (mit regierendem Grafen), einem erblichen Paragium wie Lippe-­Brake, einem nur zu nutznießenden Wohnsitz, dem aber Einnahmen aus dem umliegenden Amt zuflossen, der Überschreibung von Renten und Zinsen aus bestimmten Liegenschaften sowie schließlich der Zahlung eines vertraglich festgesetzten 454 Vgl. ebd., Schreiben vom 11. 06. 1553. 455 Vgl. ebd. 456 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 276, fol. 4v. 457 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 1.

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Pauschalbetrags fließend waren. Zudem wurden vor allem im 16. Jahrhundert verschiedene Versorgungsmöglichkeiten miteinander kombiniert. Die wichtigste Entwicklung in dieser Zeit war die Erblichwerdung der Paragien, denn sie bedeutete eine massive Aufwertung der Stellung der nichtregierenden Mitglieder innerhalb der Dynastie. Durch die geblütsrechtliche Vorstellung, dass die Grafschaft sich in gemeinsamem Besitz befand,458 wurden nicht nur Nutzen- und Paragialteilungen legitimiert, sondern auch deren Verstetigung durch ein eigenständiges Erbrecht der Abgeteilten. Zwar wurde genauestens darauf geachtet, dass diese Landesteile nicht durch Heirat oder Verkauf veräußert werden konnten, jedoch waren sie dem Zugriff des Landesherrn insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht entzogen. Aus ­diesem Grund wurde die Paragienvergabe im 17. Jahrhundert schließlich von den rein monetären Apanagen verdrängt, was eine zweite bedeutende Veränderung darstellt. Dem lag auch die Einsicht zugrunde, dass Paragien das Versorgungsproblem letztlich beschleunigten, denn sie ermöglichten eine Vermehrung von Heiraten und ehelichen Geburten und führten damit letztlich zu einer Vervielfältigung der Erbansprüche. Wie sah demgegenüber die Versorgung der Töchter aus? Blickt man zunächst auf die normative Ebene, gab es für sie im Grunde nur eine anerkannte Möglichkeit der auskömmlichen Lebensführung, nämlich die Heirat. Bis dahin, so stand es in nahezu jedem Testament und jedem Hausvertrag, sollten sie von ihren männlichen Verwandten im Haus versorgt werden. Der legitime Anspruch auf die Zahlung einer Mitgift im Falle der Hochzeit ging mit einem Erbverzicht seitens der Braut und ihres Ehemannes einher. Der Eintritt in ein Stift wurde in den Verträgen hingegen so gut wie nie erwähnt, was zu dem Fehlschluss verleiten könnte, dass damit keinerlei finanzielle Transaktionen zusammenhingen. Tatsächlich aber wurden auch Stiftsdamen häufig von ihrer Familie bezuschusst. Vereinzelte Hinweise darauf gibt es bei den Grafen zur Lippe, wo Bernhard VIII. seinem Sohn und Nachfolger Simon VI. testamentarisch auflegte, dessen Schwestern und Tanten zu versorgen, von denen zum Abfassungszeitpunkt des Letzten Willens mindestens eine bereits Herforder Stiftsdame war.459 Bei dem oben vorgestellten zweiten Interimsvergleich von 1648 z­ wischen Johann Bernhard, seinen Geschwistern und den Vormündern, wurde Anna Katharina eine jährliche Apanage von 450 Talern zuerkannt, obwohl sie zu ­diesem Zeitpunkt bereits Äbtissin von Cappel war, der den dortigen Statuten gemäß gleich sechs der zehn Präbenden zustanden.460 458 Vgl. exemplarisch die Formulierung im ersten Teilungsvertrag z­ wischen Bernhard VIII. und Hermann Simon zur Lippe, die von unserer beiderseits anererbten und erlangten Graf und herschafften sprachen, LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10, Vertrag vom 21. 10. 1559. 459 Vgl. LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, 12. 02. 1563. 4 60 Vgl. Schneider, Cappel, S. 169.

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Auch die Waldecker versorgten ihre Töchter, solange diese noch unverheiratet waren, so wie Josias I., der sich mit seinen fünf Schwestern 1578 darüber verglich, ihnen jährlich 60 Gulden auszuzahlen.461 Auch die zu ­diesem Zeitpunkt bereits das Amt der Dechantin von Gandersheim bekleidende Anna Erika wurde darin eingeschlossen. Nach Josias’ Tod wurde die Höhe des Unterhalts der Fräulein von ihren Vormündern bestätigt. Dies galt auch für die Älteste, Katharina, die inzwischen Äbtissin von Schaaken war und sich über ihre geringe Apanage beschwert hatte. Zusätzlich sollte sie künftig aber noch Wein, Bier, zwei Rinder, zehn Schafe, 20 Schweine, Wildbret und Fisch, sowie Kohle und 15 Gulden Handgeld bekommen. Ihre unverheiratete Schwester Magdalena Lucia sollte ebenfalls ins Stift Schaaken ziehen und jährlich 200 Taler aus den Zinsen der Summe von 4000 Talern erhalten, die ursprünglich für ihre Mitgift vorgesehen waren.462 1604 war sie jedoch nicht im Stift, sondern im Haus Ober-­Ense untergekommen, wo sie einen Lebensstil pflegte, durch den nach Ansicht der Eisenberger Räte der Her­ schafft gefelle nitt auf ein geringeß geschmellertt 463 würden. Auch die inzwischen zur Äbtissin aufgestiegene Anna Erika bezog weiterhin Zuschüsse aus ihrer Heimat. Die Räte erklärten ihr, dass ihr von den Vormündern aufgebessertes Deputat nur auf vier Jahre ausgelegt gewesen und diese Frist nun um sei. Man habe sie daher selbiges hinfuro der Herschafft zum besten fallen zu laßen gebeten. So hat doch solches nit statfinden mugen, sondern wollen s­ olche zusteur I. G. indefinite auf Ihr Lebenlangk verstanden haben und darvon nichts fallen laßen 464. Die letzten beiden Zitate verdeutlichen die Perspektive der gräflichen Räte, deren Hauptsorge der wirtschaftlichen Prosperität der Grafschaft galt, w ­ elche durch die Ansprüche der apanagierten Dynastieangehörigen gefährdet wurde. Im Kreis der Dynastien selbst galt das Versorgungsdenken dagegen grundsätzlich als legitim, und es wurde sich vor allem um die konkrete Höhe der Zuwendungen gestritten. Es lässt sich sogar eine zunehmende Betonung des Geblütsrechts ausmachen, also der Begründung von Erb- und Versorgungsansprüchen mit der Abstammung. Daher wurde von Akteuren wie Johann Bernhard zur Lippe oder Maria Magdalena von Waldeck immer wieder die blutsverwandtschaftliche Zugehörigkeit zum Haus ins Feld geführt. Somit stellt sich die Dynastie auch als eine verwandtschaftlich fundierte Solidargemeinschaft dar, deren Mitgliedern durch Versorgungsleistungen ein standesgemäßes Leben ermöglicht wurde. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Bezieher zusätzlich noch eine Dienstbestallung oder eine geistliche Präbende innehatten. Die Folgen des Ausschlusses der Protestanten aus der Reichskirche machten sich erst im 17. Jahrhundert empfindlich bemerkbar 4 61 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11186. 4 62 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 391, Vertrag vom 02. 08. 1592. 4 63 HStAM, 115/01, Nr. 608. 4 64 Ebd.

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und verschärften das Versorgungsproblem nun zusätzlich. Häufiger Geldmangel aufseiten der Landesherrn führte daher dazu, dass zahlreiche zu versorgende Verwandte immer stärker als Belastung empfunden wurden, während diese das Ausbleiben der Zahlungen als Affront und Negierung ihrer rechtmäßigen Ansprüche interpretierten. Beides führte letztlich zu einer Verschärfung der Hierarchie ­zwischen regierenden und apanagierten Dynastieangehörigen. 3.2.4 Der Umgang mit illegitimen Nachkommen Dass Adlige in Spätmittelalter und beginnender Neuzeit oft nicht nur Kinder aus kirchlich geschlossenen Ehen, sondern auch aus nichtehelichen Seitenverhältnissen hatten, ist von der Forschung erst in den vergangenen Jahren eingehender Untersuchungen gewürdigt worden.465 Lange Zeit waren diese sogenannten natürlichen Kinder aus illegitimen 466 Verbindungen übersehen worden, auch weil sie in den Quellen in der Regel wenige Spuren hinterlassen haben.467 In den haushistoriographischen Werken tauchen sie meist überhaupt nicht auf,468 ein möglicher Hinweis darauf, dass schon die Zeitgenossen sie nicht als unmittelbar zur Dynastie gehörig ansahen und sie daher lieber verschwiegen. Dennoch waren Konkubinate trotz zunehmender moralischer Verurteilung und auch rechtlicher Sanktionierung seit der Mitte des 16. Jahrhunderts insbesondere im Adel ein verbreitetes Phänomen,469 und mit den Folgen – den unehelichen Kindern – musste in irgendeiner Form umgegangen werden. Die Hausverträge, die die Beziehungen der Dynastieangehörigen untereinander regelten, sind dabei wenig hilfreich, denn auch hier finden sich in der Regel keine einschlägigen Bestimmungen. Da also innerhalb der Dynastie keine expliziten Normen gesetzt wurden, muss erneut die Praxis Aufschlüsse über den Umgang mit und die soziale Stellung von sogenannten Bastarden 470 liefern. Dabei wird eine große Bandbreite von 4 65 Vgl. Schulz, Von Bastarden; Widder, Skandalgeschichten; Slanička, Bastarde. 4 66 Zum Kriterium der Illegitimität, das eine juristische Definition von Verwandtschaft ausdrückt, die auf der Rechtmäßigkeit einer innerehelichen Zeugung beruht, vgl. Gottschalk, Niemandes Kind. 4 67 Die modernen genealogischen Tafelwerke weisen sie inzwischen aus, wobei mit einer viel höheren Dunkelziffer zu rechnen ist. 4 68 Siehe dazu auch Kap. 4.2. Eine Ausnahme, die mehrere Bastarde aufführende Zimmerische Chronik, untersucht Hurwich, Bastards. 4 69 Vgl. Tacke (Hg.), Konkubinate; Heinig, Omnia vincit amor; Schulz, Von Bastarden, S. 51 – 85. 470 Der Begriff „Bastard“ hatte in seiner ursprünglichen Bedeutung als außerehelich gezeugtes Kind keine pejorative Konnotation, w ­ elche erst im 19. Jahrhundert aufkam; vgl. Slanička, Bastarde, S. 6 f. Schulz, Von Bastarden, S. 271, konstatiert in ihrer bis 1830 reichenden

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­ mgangsformen von der einmaligen Zahlung einer Geldsumme bis zur lebensU langen Förderung erkennbar. Als stillschweigende Norm galt der Grundsatz, dass ein adliger Mann dazu verpflichtet war, seine natürlichen Kinder zu versorgen.471 In welchem Umfang die Fürsorge betrieben werden sollte, war allerdings nicht festgelegt, und an dieser Frage entzündeten sich nicht selten Konflikte mit den legitimen Erben oder anderen Verwandten, die sich in ihren eigenen Rechten bedroht sahen.472 Es steht zu vermuten, dass die Höhe der Zuwendungen neben dem Wohlwollen des Vaters und seinen finanziellen Spielräumen auch vom sozialen Stand der Mütter abhing, die jedoch noch seltener in den Quellen auftauchen.473 Grundsätzlich wurde den männlichen Bastarden – anders als in stärker vom römischen Recht geprägten Räumen wie Spanien, Italien und Frankreich und auch im Unterschied zum Spätmittelalter – im Reich der Frühen Neuzeit keine über eine gewisse Grundversorgung hinausgehenden Ansprüche am väterlichen Erbe oder gar an dessen Herrschaft zugestanden.474 Rangmäßig standen Bastarde in der Regel mindestens eine Stufe unter ihren Vätern, was für uneheliche Grafensöhne und -töchter eine Zuordnung zum Niederadel bedeuten würde.475 Die von Bernhard Jussen konstatierte Herausbildung einer eigenständigen sozialen Gruppe hochadliger Bastarde 476 ist so jedenfalls wohl nur für die westeuropäischen Länder zu beobachten, wohingegen illegitime Kinder im Reich ganz unterschiedliche Lebensschicksale ereilen konnten. Neben erb- und versorgungsrechtlichen Aspekten sind auch die symbolischen Formen im Umgang mit Bastarden von besonderer Bedeutung, da sich in ihnen ihre soziale Stellung augenfällig spiegelte. Auch hier war eine große Bandbreite von möglichen Ausdrucksformen denkbar, die von der Übernahme des väterlichen Namens – nicht jedoch des Titels – mit oder ohne Adelsprädikat, über leichte sprachliche Abwandlungen bis hin zum Tragen des mütterlichen Studie über die illegitimen Kinder der Herzöge von Mecklenburg sogar, dass „zu keiner Zeit und unter keinen Umständen die Kinder zu Bastarden im pejorativen Sinne herabsanken“. Im Gegenteil war die gesellschaftliche Akzeptanz von adligen Bastarden die gesamte Frühe Neuzeit über im Allgemeinen sehr hoch. 471 Vgl. Schulz, Von Bastarden, S. 32. Das Kirchenrecht verpflichtete dabei im Übrigen nur zur Versorgung von unehelichen Kindern Unverheirateter, nicht jedoch von solchen aus ehebrüchigen oder inzestuösen Beziehungen oder aus geistlichen Konkubinaten; vgl. Hurwich, Bastards, S. 713. Eine breitere juristische Diskussion über den Umgang mit illegitimen Kindern fand verstärkt erst seit dem späten 17. Jahrhundert statt; vgl. Gottschalk, Niemandes Kind, S. 35. 472 Vgl. Spiess, Familie, S. 381 f. 473 Vgl. Bei der Wieden, Letzte Grafen, S. 87. 474 Vgl. Walther, (Un-)Ordnung, S. 49; Hurwich, Bastards, S. 716 – 719; Spiess, Familie, S. 381. 475 Vgl. ebd., S. 389; Schulz, Von Bastarden, S. 98. 476 Vgl. Jussen, Verwandtschaftsforschung, S. 300 f.

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Nachnamens reichten.477 Auch die Übernahme des väterlichen Wappens gibt wichtige Aufschlüsse über die soziale und verwandtschaftliche Verortung der illegitimen Kinder. Heraldische Abwandlungen wie der besonders in Westeuropa verbreitete sogenannte Bastardfaden konnten dabei die abgestufte Zugehörigkeit des Wappenträgers zu einem Herrschaftsverband verdeutlichen.478 Es gilt also im Folgenden zu fragen, ob und inwieweit Sprösslinge der Grafen aus nichtehelichen Verbindungen zur Dynastie gerechnet wurden, ­welche Art von Versorgung ihnen zugestanden wurde und wie sich ihr sozialer Status symbolisch manifestierte. Die illegitimen Sprösslinge der Grafen zur Lippe sind vergleichsweise gut erforscht. Grund dafür ist die Vielzahl unehelicher Kinder des Grafen B ­ ernhard VII ., die seit einigen Jahren das Interesse einer genealogischen Forschergruppe auf sich gezogen hat.479 Aus der urkundlichen Überlieferung sind vereinzelt bereits Bastardsöhne aus dem 15. Jahrhundert namentlich bekannt.480 Die zwölf namentlich bekannten unehelichen Kinder Bernhards VII . mit mindestens drei verschiedenen Konkubinen 481 stechen allerdings besonders hervor, und an ihrem Werdegang lässt sich ihre soziale Stellung ­zwischen der Zugehörigkeit zum Adel und dem gesellschaftlichen Abstieg verdeutlichen. Zunächst fällt auf, dass sich unter den Kindern die lippischen Leitnamen Bern(har)d und Simon, aber ebenso kognatisches Namensgut aus der Schaumburger Verwandtschaft des Grafen finden lassen, was sich als „der deutlichste denkbare Ausweis ihrer Akzeptanz“482 interpretieren lässt. Als lippische Besonderheit trugen die männlichen Bastarde den abgewandelten Namen von der Lippe – im Gegensatz zum gräflichen zur Lippe – was auf ihre Adligkeit hindeutet.483 Zudem wurde es ihnen gestattet, eine abgewandelte Form des väterlichen Wappens zu tragen: 477 Vgl. Hurwich, Bastards, S. 720. 478 Vgl. Scheibelreiter, Heraldik, S. 91 f. 479 Vgl. Linde (Hg.), Nachkommen; Rügge, Illegitime Nachkommen. 480 Zwischen 1427 und 1443 taucht in den Urkunden ein Bernd von der Lippe u. a. als Bürge der Edelherren auf; vgl. LR III , Nr. 1877, 1928, 1958a, 2014, 2017a. Dabei handelt es sich wohl um die g­ leiche Person wie der Knappe Bernd, den die Edelherren Bernhard VII . und Simon 1454 als unsen Veddern bezeichnen; vgl. ebd., Nr. 2141 u. 2141a. Zwischen 1433 und 1469 wird ein Johann von der Lippe als Kirchherr zu Lage, später zu Lemgo und schließlich zu Detmold erwähnt; vgl. ebd., Nr. 1932, 2011, 2057, 2084, 2093, 2105, 2157a, 2166, 2278, 2287, 2291, 2318, 2346 u. 2357. Beide waren vermutlich Bastardsöhne des Grafen Bernhard VI . Vgl. Bechtel/Lenniger/Linde [u. a.], Illegitime Nachkommen, S. 90 f. 481 Siehe die Auflistung bei Rügge, Illegitime Nachkommen, S. 170 – 172. 482 Linde, Bernhard VII. zur Lippe, S. 51. 483 Vgl. Rügge, Illegitime Nachkommen, S. 185. Nicht zu verwechseln sind die Abkömmlinge der Bastardlinien mit dem im Paderbornischen begüterten Niederadelsgeschlecht von der Lippe, deren Wappen zwei Turnierkragen zieren.

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eine vier- statt einer fünfblättrigen Rose.484 Aber auch die heraldische Form des Querfadens über dem ansonsten unveränderten Emblem der fünfblättrigen Rose wurde verwendet.485 Von den Edelherren wurden sie gelegentlich explizit als Verwandte deklariert, etwa wenn ein ehelicher Sohn Bernhards in einer Urkunde von 1511 von seinen Bastert-­Brodern  486 sprach oder Simon V. seinen Halbbruder Johann als unses Mages 487 und später in seinem Testament den Magister Bernd von der Lippe sogar als mynen broder 488 – also ohne abschwächende Spezifizierung – bezeichnete. Auch seine Fürsorgepflicht nahm Bernhard VII . sehr ernst. In einem undatierten Vertragsentwurf verschrieb er seiner Konkubine Ilse eine Leibrente, zu der auch seine ehelichen Söhne Simon und Bernhard ihre Einwilligung gaben.489 Drei seiner unehelichen Töchter gab er ins Lemgoer St. Marienkloster, dem er dazu 172 Gulden zu ihrer Versorgung überschrieb.490 Seine älteste uneheliche Tochter verheiratete er hingegen mit einem lippischen Niederadligen, wozu er ihr drei Höfe als Mitgift übertrug, was 1491 noch eine denkbare Ausstattung war, da die Agnatisierung von Landbesitz noch nicht weit fortgeschritten war. Auch hierzu gaben seine ehelichen Söhne und sogar seine Gemahlin Anna von Schaumburg, in deren Wittum die Höfe lagen, ihr Einverständnis.491 Nicht nur wurden die illegitimen Verwandten als ­solche von den Dynastieangehörigen akzeptiert, es sind auch keinerlei Klagen über die materielle Belastung durch ihre Versorgung und die damit verbundene Schmälerung des dynastischen Vermögens überliefert. Uneheliche Töchter wurden ebenso wie ihre legitimen Halbschwestern zur Ehe ausgestattet oder einem Kloster bzw. Stift übergeben, wobei die Höhe ihrer Ausstattung unterhalb der im Hochadel üblichen Summen lag. Die Lebenswege von Bernhards Bastardsöhnen – soweit bekannt – haben gemeinsam, dass sie überwiegend im näheren Umfeld der Edelherren und Grafen angesiedelt waren. Johann wurde Pastor in Detmold, Bernd Kanzler der Grafschaft, Anton Amtmann zu Brake und Erich ein persönlicher Diener Bernhards VIII . Neben ihren Amtsstellungen erwarben sie Lehnsgüter in der Grafschaft und zusätzliche Einkünfte, 484 Dieses Wappen wurde etwa von Bernhards VII . Sohn Anton geführt; vgl. Bechtel/ Lenniger/Linde [u. a.], Illegitime Nachkommen, S.  82; Kiewning, Lippische Geschichte, S. 113 u. 223. 485 Sie trug etwa Johann, ein weiterer Bastardsohn Bernhards VII.; vgl. Bechtel/Lenniger/ Linde [u. a.], Illegitime Nachkommen, S. 78; und ebenso Bernhard von der Lippe, ein Sohn Bernhards VI.; vgl. ebd., S. 91. 486 LR IV, Nr. 2984. 487 Ebd., Nr. 2993. 488 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 45. 489 Vgl. LR IV, Nr. 2902, Anm. 490 Vgl. ebd., Nr. 2978. 491 Vgl. ebd., Nr. 2778; Linde, Bernhard VII. zur Lippe, S. 50.

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etwa aus dem landesherrlichen Gericht in Lemgo.492 Lediglich der spät geborene Niggehus hatte als Besitzer eines abgabenbefreiten Meierhofs keinen direkten Kontakt zur Herrschaft.493 Die Einbindung in die landesherrliche Beamtenschaft nützte nicht nur den Kindern, sondern ebenso den Landesherren, die mit ihren Söhnen respektive Halbbrüdern auf loyale Dienstleute zurückgreifen konnten. Zudem schonte deren Versorgung aus Amtsgeldern und Pfründen das dynastische Vermögen.494 Der soziale Status der Bastarde Bernhards lässt sich nicht nur in den symbolischen Formen, sondern auch im Konnubium ablesen und zeigt eine Spannweite ­zwischen Niederadel und gehobenem Bauerntum. Viele Nachkommen konnten ihre ursprüngliche Stellung allerdings nicht dauerhaft halten.495 Insofern bestätigt sich die Annahme, dass illegitime Kinder gemeinhin eine soziale Stufe unterhalb ihres Vaters angesiedelt waren, nur zum Teil. Bernhards VII. Nachfolger zeugten ungleich weniger uneheliche Kinder. Sein Enkel Bernhard VIII. hatte mit einer unbekannten Konkubine eine Tochter, die er – nach seiner Gemahlin? – Katharina nannte. Als sie sich 1569 mit einem Bürger aus der Umgebung vermählte, konnte sie zur Ausstattung auf die ihr vom Vater hinterlassenen 400 Taler zurückgreifen.496 Simon VI. hatte einen Bastardsohn namens Caspar, den er jedoch, wie er in seinem ersten Testament verlautbaren ließ, vor unserem angefangenen Ehestande erzeugt 497 hatte. Dies eigens zu betonen, schien dem frommen Protestanten ein besonderes Anliegen zu sein, da sich die gesellschaftlichen Normen inzwischen hin zu einer strikteren Einhaltung der ehelichen Sexualität gewandelt hatten. Ob es rechtlich einen Unterschied für den Landesherrn machte, ob er ein illegitimes Kind vor oder während seiner Ehe gezeugt hatte, sei dahingestellt, da es niemanden gab, der ihn beklagen konnte. Caspar wurde in den drei Testamentsentwürfen Simons immer wieder mit Zuwendungen bedacht, sodass man seinen Lebensweg einigermaßen rekons­ truieren kann. Simon ermöglichte ihm zunächst die schulische Ausbildung, bevor er ihn zum Studium nach Marburg schickte. Im dritten und endgültigen Testament wurden ihm schließlich 4000 Taler für seinen Lebensunterhalt zugedacht.498 492 Vgl. Bechtel/Lenniger/Linde [u. a.], Illegitime Nachkommen, S. 78 – 84. 493 Vgl. ebd., S. 85 – 87. 494 Vgl. Spiess, Familie, S. 383; Rügge, Illegitime Nachkommen, S. 177. 495 Vgl. ebd., S. 179 – 184. 496 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 173. Laut Kiewning, Lippische Geschichte, S. 223, gestattete Simon VI . seiner „Bastardschwester“, die Hochzeit im Detmolder Schloss zu feiern, ein bedeutender Hinweis auf die Anerkennung der Verwandtschaft und die Nähe zur Dynastie. 497 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 2. 498 Über Caspar ist darüber hinaus recht wenig bekannt. Offenbar führte das Studium nicht zu einer Beamtenkarriere im landesherrlichen Dienst, da er 1601 in Bremen ansässig war; vgl. Falkmann, Beiträge, Bd. 5, S. 352, Anm.

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­ ufschlussreich ist die Versorgung Caspars auch insofern, als Simon zum ZeitA punkt des ersten Testaments keine ehelichen Kinder hatte und zur Regelung seiner Nachfolge auf einen seiner Neffen zurückzugreifen gedachte. Caspar selbst, der ja immerhin ein leiblicher Sohn Simons war, wurde hingegen als seiner geburth halber unser Erbschafft nicht vehigh 499 angesehen. Vor dem gleichen Problem hatte auch schon Otto IV. von Waldeck-­Landau bei der Regelung seiner Hinterlassenschaften gestanden: Er hatte einen Bastard, aber keinen legitimen Sohn und damit keinen Erben, doch eine Bitte beim K ­ aiser um rechtliche Legitimation kam ihm nicht in den Sinn. „Man sah eher dem Ende des Geschlechts entgegen, als einem Bastard die Nachfolge zu ermöglichen.“500 Über die Bastarde der Grafen von Waldeck liegen weitaus weniger vollständige Daten vor,501 jedoch bieten die prosopographischen Untersuchungen Hermann Steinmetz’ über die waldeckischen Beamten eine unschätzbare Quelle für die Lebensläufe etlicher unehelicher Grafensöhne und deren Nachkommen.502 Freilich sind dort nur jene aufgeführt, die Ämter in der landesherrlichen Verwaltung bekleideten, wobei deren hohe Zahl dafür spricht, dass es sich bei der Versorgung mit Amtmannstellen und Hofämtern um den typischen Umgang der Grafen mit ihren illegitimen Söhnen handelte. Die Existenz und das Schicksal weiterer, nicht beamteter Söhne sowie das der Töchter sind jedoch noch weitgehend unbekannt und bedürfen weiterer Forschungsanstrengungen. Die ersten quellenmäßig greifbaren illegitimen Grafensöhne stammen von Otto III. von Waldeck-­Landau, namentlich Henrich von Waldeck, der 1465 bis 1468 Vogt zu Landau war, sowie dessen Bruder Wilhelm.503 Ein Tiele von Waldeck war in der gleichen Zeit Wildunger Amtmann 504 und stammte vermutlich vom Grafen Wolrad I. ab, der ihm 1466 eine Leibrente verschrieb.505 Der von der Sukzession ausgeschlossene uneheliche Sohn Ottos IV . namens Arnd wurde schon erwähnt; ihm vermachte sein Vater testamentarisch 300 Goldgulden.506 Sein Wappen zeigte einen halb durchgestrichenen Stern als deutliches Symbol seiner unehelichen Abstammung von den Grafen von Waldeck.507 Graf Heinrich VIII. 499 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 2. 500 Bei der Wieden, Letzte Grafen, S. 85. 501 Die Europäischen Stammtafeln etwa führen für die Waldecker Grafen kein einziges illegitimes Kind auf. 502 Vgl. Steinmetz, Beamten. 503 Vgl. Steinmetz, Beamten, in: GBW 45 (1953), S. 94. 504 Vgl. Ders., Beamten, in: GBW 47 (1955), S. 9. 505 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 4596. 506 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 237, S. 5. Laut Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 14 f., war er das Ergebnis einer Liaison mit der hessischen Niederadligen Anna von Hohenfels. 507 Zu Lebzeiten des Waldecker Geschichtsforschers Varnhagen zierte sein Wappen samt der Umschrift „Arndt von Waldeck“ einen Wappenschild in der Landauer Stadtkirche (vgl.

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von Waldeck-­Wildungen hatte mindestens drei illegitime Söhne namens H ­ enrich, Wilhelm und Matern, die ihrem Halbbruder Philipp IV. als Amtmänner, Räte und Hofmeister dienten. In einer gräflichen Urkunde ist von Junker Henrich von Waldeck die Rede.508 Von Philipp III. ist ein unehelicher Sohn namens Dietrich von Waldeck bekannt, der 1531 die Kapelle in Netze zu seinem Unterhalt erhielt und eine Niederadlige heiratete. Deren Tochter wurde eine gräfliche Kammerdienerin.509 Die direkten Bastarde übernahmen also alle den väterlichen Geschlechtsnamen samt adligem „von“. Statt des Grafentitels führten sie offenbar den Adligkeit signalisierenden Titel eines Junkers. Ihre eigenen Nachkommen verloren die adlige Titulatur häufig, was sich etwa an Wilhelm dem Jüngeren (von) Waldeck, einem Sohn des Matern, zeigt, dem Graf Samuel das Tragen des Adelsprädikats untersagte.510 Dessen Bruder Henrich trug zwar weiterhin das „von“ im Namen und führte einen diagonal halbierten Stern im Wappen,511 heiratete aber eine Bürgerliche. So tritt stärker als bei den Lippern bei den Waldeckern ein Muster hervor, nach dem die direkten Nachkommen der Grafen (nieder-)adligen Standes waren, deren Nachkommen wiederum den Stand nicht halten konnten und bürgerlich wurden. Dies lässt sich auch bei den zahlreichen Nachkommen des Bischofs Franz von Waldeck beobachten. Nicht nur weltliche Herren, auch Fürstbischöfe unterhielten nichteheliche Verhältnisse zu Frauen, mit denen sie auch Kinder zeugten. Schon vor der Reformation wurden Konkubinate von Geistlichen seitens der K ­ irche geduldet, solange es nicht zum öffentlichen Skandal kam. Im Zuge von Luthers Befürwortung der Priesterehe versuchten viele Geistliche, ihre Konkubinate in Ehen umzuwandeln, wobei in der Anfangsphase der Reformation verschiedenste Mischformen existierten.512 Für einen Bischof hätte ein öffentliches Bekenntnis zu einer Konkubine oder gar eine Heirat im 16. Jahrhundert allerdings den Verlust seines Amtes bedeutet, sodass derlei Verbindungen oft mehr oder weniger geheim gehalten wurden.513 Franz von Waldeck, Bischof von Münster und Osnabrück sowie Administrator von Minden, lebte von 1523 an in einem Verhältnis mit der Einbecker Bürgerstochter Anna Polmann, das bis zu seinem Tod andauerte und aus dem mindestens ebd.). Dieses muss allerdings im Zuge einer späteren Renovierung abgehängt worden sein; freundliche Auskunft von Pfarrer Christian Rehkate (Kassel). 508 Vgl. Steinmetz, Beamten, in: GBW 47 (1955), S. 10; Ders., Beamten, in: GBW 49 (1957), S. 4 f. u. 46 f.; Ders., Beamten, in: GBW 56 (1964), S. 108 u. 119. 509 Vgl. Ders., Beamten, in: GBW 49 (1957), S. 50. 510 Vgl. Ders., Beamten, in: GBW 45 (1953), S. 102. 511 Im Testament des Grafen Franz III. von Waldeck-­Landau tritt er als siegelnder Zeuge auf; vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 258. 512 Vgl. Lück, Rechtsgebot; Breul, Celibacy; am Beispiel der Herzogtümer Jülich und Berg zudem ausführlich Flüchter, Zölibat. 513 Vgl. Heinig, Fürstenkonkubinat, S. 36.

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acht namentlich bekannte Kinder hervorgingen.514 Möglicherweise hat das Paar sogar im Jahr 1540 heimlich geheiratet, wofür es aber keine sicheren Belege gibt. Da die Familie freilich nicht zusammen am Bischofshof leben konnte, brachte Franz Frau und Kinder in unweit gelegenen Häusern und Gütern unter. Auch für deren materielle Versorgung kam er auf und legte die Grundlagen für spätere Stiftskarrieren seiner Söhne. Drei von ihnen wurden Inhaber von Vikarien in Minden und Osnabrück, während ein vierter Sekretär des Grafen Josias I. wurde und eine Bürgerliche heiratete.515 Drei Töchter vermählten sich ebenfalls mit Bürgern, eine vierte blieb ledig. Trotz dieser nichtadligen Heiratsverbindungen trugen die direkten Kinder des Bischofs den Namen von Waldeck und das gräfliche Wappen. Die aus der Ehe des jüngsten Sohnes Christoph hervorgehenden Nachkommengenerationen hingegen verloren das Adelspartikel im Namen und bildeten einen Teil der stadtbürgerlichen Honoratiorenschicht Wildungens.516 Neben diesen acht Kindern hatte Franz noch einen weiteren Sohn namens C ­ hristoph von einer unbekannten Konkubine, der ein Studium der Rechte aufnahm.517 Auch seitens der Waldecker Grafen lässt sich eine Fürsorge für die Kinder Franzens nach dessen Tod erkennen, etwa bei der Suche nach geeigneten Vormündern und der Fortführung ihrer Ausbildung.518 So lange das eigene Dynastievermögen nicht betroffen war, inkludierte die verwandtschaftliche Solidarität offenbar problemlos auch die illegitimen Vettern. Der Befund führt zu der Frage nach den Vorstellungen von Verwandtschaft und Dynastie, die dem Umgang mit unehelichen Kindern zugrunde lagen. An der Verwandtschaftsterminologie, die die Grafen im Umgang mit ihren illegitimen Kindern und Geschwistern gebrauchten, lässt sich erkennen, dass sie diese grundsätzlich als nahe Verwandte ansahen. Gelegentlich wurde auf Begriffe wie „Bastardbruder“ zurückgegriffen, w ­ elche die rechtliche Qualität der Abstammung spezifizierten, teilweise aber auch zugunsten einer Nivellierung auf derartige Zusätze verzichtet. Auch die Weitergabe des Geschlechtsnamens verweist auf die Anerkennung der 5 14 Das Folgende nach Behr, Franz von Waldeck, Bd. 1, S. 20 u. 480 – 485. 515 Zu ihm und seinen Nachkommen, die ebenfalls in die landesherrliche Verwaltung eintraten, auch Steinmetz, Beamten, in: GBW 45 (1953), S. 147; Ders., Beamten, in: GBW 46 (1954), S. 49 f.; Ders., Beamten, in: GBW 56 (1964), S. 87; Ders., Beamten, in: GBW 61 (1969/70), S. 51 f. An letzterer Stelle gibt Steinmetz an, dass die beiden Enkel von Bischof Franz, Christoph und Franz Waldeck, nach dem Tod ihres Vaters Christoph von Waldeck von der Gräfin Katharina von Waldeck, Äbtissin von Schaaken, aufgenommen und später finanziell unterstützt worden ­seien. Später wurden sie Kanzleisekretäre in Arolsen. 516 Vgl. Hoffmeister, Handbuch, S. 36; Schwennicke, Europäische Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 333 A. 517 Vgl. Behr, Franz von Waldeck, Bd. 1, S. 481. 518 Vgl. ebd., S. 483 – 485, sowie Urkundenanhang, Nr. 399 u. 400; Heinig, Omnia vincit amor, S. 301.

Versorgungs- und Vernetzungsstrategien

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natürlichen Abstammung. Anders verhält es sich mit der Weitergabe der Adligkeit des Vaters. Dessen Stand ‚färbte‘ lediglich ein wenig auf den sozialen Status seiner Kinder ab, sodass sich die meisten gräflichen Bastardnachkommen zunächst im Niederadel oder gehobenen Bürgertum verorten lassen.519 Insbesondere bei den Waldeckern lässt sich recht systematisch beobachten, dass die unmittelbaren illegitimen Nachkommen zum Niederadel gezählt wurden, deren Nachkommen jedoch zum Bürgertum. Dahinter stand ein bilaterales Konzept von Adligkeit,520 nach dem die Adelsqualität von Vater und M ­ utter gemeinsam übertragen wurde, wie es auch schon in den Ahnenproben der geistlichen Institutionen zum Ausdruck kam. Zudem waren durch die Verbindung eines Grafen mit einer nieder- oder nicht­ adligen Frau verschiedene Abstufungen und Schattierungen der Adligkeit bei ihren gemeinsamen Nachkommen möglich. Wie ‚adlig‘ ein Nachkomme wirklich war, wurde in der sozialen Praxis ausgehandelt, was besonders bei Graf Samuels Intervention augenfällig wurde, als ein Sohn eines Bastards das adlige „von“ führen wollte. Wie war es nun um die Dynastiezugehörigkeit bestellt? In der Einleitung wurde auf den für die Konstitution einer Dynastie zentralen Aspekt der Ausübung und Vererbung von Herrschaft verwiesen. Beim Umgang mit den illegitimen Nachkommen zeigte sich, dass sie ungeachtet der Bereitschaft zur materiellen Versorgung konsequent von der Herrschaft ausgeschlossen wurden. Selbst wenn einer Linie unmittelbar das Aussterben drohte, weil ein ehelicher Sohn fehlte, wurde die Sukzession nicht über einen direkt vom Herrscher abstammenden Bastard geführt, sondern über einen möglicherweise ziemlich entfernten, dafür aber einer rechtmäßigen sowie standesgemäßen Ehe entsprungenen Agnaten. Dies verdeutlicht erneut, wie wichtig im zeitgenössischen Verständnis die bilateral ererbte Adligkeit für die Herrschaftslegitimation war. Somit dominierte sie auch mögliche Vatergefühle, die sich aus verwandtschaftlicher Nähe ergeben mochten; Blutsverwandtschaft bedeutete noch lange nicht das Recht zu herrschen. Symbolisch zeigt sich der Ausschluss von der Herrschaft in der Unvererblichkeit des Grafentitels. Mehr als ein reiner Titel, war er im Grunde Teil des Geschlechtsnamens, sodass ein lippischer Agnat vollständig „Graf zur Lippe“ hieß, selbst wenn er gar keine Regierungsgewalt innehatte – wohl aber das potenzielle Recht auf Herrschaftsausübung –, während eine verheiratete Frau ihr Leben lang eine „geborene Gräfin zur Lippe“ blieb. Illegi­timen Nachkommen wurde ein solcher den herrschaftlichen und sozialen Rang gleichermaßen anzeigender Namensbestandteil hingegen versagt. Auch heraldisch wurde 519 Weitere wichtige Aufschlüsse würde der soziale Stand der Konkubinen liefern, die jedoch in den meisten Fällen unbekannt sind. 520 Das Konzept war typisch für das Alte Reich, während Westeuropa stärker von der Vorstellung geleitet wurde, dass Adel allein über die väterliche Abstammung transportiert wurde, was zu einer im Vergleich stärkeren gesellschaftlichen und politischen Bedeutung von Bastarden führte; vgl. Hurwich, Bastards, S. 702.

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die Einschränkung untermauert. Wappen zeigten in der Vormoderne zwar auch verwandtschaftliche Beziehungen an, waren aber in erster Linie Herrschaftszeichen. Daher gestattete man Bastarden das Führen des väterlichen Wappens mit gewissen heraldischen Abschwächungen, das auf ihre Herkunft verwies, aber gleichzeitig eine Verwechslung mit einem Herrschaftsträger verhinderte. Illegitime Kinder galten also als Verwandte ihres Erzeugers und dessen legitimer Nachkommenschaft 521 und waren gesellschaftlich allgemein akzeptiert. Von den Grafen wurden die natürlichen Söhne aufgrund der normativen Verpflichtung zur Unterhaltung von Verwandten mit Ämtern und Pfründen ausgestattet, die Töchter verheiratet oder in geistliche Stifte gegeben. Als loyale ­landesherrliche Beamte ließen sich Bastarde zudem in den Dienst der Dynastie stellen. Aufgrund des Makels ihrer unehelichen Geburt und der mangelhaften oder fehlenden Adelsqualität blieben ihnen allerdings Erb- und Sukzessionsrechte versagt. Somit konnten sie zwar in der Nähe der Dynastie verortet werden, bildeten aber selbst keinen unmittelbaren Teil von ihr.

3.3 Zwischenergebnisse Im vorangegangenen Kapitel wurden die Grafendynastien als Verwandtschaftsverbände interpretiert und hinsichtlich ihrer Heirats- und Reproduktionsstrategien untersucht. Da Lippe und Waldeck dabei stets im Zusammenhang betrachtet und miteinander kontrastiert wurden, erübrigt sich eine erneute vergleichende Gegenüberstellung. Vielmehr sollen im Folgenden die wichtigsten Thesen und Ergebnisse unter zwei übergeordneten Fragestellungen gebündelt werden. Zum einen ist danach zu fragen, w ­ elche Vorstellungen von Verwandtschaft den untersuchten Praxisfeldern Heirat und Versorgung der Nachkommen zugrunde lagen. Welche Personen wurden als verwandt angesehen, und was bedeutete dies für ihren Status innerhalb oder außerhalb der Dynastie? Fand im Untersuchungszeitraum gar ein Wandel in der Organisation der Verwandtschaft statt (3.3.1)? Zum anderen wird noch einmal die Frage aufgegriffen, w ­ elche Bedeutung den nicht zur Herrschaftsausübung gelangenden Angehörigen innerhalb der Dynastie zukam. Hatten sie eine besondere Funktion auszuüben, etwa als Repräsentanten ihrer Herkunftsfamilie, die gezielt auf bestimmte Positionen in der Adelsgesellschaft platziert wurden, oder waren sie doch eher überzählige Verwandte, die aufgrund ihrer Pensionsansprüche dem Landesherrn zur Last fielen? Inwiefern veränderte sich ihre Bedeutung im Spannungsfeld z­ wischen Versorgung und Vernetzung (3.3.2)?

521 Schulz, Von Bastarden, S. 111, verortet sie dagegen in einer „Zwitterstellung z­ wischen Verwandtschaft und Gefolgschaft“.

Zwischenergebnisse

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3.3.1 Heirat und Abstammung Eine der wichtigsten Erkenntnisse der jüngeren, ethnologisch geprägten historischen Verwandtschaftsforschung ist die Einsicht in den Konstruktionscharakter von Verwandtschaft. Durch historische und regionale Vergleiche wurde deutlich, dass das europäische vormoderne Konzept von ‚kinship‘, das auf konsanguiner Abstammungs- und affinaler Heiratsverwandtschaft beruhte, keineswegs die einzige Möglichkeit war und ist, Nahbeziehungen ­zwischen Individuen zu denken. Verbreitete Vorstellungen von ‚Bluts‘-Verwandtschaft wurden als Naturalisierungen eines weitgehend sozial konstruierten und damit kontingenten Ordnungsschemas erkannt.522 Auch im Hinblick auf die Organisation von Verwandtschaftsverbänden des Adels haben sich die Forschungsparameter geändert. Ging die ältere Forschung noch davon aus, dass sich bereits im Mittelalter relativ diffuse Sippenverbände in rein agnatische, also über männliche Abstammung organisierte Geschlechter umgewandelt hätten, haben jüngere Studien darauf verwiesen, dass ein solcher Wandel zeitlich erst um die Wende zur Frühen Neuzeit und zudem weniger grundlegend anzusetzen sei.523 Verwandtschaftsorganisation und Dynastiebildung waren auch, aber keineswegs ausschließlich eine Sache von normativen Konzepten und Diskursen, in denen die männliche Abstammungslinie stark betont wurde, sondern fanden vielfach implizit in der Praxis statt, etwa bei der Übertragung von Herrschaft und Besitz. Doch wer galt als verwandt, wer zur Dynastie zugehörig und wo wurden die Grenzen gezogen? Vordergründig scheint der konsanguinen Verwandtschaft, also der Abstammung der Kinder von ihren Eltern, eine überragende Bedeutung zuzukommen. Schließlich galt der Sicherung des dynastischen Fortbestands stets die Hauptsorge der Akteure, obgleich die Norm, eine dazu ausreichende Zahl von Kindern zu zeugen, mit dem Ziel der Bewahrung des Erbes vor Zersplitterung kollidierte. Um die Kontinuität zu garantieren, waren die Grafen allerdings auf Frauen aus anderen Häusern angewiesen, denn Linienheiraten waren nur bei einer entsprechenden Zahl von gradmäßig ausreichend entfernten Angehörigen möglich und spielten selbst bei einer genealogisch aufgespaltenen Dynastie wie den Waldeckern nur eine marginale Rolle. Affinale Beziehungen bildeten folglich die Grundlage für eine erfolgreiche Dynastiebildung und wurden entsprechend sorgfältig gestiftet. In der Regel suchten sich die Grafen dazu Heiratspartnerinnen, die die ­gleiche ständische Lage, ökonomische Position sowie Konfession besaßen. Auf Grundlage dieser Ähnlichkeiten bildeten sich endogame Heiratskreise heraus,

522 Siehe dazu die in der Einleitung unter Kap. 1.2.2 genannten Literaturtitel. 523 Vgl. Sabean/Teuscher, Kinship in Europe.

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die jedoch – anders als etwa im münsterländischen Stiftsadel 524 – niemals vollständig abgeschlossen waren. Hauptzweck der Eheschließungen, insbesondere wenn sie vom künftigen Regenten eingegangen wurden, war die Zeugung von Nachkommen. Innerhalb der einzelnen Ehen lassen sich daher keine Anstrengungen erkennen, die Geburten zu begrenzen. Reicher Kindersegen oder sein Ausbleiben wurden vielmehr dem unverfügbaren Willen Gottes zugeschrieben. Dennoch ließ sich die Zahl der Kinder und damit der Erben innerhalb eines Hauses indirekt über die Erlaubnis oder das Verbot von Ehen steuern. Wurde in Waldeck schon im 15. Jahrhundert von der Beschränkung des Heiratsprivilegs auf einen einzigen Stammhalter abgewichen, gab man die Verknüpfung von Sukzession und Heirat in Lippe erst 200 Jahre später endgültig auf. Da zur Eheschließung eine eigene Erbausstattung notwendig war, kam es nicht zu Fällen, in denen Agnaten gegen den Willen des Dynastieoberhauptes heirateten. Wohl aber forderten Söhne offensiv ihren legitimen Erbteil ein, um sich vermählen zu können. Grundsätzlich jedoch war die Heirats- und Erbpolitik ein von den Familienoberhäuptern strategisch einsetzbares Mittel zur Sicherung des genealogischen Fortbestandes und des kollektiven Besitzes gleichermaßen. Der dynastische Verband reproduzierte sich also durch affinale und konsanguine Verwandtschaft, wie es die meisten auf Verwandtschaft beruhenden Gruppen der europäischen Vormoderne taten. Mit dieser Feststellung ist allerdings noch wenig über die Zugehörigkeiten zur Dynastie gesagt. Über die Analyse der Herrschaftsweitergabe lassen sich darüber nur eingeschränkte Aussagen treffen, denn wie in Kapitel 2 herausgestellt wurde, profitierte davon im Laufe der Frühen Neuzeit ein immer kleinerer Kreis von Personen, da zunehmend weibliche Angehörige, nachgeborene Söhne und Verwandte aus Nebenlinien ausgeschlossen wurden. Weiter führt es hingegen, wenn man den Blick auf die Praktiken des Vererbens und Versorgens ausweitet. Verwandten wurde ein legitimes Recht auf Unterhalt zugeschrieben – etwa Kindern gegenüber ihrem Vater, Frauen gegenüber ihrem Gatten –, weshalb im Umkehrschluss die Versorgung Aufschlüsse darüber liefern kann, wer als verwandt angesehen wurde. Jedoch lässt sich die Zuschreibung von Verwandtschaft nicht mit der Zugehörigkeit zur Dynastie gleichsetzen. Wie stand es etwa um die Zugehörigkeit der angeheirateten Frauen zur Dynastie ihres Mannes? Güter wurden nicht nur innerhalb der Dynastie von einer auf die nächste Generation transferiert, sondern auch ­zwischen Affinalverwandten. Die adlige Ehe war ein Tauschgeschäft, das vertraglich ­zwischen zwei Dynastien besiegelt wurde, wobei es nicht vorrangig um den ökonomischen Gewinn ging. Vielmehr drückten die Höhen der Heiratsgaben, die trotz herkömmlicher 524 Vgl. Reif, Westfälischer Adel, S. 85.

Zwischenergebnisse

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Richtwerte individuell recht unterschiedlich ausfallen konnten, den Status der beteiligten Familien, der Individuen und des Heiratsprojekts als Ganzem aus. Da die Braut nicht nur in währender Ehe, sondern insbesondere auch als Witwe versorgt werden musste, wofür dann der Nachfolger des Gatten verantwortlich war, wurde für Eheverträge und Wittumsverschreibungen in der Regel der Konsens aller Agnaten eingeholt. Güterrechtlich ging die Braut also in die Familie der Mannesseite über, denn mit dem Erhalt ihrer Mitgift und Aussteuer hatte sie auf das väterliche Erbe zu verzichten und schied somit aus ihrer ursprünglichen Versorgungsgemeinschaft aus. Da das Verwandtschaftssystem im Adel patrilokal organisiert war, wohnten die jungen Eheleute oft zunächst im Haushalt des Bräutigamvaters und begründeten nach dessen Tod einen eigenen Hof oder sie lebten separat in einer Nebenresidenz. Auch eine Witwe residierte weiterhin in der Grafschaft ihres verstorbenen Gatten und genoss einen rechtmäßigen Anspruch auf Unterhalt, der nur im Falle ihrer Wiederverheiratung erlosch. Ein solches Ausscheiden aus dem Verwandtschaftsverband schloss aber nicht aus, dass sich eine wiederverheiratete Witwe auch weiterhin in die Belange ihrer Kinder aus voriger Ehe einschaltete, wie das Beispiel der Katharina von Waldeck in der Grafschaft Lippe deutlich gezeigt hat. Auch die Weitergabe des Namens ist in ­diesem Zusammenhang von Bedeutung. Verheiratete Frauen nahmen in der Regel Titel und Namen ihres Mannes an, führten jedoch daneben auch den ihres Vaters weiter. Als Ehefrau ebenso wie als Witwe agierte Katharina daher gewöhnlich unter dem Titel einer geborne[n] Gräffinen zue Waldeck, Gräffinen und Edlen frawen zur Lippe 525. Als sie einige Jahre später ein zweites Mal heiratete, musste sie den lippischen Namen und Titel allerdings wieder ablegen, während sie ihren Geburtsnamen behielt. Auf ihrem Wappenschild in der Lemgoer Nikolaikirche, wo sie bestattet ist, fehlt daher ein Hinweis auf ihre Verbindungen zum Haus Lippe.526 Somit lässt sich zusammenfassen: Nicht heiratende Töchter blieben ohnehin ihr Leben lang ein Mitglied ihrer Herkunftsdynastie. Heiratende Töchter wechselten zwar auf die Mannesseite über, hielten aber zumindest durch Namen und Titel weiterhin Rückbezüge zu ihrer Herkunftsdynastie aufrecht. In der neuen Familie glich ihr Status insbesondere nach dem Tod ihres Gatten im Grunde dem einer Fremden, die ihre Versorgungsansprüche, trotz ihrer überragenden Bedeutung als Garantin der dynastischen 525 LAV NRW OWL , L 9, Nr. 8, fol. 160r, Landtagsproposition vom 17. 10. 1643. Um ihre Zugehörigkeit zum lippischen Haus zu bestreiten, nannten die lippischen Agnaten sie hingegen stets nur eine Gräfin zu Waldeck; vgl. ebd., fol. 1r, Proposition vom 23. 08. 1638. 526 Hierauf stehen die Buchstaben C. H. Z. S. H. G. G. Z. W., die für „Catharina, Herzogin zu Schleswig-­Holstein, geborene Gräfin zu Waldeck“ stehen. Der Titel einer Gräfin und Edelfrau zur Lippe fehlt mithin. Ebenso zeigt der Schild lediglich das Waldecker Wappen ihres Vaters.

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Kontinuität, oftmals gegen Widerstände durchsetzen musste.527 Gleichwohl ist es unzutreffend, ihnen eine Rolle als passive Opfer beizumessen; vielmehr gelang es ihnen oftmals ohne Probleme, einen standesgemäßen Lebensstil zu pflegen und Einfluss auf die Regierungsgeschäfte zu nehmen.528 Dies zeigte sich beispielhaft bei Maria Magdalena von Waldeck, die auf ihrem lippischen Wittum Schwalenberg die lutherische Konfession durchzusetzen versuchte und ihrem Sohn eine Sekundogenitur erstritt, oder bei Barbara von Hessen, die nach dem Tod ihres Gatten Daniel zwanzig Jahre lang über große Teile des Wildunger Erbes verfügen konnte. Gerade die Beibehaltung der eigenen Konfession in Mischehen stellte auch ein Bekenntnis der Braut zu ihrer Herkunftsdynastie dar. Weiteren Aufschluss über zeitgenössische Vorstellungen von dynastischer Zugehörigkeit liefert die Untersuchung der Weitergabe von Adligkeit. Zwar galt allgemein der Grundsatz, dass die Frau dem Stand des Mannes folge, doch hatte der soziale Status der M ­ utter unter Umständen Auswirkungen auf die Adelsqualität der Kinder. Unstandesgemäße Heiraten konnten sich daher auch noch nach mehreren Generationen negativ auf die Stiftsfähigkeit der Nachkommen auswirken, wie Daniel und Friedrich von Waldeck-­Wildungen in den Domkapiteln von Köln und Straßburg erfahren mussten. Deren Ausschluss war freilich den rigiden Kriterien der Aufschwörungspraxis geschuldet, da sich die geistlichen Institutionen auf ihre ständische Exklusivität viel zugutehielten,529 während die Adligen selbst oft weniger streng waren. Für Missheiraten sprachen einige strategische Gründe, sie wurden aber ausschließlich von Nachgeborenen eingegangen, deren Söhne nicht sukzedieren sollten. Nachdem sich die Waldecker Grafen durch eine Reihe von ständisch zweifelhaften Ehen in Misskredit gebracht hatten, wurde 1687 schließlich beschlossen, dass unter Stand heiratende Grafen ihren Sukzessionsanspruch verloren. Da aus den Mesalliancen keine quellenkundig gewordenen Kinder hervorgingen, fehlen Hinweise auf den Umgang mit solchen. Höchstwahrscheinlich wären sie, wie im Hochadel üblich, von der Regierung ferngehalten worden. Den verminderten sozialen Status und die fehlende Sukzessionsfähigkeit hatten Kinder aus unebenbürtigen Verbindungen mit illegitimen Nachkommen gemein, an denen es sowohl bei den Lipper als auch bei den Waldecker Grafen nicht mangelte. Selbst wenn eine Linie vor dem Aussterben stand, versuchte man nicht, einem sogenannten Bastard die Sukzession zu ermöglichen, sondern zog einen legitim gezeugten Agnaten oder Kognaten aus der entfernteren Verwandtschaft vor. Dahinter stand sicherlich auch die Sorge, einen Präzedenzfall zu schaffen. Auch Erbansprüche konnten uneheliche Kinder nicht geltend machen. Dennoch 527 Vgl. zum schwierigen Rechtsstatus eingeheirateter Frauen auch Spiess, Witwenversorgung, S. 104; sowie Nolte, Beziehungsgeflechte. 528 Vgl. dazu die eindrücklichen Beiträge in Ilg (Hg.), Fürstliche Witwen. 529 Vgl. Harding/Hecht, Ahnenproben, S. 28 – 37.

Zwischenergebnisse

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wurden sie von ihren Vätern und Halbgeschwistern als Verwandte angesehen, wie die entsprechenden Anreden mit Verwandtschaftstermini ebenso wie die Sorge um ihren Lebensunterhalt belegen. Die Abstammung vom Vater wurde durch die Übernahme von dessen Namen und Wappen öffentlich zur Schau gestellt. Der Verzicht auf den Titel sowie heraldische Minderungen signalisierten hingegen die fehlende Sukzessionsfähigkeit. Zudem verminderte sich der soziale Status der ursprünglich meist im Niederadel verorteten Illegitimen über die Generationen, sodass deren Nachkommen in der Regel schon nicht mehr zum Adel gezählt wurden. Somit ergab sich für uneheliche Kinder eine gewisse Mittelposition, in der zwar ihre Herkunft vom gräflichen Vater ersichtlich blieb, sie selbst aber nicht unmittelbar zur Dynastie dazugerechnet wurden. Legitime Abstammung, Adelsqualität und Erbrecht gingen also Hand in Hand. Sie waren die entscheidenden Indikatoren für die Zugehörigkeit zur Dynastie. Nur wer aus einer rechtmäßig geschlossenen und standesgemäßen Ehe eines männlichen Agnaten entstammte, galt als Angehöriger des Hauses und konnte für sich Erbansprüche sowie ein zumindest potenzielles Anrecht auf die Herrschaft reklamieren. Das galt für alle legitimen Söhne, aber ebenso für die Töchter, denen zumindest theoretisch ein subsidiäres Erbrecht als sogenannte Erbtöchter zukam, über welches Kinder aus morganatischen Ehen oder Konkubinaten nicht verfügten. Somit ist als Fazit einerseits die hohe Bedeutung der bilateralen Abstammung in der konkreten Verwandtschaftspraxis zu betonen.530 Nicht nur auf die Vater-­Sohn-­Linie, sondern auch auf die ­Mutter und deren Vorfahren kam es an, sodass die Auswahl der Heiratspartnerinnen mit Akribie zu betreiben war. Die Betonung der ständischen Reinheit des Geschlechts wurde im Vergleich zum Mittel­alter bis ins 17. Jahrhundert eher noch gesteigert, sodass man nicht von einer schwindenden Bedeutung der Kognaten sprechen kann. Andererseits wird im Kreise der eigenen Nachkommen eine klare Bevorzugung der männlichen Agnaten sichtbar, insbesondere bei der patrilinearen Herrschaftsweitergabe innerhalb der Dynastie, zu deren Zweck Töchter und deren Heiratsverwandtschaft sowie angeheiratete Frauen und Witwen frühzeitig vom Patrimonium ausgeschlossen wurden. Unter den Söhnen waren der oder die Herrschaftsnachfolger die wichtigsten Personen. Nicht nur wurden bei ihnen keine Missheiraten geduldet, auch schaute man ganz besonders auf ihre konfessionelle Erziehung, denn an ihr hing letztlich der Bekenntnisstand der gesamten Dynastie und des Landes. All diese Entwicklungen betten sich ein in den in Kapitel 2 beschriebenen Formierungsprozess der Dynastien als agnatisch organisierte Herrschaftsverbände. Was geschah aber mit denjenigen männlichen und weiblichen Angehörigen, die von der Herrschaft ausgeschlossen waren? 530 Damit werden die Annahmen von Sabean/Teuscher, Kinship in Europe, S. 5, bestätigt.

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3.3.2 Versorgung und Netzwerke Überwog bei einer Dynastie nun eher der Charakter einer auf verwandtschaftlichen Prinzipien basierenden Solidargemeinschaft oder der eines strategisch geführten Herrschaftsverbandes, der seine Mitglieder an wichtige Stellen der Adelsgesellschaft platzierte? Grundsätzlich bestand für das Oberhaupt einer Familie die normative Verpflichtung, alle ihm Untergebenen zu unterhalten, und zwar Söhne wie Töchter gleichermaßen, auch wenn sie einer unstandesgemäßen Verbindung oder gar einem Konkubinat entsprungen waren.531 Bei letzteren konnte der Grad der Versorgung allerdings variieren und lag im Ermessen des Vaters; dagegen hatten legitime Kinder einen rechtmäßigen Anspruch auf Partizipation am dynastischen Vermögen und eine dadurch ermöglichte standesgemäße Lebensführung. Da bei den Söhnen hierzu ursprünglich auch die Herrschaft über Land und Leute gerechnet wurde, bildeten sich unterschiedliche Formen der Ausstattung heraus. Die Waldecker Grafen führten, wenn es die dynastische Konstellation erlaubte, Nutzenteilungen durch, um die Herrschaftsansprüche der Agnaten zu befriedigen. Wenn bereits zwei oder drei Linien mit eigenen Herrschaftsbereichen existierten, blieb für die zusätzlichen Söhne nur die Zuteilung eines Paragiums ohne hoheitliche Rechte. Auch in Lippe waren Paragien seit dem Spätmittelalter die übliche Erbabfindung für nichtregierende Söhne, wobei sie erst vom 16. Jahrhundert an erblich ausgegeben wurden. Doch auch damit war keine Dauerlösung gefunden, da sie ebenso wie Teilungen zu einer zunehmenden Zersplitterung des Landes führten. Außerdem verstärkten sie letztlich das Versorgungsproblem, da von den Kindern der Paragial- und Erbherren neue Erbansprüche erhoben wurden. Im 17. Jahrhundert ging man daher dazu über, nur noch rein monetäre Apanagen auszuzahlen und dem Landesherrn den exklusiven Zugriff auf die Herrschaft und die Kontrolle über den dynastischen Besitz zu sichern. Alle nichtregierenden Agnaten waren dadurch von der Gunst ihres landesherrlichen Verwandten abhängig und sanken gewissermaßen zu Bittstellern herab, was die Beziehung ­zwischen den Akteuren grundlegend veränderte. Das Versorgungsproblem wurde nicht unwesentlich durch den Ausschluss der Protestanten von den reichskirchlichen Pfründen seit der Mitte des 16. Jahrhunderts verschärft, obgleich sich diese Entwicklung erst rund einhundert Jahre später vollständig auswirkte. Alternativen wie die Übernahme militärischer Kommandos in den Reichskriegen oder bei ausländischen Potentaten sowie in weit geringerem Maße der Dienst für den ­Kaiser gewannen dadurch an Bedeutung. Allerdings reichten die Einnahmen aus geistlichen Pfründen, Ämtern und 531 Vgl. Gottschalk, Niemandes Kind, S. 34 f.

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Dienstbestallungen oftmals ohnehin nicht zur Aufrechterhaltung eines hochadligen Lebensstils aus, sodass deren Trägern zusätzliche finanzielle oder materielle Unterstützung vonseiten der Dynastie gezahlt wurde. Insgesamt lässt sich ein strategischer Umgang mit den verschiedenen Möglichkeiten der Versorgung feststellen, bei dem etwa Apanagen und Pfründen miteinander kombiniert wurden oder die Vergabe zeitlich abgestimmt wurde, wenn es galt, Übergangs- und Karenzzeiten zu überbrücken. Während Militärkommandos auf die jeweilige Person zugeschnitten waren, wobei die ruhmvollen Taten der Vorfahren oder lebenden Verwandten durchaus für den Probanden sprechen konnten, waren kirchliche Präbenden wesentlich stärker dynastisch verwertbar. Wenn ein Träger seine Pfründe etwa aufgrund seiner Rückkehr ins weltliche Leben nicht länger benötigte, bemühte er sich, sie einem nahen Verwandten, etwa einem jüngeren Bruder oder Neffen, zu übertragen. Erst wenn sich in ­diesem Kreis niemand fand, wurde auch die weitere kognatische Verwandtschaft einbezogen. Die geschickte Weitergabe von Pfründen innerhalb der Dynastie zeigt die hohe materielle und symbolische Bedeutung, w ­ elche ihnen beigemessen wurde. Für Töchter stellte sich der Ausschluss von den geistlichen Präbenden nicht so drastisch dar, da ihnen weiterhin freiweltliche Stifte in ausreichender Zahl offenstanden. Insbesondere die Hausstifte Cappel in Lippe und Schaaken in Waldeck mit ihren für eine Angehörige des Grafenhauses reservierten Äbtissinnenämtern bildeten den Grundstock der Töchterversorgung. Viele Äbtissinnen übten das Amt nur einige Jahre aus, um zu gegebener Zeit zu heiraten. Insgesamt führten der Pfründenverlust, der Ausschluss der Nachgeborenen von der Herrschaft sowie die Erhöhung der Kinderzahlen dazu, dass die finanzielle Belastung des Dynastievermögens durch Versorgungsleistungen deutlich anstieg. In der zeitgenössischen Wahrnehmung wurden die apanagierten Angehörigen durchaus als Last empfunden, wie entsprechende Äußerungen nicht nur der Beamten und Stände, sondern auch der Landesherren selbst zeigen. Auch dadurch vertiefte sich der Graben ­zwischen Oberhaupt und Agnaten. Konnte der hohe Aufwand nun durch eine erfolgreiche gesellschaftliche Vernetzung der nichtregierenden Dynastiemitglieder aufgewogen werden? Besonders gut ließen sich Netzwerke auf dem Wege der Eheschließung knüpfen. War eine ­solche bei den eigenen Söhnen stets mit der Vermehrung von Erbansprüchen verbunden und daher gut abzuwägen, konnte man Töchter leichter verheiraten und sich durch die Auszahlung von Mitgift und Aussteuer effektiv ihrer Versorgungsansprüche entledigen. Die Anzahl der Töchter, die dauerhaft einen Platz in geistlichen Institutionen fanden und dabei oft weiterhin auf Apanagen angewiesen waren, wurde daher deutlich von denjenigen übertroffen, die heirateten. Doch auch bei den Söhnen bewirkte der Pfründenverlust eine Vermehrung der geschlossenen Ehen, was zu einer Verdichtung des konnubialen Netzwerkes führte. Dass es bei einer dynastischen Ehe stärker auf den allgemeinen Wert der

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Verbindung zweier Häuser als auf die konkret involvierten Individuen ankam, lässt sich etwa daran ablesen, dass die Braut gelegentlich erst kurz vor Abschluss des Ehevertrags aus dem Kreis der infrage kommenden Schwestern ausgewählt wurde. Aus einmal geschlossenen Ehen ­zwischen zwei Dynastien konnten sich im Übrigen in den folgenden Generationen neue Heiratsprojekte ergeben, wie die Verbindungen Waldecks zu Baden oder Nassau-­Siegen zeigen. Diese potenzielle Aktualisierung und Intensivierung bestehender Netzwerke erhöhte die Bedeutung neuer Verbindungen zusätzlich. Die Heiratskreise, in denen sich die Lipper und Waldecker Grafen befanden, lassen sich durch die Faktoren Rang, Region und Konfession beschreiben. Die Grafen zur Lippe achteten stets auf ebenbürtige Verbindungen, die sie überwiegend mit benachbarten Standesgenossen aus Westfalen eingingen, bevor sie zu Beginn des 17. Jahrhunderts räumlich weiter ausgriffen. Die Fürstenehen, die durch das gemeinsame reformierte Bekenntnis erleichtert wurden, verdeutlichen dabei den Charakter der Konfession als einendes Band, obschon damit auch die Trennung von bestimmten Heiratskreisen einhergehen konnte. Die Grafen von Waldeck befanden sich konnubial in einer Mittlerposition z­ wischen Westfalen und der Wetterau und nutzten die Verbindungen in unterschiedliche Regionen und zu lutherischen wie reformierten Standesgenossen gleichermaßen, um sich gegen die Landgrafen von Hessen abzusichern. Heiratskreise sind nicht mit politischen Netzwerken in eins zu setzen, ließen sich aber unter Umständen als s­ olche aktivieren. Bei den Waldeckern ging die Orientierung am Haus Nassau-­Siegen etwa mit ihrem Eintritt in den Wetterauer Grafenverein einher, was sich letztlich als erfolgreiche Behauptungsstrategie erwies. Die Lipper machten dagegen seltener ­konkreten Gebrauch von ihren Heiratsverbindungen. Welcher Stellenwert der Affinalverwandtschaft im politischen Handeln der Grafen zukam, müsste allerdings in weiteren Studien systematisch untersucht werden.532 Einige Anhaltspunkte, die sich aus Ehen ­zwischen Lippern und Waldeckern ergeben, deuten darauf hin, dass sie durchaus wichtige Funktionen erfüllten, etwa bei der Übernahme von Vormundschaften, bei der Moderation von Konflikten oder beim Erwerb von Pfründen. Oftmals verlief die Kommunikation dabei über die Ehefrauen oder wurde zumindest von ihnen in Gang gesetzt. Man kann die verheirateten Schwestern der Landesherren daher als „agents between two families or houses“533 bezeichnen. Neben dem im engeren Sinne politischen Mehrwert, den eine Einbindung in bestimmte Kreise bieten konnte, etwa die Erweiterung der Handlungsspielräume, war die sorgsame Auswahl standesgemäßer Heiratspartner auch integraler 532 Für die spätmittelalterlichen Grafen siehe Spiess, Familie, S. 494 – 531. Vgl. Auge, Handlungsspielräume, S. 215 – 228. 533 Hohkamp, Transdynasticism, S. 94. Zu den interdynastischen Kommunikationsnetzen fürstlicher Ehefrauen jetzt auch Greinert, Unterordnung, S. 276 – 323.

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Bestandteil einer gräflichen Standespolitik, die darin bestand, die konnubialen Grenzen zum Niederadel zu schließen und möglichst viele Heiraten mit Fürsten einzugehen. Damit sollte die soziale Abgrenzung nach ‚unten‘ verstärkt und die eigene Zugehörigkeit zum regierenden Hochadel demonstriert werden.534 Hier agierten die Lipper, die als vormalige Edelherren ihre Zugehörigkeit zum Grafenstand durch eine entsprechende soziale Einbindung unter Beweis stellen mussten, äußerst erfolgreich. Die Waldecker verspielten hingegen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts beinahe ihren sozialen Kredit, den sie als alte Reichsgrafen besaßen, was sich gerade auch in der von Hessen provozierten Auseinandersetzung um die waldeckische Reichsunmittelbarkeit negativ auswirkte. Wie gezeigt wurde, waren die Waldecker Missheiraten allerdings nicht das Ergebnis individuellen Eigensinns, sondern wurden zumeist aus ökonomischen Erwägungen heraus geschlossen, die in erster Linie der Sicherung des kollektiven Besitzes dienten, namentlich der Begrenzung der legitimen Erben, der Einschränkung des aufzubringenden Unterhalts für die Gemahlin sowie der Hoffnung auf einen Erbfall. Dynastie- und Standespolitik konnten also im Falle der Heiratspartnerwahl durchaus in einem normativen Konkurrenzverhältnis stehen. Brachte demgegenüber auch die Versorgung Angehöriger mit geistlichen Ämtern über den finanziellen Aspekt hinaus Vorteile für die Dynastieoberhäupter? Die bei der Pfründenweitergabe aufscheinenden Verwandtschaftsnetzwerke wurden bereits genannt. Welches zusätzliche soziale Kapital konnte aber die Platzierung von Angehörigen auf wichtige Positionen in den geistlichen Institutionen generieren? Bei den Stiftsherren und -damen führt es nicht weit, einen konkreten ‚Nutzwert‘ zu veranschlagen, der etwa in politischer Kooperation hätte bestehen können. Hier war die Pfründenbesetzung mit einem Angehörigen selbst das eigentliche Ziel dynastischer Politik. Stärker ist der symbolische Zugewinn in Betracht zu ziehen: Dienten einzelne Pfründen hauptsächlich dem persönlichen Auskommen, war die verbreitete Praxis des Sammelns mehrerer Präbenden in unterschiedlichen Stiften eine prestigeträchtige Angelegenheit. Vor allem aber waren Stifte durch die hier verlangte Ahnenprobe eine wichtige ständische Prüfungsinstanz. Wenn die Lipper und Waldecker Grafen Dynastiemitglieder in den Reihen der Kölner Domkapitulare hatten, wies sie das unzweifelhaft als Angehörige des Hochadels aus. Der Ausschluss aus der Reichskirche bedeutete für die Protestanten daher auch, neue Wege finden zu müssen, um ihre ständische Qualität unter Beweis zu stellen. Wenn Angehörige die Spitze der geistlichen Ämterhierarchie erklommen, also zum Bischof oder zur Reichsäbtissin gewählt wurden, war der im engeren Sinne

534 Allgemein dazu: Arndt, Reichsgrafenkollegium, S. 231 – 233; Stollberg-­Rilinger, Grafenstand, S. 47 – 52.

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politische Nutzen für die Dynastie ungleich größer. Dieser konnte sich etwa in lehnsherrlichen Akten niederschlagen, wie bei den Paderborner Bischöfen aus lippischem Hause, die ihren weltlichen Verwandten besondere Privilegien zukommen ließen. Auch ein Bischof Franz von Waldeck, dessen Herkunftsland nicht zu seinen Lehen gehörte, unterstützte seine Neffen auf unterschiedliche Art und Weise, etwa durch innerdynastische Schlichtungsversuche. Ob er darüber hinaus allerdings sein Netzwerk nutzte, um Waldecker Interessen zu befördern, ist ungewiss. Grundsätzlich lässt sich die Herkunft aus einer bestimmten Dynastie nicht mit den Eigeninteressen eines geistlichen Fürsten gleichsetzen, der eine eigene Agenda verfolgen konnte, andere Handlungsspielräume nutzte, aber auch ganz spezifischen Zwängen unterlag. Gleiches gilt auch für die Reichsäbtissinnen in Herford oder Gandersheim. Der Dienst an fürstlichen Höfen spielte für die Waldecker und Lipper Grafen nur eine untergeordnete Rolle, der für den ­Kaiser gelegentlich eine große. Allerdings betraf dies eher regierende Grafen als ihre jüngeren Brüder. Die kaiserliche Gunst, wie sie Simon VI. zur Lippe oder Christian von Waldeck erlangten, brachte handfeste Vorteile in Gestalt rechtlicher Privilegien, ein besonderes Schutzversprechen sowie Autorität und Prestige mit sich, w ­ elche sich in Ehrentiteln manifestierten. Die Nachteile kaiserlicher Patronage waren allerdings, dass der Schutz in konkreten Situationen oft nominell blieb, wie Christian und seine Tochter Katharina als lippische Vormünder erfahren mussten, und dass der finanzielle Aufwand, der am Hof oder auf diplomatischen Missionen zu betreiben war, oft in einem hohen Schuldenberg resultierte. Abgesehen vom weitreichenden Engagement Simons VI. hielten sich die Lipper daher beim Dienst für den ­Kaiser zurück, während sich die Waldecker, insbesondere die Wildunger Linie, hier stärker engagierten. Spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg war schließlich auch die Übernahme militärischer Kommandos eine bedeutsame Alternative zur geistlichen Karriere für Nachgeborene. Nahezu alle Agnaten beider Häuser behaupteten sich in dieser Zeit eine Weile im Kriegsdienst, wobei sich die Waldecker hier erneut besonders hervortaten. Die Kompensation für den Verlust geistlicher Pfründen bestand, da der Sold bei gleichzeitigem hohen Aufwand für die Ausrüstung eher gering war, nicht im Finanziellen, sondern in der Ermöglichung eines traditionell adligen Lebensstils, bei dem es Ruhm und Ehre zu gewinnen gab. Durch den Kriegseintritt aufseiten einer Partei stellte sich ein Akteur zudem in bestimmte Netzwerke, was freilich auch negative Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Dies mussten die Grafen von Waldeck spüren, nachdem sie sich auf hessischer Seite im Schmalkaldischen Krieg betätigt hatten und dadurch den Zorn des Kaisers auf sich zogen. Ihre Entschuldigung bestand darin, auf die Lehensverpflichtungen zu Landgraf Philipp zu verweisen, wodurch sie in einen Loyalitätskonflikt geraten ­seien. In einer ähnlichen Lage befanden sich die

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lippischen Erbherren Otto und Philipp, nachdem sie im Dreißigjährigen Krieg ebenfalls gegen die katholisch-­kaiserliche Seite agiert hatten und in Ungnade gefallen waren. Dabei brachten sie statt Lehnsbindungen ihre desolate finanzielle Situation als Nachgeborene als Grund für ihr militärisches Engagement in Stellung. Es lässt sich somit bilanzieren, dass Versorgungs- und Vernetzungsaspekte keine sich ausschließenden Alternativen darstellten, sondern je nach Art der Existenzweise unterschiedlich starke Gewichtung erhalten konnten. Zudem ist einschränkend festzuhalten, dass die Frage nach dem Nutzen und der Funktion Nachgeborener für die Dynastie freilich stark von den Interessen des Oberhaupts ausgeht und weniger von denen der betroffenen Personen selbst. Eingedenk dieser Bemerkungen ist dennoch die These zu formulieren, dass sich die Rolle der nachgeborenen Söhne und Töchter z­ wischen dem Mittelalter und der nachreformatorischen Zeit langsam, aber grundlegend wandelte. Dabei bewiesen die Grafen zwar eine nicht zu unterschätzende Flexibilität und einen Willen zur Anpassung an die geänderte Situation, konnten aber ihre frühere Machtstellung auf Dauer nicht aufrechterhalten. So ging die Zahl der hohen kirchlichen Würdenträger, die sowohl Prestige als auch praktischen Nutzen für ihre Herkunftsdynastie zu generieren vermochten, nach dem Übertritt zur Reformation rasch zurück. Militär- und Fürstendienst konnten diese Lücke letzten Endes nicht hinreichend ausfüllen. Für die gräflichen Töchter blieben statt der Reichsabteien, wo die großen Fürstendynastien ihren Einfluss ausbauten, nur noch die eigenen Hausstifte, deren Prestige und politische Bedeutung allerdings begrenzt waren. Wo es ging, wurden Söhne und Töchter daher zunehmend verheiratet, was das soziale Kapital durch den Ausbau des Heiratsnetzwerks erhöhte, allerdings auch mit besonderem Ressourcenaufwand verbunden war. Lediglich verheiratete Töchter schieden aus der Versorgungsgemeinschaft der Dynastie aus, sobald Mitgift und Aussteuer entrichtet waren. Vor allem jedoch die männlichen nichtregierenden Angehörigen wurden im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts immer stärker zu Empfängern von Unterhaltszahlungen, die vollständig von der Gunst des Familienoberhaupts abhängig waren, selbst aber wenig zum Glanz der Dynastie beitragen konnten. Durch die Versorgungsengpässe gewann die tiefe Spaltung, die sich schon durch die Straffung der Sukzessionsordnung ergeben hatte, somit weiter an Brisanz. Abschließend ließe sich die hypothetische Frage aufwerfen, warum sich der Grafenadel nicht allmählich nach dem englischen System ausrichtete, wo nur der Erstgeborene den Titel und die Herrschaft übernahm, während dessen Geschwister ins Bürgertum abstiegen. Dazu war im Reich jedoch die Bedeutung der adligen Geburt und der Abstammung aus einer gräflichen Dynastie zu stark ausgeprägt. Mochte die Belastung durch die Versorgungszahlungen auch noch so hoch sein, an ihrer grundsätzlichen Legitimität wurde nicht gezweifelt.

4 Dynastie als symbolische Ordnung

4.1 Dynastiediskurs Durch die Praxis der Herrschaftsweitergabe, des Vererbens und des Heiratens bildeten sich über die Zeit gewisse Ordnungsmuster heraus, die der Institution Dynastie Stabilität verliehen. Dazu gehörte die normative Orientierung am Herkommen ebenso wie das relativ homogene Konnubium. Gleichwohl wurden die in Hausverträgen aufgestellten Normen und die sich überwiegend implizit formenden Rollenmuster keineswegs immer befolgt und verinnerlicht; vielmehr wiesen die Akteure – das haben die vorangegangenen beiden Kapitel gezeigt – ein gutes Maß an Eigensinn auf. Konflikte ­zwischen nahen Verwandten prägten das Bild zeitweise stärker als dynastische Einheit. Dies wirft die Frage auf, w ­ elche normativen Implikationen konkret mit der Dynastie verbunden waren und wie hoch ihr Einfluss auf das Selbstverständnis der Akteure zu veranschlagen ist. Zur Beantwortung bedarf es zusätzlich zur Untersuchung der Praxis daher auch einer Analyse der diskursiven Ebene. Symbolische Ordnungen, zu denen hier neben dem sprachlich gefassten Diskurs auch physische Objekte und Raumarrangements zählen, trugen maßgeblich dazu bei, soziale Institutionen zu stabilisieren und ihnen somit eine eigene Wirklichkeit zukommen zu lassen.1 Dabei ist der methodische Kurzschluss zu vermeiden, den Diskurs als unmittelbar handlungsleitend zu verstehen, da er von der Praxis durchaus divergieren konnte. Das bedeutet allerdings nicht, dass etwa die Bezugnahme auf nahe Verwandtschaft oder das ‚Haus‘ lediglich eine rhetorische Verschleierung von Eigeninteressen war. Vielmehr prägte das Sprechen über diese Dinge auch die Wahrnehmung und das Wissen der Akteure und konnte somit auf ihr Handeln zurückwirken. Es gilt also, die Dichotomie ­zwischen ideellen und materiellen Erklärungsansätzen durch eine kombinierte Betrachtungsweise von Praxis und Diskurs zu überwinden. Im Bereich der Adelsgeschichte sind rein diskurstheoretische Ansätze bisher die Ausnahme geblieben,2 während adlige Erinnerungskulturen als Konglomerat unterschiedlicher Inhalte, Medien und Erinnerungstechniken Gegenstand zahlreicher Studien sind.3 Es kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht darum gehen, einen gesamtgesellschaftlichen Dynastiediskurs abzubilden, 1 Siehe dazu auch die theoretischen Überlegungen in Kap. 1.3.4. 2 Eine ­solche Ausnahme bildet etwa Morsel, Erfindung. Morsel spürt hier der diskursiven Konstruktion ‚des Adels‘ als Gesamtheit aller (Nieder-)Adligen nach, die erst im Spätmittelalter vonstatten gegangen sei. 3 Siehe dazu die in Kap. 1.2.3 angegebene Literatur.

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obschon zweifelsohne eine ganze Reihe von Akteuren an der Erschaffung der Dynastie als sozialer Wirklichkeit beteiligt war.4 Auf einige – Gelehrte, Chronisten, Archivare und Künstler – wird in den folgenden Abschnitten an entsprechender Stelle eingegangen. Im Vordergrund steht jedoch die Frage nach der Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung der Adligen. Das Quellenkorpus, aus dem die folgenden Untersuchungsabschnitte schöpfen, besteht daher im Wesentlichen aus dem Material, das schon in den beiden vorangegangenen Kapiteln Verwendung fand – Hausverträge und Korrespondenz –, wobei der Fokus nun deutlich stärker auf dem sprachlichen Aspekt liegt. Dabei wird das Aufkommen, die Verwendung und der Wandel bestimmter Begriffe und semantischer Felder untersucht. Die verwendete Terminologie, aber auch der soziale Kontext, in dem sie zur Anwendung kam, sollen weitere Rückschlüsse auf das zeitgenössische Verständnis, auf Funktionen, Reichweite und Grenzen von Verwandtschaft ermöglichen. Spiegelt sich in den Begriffen die in Kapitel 3 beleuchtete Praxis der Verwandtschaft wider oder gibt es hier signifikante Unterschiede (4.1.1)? Sodann wird die Quellensprache auf begriffliche Entsprechungen für das, was die Forschung mit ‚Dynastie‘ umschreibt, hin untersucht. Ab wann bildeten sich bestimmte Eigenbezeichnungen heraus und ­welchen semantischen Wandlungen unterlagen sie (4.1.2)? Anschließend wird der Blick von den einzelnen Begriffen hin zu breiteren Sinnformationen geöffnet und nach dem Einfluss des Gemeinwohldiskurses auf die sprachliche Konstruktion der Dynastie gefragt (4.1.3). Diese abstrakteren Erwägungen werden schließlich an einem Einzelbeispiel – dem Erbherrn Otto zur Lippe-­Brake – konkretisiert. Welche Vorstellungen und Konzepte hatte er von seiner Eingebundenheit in eine Dynastie, dem Verhältnis zu seinen regierenden Verwandten und der Norm der dynastischen Räson (4.1.4)? Aus den unterschiedlichen Untersuchungsteilen soll sich schließlich ein facettenreiches Bild des Diskurses ergeben, den die Adligen über ihre ‚Dynastie‘ führten. 4.1.1 Semantik der Verwandtschaft Die Untersuchung von Wortfeldern, Begriffsnutzung und Semantiken ist nicht zuletzt innerhalb der historischen Verwandtschaftsforschung eine inzwischen wohl etablierte Methode.5 Welche Begriffe verwendeten die Grafen also, um Verwandtschaftsbeziehungen anzuzeigen? Für die kernfamilialen Nahbeziehungen 4 Vgl. etwa am Beispiel der politischen T ­ heorie der Frühen Neuzeit Weber, Dynastiesicherung, S. 107 – 135. 5 Auf ­diesem Feld hat sich insbesondere die Spätmittelalterforschung hervorgetan; siehe etwa Seidel, Freunde, S. 207 – 234, mit ausführlichen Hinweisen zum theoretischen ­Hintergrund;

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standen bereits seit dem Spätmittelalter die uns im Wesentlichen auch heute noch geläufigen Begriffe zur Verfügung, allen voran: vater, mutter, kinder, son, tochter, bruder, schwester und gemahel.6 Söhne und Töchter wurden gelegentlich auch mit Herrlein bzw. Freulein 7 bezeichnet, um ihren hochadligen Rang zu verdeutlichen. Für entferntere Verwandte standen zwar Begriffe wie etwa oheim zur Verfügung, oft wurde jedoch für Neffen, Cousins, Onkel oder Großonkel der undifferenzierte Begriff vetter verwendet. Zwischen agnatischen und kognatischen Verwandten wurde dabei terminologisch nicht unterschieden.8 Das Fehlen entsprechender Begriffe konnte, wenn eine genealogische Differenzierung doch vonnöten war, zu komplizierten Umschreibungen führen. Dies war etwa bei der Aufzählung der Vorfahren in den Personalia-­Teilen von Leichenpredigten oder bei Ahnenprobationen in brieflicher Form der Fall, wo es um den genauen Nachweis der Abstammung ging. Hier behalf man sich meist damit, jeweils Vater und ­Mutter einer Person zu benennen und auf diese Weise Generation um Generation zurückzugehen.9 Die Alternative bestand darin, umschreibende Begriffsbildungen zu verwenden, die zu Konstruktionen wie mutters mutter vatter vatter 10 führen konnten. Im alltäglichen Umgang war hingegen nicht die spezifische verwandtschaftliche Beziehung von Bedeutung, sondern der Umstand, dass man überhaupt miteinander verwandt war bzw. sich als verwandt empfand, wofür ein geringes Set an verwandtschaftlichen Grundbegriffen ausreichte.

Teuscher, Bekannte, S. 75 – 84; Spiess, Familie, S. 496 – 500. Für das lateinische Mittelalter siehe Guerreau-­Jalabert, Désignation. 6 Aufgrund ihrer Allgegenwart in den Quellen wird auf Einzelnachweise verzichtet. 7 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 5, Zweites Testament Simons VI. zur Lippe vom 24. 09. 1591. 8 Dafür fehlen dem Nieder- und dem Frühneuhochdeutschen auch die entsprechenden Vokabeln, anders als etwa dem Lateinischen, wo bspw. ­zwischen dem Onkel mütterlicherseits (avunculus) und väterlicherseits (patruus) unterschieden werden kann. Vgl. auch Seidel, Freunde, S. 220; Teuscher, Bekannte, S. 83. 9 Als Beispiel sei ein Extrakt aus einer Ahnenprobation für Graf Philipp V. von Waldeck, datiert auf den 10. Januar 1551, angeführt, der die Großeltern mütterlicherseits beschreibt: Item der abgeschreven frauwen Annen geborner tochter zu Cleva und Marck Gravin zu Waldeck, Graven Philipsen van Waldeck seliger gedechtnus ehelichen gemals, vater ist auch gewest eyn Herzog zu Cleva und grave zu der Marck genanth Johann, und sein gemal gedachter Frauwen Annen mutter ist gewest ein Landtgravin zu Heissen genannth Mechtild, LAV NRW OWL, L 49 5/3, Nr. 8. 10 Vgl. beispielsweise eine Stammtafel mit den Vorfahren Annas zur Lippe, in: HStAM, 115/01, Nr. 1023, Schreiben vom 01. 12. 1566, Beilage. Die g­ leiche Beobachtung bei der Auswertung Kölner Familienbürger macht auch Seidel, Freunde, S. 220. Freilich wäre bei der genauen Beschreibung von Personen der vierten Vorfahrengeneration auch die moderne Sprache überfordert.

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Anders sah es mit der Unterscheidung ­zwischen Bluts- und Schwägerverwandtschaft aus; hier existierte durchaus eine differenzierte Terminologie, die die affinale Qualität einer Verwandtschaftsbeziehung anzeigte, wie etwa Schwager 11 oder Schwägerin 12. Auch Bezeichnungen für die Schwiegereltern und -kinder existierten seit dem Spätmittelalter,13 allerdings tauchen sie in der Lipper und Waldecker Überlieferung kaum auf. Damit bestätigt sich der Befund, dass die angeheiratete Verwandtschaft in den meisten Fällen mit den gleichen Begriffen belegt wurde wie die Blutsverwandtschaft.14 So bezeichnete Bernhard VII. zur Lippe seine Schwiegertochter in seinem Testamentsentwurf als fruntliken leven doichter 15, während Simon V. seinen Schwiegervater als leven hern und vather 16 titulierte. In Testamenten und Hausverträgen wurden die als Vormünder oder Exekutoren bestellten Affinalverwandten – oft Cousins oder Schwäger – häufig mit der Reihung Vettern, Bruder, Schwager und Gevattern 17 zusammengefasst. Besonders die im strengen Sinne unpassende Titulierung als Bruder drückte dabei eine besondere soziale Nähe aus, die mit der Erwartung verwandtschaftlichen Verhaltens seitens der so Vereinnahmten einherging.18 Auch bei Stiefkindern wurde auf eine differenzierende Bezeichnung meist verzichtet, etwa wenn Maria Magdalena von Waldeck die Kinder aus einer früheren Ehe ihres Mannes in ihrem Tagebuch als ihre Söhne 19 bezeichnete. Das ­g leiche Phänomen ließ sich bereits beim Umgang mit Bastarden beobachten, die gelegentlich ohne genauere Spezifizierung schlicht als Söhne oder Brüder bezeichnet wurden. Die Beispiele, die sich leicht vermehren ließen, zeigen, dass eine kernfamiliale Terminologie nicht nur in persönlichen Briefen verwendet wurde, denen sich die Funktion zuschreiben lässt, soziale Nähe zu stiften,20 sondern ebenso in juristisch einschlägigen Verträgen sowie in nicht für eine mitlesende Öffentlichkeit bestimmten Tagebüchern. 11 So Katharina von Waldeck über den Bruder ihres verstorbenen Gatten, Johann Bernhard zur Lippe, LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 10r. 12 So bezeichneten Samuel und Daniel von Waldeck die Gemahlin ihres Bruders Heinrich, Anna von Viermund, HStAM, 115/01, Nr. 184, Brief vom 18. 08. 1568. 13 Vgl. Seidel, Freunde, S. 221. 14 Vgl. Spiess, Familie, S. 499. 15 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 45a, fol. 2r. 16 Ebd., Nr. 45b, fol. 3v. 17 LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10. 18 Vgl. dazu auch Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 68 – 70. 19 LAV NRW W, U 164, Nr. 52a, fol. 14r. 20 Gerade in adligen Briefen war die Verwendung von Verwandtschaftsbezeichnungen über den Kreis tatsächlich miteinander verwandter Personen gang und gäbe. So konstatiert Ruppel, Verbündete Rivalen, S. 66 f.: „Auf der semantischen Ebene verweben sich Kerndynastie und das umgebende Hochadelsnetz. […] Der Hochadel erscheint als Familie per se.“

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Die Verwendung einer Semantik der verwandtschaftlichen Nähe brachte in der Vormoderne meist – ohne dass dies selbst immer verbalisiert worden wäre – die Einforderung bestimmter Verhaltensweisen wie Treue, Solidarität und Unterstützung mit sich.21 Generell war die Korrespondenz ­zwischen Mitgliedern der gräflichen Dynastien von einer emotionalen Familienrhetorik geprägt, meist selbst dann, wenn eine scharfe inhaltliche Auseinandersetzung zu führen war. So leiteten die Grafen Samuel und Daniel von Waldeck einen Brief an ihren Vater Philipp IV . sowie ihren Bruder Heinrich mit der häufig verwendeten Formel Kindtliche undt Bruderliche Liebe undt Treue, auch wz wir sonst gutts vermogen zuvor 22 ein, um die sich nun anschließende Ablehnung des konzeptionierten Ehevertrags für Heinrich abzumildern. Da sich z­ wischen den drei Brüdern daraufhin dennoch ein Streit entspann, bot sich der Vater in einem weiteren Brief als Schlichter an: Dan Ich alß der vatter die dinge richtig zuhelfen und z­ wischen euch allerhand widderwillen und zweitracht, zanck und hadder, soviel immer muglich, zuverhindern vatterlich geneigt 23. Aus den beiden Passagen lassen sich bereits zwei Eigenschaften herauslesen, die man mit den jeweiligen verwandtschaftlichen Positionen verband: Kinder hatten ihre Eltern zu ehren, Geschwister sich einträchtig zu verhalten, ein Vater sollte wiederum den Frieden z­ wischen seinen Kindern befördern. Noch deutlicher wurden derartige Vorstellungen in den Hausverträgen geäußert. Philipp IV . von Waldeck etwa sah es als notwendig an, das ein Itzlicher Haußvatter (dieweill Er bei leben und verstande ist) mit getrewlichem vleiße daran ist und schaffet, wilcher gestalt es mit seinem zeitlichen verlaßen guth nach seinem naturlichen abscheide under seinen Kindern und Erben gehalten werden soll, und denen davon seinem vatterlichen underricht und bescheidt hinderlest und mittheilt, dar­ durch dann auch hernachmals bruderliche vergleichung dester leichter getroffen, fried und einigkeit erhalten, und unfried, zanck und allerlei uneinigkeit verkommen und abgeschnit­ ten mogen werden 24.

Mit dieser Überlegung formulierte er eine verbreitete – und durchaus topische – Motivation für das Abfassen von Testamenten. In solchen wurde dem designierten Nachfolger regelmäßig aufgetragen, seine verwitwete ­Mutter zu versorgen, 21 Vgl. Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 65. Den appellativen Charakter teilte sie im Übrigen mit dem Terminus der „Freundschaft“, der ebenfalls in erster Linie, wenn auch keineswegs ausschließlich, zur Bezeichnung vor allem angeheirateter Verwandter breite Verwendung fand. Vgl. Seidel/Schuster, Freundschaft; Teuscher, Bekannte, S. 79; Eickels, Bruder. Siehe zum Freundschaftsdiskurs am frühneuzeitlichen Hof auch Kühner, Politische Freundschaft, bes. S. 97 – 133. 22 HStAM, 115/01, Nr. 184, Schreiben vom 18. 08. 1568. 23 Ebd., Konzept vom August 1568. 24 HStAM, 115/01, Nr. 683, Philipps „Bedenckarticul“, ca. 1550.

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wie eynem son geburt 25. Auch Christian befahl testamentarisch, dass seine Söhne unserer hertzliebsten gemahlin alle kindtliche ehre, trew, liebe und reverentz erwei­ sen und dieselb in allem respect haltten sollen, auff das Gott den Segen im 4t gebott verheißen op inen schieben und inen gedeien laßen 26. Die soziale Norm verstärkte er also mit einem Verweis auf das göttliche Gebot, die eigenen Eltern zu ehren. Zudem hatte ein künftiger Regent auch seine Schwestern grafflich, freuntlich und bruederlich 27 zu versorgen. Mit seinen Brüdern sollte er im guten Einvernehmen stehen und ihren Rat berücksichtigen.28 Die bruderliche vertrawliche liebe und einigkeit galt es stets zu fördern, weil dadurch auch was gering in uffnehmen kompt, waß aber groß durch uneingkeit zerstoret wirdt 29. Der in nahezu jedem Hausvertrag unternommene Rekurs auf die Verwandtschaft und die damit einhergehenden erwarteten Verhaltensweisen lässt kaum einen Zweifel daran aufkommen, dass die tatsächliche Praxis z­ wischen Geschwistern oder z­ wischen Eltern und Kindern häufig ganz anders aussah: „Norms demanding solidarity among kin were largely uncontested in theory, but the fact that they were constantly invoked had everything to do with the inconsistency with which they were adhered to in practice.“30 Der explizite Verweis auf die sozialen Normen hatte in erster Linie eine Appellfunktion. Außerdem konnte der Verwandtschaftsdiskurs gerade dann aufgerufen werden, wenn das Verhalten eines Akteurs als besonders normabweichend gebrandmarkt werden sollte. So beklagte sich, wie in Kapitel 2.2.3 bereits ausgeführt, Hermann Simon zur Lippe bei seinem Bruder Bernhard VIII. über die gantz unfreuntliche, unbrüderliche ungeleiche theilunge unserer angeerbten Her und Landschafften und erbat stattdessen eine freuntliche, Bruderliche und billiche schichtunge 31. Derselbe Bernhard wiederum appellierte in einer Auseinandersetzung mit seiner Schwiegermutter Anna von Kleve an deren blutvorwandtnuß und bat, sie möge ihre ehevertraglich gemachten Versprechen bedenken und mutterlich bewegen 32. Nachdem Katharina von Waldeck sich 1640 mithilfe eines kaiserlichen Heeres des Schlosses Detmold bemächtigt und ihre Schwäger aus selbigem vertrieben hatte, übte der anonyme Verfasser einer Flugschrift, die sich mit den Ereignissen beschäftigte, indirekt 25 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, 12. 02. 1563, Testament des Grafen Bernhard VIII. zur Lippe. 26 HStAM, Urk. 85, Nr. 272, Testament des Grafen Christian von Waldeck, fol. 2r. 27 Ebd., Nr. 252, Testament des Grafen Johann I. von Waldeck, fol. 2r. 28 So formuliert etwa ein Vorvertrag zur Wildunger Teilung vom 8. Januar 1575, die Söhne mögen vor einen Mann stehen, einander bruderlich und vetterlich mit trewen meinen und befordern, HStAM, 115/01, Nr. 15, fol. 5r. 29 LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungs- und Successions-­Verträge, Vertrag vom 21. 03. 1614. 30 Teuscher, Politics, S. 79. 31 LAV NRW OWL, L 7 B, Nr. II, Schreiben vom 01. 08. 1560. 32 HStAM, 115/01, Nr. 945, Schreiben vom 12. 04. 1556.

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Kritik an ihrem Verhalten: Ob ­dieses nun schwesterlich gehandelt heisse […] lesset man andere judiciren.33 Johann I. von Waldeck beschwerte sich bei seinem Halbbruder Wolrad II., dass die Erbauseinandersetzungen ­zwischen ihnen von seiner Seite so feindselig geführt würden, gleich stunden di sachen z­ wischen fremden und nit ­zwischen ­frawen, sonen und gebruedern 34. Gleichzeitig konnte die Verwendung einer Verwandtschaftssemantik aber auch deeskalierend eingesetzt werden. So versuchte Maria Magdalena von Waldeck ihren Schwager Otto zur Lippe-­Brake, den sie in einer Überbrückung der verwandtschaftlichen Distanz mit hertzliber bruder anredete, brieflich davon zu überzeugen, dass der von ihm erhobene Vorwurf, sie würde ihn hinter seinem Rücken verspotten, jeglicher Grundlage entbehre und auf einem Missverständnis beruhen müsse, denn wie wolte das mir ahnstehen den zu verspatten, so mit mei­ nem allerlibsten herren seligen under einem hertzen gelegen 35? Als sich ­Wolrad II. aus der Eisenberger Linie bei seinem Wildunger Mitregenten Philipp IV. über dessen ausgeprägte Streitlust beschwerte, erwiderte dieser, dass ihm Neid und gezenck […] in erwegunge der nahen verwantnuß 36 durchaus fernlägen. Ganz ähnlich rechtfertigte auch Philipp von Schaumburg-­Lippe über hundert Jahre später seine Einmischungen in die Regierungsangelegenheiten Simon Henrichs zur Lippe mit der freundtvetterliche[n] affection, so wir zu Ihre Ld. tragen 37. Frieden und Eintracht war die erwünschte Norm unter Verwandten, deren sprachliche Beschwörung allgegenwärtig war. Im alltäglichen Denken und Handeln wurde Verwandtschaft daher vor allem horizontal verstanden, also als Gruppe von lebenden und miteinander in freundschaftlicher Beziehung stehenden Individuen. Es gab allerdings durchaus Situationen, in denen Fragen nach Abstammung und Geblüt an Bedeutung gewannen. Diese hatten zumeist mit der Vererbung von Besitz und Herrschaft zu tun.38 Ein wichtiger Begriff, der in den Quellen häufig zutage tritt, besonders wenn es um die Bestimmung des Kreises der Sukzessionsberechtigten ging, ist der des „Agnaten“. Schon der Waldecker Mutschierungsvertrag von 1538 hatte bestimmt, dass ein Landesteil im Falle fehlender Nachkommen in der einen Linie an die andere als den nehesten agnaten 39 fallen sollte. Mit der gleichen Formulierung vererbte der kinderlose Franz III. von Waldeck-­Landau seinen Erbteil an seine entfernten Verwandten Christian und Wolrad IV.40 Auch in 33 Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 22 f. 34 HStAM, 115/01, Nr. 170, Schreiben vom 31. 01. 1554. 35 LAV NRW OWL, L 7 A XV B, Nr. 1, Schreiben vom 18. 04. 1629. 36 HStAM, 115/01, Nr. 697, Konzept vom 17. 10. 1549. 37 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 23, Schreiben vom 25. 10. 1666. 38 Die g­ leiche Beobachtung macht Seidel, Freundschaft, S. 224. 39 HStAM, 115/01, Nr. 36, fol. 4v. 4 0 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 258, fol. 2v: auff unsere nehesten agnaten.

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Lippe betonten die männlichen Dynastiemitglieder gegenüber den Prätentionen ­Katharinas von Waldeck ihren Sukzessionsanspruch vorrangig durch ihre Position als nechste agnatas, stam- und Blutsverwandte 41. Erinnert sei in d­ iesem Zusammenhang auch an die Versuche Johann Bernhards, die konsanguine Verwandtschaft zu seinem verstorbenen Bruder zu betonen und gegen die frembde außländische 42 Vormundschaft seiner Schwägerin auszuspielen, womit er ihren Status als lediglich Angeheiratete abwertete. Agnaten im Sinne männlicher Blutsverwandter wurden also nicht nur in Sukzessionsfragen gegenüber der Affinalverwandtschaft vorgezogen, wie Kapitel 2 gezeigt hat, sondern der Begriff wurde auch als Eigenbezeichnung zur Legitimation der eigenen Ansprüche benutzt. Zugleich kamen den Agnaten, wenn die Erbfolge unstrittig war, auch spezifische Aufgaben zu, etwa ihren Konsens zu Entscheidungen zu geben, die die gesamte Dynastie betrafen.43 Auch die Pflicht zur gegenseitigen Beratung und Unterstützung, etwa in Form wechselseitig übernommener Vormundschaften, galt für Blutsverwandte in besonderem Maße. So bat Christian in seinem Testament seinen Bruder ­Wolrad IV. und dessen ältesten Sohn Philipp Theodor freündt brüder und vetterlich als nechsten agnaten […] das sie als honorary tutores und curatores unser kinder und landes bestes pflegen, und sich brüderlich und trewlich ahngelegen sein laßen wollen 44. Die Agnaten waren also wichtige Bezugspunkte für einen Herrscher; einerseits konnte von ihnen Gefahr durch geblütsrechtlich legitimierte Ansprüche auf Herrschaftspartizipation ausgehen, andererseits galten sie zumindest in einem normativen Sinn als besondere Vertraute, die man zu wichtigen Entscheidungen hinzuzog. Sie waren gewissermaßen „verbündete Rivalen“45. Neben dem Begriff des Agnaten gewann auch das Wortfeld um Blutsverwandtschaft und Geblüt eine immer größere Bedeutung, da sich damit ebenfalls erbrechtliche Ansprüche begründen ließen. Im Laufe der Frühen Neuzeit wurde „Blut“ die zentrale Metapher, um Verwandtschafts- und Abstammungsbeziehungen zu beschreiben. Ihre Prominenz als verwandtschaftliche Denkform ging einher mit der in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Begrenzung von Herrschafts- und Besitzrechten und der damit verbundenen sozialen Abschließung von Dynastien. Im Gegensatz zur mittelalterlichen Metapher des Fleisches, w ­ elche stärker auf eine Gruppe von lebenden Verwandten abzielte, in der Frühen Neuzeit 41 LAV NRW OWL, L 82, Nr. 516, fol. 10r. 42 Ebd., Nr. 517, fol. 118r. Siehe dazu ausführlich Kap. 2.2.6. 43 Dies galt neben allen Erbfragen vor allem für die Absegnung von Heiratsprojekten. Im Ehevertrag ­zwischen Günther von Waldeck-­Wildungen und seiner entfernten Landauer Verwandten Margarethe wurde in Bezug auf die Verschreibung eines Wittums explizit der Consens des Lehensfürsten und Agnaten der andern Graven zu Waldeckh hervorgehoben, HStAM, Urk. 85, Nr. 104. 4 4 Ebd., Nr. 272, fol. 5v. 45 So in Bezug auf hochadlige Geschwister Ruppel, Verbündete Rivalen.

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aber keine Rolle mehr im Diskurs spielte, war Blut das geeignete Medium, um Abstammung und Liniendenken zu verdeutlichen, da es – und mit ihm bestimmte Eigenschaften – im Denken der Zeitgenossen von einer Generation auf die nächste vererbt wurde.46 Bereits zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als es in Lippe darum ging, das drohende Aussterben abzuwenden, ließ sich Simon V. das Recht verbriefen, zu Lebzeiten einen Nachfolger aus dem nechsten gebluet der Herrn zu der Lippe 47 auszuwählen. Sollte er also keine eigenen Söhne bekommen, wurde ihm der Rückgriff auf die nächste Verwandtschaft gestattet. Das Problem wiederholte sich in ähnlicher Form bei seinem Enkel Simon VI., der sich testamentarisch vorbehielt, seinen Nachfolger aus dem negsten unß angehorigen Blude 48 zu bestimmen. In beiden Fällen war dies noch nicht streng agnatisch definiert, da ein männlicher Angehöriger ja gerade fehlte und man auf die angeheiratete Verwandtschaft auszuweichen gedachte. Erst in der Phase des Vormundschaftsstreits konnten die lippischen Agnaten ihre Blutsverwandtschaft gegen die Kognatin Katharina ins Feld führen. Aus ebendiesem Grund betonte die Witwe daher stets ihre Stellvertreterfunktion als Vormünderin für ihre Söhne, die ja ebenfalls Agnaten des Hauses Lippe waren. Auf ähnliche Weise argumentierten zur gleichen Zeit auch die Kinder Simons VII. aus seiner zweiten Ehe mit Maria Magdalena von Waldeck. Im Jahre 1637 sandten sie ein Gratulationsschreiben zur gerichtlich anerkannten Vormundschaft an ihre Tante Katharina und baten sie zugleich für die Zukunft um gute Behandlung und die Wahrung ihrer eigenen Interessen. Als Begründung führten sie einerseits ihren Status als vollwertige Mitglieder des Grafenhauses, andererseits die nahe Verwandtschaft zu Katharina an.49 Eng mit der Metapher des Blutes verbunden war das Denken in den Kategorien von Nähe und Entfernung, wodurch sich unterschiedliche Grade der Verwandtschaft ausdrücken und somit Erbansprüche hierarchisieren ließen, wie sich bereits Ende des 15. Jahrhunderts zeigte. Als die testamentarische Übertragung des Lan­ hilipp II. und dauer Erbteils durch Otto IV. von Waldeck an seine Verwandten P Heinrich VIII. – synem angeborn blode und vründen 50, wie er sich ausdrückte – zu Streit unter diesen führte, wurde die Nähe der Verwandtschaft als Argument heran­ gezogen. So stellten die um Rat gebetenen Mainzer Juristen in ihrem Gutachten 4 6 Vgl. Sabean, Descent, S. 149, 153 u. passim; Teuscher, Flesh, S. 99 f. Auf dieser Grundlage entwickelte vor allem der französische Hochadel naturalisierende Abstammungstheorien, in denen er sich als eigene „Rasse“ imaginierte; vgl. dazu Burschel, Erfindung, S. 46 – 52. 47 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, S. 149. 48 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 2, 23. 07. 1583. 49 Vgl. HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Schreiben vom 07. 04. 1637: in betrachtung daß unser h[erzliebe] fraw ­Mutter, E. Ld. leiblichen Schwester echte und rechte Kinder wir seyn, auch rechtgeborne Grave und Frewlein zur Lippe gleich unser h[erzlieben] stieffgeschwistrigten und E. Ld. h[erzlieben] Sönlein. 50 HStAM, Urk. 85, Nr. 237, S. 1.

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heraus, dass Philipp in dem dritten grad der sipschafft 51, Heinrich aber nur im vierten zum Verstorbenen stand. Philipp sei somit der nehist deß gebludes 52. Allerdings argumentierten hier Rechtsgelehrte, während die Waldecker Grafen selbst in den folgenden Jahrzehnten nur sporadisch auf die Terminologie des Blutes zurückgriffen. Es lässt sich festhalten, dass die Kernfamilie ungeachtet des fehlenden Familienbegriffs durchaus eine Rolle im Denken und Sprechen der Akteure spielte, da für die hier angesiedelten Verwandtschaftspositionen entsprechende Begriffe zur Verfügung standen. Allerdings impliziert der Befund, dass Anreden wie „Bruder“ oder „Tochter“ auch auf nicht blutsverwandte Personen, etwa auf die Schwägerschaft sowie auf Stief- oder Bastardverwandte, übertragen werden konnten, dass der Übergang zur weiteren Verwandtschaft als durchlässig konzipiert werden muss, wie dies in Grafik 5 schematisch zur Darstellung gebracht wurde. Gleichwohl existierte das Bewusstsein einer Differenz und konnte in bestimmten Situationen auch artikuliert werden. Die weitere Verwandtschaft wurde im Gegensatz zur familialen meist unter unspezifischen Begriffen wie „Vetter“ subsumiert, wobei z­ wischen agnatischer und kognatischer, also väterlicher und mütterlicher Seite, begrifflich nicht differenziert wurde. Dies deckt sich mit dem Befund, dass in der Praxis auch den Kognaten sowie der Schwägerschaft eine hohe Bedeutung zugemessen wurde. Was die Zugehörigkeit zur Dynastie betraf, wurden in Kapitel 3 die Abstammung aus einer legitimen und standesgemäßen Ehe sowie ein (potenzielles) Erbund Sukzessionsrecht als Kriterien genannt. Personen, auf die dies zutraf, wurden seit dem 16. Jahrhundert als „Agnaten“ bezeichnet.53 Im Kontext der Herrschaftsweitergabe bei der Identifikation von Sukzessionsberechtigten, aber auch bei der Organisation und Ausübung der Herrschaft war der Agnatenbegriff und das ihm zugrundliegende Konzept von Blutsverwandtschaft von zentraler Bedeutung. Agnatische Verwandtschaft und konsanguine Gradnähe wurden vor allem dann betont, wenn es um Erb- und Herrschaftsansprüche ging. In der alltäglichen Korres­pondenz schien hingegen ein inklusives Verständnis von Verwandtschaft vorzuherrschen. Da mit Verwandtschaft soziale Verhaltensnormen wie Eintracht und wohlmeinende Unterstützung verbunden waren, w ­ elche zum Teil auch explizit eingefordert wurden, hatte die Verwendung einer Verwandtschaftsrhetorik stets auch eine Appellfunktion. Sie konnte Konflikte somit beschwichtigen, aber auch durch den Vorwurf normabweichenden Verhaltens befeuern. Die Semantik der Verwandtschaft wurde ubiquitär verwendet, womit sich die Frage stellt, ob dennoch eine Vorstellung von der Abgeschlossenheit einer Dynastie existierte, und falls ja, wie und in ­welchen Situationen sie artikuliert wurde. 51 HStAM, Urk. 85, Nr. 238, fol. 3v. 52 Ebd. 53 Dies umschloss im Prinzip auch Töchter, die gewissermaßen „Agnatinnen“ ihrer Herkunftsdynastie waren.

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4.1.2 Eigenbezeichnungen Dem Selbstverständnis der adligen Akteure kann man sich annähern, indem man den Blick auf die Namen und Begriffe richtet, mit denen sie sich in unterschiedlichen Kontexten selbst bezeichneten. Vor allem das Auftreten eines grammatikalischen Kollektivums in den Quellen scheint ein sprachlicher Indikator – und gleichzeitig ein Faktor – für die Herausbildung einer sozialen Gruppe zu sein. Bei „Familie“ handelt es sich beispielsweise um „ein Ordnungswort, eine Kategorie, eine kollektive Kategorie der kollektiven Realität, die es ohne den entsprechenden Ausdruck und allen damit zusammenhängenden Konzepten nicht gäbe“54. Wie bereits in der Einleitung erwähnt, war aber der Begriff ‚Dynastie‘ in seiner heutigen Bedeutung den Zeitgenossen kaum geläufig. Lediglich ein des Lateinischen mächtiger und umfassend gebildeter Mensch wie Graf Wolrad II. von Waldeck bediente sich ­dieses Ausdrucks gelegentlich. In seinem Tagebuch von 1548 etwa gab er ein Gespräch ­zwischen ihm und seinem Vetter wieder, in dem er diesen bat, sich in seiner Abwesenheit um seine Gemahlin, seine Tochter sowie tota dinastia nostra 55 zu kümmern. Von ­diesem bescheidenen terminologischen Befund ist nun keinesfalls auf die Nichtexistenz eines entsprechenden Konzepts zu schlussfolgern, denn das hieße, einem strengen Nominalismus das Wort zu reden. Stattdessen soll das weitere semantische Feld des Dynastischen in Augenschein genommen und nach möglichen terminologischen Entsprechungen gesucht werden.56 Wie schon bei der Untersuchung der Verwandtschaftssemantik wird der Blick dabei von der Quellensprache geleitet, ohne vorab bestimmte Kategorien und Begriffe zu definieren. Ein erster Begriff, den es genauer zu untersuchen lohnt, ist der der „Herrschaft“. Bereits im Spätmittelalter taucht er prominent in Herrschafts- und ­Hausverträgen auf und bezeichnet zunächst vor allem den gemeinsamen Besitz. Exemplarisch dafür kann die lippische Landsteilung von 1344 stehen, bei der die Edelherren von al unser herschap van der Lippe 57 sprachen. Darüber ­hinaus wurde mit dem Begriff aber auch eine als Erbengemeinschaft konstituierte Gruppe von Personen bezeichnet. Dies lässt sich am Urkundentext des Pactum Unionis von 1368 ablesen, welches die Sukzession auf einen Herrn beschränkte, de der ­Herscop von der Lippe ein Erve sy 58. In Waldeck bestimmte das Erbstatut von 1344 in 54 Landwehr, Historische Diskursanalyse, S. 82. Und weiter: „Wenn es um die soziale Wirklichkeit geht, schaffen die Wörter die Dinge, denn sie schaffen den Konsens über die Existenz und den Sinn der Dinge.“ 55 Tross (Bearb.), Tagebuch, S. 165. 56 Vgl. dazu Steinmetz, Neue Wege, S. 15 u. 24 f. 57 Zit. nach Falkmann, Beiträge, Bd. 1, S. 166. 58 Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, S. 148.

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gleicher Weise die Individualsukzession eines legen (Laien), der eyn here sy der herschafft von Waldeck 59. Paragien zur Versorgung der Söhne im geistlichen Stand sollten nach deren Tod zurückfallen uff die herschafft von Waldeck an allerley kinder 60. In beiden Fällen fand eine allmähliche Übertragung des Begriffs für das Erbe auf die Erben selbst statt. Die in Ansätzen erkennbare Dynastie formierte sich also auch auf sprachlicher Ebene zunächst als eine Gruppe von Erbberechtigten eines Herrschaftssubstrats.61 Daneben standen anfangs vor allem Begriffe im Plural zur Verfügung, die Zugehörigkeit markierten. Zusätzlich zu den seit dem ausgehenden Hochmittelalter belegten Namen und Titeln waren das vor allem die „Erben“ oder die „Herren“ als Derivat von Herrschaft. Noch in der Waldecker Erbeinigung von 1507 ist ausschließlich von den erben der Grafschaft bzw. den Grave[n] zu Waldegk 62 die Rede.63 Zwar ist im Terminus des „Erben“ bereits eine diachrone, generationenübergreifende Ebene vorhanden, doch bezieht er sich vornehmlich auf einen Kreis lebender Personen. Allerdings fiel die Identifizierung der Zugehörigen oftmals nicht leicht, denn wer Erbe war und wer nicht, war nicht selten heftig umstritten. Im Fehlen eines Kollektivums zeigt sich, dass noch kaum eine Vorstellung einer abgeschlossenen Gruppe existierte, die später umso stärker hervortreten sollte. Gleichwohl ist bereits die normative Dimension erkennbar, die frühneuzeitliche Dynastien prägte, denn auch die „Herrschaft“ konstituierte sich in sprachlicher Hinsicht vor allem im Kontext von Verträgen. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts kam allmählich die im vorigen Abschnitt dargestellte sprachliche Betonung der Blutsverwandtschaft auf. Blut und Geblüt waren bereits begriffliche Manifestationen einer auf Abstammung beruhenden Zugehörigkeit. Ein Kollektivum, das diese Verschiebung noch deutlicher zum Ausdruck bringt, ist „Stamm“. Erstmalig im hier untersuchten Quellenkorpus taucht der Begriff in der 1517 z­ wischen Lippe und Paderborn geschlossenen Erbeinigung auf, wo eine Sukzessionsregelung für den Fall gefunden wurde, dass der Manlyves stam 64 an sein Ende käme. Nur zwei Jahre später findet er sich auch in 59 HStAM, 115/01, Nr. 16. 60 Ebd. 61 Die Übertragung des Herrschaftsbegriffs auf die soziale Gruppe betont am Beispiel der spätmittelalterlichen Zollern auch Nolte, Familie, Hof und Herrschaft, S. 13. 62 HStAM, Urk. 85, Nr. 11129. 63 Das Phänomen, den Namen für die Herrschaft als dynastische Eigenbezeichnung zu übernehmen, lässt sich nicht zuletzt auch bei den spätmittelalterlichen Fürsten beobachten, die sich selbst gleichermaßen als Haus Bayern oder Sachsen bezeichneten, nicht aber als Wittelsbacher bzw. Wettiner. Vgl. dazu Stauber, Herrschaftsrepräsentation, S. 179 f.; Westphal, Selbstverständnis, S. 34. 6 4 Zit. nach LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, 16. 12. 1592 (Transsumpt der Originalurkunde).

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Waldeck in einer Wittumsverschreibung Philipps III.65 Bei den Waldecker Grafen konnte Stamm anfangs auch nur eine einzelne Linie bezeichnen, wie in der Arolser Mutschierung von 1538,66 wurde aber häufiger für die gesamte Dynastie verwendet. In der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert avancierte er zum meistbenutzten Begriff für die Selbstbeschreibung der Grafen. Dabei konnte er sowohl allein stehen 67 als auch in Verbindung mit anderen Ausdrücken wie etwa „Stamm und Namen“68 oder „Geschlecht und Stamm“69. „Geschlecht“ als alleinstehender Ausdruck wurde dagegen eher selten verwendet,70 da er stärker mit dem Niederadel oder stadtadligen Patriziergeschlechtern assoziiert wurde.71 In ihrem Bedeutungsgehalt waren beide Begriffe allerdings mehr oder weniger deckungsgleich, insofern sie beide die diachrone, agnatische Erbenlinie betonten.72 Häufige Verwendung fanden sie daher vor allem im Kontext von Sukzessions- und Erbfragen. Einerseits wurde mit dem Stamm, gerade auch in Zeiten konkreter Gefahr, die Sorge um die Kontinuität der Herrscherlinie verknüpft, etwa wenn Simon VI. die Pfarrer des Landes für die Erhaltung des lippischen Stambs 73 beten ließ. Zum anderen bezeichnete er, ebenso wie zuvor die „Herrschaft“, die Erbengemeinschaft, die als abstraktes Kollektiv eigenen Rechts über den Nutznießungsrechten des Einzelnen stand. Daher findet er sich vor allem in Hausverträgen und Testamenten im Zuge von Veräußerungsverboten sowie der Bestimmung, dass ausgegebene Erbteile nach dem Tod eines ohne Söhne verstorbenen Agnaten unverzüglich zurück an den Manstam 74 zu fallen hätten. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts taucht schließlich ein neuer Ausdruck in den untersuchten Quellen auf und entwickelt sich rasch zur zentralen Beschreibungskategorie des adligen Verwandtschaftsverbands: das „Haus“. Angeregt durch 65 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 73, Urkunde vom 21. 01. 1519. Dort wurde geregelt, dass die Güter nach dem Tode der Witwe Anna von Kleve zurückfallen sollten uff unser kynder oder neste erben des stammes von Waldeck. 66 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 36, fol. 4v. 67 Vgl. etwa LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, 30. 08. 1597; HStAM, 115/01, Nr. 311, fol. 5v (Teilungsverhandlungen). 68 Vgl. etwa LAV NRW OWL, L 1 A Kaiserliche Bestätigungen, 12. 02. 1593 (Primogenitur); HStAM, 115/01, Nr. 81, fol. 2v (Teilungsvertrag vom 28. 03. 1575); 115/01, Nr. 740, Brief vom 04. 01. 1576. 69 Vgl. etwa LAV NRW OWL , L 9, Nr. 4, Landesherrliche Proposition auf dem Landtag, fol. 29r-30r; HStAM, 115/01, Nr. 1220, fol. 1v (Eisenberger Erbvertrag vom 03. 08. 1639). 70 Vgl. etwa LAV NRW OWL, L 1 B, Urkunde vom 04. 09. 1612 (Ehevertrag z­ wischen E ­ lisabeth zur Lippe und Georg Hermann von Holstein-­Schaumburg); HS tAM , 115/01, Nr. 683 (‚Bedenckarticul‘ Philipps IV. von Waldeck-­Wildungen). 71 Vgl. Morsel, Geschlecht, S. 266. 72 Vgl. Teuscher, Bekannte, S. 80. 73 LAV NRW OWL, L 65, Nr. 265, Abschrift der Stiftungsurkunde vom 26. 09. 1586. 74 LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, Nr. 5, 24. 09. 1591.

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Otto Brunners Konzept des „ganzen Hauses“ ist dem Begriff eine besondere Forschungsaufmerksamkeit zuteilgeworden, als deren Ergebnis zwei grundlegende Befunde stehen können: einerseits die zentrale Bedeutung des Hausbegriffs für vormoderne Gesellschaften, andererseits seine besondere Polyvalenz.75 Sein ursprünglicher Sinngehalt als bauliches Konstrukt – auch die adligen Zeitgenossen sprachen von ihren Burgen und Schlössern stets als Häusern – übertrug sich frühzeitig auf die hierin lebenden Personen. Zugleich erfüllte der Begriff eine Reihe weiterer Funktionen, etwa als Bezeichnung für materiellen Besitzstand im Sinne von Haushalt, als Rechtsordnung und als normatives Konzept. Im Hochadel fungierte der Hausbegriff vor allem als Kategorie der Selbstbeschreibung, wobei seine Konnotationen z­ wischen einer stärkeren Betonung des horizontalen Verwandtschaftsnetzes von gleichzeitig lebenden Personen und der diachronen Generationenfolge im Sinne des Geschlechts schwankten. Semantische Überschneidungen und Oszillationen sind allerdings nicht nur in der Quellensprache, sondern – daraus resultierend – auch in der Forschungsliteratur die Regel.76 Bei den großen Fürstendynastien des Reichs kam die Rede vom „Haus“ bereits im 14. Jahrhundert auf;77 die hier untersuchten Grafen folgten mit großer Verzögerung.78 Bei den Grafen zur Lippe taucht der Begriff wohl erstmals im ersten 75 Brunner verstand unter dem „ganzen Haus“ eine Herrschafts- und Wirtschaftseinheit unter einem gemeinsamen Dach, die über die Verwandtschaftsfamilie hinaus auch Bedienstete umfasste und der Herrschaftsgewalt des Hausvaters unterstand. Die Forschung hat ihre Kritik an unterschiedlichen Punkten (u. a. an Brunners ideologischer Prägung) angesetzt und insbesondere herausgestellt, dass dem Konzept weniger als deskriptive denn als normative Kategorie sozialer Ordnung Bedeutung zukommt. Vgl. Brunner, Ganzes Haus; Ders., Adeliges Landleben. Zur Kritik an Brunner vgl. Opitz, Neue Wege; Groebner, Außer Haus; Trossbach, Ganzes Haus. Siehe außerdem die jüngeren Forschungsüberblicke bei Hahn, Trends; und Schmidt-­Voges, Haus. 76 Vgl. dazu jetzt Hecht, Adels-­Haus, S. 31 – 34. Vereinzelte Vorschläge, die Begriffe „Haus“ und „Geschlecht“ im obigen Sinne voneinander abzusetzen, konnten sich bislang nicht durchsetzen; vgl. Oexle, Aspekte, S. 27 f. Bastl, Haus, S. 262; und Asch, Europäischer Adel, S. 98 f., etwa verwenden sie weitgehend synonym. Die von Moeglin, Dynastisches Bewußtsein, S. 610 u. 624, ausgemachte Bedeutung von Haus als Gesamtheit von Dynastie, beherrschten Ländern und Untertanen scheint sich auf die von ihm untersuchten Fälle Bayern/Wittelsbach bzw. Österreich/Habsburg zu beschränken. 77 Vgl. etwa Moeglin, Dynastisches Bewusstsein, S. 609 – 613; Stauber, Staat, S. 545 – 550; Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 372 – 377. 78 Eine frühe Ausnahme stellt die Protestschrift Heinrichs VIII. von Waldeck gegen seinen Onkel Philipp II. im Streit um das Landauer Erbe (siehe Kap. 2.3.3) dar. Sie formuliert, dass ­dieses zcugehorrigh dem Huese und Graveschafft Waldeck und der verstorbene Otto ein Grave des Hueßes Waldecken gewesen sei, HStAM, 115/01, Nr. 153, Schreiben vom 18. 09. 1497. Die für die Zeit ungewöhnliche Begriffsverwendung ist möglicherweise auf den Einfluss gelehrter Juristen zurückzuführen. Eine weitere frühe Verwendung des Begriffs Hauße

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­Brüderlichen Vertrag von 1614 auf, der die reputation des loblichen Grafflichen Hauses Lippe 79 sicherzustellen bemüht war. Bemerkenswerterweise kam er ausgerechnet zu dem Zeitpunkt in Gebrauch, als sich die Dynastie in mehrere Linie aufzuspalten begann. So ist im gleichen Vertrag auch erstmalig vom Regierenden Landtshern sowie dessen Brüdern, den abgetheilte[n] hern bzw. Erbhern die Rede. Dabei handelte es sich zu ­diesem Zeitpunkt nicht um eine neutrale Beschreibung einer real wahrnehmbaren Differenz, sondern um eine Hierarchisierung der dynastischen Rollen mit sprachlichen Mitteln. Aufgrund der Koinzidenz lässt sich hinter der Verwendung des Hausbegriffs auch die Absicht vermuten, eine gemeinsame Identität zu stiften, um die soziale Integration zu befördern. Dass der neue Begriff eine vertraute Vorstellung beschrieb, lässt sich an Formulierungen wie der aus dem zweiten Brüderlichen Vertrag ablesen, in dem vor Ruin, Zerruttung, Untergang und Verderben des uhralten Graflichen nahe angewandten Hauses 80 gewarnt wird. Das Haus wurde also bereits als in einer langen Tradition stehend imaginiert. Nahezu gleichzeitig, nämlich erstmals im Teilungsvertrag von 1607, und in gleicher Funktion wurde der Begriff auch in Waldeck allmählich geläufig. Die Bemessung der Leibzucht der Gattinnen, so wurde hier entschieden, sollte gehandhabt werden, wie bei dem Löblichen Hauß Waldegk breuchlich und Herkommen 81; wiederum wurde eine bereits bestehende dynastische Tradition postuliert. Einleitende Formeln wie umb des grefflichen Hauses Waldeck conservation und beßt willen 82 fanden sich in den folgenden Jahrzehnten in der Mehrzahl der Hausverträge und sollten den Vertragspartnern das oberste Ziel der gemeinschaftlichen Anstrengungen vor Augen führen. Das Haus wurde also zu einer normativen Kategorie, dessen Ansehen und Wohlergehen – des Hausses Höchsten splendor undt ufnahmb 83 – es gerade vor dem Hintergrund seiner langen und ruhmreichen Vergangenheit auch für die Zukunft sicherzustellen galt. Obgleich das Haus die älteren Begriffe nicht vollständig verdrängte, wurde es doch zur bevorzugten Eigenbezeichnung nicht nur der hier untersuchten Grafen, sondern auch im übrigen Hochadel.84 Sein Erfolg ist wohl vor allem seiner semantischen Offenheit und der sich daraus ergebenden inkludierenden Funktion zuzuschreiben.

Waldecken findet sich im Gutachten des gelehrten Rats Hermann Ulner vom 4. März 1554; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 45, fol. 5r. 79 LAV NRW OWL, L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 4 u. 5, Vertrag vom 21. 03. 1614. 80 Ebd., Nr. 6 – 10, Vertrag vom 20. 09. 1616. 81 HStAM, Urk. 85, Nr. 11194, Vertrag vom 15. 03. 1607, fol. 6r. 82 HStAM, Urk. 85, Nr. 398, fol. 1r, Rezess der Erben des Grafen Christian von Waldeck vom 31. 08. 1649. 83 LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 160v, Landesherrliche Proposition auf dem lippischen Landtag vom 17. 10. 1643. 84 Vgl. Mutschler, Haus, S. 11.

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Eher selten wurde der Begriff des Hauses auf einzelne Linien bezogen. So sprach ein Waldecker Hausvertrag von 1661 vom Hauß Eyßenberge, verwendete an anderer Stelle synonym aber das geläufigere Eysenbergische Linie 85. In Lippe wurde insbesondere das „Regierende Haus“ zu einem Ausdruck für die Hauptlinie. 1644 etwa beklagten die lippischen Stände mißhelligkeiten ­zwischen beiden Gräfflichen Häusern, alß Regierenden Dethmoldischen und abgetheilten Brackischen Hause 86. Die jeweiligen Residenzen der Linien, die Schlösser Detmold und Brake, wurden so zu Chiffren für ihre Bewohner. In der Regel jedoch umfasste das Haus die Gesamtheit aller Linien, was im Hinblick auf die materielle Dimension des Begriffs eigentlich erstaunen müsste, denn die Angehörigen der verschiedenen Linien wohnten ja gerade nicht in einem gemeinsamen Haus. Gegen die alltägliche Evidenz, die eher räumliche Ferne denn Nähe suggerierte, stand mithin die relativ abstrakte Vorstellung eines gemeinsamen Hauses. Zudem stellte die Zugehörigkeit zum Haus normative Forderungen an den Einzelnen. Doch konnte nicht nur das Oberhaupt mithilfe des Begriffs Loyalität einfordern, zugleich nutzten ihn auch die Subalternen zu ihrem Vorteil. So bediente sich etwa der seit 1647 in der Grafschaft Schaumburg regierende Erbherr Philipp der Vorstellung deß Samptlichen Hauseß Hohes interesse 87, um weiterhin Einfluss auf die Detmolder Politik nehmen zu können. Auch seinem Bruder Otto diente ­dieses Argument als Interventionsgrund, wenn er gegenüber der hessischen Landgräfin die unhaltbaren Zustände in der Grafschaft unter dem Vormundschaftsregiment beklagte und ein gentzlich verderben des lippischen hauses 88 befürchtete. Mit der Sorge um das Gesamthaus ließen sich allerhand Eingriffe in die Gerechtsame des Landesherrn und zumal der Vormundschaftsregierung rechtfertigen. Die begriffliche Ambivalenz zeigte sich besonders deutlich in einer Klage Ottos vor dem Reichshofrat, in der er einerseits darauf bestand, dem Hauße Dethmoldt […] keines weges subject oder unterworffen 89 zu sein, sich aber gleichzeitig dem gantzen Hauße undt Graffschafft Lippe 90 verpflichtet fühlte. Somit lässt sich der Befund der Polyvalenz grundsätzlich bestätigen, allerdings mit einigen semantischen Akzentverschiebungen: Mit „Haus“ konnte erstens eine Generationenfolge im Sinne des Geschlechts oder Stammes bezeichnet 85 86 87 88

HStAM, Urk. 85, Nr. 401, fol. 2r. LAV NRW OWL , L 9, Nr. 8, fol. 216r. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 23, Schreiben vom 07. 12. 1666. LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4c, Schreiben vom 18. 07. 1646. In ähnlicher Weise besorgte

er sich in einer Klage vor dem Reichshofrat gegen die Vormundschaft Katharinas von Waldeck um des gantzen Gräflichen Lippischen Geschlechtes und gantzen Landes heil und wolfarth; HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 249, Nr. 5, fol. 587v. 89 HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 251, Nr. 1, Klageschrift gegen Johann Bernhard vom 09. 09. 1651, fol. 2r. 90 Ebd., fol. 2v.

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werden,91 mit dem eine lange, auch hausrechtlich verstandene Tradition einherging. Zweitens ließ sich damit eine Personengruppe umschreiben, also stärker auf die synchrone Verwandtschaftsebene abheben, und Zusammengehörigkeit, gerade auch ­zwischen verschiedenen Linien, postulieren. Drittens schließlich, und das war wohl die dominante Konnotation, bildete das Haus auch ein Abstraktum, bei dem es weniger um eine konkrete Gruppe von Menschen ging, sondern um eine normative Zielvorstellung: Das Wohl des Hauses galt als die oberste Devise, nach der zu handeln war. 4.1.3 Wohl des Hauses – Wohl des Landes Mit dem Haus ließ sich, wie gezeigt wurde, eine ganze Reihe von Begriffen verknüpfen und somit zu obersten Zielen deklarieren: Reputation, Konservation, splendor und lustre des Hauses mussten gewahrt, sein Verderben und Ruin unbedingt verhindert werden. Häufig gebraucht wurden auch die Wendungen vom Besten oder vom Interesse des Hauses. Was inhaltlich im Einzelnen hinter dem ubiquitären Bezug auf das Haus stand, blieb jedoch erstaunlich unspezifisch: Ob eine Erbteilung beschlossen oder gerade untersagt wurde, ob tatsächlich den Interessen aller Agnaten oder lediglich denen des Regierenden Herrn Genüge getan wurde – stets rekurrierten die Hausverträge auf das Wohlergehen des Hauses als obersten kollektiven Wert. Diese Uneindeutigkeit war die notwendige Folge des dynastischen Dilemmas ­zwischen in der Regel nicht harmonisierbaren Zielen: Garantie der genealogischen Kontinuität einerseits, Sicherung der politischen und ökonomischen Stellung andererseits. Im Zuge der in beiden Dynastien stattfindenden Sukzessionskämpfe im 17. Jahrhundert bildete sich mit der Durchsetzung der Primogenitur eine Lösung heraus, die einem einzigen Agnaten alle Macht einräumte und die übrigen, überspitzt gesagt, lediglich als genealogische Notfallreserve betrachtete. Insofern lässt sich Winfried Schulzes These zur Ablehnung des Eigennutzes in vorkapitalistischen „Knappheitsgesellschaften“92 auch auf die sozialen Verhältnisse der Dynastie übertragen. Schulze geht davon aus, dass frühneuzeitliche Gemeinwesen aufgrund beschränkter Ressourcen am Topos des Gemeinen Nutzens festhielten, mithin das private Gewinnstreben Einzelner diskreditierten und somit die herausgehobene Stellung einiger weniger als Harmonie in der Ungleichheit legitimierten.93 Auch die Ressourcen der Dynastie 91 Synonym gebraucht etwa in einer Leichenpredigt für Graf Simon Ludwig zur Lippe, in der seine Abstammung auß dem Vhralten Hochgräfflichen Hause vnd Stamme Lippe betont wird; LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 89. 92 Vgl. Schulze, Gemeinnutz, S. 623. 93 Vgl. ebd., bes. S. 601 u. 622 f. Siehe auch Weber, Art. Gemeinwohl.

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waren eng begrenzt, sodass die Hierarchisierung der Status- und Besitzansprüche notwendige Folge war, wollte man das kollektive Erbe nicht innerhalb weniger Generationen atomisieren. Das Wohl des Hauses diente daher zunehmend als Legitimationsfigur dieser Ungleichbehandlung. Beispielhaft sei der Schwalenberger Vergleich ­zwischen Graf Simon Henrich zur Lippe und seinem Onkel Jobst Hermann zur Lippe-­Biesterfeld von 1667 zitiert, mit dem es Ersterem gelang, seine Vorrangstellung als Landesherr festzuschreiben. Auch hier wurde am Schluss das dynastische Gesamtwohl beschworen, in dessen Dienst sich künftig beide Vertragspartner stellen wollten: Schließlich, als dieser Vergleich dahin angesehen, daß ­zwischen dem regierenden Herrn und dessen Herrn Vettern, eine sonderbahre Liebe, Affection, Intelligenz und Einigkeit möchte stabiliret und erhalten werden, als versprechen beyde Theyle, einer den andern aus Grund ihres Hertzens zu lieben, zu ehren, zu veneriren, mit Rath und That treulich beyzustehen, und also mit gesambter Hand des gantzen Gräflichen Hauses increment und Wohlstand, nach eusserstem Vermögen und Kräfften zu befördern.94

Die Analyse der Hausverträge hat auch gezeigt, dass neben „Haus“ schon frühzeitig das „Land“ als weitere normative Kategorie tritt. In Lippe schloss Edelherr Simon III. mit dem Pactum Unionis bereits 1368 ein Bekenntnis zu Vnses gemeinen lanndeß besten 95 ab. Auch das lippische Primogeniturstatut von 1593 erwähnte die allgemeine Landeswohlfahrt als wichtigen Antriebsgrund.96 Liegt die Erklärung in beiden Fällen intuitiv nahe, da es sich um Teilungsverbote handelte, wurde das Wohl des Landes und der Untertanen häufig auch in gegenteiligen Fällen, nämlich bei Landesteilungen betont. Der brüderliche Vergleich ­zwischen Bernhard VIII. und Hermann Simon zur Lippe etwa wurde tzur lob und Ehren Gottes des Allmechtigen, uffnemen, gedeien und wolfardt unserer beider­ seits anererbten und erlangten Graf und herschafften, auch deroselben undertanen tzu nütz und besten, umb alles gemeinen fridlebens willen, aus eigner bruderlicher liebe treue und tzu pflantzünge weitter einigkeitt 97

geschlossen. Neben einem Gottesbezug und der brüderlichen Eintracht wurde explizit auch das Wohlergehen der Grafschaften samt deren Untertanen hervorgehoben. Die zahlreichen Waldecker Teilungsverträge argumentierten auf ­gleiche Weise.98 Zwei Erklärungen bieten sich an: Erstens ist es plausibel, dass 94 95 96 97

Zit. nach Lünig, Reichs-­Archiv, Bd. 11, S. 564. Zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 147. Vgl. ebd., S. 150 – 155. LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10. Ähnlich auch im Testamentsentwurf Bernhards VII., in: LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 45. 98 Siehe etwa Arolser Teilungsvertrag von 1538, in: HStAM, 115/01, Nr. 36; Wildunger Teilungsvertrag von 1575, in: HStAM, 115/01, Nr. 81.

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die Unterhändler und Urkundenverfasser davon ausgingen, eine Teilung könne dauerhaft den innerdynastischen Frieden sichern, was sich letzten Endes positiv auf das Land auswirken würde. Zweitens ist auch zu bedenken, dass die Hausverträge in einigen Fällen den Landständen publiziert wurden, sodass sich der affirmative Bezug auf das Land auch als besänftigende Geste an Adel und Städte lesen lässt. Generell war es taktisch klug, auf das Gemeinwohl abzuheben, wenn man sich des ständischen Rückhalts versichern wollte.99 Lassen sich schon im Spätmittelalter vereinzelt Belege für affirmative Bezüge auf die Wohlfahrt von Land und Untertanen finden, wurden sie im Laufe des 16. Jahrhunderts schließlich zum Topos, was im Zusammenhang mit der diskursiven Konstruktion eines hausväterlich-­fürsorglichen Herrschertypus gesehen werden muss.100 Symptomatisch dafür können die – insgesamt eher knapp gehaltenen – Regierungsanweisungen stehen, die die Grafen ihren Söhnen und Nachfolgern nun testamentarisch mit auf den Weg gaben. So trug etwa Franz III. von Waldeck-­Landau seinen Erben so zu regieren auf, das es Gott zu ehren, inen selbst undtt den underthanen zu wolfhartt gelangen muge 101. Die Interessen von Land und Haus wurden hier nicht als Gegensatz verstanden, sondern kamen in einer weisen Regierung gewissermaßen zur Deckung. Dass gerade den Agnaten an Con­ servation der ruhe undt wollstandt des Landts am meisten gelegen 102 sein musste, davon war auch Simon Ludwig zur Lippe in den 1630er Jahren überzeugt. Damit konnte er sich auf eine verbreitete Überzeugung der zeitgenössischen Staatstheoretiker stützen, die einem Erbmonarchen eine besondere Fürsorge für sein Land zuschrieben, da er, anders als ein gewählter Fürst, das Erbe für seine Nachkommen bewahren wolle.103 So lag es vor allem an ihrer inhaltlichen Ambiguität und flexiblen Einsetzbarkeit,104 dass beide Diskurse nicht zu einer Konkurrenz unterschiedlicher Normen führten. Mit dem Verweis auf die Wohlfahrt des Hauses ebenso wie des Landes ließen sich verschiedene, teilweise widersprüchliche Positionen legitimieren, sodass 99 Siehe etwa die Proposition an die lippischen Stände durch den Vormund Emich von Leiningen-­Dagsburg vom 20. 03. 1648: das ds bonum publicum alles particulier conside­ rationibus praevaliren möge und der Vertrag kunftiger Posteritet verandwortlich und dieser löblichen Graffschafft und darin wohnenden nützlich undt ersprießlich sein müchte, LAV NRW OWL , L 9, Nr. 9, fol. 36r-­v. 100 Vgl. Becker, Haushalt, S. 679; Harrington, Hausvater; Münch, Obrigkeit. 101 HStAM, Urk. 85, Nr. 258, Testament vom 01. 03. 1597, fol. 2v. 102 HStAM, 115/02, Paket Nr. 298, Brief vom 20. 07. 1636. 103 Vgl. Eckert, Gedanke, S. 42. 104 Vgl. Münkler/Bluhm, Einleitung, S. 27; Hibst, Utilitas publica, bes. S. 219. Ähnlich konstatiert Mohnhaupt, Lehre, dass spätestens seit dem 18. Jahrhundert das Gemeinwohl (salus publica) erklärtes Ziel der Fundamentalgesetze sei, aber: „Die inhaltliche Ausfüllung ­dieses interpretationsbedürftigen weiten Begriffs erfolgte nicht einheitlich.“ (S. 12).

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sie als Argumente im Grunde wenig wirkungsvoll waren. Einen Verhandlungsgegner bei Erbauseinandersetzungen konnte man mit dem Verweis auf das dynastische Wohl sicherlich nicht von der eigenen Position überzeugen, allenfalls an seinen Willen zur verwandtschaftlichen Eintracht appellieren. Dass derartige Formeln dennoch in nahezu jeden Hausvertrag Eingang fanden, liegt in gehörigem Maße an der Deutungshoheit, die Dynastieoberhäupter oder Erstgeborene, oft mit Unterstützung der landesherrlichen Beamten, etablieren konnten. Im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Hausbegriff daher zunehmend zu einer Rechtfertigungskategorie für die soziale Hierarchisierung der dynastischen Rollen.105 Nach außen hin war der Verweis auf die Erhaltung und Fortpflantzung desselben Gräflichen Stammes und Namens und um gemeinen Landes Besten willen 106 hingegen ein wichtiger Legitimationsspender für die dynastische Herrschaft, unter der es gar keinen Widerspruch ­zwischen beiden Normen zu geben schien. Was im Interesse der Dynastie lag, so suggeriert die häufig verwendete Doppelformel, war auch das Beste für das Land. 4.1.4 Dynastische Räson? Das Beispiel Otto zur Lippe-Brake Dass das dynastische Gemeinwohl als Argument im Kreis der Agnaten selbst nur wenig Kraft entwickeln konnte, heißt nicht, dass der Dynastiediskurs insgesamt nicht äußerst wirkmächtig war. Nur ließen sich die Begriffe je nach Sichtweise mit ganz unterschiedlichem Inhalt füllen. Zur Illustration der Diskrepanzen, die sich ergeben konnten, soll im Folgenden exemplarisch auf die innerdynastische Kontroverse z­ wischen dem Erbherrn Otto zur Lippe-­Brake (1589 – 1657) und der Detmolder Hauptlinie eingegangen werden. Im Jahr 1650 wurde Otto vom lippischen Vormund Graf Emich von Leiningen-­ Dagsburg prophezeit, er werde wohl zu seinem höchsten Schimpff, alß wan Sie gantz undt gahr keine inclination zu Friedt und Einigkeitt gehabtt, die Nachrhede mit in die grube nehmen 107. Mit dieser Einschätzung sollte er Recht behalten, denn mit dem Grafen Otto liegt ein besonders drastisches Beispiel der Verweigerung der von der Dynastie und das heißt konkret: von seinem regierenden Bruder und dessen Nachfolgern erwarteten Rolle vor. In die lippische Landesgeschichte ging er als „ewiger Nörgler und Querulant“108 ein, der stets darauf bedacht war, 105 Ethnologisch gesprochen ruhte ihm eine „naturalizing power“ inne, die die hierarchische Ordnung immer schon mitdachte; vgl. Yanagisako, Kinship Theory, S. 38. 106 Lippisches Primogeniturprivileg von 1593; zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, Bd. 2, S. 151. 107 LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4c, Schreiben vom 22. 07. 1650. 108 Süvern, Brake, S. 78. In ähnlicher Weise schreibt ihm Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 56 ein „Streben nach Unabhängigkeit“ sowie eine fehlende „Neigung […], für das allgemeine

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­rücksichtslos seine eigenen Spielräume zu vergrößern, und daher mit seinen Detmolder Verwandten nahezu ununterbrochen in Streitigkeiten stand. Da er zudem zahlreiche Briefe sowie eine kurze, eigenhändig verfasste Lebensbeschreibung 109 hinterlassen hat, bietet er sich als eindrückliches Beispiel an, die Bedeutung des dynastischen Diskurses im Selbstverständnis der Akteure nachzuvollziehen. Wenn man eine dynastische Räson als Verhaltenserwartung für Mitglieder einer Dynastie in Anschlag bringen möchte,110 war Otto fraglos ein Totalverweigerer.111 Das schwierige Verhältnis Ottos zu seinem ältesten Bruder Simon VII. und insbesondere sein Unwille, sich ihm als Regierendem Herrn zu unterwerfen, wurde bereits geschildert.112 Daran änderte sich auch unter Simons Nachfolgern nichts. Vor dem Reichshofrat beklagte er der Reihe nach die Regenten Johann Bernhard 113, Katharina, Emich von Leiningen-­Dagsburg 114 und Hermann Adolf 115, denen er durchweg eine Missachtung seiner wohlerworbenen Rechte vorwarf. In den 1650er Jahren zog er sich schließlich den ernsten Unmut der Stände zu, die ihn vor dem Reichskammergericht beschuldigten, das Hofgericht zu boykottieren. Weder lasse er es als Appellationsinstanz für die Untertanen seiner Ämter gelten, noch komme er den ihm im väterlichen Testament auferlegten Unterhaltszahlungen Beste Opfer zu bringen“, zu. Kittel, Heimatchronik, S. 129, hingegen spekuliert: „Dem Land Lippe wäre vielleicht manches Ungemach erspart geblieben, wenn dieser energische, durch die Erbfolge kaltgestellte Mann […] hätte zur Regierung gelangen können.“ 109 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 E I, Nr. 1c; sowie die Edition bei Süvern, Letzter Wille. Das Original der auf den 2. Juni 1636 datierten Lebensbeschreibung wurde laut eines beigefügten Zettels neben weiteren Notizen in der persönlichen Bibel Ottos gefunden. Der biographischen Skizze ist ein kurzer ‚Letzter Wille‘ vorgeschaltet, der sich auf Anweisungen zum Begräbnis beschränkt. Fundort und Inhalt lassen vermuten, dass die Lebensbeschreibung in erster Linie eine persönliche Rechtfertigung vor den eigenen Nachfahren darstellen sollte. 110 Siehe zur Diskussion darüber Kap. 1.3.1. 111 Über die Gründe für Ottos Verhalten können nur bis zu einem gewissen Grade begründete Vermutungen angestellt werden. Zu seinem in den Quellen immer wieder aufscheinenden Behauptungswillen gesellte sich vor allem eine umfassende Erziehung, die ihn in die standestypischen Kenntnisse und Fertigkeiten eines Hochadligen eingeübt hatte. Neben Kavalierstouren durch Italien, Frankreich, England, die Niederlande und weitere europäische Länder begleitete er seinen Vater an den kaiserlichen Hof in Prag und verdingte sich später u. a. im brandenburgischen Fürsten- und Militärdienst. All dies prägte mutmaßlich sein Standesbewusstsein und ließ ein passives Leben als abgeschichteter Erbherr ohne Regierungskompetenz als unzureichend erscheinen. 112 Siehe Kap. 2.2.5 u. 6. Ottos Stellung als Erbherr ergab sich aus der Ausstattung mit einem eigenen Paragium im väterlichen Testament. Da ihm dies offensichtlich nicht genügte, versuchte er über Jahrzehnte hinweg, seine Privilegien auf Kosten der Hauptlinie zu vergrößern und sich den Anweisungen des Regierenden Herrn zu widersetzen. 113 Vgl. HHStA, RHR Judicialia Antiqua, K. 251, Nr. 10. 114 Vgl. ebd., K. 249, Nr. 5. 115 Vgl. ebd., K. 251, Nr. 1; sowie RK Kleinere Reichsstände, K. 330, Nr. 3.

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für das Gericht nach. Die Anschuldigungen gipfelten schließlich in der Aussage, der Erbherr versuche sich mit seinem Paragium aus dem Territorialverband zu lösen und eine eigene Herrschaft zu errichten.116 Dieser Vorwurf war indes nicht neu, schon 1643 hatte ihn die Vormünderin ­Katharina von Waldeck auf dem ständischen Kommunikationstag geäußert und Otto angeklagt, eines dominats sich anzumassen 117. Als sich ab 1621 die Durchzüge katholischer wie protestantischer Söldnerheere durch die Grafschaft mehrten,118 verstand es Otto geschickt, seine Paragialämter vor den schlimmsten wirtschaftlichen Belastungen zu bewahren, indem er Schutzbriefe erwarb und die Truppen in Detmolder Gebiet weiterlotste. Bei Kontributionen, die vom Land gemeinsam aufzubringen waren, verweigerte er oft seinen Anteil oder suchte ihn zumindest auf ein niedrigeres Maß herabzudrücken.119 Seine unablässigen Einsprüche und Behinderungen führten auf Detmolder Seite dazu, dass gelegentlich Zahlungen getätigt wurden, ohne zuvor seine eigentlich notwendige Zustimmung einzuholen, was wiederum neuen Streit provozierte.120 In seiner Lebensbeschreibung von 1636 legte Otto über seine Auseinandersetzungen mit der Hauptlinie Rechenschaft ab und warnte seinen Nachfolger vor den Dett­ moldischen, die mich uberall herbeyzuziehen [suchen], das ich in effectu thun mußte, was sie wollen, undt zahlen, was sie spendirn. Dabei müsse man sich genauw vorsehen, das sie einen nicht in die Klauwen fassen 121. Hier zeigte sich Otto in erster Linie als kühl kalkulierender Machtpolitiker, der sein Land möglichst ohne größere Verluste durch die Wirren des Krieges manövrieren wollte, und zugleich als strenger Hausvater, dessen oberste Maxime die Sparsamkeit war. Aus Sicht der Detmolder 116 Vgl. LAV NRW OWL, L 82, Nr. 510. Otto wies die Anklage der Stände freilich zurück und argumentierte mit dem Eingriff in seine wohlerworbenen Rechte. 117 LAV NRW OWL, L 9, Nr. 8, fol. 161r. 118 Zur Situation Lippes im Dreißigjährigen Krieg vgl. Rinke, Lippe 1618 bis 1648; Kittel, Heimatchronik, S. 130 – 133; sowie Benecke, Society, S. 226 – 241. 119 Vgl. Süvern, Brake, S. 80; Ders., Letzter Wille, S. 142 f., Anm. 32 u. 33. Dies führte freilich zu einer ungleichen Belastung der Untertanen, je nachdem, ob sie in einem Amt der Haupt- oder der brakischen Nebenlinie ansässig waren, was als Ungerechtigkeit empfunden wurde. So berichtete der Konsistorialrat, der im November 1643 im Namen des jungen Simon Philipp von den Schlössern der Grafschaft Besitz ergriff, viele Menschen klagten sehr uber die last der Contribution, baten umb deren linderung mit vorwenden Grav Otten leute hetten linderung bekommen, sie aber nicht, LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 19, Bericht vom 01. 12. 1643. 120 Vgl. Stegmann, Grafschaft Lippe, S. 57. Für weitere gegen Detmold gerichtete Alleingänge Ottos während der Zeit des Dreißigjährigen Krieges siehe ebd., S. 60, 93, 104 – 107, 121 u. 147; sowie Benecke, Society, S. 230 – 232. 121 Zit. nach Süvern, Letzter Wille, S. 143. Die zitierte Passage stammt aus einem späteren Zusatz, der spürbar von den tagespolitischen Auseinandersetzungen um die Aufbringung der Kontributionen geprägt ist.

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stellte sich sein Verhalten hingegen als Mangel an dynastischem Gemeinsinn dar, da er die Übernahme seines Teils an den gemeinsamen Lasten verweigerte. Dabei stand hinter Ottos Handeln schlichtweg ein partikulares Verständnis von dynastischer Räson: Der Bezugspunkt seiner Loyalität hatte sich vom Gesamthaus Lippe auf seine eigene Familie bzw. die Nebenlinie Brake verschoben, der er als Oberhaupt vorstand. Das zeigte sich auch an seinen Bemühungen, den erworbenen Besitz zusammenzuhalten und geschlossen an seine eigenen Nachkommen weiterzugeben. In seinem Testament disponierte er, dass die Regierung über Land und Leute künftig allein dem Erstgeborenen zukommen solle.122 Die Primogenitur, die er auf gesamtdynastischer Ebene bekämpfte, befürwortete er in seiner eigenen Linie. Überschüssige Einnahmen sollten unter allen Kindern verteilt, jedoch unter keinen Umständen veräußert werden.123 Otto handelte mithin nach der gleichen dynastischen Rationalität wie seine Detmolder Kontrahenten, nur hatte er dabei einen anderen Bezugsrahmen. Doch auch wenn sich Ottos Verhältnis zu seinen Verwandten aufgrunddessen äußerst schlecht gestaltete, stellt sich die Frage, ­welchen Stellenwert die Dynastie als übergeordnete Institution in seinem Denken einnahm. Bezeichnenderweise hat er die unzähligen Konflikte mit seinen Vettern in seiner Lebensbeschreibung ernstlich bedauert, wobei er sich rhetorisch auch auf das Wohl der Untertanen bezog, das dadurch in Mitleidenschaft gezogen worden sei. Eine Lösung zu seinen Lebzeiten sah er allerdings nicht. Der Gott aber des Friedens wolle nach meinem Tode friedtfertige Hertzen erwecken, so gab er seiner Hoffnung Ausdruck, das diese Streite nach Billigkeit undt Recht beygelegt mugen werden, undt rechte bestendige Lieb undt Einigkeit muge in d­ iesem Hausse neben guter Ordnung undt heilsamem Regiment geplantzet undt erhalten werden undt allen wiederwertigen Feinden muge gewehret werden.124 Otto verfügte also offenbar über ein Bewusstsein für eine dynastische Gemeinschaft, die über die brakische Teilfamilie hinausging und von ihm mit dem Begriff des „Hauses“ beschrieben wurde. Zugleich erhielt er durch sein Bekenntnis zu Liebe und Einigkeit die Norm des inneren Friedens aufrecht, obwohl er durch sein eigenes Handeln immer wieder gegen sie verstieß.125 Eine andere Strategie bestand darin, die Kommunikationskanäle ­zwischen den Linien offen zu halten, um so ein endgültiges Zerwürfnis zu vermeiden. Dabei 122 Hausvertraglich auf Dauer gestellt wurde die Primogenitur in der Braker Nebenlinie schließlich 1692. Vgl. LAV NRW OWL, L 7 E II, Nr. 2b. 123 Vgl. ebd., Nr. 2a, Testament vom 09. 12. 1657. Vgl. auch Süvern, Brake, S. 86 f. 124 Zit. nach Süvern, Letzter Wille, S. 142. 125 Insofern ist der von Pečar, Dynastie, Abs. 12, gemachten Beobachtung, dass die imaginierte Einheit der Dynastie nur bei Erfüllung aller Rollenerwartungen Wirklichkeit geworden sei, nicht umfänglich zuzustimmen. Auch durch kontrafaktische Normbekräftigungen konnte sie gestützt werden, denn an der „Entität der Dynastie“ als solcher wurde überhaupt nicht gezweifelt.

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gelang es den Akteuren offenbar gelegentlich, ­zwischen inhaltlichen Streitigkeiten und verwandtschaftlicher Korrespondenz zu differenzieren und „neben den geharnischten Kampfschreiben [auch] freundliche Neujahrsgrüße und herz­ liche Gratulations- und Kondolenzbriefe“126 zu versenden. Zudem wandte man eine im Hochadel verbreitete Kommunikationsstrategie an, nach der man die Schuld an der Auseinandersetzung den schlechten oder von Natur aus bösartigen Ratgebern der Gegenseite zuwies.127 Dies funktionierte jedoch nur bis zu einem gewissen Grad. So ließ der Vormund der Söhne Simon Ludwigs, Graf Emich von Leiningen-­Dagsburg, einen ebensolchen Versuch Ottos schlechterdings ins Leere laufen, indem er die alleinige Schuld an den jahrzehntelangen Auseinandersetzungen, an denen auf Detmolder Seite drei regierende Grafen und zwei Vormundschaftsregimenter beteiligt gewesen waren, einzig der Person Ottos zuwies.128 Schon seinen friedliebenden Bruder Simon habe er, so der Vorwurf, unablässig mit Rechtsstreitigkeiten schikaniert und ihn nicht einmal an seinem Krankenbett besucht, als sein Leben zu Ende ging. Sein Verhältnis zu dessen Sohn Simon Ludwig sei noch zerrütteter gewesen, sodass er diesen schließlich bei einem Besuch in Brake mit Pistolen bedroht habe.129 Und schließlich: Wie entlich herrn Graff Simon Ludwichs Ld. in eine thödliche Schwacheit gefallen, w ­ elche deroselben auch frühzeitig den faden Ihres lebens abgeschnitten, hetten Ew. Ld. Zeitt weh­ render schwacheit Ihren krancken Vettern niemahlß besuchet, noch besuchen laßen, nach deßen thödlichen Hintritt der greflichen fraw Wittiben das leidt wedder geklagtt noch klagen laßen, ja da Ew. Ld. in vielen Jahren an den Residentzhoff zukommen nicht zu erbitten gewesen, wehren Sie des andern tags in dies Städtlein Dettmoldt eingeritten mitt einer Feddern uffm Huette, gleich alß wan Sie uber Ihres so nahen Vettern thödlichen Hin­ tritt triumphirten 130.

126 Süvern, Brake, S. 79. 127 Vgl. ebd. 128 Vgl. LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4c, Notariatsinstrument vom 22. 10. 1650 (unfoliiert): Alß auch 4. Ew. Ld. in Ihrem Schreiben anregen, ob zwahr vor ­diesem ­zwischen der Detmoldi­ schen und Brakischen linien allerhandt Mißverstände vorgehfallen, so wehre doch solches durch friedthäßige Leutte geschehen. Nun müßen ja Ew. Ld. selbsten bekennen undt gestehen, daß Sie allemahll mit dem pro tempore Regierenden Herrn lites undt beschwerliche gezänck geführet, daß aber deß Regierenden Herrn Leute vor ­diesem allemahl friedthäßig sollten sein gewesen, solches ist von Ew. Ld. noch nicht erwiesen. 129 Vgl. ebd: sondern hetten Sie je mehr und mehr das bandt der liebe undt freundtschafft zer­ rißen, also gahr, daß wie herrn Graff Simon Ludwichs Ld. nichts desto weiniger eine visite bey Ew. Ld. zu Brake abgelegtt, und mitt einem vom Adell, Werpupp genandt, zu nachtt geßen, hetten Ew. Ld. wolbesagten Herrn Graff Simon Ludwichs Ld. mitt geladenen Pistohlen undt aufgezogenen Hanen gesuchet, dieselbige auch Ihr Vorhaben müglich vollführett, da denselben die güetige Handt Gottes nichtt gedecket undt von einem niedrigen Fenster, da Sie geseßen und woll zu erreichen gewesen, sich hinweg zu machen, nichtt hetten warnen laßen. 130 Ebd.

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Dieser und weitere Vorwürfe seitens Emichs sollten Otto das ganze Ausmaß des Zerwürfnisses klarmachen. Sie wirken in dem dreißigseitigen Brief wie die Abschlussbilanz einer gescheiterten dynastischen Koexistenz, wobei die Schuld daran allein dem streitlustigen Charakter Ottos angelastet wurde. Die Verhaltenserwartung an Otto ging also über dynastiepolitisch-­rechtliche Forderungen hinaus; grundsätzlich sollte er sich wie ein Verwandter verhalten, und das bedeutete in erster Linie, freundschaftlichen Kontakt zur Hauptlinie zu pflegen und ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Was die dynastische Räson angeht, waren die normativen Forderungen in ­diesem Fall recht eindeutig: Als Erbherr sollte sich Otto mit den ihm im väterlichen Testament zuerkannten Rechten und Privilegien zufriedengeben und ansonsten die Oberhoheit des Regierenden Herrn anerkennen. Bemerkenswerterweise wiederholte sich diese Konstellation im Kleinen: Als Vorsteher der Braker Nebenlinie forderte Otto die ­gleiche Räson, die er seinem Bruder und dessen Nachfolgern verweigerte, von seiner eigenen Familie ein. Dennoch blieb das Gesamthaus Lippe ein wichtiger Bezugspunkt im Denken Ottos, wenngleich er ständig gegen dessen Normen zu verstoßen und lediglich das Wohl seiner eigenen Familie im Auge zu haben schien. Dass man letztlich zu einer gemeinsamen Dynastie gehörte, dessen waren sich alle Beteiligten bewusst, wie entsprechende Äußerungen deutlich machen. Ebenso bewusst war man sich des Zusammenhangs z­ wischen der gräflichen Abstammung und dem eigenen rechtlichen und sozialen Status, weswegen ein vollständiger Bruch mit den Verwandten schlichtweg keine Option war. Es genügte Otto, seine Privilegien durch eine Politik der kleinen Nadelstiche sukzessive zu erweitern. Neben strategischen Überlegungen war es aber vor allem die Überzeugung von der Existenz des Hauses Lippe, an der auch Verweigerer der dynastischen Räson wie Otto niemals Zweifel hegten. Hier taten die institutionellen Mechanismen ihre Wirkung: die Begriffe selbst, der Diskurs über die Dynastie, die Vorstellung von ihrer langen Tradition. All dies förderte die Identität der Akteure und ihr Bewusstsein für die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Sich jederzeit affirmativ auf sie berufen zu können, wurde durch die inhaltliche und normative Ambiguität des Hausbegriffs ermöglicht.

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4.2 Dynastische Erinnerungskultur Bis die Aufklärung den Fortschritt in den Mittelpunkt ihres historischen Denkens stellte, war die europäische Kultur der Frühen Neuzeit von einem „Ancienni­ tätsparadigma“131 beherrscht. Das Alter war gleichbedeutend mit dem Wert einer Sache; Institutionen legitimierten sich vornehmlich über ihre lange Tradition und die Tatsache, dass es ‚schon immer so gewesen‘ war. Aus ­diesem Grund wurde gesellschaftlicher und politischer Wandel nach Möglichkeit verborgen, mussten Neuerungen unter dem Deckmantel des Herkommens als eigentlich althergebrachte Konzepte, als Rückkehr zum guten Alten deklariert werden.132 In besonderem Maße galt dies für die Durchsetzung oder Absicherung von Herrschaftsansprüchen.133 Es ist daher kaum verwunderlich, dass die Forschung die mannigfaltigen Zeugnisse dynastischer Erinnerungskultur in erster Linie unter dem Aspekt der Herrschaftslegitimation interpretiert hat. Chroniken, die die ruhmvolle Geschichte adliger Geschlechter nachzeichneten, prachtvolle Stammbäume und der in Urkunden allgegenwärtige Verweis auf das hohe Alter einer Dynastie gelten vor allem als Rechtfertigung ihrer Herrschaftsansprüche und ihres sozialen Ranges, nicht zuletzt auch in Konkurrenz zu den Standesgenossen.134 Dieser Deutung ist eine hohe Plausibilität nicht abzusprechen. Sie stellt nicht nur die frühneuzeitliche Hochschätzung der Tradition an sich in Rechnung, sondern auch die zeitgenössische Vorstellung, dass sich die Befähigung zur Herrschaft von einer Generation auf die nächste weitervererbte, der Spross einer langen Reihe von Herrschern mithin besonders geeignet sein musste, da in seinen Adern das Blut seiner ebenfalls regierenden Vorfahren floss. Die Betonung der adligen Abstammung und des eigenen Herrschaftsanspruchs stehen somit in einem engen Zusammenhang.135 Dynastischer Erinnerungskultur kommt darüber hinaus aber noch eine weitere grundlegende Funktion zu, nämlich die Konstitution und Integration der sozialen Gruppe. Gesellschaften und Gruppen konstituieren sich vor allem über eine gemeinsame Vergangenheit, die als kollektive Erinnerung ­zwischen Individuen 1 31 Vgl. Thiessen, Rezension. 132 Vgl. Kampmann/Krause/Krems [u. a.] (Hg.), Neue Modelle. 133 Mithilfe der drei Weberschen Typen legitimer Herrschaft lassen sich die meisten Gemeinwesen in der europäischen Vormoderne als „traditionale Herrschaften“ klassifizieren; vgl. Weber, Wirtschaft, S. 130 – 140. 134 Vgl. Fuchs, Traditionsstiftung, S. 11 f.; Ders., Erinnerungspolitik, S. 205 – 209; Bauer, Wurzel, S. 42 f.; Hecht, Erfindung, S. 29; Czech, Legitimation, S. 364; Stauber, Herrschaftsrepräsentation, S. 378. Schon früh hat sich auch die Mediävistik d ­ iesem Thema gewidmet; vgl. Schreiner, Legitimation, S. 408 – 418; Johanek, Schreiber; Moeglin, Dynastisches Bewusstsein. 135 Grundlegend dazu: Melville, Vorfahren.

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ausgehandelt und tradiert wird.136 Otto Gerhard Oexle hat in d­ iesem Zusammenhang von „Memoria als Kultur“137 gesprochen, ohne die Adel als soziale Formation gar nicht denkbar sei.138 Die Vergegenwärtigung ihres Herkommens war für adlige Dynastien in der Tat ein zentraler Bestandteil ihres „Selbstverständnisses“139. Im engeren Sinn ist unter Memoria die Praxis des Totengedenkens zu verstehen, ­welche im Mittelalter noch stark von kirchlich-­liturgischen Vorgaben geprägt war. Neben einem starken Gemeinschaftsbezug war sie vor allem durch eine Betonung der diachronen Dimension von Verwandtschaft gekennzeichnet: Mit dem Tod schied der Einzelne nicht aus dem Familienverband aus; vielmehr wurden die Verstorbenen durch regelmäßig erneuerte Erinnerung im Bewusstsein der Lebenden gehalten.140 Somit schien sich eine durchgehende Linie von den toten über die lebenden bis zu den noch ungeborenen Mitgliedern der Familie zu ergeben, die die besondere „Transpersonalität“141 des dynastisch-­genealogischen Denkens ausmachte. Es wurde allerdings verschiedentlich davor gewarnt, das Ahnen- und Dynastiebewusstsein der mittelalterlichen Adligen zu überzeichnen. Karl-­Heinz Spieß etwa attestierte ihnen einen „mehr oder weniger diffusen Ahnenstolz“142, aber keine genaue Kenntnis ihrer Geschichte. Oft umfasste das Wissen über die Vorfahren gerade einmal die unmittelbare Vorgängergeneration.143 Unter einem weiteren Memoriabegriff lassen sich über das liturgische Totengedenken hinaus, das in erster Linie dem Seelenheil des Verstorbenen dient, auch andere Formen adliger Erinnerungskultur subsumieren, die stärker auf weltliche Belange, etwa die Herausstellung des Ruhms (fama) und der Adligkeit des Verstorbenen abzielten.144 Dazu gehört zum Beispiel die im 15. ­Jahrhundert 136 Vgl. Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 39 f. 137 Oexle, Memoria als Kultur; Ders., Aspekte, S. 25; Ders., Welfische Memoria, S. 62. 138 Schon Halbwachs, Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, S. 297 – 321, wies darauf hin, dass der Adel als privilegierte Gruppe stark auf den Bezug auf die Vergangenheit angewiesen war, da die Lebenden Identität und Legitimation aus dem Alter ihrer Geschichte und dem Status ihrer Vorfahren schöpften. 139 Schmid, Problematik, S. 57. Vgl. auch Joos, Herkommen, S. 122 – 126; Wrede, Furcht, S. 19. 140 Die Erforschung der Memorialpraktiken mittelalterlicher Oberschichten konzentriert sich, was wohl auch der Überlieferungslage geschuldet ist, weitgehend auf die reichsfürstlichen Dynastien; vgl. Winkel, Herrschaft; Huthwelker, Tod; Minneker, Kloster; Babendererde, Sterben. Des Weiteren Berndt (Hg.), Vergessen; Borgolte, Stiftung. 141 Melville, Vorfahren, S. 249. 142 Spiess, Familie, S. 492. Vgl. Ders., Liturgische Memoria, S. 115 f. 143 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Krieb, Erinnerungskultur, der mit Blick auf spätmittelalterliche Familienbücher des Niederadels festgestellt hat, dass das hierin offenbarte genealogische Wissen sich meist nur auf etwa drei vorangegangene Generationen erstreckte. 144 Oexle, Memoria und Memorialbild, S. 385 f., unterscheidet hier z­ wischen der liturgischen und sozialen Memoria. Vgl. auch Meys, Memoria, S. 21 f.

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aufkommende dynastische Chronistik. Während von Grafen und Herren in Auftrag gegebene Geschichtswerke zunächst die Ausnahme blieben,145 taten sich besonders die großen Königs- und Fürstenhöfe im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit als Zentren historiographischer Produktion hervor.146 Wichtige Veränderungen brachten vor allem die Reformation und der Humanismus mit sich. Erstere legte durch ihre theologisch begründete Abschaffung der Fürbitte für die Toten und dem daraus resultierenden Wandel der Memoria den Grund für eine „Aneignung der kirchlichen Erinnerungshoheit durch die Dynastie“147. Die breite Bildungsbewegung des Humanismus hingegen wandte sich auch in der Historiographie von der religiös dominierten Heilsgeschichte ab und weltlicheren Sujets zu,148 was den Weg zu einer stärker auf die Dynastie ausgerichteten Geschichtsschreibung ebnete. Außerdem war dem Humanismus eine grundsätzliche Tendenz zur Historisierung und ein Streben nach Anciennität zu eigen,149 was sich auch im Adel bemerkbar machte. Vielfach scheint das Repräsentationsbedürfnis des Adels überhaupt erst durch humanistische Gelehrte geweckt worden zu sein, die nicht nur neue Methoden des historischen Arbeitens lieferten, sondern sich freudig in den Dienst der Herrschenden stellten und zum Zwecke der Selbststilisierung eine „Komplizenschaft von Geist und Macht“150 postulierten. Nur die geschriebenen Chroniken der Historiker schienen ewigen Nachruhm zu garantieren, steinerne Denkmäler hingegen waren vergänglich, so lautete ein zeitgenössischer Topos.151 Allerdings waren es erst die Anstrengungen ­Kaiser Maximilians I. zur Wahrung seines Gedechtnus, die eine wahre „Herkommensseuche“152 auslösten. Sein erinnerungskulturelles Großprojekt, bei dem zahlreiche Chronisten, Genealogen und bildende Künstler den persönlichen Ruhm des Kaisers, aber auch die glanzvolle Geschichte des Hauses Habsburg belegen und propagieren sollten, war Vorbild für fast alle Fürsten und Grafen des Reiches.153 Prägend wurde dabei insbesondere die Nutzung 145 Einen auch die Frühe Neuzeit mit einbeziehenden Überblick bietet Wolf, Adlige Hauschroniken. 146 Vgl. Kersken, Hofhistoriographen; Studt, Fürstenhof; Moeglin, Dynastisches Bewußtsein; Oexle, Welfische Memoria. Für die Frühe Neuzeit: Völkel/Strohmeyer (Hg.), Historiographie. 147 Fuchs, Traditionsstiftung, S. 430. 148 Vgl. Muhlack, Historiographie, S. 127 f. 149 Vgl. ebd., S. 138. Allgemein zum Humanismus auch Ders., Geschichtswissenschaft. 150 Hirschi, Transformationen, S. 265. 151 Vgl. Zajic, Grabdenkmäler, S. 25. 152 Spiess, Familie, S. 491. 153 Vgl. Müller, Gedechtnus; Wolf, Adlige Hauschroniken, S.  408 – 412; Mertens, Geschichte; Joos, Herkommen, S. 133 f.; Czech, Legitimation, S. 28 – 32; sowie jüngst Kagerer, Macht.

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verschiedenartigster Medien. So fand die Erinnerungskultur des frühneuzeitlichen Hochadels ganz unterschiedliche Ausdrucksformen: von prächtigen Wappendarstellungen und Ahnenproben im Kontext von Grabdenkmälern, über ausgefeilte genealogische Ikonographien in der Schlossarchitektur bis hin zu den schriftlichen Produktionen der Historiker und Genealogen. Dabei lassen sich mit Klaus Graf eine retrospektive und eine prospektive Dimension des Erinnerns unterscheiden.154 Ging es ersterer um eine Vergegenwärtigung der ruhmvollen Vergangenheit und der Taten der Vorfahren, war letztere in die Zukunft gerichtet und tendenziell auf eine Person bezogen: Ein Fürst wurde selbst zum Traditionsstifter, weil er bei der Nachwelt in guter Erinnerung bleiben wollte. Diese analytische Unterscheidung fiel freilich in der historischen Wirklichkeit oftmals in eins, wie an Maximilians Gedechtnus-­Projekt deutlich wird. Zeitlich lässt sich eine gewisse Verzögerung bei den Grafen und Herren identifizieren, deren Bemühungen um eine dezidiert dynastische Erinnerungskultur im Großen und Ganzen erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts greifbar werden.155 Die Gründe dafür, dass gerade in dieser Zeit neue, auf Herkommen und adliger Abstammung basierende Legitimationsstrategien aufkamen, wurden neben den schon genannten kulturellen Voraussetzungen in der Herausforderung der Konfessionalisierung sowie im sozialen Aufstieg des Niederadels und Neunobilitierter gesehen.156 Gerade den Grafen war es ein wichtiges Anliegen, ihre Position im Reichsgefüge durch den Nachweis einer standesgemäßen Herkunft abzusichern. Daher überrascht es nicht, dass eine Verstärkung der historiographischen Anstrengungen meist dann unternommen wurde, wenn die eigene ständische Stellung bedroht schien.157 Das Jahr 1650, welches den Endpunkt dieser Untersuchung markiert, bedeutete keineswegs das Ende der dynastischen Erinnerungskultur, allerdings unterlag gerade das Genre der Historiographie und Genealogie gewissen strukturellen Veränderungen, sodass eine Nichtberücksichtigung abgesehen von arbeitspragmatischen Gründen durchaus gerechtfertigt erscheint. So wurde einerseits die Geschichte der fürstlichen und gräflichen Häuser zunehmend zu einem Gegenstand von allgemeinem wissenschaftlichen Interesse, der sich den kritisch-­historischen Methoden der frühaufklärerischen Geschichtsschreibung zu unterziehen hatte. Daneben gewann auch die ökonomische Dynamik des Buchmarkts eine immer stärkere Bedeutung, während der kontrollierende Zugriff der Adelshäuser abnahm.158 1 54 Vgl. Graf, Nachruhm, S. 328; Ders. Fürstliche Erinnerungskultur, S. 8. 155 Vgl. Czech, Legitimation, S. 364. 156 Vgl. Asch, Ständische Stellung, S. 10 – 12 u. 39 f. 157 Vgl. Czech, Legitimation, S. 125 – 127. 158 Vgl. Fuchs, Erinnerungspolitik, S. 225; ausführlich am Beispiel der hessischen Geschichtsschreibung der Frühaufklärung: Ders., Traditionsstiftung, S. 311 – 392. Die zunehmende

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In der Hochzeit der dynastischen Geschichtsschreibung musste eine Chronik dagegen bestimmte Funktionen erfüllen, um den Erwartungen der Adligen gerecht zu werden. Erstens hatte sie den Nachweis zu erbringen, dass die von ihr behandelte Dynastie – und eine ­solche war zumeist ihr Sujet, nicht etwa nur die Taten des aktuellen Herrschers 159 – einem vornehmen Ursprung entstammte, um den ständischen und herrschaftlichen Anspruch zu legitimieren. Zweitens kam ihr durch den Nachweis des Herkommens auch eine rechtssichernde Funktion zu.160 Drittens sollte sie symbolisches Kapital – also Ehre – generieren, damit die Dynastie im Wettbewerb mit den Standesgenossen bestehen konnte.161 Und schließlich bot sie durch die Schilderung der tugendhaften Taten der Vorfahren exempla, denen die Zeitgenossen nacheifern sollten, um sich als würdige Nachfolger zu erweisen.162 Über diese relativ konkreten Funktionen hinaus und ihnen im Grunde vorgelagert, leistete die dynastische Chronistik aber auch einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur „Entwicklung der transpersonalen Vorstellung von der Existenz einer Dynastie“163. Erst durch die Zuschreibung einer Eigengeschichte wurde die Dynastie in ihrer diachronen Dimension ein Teil der Vorstellungswelt der Zeitgenossen und damit auch der historischen Wirklichkeit. Es handelt sich bei der dynastischen Erinnerungskultur also um einen wichtigen institutionellen Mechanismus zur Stabilisierung der dynastisch-­verwandtschaftlichen Herrschaftsordnung. Es ist bereits angeklungen, dass das kulturelle Gedächtnis durch Aushandeln entsteht und dazu angetan ist, das Selbstverständnis und damit die soziale Kohäsion einer Gruppe oder Gesellschaft zu stärken. Doch in welcher Form wirkte die Erinnerungskultur einer Dynastie nun konkret auf deren Angehörige? Verschiedentlich ist etwa auf die Schaffung eines dynastischen Bewusstseins verwiesen worden: Genealogien und Familienchroniken, Wappensammlungen und Aufschwörungstafeln, Porträtgalerien der Vorfahren oder Familienbildnisse, die mehrere Generationen Bedeutung des Buchmarktes, der zugleich einen Ort für inhaltlich kritische, für die dynastische Zensur unerreichbare Werke bot, betont vor allem Bauer, Strukturwandel; Ders., Wurzel, S. 112 – 117. 159 Vgl. Kersken, Hofhistoriographen, S. 135. Studt, Neue Fürsten, S. 45, weist allerdings zu Recht darauf hin, dass um 1500 eine neue Art von Chronik im Entstehen begriffen war, die schwerpunktmäßig die Zeitgeschichte in den Blick nahm. 160 Vgl. Studt, Fürstenhof, S. 378 – 420; Auge, Handlungsspielräume, S. 308; Stauber, Herrschaftsrepräsentation, S. 378; Althoff, Fiktionen, S. 433. 161 Vgl. Wrede/Carl, Einleitung, S.  11; Wrede, Furcht, S.  20; Joos, Herkommen, S. 150 – 153. Zur Konkurrenz der Höfe untereinander vgl. Rösener, Einleitung, S. 19; Sittig, Kulturelle Konkurrenzen; Paravicini/Wettlaufer (Hg.), Vorbild; Jacobsen, Prestigekonkurrenz. 162 Vgl. Schneider, Geschichtsschreibung, S. 226; Werner, Ahnen, S. 44 f. 163 Auge, Handlungsspielräume, S. 336.

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symbolisch vereinten, dienten nicht allein repräsentativen Zwecken, sondern ebenso – und eigentlich zuerst – der andauernden Vergegenwärtigung der eigenen Herkunft, der Vergewisserung der eigenen Beständigkeit und Größe.164

Ein Indiz dafür, dass die allermeisten Chroniken und Genealogien tatsächlich eher auf eine Wirkung nach innen zielten als auf eine Rezeption durch die Standes­ genossen, liefern deren Produktionsbedingungen. Viele existierten nur als Handschriften in einer kleinen Anzahl von Exemplaren und nur wenige wurden in den Druck gegeben, um so einer größeren Öffentlichkeit von Lesern zugänglich gemacht zu werden. Es steht also zu vermuten, dass die Manuskripte in erster Linie dem Hausgebrauch dienten, wobei auch die Umstände ihrer Überlieferung – etwa im gräflichen Hausarchiv oder in der Bibliothek – weiteren Aufschluss geben können.165 Bei der Untersuchung des sich in den Zeugnissen der Erinnerungskultur artikulierenden dynastischen Bewusstseins lassen sich zwei Ebenen unterscheiden: „einerseits das Bewußtsein der Zugehörigkeit zu einer Gruppe und andererseits das Bild, das eine Gruppe von sich entwickelt“166. Es steht zu vermuten, dass sich das Selbstbild einer Dynastie über eine Inhaltsanalyse der Chronistik relativ gut rekonstruieren lässt; schwieriger erscheint dagegen die Ermittlung des Zugehörigkeitsgefühls Einzelner, da man es hier mit der mentalen Disposition eines Individuums zu tun hat. Allenfalls verbalisierte Gefühle, etwa in Briefform, könnten hier Hinweise liefern. In erster Linie soll es im Folgenden allerdings 164 Wrede, Furcht, S. 20. Vgl. auch Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 21 – 25; Graf, Fürstliche Erinnerungskultur, S. 9; Joos, Herkommen, S. 146. Ausführlich dazu auch Wolf, Chronik, S. 38 f.: Von der Schilderung des Herkommens „versprach man sich vor allem eine Wirkung nach innen, ein Herkommen soll unter den Angehörigen eines Geschlechts ein historisches Selbstbewußtsein erzeugen, welches über die reine Rechtfertigung von Macht- und Herrschaftsansprüchen bzw. die Legitimation politischer und ethischer Werte hinausgeht und dazu dient, der Geschichte der Dynastie Sinn und Bedeutung zu verleihen. Das Herkommen sollte demnach für die Mitglieder einer Dynastie den Zugang zu einer Vergangenheit eröffnen, die auch das Handeln der Gegenwart in einen verbindlichen Bezugsrahmen stellte.“ 165 Schon Seigel, Geschichtsschreibung, S. 106, wies darauf hin, dass keine der von ihm untersuchten adligen Hauschroniken des 16. Jahrhunderts den Weg in den Druck fand, da sie „in erster Linie dem Hausinteresse und keineswegs der Befriedigung des geschichtsinteressierten Publikums“ dienten. Wolf, Chronik, S. 30 – 33, bemerkte dazu kritisch, dass Chroniken überhaupt erst im Kontext der von Konkurrenz und Wettbewerb geprägten ständischen Öffentlichkeit ihre volle Wirkung entfalten konnten. 166 Werner, Ahnen, S. 25. Werner bezieht diese Unterscheidung auf den Assmannschen Begriff der „kollektiven Identität“. Weiterhin führt er aus, dass man die Existenz einer Gruppe nicht als gegeben voraussetzen, sondern als dialektischen Prozess z­ wischen „Wissen“ und „Wirklichkeit“ verstehen sollte. Indem sich Individuen einer Gruppe zugehörig fühlen, formt sich deren kollektive Identität heraus, die wiederum auf das Wissen der Akteure zurückwirkt.

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um die historiographische Formung des Selbstverständnisses, also der Eigengeschichte der Dynastien gehen. Dabei muss freilich berücksichtigt werden, dass die allermeisten Zeugnisse der Erinnerungskultur von Künstlern und Gelehrten angefertigt wurden, die selbst nicht zur Gruppe der Dynastie gehörten. Es besteht also die Möglichkeit, dass Inhalte der Chronistik und Selbstbild der Gruppe nicht deckungsgleich waren. Um valide Aussagen treffen zu können, scheint es daher geboten, auch die Rolle der Adligen selbst festzustellen.167 So ist etwa zu untersuchen, ob Dynastieangehörige ein bestimmtes Werk in Auftrag gegeben haben oder sogar in dessen Produktionsprozess eingebunden waren, oder ob sich zumindest eine eindeutige Rezeption nachweisen lässt. In vielen Fällen stehen allerdings lediglich die Chroniken, Genealogien und Panegyriken selbst als Quellen zur Verfügung, während Akten und Korrespondenzen, die Aufschlüsse über Entstehungskontexte und Rezeption liefern können, nur in Ausnahmefällen existieren. Grundsätzlich empfiehlt es sich daher, bei der Analyse der Chronistik – soweit durch die Überlieferungslage ermöglicht – folgende fünf Punkte zu berücksichtigen:168 1. Person des Autors und sein Verhältnis zur Dynastie: Handelt es sich um eine hof- bzw. dynastienahe Person, die enge Beziehungen zu den Grafen pflegte, oder bestanden keinerlei Verbindungen?169 Neben dem biographischen Hintergrund kann dabei etwa auch eine Widmung des Werks an bestimmte Mitglieder oder die Dynastie insgesamt wichtige Hinweise liefern. Schrieb der Chronist aus eigenem Antrieb oder im Auftrag der Grafen, oder lassen sich sogar Eingriffe der letzteren in den Entstehungsprozess ausmachen? Hier geht es darum, wer die Deutungshoheit innehatte, nicht zuletzt innerhalb der Dynastie selbst.170 2. Funktionen der Chronik: Welchem Zweck sollte die Chronik dienen? Was waren die konkreten Umstände ihrer Entstehung, ihre „causa scribendi und 167 Man kann „von Selbstverständnis nur dann sprechen, wenn sich durch Selbstzeugnisse der Adligen belegen läßt, daß eine Tradition über eine rein narrative Ebene hinaus tatsächlich Gültigkeit für die jeweilige Familie hatte“, Joos, Herkommen, S. 123. Vgl. zu d­ iesem Problem auch Werner, Ahnen, S. 22 – 33; Auge, Handlungsspielräume, S. 307 f.; Seigel, Geschichtsschreibung, S. 108. 168 Diese lehnen sich an die von Werner, Ahnen, S. 32 f., vorgeschlagenen Punkte an. Ein ähnliches Analyseraster empfiehlt Rau, Erinnerungskultur, S. 149 – 155. 169 Laut Johanek, Schreiber, S. 207, waren die Chronisten des Spätmittelalters meist „fest in die Welt des jeweiligen Hofes integriert“. Studt, Neue Fürsten, S. 39, sieht sie dagegen eher in einer „vermittelnde[n] Position ­zwischen gelehrter und adlig-­höfischer Lebenswelt“. Dies gilt es für die frühneuzeitlichen Chronisten der Grafen, deren Hofhaltung sich oft recht bescheiden ausnahm, zu überprüfen. 170 So initiierten nicht nur die Oberhäupter von Dynastien Chronikprojekte, sondern auch andere Verwandte, die damit ihre eigenen Interessen zu legitimieren suchten; vgl. Jendorff, Eigenmacht, S. 630 f.

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Darstellungsabsicht“171? Lag womöglich eine gegenwartsbezogene Problemstellung oder gar eine Krise vor, auf die man mit der Darstellung reagierte? 3. Gebrauch und Rezeption: Wurde das Werk von den Grafen als Darstellung ihrer Dynastie akzeptiert? Ist eine Überlieferung im Hausarchiv nachweisbar? Lassen sich konkrete – affirmative oder ablehnende – Bezugnahmen oder Gebrauchssituationen, etwa zur historischen Legitimation von Rechtsansprüchen, identifizieren?172 Gab es einen Übertrag der Inhalte in andere Medien, zum Beispiel in Leichenpredigten oder in Inschriften und bildliche Darstellungen? 4. Quellen und Methode: Aus w ­ elchen Quellen schöpfte der Autor und wie ging er methodisch vor? Schrieb er hauptsächlich aus älteren Chronikwerken ab, oder nutzte er zusätzlich eigene Quellen? Die Tatsache, dass ein Chronist Zugang zu den gräflichen Hausarchiven hatte, wäre neben der Arbeitsweise ein zusätzliches Indiz für sein Verhältnis zur Dynastie. 5. Aufbau und Inhalt: Wie ist die Chronik aufgebaut und gegliedert? Was sind ihre inhaltlichen Schwerpunkte und wie wird über die Ereignisse berichtet? Was bietet sie inhaltlich Neues im Vergleich zu ihren Vorgängern? Neben der Identifikation von Passagen, die mehr oder weniger wortgetreu aus älteren Werken übernommen wurden, geht es dabei auch darum, darstellerische Konventionen und Topoi zu erkennen. Vom Inhalt kann dann bis zu einem gewissen Grad auch auf die Funktion geschlossen werden. Bevor eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den wichtigsten Chroniken über die Lipper und Waldecker Dynastie erfolgt, soll die Praxis der Historiographie im Fokus stehen. Es geht also unter Berücksichtigung der Punkte eins bis drei zunächst um eine Untersuchung der Entstehungsumstände, der Person des Chronisten und seines Verhältnisses zu den Grafen sowie deren Rezeption, um nicht dem Fehlschluss zu erliegen, vom Grafenhaus völlig unabhängige Geschichtswerke als Eigendarstellungen desselben zu interpretieren (4.2.1). Eine vollständige Inhaltsanalyse der infrage kommenden Chroniken kann hier nicht erfolgen. Es sollen daher drei Schwerpunkte herausgegriffen werden, die als einschlägig für das Thema der Dynastiebildung angesehen werden: erstens die Schilderung des dynastischen Ursprungs, die in besonderer Weise auf die Schaffung eines bestimmten Gruppenbildes abzielte (4.2.2), zweitens die eng damit zusammenhängende (Re-)Konstruktion der genealogischen Kontinuität (4.2.3) und schließlich ­solche Passagen, die aus einem didaktischen Impetus heraus sogenannte exempla, also nachzueifernde Taten, hervorheben (4.2.4).

1 71 Althoff, Causa scribendi. 172 Die notwendige Klärung der Gebrauchssituation für die Interpretation von Chroniken betont auch Studt, Fürstenhof, S. 6 f. u. 375 f.

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4.2.1 Historiographie als Praxis Was die monastische Geschichtsschreibung angeht, die bei fürstlichen Dynastien oft den mittelalterlichen Ausgangspunkt ihrer Chronistik bildete,173 lassen sich für Lippe und Waldeck keine nennenswerten Erzeugnisse ausmachen. Weder aus dem frühen lippischen Hauskloster Marienfeld noch dem Waldecker Pendant Kloster Netze sind einschlägige Werke überliefert. Eine bedeutsame Ausnahme bildet das sogenannte Lippiflorium, welches gewissermaßen am Beginn der lippischen Historiographie steht.174 Es handelt sich um ein in 513 lateinischen Distichen verfasstes Lobgedicht, das im Umkreis des Lippstädter Marienstifts entstanden und Bischof Simon I. von Paderborn sowie seinem Bruder Edelherr Bernhard III. zur Lippe gewidmet ist.175 Im Mittelpunkt des Werkes steht das Leben und Wirken des Edelherrn Bernhard II. zur Lippe, dem Gründer des Stifts, der zunächst weltlichen Ruhm erlangte, dann jedoch das geistliche Leben wählte und als Bischof von Selonien in Livland starb. Über den genauen Entstehungszeitpunkt, die Auftraggeber und die causa scribendi des Lippiflorium ist in den letzten Jahren eine angeregte Forschungsdiskussion in Gang gekommen, die indes von einem abschließenden Urteil weit entfernt ist. Herkömmlicherweise wird die Abfassung des Gedichts auf die Mitte des 13. Jahrhunderts datiert,176 wobei inzwischen auch die Möglichkeit diskutiert wird, dass es ein Produkt des Humanismus um 1500 sei.177 Eng damit verbunden ist die Frage nach den Auftraggebern des Werks. Als Schöpfer wird gemeinhin der urkundlich bekannte Rektor der Lippstädter Schule, Magister Justinus,178 angenommen, der im Auftrag der Lippstädter Stiftsdamen 179 oder der örtlichen Stadteliten geschrieben haben könnte.180 Als Antrieb 173 Dabei haben allerdings insbesondere Althoff, Verwandte, S. 74 f., und Johanek, Schreiber, S. 201 – 203, davor gewarnt, die monastische mit einer höfisch-­dynastischen Geschichtsschreibung gleichzusetzen, da sie im Entstehungskontext einer geistlichen Institution eigenen Interessen, wie etwa der klösterlichen Rechtssicherung, folgte und keineswegs deckungsgleich mit dem adligen Selbstverständnis sein musste. 174 Einen Überblick über die lippische Historiographie der Frühen Neuzeit bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts bieten die LR I, S. 19 – 48; sowie Kittel, Hamelmann, S. 5 – 8. 175 Eine Edition samt deutscher Übersetzung liegt vor: Althof (Bearb.), Lippiflorium. 176 Die Herausgeber der lippischen Regesten setzten die Entstehungszeit angesichts der im Werk genannten Persönlichkeiten auf die Jahre ­zwischen 1257 und 1264 an; vgl. LR II , S. 2. Dem sind die meisten Interpreten gefolgt. Hucker, Lippiflorium, datiert es dagegen auf das Jahr 1247. 177 So vor allem Grossevollmer, Lippiflorium, S. 202 – 208. Bereits Wegemann, Lippi­ florium, S. 2, hat aufgrund der humanistischen Sprache des Werks vermutet, es sei erst um 1470 entstanden. 178 Zur Person des Justinus vgl. Dartmann, Art. Justinus; Worstbrock, Art. Justinus. 179 Vgl. Hucker, Lippiflorium, S. 243. 180 Vgl. Pätzold, Alterutra Fides, S. 55.

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kommen daher sowohl das Interesse des Stifts infrage, seine urkundlich verbrieften Rechte zu wahren, als auch der Versuch der Stadt, die Edelherren als Verbündete gegen den Erzbischof von Köln zu gewinnen. Auch Überlegungen, das Werk als einen Akt der Memoria für die Lipper zu betrachten, auf die das Stift verpflichtet war, entbehren nicht einer gewissen Plausibilität.181 Die Schwierigkeiten bei der Datierung und Interpretation liegen nicht zuletzt in dem Umstand begründet, dass die Überlieferung erst im 16. Jahrhundert einsetzt.182 Des Weiteren ist eine niederdeutsche Übersetzung des Lippifloriums (Dat Lippeflorer) bekannt, die ausweislich ihres Epilogs am 6. März 1487 im Auftrag der Kanonissen des Marienstifts verfasst wurde. Sie ist dem damals regierenden Edelherrn Bernhard VII. zur Lippe gewidmet, über dessen Reaktion freilich nichts bekannt ist. Die Stiftsdamen gingen aber offensichtlich davon aus, mit einer volkssprachlichen Übersetzung der Eloge auf den gleichnamigen berühmten Vorfahren Bernhards Wohlwollen gewinnen zu können. Die hier nur knapp angerissene Diskussion um die mittelalterliche Entstehungssituation des Lippifloriums soll nicht weiter vertieft werden, da sie wenig zum eigentlichen Thema der Untersuchung beiträgt. Entscheidend ist vielmehr, dass das Lippiflorium im 16. und 17. Jahrhundert nicht in Vergessenheit geriet, sondern geradezu zu einem Fixpunkt der lippischen Historiographie wurde. Dies gilt sowohl für spätere Chronisten, die sich gerade bei der Darstellung der Person Bernhards II. großzügig beim Lippiflorium bedienten, als auch für die Grafen selbst. So befand sich die älteste bekannte Handschrift des Lippifloriums, an die sich auch die niederdeutsche Übersetzung sowie ein ebenfalls niederdeutsches Gedicht über die Soester Fehde anschließen, zeitweise in der Bibliothek Simons VI . zur Lippe.183 Zudem erschien 1620 die erste gedruckte Edition des 181 Vgl. Grossevollmer, Lippiflorium, S. 197 f. Es scheint mit Blick auf den Inhalt aber vor allem plausibel, dass die Lippstädter Eliten ihre Stadt als besonders bedeutsamen Ort für die Edelherren ins Bewusstsein rufen wollten. Dies wird etwa dort deutlich, wo sich der anonyme Verfasser unmittelbar an die lippische Dynastie wendet und ihr den Ursprung ihres Namens und Ruhms in Erinnerung ruft: Inclita posteritas Lippensis sanguinis, unde / Nomen honorque tibi sit, memor esse velis. / Nomen ab oppidulo ducis, quod provida patrum / Fundavit ratio rebus, amore, fide. / Hinc tibi crevit honor, opulentia, robur, et hostes / Vincis et invictis viribus inde viges; / Sanquinis hinc alti radix progressa per orbem / Extendit ramos amplificata suos., zit. nach Althof (Bearb.), Lippiflorium, S. 44. Diese Wurzel des Geschlechts – Lippstadt – gelte es zu pflegen, um weiterhin Ruhm und Ehre erwerben zu können. 182 Das älteste bekannte, wohl aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts stammende Exemplar befindet sich in einer Sammelhandschrift in der Lippischen Landesbibliothek (LLB), Mscr. 73. Vgl. dazu Hellfaier, Lateinisches Lobgedicht. 183 Vgl. ebd., S. 650. Eine weitere Abschrift innerhalb einer Sammelhandschrift mit weiteren Chroniken befand sich spätestens zu Zeiten des fürstlichen Archivars Knoch, also in der zweiten Hälfte 18. Jahrhunderts, im dortigen Hausarchiv, wie ein Vermerk von dessen Hand

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Gedichts als Anhang des Chronicon Comitum Schawenburgensium des Dominikanermönchs Hermann von Lerbeck. Der Herausgeber war der aus Lemgo stammende Geschichtsprofessor Heinrich Meibom d. Ä., der die Aufnahme des Lippifloriums in die dem Fürsten Ernst von Holstein-­Schaumburg gewidmete Chronikedition mit dem Hinweis auf die enge Verwandtschaft der Schaumburger mit den Lipper Grafen rechtfertigte.184 Für ihn war also nicht nur die Relevanz des Lobgedichts als wichtige Geschichtsquelle gegeben, die es wert war, veröffentlicht zu werden; er hielt es auch für ein Werk, das den Ruhm des Schaumburger Grafenhauses zu steigern vermochte.185 Gleichzeitig setzte Meibom aber auch den lippischen Archivar Caspar Pezel über seine Edition in Kenntnis und erhielt dafür offenbar Geschenke vonseiten des Grafen Simon VII ., für die er sich brieflich bedankte.186 Gelehrte, die sich um den Ruhm des Grafenhauses und seiner Vorfahren verdient machten, konnten also mit einer Belohnung rechnen. Eine erneute historiographische Auseinandersetzung erfuhren die Edelherren zur Lippe erst wieder zu Beginn des 16. Jahrhunderts, als der Liesborner Benediktinermönch Bernhard Witte seine Historia Westphaliae verfasste. Als Handschrift inzwischen verschollen, existiert sie nur noch in Form einer Edition des 18. Jahrhunderts.187 Anders als das Lippiflorium behandelte Witte nicht eine einzige historische Persönlichkeit, sondern gleich die Geschichte einer ganzen Region. Insofern lässt sich das Werk auch nicht als lippische Hauschronik interpretieren, wenngleich die Edelherren hier durchaus eine prominente Rolle spielen. Begonnen hat Witte seine die Jahre bis 1520 behandelnde Chronik wohl bald nach seinem Eintritt in die Klosterkanzlei 1491.188 Das Werk, das an vielen Stellen auf Vorläufer wie Werner Rolevincks De laudibus Westphaliae oder auch das Lippi­ florium zurückgreift, ist in erster Linie das Zeugnis eines vom Humanismus und den Reformbemühungen der Bursfelder Kongregation geprägten Mönches,189 wohingegen ein wie auch immer geartetes Einwirken seitens der Lipper Edelherren, belegt. Ein weiterer Vermerk gibt Auskunft darüber, dass sie aus der öffentlichen Bibliothek in Detmold stammt, ­welche wiederum aus der Privatbibliothek des Grafen Simon VI. hervorgegangen ist. Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 26, fol. 46r–68r. 184 Wörtlich schrieb er: Quis enim nescit inter perillustres domus Holsato-­Schauenburgicam & Lippiensem initas toties affinitates?, Meibom, Hermanni de Lerbeke, S. 4. 185 Bernhard II. zur Lippe wurde von Meibom somit in gewisser Weise als kognatischer Vorfahre der Schaumburger vereinnahmt, was Fürst Ernst, dessen Schwester Elisabeth mit Simon VI. zur Lippe vermählt gewesen war, sicherlich mit Genugtuung zur Kenntnis nahm. 186 Vgl. Weiss, Schüler, S. 92. 187 Vgl. Witte, Historia. 188 Vgl. Flaskamp, Bernhard Witte, S. 274. 189 Vgl. Dartmann, Art. Witte; Nordhoff, Chronisten, S. 216. Zum Zusammenhang von Bursfelder Kongregation und dem legitimatorischen Rückgriff auf Geschichte vgl. auch Graf, Monastischer Historismus.

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die immerhin die Vogteirechte über das Kloster Liesborn innehatten,190 unwahrscheinlich ist. Auch die Historia Westphaliae entfaltete allerdings eine besondere Wirkmacht als Vorbild und Materialsammlung für nachfolgende Chronisten des lippischen Grafenhauses. Beispielhaft lässt sich eine nach 1613 entstandene, abrissartige Genealogie anführen, die sich im gräflichen Hausarchiv befindet und explizit auf Witte als historische Autorität verweist.191 Bis hierher erscheinen die Edelherren und Grafen zur Lippe als passiver Gegenstand einer Chronistik, der sich nicht selbst in die Darstellung einmischt, geschweige denn eigene historiographische Projekte anstößt. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit man vom Selbstbild der Gruppe oder von dynastischer Erinnerungskultur sprechen kann. Vorerst sollte mit diesen Begriffen vorsichtig umgegangen werden. Auch der lutherische Theologe und Historiker Hermann Hamelmann, der sich in mehreren seiner Werke mit der Geschichte des Lipper Grafenhauses beschäftigte, handelte wohl aus eigenem Antrieb, musste dabei jedoch Erfahrungen mit der lippischen Zensur machen. Auslöser für eine Kontro­ verse mit der gräflichen Obrigkeit war sein Chronikwerk Antiqua Westphalia von 1564, das er während seiner Zeit als Pfarrer an St. Marien in Lemgo verfasste.192 In dieser Position unterstand er direkt der für den minderjährigen Grafen Simon VI. eingerichteten Vormundschaftsregierung, die ihm jedoch insgesamt weniger wohlgesonnen war als der 1563 verstorbene Graf Bernhard VIII.193 Seine Westfalen-­Chronik ist ihrem Anspruch nach in erster Linie ein gelehrtes Werk und keine dezidierte Panegyrik auf die westfälischen Herrscher, deren Geschichte gleichwohl ihren inhaltlichen Kern bildet. Die Kritik der Regierung betraf nun eine bestimmte Formulierung über den Erwerb der Grafschaft Sternberg. Laut Hamelmann war diese nach dem Aussterben der dortigen Landesherren den Grafen von Schaumburg und Lippe zur ‚Beute‘ geworden, wobei erstere den Titel, letztere die Nutznießung bekommen hätten.194 Mit ­diesem Thema waren unmittelbare Rechtsansprüche verbunden, was eine wesentlich sensiblere Materie 190 Vgl. Müller, Liesborn, S. 524. 191 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 2, Gräfflicher Lippischer Stam. 192 Hamelmann war ein humanistisch gebildeter Theologe, dessen Lebensweg über Pfarreien in Bielefeld und Lemgo zum Amt des Generalsuperintendenten von Gandersheim und schließlich von Oldenburg führte. In seiner Lemgoer Zeit hatte er an Synoden in Waldeck und Lippe teilgenommen und war an der Überarbeitung der lippischen Kirchenordnung beteiligt gewesen, gehörte also zur geistlichen Elite des Landes. Vgl. zu seiner Person Biermann/ Scheffler, Hermann Hamelmann; Helbich, Hermann Hamelmann. 193 Vgl. Kittel, Hamelmann, S. 10. 194 Comitatus Sternebergicus, mortuo ultimo haerede Henrico, est factus praeda vicinis Comitibus de Schowenberg & de Lippia, tandem per nuptias est quaedam compositio, ut ajunt, facta, ut hodie usum fructum & bona istius Comitatus Lippienses, titulum vero Comites Schowenbur­ genses retineant, zit. nach einer Edition des 18. Jahrhunderts: Hamelmann, Opera, S. 60.

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berührte als andere Passagen in der Chronik – darunter auch die Schilderung des Ursprungs der Grafen –, gegen die die Vormünder nichts einzuwenden hatten. Die empfindliche Reaktion der Regierung ist vor dem Hintergrund der akuten Bemühungen der Schaumburger zu sehen, Sternberg vollends an sich zu bringen.195 So suspendierte man Hamelmann kurzerhand vom Dienst und ließ sich am Ende nur durch Fürsprache seiner Gemeinde, des Lemgoer Rats, führender Geistlicher sowie der Grafenwitwe Katharina von Waldeck umstimmen. Bedingung für einen Verbleib im Amt war allerdings, dass Hamelmann ein Revers unterschrieb, nach dem er sich hinführo meinem befohlenen predigtampt in aller stille sanft und demütig obsein, mich aller vorwitzigen hendel unnötiger zenkischer und gefährlicher disputation und fremder sachen, die mein Lehrampt nicht berüren, enthalten 196 wolle und jegliche Publikation zuvor den Grafen oder ihren Räten vorzulegen habe. Eine s­ olche Beschränkung durch Vorzensur war Hamelmann auf Dauer jedoch nicht willens zu akzeptieren, sodass er die Grafschaft einige Jahre später freiwillig verließ.197 In seinem historischen Wirken, das er nach dem Weggang aus Lemgo keineswegs aufgab, blieb er den Grafen zur Lippe allerdings treu. Im Jahr 1582, als er längst Generalsuperintendent der Grafschaft Oldenburg geworden war, erschien Hamelmanns Sammelgenealogie über die Grafen und Herren von Niedersachsen und Westfalen im Druck.198 Darin befanden sich, alphabetisch sortiert, historisch-­ genealogische Abrisse zahlreicher Herrscherhäuser, von denen der lippische, nach den Grafen von Oldenburg, der zweitlängste war. An sein früheres Versprechen, sich nicht mehr über historische Gegenstände zu äußern, hielt sich Hamelmann also nicht,199 sondern widmete den lippischen Teil ausdrücklich der illustrißimae Prosapiae Comitum & Nobilißimorum Heroum 200 zur Lippe, die er im Anschluss eigens aufzählte. Zur prosapia zählte er dabei alle zum gegenwärtigen Zeitpunkt lebenden Angehörigen, und das waren neben den Agnaten auch die angeheirateten Frauen und Witwen sowie die in andere Häuser verheirateten Töchter.201 Auch in 195 Vgl. Kittel, Hamelmann, S. 10. 196 Eigenhändiger Revers vom 28. 10. 1565, zit. nach Biermann/Scheffler, Hermann Hamelmann, S. 32. 197 Vgl. ebd., S. 31. 198 Vgl. Hamelmann, Genealogiae. 199 Selbst die heikle Sternberg-­Thematik griff er hier noch einmal auf, wobei er den Streit ­zwischen Lippe und Schaumburg – entgegen seiner eigenen Erfahrung – für längst beendet erklärte: Sed postquam Anna Schovvenbergica in matrimonium traderetur Bernhardo Simonis Paderbornensis Episcopi fratri, res est composita ante annos plures quam centum, Hamelmann, Genealogiae, S. 166. 200 Ebd., S. 129. 201 Konkret benannte er Simon VI., dessen Neffen Philipp zur Lippe-­Spiegelberg-­Pyrmont, dessen M ­ utter Ursula, die Witwe Hermann Simons zur Lippe, Katharina von Waldeck, die

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einem späteren Werk kam er noch einmal auf die Grafen zur Lippe zurück und bemerkte in d­ iesem Zusammenhang, dass Gott dem Grafen Simon VI. endlich die langersehnten Nachkommen geschenkt habe und dass dieser daraufhin aus Dankbarkeit eine Summe Geldes an die K ­ irchen, Schulen und Armen des Landes gespendet habe.202 Auch andere seiner Werke, die sich nicht unmittelbar mit der gräflichen Genealogie und Geschichte beschäftigten, widmete er Mitgliedern der Dynastie.203 Die Grafen fanden in Hamelmann also einen ihnen trotz der vormaligen Maßregelung wohlgesonnenen Gelehrten, der bei einem entsprechenden Auftrag sicher in der Lage und willens gewesen wäre, eine ausführliche, inhaltlich auf die Geschichte des Grafenhauses Lippe konzentrierte Chronik zu verfassen.204 Eine s­ olche blieb vorerst allerdings aus, zumindest als Druckwerk. Aus den 1570er Jahren existieren hingegen gleich drei handschriftliche Genealogien, über deren Entstehungsbedingungen freilich recht wenig bekannt ist. Die erste Genealogie von 1572 stammt von dem Detmolder Pfarrer Jonas Latomus Scherer.205 Ob es sich dabei um eine Auftragsarbeit handelt, oder um ein aus eigenem Antrieb geschriebenes Werk ist unklar, wenngleich zumindest eine gewisse Nähe des Pfarrers der Residenzstadt zum Grafenhof wahrscheinlich ist. Auch verfügte Simon VI. vermutlich über eine Abschrift in seiner Bibliothek.206 Im ausführlichen Titel GENEALOGIA. das ist StambBuch der Wolgebornen und Eddelherrn zur Lippe, auff furhergehende Bericht kurtz und weiterer begrieffen und verfasset findet sich ein Hinweis auf Scherers Quellen. Allerdings ist unklar, ob er sich damit auf ältere Chroniken bezieht, von denen er lediglich die Metropolis des Albertus Krantz an einer Stelle erwähnt,207 oder ob er Witwe Bernhards VIII., Anna, die Witwe Johanns von Waldeck, Magdalena, die Dekanissin von Herford, Agnes, die Gemahlin Abundus’ von Schlick sowie Magdalena, die Gemahlin Georgs von Hessen-­Darmstadt. 202 Liber primus de vetustis titulis & nominibus Principum, Comitum, Heroum atque illustrium Familiarum […] (1592), in: Hamelmann, Opera, S. 661 – 764. Et cum redactus esset ille Lippiensis Comitatus in eas angustias, uno Comite modò gubernatore patriae D. Simone superstite, ut perire videretur, tamen Dominus DEUS in coelo exaudivit preces subditorum, & eidem Simoni Comiti verè generoso, inclyto & praestantissimo domino, ex suà Conthorali domina Elizabetha, nata Comitissa de Schawenburg / largitus est tres filios hodie, ut Bern­ hardum, Simonem & Otthonem, sed optimus Comes & dominus se largum & gratum vicissim DEO praebuit, & multam & copiosam pecuniam contulit in usum Ecclesiarum, & earum ministrorum, Scholarum & pauperum. (Zitat S. 683). 203 So z. B. seine Oratio de Rodolpho Langio […], in: Hamelmann, Opera, S. 257 – 278, die Philipp zur Lippe-­Spiegelberg-­Pyrmont gewidmet war. 204 In dieser Hinsicht tat sich Hamelmann 1599 schließlich mit seiner „Oldenburgischen Chronik“ als Historiograph des Oldenburger Grafenhauses hervor. 205 Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 26, fol. 24v–32r. 206 Die bekannte Abschrift befindet sich in dem gleichen handschriftlichen Sammelband wie das Lippiflorium, der vermutlich aus Simons Bibliothek stammt. 207 Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 26, fol. 26v.

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persönlich über die lippische Grafenhistorie unterrichtet worden war. Das zweite Werk, die Genealogia oder Herkommen der Graffen und Edlen Herren zur Lippe, wurde 1579 von dem aus Lemgo stammenden Hamelner Arzt J­ ohannes Falconius Gerlach geschaffen.208 Er verfasste zudem eine Chronik der Grafen von Spiegelberg und ein Trauergedicht auf den 1557 verstorbenen, letzten Vertreter dieser Dynastie.209 Wie bei Scherer lässt sich auch bei Gerlach vermuten, dass er als gebürtiger Lipper eine gewisse Affinität zum lippischen Grafenhaus hatte und daher zur Feder griff. Zugang zu den gräflichen Archiven hatte vermutlich keiner der beiden Chronisten. Das dritte Werk ist schließlich die wohl kurz vor 1576 entstandene 210 Genealogia Generosorum Comitum de Lippia das ist StamBuch der Graffen vnd Edlen Herrn zur Lippe, die zumeist dem kurkölnischen Rat und Licentiaten Gerhard Kleinsorgen aus Werl zugeschrieben wird.211 Dessen Vorfahren stammten aus dem Lemgoer Patriziat und nahmen Lehen von den Edelherren zur Lippe entgegen, bis sie als Anhänger des Alten Glaubens im Zuge der Reformation Stadt und Grafschaft verließen.212 Welchen Grund Kleinsorgen als Katholik hatte, eine der Lipper Grafendynastie gewidmete Genealogie zu verfassen, ist unklar. Im Gegensatz zu den beiden erstgenannten Werken zeichnet sich die Genealogie allerdings durch einen höheren Grad an Reflexion und einen kritischen Abgleich verschiedener Chronistenmeinungen sowie zum Teil eigener Quellenbefunde aus. Es handelt sich also um ein Werk mit wissenschaftlichem Anspruch, das nicht mit einer Widmung an die Grafen aufwartet und dennoch seinen Weg in das gräfliche Hausarchiv gefunden hat. Um eine reine Panegyrik handelt es sich hingegen bei der Illustrium et gene­ rosum Comitum Lippiensium Genealogia des gebürtig aus Rinteln stammenden Rektors der Hamelner Schule Annibal Nullaeus.213 Im Gegensatz zu den Vorgängerwerken wurde seine Genealogie 1586 in Lemgo gedruckt, was auf eine wesentlich höhere Verbreitung als bei den handschriftlichen Werken schließen lässt. 208 Vgl. ebd., Nr. 84 (Gerlach). Hinter dieser Bestandsnummer verbirgt sich ein Konvolut zusammengefasster Handschriften und Drucke ohne durchgängige Paginierung. 209 Eine Abschrift der Spiegelbergschen Chronik befindet sich in LAV NRW OWL , D 71, Nr. 84. Den Hinweis auf das Trauergedicht liefert Hermann Hamelmann in seinem Liber Sextus Virorum Westphaliae Doctrina & Scriptis Illustrium […] (1565), in: Hamelmann, Opera, S. 235 – 256, S. 246. 210 Darauf deutet eine Bemerkung am Schluss der Genealogie hin, laut der der 1576 gestorbene Graf Hermann Simon zum Zeitpunkt der Abfassung noch lebte. 211 Vgl. LAV NRW OWL , D 71, Nr. 26, fol. 4r–24r. Auf dem Titel steht ein Vermerk des Archivars Knoch, die den Urheber Gerhard Kleinsorgen benennt. Dem folgt Kittel, Hamelmann, S. 6. Unlängst wurde hingegen Gerhards Bruder Christian als Autor vermutet, wobei die hierzu angeführten Argumente nicht restlos überzeugen; vgl. Kirschbaum, Gerhard Kleinsorgen, S. 215 – 218. Zwei weitere Abschriften dieser Chronik befinden sich in D 71, Nr. 42 u. 84. 212 Vgl. Kirschbaum, Gerhard Kleinsorgen, S. 21 – 23; Linde, Akteure, S. 83 f. 213 Vgl. Nullaeus, Genealogia (Exemplar in LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84).

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Anlass für die Erstellung der Genealogie war die langersehnte Geburt des ersten Sohnes Simons VI. zur Lippe, dem später jung verstorbenen Bernhard. Mit ihm beschließt der Verfasser seinen genealogischen Marsch durch die Generationen und verleiht seiner Hoffnung Ausdruck, dass er möglichst schnell und behütet aufwachsen möge, um eines Tages die Herrschaft antreten zu können.214 Des Weiteren ist gegen Ende des Werks ein Hochzeitsgedicht für Simon und E ­ lisabeth von Holstein-­Schaumburg mit dem Titel Idyllion de rosa Lippiaca et urtica Schaum­ burgica eingefügt, welches nach humanistischer Manier die Wappenbilder des Paares, die lippische Rose und die schaumburgische Nessel, verherrlicht.215 Ein Abdruck der Genealogie befand sich beim Tode Simons VII., also rund vierzig Jahre später, ­zwischen persönlicher Korrespondenz in einem von dessen privaten Schränken, zudem weitere Notizen über die Herkunft der Grafen zur Lippe.216 Dies lässt darauf schließen, dass Simon ein starkes Interesse für seine Abstammung hegte und entsprechende Nachrichten sammelte. Eine besondere Rezeption seitens der Grafen erfuhr zudem die 1597 entstandene Genealogia oder StamBuch Der Loblichen und Wollgebornen Graffen und Edelen Herrn Zur Lippe des Johannes Pyrmontanus genannt Feuerberg. Von ihr finden sich vier handschriftliche Exemplare im gräflichen Hausarchiv.217 Spätestens zu Beginn des 18. Jahrhunderts war sie auch unter den landesherrlichen Beamten und in der Geistlichkeit verbreitet.218 Der Verfasser war Rektor der Schule zu Lügde und stammte – wie schon sein Name verrät – von einem illegitimen Zweig der alten Grafen von Pyrmont ab.219 Pyrmontanus eröffnet sein Werk mit einer Beschreibung des lippischen Wappens, die sich als eine Art Widmung verstehen 214 Jam puer es parvus, sed te clementia coeli Protegat, ut senio tempora cana premas., ebd., S. 45; Cresce puer, generose puer, Comes inclyte cresce, Olim sit sceptro patria tuta tuo., ebd., S. 46. 215 Vgl. ebd., S. 41 – 4 4. 216 Vgl. LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 313, Inventar über die von Simon VII. hinterlassenen Kleinodien und Schriften (1627), fol. 11r. Bei einer späteren Inventarisierung tauchte ein Exemplar in einem Schrank in der Rentkammer auf; vgl. ebd., Nr. 315, Inventar für Haus und Amt Detmold (1645), fol. 82r. 217 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 1. Einige der Abschriften gehen inhaltlich über den Entstehungszeitpunkt 1597 hinaus, müssen also von den Kopisten eigenständig fortgeführt worden sein. Zwei weitere Abschriften des 18. Jahrhunderts befinden sich in der Handschriftensammlung D 71, Nr. 44 u. 84. Zwei Exemplare befinden sich zudem in LLB, Mscr. 5 u. 130. Vgl. zu ­diesem Werk auch Joergens, Familie, S. 145. 218 So vermerkt der Kopist einer Abschrift von 1703, in: LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84 (unfoliiert): Diese Genealogia ist 1. auff Gräflich Lippischer Canzley befindlich, 2. hat sie der Herr Cantzlar auff die bibliothecam kehret 3. war sie in des S. Vettern Lucani Hoffgerichts ordnung, 4. hat sie mir amptmann Tilhen 1703, 30. aug. communiciret 5. 1703 18. Jun. communiciret vom Pastore Stapelagense. 219 Das obige Exemplar vermerkt unter der Autorenangabe: ex naturaliter filiis Comitum de Pyrmont. Von Pyrmontanus ist im gleichen Bestand auch eine Chronik des Ortes Barntrup erhalten.

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lässt.220 Ob die Genealogie in gräflichem Auftrag angefertigt wurde, ist unklar, sicherlich aber traf sie auf wohlwollende Aufnahme. Dennoch schuf nur wenige Jahre später der lippische Rat Caspar Pezel eine weitere Kurzgenealogie,221 die sich im Gegensatz zu Pyrmontanus aber auf die Darstellung der jüngeren Zeit bis in die 1580er Jahre hinein beschränkt und wohl stärker für den Hausgebrauch gedacht war. Zwar wurde Pezel, Sohn des Bremer reformierten Theologen Christoph Pezel, ab 1613 lippischer Archivar, sein Bericht ist aber vor dieser Zeit entstanden und macht auch inhaltlich nicht den Eindruck, dass der Verfasser Einblick in die gräfliche Überlieferung hatte, sondern wohl eher aus älteren Chroniken abschrieb. Die letzten drei Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts – in etwa die Regierungszeit des umfassend gebildeten Grafen Simon VI . – waren also eine Zeit verstärkter historiographischer Anstrengungen durch Gelehrte der Region, die auf eine Belohnung für ihre Genealogien und Panegyriken hofften. Dennoch genügten alle bisherigen Geschichtswerke noch nicht den Ansprüchen an eine zeitgemäße Chronik: Eine ­solche hatte die Geschichte der Dynastie in die Weltgeschichte von den allerersten Anfängen bis auf die jüngste Zeit zu integrieren. Vor allem aber sollte sie repräsentativ sein und auch außerhalb des Kreises der Dynastieangehörigen Aufmerksamkeit erregen. Um solcherlei Anforderungen gerecht zu werden, musste sie vor allem in möglichst großem Format gedruckt werden. Anstrengungen seitens des Grafenhauses, die gesamte Hausgeschichte in einer derartigen gedruckten Chronik zu bündeln, wie sie beispielsweise die benachbarten Grafen von Holstein-­Schaumburg bereits seit 1614 vorweisen konnten,222 lassen sich aber erst unter Simons Nachfolger seit den 1620er Jahren erkennen. Die Wahl eines geeigneten Bearbeiters fiel auf den Blomberger Pastor Johann Piderit, Enkel des lippischen Superintendenten Moritz Piderit, der 1620 bereits mit einer handschriftlichen Biographie des Edelherrn Bernhard II. hervorgetreten war.223 Inhaltlich hatte Piderit hier hauptsächlich auf das Lippiflorium z­ urückgegriffen  224 und den ruhmreichen Vorfahren der Grafen so erneut ins Bewusstsein gehoben. 220 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 1, Genealogia (unfoliiert): Ad insignia inclytae domus lippiacae stella micans rosa punica et omnium casside hirundine. 221 Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84: Sumarischer bericht von dem Lippischen stamme undt Geschlechte von Graff Bernhardten dem fünfften an biß auff Simonem den Sechsten itziger Zeit regirenden Herren. Die Zuschreibung des anonymen Werkes an Caspar Pezel nach Kittel, Hamelmann, S. 6, Anm. 8. Im gleichen Bestand befinden sich von ­diesem Autor noch die Particularia Graf Simons VI. und ein Verzeichnuß der Graffen von der Lippe ao 1612. 222 Vgl. Spangenberg, Chronicon. 223 Vgl. Warhafftig und wollfundirte Historia des Hochwürdigesten hochwollgebornen Graffen und Herrn Bernhardi des Nahmen der Ander. Exemplar in LLB , Mscr. 31. Zur Lemgoer Familie Piderit vgl. Lippisches Geschlechterbuch, S. 260 – 270. Zum Chronisten selbst: Wenneker, Art. Piderit. 224 Vgl. LR I, S. 26.

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Am 15. Oktober 1625 forderte Simon VII. den Geistlichen auf, dessen – offenbar auf seinen Auftrag hin verfasste – lippische Chronik persönlich in der gräflichen Kanzlei einzureichen, wie aus einem erhaltenen Antwortschreiben Piderits hervorgeht.225 Darin legte der Autor dar, dass er bereits vor einiger Zeit ein Konzept bei Kanzler Christoph Deichmann eingereicht und die daraufhin erhaltenen Verbesserungswünsche eingearbeitet habe. Danach habe er sich entschlossen, zunächst nur den ersten Teil bis zur Regierungszeit K ­ aiser Lothars fertigzustellen, da dieser auf Grundlage der bewährten römischen und deutschen Chronisten geschrieben und daher inhaltlich wohl wenig brisant sei. Er wisse zwar, dass er ohne gräfliche Bewilligung nichts über das Grafenhaus publizieren dürfe, doch sei dieser erste Teil auch von den Mitgliedern der Rintelner Akademie sowie vom berühmten Helmstädter Historiker Heinrich Meibom für richtig befunden worden. Das Schreiben deutet auf eine enge Abstimmung ­zwischen dem Grafen, der landesherrlichen Kanzlei und dem Chronisten hin. Der Inhalt des im Entstehen begriffenen Werkes wurde vor Veröffentlichung von gräflicher Seite aufs Genaueste geprüft, damit keine dem Ruf oder den rechtlichen Ansprüchen der Dynastie unzuträglichen Behauptungen in die lesende Öffentlichkeit drangen. Trotz dieser Vorzensur waren offenbar erste Bögen des Werks bereits in den Druck gegangen, was laut Piderit allerdings ohne sein Wissen geschehen sei und wofür er sich ausdrücklich entschuldigte.226 Bevor die gedruckte Chronik tatsächlich erschien, verfasste Piderit noch ein anderes Werk, sein sogenanntes Encomium Historiae Lipp[iae]227. Die Schrift ist Simon VII. gewidmet und enthält in erster Linie eine lateinische Abhandlung über den Nutzen der Geschichte für die Menschen insgesamt und den Adel im Speziellen. Letzterer sei nämlich umso adliger, je weiter er seine Stammbäume zurückführen könne.228 Generell erweist sich der Text als Plädoyer für die historiographische Beschäftigung mit dem Lipper Grafenhaus. Zunächst führt ­Piderit einige Einzelbeispiele berühmter Vorfahren der Grafen auf, um dann zu dem Schluss zu kommen, dass man hierbei nicht stehenbleiben könne, sondern es einer

225 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 1, Schreiben vom 16. 10. 1625 (Abschrift). 226 Vgl. ebd.: Davon sind unwissend 2 terniones gedruckt. Dieweiln dasselbe bey mhir nicht wird befunden, […] alß ist mein underdienstlich bittend, E[uer] g[naden] bey hoichgeborn m[einem] g[nädigen] Landhern und Graffliche hern Räthe in underthenicheit zu endschuldigen, dan waß gescheen unwissend gescheen. 227 Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84, Encomium Historiae Lipp. (unfoliiert). Da das Werk undatiert ist, muss von seinem Inhalt auf seine Entstehung im Vorfeld des Chronicon geschlossen werden. 228 Vgl. ebd.: Quippe qui de nobilitate gloriantur repetunt ab avis & atavis gentis stemmata, gratiosior enim minusque obnoxia virtus, quae ab avis & atavis demanavit ad posteros. Nam empta nobilitas, aut nuper parta non perinde magni fit.

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Gesamtdarstellung bedürfe.229 Er selbst habe, so lässt er seine Leser wissen, trotz beschränkter Kräfte gewagt, ein solches Unterfangen anzugehen.230 Aufgrund dieser Passage ist anzunehmen, dass die Funktion des Encomiums vor allem darin bestand, die Fertigstellung der großen Chronik vorzubereiten und um die Gunst des Auftraggebers, Graf Simon VII., zu werben.231 Das Ergebnis von Piderits langjährigen Bemühungen, das sogenannte Chroni­ con Comitatus Lippiae, erschien schließlich im Jahr 1627 bei der Rintelner Universitätsdruckerei des Peter Lucius.232 Als 667-seitiges Werk im Folioformat musste es den Vergleich mit ähnlichen Erzeugnissen der Standesgenossen nicht scheuen. Über die ökonomischen Hintergründe ist bislang wenig bekannt, doch steht zu vermuten, dass die Grafen selbst für die Produktion aufgekommen sind. In den Leipziger Messkatalogen findet sich kein Eintrag, sodass über Auflage und Verbreitung nur spekuliert werden kann. Allerdings zielte die Chronik mit der Wahl der deutschen Sprache auf ein wesentlich breiteres Publikum als die lateinischen Abhandlungen, die lediglich einem kleinen Kreis von gebildeten Personen verständlich waren. Da die Grafen am Entstehungsprozess beteiligt waren, ist zu vermuten, dass sie Piderit auch Zugang zu ihrem Hausarchiv gewährten.233 Dennoch hielten sie es für angeraten, das Kapitel über die jüngste Zeit, die Herrschaft des im Erscheinungsjahr verstorbenen Grafen Simon VII., nicht mit in den Druck 229 Vgl. ebd.: Sed existimo non esse immorandum in recensendis personis illustribus. Tot nomina Lippiensium comitum utriusque sexus in historiis & Genealogia extant, ut tabula potius, in quibus consignarentur nomina illustria. Und weiter: Extollamus et nos ex prosapia illustri Lippica oriundos Bernhardos, Simones, Othones, Gerhardos, Hermannos aliosque celebriores & Illustriores comites Lippiae, nec patiamur, ut nomina & facta illorum sepeliantur. 230 Vgl. ebd.: Ego pro tenuitate virium mearum imitari conatus sum industriam aliorum histori­ corum, quicquid enim de Comitum Lippiensium Illustrium antiquitate prosapia, successione, conditione varia, dictis factisque memoria dignis bellorum & pacis temporibus, possessis & heroicis studiis acquisitis provinciis & regionibus, viri doctissimi, scriptis & evulgatis monu­ mentis historicisque operibus conscripsere, id omne in unum fasciculum & opus Chronologiam perquisite digestum lectori benevolo iam perlustrandum exhibeo. 231 So bittet Piderit schließlich auch um eine günstige Aufnahme des Werks und eine milde Zensur; ebd.: Clementer igitur recipiat Generositas & Celsitudo vestra, opus quale quale [sic] est, quod submisse offero censuramque clementer agat. Viele der inhaltlichen Aussagen des Encomium sind später in die Vorrede des Chronicon eingegangen. 232 Vgl. Piderit, Chronicon. Vgl. dazu Niebuhr, Chronicon. 233 Darauf deuten auch die teils ausführlichen Kenntnisse des Verfassers über bestimmte Ereignisse hin. Gelegentlich erwähnt er gräfliche Urkunden auch explizit; vgl. bspw. Piderit, Chronicon, S. 647: Diese Privilegia sind gegeben vnd versiegelt zu Prag Anno 1593 den 13. Februarii. Für den Großteil der älteren Geschichte scheint er hingegen vor allem auf bereits existierende Chroniken zurückgegriffen zu haben, die zumeist auch in den Marginalien erwähnt werden. Im Schlusssatz erwähnt der Chronist seine Quellen noch einmal, ohne sie zu spezifizieren. Er habe alles auß bewehrten Scribenten / Monumenten / Archiven vnd Auctorn (ebd., S. 667) zusammengetragen.

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zu geben, obschon es bereits fertig vorlag.234 Vermutlich war es nicht zuletzt das darin geschilderte rechtliche Verhältnis ­zwischen Simon und seinen erbherrlichen Brüdern, das als arcanum unter Verschluss gehalten werden sollte; jedenfalls hielt man die gegenwartsnahen Ausführungen als Teil des in besonderem Maße „bewohnten Gedächtnisses“235 zurück. Indes verhinderte diese Vorsichtsmaßnahme nicht, dass das Chronicon zehn Jahre nach seinem Erscheinen eine Rolle in den Vormundschaftswirren spielen sollte.236 Piderit hatte darin nämlich behauptet, das Vormundschaftsregiment für Graf Simon VI. sei nach dem Tode Bernhards VIII. von dessen Witwe Katharina von Waldeck geführt worden.237 In der aktuellen Auseinandersetzung ließ sich diese Passage von der Waldecker Partei – wie es der Zufall wollte, hieß die Hauptprotagonistin ebenfalls Katharina von Waldeck – zur Bekräftigung ihrer Position heranziehen, zeigte sie doch, dass bereits zuvor Frauen die Rolle der Vormünderin im Haus Lippe übernommen hatten und Katharinas Forderungen somit vom Herkommen gedeckt waren. Da sich der chronikalische Beleg sogar vor Gericht verwenden ließ,238 sah sich die Gegenpartei zum Handeln gezwungen. Kurzerhand nötigte Johann Bernhard den Chronisten, besagte Passage öffentlich zu widerrufen.239 Ob dies etwas an der Beweislage im Reichskammergerichtsprozess 234 Eine als Historia Simonis VII. bekannte, auf das Jahr 1627 datierte, aber später angefertigte Abschrift befindet sich in LAV NRW OWL, D 71, Nr. 86. 235 Als „bewohntes“ oder „Funktionsgedächtnis“ bezeichnet Assmann, Erinnerungsräume, S. 134, jenen Teil des kollektiven Gedächtnisses, der in besonderer Weise normativ aufgeladen ist, Gruppen einen und Herrschaft legitimieren soll. Im Gegensatz dazu umfasst das „Speichergedächtnis“ jenes Wissen, das „seinen vitalen Bezug zur Gegenwart verloren hat“ (ebd.). 236 Siehe dazu Kap. 2.2.6. 237 Und zwar habe sie es dergestalt geführt, daß sie einen Ruhm vnd Lob davon brachte, Piderit, Chronicon, S. 637. 238 Das 1637 vom Reichskammergericht gegen Graf Johann Bernhard zur Lippe erlassene Strafmandat führt diese frühere Vormundschaft, die testantibus publice Chronicis & facti evidentia sei, als Beweis an; vgl. Copia Mandati Paenalis, fol. 35v. 239 Vgl. die Abschrift der Revocatio Errorum des Johannes Piderit vom 20. 06. 1637, in: L 7 A, Nr. 1. Man habe ihn überzeugt, so Piderit darin, dass er einem Irrtum aufgesessen sei. Richtigerweise habe Hermann Simon, der Bruder des verstorbenen Grafen, das Regiment zusammen mit den Bürgermeistern von Lemgo und Lippstadt geführt. Dies entsprach im Übrigen den historischen Tatsachen, da Katharina lediglich die Haushaltung, nicht jedoch das Landesregiment geführt hatte. Ein weiterer Punkt, den Piderit in seinem Widerruf richtig­stellte, betraf den Besuch der Reichstage. Er habe in seiner Chronik übersehen, so schrieb er, dass zum Reichstag in Worms 1545 ein Johann Helfmann, seines Zeichens Prokurator am Reichskammergericht, als Bevollmächtigter für beede hern gebruder Graff Bernhard und Hermen Simon zur Lipp, hochloblicher gedachtnuß, alß beide ohngemittelte Reichsstande (ebd.) abgesandt worden war. Vermutlich war Johann Bernhard dies ein wichtiger Hinweis auf den reichsunmittelbaren Status der nachgeborenen Söhne.

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änderte, ist zu bezweifeln. Doch lässt sich an der Episode, wie schon am Umgang der Grafen mit dem Chronisten Hamelmann, erkennen, dass Nachrichten über die gräfliche Geschichte vor allem dann sensible Punkte treffen konnten, wenn sie unmittelbar die Identifikation und Legitimation von Rechtsansprüchen betrafen. Insofern erweckt die historiographische Praxis der Grafen, hier verstanden als Initiierung und Rezeption von Chronikprojekten, den Eindruck, dass sie die dynastische Geschichte in erster Linie als Mittel der Rechtswahrung verstanden. Wie sah demgegenüber der Umgang der Grafen von Waldeck mit der Historiographie aus? Eine gedruckte Chronik im Folioformat, wie sie am Ende der lippischen Bemühungen stand, können die Waldecker nicht vorweisen. Gleichwohl waren auch sie an der Erforschung und Darstellung ihrer Geschichte interessiert und initiierten im 16. und 17. Jahrhundert diverse historiographische Projekte.240 Die älteste heute bekannte Chronik, die sich inhaltlich schwerpunktmäßig mit den Grafen von Waldeck auseinandersetzt, entstand jedoch nicht im unmittelbaren Umfeld derselben. Ihr Urheber, Konrad Klüppel, der sich nach humanistischer Manier auch Conradus Scipio nannte, war als gebürtiger Korbacher zwar ein Landeskind, stellte sein Werk 1533 jedoch als Syndikus in Diensten des Fritzlarer Stifts St. Peter fertig.241 Es steht daher zu vermuten, dass er seine Waldeckische Chronik 242 aus eigenem Antrieb und nicht auf Initiative des Waldecker Grafenhofes schrieb. Auch nutzte er keine Quellen aus dem gräflichen Archiv, sondern griff stattdessen auf bekannte Chronisten, allen voran Albertus Krantz, sowie gelegentlich das Korbacher Stadtbuch zurück, zu dem er als dortiger Stadtschreiber von 1512 bis 1517 Zugang gehabt hatte.243 Mit dem Werk in elegantem humanistischen Latein stellte er seine eigene Gelehrsamkeit zur Schau, während der Inhalt ganz einem Loblied auf die Grafen entspricht. Auch Klüppels Widmung an den Bischof Franz von Waldeck deutet darauf hin, dass er seine Chronik den Grafen antrug und auf eine Belohnung spekulierte. Mit Franz hatte er sich 240 Der Aussage von Menk, Denkwürdigkeiten, S. 90, „daß die gesamte waldeckische Chronistik des 16. und 17. Jahrhunderts von der Nähe zum Grafenhaus bestimmt war“, ist allerdings nicht uneingeschränkt zuzustimmen. Als Überblicke über die Waldecker Historiographie der Frühen Neuzeit vgl. Medding, Handschriften; sowie Curtze, Waldeckische Historiographie. 241 Zur Person Klüppels und den Entstehungshintergründen vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. I–VIII; Medding, Korbach, S. 177 f. 242 Die originale Handschrift des auch als Historia Gualdeccensis bekannten Werks ist verschollen, bekannt sind lediglich zwei Abschriften in der Hofbibliothek Darmstadt bzw. Landesbibliothek Kassel; vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. XXVII – X XXIII; Medding, Handschriften, S. 163 f. Die Chronik liegt in einer modernen Edition vor; vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. 1 – 104. Der erste der drei Teile der Chronik wurde zuvor bereits ediert bei Varnhagen, Sammlungen, Bd. 1, S. 1 – 88. Im Folgenden wird nach der Edition von Jürges zitiert. 243 Vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. XIX–XXVII.

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dabei das ranghöchste Mitglied des Grafenhauses ausgesucht. Lässt sich nun eine Rezeption der Chronik seitens der Grafen nachweisen? Über eine Reaktion des Bischofs selbst ist nichts bekannt.244 Rund dreißig Jahre nach Fertigstellung des Werks zeigten die Waldecker Grafen allerdings allmählich Interesse an ihrer Vergangenheit. Dies belegt das Schreiben eines gewissen J. Leusmann aus Korbach, bei dem sich Graf Samuel nach Informationen zur gräflichen Genealogie erkundigt hatte. Leusmann antwortete am 9. Oktober 1566, er sei auf der Suche nach der Chronik von Klüppel und werde sie ihm, sobald er sie aufgetrieben habe, zur Abschrift übersenden.245 Seine Suche blieb aber offenbar erfolglos, denn heute befindet sich kein Exemplar im gräflichen Hausarchiv.246 Die Bedeutung dieser ersten Waldeckischen Chronik liegt daher vor allem in ihrem Einfluss auf spätere Chronisten, die sich reich an ihrem Inhalt bedienten. Arbeitete Klüppel noch fernab des Grafenhofes aus eigenem Antrieb, zeichnete sich Jonas Hefentreger, genannt Trygophorus, durch seine Nähe zum Eisenberger Hof aus. Hefentreger wurde 1525 als Sohn des bedeutenden Waldecker Reformators Johannes Hefentreger geboren, war seit 1547 Pfarrer zu Nieder-­Ense und wurde im gleichen Jahr durch Wolrad II. zum Hofprediger berufen. Er fungierte als Erzieher von dessen Söhnen, wurde 1556 zum Visitator der Grafschaft und 1563 zum Superintendenten ernannt.247 Bereits seit 1544 führte er mit Wolrad einen Briefwechsel, war regelmäßiger Besucher auf dem Schloss und wurde so „geradezu der Intimus“248 des Grafen. Gerhard Menk geht davon aus, dass Hefentreger auch Zugang zum Archiv auf dem Eisenberg besaß und sein Chronikwerk folglich auch von gräflicher Seite beeinflusst wurde.249 Seine Denkwürdigkeiten 250 waren 244 In der ausführlichen Biographie von Behr wird Klüppels Chronik neben anderen dem Bischof gewidmeten Werken zwar erwähnt, nicht aber etwaige Reaktionen auf diese; vgl. Behr, Franz von Waldeck, S. 9 u. 488. 245 Vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. XXXIII f. 246 Hier findet sich lediglich ein vierseitiges Extrakt aus der Chronik, das Passagen zur Geschichte Korbachs enthält, über dessen Urheber allerdings nichts bekannt ist; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 663. 247 Vgl. Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. 183 – 189; Menk, Denkwürdigkeiten, S. 26 – 41; Medding, Handschriften, S. 179. 248 Menk, Denkwürdigkeiten, S. 16. Menk spricht zudem von einer „beständigen intellektuellen Osmose z­ wischen dem gelehrten Grafen und dem grafennahen Theologen“ (ebd., S. 84). Einige Briefe Hefentregers an Wolrad sind ediert bei Nebelsieck, Briefe. 249 Vgl. Menk, Denkwürdigkeiten, S. 34 f. u. 90. Da Hefentreger allerdings in der Hauptsache die jüngere Vergangenheit beschrieb, konnte er sich nicht zuletzt auf seine eigene Zeitgenossenschaft berufen. 250 Sie befanden sich in einem auf das Jahr 1562 datierten Sammelband Hefentregers und sind überschrieben mit den Worten: Miscellanea annotata, in quibus certa annorum series ob multarum rerum ignorantiam observari non potuit, quae si dicantur, emendationem amicam non effugient. Die Handschrift befindet sich im Besitz des Waldecker Geschichtsvereins und

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dabei keine Chronik des Grafenhauses im eigentlichen Sinn, sondern vielmehr eine bunte Ansammlung von Ereignissen, die dem Verfasser bedeutsam erschienen. Im Mittelpunkt der Darstellung steht dabei vor allem seine eigene Familie Trygophorus, deren Geschichte in historische Nachrichten politischer und konfessioneller Art aus der Grafschaft, dem Reich und ganz Europa eingebettet wird. Genealogie und Taten der Waldecker Grafen werden aber immer wieder in die Darstellung eingeflochten, was es zusammen mit dem persönlichen Hintergrund Hefentregers rechtfertigt, das Werk in die Reihe gräflicher Chroniken aufzunehmen. Allerdings sollte diese Interpretation nicht den Blick dafür verstellen, dass der Chronist vor allem den Ruhm seiner eigenen Familie im Blick hatte. So war es sicherlich eine Repräsentationsstrategie, die Taten der Hefentregers mit denen der Grafen von Waldeck chronologisch zu parallelisieren und dabei auch empfangene Ehrbezeugungen aufzuführen.251 Auch die Rezeption der Chronik durch die Grafen lässt sich nicht nachweisen, wenngleich zu vermuten steht, dass zumindest Wolrad das Werk bekannt war.252 Grundsätzlich lässt sich unter dem humanistisch gebildeten Wolrad II . ein allmählich erwachendes Interesse an der dynastischen Geschichte und Genealogie erkennen. So ist etwa eine Auflistung von bedeutenden Ereignissen des 11. Oktobers überliefert, die Hefentreger für den Grafen anfertigte, wobei er dazu reichs- und konfessionsgeschichtliche Ereignisse mit solchen der Waldecker Geschichte verknüpfte.253 Darüber hinaus befinden sich im Hausarchiv aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zahlreiche genealogische Notizen und teils flüchtig hingeworfene Ahnentafeln, Nachkommenübersichten und Herrscherabfolgen, die womöglich für Erziehungszwecke benutzt wurden.254 Neben Hefentreger teilte auch der Eisenberger Kanzler Justinian Nell das historische Interesse des Grafen und trug sich im Jahr 1577 mit dem Gedanken, eine voln­ kommene genealogiam unserer gnedigen Herrn der Graffen zu Waldecken 255 zu wurde ediert von Jürges/Leiss/Dersch (Bearb.), Waldecker Chroniken, S. 197 – 240. Im Folgenden wird nach dieser Edition zitiert. 251 So erwähnt der Verfasser beispielsweise nicht nur die Taufe des Grafen Samuel, sondern auch, dass sie von seinem Vater Johannes Hefentreger vorgenommen wurde; vgl. Trygophorus, Denkwürdigkeiten, S. 202. Gegenüber ­diesem ‚trygophorischen‘ Repräsentationsbedürfnis betont Menk, Denkwürdigkeiten, S. 35, 43, 58 u. 69, stärker diejenigen Aspekte, die auf eine apologetische Darstellung der Politik Wolrads gerade in reformatorischer Hinsicht verweisen. 252 Im Hausarchiv oder in der Hofbibliothek finden sich keine Abschriften. Das einzige bekannte Exemplar in dem von Hefentreger angelegten handschriftlichen Sammelband, der die Inititalen „JH“ trägt, deutet auf Eigengebrauch hin. 253 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 112. 254 Vgl. ebd., Nr. 24, 79 u. 120. 255 Ebd., Nr. 104, Schreiben vom 09. 02. 1577.

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verfassen, wie er seinem Landauer Amtskollegen Melchior Linde mitteilte. Da er selbst bei der Neuordnung der Repositur in den alten Urkunden nur ohn volnkommene nachrichtung colligiret 256 hatte, bat er Linde, den er im Besitz einer vollständigen Genealogie wusste, um Übersendung von dessen Arbeiten. Es ist davon auszugehen, dass diese Bemühungen auf den Wunsch Wolrads nach einer gräflichen Genealogie zurückgingen.257 Zur gleichen Zeit stand dieser nämlich auch in Kontakt mit dem gebürtig aus Korbach stammenden Gelehrten Rudolph Goclenius 258, der sich erbötig zeigte, ein entsprechendes Werk vorzulegen. Die Fertigstellung erlebte der 1578 verstorbene Wolrad allerdings nicht mehr, sodass sich Goclenius an dessen Sohn und Nachfolger Josias wandte. Aus einem Schreiben des Sekretärs Christoph von Waldeck an den Eisenberger Rat Dr. Georg Hesse ist die Reaktion des Junggrafen zu entnehmen. Josias würdige zwar die Arbeit des Gelehrten, so hieß es, hege aber Zweifel, ob es ratsam sei, die Genealogie auch im Druck zu verbreiten und damit einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Dahinter stand erneut das zeittypische Verständnis von Herrschaft als Sphäre der arcana, welches die rechtssichernde Funktion der Chroniken hervorhob und eine Veröffentlichung daher riskant erscheinen ließ.259 Von Waldeck hielt allerdings auch seine eigene Auffassung nicht zurück: Ich fur mein person halte es fur ein nutzlich undt herlich scriptum, dz wol werdt, dz es fur den tagk komme, da nur der graven privat sachen oder die man sonst heimlich helt in der Genealogia nicht recensiret wurden, wie dan der her Magister sich selbst solchs zuscheiden weiß, dz er solchs reticiren undt verbeygehen muße 260.

256 Ebd. 257 Vgl. Menk, Denkwürdigkeiten, S. 86. 258 Der in Philosophie und den Naturwissenschaften bewanderte Goclenius war in dieser Zeit Leiter des Pädagogiums in Kassel. Zuvor hatte er von 1573 bis 1575 kurzzeitig die Korbacher Stadtschule geleitet. 1581 erhielt er eine Professur an der Universität Marburg, die er bis kurz vor seinem Tod 1628 innehatte. Als Genealoge oder Historiker tat er sich dabei nicht hervor; vgl. Wolfes, Art. Goclenius; Medding, Korbach, S. 163 – 165. 259 Vgl. dazu Auge, Handlungsspielräume, S. 308, Anm. 39: „In der Aufbewahrung der Chroniken in den Archiven offenbart sich der ‚staatstragende‘ Charakter der Historiographie, die wie Urkunden und Akten als herrschaftliche arcana dort nur für einen ausgesuchten Personenkreis zugänglich verwahrt und gehütet wurden, um gegebenenfalls in Streitund Konfliktsituationen propagandistisch-­legitimatorische Argumente zur Absicherung und Untermauerung eigener Ansprüche liefern zu können.“ Dieses spätmittelalterliche Geschichtsverständnis ist nicht eins zu eins auf die Frühe Neuzeit mit ihren gedruckten Prachtchroniken zu übertragen, jedoch haben – wie Josias’ Bedenken zeigen – Reste davon die Zeit überdauert. 260 HS tAM , 115/01, Nr. 108, Schreiben des Christoph von Waldeck an Georg Hesse vom 19. 11. 1578.

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Zunächst sollte die Genealogie allerdings verschiedenen Personen aus der landes­ herrlichen Beamtenschaft zur Redaktion zugestellt werden, um dann eine Entscheidung über den Druck zu treffen. Dieser ist letzten Endes offenbar ausgeblieben, da sich kein entsprechendes Werk erhalten hat. Auch die gepurliche verehrung 261, die Goclenius für seine Arbeit im Falle der Drucklegung erhalten sollte, ist vermutlich nie gezahlt worden. Dennoch war Wolrads Interesse an dynastischer Geschichte offenbar weithin bekannt, denn auch Hermann Hamelmann wandte sich an ihn mit der Bitte um genealogische Nachrichten über die Waldecker für seine Abhandlung über die Grafen und Herren Niedersachsens und Westfalens. In dem Werk gibt er an entsprechender Stelle Auskunft über eine schwere Krankheit des Eisenberger Grafen, die diesen damals bereits befallen und an der aktiven Mithilfe gehindert habe, woraufhin sein Kanzler Nell einige Dokumente übersandt habe. Bei dieser Gelegenheit formuliert Hamelmann seine besondere Hochschätzung für Wolrad, der nicht nur äußerst gelehrt, sondern zudem ein Beschützer und Förderer der lutherischen K ­ irche gewesen sei.262 Der Ruf Wolrads bewog auch andere Gelehrte, ihre Werke an die Waldecker Grafen heranzutragen. Ein solches war etwa das Carmen des Petrus Paganus, seines Zeichens Poeta laureatus und Marburger Professor der Poesie und Geschichte, welches wohl um das Jahr 1575 entstanden ist.263 Es handelt sich um einen einseitig bedruckten, etwa 30 × 21 cm großen Bogen, der den lateinischen Text des Gedichts sowie an seiner linken Seite vier unvollendete Wappen von Waldecker Adelsgeschlechtern enthält.264 Das Werk selbst ist eine Beschreibung der Grafschaft sowie seines Herrscherhauses in eindeutig panegyrischer 2 61 Ebd. 262 Vgl. Hamelmann, Genealogiae, S. 179 f.: Ego integram genealogiam horum Comitum aliquoties reverenter petii ab illustris generoso, doctrina, virtute ac pietate excellenti Heroe D. Eubulo vel Volrado seniore, Comite VV aldechiano, patre patriae, & nutritore Ecclesia Dei, patrono verorum Evangelii ministrorum, cum me semel dignatus esset in clientulorum suorum numerum recipere, & eius quidem animus erat, voluntate promptissimus, ut mihi absolutam aliquam Genealogiam & historiam sui veteris & nobilissimi Stemmatis communicasset, nisi morbus diutinus isque gravis, quo diu bonus Heros conflictabatur, intervenisset: interim Iusti­ nianus Nellius eiusdem Volradi senioris Comitis Secretatius industrius […] fragmentum aliquod Genealogiae illustrium de VValdeche Comitum misit. Gewidmet ist der Waldecker Teil der Sammelgenealogie den zum Zeitpunkt des Erscheinens (1582) lebenden Grafen Günther (Wildungen), Franz III., Bernhard (Landau), Josias I. und Wolrad III. (Eisenberg). 263 Die Datierung orientiert sich an den im Gedicht genannten Personen. Philipp IV. (gest. am 30. 11. 1574) wird hierin bereits als verstorben betrauert, wobei Franz II . (gest. am 29. 07. 1574) – vermutlich aus Unkenntnis – noch unter die Lebenden gezählt wird. Paganus selbst starb am 29. Mai 1576, sodass das Werk kurz vor seinem Tod entstanden sein muss. Zur Person vgl. Joachim, Art. Paganus. 264 Vgl. HStAM, Slg 15, Nr. 369/24. Eine kurze Vorstellung des Werks samt deutscher Übersetzung bietet Schäfer, Carmen.

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Absicht, wobei Paganus geschickt die namentlich aufgezählten Grafen mit ihren alten Städten und Burgen verbindet, um so eine natürlich und gewachsen wirkende Beziehung z­ wischen Dynastie und Land herzustellen. Während aber die historische Dimension eher beiläufig erwähnt wird,265 liegt der Hauptakzent auf der genealogischen Breite der Dynastie, indem die lebenden, aber auch die drei in den vorangegangenen Jahren verstorbenen Grafen – Johann I., Philipp IV. und Samuel – einzeln angerufen und in topischer Manier ihre ruhmvollen Taten und charakterlichen Vorzüge hervorgehoben werden. Ungeklärt ist die Beziehung des Paganus zu Waldeck und den Grafen, ebenso wie die Frage, aus ­welchen Quellen er für seine Beschreibung des Landes und der Herrscherfamilie schöpfen konnte.266 Die Widmung des Werks an letztere ist jedenfalls ein untrügliches ­­Zeichen für die Hoffnung auf eine finanzielle Gegengabe.267 Erst einige Jahrzehnte später lassen sich wieder historiographische Anstrengungen seitens der Grafen nachweisen. Dabei zeigt die Art der Quelle erneut, dass für sie die rechtssichernde Funktion des Herkommens eine eminent wichtige Rolle spielte. Es handelt sich nämlich streng genommen um eine juristische Deduktion, also eine vor Gericht verwendbare Abhandlung über einen strittigen Gegenstand. Der Grund, warum die 1619 gedruckte Dedvctio in Continenti des Kanzlers Zacharias Viëtor in d­ iesem Zusammenhang zu nennen ist, besteht in ihrem starken Rückgriff auf die Geschichte.268 Viëtor versuchte darin, die von Hessen angezweifelte Reichsunmittelbarkeit und territoriale Unabhängigkeit der Grafschaft Waldeck zu belegen. Nachdem bereits 1605 die Hessische Chro­ nica des Wilhelm Dilich erschienen war, die Waldeck nebst den Grafschaften der Wetterau als Teil Hessens vereinnahmte,269 was Moritz von Hessen-­Kassel als Argument für die Unterordnung unter die Landgrafschaft diente, stellte Viëtor ausdrücklich heraus, dass Waldeck zur Terra Westphalica 270 gehörte. Außerdem lieferte er zahlreiche historische Argumente für die von Anfang an bestehende, stets bewahrte und auch durch die Lehnsauftragung an Hessen nicht beeinträchtigte Reichsunmittelbarkeit Waldecks. Der Kanzler kam damit einem Auftrag der 265 Paganus verweist etwa auf die große Mühe, die es macht, describere gestas Res Comitum, quos tot felicia secla tulerunt. 266 Schäfer, Carmen, S. 12 f., stellt die Vermutung auf, dass Paganus auf eine Landkarte der Grafschaft Waldeck des Kartographen Joist Moers zurückgriff. 267 Vgl. HStAM, Slg 15, Nr. 369/24: IN HONOREM Illustris & antiquae Familiae Comitvm a Waldeck Carmen humilis obseruantiae ergo ex tempore conscriptum à Petro Pagano. 268 Vgl. Viëtor, Dedvctio in Continenti. Ein Exemplar befindet sich mit anderen Flugschriften und Deduktionen aus der Zeit der Krise mit Hessen in der Hofbibliothek unter der Signatur FWHB, V Waldec., Nr. 120. 269 Vgl. Dilich, Hessische Chronica. Zur historiographischen Auseinandersetzung ­zwischen Hessen und der Wetterau siehe Fuchs, Traditionsstiftung, S. 159 – 179; Menk, Chronistik. 270 Viëtor, Dedvctio in Continenti, S. 3.

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Grafen nach, die das Herkommen als Legitimation ihrer Ansprüche im Angesicht der unmittelbaren Bedrohung heranzogen.271 Ein ähnliches Ziel verfolgte auch die im gleichen Kontext z­ wischen 1617 und 1621 entstandene Geschichtserzählung des Johann Sigismund Pappus, die sich als Handschrift im Hausarchiv findet.272 Als waldeckischer Archivar hatte Pappus uneingeschränkten Zugriff auf die Urkunden, mit denen sich die Reichsunmittelbarkeit der Grafschaft belegen ließ.273 Im Gegensatz zu Viëtors Deduktion argumentierte er zwar weniger scharf juristisch und veröffentlichte auch keine Q ­ uellen in einem eigens dafür vorgesehenen Anhang, jedoch weist seine Erzählung inhaltliche Überschneidungen auf. Häufig erwähnt Pappus nämlich Situationen, die auf die Kaisernähe oder den reichsrechtlichen Status der Grafen hindeuten. So sei etwa schon den allerersten Grafen von Waldeck vom K ­ aiser die Reichsunmittelbarkeit verliehen worden.274 War Pappus’ Geschichtserzählung auch nicht direkt vor Gericht zu verwenden, überwog doch auch hier die rechtssichernde Funktion, wobei diese natürlich auch eine identitätsstiftende Facette besaß: In der Abgrenzung zur Landgrafschaft Hessen stärkte das Werk das Selbstverständnis der Grafen als eigenständige Herrschaftsträger mit langer Tradition. Vermutlich wurde es ähnlich einem Urkundenregest dauerhaft im Archiv aufbewahrt, oder die Grafen Christian und Wolrad verfügten über persönliche Exemplare, um einen historischen Überblick zur Hand zu haben. Es gibt zudem Hinweise, dass ursprünglich noch eine großformatige Stammtafel zu der Schrift gehörte, die jedoch heute nicht mehr auffindbar ist.275 Etwa zur gleichen Zeit entstand eine weitere Chronik, deren Entstehung nicht im Kontext der Waldecker Grafenhöfe verortet werden kann, die jedoch aufgrund ihres Inhalts ebenfalls in die Reihe der hier zu behandelnden Werke gehört. Die sogenannte Corbachische Chronic 276 stammt aus der Feder des gebürtigen 2 71 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 109 f. 272 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 57. Vgl. dazu Menk, Grafschaft, S. 449; Ders., Denkwürdigkeiten, S. 89 f. 273 Den Quellenzugriff sowie den rechtssichernden und erinnernden Zweck seiner Schrift benennt Pappus selbst in seiner Vorrede; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 57, fol. 1r: ex archivis, fundatio libris, chartis, quas succisive de Anno 1617 quo primum ad Cancellariam veni, congessi, mense julio Anni 162[1], generoso domino Wolrado […] mihi & successori pro memoria transsumpsi. Hac namque serie praeconcepta, vitaque, cursus gestis, circumstantiis, conditione, animis illustris subjecti cognita, quae ab extra accessere ab Imperatoribus, principibus vicinis & caeteris facilius & faelicius intelliguntur: in usum ex conservatione jurium accommodantur melius in aliud vero exemplar non exscribatur, sit et maneat illustri Stemmati hoc vel aliud melius, unicum. 274 Vgl. ebd., fol. 1v. 275 Das Findbuch zum Handschriftenbestand HStAM, 147/1, weist sie als Tabula genealogica Waldeccensis von 1623 aus. 276 Vgl. Knipschildt, Chronic. Das einzige heute noch bekannte Exemplar ist eine Abschrift aus dem 18. Jahrhundert, in: FWHB, Regierungsbibliothek, Nr. 0087. Eine frühe Edition

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­ edebachers Philipp Knipschildt, der sein Werk 1623 abschloss, bevor er in M Straßburg über das Erbrecht im Niederadel promovierte und später als Rechtsberater schwäbischer Ritterkantone sowie als Syndicus der Reichsstadt Esslingen tätig sein sollte.277 Somit waren ihm sowohl die städtische als auch die adlige Gedankenwelt geläufig und beide schlagen sich auch in seiner Chronik nieder: Viele Ereignisse schildert Knipschildt aus Sicht der Stadt Korbach, deren stetes Bemühen um Wahrung ihrer Privilegien sich in den frühen 1620er Jahren zu dem Versuch steigerte, aus dem Waldecker Territorialverband auszuscheren.278 Daher wird etwa Heinrich der Eiserne als machtbesessener Herrscher dargestellt, der unter Verletzung der wohlerworbenen Rechte Korbachs die vormals freie Stadt unter seine Herrschaft zwang.279 Dennoch wird man die Chronik nicht einseitig als Reservoir historischer Argumente der Stadt Korbach im Streit mit ihren Landesherren interpretieren können, da diese auf der anderen Seite über weite Strecken die Darstellung bestimmen und durchaus auch in einem positiven Licht erscheinen. So werden etwa, unter Rückgriff auf altbekannte Topoi, die Tugenden einiger Grafen hervorgehoben,280 während der Verfasser beim Bericht über andere Irrungen ­zwischen Stadt und Landesherr durchaus um Ausgewogenheit bemüht ist.281 Auch typische Elemente einer Hauschronik wie die Schilderung des Ursprungs und der genealogischen Verästelungen der Herrscherdynastie finden auf Grundlage von vier verschiedenen Handschriften liefert Varnhagen, Sammlungen, Bd. 1, S. 89 – 212. Im Folgenden wird nach dieser Edition zitiert. 277 Zu seiner Person vgl. Krischer, Reichsstädte, S. 42, der ihn als „prominentesten gelehrten Apologeten“ der reichsstädtischen Privilegien bezeichnet; sowie Eisenhart, Art. Knipschild; Medding, Handschriften, S. 164 f.; Ders., Korbach, S. 179; Varnhagen, Sammlungen, Bd. 1, S. XIV f. 278 Vgl. Menk, Beziehungen, S. 102, 137 f. u. passim; Medding, Korbach, S. 200 – 210. 279 Vgl. Knipschildt, Chronic, S. 109 f.: Heinrich sei gar begierig zu herrschen gewesen […] hat er sich mit deme, was seine Vorfahren gehabt, nicht genügen lassen wollen, vnd der Stadt Corbach sehr zugesetzt, sie bedrawet, bedranget, vnd endtlich anno 1366 im Metz Monat vnter der Predigt mit drey hundert Gewaffneten ohnversehens vberfallen […] vnd sich sehr bemühet, Corbach allerdings vnter sein Joch zu bringen. Schon Varnhagen wies in einer Anmerkung darauf hin, dass der Versuch Korbachs, sich als ursprünglich freie Reichsstadt zu gerieren, nicht von den historischen Tatsachen gedeckt war. Zum tatsächlich geschehenen Überfall des Grafen auf die Stadt vgl. Medding, Korbach, S. 45 – 47. 280 Über Otto III. etwa heißt es: Er ist ein hübscher, starcker, ansehnlicher, tapffer, scharffsinniger Herr gewesen, hat mässig gelebt, ist zum Kriegen aufferzogen, auch glückhafft darein gewesen: dahero sich die benachbarte vor ihm geförchtet […] Da es auch die Noth erfordert, hat er so wohl alß andere Mangel an Kleidern, auch an Essen vnd Trincken, leyden können, vnd sich nicht alß ein Oberster, sondern alß ein ander geringer Kriegs-­Man verhalten; dardurch er sonder­ liche Zuneigung erlanget. […] hat auch so wohl vor den Armen alß den Reichen gesorget […] dahero er ein Vatter des VatterLandts genandt worden ist., Knipschildt, Chronic, S. 117. 281 So etwa bei der Darstellung eines Streits z­ wischen Korbach und Graf Philipp I. von Waldeck im Jahr 1475; vgl. Knipschildt, Chronic, S. 145 – 148.

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sich in Knipschildts Darstellung. Gleichwohl lässt sich keine direkte Verbindung des Urhebers zu den Waldecker Grafen nachweisen. Bei seinen Quellen griff er neben einigen älteren Chronisten – allen voran Konrad Klüppel –, die er an den entsprechenden Stellen gewissenhaft aufführt, auch auf die städtische Überlieferung Korbachs wie Urkunden und Protokollbücher zurück. Dieser Zugriff auf das städtische Archiv deutet auf einen Auftrag seitens des Korbacher Rates hin.282 Ob die Grafen von der Chronik, in der letztlich doch die städtische Perspektive überwog, überhaupt Notiz nahmen, ist ungewiss. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges hatten die Waldecker ihren Status als reichsunmittelbare Grafen samt der Herrschaft über ihr Territorium sichern können. Nach wie vor residierten zwei Linien getrennt voneinander in Wildungen und auf dem Eisenberg. Eine gedruckte Chronik hatte keine von beiden in Auftrag gegeben – möglicherweise, weil man sich nicht über die Ausrichtung einig werden konnte, man keine arcana preisgeben wollte, oder schlicht mangels finanzieller Ressourcen –, doch machte sich dennoch der Wunsch bemerkbar, die konsolidierte Stellung auch historiographisch abzusichern. Es ist zumindest recht wahrscheinlich, dass Daniel Prasser auf gräflichen Auftrag hin handelte, als er ab 1644 an einer großen Chronik zu arbeiten begann. Prasser war, nachdem er zunächst lange Zeit in Niederwildungen verschiedene städtische Ämter, d­ arunter mehrfach das des Bürgermeisters, bekleidet hatte, 1636 in gräfliche Dienste gewechselt und wurde kurz darauf zum Kanzleirat des Grafen ­Philipp VII . berufen.283 Als solcher lebte und arbeitete er nicht nur in unmittel­barer Nähe der Wildunger Grafen, sondern konnte auch Einsicht in deren Archiv nehmen. Dies schlägt sich in der Darstellung nieder, die sich neben alten Chroniken häufig auch auf gräfliche Urkunden stützt. An seiner Chronik arbeitete Prasser über mehrere Jahre und nahm immer wieder Veränderungen und Ergänzungen vor, sodass sie in sechs verschiedenen Fassungen vorliegt.284 Nachdem sein Dienstherr 282 Varnhagen, Sammlungen, Bd. 1, S. XV, vermutete, dass Knipschildt Korbach in seinem Rechtsstreit gegen die Waldecker Grafen unterstützt habe. Dies wurde aber von Medding, Handschriften, S. 165, unter Berücksichtigung der Reichskammergerichtsakten als unzutreffend zurückgewiesen. 283 Vgl. Reichardt, Daniel Prasser, S.  106 u.  115; Medding, Handschriften, S.  174; Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 73 f., Anm.; Steinmetz, Beamten, in: GBW 60 (1968), S. 114. 284 Die sechs im HS tAM erhaltenen Handschriften datieren auf die Jahre ­zwischen 1644 und 1653; vgl. Medding, Handschriften, S. 173 f. Eingesehen wurde lediglich ein Exemplar im Bestand HS tAM , 147/1, mit dem Titel Brevis Et Succincta Chronolo­ gia cum Tabella Genealogica Praeillustris Familiae Generosissimorum Comitum in Waldeck […], aus dem Jahr 1646. Dieses enthält neben dem Text eine gezeichnete, von Widukind I. ausgehende Stammlinie der Regenten bis zu den Kindern Georg ­Friedrichs, sowie darüber hinaus drei vollständige 32er-­Ahnenproben für die Brüderpaare ­Philipp VII ./Johann II ., Philipp Theodor/Georg Friedrich und Christian Ludwig/

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Philipp VII . verstorben und Georg Friedrich aus der Eisenberger Linie Vormund über dessen Kinder geworden war, fragte Prasser 1649 bei d­ iesem an, ob er die bereits vor über einem Jahr übersandte Chronik gelesen habe. Er bat um sein Urteil sowie das des in Landau residierenden Grafen Johann II . Die Chronik wurde somit zum Projekt der gesamten Dynastie, was sich auch in der Darstellung spiegelt, die alle Angehörigen sämtlicher Linien umfasst. Die Hinweise auf die enge Abstimmung der historiographischen Darstellung ­zwischen Chronist und Waldecker Agnaten rechtfertigten es auch, den Inhalt des Geschichtswerks als Selbstbild der Dynastie zu behandeln. Zunächst erhielt Prasser jedoch eine hinhaltende Antwort – man habe die Chronik an gut unterrichtete Personen zur Begutachtung weitergeleitet. Unterzeichnet ist das Schreiben mit Euer freunt G. Fritz 285, was auf ein vertrauliches Verhältnis z­ wischen dem Grafen und dem Wildunger Rat hindeutet. Womöglich meinte Georg Friedrich die Chronik Prassers, als er in seinen Maxi­ men über ein von ihm angeregtes Projekt schrieb: So viel nun das Herkommen betrifft des Hauses Waldeck, aus welchem Ich endsprossen, so wird auff meinen Befehl daraus ein Auszug dergestalt gemacht, daß, so weit man es erfor­ schen können, der Erste Graff unsers Geschlechts neben seinen qualitäten gesetzt, der fol­ gends die Berühmtesten und ­welche in hohe Hauser geheurahtet, an gezogen, und meines Herrn Vatters rühmliche Arbeit deutlich [werde]286.

Mit der Erforschung und Darstellung des Geschlechtsgründers, der ruhmreichsten Angehörigen sowie der prestigeträchtigsten Heiratsverbindungen beinhalteten Georg Friedrichs Pläne drei der wichtigsten Anforderungen an den Inhalt einer Hauschronik. Prassers Chronik wiederum löste diese Punkte ein. Zudem war sie noch stärker als Pappus’ Geschichtserzählung darauf bedacht, die Reichsunmittelbarkeit der Waldecker Grafen herauszustellen. Die zahlreichen Verweise auf Bewährung von Grafen im kaiserlichen Dienst, auf die Reichsbelehnung mit Bergwerken und Salinen oder auf die Einteilung des Territoriums in einen Reichskreis kulminierten schließlich in der wörtlichen Übernahme des Passus aus dem Josias II . Im 18. Jahrhundert wurde das Werk als anonymes Chronicon Waldeccense von Simon F ­ riedrich Hahn herausgegeben. Da die gedruckte Chronik bei der Angabe der Lebensdaten der Kinder Georg F ­ riedrichs von Waldeck über das Todesjahr Prassers hinausgeht, muss Hahn sie eigenhändig ergänzt oder Zugriff auf weitere Quellen gehabt haben. Im Folgenden wird nach dieser Edition zitiert. 285 HStAM, 115/01, Nr. 107, Schreiben Georg Friedrichs an Daniel Prasser vom 13. 06. 1649. 286 Ebd., Nr. 1551. Die von Georg Friedrich erwähnten ruhmvollen Taten seines Vaters bezogen sich vor allem auf die Standhaftigkeit Wolrads IV. und seines Bruders Christian im Streit mit der Landgrafschaft Hessen sowie ihr Erfolg beim Erwerb weiterer Ländereien. Da die Entstehungszeit der Maximen nicht geklärt ist, lässt sich schwer sagen, auf welches Chronik­ projekt Georg Friedrich sich an dieser Stelle bezieht.

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Westfälischen Frieden, der unter anderem die Unabhängigkeit Waldecks von Hessen festschrieb.287 Chronistik und Genealogie ließen sich nicht nur bei der Wahrung der eigenen Autonomie in Dienst nehmen, sondern auch bei der Legitimation und Durchsetzung von konkreten Rechtsansprüchen. Das belegt eine im Hausarchiv überlieferte Sammelmappe mit Materialen, die die Anwartschaft der Waldecker auf die Grafschaft Pyrmont belegen sollten. Obwohl ihnen das kleine Land bereits 1625 durch Schenkung des letzten Inhabers übertragen worden war, weigerten sich die Bischöfe von Paderborn über Jahrzehnte, die Grafen mit Pyrmont zu belehnen. Um ihre Ansprüche mit dem Verweis auf das Herkommen zu verstärken, griffen diese daher auf die Chronistik zurück. Ein Blick in die Werke von Hermann Hamelmann und Albertus Krantz bestärkte sie in der Ansicht, dass nach dem Aussterben der Grafen von Pyrmont, Spiegelberg, Lippe-­Spiegelberg und Gleichen nun sie selbst das größte Anrecht hatten.288 Ein weiteres Argument stellte der gemeinsame genealogische Ursprung der Grafen von Pyrmont und Waldeck dar. Eß ist zufoderst zu praesupponiren, vermeldet ein anonymer Bericht über die Waldecker Sukzessionsrechte, das die Herrn Graffen von Waldeck und Pyrmont ab uno Stemmate posteriren videatur Genealogia Ritterhusii und zwar von Widekind von Waldeck und Pyrmont 289. Unabhängig davon, ob nun die militärische Unterstützung Schwedens 290 oder die historisch-­juristische Argumentation letztlich den Erfolg brachten, erneut zeigt sich hier das funktionalistische Interesse an der Geschichte als Legitimation gegenwärtiger Rechtsansprüche. Als Chronisten ihres eigenen Hauses traten die Grafen nicht hervor, sondern sie waren in erster Linie Förderer, gelegentlich auch Initiatoren, meist aber schlicht Empfänger von Chroniken. Einige Grafenpersönlichkeiten wie Simon VI . zur Lippe oder Wolrad II . von Waldeck-­Eisenberg, die als besonders gelehrt und daher als den Wissenschaften gegenüber aufgeschlossen galten, wurden dabei 287 Vgl. Prasser, Chronologia, S. 866. 288 So steht unter einem vermutlich vom ersten Rat der Korbacher Landkanzlei, Dr. S­ peirmann, gezeichneten Stammbaum, der die letzten Inhaber der Grafschaft Pyrmont aufführt, folgender Vermerk: Und wohe es sich begibt, daß keine manliche Geschlecht von den von ­Spiegelbergk vorhanden, daß alßdan erst den dochteren, oder dennen so auß dem geblüth deren von S­ piegelbergk sein, Ihre Erbschafft daran fürzuhaten seie. Dieweill nun Pyrmondt mitt einer Dochter auff Spiegelbergk kommen, und darmitt einer Tochter Ursula auf Lipp, von dar auf Gleichen per Walpurgie, und auff dehren Sohn Philipp Ernst, illoß mortuo kein Blut von Spiegelbergk mehr ubrigk. Sic quaeritur, daß die von Waldeck für recht darauf fordern konnen. Vocatur Hamelmannus Crantzius, HStAM, 115/01, Nr. 105. 289 Ebd., undatierter Bericht (nach 1654). Bei der erwähnten Genealogie handelte es sich um die 1653 von Nicolaus Rittershausen herausgegebene „Genealogia Imperatorum, Regum, Ducum, Comitum, praecipuorumque aliorum procerum orbis Christiani ab anno MCCCC“. 290 Vgl. Menk, Waldecks Beitrag, S. 39.

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überdurchschnittlich häufig mit Widmungen einschlägiger Werke beehrt, wobei von Wolrad auch mehrere eigene Anstöße zur Erforschung der dynastischen Geschichte ausgingen. Seitens der Chronisten war es vor allem die Hoffnung auf gräfliche Gunsterweise und eine materielle Belohnung, die sie zur Abfassung und Widmung ihrer Werke veranlasste. Sie schrieben den Grafen also ein ausdrückliches Interesse an der historischen Darstellung ihrer Dynastie zu. Über eine Reaktion oder gar finanzielle Entlohnung ist nur in den wenigsten Fällen etwas bekannt, aber man muss generell von wohlwollender Aufnahme ausgehen, da viele Werke Eingang in die Hausarchive gefunden haben. Im Umgang mit der dynastischen Historiographie unterschieden sich die Grafen zur Lippe und von Waldeck kaum. Die wichtigste Funktion lag für beide in der Absicherung von gegenwärtigen Herrschafts- und Besitzansprüchen sowie wichtigen Privilegien durch das Herkommen. Chronologischen und genealogischen Aufzeichnungen kam hier die g­ leiche Beweiskraft zu wie alten Urkunden, weshalb man sie im Archiv oder sogar in der Kanzlei aufbewahrte. Besonders der Nachweis der Reichsunmittelbarkeit war von entscheidender Bedeutung für die ständische und politische Stellung der Grafen im Reichsgefüge. Vor allem die Waldecker hatten im Streit mit Hessen die Kraft historischer Argumente zu schätzen gelernt, die in großer Zahl Eingang in ihre Deduktionen für den Reichshofrat fanden. Zensierend wurde ebenfalls nur dann eingegriffen, wenn konkrete Rechtsansprüche betroffen waren, wie die Fälle Hamelmann und Piderit in der Grafschaft Lippe zeigen. Die Darstellung der Geschichte wurde dann brisant, wenn sie unmittelbar die Interessen der Gegenwart berührte, was ein wichtiger Grund für die Adligen war, ihre Deutungshoheit zu behaupten. In solchen Fällen äußerer Bedrohung zeigte sich die Dynastie relativ geschlossen, und es lassen sich keine Beispiele für ‚deviante‘ Chronikprojekte anderer Mitglieder finden. Eine repräsentative Funktion hatten lediglich ­solche Chroniken, die in den Druck gegeben wurden, also das Chronicon Comitatus Lippiae des Johann Piderit, aber auch historiographische Festgaben wie Annibal Nullaeus’ Genealogie aus Anlass der Geburt des lippischen Thronfolgers. Die Waldecker veröffentlichten bis 1650 überhaupt keine gedruckte Chronik, nicht zuletzt aus Angst vor der Veröffentlichung arkanen Herrschaftswissens – eine spätmittelalterliche Vorstellung, die sich bis weit in die Neuzeit hinein hielt.291 Auf dem Buchmarkt gehandelte Sammelgenealogien wie die Werke Hermann Hamelmanns mochten ebenfalls die ruhmreiche Geschichte der behandelten Dynastien verbreiten, verfolgten aber stärker einen wissenschaftlich-­kompendiarischen Anspruch. Der Befund, dass nur 291 Noch 1710 machte sich Conrad Berthold Behrens, ein weiterer Chronist der Lipper Dynastie, darüber Sorgen, ob irgendt aus einer Staatsraison der Stambaum zum Druck nicht gelangen solte, wie dan alß ein auswertiger des Hochgräfflichen Hauses interesse in allen stucken so genau nicht wißen können, LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 1, Schreiben vom 09. 02. 1710.

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ein verschwindend geringer Bruchteil der dynastischen Geschichtsschreibung der Frühen Neuzeit überhaupt gedruckt wurde, sollte also zu einer gewissen Vorsicht gegenüber der These verleiten, die Chroniken ­seien in erster Linie Argumente im Prestigewettbewerb der Dynastien gewesen. Die allermeisten Werke lagen nur als Handschriften in geringer Anzahl vor und über ihre konkreten Funktionen jenseits der Rechtssicherung ist wenig bekannt. Vermutlich wurden sie auch aus einem historischen Interesse heraus von Angehörigen der Dynastien gelesen und spielten womöglich eine Rolle in der Unterrichtung und Erziehung des Nachwuchses. Insofern käme ihnen in der Tat auch eine wichtige Bedeutung für die Schaffung eines gruppenspezifischen Eigenbewusstseins zu. Um dieser These weiter nachzugehen, wird im Folgenden der Inhalt der Chroniken in den Blick genommen. 4.2.2 Ursprungsmythen und Spitzenahnen Darnach ists auch in sonderheit einem jeglichen Adelichem Stamme eine besondere grosse ehre / wenn man denselben viel Jar vnd zeitlang zu rücke beweisen kan / denn so viel elter ein Adelich Geschlecht ist / so viel herrlicher ist es auch 292, dozierte Cyriakus Spangenberg in seinem Adels-­Spiegel. In der Tat war der Nachweis des Alters ein inhaltliches Hauptmerkmal der dynastischen Chronistik, deren darstellerische Prinzipien kurz erläutert werden sollen. Als narratives Grundgerüst einer Chronik diente in der Regel die Genealogie der Dynastie, das heißt, es wurden in chronologischer Reihenfolge die aufeinander folgenden Generationen von Herrschern beschrieben. Darüber hinaus lassen sich im Wesentlichen vier inhaltliche Merkmale unterscheiden, die die meisten Chroniken aufwiesen: Erstens musste der Ursprung der Dynastie erzählt werden, wobei grundsätzlich galt: je weiter zurückliegend, desto besser, da sich nach der Anciennität einer Dynastie ihre Adelsqualität bemaß.293 Berühmte Spitzenahnen versprachen zusätzlichen Gewinn an symbolischem Kapital. Zweitens musste der Nachweis über die ununterbrochene genealogische Kontinuität des Geschlechts vom Ursprung bis zum gegenwärtigen Vertreter der Dynastie erbracht werden.294 Eine rein agnatische 292 Spangenberg, Adels-­Spiegel, 2. Teil, fol. 21r. Und weiter: Summa / es zieret vnd erhebt einen Edlen Stamm gar sehr / wenn er alt ist / vnd von viel langen Jaren her geweeret / das gantze Geschlecht wird dadurch herrlich vnd bey jederman ansehenlich gemacht / Denn man helt von denen viel mehr vnd höher / deren Voreltern von viel hundert Jaren her jrer redlichen thaten halben gerhümet werden / vnd von denen man in Chronicken vnd andern Büchern lieset / denn von andern / von welcher Vorfaren vnd Vreltern man nichts höret / noch von jnen zu reden oder zu schreiben weis. (fol. 21v). 293 Vgl. Heinemann, Herkommen, S. 89; Werner, Ahnen, S. 207. 294 Vgl. Melville, Transzendenzräume, S. 145 – 149; Bauer, Wurzel, S. 14 – 32; Kersken, Hofhistoriographen, S. 138; Johanek, Schreiber, S. 199. Johanek sieht darin in erster Linie

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Stammfolge war dabei von Vorteil, jedoch ließen sich mit etwas darstellerischem Geschick auch Brüche in der Genealogie verschleiern.295 Drittens galt es, die Geschichte der Dynastie mit der des von ihr beherrschten Landes in Deckung zu bringen, um die Herrschaftslegitimation und die Identifikation der Untertanen mit der Herrscherfamilie zu stärken.296 Viertens war es schließlich von Vorteil, wenn eine Genealogie neben den eigentlichen Herrscherfiguren, deren Taten möglichst positiv dargestellt wurden, weitere berühmte Verwandte aufweisen konnte, etwa ruhmvolle Kriegshelden, Bischöfe oder gar Heilige. Auch affinale Beziehungen zu den großen Königs- oder Fürstendynastien waren, wenn man sie nachweisen konnte, eine Erwähnung wert.297 Jüngere Forschungen haben darauf aufmerksam gemacht, dass der Adel als Stand zwar auf die Erinnerung seines Herkommens angewiesen war, dass sein Umgang mit der Vergangenheit zugleich aber recht pragmatisch und flexibel sein konnte. Was und wie erinnert wurde, hing in erster Linie von den Bedürfnissen der Gegenwart ab und unterlag dementsprechend einem stetigen Wandel.298 Im Folgenden soll sich die Untersuchung zunächst auf die in den Chroniken geschilderten Ursprungserzählungen der Dynastien konzentrieren. Diese sind in besonderer Weise „fundierende Geschichte“299, indem sie das kulturelle Gedächtnis und damit die gemeinsame Identität einer Gruppe formen. Im späten Mittelalter begannen vor allem die mächtigen Fürsten, Geschichtsschreiber und Genealogien mit der Erforschung ihres Herkommens zu beauftragen. Diese überboten sich gegenseitig in der Postulierung immer weiter zurückliegender Ursprünge und berühmterer Spitzenahnen, wobei die Grenze zum Fiktiven schnell überschritten war. Während etwa zahlreiche Dynastien des Reiches sich auf Karl den Großen als Gründer des Geschlechts beriefen, nahmen andere eine bis in die Antike reichende Abstammung für sich in Anspruch. Mit immer prominenteren Ursprungserzählungen entsprachen die Gelehrten den Erwartungen ihrer adligen Auftraggeber.300 Neben biblischen und mythischen Spitzenahnen war vor allem die Abstammung von antiken Helden ein verbreiteter eine „legitimatorische Funktion für die Stabilität der Landesherrschaft“ (ebd.). 2 95 Vgl. Melville, Transzendenzräume, 151 f.; Althoff, Fiktionen. 296 Vgl. Schneider, Geschichtsschreibung, S. 228 u. 263; Stauber, ­Herrschaftsrepräsentation, S. 378; Moeglin, Dynastisches Bewusstsein, S. 635. 297 Vgl. Melville, Technik, S. 295 – 301. 298 Vgl. Wrede, Furcht, S. 405 f.; Werner, Ahnen, S. 31; Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 30. 299 Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 77. In Bezug auf frühneuzeitliche Fürstenchroniken dazu Fuchs, Traditionsstiftung, S. 9 f. Grundlegend auch Gehrke, Mythos, der mit dem Begriff der „intentionalen Geschichte“ letztlich das Gleiche bezeichnet. 300 Vgl. Auge, Handlungsspielräume, S. 308 f. Zum Motiv der „Antiquas“, also des Alters einer Dynastie, ebd., S. 322 – 326.

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Topos im spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Adel. Besonders einflussreich wurde dabei der Reichsrechtler Peter von Andlau mit seiner Herkunftslegende des deutschen Adels als Nachkömmlinge der Trojaner.301 Allerdings konnten Ursprungsmythen nicht völlig willkürlich erfunden werden, sondern mussten auf methodisch nachvollziehbaren Schlüssen beruhen. Beliebte Methoden der ‚Ansippung‘ waren etwa etymologische Ableitungen oder die Identifikation von gleichen Wappen zweier Dynastien.302 Erst allmählich entwickelte sich im 17. Jahrhundert eine wissenschaftliche Kritik, die allzu spekulative oder übersteigerte Ursprungsmythen als falsch zurückwies.303 Des Weiteren mussten sich neue Mythen in den Kreis der schon bestehenden plausibel einfügen, um von den Standesgenossen anerkannt zu werden. Diese übernahmen nämlich im Reich, das im Gegensatz zu Frankreich keine königliche Kontrollinstanz für adlige Ursprungsmythen kannte, eine Art kollegialer Überprüfungsfunktion für erinnerungskulturelle Prätentionen.304 Die Geschichtsforschung des 19. und frühen 20. Jahrhundert hat den frühneuzeitlichen Geschichtswerken wenig Beachtung geschenkt, da sie vielfach unkritisch voneinander abschrieben, dabei jeglichen historisch-­kritischen Sinn vermissen ließen und ‚fabelhafte‘ Geschichtsmythen verbreiteten.305 Erst im Zuge der Erforschung adlig-­dynastischer Mentalität fand ein Bewertungswandel statt, indem man die Chroniken „nicht nur auf verwertbare Fakten, sondern auch auf ihre historiographischen Absichten“306 sowie auf das Selbstverständnis ihrer Auftraggeber hin befragte. In ­diesem Sinne stellt sich also die Frage nach dem Wissen der Adligen über ihre genealogische Herkunft. Spätestens seit der Wiederentdeckung 301 Constat itaque omnes Germanos et Theutonicos principes et nobiles ab antiqua Trojanorum et Romanorum prosapia ortu primitivo descentisse., zit. nach Hecht, Erfindung, S. 15, Anm. 65. 302 Vgl. Althoff, Fiktionen; Wolf, Chronik, S. 33 – 4 6. 303 Vgl. Wrede/Carl, Einleitung, S. 22 f.; Wrede, Mythen, S. 42 f.; Disselkamp, U ­ rväter, S. 52 – 54. Zur äußerst seltenen genealogischen Kritik des Mittelalters vgl. Melville, Trans­ zendenzräume, S. 153 – 160. 304 Vgl. Wrede, Furcht, S. 224; Asch, Nobilitierungsrecht; Joos, Herkommen, S. 151. 305 Vgl. exemplarisch für eine s­ olche Sichtweise, die die Chroniken nicht als Zeugnisse des historischen Denkens ihrer Epoche wahrnahm, sondern in ihnen Informationen über die behandelte Zeit suchte, das Urteil der Herausgeber der Lippischen Regesten über eine Chronik des 16. Jahrhunderts: Sie sei „ohne allen historischen Werth und, wie so viele andere Chroniken aus jener Zeit, soweit sie nicht Relationen aus den Lebzeiten der Verf. liefern, durch die neueren auf urkundlichem Materiale beruhenden historischen Arbeiten völlig unnütz geworden. Sie enthalten Nichts als die fabelnden Berichte aus Rüxner’s Turnierbuche […] u. s. w. und eine trockene Aufzählung der zum Theil nur zur Ausfüllung erdachten weiteren Geschlechtsfolgen. Von Nachrichten über die Zustände des Landes und Volkes ist kaum die Rede“, LR I, S. 19 f. Noch Kittel, Heimatchronik, S. 167, urteilte in den 1970er Jahren über Piderits Chronicon Comitatus Lippiae, es sei „ohne historischen Wert“. 306 Seigel, Geschichtsschreibung, S. 99.

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des Lippifloriums im 16. Jahrhundert galt den Grafen zur Lippe Bernhard – später der Zweite genannt – als Gründer ihrer Dynastie. Das Loblied bezeichnet ihn als Ursprung des lippischen Geschlechts, origo sanguinis egregii 307. Zwar werden auch seine Eltern erwähnt, doch bleiben sie namenlos und spielen im weiteren Verlauf der Darstellung nur eine marginale Rolle.308 Stattdessen wird die Person Bernhard als tapferer Krieger im engsten Umfeld des Kaisers, als Gründer von Städten, frommer Mönch und schließlich als Heiden missionierender Bischof vorgestellt. Das Paradox des Dynastiegründers, der ja selbst immer schon von irgendjemandem abstammt, wird mithin dadurch gelöst, dass er sich durch ruhmreiche Taten aus der namenlosen Masse heraushebt. Seine Werke und sein berühmter Name, die durch das Lippiflorium dem Vergessen entrissen werden sollten, machen ihn zum Spitzenahn. Im Fortgang der Erzählung werden zwar ­Kaiser und Papst erwähnt, doch tragen sie keine Namen, sodass sie nicht als historische Persönlichkeiten identifiziert werden können. Statt einer genauen zeitlichen Verortung intendiert das Lippiflorium eine gewissermaßen zeitlose Heldenerzählung, die als immer gültiges Vorbild und als Quelle der Identifikation für die Nachgeborenen dienen soll. Einem genuin historischen Interesse an den Ursprüngen der Dynastie vermochte es damit freilich nicht zu genügen.309 Spätere Chronisten haben daher versucht, die lippische origo genauer zu beschreiben und vor allem in frühere Zeiten zu verlegen. Besonders einflussreich wurde dabei der Benediktinermönch Bernhard Witte mit der in seiner 1520 vollendeten Geschichte Westfalens geäußerten Ursprungstheorie, die für etwa hundert Jahre Gültigkeit beanspruchen konnte. Er vermutete, dass die Edelherren zur Lippe vom römischen Patriziergeschlecht der Orsini abstammten.310 Die Orsini hatten im Spätmittelalter einen rasanten sozialen Aufstieg erlebt und bildeten im 15. Jahrhundert neben den Colonna die mächtigste Familie Roms, aus deren Reihen zahlreiche Kardinäle und einige Päpste hervorgingen.311 Die Forschung hat sich inzwischen intensiv mit dem Phänomen beschäftigt, dass 307 Zit. nach Althof (Bearb.), Lippiflorium, S. 24. 308 Diese s­ eien bereits adlig gewesen, hatten aber keinen großen Besitz: Nobilis iste puer, quem progenuere parentes / Moribus insignes, nobilitate pares – / Quorum nobilitas major quam copia rerum, / Sed fuit ex proprio victus honestus eis, ebd. Immerhin eröffnet seine adlige Abstammung Bernhard die Möglichkeit, ins Stift Hildesheim einzutreten: Ergo tam famae casua quam sanguinis alti Hildesemensis eum colligit ecclesia, ebd. 309 Haye, Politische Intention, S. 174, argumentiert, dass Justinus die „Züge des Parvenu und homo novus“ bei Bernhard bewusst waren, eine mythische Herkunft aber unglaubwürdig gewesen wäre und er ihn aus d ­ iesem Grund als von Gott auserwählten heiligen Sünder darstellte. 310 Vgl. Witte, Historia, S. 394: vir quidam nobilis admodum ex generoso Romanorum stemate, Ursinorum scilicet familia ortus. 311 Vgl. Allegrezza, Art. Orsini.

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eine Ansippung an eine der beiden Familien am Ausgang des Mittelalters beim Adel im Reich äußerst populär war.312 Der Grund für diese auf den ersten Blick nicht eben naheliegende ‚Wahlverwandtschaft‘ wurde weniger in der zeitgenössischen Machtposition beider Familien im Kirchenstaat gesehen, als vielmehr in der Verheißung einer direkten genealogischen Verbindung zum antiken Rom.313 Das Prestige einer altrömischen Abstammung sollte über die in der Gegenwart dominanten Orsini vermittelt werden und auf die transalpinen Grafen- und Fürstenhäuser ausstrahlen. Dabei kam es auch hier auf die Plausibilisierung der Verbindung an. Während etwa die Fürsten von Anhalt ihre Verwandtschaft zu den Orsini – oder Ursinern, wie sie im Reich genannt wurden – über die etymologische Nähe zu Albrecht ‚dem Bären‘ erklärten,314 war es bei den Lippern das Wappenbild der Rose, das sie mit der römischen Familie teilten. Zur Zeit ­Bernhard Wittes war die Abstammung von einem römischen Geschlecht bereits ein verbreiteter Topos, der grundsätzlich auf Akzeptanz stieß.315 Quellen, die eine unmittelbare Rezeption der Lipper belegen würden, sind bislang nicht bekannt, jedoch scheinen sie den Orsini-­Mythos mit der Zeit als Eigengeschichte übernommen zu haben. Er findet sich nämlich nicht nur bei Witte, sondern wurde im 16. Jahrhundert von nachfolgenden Chronisten wiederholt, deren Werke sich zum Teil im Hausarchiv befanden, etwa bei Jonas Latomus Scherer und Gerhard Kleinsorgen.316 Auch ein Gelehrter wie Hermann H ­ amelmann gab diese verbreitete Forschungsmeinung wieder, ohne sich ihr allerdings explizit anzuschließen.317 Andere Chronisten der Lipper Dynastie variierten den römischen Ursprung und postulierten stattdessen eine Abstammung vom Geschlecht der Manlier,318 wobei es hier wesentlich schwerer ist, historiographische Vorbilder zu finden. Johannes Falconius Gerlach etwa beginnt seine lippische Genealogie mit einem Eberhard gebohren aus dem Edlen Stamm der Manlioner von Rom 319, und dem folgten die beiden gräflicherseits stark rezipierten Schreiber Johannes Pyrmontanus 320 und 3 12 Vgl. Maťa, False Orsini; Paravicini, Colonna. 313 Vgl. ebd., S. 58 f.; Maťa, False Orsini, S. 156. 314 Vgl. Hecht, Erfindung, S. 16. 315 Vgl. Schreiner, Legitimation, S. 411. 316 Vgl. LAV NRW OWL, D 71, Nr. 26 (Scherer), fol. 25r bzw. ebd. (Kleinsorgen), fol. 6v. 317 In seiner Sammelgenealogie schreibt er, Witte behaupte, dass die Lipper, ex Vrsinis Nobilibus Romanis traxisse originem, qui gerunt prater Leonem, rubeam rosam, pro insignibus, sicut etiam Lippienses Domini quoque in insignibus suis gerunt Rosam rubeam: alii censent eos à Rosinis Nobilibus Romanis, descendisse. […] Ego ea pono ut reperio, Hamelmann, Genealogiae, S. 109. 318 Dieses ist in der Antike belegt, war aber im Gegensatz zu Orsini und Colonna im 16. Jahrhundert ausgestorben. 319 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84 (Gerlach), S. 17. 320 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 1 (Pyrmontanus) (unfoliiert).

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Annibal Nullaeus.321 Beide Ursprungserzählungen existierten gleichzeitig nebeneinander, offenbar ohne dass die Zeitgenossen etwas daran auszusetzen hatten. Gemeinsam war ihnen, dass sie der lippischen Grafendynastie ein besonderes Maß an symbolischem Kapital verliehen, welches sie über Standesgenossen ohne entsprechenden Abstammungsnachweis erhob. Eine weitere Gemeinsamkeit ist, dass in keinem Fall eine lückenlose Genealogie von der Antike bis in die Gegenwart geliefert wird. Nach einem pauschalen Verweis auf die römische Abstammung wird meist ein konkreter Spitzenahn vorgestellt, der zur Zeit eines namentlich genannten Kaisers lebte und sich durch kriegerischen Mut hervortat. Lediglich die Person des Kaisers variiert in den Werken, wobei eher zurückhaltende Chronisten wie Scherer und Kleinsorgen für ein erstmaliges Auftreten der Lipper unter ­Kaiser Lothar von Süpplingenburg plädieren – und damit dem heutigen Stand der genealogischen Forschung recht nahekommen –, während andere wie Gerlach, Nullaeus und Pyrmontanus einen unbenannten Lipper an den Anfang ihrer Genealogien stellen, der im Heer Karls des Großen gedient habe. Dabei konnten sie auf die verbreitete Legende zurückgreifen, dass Karl der Große römische Adlige aus Italien nach Sachsen bzw. Westfalen geführt und dort zu Grafen gemacht habe. In den meisten Fällen springt die Genealogie dann zu den Nachfolgern, die sich unter Kaisern wie Ludwig dem Frommen, Heinrich I. oder eben Lothar verdient gemacht hatten, ohne dass die zeitlichen Lücken thematisiert würden. Grundsätzlich boten alle Erklärungsansätze also nicht nur das Prestige eines im geschichtlichen Halbdunkel liegenden antik-­römischen Ursprungs auf, sondern auch die Gewissheit, dass die ersten Herren und Grafen 322 zur Lippe sich durch besondere Kaisertreue, militärischen Mut und ritterliche Tugenden ausgezeichnet hatten. Kritik an der Italienlegende erhoben zuerst humanistische Gelehrte, die im Sinne eines erwachenden (kultur-)nationalen Bewusstseins auf die Eigenständigkeit der Deutschen pochten.323 So postulierte bereits Konrad Celtis denselben Ursprung von Griechen und Deutschen, die damit wesentlich älter s­ eien als die Römer.324 Dies hatte auch Auswirkungen auf die römischen Ursprungsmythen der Adligen, denen zunehmend mit wissenschaftlicher Kritik, aber auch mit Spott 321 Nullaeus, Genealogia, spricht Simon VI . in seiner Widmung als de Manlii Prognate stirpe an. Im weiteren Verlauf seiner Darstellung weist er einen italischen Ursprung freilich wieder zurück: Certè non Italis stirpis primordia nostrae Lippiacae dabimus, Lippia tota sua est. (ebd., S. 4). Da die frühesten Ursprünge im Dunkeln lägen, begnüge er sich mit der Beschreibung des ersten, noch namenlosen Lippers im Heer Karls des Großen. 322 Tatsächlich projizierten viele Chronisten den erst seit 1528 geführten Grafentitel der Lipper auf die Anfangszeiten zurück, was sich mit der Legende von der Grafenerhebung durch Karl den Großen in Einklang bringen ließ. 323 Vgl. Garber, Trojaner; Münkler/Grünberger/Mayer, Nationenbildung, bes. S. 163 – 233. 324 Vgl. Garber, Trojaner, S. 157.

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und Polemik begegnet wurde.325 Daher begannen Chronisten im Auftrag der Adligen, neue Herkunftslegenden zu suchen oder die alte These schlicht umzukehren. So behauptete Ernst Brotuff in seiner Anhaldisch Chronick aus dem Jahre 1549, dass nicht die Anhaltiner von den Ursinern abstammten, sondern vielmehr beide dem (mythischen) Geschlecht der Beringer entsprungen ­seien.326 Mit einiger zeitlicher Verspätung ging diese Vorstellung auch in die lippische Chronistik ein, nämlich als Johann Piderit in seinem Chronicon Comitatus Lippiae mit Rückbezug auf Brotuff und andere ebenfalls behauptete, die Ursiner und Manlier s­ eien keine Römer, sondern in Wahrheit deutschen Ursprungs, was sich bei letzteren etymologisch auch an ihrem Namen, der vom Wort ‚Mann‘ abgeleitet sei, erkennen lasse.327 Die Grafen zur Lippe stammten daher auch nicht von den Römern ab, sondern s­ eien altsächsischen Ursprungs und bereits unter die Edlen gezählt worden, bevor Karl der Große sie zu Grafen erhoben habe.328 Mit dieser Korrektur brachte Piderit die lippische Genealogie nicht nur auf den aktuellen Stand der humanistischen Historiographie, sondern förderte auch das Ansehen seiner Auftraggeber: Während vom altrömischen Ursprung ohnehin kein symbolisches Kapital mehr auszugehen schien, bedeutete die autochthone Herkunft aus sächsischem Adel, dass ihr Status unabhängig von den Kaisern errungen war. Zwar konnten diese ihn durch Standeserhöhungen noch verbessern, nichts jedoch am Geburtsadel der Lipper ändern. Folglich liegt der Fokus in Piderits Darstellung weniger stark als bei seinen Vorgängern auf der Bewährung der Grafen im kaiserlichen Dienst. Schließlich lässt sich feststellen, dass sich die Kritik am Orsini-­ Ursprung allein aus einem humanistischen Impetus heraus speiste, nicht jedoch aus einem genuin reformatorischen Denken. Es bleibt die Frage, ob es auch dem Lutheraner Piderit übel aufstieß, dass die Grafen zur Lippe entfernte Verwandte der römischen Päpste sein sollten. Verglichen mit den zum Teil spektakulären Ursprungsmythen der Lipper nehmen sich die historiographischen Erzählungen über die Grafen von Waldeck erstaunlich bescheiden aus. Übereinstimmend berichten Konrad Klüppel, ­Hermann Hamelmann, Philipp Knipschildt und Daniel Prasser von einem Grafen Widukind I. von Schwalenberg als waldeckischem Spitzenahn. Konrad Klüppel machte dabei in seiner Chronik von 1533 den Anfang: Vitikindum comitem de Schualenberg […] splendore nobilitateque magnificum atque in armis strenuum christianaeque religioni deditissimum virum […] Ab hoc Vitikindo insignis generosorum, illustrium et nobilium comitum a Waldeck […] familia vetustam originem 325 Vgl. Schreiner, Legitimation, S. 414; Joos, Herkommen, S. 141. 326 Vgl. Hecht, Erfindung, S. 19; Maťa, False Orsini, S. 201 f. 327 Vgl. Piderit, Chronicon, S. 218 f. 328 Vgl. ebd., S. 217 f. Dies zeige sich auch an ihrem Doppeltitel ‚Edelherren und Grafen‘; vgl. ebd., S. 228 f.

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trahit, ex antiquissimo nobilissimoque nimirum veterum Saxonum sanguine, prosapia et lineis: quae profecto non infima laus est in viris alioqui laudatissimis.329

Den Chronisten des 16. Jahrhunderts – und damit ihren adligen Auftraggebern – war also bewusst, dass sich die Dynastie der Waldecker genealogisch auf eine ältere Familie zurückführen ließ. Wie lösten sie nun das sich hier besonders aufdrängende Spitzenahnparadox auf und rechtfertigten ihre These, dass mit Widukind eine neue Dynastie ihren Ausgang genommen habe? Zum Teil überhaupt nicht. Klüppel etwa schildert Widukind zunächst als Gründer des Klosters Marienmünster, später dann als Führer verschiedener Fehden.330 Insgesamt agiert sein Protagonist, der über weite Strecken gar nicht in der Darstellung vorkommt, damit eher wie ein typischer Adliger seiner Zeit und kann nicht, wie Bernhard zur Lippe, auf ein besonderes Charisma zurückgreifen. Hundert Jahre nach Klüppel übernahm Philipp Knipschildt in seiner Corbachischen Chronic dessen Ursprungserzählung, schmückte sie aber ein wenig aus: Die Historien vnd Genealogien vermelden, daß die Graffen zu Waldeck von WIDEKIND , Graffen zu Schwalenberg, posteriren vnd herkommen, welchem, weil er ein tapfferer Kriegs­ man vnd dem Christlichen Glauben sehr zugethan gewesen, Kayser Carolus Magnus das Jus Advocatiae, oder die Vogteyliche Obrigkeit, vber das Bischoffthumb Paderborn gegeben hat; daß er die Geistlichen in Verrichtung des Gottesdienstes vnd Vbung dero damahls eingeführten Religion, gegen die heydnische auffrührische halsstarrige Leute verthedigen solte.331

Auffällig ist zunächst die Rückverlegung von Widukinds Lebensspanne von der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts in die Zeit der Sachsenzüge Karls des Großen, wodurch sich die Anciennität der Dynastie dramatisch erhöhte. Was den Waldecker Spitzenahn nach Ansicht Knipschildts persönlich auszeichnete, waren sein Kriegsmut sowie seine Festigkeit im Glauben, die ihn zum Paderborner Vogt qualifizierten. In dieser Funktion sei er geradezu ein Bollwerk des Glaubens gegen die Heiden gewesen. Allerdings hätten sich erst seine Nachkommen als Grafen zu Waldeck bezeichnet, während anfangs Schwalenberg und Waldeck „Ein Stam vnd Ein Nahme gewesen“332 ­seien, was sich auch im gleichen Wappen – dem achtstrahligen Stern – niederschlage.

3 29 Klüppel, Chronik, S. 11. 330 Vgl. ebd., S. 19. 331 Knipschildt, Chronic, S. 91 f. 332 Ebd., S. 92. Knipschildt irrt allerdings bei seiner Behauptung, dass die Grafschaft Schwalen­berg nach dem Aussterben der Schwalenberger Linie an die Waldecker gefallen sei und die Überreste von deren Burg noch im Amt Eisenberg beim Dorf Schwalenfeld zu sehen s­ eien.

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Eine Ausnahme bei den postulierten Ursprungsmythen stellt lediglich die Chronik des Johann Sigismund Pappus dar, die eine Abkunft vom gleichnamigen Herzog der Sachsen suggeriert: Posteri Wittekindi de reliquiis terrae quae Carolus vel non desolavit vel ipsis restituit, vel restituta ab ipsis, de Schwalenberg arce intra Comitatum Waldeccensem vel Schwalenber­ gensem arce extra hunc Comitatum scripserunt se Comites Stellam nigram insigne armorum (qu* diversis coloribus aliis quoque familiis ab hoc Wittekindo descendentibus communis) retinuerunt 333.

Eine ­solche Ansippung an den berühmten Sachsenherzog wurde von Pappus’ Nachfolger Daniel Prasser ausdrücklich abgelehnt. Prasser folgte nämlich der Meinung Knipschildts, Karl der Große habe Widukind von Schwalenberg zum Vogt des Bistums Paderborn eingesetzt, was er auf das Jahr 780 datiert. Herzog Widukind sei dagegen erst fünf Jahre später überhaupt zum Christentum konvertiert.334 Hier schien die wissenschaftliche Kritik über die Versuchung zu triumphieren, einen prestigeträchtigen Vorfahren zu akquirieren, zumal Prasser andere Dynastien erwähnt, die seiner Ansicht nach tatsächlich vom Sachsenherzog abstammten.335 Allerdings war auch die frühe Verleihung der Paderborner Vogtei durch Karl den Großen keine unwichtige Auszeichnung, wenngleich mit ihr keine unmittelbaren Rechtsansprüche mehr einhergingen.336 Erst um 1700, als die großen Fürstendynastien sich längst von ihren mythischen Ursprungs­ legenden distanziert hatten, gab es erneut einen Versuch, die Grafen von Waldeck auf Herzog Widukind zurückzuführen.337 Wie lässt sich die konstatierte Zurückhaltung bei der Erforschung der genealogischen Ursprünge der Grafen von Waldeck erklären? Offenbar war die ­Theorie der schwalenbergischen Abstammung so plausibel und verbreitet unter den Gelehrten, 333 HStAM, 115/01, Nr. 57, fol. 1v. Leider ist das Manuskript besonders auf den ersten Seiten an vielen Stellen zerstört, sodass eine vollständige Rekonstruktion des Inhalts nicht möglich ist. Es hat den Anschein, dass Pappus nach der Bemerkung über die Nachfahren des Herzogs Widukind zu einer Aufzählung der Waldecker Grafen übergeht, die jedoch bei einem Schwalenberger ihren Ausgangspunkt nimmt. 334 Vgl. Prasser, Chronologia, S. 804: Errant itaque, qui originem Comitum Waldeckorum a Widekindo Saxonum Duce volunt ducere, cum hic Dux quinquennio post, nempe anno 785 (alii 786) demum a Carolo M. ad Christianam religionem conversus. 335 Vgl. ebd.: Ab hoc Duce Widekindo Saxoniae, orti sunt Electores & Duces Saxoniae, Angriae, Westfaliae, Sueuiae, Bauariae, Holsatiae, Duces Brunsuicenses & Luneburgenses, Marchiones Brandenburgenses, & Misniae, Landgrafii Thuringiae, Comites Oldenburgenses, & alii. 336 Prasser erwähnt auch, dass man die Vogteirechte gegen die Verpflichtung zur Abhaltung von Seelenmessen für die waldeckischen Vorfahren sowie 2400 fl. wieder abgetreten habe. Vgl. ebd., S. 811. 337 Vgl. HS tAM , 115/01, Nr. 51. Einen weiteren Versuch aus der Mitte des 18. Jahrhunderts erwähnt Zunker, Adel, S. 146.

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dass sich nicht ohne Weiteres etwas anderes behaupten ließ. Zudem traf diese Ursprungserzählung nicht die kulturnationalistische Kritik der Humanisten, denn alter sächsischer Adel und eine Bewährung unter Karl dem Großen waren weithin akzeptiert. Erstaunlicherweise ging aber auch keiner der Chronisten dem Ursprung der Grafen von Schwalenberg nach, die ihrerseits keine genuin dynastische Chronistik hinterlassen hatten. Die sich dadurch bietende Möglichkeit einer noch weiteren Rückführung der Stammlinie blieb ungenutzt und man begnügte sich stets mit dem Verweis auf die Schwalenberger. Ihre gemeinsame Identität als Dynastie, aber auch ihr Prestige im Wettbewerb der Adelsgesellschaft zogen die Grafen von Waldeck offenbar eher aus anderen Dingen, nicht aber aus einem mythischen Ursprung. 4.2.3 Genealogische Kontinuität Die Genealogie als eine grundlegende Form der Weltdeutung ist besonders gut geeignet, die „Eigenzeit“ der Dynastie – nämlich die von ihr prätendierte Herrschaftsweitergabe über Generationen von miteinander blutsverwandten Individuen – dar- und herzustellen.338 Genealogisches Denken demonstriert gleichermaßen Anciennität wie Qualifikation einer endogamen Gruppe oder eines ihrer Mitglieder, besitzt aber auch die Fähigkeit, Identitäten epochenübergreifend zu erfassen. Zeitraum und familiäre Überlieferung werden nicht als ungegliedertes Kontinuum entgegengenommen, sondern in einzeln wahrnehmbaren Etappen rhythmisiert.339

Zugleich führt die Genealogie jedoch auch zu einer Enthistorisierung der Vergangenheit, denn sie erzeugt eine „Präsenz des Anfangs in der Gegenwart, eine Gemeinschaft der ganzen Sippe, die den toten Spitzenahn als Anwesenden unter den Lebenden vorstellt“340. Auch in den Chroniken spielte die Herausstellung der genealogischen Kontinuität seit dem Spitzenahn eine wichtige Rolle, war sie doch Ausweis der Herrschaftsbefähigung des gegenwärtigen Dynastieoberhauptes. Aus ­diesem Grund traten die Chronisten der Grafen zur Lippe in einen regelrechten Wettbewerb um die Länge der von ihnen herausgearbeiteten Generationenketten. Jonas Latomus Scherer etwa schließt seine Genealogie mit den resümierenden 338 Vgl. Rehberg, Institutionen als symbolische Ordnungen, S. 59. 339 Heck, Genealogie, S. 32. 340 Heck/Jahn, Einleitung, S. 4. Vgl. zum genealogischen Denken weiterhin Melville, Technik; Ders., Transzendenzräume; Seitschek, Adel; Tanneberger, Visualisierte Genealogie; Kellner, Ursprung. Zur geschichtlichen Entwicklung der Genealogie im 17. Jahrhundert vgl. Schröcker, Deutsche Genealogie.

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Worten: Und sind also von Eberhardo dem Ursiner biß hieher funfzehen zelung, ­welche sich schier funfte halb Hundert Jhar erstrecken.341 Nach dem gleichen Muster verfuhr die nur wenige Jahre später vollendete Genealogie des Johannes Falconius Gerlach, der jedoch für sich in Anspruch nahm, die Grafengeschichte um eine Generation (Zählung) und ganze 300 Jahre verlängert zu haben: Von Eberhard dem Manleoner von Rom sind biß hieher 16 Zählung, w ­ elche sich in die 7½ hundert Jahr erstrecken.342 Diesem Trend folgten jedoch nicht alle Chronisten; im 17. Jahrhundert ist sogar eine Abkehr von allzu spekulativen Grafenfiguren aus der Frühzeit zu bemerken, sodass die Gesamtzahl der Generationen wieder rückläufig war.343 Generell blieb die Betonung der Generationenabfolge aber ein wichtiges Darstellungsmerkmal und Stilmittel der Chroniken. Besonders deutlich lässt sich dies etwa an der Genealogia des Johannes Pyrmontanus erkennen, da hier die Generationen, jeweils repräsentiert durch das Dynastieoberhaupt und seine Gemahlin, auch grafisch deutlich hervorgehoben werden.344 Dadurch wird der Akzent auf die agnatische Linie gelegt, während etwaige Geschwister nur im anschließenden Fließtext erwähnt werden. Auch Annibal Nullaeus orientiert sich in seiner Genealogie an der chronologischen Abfolge der Generationen, die er nicht nur mit römischen Ziffern nummeriert, sondern durch die grafische Darstellung der Wappen des jeweiligen Herrschers und seiner Gemahlin besonders hervorhebt (siehe Tafel 2). Dabei ging es ihm neben dem Nachweis der Kontinuität vor allem um eine Herausstellung der berühmten Verwandtschaft der Lipper, die durch die in jeder Generation eingegangenen Ehen geschaffen worden war. Eng verkettet werden die Generationen im Chronicon Comitatus Lippiae; zum einen in der integrierten Stammtafel, wo der Verfasser stets die Wendung ‚NN zeugte‘ voransetzt und anschließend die Namen der Nachkommen aufzählt, was auffällig an die Darstellung der Abstammung Jesu im Matthäusevangelium erinnert,345 zum anderen durch die Überschriften der Kapitel innerhalb der eigentlichen chronikalen Darstellung, die sogar den Generationenbegriff führen.346 Allerdings ­werden 341 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 26, fol. 32r. 342 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84 (Gerlach), S. 27. 343 So führte Annibal Nullaeus in seiner panegyrischen Genealogie von 1586 ganze 22 Generationen auf (was ihm nicht zuletzt dadurch gelang, dass er den Bruder Bernhards VIII., Hermann Simon, als eigene Generation behandelte), während Johannes Pyrmonatus elf Jahre später noch auf 18, Johann Piderit in seinem Chronicon nur noch auf 14 Generationen kam. 344 So sind auch die einzelnen Abschnitte überschrieben mit Das erste Gliedtt, Daß ander Glied usw. Darunter stehen in zwei Kreisen die Namen des jeweiligen Dynastieoberhaupts, der zugleich Herrscher ist, sowie seiner Gemahlin. Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 1 (Pyrmontanus). 345 Vgl. Piderit, Chronicon, S. 285 – 288. 346 Z. B.: Die erste GENERATIO vnd Stammes Gradt des Gräfflichen Lippischen Geschlechts, ebd., S. 292.

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in den entsprechenden Abschnitten dann auch die meist geistlichen Brüder des jeweiligen Landesherrn – teilweise sogar ausführlicher als dieser – behandelt, brachten sie doch zusätzliches Prestige. Töchter finden hingegen nur in Ausnahmefällen größere Beachtung, etwa dann, wenn sie eine namhafte Heirat eingegangen waren.347 Meist bleibt es jedoch bei knappen Erwähnungen. Zwar galt gerade für die nicht durch ältere Chroniken, Urkunden oder Grabdenkmäler zu belegenden frühen Generationen, dass zum Teil erhebliche zeitliche Lücken zu überbrücken waren, doch je weiter die Darstellung in die ­jeweilige Gegenwart reichte, desto ergiebiger sprudelten die Quellen. Zudem war es aufgrund einer kontinuierlichen Vater-­Sohn-­Filiation im Haus Lippe, die erst 1650 endete, aber auch dann agnatisch weitergeführt werden konnte, nicht notwendig, genealogische Brüche zu verschleiern. Lediglich die Furcht vor dem drohenden Aussterben begleitete die Grafen, was sich auch historiographisch niedergeschlagen hat. So berichtet Caspar Pezel über Walburg von Bronkhorst, die erste Gemahlin Simons V., deren Ehe bis auf einen früh verstorbenen Sohn kinderlos geblieben war: Als aber genannte Greffin gemerket, daß sie unfruchtbar gewesen undt ihres Herren Bru­ ders Shone auch Bernhardt genandt vorstorben, hat sie Gott offt angeruffen, daß er sie von disem Jammerthal furderen undt eine andere undt fruchtbare Greffin an ihre stat schafften wolte. Welches gebet Gott gnediglich erhorett 348.

Die später von Johann Piderit übernommene Anekdote 349 ist zwar nicht durch entsprechende Selbstzeugnisse der Gräfin belegt, spiegelt jedoch eindringlich die vorherrschende Auffassung, nach der Kinderlosigkeit ein schwerer Makel einer Ehe war. Das Gefühl, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können, sowie die Sorge um den Fortbestand der Dynastie könnten also durchaus zu derartigen Todeswünschen geführt haben. Auch über die ganz ähnlichen Sorgen Simons VI. schreibt Piderit in seiner Historia Simonis.350 Obwohl das ganze Land für einen Nachfolger betete, wollte sich in seiner Ehe mit Ermgard von Rietberg kein Nachwuchs einstellen, bis die Gräfin laut Piderit schließlich von Gott abgefordert wurde, sodass Simon zu seiner Neuvermählung schreiten konnte. Als schließlich der Sohn Bernhard geboren wurde, sei der Edle Stamm wieder grünen und 347 Vgl. ebd., S. 495 f. 348 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84 (Pezel). 349 Vgl. Piderit, Chronicon, S. 610: Walburg habe sich offt gewüntschet / damit das Land nicht Erbloß würde / daß sie Gott gnedige möchte abfordern / vnd derowegen auch ihren Herrn Graffen Simon in Kranckheit vnd letzten TodsZügen getröstet / Er sol sich vmb ihren Todt nicht bekümmern / dann wenn sie todt sey / so werde der Graffschafft Heyl vnd Wolfarth begegnen / wie denn auch hernechst geschehen ist. 350 Siehe zu beiden Fällen auch Kap. 3.1.1.

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blühend worden und es erfreuete sich das gantze Land […] dan die gantze wohlfahrt des Landes bestund alleine auf dem einigen erben 351. Umso größer war die Trauer, als Bernhard mit gerade einmal fünfzehn Jahren in Kassel verstarb, wo er an der Hofschule des Landgrafen Moritz eine dem zukünftigen Landesherrn angemessene humanistische Bildung erhalten sollte. Der Verfasser eines lateinischen Epicediums drückt die enttäuschte Hoffnung auf eine Fortführung des Geschlechts durch Bernhard folgendermaßen aus: In te fixa tuae spes & fiducia gentis / Ut pri­ mogenito spes quoque magna fuit.352 Zugleich verbindet er seine Furcht vor einem Aussterben der Dynastie mit der Metapher der abgeknickten Rose. Der Bezug auf das lippische Wappen war ein beliebtes Stilmittel bei Chronisten und Panegyrikern, da es sich hervorragend zur Symbolisierung eines scheinbar natürlich gewachsenen Gebildes, das aber auch der beständigen Pflege bedurfte, eignete.353 Auch in der waldeckischen Chronistik spielte die Betonung der genealogischen Kontinuität eine Rolle, bestimmte die Darstellung aber nicht so prominent wie in der lippischen. Das hatte vor allem mit den zahlreichen Linienbildungen der Waldecker Grafen zu tun, die eine streng lineare Vorgehensweise unmöglich machten. Für die frühere Zeit vom jeweils angenommenen Spitzenahnen bis zur ersten Teilung im Jahr 1397 ließ sich noch eine lineare Abfolge von Herrschern bilden, wie es etwa Daniel Prasser in seiner Chronologia unternimmt. Ausgehend von Widukind I. von Schwalenberg und Waldeck erwähnt er nacheinander die (zumindest teilweise fiktiven) Grafen Albrecht (Albertus), Wilhelm, Widukind II. und Theodor.354 Dabei handelt es sich jedoch nicht um Väter und Söhne, denn ihre Lebensspannen liegen zu weit voneinander entfernt. Generell lässt sich feststellen, dass die untersuchten Chroniken bei den von ihnen überlieferten frühen Nachfahren Widukinds stark voneinander abweichen. Es hat also den Anschein, dass, während über den Spitzenahn ein erstaunlicher Konsens herrschte, die sich anschließenden Ahnenabfolgen angesichts ihrer großen Variabilität weniger relevant waren, solange sie Anciennität und Kontinuität suggerierten. In Prassers 3 51 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 86 (Piderit), fol. 32v. 352 Epicedia in praematurum Obitum (unfoliiert). 353 Beispielsweise wurde als eine der Hauptleistungen Elisabeths von Holstein-­Schaumburg auf ihrer Sarginschrift hervorgehoben, dass sie dem Geschlecht durch Gebären eines Nachkommens zu neuem Leben verholfen, die schon fast abgestorbene Pflanze erneut zum Blühen gebracht hatte: Ego sum per quam rosa paene extineta [exstincta] revixit lippica, zit. nach Thelemann, Herrschaftliche Gruft, S. 173. Über eine früh verstorbene Tochter Simons VII . heißt es dagegen in ihrer Leichenpredigt: Auß dem Lippischen Rosengarten ist eine schöne Staude gerissen, Theopold, Menschlicher BlumenSpiegel, S. 72 (Exemplar in: LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 89). Auch Nullaeus, Genealogia, bedient sich der Rosenmetapher: Lippiaci Rosa, sola soli viret atq[ue] virebit, / Illius & nunquam flos moriturus, erit. 354 Vgl. Prasser, Chronologia, S. 803 – 806.

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Genealogie beginnt schließlich erst mit Heinrich I., der ausdrücklich als Sohn seines Vorgängers Widukind II. bezeichnet wird, tatsächlich eine Filiationskette, wobei zunehmend auch weitere Geschwister sowie deren geistliche Ämter oder Heiratspartner genannt werden. Wo sich seit dem späten 14. Jahrhundert verschiedene Linien auszubilden begannen, wählt Prasser eine chronologische Darstellungsweise, handelt also stets die etwa zur gleichen Zeit lebenden Personen linienübergreifend nacheinander ab. Durch diese Entscheidung ist eine Generationenabfolge oder eine sonstige genealogische Ordnung in der Darstellung kaum zu erkennen.355 Einen anderen Weg wählt Philipp Knipschildt in seiner Corbachischen Chronic, die trotz ihrer Orientierung an der Stadt Korbach die Genealogie der Grafen in den Mittelpunkt ihrer Erzählung stellt. Genau wie Prasser beginnt er zunächst mit einer Herrscherabfolge, wobei er mit jenem zwar hinsichtlich des Spitzenahns Widukind von Schwalenberg übereinstimmt, bei den in der Folge genannten Personen aber stark abweicht. Ausgehend von der Teilung 1397 handelt er hingegen zunächst nur die alte Landauer Linie bis zu deren letztem Repräsentanten Otto IV. ab, bevor er die alte Waldecker Linie in den Blick nimmt. Da diese sich bereits nach zwei Generationen erneut in die Linien Wildungen und Eisenberg aufspaltete, orientiert sich der Chronist zunächst an der einen, dann an der anderen, was erhebliche Zeitsprünge in der Darstellung zur Folge hat. Die Praxis der Linienteilung stellte die Chronisten und Genealogen also vor nicht unerhebliche Darstellungsprobleme. Dabei ist zu konstatieren, dass alle untersuchten Werke stets sämtliche Linien behandelten, auch wenn die jeweilige Gewichtung unterschiedlich war. Dadurch stärkten sie das Bewusstsein für die Zusammengehörigkeit der Dynastie. Insgesamt betonten die Waldecker Chroniken stärker die genealogische Breite als die strikte agnatische Linie, wie es in der Lipper Chronistik der Fall war. Insofern spiegelte die Erinnerungskultur hier auch die Sukzessionspraxis wider. Neben den textförmigen, ihrem Prinzip nach linear angeordneten Chroniken gab es freilich noch andere, praktikablere Möglichkeiten, genealogische Kontinuität darzustellen, etwa in grafischer Form. Dabei lassen sich mit Kilian Heck grob zwei Darstellungsweisen unterscheiden: die linear-­additive und die hierarchisch-­ analytische 356. Erstere führt entweder in Form einer Stammtafel alle, mithin auch die kognatischen Vorfahren oder Nachkommen einer Person auf, oder sie trifft als Ahnenreihe eine Auswahl und führt etwa nur den agnatischen Filiationsstrang ­zwischen zwei Personen auf, was insbesondere für Sukzessionsfolgen von Bedeutung ist. Hierarchisch geht dagegen das System der Ahnentafel vor, das übersichtlich alle direkten Vorfahren eines Probanden bis zu einer bestimmten 355 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die typografische Darstellung in der gedruckten Version von Hahn womöglich vom ursprünglichen Manuskript abweicht. 356 Vgl. Heck, Genealogie, S. 43 – 61.

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Generationenzahl aufführt, wodurch sich eine Verdopplung der jeweiligen Personenzahl (zwei Eltern, vier Großeltern usw.) ergibt. Vor allem in Bezug auf die von geistlichen Stiften geforderte adlige Ahnenprobe war d­ ieses System von praktischer Relevanz.357 Neben dieser Unterscheidung lässt sich weiterhin ­zwischen retrospektiver (Aufführung der Vorfahren eines Probanden) und prospektiver (Aufführung der Nachkommen eines Probanden) Blickrichtung differenzieren. Der geläufige Begriff des Stammbaums lässt sich auf jene Stammtafeln eingrenzen, die sich bei der grafischen Darstellung tatsächlich der (stilisierten oder naturgetreuen) Form eines Baumes bedienen.358 Ein besonders prachtvolles Exemplar eines Stammbaums ist in der Fürstlich-­ Waldeckschen Hofbibliothek überliefert (siehe Tafel 3).359 Obwohl die genauen Entstehungsumstände unbekannt sind, lässt sich das Werk auf das späte 16. Jahrhundert datieren.360 Der äußeren Form nach handelt es sich nicht um eine mit einem Blick zu erfassende Gesamtdarstellung, sondern um ein aus 17 handschriftlich bezeichneten und beschrifteten Seiten zusammengebundenes Heft im Folioformat. Die grafische Darstellung nimmt je zwei Drittel der Seite ein, während der übrige Platz einer Spalte mit Namensbeschriftungen vorbehalten ist. Aufgrund der Linearität der Darstellung zieht sich der ‚Baum‘, der stärker einem beinahe unendlichen, sich gelegentlich verzweigenden Ast ähnelt, über 14 Seiten, wobei die grundsätzliche Leserichtung von unten nach oben bisweilen umgekehrt wird. Eine Besonderheit liegt darin, dass alle aufgeführten Personen grafisch als detaillierte und kolorierte Bruststück-­Porträts samt ihren Wappen dargestellt sind. Der Stammbaum beginnt in Übereinstimmung mit der Chronistik bei Graf Widukind von Schwalenberg, dem zusätzlich die Jahreszahl 777 beigefügt ist. Heraldisch links von Widukind ist seine unbenannte Gemahlin dargestellt, während z­ wischen beiden das schwalenbergische Wappen mit dem schwalbenbesetzten Stern prangt. Aus ­diesem Spitzenahnenpaar entspringt der Baum und mündet im nächsten Paar, Albertus von Schwalenberg mit seiner Frau, datiert auf 840, gefolgt von Graf Otto und Gemahlin, datiert auf 1073. Die Grafen der folgenden Seite – Lothar, Friedrich, Konrad und Manfred – tragen alle das (leicht abgewandelte) Wappen der Burggrafschaft Magdeburg mit dem Waldecker Stern im Herzschild, da sie als Magdeburger Burggrafen vorgestellt

3 57 Siehe dazu Kap. 3.2.1. 358 Vgl. Bauer, Wurzel, S. 45 – 94; Klapisch-­Zuber, Stammbäume. 359 Vgl. FWHB, V Waldec., Nr. 9. Die darauf befindliche Bemerkung von der Hand Varnhagens (antehac in Archivis asservata) deutet auf eine vorige Verwahrung im gräflichen Hausarchiv hin. Vgl. Schultze, Bildnißstammbaum, S. 169. 360 Der jüngste abgebildete Spross ist Josias’ Sohn Christian, während seine jüngeren ­Geschwister Juliana und Wolrad IV. nur als Namen nachgetragen sind, was auf eine Entstehung um das Jahr 1586 hindeutet.

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werden. Dieser genealogische Irrtum sowie die genannten Personen finden sich auch in der Chronik von Johann Sigismund Pappus, der vermutlich auf den Stammbaum als Quelle zurückgegriffen hat.361 Die folgende Seite führt wiederum Schwalenberger Grafen auf, bevor schließlich mit Graf Widukind von Waldeck der erste Träger des schwarzen Sterns auftritt. Hier wird die Ansippung der Waldecker an die Schwalenberger auch heraldisch augenfällig. Neben den Dynastieoberhäuptern sind stets ihre Gemahlinnen abgebildet, deren unterschiedliche Wappen die prestige­trächtigen Heiratsverbindungen der Dynastie vor Augen führen. Je weiter der Stammbaum fortschreitet, desto häufiger treten als Nebenäste weitere Agnaten auf, zunächst nur Bischöfe, zunehmend aber auch nichtgeistliche Geschwister. Das aufgrund von vergrößertem Wissen erweiterte Personal sowie die Linienbildungen führen daher gegen Ende zu einer gewissen Unübersichtlichkeit. An den Stammbaum schließen sich einige historische Notizen, vornehmlich über wichtige Rechtsgeschäfte und Privilegierungen, an. Im Grunde war auch die hier gewählte lineare Darstellungsweise nicht optimal für die Abbildung der verschiedenen Waldecker Linien. Dagegen führte sie eindrücklich das Alter und die Kontinuität des dynastischen Stammes vor Augen. Im Gegensatz zu stilisierten Stammtafeln ist hier sogar ein gewisses Bemühen um Historisierung zu erkennen, insofern, als der Spitzenahn Widukind antikisierende Tracht samt Turban trägt und auch die nachfolgenden Burggrafen in ihrer Erscheinung eher ‚mittelalterlich‘ wirken, während die jüngeren Generationen trotz der Individualität der einzelnen Porträts allesamt eher im Geschmack der Zeit gekleidet sind. Gerade die Kontinuität von den mythischen Ursprüngen bis in die unmittelbare Gegenwart symbolisierte für den Betrachter aber auch die dynastische Eigenzeit, in der es keine Brüche gab. Trotz ihrer prachtvollen Aufmachung diente der Stammbaum vermutlich weniger repräsentativen Zwecken als vielmehr dem Hausgebrauch. So konnten die Dynastieangehörigen sich beim Betrachten als Glied einer langen Kette fühlen und die damit verbundene Verpflichtung verspüren, ­dieses Erbe fortzuführen – insbesondere durch eine hochrangige Heirat und die Zeugung von Nachkommen. Häufiger als exzeptionelle Prachtstammbäume sind in den ­Hausarchiven Zeugnisse der Gebrauchsgenealogie überliefert, die aufgrund der hohen Bedeutung des genealogischen Denkens den Alltag der Adligen prägte. Vielfach ging es dabei um die Ermittlung und Absicherung von Rechtsansprüchen 361 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 57, fol. 2r. Pappus führt hier in Übereinstimmung mit dem Stammbaum die Burggrafen Lothar, Friedrich, Konrad und Manfred auf, wobei er letztere ebenfalls übereinstimmend als Halbbrüder bezeichnet. Bei der genealogischen Einverleibung der Burggrafen von Magdeburg handelte es sich wohl um eine Verwechslung mit den Grafen von Walbeck. Daniel Prasser lehnt diese genealogische Verbindung als falsch ab, da er die Burggrafen für böhmischen Ursprungs hält; vgl. Prasser, Chronologia, S. 806.

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und Erbfolgen.362 Wohl aus diesen Gründen begann auch Maria Magdalena von Waldeck, die Witwe Simons VII . zur Lippe, ihr hauptsächlich als Rechtssammlung genutztes Tagebuch mit einer Ahnentafel ihrer Kinder.363 Eher dem Überblick über das gesammelte symbolische Kapital dienten hingegen ­solche genealogischen Aufzeichnungen, die die Konsanguinität mit berühmten Häusern herausstellten.364 Darüber hinaus förderte die Genealogie auch das ­Gruppenbewusstsein durch die Vergewisserung über die gemeinsame Abstammung. Während die Grafen als Chronisten oder Haushistoriker im Untersuchungszeitraum nicht in Erscheinung traten, lässt sich ein umso stärkeres Interesse für Genealogie bei ihnen identifizieren. Häufig gingen ­zwischen den Mitgliedern der Familien Briefe hin und her, in denen genealogische Fragen eine Rolle spielten. Dabei waren nicht zuletzt auch eingeheiratete Frauen Träger der dynastischen Erinnerungskultur.365 So bedankte sich Anastasia von Schwarzburg, die Gemahlin Wolrads II . von Waldeck, am 7. Mai 1565 bei ihrem Schwager Johann über die Zusendung einiger Wappenzeichnungen und bat zugleich um die Ergänzung eines Verzeichniß der Waldegkschen Anchen 366, welches sie zu ­diesem Zweck mitsandte. Dieses führte die mütterlichen und väterlichen Vorfahren ihres Gemahls bis in die Urgroßelterngeneration auf. Offenbar machte Anastasia sich innerhalb der Dynastie einen Namen als Genealogieexpertin, denn ein Jahr später wandte sich Johann nun seinerseits mit einer Frage an sie. Auch er legte eine Stammtafel mit den Vorfahren seiner Frau Anna zur Lippe bei, die es zu ergänzen galt.367 Da Anna als verheiratete Frau keiner Ahnenprobe als rechtlichen Nachweises ihrer Herkunft mehr bedurfte, ist von einem rein historischen Interesse auszugehen. Die Beispiele zeigen jedoch, dass das genealogische Wissen beim Hochadel des 16. und 17. Jahrhunderts durchaus lückenhaft war. So wandten sich nach dem Tode des Grafen Wolrad II . die waldeckischen Räte an Simon VI . zur Lippe, da sie zur Errichtung einer Grabdecken oder Leichstein mit deroselben Sechtzehen 362 Vgl. etwa den im 18. Jahrhundert eingerichteten Bestand LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 2 Genealogica, der in Genealogien der Haupt- und Nebenlinien unterteilt ist. Hierin befinden sich zahlreiche gezeichnete, teils skizzenartige Stammbäume aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Viele Quellen stammen aus der Zeit nach 1709, als die Braker Nebenlinie im Mannes­ stamm ausstarb und die Nachfolge der Detmolder Hauptlinie genealogisch begründet werden musste. 363 Vgl. LAV NRW W, U 164, Handschriften, Nr. 52a, fol. 1v. 364 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 49: Genealogische Tafeln zur Verwandtschaft z­ wischen den Häusern Waldeck und Hessen, sowie Nr. 120: diverse genealogische Notizen über Eheschließungen. 365 Vgl. beispielsweise diverse Akten zu genealogischen ­Themen in der persönlichen Überlieferung der Gemahlin Christians, Elisabeth von Nassau-­Siegen, im Bestand 115/01. 366 HStAM, 115/01, Nr. 941, Schreiben vom 07. 05. 1565. 367 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 1023, Schreiben vom 01. 12. 1566.

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Anichen 368 noch einige Lücken in der Ahnentafel des Verstorbenen zu füllen hätten. Man bat Simon daher, er möge in seinen Archiven nach ob angeregten Anichen uffsuchen, mit beiliggender delineation conferiren, undt bey zeigern uns gnedig geschrifften berichten lassen, ahn welchem ortt etwa Irthumb, undt wie derselb zu emendiren wie auch der Mangel zu ergentzen 369 sei. Die beiliegende Skizze zeigte eine halbierte Ahnenprobe der mütterlichen Vorfahren Wolrads, die bei der lippischen, hoyaschen und rietbergischen Verwandtschaft einige Leerstellen aufwies, die Simon mit seinem Wissen füllen sollte (siehe Tafel 4). Vor einem ähnlichen Problem stand 1608 Christian von Waldeck, als er sich mit Bitte um Auskunft über einen Vorfahren an seine Tante Katharina, die Äbtissin von Schaaken, wandte. Katharina konnte nur bedingt behilflich sein, verwies aber darauf, dass zu Netze in waldeckescher Herren Begräbnus und zum Eyßenbergk am Baum ferner nagrichtung wirt zufinden sein 370. Als Quellen genealogischen Wissens empfahl sie mithin die Epitaphien in der dynastischen Grablege im Kloster Netze 371 sowie einen Baum auf dem (Schloss) Eisenberg. Ob es sich bei letzterem um einen großen Stammbaum gehandelt hat, ist aufgrund der Zerstörung des Schlosses leider nicht mehr zu ermitteln. Die naheliegende Variante – ein Blick in die Hauschroniken – kam Katharina erstaunlicherweise nicht in den Sinn. Fehlerhafte oder unvollständige Genealogien finden sich schließlich auch in den Lipper Beständen, wie etwa die gezeichnete Ahnenprobe für Bernhard VIII ., die freilich erst in der Generation der Urururgroßeltern – das entspricht 32 Ahnen – einige Lücken aufweist.372 Eine genaue Kenntnis über die eigenen Vorfahren war also erforderlich für die Herstellung von Ahnenproben, die einerseits als Rechtsdokumente für den Eintritt in geistliche Institutionen benötigt wurden und andererseits als Schmuck und öffentlicher Ausweis der adligen Herkunft an Grabdenkmälern dienten. Ein weiteres wichtiges Medium für die Verbreitung adliger Genealogie waren die seit der Reformationszeit aufkommenden Leichenpredigten. Da diese in Adelskreisen häufig gesammelt wurden, ließ sich damit eine „breitere Öffentlichkeit unter den Standesgenossen“373 adressieren. Als gedruckte Form der Memoria dienten sie nicht nur der Tröstung der Angehörigen, sondern vor allem dem weltlichen Gedenken an den Verstorbenen. Hatte Luther, der mit seiner Leichenpredigt auf Friedrich den Weisen in gewisser Weise als ‚Erfinder‘ des Genres gelten kann, 368 LAV NRW OWL, L 49 5/3, Nr. 8, Schreiben vom 23. 05. 1579. 369 Ebd. 370 HStAM, 115/01, Nr. 1979, Schreiben vom 19. 07. 1608. 371 Siehe dazu Kap. 4.3.3. 372 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 2, undatierte Ahnenprobe für Bernhard IX. [­ entspricht VIII. nach heutiger Zählung]. 373 Czech, Legitimation, S. 68.

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eine Aufnahme des Lebenslaufs des Verstorbenen in die gedruckten Predigten noch abgelehnt, fanden die an die eigentliche Predigt angehängten Personalia-­ Teile spätestens im 17. Jahrhundert rasche Verbreitung.374 Gerade der Adel nutzte diese neben der Beschreibung des tugendhaften Lebens des Verstorbenen auch für die Darstellung der vornehmen Herkunft, sodass die Bedeutung des neuen Mediums für die dynastische Repräsentation trotz seiner Verwurzelung im Bereich der Frömmigkeit stieg.375 Die Leichenpredigten des Waldecker Grafenhauses wurden jüngst durch Dominik Motz ausgewertet, sodass an dieser Stelle auf seine Ergebnisse zurückgegriffen werden kann. Bis 1650 konnte er zehn Funeralschriften ermitteln, die Angehörigen der Grafendynastie gewidmet waren 376 und von denen wiederum acht im Auftrag der Dynastie entstanden.377 Anhand eines konkreten Beispiels – einer Leichenpredigt für Josias I. – weist Motz etwa dessen Witwe Maria von Barby-­ Mühlingen als treibende Kraft hinter dem Publikationsprojekt nach.378 Außerdem konnte er eine durchschnittliche Auflage der gedruckten Predigten von 100 bis 200 Exemplaren ermitteln, was vergleichsweise niedrig ist. Es ging den Grafen also nicht um einen kommerziellen Vertrieb auf dem Buchmarkt, sondern um eine persönliche Übersendung der Werke an befreundete Standesgenossen, hohe Beamte und andere Familienmitglieder.379 Zudem nahm sich die Ausstattung der Waldecker Leichenpredigten verglichen mit Produktionen anderer Dynastien aufgrund der beschränkten Ressourcen recht bescheiden aus.380 Meist wurde „intentional“381 auf das Medium zurückgegriffen, also immer dann, wenn das Bedürfnis nach einer bestimmten Formung der Erinnerung bestand, etwa wenn Zweifel am rechtmäßigen Lebenswandel oder den Todesumständen des Verstorbenen aufgekommen waren. Außerdem wurden die Leichenpredigten in der Hofbibliothek gesammelt, da sie einerseits als Erbauungsliteratur geschätzt, andererseits ganz pragmatisch als Muster für neue Werke herangezogen wurden. Auf lange Sicht 3 74 Vgl. Lenz, Funktion, S. 93 – 95; Bepler, Travelling, S. 198. 375 Vgl. Dies., Public Event, S. 46. 376 Vgl. Motz, Memoria, S. 17. 377 Vgl. ebd., S. 110 f. Das Kriterium für die Einschätzung des dynastischen Ursprungs ist für Motz die soziale Herkunft der Verfasser; für Leichenpredigten, die von hohen Beamten oder Geistlichen der Grafschaft stammen, vermutet er einen Auftrag seitens der Grafen; vgl. ebd., S. 86 f. 378 Vgl. ebd., S. 87 – 90 u. 112 – 115. Von Witwen wurde in der Vormoderne die Pflege der Memoria für ihre toten Ehemänner erwartet, jedoch erlosch diese Funktion, falls sie sich wiederverheirateten. Aus d ­ iesem Grund sorgten viele Herrscher schon zu Lebzeiten für ihre Memoria vor; vgl. Jussen, Verwandtschaftsforschung, S. 314 f. 379 Vgl. Motz, Memoria, S. 94 – 96. 380 Vgl. ebd., S. 173. 381 Ebd., S. 174.

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wurden sie so zu einem wichtigen Teil der dynastischen Erinnerungskultur, denn sie „dienten der genealogischen Verortung und stifteten über Raum und Zeit hinweg Zusammenhalt“.382 Herausragend unter den Waldecker Leichenpredigten ist das Druckwerk für den während seines Tübinger Studiums früh verstorbenen Wilhelm Ernst, mit dessen Tod im Jahr 1598 die ältere Wildunger Linie an ihr Ende kam.383 Dieser für die Dynastie besonders unglückliche Umstand sowie die Bestattung des Junggrafen fernab seiner Heimat waren wohl ursächlich für die Anfertigung eines für Waldecker Verhältnisse ungewöhnlich umfangreichen Funeralwerks,384 dem ein Auftrag der ­Mutter des Verstorbenen, Margarethe, geborene Gräfin von Gleichen, zugrunde lag.385 Nachdem bereits ein Jahr zuvor die Landauer Linie mit Franz III. ausgestorben war, lag die Hoffnung auf das Überleben der Dynastie bei den beiden minderjährigen Söhnen des Grafen Josias I., Christian und Wolrad. Angesichts des in drohende Nähe gerückten Heimfalls der Grafschaft an die hessischen Lehnsherren galt es, die dynastische Kontinuität herauszustellen und dabei auch die lange und ruhmreiche Geschichte des Landes in den Dienst zu nehmen.386 Diese Funktion übernimmt im Rahmen des Gesamtwerks vor allem die in gelehrtem Latein verfasste Oratio funebris des Tübinger Poetik- und Geschichtsprofessors Erhard Cellius. Ausgehend von einer Beschreibung des Landes Waldeck, der gleichnamigen Stammburg sowie des Hausklosters Netze hebt Cellius die seit langer Zeit bestehende kontinuierliche Herrschaft der Grafen hervor: Haec est illa Stemmatis huius prima domus, à qua perpetua multorum anno­ rum serie Comites Waldecciani suum nomen, atque in monasterio Netza […] Maiorum & suae gentis etiamnum hodie conditorium habent.387 Es folgt eine knappe Schilderung der Sachsenkriege z­ wischen Karl dem Großen und Herzog ­Widukind, bevor Cellius auf den eigentlichen Spitzenahn der Grafen von Waldeck, Widukind von Schwalenberg, zu sprechen kommt. Dabei griff er 3 82 Ebd., S. 176. 383 Vgl. Knöll, Graf Wilhelm Ernst. Die Autorin überliefert auch die Inschrift des Grabmals, welches für Wilhelm Ernst in der Tübinger Stiftskirche errichtet wurde. Diese nimmt explizit auf die betrogene Hoffnung auf Fortführung der Wildunger Linie Bezug: nach Todt Graff Gintherts seins Vattern / all Hoffnung stundt auff disem Herrn / dann er inn diser Lini war / der letzste (ebd., S. 51). 384 Sigwart, Vier Christliche Leuch: vnd Ehrenpredigen; Exemplar in: FWHB, V Waldec., Nr. 204. Neben den Leichenpredigten umfasst das Werk zusätzlich Epicedien, Trostschriften, eine Beschreibung der Begräbniszeremonie, eine Abbildung des Verstorbenen und zwei Stammtafeln. 385 Vgl. Motz, Memoria, S. 117. 386 Vgl. zu dieser Deutung auch ebd., S. 121 f. 387 Sigwart, Vier Christliche Leuch: vnd Ehrenpredigen; darin: Cellius, Oratio funebris, fol. 9v.

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nachweislich auch auf die Chronik Konrad Klüppels zurück, aus der er wesentliche Passagen nahezu unverändert abschrieb,388 was ein weiterer Beleg für die Wirkmächtigkeit von Klüppels Geschichtsentwurf und dessen Akzeptanz durch die Grafen ist. Eine andere Quelle war vermutlich Georg Rüxners 1530 erstmalig im Druck erschienenes Turnierbuch, welches in der Folge eine weite Verbreitung erfuhr und eine zentrale Rolle als adliger Ahnennachweis spielte.389 Cellius übernahm hieraus unter anderem die Teilnahme eines Grafen Wilhelm von Waldeck beim ersten – auf einer Fiktion beruhenden – Ritterturnier 938 in Magdeburg.390 Nach einer Reihe weiterer Turniererwähnungen setzt der Verfasser den an der Genealogie orientierten Gang durch die Grafengeschichte fort, bis er beim verstorbenen Wilhelm Ernst anlangt.391 Hier lenkt er die Aufmerksamkeit des Lesers auf die beiden noch lebenden Agnaten Christian und ­Wolrad, um die gesicherte Zukunft der Dynastie herauszustellen. Noch deutlicher wird diese Intention durch die angehängte Stammtafel (siehe Tafel 5), die bei den ausgestorbenen Linien Landau und Wildungen explizit auf die rechtmäßige Sukzession durch die beiden Eisenberger Sprösslinge hinweist. Ein weiteres interessantes Detail ist der Spitzenahn „WIDEKINDVS REX ET DVX SAXONVM “, der in großen Lettern über der Tafel prangt, wenngleich keine direkte Filiation mit dem unmittelbar darunter stehenden Grafen Wilhelm von Waldeck postuliert wird. Womöglich nutzte Cellius jedoch die Namensgleichheit des berühmten Sachsenherzogs mit dem Waldecker Spitzenahn, um eine Abstammung zu suggerieren.

388 Vgl. etwa die Beschreibung des Spitzenahns bei Klüppel, Chronicon, S. 11: Ab hoc Viti­ kindo insignis generosorum, illustrium et nobilium comitum a Waldeck, in quorum gratiam hunc laborem suscepimus, familia vetustam originem trahit, ex antiquissimo nobilissimoque nimirum veterum Saxonum sanguine, prosapia et lineis: quae profecto non infima laus est in viris alioqui laudatissimis.; und die g­ leiche Passage bei Cellius, Oratio funebris, fol. 13v: Ab hoc VITIKINDO, qui sub Carolo Magno floruit, insignis nobilium & illustrium Comitum VValdeccensium (in quorum gratiam hic labor susceptus) familia vetustam originem, trahit, nimirum ex antiquissimo nobilissimoque veterum Saxonum sanguine, quae profecto non infima laus est, in viris alioquin laudatissimis. Selbst die Herausstellung der persönlichen Dankbarkeit gegenüber den Grafen übernahm Cellius aus seiner Vorlage. 389 Vgl. Rüxner, ThurnierBuch. Siehe über dessen Rezeption auch Sittig, Kulturelle Konkurrenzen, S. 243 – 260. 390 Vgl. Sigwart, Vier Christliche Leuch: vnd Ehrenpredigen; darin: Cellius, Oratio funebris, fol. 13v. 391 Vgl. ebd., fol. 19r.: Hos igitur illustris & generosus noster Defunctus Dominus VVILHELMVS ERNESTVS, excellentis memoriae, Paterni generis habuit auctores & conseruatores, tam antiquos, tam illustres, tam praecellentes. Der Text ist an dieser Stelle jedoch noch keineswegs abgeschlossen, sondern wird von einer Darstellung der Ahnen mütterlicherseits, der Grafen von Gleichen, fortgesetzt. Cellius hielt die kognatischen Verwandten für den adligen Rang Wilhelm Ernsts also genauso wichtig wie die agnatischen.

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Sowohl Umfang als auch die ausführliche Bearbeitung der Genealogie waren eine Eigenheit des Funeralwerks für Wilhelm Ernst, die der besonderen Entstehungssituation geschuldet waren. Die meisten anderen Waldecker Leichenpredigten begnügten sich mit einer ­kurzen Erwähnung der unmittelbaren Vorfahren des Verstorbenen.392 Eine interessante Bemerkung enthält jedoch der Lebenslauf des 1645 verstorbenen Eisenberger Regenten Philipp Theodor: ist seine Genade entsprossen von dem Vhralten Gräfflichen Stamm der Herrn von Schwa­ lenberg vnd Waldeck / w ­ elche nuhn vber acht hundert Jahr / von zeiten Caroli Magni / den Herrn vnd Graffen-­Stand / löblich / rühmlich / vnd ohntadelich geführt / daß auch nicht ein einig weltlich / Chur- oder Fürstlich Hauß ist / welches nicht mit dem Gräffli­ chen Hauß Waldeck verwandt / erweisen auch noch vorhandene Kayserliche ansehnliche Handveste / daß sie die Graffen jhre liebe Nefen tituliren.393

Ganz offensichtlich ging es hier nicht in erster Linie um den Adelsrang des Verstorbenen, sondern um den Nachweis der Reichsunmittelbarkeit der Grafen, ihre Akzeptanz im Kreis der gräflichen und sogar fürstlichen Standesgenossen sowie ihre besondere, in verwandtschaftliche Begriffe gekleidete Nähe zu den Kaisern. Auch dies ist vor dem Hintergrund der von Hessen bezweifelten Eigenständigkeit der Grafschaft zu sehen. Für die Grafen zur Lippe lassen sich im Zeitraum bis 1650 insgesamt zwölf Leichenpredigten identifizieren,394 wovon jedoch nur bei vieren ein Auftrag vonseiten der Dynastie als sehr wahrscheinlich angenommen werden kann.395 Es handelt sich um eine 1576 in Lemgo gedruckte Predigt für Hermann Simon zur Lippe-­Spiegelberg-­Pyrmont aus der Hand des Hofpredigers und Superintendenten Moses Gummersbach 396, eine 1583 ebendort gedruckte Predigt für Hermann Simons Sohn Philipp und Gemahlin Ursula vom Pyrmonter Hofprediger Adam Wenigelius 397, eine 1627 in Rinteln erschienene Predigt für Simon VII. zur Lippe 392 So belässt es die Leichenpredigt für den 1637 verstorbenen Grafen Christian bei einer pauschalen Erwähnung der Gräflichen Eltern / Vhralten Stamms / herkommens vnnd nach­ kommens (letzteres durch händische Streichung verbessert zu: nahmens) und nennt nur Vater, ­Mutter und Großvater väterlicherseits beim Namen; vgl. Hersfeld, Fried vnd Frewdenfahrt, S. 23. Diese Formulierung übernimmt der Verfasser in der Leichenpredigt für Christians Sohn Philipp VII.; vgl. Hersfeld, Christliches Ehrn-­Gedächtnüß, S. 29. 393 Hagenbusch, Placida Sanctorum Requies, S. 43. 394 Die Recherche wurde im Gesamtkatalog deutschsprachiger Leichenpredigten (GESA ) unter www.personalschriften.de/datenbanken/gesa.html [Stand: 07. 12. 2017] sowie im Landesarchiv Detmold durchgeführt. Vgl. auch Klinge, Leichenpredigten. 395 Gefolgt wird dabei dem von Motz verwendeten Kriterium der sozialen Herkunft der Verfasser sowie dem angegebenen Erscheinungsort. 396 Zu Gummersbach vgl. Weiss, Schüler, S. 76. 397 Wenigelius war offenbar der Nachfolger von Gummersbach. In seiner Predigt erwähnt er, dass er qua Amt sowie auf gräflichen Befehl hin die Simon VI. gewidmete Predigt schrieb,

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vom lippischen Generalsuperintendenten Johann Mutius 398 sowie eine 1647 in Kassel gedruckte Leichenpredigt für die gemeinsame Bestattung des bereits 1636 verstorbenen Simon Ludwig zur Lippe und seiner Schwester Magdalena, die vom Superintendenten und Blomberger Pastor Abraham Theopold verfasst wurde. Das Druckwerk aus Anlass der Beisetzung von Philipp und seiner M ­ utter Ursula zur Lippe-­Spiegelberg-­Pyrmont, die Anfang 1583 im Abstand von nur einem Monat gestorben waren, beschränkt sich vornehmlich auf die Wiedergabe der Predigten und teilt nur wenig Persönliches über die Verstorbenen mit.399 In der rund vierzig Jahre später erschienenen Leichenpredigt für Simon VII.400 findet sich neben der eigentlichen Predigt bereits ein sogenannter Personalteil über das Leben des Verstorbenen. Ähnlich wie bei den meisten Waldecker Predigten wird allerdings recht pauschal Bezug auf dessen Abstammung auß d­ iesem Hoch­ löblichen Vralten Grafflich[en] Hause Lippe 401 genommen und außer den Eltern werden keine weiteren Verwandten oder Vorfahren erwähnt. Stattdessen nehmen gemäß den Konventionen des Genres die persönlichen Herrschertugenden Simons sowie die Schilderung seiner Krankheit und Todesstunde breiten Raum ein. Etwas ausführlicher geht schließlich die Predigt für die Geschwister Simon Ludwig und Magdalena auf deren Herkunft ein.402 Zunächst erfolgt auch hier der Hinweis auf die Geburt auß dem Vhralten Hochgräfflichen Hause vnd Stamme Lippe 403, bevor die Eltern und Großeltern sowie die Eltern der Großväter namentlich aufgezählt werden, was einer üblichen Art und Weise entsprach, den Adel bis in die dritte Vorfahrengeneration hinein nachzuweisen.404 Um sich weitere Ausführungen zu ersparen, aber dennoch die genealogische Tiefe der Dynastie anzudeuten, verweist der Verfasser Theopold abschließend auf die einschlägigen Druckwerke, womit wohl vor allem Piderits Chronicon gemeint war: Vnd also konten die Fürstl. vnd Gräffl. Voreltern dieser in Gott ruhenden Gräflichen Persohnen / auff viel hundert Jahr weiter hergeführet werden / ist aber ohne Noth vnd Weltkündig gnug / auch in offentlichem Truck vnnd glaubwürdigen Authorn vielfeltig schon zu finden.405 Somit wurden die Personalia-­Teile der Leichenpredigten gerade für den die auch am Grab gehalten wurde. 3 98 Vgl. Butterweck, Lippische Landeskirche, S. 267. 399 Vgl. Wenigelius, Drey Leichpredigten; Exemplar in: LLB (ohne Signatur). 4 00 Vgl. Mutius, Frewd vnd Herrligkeit; Exemplar in: LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 88. 4 01 Ebd., S. 26. 402 Vgl. Theopold, Menschlicher BlumenSpiegel. In d ­ iesem Bestand befinden sich auch handschriftliche Abhandlungen über die Personalien der beiden Verstorbenen, was auf eine Unterstützung des Verfassers durch den Grafenhof hindeutet. 4 03 Ebd., S. 46. 4 04 Für eine vollständige Achter-­Ahnenprobe fehlen allerdings die Namen der Eltern der Großmütter. 4 05 Theopold, Menschlicher BlumenSpiegel, S. 49.

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protestantischen Adel allmählich zu einem wichtigen Medium, seine Genealogie und Familiengeschichte einem größeren Publikum vorzustellen, aber auch im Kreise der eigenen Familienangehörigen aufzubewahren und bei entsprechender Gelegenheit zu rezipieren.406 Die Verfasser der Lebensläufe griffen dabei zum einen auf Material zurück, welches ihnen die Adligen unmittelbar zur Verfügung stellten, zum anderen konsultierten sie die einschlägigen Chroniken, womit deren Inhalte weitere Verbreitung fanden. Neben der Erforschung der eigenen Vorfahren war auch die Stiftung prospektiver genealogischer Erinnerung ein wichtiges Betätigungsfeld. Die Initiatoren hatten dabei weniger Legitimation oder Identitätsbildung durch die Vergangenheit im Sinn, sondern stellten ihre eigene Person als Beginn einer neuen Tradition ins Zentrum. Das gelang etwa über gestiftete materielle Gegenstände, die als Hauskleinodien von Generation zu Generation weitergegeben wurden.407 Ein besonderes Beispiel dafür stellt die sich heute im Schloss Arolsen befindliche silberne Taufschüssel dar, die von Wolrad II. und Anastasia zur Taufe ihrer Kinder in Gebrauch genommen wurde und seitdem zu einem genealogischen Erinnerungsstück erst in der Eisenberger, später in der Wildunger Linie wurde. In die Schüssel wurden neben den Wappen von Waldeck und Schwarzburg seit 1547 alle Namen der Kinder des Paares, deren Geburtsdaten sowie die Namen der Taufpaten eingraviert. In der folgenden Generation ging die Taufschüssel an Josias I. über, der nach dem gleichen Muster die Namen seiner Kinder verewigen ließ, sodann folgten in direkter Filiation Christian, Philipp VII., Christian Ludwig, Friedrich Anton Ulrich, Karl August Friedrich, Georg und Georg Heinrich.408 Mithin wurde diese Tradition über fast 300 Jahre bis ins 19. Jahrhundert hinein fortgeführt. Bei jeder Taufe stand so nicht nur die diachrone Tiefe, sondern auch die enorme genealogische Breite der Dynastie aufgrund der hohen Kinderzahlen vor Augen und symbolisierte dynastische Fruchtbarkeit und Kontinuität. Nur wenige Grafen griffen dagegen selbst zur Feder und fertigten Genealogien für den Hausgebrauch an. So sammelte der stets auf die Eigenständigkeit seiner Linie bedachte Otto zur Lippe-­Brake über Jahre Notizen zu seiner Familie. Zu ­diesem Zweck trug er wichtige familiäre Ereignisse, angefangen bei seiner Hochzeit mit Margarethe von Nassau-­Dillenburg im Jahr 1626 bis zu Geburten und Taufen seiner Kinder, in eine in seinem persönlichen Besitz befindliche Lutherbibel ein. Nach seinem Tod ergänzte sein ältester Sohn Casimir die Eintragungen 4 06 Zu den Aspekten des Sammelns und Lesens der Waldecker Leichenpredigten vgl. auch Motz, Memoria, S. 132 – 171. 4 07 Vgl. Graf, Fürstliche Erinnerungskultur, S. 5; Spiess, Materielle Hofkultur. 4 08 Die Gravuren sind einzeln aufgeführt bei Curtze, Inschriften. Eine zeitgenössische, vermutlich von Christian in Auftrag gegebene Auflistung der Inschriften bis 1625 befindet sich in HStAM, 115/01, Nr. 106.

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bis ins Jahr 1668. Neben den Daten führte Otto auch die Gäste seiner Hochzeit, die Taufpaten seiner Kinder sowie deren dargebrachte Geschenke auf und notierte, ob sie persönlich zur Feier erschienen waren.409 Somit stellen die Aufzeichnungen auch eine Art Sammlung empfangener Ehrerweisungen dar. Diese prospektive Form der Erinnerungsstiftung war in erster Linie für die nächsten Angehörigen gedacht und stellte im 17. Jahrhundert eine im Adel, aber auch im Stadtbürgertum verbreitete Praxis dar. Insbesondere Bibeln boten sich als Trägermedium an, da man sie oft ohnehin über Generationen hinweg aufbewahrte. Die hier vorgestellten Medien – Chroniken, Genealogien, Stammbäume, Ahnenproben, Leichenpredigten sowie materielle Artefakte – stammten aus ganz unterschiedlichen Entstehungs- und Rezeptionskontexten und hatten folglich verschiedene Funktionen erfüllen. Gemeinsam war ihnen jedoch die Betonung der genealogischen Kontinuität der Dynastie von ihren Ursprüngen bis in die jeweilige Gegenwart. Dabei konnte die Darstellung ausführlicher oder allgemeiner ausfallen, sich en détail mit der Rekonstruktion von Filiationsketten beschäftigen oder sich mit einem pauschalen Hinweis auf das unvordenkliche Alter der Dynastie begnügen. Dies hing neben der Art des Mediums vor allem von den gegenwärtigen Bedürfnissen ab. Bei den Grafen von Waldeck lässt sich eine vehemente Betonung ihrer Reichsunmittelbarkeit identifizieren, die stärker dem Bereich der Herrschaftslegitimation zuzuordnen ist. Die Edelherren und Grafen zur Lippe zeichneten sich dagegen eher durch die Behauptung einer langen, bis auf römische Zeiten zurückreichenden agnatischen Linie aus. Ein ausgeprägter Wettbewerb oder gar Rivalität ­zwischen den einzelnen Linien konnte weder bei den Lippern noch bei den Waldeckern ausgemacht werden. Chronisten und Genealogen behandelten stets alle Linien, w ­ elche sich folglich auf ein und dieselbe Ursprungserzählung berufen konnten. Somit bestätigt sich die These, dass einer gemeinsamen Erinnerung ein integratives Moment innewohnt, das das Zugehörigkeitsbewusstsein und das Selbstbild einer Gruppe zu stärken vermag. 4.2.4 Exempla für dynastische Räson Chroniken und Genealogien waren für die adligen Auftraggeber probate Medien, um die eigene Größe zu vergegenwärtigen. Die lange, ungebrochene Geschichte der Dynastie als Abfolge ruhmreicher Taten durch die Vorfahren war aber nicht allein symbolisches Kapital, das zur Legitimierung von Statusansprüchen nutzbar gemacht werden konnte. Es hatte zugleich auch normative Implikationen für die 4 09 Vgl. Hellfaier, Bibel. Neben den chronikalen Eintragungen befand sich beim Tod Ottos auch seine auf einem eigenständigen Blatt Papier niedergeschriebene Lebensbeschreibung in der Bibel. Vgl. Süvern, Letzter Wille. Siehe dazu auch Kap. 4.1.4.

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Nachkommen der in den Werken aufscheinenden Protagonisten.410 Chroniken, die vom Ruhm der Vergangenheit kündeten, forderten die Lebenden auf, diesen Ruhm zu bewahren und zu vermehren, und zwar sowohl implizit durch die Suggestion einer ungebrochenen Erfolgsgeschichte als auch durch ausdrückliche Ansprache. So wurde Bernhard, der lang ersehnte Sohn Simons VI. zur Lippe, bereits als Säugling vom Chronisten Annibal Nullaeus als künftiger Herrscher in die Pflicht genommen. In der anlässlich seiner Geburt verfassten lippischen Genealogie heißt es: Te Bernharde tui Comitatus postulat ordo, / Ritè reges patriam cum genitore tuam. / Nomen avi gestas, sed stirpis nomen & omen / Te faciat canum laudis amore virum.411 Als Sohn und Nachfolger seines Vaters (genitor), Träger des Namens seines Großvaters Bernhard VIII . (avus) und Spross seines Stammes (stirps) wurde an den Erben die selbstverständliche Erwartung gerichtet, eines Tages die Grafschaft zu regieren, wie es die dynastische Ordnung vorschrieb. Eine Wahlmöglichkeit bzw. Ablehnung dieser zugeschriebenen Rolle als künftiger Landes­herr war dabei nicht vorgesehen. Auf die didaktische Funktion der dynastischen Chronistik, die sie mit dem verwandten Genre der Fürstenspiegel teilt, ist von der Forschung schon häufig verwiesen worden.412 Dabei dienten die Vorbilder der tugendhaften Vorfahren als exempla, denen es nachzueifern galt, was wiederum durch die vererbte Adligkeit ermöglicht wurde.413 Aber wurden in den Chroniken über eine diffuse Verpflichtung zur Fortführung des überkommenen Erbes auch konkrete Normen transportiert, gar eine inhaltlich bestimmbare dynastische Räson propagiert? Und gab es auch Schilderungen von Untugenden und Freveln der Vorfahren, die womöglich als abschreckende Beispiele dienen konnten, oder wurden ­solche schwarzen ­Flecken in der Geschichte möglichst dem Vergessen anheimgegeben?414 Dass die Chroniken und textförmigen Genealogien neben den Ursprungssagen voll von Schilderungen der res gestae der jeweiligen Dynastieangehörigen sind, ist offenkundig. Ob diese jedoch tatsächlich als exempla verstanden wurden, also als lehrreiche, auch für die Gegenwart relevante Handlungsoptionen, oder lediglich als überkommene Tradition, ist mangels Quellen zur konkreten Rezeption nur schwer zu entscheiden. Es steht jedoch zu vermuten, dass einige der Chronikwerke 410 Vgl. dazu auch Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 76: „Mythos ist eine Geschichte, die man sich erzählt, um sich über sich selbst und die Welt zu orientieren, eine Wahrheit höherer Ordnung, die nicht einfach nur stimmt, sondern darüber hinaus auch noch normative Ansprüche stellt und formative Kraft besitzt.“ 411 Nullaeus, Genealogia, S. 45. 412 Vgl. Weber, Dynamiken, S.  68; Wrede, Furcht, S.  409 f.; Joos, Herkommen, S. 151; Heinemann, Herkommen, S. 49; Graf, Exemplarische Geschichten, S. 21 f.; Stollberg-­Rilinger, Gedankending, S. 16. 413 Vgl. Sittig, Kulturelle Konkurrenzen, S. 204 – 207. 414 So die dem Band von Wrede/Carl (Hg.), Schande, zugrunde liegende Annahme.

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auch in der Erziehung der Grafensöhne zum Einsatz kamen. Für die lippische Chronistik war vor allem die Lebensbeschreibung des Spitzenahns Bernhard II. eine Quelle adliger exempla. Mit dem Lippiflorium des Justinus von Lippstadt lag hier eine reiche literarische Tradition vor, die von vielen Chronisten des 16. und 17. Jahrhunderts verarbeitet wurde, sodass in einigen Werken die Passagen über Bernhard den meisten Platz einnehmen. In jeder dieser Lebensbeschreibungen gibt Bernhard das Idealbild eines mittelalterlichen Adligen ab: Er ist kaisertreuer Vasall und Krieger, schutzspendender Landesherr und Städtegründer, treusorgender Hausvater, später im Leben dann gläubiger Konvertit (im Sinne seiner Entsagung vom weltlichen Leben und seines Klostereintritts), Abt und schließlich sogar Bischof. Ein solch exzeptionelles Vorbild ließ sich kaum erreichen, geschweige denn übertreffen, wenngleich einzelne Lebensbereiche durchaus nachahmenswert erschienen. Durch sein zweigeteiltes Leben als weltlicher und geistlicher Anführer konnte Bernhard als Ideal sowohl für die Landesherren als auch für die Bischöfe der Lipper dienen, die mit Bernhard III. zur Lippe und Simon I. von Paderborn ja auch jeweils direkt von Justinus adressiert wurden. Auch Johann Piderit übernahm in seinem Chronicon viele inhaltliche Motive und gelegentlich sogar wörtliche Passagen aus dem Lippiflorium.415 Auf Bernhard folgen in der Chronik in direkter Nachfolge weitere Landesherren, Bischöfe und sonstige Dynastieangehörige, deren Taten als exempla taugten, was auch ausdrücklich Piderits Intention war, wie er an anderer Stelle äußerte: ne nomina optimorum beneque de Ecclesia & repub. meritorum, interirent & haberent posteri quod imitarentur 416. Doch hinderte ihn diese Einstellung nicht, gelegentlich auch negative Ereignisse zu schildern. Ein Beispiel dafür ist die Auseinandersetzung ­zwischen dem Edelherrn 417 Bernhard III . und seinem Bruder Simon, Propst zu Paderborn. Letzterer, von Piderit als jemand charakterisiert, der etwan vnruhig von Natur war / der zu streitten lust hatte 418, verlor sein Amt als kurkölnischer Statthalter, was ihn zu Streit und Erbansprüchen gegen seinen Bruder antrieb: Nun kondte aber jtzgedachter Herr Simon nicht so schlecht Privatim vnd Eingezo­ gen leben / dann er wolte etwas zu thun haben / fängt also einen vnnötigen Streit vnd Krieg an gegen seinen Herrn Brudern 419. Er forderte einen eigenen Landesteil ein und besetzte, als ihm dies verweigert wurde, im Jahr 1244 gewaltsam die damals zu Lippe gehörende Herrschaft Rheda. Nicht familienintern, sondern erst durch Simons Wahl zum Paderborner Bischof konnte dieser Konflikt 4 15 Vgl. etwa Piderit, Chronicon, S. 290 f., 293, 306 – 332, 364, 390 – 433 u. 484 – 488. 416 LAV NRW OWL, D 71, Nr. 84, Encomium Historiae Lipp. (unfoliiert). 417 Aufgrund von Piderits Annahme, Karl der Große habe die Lipper in den Grafenstand erhoben, werden diese in der Chronik durchgehend als Grafen bezeichnet. 418 Piderit, Chronicon, S. 484. 419 Ebd., S. 483.

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gelöst werden, wobei der Eigensinnige schließlich sogar noch vom dynastischen Kapital profitieren konnte. In Paderborn trat er nämlich die Nachfolge seines Onkels Bernhard an, was Piderit mit den Worten kommentiert: Darauß abzu­ nehmen daß sich sein gevatter vnd Antecessor also im Regiment verhalten / daß die Stende vnnd Stifftsgenossen daß Gräfflich Geschlecht zur Lipp geliebet vnd vom Regiment nicht entberen wöllen.420 Was ließ sich aus der geschilderten Episode lernen? Grundsätzlich vermittelte Piderit seinen Lesern, dass Bruderstreit schädlich sei und letztlich zu nichts Gutem führe. Die Individualsukzession wurde als geltende Norm vorausgesetzt; sie war stets einzuhalten. Nachgeborene hatten zwar einen Anspruch auf adlige Betätigung – was unter Umständen auch Fehdeführung einschloss –, nicht jedoch auf einen Erbteil, wodurch lediglich eine Karriere in der ­Kirche blieb. Dazu wiederum verhalf ihnen ihre dynastische Abstammung. Stellte sich hier eindeutig Simon als der Aggressor dar, schilderte Piderit einen anderen Fall aus der jüngeren Vergangenheit, die Erbauseinandersetzung ­zwischen Bernhard VIII. und Hermann Simon,421 hingegen leicht geschönt und enthielt sich jedweder Parteinahme. Ob nun wol lange gnug difficultiret worden ist / so hat doch Gott gegeben / daß die Einig­ keit also getroffen / daß Graff Bernhardt die Regierunge hat annehmen müssen / biß die Brüderliche Vereinbarung in bessere Form / den Herrn Gebrüdern vnd auch dem gantzen Lande zu grösserm auffnehmen vnd Nutzbarkeit gereichen würde.422

Mit diesen Worten deutete er den zähen Konflikt lediglich an, um dann gleich zu der gütlichen Einigung zu kommen, die darin bestanden habe, dass Bernhard seinen Huldigungsumritt bis zu Hermann Simons Vermählung mit Ursula von Spiegelberg-­Pyrmont aufgeschoben habe. Dabei verkannte er, dass diese Heirat keine Lösung des Interessengegensatzes gewesen war, sondern in gewisser Weise ihr Auslöser. Der Akzent lag eindeutig auf der erzielten Einigung und dem wünschenswerten Konsens ­zwischen den Brüdern. Womöglich war es einfacher, Ereignisse als konfliktiv und durch eigensinnige Protagonisten ausgelöst zu beschreiben, wenn sie weit zurücklagen, während bei der jüngeren Vergangenheit Vorsicht geboten war. Diesen Eindruck bestätigt die Waldecker Chronistik. Auch hier ließen sich ältere Teilungen als schäd­liche Folgen brüderlicher Streitlust darstellen, wie es etwa Philipp ­Knipschildt in der Corbachischen Chronic mit Blick auf die Landesteilung von 1397 tat: Es seynd aber beyde Brüder, Graff Adolph vnd Graf Henrich zu Waldeck, dern gemeldter Theilung vnd Vergleichung ihrer Graffschaft Waldeck halben nicht 420 Ebd., S. 483 f. 421 Siehe Kap. 2.2.3. 422 Piderit, Chronicon, S. 619.

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einig blieben; sondern haben gar lange Zeit vast schwere Vehde vnd Kriege gegen einander geführet 423. Erst nachdem Landt vnd Leute dardurch verwüstet 424 waren, ­seien sie endlich durch die Grafen von Ziegenhain verglichen worden. Auch Daniel Prasser sah den Vorfall so und übernahm die Passage in sein lateinisches Werk.425 Ganz anders beurteilte der Wildunger Rat hingegen die jüngste Teilung ­zwischen den Brüdern Christian und Wolrad IV . im Jahre 1607. Völlig konfliktfrei, auf Basis des Herkommens und durchaus in brüderlicher Vertrautheit sei man hier zu Werke geschritten: Comitatum totum ad ipsos deuolutum, in duas aequales partes, ex speciali tamen conuentione, & fraterna familiaritate diuise­ runt 426. Nun waren die äußeren Umstände ­zwischen beiden Teilungen in der Tat unterschiedlich und in dem Wandel von der Fehde z­ wischen Brüdern hin zum geregelten Teilungsverfahren spiegelt sich unverkennbar die frühneuzeitliche Verrechtlichung der dynastischen Beziehungen wider. Dennoch scheint es insgesamt ein besonderes Anliegen der Chronisten gewesen zu sein, die jüngeren Auseinandersetzungen in der Dynastie allenfalls anzudeuten oder ganz zu verschweigen,427 wohingegen lange zurückliegende Fälle als abschreckende Beispiele fungieren konnten. Grundsätzlich ließ sich aber auch die Geschichte der Waldecker Dynastie als Ansammlung von exempla lesen. Die meisten der Vorfahren wurden von den Chronisten als Getreue des Kaisers, Beschützer der ­Kirche, und fürsorgliche Landesherren portraitiert. Auch die Ermahnung an die lebende Generation, sich ein Beispiel an ihren Vätern und Großvätern zu nehmen, findet sich an diversen Stellen, etwa im Lobgedicht des Petrus Paganus: Quod de te Gunthere Comes quoque patria possit Vt clari quondam calcans uestigia patris Illustres imiteris auos quos laudibus aequans 428. Dabei geriet die Charakterisierung der tugendhaften Vorfahren nicht selten zum reinen Topos, wie die Häufung tapferer Krieger in Prassers Chronicon beispielhaft verdeutlicht: Hic Otto miles fuit animosus 429, schreibt er und wenige Seiten später: Hic Henricus Comes miles fuit animosus.430 4 23 Knipschildt, Chronic, S. 116. 424 Ebd. 425 Vgl. Prasser, Chronologia, S. 829: Hic Adolphus, & filius Otto, per multos annos cum fratre Henrico, eiusquie filio VVolrado in dissidiis, haereditatis paternae causa, vixerunt, crudelia bella inter se gesserunt inuicem, cum magno ipsorum & posteritatis malo, intestina aluerunt odia. 426 Ebd., S. 859. 427 So handelt etwa Prasser die Mutschierung von 1538 anhand des ihm offenbar vorliegenden Teilungsvertrags allein mit Blick auf das Endergebnis ab (vgl. Prasser, Chronologia, S. 843). Die Erbkonflikte ­zwischen den Söhnen Philipps IV. werden hingegen gar nicht erwähnt. 428 HStAM, Slg 15, Nr. 369/24. 429 Prasser, Chronologia, S. 815. 430 Ebd., S. 819.

Dynastische Erinnerungskultur

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Über das erhoffte Wirken des guten Beispiels hinaus lassen sich jedoch kaum Hinweise darauf finden, dass mit den Chroniken unmittelbar eine bestimmte Art dynastischer Räson vermittelt werden sollte. Eine der wenigen Ausnahmen, die auf eine Unterordnung des eigenen Willens unter ein vermeintliches Hausinteresse, oder hier besser: den väterlichen Willen hindeuten, findet sich in der Geschichtserzählung von Johann Sigismund Pappus: Philippus secundus natus Anno 1452 ex sactione paterna monasticam vitam degere debuit.431 Von einer Auflehnung gegen die Pläne des Vaters hört man freilich nichts. Wiederkehrende Motive sowohl in der lippischen als auch in der waldeckischen Chronistik sind die Betonung der Kaisernähe – zunächst durch die Bewährung der Vorfahren im kaiserlichen Heer, später dann durch Ämtervergabe oder sonstige Privilegierungen – und damit zusammenhängend der Reichsunmittelbarkeit, Stärke im Glauben ebenso wie kriegerische Tapferkeit und Wehrhaftigkeit der Vorfahren. Erstaunlicherweise stellt die Reformation keinen Bruch in der Darstellung dar, sondern erscheint vielmehr als natürliche Entwicklung, deren Förderung bestimmten Grafenpersönlichkeiten als Verdienst angerechnet wird, wohingegen die altgläubigen Vorfahren dadurch keineswegs diskreditiert werden. Insgesamt ist die Genealogie der Dynastie Ordnungsmuster und Hauptinhalt der Chroniken, denen es vorrangig um die Herausstellung von Anciennität und Kontinuität geht.432 Exempla zur Nachahmung bieten sich durch die tugendhaften Taten der Ahnen in Hülle und Fülle, wobei gelegentlich auch Negativbeispiele Erwähnung finden. Diese beschränken sich aber im Wesentlichen auf die früheren Zeiten, wohingegen jüngere Konflikte zumeist nur angedeutet oder vollends verschwiegen werden. Als Kompendien der Vortrefflichkeit boten die Chroniken somit reichlich Identifikationspotenzial für ihre adligen Leser, zugleich aber auch die normative Verpflichtung auf Fortführung ­dieses Erbes.

431 HStAM, 115/01, Nr. 57, fol. 10r. Die Jahreszahl im Zitat wurde nachträglich zu 1453 verbessert. Prasser, Chronologia, S. 836, übernahm diese Passage in seiner Chronik: qui sanctione paterna monasticam vitam degere debuit; mortuo vero fratre Philippo I. relicta vita monastica, duxit vxorem. 432 Bei einigen Autoren spielt auch das Land als geographische Einheit eine Rolle, so etwa im Carmen des Paganus oder in der Landesbeschreibung, mit der Konrad Klüppel seine Chronik beginnt. Teilweise scheint auch, wie bei Philipp Knipschildt, eine städtische Perspektive auf die Ereignisse durch, wohingegen der Niederadel oder die Gesamtheit der Stände nur äußerst selten Erwähnung finden. Der Grund hierfür ist in der sozialen Herkunft der meisten Chronisten aus einem bürgerlichen Milieu zu suchen.

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Dynastie als symbolische Ordnung

4.3 Dynastische Räume Neben semantisch-­diskursiven Praktiken besaß die symbolische Ordnung der Dynastie auch eine räumliche Komponente, um die es im Folgenden gehen wird. Die Schaffung von dynastischen Eigenräumen kann mit Karl-­Siegbert Rehberg als institutioneller Mechanismus zur Festigung von Sozialbeziehungen verstanden werden.433 Unter eine ­solche Kategorie von Räumen, in denen sich die Dynastie als Ganzes oder in ihren Teilen repräsentierte, fallen in erster Linie die Residenzen, also die dauerhaften oder zeitweiligen Wohnsitze der landesherrlichen Familie in Form von Burgen, Schlössern oder innerstädtischen Höfen. Als Teil der fürstlichen Prachtentfaltung führten sie der Hofgesellschaft und bis zu einem gewissen Grad auch den Untertanen die (prätendierte) Größe ihrer Bewohner vor Augen. So wie in der Redeweise der Adligen von ihrer Dynastie als ‚Haus‘ noch die ursprünglich architektonisch-­materielle Bedeutung nachhallt, diente das gebaute Haus immer auch der Selbstdarstellung der Dynastie.434 Mit den Formen des frühneuzeitlichen Schlossbaus und seinen symbolischen Dimensionen hat sich vor allem die Kunstgeschichte beschäftigt, auf deren Ergebnisse an einigen Stellen zurückgegriffen wird. Adliges und fürstliches Bauen lässt sich als eine soziale Praxis verstehen, mit der bestimmte Aussagen über den Rang und die Bedeutung der Auftraggeber getroffen werden sollten.435 Das methodische Problem bei der Chronistik, von den überlieferten Werken begründet auf das Selbstverständnis der Adligen zu schließen, stellt sich bei der Architektur in der Form also nicht. Darüber ­hinaus steht zu vermuten, dass der gebaute Raum auch Rückwirkungen auf die dort lebenden Angehörigen der Dynastie hatte. So lässt sich mit Ulrich Schütte davon ausgehen, „dass es die Baumotivationen der Auftraggeber und die spezifischen Strukturen und Elemente adelig-­fürstlicher Bauten waren, die in sehr deutlicher Weise die Identität dieser sozialen Gruppe zugleich definierten wie zeichenhaft vorstellten“436. Freilich sind adlige Selbstzeugnisse über die Wahrnehmung von 433 Siehe dazu die Ausführungen in Kap. 1.3.4. 434 So bereits Elias, Höfische Gesellschaft, S. 85: „Das Aussehen des steinernen Hauses im Raum ist für den Grandseigneur und für die ganze seigneurale Gesellschaft ein Symbol für den Stand, für die Bedeutung, für den Rang seines ‚Hauses‘ in der Zeit, nämlich seines Generationen überdauernden Geschlechts, und damit seiner selbst als des lebenden Repräsentanten des Hauses.“ Vgl. weiterhin Himmelein, Selbstdarstellung, S. 53; Hahn/ Schütte, Thesen, S. 40; Müller, Schloß, S. 212. 435 Am Beispiel des Wiener Hofadels hat dies untersucht: Pečar, Ökonomie, S. 253 – 296. Des Weiteren sind vor allem die einschlägigen Publikationen der Residenzen-­Kommission der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen zu nennen, wobei hier Studien zum Spätmittelalter überwiegen. 436 Schütte, Architekturwahrnehmung, S. 124.

Dynastische Räume

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Schlossarchitektur nur in seltenen Fällen überliefert. Ein wichtiger Aspekt adligen Bauens war die intendierte Stiftung von Erinnerung, die sich in unterschiedlichen Bauformen, im Fassadenschmuck oder in der Gestaltung der Innenräume niederschlug und für die zeitgenössischen Besucher, sofern sie der höfischen Gesellschaft angehörten, potenziell lesbar war.437 Gerade im Schlossbau der Frühen Neuzeit spielte dieser prospektive Aspekt eine wichtige Rolle, während für das Mittelalter vor einer allzu leichtfertigen Verwendung des architektonischen Erinnerungsbegriffs gewarnt wurde.438 Gleichwohl konnten auch ältere Bauten, allen voran die Stammburg, von der sich häufig der Name eines adligen Familienverbandes ableitete, im Laufe der Zeit mit symbolischer Bedeutung aufgeladen werden. Das Alter der Bauten war also eine besonders wichtige Qualität, spiegelte sich in ihm doch die Anciennität und Ehrwürdigkeit der Dynastie, was sich auch auf die architektonische Praxis auswirkte. Die Zeit vom ausgehenden Mittelalter bis zum Dreißigjährigen Krieg, kunsthistorisch gemeinhin als Epoche der Renaissance bezeichnet, war eine Phase verstärkter Bautätigkeit, in der die mittelalterlichen Burgen, deren Baugestaltung zuvorderst dem militärischen Schutz gedient hatte, sukzessive zu repräsentativen Schlössern umgebaut wurden. Entscheidend war nun, dass dabei selten die gesamte alte Bausubstanz vernichtet, sondern vielmehr geschickt in den neuen Entwurf eingebunden wurde. Dahinter stand der doppelte Anspruch an die lebende Generation, einerseits das Andenken an die Vorfahren zu wahren, andererseits das Erbe fortzuführen und selbst neue Akzente zu setzen. Als vorrangiges Sinnbild für das Alter einer Dynastie galt der mittelalterliche Bergfried, der deshalb – ungeachtet seines offensichtlichen Funktionsverlusts – oftmals unangetastet blieb und in das Gesamtbild des modernisierten Schlosses integriert wurde.439 Aber auch die Wohnbauten der Vorgänger durften nicht einfach zerstört, sondern mussten behutsam durch neue Baumaßnahmen ergänzt werden.440 Dadurch ergab sich der durchaus gewollte Eindruck des Gewordenseins des Residenzschlosses, das äußerlich erkennbar mehrere Zeitschichten aufwies und somit von seiner langen Geschichte und den Generationenfolgen seiner Erbauer kündete. Das gebaute Schloss wurde so zu einem wichtigen Teil des dynastischen Gedächtnisses.441 437 Vgl. ebd., S. 134; Hahn/Schütte, Thesen, S. 27 u. 37; Hahn, Fürstliche Wahrnehmung. Grundlegend zur Verbindung von Architektur und Erinnerung: Martini (Hg.), Architektur. 438 Vgl. Graf, Nachruhm, S. 326. 439 Vgl. Müller, Schloß, S. 151 – 174; Ders., Spätmittelalterliches Fürstentum, S. 117 – 120. Neben der Herausstellung dynastischer Anciennität spielte auch die Symbolisierung fürstlicher Gerichtsbarkeit eine Rolle bei der Bewahrung des Schlossturms. 4 40 Vgl. Müller, Schloß, S. 219 f. 4 41 Ein wichtiges Vorbild für diese Art der architektonischen Traditionsbewahrung fanden die Fürsten und Grafen in der Wiener Hofburg; vgl. Müller, Anachronismus. Schütte,

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Außer im Gesamtentwurf ließ sich die dynastische Tradition hervorragend in den Verzierungen der Fassade zum Ausdruck bringen, die Schlossbesuchern unmittelbar ins Auge springen musste. Neben Reliefs mit biblischen Allegorien waren die Schlösser der Renaissance vor allem mit heraldischen Motiven geschmückt. Das Wappen als Symbol der Dynastie schlechthin 442 fand sich häufig an exponierten Stellen wie Schlossportalen und Türmen. Allianzwappen gepaart mit Jahreszahlen dienten in erster Linie der Identifizierung der jeweiligen Bauherren, erweckten darüber hinaus aber auch den Eindruck einer Abfolge von Herrschern, die dem Schloss ihren Einfluss aufgeprägt hatten – insbesondere wenn man aus der Rückschau die Wappen verschiedener Bauherren nebeneinander betrachten konnte. Doch ließ sich die Heraldik auch unmittelbar als Traditionsmarker ­nutzen, etwa indem man auch die Wappen der Vorfahren an der Fassade anbrachte. Ahnenproben signalisierten nicht nur die adlige Herkunft des Bauherrn, sie luden auch das Trägergebäude historisch auf und machten es so zu einem Eigenraum der Dynastie.443 Was für die Außenfassade möglich war, galt erst recht für die Innenräume des Schlosses. Neben heraldischem und genealogischem Wandschmuck bot sich etwa die Aufhängung von Familienporträts oder gar die Einrichtung einer ganzen Ahnengalerie als Ausdruck des Ahnenstolzes an.444 Aufgrund späterer Veränderungen ist es jedoch oft schwierig oder sogar unmöglich, den ursprünglichen Zustand der Gestaltung und Ausstattung des Schlossinneren zu rekonstruieren. Freilich hatte eine Residenz neben ihrem repräsentativen Aspekt auch eine ganze Reihe pragmatischer Funktionen zu erfüllen. Häufig befand sich hier das Hausarchiv, entweder in einem Gewölbe oder nicht selten im ehemaligen Bergfried, was dessen dynastisch-­erinnerungskulturelle Bedeutung besonders Architekturwahrnehmung, S. 130, sieht in ihr geradezu ein „materialisiertes ­­Zeichen dynastischer Geschichte“. 4 42 Grundlegend zur sozialen Funktion von Wappen vgl. Pastoureau, Traité d’héraldique; Paravicini, Gruppe. Zum lippischen Wappen vgl. Veddeler, Lippische Rose; Johanek, Lippe, S. 871 f.; Gröger, Rose. Zum waldeckischen Wappen vgl. Brockhusen, Stern; Curtze, Wappen. 4 43 Heck, Genealogie, S. 81, spricht in d­ iesem Zusammenhang von der „Installation dynastischer Sphären“. 4 44 Vgl. Müller, Schloß, S. 210 – 226. Zahlreiche Beispiele finden sich bei Czech, Legitimation, S. 117 – 124. Schon Halbwachs, Gedächtnis und seine sozialen Bedingungen, S. 309, hat auf die traditions- und identitätsstiftende Funktion der Schlösser für den Adel hingewiesen: „Ein Adliger empfindet wohl, wenn er die Portraits seiner Vorfahren in einer Galerie seines Schlosses betrachtet, wenn er die von ihnen errichteten Mauern und Türme ansieht, daß sich das, was er heute ist, auf diejenigen Ereignisse und Personen gründet, von denen jene die Spuren sind. Übrigens projiziert er auch den Glanz seiner gegenwärtigen Lage in die Vergangenheit zurück. Irgendein verblichener Edelmann, der am Anfang einer berühmten Linie stand, erscheint als selbst durch den Nachruhm verwandelt und umstrahlt.“

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unterstreicht. In gewisser Weise sind Archive schon aufgrund ihrer Funktion wichtige institutionelle Mechanismen, da sie Transpersonalität und Überzeitlichkeit verheißen.445 So scheint der Impuls zur dauerhaften Aufbewahrung von Dokumenten und die ihnen damit zugeschriebene Bedeutung, w ­ elche die eigene Lebensspanne überdauert, eine wichtige Grundlage für die Institutionalisierung von Herrschaft zu sein.446 Neben wichtigen Herrschaftsurkunden und der seit dem Spätmittelalter exponentiell wachsenden Menge an pragmatischem Schriftgut bewahrte das Archiv auch die Haus- und Eheverträge, Testamente und häufig auch Chroniken und Genealogien und fungierte somit gleichsam als Gedächtnis der Dynastie.447 Dabei darf der Unterschied ­zwischen herrschaftlichen und dynastischen Funktionen nicht überzeichnet werden, da es bei all den genannten Quellenarten zuvorderst um die Sicherung von Rechten und Privilegien ging und es zunächst auch keine strikte Trennung ­zwischen Haus- und Herrschaftsarchiv gab.448 Juristische Ansprüche konnten in der Frühen Neuzeit – von Gewalt abgesehen – gewöhnlich nur dann durchgesetzt werden, wenn die entsprechenden Urkunden vorgewiesen werden konnten; fehlten selbige, blieb häufig nur das Beharren mittels symbolischer Formen. Als Herrschaftsverband war die Dynastie daher auf die Archivierung und Wiederauffindbarkeit ihrer Rechtstitel angewiesen. Die Bedeutung des Archivs als Ort des gesammelten Herrschaftswissens lässt sich auch daran ablesen, dass ­zwischen den Dynastieangehörigen häufig über die Lagerung und den Zugang zu den Archivalien gestritten wurde. Darüber hinaus war dem Archiv in seiner baulichen Gestalt und materiellen Form auch eine wichtige symbolische Dimension zu eigen. In seiner Ansammlung schriftlicher Zeugnisse aus mehreren Jahrhunderten manifestierten sich ganz unmittelbar das Alter und die Kontinuität der Dynastie.449 Die hier lagernden Urkunden früherer Jahrhunderte wiesen in eine ferne Vergangenheit und machten diese zugleich präsent, schufen also ähnlich wie die Chronistik und Genealogie 4 45 Das Archiv ist in den letzten Jahren zu einem beliebten Gegenstand der Kulturwissenschaften geworden, da es unterschiedliche Forschungsansätze zu Erinnerungskultur, Medialität und Wirklichkeitskonstruktion mit einer Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse vereinen kann. Vgl. etwa Horstmann/Kopp (Hg.), Archiv; Ebeling/Günzel (Hg.), Archivologie; Friedrich, Geburt; Assmann, Erinnerungsräume. 4 46 Dabei stellt schon die Verschriftlichung von rechtlichen Verträgen anstelle eines einfachen Schwurs eine Abstraktion von den Personen der Vertragspartner dar, ­welche sich durch die generationenübergreifende Aufbewahrung noch verstärkt. Als Indiz für zunehmende Staatlichkeit wertet die Einrichtung von Archiven etwa Bahlcke, Landesherrschaft, S. 25 f. 447 Vgl. Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 354 – 359; Morsel, La noblesse, S. 98 – 103; Richter, Fürstentestamente, S. 154 – 160. 4 48 Richter, Fürstentestamente, S. 156, geht allgemein von einer Trennung im 17. Jahrhundert aus, während Schwarzmaier, Salisches Hausarchiv, S. 98, von einer „künstliche[n] Scheidung“ spricht, die erst im 19. Jahrhundert vorgenommen worden sei. 4 49 Vgl. Spiess, Familie, S. 492.

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eine besondere dynastische Eigenzeit.450 Daneben verwies das Archiv nicht nur auf eine Kontinuität in der Herrschaftsausübung, sondern war zugleich ein Reservoir an symbolischem Kapital.451 Die empfangenen Privilegien etwa besaßen nicht nur eine rechtliche Relevanz, sondern demonstrierten auch die Leistungen der Vorfahren. Auch die Archivierung von Eheverträgen nach dem Tod der beteiligten Vertragsparteien hatte ihren Sinn nicht nur darin, dass aus ihnen unter Umständen auch nach Generationen noch bestimmte Erbansprüche ermittelt werden konnten und sie zudem ganz pragmatisch als Muster für neue Verträge dienten; vor allem dokumentierten sie das erlauchte Konnubium der Dynastie, weshalb sie bereits in der Frühen Neuzeit als wichtige Quellen für Genealogen geschätzt wurden.452 Bei dieser Interpretation besteht allerdings die Gefahr, der äußeren Gestalt des Archivs, wie sie sich dem modernen Historiker präsentiert, aufzusitzen und den Gedanken der Dynastie zu hypostasieren. Darauf hat vor allem der französische Historiker Joseph Morsel hingewiesen: La constitution de dépôts d’archives communes, désignés ensuite comme ‹ lignagers › ou ‹ familiaux ›, a probablement été une étape décisive du processus de construction du ‹ lignage › comme objet historique, car elle a légué à la postérité l’image d’un Geschlecht ancien et naturel qui a largement été reprise telle quelle par la suite, parce que les sources avec lesquelles nous travaillons ont été retraitées dans cette direction 453.

Durch die Einrichtung sogenannter Geschlechts- oder Hausarchive wurden die vorhandenen Quellen in eine bestimmte, scheinbar natürliche Ordnung gebracht, die ihnen eine „réalité institutionelle“454 verlieh. Diese wirkte nicht nur auf die Zeitgenossen, sondern kann unter Umständen auch den Forscher beeinflussen. Was man im Archiv vorfindet, ist nicht historiographisches ‚Rohmaterial‘, sondern wurde bereits selektiert und in eine bestimmte Ordnung gebracht.455 Es ist 450 Vgl. Rehberg, Fiktionalität, S. 400. 4 51 Anhand der archivierten Reiseberichte von Kavalierstouren hat auf diese Funktion hingewiesen Bepler, Travelling. 452 Vgl. Friedrich, Geburt, S. 261 – 266. 453 Morsel, Le médiéviste, S. 105. 454 Ebd., S. 87. 455 Diese Diagnose wird von Wolfang Ernst geteilt, der freilich zum gegenteiligen Schluss kommt, indem er die eigentliche Konstruktionsleistung erst auf der Ebene der Historiographie verortet: „An die Stelle der alphanumerischen Verknüpfungslogistik des Archivs tritt in der Historiographie die Erzählung; deren intellektuelle, aber auch ideologie-­anfällige Leistung liegt gerade darin, Schneisen durch Archivlagen zu schlagen und rote Fäden der plausiblen, argumentativen Verknüpfung der diskreten Speicher-­Einheiten zu leisten. […] Denn das Archiv ist nicht nur das ‚fundamentum in re‘ der Historiographie, sondern zugleich ihre Alternative“, Ernst, Archiv, S. 1121. Diese fundamentale Unterscheidung ­zwischen gleichsam neutralem Archiv und konstruierender Geschichtsschreibung scheint indes nicht haltbar.

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daher unabdingbar, die Entstehung der äußeren Form des Archivs nachzuvollziehen: die Praktiken der Einrichtung und Systematisierung von Archiven sowie der Trennung von Haus- und Herrschaftsarchiv, w ­ elche womöglich erst lange nach dem Untersuchungszeitraum vorgenommen wurde.456 Neben Schloss und Archiv kann schließlich auch die Grablege als besonderer dynastischer Eigenraum bezeichnet werden, da sich hier die Vergangenheit und die Präsenz der Vorfahren augenfällig manifestierten. Seit dem Mittelalter befanden sich die meisten Grablegen in Klöstern oder Kollegiatsstiften, die von den Adelsfamilien ausdrücklich zur Pflege ihrer Memoria gestiftet worden waren.457 Die Reformation mit ihrer Absage an die liturgische Memoria und die in ihrem Zuge vielerorts durchgeführte Auflösung der Klöster stellte diese überkommene Praxis vor neue Herausforderungen. Häufig wurde die Grablege der Dynastie im Laufe der Frühen Neuzeit daher in die Hauptkirche der Residenzstadt verlegt, wo insbesondere evangelische Landesherren auf eine Zentralisierung der ihnen unterstehenden kirchlichen Institutionen bedacht waren. Zugleich wurde der Herrschersitz dadurch sakral aufgeladen, während der herrscherlichen Memoria durch die bessere Zugänglichkeit der städtischen Pfarrkirchen eine größere Öffentlichkeit beschert wurde.458 Grundsätzlich lässt sich ein recht pragmatischer Umgang der Adligen mit den Grablegen ihrer Vorfahren und dem durch eine Verlegung in Kauf genommenen Traditionsbruch im Interesse gegenwärtiger Interessen beobachten.459 Dadurch kam es zu einer Vervielfältigung dynastischer Grablegen, die sich in Klöstern, ­Kirchen und Kapellen oft über das gesamte Terri­torium verteilten. Indem die Reformatoren die Fürbitten für das Seelenheil der Verstorbenen abschafften, schufen sie auch die Voraussetzungen für einen weltlicheren Charakter der memorialen Praktiken im protestantischen Adel. Nun stand die Repräsentation der Dynastie stärker im Vordergrund, was sich etwa in der äußeren Gestaltung der Grabdenkmäler niederschlug, die nun immer häufiger mit prominent in Szene gesetzten Ahnenproben bedacht wurden.460 Parallel dazu entstanden neue Formen und Medien des Totengedächtnisses, so etwa die aufwändige zeremonielle Ausgestaltung der Beisetzungsfeier oder die bereits in den 456 Vorbildlich durchgeführt am Beispiel der Ordnung des Schönbornschen Archivs zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Süssmann, Vergemeinschaftung, S. 158 – 168. 457 Vgl. Schmid, Problematik, S. 44 – 47; Spiess, Liturgische Memoria, S. 100 f. 458 Vgl. Ebd., S. 107; Andermann, ­Kirche; Meys, Memoria, S. 19 – 24 u. 39; Babendererde, Sterben, S. 181 – 195; Brinkmann, Grabdenkmäler, S. 352 – 356; Minneker, Kloster; Gräf, Grablegen, S. 81 f.; Zajic, Grabdenkmäker, S. 27. 459 Vgl. Andermann, ­Kirche, S. 180; Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 30; Assmann, Kulturelles Gedächtnis, S. 48. 4 60 Vgl. Brinkmann, Grabdenkmäler, S. 337 f.; Dies., Ahnenproben; Meys, Memoria; Hengerer (Hg.), Macht; Baresel-­Brand, Grabmäler.

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Blick genommenen Leichenpredigten. Es wurde jedoch verschiedentlich auf die inhaltlichen Kontinuitäten der dynastischen Repräsentation gegenüber einem vermeintlichen reformatorischen Bruch hingewiesen, die sich etwa darin zeigten, dass auch die altgläubigen Vorfahren ohne Weiteres in die neuen protestantischen Formen der Memoria integriert werden konnten.461 Erst der Übergang zum reformierten Bekenntnis, wie er etwa in Lippe vollzogen wurde, bedeutete zumindest hinsichtlich der Sepulkralkunst eine deutliche Zäsur, da man fortan auf bildliche Darstellungen und damit auch auf Grabdenkmäler in den Kirchenräumen verzichtete.462 Als dynastischer Eigenraum wirkte die Grablege in mehrfacher Hinsicht. Zunächst einmal war sie ein sichtbares Symbol für die generationenübergreifende Kontinuität der Dynastie – allerdings nur, wenn sie im Laufe der Zeit nicht verlegt wurde, weshalb der bewahrende oder zerstörende Umgang mit der Tradition besonders untersucht werden muss. Des Weiteren waren die Grabdenkmäler und Epitaphien,463 die sich gewöhnlich in der K ­ irche oder Kapelle über der eigentlichen Gruft befanden, Präsenzzeichen: Sie erinnerten nicht nur an die Verstorbenen, sondern vergegenwärtigten sie in besonderer Weise durch eine bildliche, oft plastisch ausgeführte Darstellung, durch die Namensnennung in der Inschrift und durch das Wappen. Die im Spätmittelalter aufkommenden und sich im 16. Jahrhundert rasch verbreitenden Ahnenproben mit acht, 16 oder gar 32 Wappen demonstrierten dynastische Anciennität, edle Abstammung sowie die affinale Vernetzung in der Adelsgesellschaft. Schließlich konnte eine gemeinsame Grablege als wichtiges Mittel zur Integration der Dynastie als sozialer Gruppe fungieren. Allerdings lässt sich im Umkehrschluss vermuten, dass die Einrichtung eigener Grablegen der verschiedenen Linien tendenziell zur Ausbildung distinkter Identitäten beitrug. Während im Hinblick auf die spätmittelalterlichen Fürbitten und Stiftungen, die oftmals alle Angehörigen einschlossen, auch im Falle einer örtlichen Trennung von einem „Zusammenhang des Hauses in der Memoria“464 ausgegangen werden kann, stellt sich für die nachreformatorische Zeit die Frage nach den Integrationsmechanismen daher umso dringlicher. 4 61 Vgl. Minneker, Kloster, S. 530 – 533. 4 62 Vgl. Lehmann, Reformierter Bildersturm; Müller, Kunst. 4 63 Der Begriff „Grabdenkmal“ soll hier als Überbegriff dienen und umschließt einzelne Typen wie die freistehende „Tumba“ oder das sich an der Wand befindliche „Epitaph“. Allen gemeinsam ist, dass sie unabhängig von der tatsächlichen Begräbnisstätte platziert sein können und ihre Funktion somit stärker in der Erinnerung an den Verstorbenen als in der genauen Markierung des Grabes liegt. Aus kunsthistorischer Sicht lassen sich freilich weitere Differenzierungen anstellen; vgl. dazu Meys, Memoria, S. 82 – 87; Brinkmann, Grabdenkmäler, S. 78 – 80. 4 64 Freitag, Anhalt, S. 209.

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Die folgenden Abschnitte nehmen je einen der dynastischen Räume genauer in den Blick. Zunächst werden die wichtigsten Residenzschlösser der Grafen von Lippe und Waldeck bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts auf ihre architektonische Gestaltung und innere Ausstattung hin untersucht. Dabei wird zudem die Frage aufgeworfen, ob sich die unterschiedlichen Sukzessionsmodelle – gleichberechtigte Linien in Waldeck, stärkere Hierarchisierung in Lippe – auch in den Schlossbauten der Dynastien niederschlugen (4.3.1). Sodann schließt sich eine Analyse der lippischen und waldeckischen Archive an. Wann wurden diese angelegt, geordnet und systematisiert und wer waren die entscheidenden Akteure? Wer hatte Zugang zu den Archivalien und was sagt das über das soziale Beziehungs­gefüge der Dynastie aus (4.3.2)? Schließlich geht es um den Einfluss der Grablegen auf die symbolische Ordnung der Dynastie. Dienten sie der Traditionspflege oder lässt sich eher ein gegenwartsbezogener Umgang mit ihnen feststellen? Neben einer Analyse der Grabdenkmäler wird zudem kurz auf die Bestattungsfeiern und sonstige memoriale Praktiken eingegangen (4.3.3). 4.3.1 Das Residenzschloss Um die Gestaltung der Residenzen untersuchen zu können, muss zunächst die Frage geklärt werden, ­welche der landesherrlichen Burgen und Schlösser überhaupt als Wohnsitz genutzt wurden und w ­ elche Personen hier lebten. Zwar galt der Grundsatz, dass eine hochadlige Familie gemeinsam auf einem Schloss residierte, doch gab es davon zahlreiche Ausnahmen. So hatten verheiratete Töchter oder in den geistlichen Stand vermittelte Kinder den elterlichen Hof zu verlassen. Gleiches galt für die Ehefrau, die nach dem Tod ihres Gatten unverzüglich auf ihren Witwensitz umziehen musste. Heiratete hingegen ein Sohn, sollte er mit seiner Gattin zunächst im väterlichen Schloss bleiben, damit die Einrichtung einer zusätzlichen kostspieligen Hofhaltung vermieden werden konnte. Seltener wurde ihm schon zu Lebzeiten des Vaters die Gründung eines eigenen Haushalts gestattet.465 Allerdings gab es für erwachsene männliche Nachkommen noch am ehesten die Möglichkeit, auf Nebenresidenzen fernab der direkten Kontrolle des Dynastieoberhaupts ein eigenes Leben zu führen, etwa wenn ihnen testamentarisch ein eigener Wohnsitz zugewiesen worden war. Eine Besonderheit war die gezielte Ausbildung neuer Linien durch Erbteilung und Verheiratung mehrerer Söhne, als deren Folge im Land mehrere Hauptresidenzen und entsprechend umfangreiche Hofhaltungen entstanden. Galt dies für Lippe durch die Entstehung der erbherrlichen Höfe nach 1613 in begrenztem Maße, waren in Waldeck seit dem Spätmittelalter zwei oder drei landesherrliche Höfe die Regel. 4 65 Vgl. Nolte, Familie im Adel, S. 89 – 96.

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Der Stammsitz der lippischen Edelherren war der Hermelinghof in Lippstadt, der aber im Zuge der Expansion nach Osten schon bald keine Rolle mehr spielen sollte.466 Nach einem Zwischenspiel in Rheda zählten im Spätmittelalter die Burgen Brake, Blomberg und die Falkenburg zu den bevorzugten Aufenthaltsorten der Lipper.467 Das spätere Schloss Detmold wurde um 1260/70 parallel zur Gründung der Stadt als Wasserburg errichtet, wenngleich es zuerst 1363 urkundlich erwähnt wird.468 Nachdem es in der Soester Fehde weitgehend zerstört und zunächst nur notdürftig wieder in Stand gesetzt worden war, baute Bernhard VII. es schließlich zu seiner Residenz aus. Auch seine Nachfolger regierten das Land überwiegend von Detmold aus und ließen das Schloss sukzessive erweitern. Einzig Simon VI. zog es vor, in der Nähe seiner mächtigsten Stadt Lemgo auf der alten Burg Brake zu residieren, die er ab 1584 zügig zum prächtigen Renaissanceschloss ausbauen ließ.469 Bekanntlich vermachte er jedoch seinem Nachfolger Simon VII. Detmold als Erbteil, wohingegen Schloss Brake an seinen jüngeren Sohn Otto überging und infolgedessen bis 1709 Sitz der gleichnamigen Nebenlinie wurde. Die vom jüngsten Sohn Philipp ausgehende zweite Nebenlinie Alverdissen residierte seit der Regierungsübernahme in der Grafschaft Schaumburg 1647 überwiegend in Bückeburg, nach der Erbteilung von 1681 wohnte in Alverdissen jedoch ein nachgeborener Sohn auf dem 1662 neu errichteten Schloss.470 Schloss Detmold war also mit Ausnahme der Regierungsjahre Simons VI . die unangefochtene Hauptresidenz der Grafschaft Lippe. Wer hier die Oberhand besaß, hatte gute Chancen, das gesamte Land unter seine Kontrolle zu bringen, wie der militärische Handstreich Katharinas von Waldeck zeigt.471 Ihre Machtübernahme und das offenbar von ihr angeordnete Verbot an ihre Schwäger, bestimmte Räume im Schloss zu betreten, bedeutete auch deren symbolische Erniedrigung. Die lippischen Agnaten ließen ihrer Empörung darüber in einer Flugschrift freien Lauf.472 Die hohe Bedeutung des Schlosses für die Herrschaft über das Territorium erweist sich auch in den Ritualen der Besitzergreifung, die jeden Herrscherwechsel begleiteten. Zu d­ iesem Zweck ließ der neue Regent seine Beamten die Schlösser und Städte des Landes im buchstäblichen Sinne ‚ergreifen‘, um seinen Besitzanspruch darauf symbolisch zu verdeutlichen. 4 66 Der Name „Hermelinghof “ leitet sich vom frühen lippischen Leitnamen Hermann ab. Gegründet wurde der Sitz wohl vom 1123 urkundlich erwähnten Hermann I.; vgl. Meier, Lippische Residenzen, S. 10; Rothert, Hermelinghof. 4 67 Vgl. Johanek, Lippe, S. 878 f. u. 883 – 898; Meier, Lippische Residenzen, S. 13, 59 u. 95; Deichsel, Schloss Brake, S. 3 – 5. 4 68 Vgl. Grossmann, Schloss Detmold, S. 4 f.; Peters, Fürstliches Residenzschloss, S. 9. 4 69 Vgl. Deichsel, Schloss Brake, S. 6. 470 Vgl. Meier, Lippische Residenzen, S. 75 f. 471 Siehe Kap. 2.2.6. 472 Vgl. Warhaffter beständiger GegenBericht, S. 18 – 20.

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Obschon die Beamten diesen Akt im ganzen Land vollzogen, spielte die Hauptresidenz Detmold eine herausragende Rolle, da die Zeremonie hier gewöhnlich als erstes und besonders ausführlich vollzogen wurde. Dies geht aus dem Bericht des kaiser­lichen Notars hervor, der als Zeuge und Protokollant eine Abordnung unter Führung des Kammerschreibers Georg Wilhelm Busch begleitete, w ­ elche 1650 im Namen des neuen Landesherrn Johann Bernhard von Schloss, Kanzlei und Stadt Detmold Besitz ergriff. Da wir dan von dem Walgemach von den Steinern Treppen hinunter gegangen, woselbst anfenglich Wolgemelter Constitutus die negste, nach dem Obern Platze stehende schließ­ haffte undt weiter alle andere über die Schloß Brückhen gehende Thüren undt Zogbrück­ hen, beneben den Schloßern nicht allein possessorie ergriffen, sondern die Schlussell sich von dem beaydigten Hauptman Martin Kellern reichen laeßen, dz letzte Schloß auff undt zugeschloßen, undt dabey angedeutet, daß Er krafft solcher gewonlichen solenniteten nomine illustrissimi den besitz animo et corpore appraehendirt undt ergriffen haben wolle. Daruff auch ­solche schlussell mehr wolbesagtem Herrn Hauptman wider anvertrauwet.473

Auf der Kanzlei wiederholte sich das Spektakel, und danach ebenso an den vier Stadttoren Detmolds, in der K ­ irche, im Rathaus, in der Schule und schließlich sogar im Lustgarten – alda ebenmeßig mit außgrabung eines Erden torffes, Abbre­ chung einiger Bluemen undt baumzweigen 474. Das Beispiel, welches in der Konkretheit seiner symbolischen Handlungen modernen Lesern geradezu skurril anmuten muss, verdeutlicht die hohe Bedeutung des Raumes für das frühneuzeitliche Herrschaftsverständnis. Das Land wurde noch nicht als abstraktes Ganzes verstanden, sondern als Summe seiner Teile. Das Detmolder Schloss war dabei ein wichtiges Symbol der Herrschaft, zugleich aber auch ein sichtbares ­­Zeichen für das legitime Oberhaupt der Dynastie. Seiner architektonischen Gestaltung ist daher besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wenn das Schloss als gebauter Raum selbst zur Quelle werden soll, ist zu beachten, dass sich der heutige Zustand (siehe Tafel 6) wesentlich von dem des 16. und 17. Jahrhunderts unterscheidet, da in der späteren Zeit umfängliche Umbaumaßnahmen stattgefunden haben.475 Von der ursprünglichen Bausubstanz ist als sichtbarer Teil lediglich der Bergfried erhalten, der zugleich der älteste Teil des Schlosses ist und wohl bereits aus dem 13. Jahrhundert stammt. Seine zwei obersten Geschosse sind jedoch erst im 15. Jahrhundert erbaut worden. Bezeichnenderweise wurde der Turm beim Ausbau zum Renaissanceschloss ab 1549 nicht abgebrochen, sondern in den neuen Entwurf übernommen, obwohl ihm in dieser Zeit keine militärische Schutzfunktion mehr zukam. Rund fünfzig Jahre später wurde er sogar noch besonders hervorgehoben, indem man ihm ein auffälliges 4 73 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 19, Instrumenta apprehensae possessionis, 08. 07. 1650. 474 Ebd. 475 Vgl. die ausführliche Baubeschreibung bei Gaul (Bearb.), Stadt Detmold, S. 124 – 181.

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Helmdach im Renaissancestil aufsetzte, wodurch sich seine Fernwirkung erhöhte.476 Obwohl der Auftraggeber Simon VI. selbst gar nicht in Detmold residierte, wollte er damit offenbar symbolisch an die Tradition seiner Vorfahren anknüpfen, die von hier aus das Land beherrscht hatten. Fast jede Generation der lippischen Landesherren trug zur baulichen Weiterentwicklung des Schlosses bei. Nachdem bereits Bernhard VII. und Simon V. damit begonnen hatten, die Befestigungsanlage – bestehend aus vier Rondellen, einer massiven Wallanlage und einem breiten Wassergraben – auszubauen,477 sorgte Bernhard VIII . ab Mitte des 16. Jahrhunderts für eine Anpassung des Schlossbaus an den zeitgenössischen Architekturgeschmack. Dabei wurden allerdings spätmittelalterliche Elemente bewusst integriert – neben dem Bergfried vor allem der im gotischen Stil errichtete südliche Wohnflügel, das sogenannte ‚Niggehaus‘. Mit dem Ausbau des Schlosses zu einer großzügigen vierflügligen Anlage wurde der schwäbische Baumeister Jörg Unkair beauftragt, der sich bereits durch andere Prachtbauten im Weserraum hervorgetan hatte.478 Nach dessen Tod 1553 setzte der aus Hameln stammende Cord Tönnies das Werk fort, bediente sich bei der Fassadengestaltung aber stärker der neuen Formen der Renaissance. Auch ein unbekannter Meister mit den Initialen J. R. war in dieser Zeit am Bau beteiligt.479 Aufgrund der jahrzehntelangen Bauzeiten, des Wechsels der Baumeister mit je eigenen Stilen sowie der Einbeziehung der älteren Teile in den neuen Entwurf muss das Schloss um 1600 recht heterogen gewirkt haben, zumal der die Anlage komplettierende Westflügel erst um 1673 ausgebaut wurde.480 Dieser Eindruck war indes kein Mangel, sondern versinnbildlichte vielmehr Alter und Tradition des Schlosses und damit der lippischen Herrschaft. Erst im 18. Jahrhundert, als sich die Anforderungen an eine zeitgemäße Herrscherrepräsentation allmählich wandelten, wurde auch die Gestalt des Detmolder Schlosses vereinheitlicht, indem man Dachhöhen und Fassaden anglich.481 Neben der Bauform sorgten auch die heraldischen Verzierungen an der Außenfassade für eine angemessene dynastische Repräsentation. So ließen sich die Bauherren Bernhard VIII. zur Lippe und Katharina von Waldeck durch männliche und weibliche Büsten samt ihren Wappenbildern – der Rose und dem Stern – an

4 76 Vgl. Grossmann, Schloss Detmold, S. 10. 477 Die fortifikatorischen Ausbauten der lippischen Residenzen im 16. Jahrhundert schildert Pieper, Status. 478 Vgl. Meier, Lippische Residenzen, S. 34; Grossmann, Schloss Detmold, S. 10; Gaul (Bearb.), Stadt Detmold, S. 124 – 181; Ders., Renaissance-­Baumeister, S. 5 – 9. 479 Vgl. ebd., S. 9 – 12. 480 Einen Eindruck davon vermittelt ein Stich des Schlosses um 1663 von Elias van Lennep (siehe Tafel 7). 481 Vgl. Pieper, Baugeschichte.

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verschiedenen Stellen verewigen.482 Besonders auffällig ist die auf einer Galerie an der Innenhofseite des Ostflügels angebrachte Ahnenprobe der beiden. Links und rechts einer Justitia-­Darstellung 483 befinden sich die Wappen Braunschweig, Schaumburg, Mansfeld und Lippe bzw. Waldeck, Kleve-­Mark, Solms und Hessen. Die letzteren lassen sich auflösen als Großeltern väter- und mütterlicherseits von Katharina von Waldeck, womit es sich um eine klassische Vierer-­Ahnenprobe handelt. Bei den Wappen Bernhards ergibt sich jedoch eine Abweichung, da seine Großmutter mütterlicherseits eine Gräfin von Gleichen war, deren Wappen fehlt bzw. durch ein braunschweigisches ersetzt wurde. Der Befund lässt zwei Deutungen zu: Entweder handelt es sich schlicht um einen für die Zeit keineswegs ungewöhnlichen genealogischen Irrtum, oder man ersetzte das Wappen vorsätzlich gegen das einer Urgroßmutter Bernhards, einer Herzogstochter von Braunschweig-­Grubenhagen. In dem Fall hätte man die Ahnentafel Bernhards durch einen kleinen Kniff ständisch aufgewertet, sodass er mit den Vorfahren seiner Gemahlin, die mit Kleve und Hessen gleich zweimal fürstliches Blut aufweisen konnte, annähernd gleichziehen konnte. Im Gegensatz zum weithin sichtbaren Schlossturm, der auch auf die Untertanen wirken konnte, richteten sich die Verzierungen im Innenhof eher an ein exklusiv höfisches Publikum, das in heraldischen und allegorischen Dingen geschult war. Hier waren auch kleinste darstellerische Details mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. In ­diesem zentralen Raum haben sich daher auch einige der Nachfolger Bernhards samt ihren Gemahlinnen mit ihren Wappen verewigt,484 was für nachfolgende Generationen den Eindruck der Geschichtlichkeit durch die Staffelung der Zeitschichten noch erhöhte. Ein kurzer Blick soll noch auf die abweichende Hofhaltung Simons VI. geworfen werden. Offenbar war es dem ehrgeizigen und gelehrten Grafen ein Anliegen, seine persönlichen Vorstellungen einer zeitgemäßen Residenz zu verwirklichen, ohne dabei jedoch vollständig mit der Vergangenheit zu brechen. Zunächst hatte er einen Umbau der mittelalterlichen Falkenburg bei Detmold ins Auge gefasst, die seit 1523 unbewohnt und im Verfallen begriffen war.485 Eine Aufwertung der Burg wäre nur mit großem baulichen und finanziellen Aufwand möglich gewesen. Dass Simon Kosten und Mühen dazu nicht scheute, zeigt sein Bestreben, neue Akzente zu setzen und gleichzeitig an ältere Traditionen anzuknüpfen, von denen er sich einen Prestigegewinn versprach. Nach dem Tod seiner ­Mutter Katharina, die auf Schloss Brake ihren Witwensitz gehabt hatte, gab er seine ursprünglichen Pläne 4 82 Vgl. Grossmann, Schloss Detmold, S. 16 – 26. 483 Sie symbolisierte die gräflichen ‚Gerechtigkeiten‘ und wies das Schloss damit als Sitz der landesherrlichen Rechtsprechung aus; vgl. Müller, Schloß, S. 212. 484 Vgl. Grossmann, Schloss Detmold, S. 26 – 28; Peters, Fürstliches Residenzschloss, S. 13 – 16. 485 Vgl. Johanek, Lippe, S. 896 – 898.

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jedoch auf und entschied sich stattdessen zu einer Umgestaltung der dortigen Residenz. Auch hier ließ sich an einen mittelalterlichen Vorgängerbau anschließen, der jedoch weit mehr Gestaltungsfreiräume bot und sich zudem in unmittelbarer Nähe der florierenden Stadt Lemgo befand, die Simon womöglich als neue Residenzstadt auserkoren hatte. Für den Entwurf und die anschließende Ausführung der Umbauarbeiten ab 1584 engagierte Simon den Lemgoer Baumeister Hermann Wulff.486 Im Gegensatz zu Detmold wurde der alte und wahrscheinlich baufällige Braker Bergfried im Zuge der Baumaßnahmen abgerissen und bis 1589 durch einen modernen rechteckigen Wohnturm an gleicher Stelle ersetzt.487 Auch hier setzte man also trotz des weitgehenden Verlusts militärischer Funktionen auf die Macht und dynastische Tradition symbolisierende Wirkung eines eindrucksvollen Schlossturms. Zudem ließ Simon dort seine Bibliothek unterbringen und hatte von einem Balkon aus die Möglichkeit zur Sternbeobachtung, sodass der Turm auch Ausdruck seines Selbstverständnisses als gelehrter Herrscher war. Seine Bedeutung zeigt sich auch in einem Kupferstich von 1614, der die Himmelfahrt Simons nach seinem Tod darstellt (siehe Tafel 8).488 In der linken Bildhälfte ist im Hintergrund Schloss Brake in seinem umgebauten Zustand zu erkennen, bei dem besonders der Schlossturm mit seiner überdimensioniert wirkenden Dachhaube hervorsticht. Damit bietet er dem Betrachter einen Hinweis auf die persönlichen Leistungen Simons als Bauherr, aber auch auf seine hochadlige Herkunft. Durch die Darstellung von Schlössern im Medium des Drucks – sei es als Veduten oder wie hier als bildnerisches Beiwerk – ließ sich der Adressatenkreis der dynastischen Repräsentation über die meist adligen Schlossbesucher hinaus erheblich erweitern.489 In der Grafschaft Waldeck lagen die Dinge wesentlich komplizierter. Hier schlugen sich die häufig vollzogenen Erb- und Landesteilungen auch in der Organisation der Residenzen nieder. Hauptstützpunkt der im Werden begriffenen Landesherrschaft wurde nach der Abspaltung von Schwalenberg um das Jahr 1230 die Burg Waldeck, von der die Grafen bereits seit einiger Zeit ihren Namen 486 Vgl. Gaul, Renaissance-­Baumeister, S. 12 – 17. Ausführlich zur Baugeschichte des Schlosses Brake: Sauer, Burg. 487 Vgl. Deichsel, Schloss Brake, S. 12; Kastler, Schloßturm; Borggrefe, Arte et Marte, S. 87 – 97; Bischoff, Graf Simon VI., S. 51 – 57; Meier, Lippische Residenzen, S. 97 f. Ein ähnliches Beispiel einer solchen „Kompensation“ der alten Bausubstanz durch einen neuen Turm schildert Müller, Schloß, S. 214. 488 Es handelt sich um ein Werk von Nicolaus Bouman, Apotheose des Grafen Simon VI. zur Lippe, Kupferstich, 1614. Der Künstler spielt hier auch mit den heraldischen Symbolden der Grafen zur Lippe, etwa bei den am Wegesrand wachsenden Rosen, dem als Radspeichen fungierenden Stern (Sternberg) sowie den Schwalben, w ­ elche den Wagen ziehen (Schwalen­ berg). Vgl. dazu auch Bischoff, Graf Simon VI., S. 7 – 9. 489 Vgl. Völkel, Bild.

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ableiteten. Insofern kann sie als Stammburg gelten, obschon sie älter war – erstmalig fand sie 1120 Erwähnung – und sich ursprünglich wohl im Besitz der Grafen von Ziegenhain befunden hatte.490 Bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts residierten hier Grafen von Waldeck. Allerdings vervielfältige sich durch die Landesteilungen auch die Zahl der Residenzen. Bei der ersten Teilung von 1397 zog es Adolf IV. vor, auf dem von seinem Vater errichteten Schloss Landau zu bleiben, während sein Bruder Heinrich VII. allein auf die Stammburg Waldeck zog, w ­ elche freilich grundsätzlich in beider Besitz bleiben sollte. Als Heinrichs Nachkommen ihren Besitz erneut aufteilten, zogen sie auf die Burgen Eisenberg bei Korbach bzw. Wildungen, w ­ elche seitdem als Namensgeber für die beiden Linien fungierten. Seit 1507 residierten die Grafen schließlich abwechselnd auf ihren eigenen Burgen und der Stammburg Waldeck.491 In der Eisenberger Linie wich Philipp III . von ­diesem Muster ab, indem er seinen Wohnsitz 1526 vom Eisenberg in das säkularisierte und umgebaute Kloster Arolsen verlegte,492 was allerdings schon von seinem Sohn Wolrad II. wieder rückgängig gemacht wurde. In Arolsen blieb stattdessen die Witwe Anna von Kleve mit ihren Kindern, von denen Johann I. ab 1550 in Landau residierte.493 Neben der Burg Eisenberg besaßen die Grafen dieser Linie noch einen Sitz in der Stadt Korbach, der nach einem Brand durch Wolrad zu einem prächtigen Renaissanceschloss umgebaut wurde.494 Nach der neuerlichen Teilung von 1607 zog sein Enkel Wolrad IV. wieder nach Arolsen, das rund hundert Jahre später durch den Bau des Barockschlosses unter Friedrich Anton Ulrich schlussendlich zur alleinigen Residenz wurde.495 Unterdessen blieb die Stammburg Waldeck fortwährend im gemeinsamen Besitz der Eisenberger und Wildunger Linie.496 Bei der Teilung 1486/87 hatten die Grafen Philipp II. und Heinrich VIII. zunächst noch beschlossen, das haubt schloß Waldecken 497 ungeteilt zu lassen. Obwohl beiden Grafen ein Anrecht auf einen Teil der Burg eingeräumt wurde, sollte zunächst nur Philipp tatsächlich dort wohnen. Ab 1500 begann Heinrich jedoch mit dem Bau eines neuen Wohngebäudes, das nach ihm Wildunger Flügel genannt wird, während der ältere Teil dadurch zum Eisenberger Flügel wurde. Spätestens ab dieser Zeit lässt sich von einer Ganerbenburg sprechen, also einem von gleichberechtigten Erben gemeinsam verwalteten 490 Vgl. Zunker, Waldeck, S. 1629. 491 Vgl. Reichardt, Wildungen, S. 57 f. 492 Vgl. Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Twiste, S. 20 f. 493 Vgl. Menk, Residenz Arolsen, S. 25 f. u. 28; Medding, Korbach, S. 134. 494 Vgl. ebd., S. 136 f. 495 Vgl. Kümmel/Hüttel (Hg.), Arolsen. 496 Die aus der Mutschierung von 1538 entstandene Landauer Linie hatte dagegen keinen Anteil an der Stammburg, da die Anteile Philipps III. an Amt, Stadt und Schloss Waldeck nur seinen älteren Söhnen Wolrad II. und Otto vermacht worden waren. 497 HStAM, Urk. 85, Nr. 324.

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Besitz. Das Zusammenleben zweier Grafenfamilien auf relativ engem Raum führte jedoch alsbald zu Streit, insbesondere über die in gemeinsamem Besitz befind­ lichen Teile wie die Vorburg und die Torgebäude, über deren Nutzung im Laufe des 16. Jahrhunderts mehrere Verträge abgeschlossen wurden.498 Aufgrund des erhöhten Regelungsbedarfs und der Konfliktanfälligkeit der Samtburg wurden bereits seit dem späten 15. Jahrhundert Burgfrieden geschlossen, die jeder Junggraf mit Erreichen des 15. Lebensjahrs beschwören sollte.499 Die symbolische Bedeutung der Stammburg war den Grafen durchaus bewusst, wie die Prätentionen Daniels in den Wildunger Teilungsverhandlungen von 1575 zeigen. Er forderte, das Schloss Waldeck – gemeint war wohl nur der Wildunger Flügel – mitsamt der Regierung ihm als Ältesten allein zuzusprechen, denn erstens sei es baulich nicht für eine doppelte Hofhaltung geeignet und zweitens würde es eyn seltzam ahnsehen machen, da dieß Hauß Waldeck, davon die Graven und Hern zu Wal­ deck Ihren Namen undt Titull haben, begehrtter maßen solte zertrennet und divi­ dirt werden 500. Tatsächlich wurden seine Ansprüche erfüllt und es blieb bei der Kopräsenz der zwei Hauptlinien. Rund dreißig Jahre später wurden bei der letzten großen Teilung Schloss und Amt Waldeck erstmalig nicht mehr als Samtbesitz behandelt, sondern allein der Wildunger Linie Christians zugeschlagen.501 Damit kündigte sich allmählich der Bedeutungsverlust der Stammburg Waldeck an. Im 16. Jahrhundert hatte sie jedoch ohne Zweifel eine integrative Wirkung auf den dynastischen Gesamtverband. Praktische Probleme im Zusammenleben kamen zwar häufig auf, sorgten durch ihre vertragliche Regelung aber auch für eine engere Verflechtung der Grafen untereinander. Die seit dem Spätmittelalter geschlossenen Burgfrieden samt ihren ständig wiederholten ­Veräußerungsverboten verweisen auf die große Bedeutung der Stammburg für den Zusammenhalt als Erbengemeinschaft,502 während die Äußerung Daniels belegt, dass auch ein Bewusstsein für ihren Wert als Symbol der Dynastie existierte. Aufgrund seiner Bedeutung als kollektiv genutztem Stammsitz ist es daher folge­ richtig, wenn bei der Untersuchung der baulichen Gestalt das Hauptaugenmerk 498 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 332, Vertrag vom 08. 07. 1508, u. a. über die Teilung des Tores; Nr. 11133, Vertrag vom 07. 03. 1525, Teilung der Vorburg; 115/01, Nr. 380, Vertrag vom 19. 03. 1543, Konkretisierung des vorigen Vertrags über Teilung und Nutzungsbedingungen im Beisein der Räte und etlicher Meurmeister und Zymmerleut, nach genugsamer besichtigung und gehaptem bedacht; Urk. 85, Nr. 346, Vertrag vom 26. 10. 1551, Regelung des Streits um die Gebäude außerhalb des Schlosses und Bauverbot auf den Samtplätzen im Schloss ohne Wissen des anderen sowie Abrede zur gemeinsamen Besoldung und Verpflegung der Pförtner beider Schlosstore. 499 Siehe dazu die Kap. 2.3.2 u. 3. 500 HStAM, 115/01, Nr. 311, Verhandlungsprotokoll vom 05. 01. 1575, fol. 19r. 501 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11194, Vertrag vom 15. 03. 1607. 502 Die integrative Funktion von Burgfrieden betont auch Schneider, Ganerbschaften.

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auf dem Schloss Waldeck liegt. Ein weiterer Grund dafür ist, dass von den übrigen Residenzen der Waldecker Grafen aus dem 16. und frühen 17. Jahrhundert nur wenig erhalten ist: Die Burg Eisenberg verfiel seit dem späten 17. Jahrhundert zur Ruine,503 das Stadtschloss in Korbach wurde im 18. Jahrhundert abgerissen,504 Schloss Wildungen wurde ab 1660 in den Formen des Barocks völlig umgestaltet 505 und das alte, auf dem ehemaligen Kloster basierende Schloss Arolsen musste 1710 einem prächtigen Neubau weichen. Allerdings ist auch beim Schloss Waldeck Vorsicht geboten, da sein heutiger Zustand (siehe Tafel 9) zu einem Gutteil aus den Umbauten und Zerstörungen späterer Zeiten resultiert. Als ältester Bauteil wurde der Bergfried aus dem 13. Jahrhundert identifiziert,506 der im Laufe der Zeit unterschiedliche Funktionen erfüllte. Bereits im 16. Jahrhundert war hier das waldeckische Samtarchiv untergebracht, zunächst in einer einzelnen Truhe, später als ganzes Gewölbe.507 Dies ist sicherlich nicht nur mit pragmatischen Gründen wie einer guten Zugänglichkeit für die Vertreter aller Linien sowie der baulichen Eignung zur Lagerung von Archivalien zu erklären, sondern hatte auch eine symbolische Dimension: Als Sinnbild für das dynastische Gedächtnis war der Bergfried der prädestinierte Ort für die Bewahrung der schriftlichen Überlieferung. Zudem stand er „für den in Gemeinschaftsbesitz verbleibenden Kernbestand der ‚Herrlichkeiten‘ und ‚Gerichtsbarkeiten‘ des Schlosses“ und mahnte so die „Bewahrung des gemeinsamen Familienerbes“508 an. Die Konzeption als Ganerbenburg spiegelt sich in der heterogenen Baugestalt des Schlosses Waldeck wider. Bereits erwähnt wurden der aus dem Mittelalter stammende und 1734 abgebrochene Eisenberger Südflügel sowie sein ­zwischen 1500 und 1577 errichtetes Wildunger Pendant an der Nordseite. Letzterer ist noch heute zu sehen, wobei es sich um eine Rekonstruktion nach einem Brand aus den 1950er Jahren handelt. Die häufig umstrittene gemeinsame Vorburg wurde ebenfalls erst im 16. Jahrhundert errichtet, während Befestigungsarbeiten noch zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges ausgeführt wurden.509 Angesichts der späteren Veränderungen muss eine Analyse der Baugestaltung notgedrungen knapp ausfallen. Zunächst fällt aufgrund ihrer Lage als Höhenburg der mittelalterliche Ursprung der Burg ins Auge. Dies musste auch den Grafen im 16. Jahrhundert

5 03 Vgl. Medding, Korbach, S. 238. 504 Vgl. ebd., S. 137. 505 Vgl. Reichardt, Wildungen, S. 123; Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 106 – 116. 506 Vgl. Zunker, Waldeck, S. 1630. 507 Vgl. Gutbier, Waldeckische Archive, S. 56 f. Siehe dazu Kap. 4.3.2. 508 Müller, Schloß, S. 163. 509 Vgl. Zunker, Waldeck, S. 1630; Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 282 – 292.

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bewusst gewesen sein, da der Geschmack der Zeit eher repräsentative Bauten auf freier Fläche bevorzugte. Dennoch – oder gerade deswegen – hielt man der Stammburg die Treue und versah sie mit zeitgemäßen Wohnbauten, um von ihrer Anciennität profitieren zu können. Denn im Gegensatz zu zahlreichen Renaissancebauten, die durch architektonische Mittel einen Eindruck von Altertümlichkeit hervorrufen wollten, war die Burg Waldeck tatsächlich alt und zeugte somit weithin sichtbar von der dynastischen und herrschaftlichen Tradition der Grafen. Durch die zahlreichen Besitzer, die zum Teil parallel an ihren Bauten arbeiteten und sich nur bedingt darüber absprachen, erschien sie darüber hinaus als organisch gewachsenes Gebilde. Erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts verlor der Nachweis dynastischer Anciennität allmählich an Bedeutung gegenüber neuen Formen herrschaftlicher Repräsentation, die auf der Burg nicht zu verwirklichen waren, was in Verbindung mit dem prätendierten Fürstentitel letztlich zum Bau des barocken Schlosses Arolsen führte. Kaum erhalten hat sich aufgrund der Zerstörungen der Fassadenschmuck. Lediglich der vorspringende Treppenturm des Wildunger Flügels ist mit drei Wappentafeln verziert (siehe Tafel 10). Es handelt sich um die Allianzwappen dreier Wildunger Regenten und ihrer jeweiligen Gemahlinnen, die den Bau im 16. Jahrhundert vorantrieben. Das älteste stammt von Heinrich VIII. und seiner Gattin Anastasia von Runkel, dessen Inschrift auf den Baubeginn unter Heinrich hinweist.510 Das zweite erinnert an ihren gemeinsamen Sohn Philipp IV. und dessen erste Gemahlin Margaretha von Ostfriesland, obschon es erst nach dem Tode Philipps und seiner drei Frauen angebracht wurde. Neben der langen und friedlichen Regierungszeit Philipps verweist die Inschrift auch auf die Einführung der Reformation in der Grafschaft. Das dritte Wappen steht schließlich für Daniel und die mit ihm vermählte Barbara von Hessen und wurde im Todesjahr des ersteren angebracht. In ihrer räumlichen Nachbarschaft an der Turmfassade bilden sie ein eindrucksvolles heraldisches Ensemble, das die Generationenabfolge der Wildunger Herrscher vergegenwärtigt. Die Inneneinrichtung der Lipper und Waldecker Schlösser, wie sie im 16. und 17. Jahrhundert vorgefunden werden konnte, lässt sich aufgrund der späteren Umgestaltungen kaum noch rekonstruieren. Die Zeiten überdauert haben in vielen Fällen jedoch steinerne oder gusseiserne Kamine in den beheizbaren Räumen, in die oftmals die Wappen ihrer Besitzer eingraviert waren.511 Einige Einrichtungsgegenstände finden sich als Exponate in musealen Sammlungen, wobei ihre ursprünglichen Nutzungszusammenhänge nur in Einzelfällen nachzuvollziehen sind. Zeitgenössische bildliche Darstellungen aus dem Inneren der Gebäude 5 10 Transkriptionen der Inschriften ebd., S. 290. 511 Vgl. Dann, Schloss Varenholz, S. 23 – 25; Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 293.

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sind nicht bekannt und auch Beschreibungen der Schlösser existieren nur vereinzelt. Ein seltenes Beispiel stellt die Landesbeschreibung des lippischen Adligen ­Wilhelm Gottlieb Levin von Donop dar, die unter anderem auch die landesherrlichen Schlösser in den Blick nimmt, wobei hier der Zustand am Ende des 18. Jahrhunderts geschildert wird. So schreibt Donop über das Schloss Brake: Es hat einen antiken außerordentlich großen Saal, dessen Decke ganz mit königlichen, fürstlichen und gräflichen Wappen derer Vorfahren bemahlet, und seiner Größe wegen sehenswürdig ist.512 Leider gibt er weder über die genauen Wappen, noch über die Entstehungszeit der heute nicht mehr vorhandenen Decke Auskunft. Durch die heraldische Präsenz der Ahnen war ein solcher Wappensaal allerdings ein dynastischer Eigenraum par excellence, der Schlossbewohner und auswärtige Besucher gleichermaßen beeindrucken und von der noblen Abstammung der Grafen überzeugen sollte.513 Sofern er bereits von Simon VI. selbst in Auftrag gegeben worden war, stellte er ein eindrucksvolles Zeugnis seines dynastischen Bewusstseins dar und bildete in gewisser Weise einen Kontrast zu der sonst stärker auf seine Person zugeschnittenen Konzeption des Schlosses Brake. Um eine genauere Vorstellung von der Innenausstattung der Schlösser zu bekommen, können in erster Linie schriftliche Inventare als Quellen dienen, die häufig aus Anlass von Sterbefällen angefertigt wurden. Einen guten Eindruck vom Zustand des Schlosses Waldeck zum Todeszeitpunkt der Landgräfin Barbara bietet etwa das zum Zweck der Aufteilung ihrer Hinterlassenschaften ­zwischen Waldeck und Württemberg – Barbara war in erster Ehe mit Herzog Georg von Württemberg vermählt gewesen – erstellte Inventar von 1597. Seine Unterteilung nach Räumen gibt einige Aufschlüsse über die Raumfolge des Wildunger Wohnbaus, auch wenn neben eindeutig identifizierbaren Räumen wie des alten Herrn Cammer oder der frawen Zimmers stubben 514 viele Räume nur unzureichend benannt sind. Auffällig hinsichtlich dynastischer Repräsentation ist vor allem eine in ihrer Funktion nicht eindeutige Stube neben der sogenannten Bollwercks Cammer 515, deren Wände mehrere Wappenteppiche schmückten. Neben dem Waldecker Wappen hingen hier erstaunlicherweise auch die von Mainz und Nassau. Aus demselben Jahr hat sich auch ein Inventar aus dem alten Schloss Arolsen erhalten, wo soeben Franz III. mit seinem Ableben die neuere Landauer Linie beschlossen hatte.516 Auch hier waren Wappen in der Inneneinrichtung präsent. So gab es in der Stube nicht nur Stühle mit dem Waldecker Wappen, sondern 5 12 Donop, Beschreibung, S. 70. 513 Vgl. zur Ausgestaltung und intendierten Wirkung heraldischer Räume auch Heck, Genealogie, S. 81 – 160. 514 HStAM, 115/27, Nr. 34. 515 Ebd. 516 Vgl. HStAM, 115/27, Nr. 36.

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auch s­ olche mit dem von Plesse, die laut Inventar von der verstorbenen Gemahlin Franz’, Walburg von Plesse, stammten. Auch das lippische Wappen fand sich auf verschiedenen Truhen und Möbelstücken, ­welche wohl durch Johanns Gemahlin Anna zur Lippe nach Arolsen gekommen waren. Ins Auge sticht zudem eine Art Ahnengalerie, die sich in der sogenannten Stube befunden haben muss: An den wenden funffzehen Contrafeiung grefflicher personen, so mherer teill Waldeck und waldeckisch verwante 517. Ahnengalerien sind von der Forschung als besonders augenfällige Manifestierungen dynastischen Bewusstseins herausgestellt worden, da in ihnen die retrospektiven und prospektiven Elemente der Erinnerungs­kultur zusammenfielen.518 Bei der Arolser Bildersammlung fällt auf, dass sie nicht ausschließlich Porträts von Waldeckern, sondern auch anderer Grafen umfasste, womit die eigene Dynastie augenfällig in den Kreis der Standesgenossen eingereiht wurde. Offenbar hat sie sich nicht lange erhalten, da noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts der Historiker Johann Varnhagen dem Fürsten Friedrich von Waldeck empfahl, eine Ahnengalerie anzulegen.519 Auch von den Schlössern der Lipper haben sich verschiedene Inventare erhalten. So gibt ein Inventar, das 1563 anlässlich des Todes Bernhards VIII. erstellt wurde, Einblicke in das auf Schloss Detmold vorhandene Silbergeschirr, welches aufgrund seiner heraldischen Markierungen „hervorragend als Erinnerungsmedium geeignet“520 war. So gab es hier 12 kleine sulverne nigge becker mit dem Lippisschen Wapen 521, des Weiteren aber auch Silberbecher mit den Wappen der lippischen Städte, die vermutlich als Geschenk an die Grafen gekommen waren. Eine umfassende Bestandsaufnahme der sich im Detmolder Schloss befindlichen silbernen und goldenen Becher, Kannen und sonstigen Geschirrs sowie der Bestände an Textilien, Möbeln und Gebrauchsgegenständen bot auch ein von den Vormündern der Kinder Simons VII. 1627 angefertigtes Inventar.522 Auffällig war hier vor allem das häufig auftauchende Nassauische Wappen, das wohl Gegenstände markierte, die die erste Gemahlin Simons, Anna Katharina von Nassau-­Wiesbaden-­Idstein, in die Ehe gebracht hatte. Bereits 1645 wurde erneut inventarisiert, diesmal von Simon Philipps Vormund Emich zu Leiningen-­Dagsburg. Nun befanden sich im sogenannten Herren- oder Saalgemach ein newer Teppich von Tapezereyen, 5 17 Ebd. 518 Vgl. Graf, Fürstliche Erinnerungskultur, S. 4; Studt, Symbole, S. 223; Halászová (Hg.), Noblesse; Barta, Familienporträts; Windt, Ahnen. 519 Man sollte nach Meinung Varnhagens die im ganzen Land verstreuten Porträts von Mitgliedern der Grafenfamilie aufsuchen, von einem Hofmaler abmalen lassen und in einem Raum im Schloss versammeln. Der Vorschlag wurde jedoch nicht umgesetzt; vgl. Nebelsieck, Geschichtsforscher. 520 Spiess, Materielle Hofkultur, S. 178. 521 LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 310, Inventar von 1536, fol. 113r. 522 Vgl. LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 312, Inventar des Schlosses Detmold von 1627.

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darinnen das Lippische und Naßawische Wapen, im Herrengemach daneben funff­ zehen Contrafeten von Herrn standes personen und Herrn Kindern und auf dem großen Speisesaal ein hangender Hirschgewichtes leuchter mit einem bild, deran das Lippische und Waldeckische Wapen 523. Hinweise auf eine Ahnengalerie bieten diverse Erwähnungen von Porträtbildnissen,524 doch ist über die abgebildeten Personen nichts Genaues zu erfahren. Es ist durchaus denkbar, dass die heute im Schloss befindliche Galerie im sogenannten Ahnensaal frühneuzeitliche Vorgänger hatte. Das gegenwärtig dort zu sehende Bildensemble ist freilich das Ergebnis einer Neugestaltung aus den Jahren 1880 – 82, wobei die verwendeten und durch Hinzufügung eines Goldhintergrundes optisch vereinheitlichten Porträts, beginnend mit Edelherr Bernhard VII. und seiner Gemahlin Anna von Schaumburg, zum Teil wohl deutlich älter sind.525 Grundsätzlich ist festzuhalten, dass Wappen in der Sphäre des Schlosses allgegenwärtig waren und Gebrauchsgegenstände, Möbelstücke und Wände zierten. Neben den Wappen von Waldeck bzw. Lippe fanden sich häufig diejenigen der angeheirateten Frauen, w ­ elche entsprechende Gegenstände als Aussteuer mit in die Ehe einbrachten. Aber auch Wappen anderer Adelshäuser, Länder oder Städte, die wohl meist Geschenke waren, lassen sich ausmachen. Der aus den Inventaren gewonnene Befund wird durch überlieferte Exponate bestätigt, wie etwa das Vorderteil der Bettstatt Wolrads II. von Waldeck und seiner Gattin Anastasia von Schwarzburg, welches sich gegenwärtig in der Hofbibliothek im Arolser Schloss befindet (siehe Tafel 11). Es wurde 1547 vom hessischen Bildhauer ­Philipp ­Soldan aus Holz geschnitzt und teilt sich in drei kreisförmige Felder, deren mittleres einen Baum als ­­Zeichen der Fruchtbarkeit und dynastischen Kontinuität zeigt, während die griechische Umschrift die große Gottesfurcht des Paares verdeutlicht.526 Im linken und rechten Feld befindet sich jeweils das waldeckische und schwarzburgische Wappen samt einer Umschrift, die namentlich auf Wolrad und Anastasia verweist. Ein ähnliches Brautbett, ziemlich bunt mit Wappen und andern Schnirkeln beschnitzt und bemahlet 527, besaßen auch Simon VI. zur Lippe und seine Gemahlin Elisabeth von Holstein-­Schaumburg, wie Donop in seiner Landesbeschreibung erwähnt. Dass sich auf dem gemeinsamen ehelichen Bett die 523 LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 315, Inventar von 1645, fol. 26r–31r. 524 Neben dem oben zitierten etwa auch die Achtzehen Contrafacturen von gräfflichen persohnen und Herrn Kindern im Vorgemach des alten Saals zur linken Hand; ebd., 32v. 525 Vgl. Grossmann, Schloss Detmold, S. 32; Gedon, Lorenz Gedon. Gaul (Bearb.), Stadt Detmold, S. 221, datiert die Ersterwähnung der Porträts auf 1788, hält sie aber für „zeitgenössisch“. Linde, Bernhard VII. und die Edelherren, S. 23, vermutet, dass die ältesten Porträts aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts stammen. 526 Sie zitiert den Psalm 119, Vers 120, der auf Deutsch lautet: „Ich fürchte mich vor dir, dass mir die Haut schaudert“. 527 Donop, Beschreibung, S. 57.

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Wappen der Besitzer befanden, erscheint schlüssig, lässt es sich doch unschwer als Symbol der Vereinigung zweier Dynastien interpretieren. Aus ihm sollte der Kontinuität stiftende Nachfolger entspringen, womit es zu einem Ort wurde, an dem Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zusammenkamen. Die als Residenzen genutzten Schlösser und Burgen bildeten die vornehmliche Lebenswelt der Dynastieangehörigen, weshalb es sich lohnt, ihrer materiellen Erscheinung besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Wie gezeigt werden konnte, bildeten sie durch architektonische und künstlerische Ausgestaltung besondere Eigenräume der Dynastie, auf die an vielen Stellen Bezug genommen wurde. Hinsichtlich der Residenzbauten waren sich die Grafen der Notwendigkeit einer standesgemäßen Repräsentation bewusst, wollten sie in der höfischen Gesellschaft konkurrenzfähig bleiben. Dabei ließen sich jedoch verschiedene Wege verfolgen, mit denen je unterschiedliche Aussagen getroffen werden konnten. Die Grafen zur Lippe konzentrierten sich im Wesentlichen auf ihr Hauptschloss Detmold, das über Generationen hinweg ausgebaut und dabei stets dem Zeitgeschmack angepasst wurde. Gerade dadurch ergab sich jedoch auch ein Eindruck von Geschichtlichkeit, der durchaus erwünscht war. Lediglich Simon VI. emanzipierte sich bis zu einem gewissen Grad von der dynastischen Tradition, indem er seine persönliche Residenz auf Schloss Brake verwirklichte, fand aber auch hier verschiedene Anknüpfungspunkte an die Vergangenheit. Die Grafen von Waldeck hingegen hatten mit der mittelalterlichen Ganerbenburg Waldeck einen Stammsitz, der das Alter der Dynastie besonders augenfällig werden ließ, weshalb sie seiner Ausgestaltung erhöhte Aufmerksamkeit zukommen ließen. Die gegenüberliegenden Flügel, verbunden durch den alten Bergfried, repräsentierten dabei die zwei Linien Eisenberg und Wildungen. Als integratives Element stand Schloss Waldeck somit für den gemeinsamen Ursprung aller Linien, die gleichwohl auch ihre eigenen, im Land verstreuten Residenzen bewohnten. Die von der Schlossarchitektur transportierten Inhalte waren zuvorderst die Anciennität der Dynastie, ­welche Herrschaftslegitimation und symbolisches Kapital versprach, ganz wie es die schriftlichen Zeugnisse der Erinnerungskultur taten. Das alte Schloss und in verdichteter Form der Schlossturm zeugten von der langen Geschichte, in der die Dynastien von d­ iesem Ort das umliegende Land beherrscht hatten. Insofern waren sie auch Sinnbilder für den hochadligen und reichsunmittelbaren Status der Schlossherren. Folglich gaben sich die jeweiligen Bauherren große Mühe, die Bauleistungen ihrer Vorgänger zu würdigen und dennoch eigene Akzente zu setzen. Als Adressaten lassen sich verschiedene Gruppen identifizieren, da die Architektur durch eine gestaffelte Öffentlichkeit gekennzeichnet war. Während der Turm auf Fernwirkung zielte, war die Baugestalt samt Außenfassade immerhin für alle passierenden Untertanen sichtbar. Der Innenhof blieb hingegen schon dem höfischen Publikum vorbehalten, während bestimmte Innenräume und Gemächer nur den oberen Beamten, hochrangigen Besuchern oder allein den

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Mitgliedern der gräflichen Familien zugänglich waren. Für viele der im Inneren befindlichen Erinnerungsmedien wie heraldisch verzierte Gegenstände, Porträts oder gar Ahnengalerien ist daher eine intendierte Wirkung zuvorderst auf die Dynastie selbst in Rechnung zu stellen. Besonders die im höfischen Alltag omnipräsenten Wappen sind hier hervorzuheben, da sie nicht nur als Besitzmarker und als Ausweis der Auftraggeber architektonischer oder künstlerischer Erzeugnisse dienten, sondern gerade auch als Medium der Erinnerung. Kostbare dynastisch markierte Gegenstände wurden daher häufig weitervererbt.528 Ein Hochadliger wurde also in seiner Wohnsphäre immerfort mit Verweisen auf seine Eingebundenheit in eine Dynastie, auf die Tradition und Leistungen der eigenen Vorfahren sowie das Netzwerk der Affinalverwandtschaft konfrontiert, was zur Ausbildung eines dynastischen Eigenbewusstseins von Geburt an führen sollte. 4.3.2 Das Archiv In der Herrschaft Lippe lassen sich erstmals ab der Mitte des 13. Jahrhunderts Schreiber und Notare, zumeist Geistliche, im Gefolge der Edelherren nachweisen.529 Aufgrund der zu dieser Zeit noch mobilen Herrschaftsausübung, bei der die Landesherren ­zwischen ihren verschiedenen Burgen hin und her zogen, hielt sich der Umfang der Schriftlichkeit in engen Grenzen. Vermutlich wurden die wichtigsten Urkunden nach damaligem Brauch in einer verschließbaren Truhe verwahrt, die man bei den Umzügen relativ bequem mit sich führen konnte.530 Erst im 15. Jahrhundert wurden im Zuge der verstärkten Nutzung pragmatischer Schriftlichkeit in der Verwaltung und eines damit zusammenhängenden rapiden Anwachsens der Zahl von Urkunden und Akten allmählich Anstrengungen zu einer Zentralisierung der Verwaltung unternommen. Spätestens seit 1508 befand sich eine sogenannte Schreiberei auf der Burg Detmold, jedoch gab es mutmaßlich schon zuvor entsprechende Einrichtungen in Brake und Blomberg. Das zur Schreiberei gehörige Archiv befand sich in einem Gewölbe im unteren Bereich des Schlosses und wurde nur zu Zwecken der Urkundenentnahme geöffnet.531 528 Vgl. Welzel, Sichtbare Herrschaft, S. 94 – 99. Wurde gelegentlich durch erläuternde Inschriften auf konkrete Personen abgehoben, symbolisierten die meisten Artefakte durch eine einfache Wappendarstellung die Dynastie als Ganzes. Manche dieser Gegenstände konnten geradezu zu Hauskleinodien werden, die von Generation zu Generation weitervererbt wurden und einem testamentarisch bestimmten Veräußerungsverbot unterlagen; vgl. Spiess, Materielle Hofkultur, S. 180 – 184. 529 Vgl. Kittel, Heimatchronik, S. 89; Kiewning, Landesarchiv, S. 282. 530 Vgl. Reitemeier, Art. Archiv, S. 256. 531 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 282 f. Zu Schriftlichkeit und Behördenentwicklung am lippischen Hofe auch Johanek, Lippe, S. 883 f.

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Nach dem Tod des Grafen Bernhard VIII. im Jahr 1563 wurde von den testamentarisch bestimmten Vormündern eine Hofordnung für die vormundschaftliche Zeit verabschiedet, in der auch genaue Regelungen über Verwahrung und Entnahme der Urkunden aus dem landesherrlichen Archiv getroffen wurden: Zum achten das alle Brief und Sigell so in den Gewelben vorhanden und in Truen ver­ schlossen zum besten vorwahret und die Schlussell darvon in ein Kiesten mit dreien Schlos­ sern vorwarlich gelegt, welcher Schlussel ein der Witwen, die andern zwen der Ritter und Landtschafft, biß auf der gesetzte Herren Vormunden weittere Vorordnung zugestellet wer­ den. Do dann die Notturfft erfordern wurde, etliche Brive auß den Gewelben zulangen, oder sonst zun Briven zusehen, damit sie nicht schadhafftig wurden, sollen die jhenigen so die Schlussel haben, die Gewelbe erofnen, die Brive, so man von nohten haben wirt, heraus langen, und widerumb darin vorwarlich legen.532

Die restriktive Beschränkung des Zugangs auf begründete Fälle, in denen bestimmte Urkunden eingesehen werden mussten, und die explizite Ermahnung, die entsprechenden Dokumente nach der Benutzung wieder zurückzulegen, verweisen auf die hohe Bedeutung, die dem Archiv und den hier lagernden Wissensbeständen beigemessen wurde. Der Zugang zum Archiv und damit zum Wissen über die Vergangenheit bedeutete Macht und diese sollte, solange es keinen volljährigen Regenten gab, z­ wischen der gräflichen Witwe und den Landständen aufgeteilt werden. Nur wenn alle drei Schlüssel zusammenkamen, konnte das Archiv geöffnet werden, womit wirksam ausgeschlossen wurde, dass sich eine Seite ohne Wissen der anderen der Urkunden bemächtigen konnte. Zur Zeit der Vormundschaftsregierung wurde auch erstmalig ein Verzeichnis über die verwahrten Dokumente angefertigt, um das Auffinden bestimmter Archivalien zu erleichtern.533 Dennoch scheint das Archiv gegen Ende des 16. Jahrhunderts in einem chaotischen Zustand gewesen zu sein. Dies wird aus dem Umstand deutlich, dass Graf Simon VI., als er seinen Plan fasste, das Pactum Unionis kaiserlich bestätigen und damit zugleich die Primogenitur einführen zu lassen,534 offenbar selbst kein Exemplar mehr zur Hand hatte, sodass er um ein Transsumpt nach Lippstadt ­schicken musste, wo die entsprechende Urkunde noch im Rats­archiv vorhanden und auffindbar war. Einen wesentlichen Rationalisierungsschub erfuhr das Archiv dann unter Caspar Pezel, den Simon 1600 zunächst als Rat eingestellt und später zum Hofgerichtsfiskal befördert hatte. Nach dem Tode des Grafen übernahm er die Organisation von dessen hinterlassener Privatbibliothek, die in eine öffentlich zugängliche Institution umgewandelt wurde, und kümmerte sich darüber hinaus um das gräfliche Archiv, für das er bis zum

5 32 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 135, Hofordnung vom 14. 05. 1563. 533 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 284. 534 Siehe dazu Kap. 2.2.4.

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Jahr 1629 ein fünfbändiges Repertorium mit einem komplizierten Signaturenschema anfertigte.535 In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges wurden schließlich auf Geheiß von Simon Ludwig wichtige Urkunden nebst allerhand wertvollen Kleinodien in die Städte Emden und Bremen überführt, wo man sie in Sicherheit vor marodierenden Söldnerheeren wähnte. Bereits 1642 einigten sich die Vormünderin Katharina und die Agnaten um Johann Bernhard im ersten Interimsvertrag, die Archivalien aus Bremen zurückzufordern.536 Anhand eines zu d ­ iesem Zweck angefertigten Inventars lässt sich ablesen, w ­ elche Urkunden als besonders wertvoll angesehen wurden und deshalb verschickt worden waren. Neben den Lehnsbriefen befinden sich hierunter vor allem kaiserliche Bestätigungen von Privilegien und Hausverträgen, namentlich des Pactum Unionis, der Paderborner Erbeinigung sowie des Primogeniturrechts.537 Somit hatte nächst den lehnsrechtlichen Beziehungen, die den Bestand des Territoriums garantierten, vor allem die Regelung der Sukzession oberste Priorität. Auch nach Pezels Tod stand in der Folgezeit durchgehend ein besoldeter Archivar in lippischen Diensten, was die gesteigerte Bedeutung des Archivs deutlich macht, die ihm nun vonseiten der Grafen beigemessen wurde.538 Gleichwohl konnten die Nachfolger, die zum Teil unqualifiziert waren und ihre – freilich nicht sonderlich lukrative – Aufgabe offenbar nicht immer ganz ernst nahmen, nicht verhindern, dass sich der konservatorische Zustand der eingelagerten Urkunden und Akten immer weiter verschlechterte und das Archiv schließlich in völlige Unordnung geriet. Das änderte sich erst mit der Bestallung des erfahrenen Archivrats Johann Ludwig Knoch im Jahr 1762, der das Archiv von Grund auf neu ordnete und entsprechende, teilweise bis heute in Gebrauch befindliche Register und Findbücher anfertigte.539 Vermutlich geschah es erst im Zuge von Knochs Ordnungsarbeiten, dass die nunmehr sogenannten Haus- und

535 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 284 – 287; Falkmann, Beiträge, Bd. 5, S. 367. Am 21. ­Februar 1628 wurden Pezel für die Anfertigung einer Archivregistratur 350 Rthlr. ausgezahlt; vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 4, fol. 186. 536 Vgl. LAV NRW OWL , L 7 A, Nr. 16, Vertrag vom 23. 04. 1642. Gleichwohl befanden sich die Archivalien auch 1651 noch in Bremen, wie aus einer Bevollmächtigung Johann Bernhards zur Rückholung derselben hervorgeht; vgl. L 77 A, Nr. 3019, Mappe 6, Urkunde vom 22. 03. 1651. 537 Vgl. LAV NRW OWL, L 77 A, Nr. 3019, Mappe 6, Notariatsinstrument vom 24. 05. 1642. 538 Am 2. Juni 1642 wurde der Notar Westrup damit beauftragt, die Bestände des Archivs und der Bibliothek zu inventarisieren; vgl. LAV NRW OWL, L 12, Nr. 8, fol. 52r. Zwei Jahre später wurde der Praeceptor Schmidt zum Archivar und Bibliothekar bestellt; vgl. ebd., fol. 451r. Die Archivregistraturen und Inventare Pezels, Schmidts sowie des Notars Gelshorn befinden sich im Bestand LAV NRW OWL, L 77 A, Nr. 3019. 539 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 289 – 306. Zu Knoch siehe auch Bender, Archivar.

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Familienangelegenheiten von der übrigen Überlieferung getrennt und in eigene Bestände überführt wurden.540 Für den Untersuchungszeitraum ist daher von einem Konglomerat von landesherrlichen und im engeren Sinn ‚dynastischen‘ Urkunden und Akten auszugehen. Die hohe Bedeutung des herrschaftlichen Archivs als Gedächtnis der Rechte und Privilegien einer Dynastie wurde bereits betont. Da Rechtsansprüche meist nur mit entsprechenden Urkunden durchgesetzt werden konnten, bedeutete der Zugang zu ihnen politische Partizipations- und Machtchancen. Für die Untertanen war an eine Einsicht in die archivalische Überlieferung der Landesherrschaft selbstverständlich nicht zu denken – diese gehörte bis weit in die Neuzeit in den Bereich der herrschaftlichen arcana. Selbst Chronisten, die über die Geschichte des Landes oder der Dynastie schreiben wollten, wurde ein Zugang zum Archiv oftmals verwehrt. Zu groß war die Furcht vor der Entdeckung oder gar Publikation von Urkunden, die der Herrschaft zum Nachteil gereichen konnten.541 Doch auch innerhalb der Dynastie waren die Befugnisse meist auf einen kleinen Personenkreis beschränkt. Oft wurden Bestimmungen zum Archiv in Hofordnungen oder Hausverträgen getroffen, doch war mit der Setzung klarer Normen keinesfalls sichergestellt, dass auch die Praxis reibungslos verlief. Dies lässt sich gut an den häufig auftretenden innerdynastischen Konflikten ablesen, die sich um den ungehinderten Zugang zum Archiv entspannen. Bei den Grafen zur Lippe versuchte der jeweilige Regent, die Kontrolle über Zugang, Einsicht und Benutzung zu monopolisieren, was er als Ausdruck seiner landesherrlichen Autorität verstand. Diese Deutung wurde allerdings von verschiedenen Seiten, meist derjenigen der nachgeborenen Brüder, angefochten. Im Jahr 1559 ließ sich beispielsweise Hermann Simon zur Lippe im Mutschierungsvertrag ausdrücklich zusichern, von seinem Bruder, dem regierenden Grafen Bernhard VIII ., jederzeit Kopien oder im Zweifelsfall die Originale jener Urkunden, die seinen Paragialbesitz in Schwalenberg, Sternberg, Barntrup und Schieder betrafen, anfordern zu können. Doch mit dem Gedinge wann ehr seine Liebden derer tzu irer Gelegenheit gebrauchtt, das dieselben alß dan wiederumb in unser Gewarsamb geliebert und alter Gewonheit nach tzu beider Teill Besten vorwart werden sollen.542 Damit wurde bekräftigt, dass die Hoheit über die Überlieferung nach wie vor bei Bernhard als Landesherrn verbleiben sollte. Dokumente, die nicht direkt die Besitzungen Hermann Simons betrafen, waren dessen Einsicht ohnehin verschlossen. So erklärt sich Bernhards Weigerung, seinem Bruder eine Abschrift des Pactum Unionis zukommen zu lassen, obwohl es seine Position im 540 Es handelt sich um die Bestände LAV NRW OWL, L 7 Familienakten und L 8 Hausangelegenheiten, zu denen von Knoch handschriftlich angefertigte Findbücher existieren. 541 Siehe dazu auch Kap. 4.2.1. 542 LAV NRW OWL, L 1 A Alte Teilungsverträge, Nr. 10, Vertrag vom 21. 01. 1559.

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Sukzessionskonflikt stärkte, wohl durch sein Beharren auf dem landesherrlichen Archivmonopol.543 Gemäß dieser Vorstellung setzte auch Simon VI . in seinem Testament von 1597 fest, dass die Originalia aller Siegel unnd brieffe bey dem Regierenden Herren ruwelich sollen enthaltenn werden, darvonn doch im nottfall seine gebruder Abschrifft nehmen mugenn 544. Wann ein solcher Notfall gegeben sei, wurde freilich nicht näher erläutert. Da für die Regierungszeit Simons VII . jedoch keine Nachrichten über größere Konflikte ­zwischen den Brüdern bekannt sind, scheint die Praxis einigermaßen reibungslos funktioniert zu haben. Zu dieser Zeit legten die Erbherren Otto, Hermann und Philipp bzw. dessen Vormünder eigene Archive an, in denen sie für sie wichtige Urkunden und eben Abschriften aus dem Hauptarchiv in Detmold aufbewahrten.545 Erst nach dem Tod Simons VII . nutzte dessen jüngerer Bruder Otto das Fehlen eines Regierenden Herrn sowie seine Beziehungen zum ihm ergebenen Detmolder Archivar Pezel und ließ sich von ­diesem Bücher aus der Bibliothek, Register, Urkundenabschriften und sogar Originale aus dem Archiv übersenden.546 D ­ ieses Vorgehen flog jedoch auf, als die vormundschaftliche Regierung Pezel im November 1628 aufforderte, ihr bestimmte Akten und Urkunden, die in einer Verhandlung mit Paderborn gebraucht würden, schnellstens auszuhändigen, woraufhin der in Bedrängnis geratene Archivar unverzüglich an Otto schrieb und ihn um Rücksendung dieser Dokumente bat.547 Da dies nicht rechtzeitig geschah, stand Pezel schließlich mit leeren Händen da und handelte sich eine Abmahnung der Regierung und den Hinweis ein, bei möglicherweise daraus erwachsenden Schwierigkeiten persönlich haftbar gemacht zu werden.548 Gleichwohl hielt der von den Vormündern nicht geduldete Aktenverkehr ­zwischen Detmold und Brake auch nach ­diesem Fauxpas weiter an und wurde erst nach dem Regierungsantritt Simon Ludwigs im Jahr 1631 unterbunden. Zwar wurden auch weiterhin 543 Siehe zu dieser Auseinandersetzung Kap. 2.2.3. 544 Testament des Grafen Simon VI. vom 30. 08. 1597, zit. nach Schulze (Bearb.), Hausgesetze, S. 157. 545 Die drei Brüderlichen Verträge von 1614, 1616 und 1621 etwa – in denen sich im Übrigen keine Regelungen über den Zugang zum Hauptarchiv finden lassen – wurden in mehrfacher Ausführung erstellt, sodass jeder der Brüder ein eigenes Exemplar für sein Privatarchiv erhielt. So lautet es etwa im ersten Vertrag: Deßen zu urkundt, sein dieser bruderlichen vergleichung funff eines Inhaltes verfertigett und uf Pergamein inglossirt und bei einem Jeden hern davon einß und dan eines bei der Landthschafft hinderlegtt wurden., LAV NRW OWL , L 1 A Neuere Teilungsverträge, Nr. 4, Vertrag vom 21. 03. 1614. 546 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 287 f.; sowie LAV NRW OWL, L 8 K IV, Nr. 5, Akte mit Korrespondenz ­zwischen Otto zur Lippe-­Brake und Caspar Pezel. 547 Vgl. ebd., Brief vom 01. 12. 1628. 548 Vgl. ebd., Regierungsprotokoll vom 26. 12. 1628. Laut Protokoll entschuldigte sich Pezel mit dem Hinweis auf das in Simons VI . Testament ausgesprochene Einsichtsrecht der Erbherren.

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gelegentlich Abschriften an Otto gesandt, doch bemühte sich der junge Graf, den Informationsfluss an seine Onkel in Brake und Alverdissen stark zu begrenzen und sogar Landtagsabschiede nicht zu übermitteln. Dies nutzte wiederum Otto als Begründung, um seinerseits von der Regierung in Detmold angeforderte Urkunden zurückzuhalten. So kritisierte er in einem Brief an seinen Neffen dessen Haltung, die Einsicht in Brakische Urkunden alß ein Schultigkeit [zu] furdern, vermeinend, weil Sie unß zu Zeiten auß dem gemeinen Archivo etwaß folgen laßen, es muste vice versa dießfals nit weniger geschehen, da doch hierunter ein große Differentz ist, weiln vermueg vätterlichen Testaments Ew. Ld. darzu obligirt sein 549. Mit dieser Argumentation zielte Otto auf einen grundlegenden qualitativen Unterschied in der Charakterisierung der beiden Archive in Detmold und Brake. Während er ersteres unter Verweis auf das Testament Simons als gemeinschaftliches oder Samtarchiv klassifizierte, aus dem der Landesherr allen Agnaten Abschriften zuzustellen verpflichtet sei, gelte dies für sein eigenes privates Archiv gerade nicht. Dieser Interpretation der testamentarischen Bestimmung wollte sich die Hauptlinie indes nicht anschließen und blieb auch in der Folgezeit bei ihrer Haltung, zwar bei Bedarf Kopien auszuhändigen, ansonsten aber den Zugang zu den Originalen streng zu beschränken.550 Als die brakische Nebenlinie schließlich im Jahr 1709 ausstarb, bemächtigte man sich kurzerhand ihrer Überlieferung und überführte sie ins Detmolder Archiv.551 Die archivalische Entwicklung in Waldeck war von Beginn an durch eine Spannung ­zwischen Partikularisierungstendenzen infolge der Erbteilungen der Grafen und Integrationsbestrebungen als unmittelbare Reaktion darauf geprägt. Im Gegensatz zu den zögerlichen Anfängen in Lippe befand sich auf der Burg Waldeck schon Ende des 14. Jahrhunderts ein stationäres Archiv. Bei der Teilung ihres väterlichen Erbes im Jahre 1397 beschlossen die Brüder Adolf IV. und H ­ einrich VII., die wichtigsten Urkunden auch in Zukunft dort aufzubewahren

549 LAV NRW OWL, L 8 K IV, Nr. 5, Brief vom 09. 07. 1634. 550 Die Vormünderin Katharina von Waldeck schlug Otto 1641 erneut die Bitte um Aushändigung von Originalen mit folgenden Worten ab: Was unsers geliebten Sohns Archivum betrifft, wißen wir darin Ew. Ld. außer der nothigen Copeyen nach Auweißung des Testaments und Ver­ tragen kein Sambtschafft, glauben auch nicht, daß einig wiedrig Praejudicium mit Ausfolgung der Originalien (außer was der vorgeweßener Registrator wieder Aydtspflicht gethan haben mögte) vorhanden, welches aber auch zur Inversion des vetterlichen Testaments nicht gnugsamb, noch unserem Sohn zue einiger wiedriger Observantz verbindtlich sein könte. Otto hingegen beharrte auf seiner Ansicht, dass das Detmolder Archiv allzeit ein sampt archivum geheißen und noch ist. LAV NRW OWL, L 8 K VI, Nr. 4a), Briefe vom 01. 06. 1641 bzw. 15. 07. 1641. Auch gegenüber der jüngeren Generation um Johann Bernhard blieb Katharina bei dieser Linie und sagte lediglich die Ausgabe von Abschriften zu; vgl. L 7 A, Nr. 16, Vertrag vom 23. 04. 1642. 551 Vgl. Kiewning, Landesarchiv, S. 291.

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und in gemeinsamem Besitz zu belassen.552 Offenbar hatte es hier schon einige Zeit zuvor ein Archiv gegeben, welches nun infolge der Teilung in die beiden Linien Waldeck und Landau in ein Samtarchiv umgewandelt wurde. Bestimmungen zum gemeinsamen Archiv fanden sich in der folgenden Zeit in sämtlichen Teilungsverträgen, wodurch der Gedanke des dynastischen Zusammenhalts trotz Linienbildung gestärkt wurde. So beschloss man bereits im Sühnevertrag von 1421 das Fortbestehen des Samtarchivs auf Burg Waldeck uns allen zu dem besten und zu nutze, unser keyner sall noch will dar midde thun ader lassen ane des andern wiessen und willen, sundern wir sullen und wullen unser eyner dem andern das truwelich zu dem besten keren, zu unsers beyder parthie samender nutz und wir sullen des glich mechtig syn 553. Neben dem Gemeinen Nutzen wurde hier vor allem die strikte Gleichberechtigung bei der Nutzung hervorgehoben, womit unabgesprochene Alleingänge eines Regenten verhindert werden sollten. Während des Spätmittelalters handelte es sich beim Samtarchiv lediglich um eine einzelne Truhe, wie aus dem Teilungsvertrag von 1487 hervorgeht. Hierin sollten all jene Urkunden aufbewahrt werden, ­welche die Burg Waldeck selbst oder die unter Samtherrschaft befindlichen Städte des Landes betrafen. Der Zugang zur Truhe wurde streng geregelt: zu der solben kisten zwene schlußell sein sollen, der unser iglicher partey eynen haben, und unser keyner sich bausen den andern der brieve nicht underwinden oder gebrauchen sollen, sonder willen und wißen des andern seyner gemechttigen, also bescheydelich, wan solcher haubtbrieve zu n ­ utzen noit wurde, oder ihr eintheils, sollen die ingegenwerttigkeit unser beyder partheyen oder unser gemechttigen und nehesten raths freunden ußgenommen, und so man die genutzet und gebrauchet hette, dergleichen widderumb eingelacht und beschlo­ ßen werden, so das die alle oder ob wir der meher erkriegen wurden, unß und unsern erben zu gleichem nutze und besten, zu ewigen tagen liggende blieben 554.

Erneut wurde besonderer Wert auf die gleichberechtigten Zugriffsrechte der neuen Linien Eisenberg und Wildungen gelegt und darüber hinaus die intendierte generationenübergreifende Aufbewahrung betont. In der Anlage eines Archivs zeigt sich daher deutlich der Wunsch nach einer institutionellen Verfesti­gung der dynastischen Herrschaft. Die Truhe wurde wohl von Beginn an, spätestens aber 1539 im Bergfried der Burg Waldeck verwahrt,555 was dessen symbolische Bedeutung als Gedächtnis der 552 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11083, Vertrag vom 14. 11. 1397. Abgedruckt bei Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr. XCV. 553 Zit. nach der Abschrift in HStAM, 115/01, Nr. 134, fol. 6v. 554 HStAM, Urk. 85, Nr. 324, Vertrag von 1487, fol. 6v–7r. 555 Dies geht aus einem Brief Annas von Kleve an Philipp IV. und Wolrad II. hervor, in dem sie sich zur Öffnung des Samtarchivs bereiterklärt und dabei den kasten uff dem Bergfridden erwähnt; vgl. HStAM, 115/21, Paket Nr. 1, Schreiben vom 21. 11. 1539.

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Dynastie unterstrich.556 1567 war der ursprüngliche Aufbewahrungsort offenbar nicht mehr adäquat, denn der Eisenberger Graf Wolrad II. und seine Schwägerin Anna zur Lippe schlugen ihrem Wildunger Verwandten Philipp IV. vor, dass ein sonderlich gewelblein in dem großen thurm zu Waldeck zu einer gemeinen Reposi­ tur gebawt und verordnet worden mochte 557. Philipp war d­ iesem Vorstoß zugetan, riet aber, zunächst in Augenschein zu nehmen, ob sich der Bergfried zur Durchbrechung neuer Fenster zwecks besserer Belüftung eigne.558 Wann genau man den Worten Taten folgen ließ, ist nicht bekannt, vermutlich aber noch im Laufe des 16. Jahrhunderts. Neben dem Bergfried dienten auf der Burg Waldeck auch die Kanzleiregistratur sowie ein Schrank hinter dem Altar der Hofkapelle als Aufbewahrungsort für Archivalien.559 Ob letzteres auf eine sakrale Bedeutung verweist, die man bestimmten Urkunden beimaß, oder ob dieser Verwahrungsort schlicht besondere Sicherheit bot, muss offenbleiben. Zusätzlich zum Samtarchiv richteten die Vertreter der einzelnen Linien ihrerseits auch Partikulararchive ein, in die Urkunden und Akten ihrer eigenen Landesteile sowie Abschriften der Samtverträge eingingen.560 Zudem wurde bei der Mutschierung ­zwischen den Söhnen Philipps III. 1538 festgelegt, dass z­ wischen diesen ebenfalls ein gemeinsames Archiv, gewissermaßen als Teil-­Samtarchiv, eingerichtet werden sollte.561 Bei der Wildunger Erbteilung von 1575 wurde zwar beschlossen, das väterliche Archiv Philipps IV. ungeteilt bestehen zu lassen und der Kontrolle des ältesten Grafen Daniel zu unterstellen, doch wurde den Jüngeren die Möglichkeit zugestanden, Abschriften für ihre eigene Registratur zu nehmen.562 Somit vervielfältigte sich durch die Erbteilungen nicht nur die Zahl der gräflichen Residenzen, sondern auch die der herrschaftlichen Archive.563 Nach dem kurz aufeinanderfolgenden Aussterben der neueren Landauer Linie (1597) 5 56 Siehe dazu Kap. 4.3.1. 557 HStAM, 115/21, Paket Nr. 1, Schreiben vom 01. 09. 1567. 558 Vgl. ebd., undatiertes Antwortschreiben (Konzept). 559 Vgl. Gutbier, Waldeckische Archive, S. 56 f. 560 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 324, Vertrag von 1487. 561 Vgl. ebd., Nr. 341, Vertrag vom 22. 11. 1538. 562 Vgl. ebd., Nr. 11212, Vertrag vom 28. 03. 1757. 563 Vgl. dazu auch Friedrich, Geburt, S. 214: „Auf diese Weise entstanden komplexe und hierarchisch strukturierte Netzwerke von Teil- und Gemeinschaftsarchiven, ­welche die dynastische Zersplitterung der fürstlichen Familie spiegelten und inszenierten. Dabei ging es ganz wesentlich um Prestige und symbolisches Kapital. Den praktisch oft verheerenden Konsequenzen der identitäts- und prestigegeleiteten Archivpolitik blickten die Zeitgenossen wissend, aber meist unerschrocken entgegen.“ Friedrich bezieht letztere Aussage auf die offenbar verbreitete Praxis, bei Erbteilung auch den Bestand an Originalurkunden oft ungeachtet ihrer konkreten Bedeutung und Funktion aufzuteilen. Die Waldecker setzten hingegen stärker auf die Bewahrung der Originale im Samtarchiv und die Zuteilung von Abschriften.

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und der älteren Wildunger Linie (1598) gingen deren Überlieferungen in das Eisenberger Archiv über, das bis 1607 vorübergehend das einzige seiner Art blieb. Bei der Landesteilung im gleichen Jahr wurde erneut ein Samtarchiv eingerichtet, die Urkunden, die nur eine Linie betrafen, hingegen z­ wischen Christian und Wolrad IV. aufgeteilt.564 Etwa zur selben Zeit wie bei den Grafen zur Lippe mehrten sich auch bei den Waldeckern Bemühungen um eine stärkere systematische Durchdringung der Bestände. 1617 bestallte Wolrad IV. von Waldeck-­Eisenberg den Registrator Johann Sigismund Pappus, der eine grundlegende Neuverzeichnung und Registrierung der in Arolsen lagernden Urkunden in Angriff nahm, wobei er auf Vorarbeiten seines Vorgängers zurückgreifen konnte.565 Diese Arbeiten blieben jedoch in den Anfängen stecken, was nicht zuletzt mit der Bedrohung durch den aufkommenden Krieg zusammenhing. 1621 wurde beim Überfall des Landgrafen Moritz das Arolser Archiv außer Landes geschafft und ins Kurkölnische verschickt.566 Andere Archive konnten offenbar nicht frühzeitig genug gesichert werden und wurden von hessischen Truppen zerstört, wie aus einem kaiserlichen Gutachten hervorgeht.567 Die Vernichtung alter Urkunden bedeutete unter Umständen, dass sich überkommene Rechte nicht hinreichend belegen ließen, was sich gerade im Konflikt um die bestrittene Reichsunmittelbarkeit negativ auswirken konnte. Erst die Gründung der Samtlandkanzlei im Jahr 1654, die seither von den Registratoren in Waldeck und Arolsen regelmäßige Verzeichnisse über deren Bestände einforderte, stellte einen bedeutenden Schritt hin zur Rationalisierung des Archivwesens dar.568 In den Verbesserungspunkten zur Primogenitur von 1676 wurde schließlich beschlossen, künftig ganz auf ein Samtarchiv zu verzichten, was nach dem Aussterben der Eisenberger Linie im Jahr 1692 in die Tat umgesetzt wurde. Das nunmehr alleinige Hauptarchiv auf der Burg Waldeck wurde 1761 nach Arolsen überführt und zwei Jahre später mit dem Archiv der Mengeringhäuser Landkanzlei vereint, sodass sich nun alle Archive zentral in Arolsen befanden.569 Da das Archiv der Grafen von Waldeck von vornherein als Samtarchiv konzipiert war, hielt hier nicht eine sich als Hauptlinie verstehende Familie die Überlieferung unter Verschluss, sondern alle Linien waren prinzipiell gleichberechtigt 564 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 11194, Vertrag vom 15. 03. 1607. 565 Vgl. Menk, Residenz Arolsen, S. 33 f.; Gutbier, Waldeckische Archive, S. 57 f. 566 Vgl. ebd. 567 Vgl. HHS tA, RHR Judicialia Antiqua, K. 1037, Kaiserlicher Kommissionsauftrag vom 23. 03. 1622. Siehe auch Menk, Beziehungen, S. 127. Aus dem Gutachten geht nicht hervor, ob auch Teile des Samtarchivs davon betroffen waren. Gutbier bezieht sich in seinem Überblick nicht auf ­dieses Ereignis. Insgesamt scheinen die Auswirkungen auf die Waldecker Überlieferung eher gering gewesen zu sein. 568 Vgl. Gutbier, Waldeckische Archive, S. 58. 569 Vgl. ebd., S. 60.

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in ihrem Zugang zu den Urkunden. Seine praktische Umsetzung fand dieser Gedanke in der Nutzung spezieller Schlösser, für deren Öffnung zwei oder mehr Schlüssel notwendig waren, die sich im Besitz der einzelnen Linienvertreter befanden. Bei der Mutschierung von 1538 wurde auch der Landschaft als dritter Partei ein Schlüssel für das neu einzurichtende gemeinsame Archiv der Eisenberger und Landauer Linie zugestellt.570 Nur wenn alle Schlüssel zusammenkamen, konnte die Samttruhe bzw. das Archivgewölbe geöffnet werden, was eine gewisse Vorbereitung erforderte. Als etwa Philipp IV. und Wolrad II. 1539 Einblick in das Samtarchiv auf Schloss Waldeck nehmen wollten, mussten sie daher auch die dritte Partei, Anna von Kleve als Vormünderin ihrer Söhne, einbeziehen. Anna ließ schriftlich ausrichten, dass sie ihre Beamten nach Waldeck abfertigen würde, um dort den Samptkasten [auf ]zuschliessen und der notturfft nach besichtigung zuthun 571. Bei dieser seltenen Gelegenheit solle man ihrem Schreiber die Möglichkeit geben, Kopien einiger Samturkunden anzufertigen. Nachrichten über interne Konflikte im Zusammenhang mit dem Samtarchiv sind im Gegensatz zu den lippischen Verhältnissen in Waldeck nur selten überliefert. Als sich etwa Wolrad II . im Mai 1559 erfolgreich um die kaiserliche Belehnung mit den Bergwerken der Grafschaft bewarb, wozu er sich zuvor ältere kaiserliche Lehnsbriefe aus dem Archiv hatte aushändigen lassen,572 weigerte er sich, die neue Lehnsurkunde ebenfalls im Samtarchiv abzulegen. Er argumentierte damit, dass das Lehen ursprünglich nur an die Eisenberger Linie ausgegeben worden sei und sich auch nur im Amt Eisenberg Bergwerke befänden. Somit handele es sich nicht um eine Urkunde von gesamtdynastischer Relevanz.573 Dagegen legte Philipp IV . von der Wildunger Linie, dessen Name ebenfalls in die Lehnsurkunde mit aufgenommen worden war, förmliche Verwahrung ein.574 Der hausvertraglich garantierte Zugang zum Samtarchiv scheint hingegen meist konfliktfrei abgelaufen zu sein. Eine der wenigen Gegenanzeigen stellt die Klage Johanns II ., eines nachgeborenen Sohnes des Grafen Christian, dar. Dieser beschwerte sich 1645 in einem Memorial darüber, dass ihm die Abschriftnahme wichtiger Urkunden verweigert worden sei, während man anderen Agnaten ebendies offenbar ohne sein Wissen genehmigt hatte. Diese Ungleichbehandlung nahm er zum Anlass, um daßelbe, so mihr Gott, die Natur undt Regte gegeben, ledieglichen reservirt [zu] haben 575. 570 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 341, Vertrag vom 22. 11. 1538; sowie der Zusatzvertrag gleichen Datums, in 115/01, Nr. 133 (Abschrift). 571 HStAM, 115/21, Paket Nr. 1, Schreiben vom 21. 11. 1539. 572 Vgl. HStAM, Urk. 85, Nr. 359. 573 Vgl. ebd., Nr. 360. 574 Vgl. ebd., Nr. 361. 575 HStAM, 115/01 Nr. 20, fol. 1r.

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Vergleicht man die untersuchten Verhältnisse mit den Entwicklungen in anderen Territorien, fällt auf, dass die Grafen von Waldeck mit ihrem 1396 erwähnten Samtarchiv relativ früh dazu übergegangen waren, wichtige Urkunden und Rezesse gemeinsam aufzubewahren. Lediglich große Fürstendynastien wie die Wettiner konnten spätestens ab 1330 mit einem Urkundendepot aufwarten.576 Bei den meisten Reichsständen kam es gemeinhin erst im Laufe des 15. Jahrhunderts nach einem rapiden Anstieg der Verwaltungstätigkeit durch die neugegründeten Kanzleien zu einer Zentralisierung ihrer Urkundenregistraturen in einem Hauptarchiv.577 Der Niederadel zog in kleinerem Maßstab im 16. Jahrhundert nach.578 Der Waldecker Befund gibt Anlass zu der These, dass Erb- bzw. Landesteilungen die Adligen dazu zwangen, frühzeitig die Aufbewahrung ihrer Urkunden zu durchdenken und sich um klare gemeinsame Regeln zu bemühen. Insofern stellten Teilungen einen Katalysator dar, der institutionelle Regelungen zur Schaffung dynastischer Integration in Gang brachte. Die Edelherren und Grafen zur Lippe, deren Archiv erst über hundert Jahre später greifbar wird, agierten dagegen im zeitgenössischen Durchschnitt, was den Bereich der Nutzung von Schriftlichkeit und ihrer Archivierung betraf. Dass sowohl Waldecker als auch Lipper ihren Archiven jedoch zunehmend größere Bedeutung als Wissensspeicher und Herrschaftsinstrument zumaßen, zeigen die seit dem 17. Jahrhundert regelmäßig vorgenommenen Bestallungen von Archivaren sowie auch die Auslagerungen der wichtigsten Urkunden im Dreißigjährigen Krieg. Mit Blick auf die interne Organisation der Archive unterschieden sich Lipper und Waldecker deutlich, was auf die generelle Ausgestaltung der jeweiligen sozialen Ordnung zurückzuführen ist. So wie die lippischen Landesherren ab 1613 versuchten, sich als Hauptlinie zu etablieren, forderten sie auch den alleinigen Zugang zum Hauptarchiv für sich ein, was sie durch die Kontrolle des Detmolder Schlosses leicht durchsetzen konnten. Gegen ­dieses Monopol erhoben die Erbherren Einspruch und wehrten sich gleichzeitig gegen Eingriffe in ihre eigenen Teilarchive. Die weitgehende Gleichberechtigung der Waldecker Linien sorgte dagegen für eine kollektive Regelung des Zugangs zum Samtarchiv, was tendenziell konfliktfreier ablief. Das im Waldecker Bergfried untergebrachte Samtarchiv war somit in ganz praktischem Sinne ein Integrationsmittel, so wie es in seiner äußeren Form ein Symbol für das Gedächtnis 576 Vgl. Rogge, Herrschaftsweitergabe, S. 354. Wie in Waldeck treten auch bei den Landgrafen von Hessen die frühesten Indizien für ein Archiv im Zusammenhang mit einer Erbteilung auf. 1466 wurde hier die Anlage eines Samtarchives beschlossen; vgl. Dülfer, Ordnungsarbeiten, S. 39 f. 577 Vgl. Reitemeier, Art. Archiv, S. 256. 578 Vgl. Morsel, Geschlecht, S. 294.

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der Dynastie bildete. Das Detmolder Archiv hatte dagegen nicht die ­g leiche integrative Wirkung, sondern bot vielmehr Anlass zu Konflikten. Auch war es als Gewölberaum nicht so prominent in Szene gesetzt wie in Waldeck. Als dynastische Eigenräume, die zu einer symbolischen Festigung der je spezifischen Herrschafts- und Sozialbeziehungen ­zwischen den Mitgliedern der Dynastie führten, stehen aber beide Einrichtungen. 4.3.3 Die Grablege In der Totensorge manifestierte sich das dynastische Bewusstsein am stärksten, denn hier bildete sich das mentale Band ­zwischen verstorbenen, lebenden und noch ungeborenen Mitgliedern des Verwandtschaftsverbandes am deutlichsten aus. Der Ort für die sichtbare Repräsentation der Dynastie in den Formen der Memoria war die Grablege, in welcher die Angehörigen teils über Generationen hinweg bestattet wurden. Seit dem Mittelalter diente dazu meist eine geistliche Institution. Um sich der zeitenüberdauernden Gedächtnispflege für ihre Toten zu versichern, stifteten aufstrebende Landesherren daher Klöster und Stifte und statteten sie mit Pfründen aus. Im Gegenzug hielten die Geistlichen Seelenmessen für die verstorbenen Familienmitglieder.579 Deshalb gründete 1185 Edelherr Bernhard II . im Verbund mit anderen Hochadligen der Region, darunter der Vater Adolfs I. von Waldeck, das Zisterzienserkloster Marienfeld nördlich von Rheda sowie das Lippstädter Augustinerinnenstift St. Marien.580 Insbesondere Marienfeld wurde von den Nachfahren Bernhards reich mit Stiftungen bedacht und entwickelte sich zum lippischen Hauskloster. Laut Diana Zunker zeigte sich in den dort und andernorts getätigten Stiftungen ein „über das ‚normale‘ Maß hinausgehende[s] lippische[s] Zusammengehörigkeitsgefühl, eine spezifische Art des Selbstverständnisses, das wir so bei vergleichbaren Familien dieser Region nicht finden“581. Als letzter lippischer Regent ordnete Simon V. in seinem Testament Seelenmessen vor alle lippess hern und frouwen de verstoven synt und hye nhamals gebarn mochten werden 582 an. In der Formulierung spiegelt sich deutlich sein Verständnis der überpersonalen Verbindung aller Dynastieangehörigen, aber ebenso die Pauschalität seines Ahnengedächtnisses. Namen von Vorfahren wurden nicht genannt. Bekanntlich brachte die nach Simons Tod auch in Lippe eingeführte Reformation einen umfassenden Wandel der Memorialpraktiken, wenngleich auch ältere Formen zum Teil überlebten. So stiftete Maria Magdalena 5 79 Dazu grundlegend: Borgolte, Stiftung. 580 Vgl. Meier, Heiliger, S. 82 u. 101 f. 581 Zunker, Adel, S. 145. Vgl. auch Schmidt, Hermann II., S. 231. 582 LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 45, Testament vom 19. 09. 1529.

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von Waldeck, die Witwe Simons VII ., noch 1654 in ihrem Testament den lutherischen ­Kirchen Lemgos einen Geldbetrag, damit hier für die wollfahrt der beiden Gräfflichen Heuser Lippe undt Waldeck 583 gebetet würde. Während Bernhard II . als Bischof im livländischen Dünamünde bestattet wurde, fanden seine Nachfolger bis zur Landesteilung von 1344 höchstwahrscheinlich im Kloster Marienfeld ihre letzte Ruhestätte.584 Noch Bernhard V. wurde hier beigesetzt, wohingegen sein Bruder Otto I., dessen ­Herrschaftsgebiet östlich des Osnings lag, im dortigen Lemgo eine neue Grablege begründete.585 Somit hatte die Landesteilung auch eine Trennung der Bestattungsorte zur Folge. Als nunmehriges herrschaftliches und geistliches Zentrum fungierte die ­Kirche St. Marien mit dem angrenzenden Dominikanerinnenkloster. Folgerichtig erhielt sie unter Otto eine bauliche Aufwertung durch die Errichtung eines Turms und den Anbau des Südchores.586 Schließlich wurden der Lipper und seine Gemahlin hier bestattet und erhielten später eine imposante Tumba, von der heute jedoch nur noch die beiden Grabfiguren erhalten sind.587 Hinter der Verlegung der Grablege nach Lemgo und dem daraus resultierenden Traditionsbruch standen also vor allem pragmatische Gründe. Zugleich bot diese Zäsur Otto und seinem Nachfolger Simon III . die Gelegenheit, das Totengedenken der nachkommenden Generationen maßgeblich auf ihre Personen zu kanalisieren.588 Ein erneuter Wechsel erfolgte im 15. Jahrhundert unter Simon IV ., der auf Einwirken seiner Witwe in der Wallfahrtskapelle von Wilbasen bestattet wurde. Der Grund dafür lag mutmaßlich darin, dass er zum Zeitpunkt seines Todes 1429 unter Kirchenbann gestanden hatte und daher nicht in der Marienkirche bestattet werden konnte, was diese entweiht hätte. Auch die Wilbaser Kapelle musste im folgenden Jahr durch den Mindener Bischof neu geweiht werden, während dem Verstorbenen die Absolution erteilt wurde.589 Die Grablege in Wilbasen blieb indes Episode und nur wenige Mitglieder der edelherrlichen Familie wurden hier bestattet, da bereits der unmittelbare Nachfolger Bernhard VII. in enger Abstimmung mit seinem Bruder Simon, dem Bischof von Paderborn, ein neues Kloster in Blomberg stiftete. Auslöser war ein wundertätiger Brunnen gewesen, der sich 583 Ebd., Nr. 47, Testament vom 04. 08. 1654. 584 Vgl. Meier, ­Kirchen, S. 12 – 15. 585 Vgl. ebd., S. 15 f.; Johanek, Lippe, S. 879. 586 Vgl. Meier, ­Kirchen, S. 16. 587 Das Grabdenkmal kann aufgrund seiner Inschrift erst nach 1387, also 27 Jahre nach Ottos Tod errichtet worden sein. Ob es von seinem Sohn Simon III . oder jemand anderem in Auftrag gegeben wurde, ist nicht bekannt; vgl. Linde, Lemgo, S. 185. Kunsthistorische Untersuchungen samt Abbildung bei Karrenbrock, Grabmal; sowie Gaul, Grabfiguren. 588 Vgl. zu einem ähnlichen Fall Schuster, Geschlechterbewusstsein, S. 27 f. 589 Vgl. Meier, ­Kirchen, S. 21.

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zügig zum Ziel einer florierenden Wallfahrt entwickelte.590 In den 1460er Jahren ließ Bernhard hier zunächst eine Kapelle errichten und siedelte 1468 Augustinerchorherren an, um die Versorgung der Pilger sicherzustellen. Der Bau der ­Kirche begann wohl direkt nach der Gründung des Klosters und war zur Weihe im Jahre 1474 abgeschlossen.591 Die Schlusssteine ihres Gewölbes sind mit dem lippischen Wappen, der schaumburgischen Nessel von Bernhards Gemahlin Anna von Holstein-­Schaumburg und dem bischöflichen Wappen seines Bruders Simon von Paderborn verziert. Durch eine ­solche heraldische Markierung machte sich das Stifterpaar im Kirchenraum präsent, was möglicherweise darauf hindeutet, dass Bernhard schon von Anfang an die spätere Nutzung als Grablege im Sinn hatte. In der Folgezeit förderte er das Kloster nach Kräften und überschrieb ihm sogar die Einkünfte der Kapelle Wilbasen, obschon sich hier das Grab seines Vaters befand. Im Gegenzug sagte das Blomberger Konvent das Andenken an die Verstorbenen des lippischen und schaumburgischen Geschlechts zu.592 Mit der Beisetzung seiner 1495 verstorbenen Gemahlin dort und dem Wunsch, selbst in Blomberg bestattet zu werden, stiftete Bernhard schließlich eine neue Tradition auf dem Feld der Memoria.593 Von nun an diente das Kloster Blomberg über die Zäsur seiner Auflösung hinaus bis 1652 als Hauptgrablege des Grafenhauses.594 Die Reformation bedeutete also keineswegs den Bruch mit dem vorreformatorischen Bestattungsort oder gar den hier ruhenden Ahnen.595 Beigesetzt wurden in Blomberg die regierenden Grafen, ihre Gemahlinnen sowie die nichtgeistlichen Söhne; Töchter hingegen nur, falls sie jung und unverheiratet gestorben waren, während sie ansonsten gewöhnlich in der Grablege ihrer Heiratsfamilie Aufnahme fanden. Eine Ausnahme bildete die Beisetzung der vormundschaftlichen Regentin Katharina von Waldeck in der lutherischen Nikolaikirche in Lemgo, wo auch ein Wappenschild von ihr erhalten ist. Ihrem Wunsch, in Blomberg bestattet zu werden, war man 590 Vgl. zur Blomberger Wallfahrt jetzt Meier, Lippische Wallfahrtsorte; sowie Cohausz, Religiöse Hintergründe. 591 Vgl. Wehlt, Blomberg; Priewe, Klosterkirche; Meier, ­Kirchen, S. 23 – 34. 592 Vgl. LR IV, Nr. 2830 u. 2850. Auch Bernhards Nachfolger bedachten das Kloster stets mit großzügigen Stiftungen und Schenkungen; vgl. LAV NRW OWL, L 1 D Kloster Blomberg, 1. Fundationen. 593 Vgl. Pieper, Bernhard VII., S. 152 – 154. 594 Der letzte hier beigesetzte Regent war Johann Bernhard. Anschließend wurde Blomberg als Grablege der Nebenlinie Biesterfeld genutzt. Zu den im Einzelnen hier bestatteten Personen vgl. Meier, ­Kirchen, S. 32 – 34; sowie Brinks, Graf. Beschreibung der Gruft und der hier befindlichen Särge bei Thelemann, Herrschaftliche Gruft. 595 Damit bestätigt der lippische Fall die Ergebnisse von Brinkmann, Grabdenkmäler, S. 373: „die Berufung auf die Vorfahren zum Zwecke der Darstellung von Legitimität und Kontinuität der Herrschaft wiegt deutlich schwerer als die Bekenntniszugehörigkeit“.

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aufgrund von Erbstreitigkeiten ­zwischen der Detmolder Regierung und ihrem zweiten Gemahl, Herzog Philipp Ludwig von Schleswig-­Holstein, nicht nachgekommen.596 Die Lipper Regenten selbst gaben in ihren Testamenten regelmäßig ihrem Verlangen Ausdruck, in meyner Voreltern begrebnuß zum Blom­ berge 597 beigesetzt zu werden und stellten so die dynastische Kontinuität heraus. Auch der in den benachbarten Grafschaften Spiegelberg und Pyrmont regierende ­Hermann Simon wurde, ebenso wie seine Gemahlin und ein Sohn, in Blomberg bestattet. Erst die späteren Erbherren begründeten nach 1650 eigene Grablegen, um ihre Unabhängigkeit von der Detmolder Hauptlinie zu demonstrieren. So befahl Otto seinen Nachfolgern bei Androhung der Enterbung kurz vor seinem Tod, dass man ihn nicht, wie noch in seiner Lebensbeschreibung von 1636 vorgesehen, in der Blomberger Familiengrablege, sondern in der Braker Dorfkirche bestatten solle.598 Philipp und seine Nachfolger fanden im alten Mausoleum in Stadthagen ihre letzte Ruhestätte, womit sie an die Tradition der Schaumburger Grafen anknüpften, um Kontinuität in der Herrschaftsausübung zu demonstrieren.599 Der jung verstorbene Hermann wurde hingegen trotz seiner Konversion zum Katholizismus in Blomberg beigesetzt und somit posthum wieder in den Familienverband eingegliedert. Als erster Regent ließ sich Hermann Adolf 1666 in der Detmolder Hof- und Stadtkirche beisetzen, die aufgrund ihrer Bedeutung als reformierte Hauptkirche und sakrales Zentrum der Residenz inzwischen adäquater erschien als das etwas abgelegene und seiner religiösen Bedeutung enthobene ehemalige Kloster Blomberg.600 Dennoch war nicht die Einführung der Reformation eigentlich ausschlaggebend für eine Verlegung der Grablege, sondern das gestiegene Bedürfnis nach herrscherlicher Repräsentation. Noch 1583 hatte Simon VI . einem Abriss der Klosterkirche aufgrund der sich dort befindlichen Gräber seiner Ahnen entgegengewirkt.601 Was die Ausstattung der Blomberger Klosterkirche mit Grabdenkmälern betrifft, hat sich lediglich die prachtvolle Tumba Bernhards VII. und seiner Gemahlin erhalten (siehe Tafel 12). Ob Bernhard sie noch selbst in Auftrag geben ließ oder ob sie von seinem Nachfolger gestiftet wurde, ist ungewiss, wobei angesichts der memorialen Ambitionen Bernhards ersteres wahrscheinlicher ist. Mit der Wahl einer Tumba griff man auf die seit dem Mittelalter vor allem für Könige und 5 96 Vgl. Meier, ­Kirchen, S. 80 – 82; Reimann, Grab. 597 Hier exemplarisch aus dem Testament Bernhards VIII., in: LAV NRW OWL, L 1 A Testamente, 12. 02. 1563. 598 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 E II, Nr. 2.a), Testament vom 09. 12. 1657. Vgl. auch Süvern, Letzter Wille, S. 136 f.; Meier, ­Kirchen, S. 66 f. 599 Vgl. ebd., S. 57 – 61. 600 Zu den Beisetzungen in der Detmolder Stadtkirche vgl. Weerth, Herrschaftliche Gruft. 601 Vgl. Wehlt, Blomberg, S. 85.

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Fürsten verwendete Form des Grabdenkmals zurück, was als Ausdruck der beanspruchten Zugehörigkeit zum Hochadel gewertet werden kann.602 Ursprünglich stand sie nicht im Chor, sondern mittig im Kirchenraum direkt über dem eigentlichen Ort der Grabstätte, sodass sie Kirchenbesuchern sofort ins Auge fiel.603 Das Werk wurde vom westfälischen Bildhauer Heinrich Brabender ausgeführt und zeigt das Paar als vollplastische Liegefiguren (gisants). Kopf- und Fußende werden von den beiden Wappen der Verstorbenen geschmückt, während die 16 Ahnenwappen auf dem umlaufenden Gesims ungewöhnlicherweise allein B ­ ernhard zuzuordnen sind. Zwischen ihnen nimmt eine lateinische Inschrift auf die Leistungen der Verstorbenen als Klostergründer und Förderer Bezug. Am Sockel befinden sich eine Szene aus der Gründung des Klosters sowie eine bildliche Darstellung des Paares in anbetender Stellung.604 Während also die künstlerische Ausführung beide Verstorbenen gleichberechtigt nebeneinanderstellt, zielt die heraldische Verzierung allein auf die Vorfahren Bernhards ab. Die Ahnenprobe stellt dabei nicht nur die adlige Abstammung des Lippers heraus, sondern verweist grundsätzlich auf die konnubialen Verbindungen mit anderen Dynastien, ­welche durch ihre Wappen ebenfalls im Kirchenraum präsent sind. Ob Bernhards Nachfolger Grabdenkmäler für sich anfertigen ließen, was zumindest bei dem Katholiken Simon V. und dem Lutheraner Bernhard VIII . denkbar wäre, ist ungewiss. Dass ­solche im Zuge von ikonoklastischen Säuberungen des Kirchenraums entfernt bzw. zerstört worden sind, erscheint aufgrund fehlender Nachrichten darüber sowie der nahezu unversehrten Tumba Bernhards allerdings ziemlich unwahrscheinlich. Zudem machten Bilderstürme meist vor den Grabdenkmälern der Herrscherdynastien halt.605 Die reformierten Nachfolger verzichteten aufgrund theologischer Bedenken in Bezug auf Bildschmuck im Kirchenraum ohnehin auf bauliche Andenken. Allerdings gibt es einen Hinweis darauf, dass Simon VII. ein Epitaph für seinen verstorbenen Vater plante. In einem nach seinem Tod angefertigten Inventar über die von ihm hinterlassenen Schriftstücke findet sich neben Rechnungen für die Beisetzungsfeier Simons VI. sowie Kondolenzschreiben auch der Eintrag Contract mitt den bildthawern zu 602 Vgl. Fey, Hochgrab, S. 132; Kohn, Repräsentationsbedürfnis, S. 36. Pieper, Grabmal, S. 44, weist jedoch darauf hin, dass man sich wahrscheinlich am Grab Ottos I. in der Lemgoer Marienkirche orientierte. Dies würde auch erklären, warum man sich der zu Beginn des 16. Jahrhunderts aus der Mode gekommenen Hochgrabform bediente. 603 Vgl. Priewe, Klosterkirche, S. 114 f. 604 Für eine kunsthistorische Beurteilung siehe Pieper, Grabmal; sowie Priewe, Klosterkirche. Zu den umlaufenden Wappen und ihrer Einordnung als Ahnenprobe Bernhards vgl. Veddeler, Deutung. Veddeler weist auf einige Unstimmigkeiten hin, da sich drei der Wappen nicht in den Stammbaum Bernhards einordnen lassen, was jedoch auf die genealogische Unkenntnis der Zeitgenossen zurückzuführen sei. 605 Vgl. Lehmann, Reformierter Bildersturm, S. 172.

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Paderborn zu fertigung eins Steinern Epithaphy 606. Freilich ist es denkbar, dass statt religiöser Einwände die angespannte finanzielle Situation dazu führte, das Projekt fallenzulassen. Letztlich entstand dadurch die Situation, dass allein das Paar Bernhard VII. zur Lippe und Anna von Schaumburg symbolisch im Kirchenraum präsent war und mit seiner Tumba die Grablege der Dynastie markierte. Die Toten der folgenden Generationen traten in ihrer Individualität hingegen vollständig zurück und blieben für den Kirchenbesucher unsichtbar. Anstatt ein Monument für seinen Vater zu errichten, ließ Simon VII. nach dem Tod seiner ersten Gemahlin Anna Katharina von Nassau-­Wiesbaden-­Idstein im Jahr 1622 die mittlerweile überbelegte Gruft ausbauen, wie der lippische Chronist Johann Piderit, zu dieser Zeit Pastor in Blomberg, in seiner Historia Simonis berichtet: Nach der erste Gemahlin Todt und Begräbnis verordnete der löbl. Graff Simon, daß dem löbl. gräflichen Geschlechte zur Lippe uhralten Standt des heiligen Reichs zu besonderen Ehren ein groß und herrlich Gewölbe und monument für Begräbnis gräfl. lippischer Per­ sohnen in der Stadt Blomberg mit ansehnlichen Pfeilern verfertigt und wohl ausgebauet worden, wie auch mit großen Kosten geschehen ist.607

Aus Piderits Bemerkung lässt sich entnehmen, dass eine große Herrschergruft als wesentlich für die ständische Repräsentation angesehen wurde, was die Frage nach Zugänglichkeit und Öffentlichkeit aufkommen lässt. Das Gewölbe selbst wurde vermutlich nur während der Beisetzungen geöffnet, während die darüberliegende ­Kirche als Pilgerstätte zunächst hoch frequentiert wurde, wobei die Blomberger Wallfahrt schon vor der Reformation wieder abgeebbt war. Dass man dennoch bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an der Grablege festhielt, ist in erster Linie durch die Beharrungskräfte der legitimationsspendenden Tradition zu erklären. Um den Verzicht auf Grabdenkmäler zu kompensieren, boten sich für die evangelischen Grafen vor allem die bereits untersuchten Leichenpredigten an, mit denen sich auch ein größeres ständisches Publikum erreichen ließ. Auch auf die prächtige Ausgestaltung der Beisetzungsfeiern wurde im Laufe des 16. und vor allem des 17. Jahrhunderts immer größerer Wert gelegt.608 Gleichwohl hat man sich die lippischen Feiern im Vergleich zu fürstlichen Ereignissen wohl eher bescheiden vorzustellen.609 Die testierenden Grafen selbst bestanden häufig auf 606 LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 313, Inventar von 1627, fol. 8r. 607 Hier zit. nach Meier, ­Kirchen, S. 29. 608 Vgl. Zajic, Grabdenkmäler, S. 55. 609 Freilich versuchten spätere lippische Herrscher, insbesondere Simon Henrich Adolf, den Prunk absolutistischer Hofhaltung französischen Stils zu imitieren, bevor im Zuge der Aufklärung demonstrativ auf Sparsamkeit geachtet wurde. Zu den lippischen Begräbnisfeiern im 18. Jahrhundert vgl. Thäle, Herrschertod.

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einem Begräbnis ohn ubermeßigh geprenge 610, wobei es sich hier um einen wiederkehrenden Topos handelt, der womöglich wenig über die tatsächliche Ausgestaltung aussagt. Der Wirklichkeit näher kommen Konzepte, wie sie etwa für die Beisetzungsfeiern Simons VII. und Simon Ludwigs überliefert sind. Doch auch dabei handelt es sich nicht um Beschreibungen des tatsächlichen Ereignisses, sondern um vorab erstellte Planungen; sie schildern also lediglich den erwünschten Ablauf. Üblich war etwa, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen den Verstorbenen in einer langen, nach ständischen Kriterien abgestuften Prozession zu seiner letzten Ruhestätte begleiteten.611 Oft kam es dabei Vertretern des Landadels zu, vor oder hinter dem Sarg das Wappen des Toten auf Stäben mit sich zu führen.612 Der Verstorbene wurde somit auch im Tod zum Repräsentanten seiner Dynastie. Besonders augenfällig wurde dies bei Begräbnissen für das letzte (männliche) Mitglied eines Hauses, bei denen oftmals das Wappen zerbrochen wurde.613 Auch die Grafen von Waldeck taten sich im Mittelalter als Stifter und Förderer von Klöstern hervor. Besondere Bedeutung kam dem 1228 von den Brüdern Adolf und Volkwin von Schwalenberg-­Waldeck gegründeten Z ­ isterzienserinnenkloster Netze zu, das sich in der Folgezeit zum waldeckischen Hauskloster nahe der Stammburg entwickelte und überdurchschnittlich oft mit Stiftungen vonseiten der Grafen bedacht wurde.614 Als Grablege im engeren Sinne fungierte die gegen Ende des 13. Jahrhunderts an die Klosterkirche angebaute Nikolauskapelle.615 Vermutlich fand bereits der Klosterstifter Adolf hier seine letzte Ruhestätte, sicher aber sein Sohn Heinrich II. sowie deren Nachfolger.616 Bis ins 16. Jahrhundert h ­ inein war Netze mit wenigen Ausnahmen – darunter die drei Regenten der älteren Landauer Linie 617 – die alleinige Grablege der Grafen. Nach der Teilung von 1507 wurde das Kloster zur Grablege der Wildunger Linie, während die Eisenberger zum Z ­­ eichen 610 Hier exemplarisch aus dem dritten Testament Simons VI ., in: LAV NRW OWL , L 1 A Testamente, 30. 03. 1597. 611 Vgl. Babendererde, Sterben, S. 169 f. 612 Vgl. LAV NRW OWL, L 7 A, Nr. 53, Konzept für das Begräbnis Simons VII.; sowie ebd., Nr. 54, Vorschlag für die Leichenprozession für Simon Ludwig und Magdalena. In einem Inventar für das Schloss Detmold findet sich zudem ein Hinweis auf die Mitführung von Ahnenwappen: In einer Korbkißten mitt Ledder überzogen zehen gestickhte Wappen so zur Begrebnus geprauchtt werden, LAV NRW OWL, L 77 B, Nr. 312, Inventar Schloss Detmold von 1627, fol. 111v. Siehe auch die bei Falkmann, Beiträge, Bd. 6, S. 385 – 387, beschriebene Leichenprozession für Simon VI. 1614. 613 Vgl. Zajic, Grabdenkmäler, S. 38. 614 Siehe etwa die Stiftungsurkunden in Varnhagen, Grundlagen, Bd. 1, UB, Nr.  XIX, L, XCIII u. XCIV . 615 Vgl. Görlich, Grablege. 616 Vgl. Hock, Zisterzienserinnenklöster, S. 503 f.; Baum, Grabkapelle, S. 190 f. 617 Otto IV . ist im von ihm geförderten Augustiner-­Chorherrenkloster Volkhardinghausen beigesetzt, seine erste Gemahlin im Kloster Flechtdorf, laut Schwennicke, Europäische

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ihrer Eigenständigkeit nach neuen Orten suchten. Philipp II. ließ sich in dem von ihm zur Förderung seines Seelenheils gestifteten Franziskanerkloster in Korbach bestatten, jedoch wählte bereits sein Sohn Philipp III. die Pfarrkirche von Mengeringhausen nahe Arolsen als letzte Ruhestätte. Damit deutete sich die Verlegung der Grablegen von den Klöstern in die Pfarrkirchen an, die in Waldeck im Zuge der Reformation durchgeführt wurde. Philipps Sohn und Nachfolger Wolrad II. ließ sich mit seiner Gemahlin in der Korbacher Kilianskirche beisetzen, während Mengeringhausen nun hauptsächlich von den Vertretern der neueren Landauer Linie als Grablege genutzt wurde. 1576 wurden nach der Auflösung des Klosters Korbach und seiner Umwandlung in eine Landesschule auf Befehl Wolrads die Leichname seiner Großeltern Philipp II. und Katharina von Solms in die dortige Nikolaikirche überführt.618 Diese Umbettung war der Auftakt für die Nutzung von St. Nikolai als Eisenberger Grablege bis zum Ende dieser Linie durch den Tod Georg Friedrichs 1692 bzw. dessen Gemahlin zwei Jahre später. Doch auch in der Wildunger Linie fand noch ein Wechsel statt. Nachdem Margaretha von Ostfriesland, die erste Gemahlin Philipps IV. 1537 nicht in Netze, sondern in der Niederwildunger Stadtkirche bestattet worden war, folgten später ihr Sohn Samuel sowie einige seiner Kinder. Die ‚Neuwildunger‘ Christian und Philipp VII. knüpften hingegen wieder an die alte Tradition an und wählten Netze als letzte Ruhestätte. Es fällt auf, dass keine derjenigen ins Haus Waldeck einheiratenden Frauen, deren ständische Reputation zweifelhaft war oder sogar eindeutig unter der einer Gräfin lag, in einer der üblichen Waldecker Grablegen bestattet wurde. Zwar weiß Varnhagen, der die Informationen zu den Bestattungsorten überliefert, jeden Einzelfall zu begründen – einige der Betroffenen lebten gar nicht in der Grafschaft oder starben unerwartet auf Reisen –, doch hat man es angesichts der Regelmäßigkeit wohl mit einer impliziten Norm zu tun, niederrangige Ehepartner vom Erbbegräbnis auszuschließen.619 Eine Aufnahme in die dynastische Grablege zu Stammtafeln, N. F. Bd. I.3, Nr. 326. Es ist anzunehmen, dass auch seine beiden Vorgänger Adolf IV. und Otto III. samt Ehefrauen in den Klöstern des Landes bestattet wurden. 618 Im Zuge dessen wurden die alten Grabplatten aus Messing gegen neue ausgetauscht, woraufhin sie drei Jahre später von Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-­Kassel bei einem Messinghändler gefunden wurden, was für einige Verwirrung sorgte. Die Korbacher Räte konnten jedoch glaubhaft machen, dass alles auf Befehl Wolrads geschehen sei und der Händler lediglich vergessen habe, vor dem Weiterverkauf die Inschriften von den Platten zu entfernen. Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 868. 619 Im Einzelnen handelt es sich um: Katharina von Hatzfeld, zweite Gemahlin Philipps IV. (Stadtkirche Naumburg); vgl. Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2, S. 55; Jutta von Ysenburg-­ Grenzau, dritte Gemahlin Philipps IV. (Stadtkirche Waldeck); vgl. ebd., S. 56; Anna von Viermund, Gemahlin Heinrichs IX ., die jedoch ein weiteres Mal heiratete (Kirche von Nieder-­Ense); vgl. ebd., S. 66; Elisabeth von Elssen, Gemahlin Philipps V. (Hückeswagen); vgl. ebd., S. 159; Maria Gogreve, Gemahlin Franz’ II. (Düsseldorf ); vgl. ebd., S. 163. Siehe zu den Missheiraten auch Kap. 3.1.4.

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Niederwildungen verweigerte man auch der Witwe Samuels, Anna Maria von Schwarzburg, die als Strafe für ihren unkeuschen Lebenswandel im ehemaligen Kloster Höhnscheid eingesperrt wurde. 1583 starb sie in ihrem Arrest und wurde auch hier bestattet. Schließlich wurden einige Dynastieangehörige, insbesondere früh verstorbene Kinder, in minderbedeutsamen Gotteshäusern wie den Pfarrkirchen von Altwildungen oder Waldeck beigesetzt.620 Da die Waldecker die Pflege ihrer Memoria nicht wie die Lipper weitgehend an einem Ort konzentrierten, sondern über ihr gesamtes Land verteilten, bildeten sich kaum lange Traditionen heraus. Bei der Wahl der Grablege ergab sich ähnlich wie beim Schlossbau eine Spannung z­ wischen dem Anknüpfen an die Praxis der Vorfahren und dem Wunsch, eigene Akzente zu setzen. Hinzu kamen pragmatische Gründe wie der geistliche Bedeutungsverlust der Klöster, die Nähe der Stadtkirchen zur eigenen Residenz sowie die hier zu erwartende bessere Sichtbarkeit. So boten die großen Korbacher Pfarrkirchen den Zeugnissen der dynastischen Repräsentation ein viel größeres Publikum als etwa das kleine Mengeringhausen. Mit der reformatorischen Auflösung der Klöster ging grundsätzlich auch die Aufgabe der dortigen Grablegen einher. Lediglich Netze wurde nach seiner endgültigen Aufgabe als Kloster im Jahr 1553 mit Unterbrechungen bis ins 17. Jahrhundert als Grablege weitergeführt, was im Vergleich mit der Praxis anderer lutherischer Landesherren eher die Ausnahme war.621 Hier wurde noch 1637 unter der Ägide von Elisabeth von Nassau-­Siegen anlässlich der Bestattung ihres Gemahls, des Grafen Christian, die Anlage einer neuen Gruft vorgenommen.622 Im Gegensatz zu den Lippern pflegten die Waldecker eine Tradition der Errichtung von Grabdenkmälern, die bis ins Spätmittelalter hineinreicht. Davon zeugen die erhaltenen Tumben und Grabplatten gräflicher Angehöriger in der Nikolaus­ kapelle der Klosterkirche in Netze.623 Auch eine Grabplatte für den 1513 verstorbenen Heinrich VIII . findet sich dort, die neben ihrer liturgischen Funktion sicherlich auch ein Zeichen ­­ für die nunmehr wildungische Präsenz im ehemals gesamt-­waldeckischen Erbbegräbnis setzen sollte. Mit der Reformation brach diese Tradition keineswegs ab, sondern fand neue Ausdrucksformen. Luther selbst war – im Gegensatz zu Calvin – Grabdenkmälern als Teil bildlicher Darstellungen im Kirchenraum nicht generell abgeneigt, sondern befürwortete sie, sofern 620 Alle Angaben zu den Bestattungsorten nach Schwennicke, Europäische Stammtafeln; Varnhagen, Grundlagen, Bd. 2; Baum, Grabkapelle; Leiss, Begräbnisstätten. 621 Vgl. Hock, Zisterzienserinnenklöster, S. 498; Meys, Memoria, S. 25 f. u. 778. Ebd., S. 42, wird bei der Aufführung der waldeckischen Grablegen Mengeringhausen fälschlicherweise als Eisenberger Erbbegräbnis ausgewiesen. Hier wurden nach dem Tod Philipps III. die Mitglieder der neuen Landauer Linie bestattet, während die Eisenberger die beiden von Meys nicht beachteten Korbacher Stadtkirchen bevorzugten. 622 Vgl. Baum, Grabkapelle, S. 187. 623 Vgl. Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 24 f. u. 247 – 249.

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sie mit Bibelzitaten und Glaubenssätzen zur Belehrung kombiniert wurden.624 Im Laufe der Zeit überstiegen die weltlichen, auf Nachruhm ausgerichteten Elemente der Epitaphien allerdings deutlich die religiöse Didaktik, sodass man „das hohe Maß an Instrumentalisierung zu herrschaftlicher, genealogisch-­dynastischer und personaler Repräsentation als charakteristisch für die lutherische Tradition adliger Funeralrepräsentation“625 ansehen muss. Da es im lutherischen Waldeck keine nennenswerten Bilderstürme gab,626 haben sich in den Grabkirchen bis heute zahlreiche Epitaphien und Wandgrabmäler erhalten, die im 16. und 17. Jahrhundert als bevorzugte Formen der Sepulkralkunst galten.627 In ihnen zeigt sich der Wunsch, stärker die einzelnen Individuen zu vergegenwärtigen, als lediglich einen Ort zur kollektiven Memoria zu besitzen, wie es in Lippe der Fall war. In Netze haben sich aus der nachreformatorischen Zeit drei prächtige Wanddenkmäler erhalten (siehe Tafel 13).628 Das älteste wurde auf Initiative der Grafen Daniel, Heinrich IX. und Günther für ihren 1574 verstorbenen Vater bzw. Großvater, den langjährigen Wildunger Regenten Philipp IV., errichtet.629 Der Bildhauer Andreas Herber aus Kassel hat den Verstorbenen als halbplastische Figur in ­kniender, betender Haltung dargestellt. Philipps Rüstung samt dem vor ihm liegenden Helm sowie die Ahnenwappen an den Rändern weisen ihn überdeutlich als Adligen aus. Ungewöhnlich ist die Zahl der Wappen: sieben auf jeder Seite, wobei die unteren drei auf der rechten Seite nicht ausgeführt wurden. Auch das in architektonischen Formen gestaltete Obergeschoss ist von zwei Wappen geschmückt, namentlich dem Waldecker Stern und dem Wappen von Ostfriesland. Letzteres deutet darauf hin, dass Daniel und Heinrich ihre ­Mutter, die erste Gemahlin ­Philipps, ins Zentrum der Erinnerung rücken wollten, während jeglicher Hinweis auf deren zwei Nachfolgerinnen fehlt. Die Inschrift nennt Todesdaten, Grafentitel und Namen sowie die lange und friedliche Regentschaftszeit des Verstorbenen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu ­diesem Grabdenkmal befinden sich zwei weitere für Philipps Sohn Daniel und dessen Gemahlin Barbara von Hessen. Laut Inschrift hatte die Witwe selbst die Errichtung des Denkmals für ihren 1577 verstorbenen Gatten veranlasst und ebenfalls Andreas Herber mit der Gestaltung beauftragt. Daher weist das in strengen architektonischen Formen gehaltene Monument

6 24 Vgl. Zajic, Grabdenkmäler, S. 54; Meys, Memoria, S. 241 – 244. 625 Brinkmann, Ahnenproben, S. 119. 626 Vgl. Schultze, Bildersturm. 627 Vgl. Kohn, Repräsentationsbedürfnis, S. 19. 628 Vgl. Meys, Memoria, S. 594 – 597; Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 27 u. 249 – 251; Nebelsieck, Grabkapelle. 629 Offenbar kam es 1576 aufgrund ausbleibender Zahlungen für den Steinmetz und seine Arbeiter zu Verzögerungen, weshalb Daniel seinen Bruder Heinrich ermahnte, ebenfalls etwas zu den Kosten beizutragen; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 675, Brief vom 14. 10. 1576.

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insbesondere bei der Darstellung des Verstorbenen deutliche Parallelen zum Grabdenkmal Philipps auf. Auch dessen Sohn ist als gerüsteter Adliger in gottesfürchtiger Bethaltung dargestellt. Im Hintergrund der Figur Daniels ist die Reliefdarstellung einer Burg zu sehen, bei der es sich um den Wildunger Flügel samt Bergfried des Schlosses Waldeck handeln könnte. Damit wird zum einen an Daniels Bauherrentätigkeit erinnert, zum anderen seine Herkunft aus dem ‚Haus‘ Waldeck verdeutlicht. Die angebrachte Ahnenprobe umfasst zwölf Wappen. Eine ausführliche Inschrift charakterisiert den Verstorbenen als gottesfürchtigen Herrn, der sich sowohl auf dem Feld in Frankreich als auch zuhause als guter Regent bewährt habe. Zudem wird seine Heirat mit einer Fürstin sowie seine Herkunft Aus Waldeckschem frischem Blut 630 hervorgehoben. Es ist darauf hingewiesen worden, dass Barbara nicht den üblichen Weg wählte und sich selbst an der Seite ihres verstorbenen Gemahls abbilden ließ, sondern ein eigenes Grabdenkmal für sich in Auftrag gab.631 Dabei weicht es in seinen Gestaltungsformen und Proportionen deutlich von seinem Gegenstück ab, zeigt Barbara als stehende Figur und verzichtet abgesehen vom hessischen Wappen im Giebel auf jegliche heraldische Verzierungen.632 Daniels älterer Bruder Samuel war bereits 1570 gestorben und bekam von seinem Sohn Günther, der 1577 nach dem fast gleichzeitigen Tod seiner beiden Onkel die Regierung in Wildungen antrat, nachträglich ein Grabdenkmal gesetzt.633 Samuel war nicht in Netze, sondern in der Niederwildunger Stadtkirche bestattet, wo einem Wanddenkmal wesentlich mehr Publikum beschert war. Ursprünglich stand es im Chor, der auch nach der Reformation als heiligster Ort innerhalb der ­Kirche galt und gewöhnlich den Grabmonumenten der sozialen Eliten bzw. den Landesherren vorbehalten war. Das relativ große und aufwändige Wanddenkmal für Samuel dominierte also bis zu seiner Umsetzung im 18. Jahrhundert das Gottes­ dienstgeschehen und vergegenwärtigte den Verstorbenen in einer prominenten Weise, die seiner nur ­kurzen Regierungszeit eigentlich nicht entsprach. Geschaffen wurde es wohl von Georg Schellenberg aus Tann, wobei auch der mehrfach von den Waldecker Grafen engagierte Andreas Herber als Künstler infrage kommt.634 630 Zit. nach Nebelsieck, Grabkapelle, S. 90. 6 31 Vgl. Lemberg, Grablegen, S. 115 – 121. 632 Als geborene Fürstin war Barbara über derlei Repräsentation womöglich erhaben, ihr genügte das hessische Stammwappen. Bei Grafen und Herren – und noch stärker beim Niederadel – war die Herausstellung der Ahnen hingegen unabdingbarer Nachweis ihres ständischen Ranges. 633 Es hat sich ein Brief Günthers an seine Tante Barbara von Hessen erhalten, in dem er sie in seine Pläne einweiht und sie gleichzeitig um Erlaubnis bittet, in ihrem Wittumsamt Naumburg Sandstein für das Grabdenkmal brechen zu lassen; vgl. HStAM, 115/01, Nr. 773, Brief vom 10. 03. 1578. Siehe weiterhin Meys, Memoria, S. 808 – 812; Ganssauge/Kramm/ Medding (Bearb.), Kreis der Eder, S. 75 f.; Reichardt, Wildungen, S. 59. 634 Vgl. Steinmetz, Denkmal; Meys, Memoria, S. 811.

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Der Bildhauer errichtete eine viergeschossige Ädikula, in deren zweiter Etage die vollplastische Figur des Grafen steht. Samuel erscheint in voller Rüstung und hat seine Hände an ein Schwert und einen Dolch gelegt, während sein Helm vor ihm liegt. Die Hintergrundfläche wird von 16 Ahnenwappen belegt, und auch im Gipfelgeschoss prangt das Waldecker Wappen, wodurch das Grabdenkmal hauptsächlich von seinem heraldischen Programm bestimmt wird. Auch die von den Landauer Grafen als Erbbegräbnis genutzte Stadtkirche von Mengeringhausen verfügt im Chorraum über drei Epitaphien, namentlich für Johann I., seine Gemahlin Anna zur Lippe sowie ihren Sohn Franz III .635 Von den Gräbern der ebenfalls hier bestatteten Philipp III . und seiner zweiten Gemahlin Anna von Kleve haben sich keine Spuren erhalten. Unter Johann und Anna wurde die ­Kirche architektonisch aufgewertet, damit sie ihrer Funktion als dynastische Grablege gerecht wurde. 1552 wurde der Chor erweitert und sein Deckengewölbe ab 1572 mit einem heraldischen Bildprogramm ausgemalt (siehe Tafel 14).636 Neben biblischen Sprüchen finden sich hier ausschließlich Ahnenwappen der Anna zur Lippe, und auch ein Schlussstein ist mit der lippischen Rose verziert. Damit schuf die Auftraggeberin über ihr eigenes Grabdenkmal hinaus eine besondere Präsenz ihrer Herkunftsdynastie im Kirchenraum. Auch die beiden Epitaphien für die Eheleute Johann und Anna stehen im Chorraum. Sie weisen die g­ leiche strenge Gestaltungsform auf und stammen somit vom selben Künstler. Laut Inschrift ließ Anna sie nach dem Tod ihres Gatten im Jahr 1567 anfertigen. Die Verstorbenen werden als halbplastische, aufrecht stehende Figuren mit zum Gebet verschränkten Händen gezeigt. Inschriften verweisen auf Namen, Titel und Sterbedaten der Personen, was für die liturgische Memoria von großer Bedeutung war. Daneben dominiert die Repräsentation der Dynastie, da die ansonsten eher schlicht gehaltenen Epitaphien im Wesentlichen über heraldischen Schmuck verfügen. In den oberen Giebeln prangt das waldeckische bzw. das lippische Wappen, während neben den Figuren jeweils acht Ahnenwappen angebracht sind. Verglichen mit den strengen Epitaphien seiner Eltern wirkt das farbig gestaltete Wanddenkmal für Franz ausgesprochen prachtvoll (siehe Tafel 15). Nachdem es ursprünglich ebenfalls im Chor gestanden hatte, wurde es wohl bei der Errichtung des Hochaltars im 17. Jahrhundert umgesetzt.637 Franz hatte als einer der wenigen Waldecker Regenten testamentarisch den Wunsch geäußert, dass für ihn ein grabstein, wie wolgemeltem unserm herren vattern gescheen, gesetzet

635 Vgl. Meys, Memoria, S. 583 – 586; Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Twiste, S. 178 f.; Waldeck und Pyrmont, Denkmäler; Koch, Mengeringhäuser K ­ irche. 636 Vgl. Meys, Memoria, S. 42, 48 u. 584 f. 637 Vgl. ebd., S. 585.

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undt auffgericht werde.638 Er ist vollplastisch in Imponierhaltung, in Rüstung samt Feldherrenstab abgebildet, wodurch er weniger andächtig als vielmehr wehrhaft erscheint. Über seinem Kopf prangt das Waldecker Wappen, während seitlich 16 Ahnenwappen angebracht sind. Dabei lassen sich allerdings kleinere Fehler in der vierten Generation erkennen, die wohl auf Unwissen zurückzuführen sind. Besonders ins Auge fällt das französische Lilienwappen, welches Franz aufweisen konnte, da eine Ururgroßmutter väterlicherseits einer Seitenlinie des Hauses Burgund entstammte. Die lateinische Inschrift des Monuments zählt seine Herrschertugenden auf und bezeichnet ihn unter anderem als pater patriae sowie als glänzenden Stern seines Hauses (Waldecciacae Fulgida Stella Domus). Das wohl unter der Ägide der Vormundschaftsregierung errichtete prächtige Monument hatte damit die Funktion, den letzten Regenten der Landauer Linie für die Nachwelt in besonders positiver Erinnerung zu halten. Von den Eisenberger Grabstätten in den beiden großen Korbacher Stadtkirchen haben sich hingegen kaum materielle Überreste erhalten. Die ursprünglich vorhandenen gusseisernen Grabplatten für Wolrad II. und Anastasia in der Altstädter Kilianskirche sind seit Beginn des 19. Jahrhunderts verschollen. Es existieren lediglich zwei Platten für früh verstorbene Kinder des Paares.639 Auch in der Neustädter ­Kirche St. Nikolai haben sich – vom prächtigen Wanddenkmal für den Fürsten Georg Friedrich abgesehen 640 – keine Zeugnisse der gräflichen Memoria erhalten. Die Grabplatten für Philipp II. und seine Gemahlin K ­ atharina von Solms, Josias I. und seine Gemahlin Maria von Barby, seine Schwester ­Katharina, Äbtissin von Schaaken, sowie einige jung verstorbene Mitglieder der Eisenberger Linie wurden später nach Arolsen gebracht, wo sie heute im Durchgang des linken Schlossflügels betrachtet werden können.641 Generell scheinen die Eisenberger der Errichtung prächtiger Grabdenkmäler jedoch eher reserviert gegenübergestanden zu haben. Die Beisetzungsfeiern der Waldecker folgten den ständischen Konventionen im frühneuzeitlichen Grafenadel. Der übliche Ablauf sah eine Überführung der Leiche von der Residenz zum Bestattungsort vor. So wurden für die 638 HStAM, Urk. 85, Nr. 258, fol. 1v. Ein anderer Graf, der diesen Wunsch äußerte, war Franz’ Onkel Philipp V. Zudem verbat er sich explizit alle ‚heidnischen‘, was wohl meint: altgläubigen Elemente bei seiner Bestattungsfeier; vgl. ebd., Nr. 256: nach Christlichem brauch ehrlich zur Erden bestatten und begraben wollen, doch daß alle unnutze heidnische geprenge und insonderheit alle superstitiones und veniae wider Gottes wort erdacht auß gelassen und weit hindangesetzt werden. Bitt und beger von meinem hertzliebenn Gemahel, daß sie zum ­­Zeichen meines Christlichen und saligmachenden glaubens, auch fester bekenthnuß und hoff­ nung der kunfftiger aufferständtnuß, mir ein ehrliche christliche Grabschrifft oder Epitaphium verferttigen und auffrichten lasse. 639 Curtze/Rheins, St. Kilian, S. 291 f. 6 40 Vgl. Tischbein-­Heer, Anspruch; Kümmel, Wandgrabmal. 6 41 Ganssauge/Kramm/Medding (Bearb.), Kreis der Twiste, S. 61 f.

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Leichenprozession Philipps IV. Ende des Jahres 1574 einige Personen aus dem Adel damit beauftragt, den Sarg vom Schloss Waldeck ins nahe gelegene Netze zu tragen und mit Fackeln zu begleiten. Auch Angehörige der Dynastie, verwandte Standesgenossen, Vertreter der Landstände, Pastoren, Schulmeister und Schüler sowie das gemeine Volk begleiteten den Zug. In der Begräbniskirche sollte der Korbacher Superintendent, von Fackelträgern flankiert, die Leichenpredigt halten und der Waldecker Pfarrer daraufhin die eigentliche Beisetzung vollziehen. Anschließend sollten den Armen Almosen ausgeteilt werden, damit sie den verstorbenen Regenten in guter Erinnerung behielten. Auch Pastoren, Lehrer und Schüler wurden mit einem kleinen Geldbetrag versehen und zusammen mit den Städtevertretern zur Mahlzeit ins Kloster Netze geladen. Der Superintendent, die Adligen sowie die ranghöheren Gesandten aus Korbach und Wildungen wurden hingegen auf Schloss Waldeck bedient.642 Somit stellte die Feier ein getreues Abbild der ständischen Gesellschaft dar, deren soziale Hierarchien in der Prozessionsordnung und beim getrennten Festmahl reproduziert wurden. Auffällig ist der Kreis der Festteilnehmer, der sich überwiegend aus adligen und nichtadligen Bewohnern der Grafschaft zusammensetzte. Die Untertanenschaft war bei dem dynastischen Ereignis der Bestattung ein wichtiges Element: nicht nur als Kulisse, vor der der eindrückliche Festzug aus einheitlich gekleideten Adligen, Dienern, Pferden und Kutschen sich in Bewegung setzte, sondern auch als aktive Prozessionsteilnehmer und Empfänger von Almosen. Aus einer Einladungsliste für die Beisetzungsfeier des Grafen Günther ist zu entnehmen, dass nur wenige Personen von außerhalb zu einem solchen Ereignis geladen wurden. Neben den Waldecker Angehörigen waren dies zuvorderst die beiden in Kassel bzw. Marburg regierenden Landgrafen Wilhelm IV. und Ludwig IV. von Hessen als Lehnsherren, sodann Graf Heinrich von Ysenburg als Schwager der Witwe Margarethe, geborene Gräfin von Gleichen, sowie deren Stiefmutter und Brüder.643 Wenn man zudem bedenkt, dass geladene Standesgenossen den Feiern häufig fernblieben und lediglich Vertreter schickten, lässt sich konstatieren, dass der Kreis von Hochadligen relativ überschaubar blieb. Wichtiger für eine überregionale Repräsentation der Dynastie in der Adelsgesellschaft waren daher die gedruckten Leichenpredigten. Über eine Vergegenwärtigung der Dynastie etwa mittels heraldischer Symbole ist aus den Akten für die Bestattungen Philipps, Daniels und Günthers kaum etwas zu entnehmen, doch steht zu vermuten, dass das Wappen auch hier bereits 6 42 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 675, Ungevehrliche verzeichnung wie es in der procession und begreb­ nuß zuhalten. Das ebenfalls überlieferte Konzept für die bereits drei Jahre später vollzogene Bestattung von Philipps Sohn Daniel gleicht der väterlichen in nahezu allen Punkten. Man orientierte sich also an vorhergehenden Feiern, wodurch sich bestimmte Ritualtraditionen ausbildeten; vgl. ebd., Nr. 746, Konzept der Leichenprozession. 6 43 Vgl. HStAM, 115/01, Nr. 816, Verzeichnus deren so zur Begrebnus beschrieben werden sollen.

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eine Rolle spielte. Bei der aufwändigen Begräbnisfeier für Graf Christian im Jahr 1638 war es dann ein zentrales Gestaltungselement, wie eine Beschreibung des Ereignisses verdeutlicht: Der Sarck ist mit einer schwartzen Lundischen Decke und einem schönen reinen weißen Tuch und ferner mit einer schwartzen sammeten Deck, darauf ein Chreutz von weißen düpfel taffet genehet und hinten am haupt das Waldeckische und ferner das Nassauische mit gold, silber und seid kunstl. gestickte Wappen, als auch auf beyden Seiten 16 Wappen angehefftet geweßen, überzogen worden.644

Prominent auf dem Sarg, der das Zentrum der Prozession bildete, prangte also das Stammwappen des Verstorbenen und daneben dasjenige seiner Gemahlin ­Elisabeth von Nassau-­Siegen. Als Witwe hatte sie das Tuch womöglich gestiftet. Dazu kamen die 16 Ahnenwappen an den Seiten, ­welche den abgeschiedenen Grafen als Spross einer traditionsreichen Hochadelsdynastie auswiesen.645 In der Grablege kamen alle verstorbenen Angehörigen der Dynastie zusammen: die männlichen Agnaten, ihre von außerhalb stammenden Ehefrauen – sofern sie den ständischen Ansprüchen genügten und nach dem Tod ihres Mannes keine neuerliche Ehe eingegangen waren – sowie ihre Kinder mit Ausnahme der verheirateten Töchter sowie einiger geistlicher Söhne. Auch Personen, die zu Lebzeiten Rivalen gewesen waren, lagen nach ihrem Tod oftmals in stiller Eintracht beieinander. Dass man auf diesen integrativen Aspekt großen Wert legte, zeigt sich auch an den Kosten und Mühen, die aufgewandt wurden, um ein andernorts verstorbenes Mitglied in die heimische Grablege zu überführen, wie etwa den in Florenz verstorbenen Simon Philipp zur Lippe. Zudem führte die Nutzung über lange Zeiträume zur sichtbaren Ausbildung einer Tradition und veranschaulichte die lange Vergangenheit der Dynastie, weshalb die Grablege als zentraler dynastischer Eigenraum anzusehen ist. Ausgehend von dieser Interpretation ist es allerdings umso wichtiger, den praktischen Umgang zu untersuchen: 6 44 HStAM, 115/01, Nr. 2021, Kurtze Verzeichnüß welchergestalt die Leichprocession und Begräb­ nis […] gehalten worden, fol. 1v. Bei der Quelle handelt es sich im Gegensatz zu den zuvor zitierten also nicht um ein Konzept, sondern um eine nachträgliche Beschreibung des Ereignisses. Freilich lässt sich auch hier nicht ausschließen, dass sich in die Darstellung Glättungen oder sonstige Abweichungen vom tatsächlichen Ablauf eingeschlichen haben. Letztlich ist auch eine schriftliche Beschreibung eine vermittelte Repräsentation der Wirklichkeit. 6 45 Wappen waren auch an anderer Stelle der Prozession ein wichtiges Symbol, etwa bei den drei vor dem Sarg laufenden Pferden, die mit je einem Wappen der Herrschaftsteile Christians – Waldeck, Pyrmont und Tonna – behangen waren. Für eine ausführliche Beschreibung der Begräbnisfeier Christians siehe Motz, Memoria, S. 97 – 101. Auch für den nur drei Jahre später verstorbenen Bruder Wolrad IV. verwendete man eine Sargdecke mit seinem Wappen, dem badischen seiner Gattin sowie 16 Ahnenwappen; vgl. dazu die Beschreibung des Trauerzuges bei Curtze/Rheins, St. Kilian, S. 293 f., Anm. 2.

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Orientierte man sich an den Vorgängern und wahrte deren Andenken oder verlegte man die Grablege je nach gegenwärtigem Bedürfnis? Hier kontrastiert die lange lippische Tradition der Bestattungen in Blomberg mit der von Brüchen geprägten Bestattungspraxis in Waldeck. Bei den Lipper Grafen waren es erst die Erbherren, die nach 1650 eigene Begräbnisstätten anlegten und somit ihre Unabhängigkeit demonstrierten, während die Bestattung in linieneigenen Grablegen bei den Waldeckern schon seit den Erbteilungen des Spätmittelalters die Regel war. Die dynastische Verwandtschaftsorganisation schlug sich somit auch in Anzahl und Aufteilung der Grablegen nieder. Die Grafen von Waldeck schufen über das ganze Land verteilt Orte ihrer Memoria, die auch den Untertanen ihre Regenten aus der Wildunger, Eisenberger oder Landauer Linie vor Augen führte. Zudem führten die getrennten Grablegen trotz einer in anderen Aspekten übergreifenden dynastischen Erinnerungskultur sicherlich zu einem stärkeren Eigenbewusstsein der einzelnen Linien. Die Lipper konzentrierten ihre Memoria hingegen bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein an einem Ort, was die Kontinuität und Kohäsion der sozialen Gruppe der Dynastie zugleich darund herstellte. Auch die Reformation einschließlich der Auflösung der Klöster stellte hier keine wirkliche Zäsur dar, da Blomberg ungeachtet zweier Konfessionswechsel als Grablege erhalten und weiter­geführt wurde. In Waldeck verstärkte das Phänomen hingegen die häufigen Ortswechsel und führte zu einer Bewegung von den Klöstern in die städtischen Pfarrkirchen. Allein Netze konnte auf eine Tradition als Grablege vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert verweisen, wenngleich auch dies nicht ohne Brüche. Stark wirkte der Faktor Konfession allerdings auf den Umgang mit Grabdenkmälern, die sich optimal als Medien der dynastischen Selbstdarstellung ­nutzen ließen. Aufgrund der ablehnenden Haltung gegenüber Bildern im Kirchenraum verzichteten die seit etwa 1605 reformierten Grafen zur Lippe vollständig auf diese Form der Memoria, wobei ungewiss ist, ob im Zuge dessen auch ältere Zeugnisse vernichtet wurden. Vermutlich beschränkte man sich aber auf den Verzicht auf neue Grabmonumente, wodurch die Tumba für Bernhard VII . und Anna von Schaumburg in Blomberg zum bildlichen Fixpunkt der lippischen Memoria wurde. In Kontrast zu dieser Zurückhaltung nutzten die lutherischen Waldecker ausgiebig die Ausdrucksmöglichkeiten steinerner Grabdenkmäler in nahezu all ihren Grablegen. Dabei wurden vor allem für regierende Grafen und ihre Frauen Denkmäler errichtet,646 jedoch hing die Entscheidung darüber letztlich an der Initia­tive der Nachkommen oder der Witwe. Generell bedienten sich die Wildunger und Landauer des Mediums häufiger als die Eisenberger, wobei zeitlich eine 646 Auch hier gab es gelegentlich Ausnahmen, wie das Epitaph für die mit 15 Jahren an der Pest verstorbene Johanna Agatha, eine Tochter des Grafen Christian, in der Waldecker Stadtkirche zeigt; vgl. dazu Meys, Memoria, S. 778.

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Konzentration auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts auszumachen ist. Die Grabdenkmäler wurden mit Ausnahme der Grabkapelle in Netze in Altarnähe an den Wänden des Chores platziert, sodass sie während der Gottesdienste für alle gut sichtbar waren. Dies führte zu einer Präsenz der verstorbenen Regenten im Kirchenraum – ein intendierter Effekt, der stärker auf weltlichen Ruhm und Herrschaftslegitimation abzielte als auf das Seelenheil. In der Gestaltung unterschieden sich die Monumente oft stark, wobei zum Ende des 17. Jahrhunderts hin eine Steigerung der künstlerischen Ausdrucksformen und schieren Größe, aber auch der dargestellten Individualität des Verstorbenen – mit dem Höhepunkt des Grabdenkmals für Georg Friedrich – zu konstatieren ist. Wurde der oder die Verstorbene anfangs meist in frommer Bethaltung gezeigt, dominierte später die Darstellung adliger Qualitäten wie Wehrhaftigkeit und Prachtentfaltung. Durch das Abbild der Person, das Stammwappen sowie insbesondere die stets dazugehörigen acht oder 16 Ahnenwappen konnten dynastische Ansprüche wie Herkommen, Standeszugehörigkeit und Herrschaftsberechtigung vor aller Augen symbolisiert werden, wie sie auch in den Bestattungsfeiern zum Ausdruck kamen. Die sich an den Betrachter wendenden Inschriften vermittelten über die memorialen Grundinformationen wie Namen, Titel und Lebensdaten des Verstorbenen hinaus gelegentlich zusätzliche, im Umfang variierende Charakterisierungen als tugendsame Herrscherpersönlichkeiten. Somit spiegelt sich in den steinernen Zeugnissen der Memoria nicht nur die Frömmigkeit, sondern vor allem das dynastische Selbstverständnis der Waldecker Grafen.

4.4 Zwischenergebnisse Institutionen als symbolische Ordnungen zu beschreiben bedeutet, besonderes Augenmerk auf die symbolische Darstellung sozialer Ordnungsprinzipien zu legen. Dahinter steht die Überzeugung, dass eine Dynastie sich nicht nur mittels vertraglich ausgehandelter Normen, nicht nur durch verwandtschaftliche Praktiken wie Heirat, Zeugung von Nachkommen und Vererbung formierte und reproduzierte, sondern ihre Stabilität ganz wesentlich aus der kulturellen Verankerung in der Wirklichkeit schöpfte. In der Zusammenschau wird deutlich, dass sich die Grafen unterschiedlichster Symboltypen bedienten, um die Ordnung der Dynastie zu vergegenwärtigen und als etwas Natürliches und tendenziell Unhinterfragbares erscheinen zu lassen. Dazu gehörten die Verwendung bestimmter Begriffe und Redeweisen, die erinnerungskulturelle Indienstnahme von Historiographie und Genealogie sowie die architektonisch-­künstlerische Schaffung von Eigenräumen. Es war allerdings nicht das Anliegen der Studie, bestimmte kulturelle Erzeugnisse wie Chroniken oder Grabdenkmäler in all ihren semiotischen Dimensionen

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zu entschlüsseln, sondern sie an die soziale Praxis zurückzubinden. Damit ist gemeint, ihre konkreten Entstehungs-, Nutzungs- und Rezeptionskontexte in den Blick zu nehmen und sie als institutionelle Mechanismen zur Stabilisierung der dynastischen Ordnung zu interpretieren. Zunächst wird daher noch einmal auf den praktischen Umgang der Grafen mit den ihnen zur Verfügung stehenden symbolischen Ausdrucksformen eingegangen. Da Institutionalisierung gewöhnlich dynamischen Prozessen der Aneigung und Ablehnung sowie der Konkurrenz unterschiedlicher Deutungsentwürfe unterliegt, ist besonders herauszustellen, wem es gelang, den Diskurs maßgeblich zu bestimmen (4.4.1). Erst in einem zweiten Schritt wird versucht, eine zusammenfassende Analyse der transportierten Inhalte zu liefern. Wann bildete sich die Kategorie der Dynastie überhaupt heraus, was waren die mit ihr verknüpften Inhalte und Normen und welches Selbstverständnis der Akteure lässt sich daraus rekonstruieren (4.4.2)? 4.4.1 Die Praxis der symbolischen Ordnung Die symbolische Ordnung der Dynastie wurde maßgeblich durch die Etablierung von Eigenzeiten und Eigengeschichte geprägt. Diese auch unter dem Begriff der dynastischen Erinnerungskultur zu fassenden Praktiken gilt es zunächst in den Blick zu nehmen. Die Dynastie ließ sich nämlich vorrangig dadurch als scheinbar natürlicher Teil der sozialen Welt konstruieren, dass man ihr eine lange Geschichte buchstäblich zuschrieb. Ursprünglich waren historiographische Werke den Adligen von außen angetragen worden, etwa durch städtische Eliten wie im Fall des Lippifloriums oder durch geistliche Stifte wie bei dessen niederdeutscher Übersetzung. Im 16. Jahrhundert mehrten sich dann Chroniken, Genealogien und Lobgedichte aus humanistischer Feder, die von gelehrten Beamten wie Konrad Klüppel oder Geistlichen wie Hermann Hamelmann stammten. Die Rezeption seitens der Grafen ist nur in wenigen Fällen zu rekonstruieren, allerdings lässt sich von den Widmungen der Werke auf das Wissen oder zumindest die Hoffnung der Urheber schließen, damit auf wohlwollendes Interesse zu stoßen oder sogar eine Entlohnung zu erhalten. Erst ab der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts scheinen die Grafen das Potenzial einer solchen dynastischen Historiographie erkannt zu haben und traten allmählich selbst als Auftraggeber in Erscheinung. Der Grad der Initiative hing dabei stark von der jeweiligen Herrscherpersönlichkeit ab: Der gebildete Eisenberger Regent Wolrad II. etwa war ein Förderer der Geschichtsschreibung und regte wohl mehrere Projekte an, von denen sich jedoch nur wenig erhalten hat. Ebenso legten die beiden Lipper Grafen Simon VI. und Simon VII. großen Wert auf eine angemessene Darstellung der dynastischen Geschichte, was schließlich in der gedruckten Chronik des Johann Piderit mündete. Den meisten Regenten ist hingegen nur ein schwach ausgeprägtes Interesse

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an der Historiographie zuzusprechen, was zum Teil mit Bedenken hinsichtlich der Veröffentlichung von arkanem Herrschaftswissen zu erklären ist. Nach außen hin, in ihrer Stellung als landesherrliche Obrigkeit, versuchten die Grafen ihre Deutungshoheit zu bewahren; wenn es sein musste auch mittels zensorischer Maßnahmen. Die beiden Fälle in Lippe – das Verzichtsedikt Hamelmanns und der Widerruf Piderits – fallen dabei in Zeiten vormundschaftlicher Regierungen und äußerer Bedrohungen, was die scharfen Reaktionen erklärt. An ihnen zeigt sich aber auch das vorrangig juristische Interesse der Landesherrschaft an der Historiographie, der eine ähnliche rechtssichernde Funktion zugeschrieben wurde wie Urkunden. Aufgrund von unabhängig entstandenen Werken gelang es den Grafen allerdings nie vollständig, den Diskurs zu bestimmen. Sie befanden sich somit in einer doppelten Rolle: als passives Objekt historiographischen – kritischen wie panegyrischen – Schreibens ebenso wie als aktive Anreger, Förderer und Zensoren einer dynastischen Chronistik. Nur Letzteres rechtfertigt es, mit Blick auf die so entstandenen Werke von einer Selbstdarstellung der Dynastie zu sprechen. Richtet man den Blick nun auf die konkreten Akteure, stellt sich heraus, dass vor allem die Dynastieoberhäupter in die historiographische Produktion involviert waren. Dieser Befund ist sicherlich nicht überraschend, verfügten doch lediglich sie über hinreichende Ressourcen, Chronikprojekte anzustoßen und, wichtiger noch, den Zugang zu den Archiven. Es wäre jedoch durchaus erwartbar gewesen, dass etwa die verschiedenen Linien in Waldeck eigene, spezifisch wildungische oder eisenbergische Chroniken hervorgebracht oder die lippischen Erbherren zur Demonstration ihrer Eigenständigkeit auch auf die Geschichtsschreibung zurückgegriffen hätten. Das war jedoch nicht der Fall. Stattdessen behandelten die ‚von oben‘ angeregten Chroniken stets alle Linien bzw. Mitglieder, sodass die Dynastie als Einheit erschien – ein Effekt, der vonseiten der Oberhäupter sicherlich erwünscht war. In Waldeck lässt sich in Einzelfällen sogar eine recht enge Koordination ­zwischen den Linien beobachten, etwa wenn der Kanzler Wolrads II. seinen Landauer Amtskollegen um Übersendung einer Genealogie bat, oder sich der Eisenberger Georg Friedrich das ursprünglich wildungische Projekt der Prasserschen Chronik zu eigen machte. Von mindestens ebenso großem Interesse wie die Chroniken als umfängliche Abhandlungen der Dynastiegeschichte waren für die Adligen genealogische Studien. Hier griffen sie zum Teil selbst zur Feder, produzierten Vorfahrenlisten und Ahnentafeln und erkundigten sich bei Standesgenossen oder Fachleuten, wenn sich in ihrem Wissen Lücken auftaten. Im Gegensatz zur Initiierung von Chronik­ projekten lag hier die Schwelle niedriger, weshalb auch andere Dynastieangehörige neben dem Oberhaupt aktiv wurden. Nicht zuletzt die angeheirateten Frauen entwickelten einen teilweise starken Forschungstrieb in Bezug auf die Genealogie ihrer neuen Familie und wurden somit zu Förderinnen der dynastischen Identität. Ähnliches lässt sich bei der Produktion von Leichenpredigten beobachten, die

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oftmals von den Witwen, teils auch von den Müttern früh verstorbener Söhne in Auftrag gegeben wurden. Durch die Personalteile mit ihren Hinweisen auf die adligen Vorfahren waren Leichenpredigten ein geeignetes Medium zur Verbreitung der dynastischen Eigengeschichte. Auch an der Errichtung von Grabdenkmälern hatten die Frauen der Dynastie einen bedeutenden Anteil, wie das Wirken Barbaras von Hessen in Netze und Annas zur Lippe in Mengeringhausen gezeigt hat. Letztere gab nicht nur Epitaphien für sich und ihren Mann in Auftrag, sondern ließ auch die Decke der ­Kirche mit ihren Ahnenwappen ausmalen. Dadurch wurde ein eindrucksvoller dynastischer Eigenraum geschaffen, der allerdings lediglich Annas Lipper Herkunftsdynastie in den Mittelpunkt rückte. Da es sich um die kognatischen Vorfahren ihres Sohnes Franz handelte, ließ dieser das genealogische Programm bei einer weiteren Ausgestaltung des Chores bestehen. Die Entscheidung über den Ort der Grablege wurde hingegen meist von den männlichen Familienoberhäuptern getroffen. Mit der Verlegung des lippischen Erbbegräbnisses nach Blomberg 1495 begründete Bernhard VII . eine über 150 Jahre andauernde Tradition der Beisetzung von Regenten und ihren Familien an ­diesem Ort. Eine ­solche konnte sich in Waldeck nicht ausbilden, da die Bestattungen nach Linien getrennt vollzogen wurden und selbst innerhalb derselben häufige Wechsel stattfanden. Die Linienbildung hatte also hinsichtlich der Memoria durchaus Auswirkungen auf das Selbstverständnis der sozialen Gruppe. Blieb man über Verträge, Stammburg und Samtinstitutionen wie das gemeinsame Archiv in steter Verbindung, wurde durch die Bestattungspraxis die Eigenständigkeit betont. Ebenso verfuhren die lippischen Erbherren, da sich durch die Anlage eigener Erbbegräbnisse die Gelegenheit bot, den Abstand zu Detmold symbolisch zu vergrößern. Die lutherischen Waldecker ließen zahlreiche Grabdenkmäler in den Bestattungsorten Netze, Mengeringhausen, Niederwildungen und Korbach errichten. Dadurch ergab sich ein Geflecht von über das ganze Land verteilten dynastischen Orten, an denen die landesherrliche und dynastische Repräsentation offen zutage trat. Dynastie und Land gingen hier sichtbar eine enge Verbindung ein, was die Legitimation der gräflichen Herrschaftsausübung steigerte. Religiöses Totengedenken und soziale Memoria mit all ihren auf die Welt der Lebenden gerichteten Dimensionen lassen sich daher kaum getrennt betrachten. Gleichwohl sollten religiöse Aspekte nicht als nachrangig behandelt werden, wie der Fall Lippe zeigt, wo das reformierte Bekenntnis der Grafen eine prachtvolle Memorialkunst effektiv unterbunden hat. Auch die Residenzschlösser dienten nicht nur als Wohnstätten und Orte der Hofhaltung, sondern waren Teil der symbolischen Ordnung. In der Wahl der Schlösser und vor allem in ihrer baulichen Gestaltung lassen sich Anstrengungen zur Schaffung dynastischer Eigenräume erkennen. Ob ein neuer Regent die Residenz seines Vorgängers übernahm oder seine Vorstellungen von einem zeitgemäßen Grafenhof an anderer Stelle verwirklichte wie Simon VI. in Brake, war

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ebenso bedeutsam wie die Wahl der Grablege. Auch dass Söhne oder Brüder des Regenten eigene Hofhaltungen begründeten – was in Lippe und Waldeck durchaus häufiger vorkam –, hatte nicht nur einen praktischen Hintergrund, sondern wirkte insofern konfliktvermeidend, als man der ständigen Darstellung sozialer Hierarchien entgehen konnte. Nicht zuletzt aufgrund ihrer eigenen Residenzen in Brake, Schwalenberg und Alverdissen konnten sich die lippischen Erbherren als Landesherren im Miniaturformat fühlen. Freilich konnten auch pragmatische Gründe wie die Nähe einer großen Stadt, eine gut zu verteidigende Lage oder die Substanz der Vorgängerbauten die Entscheidung über den Ort der Residenz beeinflussen, jedoch war stets auch eine symbolische Dimension im Spiel. Wenn etwa Wolrad II. die von seinem Vater in Arolsen etablierte Residenz zurück auf den Eisenberg bei Korbach verlegte, war das auch eine Rückkehr zur Tradition der Vorfahren. Die Forderung, das Ererbte zu bewahren und zu vermehren, galt auch für die Baumaßnahmen an den Schlössern, wie sich etwa an Detmold und Waldeck ablesen lässt. Selten wurden alte Teile vernichtet, sondern meist sichtbar in den neuen Entwurf integriert, damit sich auch in den architektonischen Formen das Alter der Dynastie widerspiegelte. Dabei tat sich fast jede Generation mit mehr oder weniger umfangreichen Baumaßnahmen hervor. Die Wappen der Erbauerpaare an den Fassaden lassen sich so als Ausweis des persönlichen Beitrags zum dynastischen Gesamtwerk interpretieren. Eine Besonderheit war die bis 1607 stets in Samtbesitz vererbte Stammburg Waldeck, deren Ganerbencharakter sich auch in ihren Bauformen spiegelte. Hatte jedes Linienoberhaupt an seinem eigenen Flügel die alleinige Befugnis für Anund Umbauten, musste man sich doch über die gemeinsam genutzten Teile einig werden. Die alltäglichen Streitigkeiten haben sich in einer Reihe von Verträgen niedergeschlagen, wobei es dabei stärker um Nutzung von Räumlichkeiten und die Übernahme von Bau- und Unterhaltungskosten ging als um gestalterische Fragen. Auch der Zugang zum Samtarchiv, das spätestens seit 1397 als integrativer Faktor bei Erbteilungen fungierte, wurde vertraglich geregelt. In Waldeck wurde jeder Linie ein Schlüssel zur Samttruhe ausgehändigt, sodass Einsicht in die wichtigsten Urkunden der Dynastie nur möglich war, wenn alle Parteien zusammenkamen. Dadurch wurden symbolisch die Einheit der Dynastie sowie die Gleichrangigkeit der Linien zum Ausdruck gebracht. Die Unterbringung des Samtarchivs im Waldecker Bergfried wirkte darüber hinaus wie eine Keimzelle der dynastischen Herrschaft. Anders handhabten dagegen die Lipper den Archivzugang. Hier beanspruchte der Regent die alleinige Kontrolle, was spätestens seit der Etablierung der Erbherren zu einem Dauerstreitpunkt wurde. Da die Detmolder Regenten einschließlich der Vormundschaftsregierungen die Entnahme von Originalen nur im Ausnahmefall gestatteten, verschlossen die Erbherren, zuvorderst Otto zur Lippe-­Brake, im Gegenzug ihre Teilarchive dem Zugriff der Hauptlinie. Auch die Waldecker Linien hatten je ihre eigenen Archive, die in der

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alltäglichen Herrschaftspraxis womöglich sogar von größerer Bedeutung waren. Insofern hatte ihr Samtarchiv vor allem auch einen symbolischen Charakter als Ausdruck der Integration und Gleichberechtigung. Bei den Lippern machte eine strengere Hierarchie diese Praxis unmöglich. Wer schuf also letztlich die symbolische Ordnung der Dynastie? Allen voran waren es die Oberhäupter, die sich als Schlossbauer, Begründer von Grablegen und Initiatoren von Chronikprojekten betätigten. Darüber hinaus wirkten aber auch andere Angehörige mit; vor allem die Ehefrauen bzw. Witwen der Grafen bestimmten durch ihre Memorialpflege die Erinnerungskultur maßgeblich mit. Hatten im Mittelalter noch hochrangige geistliche Familienmitglieder einen besonderen Beitrag zur Memoria erbracht, schwand deren Einfluss nach der Reformation stetig. Die dynastische Erinnerungskultur wurde zunehmend säkular und stützte sich daher eher auf die Aktivitäten der weltlichen Mitglieder. Daneben bauten eine ganze Reihe von Experten an der symbolischen Ordnung mit: Chronisten, Gelehrte, Geistliche, Baumeister und Künstler und nicht zuletzt auch landesherrliche Beamte, deren maßgebliches Wirken nur gelegentlich in den Quellen durchscheint. Anfechtungen in Form von Symbolkonflikten lassen sich erstaunlicherweise kaum nachweisen. Auseinandersetzungen ­zwischen den Verwandten wurden in erster Linie in juristischer Form ausgetragen und mündeten in Verträge, die die Einheit der Dynastie beschworen. Deren symbolische Ordnung – im Folgenden inhaltlich näher bestimmt – wurde jedoch zu keiner Zeit grundsätzlich infrage gestellt, was als Beleg für ihre Stabilität zu werten ist. 4.4.2 Transportierte Inhalte Der Diskurs der Dynastie wurde auf unterschiedlichen Ebenen geführt: in direkter (vor allem brieflicher) Kommunikation ­zwischen den Familienmitgliedern, in Testamenten und Hausverträgen, gegenüber Dritten, etwa auf Landtagen, in Leichenpredigten und vor allem in gelehrten Texten über die dynastische Geschichte. Auch nichtsprachliche Äußerungen wie Bilder, heraldische Zeichen, ­­ Grabdenkmäler und Schlossbauten wurden in die Untersuchung einbezogen. All diese Elemente fügten sich zu einer symbolischen Ordnung, die die Dynastie als Teil der Wirklichkeit konstituierte. Hinsichtlich der Frage, ­welche konkreten Inhalte sich damit verbanden, lassen sich vor allem zwei Aspekte unterscheiden: soziale Positionsbestimmungen und spezifische normative Vorstellungen. Die Zugehörigkeit zu einer hochadligen Dynastie bestimmte die soziale Stellung des Einzelnen innerhalb der ständischen Gesellschaft. Der Status der Dynastie selbst hing vor allem am Nachweis ihres Alters sowie, eng damit verbunden, an der ununterbrochenen erblichen Weitergabe ihrer Herrschaftsrechte.

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Dies spiegelt sich bereits im Aufkommen bestimmter Begriffe, mit denen sich die adligen Familienverbände seit Ausgang des Mittelalters bezeichneten. Als Kollektivum findet sich seit dem 16. Jahrhundert in Lipper wie Waldecker Quellen häufig der Begriff des „Stammes“, der im 17. Jahrhundert vom „Haus“ abgelöst wurde. Beide bezeichnen eine soziale Einheit, die sich vor allem durch ihre lange Tradition auszeichnet. Parallel dazu prägten vermehrt der „Agnaten“-­ Begriff und die Vorstellung von Blutsverwandtschaft den Diskurs, worin die zunehmende Agnatisierung von Herrschaft unter der Institution der Dynastie erkennbar wird. Unabhängig von konkreten oder diffusen normativen Erwartungen, die damit verbunden waren, führte der Gebrauch dieser Begriffe zu einer Naturalisierung der Dynastie, deren Existenz von keinem der adligen Akteure angezweifelt wurde. Auch die Genealogen und Geschichtsschreiber, die sich willig in den Dienst des Adels stellten, hinterfragten das Konzept der Dynastie nicht, sondern verliehen ihm mit ihren Werken gesteigerte Legitimation. Da die untersuchten Chroniken nur in Ausnahmefällen in den Druck gingen und man somit von einer geringen Zirkulation ausgehen muss, scheint neben der rechtssichernden Funktion vor allem die dynastische Selbstverständigung und nicht die Statusrepräsen­tation innerhalb der Adelsgesellschaft im Vordergrund gestanden zu haben. Vor allem die Ursprungsmythen waren es, die die Identität der Gruppe stärken sollten. Dabei unterschieden sich die Erinnerungskulturen von Lippern und Waldeckern deutlich, da ersteren rund hundert Jahre lang eine Abstammung vom römischen Geschlecht der Orsini zugeschrieben wurde, bis Johann Piderit diese ­Theorie zugunsten eines germanischen Ursprungs verwarf. Ob die Grafen die Ansippung als Eigengeschichte übernommen haben, ist unklar, zumindest lässt sich nicht nachweisen, dass sie sie selbst in irgendeiner Form propagiert haben. Die Grafen von Waldeck leiteten sich hingegen stets von ihrem Spitzenahn Widukind von Schwalenberg ab, und auch die Genealogen wagten bis 1650 keine nennenswerten Versuche, darüber hinaus zu kommen. Eine bruchlose Kontinuität der genealogischen Linie von ihrem jeweils prätendierten Ursprung bis in die Gegenwart konnte keine der beiden Dynastien nachweisen. Die Chronisten verstanden ­dieses Manko allerdings durch textuelle und grafische Verkettungen geschickt zu überspielen, sodass die vorhandenen Lücken in den frühen Generationen kaum auffielen. Grundsätzlich wurde die agnatische Linie in der lippischen Chronistik stärker betont und entspricht so eher dem in der Forschung vorherrschenden Bild einer Ruhm und Legitimation spendenden hochadligen Erinnerungskultur. Die Waldecker konnten es sich zwar leisten, auf einen fingierten Ursprung zu verzichten, legten aber großen Wert auf den Nachweis ihrer Reichsunmittelbarkeit und ihres Grafenstatus, insbesondere in der Zeit, da selbige von Hessen angezweifelt wurden. Da die Genealogie aber dennoch die Grundstruktur jedes der untersuchten Werke bildete, lässt sich eine

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„institutionelle Teleologie“647 ausmachen, die von den Ursprüngen zum gegenwärtigen Herrscher führte. Raum für Kontingenzen oder historischen Wandel gab es in dieser Darstellungsform nicht, sodass die Dynastie trotz Zuschreibung einer Eigengeschichte letztlich überzeitlich wirkte. Des Weiteren prägten die Chronisten die Zugehörigkeitskriterien der Dynastie, indem sie als deren Mitglieder die Regenten, deren Geschwister, Gemahlinnen und Kinder aufführten. Auch die Gatten der verheirateten Töchter wurden oft erwähnt, da sie das Konnubium illustrierten, während die Kinder ­dieser Paare bereits außen vor blieben. Falls nichtregierende Söhne sich vermählt und Kinder bekommen hatten, wurden diese ebenfalls aufgeführt und zum Teil sogar entgegen der zeitlichen Logik als eigene Generation hervorgehoben. Insgesamt wählten die Chronisten einen eher integrativen Zugriff, da sie etwa bei den Waldeckern die Angehörigen sämtlicher Linien einbezogen, unabhängig davon, wer die jeweilige Chronik in Auftrag gegeben hatte. Schwierigkeiten der Darstellung wurden dadurch gelöst, dass entweder chronologisch vorgegangen wurde, um alle Personen zu beschreiben, oder systematisch nach Linien – freilich ohne diese als ­solche zu benennen. Dies und die Schilderung des gemeinsamen Ursprungs erhöhten den Eindruck der Zusammengehörigkeit aller Linien unter einem gemeinsamen Haus. Innerdynastische Konkurrenzen und Auseinandersetzungen ­zwischen Agnaten, die im Medium der Genealogie ausgetragen wurden,648 lassen sich weder für Lippe noch für Waldeck feststellen. Allerdings fällt auf, dass Piderits lippische Chronik mit dem Tode Simons VI . 1613 und damit 14 Jahre vor dem Erscheinungszeitpunkt endete, obwohl die Darstellung der jüngsten Geschichte bereits als Manuskript vorlag. Da diese exakt der Zeit entsprach, in welcher die Erbherren ihre Stellung begründen und ausbauen konnten, liegt der Verdacht nahe, dass Simon VII. die Dynastie als Einheit dargestellt sehen und seinen Brüdern keine juristischen Argumente im Streit liefern wollte. Die innere Ordnung der Dynastie wurde ebenfalls maßgeblich durch die Chronistik mitgeprägt, indem die Darstellung sich stets an der Regentenabfolge orientierte. Dadurch wurden die D ­ ynastieoberhäupter hervorgehoben, während deren Verwandte je nach Werk lediglich erwähnt oder recht knapp abgehandelt wurden. Allerdings waren sie doch mehr als bloßes Beiwerk, da insbesondere mächtige Kirchenfürsten durchaus zum Ruhm der Dynastie beitragen konnten. Gleiches galt für hochrangig verheiratete Töchter. Die angeheirateten Frauen fungierten ebenfalls vor allem als Chiffre für ihre Herkunftsdynastien sowie als Mütter der kommenden Generation und somit als Garantinnen der genealogischen Kontinuität. Individuelle Züge wurden ihnen nur selten zugeschrieben.

6 47 Rehberg, Fiktionalität, S. 401. 6 48 Vgl. Pečar, Genealogie.

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Auch durch dynastische Eigenräume ließen sich soziale Ordnung und Status herausstellen. Während die Samtburg Waldeck die Einheit der Dynastie symbolisierte, betonten getrennte Residenzen stärker die Eigenständigkeit ihrer Herren. Soziales Prestige ließ sich vor allem aus prächtigen Schlossbauten generieren, wobei es dabei auch um die Demonstration einer langen Herrschaftstradition ging. Dazu war die Architektur der Renaissance besonders geeignet, da sie durch gezielte Integration der mittelalterlichen Bauteile Anciennität suggerierte. Insbesondere der Bergfried wirkte an Schlössern wie Waldeck und Detmold auch nach den frühneuzeitlichen Umbauten und Erweiterungen als Fixpunkt des Ensembles und symbolisierte die uralte Tradition der Schlossherren. Nicht nur auf ein höfisches Publikum, sondern auch auf die Dynastieangehörigen selbst musste die äußere Gestalt ihrer Wohnstätten samt heraldischer Verzierungen an Fassaden, Bildern und Alltagsgegenständen ihre Wirkung tun. So wies nahezu alles in der Sphäre des Schlosses auf die Dynastie hin. Ähnlich gebündelt war die dynastische Repräsentation nur noch in der Grablege. Hier boten sich durch Gestaltung der Grabdenkmäler noch weitaus differenziertere Möglichkeiten, Tradition und Statusansprüche herauszustellen. Da die Lipper auf Grabdenkmäler verzichteten, trat die Individualität ihrer Verstorbenen stärker zurück. Allein die prächtige Tumba Bernhards VII. vom Beginn des 16. Jahrhunderts markierte die Blomberger ­Kirche als Grablege der Dynastie. Die Waldecker hingegen nutzten die Möglichkeiten, die ihnen die Errichtung von Epitaphien und Wanddenkmälern bot. Durch die Figurendarstellung, die Ahnenproben und die Inschriften konnten bestimmte Botschaften transportiert werden, wie der Verstorbenen gedacht werden sollte und w ­ elchen Status die Dynastie beanspruchte. Dabei ist auffällig, dass alle Grabdenkmäler mit Ausnahme desjenigen der Landgräfin Barbara großen Wert auf die Demonstration der hochadligen Abstammung durch acht oder 16 Ahnenwappen legten. Auch die Darstellung der Verstorbenen wurde zur Repräsentation adliger Attribute wie kostbarer Kleidung oder Rüstung und insbesondere des Helms genutzt. Die Inschriften unterschieden sich in ihrer Länge, wobei sich eine Tendenz zur zunehmenden Ausführlichkeit sowie Individualisierung beobachten ließ.649 Beschränkten sich die früheren Beispiele meist noch auf die Sterbedaten als Grundlage der liturgischen Memoria, stellten spätere Werke stärker die Tugenden und Erfolge der Verstorbenen heraus. Aufstellung und Gestaltungsweise eines Monuments waren jedoch keineswegs deckungsgleich mit der Bedeutung des Verstorbenen. Während etwa für die früh verstorbene Johanna Agatha von Waldeck-­Wildungen ein Epitaph in der Stadtkirche von Waldeck errichtet wurde, fehlen entsprechende Denkmäler für bedeutende Regenten wie

6 49 Dieser Befund deckt sich mit den Beobachtungen von Kohn, Repräsentationsbedürfnis, S. 32 f.

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Wolrad II., Josias I., Christian und Wolrad IV. Einerseits stärkte ein Grabdenkmal die Erinnerung an einzelne Personen und ihre Leistungen, andererseits verwiesen Inschriften und Heraldik stets auf die Dynastie dahinter. Dem Betrachter signalisierten sie deren lange Tradition, ihren Ruhm, den hochadligen Status sowie die Eingebundenheit in ein erlauchtes Konnubium über viele Generationen hinweg. Welche Normen transportierte nun die symbolische Ordnung? Zunächst fiel die ubiquitär verwendete Verwandtschaftssemantik ins Auge, die eine appellative Funktion hatte und bestimmte Verhaltenserwartungen wie den Willen zur Eintracht sowie gegenseitige Unterstützung signalisierte. Darüber hinaus entwickelte sich als weitere Norm die Akzeptanz der zunehmenden Hierarchie z­ wischen den dynastischen Rollen und gegebenenfalls die Unterordnung unter höherstehende Mitglieder. Als Legitimationsfigur dieser Ungleichbehandlung entstand im Laufe des 16. Jahrhunderts der Hausdiskurs, der das Wohlergehen und den Glanz des Hauses als oberstes Ziel markierte, ganz gleich, was das im Einzelnen bedeutete. Um die Ungleichverteilung von Macht und Ressourcen zu verdecken, diente das Haus als „Einheitsfiktion“650, unter der sich all seine Mitglieder sammelten. Auch das Wohl des Landes bzw. der Gemeine Nutzen wurde in der Frühen Neuzeit immer stärker bemüht, um die dynastische Herrschaft nach außen hin zu legitimieren. Dabei konnte man auf die Vorstellung zurückgreifen, dass ein dynastischer Herrscher schon deswegen ein guter Regent war, weil er sein Erbe bewahren wollte. In testamentarischen Ermahnungen der Nachfolger fielen die Wohlfahrt der Dynastie und die der Untertanen daher häufig in eins, wie das Beispiel Franz’ III. von Waldeck-­Landau gezeigt hat. Da der inhaltliche und normative Gehalt des Hausbegriffs jedoch letztlich ambig blieb, konnte er von allen möglichen Akteuren in unterschiedlichen Situationen bemüht werden. In der dynastischen Chronistik wurden ebenfalls verschiedentliche Verhaltensnormen propagiert. Grundsätzlich lag in der engen Verklammerung von Vergangenheit und Gegenwart auch das implizite Versprechen – und bisweilen auch der ausdrückliche Wunsch –, dass die Dynastie auch in Zukunft blühen möge. Für Regenten war damit die Verpflichtung verbunden, das überkommene Erbe zu bewahren und den Bestand an Ländereien und Herrschaftsrechten zu festigen oder gar noch zu mehren. Konkret notwendig dazu waren eine möglichst reibungslose Sukzession, die richtige Vermählungsstrategie und die Zeugung männlicher Nachkommen. Darüber hinaus galt es, Ruhm für die Dynastie zu erringen, wie es bereits die Vorfahren getan hatten, worüber die Chroniken als Sammlung von exempla ausführlich Auskunft gaben. Ein besonders vortrefflicher Ahn für die Lipper war der Edelherr Bernhard II., dessen weltliche und geistliche Erfolge in den res gestae der lippischen Chronisten seit dem Lippiflorium breiten Raum einnahmen. Die 650 Rehberg, Fiktionalität, S. 395.

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Erinnerung an den Spitzenahn wirkte nicht nur identitätsstiftend, sondern verpflichtete zur Nachahmung. Wenngleich sich die Zeiten seit Bernhards Leben gründlich geändert hatten und weder das Bischofsamt noch die Heidenmission als Betätigungsfeld zur Verfügung standen, blieben doch die Bewährung im Dienst höherstehender Fürsten, die Bereitschaft zur Kriegsführung, eine gute Regierungsführung sowie die persönliche Frömmigkeit übrig – Werte, die auch im Adel des 16. und 17. Jahrhunderts noch hoch im Kurs standen. Eine Entsprechung zum exzeptionellen Wirken Bernhards gab es auf Waldecker Seite nicht, obgleich auch der Taten Widukinds von Schwalenberg in den Chroniken ausgiebig gedacht wurde. Zu den allgemeinen adligen Tugenden kamen hier ebenfalls der Kampf gegen Heiden sowie die Nähe zu ­Kaiser Karl dem Großen. Generell ist zu konstatieren, dass die Konfessionswechsel der Frühen Neuzeit keinen Bruch mit den Ahnen bedeuteten, da man deren Wirken in ihrer Zeit durchaus historisch einzuordnen wusste. Was einstmals die Christianisierung oder auch der Dienst in der Bischofskirche war, fand seine Entsprechung nun in der Errichtung einer neuen, von altgläubigen Elementen bereinigten Landeskirche. Schließlich konnten auch durch die Schilderung verwerflicher Taten normative Vorstellungen vermittelt werden. Derartige Negativbeispiele schöpften die Chronisten allerdings überwiegend aus der früheren Zeit, damit kein Schatten auf die unlängst verstorbenen Vorfahren fiel. Besonders Erbteilungen und unabgesprochenes, eigensinniges Handeln von nichtregierenden Agnaten wurden getadelt, wobei sich die Chronisten mit deutlichen Werturteilen zurückhielten und sich auf eine vermeintlich objektive Beschreibung der Ereignisse beschränkten. Doch auch daraus konnte der Leser ex negativo das erwünschte Verhalten ableiten: Verwandte sollten unterstützt und nicht bekämpft werden, damit unter den Mitgliedern der Dynastie zum Wohle des Ganzen Frieden und Eintracht herrschen konnten.

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Das Kernanliegen dieser Studie war es, anhand zweier miteinander zu vergleichender Grafenhäuser grundlegenden Mechanismen und konkreten Praktiken der Dynastiebildung im frühneuzeitlichen Hochadel des Alten Reiches auf den Grund zu gehen. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, wie sich die noch recht lockeren Verwandtschaftsverbände des Spätmittelalters in den folgenden anderthalb Jahrhunderten zu Dynastien formierten und ihre soziale Integration stärkten. Methodisch wurde ‚Dynastie‘ als Institution gefasst, unter der sich Sozialbeziehungen durch bestimmte wiederkehrende Handlungen sowie durch Symbolisierungen verfestigten, die aber auch Raum für konkurrierende Ordnungsentwürfe und Konflikte um Geltungsbehauptungen ließ. Grundsätzlich standen deshalb die Praktiken und Diskurse der Akteure im Zentrum der Untersuchung. Als ein wichtiges Ergebnis lässt sich festhalten, dass sich die Dynastien der Lipper und Waldecker Grafen wesentlich über die Kontrolle der in ihrem kollektiven Besitz befindlichen Herrschaft formierten. Die Weitergabe der Herrschaft von einer Generation an die nächste sowie die stets neu auszuhandelnde Partizipation daran waren bedeutsame Triebkräfte für die Verstetigung des Verwandtschaftsverbands, dessen soziale Abschließung und die Ausgestaltung des inneren Beziehungsgefüges. Durch den gewährten oder verwehrten Zugang zur Herrschaft entschieden sich der Status des Einzelnen in der Gruppe und sein Verhältnis zu den übrigen Mitgliedern. Schon im Mittelalter begannen sich bestimmte Praxisroutinen auszubilden, die zunächst wohl auf mündlich tradierten Normen beruhten, seit dem 14. Jahrhundert jedoch zunehmend formalisiert wurden. Anfangs dominierte das Prinzip der Individualsukzession, welches in Lippe in Form des Pactum Unionis von 1368 sogar als ständisches Privileg festgeschrieben wurde. Zwar existierte mit dem Erbstatut des Grafen Heinrich von 1344 eine Art Waldecker Pendant, doch entwickelte d­ ieses mangels ständischer Partizipation und nicht zuletzt aufgrund begrenzterer Zielsetzungen keine langfristige Wirkung. Gegen die Unteilbarkeit der Herrschaft wurde zunehmend das religiös oder römischrechtlich abgeleitete Prinzip der Erbgerechtigkeit ins Feld geführt. Die Grafen von Waldeck verschrieben sich d­ iesem Grundsatz in besonderem Maße und vollzogen vom Ende des 14. bis ins 17. Jahrhundert eine Reihe von Landes­ teilungen. Unter Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des als disponible Erbmasse verstandenen Landes gestattete man mindestens zwei Agnaten die Gründung eigener Familien, was zur Ausbildung mehrerer Linien führte. Ein großer Vorteil dieser Praxis bestand in der effektiven Sicherung der dynastischen Kontinuität. Allerdings mussten das Verhältnis der Eisenberger, Wildunger und ­Landauer Linien zueinander geklärt und der Zusammenhalt unter dem

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gemeinsamen „Haus Waldeck“ sichergestellt werden. Dies gelang einerseits durch den Abschluss von Hausverträgen und die Verfestigung der Beziehungen als lehns- und hausrechtlich gefasste Sukzessionsgemeinschaft, andererseits durch starke dynastische Symbole wie die Stammburg Waldeck. Bis 1650 war das waldeckische Modell also insgesamt eher konsensorientiert, bevor sich auch hier die Primogenitur durchsetzen konnte. Konfliktreicher gestalteten sich die innerdynastischen Beziehungen bei den Grafen zur Lippe, wo sich das Prinzip der Erbteilungen nie dauerhaft durchsetzen konnte. Da die Anzahl der Agnaten und somit der Erbanwärter allerdings lange recht überschaubar blieb, kam es vor dem 17. Jahrhundert nicht zu ernsthaften Krisen. Gestützt auf das alte Pactum Unionis hatte Simon VI. 1593 die Festschreibung der Primogenitur durch kaiserliches Privileg erwirkt, stellte sie durch sein Testament aber scheinbar wieder infrage. Die als Abfindung gedachten Paragien – zur Nutzung vorgesehene Landesteile ohne landesherrliche Rechte – befeuerten bei den nachgeborenen Söhnen und stärker noch bei der folgenden Generation die Ambitionen auf eine Realteilung des Landes. Verkompliziert wurde die Angelegenheit durch das frühzeitige Ableben zweier regierender Grafen und die dadurch notwendig gewordenen Vormundschaftsregimenter unter Führung Christians von Waldeck. Als Angehöriger eines teilungsfreudigen Hauses sah sich dieser nun in die paradoxe Lage versetzt, die Primogenitur gegen die lippischen Agnaten verteidigen zu müssen. Nachdem sich die Befürworter der Individualsukzession hatten durchsetzen können, wurde die zuvor praktisch herausgebildete dynastische Ordnung durch Folgeverträge und kaiserliche Konfirmationen der Primogenitur weiter gefestigt. So entstand ein hierarchisches Gefälle z­ wischen dem Erstgeborenen, der als Regierender Herr das Hausrecht und die ständische Unterstützung auf seiner Seite hatte, und dessen nichtregierenden Verwandten, die zumeist mit monetären Kompensationen für den endgültigen Verlust der Herrschaftsrechte vorliebnehmen mussten. Eine lippische Besonderheit waren die sogenannten Erbherren, deren erbliche Paragien und weitreichende Privilegien ihnen ermöglichten, ihre Linien selbst wie kleine Dynastien zu formieren, was seit 1614 als stetige zentrifugale Kraft wirkte. Dazu kam das aus dem Reichsrecht gespeiste Selbstverständnis der Erbherren als reichsunmittelbare Grafen, das mit den hausrechtlichen Normen der geforderten Unterordnung kollidierte. Seit der Reichsreform von 1495 schlug sich die zunehmende Verrechtlichung von Konflikten auch im Hochadel nieder, sodass Fehden keine legitime Option des Streitaustrags mehr darstellten. Stattdessen erhöhte sich die Frequenz der geschlossenen Hausverträge im 16. Jahrhundert enorm. Dies hing allerdings auch mit deren meist geringer Halbwertszeit zusammen, denn die Einwirkungen des biologischen Zufalls durch Geburten, vor allem aber durch unvorhergesehene Todesfälle ließen immer wieder akute Situationen entstehen, die nach neuer Regelung verlangten. Das Auf-­Dauer-­Stellen konsensual gefundener Normen und insbesondere deren

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Übertrag auf die nächste Generation waren daher die entscheidenden Herausforderungen. Zwar kam Vätern oder älteren Brüdern eine gewisse Autorität zu, aber Zuwiderhandlungen und Vertragsbrüche durch Verwandte konnten sie kaum effektiv verhindern. Schon im 14. Jahrhundert hatte man in Lippe daher auf die Burgmannen und Städte als externe Garanten zurückgegriffen, was im Übrigen entscheidend zur Institutionalisierung der Landstände beitrug. Auch in Waldeck wurden die Stände wichtige Instanzen bei der Moderation innerdynastischer Streitigkeiten. Daneben wurden in abgestuften Schlichtungsverfahren auch die eigenen Räte, befreundete Standesgenossen, die Lehnsherren und im äußersten Fall die Reichsgerichte einbezogen, wobei man stets darum bemüht war, so viel Autonomie wie möglich zu bewahren. Große Bedeutung bei der Austragung von Sukzessions- und Erbkonflikten besaß das ‚Herkommen‘ als nachweislich lange geübte Praxis mit rechtlicher Wirkung. Auch auf überkommene Hausverträge konnte mit Bezug auf das Herkommen verwiesen werden, was retardierend auf die Durchsetzung von rechtlichen Innovationen wirkte und im Ergebnis zu bestimmten Pfadabhängigkeiten bei der Ausgestaltung der dynastischen Ordnung führte. So reproduzierte sich die gewohnheitsrechtlich verfestigte Teilungspraxis in Waldeck bis zu einem gewissen Grad selbst und erschwerte die Einführung der Primogenitur in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Diese grundlegende Neuerung war letztlich nur mit einem verschleiernden Rückbezug auf die vermeintlichen Traditionen möglich. In Lippe bildete die bereits im Spätmittelalter festgeschriebene Individualsukzession hingegen ein starkes Argument für die regierenden Grafen und erleichterte die im überregionalen Vergleich frühe Einführung der Primogenitur. Allerdings sorgte die Komplexität der hausrechtlichen Konstellationen dafür, dass sich meist für unterschiedliche Positionen mit dem Herkommen argumentieren ließ. Auch wirkten daneben noch weitere Normen auf die Akteure ein: Soziale Prinzipien wie die väterliche Fürsorgepflicht und die Gleichberechtigung aller Erben, römischrechtliche Vorstellungen sowie religiöse Überlegungen spielten in den Teilungsverhandlungen durchaus eine Rolle. Gerade letztere begünstigten aber per se keinen bestimmten Sukzessionsmodus, sondern wurden eher als zusätzliche Argumente herangezogen – sowohl für die Primogenitur als auch für Erbteilungen. Da Dynastien nicht nur einer herrschaftlichen, sondern zugleich einer verwandtschaftlichen Logik unterworfen waren, kam auch Fragen der Reproduktion durch Eheschließungen und Geburten entscheidende Bedeutung für das Überleben zu – nicht der Institution als solcher, wohl aber der konkreten Gruppe.1 Dementsprechend sorgfältig wurde die Heiratspraxis gehandhabt und zunehmend 1 Dies unterschied Dynastien von weitaus stärker entpersonalisierten Institutionen wie beispielsweise dem Königtum, das sogar Dynastiewechsel überleben konnte. Vgl. die klassische Studie zum Thema von Kantorowicz, Zwei Körper.

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normiert. Da durch Eheverbindungen neben der Kontinuität auch der ständische Rang der Dynastie sichergestellt werden sollte, bildeten sich schon frühzeitig endogame, wenngleich keinesfalls hermetisch geschlossene Heiratskreise heraus. Bereits im Spätmittelalter pflegten sowohl Lipper als auch Waldecker ein überwiegend gräfliches Konnubium, um ihre Zugehörigkeit zum Hochadel des Reiches zu demonstrieren. Lediglich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts führten einige vorrangig aus ökonomischem Kalkül geschlossene unebenbürtige Ehen der Grafen von Waldeck zu einer vorübergehenden Eintrübung von deren sozialer Schätzung. Insgesamt fügten sich die Agnaten beider Häuser aber in die dynastische Heiratspolitik und verzichteten auf ‚eigensinnige‘ Missheiraten. Neben dem ständischen Rang wurde die Auswahl der Ehepartner seit der Reformation vor allem von der Konfessionszugehörigkeit bestimmt. Während sich ­zwischen protestantischen und katholischen Adligen schon frühzeitig getrennte Heiratskreise ausbildeten, waren innerprotestantische Mischehen z­ wischen Reformierten und Lutheranern durchaus möglich und erstaunlich häufig. Nicht zuletzt die Verbindungen reformierter Grafen zur Lippe mit lutherischen Gräfinnen von Waldeck führten allerdings seit den 1630er Jahren zu starken Verwerfungen über die Frage der ‚wahren‘ Konfession. Die Zugehörigkeit des Einzelnen zur Dynastie bestimmte sich in erster Linie über seine legitime Abstammung von einem Grafenpaar. Der daraus folgende Status eines Agnaten der väterlichen Dynastie ging mit dem Anrecht auf standesgemäße materielle Versorgung sowie einem zumindest potenziellen Herrschaftsrecht einher. Letzteres unterschied die agnatischen Dynastieangehörigen von Abkömmlingen aus Missheiraten sowie illegitimen Kindern, deren Unterhaltung gleichwohl zu den Verwandtenpflichten gehörte. Überlebenswichtig war hingegen die Zeugung sukzessionsfähiger männlicher Nachkommen in einer legitimen Ehe. Die Erlaubnis zu heiraten wurde von den Oberhäuptern bis zu einem gewissen Grad als Mittel zur indirekten Steuerung der Anzahl von Angehörigen verwendet. Dass die Lipper im 16. Jahrhundert zweimal unmittelbar vor dem Aussterben gestanden hatten, bewog Simon VI. schließlich zur Vergabe von erblichen Landesteilen an alle seine Söhne. Als unmittelbare Folge verbreiterte sich die genealogische Basis des Hauses Lippe im 17. Jahrhundert enorm. Die Waldecker konnten mit ihrer gesteuerten Linienbildung ohnehin stets auf eine größere Zahl von Verwandten zurückgreifen. Wie bei der Herrschaftsweitergabe ließen sich auch bei den ehegüterrechtlichen Bestimmungen Tendenzen feststellen, Frauen aus dem Erbe auszuschließen. So mussten Töchter als Voraussetzung für den Erhalt ihrer Mitgift einen Erbverzicht unterzeichnen, während Witwen lediglich die Nutznießung ihres Wittums auf Lebenszeit gestattet wurde. Auch die Partizipation am dynastischen Vermögen wurde in der Frühen Neuzeit zum Gegenstand zahlloser Auseinandersetzungen. Den von der Herrschaft Exkludierten wurden seit dem Spätmittelalter Paragien übertragen, die aber erst

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im 16. Jahrhundert erblich wurden. Als sich die Zahl der Anspruchsberechtigten in beiden Dynastien daraufhin spürbar erhöhte, ging man schließlich aus Gründen der Ressourcenschonung zur Zahlung rein monetärer Apanagen über. Der fortschreitende Ausschluss der Protestanten aus geistlichen Stiften und Domkapiteln machte sich auch bei den untersuchten Grafen deutlich bemerkbar, sodass Alternativen gefunden werden mussten. Blieb die Zahl der Angehörigen im K ­ aiseroder Fürstendienst überschaubar, boten die Religionskriege im Reich und ­seinen Nachbarländern ausreichend Gelegenheit, ein militärisches Kommando zu übernehmen und Ruhm und Ehre zu erlangen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass auch Angehörige in auswärtiger Dienststellung sowie die verbliebenen Träger kirchlicher Ämter häufig weiterhin auf Apanagen angewiesen blieben, um einen standesgemäßen Lebensstil pflegen zu können. Die Versorgung der nichtregierenden Söhne sowie der Töchter war daher durch einen strategischen Umgang in der Abstimmung von Pfründen, Ämtern, Paragien und finanziellen Zuwendungen gekennzeichnet. Insgesamt leisteten die Betroffenen wenig wahrnehmbaren Widerstand gegen die für sie vorgesehenen Karrieren und unterwarfen sich auch abrupten Veränderungen, etwa dem Übertritt vom geistlichen in den weltlichen Stand. Gleichwohl nahm der Nutzen der nichtregierenden Dynastiemitglieder für das Oberhaupt eher ab, denn die neuen begrenzten Verdienstmöglichkeiten wogen kaum den früheren Einfluss in der Reichskirche auf. Zusammen mit der weitgehenden materiellen Abhängigkeit der Bezügeempfänger ergab sich hieraus eine Verstärkung des Hierarchiegefälles z­ wischen regierenden und nichtregierenden Angehörigen, was von den Benachteiligten durchaus als ehrverletzend empfunden und auch so artikuliert wurde. Primogenitur und protestantische Konfession gingen hier eine Verbindung ein, die die Kohäsionskräfte der sozialen Gruppe doppelt herausforderte. Wie also wurde die Integration aller Angehörigen unter dem Dach einer gemeinsamen Dynastie gewährleistet? Allein durch hausvertragliche Bindung auf der einen und Teilhabe am Kollektivbesitz auf der anderen Seite ist sie nicht restlos zu erklären. Vielmehr spielte hier die Errichtung einer symbolischen Ordnung eine zentrale Rolle, w ­ elche die Existenz und Bedeutung der Institution ‚Dynastie‘ in den Sinnhorizonten der Akteure verankerte. Als Folge des sich seit 1500 allmählich etablierenden Dynastiediskurses sowie einer ausgeprägten Erinnerungskultur erschien die Dynastie als natürlicher Teil der gesellschaftlichen und damit der göttlichen Ordnung. Jedes Mitglied verfügte aufgrund seiner Zugehörigkeit über einen bestimmten sozialen Status sowie Rechte und Privilegien, wurde jedoch gleichzeitig mit normativen Erwartungen konfrontiert. Zunächst nahm der Gebrauch von Kollektiva wie Stamm und Haus als Bezeichnungen der eigenen Gruppe zu, ­welche eine lange Tradition suggerierten. Das Wohl des Hauses wurde zum höchsten Wert stilisiert, mit dem sich auch innerdynastische Ungleichbehandlungen legitimieren ließen. Allerdings gelang es den Oberhäuptern nie

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vollständig, den Diskurs mit ihrer Forderung nach Unterordnung unter die vermeintlichen Interessen des Hauses zu dominieren. Aufgrund der inhaltlichen Offenheit des Konzepts ließ sich auch aus entgegengesetzter Position mit der Dynastie argumentieren, wie es die Gegner der Primogenitur in Lippe taten. Dass sich die soziale Einheit in der Praxis selten vollständig herstellen ließ, ist allerdings kein Beleg für die Unwirksamkeit oder Abgehobenheit des Diskurses. Gerade weil man sich stritt – um konkrete Interessen, aber auch um die grundsätzliche Ausgestaltung der Dynastie und die Interpretation ihrer Traditionen –, fand man eine gemeinsame Sprache, die letztlich integrativ wirkte. Die Stärkung des dynastischen Bewusstseins schlug sich im Laufe des 16. Jahrhunderts zunehmend auch in neuen Repräsentationsformen nieder. Der Grad der Initiative zur Förderung einer standesgemäßen Erinnerungskultur hing dabei allerdings stark von einzelnen Individuen ab. Nicht zuletzt die weiblichen Familienmitglieder waren oft treibende Kräfte bei der Erforschung von Genealogie und Historie sowie deren Darstellung in Chroniken, Leichenpredigten und Grabdenkmälern. Die Indienstnahme der Geschichtsschreibung war eine besonders erfolgversprechende Praktik, denn durch die Erinnerung an eine gemeinsame Vergangenheit ließ sich eine gruppenspezifische Identität ausbilden. Nur wenige der Werke waren auf Außenwirkung gerichtet; bei den meisten Chroniken handelte es sich um Handschriften, die teils auf gräfliche Anweisung, teils unabhängig von diesen entstanden waren und ihren Weg in die Hausarchive fanden, wo sie in erster Linie der Selbstvergewisserung, aber auch der Absicherung rechtlicher Ansprüche dienten. Für die Rezeption der chronikalen Inhalte seitens der Grafen ließen sich indes nur wenige Belege zutage fördern. Die Lipper scheinen etwa die im 16. Jahrhundert populäre Erzählung von der römischen Abstammung nicht in die eigene Repräsentationsstrategie übernommen zu haben. Der von ihnen engagierte Chronist Piderit ersetzte sie schließlich durch eine zeitgemäße altsächsische Herkunft. Wichtiger als die in grauer Vorzeit wurzelnden Ursprungsmythen waren ohnehin konkrete Personen wie der Spitzenahn Bernhard II., der als Ausbund adliger Tugend einen prominenten Platz in der lippischen Erinnerungskultur einnahm. Auch die Grafen von Waldeck waren sich ihrer Vorfahren, der Grafen von Schwalenberg, deren Stern sie im Wappen trugen, stets bewusst. Widukind von Schwalenberg wurde von den Chronisten zum waldeckischen Spitzenahn erkoren und wie Bernhard als tapferer Krieger und Verteidiger des Christentums dargestellt. Die durch die Schwalenberger vermittelte Verwandtschaft mit anderen Dynastien konnte schließlich zur Legitimierung der Ansprüche auf die Grafschaft Pyrmont Mitte des 17. Jahrhunderts aktiviert werden. Die Chroniken und Genealogien trugen erheblich zur Stärkung der transpersonalen Denkform der Dynastie bei und beeinflussten dadurch in gewisser Weise auch deren soziale Ordnung. Einerseits wurde durch die Behandlung aller bekannten Vorfahren und lebenden Mitglieder die Dynastie als Einheit imaginiert, und

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zwar sowohl in synchroner als auch in diachroner Perspektive. Zudem wurden die Außengrenzen in der Regel scharf gezogen, indem zwar die Kinder der männlichen Mitglieder, die Agnaten, nicht aber die der nach außerhalb verheirateten Töchter aufgeführt wurden. Andererseits wurde innerhalb ­dieses harmonischen Ganzen durch den Rückgriff auf bestimmte Darstellungsformen eine hierarchische Ordnung postuliert: Während die Regenten meist den Großteil des Textes einnahmen, erschienen die übrigen Angehörigen eher marginal und vor allem dann, wenn sie einen Beitrag zum Glanz der Dynastie geleistet hatten. Implizit stellten die geschilderten exempla der tugendhaften Vorfahren also auch Verhaltenserwartungen an die gegenwärtigen Mitglieder, die sich ihrer als würdig zu erweisen hatten. Insgesamt wurde die Dynastie durch die Gliederung der Darstellung nach Generationen mit dem jeweiligen Oberhaupt im Mittelpunkt als Abfolge agnatisch miteinander verwandter Herrscher gezeichnet, was im Gegensatz zur praktischen Bedeutung der übrigen Mitglieder sowie der Kognaten stand. Zudem wurde die Dynastie durch die Chronistik letztlich nicht historisiert – und damit in gewissem Sinne relativiert –, sondern vielmehr durch Projektion des gegenwärtigen Zustandes in die Vergangenheit verabsolutiert. Neben der Geschichtsschreibung wurde auch die Architektur von den Grafen erinnerungskulturell aufgeladen. Mithilfe des Analyseinstruments der institutionellen Eigenräume ließen sich etwa der Schlossbau oder die Einrichtung von Archiven nicht nur rein funktionell betrachten, sondern auch deren symbolische Dimensionen in den Blick nehmen. Teilweise spiegelte die symbolische die soziale Ordnung der Dynastie, etwa wenn die lippischen Erbherren Nebenresidenzen begründeten, um ihre Eigenständigkeit herauszustellen. Dasselbe gilt auch für den Aufbau von und die Kontrolle über eigene Teilarchive, deren symbolischer Eigenwert als Herrschaftszeichen den konkreten Nutzen womöglich sogar überstieg. Auch die Trennung der Grablegen nach Linien wie in Waldeck bildete die dynastische Struktur ab und reproduzierte sie zugleich. Daneben ließen sich aber auch Symbole schaffen, die stärker kontrafaktisch wirken sollten, indem sie zur Einheit aufriefen. Dazu gehörte etwa die in gemeinsamem Besitz befindliche Stammburg Waldeck, deren hohen Symbolwertes sich die Grafen im 16. Jahrhundert zunehmend bewusst wurden. In ähnlicher Weise erfüllten auch das lippische Schloss Detmold sowie die gemeinsame Grablege in Blomberg diesen Zweck. Die Residenzschlösser konnten auch durch ihre architektonische und künstlerische Ausgestaltung dynastische Inhalte transportieren. Dienten schon die Fassadenmauern mit ihren Erbauerwappen der Herausstellung des sozialen Rangs, wurde bei der Erweiterung der Ensembles vor allem darauf geachtet, ältere Bauteile nicht zu zerstören, sondern als Ausweis langer Herrschaftstraditionen in die neuen Entwürfe zu integrieren. Als Symbol dynastischer Kontinuität fungierte die alte Burg Waldeck ebenso wie der im 16. Jahrhundert erneuerte Bergfried des Schlosses Detmold.

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Deutliche Unterschiede ­zwischen Lippern und Waldeckern herrschten im Bereich der Memoria. Die Grafen zur Lippe bestatteten ihre Angehörigen bis 1650 von wenigen Ausnahmen abgesehen in ihrer seit dem ausgehenden 15. Jahrhundert genutzten Grablege im ehemaligen Kloster Blomberg. Erst die verstorbenen Mitglieder der erbherrlichen Nebenlinien wurden an anderen Orten beigesetzt, was erneut ihren Willen zur Eigenständigkeit zeigt. Die Bestattungspraxis der Grafen von Waldeck war dagegen weit weniger von Kontinuität als von Brüchen geprägt, die zum einen durch die Auflösung der zuvor als Grablegen genutzten Klöster im Zuge der Reformation, zum anderen durch die Linienteilungen hervorgerufen wurden. In der Folge entstand hier ein über das Land gespanntes Netz von Grablegen, wohingegen die gräfliche Memoria in Lippe an einem Ort zentralisiert war. Darüber hinaus ergab sich aufgrund der divergenten konfessionellen Entwicklung in Lippe und Waldeck ein unterschiedlicher Umgang mit Grabdenkmälern. Die Lipper Grafen verzichteten nach der Annahme des reformierten Bekenntnisses vollständig auf Sepulkralkunst, während die lutherischen Waldecker diese Repräsentationsform vielfältig einsetzten, um ihr dynastisches Selbstverständnis zur Darstellung zu bringen. Wiederkehrende Motive waren die Zugehörigkeit zum (Hoch-)Adel, die Tugenden des Verstorbenen, von denen die Inschriften künden, sowie die sich in Ahnenproben niederschlagende genealogische Tiefe.2 All diese Symbolisierungsstrategien verfestigten die institutionelle Ordnung der Dynastie, deren Wirkmächtigkeit sich wiederum im Handeln der Akteure niederschlug. Vor allem den Oberhäuptern ging es darum, die Einheit der Dynastie samt ihrer inhärenten Ungleichheit zu stabilisieren, da sich hieraus ihre eigene herausgehobene Position ergab. Die Nichtregenten fügten sich in die ihnen auferlegten Rollen indes mal mehr, mal weniger bereitwillig. Während grundsätzlich eine relativ hohe Anpassungsbereitschaft hinsichtlich der ihnen auferlegten Lebensmodelle herrschte, blieben Fragen der Herrschafts- und Besitzpartizipation dauerhaft Auslöser für scharfe Konflikte. Den Grafen zur Lippe gelang die Konsolidierung der dynastischen Ordnung bis 1613 relativ gut, wohingegen danach aufgrund einer Reihe von Faktoren die Integrationsmechanismen versagten. Die Grafen von Waldeck praktizierten dagegen eine Art gleichberechtigter Harmonie in der Linienbildung, konnten aber ein vollständiges Auseinanderbrechen in unterschiedliche Häuser verhindern. Ein wesentliches Ergebnis der vergleichenden Untersuchung ist damit die Feststellung, dass es keinen Königsweg der 2 Künftiger Forschung bleibt es überlassen, die Rolle von Ritualen bei der Dynastiebildung stärker zu berücksichtigen, was in der vorliegenden Arbeit aufgrund der Notwendigkeit, weitere Quellenbestände zu erschließen, jenseits des Möglichen lag. Besonders interessant wäre es hier zu untersuchen, wie sich die symbolische Ordnung der Dynastie bei familiären Feiern wie Taufen und Hochzeiten, aber auch bei Kontinuität signalisierenden Herrschaftsritualen wie Belehnungen und Huldigungen darstellte.

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Dynastiebildung gab, sondern dass sich unterschiedliche Praktiken der Sukzession, der Heirats- und Versorgungspolitik sowie der dynastischen Repräsentation als tauglich erweisen konnten. In der Dynastiebildung waren sowohl Lipper als auch Waldecker letztlich erfolgreich, wie die Kontinuität ihrer Herrschaftsausübung bis ins 20. Jahrhundert hinein belegt. Lohnend wäre es zweifellos, die Veränderungen nach 1650 genauer in den Blick zu nehmen, in einer Zeit also, in der das Prinzip des dynastisch organisierten Erbadels nicht nur mit internen Querelen, sondern mit handfester Kritik von außen konfrontiert wurde. Bedeutet nun die Tatsache, dass Dynastien im praktischen Vollzug hergestellt wurden, zugleich auch, dass sie das „Ergebnis bewußten Handelns“3 waren? Durch die Untersuchungsperspektive lässt sich diese Aussage behutsam, aber entscheidend differenzieren. Denn die Akteure waren durch ihre adlig-­dynastische Umwelt von Beginn an in bestimmte Diskurse, Normen und Praktiken hineinsozialisiert – Strukturen, die sie durch adäquates Handeln reproduzierten und nur selten kreativ veränderten. Die Errichtung ständischer Schranken oder die vertragliche Einhegung von ökonomischen Transaktionen waren freilich beabsichtigte, gar strategische Handlungen, allerdings ausgeführt von institutionell geprägten Akteuren, denen nicht die ‚fertige‘ Dynastie als Ergebnis vor Augen stand, sondern die auf der Basis praktischen Alltagswissens, habitueller Dispositionen sowie impliziter und expliziter Normen auf konkrete Problemstellungen reagierten. Selbst auf die fernere Zukunft gerichtete Innovationen wie die Einführung der Primogenitur sind letztlich nur durch die Logik der jeweiligen Situation zu erklären. Nicht zuletzt bildeten auch biologische Unwägbarkeiten wie plötzliche Todesfälle oder das Ausbleiben von Nachkommen Kontingenzen im historischen Prozess, die von den kulturellen Praktiken der Akteure oft nur unzureichend aufgefangen werden konnten. Die Persistenz der Grafen- und späteren Fürstenhäuser Lippe und Waldeck ist also nur zu einem sehr geringen Teil auf das gezielte Handeln Einzelner zurückzuführen. Dennoch lassen sich durch eine Abstraktion von den konkreten Praktiken und eine Vergrößerung des Analysefokus bestimmte institutionelle Veränderungsprozesse im relativ langen Untersuchungszeitraum ­zwischen 1450 und 1650 beobachten. Zunächst führten die zunehmend strengere Handhabung des Ehegüterrechts und der damit einhergehende Ausschluss von Töchtern und Witwen zu einer Agnatisierung des dynastischen Vermögens. Zeitlich und logisch verknüpft mit der Einschränkung der Herrschafts- und Besitzrechte auf einen kleinen Kreis ‚legitimer Erben‘ war der Gedanke, jene für die kommende Generation bewahren zu müssen. Diese von der Forschung schon für frühere Zeiten 3 Weber, Dynastiesicherung, S. 95. Vgl. in ­diesem Zusammenhang auch den reizvollen, in theoretischer Hinsicht aber problematischen Aufsatztitel von Gregor Rohmann: „Joachim Moller gründet ein Geschlecht“, in: Hengerer (Hg.), Macht, S. 91 – 130.

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identifizierte Entwicklung schlug in den hier untersuchten Fällen erst im 16. Jahrhundert vollständig durch. An ihrem Ende sollte im 18. Jahrhundert die voll ausgebildete Rechtsform des Fideikommisses stehen. Zum Zweiten fand eine Verfestigung und Hierarchisierung der dynastischen Rollen statt, die Folge des Ausschlusses der nachgeborenen Söhne von der Herrschaft sowie der Ersetzung erblicher Paragien durch Apanagen war. Durch diese in Lippe wesentlich früher als in Waldeck einsetzende Entwicklung verlor sich der kollektive Charakter des dynastischen Besitzes zusehends, während sich die Abhängigkeit der Dynastieangehörigen vom jeweiligen Oberhaupt verstärkte. Beschleunigt wurde der Prozess durch den Ausschluss der Protestanten aus den Prestige und Gewinn bringenden Ämtern der Reichskirche. Auch Symbole wie der Titel des ‚Regierenden Herrn‘ oder die ungleichgewichtigen Darstellungen der Chroniken trugen zu dieser Divergenz bei. Die Folge war, dass die soziale Integration auf eine starke Probe gestellt wurde und sich die innerdynastischen Konflikte in der Frühen Neuzeit vermehrten, jedoch – drittens – immer häufiger mit juristischen Mitteln ausgetragen wurden. Die Verrechtlichung schlug sich in einer hausvertraglichen Formalisierung von Normen, in der Implementation von Schlichtungsverfahren sowie in der allmählichen Nutzung der Reichsgerichte nieder. Hier trug vor allem das Herkommen einen entscheidenden Teil dazu bei, Kontinuität zu schaffen. Das Recht allein war aber nicht in der Lage, die Konflikte aufzufangen, sondern lenkte sie lediglich in formale Bahnen, wohingegen zur Stabilisierung der dynastischen Sozialbeziehungen neuartige Mechanismen notwendig wurden. Viertens ist daher schließlich eine enorme Verdichtung der Erinnerungskultur seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zu konstatieren. Darin ist nicht nur eine Anpassung an neue Formen der Herrschaftslegitimation zu sehen, sondern auch eine Antwort auf die Krisen im Innern. Das „Haus“ wurde zum Gegenstand des Diskurses, wurde als gleichsam natürliche Erscheinungsform mit langer ­Tradition erfunden und schrieb sich so in das Wissen der Akteure ein. Wenngleich also die Einheit im Handeln durch mühsame Konsensfindungen stets aufs Neue hergestellt werden musste, wurde die Existenz der Dynastie als s­ olche für die Zeitgenossen zur Selbstverständlichkeit. Schließlich muss aber auch nach den Grenzen der Dynastiebildung gefragt werden. Bereits in der Einleitung klangen die Zweifel an einem eindeutig bestimmbaren Gesamtinteresse der Dynastie an, das sich bei näherer Betrachtung in eine Gemengelage verschiedenster Geltungsansprüche auflöst. Auch Eigensinn und Eigeninteressen der Akteure gingen selten in einer dynastischen Räson auf, was sich nicht nur regelmäßig auf dem Feld der Erbauseinandersetzungen zeigte, sondern etwa auch bei den durch die Konfessionalisierung verursachten Brüchen, die sich teilweise quer durch die Dynastien zogen und zur Ausbildung anders gelagerter Loyalitäten und Netzwerke führen konnten. Sollte die Forschung angesichts dessen also überhaupt noch mit dem Dynastiebegriff operieren? Die Frage

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ist entschieden zu bejahen, denn letztlich lassen sich mit seiner Hilfe die Logiken vormoderner Herrschafts- und Gruppenbildung angemessener beschreiben als aus einer auf Staatsbildungsprozesse verengten Perspektive heraus. Als unhinterfragte Analysekategorie vormoderner Politik taugt er hingegen nicht, vielmehr ist er selbst in hohem Maße erklärungsbedürftig, wie die vorliegende Untersuchung gezeigt hat. Begreift man Dynastiebildung jedoch als einen Prozess der Institutionalisierung von sozialen und symbolischen Praktiken, lassen sich Verstetigungen und Brüche, Einheitsbestrebungen und Konflikte gleichermaßen in den Blick nehmen. Erst aus ihrer Zwischenstellung als herrschaftliches und verwandtschaftliches Phänomen, als normative Denkform und soziales Substrat, als konkretes Argument und wirklichkeitskonstituierender Diskurs ergibt sich die Wirkmächtigkeit der ‚Dynastie‘ in der Geschichte der Frühen Neuzeit.

Danksagung

Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2018 von der Philosophischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-­Universität Münster als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie geringfügig überarbeitet. Zur Entstehung ­dieses Buches haben zahlreiche Menschen beigetragen, denen ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen möchte. Zuvorderst bedanke ich mich bei meiner Doktormutter Barbara Stollberg-­Rilinger, die die Arbeit über Jahre hinweg interessiert und konstruktiv begleitet hat und mir bei Fragen stets mit hilfreichen Ratschlägen zur Seite stand. Peter Schuster hat die Arbeit nicht nur ursprünglich angeregt, sondern im Rahmen seines DFG-Projekts „Erinnern und Verrechtlichen. Dynastiebildung bei den Grafen von Holstein-­Schaumburg, Lippe und Waldeck (1300 – 1650)“ auch maßgeblich gefördert. Zudem übernahm er das Zweitgutachten, wofür ihm ebenfalls herzlich gedankt sei. Vom regen Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters „Religion und Politik in den Kulturen der Vormoderne und der Moderne“ konnte ich enorm profitieren. Für fachliche und persönliche Gespräche danke ich insbesondere Vít Kortus, Thomas Meyer, ­Stephan Tölke, Katharina Wolff und meinem Cluster-­Mentor Klaus Große Kracht. Gleiches gilt auch für meine Bielefelder Kolleginnen Britta Dostert, Sabrina Timmer und ganz besonders Andrea Bendlage, die meine Begeisterung für die Frühe Neuzeit geweckt und meine wissenschaftliche Laufbahn seit Hilfskraftzeiten wohlwollend gefördert hat. Weitere Anregungen und wichtige Hinweise erhielt ich in den unterschiedlichsten Arbeitszusammenhängen und Kolloquien. Für die Bereitschaft zur Diskussion meiner (Zwischen-)Ergebnisse möchte ich mich bei Franz-­Josef Arlinghaus, Iris Fleßenkämper, Werner Freitag, Gudrun Gersmann, Michael Hecht, Ulrich Meier, Peter Oestmann, Matthias Pohlig und Michael Sikora bedanken. Einen wichtigen Anteil am Gelingen des Ganzen haben auch diejenigen, die die Arbeit ganz oder in Teilen aufmerksam gelesen und mit Kritik und Verbesserungsvorschlägen aufgewertet haben. Dafür bin ich Andrea Bendlage, Vít Kortus, Hanno Pieper, Benjamin Schulte und Sven Solterbeck zu Dank verpflichtet. Auch in den Archiven und Bibliotheken, die ich im Zuge meiner Recherchen besucht habe, bin ich stets auf große Hilfsbereitschaft und Unterstützung getroffen. Stellvertretend für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möchte ich an dieser Stelle Wolfgang Bender (Detmold), Karl Murk (Marburg) und Tobias Schenk (Wien) meinen Dank aussprechen. Gert Melville, Gerd Althoff und ihren Mitherausgebern verdanke ich die Aufnahme der Arbeit in die Reihe „Norm und Struktur“. Dem Exzellenzcluster

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Danksagung

„Religion und Politik“ sei für die großzügige Übernahme der Druckkosten gedankt. Julia Roßberg und Harald Liehr vom Böhlau Verlag danke ich für die kompetente Betreuung während der Drucklegungsphase. Zu guter Letzt möchte ich mich bei meiner Familie und besonders meiner Partnerin für ihre Geduld und ihren Beistand in der zurückliegenden Lebensphase bedanken. Meinen Eltern, die mich auf all meinen Wegen stets bedingungslos unterstützt und bestärkt haben, sei ­dieses Buch gewidmet. Münster, im Januar 2019 

Lennart Pieper

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Abkürzungen und Siglen Abb. Abbildung Abs. Absatz ADB Allgemeine Deutsche Biographie (Online-­Version) AKG Archiv für Kulturgeschichte Anm. Anmerkung Art. Artikel Bd./Bde. Band/Bände BDLG Blätter für deutsche Landesgeschichte bearb./Bearb. bearbeitet/Bearbeiter bes. besonders Ders. Derselbe Dies. Dieselbe/Dieselben Diss. Dissertation ebd. ebenda EDN Enzyklopädie der Neuzeit (Online-­Version) fl. Gulden (Florin) fol. Blatt (folio) FS Festschrift FWHB Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek Arolsen GBW Geschichtsblätter für Waldeck GUG Geschichte und Gesellschaft Habil. Habilitation HessJb Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte hg./Hg. herausgegeben/Herausgeber HHStA Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte (teilweise Online-­Version) HStAM Hessisches Staatsarchiv Marburg HZ Historische Zeitschrift LAV NRW OWL Landesarchiv Nordrhein-­Westfalen, Abteilung Ostwestfalen-­Lippe LAV NRW W Landesarchiv Nordrhein-­Westfalen, Abteilung Westfalen LLB Lippische Landesbibliothek LM Lippische Mitteilungen aus Geschichte und Landeskunde LR Lippische Regesten ND Neudruck

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Quellen- und Literaturverzeichnis

NDB

Neue Deutsche Biographie (Online-­Version) N. F. Neue Folge o. J. ohne Jahr o. O. ohne Ort QFHG Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte r. recto Rthlr. Reichstaler S. Seite SNHVL Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe Sp. Spalte SSGV Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde StAL Stadtarchiv Lippstadt SVRG Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte UB Urkundenbuch Urk. Urkunde v. von/verso vgl. vergleiche VHKH Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen VHKW Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen VIEG Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte, Mainz VMPIG Veröffentlichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte WAF Waldeckische Forschungen WF Westfälische Forschungen WHH Waldeckische historische Hefte WZ Westfälische Zeitschrift ZBLG Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte ZHF Zeitschrift für historische Forschung ZHG Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde zit. zitiert

2. Anmerkungen zur Textgestaltung Zitate aus gedruckten Quellen wurden unverändert übernommen. Bei der Wiedergabe ungedruckter Quellen wurde sich an den „Empfehlungen zur Edition frühneuzeitlicher Texte“ des Arbeitskreises „Editionsprobleme der Frühen Neuzeit“ der inzwischen aufgelösten „Arbeitsgemeinschaft historischer Forschungseinrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland e. V.“ (AHF) orientiert. Abweichend gelten folgende Grundsätze: Die Tilgung der n-­Verdoppelung in den Endsilben wurde durchgehend vorgenommen.

Quellen- und Literaturverzeichnis

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Die Interpunktion wurde zugunsten des Verständnisses behutsam den modernen Regeln angepasst. Die Daten werden, wenn nicht anders vermerkt, nach dem alten Julianischen Kalender angegeben.

3. Ungedruckte Quellen 3.1 Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-­Lippe, Detmold (LAV NRW OWL) L 1 (Urkunden) L 7 (Familienakten des Hauses Lippe) L 8 (Hausangelegenheiten des Hauses Lippe) L 9 (Lippische Landtagsprotokolle) L 12 (Lippische Regierungsprotokolle) L 43/L 49 (Auswärtige Korrespondenzen) L 51 (Auswärtiger Besitz des Hauses Lippe) L 65 (Konsistorialakten – Generalia) L 77 (Lippische Regierung) L 82 (Lippische Reichskammergerichtsakten) D 71 (Handschriften) D 72 Falkmann (Nachlass August Falkmann)

3.2 Landesarchiv NRW Abteilung Westfalen, Münster (LAV NRW W) B 402 (Fürstbistum Paderborn, Kanzlei) C 101 (Fürstabtei Herford, Landesarchiv – Akten) U 164 (Gesamtarchiv Landsberg-­Velen, Handschriften) W 101 (Aufschwörungstafeln)

3.3 Hessisches Staatsarchiv Marburg (HStAM) Urk. 85 (Waldecker Urkunden) 3 (Politisches Archiv des Landgrafen Philipp des Großmütigen von Hessen) 115/01 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Grafenhaus Waldeck) 115/02 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Auswärtige Beziehungen) 115/21 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Kanzlei, Archiv) 115/27 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Hofhaltung) 115/33 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Stände) 115/47 (Waldeckische Ältere Kanzleien: Huldigungen) 127 (Waldeckische Salbücher und Kataster)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

140 (Waldeckische Reichskammergerichtsakten) 147/1 (Waldeckische Handschriften und Handschriftenreste) Slg 15 (Kleinere Druckschriften)

3.4 Stadtarchiv Lippstadt (StAL) Chal. A (Altes Archiv, Urkunden und Akten „Chalybaeus“)

3.5 Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien (HHStA) RHR Gratialia et Feudalia Confirmationes privilegiorum deutsche Expedition RHR Gratialia et Feudalia Reichslehnsakten deutsche Expedition RHR Judicialia Antiqua RK Kleinere Reichsstände

3.6 Fürstlich Waldecksche Hofbibliothek Arolsen (FWHB) V Waldec. (Waldeccensien) Regierungsbibliothek

3.7 Lippische Landesbibliothek Detmold (LLB) Mscr. (Handschriften)

4. Gedruckte Quellen Abdruck Der Röm. Kayserl. Majestät Ferdinandi III. Den 14. Januarii erkandter ­Confirmation Juris Primogeniturae Lippiacae, Rinteln 1641. Althof, Hermann (Bearb.), Das Lippiflorium. Ein westfälisches Heldengedicht aus dem dreizehnten Jahrhundert, Leipzig 1900. Arend, Sabine (Bearb.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 9: Hessen II, Leipzig 2011. Arend, Sabine (Bearb.), Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts, Bd. 21: Nordrhein-­Westfalen I, Leipzig 2015. Berner, Justus Friedrich von, Gründliche Nachricht von der innerlichen Verfassung der Grafschaft Lippe […], o. O. 1738. Bruckhaus, Margarete (Bearb.), Inventar der lippischen Reichskammergerichtsakten, Teil 1: Buchstabe A–L, Detmold 1997.

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Eheschließungen der Söhne – Grafen zur Lippe Grafiken und Tabellen Bernhard II. ( )

1145 1180

Hermann II. ( )

Gerhard (+)

Otto (+)

1215

Bernhard III. ( )

Otto (+)

Simon (+)

1250

Bernhard IV. ( )

Gerhard (+)

Hermann III. (+)

1285

Simon I. ( )

1320

Bernhard (+)

Hermann (+)

Heinrich (+)

Simon VII. ( )

Otto ( )

Hermann (/)

1355 1390 1425 1460 1495 1530 1565 1600

... 1635

Simon Ludwig ( )

1670

Simon Philipp (/)

Legende:

( ) verheiratet

Johann Bernhard (/)

(+) geistlich

Otto Heinrich (/)

(/) unverheiratet

Grafik 1: Eheschließungen der Söhne – Grafen zur Lippe

Name regierender Graf

583

Grafiken und Tabellen

1145 Dietrich (+)

Bernhard (+)

1180 1215

Dietrich (+)

1250 1285

Bernhard V. ( )

Dietrich (+) Simon III. ( )

Simon (+)

Otto I. ( )

1320

Otto II. (+)

1355

Bernhard VI. ( )

1390

Simon IV. ( )

Otto III. (+)

1425

Bernhard VII. ( )

Simon (+)

1460

Simon V. ( )

Bernhard (+)

1495

Bernhard VIII. ( )

Hermann Simon ( )

1530

Simon VI. ( )

Philipp (/)

1565

Philipp ( )

1600

... Hermann Adolf ( )

Jobst Hermann ( )

1635

Simon Henrich ( )

...

1670

...

Eheschließungen der Söhne – Grafen von WaldeckGrafiken und Tabellen 584 1180 1215 1250 1285

Adolf I. ( ) Heinrich II. ( ) Widukind (+) Adolf II. (+)

Heinrich III. (+) Gottfried (+)

Heinrich IV. ( ) Adolf III. (+)

1320

Otto II. ( )

1355

Heinrich VI. ( )

1390

Adolf IV. ( )

1425

Otto III. ( )

1460

Otto IV. ( )

Dietrich (+)

Otto I. ( )

Gottfried (+)

Eberhard (+)

Heinrich V. (+)

Wilhelm (+)

Ludwig (+)

Philipp I. ( ) Heinrich VIII. ( )

1495 1530

Philipp IV. ( )

1565

Samuel ( )

1600

Günther ( )

1635

Wilhelm Ernst (/)

Georg (/) Otto (+)

Wilhelm (+) Daniel ( ) Heinrich IX. ( ) Friedrich (+) Christian ( ) Philipp VII. ( ) Christian Ludwig ( )

1670

Josias I. ( )

Johann II. ( )

Josias II. ( )

...

Legende:

( ) verheiratet

(+) geistlich

(/) unverheiratet

Grafik 2: Eheschließungen der Söhne – Grafen von Waldeck

Name regierender Graf

585

Grafiken und Tabellen

1180 1215 1250 Otto (/)

1285 1320 1355

Heinrich VII. ( )

1390

Wolrad I. ( )

1425

Philipp II. ( )

1460

Philipp III. ( )

Franz I. (+)

Wolrad II. ( )

Philipp V. ( )

Johann I. ( )

Franz II. ( )

1530

Wolrad III. (/)

Philipp VI. (+)

Franz III. ( )

Bernhard (+)

1565

1495

Wolrad IV. ( )

1600

Philipp Theodor ( ) Johann Ludwig (/) Georg Friedrich ( ) Jakob (/) Wolrad (/) 1635 Heinrich Wolrad ( )

Karl Gustav (/)

1670

586

Grafiken und Tabellen

Anzahl der Kinder pro Generation – Grafen zur Lippe

1435

2

Gesamt 2

1470

7

7

1505

7

7

1540

5

1575

10

1610 1645

2

10

15 5

4

7

15 19

12

10

Gesamt Durchschnitt

50 98 14

Grafik 3: Anzahl der Kinder pro Generation – Grafen zur Lippe

Anzahl der Kinder pro Generation – Grafen von Waldeck Gesamt 6

1435

3

3

1470

1

1

6

8

1505

2

9

11

1540

12

13

1575

7

4

1610

1

15

10

6

3

1645

8

33 11 26

9

Gesamt Durchschnitt Grafik 4: Anzahl der Kinder pro Generation – Grafen von Waldeck

18 113 16,1

Schema derTabellen diskursiven Verwandtschaftskonzeption Grafiken und

(K E R N -) FA M I L I E

Agnaten

Weitere Verwandtschaft

Grafik 5: Schema der diskursiven Verwandtschaftskonzeption

587

w 25 25,78 55,56 27 23,89 51,92

m 19 19,59 36,54 25 22,12 40,98

w 45 46,39 100 52 46,02 100

m

52 53,61 100

61 53,98 100

gesamt

97 100 —

113 100 —

Lipper Angaben in % geschlechtsspezif.

Waldecker Angaben in % geschlechtsspezif.

Tabelle 1: Reproduktions- und Versorgungsquoten 1450 – 1650

Kinder, die heiraten

Kinder

w 5 5,15 11,11 2 1,77 3,85

2 2,06 3,85 4 3,54 6,56

19 19,59 36,54 18 15,93 29,51

Kinder im geistlichen Stand

m

Söhne m. legitimer Deszendenz

w 15 15,46 33,33 23 20,35 44,23

m 24 24,74 46,15 25 22,12 40,98

39 40,21 — 48 42,48 —

7 7,22 13,46 7 6,19 11,48

Unverheiratete, Frühverstorbene

gesamt

Söhne im Fürstenoder Militärdienst

588 Grafiken und Tabellen

589

Grafiken und Tabellen Lippe Söhne

Lippe Herrsch.

Lippe Lippe Waldeck Waldeck Waldeck Waldeck Bräute Töchter Söhne Herrsch. Bräute Töchter

1450 – 1500 —







23,5

23,0

20,0



1500 – 1550 —







27,3

22,5

21,0

16,0

1550 – 1600 23,7

23,0

27,3

22,2

29,8

24,3

21,3

21,3

1600 – 1650 30,4

20,0

23,4

29,4

20,8

20,3

19,0

23,4

Tabelle 2: Durchschnittliches Heiratsalter (nur Erstehen)

Lippe

Waldeck

Gesamt

ErstNachTöchter Gesamt geborene geborene

ErstNachTöchter geborene geborene

Gesamt in %

30 100,0

9 30,0

4 13,3

17 56,7

52 100,0

15 28,8

13 25,0

24 46,2

Fürstlich in %

3 10,0

0 0,0

1 3,3

2 6,7

7 13,5

0 0,0

3 5,8

4 7,7

Gräflich in %

27 90,0

9 30,0

3 10,0

15 50,0

39 75,0

14 26,9

6 11,5

19 36,5

Adlig in %

0 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

6 11,5

1 1,9

4 7,7

1 1,9

Bürgerlich 0 in % 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

0 0,0

Tabelle 3: Ständische Qualität des Konnubiums 1450 – 1650

Abbildungsnachweis

1  Fürstliches Residenzschloss Detmold 2, 4, 7, 8  Landesarchiv NRW Abteilung Ostwestfalen-­Lippe 3  Stiftung des Fürstlichen Hauses Waldeck und Pyrmont, Schloss Bad Arolsen/ Hofbibliothek 5  Universitätsbibliothek Heidelberg, „Johann Georg Sigwart, Vier Christliche Leuch- vnnd Ehrenpredigen“ (CC BY-SA 3.0) 6  Wikipedia, Nikater, Attribution-­ShareAlike 4.0 International (CC BY-SA 4.0) 9  Wikipedia, Membeth, CC0 1.0 Universal (CC0 1.0 Universal) 10, 11, 13, 14, 15  Lennart Pieper 12  Ev.-ref. Kirchengemeinde Blomberg

Farbtafeln

Tafel 1: Johann Tilemann, Graf Simon VI. zur Lippe mit dem Schlüssel des Kaiserlichen Kammerherrn, Öl auf Leinwand, 1608/13.

594

Farbtafeln

Tafel 2: Annibal Nullaeus, Illustrium et generosorum Comitum Lippiensium Genealogia (Ausschnitt), Lemgo 1586, S. 13 (LAV NRW OWL, D71, Nr. 84).

Farbtafeln

595

Tafel 3: Unbekannt, Genealogia iconica seu picturata comitum in Waldeck, Bildnisstammbaum (Ausschnitt), zweite Hälfte 16. Jahrhundert (FWHB, V Waldec., Nr. 9, fol. 6v).

596

Farbtafeln

Tafel 4: Schreiben der waldeckischen Räte an Simon VI. zur Lippe vom 23. 05. 1579 (Beilage) (LAV NRW OWL, L 49 5/3, Nr. 8).

Farbtafeln

Tafel 5: Stammtafel aus Johann Georg Sigwart [u.a.], Vier Christliche Leuch: vnd Ehrenpredigen, Tübingen 1600 (FWHB, V Waldec., Nr. 204).

597

598

Tafel 6: Schloss Detmold, heutiger Zustand.

Farbtafeln

Farbtafeln

599

Tafel 7: Elias van Lennep, Schloss und Stadt Detmold, Kupferstich, um 1663 (LAV NRW OWL, D 75, Nr. 209).

600

Farbtafeln

Tafel 8: Nicolaus Bouman, Apotheose des Grafen Simon VI. zur Lippe, Kupferstich, 1614 (LAV NRW OWL, D 71, Nr. 86).

Farbtafeln

Tafel 9: Schloss Waldeck, heutiger Zustand.

601

602

Tafel 10: Schloss Waldeck, Treppenturm am Wildunger Flügel.

Farbtafeln

Farbtafeln

603

Tafel 11: Philipp Soldan, Bettstatt für Wolrad II. von Waldeck und Anastasia Günthera von Schwarzburg, 1547.

604

Farbtafeln

Tafel 12: Heinrich Brabender, Grabtumba für Bernhard VII. zur Lippe und Anna von Holstein-Schaumburg, ehem. Klosterkirche Blomberg, um 1511.

Farbtafeln

605

Tafel 13: Nikolauskapelle in der ehem. Klosterkirche Netze mit den Grabdenkmälern für Philipp IV. von Waldeck, Daniel von Waldeck und seine Gemahlin Barbara, geborene Landgräfin von Hessen.

606

Farbtafeln

Tafel 14: Ausgemalte Decke im Chor der Stadtkirche von Mengeringhausen, um 1572.

Farbtafeln

607

Tafel 15: Unbekannt, Grabdenkmal für Franz III. von Waldeck-Landau in der Stadtkirche von Mengeringhausen, nach 1597.

Register Personen Kaiser, Könige sowie Herrscher des frühen bis hohen Mittelalters wurden unter ihrem Vornamen aufgeführt, alle übrigen Personen unter ihrem Nachnamen bzw. Geschlechtsnamen. Berufsbezeichnungen oder erläuternde Verwandtschaftsbeziehungen wurden nur dann hinzugefügt, wenn es zur Differenzierung notwendig war. Die Anmerkungen wurden nur insoweit berücksichtigt, als sie eigenständige Informationen beinhalten. Albrecht der Bär, Markgraf von Brandenburg 428 Andlau, Peter von  426 Anhalt, Fürsten von  268, 271, 296, 428, 430 –– Ludwig, Fürst von Köthen  265 –– Sophie, geb. zur Lippe  siehe dort Arndt, Johannes  24, 50 Arnsberg, Grafen von  58, 266 –– Mechtild, verh. von Waldeck  146 Assmann, Jan  41 Baden-Durlach, Markgrafen von  271, 362 –– Anna, verh. von Waldeck-Eisenberg 208, 210, 212, 269, 271, 297 –– Friedrich V.  271, 318 Barby-Mühlingen, Maria, Gräfin von, verh. von Waldeck  203, 271, 442, 498 Bayern, Herzöge von  378, 432 –– Ernst, Erzbischof von Köln  320 –– Ferdinand, Erzbischof von Köln  124, 232 –– Maximilian I.  329 Bentheim, Grafen von  79, 263, 269 –– Everwin III.  268 Berek, Mathias  41 Berge, Elisabeth von dem  320 Berger, Peter L.  41 Bouman, Nicolaus  466 Bourdieu, Pierre  30, 40 Brabender, Heinrich  490 Brandenburg, Markgrafen und Kurfürsten von  271, 321, 327, 387, 432

Brandenburg-Kulmbach, Albrecht, Markgraf von  326 Braun, Rudolf  20 Braunschweig-Calenberg, Herzöge und Fürsten von  92 –– Georg  292, 294 Braunschweig-Grubenhagen, Erich von, Bischof von Paderborn und Osnabrück  89, 172 Braunschweig-Lüneburg, Herzöge von  95, 102 f., 269, 271 f., 320 f., 330, 432, 465 –– Heinrich I.  88 –– Wilhelm II.  81 Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzöge und Fürsten von  322 –– August II.  289 –– Christian 328 Breuberg, von, Adelsfamilie  272 Bronkhorst, Herren von  265 –– Friedrich 86 –– Gisbert  85 f. –– Walburg, verh. zur Lippe  85 f., 88, 90, 254, 435 Brotuff, Ernst  430 Brunner, Otto  380 Bünau, Rudolph von  292 Burgund, Herzöge von  498 Busch, Georg Wilhelm  463 Calvin, Johannes  253, 494 Cassirer, Ernst  32 Cellius, Erhard  443 f. Celtis, Konrad  429

610

Register

Christian IV., König von Dänemark  321 Cirksena  siehe auch Ostfriesland, Grafen von  103 Colonna, Adelsfamilie  427 Cramer, Claus  25, 153 Czech, Vinzenz  239

–– Maria, verh. von Waldeck-Landau  280 f., 493 Goldast, Melchior  328 Graf, Klaus  395 Grothe, Hofprediger  288 Gummersbach, Moses  445

Dalwigk, von, Adelsfamilie –– Johann 160 –– Reinhard 173 Deichmann, Christoph  409 Diepholz, Grafen von  88 f. Dilich, Wilhelm  417 Dohna, Burggrafen von  296 Donop, von, Adelsfamilie –– Philipp 114 –– Wilhelm Gottlieb Levin  471, 473

Habsburger  10, 64, 332, 380, 394 Hacke, Johann  173 Hahn, Simon Friedrich  421 Halbwachs, Maurice  41 Hamelmann, Hermann  403 – 405, 412, 416, 422 f., 428, 430, 503 f. Hanau-Münzenberg, Philipp Ludwig, Graf von  280 Hecht, Michael  29 Heck, Kilian  437 Hefentreger gen. Trygophorus, Johann  274, 413 Hefentreger gen. Trygophorus, Jonas  299, 413 f. Heimann, Heinz-Dieter  15, 28 Heinrich I., Kaiser  429 Heinrich der Löwe, Herzog von Sachsen  10, 53, 57, 145 Helfmann, Johann  411 Herber, Andreas  495 f. Hesse, Georg  415 Hessen, Landgrafen von  49, 51, 61, 103, 153 f., 157, 163, 170, 191, 201, 203, 302, 315, 333 f., 362, 443, 465, 485 –– Heinrich I.  147 –– Ludwig I.  54 –– Mechtild, verh. von Kleve  369 –– Otto I.  82 –– Philipp I.  51, 56, 89, 91, 100, 171, 176, 180, 184 f., 231, 268, 294, 341, 364 –– Sophie, verh. von Waldeck  147 –– Wilhelm II.  168 Hessen-Butzbach, Philipp III., Landgraf von 294 Hessen-Darmstadt, Landgrafen von –– Georg I.  102 f., 262, 265, 405 –– Georg II.  125 f., 136, 138, 292 –– Magdalena, geb. zur Lippe  siehe dort

Elias, Norbert  20 Elssen, Elisabeth von  282, 493 Erbach, Georg III., Graf von  203, 255 Everstein, Grafen von  79, 272 Falkmann, August  24 Ferdinand I., Kaiser  332 Ferdinand II., Kaiser  116 f. Ferdinand III., Kaiser  134, 212 Fichtner, Paula Sutter  233 – 235, 253 Florinus, Franz Philipp  233 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser  65 Gehlen, Arnold  34 Geldern, Karl, Herzog von  270 Gelshorn, Notar  477 Gerlach, Johannes Falconius  406, 428 f., 434 Gleichen, Grafen von  93, 272, 422, 444, 465 –– Johann Ludwig  208 –– Margarethe, verh. von WaldeckWildungen  201, 205, 443, 499 Goclenius, Rudolph  415 f. Gogreve, Adelsfamilie –– Hillebrand 160 –– Johannes 281

611

Register

Hessen-Kassel, Landgrafen von  231, 271 –– Amalie Elisabeth, geb. von Hanau-Münzenberg  136, 232, 294 f., 330, 382 –– Barbara, verh. von Waldeck-Wildungen  192, 200, 270 f., 358, 470 f., 495 f., 505, 510 –– Moritz  60, 112, 206, 232, 265, 275, 417, 436, 483 –– Sophie, verh. von Schaumburg-Lippe  251, 265 –– Wilhelm IV.  100, 185, 192, 197, 232, 270, 279, 493, 499 –– Wilhelm VI.  210 Hessen-Marburg, Ludwig IV., Landgraf von 499 Hessen-Rotenburg, Landgrafen von  271 Hobbes, Thomas  108 Hohenfels, Anna von  350 Hohenzollern  siehe auch Brandenburg, Markgrafen und Kurfürsten von  10, 310 Holmann, Anton  193 Holstein-Schaumburg, Grafen von  79, 88, 94, 98, 242, 266 f., 402 – 404, 408, 465, 489 –– Adolf, Erzbischof von Köln  91, 311 –– Anna, verh. zur Lippe  85, 242, 348, 404, 473, 488, 491, 501 –– Elisabeth, geb. zur Lippe  siehe dort –– Elisabeth, verh. zur Lippe  103, 258, 402, 407, 436, 473 –– Ernst  113 – 115, 221, 402 –– Georg Hermann  242, 261, 268, 296 –– Metta (Mechthild)  79 –– Otto IV.  100, 103 –– Otto V.  141, 296 Holzappel, Peter Melander, Graf von  136 Honstein, Grafen von  272 Hoya, Grafen von  88 –– Adelheid, verh. von Waldeck  169, 172, 174 –– Albrecht II.  92, 94, 96, 100 –– Erich 89 –– Jobst 91 Hund gen. Canis, Heinrich  193

Ilse, Konkubine Bernhards VII.  348 Itter, Liutrud, Herrin von, verh. von Schwalenberg 57 Jendorff, Alexander  28 f. Jesus Christus  434 Jülich-Berg, Wilhelm IV., Herzog von  163, 167 Jülich-Kleve-Berg, Herzöge von  110, 270, 320 –– Wilhelm V.  100 f., 185, 281 Jussen, Bernhard  346 Justinus, Magister  400, 427, 450 Kaiser, Michael  28 Karl der Große, Kaiser  425, 429 – 433, 443, 450, 512 Karl IV., Kaiser  58 Karl V., Kaiser  51, 90, 182, 332 Katzenelnbogen, Grafen von  272 Kiewning, Hans  24, 67 Kittel, Erich  24 Kleinsorgen, Christian  406 Kleinsorgen, Gerhard  406, 428 f. Kleve, Herzöge von  54, 80, 270, 272, 465 –– Anna, verh. von Waldeck  172 – 180, 183 – 186, 222, 228, 270, 274, 314, 340 f., 372, 467, 484, 497 –– Johann II.  172 Kloppenburg, Walter  221 Klüppel, Konrad  412 f., 420, 430 f., 444, 453, 503 Knipschildt, Philipp  419 f., 430 – 432, 437, 451, 453 Knoch, Johann Ludwig  86, 401, 406, 477 f. Köller, André R. 30 Kortheur, Conrad  173 Krantz, Albertus  405, 412, 422 Küppers-Braun, Ute  317 Kunisch, Johannes  15 Landwehr, Achim  38 Leiningen-Dagsburg-Falkenburg, Emich XIII., Graf von  135 – 138, 293 f., 337, 386 f., 390 f., 472

612 Lennep, Elias van  464 Leusmann, J.  413 Lerbeck, Hermann von  402 Linde, Melchior  193, 415 Lippe, Edelherren und Grafen zur –– Adelheid, verh. von Tecklenburg  79 –– Agnes, verh. von Schlick  405 –– Alheydis, geb. von Waldeck  siehe dort –– Amalie, geb. zur Lippe-Brake  siehe dort –– Anna, geb. von Holstein-Schaumburg  siehe dort –– Anna, verh. von Everstein  102 –– Anna, verh. von Waldeck  184 f., 193, 261, 267, 311, 405, 440, 472, 482, 497, 505 –– Anna Katharina, Äbtissin von Cappel, verh. von Anhalt  323, 337, 343 –– Anna Katharina, geb. von NassauWiesbaden-Idstein  siehe dort –– Bernhard I.  53 –– Bernhard II.  75, 305, 307 f., 400 – 402, 408, 427, 431, 450, 486 f., 511 f., 518 –– Bernhard III.  76, 305 f., 400, 450 –– Bernhard IV.  76 f. –– Bernhard V.  77 – 79, 247, 306, 334, 487 –– Bernhard VI.  84, 348 –– Bernhard VII., gen. Bellicosus  54, 56, 80, 85 – 88, 218, 242, 306, 335, 347 – 349, 370, 401, 404, 462, 464, 473, 487 – 491, 501, 505, 510 –– Bernhard VIII.  56, 75, 91 – 101, 105 f., 184, 218, 220, 231, 234 f., 256, 262, 265, 267 f., 314, 320 f., 333, 343, 348 f., 372, 384, 403, 405, 411, 434, 441, 449, 451, 464 f., 472, 476, 478, 490 –– Bernhard IV., Bischof von Paderborn  305, 451 –– Bernhard, Sohn von Bernhard VII.  85 – 88, 161, 326, 348 –– Bernhard, Sohn von Simon VI.  103 f., 109 f., 112, 407, 435 f., 449 –– Bernhardine, verh. von LeiningenWesterburg 102 –– Dietrich 305 –– Elisabeth, verh. von Diepholz  88

Register

–– Elisabeth, verh. von Holstein-Schaumburg  141, 242, 244, 261, 268, 296, 320, 322 –– Elisabeth, geb. von Holstein-Schaumburg  siehe dort –– Ermgard, verh. von Hoya  88 –– Ermgard, geb. von Rietberg  siehe dort –– Ernestine, geb. von Ysenburg-Büdingen  siehe dort –– Friedrich Adolf  144 –– Gerhard, Erzbischof von Bremen  305 –– Gisbert 88 –– Heilwig  79 f. –– Hermann I.  53, 462 –– Hermann II.  76, 266 –– Hermann III.  76 f., 306 –– Hermann, Sohn von Simon VI.  103, 110, 112, 114 – 116, 120, 329, 335, 479, 489 –– Hermann Adolf  122 f., 136 – 143, 220 f., 246, 261, 273, 289, 293, 330, 335 – 339, 387, 489 –– Johann Bernhard  119, 122 – 139, 220 f., 223, 229 f., 232, 288, 291 – 296, 312, 330, 335 – 338, 343 f., 370, 374, 387, 411, 463, 477, 480, 488 –– Juliane Ursula, Äbtissin von Cappel  323 –– Katharina, geb. von Waldeck-Landau  siehe dort –– Katharina, geb. von Waldeck-Wildungen  siehe dort –– Magdalena I., Äbtissin von Herford  321, 405 –– Magdalena II., Äbtissin von Herford  291, 321, 324 –– Magdalena, verh. von Hessen-Darmstadt  102, 262, 265, 405 –– Magdalena, Tochter von Simon VII.  446 –– Magdalena, geb. von Mansfeld  siehe dort –– Margarethe II., Äbtissin von Borghorst, Freckenhorst und Herford  320, 324 –– Margarethe, verh. von Rietberg  88 –– Maria Elisabeth, verh. von Mansfeld  261, 337

Register

–– Maria Magdalena, geb. von WaldeckWildungen  siehe dort –– Otto I.  77, 79, 247, 334, 487, 490 –– Otto II.  335 –– Otto, Bischof von Utrecht  305 –– Otto, Bischof von Münster  305 –– Otto Heinrich  122 f., 136, 330, 335, 337 f. –– Simon I.  77 f., 247 –– Simon III.  79 – 84, 87, 99, 150, 267, 335, 384, 487 –– Simon IV.  487 –– Simon V.  56, 75, 82, 85 – 91, 102, 172, 231, 254, 326, 348, 370, 375, 435, 464, 486, 490 –– Simon VI.  56 f., 75, 100 – 111, 113 f., 116, 119 f., 129, 132, 138 f., 141 f., 203, 206 f., 210, 219 f., 226, 232, 235, 248, 253 f., 259 f., 263, 265, 267 – 269, 293, 296, 311 f., 319 – 322, 328 – 335, 343, 349 f., 364, 375, 379, 401 – 405, 407 f., 411, 422, 429, 435, 440 f., 445, 449, 462, 464 – 466, 471, 473 f., 476, 479 f., 489 f., 503, 505, 509, 514, 516 –– Simon VII.  103, 110 – 122, 125, 138, 143, 220, 222, 254 – 258, 261, 288 f., 291, 321, 323, 329, 333, 335 – 338, 375, 387, 390, 402, 407, 409 – 411, 440, 445 f., 462, 472, 479, 487, 490 – 492, 503, 509 –– Simon I., Bischof von Paderborn  77, 305 f., 400, 450 f. –– Simon III., Bischof von Paderborn  306, 347, 404, 487 f. –– Simon Henrich  140 – 144, 261, 339, 373, 384 –– Simon Henrich Adolf  491 –– Simon Ludwig  117 – 121, 124, 132, 137 f., 229, 239, 254, 288 – 291, 324, 335, 383, 385, 390, 446, 477, 479, 492 –– Simon Philipp  122 f., 129, 134 – 138, 223, 294, 296, 337 f., 388, 472, 500 –– Sophie, verh. von Anhalt-Köthen  265 –– Walburg, geb. von Bronkhorst  siehe dort Lippe, Leopold IV., Fürst zur  118

613 Lippe-Alverdissen, Edelherren und Grafen zur, Grafen von Schaumburg-Lippe –– Friedrich Christian  142 –– Philipp I.  103, 112, 114 – 118, 122, 125, 132, 137, 140 – 144, 219, 244, 251 f., 265, 293, 328 f., 335, 337, 365, 373, 382, 462, 479, 489 –– Philipp Ernst  142 –– Sophie, geb. von Hessen-Kassel  siehe dort Lippe-Biesterfeld, Edelherren und Grafen zur –– Elisabeth Juliane, geb. von SaynWittgenstein  siehe dort –– Ernst 241 –– Henriette Louise Wilhelmina  317 –– Jobst Hermann  118, 120, 136, 143 f., 221, 251 f., 260, 289 – 292, 296, 312, 337, 384 Lippe-Brake, Edelherren und Grafen zur –– Amalie, verh. zur Lippe(-Detmold)  261, 273 –– Augustus 312 –– Casimir  140 – 143, 447 –– Georg 266 –– Ludwig Ferdinand  144 –– Margarethe, geb. von Nassau-Dillenburg  siehe dort –– Otto  103, 110, 112 – 125, 132, 137, 142 f., 219, 226 f., 252, 293, 296, 328, 335 f., 365, 368, 373, 382, 386 – 391, 447 f., 462, 479 f., 489, 506 –– Rudolf 143 Lippe-Spiegelberg-Pyrmont, Edelherren und Grafen zur –– Hermann Simon  67, 75, 91 – 102, 104, 106, 218, 220, 227, 229, 234 f., 247 f., 251, 262, 309, 311, 335, 343, 372, 384, 404, 406, 411, 434, 445, 451, 478, 489 –– Philipp  102, 335, 404 f., 445 f. –– Ursula, geb. von Spiegelberg und Pyrmont  siehe dort Lippe, von der, illegitime Nachkommen der Grafen –– Anton, Sohn Bernhards VII.  348 –– Bernd, Sohn Bernhards VI.  347

614 –– –– –– –– –– ––

Bernd, Sohn Bernhards VII.  348 Caspar, Sohn Simons VI.  349 f. Erich, Sohn Bernhards VII.  348 Johann, Sohn Bernhards VI.  347 Johann, Sohn Bernhards VII.  348 Katharina, Tochter Bernhards VIII.  349 –– Niggehus, Sohn Bernhards VII.  349 Lippe, von der, Adelsfamilie  347 Lothar von Süpplingenburg, Herzog von Sachsen, Kaiser  53, 409, 429 Lucanus, Amtmann  293 Lucius, Peter  410 Luckmann, Thomas  41 Ludwig I., gen. der Fromme, Kaiser  429 Lüdtke, Alf  38 Luhmann, Niklas  35 Luther, Martin  61, 94, 238, 253, 274, 289, 309, 351, 441, 494 Malsburg, Eckbrecht von der  193 Manlier, altrömisches Patriziergeschlecht  428, 430 Mansfeld, Grafen von  268, 465 –– Christian Friedrich  261 –– Ernst 328 –– Gebhard 90 –– Magdalena, verh. zur Lippe  91, 254 Maria, Königin von Ungarn  332 Maria Theresia, Erzherzogin von Österreich, Königin von Ungarn und Böhmen  63 Mark, Grafen von der  79 f. –– Richarde, verh. zur Lippe  78 – 80 Maximilian I., Kaiser  88, 158, 177, 270, 394 f. Maximilian II., Kaiser  320 Meibom d. Ä., Heinrich  402, 409 Mengersen, Hermann von  93 Menk, Gerhard  25, 413 Meysenbug, Hermann  160 Moers, Joist  417 Moraw, Peter  16 Morsel, Joseph  17 Moser, Johann Jacob  111, 233 Motz, Dominik  442

Register

Mutius, Johann  446 Mutschler, Thomas  72, 187 Nassau, Grafen von  170, 260, 265, 272, 275, 296, 471, 500 Nassau-Dillenburg, Grafen von  103, 155, 269 –– Johann IV.  154 –– Johann V.  156, 163 f. –– Johann VI.  280, 282 –– Johanna, verh. von Waldeck  154 f. –– Margarethe, verh. zur Lippe-Brake  447 Nassau-Hadamar, Johann Ludwig Graf von  118 Nassau-Saarbrücken, Johannette, Gräfin von, verh. von WaldeckWildungen  216, 236 Nassau-Siegen, Grafen von  297, 299, 362 –– Elisabeth, verh. von WaldeckWildungen  252, 274 f., 296, 298, 440, 494, 500 –– Elisabeth Charlotte, verh. von WaldeckEisenberg 299 –– Johann VII.  274 f., 332 –– Juliane 275 –– Maria Magdalena, verh. von Waldeck-Eisenberg 212 –– Wilhelmine Christine, verh. von Waldeck-Wildungen 299 Nassau-Wiesbaden-Idstein, Anna Katharina, Gräfin von, verh. zur Lippe  117, 129, 254, 256, 472, 491 Nell, Justinian  414, 416 Northof, Levold von  68 Nullaeus, Annibal  406, 423, 429, 434, 449 Oexle, Otto Gerhard  21, 393 Oldenburg, Grafen von  103, 272, 404 f., 432 –– Christoph 326 Oranien, Fürstenhaus  275, 329 Orsini, Adelsfamilie  427 f., 430, 508 Osterholz, Konrad  114

Register

Ostfriesland, Grafen von  105, 495 –– Edzard 105 –– Enno 103 –– Johann  105, 314, 327 –– Margaretha, verh. von WaldeckWildungen  187, 274, 315, 470, 493 Oxenstierna, Johann  294 f. Paganus, Petrus  416 f., 452 f. Pappus, Johann Sigismund  418, 421, 432, 439, 453, 483 Pečar, Andreas  16, 29 f. Pezel, Caspar  402, 408, 435, 476 f., 479 Pezel, Christoph  408 Pfalz, Pfalzgrafen und Kurfürsten von der –– Christoph 101 –– Friedrich V., gen. der Winterkönig  328 –– Reinhardt, Dompropst in Straßburg  315 Philipp II., König von Spanien  332 Piderit, Johann  112, 408 – 411, 423, 426, 430, 434 f., 446, 450 f., 491, 503 f., 508 f., 518 Piderit, Moritz  408 Plesse, Herren von  265, 271, 472 –– Walburg  204, 246, 472 Polmann, Anna  351 Prasser, Daniel  420 f., 430, 432, 436 f., 439, 452, 504 Preußen, Könige von  319 Pütter, Johann Stephan  285 Pyrmont, Grafen von  145, 407, 422 Pyrmontanus gen. Feuerberg, Johannes  407 f., 428 f., 434 Querfurt, Katharina, Gräfin von, verh. von Waldeck-Eisenberg  165 Rabe, Gobert  279 Ravensberg, Grafen von  266 Reckwitz, Andreas  33 Rehberg, Karl-Siegbert  34, 39, 42, 226, 454 Rehen, Arnold von  200 Reif, Heinz  18, 27, 67

615 Rietberg, Grafen von  88 f., 441 –– Ermgard, verh. zur Lippe  102 f., 435 –– Johann 103 –– Walburg, verh. von Ostfriesland  103 Rittershausen, Nicolaus  422 Röhrendorff, Christoph  288 Rogge, Jörg  227 Rolevinck, Werner  402 Rudolf II., Kaiser  56, 105, 117, 331 Rüxner, Georg  426, 444 Runkel, Anastasia von, verh. von WaldeckWildungen 470 Sachsen, Herzöge und Kurfürsten von  271, 333, 378 –– Albrecht 70 –– Ernst 70 –– Ernst, in Hildburghausen  212 –– Friedrich III., gen. der Weise  441 Santman, Heinrich  173 Sauermann, Dorothea Agnes  266 Sayn-Wittgenstein, Grafen von  269 –– Anna Katharina, verh. von WaldeckWildungen  212, 297 f. –– Elisabeth Juliane, verh. von LippeBiesterfeld  251, 296 –– Ernst 318 Schaumburg  siehe Holstein-Schaumburg Schaumburg-Lippe  siehe LippeAlverdissen Scheffer, Justus  200 Schellenberg, Georg  496 Scherer, Jonas Latomus  405 f., 428 f., 433 Schilling, Heinz  23, 109 Schleswig-Holstein, Herzöge von  271, 432 –– Philipp Ludwig  135, 489 Schmid, Karl  16 Schmidt, Georg  252 f., 283 Schmidt, Praeceptor  477 Schubert, Ernst  153 Schütte, Ulrich  454 Schulze, Hermann  233 Schulze, Winfried  383 Schuster, Peter  18

616 Schwalenberg, Grafen von  57, 145 f., 266, 431 – 433, 439, 445, 518 –– Adolf, erster Graf von Waldeck  siehe dort –– Heinrich I.  145, 437 –– Heinrich VIII.  58 –– Volkwin IV.  145, 492 –– Widukind I.  57, 420, 430 – 432, 436 – 438, 443, 508, 512, 518 –– Widukind III.  57, 145 Schwarzburg, Grafen von  103, 273, 447 –– Anastasia, verh. von WaldeckEisenberg  189, 238, 246, 252, 257, 274, 440, 447, 473, 498 –– Anna Maria, verh. von WaldeckWildungen  189, 192, 272 f., 279, 282, 494 –– Günther XXXVIII.  165 –– Heinrich XXIII.  189 –– Katharina 189 Scipio, Conradus  siehe auch Klüppel, Konrad 412 Soldan, Philipp  473 Solms, Grafen von  170, 465 –– Katharina, verh. von Waldeck  156, 158, 160, 493, 498 –– Otto 159 –– Reinhard  177, 180 Spangenberg, Cyriakus  9, 13, 228, 235, 276 f., 286, 424 Speirmann, Waldecker Rat  422 Spiegel, Schönberg  200 Spiegelberg und Pyrmont, Grafen von  92, 406, 422 –– Ursula, verh. zur Lippe-SpiegelbergPyrmont  92 f., 98, 247, 251, 309, 311, 404, 422, 445 f., 451 Spieß, Karl-Heinz  15 – 17, 27 f., 243, 252, 256, 393 Steinmetz, Hermann  350 Sternberg, Johann  117 Tecklenburg, Grafen von  266 –– Anna, verh. von Bentheim-Steinfurt  268

Register

–– Konrad 268 –– Otto VI.  79 f. Theopold, Abraham  446 Thüringen, Landgrafen von  432 Tilemann, Johann  331 Tilhen, Nevelin 292, 407 Tilly, Johann T’Serclaes, Graf von  117 Tönnies, Cord  464 Trygophorus  siehe Hefentreger Ukena, Theda  314 Ulner, Hermann  189 – 191, 202, 235 f., 272 f., 279, 310, 326, 340, 381 Unkair, Jörg  464 Unruh, Modeste von, verh. zur Lippe  241 Varnhagen, Johann Adolph Theodor Ludwig  25, 283, 350, 419, 438, 472, 493 Velen, von, Adelsfamilie –– Alexander 319 –– Alexandrine  297, 299 Viermund, von, Adelsfamilie  281 –– Anna  200 f., 258, 280 f., 283, 299, 370, 493 –– Hermann  195, 280 Viëtor, Johann  213 Viëtor, Zacharias  132, 293, 417 f. Vogelsang, Friedrich August von  278 Vogt von Hunolstein, Elisabeth  280 Wahl, Joachim Christian, Graf von  129 f. Walbeck, Grafen von  439 Waldeck, Edelfreie von  57 Waldeck, Grafen von –– Adolf I.  145 f., 486, 492 –– Adolf II., Bischof von Lüttich  146 f., 307 –– Adolf (III.)  147 –– Alheydis, verh. zur Lippe  77 –– Dietrich  147 f. –– Gottfried, Bischof von Minden  147, 307 –– Heinrich II.  146, 492 –– Heinrich IV.  147 – 150, 248, 302, 308, 339, 513

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–– Heinrich (V.)  147 f. –– Heinrich VI., gen. der Eiserne  146, 150, 308, 419 –– Heinrich VII.  150 – 153, 165, 248, 467, 480 –– Johanna, geb. von Nassau-Dillenburg  siehe dort –– Ludwig 147 –– Mechthild, Äbtissin von Herford  308 –– Mechthild, Äbtissin von Neuenheerse und Herford  308 –– Mechtild, geb. von Arnsberg  siehe dort –– Otto I.  146 f., 339 –– Otto II.  58, 147 – 150, 267 –– Philipp I.  154 f., 157, 166, 248, 419, 453 –– Sophie 308 –– Sophie, geb. von Hessen  siehe dort –– Widukind, Bischof von Osnabrück  146, 307 –– Wolrad I.  153 – 156, 193 f., 350 Waldeck-Eisenberg, Grafen von –– Adelheid, geb. von Hoya  siehe dort –– Amalie Katharina, verh. von Erbach  212 –– Anastasia, geb. von Schwarzburg  siehe dort –– Anna, geb. von Baden  siehe dort –– Anna, geb. von Kleve  siehe dort –– Anna Erika, Äbtissin von Gandersheim  321 f., 344 –– Elisabeth Charlotte, geb. von NassauSiegen  siehe dort –– Franz I., Bischof von Münster und Osnabrück  169, 176 f., 180 f., 183, 222, 307, 309 f., 313, 323, 339 f., 351 f., 364, 412 –– Georg 169 –– Georg Friedrich  60, 210, 212 – 216, 230, 284, 297 – 299, 322, 327, 420 f., 493, 498, 502, 504 –– Heinrich Wolrad  210, 212, 214, 273, 298, 327 –– Josias I.  203, 259, 271, 333, 344, 352, 415 f., 438, 442 f., 447, 498, 511 –– Juliana, verh. von Erbach  438

617 –– Juliane Elisabeth, geb. von WaldeckWildungen  siehe dort –– Katharina, Äbtissin von Schaaken  322, 344, 352, 441, 498 –– Katharina, geb. von Querfurt  siehe dort –– Katharina, geb. von Solms  siehe dort –– Magdalena Lucia  344 –– Maria, geb. von Barby-Mühlingen  siehe dort –– Maria Elisabeth, verh. von BadenDurlach  271, 318, 322 –– Maria Magdalena, geb. von NassauSiegen  siehe dort –– Otto  172 f., 175, 177, 179, 312, 467 –– Philipp II.  144, 155 – 170, 173, 184, 193 f., 248, 259, 307, 339, 375 f., 380, 453, 467, 493, 498 –– Philipp III.  61, 144, 168 f., 171 – 181, 186 f., 203, 216, 222, 235, 261, 270, 274, 307, 309, 313, 324, 339, 341, 351, 379, 467, 482, 493 f., 497 –– Philipp Theodor  208, 210 – 212, 214, 297, 299, 374, 420, 445 –– Sophie Henriette, verh. von SachsenHildburghausen 212 –– Wolrad II.  51, 172 – 179, 182, 189, 192 f., 203, 222, 238, 246, 252, 257, 273 f., 281, 307, 312 f., 321 f., 324, 341 f., 373, 377, 413 – 416, 422 f., 440 f., 447, 467, 473, 481 f., 484, 493, 498, 503 f., 506, 511 –– Wolrad III.  327, 416 –– Wolrad IV.  203 – 208, 210 – 212, 214, 249, 251, 253, 269, 271, 273, 275, 297, 318, 327, 332, 334, 342, 373 f., 418, 421, 438, 443 f., 452, 467, 483, 500, 511 Waldeck-Landau, Grafen von –– Adolf IV.  150 f., 153, 156, 165, 248, 467, 480, 493 –– Anna, geb. zur Lippe  siehe dort –– Bernhard, Bischof von Osnabrück  185, 310, 313, 324, 416 –– Elisabeth, Äbtissin von Kaufungen  308 –– Eva  88, 161

618 –– Franz II.  172 f., 180, 183, 280 – 283, 313, 340 – 342, 416, 493 –– Franz III.  102, 185, 203 f., 209, 246, 351, 373, 385, 416, 443, 471 f., 497 f., 505, 511 –– Johann I.  51, 92, 94, 96 f., 100, 172 f., 182 – 185, 193, 201, 203, 221, 261, 267, 313, 327, 340 f., 373, 405, 417, 440, 467, 472, 497 –– Katharina, verh. zur Lippe  172, 179, 184, 267, 281, 404, 411, 464 f. –– Margarethe, verh. von WaldeckWildungen  201, 273, 374 –– Otto III.  153, 308, 350, 419, 493 –– Otto IV.  87, 155 f., 158, 160 – 166, 203 f., 254, 350, 375, 380, 437, 492 –– Philipp V.  51, 172 f., 182 f., 281 – 284, 312 f., 340 f., 369, 493, 498 –– Philipp VI.  185 f., 311, 313 –– Walburg, geb. von Plesse  siehe dort Waldeck-Wildungen, Grafen von –– Anastasia, geb. von Runkel  siehe dort –– Anna, geb. von Viermund  siehe dort –– Anna Augusta, verh. von SaynWittgenstein 322 –– Anna Katharina, geb. von SaynWittgenstein  siehe dort –– Barbara, geb. von Hessen-Kassel  siehe dort –– Christian  117 f., 121, 123 – 125, 132, 138, 203 – 208, 210 – 212, 214, 223, 231, 249, 251, 255, 260, 271, 273 – 275, 288 – 290, 294, 296 – 298, 300, 317, 322, 332, 334 f., 342, 364, 372 – 374, 418, 421, 438, 440 f., 443 – 445, 447, 452, 468, 483 f., 493 f., 500 f., 511, 514 –– Christiane, verh. von Sayn-Wittgenstein  317 –– Christian Ludwig  210, 212 – 216, 241, 273, 327, 420, 447 –– Daniel  191 – 202, 259, 270 f., 314 f., 326, 332, 340, 358, 370 f., 468, 470, 482, 495 f., 499 –– Dorothea, verh. von LeiningenDagsburg-Falkenburg  135, 322

Register

–– Elisabeth, geb. von Nassau-Siegen  siehe dort –– Friedrich  314 – 316, 326, 332 f., 358 –– Günther  192 – 202, 254, 259, 273, 333, 374, 416, 452, 495 f., 499 –– Heinrich VIII.  144, 154 – 170, 184, 193 f., 229, 231, 259, 350, 375 f., 380, 467, 470, 494 –– Heinrich IX.  191 – 202, 258, 280 – 283, 299, 326 f., 332 f., 370 f., 493, 495 –– Johann II.  210 – 212, 297, 299, 327, 420 f., 484 –– Johanna Agatha  501, 510 –– Johannette, geb. von Nassau-Saarbrücken  siehe dort –– Josias II.  210, 212, 299, 327, 421 –– Juliane Elisabeth, verh. von Waldeck-Eisenberg  273, 298 –– Katharina, verh. zur Lippe  121 – 140, 221, 223, 226 f., 231 f., 236, 239, 291 – 296, 298, 300, 329 f., 336 f., 357, 364, 370, 372, 374 f., 382, 387 f., 411, 462, 477, 480, 488 –– Magdalena, verh. von Hanau-Münzenberg, verh. von Nassau-Siegen  238, 274, 280, 282 –– Margaretha, Tochter von Philipp IV.  332 –– Margarethe, geb. von Gleichen  siehe dort –– Margaretha, geb. von Ostfriesland  siehe dort –– Margarethe, geb. von Waldeck-Landau  siehe dort –– Maria Magdalena, verh. zur Lippe  117 f., 120 f., 143, 255, 257 f., 260, 262, 288 – 291, 296, 298 – 300, 324, 335 f., 344, 358, 370, 373, 375, 440, 486 –– Philipp IV.  61, 70, 169, 171, 176 f., 179 – 182, 187 – 195, 198, 200 – 202, 235, 238, 245 f., 270, 272 – 274, 279 – 283, 307, 311, 314 – 316, 326 f., 332, 340, 351, 371, 373, 416 f., 452, 470, 481 f., 484, 493, 495 f., 499 –– Philipp VII.  210 – 214, 297 f., 327, 420 f., 445, 447, 493

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–– Samuel  182, 189 – 192, 195, 245, 272 f., 278, 315 f., 326, 351, 353, 370 f., 413 f., 417, 493 f., 496 f. –– Wilhelm  169, 307 –– Wilhelm Ernst  201, 203 – 205, 443 – 445 –– Wilhelmine Christine, geb. von NassauSiegen  siehe dort Waldeck und Pyrmont, Fürsten von –– Friedrich 472 –– Friedrich Anton Ulrich  217, 447, 467 –– Georg 447 –– Georg Heinrich  447 –– Karl August Friedrich  447 –– Sophie Elisabeth  278 Waldeck, (von), illegitime Nachkommen der Grafen –– Arnd, Sohn Ottos IV.  350 –– Christoph (I.), Sohn des Bischofs Franz  352, 415 –– Christoph (II.), Sohn des Bischofs Franz 352 –– Christoph, Sohn Christophs (I.)  352 –– Dietrich, Sohn Philipps III.  351 –– Franz, Sohn Christophs (I.)  352 –– Henrich, Sohn Heinrichs VIII.  351 –– Henrich, Sohn Materns  351 –– Henrich, Sohn Ottos III.  350 –– Matern, Sohn Heinrichs VIII.  351 –– Tiele, verm. Sohn Wolrads I.  350 –– Wilhelm, Sohn Heinrichs VIII.  351 –– Wilhelm, Sohn Ottos III.  350 –– Wilhelm d. J., Sohn Materns  351 Waterbeck, Ludeke  114 Weber, Wolfgang E. J.  11, 16 Welfen  siehe auch BraunschweigLüneburg, Herzöge von  10, 51, 87 f., 145, 310, 318

619 Wend, de, Adelsfamilie  55, 98 –– Simon 92 Wenigelius, Adam  445 Werpup, von, Adelsfamilie  390 Westrup, Notar  477 Wettiner  siehe auch Sachsen, Herzöge und Kurfürsten von  10, 70, 230, 378, 485 Widukind, Herzog der Sachsen  432, 443 f. Wied, Hermann, Graf von  238 Winnenberg-Beilstein, Kuno von  281 Witte, Bernhard  402 f., 427 f. Wittelsbacher  siehe auch Bayern, Herzöge von bzw. Pfalz, Pfalzgrafen und Kurfürsten von der  10, 304, 378, 380 Wolff von Gudenberg, Tile  160 Wolmeringhausen, Herman  173 Württemberg, Georg, Herzog von  471 Wulff, Hermann  466 Wunder, Heide  12 Ysenburg-Büdingen, Grafen von  243, 296 –– Ernestine  140, 246 –– Heinrich 499 –– Reinhardt 315 Ysenburg-Grenzau, Grafen von  283 –– Jutta  246, 280, 493 –– Salentin VII.  280 Zedler, Johann Heinrich  10 Zertzen, Adrian von  173 Ziegenhain, Grafen von  170, 272, 452, 467 –– Gottfried 152 –– Johann 152 Zöttlein, Helga  25, 273, 298

620

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Orte Die ständig auftauchenden Begriffe Lippe und Waldeck (Grafschaft) wurden nicht aufgenommen. Mehrfach besetzte Begriffe wurden durch erläuternde Zusätze differenziert. Altwildungen 494 Alverdissen, Amt  55, 86, 110, 112, 120, 141, 144, 335, 480 Alverdissen, Schloss  122, 462, 506 Arolsen, Amt  184, 210 Arolsen, Kloster, Schloss  183 – 185, 212, 447, 467, 469 – 472, 483, 498, 506 Arolsen, Ort  177, 188, 209, 352, 483, 493 Augsburg 182 Barntrup, Amt  55, 86, 93, 110, 112, 144, 335, 478 Barntrup, Ort  407 Bassum, Stift  306 Bayern, Herzogtum  82, 108 Berg, Herzogtum  313, 351 Bergheim, Schloss  216 Beyenburg  110, 112, 281 Biedenkopf  156, 159, 163 f., 167 Bielefeld  307, 403 Biesterfeld  118, 252 Blomberg, Amt  55, 86, 110, 112, 144, 258, 335 Blomberg, Kloster  56, 487 – 489, 501, 505, 519 f. Blomberg, Schloss  54, 82, 258 f., 462, 475 Blomberg, Stadt  54, 56, 77, 82, 89, 408, 446, 487, 491, 505, 510, 519 Böhmen 328 Borghorst, Stift  306, 321 Brabant, Herzogtum  82 Brake, Amt  55, 86, 110 – 112, 120, 144, 258, 293, 335, 348 Brake, Schloss  54, 82, 89, 114, 122, 203, 258, 382, 390, 462, 465 f., 471, 474 f., 479 f., 489, 505 f. Braunschweig-Lüneburg, Herzogtum  82, 108 Brede 110 Bremen, Erzbistum  305, 312, 336 f., 349, 477

Bringhausen  198, 271 Bronkhorst, Herrschaft  86 Bückeburg  130, 462 Büllinghausen (Lippe), Hof  110, 259 f. Büllinghausen (Waldeck), Hof  196, 198 Busdorf, Stift  306 Cappel, Ort  95, 97, 101 Cappel, Stift  siehe Lippstadt Corvey  58, 329 Cuylenburg, Herrschaft  59, 208 Dänemark  271, 326 Deister 57 Detmold, Amt  55, 86, 110, 112, 407 Detmold, Schloss  82, 89, 125 – 127, 129 f., 132, 134, 139, 292 f., 324, 330, 349, 372, 382, 462 – 464, 466, 472, 474 f., 479, 485, 492, 506, 510, 519 Detmold, Stadt  45, 54, 82, 89, 96, 100 f., 105, 114, 118, 120 f., 123, 136, 141, 219, 263, 289 – 294, 336, 339, 347 f., 402, 405, 463 – 465, 479 f., 489 Deventer 305 Diemel, Fluss  57 Diepholz, Grafschaft  49 Dillenburg 255 Dresden 333 Düdinghausen, Freigrafschaft  158 Dünamünde 487 Duisburg 270 Eder, Fluss  57 Eifel 50 Eilhausen, Amt  178 Eisenberg, Amt  59, 156, 158, 178, 207, 431, 484 Eisenberg, Schloss  258, 269, 413, 420, 441, 467, 469, 506 Elten, Reichsstift  306

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Emden  337, 477 Enger, Amt  334 England  131, 365, 387 Erbach, Grafschaft  49 Erfurt  164 f., 309 Essen, Reichsstift  320 Esslingen 419 Falkenburg  54, 77, 82, 89, 110, 112, 462, 465 Falkenhagen, Ort, Kloster  288, 293, 329 Flandern 274 Florenz  137, 500 Franken  50, 267 Frankreich  136, 224, 326 f., 346, 387, 426, 496 Freckenhorst, Stift  306, 318 – 321 Freienhagen, Amt  199 Fritzlar 412 Fürstenberg 58 Gandersheim, Reichsstift  318, 321 f., 324, 344, 364, 403 Geldern 270 Generalstaaten  siehe auch Niederlande  327, 334 Gießen  21, 136 Göttingen 20 Hameln  143, 292, 406, 464 Hannover 81 Heidelberg 165 Heiliges Römisches Reich  16, 20, 25 f., 48 – 51, 55 f., 60, 63 f., 70, 76, 88, 108, 112 f., 129, 147, 190, 194 f., 197, 211, 216, 224, 256, 270, 274, 306, 327, 332, 346, 353, 365, 380, 394 f., 414, 425 f., 428, 491, 513, 516 f. Helmstedt 337 Herford, Reichsstift, Stadt  288, 290 f., 306, 308, 317 – 324, 343, 364, 405 Hessen, Landgrafschaft  25, 58 – 61, 82, 90, 93, 156, 182, 201, 208, 231 f., 272, 274 f., 280, 297, 363, 417 f., 422 f., 445, 508 Höhnscheid, Kloster  199, 270, 279, 494 Horn, Amt  55, 86, 110, 112, 258

Horn, Schloss  126, 258 Horn, Stadt  54, 76, 79 f., 82, 89 Hoya, Grafschaft  49 Hückeswagen, Schloss  313, 493 Iburg, Schloss  324 Italien  136, 346, 387, 429 Itter, Amt  192, 198, 201, 258 Jülich, Stadt  270 Kassel  25, 56, 61, 91, 101, 127, 268, 275, 330, 333, 336, 341 f., 415, 436, 446, 495, 499 Katzenelnbogen, Grafschaft  82 Kaufungen, Stift  308 Kleve, Schloss  270 Kleve, Herzogtum  270 Köln, Diözese, Erzbistum  57 – 60, 88, 91, 103, 145, 148, 155, 164, 169, 172, 174, 304 f., 307, 309 – 315, 320, 324, 326, 358, 363, 369, 401, 406, 450, 483 Korbach  59 f., 150, 157, 163, 168, 173, 178, 181, 207, 209, 215, 412 f., 415, 419 f., 422, 437, 467, 469, 493 f., 498 f., 505 f. Lage (Lippe), Stadt  89, 347 Lage, Kommende  175 Landau, Amt  59, 160 f., 166, 173, 178, 184, 258, 350 Landau, Schloss  151, 467 Landau, Stadt  59, 158, 350, 415, 421 Leiden 136 Leine, Fluss  57 Leipzig  70, 97, 164 f., 309, 410 Lemgo  49, 54 – 56, 77, 80 – 90, 100 f., 111 f., 119, 132, 228 f., 288 f., 292, 347 – 349, 357, 402 – 404, 406, 411, 445, 462, 466, 487 f., 490 –– St. Marien, Stift  316, 348, 403, 487, 490 Lichtenfels, Amt  59 Lichtenfels, Burg  58 Liesborn, Kloster  402 f. Lingen, Grafschaft  268 Lipperode, Burg  80, 89, 110, 112, 141, 335

622 Lippstadt  13, 53 f., 76 f., 79 – 82, 85 f., 90, 100 f., 105, 110 – 112, 119, 126, 132, 134, 228 f., 316, 323, 400 f., 411, 450, 462, 476 –– Cappel, Stift  316, 323, 343, 361 –– Hermelinghof 462 –– St. Marien, Stift  316, 400 f., 486 Livland  305, 400, 487 Lübeck 306 Lügde  118, 407 Lüneburg 81 Lüttich  147, 307 Magdeburg, Erzbistum  312, 438 f., 444 Mainz, Diözese, Erzbistum  58, 60, 197, 307, 309, 313, 471 Mainz, Stadt  161, 164, 316, 375 Marburg  25, 45, 126, 279, 292, 349, 415 f., 499 Marienfeld, Kloster  54, 400, 486 f. Marienmünster, Kloster  431 Mark, Grafschaft  68 Medebach 419 Mengeringhausen, Amt  59, 178, 184, 210, 258 Mengeringhausen, Stadt  59, 158, 483, 493 f., 497, 505 Minden, Diözese, Fürstbistum  56, 110, 112, 147 f., 304, 307, 309 f., 351 f., 487 Möllenbeck, Stift  114, 306, 318 Mühlberg 326 Münster, Fürstbistum  80, 148, 176, 185, 305, 307, 309 f., 319 f., 351 Münsterland  18, 319, 356 Nassau, Grafschaft  49 Naumburg, Amt  191 f., 198, 200, 258, 270, 493, 496 Netze, Ort, Kloster  58, 198, 271, 351, 400, 441, 443, 492 – 496, 499, 501 f., 505 Neuenheerse, Stift  308 Nieder-Ense  413, 493 Niederlande  56, 59, 208, 299, 326 f., 332, 387 Niederrhein 50 Niederrheinisch-westfälischer Reichskreis  56, 144, 331

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Niedersachsen 416 Niederwildungen  59, 157, 163, 168, 178, 199, 420, 493 f., 496, 505 Ober-Ense, Kloster  198, 201, 344 Oberrheinischer Kreis  59 Oesterholz 110 Oldenburg, Grafschaft  404 f. Oldenburg (Lippe), Amt  110, 112, 144 Oldenburg (Lippe), Burg  116 Osmanisches Reich  134 Osnabrück, Fürstbistum  146, 172, 176, 307, 309 f., 313, 320, 324, 351 f. Osning  54, 76, 487 Ostfriesland, Grafschaft  105 Paderborn, Diözese, Fürstbistum  54, 56, 58, 60, 77, 89 f., 92, 95, 102, 111 f., 124, 172, 208, 231, 305 – 307, 309, 329, 334, 347, 364, 378, 422, 431 f., 450 f., 479, 487 Paderborn, Stadt  127, 131, 329, 491 Prag  105, 387, 410 Pyrmont, Grafschaft  59, 92 f., 96, 99 f., 102, 208, 210, 218, 289, 422, 489, 500, 518 Quedlinburg, Reichsstift  318 Quernheim, Amt  334 Ravensberg, Grafschaft  164, 282 Rheda, Burg  76, 80, 462 Rheda, Herrschaft  54, 77 – 80, 268, 450, 486 Rheinland  272, 274 Rhoden, Amt  59, 168, 174, 178, 184, 196 – 198, 205 Rhoden, Schloss  200, 212 Rhoden, Stadt  59, 151, 158, 205 Rietberg, Grafschaft  49, 103 Rinteln  107, 338, 406, 409 f., 445 Rodenberg, Schloss  129, 336 Rom  427 f., 434 Sachsen, Stammesherzogtum  429 Sachsenberg  58, 168 Sachsenhausen  59, 163

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Saint-Quentin 326 Salzuflen  55, 86, 110 Sauerland 58 Schaaken, Kloster, Stift  318, 322, 344, 361 Schaumburg, Grafschaft  49, 102 f., 129 f., 140 – 142, 244, 251, 265, 296, 382, 462 Schaumburg-Lippe, Grafschaft  141 f., 219 Schieder, Amt  55, 91 f., 98, 110, 116, 144, 259 f., 335, 478 Schildesche, Stift  307 Schwaben  50, 267 Schwalenberg, Amt  55, 93, 110, 112, 144, 258, 260, 288 f., 291, 293, 329, 335, 358, 478 Schwalenberg, Burg  116, 258, 288, 432, 506 Schwalenberg, Grafschaft  54, 56, 58, 77, 431, 466 Schwalenfeld 431 Schweden  295, 312, 422 Schweiz 136 Selonien, Bistum  305, 400 Solms, Grafschaft  49 Spanien 346 Spanische Niederlande  104 Speyer  123, 143, 191, 315, 333 Spiegelberg, Grafschaft  92 f., 96, 99 f., 102, 218, 489 Stadthagen 489 Steinfurt, Kommende  175 Sternberg, Amt  55, 86, 91 f., 94, 98, 102, 110, 112, 478 Sternberg, Burg  122, 336, 338 Sternberg, Grafschaft  54, 103, 142, 267, 403 f., 466 Stoppelberg, Amt  144 Straßburg, Domkapitel  185, 304, 310 f., 313 – 315, 324, 326, 358 Straßburg, Stadt  101, 203, 333, 419 Tecklenburg, Grafschaft  82, 268 Teutoburger Wald  78 Thüringen  59, 251 Tonna, Herrschaft  59, 208, 500 Trier, Erzbistum  309 Troja 426 Tübingen 201

Ulenburg, Schloss  110, 112 Utrecht  305, 307 Varenholz, Amt  54 f., 86, 98, 110, 112, 137, 258, 337 Varenholz, Schloss  82, 89, 98, 122, 130, 137, 258, 338 Volkhardinghausen, Kloster  183, 308, 492 Waldeck, Amt  59, 189, 191, 193 f., 196, 198 – 200, 259, 271, 468 Waldeck, Burg  13, 57, 145, 151 f., 157, 159 f., 166, 171, 178 f., 189, 193, 196, 205, 207, 223, 259, 271, 466 – 471, 474, 480 – 486, 496, 499, 506, 510, 514, 519 Waldeck, Stadt  151, 157, 178, 205, 493 f., 499, 501, 510 Werbe, Kloster  198 Werl 406 Weser, Fluss  57, 464 Westerwald 50 Westfalen  10, 48, 50, 57, 145, 266 – 268, 272, 274, 280, 333, 362, 403 f., 416, 427, 429 Wetterau  50, 251 f., 267 f., 271 – 275, 297, 299, 332, 362, 417 Wetterburg, Amt  59, 178 Wiedenbrück 181 Wien  117, 328, 332, 454 f. Wilbasen, Kloster 487 f. Wildungen, Amt  59, 156, 158, 191, 196, 198 f., 207, 212, 258, 496 Wildungen, Schloss  158, 196, 467, 469 Wildungen, Stadt  siehe auch Niederwil­dungen bzw. Altwildungen 174, 187, 352, 420, 499 Wolfenbüttel 101 Worms 61, 274, 411 Württemberg, Grafschaft, Herzogtum  82, 108, 471 Würzburg 307 Züschen, Amt  59 Züschen, Burg  339